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German Pages 1178 [1180] Year 2007
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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 119
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Matthias Leistner
Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb Eine grundlagenorientierte Studie unter besonderer Berücksichtigung der europäischen Perspektive
Mohr Siebeck
IV Matthias Leistner, geboren 1974; Studium der Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin und der Universitè Libre de Bruxelles; 1997 Erstes Staatsexamen; 1997–2003 wissenschaftliche Mitarbeit am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht München zuerst als Stipendiat, später als Referent für Commonwealth-Länder; 1999 Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München; 2001 Zweites Staatsexamen; 2003 Bayerischer Habilitationsförderpreis, Anfertigung der Habilitationsschrift; 2004 Master of Law am Trinity Hall College der University of Cambridge; 2006 Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
e-ISBN PDF 978-3-16-151196-7 ISBN 978-3-16-149228-0 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
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Für Michèle, Nicole und Helena Clara
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Vorwort Diese Arbeit wurde im Sommersemester 2006 von der Hohen Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Habilitationsschrift angenommen. Das Manuskript wurde im Juni 2006 überarbeitet und im wesentlichen für die Publikation fertiggestellt; neuere Entwicklungen konnten dann bis September 2006 noch vereinzelt berücksichtigt werden. Ich bin für Anregung und Begleitung der Arbeit an dieser Studie vielen Freunden und Kollegen zu Dank verpflichtet. Zu allererst ist mein verehrter akademischer Lehrer, Herr Prof. Dr. Josef Drexl, LL.M. (Berkeley), zu nennen. Er hat ursprünglich das Thema der Arbeit angeregt, das sich in der Folgezeit als ganz unvergleichlich fruchtbringend und stets aufs neue aktuell herausgestellt hat. In der Folge hat er die Forschungsarbeit mit wertvollen Hinweisen und Kritik bereichert, dabei aber zugleich stets Zurückhaltung geübt, wo ein junger Wissenschaftler Freiräume für die Arbeit und Freiheit für die Entwicklung eigener Ideen brauchte. So hätte man sich schönere Arbeitsbedingungen für wissenschaftliche Tätigkeit als in der Zeit an der Ludwig-Maximilians-Universität und am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht nicht erträumen können. Großer Dank gilt auch dem Zweitberichterstatter Herrn Prof. Dr. Helmut Köhler. Für die behandelte Thematik war der so schnell und zügig erstellte Zweitbericht naturgemäß eine unschätzbare Bereicherung mit einer Vielzahl von wohlwollenden Anregungen, über die ich mich sehr gefreut habe und die ich noch sämtlich für die Veröffentlichung berücksichtigen konnte. Noch vielen weiteren Personen wäre zu danken; es können nur einzelne stellvertretend herausgegriffen werden. Herrn Prof. William Cornish vom Magdalene College der Universität Cambridge darf ich ganz herzlich für die so ausnehmend freundliche Aufnahme im Rahmen meines LL.M.-Studiums in Cambridge danken, die mir nicht nur Gelegenheit gegeben hat, neben dem dortigen Studienprogramm auch wesentliche Forschungsarbeiten für den Grundlagenteil der Arbeit durchzuführen, sondern die mir auch ganz einzigartige Einblicke in das englische Universitätsleben erlaubte. Meinem Kollegen Herrn Dr. Axel Metzger, LL.M. (Harvard), danke ich für seine kritische Durchsicht des Manuskripts und die reichen Anregungen, die seine Mühe noch erbracht hat; zu danken ist auch Frau Prof. Dr. Annette Kur, Herrn Dr. Stefan Enchelmaier, LL.M. (Edinburg), M.A. (Oxon), und Herrn PD Dr. Andreas Musil für ihre jeweiligen wertvollen Anregungen zu einzelnen Teilbereichen der Arbeit. Besonders schön hat sich die Zusammenarbeit in der Forschung mit Herrn PD Dr. Christian Kersting, LL.M. (Yale), gestaltet; in
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Vorwort
einzelnen Überschneidungsbereichen haben wir bei der Erstellung unserer jeweiligen Habilitationsschriften einen regen und anregenden Austausch schon in der Arbeitsphase gepflegt, der unsere Arbeit beiderseitig sehr bereichert hat. Schließlich danke ich Frau cand. iur. Mona Seeger, Frau stud. iur. Kathrin Wildenhain und Frau Gisa Hoffmann-Tlili für Mithilfe bei Recherchearbeiten und der Fertigstellung des Manuskripts für die Veröffentlichung. Mein Dank gilt zudem dem Bayerischen Staat, der die Erstellung dieser Arbeit mit einem Bayerischen Habilitationsförderpreis gefördert hat; nicht zuletzt dieser Förderung meiner Forschung ist die zügige Fertigstellung und Veröffentlichung der Arbeit unter idealen Arbeitsbedingungen zu danken. Auch die Junge Akademie an der Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg und der Akademie der Naturforscher Leopoldina hat mit einem großzügigen Zuschuß zu den Druckkosten die Veröffentlichung der Arbeit ihres Mitglieds gefördert. Zugleich gilt Dank dem Mohr Siebeck Verlag für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Jus Privatum“ und besonders herzlicher Dank auch dem verantwortlichen Cheflektor, Herrn Dr. Franz-Peter Gillig, für die lektorale Betreuung. Zuletzt und mit ganz besonderer, tiefer Dankbarkeit sei die einzigartige und großartige Unterstützung genannt, die mir meine Familie zu jedem Zeitpunkt meines wissenschaftlichen Werdegangs gewährt hat. Meinen lieben Eltern Werner und Eva-Maria Leistner danke ich für ihre stets unbedingte Unterstützung und liebevolle Geduld mit einem von Diskussionsbedarf überschäumenden jungen Wissenschaftler; meine Mutter hat zudem das Manuskript in einer grandiosen Sisyphusarbeit innerhalb kürzester Zeit auf seine sprachliche Qualität hin durchgesehen. Und natürlich ist an dieser Stelle meiner lieben Frau Michèle und Tochter Nicole zu danken, die meine hochfliegenden Thesen und Pläne noch aus größerer Nähe und ständig zu erdulden hatten, denen es aber immer gelungen ist, mich mit Ruhe, Weisheit und Witz wieder auf den Boden der wirklich wichtigen Dinge im Leben herunterzuholen. München, im Oktober 2006
Matthias Leistner
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Inhaltsübersicht Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXI Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Kapitel: Grundlagen 1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
2. Abschnitt: Normative Maßstäbe aus neueren rechtsphilosophischen Vertragstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen – Versuch einer Systembildung zu Vertrag und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4. Abschnitt: Zusammenfassung zum ersten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht 1. Abschnitt: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . 339 4. Abschnitt: Zusammenfassung zum zweiten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510
3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption der Wertungen aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht 1. Abschnitt: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtlicher Wertungen im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 3. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption vertragsrechtlicher Wertungen im UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 4. Abschnitt: Zusammenfassung zum dritten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606
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Inhaltsübersicht
4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung von Vertrags- und Wettbewerbsrecht 1. Abschnitt: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
615
2. Abschnitt: Allgemeine Konzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
619
3. Abschnitt: Ausgewählte Instrumente des Zivilrechts mit eigenständiger marktbezogener Ordnungsfunktion und funktionale Wechselwirkung mit den jeweiligen Wertungsmaßstäben im Wettbewerbsrecht . . . . . . . . .
653
4. Abschnitt: Ausgewählte Instrumente des Zivilrechts mit lediglich reflexartiger marktbezogener Ordnungsfunktion und Wechselwirkung typisierter Wertungen mit den jeweiligen Wertungsmaßstäben im Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
816
5. Abschnitt: Systemwidrige tatbestandliche Schutzlücken im Vertragsrecht oder strukturelle Durchsetzungslücken des Individualschutzes als Paradigma für das Verhältnis von Wettbewerbs- und Vertragsrecht? . . . . 1032 6. Abschnitt: Zusammenfassung zum Vierten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061 Fazit und Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1084 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1093 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1137
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Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXI Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Abgrenzung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1. Kapitel:
Grundlagen 1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Methodologische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 C. Ökonomische Grundvorstellungen von Wettbewerb und Vertrag . . . . . . . . 16 I. Der dynamische Wettbewerb und die Rolle des Vertrags in der „modernen Tausch- oder Handelswirtschaft“ der Klassik (Adam Smith) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Allgemeiner Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wettbewerbsverständnis, Wettbewerbsordnung und die Rolle des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Verständnis des (Vertrags-)rechts und der Vertragsfreiheit bei Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 19 21 24
II. Das statische Gleichgewichtsmodell der vollkommenen Konkurrenz in der Neoklassik (Samuelson) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Allgemeiner Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a. Das Gleichgewichtsmodell der Neoklassik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b. Die sogenannte Chicago School of Antitrust Analysis . . . . . . . . . . . . . . 28 c. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
XII
Inhaltsverzeichnis
2. Wettbewerbskonzept und Wettbewerbsordnung bei den Neoklassikern und der Chicago School . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a. Das Wettbewerbskonzept der Neoklassiker und der Chicago School . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b. „Wettbewerbsordnung“ und die Rolle des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
3. Das Verständnis des Vertrags und der Vertragsfreiheit bei den Neoklassikern und der Chicago School . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 III. Die Kantzenbach/Hoppmann-Kontroverse und der Einfluß v. Hayeks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs bei Kantzenbach . . . 2. Das Wettbewerbsverständnis Hoppmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hoppmanns Harmoniethese und der Einfluß von Hayeks . . . . . . . 4. Die Rückwirkung auf die Rolle des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 44 46 47 49 51
IV. Die Materialisierung des Freiheitsbegriffs im Ordnungsdenken der „Freiburger Schule“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Allgemeiner Rahmen: Ordnungsökonomie und Rolle des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das ordnungsökonomische Verständnis der Vertragsfreiheit und des Wettbewerbs im Ordoliberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rolle des Vertrags- und Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54 58 61 65
V. Der praktische Wettbewerbsbegriff bei Fikentscher . . . . . . . . . . . . . . . . 68 D. Ökonomische Analyse des Rechts, Informationsökonomie und Neue Institutionelle Ökonomie – Anwendung und Verfeinerungen des neoklassischen Grundmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Der Ausgangspunkt: Coase über „The problem of social cost“ . . . . . . 72 III. Ökonomische Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Grundgedanken der ökonomischen Analyse des Rechts . . . . . . . . . 80 2. Informierte und freiwillige Entscheidungen in der Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a. Informierte Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b. Freiwillige Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
3. Kritik an der ökonomischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a. Der ethisch-moralische Begründungsstrang der Kritik an der ökonomischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (1) Ethisch-moralisch fundierte Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Inhaltsverzeichnis
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(2) Drexls Konzept der normativen Effizienz als mögliche Reaktion (3) Systemtheoretische Folgerungen: Das Menschenbild im Konzept der normativen Effizienz und die Rolle des Wettbewerbs . . . . . . . (4) Folgen für Methode und Ergebnisse der ökonomischen Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Der methodologische Begründungsstrang der Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bewertung und Konsequenzen für die Verwertbarkeit modellbasierter ökonomischer Erkenntnisse allgemein . . . . . . . . . . . . . . .
90
IV. Informationsökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
1. 2. 3. 4.
87 88
90 95
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Preisunsicherheit und Qualitätsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Die Funktion der Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Die Rolle des Wettbewerbs- und Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a. Irreführungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Wettbewerbliche Steuerungswirkung der Verkäuferhaftung für Werbeangaben im Rahmen des neuen Kaufrechts . . . . . . . . . . . . . . c. Wettbewerbliche Steuerungswirkung der verbrauchervertriebsrechtlichen Regelung des Fernabsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Die AGB-Problematik als weiteres Beispiel der funktionalen Überschneidung vertragsrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Instrumente bei der institutionellen Steuerung des Wettbewerbs . . . . e. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106 108 110
111 112
V. Neue Institutionenökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. 2. 3. 4.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transaktionskostenökonomie und administrative Effizienz . . . . . Eingeschränkte Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuere psychologische und soziologische Forschungen sowie Ergebnisse der experimentellen Ökonomie zum Verhalten der Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Exkurs: Weitere (situative) Störungen des Entscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Rolle des Wettbewerbs- und Vertragsrechts und die Abgrenzung vom Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 116 119
123 127 128
VI. Folgerungen: Interessenorientierte Aufgabenzuweisung an Wettbewerbs- und Vertragsrecht aus ökonomischer Sicht – Schutz vor Situationen strukturellen Vertragsversagens im Vier-Ebenen-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 E. Verwendbarkeit ökonomischer Modelle bei der Rechtsanwendung und eigener rechtsmethodischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
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Inhaltsverzeichnis
2. Abschnitt: Normative Maßstäbe aus neueren rechtsphilosophischen Vertragstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 A. Selbstbestimmungsorientierte Theorien (Raz, Fried, Barnett, Benson) . . 145 B. Wohlfahrtsorientierte oder utilitaristische Theorien (Kronman, Buckley, Gordley) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 C. Formales und materielles Recht (Atiyah) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 D. Das Fehlen eines deontologischen Maßstabs: Die heuristische Konzeption in der neueren Theorie Bensons . . . . . . . . . . 162 E. Vergleich: Grenzen der ethischen Wertung im Recht des unlauteren Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen – Versuch einer Systembildung zu Vertrag und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 B. Systembegriff und methodologische Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 I. „Äußeres“ und „inneres“ System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 II. Der verwendete Systembegriff und die Leitkriterien der Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 III. Die methodologische Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 C. Prinzipien und Systemfunktionen des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 I. Prinzipien des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 II. Systemfunktionen: Die Debatte um die Richtigkeitsgewähr . . . . . . . 182 III. Insbesondere: Der Verbraucherschutzgedanke und die Integration der Verbraucherschutzgesetze in das BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Einführung: Dogmatische Grundmodelle zur Erklärung der Verbraucherschutzgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rückwirkung der neueren Rechtsentwicklung im europäischen und deutschen Verbraucherschutzrecht auf die Systemund Prinzipienebene des allgemeinen Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . 3. Der Trend zur Entindividualisierung des Schuldrechts und zur Betonung der Systemfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die systematische Behandlung der neuen Verbraucherschutzinstrumente im BGB und ihre Folgen für die Abgrenzung vom Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188
190 198
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D. Prinzipien und Systemfunktionen des Wettbewerbsrechts sowie die systematische Zuordnung als Sonderdeliktsrecht der Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. Grundprinzipien des Rechts des unlauteren Wettbewerbs . . . . . . . . . 209 II. Die Diskussion um das individuelle Schutzgut des Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Historische Entwicklung: Suche nach einem individuellen Schutzgut des Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Der aktuelle Perspektivwechsel: Drexls Orientierung auf die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Marktteilnehmer . 213 III. Die Anerkennung der Systemfunktion im Rahmen des institutionellen Schutzguts „Wettbewerb“ und der sogenannten Schutzzwecktrias der Schutzsubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1. Die Situation vor Inkrafttreten des neuen UWG . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Die Festlegung der Schutzzwecktrias in § 1 UWG im Rahmen der UWG-Reform von 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Relevanz für Versuche einer schutzgutbezogenen Abgrenzung des Lauterkeits- vom Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 IV. Wettbewerbsrecht als Sonderdeliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 E. Versuche einer kategorialen Abgrenzung des Wettbewerbsvom Vertragsrecht und einer generalisierenden systematischteleologischen Begründung abweichender Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I. Der „Multiplikatoreffekt“ des Unternehmens als generelle Grundlage voneinander abweichender Maßstäbe im Wettbewerbsund Vertragsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 II. Vertragsschluß als entscheidende Zäsur im Marktgeschehen? . . . . . . 244 III. Vorvertragliche Sonderbeziehung als Umschlagpunkt der Pflichtenstruktur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 F. Die spezifisch funktional-interessenorientierte Abgrenzung des wettbewerbsrechtlichen Verbraucher- und Kundenschutzes vom (Verbraucher-)vertragsrecht als Aufgabenstellung und die These vom grundsätzlichen Gleichmaß der normativen Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . 249 I. Der gemeinsame Fluchtpunkt der wettbewerbsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten und der vertragsrechtlichen Pflichten in den ersten beiden Ebenen des Vier-Ebenen-Modells . . . . . . . . . . . . 249 II. Die spezifisch funktional-interessenorientierte Abgrenzung des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherschutzes vom Verbrauchervertragsrecht und die These vom grundsätzlichen Gleichmaß der normativen Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
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III. Das rechtsfolgenbezogen funktional-komplementäre Zusammenwirken von Vertrags- und Wettbewerbsrecht in Grundzügen . . . . . . 257 IV. Interessenorientierte Verallgemeinerung und Eingrenzung des normativen Gleichmaßgrundsatzes im Vier-Ebenen-Modell . . . 265 1. Vertikalverhältnis: Interessen der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer (Kunden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 a. Schutz des fehlerfreien Vertragsmechanismus (durch Schutz der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses) . . . . . . . . . 265 b. Schutz sonstiger Interessen der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer (insbesondere vor Externalitäten bestimmter Werbe- und Vertriebsformen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
2. Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 V. Folgerungen für das weitere Untersuchungsprogramm . . . . . . . . . . . . 275 4. Abschnitt: Zusammenfassung zum ersten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
2. Kapitel:
Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht 1. Abschnitt: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 B. Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 I. Vertragsfreiheit im Rahmen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 1. Überblick und Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 2. Der Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 293 3. Insbesondere: Die Bürgschafts-Entscheidungen und ihre Rezeption im Privatrecht – Methodische Leitlinien für eine Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 II. Recht des unlauteren Wettbewerbs im Rahmen des Grundgesetzes und Folgerungen für das Vertragsrecht unter vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Der Wettbewerbsbegriff der Verfassung: Wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 2. Grundrechte und Werbung: Die Einwirkung der Verfassung auf das Recht des unlauteren Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 a. Schutzbereich der Kommunikationsgrundrechte bezüglich kommerzieller Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
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b. Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen durch das Schutzgut des Leistungswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verfehlte Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zutreffender inhaltlicher Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zweistufige Verhältnismäßigkeitsprüfung und Folgerung für das Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Verhältnismäßigkeit, umfassende Grundrechteabwägung und Fallgruppenmethode: Methodologische Folgerung für das Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
312 312 313 316
317
III. Statt einer Zusammenfassung: Weitergehende Überlegungen zur einheitlichen Perspektive im Lauterkeits- und Vertragsrecht . . . 322 C. Europäische Grundrechteordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 I. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 1. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 2. Schutz kommerzieller Kommunikation und Recht des unlauteren Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 II. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 B. Zwingendes Verbrauchervertragsrecht und europäisches Lauterkeitsrecht – Der binnenmarktfunktional einheitliche Ansatz im europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 I. Ausgangslage im EG-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 1. EG-Vertrag und unlauterer Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 2. EG-Vertrag und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 3. Übergreifende Perspektive und Relevanz der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundlegung im EG-Vertrag . . . . . . . . . . . 350 a. Übergreifende Perspektive und Gang der folgenden Darstellung . . . . 350 b. Zusammenfassung der primärrechtlichen Ausgangslage: Relevanz der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundlegung . . . . . . 352 II. Die binnenmarktorientierte (integrationspolitische) Perspektive . . . 356
1. Binnenmarktbezogene Entwicklungslinien eines europäischen Verbraucherrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 a. Der Ausgangspunkt: Die Tradition der Mindestharmonisierung im Bereich des lauterkeits- und vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsangleichung im Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsangleichung im Verbrauchervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . b. Die binnenmarktkomplementäre Entwicklung: „Negative“ Harmonisierung durch den EuGH und Binnenmarktharmonisierung durch den europäischen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . .
356 356 363
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(1) „Negative“ Harmonisierung im Rahmen der Dassonvilleund Cassis-Doktrin bis Keck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Zwingendes Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Einfluß der Keck-Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Binnenmarktharmonisierung durch den europäischen Gesetzgeber seit Keck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Fernseh-Richtlinie und E-Commerce-Richtlinie . . . . . . . . . . . (b) Die Perspektive: Bereichsspezifische Harmonisierung oder „kombinierter Ansatz“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
369 369 372 377 385 385 388
2. Folgerungen aus der binnenmarktfunktional übergreifenden Betrachtung des lauterkeits- und vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 3. Übergang zur inhaltlich-privatrechtlichen Perspektive und offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 III. Die inhaltlich orientierte (privatrechtliche) Perspektive . . . . . . . . . . . . 410 1. Verbraucherschutz und Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 a. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Grundkonzepte der EuGH-Rechtsprechung im Bereich des Verbraucher- und Lauterkeitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Lauterkeitsrecht und Vertrag in der Rechtsprechung des EuGH: Komplementarität und Gleichmaß der Wertungen . . . . . . d. Exkurs: Das Durchsetzungskonzept des EuGH als Bestätigung des ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung . . . . e. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
410 411 420 429 432
2. Verbraucherschutz und Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs im europäischen Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 a. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 b. Überblick: Maßnahmen und Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 (1) Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 (2) Verbrauchervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 c. Wechselseitige Grenzüberschreitung und sachliche Komplementarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 d. Der konzeptionelle Perspektivwechsel: Orientierung am Systemvertrauen in einem einheitlichen institutionellen Rahmen für Kommerzielle Kommunikation und Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . . . 455 e. Fallbeispiel: Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 (1) Die Regelungen über Garantien (Art. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 (a) Die Transparenz- und Informationspflichten nach Art. 6 Abs. 2 und 3 Verbrauchsgüterkauf-RL . . . . . . . . . . 463 (b) Die Haftung des Garantiegebers gemäß der Garantieerklärung und der einschlägigen Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 (2) Der Gewährleistungstatbestand (insbesondere die Haftung für Werbeangaben Art. 2 Abs. 2 lit. d Var. 3 VerbrauchsgüterkaufRichtlinie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472
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(a) Der (subjektive) Maßstab der Vertragsmäßigkeit . . . . . . . . . . . (b) Die zwingende Typisierung und Entindividualisierung des Haftungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Bedenken gegen eine Übertragbarkeit des europäischen Verbraucherleitbilds auf Art. 2 Abs. 2 lit. d Variante 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie aus der Sicht des deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Konkrete Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwingendes Recht (Art. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Horizontalisierende Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-RL in das deutsche Recht und ordnungspolitische Folgerungen für das Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der rechtspolitische „erst-recht“-Schluß bezüglich der Umsetzung der Lauterkeits-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Exkurs: Probleme überschießender Richtlinienumsetzung . . .
472 475
477 488 491
496 496 502
C. Bewertung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 4. Abschnitt: Zusammenfassung zum zweiten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510
3. Kapitel:
Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption der Wertungen aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht 1. Abschnitt: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtlicher Wertungen im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 A. Heteronome Rezeption in § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 I. Unterschiedliche Regelungsbereiche von UWG und § 134 BGB . . . . 527 II. Wettbewerbsverstoß in der Vertragsanbahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 III. Wettbewerbsverstoß als Gegenstand des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 V. Fazit und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 B. Einwilligungsvorbehalte bezüglich bestimmter verbotener Direktmarketingformen und zivilrechtliche Kontrolle der „Einwilligungen“ als mittelbar-heteronome Absicherung . . . . . . . . . . . . . . 540 I. Wettbewerbsrechtliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 II. Einordnung ausdrücklicher oder konkludenter Einwilligungen in der Rechtsgeschäftslehre und Abstimmung der zivilrechtlichen Kontrolle mit der Wertung der lauterkeitsrechtlichen Verbote . . . . . 543
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1. Einwilligung als Rechtsgeschäft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 2. Anwendbarkeit der Normen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 3. Abschluß- und Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB mit Bezug auf Einwilligungen in belästigende Werbung . . . . . . . . 548 III. Fallgruppen der mutmaßlichen Einwilligung in § 7 Abs. 2 Nr. 2, 3 und § 7 Abs. 3 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 1. Mutmaßliche Einwilligung von Gewerbetreibenden im Falle des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 2. Mutmaßliche Einwilligung von Verbrauchern unter § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG und (allgemein) unter § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG in atypischen Notfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 C. Deliktsrechtlicher Exkurs: Heteronome Rezeption in § 823 Abs. 2 BGB? . 556 I. § 3 UWG als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB? . . . . . . . . 557 II. §§ 16–19 UWG als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB . . 571 3. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption vertragsrechtlicher Wertungen im UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 A. Informationspflichtverletzung und Rechtsbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 I. Entwicklung der Fallgruppe des Rechtsbruchs in der neueren Rechtsprechung und der zugehörige Beispielstatbestand des neuen UWG als allgemeiner Hintergrund . . . . . . . . . . 572 II. Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten als praktisch wesentlichster Fall unmittelbar-heteronomer Rezeption im Beispielstatbestand Rechtsbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 III. Die ordnungspolitische (Durchsetzungs-)Perspektive . . . . . . . . . . . . . 575 IV. Die dogmatische Umsetzung und ihre Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 577 B. Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf vertragsbezogene unternehmerische Handlungen, insbesondere die Verletzung verbraucherschützender (Informations-)pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 I. Nochmals: Vertragsschluß als entscheidende Zäsur bezüglich des Vorliegens einer Wettbewerbshandlung de lege lata? . 580 1. Die bisher vertretenen Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 2. Stellungnahme und eigene Auffassung: Notwendigkeit einer inhaltlich-wertenden Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 II. Die inhaltlich wertungsbezogene Korrektur und die gebotene Abgrenzung gegenüber reinen Einzelfällen nach der Bagatellklausel des § 3 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590
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1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 2. Spezifische Folgerung für die typisierten verbraucherschützenden Informationspflichten des Vertragsrechts . . . . . . . . . . 592 III. Rechtsfolgenbezogene Reichweite des wettbewerbsrechtlichen Schutzes bei Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten nach Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 IV. Umsetzung der Lauterkeits-RL mit Blick auf Geschäftspraktiken nach Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 C. Exkurs: Ordnungspolitische Durchsetzungsperspektive als (über den Bereich des vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes hinaus) verallgemeinerbares Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 D. Die Fallgruppe des unlauteren Ausnutzens von Rechtsunkenntnis als eigenständige, mittelbar-heteronome Flankierung zivilrechtlicher Wertungen außerhalb des Rechtsbruchtatbestands? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 4. Abschnitt: Zusammenfassung zum dritten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 4. Kapitel:
Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung von Vertrags- und Wettbewerbsrecht 1. Abschnitt: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 2. Abschnitt: Allgemeine Konzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 A. Der jeweilige Verbraucher- und Unternehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 I. Relevanz und praktische Probleme der Anwendung des zivilrechtlichen Verbraucher- und Unternehmerbegriffs im Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 II. Vereinbarkeit des zivilrechtlichen Verbraucher- und Unternehmerbegriffs mit gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und Folgerung für das Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 1. Vereinbarkeit des zivilrechtlichen Verbraucher- und Unternehmerbegriffs mit den Vorgaben des vertriebsspezifischen gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzes . . . . . 623 2. Folgerung für das Wettbewerbsrecht: Vereinbarkeit des wettbewerbsrechtlichen Verbraucher- und Unternehmerbegriffs mit den Vorgaben der Lauterkeits-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 III. Rechtspolitische Kritik an der Vereinheitlichung des Verbraucherund Unternehmerbegriffs in §§ 13, 14 BGB und Vergleich mit der Rechtslage im Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630
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1. Kritische Stimmen im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 2. Vergleich zum Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 a. Keine grundlegende inhaltliche Differenzierung des geltenden UWG bezüglich des Verbraucherschutzes im Vergleich zum Schutz sonstiger Marktteilnehmer im Vertikalverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 b. Verbraucherspezifische Gestaltung einzelner Beispielstatbestände unlauteren Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 c. Möglichkeiten zur Abweichung von den verbraucherspezifisch typisierenden Wertungen unter Rückgriff auf § 3 UWG im Einzelfall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638
IV. Notwendigkeit einer verbraucherschutzbezogenen Spaltung des UWG im Rahmen der Umsetzung der Lauterkeits-Richtlinie? . 646 B. Abgrenzung von den Diskussionen um das Verbraucherleitbild und den zunehmenden Bemühungen um die Entwicklung eines Unternehmerleitbilds im UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 3. Abschnitt: Ausgewählte Instrumente des Zivilrechts mit eigenständiger marktbezogener Ordnungsfunktion und funktionale Wechselwirkung mit den jeweiligen Wertungsmaßstäben im Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . 653 A. Widerrufsrechte bei besonderen Vertriebsformen und Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 1. Argumentationsmuster in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . 653 2. Stellungnahme und eigene Ansicht zur Rückwirkung der zivilrechtlichen Regelungen besonderer Vertriebsformen auf das Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 a. Zivilrechtliche Regelung als stützendes Argument für ein wettbewerbsrechtliches Verbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 b. Direkte oder indirekte Rückwirkungen der zivilrechtlichen Regelung der besonderen Vertriebsformen im Sinne einer Liberalisierung der Maßstäbe im UWG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658 c. Die wettbewerbsrechtliche Perspektive: Insbesondere die Rolle der wettbewerbsbezogenen Bagatellklausel in § 3 UWG . . . . . . . . . . . 666
II. Das Widerrufsrecht beim „Haustürgeschäft“ gem. § 312 BGB und der innere Zusammenhang mit der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von „Haustürsituationen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 1. Reichweite der situationsbezogenen, geschäftsbezogenen und normativ-personenbezogenen Typisierung des § 312 BGB und flankierender Umfeldschutz durch das UWG . . . . . . . . . . . . . . 678 a. Situationsbezogene Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 b. Normativ-personenbezogene Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 c. Geschäftsbezogene Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683
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2. Rückwirkung des situationsbezogenen Vorfeldschutzes in „Haustürsituationen“ auf die wettbewerbsrechtlichen Verbote bestimmter Vertriebsmethoden im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684 III. Das Widerrufsrecht beim Fernabsatz (insbesondere im E-Commerce) gemäß §§ 312b ff. BGB und der innere Zusammenhang mit der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung bestimmter Vertriebsmodelle und Direktmarketingformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692 1. Grundsatz: Der Zusammenhang mit § 312e BGB und das Verhältnis zum lauterkeitsrechtlichen Schutz vor Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit und vor Belästigung . . . 692 2. Die neueste lauterkeitsrechtliche Rechtsprechung zu innovativen Direktvertriebsmodellen und die faktische Rückwirkung der durch §§ 312b ff. BGB gewährleisteten Überlegungsfrist auf die lauterkeitsrechtliche Beurteilung . . . . . . 695 3. Die differenzierte Regelung des Belästigungsschutzes in diesem Bereich als Beleg des grenzkostenorientierten Modells für das Verhältnis von Verbrauchervertriebs- und Wettbewerbsrecht . . . 701 IV. Bestätigung der hier vertretenen Sichtweise durch die Regelungen der Lauterkeits-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 B. Die Rolle der Informationspflichten (insbesondere bei den besonderen Vertriebsformen) im Verhältnis zum Wettbewerbsrecht und ihre rechtsfolgenspezifische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 I. Geltende Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 1. Institutionelle Funktion und institutionelle Durchsetzung . . . . . . 711 2. Individualschützende Zwecke und individuelle Rechtsfolgen . . . . 713 a. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Einteilung der besonderen Informationspflichten und Konsequenzen für die Sanktionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Pflichten bei Haustürgeschäften und im Fernabsatz . . . . . . . . . . . . (a) Den verbraucherschützenden Widerrufsrechten unmittelbar akzessorische Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die für die Ausübung der Widerrufsrechte relevanten Informationspflichten zur Sicherung der informationellen Entscheidungsgrundlage des Vertragsschlusses . . . . . . . . . . . . . (c) Sonstige individualschützende Informationspflichten im Fernabsatz mit anders gerichteten Zwecken . . . . . . . . . . . . . (2) Informations- und Vorkehrungspflichten im E-Commerce . . . . .
713 715 715 716
718 720 722
3. Zwischenfazit: Überlegenheit indirekt dezentraler Steuerung durch Sicherung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher gegenüber direkter Steuerung durch ausschließlich institutionell systembezogene Regeln zwingenden Rechts . . . . . . 728
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II. Künftige Umsetzung der Lauterkeits-Richtlinie und Verhältnis zum Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 C. Die Neuregelung des Verbrauchsgüterkaufs in ihrem Verhältnis zum Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 I. Die Regelungen über Garantien in §§ 443, 477 BGB in ihrem Verhältnis zum Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 1. Die standardisierenden Informationspflichten des § 477 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 2. Die dogmatische Konstruktion einer nicht dispositiven rechtsgeschäftlichen Haftung für die Angaben in der „einschlägigen Werbung“ im deutschen § 443 Abs. 1 BGB . . . . . . 739 a. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Konsequenzen der rechtsgeschäftlichen Lösung für Einzelprobleme und verbleibende Einfallstore für eine Wechselwirkung mit dem Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zustandekommen von Garantievereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einbeziehung von garantiebezogenen Werbeangaben Dritter? . . . (3) Auslegung des Inhalts von Garantievereinbarungen mit Blick auf die Angaben der „einschlägigen Werbung“ . . . . . . . . . . . . . . . .
739
741 742 743 747
II. Die typisierte Einbeziehung von Werbeaussagen des Verkäufers und bestimmter Dritter in die Beschaffenheitsvereinbarung . . . . . . . 754 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754 2. Wechselwirkung und Konvergenz: Wettbewerbsrechtliche Beurteilungskriterien und Leitbild des Durchschnittsverbrauchers (Erwartungshorizont) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761 3. Praktische Folgerungen für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . 764 a. Bestimmung der angesprochenen Verkehrskreise . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Der Erwartungshorizont des Durchschnittsverbrauchers: Abgrenzung eigenschaftsbezogener Äußerungen von bloßen Anpreisungen und weitere Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bestimmte Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der objektive Erwartungshorizont des „vernünftigen“ Käufers: Einzelheiten und mögliche Entlehnungen aus dem Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Eigenschaftsangaben durch Unterlassung (Verschweigen)? . . . . . . c. Relevanz der öffentlichen Äußerung: Nichtbeeinflussenkönnen der Kaufentscheidung als Ausschlußgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Gleichwertige Berichtigung der Äußerung als Ausschlußgrund . . . . . e. Zurechnungsfragen in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und wettbewerbsrechtliche Verantwortlichkeit für fremde Zuwiderhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Urheber der öffentlichen Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Haftungsprivilegierung für den Verkäufer bei Nichtkennenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
765
768 768
772 775 779 792
796 796 801
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4. Rechtstatsächlich zu erwartende Bedeutung der hier vorgeschlagenen Lösung und des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB insgesamt in einzelnen Handelsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804 D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 4. Abschnitt: Ausgewählte Instrumente des Zivilrechts mit lediglich reflexartiger marktbezogener Ordnungsfunktion und Wechselwirkung typisierter Wertungen mit den jeweiligen Wertungsmaßstäben im Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 816 A. Recht der Anfechtung und Zusammenhang mit dem Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 I. Relevante Schnittfelder des Rechts der Anfechtung mit dem Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 II. Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums gemäß § 119 Abs. 2 BGB . . 822 1. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit des bloßen Motivirrtums, dogmatische Einordnung des § 119 Abs. 2 BGB und Parallelen zu § 434 Abs. 1 S. 2 Nr.2, S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . 822 a. Die Unbeachtlichkeit des Motivirrtums und der Vergleich mit dem Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 822 b. Die dogmatische Einordnung des § 119 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 827 c. Die ansatzweise Vergleichbarkeit der zugrundeliegenden Interessenabwägung und der Tatbestandsstruktur in § 119 Abs. 2 BGB und § 434 Abs. 1 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 830
2. Eigenschaftsbegriff in § 119 Abs. 2 BGB: Parallelen zu § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB und Verhältnis zum wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutz . . . . . . . . . . 834 a. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834 b. Die Behandlung des Wertirrtums als Beispiel des Verhältnisses des Rechts der Irrtumsanfechtung zum wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838
3. Verallgemeinerung der Grundprinzipien des Verhältnisses der Irrtumsanfechtung zum wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843 a. Grundsätzlich nur begrenzte Vergleichbarkeit der Maßstäbe . . . . . . . 843 b. Reichweite der Vergleichbarkeit und Rolle der Werbung bei der Konkretisierung des Kriteriums der „Verkehrswesentlichkeit“ in § 119 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843 c. Grenzen der Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846
4. Das „Zurechnungsmodell“ der §§ 119, 122 BGB: Parallelen und Unterschiede zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB . . . . . . . . . . 850 5. Die Konkurrenz zu den kaufrechtlichen und sonstigen Mängelansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 855
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III. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863 1. Struktur des Tatbestandes und Vergleich mit wettbewerbsrechtlichen Maßstäben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863 2. Unterschiedliche methodische Ansätze zur Verallgemeinerung bzw. Erweiterung des Tatbestandes des § 123 Abs. 1 BGB . . . . . . 864 a. Der Ansatz Sacks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864 b. Der Ansatz Grigoleits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 867 c. Engere Ansätze unterschiedlichen Umfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 869
3. Die Rückwirkung der Regelung der culpa in contrahendo im Rahmen der Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 869 a. Tatbestandliche Abgrenzung zu §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB über das Erfordernis eines Vermögensschadens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Vorhandensein einer systemwidrigen Lücke in § 123 BGB nach der Schuldrechtsreform? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Vorsatzdogma und Vorrang des § 123 BGB ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Rechtsfolgenunterschiede und Konstruktionsvorteile der Lösung über §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
869 872 876 881
4. Zwischenfazit und Folgerung für den Vergleich von § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB mit Maßstäben des wettbewerbsrechtlichen Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 883 IV. Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885 1. Die Struktur des Drohungstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schmaler Überschneidungsbereich mit dem Wettbewerbsrecht . . 3. Erweiterung durch Analogien mit Blick auf drohungsähnliche Zwangslagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit und Auswirkung für das Verhältnis von § 123 Abs. 1 BGB insgesamt zu Maßstäben des wettbewerbsrechtlichen Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
885 887 888
891
B. Wettbewerbsverstoß und Sittenwidrigkeit in § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 892 I. § 3 UWG und § 138 BGB: Unterschiedliche Regelungsbereiche oder funktional-rechtsfolgenspezifische Unterschiede in der jeweiligen Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 892 II. Mögliche Konflikte mit der wettbewerbsrechtlichen Wertung im Falle von Basisverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 900 III. Folgeverträge unlauteren Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 907 1. Die im Ausgangspunkt unterschiedlichen Maßstäbe . . . . . . . . . . . . 907 a. Wucher (§ 138 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 907 b. Sonstige Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 914
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2. Die Entwicklung der Rechtsprechung im Überschneidungsbereich von Wettbewerbsrecht, § 138 BGB und situationsspezifischem Verbrauchervertriebsrecht als Beispiel zeitlicher Komplementarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 915 C. Zivilrechtlich „gefilterte“ Rezeption lauterkeitsrechtlicher Maßstäbe im Rahmen von Schadensersatzansprüchen aus culpa in contrahendo gemäß §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB . 924 I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924 II. Werbliche Vertragsanbahnung und Sonderverbindung . . . . . . . . . . . . 928 1. Entstehen einer Sonderverbindung durch Werbemaßnahmen gegenüber dem potentiellen Vertragspartner und Pflichtenmaßstab für den die Sonderverbindung begründenden Akt . . . . . 928 a. b. c. d. e.
Haftungsgrund und dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungstatbestand der Sonderverbindung durch Werbung . . . . . Zwischenbefund und wertend-systematische Überprüfung . . . . . . . . Dogmatische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problem der Bestimmung des Pflichtenprogramms für die latent auf werbliche Äußerungen vorwirkenden Pflichten des § 241 Abs. 2 BGB und diesbezügliche Überlagerung der Wertmaßstäbe mit typisierten wettbewerbsrechtlichen Wertungen . .
928 931 937 941
945
2. Die Einbeziehung Dritter nach § 311 Abs. 3 BGB in den Kreis der verpflichteten Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 948 a. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Änderungen der Wertungsgrundlage durch die Neuregelung des Kaufrechts in der Schuldrechtsreform und insbesondere durch die Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzwürdiges „besonderes“ Vertrauen der Kunden . . . . . . . . . . . (2) Spezifische Verantwortlichkeit der Hersteller bzw. Quasi-Hersteller und Inanspruchnahme „besonderen Vertrauens“ „für sich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unterminierung spezifisch kaufrechtlicher Wertungen bezüglich der Dritthaftung aus Garantien und bezüglich des auf die Vertriebskette limitierten Regresses der Letztverkäufer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
948
951 951
953
958 967
III. Die Bestimmung des vorvertraglichen Pflichtenprogramms für den Akt der Kontaktaufnahme unter Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Verkehrssicherungspflichten und die Grenzen des durch die Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB definierten Bereichs typisierbaren Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 969 1. Sicherung der informationellen Entscheidungsgrundlage durch Schutz vor vorvertraglicher Fehl- und Nichtinformation . 969
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a. Positiv irreführende Angaben und Pflichtenmaßstab im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Zivilrechtlich „gefilterte“ Rezeption lauterkeitsrechtlicher Informationspflichten als Aufklärungspflichten i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ungeschriebene Aufklärungspflichten und Transparenzgebot . . (2) Explizit geregelte wettbewerbsrechtliche „Informationspflichten“ als Aufklärungspflichten i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB? . . .
2. Sicherung des unbeeinflußten Entscheidungsprozesses durch Schutz vor pflichtwidriger Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . a. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Psychologischer Kaufzwang durch Wertreklame oder Gewinnspiele als Grundlage der zivilrechtlichen Wertung bezüglich des Schutzes der Entscheidungsfreiheit in § 241 Abs. 2 BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Differenzierung der beteiligten Interessen, Geltung des Gleichmaßgrundsatzes und Wechselwirkung des zivilrechtlichen Maßstabs mit der Liberalisierung der Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
969
975 976 981 985 985
987
992 999
3. Bedenken gegen den differenzierten Import lauterkeitsrechtlicher Prüfmuster und Judikate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1000 IV. Haftungsumfang nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 BGB i.V.m.§§ 249 ff. BGB und Konkurrenz zum Gewährleistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1011 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1011 2. Schadensersatz bei nicht zustandegekommenem Vertrag . . . . . . . 1016 a. Schadensersatzanspruch gegen den prospektiven Vertragspartner . . 1016 b. Schadensersatzanspruch gegen Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1021
3. Schadensersatzanspruch bei zustandegekommenem Vertrag . . . 1022 a. Schadensersatzanspruch gegen den Vertragspartner und Konkurrenz zum Gewährleistungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1022 b. Schadensersatzanspruch gegen Dritte und Begrenzung der Haftung . 1027
5. Abschnitt: Systemwidrige tatbestandliche Schutzlücken im Vertragsrecht oder strukturelle Durchsetzungslücken des Individualschutzes als Paradigma für das Verhältnis von Wettbewerbs- und Vertragsrecht? . . . . . . . 1032 A. Tatbestandliche Lückenlosigkeit der vertragsrechtlichen Behelfe und Existenz struktureller Durchsetzungslücken im Individualschutz . 1032 B. Das wettbewerbsrechtliche Durchsetzungsverbot als Fallbeispiel für systematisch genutzte durchsetzungsbezogene Informationsasymmetrien und die ergänzende Rolle des Wettbewerbsrechts bei der Durchsetzung zivilrechtlichen Individualschutzes . . . . . . . . . . . . . 1036
Inhaltsverzeichnis
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I. Die Entwicklung der Rechtsprechung zu wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten und die Gesamtkonzepttheorie des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1036 II. Die konzeptionelle Alternative: Durchsetzungsorientierte Subsidiarität des Wettbewerbsrechts im Verhältnis zum Vertragsrecht statt tatbestandlicher Abgrenzungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . 1046 C. Durchsetzungsorientierte Folgerungen: Zweifelhafte Funktionalität spezialgesetzlicher Vertragslösungsrechte oder Schadensersatzansprüche und vorstellbare Alternativkonzepte . . . 1053 6. Abschnitt: Zusammenfassung zum Vierten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061 Fazit und Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1084 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1093 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1137
XXX
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Abkürzungen Für diese Arbeit wurde auf die Abkürzungsverzeichnisse aus Palandt, BGB-Kommentar, 65. Aufl. 2006, sowie Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht – Kommentar, 24. Aufl. 2006, zurückgegriffen. Folgende weitere Abkürzungen wurden verwendet. BayPresseG BGB a.F. Bull. civ. Ch.D. CMLRev. ECHR E-Commerce-RL
E.I.P.R. EKDatenschutz-RL
ELR E.L.Rev. E-SMG Fernabsatz-RL
FernabsatzFinDL-RL
Haustürgeschäfte-RL
Hervorh. d. Verf. HL HRLR
Bayerisches Pressegesetz Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung vor der Schuldrechtsmodernisierung 2002 Bulletin civil Chancery Division Common Market Law Review European Court of Human Rights (offizielle Sammlung) Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. EG Nr. L 178 v. 17.7.2000, 1 ff. European Intellectual Property Law Review Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12. Juli. 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, ABl. EG Nr. L 201 v. 31. 7. 2002, 37 ff. European Law Reporter European Law Review Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (s. in BT-Drs. 14/7052) Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20. 5. 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG Nr. L 144 v. 4. 6. 1997, 19 ff. Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, ABl. EG Nr. L 271 v. 9. 10. 2002, 16 ff. Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. EG Nr. L 372 v. 31.12.1985, 31 ff. Hervorhebung des Verfassers House of Lords Human Rights Law Review
XXXII IherJB IIC
Irreführungs-RL
J. JITE J.C.P. Klausel-RL
Lauterkeits-RL
LauterkeitsRichtlinienvorschlag No. östTKG Pauschalreise-RL Produkthaftungs-RL
Rev. trim. dr. Homme „Rom-I“-Verordnungsvorschlag
Abkürzungen
Iherings Jahrbücher der Dogmatik des Bürgerlichen Rechts International Review of Industrial Property and Copyright Law/International Review of Intellectual Property and Competition Law Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 über irreführende und vergleichende Werbung, ABl. EG Nr. L 250 v. 19.9.1984, 17 ff., in der Fassung der Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl. EG Nr. L 290 v. 23.10.1997, 18 ff., und des Art. 14 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005, ABl. EG Nr. L 149 v. 11.6.2005, 22 ff. Justice The Journal of Institutional and Theoretical Economics La Semaine Juridique Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträge, ABl. EG Nr. L 95 v. 21.4.1993, 29 ff. Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/ EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EG Nr. L 149 v. 11.6.2005, 22 ff. Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern, Dok. KOM (2003) 356 endg. Number (Nummer) (Österreichisches) Bundesgesetz mit dem ein Telekommunikationsgesetz erlassen wird (TKG 2002), öBGBl. I 2003/70 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. EG Nr. L 158 v. 23.6.1990, S. 59 ff. Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. EG Nr. L 210 v. 7.8.1985, S. 29 ff. Revue trimestrielle des droits de l’homme Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, Dok. KOM(2005) 650 endg. v. 15.12.2005
Abkürzungen
„Rom-II“-Verordnungsvorschlag RPC schw. UWG Ser. Time-Sharing-RL
Unterlassungsklage-RL
UWG a.F. Verbrauchsgüterkauf-RL
Verbraucherkredit-RL
XXXIII
Vorschlag der Kommission vom 22. Juli 2003 für eine Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht („Rom II“), Dok. KOM(2003) 427 endg. Reports of Patent, Design & Trade Mark Cases Schweizer Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 19.12.1986 Series (der Entscheidungssammlung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABl. EG Nr. L 280 v. 29.10.2004, S. 83 ff. Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. EG Nr. L 166 v. 11.6.1998, 51 ff. UWG in der Fassung vor der UWG-Reform 2004 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. L 171 v. 7.7.1999, S. 12 ff. Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. EG Nr. L 42 v. 12.2.1987, 48 ff. in der durch die Richtlinie 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Änderung der Richtlinie 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. EG Nr. L 101 v. 1.4.1998 geänderten Form.
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Einführung A. Gegenstand der Untersuchung Die komplexe Wechselbeziehung von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht, wie sie insbesondere bezüglich des Schutzes der Verbraucher (im weiteren Sinne eines Kundenschutzes der Marktgegenseite verstanden) immer zunehmend in das Blickfeld der Rechtswissenschaft rückt, bildet den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Dabei wird das Vertragsrecht zunächst weit im Sinne der Gesamtheit der allgemein zivilrechtlichen Regelungen verstanden, die die vorvertragliche und vertragliche Sonderbeziehung der Parteien eines schuldrechtlichen Austauschvertrags regeln, womit Teilbereiche der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, das allgemeine und das besondere Schuldrecht angesprochen sind. Der Begriff des Wettbewerbsrechts wird im (engeren) Sinne der deutschen Terminologie verwendet und zielt mithin ausschließlich auf den Bereich des Lauterkeitsrechts1. Ersichtlich überschneiden sich die bürgerlich-rechtlichen Regelungen der vorvertraglichen und vertraglichen Sonderbeziehung, zumal im Bereich des Verbraucherschutzrechts (etwa der Regelungen der besonderen Vertriebsformen im BGB), in ihrem tatsächlichen Regelungsbereich zum Teil mit den Bestimmungen des Wettbewerbsrechts, welche auf die (insbesondere werbliche) Vertragsanbahnung fokussiert sind. Die vorliegende Studie sucht sich diesen Überschneidungsbereichen grundlagenorientiert anzunähern. Gemeinsamkeiten und Unterschiede des vertrags- und des wettbewerbsrechtlichen Ansatzes sind herauszuarbeiten und gegebenenfalls ist, sofern Überschneidungsbereiche identifiziert werden können, in denen sich die Interessenlage gleicht, auch ein Vergleich oder sogar ein (anwendungsbezogenen Gewinn versprechender) wechselseitiger Abgleich der jeweiligen Wertungen in beiden Rechtsgebieten zu unternehmen. Das offensichtliche Wechselverhältnis beider Rechtsgebiete unter der Perspektive der hier angestellten Untersuchung wurde in der Rechtswissenschaft bisher eher selten monographisch in den Blick genommen. Die überwiegende Mehrzahl der Untersuchungen wählt zudem eine etwas abweichende, mehr einseitig ausgerichtete Perspektive, die entscheidend darauf abhebt, welche Folgen Wettbewerbsrechtsverstöße in der Vertragsanbahnung hinsichtlich des resultierenden Vertrags 1 Die Begriffe Lauterkeitsrecht und Wettbewerbsrecht werden im Kontext des deutschen Rechts in der folgenden Untersuchung synonym verwendet und beziehen sich dann jeweils auf das Wettbewerbsrecht im engeren Sinne (der deutschen Terminologie).
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nach sich ziehen 2. Demgegenüber wurde ein umfassendes Panorama, welches insbesondere im Sinne einer echten Wechselwirkung auch die notwendigen Rückwirkungen spezifischer vertragsrechtlicher Regelungen auf den Vorfeldschutz des Wettbewerbsrechts berücksichtigt und solcherart die Perspektive sozusagen erst „geraderückt“, bisher allenfalls in Ansätzen gezeichnet3. Der Bedarf nach einer derartigen Untersuchung ist auch erst letzthin, insbesondere durch die europäisch angestoßene Fortentwicklung des deutschen Vertrags- und Wettbewerbsrechts, genuin relevant geworden. Insbesondere das europäische Verbrauchervertragsrecht, wie es sich nunmehr in wesentlichen Teilen in §§ 312 ff. BGB, aber auch in den (im deutschen Recht großenteils allgemeingültig umgesetzten) kaufrechtlichen Bestimmungen der §§ 434 ff. BGB widerspiegelt findet, weist nämlich eine unübersehbare Tendenz zu einer gewissermaßen „institutionellen“ Regelungstechnik auf. Mit den Mitteln des individuellen Verbraucherschutzes werden „institutionelle“, marktbezogene Zielsetzungen verfolgt, was insbesondere dazu führt, daß die entsprechenden Bestimmungen – teils explizit, teils implizit – Wertungen enthalten, die über die Regulierung des individuellen Vertragsverhältnisses hinausweisen und das wettbewerbliche Umfeld einer bestimmten Vertriebs- oder Geschäftsform teilweise durch zwingendes Recht auch „wettbewerbsrechtlich“ zu gestalten suchen. Die Rückwirkung einer solchen Regelungstechnik auf Teilbereiche der klassischen Regelungsgegenstände des Lauterkeitsrechts ist unübersehbar und führt zu bisher nicht grundlagenorientiert gelösten Abgrenzungsproblemen. Zugleich ist – sozusagen aus umgekehrter Richtung – eine wissenschaftliche Tendenz zu beobachten, den im deutschen Lauterkeitsrecht in einem institutionell gebundenen Sinne spätestens seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts dogmatisch nachweisbaren und nunmehr auch (in deklaratorischer Fortschreibung der zwischenzeitlich etablierten ständigen Rechtsprechung) in § 1 UWG verankerten Verbraucherschutzgedanken für die wettbewerbsrechtliche Rechtsanwendung im Sinne eines echten Perspektivwechsels mehr als bisher fruchtbar zu machen. Ein derartiger Perspektivwechsel im Lauterkeitsrecht muß aber, noch vollkommen vorbehaltlich der Frage, inwieweit sich daraus tatsächlich so weitreichende Folgerungen ableiten lassen, wie dies zum Teil versucht und behauptet wurde, jedenfalls wiederum zu einer höheren Visibilität und größeren Unmittelbarkeit der wertungsmäßigen Überschneidung einzelner Teilbereiche des Lauterkeitsrechts mit verbraucherschützenden Instrumenten des Vertragsrechts führen. Die sich ergebende, nicht einseitig, sondern im Sinne eines komplexen Überschneidungsfelds nur teilweise deckungsgleicher 2 S. die grundlegende Untersuchung eines Teilaspekts des hier behandelten Themas bei Sack, Wettbewerb und Folgeverträge, 1974; umfassender die grundlegende Untersuchung von Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981. 3 S. bisher nur die bemerkenswerte Studie von Alexander, Vertrag und unlauterer Wettbewerb, 2002; zuletzt spezifisch bezüglich des Verhältnisses von Irreführung und Gewährleistung auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, 2005, und (zum österreichischen Recht mit rechtsvergleichenden Bezügen) Augenhofer, Gewährleistung und Werbung, 2002.
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Wertungen zu verstehende Wechselbeziehung von Vertrags- und Wettbewerbsrecht soll im Mittelpunkt der nachfolgenden Untersuchung stehen. Entsprechend den eben skizzierten Entwicklungstrends sind dabei die Schwerpunkte zu setzen. So soll eine extensive ökonomische Grundlegung der Institutionen Wettbewerb und Vertrag den Versuch unternehmen, übergreifende Leitprinzipien des komplementären Zusammenspiels dieser beiden Elemente eines marktwirtschaftlichen Ordnungssystems herauszuarbeiten; rechtsethische Überlegungen suchen zudem die Perspektive über eine auf rein wirtschaftliche Aspekte begrenzte Orientierung hinaus auszuweiten und wiederum innere Verbindungslinien der rechtsphilosophischen Sicht moderner Vertrags- und Wettbewerbstheorien zu suchen, die Anhaltspunkte einer integrativen und zugleich differenzierenden Systembildung zu Vertrags- und Wettbewerbsrecht liefern können. Da der wesentliche Entwicklungstrend zur Institutionalisierung des Individualrechts, d.h. zur stetig gesteigerten Berücksichtigung der „makrojuristischen“4, die Steuerung des Verkehrssystems in den Blick nehmenden Aspekte im Massenverkehr, wesentlich einer europäischen Provenienz zugeordnet wurde, bildet zudem bei der Untersuchung des geltenden Rechts die Analyse des acquis communautaire des europäischen Lauterkeits- und Vertragsrechts, wie er sich im europäischen Primärrecht, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs und im Sekundärrecht verkörpert, einen wesentlichen Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung. Nicht nur sollen auf diese Weise die zwingenden Rahmenbedingungen des Bezugssystems Vertrags- und Wettbewerbsrecht im deutschen Recht herausgearbeitet werden, sondern insbesondere wird auch der Blick auf die europäische Konzeption einige der hier vertretenen Thesen zum Zusammenspiel der Rechtsgebiete ganz besonders klar reflektieren und solcherart der Untersuchung des (zunehmend gleichfalls europarechtlich überformten) deutschen Vertrags- und Wettbewerbsrechts gewisse Leitlinien aufzeigen. Für das deutsche Recht steht dann hauptsächlich die Untersuchung derjenigen Teilbereiche des Vertrags- und Wettbewerbsrechts im Vordergrund, in denen es zu Überschneidungen der Wertentscheidungen in beiden Rechtsgebieten schwerpunktmäßig kommen kann. Dies ist entsprechend der vorstehenden Überlegungen zur Bedeutung des europäischen Einflusses naturgemäß insbesondere (aber nicht nur) mit Blick auf diejenigen vertragsrechtlichen Vorschriften der Fall, welche – zum Teil in verallgemeinernder Umsetzung – Verbraucherschutzregeln europäischer Provenienz in das deutsche Recht transponieren. Insofern liegt ein gewisser Schwerpunkt bei verbraucherschützenden Regeln des Vertragsrechts, der dem Thema der vorliegenden Untersuchung jedoch nicht immanent eingeprägt ist, sondern sich vielmehr allein daraus ergibt, daß aufgrund der politischen Gegebenheiten des europäischen Rechtsetzungsprozesses viele der hier im Mittelpunkt stehenden neueren vertragsrechtlichen Instrumente europäischer Herkunft verbraucherspezifisch ausgestaltet wurden. Dies macht die 4 Vgl. für die kennzeichnungskräftige Begriffsbildung Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 4 unter Hinweis auf den Aufsatztitel bei Conard, 5 Georgia Law Review 1971, 415 ff.
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vorliegende Arbeit ihrem Charakter und Untersuchungsthema nach aber nicht zu einer Studie des Verbraucherschutzrechts im engeren Sinne; ganz im Gegenteil ist die gewählte Perspektive umfassend (auf den Schutz der Verbraucher und sonstigen Kunden gerichtet) und soll es in der Folge zumal gerade darum gehen, die Wertungen des europäischen Verbraucherschutzes und seiner mittlerweile weitgehend im BGB inkorporierten Transponierungsnormen im deutschen Recht behutsam auf ihren verallgemeinerbaren Kern hin abzuklopfen und die identifizierten Wertungen grundsätzlicher Natur im Rahmen der allgemeinen Instrumente des deutschen Vertragsrechts zu rezipieren und umzusetzen.
B. Abgrenzung des Themas Abzugrenzen ist die behandelte Thematik vom Zusammenspiel kartellrechtlicher Bestimmungen mit Regelungen des Vertragsrechts. Dieser Bereich, in dem gerade an der Schnittstelle von (kartellrechtlichem) Gemeinschaftsrecht und nationalem Vertragsrecht der Mitgliedstaaten letzthin einige spektakuläre Entwicklungen zu beobachten waren, bedürfte einer eigenen grundlegenden Untersuchung. Der Rahmen des hier behandelten Themas, der Wechselbeziehung von Lauterkeitsund Vertragsrecht, dem eine Mitbehandlung kartellrechtlicher Aspekte gleich zwei weitere Untersuchungsebenen (Verhältnis Kartellrecht-Lauterkeitsrecht 5, Verhältnis Kartellrecht-Vertragsrecht) hinzufügte, würde durch eine derartige Erweiterung des Forschungsfeldes schlichtweg gesprengt. Die hier beabsichtigte, exemplarische Untersuchung des komplementären Zusammenspiels von Wettbewerbsrecht und Individualvertragsrecht bei der Marktordnung und im individuellen Kundenschutz würde zudem durch eine derartige Erweiterung der Perspektive aufgrund der unvermeidbar resultierenden größeren Vielschichtigkeit der Analyse eher verschleiert. Soweit sich trotz der unterschiedlichen Funktionalität des Kartell- und des Lauterkeitsrechts gemeinsame Ableitungen unbestreitbar aber zum Teil daraus ergeben, daß beide Rechtsgebiete in ihrer institutionellen Zielrichtung (der Sicherung eines unbeschränkten und unverfälschten Wettbewerbs) konvergieren und einander komplementär ergänzen6, werden entsprechende Schlußfolgerungen aus kartellrechtlichen Beobachtungen am Rande in dieser Arbeit aber mit gezogen.
5 Zu diesem Verhältnis auf der Ebene europäischen Rechts zuletzt ausführlich Glöckner, S. 204 ff. mwN. 6 Zum diesbezüglichen, trotz der Konvergenz der institutionellen Zielrichtung komplexen Verhältnis beider Rechtsgebiete, die beim (einheitlichen) Schutz der Institution Wettbewerb eine doch unterschiedliche Funktionalität aufweisen, vgl. zuletzt (in anderem Zusammenhang) MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 11 f. mwN. Ähnlich Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl UWG, Rz. 6.11 f.: einheitliche Zielsetzung des Schutzes des freien und lauteren Wettbewerbs, dabei aber Regelung des Wettbewerbs unter verschiedenen Aspekten; s. zuletzt auch eingehend Köhler, WRP 2005, 645 ff.
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Auszunehmen ist zudem – der Formulierung des Untersuchungsthemas auch intuitiv entsprechend – das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum allgemeinen Deliktsrecht und sonstigen (nicht im Vertragsrecht verorteten) Regelungskomplexen des Privatrechts. Zu diesen Bereichen liegen monographische Untersuchungen bereits vor7; zudem ist bei genauem Hinsehen auch interessenorientiert zu unterscheiden zwischen dem Interesse am Schutz vor der Bindung an unlauter initiierte Verträge und sonstigen Verbraucher- und Kundeninteressen im Bereich des Schutzes vor unlauteren Werbe- und Vertriebsmethoden als solchen8. Nur der erstgenannte Bereich beschäftigt vorliegende Untersuchung unvermeidlich vollumfänglich; der zweitgenannte Bereich des Schutzes vor werblicher Beeinflussung als solcher wird lediglich insoweit mit erfaßt, als Instrumente zum Schutz der diesbezüglichen Interessen der Verbraucher und Kunden oder diesbezügliche gesetzgeberische Wertungen in der äußeren Systematik des BGB gerade dem (Verbraucher-)Vertragsrecht bzw. dem gesetzlichen Schuldverhältnis der vorvertraglichen Sonderbeziehung zuzuordnen sind. Nur in diesen systematischen Zusammenhängen beschäftigt der rechtliche Schutz solcher sonstigen Interessen die vorliegende Untersuchung; soweit dabei – zur Vervollständigung der Perspektive hinsichtlich des privatrechtlich gewährleisteten Schutzes der Verbraucher und Kunden – notwendig auch die sonstigen privatrechtlichen Grenzen der werblichen Kundenansprache, wie sie sich insbesondere aus dem allgemeinen Deliktsrecht ergeben, einmal mit zu betrachten sind, werden die entsprechenden Bereiche lediglich exkursartig und ergebnisorientiert gestreift. Schließlich ist festzuhalten, daß das weite Feld des wettbewerbsrechtlichen Schutzes vertraglicher Bindungen (etwa des Schutzes vor Verleitung zu fremdem Vertragsbruch, des Schutzes vor der wettbewerbswidrigen Abwerbung von Arbeitnehmern oder des Schutzes von selektiven Vertriebsbindungssystemen) die hier unternommene Analyse des komplementären Zusammenspiels von Wettbewerbs- und Vertragsrecht unter der Perspektive des Verbraucher- und Kundenschutzes allenfalls ganz am Rande berührt. Dementsprechend wird auch nur exkursartig auf Einzelbereiche des diesbezüglichen wettbewerbsrechtlichen „Drittschutzes“ etablierter Vertragsbeziehungen eingegangen, soweit dies einzelne der hier herausgearbeiteten Aspekte des Verhältnisses von Wettbewerbs- und Vertragsrecht hinsichtlich ihrer Allgemeingültigkeit zu unterstreichen hilft.
C. Gang der Untersuchung Für die hier unternommene, grundlagenorientierte Untersuchung wurde ein im Kern induktiv-deduktiver Aufbau gewählt. Zuerst widmen sich grundlagenorientierte Überlegungen dem Verhältnis von Wettbewerb und Vertrag aus der Sicht 7 8
S. ausführlich zuletzt Scherer, Privatrechtliche Grenzen der Verbraucherwerbung, 1996. S. Scherer, S. 17; Alexander, S. 23 f.
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der Ökonomie und aus der Perspektive einzelner neuerer rechtsphilosophischer Ansätze; neben der grundlagenorientierten Analyse des Zusammenspiels von Wettbewerb und Vertrag in der marktwirtschaftlichen Ordnung sollen damit zugleich (anwendungsbezogen) bestimmte Folgerungen hinsichtlich der (nach der hier vertretenen Auffassung methodendifferenzierter als bisher zu beurteilenden) Verwendbarkeit ökonomischer Modelle in der Rechtsgestaltung und Rechtsanwendung gezogen werden. Hier liegt, dem in dieser Studie identifizierten Trend zur stetig wachsenden Beachtung der institutionellen Rolle des Rechts bei der Strukturierung des Verkehrssystems entsprechend, ein grundlagenorientierter Schwerpunkt der Untersuchung. Es schließt sich eine rechtssystematische Analyse des Verhältnisses von Wettbewerbs- und Vertragsrecht an, die insbesondere thesenartig bestimmte Grundprinzipien hinsichtlich der jeweiligen Funktionalität beider Rechtsgebiete, zu beobachtender Grenzüberschreitungen und der diesbezüglichen Folgerungen hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen der Übertragbarkeit einzelner Wertungen aus einem Rechtsgebiet in das jeweils andere Gebiet aus Einzelbeispielen auf induktivem Wege abzuleiten sucht. Diese thesenartigen Überlegungen sind es dann auch, die ein Grundmodell des Verhältnisses von Wettbewerbs- und Vertragsrecht entwickeln, auf dieser Grundlage die neuralgischen Überschneidungsfelder beider Rechtsgebiete identifizieren und damit zugleich der weiteren Untersuchung den systematischen und methodischen Rahmen stecken sollen (erstes Kapitel). Nachdem solcherart ausführlich und facettenreich die Grundlagen des Verhältnisses von Vertrags- und Wettbewerbsrecht gelegt sind und der weitere Fortgang der Untersuchung detailliert vorgezeichnet ist, widmet sich das zweite Kapitel den verfassungs- und europarechtlichen Rahmenbedingungen des Bezugssystems Vertrags- und Wettbewerbsrecht. Vor allem der Untersuchung des gemeinschaftsrechtlichen Verbrauchervertrags- und Lauterkeitsrechts wird breiter Raum eingeräumt, da das mehr institutionell ausgerichtete Konzept des Gemeinschaftsrechts der hier unternommenen Studie (die einen ähnlichen Ansatz verfolgt und zumal die Rückwirkungen einer solchen Konzeption auf die Prinzipienebene des deutschen Wettbewerbs- und Vertragsrechts zu modellieren sucht und hieraus einzelne Ergebnisse ableiten wird) eine regelrechte Leitperspektive vorgibt. Dabei sind allerdings auch wesentliche und bisher unüberwindbare Grenzen der (limitierten) gemeinschaftsrechtlichen Annäherung an das Wettbewerbs- und letzthin mehr und mehr auch an das Vertragsrecht der Mitgliedstaaten aufzuzeigen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des deutschen Rechts wird insbesondere nach methodologischen Parallelen und Unterschieden bezüglich der Einwirkungen der Grundrechte auf das Wettbewerbs- und Vertragsrecht gesucht, wobei sich zum Teil überraschende Ähnlichkeiten ergeben; daneben gilt hervorragende Aufmerksamkeit dem bisher in der Literatur eher selten behandelten Bereich der Grundrechte aus der EMRK und ihrer Rückwirkung auf das Recht der Konventionsstaaten in den hier interessierenden Bereichen.
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Die Analyse des deutschen Rechts wird zweigeteilt im dritten und vierten Kapitel durchgeführt. Dabei widmet sich das dritte Kapitel der (noch vergleichsweise unproblematischen) wechselseitigen Beeinflussung der Rechtsgebiete im Rahmen von Normen, die in beiden Rechtsgebieten gerade der heteronomen Rezeption der Wertungen benachbarter Bereiche dienen. Mit dem vierten Kapitel wird dann der eigentlich problematische Kernbereich der Studie für das deutsche Recht erreicht. Die hier als mittelbar-autonom bezeichnete wechselseitige normative Beeinflussung von Vertrags- und Wettbewerbsrecht soll untersucht werden, wobei einerseits die Rückwirkung einzelner, umfassender verbrauchervertragsrechtlicher Regelungsansätze auf das Wettbewerbsrecht im Mittelpunkt steht, andererseits die Frage zu klären ist, an welchen Stellen und innerhalb welcher Grenzen dem Bürgerlichen Recht hinsichtlich des Individualschutzes prospektiver Vertragsparteien seinerseits typisierte Wertungen innewohnen, die mit den Wertungen des Wettbewerbsrechts verglichen werden oder sogar (in einzelnen Bereichen) mit dessen Wertungen konvergieren könnten. Schwerpunkte der Untersuchung und konkrete Ergebnisse werden sich in diesem Zusammenhang vornehmlich im Bereich der besonderen Vertriebsformen, bezüglich des neuen Kaufrechts sowie insbesondere im Bereich der vorvertraglichen Haftung aus §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB (der culpa in contrahendo) ergeben. Insgesamt dienen das zweite bis vierte Kapitel neben der Ermittlung konkret anwendungsbezogener Folgerungen aus der übergreifenden Perspektive auf Wettbewerbs- und Vertragsrecht zugleich auch der Bestätigung der im ersten Kapitel grundlagenorientiert entwickelten Kernthesen zum Wechselverhältnis der Rechtsgebiete. Insofern ließ sich eine gewisse Redundanz nicht vermeiden, da einerseits im Grundlagenkapitel einzelne Bestimmungen zum Teil beispielsartig und kursorisch bereits aufgegriffen werden mußten, um die Grundprinzipien des hier untersuchten Verhältnisses von Wettbewerbs- und Vertragsrecht aus diesen Beispielen induktiv kristallisieren zu können und andererseits ebenjene Grundprinzipien dann in den folgenden Kapiteln zugleich bestätigt und anwendungsbezogen konkretisiert und deduktiv fortentwickelt werden. Doch ist eine solche Überschneidung im Rahmen einer induktiv-deduktiven Untersuchungsstruktur unvermeidlich; sie reflektiert nur strukturell das hermeneutische Wechselspiel der zuerst entwickelten allgemeinen Prinzipien mit ihrer Anwendung, Konkretisierung und Fortentwicklung im Einzelfall9. So waren im Interesse einer folgerichtigen Argumentationsfolge gleichermaßen wie im Interesse der Übersichtlichkeit zugunsten des (zumal nur auszugsweise die Arbeit verwendenden) Lesers einzelne Überschneidungen und Redundanzen hinzunehmen, wurden aber doch – soweit dies irgend möglich war – vermieden oder jedenfalls minimiert. 9 Vgl. in anderem Zusammenhang treffend zu dieser „Zirkelstruktur“ (oder „Spiralstruktur“) des Verstehens, die gleichwohl nicht tautologisch oder zirkelschlüssig ist Larenz, Methodenlehre, S. 206 ff. mwN; vgl. bemerkenswerterweise mit einer ganz ähnlichen zirkulären, aber nicht zirkelschlüssigen Konzeption für das common law der methodologisch grundlegende Ansatz bei Dworkin, Law’s Empire, S. 65 ff.
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Extensive Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel suchen zudem, einen schnellen Überblick über die wesentlichen Ergebnisse der Studie zu ermöglichen. Diesen ausführlichen Kapitelzusammenfassungen folgt dann am Schluß der Arbeit ein kurzes Fazit samt einem Ausblick und einer Fortzeichnung der wesentlichen identifizierten Entwicklungslinien des Wechselverhältnisses von Wettbewerbs- und Vertragsrecht.
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1. Kapitel:
Grundlagen
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1. Abschnitt:
Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive A. Einführung Die rechtliche Untersuchung der inneren Zusammenhänge von Vertrags- und Wettbewerbsrecht impliziert die grundlegendere Frage nach dem Verhältnis von Vertrag und Wettbewerb zueinander. Dem schließen sich nachgeordnete ökonomische Fragen unmittelbar an: Welche Funktionen erfüllt Wettbewerb aus der Sicht der Ökonomie allgemein? Und spezifischer für unsere Themenstellung: Unter welchen wettbewerblichen Bedingungen kann die Vertragsfreiheit ihre Funktionen entfalten, „welchen“ Wettbewerb setzen mithin funktionierende Verträge voraus – oder läßt sich dies gar nicht prognostizieren? Liegt das Verhältnis gar umgekehrt, ist die Vertragsfreiheit ihrerseits nur Mittel zu einem (welfaristischen) Zweck? Diese exemplarischen Fragestellungen umreißen das Feld der inneren Zusammenhänge von Vertragsfreiheit und Wettbewerb; schon absehbar ist, daß zwischen beiden Institutionen eine Wechselwirkung vorliegen dürfte. Die Einzelheiten dieser Wechselwirkung bleiben aber einstweilen gleichermaßen offen wie die Frage, ob eine (und welche) dieser Institutionen im Mittelpunkt des Verhältnisses steht oder ob beide auf gleichwertiger Basis, sei es im Einzelfall komplementär oder konträr, zueinander in Beziehung stehen. Zwei Hoffnungen richten sich im Zusammenhang mit diesen Fragestellungen auf die Ökonomie. Erstens erscheint es lohnend, die wirtschaftswissenschaftlichen Grundkonzeptionen des Marktgeschehens und insbesondere des Wettbewerbs in ihrer theoriengeschichtlichen Abfolge zumindest kursorisch zu betrachten, da sie einen jeweils andersartigen wirtschaftspolitischen Rahmen bilden, von dem das Recht, zumal in den hier betrachteten Systemteilen1, nicht unbeeinflußt bleibt 2. Zweitens kann die (mikro-)ökonomische Perspektive der 1 Zur Qualität des Vertrags- und des Wettbewerbsrechts als eigenständige Teile des Rechtssystems vgl. näher unten 3. Abschnitt. 2 Daß das Recht von der wirtschaftspolitischen Grundausrichtung der jeweiligen Gesellschaft nicht unabhängig („wirtschaftspolitisch neutral“) bleibt, ist eine (wenngleich in den Einzelheiten nicht gänzlich unumstrittene) Selbstverständlichkeit, die hier vorweggenommen sei; vgl. für das Wettbewerbsrecht GroßKomm-Köhler, § 1 Abschn. D Rz. 8 ff.; für das Vertragsrecht, Bydlinski, System und Prinzipien, S. 607 f.; für das (dem hier betrachteten Bereich benachbarte) GWB eingehend unter Betonung des Einflusses der ordoliberalen Schule Rittner, AcP 188 (1988), 101, 113 ff. Die entscheidende Frage ist also allein diejenige nach Art und Ausmaß des
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1. Kapitel: Grundlagen
Neuen Institutionellen Ökonomie eine eigene Facette3 zur verfeinerten Analyse des hier betrachteten sozialen Realitätsausschnitts, zum Verständnis der Wirklichkeit in diesem Bereich, beitragen und insbesondere helfen, Situationen zu identifizieren und zu analysieren, in denen ein korrigierendes Eingreifen des Rechts gefordert ist. Diese „Forderungen der Ökonomie an das Recht“ 4 sind dann zu isolieren, zu systematisieren und – soweit möglich – für die rechtliche Analyse fruchtbar zu machen. An den genannten Zielsetzungen, den ökonomischen Rahmen der hier im Mittelpunkt stehenden Phänomene zu spannen, sowie Erwartungen an das Recht aus ökonomischer Sicht zu formulieren, orientiert sich der Aufbau des folgenden Abschnitts. Nach einer kurzen wissenschaftstheoretischen Vorbetrachtung zu den in den Wirtschaftswissenschaften verwendeten Methoden (unten B) werden die ökonomischen Grundvorstellungen von Wettbewerb und Marktgeschehen theoriengeschichtlich umrissen (unten C). Dabei tut Konzentration auf die für die vorliegende Untersuchung relevanten Problemkreise not, um gewissermaßen Schneisen in die wirtschaftswissenschaftliche Entwicklung zu schlagen, welche die Unterschiede in der Auffassung von Wettbewerb und Vertrag deutlich werden lassen. Dementsprechend widmet sich die folgende Darstellung zuerst in einem holzschnittartigen Überblick den jeweiligen Grundvorstellungen der Wirtschaftswissenschaft verschiedener Epochen5 vom Wettbewerb und der Sicht des Vertrags, um auszuforschen, wie sich deren Verhältnis zueinander und zu den zugehörigen rechtlichen Regelungen aus Sicht der einzelnen ökonomischen Schulen bestimmt. Im Anschluß werden die Verfeinerungen der Grundmodelle dargestellt, die die einzelnen Theorien der Neuen Institutionenökonomik und der experimentellen Ökonomie gebracht haben; hier geht es um die Identifizierung und Analyse konkreter SituatioEinflusses. Vgl. dazu aus der Sicht der Ökonomie („Exportperspektive“) unten C und D; aus der Sicht des Rechts („Importperspektive“) unten E. 3 Genaugenommen sind es sogar mehrere Facetten, da die Wirtschaftswissenschaften, je nach methodischem Ansatz, verschiedene Ausschnitte der gesellschaftlichen Wirklichkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung (und Modellbildung) stellen. Auch all diese Perspektiven zusammengenommen ergeben jedoch (um ein Ergebnis des folgenden Teils vorwegzunehmen) nicht etwa ein umfassendes Modell der ökonomischen Wirklichkeit, sondern bilden (wenngleich auf bestimmten gemeinsamen Prämissen fußend) vielmehr je eigene Sichtweisen, die jeweils spezifische Berechtigung insofern haben, als sie zur Erklärung jeweils eines Aspekts bestimmter Wirtschaftserscheinungen und zur Lösung bestimmter Optimierungsaufgaben besonders geeignet sind. Eucken, Nationalökonomie, S. 23, beschreibt diese multiperspektivische Analyse wirtschaftlicher Wirklichkeit in dem schönen Bild eines „Wanderer(s), der zu einer Reise aufbricht und der sich auf ihr eine bedeutende Erweiterung seines Horizontes verspricht, der aber schon nach den ersten Schritten in ein Gestrüpp hineingerät, das unüberwindbar erscheint“. 4 Die Formulierung stammt von Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 181. 5 Dieser theoriengeschichtliche Abriß folgt dabei nicht strikt der historischen Abfolge der einzelnen wirtschaftswissenschaftlichen Strömungen. Vielmehr sucht der Aufbau konzeptuelle Gemeinsamkeiten durch entsprechende Eingruppierung zu verdeutlichen. So wird insbesondere die sogenannte Chicago School of Antitrust Analysis schon im Zusammenhang mit den Neoklassikern – und damit abweichend von der theoriengeschichtlichen Abfolge vor der Kantzenbach/Hoppmann-Kontroverse, den Theorien von Hayeks und dem Ansatz der Freiburger Schule – behandelt, um ihre konzeptuelle Verwurzelung in der Neoklassik zu verdeutlichen.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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nen von Marktversagen, in denen das Recht gefordert ist (Teil D). An dieser Stelle ist dann auch der Ort, um der (positiven wie der normativen) ökonomischen Analyse des Rechts ihre methodische Rolle für die vorliegende Untersuchung zuzuweisen. Schließlich wird (in Teil E) ein rechtsmethodisches Einfallstor entwickelt, um die gewonnenen ökonomischen Erkenntnisse in die Rechtsanwendung zu integrieren, welches zugleich zur Grundlage der eingehenden rechtssystematischen Betrachtung von Vertrags- und Wettbewerbsrecht im 3. Abschnitt wird.
B. Methodologische Überlegungen Einzelne Eigenheiten der wirtschaftswissenschaftlichen Methodik sind bereits an dieser Stelle herauszustellen, soweit sie unmittelbar Folgerungen für die Sicht des Juristen auf die Ökonomie nach sich ziehen. Denn damit ist die vorab zu klärende Frage angesprochen, welcher methodische Ansatz für die folgende Betrachtung der Wirtschaftswissenschaften aus juristischer Sicht aus der spezifisch ökonomischen Methodik resultiert6. Prägend für die Vorgehensweise der Ökonomie ist die Vereinfachung der sozialen Wirklichkeit in Modellen7. Ökonomische Wirkungszusammenhänge werden vereinfacht (modellartig) simuliert, wobei bestimmte theoretische Annahmen zugrundegelegt werden8, die ihrerseits auf Erfahrungswerten beruhen können9 (aber nicht müssen10). Die wissenschaftlichen Folgerungen, die sich aus dem verwendeten Modell ergeben, sind daher denknotwendig abhängig von den zugrundeliegenden Modellannahmen; aus der historisch-konkreten Wirklichkeit sind sie demgegenüber herausgelöst11. Häufig werden die realen Gesamtzusammenhänge dabei zudem in einzelne Wirkungszusammenhänge „zerlegt“, wobei jeweils nur der Einfluß eines variablen Faktors auf die Ergebnisse untersucht wird, während die übrigen Faktoren unveränderlich gesetzt werden (ceteris-paribus-Annahme)12.
6 Lediglich diejenigen methodischen Fragen, die vorab zu beantworten sind, weil sie die Methodik der folgenden Untersuchung erst rechtfertigen, werden an dieser Stelle aufgeworfen. Alle anderen methodischen Problemkreise, wie etwa die Diskussion, ob ein allgemeines wirtschaftswissenschaftliches Modell existieren kann, welches die soziale Realität umfassend beschreibt, werden im jeweiligen sachlichen Zusammenhang, insbesondere unten D III 3 b, beantwortet. 7 Vgl. statt aller Streissler/Streissler, Volkswirtschaftslehre für Juristen, S. 9 ff. 8 Das vielleicht bekannteste Beispiel bietet die sogenannte REM-Hypothese, vgl. näher unten C II. 9 Streissler/Streissler, Volkswirtschaftslehre für Juristen, S. 9 f. 10 Vgl. eingängig die diesbezügliche Klarstellung bei Eucken, Nationalökonomie, S. 20 unten. 11 Eucken, Nationalökonomie, S. 21 ff., spricht in diesem Zusammenhang von der „großen Antinomie“ der ökonomischen Wissenschaft: „Hie Leben – da Ratio“. 12 Vgl. statt aller Streissler/Streissler, Volkswirtschaftslehre für Juristen, S. 11, die in diesem Fall von einer Partialanalyse sprechen. Einteilend lassen sich zudem u.a. statische und dynamische Analysen unterscheiden, je nachdem ob der Wirklichkeitsausschnitt des ökonomischen Modells eine Zeitdimension kennt oder nicht.
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1. Kapitel: Grundlagen
Diese Vereinfachungen wären aus theoretischer Sicht a priori hinzunehmen, soweit die Ergebnisse wirtschaftswissenschaftlicher Modelle „operational“, d.h. durch empirische Daten widerlegbar sind. Denn wissenschaftliche Theorien beweisen ihre einstweilige „Richtigkeit bis auf Widerruf“ nach Popper 13 nicht anhand ihrer Annahmen, sondern allein anhand ihrer Ergebnisse, soweit diese falsifizierbar sind und noch nicht falsifiziert wurden14. Diesen Schritt vollzieht Friedman15 für die Wirtschaftswissenschaften nach, wenn er die Annahmen, aus denen ökonomische Modelle ihre Ergebnisse ableiten, für gänzlich irrelevant erklärt, weil es lediglich auf die Falsifikation der Ergebnisse, d.h. der wirtschaftswissenschaftlichen Prognosen, anhand der sozialen Wirklichkeit ankomme. Die Relevanz dieser Ausgangsüberlegung für die Sicht des Juristen auf die Ökonomie wird an dieser Stelle überdeutlich: Es geht um die Frage, ob die Annahmen der ökonomischen Modellbildung einer faktischen, normativen (oder wie immer sonst gearteten) Bewertung unterworfen werden können16. Dies wäre in der Tat zu bezweifeln, sofern die Prämisse von der Falsifizierbarkeit der Ergebnisse ökonomischer Theorien zutreffend ist. Eben dies ist jedoch bei reiflicher Erwägung nicht uneingeschränkt der Fall17. Denn die der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zugrundeliegende soziale Wirklichkeit setzt sich aus einer unüberschaubaren Gemengelage unterschiedlichster (bei weitem nicht allseits ökonomisch erfaßter oder auch nur erfaßbarer) Einflußfaktoren zusammen, die zudem einem kontinuierlichen Veränderungsprozeß unterliegen. So ändern sich nicht nur die Wertewelten und Überzeugungen der wirtschaftlich handelnden Individuen ständig (wenngleich infinitesimal), sondern auch die sozialen (zumal rechtlichen) und technischen Rahmenbedingungen unterliegen einem Prozeß stetiger, gelegentlich sprunghafter Veränderung. Anders als bei den naturwissenschaftlichen Theorien, die nahezu gänzlich unveränderliche, replizierbare Zusammenhänge erforschen und so der Falsifikation (nicht nur theoretisch, sondern 13
Popper, Logik der Forschung, S. 3 ff. Dem entspricht in den Wirtschaftswissenschaften die von Samuelson, Foundations of Economic Analysis, 1947, erhobene (mittlerweile weithin anerkannte) Forderung nach operationalen Theorien, die falsifizierbare Prognosen zukünftiger quantitativer Entwicklungen möglich machen. Vgl. zusammenfassend Streissler/Streissler, Volkswirtschaftslehre für Juristen, S. 37 ff. 15 Friedman, Positive Economics, 1953, S. 3 ff. 16 Vgl. in der Tat die beispielhafte Aussage von Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 219, zur Bewertung des methodologischen Individualismus (im Zusammenhang ihrer exemplarisch gewordenen Auseinandersetzung mit Fezer über die grundsätzliche Tauglichkeit der ökonomischen Analyse des Rechts): „Es handelt sich hier nicht um eine ethische sondern um eine methodische Frage, die folglich auch nur mit methodischen, nicht mit ethischen Argumenten verteidigt oder angegriffen werden kann“. Demgegenüber mit normativer Kritik aufgrund ethischer Bewertung Fezer, JZ 1986, 817, 822. Vgl. eingehend zu diesem Problemkreis auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 36 ff. 17 Str., wie hier Streissler/Streissler, Volkswirtschaftslehre für Juristen, S. 38 f. mwN. Ganz ähnlich geht Samuelson, Foundations of Economic Analysis, 1947, zwar von einer empirischen Falsifizierbarkeit operationaler ökonomischer Theorien aus, betont aber, daß diese möglicherweise nur unter „idealen Testbedingungen“ in Betracht kommt, bei deren Fehlen die Richtigkeit der einer Theorie zugrundeliegenden Modellannahmen eben nicht länger gleichgültig ist. 14
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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in der Mehrzahl der Fälle auch im Experiment) zugänglich sind, ist daher in den Wirtschaftswissenschaften eine Widerlegung bestimmter Theorien anhand der Wirklichkeit wegen der konkret-historischen, sich stetig ändernden Gemengelage unterschiedlichster Einflußfaktoren nach der hier vertretenen Auffassung verläßlich nicht möglich18. Damit wird dann aber auch die Beschränkung auf eine rein empirisch anhand der Prognoseergebnisse ökonometrisch erfolgende Beurteilung der Theorien zweifelhaft. Denn wenn die Überprüfung der Ergebnisse einer wissenschaftlichen Theorie in der Wirklichkeit letztgültig eben nicht möglich ist, liegt es nahe, ihren Wirklichkeitsbezug zusätzlich doch anhand der wissenschaftlich-methodologischen Beurteilung ihrer Modellannahmen zu bewerten19. Durchaus notwendig erscheint es deshalb, die jeweiligen Grundannahmen anhand neuester ökonomischer Erkenntnisse im Grenzbereich zur Psychologie und Soziologie auf ihre Wirklichkeitsnähe hin zu überprüfen (faktische Beurteilung)20. Jedenfalls wenn sich Menschen in bestimmten Situationen systematisch abweichend von den Modellannahmen, insbesondere der REM-Hypothese21, verhalten, läßt sich schließlich auch auf Grundlage methodologischer Argumentation Kritik an den verwendeten Modellen üben 22. Hinzu kommt stützend eine zweite methodologische Überlegung. Selbst wenn man die Prämisse der Ökonomen, es handle sich bei den Verhaltenshypothesen und Modellannahmen der Wirtschaftswissenschaften um rein methodische Fragen, „die folglich auch nur mit methodischen, nicht mit ethischen Argumenten verteidigt oder angegriffen werden“ könnten 23, akzeptiert, so bleibt doch eine methodologische, interdisziplinäre Analyse dahingehend möglich, welche Entsprechungen bestimmte ökonomische Theorien in juristischen Auffassungen finden oder anders ausgedrückt: Welche ökonomischen Grundannahmen und Modelle welchen juristischen Grundauffassungen und Topoi zu Vertrag und Wettbewerbsordnung gegenüber stehen 24. Dies gestattet dann aber zugleich, eine normative 18 Eben dies ist es, was Eucken, Nationalökonomie, S. 20 ff., verdeutlichen will, wenn er von der „großen Antinomie“ der Nationalökonomie spricht, vgl. schon o. Fn. 11; ebenso Streissler/ Streissler, aaO.; Rittner, AcP 188 (1988), 101, 110 f. A.A. in den Wirtschaftswissenschaften insbesondere Friedman (o. Fn. 15). 19 Streissler/Streissler, aaO., S. 39; ähnlich Samuelson, aaO. 20 Streissler/Streissler, aaO. Vgl. etwa zu den mittlerweile zunehmend erforschten Ausnahmen insbesondere von der Rationalitätsannahme (bounded rationality) noch unten D V 3 und 4. 21 Vgl. näher unten C II. 22 Ebenso Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 40 f. Insoweit zustimmend auch Ott/ Schäfer, JZ 1988, 213, 219, die sich lediglich gegen die ethisch fundierte Kritik an den zugrundeliegenden Modellannahmen wenden. 23 Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 219. 24 Im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz hat Drexl, Selbstbestimmung, S. 91 ff., insbesondere S. 98, 113 ff., insoweit eindrucksvoll belegt, daß die einzelnen ökonomischen Ansätze eben nicht juristisch neutral sind, sondern vielmehr stets auch eine immanente normative Wertung enthalten, die sich einzelnen juristischen Ansätzen zuordnen läßt. Allgemein mit einem horizontalen Vergleich der interdisziplinären Kongruenzen Lehmann, Juristische und ökonomische Analyse, S. 3 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
Bewertung der einzelnen ökonomischen Theorien danach vorzunehmen, inwieweit sie imstande sind, in den Grenzen des durch das Grundgesetz vorgegebenen Rahmens25 den Ansatz unseres Rechts in Bezug auf Wettbewerbsordnung und Vertrag zu analysieren und zu verfeinern 26. Nahe liegt es hierbei, nicht allein auf die Ergebnisse der Theorien abzustellen, sondern vielmehr bereits bei den Modellannahmen anzusetzen und die normative Bewertung insofern gewissermaßen in die Ökonomie zu „importieren“ 27. Eben dies ist der Ansatz der folgenden Darstellung, der sich demnach (unter Einbeziehung auch der vorstehenden Überlegungen zur Notwendigkeit der Fokussierung auf unser Untersuchungsthema) dahingehend zusammenfassen ließe, daß einerseits methodologisch eine Konzentration auf die (faktische und normative) Betrachtung der wirtschaftswissenschaftlichen Modellannahmen von vornherein (und nicht erst bei der Beurteilung der Verwertbarkeit der Modellergebnisse für die juristische Wissenschaft im nachhinein) erfolgt 28 und daß andererseits inhaltlich der Fokus soweit als möglich auf den Problemkreis des Zusammenhangs von Wettbewerb und Vertrag verengt wird.
C. Ökonomische Grundvorstellungen von Wettbewerb und Vertrag I. Der dynamische Wettbewerb und die Rolle des Vertrags in der „modernen Tausch- oder Handelswirtschaft“ der Klassik (Adam Smith) 1. Allgemeiner Rahmen Die bahnbrechende Rolle, die Adam Smith als Gründervater der klassischen Volkswirtschaftslehre zukommt, ist vor der Kulisse der zu seiner Zeit herrschenden merkantilistischen 29 Auffassungen zu sehen30. 25 Vgl. zur umstrittenen Frage, inwieweit das Grundgesetz eine bestimmte Wirtschaftsordnung zumindest der Tendenz nach vorgibt oder „wirtschaftspolitisch neutral“ ist noch unten 2.Kap. 2. Abschn. B II 1. 26 Vgl. hierzu allgemein Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 3. Aufl., 2005. 27 Vgl. mit einem ausdifferenzierten Ansatz für die „normative Effizienz“ Drexl, Selbstbestimmung, S. 162 ff. sowie näher hierzu unten D III 3 a (2). Zwar werden damit die Grenzen einer rein methodologischen Argumentation wohl gesprengt; doch ist dies nach der hier vertretenen Auffassung zur allenfalls eingeschränkten empirischen Falsifizierbarkeit ökonomischer Theorien hinzunehmen. Dagegen Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 219. 28 Dieser Ansatz verdankt vieles den grundlegenden Überlegungen von Drexl, Selbstbestimmung, S. 162 ff., zur „normativen Effizienz“. Vgl. näher unten D III 3 a (2). 29 Der Begriff stammt von Smith selbst, vgl. Smith, Wealth of Nations, S. 450 ff. (Book IV „Of Systems of Political Economy“, Chapter I „Of the Principle of the Commercial or Mercantile System“, Hervorhebung des Verf.). 30 Als Hauptvertreter des englischen Merkantilismus seien John Locke (Two Treatises of Government, London 1690) und James Steuart (An Inquiry into the Principles of Political Economy, London 1767) genannt, wobei letzterer erstmals das System von Angebot und Nachfrage
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Deren Vertreter hatten das Ziel eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage nach Wirtschaftsgütern erstmals formuliert, zur Erreichung dieses Ziels aber auf entschiedenes staatliches Eingreifen gesetzt. Ausdrücklich sollte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch außenwirtschaftliche Restriktionen zur Erzielung eines Ausfuhrüberschusses gesteigert werden31; insgesamt ist der Merkantilismus von betonter Gleichgewichtsskepsis geprägt, wobei der Staat durch direktes Eingreifen in die Freiheit der einzelnen Bürger32 für eine ausgeglichene Gesamtwirtschaft, insbesondere für eine gesicherte Nachfrage sorgen sollte33.
Diesen im Feudalismus wurzelnden etatistischen Ansätzen 34 setzt Smith in einer „intuitiven Meisterleistung“35 die Einsicht in die Selbstregulierungskräfte des Marktes entgegen 36. Den Ausgangspunkt im Tatsächlichen lotet Smith schon in seiner „Theory of Moral Sentiment“37 aus38: Sein individuelles Menschenbild39 beruht auf der „self-love“ des Menschen, aus der sich sein „self-interest“ ergibt, welches ihn von der Geburt bis zum Tode nach einer Verbesserung der eigenen ökonomischen und sozialen Situation streben läßt. Doch ist das eigennützige Gewinnauf Märkten näher untersuchte und in diesem Zusammenhang das Gleichgewichtsziel entwikkelte. 31 Smith, Wealth of Nations, S. 451, verkürzt dieses Anliegen Lockes auf die Aussage, eine Nation solle eine möglichst große Einfuhr an Gold und Silber (d.h. Geld) anstreben, da dieses im Gegensatz zu anderen Waren nicht verbrauchbar und somit „the most solid and substantial part of the moveable wealth of a nation“ sei. Für eine derart simplifizierte Aussage läßt sich im Werk Lockes allerdings kaum ein Anhalt finden; vielmehr sind die entsprechenden Aussagen der Merkantilisten auf eine nachfrageorientierte volkswirtschaftliche Auffassung zurückzuführen, die die Einfuhr von Geld und Edelmetallen als Mittel der Wirtschaftsanregung sieht. Vgl. in diese Richtung die Anmerkung 2 von Cannan, in: Smith, aaO.; ausführlicher Streißler/Streißler, Volkswirtschaftslehre für Juristen, S. 39 ff., insbesondere S. 41. 32 Im Mittelpunkt der merkantilistischen Wirtschaftspolitik standen neben der Orientierung auf die Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage durch Außenhandelsrestriktionen Marktzutrittsschranken, die das Zunftwesen mit sich brachte und die durch Gesetze abgesichert wurden, vgl. Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 3. 33 Vgl. näher Streissler/Streissler, aaO., S. 42 ff. 34 Röpke, zitiert von Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 2, spricht bildmächtig vom „Angriff gegen die feudal-merkantilistischen Fesseln der Wirtschaftsfreiheit“, den Smiths Wettbewerbssystem verkörpere. 35 So Recktenwald, Würdigung des „Wohlstand der Nationen“, S. XLIV, XLIX. „Intuitiv“ ist Smith Vorgehensweise insofern, als er keinen scheinobjektiven Beleg durch mathematische Modelle unternimmt, sondern seine Erkenntnisse durch folgerichtige Schlüsse argumentativ belegt, vgl. ebenso Drexl, Selbstbestimmung, S. 97. Immerhin weist Lehmann, JZ 1990, 61, 65, in einem Seitenblick auf das Lebensumfeld des Adam Smith darauf hin, daß dieser als zeitweiliger Steuerinspektor in Schottland häufig über Märkte zu gehen pflegte und dort sehr aufmerksam das Verhalten der Marktteilnehmer beobachtete, so daß man ihn als einen der ersten Wirtschaftstatsachenforscher seiner Disziplin bezeichnen könnte. In sein Alterswerk, die sechste Auflage der „Wealth of Nations“, 1776, gingen diese Beobachtungen ein, so daß Smith über die bloße Intuition hinaus auch als Empiriker bezeichnet werden kann. 36 Vgl. zum Marktverständnis bei Smith, Drexl, Selbstbestimmung, S. 92 ff. 37 Smith, Theory of Moral Sentiment, 1759; deutsche Übersetzung der letzten Auflage: Eckstein (Hrsg.), Theorie der ethischen Gefühle, 1977. 38 Auf deren Bedeutung für das unverzerrte Verständnis von Smith weist Tuchtfeldt, ORDO 27 (1976), 29, 30 mit einer Vielzahl von Nachweisen aus der älteren Smith-Forschung hin. 39 Vgl. näher hierzu Drexl, Selbstbestimmung, S. 128 f.; Lehmann, JZ 1990, 61, 65.
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streben bei Smith beschränkt durch das Mitgefühl der Menschen („sympathy“) und die freiwillige Anerkennung gemeinsamer Regeln der Ethik, er erhebt nicht den uneingeschränkt egoistisch handelnden homo oeconomicus zum Modell40, was ganz deutlich wird, wenn man sich vergegenwärtigt, daß er als weitere akzeptierte Schranken ungehemmten Gewinnstrebens ausdrücklich das staatlich gesetzte Recht und die wirtschaftliche Konkurrenz einführt41. Das Mißverständnis, Smith gehe von einem uneingeschränkten wirtschaftlichen Liberalismus42 aus, konnte entstehen, weil seine Hauptthese vom dezentralen Steuerungsmechanismus des Marktes, weniger die (auch nach Smith) notwendigen Beschränkungen der „Eigenliebe“ als mehr das erstmals beschriebene grundsätzliche Paradoxon, daß das egoistische Streben des einzelnen Menschen für sich selbst im Marktgeschehen zugleich zur optimalen Bedarfsbefriedigung aller führt, in den Mittelpunkt rückt43. Diesen Effekt, den das in der Folge vielzitierte Bild von der „unsichtbaren Hand“44 symbolisiert, die den eigennützig strebenden Menschen reflexartig zu einem gesamtnützigen Handeln lenke, entwickelt Smith zur allgemeinen Preistheorie weiter, die die moderne Nationalökonomie im Grundsatz bis heute bestimmt45. Die Bedarfsbefriedigung erfolgt in diesem System dezentral, durch die Summe der einzelnen Entscheidungen der Marktteilnehmer, die als jeweils sachnächste Beteiligte am besten über Angebot und Nachfrage informiert sind und diese Information über den individuell frei ausgehandelten Preis ausdrücken, aus dem sich in der Summe der Einzelentscheidungen der Marktpreis kristallisiert46. Dieses 40 Vgl. zur REM-Hypothese, die dem Handeln des „homo oeconomicus“ als Modell zugrundeliegt unten C II. 41 Vgl. ausführlich zu Einschränkungen der „self love“ bei Smith, denenzufolge etwa „ambition“ (Ehrgeiz), „avarice“ (Geiz), „avadity“ (Habgier), „rapacity“ (Raubgier) und „injustice“ (Ungerechtigkeit) eben nicht als legitime Erscheinungsformen der „self love“ anzusehen sind, die demnach durch Recht und Ethik in einen engen Rahmen gezwungen ist, Tuchtfeldt, ORDO 27 (1976), 29, 37 f. 42 Vgl. näher zur nicht einheitlichen Verwendung des Begriffs und insbesondere zu der Unterscheidung eines Liberalismus französischer Prägung (Voltaire, Rousseau), der mehr die Gleichheit in den Mittelpunkt stellt, und eines Liberalismus angelsächsischer Prägung, der mehr die individuelle Freiheit betont, von Hayek, ORDO 18 (1967), 11 ff.; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 2. 43 Smith, Wealth of Nations, S. 451 (Book IV, Chapter II): „Every individual is continually exerting himself to find out the most advantageous employment for whatever capital he can command. It is his own advantage, indeed, and not that of the society which he has in view. But the study of his own advantage naturally, or rather necessarily leads him to prefer that employment which is most advantageous to the society.“ 44 Smith hatte dieses Bild schon in der „Theory of Moral Sentiment“, 1759, entwickelt. In „Wealth of Nations“, S. 477 (Book IV Chapter II), verwendet er es im Zusammenhang mit den gemeinnützigen Effekten eines (weitgehend) restriktionsfreien Außenhandels und verallgemeinert es zugleich: „… by directing [the] in such a manner as its produce may be of the greatest value, he intends only his own gain, and he is, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end which was no part of his intention.“ (Hervorhebung des Verf.). 45 Smith, Wealth of Nations, S. 62 ff. (Book I, Chapter VII). 46 Drexl, Selbstbestimmung, S. 92 f.; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 4. Vgl. näher noch sogleich unten 2.
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dezentrale System der Bedarfsbefriedigung ist vom Leitgedanken der „Konsumentensouveränität“ beherrscht, angestrebt werden diejenigen Ziele, die dem tatsächlichen Bedarf der einzelnen Marktbeteiligten entsprechen47. Freilich erkennt schon Smith, daß dieser „freie“ Preismechanismus nur im fairen Wettbewerb der Marktteilnehmer entsteht, der durch bestimmte Handlungsweisen der Marktteilnehmer potentiell bedroht ist und des Schutzes durch das Recht bedarf. Auch der innere Zusammenhang zwischen frei ausgehandelten Verträgen, der Vertragsfreiheit, und dem Funktionieren des Wettbewerbs, findet sich bei ihm mehr als nur angedeutet48. Um die Einzelheiten des Wettbewerbsverständnisses, der rechtlichen Ordnung des Wettbewerbs und der Rolle des Vertrags bei Smith soll es im folgenden gehen.
2. Wettbewerbsverständnis, Wettbewerbsordnung und die Rolle des Rechts Der Wettbewerb bei Smith ist ein dynamischer Vorgang, der induktiv („von unten“)49 durch die Freiheit der konkurrierenden Anbieter und Konsumenten entsteht; das konstituierende Element seines Wettbewerbsverständnisses ist die Freiheit der einzelnen Marktteilnehmer50. Gerade das freie Verfolgen des Eigeninteresses seitens der Anbieter, einschließlich der Freiheit für vorstoßende und nachahmende Wettbewerbshandlungen51, führt im Zusammenspiel mit der Wahlfreiheit der Konsumenten52 über den Marktmechanismus zu einem oszillierenden Konvergieren des Marktpreises hin zum Gleichgewichtspunkt (in der Terminologie der Neoklassik, bei Smith als „natural price“ bezeichnet)53. Doch ist die Wettbewerbsfreiheit des einzelnen Marktteilnehmers nicht grenzenlos; vielmehr wird der Wettbewerb als eine Art Wettkampfrivalität gesehen, 47
Schmidt, aaO. Bzgl. der Rolle des Vertrags neben den bereits genannten Werken insbesondere auch in seinen „Lectures on Jurisprudence“, Oxford 1978 (Erstveröffentlichung 1723). 49 Unter dieser Perspektive verdankt von Hayeks spontane Ordnung im Sinne des „Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren“ vieles den Theorien des Adam Smith. Vgl. näher unten III 3. 50 Vgl. nur Smith, Wealth of Nations, S. 63, 70, 111 (Book I Chapter VII), wo stets auf die konstituierende Bedeutung der vollständigen Freiheit hingewiesen wird. Vgl. näher auch sogleich unten 3. 51 Ausgereifte Überlegungen zu der Frage, welche Wettbewerbsbeschränkungen hier – etwa im Interesse der Innovationsfunktion des Wettbewerbs – im einzelnen hinzunehmen wären, stellt Smith allerdings noch nicht an. Bemerkenswert ist immerhin, daß er die Gewährung zeitlich begrenzter Monopolstellungen als Äquivalent verdienstvoller Pionierarbeit für die aufwendige Etablierung von Handelsbeziehungen mit „remote und barbarous nations“ erwägt, vgl. näher Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 3. 52 Vgl. noch unten 3 zu der Frage, inwieweit Smith bereits Bewußtsein für situative Bedrohungen der Vertragsfreiheit und damit Ansätze für ein materialisiertes Verständnis der Privatautonomie entwickelt. 53 Vgl. Smith, Wealth of Nations, S. 62 ff. (Book I Chapter VII). Mit dem Hinweis auf den dynamischen Charakter des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren bei Smith insbesondere auch Fikentscher, Die umweltsoziale Marktwirtschaft, S. 6 ff., vgl. auch die Grafik auf S. 7; in anderem Zusammenhang auch Fikentscher, GRUR Int. 1993, 901, 902 f.; Drexl, Selbstbestimmung, S. 122. 48
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die des ordnenden Rahmens bedarf54; besonders deutlich wird dies schon in den „Spielregeln“, die Smith in der „Theory of Moral Sentiments“ zur Mäßigung der „self love“ einführt 55. Hier wird die Rolle des Rechts als Ordnungsrahmen überdeutlich: Soziales Verhalten wird geregelt, ohne es inhaltlich vorzuschreiben 56. Auf unser heutiges Wettbewerbsrecht gewendet, könnte man sagen, daß Smith an dieser Stelle die Notwendigkeit des Mitbewerberschutzes im Sinne einer Art Deliktsrecht des Wettbewerbs in aller Klarheit vorwegnimmt; die ordnende Funktion des Rechts mit Blick auf den Wettbewerb, die Notwendigkeit einer Wettbewerbsordnung ist hier erstmals formuliert57. Und auch die Tendenz des Wettbewerbs, sich gegen sich selbst zu richten, wird von Smith erkannt: Im Mittelpunkt stehen – verständlich vor dem Hintergrund des feudalistisch-merkantilistischen Wirtschaftssystems mit seinen streng durch das Zunftwesen abgeschotteten Märkten – insbesondere kartellistische Tendenzen, wie die vielzitierte Aussage von Smith zu Preisabsprachen belegt58. Von hier wäre es ein kleiner Schritt zur Erkenntnis der Notwendigkeit des Schutzes des Wettbewerbs – der als notwendig erkannten Wettbewerbsordnung – als Institution. Dieser Schritt wird von Smith jedoch nicht mehr vollzogen, dies jedoch wohlgemerkt nur, weil er keine praktische Möglichkeit sieht, informelle Preisabsprachen rechtlich zu kontrollieren und zu sanktionieren; so beschränkt er sich auf die Forderung, derartiges wettbewerbsschädigendes Verhalten durch die Rechtsordnung zumindest so wenig wie möglich zu erleichtern oder zu befördern 59.
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Spätestens hier endet die Parallele zu von Hayek. Smith, Theory of Moral Sentiments, S. 82; s. für eine aktuelle deutsche Übersetzung Eckstein (Hrsg.), Theorie der ethischen Gefühle (Übersetzung der 6. Aufl. 1790), 2004: „Im Kampf um Reichtum, Ehren und Auszeichnungen mag jedermann sich so hart einsetzen wie er will, jeden Nerv und jede Muskel anspannen, um alle Wettbewerber zu übertreffen. Aber wer andere behindert und sie zu Boden wirft, könnte mit keiner Nachsicht der Beobachter rechnen. Es ist eine Verletzung von fair play, welche sie nicht hinzunehmen bereit sind“. 56 So insbesondere Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts, S. 105, 123; vgl. ebenso Lehmann, JZ 1990, 61, 65 f.; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 2 f. 57 Die allgemeine Sicht der Rechtsordnung als eine der drei Staatsfunktionen bei Smith bestätigt dies. Neben der Verteidigung nach außen und der Bereitstellung bestimmter Infrastrukturen weist Smith dem Staat insbesondere die Aufgabe zu, jedes Mitglied der Gesellschaft soweit wie möglich vor Ungerechtigkeiten oder Unterdrückung durch andere Mitglieder der Gesellschaft zu schützen und zu diesem Zweck eine funktionsfähige Rechtsordnung bereitzustellen, Smith, Wealth of Nations, S. 231 ff. (Book V Chapter I Part II); vgl. auch Tuchtfeldt, ORDO 27 (1976), 29, 34 ff.; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 3 f. 58 Smith, Wealth of Nations, S. 144 [Book I Chapter X Part II]: „People of the same trade seldom meet together, even for merriment and diversion, but the conversation ends in a conspiracy against the public, or in some contrivance to raise prices.“ Vgl. hierzu auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 93 mwN.; Tuchtfeldt, ORDO 27 (1976), 29, 38 ff.; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 3. 59 Smith, aaO.: „It is impossible indeed to prevent such meetings, by any law which either could be executed, or would be consistent with liberty and justive. But though the law cannot hinder people of the same trade from sometimes assembling together, it ought to do nothing to facilitate such assemblies…“. 55
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Dennoch – die Bedeutung des Wettbewerbs, als eines Prozesses der kontinuierlichen Inanspruchnahme persönlicher Freiheit durch die Wirtschaftssubjekte im Sinne eines Ordnungsprinzips mit Eigenwert ist bei Smith in aller Deutlichkeit erkannt. Denn im funktionierenden Wettbewerb sieht er gerade eine der Schranken der „self love“, der Wettbewerb wird zum dialektischen Prozeß, der zugleich die Ausübung wirtschaftlicher Freiheit ermöglicht und begrenzt 60. Der Wettbewerb nach Smith ist somit ein für sich selbst genommen schutzwürdiges Instrument zur Koordinierung der Ausübung individueller wirtschaftlicher Freiheit in einem durch das Recht gesetzten Ordnungsrahmen. Die Notwendigkeit auch von Eingriffen durch das Recht mit dem Ziel des Schutzes dieses Ordnungsrahmens gegen Mißbrauch ist angedeutet; doch sieht Smith noch nicht die konkreten rechtlichen Möglichkeiten, die diesem Ziel dienen könnten. Dies kann nicht verwundern, stand doch vor dem Hintergrund des überregulierten merkantilistischen Wirtschaftssystems in einem ersten Schritt der Abbau bestehender Wettbewerbsbeschränkungen ganz im Vordergrund und verdrängte noch den Gedanken an einen zugleich notwendigen positiven Schutz des Wettbewerbs gegen Mißbrauch durch die Wettbewerber61.
3. Das Verständnis des (Vertrags-)rechts und der Vertragsfreiheit bei Smith Das bemerkenswerte an Smiths Verständnis des Vertrags und des Vertragsrechts ist, daß er neben der individualrechtlichen Begründung der vertraglichen Bindungswirkung bereits in ganz außerordentlicher Klarheit und Eindringlichkeit, die institutionelle Bedeutung des freien Vertrags und seiner Durchsetzung für die Sicherung der Funktionsbedingungen der „modernen Tausch- und Handelswirtschaft“ benennt. Individualrechtlich wird die Bindungswirkung des Vertrags bei Smith mit dem Vertrauen des Vertragspartners in die Erfüllung begründet; ent60 Vgl. Lehmann, JZ 1990, 61, 65; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 3. Die Parallele zum Konzept des Wettbewerbs als eines „Entmachtungsinstruments“ bei den Ordoliberalen ist unübersehbar. Vgl. Böhm, Demokratie und wirtschaftliche Macht, in: Kartelle und Monopole im modernen Recht, S. 9, 22; Mestmäcker, Rolle des Wettbewerbs im liberalen Gemeinwesen, S. 136, 146 f. 61 Ganz klar erkennt Smith allerdings wiederum die Existenz bestimmter Ausnahmebereiche vom Wettbewerb, in denen der Markt bei der Lösung der Probleme versagt. Ein situatives, konkretes Marktversagen findet sich dabei einmal mehr nur angedeutet (vgl. ähnlich auch unten 3 zum Vertragsversagen in bestimmten Bereichen); die abstrakt fehlende Eignung des Wettbewerbs zur Koordinierung bestimmter Bereiche der Daseinsvorsorge wird demgegenüber voll erkannt und durchforscht. So will Smith die Zurverfügungstellung bestimmter aufwendiger Infrastrukturen ebenso dem Staat überlassen, wie etwa den als besonders bedeutsam empfundenen Bereich des Bildungswesens. Auch die Notwendigkeit von Freiheitseingriffen wird in bestimmten Ausnahmebereichen nicht länger nur angedeutet, sondern konkret ausformuliert. So bejaht Smith die Notwendigkeit einer Bankenaufsicht, einerseits um die – damals den einzelnen Banken überlassene – Notenausgabe zu kontrollieren, andererseits aber auch schon, um durch gesetzliche Höchstzinssätze der Vergabe von Wucherkrediten einen Riegel vorzuschieben. Vgl. im einzelnen zum ganzen Tuchtfeldt, ORDO 27 (1976), 29, 39 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
scheidend sei ein Versprechen dahingehend, daß der Vertragspartner sich auf die Erfüllung verlassen könne62. Beispiellos hellsichtig belegt Smith dann in der Folge, wie sich das Rechtsinstitut des Vertrags in der Geschichte fortentwickelt hat, um dem jeweiligen Stadium der ökonomischen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, dem jeweiligen Produktionsprozeß die geeignete Ordnungsstruktur zu bieten. Er unterscheidet als Phasen der Wirtschaftsentwicklung die Jagd, nomadisierendes Hirtentum, den Ackerbau und die „moderne Tausch- und Handelswirtschaft“ und erörtert, wie sich das Recht der modernen Ökonomie durch Erleichterung des bindenden Vertragsschlusses, Erhöhung der Beweissicherheit von Verträgen und insbesondere durch eine stetig effektivierte Durchsetzbarkeit vertraglicher Verpflichtungen kontinuierlich angepaßt hat63. Wollte man es pointiert formulieren, so könnte man sagen, daß Smith hier eine Analyse des Vertragsrechts als Institution für den Leistungsaustausch in der „modernen Tausch- und Handelwirtschaft“ vornimmt – mithin wesentliches Gedankengut der ökonomischen Analyse des Rechts, insbesondere der „Property Rights“-Theorie, zweihundert Jahre vor ihrer Entstehung vorwegnimmt64. Jedenfalls ist er sich über die institutionelle Bedeutung des Vertragsrechts, seine Ordnungsfunktion vollends im klaren.
Seine eigentliche Meisterleistung, die zentrale These, für die das Bild von der unsichtbaren Hand steht, verschränkt dann das Prinzip individueller Vertragsfreiheit mit dem Wettbewerbsprinzip. Im Mittelpunkt seiner Preistheorie steht der individuelle und frei abgeschlossene Vertrag. Immer wieder betont er, daß sich das Preisgleichgewicht nur bei Unterstellung vollkommener Vertragsfreiheit einstellen könne65. Der Wettbewerb wird seinerseits zur Absicherung (Materialisierung) der Vertragsfreiheit durch hinreichende Konkurrenz gebraucht66; zugleich vollzieht er sich durch den fortlaufenden Abschluß von Verträgen. Vertrag und Wettbewerb bedingen einander in einem spontan sich selbst regulierenden System, dessen normativer Gehalt durch die Vertragsfreiheit bestimmt ist67. Dabei ist sein Verständnis der Privatautonomie – in Abgrenzung von dem ihn umgebenden merkantilistischen, staatsregulierten Wirtschaftssystem – ein im wesentlichen formales68. Der einzelne Tauschakt soll sich frei von Eingriffen des staat62
Smith, Lectures on Jurisprudence, S. 87: „I promise to do so, you may depend upon it“. Vgl. Smith, aaO., S. 88 ff., insbesondere S. 91, 97, zumal zur Notwendigkeit effektiver Sanktionierung von Vertragsverletzungen; allgemeiner ders., Wealth of Nations, S. 231 ff. (Book V Chapter I Part II); Lehmann, JZ 1990, 61, 65 f. 64 In diese Richtung in der Tat Recktenwald, Würdigung des „Wohlstand der Nationen“, S. XLIV, XLIX; Lehmann, JZ 1990, 61, 65 f. Vgl. ausführlich Sobel, Journal of Economic Issues 13 (1979), 347 ff. 65 Smith, Wealth of Nations, S. 63, 70, 111 (Book I Chapter VIII-IX): „This at least would be the case, where there was perfect liberty“. 66 Smith, Wealth of Nations, S. 64 ff. (Book I Chapter VII); vgl. auch Lehmann, JZ 1990, 61, 65; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 3. 67 Wiederum kann nur betont werden, wie viel vom späteren Gedankengut – insbesondere von von Hayeks Verständnis des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren – Smith hier vorwegnimmt. Vgl. näher noch unten III 3. 68 So auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 95, der betont, daß Smith zugleich jedoch die Gefahren des Mißbrauchs der Privatautonomie zu Zwecken der Wettbewerbsbeschränkung erkennt. Noch weitergehend Tuchtfeldt, ORDO 27 (1976), 29, 38 ff., der im Bereich des Arbeitsmarkts bei Smith sogar Rechtfertigungen für Eingriffe des Staates aufgrund struktureller Unterlegenheit 63
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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lichen Rechts vollziehen; lediglich die Rahmenbedingungen für einfachen, verläßlichen Vertragsschluß und eine effektive Abwicklung soll das Recht setzen. Doch erkennt Smith bereits die Gefahren, die die Vertragsfreiheit bedrohen. So führt er am Beispiel des Arbeitsmarktes aus, daß die Arbeitgeber wegen ihrer geringeren Anzahl leichter koalieren und solcherart den zersplitterteren Arbeitnehmern die Vertragsbedingungen diktieren könnten69. Und sogar das Problem der Informationsasymmetrien wird von ihm, wenngleich in anderem – politischem – Zusammenhang, erkannt, wenn er im Kontext der Wirtschaftsgesetzgebung ausführt, daß die Arbeiter infolge ihrer sozialen Situation nicht die notwendigen Informationen erhielten und solcherart nicht in gleicher Weise wie die Unternehmer auf den Gesetzgebungsprozeß Einfluß nehmen könnten70. Insgesamt seien die Unternehmer aufgrund ihrer größeren Finanzkraft und Planungsfähigkeit allen anderen am Gesetzgebungsprozeß interessierten Gruppen derart überlegen an Einfluß, daß jeder ihrer Vorschläge prima facie mit äußerstem Mißtrauen zu behandeln sei71. Spätestens an dieser Stelle ist dann auch die Frage nach Smiths Beurteilung des politischen Rechtssetzungsprozesses allgemein aufgeworfen. Man hat – zumal von Seiten der Neoklassiker – die diesbezüglichen (in obigem Zitat in ihrer Essenz erkennbaren) Ansichten des Politikers Smith als paradox angegriffen und zum Gegenstand der Kritik gemacht72. Ebenso wie im wirtschaftlichen Bereich müsse auch bei der politischen Entscheidungsfindung das Eigeninteresse der Menschen dominieren, so daß sich ein „spontanes Gleichgewicht“ der Legislative einstelle. Es seien gerade dieselben Kriterien, wie sie Smith auf den Markt anwende, die auch die Politik dominieren müßten. Bei genauerem Hinsehen läßt sich Adam Smith als Ökonom jedoch nicht gegen Adam Smith als Politiker ausspielen73. Seine nur vermeintlich widereiner Vertragsseite entdecken will. Richtigerweise dürfte es jedoch in diesen Fällen nicht um zwingende und unmittelbare rechtliche Eingriffe in die vertragliche Abschluß- oder gar Gestaltungsfreiheit gehen, sondern lediglich um Korrekturen durch entsprechende Anpassungen des rechtlichen Ordnungsrahmens. Der einzelne Tauschakt soll sich frei von Eingriffen des staatlichen Rechts vollziehen; lediglich die geeigneten Rahmenbedingungen für einfachen, verläßlichen Vertragsschluß und eine effektive Abwicklung soll das Recht setzen. 69 Smith, Wealth of Nations, S. 74 f.; vgl. auch Tuchtfeldt, ORDO 27 (1976), 29, 39. 70 Smith, Wealth of Nations, S. 277 f. (Book I Chapter XI); vgl. auch Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts, S. 105, 131 f. 71 Smith, Wealth of Nations, S. 278 (Book I Chapter XI): „As during their whole lives they are engaged in plans and projects, they have frequently more acuteness of understanding than the greater part of country gentlemen. As their thoughts, however, are commonly exercised rather about the interest of their own particular branch of business, than about that of the society, their judgment, even when given with the greatest candour (which it has not been upon every occasion), is much more to be depended upon with regard to the former of those two objects, than with regard to the latter. Their superiority to the country gentleman is … in their having better knowledge of their own interest than he has of his. It is by this superior knowledge of their own interest that they have frequently imposed upon his generosity to give up both his own interest and that of the public… The proposal of any new law or regulation which comes from this order, ought always to be listened to with great precaution, and … not only with the most scrupulous, but with the most suspicious intention.“ (Hervorh. d. Verf.). Klarer läßt sich das Problem der Informationsasymmetrie nicht fassen. 72 Stigler, Smith’s Travels on the Ship of State, S. 237, 238. 73 Ebenso mit etwas anderer Begründung Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts, S. 105, 132.
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1. Kapitel: Grundlagen
sprüchliche Haltung, möglichst wenig in den Markt einzugreifen, zugleich aber die Gesetzgebung nicht in gleicher Weise dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen, löst vielmehr gerade ein Paradoxon seiner Lehren auf. Dieses klafft zwischen der stets betonten Notwendigkeit der Vertragsfreiheit im Sinne echter Wahlfreiheit beider Partner74 (mithin einem durchaus materialisierten Verständnis der Privatautonomie) bei zugleich klar vorhandener Erkenntnis, daß diese Wahlfreiheit in der ökonomischen Wirklichkeit zahlreichen Einschränkungen durch den jeweils stärkeren Vertragspartner unterworfen ist – einerseits – und der fehlenden Bereitschaft diese erkannten Ungleichgewichte und Funktionsstörungen durch staatliche Eingriffe auszugleichen – andererseits. Dieses eigentliche Paradox bei Smith löst sich auf, wenn man seine politische Theorie betrachtet. Smith verlagert den auch von ihm klar als notwendig erkannten Eingriff zum Schutz vor vertraglichen Ungleichgewichten und sonstigen Funktionsstörungen schlicht eine Ebene hinauf in den gesetzgeberischen Prozeß75. Er setzt auf die Heilungskraft des Rechts als Ordnungsrahmen, solange nur dieser Rahmen in einem fairen, von Informations- und Machtasymmetrien durch wertenden Eingriff bereinigten legislativen Prozeß entstehe. Dem unmittelbaren Eingriff in den Wettbewerbsprozeß mit dem Ziel, bestehende Ungleichgewichte auszutarieren, wird der mittelbare Eingriff in den gesetzgeberischen Prozeß vorgezogen, der zu einem rechtlichen Ordnungsrahmen führen soll, der Ungleichgewichte nicht länger entstehen läßt. Vor dem historischen Hintergrund der Forschungen des Adam Smith betrachtet, war dies die größte überhaupt mögliche Erkenntnis über die Gefahren des freien Wettbewerbs und ihre Bekämpfung. Seine eigentliche historische Leistung liegt darin, die Chancen des Wettbewerbs erkannt zu haben.
4. Fazit Die grundlegende Leistung des Adam Smith ist die Entdeckung und Ergründung des Marktmechanismus und seiner wesentlich auf dem Prinzip dynamischer Selbstregulierung beruhenden leistungs- und bedarfsgerechten Koordinierungsund Verteilungseffekte. Konstituierend für sein Marktverständnis ist die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen – die Vertragsfreiheit in der „Tausch- und Handelsgesellschaft“ –, die mit dem Prinzip des freien Wettbewerbs komplementär verschränkt ist. Der Wettbewerb ermöglicht den freien Vertragsabschluß des einzelnen, zugleich verwirklicht er sich in den fortlaufend abgeschlossenen Verträgen. Dieses selbstregulierende, dynamische System76 konvergiert nach Smith in einer oszillierenden Bewegung hin zum – in der Praxis nie erreichten – Gleichgewichtspunkt (in der Terminologie der Neoklassik), in dem die vollständige Harmonie von Einzel- und Gesamtinteressen besteht.
74 An verschiedener Stelle spricht Smith, Wealth of Nations, etwa S. 111, von der „perfect freedom to chuse“. 75 Wiederum spätestens an dieser Stelle des Werks von Smith endet die Parallele zu von Hayeks spontaner Ordnung. 76 Wegen dieses auf die Freiheit des einzelnen Marktteilnehmers abstellenden „induktiven“ Wettbewerbsverständnisses im Sinne eines selbstregulierenden Systems läßt sich für die Theorien des Adam Smith – in Abgrenzung von den wohlfahrtsökonomischen Ansätzen der Neoklassik – auch von einem systemtheoretischen Ansatz sprechen, vgl. Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 110 f.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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Der Ökonom Adam Smith erkennt, neben den individualrechtlichen Begründungen des Juristen Smith, in aller Klarheit die institutionelle Rolle des Rechts als Ordnungsrahmen, der die Funktionsbedingungen des Marktmechanismus bereitstellt und erhält. Dem Vertragsrecht kommt unter dieser Perspektive die Aufgabe zu, einen freien, möglichst reibungslosen Abschluß von Verträgen und deren verläßliche Durchsetzung zu ermöglichen. Die Gefahr eines Mißbrauchs der formalen Vertragsfreiheit zur Einschränkung des Wettbewerbs wird von Smith dabei gleichermaßen erkannt wie Gefahren, die sich aus strukturellen Ungleichgewichten der Vertragspartner (etwa im Arbeitsmarkt) ergeben. Die Sicherung wirtschaftlicher Freiheit steht im Vordergrund, mehrfach betont er die Bedeutung der „perfect freedom to chuse“77 für das von ihm entdeckte System. Vor dem Hintergrund der feudal-merkantilistischen Gesellschaft, die von umfänglichen Wettbewerbsbeschränkungen durch das Recht gekennzeichnet war, setzt er zur Meidung der Gefahren, die der „freedom to chuse“ drohen, aber nicht auf direkte staatliche Eingriffe in die vertragliche Gestaltungsfreiheit, sondern auf einen den Bedingungen der „modernen Tausch- und Handelswirtschaft“ angepaßten, wettbewerbskonformen rechtlichen Rahmen im Sinne eines Regelwerks für den von ihm entdeckten selbstregulierenden Prozeß, der damit gewissermaßen auf induktivem Wege vom bloß spontanen Verfahren zur staatlichen Einrichtung wird78. Sein Regelwerk des Wettbewerbs ist gekennzeichnet vom Prinzip des „fair play“ im Sinne eines Mitbewerberschutzes gegen unbillige Behinderung. Auch die Schutzbedürftigkeit des Wettbewerbs als Institution findet sich mehr als nur angedeutet, wobei die Erschwerung von Preisabsprachen im Vordergrund steht. Der Gedanke des Schutzes unerfahrener, strukturell unterlegener Verkehrskreise wird verlagert auf die Ebene der politischen Ordnungssysteme. Hier sollen Macht- und Informationsungleichgewichte im politischen Meinungsbildungsprozeß wertend ausgeglichen werden, um für einen fairen Regelungsrahmen zu sorgen.
II. Das statische Gleichgewichtsmodell der vollkommenen Konkurrenz in der Neoklassik (Samuelson) 1. Allgemeiner Rahmen a. Das Gleichgewichtsmodell der Neoklassik Nachdem die Klassiker der Nationalökonomie79 auf die Verwendung mathematischer Funktionen für die Beschreibung der Preistheorie verzichtet hatten, bemühten sich ihre Nachfolger, die Neoklassiker, um eine mathematische Beschreibung 77
Rechtschreibung nach dem Original. Siehe Drexl, Selbstbestimmung, S. 95. 79 Vgl. für einen umfassenden und zugänglichen Überblick über Leben und Wirken der klassischen Nationalökonomen statt vieler die Reihe „Klassiker der Nationalökonomie“, die in mittlerweile 82 Bänden mit Originaltexten und Biographien im Schäffer-Poeschel Verlag vorliegt. 78
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1. Kapitel: Grundlagen
mit dem Ziel, den (Gleichgewichts)punkt, an dem das Marktsystem bei Erreichen des „natural price“ die totale Übereinstimmung von Einzel- und Gesamtinteressen erzielt, zu ermitteln. Zu diesem Zweck wurde das statische 80 Gleichgewichtsmodell der vollständigen Konkurrenz81 entwickelt. Im Interesse der Modellbildung waren dabei eine Reihe radikaler Vereinfachungen vonnöten, deren prominenteste die Grundannahme des sogenannten methodologischen Individualismus ist82. Hinzu kommen bestimmte Bedingungen hinsichtlich Marktstruktur und Marktverhalten (statischer Zustand der Wirtschaft, Friktionslosigkeit der Marktentscheidungen, insbesondere vollständige Information, Fehlen von Marktzutrittsschranken, unendliche Anpassungsgeschwindigkeit an Veränderungen, keine externen Effekte, unendlich viele Mitbewerber und dadurch Preis als durch den einzelnen Marktteilnehmer unbeeinflußbare Fixgröße83), die nicht an dieser Stelle, sondern wegen ihres inneren Zusammenhangs mit dem Wettbewerbsverständnis und Verständnis des Wettbewerbsrechts bzw. mit dem Verständnis der Vertragsfreiheit und des Vertragsrechts im folgenden in diesen spezifischeren Kontexten betrachtet werden sollen84. Hier wird vorab lediglich das für die Modellbildung zentrale Verhaltensmodell des methodologischen Individualismus näher beleuchtet und in Beziehung zum neoklassischen Effizienzziel gesetzt. Der methodologische Individualismus (auch REM-Hypothese85) unterstellt, daß die einzelnen Unternehmen (Anbieter) und Haushalte (Nachfrager) als homines oeconomici ausschließlich rational handeln und ihren Gewinn bzw. Nutzen maximieren. Daß diese Annahme, zumal mit Blick auf die privaten Konsumenten, nicht uneingeschränkt zutrifft, entspricht mittlerweile der herrschenden Meinung auch in den Wirtschaftswissenschaften86. Ganze Disziplinen befassen sich mit den Einschränkungen, denen das Rationalverhalten schon allein wegen fehlenden Informationszugangs oder fehlender Kapazität sämtliche Informationen zu verarbeiten, unterworfen ist; hinzukommen zahlreiche weitere Abweichungen des realen menschlichen Verhaltens von der eigennützigen Blaupause des homo oeconomicus, die die moderne empirische Ökonomie und Psychologie aufgedeckt hat 87. 80
Vgl. zum statischen Charakter des Modells vollständiger Konkurrenz noch näher un-
ten 2. 81 Die Modellannahmen der vollständigen Konkurrenz finden sich erstmals bei Knight, Risk, Uncertainty, and Profit, 1921, S. 51 ff., beschrieben. 82 Vgl. statt aller Schäfer/Ott, S. 56 ff. 83 Die Marktteilnehmer im Modell der Neoklassik sind daher „Mengenanpasser“, d.h. sie passen die abgenommene Menge dem als fix gegebenen Preis an. Vgl. hierzu sowie näher zu den Merkmalen der vollständigen Konkurrenz auch Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 5. 84 Vgl. sogleich unten 2 und 3. 85 Nach dem englischen Akronym Resourceful Evaluating Maximizing Man (REMM). 86 Vgl. zusammenfassend Tietzel, Die Rationalitätsannahme in den Wirtschaftswissenschaften, S. 115 ff. Siehe auch die zahlreichen Nachweise zu den neueren Forschungen zum Rationalverhalten bei Schäfer/Ott, S. 63 ff.; selbst die Vertreter der Chicago School gestehen mittlerweile weitenteils zu, daß die der Neoklassik zugrundeliegenden Modellannahmen realitätsfern sind, vgl. insoweit die Nachweise bei Drexl, Selbstbestimmung, S. 136. 87 Vgl. näher unten D V 3 und 4.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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Man könnte sagen, daß die REM-Hypothese hier unbeabsichtigt geradezu den Anstoß gegeben hat, Situationen, in denen der Konsument sogar typischerweise eben nicht rational entscheiden kann, vielmehr häufig zu übervorteilt werden droht, zu identifizieren und zu analysieren. Das neoklassische Grundmodell unterliegt insoweit einer facettenreichen und kontinuierlich voranschreitenden Verfeinerung durch die einzelnen Schulen der Neuen Institutionellen Ökonomie, worauf noch in aller Gründlichkeit (unten D) eingegangen werden wird. Wie oben zu den Methoden dargestellt wurde88 muß die Widerlegung der zugrundeliegenden Modellannahmen aber nicht zwangsläufig bedeuten, daß das Modell der Neoklassik untauglich ist89. Vielmehr kommt es hierfür zuerst darauf an, inwieweit die empirischen Ergebnisse des Modells gute Prognosesicherheit aufweisen. Das Bild, das die Neoklassik in dieser Hinsicht abgibt, ist aber durchaus ambivalent90. Wie bereits oben ausgeführt wurde, spricht deshalb auch aus methodologischer Sicht nichts dagegen, die zugrundeliegenden Modellannahmen kritisch zu würdigen, um sie auf systematische Abweichungen des menschlichen Verhaltens hin zu überprüfen und zugleich aus der Perspektive des Rechts zu verdeutlichen, welcher normative Gehalt ihnen implizit innewohnt. Hierzu ist es zugleich notwendig, sich die Zielsetzung zu verdeutlichen, die die Schule der Neoklassik verfolgt: Der Gleichgewichtspunkt soll nicht nur ermittelt, sondern Effizienz, d.h. die Deckungsgleichheit von Angebot und Nachfrage, soll auch bewußt angestrebt werden, wobei den Neoklassikern das Verdienst gebührt, innerhalb ihres Modells den mathematischen Nachweis91 geführt zu haben, daß der gesamtgesellschaftliche Wohlstand tatsächlich gerade im Gleichgewichtspunkt sein Maximum erreicht92. Die hieraus abgeleitete Forderung, die Optimierung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands und mithin die ökonomische Effizienz zum Ziel der Wettbewerbspolitik zu machen, stellt den eigentlich problematischen Kern der neoklassischen Lehre dar. Denn damit wird das normative Wettbewerbsverständnis des Adam Smith, der induktiv von der Freiheit des ein88
S. oben B. So insbesondere Friedman, Positive Economics, 1953, S. 3 ff. 90 Insbesondere der auf der neoklassischen Preistheorie beruhenden bedingungslos liberalen Ausprägung der Chicago School wird der Vorwurf des selektiven Empirismus gemacht, der auf eine willkürliche Auswahl der die Theorien stützenden Studien gründet, während Studien, die zu abweichenden oder gegenteiligen Ergebnissen kommen, vernachlässigt werden. Vgl. Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 23. 91 Hierzu ist allerdings neben den bereits angeführten (und zum Teil noch unten näher zu würdigenden) Vereinfachungen bei den Modellannahmen noch eine weitere (mathematische) Vereinfachung nötig: Um die Produktions- und die Abnahmemenge in der Angebots- und der Nachfragekurve als Funktion des Marktpreises darstellen zu können, müssen sämtliche anderen Faktoren – wie etwa die Kosten der Produktion oder das Einkommen der Nachfrager – konstant gehalten werden (sogenannte ceteris paribus-Annahme), was wiederum der ökonomischen Wirklichkeit in keiner Weise entspricht, vgl. mit derselben Einschätzung Drexl, Selbstbestimmung, S. 96. 92 Vgl. für eine grundlegende Darstellung mit Grafiken Samuelson/Nordhaus, Economics, S. 3 ff.; für eine überblicksartige Darstellung mit Grafiken Schäfer/Ott, S. 82 ff.; für eine kurze verbale Beschreibung im theoriengeschichtlichen Zusammenhang Drexl, Selbstbestimmung, S. 95 ff. 89
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1. Kapitel: Grundlagen
zelnen ausgeht und den Wettbewerb in dieser Hinsicht als Garanten der Freiheit auffaßt, aufgegeben zugunsten eines wohlfahrtstheoretischen Effizienzmodells, in dem die Freiheit nicht länger individuelles Recht des einzelnen, sondern vielmehr allein die funktionale Freiheit des homo oeconomicus – eine Modellvoraussetzung93 ohne eigenständigen Wert ist94. Der Ansatz der Neoklassik läßt sich deshalb – im Gegensatz zu Smiths induktivem, die Freiheit des einzelnen Marktteilnehmers in den Mittelpunkt stellenden systemtheoretischem Ansatz – auch als wohlfahrtsökonomischer Ansatz bezeichnen95. b. Die sogenannte Chicago School of Antitrust Analysis Am deutlichsten wird die abweichende Zielsetzung des wohlfahrtsökonomischen Ansatzes in seiner kategorischen Interpretation durch die sogenannte Chicago School of Antitrust Analysis96, die lediglich das ökonomische Effizienzprinzip in seiner Ausprägung in den zwei Kriterien der allokativen Effizienz und der produktiven Effizienz97 als Maßstab für die Beurteilung von Wettbewerbspraktiken 93 Zu der berechtigten Frage, inwieweit eine ethisch fundierte Kritik an den Modellannahmen der Neoklassik, insbesondere der REM-Hypothese überhaupt berechtigt ist, vgl. schon oben B sowie näher auch unten D III 3 b und 4. 94 Diese Entwicklung ist trefflich versinnbildlicht in folgendem Zitat von Hoppmann (zitiert nach Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 4): „Die Idee des wirtschaftlichen Wohlstandes wurde von der Idee der Freiheit abgetrennt und auf diese Weise gewissermaßen verselbständigt. Das war die Geburtsstunde der reinen Ökonomie“. Gleichwohl ist bereits an dieser Stelle anzumerken, daß die solcherart modellierte „reine Ökonomie“ keine normativ neutrale ist; ihr wohnt vielmehr die Tendenz inne, Marktteilnehmer, die vom Leitbild des homo oeconomicus abweichen, – zumindest mittelfristig – zu benachteiligen. Vgl. näher auch unten D III 3. 95 Vgl. mit dieser Einteilung Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 110 f. 96 Die Wurzeln der Chicago School lagen im Monetarismus (insbesondere Milton Friedman), bevor sie in den siebziger Jahren ihr Tätigkeitsfeld auf die Wettbewerbspolitik ausdehnte (insbesondere Bork, Demsetz, Director, Posner, Stigler) und dort ihre eigentliche Bedeutung erlangte, die in den achtziger Jahren in einem erheblichen Einfluß auf die US-Antitrustpolitik gipfelte. Der Einfluß der Chicago School ist bis heute ungebrochen, zumal ihre Vertreter auch als Richter die Rechtspraxis in den Vereinigten Staaten mitbestimmen (so insbesondere Bork [von 1982– 1988] und Posner [seit 1981, von 1993 bis 2000 Chief Judge] als Richter an den Court of Appeals for the District of Columbia Circuit bzw. for the Seventh Circuit). Die Einzelheiten ihres Konzepts können hier nicht umfassend erläutert werden, vgl. insoweit statt vieler Schmidt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, 1986; für einen kurzen Abriß im theoriengeschichtlichen Kontext vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S. 104 ff. Hier soll es im folgenden nur um die konkrete Auffassung der Chicago School von Wettbewerbsordnung, Recht des unlauteren Wettbewerbs und Vertragsrecht gehen. Die wesentlich auf dem Effizienzprinzip beruhende Schule der ökonomischen Analyse des Rechts wird noch unten D III kritisch gewürdigt. 97 Dabei wird die allokative Effizienz verstanden als optimale Ressourcenallokation im Sinne des Erreichens des Gleichgewichtspunkt, d.h. des Anbietens der Wettbewerbsmenge zum Wettbewerbspreis. Demgegenüber betrifft die produktive Effizienz die Frage der optimalen Ressourcenallokation, der effizienten Ressourcenverwendung in den Unternehmen, die die Chicago School insbesondere durch Ausnutzen von economies of scale gewährleistet sieht, was ihre äußerst liberalen Ansichten zur Zusammenschlußkontrolle begründet. Vgl. grundlegend Bork, The Antitrust Paradox, S. 91 ff.; zusammenfassend Drexl, Selbstbestimmung, S. 104 ff., 133 ff. Zum hierin liegenden immanenten Widerspruch zwischen dem Referenzmodell atomisti-
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anerkennt und auf diese Weise allein das gesamtwirtschaftliche Leistungsergebnis optimieren will98. Hierfür geht die Chicago School von der neoklassischen Preistheorie und ihren Grundannahmen aus, die sie im Sinne eines Idealmarkts als analytisches Referenzgebilde verabsolutiert99. Aus dem Analyseinstrument der neoklassischen Preistheorie wird auf diese Weise ein Steuerungsinstrument mit Leitbildcharakter. Hinzugefügt wird dem Konzept der Neoklassik vor allem ein robustes Vertrauen in die positiven Effekte, die eine wachsende Unternehmensgröße für die produktive Effizienz von Unternehmen mit sich bringen soll (economies of scale)100, und eine solide Abneigung gegen jegliche staatliche Eingriffe101. Den offenbaren Widerspruch zwischen der wirtschaftlichen Realität (mit ihren vielzähligen Einschränkungen der Rationalität auf Seiten der Konsumenten) und dem verwendeten Referenzmodell der Neoklassik suchen die Vertreter der Chicago School durch eine langfristige Betrachtung aufzulösen: Da nach dem Konzept der Chicago School keine Marktzutrittsschranken bestehen, würde ein Unternehmen, welches lediglich von Informationsasymmetrien oder anderen Ungleichgewichten im Verhältnis zur Konsumentenseite profitiere, über kurz oder lang wegen seiner Ineffizienz durch neu hinzukommende Bewerber verdrängt, weshalb man diese Effekte getrost vernachlässigen könne102. Problematisch erscheint diese Argumentation insofern, als auf diese Weise letztlich die Realitätsferne des Referenzmodells durch eine weitere realitätsferne Annahme – die Unterstellung, es existierten keine Marktzutrittsschranken – gerechtfertigt scher Konkurrenz und der begrüßten Realität großer Unternehmenszusammenschlüsse vgl. noch unten 2 a. 98 Vgl. Bork, The Antitrust Paradox, S. 91. Aus deutscher Sicht statt vieler Schmidt/Rittaler, Chicago School, S. 33. 99 Vgl. zu den Grundannahmen der Chicago School im einzelnen Drexl, Selbstbestimmung, S. 105 f.; Hovenkamp, Michigan Law Review 84 (1985), 213, 226 ff.; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 20 f., jeweils mit einer kritischen Würdigung dieser Annahmen und weiteren Nachweisen. 100 Vgl. grundlegend Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy, 1942; für die Rezeption auf der Grundlage des Effizienzprinzips im Rahmen des sogenannten survivor approach vgl. insbesondere Stigler, The Organization of Industry, 1968, S. 73 ff. Auf die diesbezüglichen Einzelheiten kann hier nicht annähernd eingegangen werden, doch betrachtet selbst die Transaktionskostenökonomie die Frage der Betriebsgrößenvorteile deutlich differenzierter (vgl. Coase, Economica 4 (1937), 386, 394 ff.) und Untersuchungen aus den neunziger Jahren begründen – gleichermaßen wie die laienhaft beobachtete Realität – erhebliche Zweifel an den Erfolgsaussichten zumal größerer, weltweiter Fusionen. Für einen instruktiven Überblick zu Konzept und empirischer Realität der Betriebsgrößenvorteile, vgl. Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 81 ff. 101 Vgl. dazu im einzelnen noch unten 2 b und 3. In der weitgehenden Ablehnung staatlicher Eingriffe in den Marktprozeß zeigt sich neben der ausschließlich wohlfahrtsökonomischen Ausrichtung der Chicago School hinsichtlich der Marktziele auch ein Element des systemtheoretischen Ansatzes, da zur Erreichung der Ziele auf die Freiheit der Marktteilnehmer von staatlichen Beschränkungen gesetzt wird. Nur ist die Freiheit der Marktteilnehmer in Abkehr von den systemtheoretischen Ansätzen eben nicht länger Ziel der Marktorganisation, und Freiheitsbeschränkungen durch Private werden im Interesse der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt weitestgehend hingenommen. Vgl. zur Einordnung der Chicago School zwischen wohlfahrtsökonomischen und systemtheoretischen Ansätzen auch Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 110 f. 102 Ihre besondere Bedeutung erlangt diese Argumentation naturgemäß im Kartellrecht. Marktmacht kann in einem solchen Konzept nämlich stets nur temporär auftreten, da die resultierende Inneffizienz schnell neue Mitbewerber auf den Plan riefe. Konsequenterweise vertritt die Chicago School im Kartellrecht eine äußerst zusammenschlußfreundliche Lehre. Vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S. 117 ff.; Schmidt/Rittaler, Die Chicago School, S. 59 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
wird103. Zu welchen Rückschlüssen mit Blick auf Lauterkeits- und Vertragsrecht eine solche Betrachtungsweise führt, wird noch im folgenden in Einzelheiten dargestellt; die Tendenz wird jedoch bereits an dieser Stelle deutlich: Letztlich geht es um das möglichst weitgehende Zurückdrängen jeglicher staatlicher Regulierung im Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Markts104.
Für die Beurteilung der zum Leitbild erhobenen gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt bedient sich die Chicago School zweier Kriterien, die wiederum der Schule der Neoklassik entstammen und ihre Wurzeln in utilitaristischen Denkmodellen haben105. Nach dem Pareto-Kriterium106 ist ein Zustand dann vorzugswürdig – Pareto-superior –, wenn mindestens ein Individuum ihn bevorzugt und er keinem einzigen anderen Individuum zum Nachteil gereicht. Das Pareto-Optimum wird demnach erreicht, wenn kein einziges Individuum besser gestellt werden kann, ohne zugleich mindestens ein anderes Individuum zu benachteiligen. Die mangelnde Praktikabilität dieses Kriteriums als Leitmaßstab staatlicher Wettbewerbspolitik wird deutlich, wenn man bedenkt, daß sich auf dieser Grundlage schon dann keine Verbesserung mehr vornehmen läßt, wenn ein einziges Wirtschaftssubjekt durch einen Vergleichszustand benachteiligt wird; mithin existiert eine große Vielzahl unterschiedlicher Pareto-Optima, dem Kriterium fehlt die Bestimmtheit und Operabilität. Weiter notwendig war also ein Kriterium, welches auch den Vergleich zweier Zustände gestattet, die gleichermaßen jeweils für einige Individuen nachteilig sind. Dieser Maßstab wurde mit dem sogenannten KaldorHicks-Kriterium gefunden107. Demzufolge kommt eine Verbesserung des Aus103 Ähnlich, wie sich ganze Schulen der Ökonomie den Einschränkungen der Rationalitätsannahme widmen, ist auch die Modellannahme, es existierten keine Marktzutritts- und Austrittsschranken, in der Realität durch einen ganzen Zweig der Wirtschaftswissenschaften widerlegt: Die Theorie der „contestable markets“ befaßt sich allein mit dieser Frage der „barriers of entry or exit“ in bestimmten Märkten und dem daraus resultierenden „potentiellen Wettbewerb“. Vgl. die zahlreichen Nachweise bei Lehmann, JZ 1990, 61, 64 f. 104 Anschaulich Drexl, Selbstbestimmung, S. 105 f. 105 Von der utilitaristischen Philosophie und deren „hedonistischem Kalkül“, in dessen Rahmen der Nutzen und Schaden für die einzelnen von einer Handlung betroffenen Individuen egalitär aufsummiert und saldiert wird, um einen gesamtgesellschaftlichen „kollektiven Gratifikationswert“ zu ermitteln und solcherart die Handlung zu beurteilen, unterscheiden sich die im folgenden zu schildernden Kriterien zwar dadurch, daß sie den dieser Vorgehensweise immanenten interpersonellen Nutzenvergleich im Sinne einer Gegenrechnung des Nutzens der einen Person gegen den Schaden einer anderen ablehnen, dennoch fußen sie aber methodisch in zweifacher Hinsicht in der utilitaristischen Philosophie. Erstens wird das Gemeinwohl im Welfarismus, wie im Utilitarismus, ausschließlich als Funktion der Wohlfahrt der einzelnen Individuen definiert und zweitens gilt insoweit – wie schon seit Adam Smith – der Grundsatz der Präferenzautonomie, demzufolge die einzelnen Wirtschaftssubjekte ausschließlich selbst entscheiden, welchen Nutzen sie einem bestimmten Produkt oder einer bestimmten Dienstleistung für ihre individuelle Wohlfahrt beimessen. Vgl. näher zu den Wurzeln des ökonomischen Effizienzdenkens im Utilitarismus Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 22 ff. mwN. 106 Entwickelt von dem italienischen Soziologen Vilfredo Pareto um die Jahrhundertwende. Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 48. 107 Das Kriterium wurde von den Ökonomen Nicholas Kaldor und John Hicks entwickelt. Siehe Kaldor, Economic Journal 49 (1939), 549, 550; Hicks, Economic Journal 49 (1939), 696, 706. Vgl. zur Entwicklung näher Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 51 ff.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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gangszustandes auch dann in Betracht, wenn sich die Situation einiger Marktteilnehmer verschlechtert, solange nur die Gewinner die Nachteile der Verlierer kompensieren können. Zu betonen ist, daß es für das Kaldor-Hicks-Kriterium nicht darauf ankommt, ob diese Kompensation auch tatsächlich geleistet wird, vielmehr genügt die bloße Möglichkeit der Kompensation. Mit dem Pareto- und dem Kaldor-Hicks-Kriterium hat die Chicago School zwei klare Kriterien an der Hand, um die Optimierung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands zu beurteilen. Dabei ist das Pareto-Kriterium aus Gesichtspunkten der Verteilungsgerechtigkeit vermeintlich unbedenklich, wenn auch unbestimmt bis an den Rand der Unverwendbarkeit in der Praxis, da eine Vielzahl von Zuständen (etwa auch eine Monopolsituation in einem Markt) dadurch gekennzeichnet ist, daß ein Wechsel nicht herbeigeführt werden kann, ohne zumindest für ein Individuum nachteilige Folgen zu haben108. Demgegenüber liegen Bedenken gegen das Kaldor-Hicks-Kriterium auf der Hand: Hier können ganze Gruppen von Individuen Nachteile erleiden, solange nur der Gesamtwohlstand wächst109. Von dieser nicht von Zweifeln freien wohlfahrtstheoretischen Grundlage ausgehend, dehnt die Chicago School ihr Effizienzdenken über den Wirtschaftsverkehr hinaus in sämtliche Lebensbereiche aus110 und nimmt auf Grundlage des Effizienzkriteriums eine rein funktionale Analyse sämtlicher – insbesondere im Rahmen der ökonomischen Analyse des Rechts111 auch der rechtlichen – Institutionen vor (auf deren juristisch-methodologischen Nutzen und dessen 108
Vgl. jedoch sogleich unten c zu der auch insoweit angebrachten Skepsis. Deutlich Drexl, Selbstbestimmung, S. 134. Die Vertreter der Chicago School halten derartigen Einwänden entgegen, daß das Ziel, zuerst maximalen Gesamtwohlstand anzustreben, ja noch kein Präjudiz gegen eine anschließende Umverteilung unter Gerechtigkeitsaspekten beinhalte. Dabei wird jedoch übersehen, daß eine derartige Umverteilung im Anschluß an den Marktprozeß zum einen häufig nicht stattfinden wird und zum anderen auch stets – wie schon Adam Smith gezeigt hat – weniger zielgenau sein wird als ein Gerechtigkeitskonzept, welches sich des Marktprozesses selbst bedient, um seine Ziele zu erreichen. Vgl. für derartige Konzept noch unten C V und D III 3 a (2). 110 Vgl. nur Posner, Sex and Reason, 1992, in dem er die Prinzipien der ökonomischen Analyse auf das Familienrecht ausdehnt. Leenen, in: Behrends (Hrsg.), Rechtsdogmatik, S. 108, 109, spricht in diesem Zusammenhang treffend von der „geradezu gespenstisch anmutenden Suche nach der ‚Effizienz‘ verfassungsrechtlicher, strafrechtlicher oder familienrechtlicher Regelungen“. Ein aktuelles Beispiel bildet der Versuch von Kaplow/Shavell, Fairness versus Welfare, 2002, die Grundsätze der Ethik am Maßstab des Effizienzkriteriums zu messen. Zum ganzen auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 104 f.; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 19. 111 Die Schnittstelle, um vom Effizienzkriterium ausgehend, auch das Recht zu „optimieren“ hat im Ursprung schon Ronald Coase gefunden und nachgewiesen. Nach dem (verallgemeinerten) Coase-Theorem wird sich bei Fehlen von Transaktionskosten, mithin in einem friktionsfreien Markt, stets ein ökonomisch effizienter Zustand einstellen. Damit ist ein Ziel der ökonomischen Analyse bereits festgelegt: Es geht um die Minimierung von Transaktionskosten. Hinzu kommt, zumal im Konzept von Posner, der ausgehend von der Grundüberlegung des Ronald Coase und weit darüber hinaus als eigentlicher Gründervater der ökonomischen Analyse des Rechts ein umfassendes Konzept ökonomischer Beurteilung des Rechts entwickelte, das Ziel, das Recht so zu gestalten, daß von vornherein der effiziente Zustand vorgesehen ist. Vgl. zu alldem ausführlicher unten D II. 109
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1. Kapitel: Grundlagen
Grenzen für unsere Untersuchung im einzelnen noch unten D III einzugehen ist). Im folgenden soll zuerst die Basis, auf der dieses omnipotente Optimierungsprogramm ruht, noch einmal einer näheren kritischen Betrachtung unterzogen werden, bevor im einzelnen dargestellt wird, welche Rückwirkungen sich aus diesem Grundkonzept für das ökonomische Verständnis von Wettbewerb und Vertrag ergeben und welche alternativen Grundkonzeptionen aus ökonomischer Sicht existieren. c. Bewertung Noch vorbehaltlich der Kritik, die sich gegen das statische Wettbewerbskonzept der Neoklassik richtet (und die unten 2 a im sachlichen Zusammenhang) behandelt werden soll, sind auch die sonstigen Grundannahmen der Neoklassik und insbesondere die Folgerungen, die die Chicago School daraus zieht, steter Kritik ausgesetzt gewesen112. Soweit sich die Einwände gegen das Menschenbild der Neoklassik richten, sind sie zweierlei Natur. Zum einen wird ethisch argumentiert, die REM-Hypothese eines eigennützigen, stets rationalen – letztlich seiner Individualität beraubten – homo oeconomicus, sei mit einer auf die freiheitliche Verfassung gegründeten, die objektive Werteordnung der Grundrechte widerspiegelnden Rechtsordnung113 nicht zu vereinen114. Zum anderen entzündet sich die Kritik, wie bereits dargestellt wurde, an der offenbaren Realitätsferne der REM-Hypothese. Die ethisch fundierte Kritik an der REM-Hypothese ist mit dem Argument zurückgewiesen worden, beim homo oeconomicus handle es sich um eine reine Modellannahme, die folglich nicht mit ethischen, sondern allein mit methodischen Argumenten angegriffen werden dürfe115. Diese Überlegung ist sicher zutreffend, soweit sie darauf zielt, klarzustellen, daß die REM-Hypothese keinerlei Normbefehl an die Wirtschaftssubjekte beinhaltet, sich in ihrem Sinne zu verhalten, sondern allein ein beschreibendes Verhaltensmodell konstituiert116. Dies unbenommen, steckt in der ethischen Kritik am homo oecononomicus dennoch ein wahrer Kern. Dies jedenfalls soweit die neoklassische Schule in ihrer kategorischen Interpretation durch die Chicago School die Wohlfahrtsoptimierung auf Grundlage des Effizienzgedankens zum alleinigen Ziel staatlicher Wettbewerbspolitik erhebt. Denn selbst unter Zugrundelegung des zuerst unproblematisch wirkenden Pareto-Kriteriums ist eine solche welfaristische Wettbewerbsauffassung nicht so neutral, wie sie sich selbst versteht117. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, daß der Nach112 Auf die Kritik kann hier nur umrißartig eingegangen werden. Vgl. weiterführend die Nachweise bei Drexl, Selbstbestimmung, S. 105 f. (Fn. 68). 113 Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen unserer Thematik im einzelnen unten 2. Kap. 2. Abschnitt. 114 So insbesondere Fezer, JZ 1986, 817, 822 ff.; Fezer, JZ 1988, 223, 227 f. 115 So insbesondere ausdrücklich Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 219. 116 In diesem Sinne Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 36 f. 117 Die Ausgangsbehauptung, der Maßstab des Effizienzkriteriums sei grundsätzlich unpo-
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weis, im Gleichgewichtspunkt, d.h. bei Erreichen ökonomischer Effizienz, stelle sich stets ein Pareto-Optimum ein, ja lediglich im Modelldenken der Neoklassik – mit seiner Unterstellung rationalen Verhaltens –, nicht aber in der Realität geführt ist118. Die Pareto-Optimierung kommt also uneingeschränkt nur denjenigen Marktteilnehmern zugute, die im Sinne der REM-Hypothese weitgehend rational entscheiden können; gegenüber allen anderen Marktteilnehmern, die – aus den noch unten (D V 3 und 4) näher zu beschreibenden psychosozialen Effekten heraus nur zu beschränkter Rationalität fähig sind – beinhaltet sie eine immanent negative Tendenz119. Im Kaldor-Hicks-Kriterium tritt diese Tendenz sogar offen zu Tage: Ganze Gruppen von Marktteilnehmern können benachteiligt werden, solange nur der Gesamtwohlstand wächst120. Diese verteilungspolitische Schieflage läßt sich auch durch eine im nachhinein ansetzende staatliche Umverteilung nur bedingt beheben; denn solche Umverteilungsmaßnahmen im nachhinein müssen, wie Smith nachgewiesen hat, zwangsläufig weniger zielgenau sein, als eine Verteilungspolitik, die sich der Marktmechanismen selbst bedient, indem sie diese normativ überformt121. Zu bedenken ist auch, daß Umverteilungsmaßnahmen nicht stets einen Verlust an individueller wirtschaftlicher Freiheitsausübung kompensieren können122. Was die Kritik an der Realitätsferne der REM-Hypothese angeht, ist diese heute wirtschaftswissenschaftliches Gemeingut. Auf die diesbezüglichen verdienstvollen Ansätze, insbesondere der Informationsökonomie und der Neuen Institutionellen Ökonomie, Grenzen und Bedrohungslagen für rationales Entscheidungsverhalten auszuermitteln und gegebenenfalls auch zu beheben, wird litisch im Sinne eines neutralen Kriteriums, welches lediglich für eine Maximierung des erzeugten Wohlstands sorge, der dann ja unter anderen Gesichtspunkten umverteilt werden könne, zählt ausdrücklich mit zum Credo der Chicago School, vgl. etwa Drexl, Selbstbestimmung, S. 105; Hovenkamp, Michigan Law Review 84 (1985), 213, 226 ff. 118 In diese Richtung zutreffend auch Fezer, JZ 1986, 817, 820. 119 Zutreffend Schäfer/Ott, S. 67, unter Hinweis auf die umstrittene Relevanz derartiger Effekte innerhalb der Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß es neben der Benachteiligung sich anomal im Vergleich zur REM-Hypothese verhaltender Marktteilnehmer auch zu einer immanenten Begünstigung großer Unternehmen gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen durch das Kriterium der produktiven Effizienz kommt, da durch die Konzentration auf den Aspekt der Betriebsgrößenvorteile Vorteile kleinerer Unternehmen, wie insbesondere deren hohe innovative Effizienz, vernachlässigt werden, vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S. 136 f. 120 Vgl. ausführlich Drexl, Selbstbestimmung, S. 134 ff. 121 Für ein derartiges Konzept auf Grundlage des Ordnungsdenkens der Freiburger Schule vgl. unten D III 3 a (2). 122 Als aus der Realität gegriffenes Beispiel sei die jahrzehntelange Subventionierung der Stahlproduktion im Ruhrgebiet genannt. Die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der dortigen Stahlindustrie durch natürliche Eliminierung der betreffenden Unternehmen sich realisieren zu lassen und dann eine soziale Umverteilung „im nachhinein“ durch Arbeitslosenhilfe usf. vorzunehmen, wäre hier zweifelsohne die effiziente Wirtschaftspolitik gewesen. Dennoch lassen sich gute sozial- und kulturpolitische Gründe finden, den ineffektiveren Weg zu wählen und auch ineffiziente Industriezweige für eine gewisse Zeit – die in dem gewählten Beispiel sicher weitaus zu lang war – zu unterstützen, um gesellschaftliche Stabilität zu gewährleisten.
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1. Kapitel: Grundlagen
noch unten (D IV, V 3 und 4) eingegangen. An dieser Stelle sei lediglich betont, daß auch derartige Korrekturen und Verfeinerungen auf der Grundlage der neoklassischen Preistheorie, soweit sie Forderungen an das Recht erheben, sich stets einer normativ-rechtlichen Kontrolle stellen müssen. Denn letztlich wird auch insoweit auf Grundlage modellhafter Überlegungen vorgegangen: Optimiert werden soll die Möglichkeit, rational zu entscheiden; Effizienz bleibt die Zielgröße des Systems. Wird durch solches Modelldenken das Recht einzelner Verkehrsteilnehmer, individuell auch anders als rational zu entscheiden, im Interesse der „Wohlfahrt“ der Mehrheit beschränkt, so ist dies eine wertende Entscheidung, die der Kontrolle durch das Recht bedarf123. Soweit dagegen – unabhängig vom Effizienzziel – die ökonomische Betrachtung sich darauf beschränkt, bestimmte Situationen des Marktversagens punktuell zu identifizieren und zu analysieren, kann sie dem Recht wertvolle rechtstatsächliche Hilfe leisten124. Auf ihren Kern reduziert lautet die Kritik am wettbewerbspolitischen Grundkonzept der Neoklassik nach alldem, daß die modellhafte Optimierung des Wettbewerbs sich nicht länger induktiv – wie noch im systemtheoretischen Ansatz des Adam Smith, auf den sich die Neoklassiker als wissenschaftlichen Urahn dennoch berufen125 – am Ziel wirtschaftlicher Freiheit der einzelnen Marktteilnehmer orientiert, sondern vielmehr deren Freiheit zur reinen Funktion der eigentlich zu optimierenden Zielgröße gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt reduziert. Die Chicago School fügt dem freiheitliche Elemente nur insofern hinzu, als sie die Freiheit der Marktteilnehmer von staatlichen Freiheitsbeschränkungen kategorisch befürwortet; Freiheitsbeschränkungen durch Private werden demgegenüber weitestgehend im Interesse der Erhöhung gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt toleriert, die zur einzigen Zielgröße der Wettbewerbsordnung erhoben wird. Dieser Ansatz ist schon konzeptionell nicht mit einem an der objektiven Werteordnung des Grundrechtssystems orientierten Wettbewerbs- und Vertragsrecht zu vereinbaren126. Die von der Chicago School akzeptierten Einschränkungen individueller Freiheit und des Wettbewerbs um der Effizienz willen, sind zudem umso weniger hinnehmbar, als die methodische Grundlage des Effizienzkriteriums einer
123 Eben dies ist der Kern der Kritik von Fezer, JZ 1986, 817, 821 ff., soweit er plakativ ausführt, der REMM sei „nicht der Mensch eines verfassungsgestalteten Privatrechts einer offenen Gesellschaft der Grundrechtsdemokratie“. Diese Kritik läßt sich durch den bloßen Verweis auf den methodischen Charakter der REM-Hypothese also nicht entkräften. 124 Vgl. dazu – und zur methodologischen Implementierung der ökonomischen Erkenntnisse in die rechtswissenschaftlichen Methoden der Interpretation – ausführlich unten D III 4 und E. 125 Zu den Gründen für die Fehlrezeption der Theorien des Adam Smith, vgl. Tuchtfeldt, ORDO 27 (1976), 29, 42 ff. Auch Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 110 f. ordnet Smith in aller Klarheit dem systemtheoretischen (freiheitsbezogenen) Ansatz zu, während er die Neoklassik als Geburtsstunde des wohlfahrtsökonomischen Ansatzes erkennt. 126 Zutreffend Drexl, Selbstbestimmung, S. 137 f. Vgl. gewendet auf das Effizienzkriterium als Grundlage einer ökonomischen Analyse des Rechts auch Fezer, JZ 1986, 817 ff. sowie näher unten D III 3 a.
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Vielzahl von Zweifeln unterliegt127. Die Möglichkeit gerechtigkeits- und verteilungsorientierter Korrekturen „im nachhinein“ vermag diese Probleme und Widersprüche nicht aufzulösen. Eher muß es darum gehen, schon im Marktmechanismus anzusetzen, um bestehende Imperfektionen des Marktes zu neutralisieren; eben hier liegt die Rolle des Wettbewerbs- und Vertragsrechts. Das vom Konzept der Chicago School in seiner reinen Form insoweit wenig konkrete Hilfestellung für das Recht zu erwarten ist, liegt angesichts der am Grundkonzept geübten Kritik nahe, und wird im folgenden sowohl für die Wettbewerbsordnung als auch für das Vertragsrecht zu belegen sein.
2. Wettbewerbskonzept und Wettbewerbsordnung bei den Neoklassikern und der Chicago School a. Das Wettbewerbskonzept der Neoklassiker und der Chicago School Das Wettbewerbskonzept der vollkommenen Konkurrenz128 der Neoklassiker ist ein statisches: In einem stationär vorgegebenen Zustand der Wirtschaft herrscht friktionsfreie, atomistische Konkurrenz dergestalt, daß keiner der Marktteilnehmer die Preise, die Produktqualität oder sonstige Parameter beeinflussen kann; allein die Menge der abgenommenen Produkte ist variabel, die Marktteilnehmer verhalten sich als Mengenanpasser129. Vom systemtheoretischen Ansatz des Adam Smith entfernt sich dieses wohlfahrtsorientierte Konzept insofern, als die bei Smith betonte, dynamisch-oszillierende Annäherung an den Gleichgewichtspunkt ersetzt wird durch den statischen Zustand einer (fiktiven) Ökonomie, die im Gleichgewichtspunkt ruht und (modellhaft) das Pareto-Optimum erreicht130. Problematisch ist ein solches Wettbewerbsverständnis in mehrfacher Hinsicht. So ist eine Produktdifferenzierung, die zweifelsohne im Interesse der individuell unterschiedlichen Verbraucherwünsche liegen kann, im Zustand vollkommener Konkurrenz nicht möglich, da das Modell vollkommene Homogenität der Produkte unterstellt. Dies führt dann auch dazu, daß ein Qualitätswettbewerb, der gleichermaßen aus der Sicht der Abnehmer eine wesentliche Wettbewerbsfunktion darstellt, in diesem Leitbild nicht vorgesehen ist. Das statische Konzept kann zudem – anders als noch bei Smith – einen vorstoßenden und nachahmenden Innovationswettbewerb, mithin die innovative Funktion des Wettbewerbs, nicht erklären. Schließlich ist die dynamische Entwicklung der Marktstruktur in der 127 Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 24, spricht karikaturesk von der Chicago School als einem „Riesen auf tönernen Füßen“. 128 Begrifflich wird in dieser Arbeit zwischen dem Wettbewerbsleitbild der vollkommenen Konkurrenz in der Neoklassik und dem Leitbild der vollständigen Konkurrenz bei Eucken unterschieden. Diese Unterscheidung wird häufig so nicht vorgenommen, so spricht Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 5 ff., in beiden Fällen von vollständiger Konkurrenz. Die hier aufgenommene terminologische Unterscheidung entstammt Drexl, Selbstbestimmung, S. 116 ff. 129 Vgl. Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 5 ff. 130 Ebenso Drexl, Selbstbestimmung, S. 97; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 7.
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realen Ökonomie, die von einer steten, evolutiven Schließung alter und Gründung neuer Unternehmen (häufig auch unter Aufgabe alter und Einführung neuer Produkte) geprägt ist, im statischen Modell der Neoklassik nicht erklär- oder gar modulierbar, da das Modell ausdrücklich einen stationären Zustand der Wirtschaft unterstellt. Letztlich läßt sich angesichts der auf die Mengenanpassung beschränkten Wahlfreiheit der Marktteilnehmer, die im Ergebnis im Modell zu einem determinierten (Pareto-optimalen) Marktverhalten und -ergebnis führt, pointiert formulieren, daß die Neoklassik131 „reduces freedom to a paradox, since the meaning of freedom resides in a margin of discretion in choosing one’s course of action.“
Die bloße Pareto-Optimierung im System der Neoklassik ist als Wettbewerbsleitbild also in doppelter Hinsicht nicht tauglich: Sie vermag einen dynamischen, von der Freiheit des Marktteilnehmers bestimmten Wettbewerb nicht zu beschreiben und läßt dadurch zugleich wesentliche Wettbewerbsfunktionen, wie Qualitätssicherung und Innovationswettbewerb, außer Betracht. Die Chicago School behält die wohlfahrtsökonomische Zielsetzung und das Modelldenken der Neoklassik bei, fügt aber ein systemtheoretisches Element insofern hinzu, als sie das Marktgeschehen selbst als ein dynamisches, evolutives System auffaßt, in dem nur die effizienten Unternehmen überleben – solange nur die staatlichen Eingriffe auf ein Minimum reduziert würden132. Dies resultiert insbesondere in der Aufgabe des Leitbilds atomistischer Konkurrenz zugunsten einer stärker konzentrierten Marktstruktur, die zur Verbesserung der produktiven Effizienz durch Ausnutzen von Betriebsgrößenvorteilen führen soll133. Die einseitige Konzentration auf den Aspekt der economies of scale verdeutlicht jedoch exemplarisch, daß die Chicago School trotz ihres nominell dynamischen Ansatzes, aufgrund der Verwendung des neoklassischen Modells als Referenz, die dynamischen Funktionen des Wettbewerbs, wie die Innovationsfunktion, die insbesondere bei den in der Regel schneller anpassungsfähigen kleinen und mittleren Unternehmen beheimatet ist, nicht hinreichend gewichtet, sondern stattdessen in einem einseitig auf die Effizienz ausgerichteten Wettbewerbsleitbild verhaftet bleibt134. Der von der Chicago School verfolgte Verhaltensansatz, demzufolge Wettbewerb als ein dynamischer Verdrängungswettkampf zur Auslese der effektivsten Unternehmen führt, ändert eben nichts daran, daß das einzige Kriterium, welches die Chicago School zur Beurteilung der „Fitneß“ eines Unternehmens 131 Clark, American Economic Review 45 (1955), 450, 456; vgl. zusammenfassend zur Kritik am Wettbewerbskonzept der Neoklassik auch Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 6 f. 132 Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 110 f.; Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 19. 133 Drexl, Selbstbestimmung, S. 136, hat darauf hingewiesen, daß hier ein gewisser Widerspruch in sich entsteht, da trotz der grundsätzlichen Begrüßung von Betriebsgrößenvorteilen zugleich als Modellgrundlage weiter am atomistischen Referenzmarkt der vollkommenen Konkurrenz der Neoklassik festgehalten wird. 134 Zugleich führt dies immanent zur Begünstigung großer Unternehmen im Leitbild der Chicago School, vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S. 136 f.
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heranzieht, seine Effizienz – und damit eine statische Wettbewerbsfunktion – ist. Der verbleibende Unterschied zur Neoklassik reduziert sich darauf, daß deren irreale stationäre Betrachtung durch einen extrem-langfristigen Zeithorizont abgelöst wird, der die Abweichungen von der Realität rechtfertigen soll135. Gemeinsam bleibt den Vertretern der Neoklassik und der Chicago School also ihr realitätsfernes Wettbewerbsmodell: Vollkommene Friktionslosigkeit der Märkte wird unterstellt, Marktschranken existieren nicht, Informationsprobleme wurden zuerst modellhaft ignoriert, allerdings später (angestoßen von der Informationsökomie Stiglers) dem Modell auf weiterhin neoklassischer Basis in Form einer differenzierten Berücksichtigung von Informationskosten eingegliedert136. Wiederum gilt auch, daß – wegen der einseitigen Orientierung auf das Effizienzziel – die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als Kontroll- und Steuerungsmechanismus im Interesse der Sicherung individueller Freiheit der Marktteilnehmer – mithin der „Wettbewerb als Entmachtungsinstrument“ wie er noch bei Smith verstanden wurde – vernachlässigt wird zugunsten der Maximierung gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt137. Für die im folgenden zu behandelnde Frage der präferierten Wettbewerbsordnung und der Rolle des Rechts hat dies deshalb besonders dramatische Konsequenzen, weil die Chicago School ihr Optimierungsdenken auch auf den Bereich der Gesetzgebung ausdehnt und im Interesse der Effizienz – zumal im Kartellrecht138 – klar definierte Forderungen an das Recht stellt, die im wesentlichen auf ein Zurückdrängen der staatlichen Gestaltungsfunktion hinauslaufen139. b. „Wettbewerbsordnung“ und die Rolle des Rechts Im Verständnis der Chicago School kommt dem Staat lediglich die Rolle zu, bestimmte, ganz allgemeine ordnungspolitische Rahmenbedingungen für den Wettbewerb zu setzen140. Von einer Wettbewerbsordnung im eigentlichen Sinne läßt sich insoweit kaum sprechen. Besonders deutlich zeigt sich die regulatorische Zurückhaltung der Chicago School im Kartellrecht, auf dessen Handhabung sie in den achtziger Jahren in den Vereinigten Staaten einen erheblichen Einfluß hatte141, der sich freilich seit Beginn der neunziger Jahre signifikant abge135
Auf die diesbezüglich angebrachte Kritik wurde schon oben 1 c eingegangen. S. näher dazu unten D IV. 137 Vgl. Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 23. 138 Vgl. kritisch dazu Hovenkamp, Michigan Law Review 84 (1985), 213 ff. 139 Vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S. 137 f., der zudem darauf hinweist, daß die Rechtspolitik der Chicago School insofern rechtspositivistisch ist, als sie bei Einhaltung der engen ordnungspolitischen Regeln, die das Recht nach ihrer Auffassung setzen darf, die Ergebnisse ihres Wirtschaftsmodells als stets „richtig“ ansieht, so daß eine rechtliche Bewertung anhand der involvierten Interessen nicht mehr erfolgen dürfte. 140 Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 19. 141 Grundlegend Posner, Antitrust Law: An Economic Perspective, 1976. Für eine zusammenfassende (kritische) Darstellung vgl. statt vieler bei Hovenkamp, Michigan Law Review 84 (1985), 213 ff.; aus deutscher Sicht auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 104 f. 136
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schwächt hat142. Wettbewerbspolitische Eingriffe in die Marktstruktur werden grundsätzlich abgelehnt, da diese nur die im abgelaufenen Zeitablauf sich ergebenden Effizienzunterschiede der im Wettbewerb stehenden Unternehmen widerspiegele. Und selbst horizontale und vertikale Absprachen werden weithin als unbedenklich angesehen, wenngleich einzelne Vertreter der Chicago School kollusivem Verhalten insgesamt doch kritischer gegenüberstehen, als der strukturbedingten Konzentration143. Auf die Beurteilung kartellrechtlicher Fragestellungen soll hier nicht näher eingegangen werden, vielmehr bestimmt uns das Thema der Untersuchung, die Konzentration auf das Lauterkeitsrecht und damit auf die Beurteilung des Marktverhaltens einzelner Marktteilnehmer durch die Chicago School zu richten.
In dieser Hinsicht ist zuerst zu beobachten, daß die Chicago School einseitige Verhaltensweisen des Behinderungswettbewerbs, wie etwa Verkauf unter Einstandspreis, nicht als problematisch ansieht, da sie davon ausgeht, daß derartige Praktiken nicht zur Monopolmacht führen könnten, da das derart agierende Unternehmen ineffizient handle, so daß es über kurz oder lang durch Neuankömmlinge im Markt zurückgedrängt werde. Die ineffiziente Verhaltensweise locke Konkurrenten geradezu an144. Demgegenüber wird der Schutz des Wettbewerbs als solchem stark unterbewertet; angesichts der Negierung der machtbegrenzenden Steuerungsfunktion des Wettbewerbs kann dies nicht überraschen – im Mittelpunkt steht allein die Effizienzsteigerung des – selbst wettbewerbsfeindlich handelnden – Unternehmens. Ein Wettbewerbsschutz über die Mittel des Lauterkeitsrechts, wie er etwa für das deutsche UWG im Rahmen der insitutionellen Schutzzwecktrias weithin anerkannt ist, läßt sich demnach auf der Grundlage der Thesen der Chicago School nicht begründen. Der Gedanke, Unternehmen könnten behindernde, ineffiziente Praktiken einsetzen, um sich aufgrund von Marktimperfektionen, insbesondere Marktzutrittsschranken auf längere Sicht eine Alleinstellung zu verschaffen, bleibt der Chicago School deshalb fremd, weil sie die Existenz von Markteintritts- und Austrittskosten auf der Grundlage ihrer extrem langfristigen Betrachtungsweise negiert. Ebensowenig bleibt in der Betrachtung der Chicago School nennenswerter Raum für ein verbraucherschützendes Lauterkeitsrecht bzw. einen Schutz sonstiger Marktteilnehmer. Dies wiederum ist auf die weitgehende Negierung von Marktimperfektionen im übrigen, insbesondere auf die nur sehr eingeschränkte – wiederum in das neoklassische Modell rückgebundene – Berücksichtigung von Informationsasymmetrien im Verhältnis der Marktteilnehmer, zurückzuführen. So ist der Blickwinkel auf Werbemaßnahmen in der Betrachtung der Chicago School konsequenterweise verzerrt: Die in der Realität bestehende Möglichkeit, mit Hilfe aufwendiger Werbung Marktzutrittsschranken zu errichten, wird gleichermaßen negiert, wie die Notwendigkeit eines Verbots irreführender Wer142 Vgl. illustrativ die Darstellung der insoweit paradigmatischen Entscheidung des U.S. Supreme Court im Fall Eastman Kodak Co. v. Image Technical Services, Inc. (S. Ct. 2072 (1992), deutsch in GRUR Int. 1995, S. 92 ff. m. Anmerkung Müller) bei Drexl, Selbstbestimmung, S. 151 ff., in der der U.S. Supreme Court wesentliche Inhalte der Chicago Schule verworfen hat. 143 Vgl. übersichtlich Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 21 ff. 144 Posner, Antitrust Law: An Economic Perspective, S. 928 f.
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bung145. Erstere Möglichkeit bestehe schon deshalb nicht, weil ja sämtliche Konkurrenten selbst die Möglichkeit hätten, Werbemaßnahmen zu ergreifen. Die Errichtung psychologischer Marktzutrittsbarrieren wird hier wiederum in konsequentem Modelldenken ignoriert. Was die Irreführung anbetrifft, ist die Chicago School im Ansatz der Auffassung, derartige Praktiken würden von der Marktgegenseite ohnedies nicht honoriert, weil sie für die Abnehmer nur dann von Wert seien, wenn sie Suchkosten reduzierten. In der Terminologie der neuen informationsökonomischen Forschungsansätze146 entspricht dies einer vollkommenen Konzentration auf „Suchgüter“, bei denen die Eigenschaften des Produkts vor dem Kauf vollständig beurteilt werden können. Der weit überwiegende – und in der modernen Technologiegesellschaft noch rasch zunehmende – Anteil von Erfahrungsgütern, bei denen die Produkteigenschaften – insbesondere die Produktqualität – erst im Laufe der Zeit offenbar werden, wird vernachlässigt. Gerade bei diesen Produkten ist aber die Gefahr irreführender Werbeangaben besonders groß. Auf der wirtschaftspolitischen Grundlage der Chicago School läßt sich demgegenüber ein Irreführungsverbot nicht länger begründen, weil die Möglichkeit, irreführend zu werben, im langfristigen Modelldenken beiseite gedrängt wird. Der Realität moderner Industriegesellschaften, in denen die Verbraucher gegenüber den Anbietern – mittlerweile meist hochdifferenzierter Produkte – mit ihren ausgefeilt organisierten und informierten Kommunikationsmöglichkeiten in der Regel nicht als ebenbürtige, voll informierte Marktpartner betrachtet werden können147, entspricht dies nicht. Hier kann es sich aus der Sicht der Anbieter sehr wohl lohnen, mittel- und sogar langfristig auf das Ausnutzen von Marktimperfektionen, wie insbesondere Informationsasymmetrien, zu setzen, um sich am Markt zu behaupten. Hierauf wird noch unten (D V) einzugehen sein. Für den Moment genügt die Feststellung, daß sich auf Grundlage des ursprünglichen Wettbewerbsund Rechtsverständnisses der Chicago School eine verbraucherschützende Zweckrichtung im Wettbewerbsrecht nicht oder jedenfalls nur sehr eingeschränkt erklären läßt, während die Realität – wie noch gezeigt werden wird – eben diese zum fehlerfreien Funktionieren des Markts unerläßlich macht. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß das Rechtsverständnis der Chicago School für den hier betrachteten Bereich des Lauterkeitsrechts allenfalls in ganz engen Grenzen einen Mitbewerberschutz im Sinne eines wettbewerblichen Ordnungsrahmens für akzeptabel erachten könnte. Die Schutzzwecke des Verbraucher- und Wettbewerbsschutzes erscheinen aus der liberalen Sicht der Chicago School dagegen weitestgehend als bloß marktfeindliche, staatliche Beschränkungen. Wie weit die Theoretiker der Chicago School hier von der Realität entfernt sind, wird noch unten (D V) eingehend zu belegen sein. 145 146 147
VI.
Vgl. Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 20 f. Vgl. ausführlich unten D IV. So zutreffend Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 67 ff. Vgl. näher auch unten D V 3–6 und
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1. Kapitel: Grundlagen
3. Das Verständnis des Vertrags und der Vertragsfreiheit bei den Neoklassikern und der Chicago School Der Sicht auf die Wettbewerbsordnung entspricht auch die Betrachtung des Vertrags, der Vertragsfreiheit und des Vertragsrechts im Denken der Neoklassik und der Chicago School. Konzeptuell wird die Vertragsfreiheit nicht länger als eigenständiger Wert betrachtet, sondern allein in ihrer funktionalen Rolle zur Erreichung des wohlfahrtsökonomischen Zwecks gesehen. Posner spricht bildhaft vom Vertrag als einer „handmaiden of exchange“, die dazu dienen solle, durch Austausch Pareto-optimale Ergebnisse zu erzielen148. Der Vertrag ist in dieser Sicht nicht mehr als ein – modellhaft fehlerfrei funktionierendes – Austauschinstrument, welches zur Erzielung allokativer Effizienz massenhaft aggregiert und nur in der Gesamtwirkung aller abgeschlossenen Verträge betrachtet wird149. Das Vertragsrecht und insbesondere der Grundsatz pacta sunt servanda wird aus dieser Perspektive ganz klassisch zunächst als Instrument zur Verhinderung opportunistischen Verhaltens gesehen, welches Austauschverhältnisse in zeitlich gestreckten Abläufen erst ermöglicht und zudem Transaktionskosten reduziert, da aufwendige Absicherungs- und Selbstschutzmaßnahmen gegen Vertragsuntreue überflüssig werden. Hinzu kommt die Bereitstellung dispositiver Regeln zur Lükkenfüllung in unvollständigen Verträgen150. Soweit dabei in der Marktprozeßtheorie der Chicago School Effekte des Vertragsversagens, insbesondere Informationsasymmetrien, ignoriert werden, entspricht dies rechtlich einer Bejahung der formalen Privatautonomie; schon der formal frei geschlossene Austauschvertrag führe zu einer Erhöhung der ParetoEffizienz151. Verbraucherschützende Informationspflichten, Widerrufsrechte und andere „Verbraucherschutzinstrumente“, wie etwa die Gewährleistungsregeln, ließen sich in diesem Modell zunächst überhaupt nicht erklären152. In der ursprünglichen Abstraktion von Ungleichgewichten an Information, Organisation und wirtschaftlicher Macht liegt dabei eine bemerkenswerte Abweichung von den Theorien des Adam Smith. Dieser hatte entsprechende Ungleichgewichte hellsichtig erkannt und diesbezüglich zum einen auf die Machtkontrollfunktion des Wettbewerbs, zum anderen aber auch schon darauf gesetzt, derartige Effekte zumindest im politischen Prozeß der Rechtsetzung bewußt auszugleichen, um durch einen fairen Ordnungsrahmen sicherzustellen, daß die jeweils weniger organisierten oder informierten Vertragsparteien dennoch freiwillig und in voller Informiertheit Verträge abschließen können. Interessanterweise ist es gerade diese politische Theorie von Smith, die von den Vertretern der 148
Posner, Economic Analysis, § 4.1, S. 106. Vgl. Conard, 5 Georgia Law Review 1971, 415, 419 f. 150 Vgl. zu alldem statt aller Posner, Economic Analysis, S. 101 ff. 151 Vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S. 106. 152 Vgl. aber noch unten im weiteren Text zu der mittlerweile weithin erfolgten Anerkennung von Vertragsversagen auch bei den meisten Vertretern der Chicago School sowie näher auch unten D III 2 und IV. 149
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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Chicago School als inkonsequent gerügt wurde, da auch insoweit ein „freies Spiel der Kräfte“ herrschen müsse153. Eben dies war aber nicht der Ansatz von Smith; vielmehr suchte er gerade in der Politik den Ausgleich der erkannten Ungleichgewichte. Erst seine politische Theorie macht sein System zu einer ausgewogenen, kompletten Theorie der Gesellschaft und des Wirtschaftslebens154. Soweit eine radikale laissez faire-Haltung vertreten wird, kann sich die Chicago School deshalb nicht auf Adam Smith berufen. Angesichts der wirtschaftlichen Realität mit ihren vielzähligen Beschränkungen der rationalen Entscheidungsmöglichkeiten für die (insbesondere die vielumworbene private) Abnehmerseite155, mutet die Selbstverständlichkeit, mit der die Neoklassik (und auf deren Grundlage modellhaft auch die Chicago School) davon ausging, der Konsument könne frei und wohlinformiert entsprechend seinen Bedürfnissen Verträge abschließen und sei auf diese Weise der eigentliche Beherrscher der Märkte156, die diese Konsumentensouveränität durch entsprechende Anpassungen der Produktion auf der Anbieterseite widerspiegelten, überraschend realitätsfern an. Es läßt sich jedoch eine historische Erklärung für dieses Modelldenken finden157: Die von der Neoklassik abgebildete Beherrschung der Märkte durch die Nachfrageseite widerspiegelt demnach die reale Beherrschung der Märkte durch Großhändler Ausgangs des 19. Jahrhunderts. In dieser Phase war die Machtposition der Großhändler so überragend, daß sie gewissermaßen im Interesse der Endabnehmer die Ausrichtung der ökonomischen Entwicklung und insbesondere die Preise weitgehend bestimmen konnten. Seitdem hat sich durch die rasante Entwicklung der Werbeindustrie und der Marketingmethoden die Situation grundlegend geändert. Die direkte Ansprache der Endabnehmer durch werbende Großunternehmen führt dazu, daß hochorganisierte, wohlinformierte Marktteilnehmer auf der Anbieterseite dem tendenziell weniger informierten Endabnehmer vermittels eines hochdifferenzierten Kommunikationsinstrumentariums gegenübertreten158. Von einer Dominanz der Abnehmerseite kann keine Rede mehr sein, vielmehr liegen die Gefährdungssituationen, die zu einer Einschränkung der freien und wohlinformierten Entscheidungsmöglichkeit des Verbrauchers führen, auf der Hand. 153 Stigler, Smith’s Travels on the Ship of State, S. 237 ff. Hier entsteht auch wiederum ein bemerkenswerter Widerspruch der Chicago School mit ihren eigenen Theorien. Einerseits werden die neoklassischen Marktmodelle auch auf den „Markt der Meinungen“ und auf den Rechtsetzungsprozeß übertragen, der in einem freien Spiel der Kräfte sich entfalten soll; andererseits wird aber zugleich beansprucht, daß Recht als Regelungsrahmen umfassend den Forderungen anzupassen, die die Chicago School insoweit auf der Grundlage des Effizienzkriteriums stellt. Vgl. hierzu Drexl, Selbstbestimmung, S. 135 ff. 154 Vgl. auch oben I 3. 155 Vgl. zu alldem noch eingehend unten D V 3–6 und VI. 156 In der rechtlichen Betrachtung findet sich diese Auffassung wieder in dem Bild vom Verbraucher in der Rolle eines „Schiedsrichters“, der durch seine (unter optimalen Umständen) freie Wahl über Erfolg und Mißerfolg der Anbieter im Wettbewerb entscheidet, vgl. Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), Einl UWG, Rz. 98 mwN. Freilich ist dieses Rollenverständnis, aaO., gerade der Anlaß zu Überlegungen, wie man die freie Wahlmöglichkeit des Verbrauchers sichern kann, während die Neoklassik eine idealtypisch freie Wahl ohne weitere Einschränkungen im Ausgangspunkt unterstellt. 157 Vgl. hierzu Kaldor, Economic Journal of the Royal Economic Society 18 (1949), 1 ff. Zusammenfassend auch Streissler/Streissler, Volkswirtschaftslehre für Juristen, S. 47: Großhändlerdominanz als realer Hintergrund. 158 Vgl. zum ganzen mit eindrucksvollen Beispielen schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 74 ff. mwN.
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1. Kapitel: Grundlagen
Dementsprechend ist auch den kompromißlosesten Anhängern der liberalen Theorien der Chicago School nicht verborgen geblieben, daß der Austauschvertrag als Institution dann keinen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt leisten kann, wenn die Vertragsparteien sich nicht „freiwillig und in vollem Wissen darüber, was geschieht“ geeinigt haben159. Entsprechend wird die Rolle des Vertragsrechts nunmehr auch darin gesehen, vermeidbare Fehler im Vertragsschlußprozeß zu vermeiden160. Die Analyse derjenigen Situationen, in denen die Gefahr besteht, daß Entscheidungen eben nicht voll informiert und vollkommen freiwillig getroffen werden, ist dann modernen ökonomischen Disziplinen, insbesondere der Informationsökonomie, als Aufgabe zugefallen. Darauf wird unten (D IV und V) ausführlich einzugehen sein. Wie bereits ausgeführt sind derartige Ansätze dann unproblematisch, wenn sie sich auf die Identifizierung und Beschreibung bestimmter Gefährdungssituationen, in denen eine freie und fehlerfreie Entscheidung erschwert ist, beschränken. Denn diese ist unabhängig von der Geltung des Effizienzkriteriums möglich161. Soweit darüber hinaus die Möglichkeit zur „rationalen“ Entscheidung und die Anfangsverteilung der (Informations-)ressourcen im Sinne des Effizienzkriteriums optimiert werden soll, um gesamtgesellschaftlichen Zwecken – wie etwa einer optimalen Informations“urproduktion“ – zu dienen162, ist derartigen Forschungsansätzen mit deutlich größerem Zweifel zu begegnen163. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Ansätzen liegt darin, daß in einem Falle „induktiv“ (systemtheoretisch) gewissermaßen „von unten“ die freie Entscheidungsmöglichkeit des einzelnen Marktteilnehmers gesichert werden soll, während im anderen Falle eine wohlfahrtsökonomische, gewissermaßen „von oben“ von einem gesamtgesellschaftlichen Zweck ausgehende Optimierung nach dem zweifelhaften Kriterium der Pareto-Effizienz erfolgt. Auf der Grundlage der Lehren der Chicago School lassen sich alles in allem wegen ihrer immanenten liberalistischen Grundtendenz zwingende Verbraucherschutzregeln kaum erklären164. „Freiwillig“ meint im Sinne der Chicago School nur frei von Zwang und Irrtümern; Beeinflussungen unterhalb dieser Schwelle bleiben in der Regel außer Betracht. So ließe sich von den vertragsrechtlichen Mechanismen wohl noch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung, zum Teil auch die Irrtumsanfechtung bei Erklärungs- und Inhaltsirrtümern, mit dem Rechtsverständnis der Chicago School vereinbaren. Auch jegliches dispositive Vertragsrecht ist unter dem Aspekt der Transaktionskostenreduzierung grundsätzlich erklärbar. Ein darüber hinausgehender Ver159 Friedman, Kapitalismus und Freiheit, S. 34 = Friedman, Capitalism and Freedom, 1962, im englischen Original; vgl. auch Posner, Economic Analysis, S. 122 ff.; S. 126 ff. 160 Vgl. Posner, Economic Analysis, S. 108, S. 121 ff.; S. 122 ff.; S. 126 ff. 161 Zutreffend Grigoleit, Informationshaftung, S. 76. 162 Vgl. näher unten III 2 und IV. 163 Vgl. insbesondere Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 450 ff. 164 Vgl. aber Posner, Economic Analysis, S. 123 ff. mit einem ansatzweisen Erklärungsversuch aus der Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts, der den Aspekt der administrativen Effizienz in den Mittelpunkt rückt.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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braucherschutz im Vertragsrecht, insbesondere durch Informationspflichten und Widerrufsrechte, kommt demgegenüber auf Grundlage der reinen Lehre der Chicago School kaum in Betracht.
4. Fazit Das Wettbewerbsleitbild der vollkommenen Konkurrenz in der Neoklassik taugt nicht als Zielvorgabe für einen lauterkeitsrechtlichen Wettbewerbsschutz165. Zu realitätsfern sind die zugrundeliegenden Modellannahmen: Dynamische Funktionen des Wettbewerbs werden gleichermaßen vernachlässigt, wie etwa der Qualitätswettbewerb oder das Problem der Marktzutritts- und Abgangsschranken. Die kategorischen Lehren der Chicago School fügen dem zwar ein dynamisches Element im Sinne eines sozialdarwinistischen „survival of the fittest“ hinzu. Doch ändert dies nichts an der grundlegenden Kritik, die sich gegen die wohlfahrtsökonomischen Ansätze richtet: Diese zielt darauf, daß das systemtheoretische – beim Verhalten und der Freiheit des einzelnen Marktteilnehmers ansetzende – Konzept des Adam Smith aufgegeben wird zugunsten eines Wettbewerbsmodells, in dem das Ziel des Wettbewerbsprozesses nicht länger die Freiheit der einzelnen Marktteilnehmer, sondern die Optimierung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt ist. Die Steuerungs- und Kontrollfunktion des Wettbewerbs wird vernachlässigt zugunsten der Wohlfahrtsmaximierung, Reichtum gegen Freiheit ausgespielt. Die diesbezüglich verwendeten Kriterien, insbesondere das Effizienzkriterium, sind – ebenso wie das modellhafte Menschenbild der Neoklassik und ihr Marktmodell – erheblichen Zweifeln ausgesetzt. Zur Erklärung der Rolle des Wettbewerbs- und Vertragsrechts vermag die Chicago School zumindest in ihrer reinsten Ausprägung keinen substantiellen Beitrag zu leisten. Lediglich ganz allgemeine ordnungspolitische Rahmenbedingungen werden im Wettbewerbsrecht akzeptiert, werberechtliche Irreführungsverbote und ähnliche verbraucherschützende Elemente des Lauterkeitsrechts – die uns im Rahmen unserer Themenstellung naturgemäß schwerpunktmäßig interessieren – lassen sich auf der Grundlage der Chicago School nicht erklären und modulieren; zwingende Verbraucherschutzregeln des Vertragsrechts sind mit der Lehre der Chicago School ebensowenig zu vereinbaren. Allenfalls ein Schutz vor arglistiger Täuschung und direkter Willensbeugung käme vor dem Hintergrund der Chicago School in Betracht166. Rechtlich entspricht diese Haltung weitestgehend einer Konzeption formaler Privatautonomie167. Wegen ihres einfachen Grundmodells ist die Neoklassik dennoch der Anstoßgeber für ein ganzes Mosaik ökonomischer Schulen geworden, die sich den Abweichungen der Realität vom Referenzmodell des atomistischen Marktes und dem Menschenbild des rational entscheidenden homo oeconomicus widmen. Ganze 165 166 167
Vgl. ebenso für das GWB Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 188. Vgl. ebenso Möschel, in: FS Tübinger Juristenfakultät, S. 333, 339 ff. Drexl, Selbstbestimmung, S. 106.
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1. Kapitel: Grundlagen
ökonomische Forschungsrichtungen widmen sich mittlerweile den Einschränkungen, denen die Möglichkeit rationaler Entscheidungen unterworfen ist, gleichermaßen wie der Beschäftigung mit Marktzugangs- und Abgangsbarrieren. Derartige Ansätze können wertvolle Analysehilfe für das Recht leisten, soweit sie nicht auf dem Effizienzkriterium basieren, sondern sich darauf beschränken systematische Gefährdungen der freien Willensausübung zu identifizieren und zu analysieren. Im übrigen, soweit darüber hinaus eine Optimierung anhand des Effizienzkriteriums erfolgen soll, sind ihre Ergebnisse einer strengen rechtlichen Kontrolle zu unterwerfen168. Soweit sich auf der Grundlage der neoklassischen Lehre, insbesondere im Rahmen der Transaktionskostenökonomie des Ronald Coase und der Informationsökonomie, neue Erklärungsmuster für die vertragsund wettbewerbsrechtlichen Regeln entwickelt haben, wird darauf noch unten (D) nebst einer näheren Darstellung und Bewertung der teils ethisch-moralisch und teils rein methodologisch fundierten Kritik an der ökonomischen Analyse eingegangen; zugleich wird diese Kritik – nach einzelnen ökonomischen Theorien differenziert – auf ihre Stichhaltigkeit geprüft werden.
III. Die Kantzenbach/Hoppmann-Kontroverse und der Einfluß v. Hayeks 1. Das Konzept eines wirksamen Wettbewerbs bei Kantzenbach Lange vor der Ära der Chicago School hatte Kantzenbach mit seinem Konzept eines wirksamen, funktionsfähigen Wettbewerbs in Weiterentwicklung der Thesen des John Maurice Clark169 das Leitbild des vollkommenen Wettbewerbs im Sinne atomistischer Konkurrenz auf der Grundlage eines strukturtheoretischen Ansatzes hinterfragt170. Sein „workability“- Wettbewerbskonzept wurde zum Gegenstand prononcierter Kritik von Hoppmann auf Grundlage eines system168 Vgl. zu diesen Forschungsrichtungen, insbesondere der Informationsökonomie eingehend unten D IV. 169 Vgl. grundlegend Clark, American Economic Review 30 (1940), 241 ff. Clark seinerseits war ursprünglich noch vom vollkommenen (atomistischen) Wettbewerb der Neoklassik als Leitbild ausgegangen, hatte jedoch deren Unerreichbarkeit und Unzulänglichkeiten (insbesondere mit Blick auf die dynamischen Wettbewerbsfunktionen) erkannt und daraus das Konzept des workable competition als second best entwickelt, den er im Sinne des neoklassischen Leitbilds zwar als unvollkommen aber noch tolerierbar ansah. Als Leitbild für den Wettbewerb ist das Konzept des workable competition gleichermaßen unbrauchbar wie der vollkommene Wettbewerb der Neoklassik, da dieser ja als best solution der Leitstern der Wettbewerbspolitik bleibt, vgl. Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 190 f. Dennoch hat Clark mit seiner Theorie, daß bestimmte Marktunvollkommenheiten zu tolerieren seien, den Anstoß für die Entwicklung strukturtheoretischer Wettbewerbskonzepte gegeben, die die Wettbewerbsfunktionen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. Vgl. zum ganzen sowie insbesondere zu den Vorläufern Clarks unter den Theoretikern des „monopolistic competition“ Schmidt, Wettbewerbstheorie, S. 7 ff. mwN. Zu den weiteren Einflüssen, die Kantzenbachs Studie prägen, vgl. Hoppmann, JBNSt 179 (1966), 286, 319 f. mwN. 170 Vgl. grundlegend Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 1967.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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theoretischen Ansatzes, der vieles den Theorien v. Hayeks171 verdankt – eine Kontroverse, die die wettbewerbstheoretische Diskussion in Deutschland bis heute beeinflußt172. Kantzenbach geht von fünf gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsfunktionen aus, die er in drei statische (funktionelle Einkommensverteilung nach Marktleistung, Leistungsangebot nach Käuferpräferenzen, optimale produktive Allokation) und zwei dynamische Wettbewerbsfunktionen (Anpassungsflexibilität der Produktionskapazitäten, technischer Fortschritt) unterteilt173. Zur optimalen Erfüllung dieser Zielfunktionen sollen Kriterien gefunden werden, um einen möglichst intensiven Wettbewerb anzustreben, den Kantzenbach aufgrund theoretischer Überlegungen zum Verhältnis von Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis am besten in der Marktstruktur des weiten Oligopols gewährleistet sieht174. Wettbewerb nach Kantzenbach wird im Ausgangspunkt in einer funktionalen, bestimmten Zielen dienenden Rolle gesehen; die Wettbewerbsfreiheit der einzelnen Marktteilnehmer existiert weder als eigenständiger zu schützender Wert noch gar als Wettbewerbsleitbild im Sinne eines freien Wettbewerbs175. Um die optimale Intensität des Wettbewerbs auszuermitteln, sieht Kantzenbach den Wettbewerb – gar nicht so weit von einer pragmatischlauterkeitsrechtlichen Betrachtung angesiedelt – als „ständigen Prozeß der Rivalität, des Kampfes und der Auslese de[s] Wettbewerb[s] von ‚neu gegen alt‘“ 176, den es zu intensivieren gelte. Auf breiter Front hat Kantzenbach mit dieser Konzeption Kritik auf sich gezogen. Die Konzentration auf den einzigen Parameter der Wettbewerbsintensität sei zu Unrecht einseitig und ignoriere andere Beurteilungsmerkmale177. Der von ihm behauptete Zusammenhang von Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis gehe daher von unzutreffenden (mindestens unvollständigen) Prämissen aus und führe zu allenfalls modellhaft vertretbaren Ergebnissen, die in der Realität schon wegen der unleugbaren Interdependenz von Wettbewerb und Marktstruktur – wobei letztere dem Wettbewerb eben nicht statisch „vorgegeben“ sei, sondern sich fortlaufend ihrerseits wiederum aus dem Wettbewerb ergebe – nicht
171
Vgl. insoweit sogleich unten 3. Die eigentliche „Kantzenbach/Hoppmann-Kontroverse“ wurde durch Hoppmanns Besprechungsaufsatz des Werkes von Kantzenbach ausgelöst, vgl. Hoppmann, JBNSt 179 (1966), 286 ff. Vgl. dann in der Folge die Erwiderung von Kantzenbach, JBNSt 181 (1967), 13 ff. und die Duplik von Hoppmann, JBNSt 181 (1967), 251 ff. 173 Vgl. zusammenfassend Lehmann, JZ 1990, 61, 63. 174 Vgl. zusammenfassend Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 191 f.; Lehmann, aaO. 175 Eben darauf richtete sich der Hauptvorwurf von Hoppmann, JBNSt 179 (1966), 286, 301 ff. Später hat Kantzenbach unter grundsätzlicher Beibehaltung seines Konzepts die Gewähr von Entfaltungsmöglichkeiten individueller Freiheit den Zielfunktionen des Wettbewerbs hinzugefügt, ohne damit die im folgenden darzustellende grundsätzliche Kritik nachhaltig entkräften zu können. Vgl. Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 13 f., 32. 176 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 32. 177 Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 191 f. mwN. 172
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1. Kapitel: Grundlagen
haltbar seien178. Schließlich – und grundlegender – sei die Herstellung einer eindeutigen Korrelation von Marktstruktur und Ausmaß des Wettbewerbs von vornherein nicht möglich179.
2. Das Wettbewerbsverständnis Hoppmanns Mit dieser letztgenannten Aussage nähern wir uns dem Kernpunkt der Hoppmannschen Kritik am Konzept Kantzenbachs und zugleich dem hierin liegenden „Wendepunkt der Wettbewerbstheorie zu einem evolutorisch offenen, sich kybernetisch selbst regulierenden System“180. Dem Versuch Kantzenbachs, ein instrumentales Wettbewerbsleitbild anhand „von oben“ vorgegebener Zielfunktionen zu entwickeln, hält Hoppmann ein „induktives“, von der Wettbewerbsfreiheit der einzelnen Marktteilnehmer ausgehendes Leitbild entgegen, welches zu den neoklassischen Grundwerten eines Adam Smith zurückkehrt und mit der noch im folgenden darzustellenden Theorie von Hayeks koinzidiert181. Im Mittelpunkt seines Konzepts steht die Wettbewerbsfreiheit im Sinne einer Wahlfreiheit der Marktteilnehmer auf der Anbieter- gleichermaßen wie auf der Abnehmerseite182. Der Markt wird als komplexes, selbstregulierendes, umweltoffenes evolutorisches System aufgefaßt, wobei die Beziehungen zwischen den bestimmenden Elementen komplex, das heißt in ihrer Korrelation nicht vorhersagbar seien183. Entsprechend ist auch das Hauptziel der Wettbewerbspolitik, wie es Hoppmann definiert, rein systemtheoretischer Natur: Statt ex ante vorgegebener Wettbewerbsfunktionen wird die Wettbewerbsfreiheit als solche als Ziel in sich selbst angegeben, was die Freiheit der Wettbewerber, sich in einer Art „Parallelprozeß“ „miteinander um die Wette [mit besseren Leistungen um die Gunst der Marktgegenseite] zu bewerben“, gleichermaßen erfaßt, wie die hierzu komplementäre Wahlfreiheit der Marktgegenseite, die Leistungen in ungestörter „Entschließungsfreiheit“ auszuwählen („Austauschprozeß“)184. Im Unterschied zu den Anhängern eines kategorischen laissez faire, insbesondere der Chicago School, erkennt Hoppmann dabei aber die Gefahr einer Wettbewerbsbeschränkung durch unternehmerische Praktiken und die Notwendigkeit der Bekämpfung solcher Praktiken vollumfassend an185. Welche Forderungen sich daraus an das Recht ergeben, darauf wird noch (unten 4) einzugehen sein. Zuvor ist zu untersuchen, wie sich die 178
Hoppmann, JBNSt 179 (1966), 286, 305 ff. Hoppmann, aaO. 180 Lehmann, JZ 1990, 61, 63. 181 Vgl. Hoppmann, aaO., S. 311 ff. 182 Vgl. Lehmann, JZ 1990, 61, 63, der darauf hinweist, daß hierin im Ausgangspunkt (wenngleich nicht in den Folgerungen) eine Übereinstimmung mit Mestmäcker und Fikentscher liegt. Vgl. zum Wettbewerbsbegriff Fikentschers näher noch unten V. 183 Hier wird die Nähe zu von Hayek überdeutlich. Vgl. hierzu näher sogleich unten 3. 184 Hoppmann, JBNSt 179 (1966), 286, 302 f.; vgl. auch Schmidt, Wettbewerbstheorie, S. 15 mwN. 185 Hoppmann, aaO. 179
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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Orientierung auf das Hauptziel eines freien Wettbewerbs bei Hoppmann, zum Zielkomplex der guten Marktergebnisse, d.h. der vielfältig nützlichen Wirkungen des Wettbewerbs (Wohlfahrtssteigerung, Verteilungsfunktion, Fortschrittsfunktion usf.), verhält. Hoppmanns diesbezügliche Harmoniethese läßt sich nicht erläutern, ohne zugleich den zugrundeliegenden system- und sozialtheoretischen Ansatz offenzulegen, der sich in von Hayeks Theorie des „Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren“ findet186.
3. Hoppmanns Harmoniethese und der Einfluß von Hayeks Von Hayeks wirtschafts- und sozialtheoretisches Konzept beruht auf einem evolutiven Verständnis des Wettbewerbs als spontan wachsender Ordnung. Seine Ablehnung jeglicher zwecksetzender außerwettbewerblicher Ziele – etwa im Sinne einer wohlfahrtsökonomischen Optimierung – beruht auf der Grundannahme, daß der Wettbewerb als spontane Ordnung, das zur außerwettbewerblichen Zielsetzung benötigte Wissen in der Art eines Entdeckungsverfahrens überhaupt erst hervorbringe187: „Aber dieses Wissen, von dem angenommen wird, daß es gegeben ist und man davon ausgehen kann, ist einer der Hauptpunkte, bei denen die Tatsachen nur im Verlauf des Wettbewerbsprozesses aufgedeckt werden. Dieses scheint mir einer der allerwichtigsten Punkte zu sein, wo die Theorie des Wettbewerbsgleichgewichts schon am Ausgangspunkt die Hauptaufgabe, die nur der Prozeß des Wettbewerbs lösen kann, als nicht bestehend annimmt.“
Den Wettbewerb faßt von Hayek dementsprechend „systematisch als ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen“ auf, welches nach Art eines selbst-organisierenden Systems sich durch „negative Rückkopplung“ im Sinne der Kybernetik selbst reguliere, wie es schon Adam Smith in seiner Preistheorie beschrieben habe188. Aus dem Verhalten der einzelnen entwickle sich zugleich evolutiv die Ordnung des ganzen, was wiederum in dem Bild von der „unsichtbaren Hand“ gleichermaßen schon bei Smith angelegt sei189. Das entscheidende Wissensvermittlungssystem in der wettbewerblichen Koordinationsordnung sei das „Signalsystem der Preise“, das für die Weitergabe der einzig entscheidenden (Bedarfs-)information im Markt nach Art der Glieder in einer Kette (oder in der Art eines sich ausbreitenden Netzes) sorge190. Die Unterstellung eines modellhaft agierenden homo oeconomicus benötigt von Hayek für dieses Wettbewerbs- und Marktverständnis nicht, da er gerade systematisch da186 Zum Einfluß von von Hayeks „Bewältigung der Unwissenheit“ auf Hoppmann, vgl. Hoppmann, Unwissenheit, Wirtschaftsordnung und Staatsgewalt, S. 135 ff. 187 Siehe von Hayek, Der Sinn des Wettbewerbs, S. 122, 127. Grundlegend dann in der Folge von Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968. Vgl. überblicksartig hierzu Lehmann, JZ 1990, 61, 63 f.; ausführlicher Hoppmann, Unwissenheit, Wirtschaftsordnung und Staatsgewalt, S. 135 ff. 188 Vgl. von Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, S. 249, 255 ff. 189 Vgl. von Hayek, Die Entwicklung von Systemen von Verhaltensregeln, S. 144, 155 ff. 190 So insbesondere von Hayek, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, S. 114 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
von ausgeht, „die wesentlichen Umstände nicht [zu] kennen, die das Handeln der im Wettbewerb Stehenden bestimmen“191. Ausgangspunkt und Ziel zugleich ist die individuelle Freiheit der einzelnen Marktteilnehmer. Jeglichen zwecksetzenden, zielorientierten Eingriff in den Wettbewerb lehnt von Hayek konsequenterweise ab192 und trifft sich hierin in manchen Thesen mit der Chicago School193. Sein umfassendes systemtheoretisches Konzept geht aber weit über deren Effizienzdenken hinaus: Wo die Chicago School aufgrund umstrittener Modelle unterstellt, die unbeschränkte Freiheit des einzelnen führe zu einer gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsmaximierung, lehnt von Hayek gerade jegliche derartige Unterstellung „von oben herunter“, wie auch eine empirische Überprüfbarkeit der Gültigkeit der Theorie des Wettbewerbs von vornherein ab194. Daß das individuell freie Verhalten des einzelnen durch die Rückwirkung auf die Gesamtordnung der Gesellschaft zugleich die Überlebenschance – mithin die wirtschaftlichen Verhältnisse – der gesamten Gesellschaft optimiere, wird von von Hayek im Rahmen eines biologischen wie sozialtheoretischen Evolutionskonzepts nicht „errechnet“, sondern im Sinne einer „Zwillingsidee von Evolution und spontaner Ordnung“ unterstellt195. Dies führt unmittelbar zur sogenannten Harmoniethese in Hoppmanns auf die Freiheit des einzelnen Marktteilnehmers gegründetem Wettbewerbskonzept. Hoppmann stellt der Dilemma-These Kantzenbachs, derzufolge Zielkonflikte zwischen einem möglichst freien Wettbewerb und den sonstigen Wettbewerbszielen, wie insbesondere der Verteilungs- und Fortschrittsfunktion, entstehen könnten, seine Harmoniethese entgegen. Jeder Marktteilnehmer erziele gerade dann größtmögliche individuelle ökonomische Vorteile, wenn die Marktgegenseite sich möglichst frei mittels besserer und billigerer Leistungen um seine Gunst bewerben könne. Daher könne ein Konflikt zwischen Wettbewerbsfreiheit und individuellen ökonomischen Vorteilen nicht entstehen196. Die Gefahr eines Konflikts mit überindividuellen wettbewerblichen Zielen erkennt Hoppmann, lehnt die Verfolgung derartiger Zielsetzungen aber – insoweit in großer Nähe zu Hayek – kategorisch ab. So wird die Harmoniethese gewissermaßen schon definitorisch abgesichert, indem Ziele, die mit dem Zielkomplex größtmöglicher Wettbewerbsfreiheit potentiell konfligieren könnten, von vornherein aus den wettbewerblichen Zielfunktionen ausgegliedert werden.
191 S. von Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, S. 249. Vgl. ausführlich zum Verzicht auf ein theoretisches Menschenbild bei von Hayek auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 132 f. 192 Vgl. näher zur Rolle des Rechts als Ordnungsrahmen bei von Hayek sogleich unten 4 und 5. 193 Ebenso Lehmann, JZ 1990, 61, 64. 194 von Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, S. 249, S. 255 ff. 195 Vgl. anschaulich von Hayek, Die Entwicklung von Systemen von Verhaltensregeln, S. 144, 155 ff. 196 Hoppmann, Definition des Wettbewerbs, S. 9, 21: „Wettbewerbsfreiheit und ökonomische Vorteilhaftigkeit sind zwei Aspekte desselben wettbewerblichen Prozesses, sie sind zwei Seiten derselben Medaille“. Vgl. auch Schmidt, Wettbewerbspolitik, S. 15 mwN.
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Für die rechtliche Ordnung des Wettbewerbs resultiert dieses Konzept in einer Forderung nach dezentralen, inhaltlich zweckfreien „Spielregeln“, die die Wettbewerbs- und Wahlfreiheit der Marktteilnehmer sichern sollen. Dabei erkennt Hoppmann aber, insoweit anders als von Hayek, das Bestehen künstlicher Wettbewerbshemmnisse, die durch das mißbräuchliche Handeln Privater geschaffen werden, ausdrücklich als bekämpfenswert an, was seinen Ansatz für die hier behandelte Thematik – noch vorbehaltlich einer abschließenden Bewertung – jedenfalls fruchtbringend scheinen läßt. Auf die Forderungen, die sich hieraus an das Recht ergeben, ist im folgenden einzugehen.
4. Die Rückwirkung auf die Rolle des Rechts Zu Recht hat Hoppmann Kantzenbach vorgehalten, seine Reduktion des Wettbewerbsverständnisses auf eine zu möglichst intensiver Form anzureizende Rivalität (Wettbewerbsintensität) gestatte es nicht, unerwünschte Formen wettbewerblichen Verhaltens, die in Freiheitsbeschränkungen des Wettbewerbs durch Private resultieren („Kampf gegeneinander“), von der erwünschten Rivalität um die Gunst der Marktgegenseite („miteinander um die Wette bewerben“) zu trennen197. Hoppmann hält dem sein auf die Wettbewerbsfreiheit gründendes, systemtheoretisches Wettbewerbskonzept entgegen, in der klaren Erkenntnis, daß der Freiheit des Wettbewerbs vielfältige Beschränkungen durch das Verhalten privater Marktteilnehmer drohen. Auf unser Untersuchungsthema gewendet, führt er aus198: „Durch Täuschung, Irreführung und Betrug wird die Entschließungsfreiheit des Getäuschten, Irregeführten und Betrogenen beschränkt mit der Folge, daß auch die wettbewerbliche Handlungsfreiheit beschränkt wird. … Diese Formen des ‚Rivalitätsprozesses‘ sind Ausdruck einer Beschränkung der Freiheit des Wettbewerbs durch unternehmerische Praktiken.“
Solche Formen des „Nichtleistungswettbewerbs“ stellt er dem „Leistungswettbewerb“199 im Sinne Böhms gegenüber, der sich nicht als „aufeinanderprallender“ Kampf, sondern als „parallel“ verlaufender „Wettlauf“ darstelle. Für die Rolle des Wettbewerbs- und Vertragsrechts leiten sich hieraus zwei wesentliche Erkenntnisse ab. Erstens dienen vermeintlich hauptsächlich verbraucherschützende Fallgruppen des UWG – mithin insbesondere der Irreführungsschutz im weitesten Sinne – stets zugleich dem Schutz des unverfälschten Wettbewerbs und der Mitbewerber. Und zweitens gilt dies ersichtlich auch für vertragsrechtliche Regelungen, soweit sie dem einzelnen Vertragspartner individuellen Schutz vor derartigen 197
Hoppmann, JBNSt 179 (1966), 286, 302 f. Hoppmann, JBNSt 179 (1966), 286, 302. 199 Zum Begriff vgl. Ohm, Definitionen des Leistungswettbewerbs, S. 239 ff. Vgl. näher zur (begrenzten) Sinnhaftigkeit des Leistungswettbewerbs als Beurteilungskriterium im Lauterkeitsrecht noch mehrfach in dieser Studie (zuerst unten 3. Abschn. D III 1). 198
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1. Kapitel: Grundlagen
Praktiken bieten 200. Der Individualschutz dient hier mittelbar zugleich dem Schutz des Wettbewerbs als Prozeß. Dies reflektiert schlicht die untrennbare innere Verbindung der Wettbewerbsfreiheit mit der Fairneß der Tauschvorgänge, aus denen der Wettbewerb hervorgeht 201. Diese letztgenannte Erkenntnis liegt wiederum theoretisch noch voll auf der Linie von Hayeks, der die Zwillingsrolle des Rechts als „System von Verhaltensregeln …, die das Verhalten der einzelnen Mitglieder einer Gruppe … leiten, und andererseits der Ordnung oder dem Verhaltensmuster, das sich aus jenen für die Gruppe als Ganzes ergibt“
betont und damit letztlich Erkenntnisse moderner Institutionenökonomik mit Blick auf die Rolle des Rechts als Ordnungsrahmen vorwegnimmt. Sowohl das Wettbewerbsrecht als auch – und noch weitaus grundlegender – das Vertragsrecht setzen in einem solchen Verständnis den gemeinsamen Ordnungsrahmen, in dem sich der Wettbewerb spontan aus dem Abschluß der einzelnen Tauschvorgänge entwickelt und zugleich in ihnen resultiert. Stets dient also – in einer idealtypischen Ausgestaltung – das auf das Verhältnis der Wettbewerber zielende Wettbewerbsrecht mittelbar auch dem Schutz des individuellen Verbrauchers und das individuell das Verhältnis von Unternehmer und Abnehmer regelnde Vertragsrecht mittelbar auch dem Schutz des Wettbewerbs und der Mitbewerber. Beide Funktionen sind miteinander zur Ausgleichung zu bringen. Die entscheidende Frage lautet, wie das Recht in den untersuchten Bereichen im einzelnen auszugestalten wäre, um diese Funktionen optimal zu erfüllen. Für einzelne Problemstellungen finden sich hierauf Antworten im Bereich der modernen Institutionenökonomik, worauf noch unten (D V) einzugehen sein wird. Aber auch von Hayek und in der Folge für den Wettbewerbsprozeß Hoppmann halten eine Antwort bereit, die die Freiheit des Wettbewerbs in den Mittelpunkt rückt. Auf der Grundlage der Harmoniethese Hoppmanns kann das wenig verwundern; wenn der Wettbewerb stets zugleich die Befriedigung der individuellen Bedürfnisse optimiert und wenn zudem die Berechtigung überindividueller Zielsetzungen per definitionem ausgeschlossen ist, so genügt in der Tat ein die Freiheit des Wettbewerbs sichernder Ordnungsrahmen. Entsprechend dürfen wettbewerbsordnende Regeln nach Hoppmann keine überindividuellen Zwecke verfolgen. Da sich der Wettbewerb nur durch die Abwesenheit unangemessener Wettbewerbs200 Grundlegend für die Verbraucherschutznormen und weit darüber hinaus Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998. 201 Umso mehr überrascht es, wenn Hoppmann trotz dieser klaren Erkenntnis der konstitutiven Bedeutung, die freie Austauschvorgänge für den Marktprozeß haben, bei der verhaltensorientierten Wettbewerbsfreiheit als Leitkriterium stehen bleibt, statt – wie es naheliegend wäre – die materielle Vertragsfreiheit in den Mittelpunkt seines Systems zu rücken, was dazu führt, daß auf dieser Grundlage zwar freiheitsbeschränkende Verhaltensweisen, nicht aber freiheitsbeschränkende Marktstrukturen modelliert werden können. Vgl. ebenso Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 112 ff.; Mestmäcker, Rolle des Wettbewerbs im liberalen Gemeinwesen, S. 136, 149 f. sowie auch noch unten 5.
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beschränkungen erfassen lasse, müßten Regelungen zudem stets als verbietende, nicht als vorschreibende Regeln gefaßt sein. Insoweit müßten die Sicherung der Freiheit vor Zwang durch andere und die Sicherung der Freiheit des Tauschverkehrs vor Beschränkungen durch unternehmerische oder staatliche Praktiken im Mittelpunkt stehen. Es erscheint unerläßlich, sich nochmals zu verdeutlichen, daß diese zurückhaltende Rechtskonzeption mit der Negierung überindividueller Ziele und der Unterstellung, stets sei es der Markt als Entdeckungsverfahren, der die individuell optimalen Ergebnisse hervorbringe, steht und fällt. Man könnte insoweit von einer „formalen Harmoniethese“ sprechen, da der Vergleich zwischen einem durch weitestgehende Wettbewerbsfreiheit erreichten und einem bewußt durch Setzung eines entsprechenden Rahmens angestrebten Marktergebnis von vornherein ausgeschlossen wird. Dem steht eine weitestgehend formale, liberale Auffassung der Privatautonomie spiegelbildlich gegenüber, die sich eben nur dann uneingeschränkt befürworten ließe, wenn der Beweis der Harmoniethese erbracht wäre und wenn man bereit ist, kategorisch auf die Verfolgung überindividueller Ziele mit Hilfe des Wettbewerbsprozesses zu verzichten. Auf die diesbezüglich berechtigte Kritik an Hoppmanns Konzeption ist im folgenden gleichermaßen einzugehen, wie auf den wertvollen Kern seines systemtheoretischen Ansatzes, der – von der Kritik unberührt – letztlich eine theoriengeschichtliche Entwicklungslinie von Smith über von Hayek und die österreichische Schule vollendet und – mit der Fokussierung auf die Freiheit des Wettbewerbs und dem Beleg der Überlegenheit dezentraler „Spiel“regeln – zu Resultaten führt, die sich unmittelbar für das Recht fruchtbar machen lassen.
5. Bewertung Die Kantzenbach/Hoppmann-Kontroverse markiert den Wendepunkt der Wettbewerbstheorie zu einem systemtheoretischen Verständnis des Wettbewerbs als ergebnisoffenes, sich kybernetisch selbst regulierendes System in der Tradition der Lehren des Adam Smith202. Dieses systemtheoretische Verständnis des Wettbewerbs als eines offenen Prozesses „von unten herauf“ ist den wohlfahrtstheoretischen, deterministischen Ansätzen „von oben herab“ grundsätzlich vorzuziehen, da – wie von Hayek begründet hat – sich Marktergebnisse, wie etwa die Optimierung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt, in einem selbstregulierenden Wettbewerbssystem nicht deterministisch vorhersagen lassen 203. Zu Recht wendet sich Hoppmann deshalb gegen die Überlegungen von Kantzenbach, der auf Grundlage eines angenommenen Marktstruktur-Marktverhaltens-Zusammenhangs einzig die Wettbewerbsintensität zu einer Kenngröße funktionierenden Wettbewerbs erheben und hierfür sogar Wettbewerbsbeschränkungen in Kauf 202 203
Vgl. ebenso Lehmann, JZ 1990, 61, 63. Vgl. für die diesbezüglich herrschende Meinung Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 112 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
nehmen will 204. Für das hier betrachtete Untersuchungsthema 205 ist der von der Wettbewerbsfreiheit des einzelnen Marktteilnehmers ausgehende induktive Ansatz Hoppmanns zudem insofern vielversprechender, als er – besser als der Rivalitätsbegriff bei Kantzenbach – gestattet, erwünschtes von unerwünschtem, wettbewerbsbeschränkendem Verhalten der einzelnen Marktteilnehmer zu scheiden 206. Soweit Hoppmann dabei als Leitkriterium allein die Sicherung der Wettbewerbsfreiheit akzeptiert, überzeugt dies jedoch nicht uneingeschränkt. Weder das Wettbewerbsfreiheitskriterium allein noch insbesondere die letztlich nur begriffliche Trennung in Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb207, vermögen abschließende Kriterien zu liefern, um den Marktprozeß zu ordnen. Insbesondere marktstrukturbedingte Freiheitsbeschränkungen lassen sich auf der Grundlage seines systemtheoretischen, verhaltensbezogenen Ansatzes nicht erfassen208. Hinzu kommt, daß der Begriff der Wettbewerbsfreiheit des einzelnen Marktteilnehmers nicht das normative Problem zu lösen vermag, welches sich stellt, wenn die Freiheit der Anbieterseite zu Lasten der Freiheit der Abnehmerseite – oder umgekehrt – ausgeübt wird. Hier genügt der Begriff der Wettbewerbsfreiheit deshalb nicht, weil er es – abgesehen von ganz allgemeinen Ordnungsprinzipien – nicht gestattet, normativ die Wettbewerbsfreiheit der Anbieter- und der Abnehmerseite zu praktischer Konkordanz zu bringen. Angesichts der bei Hoppmann klar erkannten Bedeutung des freien Austauschverkehrs zwischen Anbieter- und Abnehmerseite, dessen ungestörtes Funktionieren er zu Recht auf die Wettbewerbsfreiheit rückbezieht, erstaunt es, daß er nicht eher die materielle Vertragsfreiheit – im Sinne einer materialisierten Wahlfreiheit der Marktteilnehmer – in den Mittelpunkt seines Konzepts stellt. Dies würde es gestatten, auch die bei ihm unberücksichtigten Freiheitsbeschränkungen in sein Konzept einzubeziehen 209. Die bei Hoppmann klar erkannte Wechselbeziehung fehlerfreier Austauschverträge und des Wettbewerbs ist in ihrer Rückwirkung auf die Rolle des Rechts den204
Ebenso Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 190 ff. mwN. Einer der Hauptkritikpunkte gegen die systemtheoretischen Ansätze – sie gestatteten es nicht, neben wettbewerbsgefährdendem Marktverhalten auch wettbewerbsgefährdende Marktstrukturen zu beurteilen und zu unterbinden (vgl. näher Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 112 ff. sowie schon oben Fn. 201) – ist demgegenüber für unsere Untersuchung von geringerem Gewicht, da dieses Defizit eher im Kartellrecht zu Tage tritt. Für unsere Analyse des Lauterkeitsund Vertragsrechts steht demgegenüber mehr das wettbewerbsbeschränkende Verhalten der Marktteilnehmer im Mittelpunkt, weshalb die systemtheoretischen Ansätze hier den kongenialen wirtschaftswissenschaftlichen Rahmen bilden. Vgl. aber noch zu den grundlegenden Zweifeln, die sich an Hoppmanns Konzeption wegen der Nichtberücksichtigung strukturbedingter Freiheitsbeschränkungen ergeben, sogleich im folgenden Text. 206 Vgl. nur die Ausführungen bei Hoppmann, JBNSt 179 (1966), 286, 302 f. 207 Vgl. näher mit unmittelbarem Bezug auf das deutsche Wettbewerbsrecht auch noch unten 3. Abschn. D III 1 und öfter. 208 Vgl. ebenso Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 112 ff.; Mestmäcker, Rolle des Wettbewerbs im liberalen Gemeinwesen, S. 136, 150. 209 Vgl. auch schon bei o. Fn. 201. 205
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noch von hohem Erkenntniswert für die hier angestellte Untersuchung. Sie verdeutlicht, daß Wettbewerbs- und Vertragsrecht als Institutionen gemeinsam der Freiheit des Wettbewerbs den Rahmen setzen, daß mithin – spiegelbildlich zur mittelbar die materielle Vertragsfreiheit schützenden Funktion des Wettbewerbsrechts – auch umgekehrt das Vertragsrecht mittelbar eine wettbewerbsschützende Funktion hat. Hoppmanns Beschränkung auf zweckfreie, dezentral ordnende Wettbewerbsregeln in Form von Verbotsnormen 210 überzeugt nur insoweit, wie man seinem Verzicht auf überindividuelle Zielsetzungen für den Wettbewerb zu folgen bereit ist. Richtigerweise stellt sich der Wettbewerbsprozeß als „vielzieliger Prozeß“ dar, wie im folgenden noch gezeigt werden soll; damit ist dann aber auch das Konzept stets zweckfreier und auf das Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen limitierter Rechtsnormen nicht haltbar. In Hoppmanns Konzeption steckt dennoch ein wahrer Kern: Ist man bereit, mit von Hayek anzuerkennen, daß der Wettbewerbsprozeß als Erkenntnis- und Verteilungsverfahren, zumindest bestimmte Funktionen erfüllt, die staatliche Steuerung nicht ähnlich zielgenau anstreben kann, so ist – sofern mit staatlich gesetztem Recht andere, zusätzliche Ziele angestrebt werden, der Eingriff strikt auf das hierfür erforderliche Maß zu beschränken. Drexl hat diese Erkenntnis in seiner grundlegenden Studie zur „wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers“ als verbraucherschutzrechtliches Verhältnismäßigkeitsprinzip bezeichnet 211. Das Prinzip läßt sich für unseren Bereich verallgemeinern 212 in dem Sinne, daß Eingriffe in den Wettbewerbsprozeß, gleichgültig, ob sie im Vertragsrecht oder im Wettbewerbsrecht erfolgen, insgesamt auf das zur Erreichung des verfolgten Zwecks minimale Maß zu reduzieren sind. Im Sinne ihrer Rückwirkung auf den Wettbewerbsprozeß sind Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht insoweit austauschbar. Rechtsgebietsübergreifend ist also zu fragen, mit welchen mildesten Mitteln ein bestimmtes Ziel – insbesondere die Unterbindung freiheitsbeschränkender Situationen – erreicht werden kann. Dabei ist der grundsätzliche Vorzug verbietender Normen vor vorschreibenden Normen 213 gleichermaßen zu bedenken, wie der Vorrang dezentral-prozeßbezogener „Spiel“regeln vor inhaltsbezogenen Regelungsansätzen, wobei das gänzlich unterschiedliche Sanktionensystem des Vertrags- und des Wettbewerbsrechts so210 Böhm spricht in seinem grundlegenden Aufsatz „Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft“ (ORDO 17 (1966), 75, 100 ff.) von „Spielregeln“. Vgl. für das theoretische Fundament, welches die ordoliberale Freiburger Schule für das Wettbewerbskonzept Hoppmanns gelegt hat, noch unten IV. 211 S. Drexl, Selbstbestimmung, S. 449 ff., dort abgeleitet und integral eingefügt in das ordoliberale Denken der Freiburger Schule und das Modell der sozialen Marktwirtschaft. Vgl. insoweit näher auch noch unten D V 2. 212 Es wird auch bei Drexl, aaO., S. 213 f., als allgemeines Prinzip eingeführt. 213 Solange diese tatbestandlich das gleiche Ausmaß haben. Verbietet demgegenüber eine Norm ein ganzes Vertriebssystem, so kann auch eine vorschreibende Norm, die bei grundsätzlicher Beibehaltung des Vertriebssystems etwa einzelne Informationspflichten oder Widerrufsrechte vorsieht, gegenüber dem Totalverbot das mildere Mittel sein.
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1. Kapitel: Grundlagen
wohl in materiell-rechtlicher als auch in prozessualer Hinsicht gesamthaft zu betrachten ist.
IV. Die Materialisierung des Freiheitsbegriffs im Ordnungsdenken der „Freiburger Schule“ 1. Allgemeiner Rahmen: Ordnungsökonomie und Rolle des Rechts Hoppmanns um den Begriff der Wettbewerbsfreiheit zentriertes systemtheoretisches Wettbewerbskonzept und mehr noch das evolutorische Verständnis des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren bei von Hayek finden gewisse Vorläufer und einen Teil ihrer Fundierung im Ordnungsdenken Walter Euckens 214. Euckens wissenschaftliches Lebenswerk entstand vor allem an der Freiburger Universität, wo seine Konzeption der Interdependenz der Ordnungen über den Bereich der Wirtschaftswissenschaften hinaus schulbildend wirkte und die Freiburger Schule215 begründete, der neben Ökonomen insbesondere Juristen – zumal Franz Böhm – zuzurechnen sind 216. Der Einfluß und die gedankliche Tragweite der Freiburger Schule, aus der sich schließlich das wirtschaftspolitische Konzept der sozialen Marktwirtschaft kristallisierte217, läßt sich im hier gesetzten Rahmen nicht annähernd nachzeichnen. Dies ist auch nicht notwendig, denn hervorragende Darstellungen, die die grundlegenden Ideen der Freiburger Schule aus heutiger Sicht umreißen 218 und zum Teil sogar schon zur dogmatischen Grundlegung rechtspolitischer Herausforderungen – insbesondere des Verbraucherschutzes – fruchtbar machen 219, liegen bereits vor220. Im folgenden ist es deshalb angeraten, lediglich in ganz holzschnittartigen Thesen die Leitprinzipien zu verdeutlichen, die der Ordoliberalismus vertritt, um dann (unten 2) sogleich 214 Vgl. nur die Ausführungen bei Hoppmann, ORDO 46 (1995), 41 ff., insbesondere mit zahlreichen Belegen zum Einfluß Euckens auf von Hayek sowie mit einem kurzen Abriß der Vita Euckens und der Entwicklung der Freiburger Schule. 215 In Anlehnung an das von ihr geprägte und für ihr Jahrbuch verwendete Akronym „ORDO“ wird die durch die Freiburger Schule repräsentierte nationalökonomische und wirtschaftsrechtliche Lehre bis heute auch als Ordoliberalismus bezeichnet, vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S. 106 f. (Fn. 72). 216 Vgl. umfassend zur Freiburger Schule und ihren geistigen Wurzeln Heinemann, Freiburger Schule, 1989; für einen kurzen Überblick ihrer Entstehung und der Rolle Euckens vgl. Hoppmann, aaO.; mit weiterführenden Nachweisen Drexl, Selbstbestimmung, S. 106 f. 217 Das theoretische Konzept der sozialen Marktwirtschaft verdankt sich den grundlegenden Forschungsansätzen der Freiburger Schule um Eucken, Böhm, Röpke und Rüstow sowie Müller-Armack, der den Begriff der „sozialen Marktwirtschaft“ prägte. Die praktische Umsetzung dieses Konzepts ist bis heute mit dem Namen des damaligen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard verbunden. Vgl. näher für eine ideengeschichtliche Zusammenfassung und Darstellung des Einflusses des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft auf die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik mit Betonung des inneren Zusammenhangs zum heutigen Forschungsansatz der constitutional economics, Vanberg, ORDO 39 (1988), 17, 18 ff. mwN. 218 Grundlegend Heinemann, Freiburger Schule, 1989. Zusammenfassend Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 41 ff., jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 219 Grundlegend Drexl, Selbstbestimmung, S. 106 ff.; 119; 132 f.; 146 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 220 Insofern hat Drexl, aaO., zur Behebung des von ihm ebenda (S. 106, Fn. 71) beklagten Mißstandes, die „Literatur über [die Freiburger Schule sei] eher spärlich“, selbst den größten Beitrag geleistet.
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die Aufmerksamkeit darauf zu wenden, welche Erkenntnisse sich hieraus spezifisch für unsere Thematik gewinnen lassen.
Den Ausgangspunkt auch für Hoppmanns und von Hayeks Wettbewerbsverständnis bildet die Erkenntnis des Ordnungsproblems bei Eucken221. Auf der Basis der Unterscheidung von (abzulehnenden) Wirtschaftsordnungen („Ordnungstypen“) mit zentralverwaltungswirtschaftlicher222 oder (wie immer im einzelnen ausgestalteter) korporationistischer223 Lenkung auf der einen Seite und der freien Wettbewerbsordnung (Verkehrswirtschaft) auf der anderen Seite224, arbeitet Eucken heraus, daß sich letztere nur evolutorisch „von unten herauf“ entfalten kann 225. Soweit Eucken hieraus folgert, daß der Staat sich grundsätzlich darauf beschränken müsse, die Prinzipien der Wirtschaftsordnung, ihren konstitutionellen Rahmen („die Spielregeln oder die Formen, in denen sich der Wirtschaftsprozeß abwickelt“) zu setzen 226, bildet dies gerade einen Ansatzpunkt für die – im Grundsatz auch hier geteilte – systemtheoretische Konzeption Hoppmanns 227. Doch anders als Hoppmann und – noch kompromißloser – von Hayek, die daraus folgern, daß sich der Staat auf das Setzen nur ganz allgemeiner Rahmenbedingungen beschränken müßte, bleiben Eucken und die Freiburger Schule an dieser Stelle nicht stehen. Vielmehr betont Eucken ganz im Gegenteil – und in ausdrücklicher Abgrenzung von einer Wirtschaftspolitik des laissez faire 228 –, daß eine ausschließlich auf Wettbewerbsfreiheit gegründete Wettbewerbsordnung die Tendenz zur Selbstzerstörung dadurch in sich trägt, daß Private den Wettbewerb unter Mißbrauch ihrer Freiheit beschränken 229. Der Rechtsstaat müsse deshalb einen Rahmen schaf221 Vgl. grundlegend Eucken, Nationalökonomie, insbesondere S. 46 ff.; 162 ff.; zusammenfassend zur Wettbewerbsordnung und zur Interdependenz der Ordnungen Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 22 ff., 84 ff. Für eine Darstellung aus heutiger Sicht mit besonderem Augenmerk auf die Relevanz der Überlegungen Euckens für den Verbraucherschutz, vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S. 107 ff. 222 Dafür stehen in der im zeithistorischen Kontext zu würdigenden Betrachtung Euckens insbesondere die „Experimente … in Rußland seit 1928 oder in Deutschland nach 1936“, vgl. Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 8 ff., sowie auch die Darstellung bei Eucken, Nationalökonomie, S. 80. 223 Hierfür steht insbesondere John Maynard Keynes, vgl. etwa Keynes, Das Ende des Laissez-Faire, 1926, sowie die pointierte Kritik bei Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 20 f. 224 Zum aus diesem Ordnungstyp gefolgerten Leitbild der vollständigen Konkurrenz bei Eucken, vgl. unten IV 2. 225 Vgl. ebenso Hoppmann, ORDO 46 (1995), 41, 53. Bei Eucken findet sich dementsprechend etwa die Aussage, „der einzelne Landwirt, der Industrielle, der Handwerker und Arbeiter, also der einzelne Betrieb und Haushalt, soll[e] frei planen und handeln“. 226 Vgl. Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 22 f., sowie insbesondere 28 ff. 227 Der sich insoweit auch ausdrücklich auf Eucken beruft, vgl. Hoppmann, ORDO 46 (1995), 41, 53. 228 Auf die insbesondere von Hayeks Ansatz, wenngleich topologisch andersartig, im Ergebnis doch hinausliefe. Vgl. näher hierzu sowie zur Wirtschaftsform des laissez faire, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den sich entwickelnden Industriegesellschaften verbreitet war, Drexl, Selbstbestimmung, S. 97 ff. mwN. 229 S. Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 23; vgl. auch ordnungsübergreifend Drexl, aaO., S. 110, der
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1. Kapitel: Grundlagen
fen, in dem die „freie Betätigung des einzelnen durch die Freiheitssphäre des anderen begrenzt wird und so die menschlichen Freiheitsbereiche ins Gleichgewicht gelangen“230. Diesen zu schaffenden institutionellen Rahmen teilt Eucken in konstitutive und regulatorische Prinzipien ein, die – voneinander untrennbar231 – die Wettbewerbsordnung bilden, die auf Grundlage der konstituierenden Prinzipien entsteht, aber auch durch die regulatorischen Prinzipien gesichert wird. Sein entscheidender Beitrag in diesem Zusammenhang ist die Entwicklung des Gedankens der Interdependenz der Prinzipien und Ordnungen232. Eucken arbeitet heraus, daß die einzelnen konstitutiven und regulatorischen Prinzipien der Wettbewerbsordnung nicht nur im Sinne eines Verhältnisses der Komplementarität voneinander untrennbar sind, sondern daß sie auch – je nach Gestaltung der umgebenden (benachbarten) Ordnungen, wie etwa Verfassungs-, Rechts- oder Gesellschaftsordnung – jeweils für sich genommen eine ganz andere Bedeutung erhalten können. Anders ausgedrückt: Die einzelnen Prinzipien sind nicht nur in ihrer Rolle für den Gesamtplan voneinander abhängig, sondern wandeln zudem ihren Inhalt in Abhängigkeit von den Prinzipien der benachbarten Ordnungen. Dies hat eine entscheidende Folge: Die Wettbewerbsfreiheit ist nicht länger eine allein um ihrer selbst willen schützenswerte Ordnungsform, sondern sie erhält ihren Sinn, ihren normativen Wert im Kontext der benachbarten Ordnungen, insbesondere der Rechtsordnung aber beispielsweise auch der Ethik 233. Erkennt man in diesem beweglichen System der Ordnungen und Prinzipien als einen fixen, im Kern unveränderlichen Wert den Schutz der wirtschaftlichen Selbstbestimmung als Teil der Würde der persönlichen Freiheit des Menschen an, was auf Grundlage unserer Verfassungsordnung im Kern zwingend ist234, so wird die Wettbewerbsordnung normativ aufgeladen, sie wird materialisiert 235. Zweierlei folgt also aus Euckens Ordnungsdenken. Erstens ist die Wettbewerbsordnung gegen Beschränkungen und Verzerrungen durch Private, für die die formal verstandene Wettbewerbsfreiheit Gelegenheit bietet, zu schützen. Und zweitens hat sich dieser Schutz normativ entlang der Leitlinien der benachbarten Ordnungen, insbesondere der Verfassungsordnung, zu gestalten. Dies bildet einen grundlegenden Unterschied zum bloßen, gerade lediglich die Verteilungs- und Allokationsaspekte in den Mittelpunkt rückenden, Effizienzbetont, daß Eucken auf diese Weise das Freiheitsparadoxon, welches Popper schon bei Plato nachgewiesen habe – und das in der heutigen Gesellschaft etwa im Prinzip der streitbaren Demokratie verwirklicht ist –, auf die Wirtschaftstheorie übertragen habe. 230 Eucken, aaO., 84. 231 Vgl. ausdrücklich Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 84: „Alle Prinzipien – die konstituierenden und die regulierenden – gehören zusammen. Jedes einzelne erhält nur im Rahmen des allgemeinen Bauplans der Wettbewerbsordnung seinen Sinn.“ 232 S. Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 84 ff. 233 S. Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 84. 234 Grundlegend Drexl, Selbstbestimmung, S. 217 ff.; vgl. auch Hoppmann, ORDO 46 (1995), 41, 53. 235 In diesem Sinne schon Böhm, ORDO 22 (1971), 11, 20 ff.; deutlich Drexl, aaO., S. 113 ff.
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denken der Neoklassik 236, aber auch zu den systemtheoretischen Ansätzen eines von Hayek oder Hoppmann. Wo letztere die Berechtigung zweckgerichteter Eingriffe in den Wettbewerbsprozeß kategorisch ablehnen 237, betont Eucken deren Notwendigkeit, um einerseits im Rahmen der regulatorischen Prinzipien den Rahmen des Wettbewerbs vor seiner Umgestaltung „nach Willkür“ Privater zu schützen und um andererseits bestimmte Wertungen aus benachbarten Ordnungen, zumal auch der Ethik 238, zu implementieren 239. Nicht den zweckgerichteten Eingriff des Staates an sich lehnt Eucken also ab, vielmehr hält er ihn für unerläßlich; sein Plädoyer für die Konzentration auf die ordnenden Prinzipien der Wirtschaft betrifft lediglich dessen Form: Als abstrakte Regulierung, als Teil des Rahmens soll der Eingriff erfolgen, soweit dies irgend möglich ist, nur wo es unerläßlich notwendig ist 240, darf er darüber hinaus gehen 241. Das Recht findet in Euckens Ordnungsökonomie nach alldem also an zweifacher Stelle seinen Platz242. Einerseits gibt die Rechtsordnung, zumal die Grundrechtsordnung, im Konzept der Interdependenz dem Wettbewerb seine Ziele vor, der Wettbewerb in diesem Sinne ist Mittel zum Zweck 243. Hauptziel ist die Siche236 Deshalb ist auch das Wettbewerbsleitbild des vollkommenen Wettbewerbs nicht vollends mit dem Wettbewerbsleitbild des vollständigen Wettbewerbs bei Eucken gleichzusetzen, vgl. näher unten IV 2. 237 Vgl. oben II. 238 Vgl. insoweit auch noch die weitergehenden Überlegungen unten 2. Abschnitt. 239 Vgl. Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 72 ff. 240 Präzise beschrieben findet sich dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis bei Böhm, ORDO 17 (1966), 75, 147. 241 Vgl. auch Böhm, ORDO 17 (1966), 75, 98 ff., der von der „indirekten Steuerungstechnik“ spricht. Eben an dieser Stelle der Argumentation wendet sich folgerichtig Hoppmann, ORDO 46 (1995), 41, 47 f., von Eucken und Böhm ab und erklärt die – bei Eucken als unabtrennbarer Bestandteil des Gesamtsystems unerläßlichen – regulatorischen Prinzipien für in ihrer Gesamtheit „unbegründet und obsolet“. Soweit er dies damit begründet, bei Eucken seien die regulatorischen Prinzipien letztlich nur notwendig, um Unzulänglichkeiten des (unstreitig teilweise verfehlten, vgl. unten IV 2 und 4) Leitbilds des vollständigen Wettbewerbs auszugleichen, überzeugt diese Begründung in zweierlei Hinsicht nicht. Hoppmann verkennt an dieser Stelle erstens, daß Euckens Grundgedanke, der Wettbewerb sei „vor sich selbst“ zu schützen, vom konkret verfolgten Wettbewerbsleitbild im Ergebnis unabhängig ist; und zweitens unterscheidet er nicht hinreichend zwischen der Zulässigkeit von inhaltlicher Steuerung des Wettbewerbsprozesses an sich und der Frage nach ihrer Form. Euckens Argument betrifft an erster Stelle die Form der Steuerung, die aufgrund seiner Überlegungen vorzugswürdig in Gestalt allgemeiner Prinzipien auszugestalten sei; Hoppmanns Kritik betrifft die Zulässigkeit inhaltlicher („zweckgerichteter“) Maßnahmen als solcher, die er kategorisch verneint. 242 So deutlich Drexl, Selbstbestimmung, S. 113. 243 Von hier führt die Entwicklungslinie direkt zu Müller-Armack und seinem Konzept der sozialen Marktwirtschaft, welches letztlich darauf beruht, daß sich soziale – wie auch sonst denkbare andere – Ziele, mit Hilfe des Wettbewerbs verfolgen lassen. Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 193, spricht deshalb von Wettbewerb als einem vielzieligen Prozeß. Ein Beispiel mag neben der Verfolgung sozialer Aspekte und der Verteilungsgerechtigkeit (schon bei Eucken) die Zielsetzung des Umweltschutzes bilden, wie sie Fikentscher selbst dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft im Sinne einer „umweltsozialen Marktwirtschaft“ hinzugefügt hat, vgl. grundlegend Fikentscher, Die umweltsoziale Marktwirtschaft, 1991. Siehe auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 149 f.
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1. Kapitel: Grundlagen
rung der persönlichen Freiheit der Wirtschaftssubjekte244. Doch ist der Wettbewerb in dieser Funktion ein Mittel mit Eigenwert, das es zu schützen gilt. Und hier wird die Rechtsordnung, die dem Wettbewerb den Rahmen setzt, andererseits selbst zum Mittel des konstituierenden oder regulatorischen Wettbewerbsschutzes. Die Überlegungen, die von den Vertretern der Freiburger Schule insoweit bezüglich des inneren Zusammenhangs von Vertrag und Wettbewerb und insbesondere hinsichtlich der „richtigen“ Ausgestaltung nicht nur des Wettbewerbs-, sondern auch des Vertragsrechts als konstituierender Rahmen der Wettbewerbsordnung angestellt wurden 245, nehmen wesentliche Grundgedanken der Neuen Institutionenökonomik vorweg246. Auf unser Untersuchungsthema, das Wettbewerbs- und Vertragsrecht gewendet, sollen diese Überlegungen im folgenden dargestellt werden. Wesentliche Grundlage der Überlegungen der Freiburger Schule zum Rahmen, den das Recht dem Wettbewerbsprozeß setzen sollte, ist das jeweilige Verständnis ihrer Vertreter von Wettbewerb und Vertrag als Institutionen; dieser Punkt ist zuerst abzuhandeln, bevor die Überlegungen zur Ausgestaltung des Rechts resümiert werden.
2. Das ordnungsökonomische Verständnis der Vertragsfreiheit und des Wettbewerbs im Ordoliberalismus Eucken und mit ihm die Freiburger Schule gehen – insoweit durch die nachfolgende wirtschaftswissenschaftliche Forschung überholt – davon aus, das auf das Ordnungsprinzip materialisierter Wettbewerbsfreiheit aufgebaute Wettbewerbsmodell der Verkehrswirtschaft resultiere im Regelfall im Dominieren der vollständigen (im Ergebnis atomistischen 247) Konkurrenz als Marktform mit Leitbildcharakter, die dann zugleich ihre positiven Effekte – insbesondere ihre „Entmachtungseffekte“ – entfalte248. Obwohl nicht identisch mit dem Leitbild des vollkommenen Wettbewerbs in der Neoklassik 249, setzen sich die Vertreter der 244 S. besonders deutlich Böhm, ORDO 22 (1971), 11, 20, der den Wettbewerb als „Entmachtungsinstrument“ bezeichnet. Vgl. aber auch schon Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 27: „In der Tat ist der Wille zur Wettbewerbsordnung mit dem Willen zur Freiheit eng verbunden“. 245 Schön das Bild bei Böhm, ORDO 17 (1966), 75, 87, von der „gärtnerischen“ Pflege, die der Staat der Privatrechtsordnung angedeihen lassen solle. Vgl. auch Böhm, ORDO 22 (1971), 11 ff. 246 So zutreffend Drexl, Selbstbestimmung, S. 113, der Eucken und Böhm als – freilich wertorientierte – „erste Vertreter einer ökonomischen Analyse des Rechts in Deutschland“ bezeichnet. Vgl. ausführlich auch Vanberg, ORDO 39 (1988), 17 ff. 247 Denn die von Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 23 ff. aufgestellte Voraussetzung, der Preis dürfe aus Sicht des Unternehmers nicht von ihm beeinflußbar sein, ließe sich wohl allenfalls in einem atomistischen Markt (theoretisch) erreichen. 248 Vgl. Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 23 ff.; in der Folge auch Böhm, ORDO 22 (1971), 11, 20. 249 Während letzteres voraussetzt, daß einzelne Marktteilnehmer die Preise durch ihr Verhalten objektiv nicht beeinflussen können, genügt es bei Eucken, wenn der Wettbewerb Verhältnisse schafft, in denen die Marktteilnehmer die Unbeeinflußbarkeit der Preise subjektiv annehmen und deshalb nicht zu Behinderungsstrategien greifen, vgl. näher Drexl, Selbstbestimmung, S. 119 f. mwN.
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Freiburger Schule mit diesem im Ergebnis250 strukturbezogenen Wettbewerbsleitbild ähnlicher Kritik aus, wie sie die Neoklassiker, aber auch etwa Kantzenbach, auf sich gezogen haben 251. Während bei Kantzenbach die unzutreffende These, eine bestimmte Marktstruktur führe zu einem bestimmten Marktverhalten (intensiven Wettbewerbs) und dadurch zu optimalen Wettbewerbsergebnissen (Marktform-Marktverhalten-Marktergebnis-Zusammenhang), den Ansatzpunkt für zutreffende Kritik bildet, läßt sich gegen Eucken zu Recht einwenden, daß seine These, ein freiheitlicher Wettbewerb führe stets zu einer bestimmten Marktstruktur (Marktverfassung-Marktform-Zusammenhang) letztlich ebenso unbeweisbar und in der Realität auch widerlegt ist. Zudem klammert auch das Modell der vollständigen Konkurrenz wieder bestimmte wünschenswerte Marktergebnisse, insbesondere die dynamischen Marktfunktionen (wie die Innovationsfunktion) aus, welche – ebenso wie das praktische Marktverhalten der Unternehmer im Wettbewerb252 – gerade einen gewissen Grad an Abweichungen auch vom vollständigen Wettbewerb voraussetzen. Die aus historischen Gründen erklärbare253 einseitige Fixierung auf marktstrukturbedingte Ungleichgewichtslagen zieht sich denn auch komplett durch die Überlegungen, die Eucken und seine Schüler zum rechtlichen Rahmen der Ordnungsform Marktwirtschaft anstellen und führt, wie im folgenden zu zeigen sein wird, dazu, daß bestimmte Transparenzprobleme und andersgeartete Gefährdungen der Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer – statt das Problem beim Versagen der Funktionsweise des Vertrages anzusiedeln – zu einseitig auf das Problem der Angebotsmonopole zurückgeführt werden. Sieht man von der – aus heutiger Sicht nicht mehr haltbaren – Orientierung auf das Leitbild vollständiger Konkurrenz ab, so bleibt dennoch der Kern der Ordnungslehre Euckens für das hier behandelte Thema grundlegend. Der Wettbewerb im Euckenschen Sinne ist als Ordnungsprinzip aufzufassen, welches auf der Freiheit der einzelnen Marktteilnehmer basiert, die ihrerseits dadurch begrenzt ist, daß freiheitsbeschränkende oder irreleitende Verhaltensweisen und Strukturen durch das Recht unterbunden werden 254. Demgegenüber helfen die begrifflichen 250
Vgl. o. Fn. 247. Vgl. jeweils oben II 1 c und III 1 und 5. 252 Vgl. insoweit näher unten V. 253 Vgl. etwa Hoppmann, ORDO 46 (1995), 41, 51 f., mit dem Hinweis, daß Eucken wegen der in den dreißiger Jahren eingetretenen Isolierung der Wissenschaftler in Deutschland, die aktuellere ausländische wissenschaftliche Entwicklung kaum wahrnehmen konnte und solcherart auf das Modell der Neoklassik, wie es zumal in den Arbeiten seines Schülers Miksch zur Kombination von Marktform und Marktverfassung (vgl. insbesondere die bei Eucken angefertigte Habilitationsschrift von Miksch, Wettbewerb als Aufgabe, 1937) seinen Niederschlag fand, fixiert blieb. Zum Einfluß von Miksch auf die Diskussion in der Freiburger Schule in ihrer frühen Phase, vgl. näher Berndt/Goldschmidt, ORDO 51 (2000), 33 ff. 254 Zu den eher wettbewerbsgefährdenden Strukturen zählt Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 20 f. (noch im Zusammenhang mit der Darstellung der Grundordnungen, aber darüber hinaus verallgemeinerbar) insbesondere auch die „autonomen Verbände, Berufsstände und ähnliche Zwangskorporationen“, denen die Lenkung des Wirtschaftsprozesses in möglichst geringem Umfang übertragen werden sollte, da in solchen Gruppen der „Gruppenegoismus zur Wucherung“ neige. 251
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1. Kapitel: Grundlagen
Differenzierungen der Freiburger Schule, wie die von Nipperdey 255 übernommene und weiterentwickelte Unterscheidung von Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb – eben weil von Eucken und Böhm ursprünglich auf Basis der jeweils dem Wettbewerb zugrundeliegenden Marktstrukturen verwendet, so daß sie ohne diese inhaltliche Grundlage zur bloßen Leerformel werden256 – eher wenig weiter257. Zentralbegriff muß vielmehr die materielle Wettbewerbsfreiheit im Sinne eines Rechts auf wirtschaftliche Selbstbestimmung bleiben, die dem Wettbewerb seine normative, Werthaltigkeit verleiht, hinzu können auf Grundlage des Konzepts der Interdependenz der Ordnungen Nebenziele kommen, was dem Wettbewerb zusätzlich den Charakter eines vielzieligen Prozesses gibt 258. Die Vertragsfreiheit zählt bei Eucken zu den konstituierenden Prinzipien der Verkehrswirtschaft, sie ist unerläßlicher Teil des Ordnungsrahmens, in dem die Wirtschaftsform der Marktwirtschaft abläuft 259. In dieser Eigenschaft steht sie zur Freiheit des Wettbewerbs in einem Verhältnis der Komplementarität: Einerseits ist die Vertragsfreiheit „offensichtlich eine Voraussetzung für das Zustandekommen der Konkurrenz“260. Andererseits aber bedeutet sie „faktisch je nach den Wirtschaftsformen durchaus Verschiedenes“, kann sowohl „konkurrenzfördernd Mit Blick auf die derzeit inflationierten Vorschläge für Selbstregulierung und Ko-Regulierung gleichermaßen wie das vordringende Instrument der Verbandsklage, die sich in bestimmten Bereichen bewährt hat, derzeit jedoch eine rasante Ausdehnung erfährt, sollte diese Warnung nicht ungehört bleiben. 255 Vgl. grundlegend und begriffsprägend Nipperdey, Wettbewerb und Existenzvernichtung, 1930, S. 16, sowie noch die weiteren Nachweise zur Genese und weiteren Entwicklung des Topos unten 3. Abschn. D III 1 und öfter. 256 Vgl. auch unten 3. Abschn. D III 1 zum letztlichen Leerformelcharakter der Begriffe. 257 Die bis heute in der Rechtsprechung und Literatur für die Beurteilung insbesondere von Formen des Behinderungswettbewerbs teilweise herangezogene, von Nipperdey geprägte, begriffliche Differenzierung in „Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb“ findet sich bei Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 24 f., weniger um bestimmte erwünschte von unerwünschten Verhaltensformen zu scheiden, als vielmehr um den vollständigen Wettbewerb (mit seinem „Kampf … in paralleler Richtung“) von monopolistischen und oligopolistischen Wettbewerbsformen, bei denen auch „Mann gegen Mann“ gekämpft wird, abzugrenzen. Aus heutiger Sicht stellt sich aber der Wettbewerb geradezu typischerweise als ein (nicht notwendig unzulässiger) Kampf „Mann gegen Mann“ dar, wenn etwa strategische Entscheidungen von Unternehmen gerade mit Blick auf bestimmte Konkurrenten getroffen werden; zur Differenzierung erwünschter Wettbewerbsformen von unerwünschten hilft das Begriffspaar – jedenfalls im Euckenschen Sinne verwendet – daher an sich wenig weiter (vgl. näher unten 3. Abschn. D III 1). Die Verwendung der Begriffe Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb bei den frühen Ordoliberalen ist insoweit durch die Fehlsamkeit des von Eucken noch verfolgten Wettbewerbsleitbilds gewissermaßen infiziert. 258 Jeweils in der Tradition der Ordoliberalen mehr die Orientierung auf die Wettbewerbsfreiheit betonend Mestmäcker, Rolle des Wettbewerbs im liberalen Gemeinwesen, S. 136, 147 ff.; mehr die Vielzieligkeit des Wettbewerbsprozesses in den Mittelpunkt rückend Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 193 f. Grundlegend für die Verfolgung des Verbraucherschutzziels in einem marktkonformen, auf die ordoliberalen Theorien und das Gesellschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft aufbauenden Konzept, Drexl, Selbstbestimmung, vgl. insbesondere S. 146 ff. 259 Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 52 ff. 260 Eucken, aaO., 52.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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als auch konkurrenzvernichtend“ wirken 261. Umgekehrt ist insofern funktionierender Wettbewerb seinerseits Voraussetzung für das Funktionieren des Vertrages in seiner Ordnungsfunktion und deshalb dadurch gekennzeichnet, daß er Verhältnisse schafft, unter denen die Vertragsfreiheit ihre Funktion entfalten kann 262. Der gemeinsame Wert hinter beiden Ordnungsprinzipien, die Klammer, die sie verbindet, ist wiederum das menschliche Recht auf Selbstbestimmung, welches sich nicht unmittelbar aus dem System Vertrag-Wettbewerb ergibt, sondern diesem vielmehr im Rahmen der Interdependenz der Ordnungen untrennbar verbunden ist. Die fundamentale Leistung Böhms war es, diesen Zusammenhang zu erkennen und auf diese Weise die Selbstbestimmung als (normativen) Geltungsgrund des Rechtsgeschäfts263 mit ihrer Funktion als (institutionelles) Ordnungsprinzip zu verweben 264.
3. Die Rolle des Vertrags- und Wettbewerbsrechts Was ergibt sich nun daraus für die Sicht des Vertrags- und Wettbewerbsrechts im Ordoliberalismus? Zuerst ist wesentlich, daß die Ordoliberalen, insbesondere Eucken und Böhm, den Vertrag und das Privatrecht insgesamt nicht zuvörderst in ihrer Rolle als individuelle Rechtsverhältnisse regelnd, sondern in ihrer Ordnungsfunktion, in ihrer institutionellen Wirkung auf die entstehende ökonomische und soziale Wirklichkeit betrachten 265. Diese Konzentration auf die Wirkung der Vertragsfreiheit und des Rechts als Institutionen entspricht, wie oben beschrieben, gerade der Sichtweise der modernen Institutionenökonomie. Dabei bleibt schon Eucken nicht etwa dabei stehen, das Recht als Institution zu erkennen und entsprechende institutionentheoretische Überlegungen dem Gesetzgeber nahezulegen, sondern erstreckt seine Überlegungen institutioneller Natur vielmehr ausdrücklich auch auf die Auslegung von Rechtssätzen, zumal der Generalklauseln 266. 261
Eucken, aaO., 53. So zutreffend insbesondere Rittner, AcP 188 (1988), 101, 109. 263 Vgl. näher noch unten 3. Abschn. C I sowie zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen 2. Kap. 2. Abschn. B I. 264 S. grundlegend Böhm, ORDO 22 (1971), 11 ff.; vgl. näher Drexl, Selbstbestimmung, S. 106 ff. mwN. Vgl. mit einem auf entsprechendem Gedankengut fußenden Ansatz für das Vertragsrecht auch schon Mestmäcker, JZ 1964, 441 ff.; bezüglich des gesamten Privatrechts zudem Steindorff, in: FS Raiser, S. 621 ff. 265 Vgl. schon die Nachweise oben 1. Vgl. grundlegend auch Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 26 ff.; bildhaft Böhm, ORDO 3 (1950), LI, der vom „Übergreifen der ordnenden Kraft des einzelnen Tauschaktes aus dem bilateralen Mikrokosmos in einen multilateralen Makrokosmos“ spricht. 266 Vgl. Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 86 f.: „Aber die wirtschaftspolitischen Aufgaben kann die Rechtsprechung nicht dadurch erfolgreich behandeln, daß sie die Generalklauseln von Treu und Glauben oder von den guten Sitten anwendet und dem Richter dabei nur sehr unbestimmte Vorstellungen über die wirtschaftlichen Hergänge vorschweben. Vielmehr ist es nötig, daß der Richter sich der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Gesamtentscheidung unterordnet und ein genaues Bild von den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen hat. Rechtsprechung ist oft 262
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1. Kapitel: Grundlagen
Im Mittelpunkt der Konzeption der Privatrechtsgesellschaft bei Böhm steht – wesentlich für unser Thema – die Steuerungswirkung des „vollentgeltlichen schuldrechtlichen Austauschvertrag[s]“, des Synallagma als Instrument des interpersonalen Güterstroms, dessen „klassische Erscheinungsform der Kauf“ ist. Die „koordinierende Kraft des privatrechtlichen Rechtsgeschäfts“ in diesem Sinne ist nach Böhm und Eucken für die Marktwirtschaft konstitutiv267. Hier läßt sich dann aber auch der Grundsatz pacta sunt servanda institutionenökonomisch begründen: Nur wenn der Vertrag auch bindend ist und entsprechende Haftungsvorschriften die Erfüllung absichern, kann er seine Funktion effektiv entfalten268. Damit folgt als erste wesentliche Konsequenz aus der ordoliberalen Sicht des Vertrags, daß jegliche Durchbrechung des Grundsatzes pacta sunt servanda in einer Verkehrswirtschaft die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme bleiben muß269. Weiter widmet sich Böhm der Frage, welche gesetzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Funktionsfähigkeit des Vertrags als Verteilungsinstrument zu optimieren. Abstrakt stellt er im Ausgangspunkt fest, daß es darum gehen müsse, die Konstellation anzustreben, in der die „Freiheit (Autonomie) des Einzelnen ihre einzige immanente Grenze in der gleichen Freiheit (Autonomie) aller anderen hat“; deshalb seien Verfälschungen durch konkrete Abhängigkeiten des Einzelnen von bestimmten Individuen oder Gruppen möglichst zu bekämpfen 270. Drei Gravitationsfelder für diesbezügliche Maßnahmen finden sich bei Böhm. Konkret sei erstens das System der Marktpreisbildung zu unterstützen durch Maßnahmen, die die „Transparenz des Wirtschaftsgeschehens“ erhöhen, in heutiger Terminologie ausgedrückt, Informationsungleichgewichte seien zu bekämpfen 271. Zweitens seien „individuelle, leicht zu manipulierende Zwangslagen … bilateraler Art“ möglichst zu verhindern 272. Und drittens sei zu diesem Ziel die Marktform so zu beeinflussen, daß günstige Vorbedingungen für das Entstehen möglichst wirksamen Wettbewerbs auf den Märkten vorlägen. Der erste und zweite Punkt nehmen Gefährdungslagen für selbstbestimmte Entscheidungen aufgrund von Informationsasymmetrien und Abhängigkeitsverhältnissen, die sich im bilateralen Verhältnis für den schlechter organisierten und aufgestellten Wirtschaftspolitik. Aber Wirtschaftspolitik kann erfolgreich nicht nach rechtsdogmatischen Grundsätzen getrieben werden.“ 267 S. Böhm, ORDO 17 (1966), 75, 94 ff.; Eucken, aaO., S. 52 ff. 268 Vorbehaltlich der dogmatischen Problematik, daß ein entsprechendes Verkehrssystem sich – wie im klassischen griechischen Recht – auch auf die bloße Anerkennung von selbstbestimmten Verfügungsgeschäften gründen könnte, vgl. insoweit Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 29 ff. mwN. Ist aber einmal der Weg über das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft gewählt, so setzt die Effektivität dieser Institution die grundsätzlich volle Haftung des Schuldners aus seinem Versprechen und damit die volle Vertragsbindung voraus. Vgl. noch näher zu den sonstigen (individualrechtlichen) Grundlagen der Bindungswirkung von Schuldverträgen unten 3. Abschn. C I 269 S. auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 213 f. 270 Böhm, ORDO 17 (1966), 75, 97; Hervorh. d. Verf. 271 Vgl. Böhm, aaO., 99 f. 272 Vgl. Böhm, ORDO 22 (1971), 11, 19 f.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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Abnehmer ergeben können, und wie sie die moderne Institutionenökonomie mittlerweile näher beschrieben hat, abstrakt gedanklich vorweg273. Der dritte Punkt widerspiegelt – in seinem Vertrauen auf die wirksame Bekämpfbarkeit derartiger Problemkonstellationen durch Marktstrukturmaßnahmen – teils die nicht uneingeschränkt zutreffende Überzeugung der Ordoliberalen vom MarktstrukturMarktverhalten-Zusammenhang, ihr aus heutiger Sicht nicht mehr haltbares Wettbewerbsleitbild, teils – soweit Böhm zutreffend Maßnahmen der Monopolkontrolle und -bekämpfung fordert und umreißt – sind die Resultate entsprechender Überlegungen eher für die kartellrechtliche Steuerung relevant. Für den hier untersuchten Bereich steht demgegenüber mehr die Analyse von Gefährdungslagen im Mittelpunkt, wie sie der erste und zweite Punkt enthalten, die auf die Sicherung der Markttransparenz gegen Informationsungleichgewichte oder gar Informationsverzerrungen sowie die Sicherung der Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer verweisen. Soweit zur Verhinderung derartiger Funktionsstörungen, wie es Böhm in seinem (zwar mehr auf die Marktform bezogenen) dritten Punkt andeutet, insbesondere auch der lautere Wettbewerb als Institution geschützt werden muß, um im Vorfeld der Entscheidung der Abnehmer das System freier und transparenter Preisbildung zu sichern, ist gleichfalls das hier behandelte Thema betroffen. Insoweit wendet Böhm seine Überlegungen weiter der Problematik der Verletzung der diesbezüglichen (die Transparenz und die Freiheit des Wettbewerbs sichernden) „Spielregeln“ durch die Marktteilnehmer zu. Die Marktteilnehmer könnten im Raum der Privatrechtsgesellschaft durch Mißbrauch ihrer Privatautonomie versuchen, „zu mogeln, … in der anrüchigen Form von unlauterem Wettbewerb, Wucher oder Betrug“274. Derartige Formen unlauteren Wettbewerbs seien im Interesse des Marktprozesses zu unterbinden. Die Notwendigkeit eines Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb ergibt sich aus dieser institutionentheoretischen Sicht unmittelbar275. Soweit die Fallgruppen der Unlauterkeit dabei vorrangig das Verhältnis zur Marktgegenseite betreffen (etwa beim Irreführungsverbot), dienen sie nach Böhm doch stets zugleich dem Schutz des Wettbewerbs als Institution – da Transparenz und Entscheidungsfreiheit in bilateralen Verhältnissen abgesichert werden – und damit dem Schutz der Mitbewerber. Soweit umge273
Vgl. unten D V. Vgl. Böhm, ORDO 17 (1966), 75, 140. Soweit übrigens Böhm, aaO., weiter die Formen der „Mogelei“ durch Beeinflussung des Gesetzgebers selbst, durch die seitens der Interessengruppen „mit dem besten Gewissen von der Welt [erhobenen] Forderung an den Gesetzgeber …, das Mogeln zum Gesetzgebungsprogramm zu erheben“ anprangert, ist dies fast wörtlich das Echo der entsprechenden Überlegungen, die Adam Smith fast zweihundert Jahre zuvor angestellt hatte. 275 Tatsächlich hat Emmerich (6. Aufl. 2002), § 3 (S. 19), hieraus den systemtheoretisch basierten Begriff vom „Referenzsystem des freien und fairen Wettbewerbs“ entwickelt und dem unter Geltung des alten UWG bis zu Beginn dieses Jahrtausends herrschenden „sozialrechtlichen“ Verständnis kontrastiert. Vgl. auch bestätigend unter Geltung des neuen UWG Emmerich, § 3 III (S. 30). 274
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1. Kapitel: Grundlagen
kehrt in bestimmten Fallgruppen hauptsächlich unmittelbar die Mitbewerber oder der Wettbewerb als Institution geschützt werden, dient dieser Schutz mittelbar zugleich dem Abnehmer, da dessen Entscheidungsfreiheit und insbesondere die Transparenz der notwendigen Preisinformation durch funktionierenden Wettbewerb gesichert wird. Aber noch eines folgt zusätzlich schon aus den Überlegungen Böhms zur Gefährdung der Transparenz und Entscheidungsfreiheit in bilateralen Beziehungen: Nicht nur die Regelungen gegen den unlauteren Wettbewerb dienen dem Marktprozeß im vorbeschriebenen Sinne, sondern auch sämtliche vertragsrechtlichen, insbesondere verbraucherschutzrechtlichen Bestimmungen, die zutreffend – d.h. die freie, unverfälschte Entscheidung schützend oder rekonstruierend – auf Situationen reagieren, in denen die informationelle Entscheidungsgrundlage oder die Entscheidungsfreiheit des Abnehmers (Verbrauchers) gestört ist 276. Hauptsächlich wird in diesem Falle die Abnehmerseite geschützt, mittelbar dienen die Vorschriften bei funktionsgerechter Ausgestaltung aber zugleich dem Schutz des Wettbewerbs als Institution und damit dem Schutz der Mitbewerber. Aus einer solchen Sicht lassen sich vertragsrechtliches Verbraucherschutzrecht und das hauptsächlich die Konkurrenten und lediglich mittelbar die Verbraucher schützende UWG daher, wie schon bei Hoppmann erkannt, grundsätzlich nicht auseinanderdividieren. Beide dienen sie gleichermaßen dem Schutz des Wettbewerbs als Ordnungsprinzip; die jeweilige Hauptschutzrichtung (individueller Vertragspartner im Vertragsrecht bzw. Mitbewerber oder Marktgegenseite im UWG) ist daher in beiden Fällen ergänzt durch einen mittelbaren Schutz auch der jeweils nicht unmittelbar geschützten Gruppen, mithin der Mitbewerber durch das Verbraucherschutzrecht und der Verbraucher durch das UWG277. Die Differenzierung, wo wettbewerbsschützende Maßnahmen zu treffen sind, darf also insoweit aus ökonomischer Sicht nicht nach dem nur nominell unterschiedlichen Schutzzweck der jeweiligen Rechtsgebiete getroffen werden, sondern muß sich vielmehr funktional danach orientieren, welche Rechtsfolgen im Einzelfall besser geeignet sind, bestimmte Situationen des Vertragsversagens von vornherein zu vermeiden oder im nachhinein zu heilen.
276 Aus rechtstatsächlicher Sicht mit einer ähnlichen Zweiteilung in Beeinträchtigungen des Entscheidungsprozesses und Beeinträchtigungen der Entscheidungsgrundlage einteilend, Alexander, S. 35 f. S. näher auch unten D VI zum hier vorgeschlagenen Vier-Ebenen-Modell und mit weiteren Nachweisen. 277 Während dies im Rahmen des neuen UWG mit der Schutzzweckbestimmung im Sinne einer Schutzzwecktrias in § 1 UWG nunmehr ausdrücklich anerkannt ist – und auch schon nach der alten deutschen und europäischen Rechtslage implizit anerkannt war – (vgl. näher unten 3. Abschn. D III), dürfte die vergleichbare Erkenntnis für das Verbraucherschutzrecht, das demnach in einer idealtypischen Ausgestaltung gerade derselben Schutzzwecktrias – nur gewissermaßen aus umgekehrter Richtung kommend – dient, noch relativ neu sein. Vgl. aber grundlegend in der Tradition der ordoliberalen Schule Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998.
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Einen beispielhaften Beleg für mehrere der vorstehenden Thesen bietet die Sicht der Problematik allgemeiner Geschäftsbedingungen bei Eucken. Eucken sieht das Problem der „Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Verbände, der Industrie, der Banken …“, die das „staatlich gesetzte Recht weitgehend beseitigt“ hätten, schon im Jahre 1949278. Im historischen Kontext verständlich, verankert er die Problematik auf der Basis seines strukturtheoretischen Wettbewerbsleitbilds aber vorrangig im Bereich der Monopolkontrolle, das „selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft habe das staatliche Recht vor allem aus den monopolisierten Bezirken der Wirtschaft verdrängt“. Die Lösung findet er – dennoch – im Vertragsrecht: Allgemeine Geschäftsbedingungen, die zu ungunsten des Vertragspartners von den gesetzlichen Regelungen abwichen, seien für nichtig zu erklären und durch die Regelungen des dispositiven Rechts zu ersetzen. Einerseits also läßt sich hier die gewisse Schieflage des Wettbewerbsleitbilds der Ordoliberalen belegen, die dazu führt, daß bestimmte Probleme des Vertragsversagens, deren Quelle wir heute eher in Informationsasymmetrien u.ä. bilateralen Defiziten des Vertragsmechanismus sehen würden, auf den Wettbewerb zurückgeführt werden 279. Anders ausgedrückt: Ein Teil der Probleme, die die Ordoliberalen im Bereich der Marktstruktur, des Gleichgewichts der Vertragspartner aufgrund funktionierenden Wettbewerbs verorten, betreffen aus moderner institutionenökonomischer Sicht eher spezifische Fälle des Versagens der Funktionsweise des Vertrags280. Andererseits ist aber auch bezeichnend, daß die Lösung für das AGB-Problem von Eucken trotz der hauptsächlichen Orientierung auf den Wettbewerb – vollkommen funktionsgerecht – bereits im Vertragsrecht gesucht wird. Das heißt, eine Problematik, die er für wettbewerbsverzerrend erachtet, die demnach den Wettbewerbsschutz betrifft, wird schon nach seinem Vorschlag aus dem Jahre 1949 einer vertragsrechtlichen Lösung, der Nichtigkeit der AGB und ihrer Ersetzung durch das dispositive Gesetzesrecht zugeführt. Die funktionale Gleichwertigkeit von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht mit Blick auf ihre Funktion als konstitutiver Ordnungsrahmen des Wettbewerbs wird an dieser Stelle überdeutlich.
4. Fazit Die Freiburger Schule mit ihrer ordnungsökonomischen Sicht von Vertrag und Wettbewerb, bestätigt und begründet im Grundsatz die Überlegungen Hoppmanns zur Beschränkung der notwendigen Rechtsregeln auf die Setzung eines Ordnungsrahmens, für den die Institutionen Vertrag und Wettbewerb (als Ordnungsprinzipien) gleichermaßen konstituierend sind. Zugleich lädt sie diesen Ordnungsrahmen jedoch in doppelter Hinsicht materiell-rechtlich (normativ) auf: Zum einen wird im Rahmen des Konzepts der Interdependenz der Ordnungen anerkannt, daß die zugrundeliegende Rechtsordnung der Wirtschaftsordnung einer Gesellschaft ihren normativen Stempel aufdrückt. Zum anderen wird ausführlich herausgearbeitet, daß – und zum Teil auch in welcher Weise – das Privatrecht 278
S. Eucken, ORDO 2 (1949), 1, 68 f. Ähnlich Rittner, AcP 188 (1988), 101, 131. 280 Dies mag übrigens auch einer der Gründe sein, warum in der Diskussion um den Verbraucherschutz bis heute allzu leicht bestimmte Fälle informationellen Vertragsversagens undifferenziert auf ein angebliches Machtungleichgewicht (im Sinne einer generellen Benachteiligung des sozial unterlegenen Verbrauchers) zurückgeführt werden, was wiederum den ordnungspolitischen Grundgedanken des Ordoliberalismus gerade nicht entspricht. Vgl. grundlegend zu den unterschiedlichen Verbraucherschutzmodellen Drexl, Selbstbestimmung, S. 25 ff. mwN. 279
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zugleich (in einer institutionellen Rolle) über die Setzung eines Rahmens hinaus dem Schutz und der Erhaltung des Wettbewerbs dienen muß. Im Mittelpunkt steht die normative Grundwertung der materiellen Privatautonomie, der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des einzelnen, die es zu schützen gilt 281. Zentrale Institution ist insoweit der privatautonom geschlossene Austauschvertrag, der – um seine Koordinierungs- und Verteilungswirkung zu entfalten – grundsätzlich der haftungsmäßigen Absicherung durch den Grundsatz pacta sunt servanda bedarf282. Die Privatautonomie im untrennbaren Verbund mit anderen konstituierenden Grundprinzipien, resultiert in der Wettbewerbsordnung. Die von der Wettbewerbsordnung zu unterscheidende Institution des Wettbewerbs als Leitbild, im Sinne eines unbeschränkten und unverzerrten („vollständigen“, „funktionsfähigen“, „Leistungs-“) Wettbewerbs, ist ihrerseits wiederum als „Entmachtungsinstrument“ funktionale Voraussetzung der Privatautonomie und damit zugleich Voraussetzung für – in ihrer Rolle als Koordinierungs- und Verteilungsinstrument – fehlerfrei funktionierende Verträge; aus diesem Grund ist sie ebenfalls (durch die regulierenden Prinzipien) zu schützen. Man könnte das Verhältnis von privatautonomem Vertrag und der zu schützenden Institution Wettbewerb deshalb als ein komplementär-akzessorisches bezeichnen. Im Mittelpunkt steht der auf der Grundlage materieller Privatautonomie geschlossene Vertrag; der – durch zusätzliche regulierende Prinzipien geschützte – Wettbewerb dient insoweit als akzessorisches, funktionssicherndes Ordnungsprinzip. Im untrennbaren Verbund mit anderen konstituierenden Ordnungsprinzipien resultiert beides zusammen in der Wettbewerbsordnung als Ordnungstyp der Verkehrswirtschaft. 281 Diese zentrale Wertung ergibt sich für das deutsche Rechts- und Wirtschaftssystem zugleich aus der objektiven Werteordnung der Grundrechte, vgl. näher unten 2. Kap. 2. Abschn. B. 282 Der Gedanke von der „normativen Kraft“ (der Begriff findet sich im Titel eines Aufsatzes von Mestmäcker, JZ 1964, 441 ff.) privatrechtlicher Verträge ist in der Folge in der dogmatischen Diskussion immer wieder einmal aufgegriffen worden, besonders augenfällig in der bekanntgewordenen Kontroverse von Raiser und Flume um die Frage der Richtigkeitsgewähr vertraglicher Regelungen, vgl. im einzelnen unten 3. Abschn. C II. Gemeinsam ist diesen rechtsdogmatischen Überlegungen der deutschen Rechtswissenschaft allerdings, daß die Frage stets sehr grundsätzlich behandelt, und mehr das Problem in den Mittelpunkt gerückt wird, ob man den Vertrag überhaupt in seiner normativen Wirkung als Institution zum Gegenstand rechtlicher Betrachtung machen dürfe; weniger wurden demgegenüber die konkreten Situationen näher analysiert, in denen Verträge – insbesondere aufgrund von Informationsasymmetrien – in ihrer institutionellen Funktion versagen. Man könnte insoweit von einem „Umsetzungsdefizit“ der deutschen Rechtswissenschaft sprechen, welches erst in letzter Zeit durch aktuelle Forschungsarbeiten nach und nach behoben wird, vgl. insbesondere grundlegend Fleischer, Informationsasymmetrie, 2001, sowie für den Bereich des Verbraucherschutzes auch Drexl, Selbstbestimmung, 1998. Bemerkenswerterweise steht dem eine weit in einzelne Forschungsrichtungen verästelte wirtschaftswissenschaftliche Analyse des Vertrags als „Institution“ im Rahmen der einzelnen Schulen, die sich der Richtung der Neuen Institutionellen Ökonomie zuordnen lassen, gegenüber, die darauf harrt, für die rechtswissenschaftliche Betrachtung fruchtbar gemacht zu werden (vgl. näher unten D V und E sowie für eine „institutionelle“ Sicht des Vertragsrechts im deutschen Rechtssystem unten 3. Abschn. C II und III).
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Dabei sind die weiteren Überlegungen, die die Vertreter der Freiburger Schule zum Leitbild des vollständigen Wettbewerb anstellen, wegen des theoriengeschichtlichen Kontexts aber insofern verengt, als sie zu einseitig die Marktstruktur als Voraussetzung materieller Selbstbestimmung in den Mittelpunkt ihrer institutionentheoretischen Überlegungen rücken. Aus heutiger Sicht geht es demgegenüber bei den Gefährdungslagen für die Privatautonomie, wie sie zum Teil schon die Ordoliberalen klarsichtig benannt haben 283, neben Abhängigkeitsverhältnissen aufgrund der Marktstruktur häufig auch um Aspekte des Vertragsversagens, die auf weitestgehend marktstrukturunabhängigen Informationsasymmetrien beruhen 284. Bemerkenswerterweise antizipiert auch schon die ordoliberale Schule – trotz der Verhaftung im Marktstrukturdenken – anhand einzelner Problemkonstellationen, daß die Lösungen für derartige Probleme des Vertragsversagens teils im Vorfeldschutz des Wettbewerbs-, teils aber auch im direkten, bilateralen Vertragsrecht liegen. Die Rechtsgebiete sind in dieser Funktion unter Schutzzweckgesichtspunkten nicht sinnvoll zu unterscheiden; vielmehr muß die Abgrenzung aus ordnungsökonomischer Sicht funktional – orientiert an den Rechtsfolgen sowie weiteren Aspekten, wie etwa der Frage der jeweiligen Aktivlegitimation usf. – erfolgen 285. Die Methode, um den aus ordnungsökonomischer Sicht „richtigen“ Eingriff zu wählen, liefert wiederum das auf der Grundlage der Hoppmannschen Wettbewerbskonzeption verallgemeinerbare verbraucherschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip, wie es oben (III 5) dargestellt wurde286. Die ordoliberale Freiburger Schule fügt dem zugleich mit dem Schutz der materiellen Privatautonomie den fundamentalen Wert hinzu, um dessentwillen in den Marktprozeß im Rahmen des Notwendigen eingegriffen werden kann. Hinzu kommt auf Grundlage des Gedankens der Interdependenz der Ordnungen die Verfolgung auch sonstiger „Nebenziele“, denen der Wettbewerbsprozeß dienen kann 287. Freilich setzten sich diese Zielsetzungen, zumal soweit sie bei den Vertretern der Freiburger Schule zugleich in die Forderung nach dem Anstreben einer bestimmten Marktform mündeten, stets dem Vorwurf aus, hier würde eine unzulässige Determinierung des Wettbewerbs auf eine bestimmte Marktform im Interesse bestimmter Ziele vorgenommen, was dem fundamentalen Ordnungsge283 Immerhin werden bilaterale Abhängigkeitsverhältnisse und fehlende Informationstransparenz bei Böhm ausdrücklich als Hauptgefährdungslagen benannt, vgl. oben 3. 284 Vgl. näher unten D IV-VI. 285 Ähnlich schon für das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235, 242. 286 Das dieser seinerseits auf der Grundlage der ordoliberalen Theorie entwickelt hat, vgl. grundlegend Drexl, Selbstbestimmung, S. 449 ff. Vgl. näher auch noch unten D V 2. 287 Diese Konzeption fand ihre Fortentwicklung und Anwendung in der Theorie und gesellschaftlichen Wirklichkeit der „sozialen Marktwirtschaft“ in Deutschland, vgl. für eine zusammenfassende Darstellung unter der Perspektive der Grundlagenqualität dieses Konzepts für den Verbraucherschutzgedanken Drexl, Selbstbestimmung, S. 146 ff.; umfassend Schlecht, Grundlagen und Perspektiven der Sozialen Marktwirtschaft, 1990.
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danken Euckens gerade widerspreche288. Soweit der Vorwurf sich auf die aus dem Leitbild vollständiger Konkurrenz sich ergebenden Marktstrukturziele der Ordoliberalen richtet, ist er ebenso berechtigt wie die Kritik, die Hoppmann am Leitbild des funktionsfähigen Wettbewerbs bei Kantzenbach übte. Soweit sich demgegenüber die Kritik gegen die Verfolgung normativer Werte an sich, die rechtliche Materialisierung des Konzepts der Wettbewerbsfreiheit wendet, geht sie fehl. Den erstgenannten, zutreffenden Kritikpunkt, die einengende Fokussierung auf die Marktform, behebt das Wettbewerbskonzept von Fikentscher, welches in ordoliberaler Tradition steht und zugleich den systemtheoretischen Gedanken Hoppmanns für das Recht fruchtbar macht.
V. Der praktische Wettbewerbsbegriff bei Fikentscher Der mittlerweile weitgehend durchgesetzte289 praktische Wettbewerbsbegriff von Fikentscher 290 bildet eine Synthese aus dem funktionsfähigen Wettbewerb Kantzenbachs in der Tradition Clarks mit seiner funktionalen – auf bestimmte Marktergebnisse ausgerichteten – Wettbewerbsauffassung, die zur Favorisierung bestimmter Marktformen führt, sowie dem Wettbewerb als „Entmachtungsinstrument“ bei Eucken und Böhm, deren Wettbewerbsauffassung im Leitbild des vollständigen Wettbewerbs resultiert – auf der einen Seite – und dem kompromißlos systemtheoretischen Ansatz Hoppmans (in der Tradition von Hayeks 291) – auf der anderen Seite. Die Synthese gelingt durch einen radikalen Perspektivwechsel: Statt sich, wie Clark oder Kantzenbach, auf die Suche nach einer bestimmten – den Wettbewerb intensivierenden – Marktform zu begeben, oder wie Eucken, der insoweit neoklassischen Lehren verhaftet bleibt, eine Wettbewerbssituation anzustreben, in der der Unternehmer die Ankaufs- oder Verkaufsbedingungen als für ihn unveränderbar empfindet, setzt Fikentscher bei der Sicht des einzelnen Unternehmer an, der sich nach dem Sprachgebrauch des „praktischen Geschäftsmanns“ gerade dann im Wettbewerb mit Konkurrenten befindet, wenn er „eine Chance 288
Vgl. insbesondere Hoppmann, ORDO 46 (1995), 41, 51 ff. Zustimmend Bydlinski, System und Prinzipien, S. 597 f.; Drexl, Selbstbestimmung, S. 123 f., jeweils mwN. Vgl. auch die Nachweise bei Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 194 ff., insbesondere auch zur Genese der Definition im Wechselspiel mit der Kritik seit ihrer ersten Vorstellung 1957. Ablehnend Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, S. 62 f.; Meyer-Cording, WuW 1962, 461, sowie die Widerlegung bei Fikentscher, aaO., S. 196. 290 S. zuerst Borchardt/Fikentscher, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung, 1957, S. 1 ff., dort auch zur Entwicklung des Begriffs aus dem praktischen Sprachgebrauch und näher zum Verhältnis des praktischen Wettbewerbsbegriffs zu den wirtschaftswissenschaftlichen Oligopol- bzw. Monopoldefinitionen. Vgl. in der Folge die Fortentwicklung des Begriffs bei Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 191 ff. 291 Insbesondere in der Orientierung auf den einzelnen im Wettbewerb stehenden Unternehmer steht Fikentscher auch Kirzner nahe, der sich mit seiner Kategorie des findigen Unternehmers („alert entrepreneur“) gleichermaßen der Rolle des einzelnen Unternehmers im Wettbewerbsprozeß zuwendet, s. Kirzner, Competition and Entrepreneurship, 1973. Vgl. zu letzterem näher auch Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 101 ff. 289
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hat, die Bedingungen zu beeinflussen, unter denen er verkauft oder kauft, also gerade dann, wenn er diese Bedingungen nicht als gegeben vom Markt nimmt“292. Unter Auflösung der Antinomie „Wettbewerb-Monopol/Oligopol“ (schließlich liegt in einer Situation „praktischen Wettbewerbs“, in der Wettbewerber einander gegenseitig tatsächlich beeinflussen, ihre „Produktions- und Absatzbedingungen unter Bedrohung durch Konkurrenten“ gestalten, nach strukturorientiertem Verständnis gerade eine mehr oder weniger oligopolistische Marktform vor293) gelangt Fikentscher zu folgender Wettbewerbsdefinition 294: „Wirtschaftlicher Wettbewerb ist das selbständige, nicht notwendig intensive oder effiziente, vielmehr zieloffene Streben, sich aktuell oder potentiell zumindest objektiv im Wirtschaftserfolg beeinflussender Anbieter oder Nachfrager (Mitbewerber) nach Geschäftsverbindung mit Dritten (Kunden oder Lieferanten) durch in Aussichtstellen günstiger erscheinender oder (im Falle bloßen Wettbewerbsdrucks) vom Markt genommener295 Geschäftsbedingungen“.
Dieses praktische Wettbewerbsmodell ist der ordoliberalen Tradition insofern verpflichtet, als es ganz im Sinne des Konzepts der Interdependenz der Ordnungen den wirtschaftlichen Wettbewerb nicht auf bestimmte Ergebnisse („performance“) festlegt 296, sondern die Festlegung von Zielen der rechtlichen Wertung überläßt, „die Verschiedenes unter ‚guten Marktergebnissen‘ verstehen kann.“297 Nicht übernommen wird der vollständige Wettbewerb als Leitbild, ebensowenig wie die marktstrukturtheoretischen Überlegungen von Kantzenbach und Clark. Deren Ansätzen ist Fikentschers Wettbewerbsmodell zwar insofern grundlegend verpflichtet 298, als die Intensität des Wettbewerbs aus der Sicht der vorstoßend und nacheilend konkurrierenden Rivalen den Maßstab der Bewertung bildet 299, doch wird ein Marktstruktur-Marktverhaltens-Zusammenhang gerade nicht aufgestellt. Vielmehr setzt Fikentscher mit seinem Wettbewerbsbe292 Borchardt/Fikentscher, Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkung, Marktbeherrschung, 1957, S. 5. 293 Borchardt/Fikentscher, aaO., S. 6 ff. 294 Hier in der letzten, anhand berechtigter Kritik fortentwickelten Fassung, aus Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 194 f. 295 An dieser Stelle bezieht Fikentscher bewußt den Euckenschen Wettbewerb im Sinne einer vollständigen Konkurrenz mit ein, bei der der Unternehmer die Geschäftsbedingungen als vom Markt gegeben hinnimmt. Die vollständige Konkurrenz wird also ebenfalls als schützenswert angesehen, lediglich der Leitbildcharakter wird ihr abgesprochen. Vgl. Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 193, 195, in Reaktion auf die Kritik von Sandrock, Grundbegriffe des GWB, S. 91, 99, 115. 296 Auch insofern in ausdrücklicher Abweichung von Kantzenbach und Clark, vgl. Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 195. 297 Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 195 (siehe dort insbesondere Fn. 197). Eine Konzeption, wie auf dieser konzeptuellen Basis etwa der Umweltschutz als Zielkomplex neu in die marktwirtschaftliche Ordnung eingebracht werden kann, hat Fikentscher, Die umweltsoziale Marktwirtschaft, 1991 selbst entwickelt. 298 Wie Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 193, selbst hervorhebt. 299 Außerdem liegt eine Parallele insofern vor, als eine Funktionalisierung des Wettbewerbs im Sinne bestimmter normativer Zielsetzungen nicht von vornherein abgelehnt wird. Lediglich dagegen, diese Zielsetzungen ex ante „von oben“ festzulegen, wendet sich Fikentscher im Sinne
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1. Kapitel: Grundlagen
griff, insofern in völligem Einklang mit dem systemtheoretischen Modell Hoppmanns, gewissermaßen „von unten herauf“, beim Spielraum des einzelnen Marktteilnehmers an und legt sich auf eine Unterscheidung von Marktverhalten und Marktstruktur in seiner Definition ganz bewußt nicht fest 300. Nur so kann die Synthese aus dem normativen Wettbewerb der Ordoliberalen und dem systemtheoretischen Konzept Hoppmanns glücken: Das normative Element wird „von unten“ eingeführt, was eine Bewertung „von oben herab“ im von Hayek kritisierten Sinne gerade vermeidet. Für das hier behandelte Thema ist Fikentschers Wettbewerbsdefinition gleich in mehrfacher Hinsicht weiterführend. Erstens steht ihre Orientierung am Verhalten des Unternehmers dem Recht des unlauteren Wettbewerbs unübersehbar nahe301; um das verhaltensbezogene Wettbewerbsrecht zum Vertrag und dem Vertragsrecht in Beziehung zu setzen, liegt daher eine Inbezugnahme der praktischen Wettbewerbsdefinition näher, als der Rückgriff auf Konzeptionen, die mehr die Marktstruktur in den Mittelpunkt rücken. Zweitens ist die Erweiterung der Perspektive vom „Signalsystem der Preise“ auf die Geschäftsbedingungen in einem allgemeineren Sinne für die Behandlung unserer Thematik unerläßlich. Etwa die in dieser Untersuchung zu behandelnden neuen Bestimmungen über Garantien im Verbrauchsgüterkauf, die sich in einem Grenzbereich lauterkeits- und vertragsrechtlicher Funktionalität bewegen, betreffen eben gerade nicht die Wertreklame, sondern den bloßen Nebenabredenwettbewerb, der in Fikentschers Definition einbezogen ist. Schließlich drittens – und für das hier behandelte Thema am wesentlichsten – bestätigt das Modell des praktischen Wettbewerbs den inneren Zusammenhang zwischen Wettbewerb und Vertrag, in dessen Mittelpunkt der privatautonom geschlossene Vertrag steht. Denn wenn Wettbewerb sich als das Streben nach Geschäftsverbindung mit Dritten darstellt, so ist der Austauschvertrag als das typische Instrument, derartige Geschäftsverbindungen zu etablieren, der Fluchtpunkt jeglichen wettbewerblichen Strebens. Kommt der Vertrag nicht in vollständig freier und informierter Entscheidung der Vertragsparteien zustande, so wird durch dieses fehlerhafte Endergebnis, durch den verschobenen Fluchtpunkt daher stets zugleich der Wettbewerb verzerrt. Das Recht spielt in einem solchen Modell eine doppelte Rolle. Zuerst ist die notwendige Wertentscheidung zu treffen, welche Entscheidungen als vollständig frei und informiert anzusehen sind; in einem zweiten Schritt sind Instrumente zur Verfügung zu stellen, die entsprechend freie und informierte Entscheidungen bestmöglich sichern. Auf dieser Grundlage, sozusagen juristisch basiert, richtet sich dann wiederum auf die Wirtschaftswissenschaften, insbesondere auf die modernen Richtungen der Neuen Institutionellen Ökonomie, die zweifache Hoffnung, daß sie zum einen einen Beitrag leisten mögen zur rechtstatsächlichen Ideneines „vielzieligen Antitrust“, bei dem die Steuerung im normativen Sinne „von unten“ erfolgt, vgl. auch Fikentscher, aaO., S. 195. 300 Ausdrücklich Fikentscher, aaO., S.195. 301 So auch ausdrücklich Fikentscher, aaO., S. 193.
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tifizierung von Situationen, in denen „fehlerfreie“ Vertragsabschlüsse im Sinne der rechtlichen Wertentscheidung strukturell gefährdet sind und zum anderen (in einem zweiten Schritt) Aussagen darüber treffen können, welche rechtlichen Instrumente insofern spezifisch geeignet sein könnten, diese Gefährdungslagen mit geringstmöglichen Eingriffen zu entschärfen 302. Im folgenden sollen die einzelnen Schulen der Mikroökonomie und der ökonomischen Analyse des Rechts303 geprüft werden auf ihre Verwertbarkeit zur Beantwortung der rechtstatsächlichen Frage, welche konkreten Situationen strukturellen Vertragsversagens durch das Recht des unlauteren Wettbewerbs oder das Vertragsrecht zu verhindern bzw. zu heilen sind und welche Instrumente hierfür verwendet werden könnten.
D. Ökonomische Analyse des Rechts, Informationsökonomie und Neue Institutionelle Ökonomie – Anwendung und Verfeinerungen des neoklassischen Grundmodells I. Einführung Die Diskussion um die Rezeption wirtschaftswissenschaftlicher Theorien des Rechts ist in der deutschen Dogmatik von großer Grundsätzlichkeit geprägt. Ausgehend von dem bereits in seinen Grundzügen umrissenen Streit um die Zulässigkeit einer juristischen Modellbildung auf Grundlage der REM-Hypothese und des allgemeinen Effizienzkriteriums304 steht die Frage im Mittelpunkt, ob eine Rezeption wohlfahrtsökonomischer Analysen in der Rechtsgestaltung und Rechtsanwendung überhaupt zulässig sei. Einerseits sind diese Überlegungen von hohem Wert. Andererseits sind sie in entscheidender Hinsicht ergänzungsbedürftig. Sie verkennen, daß eine Vielzahl der neueren mikroökonomischen Schulen305 in ihren Analysen und Ergebnissen von der Geltung des allgemeinen Effizienzkriteriums nicht abhängig sind und hinsichtlich der REM-Hypothese häufig gerade deren Unzulänglichkeiten und Beschränkungen in den Blick nehmen. Ausgehend von der grundsätzlichen Geltung des neoklassischen Modells haben sie weniger eine gesamtwirtschaftliche 302 Ein interdisziplinäres Modell, um diese Erkenntnisse für die rechtliche Beurteilung fruchtbar zu machen, ohne das normative Primat des Rechts gegenüber dem einseitig am Konzept des homo oeconomicus orientierten Diktat des Effizienzkriteriums aufzugeben, hat Drexl entwickelt und als normative Effizienz bezeichnet. Vgl. dazu ausführlich unten D III 3 a (2). 303 Wie vorstehend gezeigt wurde, kommt es insbesondere hinsichtlich der Instrumentalisierbarkeit für die Rechtsanwendung auf die jeweils verwendete ökonomische Methode, insbesondere darauf an, inwieweit deren Ergebnisse das Effizienzkriterium als ausschließlichen Maßstab voraussetzen. Vgl. hinsichtlich der Relevanz der jeweils verwendeten ökonomischen Methode auch Kirchner, Ökonomische Theorie, S. 6. 304 Vgl. insoweit oben B und C II 1. 305 Schäfer/Ott, S. 6 sprechen von „erweiterter Mikroökonomie“.
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1. Kapitel: Grundlagen
Optimierung auf Grundlage des Effizienzkriteriums zum Ziel, als vielmehr die behutsame Korrektur des neoklassischen Modells durch die einzelfallorientierte Analyse der wirtschaftlichen Rückwirkung bestimmter realer Verhaltensweisen und der Wirkung der steuernden Institutionen des Rechts. Insofern kann die Frage nach der Zulässigkeit und den Methoden der Rezeption ökonomischer Analyse im Recht nicht länger pauschal sondern lediglich differenziert nach der jeweils zu beurteilenden ökonomischen Schule beantwortet werden. Zugleich und zum Teil gerade aufgrund der Grundsätzlichkeit mit der die Diskussion um die (welfaristische) ökonomische Analyse des Rechts geführt wurde, ist in der deutschen Rechtswissenschaft ein gewisses „Umsetzungsdefizit“ hinsichtlich neuerer, nicht effizienzabhängiger ökonomischer Theorien zu konstatieren, die grundsätzlich einen sinnvollen Beitrag zum übergreifenden Verständnis rechtlicher Institutionen in ihrer Funktion für das Verkehrssystem leisten können 306. Insofern ist die Aufgabenstellung für den vorliegenden Unterabschnitt klar. Erstens ist konkret und differenziert festzustellen, welche der neueren mikroökonomischen Theorien aus der Sicht des deutschen Rechts für die Rechtsgestaltung und Rechtsanwendung inwieweit rezeptionsfähig und von Wert für die hier angestellte übergreifende Untersuchung des Vertrags- und Wettbewerbsrechts sind. Hierzu gehört auch, aus der Sicht der juristischen Methodik ein geeignetes Modell als Einfallstor für die ökonomischen Erkenntnisse in die Rechtsanwendung zu entwikkeln. Zweitens sind auf dieser Grundlage die sich aus der Sicht der Ökonomie stellenden Probleme des Vertragsversagens zu systematisieren, um solcherart zu einer strukturierten Problemanalyse als ökonomischer Grundlage für die zu treffenden rechtlichen Wertentscheidungen zu gelangen.
II. Der Ausgangspunkt: Coase über „The problem of social cost“ Der klassische Artikel „The problem of social cost“ von Ronald Coase aus dem Jahre 1960307 wird gemeinhin sowohl von kompromißlosen Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts als auch von den Schulen der Neuen Institutionenökonomik, insbesondere der Transaktionskostenökonomie, als Ausgangspunkt ihrer jeweiligen Theorien beansprucht308. Diese Rezeptionsgeschichte beruht auf einer merkwürdigen Blindheit gegenüber dem dritten, wesentlichen und umfangreichen Teil der dreistufigen Argumentation des Aufsatzes, der durch den ersten und zweiten Teil – die in der Folge den entscheidenden Anstoß für die genannten 306 Erst letzthin nehmen einige neuere Untersuchungen die ökonomischen Erkenntnisse zum Anlaß, umfassende funktionale Analysen der rechtlichen Ausgestaltung des Vertragsmechanismus vorzunehmen. Vgl. namentlich die Untersuchungen von Fleischer, Informationsasymmetrie, 2001, zum Problem vorvertraglicher Aufklärungspflichten sowie (noch umfassender) für den gesamten Bereich des Verbraucherschutzes auch Drexl, Selbstbestimmung, 1998. 307 Coase, Journal of Law and Economics 3 (1960), 1 ff. 308 Vgl. die Nachweise zu der diesbezüglichen (teils hitzig geführten) Diskussion bei Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 146.
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Denkrichtungen der Ökonomie gegeben haben – an sich nur gedanklich vorbereitet wurde309. Ziel des Artikels war eine Kritik der klassisch welfaristischen Behandlung des Problems der Externalitäten, spezifischer der Übernutzung von Ressourcen im Falle positiver externer Effekte zu Lasten Dritter oder der Allgemeinheit310. Im transaktionskostenlosen Modellbild der klassischen Wohlfahrtsökonomie311 bestand die Lösung für das Problem der Externalitäten darin, die externen Effekte durch Anordnung von Haftungsregeln oder einer Steuer den entsprechenden, sie „aktiv verursachenden“ Nutzungen zuzuordnen (sie zu internalisieren). Etwa eine Luftverschmutzung durch Emissionen wäre demgemäß der emittierenden Nutzung zuzuordnen. Auf diese Weise wird – in einem Wirtschaftsmodell ohne Transaktionskosten – der allokationseffiziente Zustand durch exakte Zuordnung der Kosten hergestellt 312. Im ersten Teil des Artikels betont Coase anhand mehrerer englischer und amerikanischer Gerichtsentscheidungen die reziproke Natur des Problems – ebensogut wie den Lärmemittenten könne man beispielsweise die benachbarte Nutzung durch eine Arztpraxis, die beson-
309 Tatsächlich ist der Aufsatz strukturell fast exakt dreigeteilt, wobei sich der erste Teil der Lösung des gestellten Problems unter der Annahme eines transaktionskostenlosen Marktes widmet (Coase, aaO., 1–15), der zweite Teil institutionelle Alternativen zum Markt und reale Lösungen der anglo-amerikanischen Rechtsprechung in einem Modell mit Transaktionskosten darstellt und beurteilt (aaO., 15–28), während der dritte Teil (aaO., 28 ff.) aufzeigt, daß einfache Lösungen auf der Grundlage des welfaristischen Modells (wie hier die Internalisierung von Kosten) in einem realitätsorientierten Modell unter Berücksichtigung von Transaktionskosten schon prinzipiell nicht stets das effiziente Ergebnis hervorbringen können und sodann in einem Plädoyer für gesamthafte und flexible Betrachtung realer Märkte endet. Coase selbst hat auf die Versuche insbesondere Posners, seinen Aufsatz für die effizienzorientierte ökonomische Analyse des Rechts „in Anspruch zu nehmen“, mit einiger Irritation reagiert (vgl. insoweit die Nachweise bei Fleischer, aaO., sowie noch untere Fn. 330). 310 Das klassische Beispiel für diese Problematik, der sich mittlerweile mit der PropertyRights-Theorie eine eigene Schule der ökonomischen Analyse des Rechts widmet (vgl. grundlegend Calabresi/Melamed, Harvard Law Review 85 (1972), 1089 ff.; kritisch und den ursprünglich rein ökonomischen Ansatz normativ anreichernd und verfeinernd Coleman/Kraus, Yale Law Journal 95 (1986), 1335 ff.), ist die sogenannte „tragedy of the commons“, derzufolge die in England im Mittelalter bestehenden dörflichen Allmendeweiden und Jagdgebiete durch Übernutzung ruiniert worden seien, da der Profit aus der Nutzung den Dorfmitgliedern jeweils allein zufloß, während die mit der Nutzung verbundenen „Kosten“ sozialisiert und damit fehlzugeordnet gewesen seien (sogenannte positive Externalität); das heute meistverwendete Beispiel ist die Zuordnung sozialer Kosten, die durch Umweltverschmutzung im Produktionsprozeß entstehen. Der Grundgedanke der „tragedy of the commons“ und der Notwendigkeit von Handlungsrechten als solcher ist auch für die hier angestellte Untersuchung als Grundlage einer institutionsorientierten Analyse von Wert (wie noch unten im Text sowie unten VI [im Zusammenhang mit der Ebene des Schutzes vor „Externalitäten“] zu zeigen sein wird), während die weitreichenden Überlegungen, die die effizienzbasierten „Property-Rights“-Lehren zum Teil daraus ableiten, großenteils in ihrer Herleitung zu unbestimmt sind, um Handlungsanweisungen für die Rechtsanwendung zu geben, wie es letztlich schon Coase in seinem klassischen Aufsatz beispielhaft belegt hat (vgl. dazu sogleich im folgenden Text sowie noch die methodologische Kritik unten III 3 b). Für eine kurze Darstellung aus institutionsorientierter Perspektive Trebilcock, S. 13 ff.; für eine allgemeine Einführung in die Property-Rights-Theorie in deutscher Sprache Schäfer/Ott, S. 514 ff., 519 ff. 311 Vgl. zum neoklassischen Marktmodell oben C II 1. 312 So der traditionell welfaristische Ansatz des englischen Ökonomen Arthur C. Pigou, Economics of Welfare, 1932, gegen den sich Coase in seinem Artikel hauptsächlich wandte.
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1. Kapitel: Grundlagen
dere Ruhe benötige, als eigentliche Verursachung der Externalität ansehen 313. Sodann belegt er, anhand des berühmt gewordenen Beispiels von dem benachbarten Viehzüchter und Farmer, daß sich ein allokationseffizienter Zustand in einer transaktionskostenlosen Modellumgebung auch völlig unabhängig von der initialen Zuordnung der Kosten des externen Effekts aufgrund der nachfolgenden Markttransaktionen ohnedies einstellen würde314. Dieses sogenannte Coase-Theorem hat eine beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben. Der zweite Teil seines Aufsatzes widmet sich (anhand weiterer Beispiele aus der common lawund equity-Rechtsprechung) der Behandlung des Problems in einer realen Marktumgebung, in der Transaktionskosten und Informationsprobleme bestehen und unter Umständen aufgrund ihrer prohibitiven Höhe eine Transaktion sogar ganz verhindern315. Drei Folgerungen für die rechtliche Gestaltung des realen Marktes mit unstreitig vorhandenen Transaktionskosten lassen sich anscheinend ableiten und sind Coase auch weithin zugeschrieben worden. Erstens müsse überhaupt eine Zuordnung von Handlungsrechten stattfinden, um marktmäßige Transaktionen zu ermöglichen 316. Zweitens sei es Aufgabe des Rechts, vorhandene und erkannte Transaktionskosten durch das Angebot geeigneter Institutionen und Organisationsformen soweit als möglich zu senken 317. Drittens müsse dies in Situationen, in denen prohibitive Transaktionskosten, einen Austauschvertrag ganz verhinderten, dadurch geschehen daß das Recht die effiziente Gestaltung zu simulieren suche, wie es auch häufig in der Praxis – wenngleich intuitiv – der Fall sei. Die ersten beiden Forderungen erscheinen, wenn man die resultierenden Verteilungseffekte für den Moment außer Betracht läßt 318, theoretisch weniger problematisch; auf ihre Relevanz für die hier behandelte Thematik wird noch einzugehen sein. Die dritte Forderung wirft demgegenüber die Frage auf, inwieweit eine Simulation der marktmäßigen Resultate in einer Welt mit Transaktionskosten – selbst unter Außerachtlassung der Realitätsferne des verwendeten Modells – überhaupt verläßlich möglich ist319. Eine solche Forderung nach Simulation marktmäßig allokationseffizienter Ergebnisse hypothetisch freier Transaktionen ist von Coase bei genauem Hinsehen auch nie explizit erhoben worden, wenngleich einige mißverständliche Formulierungen am Ende des zweiten Teils seines Aufsatzes zu einem entsprechenden Mißverständnis einladen 320. Tatsächlich widmet sich 313
Coase, aaO., 2 ff. Genaugenommen ist diese Ableitung im transaktionskostenfreien Modell der Neoklassik fast tautologischer Natur. Da Transaktionen per definitionem in Echtzeit und ohne jegliche Informations- oder Übertragungsprobleme vorgenommen werden, bilden Landwirt und Viehzüchter (oder eben Eisenbahn und Landwirte auf den umliegenden Feldern) auf Grundlage der gegebenen Verteilung der Handlungsrechte schlicht in Echtzeit eine profitmaximierende Einheit. Vgl. auch Kramer, „The Fountainhead of Law and Economics: Ronald Coase“, Vorlesungsmanuskript, Cambridge 2003. 315 Coase, aaO., 15 ff. 316 Coase, aaO., 8. 317 Dies ist die Domäne der Neuen Institutionellen Ökonomie. Insbesondere die Ausführungen bei Coase, aaO., S. 15–19, in denen er unterschiedliche Instrumente (Bildung eines Unternehmens, staatlicher Eingriff usf.) zur Lösung des Problems erörtert, bilden letztlich den Ausgangspunkt einer institutionellen Analyse des Problems. Vgl. zur den einzelnen Schulen der Neuen Institutionellen Ökonomie, die für die hier angestellte Untersuchung von Relevanz sind, unten D V. 318 Vgl. zu diesem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit auch Drexl, S. 192 f., sowie noch unten III 3 b zu den methodischen Implikationen einer Berücksichtigung der Rückwirkung auf die Verteilungssituation. 319 Vgl. auch Drexl, aaO., S. 192 f. (insbesondere Fn. 127). 320 Coase, aaO., S. 27 f.: „What has to be decided is whether the gain from preventing the harm is greater than the loss which would be suffered elsewhere as a result of stopping the action 314
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der gesamte dritte und letzte Teil im Zuge der dem Aufsatz zugrundeliegenden Auseinandersetzung mit der welfaristischen Theorie Pigous 321 ganz im Gegenteil dem Nachweis, daß – selbst unter Außerachtlassung der Realitätsferne der REM-Hypothese und sonstiger Abweichungen des neoklassischen Modells von realen Gegebenheiten – in einem Markt mit Transaktionskosten eine solche Simulation schon prinzipiell nicht möglich ist. Hierfür greift Coase ein von Pigou gewähltes reales Beispiel aus der englischen Rechtsgeschichte auf, das gleichermaßen zu den Schulbeispielen der ökonomischen Betrachtung des Rechts zählt 322. Es geht um die Notwendigkeit einer Haftungsregelung für die Brandschäden an umliegenden Feldern, die der Betrieb einer (Dampf-)Eisenbahnlinie aufgrund des entstehenden Funkenflugs mit sich bringen kann. Im transaktionskostenfreien Modell der neoklassischen Wohlfahrtsökonomie entsprach es der zu dieser Zeit herrschenden Meinung, daß in einer solchen Situation eine Haftungsregelung notwendig sei, um die durch den Betrieb der Eisenbahn „verursachten“ Kosten dieser Nutzung zuzuordnen323; aus dem im ersten Teil des Aufsatzes abgeleiteten Coase-Theorem ergab sich nun aber schon im Ausgangspunkt, daß in einer transaktionskostenfreien Umgebung der effiziente Zustand sich ganz unabhängig von der Ausgestaltung der Haftungsregelung einstellen würde. Insofern widmet sich Coase in der Folge der eigentlich relevanten Analyse der Auswirkung verschiedener Haftungsregelungen unter Zugrundelegung der Annahme, daß prohibitiv hohe Transaktionskosten einen Handel zwischen Eisenbahnunternehmer X und Farmer Y hinsichtlich der durch die jeweilige Ausgestaltung der Haftungsregel entstehenden Kosten verhindern 324. Anhand eines fiktiv gewählten Zahlenbeispiels weist er nach, daß in einer solchen Situation der effektivste Zustand sich beileibe nicht stets durch Internalisierung der Kosten aufgrund der Anordnung einer Schadensersatzhaftung einstellt, sondern vielmehr unter realen Verhältnissen durchaus auch eine Haftungsfreistellung diejenige (unter den dann notwendig sämtlich suboptimalen) Lösungen darstellen kann, die dem Effizienzpunkt am nächsten kommt 325. Die entscheidende analytiwhich produces the harm“. Keinesfalls aber geht Coase von der Annahme aus, daß sich eine derartige Prognose im neoklassischen Modell treffen lasse. 321 Vgl. obere Fn. 312. Die stiefmütterliche Behandlung, die der dritte Teil des Aufsatzes in der Rezeptionsgeschichte erfahren hat, mag zum Teil darauf zurückzuführen sein, daß ihm als spezifische Auseinandersetzung mit Pigou intuitiv weniger Bedeutung beigemessen wurde, als den ersten beiden („allgemeinen“) Teilen des Artikels. Tatsächlich enthält die Auseinandersetzung mit Pigous welfaristischer Lösung des Problems positiver Externalitäten aber den beispielhaften Nachweis, daß auf der Grundlage des neoklassischen Modells vorgenommene Effizienzanalysen in Marktverhältnissen, die von real vorhandenen Transaktionskosten geprägt sind, grundsätzlich keine eindeutigen Ergebnisse liefern können. Zutreffend Kramer, Legal and Moral Philosophy, S. 101, 104 f. mwN. 322 Coase, aaO., 29 ff.; Pigou, Economics of Welfare, Part II Chapter II § 5 (abrufbar unter www.econlib.org). 323 Pigou, aaO. 324 Coase, aaO., 31: „I need not show here that, if the railway could make a bargain with everyone having property adjoining the railway line and there were no costs involved in making such bargains, it would not matter whether the railway was liable for damages caused by fires or not … . The problem is whether it would be desirable to make the railway liable in conditions in which it is too expensive for such bargains to be made“. 325 Das Zahlenbeispiel bei Coase lautet für den „Funkenflug“-Fall wie folgt. Züge
Einnahmen (Züge)
Kosten (Züge)
Getreideschaden ohne Haftungsregel
Getreideschaden mit Haftungsregel
1 Zug täglich 2 Züge täglich
150 250
50 100
60 120
120 240
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1. Kapitel: Grundlagen
sche Erkenntnis, die sich in dem gewählten Zahlenbeispiel verbirgt, ist die Tatsache, daß eine staatliche Haftungsregelung nicht lediglich die Kostenstruktur der Nutzung X (der Eisenbahnlinie) durch „Internalisierung“ von Kosten verändert, sondern stets auch notwendig Rückwirkungen auf die Kostenstruktur der Nutzung Y mit sich bringt, die aber in der Lösung der klassischen Wohlfahrtsökonomie nach Pigou ceteris paribus ignoriert wurden 326. Anders ausgedrückt, der Farmer Y im Beispiel würde, wenn dem Eisenbahnunternehmer X eine Schadensersatzhaftung auferlegt wird, wegen der für ihn günstigeren Kostenstruktur Hinzu kommt die (entscheidende) Annahme, daß wenn eine Haftungsregel eingeführt wird, die anliegenden Farmer – nachdem ihnen nunmehr drohende Schäden ersetzt werden – mehr Getreide in der Nähe von Bahnlinien anbauen werden. Daraus ergibt sich auch der erhöhte Schaden im Falle der Einführung einer Haftungsregel. Der Wert des zusätzlich angebauten Getreides wird mit 160, die durch den zusätzlichen Anbau entstehenden Kosten mit 150 festgesetzt. Nachdem zwischen Farmer und Bahnunternehmer wegen prohibitiver Transaktionskosten in diesem Modell keine Verhandlungen möglich sind, hängt das sich einstellende Gleichgewicht von der Gestaltung der Haftungsregel ab. Wird keine Haftung angeordnet, fahren zwei Züge. Der gesellschaftliche Gesamtgewinn beträgt 150 (Züge) -120 (Getreideschaden) – (160–150) [wegen des in diesem Falle entgehenden zusätzlichen Getreideanbaus) = 20. Wird Haftung angeordnet, so fährt kein Zug. Denn der entstehende Schadensersatzanspruch führt dazu, daß der Eisenbahnunternehmer mit keinem der Züge Gewinn machen kann (1 Zug: 100–120=-20; 2 Züge 150–240 = -90). In diesem Falle beträgt der gesellschaftliche Gesamtgewinn –250 (entgangener Gewinn für die nunmehr entfallenen Züge) + 100 (nicht entstehende Kosten für die entfallenen Züge) + 120 (nicht entstehender Getreideschaden) +(160–150) [für das zusätzlich angebaute Getreide in diesem Falle] = -20. Mithin führt in einer Situation mit bestehenden Transaktionskosten unter den von Coase gewählten Umständen die Anordnung einer Haftungsregel nicht zwangsläufig zum optimalen Ergebnis. Das (neoklassische) Optimum (der Effizienzpunkt) in einer transaktionskostenfreien Gesellschaft wäre mit den gewählten Werten der Betrieb eines Zuges: 150–50 (für den einen Zug) – (100–50) (für den zweiten entgangenen Zug) – 60 (für den Getreideschaden erster Zug) + 60 (für den nun nicht eingetretenen Getreideschaden zweiter Zug) = 50. Nur läßt sich dieses Optimalergebnis eben in dem gewählten Beispiel, wenn Verhandlungen zwischen Landwirt und Bahnunternehmer ausgeschlossen sind, nicht erreichen. Und bei der Auswahl zwischen unterschiedlichen suboptimalen Zuständen führt die auf der Grundlage des transaktionskostenfreien neoklassischen Modells erhobene Forderung nach Internalisierung der Kosten (beim Bahnunternehmer) nicht verläßlich weiter, denn sie führt zu dem schlechteren Zustand der beiden real zur Verfügung stehenden suboptimalen Alternativen (0 Züge statt 2 Züge). Diese Feststellung ist das eigentliche Anliegen von Coase. In einer realen, von vorhandenen Transaktionskosten geprägten Marktumgebung, können auf Grundlage des (transaktionskostenfreien) neoklassischen Effizienzmodells keine verläßlichen Anforderungen an das Recht formuliert werden, das Modell taugt nicht zur Auswahl zwischen real vorhandenen (institutionellen) Alternativen. Denn die bloße Annäherung der Verhältnisse an den neoklassischen Effizienzpunkt in einer Hinsicht unter Geltung der ceteris paribus Annahme kann zur Verschlechterung der Verhältnisse in einer anderen Hinsicht führen, die den erzielten Gewinn überwiegt. Insoweit sind komplexere Ansätze als die neoklassische Wohlfahrtsökonomie erforderlich (Coase, aaO., 44: „In devising and choosing between social arrangements we should have regard for the total effect. This, above all, is the change in approach which I am advocating“. 326 Coase, aaO., S. 42 f.: „Analysis in terms of divergencies between private and social products concentrates attention on particular deficiencies in the system and tends to nourish the belief that any measure which will remove the deficiency is desirable. It diverts attention from those other changes in the system which are inevitably associated with the corrective measure, changes which may well produce more harm than the original deficiency“. Vgl. zustimmend auch Kramer, Legal and Moral Philosophy, S. 101, 105; Simpson, Journal of Legal Studies 25 (1996), 103, 105: „Whenever the government intervenes in the world, the world can and does alter in response to that intervention. The world with the intervention is not just the same world, with the intervention added. It is a world changed in other respects. It may respond in ways which may bring about a worse state of affairs than the one we started with“.
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seine Produktion in Nähe der Eisenbahnlinie erhöhen. Diese Erhöhung der Produktion würde – in Kombination mit der Haftungsregel – zu einer größeren Reduzierung der Aktivität des Eisenbahnunternehmers X führen, als sie die Haftungsregelung allein ceteris paribus betrachtet mit sich brächte. Soweit nun die zusätzliche Erhöhung der Produktion durch Y weniger gewinnbringend ist, als die hierdurch verursachte noch zusätzliche Einschränkung der Aktivität des X aufgrund der Haftungsregel, kann dies dazu führen, daß in einer Umgebung, in der Transaktionskosten einen Handel unterbinden, die Situation bei Vorhandensein einer Haftung vom effizienten Zustand weiter entfernt ist, als sie im Falle einer Haftungsfreistellung wäre327.
Coase zieht aus seinen Überlegungen – in teilweise bemerkenswertem Gegensatz zur Rezeptionsgeschichte seines berühmten Aufsatzes328 – ein denkbar vorsichtiges Fazit. Ihm genügt die Erkenntnis, daß umfassende wohlfahrtsökonomische Prognosen (und die abgeleiteten Zielsetzungen, wie etwa das Ziel der Internalisierung von Kosten nach Pigou) in einer Welt ohne Transaktionskosten überflüssig sind und daß sie, sobald man das Vorhandensein von Transaktionskosten und die (im neoklassischen Modell ceteris paribus vernachlässigte) Rückwirkung jeglichen staatlichen Eingriffs in die Kostenstruktur einer Aktivität auf die Intensität sämtlicher mit dieser reziprok verbundener sonstiger Aktivitäten berücksichtigt, von einer Vielzahl unbekannter Umstände abhängen und damit zwangsläufig unbestimmt werden, d.h. nicht mehr notwendig zum optimalen Ergebnis führen 329. Insofern lautet seine Forderung gerade nicht, in Situationen mit prohibitiv hohen Transaktionskosten den Versuch einer Transaktionskostensenkung durch Simulation des auf Grundlage des neoklassischen Modells effizienten Ergebnisses in der 327 Die vermeintliche Lösung aus der Sicht der welfaristischen Ökonomie könnte die Einführung einer Haftungshöchstsumme für die Schäden des Farmers durch die Eisenbahn sein, welche die Höhe der Schadensersatzhaftung auf den Wert desjenigen Getreides begrenzt, welches zerstört worden wäre, wenn der Farmer seine Produktion nicht zusätzlich aufgrund der Einführung der Haftungsregel erhöht hätte. Kramer, aaO., S. 101, 105 ff., hat exemplarisch den Nachweis geführt, daß – mit nur leicht veränderten Zahlenwerten hinsichtlich des Rückwirkungseffekts des staatlichen Eingriffs – auch eine solche Lösung nicht zwangsläufig zu effizienten Ergebnissen führt. Sobald man die Rückwirkung der staatlichen Maßnahme ins Kalkül einbezieht, entzieht sich selbst ein derart einfacher Fall, wie der hier vorliegende, einer eindeutigen Lösung auf Grundlage des neoklassischen Modells, wie differenziert auch immer die vorgeschlagene Lösung gestaltet sein mag. 328 S. auch sogleich u. Fn. 330. 329 Coase, aaO., S. 33 f.: „With these figures it is clear that it is better the railway should not be liable for the damage it causes, thus enabling it to operate profitably. Of course by altering the figures, it could be shown that there are other cases in which it would be desirable that the railway should be liable for the damage it causes. It is enough for my purpose to show that, from an economic point of view, a situation in which there is ‚uncompensated damage done to surroundings by sparks from railway engines‘ is not necessarily undesirable. Whether it is desirable or not depends on the particular circumstances“ (Hervorh. des Verf.); sowie noch deutlicher aaO., S. 43 (o. Fn. 326). Deshalb läßt sich Coase auch nicht entgegenhalten, daß er sein Zahlenbeispiel gerade so gewählt habe, daß es das von ihm erstrebte Ergebnis stütze. Denn dieses Ergebnis war nicht positiv zu belegen; vielmehr genügte umgekehrt die Feststellung, daß das neoklassische Modell (sofern Transaktionskostenvorhanden sind) nicht mehr notwendig zum richtigen Ergebnis führt, sondern unter bestimmten Umständen (hier eben den von Coase gewählten) eine selbst unter Allokationsgesichtspunkten unzutreffende Gestaltungsanforderung an das Recht stellt.
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rechtlichen Gestaltung zu unternehmen330. Vielmehr gehe es darum, Probleme des Marktprozesses (vorhandene Transaktionskosten) in den real existierenden Verhältnissen zu erkennen und – soweit möglich – die Eignung unterschiedlicher rechtlicher Instrumente zur Behebung dieser Probleme mit den Mitteln der Ökonomie zu vergleichen, wobei neben dem Ziel der Senkung von Transaktionskosten insbesondere der Gedanke administrativer Effizienz331 mit ins Kalkül zu ziehen sei. Dabei sei der ökonomische Ansatz zur Folgenanalyse ein Kriterium neben vielen; letztlich sei bei den im einzelnen zu treffenden institutionellen Entscheidungen die Rückwirkung auf sämtliche Lebensaspekte zu berücksichtigen. Das ökonomische Ergebnis müsse sich in eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung normativer Werte einfügen332. Insofern richtet sich das Plädoyer von Coase in erster Linie gegen die Einführung starrer Regeln auf der Grundlage vermeintlicher wohlfahrtsökonomischer Erkenntnisse. Nach seiner Auffassung müßten die rechtlichen Institutionen – soweit dies der konfligierende Gedanke administrativer Effizienz zuläßt – so gestaltet sein, daß sie flexible Wertentscheidungen im Einzelfall gestatten, die dann neben den intuitiv nachvollzogenen ökonomischen Wertungen noch andere ethisch-moralische Aspekte berücksichtigen könnten 333. Für die hier angestellte Untersuchung scheint die Folgerung klar. Hauptaufgabe für das Wettbewerbs- und Vertragsrecht nach Coase wäre die Reduzierung von Transaktionskosten durch Behebung konkret erkannter Situationen von Vertragsversagen im zwingenden Recht – wobei seine Forderung nach Flexibilität in 330 Soweit einzelne Formulierungen in dem Aufsatz von 1960 zu einer entsprechenden Interpretation einluden (vgl. obere Fn. 320), stand diesen auf der anderen Seite die deutliche Stellungnahme am Ende des Aufsatzes entgegen, derzufolge eine reduktionistische, welfaristisch orientierte Analyse zugunsten eines ganzheitlichen, institutionentheoretischen Ansatzes aufzugeben sei (Coase, aaO., S. 43 f.). Coase selbst hat dies in der Folge deutlich klargestellt und sich insbesondere entschieden gegen die Versuche gewendet, seinen Ansatz für die strikt effizienzorientierte, auf dem neoklassischen Marktmodell beruhende ökonomische Analyse des Rechts in Anspruch zu nehmen. Vgl. nur die Formulierung in Coase, The Firm, the Market, and the Law, 1988, S. 174: „The world of zero transaction costs has often been described as a Coasian world. Nothing could be further from the truth. It is the world of modern economic theory, one which I was hoping to persuade economists to leave“. 331 Coase, Journal of Law and Economics 3 (1960), 1, 44 am Ende. 332 Coase, aaO., S. 43: „In this article the analysis has been confined, as is usual in this part of eceonomics to comparisons of the value of production, as measured by the market. But it is, of course, desirable that the choice between different social arrangements for the solution of economic problems should be carried out in broader terms than this and that the total effect of these arrangements in all spheres of life should be taken into account. As Frank H. Knight has so often emphasized, problems of welfare economics must ultimately dissolve into a study of aesthetics and morals“. 333 Coase, aaO., S. 38 mit Blick auf ein Beispiel aus dem englischen Schadensersatzrecht, an dem er seinen institutionentheoretischen Ansatz in einem Marktmodell mit Transaktionskosten illustriert: „This is not to say that the sole task of the courts in such cases is to make a comparison between the harm and the utility of an act. Nor is it to be expected that the courts will always decide correctly after making such a comparison. But unless the courts act very foolishly, the ordinary law of nuisance would seem likely to give economically more satisfactory results than adopting a rigid rule“ sowie allgemein schon obere Fn. 332.
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der Rechtsanwendung für das deutsche Recht auf die Notwendigkeit von konkretisierungsbedürftigen Generalklauseln in bestimmten Bereichen bezogen werden kann – und durch Zurverfügungstellung geeigneter flexibler rechtlicher Standards im dispositiven Recht. Insofern ist zuerst ein „Negativkatalog von Situationen, in denen entsprechend der REM-Hypothese rationales, nutzenmaximierendes Verhalten nicht zu erwarten ist“, aufzustellen334. Mithin ist für unseren engeren Themenbereich ein Negativkatalog von Situationen zu isolieren, in denen im Vorfeld des Vertrages im weitesten Sinne eine unverzerrte Präferenzbildung der Marktteilnehmer gefährdet wird. Wertvoll bleibt auch der Ausgangspunkt des Aufsatzes, der auf das Problem der Externalitäten hinweist 335. Auf das hier behandelte Thema gewendet ergibt sich daraus die Folgerung, daß neben dem Schutz der potentiellen Vertragspartner im gesamten Vorfeld des Vertrags auch sonstige Interessen anderer Marktteilnehmer – wie etwa ein angemessener Schutz vor Belästigungen – zu bedenken sind, die sich – sofern letztendlich ein Vertrag zustandekommt – aus Sicht der Vertragspartner als positive Externalität darstellen, d.h. als eine Störung oder Beschädigung Dritter, die mit dem Prozeß der Vertragsanbahnung im weitesten Sinne verbunden war336. Auf dieser Grundlage sind in einem zweiten Schritt die rechtlichen Instrumente, die zur Behebung derartiger Fälle von Vertragsversagen und Marktversagen zur Verfügung stehen, soweit wie möglich in ihren realen Auswirkungen auf das Verkehrssystem (Systemfunktion) zu vergleichen, wobei die Gedanken der Transaktionskostenreduzierung und der administrativen Effizienz im Mittelpunkt stehen. Methodisch weist dies auf die Schulen der Neuen Institutionellen Ökonomie, soweit sie unabhängig von der Geltung des Effizienzkriteriums die Auswirkung einzelner rechtlicher Gestaltungsformen analysieren und vergleichen 337. Demgegenüber stellt eine umfassende normative ökonomische Analyse des Rechts338, die auf der Grundlage des Effizienzkriteriums dem Recht die Aufgabe zuweisen will, soweit wie möglich von vornherein effiziente Verhältnisse herzustellen (mithin die Anzahl notwendiger Transaktionen zu reduzieren), einen Ansatz dar, der nach Coase wegen der Komplexität der realen Marktverhältnisse prinzipiell zum Scheitern verurteilt sein muß. Insofern ist in seinem klassischen Artikel wesentlich auch eine Warnung vor mit Ausschließlichkeitsanspruch versehenen effizienzbasierten Anweisungen für die Rechtsgestaltung und -anwendung zu sehen. Gerade umgekehrt geht anscheinend auch Coase davon aus, daß die auf einer Gesamtbetrach334 Drexl, Selbstbestimmung, S. 193; Lehmann, in: Finsinger/Simon (Hrsg.), Recht und Risiko, S. 364, 380. 335 Vgl. insoweit schon o. Fn. 310 sowie noch unten VI zur Ebene der „Externalitäten“ im hier vertretenen Vier-Ebenen-Modell. 336 Vgl. näher unten VI. 337 Vgl. unten V. 338 Vgl. zu der Unterscheidung zwischen positiver ökonomischer Analyse des Rechts (als Analyse- und Erklärungsinstrument für die Entwicklung des common law) und normativer ökonomischer Analyse des Rechts (die den Anspruch erhebt, Handlungsanweisungen an Legislative und Judikative formulieren zu können) statt aller Posner, Economic Analysis, S. 26 ff.
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tung beruhende Wertentscheidung eines Richters im Einzelfall aller Wahrscheinlichkeit nach auch dem ökonomisch sinnvollen Ergebnis näherkomme, als es eine abstrakte Vorgabe der Wohlfahrtsökonomie jemals könnte339. Insofern schien es angemessen, Coase klassischen Aufsatz in seiner gesamten Aussage unter Zuhilfenahme der Originalzitate etwas gleichmäßiger zu beleuchten als es üblicherweise geschieht, um nunmehr auf dieser Grundlage die einzelnen Schulen der ökonomischen Analyse des Rechts und der Neuen Institutionellen Ökonomie, die sich sämtlich – wie sich gezeigt hat teils zu Unrecht – auf Ronald Coase als ihren Gründungsvater berufen, näher darstellen und beurteilen zu können.
III. Ökonomische Analyse des Rechts 1. Grundgedanken der ökonomischen Analyse des Rechts Angesichts der vorstehenden Synopse des berühmten Beitrags von Coase mutet es überraschend an, daß die klassische ökonomische Analyse des Rechts in der Variante Richard Posners und anderer weithin mit Ronald Coase als Gründungsvater in Verbindung gebracht wird340. Soweit die ökonomische Analyse des Rechts in der Form der positiven ökonomischen Analyse den Versuch eines Belegs unternimmt, daß das amerikanische common law Fallrecht über die Jahrhunderte intuitiv gerade die effizienten Fallösungen ausgeprägt habe, mag dies mit dem Ansatz von Coase noch in Einklang zu bringen sein. Soweit aber darüber hinaus im Rahmen der normativen Analyse auch Handlungsanweisungen an den Gesetzgeber und den Richter formuliert werden, die auf der Grundlage des Kriteriums herzustellender Allokationseffizienz, die legislative Gestaltung des Rechts bzw. die Entscheidung von Einzelfällen ermöglichen sollen, ist dies exakt der Ansatz, den Coase in einer Welt mit Transaktionskosten wegen seiner notwendigen mathematischen Unbestimmtheit für wenig aussichtsreich erachtete 341. Das Recht soll auf der Grundlage der REM-Hypothese und des allgemeinen Effizienzkriteriums so gestaltet werden, daß sich die Wirklichkeit dem effizienten Zustand so weit als möglich annähert.
339 Vgl. insbesondere schon obere Fn. 332 und 333. Ähnlich wie hier Kramer, Legal and Moral Philosophy, S. 101, 109; sowie insbesondere auch Coase selbst, vgl. die Nachweise obere Fn. 309 und 330. 340 Vgl. für eine Zusammenfassung der theoriengeschichtlichen Entwicklung der ökonomischen Analyse des Rechts mit zahlreichen Nachweisen, Fleischer, Informationsasymmetrien, S. 146 ff. 341 Vgl. zur Unterscheidung von positiver und normativer ökonomischer Analyse des Rechts schon o. Fn. 338.
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2. Informierte und freiwillige Entscheidungen in der Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts Ausdrücklich erkennt Posner als eine der Funktionen des Vertragsrechts an, vermeidbare Fehler im Vertragsabschlußprozeß zu verhüten 342. In der Orientierung am Fallrecht des common law behandelt er diesbezüglich Informationsprobleme im Zusammenhang der Fallgruppe des fraud und Probleme der Freiwilligkeit im Zusammenhang der Fallgruppe duress, bargaining power und unconscionability343. Entsprechend der aggregativen Grundmethode der ökonomischen Analyse wird die hier interessierende Frage nach der Eingriffsschwelle des Rechts in beiden Fällen anhand von Überlegungen zur gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt beurteilt. a. Informierte Entscheidungen Was die Problematik von Informationsungleichgewichten angeht, gelangt Posner bezüglich der bewußten Irreführung (der Lüge) zu dem Ergebnis, daß derartige Verhaltensweisen durch das Recht zu unterbinden seien, da die Investition des Lügners in die Verbreitung der Fehlinformation nicht nur vom sozialen Standpunkt aus vollkommen nutzlos sei, sondern zudem zu erheblichen Folgeinvestitionen führe, die seitens der Vertragspartner notwendig würden, um sich gegen bewußte Irreführungen individuell zu schützen 344. Ein besonderes Schutzbedürfnis der Verbraucher in diesem Zusammenhang wird von Posner ausdrücklich in Abrede gestellt. Ein spezifisches Ungleichgewicht in Verbrauchermärkten sei a priori nicht erkennbar, zumal Verbraucher für den Erwerb von Verbrauchsgütern über die sachnächsten Informationen verfügten. Soweit hier besondere Verbraucherschutzregeln notwendig würden, sei dies weniger wegen verbraucherspezifischer Informationsungleichgewichte der Fall, sondern vielmehr aufgrund der typischerweise geringen Anreize zum Rechtsstreit in den durch kleine Streuschäden im einzelnen Falle gekennzeichneten Verbrauchermärkten345. Dieser Gedanke verweist auf den Gesichtspunkt administrativer Effizienz hinsichtlich der Durchsetzung rechtlicher Regeln und ist für die hier angestellte Untersuchung als Kriterium für die Auswahl vertragsrechtlicher und/oder wettbewerbsrechtlicher In342
Posner, Economic Analysis, S. 108. AaO., S. 122 ff.; S. 126 ff. 344 Darby/Karni, Journal of Law and Economics 16 (1973), 67, 83, bringen zudem die Erklärung, warum lediglich vorsätzlicher Betrug – im Gegensatz zur nur fahrlässigen Verletzung von Aufklärungspflichten – durch das Recht zu unterbinden sei. Der Unterschied liege in den Kosten, die aufzuwenden seien, um derartige Verhaltensweisen zu unterbinden. Im Falle vorsätzlichen Betrugs lägen diese Kosten bei Null, da lediglich der Betrüger die Willensentscheidung treffen müsse, den Betrug zu unterlassen; bei der fahrlässigen Verletzung von Aufklärungspflichten entstünden demgegenüber zusätzliche Kosten, um die notwendigen Informationen zu beschaffen. In derartigen Fällen stehen sie einem staatlichen Eingreifen äußerst skeptisch gegenüber (aaO., S. 83 ff.). 345 AaO., S. 122 ff. 343
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strumente zur Lösung bestimmter Probleme des Vertragsversagens von Wert. Bezüglich der Eingriffsschwelle in weniger eindeutigen Fällen der Fehlinformation und insbesondere bezüglich der Frage nach der Anordnung vorvertraglicher Informationspflichten stützt sich Posner auf das Konzept des cheapest cost avoider 346. Demnach soll diejenige Partei die Kosten der Informationsbeschaffung tragen, die die Information zu den geringsten Kosten beschaffen kann; die insoweit von ihm gebildeten Beispiele ähneln der informationsökonomischen Gütereinteilung bei Nelson und Darby/Karni, auf deren Überlegungen daher an dieser Stelle verwiesen werden kann347. Wertvoll erscheint in diesem Zusammenhang noch sein Hinweis auf die funktionale Äquivalenz von vertraglichen Gewährleistungsrechten des Erwerbers hinsichtlich bestimmter Produkteigenschaften und entsprechenden Informationspflichten des Anbieters; ist eine bestimmte Produkteigenschaft von der Gewährleistung erfaßt, sind aus der Sicht des Erwerbers entsprechende Aufklärungspflichten über die betreffende Produkteigenschaft aus ökonomischer Sicht grundsätzlich nicht mehr notwendig348. Neben dem im Rahmen des hypothetischen Verhandlungsmodells des vollständigen Vertrags auf Kostenminimierung konzentrierten Ansatz von Posner widmen sich verschiedene andere wohlfahrtstheoretische Konzeptionen der Problematik vorvertraglicher Aufklärungspflichten 349. Diesen Ansätzen ist gemeinsam, daß sie statt der Perspektive auf die Situation der Ver346 Erzielt wird dieses Ergebnis in der Methodik der ökonomischen Analyse des Rechts auf Grundlage eines hypothetischen Verhandlungsmodells des „vollständigen Vertrags“. Der cheapest cost avoider soll deshalb die Informationen beschaffen und aufdecken, weil dies die Lösung ist, auf die sich die Vertragsparteien einigen würden, wenn sie in einer transaktionskostenfreien Modellumgebung als profitmaximierende Einheit agieren würden. Vgl. zu dieser sogenannten Verhandlungslösung als dem grundlegenden Denkmodell der ökonomischen Analyse des Rechts Eidenmüller, AcP 197 (1997), 80, 84 ff. Aus der Sicht der Vertreter der ökonomischen Analyse rekonstruiert eine solche hypothetische Verhandlungslösung die Regelung, die rational handelnde Vertragspartner in einer transaktionskostenfreien Modellumgebung getroffen hätten und führt daher stets zu einer aus gesellschaftlicher Sicht effizienten Lösung. Daß die hypothetische Verhandlungslösung des transaktionskostenfreien Modells jedoch in einer realen, vom Vorhandensein von Transaktionskosten geprägten Marktumgebung nicht notwendig stets zu der dem Effizienzpunkt am nächsten kommenden Alternative führt, hatte schon Coase in seinem grundlegenden Beitrag nachgewiesen, der dennoch gemeinhin als die Grundlage des Verhandlungsmodells der ökonomischen Analyse des Rechts angesehen wird. Vgl. näher oben II. 347 Vgl. näher unten IV 2. 348 AaO., S. 125. 349 Grundlegend Kronman, Journal of Legal Studies 7 (1978), 1–35, der eine Unterscheidung zwischen gezielt und kostenintensiv „erarbeiteten“ Informationen und „Zufallsfunden“ im Fallrecht des common law entdeckt zu haben glaubt und in diesem Zusammenhang das „Recht“, eine gezielt und investitionsintensiv erlangte Information nicht aufzudecken, als ein property right im Sinne der „property-rights“-Lehre ansieht. Dieses property right diene der Annäherung an effiziente Verhältnisse, indem es einen Anreiz setze, sozial nützliche Informationen kostenintensiv zu ermitteln. In Anlehnung an die Überlegungen Kronmans und teils in kritischer Auseinandersetzung mit seinem Ansatz hat Hirshleifer, 61 American Economic Review 1971, 561 ff., seine Differenzierung in sozial nützliche „Entdeckungen“ und lediglich privat nützliches „Vorauswissen“ entwickelt. Entsprechend unterscheiden Cooter/Ulen, Law and Economics, 4. Aufl. 2004, S. 281 ff., neben der Art der Erlangung der Information (S. 282) („zufällig“ oder „aktiv gezielt“) auch nach dem Charakter der Information selbst, die „productive“ (in dem
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tragsparteien das Ziel der Effizienzsteigerung durch Anreize für die Informationsbeschaffung in den Mittelpunkt rücken. Kostenintensiv erlangte Information wird als soziales Gut aufgefaßt, dessen Produktion und Allokation es zu optimieren gelte. Für die hier erörterte Fragestellung, in welchen individuellen Situationen eine wohlinformierte, freiwillige Entscheidung typischerweise gefährdet ist, leisten diese Ansätze keine direkte Hilfe. Vielmehr geht insbesondere Kronman in seiner Konzeption ganz im Gegenteil grundsätzlich davon aus, daß die Konzeptionen der Freiwilligkeit und Informiertheit der individuellen Entscheidung notwendig unbestimmt und daher durch wohlfahrtsökonomische und insbesondere verteilungsorientierte Überlegungen anhand des Pareto-Kriteriums zu ersetzen seien 350. Bevor dieser Ansatz einer eingehenden Kritik und Bewertung unterzogen wird351, soll noch auf die nähere Ausgestaltung des Konzepts der „Freiwilligkeit“ der Entscheidung bei den wesentlichen Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts eingegangen werden.
b. Freiwillige Entscheidungen Die Nichtdurchsetzbarkeit von Verträgen, die aufgrund einer widerrechtlichen Drohung zustandegekommen sind, wird bei Posner nicht etwa auf die fehlende Freiwilligkeit der Entscheidung zurückgeführt352. Vielmehr betont er, daß auch der an Leib und Leben bedrohte Vertragspartner angesichts der Drohung eine freie und durchaus nachvollziehbare Entscheidung treffe. Der Grund für die Nichtdurchsetzbarkeit solcherart zustandegekommener Verträge sei daher nicht etwa die fehlende Freiwilligkeit der Entscheidung, sondern läge vielmehr in den Effizienzverlusten, die mit der Investition in Drohmittel und in die notwendig werdenden Vorkehrungen gegen Drohungen verbunden wären. An dieser Argumentation ist sicher im Ansatz zutreffend, daß in Fällen, in denen die Freiwilligkeit der Entscheidung durch Drohungen gefährdet ist, durchaus noch ein ungestörter Entscheidungsprozeß ablaufen kann; doch verkennt Posner, daß in der von ihm beschriebenen Situation der widerrechtlichen Drohung die Grundlage der getroffenen Entscheidung verzerrt ist. Posner gelingt also kein prinzipielles Argument gegen eine individuell situationsbezogene Beurteilung der Freiwilligkeit der Entscheidung in einer Bedrohungslage. Vielmehr muß sich sein aggregiert wohlfahrtsökonomischer Ansatz an den individualrechtsorientierten Ansätzen messen lassen. Das entscheidende Kriterium ist, inwieweit Posners Ansatz eine verläßliche Beantwortung der Frage gestattet, welche Mittel in welchem Sinne, daß sie einen effizienteren Einsatz der Ressourcen gestatte) oder lediglich „redistributive“ (in dem Sinne, daß sie lediglich der im Besitz der Information befindlichen Partei einen Verhandlungsvorteil verschaffe) sein könne (S. 281 f.). Nur im Falle produktiver Information in diesem Sinne, seien Anreize für die Erlangung und Ermittlung derartiger Information durch das Vertragsrecht zu schaffen. Für eine bündige Zusammenfassung der welfaristischen Sicht auf das Problem vorvertraglicher Aufklärungspflichten s. Collins, Disclosure of Information and Welfarism, in Brownsword/Howells/Wilhelmsson (ed.), Welfarism in Contract Law, S. 97 ff.; vgl. zum ganzen auch Fleischer, Informationsasymmetrien, S. 151 ff. jeweils mwN. 350 Vgl. näher zum ethischen Grundverständnis des Vertragsrechts bei Kronman und für eine diesbezügliche Kritik, unten 2. Abschn. B. 351 S. sogleich unten 3. 352 S. Posner, Economic Analysis, S. 126.
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Zusammenhang noch als zulässige Beeinflussungen der Entscheidungsgrundlage gesehen werden können und welche Mittel die Grenze des Zulässigen überschreiten. Posner greift insoweit auf die hypothetische Entscheidung des Vertragspartners vor Entstehung der Bedrohungslage zurück, „that is, before the threat is made – if you asked the B’s of this world whether they would consider themselves better off if extortion flourished, they would say no“. Für Grenzfälle ist diese Orientierung auf die hypothetische Entscheidung des Vertragspartners ersichtlich kein verläßliches Kriterium, zumal es bei Posner nicht im Sinne einer empirischen Ermittlung verstanden, sondern vielmehr als ein rein hypothetisches, welfaristisch paretianisches Kriterium zur aggregierten Beurteilung ganzer Kategorien von Vertragsabschlußsituationen präsentiert wird. Wiederum hat Kronman eine Verfeinerung der wohlfahrtsökonomischen Begründung des Verbots bestimmter Verhandlungstechniken, die die Freiwilligkeit der Entscheidung gefährden, unternommen 353. Nach seinem „modified Paretian principle“ sollen derartige Verhandlungstechniken grundsätzlich unzulässig und lediglich dann erlaubt sein, wenn sie auf lange Sicht zur Verbesserung der Situation der meisten auch derjenigen Verkehrsteilnehmer führen, die typischerweise zum Opfer dieser Verhandlungstechnik werden 354. Wegen seines grundlegenden Charakters ist dieser welfaristisch verteilungsorientierte Ansatz unten (2. Abschn. B) im Zusammenhang der rechtsethischen Vertragstheorien behandelt und kritisiert worden. Im hier betrachteten spezifischen Zusammenhang der Beurteilung der Freiwilligkeit von Vertragsentscheidungen im Rahmen der ökonomischen Analyse des Rechts bleibt lediglich anzumerken, daß die Überlegenheit der aggregiert welfaristischen Ansätze über die normativ auf die freie Entscheidung des einzelnen orientierten rechtsbasierten Ansätze genau dann beginnt fragwürdig zu erscheinen, wenn und soweit die welfaristischen Ansätze 355 – statt sich auf die Effizienz eines auf Grundlage der freien Entscheidungen der Verkehrsteilnehmer „von unten herauf“ wachsenden Wettbewerbssystems und seiner realen Ergebnisse zu stützen – auf die von ihnen nur unterstellte, hypothetische Entscheidung der Verkehrsteilnehmer rekurrieren müssen356. Die hier zu vermutende Unbestimmtheit eines derartigen Ansatzes, der seine normative Überzeugungskraft in dem Maße verliert, wie die real existierende Pareto-Superiorität einzelner freiwilliger Vertragsentscheidungen durch die lediglich hypothetische Pareto-Superiorität aufgrund der Annahme der hypothetischen Zustimmung ganzer Gruppen von Verkehrsteilnehmern ersetzt wird, leitet über zur grundsätzlichen Kritik, die an 353 Vgl. grundlegend Kronman, Yale Law Journal 89 (1980), 472 ff., sowie näher hierzu auch unten 2. Abschn. B. 354 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Buckley, der aber einen weniger verteilungsorientierten und mehr rein effizienzbasiert-welfaristischen Ansatz im Sinne des Kaldor-Hicks Kriteriums verfolgt. Vgl. näher unten 2. Abschn. B. 355 Wie dies eben bei Posner und (aufgrund des höheren Konkretisierungsgrads) noch deutlicher erkennbar bei Kronman der Fall ist. 356 Vgl. die zutreffende Kritik bei Trebilcock, S. 83 f. unter Hinweis auf Barnett, Columbia Law Review 86 (1986), 269 ff.
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der Methode der ökonomischen Analyse des Rechts geübt wird. Diese Kritik soll im folgenden behandelt und bewertet werden, um zu beurteilen, inwieweit die Erkenntnisse der (welfaristischen) ökonomischen Analyse des Rechts im Rahmen der hier angestellten Untersuchung herangezogen werden können. Diese Beurteilung der Reichweite und Fundiertheit der Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts im besonderen gestattet zugleich die Beantwortung der allgemeineren Frage, welche ökonomischen Methoden und Forschungsansätze für die hier angestellte Untersuchung zu verwertbaren Ergebnissen führen.
3. Kritik an der ökonomischen Analyse Die Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts läßt sich in zwei Grundlinien einteilen, wie sie schon oben (C II 1 c) bei der Bewertung des Gleichgewichtsmodells der vollkommenen Konkurrenz in der Neoklassik beschrieben wurden357. Zum einen wird an der allgemeinen Geltung des Effizienzkriteriums und der modellhaften Zugrundelegung der REM-Hypothese ethisch-moralische Kritik geübt. Diese Kritik beinhaltet zumal auf Grundlage des deutschen Rechts auch eine verfassungsrechtliche Dimension. Zum anderen wird die Realitätsferne der REMHypothese und der ceteris paribus-Annahme gerügt, die zu einer (aus methodologischer Sicht unvermeidbaren) Unbestimmtheit der vermeintlich objektiven Modellergebnisse führe, welche die Ergebnisse der ökonomischen Analyse des Rechts grundlegend unterminiere. Auf beide Begründungsstränge der Kritik und auf mögliche Reaktionen und Anpassungen des Modells der ökonomischen Analyse des Rechts soll im folgenden noch etwas näher eingegangen werden. a. Der ethisch-moralische Begründungsstrang der Kritik an der ökonomischen Analyse (1) Ethisch-moralisch fundierte Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts Die Reaktion der Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts auf die ethischmoralische Kritik an den zugrundeliegenden Modellannahmen und der fehlenden Verteilungsneutralität des Verhandlungsmodells der Neoklassik wurde im entsprechenden Zusammenhang358 bereits dargestellt: Die typische Gegenargumentation besteht erstens darin, auf den Modellcharakter der REM-Hypothese zu verweisen, die als Modellannahme einer normativen Bewertung grundsätzlich nicht zugänglich sei. Zweitens wird bezüglich der resultierenden Verteilungseffekte zumindest von den moderateren Vertretern der ökonomischen Analyse darauf verwiesen, daß die Effizienz lediglich eine unter mehreren Zielfunktionen der Rechtsordnung sei. Diese einzig hinnehmbare359 moderatere Haltung – insbeson357 358 359
Vgl. für Nachweise auch oben C II 1. Vgl. oben B und C II 1. Vgl. ebenso Drexl, aaO. Noch enger Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 486 ff.
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dere auch praktisch sämtlicher Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts in Deutschland360 – geht dahin, das Effizienzkriterium ohne normativen Absolutheitsanspruch als einen der Abwägung zugänglichen Wert in die Rechtsetzung und Rechtsanwendung361 einzubringen. Demnach werden bestimmte Forderungen an das Recht erhoben, die der Annäherung an den Effizienzpunkt dienen sollen, die jeweiligen Ergebnisse aber einer normativen Kontrolle „im nachhinein“ in Abwägung mit anderen – von der Rechtsordnung vorgegebenen – Werten zugänglich gemacht362. Anders ausgedrückt bleiben die Prämissen des Modells unverändert, das Modellergebnis wird aber einer normativen Korrektur unterzogen. Auch diese abgemilderte Version der ökonomischen Analyse des Rechts ist jedoch der Kritik ausgesetzt. Zum einen wird bemängelt, daß die nachträgliche Korrektur der Verteilungseffekte, die eine Optimierung des Rechts anhand des Effizienzkriteriums unweigerlich mit sich bringt, beileibe nicht garantiert und im Programm der ökonomischen Analyse des Rechts auch nicht von vornherein vorgesehen sei363. Zum anderen ist die hinter der Konzeption einer Korrektur „im nachhinein“ stehende methodische Überzeugung, daß das Privatrecht keinerlei Funktion hinsichtlich der Verteilungsgerechtigkeit habe, sondern allein der Effizienz dienen solle, während Umverteilungsziele besser im öffentlichen Sektor des Steuer- und Sozialrechts aufgehoben seien, zum Gegenstand von Kritik geworden364. Das der ausschließliche Geltungsanspruch, wie ihn die Vertreter der Chicago School postulierten, rechtlich nicht mit der objektiven Werteordnung des Grundgesetzes vereinbar ist, und ökonomisch in dieser Radikalität auch seit Anfang der neunziger Jahre kaum mehr vertreten wird, wurde bereits oben C II 1 b und C II 2 herausgearbeitet. Die Diskussion in den Vereinigten Staaten ist dabei aufgrund der diesbezüglichen rechtlichen Unterschiede – anders als in Deutschland – weniger von der Frage bestimmt, inwieweit sich das Effizienzkriterium und die REM-Hypothese mit der objektiven Werteordnung der Verfassung vereinbaren lassen, sondern mehr darauf gerichtet, daß ethische Grundsätze eine Korrektur der Ergebnisse rein ökonomischen Modelldenkens unerläßlich machen. Vgl. dagegen aber zuletzt Kaplow/Shavell, Fairness versus Welfare, 2002, mit dem Versuch auch die Grundsätze der Ethik zu ökonomisieren und zweifelhafte Motive hinter diesen Grundsätzen auszumachen. Vgl. auch Posner, Problematics of Moral and Legal Theory, 2002. 360 Vgl. statt aller Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 214 f., im Rahmen der oben (vgl. bei o. Fn. 114) dargestellten Kontroverse mit Fezer. 361 Auch insoweit überwiegend kritisch Eidenmüller, aaO. 362 Vgl. die grafische Darstellung bei Drexl, aaO., S. 176. 363 Vgl. Drexl, aaO., S. 134. 364 Vgl. hierzu auch die im anglo-amerikanischen Raum ausufernde rechtsphilosophische Diskussion um den Charakter des Privatrechts, etwa die grundlegenden Überlegungen zu dessen unvermeidbarer Steuerungswirkung bei Cohen, Harvard Law Review 46 (1933), 553 ff.; Hale, Columbia Law Review 43 (1943), 603 ff. (die dem Zivilrecht eine unvermeidbare Steuerungswirkung bezüglich Verteilungsaspekten und Verhandlungsmacht zugestehen, welche es zu berücksichtigen gelte); und diametral entgegengesetzt die formale Konzeption des Privatrechts bei Weinrib, Columbia Law Review 87 (1987), 472 ff.; Weinrib, Yale Law Journal 97 (1988), 948 ff.; Weinrib, Iowa Law Review 77 (1991–1992), 403 ff., der im Anschluß an Unger, Harvard Law Review 96 (1983), 561 ff. (und unter bemerkenswerter Basierung seiner Lehre auf sowohl aristotelisches als auch kantianisches Gedankengut) die Rolle des Privatrechts als eine ausschließlich relative Ausgleichung der Interessen rein formal gleicher Subjekte auffaßt und solcherart versucht, die Sphäre des Privatrechts gegen die Berücksichtigung von übergeoordneten
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(2) Drexls Konzept der normativen Effizienz als mögliche Reaktion Drexls neuartiger Ansatz365 besteht nun darin, – in gewisser Weise in Fortentwicklung der Überlegungen von Fikentscher, der mit seinem Modell praktischen Wettbewerbs bei der Sicht des einzelnen Marktteilnehmers ansetzt – auch mit der Korrektur nicht beim Ergebnis des ökonomischen Modells, sondern bei den Prämissen, mithin bei der REM-Hypothese, anzusetzen366. Fikentschers Modell praktischen Wettbewerbs wird auf diese Weise gewissermaßen das methodische Instrument zur normativ ökonomischen Materialisierung beigegeben. Die Basis bildet die Erkenntnis, daß das Effizienzkriterium auf der Grundlage der reinen (normativ nicht bereinigten) REM-Hypothese kein neutrales Kriterium ist, sondern vielmehr eine Tendenz beinhaltet, die ohnedies stärkeren (marktmächtigen, besser informierten etc.) Marktteilnehmer zu begünstigen367. Die erforderlichen Korrekturen können aber nach Drexl statt im nachhinein (sozusagen „von oben herab“) zu erfolgen, stattdessen auch von vornherein (sozusagen „von unten herauf“) vorgenommen werden, indem man dem auf die Verwirklichung persönlicher Freiheit ausgerichteten Menschenbild des Grundgesetzes368 Eingang in die REMHypothese verschafft und diese mithin normativ korrigiert. Die ökonomischen Modelle werden auf diese Weise normativ materialisiert, die „Ökonomie wird zur Funktion des Rechts“369. Im besten denkbaren Falle führt dies dazu, daß eine nachträgliche Ergebniskontrolle auf der Folgenseite nicht länger notwendig ist, da die normative Korrektur auf der Seite des Menschenbilds auch die Ergebnisse des Modells normativ auflädt und über den Koordinationsmechanismus des Marktes dafür sorgt, daß sich die individuellen Präferenzen sämtlicher Marktteilnehmer bestmöglich durchsetzen. Damit würde nichts anderes als die Materialisierung der – oben als formal bezeichneten – Hoppmanschen Harmoniethese erreicht. Überindividuelle Ziele setzen sich gerade in dem Umfang über den Markt durch, in dem sie der autonomen Präferenzordnung der Marktteilnehmer entsprechen. Freilich äußert Drexl selbst berechtigte Skepsis, ob diese Verwirklichung überindividueller Ziele gerade nur in dem Maße, wie sie individuellen Präferenzen bereits entspre-
Verteilungszielen jeglicher Couleur abzuschotten. Dabei kann man seinen „legalen Formalismus“, der nicht nur von einer stets prämissenartig zu unterstellenden formalen Gleichheit der Privatrechtssubjekte ausgeht, sondern auch einen formalen Systembegriff ganz in den Mittelpunkt der Argumentation rückt, aus der Sicht der deutschen Methodologie durchaus im Sinne eines Rückfalls in die Ära der Begriffsjurisprudenz auffassen. 365 Allenfalls finden sich Überlegungen in diese Richtung zuvor bei Kirchgässner, JZ 1991, 104, 110 f. 366 S. Drexl, aaO., S. 176 ff. 367 Vgl. Drexl, aaO., S. 137 f., sowie auch schon oben C II 1 c. 368 Vgl. insoweit allgemein näher noch unten 2. Kap. 2. Abschn. B. Die Rolle auch der grundrechtsbezogenen Schutzpflichten (insbesondere des Gesetzgebers) betonend, Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 480 ff. 369 Drexl, aaO., S. 213.
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chen, genügt, um eine insgesamt gerechte Gesellschaftsordnung zu schaffen370. Für das hier behandelte Untersuchungsthema kann diese Frage offen bleiben 371. Hier soll es in der Folge vielmehr darum gehen, wie sich die interdisziplinäre Verknüpfung von Ökonomie und Recht im Modell der normativen Effizienz gestaltet. Es lassen sich systemtheoretische und methodische Folgerungen voneinander unterscheiden. (3) Systemtheoretische Folgerungen: Das Menschenbild im Konzept der normativen Effizienz und die Rolle des Wettbewerbs Für die systemtheoretische Konsequenz des Modells der normativen Effizienz ist denknotwendig das verfolgte Marktteilnehmerbild präjudiziell372. An dieser Stelle erfolgt die wertende Ergänzung des ökonomischen Modells auf der Basis der jeweils zugrundeliegenden Rechtsordnung. Mit der diesbezüglich herrschenden Meinung373 und auf Grundlage der objektiven Werteordnung des Grundgesetzes374 gründet der Ansatz der normativem Effizienz auf ein Marktteilnehmerbild, welches die persönliche Freiheit (Privatautonomie) als normative Vorgabe des Rechts in den Mittelpunkt stellt und gelangt von dieser Basis ausgehend – in der Tradition der ordoliberalen Schule375 – zu einer doppelten Funktion des Rechts: Es muß einerseits das Funktionieren des Marktes, der Koordinationsordnung sichern, andererseits den notwendigen Entscheidungsspielraum für autonome Entscheidungen der Verbraucher ermöglichen, mithin deren Freiheit materialisieren376. Die Begrenzung auf die Ermöglichung autono370 Drexl, Selbstbestimmung, S. 180. Gerade mit Blick auf nachhaltige, langfristige Zielsetzungen, wie etwa als typisches (auch von Drexl gebrachtes) Beispiel den Umweltschutzgedanken, mag man insbesondere bezweifeln, ob die Verwirklichung über die Koordination der autonomen Präferenzen der Marktteilnehmer nicht erst zu einem Zeitpunkt ansetzte, zu dem typischerweise bereits irreversible Schäden eingetreten wären. Anders ausgedrückt, mindestens überall dort, wo proaktives Handeln gefragt ist, versagt ein auf die Autonomie der Marktteilnehmer allein ausgerichtetes Koordinationssystem. Hier bedarf auch die normative Effizienz der wertenden Kontrolle durch die politische Ordnung der repräsentativen Demokratie (Interdependenz der Ordnungen), die – anders als der Markt im Konzept der normativen Effizienz – gerade keine unmittelbare Umsetzung des Bevölkerungswillens darstellt, sondern den „Filter“ des autonomen Volksvertreters zwischenschaltet. Auch da wo die Grundrechteordnung bestimmte Schutzpflichten vorgibt, mag eine Korrektur selbst der normativen marktwirtschaftlichen Koordinationsordnung angebracht sein, vgl. zu grundrechtsbezogenen Schutzpflichten im Verhältnis zum Effizienzprinzip, Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 480 ff. 371 Ebenso wie bei Drexl, aaO., S. 180 f.: „notwendige, nicht … hinreichende Bedingung einer gerechten Gesellschaftsordnung“. 372 S. Drexl, aaO., S. 178. 373 Hinsichtlich der Fokussierung auf den Freiheitsaspekt koinzidiert Drexl mit Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 57 ff., 173 ff.; Hoppmann, JBNSt 179 (1966), 286 ff.; Hoppmann, JBNSt 181 (1967), 251 ff.; Hoppmann/Mestmäcker, Normzwecke und Systemfunktionen, S. 7 ff.; Lehmann, JZ 1990, 61, 62 ff. 374 Vgl. auch unten 2. Kap. 2. Abschn. B. 375 So ausdrücklich auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 179. 376 Drexl, aaO., S. 179 f.
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mer Entscheidungen nicht zu beruflichen oder gewerblichen Zwecken handelnder Marktteilnehmer377 ist dabei dem von Drexl behandelten Thema der wirtschaftlichen Selbstbestimmung der Verbraucher (freilich umfassend verstanden im Sinne der Marktabnehmerseite) immanent und allein darauf zurückzuführen. Sein Konzept ist aber umfassender. Für das hier behandelte Untersuchungsthema erscheint deshalb eine Klarstellung dahingehend angebracht, daß gleichermaßen die Freiheit der gewerblich handelnden Unternehmerseite des Schutzes im Sinne der Absicherung hinreichender Entscheidungs- und Innovationsspielräume – auch bei der Gestaltung der Geschäftsbedingungen – bedarf 378. Auf diese Weise wird bei jedem regulierenden Eingriff des Rechts eine normative Abwägung auf der Grundlage des Kriteriums wirtschaftlicher Selbstbestimmung möglich: Häufig wird es nämlich – aus der Sicht des hier behandelten Themas zumal im Lauterkeitsrecht – gerade darum gehen, die Freiheit der Unternehmerseite im Interesse der Sicherung bestimmter Mindestspielräume für freie Entscheidungen auf der Verbraucherseite einzuschränken. Insoweit ist dann die Privatautonomie auf Unternehmerseite mit der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers zu praktischer Konkordanz zu bringen, wobei der verbleibende Spielraum für freie, informierte Entscheidungen das zentrale Kriterium bildet. Die Sicherung der „Funktionsbedingungen der Koordinationsordnung“ steht mit dem normativen Hauptziel – der Sicherung der Privatautonomie –, wie an anderer Stelle bereits ausgeführt 379, in einem Verhältnis der Komplementarität. Der Wettbewerb als Institution ist aufrechtzuerhalten, um privatautonom geschlossene Verträge zu ermöglichen, in denen er sich zugleich kontinuierlich verwirklicht. Da die Privatautonomie der Marktteilnehmer als normative Vorgabe im Mittelpunkt steht, findet sich der Wettbewerb als Institution insoweit in einer dienenden Funktion; an anderer Stelle (oben C IV 4) wurde daher der Begriff der komplementären Akzessorietät gewählt, um das Verhältnis von Wettbewerb und Vertrag zu beschreiben. Der Wettbewerb ist dem Institut des privatautonom geschlossenen Vertrags, der Vertragsfreiheit, im Modell der normativen Effizienz nach der hier vertretenen Auffassung komplementär akzessorisch. Die sich an dieser Stelle ergebende Folgerung aus dem Modell normativer Effizienz ist rein systemtheoretisch-prozeduraler Natur. Das Recht hat die Aufgabe, durch verhältnismäßige Eingriffe in die formal verstandene Privatautonomie samt dem Grundsatz pacta sunt servanda einerseits, und – gleichermaßen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messende – Eingriffe in den Marktprozeß andererseits, die Möglichkeit für autonome Entscheidungen der Marktteilnehmer zu sichern. Die Festlegung des Ausmaßes an Informiertheit und Freiheit von Belästigung und Druck, die für eine „autonome“ Entscheidung in diesem Sinne notwendig ist, wird 377
S. die Verbraucherdefinition bei Drexl, aaO., S. 10 f., die es bereits zutreffend gestattet, auch Situationen von Nachfragewettbewerb mit zu erfassen. 378 Die Freiheit der Anbieterseite betont auch Rittner, AcP 188 (1988), 101, 120. 379 Vgl. oben C IV 4.
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1. Kapitel: Grundlagen
zur normativen Aufgabe, die in den Grenzen des durch die Verfassung gesetzten Rahmens dem Gesetzgeber zugewiesen ist. (4) Folgen für Methode und Ergebnisse der ökonomischen Analyse des Rechts Die entscheidende methodische Frage lautet, welcher Raum für die auf das neoklassische Effizienzkriterium basierten Methoden der ökonomischen Analyse des Rechts im Modell der normativen Effizienz bleibt. Das Modell der normativen Effizienz vermag insoweit die Einwände der moralisch-ethischen Begründungslinie der Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts zu entkräften. Bildet die Sicherung autonomer Vertragsentscheidungen im Einzelfall die Zielgröße des Systems, so droht nicht länger eine Instrumentalisierung der Marktteilnehmer im Interesse übergeordneter aggregierter Allokationsziele. Zu präzisieren ist aber, inwieweit mit seinem systemtheoretischen, am Entscheidungsspielraum in konkreten Situationen ansetzenden Modell, die Anwendung der grundsätzlich andersgearteten (eine aggregierte Zielgröße verfolgenden) welfaristischen Modellmethoden im Sinne einer Optimierung der gesamtgesellschaftlichen Effizienz überhaupt noch sinnvoll vereinbar ist. Es ist mithin zu entscheiden, welche Methoden der Ökonomie konkret auf dieser Grundlage überhaupt noch weiterhin Verwendung in Legislative und Rechtsanwendung finden können und welche Methoden abzulehnen sind. Fraglich ist insbesondere, inwieweit auch der methodologische Vorwurf der Unbestimmtheit, der gegen die welfaristische ökonomische Analyse des Rechts erhoben wird, nachhaltig entkräftet werden kann. Dieser Frage ist im folgenden nachzugehen, wobei zuerst die Argumente der Kritiker kurz zusammenzufassen sind. b. Der methodologische Begründungsstrang der Kritik an der ökonomischen Analyse des Rechts In einer eindrucksvollen Kritik an der „law and economics“ Bewegung hat Duncan Kennedy die methodologischen Argumente gegen die effizienzbasierten Ansätze der ökonomischen Analyse des Rechts in Stellung gebracht 380. Seine grundlegende methodologische Kritik richtet sich gegen das Effizienzverständnis auf Grundlage eines zu optimierenden Werts gesamtgesellschaftlichen Wohlstands (im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums), der von der Verteilung dieses Wohlstands unabhängig, den Fragen der Verteilungsgerechtigkeit gewissermaßen vorgeschaltet sei. Der Beitrag konzentriert sich auf den Bereich der Allokation von Handlungsrechten unter der Prämisse der weitestmöglichen Annäherung an einen hypothetisch effizienten Zustand in Situationen, in denen prohibitiv hohe Transaktionskosten einen freien Austausch gänzlich verhindern, ist aber in seiner 380
Kennedy, Stanford Law Review 33 (1981), 387 ff.
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methodischen Kritik über dieses Anwendungsfeld hinaus für den gesamten Bereich der welfaristischen ökonomischen Analyse des Rechts verallgemeinerbar. Sein Hauptvorwurf, der sich auf die aus methodologischer Sicht unvermeidbare Unbestimmtheit der Methode der welfaristischen ökonomischen Analyse des Rechts bezieht – soweit sie Verteilungseffekte und Wechselwirkungseffekte ganz allgemein ceteris paribus ausklammert –, ist denn auch von anderen Kritikern verallgemeinert worden 381. Der Vorwurf richtet sich gegen diejenigen Ansätze, die im Sinne der Effizienz in Situationen mit prohibitiv hohen Transaktionskosten die Verteilung der Handlungsrechte und –pflichten am Kriterium hypothetischer Markttransaktionen ausrichten wollen, indem sie „Auktionsentscheidungen“ der Marktteilnehmer unter Hinwegdenkung der Transaktionskosten simulieren 382. Das (bescheidenere) Ziel der Transaktionskostensenkung in konkreten Marktsituationen, um Austauschbeziehungen im Verkehrssystem soweit wie möglich zu erleichtern, läßt diese Kritik demgegenüber unberührt. Um die besondere Bedeutung der Kritik Kennedys zu illuminieren, ist zuerst kurz auf einige mittlerweile weithin anerkannte Unzulänglichkeiten der REMHypothese hinzuweisen, die näher noch unten (D V 3 und 4) zu betrachten sind. So hat die empirische psychologische Forschung eine Vielzahl von strukturellen Abweichungen menschlichen Verhaltens vom Modell nutzenmaximierender Entscheidungen im Sinne der REM-Hypothese herausgearbeitet, die von der beschränkten Rationalität in schwierigen Entscheidungssituationen bis hin zur Abhängigkeit der Präferenzentscheidungen von der Art der Präsentation der Alternativen reichen383. Derartige Abweichungen von der REM-Hypothese sind aus der Sicht der Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts insofern unerheblich, als sie sich – so einige Vertreter der ökonomischen Analyse – in der massenhaften Extrapolation über die Gesamtzahl der Marktteilnehmer offenbar ausgleichen und daher die Tragfähigkeit des Modells für sich genommen nicht grundlegend in Frage stellen 384. Dem läßt sich nun allerdings – wie es bereits oben (II 2 b) angedeutet wurde – entgegenhalten, daß das normative Fundament der Wohlstandsmaximierung (die moralische Berechtigung des Pareto-Kriteriums) einen tiefen Riß erhält, sofern die Wohlstandsoptimierung nach dem Pareto-Kriterium (wegen der nur hypothetischen Simulation der Zustimmung der Marktteilnehmer) nur rational sich verhaltenden Individuen zugute kommt, während die – in der massenhaften Aggregation vernachlässigten – sich in strukturellen Gefährdungssituationen nicht nutzenmaximierend anhand ihrer eigenen Präferenzordnung 381 Vgl. insbesondere Coleman, Economic Analysis of Law, in: Pennock/Chapman (ed.), S. 83, 94 ff.; Coleman, Market Contractarianism, in: Markets, Morals and the Law, S. 243 ff. 382 So insbesondere Posner, Economic Analysis, S. 12 ff.; vgl. auch Schäfer/Ott, S. 34. 383 Vgl. zu derartigen Anomalien zusammenfassend Schäfer/Ott, S. 63 ff. mwN sowie näher noch unten V 4. 384 Vgl. Schäfer/Ott, S. 67, die sich eine derart simplistische Gegenargumentation aber wohlgemerkt nicht zu eigen machen, sondern vorsichtiger darauf hinweisen, daß die Bedeutung derartiger Anomalien für die ökonomische Analyse des Rechts noch stark umstritten sei.
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1. Kapitel: Grundlagen
verhaltenden Individuen immanent benachteiligt werden 385. Aus der Sicht des Rechts ist schon aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes daher besonderes Augenmerk auf die Situationen zu richten, in denen rationales Entscheidungsverhalten gefährdet ist. Dies bedeutet nicht, daß in jeglicher dieser Situationen eine Reaktion des Rechts erfolgen muß, um Entscheidungsspielräume zu sichern; stets ist zu bedenken, daß der Schutz derjenigen Verkehrsteilnehmer, die in einer solchen Gefährdungssituation irrational entscheiden, potentiell auch zu Lasten der Freiheit anderer Verkehrsteilnehmer geht, die in einer solchen Situation noch rational entscheiden würden. Doch besteht ein Interesse des Rechts, derartige Situationen und die durch sie strukturell typischerweise gefährdeten Gruppen von Marktteilnehmern näher zu analysieren. Die ökonomisch-psychologischen Schulen, die sich diesen Situationen widmen, sind insofern von besonderem Interesse und werden noch sogleich unten (D V) näher vorgestellt. Im hier behandelten Zusammenhang ist jedoch zuzugestehen, daß aufgrund der massenhaften Aggregation, die möglicherweise zum gegenseitigen Ausgleich struktureller Abweichungen vom Rationalverhalten führt, sich aus derartigen Abweichungen zwar ein moralisches, nicht jedoch zwingend auch ein methodologisches Argument gegen die ökonomische Analyse ergibt. Ein solches – sozusagen politisch „neutrales“ – rein methodologisches Argument entfaltet aber Kennedy und darin liegt die ganz besondere Bedeutung seiner Kritik. Auch Kennedy geht von einer mittlerweile weithin anerkannten Unzulänglichkeit der REM-Hypothese und des neoklassischen Marktmodells aus. Doch tritt diese Unstimmigkeit – anders als die „nur“ psychologischen Verhaltensanomalien – selbst innerhalb des Modells nutzenmaximierender Entscheidungen auf und ist damit methodisch relevant 386. Die neoklassische Konzeption, in der sämtliche Marktteilnehmer die im Markt gegebenen Preise zu akzeptieren haben, läßt nämlich das sogenannte „offer/asking“-Problem außer Betracht, demzufolge Marktteilnehmer dazu tendieren, für bereits in ihrem Besitz befindliche Güter (Verkaufs-)preise zu verlangen, die typischerweise höher liegen als die (Einkaufs-)preise, die sie selbst bereit wären für den Erwerb dieser Güter aufzuwenden. Neben anderen (psychologischen) Erklärungsversuchen387 läßt sich diese unbestrittene „offer/ asking“-Problematik auch im Rationalitätsmodell erklären – ist also innerhalb des Modells vorhanden – und wird dort auf sogenannte „wealth effects“ zurückge385 Schäfer/Ott, S. 67, sprechen von „Geldpumpen“, als die nicht rational sich verhaltende Marktteilnehmer von anderen genutzt werden könnten. 386 Vgl. Kennedy, Stanford Law Review 33 (1981), 387, 401 ff. 387 S. grundlegend Kahneman/Knetsch/Thaler, Journal of Political Economy 98 (1990), 1325 ff. mit reichen experimentalökonomischen Belegen unter Bezugnahme auf die demnach – selbst bei praktisch transaktionskostenfrei gestalteten „Märkten“ im Experiment – klar verfehlte Gültigkeit des Coase-Theorems. Daneben zählen hierher insbesondere auch die Arbeiten Kelmans über die inhärente Tendenz menschlichen Entscheidungsverhaltens, den status quo einer Veränderung der Verhältnisse vorzuziehen. Siehe Kramer, The Complications of Externalities, unveröffentlichtes Vorlesungsskriptum, Cambridge 2003, sowie noch die Nachweise unten V 3 und 4.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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führt388, d.h. auf die Tatsache, daß mit zunehmendem Wohlstand zusätzliche Wohlstandseinheiten einen sich verkleinernden Grenznutzen haben 389. Damit hängt aber selbst in der Modellumgebung die Antwort auf die von der ökonomischen Analyse des Rechts gestellte hypothetische Frage, was die Teilnehmer an einer Transaktion im Falle des Nichtvorhandenseins von Transaktionskosten vereinbart hätten, entscheidend davon ab, welche Verteilungssituation hinsichtlich des vorhandenen Wohlstands der diesbezüglichen Analyse zugrundegelegt wird. Es ist mit anderen Worten zunächst eine Ausgangssituation (baseline) festzulegen, vor deren Hintergrund die hypothetische Transaktion stattfindet, in deren Rahmen die Gewinner einer bestimmten Allokationsentscheidung der Rechtsordnung die Verlierer dieser Allokationsentscheidung entschädigen. Als verteilungsökonomische baseline wird in der ökonomischen Analyse des Rechts insoweit typischer- (und anscheinend naheliegender-)weise die real existierende Marktumgebung gewählt; eben diese Wahl der baseline ist aber durchaus nicht selbstverständlich, da ja die existierende Marktumgebung durch eine Vielzahl anderer Transaktionskosten gekennzeichnet ist, die theoretisch – um dem Modell zu entsprechen – ebenfalls hinwegzudenken wären. Hinzu kommt, daß die Verteilungssituation hinsichtlich des Wohlstands noch zusätzlich durch die gerade den Gegenstand der Analyse selbst bildende Festsetzung von Handlungsrechten aufgrund hypothetischer Vereinbarungen ihrerseits wiederum beeinflußt wird. Diese Rückwirkung der Festsetzung der Handlungsrechte auf die resultierende Verteilung des Wohlstands, mithin der Zusammenhang zwischen Allokation der Ressourcen und Verteilung des Wohlstands wird jedoch im Modell der Neoklassik bei der Zuordnung einzelner Handlungsrechte ceteris paribus vernachlässigt. Insofern ist der Haupteinwand der Kritiker gegen die „Auktionsmethode“ der welfaristischen ökonomischen Analyse des Rechts im Sinne eines Richard Posner und anderer, daß stets von einem Ausgangszustand der Verteilung (in der realen, von vielzähligen Transaktionskosten gekennzeichneten Marktumgebung) ausgegangen wird, auf dessen Grundlage dann nur einzelne Transaktionskosten hinweggedacht werden, um die hypothetische Vereinbarung der Marktteilnehmer zu simulieren. Deren Vereinbarung, so Kennedy, würde sich aber unter Umständen ganz anders darstellen, wenn die Verteilungssituation zwischen ihnen abweichend 388 Diese Erklärung – die hier deshalb zugrundegelegt werden soll, um das Modell der ökonomischen Analyse im Rahmen seiner eigenen Prämissen gültig zu kritisieren – greift freilich zu kurz, da die experimentalökonomischen Daten belegen, daß die offer-asking-Preisdifferenz selbst dann signifikant ist, wenn sämtliche Versuchspersonen über annähernd dasselbe „Wohlfahrtsniveau“ verfügen. Vgl. insbesondere Kahneman/Knetsch/Thaler, Journal of Political Economy 98 (1990), 1325 f. 389 Diese sämtlichen Anomalien sind mittlerweile Gemeingut auch der ökonomischen Analyse des Rechts in ihrer reinen Form, wenngleich ihre Relevanz für die Legitimität der Methode naturgemäß unterschiedlich beurteilt wird. Vgl. etwa zur Problematik der „wealth effects“, die Posner im Rationalitätsmodell wie dargestellt zu erklären vermag, sowie weiterer „echter“ Abweichungen menschlichen Verhaltens von der Rationalitätsannahme auch ausdrücklich Posner, Economic Analysis, S. 19 ff., insbesondere S. 20. Vgl. für weitere Anomalien menschlichen Verhaltens im Vergleich zur REM-Hypothese Schäfer/Ott, S. 63 ff., sowie näher noch unten V 4.
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wäre. Diese Verteilungssituation wird jedoch ceteris paribus als gegeben hingenommen, obwohl sie doch sogar ihrerseits durch die Zuordnung der in Frage stehenden Handlungsrechte wiederum verändert wird. Anders ausgedrückt: Das Resultat der hypothetischen Vereinbarung hängt – sobald es mehr als ein Handlungsrecht zuzuordnen gilt – davon ab, welche Transaktionskosten (zuerst) hinweggedacht werden bzw. welches Handlungsrecht zuerst hinsichtlich seiner allokationseffizienten Zuordnung untersucht wird. Denn jede dieser Zuordnungen würde die Verteilungssituation hinsichtlich des Wohlstandes und damit notwendig die nachfolgenden hypothetischen Markttransaktionen beeinflussen. Würden demgegenüber, wie es das Konzept der Neoklassik notwendig zu machen scheint, tatsächlich alle Transaktionskosten zugleich hinweggedacht, so wäre (wie es Coase) belegt hat, das Erreichen des Effizienzpunktes bei jeglicher anfänglichen Allokation garantiert, wobei dann aber von einer realen Marktumgebung ohnedies nicht mehr die Rede sein könnte390. Zudem wäre in einer solchen Modellumgebung, wenn die Rückwirkung der Allokationsentscheidung auf die Verteilung des Wohlstands einbezogen würde, mathematisch eine Vielzahl unterschiedlicher Verteilungszustände hinsichtlich des Wohlstands das Resultat, die sämtlich jeweils hinsichtlich der Ressourcenallokation dem Effizienzgebot entsprechen würden. Mit anderen Worten würden sich bezüglich des Kriteriums der Effizienz multiple Optima ergeben, die aber jeweils eine andere Wohlstandsverteilung repräsentieren würden. Auf der Basis dieser grundlegenden Kritik betont Kennedy den notwendig unbestimmten Charakter der welfaristischen „law and economics“-Methodik, die nicht zu eindeutigen Ergebnissen führen kann, sofern nicht normative Erwägungen in die Ausgangsprämissen einzelner modellhafter Vorhersagen einfließen. Diese häufig methodisch nicht sauber aufgedeckten normativen Entscheidungen betreffen die Ausgangssituation (baseline) hinsichtlich der Ressourcenverteilung, die für die Analyse gewählt wird und sie betreffen weiter die Frage, welche Transaktionskosten (selektiv) hinweggedacht werden, um hypothetische Verhandlungsentscheidungen der Marktteilnehmer vorherzusagen. Anhand einiger Beispiele belegt Kennedy den implizit normativen Charakter, der der Auswahl der jeweils zugrundeliegenden „baseline“ in welfaristischen Studien in der Tat innewohnt. Von Wert ist insbesondere seine klarsichtige Analyse des normativen Charakters des Konzepts der Externalitäten391. Diesbezüglich ist mit Kennedy festzustellen, daß jegliche – auch noch so geringe und fernliegende – Auswirkung einer Aktivität auf dritte Parteien aus methodischen Gründen an sich als Externalität angesehen werden muß. Die eigentliche Entscheidung, die es hier für die ökonomische Analyse des Rechts in einer Welt mit Transaktionskosten – in der nicht ohne weiteres ein Handel hinsichtlich sämtlicher auch noch so fernliegender Kosten der 390
Vgl. näher Kennedy, Stanford Law Review 33 (1981), 387, 422 ff., sowie auch schon oben II. 391 Vgl. diesbezüglich grundlegend insbesondere Calabresi, Yale Law Journal 100 (1991), 1211 ff.
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Aktivität stattfindet – zu treffen gilt, ist wiederum eine wertende und betrifft die Frage, welche Auswirkungen auf dritte Parteien für den folglich nurmehr hypothetischen „Handel“ im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums noch (und mit welchem Kostenfaktor) berücksichtigungsfähig sind und welche nicht. Über die (allerdings nicht gering zu schätzende und auch für die hier angestellte Untersuchung noch zu verwertende) Erkenntnis hinaus, daß Aktivität im Markt und insbesondere Transaktionen auch Effekte für Dritte haben können, deren kosten-/nutzenmäßige Zuordnung rechtlich-normativ zu beurteilen ist, bringt das Konzept der Effizienz daher in einer von real vorhandenen Transaktionskosten gekennzeichneten Welt keinen wesentlichen weitergehenden Erkenntnisgewinn bezüglich der Frage, wem diese Kosten/dieser Nutzen zuzuordnen sind. Dies hatte im übrigen, wie es hier gezeigt wurde, auch schon Coase in seinem Beitrag klarzustellen versucht392.
4. Bewertung und Konsequenzen für die Verwertbarkeit modellbasierter ökonomischer Erkenntnisse allgemein Grundlegend methodologisch läßt sich der hier dargestellten Kritik an der welfaristischen ökonomischen Analyse des Rechts zweierlei entnehmen: Erstens ist die ökonomische Analyse des Rechts hinsichtlich ihrer verteilungspolitischen Ergebnisse nicht – wie häufig behauptet – neutral, sondern vielmehr in jedem konkreten Anwendungsfall dieser Methode von verborgenen normativen Entscheidungen bestimmt. Diese impliziten normativen Entscheidungen werden – anders als die explizite normative Entscheidung, die es im Modell der normativen Effizienz zu treffen gilt – im Modell der ökonomischen Analyse des Rechts nicht immer aufgedeckt. Zweitens sind nach Kennedy die Ergebnisse einer welfaristischen ökonomischen Analyse des Rechts, die sich auf das Ziel der Annäherung an effiziente Ressourcenallokation konzentriert und die Verteilung des Wohlstands ceteris paribus ignoriert, wegen der selektiv vernachlässigten Wechselwirkungseffekte des komplexen Marktsystems selbst dann aus methodologischer Sicht unvermeidbar unbestimmt, wenn einzelne notwendige normative Entscheidungen im Ausgangspunkt explizit getroffen werden. Dies gilt jedenfalls soweit die ökonomische Analyse über das Ziel der Transaktionskostensenkung in der konkreten Einzelsituation hinaus, zusätzlich eine hypothetisch effiziente Verteilung der Handlungsrechte in Situationen mit unterstellt prohibitiv hohen Transaktionskosten vornehmen will, in denen ein vertragsmäßiger Austausch der Handlungsrechte aufgrund der Höhe der Transaktionskosten unterbunden ist. Insofern läßt sich das Konzept der normativen Effizienz als Reaktion und Lösung bezüglich des ersten Einwandes der methodologischen Kritik von Kennedy und anderen auffassen. Der normative Charakter der ökonomischen Analyse wird aufgedeckt und die normative Grundentscheidung durch die rechtlich bestimmte 392
S. oben II.
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Auswahl der Zielfunktion getroffen. Kennedys zweiter, mehr mathematisch methodologischer Einwand, der auf die notwendige Unbestimmtheit der welfaristischen Aggregationsmethode verweist, ist demgegenüber auf dieser Grundlage nicht zu widerlegen. Vielmehr ist die Unbestimmtheit der ökonomischen Analyse des Rechts, soweit sie hypothetische Entscheidungen der Marktteilnehmer für Situationen, in denen reale Entscheidungen durch prohibitiv hohe Transaktionskosten verhindert werden, selektiv zu simulieren sucht, angesichts der Komplexität der analysierten Systeme schlicht eine hinzunehmende Tatsache. Schon Coase hat in seiner klassischen Abhandlung auf die Unmöglichkeit derartiger Vorhersagen hingewiesen und diese Auffassung auch in der Folge mehrfach in konkreter Auseinandersetzung mit der von ihm abgelehnten ökonomischen Analyse des Rechts bestätigt393. Damit ergibt sich für die Verwendbarkeit ökonomischer Erkenntnisse in der Rechtsanwendung, daß die Methoden der Ökonomie methodologisch bedenkenlos lediglich herangezogen werden können, soweit sie in situationsbezogenen Analysen, ohne sich auf die Geltung des allgemeinen Effizienzkriteriums zu stützen, Aussagen über die Folgen der konkreten Ausgestaltung bestimmter rechtlicher Institutionen treffen. In diesen Fällen ist zudem die notwendige normative Rahmenvorgabe an die Ökonomie zu berücksichtigen, die sich ihrerseits nur aus der Rechtsordnung ergeben kann. Eine darüber hinausgehende umfassende Umgestaltung der Rechtsordnung im Sinne eines zum entscheidenden Maßstab erhobenen hypothetischen Effizienzkriteriums ist demgegenüber ebenso abzulehnen wie die Lösung von Einzelfällen in der Rechtsanwendung anhand der allein maßgeblichen Grundlage des Effizienzkriteriums. Soweit das Effizienzziel nicht zum alleinigen Maßstab erhoben wird, können im übrigen Effizienzanalysen – in klarer Erkenntnis und Anerkenntnis ihrer methodisch notwendigen Unbestimmtheit – dann ein Hilfsmittel unter mehreren für die Rechtsgestaltung liefern, wenn sie ihre Prämissen und sonstige Vorentscheidungen letztlich wertender Art und die sich daraus ergebenden Limitierungen der modellhaft ermittelten Resultate sauber aufdecken und solcherart eine echte Beurteilung der Grundlagen und Tragfähigkeit der erzielten Ergebnisse ermöglichen. Den in der Folge dargestellten neueren Schulen der Informationsökonomie und insbesondere der Neuen Institutionellen Ökonomie ist gemeinsam, daß sie keine umfassenden Handlungsanweisungen an das Recht auf Grundlage der allgemeinen Geltung des transaktionskostenfreien neoklassischen Marktmodells aufstellen. Vielmehr widmen sie sich eher den Abweichungen der realen Marktumgebung vom neoklassischen Modell einerseits und den systematischen Abweichungen empirisch zu beobachtenden menschlichen Verhaltens von der REM-Hypothese andererseits. Diese ökonomischen Überlegungen sind für die hier angestellte Untersuchung daher zum Teil gewinnbringend verwertbar. Denn derartige Untersuchungen strukturellen Markt- oder Vertragsversagens sind – soweit sie an der 393
S. oben II.
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Situation des einzelnen Marktteilnehmers ansetzen und die Reduzierung von Transaktionskosten in der typisierten Einzelsituation anstreben – von der allgemeinen Geltung des Effizienzkriteriums unabhängig394 und daher ebenso unproblematisch als Folgenanalyseinstrument bei der Identifikation von Situationen strukturellen Vertragsversagens im Recht einsetzbar, wie im übrigen auch bei der Suche nach funktionsgerechten und verhältnismäßigen Mitteln zur Entschärfung derartiger Gefährdungssituationen395. Nur soweit darüber hinaus auf Grundlage allgemeiner Effizienzüberlegungen von diesen Theorien auch normative Maßstäbe zur rechtlichen Abwägung der Frage entwickelt werden, inwieweit im Interesse eines optimalen Marktergebnisses in Gefährdungssituationen Schutz zu gewähren ist, ist wiederum Vorsicht geboten. Soweit keine normativen Maßstäbe auf der alleinigen Grundlage des Effizienzkriteriums aufgestellt werden und soweit die Prämissen, unvermeidlich zugrundeliegenden wertenden Vorentscheidungen und modellartigen Limitierungen methodisch sauber aufgedeckt werden, können aber auch diese letztgenannten Methoden in die Rechtsgestaltung als tatsachenorientiertes Folgenanalyseinstrument im Rahmen des weiten Spielraums, der dem Gesetzgeber zur Verfügung steht, nach dessen in den Grenzen des grundgesetzlichen Rahmens ausgeübtem Ermessen integriert werden396. Und auch in die Rechtsanwendung können sie aus dogmatischer Sicht im Rahmen des Verkehrsschutzgedankens, soweit dieser einen Platz in der teleologischen Auslegung oder bei der Konkretisierung von Generalklauseln einnimmt, Eingang finden 397. Ein darauf basiertes Modell für die differenzierte dogmatische Rezeption dieser Methoden in der 394
Zutreffend Grigoleit, Informationshaftung, S. 76. Insoweit geht die Kritik von Fezer, JZ 1986, 817, 820, der hierin den einseitigen Versuch erblickt, die Wirklichkeit in das Modell zu pressen, dem Modell anzunähern, jedenfalls dann fehl, wenn sich die Ökonomie darauf beschränkt bestimmte Situationen des Vertragsversagens zu ermitteln und Lösungen anzubieten, die den Marktteilnehmern in derartigen Situationen einen Spielraum für freiwillige Entscheidungen auf fehlerfreier Grundlage sichern. Soweit allerdings Rechtsgestaltung oder –anwendung auf Grundlage der Annahme betrieben wird, die Marktteilnehmer würden diesen Spielraum sodann stets und ohne Ausnahme im Sinne methodischen Individualismus egoistisch nutzen, ist Fezers Kritik die Berechtigung nicht abzusprechen. 396 Vgl. mit diesem Ergebnis für die Rechtsetzung auf Basis einer grundlegenden Untersuchung Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 490. Gewisse immanenten Grenzen der gesetzgeberischen Ermessensausübung ergeben sich allerdings daraus, daß auch die Mehrzahl der nicht effizienzorientierten Methoden der Neuen Institutionenökonomik dem ökonomischen REM-Menschenbild verhaftet bleibt. Insoweit sind dem Gesetzgeber in seinem Ermessen durch die Verfassung gewisse Grenzen gezogen; angesichts der Abweichung des Menschenbilds des Grundgesetzes vom methodischen Individualismus des ökonomischen Modells kommt insbesondere eine ausschließliche Orientierung an derartigen Methoden nicht in Betracht. Vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S. 176 ff.; mit einem Vergleich des grundgesetzlichen und des ökonomischen Menschenbildes Kirchgässner, JZ 1991, 104, 105 ff. 397 Zutreffend Leenen, in: Behrends (Hrsg.), Rechtsdogmatik, S. 108, 110 f.; Grigoleit, Informationshaftung, S. 76, jeweils am Beispiel der Verteilung vorvertraglicher Informationsverantwortlichkeiten. Enger Eidenmüller, aaO., S. 489 ff. bezüglich der Instrumentalisierbarkeit des Effizienzkriteriums für die Rechtsanwendung. Die hier betrachteten ökonomischen Einzelbau395
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Rechtsanwendung wird noch unten (E) kurz umrissen. Zuvor sind die relevanten Erkenntnisse der Informationsökonomie und der Neuen Institutionellen Ökonomie jedoch darzustellen, soweit sie anhand der vorstehenden Maßstäbe berücksichtigungsfähig sind.
IV. Informationsökonomie 1. Einführung Obgleich schon von Hayek die Unmöglichkeit vollständiger Information im Marktprozeß betont hatte – da der Marktprozeß die Information vermittelt über den Preismechanismus erst hervorbringe – ging das Modellbild der Neoklassik zuerst von der realitätsfremden Prämisse vollständiger Information sämtlicher Marktteilnehmer aus. Das – ganz im Gegenteil – unvollständige Information eine der Triebfedern des dynamischen Wettbewerbsprozesses in seinem systemtheoretischen Verständnis ist 398, wurde im neoklassischen Modell zu Beginn gänzlich ausgeblendet. Insofern hat aus der Sicht der neoklassischen Wohlfahrtsökonomie George Stigler den entscheidenden Anstoß zu mehr Realitätsnähe in diesem Teilbereich gegeben: In einem Aufsatz aus dem Jahre 1961399 wendete er sich erstmals dem Thema unvollständiger Information zu, ohne dabei grundsätzlich das Gleichgewichtsmodell der Neoklassik zu verlassen. Seine Forschung, die sich den durch die Notwendigkeit der Informationsbeschaffung bei Preisunsicherheit entstehenden Suchkosten widmet, war die Initialzündung einer Vielzahl von Folgeüberlegungen zu den durch Informationsbeschaffung über Preise, Produktqualität etc. entstehenden Transaktionskosten im Markt und begründete innerhalb der welfaristischen Schule die Suchtheorien der Informationsökonomie. Gemeinsam ist diesen hier vorgestellten Forschungsansätzen eines: Sie widmen sich den im Markt entstehenden Transaktionskosten durch Nichtvorhandensein bestimmter Informationen über den Preis oder die Eigenschaften der gehandelten Ware bzw. Dienstleistung. Auf dieser Grundlage werden sodann marktimmanente Instrumente zur Senkung dieser Transaktionskosten, wie beispielsweise Werbung und Aufbau von goodwill sowie rechtliche Eingriffe in den Marktprozeß zur Senkung von Informationskosten analysiert. Dabei steht schon im Ausgangspunkt (auch aufgrund der oben angestellten systemtheoretischen Überlegungen400) fest, daß das Ziel derartiger Eingriffe nicht die vollständige Information sämtlicher Marktteilnehmer sein kann; vielmehr ist im Interesse des lebhaften Marktprozesses ein Idealsteine der Neuen Institutionellen Ökonomie sind aber von der allgemeinen Geltung des Effizienzprinzips gerade unabhängig. 398 S. näher etwa Kirzner, Unternehmer und Marktdynamik, 1988, sowie auch schon oben C II 2 und C III 2–5. 399 Stigler, Journal of Political Economy 69 (1961), 213 ff. 400 Vgl. oben C III 2–5.
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maß an Informationspflichten zu bestimmen, welches auch die Möglichkeit einer Fehl- bzw. Nichtinformation eines Teils der Verbraucher einschließt401. Auf unser Thema gewendet sind die Forschungsansätze der Informationsökonomie von besonderem Interesse für den Bereich des Schutzes vor Irreführung im Recht des unlauteren Wettbewerbs gleichermaßen wie für einzelne Instrumente des vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes, die sich dem Schutz des Verbrauchers vor Qualitätsunsicherheit und allgemein vor Informationsungleichgewichten widmen. Anders ausgedrückt geht es um den Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers. Die Entscheidung selbst wird aber in den Modellen der Informationsökonomie seitens des Verbrauchers weiterhin streng anhand der REM-Hypothese, das heißt rational präferenzoptimierend getroffen. Scharf zu trennen hiervon ist der Bereich der Störungen des Vertragsabschlußmechanismus selbst, d.h. der Verzerrung der ungestörten Präferenzbildung des Verbrauchers als solcher. Von Gefahren für den Entscheidungsprozeß ist später (vgl. unter anderem unten 4) zu handeln. Im folgenden geht es zuerst um die Frage, welche Informationen den jeweiligen Vertragspartnern idealerweise zur Verfügung stehen müssen und mit welchen Instrumenten das Wettbewerbs- und Vertragsrecht für die Bereitstellung dieser Informationen sorgen kann (s. unten 2), wobei im Rahmen des hier behandelten Untersuchungsthemas naturgemäß besonderes Augenmerk der Rolle der Werbung in der informationsökonomischen Forschung gilt (s. unten 3).
2. Preisunsicherheit und Qualitätsunsicherheit Stigler führt in seinem Modell der Preisunsicherheit (vergröbernd dargestellt) Suchkosten ein, die der Käufer402 aufwenden muß, um den Preis eines Produktes durch Stichproben in einem Markt mit gegebener (und bekannter) Preisverteilung zu ermitteln403. Nach der Grenzkostenmethode wird in einem solchen Modell der Nachfrager seine Suche abbrechen, wenn die Kosten für einen weiteren Suchschritt 401 So aus der Sicht der welfaristischen Informationsökonomie allgemein Ehrlich/Fisher, American Economic Review 1982, 366, 368. Aus der Sicht eines dynamischen, systemtheoretischen Wettbewerbsverständnisses im Sinne der österreichischen Schule (aber auch der ordoliberalen Tradition in ihrem durch Fikentscher ausgedrückten Wettbewerbsverständnis) ergibt sich dieses Ergebnis schon daraus, daß nur in einem durch zufällig verteilte Informationsungleichgewichte geprägten Markt sich unternehmerischer Wettbewerb aus der Sicht des einzelnen Unternehmers entwickeln kann, was freilich nicht dagegen spricht strukturelle Informationsungleichgewichte zum Ziel gesetzgeberischer Maßnahmen zu machen. Vgl. für eine umfassende Theorie des Wettbewerbsprozesses als dynamischem Informationsentdeckungsprozeß neben den oben (C III 3) geschilderten Forschungsansätzen von Hayeks insbesondere die Konzeption bei Kirzner, Unternehmer und Marktdynamik, 1988. Vgl. auch die zusammenfassende Darstellung bei Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 101 ff. 402 Das Modell ist naturgemäß auch auf den selteneren Fall eines Nachfragemarktes übertragbar, in dem die Verkäuferseite Informationskosten aufwenden muß, um den preiswertesten Veräußerer zu ermitteln, vgl. Stigler, Journal of Political Economy 69 (1961), 213, 216. 403 Stigler, Journal of Political Economy 69 (1961), 213, 214 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
den zu erwartenden Nutzen (durch die eingesparte Preisdifferenz) übersteigen404. Damit wird das effiziente Ergebnis des statischen Gleichgewichtsmodells verfehlt, weil die zusätzlichen Informationskosten zu einer Abweichung vom Effizienzpunkt des transaktionskostenfreien Modells führen405. Hatte Stigler in seiner Untersuchung die qualitative Homogenität des im Markt vertriebenen Produkts unterstellt und auf das diesbezügliche Desiderat für weitere Forschungsarbeiten hingewiesen406, so widmeten sich nachfolgende Untersuchungen dementsprechend insbesondere dem Problem der Qualitätsunsicherheit im Markt407. Nelson unterscheidet in seiner berühmt gewordenen Abhandlung von 1970 zwischen Suchgütern, bei denen die Qualität sofort (vor dem Kauf) sicher erkannt werden kann und Erfahrungsgütern, bei denen die Qualität sich erst nach und nach (und insbesondere erst nach dem Kauf) offenbart408. Darby und Karni haben dieses Modell durch die Kategorie der Vertrauenseigenschaften (credence qualities) verfeinert, bei denen der Erwerber die Qualität der Ware (oder 404 Stigler, aaO., 218 ff. Mittlerweile sind elaboriertere Theorien der Preissuche entwickelt worden, die zusätzlich in Betracht ziehen, daß der Käufer auch in einem der ersten Suchschritte einen hinreichend niedrigen Preis entdecken kann. In diesem Falle wird die Suche bereits in einem der ersten Schritte abgebrochen (Stopp-Regel). Andere Verfeinerungen der Suchtheorie berücksichtigen, daß typischerweise dem Käufer die Preisverteilung im Markt erst bei der Suche bekannt werden dürfte. Vgl. zum ganzen Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 117 f. mwN. 405 Vgl. für eine Berechnung des statischen Gleichgewichts unter Einbeziehung der Suchkosten der Erwerberseite und der Werbeaufwendungen der Anbieterseite Ehrlich/Fisher, American Economic Review 1982, 366, 372 ff. 406 Vgl. Stigler, aaO., S. 222, 224. 407 Qualitätsunsicherheit im Markt kann (in Abwesenheit von marktimmanenten oder staatlichen Gegengewichten) insbesondere in Märkten mit Erfahrungs- und Vertrauensgütern, bei denen eine strukturelle Informationsasymmetrie zwischen Anbieter- und Abnehmerseite hinsichtlich der Produkteigenschaften besteht, sowohl zu einem strukturellen Vertragsversagen als auch (unter bestimmten Bedingungen) in der Folge zu einem vollkommenen Marktversagen führen. Die Gefahr eines Vertragsversagens ergibt sich aufgrund des Problemfelds des moralischen Risikos (moral hazard: der Begriff, der – als eine der Realitätsannäherungen der REMHypothese – letztlich die Gefahr opportunistischen Verhaltens seitens der Vertragspartner beschreibt [„the importance of studying human nature as we know it“, and especially „moral hazard as an endemic condition with which economic organization must contend“], wurde zuerst von Knight, Risk, Uncertainty, and Profit, 1921 (Wiederauflage 1965), S. 270 bzw. S. 260, geprägt und bildet heute einen der wesentlichen Bestandteile der weitgefächerten Familie der „new institutional economics“, vgl. grundlegend Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 3; Richter/Furubotn, S. 46 f., sowie näher auch unten V), demzufolge in einem Vertrag im Falle von Qualitätsunsicherheit der Anbieter geneigt wäre, nicht erkennbares Fehlverhalten oder verborgene Qualitätsmängel nicht aufzudecken. Die Gefahr vollkommenen Marktversagens ergibt sich auf dieser Grundlage aus dem Effekt der adversen Selektion, wie ihn Akerlof in seinem berühmt gewordenen Aufsatz zum „lemon-problem“ im Gebrauchtwagenmarkt belegt hat (s. Akerlof, 84 Quarterly Journal of Economics 1970, 488 ff.): Demzufolge würden (unter bestimmten Bedingungen) in einem Markt mit Qualitätsunsicherheit die Käufer dazu neigen, die (niedrigqualitativen) Produkte mit den niedrigsten Preisen zu wählen, was (in Abwesenheit von institutionellen Gegengewichten, vgl. dazu Akerlof, aaO., S. 499 f.) langfristig zur Verdrängung der Anbieter höherer Qualität und schließlich zum vollkommenen Zusammenbruch des Markts führen könnte. 408 Nelson, Journal of Political Economy 78 (1970), 311 ff.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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insbesondere der Dienstleistung) selbst nach dem Erwerb nicht verläßlich einschätzen kann409 und haben zudem durch Verwendung des Begriffs Eigenschaften (qualities statt Güter (goods) bei Nelson) klargestellt, daß sich in einem Produkt sowohl sofort einschätzbare als auch sich erst später offenbarende Eigenschaften verbinden können, so daß ein genaueres Modell über die Einteilung nach Produktkategorien hinaus, auch auf eine Einteilung nach Produkteigenschaften (innerhalb eines einheitlichen Produkts) zielen muß410.
3. Die Funktion der Werbung Werbung wird schon in Stiglers Modell als ein entscheidendes Mittel gesehen, um Suchkosten zu reduzieren411. Gleichermaßen zählt Nelson Werbung und den Aufbau von goodwill (sogenanntes signaling seitens der Anbieterseite) zu den entscheidenden Gegenstrategien, um in Märkten mit Erfahrungsgütern den Abnehmern die höhere Qualität eigener Produkte zu signalisieren412. Werbung zählt demnach ausdrücklich zu den Gegenstrategien, die dem Problem der adversen Selektion entgegenwirken können. Der Einsatz von Werbung wird also in der Informationsökonomie grundsätzlich positiv beurteilt413. Aus der Sicht der Informationsökonomie vermittelt Werbung dem Verbraucher notwendige Preis- und Qualitätsinformation und erspart ihm damit Suchkosten414. Insofern wurde von Kritikern des herrschenden informationsökonomischen Konzepts eingewendet, daß unter diesen Umständen auch die Kosten im Sinne der Effizienz direkt und spezifisch unterscheidbar als Suchkosten von den Verbrauchern getragen werden müßten, statt über den Produktpreis mittelbar und unerkennbar an die Verbraucherseite weitergegeben zu werden. Das typische und anerkannte Gegenargument gegen diesen Einwand ist, daß die Kostenumlegung über den Produktpreis die zielgenaueste und in weiten Bereichen (im Vergleich zu zeitaufwendiger Suche aus der Sicht der Verbraucherseite) kostengünstigere Möglichkeit sei, dem Verbraucher die benötigte Information zu verschaffen. Jeder Versuch der direkten Informationsbeschaffung müsse demgegenüber ungenauer sein, da aus Kostengründen – etwa in Zeitungen, Zeitschriften und den Massenmedien – stets eine Vielzahl von Werbung zusammengefaßt sei, so daß bei direkter Kostentragung der Abnehmer einen großen Teil der Suchkosten für Informationen über Produkte aufwenden würde, die er für seinen spezifischen Bedarf gar nicht benötige415. Nur die Umlegung auf den Produktpreis gestatte daher die bestmögliche Annäherung an die effiziente Zuordnung der Suchkosten. 409 Typische Beispiele bilden der Arztbesuch oder die Autoreparatur, vgl. Darby/Karni, Journal of Law and Economics 16 (1973), 67, 68 ff. 410 Darby/Karni, aaO. 411 Stigler, Journal of Political Economy 69 (1961), 213, 220 ff. 412 Nelson, Journal of Political Economy 81 (1974), 729 ff. 413 Vgl. auch Ehrlich/Fisher, American Economic Review 1982, 366. 414 Ehrlich/Fisher, aaO., S. 367. 415 Stigler, Journal of Political Economy 69 (1961), 213, 222.
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1. Kapitel: Grundlagen
Diese Argumentation erscheint aus heutiger Sicht insofern nicht mehr uneingeschränkt tragfähig, als neue Vertriebsmedien – und namentlich das Internet – mittlerweile zu geringen Kosten eine gezielte Suche auch für die Abnehmerseite ermöglichen. Klassische Massenwerbung bleibt zwar von Bedeutung bezüglich des Problems der Qualitätsunsicherheit, da sie über den Aufbau von goodwill Qualitätsinformation an den Verbraucher vermittelt. Zugleich bieten aber vielzählige neue Geschäftsmodelle (Anbieter von Suchservices im Internet) – insbesondere im Bereich der Preissuche für Produkte, deren Markenname für eine homogene Qualität einsteht – gezielte Suchmöglichkeiten nach den Anbietern mit den niedrigsten Preisen an. Insbesondere im Bereich des Zwischenhandels und bezüglich der Suche nach dem günstigsten Preis dürfte dies die Bedeutung der Werbung (und insbesondere der direkten Ansprache durch Händler) aus der Sicht der Verbraucher drastisch reduzieren. Zumindest wäre eine Verlagerung des Schwergewichts der Werbung von der werblichen Direktansprache des Verbrauchers hin zu innovativen Werbeformen, die die Anbieter der genannten Suchservices ansprechen, zu erwarten. Dies betrifft einstweilen hauptsächlich die Bedeutung der Werbung für den Preiswettbewerb; aber selbst im Bereich der Qualitätsunsicherheit beginnt eine ähnliche Entwicklung sich abzuzeichnen, da eine Vielzahl von InternetHändlern und Verbraucherservices mittlerweile die Nutzerkommentare zu gehandelten Produkten mit veröffentlichen, was zumindest eine – wenngleich nicht letztgültig verläßliche – grobe Orientierung über die Produktqualität ermöglicht. Insofern wäre – ideale Marktverhältnisse im neoklassischen Sinne vorausgesetzt – insgesamt zu vermuten, daß marken- und qualitätsbezogene Produzentenwerbung die – häufig, ja typischerweise – preisbezogene Händlerwerbung mehr und mehr zu überlagern beginnt, da sich das Problem der Preissuche im Internet schon heute aus Verbrauchersicht zielgenau „aus eigener Kraft“ lösen läßt. Paradoxerweise sind aber parallel zu dieser Entwicklung, die aus Sicht des Verbrauchers eine direkte werbliche Ansprache weniger wertvoll erscheinen läßt, umgekehrt aus der Sicht der Anbieterseite die Kosten für umfassende Verbraucherdirektwerbung, insbesondere per E-Mail, im Internet mittlerweile verschwindend gering, woraus sich eine spezifische Situation des Marktversagens ergibt. Von besonderer Bedeutung ist, daß die Grenzkosten für die Ansprache zusätzlicher Internet-Nutzer – mit Ausnahme der zusätzlichen Kosten für die Beschaffung der Adreßinformationen – praktisch gegen Null gehen, da die Kosten für die Informationsübermittlung von der Anzahl der Adressaten fast vollkommen unabhängig sind, zumal die Kosten für die letztliche Speicherung und den Abruf der Werbe-E-Mail aus technischen Gründen hauptsächlich beim Adressaten entstehen. Diese kostenmäßige Fehlzuordnung führt aus informationsökonomischer Sicht zu einer Überinvestition in werbliche Direktansprache, in der zusammen mit erstgenannten Überlegungen betrachtet die informationsökonomische Erklärung für die Virulenz der Problematik des unerwünschten E-Mail-Direktmarketings liegen dürfte416. Wie 416
Übersetzt in die juristische Dogmatik des deutschen Rechts entspricht insbesondere das
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sich die Möglichkeit der direkten und gezielten Produkt- und Händlersuche des einzelnen Endverbrauchers im Internet (insbesondere wenn diese zukünftig auch verläßliche, weil auf breiter Basis empirisch abgesicherte Informationen über die Produktqualität liefern sollte) auf die Entwicklung der Bedeutung und insbesondere der Formen von Werbung in der Zukunft auswirken wird, ist in diesem Spannungsfeld insgesamt abzuwarten; deutlich wird jedenfalls aus juristischer Sicht, daß das vorbeschriebene spezifische Marktversagen zum Anlaß wettbewerbsrechtlicher Regelung des Direktmarketing werden kann und auch den entscheidenden Leitmaßstab bei der Suche nach verhältnismäßigen Regelungen im Bereich des Direktmarketings bilden sollte417. Eine weitere wesentliche informationsökonomische Ausgangserkenntnis, die mittlerweile weitgehend Anerkennung findet, ist die Tatsache, daß die informative Funktion der Werbung von ihrem sachlichen Gehalt weitgehend unabhängig ist418. Auch „unsachliche“, etwa imagebezogene oder emotional suggestive Werbung (d.h. Werbung, die sich nicht auf Produkteigenschaften bezieht, sondern emotionale Aspekte, wie Jugend, Schönheit, Ansehen, Prestige, Sexualität etc., anspricht) vermittelt dem Verbraucher nach dieser Theorie durch ihr bloßes Vorhandensein die Information, daß das werbende Unternehmen immense Kosten in die Werbung investieren kann419. Dies soll aus der Sicht des Verbrauchers in Bezug auf Erfahrungsgüter (mit Blick auf Suchgüter ist die Problematik des Charakters der Werbung nach Auffassung Nelsons ohnehin weniger relevant, wenngleich nicht gänzlich bedeutungslos420, da in diesem Falle vor dem Kauf ja noch eine Inspektion des Produkts erfolgen könne, die die Wahrhaftigkeit und Sachlichkeit der ökonomische Problem der verschwindenden Grenzkosten, die zu einem Lawineneffekt und einer Überflutung mit werblichen Direktmails führen, dem Argument der Rechtsprechung, daß auch eine geringe Belästigung des Empfängers die Schwelle der Sittenwidrigkeit im Sinne des früheren § 1 UWG a.F. (nunmehr insbesondere auch die Bagatellschwelle § 3 UWG) überschreiten könne, sofern das einzelne sittenwidrige Verhalten bereits den Keim zu weiterem Umsichgreifen aufgrund Nachahmung und Übersteigerung durch die Wettbewerber in sich trägt, s. an dieser Stelle nur BGH, GRUR 1988, 614, 616 – „Btx-Werbung“, vgl. näher unten 4. Kap. 3. Abschn. A III 1 und 3. 417 Vgl. insoweit mit einem folgerichtig grenzkostenorientierten Modell zur Abgrenzung des (wettbewerbsrechtlich zu beurteilenden) Belästigungsaspekts vom – durch das Verbrauchervertragsrecht für alle problematischen Situationen bereits gesicherten – Aspekt der Gewährleistung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher in Direktmarketingsituationen eingehend unten 4. Kap. 3. Abschn. A. 418 So zuerst Nelson, Journal of Political Economy 81 (1974), 729 ff.; vgl. mit einer Anwendung auf das deutsche und europäische Recht des unlauteren Wettbewerbs auch van den Bergh/ Lehmann, GRUR Int. 1992, 588 ff.; spezifisch mit Bezug auf vergleichende Werbung Menke, GRUR 1993, 718 ff. und mit einer spezifischen informationsökonomischen Kritik an der damaligen Haltung der Rechtsprechung betreffend die Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung und insbesondere am Lauterkeitskriteriums des sachlichen Zusammenhangs Menke, GRUR 1995, 534, 537. 419 Menke, GRUR 1993, 718. 420 Verbleibende Probleme ergeben sich laut Nelson, aaO., 730 auch mit Blick auf Suchgüter insbesondere daraus, daß der Erwerber unter Umständen aufgrund der Werbung bereits erhebliche frustrierte Aufwendungen (etwa an Zeit und Anreisekosten etc.) investiert hat, die ihn
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1. Kapitel: Grundlagen
Werbung verifiziert) insofern ein entscheidendes Indiz für Produktqualität bilden, als sich hohe Investitionen in Werbung in relativ höherem Maße für hochqualitative Anbieter auszahlen, da aufgrund von Wiederholungskäufen (die bei höherqualitativen Erfahrungsgütern eher zu erwarten wären) sich die Investition in den Aufbau eines goodwill für einen Anbieter höherwertiger Produkte und Dienstleistungen eher lohne421. Diese Überlegungen erscheinen aufgrund ihrer Verwurzelung im statischen Gleichgewichtsmodell der Neoklassik in mancher Hinsicht nicht ganz unproblematisch: So vernachlässigt eine unidimensionale Sicht der Werbung als Qualitätssignal die Tatsache, daß in oligopolistischen Märkten überdimensionierte Werbeaufwendungen auch genutzt werden können, um möglichst hohe Marktzutrittsschranken für Newcomer im Markt aufzubauen422. Ein derartiger Einsatz von Werbung würde über die Qualität der Angebote des Newcomers im Vergleich zu den angestammten Anbietern relativ wenig aussagen, woran sich in diesem spezifischen Zusammenhang wiederum gewisse Schwächen des statischen Charakters des Gleichgewichtsmodells illustrieren. Selbst wenn allerdings diese Überlegung die grundsätzlich positive Sicht von Werbeaufwendungen aus ökonomischer Sicht etwas zu relativieren vermag, so spricht sie doch nicht gegen die Ausgangsüberlegung, daß der ökonomische Effekt von Werbung im Markt jedenfalls von ihrem Charakter (als sachliche Information oder suggestive Überzeugung) weitgehend unabhängig ist. Eine entscheidende Grenzlinie ist in diesem Zusammenhang allerdings zu ziehen. Nur wenn sich der suggestive Charakter der Werbung auf die Entscheidungsgrundlage bezieht, d.h. soweit dem Verbraucher mit dem Ziel, ihn zu überzeugen, emotionale Präferenzen oder Stimmungszustände, Werte, Images etc. insinuiert werden, läßt sich die oben genannte Argumentation aufrecht erhalten; die gezielte Einflußnahme auf die Präferenzstruktur des Verbrauchers auch hinsichtlich seiner emotional-psychologischen Bedarfslage ist in derartigen Fällen also nicht a priori negativ zu beurteilen423. Soweit aber suggestive Werbung auf den Entscheitrotz der Abweichungen des Produkts von den Werbeangaben unter Umständen zu einem Kauf neigen lassen. Vgl. noch zum Sonderproblem des Fernabsatzes von Suchgütern unten 4 c. 421 Vgl. für eine mathematische Formalisierung von Nelsons inhaltlicher Argumentation im neoklassischen Gleichgewichtsmodell, die sich zudem in weiten Bereichen von seinen Überlegungen betreffend Wiederholungskäufe unabhängig macht und mehr auf die möglichen höheren Gewinnmargen bei hochqualitativen Anbietern abstellt, Kihlstrom/Riordan, Journal of Political Economy 92 (1984), 427 ff. 422 Vgl. die umfänglichen Nachweise zu diesem Problem bei van den Bergh/Lehmann, GRUR Int. 1992, 588, 592 (insbesondere Fn. 26). 423 Auch in diesem engeren Zusammenhang wird Werbung allerdings von einem Teil der ökonomischen Theorie extrem kritisch gesehen, vgl. insbesondere Galbraith, The Affluent Society, 1958 (revised edition 1969), S. 149. Die Argumentation geht dahin, daß suggestive Werbung mittlerweile weitestenteils dazu diene, mit psychologischen Mitteln Bedürfnisse der Verbraucher durch Konsumentenmanagement (consumer management) erst zu wecken, die diese zuvor gar nicht hätten. Insbesondere bei nicht physisch notwendigen Konsumgütern sei der suggerierte Bedarf der Verbraucher rein psychischer Natur und daher durch die Produktion und insbesondere durch die Werbung selbst erst kreiert (aaO., S. 140). Letztlich läuft eine solche Argumentation aber auf eine dirigistische Beurteilung der Präferenz- und Bedürfnisstrukturen der
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dungsbildungsprozeß zielt und den Versuch unternimmt, statt die der Entscheidung zugrundeliegenden emotionalen Präferenzen anzusprechen und zu wecken, die Entscheidungsbildung als solche – beispielsweise durch die Suggestion, eine eilige Entscheidung sei nötig oder durch die Aufreizung des Spieltriebs beim Verbraucher – zu verzerren, ist der Vertragsabschlußmechanismus in seinem Vorfeld betroffen und eine relevante Verzerrung des Wettbewerbs kann die Folge sein; diese Fälle werden noch unten (5) näher betrachtet. Soweit über derartige Fälle hinaus in der Praxis ersichtlich auch auf die Entscheidungsgrundlage bezogene suggestive Werbung in bestimmten Fällen als unerwünscht empfunden wird, liegt der ökonomische Grund hierfür wohl weniger in resultierenden Wettbewerbsverzerrungen, die nach dem vorstehenden kaum jemals gegeben sein dürften, sondern vielmehr aus der Sicht des Gesamtsystems Vertrag und Vertragsanbahnung durch Wettbewerb in den externen Effekten auf Dritte, die sich aus suggestiver – insbesondere in belästigender Form gefühlsbetonter Werbung – ergeben können und die im Einzelfall so stark sein mögen, daß auch aus ökonomischer Sicht ein Eingreifen notwendig erscheint424. Für den Moment ist aber festzuhalten, daß zumindest das Kriterium der Sachlichkeit der Werbung insofern aus ökonomischer Sicht jedenfalls keine taugliche Abgrenzung darstellt, um „gute“ von „böser“ Werbung zu unterscheiden. Der informationsökonomische Ansatz Nelsons gestattet allerdings sehr wohl eine differenzierte Beurteilung des Problems der irreführenden Werbung425. Anreize für irreführende Werbung sind nach Nelson dann vorhanden, wenn die durch Irreführung unmittelbar zu erzielenden Gewinne höher sind, als die zukünftig (aufgrund des Verlustes von goodwill) zu erwartenden Verluste. Diese hängen erstens von der Wahrscheinlichkeit ab, daß die Verbraucher die Falschinformation entdecken, zweitens von der Wahrscheinlichkeit, daß deshalb zukünftige Käufe unterbleiben und drittens vom Umfang der Verluste, die durch diese entgangenen Käufe entstehen426. Daraus leitet Nelson anhand der von ihm entwickelten GüterVerbraucher hinaus, die den Vorteil marktmäßiger Koordination letztlich zugunsten eines paternalistischen Systems der Beurteilung der Motivationsstruktur des Verbrauchers aufgibt. Damit wäre Galbraith in der Bringschuld ein Beurteilungssystem für diese Präferenzschicht des Verbrauchers zu entwickeln, dessen Überlegenheit über die marktmäßige Entwicklung und Koordination der Präferenzen er belegen müßte, was ihm allerdings an keiner Stelle gelingt. Auf diese entscheidende Schwäche in der Argumentation von Galbraith hat aus der Sicht des Verbraucherschutzgedankens insbesondere Drexl hingewiesen, vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S. 125 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Das Desiderat einer Ökonomie des Verbraucherschutzes liegt insoweit weniger in einer Beurteilung der beim Verbraucher gebildeten Präferenzen (d.h. seiner Motivation), sondern vielmehr in der psychologischen Beurteilung der Techniken, die seine Entscheidungsbildung beeinflussen. Vgl. für die deshalb entscheidend notwendige nähere Beurteilung der psychologischen Anomalien im Entscheidungsverhalten der Marktteilnehmer noch unten V 4. 424 Vgl. auch noch unten VI für die systematisch eigenständige Erfassung derartiger Effekte im hier vorgeschlagenen Vier-Ebenen-Modell. 425 Nelson, Journal of Political Economy 81 (1974), 729, 730 f. 426 Mackaay, Economics of Information and Law, 1982,
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1. Kapitel: Grundlagen
einteilung ab, daß die Gefahr irreführender Werbung in Märkten für Erfahrungsgüter erheblich größer ist als in Märkten mit Suchgütern, da bei letzteren eine Kontrolle der Wahrhaftigkeit der Werbeangaben (trotz einiger Einschränkungen) noch vor dem Kauf erfolgen könne427. Entsprechend ließe sich als Aufgabenstellung der Informationsökonomie an das Recht insoweit ableiten, daß irreführende Werbung als grundsätzlich kostenerhöhender Faktor zu unterbinden ist, wobei dies auch durch die „rechtliche“ Überführung von Erfahrungs- in Suchgüter erfolgen kann, sofern ein derartiger Eingriff denselben Erfolg verspricht428. Dies bringt uns zur diesbezüglichen Rolle des Gesamtsystems aus Wettbewerbs- und Vertragsrecht aus informationsökonomischer Sicht.
4. Die Rolle des Wettbewerbs- und Vertragsrechts Aus der Sicht der Informationsökonomie ergibt sich als Aufgabenstellung an das Recht der marktfunktionale Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage der Marktteilnehmer. Dabei ist hinsichtlich der weiteren Präzisierung dieser Forderung – auch entsprechend der oben (D III 4) entwickelten grundsätzlichen Einschränkungen bezüglich der Verwendbarkeit effizienzbasierter Marktmodelle – sorgsam zu unterscheiden, wie weit die Verwertbarkeit ökonomischer Ergebnisse auch juristisch in Betracht kommt. Einige Ergebnisse struktureller Natur lassen sich aber durchaus ableiten, wie dies die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen, die auch im Laufe der Studie juristisch wieder aufgegriffen werden. a. Irreführungsverbot Im Ausgangspunkt läßt sich aus den Modellen der Informationsökonomie das Ziel ableiten, vorhandene Informationsbeschaffungs- und Verbreitungskosten soweit wie möglich zu verringern429. Hinsichtlich des Gebots der Preisklarheit ergibt sich dies schon aus den systemtheoretischen Überlegungen von Hayeks zur überragenden Bedeutung des Signalsystems der Preise, das es soweit wie möglich gegen Verzerrungen zu schützen gilt. In diese Kategorie rechtlicher Eingriffe in den Marktprozeß gehören etwa die Bestimmungen der deutschen Preisangabenverordnung. Bezüglich der Information über Produkteigenschaften läßt sich auch der – umfassenden Etikettierungspflichten als mildestem Mittel des Verbraucherschutzes zuneigende – Ansatz des EuGH im Sinne eines mit umfassenden Informationen versorgten Verbrauchers hier zuordnen430. Auch das grundsätzliche Irreführungs427
Vgl. schon obere Fußnote 420. van den Bergh/Lehmann, GRUR Int. 1992, 588, 593; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 126 ff. 429 van den Bergh/Lehmann, GRUR Int. 1992, 588, 593, mit einem ganzen Katalog von informationsökonomischen Schlußfolgerungen für das Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht. 430 Vgl. ausführlich zu dieser Konzeption (und auch zu ihren Grenzen) unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 1. 428
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verbot des Wettbewerbsrechts – als ein gegenüber klarstellender Etikettierung einen Schritt intensiverer Eingriff – läßt sich hierher zählen, da irreführende Angaben die Informationskosten nach der vorherrschenden Auffassung erhöhen; aus Sicht eines Kostenvergleichs ist zudem zu bedenken, daß im Falle der bewußten Irreführung unter Verwendung falscher Angaben die Kosten für ein Unterlassen der irreführenden Werbung seitens des Werbenden praktisch bei Null liegen, während die Absenkung der Informationskosten auf der Abnehmerseite insgesamt zu einer potentiellen Verringerung von Reibungsverlusten aufgrund vermeidbarer Fehlinformation führt (Konzept des cheapest cost avoider431). Ein per se-Verbot objektiv unzutreffender Werbung läßt sich hier durchaus begründen. Hiervon strikt zu trennen ist die Frage nach dem materiellen Irreführungsmaßstab in Fällen (nur) mißverständlicher Angaben. Aus der Sicht der Informationsökonomie ist der Versuch unternommen worden, auch diesbezüglich eine Lösung zu entwickeln. Aus ökonomischer Sicht käme es demnach für die Frage einer relevanten Irreführung auf die Beurteilungskapazität des Durchschnittsverbrauchers an, da die Absicht, zugleich eine Minorität unterdurchschnittlich begabter Verbraucher zu schützen zwar aus Gründen der Effektivität zu billigen sei, aber leicht zu erheblichen Effizienzverlusten aufgrund gesteigerter administrativer Kosten führe432. Dem kann in der Begründung so nicht uneingeschränkt gefolgt werden; vielmehr zeigt dieser Ansatz geradezu exemplarisch gewisse Schwächen der ökonomischen Analyse des Rechts, wie sie oben (D III 3 b) grundsätzlich umrissen wurden. Auf Grundlage empirisch letztlich nicht nachprüfbarer, rein plausibilitätsorientierter Überlegungen zu den entstehenden Folgekosten, deren Umfang schlichtweg nur vermutet werden kann, wird unter Heranziehung des allgemeinen Effizienzmaßstabs ein Ergebnis erzielt, welches gerade der aktuellen rechtlichen Entwicklung entspricht, hinsichtlich seiner Herleitung aber unvermeidbar im empirisch Unbestimmten bleibt. Die eigentlich zu treffende, normative Unterscheidung wird in der als Voraussetzung gesetzten Festlegung der durch staatliche Maßnahmen entstehenden Kosten gewissermaßen verborgen und scheinobjektiviert. An dieser Stelle wird auch der Unterschied zum Modell der normativen Effizienz deutlich, welches derartige aggregierte Ableitungen durch eine bewußte normative Entscheidung ersetzt. Aus der Sicht der normativen Effizienz wäre bezüglich des Irreführungsmaßstabs zunächst abzuwägen, welche Interessen sich insoweit gegenüberstehen. Die entscheidende Folgerung lautet, daß insoweit neben den gegenläufigen Interessen von Anbieter- und Abnehmerseite in Fällen „nur“ irreführender, sachlich zutreffender Werbung in erster Linie eine Interessenabwägung zwischen unterschiedlichen Verbrauchergruppen vorzunehmen ist433. Eine Werbung, die den unterdurchschnittlich begabten Verbraucher irre431
Vgl. insoweit auch schon oben D III 2. van den Bergh/Lehmann, aaO., S. 597; kritisch auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 421 ff. 433 Drexl, Selbstbestimmung, S. 430 ff.; s. für das Wettbewerbsrecht ähnlich letzthin Beater, § 7, Rz. 17 ff. (S. 362 ff.), insbes. Rz. 25 ff. (S. 365 f.); für das Verbrauchervertragsrecht ausdrücklich zustimmend zuletzt Grundmann, JZ 2005, 860, 865. 432
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führt, mag schon für den durchschnittlich umsichtigen Verbraucher wertvolle Information liefern434. Die Entscheidung, die insoweit letztlich zu treffen ist, ist eine normative Abwägung der Interessen bestimmter Verbraucherkreise gegeneinander. Das sogenannte Verbraucherleitbild des Wettbewerbsrechts ist insofern nur eine Metapher für die letztlich zu treffende Abwägung, welche Verbraucher in welchen Situationen gegen strukturelle Gefährdungen in ihrem Marktverhalten aufgrund Störung der zur Verfügung stehenden Informationsgrundlage zu schützen sind435. Ökonomische Ansätze vermögen diesen Maßstab aus sich heraus nicht zu liefern. In der Folge soll noch belegt werden (vgl. unten 2. Abschnitt), daß auch ethisch-moralische Theorien zur Lösung keine substantielle Hilfestellung leisten, um sodann auf deren Grundlage aber die These zu begründen, daß der normative Maßstab hinsichtlich des Umfangs des Schutzes der Entscheidungsgrundlage nicht aus einem äußeren Kriterium entwickelt, sondern nur aus einer interessenorientierten systematisch-funktionalen Analyse des Gesamtsystems aus Wettbewerbs- und Vertragsrecht selbst, sozusagen aus dem Bestand des Rechts „von innen heraus“ (durch übergreifende Systematisierung) abgeleitet werden kann, wobei dann insbesondere innere Unstimmigkeiten des Systems durchaus auch zu einzelnen Korrekturen an den rechtlichen Ergebnissen in einem der jeweiligen Teilbereiche dieses Gesamtsystems führen können. b. Wettbewerbliche Steuerungswirkung der Verkäuferhaftung für Werbeangaben im Rahmen des neuen Kaufrechts Wenngleich also die Ökonomie keinen inhaltlichen Maßstab hinsichtlich des normativen Schutzumfangs für die informationelle Entscheidungsgrundlage liefert, so ermöglicht sie doch eine nähere Analyse der strukturellen Gefährdungssituationen für informierte Entscheidungen und insbesondere der Wirkungsweise der rechtlichen Schutzmechanismen insoweit. Eine erste Orientierung liefert die Einteilung in Güterkategorien von Nelson. Diese Einteilung hat bereits verdeutlicht, daß eine besonders hohe Irreführungsgefahr bezüglich Produkteigenschaften in Märkten mit Erfahrungsgütern besteht. Hieraus läßt sich aber eine weitere Folgerung ziehen, die für das hier untersuchte Thema von besonderem Interesse ist. Wenn ein entscheidender Faktor zur Senkung der Irreführungsgefahr in der Werbung die Möglichkeit des Erwerbers ist, hinsichtlich bestimmter Eigenschaften der Ware vor dem Vertragsabschluß verläßliche Informationen zu erlangen, dann sind gesetzliche Gewährleistungsrechte und freiwillige Garantien – die dem Erwerber, ohne daß eine Inspektion des Produkts notwendig wäre, entscheidende Informationen hinsichtlich der Produktqualität liefern, auf die er im Falle der gesetzlichen Sachmängelvorschriften nach Art eines Mindeststandards systematisch 434
Vgl. noch näher unten V 3 zu der bei dieser Interessenabwägung allerdings notwendigen Differenzierung. 435 S. zutreffend zu diesem verbraucherschützenden „Funktionszusammenhang“ des Verbraucherbegriffs auch Beater, § 13, Rz. 25 ff. (S. 362 f.) mwN.
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und anbieterunabhängig vertrauen kann, so daß ein weitergehendes individuelles Informationsinteresse angesichts der gewissermaßen standardisierten Sicherheit des Verkehrssystems in dieser Frage kaum mehr besteht436 – zugleich das wirksamste Mittel, um irreführende Werbung hinsichtlich von Produkteigenschaften zu bekämpfen. Denn betrachtet im Funktionszusammenhang des Irreführungsschutzes wandeln derartige Vorschriften aus der Sicht der Abnehmerseite im Ergebnis Erfahrungsgüter in Suchgüter um437. Es ist exakt dieser Wirkungszusammenhang zwischen Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht, den sich nunmehr § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB in Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie438 zunutze macht, wenn die gesetzliche Sachmängelhaftung – mangels ausdrücklicher Festlegung der vertragsgemäßen Verwendung – gesetzlich an die öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder seines Gehilfen angeknüpft wird; die Regelung steht also nicht nur einerseits in innerem Zusammenhang mit der Sicherung der Produktqualität439, sondern leistet andererseits – und wesentlicher – wettbewerbsbezogen sozusagen einen Beitrag zum Irreführungsschutz, indem sie ein dezentrales Anreizsystem gegen den Einsatz irreführender Werbung etabliert. Allerdings schöpft die Vorschrift aus informationsökonomischer Sicht, soweit man mit ihr einen wirksamen Irreführungsschutz erzielen könnte, ihr Potential deshalb nicht aus, weil eine unmittelbare Haftung nur im Verhältnis des Letztverkäufers zum Endabnehmer vorgesehen ist, obwohl der Urheber 436 S. grundlegend betreffend freiwillige Produktgarantien Grossmann, Journal of Law and Economics 24 (1981), 461 ff., sowie betreffend gesetzliche Gewährleistungsrechte des deutschen Rechts vor der Schuldrechtsreform Wehrt, 113 ZWS 1993, 77 ff. Vgl. zum ganzen auch Schäfer/ Ott, S. 442 ff. und Fleischer, Informationsasymmetrien, S. 126 ff. jeweils mwN. Zur Standardisierungsfunktion gesetzlicher Gewährleistungsvorschriften im Sinne der Schaffung eines informationellen Mindestrahmens des Vertragsmechanismus als Grundlage hinreichenden Systemvertrauens der Verkehrsteilnehmer noch sogleich unten b. 437 Zutreffend Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 121 mwN. 438 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. L 171 v. 7.7.1999, S. 12 ff. (im folgenden: Verbrauchsgüterkauf-RL). 439 Neben der Informationsfunktion können die Gewährleistungsrechte aufgrund des Zusammenhangs zwischen Produktqualität und Höhe der Kosten für die Erfüllung der Gewährleistungsansprüche, aus ökonomischer Sicht auch Anreize zur Verbesserung der Produktqualität entfalten (vgl. grundlegend Kambhu, Bell Journal of Economics 13 (1982), 483 ff.; zusammenfassend zum Gewährleistungsrecht als Qualitätsanreiz für den Verkäufer Schäfer/Ott, S. 442 f.). Letztlich haben sie daher die Funktion, im Verkehrssystem einen Mindeststandard an Sicherheit (Versicherungsfunktion, vgl. grundlegend Priest, Yale Law Journal 90 (1981), 1297 ff.; zusammenfassend zur Versicherungsfunktion des Gewährleistungsrechts Schäfer/Ott, S. 440 f. mwN) hinsichtlich der Richtigkeit von werblichen Versprechen und hinsichtlich der Produktqualität zu setzen, der den Verkehrsteilnehmern zugleich einen informationellen Mindestschutz ihrer Entscheidungsgrundlage liefert und solcherart in erheblichem Maße Suchkosten erspart. Anders ausgedrückt haben diese Instrumente demnach aus ökonomischer Sicht neben ihrer individualvertraglichen Funktion auch eine systemtheoretische Aufgabe (Systemfunktion, s. ähnlich Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 131), die darin besteht hinsichtlich der informationellen Grundlage der Entscheidungen der Abnehmerseite im Markt einen institutionellen Rahmen Mindestrahmen bereitzustellen, der das Verkehrssystem in seinem Bestand und zugleich das Vertrauen der Verbraucher in die Funktionsweise des Verkehrssystems sichert.
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1. Kapitel: Grundlagen
einer bezüglich Produkteigenschaften irreführenden Werbung in derartigen Fällen häufig der Hersteller des in Frage stehenden Produkts sein dürfte440. In derartigen Fällen kommt für den Letztverkäufer aber nur ein vertraglicher Rückgriff über die Vertriebskette in Betracht, der zudem lediglich im Falle des Verbrauchsgüterkaufs durch die Bestimmungen des § 478 BGB teilweise erleichtert wird441. Aus informationsökonomischer Sicht wäre eine effektivere Rückwirkung auf die Irreführungsgefahren im Wettbewerb zu erzielen gewesen, wenn die Vorschrift – wie ursprünglich zwingend in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie vorgesehen und zuletzt noch als fakultative Option für die Mitgliedstaaten eingeräumt – eine Gesamtschuld des Urhebers der werblichen Angaben und des Letztverkäufers hinsichtlich der Gewährleistungsrechte bestimmt hätte 442. Desungeachtet wird jedenfalls deutlich, daß mit der auf die Vorgaben der Verbrauchsgüterkauf-RL zurückgehenden Norm des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ein individualvertragliches – und nicht einmal auf den Verbraucherschutz begrenztes – Instrument unübersehbar wettbewerbsrechtliche Steuerungswirkung entfaltet und hierzu auch durchaus bestimmt ist443. c. Wettbewerbliche Steuerungswirkung der verbrauchervertriebsrechtlichen Regelung des Fernabsatzes Die Differenzierung der Produktkategorien bei Nelson gestattet noch die Identifizierung einer weiteren informationsökonomischen Komplementarität zwischen institutionellem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz betreffend Angaben über Produkteigenschaften und vertragsrechtlichen Instrumenten. Neben seiner – den sonstigen verbraucherschützenden Widerrufsrechten verwandten – Funktion beim Schutz des Entscheidungsprozesses läßt sich nämlich das verbraucherschützende Widerrufs- und Rückgaberecht im Fernabsatz gemäß § 312d BGB in erster Linie als ein vertragsrechtliches Instrument auffassen, welches im Fernabsatz den Charakter von Suchgütern gegen die sich aus der besonderen Vertriebssituation ergebende strukturelle Gefährdung der informationellen Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers sichert. Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich daraus, daß die Vertriebssituation des Fernabsatzes dazu führt, daß selbst bei der Veräußerung von Suchgütern – da eine Produktinspektion vor Vertragsschluß praktisch nicht möglich ist – die Irreführungsgefahren ein vergleichbares Ausmaß an440 Vgl. zu dieser Problematik der Aufgaben- und Funktionsteilung auf der Angebotsseite, die zu strukturellen Nachteilen für die Abnehmerseite führen kann, zutreffend schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 186 ff.; zustimmend zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 53. 441 Vgl. zu alldem noch unten 4. Kap. 4. Abschn. C II 2 b (3). 442 Vgl. daher unten 4. Kap. 4. Abschn. C für einen zumindest ansatzweisen Versuch, für das deutsche Recht dieses „Manko“ der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-RL auf Grundlage einer verschuldensabhängigen Haftung des irreführend Werbenden gegenüber dem Vertrauen investierenden Verbraucher aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 i.V.m. 280 Abs. 1, 276 BGB zu beheben. 443 S. ausführlich noch unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2).
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nehmen würden wie bei Erfahrungsgütern. Insofern läßt sich aus dem Funktionszusammenhang des Irreführungsschützes und der Sicherung der informationellen Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers das Widerrufs- und Rückgaberecht im Fernabsatz als ein rechtliches Instrument auffassen, welches Suchgüter, die in der Vertriebssituation des Fernabsatzes zu Erfahrungsgütern mutieren, wieder in Suchgüter zurücküberführt, soweit dies möglich ist444. Mithin läßt sich das Widerrufsrecht im Fernabsatz neben seiner individuell verbraucherschützenden Information, die im individuellen Falle eine bestehende Informationsasymmetrie ausgleicht, darüber hinaus auch als ein institutionelles, den Wettbewerb steuerndes Instrument verstehen, welches die besondere Vertriebssituation des Fernabsatzes mit einem rechtlichen Rahmen versieht, der die ihr innewohnenden Gefahren – soweit möglich – gerade wieder auf das Normalmaß des archetypischen Ladengeschäfts reduziert445. d. Die AGB-Problematik als weiteres Beispiel der funktionalen Überschneidung vertragsrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Instrumente bei der institutionellen Steuerung des Wettbewerbs Ein letztes – an dieser Stelle nur anzudeutendes – Beispiel446 mag verdeutlichen, daß die funktionale Überschneidung von Vertragsrecht und Lauterkeitsrecht nicht etwa auf den Bereich von produktbezogenen Angaben begrenzt ist. Vielmehr erstreckt sich die Doppelrolle beider 444 Immanente Grenzen ergeben sich insoweit insbesondere aus den Kosten, die mit der Ausübung des Widerrufsrechts oder des Rückgaberechts für den Verbraucher stets verbunden sein werden. Insofern ist insbesondere die (in letzter Minute im Gesetzgebungsverfahren eingefügte) Kostentragungsregel des § 357 Abs. 2 BGB, die es in Bagatellfällen gestattet dem Verbraucher die Kosten der Rücksendung vertraglich aufzuerlegen, aus informationsökonomischer Sicht nicht unbedenklich, da sie die Wiederherstellung der „Chancengleichheit“ zwischen Veräußerer und Erwerber (oder besser die Wiederanpassung der Vertriebssituation an den Archetypus des Ladengeschäfts) unvollständig werden läßt. Selbst unter Berücksichtigung der Unternehmerinteressen und der Gefahr des moral hazard auch auf Käuferseite erscheint die Vorschrift daher problematisch. 445 Dieser weniger auf den Schutz des individuellen Vertragspartners und mehr auf den Rahmen des Verkehrssystems gerichtete (systemfunktionale) Charakter des Widerrufsrechtes im Fernabsatz wird insbesondere daran deutlich, daß ein individueller Schutzbedarf des Vertragspartners nicht Voraussetzung der Ausübung des Widerrufsrechts ist. Der Schutz paßt vielmehr typisiert für die gesamte Vertriebssituation des Fernabsatzes die informationelle Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers dem archetypischen Ladengeschäft an. Vgl. näher zu dieser institutionellen Funktion, die dem Individualvertragsrecht insbesondere im Rahmen der Schuldrechtsreform nunmehr untrennbar auf Prinzipienebene eingewoben wurde, noch unten 3. Abschn. C III. 446 Eine Vielzahl weiterer Beispiele ließe sich bringen, deren wesentlichstes naturgemäß die Überschneidung der umfangreichen, auf gemeinschaftsrechtlichen Anstößen beruhenden verbraucherschutzrechtlichen Informationspflichten des Verbrauchervertragsrechts mit den sich aus der UWG-Rechtsprechung sowie künftig aus der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/ 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (im folgenden: Lauterkeits-RL) ergeben-
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Rechtsgebiete auf sämtliche Bereiche wirtschaftlichen Wettbewerbs im Sinne der Definition von Fikentscher und mithin beispielsweise auch auf den Wettbewerb bezüglich angebotener Geschäftsbedingungen. Das im Kern auf eine Informationsasymmetrie zwischen Anbieterund Nachfragerseite zurückzuführende Problem der Allgemeinen Geschäftsbedingungen447 hat schon im AGBG (nunmehr in den §§ 305 ff. BGB und im Unterlassungsklagegesetz) eine Regelung erfahren, die lauterkeitsrechtliche mit individualvertraglichen Elementen vereint. Dies entspricht der Doppelnatur der Problematik, die in ihrer Bedeutung über den einzelnen Vertrag hinausgeht, zumal schon im Vorfeld der Einbeziehung in individuelle Verträge eine rechtliche Kontrolle von AGB-Klauselwerken möglich ist.
e. Zwischenfazit Für den Moment erscheint das Zwischenfazit aus den genannten Beispielen hinreichend klar. Aus informationsökonomischer Sicht sind, soweit die Aufgabe der Sicherung der informationellen Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers betroffen ist, Instrumente des Wettbewerbs- und des Individualvertragsrechts teilweise austauschbar. Der durch diese rechtlichen Eingriffe gewährte Verbraucherschutz überschneidet sich in weiten Bereichen. Insoweit liefert die informationsökonomische Betrachtung eine wertvolle übergreifende Analyse der Systemfunktion einzelner rechtlicher Bestimmungen für das Verkehrssystem im ganzen; hinzu kommt die nähere Strukturierung der Gefährdungssituationen, denen die informationelle Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers ausgesetzt ist. Einen normativen Maßstab für das Ausmaß des notwendigen Schutzes vermag die Informationsökonomie demgegenüber nicht zu liefern. Und auch eine vergleichende Auswahl der gesetzgeberischen Instrumente ist auf Grundlage des informationsökonomischen Ansatzes nur sehr begrenzt möglich. Hinzu kommt eine weitere gewichtige Unzulänglichkeit der Informationsökonomie in ihrer Erscheinungsform der klassischen Suchtheorien. Die modellhaften Überlegungen zur informationellen Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers bewegen sich – obgleich die realitätsferne Annahme vollständiger Information aufgegeben wird – hinsichtlich des Entscheidungsfindungsprozesses des Verbrauchers weiterhin auf der Grundlage der REM-Hypothese. Dies führt zu einem verzerrten Bild, weil die daraus folgende Grundprämisse, der Verbraucher sei imstande, die ihm – soweit und so effizient wie möglich – zur Verfügung gestellte Information auch tatsächlich zu verarbeiten, ersichtlich ihrerseits wirklichkeitsfern ist. Eine Analyse des Schutzes der strukturellen Gefährdungssituationen für den Vertragsschlußmechanismus muß daher Störungen des Entscheidungsfindungsprozesses selbst (und den Transparenzpflichten des Lauterkeitsrechts ist. In diesem zentralen Bereich soll aber der weiteren Untersuchung an dieser Stelle nicht unsubstantiiert vorgegriffen werden, vgl. für eine nähere Analyse vielmehr unten 4. Kap. 3. Abschn. B. 447 Für eine Zusammenfassung der ökonomischen Sicht auf das Problem der allgemeinen Geschäftsbedingungen, s. zuletzt Kötz, JuS 2003, 209 ff.; vgl. auch Schäfer/Ott, S. 478 ff. mwN und Drexl, Selbstbestimmung, S. 330 ff. auf der Grundlage des Modells der normativen Effizienz.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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unter anderem eben auch Störungen der Informationsverarbeitung) mit berücksichtigen. Dies gestattet der klassisch informationsökonomische Ansatz der Suchtheorien nicht. Beide Unzulänglichkeiten der klassischen Suchtheorien – die nur bedingt mögliche Auswahl zwischen einzelnen rechtlichen Instrumenten und die unzureichende Berücksichtigung der tatsächlichen Entscheidungskapazitäten der Marktteilnehmer – nimmt (neben anderen Anpassungen des neoklassischen Modellbildes an die Realität) die neue Institutionenökonomie in den Blick, deren für die hier angestellte Untersuchung relevante Forschungszweige im folgenden kurz nachgezeichnet werden sollen.
V. Neue Institutionenökonomik 1. Einführung Die als Theorienfamilie wesentlich von dem Coase-Schüler Oliver Williamson ausgeprägte Neue Institutionenökonomik448 läßt sich in mancher Hinsicht als die eigentliche Fortsetzung und Ausarbeitung des Coaseschen Ansatzes in „The problem of social cost“ (im weiteren Sinne) auffassen449. Auf dessen Überlegungen fußt die Neue Institutionenökonomik insofern unmittelbar450, als sie – im Gegensatz zu den rein neoklassischen Gleichgewichtsmodellen, die allerdings zum Teil weiterhin zur Grundlage von Verfeinerungen genommen werden – sich der Realität dadurch annähert, daß die Rolle unterschiedlicher institutioneller Rahmenbedingungen vergleichend analysiert wird. Dabei wird der Begriff der Institutionen im allerweitesten Sinne verstanden. Neben den Organisationsformen, in denen sich die Marktteilnehmer selbst strukturieren451, zählen zu den Institutionen insbesondere auch die systematischen Rahmenbedingungen des Marktes in dem umfassenden Sinne sämtlicher formellen und informellen Regelungen (einschließlich der Vorkehrungen zu deren Durchsetzung), die das Gemeinschaftsleben strukturieren452. Verschiedene Zweige der neuen Institutionenökonomie widmen sich der 448 Vgl. insbesondere sein Grundlagenwerk „The Economic Institutions of Capitalism“, 1985. Für einen Überblick über die geschichtliche Entstehung der neuen institutionalistischen Schulen vgl. Feldmann, Eine institutionalistische Revolution?, 1995; für einen aktuellen Überblick über den Einfluß der neuen Institutionenökonomie in Deutschland und einen Beleg ihrer inneren Verwandtschaft mit dem Gedankengut der deutschen historischen Schule und der Freiburger Schule Walter Euckens, vgl. Richter, Institutional Thought in Germany, 2000 (unveröffentlichtes Konferenzpaper). S. zu letzterem auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 190 f. 449 S. zur hervorgehobenen Bedeutung des Coase-Theorems für die Neue Institutionenökonomie auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 191 ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 132 ff., jeweils mwN. 450 S. ausdrücklich zu dieser Traditionslinie Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 3 f. 451 Vgl. zu den Forschungen in diese Richtung insbesondere Coase, The Firm, the Market, and the Law, 1988. 452 S. Richter/Furubotn, S. 7 ff. mwN. In ihrem weitgefaßten institutionellen Denken ist die
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Analyse einzelner Institutionen der marktlichen Koordinationsordnung unter durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln453; für die hier angestellte Untersuchung sind insbesondere die Transaktionskostenökonomie sowie die Theorie eingeschränkter Rationalität und ihre Fortläufer in den neueren psychologischen und soziologischen Forschungen zum menschlichen Entscheidungsverhalten von Interesse. Die Grundvoraussetzung des funktionalen Vergleichs institutioneller (und insbesondere rechtlicher) Rahmenbedingungen ist naturgemäß die Anerkennung des Vorhandenseins von Transaktionskosten in der realen Marktumgebung, welche bei der Modellierung der Entscheidungen der Marktteilnehmer mit zu berücksichtigen sind. Entsprechend konzentriert sich die Transaktionskostenökonomik, als ein Zweig der neuen Institutionenökonomie, der nicht nur im oben beschriebenen weiteren Sinne auf Coase Überlegungen zur Relevanz rechtlicher Institutionen beruht, sondern vielmehr auch im engeren Sinne seinen Ansatz aus „The problem of social cost“ ganz unmittelbar fortführt454, auf die Einsparung und Vermeidung von Transaktionskosten durch konkret vergleichende Institutionenanalyse. Der entscheidende Unterschied zu den oben geschilderten welfaristischen Modellen der Informationsökonomie und der ökonomischen Analyse des Rechts – die ihrerseits das Vorhandensein von Transaktionskosten anerkennen und mittlerweile gleichermaßen voraussetzen – liegt darin, daß die Transaktionskostenökonomie im engeren Sinne sich ausschließlich darauf konzentriert, durch konkreten Vergleich von Institutionen im typischen Einzelfall und mit Blick auf realistisch agierende Marktteilnehmer455, Reibungsverluste zu reduzieren456. Eine aggregierte Modellierung im Interesse eines übergeordneten Wohlfahrtskriteriums erfolgt demgegenüber nicht, was die Anfälligkeit für die oben erläuterten methodischen Einwände gegen die neoklassisch welfaristischen Ansätze (insbesondere den Einwand der Unbestimmtheit) für die Transaktionskostenökonomie der neuen Institutionalisten in entscheidendem Maße reduziert457. Von Interesse sind Neue Institutionenökonomik unübersehbar dem Ordnungsdenken der Freiburger Schule verwandt, s. dazu auch Richter, aaO. (o. Fn. 448). 453 Neben den im folgenden näher diskutierten Zweigen der Transaktionskostenökonomie und den Forschungen zur „bounded rationality“, wären – soweit für die hier behandelte Thematik relevant – in erster Linie noch die vertragstheoretischen Forschungen zu Prinzipal-AgentVerhältnissen sowie die Theorien sich selbst durchsetzender oder impliziter Verträge zu nennen. Da sie für das hier behandelte Thema jedoch keinen unmittelbaren Mehrwert erbringen, soll eine detaillierte Diskussion an dieser Stelle nicht erfolgen. Vgl. für einen Überblick mit zahlreichen weiteren Nachweisen, Richter/Furubotn, S. 173 ff. 454 S. statt aller Drexl, Selbstbestimmung, S. 191 f. 455 Vgl. noch sogleich im folgenden Text zu den insoweit die Theorie der Neoinstitutionalisten prägenden Annahmen eingeschränkter Rationalität und opportunistischen Verhaltens. 456 Vgl. für die entsprechende dogmengeschichtliche Diskussion, die mit einiger Verve geführt wurde, da auch die welfaristischen Schulen die Lehren eines Ronald Coase als Gründungsplattform für sich in Anspruch nehmen, schon oben II, insbesondere Fußnote 308 und 309. 457 Eine klare Zuordnung zu den welfaristisch-neoklassischen Ansätzen oder zu der modernen Familie der neuen Institutionenökonomie fällt bezüglich einzelner Theorienzweige allerdings mitunter schwer. So ist die Informationsökonomie eines Stigler und Nelson zwar einerseits
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die Überlegungen der Transaktionskostenökonomie für die hier angestellte Untersuchung unter anderem insofern, als sie es gestatten, unter dem Blickwinkel der administrativen Kosten und der Verhinderung opportunistischen Verhaltens458 insbesondere auch den Gedanken effektiver Durchsetzung rechtlicher Regeln mit in die Analyse einzubeziehen (s. unten 2). Der Ausgangspunkt des institutionellen Vergleichs muß naturgemäß die realitätsnähere Betrachtung der einzelnen Agenten des Marktgeschehens sein459. Denn die vergleichende Analyse der Institutionen setzt insbesondere voraus, die Rückwirkung letzterer auf das reale Marktgeschehen und damit auf das tatsächliche Verhalten der Marktteilnehmer zu prognostizieren460. Insoweit kann aber ein Modell, welches ebenjene Marktteilnehmer – in offensichtlicher Abweichung von tatsächlichen Verhaltensmustern – als uneingeschränkt rationale Nutzenmaximierer agieren läßt, nicht länger die Grundlage sein. Dementsprechend fokussiert die mit der Anerkennung von Informationskosten im Grundsatz der Transaktionskostenökonomie zuzuordnen und damit der Neuen Institutionellen Ökonomie nahestehend. Andererseits ist sie mit der – auch unter Anerkennung von Informationskosten – weiterhin im Vordergrund stehenden Suche nach dem sich einstellenden neoklassischen Gleichgewicht (die unrealistisch anmutet, da – wie beschrieben – insofern trotz der Berücksichtigung einzelner Informationskosten eine unübersehbare Vielzahl anderer Transaktionskosten weiterhin modellhaft ignoriert werden) und mit der Orientierung auf REM-Agenten (die gleichermaßen unrealistisch ist, da Probleme menschlicher Entscheidungsfähigkeit in komplexen Verhältnissen ignoriert werden) den effizienzbasierten Methoden zuzuordnen, die sich von dem Ansatz der neuen Institutionalisten eben insofern unterscheiden, als letztere die beschränkte Rationalität ausdrücklich ebenfalls zu einem Grundpfeiler ihres Theoriengebäudes zählen und zudem mehr die vergleichende Analyse einzelner Institutionen in den Vordergrund rücken, als die Suche nach dem Gleichgewichtspunkt des neoklassischen (wenngleich in Einzelaspekten verfeinerten) Modells. Das hier konkret resultierende Aufteilungsproblem wurde in dieser Untersuchung dahingehend gelöst, daß die Informationsökonomie getrennt für sich behandelt und in diesem Zusammenhang der Versuch unternommen wurde, realitätsnahe und methodisch verwendbare Ansätze von methodisch zweifelswürdigen (zu unbestimmten) Ansätzen zu trennen (vgl. oben IV). Dabei wird nicht verkannt, daß sich einige der als „verwendbar“ qualifizierten Ansätze, wie sie hier im Rahmen der Informationsökonomie behandelt wurden, ebensogut der neuen Institutionenökonomie zuordnen ließen, vgl. für eine derartige Einteilung beispielsweise Richter/Furubotn, S. 243 ff., die die Probleme asymmetrischer Information vor und nach Vertragsschluß im Rahmen der PrinzipalAgent-Modelle behandeln. 458 Auch insoweit als die neuen Institutionalisten die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Interessenverfolgung mit betrügerischen Mitteln („Interessenverfolgung mit Hilfe von List“, „self-interest-seeking with guile“, vgl. näher Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 47 ff.) in den Blick nehmen und auf dieser Grundlage insbesondere das Durchsetzungsproblem hinsichtlich vertraglicher und rechtlicher Regeln thematisieren, unterscheiden sie sich von den neoklassischen Ansätzen, in deren (von der Grundannahme vollständiger Information der Marktteilnehmer geprägtem) Gleichgewichtsmodell für opportunistisches Verhalten schon im Ausgangspunkt kaum Raum bleibt, s. Williamson, aaO., S. 49 ff.; vgl. auch Richter/Furubotn, S. 26 ff. 459 Vgl. zur Annahme unvollkommener individueller Rationalität in der neuen Institutionenökonomie Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 34 ff.; Richter/Furubotn, S. 4 f. 460 Entsprechend spielen die Anpassungen des Menschenbildes an reales menschliches Verhalten insbesondere in der vergleichenden Transaktionskostenökonomik eine vorherrschende Rolle, vgl. Williamson, aaO.; Richter/Furubotn, aaO.
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1. Kapitel: Grundlagen
Neue Institutionenökonomik mehr auf die impliziten Einschränkungen der Rationalitätsannahme (Ausnahmen), als auf die vermeintliche „Regel“ rationalen Verhaltens. Für die hier angestellte Untersuchung sind die damit verbundenen Zweige der Neuen Institutionenökonomik, mithin insbesondere Simons Forschungen zur bounded rationality (s. unten 3) und die sich in dieser Tradition bewegenden neueren psychologisch-soziologischen Forschungen der experimentellen Ökonomie zu menschlichem Entscheidungsverhalten (s. unten 4) natürlich von ganz besonderem Interesse. Denn ebenjene Abweichungen im tatsächlichen Entscheidungsprozeß vom Modellbild der REM-Hypothese sind es, die es gestatten, Marktteilnehmer durch bestimmte Werbe- und Vertriebstechniken zu unerwünschten (d.h. ihre Präferenzordnung nicht korrekt abbildenden) Transaktionsentscheidungen zu bewegen und damit ein Vertragsversagen im Einzelfall samt gegebenenfalls resultierendem Marktversagen herbeizuführen. Die sich demnach ergebenden Gefährdungen des Entscheidungsprozesses sind deshalb mit den Mitteln der Neuen Institutionellen Ökonomie und der experimentellen Ökonomie näher zu analysieren461 und insbesondere als Grundlage ihrer zielgenauen rechtlichen Behandlung sorgsam von der (unmittelbar benachbarten aber grundlegend anders gelagerten) Frage nach der Notwendigkeit echten Paternalismus abzugrenzen (s. unten 6).
2. Transaktionskostenökonomie und administrative Effizienz Sah noch die neoklassische Ökonomie den Tauschprozeß als solchen als eine Art „black box“, die aufgrund der freiwilligen Übereinkunft der Marktteilnehmer a priori die Vermutung der Pareto-Superiorität für sich habe 462, nimmt die Transaktionskostenökonomie die Fehlfunktionen insbesondere des Vertragsmechanismus in den Blick, welche zur unvermeidbaren Entstehung zusätzlicher Transaktionskosten führen, die es durch institutionell bestmögliche Gestaltung des rechtlichen Rahmens zu minimieren gilt463. Mit der grundsätzlichen Anerkennung derartiger Transaktionskosten, insbesondere der Anerkennung erheblicher Informationskosten, war zugleich der Weg geebnet, die Möglichkeit der Gewinnerzielung durch opportunistisches Verhalten vor oder nach Vertragsschluß in die ökonomischen Modelle einzubeziehen464. 461 Des praktischen Zusammenhangs halber werden an dieser Stelle auch andere situationsspezifische Gefährdungen des Entscheidungsprozesses exkursartig mitbehandelt, die sich nicht unmittelbar aus den vorbeschriebenen Anomalien, sondern aus allgemeinen psychologischen Effekten, wie etwa den Auswirkungen von Impulsivität, Trauer, Nervosität etc. in einer konkreten Situation ergeben (s. unten 5). 462 Vgl. (kritisch) zu dieser unsubstantiierten Ausgangsprämisse, die der neoklassischen Theorie zugleich ihr normatives Hauptargument für die vermutete Überlegenheit des freien Wettbewerbs liefert, Trebilcock, S. 7 f.; S. 83 f. 463 Vgl. Richter/Furubotn, S. 71 ff. mwN. 464 Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 30 ff., verdeutlicht, daß insbesondere die Annahme unvollständiger Information (und weiterer Transaktionskosten) unerläßliche
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Die neue Institutionenökonomie teilt die im Zusammenhang mit dem vertraglichen Güteraustausch anfallenden sogenannten Markttransaktionskosten in Such- und Informationskosten, Verhandlungs- und Entscheidungskosten sowie Überwachungs- und Durchsetzungskosten ein465. Soweit der Bereich der in der Vorphase aufgewendeten Such- und Informationskosten betroffen ist, wurden die hiermit verbundenen Probleme im Zusammenhang der Informationsökonomie bereits behandelt466. Der Bereich der Verhandlungs- und Entscheidungskosten beinhaltet einerseits Aufwendungen für formbedürftige Vertragsabschlüsse, Rechtsberatung und das Aushandeln der Vertragsbedingungen467; für das hier behandelte Thema von größerem Interesse ist allerdings die Tatsache, daß in diese Kategorie auch die Kosten der kognitiven Verarbeitung der zur Verfügung stehenden Information zählen, welche – sofern sie prohibitiv hoch sind – dazu führen können, daß es zu ineffizienten Ergebnissen trotz grundsätzlich vorhandener Information kommt468. Auf diese Problemstellung ist noch sogleich im folgenden im Zusammenhang mit den Forschungen zur „bounded rationality“ und den sich anschließenden neueren Erkenntnissen der experimentellen Ökonomie näher einzugehen. Schließlich beinhalten die Überwachungs- und Durchsetzungskosten diejenigen Kosten, die nach dem Vertragsschluß entstehen, um opportunistisches Verhalten (insbesondere in Situationen mit asymmetrischer Informationsverteilung) zu verhindern469. Aus der Sicht der Neuen Institutionellen Ökonomie ist in jedem dieser Bereiche durch die Wahl geeigneter rechtlicher Institutionen dafür zu sorgen, daß opportunistisches Verhalten soweit wie möglich reduziert und damit die hierdurch entstehenden Transaktionskosten verringert werden470. Liegt es – auf unser Thema gewendet – aus rechtssystematischer Sicht nahe471, den Bereich der Suchund Entscheidungskosten vom Recht des unlauteren Wettbewerbs dominiert zu sehen, während die Bereiche der Verhandlungs- und Entscheidungs- sowie Überwachungs- und Durchsetzungskosten prima facie der Domäne des Vertragsrechts zuzuordnen wären, so ist aus Sicht der Transaktionskostenökonomie ein rechtsgebietsübergreifender Institutionenvergleich geboten, der in jedem der genannten Teilbereiche nach den effektivsten Mitteln sucht, um opportunistiVoraussetzung der Möglichkeit opportunistischen Verhaltens im Zusammenhang mit der Anbahnung und Abwicklung von Verträgen ist. 465 Richter/Furubotn, S. 58 ff. mwN.; Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 20 ff. unterscheidet ex ante und ex post Transaktionskosten, orientiert am Vertragsschluß als wesentlicher Scheidelinie. 466 S. oben IV. 467 Richter/Furubotn, S. 60. 468 Loasby, Knowledge, Institutions and Evolution in Economics, S. 33 unter Hinweis auf Woo; vgl. auch Richter/Furubotn, aaO. 469 Richter/Furubotn, aaO., S. 60 f. 470 So insbesondere die Institutionenanalyse im Stile Williamsons, vgl. Richter/Furubotn, S. 71. 471 Daß diese naheliegende Annahme auch aus rechtsdogmatischer Sicht unzutreffend ist, wird noch unten 3. Abschn. C-F belegt.
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sches Verhalten mit geringstmöglichen Eingriffen in den Marktprozeß zu unterbinden. Die Entscheidung, an welcher Stelle grundsätzlich zu begrüßende unternehmerische Findigkeit (alertness) in unzulässige Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List (Opportunismus) umschlägt, ist dabei eine durch das Recht zu treffende normative Entscheidung472. Soweit diese normative Wertung getroffen ist, kann aber die Transaktionskostenökonomie einen Beitrag leisten, um zu ermitteln, welche allgemeinen Spielregeln insoweit die effektivste Durchsetzung, d.h. die Erreichung des Ziels mit den geringstmöglichen Eingriffen in den Marktprozeß ermöglichen473. Drexl hat dies mit Blick auf den – auch für die hier angestellte Untersuchung im Vordergrund stehenden – Verbraucherund Kundenschutzgedanken als das „verbraucherschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip“ bezeichnet und näher ausgearbeitet. Demnach geht die Sicherung des ordnungspolitischen Rahmens für den Wettbewerb (insbesondere durch das Kartellrecht) als „mildestes Mittel“ auf der ersten Stufe, allgemeinen „Spielregeln“, die die Funktionsfähigkeit des Vertragsmechanismus sichern (insbesondere Informationspflichten auf der zweiten Stufe und Widerrufsrechten als wiederum nächstintensiverem Eingriff auf der dritten Stufe) vor; ultima ratio bleibt die Inhaltskontrolle von Verträgen, die in dem so festgelegten Rahmen geschlossen wurden474. Neben der Notwendigkeit einer verhältnismäßigen Festlegung der Spielregeln als Ordnungsrahmen des Marktprozesses steht für die hier angestellte vergleichende Analyse der im Wettbewerbs- und Vertragsrecht für die Umsetzung dieser Regeln zur Verfügung stehenden Instrumente darüber hinaus insbesondere der ordnungspolitische Gedanke effektiver Durchsetzung und administrativer Effizienz bezüglich einmal festgelegter allgemeiner „Spielregeln“ für den Marktprozeß mit im Vordergrund. Daraus läßt sich einerseits ableiten, daß sorgsam zu ermitteln ist, welche Sanktionen die erfolgversprechende Durchsetzung bestimmter allgemeiner Regelungen erwarten lassen. In Fällen, in denen eine Normverletzung im Ergebnis mit so geringen Kosten für den Verletzer verbunden ist, daß die Kosten den aus der Rechtsverletzung zu erwartenden Nutzen unterschreiten, wird die gewählte Sanktion keine abschreckende Wirkung entfalten; diese Problematik ist insbesondere mit Blick auf das Unterlassungsgebot des Rechts des unlauteren Wettbewerbs von hoher Bedeutung475. Umgekehrt ist andererseits aber auch zu bedenken, daß neue Sanktionen – wie etwa Schadensersatzansprüche – dann nicht eingeführt werden sollten, wenn mit ihrer effekti-
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Grundlegend Drexl, Selbstbestimmung, S. 175 ff. Vgl. auch Drexl, aaO., S. 201. 474 S. grundlegend Drexl, aaO., S. 449 ff. 475 S. auch van den Bergh/Lehmann, GRUR Int. 1992, 588, 598. Vgl. zu Folgerungen etwa unten 4. Kap. 5. Abschn. C. 473
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ven Geltendmachung nicht zu rechnen ist476. Effektive Sanktionierung heißt insoweit nicht, daß neue Sanktionen unabhängig von ihrer voraussichtlichen Inanspruchnahme stets als „kleiner Schritt in die richtige Richtung“ zu begrüßen wären. Vielmehr sind neue Sanktionen und insbesondere neue subjektive Ansprüche nur dann einzuführen, wenn mit ihrer Geltendmachung auch in der Rechtspraxis zumindest in nennenswertem Umfang zu rechnen ist bzw. wenn zugleich die Rahmenbedingungen für ihre effektive Inanspruchnahme geschaffen werden. Umgekehrt sind Institutionen, die in der Rechtspraxis ersichtlich nicht in Anspruch genommen werden, gegebenenfalls wieder aus der Rechtsordnung zu liquidieren; denn derartige „leerlaufende“ rechtliche Institutionen bedingen nicht nur überflüssige administrative Kosten, sondern erhöhen auch dadurch die Markttransaktionskosten, daß die allgemeine Akzeptanz der Rechtsordnung bei den Marktteilnehmern insgesamt sinkt, sofern diese in zunehmendem Maße von wenig relevanten „Papiertigern“ belastet ist. Insofern läßt sich dem verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip hinsichtlich der materiellen Festlegung der Regelungen für den Marktprozeß auf der gedanklichen Grundlage der Transaktionskostenökonomie und der vergleichenden Institutionenanalyse noch ein im Gedankengut administrativer Effizienz verwurzeltes ordnungspolitisches Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung hinzufügen, demzufolge die Sanktionen so zu wählen sind, daß sie mit geringstmöglichem administrativen Aufwand die Durchsetzung der gewählten (Verbraucherschutz-) regeln im Lauterkeits- und/oder Wettbewerbsrecht garantieren.
3. Eingeschränkte Rationalität Während die Informationsökonomie im speziellen die Gefährdung der informationellen Entscheidungsgrundlagen der Marktteilnehmer modelliert und die Transaktionskostenökonomie allgemeiner die strukturellen Schwächen des Vertragsmechanismus als institutionellem Rahmen für die Koordinierung der Willensentscheidungen und den nachfolgenden Güteraustausch in den Blick nimmt und gewisse Anhaltspunkte liefert, welche Korrekturen insoweit (insbesondere hinsichtlich der Durchsetzungsproblematik) erfolgversprechend sind, so nehmen doch diese Forschungsrichtungen die auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Informationen getroffene Präferenzentscheidung des einzelnen Vertragspartners als solche – die unverzerrt gebildete einzelne Willenserklärung – als prämissenhaft gegeben hin. Auch der Prozeß der Präferenzbildung auf gegebener Grundlage ist aber verschiedenartigen Gefährdungen ausgesetzt und folgt – wie neuere Erkenntnisse der experimentellen Ökonomie belegen477 – insbesondere nicht der 476
Vgl. für eine Konkretisierung dieses Gedankens etwa unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (3), 4. Kap. 5. Abschn. und öfter in dieser Untersuchung. 477 S. für eine grundlegende Einführung auf aktuellstem Stand Miller, Experimental Economics, 2005.
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1. Kapitel: Grundlagen
REM-Hypothese. Derartige Phänomene der Gefährdung des Entscheidungsprozesses nehmen die Theorie der eingeschränkten Rationalität und die ihr folgenden neueren Forschungsrichtungen der experimentellen Ökonomie in den Blick, die nunmehr zu behandeln sind478. Das von Simon entwickelte Konzept der sogenannten „bounded rationality“ bildet eine der Initialzündungen für die Anerkennung kognitiver Grenzen der Informationsverarbeitung und –bewertung im Entscheidungsprozeß479. Anhand verallgemeinerbarer Überlegungen zur realen Wechselwirkung von Organismen mit ihrer Umwelt480 stellt Simon fest, daß unter realen Verhältnissen, selbst wenn alle benötigten Informationen grundsätzlich zur Verfügung stehen, die für eine nutzenmaximierende Entscheidung notwendigen Wahrscheinlichkeitsrechnungen481 und insbesondere Abwägungen positiver und negativer Entscheidungsfaktoren482 gegeneinander, Algorithmen und Berechnungskapazitäten erfordern, die einem ex ante entscheidenden Individuum schlicht kognitiv nicht zur Verfügung stehen483. Insofern wähle ein realistisch handelnder Agent vereinfachte Entscheidungsalgorithmen, die insbesondere von Szenario-Denken geprägt seien484. Diese Entscheidungsprozeduren seien zwar im Rahmen der kognitiven Möglichkeiten rational intendiert und gestaltet485, wichen aber doch in signifikanter Weise von 478
Die besondere Bedeutung der neueren Ansätze der experimentellen Ökonomie und der behaioral law and economics betont auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. VII f. (in seinem neuen Vorwort zur 3. Aufl. 2005). Vgl. für einen ersten grundlagenorientierten Anwendungsversuch der behavioral law and economics im Schuldrecht zuletzt auch Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff. 479 Simon, Models of Man, 1957. Vgl. insbesondere die Beiträge zu „A Behavioral Model of Rational Choice“, aaO., S. 241 ff und „Rational Choice and the Structure of the Environment“, aaO., S. 261 ff. 480 Die Wechselwirkung mit realen Umweltverhältnissen besonders betonend und näher analysierend Simon, aaO., S. 261 ff. 481 S. Simon, aaO., S. 482 S. Simon, aaO., S. 241, 246. 483 Simon, aaO., S. 241, 246. 484 Vgl. hierzu noch sogleich im folgenden Text. Simon, aaO., S. 249, bringt insoweit das überzeugende Beispiel eines Schachspielers in der Mittel- und Endphase eines Spiels. Ein realistisch agierender menschlicher Spieler führe die hier notwendigen Prüfungen von Alternativen und die resultierenden Wahrscheinlichkeitsrechnungen ausgehend von wenigen angestrebten Ausgangsszenarien (Erreichen von klaren Gewinnstellungen) durch, die jeweils für sich genommen zum Ausgangspunkt genommen werden, um anhand der möglichen Reaktionen des Gegners „auf dem Weg“ zu dieser Stellung und den daraus resultierenden alternativen Möglichkeiten bewertet würden. Der Auswahlalgorithmus startet also gewissermaßen von einer klar gewählten Ausgangsstrecke und läßt daher von vornherein eine Vielzahl von Möglichkeiten außer Betracht. Es ist aus heutiger Sicht bemerkenswert, daß die Andersartigkeit (und potentielle Überlegenheit) einer schlicht „durchgerechneten“, „maschinellen“ REM-Rationalität hinsichtlich sämtlicher möglicher Alternativen über derartige zwar rational intendierte, aber doch aufgrund der beschränkten „Rechenkapazität“ des Menschen mehr intuitive Entscheidungsalgorithmen der „bounded rationality“ in entsprechenden Schachmatches zwischen Mensch und Computer zumindest in der „Modellumgebung“ des Schachspiels immer häufiger in Siegen der Maschine sichtbar wird. 485 Simon, aaO., spricht von procedural rationality.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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rational nutzenmaximierenden Resultaten bei perfekter Informationsverarbeitung ab. Gegen Simons Überlegungen zur beschränkten Rationalität ist eingewendet worden, sie ließen sich modellhaft letztlich schon mit dem Mittel der Informationskosten erfassen486. Dagegen spricht allerdings die Tatsache, daß Simon neben dem zeitlichen Aufwand der Informationsverarbeitung und –strukturierung (der sich über das Konzept der Informationskosten erfassen ließe) auch echte immanente Beschränkungen menschlicher Rationalität herausarbeitet: Insbesondere eine Umsetzung konfligierender Präferenzen und der zugehörigen Wahrscheinlichkeiten in ein einheitliches Nutzenkalkül (eine einheitliche Maßeinheit des Nutzens) ist angesichts der menschlichen Präferenzvielfalt schlicht nicht möglich, was allein die perfekt rationale Nutzenmaximierung (optimizing analysis) verhindert und durch lediglich angenähert rationale, auf ausreichende Ergebnisse gerichtete Nutzenanalyse (satisficing analysis) ersetzt. Simons Forschung ruht dabei weiterhin schwergewichtig im neoklassischen Modellbild und sucht dieses gewissermaßen mit realistischeren Annahmen über menschliches Verhalten zu versöhnen. Grundsätzlich wird am rational orientierten Agenten („intendedly rational…“) festgehalten, der aber aufgrund seiner beschränkten kognitiven Fähigkeiten („…but only limited so“) das Ziel der Nutzenmaximierung verfehlt. Folgerichtig läßt sich Simons Konzeption aus Sicht eines systemtheoretischen, evolutorischen Ansatzes, wie er grundsätzlich in dieser Studie verfolgt wird, wegen der weiterhin stark vereinfachenden Modellannahmen über menschliche Entscheidungsfindung, die zudem nicht empirisch abgesichert sind, durchaus kritisieren487. Zwei Ausgangserkenntnisse Simons sind von dieser Kritik allerdings unberührt und für die hier angestellte Untersuchung von Interesse. Erstens ist menschliches Entscheidungsverhalten in der Auseinandersetzung mit großen Mengen an Information häufig überfordert; man könnte dies als das allgemeine Komplexitätsproblem hinsichtlich immer differenzierter werdender Rechtsgeschäfte auch im Massenverkehr (man denke nur an den Bereich der Verbraucherkredite oder der Time-Sharing-Verträge) bezeichnen488. Und zweitens sind die „vernünftigen“, realistischen Entscheidungsstrategien, auf die Marktteil486 Vgl. Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 46 (insbesondere Fußnote 6 mwN). 487 Vgl. für diese systemtheoretische Kritik an Simon, Williamson, Economic Institutions of Capitalism, S. 46 f. S. auch oben C III 3 für den systemtheoretischen Ansatz spezifisch der österreichischen Schule, die vollkommen auf ein Modellbild rationalen Handelns (in welchen Einschränkungen auch immer) verzichten kann. Differenzierend Selten, JITE 146 (1990), 649, 651 ff. mwN., unter Hinweis auf die unterschiedlichen Ebenen (routinemäßig, vorstellungsgeleitet, rational) und Funktionsweisen des Entscheidungsbildungsprozesses, der hypothetisch insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, daß es zum Teil zu einer unbewußten Entscheidungsbildung kommt, die zwar auf Grundlage rationaler und/oder emotionaler Kriterien erfolgt, aufgrund deren die Entscheidung aber gewissermaßen spontan emporwächst. 488 S. zu dieser Problematik, die sich letztlich daraus ergibt, daß in der Industriegesellschaft mit Blick auf Verbrauchsgüter Käufermärkte weitaus vorherrschen, der Nachfrager also das Ziel permanenter Absatzanstrengungen durch Werbung, aber auch durch ständige Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen ist, schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 64 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
nehmer in derartigen Situationen zurückfallen, in bestimmtem Umfang strukturierbar; mit anderen Worten, die Abweichungen, die von rationaler Nutzenmaximierung in derartigen Situationen auftreten, lassen sich in gewissem Umfang typisieren, da unterstellt werden kann, daß Strategien eingeschränkter Rationalität oder sonstige menschliche Entscheidungsalgorithmen in gewissem Umfang zumindest typischen Pfaden folgen, selbst wenn diese derzeit nicht hinreichend bekannt sind und durch empirische oder experimentelle Forschung erst ausermittelt werden müssen489. Eben diese systematischen Abweichungen realen menschlichen Verhaltens vom REM-Modellbild der Präferenzoptimierung (die man als systematische Anomalien490 bezeichnen könnte) sind es, die durch unlautere Wettbewerbshandlungen oder opportunistisches Verhalten in der Vertragsanbahnung bewußt ausgenutzt werden können, um Marktteilnehmer zu Entscheidungen zu provozieren, die ihre Präferenzordnung fehlerhaft abbilden. Die kurze Darstellung einiger besonders relevanter Anomalien491, wie sie in der psychologischen492 Feld- und Laborforschung und der soziologischen493 Forschung sowie in der experimentellen Öko489 So vor allem Selten, JITE 146 (1990), 649, 651, insbesondere 653 ff., der deshalb als empirisch gestützte Arbeitshypothese von der kasuistischen Struktur von Strategien eingeschränkter Rationalität ausgeht: „The empirical evidence suggests that the typical strategy is casuistic in the following sense: A system of case distinctions based on simple criteria determines which simple decision rules are employed.“ Allerdings weist Selten, aaO., auch auf die Schwierigkeiten und Grenzen jeglichen Versuchs komplexes menschliches Entscheidungsverhalten zu modellieren hin: „There is no reason to suppose that human behaviour is guided by a few abstract principles. Nobody should be surprised if it turns out that the motivational system is as complex as the anatomy and physiology of the human body. Evolutionary biology may be able to explain some aspects of anatomy and physiology, but only after the facts have been found. The same is true for human economic behaviour. Armchair reasoning is no substitute for empirical research.“ Vgl. noch unten V 6 und VI zu den Folgen dieser begrenzten Vorhersehbarkeit menschlichen Verhaltens für die Aufgabenstellung an das Zusammenspiel von Wettbewerbs- und Vertragsrecht. 490 Der eingebürgerte Begriff der „Anomalie“ wird hier ebenfalls übernommen, obwohl die experimentalpsychologisch beobachteten Abweichungen von der REM-Hypothese rationalen Entscheidungsverhaltens zu signifikant und systematisch sind, um terminologisch noch als eine bloße Abweichung von einem grundsätzlich gültigen REM-Modell eingeordnet zu werden. S. Tversky/Kahneman, Journal of Business 59 (1986), S. 251 ff. 491 Die nachfolgende Darstellung muß sich auf eine eng begrenzte Auswahl beschränken; tatsächlich sind die neueren experimentalökonomischen Forschungen zu Entscheidungsanomalien derart fruchtbar, daß ökonomische Journals, wie das Journal of Economic Perspectives, zeitweilig eine regelmäßige Kolumne zu Anomalien in jedem gelieferten Heft beinhalteten. Vgl. etwa den Beitrag von Kahneman/Knetsch/Thaler, Journal of Economic Perspectives 5 (1991), 193: „Thaler would like to quash one rumor before it gets started, namely that … he has run out of anomalies. Au contraire, it is the dilemma of choosing which juicy anomaly to discuss that takes so much time.“ 492 Hierfür steht insbesondere die weitgefächerte Forschung von Amos Tversky und Daniel Kahnemann, vgl. etwa Tversky/Kahneman, American Psychologist 39 (1984), 341 ff.; Tversky/ Kahneman, Journal of Business 59 (1986), S. 251 ff.; Kahneman/Tversky, Econometrica 47 (1979), 263 ff.; Kahneman/Knetsch/Thaler, Journal of Political Economy 98 (1990), 1325 ff.; Kahneman/Knetsch/Thaler, Journal of Economic Perspectives 5 (1991), 193 ff. 493 Vgl. ausführlich hierzu Lindenberg, JITE 146 (1990), 727 ff.
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nomie (unter Laborbedingungen)494 empirisch bzw. experimentell nachgewiesen wurden, ist daher an dieser Stelle angezeigt495.
4. Neuere psychologische und soziologische Forschungen sowie Ergebnisse der experimentellen Ökonomie zum Verhalten der Marktteilnehmer Dem vorbeschriebenen im Rahmen begrenzter kognitiver Kapazität unumgänglichen Szenario-Denken verwandt – ja durch dieses bedingt – ist die sogenannte Framing-Anomalie496. Demzufolge hängt menschliches Entscheidungsverhalten (neben dem Inhalt der alternativen Entscheidungsmöglichkeiten) wesentlich auch davon ab, in welchem „Rahmen“ – d.h. auf welche Art und Weise bzw. in welchem Kontext – die Entscheidungsalternativen präsentiert werden. So würde, wie Experimente unter vereinfachten Laborbedingungen aber auch empirische Erfahrungen belegen497, eine Preisangabe „Preis: 20.000,- Euro, Rabatt bei Barzahlung 2.000 Euro“ der inhaltlich gleichen Preisangabe „Preis: 18.000,- Euro, Aufschlag für Ratenzahlung 2.000 Euro“ von der Mehrzahl der Verkehrsteilnehmer vorgezogen498. Das Beispiel läßt sich in einem ersten Schritt bezüglich der verglichenen 494 Siehe Tietz, JITE 146 (1990), 659 ff., zu den Vorteilen dieser aktuell mit großen Hoffnungen versehenen Forschungsrichtungen, die es in gewissem Umfang gestatten, die Vorteile abstrakter ökonomischer Theorienbildung mit den Vorteilen empirischer Feldforschung zu verbinden, da es die Laborbedingungen gestatten, durch Design geeigneter Experimente gezielt und unter Eliminierung überkomplexer Störfaktoren, die die empirische Feldforschung behindern, ökonomische Verhaltenstheorien zu überprüfen oder aus den Experimentalergebnissen zu entwickeln. 495 Dabei geht es, entsprechend dem Thema der Untersuchung, weniger um Fälle sogenannter Hyper-Rationalität, d.h. spieltheoretische Überlegungen zu strategischem Entscheidungsverhalten, welches in dem Sinne „mehr“ als rational ist, daß auch prognostische Überlegungen zu den Handlungsweisen des Geschäftspartners angestellt werden (vgl. für eine kurze Zusammenfassung dieser Forschungsrichtung Posner, Economic Analysis, S. 19 ff; für eine eingehende Darstellung der spieltheoretischen Erkenntnisse in ihrer potentiellen Relevanz für die Rechtsgestaltung und –anwendung Baird/Gertner/Picker, Game Theory and the Law, 1994. Diese letztgenannte Thematik ist von größerer Relevanz für die Beurteilung konkreter Vertragsverhandlungen im Zwei- oder Mehrpersonenverhältnis sowie für die Modellierung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Bezüglich des hier behandelten konkret-mikroökonomischen Problems gezielter Nutzung systematischer Schwächen menschlichen Entscheidungsverhaltens im Wettbewerb um den Kunden ist die Spieltheorie demgegenüber weniger relevant als die im folgenden behandelten Anomalien, insbesondere die Framing-Anomalie und wird daher nicht eigenständig behandelt. Soweit allerdings Marketing-Techniken bewußt auf die Ausnutzung des menschlichen Spieltriebs und quasi-strategischer Überlegungen abzielen, wie es im Kontext einiger der neuen Vertriebsmöglichkeiten im Internet (wie Powershopping, umgekehrte Versteigerungen etc.) der Fall ist, wird im Sachzusammenhang auch auf derartige Forschungserkenntnisse eingegangen. 496 S. dazu eingehend Tversky/Kahneman, American Psychologist 39 (1984), 341 ff.; Tversky/ Kahneman, Journal of Business 59 (1986), S. 251, insbesondere S. 254 ff. zum „Framing“ im engeren Sinne. Vgl. kurz zum ganzen auch Schäfer/Ott, S. 64. 497 Vgl. zu den experimentellen Grundlagen Tversky/Kahneman, aaO. 498 Dieses Beispiel bringen Schäfer/Ott, aaO. Die grundlegende experimentelle Forschung zum Effekt des Labelling von Preisdifferenzen als „Aufschläge“ oder „Rabatte“ stammt bereits aus dem Jahre 1980, s. Thaler, Journal of Economic Behavior and Organization 1 (1980), 39 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
Information verallgemeinern, so könnte sich die Mißrepräsentation etwa auf die „normale Ausstattung“ eines Produkts im Vergleich zur („ohne Preisaufschlag“ angebotenen) „besseren Ausstattung“ des beworbenen Produktes etc. beziehen499. Im Kern belegen die zugrundeliegenden Experimente objektiv, daß menschliches Entscheidungsverhalten dazu tendiert, eine Verbesserung gegenüber einem vermeintlichen Normalzustand zu bevorzugen. Wird eine der zur Verfügung stehenden Entscheidungsalternativen erfolgreich als eine Art Normalzustand maskiert, sind diejenigen Entscheidungsalternativen, die sich im Vergleich hierzu als „Verbesserung“ einschätzen lassen, inhärent begünstigt. Diese systematische Abweichung von rationalem Entscheidungsverhalten steht aber lediglich für einen typischen Fall der noch weitaus breitgefächerteren Framing-Anomalie. Eine weitere Generalisierung ist daher angebracht: Experimente zum Framing-Effekt belegen ganz allgemein, daß menschliches Entscheidungsverhalten – in systematischer Abweichung vom REM-Leitbild – nicht dem Gebot der Invarianz entspricht; d.h. inhaltlich gleichwertige Alternativen werden im Ergebnis nicht gleichbehandelt, je nachdem auf welche Art und Weise sie den Probanden präsentiert werden. Die Mißrepräsentation kann dabei in ganz vielgestaltiger Form auftreten, so daß sich die Framing-Anomalie in dieser verallgemeinerten Form abschließend (zumindest durch Experimente) gar nicht erfassen läßt500. Vielmehr liefert die grundsätzliche experimentelle Ausgangserkenntnis, daß das Invarianz-Axiom, demzufolge inhaltlich gleiche Entscheidungsalternativen rational stets gleich zu behandeln wären, bezogen auf reales menschliches Entscheidungsverhalten nicht zutrifft, das Fundament für eine Vielzahl weiterer beobachteter „Anomalien“, wie etwa die Opportunitätskostenanomalie501 oder Teilbereiche der Prospekt-Theorie502. InsDer (auch intuitiv nachvollziehbare) Effekt ist nicht nur experimentalökonomisch, sondern auch empirisch im realen Verbrauchermarktgeschehen derart massiv zu beobachten, daß die Verbände der amerikanischen Kreditkartenanbieter über Jahre darauf gedrungen haben, bei Kreditkartenabrechnung anfallende zusätzliche Kosten – sofern sie dem einzelnen Verbraucher überbürdet werden – nicht als „Aufschlag für Kreditkartenzahlung“ zu bezeichnen, sondern vielmehr umgekehrt in den Normalpreis einzustellen, um sodann den Barzahlungspreis als „Barzahlungsrabatt“ anzubieten, vgl. hierzu Tversky/Kahneman, Journal of Business 59 (1986), S. 251, S. 260 f. 499 Ein Beispiel liefert die Werbekampagne der Volkswagen AG zur Markteinführung des neuen „Golf IV“ im Jahre 2004. Der Wagen wurde als „Jubiläumsangebot“ mit Klimaanlage „ohne Aufpreis“ vermarktet. Angesichts der Tatsache, daß der prognostizierte Anteil der Wagen mit Klimaanlage am Gesamtverkauf des Golf IV bei über 90 % lag, lief dies faktisch auf eine (durch die schlechte Anfangsnachfrage notwendig gewordene) Preissenkung für nahezu die gesamte Produktion (mithin für das „Normalprodukt“) hinaus, die auf diese Weise aber als „Sonderrabatt“ präsentiert wurde. Eine solche Vorgehensweise im Marketing bringt zusätzlich den Vorteil, daß eine entsprechende durch schlechte Nachfrage bedingte Preissenkung (als temporärer nur zeitlich begrenzt gewährter „Rabatt“) leichter wieder zurückgenommen werden kann, sobald der Absatz wieder steigt (vgl. insoweit allgemein Tversky/Kahneman, aaO., S. 261. 500 Tversky/Kahneman, aaO., S. 273. 501 Derzufolge Opportunitätskosten, d.h. entgangene Gewinne, weniger hoch gewichtet werden als tatsächlich anfallende Kosten, vgl. Schäfer/Ott, S. 65. 502 Beispielsweise der festgestellten Tatsache, daß sich reale Entscheidungsträger gegenüber einer potentiellen Verbesserung des Normalzustandes risikoavers verhalten (ein einmal erreich-
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besondere mit Blick auf einmal erkannte spezifischere Anomalien agiert die Framing-Anomalie also als eine Art Bindeglied, da sie es gestattet, Entscheidungsalternativen bewußt so zu präsentieren, daß eine der spezifischeren Anomalien genutzt wird, um irrationales Entscheidungsverhalten zu provozieren. Bezogen auf unternehmerischen Wettbewerb um den Verbraucher kann die Framing-Anomalie daher als die prototypische Grundlage für „Schwächen“ des menschlichen Entscheidungsprozesses gelten, die sich durch unlautere Marketingtechniken bewußt zu einer Ausbeutung der Kunden mißbrauchen lassen. Eine weitere systematische Abweichung menschlichen Entscheidungsverhaltens von der Rationalitätsannahme läßt sich mit Blick auf die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Ereignisse (insbesondere Risiken) experimentell belegen. Nach der bereits erwähnten Prospekt-Theorie läßt sich diesbezügliches menschliches Entscheidungsverhalten in zwei Phasen gliedern 503: In der ersten Phase wird eine kontextabhängige Analyse der zu entscheidenden Situation vorgenommen, in der die Alternativen in Form von Szenarien herausgearbeitet, ihre Beziehungen zueinander analysiert, einzelne Alternativen ausgeschieden und im Ergebnis die verbleibenden Szenarien nebeneinander und in den zu entscheidenden Kontext gestellt werden. Diese erste Phase unterliegt, wie ebenfalls bereits erwähnt, uneingeschränkt der Framing-Anomalie; die Herausarbeitung und Systematisierung der Alternativen wird je nach Kontext aufgrund von Gewohnheiten und sozialen Gepflogenheiten unterschiedlich erfolgen und kann daher durch die Art und Weise der Präsentation gezielt beeinflußt werden. In der zweiten Phase werden die verbleibenden Szenarien, je nach Wahrscheinlichkeit bzw. nach ihrer Beziehung zueinander, gewichtet. In dieser Bewertungsphase treten nun weitere – im Vergleich zu rationaler Beurteilung die Entscheidung verzerrende – Anomalien u.a. in der Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten auf. Die Forschung zum Umgang mit zukünftigen Ereignissen besagt unter anderem, daß sehr geringe zukünftige Wahrscheinlichkeiten tendenziell im menschlichen Entscheidungsverhalten gleich Null gesetzt werden, was – sofern der drohende Schaden fundamentale Auswirkungen hat (d.h. mit sehr hohen „Kosten“ verbunden ist) – zu gravierenden „Fehleinschätzungen“, d.h. Abweichungen von der auf Grundlage einer Kosten-Nutzen-Analyse optimalen Entscheidung führen kann504. Ebenso im Zuter Gewinn wird schneller realisiert), während sie gegenüber einer potentiellen Verschlechterung risikofreudig sind (ein bereits erlittener Verlust wird nicht vergleichbar schnell realisiert, das Risiko weiterer Verluste in Kauf genommen). Ebenso werden künftige Verluste gegenüber gegenwärtigen Gewinnen unterbewertet. Diese (als kontextabhängige Veränderung dem Framing zuzurechnenden) Effekte sind sowohl experimentell, vgl. grundlegend Kahneman/ Tversky, Econometrica 47 (1979), 263 ff., als auch durch empirische Beobachtungen (die bekannt gewordenen Forschungen zu vorbeschriebenem Verhalten privater Kleinanleger an Aktienbörsen), vgl. Shefrin/Statman, Journal of Finance 60 (1985), 777 ff., belegt worden. Vgl. kurz zusammenfassend auch Schäfer/Ott, S. 66, sowie näher zur Prospekt-Theorie noch im folgenden Text. 503 Vgl. eingehend zum ganzen zuletzt Tversky/Kahneman, Journal of Business 59 (1986), S. 251, S. 257 ff. mwN. 504 Sehr vereinfacht ausgedrückt (der Entscheidungsprozeß wird in den Modellen der Experimentalforschung weiter aufgegliedert, vgl. auch obere Fn. 484 und 502) verläuft die wahr-
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1. Kapitel: Grundlagen
sammenhang mit der Beurteilung zukünftiger Entwicklungen, aber mehr auf die Bewertung selbst bezogen, läßt sich die status quo bias beobachten, derzufolge der unveränderte status quo einer Veränderung tendenziell vorgezogen wird505. Gemeinsam ist sämtlichen vorstehenden sogenannten Anomalien, daß die Entscheidungsträger (d.h. in der Regel die Probanden) offenbar tendenziell tatsächlich einer „Fehleinschätzung“ in dem Sinne unterliegen, daß das abweichende Entscheidungsverhalten nicht etwa auf einer bewußtgemachten und abweichenden Präferenzgewichtung, sondern in der Tat auf Fehlbeurteilungen aufgrund „beschränkter Rationalität“ im Simonschen Sinne eines „intendedly rational … but only limited so“ beruht. Insbesondere Tversky und Kahnemann ziehen aus ihrer jahrzehntelangen experimentellen Forschung zu Entscheidungsanomalien das Fazit, daß die Axiome rationalen Entscheidungsverhaltens in transparenten Situationen, in denen die Kosten-Nutzen-Rechnung durch eine gemeinsame Maßeinheit (einen „common frame“) offengelegt wird, von den Entscheidungsträgern in der Tendenz berücksichtigt werden, während in intransparenten Situationen, in denen der Kontext die Alternativen schwerer vergleichbar macht, das Entscheidungsverhalten grundlegend, signifikant und systematisch von der REM-Hypothese abweicht506. Sie führen dies darauf zurück, daß der menschliche Entscheidungsprozeß – durchaus in Abweichung von anderen kognitiven Abläufen, wie etwa der bei der Bildverarbeitung durch das Gehirn, zumal beim Lesen, ablaufenden Algorithmen507 – nur in sehr begrenztem Maße eine kanonisierte Wahrnehmung in dem Sinne kennt, daß alle Informationen zuerst in einen einheitlichen Kontext gebracht (kanonisiert), d.h. systematisch verobjektiviert und innerhalb eines einheitlichen „Maßsystems“ vergleichbar gemacht würden508. Daraus lassen sich auf Grundlage scheinlichkeitsabhängige Gewichtungsfunktion menschlichen Entscheidungsverhaltens nicht linear, wie es der Rationalitätsannahme entspräche, sondern es werden sehr geringe Wahrscheinlichkeiten mit Null gleichgesetzt, geringe Wahrscheinlichkeiten systematisch überschätzt und hohe Wahrscheinlichkeiten systematisch unterschätzt, wobei letztgenannter Effekt schwächer ausgeprägt ist als der zweitgenannte. Vgl. eingehend Tversky/Kahneman, Journal of Business 59 (1986), S. 251, S. 262 ff.; Kahneman/Tversky, Econometrica 47 (1979), 263 ff.; zu erstgenanntem Effekt auch Schäfer/Ott, S. 66 f. unter Hinweis auf Dawes, Rational Choice in an Uncertain World, 1988, S. 67. 505 Vgl. hierzu Kahneman/Knetsch/Thaler, Journal of Economic Perspectives 5 (1991), 193 ff.; vgl. auch Schäfer/Ott, S. 65 f. 506 S. Tversky/Kahneman, Journal of Business 59 (1986), S. 251, 272 f. 507 Bei der Bildverarbeitung erfolgt ein stetiger Vergleich des tatsächlichen Inputs der Sinnesorgane mit dem standardmäßig angesichts diesen Inputs erwarteten Objekt, der zur Korrektur der tatsächlich wahrgenommenen Sinnesreize genutzt wird. Tversky/Kahneman, aaO., bringen das Beispiel eines weißen Kreises, der im Dunkeln scharf von der Seite betrachtet wird – dennoch ist die Wahrnehmung nicht die dem Sinnesreiz entsprechende graue Ellipse, sondern aufgrund des typisierenden Korrekturprozesses dennoch ein weißer Kreis. 508 Dies unterminiert zugleich die basale Prämisse der Law & Economics-Bewegung, das zentrale Messungsproblem des Utilitarismus seit Bentham lasse sich schlicht durch eine marktmäßig vereinheitlichte Erfassung sämtlicher Präferenzen anhand ihres Marktpreises lösen (vgl. grundlegend Posner, The Economics of Justice, 1981, Kapitel 3 [S. 48 ff., insbes. 51 ff.]); eine solche vereinheitlichende Umrechnung sämtlicher Präferenzen in eine übergreifende Maßeinheit entspricht psychologisch ersichtlich nicht dem realen Entscheidungsverhalten.
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der experimentellen Forschung Kahnemans und Tverskys eine Vielzahl der beobachteten Anomalien erklären, zumal diese entscheidend reduziert werden, sobald dieser erste (ordnende und systematisierende) Schritt im Experiment durch eine transparente (mit einheitlichen Beurteilungskriterien im selben Kontext versehene) Präsentation der Alternativen für die zu treffende Entscheidung vorweggenommen wird. Zu betonen ist allerdings der letztlich begrenzte Erkenntnisgewinn, den die experimentelle Forschung über menschliches Entscheidungsverhalten einstweilen liefern kann. Zum einen sind die Entscheidungsabläufe, wie sie auch intuitiv wahrgenommen werden, derart komplex, daß die auf Grundlage der Experimente entwickelten abstrakten Systeme, die letztlich wiederum eine Algorithmisierung dieser Abläufe erstreben, wohl notwendig gleichfalls lediglich Annäherungen bleiben werden. Zum anderen beruht die Mehrzahl der beschriebenen Erkenntnisse auf Laborexperimenten unter stark vereinfachten Bedingungen und betrifft ganz bewußt gewählte Entscheidungssituationen509, so daß hinsichtlich der Validität der ermittelten Ergebnisse bezüglich realen menschlichen Verhaltens im Markt und insbesondere hinsichtlich der letztlichen Relevanz und Signifikanz der beobachteten Ergebnisse – soweit sie über den experimentellen Beleg laienhaft ohnehin zu erwartender Effekte hinausgehen – ein gewisser Zweifel bleibt. Einige Gestaltungshinweise für rechtliche Techniken, um unverzerrte menschliche Präferenzbildung und Entscheidungsfindung zu stützen und insbesondere die grundsätzliche Notwendigkeit einer solchen Unterstützung, lassen sich aus den Experimenten wohl ableiten (vgl. auch unten 6); eine abschließende Modellierung menschlicher Entscheidungsprozesse, die in ihrer gesamten Vielgestaltigkeit – selbst im begrenzten Kreis des marktmäßigen Handelns – notwendig nur begrenzt modellhaft vorhersagbar sind, kann demgegenüber nicht erfolgen510.
5. Exkurs: Weitere (situative) Störungen des Entscheidungsprozesses Um den Katalog der strukturellen Gefährdungen unverzerrter Willensbildung zu vervollständigen, sind an dieser Stelle (im Vorgriff auf die eingehendere Behandlung im jeweiligen Zusammenhang) kurz einige situative, d.h. anders als die vorstehenden Störungen zeitlich begrenzte, an eine bestimmte Situation gebundene Gefährdungen des Entscheidungsprozesses nachzutragen, wie sie sich nicht unmittelbar aus mikro-ökonomischen Entscheidungstheorien, sondern mehr aus gezielten Störungen autonomer Entscheidungsfähigkeit ergeben, deren Eignung, den unverzerrten Entscheidungsprozeß potentiell zu gefährden, schon aus allgemeinen Überlegungen des common sense folgt. Angesichts der vielgestaltigen Möglichkeiten, unverzerrte Entscheidungsprozesse zu gefährden, hat die nachfolgende Aufzählung notwendig keinen abschließenden Charakter511. 509 Vgl. auch Tietz, JITE 146 (1990), 659 ff.; Ostmann, JITE 146 (1990), 673, insbesondere 678 zu Möglichkeiten und Grenzen experimenteller Ökonomie sowie einigen die Ergebnisse verzerrenden Effekten. 510 Zutreffend Selten, JITE 146 (1990), 649, 653; im Ergebnis ebenso letztlich auch Tversky/ Kahneman, Journal of Business 59 (1986), S. 251, 272. 511 S. für einen Katalog derartiger Störungen autonomer Entscheidungsfähigkeit aus Sicht moderner Autonomie-Theoretiker, Trebilcock, S. 147 ff. unter Hinweis auf Feinberg, Harm to Self, S. 113; vgl. im übrigen mit einer eingehenden und umfassenderen Analyse aktueller Techniken psychischer Überwältigung unter psychologischer, soziologischer und religionswissenschaftlicher Perspektive Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 165 ff. mwN.
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1. Kapitel: Grundlagen
Zu nennen sind zuerst diejenigen Fälle von Druckausübung, die sich nicht auf den Inhalt der zu treffenden Entscheidung beziehen512, sondern auf das Treffen einer Entscheidung als solches. Hierher wäre etwa die Ausübung eines übermäßigen Zeitdrucks zu zählen. In diesen Fällen ist nicht die Entscheidungsgrundlage, sondern der Entscheidungsprozeß betroffen, welcher durch die Drucksituation nicht ungestört ablaufen kann. Die Fähigkeit, eine überlegte Entscheidung zu treffen, wird auf diese Weise in der gegebenen Situation unter Umständen erheblich herabgesetzt. In engem Zusammenhang zu derartigen gezielten Störungen des Entscheidungsprozesses stehen weiter die Fälle der Überrumpelung, in denen die momentane Überraschung oder Nervosität des Angesprochenen genutzt wird, um eine unüberlegte, voreilige Entscheidung zu provozieren. Dies kann – wie im Falle des Vertreterbesuchs an der Haustür – mit einem Eindringen in die Privatsphäre kombiniert sein oder – wie im Falle werblicher Aktivitäten gegenüber Hinterbliebenen eines Todesfalls – ganz gezielt sich auf die Ausnutzung zeitlich begrenzter Zustände emotionaler Aufgewühltheit oder Nervosität richten. Auch einzelne Fälle belästigender Werbung sind derartigen Störungen des Entscheidungsprozesses eng verwandt, wobei aber sorgsam danach abzugrenzen ist, ob die Belästigung tatsächlich zu einem gewissen „Entscheidungsdruck“ führt. Schließlich lassen sich hierher die in ihrer Wirksamkeit freilich umstrittenen sub-liminalen Werbetechniken zählen, die eine Manipulation der Präferenzstruktur des Beworbenen durch Stimulierung des Unterbewußtseins erstreben, wie es etwa bei Kürzesteinblendungen von Werbebotschaften in das Fernsehprogramm oder in Kino-Filme der Fall ist.
6. Die Rolle des Wettbewerbs- und Vertragsrechts und die Abgrenzung vom Paternalismus Zusammenfassend betrachtet weisen die modernen Forschungsprogramme der Neuen Institutionellen Ökonomie und der Experimentalökonomie – insbesondere zur beschränkten Rationalität – auf drei Ebenen struktureller Gefährdungssituationen für den freiwilligen und informierten Vertragsschluß hin. Erstens kann die allgemeine Komplexität der für die Abwicklung von Geschäften in der modernen Industriegesellschaft erforderlichen informationellen Grundlage die kognitiven Fähigkeiten einzelner Verkehrsteilnehmer übersteigen. Zweitens, spezifischer, führt dies systematisch und in signifikantem Umfang zu bestimmten Fehleinschätzungen der Verkehrsteilnehmer, die – da sie insbesondere durch die kontextabhängige Präsentation der zur Verfügung stehenden Information bedingt werden – durch den gezielten Einsatz von Marketing-Techniken ausgenutzt werden können, um den Entscheidungsbildungsprozeß in eine bestimmte Richtung zu verzerren. Drittens kann der Prozeß der Entscheidungsbildung situativ, d.h. in zeitlich vorübergehender Weise gestört werden, um übereilte oder unbedachte Entscheidungen zu provozieren. Diese strukturierende Einteilung potentieller Gefährdungssituationen für den Entscheidungsbildungsprozeß gestattet – im Einklang mit der für diesen Abschnitt gestellten Aufgabe – eine entsprechend 512 Zu den hiervon abzugrenzenden „echten“ Drohungen für den Fall, daß eine bestimmte Vertragsentscheidung nicht getroffen wird, welche genaugenommen die Störung der Entscheidungsgrundlage betreffen, vgl. näher schon oben III 2 b.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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strukturierte Aufgabenstellung an das Recht zur Verhütung oder Heilung der resultierenden, die Präferenzordnung der betroffenen Verkehrsteilnehmer nicht exakt abbildenden „Fehlentscheidungen“. Auf der Ebene allgemeiner Überforderung durch die zur Verfügung gestellte Information drängt sich die (demnach über ihre gefühlsmäßige Anerkennung hinaus auch ökonomisch begründbare) Folgerung auf, daß das aus dem Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage ableitbare vermeintliche Interesse der Abnehmerseite an möglichst weitgehender Information selbst unter Hintanstellung der gegenläufigen Interessen der Anbieterseite schon im ureigenen Interesse der Abnehmer jedenfalls gegen eine kognitive Überforderung durch ein „zuviel“ an Information abzusichern ist; das Interesse der Abnehmerseite richtet sich demnach nicht auf ein Maximum, sondern auf ein Optimum an zur Verfügung stehender Information513. Als ein strukturell der ökonomischen Problemstellung entsprechendes Instrument, um informationeller Überforderung des Entscheidungsprozesses vorzubeugen, bietet sich – neben einer Intensivierung von bloßen Aufklärungs- in Richtung auf regelrechte Beratungspflichten 514 – im Massenverkehr das rechtliche Mittel der Standardisierung an. Diese kann ihrerseits in zwei Formen erfolgen: Die mildere Form der Standardisierung betrifft die Vereinheitlichung der zur Verfügung zu stellenden Information, etwa im Rahmen von Vorschriften über einheitlich zu präsentierende Preisangaben oder Etikettierungspflichten betreffend bestimmte Wareneigenschaften; in diese Kategorie gehören Teilbereiche des Wettbewerbsrechts, aber auch viele der Informationspflichten des Verbrauchervertragsrechts (beispielsweise betreffend Verbraucherkredite), soweit sie zugleich eine Standardisierung und Strukturierung der zur Verfügung zu stellenden Information vorsehen (vgl. für ein besonders deutliches Beispiel auch § 477 BGB über die Anforderungen an Garantieerklärungen). Einen vergleichsweise weitaus gravierenderen Eingriff stellt die Standardisierung der zur Verfügung stehenden rechtlichen Gestaltungsformen durch zwingende rechtliche Regelungen dar; im Vertragsrecht hat ein solcher Eingriff Ausnahmecharakter, zu bedenken ist aber, daß sich auch viele Bestimmungen des dispositiven Rechts – vermittelt über die Klauselverbote des AGB-Gesetzes und die Ersetzung unwirksamer Vertragsbedingungen durch die gesetzlichen Vorschriften – im praktischen Ergebnis zu rechtlichen Standards im Massenverkehr entwickelt haben. So läßt sich die Sachmängelhaftung im Verbrauchsgüterkauf durchaus als ein Quasi-Standard im Sinne einer Versicherung auffassen, der komplizierte Erwägungen zur Notwendigkeit und Interessengemäßheit einer bestimmten Verjährungsfrist im Einzelfall, weitestgehend erspart und durch einen hinreichende Sicherheit vermittelnden Rahmen des Verkehrssystems ersetzt. Eine Vielzahl weiterer Instrumente insbesondere des Vertragsrechts lassen sich im Sinne eines gezielten Schutzes gegen Überforderung des Entscheidungsprozesses durch überkomplexe Entscheidungs513 S. mit entsprechender ökonomischer Begründung auch schon Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 115 f. 514 In diese Richtung Fleischer, aaO., S. 116.
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1. Kapitel: Grundlagen
situationen auffassen oder perspektivisch entwickeln, wie dies im Laufe der Studie näher herausgearbeitet werden wird. Bei der Beurteilung und Fortentwicklung dieser rechtlichen Instrumente und insbesondere der aktuellen rechtlichen Entwicklungen im allgemeinen Schuldrecht und im Kaufrecht aus ökonomischer Sicht gilt aber wiederum, daß die ökonomische Betrachtung lediglich die den Problemstellungen strukturell entsprechenden Instrumente zur möglichst zielgenauen Behebung der Gefährdungslagen aufzeigen kann; ein normativer Maßstab, in welchem Maße die Korrektivfunktion einen rechtlichen Eingriff in die Vertragsfreiheit erfordert, ist wiederum nicht ableitbar. Auch betreffend das Mittel der Standardisierung ist eine solche Wertentscheidung aber ersichtlich vonnöten; was dem einen Verbraucher noch nützliche Information vermittelt, die in seinen Entscheidungsstandard gehörte und ihm eine günstige Verhandlungslösung ermöglicht, da er angesichts seiner Informationsverarbeitungskapazität eines bestimmten Schutzes nicht bedarf, mag den anderen Verbraucher bereits in seiner kognitiven Entscheidungsfähigkeit überfordern. Es stellt sich mithin die normative Frage, an den Interessen welcher Verbrauchergruppe der rechtliche Standard zu orientieren ist. Die normative Fragestellung, „wieviel“ Korrektur hinsichtlich der Freiheit der Anbahnung, des Abschlusses und des Inhalts von Verträgen notwendig ist, kann also wiederum nicht durch die Ökonomie beantwortet werden. Betreffend die spezifischeren Anomalien und deren gezielte Nutzung durch Marketing-Techniken ist eine zweifache Reaktion des Rechts denkbar. Zum einen kommt ein Totalverbot derartiger Marketing-Techniken, dann in der Regel mit den Mitteln und dem Sanktionssystem des Wettbewerbsrechts (im Ausnahmefall) in Betracht. Zum anderen ist in vielen Fällen – als milderes Mittel – wiederum eine vertragsrechtliche Reaktion durch Standardisierung bzw. Strukturierung der zur Verfügung zu stellenden Information denkbar und vorzugswürdig. Dieser rechtliche Eingriff hat den immensen Vorteil, gezielt gerade die den meisten Entscheidungsanomalien zugrundeliegende Fehlfunktion, das Fehlen eines einheitlichen Kontextsystems für Zuordnung und Strukturierung zur Verfügung stehender Information, zu korrigieren. Das aktuell umstrittene Beispiel der Tabakwerbung verdeutlicht die rechtlichen Alternativen prototypisch515. Unabhängig von sonstigen (u.a. insbesondere volkswirtschaftlichen) Erwägungen stellt sich das Problem mit Blick auf die einzelne Verbraucherentscheidung in erster Linie als eine Problematik, die entweder gänzlich fehlender bzw. verzerrter Information oder der Wahrscheinlichkeitsanomalie zuzurechnen ist, dar. Der einzelne Verbraucher wird dazu neigen, das (statistisch sehr geringe) Krebserkrankungsrisiko im Rahmen der alltäglichen Kaufentscheidung entweder von vornherein zu unterschätzen (Informationsproblem) oder aus dem Entscheidungsszenario zu eliminieren (gleich Null zu setzen, Wahrscheinlichkeitsanomalie). Insofern läßt sich auf den ersten Blick argumentieren, daß aus diesem Grunde ein Totalverbot von Tabakwerbung angebracht ist; andererseits lassen sich die Verzerrungen des Entscheidungsverhaltens durch die Informationsprobleme und die Wahrscheinlichkeitsano515 S. aus der kaum überschaubaren Literatur statt aller für eine gründliche Darstellung mit umfassenden weiteren Nachweisen nur Donner, Tabakwerbung und Europa, 1999.
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malie wohl durchaus zielgenauer und damit verhältnismäßiger durch entsprechende Warnhinweise – die um effektivere Wirkung zu erzielen gegebenenfalls auch visuell (Fotos) zu gestalten wären – bekämpfen. Werden auf dieser Grundlage weiterhin Zigaretten gekauft und wird daraufhin ein totales Werbeverbot vorgesehen, so geht es bei einem derartigen Werbeverbot aus ökonomischer Sicht nicht länger um den Schutz des Entscheidungsprozesses, sondern um eine Nichtanerkennung bzw. den Versuch einer vorbeugenden Unterbindung der in der Folge der Werbung getroffenen Verbraucherentscheidungen selbst516. Ein Totalverbot der Tabakwerbung muß demnach durch zusätzliche, am gemeinen Wohl ausgerichtete Erwägungen – wie etwa allgemein volkswirtschaftliche oder gesundheitspolitische Erwägungen – gestützt sein; anders ausgedrückt, es geht um gesamtgesellschaftliche Externalitäten der aus der Werbung letztlich resultierenden einzelnen Vertragsverhältnisse, deren Effekte so unerwünscht sind, daß eine Werbung, die sich auf den Abschluß derartiger Vertragsverhältnisse richtet, gänzlich unterbunden werden soll.
An diesem Beispiel wird zugleich deutlich, wo die Grenzlinie zwischen dem Schutz des Entscheidungsprozesses und echtem Paternalismus verläuft. Während der Schutz des Entscheidungsprozesses durch Strukturierung und Vereinheitlichung der informationellen Ausgangsposition das Ziel verfolgt, die unverzerrte Präferenzbildung und -äußerung zu schützen, wird durch paternalistische Eingriffe die einmal gebildete und geäußerte Präferenz von der Rechtsordnung nicht anerkannt517 bzw. von vornherein der Versuch unternommen, eine derartige Präferenzbildung zu verhindern518. Die Grenzlinie mag im Einzelfall schwer zu ziehen sein; die Differenzierung zwischen Schutz der Präferenzbildung und –äußerung gegen spezifische Anomalien menschlichen Entscheidungsverhaltens (Schutz des Entscheidungsprozesses) auf der einen Seite und vorbeugender Unterbindung der noch zu bildenden oder Nichtanerkennung der einmal gebildeten und unverzerrt geäußerten Entscheidung auf der anderen Seite gestattet aber zumindest eine faustregelartige Orientierung. Auf der letztgenannten Ebene der situativen (vorübergehenden) Störungen des Entscheidungsprozesses bietet sich neben den bereits genannten rechtlichen Instrumenten zusätzlich insbesondere das Mittel der Anfechtungs-, Widerrufs- oder Rückgaberechte an519. Da die auf dieser Ebene zu verortenden Störungen typischerweise vorübergehend sind, gestattet die Anfechtungs- oder Widerrufsfrist 516 Für ein solches Totalverbot sprechen durchaus gute Argumente, wie etwa der Schutz Minderjähriger, der zumindest für ein Werbeverbot an öffentlich zugänglichen Plätzen spricht. Auch die Suchtproblematik, die dazu führt, daß der Verbrauch selbst in der Folge weitere selbstbestimmte Entscheidungen immer schwieriger macht, kann eine Form des Selbst-Paternalismus (kollektiver Schutz der Individuen vor ihrer eigenen vorausgeahnten Entscheidung im Einzelfall) unter Umständen rechtfertigen. Nur ändern all diese Argumente nichts daran, daß es bei einem Werbeverbot für Tabakwaren im Ergebnis um eine Form des Paternalismus geht. 517 Dann in der Regel schon im Rahmen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre; ein typisches Beispiel bildet der Minderjährigenschutz, s. dazu nur u. Fn. 533. Vgl. im übrigen grundlegend Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996. 518 Dann, wie beschrieben, typischerweise mit dem Mittel des Werbeverbots. 519 S. auch Alexander, S. 35. Für eine umfassende, funktional rechtsvergleichende Studie derartiger, eine Bedenkzeit vermittelnder Instrumente in den Rechtsordnungen Deutschlands und Frankreichs, s. neuestens Neumann, Bedenkzeit vor und nach Vertragsabschluß, 2005.
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1. Kapitel: Grundlagen
als eine cooling off-period gegebenenfalls eine Korrektur der gestörten Entscheidung und stellt sich damit als die strukturell passende Abhilfe für derartige Gefährdungen des Entscheidungsprozesses dar. Umgekehrt ist zu betonen, daß Widerrufsrechte als Schutzinstrument auf den beiden erstgenannten Ebenen (allgemeine Komplexität, spezifische Anomalien) demgegenüber strukturell verfehlt sind; denn hier geht es nicht um vorübergehend situative Störungen der Entscheidung, sondern bleibende strukturelle Überforderungen des Entscheidungsprozesses, die typischerweise im Verlauf der Widerrufsfrist nicht korrigiert werden dürften. Insofern ist unter dem Gesichtspunkt administrativer Effizienz die Anordnung einer Widerrufsfrist in derartigen Fällen verfehlt. An dieser Stelle wird deutlich, welche Rolle die Ökonomie bei der Unterstützung der zielgenauen rechtlichen Behandlung struktureller Gefährdungen des Vertrags- und Willensbildungsmechanismus spielen kann. Wenngleich ein normativer Maßstab nicht geliefert wird, so ist doch eine strukturell-systematische Kontrolle dahingehend möglich, ob die gewählten rechtlichen Instrumente überhaupt geeignet sind, die jeweils anvisierte Gefährdungslage zu entschärfen oder bereits eingetretene Fehlfunktionen des Vertragsmechanismus zu korrigieren. Dies leitet über zur Auswahl der rechtlichen Instrumente, mithin aus der Sicht der hier angestellten Untersuchung insbesondere zur Auswahl zwischen den Mitteln des Wettbewerbsrechts auf der einen Seite und des Vertragsrechts auf der anderen Seite. Aus der (begrenzten) Sicht der Ökonomie, insbesondere der institutionenvergleichenden Transaktionskostenökonomie, ist insoweit in erster Linie eine Auswahl unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten angebracht. Mit Blick auf die Regelungen des materiellen Rechts gilt das verbraucherschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip520; mit Blick auf die effektive Sanktionierung (zu der aus der Sicht der ordnungspolitisch institutionenökonomischen Betrachtung dann auch die Frage [individueller oder kollektiver] subjektiver Ansprüche zählt) läßt sich aus ökonomischer Sicht auf Grundlage des Gedankens administrativer Effizienz ein entsprechendes Verhältnismäßigkeitsprinzip entwickeln, demzufolge unter gleich wirksamen Mitteln stets der geringstmögliche Eingriff zu wählen ist. Demzufolge ist insbesondere die Schaffung neuer Sanktionen (und subjektiver Ansprüche) aus ordnungspolitischer Sicht nur dann gerechtfertigt, wenn mit deren effektiver Geltendmachung auch zu rechnen ist. Die Frage, ob insoweit zumindest eine apriorische „Verteilung“ der aus der Sicht der ökonomischen Theorie erkannten strukturellen Gefährdungssituationen des Vertrags- und Willensbildungsmechanismus auf die gerade im Wettbewerbs- und/oder Vertragsrecht jeweils spezifisch zur Verfügung stehenden Sanktionen möglich ist, soll in dem folgenden zusammenfassenden Resümee zur konkreten Aufgabenstellung der Ökonomie an das Recht mit behandelt werden.
520
S. oben C III 5 mwN und öfter.
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VI. Folgerungen: Interessenorientierte Aufgabenzuweisung an Wettbewerbs- und Vertragsrecht aus ökonomischer Sicht – Schutz vor Situationen strukturellen Vertragsversagens im Vier-Ebenen-Modell Die hier aus der Sicht der ökonomischen Theorie gewonnene Einteilung von Gefährdungssituationen für den Vertragsschlußmechanismus und insbesondere die informierte und freie Entscheidung der Abnehmerseite, entspricht aus juristischer Sicht in den Grundzügen der Analyse und Einteilung der individualschützenden521 Verbraucherschutzinstrumente – in Instrumente zum Schutz der Entscheidungsgrundlage und Instrumente zum Schutz des Entscheidungsprozesses vor unmittelbarer Beeinflussung –, wie sie Kemper vorgenommen hat522 und wie sie von Alexander auf Grundlage einer scharfsichtigen Betrachtung der Interessenlage auf der Abnehmerseite übernommen und fortentwickelt wurde523. Die ökonomische Betrachtung gestattet allerdings einige Verfeinerungen dieser Analysen sowie auch einzelne grundlegendere Abweichungen (insbesondere wird gegenüber der Einteilung bei Alexander der Problemkreis der Haftungsrisiken des Abnehmers aufgegeben, und es werden mit der Problematik des Paternalismus und der rechtlichen Behandlung externer Effekte von Werbung und Vertrag zwei neue Ebenen hinzugefügt). Zu betonen ist, daß das hier demnach vorgeschlagene VierEbenen-Modell natürlich lediglich eine erste Einteilung und Strukturierung der Aufgabenstellung der Ökonomie an das Recht ermöglichen soll; die Übergänge sind im Einzelfall nicht nur fließend, sondern gelegentlich wird die vorgeschla521 Freilich wird die grundlegendere Einteilung in Rechtsinstrumente zur Gewährleistung verbraucherfreundlicher Marktrahmenbedingungen und Individualschutz bewirkende Rechtsinstrumente, wie sie Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S. 151 ff. vornimmt, mit Blick auf das Irreführungsverbot, Informationspflichten und das Verbot sachfremder und übermäßiger Beeinflussung von Verbrauchern im Vorfeld von Vertragsanbahnungen in der hier angestellten Untersuchung grundlegend abweichend vorgenommen. Diese Instrumente werden nach der hier vertretenen Auffassung sämtlich in einer Doppelrolle gesehen, welche eine strikte Trennung, wie sie Kemper vorschwebt, nicht länger ermöglicht. Insofern bleibt für „Instrumente zur Sicherung der Marktrahmenbedingungen“ im Vergleich zu Kempers Systematisierung ein sehr viel schmalerer Bereich, der sich eher an Drexls Konzeption des konstitutiven Verbraucherschutzrechts anlehnt, dem nach Drexl, Selbstbestimmung, S. 293 ff., in erster Linie die Rechtsinstrumente zur Gewährleistung von Wettbewerb (GWB und die der Abgrenzung von Marktfreiheiten dienenden Teile des UWG) und zur Sicherung der formalen Privatautonomie zuzuordnen sind, wobei die hier betrachteten Bereiche des UWG eher dem „situationsbezogenen Verbraucherschutzrecht“ im Sinne von Drexl zuzuordnen sind und nach der hier vertretenen Auffassung eine Doppelrolle beim Individualschutz des Verbrauchers und bei der Sicherung des Marktstandards haben, in der sie sich mit den Instrumenten des Vertragsrechts treffen. Vgl. auch im folgenden Text sowie eingehend zum hier entwickelten Gesamtsystem aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht unten 3. Abschnitt. 522 Vgl. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S. 185 ff.; S. 220 ff. 523 S. Alexander, S. 31 ff.; vgl. für das Wettbewerbsrecht letzthin auch Beater, S. 387 ff.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 15 f.; für das allgemeine Vertragsrecht eine entsprechend bipolare Konzeption des Schutzes der Entscheidungsfreiheit aus § 123 Abs. 1 BGB ableitend und verallgemeinernd auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 391.
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1. Kapitel: Grundlagen
gene Kategorisierung auch schlicht verkürzend und übervereinfachend sein. Mehr als eine erste Orientierung der Aufgabenstellung an das Recht im hier zu untersuchenden Bereich soll sie daher nicht ermöglichen 524. Weitgehend der Einteilung bei Alexander und Kemper entsprechend stellt sich die Fallgruppe des Schutzes vor Störungen der Entscheidungsgrundlage dar525. Hierher gehört – mit Alexander – in erster Linie die Problematik der Informationsasymmetrien zwischen Anbieter- und Nachfrageseite. Daneben ist aber auch die Ausübung von Druck an dieser Stelle zuzuordnen, soweit sie sich (wie im Falle der widerrechtlichen Drohung i.S.d. § 123 BGB und entsprechend § 4 Nr. 1 Alt. 1 UWG) gerade darauf richtet, eine bestimmte Vertragsentscheidung zu erzielen. Die Aufgabenstellung an das Recht lautet insoweit, im Vorfeld oder während der Vertragsanbahnung durch geeignete Informationspflichten bzw. bestimmte Verbote, systematische Informationsasymmetrien auszugleichen. Hinzu kommt nach Vertragsschluß die Möglichkeit einer Lockerung der vertraglichen Bindung, um dem Vertragspartner die Möglichkeit einzuräumen, gegebenenfalls nach Auflösung des Vertrags eine informierte oder von Druck in eine bestimmte Richtung freie Vertragsentscheidung zu treffen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang sorgsam darauf zu achten, inwieweit ein derartiges Instrument dem Abnehmer tatsächlich hilft; im Falle der widerrechtlichen Drohung ist mit der Geltendmachung nach Wegfall der Drucksituation zu rechnen, im Falle der Fehlinformation lediglich dann, wenn eine berechtigte Aussicht auf klare Korrektur dieser Fehlinformation bzw. Nachholung unterlassener Information im Laufe der Zeit nach Vertragsschluß besteht. Häufig – insbesondere im Falle unlauterer Wertreklame – wird aus Sicht des Abnehmers auch eher ein Festhalten am Vertrag und eine den Werbeversprechen entsprechende Erfüllungsshaftung seinen Interessen entsprechen526; aus der Sicht der Ökonomie verweist dies auf die vorstehend herausgearbeitete teilweise Austauschbarkeit von Informationspflichten und Sachmängelhaftung mit Blick auf den Problemkreis der Informationsasymmetrien. Schließlich mag in dieser Fallgruppe in einzelnen Situationen eine Inhaltskontrolle und gegebenenfalls eine (teilweise) inhaltliche Korrektur des Vertrags angezeigt sein527. Auf der Ebene des Schutzes des Entscheidungsprozesses528 läßt sich auf Grundlage der ökonomischen Überlegungen zur eingeschränkten Rationalität sowie zu systematischen Anomalien menschlichen Entscheidungsverhaltens eine Verfeinerung der Einteilung vornehmen. Zu unterscheiden sind situative, d.h. vorüberge524
Zutreffend in dieselbe Richtung auch Alexander, S. 34 f. Vgl. Kemper, aaO., S. 186 ff.; Alexander, S. 35 f. 526 Dies betont zu Recht Alexander, S. 31 f. und 35, auf der Grundlage schon der rechtstatsächlichen Untersuchungen von Falckensteins aus den siebziger Jahren, die derartige Fälle in der Fallgruppe der Differenzschäden zusammenfaßt, welche demnach Fälle betrifft, in denen die vertragliche Leistung hinter den Werbeversprechen des Anbieters bzw. des Herstellers zurückbleibt. Vgl. von Falckenstein, Verbraucherschäden, Rz. 70 ff., insbesondere 74 ff. 527 Alexander, S. 36. 528 Vgl. Kemper, aaO., S. 220 ff.; Alexander, S. 35. 525
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hende Störungen des Entscheidungsprozesses (wie beispielsweise Zeitdruck oder allgemeine Druckausübung mit dem Ziel, überhaupt eine Entscheidung zu erzwingen, Überrumpelungstechniken, Ausnutzung spezifischer Situationen der Aufgewühltheit oder Nervosität etc.), von der allgemeinen Überforderung des Verbrauchers529 durch komplexe Rechtsgeschäfte und von systematischen Anomalien des realen Entscheidungsverhaltens bei derartigen Überforderungen. Die Unterscheidung ist bedeutsam, da in dieser Fallgruppe neben den bereits im Zusammenhang mit dem Schutz der Entscheidungsgrundlage genannten Mitteln und zusätzlich den Mitteln der Standardisierung (der zur Verfügung gestellten Information oder des rechtlichen Rahmens für Rechtsgeschäfte durch zwingendes oder dispositives Recht, um allgemeiner Überforderung vorzubeugen) und der Formvorschriften und ähnlichen Instrumenten, die unter anderem die Funktion haben, eine überlegte Entscheidung zu sichern, die Lockerung der Vertragsbindung im nachhinein als rechtliches Korrekturinstrument nur insoweit strukturell passend und erfolgversprechend erscheint, wie es um vorübergehende (situative) Störungen des Entscheidungsprozesses geht. Soweit demgegenüber schlicht eine Überforderung des Vertragspartners vorlag oder dieser sich aufgrund einer systematischen Anomalie abweichend von einer rationalen Gewichtung seiner Präferenzordnung entschieden hat, ist diese Entscheidung demgegenüber im Regelfall als bindend hinzunehmen, da ein Vertragsauflösungsrecht in diesen Fällen in der Regel erstens nicht in Anspruch genommen werden dürfte und zweitens auch die Abweichung vom Grundsatz pacta sunt servanda auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben sollte, sofern eine subjektiv als freiwillig empfundene Entscheidung vorliegt. In derartigen Fällen (systematische Anomalie oder allgemeine Überforderung) kommen daher im Regelfall nur die vorgelagerten Instrumente der Verbote bestimmter Werbetechniken, Informationspflichten und insbesondere informationelle Standardisierungsinstrumente in Betracht. Der Verweis auf die subjektiv als freiwillig empfundene Entscheidung führt zur Abgrenzung vom Paternalismus als derjenigen Ebene, auf der das Recht über den Schutz der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses hinaus, aus bestimmten Gründen in die Entscheidungsfreiheit der Vertragspartner tatsächlich eingreift530. Auf dieser Ebene wird die einmal gebildete oder auch (im Falle von Werbeverboten) eine bestimmte noch zu bildende Vertragsentscheidung der Abnehmerseite durch die Rechtsordnung letztlich nicht anerkannt. Der Unterschied zum Schutz des Entscheidungsprozesses liegt – im Sinne einer groben, zwangsläufig nicht trennscharfen Abgrenzung531 – darin, daß nicht lediglich eine rechtliche 529 Ein Hinweis darauf findet sich auch bei Alexander, S. 34, ohne daß er die allgemeine Überforderung aber in der Folge systematisch von anderen Formen der Verbrauchertäuschung abgrenzen würde. 530 Vgl. grundlegend Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996. 531 Die Grenzen dieser Abgrenzung ergeben sich insbesondere daraus, daß sie davon ausgeht, eine mit einer gewissen Stabilität versehene Präferenzordnung, die sich dann in einzelnen Entscheidungen lediglich äußern müsse, sei beim Verbraucher tatsächlich vorhanden. Realistischerweise wird aber häufig auch gerade die Präferenzordnung selbst nicht in diesem Sinne sta-
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Unterstützung532 gegen systematisch fehlerhafte Gewichtung und Entscheidung auf der Basis der zugrundeliegenden Präferenzordnung erfolgt, sondern vielmehr diese Präferenzordnung als solche nicht anerkannt wird. Neben dem bereits angeführten Beispiel umfassender Tabakwerbeverbote, welche sich zum Teil als eine Form des Paternalismus im Vorfeld der Vertragsentscheidung auffassen lassen, ist als weitaus vorherrschende Problematik in diesem Bereich der Minderjährigenschutz zu nennen, der letztlich die lediglich eingeschränkte Anerkennung der Präferenzordnung von Minderjährigen durch die Rechtsordnung reflektiert 533. Danebilisiert, sondern ihrerseits stetiger Schwankung unterworfen (und insbesondere nur eingeschränkt durch den freien Willen kontrollierbar [Stichwort: Akrasie, wie sie schon bei Aristoteles in der Nikomachischen Ethik VII beschrieben wird] sein (vgl. auch Selten, JITE 146 (1990), 649, 651 ff. mwN). In derartigen Fällen erreicht die hier vorgeschlagene Abgrenzung von unterliegender Präferenzordnung im Hintergrund und äußernder Abbildung der Präferenz im Rahmen des Entscheidungsprozesses ihre naturgegebenen Limitationen. 532 Die – wie oben bei den Ausführungen zur Ebene des Schutzes der Entscheidungsgrundlage beschrieben – sogar bis hin zu einer Inhaltskontrolle und -korrektur reichen kann, ohne deshalb sich als Paternalismus im hier verstandenen Sinne darzustellen. 533 Der Bereich des Minderjährigenschutzes, in dem der angestammten, typisierenden Regelung der Geschäftsfähigkeit in §§ 104 ff. BGB eine flexible Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit Minderjähriger im Wettbewerbsrecht gegenübersteht (s. dazu nur insbesondere § 4 Nr. 2 UWG und dazu Hefermehl/Köhler/Bornkamm -Köhler, § 4, Rz. 2.16 ff.; Harte/ Henning-Stuckel, § 4 Nr. 2, Rz. 5 ff.; Fezer-Scherer, § 4–2, Rz. 110 ff., 119 ff., Rz. 123 ff., sowie aus der Aufsatzliteratur zum neuen UWG Benz, WRP 2003, 1160 ff.; Heermann, Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen, in: FS Raiser, S. 681 ff., jeweils mwN), wird angesichts der Spezifität der Interessenlage mit Blick auf den Schutz Minderjähriger in dieser Untersuchung nicht weiterverfolgt. Entsprechend dem allgemeinen Ansatz dieser Studie hat aber auch in diesem Bereich der wettbewerbsrechtliche Vorfeldschutz die zivilrechtliche Wertung zu respektieren und zu flankieren. Dies führt insbesondere dazu, daß die sich aus §§ 104 ff. BGB ergebenden typisierenden Wertungen dahingehend, daß – auch aus erzieherischen Gründen (vgl. MüKo-Schmitt, Vor § 104 BGB; auf den verfassungsrechtlichen Hintergrund des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG weist zudem Benz, aaO., S. 1162 ff, hin) – eben nicht lediglich der Minderjährige vor dem Abschluß nachteiliger Geschäfte aufgrund einer aus Unerfahrenheit verzerrten fehlerhaften rechtsgeschäftlichen Entscheidung zu bewahren ist, sondern daß vielmehr schon die Präferenzordnung des Minderjährigen als solche aus erzieherischen Gründen nicht voll anerkannt wird, auch im UWG zu berücksichtigen ist. Die diesbezügliche typisierte Wertung des Zivilrechts – vollkommene Geschäftsunfähigkeit und Nichtigkeit (nicht lediglich rechtlich vorteilhafter) abgeschlossener Rechtsgeschäfte bis zum 6. Lebensjahr (§§ 105 Abs. 1, 104 S. 1 Nr. 1 BGB), ab dem vollendeten 7. Lebensjahr beschränkte Geschäftsfähigkeit mit Einwilligungsvorbehalt (§ 107 BGB) bzw. schwebender Unwirksamkeit bis zu einer Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter (§ 108 Abs. 1 BGB) – ist im Wettbewerbsrecht zu flankieren. Insbesondere sind daher Werbestrategien als unlauter i.S.d. § 4 Nr. 2 UWG anzusehen, die – etwa durch Kostenabrechnung für „Hotlines“ über die Telefonrechnung der Eltern – den elterlichen Einwilligungsvorbehalt (oder gar die zivilrechtliche Wertung vollkommener Geschäftsunfähigkeit) faktisch durch gezielte Ansprache von Kindern im Grundschulalter und „insbesondere durch direkte „Abwicklung“ des Geschäfts, ohne daß die Eltern dies praktisch überhaupt effektiv wahrnehmen und unterbinden könnten, umgehen und solcherart zu „umgekehrter Telefonwerbung“ auf Kosten der Eltern führen (so der Sachverhalt in OLG Frankfurt, GRUR 1994, 522 f. – Lego-Hotline; hinsichtlich der mangelnden Kontrollierbarkeit durch die Eltern und Nutzer aufgrund der zeitlich nachgelagerten Abrechnung durchaus ähnlich gelagert [s. der ausdrückliche Hinweis auf diesen Aspekt in OLG Hamburg, GRUR-RR, 2003, 317, 318] sind auch die „Klingelton“-Fälle, in denen noch die Intransparenz der Abrechnung [ganze Abonemments
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ben dürften § 134 BGB in Verbindung mit einzelnen Verbotsgesetzen sowie einzelne Bereiche der Rechtsprechung zu § 138 BGB dieser Gruppe zuzuordnen sein, soweit es tatsächlich um den Schutz des Verbrauchers vor seiner eigenen Entscheidung und nicht lediglich um die Korrektur von Verzerrungen der Entscheidungsgrundlage oder des Entscheidungsprozesses geht. Obwohl demnach das „Informationsmodell“ im deutschen Verbraucherschutzrecht im weiteren Sinne als das vorherrschende Denkmuster gelten kann534, lassen sich Fälle des Paternalismus auch außerhalb des Minderjährigenschutzes erkennen und sind als solche in der Untersuchung zu identifizieren; die Ebene des Paternalismus dient insoweit in der vorliegenden Untersuchung vor allem der Identifikation nicht hinreichend „treffsicherer“ Regelungen zum Schutz der Entscheidungsgrundlage oder des Entscheidungsprozesses, die im Ergebnis ungerechtfertigte paternalistische Züge entwickeln. Neben paternalistischen Motiven im Sinne eines Schutzes des Verbrauchers vor seiner eigenen Entscheidung, ist aus klassischer ökonomischer Sicht der Hauptgrund für ein Eingreifen in anzubahnende oder einmal getroffene und auch der subjektiven Präferenzordnung entsprechende Entscheidungen die Problematik der potentiellen Externalitäten derartiger Vertragsentscheidungen. Zwei Formen von Externalitäten lassen sich im hier untersuchten Bereich unterscheiden. Einerseits hat bereits die werbliche Aktivität im Vorfeld der Vertragsanbahnung positive externe Effekte. Während der letztlich einen Vertrag schließende Verbraucher die Werbung als hilfreich oder doch zumindest als stimulierend empfunden haben mag, können Dritte durch sie belästigt worden sein. Weite Bereiche des Problemkreises der gefühlsbetonten Werbung nach der früheren Rechtslage sowie insbesondere der Belästigungsschutz (nach § 7 UWG) dürften bei zutreffender Betrachtung an dieser Stelle zuzuordnen sein. Das Recht des unlauteren Wettbewerbs hat hier die Aufgabe, externe Effekte werblicher Aktivitäten auf letztlich nicht Vertragsbeteiligte in einem (nicht unter leerwerden geschlossen bzw. es wird nach Dauer des Anrufs abgrechnet, ohne daß dies zumal für Kinder und Jugendliche hinreichend deutlich würde] als ein die Unerfahrenheit Kinder und Jugendlicher ausnutzender Aspekt hinzutritt, vgl. auch KG WRP 2005, 1183 [Leitsätze]). Daneben ist die effektive Wahrnehmbarkeit der elterlichen Erziehungsaufgabe auch dadurch abzusichern, daß der Einsatz von Kindern als „Kaufmotivatoren“ vermittels Werbemethoden, die die Eltern bewußt in Drucksituationen bringen sollen, in denen sie Geschäften, die sie nicht für sinnvoll halten, nur unter erheblichem psychischen Druck die Genehmigung verweigern können (Stichwort: „Quengelware“, s. dazu Benz, aaO., S. 1164), im Wettbewerbsrecht äußerst streng beurteilt werden sollte. Hier ist neben § 4 Nr. 2 auch § 4 Nr. 1 UWG berührt (zutreffend Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 2.17), wenn man bedenkt, daß der psychische Druck auf die Eltern in derartigen Situationen (etwa: schreiender Kinder an der Supermarktkasse, s. zur bewußten Ausnutzung dieser Situation durch Plazierung der „Quengelware“ an der Kasse Benz, aaO. mwN) erfahrungsgemäß sehr viel größer sein dürfte, als die typischen psychischen Belastungen, wie sie im Rahmen der bisher so großzügig (und zu großzügig, vgl. eingehend unten 4. Kap. 4. Abschn. C III 2 b und c) gehandhabten Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs auftreten dürften. 534 Vgl. unten 3. Abschn. C III 1.
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formelartigem Verweis auf die Allokationseffizienz, sondern auf Grundlage einer normativen Wertung) bestimmten Umfang den Verursachern dieser Effekte zuzuordnen bzw. derartige Effekte gegebenenfalls ganz zu unterbinden. Neben der Werbung im Vorfeld kann naturgemäß auch der Vertragsschluß selbst externe Effekte haben, die ein Eingreifen der Rechtsordnung bedingen. Neben dem Verbot des Vertrags zu Lasten Dritter (im Vertragsrecht) als deutlichstem Beispiel, gehört hierher ebenso beispielsweise wiederum das Verbot der Tabakwerbung, soweit es sich letztlich auch darauf richtet, den Tabakkonsum oder die Zahl neuer Konsumenten im Interesse volkswirtschaftlicher Erwägungen zu verringern. Zu unterscheiden sind demnach externe Effekte der werblichen Aktivität von externen Effekten der Vertragsabschlüsse, auf deren Erzielung sich diese Aktivität richtet. Der Mehrwert der ökonomischen Betrachtung liegt an dieser Stelle wieder lediglich in der Problemidentifizierung; die Frage, welcher Gruppe von Marktteilnehmern (den Vertragspartnern oder den Drittbetroffenen) ein externer Effekt letztlich zuzuordnen ist – mithin die Frage, ob die Belästigung oder allgemein die Drittwirkung als so gravierend (§ 7 UWG: „unzumutbar“) empfunden wird, daß die unbeteiligten Betroffenen sie nicht hinzunehmen haben – kann die Ökonomie nach der hier vertretenen Auffassung ebensowenig allein beantworten535, wie die Frage (die diese Untersuchung noch beschäftigen wird), ob und inwieweit derartige Effekte gerade mit den Mitteln des Wettbewerbs- oder Vertragsrechts geregelt werden sollten. Das Problem der Externalitäten ist also wiederum eines, das nur durch spezifische normative Entscheidungen gelöst werden kann, die letztlich auf Interessenabwägungen hinauslaufen; die Ökonomie kann allenfalls Situationen des Marktversagens identifizieren, in denen – etwa aufgrund geringer Grenzkosten – eine lawinenartige Potenzierung entsprechender Externalitäten droht. Wie auf sämtlichen der vier genannten Ebenen, ist auch in diesem Falle die Klärungsfunktion der Ökonomie demnach lediglich eine strukturierende. Ein normativer Maßstab, „wieviel“ Schutz der informierten und freiwilligen Entscheidung erforderlich ist, ist der ökonomischen Betrachtung demgegenüber nicht zu entnehmen. Nur klärende Hinweise, „wo“ strukturell ein Eingreifen der Rechtsordnung erforderlich ist und welche Mittel dem Problem systematisch entsprechen, können gegeben werden. Ohne spezifischeren Überlegungen im Laufe der Untersuchung vorzugreifen, ergeben sich folgende Anhaltspunkte bezüglich der allgemeinen Strukturierung der Schutzinstrumente aus der vorstehenden ökonomischen Betrachtung. Erstens läßt sich aus den Überlegungen der Informationsökonomie zu bestimmten strukturell typischerweise auftretenden Informationsasymmetrien, ebenso wie aus den Forschungen zur eingeschränkten Rationalität, die einerseits gleichermaßen bestimmte systematische Anomalien des mensch535
Zutreffend in Bezug auf Externalitäten bei genauem Hinsehen schon Coase, Journal of Law and Economics 3 (1960), 1 ff. (vgl. oben II); grundlegend zur methodisch notwendigen Unbestimmtheit ökonomischen Analyse vermittels Kosten-Nutzen-Rechnungen Kennedy, Stanford Law Review 33 (1981), 387 ff. (vgl. oben III 3 b).
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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lichen Willensbildungsprozesses zu Tage gefördert haben, aber andererseits auch die letztliche Unmöglichkeit betonen, diesen Prozeß abschließend zu modellieren, eine doppelte Forderung an das Gesamtsystem des Wettbewerbs- und Vertragsrechts entnehmen. Die Erkennbarkeit bestimmter systematischer Schwächen des Vertragsmechanismus und schon des menschlichen Entscheidungsprozesses selbst verlangt zum einen nach zielgenauem Eingreifen des Gesetzgebers, um diese spezifischen und systematischen (und daher typisierbaren) Problemsituationen zu entschärfen; zum anderen macht im übrigen die Nichtprognostizierbarkeit sämtlicher Anfälligkeiten des Entscheidungsprozesses, der demnach – insbesondere im Rahmen der Framing-Anomalie – stets erneut für Verzerrungen aufgrund der sich im Wettbewerbsdruck der Anbieter unaufhörlich entwickelnden neuartigen Werbe- und Vertriebstechniken anfällig sein wird, die gleichzeitige Notwendigkeit offener, für flexible richterrechtliche Konkretisierung und Fortentwicklung geeigneter Instrumente sowohl im Wettbewerbs- als auch im Vertragsrecht deutlich, welche auf einer strukturierten ad hoc-Basis schnelle rechtliche Abhilfe verschaffen und – wesentlicher – zugleich die induktiv strukturierte Entwicklung normativer rechtlicher Maßstäbe „von unten herauf“ aus der Rechtsanwendung ermöglichen. Zweitens verweisen die Überlegungen der Neuen Institutionellen Ökonomie (insbesondere der Transaktionskostenökonomie einschließlich des Gedankens der administrativen Effizienz) bezüglich des jeweiligen Sanktionensystems in erster Linie auf die Erforderlichkeit effektiver Rechtsdurchsetzung; eine Maßnahme zum Schutz des Vertragsmechanismus wäre demnach (aus der begrenzten Sicht der Ökonomie) jeweils dem rechtlichen System zuzuordnen, in dessen Rahmen sie am effektivsten durchgesetzt werden kann. Gegebenenfalls sind die Sanktionen auch zu kombinieren. Neue materiell-rechtliche Instrumente sind lediglich dann zu schaffen, wenn mit ihrer nennenswerten Geltendmachung auch zu rechnen ist bzw. es ist prozeßrechtlich für eine Möglichkeit effektiver Geltendmachung zu sorgen. Insoweit ist eine apriorische Zuordnung einzelner der hier aus der Sicht der Ökonomie entwickelten Problemkreise auf das Sanktionensystem des Vertragsrechts oder des Rechts des unlauteren Wettbewerbs nicht ohne weiteres möglich. Schließlich geht es letztlich auf drei der vier herausgearbeiteten Ebenen um Fälle des Vertragsversagens (bzw. auf der vierten Ebene um unerwünschte externe Effekte der Vorbereitung, Anbahnung oder des Abschlusses von Verträgen), die potentiell ein Marktversagen nach sich ziehen können. Ob sich diese Problemkreise strukturell eher im Recht des unlauteren Wettbewerbs oder im Vertragsrecht lösen lassen, läßt sich aus der Sicht der Ökonomie a priori nicht entscheiden, sondern ist erst im Laufe der Untersuchung zu beantworten. Für die Problematik der Externalitäten ist zudem näher zu untersuchen, inwieweit eine Lösung überhaupt im Wettbewerbs- und Vertragsrecht erfolgen sollte. Die hier unternommene Zusammenfassung der Forschungsrichtungen der Neuen Institutionenökonomik und der experimentellen Ökonomie hatte insofern in erster Linie den Zweck, die Problemkreise zu strukturieren und die Werkzeuge bereitzustellen, auf die dann im Laufe der Untersuchung im jeweiligen Zusam-
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1. Kapitel: Grundlagen
menhang zurückgegriffen werden kann. Bezüglich der ökonomischen Analyse des Rechts im engeren Sinne war dabei eine entscheidende Einschränkung zu machen: Nur soweit keine normativen Maßstäbe auf Grundlage des allgemeinen Effizienzkriteriums aufgestellt werden, kann diese Methode in die Rechtsanwendung und Rechtsgestaltung einbezogen werden. Das Einfallstor für die dogmatische Rezeption dieser Methoden in der Rechtsanwendung soll im folgenden beschrieben werden, bevor der Abschnitt zu den ökonomischen Grundlagen der Untersuchung resümiert wird.
E. Verwendbarkeit ökonomischer Modelle bei der Rechtsanwendung und eigener rechtsmethodischer Ansatz Nachdem nach der hier vertretenen Auffassung lediglich die ökonomischen Methoden uneingeschränkt für die Rechtsgestaltung und Rechtsanwendung in Betracht kommen, die keine normativen (und damit notwendig unbestimmten) Maßstäbe auf der allein maßgeblichen Grundlage des Effizienzziels aufstellen536, sprechen aus moralphilosophischer Sicht keine grundsätzlichen Erwägungen gegen die Einbeziehung der im übrigen durchaus zahlreich verbleibenden ökonomischen Ansätze in die Rechtsanwendung, welche, ohne hierfür auf die maßgebliche Geltung des Effizienzziels abzustellen, modellartige Überlegungen zu strukturellen Gefährdungen für den Vertrags- und Entscheidungsmechanismus sowie zur effektiven Auswahl und Anwendung rechtlicher Instrumente zur Behebung der erkannten Gefährdungslagen anstellen 537. Es gilt allerdings, ein geeignetes und den nichtabschließenden Charakter der ökonomischen Betrachtung angemessen reflektierendes methodisches Einfallstor zu finden, wobei die rechtliche Einbeziehung methodenspezifisch, d.h. je nach der zugrundeliegenden ökonomischen Theorie, potentiell unterschiedlich gestaltet sein kann, ja muß538. 536 S. für die Notwendigkeit und rechtspolitische Gebotenheit der diesbezüglichen Methodendifferenzierung schon Kirchner, Ökonomische Theorie, S. 6, der aus diesem Grund als Oberbegriff für die unterschiedlichen ökonomischen Methoden statt des „belasteten“ Begriffs der ökonomischen Analyse des Rechts (mit ihrer Betonung der Maßgeblichkeit des Effizienzziels) den neutraleren Begriff der ökonomischen Theorie des Rechts (in ihrer Querschnittsrolle als Unterdisziplin der Rechtstheorie und zugleich als Teil der Wirtschaftswissenschaft) wählt. Vgl. im übrigen zu den hier vertretenen Ansätzen für eine Methodendifferenzierung im Hinblick auf die Verwertbarkeit ökonomischer Modelle für die Rechtsgestaltung und -anwendung näher oben D III 4. 537 Zutreffend allerdings die Einschränkung bei Drexl, S. 200 ff., der darauf verweist, daß auch den meisten Forschungsrichtungen der Neuen Institutionenökonomik weiterhin das REM-Menschenbild zugrundeliegt, welches vom Menschenbild des Grundgesetzes signifikant abweicht. Vgl. auch noch die Ausführungen im folgenden Text zur Absicherung individueller Rechte und Interessenpositionen im hier vorgeschlagenen Modell. Vgl. zur Verwertbarkeit effizienzbasierter ökonomischer Modelle grundlegend Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 450 ff., sowie im übrigen auch schon oben D III 4. 538 Zutreffend Kirchner, Ökonomische Theorie, S. 6.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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Richtigerweise dürfte insoweit für diejenigen der vorstehenden ökonomischen Überlegungen, die sich auf Problemanalyse- und Folgenanalyseüberlegungen beschränken, insbesondere soweit es hierbei um situationsbezogene Transaktionskostenreduzierung geht, die Einbeziehung in den Rahmen des Verkehrsschutzgedankens in der teleologischen Auslegung und bei der Konkretisierung von Generalklauseln ein geeignetes Einfallstor bilden539. Die Erfassung und Berücksichtigung in dieser anerkannten juristischen Begründungskategorie hat den immensen Vorteil, daß den ökonomischen Überlegungen auf diese Weise neben anderen Gesetzeszwecken und insbesondere den individuellen Interessen der Verkehrsteilnehmer gewissermaßen schon durch die Auswahl der Waagschale, in der sie hinzugefügt werden, stets gerade genau das (angestammte und begrenzte) Gewicht beigemessen wird, welches die Sicherung des Rahmens des Verkehrssystems (auf die sich die ökonomischen Überlegungen hauptsächlich richten) als einer unter regelmäßig mehreren Gesetzeswecken nach der teleologischen Interpretation einer bestimmten Norm für sich ohnedies von jeher beanspruchen konnte540. Konkret auf unsere Rechtsgebiete gewendet, ist es für das Vertragsrecht seit jeher unumstritten, daß die „Sicherheit und Leichtigkeit“ des Rechtsverkehrs als Zusammenfassung von Anforderungen, die die Funktionstüchtigkeit des Verkehrssystems541 betreffen, zum Telos dieses Rechtsgebiets zählt542. Für das Wettbewerbsrecht gelangt man ohnedies noch weitaus zwangloser zu dem Ergebnis, daß es seinem Schutzzweck nach – unter anderem – institutionell der Sicherung des marktwirtschaftlichen Verkehrssystems dient543. 539 Zutreffend insbesondere Leenen, in: Behrends (Hrsg.), Rechtsdogmatik, S. 108, 110 f.; Grigoleit, Informationshaftung, S. 76, jeweils am Beispiel der Verteilung vorvertraglicher Informationsverantwortlichkeiten. Enger Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 489 ff. bezüglich der Instrumentalisierbarkeit des Effizienzkriteriums für die Rechtsanwendung. Die hier betrachteten (mikro-)ökonomischen Einzelbausteine und Situationsanalysen der Neuen Institutionellen Ökonomie sind aber von der allgemeinen Geltung des Effizienzprinzips größtenteils gerade unabhängig. 540 Selbst die (strengere) Forderung Eidenmüllers, bezüglich des allgemeinen Effizienzprinzips auf die Methoden der ökonomischen Analyse nur dann zurückzugreifen, wenn die jeweils betroffene Norm nach ihrer Funktion – mindestens auch – auf Maßstäbe wirtschaftlicher Effizienz verweist, würde auf diese Weise – wenn man den effizienzbasierten Methoden die Erzielung klarer und objektiver Ergebnisse zubilligte, was in der hier vertretenen Studie bezweifelt wird – wie von selbst erfüllt und zugleich die gerade richtige Gewichtung der ökonomischen Argumente in der Rechtsanwendung garantiert. Die Inkorporierung in den Verkehrsschutzgedanken gestattet einen Rückgriff auf ökonomische Folgenanalyseinstrumente nämlich gerade in den Fällen und insoweit, wie Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 454 ff., von „Effizienz als zulässiger Gesetzeskonkretisierung“ spricht. Die von ihm zusätzlich eingeführte Kategorie derjenigen Normen, in denen Effizienz die Politik des Gesetzes bildet (aaO., S. 452 ff.), kann für die Zwecke unserer Untersuchung ohnehin außer Betracht bleiben, da eine entsprechende ausdrückliche Aufgabenzuweisung durch den Gesetzgeber weder im Vertrags- noch im Wettbewerbsrecht erfolgt ist. 541 Der Begriff „Verkehrssystem“ sei mit Leenen, aaO., S. 110, definiert als „Interaktionssysteme, an denen typischerweise mehr als nur zwei isolierte Personen teilnehmen“. 542 S. nur Leenen, aaO., S. 110 f. 543 Zumal die neue Schutzzweckbestimmung in § 1 UWG (s. dazu auch noch unten 3. Ab-
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1. Kapitel: Grundlagen
Auch insoweit sind die ökonomischen Instrumente insbesondere in ihrer Folgenanalysefunktion also im Rahmen der teleologischen Auslegung und bei der Konkretisierung von Generalklauseln mit einsetzbar. Soweit demnach die Erkenntnisse der Ökonomie – unabhängig von der allgemeinen Geltung des Effizienzkriteriums544 – auf Gefahren eines strukturellen Vertragsversagens (und dem daraus potentiell sich ergebenden Marktversagen) hinweisen, finden sie sowohl im Vertrags- als auch im Wettbewerbsrecht – neben anderen Zwecksetzungen – ohne weiteres ihren Platz in der teleologischen Auslegung und bei der Konkretisierung von Generalklauseln. Soweit darüber hinaus die Überlegungen der neuen Institutionenökonomie einzelne gesetzgeberische Lösungen und vorhandene Rechtsnormen (vorrangig aber nicht ausschließlich unter dem Aspekt der Transaktionskostenminimierung) in ihrem Zusammenspiel vergleichend unter ordnungspolitischer Perspektive analysieren, ist es die systematisch-teleologische Auslegung, der derartige Überlegungen zuzurechnen sind, soweit sie im Einzelfall Folgerungen in der Rechtsanwendung zulassen. Letztlich geht es um die Beantwortung der Frage, welche Funktion bestimmten Normen im Gesamtsystem des Wettbewerbs- und Vertragsrechts im Verhältnis zu anderen Normen in Bezug auf einen konkreten Sachverhalt zukommt. Damit ist auf die systematische Auslegungsmethode verwiesen; da es hierbei nicht um ein rein begriffliches, sondern um die Bildung eines auf bestimmte Zwecksetzungen bezogenen Systems geht, läßt sich diese von der teleologischen Auslegung in diesem Falle nicht trennen. Ein Versuch zur Entwicklung eines entsprechenden wertbezogenen Gesamtsystems, welches individuelle Schutzzwecke und auf den rechtlichen Rahmen bezogene Systemfunktionen gleichermaßen berücksichtigt und so eine übergreifende Betrachtung des Wettbewerbs- und Vertragsrechts möglich macht, wird noch (unten im 3. Abschnitt) unternommen. Nur wenn und soweit also eine rechtsdogmatisch anerkannte Begründungskategorie zur Verfügung steht und auch gerade zum Normzweck zählt, die es gestattet, eine ökonomische Folgenanalyse oder einen institutionenökonomischen Vergleich in die Gesetzesanwendung zu importieren, und damit von selbst exakt insoweit gewichtet, wie weder das Menschenbild des Grundgesetzes gegen die Einbeziehung ökonomischer Erwägungen spricht 545 noch sonstige individualschn. D III 2), derzufolge das Gesetz – gleichermaßen wie traditionell das europäische Lauterkeitsrecht, wenngleich insoweit letzthin bedauerliche Rückschritte in ein reduktionistisches Verbraucherkonzept zu beobachten sind, die jedoch für das deutsche Recht keine zwingende Umwertung erfordern (vgl. auch dazu noch unten 4. Kap. 2. Abschn. A IV und öfter) – dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer und dem Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb dient, verweist über den individuell regulierten Sachverhalt hinaus unmittelbar auf das Interesse der Allgemeinheit am funktionierenden (unverfälschten) Wettbewerb und damit auf den Schutz des marktwirtschaftlichen Verkehrssystems und gestattet künftig insbesondere auch eine klare Identifizierung der gerade insoweit relevanten Interessen der Allgemeinheit (s. auch noch unten 3. Abschn. D III 2 und öfter). 544 S. zur (vergleichweise eingeschränkten) Berücksichtigungsfähigkeit auch schwerpunktmäßig effizienzbasierter Methoden schon oben D III 4. 545 Vgl. zutreffend insbesondere Drexl, Selbstbestimmung, S. 176 ff.
1. Abschnitt: Vertrag und Wettbewerb in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
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rechtliche Wertungen überwiegen546, bleibt demnach Raum für Überlegungen auf Grundlage der vorstehenden ökonomischen Theorien in der Rechtsanwendung. Das Ergebnis dieser ökonomischen Betrachtungen ist dann im Rahmen der teleologischen bzw. der systematisch-teleologischen Auslegung bzw. bei der zweckorientierten Konkretisierung von Generalklauseln (wenn und soweit diese einen entsprechenden Normzweck aufweisen) mit zu berücksichtigen.
546 Dies kann selbst bei der Anwendung ein und derselben Norm, je nach Fallgestaltung, unterschiedlich zu beurteilen sein. Vgl. instruktiv das Beispiel bei Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 454 ff., der auf den unterschiedlichen Stellenwert von Kosten-Nutzen-Überlegungen im Rahmen der Festlegung des Sorgfaltsmaßstabs des § 276 BGB verweist, je nachdem, ob Personen- oder Sachschäden in Rede stehen.
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2. Abschnitt:
Normative Maßstäbe aus neueren rechtsphilosophischen Vertragstheorien Das Fehlen eines positiven normativen Maßstabs zur näheren Ausgestaltung des Konzepts der Vertragsfreiheit über die (negative) strukturelle Ausgrenzung klarer Fälle systematischen Vertragsversagens hinaus, hat wiederholt Rufe nach einer stärkeren Heranziehung ethischer1 Maßstäbe als regulierendes Prinzip lautwerden lassen 2. Im folgenden soll kurz der Frage nachgegangen werden, inwieweit die modernen rechtsphilosophischen Vertragstheorien des ausgehenden 20. Jahrhunderts3 in diesem Zusammenhang zu verwertbaren Ergebnissen führen. Unter den für unsere Fragestellung (nach den richtigen Maßstäben für die Ausgestaltung des Schutzes des Vertragsmechanismus gegen nicht hinreichend freiwillige oder informierte Entscheidungen der Vertragsparteien) relevanten Theorien, lassen sich im groben einerseits individuell willensorientierte (in der Tradition Kants oder Hegels stehende), andererseits welfaristische oder utilitaristische (im weitesten Sinne in der Tradition der aristotelischen Suche nach dem „Guten“ stehende) sowie schließlich drittens diejenigen Theorien unterscheiden, die dem Vertrag als rechtlicher Institution ohnedies keinen eigenständigen materiell-rechtlichen Gehalt zugestehen, sondern ihm eine allein formelle Rolle zuweisen. Der Theorienstreit hat sich, insbesondere in der anglo-amerikanischen Rechtsphilosophie und Vertragstheorie4, daran entzündet, warum und unter welchen Vorausset1
Die Begriffe Ethik und Moral werden im folgenden synonym verwendet. Vgl. etwa Rittner, AcP 188 (1988), 101, 129 f.; Derleder, in: FS Wassermann, S. 643 ff. 3 Da es an dieser Stelle allein um den Versuch einer Ableitung von Wertmaßstäben für die Konkretisierung des Leitkriteriums des selbstbestimmten Vertrags aus der Rechtsphilosophie für die Zwecke einer Aufgabenzuweisung an das Vertrags- und Wettbewerbsrecht geht, wurde allein der derzeitige Stand der Rechtsphilosophie herausgegriffen. Für umfassende Abrisse der historischen Entwicklung in diesem Bereich, vgl. (aus einer gerechtigkeitsorientierten, aristotelischen Perspektive) Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, 1991; (aus einer liberalen Perspektive) Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, 1979. 4 Die Darstellung der diesbezüglichen aktuellen Forschungsansätze der anglo-amerikanischen jurisprudence, die für das deutsche Recht bisher soweit ersichtlich nicht umfassend rezipiert wurden, soll in der Folge angesichts des in diesem Bereich zu konstatierenden Forschungsbedarfs ganz im Mittelpunkt stehen, während auf eine Darstellung der für das deutsche Recht prägenden, in der Forschung des 19. Jahrhunderts verwurzelten und vielfach näher dargestellten Kontroverse zwischen Willens- und Erklärungstheorie verzichtet wird. Vgl. für eine umrißartige Darstellung dieser Kontroverse samt ihren Folgerungen bis in das moderne Recht statt vieler Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 21 ff. mwN; eine Verflechtung der modernen vertragstheoretischen Ansätze mit der überkommenen Kontroverse des deutschen Rechts liefert Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 209 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. S. mit einem 2
2. Abschnitt: Normative Maßstäbe aus neueren rechtsphilosophischen Vertragstheorien
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zungen Verträge Bindungswirkung (mit der Folge positiven Schadensersatzes im Falle eines Vertragsbruchs) entfalten. Für die hier angestellte Untersuchung ist die Betrachtung der entsprechenden rechtsphilosophischen Ansätze in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen, prinzipiell, gilt es, die Frage zu beantworten, ob sich Vertrag und vertragliche Bindung allein willenstheoretisch aus der Autonomie der Verkehrsteilnehmer erklären lassen, so daß das Vertragsrecht grundsätzlich mit der bloßen Koordinierung der einzelnen Willensentscheidungen der Verkehrsteilnehmer befaßt wäre, ohne insoweit einen zusätzlichen (institutionellen oder darüber hinausgehenden verteilungsorientierten) Zweck zu verfolgen. Dies würde nämlich eine kategoriale Unterscheidung zum Recht des unlauteren Wettbewerbs etablieren, für das institutionelle Zwecke weithin anerkannt sind5, die der hier versuchten übergreifenden Betrachtung weiter Teilbereiche beider Rechtsgebiete im Wege stehen könnte. Zum anderen, im einzelnen, ist der eben angedeuteten Hoffnung nachzugehen, die Rechtsphilosophie und Ethik könne bestimmte positive Maßstäbe für die Voraussetzungen der Funktionsfähigkeit des Vertrags liefern.
A. Selbstbestimmungsorientierte Theorien (Raz, Fried, Barnett, Benson) Unter den selbstbestimmungsorientierten Theorien stützen sich die Konzeptionen von Raz6 und Fried 7 auf den Versprechensakt als Grundlage der Selbstbindung und Haftung des Versprechenden. Raz sieht die entscheidende moralische Grundlage der Selbstbindung im Versprechensakt als solchem, dem in der Form des Versprechens geäußerten Willen, eine Verpflichtung zu übernehmen8. Die Selbstbindung wird dabei nicht etwa allein aus der Autonomie des Versprechenden abgeleitet9, sondern vielmehr aus dem Versprechensakt selbst. Dieser sei aber in der Autonomie des Individuums verwurzelt, finde in ihr eine notwendige moralische Grundlage und sei daher gewissermaßen im naturrechtlichen Sinne vorvorkurzen aber differenzierten Abriß zu rechtsphilosophischen Versuchen in der deutschen Literatur, die vertragliche Bindung allein aufgrund ethisch-moralischer Prinzipien aus dem Versprechensakt zu begründen, Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 6 ff. mwN; vgl. im übrigen auch noch unten 3. Abschn. C. 5 Vgl. noch unten 3. Abschn. D III für das deutsche Recht. 6 Raz, 46 Aristotelian Society, Suppl. 1972, 79; Raz, Promises and Obligations, in: Hacker/ Raz (Hrsg.), S. 210 ff.; Raz, Harvard Law Review 95 (1982), 916 ff. 7 Fried, Contract as Promise, 1981. 8 Das bewußte, willentliche Versprechen bildet die positive Grundlage der Selbstverpflichtung und wird von Raz, 46 Aristotelian Society, Suppl. 1972, 79, 98–101, kategorial unterschieden von kommunikativen Akten, die zwar ein Vertrauen begründen, nicht aber eine willentliche Verpflichtung des Versprechenden beinhalten (eine Unterscheidung, die im groben der Differenzierung in das Prinzip der vertraglichen Haftung und das Prinzip der Vertrauenshaftung im deutschen Recht gleicht). 9 S. ausdrücklich Raz, aaO., S. 931 f.
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1. Kapitel: Grundlagen
handen; konventionelle rechtliche und sittliche Formen des Versprechens (wie der zweiseitige Vertrag) seien in diesem Zusammenhang zwar hilfreich (unterstützend), um Versprechen zu kommunizieren, jedoch keinesfalls eine notwendige oder gar hinreichende Bedingung der Bindung des Versprechenden. Trotz dieser moralischen Grundierung in der Autonomie des Individuums als einzig notwendiger Bedingung soll aber nicht jeder geäußerte Wille, sich selbst zu binden, auch zu einer entsprechenden Verpflichtung führen. Die privatautonome Entscheidung des Versprechenden ist also nach dieser Konzeption keine hinreichende Bedingung der vertraglichen Selbstbindung im rechtlichen Sinne.10 Vielmehr zieht Raz zur Beantwortung der Frage, wann ein Versprechen eine Sonderverbindung mit dem Versprechensempfänger und damit letztlich die vertragliche Bindung und Erfüllungshaftung etabliere, generelle Erwägungen (außerhalb der bloßen individuellen Autonomie) heran11, unter denen einerseits der Vertrauensschutz des Versprechensempfängers und andererseits die rechtliche Unterstützung der Praxis des Abschlusses und der Durchführung von Verträgen als gesellschaftlich nützlicher Institution (mithin das Argument des Verkehrsschutzes) hervorragen12. Dabei stützt sich Raz in klassisch liberaler Tradition auf das von John Stuart Mill entwikkelte harm principle13, demzufolge die Auferlegung von Pflichten lediglich zur Abwendung von Schaden erfolgen kann. In diesem Zusammenhang gesteht er zu, daß der individuelle Vertrauensschutz des Versprechensempfängers zwar eine Begründung für die Auferlegung von Schadensersatzpflichten bezüglich des (negativen) Vertrauensschadens begründen kann, nicht jedoch eine ohne weiteres ersichtliche Grundlage für die (positive) vertragliche Erfüllungshaftung liefert. Zur Begründung der Erfüllungshaftung greift Raz auf das Argument des Schutzes der vertraglichen Praxis als solcher, mithin auf ein Argument des Verkehrs- und Institutionenschutzes zurück; auch Schaden für die Institution könne Freiheitseingriffe rechtfertigen14. Damit entzieht er aber unwillentlich seiner Argumentation zur moralischen Apriorität der Selbstbindung durch Versprechen auf Grundlage der Verankerung in der Privatautonomie (unabhängig von jeglichen rechtlichen und sittlichen Kanalisierungen) den Boden15. Denn da er den Umfang der Selbstbindung (und der daraus sich ergebenden positiven Haftung) des Versprechenden auf diese Weise letztlich nur über den Rekurs auf den Schutz der Institution des 10
Raz, aaO., 928 f. Die Heranziehung dieses (von Raz lediglich als moralisch verstandenen) Fundaments als Grundlage einer rechtlichen Haftung kommt nach Raz nicht in Betracht, da sie auf die individuelle rechtliche Durchsetzung einer lediglich allgemeinen moralischen Pflicht (im Sinne Kants) hinausliefe. Vgl. Raz, aaO., S. 937. 12 Raz, aaO., S. 933 ff. 13 Vgl. grundlegend J.S. Mill, On Liberty, 1859. 14 Eben diese Argumentation läßt sich aus Sicht einer strikt liberalen Vertragstheorie natürlich angreifen. Wie sich „trade offs“ zu Lasten der Freiheit allein durch den Institutionenschutz rechtfertigen lassen, bedarf auf der Grundlage einer kantianischen, liberalen Konzeption des Vertrags näherer Rechtfertigung. Vgl. entschieden in diese Richtung und kritisch zu Raz die Stellungnahme von Benson, Contract, in: Patterson (Hrsg.), Philosophy of Law, S. 24, 36. 15 So zutreffend Benson, aaO., S. 35 f. 11
2. Abschnitt: Normative Maßstäbe aus neueren rechtsphilosophischen Vertragstheorien
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Versprechens als solcher begründen kann, sprengt seine Argumentation den Rahmen einer strikt individualrechtsorientierten Theorie. Als apriorische moralische Grundlage ebendieser Institution des Versprechens (unabhängig von den rechtlichen Normen, die ja in Raz’ Konzeption per definitionem lediglich praktisch unterstützend wirken) bliebe Raz an sich nur die Autonomie des Individuums. Diese taugt aber (ohne weitere konzeptuelle Verfeinerung) nicht als alleiniges moralisches Fundament der vertraglichen Bindung im rechtlichen Sinne, wie in aller Klarheit Atiyah herausgestellt hat16, da sie keine Begründung und kein Kriterium zur Beantwortung der Frage liefert, in welchen Fällen der sich später äußernde Wille des Versprechenden zur Vertragslösung gegenüber seinem ursprünglichen Willen, sich selbst zu binden, unterlegen sein sollte17. Insoweit bleibt auch Raz dann folgerichtig lediglich der ausdrücklich von ihm zum Teil des philosophischen Fundaments erhobene Verweis auf die generelle Nützlichkeit der Vertragsinstitution, so daß seine Theorie im Ergebnis weniger auf den Versprechensakt und mehr auf Erwägungen zur grundsätzlichen Vorteilhaftigkeit einer Institution, die den freiwilligen Güter- und Leistungsaustausch befördert, gegründet ist. Dies ist dann aber nicht länger eine ausschließlich selbstbestimmungsorientierte moralische Theorie. Zur Grundlage der Grenzen und Voraussetzungen der Vertragsfreiheit wird vielmehr als zweiter Grundpfeiler die Nützlichkeit der Institution18. Letztlich liefert also Raz‘ Theorie des Vertrags trotz ihres deontologischen Ausgangspunktes im Ergebnis keine valide Begründung von Voraussetzungen und Umfang der vertraglichen Bindung aus moralisch-ethischen Grundsätzen der Autonomie. Erst recht kann sie demnach keine unabhängigen moralischen Maßstäbe bezüglich der Voraussetzungen wirksamer („funktionstüchtiger“) Verträge liefern. Ihr eigentliches – und nicht unerhebliches – Verdienst liegt vielmehr darin, die willenstheoretische Denkschule für institutionelle Argumente geöffnet zu haben (worauf wir zurückkommen werden); der auf diesem Wege importierte Maßstab bleibt aber ein extern institutionenorientierter, der sich nicht aus Raz‘ ethisch-moralischem Fundament ableiten läßt. 16 Atiyah, Promises, Morals, and Law, 1981, S. 127 ff.; zuvor war dieser Gedanke schon in anderem Zusammenhang (dem utilitaristischen Ansatz, genaugenommen der Unterströmung des sogenannten anarchistischen Utilitarismus) von Godwin, Enquiry Concerning Political Justice, 3. Auflage 1798, entwickelt worden. 17 Genaugenommen ließe sich auf die kantianische Konzeption des Willens des Individuums wohl eine Theorie der autonomen Selbstbindung gründen. Dies ergibt sich aus der Möglichkeit sich selbst willentlich (im Gegensatz zur nur willkürlichen Entscheidung) an seine eigenen Projekte zu binden, in dem Sinne, daß man dem Gesetz des eigenen Willens folge. Nur wäre die sich daraus ergebende Verpflichtung zuerst allenfalls eine sittlich-moralische; es bliebe die Aufgabe, hieraus eine auch rechtliche Verpflichtung abzuleiten. Vgl. mit einer willenstheoretischen Argumentation in diese Richtung Fried, Contract as Promise, S. 7 f., 106 ff., sowie zu dem Hindernis der strikten Trennung moralischer und legaler Verpflichtung bei Kant, das eine solche Theorie überwinden müßte, auch noch unten im Text. 18 Wenig überraschend wurde an dieser Stelle aus Sicht liberaler Vertragstheoretiker der Vorwurf des Paternalismus und der (notwendigen) Unbestimmtheit erhoben, vgl. etwa Atiyah, Essays on Contract, The Liberal Theory of Contract, S. 121, 127 f.
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1. Kapitel: Grundlagen
Den Versuch, das Institut des Vertrags im Versprechensakt selbst (ohne Heranziehung externer Nützlichkeitsargumente des Vertrauens- und Verkehrsschutzes) allein über das Prinzip der Privatautonomie moralisch zu verankern und zugleich die differenzierten Voraussetzungen der Wirksamkeit von Verträgen moralisch zu begründen, hat in der Folge in großer Vervollkommnung Charles Fried unternommen19. Frieds Ausgangspunkt ist ähnlich wie bei Raz die Tatsache, daß das Instrument des Versprechens und der vertraglichen Bindung eine sinnvolle gesellschaftliche Konvention zur Absicherung des Leistungs- und Güteraustauschs in zeitlich gestreckten Verhältnissen bietet, wobei er zugleich sorgsam herausarbeitet, daß dies im Kantschen Sinne nicht als Freiheitsbeschränkung, sondern als ein Instrument zur Vergrößerung und Koordination privater Autonomie durch Ermöglichung der Durchführung komplexer eigener (auf zeitlich gestreckten Austauschverhältnissen beruhender) Projekte aufzufassen ist 20. Bereitwillig konzediert Fried aber, daß die etablierte Institution des Versprechens und ihre gesellschaftliche Nützlichkeit noch nicht die Frage zu beantworten vermag, warum es ethisch-moralisch falsch ist, Versprechen zu brechen 21. Zur Beantwortung dieser Frage greift er auf „basic Kantian principles of trust and respect“22 zurück. Ohne daß der Vertrauensgedanke („trust“) in diesem Zusammenhang näher erläutert würde, verankert Fried auf diese Weise die rechtliche Pflicht, Versprechen (und damit Verträge) zu halten, in der sittlichen Pflichtenethik Kants. Dabei geht er vom ethischen Prinzip der sittlichen Autonomie der Persönlichkeit aus, die ganz 19
Vgl. o. Fn. 7. Fried, Contract as a Promise, S. 12 ff.: „In order that I be as free as possible, that my will have the greatest possible range consistent with the similar will of others, it is necessary that there be a way in which I may commit myself. It is necessary that I be able to make nonoptional a course of conduct that would otherwise be optional to me. … We need a device to permit a trade over time: to allow me to do A for you when you need it, in the confident belief that you will do B for me when I need it“. Auf der Grundlage eines differenzierten kantianischen Autonomiekonzepts ist diese Argumentation bezüglich der moralischen Verpflichtung folgerichtig, vgl. schon o. Fn. 17 sowie noch sogleich im folgenden Text. 21 Fried, aaO., S. 14: „Once I have invoked the institution of promising, why exactly is it wrong for me then to break my promise? My argument so far does not answer that question. … That the convention would cease to function in the long run, would cease to provide benefits if everyone felt free to violate it, is hardly an answer to the question of why I should keep a particular promise on a particular occasion“. Auch anthropologisch-psychologische Argumente, die auf die gesellschaftliche Ächtung verweisen, die den Versprechensbrüchigen treffen könnte (so beispielsweise Humes Versuch einer Begründung des Versprechens als gesellschaftliche Konvention in: A Treatise of Human Nature, 1888, S. 516–525) läßt Fried nicht gelten, da sie keine ethisch-moralische Begründung in konkreten Fällen lieferten, in denen wegen der spezifischen Umstände des Einzelfalls eine Ächtung nicht drohe. Die Entwicklung der Konvention vermöchte auf diese Weise erklärbar werden, eine Verpflichtung, das Versprechen im Einzelfall zu halten, ergebe sich demgegenüber wiederum nicht. Gleichermaßen verwirft er zu Recht utilitaristische Argumente für den Einzelfall, da im Einzelfall angewendet (anders der sogenannte rule utilitarianism) der utilitaristische Kalkulus stets auch zu einer Handlungsanweisung, das Versprechen zu brechen führen kann, wenn etwa eine Erosion der gesellschaftlichen Konvention aufgrund der Umstände des Einzelfalls nicht droht. Vgl. Fried, aaO., S. 15. 22 Fried, aaO., S. 17. 20
2. Abschnitt: Normative Maßstäbe aus neueren rechtsphilosophischen Vertragstheorien
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im Sinne der Pflicht- und Freiheitsethik Kants dem Individuum bei der Verfolgung seiner Interessen einen von allen anderen Individuen unabhängigen und formal gleichen Freiheitsraum zuweist, innerhalb dessen es nur einer allgemeinen moralischen Pflicht (dem kategorischen Imperativ) unterworfen ist, sich so zu verhalten, „wie es zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten“ könne. Die sittliche Pflicht sei im Falle des Versprechens- (und damit des Vertrags-)bruchs verletzt, weil die Konvention des Versprechens, die beim Versprechensempfänger das moralisch berechtigte Vertrauen auf Erfüllung hervorrufe und diesen damit verletzlich mache, mißbraucht werde, wenn trotz eines bewußt gegebenen Versprechens später keine Erfüllung erfolge. Dies begründe einen moralisch verwerflichen Mißbrauch der Konvention, vergleichbar einem Mißbrauch der Sprache durch Lügen 23. Der entscheidende Schritt zur moralischen Untermauerung der rechtlichen Bindung des Versprechenden an sein Versprechen muß nun – angesichts der scharfen Trennung moralischer und rechtlicher Pflichten bei Kant 24 – naturgemäß darin bestehen, zu begründen, warum und inwieweit der moralischen Pflicht in diesem Falle eine juristische Pflicht (und ein korrespondierendes und individuell durchsetzbares Recht des Versprechensempfängers) entspricht. Logischerweise kann insoweit nur das berechtigte Vertrauen, welches der Versprechende beim Versprechensempfänger durch den bewußten Gebrauch der Institution notwendig induziert, der Maßstab sein 25. Einmal unabhängig von der Frage, inwieweit eine derartige Ableitung relativer juristischer Vertragspflichten aus allgemeinen moralischen Pflichten auf dem Wege über die gewachsene Konvention angesichts der scharfen Trennung von Moralität und Legalität bei Kant überhaupt zulässig ist26, wird jedenfalls deutlich, daß in der ausgeklügelten Konzeption Frieds letztlich die evolutorisch gewachsene Institution zum Maßstab der ethischmoralischen Verpflichtung wird. Fried hat somit gerade das umgekehrte von dem geleistet, was wir uns in diesem Abschnitt von der Moralphilosophie erhofften: Statt der gewachsenen Verkehrssitte einen ethisch-moralischen Maßstab hinzuzufügen, begründet er die ethisch-moralische Berechtigung des Rekurses auf die gewachsene Verkehrssitte, um Voraussetzungen und Umfang privatautonomer Vertragsbindung zu bestimmen 27. Dies ist für unsere Untersuchung nicht ohne Wert, 23
Fried, aaO., S. 16. Vgl. nur Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797 (Reclam 1990). 25 Zutreffend Benson, aaO., S. 39; vgl. auch Fried, aaO., S. 17. 26 Kritisch Benson, aaO., S. 40. Vgl. zu dieser Problematik jeglicher Willenstheorie in kantianischer Tradition schon o. Fn. 17. Letztlich dürfte eine Rezeption im Recht nie unmittelbar, sondern stets nur in relativierter, an die praktischen Bedingungen des jeweiligen Verkehrssystems angepaßter Form möglich sein. Vgl. für das Vertragsrecht zutreffend Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 89 ff.; für das Recht des unlauteren Wettbewerbs noch die Ausführungen unten E mwN. 27 Pointiert resümiert am konkreten Beispiel der vorvertraglichen Aufklärungspflichten und der Lösungen, die Fried insoweit für die Schulbeispiele entwickelt, auch von Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 213: „Im Ergebnis bietet Frieds Ansatz somit nicht mehr an Erkenntnisgewinn als die uns aus der Rechtsprechung … vertraute Formel, daß [bei der Ausbildung vorvertraglicher Aufklärungspflichten] auf Treu und Glauben und die Verkehrsanschauung Bedacht 24
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1. Kapitel: Grundlagen
zeigt es doch die ethische Berechtigung der Inbezugnahme der Verkehrssitten und der aus Einzelfallentscheidungen zum Schutz der Privatautonomie im Rahmen des Wettbewerbsrechts und der vertragsrechtlichen Generalklauseln gewachsenen Rechtsprinzipien auf. Darüber hinaus liefert Frieds elaborierte Durchführung und Anwendung seines Versprechensprinzips für den gesamten Bereich des „klassischen“ Vertragsrechts – angesichts der geschilderten Ausgangsbasis kaum überraschend – aber wenig konkrete Ergebnisse für eine ethische Ausgestaltung der wettbewerbsrechtlichen und vorvertraglichen Pflichten zum Schutze privatautonomer Vertragsentscheidungen. In weiten Bereichen greift er zur Begründung der Haftung nicht auf das Versprechens-, sondern letztlich auf das Vertrauensprinzip zurück (da es an einer bewußten Entscheidung des Versprechenden fehlt) und erklärt diese Fallgruppen – prominentestes Beispiel ist die auch für das anglo-amerikanische Recht anerkannte Doktrin der objektiven Vertragsauslegung – solcherart ohnedies gänzlich außerhalb seines zentralen Prinzips. Auf Einzelheiten, die sich letztlich auf die Erklärbarkeit der im Rahmen des common law und der equity entwickelten juristischen Doktrinen beziehen, ist in dieser Untersuchung nicht einzugehen 28. Festzuhalten ist aber, daß Fried über die minimalen Standards eines Verbots vorsätzlicher und aktiver Täuschung29 sowie der Ausübung unmittelbaren Zwangs hinaus30, zur Beurteilung der Entstehung und Reichweite vertraglicher Bindung in Fällen der Störung der Vertragsanbahnung (und damit ja der Frage nach der Funktionsfähigkeit von Verträgen unter diesen Voraussetzungen) stets nur der Rückgriff auf die Rechte der Vertragsparteien bleibt, die (soweit nicht absolute
zu nehmen sei“. Dies verkennt allerdings, daß Fried insofern durchaus eine ethisch-moralischen Maßstab liefert, der eben gerade darin liegt, andere Kriterien, als die bloße Abwägung konfligierender Rechte auf der Grundlage der gewachsenen Verkehrssitte, für unzulässig zu erachten. 28 Vgl. aber noch sogleich unten C zu einzelnen, für das hier behandelte Untersuchungsthema spezifisch interessanten Unstimmigkeiten der Theorie Frieds im Vergleich mit dem entwickelten Bestand des common law und der equity, die Atiyah aufgezeigt hat. 29 Vgl. Fried, aaO., S. 95 ff. 30 Bezüglich der Beurteilung von Drohungen greift Fried, aaO., auf die für Willenstheorien typische Unterscheidung in Angebote, die den Handlungsspielraum erweitern, und Drohungen, die den Spielraum einschränken sollen, zurück. Dies führt unvermeidlich, wie auch Fried betont, zum Bedarf nach einem rechtlichen oder moralischen Kriterium, das bestimmt, welches der relevante Ausgangszustand ist, von dem aus die Frage zu beurteilen ist, ob eine Bedrohung (Einschränkung des Ausgangszustands) oder ein „Angebot“ (Erweiterung der Optionen) vorliegt. Hierfür will Fried, aaO., S. 97 ff., nach den Rechten der Parteien urteilen. Werde ein rechtsverletzendes Verhalten in Aussicht gestellt, so führe die Drohung zur Unwirksamkeit des Versprechens. Übe der „Drohende“ demgegenüber nur berechtigt seine Rechte aus, liege keine relevante Drohung vor. Abgesehen von den klaren Fällen einer Rechtsverletzung, wie eben der Drohung mit unmittelbarer körperlicher Gewalt, führt dies letztlich zu einer wertenden Abwägung der Rechte der Parteien, bei der zudem wiederum die allgemeine Verkehrsmoral eine entscheidende Rolle spielt (vgl. nur die Ausführungen bei Fried, aaO., S. 98 ff.: „So I conclude that a promise procured by threat to do wrong to the promisor, a threat to violate his rights, is without moral force, „Even the first time the law judged a contract … to have been made under duress should not have been a surprise. Such a decision … applied a pervasive community judgment that investments in the misery of others should not be lucrative…“ [Hervorh. des Verf.]). Es wird also kein moralisches Kriterium vorgegeben; der Rückgriff auf die individuellen Rechte der Parteien verlagert das Problem lediglich. Für die Abwägung ebendieser Rechte, wird letztlich wieder auf eine umfassende Interessenabwägung unter Heranziehung der allgemeinen Verkehrsmoral zurückgegriffen, die nur in den genannten Extremfällen ethische Limitierung an den Außengrenzen erfährt. Vgl. zutreffend hierzu auch Trebilcock, S. 79 ff.
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Rechte, wie etwa die körperliche Unversehrtheit betroffen sind) letztlich im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung gegeneinander abgewogen werden müßten 31.
Fried konzediert in diesem Zusammenhang, daß die evolutorische Gestaltwerdung der Institution dann historisch zum Teil sich in utilitaristische Begründungsmuster fügt, und daß ihre Weiterentwicklung sinnvollerweise auch unter Heranziehung von Aspekten der Gesamtentwicklung des Verkehrssystems erfolgen sollte. Derartige zweckorientierte Argumente sieht er aber – im Rahmen seiner liberalen Theorie konsequent – dem Gesetzgeber vorbehalten; die Entscheidung im Einzelfall müsse schon aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauens in die gewachsene Institution allein bei den individuellen Rechten der beteiligten Vertragsparteien ansetzen. Diese Argumentation hat erhebliche Überzeugungskraft, verkennt aber in ihrer Kompromißlosigkeit, daß das Wachstum der Institution ja gerade die Weiterentwicklung des Rechts in – wenngleich um der Rechtssicherheit willen infinitesimalen – Schritten voraussetzt. Soweit hier auf das Verkehrssystem bezogene, folgenorientierte Argumente in die Rechtsprechung Eingang finden, reflektiert das gleichermaßen die evolutorische Entwicklung der Institution, ohne daß insoweit aus ethisch-moralischen Gründen eine kategorische32 Limitierung angebracht wäre. Dies umsomehr, als der Gedanke des Institutionenschutzes, wie es insbesondere Raz begründet hat, in diesem Bereich durchaus auch auf Grundlage willensorientierter Theorien moralisch berechtigten Raum einnimmt, keinesfalls aber a priori aus ethisch-moralischen Gründen rundheraus abzulehnen ist. Die entscheidende moralphilosophische Frage dürfte also weniger lauten, ob an die Stelle der rein rückwärtsgewandten Orientierung auf die gewachsene Verkehrssitte bei Fried für Art und Ausmaß des rechtlichen Schutzes der Anbahnung privatautonom geschlossener Verträge überhaupt ein antizipierendes Kriterium treten kann, welches die Rückwirkung der Entscheidung im Einzelfall auf die Entwicklung der Institution selbst in den Blick nimmt. Sondern sie muß vielmehr lauten, welche Methoden, insofern inwieweit herangezogen werden könnten. Auf die solcherart umformulierte Frage gibt Frieds Theorie, wenn man sie mit Raz‘ Sichtweise kombiniert, durchaus eine tragfähige Antwort: Im Einzelfall kategorisch unzulässig ist aus dieser auf die individuelle Freiheit orientierten Perspektive die Verwendung von Methoden, die den evolutorischen Prozeß der Entwicklung der Institution auf der Grundlage welfaristischer oder utilitaristischer Kriterien komplett ersetzen bzw. gewissermaßen vorwegnehmend simulieren wollen. Geht es demgegenüber allein darum, unter anderen Methoden auch den Schutz der Institution des Vertrags als solcher in die Interessenabwägung mit 31 Vgl. für das Problem der Irreführung Fried, aaO., S. 81: „In every mistake case, it is my thesis, not promise but the competing equities must be used to resolve the inevitable dilemma caused by contractual accident“. Näher zur Beurteilung vorvertraglicher Informationsasymmetrien bei Fried auch Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 209 ff. 32 Vgl. zu den allerdings notwendigen Einschränkungen hinsichtlich der heranzuziehenden Methoden und ihrer Rolle im Einzelfall (in spezifischem Zusammenhang) schon oben 2. Abschn. D III 4 sowie (verallgemeinert) auch sogleich unten B.
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1. Kapitel: Grundlagen
einzubeziehen, ohne damit den Rahmen einer an den Interessen der Parteien im Einzelfall orientierten Entscheidung zu verlassen, ist die Grenze des ethisch moralisch zulässigen auch aus Sicht moderner individualrechtsorientierter Theorien gewahrt. Für die Entscheidung, welche Voraussetzungen in Fällen gestörter Vertragsanbahnung ein bindendes Versprechen – und damit ein funktionsfähiger zweiseitiger Vertrag – hat, ist damit im Ergebnis – sofern zumindest eine bewußte Entscheidung der Vertragspartner vorliegt – in erster Linie der Rückgriff auf die Rechte und Interessen der Parteien maßgeblich, konkretisiert durch die Verkehrssitte und ergänzt durch die Heranziehung institutioneller Argumente. Die in Grenzfällen insoweit verbleibende Bestimmtheitslücke läßt sich nicht durch klare ethisch-moralische Kriterien schließen, sondern allein durch Wertungen, d.h. Abwägungen zwischen den Rechten und Interessen der Parteien unter Einbeziehung institutioneller Überlegungen33. Bevor der radikale Gegenentwurf Kronmans vorgestellt wird, der die konstatierte Bestimmtheitslücke im Rahmen seiner Theorie vom „advantage taking“ im Vertragsrecht im Sinne einer kompromißlos utilitaristischen Grundlegung des gesamten Vertragsanbahnungsprozesses zu beantworten sucht, ist noch die letzte willenstheoretische Vertragstheorie vorzustellen, die die Lücke, welche Raz‘ und Frieds Versprechenstheorien bei der konkreten ethischen Gestaltung von Voraussetzungen und Umfang fehlerfreier vertraglicher Verpflichtung lassen, gerade ohne Rückgriff auf (institutionelle) Argumente des Vertrauensschutzes und der Verkehrssicherheit schließen will. Es ist dies die ursprünglich von Barnett 34 entworfene und früher auch von Benson vertretene und fortentwickelte35 (auf den bemerkenswerten und für unsere Untersuchung zielführenden Sinneswandel von Benson wird noch zurückzukommen sein36) „transfer theory of contract“. Diese basiert die Institution des Vertrags, wiederum von der praktischen Notwendigkeit eines Instruments für die Übertragung von Ressourcen ausgehend, auf ein Einverständnis zur Rechteübertragung37. In einem liberalen, die Rechte des einzelnen respektierenden System könne allein der Rechteinhaber ein Recht auf einen anderen übertragen, was die Notwendigkeit seiner selbstbestimmten Entscheidung als Voraussetzung des Vertragsschlusses erkläre. Da Rechte die Möglichkeit staatlicher Durchsetzung umfaßten, entspreche dieser Entscheidung zur Übertragung eines Rechts auf den Versprechensempfänger spiegelbildlich der Wille, sich rechtlich (nicht lediglich im Sinne von 33 Letzteres allerdings nur auf der Basis der Sicht von Raz (vgl. o. Fn. 6), während Fried die Einbeziehung konsequentialistischer Elemente in die Rechtsanwendung im Einzelfall kategorisch ablehnt, vgl. Fried, aaO., S. 83 f. 34 Barnett, Columbia Law Review 86 (1986), 269. 35 So insbesondere noch Benson, Cardozo Law Review 10 (1989), 1077 ff. 36 S. unten D. 37 Vgl. Barnett, Columbia Law Review 86 (1986), 269, 291 ff.; Benson, aaO., betont insbesondere die Bedeutung der elaborierten Theorien zur Rechteübertragung, wie sie Hegel in seiner Rechtsphilosophie entwickelt hat und verweist hierfür auf Hegel’s Philosophy of Right, translated by T.M.Knox, Oxford 1952, §§ 72–81. Vgl. für eine deutsche Ausgabe des Originals von 1821, Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Hg. von B. Lakebrink, Stuttgart 1970.
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Fried moralisch) zu binden, da dem Versprechensempfänger ja ein durchsetzbares Recht übertragen werde. Freilich erklärt Barnetts Theorie in diesem Zusammenhang nicht, warum der Versprechensempfänger sich in diesem Falle schon vor der tatsächlichen Übertragung positiv auf die Selbstbindung des Versprechenden verlassen können soll38. Ebensowenig vermag er letztlich ohne Rückgriff auf Überlegungen zum Vertrauensschutzinteresse die objektive Vertragsauslegung – unter Hinwegsetzung über den tatsächlichen Willen des Versprechenden, der nach seiner Konzeption ja an sich allein entscheidend sein müßte – individualrechtlich zu begründen. Sein Begründungsmuster evoziert vielmehr Überlegungen zu den Rechten und Freiheiten des Versprechensempfängers, der bei der Durchführung seiner selbstbestimmten Projekte eines klaren Maßstabs, wann die Übertragung erfolgt sei, bedürfe, die wiederum den Vertrauens- und Verkehrsschutz in Bezug nehmen39. Operable eigenständige ethische Maßstäbe für die Voraussetzungen einer selbstbestimmten Entscheidung bringt schließlich auch seine Theorie nicht40. Die am Schluß dieser holzschnittartigen Darstellung der wesentlichen willenstheoretischen Fundierungen des Vertrags sich aufdrängende Bewertung, daß eine allein auf die individuelle Freiheit des einzelnen gründende ethische Konzeption des Vertrags keine moralphilosophischen Maßstäbe zur positiven Ausgestaltung der Voraussetzungen funktionsfähiger Verträge zu liefern vermag, läßt zwei Schlußfolgerungen zu. Einerseits könnte das Fehlen eines positiven ethischen Maßstabes für Grenzfälle schlicht hinzunehmen sein; dies läge etwa auf der gedanklichen Linie von Fried und (mit der entscheidenden Weiterung bezüglich institutioneller Argumente auch von Raz), die für den demnach nicht vorvorhandenen Maßstab schlicht auf die kontinuierliche Entwicklung der Institution verweisen, welche den jeweils anhand der Individualrechte zu treffenden Wertentscheidungen Struktur und Rahmen im Sinne einer gewissen Kontinuität und Rechtssicherheit liefert. Andererseits könnte die Lösung sich auch aus einem außerhalb der bloßen Koordinierung und Optimierung der Freiheitsrechte des Einzelnen liegenden Kriterium des „Guten“ im Sinne einer welfaristischen oder utilitaristischen Konzeption ergeben. Diese zweite Ansicht hat am radikalsten Anthony Kronman in seinen Überlegungen zu Vertragsabschlüs38 Benson, aaO., versucht in seinem ursprünglichen Ansatz dieses Problem dadurch zu lösen, daß er eine Theorie der Übertragbarkeit vor der tatsächlichen Rechteübertragung allein aus dem durch Zwecküberlegungen vollkommen uneingeschränkten Hegelschen Konzept des abstrakten Willens entwickelt. Vgl. näher dazu auch Kraus, Philosophy of Contract Law, in: Coleman/Shapiro (eds), Oxford Handbook of Jurisprudence and Philosophy of Law, S. 689, 732 ff. 39 Vgl. Barnett, aaO., S. 300 ff. 40 Soweit Benson, aaO., ursprünglich den Anspruch erhoben hatte, das gesamte Vertragsrecht unter Heranziehung einer lupenrein willensorientierten Hegelschen Theorie, ohne Rückgriff auf zweckorientierte Überlegungen (wie Vertrauens- und Verkehrsschutz) allein auf die Privatautonomie moralisch gründen zu können, hat er diesen Anspruch mittlerweile im Sinne eines lediglich heuristisch erklärenden Konzepts entscheidend abgemildert. Vgl. zu dieser Umorientierung Kraus, Philosophy of Contract Law, in: Coleman/Shapiro (eds), Oxford Handbook of Jurisprudence and Philosophy of Law, S. 689, 732 ff., sowie zu Bensons jetzigem Ansatz noch näher unten D.
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1. Kapitel: Grundlagen
sen als Form des „advantage taking“ vertreten. Seine Theorie, die der oben dargestellten und kritisch gewürdigten welfaristischen ökonomischen Analyse des Rechts41 gewissermaßen ein moralphilosophisches Fundament einziehen will, ist im folgenden nebst einigen ähnlichen Forschungsansätzen zu prüfen.
B. Wohlfahrtsorientierte oder utilitaristische Theorien (Kronman, Buckley, Gordley) Kronmans klassischer Artikel42 zielt zuallererst auf die an dieser Stelle bereits konstatierte Bestimmtheitslücke der willenstheoretischen Ansätze. Die Orientierung auf die Freiwilligkeit des Vertragsabschlusses bringe zwangsläufig die Frage nach den genauen Voraussetzungen einer „freiwilligen“ Entscheidung mit sich43. Diese Frage lasse sich auch dahingehend umformulieren, welche Formen des „advantage-taking“ eines der Vertragspartner, mit anderen Worten der Nutzung eines Kräfte- oder Informationsungleichgewichts bei der Vertragsanbahnung im allerweitesten Sinne (einschließlich Betrugs oder der Ausübung von Gewalt) im Rahmen der Konzeption der Freiwilligkeit der Entscheidung des anderen Vertragspartners erlaubt seien und welche nicht44. Über die minimale Notwendigkeit einer bewußten Entscheidung hinaus, blieben die Antworten der rein willensorientierten Theorien auf diese Frage (wie sie vorstehend umrissen wurden) notwendig unbestimmt, da ihr hauptsächlicher Ausgangspunkt die Rechte der Parteien seien45, die als gegeben angenommen würden, obwohl es doch gerade gelte, die Rechte in ihrem Aufeinandertreffen gegeneinander abzugrenzen und damit im Ergebnis ihre Reichweite erst zu bestimmen46. Es bedürfe also eines unabhängigen Prinzips, um zu beurteilen, welche Formen der Vorteilsnutzung im Vorfeld des Vertragsschlusses gestattet seien47. Nachdem er ein laissez-faire Prinzip „natürlicher Überlegenheit“ sowie ein strikt utilitaristisches Prinzip hierfür mit nachvollziehbaren Argumenten verworfen hat, widmet sich Kronman seinem eigenen Ansatz zur Beurteilung der 41
S. oben 1. Abschn. D. Kronman, Yale Law Journal 89 (1980), 472 ff. Der Aufsatz ist zum Ausgangspunkt einer lebhaften Debatte um die Möglichkeit der willenstheoretischen Begründung des Vertragsrechts sowie um die Alternative einer verteilungsorientierten Konzeption und Interpretation der vertragsrechtlichen Regeln geworden. Kronman selbst hat sich in der Folge einzelnen, konkreten vertragsrechtlichen Problemen auf der Grundlage seines klassisch gewordenen Ansatzes zugewandt, die hier an anderer Stelle (oben 1. Abschn. D III 2) Eingang in die Darstellung gefunden haben. Vgl. zu alldem die umfangreichen Nachweise bei Kramer, Legal and Moral Philosophy, S. 157, 170 (Fn. 1). Für eine praktische Umsetzung bezüglich der Behandlung von Irrtümern und Offenbarungspflichten im deutschen Vertragsrecht vgl. Adams, AcP 186 (1986), 453 ff. 43 S. Kronman, aaO., 477. 44 Kronman, aaO., 478 ff. 45 So in der Tat insbesondere die Konzeptionen von Fried und Barnett, vgl. oben A. 46 Kronman, aaO., S. 478 ff. 47 Kronman, aaO., S. 483 ff. 42
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Vorteilsnutzung im Vorfeld des Vertragsschlusses. Kronman stützt sich auf das (oben 1. Abschn. C II 1 b dargestellte) Pareto-Kriterium, welches er aber in der konkreten Anwendung dahingehend abschwächt, daß eine bestimmte Form der Vorteilsnutzung – gleich welcher Art – im Verhältnis der Vertragsparteien erlaubt sein sollte, wenn sie auf lange Sicht zu einer Verbesserung der Situation der meisten selbst derjenigen Verkehrsteilnehmer führe, zu deren Lasten sie im konkreten Einzelfall angewendet werde48. Dieser Ansatz setzt sich einer ganzen Reihe kritischer Einwände aus49, die sich in zwei Hauptströmungen einteilen lassen. Zum einen richtet sich die Kritik auf den grundsätzlich konsequentialistischen Charakter des von Kronman vorgeschlagenen Kriteriums, welches zum Wert der Selbstbestimmung des einzelnen Verkehrsteilnehmers in einem notwendigen Spannungsverhältnis steht50. Zum anderen wird die Unbestimmtheit des Kronmanschen Ansatzes zur Zielscheibe der Kritik51. Erstgenannte Argumentation betont, daß Kronmans Ansatz im Ergebnis dazu führt, daß die Zulässigkeit einer bestimmten Werbe- oder Vertragsanbahnungstechnik und in der Folge die Gültigkeit eines Vertrages zwischen zwei Parteien nicht allein von der Beurteilung des Verhältnisses zwischen diesen beiden Vertragsparteien, sondern vielmehr entscheidend von den aggregierten Folgen einer entsprechenden Regelung aufgrund einer Analyse der zukünftigen (hypothetischen) Wirkung dieser Regelung auf vergleichbare Vertragsverhältnisse zwischen anderen Vertragsparteien abhängt. Letztlich wird also die Benachteiligung der im Einzelfall schwächeren Vertragspartei gerechtfertigt durch eine konsequentialistische Betrachtung der verteilungspolitischen Folgen einer bestimmten werbe- oder vertragsrechtlichen Regelung. Noch verstärkt wird dieses konsequentialistische Element durch die aus praktischen Gründen gebotene Orientierung auf die langfristige Verbesserung der Situation für die „meisten“ Verkehrsteilnehmer aus der durch eine bestimmte Vertragsanbahnungstechnik kategorial benachteiligten Gruppe. Der „trade-off“ zu Lasten der einzelnen Vertragspartei ist also in doppelter Hinsicht unleugbar vorhanden. Erstens wird die gegenwärtige Einschränkung der materiellen Entscheidungsfreiheit des einzelnen Verkehrsteilnehmers durch langfristige, hypothetisch in der Zukunft zu erwartende Effekte gerechtfertigt; und zweitens wird die hypothetische Verbesserung der Situation der „meisten“ Verkehrsteilnehmer in einer Gruppe zu Lasten der materiellen Entscheidungsfreiheit „weniger“ Verkehrsteilnehmer erkauft. Sofern man einen derartigen „trade-off“ individueller Freiheitswerte zugunsten einer Verbesserung der Gesamtwohlfahrt überhaupt für zulässig erachtet52, wird jedenfalls deutlich, daß eine 48
Kronman, aaO., 484 ff. Vgl. insbesondere die Zusammenfassungen bei Benson, Contract, in: Patterson (Hrsg.), Philosophy of Law, S. 24, 45 ff.; Benson, Cardozo Law Review 10 (1989), 1077, 1119 ff.; Kramer, Legal and Moral Philosophy, S. 157, 161 ff.; Trebilcock, S. 82 ff., jeweils mwN. 50 So insbesondere Benson, aaO. 51 So insbesondere Kramer, aaO. 52 Kritisch insbesondere Benson, aaO. 49
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Anwendung des Kronmanschen Prinzips allenfalls in Betracht käme, wenn die Verbesserung der Situation der „meisten“ Verkehrsteilnehmer in der Gruppe, die durch eine bestimmte Form des „advantage-taking“ betroffen ist, mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann. Genau an dieser Stelle setzt die zweite Hauptlinie der Kritik an Kronmans Ansatz an, die – ganz ähnlich wie die (oben 1.Abschn. D III 3 b dargestellte) entsprechende methodologische Kritik am welfaristisch orientierten Konzept der ökonomischen Analyse des Rechts – auf dessen notwendige Unbestimmtheit verweist53. Die Unbestimmtheit der Beurteilung bestimmter Vertragsanbahnungstechniken („advantage taking“) anhand ihrer langfristigen Folgen für die „meisten“ Verkehrsteilnehmer ergibt sich aus zwei Gesichtspunkten. Zum einen sind die Ergebnisse einer derartigen Betrachtung entscheidend dadurch beeinflußt, welche Ausgangslage man für die Beurteilung einzelner Formen des „advantage taking“ wählt. Kronman geht – im Rahmen seines (als selbstverständlich angenommenen) Verständnisses individueller Freiheit, die er in erster Linie im Schutz der Opfer des „advantage taking“ vor ungewollter privatrechtlicher Bindung ausgedrückt sieht – davon aus, daß jegliche Form des „advantage taking“ unerlaubt sei, sofern sie nicht langfristig zu einer Verbesserung der Situation auch der „Opfer“ dieser spezifischen Verhandlungstechnik führe. Ebensogut ließe sich der Ausgangspunkt für die Anwendung des abgeschwächten Pareto-Tests jedoch – ebenfalls auf der Grundlage des Werts individueller Freiheit, in diesem Falle aber der Freiheit der Vorteilsinhaber zur Nutzung des Vorteils – umgekehrt wählen, so daß dann jegliche Verhandlungstechnik a priori erlaubt wäre, und sich deren Verbot bzw. die Folge der Unverbindlichkeit solcherart angebahnter Verträge anhand des ParetoKriteriums rechtfertigen lassen müßte. Die Ergebnisse der Anwendung des Pareto-Kriteriums wären – je nach gewähltem Ausgangspunkt – in Grenzfällen sicher entscheidend unterschiedlich 54. Diese Problematik läßt sich verallgemeinern. Angesichts des kompletten Verzichts auf eine fixe Ausgangsbasis, unterwirft Kronman jegliche Form der Vorteilsnahme in Verträgen – einschließlich der Nutzung überlegener Verhandlungsmacht, Information, Intelligenz usf. – seinem paretianischen Test. Für die folgenorientierte Beurteilung jeder einzelnen Verhandlungstechnik, geht er jedoch notwendigerweise ceteris paribus von der Gegebenheit der bestehenden Verteilungssituation und der existierenden rechtlichen Lage aus. Eben für diese Annahmen ist auf der Grundlage seiner radikalen Infragestellung jeglicher Form der Vorteilsnahme im Vertragsanbahnungsprozeß aber keinerlei Basis vorhanden. Denn angesichts der Rückwirkung der Veränderung der Parameter der Vertragsfreiheit auf die resultierende Verteilungssituation55, ist der Rückgriff auf die real gegebene Verteilungssituation als Ausgangspunkt für die 53
Kramer, aaO., S. 166 ff. S. Kramer, aaO., S. 161 ff. 55 Vgl. zur Wechselwirkung der rechtlichen Ausgestaltung der Vertragsfreiheit mit der jeweils resultierenden Verteilungssituation grundlegend schon Cohen, Harvard Law Review 46 (1933), 553 ff.; Hale, Columbia Law Review 43 (1943), 603 ff. 54
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zur Anwendung des Pareto-Tests notwendige Folgenhypothese nicht gerechtfertigt, da dieser Ausgangspunkt ja seinerseits schon das Resultat der rechtlich bereits vorbestimmten Zulässigkeit bestimmter Vorteilsnahmen im Vertragsrecht ist. Selbst wenn man eine Begründung für die Heranziehung der real gegebenen Ausgangslage fände, so würde doch jede einzelne der Entscheidungen über die Zulässigkeit bestimmter Vorteilsnahmen im Vertragsrecht wiederum eine Rückwirkung auf die Verteilungssituation als Basis der jeweils nächsten hypothetischen Entscheidung haben, so daß das Endergebnis einer Abfolge einzelner Pareto-Tests nach Kronman notwendig von der Reihenfolge ihrer Durchführung abhängen würde. Um über diese Reihenfolge der Beurteilung einzelner Formen der Vorteilsnahme im Vertragsrecht zu entscheiden, gibt uns Kronman aber keinerlei Kriterium an die Hand. Die einzige denkbare Lösung, um diesem Dilemma zu entrinnen, wäre die kalkulatorische Berücksichtigung der Rückwirkung der jeweils einzelnen hypothetischen Entscheidungen anhand des Pareto-Kriteriums auf die resultierende Verteilungssituation, mithin der Verzicht auf die Gültigkeit der ceteris-paribus-Annahme. Dies würde jedoch zu einer notwendigen Unbestimmtheit der Lösungen eines entsprechenden Modells führen; anders ausgedrückt, der Verzicht auf die ceteris-paribus-Annahme, den Kronmans philosophische Theorie der totalen Infragestellung sämtlicher Formen der Vorteilsnahme doch zu fordern scheint, zieht zugleich die vollkommene Unbestimmtheit der Ergebnisse seines Ansatzes nach sich56. Die somit wiederum gegebene Bestimmtheitslücke wird hier also durch die Wahl des Ausgangspunktes für die Anwendung des Pareto-Tests sowie in der Folge durch die Bestimmung der Sequenz der einzelnen ceteris paribus zu treffenden Entscheidungen über die rechtliche Beurteilung der Formen vertraglicher Vorteilsnahme und die jeweilige Beurteilung der ohnedies hypothetischen aggregierten Langzeitfolgen einzelner Rechtsnormen in diesen Bereichen geschlossen. An die Stelle der expliziten Wertung in den individualistisch ausgerichteten Ansätzen tritt die (verborgen wertbestimmte) Wahl bestimmter Modellannahmen und -ausgangslagen, welche die Wertentscheidungen im Rahmen einer vermeintlich objektiven Entscheidungstechnik lediglich verbergen. Dieser Vorwurf der Unbestimmtheit trifft letztlich jede konsequentialistisch orientierte Theorie der vertraglichen Freiheit, gleichgültig, ob sich derartige Theorien – wie letzthin die welfaristische Theorie Buckleys57 – mehr am Effizienzkriterium und der Wohlfahrtsoptimierung oder – wie der umfassend rechtshistorisch fundierte Ansatz Gordleys58 – mehr an einem aristotelischen Gleichheits- und Freiheitsideal orientieren59. Jegliche dieser Theorien muß sich der Frage stellen, warum sie als Ausgangspunkt angesichts der Überzeugung, die Verteilungseffekte einzelner rechtlicher Lösungen aufgrund hypothetischer Folgeentscheidungen 56
S. Kramer, aaO., S. 166 ff. Buckley, Hofstra Law Review 19 (1990), 33 ff. 58 Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, 1991. 59 Für weitere wohlfahrtsökonomische und welfaristische Ansätze vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 217 ff. 57
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der Verkehrsteilnehmer voraussagen zu können, überhaupt noch ein auf die Vertragsfreiheit basiertes Verkehrssystem wählt. Oder – um es noch pointierter auszudrücken: Die positiven Verteilungseffekte freier Märkte werden in Frage gestellt, wenn deren rechtliche Ausgestaltung statt auf die tatsächliche, normative Freiheit der einzelnen Willensentscheidung der Verkehrsteilnehmer abzustellen, die aggregierten Verteilungseffekte lediglich hypothetisch freiwilliger Entscheidungen zum Maßstab der Gestaltung der Rechtsordnung nimmt. Damit bleibt letztlich wiederum nur die Orientierung auf die Freiwilligkeit der Entscheidung im Einzelfall, mit der zwangsläufigen Folge, daß sich die Bestimmtheitslücke hinsichtlich der Anforderungen an die „Freiwilligkeit“ lediglich durch wertende Interessenabwägung schließen läßt60. Von den konsequentialistischen Theorien bleibt damit für unsere Zwecke lediglich die zutreffende Beobachtung am Ausgangspunkt, daß die individuell wertenden Entscheidungen in den individualrechtlich orientierten Theorien institutionelle Rückwirkungen auf das Gesamtverkehrssystem haben, die – soweit dies konkret und ohne Rückgriff auf hypothetische Aggregationseffekte möglich ist – mit zu berücksichtigen sind. Diese Berücksichtigung institutioneller Rückwirkungen haben aber insbesondere Raz als auch (mit teilweise etwas weitergehenden Einschränkungen) Fried in ihren Konzeptionen vorgesehen. Die modernen Willenstheorien des Vertrags haben also den Beitrag, den die konsequentialistischen Theorien leisten können, im Ergebnis bereits (in unterschiedlichem Umfang 61) integriert. Ein darüber hinausgehendes, gar ein abschließendes ethisches Kriterium zur Schließung der Wertungslücke in den individualistischen Theorien vermögen die konsequentialistischen Ansätze wegen ihrer inhärenten Unbestimmtheit demgegenüber nicht zu entwickeln. Dieses Problem notwendiger Unbestimmtheit reflektiert – in die allgemeinere Sphäre der moralphilosophischen Betrachtung gewendet – die entsprechende Problematik schon im spezielleren Bereich der ökonomischen Analyse des Rechts im engeren Sinne. Speziell Kronmans Theorie enthält aber einen wertvollen Fingerzeig für die hier anzustellende Untersuchung. Zutreffend ist sein umfassender Ansatz, demzufolge sämtliche Formen der Vorteilsnahme im Bereich der Vertragsanbahnung im weitesten Sinne – also insbesondere ohne Rücksicht auf eine bereits bestehende Sonderverbindung der Parteien – auf den Prüfstand zu stellen und in ihrer jeweiligen rechtlichen Regelung miteinander abzugleichen sind62. Daraus ergibt sich, daß bei den notwendig werdenden Wertentscheidungen nicht lediglich die Privatautonomie im (engeren) Sinne größtmöglicher Freiheit bei der Entscheidung über ein Vertragsangebot zu berücksichtigen, sondern daß stets auch die Freiheit der Anbieterseite, mit grundsätzlich allen ihr
60
So zutreffend Trebilcock, S. 83 f. mwN. Vgl. auch schon oben 1. Abschn. E zu der hier vertretenen Auffassung bezüglich der Berücksichtigungsfähigkeit konsequentialistischer Begründungsmuster im Rahmen der juristischen Methodik. 62 Vgl. noch unten 3. Abschn. E und F. 61
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zu Gebote stehenden Mitteln nach Geschäftsabschlüssen zu streben, in die Waagschale zu werfen ist63.
C. Formales und materielles Recht (Atiyah) Die ethische Begründungs- und Wertungslücke, die sowohl willenstheoretische als auch konsequentialistische Ansätze bei der Erklärung der vertraglichen Bindung sowie der näheren Erklärung ihrer Voraussetzungen und Grenzen lassen, nimmt Atiyah zum Anlaß, für das anglo-amerikanische Recht die Eigenständigkeit des Vertragsrechts insgesamt in Zweifel zu ziehen 64. Atiyahs Konzeption des Vertragsrechts stellt weniger den Versuch einer moralphilosophischen Grundierung, als vielmehr einen rechtstheoretischen Ansatz zur Erklärung des real existierenden anglo-amerikanischen Vertragsrechts dar; dennoch ist seine Theorie für die hier gestellte Frage von hohem Interesse, weil sie zum einen die Grenzen einer rein individualrechtlichen Konzeption des Vertrages beispiellos deutlich macht und zum anderen unter diesem Blickwinkel die systematische Abgrenzbarkeit des Vertragsrechts als spezifisch der Koordinierung individueller Willensentscheidungen gewidmetes Rechtsgebiet in Frage stellt, eine Problematik, deren Einzelheiten für das deutsche Recht diese Untersuchung in der Folge – im Verhältnis zum Recht des unlauteren Wettbewerbs – ebenfalls noch beschäftigen werden. Aus Atiyahs Sicht ist das anglo-amerikanische Vertragsrecht im wesentlichen auf die Grundgedanken des Schadensersatzes (Ersatz für enttäuschtes Vertrauen des Vertragspartners) und des Bereicherungsausgleichs gegründet65, ohne darüber hinaus Anspruch auf eigenständige materiell-rechtliche Wertprinzipien erheben
63 Dies entspricht der schon oben (vgl. etwa bereits 1. Abschn. C III 4 und 5) aus der Sicht der Ökonomie, der Kronmans welfaristischer Ansatz nahesteht, gewonnenen Erkenntnis. 64 Vgl. für die ursprüngliche Theorie Atiyahs, die dem Vertragsrecht im Spannungsfeld zwischen Schadensersatz und Bereicherungsausgleich jegliche eigenständige Bedeutung absprach, umfassend Atiyah, Promises, Morals, and Law, 1981; für seine neuere Haltung, die eine Eigenständigkeit des Vertragsrechts auf der Ebene materiell-rechtlicher Wertprinzipien weiterhin ablehnt, nunmehr der Institution des Vertrages aber eine formale Rolle bei der Etablierung bestimmter Vermutungen als Grundlage für die Ansprüche aus restitution oder detrimental reliance (tort) zuweist, vgl. Atiyah, Essays on Contract, Essay 5 ‚Form and Substance in Contract Law‘, S. 93 ff.; für die Kritik der willenstheoretischen Vertragskonzeptionen, vgl. Atiyah, aaO., Essay 6 ‚The Liberal Theory of Contract‘, S. 121 ff. Vgl. auch die umfassende rechtsgeschichtliche Analyse bei Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, 1979, zusammenfassend S. 1–7, in der Atiyah es unternimmt, die erheblichen Unterschiede in der jeweiligen Bedeutung, die in der rechtsgeschichtlichen Entwicklung dem Prinzip formaler Vertragsfreiheit beigemessen wurde, im einzelnen herauszuarbeiten. 65 Die Grundlage für eine derartige Betrachtungsweise hatte ein bahnbrechender Artikel von Fuller/Perdue, Yale Law Journal 46 (1936), 52 ff., 373 ff., gelegt, in dem diese bezüglich der Folgen einer Vertragsverletzung für das anglo-amerikanische Recht aus der Sicht der Gläubigers erstmals systematisch nach dessen „restitution interest“ (Rückabwicklung), „reliance interest“ (negatives Interesse) und „expectation interest“ (positives Interesse) unterschieden.
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1. Kapitel: Grundlagen
zu können66. Dem Vertragsinstitut als solchem, welches insbesondere mit der – prinzipiell von tatsächlichem Vertrauen unabhängigen – Anordnung positiven Schadensersatzes im Falle der Nichterfüllung über den Gedanken einer reinen Vertrauenshaftung hinausgeht, weist Atiyah eine in erster Linie formale Rolle zu: In seiner Sicht hat der Vertrag in letzter Konsequenz lediglich eine (formale) Beweisfunktion dahingehend, daß er eine Vermutung der Fairneß der etablierten Austauschbeziehung und zugleich eine Vermutung für die Tatsache etabliert, daß der Versprechende selbst sich bewußt war, beim Versprechensempfänger ein schutzwürdiges Vertrauen in die Erfüllung des Versprechens zu begründen 67. Die (zweifelswürdige) Tragfähigkeit dieses Versuchs einer vollkommenen Auflösung der Grenzen des anglo-amerikanischen Vertragsrechts, welches in einer Mischung aus den Instituten des Schadensersatzes und des Bereicherungsausgleichs aufginge – in der für das Vertragsinstitut nurmehr eine formale, beweiserleichternde Rolle bliebe –, kann hier nicht Gegenstand der Untersuchung sein68. Für unsere Thematik ist jedoch von Interesse, daß Atiyah im ersten Schritt seiner Argumentation in einer mächtigen Kritik der rein willenstheoretischen Ansätze umfassend aufzeigt, daß diese für sich genommen weder die Vertragsbindung als solche noch insbesondere die vom Recht konkret gezogenen Grenzen der Vertragsbindung bei Störungen der Willensbildung im Vorfeld des Vertragsschlusses erklären können. Für den hier spezifisch interessanten Überschneidungsbereich zum Recht des unlauteren Wettbewerbs sind insbesondere die Ausführungen Atiyahs zu den Folgen nicht hinreichend informierter oder freiwilliger Entscheidungen des jeweiligen Vertragspartners von Belang. Atiyah belegt eindrucksvoll, daß sich nicht nur die modernen Verbraucherschutzinstrumente (konkret für das britische Recht der Consumer Credit Act 1974 sowie der Unfair Contract Terms Act 1977), sondern auch schon die im common law und insbesondere der equity entwickelten Instrumente zum Schutz vor nicht vorsätzlicher Täuschung des Vertragspartners, auf Grundlage rein willensorientierter, individualrechtlicher Theorien nicht erklären lassen, da in all diesen Fällen eine bewußte Entscheidung des fehlinformierten Vertragspartners vorliegt, ohne daß es auf Seiten des bevorteilten Vertragspartners zu einem klar erkennbaren moralischen Fehlverhalten gekommen wäre. In derartigen Fällen bei fehlendem Täuschungsvorsatz eine Bindung an das Versprechen zu verneinen, läßt sich auf Grundlage einer rein autonomieorientierten Theorie kaum begründen69. Vielmehr sind – ebenso wie zur Erklärung der 66 Vgl. insbesondere die kritische Analyse sämtlicher willenstheoretischer Ansätze bei Atiyah, Promises, Morals, and Law, S. 121–179; ähnlich Atiyah, Essays on Contract, Essay 6 ‚The Liberal Theory of Contract‘, S. 121 ff. 67 S. Atiyah, Promises, Morals, and Law, S. 193; näher Atiyah, Essays on Contract, Essay 5 ‚Form and Substance in Contract Law‘, S. 93 ff. 68 Vgl. statt vieler die Kritik bei Benson, Contract, in: Patterson (Hrsg.), Philosophy of Law, S. 24, 31 f.; Simmonds, Contract, unveröffentlichtes Skript 2003, S. 4 ff. 69 Vgl. insbesondere Atiyah, Essays on Contract, Essay 6 ‚The Liberal Theory of Contract‘, S. 121, 128 ff. In der Tat löst insbesondere die versprechensbasierte Theorie von Fried die ganz überwiegende Anzahl dieser Fälle prompt dadurch, daß sie nicht dem Versprechensprinzip un-
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relativ weitgehenden Ausdehnung des Konzepts der widerrechtlichen Drohung auch im anglo-amerikanischen Recht – zusätzliche, auf die Sicherheit des Verkehrssystems gerichtete, mithin kollektive Werte zur prinzipiellen Erklärung und Begründung der konkreten Rechtsentwicklung unerläßlich. Ebensowenig läßt sich nach Atiyah die insbesondere für das amerikanische Recht zu beobachtende Aufweichung der Grenzen des Erfordernisses eines Vertragsschlusses als Voraussetzung der vertraglichen remedies auf der Grundlage des Versprechensprinzips erklären. Vielmehr sind auch hier institutionelle, kollektive Werte als zusätzliches Wertprinzip des Vertragsrechts notwendig, womit auch der Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit grundsätzlich Eingang in die Prinzipienebene des Vertragsrechts erhält. Im Ergebnis sieht Atiyah das Prinzip der Vertragsfreiheit und der korrespondierenden vertraglichen Bindung als ein lediglich präsumtives. Eine Vermutung spricht für die Überlegenheit des Vertragsmechanismus als Koordinierungsinstrument für den Willen der Vertragsparteien; diese Vermutung muß aber – auch außerhalb der klaren Fälle vorsätzlicher Irreführung und unmittelbaren Zwangs – aufgrund konfligierender Werte widerlegbar bleiben, wobei die Sicherung substantiell „freier“ Entscheidungen gegen Störungen der Informationsgrundlage und der Entscheidungsfähigkeit im Mittelpunkt steht70. Auf der Grundlage einer reinen Willenstheorie läßt sich dies nach Atiyah nicht erklären; vielmehr ist die Anerkennung kollektiver Ziele des Vertragsrechts im Rahmen der Sicherung des Verkehrssystems nach seiner Auffassung unumgänglich71. Einen Maßstab für die Berücksichtigung kollektiver Werte im Recht und mithin für das Maß der notwendigen Materialisierung der Freiheit der Vertragsentscheidung liefert aber auch Atiyah nicht. Sein Verdienst für die Zwecke der hier angestrebten Untersuchung erschöpft sich darin, (für das anglo-amerikanische Recht) eindrucksvoll belegt zu haben, daß allein der Rekurs auf die individuelle Freiheit und das Versprechensprinzip als Grundlage des Vertrages und des Vertragsrechts die in der Praxis unleugbar zu beobachtende Materialisierung des terworfen werden, was zu einer ungewohnt engen Begrenzung des Versprechensgedankens führt, vgl. näher schon oben A. 70 Auch extreme inhaltliche Ungleichgewichte in Verträgen und die sich daraus potentiell ergebende Nichtigkeitsfolge (insbesondere im Rahmen der unconscionability-Doktrin des anglo-amerikanischen Rechts) sind dementsprechend nach Atiyah, aaO., S. 132 ff., häufig als Indizien für ein Markt- oder Vertragsversagen aufzufassen, welches die Möglichkeit zu einer freien Entscheidung in übermäßiger Weise beschränkt hat. Mithin bleibt der Fokus auf wohlinformierte und hinreichend freie Entscheidungen insoweit im wesentlichen erhalten; ähnlich wie bei Drexl wird bei Atiyah nur das Konzept der freiwilligen und informierten Entscheidung durch Import zusätzlicher, kollektiver Werte „materialisiert“. 71 Vgl. Atiyah, aaO., S. 148 f. Deutlicher könnte die an dieser Stelle zu beobachtende potentielle Überschneidung mit den institutionellen Zielsetzungen eines Rechts gegen unlauteren Wettbewerb (nach deutschem Verständnis) kaum werden. Für das deutsche Recht soll ein entsprechender Versuch, die teleologischen Prinzipien und Systemfunktionen des Wettbewerbsrechts der teleologischen Prinzipienebene und der institutionellen Systemfunktion des Vertragsrechts systematisch gegenüberzustellen, sogleich unten im 3. Abschnitt unternommen werden.
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1. Kapitel: Grundlagen
Konzepts „freier“ Vertragsentscheidungen weder zu erklären noch mit Wert zu füllen vermögen. Ein einzelnes Prinzip wie das Versprechensprinzip taugt nach Atiyah nicht einmal, um dem Vertragsrecht wertend systematische Eigenständigkeit zu vermitteln72.
D. Das Fehlen eines deontologischen Maßstabs: Die heuristische Konzeption in der neueren Theorie Bensons Nimmt man demnach erstens die rechtsethische Wertungslücke, die in den rein formal auf die individuelle Freiheit orientierten Willenstheorien bei der Erklärung zentraler Einschränkungen der Freiheit der Anbahnung, des Abschlusses und der Abwicklung von Verträgen bleibt, als gegeben hin, und erkennt man zweitens die notwendige Indeterminiertheit jeglichen moralphilosophischen Versuchs, diese Wertungslücke „von oben herab“ durch Verweis auf aggregierte Werte (etwa der Verteilungsgerechtigkeit oder des Gesamtwohlstandes) zu schließen, an, so bleibt in der für unsere Untersuchung zentralen Frage nach dem notwendigen Ausmaß des Schutzes des Vertragsmechanismus gegen nicht hinreichend freiwillige oder informierte Entscheidungen der Vertragsparteien in Grenzfällen nurmehr der Verweis auf die Abwägung der insoweit widerstreitenden individuellen und kollektiven Interessen und die in der Rechtsordnung diesbezüglich getroffenen Wertungen. Die ethische Betrachtung des Vertrags liefert mithin keine unmittelbaren Maßstäbe, wie Grenzfälle zu entscheiden sind. Wohl aber weist sie den Weg zu derartigen Maßstäben. Diese sind letztlich aus den Wertentscheidungen der gesamten Privatrechtsordnung „von unten herauf“ zu destillieren. Mit Benson ist einer der prononciertesten Vertreter der Willenstheorien des Vertragsrechts eben jene Stufe von der Ebene moralischer Fundierung zur Ebene rechtssystematischer Analyse bewußt herabgestiegen. In seiner neueren Theorie behauptet er nicht länger, eine moralphilosophische Grundierung des gesamten Vertragsrechts leisten zu können. Vielmehr sieht er – angesichts der Diversität ethischer Werte im öffentlichen Diskurs – die einzig für die Rechtsphilosophie lösbare Aufgabe darin, eine „public conception of contract … rooted in the public legal culture“ zu entwickeln73. Dies bedeutet nichts anderes, als daß Benson nunmehr die Aufgabe einer rechtsphilosophischen Vertragstheorie nicht mehr in der Zurverfügungstellung ethischer Maßstäbe zur Gestaltung der Rechtsordnung, sondern vielmehr gerade umgekehrt darin sieht, die Wertungen herauszuarbeiten, die das gesamte Rechtssystem selbst und insbesondere das Vertragsrecht, prägen und überwölben. Damit wird die Suche nach einem deontologischen Maßstab angesichts der Diversität der ethischen Werte, die die „public legal culture“ prägen, 72
Vgl. Atiyah, aaO., S. 149. Benson, Contract, in: Patterson (Hrsg.), Philosophy of Law, S. 24, 54 f.; vgl. ausführlicher auch Benson, Osgoode Law Journal 33 (1995), 273 ff. 73
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durch die Suche nach einem im wesentlichen heuristischen Kriterium ersetzt, welches die Wertungen der Rechtsordnung möglichst widerspruchsfrei modellieren kann74. Eine ethische Aufladung erfolgt dabei allerdings insofern, als im Prozeß der induktiven Destillation allgemeiner Prinzipien aus den Einzelwertungen der Rechtsordnung auch außerrechtliche, ethische Wertungen in geeigneten Fällen einen indirekten Einfluß insofern haben, als sie (im Sinne allgemeiner Bezugspunkte oder Leitlinien des Systematisierungsprozesses) mit darüber entscheiden, welche Wertungen einen zum Prinzip verallgemeinerbaren, für das System wesentlich prägenden Charakter haben und welche nicht. Der Versuch einer derartigen, die Erkenntnisse der Moralphilosophie einbeziehenden normativen Systematisierung der rechtlichen Wertungen ist gerade der Ansatz der vorliegenden Untersuchung für das deutsche und europäische Recht, wobei thesenartig als gemeinsamer Fluchtpunkt sowohl des Vertragsrechts als auch der auf die Interaktion mit der Marktgegenseite (das Vertikalverhältnis) bezogenen Teile des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb der Schutz des Vertragsmechanismus gegen Störungen der normativ zu bestimmenden Freiwilligkeit und Informiertheit der Entscheidungen der Vertragspartner angenommen wird. Dieser methodische Ansatz, die notwendigen Wertungen in einem normativen Systematisierungsprozeß aus dem Bestand des Privatrechts zu extrahieren, findet also nach dem derzeitigen Stand der moralphilosophischen Analyse der Vertragsfreiheit und des Instituts vertraglicher Bindung eine gewisse Unterstützung in der Rechtsphilosophie; abschließende oder auch nur präsumtive ethische Maßstäbe zur inhaltlichen Beurteilung des notwendigen Maßes an materialisiertem Schutz für die Freiwilligkeit als praktische Hilfsmittel in schwierigen Grenzfällen sind von den modernen moralphilosophischen Vertragstheorien demgegenüber nicht zu erwarten.
E. Vergleich: Grenzen der ethischen Wertung im Recht des unlauteren Wettbewerbs An dieser Stelle bietet sich ein kurzer Vergleich mit der Lage bezüglich der Suche nach praktisch verwertbaren ethischen Maßstäben für Wertungen im Recht des unlauteren Wettbewerbs an, die angesichts der in diese Richtung weisenden For74 Dies entspricht speziell auf das Vertragsrecht angewendet gerade dem neueren, bescheideneren rechtsphilosophischen Ansatz John Rawls‘, Political Liberalism, 1993, der nach seiner umfassenden ‚Theory of Justice‘ (1971), welche noch den Versuch der Entwicklung einer erschöpfenden moralphilosophischen Gerechtigkeitslehre darstellte, seinen Anspruch insofern gerade um denselben Abstraktionsschritt zurücknahm wie Benson, indem er seine Theorie in dem jüngeren Werk nurmehr als eine politische Theorie interpretierte, die es Individuen mit ganz unterschiedlichen, diversen Moralvorstellungen gestatten sollte, ein handhabbares Verfahren (eben wiederum geprägt durch die Elemente der Originalposition und des veil of ignorance und damit im wesentlichen resultierend in den zwei Gerechtigkeitsprinzipien schon der älteren ‚Theory of Justice´) für die Ermittlung von praktischen (nicht notwendig moralisch einhellig präferierten) Gerechtigkeitsprinzipien für pluralistische Gesellschaften an die Hand zu geben.
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1. Kapitel: Grundlagen
mulierung der alten Generalklausel des deutschen Wettbewerbsrechts in diesem Bereich auch für die Rechtspraxis in der Vergangenheit noch deutlich näher lag, als im Vertragsrecht75. Dennoch ist die materielle Bedeutung des ethischen Maßstabs (trotz des stetigen nominellen Verweises auf die Bedeutung der „guten Sitten im Wettbewerb“ bzw. der „Anschauung des ehrbaren Kaufmannes im Handelsverkehr“ als Leitlinie der Wertungen im Wettbewerbsrecht76) für die Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel, jedenfalls in schwierigen Grenzfällen, verschwindend geblieben. Zwar ginge es zu weit, die Inbezugnahme der guten Sitten und die damit einhergehende – mindestens philologisch heraufbeschworene – ethische Implikation im alten § 1 UWG für rein zufällig zu erachten77; dagegen spricht schon die weltweite Koinzidenz der verwendeten Begriffe, die stets eine moralisch gefärbte Bewertung des unlauteren Wettbewerbs enthalten 78, wie es mit der Inbezugnahme der „usages honnêtes“ auch Art. 10bis PVÜ als maßgebliche Norm des internationalen Rechts bestätigt79. Auch lassen sich – insoweit ganz ähnlich wie im Vertragsrecht – die Grundwertungen in den klaren Fällen unlauteren Wettbewerbs (etwa im Bereich vorsätzlicher Irreführung) durchaus in moralischen Maßstäben verankern80. Fraglich ist allerdings, welche moralischen Maßstäbe insoweit in welcher rechtlichen Form herangezogen werden dürfen. Wieder wurde, wie schon im Vertragsrecht gegen die modernen rechtsphilosophischen Begründungsversuche Frieds, gegen eine Heranziehung des Sittengesetzes eingewendet, die klare (kantische) Trennung der Moral als autonomem Wertmaßstab bezüglich der inneren Haltung des Individuums, von der Legalität als heteronomem Wertmaßstab bezüglich des Außenverhaltens, verbiete den Import moralischer Wertungen in die Rechtsanwendung ohnedies kategorisch81. Dem ist zum einen zu Recht entgegengehalten worden, daß der Import moralischer Wertungen in der Rechtsanwendung nie eins 75 Die der neueren, wettbewerbsorientierten Rechtsprechung des BGH schon nicht mehr entsprechende, anachronistische Formulierung der alten wettbewerbsrechtlichen Generalklausel mit dem Bezug auf Wettbewerbshandlungen, die „gegen die guten Sitten verstoßen“, hatte natürlich den Rückgriff auf ethische Maßstäbe im Sinne eines Rückgriffs auf das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ (Gewerbetreibenden) auch im Wettbewerbsrecht terminologisch bedenklich nahe gelegt, vgl. nur die (schon rechtshistorisch zu nennenden) Nachweise bei Ohly, S. 211 (in Fn. 90). 76 Vgl. noch die Nachweise unten Fn. 84. 77 So aber Beater, S. 327 f. 78 Selbst noch die neue Formulierung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel in § 3 UWG, die nunmehr methodenehrlich die erhebliche Verfälschung des Wettbewerbs zum Nachteil der Wettbewerber in den Rang des lauterkeitsrechtlichen Leitkriteriums erhebt, verzichtet nicht auf den ethisch vorgeprägten Begriff der Unlauterkeit als Rahmen des Normbildungsauftrags an den Richter (vgl. zum Normbildungsauftrag der Generalklausel, der freilich im neuen UWG durch die umfassenden Beispielskataloge in seiner praktischen Bedeutung erheblich eingeschränkt worden ist, auch UWG-Begründung, S. 16). 79 Vgl. Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, S. 212. 80 Vgl. Schricker, aaO. 81 Vgl. die Nachweise bei Schricker, aaO., S. 213.
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zu eins, sondern allenfalls gebrochen im Rahmen der juristischen Methodik erfolgt82. Das zweite Argument gegen den kategorischen Ausschluß moralischer Maßstäbe im Recht auf der Grundlage kantischer Moral- und Legalitätsvorstellungen wiegt noch schwerer und vertieft zudem die rechtsphilosophische Parallele zu den vorstehenden Überlegungen zur ethischen Fundierung der konkreten Ausgestaltung der Vertragsfreiheit und vertraglichen Bindung. Diese zweite Argumentationslinie verweist darauf, daß die im Rahmen des § 1 UWG a.F. als Wertmaßstab nominell herangezogene „Geschäftsmoral“ ohnedies nicht mit den autonomen Maßstäben des kantischen Sittengesetzes oder vergleichbaren autonomen Moralkonzeptionen gleichgesetzt werden kann, sondern vielmehr ein Teil der auf das Außenverhalten (im spezifischen Bereich des Geschäftsverkehrs) bezogenen Sozialmoral ist83. Diese kann und darf aber trotz der in diesem Zusammenhang irreleitenden Formel des Reichsgerichts vom „Anstandsgefühl aller Billig und Gerecht denkenden“84 nicht im Wege einer statistischen Analyse der bestehenden ethischen Anschauung der Verkehrsteilnehmer gebildet werden85. Die Statistik kann schon wegen der geringen Sinnhaftigkeit und Verläßlichkeit einer moralischen „Durchschnittsbildung“ in einer (außerhalb eines immer mehr zusammenschmelzenden Kanons ethischer Grundwerte) durch individuell hochdiverse ethische Anschauungen geprägten pluralistischen Gesellschaft keinen Maßstab liefern. Ebensowenig ist der Weg über die Anwendung des verbleibenden, schmalen gemeinsamen Fundaments ethischer Grundwerte erfolgversprechend; zu allgemein bleiben die auf dieser Grundlage zu gewinnenden Maßstäbe, um in schwierigen Grenzfällen operabel zu sein86. Der methodische Weg zu ethischen Maßstäben für die Anwendung des Wettbewerbsrechts in der pluralistischen Gesellschaft muß deshalb ein anderer sein: Es kommt auf die Etablierung von Grundprinzipien an, die – vor dem Hintergrundpanorama der höchst unterschiedlichen, intern-autonomen Moralvorstellungen der Individuen – gewissermaßen als gesellschaftstheoretisches Rahmenwerk die Koordination der sich im 82 Vgl. die schöne Formulierung bei Schricker, aaO., S. 212: „… es dringen nur gewisse Ausstrahlungen der Moral ins Recht ein; die Strahlen werden gleichsam im Medium des Rechts gebrochen …“. Zu den Einzelheiten insbesondere der Bedeutung außerrechtlicher, moralethischer Wertungen im Systematisierungsprozeß als mit heranzuziehende Leitlinien bei der Identifizierung systemprägender Elemente im System des Rechts schon oben D a.E. 83 Vgl. Schricker, aaO., S. 213 mwN. 84 RGZ 48, 112, 124. Die Formulierung fand sich schon in den Motiven (Mot. II 1888, S. 727) zu § 826 BGB. Der BGH übernahm diese Formulierung stellte aber im Bereich des Wettbewerbsrechts in späteren Urteilen mehr und mehr auf den Maßstab des „verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden“ ab, vgl. BGH GRUR 1955, 346, 349 – „Progressive Kundenwerbung“; ähnlich auch schon RGZ 48, 114, 124 f. – „Dampfschiffgesellschaft“. Weitere Nachweise bei Beater, S. 327 f.; Ohly, S. 209; Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, S. 191. 85 So zutreffend Beater, S. 327 f.; Ohly, S. 210. 86 So zutreffend Ohly, S. 209 f. gegen den Versuch von Meyer-Cording, JZ 1964, 273 ff., 310 ff., die materiale Wertethik Schelers und Hartmanns als Grundlage ethischer Wertung unter § 1 UWG heranzuziehen.
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1. Kapitel: Grundlagen
Rechts- und Gesellschaftssystem äußernden Sozialmoral erleichtern und die bestmögliche Koexistenz der diversen inneren Moralvorstellungen ermöglichen. Im Bereich der Moralphilosophie hat Rawls eine entsprechende Theorie entwikkelt und sie letzthin bewußt von einer ursprünglich deontologischen Gerechtigkeitstheorie87 in Richtung auf eine lediglich die Koordination unterschiedlicher Moralpräferenzen optimierende gesellschaftstheoretische Gerechtigkeitstheorie eingeengt88. Dies entspricht gerade der Forderung Bensons nach einem sozialmoralischen Fundament für das Vertragsrecht, das im Sinne einer heuristischen Konzeption seine Grundprinzipien aus der „public legal culture“ gewissermaßen herausdestilliert und allenfalls in diesem Systematisierungsprozeß auch moralethische Wertungen allgemeiner Art als Leitlinien mit berücksichtigt. Es ist exakt dasselbe Arbeitsprogramm, welches die Moralphilosophie für das Recht des unlauteren Wettbewerbs vorgibt; worauf es ankommt ist die Erarbeitung normativ-koordinativer moralischer Prinzipien von „unten nach oben“ aus der Geschäfts- und Rechtspraxis heraus89. Diese normativ empirisch aus Einzelfallentscheidungen hervorwachsenden Prinzipien finden dann ihre moralphilosophische (oder zumindest gesellschaftstheoretische) Absicherung in den Konzeptionen Rawls und – spezifischer für das Vertragsrecht, wobei die methodischen Grundgedanken verallgemeinerbar sind – in der neueren Theorie Bensons. Gewonnen sind sie aber nicht unmittelbar aus substantiellen ethischen Werten, sondern die Ethik liefert nur eine moralische Wurzel für die zu ihrer Ermittlung angewandte Methodik des reflexiven Equilibriums, die auf das Recht gewendet nur bedeuten kann, anhand der im Einzelfall erfolgenden Interessenabwägungen und Wertentscheidungen, die um den Gedanken der notwendigen Koordinierung unterschiedlichster Werte zu ergänzen sind, tragfähige allgemeine Prinzipien herauszukristallisieren. Das Einfallstor für den Gedanken der Koordinierung des Gesamtsystems findet sich also im Prozeß der Systematisierung und Abstraktion allgemeiner Wertprinzipien aus den Entscheidungen im Einzelfall. Für die Ermittlung dieser Wertprinzipien in bezug auf die Zulässigkeit bestimmten Wettbewerbsverhaltens kann es dann wiederum nur auf das Gebot der Methodenehrlichkeit ankommen. Entscheidend ist insoweit, daß die Unumgänglichkeit richterlicher Wertung im Einzelfall anerkannt wird und daß die gewählten Untersuchungskriterien es gestatten, die den Einzelfällen zugrundeliegenden Wertungen möglichst klar aufzudecken90. Der Gedanke, daß hier87
Rawls, A Theory of Justice, 1971 (überarbeitete Auflage 1999). Rawls, Political Liberalism, 1993. Vgl. näher schon obere Fn. 74. 89 Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang auch die methodische Parallele zwischen der „original position“ bei Rawls, in der objektive Agenten hinter einem „veil of ignorance“ gewissermaßen abstrahiert von ihren eigenen Präferenzen über die Grundprinzipien des Rechts entscheiden sollen, und der eine ganz vergleichbare Abstraktion bezweckenden Formel vom „Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden“ zur Ermittlung des Sittenwidrigkeitsmaßstabs, auf die Wiedemann, ZGR 1980, 147, 168 hingewiesen hat. Vgl. auch Ohly, S. 210. 90 So zutreffend Ohly, S. 211. 88
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bei neben der bloßen Zusammenfassung der Einzelwertungen auch die Koordinationsfunktion des Rechts zu bedenken ist, hat für das Recht des unlauteren Wettbewerbs seinen klaren Ausdruck im Ziel des Institutionenschutzes gefunden, das somit neben seiner wirtschaftstheoretischen Bedeutung auch eine moderne moralphilosophische Fundierung besitzt. Letztlich birgt die gerade erfolgte umfassende Reform des UWG ein gutes Beispiel für die Wirkungsweise des hier beschriebenen Prozesses. Auf der Grundlage der ursprünglichen Formulierung der Generalklausel mit ihrer Inbezugnahme der guten Sitten hatte sich die differenzierte Fallgruppensystematik der Rechtsprechung gebildet, die in ihren Begründungen zwar nominell überwiegend auf das „Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden“ verwies, inhaltlich aber unter Heranziehung unterschiedlicher methodischer Ansätze im Ergebnis Interessenabwägungen und Wertentscheidungen im Einzelfall mit institutionellen Folgenüberlegungen im Sinne einer wettbewerbsfunktionalen Betrachtung kombinierte 91. Im materiellen Sinne wurde dabei häufig im Ergebnis Recht gesetzt. Die nunmehr erfolgte Reform des UWG stellt sich in diesem Bereich als legislative Festschreibung des erreichten Rechtszustandes dar. Einerseits wird die allgemeine Generalklausel des Wettbewerbsrechts durch Beispielskataloge auf mittlerer Abstraktionsebene ergänzt, wie sie sich in der Rechtspraxis herauskristallisiert haben. Andererseits wird mit der Neuformulierung der Generalklausel und der ausdrücklichen Voranstellung des Gesetzeszwecks der irreleitende Bezug auf die „Sittenwidrigkeit“ des Wettbewerbsverhaltens zugunsten einer methodenehrlicheren Inbezugnahme der Schutzzwecke des Wettbewerbsrechts aufgegeben, wie dies die Rechtsprechung bereits vorexerziert hatte. Man kann diesen Gesamtprozeß durchaus mit der Entwicklung der Moralphilosophie Rawls zu einer politischen Theorie vergleichen. Der Versuch einer ethisch-materiellen Vorgabe für die jeweils zu treffenden Wertungen im Einzelfall wird aufgegeben zugunsten einer durch wertend-reflexive Folgenerwägungen korrigierten Festschreibung des status quo, wie er sich aus den Einzelfallentscheidungen ergibt. Zugleich wird der gesetzliche Rahmen, innerhalb dessen die weitere Rechtsentwicklung durch richterliche Normsetzung erfolgen soll, mit Blick auf die der bisherigen Entwicklung des Richterrechts zugrundeliegenden Wertungen und insbesondere die Identifikation der zugrundeliegenden Interessen soweit als möglich kohärent und offen gestaltet, um zukünftig weniger Anlaß für Verschleierungen der eine Entscheidung tragenden Begründungen zu liefern.
Damit ergibt sich für die praktische Verwertbarkeit ethischer Maßstäbe im Recht des unlauteren Wettbewerbs exakt dasselbe Fazit wie bezüglich der Betrachtung der Vertragsfreiheit und der Grenzen vertraglicher Bindung. Moralphilosophische Theorien können eine ethische Absicherung der empirisch aus den Einzelfällen wachsenden Prinzipien des Rechts leisten; sie stützen die Methode der richterlichen Rechtsfortbildung und der institutionsorientiert abstrahierenden Ableitung allgemeinerer Prinzipien durch normative Systematisierung und außerrechtliche Hilfestellung bei der Identifikation derjenigen prinzipiellen Wertungen die für das rechtliche System prägend sind. Operable positive Maßstäbe für die Entscheidung von Fällen, die sich nahe an der Grenze zwischen zulässigem und unzulässigem Wettbewerbsverhalten bewegen, liefern sie demgegenüber nicht.
91
S. Ohly, S. 231 mwN.
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1. Kapitel: Grundlagen
F. Fazit Die Betrachtung der gegenwärtig diskutierten rechts- und moralphilosophischen allgemeinen Vertragstheorien hat deutlich gemacht, daß sich Voraussetzungen und Umfang der Vertragsfreiheit und die rechtliche Bindungswirkung des Vertrages nicht allein aus der Privatautonomie der einzelnen Verkehrsteilnehmer und ihren individuellen Rechten ableiten lassen. Erst recht können deshalb die moralphilosophischen Willenstheorien des Vertrages, die die Funktion des Vertragsrechts allein in der Koordinierung der individuellen, selbstbestimmten Entscheidungen im einzelnen Vertragsverhältnis sehen, keine positiven ethisch-moralischen Maßstäbe für Voraussetzungen und Umfang selbstbestimmter, bindender Vertragsentscheidungen in Problemfällen bereitstellen, die über lediglich äußerste Grenzziehungen (Verbot aktiver Täuschungshandlungen, Androhung körperlicher Gewalt u.ä.) hinausgehen. Bezüglich der Voraussetzungen des Eintritts der vertraglichen Bindungswirkung besteht auf der Grundlage rein willensorientierter Theorien vielmehr eine notwendige Wertungslücke. Utilitaristische und welfaristische Vertragstheorien gleichermaßen wie distributive Vertragstheorien, die diese Wertungslücke zum Anlaß nehmen, Voraussetzungen und Umfang privatautonomer Vertragsabschlüsse und der sich ergebenden Bindungswirkung im Interesse bestimmter gesamtgesellschaftlicher Aggregations- oder Verteilungsziele schließen zu wollen, sind jedoch – gleichgültig wie der utilitaristische Kalkulus im einzelnen gestaltet ist – ebenso zum Scheitern verurteilt, wie die rein individualistisch orientierten Willenstheorien. Neben der moralphilosophischen Problematik des „trade offs“ individueller Rechte, ergibt sich diese pessimistische Beurteilung insbesondere aus der methodologisch unvermeidbaren Unbestimmtheit derartiger konsequentialistischer Konzepte. Das Problem, welches im speziellen für die ökonomische Analyse des Rechts auf der Anwendungsebene bereits diagnostiziert wurde, besteht also auf allgemein moralphilosophischer Ebene fort. Die Lage bezüglich der Rolle ethischer Wertung im Recht des unlauteren Wettbewerbs entspricht der Situation im Vertragsrecht fast spiegelbildlich. Einerseits läßt sich das Recht des unlauteren Wettbewerbs hinsichtlich seiner fundamentalen Prinzipien in ethischen Grundwertungen verankern; andererseits hilft die ethische Wertung in schwierigen Fällen bei der Grenzziehung zwischen lauterem und unlauterem Wettbewerb letztlich nicht weiter. Eine moralphilosophische Vorgabe, die bei der konkreten Wertung und Abwägung der Interessen im Einzelfall zugunsten eines mehr oder weniger materialisierten Konzeptes der Privatautonomie oder einer mehr oder weniger strengen Regulierung des Wettbewerbs streiten könnte, existiert demnach nicht. Die Moralphilosophie gibt jedoch in beiden Bereichen die Richtung vor, in der die Wertung zu suchen ist. Sie ergibt sich aus dem Gesamtbestand des Rechts und der gewachsenen Verkehrssitte mit Blick auf Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Anbahnung, des Abschlusses und der Abwicklung von Verträgen bzw. mit Blick
2. Abschnitt: Normative Maßstäbe aus neueren rechtsphilosophischen Vertragstheorien
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auf das Verhalten von Unternehmen im Wettbewerb. Die im Gesamtsystem des Privatrechts enthaltenen Wertungen und die Entwicklung der Verkehrssitte erhalten zugleich in modernen willenstheoretischen Begründungen des Vertrages ihre moralphilosophische Absicherung als wesentlicher Maßstab der Privatautonomie. Kein von außen herangetragenes Kriterium umreißt demnach die institutionelle (System)funktion des Rechts und die insofern „richtige“ Gestaltung der Vertragsfreiheit, sondern vielmehr verbirgt sich diese im Gesamtbestand des Rechts selbst, in den die Verkehrsteilnehmer ihr (System)vertrauen setzen. Es kann also für unsere Untersuchung nur darum gehen, die Grundwertungen des Rechts (die tragenden Prinzipien) aus den einzelnen Regelungen zu destillieren und auf ihre systematische Folgerichtigkeit hin zu überprüfen. Bei diesem Systematisierungsprozeß können wiederum die außerrechtlichen Wertungen der Moralphilosophie eine Unterstützung allgemeiner – sozusagen methodisch-prozeduraler – Natur leisten, indem sie als normative Bezugspunkte des systematischen Abstrahierungsprozesses mit bei der Identifikation der wesentlichen, prägenden Wertungen des Systems helfen und damit im Prozeß induktiver Destillation der wertenden Grundprinzipien eines der Leitkriterien allgemeiner Natur bieten. Die Wahl des Leitkriteriums für unsere Untersuchung wird somit zur Wahl eines in erster Linie normativ-methodischen Kriteriums, welches die notwendige Analyse der in der Privatrechtsordnung eingebetteten Interessenabwägungen und Wertentscheidungen möglichst widerspruchsfrei und transparent hinsichtlich der zugrundeliegenden Wertungen ermöglicht. Auch aus dieser Perspektive spricht wieder alles dafür, auf die normativ materialisierte Vertragsfreiheit der Verkehrsteilnehmer im Sinne der Einräumung einer hinreichend informierten und freiwilligen Entscheidungsmöglichkeit als Voraussetzung funktionsfähiger Verträge abzustellen. Der große Vorteil eines derart durch wertende Elemente angereicherten willenstheoretischen Ansatzes besteht darin, daß er die notwendigen Wertentscheidungen und Abwägungen zwischen den Rechten der einzelnen Verkehrsteilnehmer unter Einbeziehung der gegebenenfalls mit berücksichtigten kollektiven Interessen aufdeckt – und damit auch der Methode der Rechtsanwendung im Einzelfall entspricht –, während konsequentialistisch orientierte Ansätze dazu tendieren, die – gleichermaßen zu treffenden – Wertentscheidungen im Rahmen einer vermeintlich objektiven Methode (bei der die notwendigen Abwägungen bei der Wahl der Modellbedingungen eingeflossen sind) zu verunklaren. Deutlich ist aber gleichermaßen geworden, daß sich der Mechanismus des Vertragsschlusses und der vertraglichen Bindung ohne Rückgriff auf institutionelle Argumente, die die Rolle des Vertragsrechts für das Verkehrssystem in den Mittelpunkt rücken, moralphilosophisch nicht begründen läßt. Nicht nur das Recht des unlauteren Wettbewerbs hat demnach – wie es für das deutsche Recht allgemein anerkannt ist – eine Funktion des Institutionenschutzes, sondern auch im Kern der moralphilosophischen Begründung des Vertragsrechts sind institutionsorientierte, auf den Schutz des Verkehrssystems und des Systemvertrauens, mithin auf kollektive Interessen bezogene Argumente unverzichtbar. Voraussetzungen und
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1. Kapitel: Grundlagen
Umfang der vertraglichen Bindung sind ohne den Rückgriff auf die Systemfunktion des Vertrags nach der hier vertretenen Auffassung moralphilosophisch nicht abschließend zu erklären92. Die Moralphilosophie, insbesondere die Theorie von Raz, bringt zudem eine eigene Wertung hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit derartiger konsequentialistischer Elemente im Recht. Der Gesetzgeber ist demnach (in den Grenzen der Verfassung) frei, bei der Wahl der jeweiligen Instrumente die Rückwirkung auf das Verkehrssystem (auf die Institution) als eines der Wertungselemente einzubeziehen. Auch bei der Rechtsanwendung im Einzelfall kommt eine Heranziehung derartiger Argumentationsweisen – selbst auf Grundlage der liberalen Theorie von Raz – in Betracht, wenn sie nicht auf einem allgemeinen utilitaristischen oder welfaristischen Kriterium beruhen (unvermeidbare Unbestimmtheit), und wenn und soweit sie sich in anerkannte Kategorien der juristischen Methodenlehre fügen (Rechtssicherheit im Sinne der Argumentation von Fried). Der folgende Abschnitt setzt sich zum Ziel, die institutionellen Elemente konkret für das deutsche Vertragsrecht herauszuarbeiten und der für das deutsche Recht anerkannten institutionellen Funktion des Wettbewerbsrechts gegenüberzustellen, um auf diese Weise der Frage nachzugehen, ob in dieser Hinsicht ein rechtssystematisch-kategorialer Unterschied zwischen beiden Bereichen im Hinblick auf ihre fundamentale Zwecksetzung besteht. Insbesondere soll der dogmatisch rechtssystematischen Frage nachgegangen werden, ob – mit Blick auf Wertprinzipien und institutionelle Systemfunktionen – eine starre systematische Abgrenzungslinie zwischen beiden Rechtsgebieten verläuft, die eine Vergleichbarkeit der jeweils in einem der Bereiche gewachsenen Wertmaßstäbe kategorial ausschließt oder ob der Unterschied lediglich ein funktional rechtsfolgenbezogener ist, was es ermöglichen und zugleich (wie es sich aus Kronmans insoweit zustimmungswürdigem integralem Ansatz ergibt) unerläßlich machen würde, beide Rechtsgebiete, wo sie sich sachlich überschneiden (wie insbesondere in weiten Teilen des Vertikalwettbewerbs), auf der Grundlage des Leitkriteriums des Schutzes selbstbestimmter Vertragsabschlüsse integrativ zu betrachten.
92 Nur können eben die systemfunktionalen Elemente nicht anhand aggregativer oder distributiver Ziele „von oben herab“ abschließend bestimmt und gestaltet werden, sondern wachsen in der Rechtsanwendung „von unten herauf“ dem Bestand der Rechtsordnung zu. In der Rechtsgestaltung können sie auch, neben anderen Elementen, bewußte, steuernde Berücksichtigung finden. Dieser allgemeine Befund bezüglich konsequentialistischer Theorien entspricht gerade dem spezielleren Ergebnis, wie es oben 1. Abschn. D III 4, für aggregative Theorien in den Wirtschaftswissenschaften gefunden und aus der Sicht der modernen Rechtsphilosophie bestätigt wurde.
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3. Abschnitt:
Prinzipien und Systemfunktionen – Versuch einer Systembildung zu Vertrag und Wettbewerb A. Einführung Die folgenden rechtsdogmatischen Überlegungen setzen sich zum Ziel, den ökonomisch ermittelten Systemfunktionen des Lauterkeits- und Vertragsrechts die wesentlichen rechtlichen Grundprinzipien gegenüberzustellen, die das Wechselverhältnis von Wettbewerb und Vertrag für das deutsche Recht prägen. Es wird der Versuch einer an Grundwerten orientierten Systembildung unternommen: Die allgemeinen Grundwertungen, die das Wettbewerbs- und Vertragsrecht, wie auch das Institut des freien Austauschvertrags gemeinsam überwölben, sollen ebenso herausgearbeitet werden, wie die zusätzlichen Unterwertungen, die dem Vertrags-, insbesondere dem Verbrauchervertragsrecht, auf der einen Seite und dem Lauterkeitsrecht auf der anderen Seite, das jeweils einheitsstiftende Gepräge, den einheitlichen Wesensgehalt verleihen1. Dabei ist die Systembildung, wie sie hier aufgefaßt wird, kein Selbstzweck. Vielmehr soll sie Ausgangsthesen liefern, die die fundamentalen Grundgedanken des Gleichmaßes, der Folgerichtigkeit und Einheit der Rechtsordnung 2 im Bereich des Lauterkeits- und Vertragsrechts für die Rechtsanwendung und Rechtsgestaltung handhabbar machen. Der Blick wird dabei zuvörderst für die Gemeinsamkeiten beider Rechtsgebiete geöffnet; die Unterschiede im Wertungsmaßstab beider Rechtsgebiete werden auf die Prinzipienebene zurückgeführt und es wird nach ihren tragenden Ursachen geforscht. Konkret mag dies nicht nur bei der tatbestandsmäßigen Abgrenzung lauterkeitsrechtlicher von vertragsrechtlichen Instrumenten im (vor-)vertraglichen Bereich helfen, sondern auch dem Verständnis des Zusammenwirkens der Rechtsgebiete dienen und so Auslegungsmaßstäbe liefern, die dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung mit Blick auf das Gleichmaß der Wertungen im Vertragsrecht und Lauterkeitsrecht Rechnung tragen. 1 Vorstehende Terminologie orientiert sich grob an Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 46 ff. Vgl. näher noch unten B zum hier zugrundeliegenden Systemverständnis. 2 Vgl. grundlegend Canaris, aaO., S. 16 ff.; ähnlich Bydlinski, System und Prinzipien, S. 33 ff. Canaris, aaO., S. 17, weist zudem darauf hin, daß der Systemgedanke sich zusätzlich auch auf die Konkretisierungen des Gerechtigkeitsgebots im Gleichheitssatz und in der Tendenz zur Generalisierung gründen läßt, sowie eine weitere fundamentale Stütze im Grundwert der Rechtssicherheit findet. Vgl. zur Gewinnung der (bei Canaris vorausgesetzten) Grundwerte selbst noch unten Fn. 4.
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1. Kapitel: Grundlagen
Im Verhältnis zur hier angestellten Gesamtuntersuchung ist die prinzipiell systematische Grundlegung induktive Analyse und deduktive Vorgabe zugleich3. Einerseits geht es darum, das innere System tragender Prinzipien von unten herauf aus dem Telos der Normen des Vertrags- und Lauterkeitsrechts zu entwickeln, indem jeweils die Essenz, das zugrundeliegende allgemeine Prinzip herausgefiltert wird. Andererseits kann dies allein nicht genügen, da bei rein induktiver Vorgehensweise auch (hinreichend weit verbreitete) Mißstände oder Ungleichgewichtslagen (beispielsweise zwischen lauterkeitsrechtlichem und vertragsrechtlichem Verbraucherschutz), die die systematische Betrachtungsweise gerade aufspüren und erkennbar machen soll, zur Grundlage des Systems selbst würden. Das entwickelte System ginge seiner Kontroll- und Warnfunktion im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung in diesem Bereich verlustig und würde zur bloßen abstrahierenden Abbildung der einzelnen Normzwecke. Deshalb ist zugleich und zuvörderst eine deduktive Vorgehensweise notwendig, die von den ganz fundamentalen, allgemeinen Rechtsgrundsätzen4 „herabsteigt“ und diese in ihrer Anwendung und ihrem jeweils spezifisch gewichteten Zusammenspiel in den beiden hier betrachteten Rechtsgebieten analysiert5. Nur so können gemeinsame, allgemeine Prinzipien und eigenständige Unterprinzipien ermittelt werden, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Wertungen im Vertrags- und im Wettbewerbsrecht erklären und im Einzelfall auch eine methodische Korrektur der bisherigen Rechtspraxis im Wettbewerbs- und Vertragsrecht ermöglichen, wenn eine solche aus systematischer Sicht dem besseren Zusammenwirken beider Rechtsgebiete unter dem Leitgedanken der Einheit der Rechtsordnung dient. Im folgenden soll der Versuch einer Systembildung unternommen werden, die Prinzipien und Systemfunktionen (im Sinne einer marktbezogenen Ordnungsfunktion) gleichberechtigt betrachtet und insbesondere letzteren den ihnen bei der systematischen Betrachtung auch des Vertragsrechts spätestens seit der Schuldrechtsreform zukommenden Platz einräumt. Dazu wird vorab der hier zugrundegelegte Systembegriff geklärt (unten B). Danach werden die jeweiligen Prinzipien und Systemfunktionen sowie die Stellung des Vertrags- und Wettbewerbsrechts im Rechtssystem umrissen, wobei auch Versuche, diese Rechtsbereiche schematisch gegeneinander abzugrenzen, kritisch gewürdigt werden (unten C-E). Die sich anschließende Darstellung der Grenzen und Probleme derartiger schematischer Abgrenzungsversuche, die dazu tendieren, die Rechtsgebiete prinzipiell isoliert für sich zu betrachten, leitet über zu dem Versuch, eine einheitliche Rechtslehre von Vertrag und lauterem Wettbewerb zu entwickeln, welche auf der Basis
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Vgl. grundlegend und allgemein Bydlinski, System und Prinzipien, S. 67 ff. Zu den wiederum jenen fundamentalen Prinzipien zugrundeliegenden (vornehmlich rechtsphilosophischen) Problemen der Wertgewinnung, auf die hier nicht eingegangen werden kann, vgl. grundlegend Fikentscher, Methoden des Rechts IV, S. 395 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 5 Vgl. allgemein zu diesem Vorgehen Bydlinski, aaO. 4
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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der zugrundeliegenden Wertprinzipien mehr die Gemeinsamkeiten der Rechtsgebiete in den Blick rückt, um die Unterprinzipien sowie insbesondere die funktional-interessenorientierten und rechtsfolgenspezifischen Unterschiede, welche abweichende Wertungen im konkreten Fall dennoch zu tragen vermögen, umso klarer analysieren zu können (unten F I-II). Auf dieser theoretischen Grundlage widmen sich die folgenden Ausführungen den Grundzügen des vermuteten funktional-komplementären Zusammenwirkens der beiden Rechtsgebiete (unten F III) beim Kundenschutz, die dann im weiteren Verlauf der Untersuchung näher zu konkretisieren und zu belegen sein werden. Zugleich erfolgt eine Analyse der jeweils involvierten individuellen und kollektiven Interessen und der Versuch ihrer verallgemeinerungsfähigen sachlichen Strukturierung (unten F IV), welche zugleich der systematisierenden Festlegung des weiteren Untersuchungsprogramms dient (unten F V).
B. Systembegriff und methodologische Rezeption I. „Äußeres“ und „inneres“ System Üblicherweise unterscheidet die Rechtstheorie das „äußere“ vom „inneren“ System des Rechts oder einer Rechtsmaterie 6. Ersteres soll als rein äußerliche (übliche) Gliederung des Stoffes nach Kriterien der Praktikabilität von geringer Bedeutung für die Systembildung sein, letzteres den eigentlichen inhaltlichen Kern des Systemgedankens im Sinne innerer Begründungszusammenhänge zwischen einzelnen Elementen des Rechts tragen7. Demgegenüber betont der neuere Ansatz von Bydlinski die Bedeutung auch des äußeren Systems, das mit der Gliederung des inneren Systems und den sich ergebenden methodischen Resultaten untrennbar zusammenhänge, da es der Systematisierung gewissermaßen den jeweiligen Rahmen vorgebe, in dem nach systematischen Zusammenhängen und übergreifenden Prinzipien geforscht werde8. Entsprechend fragt Bydlinski bei der Systembildung stets zuerst nach der Berechtigung der äußeren Eigenständigkeit einzelner Rechtsgebiete, die (vereinfachend zusammengefaßt) anhand des Kriteriums der normativen Spezifität bezüglich abgrenzbarer Realitätsausschnitte und (ergänzend) des Kriteriums der allgemeinen Zweckmäßigkeit geprüft wird9.
6 Die terminologische Unterscheidung geht auf Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 139 ff., insbesondere S. 142 f., zurück. Vgl. auch Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 19; Bydlinski, System und Prinzipien, S. 4 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 437 ff. 7 S. Canaris, aaO.; vgl. auch den kritischen Abriß bei Bydlinski, aaO., S. 4 ff. 8 Ausführlich Bydlinski, aaO., S. 5 ff. 9 Ausführlich und mit gründlicher Diskussion alternativer Kriterien für die äußere Abgrenzung Bydlinski, aaO., S. 9 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
Der Ausgangsthese Bydlinskis ist uneingeschränkt zuzustimmen, soweit es um den behaupteten Zusammenhang von äußerem und innerem System geht. In der Tat wird eine innere Systembildung stets denknotwendig an den Abgrenzungslinien der äußeren Einteilung des Stoffes ansetzen, um diese anhand der inneren (inhaltlichen) Begründungszusammenhänge gegebenenfalls zu bestätigen oder aber zu hinterfragen. Diese Erkenntnis führt aber zugleich zu einem schwerwiegenden Einwand gegen die Terminologie und Vorgehensweise Bydlinskis: Letztlich nimmt das Kriterium normativer Spezifität als entscheidender Faktor schon für die Einteilung des in seinem Sinne verstandenen äußeren Systems die Suche nach den tragenden Prinzipien im Rahmen des inneren Systems zu großen Teilen schlicht vorweg10. Auf diese Weise wird bei der Analyse des äußeren Systems die lediglich historisch-rechtspraktische entstandene Stoffeinteilung vermittels der – zum Teil auf durchaus „dünnem Eis“ stattfindenden11 – Suche nach normativ spezifischen Prinzipkombinationen einzelner Rechtsgebiete zu Unrecht inhaltlich-wertend aufgeladen. Das äußere, a priori in der Tat rein praktisch bestimmte System, wird gewissermaßen innerlich gerechtfertigt. Damit wird ihm im Ergebnis eine inhaltliche Bedeutung verliehen, die ihm nicht notwendig stets zugrundeliegen muß; zugleich wird die Suche nach den inneren Prinzipien in unnötiger Weise präjudiziert, innere Prinzipien werden selbst da „generiert“, wo ihre Existenz im Einzelfall durchaus zweifelhaft sein mag, nur weil das äußere System nach eigenständigen Prinzipkombinationen im Sinne normativer Spezifität verlangt, um die eigenständige Existenz einzelner Rechtsgebiete zu erklären. Insofern führt die Terminologie und Vorgehensweise Bydlinskis zu einer unnötigen Vermengung des äußeren Systembegriffs (der inhaltlich-wertend aufgeladen wird) mit dem inneren System (welches, da Wertungen vorweggenommen werden, nicht mehr vollkommen frei gebildet werden kann). Der Kerngedanke Bydlinskis läßt sich dennoch bewahren: Das äußere System bildet in der Tat den Rahmen und Reibungspunkt der Suche nach innerlich tragenden Prinzipien. Es ist deshalb der richtige Ausgangspunkt zur Erläuterung des inneren Systems, widerspiegelt auch großenteils dessen Wertungen12. Nur sollte ihm deshalb keine eigenständige inhaltliche Rolle zugemessen werden; vielmehr ist es in klarer Erkenntnis seiner praktischen Entstehung und Orientierung lediglich ein neutraler Rahmen für die 10 Dies konzediert im Ansatz auch Bydlinski, aaO., S. 23 ff., und unternimmt einen Abgrenzungsversuch dahingehend, daß das Kriterium normativer Spezifität deshalb der Suche nach den inneren Prinzipien vorgelagert („relativ selbständig“) sei, weil es sich dadurch auszeichne, daß „bereits eine vorläufige und grobe Prüfung einer Normengruppe … erkennen läßt, daß ihre konkreten Einzelregeln inhaltlich weitgehend von eigenständigen Prinzipien oder … Prinzipkombinationen bestimmt“ ist. Der methodische Gewinn aus einem derartigen provisorischen Vorgriff auf die Zusammenhänge des inneren Systems wird aber nicht hinreichend klar, zumal die provisorische Prüfung auch bei Bydlinski in der Folge dann stets an der hergebrachten Stoffeinteilung der Jurisprudenz ansetzt, so daß letztlich nur eine Art Verdoppelung der Prüfung des inneren Systems in zwei Stufen stattfindet. 11 Vgl. etwa noch unten D I zu den denkbar „schwachen“ Prinzipien, die die normative Spezifität des UWG tragen. 12 So zutreffend Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 19 f.
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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innere Systembildung. Eine wie auch immer „provisorische“ Suche nach einer eigenständigen Prinzipienschicht sollte daher nicht im Rahmen des äußeren Systems beginnen. Vielmehr ist die Bildung der Prinzipienschicht bereits Teil der inneren Systematisierung, für die die äußere Abgrenzung lediglich den Ausgangspunkt bildet. An die Stelle der vorgeschalteten Überprüfung einzelner Rechtsgebiete auf die Berechtigung ihrer äußeren Eigenständigkeit anhand des Kriteriums normativer Spezifität, tritt dann von vornherein die Suche nach eigenständigen Unterkategorien des inneren Systems. Ausgehend vom historisch gewachsenen äußeren System wird untersucht, welche Prinzipienschichten dessen Einzelteilen jeweils eigenständigen Charakter verleihen. Das Kriterium normativer Spezifität wird ersetzt durch die innere Systembildung, bei der nach (mehr oder weniger) allgemeinen Prinzipien gesucht wird, die für größere, übergreifende Systeme oder kleinere Untersysteme prägend sind13. Hierbei bleibt Bydlinskis Grunderkenntnis, daß die Suche nach inneren Begründungszusammenhängen die Kenntnis und Analyse der äußeren Abgrenzung der einzelnen Rechtsgebiete voraussetzt, unberührt. Nur die „vorgezogene“ systematische Bewertung dieser herkömmlichen Abgrenzung anhand des Kriteriums normativer Spezifität führt nach der hier vertretenen Auffassung nicht weiter; vielmehr ist schlicht aus praktischen Gründen am hergebrachten äußeren System anzusetzen, ohne daß es insoweit einer weiteren Rechtfertigung bedarf. Auf unser Untersuchungsthema gewendet, ist die herkömmliche, historisch gewachsene Abgrenzung von Lauterkeits- und Vertragsrecht zum Ausgangspunkt zu nehmen, um also zuerst beide Rechtsgebiete jeweils für sich auf ihre allgemeinen, prägenden Prinzipien hin zu untersuchen und dann in einem weiteren Schritt die Suche nach zusätzlichen Unterprinzipien zu beginnen, die den beiden Teilsystemen ihr jeweils wesensmäßiges Gepräge geben und deshalb zur Abgrenzung der Rechtsgebiete in einem inneren System taugen.
II. Der verwendete Systembegriff und die Leitkriterien der Systematisierung Insofern wird ein Ansatz verfolgt, der bei der Systematisierung sowohl die jeweils prägenden Normzwecke im Vertrags- und Wettbewerbsrecht als auch die Ordnungsfunktionen, den institutionellen Gehalt dieser Rechtsbereiche, im Blick behält. Die Basis bildet der axiologisch-teleologische Systembegriff von Canaris, der das System als „axiologische oder teleologische Ordnung allgemeiner Rechtsprin13 Vgl. zu diesem inneren Zusammenhang zwischen der „Allgemeinheit“ eines Prinzips und der Größe des Bereichs, für dessen „Wesensgehalt“ es „einheitsstiftend“ wirkt, Canaris, aaO., S. 47 f., der bildhaft zusammenfaßt, daß sich die „Allgemeinheit eines Prinzips mit der Höhe des Blickpunkts“ ändere. Dem ließe sich allenfalls noch hinzuzufügen, daß je nach Ausmaß der Eigenständigkeit einzelner Unterprinzipien und Prinzipkombinationen in bestimmten Bereichen (insbesondere Wertgehalt der jeweils hinzukommenden Unterprinzipien und Umfang der Umgewichtung der allgemeinen Prinzipien) mehr oder weniger „stark“ abgegrenzte Untersysteme unterschieden werden könnten.
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1. Kapitel: Grundlagen
zipien definiert“14 und insoweit die teleologischen Grundwertungen in den Mittelpunkt rückt15. Dabei wird neben den jeweiligen individuell regulierenden Zwecken auch das Bewußtsein um die Ordnungsfunktion des Privatrechts im Sinne von Fikentscher und Mestmäcker (Systemfunktion), wie sie auch schon oben 1. Abschnitt D aus ökonomischer Sicht näher eingeführt und für unseren Untersuchungsbereich konkretisiert wurde, in den Rang eines Leitkriteriums erhoben16. Schließlich werden als bereits mehr anwendungsbezogenes Element auf dieser gedanklichen Grundlage auch die Rechtsinstitute und –instrumente einbezogen, wie sie das Vertragsrecht und hier insbesondere das Verbrauchervertragsrecht einerseits, und das Lauterkeitsrecht andererseits funktional ausgeprägt haben. Soweit hier Wertungsunterschiede und unterschiedliche Funktionsweisen sichtbar werden, kann das mit Blick auf die beiden ersten Elemente unseres Untersuchungsansatzes (allgemeine Prinzipien und Systemfunktionen) auf mehrere Gründe zurückzuführen sein17: Erstens wirken möglicherweise in den beiden Teilbereichen des Lauterkeits- und des Vertragsrechts eigenständige Unterprinzipien, die Wertungsunterschiede rechtfertigen. Zweitens können die in beiden Rechtsgebieten vorhandenen Grundprinzipien aufgrund jeweils abweichender Gewichtung und Kombination zur Ausprägung unterschiedlicher Rechtsinstitute führen. Schließlich kann drittens der Unterschied funktionaler Natur sein, d.h. dieselben Rechtsprinzipien und Zielsetzungen könnten auf der Ebene der Rechtsinstitute aufgrund der jeweils unterschiedlichen Funktionsweise des Verbrauchervertrags- und des Lauterkeitsrechts zur Ausprägung unterschiedlicher Instrumente führen. Insofern ist dann das funktionale Zusammenwirken beider Bereiche näher zu untersuchen.
III. Die methodologische Rezeption Methodologisch verspricht die Systembildung für das Wettbewerbs- und Vertragsrecht auf zwei Ebenen Gewinn. Im Rahmen der Auslegung des Vertrags- und Lauterkeitsrechts sollen die hier gewonnenen Erkenntnisse auf dem Wege systematisch-teleologischer Auslegung in die konkrete Rechtsanwendung Eingang fin14
S. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 46 ff, insbesondere S. 47. Dieser Ansatz von Canaris steht in der Tradition der Lehren von Larenz, vgl. etwa Larenz, Die Sinnfrage in der Rechtswissenschaft, in: FS Wieacker, S. 411, insbesondere S. 414 ff.; ders., Methodenlehre, S. 119 ff. (vgl. insbesondere auch die Auseinandersetzung mit Canaris’ Überlegungen auf S. 168 ff.). Zustimmend insoweit auch Bydlinski, System und Prinzipien, S. 49 ff.; Fikentscher, Wirtschaftsrecht I, S. 37. 16 Vgl. Mestmäcker, JZ 1964, 441 ff. mit Bezug auf den privatrechtlichen Vertrag; Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235 ff. mit Bezug auf die inneren Zusammenhänge von Kartellrecht und Privatrecht; Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 422; grundlegend auch schon Steindorff, in: FS Raiser, S. 621 ff. 17 Zum Zusammenhang zwischen allgemeinen Rechtsprinzipien und Rechtsinstituten, die häufig auf einer Grundlage mehrerer ineinander „verschlungener“ Grundprinzipien ruhen, vgl. allgemein Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 50 f. 15
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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den18. Der Systemgedanke wirkt hier als eine Art Warnsystem mit Blick auf die Gedanken des Gerechtigkeitsgleichmaßes und der Verhältnismäßigkeit19. Wo Abweichungen zwischen dem lauterkeitsrechtlichen Instrumentarium und den Wertungen des Vertrags-, insbesondere des Verbrauchervertragsrechts auftreten, sind diese am Maßstab des systematischen Gesamtzusammenhangs der Rechtsgebiete auf ihre wertungsmäßige Folgerichtigkeit zu prüfen. Dafür sollen die nachfolgenden Ausführungen zu den tragenden allgemeinen Grundprinzipien sowie den jeweiligen Unterprinzipien des Vertrags- und Lauterkeitsrechts handhabbare Maßstäbe liefern. In gleicher Weise kann die Systembildung ein Kontrollinstrument für die Rechtsgestaltung bilden: Hier stehen der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung und der verfassungsrechtlich verankerte Gleichheitsgrundsatz im Vordergrund 20. Gerade der Beweggrund des Verbraucherschutzes, der für eine Vielzahl neuer Regelungskomplexe im Vertragsrecht und, zumal auf europäischer Ebene, auch im Lauterkeitsrecht Pate steht, ist im System der allgemeinen Rechtsprinzipien, die das Vertrags- und Lauterkeitsrecht überwölben, zu verankern und auf diese Weise für die Rechtsgestaltung erst berechenbar zu machen, womit zugleich die Rechtssicherheit als einer der obersten Werte21 angesprochen ist. Die folgenden Überlegungen sollen unter diesem Blickwinkel insbesondere zu vermeiden helfen, daß das berechtigte Anliegen des Verbraucherschutzes zum bloßen politischen Schlagwort degeneriert, welches zur Rechtfertigung jeglicher neuer Regelungen im Bereich des Vertrags- und Lauterkeitsrechts herangezogen wird. Wiederum sind in diesem Zusammenhang entstehende Divergenzen zwischen Lauterkeitsrecht und Vertragsrecht sorgsam auf ihre systematisch-wertungsmäßige Folgerichtigkeit zu prüfen; zudem ist das allgemeine Prinzip der Verhältnismäßigkeit (des Übermaßverbots) als grundlegender Maßstab22 zu begreifen, der das Gesamtsystem aus Wettbewerbs- und Vertragsrecht überspannt. 18 Vgl. näher zur systematisch-teleologischen Auslegung als Unterfall der objektiv-teleologischen Auslegungsmethode und in Abgrenzung zum Gegenbegriff der rein begrifflich-systematischen Auslegung Bydlinski, System und Prinzipien, S. 51 ff. 19 Der Begriff des „Gerechtigkeitsgleichmaßes“ findet sich bei Bydlinski, aaO., S. 33 ff.; vgl. zu den fundamentalen Grundlagen des Systemgedankens auch Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 16 ff. Vgl. auch den fundamentalen rechtsphilosophischen Versuch von Dworkin, Law’s Empire, 1986, s. insbesondere 8. Kapitel (S. 276 ff.), die gesamte Rechtsordnung des common law und insbesondere die Theorien der ökonomischen Analyse des common law (als „praktische Rechtsanwendungstheorie“) normativ auf das Prinzip der Gleichheit in der menschlichen Gemeinschaft zu gründen und ihnen auf diese Weise in differenzierter und eingeschränkter Form eine valide ethische Grundlegung zu verschaffen. 20 Vgl. Bydlinski, aaO., S. 31 ff.; eingehend Canaris, aaO., S. 121 ff. zur Bindung des Gesetzgebers an den Systemgedanken und die verfassungsrechtliche Anknüpfung über das Willkürverbot und Art. 3 Abs. 1 GG. 21 Vgl. allgemein für den Gedanken der Rechtssicherheit als eines der Fundamente teleologisch-axiologischen Systemdenkens Canaris, aaO., S. 17 f. 22 Vgl. grundlegend zur konkreten Ausprägung des allgemeinen Prinzips der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf den Regelungszweck des Verbraucherschutzes („verbraucherschutzrechtliches Verhältnismäßigkeitsprinzip“), Drexl, Selbstbestimmung, S. 449 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
C. Prinzipien und Systemfunktionen des Vertragsrechts I. Prinzipien des Vertragsrechts Die fundamentalen privatrechtlichen Rechtsprinzipien der Selbstbestimmung, der Selbstverantwortung und des Verkehrs-, insbesondere des Vertrauensschutzes23, verbinden sich im Bereich des Vertragsrechts zu den bestimmenden Grundsätzen 24 der Privatautonomie in ihrer Erscheinungsform als Vertragsfreiheit25 und der vertraglichen Bindungswirkung (pacta sunt servanda)26. Wenngleich beide Grundsätze wesentlich auf dem gemeinsamen Fundament des Selbstbestimmungsgedankens ruhen, so sind sie doch sorgsam voneinander zu trennen 27. Neben diesen beiden bestimmenden Prinzipien 28, die letztlich schon der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre entstammen, ist für die hier vorzuneh23
Vgl. zum Verhältnis von Selbstbestimmung und Verkehrsschutz statt vieler die grundlagenorientierte Darstellung der dogmatischen Entwicklung bei Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 6 ff. mwN. 24 Etwas abweichend die Terminologie bei Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 50 f., der bezüglich des „Regelungskomplexes der Privatautonomie“ von einem „´Institut‘ unseres Privatrechts“ spricht. In dieser Bezeichnung kommt bereits der zutreffende Grundgedanke zum Ausdruck, daß die Privatautonomie – wie grundlegend auch immer das Prinzip sein mag (vgl. zur verfassungsrechtlichen Verankerung unten 2. Kap. 2. Abschn. B I; zur gemeinschaftsrechtlichen Anerkennung unten 2. Kap. 3. Abschn. B I 2) – der Rechtsordnung nicht in einem übergesetzlichen Sinne vorgelagert ist, sondern vielmehr erst in dieser zum Ausdruck kommt, da sich der privatautonome Gestaltungsakt erst im Rahmen der Rechtsordnung, kraft deren Geltungsverleihung verwirklicht. Vgl. Flume, AT II, S. 3; M. Wolf, Entscheidungsfreiheit und Interessenausgleich, S. 24. 25 Zu Vertrag und Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie, vgl. grundlegend Wolf, aaO., S. 19. 26 Insoweit besteht weitgehende Einigkeit, vgl. grundlegend statt aller Bydlinski, System und Prinzipien, S. 147 ff., 175 ff.; beispielhaft Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 50 f. Die Darstellung wird hier im folgenden auf diejenigen Grundprinzipien fokussiert, die in der Relation zum Recht des unlauteren Wettbewerbs von hervorgehobener Bedeutung sind; vgl. im übrigen für eine differenzierte und umfassende Darstellung der Grundprinzipien rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse zuletzt Staudinger-Otzen, Einl zu §§ 241 ff., Rz. 47 ff. mwN. 27 Grundlegend Bydlinski, aaO., S. 147 ff., in Abgrenzung zu „zweispurigen“ Auffassungen, die das Rechtsgeschäftsrecht hinsichtlich der Bindungswirkung allein von der Selbstbestimmung beherrscht sehen, während daneben der weite Bereich einer eigenständigen Vertrauenshaftung entwickelt wird, wobei die Grenzlinie beim gegebenen oder fehlenden Erklärungsbewußtsein verlaufen soll. So insbesondere die hochentwickelte, seit Erscheinen seiner Habilitationsschrift „Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht“ im Jahre 1971 stetig fortentwickelte Konzeption von Canaris. Gegen dessen „sorgfältig teleologisch“ abgestimmte Version wendet Bydlinski auf Seiten der Vertrauenshaftung wenig ein, kritisiert jedoch, daß auch für die rechtsgeschäftliche Bindung bei vorhandenem, finalem Erklärungsbewußtsein der bloße Selbstbestimmungsakt allein nicht genügen kann (wie im übrigen etwa das Beispiel des Testaments beweist, welches trotz seines Selbstbestimmungscharakters a priori zu keinerlei Bindungswirkung für den Erblasser führt). Für eine exemplarische Zusammenfassung der Diskussion, vgl. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 28 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen, der gleichermaßen sorgsam zwischen Privatautonomie und vertraglicher Bindung trennt. S. näher sogleich unten im folgenden Text. 28 Inwieweit außerdem das Äquivalenzprinzip dem Vertragsrecht eigen ist, ist umstritten,
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mende Abgrenzung des Vertragsrechts vom Wettbewerbsrecht noch ein drittes Prinzip bestimmend: Über die Relativität der Schuldverhältnisse im engeren Sinne hinaus läßt sich für den Bereich der rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisse und ihrer Anbahnung bisher ganz allgemein auch der prägende Grundsatz der Regelung, wie auch immer im einzelnen individualisierter Sonderverbindungen erkennen 29. Das Selbstbestimmungsprinzip kommt im Recht der Schuldverträge zu ausnehmend weitreichender Geltung. So sind sowohl Abschluß als auch Inhalt der Schuldverträge grundsätzlich frei bestimmbar30 (mit Blick auf den diesbezüglichen formalistischen Typenzwang im Sachenrecht oder noch im frühen römischen Recht beileibe keine Selbstverständlichkeit 31). Spiegelbildlich lassen sich dementsprechend auch abschluß- und inhaltsbezogene Einschränkungen des Selbstbestimmungsgrundsatzes unterscheiden, die natürlich trotz dessen hervorragender Stellung im Vertragsrecht vielzählig vorhanden sind 32. Dem gemeinsamen Willen der Parteien wird also in diesem Bereich zwar besonders weitgehend von der Rechtsordnung Anerkennung verliehen, zugleich wird die Geltung der Vertragsfreiheit aber von jeher in mehr oder weniger hoher Intensität und in ganz verschie-
zudem nach der hier vertretenen Auffassung eine Frage der Sicht auf die Systemfunktionen des Vertragsrechts, weshalb die Problemstellung unten II behandelt wird. 29 In der Sicht der älteren Dogmatik steht insoweit noch der Gedanke des relativen Schuldverhältnisses ganz im Vordergrund, das sich dadurch auszeichne, daß eine Person ein subjektives Recht nur auf „einzelne Handlungen“ einer anderen Person habe, so daß zumal deren Personqualität (Willensfreiheit) wegen der zuvor ausgeübten Selbstbindung nicht negiert werde, vgl. exemplarisch Savigny, System des heutigen Römischen Rechts I, S. 338 f. Auch dem BGB liegt historisch noch ein derartiges, strikt vertraglich relatives Verständnis zugrunde. Demgegenüber ist mit der Weiterentwicklung des Schuldrechts hin zu weitreichenden vorvertraglichen Pflichten mehr der Gedanke der Sonderverbindung in den Vordergrund getreten, wie er etwa bei der Abgrenzung vorvertraglicher Pflichten aus culpa in contrahendo von allgemeinen Verkehrssicherungspflichten eine tragende Rolle spielt, vgl. etwa MüKo-Kramer, Vor §§ 241 ff., Rz. 89 ff. Die Problematik ist der hier behandelten unmittelbar benachbart, weshalb auf die Eignung der „Sonderverbindung“ als Abgrenzungskriterium (in Zeiten einer unleugbaren Entindividualisierung des Geschäftsverkehrs) noch zurückzukommen sein wird. Vgl. zum ganzen auch Bydlinski, aaO., S. 171 f. 30 Statt aller Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 17 f.; zuletzt ausführlich Staudinger-Otzen, Einl zu §§ 241 ff. BGB, Rz. 52 ff. mwN. 31 Vgl. zur langwierigen Entwicklung der Klagbarkeit des nudum pactum im römischen Recht, welches zuerst von dem Grundsatz geprägt war, daß insbesondere Schuldverträge nur dann klagbar waren, wenn sie in der formalistischen Stipulationsform (stipulatio) geschlossen waren, insgesamt nur Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 2005, S. 42 ff. (insbes. S. 48 f.); aus rechtsgeschichtlicher Sicht auch Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, S. 37. 32 Darauf wird unter dem Blickwinkel der Systemfunktionen des Vertragsrechts und insbesondere des Verbraucherschutzes, für den die Teilung in Abschluß- und Inhaltskontrolle eine grundlegende ist, zurückzukommen sein (sogleich unten III). Zur Bewertung der Rückwirkung der genannten Einschränkungen auf der Prinzipienebene, vgl. unten III 4. Zu intensiven Überschneidungen mit dem Wettbewerbsrecht kommt es vornehmlich im Bereich der Abschlußkontrolle, die demnach auch den Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung bildet; nur gelegentliche Seitenblicke gelten den Instrumenten der Inhaltskontrolle.
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dener Art und Weise beschränkt bzw. von vornherein gar nicht oder nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen anerkannt 33. Entsprechendes läßt sich auch für den Grundsatz der Vertragsbindung, pacta sunt servanda, feststellen. Entgegen einer verbreiteten Auffassung34 läßt sich dieser Grundsatz für das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft nicht lediglich auf das Prinzip der Privatautonomie gründen oder mit Selbstverständlichkeit allein aus dem Begriff des Vertrags35 ableiten36. Er ist vielmehr in der Rechtsordnung des BGB gewissermaßen „stillschweigend“ vorausgesetzt 37 und findet insofern im BGB eine gewissermaßen indirekte Verankerung; das Privatrecht im Zusammenspiel mit dem vertraglichen Versprechen verleiht im übrigen erst die bindende „Zukunftsfestigkeit“38. Neben einer gewissen ethischen Kraft des consensus-Gedankens39, der die Vertragsbindung fest auf die Schultern des Selbstbestimmungsprinzips stellt40, das zur Begründung des pacta sunt servanda-Grundsatzes aber allein nicht ausreicht41, ist auf der Prinzipienebene als Geltungsgrund in erster Linie der Verkehrsschutzgedanke, zumeist in seiner spezielleren Ausprägung als
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Grundlegend Bydlinski, aaO., S. 181. Vgl. näher sogleich unten II und III. Vgl. insbesondere Hönn, Vertragsparität, S. 37 ff., der aber zugleich die Rechtsordnung als Korrelat für erforderlich hält; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 57. Ähnlich Larenz, AT, § 2 II (S. 40 ff.), der den Grund der Vertragsbindung im Versprechensakt selbst erblickt. Andererseits setzt dann auch Larenz, aaO., in der Folge für die rechtliche Geltung der Regelung neben der vertraglichen Vereinbarung die Anerkennung durch die Rechtsordnung (auf Grundlage bestimmter rechtlicher „Mindestanforderungen“) voraus. Vgl. auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413 f., unter wesentlicher Stützung auf den „Begriff“ des mangelfreien Rechtsgeschäfts. 35 So noch die Erläuterungen des Redaktors von Kübel, Recht der Schuldverhältnisse, in: Schubert (Hrsg.), Vorlagen, S. 379 f., zum Vorentwurf des BGB für die erste Kommission. Vgl. für eine bündige Zusammenfassung der Vorarbeiten zum BGB unter dem Aspekt der Verankerung des Grundsatzes der Vertragstreue, Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 31 f. 36 Grundlegend Bydlinski, Privatautonomie, S. 67; ders., System und Prinzipien, S. 147 ff.; Merz, Vertrag, Rz. 48; zustimmend Lorenz, aaO., S. 33. 37 Vgl. Staudinger-Olzen, Einl zu §§ 241 ff., Rz. 65: stets akzeptiertes, aber insbesondere von der Naturrechtslehre in den Rang eines Axioms erhobenenes Prinzip, das dem Gesetzgeber so selbstverständlich war, das er es nicht explizit ins BGB aufnahm, das aber dennoch als ungeschriebene Regel des Schuldrechts im Gesetz verankert ist. 38 von Ihering prägt hierfür die schöne Formulierung von der „Entbindung des Vertrages von den Fesseln der Gegenwart“, s. von Ihering, Der Zweck im Recht, Bd. I, S. 262; vgl. auch Fikentscher, in: FS Hefermehl, S. 41, 50 f. (1971). 39 Im Sinne einer „Treue zum gegebenen Wort“, vgl. grundlegend Bydlinski, Privatautonomie, S. 122 ff.; ders., System und Prinzipien, S. 157 und insbesondere (die ältere Monographie auch insoweit um den Gedanken des Selbstverantwortungsprinzips ergänzend) S. 164 ff. Demgegenüber den apriorischen Charakter des pacta sunt servanda-Grundsatzes auf der Basis der moralischen Kraft des Versprechens betonend Larenz, AT, § 2 II (S. 40 f.). 40 Prägnant formuliert bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 29: „Die grundsätzliche Verbindungslinie zwischen Vertragsfreiheit und Vertragstreue besteht … darin, daß letztere auf ersterer als Prinzip aufbaut, d.h. daß Vertragstreue ohne vorherige Selbstbestimmung im Grundsatz nicht denkbar ist“. 41 Vgl. die Nachweise o. Fn. 36. 34
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Vertrauensschutzprinzip, als zugrundeliegender Wert zu nennen42. Und wiederum gilt, daß die rechtliche Geltungsverleihung für die von den Parteien gewollte Bindungsanordnung beileibe nicht bedingungslos und stets erfolgt43; vielmehr sind zahlreiche Voraussetzungen und Einschränkungen des pacta sunt servanda-Grundsatzes zu beachten, wobei Lorenz zu Recht darauf hingewiesen hat, daß vom Standpunkt des Interesses der Vertragsparteien insoweit kein grundsätzlicher (wenngleich gelegentlich ein erheblicher gradueller) Unterschied zwischen Instrumenten zu machen ist, die einem Vertrag von vornherein die Bindungswirkung versagen oder sie im nachhinein verweigern bzw. lockern44. Man kann und muß es wohl noch provozierender formulieren: Unter dem geltenden Vertragsrecht ist, wenngleich natürlich nicht einmal annähernd die weit drastischere Qualität der starren Bindungen eines generellen Typen- oder Formzwanges erreicht wird, dennoch vom grundsätzlichen Standpunkt betrachtet nicht etwa jeglicher consensus der Vertragsparteien mit uneingeschränkt zukunftsfester Bindungswirkung ausgestattet, sondern vielmehr lediglich ganz bestimmte (unter bestimmten Voraussetzungen zustandegekommene) Willenseinigungen, wobei vielfältige Schattierungen hinsichtlich der Voraussetzungen und der Reichweite der Bindungswirkung im einzelnen vorhanden sind. Zu fragen ist nun, wie der Gedanke des Verkehrs- und Vertrauensschutzes im Vertragsrecht bei der „Auswahl“ der mit Geltungsanordnung versehenen Einigungen mit dem Selbstbestimmungsprinzip und seiner ethischen Grundierung bezüglich des pacta sunt servanda 42 Grundlegend Bydlinski, aaO. (Fn. 36). Dagegen die zweispurige Konzeption bei Canaris, Vertrauenshaftung, insbesondere S. 412 ff., der bezüglich der rechtsgeschäftlichen Haftung den Geltungsgrund weniger in der Person des Vertrauenden, als vielmehr in der Person des Erklärenden sucht. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen, soweit es um die Verankerung der Vertragstreue im Grundsatz der Selbstverantwortung geht; insoweit ausdrücklich zustimmend nunmehr auch Bydlinski, System und Prinzipien, S. 164 ff. Soweit darüber hinaus der Aspekt des Verkehrs- (Vertrauensschutzes) im Bereich der rechtsgeschäftlichen Bindung als gänzlich unerheblich bewertet wird, läßt sich hiergegen jedoch die überragende Bedeutung anführen, die der Grundsatz der Vertragsbindung für den Rechtsverkehr hat. Das Vertrauen des Vertragspartners, der davon ausgehe, sich auf ein Versprechen verlassen zu können, betont schon Adam Smith in seinen „Lectures on Jurisprudence“, Report of 1762–1763, Rz. II.42 ff.: „The only thing that can make an obligation in this manner [ein bindendes Vertragsversprechen] is an open and plain declaration that he desires the person to whom he makes the declaration to have a dependance on what he promises“. In der Folge, aaO., Rz. II. 47 ff., arbeitet Smith, ausgehend von der Erkenntnis, daß „… in the first periods of society, and even till it had made some considerable advances, contracts were noways binding…“, den inneren Zusammenhang zwischen den fortschreitenden Bedürfnissen des sich entwickelnden Handels- und Wirtschaftsverkehrs an einen verläßlichen rechtlichen Rahmen und der Fortentwicklung des Grundsatzes der Vertragstreue heraus. Die historische Entwicklung des Grundsatzes der Vertragstreue vom römischen Recht, das außerhalb des vertragsrechtlichen Typenzwangs lediglich die Einrede der Vertragstreue aufgrund nuda pacta kannte, bis hin zum kanonischen Recht, welches die Klagbarkeit der nuda pacta erstmals zur vollen Anerkennung brachte, läßt sich insofern auch als Reaktion des Rechts auf den sich entwickelnden Wirtschaftsverkehr begreifen. Für einen kurzen Abriß der geschichtlichen Entwicklung vgl. Lorenz, aaO., S. 29 ff. 43 Vgl. noch die Beispiele sogleich unten II. 44 AaO., S. 42: „…vielfach nur technischer Unterschied zwischen Verhinderung des Vertragsschlusses oder Vertragslösungsrecht…“.
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Grundsatzes zusammenspielt. Eines ist insoweit überdeutlich: Das Selbstbestimmungsprinzip sowie der Grundsatz pacta sunt servanda genießen – im Interesse des Verkehrsschutzes45 – eine strukturelle Vorrangstellung als bestimmendes Prinzip des Schuldrechts. Grundsatz ist die Bindungswirkung, bei der Ausgestaltung der Voraussetzungen und Reichweite der Bindung geht es deshalb eher um eine „negative“ Auswahl derjenigen Einigungen, denen diese ganz oder teilweise versagt wird46. Wie diese negative Auswahl zu treffen ist, hängt letztlich davon ab, ob und welche über den formal geäußerten individuellen Parteiwillen hinausgehenden, institutionellen Funktionen man dem Vertrag im Gesamtsystem des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs beimißt und wie man die Bedingungen bestimmt, unter denen diese überindividuellen Funktionen am besten zu erfüllen sind. Die – fast klassisch anmutende – Debatte der deutschen Zivilrechtsdogmatik um die Frage der „Richtigkeitsgewähr“ läßt sich deshalb aus heutiger Sicht durchaus als ein Streit um die (überindividuellen) Systemfunktionen des Austauschvertrages und des Vertragsrechts47 auffassen48.
II. Systemfunktionen: Die Debatte um die Richtigkeitsgewähr Angestoßen hatte die Debatte Walter Schmidt-Rimpler mit seiner grundlegenden Abhandlung aus dem Jahre 194149, in der er dem Vertrag neben seiner Verankerung im Selbstbestimmungsgedanken50 eine Richtigkeitsgewähr in dem Sinne zuwies, daß dieser wegen der ihm innewohnenden „Tendenz zur Gerechtigkeit“51 aufgrund der Einigung der Vertragsparteien geeignet sei, auch typischerweise ge45 Für die innere Verbindung des Verkehrsschutzgedankens mit dem Grundsatz der Vertragstreue vgl. schon die Nachweise oben Fn. 36, 42. 46 Rittner, AcP 188 (1988), 101, 127. 47 S. zur systemfunktionalen (institutionellen) Sicht des Vertragsrechts schon oben im 1. Abschnitt (etwa C III 4, D III 1 und 2, D V und öfter). Vgl. in der älteren deutschen juristischen Literatur grundlegend die entsprechenden Ansätze bei Mestmäcker, JZ 1964, 441 ff.; ders., AcP 168 (1968), 235 ff.; die Berner Rektoratsrede von Merz, Recht als Ordnungsmacht, S. 27; Steindorff, in: FS Raiser, S. 621 ff. 48 Vgl. exemplarisch nur die in diese Richtung weisenden Ausführungen bei Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 138 ff., insbes. 149, 155 ff.; Raiser, Vertragsfunktion, in: FS Dt. Juristentag, S. 101 ff., insbes. 117 ff., 119 f.; 130 ff.; Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, S. 3, 4 f., 24 ff. 49 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 ff. Vgl. als wesentliche Grundlage seiner Überlegungen zu Geltungsgrund und Reichweite der Privatautonomie auch schon von Hippel, Privatautonomie, 1936. 50 Deutlich die Ausführungen bei Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, S. 3, 8 ff., wo er in Erwiderung auf entsprechende Kritik an seiner älteren Abhandlung klarstellt, daß sein Vertragsverständnis stets (auch) im Gedanken der Freiheit der Persönlichkeit verwurzelt gewesen sei, er lediglich dargestellt habe, daß dieser als „alleinige Grundlage“ [Hervorh. im Original] des Rechtsinstituts des Vertrages nicht genüge. Die besondere Betonung der Richtigkeitsgewähr gegenüber der Selbstbestimmung in der älteren Abhandlung ist aus deren rechtspolitischem Ziel, den selbstbestimmten Vertrag dem Zugriff des autoritären NS-Staates zu entziehen, erklärbar (vgl. aaO., S. 9). 51 AaO., S. 8.
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rechte, „richtige“ Verhältnisse zu schaffen52. Es wird also die positive Systemfunktion aufgrund dogmatischer Überlegungen zum Entstehungstatbestand „von unten herauf“ bejaht. Demgegenüber wandte sich beginnend mit Raiser 53 eine privatautonomieskeptische Tendenz der deutschen Zivilrechtslehre54, deren Ausläufer bis heute reichen, gegen das Vertrauen an eine „aus dem Zusammenwirken aller Egoismen sich ergebende Harmonie“ und forderte die Verwirklichung der „materiellen Vertragsgerechtigkeit“ im Einzelfall durch eine entsprechende Ausgestaltung der Wirtschaftsverfassung55 und de lege ferenda durch die Einführung eines Nichtigkeitsgrundes des „Mißbrauchs der Vertragsfreiheit“56. Die hierin sich Bahn brechende Erkenntnis von den Grenzen einer rein formalen, sich selbst überlassenen Privatautonomie ist heute Gemeingut57, was nicht dazu verführen sollte, Raisers Verdienst in dieser Frage geringzuschätzen 58. Unzutreffend war und ist aber der Versuch, die demnach notwendige Rahmensetzung und Korrektur auf eine etwaige „Gerechtigkeitsfunktion“ des Vertrags im Einzelfall gründen zu wollen. In diese Richtung ging gerade die insoweit zutreffende Kritik Flumes schon an der These von der Richtigkeitsgewähr in ihrer ursprünglichen Form59, in der sie mindestens dahingehend mißverstanden werden konnte, Schmidt-Rimpler habe ein typischerweise richtiges Ergebnis vom Vertrag in jedem einzelnen Falle angenommen60. Gegen eine solche Annahme wendet Flume den Geltungsgrund des 52 So zumindest die Klarstellung in der späteren Abhandlung, S. 8, 10 ff., während der ursprüngliche Aufsatz durchaus dahingehend zu (miß-)verstehen war, Schmidt-Rimpler vertrete die Richtigkeitsgewähr für den Einzelfall (vgl. etwa die Kritik bei Raiser, Vertragsfunktion, in: FS Dt. Juristentag, S. 101, 118). Man hat den eingeschränkten, auf die Funktion der Institution im typischen Fall bezogenen Aussagegehalt durch den Vorschlag eines anderen Terminus klarstellen wollen (M. Wolf, Entscheidungsfreiheit und Interessenausgleich, S. 74: „Richtigkeitschance“), wogegen sich aber Schmidt-Rimpler, aaO., S. 12, mit dem zutreffenden Argument gewendet hat, daß der Vertrag insoweit eben nicht nur eine Chance, sondern institutionell – für den typischen Fall – sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (systemfunktional also eine Gewähr) biete. 53 Vgl. Raiser, Vertragsfunktion, in: FS Dt. Juristentag, S. 101 ff. 54 Vgl. in der Folge M. Wolf, Entscheidungsfreiheit und Interessenausgleich, S. 19 (s. näher zu Wolfs Konzept noch u. Fn. 64); sowie exemplarisch (und noch ohne Einbeziehung der schier unübersehbaren spezifisch verbraucherschutzrechtlichen Literatur) Zweigert, in: RheinsteinFS, S. 493, 503 f.; ders./Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 2. Aufl. 1983, Bd. II, S. 7 ff.; Honsell, JZ 1989, 41 ff. 55 Raiser, aaO., S. 118 f., 131. 56 Raiser, aaO., S. 133. Vgl. für den Gedanken des Mißbrauchs der Vertragsfreiheit auch schon die bahnbrechende frühe Untersuchung von Raiser, Allgemeine Geschäftsbedingungen, S. 277 ff. 57 Was sich am eindrücklichsten daran illustrieren läßt, daß sie im Palandt angelangt und anerkannt ist, s. Palandt-Heinrichs, Einf v § 145, Rz. 13 mwN. 58 In diese Richtung auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 37, der zu Recht darauf hinweist, es dürfe nicht übersehen werden, daß auch die modernen ordnungspolitischen Modelle („Informationsmodell“), die an den Funktionsfehlern und -bedingungen des Vertrages ansetzen, zunächst auf der Erkenntnis Raisers fußen, daß eine gänzlich unbeschränkte Privatautonomie nicht stets zu befriedigenden Ergebnissen führt. 59 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 ff. 60 Näher zur Entwicklung der These von der Richtigkeitsgewähr schon o. Fn. 52.
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Vertrages ein, den er allein in der ausgeübten, durch den Vertrag koordinierten Selbstbestimmung sieht, die einem rechtlichen Urteil, ob sie „richtig“ ist, unzugänglich sei. Dem ist soweit zuzustimmen, als eine Kontrolle des einzelnen Vertrages hin auf seine Richtigkeit in der Tat nicht möglich ist, dies weniger allein wegen des Geltungsgrundes, sondern vielmehr weil insoweit jeglicher positive Maßstab fehlen würde61. Soweit allerdings Schmidt-Rimpler für den Vertrag als Institut die typischerweise positive Systemfunktion bejaht, geht Flumes Kritik hieran fehl und widerspiegelt in diesem Punkt gerade die Unzulänglichkeit des Versuchs, die vertragliche Bindungswirkung allein auf die Privatautonomie zu gründen, wie noch im folgenden zu zeigen sein wird. Bleiben wir zuerst beim zutreffenden Kern der Kritik von Flume: Die Funktionsfähigkeit einer selbstbestimmten Gestaltung läßt sich nicht positiv nach ihrer „Richtigkeit“ beurteilen, weil hierfür kein objektiver Maßstab vorhanden ist. Andererseits ist unumstritten, daß die Funktionsfähigkeit des Vertrags als Koordinierungsinstrument der Privatautonomie gewissen Funktionsstörungen unterliegt, die die Rechtsordnung beheben sollte. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Statt primär am Inhalt der Vereinbarung anzusetzen, ist es die Art des Zustandekommens, die Ausübung der Selbstbestimmung der Vertragspartner, die es zu sichern gilt62; darüber hinaus ist nur eine ganz grobe, negative „Plausibilitätskontrolle“ möglich63. Das Prinzip der Selbstbestimmung vermag also die notwendigen Eingriffe präziser zu begründen als der Verweis auf ein – wie immer zu bestimmendes – Prinzip materieller Vertragsgerechtigkeit64. Aus dieser Perspektive betrachtet stellen sich schon die hergebrachten Normen des Privatrechts, die 61 Hier schließt sich der Kreis zur wettbewerbstheoretischen Grundlegung bei von Hayek (s. o. 1.Kap. 1.Abschn. Fn. 187). Aus juristischer Sicht vgl. Bydlinski, System und Prinzipien, S. 151; Canaris, in: FS Lerche, S. 873, 884, der hierfür zum Beleg auf die notwendigerweise vergebliche Suche nach dem iustum pretium verweist. Insoweit hatte auch Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, S. 3, 15 klargestellt, daß sein Ansatz die hierin liegende „Quadratur des Zirkels nicht lösen“ könne. 62 So schon Flume, Privatautonomie, in: FS Dt. Juristentag, S. 135, 142 f.: „Nur in Hinsicht auf die Art des Zustandekommens des Vertrages, daß nämlich die Regelung in der Selbstbestimmung der Vertragspartner geschieht, kann man von der Regelung des Vertrages sagen, daß sie ‚richtig‘ ist.“; ähnlich ders., AT II, S. 6. 63 So insbesondere Rittner, AcP 188 (1988), 101, 127 ff.; ähnlich Bydlinski, System und Prinzipien, S. 160: „Kontrolle krasser Abweichungen“; Canaris, aaO., S. 883 f.; zustimmend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 24. 64 Insofern war der Ansatz von M. Wolf, Entscheidungsfreiheit und Interessenausgleich, 1970, die Vertragsfreiheit zum Mittel der Optimierung von Selbstbestimmung zu erklären, auf das richtige Ziel gerichtet; denn zuzustimmen ist M. Wolf, wenn er darlegt, daß nur wenn Selbstbestimmung ausgeübt werde, zumindest eine „Richtigkeitschance“ (in Anlehnung an die Terminologie Schmidt-Rimplers) gegeben sei (aaO., S. 67 ff.). Das von M. Wolf zu diesem Zweck vorgeschlagene Kriterium realer „rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit“ als „selbständige Voraussetzung gültiger Willenserklärungen“ (aaO., S. 124) taugt jedoch letztlich nicht, da es einerseits wenig nachprüfbar und operabel ist (so die Kritik bei Drexl, Selbstbestimmung, S. 40: [„Das unverzichtbare Maß an Rechtssicherheit wäre damit wohl auf das Spiel gesetzt“], unter Hinweis auf Fikentscher, in: FS Hefermehl, S. 41, 49) und andererseits gerade in Situationen, in denen ein Wirtschaftsgut besonders dringend benötigt wird, zum Versagen des Vertrags als Mit-
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auf eine Äquivalenz des resultierenden Synallagma abheben, als reine Indiztatbestände dar, die einen Versuch verkörpern, aufgrund grob abweichender (schwerwiegender) Ungleichgewichte im Endresultat, in ihrer Entstehung „nichtfunktionsfähige Verträge aus[zu]lesen“65. Das Verdienst, das Vertragsrecht und sein Verhältnis zum Wettbewerb erstmals unter dieser „selbstbestimmungszentrierten“ Perspektive betrachtet und damit ein ganzes Forschungsprogramm eröffnet zu haben, gebührt Rittner, der seinerseits fest in ordoliberaler Tradition, namentlich auf den Schultern 66 Franz Böhms steht67. Aus dieser Sicht stellen sich schon die hergebrachten, ganz typischen Instrumente des Vertragsrechts, wie etwa die Regeln über die Geschäftsfähigkeit, die Nichtigkeit wucherischer und sittenwidriger Verträge, die Formvorschriften für nichtäquivalente, einseitig vorteilhafte Rechtsgeschäfte, die Anfechtungsregeln und die vorvertraglichen Informationspflichten aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der culpa in contrahendo (nunmehr §§ 311, 241 BGB) als Mittel dar, nicht funktionsfähige Verträge – durch Ansetzen am Funktionsmechanismus des Vertrages selbst (unmittelbar funktionsbezogen) oder aber durch Ansetzen am Vertragsinhalt (als mittelbares, grobes Indiz für ein Funktionsversagen des Vertrags) – auszulesen. Erst recht gilt das – der Intention nach – für die vielzähligen neuen Instrumente – insbesondere Informationspflichten und Widerrufsrechte – des europäischen und nationalen Verbraucherschutzes68. Trotz der beinahe unübersehbaren Vielzahl derartiger Instrumente (selbst unter einstweiliger Außerachtlassung des Verbraucherschutzes) läßt sich eine erste, ganz grobe Wertung und Einteilung diesbezüglich vornehmen. Zum einen geht es stets um einen spezifischen69 Ansatz: Unter grundsätzlicher Geltung der Privatautonomie werden einzelne Fälle, in denen der Vertragsmechanismus versagt, reguliert. Zum anderen lassen sich – neben anderen, spezifischeren Einteilungsmöglichkeiten70 – ganz tel zur Befriedigung solcher besonders dringenden Bedürfnisse, die dem Abnehmer „keine Wahl“ lassen, führen würde, worauf Bydlinski, System und Prinzipien, S. 158 f., hinweist. 65 Rittner, aaO. 66 Die Assoziation zum berühmten, Newton zugeschriebenen Zitat aus dem Jahre 1676 ist durchaus beabsichtigt. 67 S. die diesbezügliche Reverenz bei Rittner, AcP 188 (1988), 101, 126. 68 Vgl. die grundlegende Untersuchung von Drexl, Selbstbestimmung, 1996, sowie näher sogleich unten III. 69 Dies ist, was gemeint ist, wenn Rittner und Canaris (s. o. Fn. 63) von einer „negativen“ Wertung sprechen. Am weitesten entfernt von einem spezifischen Ansatz dürften diejenigen Verbraucherschutzvorschriften im engeren Sinne sein, die an das recht grobe Kriterium des Verbraucherbegriffs (vgl. näher zur Kritik noch unten 4. Kap. 2. Abschn. A III) weitgehende situationsunspezifische, häufig mehr auf den Schutz der Institution als solcher bezogene Folgen knüpfen und zu diesem Zweck den Unternehmern schon im Vorfeld des Vertrags weitreichende und zunehmend situationsübergreifend generalisierte Informationspflichten auferlegen. Vgl. dazu näher unten 4. Kap. 3. Abschn. B. 70 Insbesondere eine Einteilung nach Funktion bzw. Rechtsfolgen der einzelnen Instrumente und der jeweiligen spezifischen Interessenlage liegt nahe und soll auch der vorliegenden Untersuchung zugrundegelegt werden, vgl. (in der Zusammenschau mit dem Wettbewerbsrecht) näher dazu unten F.
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grundsätzlich schon im Vertragsrecht diejenigen Instrumente, die am individuellen Einzelfall, der etablierten „Sonderverbindung“ ansetzen (so der typische Weg des „klassischen“ Vertragsrechts), unterscheiden von anderen Instrumenten, die einen typisierten Schutz, eine Art rechtlichen Standard in bestimmten (besonders gefahrgeneigten Bereichen) etablieren, der die Funktionsbedingungen des Vertrages im Sinne eines typisiert-konstitutiven Rahmens sichern soll. Typisch ist diese zweite Kategorie für viele Verbraucherschutzinstrumente, aber auch im hergebrachten Vertragsrecht lassen sich – wie das Beispiel der Prospekthaftung aus culpa in contrahendo belegt – Tendenzen zu einer Aufweichung des Kriteriums der Sonderverbindung finden, was angesichts der Entindividualisierung des modernen Geschäftsverkehrs wenig wundernehmen kann71. Selbst ohne Ansehung der modernen Verbraucherschutzinstrumente krankt Raisers Sicht des Vertrages also an der – auf direkte Inhaltskorrekturen ausgerichteten – Perspektive, die den Blick verstellt für die unzähligen Sicherungen der Selbstbestimmung durch Beschränkungen einer (demnach nur vorgeblich) formalen Privatautonomie, die bereits dem klassischen Zivilrecht immanent sind72. Ersichtlich stehen und fallen Ausmaß und Intensität dieser Sicherungen de lege ferenda mit dem Privatautonomiebegriff, dem man folgt. In dieser Hinsicht ist der deutsche Privatrechtsgesetzgeber aber nicht gänzlich frei, sondern verfassungsrechtlich an die Verbürgung der Vertragsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG gebunden, die das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber dahingehend konkretisiert, daß strukturelle Ungleichgewichtslagen73, die die „Selbstbestimmung des einzelnen im Rechtsleben“74 bedrohen, in typisierbaren Fallgestaltungen zu korrigieren seien75. Derartige Korrekturen sind aber – unter dem grundsätzlichen Primat der (formalen) Privatautonomie – auf das unerläßlich notwendige zu beschränken; die Ausnahmen müssen stets durch den Schutz der Privatautonomie selbst „funktionsgeleitet“ sein und sie müssen dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit genügen 76. 71 Vgl. allgemein statt aller MüKo-Kramer, Vor §§ 241 ff., Rz. 53. Zur Unterscheidung zwichen konstitutiven und kompensatorischen Elementen im Verbraucherschutzrecht und im allgemeinen Privatrecht s. Drexl, Selbstbestimmung, S. 288 f. 72 Darauf verweist auch Bydlinski, System und Prinzipien, S. 181: „Alleinherrschaft der Privatautonomie auf diesem Gebiet hätte nie behauptet werden sollen“. Ganz ähnlich übrigens auch die Überlegungen in BVerfGE 89, 214, 232 ff. Vgl. rechtshistorisch zum von Beginn an präsenten Verbraucherschutzgedanken die instruktive Untersuchung von Geyer, Der Verbraucherschutzgedanke im Reichsrecht des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, 2001. 73 Kritisch bezüglich der Verwendung des (unpräzisen) Ungleichgewichtsbegriffs auf Grundlage einer insgesamt kritischen Haltung Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 24. Vgl. näher auch sogleich unten III zur Untauglichkeit des „Gleichgewichtsbegriffs“, wie auch ähnlicher „sozialer“ Typisierungsversuche, sowie unten 2. Kap. 2. Abschn. B I zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen. 74 Zu Recht betont Drexl, Selbstbestimmung, S. 274 (unter Hinweis auf Gernhuber, JZ 1996, 1086, 1091 und Zöllner, aaO., 28) daß das entscheidende Kriterium nicht die „Ungleichgewichtslage“, sondern die Funktionsstörung der Selbstbestimmung ist. 75 BVerfGE 89, 214, 232 ff. Vgl. eingehend unten 2. Kap. 2. Abschn. B I 2 und 3. 76 Canaris, in: FS Lerche, S. 873, 886 f.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz,
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Diese letztgenannte Einschränkung, die Geltung des „Übermaßverbots“ mit Blick auf Maßnahmen zum Schutz der Selbstbestimmung des Schwächeren, läßt sich aber entgegen Flume insbesondere mit Blick auf Eingriffe in den Grundsatz der Vertragstreue nicht etwa allein auf das Prinzip der Privatautonomie selbst stützen. Dies würde wenig weiterhelfen, weil insoweit – wie gezeigt wurde – der Gesetzgeber hinsichtlich der Definition der „gewünschten“ Privatautonomie einen Spielraum hat, ohne daß sich aus dem Privatautonomiebegriff selbst – der, worauf Lorenz in Anlehnung an Bydlinski hingewiesen hat, grundsätzlich sowohl das Vertragsbindungs- als auch das Vertragslösungsinteresse umfaßt77 – ein spezifisches78 Primat zugunsten einer möglichst liberalen Definition mit geringstmöglichen Eingriffen ergäbe. Es ist vielmehr der Gedanke des Verkehrsschutzes, der diese Wertung zugunsten möglichst geringer Eingriffe in den Vertragsmechanismus trägt. Das Verkehrsschutzprinzip verweist auf die möglichst reibungslose Sicherstellung der Bedingungen, des rechtlichen Rahmens für den ungehinderten, freien Wettbewerb. Dieser wird also nicht etwa allein durch Kartell- und Wettbewerbsrecht, sondern auch und in allererster Linie durch den rechtlichen Rahmen, den das Privatrecht für den Austauschvertrag bereitstellt, gewährleistet79. Und um der anerkannten positiven Wettbewerbseffekte willen ist ein Primat zugunsten lediglich korrigierender und geringstmöglicher Eingriffe in den freien Vertragsmechanismus anzuerkennen80. Entgegen Flume ist es also nicht allein der Begriff der Privatautonomie, der – zumal im Rahmen der Verbraucherschutzdiskussion – das Verhältnismäßigkeitsprinzip zugunsten des Grundsatzes pacta sunt servanda und zudem möglichst geringer Eingriffe in den gesamten Vertragsmechanismus im organizistischen Sinne – mithin von der Anbahnung einschließlich sämtlicher Nebenaspekte bis hin zur Abwicklung81 – trägt, sondern vielmehr der Verkehrsschutzgedanke, der in diesem Falle für den Rahmen eines freien Wettbewerbs S. 39 ff.; Lorenz, aaO., S. 25. Drexl, Selbstbestimmung, insbesondere S. 449 ff. gründet hierauf sein „verbraucherschutzrechtliches Verhältnismäßigkeitsprinzip“, das zum Programm seiner gesamten Untersuchung des Verbraucherschutzrechts im weitesten Sinne wird. 77 Lorenz, aaO., S. 35 ff.; vgl. näher zum Vergleich der Interessenlagen im Vertrags- und Wettbewerbsrecht unten F. 78 Als generelles Prinzip gilt das „Prinzip der Verhältnismäßigkeit, des schonendsten Mittels“ natürlich ohnehin, vgl. statt aller Larenz, Die Sinnfrage in der Rechtswissenschaft, in: FS Wieacker, S. 411, 422. Nur würde das über die Definitionshoheit des Gesetzgebers hinsichtlich der Privatautonomie nicht hinweghelfen. 79 Treffend Bydlinski, System und Prinzipien, S. 607: „…auf ‚das Ordnungsprinzip Wettbewerb‘ [sind] nicht etwa bloß die Unlauterkeitsvorschriften gerichtet, sondern in erster Linie grundlegende Prinzipien des Privatrechts überhaupt …“. Vgl. auch unten III 2–4. 80 Im Leitgedanken des freien, fehlerfrei zustandegekommenen Austauschvertrages treffen sich also (gewissermaßen aus entgegengesetzten Richtungen kommend) die Wertungen der Rechtsdogmatik und der Ökonomie, wobei der freie Austauschvertrag insoweit den Dreh- und Angelpunkt (nicht etwa nur einen kleinsten gemeinsamen Nenner) bildet. Vgl. insbesondere zum Leitcharakter des freien Austauschvertrags auch aus ökonomischer Sicht umfassend oben 1. Abschn. C IV 4: „komplementäre Akzessorietät“. 81 S. Bydlinski, aaO., S. 175 ff., spricht von „Erstreckung der Vertragsfreiheit auf alle Vertragselemente“ einschließlich der Neben- und Entstehungsaspekte.
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streitet. Dies schließt auch den Kreis zu den Überlegungen Schmidt-Rimplers zur Frage der Richtigkeitsgewähr: Versteht man seine These in dem zuletzt präzisierten Sinne als eine Richtigkeitsgewähr für den Vertrag als Rechtsinstitut, welches seiner Systemfunktion nach typischerweise die bestmöglichen Verteilungsergebnisse im Sinne einer privatautonomiegeleiteten, subjektiven Präferenzordnung erzielt, so liefert sie den rechtsdogmatischen Geltungsgrund des pacta sunt servanda-Grundsatzes und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf Eingriffe in den freien Vertragsmechanismus (einschließlich Anbahnung und Abwicklung) insgesamt. Geht es darüber hinaus neben den negativen Korrekturen mit ihrem Ausnahmecharakter um die positiven Funktionsbedingungen der Privatautonomie, so wird typischerweise auf den Wettbewerb rekurriert (womit wohl in erster Linie stets eine bestimmte Marktform gemeint ist)82, obwohl diese Sichtweise nach der hier zu entwickelnden Auffassung gerade auch für die zutreffende Sicht des Lauterkeitsrechts und seiner Abstimmung mit dem Vertragsrecht von entscheidender Bedeutung ist. Bevor dies näher ausgeführt wird, soll jedoch bündig umrissen werden, wie die einzelnen Verbraucherschutztheorien die vorstehenden rechtsdogmatischen Grundlagenansätze widerspiegeln. Insoweit soll insbesondere auch untersucht werden, was sich aus den vorstehenden Überlegungen zur institutionellen Rolle des Vertragsrechts für Rückwirkungen auf die Ebene der teleologischen Prinzipien des Vertragsrechts ergeben, wenn man sie in den Zusammenhang der Umgestaltung des deutschen Vertragsrechts durch die Schuldrechtsreform stellt.
III. Insbesondere: Der Verbraucherschutzgedanke und die Integration der Verbraucherschutzgesetze in das BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform 1. Einführung: Dogmatische Grundmodelle zur Erklärung der Verbraucherschutzgesetzgebung Die Diskussion um die dogmatische Begründung der Verbraucherschutzgesetzgebung seit Mitte der siebziger Jahre83 widerspiegelt die vorstehende dogmatische Grundlagendiskussion über das „Vertragsproblem“ akkurat. Auf der Grundlage
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Vgl. für die Ursprünge derartiger Überlegungen schon oben 1. Abschn. C IV 2. Seit Mitte der siebziger Jahre wurde die Diskussion jedenfalls auch terminologisch unter dem bald alles beherrschenden Schlagwort des Verbraucherschutzes geführt. Verbraucherschutz im „materiellen“ Sinne, d.h. der Schutz schwächerer Marktteilnehmer gegen Ungleichgewichte, wurde freilich seit Bestehen des BGB und schon zuvor als Problematik gesehen, wie das Abzahlungsgesetz von 1894 augenfällig belegt. Vgl. zum Verbraucherschutzgedanken im Reichsrecht und der Weimarer Republik zwischen 1871 und 1933 die verdienstvolle rechtshistorische Untersuchung von Geyer, Der Verbraucherschutzgedanke im Reichsrecht des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, 2001. Näher zur Entstehungsgeschichte des Abzahlungsgesetzes Benöhr, ZHR 138 (1974), 492 ff. 83
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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entsprechender ökonomisch-rechtspolitischer Denkschulen84 läßt sich juristisch ein „liberales Informationsmodell“85, welches sich zwanglos in die Tradition SchmidtRimplers stellt, bei Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aber auch mit Flumes Position vereinbar ist und das den Schutz der Privatautonomie vor informationsasymmetriebedingten Funktionsfehlern in den Mittelpunkt rückt, unterscheiden von „sozialen Alternativmodellen“86, die Raisers Ansatz reflektieren87 und mehr die Wiederherstellung einer – wie auch immer im einzelnen gestörten88 – ökonomischsozialen Parität der Vertragspartner fordern89. Drexl hat in seiner Studie zur „wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers“ umfassend nachgewiesen, daß auf der Grundlage des geltenden Rechts sich „eine größere Plausibilität des Informationsmodells“ ergibt90, und seinen Ansatz um den Begriff der wirtschaftlichen Selbstbestimmung gebaut; daß dies insbesondere auch der Konzeption des europäischen Verbrauchervertragsrechts entspricht, die für das Verständnis der entsprechenden Umsetzungsbestimmungen des deutschen Rechts ohnedies Vorrang beansprucht91, wird noch ausgeführt92. Dieser Ansatz ist hier nicht näher nachzuzeichnen. Es ist jedoch zu konstatieren, daß sich seit Erscheinen der Studie die Vertreter des (liberaleren) Informationsmodells in der rechtswissenschaftlichen Diskussion zusehends durchgesetzt haben; neben die dogmatische Begründung tritt nun mehr und mehr auch die ins einzelne gehende Analyse des Problems der Informationsasymmetrien in konkreten Konstellationen93. Das Informationsmodell entspricht 84
S. im einzelnen Drexl, Selbstbestimmung, S. 25 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. S. grundlegend Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 51 ff.; vgl. mit einer näheren Darstellung und grundsätzlich positiven Stellungnahme Drexl, aaO., S. 26 ff., 35 ff.; eher kritisch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 27 ff., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. 86 S. grundlegend Simitis, Verbraucherschutz, 1976; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung, 1979. S. für eine nähere Darstellung Drexl, aaO., S. 29 ff.; vgl. allgemeiner auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 21 ff. 87 Freilich weist Drexl, aaO., S. 37, darauf hin, daß Raisers Ansatz insofern auch den liberalen Informationsmodellen zugrundeliegt, als a priori zunächst die Anerkennung des Versagens der Privatautonomie in bestimmten Situationen auch deren Basis bildet. 88 Kritisch zum Begriff der Vertragsparität auch Drexl, S. 39; Lorenz, S. 8 f. unter Hinweis auf die umfassende Studie von Hönn, Vertragsparität, 1982, der letztlich dem Paritätsbegriff (über die rein formale Zweizahl der Vertragspartner hinaus) jeglichen positiven Gehalt abspricht, ihn vielmehr als „Billigkeitstopos“ zuordnet, der zur Rechtfertigung ganz unterschiedlicher rechtlicher Eingriffe in die Privatautonomie herangezogen wird, diese aber abstrakt-materiell letztlich begrifflich nicht zu verklammern vermag, woraus Hönn, aaO., S. 99, den Schluß zieht, daß sich Vertragsparität allenfalls positivrechtlich durch den Gesetzgeber „definieren“ lasse. Vgl. in dieselbe Richtung auch Rittner, AcP 188 (1988), 101, 127; demgegenüber zum Teil kritisch die Grenzen eines derartigen positivistischen Ansatzes aufzeigend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 30 ff. 89 S. zu weiteren Ansätzen in diese Richtung die Darstellung bei Drexl, aaO., S. 31 ff. mwN. 90 Drexl, aaO., S. 35 ff. und (zusammenfassend und auch die europäische Entwicklung einbeziehend), S. 63, auf Grundlage einer umfassenden Analyse des bestehenden Schrifttums. 91 Zutreffend Roth, JZ 2001, 475. 92 S. unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2. 93 S. für grundlegende aktuelle Gesamtstudien zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit (an dieser Stelle nur übersichtsartig genannt, eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung erfolgt unten im 4.Kapitel) Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im 85
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1. Kapitel: Grundlagen
dem dogmatischen Verständnis der Rolle der vertragsrechtlichen Instrumente zur Sicherung der Funktionsweise des Vertrags, der fehlerfreien Entstehung des Synallagma, wie sie hier vertreten wird. Es ist deshalb zur Grundlage der nachfolgenden Überlegungen zu machen, die sich mit der Frage befassen, welche Prinzipien insoweit spezifisch die verbrauchervertragsrechtlichen Instrumente prägen, wobei besonderes Augenmerk bereits darauf zu richten ist, was diese verbrauchervertragsrechtlichen Instrumente wertungsmäßig von verbraucherschutzrechtlichen Elementen des Lauterkeitsrechts potentiell unterscheiden könnte. Besonders spannend ist dabei naturgemäß die nähere Untersuchung der Frage, inwieweit die europäische Rechtsentwicklung und die deutsche Schuldrechtsreform mit ihrer Inkorporierung der Verbraucherschutzinstrumente in das allgemeine Schuldrecht dazu führen, daß derartige verbrauchervertragsrechtliche Prinzipien das Schuldrecht des BGB insgesamt infizieren, diesem also mehr als den berühmten bloßen „Tropfen“ sozialen Öls einsalben.
2. Rückwirkung der neueren Rechtsentwicklung im europäischen und deutschen Verbraucherschutzrecht auf die System- und Prinzipienebene des allgemeinen Schuldrechts Seit dem Erscheinen der Studie von Drexl sind – ohne der Erörterung der diesbezüglichen Einzelheiten vorzugreifen94 – zwei wesentliche Entwicklungen schlagwortartig zu konstatieren. Erstens hat sich das europäische Verbraucherschutzrecht mit der Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (Fernabsatz-RL)95 sowie der in diesen Zusammenhang gehörigen Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (FernRecht der Willenserklärungen; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997 (neben der Perspektive der informationellen Entscheidungsgrundlage insbesondere auch unter Einbeziehung direkter Einflußnahmen auf die Freiheit der rechtsgeschäftlichen Entscheidung, wie sie im hier zu entwickelten Vier-Ebenen-Modell der Ebene des Schutzes des Entscheidungsprozesses zuzuordnen wären, vgl. oben 1. Abschn. D VI); Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001; Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003; mit Blick auf das Verbrauchervertragsrecht im engeren Sinne Martis/ Meinhof, Verbraucherschutzrecht, 2005; Meller-Hannich,Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005; spezifischen Aspekten des Verbrauchervertriebsrechts widmen sich unter rechtsvergleichender Perspektive Pützhoven, Europäischer Verbraucherschutz im Fernabsatz, 2001, und Aye, Verbraucherschutz im Internet nach französischem und deutschem Recht, 2005; Neumann, Bedenkzeit vor und nach Vertragsabschluß, 2005; für das europäische Gemeinschaftsrecht des acquis mit einem dezidiert informationsorientierten Ansatz auch Fleischer, ZEuP 2000, 772 ff.; Grundmann/Kerber/Weatherill (eds.), Party Autonomy and the role of Information in the Internal Market, 2001; Grundmann, JZ 2005, 860, 865 ff. 94 Vgl. insbesondere zum System des gemeinschaftsrechtlichen (Verbraucher-)vertragsrechts und seiner weiteren Entwicklung unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 b (2); vgl. zur Entwicklung im deutschen Recht auch unten 4. Kap. 3. Abschnitt. 95 Richtlinie 97/7/EG v. 20. Mai 1997 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG Nr. L 144 v. 4. 6. 1997, 19 ff. (im folgenden: Fernabsatz-RL).
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absatzFinDL-RL)96, der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ECommerce-RL)97 und insbesondere der Richtlinie zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (Verbrauchsgüterkauf-RL)98 fortentwickelt und entwickelt sich weiter fort. Neben den angestammten Instrumenten der punktuellen99 europäischen Verbraucherschutzregeln100 (nicht immer ganz einheitlich definierter Verbraucherbegriff als Abgrenzungskriterium, Informationspflichten, abschlußsituationsbezogene – teils auch vertragsartbezogene101 – Widerrufsrechte sowie negative Vertragsinhaltskontrolle in bestimmten Situationen102) ist mit der Verbrauchsgüterkauf-RL insbesondere der binnenmarktorientierte Trend zum Schutz der Erwartungen des Verbrauchers an ein bestimmtes Schutzniveau des rechtlichen Rahmens insgesamt (confident consumer)103 gestärkt worden. Statt einer rein negativen Vertragsinhaltskontrolle (mit der gegebenenfalls sich ergebenden Nichtigkeitsfolge) wird hier zum Teil nunmehr auch positiv in den Vertragsinhalt eingegriffen104, indem (insoweit von entscheidendem Interesse für die hier durchgeführte Untersuchung) für den gesamten Bereich des Verbrauchsgüterkaufs Werbeangaben – auch wenn sie nicht Gegenstand der individuellen Vertragsverhandlungen waren – im Ergebnis zu einem Teil des 96 Richtlinie 2002/65/EG v. 23. September 2002 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, ABl. EG Nr. L 271 v. 9. 10. 2002, 16 ff. (im folgenden FernabsatzFinDL-RL). 97 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. EG Nr. L 178 v. 17.7.2000, 1 ff. (im folgenden: E-Commerce-RL). Die E-Commerce-RL ist zwar ihrer Orientierung (und kommissionsinternen Herkunft) nach nicht den unmittelbar auf Verbraucherschutz gerichteten Richtlinien zuzuordnen, sondern repräsentiert vielmehr einen binnenmarktorientierten Ansatz (vgl. allgemein näher unten 2. Kap. 3. Abschn. B II zu den insoweit erkennbaren unterschiedlichen „Regelungstraditionen“); wegen der enthaltenen umfänglichen verbraucherschützenden Vorschriften in der Richtlinie wird sie hier aber im Kontext der Verbraucherschutzrichtlinien genannt. 98 S. o. 1.Kap. 1. Abschn. Fn. 438. 99 Zu deren punktuellem Charakter vgl. statt aller Basedow, AcP 200 (2000), 445, 453 ff.; Roth, JZ 2001, 475, 480 jeweils mwN. 100 Vgl. näher auch unten 2. Kap. 3. Abschn. B II und III. 101 So insbesondere nunmehr auch Art. 13 des Geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbraucherkreditverträge und zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 7.10.2005, Dok. KOM (2005) 483 endg., während die geltende Verbraucherkredit-RL im europäischen Recht (s. u. Fn. 106) bisher als Maßnahme der verbraucherschützenden Mindestharmonisierung noch lediglich Informationspflichten vorsieht. Bezüglich des schon zuvor existierenden Widerrufsrechts im deutschen Recht, welches insoweit als Vorbild der europäischen Rechtsentwicklung gesehen werden mag, allerdings noch kritisch wegen der Systemwidrigkeit eines derartigen vertragsartbezogenen Widerrufsrechts insbesondere Lorenz, S. 171 ff. Dagegen zu Recht Drexl, Selbstbestimmung, S. 466 ff.; explizit auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 349. Vgl. näher dazu auch noch unten (bei Fußnote 374). 102 So insbesondere die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträge, ABl. EG Nr. L 95 v. 21.4.1993, 29 ff. (im folgenden: Klausel-RL). 103 S. eingehend unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e. 104 S. mit dieser Terminologie und einer überzeugenden Kritik dieser Entwicklung (an dieser Stelle nur) Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121 ff.
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Vertragsinhalts gemacht werden und indem noch darüber hinaus auch die Verjährung der Sachmängelhaftung im Verhältnis von Unternehmern zu Verbrauchern durch zwingendes Recht ausgestaltet wird105. Neben dieser neuartigen Qualität des europäischen Verbraucherschutzrechts bilden, zweitens, die Integration der Verbraucherschutzgesetze in das BGB und die – noch über den von der Richtlinie regulierten reinen „B2C“-Bereich hinausgehende – Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-RL in das deutsche Recht im Rahmen der Schuldrechtsreform wesentliche, grundstürzende Entwicklungen, deren allgemeine Rückwirkungen auf die Prinzipienebene des deutschen Schuldrechts an dieser Stelle zu umreißen sind. In einer traditionellen Sichtweise ließen sich freilich die Integration der Mehrzahl der bisherigen Verbraucherschutzgesetze in den allgemeinen Teil des Schuldrechts sowie die Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-RL auch weiterhin als punktuelle Maßnahmen ansehen, die den Gesamtcharakter des deutschen Schuldrechts mit seiner liberalen, vom Gedanken absoluter Gleichordnung geprägten Prinzipienschicht nicht veränderten, sondern vielmehr lediglich abgegrenzte Enklaven des Verbraucherschutzes im BGB bildeten106. Hierfür ließe sich immerhin sogar anführen, daß die einzelnen Gesetze über den Schutz der Verbraucher im Zusammenhang mit der Verwendung von AGB, beim Haustürgeschäft, im Fernabsatz und beim elektronischen Handel mehr oder weniger unverändert und nur mit Blick auf das übergreifend in §§ 355 ff. BGB geregelte Widerrufs- und Rückgaberecht107 ansatzweise miteinander vernetzt und vereinheitlicht in das allgemeine Schuldrecht aufgenommen wurden108. 105
Vgl. zu alldem näher unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (3) mwN. Zweifelnd mit Blick auf die Rückwirkung der Aufnahme der Verbraucherschutzgesetze auf die Prinzipienebene des Schuldrechts beispielsweise Staudinger-Olzen, Einl zu §§ 241 ff., Rz. 76, der aber zugleich (wenn auch kritisch) konstatiert, daß viele Entwicklungen in der Rechtsprechung auf eine derartige Rückwirkung hindeuten. 107 Dieses war zudem schon zuvor bei der Umsetzung der Fernabsatz-RL in das BGB eingeführt worden (vgl. Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts v. 27. Juni 2000, BGBl. I Nr. 28 v. 29. 6. 2000, S. 897 ff.), war also ursprünglich sogar für ein Zusammenspiel mit verbraucherschutzrechtlichen Spezialgesetzen (deren Integration ins BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform zwar schon am Horizont erkennbar war) ausgelegt. 108 Micklitz, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 189, 190, spricht (im Kontext seiner genau diametralen, den Verbraucherschutz als Grundprinzip des Zivilrechts verstehenden Intention) enttäuscht von einer „Reform durch Integration ohne System“. Insbesondere mit Blick auf die Übernahme der Regelungen des AGBG im zweiten Abschnitt des zweiten Buchs des BGB über das Recht der Schuldverhältnisse war aus rechtssystematischer Sicht verschiedentlich kritisiert worden, daß die Regelungsmaterie in den Allgemeinen Teil (etwa in den Zusammenhang der §§ 145 ff. BGB gehöre (vgl. statt aller Roth, JZ 2001, 475, 488). Letztlich hatte der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang – angesichts der Inkohärenz der im AGBG selbst enthaltenen Regelungskomplexe – aber lediglich die Wahl, entweder den Regelungszusammenhang des AGBG (auf Kosten der systematischen KohärenzW des jetzigen BGB) zu erhalten, oder aber den Zusammenhang der Regelungen des AGBG aufzulösen und diese an den jeweils systematisch korrekten Orten in das BGB einzufügen (insoweit zutreffend Ulmer, JZ 2001, 491, 493, der darauf hinweist, daß durch die en bloc-Lösung dem Regelungszusammenhang des AGBG vor der Systematik des BGB die Priorität eingeräumt wurde). Angesichts der Unübersichtlichkeit, die dadurch bezüglich einer bisher in sich geschlossen geregelten Sachproblematik entstan106
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Der Gesetzgeber hat sich also109 – was die Bereiche der AGB, der Haustürgeschäfte, des Fernabsatzes und des E-Commerce betrifft – im wesentlichen mit einer Kompilation der bestehenden Verbraucherschutzgesetze begnügt, ohne die Gelegenheit zu weiterreichender innerer Abstimmung durch gegebenenfalls erforderliche Änderungen und Anpassungen (insbesondere durch behutsame Verallgemeinerung der punktuellen Verbraucherschutzgesetze unter dem Leitgedanken der Gleichbehandlung und eines wertungsehrlichen Vergleichs der jeweils geregelten Vertragsschlußsituationen110) im vollem Umfang zu nutzen111. Nichtsdestotrotz erfordern es die immer stärkeren Verbindungslinien und Parallelen in der Gestaltung der einzelnen „Verbraucherschutzinseln“, wie sie nun auch in der Inkorporierung und teilweise rechtsfolgenseitigen Verschmelzung112 mit dem allgemeinen Schuldrecht des BGB zum Ausdruck kommen, die These von der rein punktuellen Rolle der einzelnen Verbraucherschutzinstrumente, aus der sich eine Rückwirkung auf die Ebene der (liberalen) Grundsätze des Vertragsrechts nicht ergeben könne, aufzugeben113. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die neue Regelung des Verbrauchsgüterkaufs im BGB, die weitergehend als die Regelung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie114, die Sachmängelhaftung für den wäre (vgl. nur die Konkordanzliste bei Ulmer, aaO., 494), ist die letztlich gewählte Lösung wohl das kleinere Übel. 109 Trotz seiner entgegenstehenden Beteuerungen, vgl. etwa die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 79, 92 und 97. 110 Vgl. etwa die Forderung nach einer behutsamen Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs des Widerrufsrechts und der Informationspflichten im Sinne eines allgemeinen Prinzips für Verbraucherverträge unter ausdrücklicher Betonung der Bedeutung der europäischen Rechtsentwicklung für die Prinzipienschicht des deutschen Privatrechts bei Basedow, AcP 200 (2000), 445, 453 f. Man wird über die Forderung nach einer solchen Verallgemeinerung deshalb streiten können, weil der Verbraucherbegriff potentiell zu ungenau scheint, um die Situationen, in denen Informationsrechte und insbesondere ein Widerrufsrecht notwendig sind, trennscharf abzugrenzen. Überzeugend ist aber die Forderung, die Rückwirkung der punktuellen Verbraucherschutzregeln in ihrem Gesamtzusammenhang auf die Prinzipienebene des Schuldrechts zu berücksichtigen und daraus de lege ferenda Folgerungen zu ziehen. Demgegenüber zweifellos zu weitgehend Micklitz, ZEuP 1997, 253, 263, 265 mit der Forderung nach einer allgemeinen Informationspflicht und allgemeinen Widerrufsrechten auch für den „B2B“-Bereich. 111 In diese Richtung noch die Überlegungen von Roth, JZ 2001, 475, 489. 112 Insbesondere die hierbei (über die bloße Zusammenfassung der Rechtsfolgen der verbraucherschützenden Widerrufs- und Rückgaberechte hinaus) erfolgte inhaltliche Anpassung des allgemeinen Rücktrittsrechts der §§ 346 ff. BGB an die Risikoverteilung der Verbraucherschutzinstrumente, deren Rechtsfolgen damit im Ergebnis auch für den normalen Fall des Rücktritts weitgehend horizontalisiert wurden, ist ein weiterer Beleg der zunehmenden Vernetzung des allgemeinen BGB-Vertragsrechts mit den auf das europäische Gemeinschaftsrecht zurückgehenden punktuellen Verbraucherschutzregeln. Vgl. dazu an dieser Stelle nur MüKo-Ulmer, Vor § 355, Rz. 1 ff. 113 Eindeutig auch die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 97. Ebenso etwa Basedow, aaO.; Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff.; Erman-Saenger, Vor §§ 312–312f., Rz. 6 ff.; Palandt-Heinrichs, Vor § 145 BGB, Rz. 13. 114 Vgl. zu der daraus entstehenden dogmatischen Problematik der „Hybridnormen“ (betroffen sind etwa auch die §§ 355 ff. BGB, die hauptsächlich europäisches Recht umsetzen [soweit die Widerrufsrechte des früheren HausTWG, des VerbrKrG, des TzWrG und des FernAbsG
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Werbeangaben (bei Fehlen einer konkreten vertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung) auf dispositiver Basis über den Unternehmer-Verbraucher („B2C“)-Bereich hinaus verallgemeinert hat115. Die Verallgemeinerungstendenz dieser Regelung, die über das Einfallstor des Leitbilds des Vertragstyps im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (der die grundsätzlich dispositive Regelung mit einer hohen „faktischen“ Widerstandskraft gegen abweichende Regelungen versehen könnte)116 potentiell noch erheblich verstärkt wird, läßt eine Rückwirkung bestimmter Rechtsgrundsätze des Verbraucherschutzes auf die Ebene der allgemeinen Prinzipien des BGB-Vertragsrechts mittlerweile als gegeben erscheinen, zumal auch im Rahmen der Generalklauseln der §§ 134, 138 und § 242 BGB der Gedanke des Verbraucherschutzes im hier verstandenen Sinne eines Schutzes der wirtschaftlichen Selbstbestimmung stets und letzthin mehr und mehr Eingang gefunden hat117. Dabei wird durch die Inkorporierung der Verbraucherschutzvorschriften in das allgemeine Vertragsrecht des BGB und die damit einhergehende höhere äußere „Sichtbarkeit“ der Sonderregelungen in bestimmten Bereichen, die nun noch mehr als bisher zum Gegenstand der allgemeinen Zivilrechtsdogmatik werden, ein faktischer Druck auf den Verbraucherbegriff entstehen und seine Tauglichkeit zur zielgenauen Identifikation von Situationen gestörter Ausübung der Selbstbestimmung, d.h. von typisierten Fällen des Versagens bzw. der Ge-
zusammengefaßt werden], teilweise aber auch keinerlei europäischen Hintergrund haben [soweit das Widerrufsrecht des FernUSG betroffen ist]), die in einem Teil ihres Anwendungsbereichs auf europäisches Recht zurückgehen und daher gemeinschaftsrechtlich geprägt – insbesondere richtlinienkonform – auszulegen sind, in einem anderen (überschießenden) Teil ihres Anwendungsbereichs demgegenüber (zumindest theoretisch) allein nach den Grundsätzen des deutschen Rechts ausgelegt werden könnten, Dörner, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 177, 182 ff. Richtigerweise wird man in Parallele zu dem entsprechenden Problem im Falle der EGBGB-Vorschriften, die das EVÜ in zum Teil überschießender Weise in das deutsche Recht inkorporieren, davon ausgehen müssen, daß die Normen grundsätzlich einheitlich, d.h. auch für den die europarechtliche Vorgabe überschießenden Bereich richtlinienkonform, ausgelegt werden müssen. Auch die Gesetzesbegründung (s. Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 211) läßt nur dieses Verständnis zu. Vgl. näher Dörner, aaO. unter Hinweis auf Staudinger-Winkler von Mohrenfels, Art. 11 EGBGB, Rz. 16, 41 f. Verfahrensrechtlich entspricht der Auslegungsproblematik das Problem der Vorlagepflicht zum EuGH, die nach Art. 234 EG an sich nur entsteht, soweit „Hybridnormen“ auf europäisches Recht zurückgehen, faktisch durch die grundsätzlich einheitliche Auslegung aber zu weitergehenden Kompetenzen des EuGH bei der Auslegung deutschen Rechts führen kann. Vgl. auch noch unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (4) (b). 115 Auch die Richtlinie ist trotz ihres auf den „B2C“-Bereich begrenzten Anwendungsbereichs entgegen der wohl herrschenden Meinung (vgl. die Nachweise bei Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 43 [in Fn11]) ihrer inneren Struktur und ihrem Regelungsgehalt nach als „genuin allgemeines Privatrecht“ anzusehen (insoweit zutreffend Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 43 ff., dessen weiterführende These, es handele sich deshalb um Unternehmensrecht freilich wiederum auf Zweifel stoßen muß). 116 Vgl. allgemein aus dem Vorfeld der Schuldrechtsreform Roth, JZ 2001, 475, 489; SchmidtRäntsch, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 169, 174 unter Hinweis auf Dauner-Lieb: „schleichender Paradigmenwechsel“. 117 Vgl. allgemein statt aller Drexl, Selbstbestimmung, S. 493 ff., 515 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen; Roth, JZ 2001, 475, 487. Kritisch Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 5 f. mwN.
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fährdung des Vertragsentstehungsmechanismus zunehmend hinterfragt werden118. Dieser „Rechtfertigungsdruck“ bezüglich der verbraucherschützenden Sonderregeln muß nicht stets in einer Verallgemeinerungstendenz resultieren, sondern kann in einzelnen Fällen auch mittelfristig zu einer Verengung des Verbraucherschutzes (im Rahmen des europarechtlich zulässigen) führen119. Jedenfalls aber wird sich die Erkenntnis durchsetzen, daß es sich beim Begriff des Verbrauchers, gleichermaßen wie bei der Abgrenzung des Unternehmer zu Verbraucher („B2C“)-Bereichs, allenfalls um indizweise, typisierte Annäherungen an Konstellationen handelt, in denen typischerweise eine fehlerhafte Vertragsentstehung droht. Regelungstechnisch werden in einem ersten Schritt Sondersituationen (Haustürgeschäft, Fernabsatz, E-Commerce) identifiziert, in denen fehlerhafte Vertragsabschlüsse strukturell drohen. Der Verbraucherbegriff dient unter dieser Perspektive (in einem zweiten Schritt) dem (negativen) Zweck, diejenigen Verkehrskreise abzugrenzen (eben die „Nicht-Verbraucher“), die eines situationsbezogenen Schutzes nicht bedürfen120. Mit den Regelungen der Verbrauchsgüterkauf-RL und insbesondere ihrer halbzwingenden Umsetzung in das deutsche Recht ist diese Regelungstechnik aus dem Bereich der Sondersituationen gewissermaßen „herausgewachsen“; für einen Kernbereich des Vertragsrechts, den Kaufvertrag, wird letztlich ein – über das Prinzip rein formaler Privatautonomie hinausgehender – neuer rechtlicher Rahmen etabliert, der nur im Verhältnis zu Unternehmern abdingbar ist. Die Verbraucherschutzinstrumente und ihre Sicherungsfunktion sind die Regel, sie bilden den rechtlichen Rahmen für das Verkehrssystem in diesem zentralen Bereich des Schuldrechts; ihr Fehlen oder ihre Dispositivität sind die Ausnahme121.
Ist nach all dem also eine Rückwirkung der Inkorporierung der Verbraucherschutzgesetze und insbesondere der Neuregelung des Verbrauchsgüterkaufs auf die (traditionell als nur vom liberalen Prinzip formaler Privatautonomie geprägt angesehene) Prinzipienschicht des BGB-Vertragsrechts im Sinne einer Materialisierung122 des Verständnisses der Vertragsfreiheit nicht zu leugnen, so bleibt doch klarzustellen, daß dies zwar eine quantitativ erhebliche Intensivierung des in diesem umfassenden Sinne (einer Sicherung wirtschaftlicher Selbstbestimmung) verstandenen „Verbraucherschutz“prinzips im allgemeinen Schuldrecht bedeutet, nicht aber eine qualitative Veränderung für die Prinzipienschicht des BGB-Ver118 Zutreffend und durchaus zu Recht diese Entwicklung begrüßend insbesondere Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 68 ff. Vgl. aber auch unten 4. Kap. 2. Abschn. A III zur unumgänglichen Notwendigkeit einer gewissen Typisierung. 119 Lediglich beispielhaft sei hier die (freilich letztlich unberechtigte, s. noch u. Fn. 374) Kritik von Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 195 ff., an vertragsartbezogenen Widerrufsrechten genannt. 120 Ebenso Drexl, Selbstbestimmung, S. 206 ff; zustimmend Pfeiffer, in Schulze/SchulteNölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 133, 136 ff. Dies entspricht gerade spiegelbildlich der Technik des HGB, das auf Grundlage des Kaufmannsbegriffs bestimmte Schutzvorschriften des allgemeinen bürgerlichen Rechts für den rein gewerblichen Rechtsverkehr lockert; kein Zufall dürften insofern die auch in diesem Bereich zu beobachtenden Überlegungen in Richtung auf eine langfristige (zumindest teilweise) Integration der Vorschriften über die Handelsgeschäfte in das BGB sein. Vgl. etwa K. Schmidt, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 143 ff.; wie hier insbesondere die Überlegungen bei Grundmann, AcP 202 (2002), 40 ff. 121 Zutreffend Grundmann, aaO. S. zum ganzen sowie insbesondere zu Notwendigkeit und Grenzen der Typisierung durch den Verbraucherbegriff im Vertrags- und Wettbewerbsrecht noch unten 4. Kap. 2. Abschn. A III. 122 Vgl. zur diesbezüglichen Terminologie noch sogleich unten im weiteren Text.
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tragsrechts. Denn – wie oben (I und II) bereits angedeutet wurde – sind vielfältige (auch typisierte123) Sicherungsinstrumente für den Mechanismus der selbstbestimmten Vertragsentstehung im Allgemeinen Teil des BGB sowie im allgemeinen Schuldrecht stets vorhanden gewesen, wobei die Beispiele der §§ 104 ff., 123, 134, 138 BGB, der culpa in contrahendo und bestimmter Formvorschriften an dieser Stelle zum Beleg genügen mögen124. So betrachtet ist die Inkorporierung der Verbraucherschutzvorschriften nur der letzte Beleg, der die vielfältigen Sicherungsinstrumente für den Vertragsmechanismus, die im BGB ohnedies stets vorhanden waren, in dieser Funktion augenfällig macht125. Gleichviel, ob man sich dieser hier vertretenen Sichtweise anschließt oder ob man in der nunmehr erfolgten Regelung des Verbrauchsgüterkaufs und der Integration der Verbraucherschutzgesetze eine doch neue Qualität des BGB-Vertragsrechts im Sinne einer erst nunmehr untrennbar eingewobenen Sicherung der Selbstbestimmung vor spezifischen Gefährdungslagen erblickt126, ist jedenfalls im 123 Das Beispiel des Minderjährigenschutzes mag an dieser Stelle genügen. Vgl. dazu auch näher o. 1.Kap. 1.Abschn. Fn. 533. 124 Ebenso Bydlinski, System und Prinzipien, S. 181: „Alleinherrschaft der Privatautonomie auf diesem Gebiet hätte nie behauptet werden sollen und trifft heute weniger denn je zu. Ein spezifischer Vorgang dieses Prinzips läßt sich aber … nach wie vor erkennen“. Vgl. grundlegend Drexl, Selbstbestimmung, S. 493 ff., 515 ff., der in der von ihm vorgeschlagenen Einteilung der Verbraucherschutzvorschriften diese Regelungen einer Untergruppe des kompensatorischen Verbraucherschutzes zuordnet, die sich dadurch auszeichnet, daß allgemeine Bestimmungen des Zivilrechts (insbesondere die Generalklauseln) verbraucherschützenden Zwecken im Sinne einer Absicherung wirtschaftlicher Selbstbestimmung, dienen. 125 Ebenso Dörner, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 177 f. mwN.; Roth, JZ 2001, 475, 487; MüKo-Kramer, Vor §§ 241 ff., Rz. 2 ff.; Palandt-Heinrichs, Vor §§ 145 ff. BGB, Rz. 13 ff. 126 Hierfür mag immerhin die geschichtliche Entwicklung angeführt werden. Denn über die allgemeinen Instrumente des Vertragsrechts hinaus, die lediglich auch der Sicherung wirtschaftlicher Selbstbestimmung dienen (ihr den Rahmen setzen), waren spezifische „Konsumentenschutzprobleme“ im engeren Sinne zum Zeitpunkt der Entstehung des BGB ja durchaus bereits bekannt und wurden dennoch nicht innerhalb des BGB geregelt. Exemplarisch hierfür ist die Verbraucherkredit-, d.h. „Abzahlungs“problematik (nennen ließe sich aber etwa auch die Regulierung des „Hausiergewerbes“ in der Gewerbeordnung), die schon vor Inkrafttreten des BGB im Jahre 1894 im Abzahlungsgesetz geregelt wurde, wobei der systematische Aspekt (Regelung des „Konsumentenschutzes“ im BGB oder in Sondergesetzen?) durchaus schon damals gesehen und auch offen diskutiert wurde. Es war dann im Ergebnis eher der akute Problemdruck, der zu einer Regelung in einem Sondergesetz führte, da man nicht glaubte, „die wirtschaftlich Schwachen ad calendas graecas“ vertrösten zu können, zumal sich der BGB-Entwurf zu diesem Zeitpunkt noch in der zweiten Kommission befand und nicht absehbar war, wann das Gesetz in Kraft treten würde. Obwohl man also „im Reichstag mit Ehrfurcht auf die kommende Kodifikation [blickte] und [feststellte], daß es wohl etwas Mißliches habe, am Vorabend der Einführung des BGB eine einzelne aus dem Zivilrecht herausgegriffene Materie durch ein spezielles Reichsgesetz zu regeln“, entschied man sich angesichts der drängenden Mißstände im Abzahlungshandel für eine schnellstmögliche Regelung in einem Sondergesetz. Im BGB selbst war die Problematik wohl hauptsächlich deshalb nicht aufgenommen worden, weil man eine solche aktuell „politisch“ drängende und letztgültig noch nicht ausgereifte Problematik im Rahmen der sich bereits abzeichnenden Spezialregelung für besser aufgehoben hielt, als im BGB, welches nach dem überwiegenden Verständnis seiner Verfasser eher das bestehende Recht kodifizieren,
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Ergebnis das Rechtsgeschäftsrecht des BGB nach der Schuldrechtsreform nicht länger als von einer rein formalen Privatautonomie geprägt anzusehen, sondern ist vielmehr ohne weiteres anzuerkennen, daß es lediglich eine bestimmte, vielfältig geschützte (und damit zugleich eingeschränkte) Vertragsfreiheit ist, die das Vertragsverständnis des BGB grundsätzlich prägt. Um dies zu kennzeichnen wurden schon vor geraumer Zeit gelegentlich die Begriffe vom Konsensprinzip bzw. von einer qualifizierten Privatautonomie verwendet127; in der neueren Literatur ist häufiger die Rede von einer materialisierten Privatautonomie128. Beide Begriffe beinhalten essentiell dieselbe Aussage im Sinne einer Sicherung selbstbestimmter Entscheidungen gegen Gefährdungslagen, die zu den Grundprinzipien des Vertragsrechts zählt und daher als teleologischer Grundsatz bei der Auslegung der Generalklauseln des Allgemeinen Teils und des Schuldrechts zu berücksichtigen ist129. Da sich der Begriff der materiellen Privatautonomie gegenüber anderen Terals aktuell politisch geforderte Umgestaltungen leisten sollte (vgl. zum ganzen ausführlich Geyer, Der Verbraucherschutzgedanke im Reichsrecht des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, S. 60 f., unter Hinweis auf die Sitzungsprotokolle der Reichstagsberatungen zum Abzahlungsgesetz, sowie ausführlich zur Behandlung dieser Frage in der Entstehung des BGB, aaO., S. 61 ff. mwN). Die Regelung in einem Spezialgesetz reflektierte insoweit also wohl eher die allgemeine Neigung der Gesetzgebung, drängende, noch nicht letztgültig gelöste Spezialprobleme zuerst in Einzelgesetzen zu lösen, die dann erst im weiteren Verlauf – wenn überhaupt noch – in die Systematik einer größeren Kodifikation einbezogen werden (vgl. zu dieser allgemeinen Beobachtung näher Peter Noll, Gesetzgebungslehre, S. 214 f.), als die Annahme einer grundsätzlichen dogmatischen Fremdartigkeit der Problematik im BGB. Die Tatsache, daß es hauptsächlich politisch-verfahrensökonomische Gründe waren, die zu einer Regelung des Abzahlungsgeschäfts in einem Sondergesetz führten, wird noch dadurch bestätigt, daß konkrete Überlegungen, an welcher Stelle die Regelung der Abzahlungsproblematik im BGB erfolgen könnte (etwa im Kontext des allgemeinen Rücktrittsrechts, mithin gerade in etwa der Weise, wie sie nun über 100 Jahre später im Rahmen der Schuldrechtsreform integriert worden ist) in der Rechtswissenschaft durchaus schon erfolgt waren und dann letztlich nur unter ausdrücklichem Verweis auf das hinsichtlich dieser Frage in Vorbereitung befindliche Spezialgesetz keine Behandlung in der zweiten Kommission erfolgte (vgl. Prot. I, S. 475, sowie hierzu auch Schubert, 102 ZRG 1985, 130, 164), wofür dann aber neben diesen verfahrensökonomischen Erwägungen inhaltlich wohl auch die zuvor genannten Gründe (einer Meidung der politisch „infizierten“ Problematik) maßgeblich gewesen sein dürften (so insbesondere Geyer, aaO. mwN). Jedenfalls für einen regelrechten inneren Gegensatz zwischen verbraucherschützenden Sondergesetzen und den Grundprinzipien des allgemeinen Schuldrechts des BGB läßt sich also in der dokumentierten Entstehungsgeschichte des BGB kein durchgreifendes Argument finden. Vgl. zum ganzen auch Benöhr, ZHR 138 (1974), 492 ff. 127 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 179 ff., insbesondere S. 183. 128 S. mit einer grundlegenden begrifflichen Annäherung Canaris, AcP 200 (2000), 273, 276 ff,; vgl. im übrigen nur Drexl, Selbstbestimmung, S. 38 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 26 ff. 129 Das Prinzip der Absicherung der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung ist also schon dem inneren System des Privatrechts eingeprägt, so daß der Rückgriff auf den verfassungsrechtlichen Grundrechtsschutz in diesem Zusammenhang in der Regel nicht notwendig oder gar vordringlich ist, sondern vielmehr das Privatrecht mit seinem eigenen diesbezüglichen Wertesystem in einer Wechselbeziehung mit der verfassungsrechtlichen Ordnung steht, wie dies insbesondere Mestmäcker verschiedentlich hervorgehoben hat (vgl. etwa Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235, 238 ff.). Soweit das Bundesverfassungsgericht in seiner „Bürgschaftsentscheidung“ BVerfGE 89, 214 ff., den Verfassungsauftrag zum Schutz der Entscheidungsfreiheit in typisierbaren Situatio-
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mini zusehends auch in der Standardkommentarliteratur durchsetzt130, wird ihm hier der Vorzug gegeben.
3. Der Trend zur Entindividualisierung des Schuldrechts und zur Betonung der Systemfunktion Sieht man insofern die Integration der Verbraucherschutzgesetze in das allgemeine Schuldrecht und die Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie als lediglich quantitativ den ohnedies vorhandenen Trend zur Materialisierung des Privatautonomiebegriffs des BGB stärkend an, so ist dies jedoch nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite bringt die Integration der Verbraucherschutzgesetze in das BGB eine Veränderung mit sich, die sich als schleichende Entindividualisierung des Schuldrechts bezeichnen ließe und die besondere Bedeutung für die Abgrenzung vom lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutz hat. Bisher lag es nahe, die schuldrechtlichen Regelungen der rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisse und ihrer Anbahnung zumindest dadurch gekennzeichnet zu sehen, daß ihnen – in Abgrenzung von allgemeinen Verkehrssicherungspflichten – eine gewisse, wie immer im einzelnen abzugrenzende – individuelle Sonderverbindung (typischerweise, wenngleich nicht notwendig, die Anbahnung eines individuellen Vertrags mit relativen Forderungsrechten) zugrundeliegt131. Soweit über diese Regelung einzelner Sonderbeziehungen hinaus eine institutionelle Funktion des Schuldrechts im Sinne der Sicherung eines Rahmens für das Verkehrssystem insgesamt gesehen wurde, war diese konsequenterweise als rein mittelbarer Reflex der individuellen Regelung zu behandeln, der (nach umstrittener Auffassung132) in der nen wirtschaftlicher Unterlegenheit formuliert, kann dies allenfalls eine Art verfassungsrechtliches Auffangnetz für ganz außerordentliche, drastische und ungerechtfertigte Unterlassungen des Gesetzgebers in evident die Privatautonomie gefährdenden Situationen sein, zumal auch das Bundesverfassungsgericht, aaO., S. 234 ff., ausdrücklich feststellt, daß das bestehende Privatrechtssystem der grundrechtlichen Schutzpflicht hinsichtlich der Privatautonomie derzeit durchaus gerecht wird, der Gesetzgeber also seiner grundrechtlichen Schutzpflicht gewissermaßen vorauseilt. Ganz ähnlich Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 14: „Ausstrahlungswirkung der Grundrechte [als] … letztes Mittel gegen ’schreiendes‘ zivilrechtliches Unrecht“. Vgl. aber zu den aus der Rechtsprechung des BVerfG abzuleitenden Folgerungen gerade aus dem Vergleich des vertrags- und des wettbewerbsrechtlichen Bereichs näher noch unten 2. Kap. 2. Abschn. B. S. im übrigen allgemein zur Bedeutung der Grundprinzipien des Schuldrechts für die Konkretisierung der schuldrechtlichen Generalklauseln Staudinger-Olzen, Einl zu §§ 241 ff., Rz. 75 f. 130 Vgl. MüKo-Kramer, Vor §§ 241 ff., Rz. 2: „der Gesetzgeber hat das Vertragsrecht … zunehmend ‚materialisiert´“. S. zum Begriff der „Materialisierung“ grundlegend Canaris, AcP 200 (2000), 273, 276 ff. 131 Vgl. statt aller Larenz, Schuldrecht I, § 1 (S. 5): „rechtliches Band“; Bydlinski, System und Prinzipien, S. 171 f. jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. 132 So insbesondere allgemein und grundlegend Raiser, Institutionenschutz, S. 145 ff., der neben dem Privatrecht als einem System subjektiver Rechte des einzelnen stets den Systemgedanken im Sinne einer „Entfaltung und Sicherung der das gesellschaftliche Leben durchziehenden Institutionen durch die Ausbildung entsprechender Rechtsinstitute kraft objektiven Rechts“ betonte (aaO., S. 148).
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Rechtsanwendung zwar Berücksichtigung finden konnte, ohne daß aber deshalb die institutionelle Sicherung des Verkehrssystems weithin als eine der eigentlichen Aufgabe des Schuldrechts angesehen und das Schuldrecht auch explizit und eingehend unter diesem Blickwinkel betrachtet worden wäre133. Für derartige Instrumente der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des angestammten Schuldvertragsrechts ließe sich demnach von einer nur reflexartig marktbezogenen Ordnungsfunktion (Systemfunktion) sprechen, welche diesen Vorschriften teleologisch nicht von vornherein eingeprägt war, sondern welche ihnen vielmehr – im Gleichschritt mit der wirtschaftlichen Entwicklung hin zum Massenverkehr der entwikkelten Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts – nach und nach zugewachsen ist und welche – insbesondere in besonders sensiblen Verkehrsbereichen – zu einem schleichenden Einzug typisiert am Massenverkehr ausgerichteter Maßstäbe durch geeignete Einfallstore – insbesondere im Rahmen unbestimmter Rechtsbegriffe der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldvertragsrechts – geführt hat. Hier bringt die Inkorporierung der Verbraucherschutzgesetze, wie auch die Umsetzung der aktuellen europäischen Richtlinien ins Schuldrecht des BGB eine bedeutungsvolle Änderung mit sich. Verkürzt und als These vorab bewußt griffig und provokant ließe sich formulieren, daß sich durch die neuen Regelungen allgemein-typisierte Verkehrssicherungspflichten an zentrale Stellen des BGB-Schuldrechts „verirrt“ haben, die von vornherein – ihrem primären Regelungszweck nach – nicht lediglich der Regelung individueller Sonderbeziehungen, sondern der Etablierung eines zwingenden rechtlichen Rahmens für den Verkehr in bestimmten Bereichen dienen. Anders ausgedrückt: der individuelle Schutz der vorvertraglichen Willensbildung durch Begründung einer individuellen Verantwortlichkeit der einen Partei für die Willensstörung der anderen Partei als Folge einer Pflichtverletzung im vorvertraglichen Bereich (mit seiner lediglich mittelbaren institutionellen Reflexwirkung) wird zusehends ergänzt durch einen bewußt auch (oder sogar ausschließlich) institutionell über die Ausgestaltung des Verkehrssystems vermittelten Schutz der Willensbildung durch Auferlegung allgemein-typisierter Verkehrssicherungspflichten in bestimmten Geschäftsbereichen, die folgerichtig nur zum Teil geeignet und bestimmt sind, auch eine individuelle vorvertragliche Haftung zu begründen134. Gemeinsam ist diesen – bisher zumeist situationsspezifischen – Instrumenten, daß ihnen von vornherein im Einklang mit der gesetzgeberischen Absicht auch eine wettbewerbssteuernde Funktion zugewiesen ist: sie haben sämtlich eine eigenständige marktbezogene Ordnungsfunktion (Systemfunktion). 133 Auf das diesbezügliche Forschungsdefizit weist auch Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 178 f. mwN. Vgl. zur diesbezüglichen Diskussion um die Rolle des Privatrechts im angelsächsischen Rechtskreis schon o. 1.Kap. 1.Abschn. Fn. 364. 134 Vgl. an dieser Stelle nur Grigoleit, WM 2001, 597 ff. S. ausführlich und mit den notwendigen Differenzierungen noch unten 4.Kap. 3.Abschn. B (bezüglich der rechtsfolgenorientierten Analyse der verbraucherschützenden Informationspflichten).
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Ein besonders deutliches Beispiel für diesen Trend bilden die Informationspflichten des § 312e Abs. 1 BGB (zum Teil i.V.m. der Informationspflichtverordnung) für den E-Commerce135. Während sich hinsichtlich der Pflichten, über die zum Vertragsschluß führenden Schritte zu informieren, sowie angemessene technische Mittel zur Korrektur von Eingabefehlern zur Verfügung zu stellen (§§ 312e Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 i.V.m. § 3 Nrn. 1, 3 InfoV), trotz des aus der Sonderbeziehung bereits hinausweisenden Charakters zumindest noch die Zwecksetzung erkennen läßt, die individuelle Willensbildung des Kunden zu schützen, ist hinsichtlich der Pflichten, über die zur Verfügung stehenden Sprachen und insbesondere die Gebundenheit des Unternehmers an bestimmte Regelwerke der freiwilligen Selbstregulierung zu informieren (§ 312e Abs. 1 Nr. 2 BGB i.V.m. § 3 Nrn. 2, 4, 5 InfoV), eine derartige individuelle Zweckrichtung bezüglich der Willensbildung des einzelnen Kunden nicht mehr zu erkennen136. Insbesondere die Pflicht, bezüglich der Bindung an Instrumente der freiwilligen Selbstregulierung zu informieren, hat eindeutig den Charakter einer (jedenfalls im weiteren Sinne werbebezogenen) Informationspflicht, die dem lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz nähersteht als der Regelung vorvertraglicher Sonderbeziehungen; die Pflicht, über die zur Verfügung stehenden Sprachen zu informieren, dürfte gleichfalls mehr binnenmarktbezogene Ziele institutioneller Art verfolgen, da ein sinnvoller Individualschutzgehalt jedenfalls nicht ohne weiteres erkennbar ist. Wenn die Verletzung dieser Pflichten dennoch gemäß § 312e Abs. 3 BGB zu einer Verlängerung der Widerrufsfrist bezüglich in anderen Normen, typischerweise § 312d BGB, begründeter Widerrufsrechte führt, so ist dies nicht länger mit dem Individualschutz der betreffenden Kunden zu erklären, sondern stellt nicht mehr und nicht weniger als eine individualrechtliche Sanktionierung der Verletzung einer allgemeinen (eher lauterkeitsrechtlichen) Verkehrssicherungspflicht dar137. Darauf wird in dieser Untersuchung eingehend zurückzukommen sein138.
Die Entwicklung hin zu einem „kollektiven“ Schutz der Verbraucher durch den „Aufbau einer wirtschaftsrechtlichen Rahmenordnung“139, die bei § 312e BGB überdeutlich wird, läßt sich auch bei allen anderen Verbraucherschutzinstrumenten entdecken, die nunmehr in das allgemeine Schuldrecht des BGB Eingang gefunden haben.
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Insoweit beispielhaft Grigoleit, aaO. Zutreffend Grigoleit, aaO., mit dem Versuch einer Analyse der den betreffenden Pflichten zugrundeliegenden („zum Teil schwer nachvollziehbaren“) Motive des europäischen Gesetzgebers. Vgl. zu alldem näher auch noch unten 4. Kap. 3.Abschn. B I 2 b (2). 137 Unter dieser Perspektive kann man auch die Sanktionierung der Nichterfüllung der komplexen informationellen Anforderungen des § 312c BGB im Fernabsatz durch einen unbefristeten Aufschub des Beginns der Widerrufsfrist (mindestens) zum Teil betrachten. Denn insbesondere bei Bagatellverstößen, die angesichts der Komplexität der Pflichten naheliegen, wird es für den Verbraucher in der Praxis naheliegend sein, einen Informationsmangel regelrecht „aufzuspüren“, um eine zeitliche Ausdehnung des Widerrufsrechts zu erreichen, worauf Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1155 zutreffend hinweist. Hier wird der typisierte Verbraucherschutz im Ergebnis vom Individualschutzinstrument zum Sanktionsinstrument für eine Verletzung der rahmenbildenden Informationspflichten. Vgl. zu dieser hier vertretenen Auffassung und zu gebotenen Einschränkungen der zweckwidrigen individuellen Sanktionierung derartiger Pflichten näher unten 4. Kap. 3.Abschn. B I 2 b (2). 138 S. ausführlich zu den verbraucherschützenden Informationspflichten im Recht der besonderen Vertriebsformen unten 4. Kap. 3.Abschn. B. 139 Zutreffend MüKo-Kramer, Vor §§ 241 ff., Rz. 2. 136
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So dienten – als weiteres Beispiel – die (jetzt in §§ 305 ff. BGB befindlichen) Vorschriften schon des AGBG von Beginn an nicht nur dem Schutz des einzelnen Vertragspartners durch Anordnung der Unwirksamkeit im individuellen Fall, sondern etablierten mit der Unterlassungsklage gegen Verwender oder Empfehler von AGB (zuerst nach § 13 AGBG) zugleich einen institutionellen Schutz gegen die Verwendung einseitig benachteiligender Klauselwerke schon im Vorfeld der Anbahnung individueller Verträge140. Später wurde (zum Großteil in Umsetzung der Unterlassungsklage-Richtlinie141) mit der Verbandsklagemöglichkeit nach § 22 Abs. 1 AGBG dieser Schutz auf die anderen Verbraucherschutzgesetze ausgeweitet; mittlerweile finden sich die entsprechenden Vorschriften im Unterlassungsklagegesetz zusammengefaßt142. Die Ausdehnung der Verbandsklagemöglichkeit auf Verletzungen verbraucherschützender Vorschriften des allgemeinen BGB-Schuldrechts ist richtigerweise so aufzufassen, daß der Doppelcharakter dieser Verbraucherschutzvorschriften – als institutionelle Gewährleistungen bezüglich der Rahmenordnung eines bestimmten Bereichs des Wirtschaftsverkehrs im kollektiven Interesse der Marktbeteiligten (Verwendung von Klauselwerken, Haustürgeschäfte, Fernabsatz oder E-Commerce) und zugleich als Vorschriften zum Schutz des individuellen Verbrauchers – nunmehr für das Vertragsrecht ausdrücklich anerkannt ist143. Die Einräumung der Verbandsklage als Rechtsschutzinstrument in diesen Fällen widerspiegelt bei idealtypischer Ausgestaltung gerade die Interessenlage in diesen Bereichen, indem sie repräsentativen Organisationen derjenigen Verkehrsteilnehmer, für die die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Rahmenordnung im spezifischen Bereich von Bedeutung ist, ein Klagerecht einräumt. Natürlich kann die verfahrensrechtliche Gestaltung der Klagebefugnis insoweit stets nur eine grobe Annäherung an die zugrundeliegende kollektive Interessenlage darstellen, zumal der Verbraucherbegriff (ebensowenig wie hinsichtlich des individuellen Schutzes) kaum trennscharf genug ist, um die betroffenen Verkehrskreise und ihre kollektiven Interessen zutreffend abzugrenzen144. Faktisch steht ohnedies eher die ordnungspolitische Funktion 140 Vgl. statt aller zuletzt Ulmer, JZ 2001, 491, 495 f. mwN. Für eine grundlegende dogmatische Einordnung der AGB-Verbandsklage vgl. Reinel, Die Verbandsklage nach dem AGBG, S. 93 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 141 Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. EG Nr. L 166 v. 11.6.1998, 51 ff. (im folgenden Unterlassungsklage-Richtlinie). 142 Zur Rechtsentwicklung in diesem Bereich, vgl. statt aller den kurzen Überblick bei Palandt-Bassenge, UKlaG, Einl., Rz. 2 f. mwN. 143 Vgl. treffend die verallgemeinerbare Darstellung bei Grigoleit, WM 2001, 597, 599 f., zu der durch die Einrichtung der Verbandsklage den Verbraucherschutzvorschriften wertungsmäßig zugewiesenen institutionellen Zielsetzung und Rolle bei der Sicherung der Markttransparenz und des Systems freien Wettbewerbs. 144 Aus diesem Grunde wurde aufgrund rechtsvergleichender Analyse im Vorfeld der Verabschiedung des Unterlassungsklagegesetzes prompt vorgeschlagen, den Anwendungsbereich der Verbandsklage auf Unterlassung über den Bereich des Verbraucherschutzrechts hinaus zu verallgemeinern, wofür etwa Art. 3 : 305a des niederländischen bürgerlichen Gesetzbuchs ein Beispiel bietet, in dessen Rahmen grundsätzlich jedes Rechtsgebiet als Gegenstand einer Verbandsklage in Betracht kommt, sofern durch ein rechtswidriges Verhalten die geschützten Interessen mehrerer anderer Personen in gleicher Weise verletzt werden und der Schutz derer Interessen zu den satzungsmäßigen Aufgaben des klagenden Verbandes gehört. Vgl. näher Hopt/Baetge, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 11, 39 ff. mwN. Angesichts der damit sich multiplizierenden Mißbrauchsgefahren, die durch entsprechend strenge Anforderungen an die Qualifizierung als klagebefugter Verband wohl nur zum Teil eingedämmt werden könnten (vgl. zu den Grundlagen der diesbezüglichen Mißbrauchsgefahren bei Gruppen- und Verbandsklagen aus der Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts Schäfer, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 65, 71 ff., 86 ff.),
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der Verbandsklage im Vordergrund: In Bereichen, wo die individuelle Rechtewahrnehmung durch die Betroffenen nicht genügt, weil diese typischerweise ihre Interessen nicht wahrnehmen können oder wollen145, soll die private Initiative zur Sicherung der Rahmenordnung (Systemfunktion) durch eine zusätzliche Rechtskontrolle durch ausgewählte Verbände ergänzt werden146. Für unsere Betrachtung der Prinzipienebene des Schuldrechts genügt an dieser Stelle die Feststellung, daß die institutionelle (System-)Funktion des Verbrauchervertragsrechts durch das Unterlassungsklagegesetz ausdrückliche Anerkennung findet. Daß häufig die institutionelle, rahmenbildende Funktion gegenüber der Regelung der individuellen Sonderbeziehung sogar im Vordergrund steht, zeigt sich auch auf der Ebene der Regelung individueller Rechtsverhältnisse eindrucksvoll daran, daß insbesondere die Widerrufsrechte bei Haustürgeschäften, im Fernabsatz und bei Verbraucherkrediten ja gerade keine fehlerhafte Willensentschließung des einzelnen Verbrauchers – mithin nicht einmal eine minimale individuelle Zurechnung – voraussetzen, sondern vielmehr typisiert sämtliche Vertragspartner schützen, gleichgültig, ob deren Vertragsentschluß konkret fehlerhaft war oder nicht147.
Angesichts dieser – schon angesichts der unvermeidlichen Typisierung – über den Individualfall hinausweisenden Funktion der Verbraucherschutzvorschriften, die in ganzen Geschäftsbereichen im Interesse des Wettbewerbs und der Markttransparenz zugleich eine wirtschaftliche Rahmenordnung etablieren (oder wie gezeigt sogar ausschließlich diesem systemfunktionalen Zweck dienen), mutet es überraschend an, daß deren diesbezügliche Rolle aus der Sicht des Vertragsrechts selten in den Zusammenhang des lauterkeitsrechtlichen Schutzes des Wettbewerbs und der Markttransparenz gestellt wurde148. Etwa die Regelung der Klauselproblemaist dieser Vorschlag mit einer gewissen Zurückhaltung zu beurteilen. Außer Zweifel steht jedoch, daß eine punktuelle Ausdehnung auf weitere, genau umgrenzte Bereiche und Kollektivinteressen (etwa die Interessen der Börsenanleger etc.) auch aus rechtsvergleichender Sicht (vgl. auch die Ausführungen zur besonderen Eignung der Gruppenklage im Bereich des Börsenrechts auch im (institutionellen) Interesse der Sicherstellung der Transparenz des Kapitalmarkts und zu den diesbezüglichen Voraussetzungen ihrer Ausgestaltung bei Baetge/Wöbke, in: Basedow/ Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 363 ff., (zusammenfassend S. 377) sinnvoll und unter Umständen im Einzelfall sogar zielgenauer als die etwas willkürlich anmutende Auswahl des Verbraucherrechts sein könnte. Vgl. näher auch unten 4. Kap. 5. Abschn. C. 145 Für die ökonomische Analyse dieses Verhaltensmusters, vgl. Schäfer, aaO., S. 67 ff. zum rationalen Desinteresse des einzelnen Betroffenen in Bagatellfällen. Für eine kurze Diskussion der zur Lösung dieser typischerweise bei weit gestreuten Bagatellrechtsverstößen und -schäden entstehenden Problematik zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Instrumente, mithin der Verbandsklage, der Gruppenklage sowie der – in Deutschland an unauffälliger Stelle und bisher ohne größere praktische Breitenwirkung – in Art. 1 § 3 Nr. 8 RechtsberatungsG eingeführten Möglichkeit von Musterprozessen, die von Verbraucherverbänden und –zentralen auf Grundlage der insoweit gestatteten Abtretung einzelner Forderungen von Verbrauchern zur Einziehung bzw. einer Ermächtigung zur Prozeßführung (freilich jeweils ohne Rechtskrafterstreckung auf weitere Fälle) geführt werden dürfen, auch noch unten 4. Kap. 5. Abschn. C. 146 S. zu einer derartigen ordnungspolitischen Durchsetzungsperspektive auch noch unten 4. Kap. 5. Abschnitt und öfter in dieser Untersuchung. 147 Vgl. auch obere Fn. 137 zu der Rolle als Sanktionsinstrument für rahmenbildende Verbraucherschutzpflichten, die dem typisierten Individualschutz hier potentiell zuwächst. 148 Dies umsomehr, als im Wettbewerbsrecht die (auch) institutionelle Rolle des Lauterkeitsrechts zum Schutz des Wettbewerbs schon sehr viel länger anerkannt war und mit der Regulierung der Verbandsklage zugunsten der Gewerbeverbände (schon in § 1 Abs. 1 Satz 2 des UWG
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tik im AGBG (und den nunmehrigen §§ 305 ff. BGB) läßt sich neben der individualrechtlichen (vertragsrechtlichen Sicht) auch als lauterkeitsrechtliche Verhaltenspflicht im Sinne einer wettbewerblichen Verkehrssicherungspflicht dahingehend auffassen, keine einseitig benachteiligenden Klauselwerke im Wettbewerb zu verwenden149. Eine Interpretation, die angesichts der Rechtsbehelfe gegen Verwender oder Empfehler von AGB schon im Vorfeld der Anbahnung individueller Verträge sogar naheliegt und auch der Sichtweise in den Rechtsordnungen einzelner europäischer Nachbarstaaten entspricht150. von 1896 war eine entsprechende Klagemöglichkeit zugunsten gewerblicher Verbände vorgesehen) und später auch zugunsten von Verbrauchereinrichtungen (seit 1965, zuletzt in § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F., der mehrfach, zuletzt im Zuge der Umsetzung der Unterlassungsklage-Richtlinie und dann nochmals im Rahmen der Schuldrechtsreform lediglich differenziert und durch einen neuen § 13 Abs. 7 ergänzt wurde) genau denselben Ausdruck im Verfahrensrecht gefunden hatte, wie er sich nunmehr bezüglich des Verbraucherschutzrechts in den Vorschriften des Unterlassungsklagegesetzes (und schon zuvor im AGBG) verkörpert. Aus der Sicht der Wettbewerbsrechtler war denn auch nicht nur die Rolle des UWG als institutionenorientiertes Verbraucherschutzinstrument bereits frühzeitig erkannt worden, sondern auch dessen Funktion als effektives ergänzendes Durchsetzungsinstrument für die Verbraucherschutzvorschriften des allgemeinen Zivilrechts wurde erkannt und durch das Einfallstor der Fallgruppe des Vorsprungs durch Rechtsbruch das lauterkeitsrechtliche Sanktionsinstrumentarium für Verbraucherrechtsverstöße erschlossen. Bedenkt man, daß nach mittlerweile durchgesetzter Auffassung (grundlegend Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970, mittlerweile nachvollzogen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit BGHZ 144, 255 = GRUR 2000, 1076 – Abgasemissionen) für die Relevanz eines Normverstoßes im Rahmen der Fallgruppe des Vorsprungs durch Rechtsbruch nicht auf den Grundwertbezug der verletzten Norm, sondern vielmehr auf deren Wettbewerbsbezug ankommt, kann man hierin in gewisser Weise bereits die verfahrensrechtliche Anerkennung der institutionellen, wettbewerbsbezogenen Rolle des Verbrauchervertragsrechts erkennen. Die Verbandsklage nach dem Unterlassungsklagegesetz zementiert insofern nur de lege ferenda eine Entwicklung, die die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung de lege lata auf dem Umweg über die lauterkeitsrechtliche Verbandsklage in weiten Teilen bereits vorweggenommen hatte. Vgl. zur Diskussion der verbraucherschutzrechtlichen Rolle des UWG in den siebziger Jahren statt vieler Falckenstein, Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken durch Verbraucherverbände, 1977; Falckenstein, Schäden der Verbraucher durch unlauteren Wettbewerb, 1979; Sack, ÖJZ 1976, 309 ff.; Schricker, GRUR Int. 1976, 315 ff.; Schricker, GRUR 1979, 1 ff.; sowie erstmals spezifisch unter dem Blickwinkel des Zusammenspiels von Wettbewerbsund Vertragsrecht Lehmann, Vertragsanbahnung, 1981. 149 Im Ansatz zutreffend Alexander, S. 44 f., der allerdings dem „individuell-reaktiven“ AGB-Schutz von vornherein einen „generell-aktiven“ Lauterkeitsschutz gegen unangemessene Klauseln gegenüber stellt und insoweit die diesbezüglichen vorgelagerten Sanktionsmöglichkeiten schon des AGBG – nunmehr des § 1 UklaG – selbst, gegen Verwender und Empfehler von unwirksamen AGB schon im vorindividuellen Bereich vorzugehen, nicht hinreichend sieht. 150 In diesem Zusammenhang ist beispielhaft auf die Regelung der AGB-Problematik in der Schweiz zu verweisen, wo sich die entsprechenden Vorschriften gesetzestechnisch in Art. 8 schw.UWG finden (vgl. zu dessen Hintergrund Baudenbacher-Baudenbacher, Art. 8, Rz. 23 ff., der die konkret vom Schweizer Gesetzgeber gewählte Lösung als vollkommen unzureichend kritisiert, zugleich aber betont, daß das UWG „gerade im Blick auf seine funktionale Ausrichtung durchaus ein Ort gewesen wäre, der sich zur Verankerung einer offenen Inhaltskontrolle von AGB geeignet hätte“. Letztlich verdeutlicht das Beispiel des Schweizer Rechts, daß angesichts des Doppelcharakters der Vorschriften über mißbräuchliche Klauseln, die einerseits individualvertragliche Regelungen treffen, andererseits bereits im Vorfeld der Anbahnung individueller Verträge (eher) lauterkeitsrechtliche Unterlassungspflichten statuieren, der Gesetzgeber bei
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Festzuhalten bleibt jedenfalls zum einen, daß die verbrauchervertragsrechtlichen Elemente des allgemeinen Schuldrechts – durch das Unterlassungsklagegesetz – nunmehr (neben der Regelung individueller Rechtsverhältnisse) ausdrücklich auch in ihrer Systemfunktion beim Aufbau einer wirtschaftsrechtlichen Rahmenordnung in bestimmten Bereichen anerkannt sind. Teils ist die diesbezügliche Wirkung (mittelbarer) Reflex der individuellen Regelung, was der schon bisher nach zutreffender Auffassung anerkannten diesbezüglichen Funktion des allgemeinen Schuldrechts insgesamt entspricht. Zum Teil sind aber auch Regelungen hinzugekommen, die – wie im Falle der §§ 307–309 BGB i.V.m. § 1 UnterlassungsklageG – von vornherein eine Doppelfunktion haben (Individualschutz und unmittelbar präventiven Institutionenschutz im kollektiven Interesse zugleich leisten) oder gar – wie bei einzelnen Pflichten im Falle des § 312e BGB – einzig und allein dem Zweck der Etablierung eines Rahmens für einen transparenten und fairen Wettbewerb dienen, so daß sich eine individualrechtliche Folge in diesen letztgenannten Fällen nur ordnungspolitisch über den Gedanken der effektiven Sanktionierung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten durch Anordnung individueller Rechtsbehelfe unter Verzicht auf die Voraussetzung eines individuellen Zurechnungskriteriums erklären läßt.
4. Die systematische Behandlung der neuen Verbraucherschutzinstrumente im BGB und ihre Folgen für die Abgrenzung vom Lauterkeitsrecht Diese durch die Schuldrechtsreform entstandene Situation wirft die systematische Frage auf, wie die neuen Bestandteile des allgemeinen Schuldrechts – mit ihrem Trend zum typisierten, einen rechtlichen Standard etablierenden Schutz – im System des BGB behandelt werden sollen. Eine Möglichkeit wäre es, die neuen verbraucherschützenden Bestandteile gewissermaßen als verbraucherschutzrechtliche, zumal auf europarechtliche Vorgaben zurückgehende „Kuckuckseier“ im Nest des BGB-Schuldrechts systematisch soweit wie möglich zu isolieren. Etwa auf § 312e BGB gewendet, würde das bedeuten, bei einer Verletzung der dort geregelten Pflichten jegliche individuelle Rechtsfolge im Rahmen der allgemeinen Instrumente (Anfechtung gem. §§ 119 ff. BGB, vorvertragliche Informationshaftung) zu versagen151. Rein europaeiner Integration in die allgemeinen Gesetze vor der Wahl steht, entweder unter Hinwegsetzung über den inhaltlich-praktischen Zusammenhang der Problematik die AGB-Vorschriften auf das Vertragsrecht und das Lauterkeitsrecht rechtssystematisch exakt aufzuteilen oder aber unter Betonung der faktischen Einheitlichkeit des Problems eine Regelung in einem dieser Rechtsgebiete zu treffen, die dann zwangsläufig systemfremde Elemente aufweist. Vgl. insoweit im Ergebnis zutreffend schon Ulmer, JZ 2001, 491 ff., der allerdings den hier betonten lauterkeitsrechtlichen Charakter der (einzelvertragsunabhängig) schon auf die bloße Verwendung und Empfehlung von AGB bezogenen Rechtsbehelfe des AGBG im Sinne der Aufstellung von allgemeinen Verkehrssicherungspflichten nicht sieht, stattdessen die Problematik mehr anhand der umstrittenen Frage nach dem Rechtscharakter vorgefertigter Vertragsklauseln thematisiert. 151 So in der Tat die negative Rechtsfolgenanordnung im ursprünglichen § 305b Abs. 5 des Diskussionsentwurfs (s. in: Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 3 ff.) zur Schuldrechtsre-
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rechtlich wäre dies zulässig, da die E-Commerce-Richtlinie – in „guter“ europarechtlicher Tradition, ein Manko auf das zurückzukommen sein wird – stets für den Fall der Verletzung der vorgesehenen Informationspflichten nur die Anordnung „effektiver Sanktionen“ durch die Mitgliedstaaten verlangt152, wofür nach bisher weithin vertretener Auffassung153 auch die alleinige Sanktionierung durch die Verbandsklage genügen würde. An dieser Stelle gibt aber schon die neuere EuGH-Rechtsprechung, die die Schnittstelle noch nicht harmonisierter Vorschriften nationalen Rechts zu den angeglichenen Rechtsgebieten (insbesondere auch im Verbraucherschutzrecht wie in der Heininger- oder zuletzt insbesondere in der Schulte . /. Badenia-Entscheidung) auf Grundlage des Effektivitätsgrundsatzes unter Zuhilfenahme individueller Ansprüche nach nationalem Recht auszugestalten beginnt154, zu erheblichen Zweifeln Anlaß.
Richtigerweise wird man jedoch ohnedies die neuen Instrumente in das System des allgemeinen Schuldrechts einpassen müssen, indem man jede einzelne der neuen allgemeinen Verkehrssicherungspflichten unter funktionaler Perspektive rechtsfolgenspezifisch auf ihre Eignung, (auch) mit einer individualrechtlichen Folge (typischerweise einer vorvertraglichen Informationshaftung nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 S. 1 BGB155) versehen zu werden, analysiert156. Dies ist freilich – soviel sei vom Ergebnis der hier durchgeführten rechtssystematischen form: „Die Wirksamkeit [sic!] des Vertrags über die Ware oder die Dienstleistung wird nicht dadurch berührt, daß eine der vorstehenden Vorschriften nicht erfüllt wird“. Abgesehen davon, daß diese Formulierung ersichtlich weniger auf die Wirksamkeit der Verträge, als vielmehr ihrer Zwecksetzung nach wohl eher auf eine nachträgliche Vertragsaufhebung gerichtet war, die ausgeschlossen werden sollte (so auch die Begründung zum Diskussionsentwurf), war sie auch inhaltlich insofern unbegründet, als sie zu Unrecht die differenzierte Lösung im Rahmen der allgemeinen Rechtsbehelfe des Schuldrechts zur Lösung von einem unerwünschten Vertrag zugunsten einer pauschal negativen Regelung (im vermeintlichen Interesse des Kunden an der Wirksamkeit des Vertrags, die dieser durch Verzicht auf eine Geltendmachung seiner Rechte ja ohnedies in den allermeisten Fällen beibehalten kann) abschnitt. Insofern zu Recht kritisch Grigoleit, WM 2001, 597, 600, dessen Argumentation dann (ausweislich der endgültigen Gesetzesbegründung) zur ersatzlosen Streichung dieser negativen Rechtsfolgenanordnung (und damit zur je nach Pflicht differenzierten Anwendbarkeit der allgemeinen Rechtsbehelfe) führte. Vgl. zur zutreffenden Sanktionierung von Verletzungen der Pflichten in § 312e BGB noch unten 4. Kap. 3. Abschn. B I 2 b (2). 152 S. Art. 20 Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. L 178 v. 17.7.2000, 1–16 (im folgenden E-Commerce-Richtlinie). Diese fehlende Harmonisierung auf der Rechtsfolgenseite führt zu einer fatalen Disharmonisierung hinsichtlich der individuell (vertrags-)rechtlichen Folgen einer Verletzung der Informationspflichten der E-Commerce-Richtlinie, die letztlich zu einer fast unhinnehmbaren Unberechenbarkeit des mitgliedstaatlichen Rechts im E-Commerce aus der Sicht der Anbieter im Binnenmarkt führt. Vgl. Drexl, European Business Law Review 2002, 557, 570; Hultmark Ramberg, 26 E.L.Rev. 2001, 429, 449 f.; vgl. mit rechtsvergleichenen Ansätzen im Verhältnis zum englischen Recht zuletzt auch Pothmann, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs in England, 2006. 153 Vgl. etwa Grigoleit, WM 2001, 597, 599. 154 S. auch noch unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 1 d. 155 Aber auch die anderen Instrumente des allgemeinen Teils und des allgemeinen Schuldrechts, wie insbesondere die Anfechtung, kommen in Betracht. 156 Zutreffend Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1155 f.
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Analyse vorweggenommen – sinnvoll nicht möglich, ohne insoweit auch die Instrumente des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes im Rahmen einer Gesamtbetrachtung mit einzubeziehen157. Die erstgenannte Variante einer Isolierung der neuen, über die Regulierung individueller Sonderbeziehungen hinausweisenden Pflichten im Schuldrecht scheint deshalb nicht tunlich, weil wiederum gilt, daß diese Anordnung von Rahmenvorschriften, der Trend aus der Regulierung von Sonderbeziehungen hin zur gezielten typisierenden Ordnung des Massenverkehrs nicht auf die neuen Bestandteile des allgemeinen Schuldrechts beschränkt ist, sondern sich vielmehr – ganz unabhängig von der Integration der Verbraucherschutzgesetze für besondere Vertriebssituationen oder Vertragsarten in das BGB – auch in Kernbereichen des „klassischen“ Schuldvertragsrechts abzeichnet. So läßt sich etwa die Erstreckung der kaufrechtlichen Sachmängelhaftung auf öffentliche (Werbe-)Angaben des Veräußerers, Herstellers oder seiner Gehilfen (sofern und soweit nicht eine konkrete vertragliche Beschaffenheitsvereinbarung vorgeht) nurmehr als eine erhebliche Ausdehnung des Anknüpfungspunktes der vertragsrechtlichen Haftung in das werblich massenhafte Vorfeld der Anbahnung individueller Geschäftsbeziehungen deuten. Oder, um es anders auszudrücken: Wenngleich in der für die Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in das deutsche Recht gewählten Lösung die vertragsrechtliche Verantwortlichkeit bzw. die Sachmängelhaftung auf das individuelle Verhältnis von Veräußerer und Kunde beschränkt bleibt, so ist doch der haftungsbegründende Tatbestand für den Fall des Fehlens einer konkreten vertraglichen Vereinbarung in den werblichen Massenverkehr vorverlagert und damit eine Art typisierte „Werbeinformations“-Verantwortung geschaffen worden158; der Unterschied zur Regulierung der Werbung im UWG ist nicht länger ein Unterschied zwischen Einzelbeziehung und Massenverkehr, sondern ein rein funktionaler, auf die unterschiedliche Rechtsfolge bezogener Unterschied159. Und wiederum ist dies nicht eine ausschließlich gemeinschaftsrechtlich induzierte, dem deutschen Schuldrecht an sich fremde Entwicklung, wie sich zeigt, wenn man etwa an entsprechende Tendenzen im Bereich der Annahme zugesicherter Eigenschaften im Gebrauchtwagenhandel160 oder aber – um ein Beispiel aus dem allgemeinen Schuldrecht aufzugreifen – insbesondere an die Entwicklung der vorvertraglichen allgemeinen Prospekthaftung im Rahmen 157 Dies schon deshalb, weil angesichts der (unten F I näher ausgeführten) mindestens teilweise funktionalen Überschneidung des Lauterkeitsrechts und des Verbrauchervertragsrechts beim Schutz des Vertragsentstehungsmechanismus (und damit der vertraglichen Privatautonomie) das mildeste Mittel – welches, wie oben (1. Abschn. C III 5) gezeigt wurde, wegen des grundsätzlichen Vorrangs der privatautonomen Begründung, Inhaltsbestimmung und Beendigung des Schuldverhältnisses stets zum Schutz der Selbstbestimmung zu wählen ist – nicht bestimmt werden könnte, ohne auch die verbraucherschützende Funktionalität des UWG in die Betrachtung einzubeziehen. 158 Zutreffend Lehmann, Der Betrieb 2002, 1090, 1093 f. 159 Vgl. noch im einzelnen unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) und 4. Kap. 3. Abschn. C II. 160 S. zu Ansätzen für eine Werbeangabenhaftung schon im alten deutschen Recht noch unten 4. Kap. 3. Abschn. C II 1.
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des gesetzlichen Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo (nunmehr verankert in § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB bzw. für Dritte in § 311 Abs. 3 BGB) durch die Rechtsprechung denkt161. All diese punktuellen Entwicklungen de lege lata und die grundstürzende Veränderung des Rahmens des deutschen Kaufrechts de lege ferenda ergeben einen verallgemeinerbaren Trend, der insbesondere die vertragsrechtliche Informationshaftung aus der individuellen Verantwortlichkeit im Rahmen einer vorvertraglichen Sonderbeziehung zu lösen beginnt und sie in Richtung auf die präventive Sicherung eines gewissermaßen „standardisierten“ (typisierten) Vertrauens in die Verläßlichkeit des Verkehrssystems verschiebt; faktisch entspricht dies der Entwicklung des modernen Massenverkehrs, in der die individuelle Beziehung zwischen Veräußerer und Kunde ständig an Bedeutung verliert und durch ein Vertrauen in das Vorhandensein bestimmter rechtlicher Minimalstandards ersetzt wird162. Generalisierend und verkürzt formuliert beginnt das Vertrauen in den rechtlichen Rahmen des Verkehrssystems, im Massengeschäft das Vertrauen in die individuellen Angaben des Vertragspartners funktional zu ersetzen163. Das Auftauchen typisierter „allgemeiner Verkehrssicherungspflichten“ im System des allgemeinen Schuldrechts des BGB ist unter dieser Perspektive nicht als 161
Im Rahmen der culpa in contrahendo wurde durch die Rechtsprechung in Parallele zur börsenrechtlichen Prospekthaftung eine allgemein-zivilrechtliche Prospekthaftung entwickelt, die im Ergebnis die Informationsverantwortlichkeit von Gründern, Gestaltern und Initiatoren von „Anlagegesellschaften“ über den Bereich einer etablierten Sonderbeziehung hinaus in das Vorfeld der bloßen Werbung in von Anlagegesellschaften herausgegebenen Werbeprospekten und -schriften ausdehnt und eine Haftung für deren Vollständigkeit und Richtigkeit begründet; grundlegend BGHZ 71, 284 ff., zuletzt BGHZ 115, 213, 217 f. Wiederum wird an dieser Stelle die Nähe zum Lauterkeitsrecht – ja die teilweise funktionale Austauschbarkeit von lauterkeitsrechtlichem und vertragsrechtlichem Instrumentarium – überdeutlich. Vgl. an dieser Stelle nur Wiedemann/Schmitz, ZGR 1980, 129 ff., u.a. die das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo in diesem Bereich für überdehnt hielten und eine Fortbildung des deliktsrechtlichen Wettbewerbsrechts vorschlagen; a.A. aber Canaris, in: 2.FS Larenz, 1983, S. 93 mwN, der die Fälle der Prospekthaftung unter die „Vertrauenshaftung nach dem Modell der Einstandspflicht Dritter für culpa in contrahendo“ subsumiert und allgemeine deliktsrechtliche Einordnungsversuche ablehnt. Dies vermag die weitgehende Einbeziehung Dritter in die Informationsverantwortung befriedigend zu erklären, ändert aber nichts an dem hier im Mittelpunkt stehenden Aspekt des ersichtlich entindividualisierten Charakters des Anknüpfungstatbestandes für das begründete Vertrauen, der die Prospekthaftung aus der für die culpa in contrahendo typischen Regulierung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung in außergewöhnlicher Weise herauswachsen läßt. Vgl. eingehend zur hier vertretenen Sicht auf die §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB in ihrem Verhältnis zu typisierten rechtlichen Maßstäben bezüglich der Zulässigkeit werblicher Ansprache der Kundenseite noch unten 4. Kap. 4. Abschn. C. 162 Lehmann, Der Betrieb 2002, 1090, 1093 f. spricht treffend von der Schaffung einer „Werbeinformations-Verantwortung“ des BGB. 163 Grundlegend Fleischer, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 243, 254 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen und unter Verweis auf die soziologische Kategorie des Systemvertrauens bei Luhmann, Vertrauen – Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität, 1968, S. 50 ff.; vgl. auch ders., Informationsasymmetrie, S. 416 ff. Es ist die hier sich andeutende Verzahnung von Individual- und Institutionenschutz, die auch der vorliegenden Untersuchung zum Wechselspiel von Vertrags- und Lauterkeitsrecht das Programm vorgibt
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Einbruch systemfremder Fremdkörper abzulehnen, sondern als Ausdruck einer Reaktion des Rechts auf die faktische Veränderung des Wirtschaftsverkehrs hin zum Massengeschäft grundsätzlich (mit der nötigen Achtsamkeit) zu begrüßen. Dies bedeutet freilich keinesfalls, daß die Verletzung dieser Pflichten stets im individuellen Vertragsverhältnis bzw. mit individuellen Ansprüchen sanktioniert werden müßte; insofern ist vielmehr für jede der Pflichten einzeln nach funktionalen Gesichtspunkten abzugrenzen, ob eine individuelle Haftung in Betracht kommt oder nicht. Dabei ist das Schutzsystem des Wettbewerbsrechts in die Betrachtung einzubeziehen. Denn die teleologische Erweiterung der schuldrechtlichen Prinzipienebene in Richtung auf eine vorverlagerte Regulierung schon des Wettbewerbs und der Markttransparenz im Sinne eines genuinen Institutionenschutzes bewegt das System des Schuldrechts – wenngleich fast unmerklich – auf das System des Lauterkeitsrechts zu und macht das funktionale Wechselspiel dieser Bereiche, welches stets vorhanden war164, nunmehr auch offener als bisher sichtbar. Funktionen der Sicherung des konstitutiven Rahmens165 für den freien Wirtschaftsverkehr, die man traditionell eher dem Lauterkeitsrecht zuordnen würde, wachsen zusehends dem Schuldrecht zu. Im folgenden ist nunmehr zuerst noch die Prinzipienebene des Lauterkeitsrechts zu untersuchen. Auf dieser Grundlage werden Versuche einer systematisch-kategorialen Abgrenzung des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes vom vertragsrechtlichen Verbraucherschutz geschildert, kritisch gewürdigt und ein eigener, differenzierender Ansatz entwikkelt, der eine funktional-interessenorientierte, rechtsfolgenspezifische Abgrenzung in den Mittelpunkt rückt und eine wechselseitige Beeinflussung der den beiden Rechtsgebieten jeweils zugrundeliegenden Wertungen in höherem Ausmaß befürwortet als dies bisher anerkannt ist.
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Vgl. noch unten F III. Vgl. grundlegend schon Drexls Einteilung in „konstitutives und kompensatorisches Verbraucherschutzrecht“ (Selbstbestimmung, S. 288 ff.), wobei er zu ersterem diejenigen Normen zählt, die „überhaupt erst die Grundvoraussetzungen für selbstbestimmtes Handeln am Markt schaffen“ und hier die formale Privatautonomie und die Gewährleistung von Wettbewerb einordnet, während er zu zweiterem die Vorschriften zählt, in denen explizit (insbesondere im Rahmen der Verbraucherschutzgesetzgebung im engeren Sinne) oder implizit (insbesondere im Rahmen der Generalklauseln des allgemeinen Schuldrechts, die eine Reaktion auf Bedrohungen der Selbstbestimmung zulassen) eine gesetzgeberische Reaktion auf Bedrohungen der Selbstbestimmung erfolgt. Man wird insoweit innerhalb der zweiten Gruppe des kompensatorischen Verbraucherschutzrechts noch weiter danach unterteilen können, ob die entsprechenden Verbraucherschutzinstrumente ihr Ziel durch eine individuell-(ggf. typisierende) Regulierung oder aber durch die Etablierung eines institutionellen Rahmens mit Hilfe allgemeiner Verkehrssicherungspflichten (ggf. eines „Unterrahmens“ für einen bestimmten Geschäftsbereich, etwa eine besondere Vertriebsform) verfolgen. 165
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D. Prinzipien und Systemfunktionen des Wettbewerbsrechts sowie die systematische Zuordnung als Sonderdeliktsrecht der Unternehmen I. Grundprinzipien des Rechts des unlauteren Wettbewerbs Betrachtet man die Ebene der grundlegenden Prinzipien des Rechts des unlauteren Wettbewerbs einmal in einem ganz allgemeinen Sinne, so stößt man zuerst auf diejenigen allgemein (privat)rechtlichen Prinzipien, wie sie gleichermaßen auch das Vertragsrecht und das allgemeine Deliktsrecht prägen. Bestimmend ist zuerst der Grundsatz der Privatautonomie, der hier – über seine Ausprägung in der Vertragsfreiheit166 hinaus – nicht nur die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung und Abwicklung von Verträgen umfaßt, sondern das Verhalten im Wirtschaftsverkehr insgesamt167. Hinzu kommt in seiner deliktsrechtlichen Ausprägung das allgemein privatrechtliche Prinzip der Selbstverantwortung und insbesondere wiederum der Verkehrsschutzgedanke, der für die Materie des Wettbewerbsrechts, für die vergleichsweise schon seit langem explizit seine institutionelle Funktion bei der Konstituierung des Wettbewerbs anerkannt und auch in der Rechtspraxis ausgeprägt ist168, noch größere Geltung beansprucht als im Vertragsrecht. Jedenfalls ein spezifischer Vorrang des Freiheitsprinzips, der sich über die anerkannten positiven Wettbewerbseffekte eines freien Wettbewerbs, läßt sich hier auf der Ebene der grundlegenden Prinzipien programmatisch gleichfalls bejahen, wenngleich die Rechtsprechung – aus Gründen auf die zurückzukommen sein wird – in der Vergangenheit zum Teil eine abweichende Entwicklung genommen hatte169. Angesichts der Andersartigkeit des im Wettbewerbsrecht typischerweise regulierten Interessenkonflikts, der sich – anders als das (zumindest im hergebrachten vorvertraglichen und vertraglichen Bereich) gegenseitige Interessen koordinierende Vertragsrecht – zumindest grundsätzlich durch ein paralleles Streben im Wettbewerb „um den Kunden“ auszeichnet170, haben die genannten Prinzipien 166 Diese rechtsgeschäftliche Privatautonomie hat ihre besondere, prägende Bedeutung allerdings für den weiten Bereich des Kundenfangs, in dem letztlich die rechtsgeschäftlichen Grundwertungen akzentuiert werden (vgl. zum diesbezüglich einheitlichen Fluchtpunkt der Systeme unten F I). 167 Zutreffend Bydlinski, System und Prinzipien, S. 622 f. Ein Beispiel für die (auch über den unmittelbar durch die Einwirkung auf die Marktgegenseite geprägten Bereich des Kundenfangs hinausreichende) Bedeutung der Privatautonomie im weiteren Sinne im Wettbewerbsrecht mag die grundsätzliche wirtschaftliche Nachahmungsfreiheit bilden, die außerhalb des Systems der gewerblichen Schutzrechte und des Urheberrechts für den Bereich des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes nach § 1 UWG als Grundsatz anerkannt ist. Vgl. umfassend (und sich auf die Durchbrechungen und Unterhöhlungen des Grundsatzes durch die Rechtsprechung fokussierend) Beater, Nachahmen im Wettbewerb, 1995. 168 Vgl. näher unten III. 169 Vgl. grundlegend Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, 1995; zuletzt nochmals zusammenfassend Säcker, WRP 2004, 1199 ff. 170 Worauf im Grundsatz zu Recht Alexander, S. 49 ff., hingewiesen hat.
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unter Hinzufügung des Grundgedankens der Abgrenzung gegenseitiger Freiheitssphären im deutschen Recht des unlauteren Wettbewerbs zuerst hauptsächlich zur Ausprägung des Instituts einer deliktischen Haftung im Verhältnis der unternehmerischen Wettbewerber zueinander171 geführt. Der Präventionsgedanke (und damit zugleich das Prinzip effektiver Sanktionierung), der im auf die Regulierung eines Massenverkehrs gerichteten Wettbewerbsrecht besondere Geltung beansprucht172, findet seinen Ausdruck darin, daß der deliktische Unterlassungsanspruch häufig – zumal in dem hier besonders interessierenden Bereich des Vertikalverhältnisses, bei dem sich die Wettbewerbsverzerrung nur über eine Einflußnahme auf die Marktgegenseite vermittelt – als eine Art Gefährdungshaftung ausgestaltet ist, die im Ergebnis bereits eingreift, wenn eine Verzerrung des Wettbewerbs zu Lasten der Mitbewerber nur droht. Über diese funktional sonderdeliktsrechtliche Prägung des Wettbewerbsrechts hinaus (auf die noch unten IV näher eingegangen wird), hat die Forschung nach tragenden Grundprinzipien des mehr pragmatisch orientierten Lauterkeitsrechts wenig Verwertbares zu Tage gefördert173. Eher ist es von Beginn an das Bestreben gewesen, den Schutzzweck des Lauterkeitsrechts und (in der neueren Lehre) auch seine Systemfunktion bei der Ausgestaltung des Rahmens für wirtschaftlichen 171
Vgl. näher unten IV. So (unter Verweis auf die Multiplikatoreneffekte im Massenverkehr) jedenfalls die klassische Begründung abweichender (strengerer) Maßstäbe im Wettbewerbsrecht (vgl. statt aller Bydlinski, System und Prinzipien, S. 596 ff. und zustimmend Alexander, S. 52 ff.), die freilich zu hinterfragen ist, vgl. näher unten E I. 173 Fast schon exemplarisch das Ergebnis der Suche nach inneren Prinzipien des Lauterkeitsrechts bei Bydlinski, System und Prinzipien, S. 617 ff. (insbesondere S. 622), der letztlich neben dem Präventions- und Sanktionsgedanken, den er zu Recht auch an der Formel von der „Bekämpfung“ des unlauteren Wettbewerbs festmacht, und dem Schutz der Funktionen des Leistungswettbewerbs (wohinter sich nicht mehr als die Diskussion um das Schutzgut des Wettbewerbsrechts verbirgt) lediglich den Schutz vor „Kundenfang, Behinderung, Ausbeutung oder Rechtsbruch“ als Prinzip des lauteren Wettbewerbs formuliert und damit die traditionelle Fallgruppenbildung bei Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), in Bezug nimmt. Deren Eignung, ein tragendes Grundprinzip des Unlauterkeitsrechts zu bilden, läßt sich schon deshalb bezweifeln, weil die traditionelle Fallgruppenbildung schon vor Inkrafttreten des neuen UWG wegen der ihr innewohnenden konservativen Tendenz zusehends kritisch diskutiert und mit der Forderung nach konsequentem Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht konfrontiert wurde, vgl. insbesondere Beater, JZ 1997, 916 ff.; grundsätzlich auch Weber, AcP 192 (1992), 516 ff.; zuletzt nochmals zusammenfassend Säcker, WRP 2004, 1199 ff. Selbst ohne Ansehung dieser (bezüglich der Rechtsprechung bis etwa zur Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht unberechtigten) Kritik ist der Verweis auf die Fallgruppenbildung in der Rechtsprechung jedenfalls deshalb ungeeignet, ein tragendes Prinzip des Wettbewerbsrechts zu bilden, weil ihm wegen der unmittelbaren Inbezugnahme der Systematik der Rechtsprechung zum alten UWG, wie sie im Standardkommentar von Baumbach/Hefermehl sich kristallisiert hatte, die Allgemeinheit fehlt, die notwendig wäre, um einen organischen Zusammenhang zu erzeugen, der gerade eine Kontrolle der sich entwickelnden Einzeltatbestände am Kriterium der inneren Einheit der Rechtsordnung gestattet. Der Inbezugnahme der Fallgruppen zum alten UWG, bei denen es sich letztlich eher um Rechtsinstitute als um Grundprinzipien handeln dürfte, fehlt daher im Ergebnis das einheitsstiftende Element. Vgl. allgemein Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 46 ff. 172
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Wettbewerb in einem einheitlichen Begriff (einem individuellen „Schutzgut“ oder einem „Wettbewerbsleitbild“ als institutionellem Schutzgut) zusammenzufassen, das die Rechtswissenschaft beschäftigt hat; hierin läßt sich ungeachtet der abweichenden Bezeichnung durchaus die Suche nach tragenden Grundprinzipien erkennen.
II. Die Diskussion um das individuelle Schutzgut des Wettbewerbsrechts 1. Historische Entwicklung: Suche nach einem individuellen Schutzgut des Wettbewerbsrechts So hat es verschiedene Versuche gegeben, die Materie des Rechts des unlauteren Wettbewerbs durch die Suche nach einem subjektiven, den einzelnen Mitbewerbern zuzuordnenden Schutzgut des Wettbewerbsrechts systematisch zu umgrenzen174. Die klassische, der institutionellen Funktion des UWG noch gänzlich abholde Lehre sah (in unterschiedlichen Schattierungen) durch das Lauterkeitsrecht den individuellen Schutz der (Unternehmer-)Persönlichkeit des Unternehmens oder der Wettbewerbsstellung in der Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit gewährleistet; es wurde also ein unternehmerisches Rechtsgut gewissermaßen „gesucht“, welches durch unlautere Wettbewerbshandlungen verletzt sein könnte175. Die Grenzen einer solchen individualistischen Konzeption werden aus heutiger Sicht überdeutlich: Zum einen lassen sich diejenigen Unlauterkeitsformen (insbesondere der weite Bereich der irreführenden Werbung), die sich primär über eine Einwirkung auf die Marktgegenseite realisieren, auf diese Weise nur unzulänglich, indirekt176 erfassen177; zum anderen – und wichtiger – kann in einer derartigen Konzeption weder das Interesse der Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite (Vertikalverhältnis) noch das Interesse der Allgemeinheit an funktionierendem Wettbewerb unmittelbare Berücksichtigung finden. Beispielsweise die Unzulässigkeit wirtschaftlicher Verhaltensweisen, die für sich genommen wettbewerblich zulässig sind, sich aber im Zusammenspiel mit zu erwartenden Nachahmungseffekten als ernstliche Gefahr für den Bestand des Wettbewerbs erweisen (mit anderen Worten der 174 S. zu dieser (nach zutreffender Auffassung allenfalls noch rechtshistorisch interessanten, vgl. Alexander, S. 48; Harte/Henning-Schünemann, § 1 UWG, Rz. 5) Schutzgutdiskussion und zum folgenden die Nachweise bei Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), Einl. UWG, Rz. 44 ff.; GroßKomm-Schünemann, Einl. Rz. C 4 ff.; Emmerich, S. 26 ff. Vgl. zur historischen Entwicklung des modernen Lauterkeitsrechts in verschiedenen europäischen Rechtsordnungen zuletzt ausführlich und umfassend auch Glöckner, S. 329 ff. mwN. 175 Harte/Henning-Schünemann, § 1, Rz. 5, führt die diesbezügliche Diskussion zutreffend auf die Zeit noch vor Inkrafttreten des UWG 1909 (sic!) zurück, da zu diesem Zeitpunkt der enumerative Katalog unlauterer Wettbewerbshandlungen des ersten UWG 1896 eine derartige Ausweichbewegung in § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. einem zu schützenden unternehmerischen Rechtsgut provoziert habe, und bezeichnet die Diskussion um ein individuelles Schutzgut des Wettbewerbsrechts zu Recht als „obsolet“. Sie wird dementsprechend auch in dieser Untersuchung nurmehr umrißartig als Voraussetzung der weiteren Überlegungen angedeutet. 176 Zutreffend schon Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), Einl. UWG, Rz. 46, der darauf hinweist, daß es „gekünstelt [ist], irreführende Angaben in der Werbung, die keine Bezugnahme auf dem Mitbewerber enthalten, oder Werbemaßnahmen, die den Kunden unsachlich beeinflussen, als Unternehmens- oder gar Persönlichkeitsverletzungen anzusehen.“ 177 So die Kritik bei Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), Einl. UWG, Rz. 45.
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Tatbestand der allgemeinen Marktbehinderung im Sinne der diesbezüglichen BGH-Rechtsprechung zum alten UWG178), könnte solcherart nicht erklärt werden, da der Verweis auf die Allgemeininteressen am Wettbewerb als Institution fehlt. Hinsichtlich der Auffassung Kummers, das Schutzgut des Wettbewerbsrechts sei die Wettbewerbsstellung, die die Schutzgutdiskussion zutreffend zumindest von der Persönlichkeit des einzelnen Unternehmers oder dem Bestand des Unternehmens ablöst179, läßt sich einwenden, daß hiermit das dynamische Wesen des Wettbewerbs, dem der Angriff auf die Wettbewerbsstellungen der Mitbewerber (sofern er mit lauteren Mitteln erfolgt) gerade immanent ist, nicht hinreichend erfaßt werden kann; zudem taugt eine Rechtsstellung, die nur gegen die Beeinträchtigung mit bestimmten (unlauteren) Mitteln geschützt ist, nach richtiger Auffassung180 nicht zum Recht mit absolutem Zuweisungsgehalt. Weiterhin wurde versucht, das Schutzgut des Wettbewerbsrechts in der freien, vor unlauteren Eingriffen sicheren wirtschaftlichen Betätigung zu erblicken, die dem Schutz der wirtschaftlichen Persönlichkeit, welcher – anders als in der älteren Konzeption von Kohler – in Betätigungs- und Güterschutz zweigeteilt wird, zuzuordnen sei (wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht)181. Die Inbezugnahme der freien Betätigungsmöglichkeit vermag grundsätzlich – wie oben (1. Abschnitt C) aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht gezeigt wurde – das Wesen des wirtschaftlichen Wettbewerbs und seines Schutzes durchaus zu erfassen; doch gestattet das Schutzgut der freien wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeit in bestimmten Bereichen des unlauteren Wettbewerbs letztlich keine operationalisierbaren Ergebnisse und eignet sich daher nicht als einheitsstiftendes teleologisches Prinzip. Etwa das Ausmaß des Irreführungsschutzes läßt sich letztlich nur über eine wertende, an den beteiligten Interessen – insbesondere der Marktgegenseite – orientierte Entscheidung, welchen Verkehrskreisen der Marktgegenseite Schutz zu gewähren ist, bestimmen. Das bloße Interesse der unternehmerischen Mitbewerber an freier wirtschaftlicher Betätigung hilft insoweit als Maßstab wenig weiter, da dieses durch eine entsprechende Entscheidung allein quantitativ berührt ist (mehr oder weniger Verbraucher werden umgeleitet); etwa die wertende Entscheidung, welche Verbraucher durch eine bestimmte Werbeform irregeführt und damit fehlgeleitet werden, läßt sich aus einer rein mitbewerberorientierten Sicht auf deren freie Betätigungsmöglichkeit deshalb nicht entscheiden182.
Letztlich litten daher sämtliche der vorbeschriebenen Betrachtungsweisen und Ansätze auf der Suche nach einem individuellen Schutzgut des Wettbewerbsrechts daran, daß sie es nicht gestatteten, die Interessen der Marktgegenseite und der Allgemeinheit in angemessener Weise in ihr Modell einzubeziehen.
178 Vgl. grundlegend BGH GRUR 1991, 616, 617 – „Motorboot-Fachzeitschrift“; aus der Literatur statt aller GroßKomm-Köhler, § 1, Rz. D 3 ff. mwN. 179 S. Kummer, Anwendungsbereich und Schutzgut der privatrechtlichen Rechtssätze gegen unlauteren und gegen freiheitsbeschränkenden Wettbewerb, S. 87 ff. 180 S. die Nachweise bei Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), Einl. UWG, Rz. 48 aE. 181 Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, S. 162 ff., 207 ff. 182 Insoweit zutreffend Beater, § 13, Rz. 24 mwN aus der Rechtsprechung, die seine These belegen.
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2. Der aktuelle Perspektivwechsel: Drexls Orientierung auf die wirtschaftliche Selbstbestimmung der Marktteilnehmer Dieses Manko im Rahmen einer vornehmlich individualistischen Sichtweise zu vermeiden gelingt dem allgemeinen Ansatz von Drexl mit seiner Orientierung auf die wirtschaftliche Selbstbestimmung als individuelles Schutzgut, für die er insbesondere die Freiheit zur wirtschaftlichen Selbstbestimmung der Marktteilnehmer auf der Abnehmerseite in den Blick nimmt und auf dieser Grundlage ein umfassendes Konzept entwickelt, welches nicht nur das Verbraucherschutzrecht, sondern auch das Wettbewerbsrecht im weiteren Sinne (einschließlich des Markenund Kartellrechts) zu umfassen sucht183. Für den Bereich des schwerpunktmäßig vertikalen Verhältnisses, in dem es vor allem um die Einwirkung auf die Marktgegenseite mit dem Ziel der Anbahnung von Verträgen geht (z.B. § 4 Nrn. 1–6, § 5 des neuen UWG), leuchtet dies unmittelbar ein184. Aber auch für diejenigen Bereiche unlauteren Wettbewerbs, in denen mehr das Horizontalverhältnis im Mittelpunkt steht (wie etwa § 4 Nrn. 7–10 des neuen UWG), gestattet die Lehre von der wirtschaftlichen Selbstbestimmung eine einheitsstiftende Modellierung, sofern man derartige Fallgruppen als mittelbar selbstbestimmungsbezogen, d.h. als institutionenbezogene Sicherung der Möglichkeit künftiger, aus einem freien Wettbewerbsprozeß resultierender selbstbestimmter Entscheidungen ansieht. Drexl spricht insoweit von „konstitutivem“ Verbraucherschutzrecht185. Für den Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Vertikalverhältnis, der die hier angestellte Untersuchung zur Schnittstelle von Vertrags- und Wettbewerbsrecht naturgemäß schwerpunktmäßig beschäftigt, entsprechen Drexls allgemeinem Ansatz die zuletzt immer hörbarer erhobenen Forderungen nach einer – mehr als nur nominellen – Berücksichtigung des Verbraucherschutzes als Schutzzweck und Leitlinie bei der Auslegung schon der alten wettbewerbsrechtlichen Generalklausel186. Diese Ansätze verdienen angesichts ihrer wirtschaftswissenschaftlichen Fundierung187 (vgl. oben 1. Abschnitt C und D) und wegen der im hier anvisierten Untersuchungsbereich ohnedies unübersehbaren teilweisen funktionalen Überschneidung von Wettbewerbs- und Verbrauchervertragsrecht über die Schilderung der dogmengeschichtlichen Entwicklung hinaus in dieser Untersuchung besondere Beachtung; sie sind auch auf das neue UWG übertragbar, ja 183 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998. Für die Verbraucherinteressen im Lauterkeitsrecht dieser marktorientierten Verbraucherschutzkonzeption ausdrücklich folgend jetzt Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1 UWG, Rz. 13 ff.; Harte/ Henning-Schünemann, § 1, Rz. 41. 184 S. Köhler, aaO.; Schünemann, aaO. 185 S. Drexl, Selbstbestimmung, S. 293 ff. 186 Vgl. insbesondere grundlegend Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken, 2000; ders, JZ 1997, 916 ff.; zuletzt das Lehrbuch von Beater, Unlauterer Wettbewerb, 1. Aufl. 2002, in dem die Einbeziehung der Schutzzwecke zur Grundlage einer gänzlich neuen Systematik des Rechts des unlauteren Wettbewerbs genommen wird. 187 S. grundlegend Drexl, Selbstbestimmung, S. 206 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
finden in der Formulierung der primär auf das Vertikalverhältnis orientierten Beispielstatbestände (insbesondere in § 4 Nrn. 1 und 2, aber auch Nrn. 3–6 UWG) nunmehr eine gewisse konkrete Bestätigung. Auf diese Ansätze wird daher in dieser Untersuchung verschiedentlich zurückzukommen sein. Für die systematische Abgrenzung des Wettbewerbsrechts helfen sie allerdings auf den ersten Blick wenig weiter, ja sie scheinen durch die Betonung der inneren Verbindung des Wettbewerbsrechts (zumal im Vertikalverhältnis) insbesondere mit dem Verbraucherschutzrecht, die dogmatische Unterscheidung zwischen Verbraucherschutz und Wettbewerbsrecht geradezu einzuebnen, mithin zumal aus dem neuen UWG eine Art Verbraucherschutzgesetz zu machen188. Wie aber gerade auch unter ebenbürtiger Berücksichtigung des Verbraucherschutzgedankens im Wettbewerbsrecht dennoch die Abgrenzung von Recht des unlauteren Wettbewerbs und Vertragsrecht gelingt (die dann im Rahmen einer funktional-interessenorientierten, rechtsfolgenspezifischen Betrachtung notwendig auf eine neue und methodenehrlichere dogmatische Grundlage gestellt werden muß), wird im folgenden (vgl. unten F) noch näher ausgeführt. An dieser Stelle sollen jedoch zuerst die weiteren Versuche, das Recht des unlauteren Wettbewerbs anhand eines integralen Schutzguts abzugrenzen, dargestellt und bewertet werden. Besondere Bedeutung kommt dabei der neueren Rechtsprechung und Lehre zu, die insoweit zu Recht den Gedanken des Institutionenschutzes – und damit die Systemfunktion des UWG – in den Mittelpunkt gerückt und solcherart die ältere rein individualistisch geprägte Diskussion um das Schutzgut des Wettbewerbsrechts abgelöst hat. Damit ist ein dogmatisches Konzept gefunden, welches es zumindest gestattet, sämtliche (individuellen und kollektiven) subjektiven Interessen, die sich auf den Wettbewerbsprozeß beziehen, in das Modell zu integrieren189. Das neue UWG hat diese Konzeption einer institutionellen Schutzzwecktrias übernommen. 188 Vgl. mit Blick auf die UWG-Reform die (letztlich nicht berechtigten, s. zutreffend etwa Lettl, GRUR 2004, 449; Ohly, GRUR 2004, 889, 894) Befürchtungen bei Engels/Salomon, WRP 2004, 32 ff. 189 Schon rechtstheoretisch ist die Betrachtung der am Wettbewerbsprozeß beteiligten Marktteilnehmer und ihrer individuellen und kollektiven Interessen notwendig die einzig erfolgversprechende Perspektive. Die Suche nach einem einheitlichen Schutzgut im Sinne eines absolut geschützten Rechts der Unternehmer muß demgegenüber sogar zwangsläufig scheitern. Rechtstheoretisch ergibt sich dies bereits aus der Tatsache, daß im rechtstheoretischen (Hohfeldschen) Sinne, das – wie auch immer im einzelnen bezeichnete – „Recht“ auf freie wirtschaftliche Betätigung eben genaugenommen nur eine „Freiheit“ zur wirtschaftlichen Betätigung darstellt, die als solche in sich gerade keine Individualrechte auf Schutz gegen Störungen der freien Betätigung umfaßt. Vielmehr ist die (zuerst rein negativ im Sinne einer Abwesenheit von Unterlassungspflichten aufzufassende) „Freiheit“ zur wirtschaftlichen Betätigung eben lediglich in bestimmtem Umfang durch eine unabhängige Sphäre eigenständiger und eigenständig zu beurteilender, verhaltensbezogener „Schutzrechte“ umgeben, und solcherart gegen bestimmte Arten von Eingriffen geschützt. Für die Bestimmung von Art und Umfang dieses Schutzes kann die „Freiheit“ der wirtschaftlichen Betätigung als solche daher a priori nicht den (alleinigen) Maßstab liefern; insoweit kommen vielmehr gerade auch allgemeine, die Interessen sämtlicher Beteiligter einbeziehende Überlegungen in Betracht. Vgl. allgemein zu Hohfelds rechtstheoretischer
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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III. Die Anerkennung der Systemfunktion im Rahmen des institutionellen Schutzguts „Wettbewerb“ und der sogenannten Schutzzwecktrias der Schutzsubjekte 1. Die Situation vor Inkrafttreten des neuen UWG Die neuere Lehre und herrschende Meinung schon zum alten UWG sah – unter Betonung des verhaltensbezogenen Charakters des Lauterkeitsrechts – als integrierendes Schutzgut nicht subjektive Rechte, sondern den Wettbewerbsprozeß selbst als Institution190, wobei die Fragestellung, welcher Wettbewerb insofern geschützt sei, zuerst unter Hinzuziehung unterschiedlichster Konzepte und vager Metaphern (lauterer Wettbewerb191; Leistungswettbewerb192 und (hieraus entwickelt) das „Referenzsystem des freien und fairen Wettbewerbs“193; „Schutz der auf Wettbewerbsfreiheit gegründeten Wettbewerbsordnung“194 und – in dieselbe
Analyse der Rechte und Pflichten-Zusammenhänge im Gegensatz zu rechteorientierten Ansätzen in kantianischer Tradition Kramer/Simmonds/Steiner, A Debate over Rights, 1998; Simmonds, Central Issues in Jurisprudence, 2002, S. 267 ff.; Hohfeld, Fundamental Legal Conceptions, 1919. Konkret für das Wettbewerbsrecht zutreffend Alexander, S. 48 f. unter Hinweis auf die von Ulmer, GRUR 1937, 769, 772 geäußerten Zweifel an der Bedeutung der Fragestellung nach dem Schutzgut des Wettbewerbsrechts. Vgl. ebenso die heute herrschende Meinung, die dem Streit keine weitere Bedeutung zugesteht, vgl. statt aller Rittner, § 1 Rz. 20 f.: „Die Suche nach einem einheitlichen Schutzobjekt mußte … in der Sackgasse eines unfruchtbaren Theorienstreits enden“. Die weitere Entwicklung einleitend hatte wiederum Eugen Ulmer in seiner grundlegenden Studie zum Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft schon 1965 darauf hingewiesen, daß demgegenüber dogmatisch mehr auf das Spektrum der durch das Lauterkeitsrecht zu schützenden Interessen – seien es die der Konkurrenten, Verbraucher oder der Allgemeinheit – abzustellen sei, um die Konzeption der nationalen Lauterkeitsrechte zu kennzeichnen, vgl. Ulmer, S. 250. 190 Insoweit allgemein grundlegend Raiser, Institutionenschutz, S. 145 ff.; für das Wettbewerbsrecht Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), Einl. UWG, Rz. 49 ff.; GroßKomm-Köhler, § 1 UWG, Rz. D1 f. jeweils mwN. Die Auffassung wird auch im Beschluß BVerfGE 51, 193, 215 – Schloßberg als herrschend bezeichnet: Schutzgut sei die Lauterkeit des geschäftlichen Verkehrs, die Institution des Wettbewerbs. Zuletzt gänzlich den Institutionenschutz des funktionsfähigen Wettbewerbs als alleiniges Schutzobjekt des Lauterkeitsrechts in den Mittelpunkt rückend Glöckner, S. 512. 191 S. Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), Einl UWG, Rz. 50. Ähnlich BVerfGE 51, 193, 215 – Schloßberg. 192 Grundlegend für das Wettbewerbsrecht Nipperdey, Wettbewerb und Existenzvernichtung, 1930, etwa S. 16. Dies terminologisch aufgreifend zuerst RGZ 134, 342, 352 ff. – Benrather Tankstelle. Der Begriff ist mittlerweile als überwölbendes Schutzgut in der Rechtsprechung des BGH (trotz gelegentlicher Verwendung) nicht mehr erkennbar, s. zutreffend in Reaktion auf die aktuelle (und diesbezüglich die Rechtsprechung der Fachgerichte fehlerhaft interpretierende) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zuletzt nur Ullmann, GRUR 2003, 817, 821; v. Ungern-Sternberg, in: FS Erdmann, S. 741, 759 f., jeweils mwN. Vgl. zum diesbezüglichen Mißverständnis des Bundesverfassungsgerichts auch unten 2. Kap. 2. Abschn. B II 2 b (1). 193 Emmerich (6. Aufl. 2002), § 3, S. 19, in zutreffendem Kontrast zu dem noch bis zu Beginn dieses Jahrtausends unter dem alten UWG herrschenden sogenannten „sozialrechtlichen“ Verständnis des Wettbewerbsrechts. 194 Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, 1984, S. 83.
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1. Kapitel: Grundlagen
Richtung – des „Ordnungsprinzips Wettbewerb“195 oder der „freien Wettbewerbsordnung“196) beantwortet wurde197. Dogmatisch betrachtet bedeuteten diese über die systemtheoretische Anknüpfung an den freien Wettbewerb hinaus letztlich inhaltsleeren, teils auch irreführenden198 Termini zunächst lediglich, daß das Wettbewerbsrecht nunmehr als eine Ordnung objektiver Verhaltensnormen (mithin deliktischer Verkehrssicherungspflichten mit Blick auf das Verkehrssystem des „freien Wettbewerbs“ in einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung199) aufgefaßt wurde, deren institutionelle Systemfunktion bei der Etablierung des Rahmens für den Wettbewerbsprozeß ausdrückliche Anerkennung bei der Festlegung des Schutzzwecks findet 200. Entsprechend liegt die eigentliche dogmengeschichtliche Bedeutung des „Schutzguts“ Wettbewerb in der ausdrücklichen Anerkennung der institutionellen Funktion des Wettbewerbsrechts für das Verkehrssystem der freien Wettbewerbswirtschaft, die es von nun an gestattete, neben den individuellen deliktischen Schutzinteressen der Mitbewerber die weiteren beteiligten individuellen und kollektiven Interessen in den Blick zu nehmen und zugleich eine inhaltliche Abgrenzung danach vorzunehmen, welche Art von Interessen durch das Wettbewerbsrecht koordiniert werden – nämlich nach richtiger Auffassung 201 lediglich diejenigen Interessenpositionen, die sich auf den unverfälschten Wettbewerbsprozeß und seine positiven Effekte beziehen 202, nicht auch sonstige Interessen allgemeinerer Natur203. 195
Rittner, AcP 188 (1988), 101, 126 mwN. S. Möschel, Pressekonzentration und Wettbewerbsgesetz, 1978, S. 134. 197 S. zum ganzen nur GroßKomm-Köhler, § 1, Rz. D 1 mwN. 198 So insbesondere im Falle des (weiterhin nicht gänzlich erledigten, vgl. nur zur zweifelhaften Terminologie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unten 2. Kap. 2. Abschn. B II 2 b (1)) Terminus des „Leistungswettbewerbs“, der zu Unrecht impliziert, ein gewissermaßen „sportlicher Parallelwettkampf“ lasse sich im wirtschaftlichen Wettbewerb von gegen die Konkurrenten gerichteten Verhaltensweisen sauber unterscheiden, vgl. statt aller die Darstellung der mittlerweile zu Recht deutlich ablehnenden herrschenden Meinung bei Harte/Henning-Schünemann, § 3, Rz. 136 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 199 S. zum Wettbewerb als Ordnungsprinzip im marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl UWG, Rz. 1.25. 200 Von den vorstehenden begrifflichen Ansätzen wird dies am deutlichsten in den Formulierungen und näheren Ausführungen bei Emmerich, aaO.; Mestmäcker, aaO.; Rittner, aaO.; Möschel, aaO. 201 Die freilich noch bis in die neunziger Jahre einer vielfältigen Verunklarung durch Fehlgriffe der Rechtsprechung unterlag (s. paradigmatisch statt vieler Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung, 1995 mit umfassenden weiteren Nachweisen), die insbesondere angesichts der Unklarheit des bloßen Verweises auf die „Allgemeininteressen“ hinsichtlich der Frage, Allgemeininteressen welcher Art in welchem Umfang denn gerade im Rahmen des Lauterkeitsrechts zu schützen seien, praktisch auch fast unvermeidbar waren. Vgl. schon unter Geltung des alten UWG und im Vorfeld der zuletzt in Rechtsprechung und Literatur erfolgten Wende bündig für die zutreffende Auffassung statt vieler Emmerich (6. Aufl. 2002), S. 17 ff. mwN. 202 S. zur (nunmehr eindeutigen) Beschränkung auf wettbewerbsbezogene Interessen im neuen UWG noch sogleich unten 2. 203 Daher war auch der Begriff vom „sozialrechtlichen Charakter“ des UWG in diesem Zusammenhang stets ein wenig irreführend, vgl. noch u. Fn. 207. 196
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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Daraus ergab sich zugleich die Abgrenzung der beteiligten Interessenträger, die von der Rechtsprechung – gestützt von der herrschenden Meinung in der Literatur – schon lange vor Inkrafttreten des neuen UWG 2004 im Rahmen der sogenannten Schutzzwecktrias entwickelt wurde. Hiernach diente schon das alte UWG dem Interesse der Mitbewerber, sonstigen Marktbeteiligten (insbesondere Verbraucher)204 und der Allgemeinheit am Wettbewerb als Institution205. Diese teleologische Rezeption des Institutionengedankens bildet für sich genommen allerdings nicht mehr als ein (dreidimensionales) Koordinatensystem, ein Koordinierungsinstrument, in dem die beteiligten Interessen gewissermaßen die drei Achsen bilden. Wenngleich dadurch eine gewisse grobe Strukturierung der Interessenlage im Wettbewerbsrecht geleistet wird, so wurden – über die Identifikation der Interessenträger hinaus – doch die einzelnen kollektiven und individuellen Interessenpositionen durch die Schutzzwecktrias nicht weitergehend strukturiert. Zudem bietet die Schutzzwecktrias für sich genommen noch keinen Wertmaßstab, wie die Interessen zu gewichten sind. Ein wertendes Kriterium – wann etwa das Allgemeininteresse an der Institution Wettbewerb zu Abweichungen von einer rein an den unmittelbaren individuellen Interessen der Mitbewerber oder Kunden orientierten Betrachtung führen muß – etablierte die Schutzzwecktrias also nicht 206. Die Tatsache, daß mit dem Import des Institutionengedankens und der Schutzzwecktrias für das deutsche Recht 207 die Interessen der Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite (insbesondere der Verbraucher) im vertikalen Verhältnis in der Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt wurden, (ver)führte in der Folge zu rechtspolitischen Forderungen, das Wettbewerbsrecht müsse nun konsequenterweise auch unmittelbar und durch individuelle Ansprüche dem Schutz der Verbraucher dienen 208. Dies verkannte, daß es sich bei der Schutzzwecktrias zunächst nur um eine strukturierende Identifikation der Träger der im Lauterkeitsrecht zur 204 Der „Konsumentenschutzgedanke“ war schon bei der Entstehung des ersten deutschen UWG im Jahre 1896 in den Vorberatungen durchaus präsent; der „Konsumentenschutz“ wurde als willkommene Reflexwirkung des UWG empfunden, vgl. näher auch unten IV. 205 S. zur Entwicklung der Schutzzwecktrias etwa Schricker, GRUR Int. 1996, 473, 476 ff. mwN. 206 BGHZ 133, 330, 334 – Folgeverträge; GroßKomm-Köhler, § 1, Rz. D 2; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 1 mwN. 207 Der diesbezüglich strapazierte Begriff des „sozialrechtlichen Verständnisses“ des UWG wurde hier bewußt auch in diesem dogmengeschichtlichen Aufriß nicht verwendet, da er – die mehr als nur gelegentlichen Irrwege in Rechtsprechung und Literatur terminologisch geradezu stützend – gerade verunklarte, welche Interessen der Allgemeinheit im Rahmen des Lauterkeitsrechts mit zu berücksichtigen seien, vgl. statt vieler die Kritik am Terminus des „sozialrechtlichen“ Charakters des Lauterkeitsrechts bei Emmerich (6. Aufl. 2002), S. 17 ff.; Harte/HenningSchünemann, § 1, Rz. 4 mwN. 208 Vgl. noch die Nachweise zu den diesbezüglichen Diskussionen in den siebziger und achtziger Jahren und dann erneut im Vorfeld der UWG-Reform 2004 in u. Fn. 212. Zu den Diskussionen um den Charakter des UWG als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB s. noch unten 3. Kap. 2. Abschn. C; zur Berechtigung der Forderung nach individuellen Vertragslösungsrechten oder Schadensersatzansprüchen von unlauterem Wettbewerb betroffener Verbraucher im UWG de lege ferenda u.a. unten 4. Kap. 5. Abschn. C.
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1. Kapitel: Grundlagen
Ausgleichung zu bringenden Interessen handelt; die Rückbindung an den Gedanken des Institutionenschutzes verdeutlicht, daß diese Schutzzweckidentifikation daher nicht zwangsläufig zu subjektiven Rechten der beteiligten Interessenträger, insbesondere auf der Marktgegenseite, führen muß, sondern vielmehr auch auf anderem Wege – etwa durch kollektive Ansprüche von Verbraucherverbänden oder eben durch Individualansprüche der Mitbewerber (oder kollektive Ansprüche ihrer Verbände209), die insoweit Sachwalter auch der Verbraucher und der Allgemeinheit sein können 210 – erreicht werden kann 211. Die in der Diskussion zumal im Vorfeld der UWG-Reform von 2004 immer wieder erhobene Forderung nach wettbewerbsrechtlichen Individualansprüchen der durch unlautere Werbung geschädigten Verbraucher (sei es ein individueller Schadensersatzanspruch oder insbesondere das im Vorfeld der UWG-Reform diskutierte Vertragsauflösungsrecht)212, insbesondere einem Vertragsaufhebungsanspruch, war daher jedenfalls auf der bloßen argumentativen Grundlage des Hinweises auf die Schutzzwecktrias nie berechtigt 213. Berechtigt war demgegenüber die gleichfalls in den letzten zehn Jahren vor der UWG-Reform immer hörbarer erhobene Forderung, den Verbraucherschutzge209 Zur vergleichsweise hohen Klageaktivität gerade der gewerblichen Verbände in diesem Bereich, vgl. (in anderem Zusammenhang) Beater, § 13, Rz. 5 (S. 357 f.). 210 Raiser, Institutionenschutz, S. 145, 159, spricht von den Mitbewerbern und ihren Verbänden als „Funktionären der Gesamtrechtsordnung“; Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 397 und 527 ff. unter Hinweis auf Buxbaum, Die private Klage als Mittel zur Durchsetzung wirtschaftspolitischer Rechtsnormen, 1972. Zustimmend Reichold, AcP 193 (1993), 204, 223. 211 Zutreffend statt aller Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), Einl. UWG, Rz. 50 unter Hinweis auf die grundlegenden Ausführungen bei Raiser, JZ 1961, 465, 472, wonach sekundäre Schutzansprüche eben nicht stets notwendig einem zugrundeliegenden primären subjektiven Recht dienen. Unmittelbar auf das UWG bezogen zuletzt Reichold, AcP 193 (1993), 204, 226 ff. 212 Vgl. mit entsprechenden Forderungen auf der Grundlage des Schutzzweckwandels des UWG schon in den siebziger Jahren, Sack, ÖJZ 1976, 309 ff.; Reich, ZRP 1978, 100 ff.; Schricker, ZRP 1975, 189 ff.; ders., GRUR 1979, 1 ff. (demgegenüber zweifelnd etwa Ahrens, WRP 1978, 677 ff.), die dann in dem weitgehend leerlaufenden § 13a UWG resultierten, der nun im Rahmen der UWG-Reform ersatzlos gestrichen wurde. Im Vorfeld der UWG-Reform wurde die Forderung nach individuellen Ansprüchen zugunsten der Verbraucher auf Grundlage des unzutreffenden Arguments, es müsse eine der Schutzzweckparität entsprechende Rechtsfolgenparität zwischen Mitbewerber- und Verbraucherschutz hergestellt werden, dann erneut erhoben, s. insbesondere Fezer, WRP 2003, 127 ff.; im Ergebnis auch Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2002, 885, 901; Sack, BB 2003, 1073, 1078 f.; schon zuvor Dürrschmidt, Werbung und Verbrauchergarantien, S. 225 ff.; Lehmann/Dürrschmidt, GRUR 1997, 549, 558 f. 213 Zutreffend Köhler, GRUR 2003, 265 ff.; Sosnitza, GRUR 2003, 739, 744 f. Ebensowenig ist deshalb die Zuordnung von UWG-Normen als Schutznormen i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB unter alleinigem Verweis auf den in § 1 UWG festgelegten Verbraucherschutzzweck gerechtfertigt. Die Frage, ob und inwieweit eine Regelung von Individualansprüchen zugunsten von unlauterem Wettbewerb betroffener Verbraucher sinnvoll und geboten ist, ist damit noch nicht präjudiziert, nur das limitierte Argument auf Grundlage der Schutzzweckklausel widerlegt. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit spezialgesetzlicher Individualansprüche für Verbraucher im UWG ist richtigerweise unter ordnungspolitisch-durchsetzungsorientierter Gesamtperspektive auf das System aus Wettbewerbsrecht und allgemeinem Zivilrecht zu entscheiden, vgl. näher dazu unten 4. Kap. 5. Abschnitt.
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danken im Sinne einer differenzierteren Berücksichtigung der Interessen der Marktgegenseite als inhaltlichen Bewertungsmaßstab für die Interpretation der Generalklauseln des alten UWG in höherem Maße fruchtbar zu machen als bisher214. Zutreffend wurde darauf hingewiesen, daß es die dogmatisch-methodische Anerkennung des Verbraucherschutzgedankens im Rahmen der Schutzzwecktrias gestattet, die Interessen der Verbraucher als Beurteilungsmaßstab bei der Weiterentwicklung insbesondere derjenigen Fallgruppen des UWG heranzuziehen, bei denen sich die Schädigung des Konkurrenten erst über eine Einwirkung auf die Marktgegenseite vermittelt (Vertikalverhältnis, nunmehr schwerpunktmäßig prägend für die Beispielstatbestände der § 4 Nr. 1–6, 9 lit. a), § 5 und § 7 UWG). Nominell hatte die Rechtsprechung seit Anerkennung der Schutzzwecktrias auch mehr und mehr auf einen derartigen Wertmaßstab abgestellt. Nicht ganz zu Unrecht wurde aber ab Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts in der wettbewerbsrechtlichen Literatur kritisch herausgestellt, daß die Entwicklung der Rechtsprechung in den genannten Bereichen demgegenüber inhaltlich-materiell häufig noch von einer „Dominanz des Konkurrentenschutzdenkens“ geprägt gewesen war215. 214 Vgl. Beater, insbesondere III. Teil, §§ 13–16; ders., Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken, 2000; ders., JZ 1997, 916 ff., der insoweit die hergebrachten Fallgruppen in einer gänzlich neuen Systematik, die sich grundlegend an der Schutzzwecktrias orientiert, aufgehen läßt. Dies ermöglicht einerseits neue, wertvolle Perspektiven für die Abwägung der beteiligten Interessen; andererseits bringt die starre Einteilung entlang der Vorgaben der Schutzzwecktrias auch gewisse Nachteile mit sich. Die untrennbare Verschlingung der beteiligten Interessen im Rahmen der Institution des Wettbewerbs ist in dieser rein schutzzweckorientierten Systematik letztlich nicht zu modellieren; viele – wenn nicht alle – der angestammten Fallgruppen repräsentieren eben ein Konglomerat sämtlicher Interessen (der Unternehmer, Verbraucher und der Allgemeinheit) zugleich, so daß ihre Behandlung im Rahmen eines der Schutzzwecke zwangsläufig die Perspektive verkürzt (so muß auch Beater, aaO., viele der angestammten Fallgruppen in seiner Systematik an mehrfacher Stelle behandeln). Demgegenüber betont Micklitz/Keßler, WRP 2003, 919 ff., aus der Perspektive der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben argumentierend, mehr den Institutionengedanken, wenn er im Recht des unlauteren Wettbewerbs einen Funktionswandel hin zu einem Recht der Marktkommunikation konstatiert, was genau der hier entwickelten These von einem Trend zum Verbraucherschutz durch Etablierung einer Rahmenordnung für das Verkehrssystem – sowohl im Vertrags- als auch im Wettbewerbsrecht – entspricht, allerdings gegenüber Beaters Ansatz insofern kürzer greift, als der Funktionswandel wiederum nur konstatiert wird, ohne die dahinter stehenden Interessenverschiebungen über das Begriffliche hinaus greifbar zu machen. Letztlich muß es daher darum gehen, eine Synthese dieser beiden Ansätze zu finden, die einerseits die institutionelle Bindung der Verbraucher- und Sozialinteressen im Lauterkeitsrecht hinnimmt und verdeutlicht und andererseits insoweit die dahinter stehenden Schutzzwecke und Interessenkonstellationen dennoch nicht verschleiert (zur Anfälligkeit des Institutionsbegriffs für die Verschleierung von Zweckzusammenhängen, s. schon GroßKomm-Köhler, § 1, Rz. D 2, unter Hinweis auf Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, 1984, S. 83). Vgl. zum hier vertretenen Ansatz, der den status ad quem des fehlerfrei zustandekommenden Vertrags in den Mittelpunkt rückt, unten F sowie zum – auf die Etablierung einer Rahmenordnung gerichteten – einheitlichen Verbraucherschutzkonzept des Gemeinschaftsrechts näher unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 1 und 2. 215 Zumal und recht frühzeitig von Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken im Wettbewerbsrecht, 2000; später auch ders., Unlauterer Wettbewerb, 2002, §§ 13–16 zum alten UWG.
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1. Kapitel: Grundlagen
So wurde zwar die Auffassungsgabe und Aufmerksamkeit der Verbraucher im Rahmen des Verbraucherleitbilds zum nominellen Maßstab für die Interessenabwägung genommen, dabei jedoch die hinter diesem dogmatischen Konstrukt stehende Interessenlage faktisch ignoriert 216. Letztlich geht es nämlich um eine Festlegung welche Interessen, welcher Verbraucher, inwieweit zu schützen sind, wobei auf der anderen Seite der Waagschale in erster Linie auch die Interessen derjenigen Verbrauchergruppen, die des Schutzes nicht bedürften, zu berücksichtigen wären 217; mithin handelt es sich im Kern in erster Linie um eine Abwägung der Interessen unterschiedlicher Verbrauchergruppen gegeneinander218. Die dennoch von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung stets betonte Einbeziehung des Verbraucherschutzes in die Schutzzwecktrias fand insofern ihren wesentlichsten rechtstatsächlichen Hintergrund bis etwa Mitte der neunziger Jahre allein in der erstmals 1965 in das UWG aufgenommenen Verbandsklage für Verbraucherverbände (inzwischen in Umsetzung der Unterlassungsklage-RL qualifizierter Verbrauchereinrichtungen im Sinne des § 4 UKlaG), die zwar zu der nominell in der Folge stets hervorgehobenen Einbeziehung der Verbraucherinteressen an der Institution Wettbewerb in die Schutzzwecke des UWG geführt, deshalb aber die Auslegung der materiellen Tatbestände nicht wirklich wesentlich beeinflußt hatte.
Erst seit Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts kam es – dann weniger auf Grundlage des dogmatischen Instruments der Schutzzwecktrias und mehr pragmatisch aufgrund des wachsenden Einflusses des europäischen Verbraucherleitbildes sowie aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Meinungsfreiheit für kommerzielle Aussagen und nicht zuletzt aufgrund der für diese beiden Einflußfaktoren sensitiven und ihre liberalisierende Wirkung, zumindest im Falle der europarechtlich gesprägten Strömung, noch verbreiternden Haltung der Rechtsprechung des BGH – nach und nach zu einer Anpassung der Maßstäbe im Rahmen des deutschen Verbraucherleitbilds an die genuinen Bedürfnisse der Verbraucher im gesamten Lauterkeitsrecht 219. Der Begriff der Schutzzwecktrias als solcher hatte also letztlich zuerst nur die Anerkennung der Systemfunktion des Wettbewerbsrechts bei der Etablierung der Institution Wettbewerb gewissermaßen aufgefächert, indem er die an dieser Institution beteiligten Interessenträger einzeln benannte. Die nähere sachliche Strukturierung der individuellen und kollektiven Interessenpositionen ebenjener war aber dadurch noch nicht geleistet worden. Die diesbezügliche Entwicklung ist in diesem Zusammenhang dann weniger dogmatisch theoretisch 220, als vielmehr richterrechtlich pragmatisch in Richtung auf liberalere Maßstäbe im Wettbewerbsrecht verlaufen. 216
Zutreffend Beater, § 13, Rz. 4 ff. Ein strenges Verbraucherleitbild führt insofern dazu, daß unter dem „Deckmantel“ des Verbraucherschutzgedankens im Ergebnis typischerweise die Interessen einer sehr kleinen Gruppe von Verbrauchern zu Lasten der großen Mehrzahl der übrigen Verbraucher geschützt werden. 218 So zutreffend zuerst Drexl, Selbstbestimmung, S. 430 ff. 219 S. noch unten 4. Kap. 2. Abschn. B und öfter. 220 Wenngleich die Entwicklung natürlich dogmatisch aufmerksam vorbereitet, begleitet und durchleuchtet wurde (s. neben den Nachweisen zum vorstehenden Text und den ausführlichen Erläuterungen der Entwicklung in den Standardkommentaren zum neuen UWG etwa auch die zukunftsweisende Darstellung bei Micklitz/Keßler, WRP 2003, 919 ff.). 217
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2. Die Festlegung der Schutzzwecktrias in § 1 UWG im Rahmen der UWG-Reform von 2004 Die UWG-Reform von 2004 hat die in Rechtsprechung und Schrifttum entwikkelte Schutzzwecktrias in § 1 des neuen UWG inhaltsgleich221 übernommen 222. Auch das neue UWG folgt demnach, wie es der bisherigen Rechtslage entspricht, bezüglich der einbezogenen Interessen einem integrierten223, d.h. institutionellen Modell eines allgemeinen Wettbewerbsverhaltensrechts, das nicht zwischen Verbraucherschutz und deliktischem Konkurrentenschutz unterscheidet 224, sondern den Verbraucherschutz dem Konkurrentenschutz im Rahmen des Schutzes der Institution des freien Wettbewerbs ebenbürtig zur Seite stellt225. Ebensowenig wie die Einbeziehung der Verbraucher (und sonstigen Marktteilnehmer) auf der Marktgegenseite im Rahmen der bisherigen Schutzzwecktrias das Wettbewerbsrecht zu einem Verbraucherrecht machte, ist aber auch das neue UWG nicht allein deshalb von einem „Paradigmenwechsel hin zum Verbraucherschutzgesetz“226 geprägt227. 221 So die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 1 UWG, S. 15 f., und die herrschende Meinung, vgl. statt vieler Ohly, GRUR 2004, 889, 894; Lettl, Rz. 16; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 2 f.; Harte/Henning-Schünemann, § 1, Rz. 3, jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. Teils zweifelnd mit Blick auf die Deckungsgleichheit der Formulierung in § 1 UWG mit dem Verständnis der bisherigen Schutzzwecktrias in der Rechtsprechung (insbesondere mit Blick auf die berücksichtigungsfähigen Allgemeininteressen) Fezer-Fezer, § 1, Rz. 46 ff. S. dazu näher noch unten im Text. 222 S. sämtliche Nachweise o. Fn. 221. In enger Orientierung am sogenannten „Professorenentwurf“ (s. Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317 ff.) lehnte sich der Regierungsentwurf insofern (wenn auch mit einer entscheidenden Klarstellung bezüglich der Reichweite der Berücksichtigung von Allgemeininteressen im Lauterkeitsrecht) an die Formulierungen schon in Art. 1 der Irreführungs-Richtlinie an. Vgl. statt aller Lettl, Rz. 16 mwN. Mit rein terminologischer Kritik an der konkret verwendeten Formulierung (bezüglich der in dem Bemühen, geschlechtsbezogenen Diskriminierungen vorzubeugen erfolgten Ausdifferenzierung in „Verbraucherinnen und … Verbraucher“) Harte/Henning-Schünemann, § 1, Rz. 3; der „Professorenentwurf“ (aaO.) hatte auf derart feinsinnige Unterscheidungen noch verzichtet. 223 S. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 1 UWG, S. 15 f. 224 S. statt aller Ohly, GRUR 2004, 889, 894. 225 S. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 1 UWG, S. 15 f. Die entsprechende Klarstellung dürfte insbesondere der deklaratorischen Abgrenzung zu früheren Auffassungen, der Verbraucherschutz ergebe sich nur reflexartig aus dem Konkurrentenschutz, dienen, s. zutreffend Harte/Henning-Schünemann, § 1, Rz. 3. Vgl. eingehend zu der diesbezüglichen Entwicklungsgeschichte des Verbraucherschutzgedankens im Rahmen des Schutzzwecks des alten UWG Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken, S. 8 ff. mwN; zuletzt für ein institutionelles Verständnis des Wettbewerbsrechts und mit eingehender Schilderung sich ergebender Konsequenzen Glöckner, S. 512 ff. 226 So aber noch die ausdrückliche Befürchtung bei Engels/Salomon, WRP 2004, 32; Ring, ZGS 2004, 373, 377; dagegen zu Recht Lettl, GRUR 2004, 449; ders., Das neue UWG, Rz. 16; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 3; Ohly, GRUR 2004, 889, 894. 227 Konkret wurde den entsprechenden Forderungen nach einer Stärkung des Verbraucherschutzgedankens in den Vorschriften des UWG (wie sie insbesondere bezüglich über bereichsspezifische Regelungen hinausgehender Informationspflichten und individueller Ansprüche der Verbraucher [Schadensersatzanspruch, wettbewerbsrechtliches Vertragsauflösungsrecht] erho-
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1. Kapitel: Grundlagen
Mehr als eine Identifikation der geschützten Interessenträger an der Institution Wettbewerb leistet § 1 des neuen UWG, wie auch die bisherige Schutzzwecktrias der Rechtsprechung, für sich genommen nämlich wiederum nicht. Insbesondere die sachliche Strukturierung der am Wettbewerbsprozeß beteiligten individuellen und kollektiven Interessen selbst, erfolgt zu Recht nicht ausdrücklich in der Schutzzweckbestimmung, könnte dort angesichts der Offenheit des Wettbewerbsprozesses auch gar nicht sinnvoll erfolgen; vielmehr ist § 1 UWG in dieser Hinsicht selbst auslegungsbedürftig228. Die nähere Strukturierung der beteiligten Interessen wird dabei indiziell aber im neuen UWG mehr als bisher durch die gesetzgeberische Konkretisierung in den nachfolgenden Tatbeständen, insbesondere den Beispiels- und Sondertatbeständen unlauteren Wettbewerbs in §§ 4–7 UWG geleistet, deren vorrangig teleologische Auslegung – für die auch die neuen Beispielstatbestände im Rahmen der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe weiterhin breiten Raum lassen – freilich wiederum ihrerseits im Sinne der Schutzzweckbestimmung zu erfolgen hat229. Bezüglich der Reichweite des Allgemeininteresses erfolgt sogar schon in § 1 Satz 2 UWG eine Klärung, die die bisherige Rechtslage deklaratorisch expliziert 230: Nicht jegliche Allgemeininteressen werden durch das UWG geschützt, sondern lediglich das Interesse der Allgemeinheit ben wurden) vielmehr zu Recht gerade widerstanden. Zutreffend Ohly, aaO.; vgl. näher auch noch unten 4. Kap. 5. Abschn. und öfter. 228 S. statt aller zuerst Lettl, GRUR 2004, 449450. 229 Treffend und bündig beschrieben findet sich dieses Wechselspiel zwischen Schutzzweckbestimmung des § 1 und Beispiels- und Sondertatbeständen der §§ 4–7 UWG, die in einem „hermeneutischen Zusammenhang wechselseitiger Erhellung stehen“ bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, §1, Rz. 5 unter Hinweis auf Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 206 ff.; s. mit ersten grundlegenden Stellungnahmen zum Zusammenspiel von Schutzzweckklausel, Generalklausel und Sondertatbeständen auch Schünemann, WRP 2004, 925 ff.; ders., JZ 2005, 271 ff., sowie zum ganzen in dieser Untersuchung noch näher unten 4. Kap. 2. Abschn. A III 2 c. Vgl. bezüglich der näheren Strukturierung der beteiligten Interessen im Vier-Ebenen-Modell auch eingehender unten F IV. 230 So die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 1 UWG, S. 16 und die herrschende Meinung Schünemann, WRP 2004, 925, 933 ff.; Ohly, GRUR 2004, 889, 894 f.; Schünemann, WRP 2004, 925, 930 ff.; Lettl, Rz. 64; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 36; Harte/Henning-Schünemann, § 1, Rz. 54. Zweifelnd an der Übereinstimmung der nachstehend beschriebenen Beschränkung der relevanten Allgemeininteressen mit der bisherigen Rechtslage (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs: „… auch weiterhin nicht geschützt“) demgegenüber insbesondere Fezer-Fezer, Rz. 46 ff., der dem insbesondere die sozialrechtliche Auffassung zum bisherigen UWG in Rechtsprechung und Literatur im Sinne einer „sozialethisch fundierten Rechtsgestaltung der Wettbewerbsordnung“, die zumal in der Grundrechtsordnung wurzele, entgegenhält. Der Auffassung Fezers ist zuzugestehen, daß bis weit in die neunziger Jahre in der Rechtsprechung des BGH eine Rezeption diffuser Allgemeininteressen auf ad hoc Basis in Einzelfällen erfolgte, vgl. etwa BGH GRUR 1995, 592 – Busengrapscher zu einem Fall unsittlicher, weil frauenverachtender Werbung; andererseits hatte sich auch und gerade insoweit zu allerletzt gleichfalls eine Wendung klar akzentuiert, wie sie sich insbesondere in den letzten BGH-Entscheidungen zur Fallgruppe des Vorsprungs durch Rechtsbruch (jetzt § 4 Nr. 11 neues UWG mit diesbezüglich ohnehin klarer Formulierung) manifestierte, derzufolge außerwettbewerbliche Normen gerade eine (zumindest sekundär) wettbewerbsbezogene Funktion haben müßten, um durch das Wettbewerbsrecht sanktionierbar zu sein, s. BGHZ 144, 255,
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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an einem unverfälschten Wettbewerb als Institution 231. Daß das Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb gewissermaßen institutionell-mittelbar gewährleistet wird, und insofern gerade im Rahmen des Schutzes der kollektiven Interessen der Mitbewerber und sonstigen Marktteilnehmer rückgebunden ist, verdeutlicht die Formulierung „zugleich“ in § 1 Satz 2 UWG232. Damit dürfte der Verweis auf das Allgemeininteresse keine eigenständige Bedeutung dahingehend entfalten, daß einzelne Fallgruppen etwa allein auf nicht wettbewerbsbezogene 269 = NJW 2000, 3351 – Abgasemissionen; BGH NJW 2001, 1089 – Verbandsklage gegen Vielfachabmahner; BGH NJW 2002, 636 – Sportwetten und insbesondere auch BGH NJW 2002, 2645 – Elektroarbeiten (Schutz des freien Wettbewerbs als Zweck des Wettbewerbsrechts); vgl. aus der Literatur zuletzt deutlich Köhler, NJW 2002, 2761 ff., von Ungern-Sternberg, in: FS Erdmann, S. 741 ff., sowie im übrigen grundlegend für eine funktional wettbewerbsbezogene Auslegung des § 1 UWG mit Blick auf den Vorsprung durch Rechtsbruch schon Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970. Unter diesen Umständen wird man die Begründung des Regierungsentwurfs (aaO.) mit dem Verweis auf die Beschränkung relevanter Allgemeininteressen im Wettbewerbsrecht schon nach der Rechtslage unmittelbar vor Inkrafttreten des neuen UWG nicht schlechthin als „perplex“ bezeichnen können (so aber Fezer, aaO., Rz. 47 f.). Zum verfassungsrechtlichen Aspekt seiner Kritik, vgl. noch sogleich u. Fn. 231. 231 Herrschende Meinung, s. die Nachweise o. Fn. 230; a.A. Fezer, aaO., Rz. 51 ff., der die abweichende Auslegung der herrschenden Meinung, die sich am eindeutigen Wortlaut des § 1 Satz 2 UWG orientiert, für verfassungswidrig erachtet, da eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Satz 2 UWG den Schutz von allgemeinen Gemeinschaftsgütern und den Grundwerten der Person als rechtsethisches Fundament des Lauterkeitsrechts mit einbeziehen müsse. Dem wird man entgegenhalten können, daß das Bundesverfassungsgericht bei der Umsetzung der grundrechtlichen Werteordnung dem einfachen Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Spielraum läßt, der es ihm insbesondere auch ermöglichen dürfte, zu entscheiden, in welchen Gesetzen Gemeinwohlbelange allgemeiner Art und insbesondere das überragende Schutzgebot mit Blick auf die Menschenwürde umgesetzt werden. Die Beschränkung der Allgemeininteressen im Wettbewerbsrecht auf wettbewerbsfunktionale Aspekte ebenjener Allgemeininteressen, könnte unter dieser Perspektive mit Blick auf den Schutz der Menschenwürde nur dann verfassungsrechtlich bedenklich sein, wenn sich mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG etwa in Fällen menschenverachtender Werbung eine Schutzlücke im Rahmen der allgemeinen Gesetze ergäbe. Ebendies dürfte aber nach derzeitiger Rechtslage nicht der Fall sein (s. zur Begründung dieser Annahme auch noch sogleich u. Fn. 234), jedenfalls ist eine derartige Schutzlücke von Fezer, aaO., nicht konkret belegt. Soweit Fezer, aaO., weiterhin andeutet, daß nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Folge der Benetton-Fälle die Rechtsanwendung im Lauterkeitsrecht eine umfassende Grundrechteabwägung bei der Konkretisierung der (alten) Generalklausel voraussetze, ist dem entgegenzuhalten, daß eine derartige Grundrechteabwägung jedoch bei der Rechtsanwendung im Einzelfall nach dem neuen UWG gerade in dem Maße nicht mehr notwendig ist, wie der Gesetzgeber die entsprechenden Interessenabwägungsentscheidungen bereits abschließend getroffen hat. Vgl. eingehend zur verfassungsrechtlichen Lage noch unten 2. Kap. 2. Abschn. B II sowie kurz zur Behandlung menschenverachtender Werbung im neuen UWG, die im Zusammenhang mit den Allgemeininteressen das wichtigste Beispiel für „menschenwürdesensible“ Fallgestaltungen sein dürfte, auch noch sogleich u. Fn. 234. 232 Deutlicher sogar noch der Professoren-Entwurf (Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317 ff.), wo es in § 1 hieß: „Es schützt damit auch das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb“ (Hervorh. d. Verf.). Ein zutreffender Nachhall dieser Formulierung findet sich treffend in der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 1 UWG, S. 15 f.: „…damit zugleich das Interesse der Allgemeinheit …“ (Hervorh. d. Verf.). Vgl. die diesbezüglichen Hinweise bei Harte/Henning-Schünemann, § 1 UWG, Rz. 63 ff., der daraus allerdings den weitergehenden Schluß zieht, daß dem Verweis auf das Allgemeininteresse in § 1 Satz 2 UWG gar keine eigenständige Bedeutung zukomme, vgl. zur diesbezüglichen Diskussion noch u. Fn. 243.
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1. Kapitel: Grundlagen
Allgemeininteressen, wie beispielsweise bestimmte sittliche Gebote mit Blick auf den Schutz der Menschenwürde oder auch auf ein Allgemeininteresse an einem „bestimmten“, z.B. sozialen oder „Leistungs-“Wettbewerb, gestützt werden könnten 233. Gerade die entsprechende Rückbindung der konkreten Beispielstatbestände (insbesondere § 4 Nr. 1 mit dem Erfordernis eines unangemessen unsachlichen Einflusses auf die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher sogar in Fällen menschenverachtender Werbung 234; § 4 Nr. 11 mit dem Erfordernis des Marktverhaltensbezugs der verletzten Norm beim Vorsprung durch Rechtsbruch 235), wie auch die 233 So zutreffend auch die diesbezügliche Differenzierung bei Harte/Henning-Schünemann, § 1, Rz. 54 f.: „Irrelevanz wettbewerbsfremder“ und „eingeschränkte Relevanz wettbewerbseigener“ Allgemeininteressen. Vgl. inhaltsgleich Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, §1, Rz. 36 (zum erstgenannten Aspekt der sonstigen Allgemeininteressen) und Rz. 38 f. (zum zweitgenannten Aspekt bestimmter wettbewerbsimmanenter Interessen, die eben auch gerade nur insoweit berücksichtigungsfähig sind, wie sie sich auf die Unverfälschtheit des Wettbewerbs richten). A.A. insbesondere Fezer-Fezer, § 1, Rz. 46 ff. Zum alten Recht noch weitergehend insbesondere Emmerich, § 3, S. 18 f., GroßKomm-Schünemann, Einl, Rz. C 23, die den Allgemeininteressen praktisch jegliche eigenständige Bedeutung im Wettbewerbsrecht absprachen (da sie in den Kollektivinteressen der Marktteilnehmer aufgingen). Zum neuen Recht wohl ebenso Harte/Henning-Schünemann, § 1 UWG, Rz. 63 ff; a.A. insbesondere Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 35. Vgl. zu diesem Streit auch noch u. Fn. 243. 234 Das Erfordernis einer unsachlichen Beeinflussung der Verbraucherentscheidung auch im Falle der menschenverachtenden Werbung führt (wohl entgegengesetzt zur Intention des Rechtsausschusses des Bundestags, auf dessen Initiative die Fallgruppe der menschenverachtenden unsachlichen Beeinflussung noch hinzugefügt worden war und der offenbar davon ausging, durch die Alternative werde jegliche menschenverachtende Werbung erfaßt, s. Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 15/2795, S. 43 f.) dazu, daß auch die menschenverachtende Werbung (anders als etwa noch in BGH GRUR 1995, 592 – Busengrapscher, wo eine frauenverachtende Werbung, die sicher nicht geeignet war, die Verbraucher unsachlich zum Kauf der beworbenen Liköre zu verführen, als sittenwidrig im Wettbewerb qualifiziert wurde) nur dann die Unlauterkeit im Wettbewerb begründen kann, wenn es durch sie zu einer Verzerrung der letztendlichen Verbraucherentscheidung kommt. Mithin wird gerade wieder ein Wettbewerbsbezug mit Blick auf den Verbraucherschutz etabliert, vgl. zutreffend Ohly, GRUR 2004, 889, 894 f. Hierin ist (gegen Fezer, aaO.) auch kein Verfassungsverstoß zu erblicken, da sich daraus bei realistischer Betrachtung keine Schutzlücken mit Blick auf das Menschenwürdegebot ergeben dürften. Dies ergibt sich aus der Überlegung, daß die allgemeinen Gesetze (insbesondere das Medienrecht und das allgemeine Strafrecht) grundsätzlich einen adäquaten Menschenwürdeschutz und Schutz sonstiger Grundwerte gewährleisten dürften; soweit man darüber hinaus nun spezifisch im Wettbewerbsrecht einen unabhängigen Menschenwürdeschutz und Schutz sonstiger Grundwerte im Rahmen des Allgemeininteresses verfassungsrechtlich zwingend als Schutzzweck etablieren wollte, wäre zu belegen, daß sich Aussagen, die nach den allgemeinen Gesetzen gerade noch tolerierbar sind, gerade durch ihre Verwendung im Wettbewerb in ihrem Charakter derart wandeln, daß es nunmehr zu einem Menschenwürdeverstoß kommt. Tatsächlich hatte der BGH in seiner zweiten „Benetton“-Entscheidung, BGH NJW 2002, 1200, 1202 ff. – HIV positive, exakt diese Argumentationsrichtung eingeschlagen; die Entscheidung ist aber in der Folge mit Blick auf die wiederum involvierte Verletzung der Pressefreiheit durch das BVerfG gerade verworfen worden, s. BVerfG NJW 2003, 1303 – Benetton II, und auch insgesamt hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Kammerentscheidungen in der Folge der Benetton-Urteils eine Linie verfolgt, die bei der Rechtfertigung lauterkeitsrechtlicher Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Wettbewerb immer mehr den Bezug auf die Informationsstrukturen der Märkte und den Erhalt des Wettbewerbs als Institution in den Mittelpunkt rückt, s. eingehend unten 2. Kap. 2. Abschn. B II 2. 235 Die nunmehr klare Formulierung in § 4 Nr. 11 UWG stellt ihrerseits keine Änderung der unmittelbar vor Inkrafttreten des neuen UWG bestehenden Rechtslage dar, sondern schreibt
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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Formulierung der neuen Generalklausel 236, die ja dann ihrerseits wieder vorbestimmend für die Auslegung sämtlicher Beispielstatbestände als Unterfälle („insbesondere“) ist, verdeutlichen, daß außerwettbewerbliche Interessen selbst in Fällen, in denen bisher eine Instrumentalisierung des Wettbewerbsrechts gelegentlich erfolgte oder doch zumindest erwogen wurde237, nach dem neuen UWG jedenfalls nicht mehr238 durch das Lauterkeitsrecht sanktioniert werden 239. Dreierlei Funktion mag man dem Verweis auf das Allgemeininteresse § 1 Satz 2 UWG unter dieser Perspektive auf Tatbestandsebene240 dennoch zugestehen: Erstens wird – gewissermaßen negativ – gerade klargestellt, daß jedenfalls künftig (genaugenommen wie bisher) das „Allgemeininteresse“ als Abwägungsposition im Lauterkeitsrecht ein auf wettbewerbsbezogene Belange „kupiertes“ Interesse der Allgemeinheit ist. Zweitens kann das Allgemeininteresse am Funktionieren des freien Wettbewerbs als Institution auf Tatbestandsebene die Unlauterkeit bestimmter Wettbewerbshandlungen begründen, die – schon für sich genommen oder aufgrund von Netzwerkeffekten – gerade für den Bestand freien Wettbewerbs auf diesem konkreten Markt bedrohlich sind, ohne deshalb von vornherein (also marktstrukturunabhängig) unlauter zu sein (hierher gehören insbesondere Fälle der allgemeinen Marktbehinderung)241. Schließlich, drittens, kann die Berücksichtigung des Allgemeininteresses im Rahmen der Beurteilung konkreter Sachverhalte zu einer Abweichung von einem allein am Maßstab der Interessen der unmittelbar beteiligten Mitbewerber und sonstigen Marktteilnehmer (insbesondere Verbraucher) orientierten Beurvielmehr die insoweit gerade zuletzt vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens eingetretene Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die der herrschenden Meinung in der Literatur folgte, fest, vgl. die Nachweise o. Fn. 230. 236 § 3 UWG mit der Bagatellklausel, derzufolge eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung (der Begriff dürfte mit der „Verfälschung“ in § 1 UWG inhaltsgleich [wenn auch gerade in Abgrenzung zu § 1 UWG und zumal zum Kartellrecht und der diesbezüglich sich zusehends durchsetzenden Terminologie unglücklich gewählt] sein und wurde nur auf Anregung des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren aus [zweifelhaften] sprachlichen Gründen, sowie um Zweifelsfragen mit Blick auf eine sonst entstehende Abweichung gegenüber der früheren Formulierung in § 13 Abs. 2 Nr. 1 des alten UWG zu vermeiden, statt des noch im Regierungsentwurf verwendeten „verfälschens“ eingefügt, vgl. Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drs. 15/1487, S. 29 ff., Nr. 5 zu § 3 UWG [S. 30]) des Wettbewerbs „zum Nachteil der Mitbewerber oder … sonstigen Marktteilnehmer“ Voraussetzung des wettbewerbsrechtlichen Verbots ist. 237 Vgl. die Nachweise o. Fn. 201. 238 Angesichts der klaren Formulierung in § 1 Satz 2 UWG (der entgegen der Auffassung von Fezer-Fezer, § 1, Rz. 51 ff., auch nicht korrigierend verfassungskonform auszulegen ist, s.o. Fn. 231 und 234) könnte die Streitfrage, ob § 1 Satz 2 UWG insoweit tatsächlich nur die bisherige Rechtslage festschreibt (s.o. Fn. 230) auf den ersten Blick sogar dahinstehen. Bei näherer Betrachtung ist diese Frage aber insbesondere deshalb von Relevanz, weil mit Blick auf die „Perplexität“ der Gesetzesbegründung (die sich daraus ergäbe, daß die bisherige Rechtslage eben entgegen der Formulierung in der Begründung geändert werde) ein Argument entwickelt wurde, im Wege historischer Auslegung das klare Ergebnis der grammatikalischen und teleologischen Auslegung des § 1 Satz 2 UWG mit Blick auf die geschützten Allgemeininteressen zu korrigieren (s. Fezer, aaO., Rz. 47 f.). Diese Argumentation trägt aber deshalb nicht, weil sich angesichts der allerletzten Entwicklungen in der Rechtsprechung vor dem Entwurf des neuen UWG durchaus durch den Gesetzgeber argumentieren ließ, daß schon bisher im (alten) UWG Allgemeininteressen nur hinsichtlich des unverfälschten Wettbewerbs geschützt gefunden hätten (s. insoweit ebenfalls schon o. Fn. 230). 239 Vgl. die Nachweise o. Fn. 230. 240 Vgl. für Einflußspuren des Institutionenschutzes auf Rechtsfolgenseite Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 45, sowie auch noch im folgenden Text. 241 S. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 44 mwN.
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1. Kapitel: Grundlagen
teilung führen; hier kann es unter Berücksichtigung der Eigenheiten des konkret betrachteten Marktes – zum Beispiel aufgrund zu befürchtender Nachahmereffekte – zu einer institutionenbezogenen Verschiebung des Ergebnisses einer allein an den beteiligten Individualinteressen orientierten Wertung kommen 242. Genaugenommen dürften sich der zweite und dritte hier genannte Aspekt aber auch schon über die kollektiven Interessen der Marktbeteiligten erfassen lassen, wenn man deren (gewissermaßen konstitutives) Interesse am ungestörten Bestand des freien Wettbewerbs in einem bestimmten Markt mit einbezieht; letztlich hat der Verweis auf das Allgemeininteresse demnach im neuen UWG in erster Linie klarstellenden Charakter mit Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung des Wettbewerbs als Institution243.
Alles in allem bleibt es auch nach der Fassung des neuen UWG demnach dabei, daß die Schutzzwecktrias nicht mehr als eine identifizierende Strukturierung der am Wettbewerbsprozeß als Institution beteiligten Interessenträger als Grundlage der darauf aufbauenden teleologischen Auslegung der Beispielstatbestände und der Generalklausel leistet; der institutionell systemtheoretische Rückbezug insbesondere des Allgemeininteresses am freien Wettbewerb ist im Rahmen der Reform sogar noch verdeutlicht worden 244. Jeglicher Versuch, dem Lauterkeitsrecht dar242 Ein interessantes Beispiel hierfür findet sich sogar in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nämlich in den Überlegungen zur Berücksichtigung der Funktionsweise und der Funktionsfähigkeit spezifischer Märkte (in diesem Falle des Arzneimittelmarkts) bei der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung eines Sachverhalts, in BVerfG NJW 2001, 3403, 3405 f. – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung). 243 Ob man darin dann im Rahmen des neuen Rechts noch eine „eigenständige“ Bedeutung des Allgemeininteresses sehen will (so Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 35; Lettl, Rz. 65 ff.) oder ob man dem Allgemeininteresse am unverfälschten Wettbewerb nurmehr die Rolle eines reflexartigen Spiegels der individuellen und kollektiven Interessen der Marktteilnehmer zugesteht (so insbesondere Harte/Henning-Schünemann, § 1, Rz. 63 ff. mwN [vgl. zur diesbezüglicher Auffassung Emmerichs, Schünemanns u.a. schon zum alten UWG auch o. Fn. 233], wohl auch Ohly, GRUR 2004, 889, 894 f.), ist angesichts dieser Betrachtung zu den mittelbarkollektiven Interessen der Marktteilnehmer am Fortbestand des Wettbewerbs letztlich nicht mehr als eine juristische Konstruktionskontroverse. Jedenfalls inhaltlich besteht Einigkeit zwischen den Kontrahenten, daß die berücksichtigungsfähigen Allgemeininteressen im Lauterkeitsrecht gerade auf den Schutz des freien Wettbewerbsprozesses als Institution bezogen sein müssen. Immerhin spricht wertungsmäßig das ordoliberale Konzept von der Interdependenz der Ordnungen dafür, daß neben den mittelbar-kollektiven Interessen der Marktteilnehmer am reibungslosen Funktionieren des freien Wettbewerbsprozesses als Institution, dieses zugleich auch die Allgemeininteressen der Gesellschaft berührt, da das System freien Wettbewerb stets auch dem politischen und gesellschaftlichen System der Bundesrepublik inhaltlich verwoben ist. 244 Dies zeigt sich nicht nur an den insoweit eindeutigen Formulierungen der §§ 1, 3 UWG, sondern darüber hinaus (auch mit Blick auf die Interessen der Wettbewerber und sonstigen Marktteilnehmer) insbesondere an der Gestaltung der Rechtsfolgen im neuen UWG. So ist der bisherige individuelle Anspruch auch mittelbar betroffener Mitbewerber (im abstrakten Wettbewerbsverhältnis) nunmehr zu einem kollektiven Anspruch reduziert worden, ein individueller Anspruch steht nur noch dem unmittelbar Verletzten (im konkreten Wettbewerbsverhältnis zu), s. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Mit Bezug auf den Verbraucherschutz macht insbesondere die Ausgestaltung des neuen Gewinnabschöpfungsanspruchs, der ebenfalls als kollektiver Anspruch nur den nach § 8 Abs. 3 Nr.2–4 UWG berechtigten Organisationen zusteht (s. § 10 Abs. 1 UWG), gleichermaßen wie im übrigen auch die im Rahmen der Reform eben nicht umgesetzten weitergehenden individuellen Verbraucherrechte (Schadensersatz, Vertragsauflösungsrecht), den institutionellen Rückbezug auch der Interessen der am Wettbewerb
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über hinaus ein „positives“ Schutzgut i.S.d. Schutzes eines ganz bestimmten Wettbewerbs unterzulegen, müßte demgegenüber schon aus wettbewerbstheoretischen Gründen scheitern 245 und ist deshalb zu Recht vom deutschen Gesetzgeber in § 1 UWG nicht unternommen worden 246. Gelingen kann allein eine verhaltensbezogene, ggf. typisierende „negative“ Ausgrenzung potentiell nicht nur unerheblich wettbewerbsverzerrender Verhaltensweisen im Markt 247.
3. Relevanz für Versuche einer schutzgutbezogenen Abgrenzung des Lauterkeits- vom Vertragsrecht Damit erscheinen dann aber auch weder der Institutionengedanke noch die bloße Identifikation der rechtlich geschützten Interessenträger im Rahmen der Schutzzwecktrias geeignet, eine systematische Abgrenzung des Wettbewerbs- vom Vertragsrecht (oder auch nur vom Privatrecht insgesamt) unter dem Aspekt eines unterschiedlichen Schutzguts zu leisten 248. Denn dem institutionellen Ordnungsprinzip oder „Schutzgut“ Wettbewerb, mit anderen Worten der Freiheit des wettbewerblichen Verkehrssystems selbst, dienen in allererster Linie auch die grundlegenden Prinzipien und Regelungen des Privatrechts – und, wie gezeigt wurde, insbesondere des Schuldvertragsrechts – überhaupt. Letztlich hat mit der umfassenden Regelung der Verbandsklage für die Verletzung verbraucherschutzrechtlicher Vorschriften der Gesetzgeber diese Entwicklung auch für das Verbrauchervertragsrecht 30 Jahre später verfahrensrechtlich nachvollzogen 249, die Einbeteiligten Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite deutlich, der es rechtfertigt, ihnen trotz ihrer verbrieften Rolle als Schutzsubjekte des neuen UWG gegebenenfalls nur individuelle Ansprüche zuzustehen. 245 S. die Überlegungen oben 1. Abschn. C III. 246 Derartige Versuche dürfen insbesondere auch nicht auf dem Umweg über die Auslegung der Generalklausel des § 3 UWG (etwa unter Verwendung des aufzugebenden Begriffs vom „Leistungswettbewerb“ statt des eindeutigen Bezugs auf den unverfälschten, d.h. „freien“ Wettbewerb) unternommen werden, s. für die diesbezüglich herrschende Meinung Hefermehl/Köhler/ Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 39; Harte/Henning-Schünemann, § 1, Rz. 9 ff.; vgl. grundlegend zuletzt auch MüKoUWG-Sosnitza, Grundl., Rz. 10 ff. mwmN. A.A. wohl Fezer-Fezer, § 1, Rz. 46 ff. 247 In diesem Zusammenhang hat das neue UWG durch die Festschreibung von Beispielstatbeständen unlauteren Wettbewerbs in den §§ 4–7 UWG (selbst wenn diese weitgehend den Fallgruppen der bisherigen Rechtsprechung nachgezeichnet sind) einen ganz erheblichen Schritt voran gemacht, der sich insbesondere daraus ergibt, daß nunmehr die jeweiligen Interessen der Mitbewerber und sonstigen Marktteilnehmer (insbesondere Verbraucher) in bestimmten typischen Fallgestaltungen durch den Gesetzgeber in den Beispielstatbeständen strukturiert (und zumal auch sauber voneinander getrennt wurden), wenngleich die jeweils verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe (in unterschiedlichem Umfang) noch Raum für strukturierte Interessenabwägungsentscheidungen der Gerichte im Einzelfall lassen. S. treffend Ohly, GRUR 2004, 889, 896 f., sowie näher zu den für die hier angestellte Untersuchung relevanten Interessenkonstellationen des neuen Gesetzes, die sich in der Zusammenschau mit dem Vertragsrecht gerade im Vier-Ebenen-Modell strukturieren lassen, auch unten F IV. 248 So insbesondere und zu Recht Bydlinski, System und Prinzipien, S. 603 ff. mwN. 249 Wobei der zeitliche „Vorsprung“ des Lauterkeitsrechts sich wohl durch die stärkere Gewichtung des Präventionsprinzips in diesem Bereich, den höheren ordnungspolitischen Bedarf
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1. Kapitel: Grundlagen
heitlichkeit des Institutionenschutzgedankens durch Etablierung eines prozessualen Rechtsschutzsystems für bestimmte strukturell ab- und eingrenzbare kollektive Interessen wird an dieser Stelle überdeutlich 250. Soweit keine entsprechende Regelung für vertragsrechtliche Vorschriften insgesamt erfolgte, ist dies weniger eine Folge grundsätzlicher dogmatischer Bedenken, als vielmehr Ausdruck eines fehlenden ordnungspolitischen Bedarfs251 für eine Verbandsklage in diesem Bereich 252. Auch das Vertragsrecht im institutionellen Sinne dient also – wenn man so will – den Interessen der Mitbewerber, der sonstigen Marktteilnehmer und der Allgemeinheit am Wettbewerb253. Für eine Abgrenzung vom Recht des unlauteren Wettbewerbs hilft dies nicht weiter254. Diese Abgrenzung kann sowie die größere Nähe zu Interessen der Allgemeinheit erklären ließe. Betrachtet man den zeitlichen Verlauf im Kontext der Entwicklung der zugehörigen Rechtsgebiete, so wird zudem deutlich, daß die Verbandsklage als verfahrensrechtlicher Ausdruck der institutionellen Funktion im Bereich des Verbrauchervertragsrechts der Entwicklung des materiellen Rechts sogar sehr viel schneller nachfolgte als im Lauterkeitsrecht. Das Lauterkeitsrecht war insoweit sozusagen vorangeschritten und hatte das „unterschwellige Unbehagen“, auf das die Verbandsklage als Instrument der Durchsetzung kollektiver Interessen im traditionell mehr sonderdeliktsrechtlich individuell ausgerichteten deutschen Lauterkeitsrecht traf, in gewissem Umfang bereits überwunden, so daß dieses Instrument (zumal auch auf europäischen Anstoß intensiviert) sich dann im Verbraucherschutzrecht schneller durchsetzen konnte. Vgl. auch (aus lauterkeitsrechtlicher Sicht) Beater, § 30, Rz. 124 ff. (S. 798 f.) 250 Insoweit hat der Gesetzgeber mit den Regelungen des Unterlassungsklagegesetzes (und schon der Verbandsklage im früheren AGBG) auch nicht etwa dem (Verbraucher-)vertragsrecht eine systemfremde Funktion gewissermaßen „aufgepfropft“. Vielmehr wurde eher einem in der Rechtspraxis bereits in der Ausweichbewegung in das Sanktionensystem des UWG auf dem Wege über das „Einfallstor“ des Vorsprungs durch Rechtsbruch manifest gewordenen zusätzlichen Sanktionierungsbedarf genügt. 251 Dahinter steht auch die Überlegung, daß in diesem Bereich die beteiligten kollektiven Interessen nur sehr schwer durch eine verbandsmäßige Strukturierung zu erfassen wären, so daß die Mißbrauchsgefahren einen denkbaren Nutzen durch die zusätzliche Sanktionierungsfunktion überwögen. Immerhin ist eine Verallgemeinerung des Instruments der Verbandsklage für das deutsche Recht im Vorfeld der Umsetzung der Unterlassungsklage-Richtlinie auf Grundlage eines rechtsvergleichenden Gutachtens vorgeschlagen worden (vgl. Hopt/Baetge, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 11, 39 ff.) und auch in anderen Mitgliedstaaten der europäischen Union, wie etwa den Niederlanden, eingeführt, wobei die Begrenzung auf das Verbraucherrecht als Modell innerhalb der Europäischen Union überwiegt. 252 Vgl. aber näher zum in dieser Untersuchung befürworteten Ausbau des Instrumentariums kollektiver Geltendmachung von Unterlassungs- und auch Schadensersatzansprüchen im deutschen Recht noch unten 4. Kap. 5. Abschn. C. 253 Die allerdings hier teilweise anders strukturiert sind, vgl. insgesamt näher unten F II und IV. Mit ebensolcher Berechtigung, wie für das Recht des unlauteren Wettbewerbs läßt sich deshalb – wie oben C II und III näher ausgeführt wurde – auch für das Vertragsrecht eine größere Berücksichtigung seiner institutionellen Funktion für das Verkehrssystem fordern, wobei das dogmatische Einfallstor im Rahmen der teleologischen Interpretation der anerkannte Gedanke des Verkehrsschutzes bildet. 254 Vielmehr ist es gerade umgekehrt. Was die zunehmende Forderung nach Berücksichtigung der institutionellen Funktion bei der Etablierung eines Rahmens für das Verkehrssystem angeht, die sowohl in der Legislative als auch in der Rechtswissenschaft mittlerweile ihren Widerhall gefunden hat, bewegen sich Vertragsrecht und Recht des unlauteren Wettbewerbs – aus ihrer unterschiedlichen funktional-rechtsfolgenspezifischen Herkunft kommend – gerade auf-
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vielmehr nur funktional-rechtsfolgenspezifisch und aufgrund eines konkreten Vergleichs der jeweiligen sachlichen Interessenlage in beiden Rechtsgebieten erfolgen. Insofern handelt es sich beim Recht des unlauteren Wettbewerbs um ein autonomes Sonderdeliktsrecht der Unternehmen, wie im folgenden gezeigt wird, bevor auf die kategorialen Abgrenzungsversuche vom Vertragsrecht eingegangen werden soll, die im Ansatz zutreffend auf dieser funktionalen Zuordnung aufbauen.
IV. Wettbewerbsrecht als Sonderdeliktsrecht Die deliktsrechtlichen Wurzeln des Lauterkeitsrechts lassen sich besonders deutlich in seiner Entstehungsgeschichte verfolgen. An der Wiege des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in Deutschland in seiner heutigen Form stand die sattsam bekannte „Unzulänglichkeit“255 des deutschen Deliktsrechts, eine Verhaltensordnung für einen bestimmten Bereich – hier den aufkommenden wirtschaftlichen Wettbewerb256 – aufzubauen, wie sie sich aus dem heteronomen Charakter des § 823 BGB ergibt 257. Diese Zentralnorm des deutschen Deliktsrechts begründet sowohl in ihrem Absatz 1 (der für die Rechtswidrigkeit den Schutz absoluter einander zu. Vgl. für das Vertragsrecht schon oben C II und III sowie als exemplarisches Beispiel die grundlegende Studie von Fleischer (Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001), der weite Teile der vorvertraglichen Informationshaftung auf eine entindividualisierte, institutionentheoretische Grundlage stellt; für das Recht des unlauteren Wettbewerbs nur Micklitz/Keßler, WRP 2003, 919, 921, die unter wesentlicher Inbezugnahme des acquis communautaire in diesem Bereich von einem „mikroökonomisch fundierten Recht der Marktkommunikation“ sprechen; vgl. näher zu der im acquis praktisch eingeebneten kategorialen Unterscheidung von Lauterkeitsrecht und Verbraucherschutzrecht näher noch unten 2. Kap. 3. Abschnitt. Daß die diesbezügliche teilweise funktionale Überschneidung und das Zusammenspiel von Vertragsund Wettbewerbsrecht (mit der Ausnahme der Greifswalder Dissertation von Alexander) bisher so wenig monographisch umfassend thematisiert wurde, mutet unter dieser Perspektive umso überraschender an. 255 Der Begriff der Unzulänglichkeit soll an dieser Stelle nicht mehr ausdrücken, als die Tatsache, daß das deutsche Deliktsrecht – anders als das stets gewählte Gegenbeispiel der französischen Generalklausel der Art. 1382, 1383 Code Civil – einen umfassenden deliktischen Vermögensschutz bewußt nicht gestattet, sondern insoweit im Rahmen seines differenzierten Systems dreier „kleiner“ Generalklauseln (823 Abs. 1 und 2, 826 BGB) die Interessen des potentiellen Schädigers höher gewichtet, als es eine umfassende deliktische Generalklausel könnte, vgl. insoweit statt aller Reichold, AcP 193 (1993), 204, 218 f. Eine Wertung dieser Interessenabwägung und Regelungstechnik durch den BGB-Gesetzgeber soll sich damit aber keinesfalls verbinden, ist für die Betrachtung unseres Themas auch nicht notwendig. Vgl. etwa für die Vorzüge des deutschen Systems Canaris, in: 2.FS Larenz, S. 27, 35 f. 256 Vgl. zu diesem inneren Zusammenhang zwischen aufkommendem Wettbewerb und Entwicklung eines Rechts gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Wettbewerbsverzerrungen aus rechtsvergleichender Sicht Beater, ZEuP 2003, 11, 14, der auch auf den Zusammenhang zwischen der Aufhebung der Zunftverfassung, die zuvor aufgrund zunftrechtlicher Sanktionsmechanismen bestimmte unerwünschte Geschäftspraktiken unterband, der darauffolgenden Einführung der Gewerbefreiheit und dem entstehenden Bedarf nach einer rechtlichen Regulierung der resultierenden neuen Geschäftspraktiken hinweist. 257 Reichold, AcP 193 (1993), 204, 216 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
Rechte und Rechtsgüter in Bezug nimmt) als auch in ihrem Absatz 2 (der sich auf Verbotsgesetze mit Schutznormcharakter bezieht), letztlich die deliktische Haftung durch Rückgriff auf die Wertungen der übrigen Rechtsordnung. Dies gestattet der ursprünglichen Konzeption nach nicht nur keinen umfassenden Vermögensschutz (wie im französischen Recht im Rahmen der Generalklausel des Art. 1382, 1383 Code Civil), sondern ermöglicht insbesondere auch keine rein verhaltensbezogene, autonom-deliktsrechtliche Tatbestandsbildung 258. Eine solche kann nur im begrenzten Rahmen des § 826 BGB über den Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung erfolgen, dem freilich wegen der strengen subjektiven Anforderungen enge Fesseln angelegt sind. Über die Zeit hat dieses begrenzte Schutzkonzept zu verschiedenen „Ausweichbewegungen“ geführt, die sich einerseits im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB selbst bewegten (in unserem Zusammenhang wäre die Entwicklung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die Rechtsprechung zu nennen, auf die sogleich noch eingegangen wird), andererseits in die vorvertraglichen Schutzinstrumente der culpa in contrahendo und der pVV führten 259. Unter dieser Perspektive betrachtet, bildet das UWG eine dritte Schiene des Ausbrechens aus dem rechtsgutsbezogenen Charakter des deutschen Deliktsrechts für den spezifischen Bereich des unternehmerischen Verkehrs. Dieser Bereich hatte das deutsche allgemeine Deliktsrecht in zweierlei Hinsicht überfordert 260: Zum einen genügte die – auf die Abgrenzung von Rechtskreisen gerichtete – Konzeption des allgemeinen Deliktsrechts nicht den Anforderungen, die der Aufbau einer mehr ob258 Insofern bestätigt übrigens auch die rechtshistorische Entwicklung des UWG in seiner heutigen Form (mit einer sonderdeliktsrechtlichen Generalklausel), daß die Suche nach einem individuellen Rechtsgut als Schutzgut des Rechts des unlauteren Wettbewerbs, vergleichbar den sonstigen Rechten im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, nicht erfolgreich verlaufen konnte. Denn historisch war es gerade die fehlende Eignung eines rechtsgutsbezogenen Deliktsrechts, die Freiheit des einzelnen im Wettbewerb umfassend zu sichern, die zur Ausprägung des UWG führte (vgl. statt aller Reichold, AcP 193 (1993), 204, 221). Die von Baumbach einst unternommene Suche nach einem individuellen Schutzgut des UWG stellte unter diesem Blickwinkel einen regelrechten Rückschritt dar. So zutreffend Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, S. 203 f.: „Angesichts der Existenz der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel … bedeutet der Vorschlag Baumbachs eine gewalttätige ‚Korrektur‘ des Rechtssystems, die umso unhaltbarer ist, als sie zu nicht geringem Teil durch bloße sprachliche Empfindlichkeit bedingt ist. … man kann aber nicht einfach vom jüngeren Spezialgesetz zu der älteren allgemeinen Regelung zurückkehren und das Spezialgesetz außer Wirkung setzen.“ 259 S. zum Hybridcharakter der culpa in contrahendo als „dritter Spur“ zwischen Deliktsund Vertragsrecht und der in bestimmten Überschneidungsbereichen konzeptionell teilweisen Vergleichbarkeit zum Sonderdeliktsrecht des unlauteren Wettbewerbs noch eingehend unten 4. Kap. 4. Abschn. C III 3. 260 Die Überforderung war aus rechtsvergleichender Sicht durchaus nicht zwingend für das deliktsrechtliche System, sondern auf die Spezifika des BGB mit seinem System „kleiner“ Generalklauseln zurückzuführen, während es beispielsweise in Frankreich die umfassende deliktische Generalklausel des Art. 1382 Code Civil (vgl. hierzu statt aller von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. I, Rz. 13 ff. mwN) gestattete, Verhaltensregeln für den Wettbewerb zu entwickeln. Hierfür war es lediglich notwendig, ein Recht des Wettbewerbers auf Teilhabe am Wettbewerb zu konstruieren, um sodann (noch begünstigt durch die nicht an strenge Beweis-
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jektiven Verhaltensordnung im Sinne eines „lauteren Wettbewerbs“ forderte261; zum anderen ließ sich der besonders wertvolle Bestand eines Gewerbebetriebs, seine Wettbewerbsposition im Rahmen des rechtsgutbezogenen § 823 Abs. 1 BGB nicht hinlänglich gegen unlautere Angriffe schützen, wobei die Schutzlücke insoweit wegen des im Wirtschaftsverkehrs typischerweise hohen Werts des nicht eigentumsgebundenen unternehmerischen fond commercial in diesem Bereich besonders empfindlich war. Beide Schwächen stehen naturgemäß in innerem Zusammenhang, da – wenn sich der deliktsrechtliche Schutz nicht länger auf ein absolutes Recht bezieht – eben ein anderweitiger, verhaltensbezogener Maßstab für die Ausgestaltung der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten gefunden werden muß. Auf diese Herausforderung reagierte noch „am Vorabend“ des Inkrafttretens des BGB das Reichsgericht mit der Entwicklung eines „Rechts auf freie gewerbliche Betätigung“262, welregeln gebundene französische Konzeption der Beweiswürdigung und den weiten Schadensbegriff des französischen Rechts, vgl. zur diesbezüglich allerdings notwendigen äußerst großzügigen Handhabung selbst der französischen Schadens- und Verschuldensanforderungen Reichold, AcP 193 (1993), 204, 221 f. unter Hinweis auf Kraßer, in: Coing/Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jh., Bd. IV, 1979, S. 145, 158) auf dieser Grundlage ein – letztlich verhaltensbezogenes – richterrechtliches Regelwerk der concurrence déloyale zu entwickeln, daß zum Vorbild auch des italienischen und früheren Schweizer Rechts geworden ist. Auch in Deutschland, zumal in den französisch beeinflußten Gebieten Süddeutschlands und des Rheinlands, war vor Inkrafttreten des BGB die Übernahme der französischen Rechtsprechung durchaus erwogen, teils auch praktiziert worden (s. für entsprechende historische Belege in der Literatur die Nachweise bei Beater, ZEuP 2003, 11, 15 ff.; aus der Rechtsprechung zuerst Rheinischer Appellationsgerichtshof vom 30.7.1857 – Farina, Rheinisches Archiv Bd. 53 (1857), 48, 49, zuletzt OLG Braunschweig v. 15.4.1887, SeuffA Bd. 43, 408, 410), bevor das Reichsgericht in einem Umkehrschluß zu den existierenden gewerblichen Sondergesetzen (insbesondere dem damaligen Warenzeichengesetz und dem allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch) davon ausging, daß – soweit kein sondergesetzliches Verbot existiere – grundsätzlich Gewerbefreiheit herrsche, deren Beschränkung im Interesse der Bekämpfung bestimmter unlauterer Geschäftspraktiken dem Gesetzgeber vorbehalten sei, vgl. grundlegend RG vom 30.11.1880 – Apollinaris, RGZ 3, 67, 68. Zur weiteren Entwicklung im deutschen Recht mit dem (enumerativ gestalteten) UWG von 1896, der sich anschließenden Änderung der Rechtsprechung des Reichsgerichts auch mit Blick auf sonstige Wettbewerbsverstöße, der eingeschränkten Aufrechterhaltung dieser Rechtsprechung im Rahmen des inkrafttretenden BGBDeliktsrechts und schließlich dem UWG von 1909, vgl. sogleich im folgenden Text. Zum ganzen Beater, ZEuP 2003, 11, 15 ff.; Wadle, Das rheinisch-französische Deliktsrecht und die Judikatur des Reichsgericht zum unlauteren Wettbewerb, in: Reiner Schulze (Hrsg.), Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte, 1998, S. 79, 81 ff. jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 261 Dies entspricht der allgemeinen rechtstheoretischen Entwicklung zur damaligen Zeit. Die komplexere Industriegesellschaft mit ihrer verstärkten Tendenz zur Überschneidung der Freiheitssphären der einzelnen Individuen hatte die Konzeption einer auf komplexe subjektive Rechte bezogenen kantianischen Sicht der Rechtsordnung an ihre Grenzen geführt. Andere, atomistischere Sichtweisen des subjektiven Rechts tauchten auf, wie insbesondere die Analyse des amerikanischen Juristen Hohfeld, der „Freiheiten“ und „Rechte“ radikal trennte und herausarbeitete, daß „Freiheiten“ keine Schutzrechte beinhalten, vielmehr allenfalls durch – unabhängig zu beurteilende – Schutzrechte nach Art eines Schutzwalls umgeben sind, wobei letztere unabhängig aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung ausgestaltet werden müssen, ohne daß die betroffene Freiheit selbst hierfür einen abschließenden Maßstab liefern könnte. Vgl. schon o. Fn. 189 mwN. 262 RG vom 9.12.1899 – Granitmuster, RGZ 45, 56, 61 f., mit einem aus allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts sowie aus dem in § 1 GewO gewährten Recht auf freie gewerbliche Betätigung abgeleiteten Klagerecht des „gewerblichen Konkurrenten“ gegen unlauteren Wettbewerb auch außerhalb der enumerativen Tatbestände des UWG von 1896. Vgl. hierzu sowie zur folgenden Entwicklung auch Beater, ZEuP 2003, 11, 17.
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ches dann nach Inkrafttreten des BGB in der Figur des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das aber nach damaligem Verständnis nur bei substanzbezogenen Störungen der Unternehmenstätigkeit betroffen sein sollte, eine gewisse Fortsetzung fand 263. Angesichts des kaum tragfähigen Begriffs der Substanzbezogenheit, blieb eine Schutzlücke mit Blick auf unlautere Angriffe im Wettbewerb aber bestehen. Und auch im Rahmen der §§ 824, 826 BGB war auf die eigentliche (nach heutigem Verständnis institutionelle) Herausforderung, eine objektive Verhaltensordnung des unlauteren Wettbewerbs auf Grundlage einer autonom verhaltensbezogenen deliktischen Haftung zu entwickeln, nur eine sehr begrenzte Antwort möglich, wenngleich das Reichsgericht zunehmend bestrebt war, insbesondere §§ 824, 826 BGB auf „illoyale Schädigung[en] im Verkehrsleben“ anzuwenden 264. Weder die Ausdehnung des Konzepts der sonstigen absoluten Rechte im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB durch die Rechtsprechung noch die Überdehnung des § 826 BGB durch Absenkung der subjektiven Voraussetzungen – beides Entwicklungslinien, die sich in der Folge durchaus fortgesetzt haben – schien daher der (als dringlich empfundenen) Notwendigkeit nach einer Regulierung des aufkeimenden Wettbewerbs als Massenphänomen 265 angemessen. Der Reichsgesetzgeber hatte auf den diesbezüglichen Bedarf nach einer autonom deliktsrechtlichen Ordnung zuerst mehr „strafrechtsähnlich“, enumerativ reagiert266: In bewußter Auseinandersetzung mit der französischen Lösung im allgemeinen Deliktsrecht, die man we263 S. nach Inkrafttreten des BGB RGZ 58, 24, 30 – Krimmerläufer, demzufolge das „absolute Recht“ am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nur berührt sein sollte, soweit eine „gegenständliche Verkörperung“ des Unternehmens betroffen war. Für die weitere Entwicklung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb, das mit dem Erlaß des UWG im Jahre 1909 an sich seine innere Berechtigung verloren hatte (so zutreffend Larenz/Canaris, Schuldrecht II Halbband 2, § 81, der zu Recht die eigentliche Notwendigkeit eines Rahmens unternehmerischer Verhaltenspflichten betont; vgl. auch Reichold, AcP 193 (1993), 204, 225 zum Verzicht der herrschenden Meinung auf die Anwendung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs im Wege der Subsidiarität jedenfalls im Verhältnis zum UWG-Bereich, der eine eigenständige Entwicklung autonomer Verhaltenspflichten gestattet), vgl. allgemein statt aller Staudinger-Hager, § 823, Rz. D 21 mit umfassenden Rechtsprechungsnachweisen. 264 So insbesondere RG vom 11.4.1901, RGZ 48, 114, 124 – Segelschiffkartell betreffend einen Boykottaufruf; RG v. 14.12.1902, RGZ 56, 271 – Bösenverein II betreffend die Aufnahme eines Buchhändlers in eine sogenannte „Schleuderer-Liste“, die die Diskriminierung durch die beliefernden Verlage zur Folge hatte. Das Reichsgericht wertete dies nicht als Eingriff in den Gewerbetrieb im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, bejahte aber einen Beseitigungsanspruch aus § 824 BGB. Die institutionelle „Lückenbüßerrolle“ des BGB-Deliktsrechts nicht nur mit Blick auf Verzerrungen des Wettbewerbs, sondern auch auf dessen Beschränkung durch mißbräuchliche Verhaltensweisen, wie sie später im GWB spezialgesetzlich geregelt wurde, wird an dieser Stelle überdeutlich. Vgl. zum ganzen auch Reichold, AcP 193 (1993), 204, 219 f. Zur (zuerst noch zurückhaltenden) Rechtsprechung des Reichsgerichts vor Erlaß des ersten UWG 1896 und des BGB, vgl. Beater, ZEuP 2003, 11, 16 ff., sowie schon obere Fußnote 260. 265 Vgl. ausführlich zur Entwicklung neuer Absatzformen und dem immer stärkeren Einsatz von Massenwerbung, wie etwa vermittels Litfaßsäulen, Plakaten und ersten Reklamefilmen in dieser Zeit als Folge des Übergangs der Wirtschaft zur industriellen Produktion Lamberty, Reklame in Deutschland 1890–1914, 2000; weitere Nachweise bei Beater, aaO., S. 15. 266 So in Hinsicht auf die genaue Tatbestandsumschreibung umschrieben bei Reichold, AcP 193 (1993), 204, 221 („Wettbewerbsrecht der per-se-Verbote“); zustimmend Alexander, S. 46. Vgl. auch Beater, aaO., S. 20, unter Hinweis auf die zahlreich statuierten Straftatbestände im ersten UWG von 1896, die sich freilich im Laufe der weiteren Entwicklung als ineffektiv erwiesen, was hauptsächlich auf das strafrechtliche Analogieverbot zurückzuführen sein dürfte, welches eine zeitnahe Reaktion auf die sich rasch wandelnden Wettbewerbssitten letztlich verhindert.
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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gen der im Gesetz selbst nicht klar erkennbaren Scheidelinie zwischen erlaubtem und unerlaubtem als unbefriedigend empfand, wurde im UWG von 1896 eine Lösung über abgeschlossene Tatbestände per se wettbewerbswidrigen Verhaltens („schwindelhafte Reklame“267, „Quantitätsverschleierung“268, „üble Nachrede“269, „Eingriff in das Firmenrecht“270, „Verrat von Geheimnissen“271) gewählt, deren Verletzung (neben strafrechtlichen Konsequenzen und Schadensersatzansprüchen) einen verschuldensunabhängigen, zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch der Mitbewerber und Gewerbeverbände begründete 272. Dabei hatte der Gesetzgeber die beiden insoweit zu verfolgenden Ziele – bzw. Interessenpositionen –, Konkurrentenschutz und Konsumentenschutz , durchaus vor Augen, entschied sich aber für deren rechtsfolgenorientierte Trennung, indem er den Schutz der Mitbewerber in das UWG, den der Konsumenten in die allgemeinen Rechtsbehelfe des BGB (bzw. bis zu deren Inkrafttreten in die „civilrechtlichen Bestimmungen der Landesgesetzgebungen“) verwies 273. Das UWG von 1896 war Zur unterschiedlichen Beweglichkeit der verschiedenen Systems spezifisch das Zusammenwirken von Vertrags- und Wettbewerbsrecht prägender Faktor, vgl. auch noch unten F III. 267 §§ 1–4 UWG 1896. 268 § 5 UWG 1896. Vgl. zu dieser Norm, einer Ermächtigung des Bundesrats zum Erlaß von Polizeiverordnungen gegen Quantitätstäuschungen, die insofern höchst bemerkenswert ist, als sie in den Beratungen zum UWG zuletzt ausdrücklich und ausschließlich mit Erwägungen des unmittelbaren Konsumentenschutzes begründet wurde, noch unten Fn. 282. 269 §§ 6–7 UWG 1896. 270 § 8 UWG 1896. 271 §§ 9–10 UWG 1896. 272 Die insoweit den abschließend geregelten, „abstrakten Gefährdungstatbeständen“ (vgl. zu dieser rechtstheoretischen Zuordnung noch sogleich im folgenden Text) des UWG von 1896 zugrundeliegende Beurteilung bestimmter wettbewerblicher Verhaltensweisen als per se (d.h. ohne Hinzukommen weiterer Faktoren oder Notwendigkeit weiterer Abwägung) wettbewerbsschädigend ist auch heute noch anerkannt und (in zwar abweichender Regelunstechnik, faktisch aber vergleichbarer Wirkung) auch Grundlage des Anhangs I („blacklist“) mit per se als unlauter zu beurteilenden Geschäftspraktiken in der neuen Lauterkeits-RL, die freilich – insoweit im entscheidenden Unterschied zum noch gänzlich enumerativ konzipierten UWG von 1896 – nicht abschließend sind. Eine gewisse Rekonkretisierung, die den Kreis zum alten UWG von 1896 schließt, bringen auch die Kataloge mit Beispielen unlauterer Verhaltensweisen im neuen UWG, die allerdings natürlich ebenfalls nicht abschließend sind und die zudem trotz ihrer Einordnung als per se unlauter den Rechtsanwender auch nicht von der Notwendigkeit einer abschließenden Abwägung im Rahmen des § 3 UWG entheben, da stets die die nachgelagerte Frage zu klären bleibt, ob durch die (beispielsartig per se) unlautere Wettbewerbshandlung auch der Wettbewerb „nicht nur unerheblich beeinträchtigt“ wird. Vgl. zu Gründen und Spezifika der per se-Verbote grundlegend Merz, Die Vorfeldthese, 1988, S. 228 ff. mwN; zum diesbezüglichen Erkenntnisstand im 19. Jahrhundert („archetypische Unlauterkeitsfälle“) vgl. Kohler, Der unlautere Wettbewerb, 1914, S. 24 ff. („Irreleitung“ und „Feindseligkeit“); Kraßer, in: Coing/Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jh., Bd. IV, 1979, S. 145, 151 ff. Eben die enumerative und (im Unterschied zu den modernen Ansätzen) abschließende Regelungstechnik des UWG von 1896 war es dann aber auch, die zu Schutzlücken führte, welche dann zuerst das Reichsgericht (vor Inkrafttreten des BGB durch Rückgriff auf allgemeine Grundsätze des bürgerlichen Rechts und die in § 1 GewO gewährte freie gewerbliche Betätigung und nach Inkrafttreten des BGB über die [in dieser Problematik verwurzelte] dogmatische Konstruktion des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie über §§ 824, 826 BGB) notdürftig zu stopfen versuchte. Vgl. schon obere Fußnote 262–264. 273 S. Alexander, S. 47; Geyer, Der Verbraucherschutzgedanke im Reichsrecht des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, S. 104 ff., jeweils unter Hinweis auf die Begründung zum UWG-Entwurf (1896), RT-Verh., Bd. 151, Aktenstück Nr. 35, S. 101: „Der Schutz des konsumierenden Publikums gegen Uebervortheilungen ist nicht der unmittelbare Zweck eines gegen den
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1. Kapitel: Grundlagen
also seinem Grundcharakter nach deliktsrechtlicher Natur274, etablierte ein Sonderdeliktsrecht der Unternehmen, ohne dabei jedoch den „Konsumentenschutz“ als mittelbaren (reflexartigen) Effekt der Gesetzgebung zu übersehen. Insoweit blieb es auch nicht lediglich bei der Erkenntnis dieses Effekts und beim reinen Reflex: Vielmehr stellt sich der gesamte Gesetzgebungsprozeß zum UWG von 1896 als ein „Hin und Her zwischen Konsumentenschutz und Konkurrentenschutz“ dar275, wobei insbesondere bei den Verhandlungen über das gänzlich neuartige Verbandsklagerecht, das Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen zustehen sollte, der Schutz des sozial schwachen Käufers thematisiert wurde 276, ohne jedoch deshalb im Ergebnis schon zu einem Klagerecht für Verbraucherverbände 277 zu gelangen (welches dann mehr als sechzig Jahre später seinen Weg in das deutsche UWG fand). Dennoch war der mehr als rein individualrechtlich auf den Schutz der Mitbewerber bezogene Zweck des UWG nicht nur Gegenstand der gesetzgeberischen Vorüberlegungen, sondern letztlich auch im Gesetzestext selbst erkennbar. Zum einen läßt sich, anders als mit dem ordnungspolitischen Gedanken einer effektiven Durchsetzung der Verhaltensordnung für das Verkehrssystem Wettbewerb, auch schon das Klagerecht für Gewerbeverbände nach richtiger Auffassung nicht erklären 278, und zum anderen ging auch der individuelle Unterlassungsanspruch in seiner tatbestandlichen Ausgestaltung weit über den Bereich dessen hinaus, was sich mit einem Individualschutz hätte begründen lassen. Denn der Unterlassungsantrag war schon gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 UWG 1896 auch ohne den Nachweis eines besonderen Interesses des Mitbewerbers möglich, jeder Mitbewerber galt „als durch die trügerische Reklame verletzt“. Rechtstechnisch etablierte dieses Wettbewerbsrecht – angesichts des weitgehenden Verzichts auf eine Kausalität und Schadenszurechnung bezüglich eines individuell Betroffenen – mithin eine neue Kategorie zivilrechtlicher (Unterlassungs-)haftung, die den im Strafrecht bekannten abstrakten Gefährdungsdelikten ähnelt 279; dogmatisch stand dahinter der Gedanke des Institutionenschutzes durch Private280, ohne daß dieser dem historischen Gesetzgeber schon vertraut gewesen wäre281. Der unlauteren Wettbewerb gerichteten Gesetzes, wenngleich Maßregeln, die in den gegenseitigen Beziehungen der Gewerbetreibenden Treu und Glauben zu befestigen bestimmt sind, mittelbar auch dem Interesse ihrer Abnehmer entgegenkommen werden“. Und – noch deutlicher mit Blick auf die individuellen Rechtsbehelfe der einzelnen Konsumenten: „Eine Klage im Sinne des § 1 UWG steht nur dem Mitbewerber, nicht aber dem durch die trügerischen Vorspiegelungen geschädigten Käufer zu. Die Ansprüche des letzteren zu regeln, liegt nicht im Rahmen des Entwurfs. Maßgebend hierfür bleiben bis zur Verabschiedung des bürgerlichen Gesetzbuchs die civilrechtlichen Bestimmungen der Landesgesetzgebungen.“, vgl. aaO., S. 104. 274 So insbesondere Alexander, S. 46 ff., sowie (etwas zurückhaltender) Geyer, Der Verbraucherschutzgedanke im Reichsrecht des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, S. 104 ff. 275 Geyer, aaO., S. 107. 276 Vgl. den Bericht der Reichstagskommission, die den Entwurf beriet, RT-Verh., Bd. 152, S. 1198. 277 Das mag auch faktische Gründe gehabt haben, da zu diesem Zeitpunkt die Verbraucherseite nicht annähernd vergleichbar organisiert war, während gewerbliche Verbände bereits auf breiter Front existierten; vgl. zu den historischen Zusammenhängen sowie insgesamt zur Problematik eines unterschiedlichen Organisationsgrads der (in Wettbewerbsprozessen weiterhin hauptsächlich klageführenden) Gewerbetreibenden einerseits und der Verbraucher andererseits auch Beater, § 13, Rz. 5 (S. 357 f.). 278 Vgl. die Nachweise oben Fn. 210. 279 Zutreffend Reichold, AcP 193 (1993), 204, 222 f. 280 Vgl. auch oben III 3. 281 Erhellend insofern das Fazit, welches Geyer, Der Verbraucherschutzgedanke im Reichsrecht des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, S. 107, aus seiner Schilderung der rechtshistorischen Entstehung des UWG von 1896 zieht: „Das Hin und Her zwischen Konsumentenschutz und Konkurrentenschutz, das der Entwurf im Laufe seiner Entwicklung erfahren hatte,
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Gedanke, zivilrechtliche Mittel zur Etablierung eines Rahmens für den Wettbewerbsverkehr einzusetzen – wie er oben als Erklärungsmuster für aktuelle Entwicklungen des Verbrauchervertragsrechts angeführt wurde – war dem deutschen Recht gegen den unlauteren Wettbewerb mithin von Beginn an ebenso präsent wie der Gedanke des Konsumentenschutzes 282. Vorerst wurde jedoch die deliktsrechtliche Ausrichtung des UWG von 1896 durch das überarbeitete UWG von 1909 aufgenommen und durch die Generalklausel gegen sittenwidriges Verhalten im Wettbewerb verallgemeinert; mit den zivilrechtlichen Rechtsbehelfen zugunsten der Mitbewerber war damit ein Sonderdeliktsrecht für unternehmerische Handlungen im geschäftlichen Verkehr entstanden. Der Gedanke des Verbraucherschutzes war insoweit in den Vorarbeiten zum UWG von 1909 praktisch nicht mehr präsent 283. Dies darf aber nicht zu der Annahme führen, das, was man heute als institutionelles Denken bezeichnen würde, sei in den Vorüberlegungen zum UWG von 1909 nicht vorhanden gewesen. Ganz im Gegenteil läßt sich in den Vorarbeiten zum UWG 1909 nicht nur die Querverbindung zum allgemeinen Deliktsrecht aufzeigen, sondern vielmehr auch der Gedanke, daß das öffentliche Interesse am Wettbewerb am effektivsten gerade mit den Mitteln des zivilrechtlichen Deliktsrechts zu schützen sei: So war im Regierungsentwurf vom 8.1.1909 noch herausgestellt worden, daß eine Generalklausel in einem Spezialgesetz „überflüssig, ja sogar schädlich sei“, während sich als Alternative anbiete, den abschließenden Katalog beizubehalten, zugleich aber die erleichterte Durchführung des Unterlassungsanspruchs und die erweiterte Aktivlegitimation auch auf § 826 BGB auszudehnen 284. Demgegenüber komme eine Erstreckung der Verbandsklage auch auf §§ 823, 824 BGB deshalb nicht in Betracht, weil es hier „nicht um den Schutz allgemeiner Interessen, sondern um den Schutz gegen die Verletzung höchst persönlicher Rechte“ gehe 285.
Deutlicher können die beiden Erkenntnisse, die die Entstehungsgeschichte des Lauterkeitsrechts in Deutschland vermittelt, nicht werden: Einerseits handelt es sich beim UWG der systematischen Zuordnung nach um ein Sonderdeliktsrecht für einen bestimmten Bereich und andererseits ist die Notwendigkeit einer Sonderregelung in diesem Bereich in erster Linie damit zu begründen, daß es neben macht deutlich, wie schwierig sich die logische Trennung beider, in tatsächlicher Hinsicht eng verwobener Ziele für die an der Gesetzgebung Beteiligten darstellte.“ 282 In der Diskussion um § 5 UWG 1896, der Verordnungsermächtigung für Polizeiverordnungen des Bundesrats gegen systematische Quantitätstäuschungen, erfolgte bemerkenswerterweise letztlich – trotz des stets betonten reinen Konkurrentenschutzcharakters des Gesetzes – sogar eine unmittelbar konsumentenschutzorientierte Begründung. Nachdem schon in den Beratungen der Reichstagskommission die Beibehaltung des § 5 UWG 1896, der als den Kleinhandel besonders belastend kritisiert worden war, mit ausschließlich konsumentenorientierter Begründung beschlossen worden war (vgl. Kommissionsbericht, RT-Verh., Bd. 152, Aktenstück Nr. 192, S. 1202), führte schließlich auch ein letztlich angenommener Erweiterungsantrag zu § 5 UWG 1896 in der dritten Beratung im Plenum unmittelbar konsumentenschützende Zwecke an. Es ging darum, den Bundesrat zu ermächtigen, für den Einzelhandel mit Bier in Flaschen oder Krügen quantitative Inhaltsangaben zwingend vorschreiben zu können. Insoweit war in den Beratungen ausdrücklich und nahezu ausschließlich davon die Rede „daß namentlich im Interesse der Konsumenten Bestimmungen nöthig sind, welche es verhindern, daß … die Kunden, welche ein bestimmtes Quantum von Bier zu erhalten denken, in ihren Erwartungen getäuscht werden“ (so Bundesratskommissar Hauß, lt. RT-Verh., Bd. 14, S. 2177(D), S. 2184 (C)). Vgl. näher zum ganzen Geyer, aaO., S. 105 ff. 283 Vgl. die Darstellung bei Geyer, aaO., S. 107 f. 284 S. Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, RT-Protokolle Bd. 252 (XII. Legislaturperiode, 1. Session), Drucksache Nr. 1109, S. 9 f. 285 AaO., S. 10. Hervorh. d. Verf.
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1. Kapitel: Grundlagen
dem rein individuellen Rechtsschutz der Sache nach zugleich um die Etablierung einer Rahmenordnung für eine bestimmte Sphäre sozialen Lebens, hier den aufkeimenden wettbewerblichen Wirtschaftsverkehr, im allgemeinen Interesse ging286. So läßt sich auch die bis auf den heutigen Tag im Kern bestehengebliebene Generalklausel des UWG auffassen, die im System des deutschen Rechts der systematischen Zuordnung nach eine sonderdeliktsrechtliche Regel für das Verhältnis der Mitbewerber zueinander bildet, die – im Unterschied zu dem grundsätzlich vergleichbaren § 826 BGB – zugleich im Interesse der Allgemeinheit (und – spezifischer – auch im kollektiven Interesse der Marktgegenseite) an der Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Wettbewerbs, das Erfordernis der Schadenszufügungsabsicht auf der subjektiven Seite lockert und weitgehend auch das Erfordernis individueller Betroffenheit für die Aktivlegitimation bezüglich des Unterlassungsanspruchs aufgibt (vgl. § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG), um solcherart zugleich die institutionelle Rahmenordnung des Wettbewerbs präventiv zu verteidigen 287. Die Schutzzweckklausel im nunmehr grundlegend novellierten UWG vom 3. Juli 2004 ändert an dieser rechtssystematischen Zuordnung des neuen UWG im Ergebnis nichts. Unter Beibehaltung der Generalklausel, die lediglich wiederum in einer Art selektiven Rückbesinnung auf die Tugenden des Ansatzes von 1896 durch beispielhafte Kataloge unlauteren Wettbewerbsverhaltens ergänzt wird, kann die nunmehr explizit in § 1 des Gesetzes aufgenommene Schutzzweckbestimmung, derzufolge das Gesetz dem Schutz der Wettbewerber, der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit an unverzerrtem Wettbewerb diene, nur dahingehend aufgefaßt werden, daß die institutionelle Funktion des Gesetzes nunmehr durch den Gesetzgeber erkannt und anerkannt wird und somit in der Rechtsanwendung gleichberechtigt als Beurteilungsmaßstab herangezogen werden kann. Ebenso ist der neu hinzugekommene Gewinnabschöpfungsanspruch ganz ausdrücklich am Gedanken des effektiven Schutzes des laute286 Trefflich zusammengefaßt bei Reichold, AcP 193 (1993), 204, 224, in folgender Sentenz: „Nun sollen dem historischen Gesetzgeber durchaus nicht ordo-liberale Kränze geflochten werden, die ihm so nicht zustehen. Dennoch darf behauptet werden, daß seine pragmatische Instrumentalisierung des Zivilrechts für das öffentliche Interesse an redlichem Wettbewerb der Beginn eines sozialen Privatrechts der Koordination war.“ (Hervorh. im Original). 287 Ebenso Reichold, aaO., S. 223 ff. Insoweit mit einem ergänzenden Begründungsansatz Bydlinski, System und Prinzipien, S. 608 ff. (und im Anschluß Alexander, S. 52 ff.; mit Nachweisen zur Entstehungsgeschichte des UWG 1896 Beater, § 1, Rz. 56 ff.), der im Ansatz zu Recht darauf hinweist, daß die institutionelle Systemfunktion nicht spezifisch für das Lauterkeitsrecht ist und daher an sich die zu beobachtende Verschärfungstendenz hinsichtlich Aktivlegitimation (aber auch der inhaltlichen Maßstäbe) nicht tragen kann. Die prinzipielle Begründung für diese Erweiterungstendenz will Bydlinski, aaO., daher im Gedanken der „Multiplikatorwirkung“ unternehmerischen Handelns erblicken – ohne allerdings die eigentliche Alternative, daß es an einer pauschalen Begründung abweichender Maßstäbe auf der Prinzipienebene (außer dem „historischen Vorsprung“ des Wettbewerbsrechts bei der Entwicklung der Systemfunktion) auch gänzlich fehlen könnte, zu erwägen –, vgl. hierzu sowie zur Widerlegung des Massengedankens als pauschales Begründungsmuster für strengere Maßstäbe im Lauterkeitsrecht sogleich unten E I.
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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ren Wettbewerbs als Institution orientiert und evident aus ordnungspolitischen Überlegungen heraus entstanden. An der rechtssystematischen Zuordnung, die sich weiterhin hauptsächlich funktional an den individuellen Sanktionen des UWG zu orientieren hat, ändert dies nichts. Das UWG bildet ein Sonderdeliktsrecht mit bestimmten Spezifika, die aus der Regelung der spezifischen Institution des wirtschaftlichen Wettbewerbs resultieren. Die deliktsrechtliche Zuordnung ergibt sich dabei in erster Linie aus der individuellen Rechtsfolge sittenwidrigen Verhaltens im Wettbewerb. Aber auch die Pflichtenstruktur ist insofern deliktsrechtlicher Gestalt, als es sich bei den Verhaltenspflichten im Wettbewerb strukturell um allgemeine (wettbewerbliche) Verkehrssicherungspflichten der Unternehmer im wirtschaftlichen Verkehr handelt, deren Erfüllung im Interesse sämtlicher Marktbeteiligter und der Allgemeinheit liegt288. Der dogmatische Weg, um diese sämtlichen Interessen bei der rechtspraktischen Ausgestaltung von Ausrichtung und Ausmaß dieser Pflichten in den einzelnen Fallkonstellationen unlauteren Wettbewerbs im Rahmen der teleologischen Auslegung zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen, ist durch die neue Schutzzweckbestimmung in § 1 UWG gesicherter denn je289. Schließlich sind die Spezifika des Wettbewerbsrechts im Vergleich zum allgemeinen Deliktsrecht – der vom Erfordernis individueller (und kausal zurechenbarer) Betroffenheit gelöste Unterlassungsanspruch der Mitbewerber sowie die Verbandsklage – letztlich nur Ausdruck der von Beginn an anerkannten Systemfunktion des UWG beim Aufbau einer Rahmenordnung für den wirtschaftlichen Verkehr290. Insofern ist als die eigentliche Entwicklung der vergangenen Jahre zu konstatieren, daß sich das Recht des unlauteren Wettbewerbs und das Vertrags- (insbesondere das Verbrauchervertrags-)recht, durch die immer stärkere Anerkennung und Implementierung der Systemfunktion bei der Sicherung der Funktionsbedingungen für das wettbewerbliche Verkehrssystem auch im Vertragsrecht (und die Stärkung dieser Systemfunktion im Wettbewerbsrecht291) gewissermaßen „aufeinander zu“ bewegen. In beiden Fällen geht es inzwischen auch (wenn nicht in Teilbereichen 288
Zutreffend Reichold, aaO., 221. Zutreffend hat Bydlinski, System und Prinzipien, S. 611, darauf hingewiesen, daß die Tatsache, daß auch Verbraucher vom Schutzsystem des Wettbewerbsrechts unmittelbar profitieren, die systematische Zuordnung als Sonderdeliktsrecht der Unternehmen nicht hindert, da insoweit der spezifische Bezug auf der Seite der Verhaltensnormadressaten genügt. 290 Und auch insofern liegt kein grundlegender qualitativer Unterschied zum allgemeinen Deliktsrecht mehr vor, da diesem – ebenso wie es hier für das Vertragsrecht gezeigt wurde – in einer Industriegesellschaft gleichfalls eine institutionelle Funktion zuwächst, die es von der „retrospektiven Schutzgutorientierung“ hin zur „zukunftsgerichteten Verhaltenssteuerung“ bewegt, wie es etwa eindrucksvoll das Produkthaftungsgesetz, aber insbesondere auch die BGHRechtsprechung zur Produzentenhaftung belegt. Vgl. zutreffend Reichold, AcP 193 (1993), 204, 227 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 291 Wie es das Beispiel des kollektiven Gewinnabschöpfungsanspruchs zugunsten von Verbraucherverbänden im neuen § 10 UWG belegt, der seiner Intention nach ordnungspolitisch dem Sanktions- bzw. Präventionsgedanken mit Blick auf die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs folgt. Vgl. auch unten 4. Kap. 5. Abschnitt. 289
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1. Kapitel: Grundlagen
überwiegend) um die Durchsetzung typisierter Verhaltenspflichten im Sinne der Etablierung wettbewerblicher „Verkehrssicherungspflichten“ als Rahmen für das Verkehrssystem. Wie bereits ausgeführt, kann eine Abgrenzung nur funktional rechtsfolgenorientiert und mit Blick auf die konkrete Interessenlage erfolgen. Hierfür werden im folgenden zuerst die Ansätze dargestellt, die diese Abgrenzung anhand starrer zeitlicher bzw. inhaltlich-wertender Kriterien vornehmen wollen und insofern darauf abzielen, die jeweils unterschiedlichen Maßstäbe in beiden Rechtsgebieten für naturgegeben unvergleichbar miteinander zu erachten. Danach wird ein eigenes Modell entwickelt, welches mehr die Komplementarität der Systeme betont und zugleich einen integrierenden Wertmaßstab für die Fortentwicklung der Verkehrssicherungspflichten im Wettbewerbsrecht in ihrem Zusammenspiel mit den Schutzinstrumenten des (Verbraucher-)Vertragsrechts bietet.
E. Versuche einer kategorialen Abgrenzung des Wettbewerbsvom Vertragsrecht und einer generalisierenden systematischteleologischen Begründung abweichender Wertungen I. Der „Multiplikatoreffekt“ des Unternehmens als generelle Grundlage voneinander abweichender Maßstäbe im Wettbewerbs- und Vertragsrecht? Auf der Grundlage der unbestrittenen Beobachtung, daß das Wettbewerbsrecht mit seinen zusätzlichen Verhaltensrestriktionen (lediglich beispielhaft seien an dieser Stelle die – etwa gegenüber dem BGB-Anfechtungsrecht – eigenständigen Irreführungs- und schärferen Druckausübungsverbote genannt) und der erweiterten, typisierten Aktivlegitimation eine Verschärfungstendenz im Vergleich zum Vertrags- und allgemeinen Deliktsrecht beinhaltet, ist nach einer inhaltlichen Rechtfertigung auf der Prinzipienebene gesucht worden, warum das unternehmerische Handeln im Wirtschaftsverkehr gesonderten Maßstäben unterworfen ist. Diese Rechtfertigung hat zuerst Bydlinski im sogenannten „Multiplikatoreffekt“ unternehmerischen Handelns gesehen, den er darauf zurückführt, daß die unternehmerische Tätigkeit im Gegensatz zur privaten Teilnahme am Wirtschaftsverkehr die Anbahnung und Abwicklung mehrerer oder vieler, oft weithin ähnlicher geschäftlicher Kontakte erfordere, weshalb eine Gefährdung entsprechend zahlreicher Verkehrsteilnehmer eintrete. Dies sei umsomehr der Fall, als das unternehmerische Handeln im Wettbewerb eine Tendenz zur Generalisierung (Stichwort „Nachahmereffekte“) in sich trage und daher noch eine weitere Potenzierung nachteiliger oder mindestens gefährlicher Effekte in diesem Bereich drohe292. Soweit Bydlinski hiermit einen inhaltlichen Maßstab gefunden zu haben glaubt, der 292 So zuerst Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 609 ff.; zustimmend Alexander, S. 52 ff.; Beater, § 1, Rz. 56 ff. jeweils auch unter näheren Ausführungen zum „Multiplikatoreffekt“.
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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eine rechtliche Sonderbehandlung unternehmerischen Handelns im Wirtschaftsverkehr unter der Geltung des Gleichmaßprinzips rechtfertigt, ist ihm zweifellos zuzustimmen. Genaugenommen hat er damit zugleich den Grund dafür gefunden, warum erst in den letzten 150 Jahren – wie zuvor geschildert – die Systemfunktion des Rechts beim Aufbau eines Verkehrssystems mehr und mehr betont wird; denn diese wird im Vergleich mit der individuell regulierenden Funktion erst im wirtschaftlichen Massenverkehr mit seiner ständigen, akzidentellen Überschneidung der Freiheitssphären der Verkehrsteilnehmer ernstlich relevant. Höchst fraglich ist aber, ob der pauschale Verweis auf diesen Gedanken auch dazu taugt, eine inhaltlich-pauschale Abgrenzung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs vom Vertragsrecht, zumal vom Verbrauchervertragsrecht (das ja gleichermaßen hauptsächlich unternehmerisches Handeln zusätzlichen Pflichten unterwirft), vorzunehmen 293. So will Alexander den eklatant unterschiedlichen (schärferen) Maßstab, den der wettbewerbliche Irreführungsschutz im Vergleich zu den BGB-Anfechtungsregeln bisher bildete, unter Hinweis auf den Massengedanken und den Aspekt der Breitenwirksamkeit erklären, der Täuschungen und Druckausübung im Wettbewerb gefährlicher erscheinen lasse, als im privaten Einzelfall, zumal eine Weiterverbreitung solcher Geschäftspraktiken am Markt durch Nachahmereffekte drohe. Deshalb seien mißverständliche Äußerungen im Geschäftsverkehr schon dann zu verbieten, wenn nur ein Teil der angesprochenen Verkehrskreise sie mißverstehe. Solange nämlich Marktbeteiligte von der mißverständlichen Äußerung betroffen sein könnten, so daß sie ihre Entscheidung auf falscher Tatsachengrundlage träfen, bedürfe es des Schutzes durch die Rechtsordnung294. Das Wettbewerbsrecht sei also „schärfer“ ausgestaltet, weil es wegen der drohenden Verbreitung bestimmter Wettbewerbspraktiken (Nachahmereffekte) anders als das Vertragsrecht auf Breitenwirksamkeit angelegt sei; beim Vergleich der Wertungen sei daher Vorsicht geboten 295. Die Aufforderung zur äußersten Vorsicht beim Vergleich der Wertungen in beiden Rechtsgebieten ist uneingeschränkt zustimmungswürdig. Soweit darüber hinaus aber Alexanders Ansatz den Aspekt der Breitenwirksamkeit zur grundsätzlichen, pauschal kategoriellen Abgrenzung von wettbewerbs- und vertragsrechtlichen Wertungen heranzieht, zwischen denen gewissermaßen eine Brandmauer eingezogen wird, die zwar eine gegenseitige Abstimmung der Rechtsgebiete zuläßt, einen unmittelbaren Vergleich der jeweiligen Bewertungen aber kategorisch ausschließt296, überzeugt dies ebensowenig uneingeschränkt, wie die sich an293 So aber insbesondere Alexander, S. 52 ff. Zweifelnd wie hier demgegenüber Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 82 f. 294 S. Alexander, aaO., insbesondere S. 53 ff. 295 Alexander, aaO., S. 52, unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu Nachahmungseffekten mit Blick auf den Tatbestand der allgemeinen Marktbehinderung, vgl. für Nachweise noch die Auseinandersetzung mit den Einzelurteilen in u. Fn. 300. Noch zurückhaltender bezüglich einer Vergleichbarkeit der Wertungen im übrigen zuletzt Eppe, WRP 2005, 808 ff. 296 S. Alexander, S. 49: „Beide Rechtsgebiete können … in ihren Bewertungen gar nicht dekkungsgleich sein“; ähnlich zuletzt Eppe, WRP 2005, 808 ff.s
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1. Kapitel: Grundlagen
schließende Folgerung, der Vertragsschluß bilde auf der Tatbestandsebene die entscheidende Zäsur zur Abgrenzung von Vertrags- und Wettbewerbsrecht, da zu diesem Zeitpunkt der wettbewerbstypische Multiplikatoreffekt erlösche und das für den Wettbewerb prägende Spannungsverhältnis des Wettbewerbs „um den Kunden“ ende (s. dazu sogleich unten II)297. Zunächst einmal erscheint es gerade mit Blick auf den hier besonders interessierenden Abgleich der Maßstäbe in den lauterkeitsrechtlichen Beispielstatbeständen des Kundenfangs, Teilbereichen des Rechtsbruchs und des Irreführungsverbots (§§ 4 Nrn. 1–6, Nr. 9 lit. a), Nr. 11; §§ 5 und 6 UWG) mit den Maßstäben des vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes äußerst zweifelhaft, ob der Aspekt der Breitenwirksamkeit in diesem Bereich generell voneinander abweichende Maßstäbe zu tragen vermag. Denn dies würde voraussetzen, daß eine für den einzelnen Vertrag – als Ergebnis einer legislatorischen, (verbraucher-)vertragsrechtlichen Interessenabwägung der Interessen des Unternehmers (und des Interesses der Allgemeinheit am freien Funktionieren des Verkehrssystems) auf der einen Seite, gegen die Interessen der Verbraucher und Kunden auf der anderen Seite 298 – gerade akzeptierte Beeinflussung allein dadurch für die Rechtsordnung inakzeptabel wird, daß sie sich massenhaft wiederholt. Dies mag in einzelnen Fallgruppen, wie etwa mit Blick auf den Tatbestand der allgemeinen Marktbehinderung, tatsächlich der Fall sein 299; als generelles Prinzip für den weiten Bereich des Vertikalwettbewerbs taugt diese Überlegung aber nicht. Denn der „Nachahmereffekt“ als Argument für strengere Maßstäbe überzeugt in diesem Bereich nur dann, wenn im Ursprung zumindest eine minimal wettbewerbsverzerrende Marktauswirkung gegeben ist, die sich durch den Aspekt der Breitenwirksamkeit bzw. die Nachahmung potentiell in einem nicht hinnehmbaren Ausmaß vergrößert 300. Dies läßt sich – anders 297 S. zu den tatbestandlichen Folgerungen Alexander, S. 57 ff. Eher zutreffend erscheint insofern sein Verweis auf die unterschiedliche Interessenstruktur im Vertrags- und Wettbewerbsrecht (Alexander, aaO., S. 49 ff.), wobei auch in dieser Hinsicht wiederum der Vertragsschluß als entscheidender Zeitpunkt des „Interessenwandels“ (aaO., S. 57 ff.) nicht uneingeschränkt überzeugt. Vgl. hierzu noch sogleich näher unten E II. 298 Vgl. zur Anordnung der Vertragstreue als legislatorische Interessenwertung grundlegend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 37 ff. 299 Ohne insoweit an dieser Stelle überhaupt eine abschließende Wertung vornehmen zu wollen, da für unsere Zwecke die sogleich zu treffende Feststellung, daß der Nachahmungseffekt jedenfalls nur in spezifischen Konstellationen – und insbesondere nicht mit Blick auf reinen Irreführungsschutz – relevant ist, genügt. Vgl. zur allgemeinen Marktbehinderung als (umstrittene) Fallgruppe des § 1 UWG a.F., die im neuen UWG zwar nicht als ausdrücklicher Beispielstatbestand aufgeführt wird, jedoch weiterhin als anerkannte Fallgruppe der Rechtsprechung zum UWG a.F. unveränderte (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 4 Nr. 10 UWG, S. 19) Relevanz hat statt aller zuletzt Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 12.1 ff. mwN. 300 Dementsprechend kann auch die BGH-Rechtsprechung zu Nachahmungseffekten als Aspekt der wettbewerbsrechtlichen Gesamtbeurteilung nicht etwa schlicht im Sinne eines unspezifisch-generellen „Multiplikatorgedankens“ verallgemeinert werden, sondern beruhte stets darauf, daß ein wettbewerblich ohnedies schon bedenkliches Verhalten durch die Nachahmung eine erhebliche und entscheidende Verstärkung erfährt, vgl. BGH GRUR 1992, 622, 624 – Ver-
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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als etwa für den Tatbestand der Belästigung, wo Nachahmereffekte typischerweise zu einer Verstärkung des Belästigungseffekts auch für den einzelnen Kunden führen können – für den gesamten Bereich des Kundenfangs und insbesondere deckte Laienwerbung. Entsprechend sind auch die bei Alexander, S. 53 (Fn. 76) angeführten Beispiele aus der Rechtsprechung gerade nicht im Sinne eines sämtliche Erscheinungsformen unlauteren Wettbewerbs überwölbenden Prinzips verallgemeinerbar. Zum Großteil betreffen sie, wie auch Alexander akkurat und mit umfassenden Nachweisen hervorhebt, spezifisch den Tatbestand der allgemeinen Marktbehinderung durch das Verschenken von Originalware (s. RG GRUR 1936, 810, 812 – Diamantine; RG GRUR 1938, 207, 210 – Persil; BGHZ 23, 365, 372 – Suwa; BGHZ 43, 278, 282 – Kleeenex; BGHZ 51, 236, 242 – Stuttgarter Wochenblatt I; BGH GRUR 1969, 295, 296 – Goldener Oktober; BGH GRUR 1971, 477 – Stuttgarter Wochenblatt II), sind also insoweit nur auf Geschäftspraktiken anzuwenden, die die spezifische Problematik aufweisen, daß sie (wobei die Einzelheiten hochumstritten sind) auf lange Sicht den Wettbewerb auf einem Markt gänzlich zu zerstören drohen. Aber auch im übrigen tragen die für sich genommen absolut zutreffend angeführten Entscheidungen und Beispiele die These von einer verallgemeinerbaren Tendenz dahingehend, daß sich „zunächst unbedenklich(e)“ Geschäftspraktiken durch massenhafte Anwendung zu einer Gefahr für die Marktteilnehmer entwickeln können, gerade nicht. Vielmehr betrafen diese Fälle immer ganz spezifische Gestaltungen, in denen insbesondere ein Belästigungsaspekt hinzukam, der sich – anders als eine reine Irreführung – naturgemäß durch massenhafte Wiederholung in der Tat verschlimmert. Betreffend eine reine Werbemaßnahme, im spezifischen Fall ein Kopplungsangebot, führt der BGH in der Glockenpackung-Entscheidung, GRUR 1962, 415, 417, sogar ganz im Gegenteil aus: „Wird … mit einer neuartigen Werbemaßnahme nur ein an sich normales Bedürfnis angeregt und befriedigt, so kann darin weder schon an sich etwas Unlauteres gefunden werden, noch kann es als eine ernsthafte Gefahr betrachtet werden, daß die Nachahmung des Beispiels … zu einer Verwilderung im Teehandel führen würde“ (Hervorh. d. Verf.). Die BGH-Entscheidung Grabsteinaufträge I, GRUR 1967, 430, betraf die Einhaltung einer viertägigen Wartefrist für Hausbesuche zum Zweck der Werbung für die Ausführung von Grabsteinen und war damit naturgemäß ganz massiv vom Gedanken des Belästigungsschutzes geprägt. Zudem bildet die Entscheidung gerade ein Beispiel, wie mit den Zwecken des Wettbewerbsrechts letztlich wettbewerbsfremde Allgemeininteressen (aaO., 431: „Heiligkeit des Todes“, „Achtung vor dem Schmerz der Hinterbliebenen“) verfolgt werden, was hier auf Grundlage einer strikt wettbewerbsbezogenen Begrenzung der Allgemeininteressen unter Stützung auch auf die Formulierung der neuen gesetzlichen Schutzzweckbestimmung in § 1 UWG abgelehnt wird, sofern nicht ein spezifisch die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigender Aspekt unlösbar mit derartigen Werbemethoden verbunden ist. Bezieht man sonstige Allgemeininteressen (etwa den Schutz vor überbordenden Plakatwänden, gefühlsbetonter Werbung usf.) in die Schutzzwecke des UWG mit ein, so mag dies in der Tat dazu führen, daß es zu einer Verschlimmerung derartiger Effekte durch Nachahmung kommt, doch ist deren Verhinderung eben nicht der Zweck des UWG. Schließlich betraf BGH, GRUR 1992, 622 – Verdeckte Laienwerbung, einen Fall verdeckter Laienwerbung, wobei in den Ausführungen hinsichtlich des Nachahmungseffekts gerade hervorgehoben wurde, daß sich ein ohnedies schon „negatives Gepräge des Wettbewerbsverhaltens“, welches unter anderem gerade auch auf den Belästigungsaspekt gestützt wurde, durch die Nachahmung vervielfachte (bemerkenswerterweise hatte das Berufungsgericht, OLG Köln, Entscheidung v. 29.6.1990, 6 U 31/90, insoweit – zutreffend – eine gewisse Nachahmungsgefahr gesehen, aber im Hinblick auf die von ihm angenommene Unbedenklichkeit der Werbung als rechtlich unerheblich bewertet, was der BGH auch nicht beanstandet, sondern vielmehr entscheidend darauf abhebt, daß die Werbung eben – anders als vom Berufungsgericht angenommen – schon für sich genommen wettbewerbsrechtlich bedenklich sei und insoweit durch den Nachahmereffekt (nur) entscheidende Verstärkung erfahre. Eine verallgemeinerbare These, der Multiplikatoreffekt könne strengere Maßstäbe im Wettbewerbsrecht ganz generell rechtfertigen, läßt sich hieraus gerade nicht ableiten; vielmehr legt die spezifische Natur der Rechtsprechung (in einer Art e contrario-Schluß) nahe, daß im Bereich des Irreführungsschutzes ein im Einzelfall normativ unbedenkliches Verhalten nicht allein durch seine Vervielfachung in vielen Einzelfällen bedenklich werden kann.
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der Irreführung keinesfalls bejahen. Denn eine etwaige irreführende Praxis multipliziert sich durch Nachahmung in der Regel eben lediglich in massenhaft unveränderter oder vergleichbarer Form, sie potenziert sich nicht in ihrem Effekt im Einzelfall – wie dies bei der Belästigung der Fall ist, wo Nachahmereffekte dazu führen, daß sich die Belästigungswirkung als solche für den einzelnen betroffenen Kunden im Ergebnis durch vermehrte Ansprache vervielfacht. Auch fehlt es insoweit schon an der (selbst infinitesimalen) Wettbewerbsverzerrung im Ausgangspunkt. Denn soweit hier das Vertragsrecht eine bestimmte Form der Beeinflussung bewußt hinnimmt oder gar (unter Einbeziehung von Überlegungen zur dezentralen Marktauswirkung des verbraucherschutzrechtlichen Rahmens) näher reguliert (wie es etwa die spezifischen Regelungen für Haustürgeschäfte, Verträge im Fernabsatz oder im E-Commerce tun) gibt dies eine legislatorische Wertung vor, die das Recht des unlauteren Wettbewerbs zu akzeptieren hat, soweit sie reicht 301. Wollte man eine Marketing-Praxis, die aus der normativen Sicht des Vertragsrechts zu einem auf fehlerfreier Ausübung der Selbstbestimmung beruhenden, a priori fehlerfreien Vertrag führt, stets aufgrund des Aspekts der Breitenwirksamkeit im Wettbewerbsrecht unterbinden, sofern sie nur für einzelne Marktbeteiligte mißverständlich sein könnte, so liefe das darauf hinaus, den Schutz weniger auf Kosten der Beschränkung der Informationsfreiheit vieler zu gewährleisten. Hiergegen läßt sich auch nicht anführen, daß eine zum Vertrag führende Marketingpraxis unter Umständen zwar im Einzelfall hinzunehmen sei, in massenhafter Verbreitung – da sich einzelne flüchtige Kunden täuschen ließen – aber doch im Ergebnis den Wettbewerb verzerre. Denn insoweit, d.h., wenn man von längerfristigen Aspekten der Marktbehinderung absieht, ist „der Wettbewerb“ – wie gezeigt wurde – nicht mehr als eine Metapher für Rahmenbedingungen, die zu fehlerfreien Verträgen führen. Die Frage, wann ein Vertrag in diesem Sinne „fehlerfrei“ ist, ist aber normativ zu beantworten. Und soweit die Rechtsordnung im Interesse des Verkehrsschutzes Verträge normativ als fehlerfrei ansieht, verzerrt der Abschluß eines derartigen Vertrages denknotwendig auch den Wettbewerb nicht. Wollte man hier eine Wettbewerbsverzerrung annehmen, liefe dies nämlich darauf hinaus, die individuelle privatrechtliche Wertung durch den abstrakten Schutz des Wettbewerbsrechts im Vorfeld zu unterlaufen und damit letztlich in ungerechtfertigter Weise die individuelle Motivlage der einzelnen Verbraucher zu bewerten. Die Frage, wann das Vertragsrecht insoweit eine vorrangige Wertung trifft – typischerweise wird dies immer dann der Fall sein, wenn spezifische Gefahren der Unternehmer-Verbraucher-Konstellation im Vertragsrecht bereits berücksichtigt sind oder in der zu betrachtenden Konstellation gar nicht existieren –, ist aber eine Frage, die nicht generell, sondern nur differenziert je nach Marketing- und Vertriebsform beantwortet werden kann. Ein pauschaler Verweis auf den Aspekt der Breitenwirksamkeit als Rechtfertigung unterschiedlicher Maßstäbe hilft hier nicht weiter. 301 Vgl. näher noch sogleich unten F II sowie mit konkreten Folgerungen für die Rechtsanwendung auch unten 4. Kap. 3. Abschn. A.
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Insofern ist festzuhalten, daß der Multiplikatoreffekt unternehmerischen Handelns im wirtschaftlichen Massenverkehr als generelles Abgrenzungskriterium vertragsrechtlicher von wettbewerbsrechtlichen Wertungen nicht taugt 302. Generell begründen kann dieser Gedanke lediglich den immer bedeutsamer werdenden Aspekt der bewußten Instrumentalisierung der Rechtsordnung als Rahmen für das Verkehrssystem durch Schaffung typisierender Vorschriften und die beobachtete Erweiterungstendenz hinsichtlich der Aktivlegitimation. Diese Tendenzen sind aber für das Lauterkeitsrecht, wie gezeigt wurde, nicht spezifisch, sondern dort lediglich zuerst aufgetaucht und sichtbar geworden303. Mittlerweile sind sie im Verbrauchervertragsrecht aber gleichermaßen verwurzelt und prägen, wie gleichfalls gezeigt wurde, die Prinzipienebene des BGB-Schuldrechts auch insgesamt304. Der Versuch, eine inhaltliche Abgrenzung der Maßstäbe im Lauterkeitsund Vertragsrecht auf den Massengedanken zu stützen, ist daher ebensowenig erfolgversprechend, wie der Versuch, diese Abgrenzung unter Betonung der institutionellen Funktion des Lauterkeitsrechts vorzunehmen. Mehr als die Sonderbehandlung der Unternehmen im geschäftlichen Verkehr kann der Multiplikatoref302 Es ist insofern bemerkenswert, daß die Vertreter einer strikten Nichtvergleichbarkeit der Maßstäbe (insbesondere Alexander, aaO.; schon deutlich differenzierter und im Wettbewerbsrecht den Verbraucherschutzgedanken konsequent betonend Beater, aaO. (jeweils o. Fn. 292)) in erster Linie zu fürchten scheinen, wenn man die „Brandmauer“ zwischen Recht des unlauteren Wettbewerbs und Verbrauchervertragsrecht „durchlöchere“, drohe die Übertragung der strengeren wettbewerblichen Maßstäbe in das Vertragsrecht (vgl. nur Alexander, S. 52: „Bei der Übernahme wettbewerbsrechtlicher Wertungen auf angrenzende Rechtsgebiete ist … Vorsicht geboten). Dem ist zuzustimmen und Vorsicht ist geboten. Mindestens ebenso geht es doch aber darum zu untersuchen, ob insbesondere im Bereich des Irreführungsschutzes, der sich ja gerade auf die unlautere Beeinflussung der Marktgegenseite bezieht, nicht in Einzelbereichen (insbesondere betreffend spezifische Vertriebsformen) das Vertragsrecht abschließende Wertungen trifft, die das Wettbewerbsrecht hinzunehmen hat. Diese (wesentlichere) „Rückrichtung“ des Wechselverhältnisses von Vertrags- und Wettbewerbsrecht unterschätzt trotz seines offenen Ansatzes (aaO., § 1, Rz. 64 ff.) dann auch Beater, § 28, Rz. 40, Rückwirkung des Vertragsrechts auf das Wettbewerbsrecht gegenüber der umgekehrten Richtung sekundär und „eher tatsächlicher … nicht dogmatischer Natur“. 303 Die insoweit eigentlich sich aufdrängende Frage, warum in Deutschland das Recht des unlauteren Wettbewerbs in dieser Hinsicht einen so eklatanten zeitlichen „Vorsprung“ vor dem Vertragsrecht hat, hat Beater, ZEuP 2003, 11, 20, zutreffend dahingehend beantwortet, daß es sich insofern als Glücksfall herausstellte, daß die anfängliche Judikatur des Reichsgerichts ein allgemeines Verbot der concurrence déloyale ablehnte, das dann wegen deren immanenter Grenzen auf Grundlage der §§ 823 ff. BGB ebensowenig entwickelt werden konnte, so daß es schließlich zu einem zweifachen Tätigwerden des Gesetzgebers kam, der das UWG von Beginn an aus der strikten Orientierung des allgemeinen Zivilrechts auf die Regelung von Zweipersonenverhältnissen löste. Wäre eine Lösung im allgemeinen Deliktsrecht erfolgt, so hätte sich die rahmensetzende, das Verkehrssystem regulierende Systemfunktion im Lauterkeitsrecht vermutlich ähnlich schleichend und langsam entwickelt, wie es dann im Vertrags- und insbesondere im Verbrauchervertragsrecht der Fall gewesen ist. Für diese Sichtweise läßt sich sogar noch zusätzlich anführen, daß – solange eine Regelung der Verbraucherverbandsklage im Verbraucherschutzrecht fehlte – das Recht des unlauteren Wettbewerbs auf dem „Umweg“ über die Fallgruppe des Vorsprungs durch Rechtsbruch jahrzehntelang den „Lückenbüßer“ für ein entsprechendes Sanktionssystem im Verbraucherschutzrecht gespielt hat. 304 Ähnlich wie hier zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 82 f.
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1. Kapitel: Grundlagen
fekt, neben anderen Begründungsmustern, nicht erklären. Diese ist aber dem Lauterkeits- wie dem Verbrauchervertragsrecht gemeinsam.
II. Vertragsschluß als entscheidende Zäsur im Marktgeschehen? Insofern könnte es – neben der unten F noch näher zu schildernden rechtsfolgenspezifischen, funktional-interessenorientierten Sicht – nur noch die grundsätzlich unterschiedliche Strukturierung der geregelten Interessenkonflikte sowie die unterschiedliche Pflichtenstruktur sein, die die Abgrenzung von Recht des unlauteren Wettbewerbs und vorvertraglichem Verbraucherschutz und insbesondere die teils eklatant voneinander abweichenden Maßstäbe – insbesondere mit Blick auf die frühere strengere Rechtsprechung zum wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot – trägt. Die Unterschiedlichkeit des zu regelnden Interessenkonflikts betont im Ausgangspunkt zutreffend Alexander, der hervorhebt, daß es im Vertragsrecht um den Ausgleich entgegengesetzter Interessen, ginge, die die Vertragspartner im Synallagma zum beiderseitigen Vorteil miteinander verknüpft haben, während das Wettbewerbsrecht eine Verhaltensordnung für die Abgrenzung gleichgerichteter, widerstreitender (um den Kunden konkurrierender) Interessenpositionen aufbaue305. Folgerichtig sieht er den Vertragsschluß als entscheidende Zäsur – auch auf der tatbestandlichen Ebene – zur Abgrenzung von Wettbewerbsund Vertragsrecht, da mit der Entscheidung des Abnehmers das den Parallelwettbewerb der Anbieter kennzeichnende Spannungsmoment ende306. Dem ist nicht uneingeschränkt zuzustimmen307. Zutreffend ist, daß der individuellen Rechtsfolge nach das Wettbewerbsrecht als ein Sonderdeliktsrecht eine andere Stoßrichtung hat als das Vertragsrecht. Insofern ist auch die Interessenstruktur, was die synallagmatischen Hauptpflichten anbetrifft, im Vertragsrecht eine grundlegend andere als im Wettbewerbsrecht. Deshalb den Vertragsschluß als entscheidende zeitliche Zäsur aufzufassen und darauf eine Abgrenzung von Wettbewerbsund Vertragsrecht zu gründen ist aber unzutreffend, wobei die fehlsame Abgrenzung in erster Linie auf die einengende Fokussierung auf die Erfüllung der vertraglichen Hauptleistungspflicht zurückzuführen ist. Nimmt man demgegenüber die (insbesondere vorvertraglichen) Nebenpflichten sowie die Haftung aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der culpa in contrahendo im Sinne der § 311 Abs. 2 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB mit in den Blick, so wird deutlich, daß es im vorvertraglichen Bereich zu einer erheblichen Überschneidung von wettbewerbs- und vertragsrechtlichen Pflichten im weiteren Sinne kommt. Insoweit bildet der Vertragsschluß gerade keine Zäsur für die „Vorwirkungen“ des Vertragsrechts308. Wiederum 305
Alexander, S. 49 ff.; vgl. demgegenüber differenzierend Beater, § 1, Rz. 64 ff. Alexander, S. 57 mwN. 307 Differenzierend insbesondere auch Beater, § 1, Rz. 64 ff.; gegen den Vertragsschluß als Zäsur auch Köhler, GRUR 2003, 265, 267. 308 Und auch die in der Argumentation von Alexander (aaO., S. 57 ff. im Anschluß an die zumindest zum alten Recht wohl herrschende Meinung, vgl. die Nachweise aaO. [in Fn. 96] so306
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kann hier also eine Abgrenzung nicht pauschal zeitlich, sondern allein sachlich anhand der Pflichtenstruktur erfolgen309.
III. Vorvertragliche Sonderbeziehung als Umschlagpunkt der Pflichtenstruktur? Das demnach zu konstatierende Scheitern einer starren tatbestandlichen Abgrenzung anhand des Vertragsschlußzeitpunkts und der zugleich erkannte wahre Kern dieses Arguments, welches im Grundsatz eher auf die unterschiedliche Pflichtenstruktur im Vertrags- und im Lauterkeitsrecht und auf den Vorrang der individualvertraglichen Beziehung zielt, legt es nahe, für die Abgrenzung von Vertragsund Lauterkeitsrecht auf die traditionell unterschiedliche Pflichtenstruktur im sonderdeliktsrechtlichen Wettbewerbsrecht und im individuelle Sonderbeziehungen regelnden Vertragsrecht abzustellen. Unter dieser Perspektive wäre das entscheidende Abgrenzungsmoment, daß das Wettbewerbsrecht aus der Sicht der Verbraucher einen generell-abstrakten, das Vertragsrecht einen individuell-konkreten Schutz ihrer Entscheidungsfreiheit bietet310. Insofern käme als sachliches wie ganz eingehend noch unten 3. Kap. 3. Abschn. B) mehr im Vordergrund stehende grundsätzliche Ablehnung eines „Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs“ im Zeitraum nach dem Vertragsschluß (bzw. nach dem neuen Recht eines Handelns zu Absatz- bzw. Bezugsförderungszwecken, s. § 2 Nr. 1 UWG) überzeugt so generell nicht. Denn ein „Handeln zur Förderung eigenen oder fremden Wettbewerbs“ bzw. Absatzes kann hier durchaus vorliegen. Insoweit ist insbesondere zu beachten, daß viele der neuen nachvertraglichen Pflichten des Verbraucherschutzrechts (wie im Fernabsatz und im E-Commerce die Informationspflichten spätestens bei Lieferung also nach dem Vertragsschluß) noch unmittelbar vertragsschlußbezogen sind und sich auch auf die Aufhebungsfestigkeit des Vertrags auswirken (so schon bisher in den gerichtsnotorisch gewordenen Fällen der Widerrufsbelehrung bei Abzahlungsgeschäften, die allerdings bei Vertragsschluß erfolgen mußte, so daß sich die wirklich problematischen Aspekte der zugehörigen BGH-Rechtsprechung eher auf die spätere Durchsetzung der Forderung bzw. auf bewußte Falschauskünfte gegenüber individuellen Kunden nach Vertragsschluß bezogen [s. noch die ausführliche Darstellung unten 3. Kap. 3. Abschn. B I]). Zwar liegt in diesen Fällen nach der jetzigen Rechtslage unstrittig stets ein schwebend wirksamer Vertrag vor (vgl. zum überholten Streit um den Rechtscharakter der verbraucherschützenden Widerrufsrechte sowie zu seiner Erledigung durch die Schuldrechtsreform statt aller Riehm, Jura 2000, 505, 507 mwN). Doch kann es für das Handeln zu Absatzzwecken keinen Unterschied machen, ob der Absatz durch das Akquirieren eines Neukunden oder durch das pflichtwidrige Verhindern oder Gefährden der Ausübung eines Widerrufrechts eines bereits vorhandenen Kunden gefördert wird; der Effekt für die Mitbewerber ist in beiden Fällen derselbe (vgl. auch noch unten 3. Kap. 3. Abschn. B I 2 und II). Auch insoweit – bezüglich der Anwendbarkeit des wettbewerbsrechtlichen Sanktionssystems auf vertragsbezogene unternehmerische Handlungen – kann daher der Vertragsschluß nach richtiger Auffassung (wie sie durch die künftig umzusetzende europäische Lauterkeits-RL bestätigt wird) keine starr-zeitliche tatbestandliche Abgrenzungslinie bilden, sondern ist vielmehr eine inhaltlich-wertende, konkurrenzähnliche Abgrenzung zwischen dem (bezüglich vertragsbezogenen Handelns grundsätzlich vorrangigen Vertragsrecht und dem ergänzend eingreifenden Wettbewerbsrecht) zu entwickeln. S. dazu eingehend unten 3. Kap. 3. Abschn. B I 2, II-IV und 4. Kap. 5. Abschn. B. 309 Zutreffend Köhler, GRUR 2003, 265, 267: „Der Unterschied ist nicht zeitlicher, sondern sachlicher Natur“. 310 Vgl. Köhler, aaO.
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Abgrenzungskriterium die Etablierung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung in Betracht, da diese grundsätzlich schon vor dem eigentlichen Vertragsschluß zu einem Umschlagen der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten hin zu individualisierten Pflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis gemäß § 311 Abs. 2 i.V.m. 241 Abs. 2 BGB führt. Doch läßt sich auch dieser differenzierteste Versuch einer kategorialen Abgrenzung anhand eines zeitlich-sachlichen Kriteriums letztlich nicht lückenlos durchhalten, wenngleich er der vielschichtigen Wechselbeziehung und Überschneidung des Wettbewerbs- und Vertragsrechts noch am nächsten kommt. Denn – wie gezeigt wurde – legt das Vertragsrecht den Parteien im vorvertraglichen Bereich (und sogar noch nach Vertragsschluß) mittlerweile Pflichten auf, die zum Teil lediglich generell-abstrakte (institutionelle) Zwecke verfolgen und die (jedenfalls für den Bereich des Verbraucherschutzrechts) wegen ihrer am Maßstab des wettbewerblichen Massenverkehrs orientierten zwingenden Typisierung den unternehmerischen Verkehrssicherungspflichten des Wettbewerbsrechts häufig näher stehen als dem individualisierten Pflichtenprogramm der Regelung einer genuin individuellvertraglichen Sonderbeziehung. Auch sind diese Pflichten im Vertragsrecht des BGB nicht als Fremdkörper zu beurteilen311, sondern bestätigen vielmehr seine prinzipielle Entwicklung hin zur Anerkennung und Operationalisierung der Systemfunktion auch des Vertragsrechts bei der Erhaltung der Funktionsbedingungen des Verkehrssystems312. Hinzu kommt die Tatsache, daß auch außerhalb des Verbraucherschutzrechts im engeren Sinne, nämlich insbesondere (aber nicht nur) im Rahmen der gesetzlichen vorvertraglichen Pflichten gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB schon von jeher in bestimmten Bereichen unvermeidlich massenhafttypisierte Maßstäbe dem Pflichtenprogramm zugrundegelegt wurden, soweit dieses – letztlich mit einer unübersehbaren Tendenz zur Entwicklung bestimmter außerdeliktischer allgemeiner Verkehrssicherungspflichten – hinsichtlich der Anknüpfung der Pflichtverletzung faktisch in den vorindividuellen Bereich hinein ausgebaut und an Maßstäbe eines typisierten Vertrauens geknüpft wurde 313. Auf die unter funktionaler Perspektive vergleichbare – und die Entwicklung in Richtung auf typisierende Maßstäbe im Vertragsrecht beschleunigende – Aufwertung der massenhaften, nur vorindividuell typisierbar beurteilbaren Informationsaufnahme, wie sie § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zugrundeliegt, wurde bereits verwiesen. Insofern käme eine Abgrenzung von Vertrags- und Wettbewerbsrecht anhand des Kriteriums der vorvertraglichen Sonderbeziehung den Verhältnissen in der Realität zwar nahe, wirkte aber gerade mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen im Vertragsrecht eher konservativ und die Perspektive verengend. So ist insbesondere das gemeinschaftsrechtliche Verbraucherschutz- und Lauterkeitsrecht, von 311
So aber Grigoleit, WM 2001, 597, 604. Vgl. oben C III 4. 313 So insbesondere im Rahmen der allgemeinen Prospekthaftung, die nunmehr – außerhalb der sondergesetzlich geregelten Bereiche – in § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB bzw. (für die Haftung Dritter) auf § 311 Abs. 3 BGB zu stützen ist. S. ausführlich unten 4. Kap. 4. Abschn. C II. 312
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dem noch zu handeln sein wird, nicht länger von einer trennscharfen Abgrenzung von Recht des unlauteren Wettbewerbs und Verbrauchervertragsrecht geprägt, sondern von einer funktional einheitlichen Sicht – mit durchgehender Anwendbarkeit auch des lauterkeitsrechtlichen Instrumentariums314 –, für die in der Literatur der Begriff des „vertragsbezogenen Kontinuums“ vorgeschlagen wurde 315. Dem deutschen Recht ist ein solches Konzept nicht so gänzlich fremd, wie es auf den ersten Blick anmuten mag; insbesondere die organizistische Sicht des Schuldverhältnisses im weiteren Sinne als ein gesetzliche und vertragliche Pflichten verklammernder Organismus316 in der Art eines finalen Prozesses im Hinblick auf ein in zeitlicher Dimension zu erreichendes Ziel 317 beinhaltet mit ihrer Betonung des finalen Charakters ein Modell, welches grundsätzlich in diese Richtung weiterbar scheint. Freilich bleibt – selbst unter Betonung des finalen Charakters, der Perspektive auf den angestrebten fehlerfreien Vertragsschluß und die sich anschließende Vertragsabwicklung – stets der Qualitätssprung einer Vorverlagerung schuldrechtlicher Anknüpfungspunkte und Regelungsinhalte aus der Sonderbeziehung in den Massenverkehr, den das Schuldrecht spätestens mit der Schuldrechtsreform im Anschluß an die wirtschaftliche Realität des Massenvertriebs aber ohnedies vollzogen hat. Der spezifische Wert einer organizistisch-finalen Sichtweise318, die den Fluchtpunkt des in fehlerfreier Selbstbestimmung zustandekommenden Vertragsschlusses und der Vertragsabwicklung von Beginn an (mithin schon in der Phase des noch nicht individualisierten Marketings) in den Blick nimmt, läge für das deutsche Recht – gerade auch aus der Sicht der Unternehmer 314 Vgl. an dieser Stelle nur Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: „Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken … vor während und nach Abschluß eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“. 315 Micklitz/Keßler, WRP 2003, 919, 931. Vgl. näher zum Ganzen unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 c. 316 So Emmerich, Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts, 1974, S. 293 ff. 317 Die Begrifflichkeiten differieren in den Einzelheiten. Die Auffassung des Schuldverhältnisses als eines „Organismus“ (mit diesem Begriff zuerst Heinrich Siber, Schuldrecht, 1931, § 1 I) im Sinne einer konstanten Rahmenbeziehung (mit diesem Terminus Herholz, AcP 130 (1929), S. 257 ff.), die vom Bestand der einzelnen Pflichten unabhängig ist und sich in der zeitlichen Dimension auf ein abzuwickelndes Ziel richtet, steht rechtshistorisch in gewissem inneren Zusammenhang mit der Suche nach dem Geltungsgrund der culpa in contrahendo, für die (bevor der gesetzliche Charakter des Vertrauensschuldverhältnisses von der herrschenden Meinung anerkannt wurde) unterschiedliche vertragliche Begründungsversuche unternommen wurden und geht auf die organizistische Privatrechtsauffassung Savignys zurück, vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 14 ff. Larenz, Schuldrecht I, § 2 V (S. 26 ff.), betont unter Hinweis auf Nicolai Hartmann, Der Aufbau der realen Welt, 1940, S. 233 ff., den Charakter des Schuldverhältnisses als „sinnhaftem Gefüge“ (was in erster Linie die komplexen Sinnzusammenhänge der verschiedenartigen Rechtsfolgen ausdrücken soll), das auch eine besondere Zeitstruktur habe, die damit zusammenhänge, „daß ihm die Bezogenheit auf ein Ziel eigen ist, daß ihm ein finaler Sinn innewohnt“ (S. 27). Vgl. zum ganzen auch MüKo-Kramer, Einl. vor §§ 241 ff., Rz. 13 mwN. 318 Vgl. zum begrenzten praktischen Wert dieser Konzepte im übrigen, der eher auf eine punktuelle Bedeutung im Recht der Dauerschuldverhältnisse und bei der rechtlichen Einordnung faktischer Vertragsverhältnisse beschränkt geblieben ist, statt aller Müko-Kramer, aaO., Rz. 14 mwN.
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1. Kapitel: Grundlagen
– darin, daß insoweit dann auch konsequenterweise von Beginn an – insbesondere auf Seiten des Unternehmers – nicht lediglich die allgemeine Handlungsfreiheit (oder die Berufsfreiheit) als Wertprinzip streiten, sondern daß der Unternehmer sich schon in dieser frühen Phase auf die spezifisch rechtsgeschäftliche Privatautonomie berufen kann, die in der hier vorgeschlagenen Sichtweise auch die Anbahnung von Verträgen im geschäftlichen Massenverkehr umfaßt. Letztlich ist dies nur die Kehrseite der zusehends zu beobachtenden Ausdehnung der vorvertraglichen Pflichten in diesen Bereich und der Realität des Massenvertriebs, in der die massenhaft rezipierte Werbebotschaft die vertragliche Sonderbeziehung zum Händler zu ersetzen beginnt 319. Für unser eigentliches (Abgrenzungs-)problem ist damit allerdings unmittelbar nichts gewonnen. Insoweit ist lediglich festzuhalten, daß auch die Etablierung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung als starres Abgrenzungskriterium von Wettbewerbs- und Vertragsrecht, welches die unterschiedlichen Maßstäbe der Rechtsgebiete pauschal rechtfertigen könnte, nicht weiterhilft. Nur eine im Ausgangspunkt integrative Betrachtung der Rechtssysteme und eine darauffolgende spezifisch funktional-interessenorientierte Analyse der jeweiligen Wertungen im einzelnen, die differenziert nach einzelnen Pflichten, jeweils geschützten Interessen und funktionalem Bezug der jeweiligen Rechtsfolgen durchgeführt wird, verspricht daher nach der hier vertretenen Auffassung Erfolg320. Ein solcher Ansatz wird im folgenden als Grundlage der weiteren Untersuchung vorgeschlagen, wobei als Ausgangspunkt einer Verallgemeinerung nochmals aufgezeigt werden soll, daß das Wettbewerbsrecht (mindestens soweit es schwerpunktmäßig auf die Verzerrung des Vertikalverhältnisses durch Kundenbeeinflussung zielt, d.h. insbesondere § 4 Nrn 1–6, § 5 UWG, entsprechende Teilbereiche von § 4 Nr. 11 UWG, § 6 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UWG, darüber hinaus aber auch in allen Situationen, in denen Vertikal- und Horizontalverhältnis ausgewogen betroffen sind, d.h., § 4 Nrn. 7–9 lit. b), § 6 Abs. 2 Nr. 3–6 UWG321) und das (Verbraucher-)vertragsrecht 319 S. eindrücklich schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 64 ff. (und bezüglich des hier interessierenden Aspekts insbesondere) S. 186 ff. mwN; zustimmend zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 53. Vgl. eingehend zum ganzen noch unten 4. Kap. 4. Abschn. C II. 320 Einen im Hinblick auf das Bemühen um größere Differenzierung ähnlichen, wenn auch etwas engeren, primär schutzzweckorientierten Abgrenzungsversuch, der zudem (sozusagen genau spiegelbildlich zum hier gewählten Ausgangspunkt der weiteren Differenzierung) mehr den diesbezüglichen grundsätzlichen Unterschied zwischen Wettbewerbs- und Vertragsrecht betont, unternimmt zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 86 ff. 321 Auch die Belästigungstatbestände lassen sich aus der Sicht des Gesamtsystems Vertrag/ Wettbewerb auf Grundlage des hier vorgeschlagenen Vier-Ebenen-Modells erklären, vgl. grundsätzlich unten F IV 1 b und im Detail unten 4. Kap. 3. Abschn. A. Realistischerweise bleiben damit als einzige (Ausnahme)beispiele unlauteren Wettbewerbs, welche sich im hier vorgeschlagenen integrierenden Ansatz kaum modellieren lassen, diejenigen Tatbestände, die ganz schwerpunktmäßig nur das Horizontalverhältnis betreffen (und allenfalls reflexartig noch das Vertikalverhältnis berühren); hierher gehören insbesondere die betriebsbezogenen Eingriffe, im neuen UWG in § 4 Nr. 9 lit. c) sowie in Teilbereichen der Behinderung nach § 4 Nr. 10 UWG geregelt, die aber genaugenommen auch dem allgemeinen Deliktsrecht näher stehen als dem spezifisch den Wettbewerbsprozeß regelnden Lauterkeitsrecht, vgl. deshalb zur zutreffenden inter-
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den inhaltlich-interessenorientierten Fluchtpunkt des Schutzes des in fehlerfrei ausgeübter Selbstbestimmung zustandekommenden und abgewickelten Vertrages322 in der Tat teilen.
F. Die spezifisch funktional-interessenorientierte Abgrenzung des wettbewerbsrechtlichen Verbraucher- und Kundenschutzes vom (Verbraucher-)vertragsrecht als Aufgabenstellung und die These vom grundsätzlichen Gleichmaß der normativen Maßstäbe I. Der gemeinsame Fluchtpunkt der wettbewerbsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten und der vertragsrechtlichen Pflichten in den ersten beiden Ebenen des Vier-Ebenen-Modells Wie gezeigt wurde, ist der Gedanke des Institutionenschutzes nicht geeignet, eine Abgrenzung des wettbewerbsrechtlichen vom vertragsrechtlichen System zu leisten, da er mittlerweile beiden Bereichen immanent ist. Ebenso bietet die Schutzzwecktrias zwar eine Strukturierung der im Rahmen des Wettbewerbs als Institution beteiligten Interessen – doch ist diese Interessenstrukturierung wiederum auch dem Vertragsrecht inzwischen vertraut, von dem sich gleichermaßen sagen ließe, es diene dem Schutz der Unternehmer, der sonstigen Marktbeteiligten und der Allgemeinheit, sofern man nur – wie es hier unternommen und begründet wurde – seine institutionelle Funktion vorbehaltlos anerkennt. Dabei können der Institutionengedanke und die Schutzzwecktrias aber nicht mehr leisten als eine Strukturierung der am Verkehrssystem beteiligten Interessen und eine Verdeutlichung des Problems, daß der Gedanke des Schutzes „des Wettbewerbs“ Abweichungen von einer rein am Maßstab des Individualschutzes orientierten Betrachtung rechtfertigen kann, ohne aber für Art und Maß dieser Abweichungen ein Wertkriterium zu etablieren323. Diese wiederum hängen nicht nur vom jeweils verfolgten Wettbewerbsverständnis, sondern insbesondere davon ab, wie man die Interessen einzelner Marktbeteiligter (bzw. typisierter Gruppen derselben) und der Allgemeinheit gegeneinander abwägt. Ein Leitkriterium, welches für diese Interessenabwägung integrativ sein könnte, hat die Untersuchung bisher nicht zu Tage gefördert. Nachdem die Betrachtung der wirtschaftswissenschaftlichen Wettbewerbsleitbilder die Vorzugswürdigkeit dezentral systemtheoretischer Ansätze ergeben hat, nationalprivatrechtlichen Differenzierung bei betriebsbezogenen Eingriffen auch Leistner, in: Basedow/Drexl/Kur/Metzger (Hrsg.), Intellectual Property in the Conflict of Laws, S. 129 ff. Vgl. zur rudimentären Anwendbarkeit des hier vorgeschlagenen Modells selbst in diesen Bereichen auch noch unten F I. 322 Wie er als Endpunkt einer erweiterten organizistischen Betrachtung des Vertrags für das Schuldrecht gerade herausgearbeitet wurde, vgl. oben im Text. 323 Vgl. für die „Institution Wettbewerb“ als Schutzgut des UWG statt aller GroßKommKöhler, § 1 Rz. D 2.
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1. Kapitel: Grundlagen
die die auf der vertraglichen Ebene in fehlerfreier Selbstbestimmung zustandegekommenen einzelnen Geschäftsabschlüsse als Leitbild „von unten herauf“ in den Mittelpunkt stellen, liegt nichts näher, als den in fehlerfreier Selbstbestimmung zustandegekommenen Vertrag als status ad quem ins wertende Zentrum einer integrativen Betrachtung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs (soweit es die Beeinflussung der Kundenentscheidung im Vertikalverhältnis – mithin die ersten beiden Ebenen des hier vorgeschlagenen Vier-Ebenen-Modells – betrifft 324) und des Vertragsrechts zu rücken. Für die Zwecke der hier anzustellenden Untersuchung kann dabei dahinstehen, ob ein solches Kriterium den gesamten Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs – also insbesondere auch den rein horizontalen Behinderungswettbewerb (einschließlich der Ausbeutung durch betriebsbezogene Eingriffe, z.B. § 4 Nr. 9 lit. c, Nr. 10 UWG) sowie Tatbestände der allgemeinen Marktbehinderung – erfassen könnte325. Viel spricht dafür, daß der Begriff des in fehlerfreier Selbstbestimmung zustandekommenden Vertrags, dessen Mechanismus es durch einen Vorfeldschutz sowie durch die negative Auslese nicht funktionsfähiger Verträge zu schützen gelte, den gesamten Bereich des Wettbewerbsund Vertragsrechts integrieren könnte, soweit man nur die nicht unmittelbar auf den Austausch mit der Marktgegenseite bezogenen Tatbestände als eine Art mittelbaren (in die Zukunft gerichteten) Schutz des Vertragsmechanismus auffaßt – der auch in Zukunft für adäquate Rahmenbedingungen des Verkehrssystems sorgt. In einer solchen Systematik wären die lauterkeitsrechtlichen Tatbestände, die den Horizontalwettbewerb betreffen (also insbesondere die betriebsbezogene Behinderung und Ausbeutung) sowie der Schutz gegen allgemeine Marktbehinderung als mittelbarer (konstitutiver) Vertragsschutz für künftige Rahmenbedingungen funktionsfähiger Verträge aufzufassen; diejenigen Tatbestände, die sich unmittelbar auf den Austausch mit der Marktgegenseite beziehen (also Kundenfang, „schlichte“ Ausbeutung, Teilbereiche des Rechtsbruchs), wären als unmittelbarer Schutz des Vertragsmechanismus durch Etablierung abstrakter Gefährdungsdelikte aufzufassen326. 324
S. oben 1. Abschn. D VI. Mit der „wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers“ hat Drexl (Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998) ein entsprechendes Modell entwickelt, welches neben dem klassischen Verbraucherschutzrecht (im engeren Sinne eines Sonderprivatrechts) auch sämtliche sonstigen Vorschriften umfaßt, die für die Selbstbestimmung privat handelnder oder betroffener Wirtschaftssubjekte im Rechtsverkehr Bedeutung haben und deshalb auf unsere Thematik gewendet das gesamte Vertragsrecht (einschließlich des Verbrauchervertragsrechts) sowie den Bereich des Wettbewerbsrechts im weiteren Sinne (also UWG und GWB) integrieren könnte, vgl. zur Abgrenzung der Studie (aaO. S. 10 ff.; zur Behandlung des Vertragsrechts, S. 282 ff.; zur beispielhaften Behandlung einzelner Konstellationen aus dem UWG, S. 547 ff.; für ein Beispiel aus dem Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, S. 151 ff.). S. noch sogleich unten F IV zu Reichweite und Differenzierungen des hier vorgeschlagenen Modells. 326 Diese Zweiteilung würde jedenfalls alle diejenigen Pflichten modellieren, die sich im weitesten Sinne auf den status ad quem künftiger Vertragsabschlüsse und damit auf das Zusammenspiel von Vertrags- und Wettbewerbsrecht beziehen. Hinzu kommt sowohl im Wettbewerbsrecht als auch im Vertragsrecht der Schutz des status quo im Sinne des allgemeinen Integritätsinteresses der Verkehrsteilnehmer, wie er etwa im Recht des unlauteren Wettbewerbs die Fallgruppe des Belästigungsschutzes, im Vertragsrecht die im Rahmen der culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 BGB) entwickelten reinen Schutzpflichten prägt. Da – etwa im Belästigungsschutz des UWG – auch hier ein mittelbarer (Vorfeld-)schutz des Integritätsinteresses der Verkehrsteilnehmer geleistet wird, entsteht insgesamt sogar eine vierteilige Matrix aus mittelbarem und unmittelbarem 325
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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Für die Fragestellung nach dem Zusammenspiel von Vertrags- und Wettbewerbsrecht unter dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes genügt es sogar, sich nur auf letzteren Bereich des unmittelbaren Schutzes des Vertragsmechanismus zu beschränken. Hierzu gehört das Recht des unlauteren Wettbewerbs, soweit es mindestens auch das Vertikalverhältnis zwischen Unternehmer und Marktgegenseite betrifft (also insbesondere die hergebrachten Fallgruppen des Kundenfangs, Teile des Rechtsbruchs und die „schlichte“ Ausbeutung, § 4 Nrn. 1–9 lit. b, Teilbereiche von § 4 Nrn. 10 und 11 sowie §§ 5 f. UWG). In diesem Bereich kann von einer vollkommenen Ungleichartigkeit der Interessenlage im Wettbewerbs- und Vertragsrecht keine Rede sein327. Vielmehr bildet insoweit der vom Anbieter von Beginn an angestrebte Vertragsabschluß328 den gemeinsamen Fluchtpunkt der Pflichten sowohl im Wettbewerbsrecht als auch im sich anschließenden vorvertraglichen und vertragsrechtlichen Bereich. Als gemeinsamer status ad quem, den sowohl die vornehmlich allgemeinen Verkehrssicherungspflichten des Wettbewerbsrechts nach Art abstrakter Gefährdungsdelikte als auch der teils individuelle, teils typisierende, zum Teil mittlerweile ebenfalls regelrechte allgemeine Verkehrssicherungspflichten enthaltende Schutz des Vertragsrechts schützen sollen, läßt sich der in fehlerfreier Selbstbestimmung geschlossene Vertrag begreifen. Unter diesem Aspekt sind beide Schutzsysteme grundsätzlich funktional äquivalent 329. Der in fehlerfreier Selbstbestimmung geschlossene Vertrag als gemeinsamer Fluchtpunkt sowohl der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten als auch des individuell vorvertraglichen Schutzes gestattet als Begriff grundsätzlich die Integration sämtlicher beteiligter Interessen der Schutzzwecktrias, soweit sich eine Wettbewerbsverzerrung gerade über eine Beeinflussung der Kundenentscheidung vermittelt. Für die Interessen des unmittelbar beteiligten Unternehmers, wie auch des Marktteilnehmers auf der Marktgegenseite (des prospektiven Kunden), liegt dies auf der Hand; denn sie sind an dem angestrebten Vertragsverhältnis unmittelbar beteiligt. Aber auch die Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit lassen Schutz des Vertragsmechanismus als status ad quem, sowie aus mittelbarem und unmittelbarem Schutz des reinen Erhaltungsinteresses der Verkehrsteilnehmer, des status quo, sowohl im Wettbewerbs- als auch im Vertragsrecht. Aufgrund der hier behandelten Themenstellung beschränkt sich die Untersuchung im Ergebnis im wesentlichen auf den unmittelbaren Schutz des status ad quem, des fehlerfrei zustandekommenden und abzuwickelnden Vertrags, in dem sich Recht des unlauteren Wettbewerbs- und (Verbraucher)vertragsrecht funktional überschneiden, sowie darüber hinaus auf einzelne Aspekte des unmittelbaren Schutzes des status quo (insbesondere des Belästigungsschutzes), s. die Verallgemeinerung und interessenorientierte Differenzierung unten IV. 327 Skeptischer Alexander, S. 49 ff.; demgegenüber zutreffend Beater, § 1 Rz. 64 ff. 328 Dies reflektiert gerade wiederum die Definition wirtschaftlichen Wettbewerbs als Streben nach Geschäftsverbindung mit Dritten durch Inaussichtstellen günstiger erscheinender Geschäftsbedingungen bei Fikentscher (zuletzt Wirtschaftsrecht II, S. 194 f.), wie sie oben der Untersuchung zugrundegelegt wurde, vgl. näher oben 1. Abschn. C V. 329 Den eindrucksvollsten Beleg für die funktionale Austauschbarkeit der Schutzsysteme unter dem spezifischen Blickwinkel des Verbraucherschutzes bildet die Entwicklung im europäischen Sekundärrecht, worauf noch unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 einzugehen sein wird.
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sich in diesem Leitkriterium integrieren. Denn das Interesse der Mitbewerber sowie der Allgemeinheit erschöpft sich in diesem Bereich in der Regel330 gerade darin, daß ein in fehlerfreier Selbstbestimmung geschlossener Vertrag zustandekommt331. Der Begriff des „unverzerrten Wettbewerbs“ ist insoweit, wie oben (E I) gezeigt wurde, normativ durch die Wertungen des Privatrechts betreffend die „Vertragsfreiheit“ (deren Reichweite durch Auslegung zu ermitteln ist) vorgeprägt und hat diese zu akzeptieren. Ein überschießender Schutz des Wettbewerbsrechts läßt sich, wie gleichfalls oben (aaO.) belegt wurde, in diesem Überschneidungsbereich insbesondere nicht pauschal durch den Multiplikatorgedanken unternehmerischen Handelns erklären, sondern allenfalls im Einzelfall durch eine spezifische, funktional-interessenorientierte Analyse, die die vertragsrechtlichen Instrumente einbezieht und aufzeigt, daß diese eine bestimmte strukturelle Gefährdung der freien Entscheidung der Marktgegenseite oder eine anderweitige Beeinträchtigung der im Wettbewerbsrecht relevanten Interessenpositionen (bisher) nicht erfassen oder nicht effektiv erfassen können, so daß ein wettbewerbsrechtlich überschießender Vorfeldschutz gerechtfertigt ist. Insoweit mögen dann in der konkreten Konstellation auch der Multiplikatorgedanke, marktstrukturelle Gesichtspunkte sowie insbesondere einzelne – im Vertragsrecht nicht erfaßbare – Aspekte des Mitbewerberschutzes (etwa im Bereich bloßer Anlockung) für einen zusätzlichen abstrakt-generellen Schutz und damit als konkret rechtfertigende Anhaltspunkte für eine gebotene Abweichung der Wertungen in Lauterkeits- und Vertragsrecht herangezogen werden332; als pauschal prinzipielle Kriterien zur Rechtfertigung per se abweichender Maßstäbe insbesondere im wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz taugen derartige Überlegungen demgegenüber nicht.
330 S. zu einzelnen Ausnahmen, die dann zugleich die Grenzen des Gleichmaßgrundsatzes definieren, noch unten IV. 331 A.A. Weiler, WRP 2003, 423, 429 f., der in der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit der Marktgegenseite mit dem (nach seiner Auffassung als hM aufgefaßten Leitgedanken das UWG bestimmenden) Maßstab des Leistungswettbewerbs argumentiert und insofern den wettbewerbsrechtlichen Schutz von den bürgerlich-rechtlichen Leitlinien hauptsächlich dadurch abgegrenzt sieht, daß im Wettbewerbsrecht weitergehend als im allgemeinen Zivilrecht die sachgerechte Entscheidung unter dem Leitgedanken des Leistungswettbewerbs geschützt werde. Dies übersieht aber, daß eine solche Wettbewerbskonzeption – als letztlich nicht realistisch – von der mittlerweile ganz hM in Rechtsprechung (trotz der irreführenden Terminologie gilt dies bei genauem Hinsehen sogar für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der dort im Kern entwickelten Maßstäbe, obwohl das Bundesverfassungsgericht den Begriff des Leistungswettbewerbs fehlerhafterweise noch verwendet und dafür auch gerade unter diesem Aspekt viel Kritik ausgelöst hat, s. unten 2. Kap. 2. Abschn. B II 2 b) und Lehre gerade abgelehnt (s. nur ebenfalls im Zusammenhang unten aaO. und öfter) und durch eine Fokussierung auf die Selbstbestimmung als solche – genau wie im Vertragsrecht – ersetzt worden ist. Insofern ist schon Weilers Prämisse nach heutigem Stand nicht zu halten, was die gesamte Argumentation zu diesem Punkt sozusagen infiziert. 332 S. etwa auch in dieser Untersuchung beispielsweise unten 4. Kap. 3. Abschn. A I 2 b und öfter.
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Hervorzuheben bleibt, daß auch das Leitkriterium des in fehlerfreier Selbstbestimmung zustandekommenden Vertragsschlusses lediglich eine integrative Interessenstrukturierung für das Vertrags- und das auf den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit der Marktgegenseite bezogene Wettbewerbsrecht gestattet. Die Wertung, inwieweit die Selbstbestimmung bestimmter Verkehrskreise der Marktgegenseite (die in bestimmten Situationen spezifischen Schutzes bedürfen) durch Eingriffe in die Freiheit der Unternehmer sowie anderer Verkehrskreise der Marktgegenseite (die dieses Schutzes nicht bedürften, aber durch ein typisierendes Kriterium mit erfaßt werden) geschützt werden darf und muß, ist eine legislatorische Wertung333, die für jede einzelne typisierbare Gefährdungssituation eine spezifische Interessenabwägung erfordert 334 (vgl. zu den be333 Da diese Wertung zudem rein negativer Natur ist und – bei grundsätzlicher Geltung der ergebnisoffenen Vertragsfreiheit – lediglich die Auslese indiziell fehlerhafter Verträge und den generell-abstrakten oder konkret-typisierenden Schutz vor bestimmten Gefährdungssituationen für den Vertragsmechanismus gestattet, ist im übrigen als regulierendes Prinzip häufig auf die Bedeutung der Ethik verwiesen worden, vgl. etwa Rittner, AcP 188 (1988), 101, 129 f.; Derleder, in: FS Wassermann, S. 643 ff. Die notwendige Aussichtslosigkeit und Unbestimmtheit einer derartigen Suche nach positiven ethischen Maßstäben zur näheren Ausgestaltung des Selbstbestimmungsprinzips wurde bereits oben 2. Abschn. D und F anhand neuerer ethischer Vertragstheorien belegt. Allenfalls können Strukturen herausgearbeitet werden, innerhalb derer die notwendigen Wertungen verlaufen. 334 Für das Wettbewerbsrecht versucht Beater, § 13, Rz. 1 ff., Rz. 33 ff. mwN, diese Interessenabwägung zu strukturieren, indem er die konsequente Anerkennung des Verbraucherschutzes als Schutzzweck fordert und in diesem Rahmen vom Leitbild des „schutzbedürftigen Verbrauchers“ ausgehen will, das es gestattet, zwischen miteinander konkurrierenden Verbraucherinteressen zu gewichten. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen; lediglich der Ausgangspunkt, die Methode der ausdrücklichen Heranziehung des Verbraucherschutzes als unmittelbarer Schutzzweck des Wettbewerbsrechts, erscheint gegenüber der hier vertretenen Lösung, die die institutionelle Bindung des Verbraucherschutzzwecks im Wettbewerbsrecht beibehält und insoweit die Schutzzwecktrias lediglich als Interessenstrukturierung bezüglich der Institution Wettbewerb auffaßt (so auch die neue Schutzzweckbestimmung in § 1 UWG, derzufolge eben nur das Interesse der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer „am unverzerrten Wettbewerb“ geschützt ist) und dann diesen Institutionenschutz hinsichtlich des Wettbewerbs im Vertikalverhältnis wiederum an den Schutz des Vertragsmechanismus rückanbindet, deshalb nachteilhaft, weil die Lösung über die unmittelbare Anerkennung des Schutzzwecks dogmatische Probleme, insbesondere bei der Begründung des (zutreffenden) Ergebnisses, daß es sich bei UWG-Normen nicht um Schutzgesetze zugunsten der Verbraucher im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt (so die herrschende Meinung und auch die Rechtsprechung, vgl. BGH v. 14.5.1974 – Prüfzeichen, GRUR 1975, 150 f. mwN), mit sich bringt. Ein institutionell gebundenener Schutz kann eben auch ohne Gewährung subjektiver Rechte gewährleistet werden, während die unmittelbare Anerkennung als Schutzzweck im Sinne eines (nicht institutionell gebundenen) vollkommen eigenständigen Telos einer Norm das Problem mit sich bringt, daß die Verneinung des Schutzgesetzcharakters (wie sie auch Beater, § 28, Rz. 21 ff., im Ergebnis zutreffend vertritt) dogmatisch kaum zu begründen ist. Beater, aaO., unternimmt einen Begründungsversuch über die Differenzierung nach kollektiven und individuellen Interessen, wobei das UWG lediglich kollektiven Verbraucherinteressen diene, weshalb ihm der Individualbezug im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB fehle. Dieser Begründungsansatz scheint deshalb zweifelhaft, weil die Rechtsprechung zu Schutznormen i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB lediglich voraussetzt, daß eine Norm einzelne Personenkreise schützt (vgl. zuletzt BGHZ 116, 7 ff.: „…gerade dazu dienen soll, den einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines Rechtsguts zu schützen …“); der Verweis auf kollek-
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1. Kapitel: Grundlagen
teiligten Interessen, die sich über die Dreiteilung der Schutzzwecktrias hinaus auch sachlich im Vier-Ebenen-Modell strukturieren lassen, näher noch sogleich unten IV). Das Leitkriterium des in freier Selbstbestimmung zustandekommenden Vertragsschlusses kann für diese Wertung aber in den ersten beiden Ebenen des Vier-Ebenen-Modells ein Kriterium vorgeben, welches es gestattet, Wettbewerbs- und Verbrauchervertragsrecht zumindest in Teilbereichen übergreifend zu betrachten und die letztlich aufzufindende Wertung solcherart weitgehend einheitlich aus dem Gesamtsystem aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht zu destillieren.
II. Die spezifisch funktional-interessenorientierte Abgrenzung des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherschutzes vom Verbrauchervertragsrecht und die These vom grundsätzlichen Gleichmaß der normativen Maßstäbe Für die Abgrenzung der beiden Rechtsgebiete voneinander und insbesondere für die Rechtfertigung abweichender inhaltlicher Wertungen im Recht des unlauteren Wettbewerbs und im Vertragsrecht ergibt sich aus dem vorstehenden, daß sie – angesichts des gemeinsamen Fluchtpunkts der formulierten Verkehrssicherungsbzw. vorvertraglichen und vertraglichen Nebenpflichten – nicht pauschal anhand einer zeitlich-sachlichen Grenzziehung erfolgen kann, sondern nur funktionalinteressenorientiert für die jeweils betrachtete spezifische Gefährdungslage des Vertragsmechanismus335. Nachdem eine pauschale Rechtfertigung abweichender Maßstäbe mißlingen mußte, gilt für die vorbezeichneten Teilbereiche des Lauterkeitsrechts demnach – als eine der zentralen Prämissen der vorliegenden Studie – tiven Interessenschutz im UWG hilft insoweit also zur Begründung wenig weiter; nur die institutionelle Bindung des Verbraucherschutzes im Haftungssystem des UWG, der eben stets nur über dessen Systemfunktion und die entsprechend zugeschnittenen Sanktionen vermittelt ist, vermag das zutreffende Ergebnis zu begründen. Hier scheint der Institutionengedanke den weniger verschlungenen Weg zur dogmatischen Begründung zu liefern. Letztlich methodenehrlich ist nämlich allein der Verweis auf das vom Gesetzgeber geschaffene Haftungsgesamtsystem des UWG, das unterlaufen würde, wenn man den Schutzgesetzcharakter von UWG-Normen zugunsten einzelner Verbraucher bejahte, s. zutreffend insoweit zuletzt auch Scherer, S. 239 ff. mwN, auf Grundlage einer umfassenden Analyse des haftungsrechtlichen Gesamtsystems. Vgl. näher auch unten 3. Kap. 2. Abschn. C I. 335 Einen im Hinblick auf das Bemühen um größere Differenzierung ähnlichen, wenn auch etwas engeren, primär schutzzweckorientierten Abgrenzungsvorschlag unterbreitet zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 86 ff., der für das von ihm betrachtete (etwas begrenztere) Untersuchungsfeld des Verhältnisses von Sachmängelhaftung und Irreführungsschutz zudem mehr die Unterschiedlichkeit der jeweiligen Interessenlage (Erfüllungsinteresse auf der einen Seite und Schutz der wirtschaftlichen Selbstbestimmung auf der anderen Seite) und dementsprechend der Schutzzwecke betont. Nach der hier vertretenen Auffassung sind diese beiden Aspekte aber in gewissem Umfang zumindest insofern innerlich verbunden, als sich der Schutz der Selbstbestimmung eines im Vorfeld des Vertragsschlusses irregeleiteten Verkäufers eben auch dadurch erreichen läßt, daß ihm ein Anspruch (im Rahmen eines erwartungsgerecht ausgestalteten Vertrags) eingeräumt wird, der seiner selbstbestimmten Erwartung gerade entspricht.
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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der Grundsatz vom Gleichmaß der normativen Maßstäbe im Lauterkeitsrecht und im (Verbraucher-)Vertragsrecht. Vorrang gegenüber den richterrechtlichen Maßstäben des Wettbewerbsrechts haben dabei gesetzgeberische Wertungen des Vertragsrechts, sofern und soweit spezifische legislatorische Wertungen vorhanden sind; ob und inwieweit dies der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Eine abweichende Wertung im Wettbewerbsrecht ist die rechtfertigungsbedürftige – wenngleich keinesfalls seltene – Ausnahme, wobei sich ein zusätzlicher wettbewerbsrechtlicher Schutz insbesondere dadurch begründen kann, daß eine bestimmte strukturelle Gefährdungslage für auf den Vertragsmechanismus bezogene Interessenpositionen Dritter im Vertragsrecht nicht geregelt ist oder effektiv mit individuellen Sanktionen gar nicht geregelt werden kann. Jedenfalls sind abweichende Wertungen, insbesondere ein strengerer Maßstab im Bereich des Irreführungsschutzes, stets für die jeweils untersuchte Gruppe von Fällen anhand der spezifischen Interessenlage und der jeweiligen Rechtsfolgen konkret zu begründen und zu rechtfertigen. Die entscheidende Perspektive für die Abgrenzung der Wertungen im Wettbewerbs- und Vertragsrecht liefert nach dem vorstehend gesagten eine rechtsfolgenspezifisch funktional-interessenorientierte Betrachtung. Ausgangspunkt ist die soeben festgestellte funktionale Äquivalenz der Schutzsysteme mit Blick auf den Vertragsmechanismus. Beide Rechtsgebiete greifen mit ihren jeweils spezifischen Rechtsfolgen beim Schutz des Vertragsmechanismus idealerweise komplementär ineinander (s. sogleich unten III). Inhaltlich bringt die integrative Betrachtung beider Rechtsgebiete insofern Gewinn, als sich die Regelung bestimmter typisierter Gefährdungslagen für den Vertragsmechanismus aus dieser übergreifenden Perspektive auch einheitlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterwerfen läßt. Anhand der jeweiligen Rechtsfolge und der Wahrscheinlichkeit und Effektivität der Geltendmachung der Rechte ist unter ordnungspolitisch funktionalen (d.h. faktisch durchsetzungsorientierten) Gesichtspunkten wertend darüber zu entscheiden, inwieweit ein Schutz vor Vertragsversagen in beiden Rechtsgebieten oder nur in einem der Systeme notwendig und erfolgversprechend ist. Etwa die Frage nach individuellen Vertragsauflösungsrechten des Verbrauchers wegen voraufgegangenen unlauteren Wettbewerbs stellt sich aus dieser Perspektive deutlich anders als bisher. Nicht nur ist – mit dem klassischen Ansatz – zu fragen, inwieweit im Vertragsrecht überhaupt eine „Schutzlücke“ besteht – die vertragsrechtlichen Instrumente also nicht ohnedies zum Schutze des Verbrauchers genügen 336 –, sondern zusätzlich auch danach, ob im Bereich einer derartigen „Schutzlücke“ überhaupt mit einer effektiven Geltendmachung der Rechte seitens individuell betroffener Verbraucher zu rechnen wäre. Schließlich ist (noch differenzierter) abzuschätzen, ob insoweit die Zahl derjenigen Verbraucher überwiegt, die tatsächlich von einem in fehlerhaft ausgeübter 336 So schon bisher die zielführenden Überlegungen in diesem Bereich, vgl. statt aller Köhler, GRUR 2003, 265, 267 ff. S. im übrigen zu dieser Frage noch eingehend unten 4. Kap. 5. Abschn. A.
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1. Kapitel: Grundlagen
Selbstbestimmung geschlossenen Vertrag sich lösen wollen oder die Zahl derjenigen, die das Vertragsauflösungsrecht mit seinem typisierten Schutz lediglich nutzen, um anhand nachträglich geänderter Interessenlage den Grundsatz pacta sunt servanda zu unterlaufen337. Streng anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der in diesem Falle spezifisch für die formale Vertragsfreiheit streitet, sowie anhand ordnungspolitischer Überlegungen betreffend die jeweils zu erwartende effektive Geltendmachung der gewährten Ansprüche, ist für etwaige neu aufkommende Gefährdungslagen zu entscheiden, ob Schutz im Wettbewerbsrecht (dann in der Regel durch die Rechtsprechung) oder im Verbrauchervertragsrecht (in der Regel durch den Gesetzgeber) zu gewähren ist, wobei den Ausgangspunkt der Überlegungen die jeweilige ordnungspolitische Effektivität der zugehörigen Rechtsfolgen bildet. Dieser funktional-interessenorientierte, durchsetzungsbezogene Ansatz gestattet nicht nur die Bewertung und Entwicklung adäquater Reaktionen auf neuartige Gefährdungen des Vertragsmechanismus de lege ferenda, sondern vermag auch die bisherige Entwicklung der Rechtsprechung im lauterkeitsrechtlichen Bereich, insbesondere die gelegentlichen „Übergriffe“ des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in den Bereich des Vertragsrechts338, ebenso zu erklären, wie den zusehends zu beobachtenden Wachstumsprozeß des Vertragsrechts „nach vorn“ hin zu allgemeinen Verkehrssicherungspflichten mit eigenständiger Ordnungsfunktion und der typisierten Anknüpfung vertragsrechtlicher Pflichtenprogramme und letztlich Rechtsfolgen an Tatbestände, die im Massenverkehr vor Etablierung einer Sonderbeziehung liegen339. 337 Zu den im Rahmen der Verabschiedung des neuen UWG hinsichtlich der Sanktionen gleichermaßen umstrittenen Bereiche eines individuellen Schadensersatzanspruchs der Verbraucher wegen unlauteren Wettbewerbs sowie zur Bewertung des letztlich neu eingeführten kollektiven Gewinnabschöpfungsanspruchs zugunsten der Verbraucherverbände, vgl. noch unten 4. Kap. 5. Abschn. A und C. 338 Insbesondere unter dem Stichwort der wettbewerbsrechtlichen Durchsetzungsverbote hinsichtlich Forderungen aus der Eintragung in ein Branchenverzeichnis sowie bezüglich der wettbewerbsrechtlichen Relevanz unterlassener oder fehlerhafter Belehrungen über ein bestehendes Widerrufsrecht (damals nach dem Abzahlungsgesetz, die Problematik stellt sich in leicht abgewandelter Form nunmehr für den gesamten Bereich der verbraucherschützenden Widerrufsrechte und der zugehörigen Informationspflichten nach dem BGB), ist die Frage, inwieweit das Recht des unlauteren Wettbewerbs auf vertragliche Beziehungen nach Vertragsschluß einwirken kann, diskutiert worden. In den in diesem Zusammenhang ebenfalls typischerweise genannten Eichstrich-Entscheidungen ging es demgegenüber nach zutreffender Auffassung von vornherein um die Beurteilung eines unternehmerischen Verhaltens vor Vertragsschluß in der Phase der Werbung. Vgl. näher zur Einordnung dieser im Ergebnis sämtlich zutreffenden Entscheidungen in das hier vorgeschlagene Modell unten 3. Kap. 3. Abschn. B und C und 4. Kap. 5. Abschn. B I. Schließlich ist an dieser Stelle der mißglückte Versuch des Gesetzgebers zu nennen, mit dem Rücktrittsrecht des § 13a UWG zugunsten des durch strafbare Werbung i.S.d. § 4 UWG zu einer vertraglichen Bindung bestimmten Abnehmers eine vertragsrechtliche, individuelle Abhilfe zu schaffen. Zu den Gründen für das Scheitern dieses Versuchs (§ 13a UWG ist praktisch vollkommen bedeutungslos geblieben und konsequenterweise im Rahmen der UWG-Novellierung 2004 wieder gestrichen worden), die sich gleichermaßen in dem hier vorgeschlagenen Modell aus ordnungspolitischer Sicht erklären lassen, vgl. auch unten 4. Kap. 3. Abschn. C II 4. 339 Vgl. oben C III 3.
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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Im folgenden sollen einige zu vermutende Grundzüge des rechtsfolgenbezogen funktional-komplementären Zusammenwirkens von Vertrags- und Wettbewerbsrecht umrissen werden, bevor abschließend eine Verallgemeinerung und gleichzeitig eine nach der jeweiligen Interessenlage unterscheidende Eingrenzung der Reichweite des normativen Gleichmaßgrundsatzes über den Bereich des Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit hinaus versucht wird, die der weiteren Untersuchung als Grundlage dient (s. unten IV und V).
III. Das rechtsfolgenbezogen funktional-komplementäre Zusammenwirken von Vertrags- und Wettbewerbsrecht in Grundzügen Wettbewerbs- und Vertragsrecht greifen mit ihren spezifischen Tatbeständen und Rechtsfolgen beim Schutz des Vertragsmechanismus vor strukturellen Situationen des Vertragsversagens funktional-komplementär ineinander. Die Komplementarität ist sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zu beobachten, wie es im Rahmen dieser Studie noch präziser herausgearbeitet werden soll. Für den Moment seien jedoch einige grobe Muster des Zusammenwirkens skizzenhaft vorgezeichnet, um diese Vorlage im weiteren Verlauf der Arbeit näher ausfüllen zu können. Bezüglich der in der gesetzgeberischen und richterrechtlichen Praxis nachzuweisenden zeitlichen Komplementarität von wettbewerbs- verbrauchervertragsrechtlichen Reaktionen im Hinblick auf in der Wettbewerbspraxis entstehende Gefährdungssituationen für den Vertragsabschlußmechanismus durch neuartige Marketing- und Vertriebskonzepte wirkt sich die typischerweise unterschiedliche Beweglichkeit des wettbewerbsrechtlichen und des vertragsrechtlichen Systems aus. Das Recht des unlauteren Wettbewerbs war in Deutschland in der Form, die es mit dem UWG von 1909 fand, nach einhelliger Meinung ausdrücklich dazu bestimmt, im Rahmen einer Anpassungsfunktion schnell auf neuartige Wettbewerbsphänomene zu reagieren 340. Hinzu kommt die Entwicklungsfunktion der Generalklauseln, durch die der Gesetzgeber von 1909 gleichermaßen wie auch der Reformgesetzgeber von 2004 (im neuen UWG in einem durch die Beispielstatbestände gewissermaßen eingehegten Rahmen 341) der Rechtsprechung Spielräume für autonome Tatbestandsbildung einräumt und so eine Normbildung durch Präjudizien und sich bildende Fallgruppen ermöglicht342. Der dabei naturgemäß aufbrechende Konflikt zwi340 Ohly, S. 199 ff., 241 ff., 328 ff. mwN. spricht synonym von einer „Anpassungs- oder Flexibilitätsfunktion“. 341 Zutreffend zu den methodischen Rückwirkungen der Beispielstatbestände auf die Auslegungsspielräume im Rahmen der Generalklausel Schünemann, JZ 2005, 271, 279: nicht nur Anwendungsvorrang der Beispielstatbestände im rechtstechnischen Sinne, sondern systematisch ein Verhältnis „materieller Subsidiarität“. 342 Vgl. zuletzt Ohly, S. 253 ff. (insbes. 300 ff.), 324 f.; Reichold, AcP 193 (1993), 204, 226; Beater, AcP 194 (1994), 82, 83 ff. Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662, 678 ff., betont, daß es sich aus methodischer Sicht dennoch bei der richterlichen Normbildung im Anwendungsbereich von Fallgruppen um Auslegung, nicht um Rechtsfortbildung handle. Der diesbezügliche Streit hat letztlich geringe Bedeutung, zumal die Unterscheidung von Gesetzesinterpretation und Rechts-
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1. Kapitel: Grundlagen
schen Rechtssicherheit und Flexibilität war bisher in Deutschland343 (im sicheren Rahmen der Generalklausel) zugunsten einer vergleichsweise hohen Wertschätzung der Flexibilität gelöst; die Fallgruppen der Rechtsprechung bildeten einen (in der Abstraktionshöhe zwischen der ganz allgemeinen Generalklausel und der Rechtsanwendung im Einzelfall recht weit oben angesiedelten) noch hinreichend abstrakten und damit aufnahmebereiten Rahmen und die Entwicklung neuer Fallgruppen erfolgte relativ schnell344; gleichermaßen werden im übrigen fortbildung in der Rechtsprechung selten sauber durchgeführt wird (da ohnedies auch Rechtsfortbildungen durch die Gerichte als zulässig angesehen werden) und sich auch in keiner anderen europäischen Rechtsordnung durchsetzen konnte (vgl. zutreffend Vogenauer, Auslegung, Bd. II, S. 1280 ff.). Ebensowenig kann an dieser Stelle die grundsätzliche Diskussion um die Vereinbarkeit der Rechtsfortbildung im Rahmen von Generalklauseln mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz und dem Bestimmtheitsgrundsatz geführt werden, in deren Rahmen einzelne Autoren für eine mehr einzelfallbezogene, sich auf die an ethischen Maßstäben orientierte Entscheidung atypischer Einzelfälle beschränkende Auslegung von Generalklauseln plädieren (vgl. zuletzt etwa Weber, AcP 192 (1992), 516 ff.). Jedenfalls für den Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs ist eine Normbildungsfunktion der Generalklausel geradezu in die Wiege gelegt und auch allgemein anerkannt (vgl. die Erwiderung auf Weber von Beater, AcP 194 (1994), 82 ff.). Vgl. insbesondere auch BVerfGE 32, 311, 317 – Grabsteinwerbung, wo das Gericht bezüglich des Bestimmtheitsgrundsatzes ausdrücklich ausführt, daß angesichts der „unübersehbaren Vielfalt möglicher Verhaltensweisen im wirtschaftlichen Wettbewerb“ eine andere als eine allgemeine Umschreibung im Rahmen einer Generalklausel gar nicht möglich sei. Dies beeinträchtige zwar die „Berechenbarkeit gerichtlicher Entscheidungen und damit die Rechtssicherheit“, doch werde dieser Nachteil dadurch aufgewogen, daß die Rechtsprechung „den Rechtsgehalt der Generalklausel nach vielen Richtungen breit entfaltet hat“. Zur Frage der Gewaltenteilung weist Beater, aaO., 85 ff. zutreffend darauf hin, daß die Fortbildungs- und Entwicklungsfunktion den Gerichten eine Kompetenz zuweist, die das Parlament gar nicht ausfüllen könnte, da ihm die Möglichkeit zur unmittelbaren zeitnahen Reaktion fehlt. Vgl. zum ganzen auch Ohly, S. 234 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen, sowie zum Konflikt zwischen Rechtssicherheit und Flexibilität und dem diesbezüglichen Zusammenhang von Generalklausel und nachfolgenden Sondergesetzen noch sogleich im folgenden Text. 343 Bemerkenswerterweise hat Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, 1997, für das Recht des unlauteren Wettbewerbs herausgearbeitet, daß gerade im englischen Richterrecht – das man als kontinentaleuropäischer Jurist aus „psychologischen“ Gründen traditionell als von „Richterkönigen“ mit hoher Autonomie geprägt ansieht – die englischen Richter mit äußerster Selbstdisziplin von einer schnellen Entwicklung neuer actions (etwa eines generellen tort of unfair competition) zurückschrecken. Die Richter messen also gerade angesichts der unüberschaubaren Weite der ihnen eingeräumten Kompetenz bei der Fortentwicklung des common law der Rechtssicherheit (und dem Prinzip der Gewaltenteilung mit Blick auf die Prärogative des Gesetzgebers für besonders grundlegende Änderungen) einen vergleichsweise höheren Stellenwert bei, um den Bestand des common law vor allzu feingliedriger Zerfaserung zu schützen. Gerade die mangelnde Flexibilität des common law im Bereich des unlauteren Wettbewerbs – und die resultierende mißliebige Überdehnung der anerkannten Klageformen in diesen Bereich – ist denn auch eines der Argumente, die stets für das effektive britische Selbstregulierungssystem in diesem Bereich angeführt werden, welches ein zeitnaheres und flexibles Eingehen auf neue Entwicklungen ermöglicht. 344 So insbesondere Ohly, S. 324 f. im Vergleich zum englischen Richterrecht, der hierfür das Beispiel der Entwicklung der Fallgruppe der Rufausbeutung bringt. Kritischer sieht Beater, JZ 1997, 916 ff. die Fallgruppen des deutschen Rechts gerade in dieser Hinsicht, da sie aufgrund ihrer historisch vor Entstehung des ausgeprägten Schutzzweckdenkens gelegenen Entstehung keine hinreichende Berücksichtigung der Schutzzwecktrias des Wettbewerbsrechts gestatteten und insoweit die Entwicklung verlangsamten. Hinsichtlich der sehr frühzeitigen Entstehung der wesentlichen Fallgruppen schon in der Rechtsprechung des Reichsgerichts ist Beater, aaO., 917 ff., nur beizupflichten. Soweit er in der Einteilung der Fallgruppen als solcher die Ursache
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künftig auch die Beispielstatbestände des neuen UWG, die ebenso auf einem relativ hohen Abstraktionsgrad ansetzen, schon im Vorfeld der subsidiären 345 Heranziehung der Generalklausel des § 3 UWG im Rahmen der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe erheblichen Raum für Flexibilität in der richterlichen Rechtsanwendung lassen 346. Damit und insbesondere auch durch die Entwicklungsfunktion der subsidiär zur Verfügung stehenden Generalklausel des unlauteren Wettbewerbs ist grundsätzlich im System des Wettbewerbsrechts eine schnellere Reaktion auf neue Entwicklungen im Marketing und insbesondere im Vertriebsbereich möglich, die zu situationsabhängigen Gefährdungen des Vertragsschlußmechanismus führen, als im allgemeinen Zivil- und Vertragsrecht, wenngleich natürlich auch in diesem Bereich die „großen“ Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB ihren Beitrag leisten 347.
Freilich liegt der Nachteil des schnell zugreifenden wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums in der Absolutheit der zur Verfügung stehenden Rechtsfolgen. Eine neu aufkommende Marketing- oder Vertriebsstrategie kann im wesentlichen nur entweder gestattet oder im Rahmen des Unterlassungsanspruchs ganz oder zum Teil verboten werden; eine spezifische Anpassung des Vertragsmechanismus an die Bedingungen der neuen Geschäftsform kann demgegenüber nur in sehr engen Grenzen (insbesondere über situationsspezifische Informationspflichten, z.B. § 4 Nr. 4 und 5 UWG, oder über das allgemeine Transparenzgebot, wie es sich in § 5 II 2 UWG verankern ließe und wie es letztlich in begründeten Ausnahmefällen zu wettbewerbsrechtlichen Aufklärungspflichten führt348) stattfinden. „Mildefür übertriebenes Konkurrentenschutzdenken in der Rechtsprechung sieht, erscheint dies demgegenüber nicht uneingeschränkt überzeugend; auch die hieran geknüpfte und später umgesetzte Forderung nach einer Neueinteilung anhand der Schutzzwecke strukturiert ein gewachsenes System mutwillig um und leistet so der Rechtssicherheit Bärendienste, ohne das eigentliche Ziel einer hinreichenden Berücksichtigung des Verbraucherschutzgedankens erreichen zu können. Denn es ist wohl weniger die etablierte Einteilung der einzelnen Fallgruppen als vielmehr das Vorhandensein spezifischer Mängel der Fallvergleichsmethodik deutscher Gerichte (d.h. insbesondere die Neigung, frühere Entscheidungen nur als Fundstelle für sehr allgemein gehaltene Rechtssätze heranzuziehen, ohne sich Klarheit über die genaue ratio decidendi zu verschaffen), die dazu führen, daß – in der Tat frühzeitig formulierte – sehr allgemeine Grundsätze „weit weniger einem allmählichen Reife- und Prüfungsprozeß unterliegen, als angesichts der Dynamik des Wettbewerbslebens erwartet werden könnte“ (Ohly, S. 296, 304). So ist es wohl eher eine ganz spezifische Störung der Anpassungsfunktion, die zur vergleichsweise konservativen Haltung der Rechtsprechung in manchen Bereichen führte, als die Existenz der angestammten Fallgruppen. Mit einer einmal erfolgten Neubewertung der beteiligten Interessen steht die etablierte Systematik demgegenüber einer raschen Trendwende in der Rechtsprechung nicht entgegen. Die nunmehr teils unter dem Einfluß europäischen Rechts zügig sich vollziehende Korrektur belegt eindrucksvoll, daß es nicht die angestammten Fallgruppen sind, die hier die Weiterentwicklung behinderten. Nachdem nunmehr das neue UWG in § 1 die Schutzzwecke ausdrücklich im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung festlegt und damit auch zusätzlich betont (vgl. auf die Begründung, S. 22, 24, 29 f., wo die Angebotsfreiheit der Wettbewerber und die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher als Leitmaßstab hervorgehoben wird), mag sich diese Entwicklung sogar noch zusätzlich beschleunigen. Vgl. näher auch Ohly, GRUR 2004, 889 ff. 345 S. o. Fn. 341. 346 S. an dieser Stelle nur Ohly, GRUR 2004, 889, 896. 347 S. insoweit noch unten 4. Kap. 4. Abschn. B und insbesondere u. 4.Kap. 4.Abschn. bei Fn. 413. 348 So insbesondere der Zuordnungsvorschlag bei Köhler, GRUR 2003, 729, 733 f.; zustimmend Ohly, GRUR 2004, 889, 898. Vgl. näher auch noch unten 4. Kap. 4. Abschn. C III 1 b (1).
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stes“ Mittel war damit im Regelfall bisher die gänzliche oder teilweise Unterbindung der Entwicklung neu entworfener Geschäftsmodelle, entsprechende Überreaktionen des Wettbewerbsrechts waren beinahe vorprogrammiert; häufig würden jedoch konkrete Eingriffe in den Vertragsmechanismus in der etablierten Sonderbeziehung weit besser der Situation abhelfen, soweit es um die Gefährdung der autonomen Entscheidungsmöglichkeit des Vertragspartners geht. Das diesbezügliche „Manko“ des Wettbewerbsrechts wird besonders sichtbar, wenn die zur Verfügung stehende Rechtsfolge und Aktivlegitimation schlicht ein ungeeignetes Mittel ist, um bestimmten Mißständen vorzubeugen. In den (seltenen) Fällen, in denen die wettbewerbsrechtliche Sanktion – etwa wegen mangelnder Verfolgbarkeit im Vorfeld – gänzlich ineffektiv ist und auch die Instrumente des Vertragsrechts keine spezifische und faktisch durchsetzbare Lösung bereithalten, hat diese Eigenheit des Wettbewerbsrechts prompt einen derartigen Druck auf die Rechtsprechung zur Entwicklung angemessener Lösungen entwickelt, daß auf dem „Umweg“ über den Unterlassungsanspruch behutsam – etwa durch Auferlegung einer Pflicht zur Information vor Vertragsdurchsetzung – auf lauterkeitsrechtlichem Wege in einmal geschlossene Vertragsbeziehungen eingegriffen wurde349. Grundsätzlich stehen derartige Mittel zum Eingriff in die etablierte vertragliche Sonderbeziehung aber im Wettbewerbsrecht nicht zur Verfügung, soweit es an einer marktbezogenen Außenwirkung der Vertragsabwicklung fehlt.
Für das deutsche Recht hat dies mit Blick auf das Aufkommen neuer Marketingund insbesondere Vertriebsformen im geschäftlichen Massenverkehr zu einer dreigestuften historischen Entwicklung geführt, die von der funktionalen Äquivalenz zwischen Wettbewerbsrecht und Verbraucherschutzrecht mit Blick auf Störungen des Vertragsschlußmechanismus gekennzeichnet ist. Neue Vertriebsformen wurden auf der ersten Stufe typischerweise vom wettbewerbsrechtlichen System „aufgefangen“ und im Richterrecht kritisch durchleuchtet. Mindestens ist ihre Zulässigkeit stets umstritten, gegebenenfalls stellt sich ein besonderer Schutzbedarf der privaten Endverbraucher im Fallrecht heraus350. Soweit sich eine rechtlich zu korrigierende Gefährdung des Vertragsmechanismus für den – deutschen oder europäischen – Gesetzgeber politisch hinreichend klar herauskristallisiert hat, werden dann auf einer zweiten (legislativen) Stufe die Probleme spezifischer Vertriebsformen durch Sondergesetze gelöst, die die Gefährdung typischerweise mit Mitteln des allgemeinen Zivil- und Vertragsrechts für die spezifisch identifizierte strukturelle Problemsituation generell-typisierend beheben, dabei jedoch – wegen der Problemorientierung der Gesetzgebung wenig überraschend – fast stets auch allgemeine Verkehrssicherungspflichten anordnen, die sich nicht länger allein auf den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit richten, son349 S. noch unten 3. Kap. 3. Abschn. B, C und 4. Kap. 5. Abschn. B zum hier entwickelten Modell eines durchsetzungsorientiert subsidiären Eingreifens des Lauterkeitsrechts in etablierte Vertragsbeziehungen in Situationen, die durch strukturelle Durchsetzungslücken gekennzeichnet sind. 350 S. etwa für umfassende Nachweise zu den jahrzehntelangen und anhaltenden Diskussionen um die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit des Haustürvertriebs noch unten 4. Kap. 3. Abschn. A I 1 und II.
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dern auch andere Aspekte einbeziehen und zum Teil nach traditionellem Verständnis eher lauterkeitsrechtlichen Charakter haben (bereits an dieser Stelle erfolgt also die Injektion des Institutionengedankens in das Zivilrecht)351. Häufig hat man dann insoweit Kaufleute unter typisierter Perspektive als nicht oder nicht in gleichem Maße schutzbedürftig angesehen wie Privatverbraucher, was zur Entwicklung der Verbraucherschutzgesetzgebung im Rahmen zahlreicher getrennter Sondergesetze führte. Als diese schließlich die „kritische Masse“ erreicht hatten, sind sie – als letzte Stufe der hier beobachteten dreistufigen Entwicklung – im Rahmen der Schuldrechtsreform in die größere Kodifikation des BGB einbezogen und solcherart visibel in den größeren Zusammenhang des allgemeinen Vertragsrechts eingeordnet worden. Diese Entwicklung auf der zweiten und dritten Stufe ist, was die Rückeinbindung in eines der größeren Systeme anbetrifft, nicht zufällig, sondern entspricht einer generellen Beobachtung, derzufolge der Gesetzgeber auf neuartige Phänomene typischerweise zuerst durch eine Einzelgesetzgebung reagiert, bevor diese gelösten Einzelfragen gewissermaßen als fertige Bausteine wieder in den größeren Gesamtzusammenhang der allgemeinen Kodifikationen eingepaßt werden 352. Sie wird auch nicht folgenlos bleiben, wie oben mit Blick auf die Prinzipienebene des deutschen Vertragsrechts näher dargestellt wurde, da auf diese Weise der Institutionengedanke unmittelbar in den Normen des allgemeinen Zivilrechts sichtbar geworden ist. Was jedoch die systematische Zuordnung im Vertragsrecht anbetrifft, war die Entwicklung angesichts des Schwergewichts der in Rede stehenden Gesetze im Verbrauchervertragsrecht zwar folgerichtig, aber prinzipiell durchaus nicht zwingend; einige Elemente der in Rede stehenden Sondergesetze hätten ebensogut in das Lauterkeitsrecht eingepaßt werden können, beide Wege der Kompletteinbeziehung hätten also zu „Fremdkörpern“ in den traditionellen Systemen geführt.
Prägend war und ist jedenfalls für das deutsche Recht mit Blick auf das Aufkommen neuer Vertriebsformen demnach die Kombination aus allgemeinem Auffanginstrument in Form der Generalklausel des UWG als weitreichendem Seismographen strukturierbarer Situationen des Vertrags- und daraus folgenden Marktversagens (aus deren Fallrecht dann – in anderem Zusammenhang – Sonderschutzrechte sogar regelrecht herausgewachsen sind, ohne daß diese Ent351 An dieser Stelle zeigt sich am eindrucksvollsten die funktionale Äquivalenz und Komplementarität allgemeiner Verkehrssicherungspflichten und individueller vertraglicher Nebenpflichten mit Blick auf die Behandlung konkreter, den Vertragsabschlußmechanismus gefährdender Situationen. Insbesondere im europäischen Sekundärrecht hat sich insoweit mittlerweile eine funktional einheitliche Betrachtung von lauterkeits- und vertragsrechtlichen Regelungen unter dem einheitsstiftenden Zweck des Verbraucherschutzes durchgesetzt, die die funktionale Äquivalenz und Komplementarität der zugehörigen rechtlichen Pflichten unterstreicht, vgl. diesbezüglich eingehend unten 2. Kap. 3. Abschn. B III. 352 Vgl. allgemein Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, S. 214 f.; mit Blick auf das Verbraucherschutzrecht Roth, JZ 2001, 475, 484. Auch die in letzter Zeit verstärkt hörbar werdenden Rufe nach einer Wiedereinbeziehung bestimmter Teile des HGB in das BGB fügen sich in das Bild das Peter Noll (aaO.) scharfsinnig und frühzeitig gezeichnet hat, vgl. mit Blick auf das Handelsrecht etwa K. Schmidt, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 143 ff.; unter Einbeziehung auch noch des Verbraucherrechts zuletzt Drexl, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
wicklung auf den Verbraucherschutzbereich begrenzt wäre)353 und gegebenenfalls nachfolgender Sondergesetzgebung zum Schutz der Verbraucher (hauptsächlich mit den Instrumenten des Vertrags- und allgemeinen Zivilrechts). Entscheidend ist insoweit die allgemeine und einheitliche Anwendbarkeit des UWG auf den gesamten Geschäftsverkehr, die es idealerweise gestattet, einen erhöhten Schutzbedarf bestimmter Gruppen von Verkehrsteilnehmern in bestimmten Situationen flexibel im Rahmen des Fallrechts auszuloten und herauszukristallisieren. Häufig waren es dann in der Vergangenheit die privaten Endverbraucher, denen als Gruppe ein besonderer Schutz zugestanden wurde, der jedoch wegen seines insgesamt wettbewerbskonstituierenden Charakters in abgeschwächter oder abdingbarer Form in nicht seltenen Fällen auch sonstigen Verkehrsteilnehmern zugute kam, zumal unter Gleichheitsgesichtspunkten die typisierende Abgrenzung anhand des Verbrauchermerkmals häufig nicht ganz unproblematisch ist354. Hier leistet das Recht des unlauteren Wettbewerbs dann gegebenenfalls weiterhin eine Ergänzungsfunktion im Rahmen seiner sachlichen Komplementarität zum Verbrauchervertragsrecht, auf die nunmehr näher eingegangen werden soll. Ihren sichtbarsten Ausdruck hat die sachliche Komplementarität der Rechtsgebiete im Gedanken effektiver Sanktionierung gefunden, der zu Einbruchtendenzen sowohl vom Vertragsrecht in das lauterkeitsrechtliche Sanktionensystem als auch in umgekehrter Richtung geführt hat. Über das Einfallstor der Fallgruppe des Rechtsbruchs wurde in weiten Bereichen, insbesondere des Verbrauchervertragsrechts, letztlich das besonders effektive lauterkeitsrechtliche Sanktionensystem mit seiner erweiterten Aktivlegitimation und den Verbandsklagemöglichkeiten genutzt, um die Einhaltung institutionsrelevanter vertragsrechtlicher Bestimmungen sicherzustellen355. Die weitere Entwicklung bietet zugleich ein Beispiel zeitlicher Komplementarität, da nach den Anfängen in § 13 AGBG nunmehr auf europäischen Anstoß, zuerst in § 22 AGBG, dann im Unterlassungsklagegesetz, eine weitreichende eigenständige Verbandsklagemöglichkeit für Verbraucherverbände im Falle der Verletzung verbraucherschutzrechtlicher Normen geschaffen wurde. Die Frage, in welchen Fällen eine Kumulierung der vertragsrechtlichen Rechtsfolgen mit dem Sanktionensystem des Lauterkeitsrechts berechtigt ist, bleibt dennoch auch nach jetzigem Stand relevant bezüglich der Problematik, inwieweit auch einzelne Mitbewerber gegen die Nichteinhaltung verbrauchervertragsrechtlicher Vorschriften als Rechtsbruch vorgehen können sollen 356. In umgekehrter Richtung wurde der 353 Etwa auch bei der Entwicklung investitionsschützender verwandter Schutzrechte im Urheberrecht läßt sich bemerkenswerterweise ein ähnlicher Kristallisierungsprozeß von induktiv fallbezogenem Voranschreiten des richterrechtlich entwickelten ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes und der nachfolgenden Entwicklung spezialgesetzlicher (urheberrechtlicher) Schutzinstrumente in einzelnen Bereichen, in denen sich der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz strukturell festigte und solcherart strukturell typisierbare Schutzlücken identifizierte, beobachten, vgl. Leistner, Rechtsschutz des Datenbankherstellers, S. 137 f. (insbesondere in Fn. 635 mwN). 354 S. mit einem Vergleich der dogmatischen Bedeutung des nach neuem Recht einheitlichen Verbraucherbegriffs in Vertrags- und Wettbewerbsrecht unten 4. Kap. 2. Abschn. A. 355 Vgl. statt aller Beater, JZ 1997, 916, 921. 356 Vgl. dazu unten 3. Kap. 3. Abschn. A.
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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Sanktionsgedanke stets bemüht, um einer individualvertragsrechtlichen Sanktionierung wettbewerblichen Fehlverhaltens im Vorfeld des Abschlusses von Verträgen das Wort zu reden. Zum einen geht es dabei darum, inwieweit im Rahmen der vorhandenen vertragsund allgemein zivilrechtlichen Instrumente ein im Vorfeld begangener Wettbewerbsverstoß eine Lösung oder Lockerung der vertraglichen Bindung nach sich ziehen sollte. Zum anderen geht es de lege ferenda um die Neuschaffung eines spezialgesetzlichen individuellen Vertragsauflösungsrechts im Lauterkeitsrecht selbst. Die Diskussion um die Notwendigkeit von individuellen Widerrufsrechten für den Verbraucher wegen voraufgegangenen unlauteren Wettbewerbs gehört in diesen Zusammenhang. Bemerkenswerterweise ist in dieser gesamten Diskussion fast nie in aller Klarheit auf die Reziprozität sämtlicher derartig einseitig sanktionsfixierter Überlegungen eingegangen worden 357. Betrachtet man Lauterkeitsund Vertragsrecht übergreifend, so wird sofort deutlich, daß man nicht aus der Sicht eines der Systeme für die Anwendung der Rechtsfolgen des anderen Systems argumentieren kann, ohne zugleich die Rückwirkung einer derartigen Horizontalisierung auf die Tatbestände des Ausgangssystems zu bedenken. Die Verbandsklagemöglichkeit im Verbraucherschutzrecht wurde eben gerade erst dann geschaffen, als eine hinreichende kritische Masse (auch) institutionsbezogener, allgemeiner Verkehrssicherungspflichten in das Vertragrecht einbezogen worden und damit der Institutionsgedanke verankert worden war. Umgekehrt läßt sich nicht pauschal für eine individualvertragsrechtliche Sanktionierung unlauteren Wettbewerbs plädieren, ohne zu bedenken, welche Rückwirkung eine solche pauschalierende Sanktionierung auf die Tatbestände des Wettbewerbsrechts hätte, die nach der hier vertretenen Auffassung im Regelfall gerade auch in den Situationen akzessorischen Schutz des Vertragsmechanismus leisten, wo die existierenden vertragsrechtlichen Individualrechte typischerweise hierfür nicht genügen. Bestenfalls liefe eine neu geschaffene spezialgesetzliche Individualsanktion des Wettbewerbsrechts also in weiten Bereichen leer; schlimmstenfalls würde sie dem Verkehrssystem Schaden zufügen, wenn sich die Tatbestände des Wettbewerbsrechts entsprechend anpaßten (nämlich zwangsläufig liberalisierten)358, so daß dessen eigenständige wettbewerbssichernde Funktion zusehends unterminiert würde359. Für jede einzelne wettbewerbsrechtliche Pflicht ist also zu fragen, inwieweit eine individualvertragsrechtliche Sanktionierung im Sinne einer Änderung der vorvertraglichen Verantwortungsverteilung tatsächlich ordnungspolitisch effektiv ist. Dabei spricht eine Vermutung dafür, daß dies gerade in denjenigen Situationen der Fall ist, in denen die angestammten Instrumente des Vertragsrechts ohnedies in bestimmten Grenzen eine Lösung oder einseitige Lockerung der vertraglichen Bindung vorsehen; mithin gilt ein systematischer Primat des Vertragsrechts für diesen Bereich, was jedoch keinesfalls ausschließt, innerhalb des vertragsrechtlichen Systems lauterkeitsrechtliche Wertungen an den Stellen zu rezipieren, wo die vertragsrechtlichen Instrumente Freiräume für entsprechende typisierte Konkretisierung lassen und sozusagen im Sinne einer Art „Wasser und Öl“Ansatzes selbst genau die Grenzen eines notwendigen Imports typisierter lauterkeitsrechtlicher Wertungen umreißen. Dabei ergibt sich der Vorrang des Zivilrechts bezüglich der Umgrenzung der „typisierten Inseln“, innerhalb derer ein Vergleich typisierter Wertungen erfolgen kann, letztlich schon aus dem hier entwickelten Grundsatz komplementärer Akzessorietät zwischen Vertrags- und Wettbewerbsrecht bezüglich des Schutzes des Vertragsme357 Mit der frühen Ausnahme von Köhler, GRUR 2003, 265, 266 ff.; im Anschluß daran Lettl, GRUR 2004, 449, 460; ders., Rz. 59. 358 So zutreffend insbesondere Köhler, GRUR 2003, 265, 271. 359 S. zur zweifelhaften Sinnhaftigkeit neuzuschaffender Individualsanktionen de lege ferenda und zu einer Konzeption, die stattdessen auf eine Verbesserung der praktischen Durchsetzbarkeit der existierenden (und in dieser Untersuchung fortentwickelten) allgemein zivilrechtlichen Möglichkeiten setzt, noch unten 4. Kap. 5. Abschn. A und C.
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1. Kapitel: Grundlagen
chanismus. Der solcherart genau begrenzte Einfall entsprechend typisierter Wertungen in das Vertragsrecht kann dann im Ergebnis dennoch zu einer Ausweitung der Individualanspprüche der von unlauterem Wettbewerb betroffenen Kunden führen, welche aber systematisch paßgenau in das zivilrechtliche System vorvertraglicher Schutzinstrumente des BGB eingebaut ist und daher die Systematik und inhärenten Grenzen dieses Systems nicht unterläuft. Auf all dies wird im einzelnen noch einzugehen sein360.
An dieser Stelle genügt die Feststellung, daß die übergreifende Betrachtung des vertragsrechtlichen und des wettbewerbsrechtlichen Systems ein anders geartetes Panorama entfaltet als die einseitige Fixierung auf den Sanktionsgedanken in jeweils einem der Rechtsgebiete. Nach der hier vertretenen Auffassung gibt das Vertragsrecht grundsätzlich die normative Wertung vor, welche Verträge als bindend zu betrachten sind und in welchen begründeten Ausnahmefällen eine Auflösung oder Lockerung der vertraglichen Bindung einer der Parteien wegen vorvertraglichen Fehlverhaltens der anderen Partei angebracht ist. Die hier betrachteten, auf die Marktgegenseite bezogenen Fallgruppen des Wettbewerbsrechts schützen den Vertragsmechanismus zusätzlich komplementär akzessorisch gegen direkte Angriffe im Vorfeld (die per-se verbotenen Verhaltensweisen wie Irreführung) sowie gegen spezifisch gefährdende Situationen, die sich im Vertragsrecht aus ordnungspolitischer Sicht nicht angemessen behandeln lassen oder die schlicht noch nicht im Vertragsrecht behandelt wurden. Daraus ergibt sich auch der spezifische Vorrang des Verbrauchervertragsrechts bezüglich besonderer Vertriebsformen. Ist eine Regelung eines spezifizierbaren Marktverhaltens im Vertragsrecht in vertriebsspezifischen Normen mit eigenständiger Ordnungsfunktion (Systemfunktion) erfolgt, kommt eine ergänzende Anwendung des Wettbewerbsrechts gerade mit Blick auf die Eigenheiten dieser Vertriebsform, aus denen sich eine Gefährdung des Vertragsschlußmechanismus ergibt, nur insoweit in Betracht, wie die vertragsrechtliche Regelung keine entgegenstehende Wertung enthält oder wenn und soweit die Regelung im Vertragsrecht (unter Einbeziehung der ordnungspolitischen Fragestellung effektiver Durchsetzbarkeit der Rechte) systemwidrige Lücken läßt. Ebenso setzt auch eine neuartige spezialgesetzlich-wettbewerbsrechtliche Gewährung individueller Kundenansprüche aufgrund wettbewerblichen Fehlverhaltens im Vorfeld des Vertragsschlusses de lege ferenda den entsprechenden Nachweis einer systemwidrigen Lücke im System des Vertrags- und allgemeinen Zivilrechts voraus361. Das vorstehend skizzierte Zusammenspiel von Vertrags- und Wettbewerbsrecht ist dabei nicht auf den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit beschränkt, sondern läßt sich in ähnlicher Weise auch bezüglich des Schutzes sonstiger Interessen der Kundenseite beobachten. Auch in diesen Bereichen läßt sich der normative Gleichmaßgrundsatz (innerhalb bestimmter Grenzen) demnach 360
S. unten 4. Kap. 4. Abschnitt. So zutreffend Köhler, GRUR 2003, 265 ff.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 34; Weiler, WRP 2003, 423 ff.; Engels/Salomon, WRP 2004, 32, 33; zustimmend Lettl, GRUR 2004, 449, 460; Lettl, Rz. 59. 361
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aufrechterhalten, soweit es tatsächlich zu einer Überschneidung der vertragsrechtlichen und lauterkeitsrechtlichen Wertungen kommt. Dies ist in der Folge als Grundlage des konzeptionellen Aufbaus der weiteren Untersuchung noch zusammenfassend zu skizzieren, indem ein Überblick gegeben wird, ob und inwieweit der normative Gleichmaßgrundsatz bei differenzierter Betrachtung mit Blick auf die einzelnen durch unlauteren Wettbewerb potentiell betroffenen (und im VierEbenen-Modell strukturierten) Kundeninteressen und sonstigen Interessenpositionen Gültigkeit beanspruchen kann.
IV. Interessenorientierte Verallgemeinerung und Eingrenzung des normativen Gleichmaßgrundsatzes im Vier-Ebenen-Modell 1. Vertikalverhältnis: Interessen der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer (Kunden) a. Schutz des fehlerfreien Vertragsmechanismus (durch Schutz der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses) Mit Blick auf die Interessen der Verbraucher (und sonstigen Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite) kommt es zu einer unmittelbaren Überlagerung wettbewerbsund vertragsrechtlicher Instrumente insbesondere in den Bereichen des Lauterkeitsrechts, die dem Schutz des abschluß- und inhaltsbezogen fehlerfreien Vertrages dienen362. Insoweit ist, im Einklang mit den hier aus der Sicht der neuen institutionellen und der experimentellen Ökonomie angestellten Überlegungen zu den strukturellen Gefährdungssituationen für eine freie Marktentscheidung, in der neueren deutschen Literatur weiter unterteilt worden in den Schutz der (informationellen) Entscheidungsgrundlage und in den Schutz des freien Entscheidungsprozesses (erste und zweite Ebene des hier vorgeschlagenen Vier-Ebenen-Modells)363. Für das Lauterkeitsrecht steht in den diesbezüglichen Tatbeständen (nach dem neuen UWG sind § 4 Nr. 1–5 sowie entsprechende Teilbereiche von § 1 Nr. 11; § 5, § 6 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UWG schwerpunktmäßig einschlägig364) als perspektivischer Ausgangspunkt das Vertikalverhältnis der Wettbewerber zur Marktgegenseite im Mittelpunkt. Dieser perspektivische Ausgangspunkt deckt sich gerade mit 362 A.A. aber für den von ihm untersuchten Teilbereich Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 86 ff. (und wohl auch darüber hinaus, s. etwa S. 89). 363 So zuerst prägnant Beater, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken, 2000, S. 139 ff. und Alexander, S. 32 ff.; im Anschluß daran auch Beater, S. 387 ff. S. ebenso Harte/HenningSchünemann, § 3, Rz. 45. Inhaltlich gleich auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 13 ff. mit etwas abweichender, ganz an der Formulierung des neuen UWG orientierter Terminologie (Schutz der Entscheidungsfreiheit als Oberbegriff und Gewährleistung richtiger und pflichtgemäßer Informationen bzw. Gewährleistung der freien Willensbildung als Entsprechung der von Beater und Alexander vorgeschlagenen Unterkategorien); im Anschluß daran Lettl, GRUR 2004, 449, 452 ff.; ders., Rz. 42. 364 S. statt praktisch aller vorstehend zitierten Literatur die treffenden Übersichten bei Lettl, GRUR 2004, 449, 450 und 452 ff.
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1. Kapitel: Grundlagen
der Perspektive der vertragsrechtlichen Instrumente, soweit sie dem interessenorientierten Schutz des Vertragsmechanismus vor Störungen in der Vertragsanbahnung im weitesten Sinne dienen 365. Hierzu zählen nicht nur die typisierend verbraucherschutzrechtlichen Regelungen im engeren Sinne (insbesondere die situationsbezogenen verbraucherschützenden Widerrufs- und Rückgaberechte und die meisten der Informationspflichten der §§ 312 ff. BGB), sondern vielmehr auch in weitem Umfang Regelungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre (Tatbestand der Willenserklärung und Anfechtbarkeit, Zustandekommen von Verträgen), des allgemeinen Schuldrechts (u.a. vorvertragliche Informationshaftung und andere schadensersatzrechtliche Lösungen im Rahmen der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) und des besonderen Schuldrechts (insbesondere ganz schwerpunktmäßig die neuen Vorschriften über die Sachmängelhaftung im Kaufrecht)366. Für diesen gesamten Bereich gelten nach der hier vertretenen Auffassung die Grundsätze vom normativen Gleichmaß der (aus dem vorbeschriebenen Gesamtsystem zu destillierenden) Wertungen im Lauterkeits- und Vertragsrecht und von der funktionalen Komplementarität beider Rechtsgebiete im Ausgangspunkt uneingeschränkt. Natürlich können sich aus den im Lauterkeitsrecht explizit mit zu berücksichtigenden Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit gleichermaßen wie aus dem für die Regelung des Wettbewerbsverhaltens massenhaft abstrahierten Maßstab des durchschnittlichen Verbrauchers (der sich insbesondere mit individuellen Wertungen des Vertragsrechts, sofern tatsächlich eine Individualisierung eingetreten ist, nicht zwingend überschneidet) im Einzelfall konkrete Abweichungen der Wertungen beider Rechtsgebieten voneinander ergeben. Dies kommt insbesondere in Betracht, soweit Vorschriften des Vertragsrechts ohne eigenständige (d.h. mit lediglich reflexartiger) marktbezogener Ordnungsfunktion die kollektiven Interessen noch nicht explizit berücksichtigen. Doch sind derartige Abweichungen, soweit sich die Regelungsbereiche tatsächlich überschneiden (d.h., überall da, wo auch das Vertragsrecht auf typisierte Maßstäbe zurückgreift), mit Blick auf den Gleichmaßgrundsatz konkret interessenorientiert rechtfertigungsbedürftig367. 365 A.A. Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 86 ff., der demgegenüber die unterschiedlichen Schutzzwecke betont (s. zu diesbezüglichen Zweifeln auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung schon o. Fn. 335). 366 Vgl. soweit für fehlerhafte Verträge die Abwägung des Bestandsinteresses gegen das Auflösungsinteresse betroffen ist, die entsprechende Systematisierung bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 44 ff., der insbesondere zu Recht (aaO., S. 42) darauf hinweist, daß angesichts des vielfach nur technischen Unterschieds zwischen Verhinderung des Vertragsschlusses und späterem Vertragslösungsrecht, der eigentliche Interessenausgleich mit Blick auf die Reichweite der Bindungswirkung von Verträgen schon in der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre ansetzt; für einen vergleichbar umfassenden Ansatz s. zuletzt auch Mankowski, Beseitigungsrechte, 2003. Aus der Sicht des Wechselspiels von Vertrags- und Lauterkeitsrecht finden sich die vertragsrechtlichen Instrumente erstmals (unter dem Blickwinkel der Suche nach einer „Schutzlücke“ im Vertragsrecht, wie er auch nach der hier vertretenen Auffassung als methodischer Ansatzpunkt zu wählen ist) präzise und bündig zusammengestellt bei Köhler, GRUR 2003, 265, 267 ff. 367 Demgegenüber zwar im Ansatz ähnlich wie hier, dann in der Folge aber wohl insgesamt
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
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Für den Bereich des Lauterkeitsrechts im wettbewerblichen Vertikalverhältnis kristallisiert sich das Ergebnis der den Wertungen des Gesamtsystems zugrundeliegenden Interessenabwägungsvorgänge zumal im europäischen und deutschen Verbraucherleitbild368; entsprechenden typisierten Wertungen in den vorbeschriebenen Bereichen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Rechts der Schuldverhältnisse ist die dem Verbraucherleitbild des Lauterkeitsrechts zugrundeliegende Wertentscheidung zu kontrastieren. Im Regelfall geht es insoweit im Lauterkeitsrecht um ein Interessendreieck: dem Vertikalverhältnis der widerläufigen Interessen von Mitbewerbern und Marktgegenseite369 steht auf der Marktgegenseite als weiteres konträres Interessenpaar der Gegensatz zwischen den Interessen derjenigen sonstigen Marktteilnehmer, die von einer bestimmten Absatzmaßnahme profitieren – da sie eines spezifischen Schutzes nicht bedürfen –, und den Interessen der schutzbedürftigen Marktteilnehmer – die schutzlos gestellt eine fehlerhafte Vertragsentscheidung treffen würden – gegenüber. Gerade diesen zweitgenannten Interessengegensatz macht das jeweils verfolgte Verbraucherleitbild luzide, welches sich als Abwägungsergebnis hinsichtlich der Abwägung der Interessen unterschiedlicher Verbrauchergruppen am klarsten auffassen läßt 370. Die Herausarbeitung des Interessendreiecks verdeutlicht auch, warum bestimmte Verhaltensweisen im Wettbewerb per se verboten bleiben, selbst wenn ein dem Verbraucherleitbild entsprechender sonstiger Marktteilnehmer durch sie nicht in seiner Entscheidungsfindung beeinträchtigt wurde371. Es sind dies nämlich typischerweise diejenigen werblichen Maßnahmen oder sonstigen Verhaltensweisen im Vertikalverhältnis, wie etwa objektiv falsche (bzw. bewußt mißverständlich gehaltene) Angaben oder körperliche Gewalt, von denen keinerlei Verbrauchergruppe profitiert. Derartige Maßnahmen haben also nicht einmal potentiell für einzelne Verbraucher oder Verbrauchergruppen einen unmittelbaren Nutzen bei der Entscheidungsfindung oder zumindest einen mittelbaren Nutzen durch Erweiterung des Angebots. Deshalb kommt es in diesen Situationen auf die im Verbraucherleitbild verkörperte Interessenabwägung der einzelnen Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite von vornherein nicht an. Ein vergleichbares Interessendreieck läßt sich aber auch für alle diejenigen Bereiche der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts zeichnen, in denen einzelne Gruppen von Verkehrsteilnehmern letztlich typisiert geschützt werden.
Neben dem Verbraucherschutzrecht im engeren Sinne (d.h. hier insbesondere dem gesetzlichen Pflichtenrahmen der §§ 312 ff. BGB für die besonderen Vertriebsformen) gehören hierher mindestens die gesetzlichen Typisierungen, wie sie in vertragsrechtlichen Normen mit eigenständiger marktbezogener Ordnungsfunktion (wie sie etwa § 434 Abs. 1 S. 3 BGB aufweist) vorgesehen sind. Daneben lassen sich auch in den „klassischen“, rein individuell orientierten Instrumenten der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldvertragsrechts vielzählige weitere Einfür abweichende Schutzzwecke und daher gegen eine Vergleichbarkeit der Wertungen Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 86 ff. 368 Vgl. noch unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 1 b und 4. Kap. 2. Abschn. B. 369 S. zu diesem Aspekt des Verbraucherleitbilds zunächst statt aller die konzisen Darstellungen bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 18 ff.; Lettl, Rz. 44 ff. Vgl. im übrigen auch unten aaO. 370 S. Drexl, Selbstbestimmung, S. 430 ff.; ähnlich Beater, S. 362 ff., insbes. Rz. 25 ff. 371 S. dazu statt vieler aktuell Lettl, GRUR 2004, 449, 456 f.; Hefermehl/Köhler/BornkammKöhler, § 1 UWG, Rz. 28.
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1. Kapitel: Grundlagen
fallstore für typisierende Wertungen identifizieren. In diesen Bereichen kann der Vergleich zwischen Lauterkeits- und Vertragsrecht ansetzen und ein wechselseitiger Rückgriff auf die Wertungen des jeweils anderen Gebiets im Rahmen einer Art normativer Wechselwirkung erfolgen, sofern und genau insoweit wie das Vertragsrecht selbst die Grenzen für den Import typisierter Wertungen nach Art eines „Wasser und Öl“-Ansatzes festlegt. Im übrigen hat Alexanders Einteilung in den Schutz der Entscheidungsgrundlage und den Schutz des Entscheidungsprozesses für den Bereich des Schutzes des fehlerfreien Vertragsabschlusses im Zusammenspiel von Vertrags- und Lauterkeitsrecht insbesondere die Klarstellung gebracht, daß in diesen beiden Gefährdungslagen die jeweiligen strukturellen Interessen der Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite (Kundenseite) nicht vollkommen deckungsgleich sind. Insbesondere ist nur mit Blick auf Störungen des Entscheidungsprozesses typischerweise ein Interesse der betroffenen Verbraucher auf der Marktgegenseite nach einer Verlängerung der Überlegungsfrist gegeben, während bei der Störung der Entscheidungsgrundlage typischerweise die Verlängerung der Überlegungsfrist als solche nicht weiterhilft. Vielmehr besteht dann gegebenenfalls ein situationsspezifisch rechtfertigungsbedürftiges Interesse an zusätzlicher, insbesondere auch geeignet aufbereiteter Information (im Vorfeld der Vertragsentscheidung) und an vollwertigen Vertragsauflösungsrechten (nach einer fehlinformiert und zurechenbar gerade aufgrund entsprechender Versäumnisse des berechtigten Vertragspartners getroffenen Vertragsentscheidung) wegen der notwendigen vollkommenen Nachholung der zuvor nicht möglichen informierten Entscheidung372. Zudem kann im Bereich gestörter informationeller Entscheidungsgrundlage (soweit hier etwa besonders weitreichende konkrete Versprechen gemacht wurden) das (Erfüllungs)Interesse des Abnehmers sich gerade darauf richten, den Vertrag im ganzen und einschließlich der typisierenden Einbeziehung der werblichen Versprechen aufrechtzuerhalten (hier liegt die Domäne des neuen Mangelbegriffs in der kaufrechtlichen Sachmängelhaftung)373, deren innerer Zusammenhang mit dem Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage im lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz auch aus dieser (interessenorientierten) Perspektive überdeutlich wird. Man wird bezüglich des Schutzes des Entscheidungsprozesses (und der insoweit in spezifischen Gefährdungssituationen angebrachten Verlängerung der Überlegungsfrist) im folgenden noch weiter differenzieren müssen: eine Verlängerung der Überlegungsfrist hilft dem betroffenen Verbraucher in der Regel nur im Falle einer situationsabhängigen Störung des Entscheidungsprozesses. In Fällen lediglich allgemeiner Überforderung (ohne einen situationsbezogenen Aspekt der Überrumpelung o.ä. Gefährdungslagen) und der Ausnutzung systematischer Anomalien menschlichen Entscheidungsverhaltens ist die Verlängerung der Überlegungsfrist durch Einräumung eines Widerrufsrechts demgegenüber von vornherein ein wenig geeignetes Mittel zur Sicherung des Vertragsschlußmechanismus374. Hier können 372
S. Alexander, S. 35 ff.; vgl. im übrigen auch schon Drexl, Selbstbestimmung, S. 457. S. zum ganzen Alexander, aaO.; mit einer entsprechenden Differenzierung der Interessen der Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite auch Beater, § 28, Rz. 43 ff.; Köhler, GRUR 2003, 265, 267 f.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 13 ff. mwN. Vgl. im übrigen die umfassenden Nachweise unten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) und 4. Kap. 3. Abschn. C II. 374 Vgl. auch schon oben 1. Abschn. D VI. Ein Beispiel für systemwidrigen Schutz vor allgemeiner Überforderung durch ein Widerrufsrecht, welches in diesem Zusammenhang dem Verbraucher typischerweise zudem gar nicht helfen könne, da sich die besonderen geschäftsspezifischen Gefahren im typischen Fall erst weit nach Ablauf der Widerrufsfrist manifestierten, glaubt Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 178 ff. (zu dem hier angesprochenen „Unterschutz“ durch die ordnungspolitisch nicht passende Maßnahme, s. insbesondere S. 184 ff.), ge373
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vielmehr geschäftsspezifisch die Standardisierung vorvertraglicher Aufklärungspflichten bzw. spezifische wettbewerbsrechtliche Informationspflichten oder Totalverbote notwendig sein. Sie wären dann, aber nur soweit im Verlauf der Studie Lücken im Gesamtsystem aufscheinen, de lege lata im Rahmen der Generalklauseln zu entwickeln bzw. de lege ferenda vorzusehen, soweit sie sich auch mit Blick auf die damit zwangsläufig verbundene Einschränkung der Privatautonomie als verhältnismäßig im engeren Sinne darstellen; in weiten Bereichen (insbesondere soweit es um Anomalien der individuellen Präferenzordnung geht375) dürften entsprechende „fehlerhafte“ Vertragsentscheidungen aber auch schlichtweg hinzunehmen sein, da andernfalls durch zu weitreichende Lösungsmöglichkeiten aus institutioneller Sicht wiederum die unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Privatautonomie und des komplementär-akzessorisch darauf aufbauenden freien Wettbewerbssystems droht 376. Als Faustregel aus der weiteren Klassifizierung der Störungen des Entscheidungsprozesses anhand der modernen neuen institutionellen und experimentellen Ökonomie kann in dieser Untersuchung danach abgegrenzt werden, ob eine bestimmte Werbe- und Vertriebspraxis lediglich vom Maßstab objektiver Vernunft abweichende, typische Präferenzen der Verbraucher nutzt, die dann aber in der Folge in der Vertragsentscheidung sich (so unvernünftig sie auch sein mögen) doch fehlerfrei widerspiegeln (dann ist in der Regel ein Eingriff in die formelle Privatautonomie einschließlich der Vertragsanbahnung im weitesten Sinne nicht gerechtfertigt) oder ob eine bestimmte Werbe- oder Vertriebspraxis den Entscheidungsprozeß selbst bedroht, mithin dazu führt, daß die Präferenzordnung der betroffenen Verbraucher nicht fehlerfrei in ihrer Vertragsentscheidung abgebildet ist (dann kommen korrigierende Eingriffe durch das Wettbewerbs- oder Vertragsrecht in der Regel zumindest in Betracht). funden zu haben. Dies berücksichtigt jedoch nicht hinreichend, daß im Falle des Verbraucherkredits auch eine ganz bestimmte situative Anomalie menschlichen Entscheidungsverhaltens genutzt und dadurch der Entscheidungsprozeß des Verbrauchers verzerrt wird. Denn die überwältigende Wirkung von Verbraucherkreditangeboten beruht gerade auf der durch die von der Prospekttheorie (als ein Teil der Framing-Anomalie) nachgewiesenen Tatsache (vgl. näher oben 1. Abschn. D V 4), daß durch den Verbraucher der gegenwärtige Gewinn (die Verfügungsmöglichkeit über die Ware oder Dienstleistung) gegenüber dem später abzubezahlenden Kredit in der Verkaufssituation systematisch überbewertet wird. Der Verbraucher kann – untechnisch ausgedrückt – der Verlockung der sofortigen Verfügbarkeit der Ware nicht widerstehen, wogegen nochmaliges Nachdenken (Rücksprache mit bedachteren Familienangehörigen etc.) im Rahmen einer – ja auch eine gewisse Warnfunktion entfaltenden – Frist durchaus helfen kann. Ähnlich Drexl, Selbstbestimmung, S. 466 ff., der die Einräumung eines Widerrufsrechts im Verbraucherkreditbereich durch die schwer überschaubaren Vor- und Nachteile eines derartigen Vertrags für gerechtfertigt ansieht, und Canaris, AcP 200 (2000), 273, 349, der die hier in Bezug genommene Anomalie sozusagen untechnisch im Rahmen des common sense begründet. Entsprechend sieht nun auch der derzeit vorliegende (mehrfach) Geänderte Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbraucherkreditverträge und zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 7.10.2005, Dok. KOM (2005) 483 endg., in seinem Art. 13 ein vierzehntägiges Widerrufsrecht vor. In den anderen Fällen vertragsspezifischer Widerrufsrechte (insbesondere beim Time-Sharing-Vertrag) kommt mit Blick auf die einschlägige Störung des Entscheidungsprozesses ohnedies typischerweise ein situationsspezifischer Aspekt der Überrumpelung zumindest hinzu; insofern trifft die ordnungspolitische Kritik diese geschäftsspezifischen Widerrufsrechte nicht, da hier der Entscheidungsprozeß zumindest aus typisierender Sicht häufig mit betroffen sein kann. 375 S. sogleich unten im Text. 376 Zutreffend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 41 mwN.
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1. Kapitel: Grundlagen
Neben Fällen kraßer Äquivalenzstörung findet sich eine praktisch wesentliche Ausnahme zu vorstehend formulierter Faustregel insbesondere im Bereich des Minderjährigenschutzes. Hier geht es, zumindest was die typisierten Regelungen der Geschäftsfähigkeit im BGB anbetrifft (§§ 104 ff. BGB), letztlich auch um echten typisierenden Paternalismus insofern, als gerade die Präferenzentscheidung des Minderjährigen aus Erziehungsgründen durch die Rechtsordnung nicht voll anerkannt, sondern einer erzieherischen Steuerung und Kontrolle durch die elterliche Entscheidung unterworfen wird, wie sich dies besonders deutlich an den entsprechenden Genehmigungserfordernissen im Vertragsrecht und der schwebenden Unwirksamkeit ungenehmigter Rechtsgeschäfte zeigt; diese Wertung ist im Vorfeldschutz des Lauterkeitsrechts (s. § 4 Nr. 2 UWG) zu akzeptieren und gegebenenfalls ergänzend zu flankieren 377. Insofern läßt sich die dritte Ebene (des Paternalismus) im Vier-Ebenen-Modell und auf Grundlage des hier vertretenen Gleichmaßgrundsatzes durchaus modellieren; wegen der besonderen Interessenlage in diesem Bereich wird diese Sonderverzweigung dennoch in der vorliegenden Studie nicht eigenständig weiterverfolgt 378, der Topos des Paternalismus dient insofern in der Folge in mehr untergeordneter, „negativer“ Form der Identifikation von Strukturen überschießenden wettbewerbsrechtlichen oder vertragsrechtlichen Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit oder sonstiger Interessen, die im Ergebnis auf einen nicht durch Grundwertungen (wie eben etwa im Bereich des Minderjährigenschutzes) gerechtfertigten und daher im Ergebnis unzulässig paternalistischen Überschutz hinauslaufen, dadurch Wettbewerbsbeschränkungen begründen und die deshalb – soweit möglich – zu korrigieren sind.
b. Schutz sonstiger Interessen der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer (insbesondere vor Externalitäten bestimmter Werbe- und Vertriebsformen) Neben dem Interesse an der Absicherung fehlerfreier Vertragsentscheidungen steht im Lauterkeitsrecht als weiteres strukturell abgrenzbares Interessenbündel der Marktgegenseite der Schutz sonstiger Rechte (das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Eigentum, Besitz) und Rechtsgüter (Gesundheit, Freiheit, Vermögen) im Mittelpunkt insbesondere des Belästigungsschutzes nach § 7 UWG379. Aus der Sicht des hier betrachteten Gesamtsystems Lauterkeits- und Vertragsrecht unter der Perspektive der Anbahnung individueller Verträge geht es in derartigen Situationen um einen Schutz vor Externalitäten. Die durch belästigende Praktiken angebahnten und letztlich abgeschlossenen Vertragsverhältnisse zwischen den die belästigenden Praktiken einsetzenden Mitbewerbern und denjenigen Marktteilnehmern, die sich durch diese Praktiken nicht belästigt fühlten, sondern vielmehr gegebenenfalls sogar auf dieser Grundlage Verträge geschlossen haben, entfalten nämlich Auswirkungen auf Rechte oder Rechtsgüter dritter Marktbeteiligter. Wiederum ist demnach eine Abwägungsentscheidung zu treffen, die auch die Abwägung unterschiedlicher Verbraucherinteressen (bzw. der Interessen sonstiger Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite) gegeneinander einbezieht. Hierfür ist 377
S. eingehend zum ganzen o. 1. Kap. 1. Abschn. bei Fn. 533. S. für eine grundlegende Untersuchung Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996. 379 S. statt aller die Einteilung bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 17. 378
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vorgeschlagen worden, das Verbraucherleitbild entsprechend um die Figur des durchschnittlich empfindsamen Verbrauchers bzw. Unternehmers zu ergänzen, um auf dieser Grundlage die Zumutbarkeitsschwelle beim Belästigungsschutz zu ermitteln380; das Kriterium verdient als heuristisches Instrument für die notwendige Interessenabwägung Zustimmung. Man wird ergänzend bedenken müssen – wie es die Rechtsprechung und Literatur, ohne den hier zumindest in bestimmten Bereichen zugrundeliegenden differenzierten ökonomischen Zusammenhang aufzudecken, auch unter dem einheitlichen Schlagwort der Nachahmungsgefahr regelmäßig tut 381 –, daß der Markt derartige Fehlentwicklungen insbesondere dann nicht allein zu heilen vermag, wenn die bloße Sanktionierung durch die Verweigerungshaltung derjenigen Abnehmer, die von entsprechend belästigenden Werbemaßnahmen nicht profitieren – da sie letztlich gerade keinen Vertragsschluß wünschten und in der Folge auch nicht herbeigeführt haben –, zur Abschreckung derartiger Praktiken nicht genügt382. Dies dürfte 380
Lettl, GRUR 2004, 449, 453; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1 UWG, Rz. 32, § 7, Rz. 13. 381 Vgl. schon Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 7 Abs. 2 UWG, S. 21. Perfekte Beispiele aus der Rechtsprechung für Nachahmungsgefahr gerade aufgrund vergleichsweise geringer Grenzkosten bilden BGH GRUR 1970, 523, 524 – Telefonwerbung I; BGH GRUR 1973, 210, 212 – Telex-Werbung; BGH GRUR 1988, 614 – BTX-Werbung; zuletzt typisch BGH NJW 2004, 1655 = GRUR 2004, 517 – E-Mail-Werbung. S. aus der Literatur statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 2 mwN; sowie gerade mit Blick auf das Problem verschwindender Grenzkosten bei der E-Mail-Werbung (und den Zusammenhang zu oben zitierter Rechtsprechung herausarbeitend) Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 26. S. eingehend zum ganzen und mit konkreten Folgerungen aus dem Zusammenspiel vertriebsspezifischer Verbraucherschutzregelungen (zum Schutz der Entscheidungsfreiheit) und flankierendem wettbewerbsrechtlichen Belästigungsschutz in diesen Bereichen unten 4. Kap. 3. Abschn. A. 382 Ein Beispiel, wo die bisherige rechtliche Wertung gerade mit Blick auf die Nachahmungsgefahr unter dem ökonomischen Aspekt der Grenzkostenanalyse überdacht werden könnte, stellt das gezielte Ansprechen in der Öffentlichkeit dar, das von der bisher herrschenden Meinung gerade aufgrund der hier vermuteten Nachahmungseffekte als unlauter angesehen wird, s. BGH GRUR 2004, 699, 700 – Ansprechen in der Öffentlichkeit. Angesichts der Tatsache, daß typischerweise belästigte Passanten – zumindest soweit eine Möglichkeit zum einfachen ignorierenden Ausweichen bestehen bleibt – keine Verträge abschließen dürften, und angesichts der Tatsache, daß eine derartige Werbe- und Vertriebsmethode bei massenhafter Anwendung proportional aufwendiger wird, sind unzumutbare Zustände durch Nachahmungseffekte unter den vorbeschriebenen Umständen nach der hier vertretenen Auffassung gerade nicht zu erwarten, zumal zu bedenken ist, daß Verbraucher derartige Werbe- und Vertriebsformen im heute bestehenden Umfang bereits beim Gang in die Öffentlichkeit erwarten. Differenzierend deshalb auch OLG Frankfurt GRUR 2002, 641 – Direktmarketing bei Telefondienstleistungen, insbesondere mit Blick auf eine künftig mögliche geänderte Beurteilung, sofern sich die Resistenz und Erwartungshaltung der Verbraucher gegen derartige Werbemethoden hinreichend entwickelt hat (zustimmend Schwab, GRUR 2002, 579 ff. unter Hinweis auch auf die gegenläufigen Entscheidungen des OLG Köln, CR 2001, 313 und GRUR 2002, 641 – Direktmarketing bei Telefondienstleistungen [letzteres Gegenstand der Revision zum BGH, die Gegenstand o.g. Entscheidung war]). Demgegenüber finden sich in BGH NJW 2005, 1050, 1052 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II, über die bloße Behauptung der „nahe liegende(n) Gefahr, daß zahlreiche Anbieter sie (vergleichbare Methoden) anwenden würden, falls sie als wettbewerbsrechtlich zulässig beurteilt würde(n)“, bedauerlicherweise gerade keine näheren Überlegungen zu den tatsächlichen, konkreten Marktvoraussetzungen für eine Nachahmungsgefahr. Vgl. eingehend zum ganzen Hefermehl/
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1. Kapitel: Grundlagen
cum grano salis umso eher der Fall sein, je geringer die Grenzkosten einer derartigen Praxis sind383. Denn können bei geringen Grenzkosten besonders viele Verbraucher mit einer belästigenden Maßnahme angesprochen werden, so droht sich eine derartige Werbe- oder Vertriebsmaßnahme auch dann zu lohnen, wenn allenfalls einzelne Verbraucher letztlich kausal durch diese Maßnahme zum Vertragsschluß bewegt werden. Steigen demgegenüber die Kosten für die Ansprache einer Vielzahl von Verbrauchern mehr oder weniger linear, dürfte im Regelfall, soweit nicht besondere verfassungsmäßige Individualrechte, wie etwa der Schutz der Privatsphäre durch Art. 13 GG, das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 GG, der Schutz der Gesundheit gem. Art. 2 Abs. 2 GG oder das Eigentum (durch Ressourcenverbrauch beim Empfänger), in unmittelbarer Weise betroffen sind, die Sanktionierung durch das Marktverhalten genügen; denn ein Werbe- oder Vertriebsverfahren, das die Mehrzahl der Verbraucher als lediglich störend und belästigend empfindet, dürfte dann nicht zum wirtschaftlichen Erfolg im Wettbewerb führen (es sei denn, dadurch wird zugleich unangemessen unsachlich auf die Entscheidungsfreiheit der Betroffenen eingewirkt, in welchem Falle aber eine derartige Praxis ohnedies vorrangig im Rahmen des Schutzes der Entscheidungsfreiheit nach § 4 Nr. 1 UWG zu behandeln wäre)384.
Im Gesamtsystem aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht sind die Überschneidungen der jeweiligen Wertungen mit Blick auf den Schutz vor Externalitäten weitaus weniger weitreichend als auf den ersten beiden Ebenen des Vier-Ebenen-Modells, die den Schutz der selbstbestimmten rechtsgeschäftlichen Entscheidung betreffen. Denn mit Blick auf den Schutz sonstiger Interessen teilen das Wettbewerbs- und Vertragsrecht nicht den einheitlichen Fluchtpunkt des Schutzes des materialisiert fehlerfrei zustandegekommenen Vertrags; vielmehr entsprechen dem wettbewerbsrechtlichen Belästigunsgschutz insoweit zivilrechtlich eher die Instrumente des Deliktsrechts zum Schutz absoluter Rechte der Kunden, die nicht schwerpunktmäßig im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen. Im Falle der im BGB neu inkorporierten, vertriebsspezifischen Verbraucherschutznormen, die die Etablierung eines verbraucherschützenden rechtlichen Rahmens für ganze Vertriebsformen erstreben und die insofern eine eigenständige marktbezogene Ordnungsfunktion aufweisen, mag – trotz des auch insoweit schwerpunktmäßig auf den Schutz des Vertragsmechanismus und der in diesem Zusammenhang involvierten Interessen gerichteten Regelungsimpetus‘ – dennoch im Einzelfall eine Wertung auch mit Blick auf den Schutz sonstiger Interessen (insbesondere das Ausmaß angemessenen Belästigungsschutzes) akzessorisch mit vorhanden und durch Auslegung in ihrer Reichweite zu identifizieren sein. Soweit Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 96 ff. mwN, sowie spezifisch zum inneren Zusammenhang mit der verbrauchervertragsrechtlichen Behandlung derartiger Vertriebsformen eingehend unten 4. Kap. 3. Abschn. A. 383 Vgl. dazu schon Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 20 ff. mwN, sowie näher noch unten 4. Kap. 3. Abschn. A. 384 Einer der großen methodologischen Vorteile der neuen Beispielstatbestände in §§ 4–7 UWG liegt gerade darin, die in der Argumentation sorgsam voneinander zu trennenden Aspekte der unsachlichen Beeinflussung der Verbraucherentscheidung (im hier vertretenen Modell Ebenen 1 und 2) und des Belästigungsschutzes (im hier vertretenen Modell aus der Sicht des Gesamtsystems Vertrag und vorvertragliche Kommunikation im Wettbewerb als Externalitäten [Ebene 4] qualifiziert) klarer voneinander zu scheiden, als das bisherige Fallrecht.
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
273
eine derartige spezifische Wertung des Gesetzgebers bezüglich der Hinnahme der mit einer bestimmten Vertriebsform verbundenen externen Effekte reicht, ist sie für das Wettbewerbsrecht zu respektieren, sofern nicht besondere Aspekte (insbesondere die gerade angesprochenen Nachahmungseffekte), die qualifiziert in dem Sinne sind, daß sie in der vertragsrechtlichen Interessenabwägung noch nicht mit berücksichtigt wurden, eine abweichende lauterkeitsrechtliche Beurteilung rechtfertigen. Die Geltung des normativen Gleichmaßgrundsatzes läßt sich also für die Ebene der rechtlichen Behandlung von Externalitäten bestimmter Vertragsanbahnungsmethoden grundsätzlich aufrechterhalten, wobei lediglich bei der Ermittlung der Reichweite entsprechender zivilrechtlicher Wertungen des Vertragsrechts besondere Vorsicht geboten ist. Daneben kommt es zu einer potentiellen Überschneidung der Wertungen auch überall dort, wo das Vertragsrecht, ohne eine eigenständige marktbezogene Ordnungsfunktion unmittelbar zu erfüllen, dem Schutz sonstiger individueller Interessen des prospektiven Vertragspartners (insbesondere im Rahmen der Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB dient) und insoweit Spielräume für den Import typisierter Maßstäbe im Sinne einer Orientierung des Pflichtenprogramms an allgemeinen Verkehrssicherungspflichten („Jedermanns“-Pflichten) einräumt. Wenn und soweit dies in den im System des Zivilrechts umrissenen Grenzen der Fall ist, kann es wiederum zu einer normativen Wechselwirkung mit entsprechenden lauterkeitsrechtlichen Wertmaßstäben für das Verhalten im wettbewerblichen Vertikalverhältnis kommen („Wasser und Öl“-Ansatz). Dennoch stehen insgesamt bezüglich der Abwehr externer Effekte von Werbung und Vertriebstechniken im Zivilrecht mehr die deliktsrechtlichen Instrumente im Mittelpunkt als das Vertragsrecht. Entsprechend hat dieser Bereich für die hier angestellte Untersuchung eher nachgeordnete Bedeutung und wird in dieser Studie allenfalls mit behandelt, soweit sich spezifische Erkenntnisse für das Gesamtsystem Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht im jeweiligen Sachzusammenhang aus akzessorischen vertragsrechtlichen Wertungen (insbesondere des Verbrauchervertriebsrechts) ergeben385, sowie darüber hinaus an all jenen Stellen, wo es die Vollständigkeit der Interessenanalyse unabdingbar erfordert 386.
2. Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb Im Rahmen der hier angestellten Untersuchung haben die Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit, soweit es um das Vertikalverhältnis zur Verbraucher- und Kundenseite geht, in erster Linie insofern Einfluß, als sie konkret vom Gleichlauf der Maßstäbe abweichende Wertungen im Lauterkeitsrecht rechtfertigen können. 385 386
S. insbesondere näher unten 4. Kap. 3. Abschn. A. S. etwa zum Teil auch unten 4. Kap. 4. Abschn. C IV 2.
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1. Kapitel: Grundlagen
Soweit Tatbestände unlauteren Wettbewerbs ohnehin mehr das Horizontalverhältnis (so im Falle des § 4 Nr. 7–10 und den entsprechenden Teilbereichen der Nr. 11, des § 6 Abs. 2 Nr. 3–6) oder die Interessen der Allgemeinheit (so im Falle der allgemeinen Marktbehinderung) zum Leitkriterium der Wertungsperspektive wählen387, ist die wertungsmäßige Überschneidung mit dem vertragsrechtlichen Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite von vornherein nurmehr eine mittelbare. Natürlich sind die Interessen der Verbraucher und Kunden angesichts des institutionell integrativen Modells des deutschen Lauterkeitsrechts im Einklang mit den Marktrealitäten praktisch in sämtlichen Fällen auch schwerpunktmäßig auf das horizontale Verhältnis bezogenen unlauteren Wettbewerbs stets mittelbar mit betroffen388. Doch ist die Wertungsperspektive auf den Interessenkonflikt im Lauterkeitsrecht hier gegenüber der Wertung im Vertragsrecht, die auf das Vertikalverhältnis der (angehenden) Vertragspartner fokussiert, gewissermaßen spiegelverkehrt anzusetzen, da bei der Wertung im Lauterkeitsrecht im Ausgangspunkt auf das vorherrschende horizontale Konfliktverhältnis zu fokussieren ist. Für diese Fallgruppen bietet sich demnach ein Bild, das im Wettbewerbsrecht mehr von der Perspektive auf die Ausgleichung gleichgerichteter, auf die Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen gerichteter Interessen der Mitbewerber (im horizontalen Verhältnis) geprägt ist, während im Vertragsrecht unverändert die vorvertragliche und vertragliche Wechselbeziehung, mithin der Interessenausgleich der (potentiellen) Vertragsparteien, das wesentlichere (wenngleich inzwischen nicht länger alleinige) perspektivische Leitkriterium bildet389. Da dennoch auch das Vertragsrecht stets wettbewerbsregulierende, systembezogene Zwecke, die einen Rahmen auch für den wirtschaftlichen Wettbewerb im 387 Vgl. für Zuordnungen der Fallgruppen zu den jeweils schwerpunktmäßig betroffenen Interessen statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 40 ff. und daran anschließend Lettl, Rz. 65 ff. 388 Die einzigen nennenswerten Ausnahmen dürften in diesem Zusammenhang einzelne Fälle unmittelbar betriebsbezogener Eingriffe, die sich nicht über den Markt realisieren (einschlägig dürften hier insbesondere § 4 Nr. 9 c) UWG sowie einzelne Fallgruppen der Betriebsstörung als Unterfall der Behinderung nach § 4 Nr. 10 UWG sein), sowie der Tatbestand der allgemeinen Marktbehinderung bilden. S. zum Verhältnis der Schutzzwecke in ihrer wechselseitigen Gewichtung in den einzelnen Fallgruppen statt aller für die hM Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1 UWG, Rz. 40 ff. mwN. Für einen exponierten Vertreter der Minderansicht, die von der hM insofern abweicht, als dem Allgemeininteresse an einem auf den freien Wettbewerbsprozeß als solchen bezogenen Institutionenschutz gar keine eigenständige Bedeutung mehr zugestanden wird Harte/Henning-Schünemann, § 1 UWG, Rz. 63 ff. 389 Insoweit zutreffend Alexander, S. 49 ff. mwN. Soweit Alexander, aaO., S. 51 f., aber selbst in denjenigen Fallgruppen unlauteren Wettbewerbs, in denen der im Wettbewerbsrecht anerkannte Verbraucherschutzzweck im Vordergrund steht, der Übernahme von wettbewerbsrechtlichen Wertungen auf angrenzende Rechtsgebiete eher skeptisch gegenüber steht, ist nach der hier vertretenen Auffassung mit Blick auf die mögliche wechselseitige Übernahme der (zumal aus dem Vertragsrecht kristallisierten Wertungen in das Lauterkeitsrecht) das Regel-AusnahmeVerhältnis im Rahmen des Grundsatzes vom Gleichlauf der Wertungen gerade umgekehrt zu sehen.
3. Abschnitt: Prinzipien und Systemfunktionen
275
Horizontalverhältnis bilden, zumindest reflexartig mit verfolgt, kann es dennoch auch für diesen Bereich nach der hier vertretenen Auffassung bei einem einheitlichen Modell bleiben390. Dementsprechend ist auch in diesem Bereich eine ordnungspolitisch sinnvolle wechselseitige Abstimmung des Vertrags- und Lauterkeitsrechts zu suchen, die bestehende Wertungen beachtet und abgleicht391. Insbesondere kann es deshalb auch insoweit nach der hier vertretenen Auffassung bei der Feststellung der funktionalen Komplementarität des Wettbewerbs- und Vertragsrechts bleiben; Schutz in beiden Rechtsgebieten ist also nur überlagernd zu kumulieren, soweit dies zur effektiven Durchsetzung der schutzwürdigen Interessen der Mitbewerber und sonstigen Marktteilnehmer notwendig ist. Ein so weitreichender Grundsatz, wie das Prinzip vom normativen Gleichmaß der Wertungen, läßt sich für die perspektivisch mehr auf das Horizontalverhältnis ausgerichteten Tatbestände des Lauterkeitsrechts im Verhältnis zum Vertragsrecht demgegenüber nicht aufstellen, da die spiegelverkehrt unterschiedliche Perspektive die Anwendung eines derartigen Grundsatzes nicht sinnvoll gestatten würde. Entsprechend stehen die vorgenannten Bereiche auch nicht im Mittelpunkt der hier unternommenen Studie, die sich mehr auf die Gebiete genuiner Wertungsüberschneidungen in Vertrags- und Wettbewerbsrecht kapriziert und die insoweit unleugbar bestehende normative Wechselwirkung für die Rechtsanwendung fruchtbar zu machen sucht.
V. Folgerungen für das weitere Untersuchungsprogramm Für die weitere Untersuchung ist damit das Programm vorgegeben. Nachdem im zweiten Kapitel die zwingenden Rahmenbedingungen und Entwicklungsperspektiven des Europarechts und des Verfassungsrechts nachgezeichnet sind, ist in den folgenden Kapiteln für das deutsche Recht das Gesamtsystem aus Vertragsund Wettbewerbsrecht schwerpunktmäßig in denjenigen Bereichen näher zu durchleuchten, in denen es zu einer unter dem Gleichmaßgrundsatz zu modellierenden normativen Wechselwirkung der jeweiligen Wertmaßstäbe kommen kann. Dabei ist einteilend zu unterscheiden zwischen denjenigen (ohnehin vergleichsweise unproblematisch einen Import der Wertungen aus jeweils anderen Teilbereichen der Rechtsordnung gestattenden) Instrumenten, die in beiden Rechtsgebieten von vornherein bestimmt sind, in unmittelbar-heteronomer Weise Wertungen aus anderen Gebieten zu rezipieren (s. unten 3. Kapitel) und denjenigen Instru390 Insbesondere lassen sich die lauterkeitsrechtlichen Tatbestände, auch soweit sie schwerpunktmäßig am horizontalen Verhältnis der Mitbewerber zueinander orientiert sind, in einem auf den Schutz der Selbstbestimmung ausgerichteten systematischen Ansatz, wie dem von Drexl, durchaus sinnvoll modellieren; sie sind dann im Sinne eines mittelbaren oder konstitutiven Schutzes der wettbewerblichen Rahmenbedingungen für selbstbestimmte Vertragsanbahnung und selbstbestimmten Vertragsabschluß aufzufassen. Vgl. insoweit auch oben F I. 391 S. zutreffend Alexander, S. 52.
276
1. Kapitel: Grundlagen
menten, innerhalb derer sich autonome normative Maßstäbe des jeweiligen Rechtsgebiets ausgeprägt haben, die aber in ihrer normativen Wechselwirkung näher zu analysieren und (unter grundsätzlicher Geltung des normativen Gleichmaßgrundsatzes) miteinander zu vergleichen und – soweit die wertungsmäßige Überschneidung reicht – auch abzugleichen sind (s. unten 4. Kapitel). Da die Reichweite des normativen Gleichmaßgrundsatzes davon abhängt, ob vertragsrechtliche Instrumente schon ihrer teleologischen Konzeption nach eine eigenständige marktbezogene Ordnungsfunktion aufweisen – wie dies insbesondere aber nicht nur im Bereich der zwingenden verbrauchervertriebsrechtlichen Regelungen der Fall ist –, ist bei der näheren Darstellung der mittelbar autonomen normativen Wechselwirkung von Vertrags- und Wettbewerbsrecht zudem einteilend nach Normenkomplexen mit (mindestens auch) eigenständiger marktbezogener Ordnungsfunktion und rein individualschützenden Normen mit lediglich reflexartiger Ordnungsfunktion zu unterscheiden. Der Bereich wertungsmäßiger Überschneidung wird dabei insbesondere im Rahmen der rein individualschützenden Normen durch das grundsätzlich individuell orientierte Zivilrecht festgelegt und begrenzt („Wasser und Öl“-Ansatz): nur wenn und soweit die Instrumentarien der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Vertragsrechts in bestimmten Bereichen notwendig auf massenhaft typisierte Wertungen zurückgreifen, kommt eine Modellierung der diesbezüglichen Wechselwirkung mit entsprechenden Maßstäben des Wettbewerbsrechts unter Geltung des Gleichmaßgrundsatzes in Betracht.
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4.Abschnitt:
Zusammenfassung zum ersten Kapitel I. 1. Eine umfassende Wettbewerbslehre, die sämtliche Aspekte wirtschaftlichen Wettbewerbs umfaßte und modellhaft umschreiben könnte, ist in der Ökonomie bisher nicht hervorgetreten. Kleinster gemeinsamer Nenner ist vielmehr derzeit wohl eine systemtheoretische Auffassung des Wettbewerbs im Sinne eines offenen, evolutiven Prozesses. Über die Anerkenntnis des – wegen seiner positiven Wirkungen – fast durchgehend als wünschenswert erachteten Wettbewerbs als Ordnungsprinzip im Sinne einer Grundentscheidung für die freie Verkehrswirtschaft hinaus, ist dabei die Frage, inwieweit Eingriffe in den Wettbewerbsprozeß zu dessen Absicherung und zur Sicherung der Wettbewerbsfreiheit gestattet bzw. notwendig sind, innerhalb der Wirtschaftswissenschaften umstritten. Ein einheitliches Wettbewerbsleitbild der Ökonomie, welches der rechtlichen Bewertung den Maßstab vorgeben könnte, existiert also nicht und kann nach Ansicht der herrschenden Meinung in den Wirtschaftswissenschaften auch denknotwendig nicht erarbeitet werden. 2. Der freie Wettbewerb (als Ordnungsprinzip) ist Voraussetzung des freien Austauschvertrags, zugleich verwirklicht er sich stetig in den geschlossenen Verträgen. Wettbewerb und Vertrag sind voneinander untrennbar. Sie stehen im Verhältnis der Komplementarität. 3. Hieraus ergibt sich die ökonomische Notwendigkeit für das Prinzip pacta sunt servanda, das selbst den ersten Anfängen einer Verkehrswirtschaft zur Verhinderung opportunistischen Verhaltens unerläßlich ist und in das aus Sicht der Ökonomie so wenig wie möglich eingegriffen werden sollte. 4. Die Unmöglichkeit – über das Ordnungsprinzip freien Wettbewerb hinaus – ein konkretes Wettbewerbsleitbild zu entwerfen, legt angesichts der Komplementarität von Wettbewerb und Vertrag den Gedanken nahe, ein einheitliches Leitbild für beide Institutionen zu entwickeln, welches im freien, informierten Vertrag im (rechtlichen) Sinne materieller Vertragsfreiheit erblickt werden könnte. An die Stelle des Leitbilds der „Wettbewerbs-“freiheit im Sinne der zu optimierenden Freiheit sämtlicher Marktteilnehmer tritt die materielle Vertragsfreiheit im Sinne des Leitbilds freiwilliger, möglichst fehlerfrei und wohlinformiert geschlossener Verträge. Von der „Wettbewerbsfreiheit“ bleibt das Konzept des freien Wettbewerbs als Ordnungsprinzip; der darüber hinaus spezifisch gewünschte („Leistungs“-)Wettbewerb ergibt sich auf der Basis der Vertragsfreiheit dann im sy-
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1. Kapitel: Grundlagen
stemtheoretischen Sinne, gewissermaßen „von unten herauf“, vom einzelnen Vertragsverhältnis ausgehend von selbst. 5. Da nach dem gesagten im normativen Mittelpunkt der komplementären Einheit aus Wettbewerb und Vertrag die materielle Vertragsfreiheit steht, läßt sich der freie Wettbewerb als zum freien Vertrag komplementär akzessorisch bezeichnen.
II. 1. Die Fokussierung auf das Leitbild des freien und informierten Vertrages gestattet es, mit den Mitteln der ökonomischen Analyse, die nach der hier vertretenen Auffassung nur insoweit herangezogen werden dürfen, wie sie nicht auf der ausschließlichen Geltung des allgemeinen Effizienzziels beharren und wie sie zudem sauber die methodischen Prämissen und die sich daraus ergebenden Limitierungen der jeweils zugrundegelegten Modelle offenlegen, den Mitteln der Neuen Institutionenökonomik sowie der experimentellen Ökonomie, einzelne strukturelle Gefährdungslagen für die freie und informierte Willensbildung und den sich anschließenden Vertragsschluß zu identifizieren und zu strukturieren. 2. Insoweit wird ein Vier-Ebenen-Modell vorgeschlagen, welches die Gefährdungen und Probleme des Vertragsschluß- und Willensbildungsmechanismus aus ökonomischer Sicht strukturiert und die Aufgabenstellung an das Recht in die Ebenen Schutz der Entscheidungsgrundlage, Schutz des Entscheidungsprozesses, Paternalismus und Externalitäten einteilt. 3. Im Rahmen des Schutzes des Entscheidungsprozesses ist eine weitere Differenzierung nach allgemeiner Überforderung des Verbrauchers, systematischen Anomalien menschlichen Entscheidungsverhaltens und situativen Störungen des Entscheidungsprozesses geboten. 4. Gerade auch aufgrund dieser Differenzierung gestattet das Vier-EbenenModell eine präzisere Sicht auf die rechtlichen Instrumente zum Schutz der Willensbildung und des Vertragsschlußmechanismus als bisher. Insbesondere Informationspflichten und Vertragsauflösungsrechte oder andere Lockerungen der vertraglichen Bindung können auf dieser Grundlage in ihrer ökonomischen Sinnhaftigkeit genauer analysiert werden. Daneben gestattet das Modell eine neue Sicht auf die Abgrenzung von Schutz unverzerrter Verbraucherentscheidungen und Paternalismus im Sinne eines Schutzes des Verbrauchers „vor seiner eigenen Entscheidung“. Schließlich ermöglicht die Einbeziehung der Problematik der Externalitäten von Werbung, Vertragsanbahnung oder des Vertragsabschlusses selbst in das Modell, die Modellierung insbesondere einiger wettbewerbsrechtlicher Regelungen, die sich in einer auf den Schutzes freier und informierter Verbraucherentscheidungen limitierten Konzeption allein nicht erklären ließen, die aber dennoch zum Teil einen inneren Zusammenhang mit dem Vertragsrecht, zumal mit verbrauchervertragsrechtlichen Regelungen besonderer Vertriebsformen, aufweisen.
4.Abschnitt: Zusammenfassung zum ersten Kapitel
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5. Betreffend die Auswahl der korrigierenden rechtlichen Instrumente gilt, soweit es um die Gestaltung der materiellen Regelungen geht, das verbraucherschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip. Aus den Überlegungen der Transaktionskostenökonomie und insbesondere aufgrund des Gedankens der administrativen Effizienz wurde zudem ein ordnungspolitisches Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung als ein Leitgedanke für das Verhältnis von Lauterkeits- und Vertragsrecht entwickelt, welches bezüglich des jeweils zu wählenden Sanktionensystems in erster Linie auf die Erforderlichkeit effektiver Rechtsdurchsetzung verweist. Eine Maßnahme zum Schutz des Vertragsmechanismus wäre demnach (aus der begrenzten ordnungspolitischen Sicht der Ökonomie) zuerst jeweils dem rechtlichen System (Vertrags- oder Wettbewerbsrecht) zuzuordnen, in dessen Rahmen sie am effektivsten durchgesetzt werden kann. Gegebenenfalls, aber nur soweit dies zur effektiven Rechtsdurchsetzung erforderlich ist, sind die Sanktionen des Wettbewerbs- und Vertragsrechts auch überlagernd zu kombinieren. Neue Sanktionen sind hiernach lediglich dann zu schaffen, wenn mit ihrer effektiven Geltendmachung auch zu rechnen ist bzw. wenn zugleich die prozessualen Funktionsbedingungen für eine effektive Geltendmachung geschaffen werden.
III. 1. Das eigentliche normative Problem, das Ausmaß der notwendigen vertragsschützenden Eingriffe zu bestimmen, kann auch die Fokussierung auf den Schutz des Vertrags- und Willensbildungsmechanismus allerdings nicht lösen, sondern lediglich strukturieren. Ein normativer Maßstab, „wieviel“ Schutz der informierten und freiwilligen Entscheidung erforderlich ist, ist der ökonomischen Betrachtung nicht zu entnehmen. Nur klärende (negative) Hinweise, „wo“ strukturell ein Eingreifen der Rechtsordnung erforderlich ist und „welche Mittel“ dem Problem systematisch entsprechen, können gegeben werden. 2. Auch eine moralphilosophische Vorgabe, die bei der konkreten Wertung und Abwägung der Interessen im Einzelfall zugunsten eines mehr oder weniger materialisierten Konzeptes der Privatautonomie oder einer mehr oder weniger strengen Regulierung des Wettbewerbs streiten könnte, existiert nicht. Weder auf Grundlage der individualrechtlich orientierten Willenstheorien des Vertrages oder des Wettbewerbs noch auf Grundlage der (wegen ihrer Unbestimmtheit abzulehnenden) utilitaristisch-welfaristischen Theorien des Vertrages oder des Wettbewerbs lassen sich ethische Maßstäbe ableiten, die über lediglich äußerste Grenzziehungen in klaren Fällen (Verbot aktiver Täuschungshandlungen, Androhung körperlicher Gewalt u.ä.) hinausgehen. 3. Die Moralphilosophie gibt jedoch die Richtung vor, in der die Wertung zu suchen ist und kann als ein Leitkriterium allgemeiner Natur bei der systematisierenden Suche fungieren. Moderne moralethische Theorien des Vertrags und Wettbewerbs lenken den Blick auf den Gesamtbestand des Rechts und der gewachsenen
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1. Kapitel: Grundlagen
Verkehrssitte mit Blick auf Voraussetzungen und Rechtsfolgen des wettbewerblichen Vorfeldes, der Anbahnung, des Abschlusses und der Abwicklung von Verträgen. Die im Gesamtsystem des Privatrechts enthaltenen Grundwertungen und die Entwicklung der Verkehrssitte erhalten zugleich in modernen willenstheoretischen Begründungen des Vertrages ihre moralphilosophische Absicherung als wesentlicher Maßstab der Privatautonomie und des auf die Marktgegenseite bezogenen unternehmerischen Verhaltens im Wettbewerb. 4. Kein von außen herangetragenes Kriterium umreißt demnach die institutionelle (System)funktion des Rechts und die insofern „richtige“ Gestaltung der Vertragsfreiheit, sondern vielmehr verbirgt sich diese im Gesamtbestand des Rechts selbst, in den die Verkehrsteilnehmer ihr (System)vertrauen setzen. Es kann also für die hier angestellte Untersuchung nur darum gehen, die Grundwertungen des Rechts aus den einzelnen Regelungen zu destillieren und auf ihre systematische Folgerichtigkeit hin zu überprüfen. Bei diesem wertenden Systematisierungsprozeß kann dann die Moralphilosophie wiederum eine gewisse Hilfestellung allgemeiner Natur als eine Art Leitstern für die Suche nach verallgemeinerungsfähigen, das System wesentlich prägenden Grundwertungen leisten. 5. Hierfür sind das Recht des unlauteren Wettbewerbs und das Vertragsrecht auf der Grundlage des Leitkriteriums des Schutzes selbstbestimmter Vertragsabschlüsse integrativ zu betrachten. Beide Rechtsgebiete haben gleichermaßen individualschützende und institutionelle (systemfunktionale) Zwecke. 6. Die beiden Rechtsgebiete lassen sich daher, was ihre Zwecksetzung betrifft, auf der Grundlage des Leitkriteriums des in fehlerfreier Selbstbestimmung zustandekommenden Vertrags integrativ betrachten. Unter diesem Aspekt sind beide Schutzsysteme grundsätzlich funktional äquivalent. 7. Die Abgrenzung der beiden Rechtsgebiete voneinander kann demnach nicht pauschal anhand einer zeitlich-sachlichen Grenzziehung, sondern nur funktionalinteressenorientiert für die jeweils betrachtete spezifische Gefährdungslage des Vertragsmechanismus erfolgen, wobei unter rechtsfolgenbezogener Perspektive der ordnungspolitische Gedanke effektiver Rechtsdurchsetzung mit einzubeziehen ist.
IV. 1. Angesichts des Schutzes des in freier Selbstbestimmung zustandegekommenen Vertrags als gemeinsamem Fluchtpunkt der im Wettbewerbs- und Vertragsrecht formulierten Verkehrssicherungs- bzw. vertraglichen Nebenpflichten kann auch eine Rechtfertigung abweichender inhaltlicher Wertungen im Recht des unlauteren Wettbewerbs und im Vertragsrecht mit Blick auf den Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit nicht anhand pauschaler Grenzziehungen, sondern nur konkret funktional-interessenorientiert erfolgen. Nachdem eine abstrakt-pauschale Rechtfertigung abweichender Maßstäbe mißlingen muß, gilt für den überwiegenden Teil des Lauterkeitsrechts (soweit er
4.Abschnitt: Zusammenfassung zum ersten Kapitel
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zumindest gleichrangig auch den Wettbewerb durch Kundenbeeinflussung im Vertikalverhältnis betrifft) der Grundsatz vom Gleichmaß der normativen Maßstäbe im Lauterkeitsrecht und im (Verbraucher-)vertragsrecht. Eine abweichende Wertung im Wettbewerbsrecht ist die rechtfertigungsbedürftige – wenngleich keinesfalls seltene – Ausnahme, wobei sich ein zusätzlicher wettbewerbsrechtlicher Schutz insbesondere dadurch begründen kann, daß eine bestimmte strukturelle Gefährdungslage für Interessenpositionen der Kundenseite, der Mitbewerber oder der Allgemeinheit im Vertragsrecht nicht geregelt ist oder effektiv mit individuellen Sanktionen der Kundenseite gar nicht geregelt werden kann. Jedenfalls sind abweichende Wertungen, insbesondere ein strengerer Maßstab im Bereich des Irreführungsschutzes, stets konkret für die jeweilige strukturelle Situation anhand der involvierten Interessen und der spezifischen Rechtsfolgen des jeweiligen Systems zu begründen und zu rechtfertigen, wobei zu beachten ist, daß sie durch den Schutz des Vertragsmechanismus funktionsgeleitet sein müssen. 2. Aus einer rechtsfolgenbezogenen, ordnungspolitischen Durchsetzungsperspektive greifen Wettbewerbs- und Vertragsrecht mit ihren spezifischen Tatbeständen und Rechtsfolgen beim Schutz des Vertragsmechanismus vor strukturellen Situationen des Vertragsversagens funktional-komplementär ineinander. Die Komplementarität ist sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zu beobachten. 3. In zeitlicher Hinsicht hat die Komplementarität zu einer dreigestuften historischen Entwicklung geführt, die von der funktionalen Äquivalenz zwischen Wettbewerbsrecht und Verbraucherschutzrecht mit Blick auf Störungen des Vertragsschlußmechanismus gekennzeichnet ist. Neue Vertriebsformen wurden auf der ersten Stufe typischerweise vom richterrechtlichen System des Lauterkeitsrechts aufgefangen und auf der zweiten Stufe – soweit sich die resultierende Gefährdung des freien und informierten Vertragsschlusses hinreichend konkretisiert hatte – durch eine problemspezifische gesetzgeberische Regelung im Verbrauchervertragsrecht entschärft. Nachdem die Verbraucherschutzgesetzgebung schließlich die „kritische Masse“ erreicht hatte, ist sie – als letzte Stufe der hier beobachteten dreistufigen Entwicklung – im Rahmen der Schuldrechtsreform in die größere Kodifikation des BGB einbezogen und solcherart visibel wieder in den größeren Zusammenhang des allgemeinen Vertragsrechts eingeordnet worden. Auf diese Weise ist der Institutionengedanke, die Systemfunktion des Vertragsrechts beim Schutz des rechtlichen Rahmens des Verkehrssystems, unmittelbar in den Normen des allgemeinen Zivilrechts sichtbar geworden. 4. In sachlicher Hinsicht hat die Komplementarität der Rechtsgebiete ihren sichtbarsten Ausdruck im Gedanken effektiver Sanktionierung gefunden, der zu Einbruchtendenzen sowohl vom Vertragsrecht in das lauterkeitsrechtliche Sanktionensystem als auch in umgekehrter Richtung geführt hat. Dies entspricht genau der hier entwickelten ökonomischen Vorgabe bezüglich der ordnungspolitischen Auswahl der Schutzinstrumente. Allerdings sind unter einseitiger Betonung des Sanktionsgedankens auch gelegentliche Verletzungen des ordnungspolitischen
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1. Kapitel: Grundlagen
Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung zu beobachten, sofern und soweit etwa Forderungen nach zusätzlichen individuellen Ansprüchen der Verbraucher die Frage außen vor lassen, ob und seitens welcher Verbraucher mit einer Geltendmachung dieser Ansprüche tatsächlich zu rechnen wäre.
V. 1. Der normative Gleichmaßgrundsatz läßt sich im Vier-Ebenen-Modell über den Bereich des Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit hinaus verallgemeinern, wobei zugleich einige Präzisierungen und Einschränkungen notwendig sind. 2. Im Bereich der ersten beiden Ebenen (Schutz der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses) gilt der normative Gleichmaßgrundsatz insoweit, wie sich die im normativen Verbraucherleitbild des Wettbewerbsrechts kristallisierten Wertungen entsprechenden typisierten Wertungen des Vertragsrechts kontrastieren lassen. Dabei kann zwischen vertragsrechtlichen Normen, die nach der Konzeption des Gesetzgebers von vornherein eine eigenständige marktbezogene Ordnungsfunktion durch Etablierung eines situationsspezifischen Rahmens typisierend zwingenden Rechts für einen bestimmten Bereich verfolgen (so insbesondere im vertriebsspezifischen Verbraucherschutzrecht) und primär klassisch individualschützend ausgerichteten Normen, denen lediglich reflexartig eine marktbezogene Ordnungsfunktion zuwächst, unterschieden werden. Im erstgenannten Bereich sind spezifische gesetzgeberische Wertungen des Verbrauchervertragsrechts auch im Wettbewerbsrecht zu respektieren, sofern es an einer Rechtfertigung abweichender Maßstäbe durch qualifiziert wettbewerbsrechtliche Wertungsaspekte fehlt, welche in die typisiert verbrauchervertragsrechtliche legislatorische Interessenabwägung noch nicht eingeflossen sind. Im zweitgenannten Bereich gestaltet sich der wechselseitige Vergleich und Abgleich autonomer wettbewerbs- und vertragsrechtlicher Wertungen eher nach Art einer normativen Wechselwirkung, wobei es zu einer Überschneidung der jeweiligen Wertungen – die anhand des Gleichmaßgrundsatzes zu modellieren ist – insbesondere insofern und insoweit kommt, wie Instrumente der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Vertragsrechts im Rahmen unbestimmter Rechtsbegriffe und Pflichtenprogramme notwendig auf typisierte Maßstäbe zurückgreifen und solcherart sozusagen selbst genau die Grenzen für den Einbruch typisierter wettbewerbsrechtlicher Wertungen in das Vertragsrecht nach Art eines „Wasser und Öl“-Ansatzes festlegen. Die dritte Ebene – des Paternalismus – wird dabei in der vorliegenden Untersuchung nicht eigenständig weiter verfolgt, sondern dient mehr in untergeordneter, „negativer“ Funktion der Identifikation von Bereichen strukturellen rechtlichen „Überschutzes“ der Entscheidungsfreiheit, welcher in ungerechtfertigten Paternalismus umschlägt und solcherart zugleich zu Wettbewerbsbeschränkungen führt.
4.Abschnitt: Zusammenfassung zum ersten Kapitel
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3. Die vierte Ebene, die Ebene der Externalitäten, gestattet die Einbeziehung über den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit hinausreichender sonstiger Interessen der Kundenseite, womit insbesondere das Integritätsinteresse sowie der Schutz des Vermögens vor Beeinträchtigungen durch werbliche Vertragsanbahnung angesprochen sind. Diese Bereiche stehen für die hier unternommene Studie nicht im Mittelpunkt des Interesses, da den Maßstäben des wettbewerbsrechtlichen Sonderdeliktsrechts in diesem Zusammenhang primär nicht das zivilrechtliche Schuldvertragsrecht, sondern vielmehr eher das allgemeine Deliktsrecht gegenüber steht. Dennoch läßt sich, soweit es – insbesondere im Rahmen der umfassenden verbraucherschützenden Regelungen der besonderen Vertriebsformen sowie außerdem im Rahmen einzelner Pflichten nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB – zu Überschneidungen (verbraucher-)vertragsrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Wertungen kommt, auch dieser Bereich unter Geltung des normativen Gleichmaßgrundsatzes modellieren. Es ist lediglich bei der Ermittlung der Reichweite entsprechender zivilrechtlicher Wertungen aus dem vertriebsspezifischen Verbraucherschutzrecht besondere Vorsicht geboten; im Rahmen der Konkretisierung des Pflichtenprogramms aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB kann es wiederum zu einer normativen Wechselwirkung wettbewerbs- und vertragsrechtlicher Maßstäbe gerade insofern und insoweit kommen, wie die zivilrechtliche Regelung notwendig auf typisierte „Jedermanns“-Maßstäbe für das Pflichtenprogramm zurückgreift, denen entsprechende typisierte wettbewerbsrechtliche Wertungen gegenüberstehen.
VI. Bei der nachfolgenden Untersuchung derjenigen Teilbereiche des Wettbewerbsrechts, der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Vertragsrechts, die sich unter grundsätzlicher Geltung des Gleichmaßgrundsatzes modellieren lassen, ist schließlich zu unterscheiden zwischen denjenigen Instrumenten beider Rechtsgebiete, die von vornherein dazu bestimmt sind, Wertungen aus jeweils anderen Rechtsgebieten zu importieren (unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption von Wertungen) und denjenigen Instrumenten, in deren Rahmen sich autonom wettbewerbsrechtliche bzw. autonom zivilrechtliche Wertungen ausgeprägt haben, die in einem normativen Wechselwirkungsprozeß miteinander zu vergleichen und – soweit der Gleichmaßgrundsatz reicht – auch einander anzugleichen sind (mittelbar-autonome normative Wechselwirkung). Zusammen mit der Unterkategorisierung in Normen mit eigenständiger marktbezogener Ordnungsfunktion und Normen mit lediglich mittelbar-reflexartiger marktbezogener Ordnungsfunktion im Vertragsrecht geben diese Einteilungen der nachfolgenden Untersuchung zum deutschen Recht den systematisierenden Rahmen vor.
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2. Kapitel:
Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
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1. Abschnitt:
Überblick In diesem Kapitel gilt es, die Rahmenbedingungen höherrangigen Rechts aufzuarbeiten, innerhalb derer sich das System des deutschen Vertrags- und Wettbewerbsrechts verwirklicht. Zuerst sollen die für die hier angestellte Untersuchung einschlägigen Grundrechte und die sich aus ihnen ergebende verfassungsrechtliche Ordnung für das deutsche und für das europäische Recht herausgearbeitet werden, wobei besonderes Augenmerk auf die methodische Rezeption der Grundrechte im deutschen Privatrecht und in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie auf die bemerkenswerten Parallelen zwischen Vertrags- und Wettbewerbsrecht in diesem Bereich gelegt wird (s. unten II. Abschnitt). Danach ist der Einfluß zu erörtern, den das Primärrecht der Gemeinschaft (insbesondere die Grundfreiheiten des EG-Vertrags) sowie das gemeinschaftsrechtliche Sekundärrecht des lauterkeitsrechtlichen und vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes auf das System des deutschen Wettbewerbs- und Vertragsrechts haben. Das System des gemeinschaftlichen Primär- und Sekundärrechts in diesem Bereich soll auf der Basis der hier angestellten Grundlagenüberlegungen entfaltet werden, um aus dieser Systematisierung auch Anhaltspunkte zur weiterführenden Beurteilung der europäischen Verbraucherschutzinstrumente, insbesondere der aktuell umzusetzenden Lauterkeits-Richtlinie, sowie rechtspolitische Folgerungen für die weitere Vorgehensweise auf europäischer Ebene abzuleiten (s. unten III. Abschnitt). Zugleich weisen sowohl der europäische Rahmen als auch die Bedingungen der Grundrechteordnung den Weg zu bestimmten Entwicklungsperspektiven des deutschen Vertrags- und Wettbewerbsrechts.
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2. Abschnitt:
Grundrechte und Verfassungsrecht A. Überblick Nachdem in den neunziger Jahren im deutschen Recht zuerst die allgemein zivilrechtlichen Generalklauseln als „Einfallstor“ für verfassungsrechtliche Wertungen einer im Lichte des Grundrechtssystems materialisiert aufgefaßten Vertragsfreiheit in den Blick geraten waren, ist es in den vergangenen Jahren zumal die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Schutz der Kommunikationsgrundrechte im Rahmen der fallgruppenorientierten Auslegung der Generalklauseln des Rechts des unlauteren Wettbewerbs gewesen, die zivilrechtlich die Gemüter bewegt hat. Beide Entwicklungslinien sind, jeweils für sich genommen, ausgiebig untersucht und – sowohl aus öffentlich-rechtlicher als auch und insbesondere aus zivilrechtlicher Sicht – teils beifällig, teils kritisch kommentiert worden1. In der Folge mag es daher genügen, diese Entwicklungen – denen schon auf den ersten Blick immerhin in den Grenzen der Beschränkung auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts eine Tendenz zur aktiveren Geltendmachung der Grundrechte im Zivilrecht durch das Bundesverfassungsgericht (zumal auch im Wege des verfahrensrechtlichen Instruments der Kammerbeschlüsse2) gemeinsam zu sein scheint – nur ganz kurz jeweils für sich genommen nachzuzeichnen (s. unten B I und II), um sodann (und in erster Linie) nach methodischen und inhaltlichen Parallelen zu suchen, die sich unter der jeweils recht unterschiedlichen (und übrigens für das jeweilige Rechtsgebiet auch heftig kritisierten) Terminologie und zivilrechtlichen Schutzzweckanalyse des Bundesverfassungsgerichts verbergen (s. unten B II 2 c und B III). Darüber hinaus entspricht es der europäisch ausgerichteten Perspektive der Untersuchung, eine Analyse des Status von nationalem Vertrags- und Wettbewerbsrecht unter der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu versuchen (s. unten C I). Während insoweit Beurteilungsquellen für nationales Vertragsrecht nur relativ dünn gesät sind (s. unten C I 1), ist die Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) betreffend den Schutz der Meinungsfreiheit im Verhältnis zu nationalem Lauterkeitsrecht sehr viel reicher (s. unten C I 2). Hier lassen sich nicht nur gewisse Argumente auch für die Gestaltung des nationalen Rechts ableiten (bzw. bestimmte Argumente, die 1 2
S. noch einige der Nachweise im folgenden Text. S. spezifisch zu diesem Aspekt nur Hartwig, GRUR 2003, 924, 929 f.
2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht
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mit Blick auf die EMRK bezogen aufs nationale Recht angeführt wurden, bei näherer inhaltlicher Betrachtung entkräften), sondern es kann auch zu einer Berücksichtigung der europäischen Grundrechte (wie sie sich nunmehr auch in der Grundrechte-Charta der Gemeinschaft finden) in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kommen. Auch die insoweit bisher vorhandenen (bescheidenen) Ansätze, sollen unten kurz umrissen werden; Bedeutung mag in diesem Zusammenhang schließlich auch die denkbare künftige Inkorporierung der Grundrechte in eine Europäische Verfassung erlangen (s. unten C II).
B. Grundgesetz I. Vertragsfreiheit im Rahmen des Grundgesetzes 1. Überblick und Grundlagen Die Privatautonomie findet sich im Grundgesetz zum einen als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG im Sinne einer Institutsgarantie3 als „Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung“4 verankert5. Dies gewährleistet zunächst im normativ wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sinne6, daß Extremformen der vollkommenen Abschaffung der Vertragsfreiheit (die in einer Zentralverwaltungswirtschaft enden müßte) oder einer vollkommen schran3 S. zu den einzelnen Funktionen der Grundrechte (unter dem Blickwinkel des Schutzes wirtschaftlicher Selbstbestimmung) eingehend Drexl, Selbstbestimmung, S. 229 ff. mwN. Im Mittelpunkt der Betrachtung müssen für die hier angestellte Untersuchung die Grundrechtsfunktionen als Abwehrrechte, als negative Kompetenzvorschriften, als Schutzgebote (dazu frühzeitig und offensiv schon Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff.) und als Verkörperung einer objektiven Werteordnung stehen; praktisch untergeordnete (oder nur mittelbare) Bedeutung kommt ihnen in ihrer Funktion als Institutsgarantie (zutreffend schon Canaris, in: FS Lerche, S. 873, 878 ff.; ders., JZ 1987, 993, 995, der darauf hinweist, daß die Vertragsfreiheit weniger durch „massive Eingriffe in den Kernbereich“, als vielmehr durch eine „schleichende Aushöhlung“ bedroht sei, weshalb nicht die Institutsgarantie, sondern allein die Maßstäbe des Übermaßverbots die Privatautonomie wirklich zu schützen vermögen) und als Teilhaberechte zu. Vgl. zum ganzen aus der Sicht der Vertragsfreiheit auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 18 ff.; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 156 f.; s. zum Teil auch noch näher im folgenden Text. 4 S. BVerfGE 81, 242, 254. 5 Grundlegend BVerfGE 8, 274, 328; BVerfGE 70, 114, 123; BVerfGE 72, 155 (= NJW 1986, 1589 ff.); BVerfGE 89, 214, 231 (= NJW 1994, 36, 38); aus der Literatur s. etwa Canaris, JZ 1987, 993, 994; ders., in: Lerche-FS, S. 873, 878 ff.; Lorenz, aaO., S. 18; Drexl, aaO., S. 249 ff.; Remien, aaO. Zu den neben der vorherrschenden Verankerung in Art. 2 Abs. 1 GG im einzelnen gegebenenfalls betroffenen spezielleren Grundrechten grundlegend Höfling, Vertragsfreiheit, S. 6 ff. mwN; Drexl, aaO., mit der von ihm entwickelten Verdichtung zu einem Grundrecht auf wirtschaftliche Selbstbestimmung; s. auch sogleich kurz im folgenden Text. 6 S. zu den verschiedenen Definitionen des Begriffs der Wirtschaftsverfassung Drexl, Selbstbestimmung, S. 221 ff. An dieser Stelle wird der Begriff im staatsrechtlichen, d.h. im unmittelbar normativen Sinne verwendet. Vgl. aber noch unten im Kontext des europäischen Rechts für einen gemischt ökonomisch-normativen Begriff der Wirtschaftsverfassung.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
kenlosen Ausgestaltung der Vertragsfreiheit (die in Widerspruch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem Grundsatz praktischer Konkordanz und dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes [Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG]7 geriete) mit dem Grundgesetz unvereinbar sind8; zugleich dürfte sich der Grundsatz pacta sunt servanda im Sinne einer Kerngewährleistung im Grundgesetz verankern lassen9. Bei all dem steht dem einfachen Gesetzgeber jedoch im Bereich zwischen den vorgenannten Extremformen ein weiter Gestaltungsspielraum zur Konkretisierung und Aktualisierung der Vertragsfreiheit zu10. Diese einfachgesetzliche Gestaltungsfreiheit ist aber ihrerseits an die in den Grundrechten verkörperte objektive Werteordnung gewissermaßen „rückgebunden“; insofern ist der Gesetzgeber auch in diesem Zwischenbereich nicht vollends frei, sondern die normative Wirtschaftsverfassung wirkt – vermittelt über die Grundrechtsordnung – gewissermaßen als indirekter Kontrollmaßstab11. Konkret vollzieht sich diese Rückbindung an die objektive Werteordnung dadurch, daß die jeweils auf Seiten des Anbieters12 und des Nachfragers13 kollidie7
S. zu all dem sogleich unten 2. S. Drexl, Selbstbestimmung, S. 219 ff. mwN. 9 Denn mit ihm kommt der Staat seiner Pflicht zum Schutz der grundrechtlich untermauerten Gläubigerstellung nach, s. Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 74; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 157. Der privatautonom gestaltete Rechtsakt ist also durch den Staat anzuerkennen und durchzusetzen, vgl. Canaris, JZ 1987, 993, 995; Lorenz, aaO., S. 19. 10 BVerfGE 81, 242, 255; Lorenz, aaO., S. 19 ff.; Remien, aaO. Drexl, Selbstbestimmung, S. 221 ff., betont, daß die Aktualisierung und Konkretisierung eines Konzepts für die materialisierte Vertragsfreiheit und für die Wirtschaftsordnung insgesamt in gemischt normativ-ökonomischer Sicht der Wirtschaftsverfassung (jenseits des verfassungsrechtlichen Verbots bestimmter extremer Fehlentwicklungen) schon deshalb grundsätzlich dem einfachen Gesetzgeber überlassen bleiben muß, weil dieser allein hinreichend schnell und flexibel auf neue ökonomische Entwicklungen reagieren kann. Dies bedeutet aber nicht etwa die vollkommene „wirtschaftspolitische Neutralität“ im weiten Bereich zwischen den untersagten Extremformen wirtschaftlicher Ordnung, vgl. dazu sogleich im Text. 11 Aus diesem Grunde wird die allgemein vorherrschende Lehre von der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes (die auf die Entscheidung BVerfGE 4, 7, 17 f., bestätigt in BVerfGE 12, 354; BVerfGE 30, 292; 50, 290, zurückgeht, vgl. näher auch unten 2. Kap. 2. Abschn. B II 1 im Zusammenhang mit der Wettbewerbsverfassung des Grundgesetzes) auch gelegentlich ausdrücklich abgelehnt, s. Canaris, in: FS Lerche, S. 873, 878 f. Vermittelnd Drexl, Selbstbestimmung, S. 219 ff.: „relative wirtschaftspolitische Offenheit des Grundgesetzes“ (in Anlehnung an die Formulierung in BVerfGE 50, 290, 338 und mwN). 12 Auf Anbieterseite können als speziellere Grundrechte im – primär lauterkeitsrechtlich zu beurteilenden – Vorfeld konkreter Vertragsanbahnung der Schutz der kommerziellen Kommunikation durch die Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 GG als echtes Abwehrrecht (siehe dazu eingehend unten 2. Kap. 2. Abschn. B II 2) und der Schutz des Art. 12 GG für gewerbliche Anbieter (Einschränkungen stellen sich dann in der Regel als berufsausübende Regeln nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG dar, s. dazu Stober, in: FS Lukes, S. 591, 601 f.) vor die allgemeine Handlungsfreiheit als Auffanggrundrecht treten. S. zu den sich ergebenden Abgrenzungsproblemen, die allerdings kaum praktische Bedeutung haben, da der Beurteilungsmaßstab der praktischen Konkordanz in der Grundrechtsausgleichung im Ergebnis im wesentlichen derselbe ist (s. zutreffend [für das Werberecht] schon Burmann, WRP 1973, 313, 318), Drexl, Selbstbestimmung, S. 251. Indirekte Bedeutung für das unternehmerische Angebot haben schließlich auch Art. 9 GG und Art. 14 GG, s. näher dazu Drexl, aaO., S. 249 ff. mwN. 8
2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht
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renden Grundrechte im Wege praktischer Konkordanz zur Ausgleichung zu bringen sind14. Wesentlich – und bisher zu selten in ihren Implikationen berücksichtigt – ist dabei die Erkenntnis15, daß in diesem Zusammenhang für eine größtmögliche Freiheit der Anbieterseite nicht nur deren Grundrechtspositionen der Art. 12 Abs. 1, Art. 5 Abs.1 (und ggf. als Auffanggrundrecht Art. 2 Abs. 1) GG in das Gewicht fallen, sondern auch die – indirekt in erster Linie in ihrer Funktion als konstituierender Teil der objektiven Werteordnung des Grundgesetzes betroffenen – Grundrechtspositionen derjenigen Verbraucher bzw. Nachfrager, die eines bestimmten (zwingenden) gesetzlichen Schutzes nicht bedürften (die beispielsweise eine bestimmte Werbung „richtig“ verstehen)16. Genaugenommen ist also im typisierenden Verbraucherschutz ein Dreieck von durch Grundrechtspositionen abgesicherten Interessen zur Ausgleichung zu bringen: Das Interesse der Anbieter an größtmöglicher formeller Vertragsfreiheit, das Interesse schutzbedürftiger Ab13 Auf Seiten der Nachfrager (Verbraucher) kommt in erster Linie die Verbürgung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG sowie – indirekt – das gleichfalls für Verbraucher in Art. 5 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf Information in Betracht. Daneben können in Einzelfällen wiederum Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 9 GG und auch Art. 13 GG (etwa für die Regelungen von Haustürgeschäften) relevant werden, s. näher für die speziellen Grundrechtspositionen Drexl, aaO., S. 252 f. mwN. 14 Grundlegend BVerfGE 89, 214, 232. 15 S. Drexl, aaO., S. 252. 16 Dabei verwebt Drexl, aaO., S. 253 ff. die auf Seiten der Verbraucher streitenden Grundrechte zu einem Rahmengrundrecht auf wirtschaftliche Selbstbestimmung (das in einem integrativen Konzept auch die durch Art. 5 GG geprägte Phase vorgelagerter Marktkommunikation, die hier für den Augenblick noch für die nähere Analyse der verfassungsrechtlichen Grundlagen des Lauterkeitsrechts aufgespart wurde, umfaßt), und in welches zudem die Strukturprinzipien des Grundgesetzes (insbesondere das Sozialstaatsprinzip gem. Art. 20, 28 Abs. 1 GG, der Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG und das Staatsziel Umweltschutz als Beurteilungsfaktoren bei der Schaffung praktischer Konkordanz einfließen). Das Grundrecht auf wirtschaftliche Selbstbestimmung unterscheidet sich von der reinen Verankerung der Privatautonomie im Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG in erster Linie durch den zusätzlichen Rückgriff auf die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG (der in erster Linie dem Schutz vor einer staatlichen „Verobjektivierung“ der jeweils individuell unterschiedlichen Motivlage der einzelnen Verbraucher durch Sicherung der negativen Kompetenzabgrenzung solange und soweit der Verbraucher selbst in der Lage ist, seine Motive zu verfolgen, dienen soll). Der für die hier angestellte Untersuchung im Vordergrund stehende Aspekt des von Drexl entwickelten Grundrechts auf wirtschaftliche Selbstbestimmung ist sein integrativer Charakter, der nach Art eines Rahmengrundrechts mit weitem Schutzbereich nicht nur den unmittelbaren Bereich der Vertragsabschluß- und Inhaltsfreiheit umfaßt, sondern in die einheitliche Beurteilung auch die vorgelagerte Phase allgemeiner kommerzieller Kommunikation sowie insbesondere auch die konstitutionellen Garantien eines freien Wettbewerbsprozesses (wie sie sich zumal im Bereich des im Rahmen dieser Untersuchung ausgesparten Kartellrechts finden) mit umfaßt. Ob dieser integrative, auf die Gewährleistung fehlerfrei ausgeübter Selbstbestimmung fokussierte Ansatz insbesondere im Lichte der neuesten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu einzelnen Fallgruppen des Lauterkeitsrechts geeignet ist, eine tragfähige dogmatische Grundlage für lauterkeits- und vertragsrechtlichen Verbraucherschutz zu bilden (die unter Umständen sogar die vom Verfassungsgericht selbst für seine Interventionen im Bereich des Lauterkeitsrechts gewählte [und kritikwürdige] terminologische Basis ersetzen könnte), soll noch unten B II 2 und III näher untersucht und konkretisiert werden.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
nehmer im Sinne einer Materialisierung der formellen Privatautonomie und schließlich das Interesse derjenigen Abnehmer, die des spezifisch in Frage stehenden Schutzes nicht bedürften und daher von einer entsprechenden Ausweitung der Angebotsfreiheit indirekt profitieren würden. Für den Bereich der Privatautonomie ist der dogmatische Anker für die vorzunehmende Ausgleichung der Grundrechtspositionen im Wege praktischer Konkordanz im wesentlichen die weite Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ in Art. 2 Abs. 1 GG, mithin die Gesamtheit der Rechtsnormen, die formell17 und materiell der Verfassung gemäß sind18. Die Grenzen des somit eingeräumten weiten Gestaltungsspielraums19 im Sinne eines – der Reichweite des Auffanggrund17 Zitiergebote gem. Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG dürften für den gesamten hier betrachteten Bereich nicht einschlägig sein; selbst im Bereich der spezielleren Grundrechtsgewährleistungen sind die Beschränkungen doch stets (als bloße Berufsausübungsregeln im Falle des Art. 12 GG bzw. als „allgemeine Gesetze“ im Falle des Art. 5 Abs. 1 GG) gerade nicht dem Zitiergebot unterworfen, vgl.zur in der Praxis engen Auslegung des Zitiergebots (wenn auch kritisch) Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz-Herzog, Art. 19, Rz. 49 ff.; von Münch/Kunig-Krebs, Art. 19, Rz. 15 f. (insbesondere die konkrete Darstellung betreffend Art. 5 und Art. 12 in Rz. 16), jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. 18 BVerfGE 6, 32 – Elfes. 19 In gewisser Weise findet sich in der weiten Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ aufgrund der Verankerung in Art. 2 Abs. 1 GG der Spiegel der grundlagenorientierten Überlegungen zur Privatautonomie, die ihrerseits in ihrem Geltungsgrund und insbesondere in ihrer Ausgestaltung im einzelnen eben nicht deduktiv-deontologisch allein aus individuellen Rechten des Individuums ableitbar ist, sondern vielmehr aufgrund ihrer funktionalen Komplementarität mit der konkreten Gestalt des jeweiligen Verkehrssystems (das innerlich seinerseits nicht nur durch die Wirtschaftsordnung geprägt, sondern auch [kollektiven Werten] der politischen und gesellschaftlichen Ordnung verbunden ist) in ihrer konkreten Erscheinungsform gleichfalls von der konkretisierenden und aktualisierenden Ausgestaltung durch die Rechtsordnung abhängt, vgl. oben 1. Kap. 3. Abschn. C I und II. S. ähnlich Flume, AT II § 1, 10 (S. 17 ff.); Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 19; gegen Enneccerus-Nipperdey, AT, § 15 II 5 (S. 100 ff.), der in der Vertragsfreiheit ein apriorisches Freiheitsrecht erblickt, welches nur durch überragende Forderungen des Gemeinwohls einschränkbar wäre. Rechtsvergleichend läßt sich die angebrachte Skepsis gegen allzu weitreichende (und insbesondere über allgemeine normative Vorgaben hinausgehende) deduktive Ableitungen mit Blick auf die konkret-aktuelle Ausgestaltung der Vertragsfreiheit unmittelbar aus dem Grundgesetz eindrucksvoll auch dadurch belegen, daß etwa im französischen Verfassungsrecht nach (freilich kritisierter, s. Fabré-Magnan, J.C.P. 1997.I.4039, S. 336 ff.; Terneyre, Mélanges Peiser, S. 473 ff.) Auffassung des Conseil constitutionnel die Vertragsfreiheit von vornherein nicht verfassungsrechtlich gewährleistet ist (s. Conseil constitutionnel v. 20.3.1997, J.C.P. 1997.I.4039); auch das amerikanische Verfassungsrecht hat in der Frage der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Vertragsfreiheit im Verlauf der Geschichte mehrfach geschwankt (vgl. Riesenfeld, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1995, S. 9, 14 mwN), vgl. zum ganzen auch Remien, S. 170. Die Diversität in der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Vertragsfreiheit in anderen Staaten (zur Beurteilung im Rahmen der EMRK s. noch unten C I) läßt es denn aber doch zweifelhaft erscheinen, ob die Privatautonomie als verfassungsrechtliche Gewährleistung für sich genommen allzu weitgehende konkrete Ableitungen zuläßt; der Schwerpunkt dürfte demnach in der Tat auch für das deutsche Recht (wie es der herrschenden Meinung entspricht) auf der Konkretisierung und Aktualisierung praktischer Konkordanz bezüglich der involvierten Grundrechtspositionen durch den einfachen Gesetzgeber und durch die Fachgerichte liegen, s. allgemein zu dieser Aufgabenteilung zwischen allgemeinen normativen Vorgaben der Verfassung (aus der Grundrechteordnung und den verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien) und aktualisierender und konkretisierender
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rechtes entsprechenden – Gesamtrechtsvorbehalts20 finden sich einerseits in der Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG21 und andererseits – wesentlicher – im Beurteilungsmaßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Übermaßverbots)22. Diese letztgenannte verfassungsrechtliche Richtschnur ist zusammen mit dem Gebot zur Schaffung praktischer Konkordanz zwischen den beteiligten Grundrechtspositionen die entscheidende Grenze für einfachgesetzliche Beschränkungen der Vertragsfreiheit, zugleich liegt hier das entscheidende Einfallstor für die Berücksichtigung sonstiger verfassungsrechtlicher Wertungen 23. Dies ist im folgenden noch kurz näher auszuführen.
2. Der Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung Das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot gibt für Einschränkungen der Privatautonomie durch die jeweilige Ausgestaltung der Rechtsordnung die Bedingungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne vor; hinsichtlich der verfolgten Zwecke bleibt es bei der weiten Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers24. Zumindest aber ergibt sich aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit, daß der Gesetzgeber mit allfälligen Einschränkungen der formalen Privatautonomie jedenfalls einen legitimen Zweck mit geeigneten Mitteln verfolgen muß; denn aus der verfassungsrechtlichen Absicherung der Privatautonomie ergibt sich in ihrer Funktion als negative Kompetenzabgrenzung, daß im Ausgangspunkt grundsätzlich (d.h. im Falle eines fehlerfrei ablaufenden Vertragsmechanismus) der angemessene Interessenausgleich der VertragsGestaltung durch den einfachen Gesetzgeber und die Fachgerichte Drexl, aaO., S. 227 ff. im Rahmen des von ihm (in Anlehnung an Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 24, verwendeten ökonomisch-normativen Begriffs der Wirtschaftsverfassung. Vgl. zu den demnach natürlich dennoch vorhandenen verfassungsrechtlichen Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit unmittelbar im folgenden Text. 20 BVerfGE 6, 32, 37 ff.: verfassungsmäßige Ordnung als Schranke umfasse die gesamte allgemeine Rechtsordnung, soweit sie materiell und formell verfassungsgemäß zustandegekommen sei; vgl. aus der Sicht des hier betrachteten Themas auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 20, sowie aus der Sicht des öffentlichen Rechts (nicht unkritisch) Hesse, Verfassungsrecht, Rz. 426, jeweils mwN. 21 S. zuerst BVerfGE 6, 32, 40 f.; vgl. (kritisch) dazu Hesse, Verfassungsrecht, Rz. 426 f. 22 Dessen entscheidende Bedeutung als Schranke für Eingriffe in die Vertragsfreiheit betont Canaris, JZ 1987, 993, 995; ders., in: FS Lerche, S. 873, 878 ff. mwN. Zustimmend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 20. 23 S. Drexl, aaO., S. 260, der beispielhaft den Mittelstandsschutz anführt; auch paternalistische Wertungen ließen sich hier, insbesondere im weiten Rahmen des verfassungsrechtlichen Schutzauftrags für Leben und Gesundheit an den Gesetzgeber nach Art. 2 Abs. 2 GG, durchaus begründen, wobei neben einem Verbot der Tabakwerbung sich hier – nur beispielsweise – auch aktuell an das Verbot gewaltverherrlichender Videospiele denken ließe, die offenbar zu einem Abbau von Hemmschwellen und Nachahmereffekten führen können, was im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraums durchaus zum Anlaß für gesetzgeberische Maßnahmen genommen werden könnte (die verfassungsrechtlich sicher nicht unmittelbar geboten sind, aber jedenfalls gerechtfertigt werden könnten). 24 Statt aller Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 20 mwN.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
parteien sich gerade aus dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner ergibt, welcher ohne Fremdbestimmung zustande gekommen ist 25. Dieser Vorrang (oder diese Immunität) der individuellen Willenseinigung setzt aber verfassungsrechtlich voraus, daß als Vorbedingung der individuellen Willenseinigung ohne Fremdbestimmung 26 die kollidierenden Grundrechtsinteressen der Vertragspartner, d.h. insbesondere der ihnen jeweils zugestandene Spielraum für privatautonome Willensbetätigung, bei der Ausgestaltung der einfachgesetzlichen Rechtsordnung im Wege praktischer Konkordanz zur angemessenen Ausgleichung gebracht worden sind, die jedoch naturgemäß nicht „Gleichheit“ im engeren Sinne bedeuten muß27. Insbesondere bezüglich verbraucherschützender Vorschriften im weitesten Sinne (d.h. bezüglich jedweder Materialisierung des Prinzips formaler Privatautonomie) gibt die Werteordnung der Grundrechte vielmehr in ihrem Zusammenspiel mit dem Sozialstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG28 und dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG29 für die Schaffung praktischer Konkordanz bezüglich der kollidierenden Grundrechtspositionen nur vor, daß für eine angemessene Verteilung der Betätigungsräume für privatautonomes Handeln zu sorgen ist30. Die kollidierenden Grundrechtsinteressen sind demnach „in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden“31. Hieraus können sich situationsspezifische Schutzgebote an den Gesetzgeber und die Fachgerichte 25
Drexl, Selbstbestimmung, S. 232 und 257; Lorenz, aaO., S. 21. Diese grundlegende methodische Unterscheidung zwischen der Ausgestaltung der Ausgangspositionen für privatautonome Willenseinigungen durch den Gesetzgeber (bei denen dieser im Rahmen der Ausgleichung der kollidierenden Grundrechtspositionen der potentiellen Vertragspartner an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der praktischen Konkordanz gebunden ist, wobei als Wertungskriterium auch die sonstigen Wertentscheidungen der Grundrechte und verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien einfließen) und der darauf erst aufbauenden, in diesem Rahmen sich abspielenden privatautonomen Gestaltung des Vertrags durch die Parteien, übersieht die Kritik von Zöllner, AcP 196 (1996), 1 ff. (kritisch schon zum Handelsvertreter-Beschluß, BVerfGE 81, 242 von 1990, in dem der Beginn der Entwicklungslinie, die letztlich zu den Bürgschafts-Entscheidungen führte, gesehen werden kann); dagegen zu Recht Drexl, aaO., S. 231; weitestgehend zustimmend zum Handelsvertreter-Beschluß auch schon Canaris, Anmerkung zu BVerfG v. 7.2.1990, AP Art. 12 GG Nr. 65, Bl. 458. 27 Grundlegend BVerfGE 89, 214, 232. 28 So die schwerpunktmäßige Verankerung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 89, 214, 232. Zur dogmatischen Zielgenauigkeit und zur Bindungswirkung des dort verwendeten Terminus des sozialen und wirtschaftlichen „Ungleichgewichts“ noch sogleich unten 3. 29 Auf den sich insbesondere die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Arbeitsvertragsrecht und zum Mietrecht stützt, s. z.B. BVerfGE 82, 126, 145; BVerfGE 84, 197 ff. Der Gleichheitsgrundsatz kann aber grundsätzlich auch allgemein mit Blick auf die einfachgesetzgeberische Ausgestaltung des Vertragsrechts von Relevanz sein, s. zutreffend Drexl, aaO., S. 254; Remien, aaO., S. 169 f. 30 Hier hat als ein weiterer Bewertungsaspekt bei der Schaffung praktischer Konkordanz auch der grundrechtliche Diskriminierungsschutz, wie er sich als ein weiteres der „sozialen Rechte“ der Verfassung in Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG verankern läßt, seinen Raum, wobei aber wiederum der äußerst weite diesbezügliche Spielraum des Gesetzgebers zu betonen ist. Vgl. näher Neuner, JZ 2003, 57, 60 f. mwN. 31 BVerfGE 89, 214, 232 26
2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht
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ergeben; insbesondere der Gesetzgeber darf „offensichtlichen Fehlentwicklungen nicht tatenlos zusehen“32. Die gegebenenfalls erforderliche Einschränkung der vollkommenen rechtsgeschäftlichen Handlungsfreiheit wird demnach vom Bundesverfassungsgericht nicht als Einschränkung der Privatautonomie gesehen, sondern vielmehr als genuines Merkmal der Privatautonomie selbst auf deren zweiseitigen Charakter und die daher erforderliche Materialisierung gegründet 33. Daß der sich daraus ergebende Kontrollmaßstab für das Tätigwerden des Gesetzgebers trotz des grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraums hinsichtlich der Privatautonomie durchaus eine effektive Kontrolle der Eignung und Notwendigkeit zwingenden Rechts zur Ausgestaltung praktischer Konkordanz und Sicherung der wirtschaftlichen Selbstbestimmung ermöglicht, hatte sich in aller Deutlichkeit erstmals im sogenannten „Handelsvertreter“-Beschluß von 1990 gezeigt34. Mittlerweile sind es insbesondere der Bürgschaftsbeschluß vom 19.10.199335 und die in der Folge ergangenen Entscheidungen 36, die den Stand der verfassungsrechtlichen Dogmatik mit Blick auf die Überprüfung des Gesamtsystems des geltenden Zivilrechts und der fachgerichtlichen Rechtsanwendung, insbesondere der zivilrechtlichen Generalklauseln37, im Einzelfall markieren. Das dadurch umrissene Verhältnis der verfassungsrechtlichen Kontrolle zur einfachgerichtlichen Ausle32
BVerfGE 81, 242, 255. S. auch schon Höfling, Vertragsfreiheit, S. 25 ff: Beschränkung als Strukturprinzip der Vertragsfreiheit; ebenso Grün, WM 1994, 713, 721; Drexl, aaO., S. 279; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 19. 34 S. BVerfGE 81, 242; unmittelbar dazu Wiedemann, JZ 1990, 696 f.; Canaris, AP Art. 12 GG Nr. 65. Für eine kurze Übersicht der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu unterschiedlichen Bereichen des Vertragsrechts vgl. im übrigen Remien, aaO., S. 158 ff. 35 BVerfGE 89, 214. S. dazu noch sogleich die näheren Nachweise unten 3. 36 Insbesondere die weiteren Bürgschafts-Entscheidungen BVerfG v. 5.8.1994, NJW 1994, 2749; BVerfG v. 2.5.1996, ZIP 1996, 956. Grenzen der fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften, die grundgesetzliche Schutzvorschriften reflektieren, zeigt auch die Entscheidung v. 16.11.1993, BVerfGE 89, 276, zur Anwendung des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbots in § 611a BGB. Von Interesse ist auch die Entscheidung v. 13.5.1986, ZIP 1986, 975, zur alten Rechtslage nach § 1629 BGB (seit 1999 in Reaktion auf die Verfassungsgerichtsentscheidung ergänzt durch § 1629a BGB), der es gestattete, „daß Eltern ihre Kinder kraft elterlicher Vertretungsmacht (§ 1629 BGB) bei Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts in ungeteilter Erbengemeinschaft finanziell unbegrenzt verpflichten können“. Denn darin sah das BVerfG eine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Minderjährigen nach Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, da dies die Gefahr mit sich bringe, daß der Minderjährige bei Erreichen der Volljährigkeit mit einer Überschuldung konfrontiert sei, die seine Privatautonomie und damit die Entfaltung seiner Persönlichkeit beeinträchtigen könnte; dies bringt einerseits (jedenfalls in Fällen, in denen es zu einer praktisch allseitigen Beschränkung wirtschaftlicher Selbstbestimmung kommt) Bestätigung für Drexls These (s. schon o. Fn. 16 mwN), daß ein umfassendes Grundrecht auf wirtschaftliche Selbstbestimmung als Einzelfacette des allgemeinen Persönlichkeitsrechts neben Art. 2 Abs. 1 auch in Art. 1 Abs. 1 GG zu verankern wäre (in BVerfGE 89, 214, 235, wurde eine potentielle Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausdrücklich offengelassen); andererseits ist auch die Betonung des Minderjährigenschutzes mit der zusätzlichen Verankerung in Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG für die hier angestellte Untersuchung von Interesse. 37 S. insoweit grundlegend schon BVerfGE 7, 198 (Lüth-Urteil). 33
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
gung und Anwendung des Zivilrechts soll im folgenden in seinen methodischen und seinen inhaltlichen Aspekten noch etwas näher nachgezeichnet werden, wobei die diesbezüglichen Ausführungen bereits die Grundlage für den Vergleich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung der wettbewerbsrechtlichen Sachverhaltsanalyse und der Anwendung und Fortentwicklung der Fallgruppensystematik unter dem alten § 1 UWG durch die Fachgerichte bilden.
3. Insbesondere: Die Bürgschafts-Entscheidungen und ihre Rezeption im Privatrecht – Methodische Leitlinien für eine Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben Wie es nach den hier angestellten Grundlagenüberlegungen geboten ist, nähert sich das Bundesverfassungsgericht den Situationen eines gestörten Vertragsmechanismus gewissermaßen auf „negativem“ Wege; im Grundsatz gewährleistet eine selbstbestimmte Willenseinigung auf Grundlage der geltenden Rechtsordnung die praktische Konkordanz38 der beteiligten Grundrechtsinteressen, jedoch sind durch den einfachen Gesetzgeber und die Rechtsprechung „negativ“ Situationen auszulesen und zu korrigieren, in denen das Gleichgewicht des Vertragsmechanismus so gestört wird, daß es im Ergebnis zu einer Fremdbestimmung kommt39. Gesetzgebung und Rechtsprechung sind verpflichtet40, in typisierbaren Situationen strukturellen Vertragsungleichgewichts mit ungewöhnlich belastenden Folgen für eine Vertragspartei, im Sinne einer Materialisierung der Vertragsfreiheit durch legislatives Handeln bzw. durch sachgerechte Auslegung und Anwendung des bestehenden Rechts, insbesondere der Generalklauseln, für eine ausgleichende Materialisierung der Privatautonomie zu sorgen41. Dabei hält das Bundesverfassungsgericht in der Bürgschafts-Entscheidung im Ausgangspunkt ausdrücklich fest, daß die geltende deutsche Privatrechtsordnung, samt den im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242, 315 BGB geöffneten „Taschen“ für eine Konkretisierung und Aktualisierung verfassungsrechtlicher Schutzgebote durch die Rechtsprechung, dem Schutzgebot hinsichtlich der Privatautonomie „Unterlegener“ grundsätzlich gerecht wird42. Eine verfassungsrechtliche Korrektur der zivilgerichtlichen Rechtsanwendung und –auslegung insbesondere im Rahmen der Generalklauseln sei aber dann wegen Verletzung spezifischen Verfassungsrechts geboten, wenn das Fachgericht (mit praktischer Konsequenz für die 38 S. grundlegend zum Konzept der praktischen Konkordanz Hesse, Verfassungsrecht, Rz. 72, 317 ff. mwN. 39 S. die zutreffende Interpretation des Bürgschafts-Beschlusses bei Drexl, aaO., S. 267 f. mwN. 40 S. zur Frage der mittelbaren oder unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, die sich hieraus ergibt, noch sogleich unten im Text. 41 BVerfGE 89, 214, 232. 42 BVerfGE 89, 214, 234 ff. Vgl. dazu Drexl, aaO., S. 268; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 14 (insbes. Fn. 58).
2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht
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Entscheidung des konkreten Einzelfalls) die grundgesetzlich gewährleistete Privatautonomie verkenne, weil es entweder die Problematik gestörter Vertragsparität gar nicht sehe oder aber deren Lösung mit untauglichen Mitteln versuche 43. Der inhaltliche Maßstab des Abstellens auf typisierbare Situationen struktureller Ungleichgewichtslagen hat dem Bundesverfassungsgericht viel Kritik eingetragen44; soweit der unglückliche – weil in ungenauer45 Weise ein soziales Vertragsungleichgewicht oder ein Machtgefälle insinuierende – Begriff der Ungleichgewichtslage betroffen ist, ist diese Kritik nicht gänzlich unberechtigt46. Doch hat die – für die Fachgerichte ohnedies nicht bindende 47 – Terminologie unnötigerweise den Blick verstellt für die im Kern zutreffende Argumentation des Gerichts, die auf einen verfassungsrechtlichen Auftrag an die Fachgerichte hinausläuft, – aufgrund welcher Indizien auch immer – die typisierten Situationen struktureller Gefährdung der Selbstbestimmung zu ermitteln48. Entscheidend ist dabei die Methode dieses Ermittlungsvorgangs, die im Grundsatz dem Zivilgericht überlassen bleibt. Insoweit gibt das Bundesverfassungsgericht allenfalls Leitlinien für die fachgerichtliche Feststellung der strukturellen49 Beeinträchtigung von Selbstbestim43
BVerfGE 89, 214, 234. S. kurz und in großer Deutlichkeit die grundlegende Kritik bei Adomeit, NJW 1994, 2467; spezifisch kritisch bezüglich des ungenauen Terminus der Ungleichgewichtslage Grunsky, Vertragsfreiheit und Kräftegleichgewicht, S. 10 ff.; Medicus, Abschied von der Privatautonomie?, S. 19 ff., 35; wiederum grundlegend die Kritik bei Zöllner, AcP 196 (1996), 1 ff. 45 Zur rechtstheoretisch notwendigen Unbestimmtheit eines (positiven) „Gleichgewichts“ s. Zöllner, aaO., 24; ebenso Oechsler, Gerechtigkeit im Austauschvertrag, S. 145 ff. zum Begriff der gestörten Vertragsparität (dort auch zugleich gegen sämtliche weiteren, die einschlägigen Indizien „normativ nachrationalisierenden“ Ausweichstrategien, mit umfassenden weiteren Nachweisen). 46 S. ebenso Drexl, aaO., S. 273. 47 S. zutreffend Becker, Der unfaire Vertrag, S. 16, zu der durch die Terminologie der verfassungsrechtlichen Herleitung im Grundsatz unberührten zivilrechtlichen Dogmenbildung. Vgl. auch schon im vorstehenden Text zum (eingeschränkten) Kontrollmaßstab für die fachgerichtliche Rechtsanwendung und noch u. Fn. 60 zu der hiermit innerlich verbundenen Frage, ob die Grundrechte in Privatrechtsbeziehungen mittelbare oder unmittelbare Drittwirkung entfalten. 48 S. zutreffend Drexl, aaO., S. 274 mwN; ähnlich Gernhuber, JZ 1996, 1086, 1091. 49 Der (gleichfalls zum Ansatzpunkt für Kritik gewordene, s. nur Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 27) Aspekt der strukturellen Beeinträchtigung dürfte sich nach richtiger Auffassung gerade auf die Struktur der Vertragssituation (typischerweise nicht auf ganze Sonderbeziehungen, wie diejenige zwischen Bank und Kunde, s. dazu aber Singer, JZ 1995, 1133, 1138, der das Verhältnis zwischen Bank und Privatkunde den „klassischen“ im Miet- und Arbeitsrecht anerkannten Ungleichgewichtslagen wertungsmäßig zur Seite stellt; allgemein auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 17, 33 ff.) beziehen, s. Drexl, aaO., S. 275 f. mwN. Für dieses Ergebnis spricht insbesondere die konkrete Beurteilung des (erfolgreichen Teils des) Sachverhalts in BVerfGE 89, 214, 230 f., wo das Gericht (neben einem typisierenden Hinweis auf das mit 21 Jahren vergleichsweise jugendliche Alter der Beschwerdeführerin) in erster Linie auf eine situationsspezifische Analyse des Zustandekommens des Vertrags unter Einschluß des Verhaltens des überlegenen Vertragspartners abstellte. Eine Bestätigung für den situationsspezifischen Charakter des Verbraucherschutzmodells der Bürgschafts-Entscheidungen bildet auch das insgesamt wechselvolle Bild der diesbezüglichen Kammerbeschlüsse in der Folge, vgl. Remien, aaO., 160 f. 44
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
mung vor. Insbesondere soll diese, zumal (aber nicht nur) im Rahmen der zur Verfügung stehenden Generalklauseln der Rechtsgeschäftslehre in §§ 138, 242, 315 BGB, durch Richterrecht typisiert erfolgen. In der Zusammenschau mit der Handelsvertreter-Entscheidung, derzufolge auch der Gesetzgeber „offensichtlichen Fehlentwicklungen“ nicht tatenlos zusehen darf, läuft dies (auch im das Lauterkeitsrecht einbeziehenden Überblick) genau auf den Grundsatz zeitlicher Komplementarität, wie er im Grundlagenteil erarbeitet wurde50, hinaus. Problematische Situationen können zuerst im Rahmen der Generalklauseln gewissermaßen konkret „aufgefangen“ werden51; im Interesse der Rechtssicherheit muß sich dem aber eine erste (noch indizielle) Abstrahierung durch richterrechtliche Typisierung in Fallgruppen anschließen52, die die Schutzgebotsfunktion der Grundrechte für die wirtschaftliche Selbstbestimmung (typisierend) berücksichtigen. Hat sich schließlich eine typisierte Situation strukturellen Ungleichgewichts – im Sinne einer strukturellen Gefährdung des selbstbestimmten Vertragsmechanismus – in der gerichtlichen Rechtsanwendung so konkretisiert, daß eine gesetzgeberische Festlegung der Fallgruppe geboten erscheint oder werden gesetzliche Schutzlükken offenbar, kann bzw. muß auch ein korrigierendes Eingreifen des Gesetzgebers erfolgen. Es ist dies im praktischen Ergebnis letztlich ein empirisches Modell verfassungsrechtlich gewährleisteten Verbraucherschutzes, welches die Identifikation von Situationen gestörten Selbstbestimmungsgleichgewichts im wesentlichen der fallgruppenorientierten Entwicklung der forensischen Praxis und ihrer Beobachtung durch den einfachen Gesetzgeber überläßt; dies entspricht zugleich gerade der im Grundlagenteil (auf systemtheoretischer Grundlage) erarbeiteten recht weitgehenden Skepsis gegen diesbezügliche proaktive Prognosen auf der Basis (insbesondere klassischer53) ökonomischer Lehren und der stattdessen befürwor50
S. oben 1. Kap. 3. Abschn. bei Fn. 352. So zutreffend insbesondere Singer, JZ 1995, 1133, 1138 ff. Vgl. näher zu der Frage, ob insoweit die Grenzen verfassungsrechtlich gebotener Typisierung einzelfallbezogen ad hoc aufgelöst werden können, auch noch unten (II 2 c und III) im Zusammenhang mit der in diesem Zusammenhang erhellenden Zusammenschau mit der verfassungsgerichtlichen Sicht auf die Fallgruppen des alten § 1 UWG. 52 Insoweit wendet sich das Verfassungsgericht (in Anlehnung an eine vor allem von Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, S. 224 ff., begründete Auffassung) gegen eine generelle – und vollkommen einzelfallorientierte – Überprüfung von Verträgen am Kriterium der Selbstbestimmung, wie sie sich beispielsweise aus Wolfs (s. grundlegend M. Wolf, Entscheidungsfreiheit und Interessenausgleich, 1970) Theorie der wirtschaftlichen Selbstbestimmung ergäbe, vgl. für einen modernen Ansatz einer grundrechtlichen ad hoc-Inhaltskontrolle von Verträgen, die auf der Funktion grundrechtlicher Schutzpflichten basiert, aber Singer, aaO., 1138 ff.). Grundlegend für eine fallgruppenbezogene Typisierung der vertragsrechtlichen Inhaltskontrolle außerhalb des AGBG wiederum schon Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 15 ff.; aus grundlegend methodischer Perspektive generell kritisch zur Fallgruppenbildung bei der Konkretisierung von zivilrechtlichen Generalklauseln Weber, AcP 192 (1992), 516 ff.; dagegen Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105, 132 ff. 53 S. aber ebenda zu den immerhin hoffnungsvolleren neueren Ansätzen der experimentellen Ökonomie, die psychologische und soziale Anomalien einzubeziehen beginnt und zur Grundlage ganzer eigener Forschungszweige macht. Vgl zuletzt auch Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff. 51
2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht
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teten Priorisierung der Analyse der im privatrechtlichen Gesamtsystem aus Lauterkeits- und Vertragsrecht selbst verborgenen Wertungen und deren innerer Stimmigkeit. Die empirische Beobachtungspflicht des Gesetzgebers im Rahmen seiner an den Vorgaben der Grundrechteordnung zu messenden Gestaltungsfreiheit dürfte sich dementsprechend auch – da eine Lösung typischer Gefährdungssituationen für selbstbestimmte Verträge sowohl durch abstrakte Gefährdungstatbestände im Lauterkeitsrecht als auch durch Lösungen im Rahmen der vertragsrechtlichen Generalklauseln zur Inhaltskontrolle erfolgen kann – sowohl auf das Lauterkeits- als auch auf das Vertragsrecht erstrecken. Ob es insoweit dann im Bereich des durch die Regelung kommerzieller Kommunikation geprägten (und daher wesentlich durch Art. 5 GG überformten) Lauterkeitsrechts gerade dieselben Maßstäbe sind, die bei der Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Schranken herangezogen werden können, ob mit anderen Worten ein integratives verfassungsrechtliches Konzept auf der Basis des Schutzes unverzerrter Vertragsentscheidungen gelingt, ist sogleich noch unten im Lichte der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz kommerzieller Kommunikation zu untersuchen. Jedenfalls die jeweils im Ansatz vergleichbaren Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Typisierung und mithin der Bildung und Anwendung von Fallgruppensystematiken im Rahmen von einfachgesetzlichen Generalklauseln (sei es des allgemeinen Zivilrechts oder des spezialgesetzlichen Lauterkeitsrechts) lassen insoweit durchaus auf eine wechselseitige Befruchtung hoffen54. Diese wechselseitige Befruchtung und (die zumal in den neueren Urteilen zum Lauterkeitsrecht vom Verfassungsgericht angestoßene) Fortentwicklung der Fallgruppenmethodik im Rahmen der Rechtsanwendung von Generalklauseln ist von großer Wesentlichkeit. Denn wenn die Identifikation typisierter Situationen der Gefährdung des Vertragsmechanismus zu großen Teilen der zivilgerichtlichen Praxis der Rechtsanwendung und –fortentwicklung im Rahmen von Generalklauseln überlassen wird, so gewinnt die hierfür von den Gerichten angewandte Methodik (insbesondere bezüglich der Frage der Reichweite der Bindungswirkung von Fallgruppen und Möglichkeiten bzw. Methode einer „Öffnung“ der typisierenden Betrachtung) entscheidende Bedeutung55. Gerade insoweit verspricht die Zusammenschau mit den neueren Entscheidungen zum Lauterkeitsrecht – für das die Fallgruppenmethodik (selbst nach neuem Recht) ein regelrechtes Strukturprinzip bildet – essentiellen Gewinn.
54 S. (im kurzen grundlagenorientierten Vorgriff) nur schon die (den Überlegungen zu den allgemeinen zivilrechtlichen Generalklauseln) fast spiegelbildlich entsprechende Erwiderung von Beater, AcP 194 (1994), 82 ff., auf Weber, aaO., die sich argumentativ ausdrücklich gerade auf die Fallgruppenbildung im Rahmen des § 1 UWG beschränkt und bezieht. 55 S. rechtsvergleichend im Vergleich zum Richterrecht des common law Ohly, AcP 201 (2001), 1 ff. S. aaO. (S. 46 f.) auch mit einer Kritik der vergleichsweise undisziplinierten Anwendung und Fortentwicklung der Fallgruppenmethode durch die deutschen Gerichte.
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Soweit das Bundesverfassungsgericht im Bürgschafts-Beschluß darüber hinaus eine ungewöhnliche Belastung der unterlegenen Vertragspartei als Resultat der typisiert strukturellen Gefährdungssituation verlangt, ist es fraglich, ob diese Voraussetzung richtigerweise allein auf das Ausmaß der Unausgewogenheit des im Vertrag gefundenen Interessenausgleichs bezogen werden muß56 oder ob damit in der Tat auf die konkreten wirtschaftlichen Folgen für den betroffenen Grundrechtsträger abgehoben werden soll57. Richtigerweise dürfte es sich bei der Beurteilung des Ausmaßes der Belastung um eine (im wesentlichen auf den zu analysierenden Vertrag orientierte) Art einer Vorstufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne einer gewissen Substantialitätsprüfung handeln58, wobei sich dieses zutreffende Ergebnis wiederum auch gerade aus der Zusammenschau mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 5 GG und § 1 des alten UWG erhellt, wie deshalb noch unten (B II 2 b (3)) im sachlichen Zusammenhang näher ausgeführt werden soll. Der Eingriffsmaßstab des Verfassungsgerichts im Verhältnis zum Primat der zivilrechtlichen Dogmatik gestaltet sich angemessen zurückhaltend59. Ein Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Gewährleistung der Privatautonomie soll sich lediglich dann ergeben, wenn das Zivilgericht das Problem gestörter Vertragsparität vollkommen übersehen oder wenn es ihm mit von vornherein ungeeigneten Mitteln begegnet ist60. Die dennoch ausgebrochene Kontroverse um eine 56
So Wiedemann, JZ 1994, 411, 412 f. S. die wohl herrschende Meinung, etwa Preis/Rolfs, DB 1994, 261, 267; Rehbein, JR 1995, 45, 49; wohl auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 278. Insbesondere im Sinne der herrschenden Meinung die Folgeentscheidung des BGH zum Bürgschafts-Beschluß unter Beachtung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben, BGHZ 125, 206, 210. 58 Ähnlich Drexl, aaO. 59 A.A. Zöllner, AcP 196 (1996), 1 ff.; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171 ff.; demgegenüber zutreffend Drexl, aaO., S. 272. 60 Ob man in den entsprechenden Vorgaben an die zivilgerichtliche Privatrechtsanwendung bei der Inhaltskontrolle von Verträgen weiterhin einen Unterfall mittelbarer (so zutreffend – denn gleichgültig, ob es sich um Gesetzesanwendung im Rahmen einer Generalklausel oder sonstiger zivilrechtlicher Vorschriften handelt, ist die (zumal „umsetzungsoffene“ grundrechtliche Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts doch an den Gesetzgeber bzw. das Zivilgericht, nicht aber an die Parteien des streitgegenständlichen Vertrages gerichtet – insbesondere schon Canaris, AcP 184 (1984), 201, 222 f. und 242 f., zustimmend Drexl, aaO., S. 272) Drittwirkung (in der Tradition des Lüth-Urteils, BVerfGE 7, 198) sieht oder ob man hierin eine unmittelbare Heranziehung der Grundrechte (gar als Abwehrrechte, so Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 9) erblicken will, könnte für die Zwecke der hier angestellten Unersuchung genaugenommen sogar offen bleiben, soweit es lediglich um eine Analyse der Formung und Kontrolle gesetzlicher Privatrechtsnormen durch die Grundrechte geht, die sich ja insoweit gerade als bloßes Gebot an den Gesetzgeber auswirken, vgl. ebenso Remien, aaO., S. 169 mwN unter Hinweis auf Schwabe, AöR 100 (1975), 442, 470: „Scheinproblem“. Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen der (zutreffenden) Theorie von der mittelbaren Drittwirkung gegenüber der – die Unterscheidung zwischen Bindung des Richters und Bindung der Vertragsparteien letztlich einebnenden – Theorie von der unmittelbaren Drittwirkung (trotz der weitgehenden praktischen Konvergenz der Ergebnisse bei der vertragsrechtlichen Inhaltskontrolle) aber doch – auch für die hier angestellte Untersuchung, vgl. etwa noch unten bei Fn. 80 – insofern, als nur die Theorie von der mittelbaren Drittwirkung hinreichend deutlich macht, daß die Lösung des verfassungsrechtlichen Konflikt (ins57
2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht
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unbillige Einmischung des Verfassungsgerichts in die Zivilrechtsdogmatik und die Anmaßung einer Rolle als „oberstes Zivilgericht“61 findet wiederum ein Spiegelbild in der entsprechenden Diskussion um die letzthin mit Vehemenz wahrgenommene Rolle des Bundesverfassungsgerichts bei der Sicherung der Kommunikationsgrundrechte im Recht des unlauteren Wettbewerbs. Es wird unter vergleichender Perspektive noch in der Folge zu belegen sein, daß der Vorwurf einer übertriebenen Einmischung des Bundesverfassungsgerichts in fachgerichtliche Belange im Ergebnis in beiden Fällen im wesentlichen unberechtigt ist. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß das Bundesverfassungsgericht beginnend mit dem Handelsvertreter-Beschluß und zur Reife entwickelt in den Bürgschafts-Entscheidungen ein Modell situationsspezifischer Materialisierung der Vertragsfreiheit entwickelt, welches verfassungsrechtlich im Kern des Privatautonomiebegriffs selbst verortet ist; möglich wird das durch die konsequente Anerkennung der Zweiseitigkeit der grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie als Vorbedingung vertraglicher Parteigestaltung und des daraus sich ergebenden Gebots der Schaffung praktischer Konkordanz (nicht: absoluter Gleichheit) mit Blick auf diese Vorbedingung. Dies rückverortet den vertragsrechtlichen Verbraucherschutz im Sinne eines integrativen Modells wiederum im Kernbereich zivilrechtlichen Vertragsrechts; die Inkorporierung der rollenspezifischen Verbraucherschutzvorschriften im BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform hat also in gewisser Weise auch eine verfassungsgerichtliche Tendenz einfachgesetzlich kristallisiert. Eine derartige Fortentwicklung und Stärkung der Dogmatik eines freiheitsorientierten zivilrechtlichen Verbraucherschutzes für das deutsche Recht scheint auch und zumal in der Konfrontation mit den – gerade zuletzt gelegentlich das Ausmaß kontra-intentionaler Einschränkungen der Privatautonomie erreichenden – Entwicklungen des gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzes der (im Vergleich zu politisch wenig aussichtsreichem Totalwiderstand) vielversprechendere Weg, um einer einseitigen Fortentwicklung des zwingenden mitgliedstaatlichen Vertragsrechts nach den Vorgaben der Gemeinschaftsinstrumente und ihrer über die Rechtsprechung des EuGH nach dem effet utile-Grundsatz vermittelten Ausstrahlungswirkung62 effektiven Widerstand entgegenzusetzen.
II. Recht des unlauteren Wettbewerbs im Rahmen des Grundgesetzes und Folgerungen für das Vertragsrecht unter vergleichender Perspektive Zu untersuchen bleibt, ob der Fokus auf die Gewährleistung der Selbstbestimmung der Verbraucher und Kunden auch den – auf den ersten Blick wegen der Überformung durch die Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG doch besondere hinsichtlich der Mittel zur Erreichung des Ergebnisses) gerade im wesentlichen dem einfachen Recht und dessen zivilgerichtlicher Anwendung überlassen bleibt, so zutreffend Canaris, aaO., 242. 61 So programmatisch der Titel des Aufsatzes von Diederichsen, aaO. 62 S. zu alldem unten 3. Abschn. B III.
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ganz anders gelagerten Bereich – der Regelung vorvertraglicher werblicher Kommunikation (und ihrer verfassungsrechtlichen Kontrolle) modellieren kann. In diesem Bereich haben in den letzten Jahren, nachdem die Bewegung um den verfassungsrechtlichen „Verbraucherschutz“ zwischenzeitlich etwas abgeebbt ist, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (letzthin zumal seiner Kammern) erhebliche Unruhe und liberalisierende Dynamik geschaffen. Wiederum läßt sich auch für das nunmehr in den Blickpunkt des Verfassungsgerichts geratene Recht des unlauteren Wettbewerbs genau dieselbe eigentümliche Kombination aus (überwiegender) inhaltlicher Zustimmung zu den Ergebnissen der Verfassungsgerichtsentscheidungen und (teils berechtigter) Kritik an der vom Bundesverfassungsgericht (in diesem Fall in vermeintlicher Anlehnung an die diesbezügliche Konzeption der BGH-Rechtsprechung) verwendeten Terminologie beobachten, wie sie schon für die zivilrechtliche Rezeption des Bürgschafts-Beschlusses so kennzeichnend war. Dies vermittelt die Hoffnung, daß auch erneut sich unter der teils verfehlten Terminologie eine im Kern tragfähige Konzeption entpuppt, die zudem mit dem verbraucherrechtlichen Schutz des Vertragsmechanismus inhaltlich im vorgenannten Sinne verwoben sein könnte. Zuerst soll nochmals – nun unter dem Blickwinkel des Lauterkeitsrechts – der Wettbewerbsbegriff der Verfassung in seiner Werthaltigkeit hinterfragt werden (unten 1) bevor dann schwerpunktmäßig der Einfluß der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs untersucht (und mit dem vertragsrechtlichen Verbraucherschutz verglichen) wird (unten 2); dabei ist – nachdem sich die einschlägigen Verfassungsgerichtsentscheidungen sämtlich noch auf die Generalklausel des alten UWG beziehen – zudem die nunmehr erfolgte Reform des UWG zu berücksichtigen, die in einzelnen Aspekten durchaus als eine rahmenartige Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben durch den einfachen Gesetzgeber angesehen werden kann.
1. Der Wettbewerbsbegriff der Verfassung: Wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes? Natürlich spiegelt der verfassungsrechtliche Stand mit Blick auf den Wettbewerbsbegriff des Grundgesetzes genau die Ausführungen im Zusammenhang mit der Vertragsfreiheit; es geht aus wirtschaftsverfassungsrechtlicher Sicht schlicht um einen unterschiedlichen Blickwinkel, auf dasselbe Grundrechts- und Verfassungsprinzipiengeflecht, das zusammengenommen die wirtschaftliche, politische und rechtsstaatliche Rahmenordnung Deutschlands fixiert63.
63 Die sich ihrerseits (genau das ordoliberale Konzept der Interdependenz der Ordnungen spiegelnd) im Kontext der demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassung der Bundesrepublik bewegt, s. Fezer-Fezer, Einleitung E, Rz. 47 mwN. Für eine Fruchtbarmachung des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips im Bereich der verfassungsrechtlichen Verbraucherschutzkonzeption s. Drexl, Selbstbestimmung, S. 240 ff. mwN.
2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht
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Der vielstrapazierte Begriff von der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes64 darf dabei nicht irreführen. Im Sinne einer Institutsgarantie schließt die objektive Werteordnung, wie sie sich in den Freiheitsgrundrechten und dem Sozial- und Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes verkörpert, zwar wiederum nur Extremformen einer Planwirtschaft oder eines vollkommen unkontrollierten „Manchester“-Kapitalismus aus65, während im Raum zwischen den Extremformen dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum – auch für bereichsspezifische „Taschen“ planender Wirtschaftslenkung 66 (man denke nur an Dienstleistungen im Gesundheitswesen) – (vielleicht gelegentlich allzu einladend) offensteht67. Es ist dies aber dennoch nur eine relative wirtschaftspolitische Offenheit68. Genau wie mit Bezug auf die komplementäre69 Vertragsfreiheit bewegt sich auch die „Offenheit“ des Wettbewerbsbegriffs der Verfassung im Kraftfeld der Grundrechteordnung und der Strukturprinzipien des Grundgesetzes. Hervorragende und unmittelbare70 Bedeutung haben die Freiheitsgewährleistungen der Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 GG, d.h. die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und – auch aus Kundensicht relevant – die Informationsfreiheit, daneben naturgemäß (in nicht immer gänzlich einleuchtender Abgrenzung vom Schutzbereich des Art. 5 GG71) die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG72 und als Auf64
BVerfGE 4, 7, 17 – Investitionshilfe; BVerfGE 7, 377, 400 – Apotheken; BVerfGE 12, 354 – VW-Privatisierung; BVerfGE 30, 292 – Erdölbevorratung; BVerfGE 50, 290 – Mitbestimmung. Dabei richtete sich die Klarstellung in der Investitionshilfe-Entscheidung in erster Linie gegen Versuche ein wettbewerblich-marktwirtschaftliches System (insbesondere die soziale Marktwirtschaft) verfassungsrechtlich zu institutionalisieren (s. grundlegend Nipperdey, Die soziale Marktwirtschaft in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1954; ders., Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 1965). 65 Vgl. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl., Rz. 1.44 mwN. 66 Soweit überwiegende Gründe des Gemeinwohls eine nicht marktkonforme Steuerung einzelner Märkte rechtfertigen oder gebieten, s. BVerfGE 18, 315. 67 S. bündig statt aller Köhler, aaO., Rz. 1.43 mwN. 68 So ausdrücklich BVerfGE 50, 290, 337 f. – Mitbestimmung. Zustimmend Drexl, Selbstbestimmung, S. 220; Köhler, aaO., Rz. 1.44. 69 Zutreffend Fezer-Fezer, Einl. E, Rz. 47 mwN. 70 Mittelbar spielen darüber hinaus natürlich die Garantie des Eigentums (Art. 14 GG), die Koalititonsfreiheit und Tarifautonomie (Art. 9 GG), die Freizügigkeit (Art. 11 GG) sowie das Rechtsstaatsprinzip eine Rolle. Für Werbung mittels künstlerischer Ausdrucksmittel oder wissenschaftlicher Forschungsergebnisse mag im Einzelfall auch die Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) einschlägig sein. Vgl. eingehender Stober, in: FS Lukes, S. 591 ff. mwN. Vgl. auch Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 20, 24 mit umfassenden Nachweisen. 71 Dies seit Mitte der neunziger Jahre (zuvor war auch anderweitige Werbung primär am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG gemessen worden, s. nur BVerfG GRUR 1972, 358, 360 – Grabsteinwerbung; BVerfG GRUR 1993, 751 – Großmarktwerbung I; BVerfG GRUR 1993, 754 – Großmarktwerbung II; BVerfG GRUR 1999, 247, 248 f. – Metro) insbesondere mit Blick auf Werbemaßnahmen im Bereich freier Berufe. Hier stützt das Bundesverfassungsgericht seine, die Gestaltung und Anwendung der traditionellen Berufsausübungsregeln der respektiven Standesorganisationen gleichfalls zusehends liberalisierende Rechtsprechung (s. nur zuerst BVerfGE 71, 162, 174 – Sieg über das Altern, zuletzt BVerfG NJW 2003, 3470 – Zahnarztinternetwerbung sowie in der Folge BGHZ 147, 71, 74 – Anwaltswerbung II/Mittagsimbiss, BGH NJW 2001, 2886, 2887 – Anwaltsrundschreiben) weiterhin beharrlich auf Art. 12 GG, ohne daß die Konkur-
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fanggrundrecht die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG. Der individualistischen Ausrichtung der Grundrechte steht wiederum – letztlich in Reflektion auch der grundlagenorientierten Überlegungen zu individualistischen und sozialen Konzeptionen, die eben nur in ihrer Kombination genügen, das geltende Vertrags- und Wettbewerbsrecht zu fundieren – die soziale Ausrichtung des Grundgesetzes, wie sie sich im Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG und insbesondere im Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) verkörpert, gegenüber73. Alles in allem spiegelt die verfassungsrechtliche Situation die Komplementarität zwischen Vertragsfreiheit und Wettbewerbsfreiheit also genau. Allenfalls mit Blick auf die verfassungsrechtliche Methodik zur Auflösung der Grundrechtsund Prinzipienkonflikte mag es Unterschiede zwischen dem Ansatz im Lauterkeitsrecht und dem Ansatz im Bereich vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes geben. Dies beruht darauf, daß die Grundrechte mit Blick auf lauterkeitsrechtliche Einschränkungen des freien Wettbewerbs in der Tat typischerweise in ihrer Rolle als Abwehrrechte zur Geltung kommen, während im Vertragsrecht – wo es genaugenommen ja in der Regel nicht um die Abwehr einer staatlichen Beschränkung74, sondern vielmehr von vornherein um die Ausgestaltung und insbesondere um das (stets im Hintergrund privatautonomen Handelns, gewissermaßen als Geschäftsgrundlage präsente) Ausmaß der eben nur mit Hilfe staatlicher Mittel zu sichernden Durchsetzungsmöglichkeit einer zivilrechtlichen Institution geht – mehr die Rolle als Schutzgebot75 und als negative Kompetenzvorschrift76 im Mittelpunkt steht. Das bringt es mit sich, daß im Lauterkeitsrecht – im Vergleich zum vertragsrechtlichen Verbraucherschutz – als methodischer Kondensationskern der verfassungsrechtlichen Begrenzungen des gesetzgeberischen Spielraums noch mehr das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Übermaßverbot)77 im Mittelpunkt steht und vergleichsweise etwas weniger der Grundsatz praktischer Konkordanz. Ein inhaltrenzfrage zu Art. 5 Abs. 1 GG wirklich befriedigend gelöst wäre, vgl. näher Harte/HenningAhrens, Einl F, Rz. 22 mit umfassenden weiteren Nachweisen. 72 Enstprechend der aktuellen Entwicklung soll die – mehr in spezifischen Bereichen (s. o. Fn. 71) relevant gebliebene – Rechtsprechung zur Berufs- und Gewerbefreiheit hier nicht im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Vgl. aber grundlegend Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, S. 23 ff.; Hufen, NJW 1994, 2913 ff.; Hoffmann, BB 1994, 53 ff.; Drexl, aaO., S. 249; Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 20 ff., jeweils mwN. 73 S. prägnant Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl., Rz. 1.44: „Individual- und Sozialprinzip“. 74 Um eine bloße Abwehrfunktion der Grundrechte geht es allenfalls, soweit ein Grundrechtsträger zur Selbsthilfe zur Durchsetzung eines außerhalb der zivilrechtlichen Möglichkeiten geschlossenen Vertrags griffe und insoweit sich auf seine allgemeine Handlungsfreiheit beriefe. Dies ist aber nicht die typische Konfliktsituation, in der vielmehr ein Vertrag im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung eben gerade auch mit staatlicher Rückendeckung durchgesetzt werden soll. 75 Vgl. grundlegend Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff. 76 Vgl. grundlegend Drexl, aaO., S. 232 f. 77 In der Regel mit Blick auf Schranken der „allgemeinen Gesetze“ unter Art. 5 Abs. 2 GG, als die sich Werbebeschränkungen unter § 1 UWG im Regelfall darstellen. S. sogleich unten 2 a.
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licher Unterschied mit Blick auf die verfassungsrechtliche Kontrolle einfachgesetzgeberischer und zivilgerichtlicher Tätigkeit ergibt sich daraus jedoch ebensowenig, wie aus der (hinsichtlich der Schutzbereichsabgrenzung nicht immer ganz einsichtigen) Behandlung der Werbefreiheit im Rahmen unterschiedlicher Grundrechte78. Schon eher mag praktisch die Tatsache eine Rolle spielen, daß die Generalklauseln des Rechts des unlauteren Wettbewerbs (der alte § 1 UWG a.F., gleichermaßen wie nunmehr [wenn auch in etwas geringerem – gewissermaßen in geordnete Bahnen gelenkten – Maße] §§ 3 – 7 UWG79) von vornherein einzigartig breite Einfallstore für die mittelbare Drittwirkung der Grundrechteordnung bieten. Es stand also bisher mehr die richterliche als die gesetzgeberische Tätigkeit im Mittelpunkt verfassungsrechtlicher Kontrolle. Das Bundesverfassungsgericht hat die breiten Einfallstore insbesondere in den letzten fünf Jahren genutzt, um auf die Auslegung der wettbewerbsrechtlichen Generalklauseln durch die Fachgerichte bestimmenden Einfluß zu nehmen, sich dabei aber (fast ausnahmslos80) methodisch säuberlich an die Grenzen mittelbarer Drittwirkung gehalten. Die Fallgruppensystematik des Rechts des unlauteren Wettbewerbs hat dabei dem Gericht Gelegenheit gegeben, seine Aussagen zur Bedeutung der Fallgruppenmethode im Rahmen richterlicher Rechtsanwendung zu verfeinern. Zugleich ist der inhaltliche Maßstab, den das Gericht (wenn auch im Gewand wohl veralteter und inhaltsleerer Terminologie81) ent78
Zutreffend Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 20 mwN. Zu Recht hat Ohly, GRUR 2004, 889, 896 darauf hingewiesen, daß auch die (gegenüber der neuen, nurmehr bloße Auffangwirkung entfaltenden Generalklausel praktisch weitaus bedeutenderen) Beispielfälle unlauteren Wettbewerbs (in § 4 UWG) und Sondertatbestände (in §§ 5–7 UWG) in der Mehrzahl der Fälle flexibel unter Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe formuliert sind; insofern bleiben sie aber auch (wenn auch unter Umständen in geringerem Maße als bisher) weiterhin Einfallstore für die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte. S. auch noch unten 2 c. 80 Die einzige – und in der Tat beklagenswerte, s. etwa kritisch Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 99; gegenteilig auch BVerfG NJW 1996, 2567 – Ausnahme ist die Formulierung in BVerfG NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch, derzufolge das Fachgericht – um den Anforderungen an eine grundrechtliche zulässige Beschränkung des Art. 5 Abs. 1 GG – Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsgebots im Vergleich zu milderen Mitteln (klarstellende Zusätze, Quellenangaben etc.) anstellen müsse. Dies liefe wettbewerbsprozeßrechtlich darauf hinaus, dem Kläger aufzugeben, seinen Klageantrag mit Blick auf mögliche alternative Werbeformen zu formulieren, mithin sich bereits im Erkenntnisverfahren auf einen Streit darüber einzulassen, welche neue Werbeart rechtmäßig ist. Dies liefe nicht nur praktisch darauf hinaus, den anerkannten wettbewerbsprozessualen Grundsatz, daß es der Unterlassungsschuldner ist, der das Risiko trägt, sich über alternative Werbeformen Gedanken zu machen, auf verfassungsrechtlichem Wege zu unterlaufen (so Ahrens, aaO. mwN), sondern überschreitet insbesondere dogmatisch den hier besonders schmalen Grat zwischen mittelbarer und unmittelbarer Wirkung der Grundrechte. Muß sich der Gläubiger um die verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeit seines Klagantrags im Erkenntnisverfahren Gedanken machen, so liefe das genau auf eine nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerade ausgeschlossene unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte hinaus. Hier ist daher auf baldige Klarstellung durch eine Senatsentscheidung zu hoffen. 81 Es handelt sich, um ein vielzitiertes Bild zu spiegeln, um den seltenen Fall neuen Weins in alten Schläuchen. Vgl. sogleich unten 2 b (1) mwN. 79
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wickelt, im Kern von großer Bedeutung für die Wettbewerbskonzeption und spiegelt sich auch in idealtypischer gesetzgeberischer Umsetzung in den einschlägigen Formulierungen der in §§ 4–7 UWG als Beispiele und Sondertatbestände unlauteren Wettbewerbs kristallisierten Fallgruppen wieder. Daß dieser inhaltliche Maßstab genau den hier entwickelten Grundsatz akzessorischer Komplementarität zwischen Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit und das vorgeschlagene Vier-EbenenModell resoniert, daß mithin – neben der Berücksichtigung externaler Einflüsse auf grundrechtlich geschützte (im Mittelpunkt hat in diesem Zusammenhang meist die Menschenwürdegarantie gem. Art. 1 Abs. 1 GG gestanden) Interessenpositionen Dritter und neben der Umsetzung staatlicher Schutzgebote (zumal mit Blick auf die Gesundheit gem. Art. 2 Abs. 2 GG) dienender paternalistischer Regelungen im Einzelfall – gerade die Sicherung der informationellen Grundlagen und der Ungestörtheit des kognitiven bzw. verarbeitenden Prozesses fehlerfreier Transaktionsentscheidungen der Nachfrager gegen substantielle Verzerrungen82 (also im Ergebnis die wettbewerblichen Grundlagen eines fehlerfrei funktionierenden Vertragsmechanismus) als Rechtfertigungsgrund für Freiheitsbeschränkungen durch das Lauterkeitsrecht im Mittelpunkt stehen, soll im folgenden kurz herausgearbeitet werden83.
2. Grundrechte und Werbung: Die Einwirkung der Verfassung auf das Recht des unlauteren Wettbewerbs a. Schutzbereich der Kommunikationsgrundrechte bezüglich kommerzieller Aussagen Seit der Benetton I–Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts84, wird der Rahmen, den der alte § 1 UWG für die mittelbare Drittwirkung der Kommunikationsgrundrechte im Sinne einer umfassend die beteiligten verfassungsrechtlichen Interessen abwägenden Rechtswidrigkeitsprüfung (beinahe nach Art der Prüfung eines Rahmengrundrechts wie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts85) bietet, vom Bundesverfassungsgericht genutzt, um eine entsprechende Berücksichtigung insbesondere der Abwehrgrundrechte des Werbenden (im Falle Benetton I noch gewissermaßen „ums Eck“ vermittelt über die Pressefreiheit des Werbemediums) von den Fachgerichten konsequent einzufordern86. 82
S. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.150 mwN. Wiederum kann und soll es dabei nicht um eine extensive Nachzeichnung der ohnedies vielkommentierten (s. noch die Nachweise im folgenden Text) Rechtsprechungsentwicklung von Benetton I bis Juve-Handbuch gehen, sondern vielmehr zielorientiert allein um die Aspekte, welche in der Zusammenschau mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes inhaltlichen oder methodischen Gewinn versprechen. 84 BVerfGE 102, 347 ff. = GRUR 2001, 170 ff. – Benetton I. 85 S. Ahrens, JZ 2004, 763, 767; Ohly, GRUR 2004, 889, 892. 86 S. in der Folge der Benetton I-Entscheidung BVerfG NJW 2003, 1303 – Benetton II (HIV positive); BVerfG GRUR 2001, 1058 – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung); BVerfG NJW 2002, 1187 – Tier- und Artenschutz; BVerfG NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch; BVerfG 83
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Hinsichtlich des Schutzbereichs der Meinungs- und Pressefreiheit hält das Bundesverfassungsgericht in seiner neuen Rechtsprechung fest, daß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch „kommerzielle Meinungsäußerungen und reine Wirtschaftswerbung, die einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat“ umfaßt87. In der Tat wird in Benetton I88 im Ansatz konkret geprüft, inwieweit die in Frage stehende Werbung schon für sich genommen meinungsbildenden Inhalt hat. Soweit eine solche Prüfung dazu führen würde, daß reine Tatsachenäußerungen kommerziellen Charakters (etwa für die Meinungsbildung der Marktgegenseite besonders wertvolle Angaben über Preis, Produkteigenschaften etc.) kategorisch vom Schutzbereich der Kommunikationsgrundrechte ausgeschlossen wären89, wäre ein solcher Ansatz nicht nur kritikwürdig, sondern setzte sich auch in Widerspruch mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichts, derzufolge Tatsachenäußerungen, soweit sie Voraussetzung der Meinungsbildung sind, dem Schutzbereich der Pressefreiheit unterfallen90. In diesem Zusammenhang sollte die Meinungsbildung im Markt nicht als niedrigerwertig betrachtet werden91. Man wird eine derartige differenzierte Behandlung werbender und sonstiger Tatsachenangaben aber auch in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – insbesondere im Lichte der neueren Kammerbeschlüsse in Therapeutische Äquivalenz92 und in Juve-Handbuch93 – kaum hineinlesen können. Wenn in Therapeutische Äquivalenz der wertende, meinungsbildende Inhalt der in Frage stehenden Werbeanzeige in der Formulierung „entdeckt“ wird, die therapeutische Äquivalenz sei durch klinische Studien „bewiesen“94, senkt dies die Anforderungen an das wertende Element einer Werbeaussage ohnedies bereits auf ein Minimum ab; und die (nicht entscheidungserheblichen) Überlegungen in der Entscheidung JuveHandbuch, denenzufolge werbliche Tatsachenbehauptungen nur auf ihre Richtig-
NJW 2003, 2219 – Anonymer Preisvergleich. S. aus der zahlreichen Literatur etwa Ahrens, JZ 2004, 763 ff.; Brandner, in: FS Erdmann, S. 533 ff.; Fezer, NJW 2001, 580 ff.; Hartwig, IIC 2001, 777 ff.; Hartwig, NJW 2002, 38; Hartwig, GRUR 2003, 924; Hartwig, WRP 2003, 1193 ff.; Krings/Dietlein, in FS Helm, S. 101 ff.; Kübler/Kübler, in: FS Peter Ulmer, S. 907 ff.; von Münch, NJW 1999, 2413 ff.; von Ungern-Sternberg, in: FS Erdmann, S. 741 ff.; Wassermeyer, GRUR 2002, 126 ff. Vgl. grundlegend zum ganzen auch Lerche, Werbung und Verfassung, 1967; Lerche, in FS Lorenz, S. 143 ff. 87 BVerfG GRUR 2001, 170, 172 unter Hinweis auf BVerfGE 71, 162, 175 – Ärztliche Indikationsangaben. Vgl. grundlegend zur Differenzierung meinungswertiger und nicht meinungswertiger Werbeaussagen schon Lerche, Werbung und Verfassung, 1967, S. 85 f. 88 AaO. Fn. 84. 89 So in der Tendenz die kritische Interpretation bei Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 49 ff., 103 f. 90 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 61, 1, 8; s. zuletzt BVerfGE 94, 1, 7. Vgl. auch Kübler/Kübler, in: FS Peter Ulmer, S. 907, 921; Ahrens, aaO. 91 Vgl. auch noch im folgenden Text sowie unten C I 2 zur Frage eines geringeren Schutzmaßstabs für commercial speech unter Geltung der EMRK. 92 BVerfG NJW 2001, 3403 – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung). 93 BVerfG NJW 2003, 277 – Juve-Handbuch. 94 BVerfG aaO., 3404.
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keit geprüft werden dürften95, implizieren (unabhängig von der Kritikwürdigkeit der hierin liegenden Schrankenkonkretisierung) jedenfalls hinsichtlich des Schutzbereichs, daß Tatsachenbehauptungen in der Werbung in den Schutzbereich der Kommunikationsgrundrechte einbezogen sind, soweit sie der auf die wirtschaftliche Erwerbsentscheidung gerichteten Meinungsbildung der Verbraucher am Markt dienen96. Sollte in der Folge dennoch weiter nominell auf dem vagen97 Zusatzkriterium des wertenden, meinungsbildenden Gehalts der Werbung beharrt werden, so läßt sich jedenfalls die Prognose wagen, daß im konkreten Anwendungsfall ein derartig wertender Gehalt stets gefunden werden dürfte, wie es die Entscheidungen Therapeutische Äquivalenz und auch Tier- und Artenschutz98 bereits tendenziell belegen. Der Schutzbereich der Kommunikationsgrundrechte erfaßt also im Ergebnis doch praktisch uneingeschränkt und ohne Differenzierung im Vergleich zu politischen oder sozialrelevanten Meinungsäußerungen auch kommerzielle Meinungsäußerungen und reine Wirtschaftswerbung faktischen Charakters, wenngleich das Bundesverfassungsgericht noch keine Gelegenheit zu einer ausdrücklichen Klärung dieser Frage hatte99. Gelegentlich ist in diesem Zusammenhang gefordert worden, jedenfalls soweit es um die darauffolgende Frage der Rechtfertigungsmöglichkeit von Beschränkungen des Schutzbereichs, mit anderen Worten (untechnisch formuliert) um die Intensität des Grundrechtsschutzes gehe, müsse eine themenbezogene Differenzierung danach erfolgen, ob eine Äußerung lediglich zu gesellschaftlichen oder politischen Fragen ergehe, ob der Kommunikationsakt in einen kommerziellen Zusammenhang eingebettet sei oder ob es sich gar um reine Wirtschaftswerbung handle100. Im Ausgangspunkt wird argumentiert, im Wettbewerb könne verboten 95
BVerfG aaO., 277 f. Ebenso Wassermeyer, GRUR 2002, 126, 129 f. Vgl. ähnlich schon im Vorfeld der BenettonEntscheidung auch von Münch, NJW 1999, 2413, 2414, der zu Recht darauf hinweist, daß Werbung um die Aufmerksamkeit der Verbraucher nicht allein deshalb negativer beurteilt werden kann, weil sie im Wettbewerb erfolgt. S. noch sogleich im Text zu der hiermit innerlich verbundenen (und zu verneinenden) Frage, ob ökonomische Aussagen im wirtschaftlichen Wettbewerb (commercial speech) im Vergleich mit politisch oder gesellschaftlich relevanten Meinungsäußerungen einen schon der Kategorie nach lediglich abgeschichteten Schutz genießen sollten. 97 Auf die teilweise Unklarheit des Abgrenzungskriteriums weisen auch Kübler/Kübler, in: FS Peter Ulmer, S. 907, 921, hin; zustimmend Hartwig, WRP 2003, 1193, 1198. 98 BVerfG GRUR 2002, 455 – Tier- und Artenschutz, dort: Hinweis auf Unterstützung des Tierschutzvereins als wertende Stellungnahme; vgl. im Nachgang zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nunmehr auch BGH NJW 2006, 149 ff. – Artenschutz (schon zu § 4 Nr. 1 UWG). 99 Insbesondere die Abgrenzungslinie zur Werbung freier Berufe, die vom Bundesverfassungsgericht weiterhin am Maßstab des Art. 12 GG gemessen wird, läßt sich auf der Grundlage der Unterscheidung rein faktischer und wertender, meinungsbildender kommerzieller Äußerungen jedenfalls nicht erklären; sie dürfte ihre Gründe wohl eher in der in diesen Bereichen überwiegenden Rolle berufsbezogener Regelungen der Standesorganisation, mithin im Charakter der Beschränkungen finden, der überwiegend berufsbezogen ist. Vgl. ähnlich kritisch Harte/ Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 50 mwN. 100 Deutlich Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 45, 63; wohl auch Fezer, NJW 2001, 580, 581 (dort aber weniger im Sinne einer kategoriellen Unterscheidung und mehr im Sinne eines 96
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sein, was außerhalb des Wettbewerbs zulässig sei; so zutreffend diese Aussage allgemein ist, erspart sie doch nach der hier vertretenen Auffassung nicht die konkrete Begründung abweichender Maßstäbe101. Verwiesen wird zudem auf den Gleichlauf mit der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu Art. 10 EMRK und mit der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zum eingeschränkten Schutz der eigenständigen Kategorie der commercial speech102. Einer solchen kategoriellen Differenzierung je nach dem Charakter der Äußerung – als Beitrag zum Meinungskampf in einer politisch oder gesellschaftlich wesentlichen Fragestellung bzw. als eigennützige Äußerung im wirtschaftlichen Verkehr zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbsposition103 – scheint jedoch bei näherer Betrachtung zumindest als Begründung pauschal abweichender Maßstäbe die Grundlage zu fehlen. Auch Äußerungen im gesellschaftlich-politischen Meinungskampf werden häufig eigennützige Ziele verfolgen – gelegentlich, wie nicht nur das Beispiel der Parteienfinanzierung belegt, sogar mittelbar pekuniärer Art; umgekehrt können Aussagen im Wettbewerb, wie die Benetton-Kampagne belegt, Aufmerksamkeit für politisch-gesellschaftliche Mißstände durchaus in gleicher Weise wecken, wie originär nicht-wettbewerbliche Äußerungen. Warum insoweit die Einbettung der Äußerung in den Wettbewerb – der ja grundsätzlich als positive Triebkraft sogar außerhalb des kommerziellen Bereichs gesehen wird (Stichwort: „politischer Wettbewerb“) – allein ein Unwerturteil im Sinne geringerer Schutzwürdigkeit tragen soll, ist in dieser Pauschalität nicht einsehbar104. Auch ist zu bedenken, daß gerade die Sicherung der freien Informationsstruktur des Wirtschaftsmarktes ein nach der objektiven Werteordnung der Grundrechte hohes Gut verkörpert, welches in seiner Bedeutung der Sicherung der pluralen Meinungsstruktur des politischen und gesellschaftlichen Diskurses durchaus gleichwertig und zudem diesen benachbarten Ordnungssystemen im Rahmen des Konzepts der Interdependenz der Ordnungen auch inhaltlich verbunden ist105. Schließlich trägt auch der Verweis auf die Rechtsprechung zur EMRK nur eingeschränkt, da der hier zu beobachtenden – und letzthin auch zusehends aufgeweichgleitenden Übergangs, der eine Aussage umso weniger schutzwürdig ansieht, je mehr sie „im wirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eines eigennützigen Ziels“ erfolgt; s. dazu kritisch noch im folgenden Text); in Anlehnung an die Kategorisierung der US-amerikanischen Rechtsprechung auch die sorgsam differenzierenden Überlegungen bei Kübler/Kübler, in: FS Peter Ulmer, S. 907, 922 f. Für eine Abstufung auch Ohly, GRUR 2004, 889, 893. 101 Vgl. für einen letztlich nicht überzeugenden Versuch BGH NJW 2002, 1200, 1203 – HIV positive. 102 Ahrens, aaO.; Ohly, aaO. 103 S. die gleitende Abschichtung bei Fezer, aaO. 104 S. zutreffend schon von Münch, NJW 1999, 2413, 2413 f. Nicht durchschlagend deshalb letztlich die Überlegungen in BGH NJW 2002, 1200, 1203 – HIV positive, soweit sie gerade auf die Verknüpfung von Aufmerksamkeitswerbung für gesellschaftsrelevante Themen und Eigennutz zielen. 105 Zutreffend statt aller Fezer-Fezer, Einl E, Rz. 47 mwN.; ähnlich Hertig, HRLR (2006), 53 ff., Section 3 B, mit weiteren Nachweisen zur Debatte im amerikanischen Recht und mit Blick auf die Rechtsprechung zur EMRK.
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ten – kategoriellen Abschichtung des Konventionsschutzes mindestens zum Teil Ursachen zugrundeliegen, die sich gerade aus dem spezifisch internationalen Charakter der EMRK ergeben und die für eine nationale Verfassungsrechtsprechung schlechterdings nicht greifen106; ebensowenig überzeugt letztendlich auch der Verweis auf die Rechtsprechung des U.S. Supreme Court, jedenfalls soweit über pragmatisch fallbezogene Kategorisierung hinaus, eine grundlegend konzeptionelle Unterscheidung begründet werden soll107. Dies soll nun nicht die durchaus bestehenden Unterschiede zwischen rein sozialrelevanten und politischen Äußerungen auf der einen Seite und Äußerungen in einem kommerziellen Kontext bzw. reiner Wirtschaftswerbung auf der anderen Seite leugnen. Nur lassen sich diese Unterschiede eben nicht im Sinne einer Kategorisierung danach stufenartig einteilen, ob eine Äußerung im Wettbewerb erfolgt oder nicht. Vielmehr dürfte hier eher ein gleitender Maßstab anzulegen sein, der je nach dem Charakter der konkret zu beurteilenden Äußerung und insbesondere auch nach dem Sinn und Zweck der konkret in Frage stehenden gesetzlich oder fachgerichtlich typisierten Einschränkung differenziert. Nur wenn auch gerade die in Frage stehende Beschränkung nämlich spezifisch der Sicherung unverzerrter Meinungspluralität in politischen und gesellschaftlichen Diskursen dienen soll (wobei eine Norm mit derartiger Zwecksetzung gesetzgebungstechnisch dann nicht in den Kontext des Wettbewerbsrechts zu zählen wäre) bzw. wenn eine Norm gerade spezifisch wettbewerbsbezogene Gefährdungslagen korrigiert, kommen nämlich grundsätzlich strengere Maßstäbe bezüglich rein kommerzieller Äußerungen in Betracht108. Bei dieser konkreten Beurteilung können dann auch die spezifischen Gefahren des wirtschaftlichen Wettbewerbsprozesses bzw. die spezifische Schutzbedürftigkeit des politischen Meinungsbildungsprozesses109 106
S. noch unten C I 2. Gerade auch der U.S. Supreme Court betont nämlich in der Leitentscheidung Virginia State Board of Pharmacy v Virginia Citizens Consumer Council, Inc., 425 U.S. 748, 772 die Bedeutung des freien Flusses kommerzieller Kommunikation; lediglich bei nachprüfbar unzutreffenden Angaben soll hier eher ein Eingreifen möglich sein, als im politischen Meinungsbildungsprozeß. Mit einem beispiellos liberalistischen, formal individualrechtsorientierten laissez-faireAnsatz selbst für derartige Fälle letzthin aus dem verfassungsrechtlichen Schrifttum Fried, Freedom of Speech as freedom of mind, 2004; seine kompromißlos individualrechtsorientierte Sicht (die praktisch jede Beschränkungsmöglichkeit auch unzutreffender commercial speech kategorisch verneint) entspricht (wenig überraschend) gerade spiegelbildlich Frieds älterer rein individualrechtsorientierter Kantianischer Vertragsrechtstheorie, s. dazu schon oben 1. Kap. 2. Abschn. A. 108 Deshalb letztlich nicht durchgreifend BGH NJW 2002, 1200, 1203 – HIV positive; und dagegen zutreffend BVerfG NJW 2003, 1303 – Benetton II. 109 S. für die grundlegende Verankerung der Meinungsäußerungsfreiheit im politischen Willensbildungsprozeß als Strukturprinzip demokratischer Gesellschaften Meiklejohn, Political Freedom – the Constitutional Powers of the People, 1960 (doch vermag diese gewissermaßen funktionale Verankerung die Ausdehnung des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit auf kommerzielle Äußerungen von vornherein nicht zu erklären). Wird demgegenüber vorzugswürdig (und im Einklang auch mit der Lage im deutschen Verfassungsrecht) mehr auf den inneren Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Individuen abgestellt (vgl. für die amerikanische Verfassung grundlegend etwa Dworkin, Freedom’s Law, 1999), so läßt sich eine besondere 107
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einbezogen werden, die aber eben nicht pauschaliert zu unterstellen, sondern vielmehr inhaltlich-strukturierend mit Blick auf den Sinn und Zweck der jeweils zu beurteilenden Einschränkung des Grundrechts herauszuarbeiten sind. Eine derartige spezifisch an den wirtschaftlichen Wettbewerb gebundene Gefahr dürfte insbesondere bei potentiell irreführenden Äußerungen anzunehmen sein, da diese im Bereich wirtschaftlichen Wettbewerbs eine unmittelbare Verbindung mit darauffolgenden wirtschaftlichen Transaktionsentscheidungen der Verbraucher aufweisen können110, die bei Äußerungen im politischen Prozeß in vergleichbarer Unmittelbarkeit und Nachprüfbarkeit111 nicht vorhanden ist. Soweit demgegenüber wahrheitsgetreue und nicht lediglich irreführende (selbst nicht im sachlichen Zusammenhang mit dem konkret beworbenen Produkt stehende) Äußerungen im Wettbewerb beschränkt werden sollen, ist angesichts der überragenden Bedeutung der Verbraucherinformation im Markt einerseits und der nicht erkennbaren Rechtfertigung für eine geringere Schutzwürdigkeit gesellschaftsrelevanter Äußerungen im Kontext wirtschaftlichen Wettbewerbs andererseits, schlechterdings kein Grund für eine geringere verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit von Äußerungen, die in einen kommerziellen Kontext eingebettet sind, erkennbar112. Dem konSchutzwürdigkeit gerade des politischen Meinungsbildungsprozesses nicht mehr ohne weiteres pauschal begründen (so zutreffend Hertig, HRLR (2006), 53 ff., Section 3 B, die dann in der Folge nach spezifischen Differenzierungsansätzen sucht). Demgegenüber sind es dann wiederum gerade konkret-strukturelle Anfälligkeiten, welche spezifisch den Prozeß politischer Meinungsbildung betreffen (Beispiel: Minderheitenschutz), die dann konkret typisierend einen besonderen Schutzbedarf begründen können, vgl. grundlegend Sunstein, Democracy and the Problem of Free Speech, 1993, und mit einem in der public choice theory basierten institutionenökonomischen Erklärungsansatz Farber, Harvard Law Review 105 (1991), 554 ff. Vgl. zum ganzen auch Hertig, HRLR (2006), 53 ff., Section 3 C mwN. 110 Was dann zu einer zusätzlichen Rückbindung auch des Schutzguts des Wettbewerbsrechts an die in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Privatautonomie als einem Strukturelement der freiheitlichen Gesellschaftsordnung führt, s. BVerfG NJW 2001, 3403, 3404 – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung), sowie näher auch sogleich unten b (1) und (2). 111 Auf diesen pragmatischen Aspekt der typischerweise größeren Nachprüfbarkeit (und damit zielgenaueren Beschränkbarkeit) kommerzieller Werbeaussagen im wirtschaftlichen Wettbewerb (der aber im Verhältnis zu reiner Imagewerbung wiederum nicht überzeugt und daher ebenfalls keine umfassende Abschichtung der Schutzintensität trägt) weist insbesondere der U.S. Supreme Court in seiner Leitentscheidung Virginia State Board of Pharmacy v Virginia Citizens Consumer Council, Inc., 425 U.S. 748, hin; vgl. dazu auch Schauer, 34 Vanderbilt Law Review 1981, 264, 286 und 291; Schmulen Sweetland, Texas Law Review 76 (1997), 471, 490. 112 Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht läßt sich eine derart „informationsfreundliche“ Tendenz bezüglich zutreffender Aussagen und eine Andeutung strengerer Maßstäbe, soweit nicht wahrheitsgemäße faktische Angaben betroffen wären (s. das obiter dictum in der Entscheidung Juve Handbuch, NJW 2003, 277, 278 mwN, welches – freilich nicht wettbewerbsspezifisch – darauf verweist, daß die Schrankenabwägung der Meinungsfreiheit mit Blick auf Tatsachenangaben entscheidend von deren Wahrheitsmäßigkeit abhänge), deutlich erkennen. Vgl. auch BVerfG GRUR 2001, 1058 – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung); BVerfG NJW 2002, 1187 – Tier- und Artenschutz; BVerfG NJW 2003, 2219 – Anonymer Preisvergleich. Dem entspricht auch die – soweit die Argumentation im systematisch neuen Fallgruppenkontext sauber auf die relevanten Kriterien (mithin auf die Frage einer Irreführungsgefahr) begrenzt wird – durchaus zu begrüßende „Ausweichbewegung“ der Fachgerichte in die Fallgruppe der Irreführung, soweit es um Sachverhalte geht, die früher wegen Verletzung des
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kret-strukturierenden Ansatz des Bundesverfassungsgerichts113, der im Grundsatz die hier angestellten Überlegungen gerade reflektiert, ist also zuzustimmen. Die Forderung nach pauschaliert-kategorieller Differenzierung ist demgegenüber nicht berechtigt. b. Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen durch das Schutzgut des Leistungswettbewerbs (1) Verfehlte Terminologie Als Hauptrechtfertigungsgrund für Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Rahmen des UWG als eines allgemeinen Gesetzes im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG sieht das Bundesverfassungsgericht das Schutzgut des Wettbewerbsrechts, welches es nach diesbezüglich zwar nicht völlig klaren (aber doch zumindest nicht unzutreffenden) Formulierungen im Benetton I-Urteil114, nunmehr in seinen neueren Kammerbeschlüssen in verfehltem Verständnis der Rechtsprechung der (insoweit nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zuständigen) Fachgerichte115 im Schutzgut der Lauterkeit des Leistungswettbewerbs erblickt116. Daß dieser Begriff zur trennscharfen Abgrenzung im Recht des unlauteren Wettbewerbs wenig taugt, wurde grundlagenorientiert bereits belegt117, die diesbezügliche einhellige Kritik an der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war berechtigt118.
(durch das Verfassungsgericht faktisch verworfenen) Sachlichkeitsgebots als unlauter qualifiziert worden wären. Vgl. auch noch sogleich unten 2 b (2). 113 Anzeichen für einen regelrecht kategoriell abgeschichteten Schutz kommerzieller Kommunikation oder reiner Wirtschaftswerbung lassen sich der neueren Verfassungsgerichtsrechtsprechung nämlich gerade nicht entnehmen; es herrscht vielmehr eine konkret einzelfallorientierte Betrachtung vor, die eine kategorielle Differenzierung zwischen kommerziellen Äußerungen und sonstigen Meinungsäußerungen gerade vermeidet, s. zutreffend bezüglich dieser Bestandsaufnahme statt aller Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 45, 63 mwN. 114 Ahrens, aaO., Rz. 61, Rz. 82 ff., weist zu Recht auf den diesbezüglichen Widerspruch der späteren Kammerentscheidungen zu der Senatsentscheidung in Benetton I hin und spricht schon deshalb für die späteren Kammerentscheidungen aufgrund von § 31 Abs. 1 BVerfGG die Bindungswirkung ab; jedoch wird man diese Überlegungen letztlich gar nicht bemühen müssen, da das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das wettbewerbsrechtliche Schutzgut ja ohnedies das Primat der fachgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt und insoweit eine (dann schon aus diesem Grund für die fachgerichtliche Rechtsanwendung nicht bindende) mißglückte Nachzeichnung der höchstrichterlichen Rechtsprechung versucht hat, so dann auch Ahrens, aaO., Rz. 106 mwN. 115 S. für die berechtigte Kritik statt aller von Ungern-Sternberg, in: FS Erdmann, S. 741, 759 f.; Ullmann, GRUR 2003, 817, 821. 116 S. statt aller BVerfG NJW 2001, 3403, 3404 – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung). 117 S. bündig oben 1. Kap. 3. Abschn. D III 1. 118 S. die Nachweise o. Fn. 115 sowie aus der Kommentarliteratur statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.150 mwN.
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Genauer betrachtet wollte das Gericht wohl ohnedies nur verdeutlichen, daß das Schutzgut des Wettbewerbsrechts als einheitliche institutionelle Zielsetzung den Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit an unverfälschtem Wettbewerb gewissermaßen überwölbt119, wobei der Begriff des Leistungswettbewerbs als Institution allenfalls zusätzlich verdeutlichen mag, daß aus Gründen des Schutzes der Funktionsweise bestimmter Märkte auch Abweichungen vom Maßstab reinen Individualschutzes denkbar sind120. Mittlerweile findet sich die entsprechende Schutzzweckbestimmung in § 1 UWG ausdrücklich kristallisiert; der Gesetzgeber hat insoweit die ständige Rechtsprechung der Fachgerichte treffender interpretiert als das Bundesverfassungsgericht, welches ja gleichfalls nur die Rechtsprechung der Fachgerichte nachzuzeichnen glaubte. Bindend war die diesbezügliche (und nunmehr letztlich überholte) verfassungsgerichtliche Terminologie für die Wettbewerbsgerichte ohnedies nie121. (2) Zutreffender inhaltlicher Maßstab In bemerkenswerter Parallele zum Vertragsrecht entwickelt das Bundesverfassungsgericht jedoch im Rahmen seiner vorbeschriebenen kritikwürdigen Terminologie inhaltlich-qualitativ zutreffende Maßstäbe als Leitlinien für die fachgerichtliche Beurteilung. Diese Maßstäbe bestätigen im übrigen genau das hier angedeutete Verhältnis komplementärer Akzessorietät fehlerfreier Verträge und lauteren Wettbewerbs in den Fällen kommerzieller werblicher Einwirkung auf die Marktgegenseite. Im Mittelpunkt der originär wettbewerbsrechtlichen Prüfung hat zu stehen, inwieweit derart auf die Verbraucherseite eingewirkt wird, daß eine rationale Vertragsentscheidung des Verbrauchers nicht mehr möglich ist122. Demnach ist insbesondere die Verfolgung sonstiger Allgemeininteressen – etwa (um das Beispiel der Benetton II-Entscheidung aufzugreifen123) einer Empathieabstumpfung in der Bevölkerung durch inflationäre Elendsbilder in der Werbung vorzubeugen – nurmehr insoweit zulässig, wie diese Allgemeininteressen sich gerade auf den unverfälschten Wettbewerb beziehen – mithin im wesentlichen gerade wiederum nur 119
S. Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 82 f. mwN. S. nur die Überlegungen zur Berücksichtigung der Funktionsweise und zur Funktionsfähigkeit spezifischer Märkte (in diesem Falle des Arzneimittelmarkts) BVerfG NJW 2001, 3403, 3405 f. – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung). 121 Zutreffend statt aller Ahrens, aaO., Rz. 106. 122 Abzustellen ist nach allgemeinen Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht bemerkenswerterweise in seiner jeweiligen Überprüfung der Vorgehensweise der Fachgerichte im konkreten Fall, sogar verfassungsgerichtlich (im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Blick auf die Gefährdung des wettbewerbsrechtlichen Schutzguts verankert) auf den Durchschnittsverbraucher bzw. auf das durch die jeweilige Maßnahme spezifisch angesprochene Publikum, s. deutlich BVerfG NJW 2001, 3403, 3405 f. – Therapeutische Äquivalenz (GenerikaWerbung). Zum neuen UWG eindeutig nunmehr auch BGH NJW 2006, 149, 150 – Artenschutz. 123 S. BVerfG NJW 2003, 1303 – Benetton II (HIV positive). 120
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dann, wenn es zu einer relevanten Verzerrung der Transaktionsentscheidung der Verbraucher kommt; im neuen UWG findet sich diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in § 4 Nr. 1 mustergültig kristallisiert124. Im vorgeschlagenen Vier-Ebenen-Modell entspricht dies der Konzentration auf den Schutz der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses125; Externalitäten und Paternalismus sind demgegenüber in diesem Zusammenhang126 weitestgehend ausgeklammert und vermittels allgemeiner Gesetze zu verfolgen, die allenfalls über den Beispielstatbestand des Rechtsbruchs wiederum den Weg zurück in das lauterkeitsrechtliche Sanktionensystem finden können127. Die entscheidende verfassungsrechtliche Rückbindung an den Schutz des fehlerfrei funktionierenden Entscheidungs- und Vertragsmechanismus als Kernmaßstab findet zudem dadurch statt, daß die einer Vertragsentscheidung zugrundeliegende Motivationslage des Verbrauchers – und an dieser Stelle stützt sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf Art. 2 Abs. 1 GG, womit die Privatautonomie der Verbraucherseite als entscheidender Beurteilungsmaßstab auch verfassungsrechtlich in Parallele zum Vertragsrecht grundiert wird128 – ausdrücklich dem einzelnen Verbraucher vorbehalten bleibt. Hier läßt sich insbesondere das Sachlichkeitsgebot der bisherigen Rechtsprechung im Bereich sozialer, umweltbezogener oder erlösbezogener Werbung schlechthin nicht mehr aufrechterhalten129. Vielmehr ist die feine Differenzierungslinie zu suchen, die zwischen einer fehlerfrei getroffenen Entscheidung (aufgrund unsachlicher Motive) und einer in ihrem Mechanismus fehlerbehafteten Vertragsentscheidung (aufgrund Störung der informationellen Entscheidungsgrundlage oder aufgrund Störung des Ablaufs des Entscheidungsprozesses) verläuft. Dafür wiederum mag insbesondere die im Grundlagenkapitel auf der Basis neuester Erkenntnisse der experimentellen Ökonomie vorgeschlagene weitere Differenzierung bezüglich des Schutzes des Entscheidungsprozesses helfen130: das Lauterkeitsrecht darf nur zum Schutze der Entscheidung des Verbrauchers vor der systemati124 Genau zutreffend neuestens BGH NJW 2006, 149, 150 – Artenschutz (zum neuen UWG); in der Literatur schon Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4 UWG, Rz. 1.143 mwN; Ohly, GRUR 2004, 889, 894 f. 125 So zutreffend schon die diesbezügliche Einteilung bei Alexander, S. 32 ff., dort noch ohne verfassungsrechtliche Überlegungen, da noch im Vorfeld des „beispiellosen Rechtsprechungskonflikts“ (Ohly, aaO., 892) zwischen BGH und BVerfG in den Benetton-Fällen und der zusätzlichen Klärung durch die nachfolgenden Kammerentscheidungen. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hat diese Konzeption eindrucksvoll bestätigt. 126 Externalitäten, d.h. Auswirkungen einer Vertragsanbahnung, die im Einzelfall erfolgreich, für die Masse der Verbraucher jedoch irrelevant und störend ist, sind vielmehr nunmehr sauber getrennt im Rahmen der Sondertatbestände unzumutbarer Belästigungen nach § 7 UWG zu beurteilen. Den besonderen methodologischen Wert der Trennung der diesbezüglichen Begründungsstränge vom ganz anders gearteten Maßstab des Schutzes der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher, betont zutreffend insbesondere Ohly, GRUR 2004, 889, 896 f. mwN. 127 S. statt aller Köhler, aaO. 128 S. BVerfG NJW 2002, 1187, 1189 – Tier- und Artenschutz. 129 S. für die herrschende Meinung deutlich Wassermeyer, GRUR 2002, 126, 134. Genau zutreffend nunmehr auch BGH NJW 2006, 149, 150 – Artenschutz. 130 Vgl. oben 1. Kap. 4. Abschn. Pkt. II 3.
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schen Nutzung der dort beschriebenen Anomalien menschlichen Entscheidungsverhaltens und vor situativen Störungen des Entscheidungsprozesses eingreifen; denn dann wird die exakte Abbildung der persönlichen Präferenzordnung des Abnehmers prozessual gestört. Geht es demgegenüber nur um „schlicht unvernünftige“ Entscheidungen, die aber die zugrundeliegende „unvernünftige Präferenzordnung“ doch exakt abbilden, kommt ein Eingreifen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nicht mehr in Betracht. Dem Schutz vor der erstgenannten strukturellen Gefährdungslage (der exakten Informationsgrundlage und der systematischen Nutzung von Entscheidungsanomalien) dienen in erster Linie der lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz und vertragsrechtliche Informationspflichten. Eine allfällige Motivkontrolle im Sinne eines Sachlichkeitsgebots darf nach der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts an dieser Stelle jedenfalls nicht mehr stattfinden. Wettbewerbsrechtlich läßt dies Raum für abstrakte Gefährdungstatbestände im Bereich des Kundenfangs im wesentlichen nur noch dann, wenn es zu einer Irreführung der Verbraucher im Sinne des § 5 Abs. 1 UWG durch unklare Angaben kommt131; doch darf der Umweg über den Irreführungsschutz auch nicht mißbraucht werden, um unreflektiert Begründungsstränge des Irreführungsschutzes mit anderweitigen Erwägungen zu vermengen und solcherart das hinfällige Sachlichkeitsgebot auf neuen Fundamenten „retten“ zu wollen132. Die zweitgenannte Gefährdungslage – bezüglich situativer Störungen des Entscheidungsprozesses – dürfte sich typischerweise in den verbraucherrechtlichen Widerrufsrechten geregelt finden; Raum für abstrakte Gefährdungsdelikte des Lauterkeitsrechts verbleibt hier allenfalls in einzelnen (die typisierte Wertung sprengenden) Gestaltungen überrumpelnd erschlichenen oder durch räumliche Zwangssituationen erpreßten persönlichen Kontakts zwischen Verkäufer und Verbraucher133 sowie dann, wenn bezüglich neuartiger Vertriebstechniken eine verbrauchervertragsrechtliche Lösung noch nicht erfolgt oder insgesamt nicht tunlich ist.
131 Denn bezogen auf die Irreführungsgefahr bleiben abstrakte Gefährdungsdelikte zulässig, vgl. zuletzt BVerfG NJW 2003, 2219 – Anonymer Preisvergleich und dazu wie hier Harte/ Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 101. Vgl. für weitere Einzelfälle, in denen Verbote bestimmter Formen erlösbezogener Werbung anhand der Umstände der jeweiligen Sachverhalte nunmehr auf das Irreführungsverbot gestützt wurden, etwa auch OLG Hamm, GRUR 2003, 975 – Regenwald-Projekt und OLG Hamburg, GRUR-RR 2004, 216 – Kindernothilfe. Bzgl. erstgenannter Entscheidung zum Teil zu Recht kritisch Hartwig, GRUR 2003, 924 ff. Ähnlich zuletzt auch BGH NJW 2006, 149, 150 – Artenschutz, wo das Sachlichkeitsgebot im Rahmen einer schutzzweckorientierten Auslegung des neuen UWG unter Berücksichtigung der Grundrechte der Beteiligten ausdrücklich aufgegeben und im Anschluß (S. 151) dann nurmehr der Aspekt der Irreführung kurz erwähnt und abgelehnt wird. 132 Zutreffend Hartwig, aaO., 928 f. 133 S. mit weiteren Einzelheiten Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4 UWG, Rz. 1, 32 ff., sowie eingehend aus der spezifischen Sichtweise des Gesamtsystems aus Vertrags- und Wettbewerbsrechts noch unten 4. Kap. 4. Abschn. C III 2.
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(3) Zweistufige Verhältnismäßigkeitsprüfung und Folgerung für das Vertragsrecht „Quantitativ“ setzt das Bundesverfassungsgericht in seiner neueren Rechtsprechung die Prüfung einer so schwerwiegenden Beeinflussung der Marktkommunikationsprozesse voraus, daß es durch die werbliche Äußerung zu einer „hinreichenden“ Gefährdung des „Leistungswettbewerbs“ (mithin im wesentlichen der Entscheidungsfreiheit der Marktgegenseite) kommt. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist also gewissermaßen zweistufig durchzuführen; der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne geht die Vorprüfung einer überhaupt relevanten Gefährdung des Schutzguts voraus134. Lauterkeitsrechtlich findet dieser Ansatz seinen Nachhall in der Bagatellklausel des neuen § 3 UWG135. Es findet sich aber auch eine überraschende Parallele zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den Bürgschafts-Fällen: Die vorgelagerte Relevanzprüfung reflektiert gerade das Kriterium der „ungewöhnlichen Belastung“ einer Vertragspartei im Bürgschaftsbeschluß. Geht es im einen Fall um ein hinreichend 134
S. zutreffend Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 85 mwN. Auf den hier potentiell entstehenden Konflikt mit zwingenden europarechtlichen Vorgaben (insbesondere im Bereich der vergleichenden Werbung ist in der insoweit abschließenden Irreführungs-Richtlinie bedauerlicherweise eben keine Bagatellklausel vorgesehen) weist Ohly, GRUR 2004, 889, 895 f., hin. Man wird das Problem für das Europarecht aber wohl praktisch (im Rahmen einer primärrechtskonformen Auslegung, s. dazu nur deutlich EuGH Rs. C-315/92 (Clinique), Slg. 1994, I-317, Rz. 12; sowie aus der Literatur Bleckmann, NJW 1982, 1177, 1179) über den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lösen können, s. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 6, Rz. 5 und § 3, Rz. 51 (dort auf Grundlage der Voraussetzung eines „berechtigten Interesses“ der nach nationalem Recht zum Vorgehen gegen unlauteren Wettbewerb befugten Personen oder Organisationen in Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Irreführungs-RL); Lettl, WRP 2004, 1079, 1120; a.A. Sack, WRP 2004, 30 f.; Ohly, aaO. (mit weiteren Überlegungen in Fußnote 107). Die aktuelle Lauterkeits-Richtlinie sieht demgegenüber eine Bagatellklausel vor, löst das Problem aber lediglich für den B2C-Bereich. Soweit Ohly, aaO., als weiteren potentiellen Konfliktbereich das Belästigungsverbot (beispielhaft mit Blick auf unverlangt zugesandte E-Mail-Werbung) nennt (wo im künftigen deutschen Recht eine Bagatellklausel gelte, während in der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12. Juli. 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, ABl. L 201 v. 31. 7. 2002, 37 ff. [im folgenden: EKDatenschutz-RL] für den Bereich bestimmter Direktmarketing-Formen eine entsprechende Bagatell-Klausel fehle), dürfte dies praktisch nicht relevant werden, da nach deutschem Recht mit Blick auf das Belästigungsverbot schon bisher eine Erheblichkeitsschwelle bestand, die aber mit Blick auf E-Mail-Werbung gerade angesichts der (wegen verschwindender Grenzkosten in diesem Bereich exorbitanten) Nachahmungsgefahr auch im Falle der Zusendung einzelner klar erkennbarer Werbemails als überschritten angesehen wurde. Eine Divergenz zur abschließend harmonisierten Rechtslage im europäischen Recht bestand daher schon nach altem Recht nicht und ist nunmehr auch nach dem neuen UWG nicht gegeben, da trotz des Verweises auf § 3 UWG in § 7 UWG ein Überschreiten der Bagatellgrenze stets (also auch im Falle der Zusendung einzelner Mails) zu bejahen ist, vgl. eingehend Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815 ff., sowie für den in dieser Untersuchung vertretenen Ansatz, der das Problem auf ganz ähnliche Weise löst, noch unten 4. Kap. 3. Abschn. A III 1. S. zuletzt nun eindeutig für den opt in- Ansatz samt entsprechender Darlegungs- und Beweispflichten für den Werbenden bezüglich des Einverständnisses auch BGH NJW 2004, 1655 = GRUR 2004, 517. 135
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klares „positives“ Indiz der Gefährdung des Leistungswettbewerbs (und damit im Kern der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher) im Vorfeld des konkreten Vertragsschlusses, so geht es im anderen Fall in genau vergleichbarer Weise um ein anhand des nunmehr konkret vorliegenden Vertragsinhalts gewonnenes, hinreichend klares „negatives“ Indiz für das Vorliegen einer substantiiert intensiven strukturellen Gefährdungslage bezüglich der Spielräume privatautonomen Handelns der Vertragspartner beim Vertragsschluß. Auch in der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Anwendung der vertragsrechtlichen Generalklauseln sollte das Kriterium der ungewöhnlichen Belastung deshalb nach der hier vertretenen Auffassung methodologisch als eine Vorstufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeordnet und zudem lediglich auf den Inhalt des Vertrags, nicht auf den wirtschaftlichen Gesamtkontext bezogen werden. c. Verhältnismäßigkeit, umfassende Grundrechteabwägung und Fallgruppenmethode: Methodologische Folgerung für das Vertragsrecht Wichtige Schlüsse auch mit Blick auf benachbarte Problemstellungen im Vertragsrecht lassen sich zudem aus den Hinweisen ziehen, die das Bundesverfassungsgericht in seinen neueren lauterkeitsrechtlichen Kammerbeschlüssen mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die fachgerichtliche Methodik der Fallgruppenbildung und –anwendung bei der Konkretisierung von Generalklauseln macht136. Die diesbezüglichen Aussagen des Gerichts zum verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab bezüglich der Fallgruppenmethode im Rahmen der (grundsätzlich dem Primat zivilgerichtlicher Rechtsprechung unterliegenden137) Konkretisierung von Generalklauseln behalten für die – nunmehr von Spezialtatbeständen und gesetzlichen Beispielsfällen geprägte – Umgebung des Lauterkeitsrechts wegen der reichen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe durchaus auch außerhalb des Auffangtatbestandes des § 3 UWG noch (eingeschränkte) Bedeutung138. Ihre eigentliche Durchschlagskraft mag man aber nunmehr sogar in der Sphäre der – bisher nicht durch gesetzliche Beispielsfälle konkretisierten – vertragsrechtlichen Generalklauseln sehen; hier hilft gerade die wettbewerbsrechtliche Perspektive, einige der Unklarheiten, die der bloße Verweis auf typisierte Situationen struktureller Gefährdung der Selbstbestimmung für die allgemein zivilrechtliche Rechtsanwendung gelassen hatte, zumindest im Ansatz zu beseitigen. Für den Bereich des Lauterkeitsrechts (im Rahmen des alten § 1 UWG) löst das Verfassungsgericht139 den unvermeidlichen Konflikt zwischen Rechtssicherheit 136 Bestimmend sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Beschlüsse BVerfG NJW 2001, 3403 – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung) und BVerfG NJW 2002, 1187 – Tier- und Artenschutz. 137 S. statt aller BVerfG NJW 2001, 3403, 3404 f. – Therapeutische Äquivalenz (GenerikaWerbung). 138 Vgl. ähnlich Ohly, GRUR 2004, 889, 893. 139 S. o. Fn. 136.
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und Einzelfallgerechtigkeit dahingehend, daß im Grundsatz bei der Gesetzeskonkretisierung im Rahmen der Generalklauseln eine Orientierung an Fallgruppen typischer Situationen der Gefährdung des Schutzguts erfolgen darf. Zwei Voraussetzungen müssen dabei erfüllt sein: Einerseits müssen die gebildeten Fallgruppen in abstrakter Weise den kollidierenden grundrechtlichen Positionen Rechnung tragen; andererseits muß im konkreten Einzelfall eine die betroffenen Interessen erfassende Abwägung möglich bleiben. Bei dieser Abwägung könne den gebildeten Fallgruppen aber entscheidende Indizwirkung zukommen, solange nur prinzipiell Raum bleibe für eine fachgerichtliche Prüfung, ob die indizielle Aussage der Fallgruppe im konkreten Einzelfall auch mit Blick auf die Beschränkung der Meinungsfreiheit einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung standhalte140. Dem hat das Bundesverfassungsgericht später141 noch hinzugefügt, daß eine konkrete Prüfung des Einzelfalls am Maßstab der Grundrechte aber dann nicht in gleicher Weise entbehrlich ist, wenn und soweit eine Fallgruppe auf Prognosen und auf die Verwendung unbestimmter, insbesondere wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe verweist; denn dann ist die Rechtsanwendung nicht eindeutig vorgegeben, eine konkrete Güterabwägung bleibt in Teilbereichen erforderlich. Verallgemeinert bedeutet das, daß es der umfassenden Güter- und Interessenabwägung durch den Zivilrichter im Einzelfall desto weniger bedarf, je umfassender und abschließender der maßgebliche Interessenkonflikt bereits durch (in zulässiger Weise den Grundrechteausgleich einfachrechtlich ausgestaltender) gesetzgeberische142 oder richterrechtliche143 Fallgruppenbildung geregelt ist144.
140 Insoweit stellen sich die methodologischen Überlegungen des Verfassungsgerichts als konkreter Anwendungsfall der verfassungsrechtlichen Wechselwirkungslehre dar, derzufolge auch ein grundrechtsbeschränkendes einfaches Gesetz wiederum dem besonderen Gehalt des eingeschränkten Grundrechts Rechnung zu tragen hat, s. nur BVerfG NJW 2001, 3403, 3404 – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung) unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 7, 198, 206 ff. und mit weiteren Nachweisen. 141 BVerfG NJW 2002, 1187, 1188 – Tier- und Artenschutz. 142 So insbesondere die Beispielsfälle unlauteren Wettbewerbs in den §§ 4, 7 Abs. 2 UWG, die sich im wesentlichen als eine Anknüpfung an die bisherigen Fallgruppen, die sich im Zusammenspiel von Rechtsprechung und Literatur entwickelt hatten, und als deren Kristallisierung in Regeltatbeständen darstellen, s. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 3, Rz. 6 mwN; Lettl, Rz. 155. 143 Daß es bei der Fallgruppenbildung im Rahmen von Generalklauseln in der Tat um richterrechtliche Normsetzung (und damit um richterrechtliche Rechtsfortbildung) geht, hat Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des Unlauteren Wettbewerbs, 1997, und ders. AcP 201 (2001), 1 ff., in seinen großangelegten methodologischen Vergleichsstudien zum Richterrecht des common law und der equity belegt; vgl. auch Ohly, GRUR 2004, 889, 895 ff. mit Blick auf die UWG-Reform. Aus verfassungsrechtlichen und methodologischen Gründen grundsätzlich kritisch zur Rechtsfortbildung durch Fallgruppentechnik Weber, AcP 192 (1992), 516ff.; dagegen zu Recht Beater, AcP 194 (1994), 82 ff. S. auch statt vieler Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105 ff. (mit umfassenden weiteren Nachweisen) mit Blick auf die multifunktionale Rolle des Begriffs der „guten Sitten“, der eben auch eine Elastizitätsfunktion mit Blick auf notwendige Rechtsfortbildung umfaßt. 144 Ahrens, JZ 2004, 763, 767; Ohly, GRUR 2004, 889, 893.
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Insofern bewirkt die verfassungsgerichtliche Kontrolle im wesentlichen zweierlei: Erstens werden überkommene Fallgruppen bzw. die aus diesen Fallgruppen kristallisierten indiziellen Obersätze aus verfassungsrechtlicher Sicht in ihrem Bestand und in ihrer Reichweite überprüft; zum anderen sind im Rahmen der Fallgruppen verbleibende Wertungsspielräume mit Rücksicht auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte auszufüllen145. Das aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich gebotene methodologische Vorgehen bei der Konkretisierung zivilrechtlicher Generalklauseln durch Richterrecht setzt also an die Stelle des iterativen anglo-amerikanischen distinguishing, welches der (in nicht immer ganz methodenehrlicher Weise146) nach und nach anhand der jeweils zu entscheidenden Fälle (und daher insbesondere im englischen Recht147 nicht recht berechenbar) erfolgenden Begrenzung der tatbestandlichen Konturen einer binding authority dient, die verfassungsrechtliche Überprüfung der in einer Fallgruppe des Richterrechts bzw. in einem gesetzgeberischen Beispielstatbestand enthaltenen abstrakten Interessenabwägungen (soweit sie indiziell abschließend sind) und die Überprüfung der Anwendung der Fallgruppen- bzw. Fallbeispielsnorm in jedem Einzelfall (soweit wertausfüllungsbedürftige Spielräume bleiben). Gegenüber dem anglo-amerikanischen distinguishing erscheint dies methodenehrlicher, da die inhaltliche Bewertung der jeweils getroffenen Interessenabwägung von der Frage ihrer tatbestandlichen Reichweite und Anwendung im Einzelfall getrennt wird148; im Idealfall beugt es – durch die Überprüfung der Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe im Einzelfall und durch die Reduktion der richterrechtlichen Fallgruppennormen auf die Funktion bloß indizieller Tatbestände (deren Indizwirkung freilich umso weitreichender sein dürfte, je umfassender die jeweils zugrundeliegende [und im Rahmen der Einzelfallentscheidungen nach und nach gewachsene] Interesseabwägung ist) – zugleich der einfachgerichtlichen Expansionstendenz der tatbestandlichen Reichweite einzelner Fallgruppen im deutschen Recht 145 Die verfassungsgerichtliche Kontrollfunktion bezüglich möglicher Fehlentwicklungen richterrechtlicher Fallgruppen, die zumal zu § 1 UWG a.F. sich zwischenzeitlich gegenüber der gebotenen teleologisch rechtsgutbezogenen Betrachtung verselbständigt und ihr lauterkeitsrechtliches Schutzgut aus den Augen verloren hatten, betont auch Säcker, WRP 2004, 1199, 1202 ff. Vgl. (aus dem Bereich der gefühlsbetonten Werbung) neuestens auch BGH NJW 2006, 149, 150 – Artenschutz: „Abwägung der Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf die Schutzzwecke des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, bei der die Grundrechte der Beteiligten zu berücksichtigen sind.“ 146 Die Methode der distinction wird in nicht seltenen Fällen nämlich auch dazu verwendet, inhaltlich unliebsame Präjudizien hinsichtlich ihrer „tatbestandlichen“ Ausdehnbarkeit auf vergleichbare Fälle so eng wie möglich zu halten, vgl. für ein Beispiel etwa die Ausführungen von Laddie, J., in Evans Medical Patent [1998] RPC 517 in Abgrenzung von Merrell Dow . /.Norton [1996] RPC 76, HL. 147 Die zum Teil fehlende Berechenbarkeit gerade im englischen Recht ist vornehmlich darauf zurückzuführen, daß angesichts der Gerichtsstruktur in England (wie auch in Irland) insbesondere in einzelnen Sonderrechtsgebieten ganz einfach zu wenig Entscheidungspraxis vorhanden ist, um die notwendige „kritische Masse“ für das Funktionieren des iterativen Prozesses der Rechtsfindung in Fallrechtssystemen zu garantieren. Dies stellt sich in den Vereinigten Staaten mit ihrer reichen Entscheidungspraxis insbesondere auch der einzelstaatlichen Gerichte sowie der bundesstaatlichen Berufungsgerichte deutlich weniger problematisch dar, wobei diese commonwealth-Entscheidungspraxis für das common law des Vereinigten Königreichs ja in weiten Bereichen zumindest als Quelle persuasiver Präjudizien zur Verfügung steht. 148 S. o. Fn. 146 zu der insoweit gelegentlich unsauberen Methodik im Fallrecht des common law und der equity.
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durch unsaubere (da eben nicht von einem echten distinguishing im anglo-amerikanischen Sinne begleitete) Ableitung und Fortentwicklung von Fallgruppennormen vor149.
Für das Lauterkeitsrecht bedeutet dies nach dem zwischenzeitlichen Inkrafttreten der UWG-Reform, daß angesichts der nunmehr erfolgten Konkretisierung der Generalklausel in Sondertatbeständen und Fallbeispielen unlauteren Wettbewerbs (§§ 4–7 UWG) die verfassungsgerichtliche Kontrolle der einfachrichterlichen Rechtsanwendung tendenziell an Bedeutung einbüßen dürfte; es ist in diesem Zusammenhang ja auch nicht zu verkennen, daß die verfassungsgerichtlichen Urteile und Kammerbeschlüsse praktisch sämtlich sich auf Fallgruppen unlauteren Wettbewerbs bezogen, die entweder schon aus wettbewerbstheoretischen Gründen fragwürdig erschienen150 oder doch zumindest in ihren Anwendungsvoraussetzungen sehr vage und inhärent expansionistisch151 waren und mittlerweile durch die europäische Harmonisierung bzw. durch die UWG-Reform auch weitgehend überholt sind. Raum bleibt für die verfassungsgerichtliche Kontrolle insbesondere soweit die Sondertatbestände und Beispielsfälle unlauteren Wettbewerbs auf die Verwendung unbestimmter, wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe angewiesen sind oder wenn und soweit im Einzelfall in der Zukunft einzelne der Beispielstatbestände unlauteren Wettbewerbs sich wegen Wandlung der ihrer Schaffung zugrundeliegenden realen Marktverhältnisse insgesamt oder in Teilbereichen „überholen“ sollten152. 149 Kritisch mit Blick auf die stets einer Ausdehnungstendenz unterliegende „Quasi-Legitimität“ richterrechtlicher Fallgruppennormen im unlauteren Wettbewerb, die in ihrer tatbestandlichen Reichweite im Rahmen der deutschen Methodik eben häufig gerade nicht mehr sauber im Hinblick auf die Anwendbarkeit im vorliegenden Einzelfall geprüft wurden, schon Drexl, in: Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.), Neuordnung, S. 163, 170. Vgl. allgemein kritisch zu dieser Tendenz, die Bezugnahme auf den vorliegenden Einzelfall durch eine Subsumtion unter geschaffene Tatbestandsmerkmale zu ersetzen, zuerst Weber, AcP 192 (1992), 516, 559, der aber seinerseits die Rechtsfortbildungsfunktion von Generalklauseln (insbesondere unter Berufung auf den verfassungsrechtlichen Gewaltenteilungsgrundsatz) wohl zu sehr untergewichtet (s. auch schon o. Fn. 143). 150 So insbesondere mit Blick auf objektiv zutreffende vergleichende Werbung, vgl. nur BVerfG NJW 2001, 3403 – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung) und die insoweit mittlerweile durch die Umsetzung der Vergleichende Werbung-Richtlinie, wie sie sich jetzt in § 6 des neuen UWG findet, grundlegend geänderte Rechtslage. 151 So insbesondere bei der gefühlsbetonten und sonstiger Imagewerbung, vgl. nur BVerfGE 102, 347 ff. = GRUR 2001, 170 ff. – Benetton I; BVerfG NJW 2003, 1303 – Benetton II (HIV positive); BVerfG NJW 2002, 1187 – Tier- und Artenschutz. Auch insoweit hat das neue UWG in deutlicher Form die gewünschte Klärung gebracht, da der Beispielsfall unsachlicher Beeinflussung gem. § 4 Nr. 1 UWG nunmehr eindeutig stets eine Eignung zur Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer voraussetzt; diese legislatorische Interessenabwägung darf auch nicht auf dem Umweg über die Generalklausel des § 3 UWG unterlaufen werden, da die diesbezüglich zugrundeliegende Interessenabwägung hinsichtlich der Perspektive auf die Freiheit der Verbraucherentscheidung abschließend und eindeutig ist. Vgl. statt aller die eingehende Darstellung bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.138 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 152 Da die gesetzlichen Beispielsfälle, anders als die Konkretisierung im Rahmen der bisherigen Fallgruppen, nicht der „formlosen Kassation kraft besserer Einsicht“ unterliegen (Ohly, GRUR 2004, 889, 896, unter Hinweis auf eine Aussage von Picker, JZ 1984, 153, 158 für die all-
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Etwas anders stellt sich die Lage mit Blick auf das Vertragsrecht dar. Hier bringen die Kammerbeschlüsse zur Anwendung des alten § 1 UWG im Einzelfall doch deutliche Klärung bezüglich der methodologischen Frage, wie im Rahmen der – durch Beispielstatbestände ja einstweilen nicht konkretisierten, angesichts der größeren Funktionsvielfalt der allgemein zivilrechtlichen Generalklauseln möglicherweise mit dieser Technik auch gar nicht sinnvoll konkretisierbaren – vertragsrechtlichen Generalklauseln153 eine Erfassung typisierter Situationen struktureller vertraglicher Unterlegenheit zu erfolgen hat. Richtigerweise wird man den Verweis auf typisierbare Situationen demnach im Lichte der Rechtsprechung zur Generalklausel des alten § 1 UWG dahingehend auffassen müssen, daß erstens ein verfassungsrechtlicher Prüfauftrag bezüglich der im Rahmen der vertragsrechtlichen Generalklauseln richterrechtlich entwickelten Fallgruppen typisierbarer Gefährdungen besteht. Spiegelbildlich zum Lauterkeitsrecht steht dabei wegen der mehr auf die Schutzgebotsfunktion der Grundrechte ausgerichteten Perspektive im Vertragsrecht (im Vergleich zur mehr auf die Freiheitsfunktion ausgerichteten Perspektive im Lauterkeitsrecht) weniger die Überprüfung der bestehenden Fallgruppen im Mittelpunkt, sondern ein kontinuierlicher Prüfauftrag bezüglich einer potentiell künftig154 notwendig werdenden richterrechtlichen bzw. gesetzgeberischen Entwicklung neuer Fallgruppen bzw. Fortentwicklung bestehender Fallgruppen. Zweitens wird man bezüglich der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Lauterkeitsrecht entnehmen können, daß eine verfassungsgerichtliche Schutzpflicht im konkreten Einzelfall gerade dann und insoweit entstehen kann, wie einerseits die bestehenden Fallgruppen wertausfüllungsbedürftige Spielräume lassen, in denen gemein zivilrechtlichen Generalklauseln), dürfte die Entwicklung – eine relevante Änderung der Marktverhältnisse mit Blick auf einen einzelnen Beispielsfall unlauteren Wettbewerbs einmal unterstellt (s. für Zweifel etwa am grundsätzlichen Verbot der Kopplung von Gewinnspielen und Erwerb der Ware in § 4 Nr. 6 UWG bereits nach derzeitigem Stand Sosnitza, GRUR 2003, 739, 743; zustimmend Ohly, aaO.) – zukünftig so verlaufen, daß ein in einzelnen Bereichen obsolet gewordener Beispielstatbestand durch praktisch weitestgehende Begrenzung seines Tatbestandes (gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der Methode der teleologischen Reduktion) gewissermaßen einfachrichterlich ausgedünnt wird, was naturgemäß umso einfacher ist, je mehr wertausfüllungsbedürftiger und damit flexibler ein Tatbestand formuliert ist. 153 Für das hier behandelte Thema werden insbesondere die Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB (s. unten 4. Kap. 4. Abschn. B), die konkrete Ausgestaltung der culpa in contrahendo nach der Schuldrechtsreform gem. §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB, die ja trotz der nunmehr erfolgten Kodifizierung des richterrechtlichen Instituts aufgrund der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe hinsichtlich Voraussetzungen und Pflichtenumfang weiten Raum für Interpretation gerade im hier interessanten Schnittbereich läßt (s. unten 4. Kap. 4. Abschn. C), sowie schließlich – mehr am Rande und in einzelnen spezifischen Zusammenhängen – auch der Verweis auf „Treu und Glauben“ gem. § 242 BGB (s. überblicksartig u. 4.Kap. 4.Abschn. Fn. 413 mit weiteren Hinweisen) relevant. 154 Denn zugleich hat das Bundesverfassungsgericht im Bürgschafts-Beschluß deutlich gemacht, daß das derzeit bestehende zivilrechtliche System den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach dem jetzigen Stand gerade gerecht wird, soweit die Fachgerichte den Spielraum der Generalklauseln im verfassungsrechtlich gebotenen Umfang zum Schutz der Verbraucher nutzen. S. BVerfGE 89, 214, 234 ff.
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Raum für die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte bleibt oder ein Einzelfall so besonders gelagert ist, daß die – nach den Kammerentscheidungen im Lauterkeitsrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht eben notwendig stets nur indizielle – Interessenabwägung in typisierten Fallgruppen versagt, weil einzelne im konkreten Fall beteiligte grundrechtlich geschützte Interessen bei der legislatorischen Interessenabwägung oder im Bestand des Fallrechts bisher nicht abschließend berücksichtigt wurden. Im Lichte der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Lauterkeitsrecht gelesen, besagt die Bürgschafts-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts demnach, daß für künftig entstehende typisierbare Situationen einer Gefährdung der privatautonomen Gestaltung von Verträgen ein potentieller verfassungsrechtlicher Prüfauftrag an Gesetzgeber und Gerichte zur legislatorischen bzw. (im Rahmen der Generalklauseln erfolgenden) richterrechtlichen Abhilfe besteht, während außerhalb des Bereichs typisierbarer Gefährdungen einerseits die vorhandenen Wertungsspielräume der bestehenden Fallgruppen im Lichte der Drittwirkung der Grundrechte auszufüllen sind und andererseits in besonders gelagerten Einzelfällen eine grundrechtliche Schutzpflicht sich auch außerhalb der bestehenden Fallgruppen im Rahmen der Generalklauseln kristallisieren kann, soweit grundrechtsrelevante Interessen beteiligt sind, die im Rahmen der Typisierung nicht umfassend erfaßt wurden. Eine solche Lösung trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit155 in gleicher Weise Rechnung, wie der berechtigten Kritik am Kriterium der Typisierbarkeit, die darauf hinwies, daß eine Beschränkung des verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstabs auf Situationen typisierbarer Gefährdung der Vertragsfreiheit im atypischen Einzelfall Schutzlücken hinterlassen kann156.
III. Statt einer Zusammenfassung: Weitergehende Überlegungen zur einheitlichen Perspektive im Lauterkeits- und Vertragsrecht Insbesondere der verfassungsrechtliche Maßstab bezüglich einer etwaigen künftigen typisierten Fortentwicklung der Fallgruppen der Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB, des Prinzips von Treu und Glauben gem. § 242 BGB und der culpa in contrahendo gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, aber auch die Vorgehensweise bei der im Lauterkeitsrecht gegebenenfalls gebotenen umfassenden Güter- und Interessenabwägung, können sich dabei wiederum nur aus einer umfassenden, einzelne Bereiche des Lauterkeits- und des Vertragsrechts einheitlich überwölbenden Betrachtung ergeben. Dies folgt gerade aus der gebotenen methodischen Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der gesetzgeberischen und fachgerichtlichen Aktualisierung der praktischen Konkordanz der beteiligten Grundrechtspositionen.
155 156
S. die Nachweise o. Fn. 52. Zutreffend Singer, JZ 1995, 1133, 1138 ff.
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Schon in der Bürgschafts-Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht dementsprechend klargestellt, daß es das Gesamtsystem des geltenden Zivilrechts gewissermaßen als „black-box“ betrachtet auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand stellt; mit welchen dogmatischen Mitteln die Konkretisierung der grundrechtlichen Schutzpflichten und Freiheitsgewährleistungen und ihre wechselseitige Ausgleichung im Hinblick auf den Schutz der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung vor typisierbaren Situationen strukturell einseitiger Gefährdung der Privatautonomie erfolgt, ist grundsätzlich dem einfachen Gesetzgeber und den Fachgerichten überlassen. Deshalb ist bei der verfassungsgerichtlichen Beurteilung der zivilrechtlichen Lage bezüglich einer konkreten strukturellen Gefährdungssituation aber nach der hier vertretenen Auffassung das Lauterkeitsrecht, soweit es sich in Teilbereichen hinsichtlich des Schutzes der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung mit dem (Verbraucher-)vertragsrecht überschneidet, mit einzubeziehen. Denn die verfassungsgerichtliche Perspektive, die sich unter der – in beiden Rechtsgebieten mit Blick auf das jeweils betroffene Schutzgut mißglückten Terminologie verbirgt – ist eine einheitliche: es geht um den Schutz des einwandfreien Funktionierens des Vertragsmechanismus durch Gewährleistung rationalkritischer Entscheidungen der Verbraucher anhand ihres privatautonom gewählten (auch unvernünftigen) Präferenzkatalogs157. Insofern können (und ggf. mit Blick auf den kontinuierlichen verfassungsrechtlichen Prüfauftrag müssen) auch und gerade aus der Zusammenschau der empirisch richterrechtlichen Konkretisierung der wettbewerbs- und vertragsrechtlichen Generalklauseln Anstöße für die grundrechtskonforme Rechtsfortentwicklung gewonnen werden158; zugleich vermögen sich Wettbewerbs- und Vertragsrecht bei der Schaffung praktischer Konkordanz zwischen den beteiligten Grundrechtspositionen wechselseitig zu ergänzen, weshalb insbesondere die verfassungsrechtliche Frage, ob der Gesetzgeber mit Blick auf eine strukturierbare und offensichtliche Fehlentwicklung untätig geblieben ist, stets nur anhand einer übergreifenden Betrachtung sämtlicher Instrumente, die dem Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit der Kundenseite dienen – und mithin nur unter einer Wettbewerbs- und Vertragsrecht übergreifenden Perspektive beantwortet werden kann. Für den Gesetzgeber ergibt sich die Forderung – soweit es um die Absicherung privatautonomer Gestaltungsspielräume als Voraussetzung des Funktionierens des Vertragsmechanismus und (komplementär akzessorisch) um die Sicherung des „Leistungswettbewerbs“ geht – übergreifend nach denjenigen rechtlichen Gestal157 So grundlegend schon im Vorfeld der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht des unlauteren Wettbewerbs und der Meinungsfreiheit, die seine prospektive Konzeption verblüffend genau nachvollzogen hat, Drexl, in: Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.), Neuordnung, S. 163 ff.; ders., Selbstbestimmung, S. 218 ff. 158 S. zum diesbezüglich zu beobachtenden Zusammenspiel („zeitlicher Komplementarität“) zwischen dem flexiblen wettbewerbsrechtlichen System als „Seismograph“ typisierbarer Fehlentwicklungen und sich anschließendem Tätigwerden des (allgemeinen) Zivilrechtsgesetzgebers, insbesondere im Verbraucherschutzrecht, grundlagenorientiert schon oben 1. Kap. 3. Abschn. F III.
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tungsformen zu suchen, die eine verhältnismäßige Lösung bestimmter Gefährdungslagen mit dem jeweils mildesten Mittel ermöglichen. Dies entspricht Drexls verbraucherschutzrechtlichem Verhältnismäßigkeitsprinzip, wie es hier für das spezifische Zusammenspiel von Vertrags- und Lauterkeitsrecht unter Hinzufügung des ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung übernommen wurde. Angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers sichert der grundgesetzliche Rahmen dieses Prinzip jedoch nur gegen extreme Verstöße – insbesondere die Verwendung vollkommen untauglicher Mittel – ab159; im übrigen gibt die Verfassung lediglich eine Tendenz im Sinne einer Wertungsperspektive vor. Auch für die Rechtsanwendung im Einzelfall hat die Vertrags- und Lauterkeitsrecht übergreifende Perspektive konkrete Folgen: So kann beispielsweise im Rahmen der gebotenen umfassenden Abwägung grundrechtlich gesicherter Rechtsgüter und beteiligter Interessen ein lauterkeitsrechtliches Werbeverbot des richterrechtlichen Fallrechts gerade deshalb sich als unangemessene Beschränkung der Meinungsfreiheit darstellen, weil die rationale Verbraucherentscheidung bereits durch vertragsrechtliche Mittel gesichert ist; ist eine irrationale Verbraucherentscheidung nämlich konkret nicht zu erwarten, kann es im Lauterkeitsrecht schon an einer hinreichend substantiellen Schutzgutbetroffenheit fehlen160. Soweit man in der – sowohl im Vertragsrecht als auch im Lauterkeitsrecht aufgestellten – Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall (sofern sie nicht in typisierten Fallgruppen kristallisiert ist), zudem Ähnlichkeiten zur Entwicklung des Rahmengrundrechts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erblicken will161, stützt das die von Drexl vorgeschlagene von vornherein einheitliche und umfassende Kategorie des wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechts auf Grundlage von Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG162. Vieles spricht dafür, daß man angesichts der zwischenzeitlich erfolgten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechungsentwicklung, von einem entsprechenden Rahmengrundrecht sprechen kann; für die hier angestellte Untersuchung kann diese Frage letztlich offenbleiben.
C. Europäische Grundrechteordnung Eine europäische Verbürgung der Menschenrechte fand sich ursprünglich nur in der nicht mit den Organen der Gemeinschaft, sondern mit dem Straßburger Europarat verknüpften Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) v. 4. November 1950. Die diesbezügliche Rechtsprechung durch Kommission und Ge159 S. das Beispiel in BVerfGE 89, 276, 286 ff. zur grundlegenden Verfehlung des Schutzzwecks eines grundrechtlichen Schutzgebots durch unzureichende zwingende zivilrechtliche Regelungen (in diesem Falle § 611 a BGB). 160 S. die Überlegungen in BVerfG NJW 2001, 3403, 3405 f. – Therapeutische Äquivalenz (Generika-Werbung). 161 S. Ahrens, JZ 2004, 763, 767; ähnlich Ohly, GRUR 2004, 889, 892. 162 S. Drexl, Selbstbestimmung, aaO.
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richtshof für Menschenrechte hat im Bereich des Vertragsrechts bisher eher theoretisches Potential erkennen lassen, sich dafür dem Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs unter der Perspektive des Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) allerdings umso intensiver zugewandt (s. unten I). Im europäischen Recht sind die Menschenrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts zuerst richterrechtlich durch den EuGH anerkannt worden163. Mittlerweile findet sich (seit dem Maastrichter Vertrag164) in Art. 6 Abs. 2 EUV ein ausdrücklicher Verweis auf die Grundrechte als Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Union und auf die Achtung der Grundrechte der EMRK (einschließlich der Zusatzprotokolle165); zudem hat die Union in Nizza eine selbständige Grundrechtecharta verabschiedet, die als zusätzliches (unverbindliches) Erkenntnismittel166 durch die Gerichte der Gemeinschaft herangezogen werden kann. Rein praktisch findet eine Rezeption der Grundrechte durch den EuGH in seiner Rechtsprechung in den hier betrachteten Bereichen bisher allerdings von jeher nur zurückhaltend statt; zuletzt finden sich jedoch in einzelnen Fällen Anhaltspunkte für eine offensivere Vorgehensweise. Wesentliche Bedeutung könnte in diesem Zusammenhang gegebenenfalls auch eine künftige europäische Verfassung erlangen (s. zu all dem unten II). Während die nachstehenden kurzen Überlegungen sich insoweit streng auf die Betrachtung der europäischen Grundrechte mit Blick auf Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit beschränken, spielt auf der europäischen Ebene natürlich auch (und mehr noch als im nationalen Recht) die Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft eine entscheidende Rolle als verfassungsrechtlicher Rahmen für die hier untersuchten Rechtsbereiche. Da insoweit aber die Grundfreiheiten und Politiken des EG-Vertrags praktisch weitaus prägender sind, als die Grundrechtsverweise des Unionsvertrags, werden die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Aspekte (unten 3. Abschn. B I) im Zusammenhang mit dem EG-Vertrag behandelt.
163 Vgl. für einen Überblick über die Rechtsentwicklung im Bereich europäischer Grundrechte statt vieler zuletzt Kühling, Grundrechte, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 583 ff.; spezifisch zu Kommunikationsgrundrechten Marauhn, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 4, S. 73 ff.; zu Wirtschaftsgrundrechten Wegener, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 5, S. 108 ff.; mit einem Überblick der geschichtlichen Entwicklung Walter, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 1, S. 1 ff. (bezüglich der Entwicklung im Rahmen des Europarats) und S. 8 ff. (bezüglich der Entwicklung in der EG/EU); sowie zur grundlegenden dogmatischen Einordnung der Konventionsrechte Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 2, S. 21, 25 ff., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. 164 Damals noch Art. F Abs. 2 des Maastricht-Vertrags. 165 S. zutreffend statt aller Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 931, 946. 166 Zutreffend statt aller Kühling, aaO. (o. Fn. 163), S. 592 ff. mwN.
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I. Europäische Menschenrechtskonvention 1. Vertragsrecht Ein spezifisches Menschenrecht auf Vertragsfreiheit ist in der EMRK nicht anerkannt. Insgesamt ist der Einfluß der EMRK auch praktisch bemerkenswert gering geblieben, der den Mitgliedstaaten in diesem Bereich eingeräumte Spielraum beinahe grenzenlos weit167. In einzelnen Fällen – insbesondere im Wohnraummietrecht168 – ist das Vertragsrecht einiger Mitgliedstaaten unter der Perspektive der Eigentumsgarantie Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK durch Gerichtshof und Kommission unter die Lupe genommen worden; stets wurde die jeweilige gesetzliche Beschränkung jedoch als gerechtfertigt angesehen. Die in diesem Zusammenhang angelegten Maßstäbe reflektieren kaum mehr als die allgemeine Schrankenmethodik des Eigentumsgrundrechts nach der EMRK: stets wurde also zuerst ein legitimes Ziel des Allgemeininteresses – typischerweise der soziale Schutz des Mieters – ermittelt, um sodann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anzuschließen, deren Maßstäbe in diesem Bereich aber ausnahmslos äußerst dehnbar geblieben sind169. Mehr als die grundlegende Dichotomie zwischen dem Individualprinzip und dem Sozialprinzip, wie sie auch für so viele mitgliedstaatliche Verfassungsordnungen prägend ist170, läßt sich der EGMR-Rechtsprechung also in diesem Feld bisher kaum entnehmen; insbesondere näherer methodologischer oder normativer Anhalt, wie die beiden großen Prinzipien zur Ausgleichung zu bringen sind, fehlt. Letztlich bleibt insbesondere die Verhältnismäßigkeitsprüfung bisher im wesentlichen den Mitgliedstaaten überlassen.
167 Ebenso Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 173 ff.; Mestre, ERPL 2 (1994), 31 ff.; Marguénaud, L´influence de la Convention Européene des droits de l´homme sur le droit des obligations, S. 45 ff. 168 S. EGMR v. 21.12.1986 ( James . /.Vereinigtes Königreich), Serie A 98 = EuGRZ 1988, 341; EGMR v. 19.12.1989 (Mellacher . /.Österreich), Serie A 169 = ÖJZ 1990, 150; EGMR v. 28.9.1995 (Spadea und Scalabrino . /.Italien), Serie A 315–B und der parallel entschiedene Fall EGMR v. 28.9.1995 (Scollo . /.Italien), Serie A 315–C; EGMR v. 21.11.1995 (Velosa Barreti . /.Portugal), Serie A 334. Vgl. näher zum ganzen Matscher, Wohnrechtsfragen und EMRK, S. 141 ff.; und bündig Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 174 ff. 169 S. nur kritisch Flauss, Rev. trim. dr. Homme 1990, 387, 395 ff. 170 S. neben dem deutschen Verfassungsrecht lediglich beispielhaft für eine große europäische Rechtsordnung mit geschriebener Verfassung die Debatte im französischen Recht um die Verfassungsgemäßheit der propriété commerciale (die dem Geschäftsraummieter bei Beendigung des Vertrags einen Abfindungsanspruch zubilligt), welche (gerade auch unter Berücksichtigung des Eigentumsgrundrechts des Art. 1 1.Zusatzprotokoll) methodisch gerade durch Rückgriff auf die Figur der konkordanten Ausgleichung des Allgemeininteresses und des individuellen Eigentumsgrundrechts gelöst wurde, s. die Entscheidung der Cour d´appel de Dijon v. 31.5.1989 (Camuset . /. Sté Cedis), D.1990 Somm. 256, bestätigt durch die Cour de Cassation (civ.3e) v. 27.2.1991, Bull.civ. III Nr. 67. Vgl. näher auch Remien, aaO., S. 174 f. mit weiteren Nachweisen zur diesbezüglichen Diskussion in Frankreich.
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2. Schutz kommerzieller Kommunikation und Recht des unlauteren Wettbewerbs Im Vergleich zum Bereich des Vertragsrechts hat die Rechtsprechung des EGMR und der Kommission zum Schutz kommerzieller Aussagen (commercial speech) durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit (freedom of expression) nach Art. 10 Abs. 1 EMRK aufgrund vielzähliger Entscheidungen und Urteile einen dogmatisch recht differenzierten Stand erreicht171. Insbesondere der vermeintlich klaren Differenzierung hinsichtlich des Schutzstandards für politisch/gesellschaftliche Meinungsäußerungen einerseits und rein kommerzielle Äußerungen andererseits 171 Bezieht man auch alle Fälle mit ein, die einen gewissen kommerziellen Anknüpfungspunkt aufwiesen (selbst wenn der Gerichtshof die Aussage im Einzelfall nicht als commercial speech qualifizierte, sondern dem strengeren Maßstab politisch/gesellschaftlicher Meinungsäußerungen zurechnete), was geboten ist, da ja gerade die Abgrenzungslinie beider Kategorien von Äußerungen von Interesse ist, so kommen im weitesten Sinne (einschließlich der Aussagen zu Werbeverboten und –beschränkungen für freie Berufsträger) folgende Urteile in Betracht: EGMR, App. No. 38383/97 Amnesty International (United Kingdom) . /. United Kingdom, 18.01.2000, unveröff.; App. No. 12726/87 Autronic AG . /.Switzerland, 22.5.1990, Ser. A 178; App. No. 8734/7 Barthold . /.Germany, 25.3.1985, Ser. A 90; App. No. 15450/89 Casado Coca . /. Spain, 24.2.1994, Ser. A 285–A; App. No. 11798/85 Castells . /.Spain, 23.4.1992, Ser. A 235–B; App. No. 16632/90 Colman . /.the United Kingdom, 28.6.1993, Ser. A 258–D; App. No. 38743/97 Demuth . /.Switzerland, 5.11.2002, ECHR 2002–IX; App. No. 29271/95 Dichand and others . /. Austria, 26.2.2002, M&R 2002, 84; App. No. 17101/90 Fayed . /.United Kingdom, 21.9.1994, Ser. A 294–B; App. No. 29032/99 Feldek . /. Slovakia, 12.7.2001, ECHR 2001–VIII; App. No. 10890/84 Groppera Radio AG and Others . /.Switzerland, 28.3.1990, Ser. A 173; Handyside . /. United Kingdom, 7.12.1976, Ser. A 24; App. No. 25181/94 Hertel . /. Switzerland, 25.8.1998, ECHR 1998–V; App. Nos. 13914/88, 15041/89, 15717/89, 15779/89, 17207/90 Informationsverein Lentia and Others . /.Austria, 24.11.1993, Ser. A 276; App. No. 15088/89 Jacubowski . /.Germany, 23.6.1994, Ser. A 291–A; App. No. 39069/97 Krone Verlag GmbH & Co KG (no. 3) . /. Austria, 11.12.2003, ECHR 2003–XII; App. No. 24662/94 Lehideux and Isorni . /. France, 23.9.1998, ECHR 1998–VII; App. No. 9815/82 Lingens . /.Austria, 8.7.1986, Ser. A 103; App. No. 10572/83 Markt intern Verlag GmbH and Klaus Beermann . /.Germany, 20.11.1989, Ser. A 165; App. No. 10737/84 Müller and others . /.Switzerland, 24.5.1988, Ser. A 133; App. No. 44179/98 Murphy . /. Irland, 10.7.2003, ECHR 2003–IX; App. No. 11662/85 Oberschlick v. Austria, 23.5.1991, Ser. A 204; App. No. 14235/88 Open Door and Dublin Well Woman . /. Ireland, 29.10.1992, Ser. A 246–A; App. No. 13470/87 Otto-Preminger-Institut . /.Austria, 20.9.1994, Ser. A 295–A; App. No. 9310/81 Powell and Rayner . /.the United Kingdom, 21.2.1990, Ser. A 172; App. No. 8777/79 Rasmussen . /.Denmark, 28.11.1984, Ser. A 87; App. No. 38743/97 Stambuk . /. Germany, 22.11.2002, NJW 2003, 497; Sunday Times . /.United Kingdom (1) 26.4.1979, Ser. A 30; App. No. 24699/94 VgT Verein gegen Tierfabriken . /.Switzerland, 28.6.2001, ECHR 2001–VI; App. No. 13778/88 Thorgeirson (Thorheir) . /.Iceland, 25.6.1992, Ser. A 239; App. N° 17419/90 Wingrove . /.The United Kingdom (1), 25.11.1996, ECHR 1996–V. Von diesen Entscheidungen betrafen dann letztlich – als Ergebnis der jeweils vorgenommenen Abgrenzung – unmittelbar die Behandlung von commercial speech im hier interessierenden Sinne insbesondere die Entscheidungen in Markt intern Verlag GmbH and Klaus Beermann.. /.Germany; Jacubowski . /.Germany; SRG . /.Switzerland; Colman . /.United Kingdom; Casado Coca . /.Spain, sowie zuletzt die bemerkenswerte Entscheidung in Krone Verlag . /.Austria (jeweils aaO.). Vgl. auch die noch umfassendere Zusammenstellung bei Hertig, HRLR (2006), 53 ff., Section 2, sowie aus der deutschen Literatur zuletzt insbesondere Calliess, 23 Europäische Grundrechte Zeitschrift 1996, 293 ff.; Calliess, AfP 2000, 248 ff.; Buschle, Kommunikationsfreiheit, S. 113, 137 ff. S. inhaltlich zu den relevanten Urteilen zum Teil näher im folgenden Text.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
wird gelegentlich sogar Modellcharakter für das deutsche Recht zugebilligt172. Dies rechtfertigt eine etwas nähere Betrachtung insbesondere unter dem Blickwinkel der Sinnhaftigkeit einer derartigen Differenzierung. Den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK sieht der Gerichtshof auch in Fällen kommerzieller Kommunikation im Grundsatz für eröffnet an, ohne dabei zwischen Meinungsäußerungen mit wertendem Gehalt und Tatsachenmitteilungen zu differenzieren173. Die Prüfung der Rechtfertigungsmöglichkeit wird im Rahmen des Art. 10 Abs. 2 EMRK in drei Prüfungspunkten durchgeführt: eine Beschränkung der Meinungsfreiheit muß gesetzlich vorgesehen sein, ein legitimes Ziel i.S.d. 10 Abs. 2 verfolgen und sie muß zur Erreichung dieses Ziels „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sein; im Rahmen dieses letztgenannten Prüfungspunktes führen Gerichtshof und Menschenrechtskommission die entscheidende Verhältnismäßigkeitsprüfung durch. In der Tat war in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bisher im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung eine deutliche Differenzierung danach zu erkennen, ob es sich bei der betroffenen Äußerung um eine kommerzielle Kommunikation174 handelt oder nicht. Die Maßstäbe, die an die Beschränkung kommerzieller Äußerungen angelegt wurden, sind fast durchweg flexibler175. Damit kommt der Abgrenzung kommerzieller Äußerungen von sonstigen Äußerungen politisch/gesellschaftlich/kulturellen Charakters bisher durchaus vorentscheidende Bedeutung für die Erfolgsaussichten einer Beschwerde zur Menschenrechtskommission und zum Gerichtshof nach Straßburg zu176. Dennoch verläuft diese demnach entscheidende Abgrenzungslinie aber auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die in dieser Frage einen durchaus hohen Differenzierungsgrad erreicht hat, nur in den klaren Fällen reiner Werbeaussagen oder rein nichtkommerzieller Meinungsbeiträge verläßlich177. In den Fällen sogenannter mixed speech (zu denen beispielsweise auch die Benetton-Werbung zu zählen wäre178), in denen 172
S. die Nachweise o. Fn. 102. S. z.B. App. No. 15450/89 Casado Coca . /.Spain, 24.2. 1994, Serie A 285–A, 18. 174 Womit nicht etwa der Begriff der „kommerziellen Kommunikation“ im technischen Sinne der EG-Richtlinien gemeint ist, sondern tatsächlich jede Form von Äußerung, die im weitesten Sinne direkt oder indirekt beabsichtigt, den Absatz oder Erwerb von Waren oder Dienstleistungen zu fördern. 175 S. noch sogleich zu der aktuellen Entscheidung EGMR App. No. 39069/97 Krone Verlag GmbH & Co KG (no. 3) . /.Austria, 11.12.2003, ECHR 2003–XII, als möglicher Ausnahme. 176 S. statt aller die umfassende Bestandsaufnahme bei Hertig, HRLR (2006), 53 ff., Section 2. 177 S. etwa die klaren Fälle App. No. 16632/90 Colman . /. United Kingdom, 28.6.1993, Ser. A 258–D (betreffend die Werbung eines Arztes); App. No. 15450/89 Casado Coca . /.Spain, 24.2. 1994, Ser. A 285–A (betreffend die Werbeanzeige eines Rechtsanwalts mit Informationen über seine Kanzleieröffnung); App. No. 39069/97 Krone Verlag GmbH & Co KG (no. 3) . /.Austria, 11.12.2003, ECHR 2003–XII (betreffend eine vergleichende Werbung, die nach österreichischem Recht als irreführend qualifiziert worden war). 178 Calliess, AfP 2000, 248, 253 kommt konkret bezüglich der Benetton-Schockwerbung aufgrund sorgsamer Analyse der bis zu diesem Zeitpunkt ergangenen Rechtsprechungspraxis des EGMR de lege lata zu dem sicher zutreffenden Ergebnis, daß ein Verbot dieser Werbung 173
2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht
329
sich eine kommerzielle Zielsetzung oder Äußerung mit Meinungsbeiträgen zu außerkommerziellen Themen von gesellschaftlicher Bedeutung vermengt, unterscheidet der Gerichtshof danach, ob der primäre Zweck der Äußerung als kommerziell zu qualifizieren ist oder nicht179. Diese Abgrenzung ist in der Rechtsprechung und im Zusammenspiel von Menschenrechtskommission und Gerichtshof aber im Einzelfall stets Gegenstand heftiger Kontroversen180; und auch aus einer Gesamtbetrachtung der Rechtsprechung in diesem Bereich lassen sich recht verläßliche Kriterien für die Abgrenzung nicht kristallisieren181. Daß ein Rückgriff auf die Kriterien, die der EGMR zur Abgrenzung von commercial und non-commercial speech entwickelt hat, für das deutsche Verfassungsrecht größere Rechtssicherheit schaffen würde, läßt sich angesichts der einschlägigen Urteile des Gerichtshofs jedenfalls kaum behaupten182. Zutreffend ist nach dem vorstehenden allerdings der Hinweis, daß der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach dem Charakter der Äußerung – wie immer dieser im einzelnen zu ermitteln oder wegen des im Werberecht – und zumal mit Blick auf moralische Fragen – eingeräumtem weiten Beurteilungsspielraums nach Art. 10 Abs. 2 EMRK vom EGMR wohl nicht als grundrechtsbeschränkend eingeordnet worden wäre. S. insoweit zum Beleg auch noch die Nachweise u. Fn. 184. 179 Klare Fälle insoweit (in denen letztlich die kommerzielle Natur der Äußerung verneint wurde) finden sich in den zwei Entscheidungen des Gerichtshofs zu berufsrechtlichen Maßnahmen gegen einen Tierarzt bzw. einen Augenarzt, die jeweils in Zeitungsartikeln zu bestimmten professionellen Fragen (Notdienstzeiten bzw. eine neue Laser-Behandlungsmethode) Stellung genommen hatten, App. No. 8734/7 Barthold . /. Germany, 25.3.1985, Ser. A 90, App. No. 38743/97 Stambuk . /.Germany, 22.11.2002, NJW 2003, 497. 180 S. nur die heftig umstrittenen, nur mehrheitlich und mit veröffentlichten Minderheitsvoten ergangenen Entscheidungen App. No. 10572/83 Markt intern Verlag GmbH and Klaus Beermann . /.Germany, 20.11.1989, Ser. A 165; App. No. 15088/89 Jacubowski . /.Germany, 23.6.1994, Ser. A 291–A. 181 Umstritten war insbesondere die Qualifikation der in einem wöchentlichen „Newsletter“ enthaltenen Kritik an einer bestimmten Großhandelsfirma, die zum Anbieter des großhandelskritischen Newsservice naturgemäß nicht in einem Wettbewerbsverhältnis stand, als kommerzielle Kommunikation (da im wesentlichen an gewerbliche Abnehmer gerichtet) in Markt Intern (aaO.). In Jacubowski (aaO.) wurde schlichtweg die entsprechende Qualifikation der Briefe des entlassenen Journalisten (der vermittels breitgestreuter Kritik an seinem alten Arbeitgeber wohl in erster Linie auch den Aufbau seiner eigenen selbständigen Agentur befördern wollte) im Urteil des nationalen Gerichts anerkannt, ohne daß der EGMR eigene Kriterien für die Abgrenzung erkennen lassen hätte. Schließlich sind das Urteil des EGMR App. No. 25181/94 Hertel . /. Switzerland, 25.8.1998, ECHR 1998–V, einerseits und die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR in Nr. 43523/98 v. 21.4.2001 (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) . /.Switzerland, unveröffentlicht), andererseits, schlechthin nicht miteinander vereinbar. In beiden Fällen ging es um nicht von Wettbewerbern ausgehende gesundheitsbezogene Kritik (mithin eine Debatte von generellem Interesse), im einen Fall betreffend die angeblich von Mikrowellen ausgehenden Gefahren, im anderen Fall eine bestimmte Kategorie von Schmerzmitteln betreffend; dennoch wurde der Fall Hertel positiv, der Fall SRG abschlägig beschieden. Für Erklärungsansätze bezüglich dieser unterschiedlichen Ergebnisse, s. im einzelnen Hertig, HRLR (2006), 53 ff., Section 2 D. 182 So aber eine Ansicht im deutschen Schrifttum, s. insbesondere Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 45, 63.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
abzugrenzen wäre – differenziert; um festzustellen, ob diese kategorielle Differenzierung Vorbildfunktion für das nationale Recht entfalten kann, ist noch etwas näher auf die Gründe einzugehen, die der Gerichtshof jeweils für den flexibleren Maßstab anführt, den er an Beschränkungen kommerzieller Äußerungen anlegt. In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der UWG-Fälle begründet der Gerichtshof seine Zurückhaltung mit zwei ineinander verwobenen, spezifisch supranationalen Argumenten: der Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs sei zu komplex und schnellebig, um eine differenzierte Beurteilung der jeweiligen Sachverhalte durch den Gerichtshof zu ermöglichen, so daß diese im wesentlichen den nationalen Behörden überlassen bleiben müsse183; zudem seien die jeweiligen nationalen Regelungen und Traditionen im Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs (insbesondere auch betreffend berufliche Standesregeln und Fragen der moralischen Beurteilung werblicher Äußerungen) in den einzelnen Mitgliedstaaten derart unterschiedlich, daß die nationalen Behörden, die in direkterem Kontakt mit der jeweiligen nationalen Tradition stünden, sachnäher entscheiden könnten184. Entsprechend sei in derartigen Fällen den nationalen Behörden ein besonders weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die Begründungen des Gerichtshofs für seine bisherige Differenzierung sind also im wesentlichen pragmatischer Natur und von dem Bewußtsein der notwendig beschränkten Rolle eines supranationalen Gerichts in einem besonders schnellebigen und international überdurchschnittlich divergenten Rechtsgebiet geprägt185. Deshalb taugt eine derartige Argumentation, soweit auf ihrer Grundlage eine entsprechend abgestufte Behandlung kommerzieller Kommunikation mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 GG gefordert wird, auch nicht für die Entlehnung in das deutsche Verfassungsrecht. Das etwas anders gelagerte Beispiel der EGMR-Rechtsprechung zur Religionsfreiheit mag dies noch zusätzlich verdeutlichen – auch in diesem Bereich hat der Gerichtshof den Mitgliedstaaten wegen der außerordentlich mannigfaltigen Traditionen einen besonders weiten Beur183 S. Markt intern Verlag GmbH and Klaus Beermann . /.Germany, 20.11.1989, Ser. A 165; App. No. 15450/89 Casado Coca . /. Spain, 24.2. 1994, Ser. A 285–A, 18; App. No. 15088/89 Jacubowski . /.Germany, 23.6.1994, Ser. A 291–A, 18; App. No. 38743/97 Demuth . /.Switzerland, 5.11.2002, ECHR 2002–IX. Vgl. mit derselben Terminologie vom weiten Beurteilungsspielraum auch App. No. 39069/97 Krone Verlag GmbH & Co KG (no. 3) . /.Austria, 11.12.2003, ECHR 2003–XII, wo dann aber in der Folge das österreichische Werbeverbot bemerkenswert konkret und streng auf seine Verhältnismäßigkeit geprüft wird. 184 S. EGMR App. No. 15450/89 Casado Coca . /.Spain, 24.2. 1994, Ser. A 285–A, 18 (betreffend das besonders divergente Feld rechtsanwaltlicher Standesregeln); s. aber etwa auch mit Blick auf den ebenfalls besonders weit divergierenden Bereich unterschiedlicher Moralvorstellungen in den Konventionsstaaten EGMR Handyside . /.United Kingdom, 7.12.1976, Ser. A 24; App. No. 44179/98 Murphy . /.Ireland, 10.7.2003, ECHR 2003–IX. 185 Sobald diese besondere Divergenz im Einzelfall fehlt, wird dies prompt als Argument für eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung angeführt, s. nur EGMR App. No. 38743/97 Stambuk . /. Germany, 22.11.2002, NJW 2003, 497 (Rz. 40), in bemerkenswerter Abweichung von EGMR App. No. 15450/89 Casado Coca . /.Spain, 24.2. 1994, Ser. A 285–A, 18 (nationale medizinische Standesregeln einerseits und nationale Standesregeln für die rechtsanwaltliche Tätigkeit andererseits).
2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht
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teilungsspielraum für Beschränkungen eingeräumt186; es wäre sinnwidrig hieraus schließen zu wollen, auch für das deutsche Recht seien in Bezug auf die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG besonders flexible Maßstäbe an Beschränkungen anzulegen.
Ebensowenig trägt daher der Verweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, um niedrigere Schutzmaßstäbe für kommerzielle Kommunikationen unter Art. 5 Abs. 1 GG einzufordern. Dies umsomehr, als der extrem flexible Maßstab, den der Gerichtshof mit Blick auf kommerzielle Äußerungen auf Konventionsebene anlegt, etwa insbesondere im Fall Markt Intern, auch auf heftige Kritik gestoßen ist187. Tatsächlich läßt die aktuellere Entscheidung des Gerichtshofs in Krone Verlag ./.Österreich188 dementsprechend sogar eher umgekehrt eine gewisse Tendenz in der Rechtsprechung zur EMRK erkennen, nunmehr auch im Bereich unlauteren Wettbewerbs und werblicher Äußerungen strenge Maßstäbe bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit mitgliedstaatlicher Einschränkungen des Art. 10 Abs. 1 EMRK anzulegen. Nicht zufällig ging es in Krone – wo sich die neuen materiell strengeren Maßstäbe für die Verhältnismäßigkeitsprüfung finden – gerade um die Zulässigkeit einer grundsätzlich objektiv zutreffenden vergleichenden Werbung unter österreichischem Lauterkeitsrecht; denn prompt führt der Gerichtshof – nachdem er im Ausgangspunkt nominell wiederum die besondere Bedeutung eines weiten Beurteilungsspielraums für die Mitgliedstaaten im Lauterkeitsrecht betont hat – eine durchaus ins einzelne gehende (sich sogar auf die nach Meinung des Gerichtshofs in sich widersprüchlich beurteilte Frage der Irreführungsgefahr erstreckende) Verhältnismäßigkeitsprüfung durch und hebt in diesem Zusammenhang insbesondere hervor, daß vergleichende Werbung als „Kerninstrument des Preiswettbewerbs“ nicht durch zu weitgehende Unterlassungsverfügungen behindert werden dürfe189. Dies deutet nun einen deutlich differenzierteren Maßstab an, als eine rein kategorielle Einteilung nach dem kommerziellen Charakter einer Äußerung190; tatsächlich stünde ein Ansatz, der grundsätzlich wahrheitsgemäße Angaben – die Verbraucherinformation im Markt vermitteln – an strengen Maßstäben mißt, während irreführende – insbesondere objektiv unzutreffende – kommerzielle Angaben einen von vornherein abgeschichteten Schutz genießen, sogar genau im Einklang mit dem hier favorisierten konkret differenzierenden Ansatz, wie ihn auch das deutsche Bundesverfassungsgericht verfolgt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich sogar, daß auch der Gerichtshof für Menschenrechte schon vor dem Urteil in Krone in der verfassungsrechtlichen Bewertung einem durchaus ähn186 S. statt vieler aus dem hier interessierenden Bereich nur EGMR Handyside . /. United Kingdom, 7.12.1976, Ser. A 24, Rz. 48; EGMR Müller u.a. . /.Schweiz, Ser. A 133, Rz. 35. 187 S. nur Calliess, 23 Europäische Grundrechte Zeitschrift 1996, 293, 295 f.; vgl. auch Hertig, HRLR (2006), 53 ff., Section 2 D (i) mwN. 188 App. No. 39069/97 Krone Verlag GmbH & Co KG (no. 3) . /.Austria, 11.12.2003, ECHR 2003–XII. 189 AaO., Rz. 33 f. 190 So zutreffend Hertig, HRLR (2006), 53 ff., Section 2 C (i) und Section 2 E (ii) und (iii).
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
lichen, konkret differenzierenden Konzept folgt: So finden sich schon in Casado Coca materiell-rechtlich exakt dieselben Überlegungen zur besonderen Schutzwürdigkeit des Verbraucherinteresses an Marktinformation wie in Krone oder auch in der Juve-Handbuch-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts191; lediglich der pragmatische – für die inhaltlich verfassungsrechtliche Beurteilung irrelevante – Aspekt der besonders ausgeprägten Divergenz der Rechtsordnungen und Traditionen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich führte dann im Ergebnis zur Annahme eines besonders weitreichenden Beurteilungsspielraums für die spanischen Behörden. Mit stetig zunehmender Konvergenz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten als Folge von ökonomischer Globalisierung sowie rechtlicher Europäisierung dürfte dieses pragmatische Argument zudem immer mehr an Bedeutung verlieren192. Auf europäischer Ebene könnte die Rechtsprechung von Kommission und Gerichtshof in Straßburg mit Blick auf kommerzielle Kommunikation im Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 EMRK in der Folge von Krone also durchaus grundsätzlicher in Fluß geraten. Die „alte“, kategorielle Differenzierung mit „Schwarz-Weiß“Charakter193 könnte und sollte einer mehr konkret differenzierenden Beurteilung weichen. Einmal unabhängig davon, inwieweit diese Vorhersage sich in der Zukunft in der Gerichtspraxis bewahrheitet, dürfte jedenfalls deutlich geworden sein, daß die hauptsächlich auf pragmatischen Gründen beruhende kategorielle „SchwarzWeiß“-Differenzierung zwischen commercial speech und anderen politisch-gesellschaftlichen Meinungsäußerungen in der bisherigen Rechtsprechung des EGMR jedenfalls nicht als Vorbild für das deutsche Verfassungsrecht taugt. Eher sollte die Entwicklung umgekehrt verlaufen.
191 S. in aller wünschenswerten Deutlichkeit EGMR App. No. 15450/89 Casado Coca . /. Spain, 24.2. 1994, Ser. A 285–A, 18. Besonders bemerkenswert ist insoweit, daß während sich in der Entscheidung BVerfG NJW 2003, 277, 278, – Juve Handbuch, bezüglich zutreffender werblicher Tatsachenangaben lediglich die sehr verkürzte (und auch nicht wettbewerbsspezifische) Überlegung findet, daß bezüglich von Tatsachenbehauptungen der Wahrheitsgehalt für die Schrankenabwägung unter Art. 5 Abs. 1 GG entscheidend sei, der EGMR in Casado Coca (aaO.) differenziertere Überlegungen zur Beurteilung werblicher Tatsachenangaben unter Art. 10 Abs. 1 EMRK anstellt. Demnach ist in einem solchen Falle zuvörderst das Informationsinteresse des beworbenen Abnehmers bezüglich näherer Information über Produkt- oder Dienstleistungseigenschaften zu berücksichtigen. Dennoch soll sogar in einem Fall zutreffender Tatsachenangaben eine Beschränkung mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts in Betracht kommen, lediglich sei dann die Verhältnismäßigkeitsprüfung ganz besonders streng durchzuführen. Dieser Analyse ist nach der hier vertretenen Auffassung uneingeschränkt zuzustimmen. 192 Eine entsprechende Rechtsprechungsänderung behält sich der EGMR in App. No. 15450/89 Casado Coca . /.Spain, 24.2. 1994, Ser. A 285–A, 18, Rz. 54 ff., auch ganz ausdrücklich vor, wenn er bezüglich der Divergenz der nationalen Rechtsordnungen den für diese Divergenzanalyse maßgeblichen Zeitraum (1982–1983) herausstellt. So zutreffend auch Hertig, HRLR (2006), 53 ff., Section 2 C (i). 193 S. für deren Kritik in der Literatur zudem schon die Nachweise o. Fn. 187.
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II. Europarecht Die Rezeption der europäischen Grundrechte (zuerst als allgemeine Rechtsgrundsätze der Gemeinschaft194, mittlerweile auch über Art. 6 Abs. 2 EUV i.V.m. der EMRK und ihren Zusatzprotokollen195) ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs vergleichsweise zurückhaltend erfolgt196. Jedenfalls für den hier betrachteten Bereich spielten die Grundrechte bisher fast ausnahmslos stets nur eine mittelbare Rolle als Auslegungs- bzw. Abwägungshilfe bei der Anwendung primären und sekundären Gemeinschaftsrechts. Dabei ging es zum einen um die Rechtfertigung von Maßnahmen unter der Cassis-Doktrin197, wobei die Grundrechte die Rolle der verfassungsrechtlichen Grundierung eines zwingenden Erfordernisses des Gemeinwohls198 spielten, bzw. – sofern ein zwingendes Allgemeinwohlinteresse bereits ermittelt wurde – zumindest als eine Art zusätzlicher Gewichtungsfaktor auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung, die „im Lichte“ der betroffenen Grundrechte durchzuführen sei, Einfluß nahmen199. Zum anderen fanden die Grund194
S. grundlegend EuGH Rs. 4/73 (Nold), Slg. 1974, 491, Rz. 13. Der EuGH sieht dies als restatement seiner ständigen Rechtsprechung an, s. Rs. C-60/00 (Carpenter . /.Secretary of State for the Home Department), Slg. 2002, I-6279, Rz. 41. 196 S. für den hier betrachteten Bereich von unmittelbarer Relevanz im wesentlichen nur EuGH Rs. C-71/02 (Karner . /.Troostwijk), Slg. 2004, I-3025 (in der Art. 10 Abs. 1 EMRK mit Blick auf ein lauterkeitsrechtliches Werbeverbot des österreichischen Rechts betreffend die Bezugnahme auf die Herkunft der Waren aus einer Konkursmasse geprüft wird), EuGH Rs. C245/01 (RTL Television . /.Niedersächsiche Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk), Slg. 2003, I-12489 (betreffend die „menschenrechtskonforme“ Auslegung der Fernseh-Richtlinie), sowie EuGH Rs. C-368/95 (Vereinigte Familiapress . /.Heinrich Bauer Verlag), Slg. 1997, I-3689 (in der die Vielfalt der Presselandschaft als ein zwingendes Interesse des Gemeinwohls in Art. 10 Abs. 1 EMRK basiert wird, um sodann die sich anschließende Cassis-Verhältnismäßigkeitsprüfung „im Lichte des Grundrechts“ durchzuführen; vgl. ähnlich im übrigen auch Rs. C-288/89 (Gouda), Slg. 1991, I-4007, Rz. 23). S. allgemein Rs. C-112/00 (Schmidberger . /.Österreich), Slg. 2003, I-5659 (betreffend die Versammlungsfreiheit, die der EuGH durch Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 EMRK geschützt sieht) und zuletzt die (in dogmatisch zweifelhafter Weise, s. noch sogleich unten im Text) bemerkenswert weitreichende Entscheidung in Rs. C-60/00 (Carpenter . /.Secretary of State for the Home Department), Slg. 2002, I-6279 (betreffend den Schutz der Familie gem. Art. 8 Abs. 1 EMRK mit Bezug auf eine nationale Ausweisungsmaßnahme). S. auch die Darstellung der Entwicklungsgeschichte von Walter, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 1, S. 1, 8 ff. mwN. 197 S. noch unten 3. Abschn. B II 1 b (1). 198 So in EuGH Rs. C-368/95 (Vereinigte Familiapress . /.Heinrich Bauer Verlag), Slg. 1997, I-3689, Rz. 18, wo die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt als Konretisierung des Art. 10 Abs. 1 EMRK qualifiziert wird, um auf dieser Grundlage die Zielsetzung der Aufrechterhaltung der Medienvielfalt sodann als zwingendes Erfordernis des Gemeinwohls anzuerkennen. 199 So in der Folge in EuGH Rs. C-368/95 (Vereinigte Familiapress . /.Heinrich Bauer Verlag), Slg. 1997, I-3689, Rz. 24 ff. Vgl. allgemein auch Rs. C-112/00 (Schmidberger . /.Österreich), Slg. 2003, I-5659, Rz. 71 ff. (zwar ging es in diesem Fall um die mitgliedstaatliche Haftung für eine Verletzung der Grundfreiheiten durch Private [Blockade des Brenner-Passes durch tagelange Demonstrationen], doch war die Methodik der indirekten Berücksichtigung der Grundfreiheiten im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der getroffenen mitgliedstaatlichen Entscheidung gerade dieselbe wie in Familiapress . /.Bauer); s. zuletzt auch die eigentümliche Entscheidung in Rs. C-60/00 (Carpenter . /.Secretary of State for the Home Department), Slg. 2002, I-6279, Rz. 41 ff., wo der Gerichtshof in einem menschlich berührenden Einzelfall (s. 195
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rechte der EMRK letzthin eine Rolle bei der „menschenrechtskonformen“ Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts, im konkreten Fall der Fernseh-Richtlinie200. Methodisch erfolgte die Heranziehung der Grundrechte also bisher stets mittelbar im Rahmen der Prüfung einer streitgegenständlichen Verletzung der Grundfreiheiten durch nationale Maßnahmen der Mitgliedstaaten oder bei der „menschenrechtskonformen“ Auslegung gemeinschaftlicher Maßnahmen. In einem neueren Fall (Karner ./.Troostwijk) findet sich nunmehr aber auch eine selbständige Prüfung des Art. 10 Abs. 1 EMRK mit Blick auf ein lauterkeitsrechtliches Werbeverbot mitgliedstaatlichen Rechts, wobei nicht einmal der Anwendungsbereich der primär betroffenen Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG) eröffnet war201. Unmittelbar für den hier betrachteten Bereich stand als betroffenes Grundrecht ausnahmslos Art. 10 Abs. 1 EMRK als Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Gemeinschaft im Mittelpunkt. Sowohl in den Fällen, in denen Art. 10 Abs. 1 EMRK mittelbar herangezogen wurde202, als auch bei der unmittelbaren Prüfung in Karner ./.Troostwijk203, hat der EuGH in Anlehnung und unter ausdrücklichem Verweis auf die bisherige204 Rechtsprechung des EGMR bezüglich der Rechtfertigungsmöglichkeit nach Art. 10 Abs. 2 EMRK jedoch den weiten Beurteilungsschon o. Fn. 196) enstsprechend der angestammten Dogmatik nicht nur die Verhältnismäßigkeitsprüfung bezüglich einer Beschränkung des Art. 49 EG „im Lichte“ des Schutzes des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK durchführt, sondern insbesondere schon zuvor auch den Schutzbereich des Art. 49 EG (um sich den Weg in die Verhältnismäßigkeitsprüfung erst zu eröffnen) in fehlerhaft weiter Ausdehnung auf eine bloße Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit ohne jegliche grundfreiheitenspezifische – da in keiner Weise rechtlich oder sachlich diskriminierende oder grenzüberschreitende Sachverhalte besonders betreffende – Auswirkungen (Erschwerung der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistung durch die fehlende Hilfe der ausgewiesenen Ehefrau bei der Kinderbetreuung während der Abwesenheiten ihres Mannes) erstreckt. So bildet die Entscheidung mit Blick auf die Dogmatik der Grundfreiheiten einen denkwürdigen „Ausreißer“ (vgl. nunmehr aber ebenso zweifelswürdig auch EuGH Rs. C403/03 (Schempp), Slg. 2005, I-0000 zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, in der der EuGH „begründet“, warum im Lichte der Unionsbürgerschaft sich ein Steuerpflichtiger nicht in einer rein internen Situation befindet, wenn lediglich seine frühere Ehefrau in einen anderen Mitgliedstaat gezogen ist, s. dazu kritisch auch Enchelmaier, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rz. 141 in Fn. 139), der seine Entsprechung in den – den Gerichtshof prompt überlastenden – Sunday Trading Cases im Vorfeld der Keck-Entscheidung (s. dazu noch untere Fn. 134) findet. Viel naheliegender wäre es gewesen, Art. 8 Abs. 1 EMRK unmittelbar zu prüfen, ohne den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit in sinnwidriger Weise zu überdehnen. Vgl. kritisch auch die Editorial Comments, Common Market Law Review 2003, 537 ff. 200 EuGH Rs. C-245/01 (RTL Television . /.Niedersächsiche Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk), Slg. 2003, I-12489, Rz. 67 ff., konkret betreffend die „menschenrechtskonforme“ Auslegung der Vorschriften der Fernseh-Richtlinie über die Zulässigkeit von Werbeunterbrechungen in „Fernsehfilmen“ bzw. „Reihen“ mit Blick auf Art. 10 Abs. 1 EMRK. 201 EuGH Rs. C-71/02 (Karner . /.Troostwijk), Slg. 2004, I-3025, Rz. 44, 48 ff. mwN; s. dazu auch Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1315. 202 So zumal in Rs. C-245/01 (RTL Television . /.Niedersächsiche Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk), Slg. 2003, I-12489, Rz. 67 ff., insbesondere Rz. 73. 203 AaO., Rz. 51. 204 S. zum letzthin aber möglicherweise zu strengeren Maßstäben tendierenden Trend in der Rechtsprechung des EGMR schon oben C I 2.
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spielraum der Mitgliedstaaten im Bereich der Regelung der Werbung betont. Damit hat er den in der Rechtsprechung des EGMR bisher differenzierenden Maßstab zwischen Meinungsäußerungen, die zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beitragen, und anderen Meinungsäußerungen (insbesondere im Rahmen der Werbung) wohl übernommen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang noch, daß der EuGH den Verbraucherschutz als Rechtfertigungsgrund im Sinne des „Schutzes der Rechte anderer“ nach Art. 10 Abs. 2 EMRK in eigenständiger Interpretation ausdrücklich anerkannt hat 205. Mit Blick auf die Betonung des Ermessensspielraums der Konventionsstaaten spiegeln aber alles in allem auch die neueren Urteile, die die EMRK zumindest als Rechtsquelle zunehmend wahrnehmen, zumindest für den Bereich des Werbe- und Vertragsrechts206 eine weiterhin große Zurückhaltung, den Grundrechtsschutz der EMRK zu Lasten des Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten zu stärken. Die neue Grundrechte-Charta der Gemeinschaft hat in der Rechtsprechung des EuGH bisher praktisch keine Rolle gespielt. Dies wird sich sicher über kurz oder lang ändern, gerade der Abwägungsprozeß im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Cassis de Dijon, gleichermaßen wie die Methode „grundrechtskonformer“ Interpretation des Gemeinschaftsrechts bilden durchaus idealtypische Einfallstore auch für den Einfluß der Grundrechte der Charta 207. Angesichts ihres unverbindlichen Charakters muß allzu hochgespannten Erwartungen an ihre Funktion als Erkenntnisquelle208 – so sehr man diese rechtspolitisch begrüßen mag – wohl aber mit einer gewissen Skepsis gegenübergestanden werden 209. Gegenüber der Anerkennung der Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts und der entsprechenden vertraglichen Verankerung in Art. 6 Abs. 2 EUV dürfte die Grundrechte-Charta in der unmittelbaren Rechtsanwendung auf absehbare Zeit eine vergleichsweise weitaus geringere Bedeutung einnehmen 210. Für das hier betrachtete Thema ist im Sinne einer Erkenntnisquelle, 205 Rs. C-245/01 (RTL Television . /. Niedersächsiche Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk), Slg. 2003, I-12489, Rz. 70. 206 S. aber die bereits genannte Entscheidung in Rs. C-60/00 (Carpenter . /.Secretary of State for the Home Department), Slg. 2002, I-6279, Rz. 40 ff., die bezüglich des Schutzes der Familie nach Art. 8 EMRK einem deutlich offensiveren Konzept folgt und eine Rechtfertigungsmöglichkeit für die streitgegenständlichen Abschiebungsmaßnahme unter Art. 8 Abs. 2 EMRK konkret verneint. 207 Näher Weatherill, Internal Market, in: Peers/Ward (eds.), EU Charta, S. 183, 201 ff. Allerdings ist auch zu bedenken, daß Art. 51 Abs. 1 der Charta festlegt, daß die Charta der Grundrechte ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union gilt; die Charta gilt also nicht schon dann, wenn die Maßnahme eines Mitgliedstaats in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, namentlich der Grundfreiheiten, fällt. Faktisch ist aber kaum zu erwarten, daß der EuGH seine diesbezügliche Praxis ändert, s. ebenso mit Blick auf den Verfassungsentwurfs des Konvent Cremer, NVwZ 2003, 1452 ff. 208 S. spezifisch dazu Kühling, Grundrechte, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 583, 592 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 209 Optimistischer Kühling, aaO., S. 583 ff.; wie hier skeptischer etwa Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 172. 210 Für Ansätze einer praktischen Verwertbarkeit gerade mit Blick auf die hier interessieren-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
die aber in ihrer praktischen Bedeutung kaum über die verbindlichen Verpflichtungen der Art. 95 Abs. 3 und 153 EG hinausgeht, der Verweis auf das Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus in Art. 38 der Charta von Bedeutung. Darüber hinaus mag die gegenüber der EMRK abweichende Formulierung der Meinungsund Informationsfreiheit in Art. 11 der Charta gewisse neue Nuancierungen für die Abwägung bezüglich von Einschränkungen kommerzieller Äußerungen im Einzelfall bringen; insbesondere die eigenständige Betonung der Informationsfreiheit (im Sinne des Informationsempfangs) in Art. 11 mag der hier vertretenen Konzeption, die im Einklang mit der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts den Aspekt der Informationsversorgung der Verbraucher als Grundlage freier Entscheidungen in den Mittelpunkt der Perspektive rückt, auch auf europäischer Ebene zusätzlich Vorschub leisten 211. Eine unmittelbare Verbürgung der Vertragsfreiheit findet sich demgegenüber in der Charta ebensowenig wie in der EMRK. Im Vertrag über eine Verfassung für Europa vom 29. Oktober 2004, dessen Schicksal und Ratifizierungsperspektive mittlerweile freilich äußerst fragwürdig geworden ist 212, findet sich die Charta der Grundrechte in Teil II unmittelbar und im wesentlichen unverändert übernommen 213. Damit wird sie künftig zu primärem, verbindlichem Gemeinschaftsrecht 214. Der Anwendungsbereich der Charta bleibt allerdings ausschließlich auf die Durchführung von Unionsrecht beschränkt 215, die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten soll nicht berührt werden 216. Dennoch sind an dieser Stelle Konflikte, insbesondere auch im Verhältnis zu den Institutionen des Europarats in Straßburg zu erwarten, da die EMRK
den Fälle im der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten bzw. bei der Interpretation sekundären Gemeinschaftsrechts s. Weatherill, Internal Market, in: Peers/Ward (eds.), EU Charta, S. 183, 201 ff. 211 Hoffnungsvoll insbesondere mit Blick auf Art. 11 der Charta, wie er sich nunmehr in Art. II-71 des Vertrags über eine Verfassung für Europa (s. sogleich u. Fn. 212) wiederfindet, noch Weatherill, aaO., S. 203 ff. Demgegenüber ist aber zumindest für den Augenblick festzuhalten, daß der EuGH sich auch in seinen neueren Entscheidungen zu diesem Bereich (s. die Nachweise o. Fn. 196) an den verbindlichen Menschenrechten der EMRK und der diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR orientiert, ohne die Grundrechte-Charta bisher als Erkenntnisquelle zu nutzen, selbst wo dies rechtlich möglich wäre (etwa bei der Auslegung von Richtlinien). 212 S. für den vollständigen Text des Vertrags über eine Verfassung für Europa vom 29. Oktober 2004 (nebst Übersetzungen in sämtliche Amtssprachen) sowie für den aktuellen Stand des Ratifizierungsverfahrens und weitere Informationen das interinstitutionelle Portal zur europäischen Verfassung, abrufbar unter http://europa.eu.int/constitution/ (besucht am 12.1.2006). 213 Diese Gesetzgebungstechnik, führte von jeher zu gewissen Friktionen, da auch die Präambel der Grundrechte-Charta mit übernommen wurde, was zu einer gewissen Doppelung innerhalb der Verfassung führt. Diese Dopplung und Einfügungstechnit wirkt umso ungelenker, weil einzelne Formulierungen der Präambel der Grundrechte-Charta (z.B. die „immer engere Verbindung“ der Völker Europas) nicht mehr recht zu den weitergehenden Formulierungen der Präambel der Verfassung (dort ist in Entsprechung zum genannten Beispiel von einer immer engeren „Vereinigung“ der Völker Europas die Rede) passen mögen. 214 S. zutreffend statt aller Dorf, JZ 2005, 126. 215 Zu Recht kritisch Cremer, NVwZ 2003, 1452 ff. 216 S. Art. II-111 des Vertrags über eine Verfassung für Europa.
2. Abschnitt: Grundrechte und Verfassungsrecht
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mit der Grundrechte-Charta der Union nicht vollkommen deckungsgleich ist 217; ob insoweit die „EMRK-Regel“ in Art. II-52 Abs. 3 S. 1, derzufolge die Rechte, die den EMRK-Rechten „entsprechen, … die gleiche Bedeutung und Tragweite [haben], wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird“, allen Problemen abhilft, wird angesichts der letztlichen Auslegungskompetenz des EuGH – der mithin künftig „festzustellen“ hat, welche Bedeutung und Tragweite der EGMR in seiner Rechtsprechung den einzelnen Schutzbereichen und Schranken der EMRK-Rechte einräumt – abzuwarten sein 218. Im übrigen sind die Einfallstore für eine Berücksichtigung der Grundrechte des Verfassungsvertrags, die als künftig verbindliche Rechtsquelle dann in der Rechtsprechung des EuGH auch mindestens kumulativ stets mit herangezogen werden dürften, nach dem Text des Verfassungsvertrags bemerkenswerterweise enger begrenzt als der Einflußbereich der EMRK-Menschenrechte und der Grundrechte als Teil der allgemeinen Rechtsprinzipien der Gemeinschaft gem. Art. 6 Abs. 2 EUV; ein wesentlicher Unterschied ergibt sich nämlich aus der bereits erwähnten Tatsache, daß gem. Art. II-111 Abs. 1 die Grundrechte der Verfassung ausschließlich bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht Anwendung finden. Bezogen auf die beiden faktisch bisher wesentlichsten Einfallstore für Grundrechtsabwägungen ist daraus zum Teil geschlossen worden, daß ein Rückgriff auf die Grundrechte der Verfassung im europäischen Recht mit Blick auf die hier untersuchten Rechtsbereiche zwar bei der „grundrechtskonformen“ Interpretation des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts in Betracht komme (da in der Regel Durchführung des Gemeinschaftsrechts), nicht aber bei der Interessenabwägung für die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Cassis-Doktrin; insoweit gehe es – so die Vertreter dieser Auffassung – nämlich im Regelfall um die Beurteilung mitgliedstaatlicher Maßnahmen, die zwar in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fielen, typischerweise aber gerade nicht der Durchführung von Gemeinschaftsrecht dienten219. Ob sich der Europäische Gerichtshof diese sehr feinsinnige Abgrenzung zu eigen macht, erscheint allerdings mehr als zweifelhaft, zumal sich – gerade aus teleologischer Sicht – gut vertretbar argumentieren läßt, daß es insoweit schlicht um die Bindung eines Organs der Gemeinschaft (nämlich des Gerichtshofs) an die Grundrechte im Rahmen der „Durchführung“ der Grundfreiheiten geht 220. Wahrscheinlicher erscheint es deshalb, daß der EuGH seine bisherige Linie beibehält und die schon bisher weitergehende Berücksichtigung der EMRK-Grundrechte (zumal im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Blick auf zwingende Erfordernisse 217 S. zutreffend schon im Vorfeld der Tätigkeit des Konvents Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 931, 953. 218 S. dazu Dorf, aaO., 128 f., die zudem darauf hinweist, daß schon mit Blick auf einen zu erwartenden Beitritt der Europäischen Union zur EMRK der EuGH die Interpretationshoheit des EGMR anerkennen sollte; dieser Gedanke ist zutreffend, ob er sich in der Rechtsprechung des EuGH vollumfänglich durchsetzt, wird freilich abzuwarten sein. Vgl. jedenfalls einen Beitritt auf Grundlage von Art. 308 EG (damals Art. 235) explizit ablehnend das EuGH Gutachten 2/94, Slg. 1996, I-1759 (s. insbesondere die Ausführungen in Tz. 6 zum nach Auffassung des EuGH grundlegend anderen Charakter eines international institutionalisierten Systems des Schutzes der Menschenrechte im Vergleich zur Sicherung der Menschenrechte als Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze in der Rechtsprechungshoheit des EuGH). 219 Vgl. allgemein zu Einzelheiten der Reichweite der Grundrechtebindung im Verhältnis Gemeinschaft/Mitgliedstaaten nach dem bisherigen Stand Kühling, Grundrechte, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 583, 605 ff. mwN; zum Stand nach dem Entwurf einer europäischen Verfassung Cremer, NVwZ 2003, 1452 ff. mwN. 220 Auch die Mitgliedstaaten wären selbst im Rahmen ihres eigenen Handelns ja zudem zumindest über Art. 10 UAbs. 2 EG im Rahmen des Grundsatzes gemeinschaftsfreundlichen Verhaltens in gewissem Umfang an die Ziele des EG-Vertrags und damit auch an die Grundrechte einer künftigen Verfassung gebunden.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
als dem sogar wesentlichsten Anwendungsfall) richterrechtlich auch auf den Grundrechtekatalog der Verfassung ausdehnt und vermutlich sogar noch ausbaut 221. Es ist dies wohl auch die einzig praktikable und sinnvolle Lösung, doch drohen an dieser Stelle unübersehbar Konflikte mit den Verfassungsgerichten der Mitgliedstaaten 222. Soweit der Anwendungsbereich des Grundrechteteils des Verfassungsvertrags reicht, könnten sich Änderungen gegenüber dem status quo in der Folge insbesondere ergeben, soweit die Bestimmungen der im Verfassungsvertrag inkorporierten Charta in einer für die hier betrachteten Bereiche relevanten Weise von den Bestimmungen der EMRK abweichen. Der wesentlichste Unterschied dürfte in diesem Zusammenhang die (gegenüber Art. 10 Abs. 1 EMRK überschießende) ausdrückliche Berücksichtigung der Freiheit, Informationen zu empfangen, in Art. II-71 Abs. 1 sein. Zusammen mit der Verbürgung eines hohen Verbraucherschutzniveaus in Art. II-98 könnte dies für die Beurteilung der Freiheit kommerzieller Äußerungen dazu führen, daß bei der Schrankenabwägung dieses Grundrechts der Perspektive der Sicherung rationaler Verbraucherentscheidungen durch optimale Informationsstrukturen der Märkte mit dem Ziel optimaler (d.h. nicht vollständiger) Verbraucherinformation noch größere Bedeutung eingeräumt wird als bisher. Der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht dies gerade; selbst in der Rechtsprechung des EGMR deutet sich mit der Entscheidung Krone 223 eine entsprechende Tendenz an. Für den Augenblick ist dieser Gedanke aber in der EuGH-Rechtsprechung angesichts der seit Inkrafttreten der – zumal bisher unverbindlichen – Grundrechte-Charta vergangenen kurzen Zeitspanne naturgemäß nicht einmal im Sinne einer Tendenz bereits materialisiert; hier wird schlicht die weitere Entwicklung der Legislative und der Rechtsprechung abzuwarten sein.
221 S. zuletzt nämlich sogar noch weitergehend EuGH Rs. C-71/02 (Karner . /.Troostwijk), Slg. 2004, I-3025, Rz. 48 ff., wo der EuGH eine autonome Maßnahme nationalen mitgliedstaatlichen Rechts, die aufgrund der Keck-Doktrin nicht einmal in den Anwendungsbereich des Art. 28 EG fiel, am Maßstab des Art. 10 Abs. 2 EMRK mißt. 222 S. daher kritisch und (auf dem damaligen Stand des Verfassungsentwurfs entsprechende Klarstellung fordernd) Cremer, aaO. 223 S. o. Fn. 171.
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3. Abschnitt:
EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht A. Einführung Neben dem in diesem Kapitel verfolgten Hauptziel, die zwingenden Rahmenbedingungen aufzuzeigen, innerhalb derer sich das Bezugssystem Vertrags- und Wettbewerbsrecht in Deutschland bewegt, ist die nun folgende Betrachtung der europarechtlichen Vorgaben in diesem Bereich noch unter einem anderen Aspekt für die angestellte Untersuchung von entscheidendem Interesse. Es läßt sich nämlich am Beispiel der europäischen Vorgaben im Wettbewerbs- und Verbrauchervertragsrecht die Gültigkeit der hier aufgestellten Thesen zum Zusammenspiel dieser beiden Rechtsgebiete in besonders eindrucksvoller Weise belegen. Die Gründe dafür sind zweierlei Natur. Erstens stellen sich aus der Sicht des Binnenmarktes traditionell sowohl lauterkeitsrechtliche als auch zwingende vertragsrechtliche Vorschriften mitgliedstaatlichen Rechts in erster Linie1 als eine Schranke der Ausübung der Grundfreiheiten dar; aus der Perspektive der Grundfreiheiten sind Vorschriften dieser beiden Rechtsgebiete also grundsätzlich funktional austauschbar, wie im folgenden noch in Einzelheiten zu belegen ist (s. unten B II). Die Nähe einer solchen Konzeption zu der hier behaupteten grundsätzlichen Komplementarität des Wettbewerbs- und Vertragsrechts unter der Perspektive der Sicherung wirtschaftlicher Handlungsfreiheit und (komplementär akzessorisch) eines Systems unverzerrten Wettbewerbs wird an dieser Stelle unübersehbar. Zweitens herrscht – angesichts der (auch oben mit Blick auf die Grundrechte beschriebenen) bisher noch recht begrenzten Rezeption weitergehender grundrecht1 Dies bedeutet aber keinesfalls, daß dem Verbraucherschutz oder der Sicherung unverzerrten Wettbewerbs auf europäischer Ebene eine eingeschränkte Bedeutung zukäme. Ganz im Gegenteil hat der Verbraucherschutzgedanke in Titel XIV EG seine europäische Kompetenzgrundlage gefunden (vgl. auch unten B I 1) und ist künftig zudem in der Europäischen Verfassung verankert (vgl. schon oben 2. Abschn. C II). Und auch die Sicherung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs (mithin ein System europäischen Lauterkeitsrecht) läßt sich als institutionelles Ziel in Art. 3 lit. g EG wiederfinden (zutreffend zuletzt Veelken WRP 2004, 1, 4f.); s. im übrigen auch noch Art. 4 Abs. 1 EG mit dem Verweis auf den Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Die hier konstatierte Hauptbedeutung zwingenden Verbraucherschutzrechts und eines Recht des unlauteren Wettbewerbs als Schranken der Grundrechte im Binnenmarkt ist also eher traditioneller Natur und auf das hergebrachte Übergewicht dieser Perspektive in der Rechtsprechung des EuGH zurückzuführen; zudem bedeutet die gewissermaßen „negative“ Perspektive der Grundfreiheiten nicht, daß sich unter diesem Blickwinkel nicht „positive“ Konturen eines Verbraucherschutz- und Lauterkeitsrechtes in der Rechtsprechung des EuGH hätten entwickeln können (vgl. dazu eingehend unten B II 1 b).
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
lich geschützter Interessen und Werte – sowohl in der Rechtsprechung des Gerichtshofs als auch im europäischen Sekundärrecht zudem ein gerade auch normativ-privatrechtlich auf die Gewährleistung wirtschaftlicher Handlungsfreiheit als funktionales Element des institutionellen Aufbaus des Binnenmarkts ausgerichteter Fokus vor. Das europäische Lauterkeits- und Vertragsrecht bildet insofern gewissermaßen nur die ersten drei (im wesentlichen sogar nur die ersten beiden) der vier Ebenen des hier vertretenen Modells ab, ohne sonstige ideelle oder „moralische“ Werte und Interessen Dritter bisher in nennenswertem Umfang einzubeziehen. Die weitgehende Ausklammerung andersartiger Werte unter Konzentration auf die wirtschaftliche Handlungsfreiheit führt dazu, daß sich die Gemengeproblematik aus der Rezeption wettbewerbsbezogener und sonstiger Interessen, wie sie für das deutsche Fallrecht des unlauteren Wettbewerbs nach der alten Fassung des UWG so prägend war, für das europäische Recht nie in vergleichbarer Schärfe gestellt hat. Das muß dann aber zu einem besonders deutlichen Gleichlauf der Wertungen im Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht und zu einem besonders deutlich ausgeprägten Komplementaritätsverhältnis führen, da ein verzerrender Einfluß sonstiger Werte und Interessen (nicht an den Verträgen beteiligter Dritter) im europäischen Lauterkeitsrecht kaum vorhanden ist. Es müßten sich also überwölbende Maßstäbe finden lassen, die das untrennbar dicht ineinander verwobene, von einer Vielzahl wechselseitiger Grenzüberschreitungen geprägte europäische Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht einheitlich zu modellieren vermögen (s. die Untersuchung unten B III).
B. Zwingendes Verbrauchervertragsrecht und europäisches Lauterkeitsrecht – Der binnenmarktfunktional einheitliche Ansatz im europäischen Recht I. Ausgangslage im EG-Vertrag 1. EG-Vertrag und unlauterer Wettbewerb Eine unmittelbare Regelung des unlauteren Wettbewerbs ist – in bemerkenswerter Differenz zum europäischen Kartellrecht, das in den (heutigen) Art. 81 ff. EG von Beginn an eine Regelung gefunden hatte2 – im EG-Vertrag nicht er2 Zu den Gründen hierfür, die neben der im Bereich des Lauterkeitsrechts vergleichsweise sehr viel geringeren Kohärenz mitgliedstaatlicher Konzeptionen (vgl. für rechtsvergleichende Untersuchungen nur Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, 2001; Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, 2001; Keßler/Micklitz, Harmonisierung des Lauterkeitsrechts, S. 73 ff., Micklitz/Keßler (eds.), Marketing Practices Regulation and Consumer Protection in the EC Member States and the US, 2002; Henning-Bodewig, Unfair Competition Law, 2006; für einen rechtsmethodischen Vergleich von deutschem und englischem Recht grundlegend Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, 1997; für den Teilbereich der Irreführung, Lettl, Irreführende Werbung, 2004; für kürzere, überblicksartige Darstellungen Beater, ZEuP 2003, 11 ff.; Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389 ff.; Leistner, Unfair Compe-
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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folgt3. Jedoch finden sich im EG-Vertrag Normen, die entweder ein Recht des unlauteren Wettbewerbs im institutionellen Sinne voraussetzen4 oder doch zumindest (teilweise) funktionsidentische Bereiche betreffen, so daß eine Übertragung rechtlicher Wertungen möglich erscheint5. Eine institutionelle Garantie lauteren Wettbewerbs läßt sich nach überwiegender Meinung6 insbesondere der Präambel des EG-Vertrags, die unter anderem das Ziel, „einen redlichen Wettbewerb zu gewährleisten“ erstrebt, in ihrem Zusammenspiel mit dem in Art. 3 lit. g EG (bezüglich des europäischen Wettbewerbsrechts) und insbesondere auch in Art. 4 Abs. 1 EG im Sinne einer allgemeinen Systemgarantie verbürgten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundsatz7 eines tition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141 ff.; Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185 ff.; Schricker, GRUR Int. 1990, 112, 115 ff.; spezifisch mit Blick auf einen deutsch-englischen Vergleich Bodewig, GRUR Int. 2004, 543) insbesondere darin liegen dürften, daß angesichts des typischerweise internationalen Charakters von Wettbewerbsbeschränkungen im Vergleich zu den typischerweise auf nationale Märkte begrenzten (da ja in der Regel speziell an bestimmte nationale Verbraucher gerichteten) Wettbewerbsverzerrungen für ein übergreifendes Kartellrecht sehr viel mehr Bedarf bestand, als für ein europäisches Lauterkeitsrecht, vgl. Beater, § 5, Rz. 3; Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, S. 39 f. Die Gründe für die fehlende Normierung eines Lauterkeitsrechts im Vertrags sind also im Ergebnis eher praktischer Natur und insbesondere auf die vermeintlich fehlende Notwendigkeit einer derartigen Normierung zurückzuführen. Diese Sicht bestätigt sich implizit dadurch, daß gerade sobald und soweit wie grenzüberschreitende Transaktionen in konkreten Einzelfällen ein Mindestschutzniveau mit Blick auf Fairneß kommerzieller Transaktionen und Verbraucherschutz im Binnenmarkt (bzw. Gemeinsamen Markt) notwendig machten, der EuGH im Ergebnis im Rahmen der Cassis-Doktrin schon im Gemeinsamen Markt aus punktuellen Entscheidungen nach und nach Konturen eines europäischen Lauterkeitsrechts entworfen hat. Vgl. noch unten B II 1 b. 3 So die herrschende Meinung, vgl. Schricker/Henning-Bodewig, WRP 2001, 1367, 1369; GroßKomm-Schricker, Einl., Rz. F 324; Beater, § 5 Rz. 1 mwN.; im Ergebnis auch Wiebe, WRP 2002, 283, 286. Soweit demgegenüber weitergehend – etwa von Fikentscher, Wirtschaftsrecht I, § 15 X; ders., in: FS Hallstein, S. 127, 158 ff.; vgl. auch die weiteren Nachweise bei Schmid, Freier Dienstleistungsverkehr und Recht des unlauteren Wettbewerbs, S.123 ff. – eine unmittelbare Wirkung einer ungeschriebenen gemeinschaftsrechtlichen Generalklausel bzw. materieller Grundsätze gegen den unlauteren Wettbewerb angenommen wird, sind diese jedoch nicht hinreichend konkretisiert, um praktisch operabel zu sein. Effektiv justiziabel sind dann wiederum nur die Konkretisierungen derartiger Grundsätze in der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten bzw. im Sekundärrecht, vgl. Schricker/Henning-Bodewig, aaO.; Lettl, Irreführende Werbung, S. 3; Wiebe, aaO. 4 Vgl. statt vieler Beater, § 6, Rz. 9 ff.; Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, S. 8; Fezer, JZ 1994, 317, 318 f.; Lettl, Irreführende Werbung, S. 3; zurückhaltender noch Steindorff, WRP 1993, 139 f. 5 So insbesondere im Falle des Kartellrechts, vgl. sogleich im folgenden Text mwN. 6 Vgl. die Nachweise o. Fn. 4. 7 Mit Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747 ff., wird an dieser Stelle ein gemischt ökonomisch-normativer Begriff der Wirtschaftsverfassung zugrundegelegt. Die in ordoliberalem Gedankengut verwurzelte Konzentration auf die Betrachtung des institutionenökonomischen Rahmens für den Wettbewerb, der seinen normativen Gehalt aus einer übergreifenden Analyse des Gesamtbestands des gemeinschaftlichen Lauterkeits- und Vertragsrechts unter (doppelter) Berücksichtigung der Einwirkungen der und der Rückwirkungen auf die gemeinschaftsrechtliche Wirtschaftsverfassung gewinnt, erscheint aus zwei Gründen angebracht: Zum einen ist (historisch) die Entstehung des
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
freien, unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt entnehmen. Diese Systemgarantie8 konkretisiert sich einerseits in der Binnenmarktkonzeption der Gemeinschaft, wie sie in Art. 94 und 95 EG9 sowie im Sekundärrecht ihren Ausdruck findet und andererseits im Rahmen der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten, die – neben ihrer primär eine formale Freiheit auf grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr und Marktzugang garantierenden „negativen“10 Perspektive – stets (wie in der Folge [unten III 1] zu zeigen sein wird) auch einen positiven (und Mindeststandards lauteren Wettbewerbs auf Grundlage der Cassis-Doktrin in zwar vom Zufall des Einzelfalls abhängiger, aber gerade angesichts dessen doch zumindest im Ansatz erstaunlich kohärenter Weise ausziselierenden) Gehalt gehabt EWG-Vertrags selbst (bis zurück zum Römischen Vertrag) eng mit ordoliberalem Gedankengut und auch persönlich eng mit den Exponenten der Freiburger Schule verbunden (vgl. Drexl, aaO., S. 767 f.); zum anderen – und wichtiger – ist ein ordoliberaler Ansatz mit Blick auf das im Grundlagenteil entwickelte ökonomisch normative Modell der Komplementarität von Lauterkeits- und Vertragsrecht, die im Rahmen einer beide Rechtsgebiete übergreifenden Betrachtung unter dem Leitgedanken des grundsätzlichen Gleichlaufs der Wertungen und anhand des Maßstabs des sanktionenorientierten Verhältnismäßigkeitsprinzips (und damit der Durchsetzungseffizienz) auf ihre innere Kohärenz hin zu prüfen sind, nur konsequent. Vgl. allgemein zur Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft letzthin Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992; Basedow, in: FS Everling, S. 49, 52; Hatje, Wirtschaftsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 683 ff.; Steindorff, ZHR 164 (2000), 223, 238 ff. 8 Zu Grenzen und Reichweite der Systemgarantie aus der Präambel des EG und aus Art. 4 Abs. 1 EG, vgl. Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 758 ff. Basedow, aaO., S. 27, will der Vorschrift sogar noch weitergehend einen eigenständigen (und justiziablen) Gehalt dahingehend zuweisen, daß sie dem Gemeinschaftsrecht einen kohärent übergreifenden Sinnzusammenhang verleiht und aus dieser Sicht bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Handels der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten eigenständige Legitimitationserfordernisse aufstellt. Vgl. zuletzt zum mit Art. 3 lit. g EG der Gemeinschaft aufgegebenen Wettbewerbsschutzsystem Glöckner, S. 16 f. 9 Vgl. am eingehendsten zu den Details der Anwendung dieser Kompetenznormen im Bereich des unlauteren Wettbewerbs, Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, S. 47 ff.; insbesondere zu den Grenzen der Gemeinschaftskompetenz, wie sie sich aus der konsequenten Anwendung des Art. 95 EG in der neuesten Rechtsprechung des EuGH ergeben, auch noch unten I 3 b. 10 Der Begriff der „negativen“ Harmonisierung oder „Negativintegration“, wie er in der Literatur für die EuGH-Rechtsprechung in diesem Bereich gebräuchlich geworden ist (vgl. für die deutschsprachige Literatur etwa Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 36 ff., Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 62 ff.; Enchelmaier, Europäisches Wirtschaftsrecht, § 4 [Rz. 4]; für die angelsächsische Literatur etwa Weatherill, EC Consumer Law and Policy, S. 36 ff.) verdeckt dabei allzu leicht unter (zwar legitimer) Betonung des integrationspolitischen Aspekts und der daraus sich ergebenden negativen Perspektive dieser Rechtsprechung, in welch großem Umfang der Gerichtshof doch durch Akzeptanz ausgewählter nationaler Schutzvorschriften und durch deren systematische Prüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit auch (positive) Konturen eines europäischen Verbraucherschutzes und Lauterkeitsrechts geschaffen hat. Vgl. Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 195 ff.; im Ergebnis natürlich auch Reich, aaO.; Weatherill, aaO.; Glöckner, aaO., Rz. 115 ff. Bemerkenswert ist insofern auch, daß Weatherill in einem etwas später erschienen Beitrag (Weatherill, Consumer Policy, in: Craig/de Burca (ed.), Evolution of EU Law, S. 693, 697 ff.) den Begriff der „negativen Integration“ im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs bewußt meidet. S. näher zum ganzen unten II 1 b und III 1.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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hat11. Das institutionelle Konzept des Binnenmarktes zeichnet sich dabei – neben dem unstreitig wesentlich vorhandenen integrationspolitischen Ziel des Binnenmarktes – durch ein im europäischen Vergleich mittleres Schutzniveau des umworbenen Verbrauchers aus12. Auf die Einzelheiten ist noch unten näher einzuge11 Insofern ist auch das vielzitierte Wort von der produktivistischen (d.h. anbieterorientierten) Ausrichtung der „Römischen Verträge“ und des Konzepts des Gemeinsamen Markts (vgl. Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 14 ff.) zutreffend nur insofern, als der EWGV – entsprechend dem damaligen historischen Umfeld – den Schutz der Verbraucher am besten durch die Sicherung des Wettbewerbs gewährleistet sah (siehe auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 44 ff.). Dieser Aspekt ist im Sinne eines ordnungspolitischen Gebotes in Richtung auf einen vorrangig marktkonformen Verbraucherschutz bis heute vorhanden. Dies ändert jedoch nichts daran, daß bereits vor Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 (ABl. EG L 169 v. 29.6.1987), die im Rahmen der neu eingeführten Binnenmarktkompetenz des Art. 100a EWGV (heute Art. 95 EG) die Verpflichtung zu einem „hohen Schutzniveau“ unter anderem im Bereich des Verbraucherschutzes brachte (und darüber hinaus im Vergleich zum (vormals alleinigen Art. 100 EWGV) den aus praktisch-politischer Sicht hochrelevanten Übergang zum Prinzip der qualifizierten Mehrheit (im Rahmen des neuen Art. 100a EWGV markierte), und später des Vertrags von Maastricht von 1992, der den Verbraucherschutz als eigenständiges wirtschaftsverfassungsrechtliches Ziel im Rahmen des Binnenmarkts und auch als eigenständige Politik der Gemeinschaft einführte, die Konzeption einer institutionellen Orientierung auch auf den Abnehmer (schon im Rahmen des Gemeinsamen Markts, vgl. zum Begriff des Gemeinsamen Markts im Vergleich zum weitgehend synonymen Begriff des Binnenmarkts die ausführlichen Nachweise bei Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, S. 36 (Fn. 57)) durchaus vorhanden war. Gerade die EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten im Rahmen der Cassis-Doktrin ebenso wie die Entwicklung des sekundärrechtlichen Verbraucherschutzes bereits vor Inkrafttreten der EEA belegen, daß schon der Gemeinsame Markt von einer institutionellen Konzeption materialisierter Vertragsfreiheit (vgl. dazu noch sogleich unten 2) und institutionell abgesicherten Wettbewerbs aus der Perspektive der Abnehmerseite geprägt war, so daß insoweit die später im (heutigen) Art. 3 EG niedergelegten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundsätze samt zugehöriger Gemeinschaftspolitiken – neben der natürlich rechtlich relevanten Schaffung neuer Gemeinschaftskompetenzen und dem praktisch relevanten Übergang zum Prinzip qualifizierter Mehrheitsentscheidungen im Bereich des binnenmarktakzessorischen Verbraucherschutzes – für das ordnungspolitische Konzept des Verbraucherschutzes im Binnenmarkt (im Vergleich zum Gemeinsamen Markt) in erster Linie deklaratorische (allenfalls kräftigende) Bedeutung hatten. S. dazu schon die Andeutungen zum Vorhandensein einer europäischen Lauterkeitsrechtskonzeption in der Rechtsprechung des EuGH in der o. Fn. 2 (am Ende), sowie näher auch noch unten II 1 b und III 1. Vgl. zu den klassischen Etappen der Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzes, deren Kenntnis hier vorausgesetzt wird, bündig Drexl, Selbstbestimmung, S. 44 ff., Staudenmayer, RIW 1999, 733 ff.; ausführlicher Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 14 ff., Weatherill, EC Consumer Law and Policy, S. 1 ff.; Weatherill, Consumer Policy, in: Craig/de Burca (ed.), Evolution of EU Law, S. 693, 694 ff. Gegenüber der Darstellung der bisherigen Etappen der Entwicklung eines gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzes bei Reich/Micklitz, aaO., könnte künftig in erster Linie die neue europäische Verfassung, die dem Verbraucherschutz im Rahmen des Grundrechtekapitels ausdrücklich Verfassungsqualität zubilligt, potentiell eine weitere Etappe markieren (vgl. dazu näher schon oben 2. Abschn. C II). S. zur „Negativ-Integration“ durch die Grundfreiheiten im Bereich des Lauterkeitsrechts auch die umfassende Darstellung bei Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 62 ff. 12 Vgl. statt aller Beater, § 6, Rz. 68; s. aber auch ausdrücklich die Rechtsprechung des EuGH, z.B. EuGH Rs. 286/81 (Osthoek), Slg. 1982, 4575, die eindeutig klarstellt, daß das „verhältnismäßige“ Verbraucherschutzniveau im Binnenmarkt substantiell über dem niedrigsten Niveau mitliedstaatlichen Rechts in der Gemeinschaft liegen kann, also nicht notwendig dem Minimalstandard in der Gemeinschaft entsprechen muß.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
hen; für den Moment genügt die strukturelle Erkenntnis, daß die Binnenmarktkonzeption der Gemeinschaft – und dementsprechend die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten – von jeher nicht nur Konflikte zwischen nationalem Recht und europäischem Primärrecht (d.h. insbesondere den Grundfreiheiten) löst (integrationspolitischer Aspekt)13, sondern zugleich auch stets – Fall für Fall – untrennbar zugleich die Interessen der (werbenden) Anbieterseite gegen die Interessen der (umworbenen) Nachfragerseite14 abwägt (inhaltlicher Aspekt)15. Die Leitlinien dieser inhaltlich-privatrechtlichen Interessenabwägung ergeben sich in dem im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehenden Teilbereich des Schutzes der Marktgegenseite insbesondere aus der Perspektive des Verbraucherschutzes, wie er sich binnenmarktakzessorisch als institutionelles Ziel in Art. 95 EG und als Grundlage einer (binnenmarktunabhängigen) eigenständigen Politik in Art. 3 lit. t, 153 EG verankert findet16. Dabei ist die Verknüpfung mit dem Ziel unverfälschten Wettbewerbs in der Konzeption des Binnenmarktes doppelter Natur17: Zum einen und in erster Linie soll ein hohes Verbraucherschutzniveau in der Gemeinschaft gerade mit Hilfe des freien, unverfälschten Wettbewerbs erreicht werden18. Zum anderen aber wird die Nachfragerseite im Interesse der institutionellen Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts19 insofern instrumentalisiert, als ihre Marktakteure den Wettbewerbsprozeß im Sinne eines Schiedsrichters durch ihre frei und informiert getroffenen Vertragsentscheidungen steuern sollen 20. Die Komplementarität zwischen Wettbewerb und Vertrag wird also im Gemein13
S. näher unten II. Teils (insbesondere im Rahmen der Rechtsprechung zum europäischen Verbraucherleitbild) findet dabei implizit zudem eine Abwägung der widerläufigen Interessen verschiedener Verbraucherkategorien statt (vgl. noch unten III 1 b). 15 So insbesondere zutreffend Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 766 f.; kürzer auch MüKo-ders., IntUnlWettbR, Rz. 7 f.; s. näher zum ganzen unten III. 16 Vgl. zur historischen Entwicklung des Verbraucherschutzgedankens im Gemeinschaftsrecht bis hin zur eigenständigen Verankerung in Art. 3 lit. t und Art. 153 EG schon die Nachweise o. Fn. 11 (am Ende). 17 So insbesondere Keßler/Micklitz, Harmonisierung des Lauterkeitsrechts, S. 44 f. Für die institutionentheoretischen Grundlagen, die es sowohl in historischer als auch in sachlicher Hinsicht gestatten und nachgerade geboten erscheinen lassen, eine derartige ordoliberale Perspektive auf das Gemeinschaftsrecht zu wählen, vgl. schon o. Fn. 7. 18 Dies ist der Gedanke, der Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 14 f., vorschwebt, wenn er von der „produktivistischen“ Orientierung des EWGV spricht. Dieser Gedanke ist aber systematisch unverändert (allenfalls quantitativ mittlerweile in anderer Gewichtigkeit) bis heute für die Binnenmarktkonzeption der Gemeinschaft prägend. Vgl. auch schon o. Fn. 11. S. zur Binnenmarktharmonisierung noch unten II 2 b. 19 Ähnlich hinsichtlich des Marktbezugs als entscheidende Anknüpfung MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 8: Marktordnungsrecht und Marktkommunikationrecht; im Ergebnis auch Beater, § 5, Rz. 4, der insoweit auf den vornehmlich kollektiven Interessenschutz der europäischen Lauterkeitsrechtskonzeption hinweist, der sich letztlich aber ebenfalls gerade aus dem mehr institutionellen Bezug des europäischen Rechts ergibt. 20 Vgl. zur wachsenden Bedeutung dieser „Nachfragerperspektive“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs und im europäischen Sekundärrecht noch unten III 1. 14
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
345
schaftsrecht nicht vom subjektiven Recht des Konsumenten ausgehend 21, sondern gewissermaßen genau umgekehrt aus der Sicht der Institution „freier Wettbewerb im Binnenmarkt“22 aufgezäumt, für welchen die Marktgegenseite durch ihre frei und informiert getroffenen Entscheidungen eine prägende Steuerungsfunktion übernimmt. Dies setzt naturgemäß den Schutz auch tatsächlich freier und informierter wirtschaftlicher Entscheidungen voraus und entsprechend konzentriert sich das Gemeinschaftsrecht im Lauterkeitsbereich (unter weitgehender Ausklammerung sonstiger, insbesondere ideeller Werte) auf den Schutz der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses mit Blick auf wirtschaftliche Entscheidungen der Verbraucher23. Der solcherart binnenmarktfunktional verstandene Verbraucherschutz, wie er sich im EG-Vertrag insbesondere in Art. 95 verankert findet, ist somit – neben den Grundfreiheiten – die zweite wesentliche Wurzel einer gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeitsrechtskonzeption; demgegenüber ist der eigenständige (binnenmarktunabhängige) Verbraucherschutztitel in Art. 3 lit. t, 153 EG – so wesentlich er im übrigen für die Entwicklung des Verbraucherschutzes im Gemeinschaftsrecht sein mag 24 – für den hier untersuchten Teilbereich von lediglich nachgeordneter Bedeutung 25. 21 So aber wohl die mehr öffentlich-rechtlich geprägte Konzeption umfassender Bürgerrechte im Rahmen einer (fortentwickelnden) Interpretation des Gemeinschaftsrechts als Verfassung einer Bürgergesellschaft bei Reich, Bürgerrechte in der Europäischen Union, 1999. Vgl. nicht ohne Sympathie für einen solchen Ansatz, jedoch im Ergebnis aus privatrechtlicher Sicht kritisch dazu Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 762 f. Für ein aus einer privatrechtlichen Interpretation der Grundfreiheiten abgeleitetes subjektives privates Recht der Wirtschaftsfreiheit auch Fikentscher, Wirtschaftsrecht II, S. 112 f., 132 ff. und ähnlich Schubert, Wirtschaftsfreiheit, S. 186 ff., der ein subjektives Recht auf Wirtschaftsfreiheit aus dem Konzept des Gemeinsamen Marktes (als zweigleisiges Konstrukt aus Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht) ableitet. Beiden Ansätzen läßt sich allerdings (zumindest für den Augenblick) entgegenhalten, daß sie eine hinreichende Verankerung in der Rechtsprechung des EuGH (bisher) nicht finden. Vgl. eingehend und mit dem differenzierenden Begriff des „individuellen“ Rechts Drexl, aaO., S. 764 ff. und 768 ff. 22 Vgl. auch Beater, § 5, Rz. 4, der den „Wettbewerb“ als eines der kollektiven Ziele des europäischen Lauterkeitsrechts nennt; MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 8; ganz ähnlich zuletzt die ausführliche Bewertung bei Glöckner, S. 194 f.: europäisches Verbraucherrecht ist Wirtschafts-, nicht Sozialrecht und verfolgt das Ziel, den Binnenmarkt funktionsfähig zu machen. 23 Vgl. an dieser Stelle nur Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 121 mwN; s. näher noch unten III 1 b zu den Grenzen insbesondere des EuGH-Informationsmodells schon bezüglich des angemessenen Schutzes auch der zweiten Störungsebene des Entscheidungsprozesses sowie zu den entsprechenden Bemühungen im situationsbezogenen sekundärrechtlichen Verbraucherschutz unten III 2. 24 Vgl. eingehend Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 19 ff. mwN. 25 Dies ist darauf zurückzuführen, daß der hier vorrangig betrachtete Schutz der Marktgegenseite in ihren freien und informierten vertraglichen Entscheidungen im Rahmen des ordnungspolitischen Gesamtsystems aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht, stets einen Bezug zum institutionellen System des Binnenmarkts – der sich ja gerade durch eine Garantie ungehinderten grenzüberschreitenden Vertragsschlusses auszeichnet – aufweist, so daß die binnenmarktakzessorische Verbraucherschutzkompetenz gegenüber der eigenständigen Verbraucherschutzkompetenz in diesem Bereich naturgemäß vorrangig ist. Vgl. zur auch insgesamt praktisch vergleichsweise gering gebliebenen (und eher ergänzenden) Bedeutung von Art. 153 (erweiterte Fassung des ehemaligen Artikels 129a) EG, Weatherill, Consumer Policy, in: Craig/de Burca
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Die dritte denkbare Quelle, die sich für ein europäisches Lauterkeitsrecht als Ansatzpunkt und perspektivischer Fluchtpunkt im Primärrecht anbietet, sind die kartellrechtlichen Wertungen der Art. 81 ff. EG26. Entsprechende Versuche, deren Wertungen für das europäische Lauterkeitsrecht fruchtbar zu machen, wurden bisher nur selten unternommen 27. Dabei bietet die enge Verknüpfung beider Rechtsmaterien 28, ebenso wie insbesondere ihre teilweise Funktionsidentität aus der institutionellen Perspektive des freien und unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt29, erfolgversprechende Aussichten für den Versuch, die kartellrechtlichen Wertungen aus der Rechtsprechung zu Art. 81 ff. EG in den Bereich des Verbraucherschutzes und des Vertragsrechts zu übertragen. In der (unten II und III) folgenden Untersuchung des europäischen Verbraucherrechts auf seine binnenmarktbezogenen und inhaltlichen Charakteristika wird daher – obwohl die Schnittstellen zwischen Kartellrecht und Lauterkeits- bzw. Vertragsrecht für die Gesamtuntersuchung bewußt ausgespart wurden –, soweit es angebracht und fruchtbringend ist, auf kartellrechtliche Wertungen am Rande zurückgegriffen. Insbesondere mit Blick auf die Frage nach der Ableitbarkeit subjektiver bzw. individueller Rechte aus den Grundfreiheiten 30 und bezüglich einer Bestätigung der nachfrageorientierten Perspektive auch aus der Sichtweise des dem Lauterkeitsrecht benachbarten Kartellrechts31 erscheint dies vielversprechend.
(ed.), Evolution of EU Law, S. 693, 715 f.; die geringe Bedeutung gerade im Bereich des privatrechtlichen Verbraucherschutzes betont auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 55. Beater, ZEuP 2003, 11, 28, merkt an, daß sich Art. 153 (im übrigen ähnlich wie auch die Verbraucherschutzprogramme der Kommission) immerhin zum Teil für die Frage fruchtbar machen lasse, welche Verbraucherinteressen das Lauterkeitsrecht zu beachten hat. 26 Zutreffend Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, S. 35; im Grundsatz ebenso (wenngleich etwas zurückhaltender) Beater, § 5, Rz. 9 sowie Beater, ZEuP 2003, 11, 29; die Konvergenz von Kartellrecht und Wettbewerbsrecht betont (in anderem Zusammenhang) auch MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 12 (der allerdings in dem von ihm behandelten Zusammenhang die hierauf gelegentlich gegründete Forderung nach Anpassung der lauterkeitsrechtlichen Kollisionsregel an das Auswirkungsprinzip des Kartellrechts [vgl. etwa Beater, § 31, Rz. 36, sowie insbesondere Staudinger-Fezer, IntWirtR, Rz. 325 ff., 380 ff.]ablehnt). 27 Vgl. Koos, Europäischer Lauterkeitsmaßstab, S. 56 ff. 28 Auf diese enge Verknüpfung weist Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, S. 35, hin. 29 Diese ist mit Blick auf die Funktion der Wettbewerbsregeln im Vergleich zu den Grundfreiheiten belegt worden von Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 774 ff. mwN. 30 Die begriffliche Differenzierung wird eingeführt bei Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 771, um den Unterschied zwischen der deutschen Konzeption subjektiver Rechte und der im Gedanken des effet utile wurzelnden Konstruktion individueller Rechte auf Schadensersatz, wie sie der EuGH spektakulär in der Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, entwickelt hat, terminologisch verdeutlichen zu können. 31 Vgl. für die (neben anderen Schutzzwecken) belegbare Orientierung des europäischen Kartellrechts an den Interessen der Verbraucher, wie sie in Art. 82 lit. b) EG angedeutet ist und insbesondere für den Aspekt des Schutzes der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher, wie er insbesondere bei der Beurteilung von Ausschließlichkeitsbindungen schon mehrfach eine Rolle in Entscheidungen des EuGH gespielt hat (vgl. EuGH, Rs. C-393/92 (Gemeente Almelo), Slg.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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2. EG-Vertrag und Vertragsfreiheit Eine ausdrückliche Festlegung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit läßt sich dem Text des EG-Vertrags unmittelbar nicht entnehmen. Eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Verbürgung auf Gemeinschaftsebene im Sinne einer Systemgarantie ergibt sich jedoch wiederum aus der Verpflichtung der Gemeinschaft auf ein System einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ in Art. 4 EG32. Daraus ergibt sich als unmittelbare Folge der hier vertretenen Komplementaritätsthese bezüglich Wettbewerb und Vertrag auch eine Verbürgung der Vertragsfreiheit, da eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb komplementär eine weite Vertragsfreiheit auf der Ebene mitgliedstaatlichen Rechts33 voraussetzt 34. Zugleich wird damit auch die Perspektive des Gemeinschaftsrechts deutlich: Das Institut des freien Vertrags wird weniger als ein Ausfluß individueller subjektiver Rechte und mehr in seiner Ordnungsfunktion als ein Mittel zur Verwirklichung des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt angesehen und mithin aus institutioneller Sicht funktionalisiert35. Dementsprechend sieht die moderne Dogmatik die Vertragsfreiheit – eine erste Konkretisierungsebene unterhalb der Systemgarantie – in den unmittelbar anwendbaren36 Grundfreihei1994 I-1477, Rz. 35 f.), die kurze Darstellung bei Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 768 f. mwN. 32 Vgl. auch Art. 98 S. 2 EG. 33 Argumentiert dieser (moderne) Begründungsstrang für eine Konzeption der Vertragsfreiheit in der Gemeinschaft gewissermaßen von der Ebene der Gemeinschaft „herunter“ in Richtung auf das mitgliedstaatliche Recht, so ist doch auch der umgekehrte Begründungsansatz zu erwähnen, der – im Recht der Mitgliedstaaten wurzelnd – die Vertragsfreiheit auf Gemeinschaftsebene als einen gemeinsamen Rechtsgrundsatz aus den Vertragsrechten der Mitgliedstaaten „herauf“destilliert, vgl. etwa Hommelhoff, AcP 192 (1992), 71, 105. Beide Begründungsstränge ergänzen einander, jedoch garantiert allein die Verwurzelung der Vertragsfreiheit als Systemgarantie der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft, daß schon von Rechts wegen nur Staaten der EU beitreten können, die die Privatrechtsgesellschaft anerkennen (s. zutreffend Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 766). 34 Zutreffend Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S.178 unter Verweis auch auf skeptischere Stimmen in der Literatur (vgl. etwa Streit, Entstaatlichung in der Wirtschaft – Eine ordnungspolitische Notwendigkeit, in: Beschränkung des staatlichen Einflusses in der Wirtschaft, Referate des XXVI. FIW-Symposiums, FIW-Schriftenreihe 155, 1993, 1, 8). 35 Wiederum ist festzuhalten, daß dieses funktionelle Verständnis der Vertragsfreiheit sich im EG-Vertrag nicht erst seit der Betonung des Binnenmarktgedankens in den 80er Jahren findet, sondern vielmehr von jeher schon in der Konzeption der „Römischen Verträge“ vorhanden war. Vgl. für einen frühen Beleg nur Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235, 238 f. mwN. und bezeichnenderweise auch schon damals unter kritischem Verweis auf Stimmen in der Literatur (vgl. insbesondere Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, 1963, S. 123 a.E.), die in der EWG den Versuch erblicken wollten die politische Einheit Europas durch Entpolitisierung zu verwirklichen. Der Versuch, die EWG für allfällige Wünsche nach einer (vermeintlich ordnungspolitisch gebotenen) „Entstaatlichung“ des Privatrechts fruchtbar zu machen, ist also wahrlich nicht neu. Vgl. auch noch u. Fn. 59 für einen aktuellen Versuch, die „Entstaatlichung“ des Privatrechts im Interesse eines radikal-liberalistischen Ansatzes auf rechtsphilosophischem Wege zu begründen. 36 Ständige Rechtsprechung seit EuGH Rs. 26/92 (Van Gend & Loos), Slg. 1963, 1; EuGH Rs.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
ten des EG-Vertrags garantiert, da grenzüberschreitender Waren- und Dienstleistungsverkehr in einer offenen Marktwirtschaft grenzüberschreitende Vertragsfreiheit voraussetzt37. Daraus ergibt sich dann aber zugleich, daß sich die wesentlichen Quellen zur Konkretisierung des gemeinschaftsrechtlichen Konzepts der Vertragsfreiheit wiederum in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Grundfreiheiten sowie – in diesem Bereich, anders als bisher im Lauterkeitsrecht, ganz vornehmlich 38 – sekundärrechtlich in den binnenmarktbezogenen Richtlinien der Gemeinschaft (und für unsere Thematik zumal jenen zum binnenmarktakzessorischen Verbraucherschutz) finden. Hinzu kommt als eine denkbare Quelle von Wertungen – wegen der mit Blick auf die Verwirklichung eines Rahmens für freien Wettbewerb im Binnenmarkt zu konstatierenden teilweisen Funktionsidentität beider Bereiche39 – einmal mehr das europäische Wettbewerbsrecht. Die aus diesen Wurzeln emporwachsende Konzeption gemeinschaftsrechtlicher Vertragsfreiheit zeichnet sich wiederum durch eine doppelte Charakteristik aus integrationspolitischem und inhaltlich-privatrechtlichem Aspekt aus: Einerseits werden Konflikte des Gemeinschaftsrechts mit nationalem Recht (in diesem Falle international zwingenden Vorschriften nationalen Vertragsrechts, womit auch die binnenmarktpolitische Rolle der entsprechenden internationalprivatrechtlichen Regelungen mit in den Mittelpunkt rückt) – im Interesse der integrationspolitischen Zwecksetzung der Grundfreiheiten und des Binnenmarkts – gelöst40, andererseits werden im Einzelfall und insbesondere im Sekundärrecht stets notwendigerweise zugleich auch Rechtspositionen von Privatrechtssubjekten – für 74/76 (Ianelli . /.Meroni), Slg. 1977, 557 (für die Warenverkehrsfreiheit); EuGH Rs. 36/74 (Van Binsbergen), Slg. 1974, 1405 (für die Dienstleistungsfreiheit). Für den hier weniger im Mittelpunkt stehenden Bereich der Niederlassungsfreiheit vgl. EuGH Rs. 33/74 (Reyners), Slg. 1974, 1299. 37 Grundmann, JZ 1996, 274, 278; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, Rz. 52; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 133; Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 765 f.; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 178. Ähnlich von Wilmowsky, ZEuP 1995, 735 736 f. 38 S. zuletzt Grundmann, JZ 2005, 860, 861 f., der zutreffend darauf hinweist, daß im Bereich des Vertragsrechts deshalb die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten in nichtharmonisierten Bereichen – anders als bisher im Lauterkeitsrecht – ganz untergeordnete Bedeutung hat, weil deren Anwendungsbereich nur mit Blick auf international zwingende vertragsrechtliche Normen der Mitgliedstaaten eröffnet ist und weil (gerade aus diesem Grund) genau dieser Bereich mittlerweile weitestgehend sekundärrechtlich harmonisiert wurde, so daß es für das Vertragsrecht viel entscheidender nunmehr auf die Wirkung der Grundfreiheiten in harmonisierten Bereichen ankommt. Künftig wird eine ähnliche Entwicklung auch auf das verbraucherschützende Lauterkeitsrecht zukommen, wenn und soweit die Harmonisierung durch die Lauterkeits-RL abgeschlossen ist. 39 Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 776 f., spricht von einer einheitlichen Zwecksetzung als konstitutives Recht in Bezug auf die Wirtschaftsfreiheiten des Einzelnen. 40 So insbesondere im Rahmen der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten auf der Grundlage des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung aber natürlich auch im Sekundärrecht (dann
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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unsere Thematik insbesondere der potentielle Interessenkonflikt41 der Vertragsparteien mit Blick auf das verhältnismäßige Ausmaß des Schutzes der Privatautonomie durch zwingend harmonisiertes Verbraucherschutzrecht – gegeneinander abgewogen42. Neben der integrationspolitischen Zwecksetzung im Sinne einer konstitutiven Freiheitssicherung43 durch formale Privatautonomie, wächst also wiederum zugleich untrennbar – im Rahmen der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten und insbesondere (im Falle des Vertragsrechts vergleichsweise wesentlicher44) im Rahmen des sekundärrechtlichen vertraglichen Verbraucherschutzes – eine inhaltliche Dimension des Gemeinschaftsprivatrechts mit Blick auf den Grad materiellen Schutzes für die Vertragsfreiheit gegen nicht hinreichend informierte oder freie Entscheidungen. Das insoweit sich im Gemeinschaftsrecht abzeichnende Schutzkonzept konzentriert sich, entsprechend den diesbezüglichen Kompetenzen der Gemeinschaft, der Art nach auf den freien und informierten wirtschaftlichen Vertragsabschluß der Vertragspartner mithin auf die wirtschaftliche Selbstbestimmung45; quantitainsbesondere mit Hilfe des sekundärrechtlichen Herkunftslandprinzips), vgl. näher unten II 1 b. 41 S. zur Dreiecksstruktur dieses Konflikts im Verbraucherschutzrecht (schutzbedürftige Verbraucher, nicht schützbedürftige Verbraucher und Anbieter) grundlagenorientiert schon oben 1. Kap. 3. Abschn. F IV 1 a, spezifisch mit Blick auf den europäischen Verbraucherschutz zuletzt Grundmann, JZ 2005, 860, 865. 42 Dieser inhaltliche Aspekt läßt sich sowohl in der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten, die insbesondere durchaus erstaunlich klare Konturen eines europäischen Lauterkeitsrechts – teil sogar schon in seinem Zusammenspiel mit vertragsrechtlichen Schutzinstrumenten (des mitgliedstaatlichen Rechts) – entwickelt hat (vgl. unten III 1), als auch naturgemäß im Sekundärrecht (vgl. unten III 2) beobachten. Selbst im europäischen Kartellrecht findet sich, insbesondere im Rahmen der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Ausschließlichkeitsbindungen, neben anderen Zwecksetzungen, wie Effizienz und dem integrationspolitischen Aspekt als der Besonderheit des europäischen Kartellrechts, eine privatrechtliche „Qualität“ im Sinne eines Schutzes freier Vertragsabschlüsse auf Seiten der unterlegenen Vertragspartei. Grundlegend EuGH Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rz. 30 ff. und hierzu Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 774 f. Anders Eilmannsberger, ecolex 2002, 28, 29, nach dessen Auffassung der Abnehmer nicht vom Schutzzweck des Art. 81 Abs. 1 EG erfaßt wird. Offen und von höchster Relevanz ist die Streitfrage nach dem Schutzzweck natürlich insbesondere mit Blick auf die in Courage im Ergebnis noch offengelassene Frage, ob auch nachgelagerte Kunden, an die der Schaden durch den Vertragspartner der kartellrechtswidrigen Vereinbarung weitergegeben wurde, Schadensersatz verlangen können, vgl. dazu Whish, Competition Law, S. 300 mwN in Fn. 13. 43 Den Terminus des konstitutiven Verbraucherschutzes für diejenigen Normen, die zunächst einmal den Rahmen eines Verkehrssystems mit freiem Wettbewerb sichern, hat Drexl, Selbstbestimmung, S. 288 f., eingeführt; vgl. auch ders., in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 797 ff. 44 S. o. Fn. 38. 45 Dazu frühzeitig und grundlegend schon Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998; s. ausdrücklich zustimmend zuletzt Grundmann, JZ 2005, 860, 865 f. Mit Blick auf die hier vertretene Strukturierung vertrags- und lauterkeitsrechtlicher Schutzfunktionen bezüglich des freien und informierten Vertrags in einem Vier-Ebenen-Modell, bildet das europäische Recht bildet im Ergebnis gerade die ersten zwei Ebenen (mit Einschränkungen auch die dritte Ebene) des hier eingeführten Vier-Ebenen-Modells ab.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
tiv ist – ohne den Ausführungen (unten III) im einzelnen vorgreifen zu wollen – ein mittleres Schutzniveau ohne wesentliche systemwidrige Lücken im Gemeinschaftsrecht erreicht, wobei – schon aus Kompetenzgründen – aus der Sicht des Binnenmarkts nicht sauber zwischen vertrags- und lauterkeitsrechtlichem Verbraucherschutz getrennt wird, sondern vielmehr mit der Kategorie des Verbraucherrechts eine übergreifende Zwischenkategorie sich entwickelt hat, innerhalb derer – aus deutscher Sicht – lauterkeits- bzw. vertragsrechtlich (und zum Teil auch allgemein deliktsrechtlich) zu qualifizierende Schutzinstrumente miteinander verwoben sind46.
3. Übergreifende Perspektive und Relevanz der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundlegung im EG-Vertrag a. Übergreifende Perspektive und Gang der folgenden Darstellung Die Ansätze zu einer gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeitsrechtskonzeption und das Konzept der im Gemeinschaftsrecht vorausgesetzten Vertragsfreiheit wachsen wirtschaftsverfassungsrechtlich aus ein und derselben Wurzel: dem institutionellen, ordnungspolitischen Rahmen des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt. Entsprechend findet der hier vertretene Grundsatz des Gleichmaßes der Wertungen im Lauterkeits- und im Vertragsrecht (zumal im vertragsrechtlichen Verbraucherschutz) eine wesentliche Stütze in der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft47. Entscheidend ist dabei, daß in der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft neben den integrationspolitischen, auf die Sicherung grenzüberschreitender Vertragsfreiheit ausgerichteten Zweck des Lauterkeits- und Vertragsrechts, auch ein inhaltlich-privatrechtlicher Aspekt tritt. Entsprechend wird auch in der folgenden Darstellung der Einzelheiten des europäischen Rahmens unserer Thematik der höheren Klarheit halber zwischen diesen beiden Aspekten unterschieden. Zuerst (unten II) wird die integrationspolitische, binnenmarktorientierte Perspektive gewählt. Aus dieser Sicht sind Lauterkeits- und zwingendes Vertragsrecht ersichtlich im Ausgangspunkt einheitlich zu behandeln; dennoch ist die Entwicklung in beiden Bereichen – insbesondere im Sekundärrecht und im Kollisionsrecht – durchaus nicht stets parallel verlaufen. Insofern gilt es, die Einzelheiten des Gleichklangs und bestehende Unterschiede der binnenmarktbezogenen Wertun46 Die EuGH-Rechtsprechung spielt insoweit – gerade im Vergleich zum Lauterkeitsrecht – im Vertragsrecht eine weniger prominente Rolle, vgl. noch unten II 1 b (1) (b). Entsprechend mehr betont ist die sekundärrechtliche Rechtsangleichung durch Richtlinienrecht, die freilich über lange Jahre den inhaltlichen Aspekt eines angemessenen Verbraucherschutzniveaus zu Lasten des integrationspolitischen Aspekts überbetonte, vgl. noch unten II 1 a. 47 Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 789, hat zudem die Argumente für einen Gleichklang der Auslegung der Grundfreiheiten mit der Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Kartellrechts dargelegt. Auch im (allgemein) verfassungsrechtlichen Sinne ist der „allgemeine Gleichheitssatz“ eines der „Grundprinzip[ien] des Gemeinschaftsrechts“, s. etwa EuGH Rs. C-280/93 (Deutschland . /.Rat (Bananenverordnung)), Slg. 1994, I-4973, Rz. 67.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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gen in beiden Bereichen herauszuarbeiten48 und aus dem Vergleich der jeweiligen Entwicklungslinien und der resultierenden Lösungen im gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeits- und Verbraucherschutzrecht Folgerungen für die binnenmarktorientierte Bewertung und Fortentwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeits- und Vertragsrechts – auch unter Einbeziehung des Kollisionsrechts – abzuleiten. Danach (unten III) widmet sich die Darstellung der inhaltlichen (privatrechtlichen) Perspektive auf das Binnenmarktkonzept der Gemeinschaft mit Blick auf verbraucherschützendes Lauterkeits- und Vertragsrecht, wie es sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Grundfreiheiten sowie im europäischen Sekundärrecht herauskristallisiert hat. Es wird zu belegen sein, daß es in der Tat im gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeits- und Vertragsrecht zu einem Gleichmaß der Wertungen unter den bestimmenden Kriterien Informiertheit und Freiheit der Verbraucherentscheidungen (mithin einer im wesentlichen auf die ersten zwei Ebenen des Vier-Ebenen-Modells reduzierten Konzeption) kommt, wobei mit Blick auf die Erreichung dieser normativen Ziele lauterkeits- und vertragsrechtliche Normen einander bei der Etablierung eines zwingenden rechtlichen Rahmens für den freien Wettbewerb im Binnenmarkt als institutionelles Ziel im Rahmen einheitlicher Instrumente des europäischen Verbraucherrechts untrennbar zu vermengen beginnen. Dabei ist die Frage der Sanktionierung der solcherart sich mischenden Pflichten unterschiedlicher Natur im gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht allenfalls andeutungsweise gelöst; jedoch beginnt der EuGH letzthin zunehmend rasant, die somit verbleibenden offenen Schnittstellen zum Privatrecht der Mitgliedstaaten unter dem (einseitig betonten) Aspekt effektiver Durchsetzung des zwingenden rechtlichen Rahmens des Gemeinschaftsrechts aus eigener Kraft im Wege der Interpretation des gemeinschaftsrechtlichen Primär- und Sekundärrechts auszugestalten. Neben dem solcherart sich in den Richtlinien herausprägenden Konzept eines einheitlichen europäischen „Verbrauchervertriebsrechts“49, findet sich ein wesentliches, „neuralgisches“ Schnittfeld lauterkeits- und verbraucherschutzrechtlicher Zielsetzungen auch in einzelnen Bestimmungen der Verbrauchsgüterkauf-RL. Diese kann insofern (unten III 2 e) als ein zentrales Fallbeispiel für die wesentlichen, rechtsanwendungsorientierten Folgerungen dienen, die sich aus einer Sicht des gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherrechts im Schnittfeld von Vertragsrecht und Lauterkeitsrecht ergeben können; zugleich illustrieren einzelne Vorschriften der Richtlinie sehr luzide auch die Gefahren einer gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherrechtskonzeption, die in erster Linie auf das Strukturelement 50 eines
48 Vgl. zu dieser Leitperspektive, wie sie sich letztlich wiederum aus der europäischen Wirtschaftsverfassung ergibt, noch unten b. 49 So die durchaus treffende Begriffsprägung bei Reich, EuZW 1997, 581, 582; vgl. auch Micklitz, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 189 ff. 50 Vgl. insoweit zu Recht Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771 ff.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
durch zentralisierte gesetzgeberische Gestaltung fixierten Rahmens zwingenden Gemeinschaftsrechts als Verbraucherschutzkonzeption im Binnenmarkt setzt. b. Zusammenfassung der primärrechtlichen Ausgangslage: Relevanz der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundlegung Die wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlegung, wie sie vorstehend versucht wurde in ihren Grundzügen nachzuzeichnen, ist für diese nun folgende Darstellung in dreifacher Hinsicht relevant. Rechtlich wirkt die wirtschaftsverfassungsrechtliche Konzeption des Binnenmarkts wesentlich auf die Konzeption der Rechtsangleichungspolitik und insbesondere auf die Interpretation der Grenzen der Binnenmarktkompetenz nach Art. 95 EG ein51. Als grundlegend wird insoweit nunmehr allgemein die Entscheidung des EuGH zur Kompetenz der Gemeinschaft zum Erlaß der TabakwerbeRichtlinie52 angesehen53. Die Entscheidung macht deutlich, daß inhaltliche Schutzpolitiken innerhalb und nur innerhalb des Rahmens einer Verbesserung des Funktionierens des Gemeinsamen Marktes – sei es durch Beseitigung tatsächlich vorhandener oder für die Zukunft konkret zu erwartender Handelshemmnisse oder durch einen Beitrag zur Beseitigung spürbarer Wettbewerbsverzerrungen im Gemeinsamen Markt – von der Gemeinschaft sehr wohl mitverfolgt werden dürfen54. Auf den ersten Blick könnte die grundsätzliche Zulässigkeit inhaltlicher Schutzpolitiken mit der ausdrücklich erfolgten Rückbindung an das System eines möglichst freien und unverzerrten Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt widersprüchlich scheinen; erst die Verankerung in der europäischen Wirtschaftsverfassung, die es gestattet, das Konzept des Gemeinsamen Marktes auch über die bloße integrationspolitische Zielsetzung hinaus qualitativ aufzuladen, löst den vermeintlichen Widerspruch auf55. Auf unser Thema gewendet, bedeutet das, daß Schutzmaßnahmen für freie und informierte Vertragsentscheidungen gerade solange und soweit auf der Kompetenzgrundlage des Art. 95 zulässig sind, wie sie 51 Vgl. grundlegend Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 796 ff.; Enchelmaier, Europäisches Wirtschaftsrecht, § 13 I (S. 110 ff.). 52 EuGH Rs. C-376/98 (Bundesrepublik Deutschland . /.Parlament und Rat), Slg. 2000, I8599. In der Entscheidung hat der Gerichtshof unmißverständlich klargemacht hat, daß ein Tätigwerden der Gemeinschaft auf Grundlage von Art. 95 EG voraussetzt, daß entweder tatsächliche oder für die Zukunft konkret (nicht nur abstrakt) wahrscheinliche Handelshemmnisse durch die Maßnahme – die dazu auch tatsächlich geeignet und bestimmt sein muß EuGH, aaO., Rz. 83) – beseitigt werden oder daß die Maßnahme zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt – die auch tatsächlich spürbar sein müssen – beiträgt (Rz. 106 ff). 53 S. zur EuGH-Entscheidung etwa Amtenbrink, VuR 2001, 163 ff.; Hervey, E.L.Rev. 2001, 101 ff.; Reich, VuR 2001, 203 ff.; Roth, JZ 2001, 475, 477; Roth, Schuldrechtsreform im Kontext des Europarechts, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 225, 231 ff.; Usher, CMLRev. 2001, 1519 ff. 54 So deutlich EuGH (aaO.), insbesondere Rz. 100. 55 S. Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 796 ff.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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zugleich zu einer Förderung des grenzüberschreitenden freien und informierten Vertragsschlusses im Sinne materialisierter Privatautonomie beitragen. Die verbleibende Spannung zwischen größtmöglicher Verkehrsfreiheit im Binnenmarkt und Materialisierung individueller Freiheit stellt in dieser Sichtweise keinen unauflösbaren Widerspruch dar, sondern vielmehr einen bloßen Zielkonflikt, der im Sinne praktischer Konkordanz zu lösen ist. Mehr als bestimmte Grenzen in Fällen groben Fehlgebrauchs der Einschätzungsprärogative bzw. des Gestaltungsspielraums durch den Gemeinschaftsgesetzgeber – und damit wohl insbesondere bei schon beinahe prinzipiell fehlender Eignung oder gar Kontrafunktionalität mit Blick auf die Verbesserung der Binnenmarktbedingungen56 – wird der Gerichtshof dem Gemeinschaftsgesetzgeber hinsichtlich der diesbezüglich notwendigen Wertungsentscheidungen mit den Mitteln der Kompetenzkontrolle allerdings wohl auch zukünftig nicht ziehen57. 56 So auch letztlich die Grenzen, die die Tabakwerbe-Entscheidung EuGH (Fn. 52) zieht. Insbesondere rügte der Gerichtshof den bloßen Mindestcharakter der Harmonisierung (der eine Binnenmarktklausel fehlte und die daher in der Tat schwerlich zur Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes beitragen konnte, EuGH, aaO., Rz. 104) sowie die Anordnung eines absoluten Werbeverbots, welches für eine grenzüberschreitende Marktdurchdringung eher zusätzliche Hindernisse errichtet, EuGH, aaO., Rz. 113. 57 Dies macht insbesondere die Entscheidung des EuGH in Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Slg. 2002, I-11453 deutlich, die man (neben ihrer Bedeutung für die Klärung der zutreffenden Abgrenzung der Binnenmarktkompetenz von der ausschließlichen Kompetenz für die Gemeinsame Handelspolitik der Gemeinschaft) in gewisser Hinsicht als Spiegelbild und Fortentwicklung der Tabakwerbe-Richtlinien-Entscheidung mit Blick auf den – als einen der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts verankerten – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (EuGH, aaO., Rz. 122 ff) und das Prinzip der Subsidiarität in Bereichen nichtausschließlicher Zuständigkeit (Art. 5 Abs. 2, s. EuGH, aaO., Rz. 177 ff.) ansehen kann. Mit British American Tobacco wurden nun der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 5 Abs. 2 EG gleichermaßen wie zuvor schon Art. 95 EG vom Gerichtshof in ihren Möglichkeiten zur Kontrolle kontrafunktionaler Gesetzgebung im Binnenmarkt ausgelotet. Dabei läßt die Entscheidung – obwohl sie den Willen des Gerichtshofs manifestiert, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit über seine bisherige Bedeutung hinaus nunmehr ebenfalls stringenter im Sinne einer „materialisierten“ Kontrolle des Gemeinschaftsgesetzgebers anzuwenden – doch zugleich die weiten Spielräume des Gemeinschaftsgesetzgebers erkennen. Insbesondere mit Blick auf Art. 95 betont der Gerichtshof, daß im Rahmen der (Mit)verfolgung inhaltlicher Politiken natürlich ein einmal im Binnenmarkt erreichtes Schutzniveau auch auf Grundlage des Art. 95 neuen Gegebenheiten angepaßt werden darf, ohne daß die Kompetenz allein deshalb entfiele, weil eine Rechtsangleichung innerhalb der Gemeinschaft (auf dem niedrigeren Schutzniveau) bereits erreicht war; die durch die Tabakwerbe-Entscheidung (EuGH [Fn. 52], Rz. 100) eingeräumte Möglichkeit im Rahmen der Binnenmarktkompetenz auch inhaltliche Ziele zu verfolgen würde sonst in ihrer zeitlichen Anpaßbarkeit ausgehöhlt (EuGH, aaO., Rz. 78). Bezüglich des Prinzips der Verhältnismäßigkeit betont der Gerichtshof ausdrücklich den weiten Ermessensspielraum, den der Gemeinschaftsgesetzgeber insbesondere in Bereichen hat, die politische, ökonomische und soziale Wertentscheidungen berühren, welche ihrerseits komplexe Beurteilungsvorgänge notwendig machen. Ähnlich speziell mit Blick auf das Verbrauchervertragsrecht im Ergebnis auch schon Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 798: „beträchtlicher rechtspolitischer Gestaltungsspielraum“. Vgl. mit weiteren Nachweisen aus der neuesten EuGH-Rechtsprechung auch Enchelmaier, Europäisches Wirtschaftsrecht, § 13 I (Rz. 110).
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Wesentlich ist die wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlegung des Binnenmarkts aber auch über die bloße Frage der Gemeinschaftskompetenz hinaus, wenn es gilt, vermeintlich widerstreitende Zwecksetzungen einer Harmonisierungsmaßnahme miteinander in Einklang zu bringen. Dies hat potentiell unmittelbaren Einfluß auf die Ergebnisse einer teleologischen Interpretation des Gemeinschaftsrechts mit Blick auf seinen effet utile. In der Tat ist die Problematik der Vereinbarkeit des binnenmarktbezogenen Schutzzwecks mit dem verbraucherschützenden Zweck der neuen Lauterkeits-Richtlinie in der deutschen Literatur genau unter den hier umrissenen Aspekten in konkreter Form diskutiert und – was häufig übersehen wurde – zutreffend dahingehend gelöst worden, daß sich die – im Text der Richtlinie so schmerzlich vermißte – Schutzzwecktrias im Sinne eines institutionellen Schutzes der Mitbewerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit schon der Rückbindung der Richtlinie an das institutionelle Ziel eines unverzerrten, freien Wettbewerbs in einem funktionsfähigen Gemeinsamen Markt entnehmen läßt58. Schließlich ist ein dritter Aspekt zu berücksichtigen. Hinsichtlich des hier unternommenen Versuchs, ein Gesamtsystem aus den freie und informierte Vertragsschlüsse schützenden Teilbereichen des Lauterkeits- und Vertragsrechts zu bilden, in dem sich beide Rechtsgebiete komplementär auf Grundlage eines thesenartig unterstellten und zu belegenden Gleichmaßes der Wertungen ergänzen, bedarf es eines oder mehrerer Leitkriterien. Denn auch im Privatrecht kann nur in Hinsicht auf eines oder mehrere Leitkriterien – auf gesetzgeberische Zielsetzungen – ein Gleichlauf der Wertungen festgestellt und können aus einem derartigen Gleichlauf auch Folgerungen gezogen werden. Anders ausgedrückt: Ein Gleichmaß der Wertungen in zwei zu unterscheidenden Teilgebieten bedarf eines wertbezogenen Perspektivpunktes, im Hinblick auf den die Wertungen wesentlich gleich sind59. Eben jenen Perspektivpunkt kann für das Gemeinschaftsrecht nur die Konzeption der europäischen Wirtschaftsverfassung liefern60. Dabei ent58 Mit Blick auf die Schutzzweckklausel der Lauterkeits-Richtlinie war die Problematik von Beginn an zum konkreten Diskussionsgegenstand geworden. Vgl. mit der zutreffenden Lösung Veelken WRP 2004, 1, 4 f.; im Anschluß daran Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 218 (insbesondere in Fn. 107); ähnlich zuletzt Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1313 f. 59 Es fehlt nicht an Versuchen, dieses unbestreitbare Faktum, wie es auch hier im Grundlagenteil herausgearbeitet wurde, für den Bereich des Privatrechts zu leugnen zugunsten einer vermeintlichen Entstaatlichung – ja wertmäßigen Neutralisierung – des Privatrechts, die dann freilich prompt stets zu radikal-liberalen Privatrechtskonzeptionen und mithin zu – politisch sogar besonders kontrovers diskutierten – Vorschlägen führen. Für einen besonders aussichtsreichen, da seine Grundlagen bemerkenswert breit – beinahe eklektizistisch zwischen Aristoteles und Kant – aufstellenden rechtsphilosophischen Ansatz vgl. letzthin die Überlegungen Weinribs zum legalen Formalismus (s. die Nachweise o. 1.Kap. 1.Abschn. Fn. 364). Demgegenüber hat schon die Freiburger Schule im Rahmen des ordoliberalen Konzepts von der Interdependenz der Ordnungen zutreffend die unvermeidbare wechselseitige Beeinflussung der rechtlichen Ordnung und der ökonomischen Verhältnisse erkannt, s. nur Eucken, 2 ORDO (1949), 1, 4 f.; vgl. im übrigen schon die Darstellung oben 1. Kap. 1. Abschn. C IV. 60 Vgl. auch Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, der
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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spricht der Rahmen der europäischen Wirtschaftsverfassung – ihre Ausrichtung – der im Grundlagenteil herausgearbeiteten Fixierung auf ein Leitbild freiwillig und informiert geschlossener Verträge. Im europäischen Recht ist dieser Fokus aber ein institutionell verstandener, ordnungspolitisch-funktionaler: Der freie und informierte Vertragsschluß wird um seiner Funktion bei der Verwirklichung einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb im Binnenmarkt willen geschützt (bzw. sein Schutz im Recht der Mitgliedstaaten für gerechtfertigt angesehen); die Vertragsparteien werden Funktionsträger der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes61. Zwei Konsequenzen bringt dieses Spezifikum der europäischen Wirtschaftsverfassung seinerseits mit sich: Zum einen beschränkt sich das europäische Recht im wesentlichen auf die wirtschaftlichen Aspekte des Schutzes freier und informierter Entscheidungen der Vertragspartner: lediglich zwei (und Teile der dritten) Ebene des hier vertretenen Vier-Ebenen-Modells sind daher im europäischen Recht abgebildet; verzerrende Interessen ideeller oder ethischer Art fehlen weitgehend. Weiter, zweitens, konzentriert sich der Schutz des europäischen Rechts auf grenzüberschreitende Verträge bzw. zumindest Sachverhalte, die die Problematik des grenzüberschreitenden Marktzugangs berühren 62; dementsprechend wird auch die Inländerdiskriminierung nach noch herrschender Auffassung von den Grundfreiheiten nicht erfaßt63.
in der Verpflichtung der Gemeinschaft auf den Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb eine Art Leitmotiv erblickt, das dem Gemeinschaftsrecht einen kohärenten Sinn verleiht. 61 Vgl. mit Blick auf das gemeinschaftsrechtliche Kartellrecht und in der Folge verallgemeinernd für die Grundfreiheiten Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 776 f.; für den hier behandelten Bereich des Lauterkeitsrechts zutreffend insbesondere Keßler/Micklitz, Harmonisierung des Lauterkeitsrechts, S. 44 ff. 62 Grundlegend für dieses Verständnis der Grundfreiheiten Drexl, aaO., 789 ff.; für den hier interessierenden Teilbereich wird die Tragfähigkeit dieser Konzeption – neben anderen tragfähigen Gesamtkonzepten – noch in der Folge belegt. 63 So die Rechtsprechung des EuGH und auch die ganz herrschende Meinung in der Literatur, s. statt vieler nur Drexl, aaO., S. 794 ff.; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, Rz. 109 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; a.A. bezüglich des Lauterkeitsrechts etwa Fezer, JZ 1994, 317, 325 f. Vgl. gegenüber der bisher ganz eindeutigen Rechtsprechung (s. nur EuGH Rs. 86/78 (Grandes Distilleries Peureux), Slg. 1979, 897, 914 und insbesondere EuGH verb. Rs. 35/82 und 36/82 (Morson und Jhanjhan), Slg. 1982, 3723, 3736 f.) aber auch EuGH Rs. C-60/00 (Carpenter), Slg. 2002, I-06279, insbes. Rz. 37 ff., wo in einem – mit Blick auf den Schutz der Ehe und Familie auch grundrechtsrelevanten – Vorlagefall nicht nur die Dogmatik der Rezeption der Grundrechte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bezüglich gerechtfertigter Beschränkungen der Grundfreiheiten um ein weiteres Kapitel fortgeschrieben wird, sondern auch auf der Grundlage des Schutzes der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit ein bemerkenswert weites Verständnis des Beschränkungsverbots (Schaden für das Familienleben, aus dem sich – da dann die Kinderbetreuung nicht gesichert wäre – eine Beschränkung der Reisetätigkeit des signifikant grenzüberschreitend tätigen Dienstleisters ergibt) entwickelt wird, welches einem europäischen Bürgerrecht mit Anwendung in reinen Inlandssachverhalten doch im Ergebnis beinahe bedenklich zu nah zu kommen scheint.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
II. Die binnenmarktorientierte (integrationspolitische) Perspektive Durch die Brille des integrationspolitischen, binnenmarktorientierten Zwecks des Gemeinschaftsrecht sind Vertrags- und Lauterkeitsrecht prima facie einheitlich zu betrachten – zwingendes Vertragsrecht gleichermaßen wie lauterkeitsrechtliche Vorschriften mitgliedstaatlichen Rechts stellen sich als potentielle Beschränkungen der Grundfreiheiten bzw. Hemmnisse für den Binnenmarkt dar, die es (aus primärrechtlicher Sicht) zu rechtfertigen bzw. (sekundärrechtlich) durch Rechtsangleichung, soweit wie möglich, zu beseitigen gilt. Dennoch ist die Entwicklung – obwohl durch gegenseitige Grenzüberschreitungen und die Mischform eines einheitlichen (vertrags- und lauterkeitsrechtliche Elemente umfassenden) europäischen Verbraucherrechts gekennzeichnet – durchaus nicht vollkommen parallel verlaufen; insbesondere hinsichtlich der Bereitschaft der Gemeinschaft zur binnenmarktorientierten Harmonisierung auf Basis eines sekundärrechtlichen Herkunftslandprinzips, sind durchaus Unterschiede zwischen Verbrauchervertragsrecht und Lauterkeitsrecht zu erkennen. Im folgenden sollen zuerst die wesentlichen Entwicklungslinien des europäischen Verbraucherrechts – das der binnenmarktfunktionalen Identität entsprechend sowohl lauterkeitsrechtliche als auch verbrauchervertragsrechtliche Bestimmungen umfaßt – unter besonderem Augenmerk auf die verfolgte Harmonisierungsmethode nachgezeichnet werden (unten 1), um sodann im Rahmen einer übergreifenden Betrachtung die innere Stimmigkeit der Entwicklung zu analysieren und de lege ferenda einige Vorschläge für den weiter zu verfolgenden Harmonisierungsweg zu unterbreiten, die sich unmittelbar aus dem Gebot des Gleichmaßes der Wertungen ergeben (unten 2).
1. Binnenmarktbezogene Entwicklungslinien eines europäischen Verbraucherrechts a. Der Ausgangspunkt: Die Tradition der Mindestharmonisierung im Bereich des lauterkeits- und vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes (1) Rechtsangleichung im Lauterkeitsrecht Die Wurzeln einer spezifischen Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in Europa reichen zurück in die sechziger Jahre 64. Damals war auf der Grundlage des berühmt gewordenen rechtsvergleichenden Gutachtens von Ul64 Im folgenden kann nicht mehr als ein ganz kurzer – und zumal auf die Perspektive der hier angestellten Untersuchung konzentrierter (und damit lauterkeitsrechtliche Regeln, die sich nicht gerade in erster Linie auf den Schutz der Marktgegenseite in ihren Vertragsentscheidungen beziehen, weitgehend außer acht lassender) – Überblick gegeben werden. Vgl. für ausführlichere Darstellungen etwa Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, S. 8 ff.; Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, S. 40 ff.; Henning-Bodewig, Unfair Competition Law, S. 34 ff.; (mit Blick auf die Irreführung) Lettl, Irreführende Werbung, S. 2 ff.; zuletzt ausführlich und aktuell Glöckner, S. 17 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen; weiterhin die Beiträge von Ohly, Die Bemühungen um eine Rechtsvereinheitlichung auf EU-Ebene von den Anfängen bis zur Richtlinie
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mer65 eine umfassende und abschließende Harmonisierung des Unlauterkeitsrechts beabsichtigt gewesen66. Die in der kontinentaleuropäischen Tradition eines eigenständigen Unlauterkeitsrechts verwurzelte Ulmer-Studie griff zwar noch nicht den Verbraucherschutzgedanken als einen der institutionellen Schutzzwecke des Wettbewerbsrechts auf, betonte aber bereits den Institutionengedanken in dem Sinne, daß die in den jeweiligen Mitgliedstaaten verfolgten Konzepte „fairen“ Wettbewerbs – mithin das jeweilige Wettbewerbverständnis und die angestrebten Schutzzwecke – weitaus prägender für die Charakterisierung der jeweiligen Rechtsordnung seien, als die (vergleichsweise weniger bedeutende) konkrete Formulierung der Generalklausel. Das auf Grundlage des Gutachtens ursprünglich geplante, umfassende Harmonisierungsprojekt scheiterte in der Folge am Beitritt des Vereinigten Königreichs und Irlands zur Gemeinschaft; angesichts des Fehlens geschlossener Wettbewerbsrechtskonzepte in diesen Ländern 67 war der Widerstand gegen eine umfassende Harmonisierung (die insbesondere auch Aspekte wie die notorisch umstrittene Frage des wettbewerbsrechtlichen (Investitions-) schutzes gegen sklavische Nachahmungen durch Mitbewerber umfaßt hätte) unüberwindlich groß geworden68. über irreführende Werbung von 1984, Henning-Bodewig, Die EG-Fernsehrichtlinie von 1989, Meyer, Produktspezifische Werberegelungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, Tilmann, Die Richtlinie über vergleichende Werbung, Kur, Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts durch Angleichungsmaßnahmen in angrenzenden Bereichen, sämtlich in: Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, 1999; aus der Aufsatzliteratur Beater, ZEuP 2003, 11; Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389; Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019 ff.; Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141 ff.; Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185 ff.; Schricker/HenningBodewig, WRP 2001, 1367, 1372 f. S. letzthin auch die ausführlichen (fast monographischen) Darstellungen in der Kommentarliteratur zum neuen UWG bei Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 6 ff.; vgl. unter besonderer Betonung des kollisionsrechtlichen Aspekts (sowohl der Grundfreiheiten als auch des Sekundärrechts) auch Fezer-Hausmann/Obergfell, Einleitung I, Rz. 86 ff. 65 Ulmer (Hrsg.), Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Bd.1, Vergleichende Darstellung mit Vorschlägen zur Rechtsangleichung, 1965. Vgl. auch die Bde. 2–7 der Studie, die in der Folge zum Recht der einzelnen Mitgliedstaaten veröffentlicht worden sind. 66 S. zum folgenden auch Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 7 f. mwN. 67 Vgl. rechtsvergleichend Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, 1997; Bodewig, GRUR Int. 2004, 543 ff.; mit einer gedrängten Übersicht auch Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 144 ff.; speziell zu der für das englische und irische System so prägenden Selbstkontrolle (in diesem Falle bezogen auf die wesentlichsten Organisation in diesen Bereich, das CAP-Committee (welches den sogenannten CAP-Code erstellt) und die Advertising Standards Authority (die im Rahmen dieses Codes auf Grundlage von Beschwerden Sanktionen gegen sittenwidrige Werbemaßnahmen erläßt) vgl. instruktiv zuletzt Jergolla, Die Werbeselbstkontrolle in Großbritannien, 2003. 68 Vgl. statt aller Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389, 392; Harte/Henning-Glöckner, Einl B Rz. 8; Glöckner, S. 17 ff. Der zweite Grund für das Scheitern des ursprünglich geplanten umfassenden Harmonisierungsprojekts war das in diese Zeit fallende Erstarken des Verbraucherschutzgedankens, das insofern zu einem Bruch in den Wettbewerbsrechtskonzeptionen der Mitgliedstaaten führte, als ein Teil der Mitgliedstaaten den Verbraucherschutz als institutionellen Schutzzweck im Rahmen der speziellen Gesetze gegen den unlauteren Wettbewerb inte-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Aus dem vorbeschriebenen, genuin lauterkeitsrechtlichen Ansatz69 zu umfassender europäischer Harmonisierung ist dann letztlich die weitaus bescheidenere Irreführungs-Richtlinie70 entstanden, die in ihrer ursprünglichen Form grierte (integriertes Modell), während ein anderer Teil der Mitgliedstaaten (zumal diejenigen, die – wie Frankreich, die Niederlande, Italien oder Portugal – zunächst das Lauterkeitsrecht im Rahmen der deliktsrechtlichen Generalklauseln „aufgefangen“ hatten) insoweit eigenständige Verbraucherschutzgesetze erließ, die – als mehr dem öffentlichen Recht zugehörig – neben den lauterkeitsrechtlichen Schutz der Mitbewerber traten (zweigeteiltes Modell). Hinzu kam noch der gleichfalls durch die Stärkung der Verbraucherschutzpolitik in der Gemeinschaft bedingte „innerinstitutionelle“ Kompetenzwechsel für das Lauterkeitsrecht innerhalb der Kommission: zuständig war nunmehr neben der Generaldirektion Binnenmarkt auch die Abteilung Verbraucherschutz (die später in die eigenständige Generaldirektion SANCO) überführt wurde; diesen letztgenannten institutionellen Aspekt betont auch Glöckner, European Law Reporter 2002, 42 ff. 69 Für die hier im Mittelpunkt stehende integrationspolitische Perspektive auf die Angleichungsbemühungen im Recht des unlauteren Wettbewerbs ist zunächst nur der Blick auf den genuin lauterkeitsrechtlichen Entwicklungsstrang im engeren Sinne von Relevanz. Soweit es in der Folge (unten III) auch um die inhaltliche Perspektive und wechselseitige Überschneidung von Vertrags- und Lauterkeitsrecht im Rahmen eines einheitlichen europäischen Verbraucherrechts geht, kommen zudem einige weitere Richtlinien mit spezifischen werberechtlichen Regelungen in Betracht, zu denen insbesondere die Richtlinie 98/6/EG v. 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse, ABl. EG L 80 v. 18.3.1998, S. 27 (Preisangaben-RL), die Verordnung (EWG) Nr. 880/92 vom 23. März 1992 betreffend ein gemeinschaftliches System zur Vergabe eines Umweltzeichens, ABl. EG L 99 v. 11.4.1992, S. 1 und die Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 vom 29. Juni 1993 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung, ABl. EG L 168 v. 10.7.1993, S. 1 (und zu letzteren z.B. Wiebe, EuZW 1994, 41 ff.). Auf diese Richtlinien wird – soweit angebracht – im jeweiligen Sachzusammenhang näher eingegangen. Dasselbe gilt für die Richtlinie 99/44/EG vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. EG L 171 v. 17.7.1999, 12 (VerbrauchsgüterkaufRichtlinie), die einerseits die wechselseitige funktionale Überschneidung von Vertrags- und Lauterkeitsrecht geradezu idealtypisch illustriert und andererseits in ihren Bestimmungen über Garantien für die hier vertretene These über die wechselseitige Grenzüberschreitung von Vertrags- und Lauterkeitsrecht und den Trend zum Verbraucherschutz durch Systemvertrauen regelrecht konstitutiv ist. Eine eigenständige Behandlung erfolgt daher im Rahmen der Darstellung zur inhaltlichen Dimension des europäischen Verbraucherrechts, s. unten III 2 e. Bezüglich produktspezifischer Regelungen s. Meyer, Produktspezifische Werberegelungen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, in: Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, S. 93 ff. 70 Richtlinie 84/450/EWG v. 10. September 1984 über irreführende Werbung, Abl. EG L 250 v. 19.9.1984, S. 17, in der Folge zuerst abgeändert durch die Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl. EG Nr. L 290 v. 23.10.1997, 18 ff., und nunmehr nochmals abgeändert durch Art. 14 der Richtlinie 2005/29/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005, ABl. EG Nr. L 149 v. 11.6.2005, 22 ff. (im folgenden: Irreführungs-RL). S. zur neuen gespaltenen Lauterkeitsrechtskonzeption im europäischen Recht noch unten III 2 b (1).
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zunächst eine bloße Mindestharmonisierung des Schutzes gegen irreführende Werbung erstrebte71. Der Institutionengedanke aus dem Ulmer-Gutachten72 hatte den Weg geebnet, um den mittlerweile erstarkten Verbraucherschutzgedanken 73 in die Schutzzwecke der Richtlinie einzubeziehen: aus Art. 1 Irreführungs-Richtlinie stammt die gemeinschaftsrechtliche Formulierung der Schutzzwecktrias, derzufolge die Richtlinie einheitlich den Schutz der Verbraucher, der Mitbewerber sowie der Interessen der Allgemeinheit gegen irreführende Werbung und deren unlautere Auswirkungen bezweckt. Der übergreifenden Natur der Irreführungsproblematik entsprechend erstreckte sich der Anwendungsbereich der Richtlinie – in bemerkenswerter Abweichung von der aktuell umzusetzenden Lauterkeits-Richtlinie – auf irreführende Werbung gegenüber Verbrauchern und gewerblichen Marktteilnehmern gleichermaßen 74. Allerdings formulierte die Richtlinie nur Mindeststandards im Bereich des Schutzes vor irreführender Werbung und harmonisierte insbesondere die jeweiligen nationalen Irreführungsmaßstäbe nicht75. Zudem gestattete der im Bereich der Rechtsdurchsetzung ausgehandelte Kompromiß letztlich sämtlichen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, im Kern ihre jeweiligen Durchsetzungssysteme (und damit insbesondere auch das wesentlich auf Selbstkontrolle basierende System der common law-Staaten) beizubehalten76.
Alles in allem war der Ulmersche Plan einer umfassenden Harmonisierung insofern dem Gedanken verbraucherschützender Mindestharmonisierung gewichen. Mit ihrer Regelung eines bloßen Minimalstandards hinsichtlich des materiellen Irreführungsschutzes77 erzielte die Richtlinie dementsprechend einen vergleichs71
S. näher Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 9 ff. mwN. Die Harmonisierungsvorschläge von Ulmer hatten zwar mit dem Vorschlag einer Verbandsklage für Wettbewerber den Institutionengedanken klar zum Ausdruck gebracht, (im zeithistorischen Kontext nur zu verständlich) jedoch noch davor zurückgeschreckt, ihn im Rahmen der Schutzzwecktrias folgerichtig durch Gewährung einer Verbandsklage für Verbraucherverbände zu Ende zu denken. Vgl. hierzu auch Schricker/Henning-Bodewig, WRP 2001, 1367, 1372. 73 Dieser war paradoxerweise zunächst mit zum „Stolperstein“ der Versuche einer umfassenden Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geworden, s. schon o. Fn. 68. 74 Vgl. zum nunmehr reduzierten Anwendungsbereich der Irreführungs-RL auch noch unten III 2 b (1). 75 Was vielfach aus der Sicht der europäischen Harmonisierung bedauert wurde, vgl. statt vieler Ohly, GRUR Int. 2003, 641, 642 mwN. S. zu in der Tat in diesem Bereich weiterhin bestehenden substantiellen Divergenzen mitgliedstaatlichen Rechts zuletzt umfassend Lettl, Irreführende Werbung, S. 151 ff. 76 Vgl. dazu auch schon die Nachweise bei o. Fn. 67. 77 So jedenfalls die ganz herrschende Meinung auf Grundlage von Art. 7 Abs. 1 Irreführungs-RL, wobei sich der national überschießende Schutz naturgemäß wiederum an den Grundfreiheiten messen lassen muß, vgl. für die hM EuGH Rs. C-238/89 (Pall/Dahlhausen), Slg. 1990, I-4827; EuGH Rs. C-315/92 (Clinique), Slg. 1994, I-317; EuGH Rs. C-44/01 (Pippig Augenoptik/ Hartlauer), Slg. 2003, I-3095; EuGH Rs. C-71/02 (Karner . /.Troostwijk), Slg. I-3025, Rz. 33; Piper, WRP 1992, 685, 687; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl. 3.42 mwN; a.A. nur Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, Rz. 105 ff., insbesondere 110 ff., dessen Ansicht, die Mindestklauseln der EG-Verbrauchervertragsrichtlinien entfalteten eine Sperrwirkung im Auslandssachverhalt (soweit der Regelungsgehalt der Richtlinie reicht), ließen also eine strengere Behandlung lediglich in rein nationalen Fällen (Inländerdiskriminierung) zu, auch für den Bereich des Lauterkeitsrechts verallgemeinerbar ist. Freilich vermag diese Ansicht, so wünschenswert sie im Ergebnis europapolitisch sein mag, angesichts der hier klar entgegenstehenden 72
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
weise geringen Harmonisierungseffekt78. In dem im europäischen Maßstab besonders augenfällig divergierenden Bereich der vergleichenden Werbung wurde die Irreführungs-Richtlinie daraufhin 1997 durch die Richtlinie über vergleichende Werbung79 reformiert80; in der novellierten Form der Irreführungs-Richtlinie sah diese nunmehr (insoweit im Wege abschließender Harmonisierung81) die grundsätzliche Zulässigkeit der vergleichenden Werbung vor sowie regelte „punktgenau“ zumindest deren Zulässigkeitsvoraussetzungen im einzelnen82. Durch die Lauterkeits-RL von 2005 ist die Irreführungs-RL nunmehr – unter bedauerlicher und dem Wesen des Wettbewerbs nicht gerecht werdender Aufspaltung der einheitlichen Schutzzwecktrias in ihre verbraucherschützenden und ihre mitbewerberschützenden Facetten83 – auf den Bereich irreführender Werbung im Verhältnis zu Gewerbetreibenden sowie weiterhin auf die punktgenaue Festlegung der Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung beschränkt worden84, womit bemerkenswerterweise (und kritikwürdig) die vergleichende Werbung sozusagen reduktionistisch allein unter dem Aspekt des Mitbewerberschutzes betrachtet wird85. Rechtsprechung des EuGH letztlich doch nicht zu überzeugen. S. nunmehr auch grundsätzlich EuGH Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband . /.DocMorris), Slg. 2003, I-4887, Rz. 63 ff. (betreffend die Mindestklausel in Art. 14 Fernabsatz-Richtlinie); vgl. in dieselbe Richtung EuGH Rs. C-376/98 (Bundesrepublik Deutschland . /.Parlament und Rat), Slg. 2000, I-8599, Rz. 104, wo der EuGH gerade das Vorliegen einer Mindestharmonisierungsklausel zum Anlaß für Zweifel an der Eignung der Tabakwerbe-Richtlinie, zur Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarkts beizutragen, nimmt – diese Zweifel wären nicht berechtigt, wollte man Mindestklauseln in europäischen Instrumenten so auslegen, wie Grundmann dies vertritt. Für den Bereich der vergleichenden Werbung legt die Irreführungs-Richtlinie in ihrer jetzigen Form freilich abschließende Zulässigkeitsvoraussetzungen fest, wie es der EuGH in der Rs. C-44/01 (Pippig Augenoptik/Hartlauer), aaO., nunmehr erfreulicherweise klargestellt hat. Vgl. sogleich auch im folgenden Text. 78 Die geringe Bedeutung der Richtlinie wird auch dadurch illustriert, daß – gerade im Vergleich zur reichhaltigen Rechtsprechung zum Verhältnis von nationalem Lauterkeitsrecht und den Grundfreiheiten – nur wenige Urteile des EuGH die Auslegung der Richtlinie erhellten. Vgl. insoweit noch die Nachweise in den folgenden Fußnoten. 79 Richtlinie 97/55/EG vom 6. Oktober 1997 über vergleichende Werbung, ABl. EG L 290 v. 23.10.1997, 18, die zu einer insoweit veränderten konsolidierten Fassung der Irreführungs-RL führte. 80 S. dazu grundlegend Ohly/Spence, The Law of Comparative Advertising: Directive 97/55/ EC in the United Kingdom and Germany, Oxford 2000; in der Kommentarliteratur ausführlich Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 12 ff. mwN. 81 So nunmehr EuGH, Rs. C-44/01 (Pippig), o. Fn. 77; hierzu Ohly, GRUR Int. 2003, 641 ff.; Sack, GRUR 2004, 89 ff. 82 Zu dem Streit um das Verhältnis der abschließend geregelten Zulässigkeitsvoraussetzungen vergleichender Werbung zur weiterhin lediglich im Sinne eines Mindeststandards geregelten allgemeinen Irreführung in Fällen irreführender vergleichender Werbung, s. nunmehr klärend EuGH (o. Fn. 77); Ohly, aaO.; Sack, aaO. 83 S. zu dieser berechtigten Kritik bereits inhaltlich-privatrechtlicher Natur noch unten III 2 b (1) und öfter. 84 S. Art. 14 Lauterkeits-RL. 85 S. insoweit spezifisch kritisch Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1039 f.
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Der vorstehend geschilderte Ansatz einer lauterkeitsrechtlichen Minimalharmonisierung – wie er nun paradoxerweise, ohne über Binnenmarktklauseln mit den Bedürfnissen des Binnenmarkts zu Ausgleichung gebracht zu sein, ausgerechnet im Bereich des Schutzes Gewerbetreibender vor irreführender Werbung seine Gültigkeit behält, während im verbraucherschützenden Lauterkeitsrecht die Lauterkeits-RL künftig in weiten Bereichen die punktgenaue Angleichung des Rechts der Mitgliedstaaten erstrebt86 – erscheint unter der integrationspolitischen Perspektive des Binnenmarkts insbesondere deshalb wenig hilfreich, um nicht zu sagen problematisch87, weil die ganz überwiegende Mehrzahl der Mitgliedstaaten internationalprivatrechtlich bezüglich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Ergebnis das Recht des Marktortes anwenden (Marktortprinzip) und damit aus der Sicht grenzüberschreitender Werber das Recht all derjenigen (Empfangs-)staaten anwendbar ist, wo die wettbewerblichen Interessen kollidieren, d.h. für unsere Thematik all jener Orte, wo eine Marketing-Maßnahme substantiell88 auf die Marktgegenseite einwirkt89; jeder Mitgliedstaat sucht also 86
Vgl. näher unten III 2 e (4) (a). Der Problemkreis des inneren Zusammenhangs von Vervollkommnung des Binnenmarkts und internationalem Privatrecht kann hier – angesichts des anders gelagerten Schwerpunkts der Untersuchung – nicht annähernd erschöpfend behandelt werden, ist aber an anderer Stelle ausführlich behandelt worden. Vgl. für weiterführende Nachweise statt vieler schon Schricker, GRUR Int. 1990, 112, 114 f.; Drexl, European Business Law Review 2002, 557, 567 f.; Remien, CMLRev. 2001, 53, insbes. 63 ff.; Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 ff., sowie im übrigen auch die Nachweise bei Leistner, in: Drexl/Kur (ed), Intellectual Property and Private International Law, S. 177 ff., sowie Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 75 ff., und noch die Überlegungen unten II 2 zur Parallelproblematik im Rahmen des sekundärrechtlichen Verbraucherschutzes im engeren Sinne. 88 Für das deutsche Recht findet sich ein solches Substantialitätskriterium angedeutet in BGH GRUR 1971, 153, 154 (Tampax). 89 Ständige Rechtsprechung für das deutsche Recht zuerst formuliert in BGHZ 35, 329 (Kindersaugflasche), zuletzt in BGH GRUR 1998, 419, 420 (Gewinnspiel im Ausland) und auch auf Grundlage des reformierten EGBGB jedenfalls im Ergebnis weiterhin gültig, vgl. dazu etwa MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 82 ff.; Palandt-Heldrich, Art. 40 EGBGB Rz. 11; Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 75; Mankowski, GRUR Int. 1999, 909; Sack, WRP 2000, 269, 272. S. für rechtsvergleichende Aussagen zuletzt etwa die Stellungnahme des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht, Stellungnahme der 2. Kommission des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht zum Vorentwurf eines Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, abrufbar unter http://europa.eu. int/comm/justice_home/news/consulting_public/rome_ii/deutscher_rat_internat_privatrecht_de.pdf (besucht am 14. 1. 2006), S. 25 ff. mwN. Mit Art. 5 Abs. 1 der neuen „Rom II“-Verordnung würde das Marktortprinzip künftig auch Grundlage des europaweit vereinheitlichten IPR in diesem Bereich, vgl. dazu (grundsätzlich zustimmend und mit Kritik an den Details der Regelung) die Stellungnahmen Leistner, in: Drexl/Kur (ed), Intellectual Property and Private International Law, S. 177 ff.; Leistner, in: Basedow/Drexl/Kur/Metzger, Intellectual Property in the Conflict of Laws, S. 129 ff., jeweils mwN. S. insgesamt für besonders ausführliche und aktuelle Darstellungen in der Kommentarliteratur zuletzt Fezer-Hausmann/Obergfell, Einl I, Rz. 1 ff. (unter Einbeziehung rechtsvergleichender Aspekte, s. aaO., Rz. 67 ff.); MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 1 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen: dort auch (aaO.), Rz. 77 ff., zum Vorschlag der Kommission vom 22. Juli 2003 für eine Verordnung über das auf außervertrag87
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
– vereinfacht formuliert – mit Hilfe seines nationalen Rechts die Abnehmer und Mitbewerber auf seinem Markt zu schützen90, ganz gleich, ob die Werbung von in- oder ausländischen Anbietern oder Medien stammt91. Mögen das Kriterium der Substantialität oder Spürbarkeit (oder die vermeintlich mehr subjektiven Konzeptionen der spezifischen Zielrichtung einer Werbung92) insoweit genügen, um die sogenannten Spill-over-Fälle, in denen eine Werbung unbeabsichtigt aufgrund der zunehmend internationalisierten Streuung der Medien (zumal des Internet) nicht eingeplante „Nachbarmärkte“ mit erreicht, so bleibt es doch bei der „Mosaik“-Problematik für Fälle echter grenzüberschreitender Multistate-Werbung im Binnenmarkt, in denen sich der Gewerbetreibende den rechtlichen Maßstäben sämtlicher nationaler Wettbewerbsrechtsordnungen ausgesetzt sieht und sich damit im Ergebnis – nach Aufwendung beträchtlicher Rechtsermittlungskosten – nach der strengsten Rechtsordnung richten müßte93. Eine Minliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht („Rom II“), Dok. KOM(2003) 427 endg. (im folgenden „Rom-II“-Verordnungsvorschlag) mit einer weiterführenden Erklärung der Anordnung des Marktortprinzips (statt eines kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzips) auf Grundlage des Anspruchs universeller Geltung der künftigen „Rom-II“-Verordnung auch im Verhältnis zu Unternehmern aus Drittstaaten, bezüglich derer ein Herkunftslandprinzip ohnedies nicht in Betracht kommt und mit einer Begründung, warum auch innerhalb des Binnenmarkts richtigerweise grundsätzlich an der Kollisionsregelung des Marktortprinzips festzuhalten ist. 90 Diese Tendenz der Mitgliedstaaten, in erster Linie ihre eigenen Verbraucher und Abnehmer zu schützen, ist übrigens – gewissermaßen als Umkehrung des hier im Mittelpunkt stehenden Problems – dann prompt auch im Zusammenhang mit den Binnenmarkt- oder Herkunftslandklauseln der neueren Richtlinien nicht unproblematisch. Denn angesichts der fehlenden Harmonisierung der Durchsetzung mag – trotz des erreichten Harmonisierungsstandes im materiellen Recht – zwar kein materiell-rechtliches „race to the bottom“ drohen, wohl aber ein Durchsetzungsdefizit in Fällen reinen Exportwettbewerbs, vgl. dazu Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 168 ff. sowie näher auch unten II 2. 91 S. Schricker, aaO., 114. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß selbst die britischen Selbstkontrollorganisationen, die sich doch im Rahmen der European Advertising Standards Alliance (EASA) im Rahmen einer Art Clearing-Systems dazu verpflichtet haben, die Bearbeitung von Beschwerden betreffend eine bestimmte Werbemaßnahme grundsätzlich den einschlägigen Selbstkontrollorganisationen des Herkunftsstaats zu überlassen, in ihrer ständigen Praxis die Zuständigkeitsabgrenzung nicht beachten und grundsätzlich ihren eigenen Abnehmermarkt schützen, gleichgültig, woher eine Werbemaßnahme stammt. Vgl. zum ganzen Jergolla, Die Werbeselbstkontrolle in Großbritannien, S. 12 ff. 92 In der Praxis führen das (mehr subjektive) Kriterium der Zielrichtung und das (mehr objektive) Kriterium der Spürbarkeit zu weitgehend identischen Ergebnissen, vgl. dazu (bezogen auf Internet-Marketing) Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 78 ff. mwN. S. neuestens mit einer nuancierten Darstellung und ausführlichen Kritik beider Kriterien als unzureichend MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 122 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 93 S. zu diesem sattsam bekannten Problem nur Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 76 ff., sowie ausführlich zuletzt MüKoDrexl, IntUnlWettbR, Rz. 118 ff., mit umfassenden weiteren Nachweisen, der ebenfalls die Kriterien der Spürbarkeit oder Finalität (in ihren sämtlichen unterschiedlichen Erscheinungsformen) zur Lösung der echten multistate-Fälle für unzureichend erachtet und auf die unerläßliche Notwendigkeit von Hilfskriterien verweist, die ihrerseits am (objektiven) Leitkriterium der Eignung zur Förderung des Absatzes von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen im In-
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destregulierung in einer Richtlinie94 ist insoweit für den Werbetreibenden insbesondere dann nicht hilfreich, wenn nicht zugleich durch Anordnung des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung im Sinne einer Binnenmarkt- oder Herkunftslandklausel95 der Freiverkehr seiner im Ursprungsland legalen Werbung trotz überschießenden Schutzes im Empfangsland sichergestellt wird96; insoweit blieb dem Werbenden dann in der Vergangenheit lediglich die Hoffnung auf die EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten im überschießenden Bereich, die in der Folge prompt entscheidende Bedeutung im IrreführungsBereich erlangt hat97. Inwieweit künftig die Umsetzung der – nunmehr für das verbraucherschützende Lauterkeitsrecht einem Konzept der Vollharmonisierung folgenden und daher nicht an dieser Stelle behandelten – neuen LauterkeitsRichtlinie (zumindest im lauterkeitsrechtlichen B2C-Teilbereich) Abhilfe schaffen kann, wird abzuwarten sein98. (2) Rechtsangleichung im Verbrauchervertragsrecht Insbesondere hinsichtlich ihrer ursprünglich rein minimalharmonisierenden Konzeption, läßt sich die Irreführungs-Richtlinie (trotz des zu Recht übergreifenden Anwendungsbereichs), durchaus als Ursprungspunkt der Tradition verbraucherschützender Mindestharmonisierung zuordnen, in deren Folge dann die zahlreichen bereichsspezifischen Verbraucherschutz-Richtlinien des europäischen land in erheblicher Weise auszurichten sind; ähnlich Harte/Henning-Glöckner, Einl C, Rz. 91: objektive Marktauswirkung entscheidend. 94 Übrigens ist dieselbe Problematik sogar im Falle „punktgenauer“ Rechtsangleichung angesichts der gänzlich unterschiedlichen Rechts- und Auslegungstraditionen in den Mitgliedstaaten und angesichts der durchaus nicht konsequenten Vorlagepraxis nationaler Gerichte – mindestens für lange Übergangsperioden – selbst dann nicht von der Hand zu weisen, wenn „punktgenaue“ Harmonisierungsmaßnahmen keine Binnenmarktklausel enthalten. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist die Streichung der Binnenmarktklausel in der letztgültigen Fassung der Lauterkeits-Richtlinie nicht ganz unproblematisch, s. noch unten b (2) (b). 95 Die Begriffe werden synonym verwendet. Zum notorischen Streit um den Rechtscharakter derartiger Klauseln vgl. noch unten b (2). 96 Unter diesem Aspekt ist für die Mindestschutz-Richtlinien mittlerweile sogar das Vorliegen der Kompetenz der Gemeinschaft, auf Grundlage von Art. 95 derartige Maßnahmen zu erlassen, in Frage gestellt. Denn in der Entscheidung zur Tabakwerbe-Richtlinie (o. Fn. 52), Rz. 104, stellt der Gerichtshof fest, daß eine Harmonisierungsmaßnahme, die lediglich Mindeststandards festlegt, ohne durch Anordnung eines Herkunftslands- oder Binnenmarktprinzips den freien Verkehr der diesen Mindeststandards entsprechenden Waren oder Dienstleistungen in der Gemeinschaft sicherzustellen, schon prinzipiell nicht zum verbesserten Funktionieren des Binnenmarkts beitragen kann. Vgl. dazu schon Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 796 ff.; betreffend die Verbraucherschutz-Richtlinien im engeren Sinne noch sogleich unten (2) mwN. 97 Freilich läßt diese wiederum – übrigens gleichermaßen wie die sekundärrechtlichen Herkunftslandregeln – die Anbieter aus Drittstaaten vollkommen außer acht und benachteiligt sie im Ergebnis unvermeidbar erheblich (s. Drexl, Revue Internationale de Droit Economique 2002, 405, 432 f.). 98 Vgl. dazu noch unten b (2) (b).
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Sekundärrechts verabschiedet wurden99, die sich hauptsächlich dem Verbrauchervertragsrecht widmeten100, jedoch dabei – insbesondere im Falle der späteren Richtlinien – hinsichtlich des Regelungsgehalts weit über die Anordnung individuell vertragsbezogener Instrumente hinaus, häufig auch das Vorfeld der individualisierten Vertragsanbahnung durch allgemein marktordnungsbezogene Verkehrssicherungspflichten (insbesondere Informationspflichten) regulierten und mithin – in einem pragmatisch-problembezogenen, weiten Vertragskonzept verwurzelt – in den angestammten Bereich des Lauterkeitsrechts gewissermaßen „nach vorn“ hineinwuchsen101. Punktuell wurden auf diese Weise seit 1985 branchenübergreifend der Haustürkauf durch die Haustürgeschäfte-Richtlinie102, der Fernabsatz durch die Fernabsatz-Richtlinie103 (später auch ergänzt bezüglich des zuerst ausgenommenen Fernabsatzes von Finanzdienstleistungen durch die FernabsatzFinDL-RL104), die Verwendung von AGB durch die Klausel-Richtli-
99 War zunächst „pragmatisch“ auf Grundlage des damaligen Art. 100 vorgegangen worden, so fand sich seit der EEA mit dem damaligen Art. 100a Abs. 3 (jetzt Art. 95 EG) und der Verpflichtung auf ein „hohes Verbraucherschutzniveau“ auch im Rahmen der Binnenmarktkompetenz des Vertrags ein entsprechender Anhalt für verbraucherrechtliche Rechtsangleichung, s. statt aller Drexl, Selbstbestimmung, S. 46 ff.; Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 17 ff. jeweils mwN. Vgl. zu den immanenten Grenzen des Art. 95 EG, wie sie nunmehr durch die Entscheidung des EuGH zur Tabakwerbe-Richtlinie (o. Fn. 52) verdeutlicht wurden (und wie sie die Kompetenz der Gemeinschaft, auf Grundlage von Art. 95 Mindestregelungen des Verbraucherschutzes zu erlassen durchaus zweifelswürdig erscheinen lassen) jedoch noch unten bei Fn. 123. S. zu den Grenzen des Art. 95, die bezüglich der frühen Richtlinien auf Grundlage des damaligen Art. 100 durchaus zu Zweifeln am Vorliegen der Kompetenzvoraussetzungen Anlaß geben, im übrigen nur Oppermann, Europarecht, § 18, Rz. 10 ff. (S.380 ff.), und (kritisch bezüglich der Verbraucherschutzrichtlinien) auch Rz. 32, sowie schließlich § 29, Rz. 50 ff. (S. 620 ff.) mit einem kurzen Abriß der Verbraucherschutzaktivitäten der Gemeinschaft. 100 Dem thematischen Zuschnitt der Untersuchung entsprechend erfolgt an dieser Stelle keine Untersuchung derjenigen Verbraucherschutz-Richtlinien, die sich als hauptsächlich integritätsbezogen (dem Schutz sonstiger (Integritäts-)interessen des Verbrauchers dienend) zuordnen ließen, wie dies insbesondere bei der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. EG Nr. L 210 v. 7.8.1985, S. 29 ff. (im folgenden: Produkthaftungs-Richtlinie) der Fall ist. 101 Vgl. zum Konzept eines weitreichenden vertraglichen Regelungskontinuums im europäischen Recht, dessen einheitliche Tatbestände und Pflichten sich – anders als das deutsche Vertragsrecht – im Vorfeld des Vertrags bis in die Phase des (noch nicht individualisierten) Marketings erstrecken und zudem – anders als grundsätzlich das deutsche Lauterkeitsrecht – auch die nachvertragliche Phase mit umfassen, Micklitz, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 189, 196 ff.; ders./Keßler, GRUR Int. 2002, 885, 890 f.; Reich, EuZW 1997, 581, 582. S. eingehend zum ganzen noch unten III 2 c und d. 102 Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. EG Nr. L 372 v. 31.12.1985, 31 ff. (im folgenden: Haustürgeschäfte-RL). 103 Richtlinie 97/7/EG v. 20. 5. 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, Abl. L 144 v. 4.6.1997, 19 ff. (im folgenden Fernabsatz-RL). 104 S. o. 1.Kap. 3.Abschn. Fn. 96.
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nie105 sowie geschäftsspezifisch der Verbraucherkreditvertrag durch die Verbraucherkredit-Richtlinie106, das Pauschalreisegeschäft durch die Pauschalreise-Richtlinie107, das Time-Sharing-Geschäft durch die Time-Sharing-Richtlinie108 und schließlich – als mit Abstand bedeutsamster Einbruch in das System mitgliedstaatlichen Vertragsrechts – die Gewährleistung und die Einzelheiten von Garantien im Verbrauchsgüterkauf durch die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie109 geregelt. Fast ausnahmslos geht es im Lichte des hier zugrundegelegten Vier-Ebenen-Modells um Regelungen im Bereich der ersten zwei Ebenen, mithin des Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage und des ungehinderten Entscheidungsprozesses des Verbrauchers110. Situationsbezogen stehen dabei bestimmte strukturelle Gefährdungslagen, nämlich besondere Vertriebssituationen (im Falle der Haustürgeschäfte-Richtlinie und der FernabsatzRichtlinien), bestimmte besonders komplexe Verträge (im Falle der Verbraucherkredit-, der Pauschalreise- und der Time-Sharing-Richtlinie) sowie eine Sondersituation vorvertraglicher Informationsasymmetrie, die im hier entwickelten Vier-Ebenen-Modell der ersten Ebene – des Schutzes der Entscheidungsgrundlage – zuzuordnen wäre (im Falle der Klausel-Richtlinie), im Mittelpunkt. Aus diesem Rahmen fällt – trotz aller Versuche, sie in einem Informationsmodell im Sinne einer impliziten Standardisierung vorvertraglicher Information durch Standardisierung der Haftung (und damit in der ersten der hier vorgeschlagenen vier Ebenen) zu begründen111 – mindestens zum Teil die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, die unmittelbar durch zwingende Standardisierung des Vertragsinhalts (und damit noch über die rein nega105
S. o. 1.Kap. 3.Abschn. Fn. 102. Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. EG Nr. L 42 v. 12.2.1987, 48 ff. in der durch die Richtlinie 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Änderung der Richtlinie 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. EG Nr. L 101 v. 1.4.1998, geänderten Form (im folgenden: Verbraucherkredit-RL). Vgl. für die aktuellen Reformbemühungen der Kommission in diesem Bereich den (mehrfach) Geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbraucherkreditverträge und zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 7.10.2005, Dok. KOM (2005) 483 endg. 107 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. EG Nr. L 158 v. 23.6.1990, S. 59 ff. (im folgenden: Pauschalreise-RL). 108 Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABl. EG Nr. L 280 v. 29.10.2004, S. 83 ff. (im folgenden: Time-Sharing-RL). 109 S. o. 1.Kap. 1.Abschn. Fn. 438. 110 Mit einem tendenziell informationstheoretischen Verständnis des europäischen Verbraucherschutzrechts auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 62 f.; Grundmann, JZ 2000, 1133 ff.; Grundmann/Kerber/Weatherill (eds.), Party Autonomy and the role of Information in the Internal Market, 2001. S. zuletzt wiederum Grundmann, JZ 2005, 860, 865 f. 111 S. etwa Riesenhuber, Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (eds.), Party Autonomy, S. 348 ff.; ähnlich Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 52 f.; teilweise zustimmend auch Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771, 778 f.; dann etwas skeptischer ders., Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 800 f. Vgl. eingehend zum ganzen aus der Sicht des Gesamtsystems Vertragsrecht/Wettbewerbsrecht noch unten III 2 e (dort insbesondere unter (3)). 106
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
tive Kontrolle der Klausel-Richtlinie hinausgehend) den mit Abstand wesentlichsten Typenvertrag mit zwingendem Recht überformt112. Während aus der Sicht des hier behandelten Themas die vertragsspezifischen Regelungen der Verbraucherkredit-, Pauschalreise- und Time-Sharing-Richtlinie von geringerem Interesse sind, werden unter inhaltlichem Blickwinkel insbesondere die vertriebsbezogenen Richtlinien, teils auch die Klausel-Richtlinie und im übrigen die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zumal auch mit Blick auf die in ihr – neben der vorerwähnten Standardisierung der Gewährleistung – außerdem enthaltene Standardisierung der Garantie-Informationen in ihrem Verhältnis zum lauterkeitsrechtlichen Rahmen des Verkehrssystems zu untersuchen sein (s. sogleich unten III). Zuvor jedoch soll an dieser Stelle noch die künstlich verengte Binnenmarktperspektive den Blick auf die Verbraucherschutz-Richtlinien bestimmen.
Unter der in diesem Teil der Studie zunächst schwerpunktmäßig zugrundegelegten Perspektive des Abbaus von Handelshemmnissen im Binnenmarkt, ist festzuhalten, daß die Verbraucherschutz-Richtlinien – mit Ausnahme der FernabsatzFinDL-Richtlinie neueren Datums (welch letztere dann aber immerhin noch bezüglich der enthaltenen Auskunftspflichten weiterhin überschießende mitgliedstaatliche Regelungen zuläßt113) – sämtlich wiederum lediglich Mindeststandards festlegten114, den Mitgliedstaaten also ausdrücklich gestatten, über das in den jeweiligen Richtlinien geforderte Schutzniveau weiterhin hinauszugehen115. Das sich daraus für den Binnenmarkt ergebende Problem folgt wiederum aus dem paradoxen Zusammenspiel mit dem einschlägigen europäischen Kollisionsrecht in diesem Bereich116. Tatsächlich bestimmt Art. 5 EVÜ als europaweit einheitliche Kollisionsnorm für den Bereich der Verbraucherverträge117, daß die zwingenden Vorschriften des Rechts des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrau112 Mit einer grundlegenden Kritik aus der Sicht des deutschen Rechts Canaris, AcP 200 (2000), 273, 362 ff., dessen diesbezüglichen Thesen auch die hier angestellten (insgesamt vorsichtig freundlicheren) Überlegungen zu einem Funktionswandel des Privatrechts entscheidendes verdanken. Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 124 ff. spricht in diesem Zusammenhang kritisch von „positiv zwingendem Recht“. S. näher auch unten III 2 e (3). 113 S. Art. 4 FernabsatzFinDL-Richtlinie. Da die FernabsatzFinDL-Richtlinie im übrigen keine ausdrückliche Minimalklausel enthält, können die Mitgliedstaaten im übrigen keine strengeren Kriterien einführen, s. EuGH Rs. C-183/00 (María Victoria González Sánchez), Slg. 2002, I-3901 (betreffend die Produkthaftungs-RL). 114 S. Art. 8 Haustürgeschäfte-Richtlinie, Art. 14 Fernabsatz-Richtlinie, Art. 8 KlauselRichtlinie, Art. 8 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie sowie auch in den branchenspezifischen Art. 8 Pauschalreise-Richtlinie, Art. 15 Verbraucherkredit-Richtlinie und Art. 11 Time-SharingRichtlinie. 115 Ganz hM, vgl. statt aller Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 41 mwN.; a. A. nur Grundmann (o. Fn. 77, ebenda auch zur Widerlegung dieser Ansicht mit eindeutigen Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH). 116 S. Drexl, in: Grundmann/Stuyck (eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103, 107 f. 117 Zu achten ist aber auf die leichten Unstimmigkeiten des jeweiligen Verbraucherbegriffs, der sowohl zwischen den einzelnen Richtlinien (insbesondere im Verhältnis zur E-CommerceRichtlinie, vgl. zum Problem auch noch u. 4. Kap. 2. Abschn. A II) als auch im Verhältnis zum EVÜ in Einzelheiten divergiert, s. hierzu u.a. Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 40 ff.
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chers in den allermeisten Fällen118 auch internationalprivatrechtlich zwingend angeknüpft werden, d.h. insbesondere auch nicht durch Rechtswahl abbedungen werden können119. Damit werden aber – aus Sicht der Grundfreiheiten120 – zwingend angeknüpfte Verbraucherschutzvorschriften zu potentiellen Handelshemmnissen, die es durch europäisches Sekundärrecht auf Grundlage von Art. 95 zu beseitigen gälte121. Nun mögen die einschlägigen Verbraucherschutz-Richtlinien eine gewisse Annäherung des ursprünglich durch ganz erhebliche Unterschiede gekennzeichneten mitgliedstaatlichen Verbraucherschutzniveaus mit sich gebracht haben, zum Funktionieren des Binnenmarkts tragen sie jedoch strukturell wenig bei, solange die Mindestklauseln der einschlägigen Richtlinien aufgrund des Fehlens eines Binnenmarkt- oder Herkunftsstaatprinzips den grenzüberschreitenden Anbieter potentiell an das strengere Verbraucherschutzniveau zwingenden Rechts im gewöhnlichen Aufenthaltsstaat des Verbrauchers gebunden halten. Für die Verbraucherschutz-Richtlinien in der Tradition der Mindestharmonisierung muß 118 Lediglich der „aktive Verbraucher“, der selbständig – also nicht im Rahmen einer vom Verkäufer zu Verkaufszwecken veranstalteten Fahrt, s. insoweit nämlich Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 3 EVÜ – ins Ausland gereist ist, wäre nach dem EVÜ innerhalb des gemeinsamen Marktes (im Verhältnis zu Drittstaaten enthalten die jeweiligen Verbraucherschutz-Richtlinien nämlich ihrerseits kollisionsrechtliche Klauseln, die das europarechtliche Verbraucherschutzniveau – solange nur eine öffentliche Werbung im EWR vorausging oder der Verbraucher bei Abgabe seiner Willenserklärung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EWR-Mitgliedstaat hatte – auch im Verhältnis zu Drittstaaten durchsetzen, vgl. etwa Art. 29a EGBGB) nicht geschützt. S. aber betreffend die Zuständigkeit sogar insoweit nunmehr die bemerkenswert weitgehende Formulierung in Art. 15 Abs.1 Nr. 3 EuGVO und dazu Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 121. Vgl. insgesamt zum kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz Backert, Kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz, 2000; Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), aaO., Rz. 109 ff.; Grundmann, IPRax 1992, 1 ff.; ders., Europäisches Schuldvertragsrecht, Rz. 200; Leistner, Verbraucher- und Kundenschutz, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 665, Rz. 57 ff.; Mankowski, RIW 1993, 453 ff.; Mankowski, RIW 1998, 287 ff.; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 234 ff. 119 Der aktuelle Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“-Verordnungsvorschlag), Dok. KOM(2005) 650 endg. v. 15.12.2005, den die Kommission am 21.12.2005 angenommen hat und der das EVÜ ersetzen soll, würde mit der neuen Regelung des auf Verbraucherverträge anwendbaren Rechts in Art. 5 „Rom-II“-Verordnungsvorschlag an diesem Problem nichts grundlegendes ändern, wenn auch nunmehr insgesamt das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers (also nicht nur dessen zwingende Vorschriften, was immerhin die Entstehung der komplexen Mixtur anwendbaren Rechts aus dispositiven Vorschriften [des Unternehmerrechts] mit zwingenden Vorschriften des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers verhindern mag, s. „Rom-I-Verordnungsvorschlag, Begründung, S. 6 f.) zwingend auf Verbraucherverträge anwendbar sein soll, vgl. auch noch unten 2. 120 Vgl. zur Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten im Verhältnis zu zwingendem Vertragsrecht noch sogleich unten b (1) (b). 121 Prompt wurden auch gerade diejenigen Sachnormen, die nach Art. 5 EVÜ zwingend angeknüpft werden in ihrem Kernbestand durchweg zum Gegenstand gemeinschaftsrechtlicher Angleichungsmaßnahmen (so zutreffend Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, Rz. 79), wenngleich diese Angleichungsmaßnahmen dann im Ergebnis kaum geeignet waren, effektiv zum Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen (vgl. dazu sogleich im folgenden Text).
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
daher nach derzeitigem Stand wegen des EuGH-Tabakwerbe-Urteils122 sogar die Kompetenz der Gemeinschaft bezweifelt werden123, solange diese keine „punktgenaue“ Harmonisierung vorschreiben124 oder sich die verbraucherrechtliche Kollisionsregel des Art. 5 Abs. 2 EVÜ nicht ändert125. Als vergleichendes Kurzfazit ist festzuhalten, daß – gleichgültig ob man insoweit ohnedies eine einheitliche Mischkategorie europäischen Verbraucherrechts annehmen will, wofür gute Gründe sprechen – die Irreführungs-Richtlinie und die ihr folgenden Verbraucherschutz-Richtlinien in der Tradition der Mindestharmonisierung jedenfalls hinsichtlich ihrer Binnenmarktfunktionalität einander entsprechen. Als bloße Mindestvorschriften ist ihnen gemeinsam, daß sie das Niveau des (gleich ob lauterkeitsrechtlichen oder vertragsrechtlichen) Verbraucherschutzes in der Gemeinschaft auf einen gewissen Mindeststandard gehoben haben, ohne aber signifikante Beiträge zum Abbau von Handelsschranken in der Gemeinschaft zu leisten. Denn da die Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Richtlinien strengere Bestimmungen des nationalen Rechts im jeweils harmonisierten Bereich beibehalten oder auch neu einführen konnten – die sich aus europarechtlicher Sicht typischerweise als Maßnahmen gleicher Wirkung im Sinne der „Dassonville“-Rechtsprechung darstellten –, waren insoweit positive Effekte für den Binnenmarkt auf Grundlage des geltenden Kollisionsrechts allenfalls in geringem Ausmaß zu erwarten126. Dies war naturgemäß genau deshalb (und damit auch 122
S. o. Fn. 52. So zu Recht Drexl, aaO.; ders., in: Grundmann/Stuyck (eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103, 107 ff. Zweifel an der weiter gültigen Kompetenzgrundlage für die ergangenen Verbraucherschutz-Richtlinien äußern auch Spaventa, Consumer Protection (unveröffentlichtes Skript), 2003; Roth, Schuldrechtsreform im Kontext des Europarechts, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 225, 231 ff.; ders., JZ 2001, 475, 477; dagegen Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 33 f.; Reich, RabelsZ 66 (2002), 531. Der EuGH scheint bisher eine pragmatische Haltung einzunehmen, hat jedenfalls vor dem Tabakwerbe-Urteil die Kompetenz der Gemeinschaft zum Erlaß der Verbraucherschutz-Richtlinien nie in Frage gestellt (s. nur Rs. 382/87 (Buet), Slg. 1989, 1235 oder Rs. C-410/96 (Ambry), Slg. 1998, I-7875, vgl. insoweit aber auch zu Recht der rechtspolitische Hinweis bei Weatherill, Consumer Protection, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (eds.), Party Autonomy, S. 173, 190 f., daß die Frage ohnehin erst mit Einführung der qualifizierten Mehrheit in Art. 100a (jetzt Art. 95 EG) virulent wurde, da die zuvor auf Grundlage von Einstimmigkeit ergangenen Richtlinien ohnedies den Kompromißwillen sämtlicher Mitgliedstaaten widerspiegelten) und läßt auch in der nach dem Tabakwerbe-Urteil ergangenen Entscheidung EuGH Rs. C183/00 (María Victoria González Sánchez), Slg. 2002, I-3901 (dort in der Hauptsache zur Frage der Zulässigkeit strengerer Standards falls eine Mindestklausel – wie in der ProdukthaftungsRichtlinie – fehlt) in einem obiter dictum (EuGH, aaO., Rz. 23 und 27) keine Zweifel an der Gültigkeit der in der Tradition der Mindestharmonisierung stehenden Klausel-Richtlinie erkennen. 124 Zu den selbst dann begründeten Zweifeln, ob Richtlinien ohne Binnenmarktklausel je eine derart vollständige Harmonisierung erreichen können, daß damit für Anbieter im Binnenmarkt Rechtssicherheit gewährleistet wäre, schon o. Fn. 94. 125 Jedenfalls nach dem aktuellen „Rom-I“-Verordnungsvorschlag der Kommission ist eine derart grundlegende Änderung des Kollisionsrechts aber nicht zu erwarten, s. schon o. Fn. 119 sowie auch noch unten 2. 126 Damit ergibt sich zugleich als ein erstes (Neben-)ergebnis der vergleichenden Zusam123
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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genau solange und soweit) praktisch unproblematisch – wenngleich, wie das Tabakwerbe-Urteil belegt hat, mit Blick auf die Regelungskompetenz der Gemeinschaft zweifelswürdig –, wie die Tradition der Mindestharmonisierung hinsichtlich der Vollendung des Binnenmarkts (zumindest im Lauterkeitsrecht) komplementär durch die binnenmarktorientierte Rechtsprechung des EuGH bedingt und ergänzt wurde; zugleich entstand Handlungsbedarf, sobald erste Anzeichen (wenngleich nach der hier vertretenen Auffassung zu unrecht) fürchten ließen, der EuGH könnte künftig seine diesbezügliche Rolle weniger umfassend wahrnehmen als bisher. Um diesen inneren Zusammenhang zwischen der Rechtsprechung des Gerichtshofs und der Tätigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers soll es im folgenden gehen. b. Die binnenmarktkomplementäre Entwicklung: „Negative“ Harmonisierung durch den EuGH und Binnenmarktharmonisierung durch den europäischen Gesetzgeber (1) „Negative“ Harmonisierung im Rahmen der Dassonvilleund Cassis-Doktrin bis Keck (a) Lauterkeitsrecht Nachdem der EuGH mit der weiten Fassung des Beschränkungsverbots in der Dassonville-Entscheidung127 zuerst den Weg geebnet hatte, um Bestimmungen mitgliedstaatlichen Lauterkeitsrechts in grenzüberschreitenden Sachverhalten umfassend am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit128 zu messen – und damit die Vollendung bzw. das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes soweit mög-
menschau von Lauterkeits- und Vertragsrecht, daß eine bloße Vereinheitlichung des Kollisionsrechts (wie sie ja im Verbrauchervertragsrecht bereits erreicht ist) für den Bereich des unlauteren Wettbewerbs (wo sie nunmehr im Rahmen der Rom II-VO (o. Fn. 89) geplant ist) nicht genügen wird, um das Funktionieren des Binnenmarkts im Falle genuin grenzüberschreitender Tätigkeit zu sichern. Es müßte denn schon eine ganz bestimmte Vereinheitlichung des Kollisionsrechts im Sinne einer Herkunftslandregel bzw. Rechtswahlfreiheit (mindestens in der besonders problematischen Fallgruppe des Multi-State-Wettbewerbs) sein, die dann ihrerseits Harmonisierungsdruck schafft. Vgl. ähnlich auch Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, S. 292 ff. (für das Wettbewerbsrecht); Grundmann, NJW 2000, 14, 17 (für das Verbrauchervertragsrecht, bei Grundmann im Rahmen seiner eigenständigen Terminologie als zwingendes Recht des Unternehmensgeschäfts bezeichnet). S. zum ganzen aber auch unten 2. 127 EuGH Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, S. 837, Rz. 5. 128 Mittlerweile ist das weite Verständnis des Beschränkungsverbots im Zuge einer nicht mehr zu übersehenden Konvergenzbewegung in der Rechtsprechung zu den einzelnen Grundfreiheiten auch übertragen worden auf die Dienstleistungsfreiheit (s. nur EuGH Rs. C-275/92 (Schindler), Slg. 1994, 1039; EuGH Rs. C-384/93 (Alpine Investments), Slg. 1995, I-1141), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (s. nur EuGH Rs. C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921) und die Niederlassungsfreiheit (s. nur EuGH Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165). Vgl. zum ganzen statt aller die hervorragende Darstellung im Casebook von Craig/de Burca, EU Law, S. 613 ff, 701 ff., 765 ff.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
lich abzusichern –, gestattete ihm in der Folge die Cassis-Doktrin129 – auf der zugegeben schmalen konzeptionellen Grundlage einer Art verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips130 – unter den Rechtfertigungskategorien des Verbraucherschutzes und des Schutzes der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs131 im Ergebnis Grundzüge eines gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeitsrechts zu entwikkeln. Auf die inhaltliche Charakteristik dieser Rechtsprechung wird gesondert (s. unten III) eingegangen; aus binnenmarktbezogener (integrationspolitischer) Sicht bleibt für den Augenblick festzuhalten, daß der Gerichtshof – außerhalb der ohnedies lediglich über Art. 30 EG zu rechtfertigenden Fälle unmittelbarer Diskriminierung – grundsätzlich das Prinzip gegenseitiger Anerkennung zum Maßstab für zulässige Beschränkungen kürte, welcher lediglich dann durchbrochen sein sollte, wenn zwingende Allgemeininteressen die nationale Regelung rechtfertigten. Dabei wurden die Aspekte des Verbraucherschutzes und des Schutzes der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs vom Gerichtshof häufig nicht sauber auseinandergehalten, gingen vielmehr – soweit eine Differenzierung nicht notwendig war – im Rahmen einer binnenmarktfunktionalen, institutionellen Betrachtung fließend ineinander über bzw. wurden häufig parallel angewendet132. Am Maßstab der Grundfreihei-
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EuGH Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, S. 649, Rz. 8 ff. Wie es in Fällen wie EuGH, Rs. 261/81 (Rau), Slg. 1982, S. 3961 oder EuGH Rs. C-470/93 (Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.V. v. Mars GmbH), Slg. 1995, I-1923 (Geeignetheit und Erforderlichkeit) und EuGH, Rs. 178/84 (Kommission . /.Deutschland), Slg. 1987, S. 1227 (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) für den Bereich des Verbraucherschutzes entwickelt wurde. Der Ansatz eines verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips ist in der deutschen Literatur von Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, dann in weitestmöglicher Weise verallgemeinert worden. 131 Die in Cassis neben den „Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle [und] des Schutzes der öffentlichen Gesundheit“ genannt wurden, wobei der EuGH in der Folge festgestellt hat, daß die Zusammenstellung der zwingenden Allgemeininteressen in Cassis nicht abschließend ist und diese auch in nachfolgenden Entscheidungen um zahlreiche weitere zwingende Interessen des Allgemeinwohls ergänzt hat. 132 Vgl. zutreffend etwa das Fazit bei Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, 2004, zusammenfassend S. 148. Man mag in der einheitlichen Perspektive auf Verbraucherschutzrecht und Fairneßschutz unter dem Leitgedanken eines übergreifenden Verhältnismäßigkeitsprinzips bereits einen gewissen empirisch-impliziten Beleg der institutionellen Untrennbarkeit von Verbraucherschutz und Mitbewerberschutz durch das Wettbewerbsrecht und Verbrauchervertragsrecht im europäischen Binnenmarkt sehen; inhaltlich wird die Komplementarität noch unten III 1 c und 2 c belegt. Zutreffend hat aber auch Beater, § 7, Rz. 61 ff., darauf hingewiesen, daß der Gerichtshof eine Trennung beider Aspekte genau dann vornimmt, wenn diese – weil aus interessenorientierter Sicht verbraucher- und mitbewerberbezogene Interessen in bestimmten Konstellationen auseinanderfallen – notwendig ist (wenn es etwa – wie in EuGH Rs. 182/84 (Miro), Slg. 1985, 3731 ff. – zwar nicht zu einer Verwechslungsgefahr auf Seiten der Verbraucher, wohl aber zu einer objektiven Wettbewerbsverzerrung kommt); ebenso Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl UWG, Rz. 3.28 mwN; zuletzt auch Glöckner, S. 148 mwN. S. im übrigen für das einheitliche Konzept im Sekundärrecht an dieser Stelle nur Beater, § 1, Rz. 67, der betont, daß sich im europäischen Recht mit dem Verbraucherschutzrecht eine Zwischenkategorie entwickelt hat, in der lauterkeits- und vertragsrechtlicher Verbraucherschutz miteinander verschmelzen. 130
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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ten133 gemessen wurde auf diese Weise (vor Keck) praktisch das gesamte mitgliedstaatliche Lauterkeitsrecht134; hinzu kam die weit weniger umfängliche135 Recht133 In der Folge wird zwischen den einzelnen Grundfreiheiten – in Betracht kommt neben der Warenverkehrsfreiheit in erster Linie die Dienstleistungsfreiheit – bewußt nicht kategoriell differenziert. Dies scheint angesichts der weitaus überwiegenden Bedeutung der Warenverkehrsfreiheit für unseren Untersuchungsbereich, sowie insbesondere auch in Anerkennung der zunehmenden Konvergenzbewegung in der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten, die sich insbesondere daran zeigt, daß nunmehr auch Art. 59 EG durch den Gerichtshof im weiten Sinne eines Beschränkungsverbots, welches gegebenenfalls der Rechtfertigung durch zwingende Allgemeininteressen bedarf, verstanden wird (s. o. Fn. 128 mwN), umso mehr vertretbar, als es in der Folge in erster Linie um die Grundkonzepte der Rechtsprechung gehen soll, während Details in anderen Darstellungen bereits hervorragend aufgearbeitet wurden (s. nur Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, 2001; Heermann, Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht, 2004; Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, 2001; Lettl, Irreführende Werbung, 2004; Lettl, GRUR Int. 2004, 85 ff.; Schmid, Freier Dienstleistungsverkehr und Recht des unlauteren Wettbewerbs, 2000; zuletzt auch die ausführliche Darstellung bei Glöckner, S. 81 ff., und seine Kommentierung bei Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 62 ff. (sämtlich mit Blick auf das Lauterkeitsrecht) sowie Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, 2003, mit Blick auf das Vertragsrecht). Hinzuweisen ist an dieser Stelle lediglich klarstellend darauf, daß die weitaus überwiegende Bedeutung der Warenverkehrsfreiheit in diesem Bereich darauf zurückgeht, daß der Gerichtshof die Waren- und die Dienstleistungsfreiheit selten kumulativ anwendet. Vielmehr wird eine nationale Maßnahme, die beide Grundfreiheiten berührt, grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Grundfreiheiten geprüft, sofern eine der beiden Freiheiten der anderen zugeordnet werden kann und ihr gewissermaßen akzessorisch untergeordnet ist. Dies ist insbesondere im Falle des Warenvertriebs mit Blick auf konkrete Absatzwerbung aber häufig der Fall, da dann die zugehörige (gewissermaßen akzessorische) kommerzielle Kommunikation, die für sich genommen die Dienstleistungsfreiheit beträfe, dem Hauptziel des Vertriebs von Waren untergeordnet ist, vgl. zuletzt etwa EuGH Rs. C71/02 (Herbert Karner ./.Troostwijk), Slg. 2004, I-3025, Rz. 45 ff. mwN. Daneben kommt eine für sich stehende Anwendung der Dienstleistungsfreiheit im wesentlichen lediglich dann in Betracht, wenn Werbemaßnahmen entweder von vornherein den Vertrieb von Dienstleistungen betreffen (so in EuGH Rs. C-384/93 (Alpine Investments), Slg. 1995, I-1141) oder wenn sie – wie beispielsweise im Fernsehen oder (seltener) im Internet – nicht unmittelbar akzessorisch zu einem konkreten Vertriebsziel sind, sondern sich vielmehr als allgemeine Produktwerbung darstellen, vgl. zuletzt z.B. EuGH Rs. C-429/02 (Bacardi ./.Télévision Francaise), Slg. 2004, I-6613, sowie die parallel ergangene Entscheidung EuGH Rs. C-262/02 (Kommission ./.Frankreich), Slg. 2004, I-6569 (betreffend die sogenannte Loi Evin, die die Fernsehwerbung für bestimmte alkoholische Getränke in Frankreich beschränkt). 134 So war es ja auch in der Tat die damit einhergehende, vollkommen ausufernde Belastung des Gerichtshofs mit entsprechenden Fällen, deren Bezug zum grenzüberschreitenden Handel häufig kaum mehr erkennbar war (man denke insbesondere an die zahlenmäßig sich häufenden Fälle zu mitgliedstaatlichen Ladenschlußregelungen, vgl. etwa Enchelmaier, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rz. 30 (S. 48 ff. mwN), die letztlich den EuGH bewogen, in Keck eine gewisse (grundsätzlich berechtigte, wenngleich in der Ausgestaltung letztlich nicht sachgerechte [s. dazu sogleich unten b (1) (c)]) Begrenzung des Beschränkungsverbots einzuführen. S. insoweit ausdrücklich EuGH Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6097, Rz. 14. 135 Vgl. auch die Beobachtungen bei Kraus, Zur verbraucherrechtlichen Rechtsprechung des EuGH, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluß im acquis, S. 29 ff. zu den Merkmalen der verbraucherrechtlichen Rechtsprechung des Gerichtshofs, die in der Tat bei der Auslegung der Richtlinien im Vergleich zur „kühnen“ Auslegung des EGVertrags häufig zurückhaltender ist, sowie aaO., S. 34 ff. auch zu den diesbezüglichen prozeßund verfahrensrechtlichen Zusammenhängen.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
sprechung zum Schutzmaßstab der Irreführungs-Richtlinie136. Bedarf nach sekundärrechtlicher Binnenmarktharmonisierung konnte auf dieser Grundlage kaum entstehen; die Rechtsprechung des Gerichtshofs besorgte verläßlich das Funktionieren des Binnenmarkts, wirkte lediglich in den durch zwingende Allgemeininteressen gerechtfertigten Fällen wie eine Art „Frühwarnsystem“, welches dann den Gemeinschaftsgesetzgeber zu entsprechenden Harmonisierungsmaßnahmen – wie etwa der freilich auf halbem Wege steckengebliebenen Irreführungs-Richtlinie – veranlaßte137. (b) Zwingendes Vertragsrecht Etwas anders lagen die Dinge im Vertragsrecht138. Hier hatte der EuGH in der Entscheidung Alsthom Atlantique139, im Ergebnis zu Recht (und auf die anderen Grundfreiheiten übertragbar)140, in einem obiter dictum festgestellt, daß eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit (die im streitgegenständlichen Sachverhalt nach Auffassung des EuGH ohnedies weder Zweck noch Wirkung der im Streit stehenden Rechtsprechung der französischen Cour de Cassation zur Sachmängelhaftung war) dann nicht in Betracht komme, wenn es den Parteien freistehe, „das auf ihre Vertragsbeziehungen anwendbare Recht zu bestimmen und so die Unterwerfung [unter das französische Recht] zu vermeiden“141. Daraus ist zu Recht geschlossen worden, daß parteidispositive Vertragsanknüpfungen grundsätzlich
136 S. zum Irreführungsbegriff der ursprünglichen Irreführungs-RL nur EuGH Rs. C373/90 (Nissan), Slg. 1991, I-131 ff. 137 Ganz ähnliche Zusammenhänge lassen sich wohl in fast allen Rechtsgebieten beobachten. Lediglich beispielhaft sei der – in außergewöhnlich hohem Umfang harmonisierte – Bereich des Urheberrechts genannt. Tatsächlich lassen sich immerhin 3 der 7 Richtlinien im europäischen Urheberrecht mehr oder weniger direkt auf Urteile des Gerichtshofs zurückführen, in denen dieser dem spezifischen Gehalt, dem Kernbestand des Urheberrechts – als einer den Mitgliedstaaten gem. Art. 30 EG zugewiesenen Materie – Priorität über die Belange des Binnenmarkts eingeräumt hatte. Im Ergebnis funktionierte auch in diesem Bereich also die EuGH-Rechtsprechung wie ein Frühwarnsystem, welches die „blinden Flecken“ der Harmonisierung dadurch identifizierte, daß auf Grundlage von Art. 30 EG bestimmte Bereiche mitgliedstaatlichen Rechts – solange keine Harmonisierung erfolgt war – als gerechtfertigt angesehen wurde. Vgl. näher zu diesem Zusammenspiel Cohen Jehoram, 25 IIC 1994, 821, 822; Leistner, in: Drexl/Kur (ed), Intellectual Property and Private International Law, S. 177, 193 f. dort auch im Zusammenhang mit dem hier behandelten Thema. 138 S. grundlegend zur Wirkung der Grundfreiheiten im Vertragsrecht zuletzt Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 492 ff., 582 ff.; vgl. aktuell auch Grundmann, JZ 2005, 860, 861 ff. mwN. 139 EuGH Rs. C-339/89 (Alsthom Atlantique), Slg. 1991, I-107. 140 So zu Recht Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 188 mwN. In anderem Zusammenhang zweifelnd aber Enchelmaier, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rz. 42: freier Entschluß als Grundlage der handelshemmenden Wirkungen unter der Dassonville-Formel stets irrelevant. 141 EuGH (aaO.), Rz. 15.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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nicht von Art. 30, 59 EG erfaßt werden142. Wenngleich Rechtswahlfreiheit zugegebenermaßen nicht jegliche Belastung für die Vertragsparteien aus der Welt schafft143, so ist doch festzuhalten, daß die verbleibenden Belastungen – wie insbesondere notwendige Rechtsermittlungskosten – unerläßlich sind, soweit ein Wettbewerb der Rechtsordnungen im Binnenmarkt tatsächlich ermöglicht werden und nicht schlicht sämtliche Unterschiede eingeebnet werden sollen144; anders ausgedrückt – aus Sicht des Binnenmarkts ist Rechtswahlfreiheit möglicherweise nicht die belastungsfreieste, liberalistischste, wohl aber die optimale Lösung. Parteidispositive Vertragsanknüpfungen werden also nach richtiger Auffassung nicht von Art. 30, 59 EG erfaßt. Ebensowenig wird man in den objektiven Anknüpfungen nach Art. 4 EVÜ im Regelfall eine Beschränkung der Grundfreiheiten erblicken können, da die „Rechtswahllast“ durch diese Normen grundsätzlich binnenmarktgerecht verteilt erscheint145. Damit verbleibt für die Prüfung anhand der Grundfreiheiten der weite Bereich des auch zwingend angeknüpften zwingenden mitgliedstaatlichen Sachrechts, zu dem der – für das hier behandelte Untersuchungsthema entscheidende – Bereich des Verbraucherschutzrechts im engeren Sinne jedenfalls wegen Art. 5 EVÜ146 zählt147. 142 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 28; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 186 ff.; Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 652. 143 Vgl. etwa Mülbert, ZHR 159 (1995), 2, 10. 144 So zutreffend Remien, aaO., S. 188 f. Grundlegend zur Konzeption eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen im Binnenmarkt zuletzt Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Binnenmarkt, 2002. 145 Collins, Oxford J.Legal Stud. 14 (1994), 229, 231; Remien, aaO., S. 190 f.; Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 657 f. unter Berücksichtigung auch der durch die Grundfreiheiten geschützten Nachfragerfreiheit. Vgl. zu letzterem Aspekt auch unten III 1 b. 146 Nach Art. 5 des „Rom-I“-Verordnungsvorschlags der Kommission würde künftig für Verbraucherverträge insgesamt – also auch bezüglich der dispositiven vertragsrechtlichen Regeln nationalen Rechts – bei Wahrung der materiellen Vertragsfreiheit bezüglich des anwendbaren Rechts zwingend an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers angeknüpft, vgl. auch unten 2. 147 Dabei ist aus dieser Darlegung des inneren Zusammenhangs von Kollisionsrecht und Grundfreiheiten jedoch nach der hier vertretenen Auffassung nicht zu schließen, daß die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Grundfreiheiten im Kern kollisionsrechtlich aufzufassen sei, so daß im Ergebnis gar nicht das Sachrecht an den Grundfreiheiten gemessen würde, sondern im Ergebnis nur die Kollisionsregeln (so wohl Armbrüster, RabelsZ 60 (1996), 72, 76; Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 29; von Wilmowsky, ZEuP 1995, 735, 737 ff.). Denn dies unterschätzt einerseits den im Kern sachrechtlichen Gehalt der EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten, die umfängliche inhaltliche Konturen (vgl. für unseren Bereich noch unten III 1) gerade deshalb entwickeln konnte, weil das Sachrecht in seinen Differenzierungen in den Einzelregeln mit dem Standard der Rechtsordnung im liberaleren Mitgliedstaat und sodann am Verhältnismäßigkeitsmaßstab gemessen wird (so zutreffend für den Bereich des Vertragsrechts Remien, aaO., S. 191 f. mwN) und kann andererseits im Einzelfall sogar zu binnenmarktkonträren Ergebnissen führen, in denen ein Anwendungsverbot für das mitgliedstaatliche Recht sich aus den Grundfreiheiten denknotwendig nicht ergeben kann (vgl. Sonnenberger, ZVglRWiss 95 (1996), 3, 10 ff., jeweils mwN). Der Streit um den Rechtscharakter der Grundfreiheiten ist auch deshalb für die hier angestellte Untersuchung von Interesse, weil er spiegelbildlich auch das Verständnis des Binnenmarkt-Herkunftslandprinzips aus Fernseh- und E-Commerce-Richtlinie (vgl. noch unten (2)
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Hinzu kommen aber auch sonstige Normen zwingenden mitgliedstaatlichen Vertragsrechts, soweit sie als Vorschriften wirtschafts- oder sozialpolitischen Gehalts im Kollisionsrecht zwingend angeknüpft werden (s. Art. 7 EVÜ und der insoweit engere – weil auf die Möglichkeit, deutsches Recht anzuwenden, beschränkte – Art. 34 EGBGB)148 oder soweit ihnen bezüglich eines Vertrags zweier Inländer (in dem sich eine kollisionsrechtliche Frage gar nicht stellt) doch indirekt das Potential zur Beschränkung der Warenverkehrs- oder Dienstleistungsfreiheit innewohnt. Daß dies zumindest prinzipiell auf der Basis eines weit verstandenen Beschränkungsverbots durchaus häufiger der Fall sein könnte, als es die bisher nur spärliche Rechtsprechung des Gerichtshofs in diesem Bereich vermuten läßt, zeigt – neben den Fremdsprachenlektorenfällen149, die für das hier behandelte Thema nicht von unmittelbarer Relevanz sind – insbesondere der Fall CMC-Motorradcenter (Yamaha) 150, in dem der EuGH eine vorvertragliche Aufklärungspflicht des deutschen Rechts und die sich aus der Pflichtverletzung ergebende Haftung aus culpa in contrahendo am Maßstab der Grundfreiheiten prüfte151. Jenseits der im konkreten Fall – wohl zu Unrecht – als „zu ungewiß und zu mittelbar“152 ver(a)) bestimmt (vgl. zu diesem Zusammenhang auch Leistner, in: Drexl/Kur (ed), Intellectual Property and Private International Law, S. 177, 187 (dort in Fn. 34)). 148 S. statt aller die Kommentierung bei Palandt-Heldrich, Art. 34 EGBGB, Rz. 1 ff. mwN. Als Beispiel für die diesbezügliche Überschneidung mit dem Geltungsbereich der Grundfreiheiten kann der Koestler-Fall (Rs. 16/78 (Socièté générale alsacienne de banque SA . /.Koestler), Slg. 1978, 1971) gelten, in dem der EuGH erstmals überhaupt mit dem mitgliedstaatlichen Vertragsrecht sich befaßte und dem ein Sachverhalt zugrundelag, in dem das erstinstanzlich mit dem Fall befaßte LG Bonn (Entscheidung vom 13. 1. 1977) die § 762, 764 BGB, die es zum deutschen ordre public zählte, auf ein Termingeschäft eines Deutschen an der Pariser Börse, welches dieser von einer Straßburger Bank hatte durchführen lassen, angewendet hatte. 149 S. die Nachweise bei Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 183 f. 150 EuGH Rs. C-93/92 (CMC Motorradcenter . /.Baskiciogullari), Slg. 1993, I-5009. S. dazu Köhler, ZEuP 1994, 664 ff.; Röhling, EWiR 1993, 1199 ff. 151 Zu Recht weist Drexl, in: Grundmann/Stuyck (eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103, 116, allerdings auch auf das vom EuGH übersehene internationalprivatrechtliche Qualifizierungsproblem hin, das sich in diesem Fall verbirgt. Durchaus vertretbar wäre es, die Haftung aus culpa in contrahendo bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts deliktsrechtlich zu qualifizieren, so daß dann nicht die Bestimmungen des EVÜ, sondern vielmehr die Regeln über die deliktsrechtliche Anknüpfung (lex loci delicti) anzuwenden gewesen wären. Im Lichte der neueren Entscheidung EuGH Rs. C-334/00 (Tacconi . /.Wagner), Slg. 2002, I-7357, Rz. 22 f. (zur internationalen Zuständigkeit), liegt es nunmehr sogar noch näher, daß der EuGH – da es an einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung (die zwar noch keinen Vertragsabschluß darstellen muß, für die aber andererseits nach Auffassung des EuGH die „freiwillige“ Aufnahme von Vertragsverhandlungen anscheinend nicht genügt) im Falle eines reinen Anspruchs aus §§ 311, 241, 280 BGB fehlt – die culpa in contrahendo im Grundsatz deliktsrechtlich qualifiziert; sofern allerdings letztlich ein Vertrag zustandekommt, würde aber die Zuständigkeit wohl typischerweise dennoch vertragsakzessorisch aufgrund der engen Verbindung mit dem abgeschlossenen Vertrag bestimmt werden, vgl. dazu Leible, IPRax 2003, 28, 32 ff. 152 EuGH (aaO.), Rz. 11 f. Köhler, aaO., 668 f., weist zu Recht darauf hin, daß es dem EuGH insoweit im Kern darum gehe, die eigentliche Ursache einer Handelsbeeinträchtigung zu ermitteln; genaugenommen geht es also um eine Art Zurechenbarkeitskriterium vermittels dessen die Grundfreiheitenkontrolle auf die eigentliche, normativ zurechenbare Ursache für eine Handelsbeeinträchtigung begrenzt werden soll, nicht etwa um die Frage, ob die Folgen der Aufklärungs-
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neinten mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung durch die Aufklärungspflicht (den Kunden bezüglich der Weigerung deutscher Yamaha-Vertragshändler, Gewährleistungsreparaturen an innereuropäisch parallel importierten Motorrädern
pflicht des deutschen Rechts überhaupt eine behindernde Wirkung entfalteten (d.h., eine adäquate Ursache setzten, was sie unzweifelhaft taten). Der an dieser Stelle vom EuGH formulierte sogenannte remoteness-Test (in der deutschen Literatur: Spürbarkeitsgrenze, für eine Anwendung im Lauterkeitsrecht etwa Fezer, JZ 1995, 317, 324; Sack, EWS 1994, 37, 45)) erscheint, jedenfalls wenn man ihn im Sinne eines de minimis-Kriteriums substantieller Spürbarkeit der aus einer staatlichen Maßnahme resultierenden Handelsbeschränkung auffaßt, als ein nicht recht geeignetes Abgrenzungskriterium, weil eine derartige Spürbarkeitsgrenze letztlich keine trennscharfen Ergebnisse gestattete und daher die Rechtssicherheit ungebührlich gefährden würde. Trotz dieser topologischen Ambivalenz (es bleibt anhand der Formulierungen des EuGH nämlich unklar, ob es tatsächlich um ein Zurechenbarkeitskriterium oder nicht doch eher um ein Spürbarkeitskriterium gehen soll oder ob nicht am Ende vielmehr Fälle gemeint sind, in denen schlicht eine Erschwerung des grenzüberschreitenden Verkehrs nicht konkret festgestellt werden kann) hat der remoteness-Test (der sich ja in der Tat in dem unmittelbar vor Keck entschiedenen CMC-Motorradcenter (Yamaha)-Fall kaum anders lesen läßt, als ein alternativer Versuch des Gerichts, sich in seiner Kontrollbreite selbst zu beschränken) gerade im Bereich der Rechtsprechung zu den anderen Grundfreiheiten letzthin gelegentlich die begrenzende Rolle eingenommen, die in Keck für den Bereich der Warenverkehrsfreiheit vermeintlich der Differenzierung zwischen Produkt- und Vertriebsbezogenheit – in Wahrheit jedoch einer Analyse der spezifischen Belastung für Einfuhren – zukommt, vgl. etwa gleichermaßen unklar in der Formulierung des Tests EuGH Rs. C-190/98 (Graf . /.Filzmoser), Slg. 2000, I-493 (zu Art. 39), wo das Kriterium dann im Kern aber gleichfalls eher eine Art Zurechenbarkeitskriterium (als ein Spürbarkeitskriterium) einzuführen scheint. Sollte das Kriterium (mit Blick auf seine unklare Formulierung) im Sinne einer materiellen Spürbarkeitsgrenze in der Zukunft dazu dienen, die Notwendigkeit einer konkreten Marktanalyse in den problematischen Fällen zu ersparen, wäre eine solche Entwicklung jedenfalls unglücklich zu nennen. Doch hätte der remoteness-Test, wenn man ihn im Sinne eines normativen (am Sinn und Zweck der Grundfreiheiten orientierten) Zurechenbarkeitskriteriums liest (wie es das EuGH-Fallrecht sogar eher nahezulegen scheint), im Rahmen der gebotenen Kritik am Formalismus der Keck-Entscheidung (s. etwa Steindorff, ZHR 158 (1994), 149, 161 ff.; Reich, CMLRev. 31 (1994), 459, 470 f.) durchaus auch noch Chancen, sich als eine – im Vergleich zur Keck-Differenzierung – genauer auf das eigentliche Abgrenzungsproblem zielende Alternative durchzusetzen. Hierfür müßte man das remoteness-Kriterium nicht im Sinne eines Spürbarkeitstests auffassen, sondern schlicht wortwörtlich im Sinne eines Tests, ob eine mitgliedstaatliche Regelung tatsächlich nur entfernte und indirekte Auswirkungen auf die Einfuhr ausländischer Produkte/Dienstleistungen hat, ob mit anderen Worten eine faktische Diskriminierung gerade in zurechenbarer Weise durch die Norm nicht konkret durch Marktanalyse nachweisbar ist, verstanden würde. So zu Recht das Verständnis des remoteness-Kriteriums bei Enchelmaier, Yearbook of European Law 22 (2003), 249, 290 ff.; s. aber für den gegenläufigen Trend etwa die lesenswerte (wenn auch nach der hier vertretenen Auffassung letztlich nicht durchgreifende) Argumentation zugunsten eines echten materiellen Spürbarkeitserfordernisses im Werberecht auch im Bereich der Warenverkehrsfreiheit, bei Sack, WRP 1998, 103, 116 ff. (sowie auch schon die weiteren Nachweise oben); skeptisch gegenüber einem Spürbarkeitskriterium („de minimis“-Regel) als allein maßgeblicher Test auch Arndt, ZIP 1994, 188, 190: nach welchen Kriterien sollte die Abgrenzung erfolgen? Für alternative Vorschläge, um unproblematische Fälle – sei es auf Grundlage einer gänzlich neuen dogmatischen Konzeption oder auf Grundlage einer alternativen Lesart von Keck – aus der Kontrolle auszuscheiden, vgl. noch sogleich unten (c). Zur inhaltlichen Seite der CMC Motorradcenter (Yamaha)-Entscheidung, die in ihrem Zusammenspiel mit der kurz zuvor ergangenen Nissan-Entscheidung für das hier behandelte Thema von höchstem Interesse ist, s. noch unten III 1 c.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
durchzuführen153, zu informieren)154 beweist der Fall doch, daß (im Rahmen der allgemeinen Konvergenzbewegung innerhalb der Grundfreiheiten vom Diskriminierungs- zum Beschränkungsverbot) im Prinzip eine umfassende Prüfung zwingenden mitgliedstaatlichen Vertragsrechts am Maßstab der Grundfreiheiten in Betracht kommt155. Im übrigen ergibt sich – um eine inhaltliche Aussage vorwegzunehmen – das für den CMC Motorradcenter (Yamaha)-Fall richtige Ergebnis gerade auch aus der im Rahmen dieser Untersuchung angestellten Parallelbetrachtung zum Lauterkeitsrecht und der Konzentration auf die rechtsfolgenspezifische Rechtfertigung von Unterschieden, zumal die Parallele in der Sachverhaltsgestaltung zum lauterkeitsrechtlichen Nissan-Fall unübersehbar ist; dieser (inhaltliche) Aspekt des Urteils wird noch unten erschöpfend aus der Sicht des Gesamtsystems Wettbewerbs- und Vertragsrecht behandelt156.
Festzuhalten bleibt, um den Fokus zurück auf das an dieser Stelle behandelte Thema der Sicherung des Funktionierens des Binnenmarkts auszurichten und zugleich zu einer vergleichenden Kernaussage zu gelangen, daß, aus einer binnenmarktfunktionalen Perspektive auf das Kollisionsrecht betrachtet, dem Marktortprinzip des Lauterkeitsrechts hinsichtlich der potentiellen Beschränkung der Grundfreiheiten im Vertragsrecht die zwingende Anknüpfung nach Art. 5 u.a. EVÜ entspricht. Dem binnenmarktorientierten Herkunftslandprinzip im Lauterkeitsrecht entspricht im Vertragsrecht aus der Sicht der Grundfreiheiten der Grundsatz freier Rechtswahl; denn beide Instrumente führen (unabhängig von ihrem unterschiedlichen Charakter) letztlich dazu, daß es zu einem relevanten Eingriff in die Grundfreiheiten aufgrund nationalen Rechts schon aus kollisionsrechtlichen Gründen im Vertragsrecht (bzw. aufgrund der materiell-europarechtlichen Korrektur durch das Herkunftslandprinzip im Lauterkeitsrecht) nach der Rechtsprechung des EuGH nicht mehr kommen kann157. Im übrigen ist festzustellen, daß der EuGH sich bezüglich des Vertragsrechts selbst im grundfreiheitensensibelsten Bereich – dem Bereich zwingend angeknüpften mitgliedstaatlichen Verbrauchervertragsrechts – im Vergleich zur breit dahinströmenden Rechtsprechung im Bereich lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes bisher zurückgehalten hat158. Der Zurückhaltung des Gerichtshofs entsprach dann komplementär prompt die dafür umso intensivere Harmonisie153 Diese Weigerung als die eigentliche Ursache der Handelsbeschränkung dürfte im übrigen – sofern entsprechende Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zugrundelagen – gegen Art. 81 EG verstoßen haben, vgl. etwa die Kommissionsentscheidung 78/922/EEC v. 23.10.1978 – Zanussi, ABl. L 322 v. 16.11.1978, S. 36 ff. 154 EuGH, aaO. (o. Fn. 150), Rz. 11 f. 155 So in der Tendenz auch Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 186, der eine entscheidende Begrenzungsmöglichkeit dann in der Folge aus den Maßstäben der KeckRechtsprechung zu entwickeln sucht; s. dazu sogleich unten (c). Demgegenüber die praktische Relevanz der Grundfreiheiten für das Vertragsrecht außerhalb der ohnedies harmonisierenden Bereiche dezidiert bezweifelnd Grundmann, JZ 2005, 860, 861. 156 Vgl. insoweit unten III 1 c. 157 Vgl. allgemein auch Drexl, aaO., S. 113 ff., sowie im einzelnen zu Begründung und Folgerungen aus dieser These noch unten 2. 158 S. ebenso zuletzt Grundmann, JZ 2005, 860, 861 f.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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rungstätigkeit der Kommission im Verbrauchervertragsrecht, deren Binnenmarkttauglichkeit freilich aus den o.g. Gründen159 teils bezweifelt werden muß. (c) Einfluß der Keck-Entscheidung? Insbesondere für das Lauterkeitsrecht, wo der Gerichtshof seine integrationspolitische Rolle aktiver wahrgenommen hatte, aber auch für das Vertragsrecht schien dann die Keck-Entscheidung des Gerichtshofs von 1993160, das Menetekel einer nunmehr sehr viel geringeren Kontrolldichte in der EuGH-Rechtsprechung an die Wand zu zeichnen; folgerichtig war eine erhöhte „Binnenmarktaktivität“ der Kommission die Folge. Beide Aspekte werden diese Untersuchung im folgenden kurz beschäftigen, wobei zuerst dargelegt wird, warum die Keck-Entscheidung in ihren Auswirkungen für das Lauterkeits- und Vertragsrecht nach heutigem Stand doch sehr viel weniger drastisch gesehen werden muß, als dies teils in der Vergangenheit geschehen ist, um danach aufzuzeigen, warum dennoch aus der Sicht der Kommission von nun an binnenmarktorientierte Harmonisierung das Gebot der Stunde war. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, die Kontroverse um die Keck-Entscheidung auch nur in ihren Grundzügen erschöpfend nachzuzeichnen; zudem dürften die wesentlichen Implikationen der vom EuGH vorgenommenen Differenzierung in „produkt- und vertriebsbezogene Regelungen“161 samt ihren späteren Präzisierungen und Differenzierungen wahrlich als bekannt vorauszusetzen sein162. So soll das Augenmerk spezifisch dem Bereich des Lauterkeits- und Ver159
S. oben 1 a. EuGH Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6097. S. zu deren Bedeutung für das Lauterkeitsrecht nur Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 69 ff.; MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 41 ff., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen; mit dem großangelegten Versuch einer Operationalisierung für das Vertragsrecht Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 193 ff. 161 Manche (vgl. statt aller Roth, CMLRev. 31 (1994), 846, 852; Schubert, Wirtschaftsfreiheit, S. 162, sowie auch die Schlußanträge von Generalanwalt Fennelly in Rs. C-190/98 (Graf . /.Filzmoser), Slg. 2000, I-493, Rz. 19) wollen, um der unliebsamen und ungerechtfertigten Folge einer formalistischen Totalausgliederung vertriebsbezogener Maßnahmen aus dem Dassonville/Cassis-Kontrollmaßstab zu entgehen in Anlehnung an den Wortlaut des Urteils noch weiter differenzieren zwischen „bestimmten vertriebsbezogenen“ Maßnahmen – wie in Keck – und anderen (sonstigen) vertriebsbezogenen Maßnahmen, bei welch letzteren die in Keck formulierte Bedingung, daß die Regel in- und ausländische Produkte rechtlich und tatsächlich gleich behandelt und mithin keine Erschwerung des Marktzugangs mit sich bringt, nicht erfüllt sei (während sie in Keck wo es um das in der Tat nach neuesten ökonomischen Erkenntnissen marktzugangsneutrale (ja –begünstigende) Verkauf unter Einstandspreis ging in der Tat erfüllt war, s. insoweit zu Recht Enchelmaier, Yearbook of European Law 22 (2003), 249, 284). So berechtigt das dahinter stehende Anliegen sein mag, so unnötig erscheint doch die terminologische Verwicklung, die ebenso kontingent ist, wie die in Keck ursprünglich getroffene topologische Differenzierung, die den eigentlichen Keck-Test – wie er sich in der Folgerechtsprechung, wenn auch nicht in der Literatur, durchaus zutreffend kristallisiert hat – eher verunklarte. Vgl. dazu sogleich im folgenden Text. 162 S. daher für einen Überblick über die Literatur mit jeweils umfassenden Nachweisen statt 160
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
tragsrechts und der Rückwirkung auf die Harmonisierungsbemühungen in diesem Bereich gelten. Insoweit ist festzustellen, daß bei zutreffender Betrachtung die Auswirkungen von Keck weit weniger dramatisch sind, als zuerst weithin gesehen163. Zwar war und ist zunächst von einer ganzen Reihe von Autoren versucht worden, die in Keck getroffene formalistische Unterscheidung mutatis mutandis in weite Bereiche des Lauterkeitsrechts – bei dem es sich dann (selbst wenn man die mittlerweile in Fällen wie Mars164, Clinique165 und Familiapress/Bauer 166 bezüglich des Merkmals der Produktbezogenheit vorgenommenen Präzisierungen und feinen Kurskorrekturen mit berücksichtigt) vornehmlich um vertriebsbezogene Regeln handeln würde – und auch in die Beurteilung zwingenden mitgliedstaatlichen Vertragsrechts zu übertragen167. Angesichts des typischerweise vertriebsbezogenen Charakters wesentlicher Teile des Lauterkeitsrechts168 schien damit vermeintlich insbesondere für dieses Rechtsgebiet das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts jedenfalls nicht mehr im bisherigen Maße durch den EuGH gesichert169. Betrachtet man die aller nur Beater, § 7, Rz. 18 ff. (S. 184) mit Darstellung der Nachfolgerechtsprechung (aaO., Rz. 20 ff.) und insbesondere einem Abriß der unterschiedlichen Interpretationsansätze in der Literatur (aaO., Rz. 22 ff.); Heermann, Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht, Art. 28, Rz. 120 ff. (S. 58 ff.); Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 193 ff. (für das Vertragsrecht). 163 So (wenn auch mit teils erheblichen Unterschieden in der Begründung) nunmehr (im Lichte der Folgeurteile, s. dazu sogleich im folgenden Text) zutreffend im praktischen Ergebnis aber auch die mittlerweile herrschende Meinung für das Lauterkeitsrecht, s. nur Beater, § 7, Rz. 22 ff. (S. 185); Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl, Rz. 3.25 f.; Harte/HenningGlöckner, Einl B, Rz. 72 f.; Fezer-Hausmann/Obergfell, Einleitung I, Rz. 90; MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 42 f., jeweils mwN. 164 EuGH Rs. C-470/93 (Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.V. v. Mars GmbH), Slg. 1995, I-1923. 165 EuGH Rs. C-315/92 (Verein Sozialer Wettbewerb eV . /.Clinique Laboratories SNC), Slg. 1994, I-317. 166 EuGH Rs. C-368/95 (Vereinigte Familiapress . /. Heinrich Bauer Verlag), Slg. 1997, I3689. 167 Vgl. statt vieler die unter derartigen Ansätzen durch unerreichte Tiefgründigkeit und Sorgsamkeit hervorstechenden Untersuchungen mit umfassenden weiteren Nachweisen von Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, 2003, S. 193 ff. (für das Vertragsrecht) und Schmid, Freier Dienstleistungsverkehr und Recht des unlauteren Wettbewerbs, 2000, der zudem eine Leitlinien für eine Übertragung in den Bereich der Dienstleistungsfreiheit entwikkelt, welche der EuGH aber bisher nicht vorgenommen hat. 168 Das beste Beispiel ist der Keck-Fall selbst, in dem es um das französische Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis ging; vgl. für weitere Beispiele aus dem Lauterkeitsrecht nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl, Rz. 3.23. 169 So insbesondere auch das Erklärungsmuster für die darauffolgenden Harmonisierungsbemühungen bei Glöckner, European Law Reporter 2002, 42 ff.; ähnlich Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 147 ff.; Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 192 ff., jeweils mwN. Vgl. auch Fezer, JZ 1994, 317, 321, demzufolge der Streit um die Auslegung des Begriffes der Verkaufsmodalitäten und deren Abgrenzung zu Produktmerkmalen in der Mitte der neunziger Jahre das Recht der Warenverkehrsfreiheit im Bereich des Wettbewerbsrechts beherrschte. S. für weitere Beispiele aus der älteren (zumal der das Keck-Urteil zum Teil bis heute fälschlich formalistisch interpretierenden allgemein europarechtlichen) Literatur nur Beater, § 7, Rz. 22 (in Fn. 51 a.E.) sowie insbesondere ausführlich Enchelmaier, Yearbook of European Law 22 (2003), 249 ff. (im Rahmen seiner grundlegenden Kritik an derartigen Fehlinterpretationen).
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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Keck-Entscheidung durch die Brille der heutigen, weiterentwickelten Dogmatik und insbesondere im Lichte des mittlerweile ergangenen Fallrechts, scheinen derlei Sorgen nicht mehr ganz so berechtigt170. Zwar läßt sich immer noch der formalistische Ansatz einer Unterscheidung kritisieren, die letztlich aufgrund eines abstrakten Merkmals sucht, Einfachheit vorzugaukeln, wo es ihr lediglich gelingt, die eigentlich problematische Frage nach dem Vorhandensein spezifischer Belastungen für Einfuhren, um eine begriffliche Ebene weiterzuverlagern – nämlich auf die Ebene der Fragestellung, inwieweit vertriebsbezogene Maßnahmen rechtlich und faktisch unterschiedslos wirken171. Doch ist andererseits festzustellen, daß die Unterscheidung in „produktbezogene“ und „vertriebsbezogene“ Regelungen nicht viel „Schaden“ angerichtet hat, da der begriffliche Ebenenwechsel nach richtiger Auffassung gerade keinerlei rechtliche Relevanz hat172. In Fällen „produktbezogener“ Regeln wird im Warenverkehr typischerweise – auf Grundlage unterschiedlicher nationaler Regelungen – eine Erschwernis beim Marktzugang (und damit eine tatsächliche Ungleichbehandlung) durch den „Anpassungsdruck“ für die Ware bewirkt, Art. 28 und die CassisFormel greifen ein, letztlich hat die Keck-Formel insofern sogar eher inklusiven Charakter, indem sie produktbezogene Regelungen als unproblematisch (sozusagen prima facie) dem Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots oder der „Diskriminierung im weiten Sinne“ zuführt173 . In Fällen vertriebsbezogener Regelungen ist die tatsächliche oder rechtliche Ungleichbehandlung schlicht konkret festzustellen, wie es der EuGH nunmehr in den Fällen De Agostini, TK-Heimdienst und DocMorris auch in aller wünschenswerten Klarheit verdeutlicht hat174. Offen bleibt allein die Frage nach dem genuin grenzüberschreitenden multinationalen Marketing und Vertrieb, für den sich die Erschwerungen gerade durch die bloßen Differenzen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bezüglich des Vertriebs ergeben175, ein Problem, das seit Keck insbesondere durch das sich rasant entwickelnde und 170 Vgl. mit einer Fundamentalkritik an Keck, Schwintowski, Freier Warenverkehr, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken, S. 457 ff. Dessen Auffassungen laufen aber im wesentlichen (mit Ausnahme der ebenfalls, aaO., geäußerten Kritik an Cassis) nur darauf hinaus, inhaltlich gerade den Ansatz bezüglich der entscheidenden Relevanz des konkret unerschwerten Marktzugangs zu wiederholen und in ein neues System unter Aufgabe der (in der Tat irrelevanten, s. noch unten im folgenden Text) Unterscheidung in produkt- und vertriebsbezogene Regelungen zu gießen, der sich nach der hier vertretenen Auffassung durchaus auch mit der in EuGH, Verb. Rs. C-34/95, C-35/95, C-36/95 (De Agostini), Slg. 1997, I-3843, Rz. 42 ff., EuGH Rs. C-254/98 (TK-Heimdienst), Slg. 2000, I-151 und EuGH Rs. C-405/98 (Gourmet), Slg. 2001, I-1795 präzisierten Bedeutung der Keck-Rechtsprechung vereinbaren läßt, was den immensen Vorteil hat, die EuGH-Rechtsprechung gewissermaßen „von innen heraus“ mit dem richtigen Verständnis der Grundfreiheiten zu infiltrieren. S. dazu auch noch im folgenden Text. 171 Dies belegen dann eindrucksvoll die Folgeentscheidungen EuGH (De Agostini), aaO.; EuGH (TK-Heimdienst), aaO., EuGH (Gourmet), aaO.; und (wohl am klarsten) EuGH Rs. C322/01 (Deutscher Apothekerverband . /. DocMorris), Slg. 2003, I-4887, Rz. 45 ff., insbes. Rz. 68 ff., sowie zuletzt bestätigend auch EuGH Rs. C-71/02 (Karner . /.Troostwijk), Slg. 2004, I-3025, Rz. 40 ff. (zu § 30 Abs. 1 österr. UWG, der freilich nach sorgsamer Prüfung zu Recht als eine rechtlich und sachlich unterschiedslos anwendbare Regelung einer Verkaufsmodalität angesehen wurde und demnach Art. 28 EG nicht verletzt). Vgl. ähnlich wie hier mit Blick auf das Lauterkeitsrecht Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, S. 150 ff. mwN. 172 So im Ergebnis zutreffend Enchelmaier, Yearbook of European Law 22 (2003), 249 ff. auf Grundlage einer umfassenden Analyse des Fallrechts. 173 So die in dieser Hinsicht fast klarere Terminologie schon bei Marenco, Cahiers de Droit Européen 20 (1984), 291, 318 ff. 174 S. o. Fn. 170 und 171. Vgl. insbesondere EuGH (o. Fn. 171) – DocMorris, Rz. 45 ff. und zuletzt ähnlich EuGH Rs. C-20/03 (Burmanjer), Slg. 2005, I-0000, Rz. 31 f. 175 Dieses Problem hat auch EuGH (o. Fn. 171) – DocMorris bei genauer Betrachtung noch
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
real grenzüberschreitende Medium des Internet (zuvor stellte schon das Fernsehen ähnliche Probleme in weit weniger explosivem Ausmaß) offenbar geworden ist176. Zu dem richtigen primärrechtlichen Ergebnis – das in derartigen Fällen die Rechtsordnung des Empfangslandes, soweit sie zu einer Erschwernis des Marktzugangs durch Rechtsermittlungskosten und ähnliche Zusatzaufwendungen des europaweit tätigen Händlers führt, rechtfertigungsbedürftig und folglich am Verhältnismäßigkeitskriterium der Cassis-Doktrin zu messen ist – kann man nun auf zwei Wegen gelangen. Entweder man liest (mit Enchelmaier und anderen) die tatsächliche Erschwernis beim Marktzugang für den genuinen multistate-Vertreiber im Binnenmarkt durch bloße Rechtsdifferenzen in einen weiten Diskriminierungsbegriff (und nicht gelöst, da es in diesem Fall um ein totales Versandhandelsverbot für Arzneien via Internet ging. Dieses betraf ausländische Apotheken schon deshalb tatsächlich schwerer, weil sie auf diese Weise praktisch der einzigen Zugangsmöglichkeit zum deutschen Markt beraubt wurden, während in Deutschland ansässige Apotheken lediglich eines von mehreren alternativen Mitteln zum Marktzugang verlustig gingen, s. EuGH (aaO.), Rz. 74. Die Frage der tatsächlichen Ungleichbehandlung durch bloße Differenzen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten muß daher einstweilen als in der Rechtsprechung noch offen angesehen werden. 176 Besonders virulent wird dies naturgemäß in genuin grenzüberschreitenden Medien, wie insbesondere dem Internet (vgl. dazu etwa Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 19 ff.; Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 75 ff.); es mag ein unglücklicher Zufall sein, daß die Keck-Entscheidung gerade unmittelbar vor dem kommerziellen „Erwachen“ des Internet-Marketings und -vertriebs erging und daher für den Gerichtshof schlicht pragmatisch wenig Anlaß gegeben war, klarzustellen, daß der grenzüberschreitende Vertrieb nicht sinnvoll mit Hilfe der Keck-Formel beurteilt werden kann. Vgl. zu der auf Grundlage von EuGH Rs. C-126/91 (Yves Rocher), Slg. 1993, I-2361 ff. ursprünglich umstrittenen Frage, inwieweit Keck auch den grenzüberschreitenden Vertrieb überhaupt erfaßt bejahend Joliet, GRUR Int. 1994, 979, 985, verneinend Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 790 f., der zudem an anderer Stelle (Drexl, in: Drexl/Kreuzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.), Europarecht im Informationszeitalter, S. 75, 121 f.; MüKo-ders., IntUnlWettbR, Rz. 43) Lehdarauf hinweist, daß die Keck-Formel auf den Bereich der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen vom EuGH nie ausgedehnt wurde (s. insbesondere die ausdrückliche Verweigerung der Anwendbarkeit der Keck-Formel in EuGH Rs. C-384/93 (Alpine Investments), Slg. 1995, I-1141, wobei diese Entscheidung insofern bezüglich der Frage der Ausdehnung von Keck in den Bereich grenzüberschreitender Dienstleistung kein negatives Präjudiz beinhaltet, als in Alpine gerade der umgekehrte Fall zu Keck [Erschwernis durch Auslandserstreckung einer inländischen Regel] betroffen war, so zu Recht einschränkend Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 200 f.). Bezüglich der Warenverkehrsfreiheit dürfte der Streit nunmehr durch EuGH (o. Fn. 171) – DocMorris, Rz. 68 ff., entschieden sein, da in dieser Entscheidung der Gerichtshof die Beschränkung einer grenzüberschreitenden Vertriebsmaßnahme anhand der Keck-Formel prüft, wobei aber zugleich deren Bedeutung deutlich wie noch nie (auch hinsichtlich der Prüfungsreihenfolge) reduziert wird (s. nur EuGH aaO., Rz. 68). Man wird deshalb die DocMorrisEntscheidung zugleich als ein erstes Indiz ansehen können, daß Keck im Ergebnis auch im grenzüberschreitenden Vertrieb keinen „Schaden“ anrichtet, da es wiederum die Prüfung der auch sachlich unterschiedslosen Auswirkung auf den grenzüberschreitenden Marktzugang (zu diesem eigentlichen wirtschaftlichen Kern des Keck-Urteils allgemein zutreffend Beater, § 7, Rz. 23) ist, die letztlich die problematischen Fälle löst. S. nur die in dieser Hinsicht im Ergebnis sämtlich gleichlautenden Entscheidungen der deutschen Gerichte und des EuGH in den DocMorris-Fällen, EuGH (aaO.), Rz. 68 ff., OLG Frankfurt, GRUR Int. 2001, 771, 774 – InternetApotheke; LG Frankfurt/M., ZIP 2000, 2080, 2084 f.; LG Berlin, MMR 2001, 249, 250 f., die alle vom Vorliegen einer mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung ausgehen und dann lediglich hinsichtlich der Rechtfertigungsmöglichkeiten differieren. S. aber auch die Einschränkung o. Fn. 175.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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damit in die Keck-Formel von der Bedingung einer rechtlich und tatsächlichen Unterschiedslosigkeit) mit hinein177; auf diese Weise ist die Differenzierung in Keck praktisch völlig „unschädlich“ gemacht, führt allenfalls unter Umständen noch zu unliebsamen Verwerfungen im Prozeßrecht sowie bei der Frage der Rechtfertigungsmöglichkeiten178. Oder 177 Dieser Ansatz, der auch aus der bloßen Differenz der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten resultierende Erschwernisse beim Marktzugang in Situationen grenzüberschreitenden genuin binnenmarktlichen Vertriebs für grundfreiheitenrelevant erachtet, ähnelt – insofern als für grenzüberschreitenden Vertrieb im Binnenmarkt auch die Belastungen, die sich aus der bloßen Kumulierung von Rechtsordnungen ergeben berücksichtigt werden – im Ausgangspunkt der grundfreiheitenbezogenen Analyse grenzüberschreitenden Vertriebs durch diejenigen Autoren, die einem kollisionsrechtlichen Verständnis der Grundfreiheiten folgen (s. etwa Basedow, EuZW 1994, 225; ders., RabelsZ 59 (1995), 1 ff.; Classen, EWS 1995, 97, 100 mwN; vgl. auch die weiteren Nachweise bei Beater, § 7, Rz. 25 f. und MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 38, sowie schon o. Fn. 147). Dennoch besteht ein entscheidender Unterschied: Die Grundfreiheiten werden nach der hier vertretenen Auffassung insofern nicht kollisionsrechtlich verstanden, als die zusätzliche Belastung, die sich aus der Rechtsordnung im Zielland ergeben kann, im Rahmen der Rechtfertigung nicht etwa mit der rechtlichen Ausgangslage im Herkunftsstaat (nach Art eines kollisionsrechtlichen Günstigkeitsprinzips) verglichen wird, sondern – auf dem dogmatischen Wege über die Rechtfertigung nach der Cassis-Formel – vielmehr mit dem Schutzniveau genuin europäischen Lauterkeitsrechts im Binnenmarkt (wie es sich zumal im Leitbild des europäischen Durchschnittsverbrauchers verkörpert, vgl. zu dieser inhaltlichen Komponente der Grundfreiheiten noch ausführlich unten III 1); der ökonomischen Realität grenzüberschreitenden genuin binnenmarktlichen „Euro“-Marketings und -Vertriebs entsprechend wird mithin der Binnenmarkt für grenzüberschreitenden Vertrieb sozusagen als „eigener“ Markt mit einem genuin gemeinschaftsrechtlichem lauterkeitsrechtlichen Schutzniveau aufgefaßt. S. am deutlichsten MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 39 ff. (dort insbesondere am Beispiel des Keck-Urteils, aaO., Rz. 43): es gehe um eine Überprüfung der Binnenmarktadäquanz des nationalen Rechts an den Maßstäben europäischen Sachrechts; gegen ein kollisionsrechtliches Verständnis der Grundfreiheiten auch Staudinger-Fezer, IntWirtschR, Rz. 342; Fezer-Hausmann/Obergfell, Einleitung I, Rz. 93; s. (im Vergleich materiell-rechtlicher Herkunftslandregeln des Sekundärrechts zu den künftigen gemeinschaftsrechtlichen Kollisionsregeln der „Rom-II“-VO) auch Leistner, in: Drexl/Kur (ed), Intellectual Property and Private International Law, S. 177 ff. mwN. 178 So im Ergebnis beispielsweise (allgemein bezüglich der Grundfreiheitendogmatik) Marenco, Cahiers de Droit Européen 20 (1984), 291, 318 ff. (vor Keck); Enchelmaier, Yearbook of European Law 22 (2003), 249 (gerade mit Blick auf Keck); ähnlich Jarass, EuR 1995, 202, 213 f., der als Beschränkung sowohl Diskriminierungen als auch sonstige Ungleichbehandlungen auffaßt. Spezifisch mit Blick auf das Werberecht auch Leible/Sosnitza, GRUR 1995, 799, 801 und vorsichtig zustimmend Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 198 (in Fn. 49); ähnlich Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, S. 150 ff.; wohl auch Beater, § 7, Rz. 23 f. mwN (der zwar einem „wirtschaftsrechtlichen“ Fokus auf die faktische Erschwernis des Marktzugangs folgt, jedoch – wenn sich diese Erschwernis für grenzüberschreitenden multistate-Vertrieb konkret nachweisen ließe – zum selben Ergebnis gelangen dürfte wie der hier vertretene Ansatz). Der Vorteil einer solchen Lösung liegt darin, daß sie sich das europäische Fallrecht zunutze macht, dieses gewissermaßen „von innen heraus“ uminterpretiert. Der (im Text bereits angedeutete) Nachteil liegt darin, daß nach der Keck-Formel vertriebsbezogene mitgliedstaatliche Regeln in derartigen Fällen sich dann nach der bisher herrschenden Meinung in der Literatur (da sie [im Rahmen eines derart erweiterten Diskriminierungsbegriffs] nicht „unterschiedslos“ anwendbar sind) dogmatisch konsequenterweise unmittelbar an Art. 30 EG (nicht an den extensiveren Cassis-Kriterien) messen lassen müßten (s. zu dieser Unstimmigkeit Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 791 f.), was teils zu einer ungerechtfertigten (und geradezu kontra-intentionalen) Ungleichbehandlung im Verhältnis zu produktbezogenen Regeln (die demgegenüber weiterhin in den Genuß der Rechtfertigungsmöglichkeit nach Cassis kämen) führen könnte. Im Ergebnis richtiger wäre es demgegen-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
man differenziert179 zwischen grenzüberschreitenden Vertriebshandlungen (die sich – im Falle des einheitlich organisierten Marketings und Vertriebs in mehreren Länder im Sinne eines echten „Euro“-Marketings und -Vertriebs – sozusagen in einem genuin binnenmarktlichen Rahmen abspielen und bei denen das erweiterte Beschränkungsverbot unlimitiert gilt) und rein nationalen Vertriebssituationen (in denen sich der ausländische Anbieter gewissermaßen „freiwillig“ in einen anderen Markt begeben hat und in denen dann konsequenterweise nur das Diskriminierungsverbot im engeren Sinne gilt) und gibt damit die (für die problematischen Fälle im Ergebnis ohnedies irrelevant gebliebene) Keck-Formel für grenzüberschreitende Vertriebshandlungen auf 180. Jeder der beiden genannten Wege181, die EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten wieder in ein kohärentes System zu bringen, hat bestimmte Vor- und Nachteile. Der erstgenannte Weg dürfte der Spruchpraxis des Gerichtshofs näherstehen, der zweitgenannte Weg den Vorteil der Methodenehrlichkeit und Rechtsanwendungsklarheit durch Trennschärfe mit sich bringen182.
über aber insoweit von einer Rechtfertigungsmöglichkeit nach der Cassis-Formel auszugehen (was der EuGH in Verb. Rs. C-34–36/1995 (De Agostini), Slg. 1997, I-3843, Rz. 52 f. auch in der Tat tut), vgl. mit diesem zutreffenden Ansatz wohl auch Enchelmaier, aaO., S. 262 ff., für den ein „Proportionalitätstest“ darüber entscheiden müßte, ob überhaupt eine Diskriminierung vorliegt, die dann in Art. 30 EG führen würde; ähnlich im Ergebnis Drexl, aaO. auf der Grundlage seiner auf der Differenzierung zwischen rein nationalen und grenzüberschreitenden Vertriebsmaßnahmen basierenden Systematik. Hinzu kommen prozeßrechtliche Irrwege, die die vermeintlich „vorgeschaltete“ Weichenstellung zwischen „Produktbezogenheit“ oder „Vertriebsbezogenheit“ der mitgliedstaatlichen Regelung in der Literatur – im Rahmen des verständlichen Versuchs, ihr einen nachvollziehbaren Regelungsgehalt zuzuordnen – ausgelöst hat. So glaubt Barnard, 26 E.L.Rev. 2001, 35, 45, aus De Agostini schließen zu können, daß der Qualifikation einer Maßnahme als „vertriebsbezogen“ zumindest die Bedeutung einer „Beweislastumkehr“ (der Begriff ist „irreführend“, da es in dieser im Kern rechtlichen Frage wohl allenfalls um eine Umkehrung der Vortragslast gehen könnte) mit Blick auf die beschränkende Wirkung zukomme; dagegen zu Recht Enchelmaier, aaO., 283, und nunmehr wohl auch EuGH (o. Fn. 171) – DocMorris, Rz. 68. 179 S. Drexl, aaO., 789 ff. 180 Der Vorteil dieser Lösung liegt in ihrer Methodenehrlichkeit, prozeßrechtlichen Klarheit und in der (hier klar zu begründenden) einheitlichen Rechtfertigung im Rahmen der Cassis-Formel für die Beschränkungsverbote bezüglich grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit. Der – freilich weniger juristische, wohl aber pragmatisch-rechtspolitische – Nachteil liegt darin, daß diese Lösung – obwohl sich (zumal mit Blick auf die später ergangene AlpineEntscheidung im Bereich der Dienstleistungsfreiheit) gut argumentieren läßt, daß die KeckFormel auf grenzüberschreitenden Verkehr im Rahmen der anderen Grundfreiheiten bewußt (?) nie angewandt worden sei (vgl. schon o. Fn. 178 zu dieser Argumentation und ihren Grenzen) – doch insgesamt rein praktisch auf den ersten Blick weniger Chancen zu haben scheint, sich in der EuGH-Rechtsprechung durchzusetzen, als die erstgenannte Lösung, die sich gewissermaßen wie ein trojanisches Pferd von innen in die Keck-Formel einschleicht (vgl. mit einer dementsprechenden alternativen Lesart von Alpine im Rahmen der Keck-Doktrin auch in der Tat Enchelmaier, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rz. 118). S. im übrigen nunmehr auch mit einer Ausdehnung der Keck-Formel auf grenzüberschreitenden Vertrieb EuGH (o. Fn. 171) – DocMorris, Rz. 68 ff., wobei dann wenig überraschend in diesem Fall die Voraussetzung rechtlich und tatsächlich unterschiedsloser Anwendbarkeit nicht erfüllt war, so daß eine Maßnahme gleicher Wirkung vorlag. 181 S. auch Beater, § 7, Rz. 23 ff. mit weiteren Erklärungsansätzen und Nachweisen. 182 S. nur die bloßen Andeutungen in o. Fn. 178 und 180.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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Letztlich kann die Frage, welchem der Ansätze man an diesem Scheideweg der neueren Dogmatik folgt, für unsere Untersuchung sogar offenbleiben. Spezifisch für das Verhältnis Vertragsrecht/Wettbewerbsrecht ergeben sich keine zusätzlichen Erkenntnisse und bis auf den – immerhin durchaus relevanten – potentiellen Unterschied bezüglich der Rechtfertigungsmöglichkeiten183 ist zumal das Ergebnis für genuin supranationales „Euro“-Marketing und für den sich im Regelfall anschließenden grenzüberschreitenden Vertrieb ein und dasselbe: Nationale Regelungen, die bezüglich grenzüberschreitenden Marketings und Vertriebs im Vergleich zum Herkunftsstaatsrecht einen strengeren Standard und damit eine Erschwerung konstituieren, sind im Rahmen von Keck nach richtiger Auffassung nicht der europarechtlichen Kontrolle entzogen, sondern am inhaltlichen Maßstab des europäischen Binnenmarktrechts, wie es sich in der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten und im Sekundärrecht verkörpert, zu messen – gleichgültig, ob es sich um produkt- oder vertriebsbezogene Regelungen handelt184. Hinzu kommt – wiederum in beiden der hier vorgestellten Ansätze im Ergebnis vorhanden – ein subjektives Recht auf Marktzugang aus den Grundfreiheiten, welches sogar dann wirkt, wenn der rechtliche Standard im Herkunftsstaat nicht liberaler ist und welches seine rechtliche Relevanz bei der Beurteilung totaler Werbeverbote am Maßstab europäischen Sachrechts gewinnt185. Wie kam es dann zu dem Aktionismus im Nachklang von Keck, der den Gemeinschaftsgesetzgeber veranlaßte, die Vervollkommnung des Binnenmarkts bezüglich supranationaler Medien zunehmend zum Gegenstand europäischen Sekundärrechts zu machen? Die Gründe sind wohl zweierlei Natur: Derartige Regulierungen können schon deshalb geboten sein, um – für den (über die unmittelbare Harmonisierung unter Umständen hinausreichenden186) gesamten koordinierten Bereich bestimmter Richtlinien – die Rechtfertigungsmöglichkeit für überschießende mitgliedstaatliche Regelungen nach der Cassis-Formel abzuschneiden; sie sind also einerseits notwendig, weil sie mit Blick auf den Binnenmarkt schlicht strenger und damit effektiver sind als die Rechtsprechung des Gerichtshofs187. Zum anderen – und damit ist der zweite Grund für die nun zu 183
S. o. Fn. 178 und 180. S. deutlich MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 42; vgl. bezüglich sekundärrechtlicher Herkunftslandregeln für eine ähnliche (binnenmarktfunktionale) Konzeption sogleich unten (2) (bei Fn. 195 und 196). 185 EuGH Rs. 405/98 (Gourmet), Slg. 2001, I-1795, Rz. 21 ff.; EuGH Rs. C-189/95 (Franzén), Slg. 1997, I-5909; sowie auch Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 792; Enchelmaier, Yearbook of European Law 22 (2003), 249. 186 In diesem unmittelbar regulierten Bereich ist schon nach der Rechtsprechung des EuGH eine Rechtfertigung strengerer nationaler Regelungen aufgrund der Cassis-Doktrin nicht mehr möglich, sofern es an einer expliziten Mindestklausel fehlt, vgl. eindeutig und verallgemeinerbar EuGH Rs. C-183/00 (González Sánchez), Slg. 2002, I-3901, Rz. 25 ff. (zur Produkthaftungs-RL unter Betonung des Binnenmarktwecks und mit ausdücklicher Abgrenzung zu Richtlinien mit Mindestklauseln). 187 Auf die Tatsache, daß selbst auf der Grundlage einer fundamentalen Kritik an oder einer Neuinterpretation von Keck und damit einer Wiederausdehnung des Einflusses der Grundfrei184
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
thematisierende Binnenmarktaktivität der Kommission angesprochen – war in der Zeit unmittelbar nach der Keck-Entscheidung durchaus nicht sicher, wie der Kontrollmaßstab der Grundfreiheiten sich im Fallrecht des Gerichtshofs fortentwickeln würde, zumal das Gericht von der Möglichkeit, nunmehr bestimmte Fallgestaltungen als von vornherein unproblematisch auszuscheiden, in einigen Folgeentscheidungen durchaus offensiven Gebrauch machte188. Obwohl diese Folgeentscheidungen nach Keck sämtlich berechtigt waren – tatsächlich kam es eben in keinem der Fälle zu einer rechtlichen oder faktischen Ungleichbehandlung im Rahmen der vertriebsbezogenen Regeln –, mußte dies aus Sicht der Kommission ein bedrohliches Szenario mit Blick auf genuin grenzüberschreitende Medien fürchten lassen. Die prompte Reaktion findet sich in erster Linie im Binnenmarkt-Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie189 – und damit wesentlich im Bereich des Lauterkeitsrechts im Internet. heiten, wie sie sich in den neueren Urteilen vollzieht, das eigentliche Problem die Rechtfertigungsmöglichkeit der Mitgliedstaaten auf Grundlage der Cassis-Formel bleibt, weist auch Müller-Graff, Basic Freedoms, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (eds.), Party Autonomy, S. 133, 149 hin. S. illustrativ zuletzt auch EuGH (o. Fn. 171) – DocMorris, Rz. 102 ff., zur Rechtfertigung der Beschränkungen des Versandhandels von Medikamenten nach Art. 30 EG. 188 S. im Nachhall von Keck nur EuGH Rs. C-292/92 (Hünermund), Slg. 1993, I-6787 (betreffend standesrechtliche Werbebeschränkungen der Apotheker für nahezu jede Form der Werbung für apothekenübliche Waren außerhalb von Apotheken); Verb. Rs. C-401/92 und C- 402/93 (Tankstation t´Heukske), Slg. 1994, I-2199 (betreffend Regelungen über Öffnungszeiten für Tankstellen); Verb. Rs. C-69/93 und C-258/93 (Punto Casa), Slg. 1994, I-2355 sowie Verb. Rs. C-418/93 u.a. (Semeraro Casa), Slg. 1996, I-2975 (beide betreffend Restriktionen bzgl. der Sonntagsöffnungszeiten). Doch waren diese sämtlichen Entscheidungen eben auch auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung (und damit ohne von der formalistischen Differenzierung in Keck überhaupt Gebrauch machen zu müssen) durchaus berechtigt, da die entsprechenden mitgliedstaatlichen Regelungen rein nationale Vertriebssituationen betrafen und auch keinerlei Nachteil für ausländische oder europaweite Anbieter beim Marktzugang mit sich brachten. Einer näheren Analyse bedarf dies allenfalls – wenn überhaupt – in den Fällen Hünermund (aaO.) sowie bezüglich der etwas später ergangenen Entscheidung in Rs. C-412/93 (Leclerc Siplec), Slg. 1995, I-179 (die das Verbot einer Werbung für Kraftstoffe in Supermärkten betraf), da die jeweils streitgegenständlichen mitgliedstaatlichen Regelungen in diesen Fällen potentiell wohl zumindest denkbarerweise zu einer Erschwerung beim Marktzugang für ausländische newcomer auf dem nationalen Markt im Vergleich zu ihren Wettbewerbern führen konnten (s. inzwischen nur EuGH, Verb. Rs. C-34/95, C-35/95, C-36/95 (De Agostini), Slg. 1997, I-3843, Rz. 42 ff., sowie auch die Schlußanträge des Generalanwalts Jacobs in Leclerc-Siplec: „direct and substantial hindrance of access to the market“). Im Ergebnis sind jedoch auch diese Entscheidungen wohl zutreffend: In Hünermund war lediglich den Apothekern die Werbung außerhalb von Apotheken für apothekenübliche Waren verboten, so daß ausländischen Herstellern hinreichend Möglichkeit blieb, durch eigene Werbung oder auch Werbung Dritter – bezüglich derer die Restriktion nicht bestand – in den nationalen Markt einzudringen; und in Leclerc-Siplec war es letztlich nur eine (zumal besonders außergewöhnliche) Marketingmethode für den Vertrieb von Kraftstoffen – die Ausstrahlung in Supermärkten – welche verboten war, was wiederum genügend werbliche Alternativen für Wettbewerber offenließ, den nationalen Markt durch anderweitige kommerzielle Kommunikation zu durchdringen. Vgl. mit einem instruktiven Überblick über das Fallrecht nach Keck auch Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 74 ff.; sowie umfassend Heermann, Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht, Art. 28, Rz. 269 ff. (S. 115 ff.). 189 Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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(2) Binnenmarktharmonisierung durch den europäischen Gesetzgeber seit Keck (a) Fernseh-Richtlinie und E-Commerce-Richtlinie War noch in der Fernseh-Richtlinie (in ihrer Interpretation durch den EuGH) das in ihren Art. 2, 2a enthaltene Binnenmarkt-Herkunftslandprinzip auf den von der Richtlinie angeglichenen Bereich begrenzt190 und damit der grundsätzlich gebotene Gleichklang von Herkunftslandprinzip und Harmonisierung des materiellen Rechts gewahrt, so ging die E-Commerce-Richtlinie einen Schritt weiter. Für den gesamten koordinierten Bereich der Richtlinie – und damit gemäß Art. 2 lit. h ECommerce-RL praktisch für sämtliche direkt oder indirekt die Geschäftstätigkeit im Internet betreffenden bereichsspezifischen oder allgemeinen rechtlichen Regeln (!)191 – sah Art. 3 E-Commerce-Richtlinie das Binnenmarkt-Herkunftslandprinzip vor. Aufgrund des freilich recht umfangreichen Ausnahmekatalogs im Anhang zur Richtlinie192 (der für unser Thema bemerkenswerterweise insbesondere auch den Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse in Bezug auf Verbraucherverträge umfaßte) lag die Hauptrelevanz des Binnenmarkt-Herkunftslandprinzips gerade im Bereich des Lauterkeitsrechts, soweit es verbindliche Anfordeder Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. L 178 v. 17.7.2000, 1–16 (E-Commerce-Richtlinie). 190 So insbesondere EuGH, Verb. Rs. C-34/95, C-35/95, C-36/95 (De Agostini), Slg. 1997, I3843, Rz. 24 ff. (insbesondere 32–34); s. nunmehr auch EuGH Rs. C-429/02 (Bacardi . /.Télévision Francaise), Slg. 2004, I-6613, Rz. 24 ff., derzufolge die sogenannte „indirekte Fernsehwerbung“ – mithin Werbung durch im Hintergrund befindliche Werbetafeln u.ä., d.h. insbesondere Bandenwerbung bei Sportveranstaltungen – nicht von der Fernseh-Richtlinie erfaßt wird. 191 S. nunmehr aber auch EuGH Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband . /.DocMorris), Slg. 2003, I-4887, Rz. 138 ff., wo der Gerichtshof die von ihrem unabsehbar weitreichenden koordinierten Bereich her an sich einschlägige E-Commerce-Richtlinie bezüglich eines Werbeverbots für Arzneimittel nicht einmal erwähnt (s. nur Mand, MMR 2004, 155, 158). Im Ergebnis – wenn auch mit gänzlich fehlender Begründung – dürfte dies freilich deshalb zutreffend sein, weil die E-Commerce-Richtlinie in Art. 1 Abs. 3 klarstellt, daß das gemeinschaftsrechtliche Schutzniveau insbesondere für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz, soweit es sich aus Gemeinschaftsrechtsakten und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu deren Umsetzung ergibt, unberührt bleibt, soweit die Freiheit, Dienste der Informationsgesellschaft anzubieten, dadurch nicht eingeschränkt wird; anders ausgedrückt: das erreichte Schutzniveau im acquis communautaire samt der entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen in den angeglichenen Feldern geht der vollkommenen Freistellung des zwischenstaatlichen E-Commerce durch das Herkunftslandprinzip (ohne Rechtfertigungsmöglichkeit für weitergehende nationale Maßnahmen in den Empfangsstaaten) vor. Dies entspricht im übrigen genau der hier vertretenen Auffassung zum Charakter des Binnenmarktkonzepts der Gemeinschaft, das neben dem Integrationsziel eben auch die Sicherung materieller Freiheit und sonstiger Verbraucherinteressen im institutionellen Sinne beinhaltet. In Fall DocMorris war es die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimitte, Abl. EG 2001 L 311, S. 67, die das im acquis erreichte Schutzniveau fixierte und solcherart sich gegen den durch die E-Commerce-Richtlinie fixierten Grundsatz gegenseitiger Anerkennung (ohne Rechtfertigungsmöglichkeit) durchsetzte. Vgl. aber zweifelnd hinsichtlich der konkreten Reichweite des Gemeinschaftskodex und der Vereinbarkeit des deutschen Rechts mit dem Kodex, Mand, aaO. 192 S. Art. 3 Abs. 3 E-Commerce-Richtlinie i.V.m. dem Anhang.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
rungen für Internet-Angebote mit sich brachte – was praktisch das gesamte Lauterkeitsrecht der Mitgliedstaaten beinhaltet. Für den Bereich des Internet-Marketings insgesamt (sowie teilweise für den Bereich grenzüberschreitenden Fernsehens193) wird mithin das Marktortprinzip des Kollisionsrechts innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums194 weitgehend überformt und ergänzt durch das Binnenmarkt-Herkunftslandprinzips des europäischen Sekundärrechts. Die Herkunftslandregelung der E-Commerce-RL ist dabei im Interesse des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes (einschließlich eines angemessenen Schutzniveaus) – mindestens solange keine Harmonisierung der Durchsetzungsvorschriften erfolgt – nach richtiger Auffassung im Sinne eines materiell-europarechtlichen (binnenmarktfunktionalen) Prinzips aufzufassen195, 193 Auf die in diesem Bereich hinsichtlich der Reichweite des Binnenmarkt-Herkunftslandprinzips aufgrund der restriktiven Interpretation durch den EuGH (s. o. Fn. 190) bedauerlicherweise bestehenden Lücken für eine effektive Heranziehung des Binnenmarkt-Herkunftslandprinzips zugunsten europäischer multistate-Werbung hat schon Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, S. 58, hingewiesen. Die künftige weitreichende Harmonisierung durch die Lauterkeits-RL wird an dieser Stelle angesichts der reichen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, welche noch auf lange Zeit eine unterschiedliche Anwendung der Umsetzungsvorschriften in den Mitgliedstaaten fürchten lassen, allenfalls im Rahmen einer langfristigen Perspektive helfen, vgl. insoweit auch noch unten (b) und 2. 194 Eine inhärente (und nach derzeitigem Stand wohl unvermeidbare) Diskriminierung bringt dies allerdings für die Anbieter aus Drittstaaten mit sich, vgl. an dieser Stelle nur Drexl, Revue Internationale de Droit Economique 2002, 405, 432 f. 195 Die wissenschaftliche Diskussion in Deutschland um den Rechtscharakter des Binnenmarkt-Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Richtlinie ist schier unerschöpflich (vgl. die launige Stellungnahme in diesem Sinne bei Mankowski, MMR 2003, XXVI, dort auch mit zahlreichen weiteren Nachweisen insbesondere zu der „ganzen Reihe“ von Dissertationen in diesem Bereich). Die Diskussion kann hier nicht annähernd erschöpfend nachgezeichnet werden. Statt aller sei auf die fundierten und repräsentativen Beiträge von Spindler, RabelsZ 66 (2002), 633 ff. und Grundmann, RabelsZ 67 (2003), 246 ff., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen, verwiesen. Die Auffassung des Verf. zum Zusammenspiel von europäischem Kollisionsrecht und binnenmarktfunktionalen Herkunftslandprinzipien im europäischen materiellen Recht wurde ausführlich begründet in Leistner, in: Drexl/Kur (ed), Intellectual Property and Private International Law, S. 177 ff.; bündig für den Bereich des E-Commerce, s. auch ders, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, Rz. 75 ff. (dort mit umfassenden weiteren Nachweisen); vgl. auch Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141 f., 157 f. zum Herkunftslandprinzip im ursprünglichen Vorschlag der Kommission für eine LauterkeitsRichtlinie. Diese Auffassung verdankt vieles den Beiträgen von Ahrens, CR 2000, 835 ff.; Fezer/ Koos, IPRax 2000, 349 ff.; Ohly, GRUR Int. 2001, 899 ff.; vgl. zuletzt auch MüKo-Drexl, IntUnlWettbR, Rz. 33 ff., und Glöckner, S. 318 ff.; s. zu ihrer praktischen Begründung gerade im Vergleich zur abweichenden Bewertung im Vertragsrecht nach der hier vertretenen Auffassung noch unten 2. Dogmatisch wird das Herkunftslandprinzip nach der hier vertretenen Auffassung in der Tradition der EuGH-Rechtsprechung zum Grundsatz gegenseitiger Anerkennung gesehen und folglich als binnenmarktfunktional zu interpretierende, materiell-europarechtliche Vorschrift aufgefaßt (was auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung zum Verständnis der Grundfreiheiten nur konsequent ist, vgl. dagegen mit einem kollisionsrechtlichen Verständnis schon der Grundfreiheiten Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 ff. und hierzu schon o. Fn. 147 und 177), deren sachrechtliche Anwendung freilich im Einzelfall einen Günstigkeitsvergleich und mithin eine Art „doppelte Anknüpfung“ voraussetzt, so daß ein „kollisionsrechtlicher Mindestgehalt“ der entsprechenden Vorschriften nicht zu leugnen ist (so auch Ohly, aaO., 902 unter Hinweis auf Katzenberger). Vgl. demgegenüber für den klarsten Vertreter der Gegenposition,
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welches in grenzüberschreitenden Situationen im Internet ein Anwendungsverbot für diejenigen Vorschriften der Empfangsstaaten mit sich bringt, die einen strengeren Standard etablieren als im angeglichenen europäischen Recht bzw. im Recht des Herkunftsstaates196.
Eine entsprechende gemeinschaftsrechtliche „Korrektur“ der zwingenden Anknüpfung des Verbrauchervertragsrechts im EVÜ für das Internet (oder darüber hinaus) fehlt demgegenüber in der E-Commerce-Richtlinie, was paradox anmuten muß, ist doch der erreichte Harmonisierungsstandard materiellen Rechts im Gebiet des Verbrauchervertragsrechts jedenfalls bisher weit ausgedehnter und höher als im Bereich des Lauterkeitsrechts. Dies betrifft unmittelbar das hier behandelte Schnittfeld und darauf wird zurückzukommen sein197. Zuvor ist noch die weitere Entwicklung nachzuskizzieren. Entscheidend war insoweit, daß sich die sekundärrechtliche Binnenmarkt-Herkunftslandsregel der E-Commerce-Richtlinie von der EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten – in deren Tradition sie unbestritten steht – drastisch dadurch unterscheidet, daß für Vorschriften nationalen Rechts die Rechtfertigungsmöglichkeit im Einzelfall198 nach der Cassis-Formel im gesamten koordinierten Bereich der E-Commerce-Richtlinie nicht länger gegeben ist. Mitgliedstaatliche Schutzstandards die das Binnenmarkt-Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie uneingeschränkt kollisionsrechtlich interpretiert, Mankowski, GRUR Int. 1999, 909, 912 ff.; Mankowski, IPRax 2002, 257 ff.; Mankowski, ZVglRWiss 100 (2001), 137 ff. S. für die konsequente Fortentwicklung dieser Position, die vom kollisionsrechtlichen Verständnis der Grundfreiheiten über die kollisionsrechtliche Interpretation des Herkunftslandprinzips bis hin zu einem Vorschlag einer kollisionsrechtlichen Herkunftslandregel für Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb in grenzüberschreitenden Medien reicht, die dementsprechenden Kommentare der Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 2, 19 f., zum ursprünglichen Vorentwurf der Kommission für einen Vorschlag für eine „Rom-II“-Verordnung des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht und kritisch hierzu Leistner, in: Drexl/Kur (ed), Intellectual Property and Private International Law, S. 177, 188. 196 Insbesondere Ohly, aaO., 902 ff., hat verdeutlicht, daß eine wesentliche Konsequenz des binnenmarktfunktionalen Verständnisses des Herkunftslandprinzips darin liegt, daß in „punktgenau“ harmonisierten Bereichen das kollisionsrechtlich bestimmte mitgliedstaatliche Recht unmittelbar angewendet werden kann (wobei dann dessen Vereinbarkeit mit dem „punktgenau“ geregelten europäischen Standard gegebenenfalls durch eine Vorlagefrage gem. Art. 234 EG zu klären ist, vgl. in diesem Sinne zuletzt auch für das „Herkunftslandprinzip“ aus Art. 4 Lauterkeits-RL Ohly, WRP 2006, 1401, 1406 ff.), während in Bereichen mit Mindestangleichung es in einem ersten Schritt genügt festzustellen, ob das durch Kollisionsrecht bestimmte nationale Recht über den europäischen Mindeststandard hinausgeht (da es andernfalls von vornherein nicht unzulässig den Binnenmarkt beschränken kann). Zu den Einzelheiten und (auch institutionellen) Vorteilen eines solchen Ansatzes sowie insbesondere zur Begründung, warum hierin kein Verstoß gegen das in der Rechtsprechung des Gerichtshofs gefestigte Verbot der horizontalen Direktwirkung von Richtlinien (s. nur EuGH Rs. C-91/92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rz. 2) liegt, vgl. Leistner, in: Drexl/Kur (ed), Intellectual Property and Private International Law, S. 177. 196 f. In der Rechtsprechung des EuGH scheint letzthin insbesondere die DocMorris-Entscheidung (s. insoweit o. Fn. 191) genau in die hier vorgeschlagene Richtung zu weisen. 197 S. unten 2. 198 Das schwerfällige Notifikations- und Rechtfertigungsverfahren der Art. 3 Abs. 4–6 ECommerce-Richtlinie, welches zum Teil den Art. 95 Abs. 4 ff. nachempfunden ist, kann im Einzelfall nicht effektiv zur Rechtfertigung herangezogen werden, sondern richtet sich im wesentlichen an den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber.
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konnten also – außerhalb angeglichener Bereiche – nicht länger in gewissem Ausmaß rechtfertigt werden, die Möglichkeit, auf diese Weise durch Herausschneiden lediglich der „Spitzen“ staatlichen Überschutzes ein angemessenes Schutzniveau in der Gemeinschaft zu erreichen, entfiel. Damit hatte sich die Kommission einen erheblichen Harmonisierungsdruck bezüglich des materiellen Rechts des unlauteren Wettbewerbs – gewissermaßen in Ersetzung des alten Zusammenspiels von Rechtsprechung des Gerichtshofs und nachfolgender sekundärrechtlicher Harmonisierung in spezifischen Teilbereichen – in diesem Falle pauschal für ein gesamtes Rechtsgebiet nunmehr selbst geschaffen199; die E-Commerce-Richtlinie wurde zum Anstoß der Bemühungen um eine Wiederbelebung der alten Versuche, das Lauterkeitsrecht der Mitgliedstaaten anzugleichen. Das Verbrauchervertragsrecht war in diesem gesamten Zusammenhang, wie erwähnt, paradoxerweise außen vor geblieben, obwohl doch in diesem Bereich der bereits erreichte Harmonisierungsstand eher gestattet hätte, dem Funktionieren des Binnenmarktes Priorität einzuräumen, ohne hier – wie im Lauterkeitsrecht geschehen – die innere Logik des Harmonisierungsprozesses gewissermaßen (und wertfrei formuliert, da diese Vorgehensweise für das Lauterkeitsrecht ja durchaus Zustimmung verdiente200) auf den Kopf zu stellen und den zweiten Schritt vor dem ersten zu vollziehen. (b) Die Perspektive: Bereichsspezifische Harmonisierung oder „kombinierter Ansatz“? Zwei grundverschiedene Ansätze konkurrierten ursprünglich bezüglich der nun anstehenden Harmonisierungsaufgabe im Lauterkeitsrecht, wobei die unterschiedlichen Denkmodelle einer unterschiedlichen Herkunft der Vorschläge innerhalb der Kommission entsprachen 201. Ein punktueller Ansatz, der – gewisser199 Vgl. etwa Ohly, GRUR Int. 2001, 899, 906: Katalysatorfunktion im Hinblick auf die Identifikation des materiellen Harmonisierungsbedarfs; zustimmend Harte/Henning-Glöckner, Einl C, Rz. 17; Glöckner, S. 61. 200 S. zu den (für den Bereich des Lauterkeitsrechts mittlerweile durchaus erfüllten) Bedingungen, unter denen ein materiell-rechtlich aufgefaßtes, sekundärrechtliches Herkunftslandprinzip binnenmarktfunktional wirken könnte, Leistner, in: Drexl/Kur (ed), Intellectual Property and Private International Law, S. 177, 194 ff., sowie auch unten 2 in Zusammenschau mit dem Vertragsrecht. 201 Nachdem der durch die E-Commerce-Richtlinie aufgebrochene Harmonisierungsbedarf im Bereich unlauterer Handelspraktiken offensichtlich geworden war, kam es zu einem Kompetenzkonflikt innerhalb der Kommission zwischen der Generaldirektion (GD) Binnenmarkt und der Verbraucherschutzgeneraldirektion (GD-SANCO): letztlich wurde dieser dahingehend gelöst, daß die Generaldirektion Binnenmarkt für den B2B-Bereich zuständig blieb, während die Zuständigkeit der GD SANCO auf den B2C-Bereich begrenzt wurde (s. für diese Hintergründe schon mit Blick auf das Verbraucherschutzgrünbuch vom 2. Oktober 2001 [Dok. KOM (2001) 531 endg., im folgenden: Grünbuch Verbraucherschutz 2001], die Stellungnahme von Glöckner, European Law Reporter 2002, 42 ff.; Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 200 ff.). Das Resultat dieser internen Kompetenzverteilung war das Nebeneinander des punktuell-bereichsspezifisch orientierten Verkaufsförderungs-VO-Vorschlags (aus der GD Binnenmarkt) und des umfassend konzipierten – freilich dann immanent systemwidrig aus Kompetenzgründen auf
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maßen auf der Grundlage des Erreichten – sich nunmehr bereichsspezifisch aufbrechenden, besonders problematischen Einzelfeldern zu widmen suchte202, sowie ein umfassendes Denkmodell, welches auf Grundlage einer Rahmen-Richtlinie eine kohärente Harmonisierung des Lauterkeitsrechts für die Zukunft erstrebt. Mit der Verabschiedung der Lauterkeits-Richtlinie vom 11. Mai 2005 hat sich für den Augenblick das sachlich umfassend konzipierte Harmonisierungsmodell durchgesetzt. Im Rahmen des sogenannten „kombinierten Ansatzes“ soll die Lauterkeits-Richtlinie als eine Art „Auffangnetz“ oder Regenschirm funktionieren, in dessen durch Generalklauseltechnik weit aufgespanntem Rahmen einzelne punktuelle Regelungen gegebenenfalls zukünftig entstehende oder zu regelnde spezifische Probleme lösen; umfassende Kataloge mit per se-Verboten konkretisieren zudem die Generalklauseln (und verdrängen sie im praktischen Ergebnis weitgehend) im Interesse effektiver Harmonisierung und der Rechtssicherheit. Diesem übergreifenden Konzept waren freilich durch den oben angedeuteten Kompetenzkonflikt innerhalb der Kommission von vornherein „die Flügel beschnitten“. den B2C-Bereich begrenzten – Vorschlags für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern (Dok. KOM (2003) 356 endg., im folgenden Lauterkeits-Richtlinienvorschlag) aus der Verbraucherschutzgeneraldirektion. Vgl. zum ganzen nunmehr auch Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 151 ff. mwN; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG Einl, Rz. 3.58 ff. und 3. 68. 202 Der der GD Binnenmarkt entstammende Vorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt ließ sich zwanglos der vorstehend beschriebenen, in erster Linie binnenmarktorientierten Harmonisierungstradition zuordnen. Die konzeptionelle Wurzel ist dieselbe, wie bei der E-Commerce-Richtlinie, mithin das Grünbuch über kommerzielle Kommunikationen im Binnenmarkt von 1996 (Dok. KOM (1996) 192 endg. v. 8. Mai 1996) und das zugehörige follow-up Dokument von 1998 (Dok. KOM (1998) 121 endg. v. 4. März 1998). Das Grünbuch nimmt eine hauptsächlich binnenmarktorientierte Perspektive ein, derzufolge das wesentliche Ziel der Harmonisierung im Bereich der kommerziellen Kommunikationen in der Beseitigung der Hindernisse für die Entwicklung eines Binnenmarkts besteht, wodurch zugleich die Wachstumschancen dieses Sektors genutzt und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen gestärkt werden sollen. Gemäß der „Mitteilung der Kommission über Verkaufsförderungen im Binnenmarkt“ vom 2. Oktober 2001 (Dok. KOM (2001) 546 endg.) wurde insoweit der Bereich der Verkaufsförderungen, d.h. Rabatte, unentgeltliche Zuwendungen Zugaben sowie insbesondere Preissausschreiben und Gewinnspiele, als besonders problematisch identifiziert. Der Verkaufsförderungs-VO-Vorschlag nimmt sich dieses Bereichs in klassisch binnenmarktorientierter Art und Weise an und verfolgt dabei inhaltlich die informationsorientierte Binnenmarktkonzeption eines aktiven, eigenverantwortlichen Verbrauchers (vgl. dazu noch unten III 1 b und öfter). Entsprechend kombiniert der strikt bereichsspezifische Ansatz Vorschriften über die grundsätzliche Zulässigkeit von sales promotions mit extensiven Informationspflichten, die die Rechte der Kunden schützen sollen, und sichert das Harmonisierungsziel mit Hilfe eines Prinzips gegenseitiger Anerkennung ab. Die typischen Elemente des binnenmarktorientierten Harmonisierungsansatzes sind demnach in aller Klarheit vorhanden. Bemerkenswert ist, daß eine Verordnung als Instrument vorgeschlagen wurde: die Kommission begründete dies mit dem Erfordernis rascher und besonders einheitlicher Harmonisierung, welches durch die einheitliche Eurowährung im Binnenmarkt mit Blick auf Verkaufsförderaktionen gegeben sei. Die innere Logik des bereichsspezifischen Harmonisierungskonzepts, wie es der Verkaufsförderungs-VO-Vorschlag verfolgt, setzt letztlich für das Lauterkeitsrecht als ganzes und seine Rückwirkungen auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts mehr auf internationalprivatrechtliche Lösungen und weniger auf umfassende Harmonisierung.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Denn entsprechend ihrer Herkunft aus der Verbraucherschutzgeneraldirektion (SANCO) beschränkt sich die Lauterkeits-Richtlinie – jeweils in bemerkenswerter Abweichung von der horizontalen, die Schutzzwecktrias für das europäische Recht formulierenden Irreführungs-Richtlinie, die nunmehr entsprechend limitiert wurde203 – in ihrem Anwendungsbereich auf B2C-Situationen und auch hinsichtlich ihrer Zielsetzung (neben der Vervollkommnung des Binnenmarkts) ausdrücklich auf den Schutz der Verbraucher, da der Schutz der Mitbewerber angesichts der in diesem Bereich schlummernden Kompetenzkonflikte bewußt ausgeklammert werden und es insoweit bei der rudimentären Harmonisierung durch die Irreführungs-RL bleiben sollte204. Die Orientierung auf den Verbraucherschutz scheint die Richtlinie in ihrer endgültigen Fassung – trotz des Konzepts der Vollharmonisierung, das aber angesichts unterschiedlicher lauterkeitsrechtlicher Traditionen in den Mitgliedstaaten und der reichen Verwendung unbestimmter Rechsbegriffe wohl allenfalls ein Fernziel markieren kann 205 – sogar in die Nähe der oben beschriebenen Tradition 203
S. auch schon oben 1 a (1). Vgl. auch Erwägungsgrund 8 Lauterkeits-RL und die Begründung des Lauterkeits-Richtlinienvorschlags, Rz. 39 ff. Hinter der Problematik steht (neben den internen Kompetenzschwierigkeiten der Kommission) auch der schon seit jeher schwelende Konflikt zwischen kontinentaleuropäischen Mitgliedstaaten und den common law Staaten England und Irland um die Frage des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes. Vgl. zu dieser Problematik und den insoweit bestehenden grundlegenden Differenzen (die sich freilich letzthin ebenfalls graduell verringern), überblicksartig Leistner, in: Basedow/Drexl/Kur/Metzger, Intellectual Property in the Conflict of Laws, S. 129 ff.; grundlegend Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, 1997, S. 73 ff. S. im übrigen bezüglich der dem Wesen unlauteren Wettbewerbs, welcher typischerweise untrennbar sämtliche der in der Schutzzwecktrias vereinten kollektiven Interessen berührt, zuwiderlaufenden schutzzweckbezogenen Aufspaltung des europäischen Rechts in einen verbraucherschützenden und einen mitbewerberschützenden Teil kritisch die einhellige Meinung in der deutschen Literatur, s. statt vieler etwa Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019 ff.; Henning-Bodewig, GRUR Int. 2004, 183, 188 f.; Köhler, NJW 2004, 2121, 2126; Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 172 ff.; Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 227 ff.; Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 175 ff. mwN; Glöckner, S. 72; positiver gestimmt bezüglich des rein verbraucherschützenden Ansatzes Keßler/Micklitz, BB 2003, 2073, 2074 f.: insgesamt schlüssiges und konsistentes Konzept; abgewogen SchulteNölke/Busch, ZEuP 2004, 99, 101 unter Hinweis auf die diesbezüglichen Spaltungslösungen in einigen Mitgliedstaaten (insbesondere Skandinaviens), deren praktische Durchführbarkeit allerdings für den spezifischen europäischen Rahmen an den Nachteilen der „Spaltungslösung“ nichts ändert, s. spezifisch zu diesem Aspekt Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 176 ff. Nach richtiger Auffassung kann dennoch in das Ziel der Vervollkommnung des Binnenmarkts – zumindest bei der Interpretation der Lauterkeits-RL – die Schutzzwecktrias im institutionellen Sinne hineingelesen werden, s. zutreffend Veelken WRP 2004, 1, 4 f., sowie auch schon bei o. Fn. 58. 205 Zutreffend Ohly, GRUR 2004, 889, 892, gegen die Auffassung der Kommission, mit der Richtlinie werde eine vollständige Angleichung im Recht der Mitgliedstaaten erzielt; ähnliche Kritik bei Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 215 ff.: die Stichhaltigkeit der Ansicht der Kommission würde voraussetzen, daß die Richtlinie klarere, weniger offene, durch unbestimmte Rechtsbegriffe geprägte Formulierungen enthält. 204
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verbraucherschützender Mindestharmonisierung zu rücken. Freilich war der Kommissionsvorschlag in seiner ursprünglichen Fassung206 mit einer klar formulierten Binnenmarkt-Herkunftslandbestimmung versehen, die den verbraucherschützenden Zweck mit dem Ziel des konsequenten Abbaus von Schranken für Euromarketing durch Konzentration der rechtlichen Kontrolle im Herkunftsstaat kombinieren sollte207; zudem wurde durch das Konzept der „punktgenauen“ Harmonisierung Rechtssicherheit für Verbraucher im Binnenmarkt erstrebt. Damit schien ein umfassender, die Ziele des Binnenmarktes und des Verbraucherschutzes miteinander kombinierender Ansatz im Prinzip durchaus möglich. Nunmehr ist aber im Verlaufe der Verhandlungen im Rat 208 nicht nur die Binnenmarkt-Herkunftslandklausel so abgeschwächt worden, daß sie bei genauem Hinsehen im praktischen Ergebnis nurmehr eine deklaratorische Wiederholung der etablierten EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten beinhaltet209, sondern insbeson206
Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern, Dok. KOM (2003) 356 endg. (im folgenden Lauterkeits-Richtlinienvorschlag). 207 Art. 4 Lauterkeits-Richtlinienvorschlag. 208 Der ursprüngliche Lauterkeits-Richtlinienvorschlag der Kommission wurde im Europäischen Parlament nur unter ganz erheblichen (mehr als 100) Änderungsvorschlägen angenommen, die den Vorschlag neben dem grundlegenden Wechsel zur Mindestharmonisierung für eine Übergangsperiode und zum materiell-rechtlich verstandenen Herkunftslandprinzip auch im übrigen in seinen Kernkonzepten (Neuformulierung der Generalklausel unter stärkerer Berücksichtigung spezifisch verwundbarer Verbraucher und Definition der Unternehmerpflichten unter Heranziehung des Konzepts von Treu und Glauben etc.) berührten, vgl. die Legislative Entschließung vom 20. April 2004 (Dok. A5–0188/2004). Auch im „Wettbewerbsfähigkeits“Rat wurde eine politische Einigung über die Verabschiedung der Richtlinie nur unter erheblichen Veränderungen erzielt, wobei insbesondere wiederum der Wechsel zum Konzept der Mindestharmonisierung für eine sechsjährige Übergangsperiode im Bereich von mitgliedstaatlichen Bestimmungen, die Mindestharmonisierungsrichtlinien umsetzen, sowie die Streichung der international-privatrechtlichen Herkunftslandbestimmung im Vordergrund standen. Vgl. für die Politische Einigung im Rat und die voraufgegangenen Verhandlungen, Dok. 9667/04 v. 25.5.2004, sowie schließlich für den Gemeinsamen Standpunkt, Dok. 11630/04 (Interinstitutional File 2003/0134 (COD)) v. 9. November 2004. Vgl. zum ganzen eingehend und mit einer kritischen Würdigung schon Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 215 ff.; neuestens auch Glöckner/ Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1312 f. mwN.; vgl. zuletzt zum verbliebenen materiellrechtlichen Herkunftslandprinzip in Art. 4 Lauterkeits-RL Ohly, WRP 2006, 1401 ff. 209 Die jetzige unglückliche Formulierung des Binnenmarkt-Prinzips in Art. 4 Lauterkeits-RL ist prompt bereits wieder zum Anlaß lebhafter rechtswissenschaftlicher Diskussion geworden (s. schon die diesbezügliche Prognose bei Ohly, GRUR 2004, 889, 891 f.). Nachdem, wie es sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte ergibt (s. dazu etwa Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 215 ff.), jedenfalls eine „echte“ internationalprivatrechtliche Herkunftslandregelung mit Art. 4 Lauterkeits-RL nicht beabsichtigt ist, bleiben aus rein dogmatischer Sicht bei erstem Hinsehen im wesentlichen zwei Interpretationsmöglichkeiten (s. Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1326 f.): Entweder man sieht Art. 4 Lauterkeits-RL als Niederlegung der materiell-europarechtlichen Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten und damit als rein deklaratorische gesetzgeberische Formulierung der Cassis-Doktrin oder man sieht die Anordnung des Herkunftslandprinzips als Maßnahme der Positivharmonisierung dahingehend, daß mitgliedstaatliche Handelsbeschränkungen in Bereichen, die mit der Richtlinie zusammenhängen, gar nicht mehr – nicht einmal durch zwingende Erfordernisse im Sinne von Cassis – gerechtfertigt werden können (umfassendes Prinzip der gegenseitigen Anerkennung). Bei genauem Hinsehen scheidet die zweite In-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
dere ist auch (was vielfach übersehen wird) das Konzept der „punktgenauen“ Harmonisierung in weiten Bereichen (nämlich überall da, wo nationale Rechtsvorschriften europäische Mindestharmonisierungsrichtlinien umsetzen, s. Art. 3 terpretationsmöglichkeit jedoch aus, da ein sinnvoller Anwendungsbereichs für ein Prinzip gegenseitiger Anerkennung, welches über den unmittelbar durch die Richtlinie angeglichenen Bereich hinausgehen müßte, da innerhalb des (voll)harmonisierten (Anwendungs-)bereichs ohnedies – schon nach der etablierten EuGH-Rechtsprechung – angesichts des Konzepts punktgenauer Harmonisierung trotz vorhandener „Ünberührt“-Klauseln keine Rechtfertigung strengerer nationaler Maßnahmen über die Cassis-Doktrin mehr in Betracht kommt (ohne daß es insoweit einer diesbezüglichen Regelung im Text der Richtlinie bedürfte, s. eindeutig und verallgemeinerbar EuGH Rs. C-183/00 (González Sánchez), Slg. 2002, I-3901, Rz. 25 ff. [zur Produkthaftungs-RL unter Betonung des Binnenmarktwecks und mit ausdücklicher Abgrenzung zu Richtlinien mit Mindestklauseln]), nicht erkennbar ist. Zwar wäre es theoretisch denkbar, daß bei „positivrechtlicher“ Interpretation i.S.e. genuinen, über die deklaratorische Wiedergabe der EuGH-Rechtsprechung hinausreichenden Grundsatzes umfassender gegenseitiger Anerkennung der Bereich, in dem die Rechtfertigungsmöglichkeit über Cassis abgeschnitten würde, weiter reichen könnte, als der unmittelbare Anwendungsbereich der Richtlinie und (im Sinne einer Art „koordinierten Bereichs“ wie in der Fernseh- oder E-Commerce-RL) noch über den unmittelbaren Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus sämtliche mitgliedstaatlichen Maßnahmen, die nur irgendwie „mit dem durch die […] Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen“, erfassen würde. Doch könnte, angesichts der weiten Formulierung schon des Anwendungsbereichs der Richtlinie (s. Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 lit. d), Erwägungsgrund 7 Lauterkeits-RL), der praktisch jede unternehmerische „Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung“ im B2C-Verhältnis umfaßt, die „in unmittelbaren Zusammenhang der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher … steh[t]“ (auf die entscheidende Bedeutung dieses Kriteriums weist auch Köhler, GRUR 2005, 793, 801, hin), ein derartiger über den Anwendungsbereich der Lauterkeits-RL hinausreichender koordinierter Bereich der Lauterkeits-RL (in dem ein gegenüber der EuGH-Rechtsprechung weiterreichender positivrechtlicher Grundsatz gegenseitiger Anerkennung gelten könnte) allenfalls auf unternehmerische Handlungen oder Unterlassungen bezogen sein, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher stehen oder die sich von vornherein nicht im B2C-Verhältnis auf die Marktgegenseite beziehen (reiner Mitbewerberschutz gegen unternehmerische Handlungen im Horizontalverhältnis, Handlungen im vertikalen B2B-Verhältnis sowie wettbewerbsrechtliche Verbote, die sich nicht gerade aus der Beeinflussung der wirtschaftlichen Verbraucherentscheidung, sondern aus sonstigen Aspekten [der guten Sitten und des Anstands] ergeben). Genau für diese (aus dem Anwendungsbereich ausgeklammerten) Bereiche geht die Konzeption der Lauterkeits-RL (s. nur deutlich Erw.-Grde. 7 und 8 Lauterkeits-RL) aber ersichtlich davon aus, daß über Cassis gerechtfertigte Maßnahmen der Mitgliedstaaten weiterhin möglich bleiben sollen, zumal ja sogar im B2B-Bereich die Irreführungs-RL (samt ihrer teilweisen Mindestklausel) weiterhin Geltung beansprucht. Dies würde sich aber zu einem Grundsatz umfassender Anerkennung für einen gesamten koordinierten Bereich sämtlicher mitgliedstaatlicher Maßnahmen, „die mit dem durch die[…] Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen“ (s. Art. 4 Lauterkeits-RL), der sich – neben dem umfassenden Anwendungsbereich der Lauterkeits-RL – sinnvollerweise gerade nur auf diese angrenzenden Bereiche beziehen könnte, in Widerspruch setzen. Insofern läuft die einzige sinnvolle Interpretation des Art. 4 Lauterkeits-RL (so sehr man dies unter dem Aspekt des Abbaus von Beschränkungen im Binnenmarkt bedauern mag) darauf hinaus, daß die Vorschrift in der Tat nur deklaratorisch den Stand der Rechtsprechung des EuGH zur Wirkung der Grundfreiheiten in vollharmonisierten Bereichen nachzeichnet (so ja auch die Haltung der Kommission, s. Ratsdok. 9667/04 v. 25.5.2004). Insofern ist jedenfalls eine explizite Umsetzung in das deutsche Recht nicht notwendig (s. im Ergebnis wie hier Seichter, WRP 2005, 1087, 1090; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl UWG, Rz. 3.65); offengelassen bei Glöckner/Hen-ning-Bodewig, aaO.). Daß eine derartige Lösung das unmittelbare Binnenmarktziel der Richtlinie – angesichts der praktisch aufgrund
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Abs. 5 Lauterkeits-RL210) zugunsten einer langen, sechsjährigen Übergangsperiode, in der es bei einer Mindestharmonisierung bleibt, aufgegeben worden. Der teilweise „Rückfall“ in die Tradition der Mindestharmonisierung (und sei es für eine doch recht großzügig bemessene Übergangsfrist) statt des ursprünglich geplanten umfassenden Ansatzes, der die Ziele des Binnenmarktes zumindest versuchte, angemessen einzubeziehen, kann nur bedauert werden. Auch wird es – da eine Erweiterung des Anwendungsbereichs im Rat nicht durchgesetzt wurde211 – nunmehr zu einem Nebeneinander zweier durchaus unterschiedlicher Harmonisierungskonzepte – nämlich der Irreführungs-Richtlinie einerseits und der Lauterkeits-Richtlinie andererseits – im B2B- und B2C-Bereich kommen, die nicht nur neue Inkohärenzen des europäischen Rechts durch eine Spaltung in allgemeines Lauterkeitsrecht und verbraucherschützendes Lauterkeitsrecht schafft – wobei sinnwidrigerweise durch die Anordnung einer Vollharmonisierung in der Lauterkeits-Richtlinie (gegenüber weiter Bereiche bloßer Mindestharmonisierung in der älteren Irreführungs-Richtlinie, die für den B2BBereich weiterhin Geltung beansprucht) der Verbraucherschutzbereich sogar „binnenmarktorientierter“ als der B2B-Bereich behandelt wird 212 – , sondern auch inhaltlich vollkommen ungerechtfertigt ist 213. vollkommen unterschiedlicher Traditionen in den Mitgliedstaaten und verbleibender Interpretationsspielräume natürlich nicht „punktgenau“ wirkenden Harmonisierung – kurzfristig eher untergräbt, wird nicht übersehen, ist aber im Interesse einer langfristig kohärenten Lösung und zur Vermeidung der vorerwähnten inneren Widersprüche als das „kleinere Übel“ hinzunehmen, zumal auch auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung bei jeglicher staatlicher Maßnahme, die in den Anwendungsbereich der Lauterkeits-RL fällt, eine Vorlage zum EuGH mit dem Ziel einer Feststellung der Vereinbarkeit des mitgliedstaatlichen Rechts mit der „punktgenauen“ Vorgabe der Richtlinie in Betracht kommt und bei jeder staatlichen Maßnahme, die außerhalb des Anwendungsbereichs liegt zumindest eine Überprüfung an den Maßstäben der Cassis-Doktrin durchgeführt werden kann. Ähnlich wie hier zuletzt Ohly, WRP 2006, 1401 ff. 210 Sogar auf eine denkbare weitere Verlängerung dieser Übergangsperiode im Rahmen der nach Art. 18 Lauterkeits-RL vorgesehenen Überprüfung der Anwendung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten wird in Art. 1 Abs. 5 Lauterkeits-RL bereits verwiesen. 211 S. zu den diesbezüglichen Bemühungen Deutschlands und Österreichs im Rat die Nachweise o. Fn. 208 bezüglich der Politischen Einigung. 212 S. zu dieser auch spezifisch mit Blick auf das Binnenmarktziel der Richtlinie schlicht sinnwidrigen Konzeption, die nämlich dazu führt, daß für den weiten Bereich sowohl an Gewerbetreibende als auch an Verbraucher gerichteter Marketingmaßnahmen das Binnenmarktziel der Richtlinie nicht effektiv erreicht werden kann, weil sich aus Sicht der werbenden Unternehmer unter Umständen gar nicht im vorhinein erkennen läßt, ob ihre Maßnahme von den rezipierenden Mitgliedstaaten am Maßstab des harmonisierten verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts oder am (potentiell ja weiterhin möglicherweise strengeren [!]) Maßstab des mitgliedstaatlichen B2B-Lauterkeitsrechts) zu messen ist, Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 172 ff.; Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 205 ff., jeweils mwN. Auch diese spezifisch binnenmarktbezogene Facette der Kritik an der Spaltung des europäischen Lauterkeitsrechts in einen verbraucherschützenden und einen mitbewerberschützenden Teil liefert im übrigen ein starkes Argument für eine horizontalisierende und einheitliche Umsetzung der Richtlinie für das gesamte deutsche Lauterkeitsrecht, vgl. zu dieser rechtspolitischen Forderung noch unten III 2 e (4) (a).
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Im Vergleich zu diesem Versuch eines Ansatzes zu umfassender Harmonisierung im Lauterkeitsrecht wird im Bereich des Verbrauchervertragsrechts einstweilen weiterhin nach dem punktuellen Ansatz vorgegangen, wobei in neueren Richtlinien die Binnenmarktfunktionalität der Harmonisierung durch punktgenaue Harmonisierung oder durch Binnenmarkt-Herkunftslandklauseln zunehmend abgesichert wird. Zudem hat die bereichsübergreifende E-CommerceRichtlinie umfassende Regelungen über den Vertragsschluß im Internet gebracht – auf deren inhaltliche Elemente noch (unten III 2) zurückzukommen ist –, die aber im entscheidenden Bereich der Verbraucherverträge (bezüglich derer sie zwingend anwendbar sind) nicht mit der Anordnung eines Binnenmarktprinzips verknüpft wurden, so daß es insoweit einstweilen bei der (schwächeren) Wirkung der Grundfreiheiten bleibt. Hinzu kommen die (in einem noch etwas früheren Stadium befindlichen) Bemühungen um ein Gesamtkonzept für ein europäisches Vertragsrecht, die zunehmend an Dynamik gewinnen 214. Bevor insoweit (die inhaltlich-privatrechtlich begründeten) Wechselwirkungen und Zusammenhänge näher analysiert werden, soll an dieser Stelle noch der Versuch unternommen werden, innerhalb der bisher ja bewußt künstlich beschränkten, auf die Belange des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts gerichteten Perspektive sozusagen rein „binnenmarktorientiert“ zu argumentieren, insoweit erste Prognosen zu wagen und (mit aller gebotenen Vorsicht) auch Forderungen zu stellen für die weitere Gestaltung des gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrechts unter gebotener Einbeziehung des Kollisionsrechts. Forderungen, wie sie sich dem Untersuchungsthema entsprechend, gerade aus der vergleichenden Zusammenschau von Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht auf Gemeinschaftsebene ergeben.
2. Folgerungen aus der binnenmarktfunktional übergreifenden Betrachtung des lauterkeits- und vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes Durch die Brille des integrationspolitischen, binnenmarktorientierten Zwecks des Gemeinschaftsrechts sind Vertrags- und Lauterkeitsrecht grundsätzlich einheitlich zu betrachten – zwingendes Vertragsrecht gleichermaßen wie lauterkeitsrechtliche Vorschriften mitgliedstaatlichen Rechts stellen sich als potentielle Beschränkungen der Grundfreiheiten dar, die es – sofern sie nach Keck noch erfaßt werden, was aber nach der hier vertretenen Auffassung in weit größerem Umfang der Fall ist, als ursprünglich gesehen – zu rechtfertigen gilt. Bezieht man – wie es unerläßlich ist – das Kollisionsrecht in die Betrachtung mit ein, so entspricht unter Binnenmarktperspektive im Hinblick auf die Beschränkungswirkung für den Handelsverkehr innerhalb der Gemeinschaft das kollisionsrechtliche Marktortprinzip des Lauterkeitsrechts der zwingenden Anknüpfung der Verbraucher-
213 214
S. insoweit die Nachweise o. Fn. 204. S. noch unten II 3.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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schutzvorschriften (nach Art. 5 EVÜ) und sonstiger zwingender Vorschriften (s. Art. 6, und insbesondere 7 EVÜ) im Vertragsrecht 215. Im Lauterkeitsrecht wird aber das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip für die Mehrzahl der praxisrelevanten multistate-Sachverhalte weitgehend überformt durch sekundärrechtlich angeordnete, materiell-rechtlich zu verstehende Binnenmarkt-Herkunftslandregeln. Diese Entwicklung hat bereichsspezifisch (in begrenztem Ausmaß) für das Fernsehen begonnen und sich später – im Vorgriff auf die materielle Harmonisierung – auf den Bereich des Internet-Marketings und -Vertriebs insgesamt ausgedehnt. Das Voranschreiten im Bereich der grenzüberschreitenden Medien war gerechtfertigt, weil insbesondere in diesem Bereich Werberegelungen eine beschränkende Wirkung entfalten, während vertriebsbezogene Werberegelungen, soweit der Vertrieb rein national stattfindet, in der Tat grundsätzlich unbedenklich sind216; hinzu kommt, daß aus Sicht des Verbrauchers gerade im Internet auch neuartige Informationsmöglichkeiten bestehen, die eine ausnahmslose Anknüpfung der Werberegeln an sein Heimatrecht nicht länger unumgänglich notwendig erscheinen lassen 217. Mit der Kombination aus materiell-rechtlicher Harmonisierung (durch die mittlerweile verabschiedete Lauterkeits-Richtlinie) und entsprechender Anordnung materiell-rechtlicher Jinnenmarktklauseln für die wesentlichen Situationen grenzüberschreitender Marketing- und Vertriebsmedien (Fernsehen, Internet) scheint im Grundsatz ein binnenmarktfunktionaler und (einmal abgesehen von der sinnwidrigen Beschränkung der Lauterkeits-Richtlinie auf den verbraucherschützenden Bereich und die unerfreulichen Übergangsfristen für mindestharmonisierte Vorschriften im nationalen Recht) inhaltlich befriedigender Ansatz für das europäische Lauterkeitsrecht im EWR 218 gefunden. Es ist gerade die Kombination aus kollisionsrechtlicher Marktortregel und materiell-europarechtlichen Binnenmarktregeln – die das Kollisionsrecht paßgenau nur soweit überfor215 Der aktuelle Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“-Verordnungsvorschlag), Dok. KOM(2005) 650 endg. v. 15.12.2005, den die Kommission am 21.12.2005 angenommen hat und der das EVÜ ersetzen soll, würde mit der neuen Regelung des auf Verbraucherverträge anwendbaren Rechts in Art. 5 „Rom-II“-Verordnungsvorschlag an diesem Problem nichts grundlegendes ändern, wenn auch nunmehr insgesamt das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers (also nicht nur dessen zwingende Vorschriften, was immerhin die Entstehung der komplexen Mixtur anwendbaren Rechts aus dispositiven Vorschriften [des Unternehmerrechts] mit zwingenden Vorschriften des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers verhindern mag, s. „Rom-I-Verordnungsvorschlag, Begründung, S. 6 f.) zwingend auf Verbraucherverträge anwendbar sein soll. 216 Dies war der wahre Kern, der in der formalistischen Keck-Differenzierung steckte. S. schon oben 1 b (1) (c). 217 So zutreffend die ökonomischen Überlegungen bei Kirchner, Limits to Party Autonomy, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (eds.), Party Autonomy, S. 165, 171 f. 218 Vgl. zur damit zwangsläufig verbundenen (aber aus Gründen des Verbraucher- und Mitbewerberschutzes auch unumgänglichen) Benachteiligung für Anbieter aus Drittstaaten, die im Werberecht weder von der EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten, noch von den sekundärrechtlichen Binnenmarktregeln profitieren können, nur Drexl, Revue Internationale de Droit Economique 2002, 405, S. 432 f.; ebenso Harte/Henning-Glöckner, Einl C, Rz. 17 mwN.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
men, wie dies europarechtlich im Sinne der Grundfreiheiten notwendig ist –, die im Bereich des Lauterkeitsrechts zu binnenmarktfunktionalen Ergebnissen führen kann; demgegenüber würde die pauschale Anordnung einer kollisionsrechtlichen Herkunftslandregel, wie sie verschiedentlich zumindest für grenzüberschreitende Medien gefordert wurde219, zwar nicht zu dem vielbeschworenen race to the bottom im materiellen Recht220, wohl aber in einzelnen Fallgestaltungen zu binnenmarktkonträren Ergebnissen sowie darüber hinaus zu fatalen Durchsetzungslücken in Fällen schwerpunktmäßigen Exportwettbewerbs führen221. Der Absicherung des Binnenmarkts durch entsprechende Regeln für die typischen grenzüberschreitenden Medien im Lauterkeitsrecht, die sogar der materiellen Regelung des Lauterkeitsrechts zuvorgekommen war, steht im Verbrauchervertragsrecht weiterhin die zwingende Anknüpfung verbraucherschützenden Rechts nach Art. 5 EVÜ222 gegenüber, ohne daß diese in nennenswertem Umfang durch Binnenmarktklauseln überformt wäre. Diese Situation widerspiegelte im Vergleich zum europäischen Lauterkeitsrecht jedenfalls bisher insofern eine strukturelle Schieflage, als durch punktuelle Harmonisierungsmaßnahmen der Bereich des europäischen Verbrauchervertragsrechts bereits weitestgehend angeglichen ist; die wesentlichen situationsbezogenen Gefährdungen für eine freie und informierte Vertragsentscheidung sind im europäischen Recht im Sinne von Mindestregeln befriedigend harmonisiert223, mittlerweile liegt der Vorwurf einer Überregulierung näher als die Problematik eines materiell-rechtlichen race to the bottom224. Bedenkt man nun, daß aus der Perspektive der Grundfreiheiten mitgliedstaatliches Lauterkeitsrecht und Verbrauchervertragsrecht grundsätzlich komplementär übergreifend im Sinne der zwingenden Allgemeininteressen der Fairneß im Geschäftsverkehr und des Schutzes der Verbraucher zu betrachten sind und auch betrachtet werden 225, 219 S. allgemein schon Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, S. 284 ff.; konkret mit Blick auf den Vorentwurf eines Vorschlags der Europäischen Kommission für eine „RomII“ Verordnung des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, s. Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 219 f. (vgl. dazu schon o. Fn. 195). 220 Für die geäußerten Befürchtungen vgl. etwa Bodewig, GRUR Int. 2000, 475, 681 f. (dort auch zu möglichen Gegenvorkehrungen zur Verhinderung eines sogenannten country shopping); die entsprechenden Befürchtungen haben sich in der Realität, soweit ersichtlich, nicht bewahrheitet, vgl. auch Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 210 f. 221 S. dazu Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 210 f., sowie noch sogleich im folgenden Text. 222 Der aktuelle „Rom I“-Verordnungsvorschlag würde an dieser Situation, wenn es bei der jetzigen Formulierung bleibt, nichts Grundlegendes ändern, s. o. Fn. 215. 223 Was nach der BAT-Entscheidung des EuGH freilich nicht bedeutet, daß nicht angesichts gewandelter Verhältnisse, neu entstehender Problemsituationen (oder schlicht als Ausdruck einer gewandelten politischen Bewertung) auch eine Anpassung (auch eine Erhöhung) dieser Standards erfolgen könnte, s. schon o. Fn. 57. 224 S. zu den inhaltlichen Aspekten des europäischen Verbrauchervertragsrechts noch sogleich unten III 2. 225 Für inhaltliche Beispiele aus der Rechtsprechung des EuGH im Zusammenspiel auch mit der Harmonisierung im Sekundärrecht, s. noch unten III 1 c.
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und bedenkt man zudem, daß die verbrauchervertragsrechtlichen Richtlinien zum großen Teil bereits jetzt auch allgemeine Verkehrssicherungspflichten, insbesondere Informationspflichten enthalten, die weniger auf den individualisierten vertragsrechtlichen Bereich zugeschnitten sind, sondern vielmehr im Rahmen einer einheitlichen Kategorie europäischen Verbraucherrechts rechtliche Rahmenbedingungen für den lauteren Wettbewerb aufstellen, so daß eine gegenseitige Grenzüberschreitung zwischen sekundärrechtlichem Verbrauchervertragsrecht und Lauterkeitsrecht ohnedies festzustellen ist 226, so ist im Sinne eines grundsätzlich gebotenen Gleichmaßes der Wertungen in diesen Rechtsgebieten mit Blick auf den Binnenmarkt nicht länger nachzuvollziehen, weshalb im Verbrauchervertragsrecht nicht kollisionsrechtlich der Grundsatz der zwingenden Anknüpfung innerhalb des EWR durch den Grundsatz der freien Rechtswahl für Verbraucherverträge ersetzt wird, die in grenzüberschreitenden Medien geschlossen wurden 227. Dies scheint sich – sofern man die übergreifende Betrachtung im Rahmen einer einheitlichen Kategorie europäischen Verbraucherschutzes, wie sie die Cassis-Formel nahelegt, einmal akzeptiert – aus einem regelrechten argumentum a fortiori im Vergleich zum Bereich des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes zu ergeben, da ja sogar im ursprünglich weit weniger harmonisierten Lauterkeitsrecht durch die E-CommerceRichtlinie dem Binnenmarktziel für das Internet (als dem typischen, ja im Verbraucherbereich einzig praxisrelevanten Medium grenzüberschreitenden Marketings und Vertriebs) klarer Vorrang über das Ziel materieller Harmonisierung eingeräumt wurde; dann müßte doch aber im weitaus umfassender harmonisierten Verbrauchervertragsrecht das Binnenmarktziel erst recht Priorität haben, soweit nicht zwingende Verbraucherinteressen entgegenstehen. In letztgenanntem Zusammenhang wird an dieser Stelle entgegen der herrschenden Meinung228 auch ausdrücklich bezweifelt, ob das zwingende Allgemeininteresse des Verbraucherschutzes angesichts des erreichten Harmonisierungsstandes weiterhin eine pauschale kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung an das Sachrecht des gewöhnlichen Verbraucheraufenthalts im Binnenmarkt trägt229. Insbesondere legt das offensive Marktverhalten der Verbraucher im Internet nahe, daß die Sorge vor Schutzlücken im ausländischen materiellen Recht den Einzelverbraucher innerhalb Europas nicht nennenswert vom grenzüberschreitenden Vertragsschluß abschreckt, zumal über die Frage des anwendbaren Rechts bei den Verbrauchern wohl lediglich vage Vorstellungen existieren dürften 230. Allenfalls wird hinsichtlich einzelner Länder wohl mehr die fehlende
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S. insoweit unten III 2 c. Vgl. mit dieser Forderung aus binnenmarktfunktionaler Sicht schon Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771, 775. 228 S. nur Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 29 f.; Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 652; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, 191. 229 So aber weiterhin Art. 5 des „Rom-I“-Verordnungsvorschlags, s. o. Fn. 119 und 215, der in dieser Hinsicht zu kritisieren ist und entsprechend den hier unterbreiteten Vorschlägen angepaßt werden sollte. 230 Deshalb weist Kirchner, Limits to Party Autonomy, in: Grundmann/Kerber/Weatherill 227
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Möglichkeit effektiver Geltendmachung der Rechte gefürchtet231, doch ist jene ja im Grundsatz durch die Regelungen der EuGVO232 hinsichtlich Zuständigkeit der Gerichte am Verbraucherstandort und weitgehende Anerkennung und Vollstreckung der entsprechenden Entscheidungen im Mitgliedstaat des Anbieters – soweit sich dies gesetzlich erreichen läßt – im Binnenmarkt weitestgehend garantiert 233; insoweit fehlt es eher an einer entsprechenden Information der Verbraucher über ihre bestehenden rechtlichen Möglichkeiten 234. Für den Bereich der grenzüberschreitenden Medien – und damit faktisch für die Bereiche Tele-Shopping und Internet –, in denen sich nicht nur die Beschränkungsprobleme besonders drastisch stellen, sondern in denen auch – zumal im Internet – die Verbraucher ganz neuartige Möglichkeiten haben, sich hinsichtlich der Verläßlichkeit ihrer Händler zu informieren (bzw. die Öffentlichkeit ihrerseits ohne größeren Aufwand vor einzelnen unverläßlichen Händlern warnen zu können 235), sollte daher die kollisionsrechtliche Regel entgegen dem aktuellen „Rom-I“-Verord(eds.), Party Autonomy, S. 165, 172 auf die diesbezügliche Notwendigkeit von Informationspflichten hin. 231 Zur Bedeutung selbst der innerstaatlichen Gerichtszuständigkeit für die Möglichkeit einer effektiven Geltendmachung von Verbraucherrechten, s. im Grundsatz auch EuGH Verb. Rs. C-240–244/98 (Océano), Slg. 2000, I-4981, Rz. 22 ff., zur Unzulässigkeit einer den Unternehmer bevorzugenden Gerichtsstandsklausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen. 232 Verordnung EG Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 12 v. 16.1.2001, 1–17 (im folgenden EuGVO). 233 Wesentlicher als die Frage einer zwingenden Anknüpfung im Bereich des anwendbaren Rechts schiene es daher, die im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung noch verbleibenden Lücken (das vereinfachte Verfahren nach der EuGVO umfaßt insbesondere nicht die im Bereich des Lauterkeitsrechts hochrelevanten einstweiligen Verfügungen, soweit sie ohne rechtliches Gehör ergehen, s. EuGH Rs. 125/79 (Denilauler . /.Couchet Frères), Slg. 1980, 1553) zu schließen. S. zu diesem häufig übersehenen Aspekt aus praktischer Sicht schon Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 99. Vgl. zum einstweiligen Rechtsschutz im System der Zuständigkeiten des EuGVÜ (insoweit weitestgehend übertragbar auf die in diesem Bereich praktisch inhaltsgleiche EuGVO), EuGH Rs. C-391/95 (van Uden Maritime BV . /.KG Deco-Line), Slg. 1998, I-7091; EuGH Rs. C-99/96 (Mietz . /.Intership Yachting Sneek BV), Slg. 1999, I-2277; und zuletzt EuGH Rs. C-80/00 (Italian Leather), Slg. 2002, I-4995. Vgl. zum ganzen auch Wolf/Lange, RIW 2003, 55 ff. 234 Im übrigen läßt sich auch hinsichtlich der Zuständigkeit die Konvergenzbewegung zwischen Verbrauchervertragsrecht, wo der Verbraucher gem. Art. 15 Abs. 1 EuGVO im Regelfall die Wahl hätte, sowohl in „seinem“ Staat als auch im Staat des Unternehmersitzes zu klagen (s. auch schon o. Fn. 118), und Lauterkeitsrecht, wo gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVO gleichfalls eine Zuständigkeit im „Marktortstaat“ des Verbrauchers gegeben wäre (s. auch noch u. Fn. 242), beobachten. Für einen interessanten Grenzfall zwischen vertragsrechtlicher und lauterkeitsrechtlicher Qualifikation, s. die Entscheidung des EuGH in Rs. C-96/00 (Gabriel), Slg. 2002, I-6367, und dazu Leible, IPRax 2003, 28 ff., zur internationalen Zuständigkeit bei Gewinnmitteilungen aus dem Ausland; vgl. zu der Problematik im Vorfeld der EuGH-Entscheidung auch schon Lorenz, NJW 2000, 3305 ff. 235 Ein hervorragendes Beispiel für einen regelrecht institutionalisierten Bewertungsprozeß bieten die Verbraucherbewertungen in den market places von Ebay oder Amazon, die sich ja von rein privaten Austauschbörsen zu ganz wesentlichen Vertriebskanälen für kleine und mittlere Unternehmen entwickelt haben.
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nungsvorschlag, der in dieser Hinsicht zu kritisieren ist236, in einem ersten Schritt im Sinne des Prinzips der Rechtswahlfreiheit innerhalb des EWR abgeändert werden 237. Jegliche andere Lösung bringt die Nachfrager um Wahlmöglichkeiten, da sie ihnen das Angebot kleiner und mittlerer Unternehmen vorenthält, die ihrerseits angesichts des Mosaiks anwendbarer Verbraucherschutzrechte 238 im echten Euromarketing und -vertrieb – an dem die E-Commerce-Richtlinie wegen der Ausnahme für Verbraucherverträge nichts geändert hat – vor einem Tätigwerden zurückschrekken, ohne daß diese Schutzfunktion durch allzu große Unterschiede im materiellen Recht der Mitgliedstaaten noch gerechtfertigt wäre239. Es wäre zu wünschen, daß Art. 5 des aktuellen „Rom-I“-Verordnungsvorschlags in dieser Hinsicht im Gesetzgebungsprozeß noch entsprechend umgestaltet werden könnte. Der Gleichklang mit der Situation im Bereich des Lauterkeitsrechts legt es jedenfalls nahe, bezüglich Vertragsschlüssen in grenzüberschreitenden Medien das Prinzip der Rechtswahl vorzusehen; ein rechtfertigender Grund für den diesbezüglichen inneren Widerspruch zwischen den Rechtsgebieten ist zumindest aus der begrenzten Perspektive der hier angestellten Untersuchung schwerlich erkennbar. Letztlich würde dem Verbraucher mit dem Prinzip der Rechtswahl hinsichtlich der verbleibenden, relevanten Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nur derselbe Lernprozeß angesonnen (und dieselbe Wahlmöglichkeit eingeräumt), wie sie ihm der EuGH hinsichtlich Produkteigenschaften und -bezeichnungen von jeher im In-
236 S. o. Fn. 215. Es ist an dieser Stelle festzuhalten, daß auch das wesentliche ökonomische Argument, das die Kommission für die Beibehaltung der zwingenden Anknüpfung an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers anführt (angesichts der wirtschaftlichen Realität seien die Rechtsinformationskosten bezüglich ausländischer Rechtsordnungen dem Unternehmer, der eine Vielzahl von Verträgen abwickle, eher anzusinnen als dem Verbraucher, der seine Einkäufe nur gelegentlich im Ausland tätige, s. „Rom-I“-Verordnungsvorschlag, S. 6 f.) gerade für den Bereich genuinen multistate-Vertriebs über grenzüberschreitende Medien, insbesondere das Internet, nicht uneingeschränkt trägt. Denn in diesen Situationen besteht der entscheidende Unterschied darin, daß der Unternehmer sich nicht nur bezüglich einer, sondern gleich bezüglich einer ganzen Vielzahl von Rechtsordnungen zu orientieren hätte, was in der wirtschaftlichen Realität zu einem Zurückschrecken kleiner und mittlerer Händler von einem Internet-Angebot zu Lasten der Verbraucher führen könnte, während Verbraucher, die über das Internet günstige Preise suchen, nach der hier vertretenen Auffassung nicht gerade wegen Zweifeln über das anwendbare Recht von einem Vertragsabschluß Abstand nehmen würden, s. noch sogleich im folgenden Text. 237 Ebenso Drexl, in: Grundmann/Stuyck (eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103, 117 ff., für den Bereich der Vertragsschlüsse im Internet. 238 Vgl. nur zu den ganz erheblichen Unterschieden zwischen Deutschland und Frankreich auch in den harmonisierten Bereichen europäischen Verbraucherrechts die letzthin erschienene Studie von Aye, Verbraucherschutz im Internet nach französischem und deutschem Recht, 2005. 239 Daß die (für den Fall einer nicht ausgeübten Rechtswahlbefugnis eingreifenden) objektiven Anknüpfungsregeln des Art. 4 EVÜ ohnedies binnenmarktkonform (gerade auch aus der Sicht der Nachfragerfreiheit sind), wurde schon oben 1 b (1) (b) ausgeführt (vgl. auch die Nachweise in Fn. 145).
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
teresse der Marktöffnung und des Aufbrechens eingefahrener Gewohnheiten zugemutet hat240. Es bleibt die Frage zu beantworten, warum insoweit nicht rechtstechnisch vollkommen gleichartige Lösungen in Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht erstrebt werden. Der vorgeschlagenen kollisionsrechtlichen Lösung im Vertragsrecht, steht ja auf Seiten des Lauterkeitsrechts nach der hier vertretenen Auffassung die Kombinationslösung aus Marktortprinzip im internationalen Privatrecht, überformt durch Binnenmarktregeln im materiellen Europarecht, gegenüber, ohne daß in letztgenanntem Bereich die letzte Konsequenz einer gleichfalls kollisionsrechtlichen Lösung im Sinne eines internationalprivatrechtlichen Herkunftsstaatsprinzips im Binnenmarkt gezogen wurde. Zwei Gründe sind hierfür im wesentlichen anzuführen 241. Zum einen führte ein pauschales kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip als zwingende Anknüpfung in einzelnen Fallgestaltungen – nämlich immer dann, wenn der Schutzstandard am Herkunftsort gar nicht liberaler ist als im Empfangsstaat – zu einer kaum durch das Ziel eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts gerechtfertigten – ja insoweit sogar kontraproduktiven – Spaltung von Zuständigkeit und anwendbarem Recht 242. Im Verbrauchervertragsrecht stellt sich dieses Problem nicht vergleichbar, denn hier löst sich das Problem eines potentiell die Zwecke des Binnenmarkts konterkarierenden – weil zu pauschalen – Kollisionsrechts von selbst auf Grundlage der privatautonomen Rechtwahl der Parteien, die ja in diesem Falle ohnedies nicht zwingend an das Recht des Herkunftsstaats des Anbieters gebunden werden. Der zweite Grund für die Sondersituation im Lauterkeitsrecht liegt darin, daß die Spaltung zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht, die ja – angesichts der Zuständigkeitsregeln in der EuGVO – geradezu zu einem Strukturprinzip einer kollisionsrechtlichen Herkunftslandlösung im Lauterkeitsrecht würde, in besonderer Weise schädlich für die effektive Rechtsdurchsetzung in diesem Rechtsgebiet wäre. Denn das Lauterkeitsrecht, ist – anders als das Verbrauchervertragsrecht, wo eine entsprechende Spaltung demnach, falls sie im Einzelfall vorkommt, nicht einmal so gravierende Auswirkungen hat243 – in Mitgliedstaaten mit einem privatrechtlich konstituierten Durchsetzungssystem für eine effektive Rechtsdurchsetzung 240 S. nur (vielleicht am spektakulärsten) EuGH Rs. 407/85 (Drei Glocken), Slg. 1988, 4233 (insbesondere im Vergleich des apodiktischen Urteils zu den liebevoll die eingefahrenen Gewohnheiten der italienischen Konsumenten im Bereich der Nudelwaren beschreibenden Schlußanträgen des italienischen Generalanwalts Mancini). Zu diesen inhaltlichen Aspekten siehe im übrigen noch eingehend unten III 1 b. 241 S. zum folgenden Komplex schon die entsprechenden Nachweise o. Fn. 195 (soweit es um das Verständnis des Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Richtlinie geht); betreffend das ursprünglich im Lauterkeits-Richtlinienvorschlag der Kommission vorgesehene (noch klarer kollisionsrechtlich formulierte) Herkunftslandprinzip, s. auch Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 209 ff. 242 S. dazu schon das Beispiel bei Leistner, in: Drexl/Kur (ed), Intellectual Property and Private International Law, S. 177, 189 ff. 243 Zumal insoweit auch gem. Art. 16 Abs. 1 EuGVO der Verbraucher nicht etwa gezwungen ist, vor den Gerichten seines Wohnsitzstaats zu klagen, sondern vielmehr die Wahl hat, ob er in
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strukturell auf schnelle Gerichtsentscheidungen – häufig im einstweiligen Rechtsschutz – angewiesen. Diese könnten aber – sofern sie regelmäßig unter Anwendung ausländischen Rechts getroffen werden müßten – im typischen Fall praktisch gar nicht mehr rechtzeitig ergehen. Der mögliche Ausweg einer vollständigen Konzentration der rechtlichen Kontrolle im Herkunftsstaat 244 würde zwar das Problem der Spaltung von Zuständigkeit und anwendbarem Recht lösen, scheint aber nur in Mitgliedstaaten mit Behörden- oder Selbstkontrollsystemen zur Durchsetzung unlauteren Wettbewerbs ein gangbarer Weg245. Selbst dort würde diese Lösung zudem nach aller Voraussicht und den bisherigen Erfahrungen 246, etwa auch im Bereich technischer Standards, zu einem fatalen Durchsetzungsproblem im Falle von Exportwettbewerb führen, da der jeweilige Mitgliedstaat und seine Behörden (einschließlich Verbraucherschutzorganisationen oder Organen der Selbstkontrolle) naturgemäß in erster Linie sich für den Schutz der „eigenen“ Verbraucher einsetzen würden; mit Blick auf die Rechtsdurchsetzung ist ein kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip im Lauterkeitsrecht insofern schlicht kontraintuitiv mit Blick auf die praktischen Verhaltensmuster der nationalen Durchsetzungsorgane. Insofern kann der radikalere Weg einer kollisionsrechtlichen seinem Wohnsitzstaats oder vor den Gerichten des Staates, in dem der Vertragspartner seinen Sitz hat, klagt. 244 In diese Richtung am deutlichsten die Formulierung des Herkunftslandprinzips in Art. 4 Abs. 1 des ursprünglichen Lauterkeits-Richtlinienvorschlags der Kommission. Zudem belegt die dortige Formulierung in Art. 4 Abs. 1 S. 2 („Der Mitgliedstaat, in dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, sorgt für die Einhaltung dieser Rechtsvorschriften.“), daß die Kommission das Problem des Durchsetzungsdefizits in Fällen schwerpunktmäßigen Exportwettbewerbs durchaus erkannt hatte und insofern auf eine behördenmäßige Lösung setzte, die freilich in den Mitgliedstaaten mit einer Tradition privatrechtlicher Durchsetzung im Recht des unlauteren Wettbewerbs strukturell kaum funktionieren kann. Vgl. zu den unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Systemen gerade auch unter Betonung des Gedankens, daß es angesichts zusehends konvergierender Maßstäbe im materiellen Recht, im wesentlichen der Durchsetzungsaspekt ist, der die unterschiedlichen Systeme noch unterscheidet, schon Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 146 f. Mittlerweile hat der europäische Gesetzgeber den behördenorientierten Durchsetzungsansatz weiterverfolgt und mit der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden („Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz“), ABl. EG Nr. L 364 v. 9.12.2004, 1 ff. (im folgenden Zusammenarbeits-VO) ein Instrument verabschiedet, welches für die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Vorschriften gerade auf die Kooperation mitgliedstaatlicher Behörden setzt. Die Analyse dieses (im Kern öffentlich-rechtlichen) Instruments sprengt den Rahmen der hier angestellten privatrechtlichen Untersuchung, eine gewisse Skepsis an der Effektivität des „neuen EU-weiten Vollzugsnetzwerks“ erscheint angesichts der so unterschiedlichen Traditionen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich allerdings angebracht. 245 Vgl. nunmehr auch die neue Zusammenarbeits-VO (o. Fn. 244); s. letzthin positiv gegenüber einer Verfolgung von Wettbewerbsverstößen unmittelbar durch den Staat und zugleich zu den sich aus der Zusammenarbeits-VO ergebenden Konsequenzen für das deutsche Recht Glöckner, S. 610 ff. 246 S. schon obere Fn. 91 zur hartnäckigen Praxis der britischen Werbeselbstkontrolle, die dem europäischen Clearinghouse-System, daß eine Art Herkunftslandprinzip der Selbstkontrolle zu etablieren sucht, diametral zuwiderläuft.
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Lösung hier in erster Linie aus Gründen der bisher nicht harmonisierten (und wohl auch sinnvoll allenfalls teilweise harmonisierbaren 247) Rechtsdurchsetzung nicht gewählt werden. Hinzu kommt die Überlegung, daß die Rechtswahllösung im Verbrauchervertragsrecht die Privatautonomie der Parteien zusätzlich stärkt, während die zwingende Herkunftslandanknüpfung im Lauterkeitsrecht die Möglichkeiten der Händler im Ergebnis häufig sogar beschränken würde, ohne daß dem ein nennenswerter Nutzen der Verbraucher gegenüberstünde. Es sind diese zwei Gründe, die die Unterschiedlichkeit der jeweils vorgeschlagenen kollisionsrechtlichen Lösungen im Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht erklären; nicht formale Gleichheit, sondern binnenmarktfunktionales Gleichmaß wird auf diese Weise im Vergleich der Rechtsgebiete erstrebt. Zuletzt ist noch eine Konsequenz der hier vorgeschlagenen Lösung für das materielle Verbrauchervertragsrecht zu bedenken 248. Ganz genau spiegelbildlich zum Bereich des Lauterkeitsrechts – wo die Binnenmarkt-Herkunftslandklausel der ECommerce-Richtlinie einen erheblichen Harmonisierungsdruck bezüglich des lauterkeitsrechtlichen Schutzstandards generierte – würde auch eine Anordnung der Rechtswahl im Verbrauchervertragsrecht zu erheblichem Harmonisierungsdruck im Bereich zwingenden Vertragsrechts führen; inhaltliche Schutzpolitiken müßten und würden den kollisionsrechtlichen Ansatz begleiten, die Tätigkeit der Gemeinschaft im Bereich zwingenden Vertragsrechts würde – genau wie es im Bereich des Lauterkeitsrechts der Fall war – intensiviert. Grundsätzlich scheint eine solche Entwicklung nicht zwangsläufig schädlich, sie könnte sogar mit einer spiegelbildlichen Liberalisierung des Lauterkeitsrechts einhergehen, wie es ursprünglich auch den insoweit durchaus kohärenten Plänen der Kommission entsprach 249. Freilich ist praktisch rechtspolitisch schon aus institutionentheoretischen Gründen mit Blick auf die Rolle und Arbeitsweise der Kommission eher zu fürchten, daß ausufernde Harmonisierung im Bereich zwingenden Vertragsrechts kombiniert würde mit unnötig hohen Schutzstandards (einstweilen sogar noch auf absehbare Zeit mit dem Prinzip der Mindestharmonisierung gekoppelt) im Bereich verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts; die Lauterkeits-Richtlinie bietet insoweit ein erstes, nicht unproblematisches Beispiel für ein letztlich kaum zum Abbau von Schranken im Binnnmarkt beitragendes Instrument. Insofern sind die 247 Dies zeigen gerade die lobenswerten Bemühungen um eine ansatzweise Harmonisierung der Rechtsdurchsetzung im Rahmen der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. EG Nr. L 166 v. 11.6.1998, 51 ff. (im folgenden Unterlassungsklage-Richtlinie), die letztlich in den Mitgliedstaaten mit Selbstkontrollsystemen bisher praktisch daran gescheitert ist, daß der für ein Verbandsklagesystem notwendige Grad an – auch juristischer – Verbraucherorganisation noch fehlt. So sind beispielsweise in England die einzigen als repräsentativ und damit klageberechtigt anerkannten Organisationen gerade wieder die Organe der lauterkeitsrechtlichen Selbstkontrolle und der behördlichen Überwachung. 248 S. Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771, 774 ff. 249 Vgl. der Verweis auf das Verbraucherschutzgrünbuch von 2001 (o. Fn. 201) bei Drexl, aaO., S. 776.
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wesentlichsten offenen Fragen, die sich in dieser Situation stellen, diejenige nach der geeigneten Harmonisierungsmethode im Bereich des materiellen Rechts sowie insbesondere diejenige nach begrenzenden Faktoren, die den Aktionismus im Bereich der Schaffung zwingenden Rechts eindämmen und kontrollieren könnten. Dies soll im folgenden noch kurz näher ausgeführt werden, wobei die Frage nach inneren Begrenzungsfaktoren – nach begrenzenden Strukturprinzipien bezüglich des ausufernden, teils bereits kontraintentionalen Schutzes für freie, informierte Vertragsentscheidungen im Gemeinschaftsrecht – bereits zur inhaltlichen Perspektive überleiten wird.
3. Übergang zur inhaltlich-privatrechtlichen Perspektive und offene Fragen Bezüglich der Harmonisierungsmethode scheint die Entscheidung im Lauterkeitsrecht für den Augenblick gefallen zu sein. Der umfassende „kombinierte“ Ansatz, der eine weitgespannte Rahmen-Richtlinie in den Mittelpunkt stellt, hat sich durchgesetzt. Dies scheint auf den ersten Blick der inneren Kohärenz des Gemeinschaftsrechts mehr zu dienen als problemorientierte bereichsspezifische Lösungen, die mit entsprechenden Herkunftsland-Binnenmarktregeln kombiniert werden; doch ist eine solche Betrachtung künstlich auf den Bereich des Lauterkeitsrechts begrenzt. Bezieht man, wie dies angesichts der bedeutsamen inhaltlichen Schnittstellen der neuen Richtlinie mit dem mitgliedstaatlichen Vertragsrecht geradezu zwingend geboten ist, auch die Rechtssituation im Vertragsrecht der Mitgliedstaaten und die diesbezüglichen Harmonisierungsbemühungen mit ein, so stellt sich die Frage, ob umfassende Harmonisierungsansätze in Sonderrechtsgebieten funktionieren können, ohne zugleich erheblichen indirekten Harmonisierungsdruck im Vertragsrecht zu erzeugen 250. Anders ausgedrückt, die Frage nach der Harmonisierungsmethode im Lauterkeitsrecht – wo nunmehr ein umfassender Ansatz gewählt wurde – kann nicht isoliert betrachtet werden von den im Vertragsrecht diskutierten Harmonisierungsansätzen und der diesbezüglichen Perspektive. Beide Bereiche sind – insbesondere durch einzelne Bestimmungen der neuen Lauterkeits-Richtlinie (ähnliches war aber auch schon im Falle der ECommerce-Richtlinie zu beobachten) – vielmehr auf zunehmend breiter Front miteinander verbunden; ein bestimmter Harmonisierungsansatz in Sonderrechtsgebieten setzt unter Umständen für sein Funktionieren auch einen ganz bestimmten Ansatz im Bereich des Vertragsrechts voraus, präjudiziert insoweit also schleichend die weitere Entwicklung in diesem Feld. Unter dieser Perspektive erscheint die Frage nach der „richtigen“ Harmonisierungsmethode im Lauterkeitsrecht durchaus wieder offen; auch ein punktueller Ansatz, der zunächst auf Grundlage der hier vorgeschlagenen kollisionsrechtlichen Regelungen Ansätze eines Wettbewerbs der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen im Binnenmarkt hätte entstehen 250 S. zum nachfolgenden Gedankengang schon Leistner, Entwicklung des allgemeinen Gemeinschaftsprivatrechts, in: FS Schricker, S. 87 ff.
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lassen, um sodann – soweit sich situationsbezogen Probleme im Markt empirisch gezeigt hätten – gegebenenfalls auf Gemeinschaftsebene (im Sinne einer regelnden Sicherstellung des Wettbewerbs der Rechtsordnungen) einzugreifen, wobei zu diesem Zweck dann schnelle und genau umrissene Instrumente der Vollharmonisierung die Rechtfertigung für strengere Regelungen im mitgliedstaatlichen Recht abgeschnitten hätten, hätte zweifellos seine Vorzüge gehabt. Gegebenenfalls wird nunmehr innerhalb des weiter gespannten Rahmens der Lauterkeits-RL, die angesichts der reichen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sicherlich zumindest nicht kurzfristig eine echte Angleichung auch der Rechtsanwendungspraxis in den Mitgliedstaaten erzielen kann, entsprechend vorzugehen sein. Im Vertragsrecht ist die Entwicklung derzeit vom punktuellen Ausbau zwingenden Rechts gekennzeichnet, der – wie oben beschrieben – bei konsequenter Verfolgung des Binnenmarktziels im Kollisionsrecht sich noch erheblich intensivieren könnte. Der Nachteil dieser Vorgehensweise liegt auf der Hand, Inkohärenzen und Unstimmigkeiten innerhalb des acquis communautaire sind kaum zu vermeiden. So erwägt die Kommission in ihren Initiativen für ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht251 neben der Schaffung eines gemeinsamen Referenzrahmens (GRR) – als nichtgesetzgeberischer Maßnahme – als gesetzgeberische Maßnahmen auch die Beseitigung innerer Unstimmigkeiten des acquis und denkt 251 Nach dem Beginn einer Konsultation der Gemeinschaftsinstitutionen sowie der beteiligten Kreise über eine mögliche Fortentwicklung des europäischen Vertragsrechts mit der Vertragsrechtsmitteilung 2001 (Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Zum Europäischen Vertragsrecht, Dok. KOM (2001) 398 endg. v. 11.7.2001, ABl. EG Nr. C 255 v. 13.9.2001, S. 1 ff.; vgl. dazu etwa Leible, EWS 2001, 471 ff.; Drexl, European Business Law Review 2002, 557 ff.; Grundmann, NJW 2002, 393 ff.; ders./Stuyck, (Hrsg.), An Academic Green Paper on European Contract Law, 2002) und der näheren Identifikation der wesentlichen Probleme nach dem derzeitigen Stand des acquis im Aktionsplan Vertragsrecht (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht, Ein Aktionsplan, ABl. EG Nr. C 63 v. 15.3.2003, S. 1 ff.), in dem die Kommission zugleich als die aus ihrer Sicht wesentlichen Maßnahmen die (miteinander verwobenen) Optionen einer Verbesserung des bestehenden Gemeinschaftsrechts und der Erstellung eines Gemeinsamen Referenzrahmens (GRR) sowie der Erstellung von Muster-AGB und schließlich – als Option für die fernere Zukunft – die Erarbeitung eines optionalen Instruments im Bereich des Vertragsrechts identifiziert hatte, stellt nunmehr die Vertragsrechtsmitteilung 2004 (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen, Dok. KOM (2004) 651 endg. v. 11.10.2004) den letzten Stand der Dinge im Bereich des europäischen Vertragsrechts dar (vgl. für einen aktuellen Überblick zum derzeitigen Stand auch Basedow, JuS 2004, 89, 95 f.; Vogenauer/Weatherill, JZ 2005, 870, 871 ff. mwN). Die Vertragsrechtsmitteilung 2004 setzt für die weitere Entwicklung des Vertragsrechts auf die Verbesserung des Gemeinschaftsrechts auch und gerade durch Erstellung eines GRR mit gemeinschaftsweiten Prinzipien, Definitionen und Mustervorschriften, auf die Erarbeitung von Muster-AGB für bestimmte Bereiche und schließlich – bereits überraschend konkret und über bloße Zukunftsvisionen trotz der entgegenstehenden Lippenbekenntnisse durchaus hinausreichend – auf die mögliche Verabschiedung eines optionalen Instruments im Bereich des Vertragsrechts. (vgl. in eine ähnliche Richtung Grundmann, JZ 2005, 860, 867 unter Hinweis auf Collins in: Meli/Maugeri (Hrsg.), L´arminsazzione del diritto privato europeo, 2004, S. 107: Europäisches Vertragsgesetzbuch zunehmend wahrscheinlich, auch wenn die Kommission lieber noch vage von einem gemeinsamen Referenzrahmen spricht).
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darüber hinaus neben der Erstellung von EU-Standardvertragswerken (im Sinne eines unverbindlichen Leitbilds) auch – als derzeit weitreichendste der erwogenen Maßnahmen – über einheitliche Vertragsregeln zumindest für den grenzüberschreitenden Vertragsschluß nach, die gegebenenfalls als optionales Rechtsinstrument, welches den Parteien bei der Rechtswahl als zusätzliche Option zur Verfügung stünde252, neben die jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechte träten 253. Ein solches Rechtsinstrument sollte weitestgehend dispositive Regeln (als Prinzip) und zwingende Regeln (als situationsspezifisch rechtfertigungsbedürftige Ausnahmen) samt vereinheitlichter Rechtsfolgen enthalten254. Entsprechende wissenschaftliche Projekte zur Entwicklung eines europäischen Zivil- und insbesondere Vertragsrechts bestehen im europaweiten Rahmen (zum Teil schon seit langem) und sind nunmehr großenteils in den institutionellen Rahmen der Erstellung des GRR eingebunden 255. Eine Untersuchung der Schnittstellen des existierenden eu252
So schon der Vorschlag bei Drexl, in: Grundmann/Stuyck (eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103, 114 ff.; ders. in: FS Sonnenberger, S. 771, 774 f. Im aktuellen „Rom-I“-Verordnungsvorschlag findet sich mit Art. 3 Abs. 2 eine Norm, die bereits bewußt offen genug formuliert wurde, um insbesondere auch die Wahl der Principles of European Contract Law oder eines „etwaigen künftigen fakultativen EU-Instruments“ zu ermöglichen. Vgl. die Begründung der Kommission (aaO., S. 5 f.); vgl. im übrigen auch im Aktionsplan 2004, S. 19 ff. zu den anderen konzeptionellen Alternativen. 253 Vgl. auch die ursprünglich vorgeschlagenen 4 Optionen in der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Zum Europäischen Vertragsrecht, Dok. KOM (2001) 398 endg. v. 11.7.2001 (im folgenden Vertragsrechtsmitteilung 2001) und das entschiedene Voranschreiten in Richtung eines Gemeinsamen Referenzrahmens und eines möglichen künftigen optionalen Instruments in der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen, Dok. KOM (2004) 651 endg. v. 11.10.2004 (im folgenden: Vertragsrechtsmitteilung 2004). 254 S. grundlegend zu einer solchen Konzeption unter Betonung der Differenzierung zwischen zwingendem und dispositivem Recht (aber gleichfalls mit einem Vorschlag für ein optionales Instrument, das zwingende und dispositive Vorschriften gleichermaßen enthalten würde) schon Drexl, in: Grundmann/Stuyck (eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103, 113 ff.; ähnlich Grundmann, JZ 2005, 860, 868. 255 Im Rahmen der – auf größtmögliche Mitwirkung der beteiligten Kreise und Institutionen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten ausgerichteten – Strukturen zur Erstellung des GRR (s. Vertragsrechtsmitteilung 2004, S. 10 ff.) kommt entscheidende Bedeutung der im Rahmen des sechsten Rahmenprogramms (s. Entscheidung Nr. 1513/2002/EG, Abl. L 232 v. 29.8.2002, S. 1) geförderten Forschergruppe, dem „Joint Network on European Private Law“ unter der Federführung Schulte-Nölkes zu (s. Vertrag Nr. CIT3–513351 unter dem Sechsten Rahmenprogramm, abrufbar unter ftp://ftp.cordis.lu/pub/citizens/docs/kickoff_p7_p8_2004.pdf [besucht am 11.3. 2006]). Das Forschungsnetzwerk umfaßt zwei Hauptgruppen mit verschiedenen Unterstrukturen: Die erste Hauptgruppe bildet die (hauptsächlich rechtsvergleichend orientierte, zugleich aber auch das UN-Kaufrecht (CISG) und die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie als Analyseobjekte und potentielle Rechtsquellen berücksichtigende) Study Group on a Europan Civil Code (ECC-Study Group), in der mittlerweile auch die von Bar-Gruppe bezüglich der Harmonisierung des Deliktsrechts (deren Arbeit für das hier behandelte Thema schon wegen der auch in der vorliegenden Untersuchung im Mittelpunkt stehenden Analyse eines Überschneidungsfelds des Vertragsrechts mit einem sonderdeliktsrechtlichen Bereich von Interesse ist, dem die federführend von von Bar und Drobnig erstellte Study on Property Law and Non-contractual Liability Law as they relate to Contract Law (SANCO B5–1000/02/000574), abrufbar unter http://eur-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
ropäischen Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrechts unter privatrechtlicher Perspektive (als sachliche Grundlage insbesondere einer Konsolidierung des europäischen Vertragsrechts), die auf die Wechselwirkung zwischen Lauterkeits- und (Verbraucher-)vertragsrecht im bestehenden Gemeinschaftsrecht – und damit insbesondere in der Rechtsprechung des Gerichtshofs sowie im Sekundärrecht – in opa.eu.int/comm/consumers/cons_int/safe_shop/fair_bus_pract/cont/law/index_de.htm [besucht am 11.3.2006], zur Überschneidung des Deliktsrechts [bzw. des Sachenrechts] und des Vertragsrechts im Recht der Mitgliedstaaten allerdings nur ganz am Rande Beachtung schenkt) und die Lando-Kommission aufgegangen sind, weshalb die Lando-Principles für ein europäisches Vertragsrecht (s. Lando/Beale, Principles of European Contract Law Parts I and II, 2000 [=Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teile I und II, Deutsche Ausgabe von von Bar/ Zimmermann, 2002]) nunmehr auch als Arbeitsgrundlage von der ECC-Study Group verwendet werden. Dabei wird zumal das hier interessierende Verbrauchsgüterkaufrecht von der niederländischen Arbeitsgruppe der ECC-Study Group und dort vom „Utrecht Team“ unter der Leitung von Hondius bearbeitet (s. die Homepage www.sgecc.net [besucht am 11.3.2006]). Die zweite große Gruppe des „Joint Network on European Private Law“ ist die sogenannte acquisGruppe (Ziel ist die Erarbeitung sogenannter „Principles of the Existing EC Contract Law“ aus dem existierenden Sekundärrecht und der Rechtsprechung des EuGH; s. näher die Homepage, abrufbar unter www.acquis-group.org [besucht am 11.3.2006]). Daneben sind noch einzelne bereichsspezifische und weitere Forschergruppen zu erwähnen, die für das hier behandelte Thema von besonderer Bedeutung sind. Spezifisch wesentlich für den Bereich des Vertragsrechts ist insbesondere die im Jahr 2000 gegründete Society of European Contract Law (SECOLA), die primär „die wissenschaftliche Erforschung und das wissenschaftliche Gespräch … zum Europäischen Vertragsrecht einschließlich seiner ökonomischen, soziologischen und geistesgeschichtlichen Bezüge in Theorie und Praxis“ befördern und zugleich die „Bildung im Europäischen Vertragsrecht durch Verbreitung“ verbessern will (s. § 2 der Vereinssatzung zu Zweck und Aufgaben). Dazu dient insbesondere die Erstellung einer Diskussionsplattform mit umfangreichen Datenbanken im Internet sowie die fortlaufende Veranstaltung von Konferenzen (von besonderem Interesse für das hier behandelte Thema war insbesondere die Konferenz zum „EC Law of Marketing and Fair Dealing“ in London, 2002); s. näher zu SECOLA mit umfangreicher Dokumentation und weiteren Nachweisen die Homepage der Vereinigung, www.secola.org (besucht am 19.3.2006) sowie auch Grundmann, NJW 2001, 2687 f. mwN. Einem diskursiven und ganzheitlichen Ansatz, der – im Einklang mit der in dieser Untersuchung verfolgten Konzeption – die Wertbezogenheit und den politischen Charakter jeglicher sachlicher Entscheidung hinsichtlich des „ob“ oder des „wie“ eines künftigen europäischen Vertragsrechtsinstruments betont und insoweit neben sozialen Gerechtigkeitserwägungen insbesondere auf Wertvorstellungen kultureller und philosophischer Art verweist, verfolgt schließlich die Study Group on Social Justice in European Contract Law (Social Justice Group), die sich als ein lockerer Zusammenschluß von im Bereich des europäischen Privatrechts tätigen Wissenschaftlern im Jahr 2003 konstitutiert hat, s. für einzelne Veröffentlichungen der Gruppe und ihrer Gruppenmitglieder grundlegend Study Group on Social Justice in European Private Law, 10 European Law Journal 2004, 653 ff.; sowie auch Hesselink, 10 European Law Journal 2004, 675 ff. (mit der mindestens in ergänzender Rolle bedenkenswerten Forderung, daß, statt – wie nunmehr in der Vertragsrechtsmitteilung 2004 geschehen – die weitere Erstellung eines GRR gewissermaßen technokratisch anhand einer Grobstruktur einem wissenschaftlichen Forschungsnetzwerk zu überlassen, eher ein Fragenkatalog politisch-wertungsmäßig ausgerichteter Art den beteiligten Institutionen und Kreisen zugeleitet werden müsse, um Klärung über die wertmäßige („policy“)-Grundlage eines europäischen Vertragsrechts zu schaffen (ein gewisser Nachhall dieses Aufrufs findet sich nunmehr in der Vertragsrechtsmitteilung 2004, Anhang II Frage 1 [S. 18], wo die Fragen zum optionalen Instrument von der Kommission zumindest nominell mit Grundlagenproblemen der zugrundeliegenden policy eingeleitet werden); vgl. grundlagenbezogen zu welfaristischen Konzepten im europäischen Vertragsrecht auch Wilhelmsson, 10 European Law Journal 2004, 712 ff.;
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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ihren inhaltlich-privatrechtlichen Einzelheiten fokussiert, steht insoweit allerdings noch aus und soll in dieser Studie (sogleich unten III) zumindest ansatzweise durchgeführt werden. Eine offene Frage, die sich dabei für das Gemeinschaftsrecht – wie bereits angedeutet – mehr und mehr stellt, ist die Frage nach einem inhärenten Begrenzungsmaßstab für die Harmonisierungsbemühungen der Gemeinschaft, einem Maßstab, der verhindert, daß durch kumulative Überregulierung im Lauterkeitsrecht sowie im schwerpunktmäßig von der Gemeinschaft anvisierten Bereich zwingenden Vertragsrechts ein Schutzniveau erreicht wird, welches im Ergebnis kontraintentional wirkt, das Funktionieren des Binnenmarkts auch im hier verfolgten materialisierten, wirtschaftsverfassungsrechtlichen Konzept also mehr behindert als befördert. Mehrere Instrumente kommen insoweit aus methodischer Sicht in Betracht, helfen aber im Ergebnis zur Beantwortung der Suche nach einem normativen Maßstab sämtlich wenig weiter. Zum einen ließe sich daran denken, die Grundrechte der Anbieter im Binnenmarkt mit Blick auf die Freiheit der kommerziellen Kommunikation sowie mit Blick auf die im Sinne einer Systemgarantie verbürgte Vertragsfreiheit heranzuziehen. Doch sind insoweit nicht mehr als äußerste Grenzziehungen zu erhoffen, die eigentlich problematischen Grenzfälle wären demgegenüber typischerweise vom weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers gedeckt. Ebensowenig scheint der Rückgriff auf „gemeinsame“ oder „allgemeine Rechtsgrundsätze“ in den Mitgliedstaaten weiterzuhelfen. Dieser Ansatz spielt in der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen einer Art wertender Rechtsvergleichung – die beileibe nicht empirisch verstanden wird, sondern eher einer Suche nach Elementen im Recht der Mitgliedstaaten gleicht, aus denen sich geeignete Rechtsgrundsätze gerade für das Gemeinschaftsrecht ableiten lassen256 – zwar eine wesentliche Rolle, scheint aber dennoch wegen des letztlich zu geringen Konkretisierungsgrads und insbesondere deshalb, weil die an dieser Stelle doch eigentlich notwendige wirtschaftspolitische Wertung durch einen derartigen Rechtsvergleich (wiederum mit der Ausnahme ganz klarer Fälle) nicht ersetzt wervgl. zum ganzen (noch ohne die neuesten Nachweise) Riedl, aaO., S. 216 ff. Neben diesen vertragsrechtsspezifischen Gruppen sind – unabhängig von der jeweiligen Förderung im sechsten Rahmenprogramm – schließlich als allgemein zivilrechtlich ausgerichtete Initativen der Wissenschaft noch die Gandolfi- oder Pavia-Gruppe, d.h. die Académie des Privatistes Européens, die auf informellem rechtsvergleichendem Wege das Ziel der Erstellung eines umfassenden Vertragsgesetzbuches für die Mitgliedstaaten der EU erstrebt (s. Gandolfi, Code européen des Contrats – Avant Projet, 2001), das Ius Commune-Projekt, das die Erstellung eines europaweiten Casebooks mitgliedstaatlichen Rechts verfolgt (s. www.law.kuleuven.ac.be/casebook/steering.php [besucht am 11.3.2006]) und schließlich das Trento-Projekt („Common Core“-Projekt von Mattei und Bussani), daß der Konzeption dynamischer Rechtsvergleichung durch rechtsvergleichende „Kartographierung“ des Rechts, wie es tatsächlich in den einzelnen Mitgliedstaaten angewendet wird, folgt (s. www.jus. unitn.it/dsg/common-core/home.html, besucht am 11.3.2006). Vgl. zum ganzen weiterführend die verdienstvolle Zusammenstellung von näheren Informationen zu zeitlichem und institutionellem Rahmen, Mitgliederstruktur und konzeptionellen Zielsetzungen der unterschiedlichen wissenschaftlichen Privatrechtsinitiativen in Europa bei Riedl, Vereinheitlichung des Privatrechts in Europa, Wissenschaftliche Initiativen im Prozeß der Privatrechtseuropäisierung, S. 205 ff. mwN; Wurmnest, ZEuP 2003, 714 ff. 256 S. dazu schon Leistner, Verwandte Schutzrechte, in: FS Dietz, S. 493, 498 f.; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 125 f.; Wolf, in: Zehn Jahre Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, S. 193 ff.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
den kann, ungeeignet, um – über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinaus257 – verläßliche Begrenzungsfaktoren für die Gemeinschaftsaktivitäten zu liefern 258. Immer hörbarer geworden ist letzthin der Hinweis auf die Grundfreiheitenbindung auch des Gemeinschaftsgesetzgebers als eine Art materieller Prüfungsmaßstab für das sekundäre Recht259. Tatsächlich lassen sich in der neuesten Rechtsprechung des Gerichtshofs mehr als eindeutige Ansätze für eine Grundfreiheitenbindung des Gemeinschaftsgesetzgebers finden260. Doch hilft die Bejahung der Grundfreiheitenbindung des Gemeinschaftsgesetzgebers, in deren Rahmen zumal auch der weite (und im Vergleich zu den Mitgliedstaaten weitere Ermessensspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers bei der Harmonisierung) einschränkend zu berücksichtigen ist261, für das in dieser Untersuchung eigentlich im Kern zu lösende Problem nicht recht weiter. Was sich dadurch gewinnen läßt, ist ein methodisches Instrumentarium, um das europäische Sekundärrecht am Maßstab der Grundfreiheiten zu messen. Doch stand ein solches Instrumentarium für das hier betrachtete Untersuchungsfeld auf Grundlage der EuGH-Rechtsprechung ohnehin 257 Den der EuGH in der BAT-Entscheidung als einen der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts bezeichnet, s. o. Fn. 57. 258 In diese Richtung aber die Überlegungen bei Canaris, AcP 200 (2000), 273, 363 f., der mit Bezug auf den zwingenden Charakter der Gewährleistungsvorschriften der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie von einer Primärrechtsverletzung ausgeht, da die Vertragsfreiheit im Gemeinschaftsrecht verbürgt ist und da mit Bezug auf diese Grundwertung der – als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Europarecht verwurzelte – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch die zwingende Ausgestaltung der Gewährleistungsregeln verletzt sei; selbst Canaris, aaO., bezweifelt dann aber im Ergebnis, daß der Gerichtshof angesichts seines „bisherigen timiden Umgangs mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip“ zu einem derartigen Urteil gelangen könne. Dies bestätigt im praktischen Ergebnis gerade die hier vertretene Auffassung. In der Beurteilung der zwingenden Regeln der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie kann man allerdings zum selben Ergebnis (der Europarechtswidrigkeit) durchaus auch wegen eines potentiellen Kompetenzverstoßes des Gemeinschaftsgesetzgebers gelangen (zumal der Gerichtshof in der Auslegung der Kompetenzgrundlagen des Vertrags) durchaus weniger zögerlich ist, wie die Entscheidung zur TabakwerbeRichtlinie (o. Fn. 52) gezeigt hat; s. dazu noch im folgenden sowie mit Blick auf die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie näher unten III 2 e (3). 259 S. nur die Nachweise bei Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 217 ff. Eine ohne weiteres auf Grundlage von Art. 230 Abs. 2 EG gegebene Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers an die Grundfreiheiten bejaht auch Enchelmaier, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 39 f. mwN aus der neuesten Rechtsprechung des EuGH. 260 Eindeutig EuGH Rs. C-434/02 (André . /.Landrat des Kreises Herford), Slg. 2004, I-0000; s. auch die weiteren Nachweise bei Enchelmaier, aaO. Die bisher hierfür zitierten Entscheidungen schienen zumindest im Bereich der schwerpunktmäßig (aus deutscher Sicht) privatrechtlich zu qualifizierenden Richtlinien (vgl. für die mehr dem öffentlichen Recht zuzuordnenden Richtlinien im Agrarbereich u.a. aber die Nachweise bei Remien, aaO., S. 217 f. ) bisher nur das Gebot „grundfreiheitenkonformer Auslegung“ durch die Mitgliedstaaten und den Gerichtshof selbst, zu belegen, s. etwa EuGH Rs. C-315/92 (Clinique), Slg. 1994, I-317, Rz. 12. Diese Konzentration in der Rechtsprechung auf eine Bindung des Gerichtshofs und der Mitgliedstaaten bei der Interpretation der Richtlinien stützt indirekt die hier vertretene Auffassung, daß es sich bezüglich der Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers selbst beim Erlaß europäischer Maßnahmen im Kern um ein Kompetenzproblem handelt, so daß die Grundfreiheiten hierfür nicht unmittelbar bemüht werden müssen (s. noch sogleich im folgenden Text). Deren Anwendung in diesem Zusammenhang hätte auch den gravierenden Nachteil, daß Beschränkungen im Kontrollmaßstab – wie sie der Gerichtshof etwa in Keck andeutet – dann unter Umständen auch bezüglich der Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers erwogen würden, vgl. nur Remien, aaO., S. 220, der eine entsprechende Beschränkung des Kontrollmaßstabs in diesem Feld dann aber im Ergebnis vollkommen zu Recht ablehnt. 261 S. Enchelmaier, S. 39 f. mwN.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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stets zur Verfügung. Indirekt bedeutet nämlich schon die Prüfung der Kompetenz der Gemeinschaft, auf Grundlage von Art. 95 EG262 Rechtsangleichungsmaßnahmen zu erlassen, so wie sie in der Tabakwerbe-Entscheidung durchgeführt wird 263, nichts anderes als die Kompetenz der Gemeinschaft zum Erlaß einer Maßnahme davon abhängig zu machen, ob diese Maßnahme – ungeachtet ihrer ja durchaus zulässigen sonstigen Ziele – geeignet ist, konkret dem Funktionieren des Binnenmarkts zu dienen und mithin die Gewährleistung der Grundfreiheiten (mit) zu befördern. Und bezüglich der verfolgten Nebenziele sowie der verwendeten konkreten Mittel zur Erreichung dieser Ziele läßt sich auf Grundlage der EuGH-Entscheidung in British American Tobacco auch – genau wie im Rahmen der Cassis-Formel, nur ergänzt um den politischen Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers – eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in aller gewünschten Sorgsamkeit (für die die British American Tobacco-Entscheidung selbst das beste Beispiel ist) vornehmen 264. Das methodische Instrumentarium, um europäisches Sekundärrecht (indirekt im Rahmen der Kompetenzprüfung) am Maßstab der Grundfreiheiten zu messen, stand also ohnedies bereits zur Verfügung; die neuere Rechtsprechung zur Grundfreiheitenbindung bestätigt dies nur. Was an dieser Stelle tatsächlich fehlt, ist nicht etwa eine Methode, sondern ein inhaltlicher Maßstab, der den weiten Ermessensspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers teleologisch sinnvoll einhegen könnte.
Dieser inhaltliche Maßstab, wieviel Materialisierung der Vertragsfreiheit im Konzept des Binnenmarkts erwünscht ist, kann aber nach der hier hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Grundlagen unserer Themenstellung vertretenen Auffassung allein durch das Recht nicht gefunden werden; vielmehr ist an dieser Stelle letztlich eine wertende politische Entscheidung notwendig, für die allenfalls eine faire legislative Entscheidungsfindungsmethode zu wünschen wäre, was das Augenmerk mehr auf die konkreten (öffentlich- und verfahrensrechtlichen) Rahmenbedingungen für europäische Gesetzgebung lenkt, als auf die Betrachtung des materiellen Rechts265. Letztere kann aber gleichfalls ihren Beitrag leisten. Mindestens ist systematische Stringenz und innere Kohärenz des Gemeinschaftsrechts mit Blick auf die im Grundlagenteil ausermittelten vier Ebenen eines gesetzgeberischen Eingreifens zu fordern, wobei bereits darauf hingewiesen wurde, daß sich 262 Der für den hier betrachteten Bereich die weitaus entscheidendste Ermächtigungsnorm darstellt. Allenfalls für eine komplette Schaffung eines (optionalen) Instruments im Vertragsrecht wäre wohl ein Rückgriff auf Art. 308 EG nötig. S. für Art. 308 EG als Kompetenzgrundlage schon früh Basedow, CMLRev. 33 (1997), 1169 ff.; Drexl, in: Grundmann/Stuyck (eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103, 115; Schwarze-Herrnfeld, Art. 95, Rz. 23, 37; für Art. 95 EG als angemessene Rechtsgrundlage Streinz-Leible, Art. 95, Rz. 28 f.; wohl auch Vogenauer/Weatherill, JZ 2005, 870, 873, die die Frage aber letztlich offenlassen (aaO., in Fn. 23) und insoweit darauf hinweisen, daß, wenn die Voraussetzungen des Art. 95 EG erfüllt seien, auch diejenigen des Art. 308 EG vorliegen dürften. Vgl. auch Vertragsrechtsmitteilung 2004, S. 23, für von der Kommission erwogene alternative Gestaltungen und Kompetenzgrundlagen. 263 S. o. Fn. 52. 264 S. o. Fn. 57. 265 Wiederum kommt an dieser Stelle das Konzept der Interdependenz der Ordnungen zum Zuge, welches exakt derartige Wirkungszusammenhänge prognostiziert und modelliert, s. nur Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 755 f. mit Blick auf die europäische Wirtschaftsverfassung. Vgl. in eine ähnliche Richtung auch der Ansatz der Social Justice Group, o. Fn. 255.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
die Tätigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers gleichermaßen wie die Rechtsprechung des Gerichtshofs entsprechend der hauptsächlich wirtschaftspolitischen Ausrichtung des EG-Vertrags im wesentlichen auf die ersten zwei Ebenen beschränkt, die sich auf strukturelle Gefährdungssituationen hinsichtlich freier (Schutz des Entscheidungsprozesses) und informierter (Schutz der Entscheidungsgrundlage) Vertragsschlüsse beziehen. Gerade diese Beschränkung müßte aber – da (zumal im europäischen Lauterkeitsrecht) verzerrende Einflüsse des Allgemeininteresses vergleichsweise von jeher geringer ausgeprägt waren als im mitgliedstaatlichen Recht 266 – das Gleichmaß der Wertungen und die Komplementarität von Lauterkeitsrecht und Verbrauchervertragsrecht mit Blick auf den Schutz freier und informierter Vertragsentscheidungen nicht nur besonders deutlich hervortreten lassen, sondern es auch darüber hinaus gestatten, auf Grundlage des Gleichmaßgebots für diese beiden Teilbereiche im Gemeinschaftsrecht unmittelbare Ergebnisse, insbesondere für das bisher bedauerlich selten analysierte Zusammenspiel der gemeinschaftsrechtlichen Instrumente im Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht, abzuleiten. Darum soll es im folgenden gehen.
III. Die inhaltlich orientierte (privatrechtliche) Perspektive 1. Verbraucherschutz und Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs in der Rechtsprechung des EuGH a. Einführung Wenngleich der Gerichtshof sich den nationalen Verbraucher- oder Lauterkeitsschutzbestimmungen stets unter der Perspektive der Maßnahmen gleicher Wirkung, der Rechtfertigungsbedürftigkeit und letztlich des Verhältnismäßigkeitstests und damit sozusagen „negativ“ angenähert hat, was insbesondere auch dazu führte, daß die Weiterentwicklung des Fallrechts in hohem Maße von den Zufällen und Eigenheiten der jeweils zu entscheidenden Sachverhalte (und insbesondere der jeweils streitgegenständlichen nationalen Norm) abhängig war, hat der Gerichtshof doch, indem er aus den ihm präsentierten nationalen Bestimmungen stets nur den (meist wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot) europarechtlich unzulässigen Teil präzise „herausschnitt“ und häufig zudem den Weg zu verhältnismäßigen, milderen Alternativen andeutete, gewissermaßen nach Art eines Steinmetzes oder Schnitzers überraschend klare „positive“ Konturen eines europäischen Lauterkeits- und Verbraucherschutzmodells zu entwickeln vermocht. Man wird in diesem Zusammenhang nicht von einem geschlossenen europäischen Lauterkeits- und Verbraucherrecht sprechen können267, doch sind die Entscheidungen des Gerichtshofs über die Jahrzehnte doch von einer erstaun266
Besonders deutlich nunmehr die Lauterkeits-Richtlinie, die sich ausdrücklich auf den Schutz ökonomischer Interessen der Verbraucher und Mitbewerber beschränkt, s. am deutlichsten Erw.-Grd. 6 und 7. 267 So zu Recht Lettl, Irreführende Werbung, S. 149; ähnlich Harte/Henning-Glöckner, Einl
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lichen Kohärenz gekennzeichnet, die eine Vorhersehbarkeit der Entscheidungen in hohem Umfang gewährleistet 268. Die Einzelheiten dieser Rechtsprechung nachzuzeichnen, ist nicht die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung, hervorragende Monographien zu diesem Themenkreis liegen in letzthin rasch zunehmender Anzahl vor269. Vielmehr soll im Einklang mit dem Untersuchungszweck gerade die Schnittstelle werberechtlicher und verbrauchervertragsrechtlicher Bestimmungen im Mittelpunkt stehen; deren Untersuchung setzt aber doch zuerst voraus, die wesentlichsten perspektivischen Fluchtpunkte der EuGH-Rechtsprechung im Bereich des Verbraucher- und Lauterkeitsschutzes herauszuarbeiten. b. Grundkonzepte der EuGH-Rechtsprechung im Bereich des Verbraucher- und Lauterkeitsschutzes Entscheidend ist insoweit die schon in Van Gend & Loos 270 angelegte Grunderkenntnis, daß mit der direkten vertikalen Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit271 neben den Konflikt zwischen nationalem und europäischem Recht zwei weitere Spannungsfelder treten. Dies sind der potentielle Konflikt zwischen der Privatautonomie des einzelnen Anbieters oder Nachfragers und nationalem zwingendem Recht und der potentielle Konflikt zwischen Privatautonomie und Gemeinschaftsrecht272. Bei der Lösung dieser Konflikte werden im (hier vorrangig betrachteten) Werbe- und Vertriebsrecht zugleich die Interessen dreier Gruppen von Marktakteuren balanciert: Neben den Interessenausgleich zwischen Anbietern und schutzbedürftigen Nachfragern tritt der potentielle Interessenkonflikt zwischen der Gruppe schutzbedürftiger Nachfrager und der Gruppe derjenigen Nachfrager, die eines Schutzes nicht bedürften und daher durch die Einschränkung der formalen Privatautonomie eines für sie relevanten Angebots verlustig gehen 273; in der Ausgleichung dieser (durch die Grundfreiheiten in ihrer Funktion als Anbieter- und Nachfragerfreiheiten auch jeweils geschützten 274) Interessen entwickelt die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten eine privatrechtliche DiB, Rz. 120: sprachliche Konsolidierung der Konzeption des europäischen Durchschnittsverbrauchers suggeriere mehr Rechtssicherheit als tatsächlich besteht. 268 Vgl. Heermann, Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht, 2004; zweifelnd Harte/Henning-Glöckner, aaO.; s. zuletzt auch die ausführliche Darstellung der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung bei Glöckner, S. 81 ff. 269 Vgl. nur die Nachweise o. Fn. 133. 270 EuGH Rs. 26/62 (van Gend en Loos), Slg. 1963, 1 ff. 271 Der Grundsatz der unmittelbaren Anwendbarkeit ist vom Gerichtshof in der Folge auf sämtliche Grundfreiheiten ausgedehnt worden, s. die Nachweise o. Fn. 36. 272 Zutreffend Müller-Graff, Basic Freedoms, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (eds.), Party Autonomy, S. 133, 137. 273 Zutreffend Drexl, Selbstbestimmung, S. 430 ff.; ähnlich Beater, S. 362 ff. (für das Lauterkeitsrecht) und (unter ausdrücklichem Bezug auf Drexl, aaO.) zuletzt Grundmann, JZ 2005, 860, 865 f. (für das Verbrauchervertragsrecht). 274 S. dazu sogleich unten im Text.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
mension, da widerläufige Rechtspositionen einzelner Privatrechtssubjekte abgewogen werden 275. Die Tatsache, daß der erstgenannte (gewissermaßen internationalrechtliche) Konflikt typischerweise aus der Sicht der Anbieter zuerst relevant wird, kann dabei allzuleicht den Blick dafür verstellen, daß der Gerichtshof die beiden zweitgenannten Spannungsfelder in unserem Untersuchungsfeld (und dabei naturgemäß insbesondere den Konflikt zwischen nationalem Recht und formaler Vertragsfreiheit) gerade auch unter der Perspektive der für die Nachfrager zu ihrem Schutz beim Abschluß von Verträgen notwendigen Informationen auflöst276. Im Mittelpunkt steht entsprechend dem hier vertretenen institutionellen Binnenmarktkonzept der Schutz der informierten Vertragsentscheidungen der Verbraucher durch Herstellung allgemeiner Markttransparenz und (gegebenenfalls) spezifische, markterhaltende Informationspflichten, die sicherstellen sollen, daß über die Wettbewerbsfähigkeit von Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt soweit als möglich fehlerfrei die Abnehmer entscheiden. Deren umfassende (die Grenzen der Mitgliedstaaten überschreitende) Wahlmöglichkeit ist wiederum spiegelbildlich durch möglichst umfassende unternehmerische Freiheit abgesichert, so daß ein Eingriff in die durch die Grundfreiheiten abgesicherte Angebotsfreiheit nur in Betracht kommt, soweit er zur Sicherung der fehlerfreien Vertragsentscheidung geeignet, notwendig und angemessen ist. Am deutlichsten wird dieses Konzept mit Blick auf die gefestigte Rechtsprechung zum Vorrang der Information des Verbrauchers durch Etikettierung gegenüber produktspezifischen Verkehrsverboten, in deren Rahmen es (zuerst in Cassis) entwickelt wurde277. Im Kern geht es in derartigen Fällen – anders als in den „echten“ Irreführungsfällen, in denen mehr der Konflikt der Anbieter- mit der Nachfragerfreiheit im Mittelpunkt steht – nämlich um die Abwägung der Interessen unterschiedlicher Verbrauchergruppen. Abgewogen werden in erster Linie die Interessen derjenigen Verbraucher, die in ihren eingefahrenen, durch mit275 Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 789 ff.; Remien, RabelsZ 60 (1996), 1 ff.; s. auch schöne Formulierung bei dems., Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 207 (unter Verweis auf Remien, Zeitschrift für Rechtsvergleichung 1995, 116, 130): „Wat dem eenen sien Uhl‘, is dem annern sien Nachtigal“); vgl. zum ganzen auch Remmert, Jura 2003, 13, 13 ff. 276 Gegen Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 ff., der in der Rechtsprechung des EuGH eine inhärente Neigung zugunsten der Anbieter ausmacht; wie hier insbesondere auch grundsätzlich Beater, S. 150 ff. mwN. Differenziert Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 116 ff., der nicht zu Unrecht betont, daß das resultierenden Informationsmodell in der Rechtsprechung des EuGH insofern an Grenzen stößt, als es dem Verbraucher die Kosten (u.U. erheblicher Zeitaufwand, kognitiver Aufwand) für die Aufnahme recht komplexer Informationen beim Erwerb auch geringwertiger Waren oder Dienstleistungen im Ergebnis recht einseitig überbürdet; s. nunmehr ausführlicher auch Glöckner, S. 195 ff. S. grundlagenorientiert zu dieser Problematik der Grenzen der Informationsverarbeitung auch oben 1. Kap. 1. Abschn. D V 3 und 4. 277 S. grundlegend schon EuGH Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, S. 649, Rz. 15 ; s. für umfassende Nachweise zu dieser sogenannten Etikettierungs-Rechtsprechung des EuGH im übrigen Lettl, Irreführende Werbung, S. 127 ff.
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gliedstaatliches Recht („zementierten“278) Gewohnheiten mit Blick auf nationale Produktkategorien und -bezeichnungen verharren, insoweit klärende Informationen nicht ausreichend zur Kenntnis nehmen und daher potentiell irregeführt und in ihren Interessen geschädigt werden, gegen die Interessen der sich angemessen unterrichtenden, selbstverantwortlichen Verbraucher, denen die erweiterte Auswahl im heimischen Markt durchaus zugute kommt; es geht also nicht etwa in erster Linie um die Unternehmerfreiheit, sondern um die Öffnung nationaler Märkte im Interesse sowohl der Unternehmer als auch der letztgenannten Verbrauchergruppe. Die entsprechende Abwägung wird vom Gerichtshof – unter entscheidender Gewichtung gerade auch der integrationspolitischen Zwecksetzung der Grundfreiheiten – auf der Grundlage des Verhältnismäßigkeitstests zugunsten des rationalen, die gebotene Information auch zur Kenntnis nehmenden Verbrauchers vorgenommen279. Dabei unterliegt auch das mildere Mittel der Etikettierung seinerseits hinsichtlich der Anforderungen an die Deutlichkeit und Verständlichkeit der Information wiederum dem Verhältnismäßigkeitstest, etwa mit Blick auf die zu verwendende(n) Sprache(n)280 bzw. anderweitige Informationsmittel, wie Piktogramme oder ähnliches281. Daß diese Rechtsprechung – die grundsätzlich den Erhalt allgemeiner Markttransparenz betrifft – auch mit Blick auf individuelle Verträge fruchtbare Ansätze enthält, die sich gerade aus der Zusammenschau von gemeinschaftlichem Lauterkeitsund Vertragsrecht ergeben, soll noch unten (1 c) gezeigt werden. Für den Augenblick genügt es festzuhalten, daß der EuGH grundsätzlich die Sicherstellung einer informierten Verbraucherentscheidung (Entscheidungsgrundlage im VierEbenen-Modell), die durch angemessene Zurverfügungstellung von Information materialisierte Privatautonomie gegenüber einem totalen Verkehrsverbot, als das mildere – und damit gemäß Cassis in den meisten Fällen allein binnenmarktkonforme – Mittel zur Verfolgung von Verbraucherschutzzwecken an278 S. ausdrücklich zur integrationspolitisch gebotenen Aufbrechung durch mitgliedstaatlichen Rechts zementierter Verbrauchergewohnheiten EuGH Rs. 178/84 (Reinheitsgebot), Slg. 1987, 1227, Rz. 32. 279 S. z.B. deutlich EuGH Rs. 51/94 (Sauce-hollandaise), Slg. 1995, I-3599, Rz. 34 (Verpflichtung von Verbrauchern, die sich in ihrer Kaufentscheidung von der Zusammensetzung der Lebensmittel leiten lassen, das Zutatenverzeichnis zu lesen) und hierzu Lettl, Irreführende Werbung, S. 128 mwN. Illustrativ auch EuGH Rs. 407/85 (Drei Glocken), Slg. 1988, 4233 (insbesondere auch betreffend die Schlußanträge von Generalanwalt Mancini, die sich wie eine einzige Verteidigung nationaler Verbrauchergewohnheiten lesen). Kritisch wegen der im Ergebnis weitgehend dem Verbraucher überbürdeten Kosten für die Aufnahme und Verarbeitung der hieraus resultierenden, recht komplexen und umfangreichen Informationen auf Etiketten etc. Harte/ Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 116 ff., dessen Fazit, in diesem Bereich bestehe noch Handlungsbedarf auf Seiten des europäischen Rechts, durchaus zuzustimmen ist. S. für ein wirtschaftliches Modell, welches die Grenzen der Informationsaufnahme und -verarbeitung einbezieht auch insgesamt grundlagenorientiert oben 1. Kap. 1. Abschn. D V und VI. 280 EuGH Rs. C-369/89 (Piagème I), Slg. 1991, I-2971, Rz. 31 (Abfassung der Information in einer für den Verbraucher leicht verständlichen [im Sachverhalt ging es um die flämische Landessprache in französischsprachigen Teilen Belgiens] genügt). 281 S. z.B. EuGH Rs. C-366/98 (Geffroy), Slg. 2000, I-6579, Rz. 28.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
sieht282. Dabei weist das Informationsmodell des EuGH allenfalls insofern Schwächen auf, als es die inhärenten Limitierungen des Entscheidungsverhaltens der Verbraucher hinsichtlich der Informationsaufnahme und -verarbeitung 282 Grundsätzlich sind also auch „Nebenziele“, etwa betreffend die Produktqualität oder ähnliches, nach der Konzeption des Binnenmarktes nicht durch direkte Verbote, sondern gerade mit den Mitteln des Marktes – eben durch Information des Verbrauchers, der dann letztlich über die für ihn angemessene Produktqualität selbst entscheidet – zu verfolgen, s. deutlich z.B. EuGH Rs. 407/85 (Drei Glocken), Slg. 1988, 4233, Rz. 16, 27 und hierzu Beater, § 6, Rz. 11. Gewisse Grenzen erreicht diese Konzeption eines Verbraucherschutzes durch Information lediglich, soweit es um besonders sensible Bereiche – wie insbesondere um den Gesundheitsschutz geht –, wo der EuGH den Mitgliedstaaten unter Art. 30 EG einen deutlich größeren Einschätzungs- und Ermessensspielraum zubilligt (s. nur Rs. 53/80 (Eyssen), Slg. 1981, 4091; Rs. 174/82 (Sandoz), Slg. 1983, 2445; einschränkend zuletzt aber auch Rs. C-192/01 (Kommission . /.Dänemark), Slg. 2003, I-9693), und (mit Blick auf [gesundheitsrelevante] Fallgestaltungen der potentiellen Irreführungsgefahr mit Blick auf gesundheitsbezogene Lebensmittel- und Kosmetikangaben (unter Richtlinie 2000/13/EG v. 20.3.2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. 2000 L 109, S. 29, im folgenden: Lebensmittelangaben-Richtlinie) bzw. unter Richtlinie 76/768/ EWG über die Verpackung und Etikettierung kosmetischer Mittel [im Falle Unilever])), in denen die Sicherstellung der Richtigkeit der Information durch Verpflichtung des Herstellers zum Wahrheitsbeweis bezüglich der Angaben auf dem Etikett in Zweifelsfällen (entsprechend Art. 6 Irreführungs-Richtlinie) genügt) auch EuGH Rs. C-77/97 (Unilever), Slg. 1999, I-431, Rz. 35; Rs. C-421/00, 426/00 und 16/01 (Sterbenz und Haug), Slg. 2003, I-1065, Rz. 37 f.; zuletzt Rs. C239/02 (Douwe Egberts), Slg. 2004, I-7007, Rz. 41 ff. Insgesamt ist auffällig, daß der Gerichtshof gerade soweit anhand des von ihm entwickelten Informationskonzepts (bzw. anhand der bereichsspezifischen Richtlinien im Sekundärrecht) offensiv das mitgliedstaatliche Recht am Verhältnismäßigkeitskriterium mißt, wie es im Kern um Ziele geht, die sich auch durch den Schutz der Entscheidungsgrundlage der Verbraucher im Markt (erste Ebene des hier vertretenen Modells) gewissermaßen „über den Markt“ verfolgen lassen. Soweit demgegenüber durch die Mitgliedstaaten sonstige Zwecke verfolgt werden, die sich über den Markt typischerweise nicht erreichen lassen (d.h. insbesondere auf der dritten Ebene – Paternalismus, zum Teil auch auf der vierten Ebene – Externalitäten), urteilt der EuGH deutlich zurückhaltender und überläßt den Mitgliedstaaten – soweit diese Bereiche nicht harmonisiert sind – bisher als Korrelat des weitverstandenen Beschränkungsbegriffs doch zumindest im Rahmen der Rechtfertigungsmöglichkeiten einen vergleichsweise weitergehenden Einschätzungs- und Ermessensspielraum, s. z.B. EuGH Rs. C-275/92 (Schindler), Slg. 1994, 1039 (in der Folge bestätigt auch in Rs. C-124/97 (Läärä . /.Kihlakunnansyyttäjä), Slg. 1999, I-6067; Rs. C-67/98 (Questore di Verona . /.Zenatti), Slg. 1999, I-7289) jeweils betreffend nationale Glücksspielverbote unterschiedlicher Couleur (mithin die dritte Ebene des Modells – Paternalismus) oder auch die Tendenz im Bereich des Umweltschutzes großzügigere Maßstäbe anzulegen, um auch potentiell diskriminierende oder sachlich ungleich wirkende Maßnahmen (nominell bisher ohne Rückgriff auf Art. 30 EG) rechtfertigen zu können, s. EuGH Rs. C-2/90 (Kommission . /. Belgien), Slg. 1992, I-4431, die die vierte Ebene (Externalitäten eines etwa mit Blick auf die Abfallentsorgung grundsätzlich durchaus „frei“ geschlossenen Vertrags, s. auch die Ausführungen des Gerichtshofs, der letztlich (mit zweifelhafter Argumentation) eine Diskriminierung verneinte und dies (aaO.) mit den Besonderheiten der Abfallentsorgung, die eine lokale Verantwortlichkeit jeder Region bedingt, begründete; s. kritisch dazu auch GA Jacobs in Rs. C-379/98 (PreussenElektra), Slg. 2001, I-2099, Rz. 225–238) betrifft. Um es noch deutlicher zu machen, der Gerichtshof agierte bisher stets offensiv soweit es darum ging, den Markt durch Schutz freier und informierter wirtschaftlicher Entscheidungen der Nachfragerseite in Gefährdungssituationen zu erhalten (markterhaltende Maßnahmen), selbst wenn damit auch sonstige Zwecke des Allgemeininteresses verfolgt wurden und deutlich zurückhaltender, soweit es im Kern um darüber hinausgehende Schutzzwecke des
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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(Gefährdung des Entscheidungsprozesses durch kognitive Überforderung mit einem „zuviel“ an Information zumal in Situationen im Hinblick auf Massengeschäfte des täglichen Lebens) bisher nicht immer hinreichend berücksichtigt 283. Dasselbe gilt nicht nur bezüglich der Verkehrsverbote, sondern auch mit Blick auf nationale Beschränkungen hinsichtlich bestimmter Werbe- und Vertriebsmethoden (wie insbesondere Zugaben oder Eigenpreisvergleiche, aber auch mit Blick auf bestimmte potentiell irreführende Angaben) unter dem Gesichtspunkt des übertriebenen Anlockens und der Irreführungsgefahr. Wiederum mißt der Gerichtshof derartige Bestimmungen 284 am Verhältnismäßigkeitsgebot mit dem Ergebnis, daß die Sicherstellung angemessener Verbraucherinformation grundsätzlich als milderes Mittel gegenüber dem Totalverbot einer Werbe- oder Vertriebsmethode285 oder auch einem vollkommenen Verbot bestimmter Etikettenangaben 286 Vorrang hat. An dieser Stelle wächst die Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten zudem – nicht mehr nur hinsichtlich des anzulegenden Abwägungsmaßstabs, sondern auch hinsichtlich des Schutzzwecks – endgültig aus ihrer Anbieterorientierung heraus und gewährt auch Nachfragern echte subjektive Rechte 287. InformaAllgemeininteresses ging, die mit den Mitteln des Marktes durch bloße Information der Nachfrager gerade nicht mehr erreichbar waren (so daß echte Markteingriffe der Mitgliedstaaten notwendig wurden). 283 Zutreffend die diesbezügliche Kritik von Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 116 ff. 284 Seit Keck nurmehr soweit sie produktbezogen sind bzw. ausländische Händler rechtlich oder sachlich unterschiedlich behandeln, s. oben II 1 b (1) (c). 285 S. EuGH Rs. 286/81 (Oosthoek), Slg. 1982, 4575, Rz. 15 ff., insbesondere 18 (Zugabeverbot, falls kein Verwendungszusammenhang besteht, gerade durch Notwendigkeit klarer Verbraucherinformation bezüglich der Preise gerechtfertigt); Rs. C-362/88 (GB-Inno-BM), Slg. 1990, I-667 (betreffend das Verbot, die Dauer eines Sonderangebots anzugeben, sowie zum Verbot des Eigenpreisvergleichs hält der Gerichtshof fest, daß mitgliedstaatliche Regeln, die in ihrer praktischen Auswirkung zutreffende, für die Kaufentscheidung nützliche preisbezogene Information vorenthalten, nicht rechtfertigungsfähig sind (aaO., Rz. 28), dabei insbesondere Orientierung auf die Nachfragerfreiheit (grenzüberschreitender inländischer Verbraucher gegen ihren Mitgliedstaat) und insoweit regelrechter Anspruch des Verbrauchers auf Information über ausländische Angebote (aaO., Rz. 11 ff.)); ebenso betreffend den blickfangmäßigen Eigenpreisvergleich, Rs. C-126/91 (Yves Rocher), Slg. 1993, I-2361, Rz. 17 f., für den umgekehrten Fall der Behinderung inländischer Verbraucher bei der Wahrnehmung ausländischer Angebote im Inland. 286 So die Linie des EuGH auch bezüglich irreführender Lebensmittelangaben unter der Lebensmittelangaben-Richtlinie, o. Fn. 282. 287 Das Konzept der Nachfragerfreiheit, demzufolge die Grundfreiheiten auch zugunsten des Nachfragers unmittelbar anwendbar sind und ihm subjektive Rechte gewähren, hatte der Gerichtshof schon im Bereich der Dienstleistungsfreiheit (insbesondere mit Blick auf die Inanspruchnahme medizinischer Dienste sowie Tourismusdienstleistungen im Ausland) entwickelt (s. EuGH Rs. 286/82 und 26/83 (Luisi und Carbone), Slg. 1984, 377, Rz. 10, 16; noch weitergehend EuGH Rs. 186/87 (Cowan), Slg. 1989, Rz. 15, wo es um die Weigerung der französischen Staatskasse ging, einem überfallenen englischen Touristen eine Kompensation für Opfer von Raubüberfällen zu zahlen, die für französische Staatsangehörige zur Verfügung stand; schließlich auch EuGH Rs. 45/93 (Kommission . /.Spanien), Slg. 1994, I-911 (betreffend den freien Zugang zu spanischen nationalen Museen, der auf spanische Staatsangehörige und in Spanien wohnhafte Ausländer beschränkt war); ähnlich gelagert zuletzt EuGH Rs. C-388/01 (Kommission . /.Italien), Slg. 2003, I-721, Rz. 14. Eine Übertragung dieser Rechtsprechung in den Bereich der Warenverkehrsfreiheit ist in dem – für das hier behandelte Untersuchungsthema unmittelbar
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
tionspflichten werden vom den Anbieter weniger belastenden, „milderen Mittel“ fortentwickelt zu allgemeinen Verkehrssicherungspflichten im grenzüberschreitenden Verkehr, denen spiegelbildlich ein genuines Recht des Nachfragers auf Nichtvorenthaltung zutreffender Information entspricht 288. Dies bedeutet dann aber zugleich, daß unter dem „Deckmantel“ des methodischen Instrumentariums des Verhältnismäßigkeitsprinzips – welchem doch stets eine inhärente Anbieterorientierung innezuwohnen schien, da im Regelfall die Beschränkung der Anbieterfreiheit der Rechtfertigung bedarf – im Ergebnis mittlerweile im Kern kollidierende Grundfreiheiten (der Anbieter und der Nachfrager) gegeneinander abgewogen und die zu beurteilenden Grundfreiheitenkonflikte, soweit möglich im Wege praktischer Konkordanz – eben durch weitestmögliche Informationsgewährung statt Informationsvorenthaltung – aufgelöst werden 289. Eine Auflösung dieser Grundfreiheitenkonflikte durch Herstellung praktischer Konkordanz kommt insbesondere dann in Betracht, wenn sich die durch Grundfreiheiten geschützten Interessen der rationalen, die zur Verfügung gestellten Informationen auch verarbeitenden Marktabnehmer und der Anbieter im Ergebnis decken, so daß letztlich allein die Interessen flüchtiger und nicht hinreichend aufmerksamer Nachfrager negativ betroffen sind290. relevanten – Urteil Rs. C-362/88 (GB-Inno-BM), Slg. 1990, I-667, Rz. 8 ff. (insbesondere Rz. 11 ff.), in deutlichen Worten (insbesondere in Rz. 13) insofern erfolgt, als dem Verbraucher in dem genannten Urteil implizit ein regelrechtes subjektives Recht auf Information (und insoweit auch Schutz gegen den Informationszugang einschränkende mitgliedstaatliche Maßnahmen) gewährt wird. 288 Unter Verweis auf EuGH, aaO., zutreffend Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 206 f.; im Rahmen seines Konzepts eines europäischen Unternehmerleitbilds auch Sack, WRP 1998, 264, 268; Sack, GRUR 1998, 871, 883. S. aber auch die Skepsis und Kritik bei Lurger, Regulierung und Deregulierung im europäischen Privatrecht, S. 96 ff.: „Der EuGH hat die Freiheit des Nachfragers bisher immer nur bemüht, wenn sie die Freiheitsbestrebungen des Anbieters unterstützte“ und dazu noch sogleich unten Fn. 290. 289 Auf den diesbezüglichen Interessenkonflikt zwischen Anbieter und Nachfrager, dessen Balancierung beispielsweise das europäische Verbraucherleitbild dient, weist schon (statt vieler) Lettl, Irreführende Werbung, S. 146 f. hin. Neu ist die Erkenntnis, daß es sich insoweit nicht um einen schlichten Interessenkonflikt, sondern um eine echte Abwägung kollidierender Rechte (aus den unmittelbar anwendbaren Grundfreiheiten) handelt. 290 Diesen Aspekt praktischer Konkordanz verkennt Lurger, in ihrer Kritik (o. Fn. 288), der Gerichtshof erkenne Nachfragerfreiheiten immer nur insoweit an, wie sie die Anbieterfreiheit unterstützten. In den diesbezüglich genannten Fällen GB-Inno-BM, Yves Rocher (betreffend Eigenpreisvergleiche und Sonderaktionen) sowie Unilever, Sterbenz und Haug, Douwe Egberts (betreffend Lebensmittelangaben), in denen der EuGH stets die überragende Notwendigkeit der Verbraucherinformation betont, mußten eben gerade weder die Anbieter- noch die Nachfragerfreiheit ganz zurücktreten, weil sich die Interessen der Anbieter und des überwiegenden Teils der (binnenmarktaktiven) Nachfrager deckten bzw. weil sich ein Mittel finden ließ (Aufbürdung des Wahrheitsbeweises auf den Anbieter), daß beide Interessen zur Ausgleichung brachte. Demgegenüber hat der Gerichtshof, soweit es an dieser Stelle zu einem echten Konflikt von Anbieterund Nachfragerinteressen kam, wie insbesondere in Oosthoek (betreffend die Notwendigkeit eines Verwendungszusammenhangs bei Zugaben) sehr wohl das Verbraucherinteresse an Information und Markttransparenz (s. ausdrücklich EuGH, (o. Fn. 285), Rz. 18 ff., gerade mit Verweis auf die Notwendigkeit des Schutzes der Markttransparenz) auch gegen das Anbieterinteresse
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Eine Auflösung des Konflikts allein durch Herstellung praktischer Konkordanz in einem Interessendreieck scheidet aber aus, wenn im Kern die unternehmerische Freiheit und die Interessen einiger Verbraucher kollidieren, ohne daß hiervon andere Verbraucher unmittelbar profitieren. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Werbung über die Eignung zur Irreführung hinaus keinen wesentlichen zusätzlichen Informationsgehalt für rationale Marktteilnehmer bereithält291. Nur insoweit rückt dann auch die in den vorbeschriebenen Konstellationen durchaus gleichwertige Interessenabwägung zwischen unterschiedlichen Verbrauchergruppen in den Hintergrund, während der Konflikt zwischen Anbieter- und Nachfragerinteressen zentrale Bedeutung gewinnt. Diesen Grundfreiheitenkonflikt löst der Gerichtshof im Grundsatz in ähnlicher Weise wie die Fälle „praktischer Konkordanz“. Abgestellt wird auf das Funktionsleitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers292. Da in derartigen Fällen keine Verbrauchergruppe unmittelbar profitiert, sondern vielmehr allein die Nachfragerseite des Marktes insgesamt mittelbar in ihrem Interesse an „freiem“ Wettbewerb betroffen ist – wobei es sich letztlich um ein normatives, materialisiertes Konzept handelt –, wird man hierin richtigerweise eine grundsätzliche Entscheidung gegen die Empirie und für einen normativ-institutionellen Ansatz sehen müssen, der allenfalls im Ausnahmefall – insbesondere soweit es um die Ermittlung abwägungsrelevanter Umstände geht – noch der Ergänzung durch die empirische Marktforschung – insbesondere mit Blick auf etwaige Besonderheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten – bedarf293. durchgesetzt, wenngleich insoweit die verengende methodische Perspektive des Verhältnismäßigkeitsprinzips den Blick auf den materiellen Kern der Argumentation im ersten Hinsehen täuschen mag. 291 Man wird dieser Fallgruppe insbesondere die EuGH-Entscheidungen zur Irreführung in den Rs. C-210/96 (Gut Springenheide), Slg. 1998, I-4657, C-220/98 (Estée Lauder), Slg. 2000, I117, C-465/98 (Darbo), Slg. 2000, I-2297 (jeweils betreffend Überlegungen zum Irreführungsmaßstab im Rahmen der Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts) sowie in den Rs. C-315/92 (Clinique), Slg. 1994, I-317, C-470/93 (Mars), Slg. 1995, I-1923 und Rs. C-77/97 (Unilever), Slg. 1999, I-431 (betreffend den mit der ersten Gruppe konvergierenden Irreführungsmaßstab im Rahmen rechtfertigungsbedürftiger Beschränkungen des Warenverkehrs) zurechnen können. Die Nissan-Entscheidung (EuGH Rs. C-373/90, Slg. 1992, I-131, s. dazu noch eingehend unten c) gehört nur eingeschränkt hierher, da in Nissan die Mehrheit der Verbraucher durchaus davon profitierte, durch auffällige Werbung über die Möglichkeit, günstigere parallelimportierte Kraftwagen zu erwerben, informiert zu werden; den Unterschied macht in diesem Bereich auch die besondere Interessenlage mit Blick auf Parallelimporte im Binnenmarkt. Vgl. zu dem in diesem Zusammenhang höchst instruktiven Zusammenspiel von Wettbewerbs- und Vertragsrecht in der Konzeption des EuGH insgesamt noch unten c. 292 S. für die hM statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5 UWG, Rz. 1.48 ff., insbesondere Rz. 1.53 mwN; s. auch mit teils bedenkenswerten Einschränkungen Sack, WRP 1998, 264 ff.; Sack, GRUR 1998, 871 ff.; Sack, WRP 1999, 399 ff., jeweils mwN. 293 Insoweit besteht gerade aufgrund der hier erarbeiteten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundlegung, die die institutionelle Ausrichtung des Binnenmarktkonzepts der Gemeinschaft betont, in welchem der Verbraucher letztlich als informierter, rational entscheidender „Funktionsträger“ aufgefaßt wird – dem die Grundlagen für seine – vermeintlich rationale – Entscheidung möglichst umfassend zu liefern sind, weitgehende Übereinstimmung mit der bei Ohly/
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Insgesamt ist festzustellen, daß der Gerichtshof ein regelrechtes Konzept des Verbraucherschutzes durch Information, gestützt durch entsprechende individuelle Rechte der Nachfragerseite (Informationsmodell) verfolgt 294. Im hier vorgestellten Vier-Ebenen-Modell konzentriert sich das Informationskonzept des Gerichtshofs folglich auf die Ebene des Schutzes der Entscheidungsgrundlage. Das Informationsmodell des EuGH versagt deshalb in denjenigen Fällen, in denen eine bestimmte Vertriebsmethode weniger die fehlerfreie informationelle Entscheidungsgrundlage betrifft, sondern mehr den Entscheidungsprozeß (insbesondere durch Überrumpelung oder aber auch durch Überforderung aufgrund eines „zuviel“ gebotener Informationen295) gefährdet. Hier ist der abstrakten Gefährdung Spence, GRUR Int. 1999, 681, 690 f. (siehe grundlegend auch Ohly/Spence, The law of comparative advertising: Directive 97/55/EC in the United Kingdom and Germany, Oxford 2000) entwickelten (und dann von Lettl, Irreführende Werbung, S. 109 ff. mwN aufgrund umfassender Diskussion der existierenden Alternativmodelle ausgehend von einem grundsätzlich normativen Modell konkretisierten), gemischt normativ-faktischen Methode, derzufolge die Prüfung der Irreführung anhand eines Bündels faktischer und normativer Kriterien erfolgen muß, wobei die der im Kern normativen Abwägung zugrundeliegenden faktischen Kriterien für sich genommen dann auch empirisch ermittelt werden dürfen, soweit der Fall nicht hinreichend klar liegt. Ob der so verstandene Irreführungsbegriff aber in der Tat eine positive Stütze in der EuGHEntscheidung Rs. C-210/96 (Gut Springenheide), Slg. 1998, I-4657, Rz. 28 ff. (dort insbesondere Rz. 31–37), findet – wie es Lettl, aaO., S. 112 (insbesondere Fn. 547 unter Verweis auf den Hinweis auf den tatsächlichen Nachweis eines bestimmten Verbraucherverhaltens in Rz. 34 des Urteils) andeutet – ist doch zu bezweifeln. Richtigerweise wird man den Hinweis in Rz. 34, der sich als bloßes restatement der Nissan-Entscheidung darstellt, nicht überbewerten dürfen, zumal die Besonderheit in Nissan gerade in dem Zusammenspiel mit (den vom Gerichtshof kurz darauf in CMC-Motorradcenter (Yamaha) akzeptierten) vertragsrechtlichen Aufklärungspflichten nationalen Rechts lag (s. dazu sogleich unten c), die bei einem Investitionsgut, wie Kraftfahrzeugen eine wesentlichere Rolle spielen, als bei Konsumgütern des täglichen Bedarfs. Insofern, wollte der Gerichtshof durch den Verweis wohl allein belegen, daß seine Rechtsprechung einen Rückgriff auf faktische Kriterien nicht ausschließt, eine abschließende Entscheidung für einen gemischt normativ-faktischen Irreführungsbegriff wird man dem (diesbezüglich zwischen unterschiedlichen nationalen Traditionen merkwürdig zerrissenen) Urteil jedoch nicht entnehmen können (s. im Ergebnis wohl auch Lettl, aaO). Das richtige Ergebnis im Sinne einer Dominanz des normativen Modells, welches sich mit faktischen Elementen, soweit die Ermittlung einzelner Abwägungsfaktoren betroffen ist, letztlich untrennbar mischt, folgt also – für den Augenblick – allein aus den hier angestellten Überlegungen zum normativ-institutionellen Charakter des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Binnenmarktkonzepts der Gemeinschaft, ohne – bisher – schon auf eine ausdrückliche Leitentscheidung in der Rechtsprechung des EuGH gestützt werden zu können. Wie hier im Ergebnis die hM, s. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5 UWG, Rz. 1.46 ff. mwN.; für einen normativen Verbrauchervegriff auch Fezer, WRP 1995, 671 ff.; a.A. und für die Aufrechterhaltung des empirischen Blicks auf den Durchschnittsverbraucher als Realtypus insbesondere Sack, WRP 1999, 399, 401; wohl auch Harte/HenningGlöckner, Einl B, Rz. 119 ff. mwN. 294 S. statt vieler Fleischer, ZEuP 2000, 772, 781 ff.; Grundmann, JZ 2000, 1133, 1138 ff.; ders., NJW 2000, 14, 18; Sack, WRP 1998, 264, 268 (mit Blick auf das von ihm entwickelte „Unternehmerleitbild“); Groeschke/Kiethe, WRP 2001, 230, 231 f., jeweils mwN. Vgl. für einen Ausblick in das gesellschaftsrechtliche Informationsmodell des Gerichtshofs Grundmann, DStR 2004, 232 ff. mwN. 295 S. die grundlagenorientierten ökonomischen Überlegungen oben 1. Kap. 1. Abschn. D IV, V und VI; vgl. zu diesem, bestimmte Limitationen des EuGH-Informationsmodells verdeutlichenden Aspekt allgemein Weatherill, Consumer Policy, in: Craig/de Burca (ed.), Evolution of
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einer fehlerfreien Verbraucherentscheidung allein durch ein „mehr“ an Information nicht beizukommen. Betreffend die Überrumpelungsgefahren wird vom Gerichtshof konsequenterweise entsprechend leichtherziger eine Rechtfertigung nationaler Maßnahmen bejaht, die zumal in diesem Bereich auch (nach der BuetEntscheidung296) die Interessen besonders schutzbedürftiger, „anfälliger“ Verbrauchergruppen dadurch berücksichtigt, daß sich die rechtliche Beurteilung in Fallkonstellationen, in denen sich eine die Freiheit des Entscheidungsprozesses gefährdende Vertriebstechnik voraussehbar an spezifische, „besonders schutzlose“ Verbrauchergruppen richtet, an deren besonderer Schutzbedürftigkeit orientieren kann 297. Prompt sind diese „besonderen Vertriebsformen“ die Bereiche, auf die sich dann die sekundärrechtliche Harmonisierung zuerst konzentriert hat (s. dazu noch unten 2 b (2)), wenngleich gerade in diesem Bereich dem Konzept der Mindestharmonisierung durch die Buet-Entscheidung auch seine Grenzen aufgezeigt wurden 298. Mit Blick auf die Überforderung durch eine seitens der Verbraucher nicht mehr mit sachangemessenem Aufwand zu verarbeitende Informationsmenge ist das EuGH-Informationsmodell gleichfalls ergänzungsbedürftig und müßte gegebenenfalls – unter Einbeziehung des Selbstinformationsaufwands der Verbraucher als Kostenfaktor299 und als Aspekt eingeschränkter Rationalität aufgrund weiterer psychologisch-kognitiver Grenzen des Entscheidungsprozesses300 – noch weiterentwickelt werden. Wiederum ist dieses Defizit in gewisser Weise auch zum Anlaß sekundärrechtlicher Bemühungen insofern geworden, als das verbraucherschützende Richtlinienrecht in immer zunehmenden Maße den Versuch einer Standardisierung und angemessenen (Aufmerksamkeit in hinreichendem Maße weckenden) Ausgestaltung der zu gewährenden Informationen verfolgt, wenngleich auch diese Konzeption angesichts der vorgeschriebenen „Informationsflut“ mit mittlerweile sogar abgestuften Kriterien „einfacher“ Hervorhebung, und „besonderer Hervorhebung“ unübersehbar an ihre Grenzen gerät. Gerade aber auch im Verhältnis zu derartiger sekundärrechtlicher Harmonisierung – insbesondere im Bereich der besonderen Vertriebsformen – zeigt sich im übrigen unter der Perspektive des hier behandelten Themas, daß der Gerichtshof grundsätzlich lauterkeits- und verbraucherschutzrechtliche Mittel bei der Sicherstellung freier informierter Vertragsentscheidungen als komplementär ansieht. Darauf ist an dieser Stelle noch etwas näher einzugehen. EU Law, S. 693, 700 f.; spezifisch betreffend das Lauterkeitsrecht zuletzt auch Harte/HenningGlöckner, Einl B, Rz. 115 ff. 296 EuGH Rs. 382/87 (Buet), Slg. 1989, 1235, 1242. 297 EuGH (aaO.), Rz. 13. 298 Vgl. EuGH (aaO.), Rz. 16. 299 S. grundlegend schon van den Bergh/Lehmann, GRUR Int. 1992, 588, 590; aktuell zum mittlerweile weiter fortentwickelten Informationsmodell des EuGH zuletzt Harte/HenningGlöckner, Einl B, Rz. 118. 300 S. insgesamt die psychologischen und ökonomischen Überlegungen oben 1. Kap. 1. Abschn. D IV, V 3 und 4.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
c. Lauterkeitsrecht und Vertrag in der Rechtsprechung des EuGH: Komplementarität und Gleichmaß der Wertungen Die Leitperspektive der gesamten EuGH-Rechtsprechung zum Irreführungsbereich ist der freie und informierte Vertragsschluß der Parteien. Soweit das Ausmaß notwendiger Information oder sonstigen Schutzes des Verbrauchers anhand des Verhältnismäßigkeitskriteriums beurteilt wird, sieht der Gerichtshof lauterkeitsrechtliche und maßgeschneiderte verbraucherschutzrechtliche Vorschriften grundsätzlich als komplementär an, wie dies im folgenden zu belegen ist. Im Verhältnis zu sekundärrechtlichem europäischen Verbraucherschutz ergibt sich dies schon daraus, daß der Gerichtshof sobald und soweit eine maßgeschneiderte verbraucherrechtliche Lösung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber erfolgt ist, die auch zwingend das Schutzniveau festlegt, eine Rechtfertigung durch zwingende Allgemeininteressen grundsätzlich nicht mehr akzeptiert 301; ob diese Lösung ihrem Rechtscharakter nach eine wettbewerbsrechtliche oder verbrauchervertragsrechtliche ist, ist insoweit bedeutungslos. Die Sicherstellung des zwingenden Allgemeininteresses an Verbraucherschutz und Lauterkeit des Handelsverkehrs kann also aus der Sicht des Gerichtshofs kategorial sowohl mit vertragsrechtlichen Mitteln als auch mit lauterkeitsrechtlichen Mitteln erfolgen. Es entwickelt sich insoweit aus der Sicht des Binnenmarkts eine einheitliche Mischkategorie europäischen Verbraucherrechts302, die die Einteilung in lauterkeitsrechtliche Vorschriften und vertragsrechtliche Vorschriften nicht kennt (was im übrigen nicht ganz unbedenkliche Folgen mit Blick auf die weitgehend offengelassene Regulierung der jeweiligen Sanktionsmechanismen hat303). Der bloßen binnenmarktfunktionalen Komplementarität entspricht auch eine inhaltliche Komplementarität vertragsrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Instrumente zum Schutz der Verbraucher, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs in den hier interessierenden Teilbereichen offenbar als von einem einheitlichen Zweck getragen angesehen und daher als Gesamtsystem anhand des Verhältnismäßigkeitskriteriums gemessen werden. Diese sachliche Komplementarität zeigt in aller Klarheit die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Buet 304, in der es um das französische Verbot der Kundenwerbung an der Haustür für den Verkauf von pädagogischem Material (der als Umgehung des französischen Verbots des Haustürvertriebs von Unterrichtsverträgen zunehmend derartige Angebote ersetzt hatte und daraufhin gleichfalls verboten worden war) ging305. Zum Zeitpunkt der Entscheidung sah die Haustürge301 S. z.B. EuGH Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649; EuGH Rs. 261/81 (Rau), Slg. 1982, 3961; EuGH Rs. 124/87 (Gritzmann-Martignoni), Slg. 1988, 4511. 302 S. Beater, ZEuP 2003, 11, 29 ff.; zurückhaltender zuletzt Glöckner, S. 147 f.: zumindest „unbestreitbare Verbindung“, die es gestatte Grundsätze und Prinzipien des europäischen Verbraucherrechts auch für das Lauterkeitsrecht fruchtbar zu machen. 303 Vgl. insoweit auch unten 2 d. 304 S. o. Fn. 296. 305 Es läßt sich darüber streiten, ob die Entscheidung nach Keck noch Bestand haben kann. Das Verbot der Haustürwerbung für Unterrichtsmaterial stellt sich als Verbot einer bestimmten
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schäfte-RL bereits die grundsätzliche Zulässigkeit des Haustürvertriebs bei gleichzeitiger Einräumung eines Widerrufsrechts für den Kunden vor, beschränkte sich aber auf die Regelung eines Mindeststandards (Art. 8 Haustürgeschäfte-RL). In seiner dementsprechend gebotenen Prüfung des Werbeverbots für Haustürvertrieb von Unterrichtsmaterial am Maßstab des Art. 30 (heute Art. 28 EG) stellte der Gerichtshof zunächst die besondere Anfälligkeit und Schutzbedürftigkeit der angesprochenen Verkehrskreise heraus, um sodann im Rahmen einer einheitlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung, die das lauterkeitsrechtliche Totalverbot und das vertragsrechtliche Widerrufsrecht zusammenfaßt, klarzustellen, daß der Gesetzgeber eines Mitgliedstaats „unter derartigen Umständen“ davon ausgehen dürfe, „daß die Einräumung eines Rücktrittsrechts zugunsten der Verbraucher zu deren Schutz nicht ausreich(e) und daß es notwendig (sei), die Kundenwerbung an der Haustür zu verbieten“306. Daraus wird man aber den Umkehrschluß ziehen dürfen, daß – soweit Werbetechnik dar (und steht insofern den EuGH-Entscheidungen in Rs. C-292/92 (Hünermund), Slg. 1993, I-6787 und Rs. C-412/93(Leclerc-Siplec), Slg. 1995, I-179) nahe, wo von einer unterschiedslosen Anwendbarkeit und damit vom Herausfallen aus der Prüfung ausgegangen worden war. Andererseits mag die Situation aber auch dem Sachverhalt in Rs. C-34–36/95 (de Agostini), Slg. 1997, I-3843, nahekommen, wo das streitgegenständliche Fernsehwerbeverbot den Absatz inländischer und ausländischer Erzeugnisse nach Auffassung des EuGH zumindest potentiell ungleich berührte, da es newcomer im Markt benachteiligen konnte (die letztendliche Entscheidung der Frage nach der ungleichen Auswirkung wurde verwies der EuGH zurück an das nationale Gericht). Um hier zu einer Entscheidung zu kommen, hätte es in Buet einer konkreten Marktanalyse und der Feststellung bedurft, ob der Haustürverkauf von Unterrichtsmaterial so unerläßlich für den Markteintritt ausländischer Anbieter war, daß er diese tatsächlich sachlich ungleich berührte. Unterstellt, daß die klägerische Argumentation in Buet zutreffend ist (der Kläger hatte argumentiert, er stehe unter dem Zwang sein europaweit einheitliches Vertriebssystem aufzugeben und durch an die jeweilige Rechtssituation in einzelnen Mitgliedstaaten angepaßte Systeme zu ersetzen), würde sich nach der hier vertretenen Auffassung im übrigen schon allein daraus eine tatsächliche Ungleichbehandlung ergeben, so daß die Entscheidung in Begründung und Ergebnis auch nach Keck Bestand hat. S. zum ganzen statt aller auch (ähnlich wie hier) Heermann, Warenverkehrsfreiheit und deutsches Unlauterkeitsrecht, Rz. 200 f. mwN. Allerdings bedürfen derartige Fälle nach dem jetzigen Stand einer gründlichen Marktanalyse, in deren Rahmen die Auswirkung der natonalen Maßnahme auf den ausländischen Anbieter jedenfalls mit Blick auf die Frage, ob die klägerische Behauptung einer Ungleichbehandlung sich bei konkreter ökonomischer Betrachtung der in Frage stehenden Märkte tatsächlich als stichhaltig erweist, sorgsam zu prüfen ist. Genau mit diesem Ansatz zuletzt auch EuGH Rs. C 441/04 (APunkt Schmuckhandels GmbH . /. Claudia Schmidt) v. 23. 2. 2006, Slg. 2006 (abrufbar unter www.curia.eu.int), Rz. 15 ff. und insbesondere Rz. 25 f.: Rückverweisung an das vorlegende (österreichische Gericht) mit dem Ziel, festzustellen, ob das Verbot des Haustürvertriebs bestimmter Schmuckerzeugnisse im Wege des Haustürvertriebs, das in der österreichischen Gewerbeordnung vorgesehen ist, den Vertrieb ausländischer Erzeugnisse sachlich stärker berühren könnte als den Vertrieb aus Österreich stammender Erzeugnisse. Nur wenn dies der Fall sei, komme auf Grundlage der Keck-Rechtsprechung eine Beschränkung des freien Warenverkehrs in Betracht und sei gegebenenfalls eine Rechtfertigung aufgrund der Cassis de Dijon-Doktrin zu prüfen. 306 EuGH aaO., Rz. 14 f. S. zur funktionalen Austauschbarkeit von wettbewerbsrechtlichem Totalverbot und verbrauchervertragsrechtlicher Lösung auch deutlich der letzte Erwägungsgrund der Präambel der Haustürgeschäfte-Richtlinie, der den Mitgliedstaaten ein gänzliches Verbot des Haustürvertriebs – soweit im Rahmen der Grundfreiheiten zulässig – ausdrücklich vorbehielt.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
es nicht um besonders schutzwürdige Verbraucherkreise oder anderweitige Sondersituationen307 geht – der Gerichtshof der Auffassung war, daß die durch den Haustürvertrieb entstehende abstrakte Gefährdungslage für die freie Vertragsentscheidung (zweite Ebene, d.h. Gefährdung des Entscheidungsprozesses) bereits durch das mildere Mittel des Widerrufsrechts gelöst war, so daß ein wettbewerbsrechtliches Totalverbot als abstraktes Gefährdungsdelikt grundsätzlich unter diesem Rechtfertigungsaspekt nicht mehr in Betracht kam 308. Es ist also nach Auffassung des Gerichtshofs im europäischen Recht gerade nicht so, daß etwa ein auf die Freiheit der Verbraucherentscheidung ausgerichtetes lauterkeitsrechtliches Verbot einen anders ausgerichteten Schutzzweck hat, als ein entsprechend ausgerichtetes vertriebsspezifisches Verbraucherschutzgesetz und daher von den in einem solchen Gesetz gefundenen Lösungen von vornherein nicht berührt ist; vielmehr bilden Lauterkeitsrecht und Verbrauchervertragsrecht in derartigen Fällen ein einheitliches System, in dem die bereichsspezifische Lösung des Verbrauchervertragsrechts gerade insoweit Vorrang hat, wie sie ihrem Regelungsgehalt nach reicht. Die sich daraus ergebende einheitliche Verhältnismäßigkeitsprüfung, wie der EuGH sie durchführt, entspricht haargenau dem Konzept sachlicher Komplementarität, wie es hier vertreten wird.
307 Vgl. zu einer weiteren denkbaren Sondersituation, die sich etwa aus dem Vertrieb von Silberschmuck im Wege von Haustürgeschäften ergeben könnte, zuletzt EuGH Rs. 441/04 (APunkt Schmuckhandels GmbH . /. Claudia Schmidt) v. 23.2.2006, Slg. 2006 (abrufbar unter www.curia.eu.int), Rz. 28 f.: Bei einer gegebenenfalls (vgl. zu den nunmehr vorgelagert zu prüfenden Voraussetzungen der Bejahung einer Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit nach Keck in derartigen Fällen schon o. Fn. 305) zu prüfenden Rechtfertigung strengerer nationaler Maßnahmen am Maßstab der zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses zuerst Berücksichtigung des durch die Haustürgeschäfte-RL erreichten Schutzniveaus und sodann Berücksichtigung der Besonderheiten des spezifischen Vertriebsbereichs (Schmuckhandel). 308 S. auch ausdrücklich in diese Richtung EuGH, aaO., Rz. 12: „Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Werbung an der Haustür den potentiellen Käufer der Gefahr eines unüberlegten Kaufs aussetzt. Um dieser Gefahr zu begegnen, genügt es in der Regel, den Käufern ein Recht zum Rücktritt von einem im Bereich ihrer Wohnung geschlossenen Vertrag zu garantieren“ (Hervorh. d. Verf.). Auf Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich nach der hier vertretenen Auffassung trotz der ausdrücklichen Erwähnung weiterhin möglicher Total- oder Teilverbote des mitgliedstaatlichen Rechts im letzten Erwägungsgrund der Haustürgeschäfte-Richtlinie, aus der Geltung der Grundfreiheiten auch im Bereich eines derartigen „überschießenden“ Schutzes, daß jedenfalls der Aspekt des Schutzes der Entscheidungsfreiheit für die in der Haustürgeschäfte-RL typisierte „Normalsituation“ nicht länger eine Rechtfertigung für mitgliedstaatliche Totalverbote dieser Vertriebstechnik zu bieten vermag. Zugleich zeigt gerade die Buet-Entscheidung in ihrem Ergebnis aber natürlich auch, daß unter besonderen Umständen im Ergebnis sogar abstrakte Gefährdungstatbestände auch im „europäischen“ Irreführungsrecht unter Art. 30, 49 EG gerechtfertigt sein können, sofern sie notwendig sind, daß also mit anderen Worten sich aus den permissiven Entscheidungen GB-Inno-BM und Yves Rocher zu Eigenpreisvergleichen kein grundsätzliches Verbot lauterkeitsrechtlicher abstrakter Gefährdungstatbestände unter Art. 28 und 43 EG ergibt. Vgl. im übrigen zur genauen Reichweite der Wertung der verbrauchervertriebsrechtlichen Regelungen des deutschen Rechts in §§ 312 ff. BGB und zu ihrer Rückwirkung auf die lauterkeitsrechtliche Beurteilung neuer Vertriebsformen im deutschen Recht noch eingehend unten 4. Kap. 3. Abschn. A.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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Die Diskussionen um den Vertreterverkauf an der Haustür – auch in Deutschland, wo nach einem zeitlich weitgehend parallel verlaufenen Gesetzgebungsverfahren 309 letztlich noch kurz vor Verabschiedung der Richtlinie das deutsche Haustürwiderrufsgesetz erlassen wurde 310 – belegen im übrigen in ihrem zeitlichen Verlauf (Diskussion über wettbewerbsrechtliche Totalverbote in einem ersten Schritt, dann bereichsspezifische verbraucherschutzrechtliche Lösung in einem zweiten Schritt, welch letztere dann ihrerseits soweit der – freilich in diesem Fall in seinem Umfang umstrittene311 – Regelungsgehalt reicht, wettbewerbsrechtliche Instrumentarien verdrängt 312) genau die hier vertretene These von der zeitlichen Komplementarität von Wettbewerbs- und Verbrauchervertragsrecht.
Schließlich ist für das europäische Recht der Gleichlauf der Wertungen im einheitlich verstandenen Verbraucherrecht zu belegen, der als identischen Fluchtpunkt sowohl des auf den Schutz der Marktgegenseite bezogenen Lauterkeitsrechts als auch des Verbrauchervertragsrechts den zu schützenden freien und informierten Vertragsschluß sieht und deshalb für abweichende Maßstäbe in den diesbezüglichen Überschneidungsbereichen von Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrecht allein rechtsfolgenspezifische bzw. von konkret belegbaren abweichenden Interessenlagen getragene Erklärungsansätze akzeptiert. Entsprechende Abweichungen des Schutzmaßstabes voneinander oder eine Kumulierung der Schutzinstrumente müssen zudem durch den Schutz des freien und informierten Vertragsschlusses funktionsgeleitet sein. Genau dieses Konzept findet sich für das europäische Recht im Zusammenspiel der Urteile in den Rechtssachen Nissan313 und CMC Motorradcenter ./.Baskiciogullari (Yamaha) 314, in denen es um im Grundsatz vergleichbare Aufklärungspflichten mit Blick auf parallelimportierte Kraftfahrzeuge einerseits unter der Perspektive eines wettbewerbsrechtlichen Verbots (in Frankreich) und andererseits unter der Perspektive einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung (in Deutschland) ging. Dabei macht insbesondere die Nissan-Entscheidung in aller gebotenen Klarheit deutlich, daß der EuGH als den Hauptzweck auch der wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbote tatsächlich allein die Verhinderung verzerrter Vertragsentscheidungen der Nachfragerseite sieht (das Regelungsziel für Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht deckt sich insofern im Sinne des Gleichmaßgebots tatsächlich); das methodische Vehikel für diese teleologische Auslegung findet der Gerichtshof in einer Art Relevanztest. Der EuGH stellt nämlich fest, daß eine relevante Irreführung im Sinne der Irreführungs-Richtlinie315 durch werbliche Angaben über den 309 Vgl. zu den Eigenheiten dieser Situation, in der Deutschland teils auf europäischer Ebene den Erlaß der Richtlinie unter Hinweis auf das nationale Gesetzgebungsverfahren blockierte, Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 206 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 310 S. zum Teil auch noch unten 4. Kap. 3. Abschn. A. 311 S. insoweit noch unten 4. Kap. 3. Abschn. A I und II. 312 Vgl. nur Schade, 1978; sowie teils zu Unrecht kritisch auch im Nachhall der Richtlinie und ihrer Umsetzung in Deutschland auch Gilles, NJW 1986, 1131 ff.; Kaiser, WRP 1989, 222 ff. und dagegen Löwe, BB 1986, 821 f., jeweils mwN. 313 EuGH Rs. C-373/90 (Nissan), Slg. 1992, I-131. 314 EuGH Rs. C-93/92 (CMC Motorradcenter . /.Baskiciogullari), Slg. 1993, I-5009. 315 Das Nissan-Urteil erging nicht zu Art. 28 EG, sondern zum Irreführungsbegriff des
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Fahrzeugpreis (der niedriger war als der vergleichbarer „Inlands“fahrzeuge, bei freilich geringerer Ausstattung) nur vorliege, wenn „nachweislich von einer erheblichen Anzahl von Verbrauchern, an die sich diese Werbung wendet, die Kaufentscheidung in Unkenntnis dessen getroffen wurde, daß der niedrigere Fahrzeugpreis mit einer geringeren Ausstattung … einhergeht“316. Der Wortlaut der Entscheidung ist eindeutig und vom EuGH in der Rechtssache Gut Springenheide 317 auch wiederholt worden, so daß sich auch nicht etwa argumentieren läßt, in Nissan seien die Maßstäbe etwa allein deshalb liberaler gewesen, weil es um den besonders binnenmarktsensitiven Bereich der Parallelimporte ging318: Der Gerichtshof verlangt also die potentielle Maßgeblichkeit der Irreführung für den späteren Kaufentschluß; dem ist zuzustimmen und dieser Ansatz entspricht auch gerade der hier vertretenen Lösung; er ist aber nicht ganz unumstritten 319. Insbesondere sieht Lettl 320 eine solche Lösung als im Widerspruch zum Wortlaut der Irreführungs-Richtlinie („ihr [gemeint sind die Nachfrager] wirtschaftliches Verhalten beeinflussen kann“) stehend an, da dieser auch die rein potentielle Irreführungseignung genügen lasse. Allein anhand des Wortlauts scheint diese Kritik nicht unberechtigt und ihr ist auch insoArt. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Nr. 2 Irreführungs-Richtlinie. Doch wird man die vom EuGH verfolgte Grundkonzeption schon angesichts der Zielidentität von Irreführungs-Richtlinie und Grundfreiheiten (auch die Richtlinie bezweckt die Beseitigung von Hindernissen für den freien Warenverkehr) und zumal angesichts der Tatsache, daß es um einen Sachverhalt ging, in dem die wettbewerbsrechtliche Aufklärungspflicht potentiell Parallelimporte behinderte – womit ein Kernbereich der Gewährleistung des freien Warenaustauschs im Binnenmarkt betroffen war – auch auf den Bereich der Art. 28, 49 EG übertragen können. Selbst der EuGH scheint davon in der Rs. C-210/96 (Gut Springenheide), Slg. 1998, I-4657, auszugehen, wenn er (aaO., Rz. 28 ff.) den Irreführungsbegriff unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsrechung konkretisiert, ohne dabei zwischen den Maßstäben nach der Irreführungs-Richtlinie und dem Primärrecht bzw. anderen Akten des Sekundärrechts zu unterscheiden (s. insbesondere Rz. 29 f.). Ähnlich wie hier wohl Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5 UWG, Rz. 2.53 ff. mwN; a. A. Sack, GRUR 1998, 871, 882; Sack, WRP 1999, 399, 401 f. 316 EuGH (o. Fn. 313), Rz. 16. 317 EuGH Rs. C-210/96 (Gut Springenheide), Slg. 1998, I-4657, Rz. 34. 318 Dieser Gedanke ist immerhin insofern – was allein Nissan anbeträfe – nachvollziehbar, als der EuGH (o. Fn. 313), Rz. 12 unter Bezugnahme auf die Schlußanträge des Generalanwalts Tesauro besonders herausstellt, daß es um einen Sachverhalt grundsätzlich wünschenswerter Parallelimporte gehe. S. dazu auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5 UWG, Rz. 2.53 mwN. Doch ist eine derartige „Eindämmung“ von Nissan eben nunmehr mit Blick auf das restatement in Gut Springenheide (o. Fn. 317) nicht mehr möglich, da der EuGH in Gut Springenheide in keiner Weise andeutet, daß Nissan insoweit einen abzugrenzenden Sonderfall darstellen könnte. 319 Wie hier GroßKomm-Schricker, Einl UWG, Rz. F 339; im Ergebnis auch Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5 UWG, Rz. 2.53 mwN; Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, S. 87; Sack, GRUR 1998, 871, 882 (freilich letzterer mit dem nach der hier vertretenen Auffassung im Ergebnis nicht mehr tragfähigen Hinweis, daß diese Interpretation für das deutsche Recht nicht bindend sei, da es sich insoweit wg. Art. 7 Abs. 1 Irreführungs-Richtlinie nur um eine Minimumregel handle, s. zur „Horizontalisierbarkeit“ der Nissan-Rechtsprechung aber schon o. Fn. 315); a.A. Lettl, Irreführende Werbung, S. 108, der auch nach Nissan das Relevanzerfordernis durch eine bloße (letztlich nicht vertragsschlußrelevante) Anlockung erfüllt sieht. S. zur diesbezüglichen Argumentation noch im folgenden Text. 320 Lettl, Irreführende Werbung, S. 108 mwN.
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weit zuzustimmen, als es nicht etwa darauf ankommt, ob tatsächliche Täuschungen bei konkreten Verträgen stattgefunden haben321. Wohl aber ergibt sich vor dem Hintergrund einer autonomen Auslegung des Art. 2 Nr. 2 Irreführungs-Richtlinie unter Berücksichtigung der Diskussionen im Vorfeld sowie der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Konzepte in diesem Bereich, daß nach der Konzeption des europäischen Rechts eine Irreführung dann ausscheidet, wenn angesichts des Sachverhalts eine anlockende Werbung von vornherein nicht einmal abstrakt oder „hypothetisch“322 geeignet ist, den nachfolgenden Vertragsschluß zu verzerren, weil – wegen des Charakters des vertriebenen Produkts oder der angebotenen Diensleistung bzw. nach der Art des Geschäfts – zu erwarten ist, daß vor Vertragsschluß eine individuelle Aufklärung erfolgt, die die Verzerrung der informationellen Entscheidungsgrundlage noch rechtzeitig behebt, so daß sie nicht einmal „hypothetisch“ bei einer erheblichen Anzahl von Verbrauchern beeinflußt werden kann 323. Richtigerweise genügt die bloße, letztlich nicht kaufrelevante Anlockung nämlich nicht dem Erfordernis der Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens324, da mit dem wirtschaftlichen Verhalten der Nachfrager im Sinne der Richtlinie – und insoweit ganz im Einklang mit der auf die Sicherung freier und informierter Vertragsschlüsse fast ausnahmslos zentrierten EuGH-Rechtsprechung, die unter Konzentration auf das solcherart angestrebte institutionelle Binnenmarktziel in genau gleicher Weise sonstige Aspekte, wie Belästigung etc., weitgehend ausklammert – eben gerade nur ein solches wirtschaftliches Verhalten gemeint ist, welches sich in einem verzerrten Vertragsentschluß manifestiert; dies entspricht nicht nur der traditionellen Haltung der Rechtsprechung etwa in den angelsächsischen Ländern zum Merkmal der Irreführung der Marktgegenseite325, sondern erklärt auch allein in der systematischen Zusammenschau das Vorhandensein des weiteren alternativen Tatbestandsmerkmals
321 So in Abgrenzung von dem in diesem Zusammenhang mißverständlichen deutschen Wortlaut des Urteils (welches jedoch in der nach der Verfahrenssprache maßgeblichen französischen Version im Sinne des Ausreichens auch einer hypothetischen Möglichkeit [„… dans l´hypothèse où il serait établi …“] zur Beeinflussung der Verbraucherentscheidung formuliert war) zutreffend schon Deutsch, GRUR 1997, 44; seither herrschende Meinung, s. nur Harte/ Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 85. 322 Vgl. zum maßgeblichen französischen Wortlaut des Nissan-Urteils o. Fn. 321. 323 S. im Grundsatz zutreffend schon GroßKomm-Schricker, Einl., Rz. F 339; vgl. weitgehend ähnlich Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 86 und 128: konkrete Anhaltspunkte, daß eine Richtigstellung erfolgen wird, notwendig, sowie im übrigen Differenzierung danach, ob die bloße Anlockung zu sunk costs beim Verbraucher führte. 324 Da dieses Kriterium auch für die Irreführungskonzeption der neuen Lauterkeits-RL konstitutiv ist (s. Art. 6 Abs. 1 Lauterkeits-RL) behält die Nissan-Interpretation der Irreführungs-RL auch bei der Beurteilung verbraucherschützender Irreführungssachverhalte unter der umfassenden Lauterkeits-RL zumindest ihre grundsätzliche Relevanz. 325 Vgl. nur die Ausführungen zum passing off in Arsenal . /.Reed [2001] RPC 46, Tz. 21 ff. Auch der goodwill ist in der erweiterten Form des passing off im englischen Recht mittlerweile geschützt, traditionell ist aber stets die Hervorrufung einer Verwechslungsgefahr hinsichtlich der Herkunft des vertriebenen Produkts/der vertriebenen Dienstleistung Voraussetzung der action.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
der Schädigung der Mitbewerber326. Denn dieses Merkmal ist genau aus diesem Grunde notwendig, um Fälle der bloßen Anlockung zu lösen, in denen ein Verbraucher durch ein Vorspannangebot, welches dann gar nicht erfüllbar ist, in die Geschäftsräume „gelockt“ wird, wo er sodann u.U. Waren erwirbt, die er aber in der Tat auch gerade – wenngleich vielleicht nicht bei diesem spezifischen Gewerbetreibenden – erwerben wollte. Der Verbraucherschutz im Sinne der ersten beiden Ebenen des Vier-Ebenen-Modells ist in einer solchen Fallgestaltung gar nicht betroffen, denn der Vertragsschluß als solcher ist fehlerfrei, dem Verbraucher ist im Ergebnis kein Schaden327 entstanden, sein wirtschaftliches Verhalten im Sinne der Richtlinie nicht beeinflußt worden; allein die Mitbewerber sind geschädigt 328. Bleibt die Argumentation aus dem Wortlaut der Richtlinie, demzufolge die bloße Möglichkeit („… kann …“) zu einem verzerrten Vertragsschluß beizutragen für die Bejahung einer Irreführung genüge. Prüft man aber den Sachverhalt der Nissan-Entscheidung an diesem Merkmal, so wird man feststellen, daß in diesem Sachverhalt nach der Rechtsprechung des EuGH eben in der Tat nicht einmal die prinzipielle Möglichkeit eines letztlich fehlerhaften Vertragsschlusses bestand. Dieses Ergebnis folgt gerade aus der Zusammenschau mit dem später ergangenen Urteil CMC-Motorradcenter (Yamaha) bezüglich vorvertraglicher Aufklärungspflichten; die Zusammenschau wirft zugleich ein gänzlich neues Licht auf letztgenanntes Urteil und wird beweisen, daß die letztgenannte Entscheidung nicht etwa als Nissan zuwiderlaufend oder gar das Nissan-Urteil korrigierend angesehen werden kann329, sondern vielmehr unter rechtsfolgenspezifischer Perspektive das Nissan-Urteil im Ergebnis geradezu als notwendiger, kohärenter Bestandteil eines einheitlichen binnenmarktfunktionalen Konzepts des informierten Vertragsschlusses ergänzt. In der Zusammenschau mit der wenig später ergangenen Entscheidung in CMC-Motorradcenter (Yamaha), die eine vorvertragliche Aufklärungspflicht eines veräußernden Händlers (der selbst nicht Yamaha-Vertragshändler war) betraf, seine Kunden über die Weigerung deutscher Yamaha Vertragshändler zu informieren, Gewährleistungsreparaturen an parallel importierten Motorrädern durchzuführen, wird nämlich deutlich, daß der Gerichtshof im Ergebnis gerade deshalb in Nissan bezüglich der durch Unterlassungsansprüche und einen Straftatbestand bewehrten allgemeinen Verkehrssicherungspflicht des Lauterkeitsrechts liberal entscheiden konnte, weil er in CMC-Motorradcenter (Yamaha) die Verletzung des Art. 30 (heute Art. 28 EG) durch eine vorvertragliche Aufklärungspflicht, die
326 Dem in Lettls Ansatz praktisch gar keine eigenständige Bedeutung mehr zukommt, s. Lettl, aaO. 327 Mit der denkbaren Ausnahme frustrierter Aufwendungen im Hinblick auf den erhofften Vertragsschluß, s. zutreffend für das europäische Recht Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 128; für eine differenzierte zivilrechtliche Lösung derartiger Fälle im Rahmen des deutschen Rechts auch noch unten 4. Kap. 4. Abschn. C IV 2. 328 S. zum ganzen ebenso Schricker, aaO. 329 So aber zu Unrecht Röhling, EWiR 1993, 1199 f. und kritisch dazu Köhler, ZEuP 1994, 664, 670 f.
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ihrerseits mit einem Schadensersatzanspruch bewehrt gewesen wäre, verneinte 330. Diese vorvertragliche Aufklärungspflicht betreffe den freien Warenverkehr nur „zu ungewiß und zu mittelbar“, um als Beschränkung angesehen werden zu können331. Im Ergebnis – wenn auch nicht in der Begründung, die man in CMC-Motorradcenter (Yamaha) nur als verfehlt ansehen kann 332 – entsteht gerade aus dem Zusammenspiel beider Entscheidungen eine Gesamtkonzeption binnenmarktfunktionalen Schutzes fehlerfreier Vertragsschlüsse. Zuerst wird durch das Abschneiden der wettbewerbsrechtlichen Aufklärungspflicht (des abstrakten Gefährdungsdelikts), dem Kunden die Möglichkeit eingeräumt, sich umfassend – gerade auch über das günstigere Angebot der Parallelimporteure – zu informieren; dies erweitert die Auswahlmöglichkeiten der Nachfrager durch Öffnung nationaler Märkte im Binnenmarkt und entsprechend offensive Publikumsinformation darüber. Umgekehrt werden dann aber letztlich die Nachfrager vor einer konkretindividuell fehlerhaften Entscheidung durch die – hinsichtlich der Rechtsfolge zumal weniger einschneidende – vorvertragliche Aufklärungspflicht geschützt, so daß sich dann in der Tat auch im geöffneten Binnenmarkt das aus der Sicht der Nachfrager beste und günstigste Produkt durchsetzt. Soweit schließlich die Yamaha-Händler Gewährleistungsreparaturen an importierten Motorrädern tatsächlich verweigerten, konnte man in einem auf informierte Entscheidungen der Verbraucher orientierten Binnenmarktkonzept diesen Verstoß nicht zu Lasten der Verbraucher auflösen, sondern vielmehr allein durch ein Vorgehen gegen die sich kartellrechtswidrig verhaltenden Hersteller und Händler333, weshalb sich das zwingende Allgemeininteresse am Verbraucherschutz insoweit im CMC Motorradcenter (Yamaha)-Fall gerade durchsetzen mußte334.
330 Auf die entscheidende Relevanz der Betrachtung der Sanktionenseite, die einen wesentlichen Unterschied beider Entscheidungen ausmacht, weist auch Köhler, aaO., hin. 331 S. schon o. Fn. 152 zur Kritik an diesem sogenannten remoteness-Kriterium, daß doch im Kern im konkreten Sachverhalt eher eine Art Zurechenbarkeitserfordernis aufstellen wollte. 332 S. schon oben (aaO.) zur berechtigten Kritik an der wenig trennscharfen Formulierung des remoteness-Kriteriums sowie noch unten im Text zu der nach der hier vertretenen Auffassung zutreffenden Begründung des Ergebnisses. 333 Für das europäische Recht ergibt sich ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG – sofern eine entsprechende Willensübereinstimmung des Herstellers und der Vertragshändler nachgewiesen werden könnte, die Garantien national zu beschränken – unmittelbar aus der zutreffenden Argumentation der Kommission in der Entscheidung Re Zanussi SpA Guarantee, ABl. 1978 L 322, S. 26 ff. = [1992] 5 CMLR, 81 ff. und dazu Whish, Competition Law, S. 139; siehe auch die entsprechenden kartellrechtlichen Hinweise (nach damals geltendem Recht) bei Köhler, aaO., S. 669, auf die einschlägigen Regelungen des deutschen Kartellrechts, heute: § 14 GWB; u.U. auch §§ 19, 20 GWB. 334 Das Verhältnismäßigkeitskriterium im Sinne der Cassis-Rechtsprechung hätte also durchaus genügt, um in diesem Sachverhalt das „richtige“ Ergebnis rechtsfolgenspezifisch zu begründen. Der vertragsrechtliche Verbraucherschutz springt hier als zwingendes Allgemeininteresse im Sinne der Cassis-Formel gewissermaßen solange zur „zweitbesten“ Lösung des Problems ein, bis die eigentlich angebrachte Lösung im Kartellrecht durchgesetzt ist. S. auch noch im folgenden Text.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Konsequenter in der Begründung wäre es allerdings gewesen, nicht auf den unglücklichen, weil letztlich nicht trennscharfen remoteness-Test zurückzugreifen (mit dem doch in CMC Motorradcenter (Yamaha) eigentlich eine Art persönliches Zurechenbarkeitskriterium eingeführt werden sollte, welches aber genaugenommen bezüglich der objektiven Frage nach einer beschränkenden Auswirkung wenig weiterführt)335. Stattdessen hätte der Gerichtshof – insoweit mit Blick auf Nissan in der Tat nur konsequent, denn bei objektiver Betrachtung war sicher auch in CMC Motorradcenter (Yamaha) eine beschränkende Wirkung vorhanden – eine Maßnahme gleicher Wirkung bejahen sollen 336 – die Keck-Problematik hätte sich in dem unmittelbar vor Keck entschiedenen Fall, der mit dem Rückgriff auf das remoteness-Kriterium sich ohnedies kaum anders lesen läßt, als ein alternativer Versuch des Gerichts, sich in seiner Kontrollbreite selbst zu beschränken 337, noch nicht gestellt. Auf dieser Grundlage hätte sodann die vertragsrechtliche Aufklärungspflicht – die doch einer lauterkeitsrechtlichen Informationspflicht in ihrer Binnenmarktfunktionalität mit Blick auf Parallelimporte und hinsichtlich der Rechtsfolge gerade nicht vergleichbar war – am Verhältnismäßigkeitstest mit Blick auf die zwingenden Interessen des Verbraucherschutzes gemessen werden müssen, was im Ergebnis aus den genannten rechtsfolgenspezifischen Gründen eben gerade zum umgekehrten Ergebnis wie in Nissan geführt hätte, wie es der EuGH auf anderem Wege ja dann auch in der Tat fand.
Zurückgewendet auf das hier behandelte Untersuchungsthema, belegen die Entscheidungen in Nissan und CMC-Motorradcenter (Yamaha) nicht nur, daß die Verbraucherschutzkonzeption des Gerichtshofs im Bereich der Irreführung in der Tat den Schutz informierter Vertragsentscheidungen in den Mittelpunkt stellt (was in dem in der Nissan-Entscheidung entwickelten und mittlerweile in Gut Springenheide bestätigten Relevanzerfordernis deutlich zum Ausdruck kommt), sondern sie demonstrieren gerade in ihrem Zusammenspiel zugleich auch die These vom Gleichmaß der Wertungen in beiden Rechtsgebieten mit Blick auf das solcherart übergeordnete identische Schutzziel, derzufolge sich Unterschiede in der wettbewerbs- und vertragsrechtlichen Behandlung grundsätzlich gleichartiger Sachverhalte – soweit gerade der Schutz der Marktgegenseite in ihrer wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit betroffen ist – eben allein funktional-rechtsfolgenspezifisch (in diesem Falle in erster Linie mit Blick auf die unterschiedliche Binnenmarktfunktionalität der jeweiligen Rechtsfolgen) erklären lassen. Zugleich stellt die Zusammenschau der Entscheidungen in Nissan und CMC-Motorradcenter 335
S. schon obere Fußnote 152. Nur insoweit gegen Köhler, ZEuP 1994, 664, 668 ff., der dem Gerichtshof im Ergebnis der Verneinung einer Maßnahme gleicher Wirkung beistimmt, in der Folge den entscheidenden Unterschied zu Nissan aber wie hier in den unterschiedlichen Sanktionen (Abmahnung und/oder Verurteilung im Falle der wettbewerbsrechtlichen Pflicht gegenüber dem „weniger“ der Vertragslösungsmöglichkeit im Falle der Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht) sieht. Diese Differenzierung ist genau zutreffend, läßt sich aber – da es sich im Kern gerade um eine Suche nach dem „milderen“ Mittel hinsichtlich der Sanktionen handelt – methodenehrlich weitaus besser im Verhältnismäßigkeitskriterium der Cassis-Formel verankern, als in der Suche nach (subjektiven) Zurechenbarkeitskriterien, die im Rahmen des objektiven Beschränkungsbegriffs wegen ihrer notwendig fehlenden Trennschärfe keinen Platz haben sollten. S. insoweit schon o. Fn. 152. 337 S. o. Fn. 152. 336
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(Yamaha) der schon aus Buet gewonnenen Einzelerkenntnis, daß die maßgeschneiderte verbrauchervertragsrechtliche Lösung – soweit sie reicht – dem abstrakten Gefährdungsdelikt (des Verbots einer gesamten Marketing- oder Vertriebsform) vorgeht, einen weiteren Baustein des Komplementaritätsprinzips zur Seite: Denn die Entscheidungen lassen sich vergleichend betrachtet nur so lesen, daß die vertragsrechtliche Lösung – soweit sie reicht – jedenfalls nach europäischem Recht im Binnenmarkt bezüglich des Schutzes der Marktgegenseite auch grundsätzlich abstrakten Gefährdungsdelikten des Lauterkeitsrechts vorgeht, falls nicht andere Aspekte – etwa der Mitbewerberschutz – eine abweichende Lösung rechtfertigen. d. Exkurs: Das Durchsetzungskonzept des EuGH als Bestätigung des ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung Sind demnach Komplementaritäts- und Gleichmaßgrundsatz hinsichtlich der Teilidentität der Regelungsziele im europäischen Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht – des Schutzes der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers – grundsätzlich belegt, so bleibt (da sich insoweit keine spezifischen Probleme im Verhältnis Lauterkeits- und Vertragsrecht stellen) lediglich der Vollständigkeit halber und zur Bestätigung der hier entwickelten Leitgrundsätze festzuhalten, daß die vom EuGH bezüglich des gemeinschaftsrechtlichen Primär338- und Sekundärrechts339 338 S. bezüglich der Auslegung des Primärrechts grundlegend zuletzt EuGH Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rz. 29 ff. 339 S. insoweit etwa die Entscheidungen zur Klausel-Richtlinie (mit ausdrücklichem Verweis auf den Effektivitätsgrundsatz, der aus Art. 6, 7 der Klausel-Richtlinie hergeleitet wird) in Rs. C-473/00 (Cofidis), Slg. 2002, I-10875, Rz. 37, sowie mit einer auf die funktionale Auslegung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen beschränkten Argumentation, die aber ebenfalls in der Sache genau anhand des Effektivitätsgrundsatzes mit Blick auf das Verbraucherschutzziel der jeweiligen Richtlinie orientiert ist, Verb. Rs. C-240–244/98 (Océano), Slg. 2000, I-4981, insbesondere Rz. 26–28. Für das deutsche Recht außerordentlich wirkungsvoll und folgenreich ist die – ganz schwerpunktmäßig am verbraucherschützenden effet utile orientierte (s. zu der für das hier interessierende praktische Ergebnis letztlich nicht weiterführenden Diskussion, ob der Effektivitätsgrundsatz ohnedies als ein Unterprinzip des allgemeineren Grundsatzes vom effet utile des Gemeinschaftsrechts anzusehen ist oder ob er sich als dessen Fortentwicklung darstellt etwa einerseits Streinz, in: FS Everling, S. 1491, 1500 und andererseits Tridimas, General Principles of EC Law, S. 276 ff.) – Entscheidung zur Haustürgeschäfte-RL in der Rechtssache Heininger gewesen, s. EuGH Rs. C-481/99, Slg. 2001, I-9945, Rz. 44 ff.; letzthin sind zudem die gravierenden Entscheidungen EuGH Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-0000 (Schulte . /. Badenia), Rz. 100 ff., sowie – insoweit inhaltsgleich – EuGH Rs. C-229/04, Slg. 2005, I-0000 (Crailsheimer Volksbank . /.Conrads u.a.), Rz. 48 f., ergangen, die allein aus dem Gebot „geeigneter“ Sanktionen im Recht der Mitgliedstaaten für den Fall einer Verletzung des Belehrungsgebots aus Art. 4 Haustürgeschäfte-RL in Verbindung mit dem Verbraucherschutzzweck der Richtlinie die europarechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten ableiten, den betroffenen (nicht über sein Widerrufsrecht belehrten) Verbraucher von sämtlichen mit dem abgeschlossenen Geschäft (auch sich aus in Verbindung mit diesem Geschäft abgeschlossenen weiteren Geschäften) ergebenden wirtschaftlchen Risiken freizustellen, wobei die rechtliche Umsetzung – exakt wie in Courage (vgl. sogleich u. Fn. 340) – dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen bleibt (vgl. auch noch u. Fn. 346). Das Sonderproblem der Zulässigkeit hypothetischer Vorlagen, das sich schon in Heininger ge-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
auf den tragenden Grundlagen des Effektivitätsgrundsatzes340 (und des binnenmarktspezifischen Äquivalenzgrundsatzes341) entwickelte Durchsetzungskonzeption mit ihrer institutionellen Ausrichtung exakt dem hier vor-
stellt hatte, wo sich letztlich erwies, daß der streitgegenständliche Vertrag gar nicht in einer Haustürsituation geschlossen worden war, wurde vom EuGH im Urteil Schulte . /.Badenia – in diesem Fall entgegen den Schlußanträgen des Generalanwalts Léger v. 28.9.2004, Rz. 43 ff., der angesichts der in diesem Sachverhalt offen ungeklärten Frage der Entscheidungsrelevanz des Gemeinschaftsrechts (anders als in Heininger [wo der BGH – mangels Sachverhaltsaufklärung der unteren Instanzen – zumindest hypothetisch von der Entscheidungsrelevanz der Haustürgeschäfte-RL ausgehen mußte, wobei sich die Hypothese in der abschließenden Entscheidung des Verfahrens dann letztlich sogar als unzutreffend herausstellte] war vom LG Bochum ganz offen nicht vorab geklärt worden, ob der Darlehensvertrag überhaupt in einer Haustürsituation geschlossen worden war) für die Unzulässigkeit des Vorlageverfahrens plädiert hatte – nochmals (und sogar noch deutlicher permissiver, s. zutreffend nur Derleder, BKR 2005, 441, 443), dahingehend entschieden, daß die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung und der Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Fragen grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts ist. Die Grenze des diesbezüglichen Beurteilungsspielraums des – sachnäheren – nationalen Gerichts liege nur dort, wo es am Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits vollkommen fehle oder das Problem offensichtlich rein hypothetischer Natur sei. Vgl. zu Heininger aus europarechtlich methodologischer Sicht Franzen, JZ 2003, 321 ff.; Drexl, in: FS Heldrich zum 70. Geburtstag, S. 67, 76 f.; im übrigen zum Effektivitätsgrundsatz mit Blick auf nationale Ausschlußfristen in der Folge von Heininger auch Metzger, ZEuP 2004, 153 ff.; aktuell zur Entscheidung Schulte . /.Badenia Derleder, BKR 2005, 441 ff.; Thume/Edelmann, BKR 2005, 477 ff.; Hoffmann, BKR 2005, 487 ff.; vgl. auch die weiteren Nachweise zuletzt in BGH NJW 2006, 2099 ff. Für Zusammenfassungen der EuGH-Entscheidungen im Bereich der Verbraucherschutz-Richtlinien insgesamt, vgl. zuletzt etwa Kraus, Zur verbraucherrechtlichen Rechtsprechung des EuGH, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluß im acquis, S. 29 ff.; Tilmann, GPR 2003–04, 182 ff. 340 Genaugenommen hat der Effektivitätsgrundsatz mit der Orientierung auf die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, die im nationalen Recht sicherzustellen sei, seinen Ursprung schon im Urteil Francovich (EuGH Verb. Rs. C-6 und -9/90, Slg. 1991, I-5357), Rz. 32, wo aus diesem Grundgedanken die (vertikale) mitgliedstaatliche Schadensersatzhaftung entwickelt wurde (s. Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 772 f.; ebenso Metzger, aaO., 156 (dort Fußnote 8). Die spätere Ausdehnung der Kontrollbreite in die Prüfung nationaler Ausschlußfristen betreffend die Geltendmachung von Ansprüchen gemeinschaftsrechtlicher Herkunft (s. nur EuGH Rs. 33/76, Slg. 1976, 1989 (Rewe) und Rs. C-261/95 (Palmisani), Slg. 1997, I4025, Rz. 27), dann allgemein in die Prüfung mitgliedstaatlichen Prozeßrechts (auch im horizontalen, d.h. im Kern privatrechtlichen Bereich, s. EuGH Rs. C-473/00 (Cofidis), Slg. 2002, I-10875, Rz. 37) und schließlich in die potentielle Prüfung des gesamten materiellen mitgliedstaatlichen Zivilrechts anhand des Effektivitätsgrundsatzes, hat mit dem – tief in umstrittene Fragen des englischen law of torts und law of restitution hinsichtlich der Anwendung und Reichweite des Grundsatzes in pari delicto potior est conditio defendentis einwirkenden (s. dazu nur aus englischer Sicht Goff/Jones, The Law of Restitution, 5. Aufl. 1998, Kap. 24; Whish, Competition Law, S. 291 ff., 299 ff.) – CourageUrteil (EuGH Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rz. 24 ff.), demzufolge die volle Wirksamkeit der primärrechtlichen Wettbewerbsregeln beeinträchtigt wäre, wenn nicht jedermann zumindest im Grundsatz Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, entstanden ist, wobei es dem nationalen Recht überlassen bleibt, die Verfahrensmodaliäten für derartige Klagen in den Grenzen des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes festzulegen, ihren vorläufigen spektakulären Höhepunkt gefunden. 341 S. dazu nur EuGH Verb. Rs. C-6 und -9/90, Slg. 1991, I-5357 (Francovich), Rz. 41–43; Rs.
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geschlagenen ordnungspolitischen Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung entspricht342. Probleme können allerdings an der Schnittstelle zum Recht der Mitgliedstaaten entstehen, soweit die Auslegung sekundärrechtlicher Akte der Gemeinschaft durch den EuGH auf Grundlage der am Primärzweck dieser Rechtsakte ausgerichteten effet utile-Methode die Berücksichtigung bestimmter widerläufiger Interessen nicht hinreichend zuläßt, weil diese in dem auszulegenden Gemeinschaftsrechtsakt nicht verankert sind, und wenn auf dieser – insofern unvermeidlich in Richtung auf den Hauptzweck (insbesondere den Verbraucherschutzzweck der Verbraucherschutz-Richtlinien) der jeweils vom EuGH interpretierten Instrumente des Gemeinschaftsrechts verzerrten – Interpretationsgrundlage europarechtliche Vorgaben an das Recht der Mitgliedstaaten bezüglich der Sanktionierung von Pflichtverletzungen abgeleitet werden, die wiederum – zumal durch überschießende Umsetzung – zu Verwerfungen in den Zivilrechtssystemen der Mitgliedstaaten führen können 343. Langfristig entsteht dadurch Harmonisierungsdruck an den Schnittstellen des Gemeinschaftsrechts zum Recht der Mitgliedstaaten, sozusagen von den Randbereichen hin zum Zentrum des Zivilrechts344; denn letztlich besteht bezüglich dieser Schnittstellen, an denen sich zwingendes Recht in die nationalen Vertragsrechtssysteme „frißt“345, nur die Alternative, mit der Harmonisierung voranzuschreiten oder dem EuGH die Gestaltung der Schnittstellen zum mitgliedstaatlichen Zivilrecht auf der zu beschränkten methodischen Grundlage des Effektivitätsgrundsatzes zu überlassen 346. C-261/95 (Palmisani), Slg. 1997, I-4025, Rz. 27; EuGH Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rz. 29. 342 S. insoweit besonders eindrucksvoll die Übereinstimmung mit EuGH Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rz. 27, wo die Notwendigkeit eines individuellen Schadensersatzanspruchs über den (ordnungspolitischen) Gedanken der Durchsetzungseffizienz bezüglich des Gemeinschaftsrechts begründet, der einzelne Anspruchsteller sozusagen zum Organ der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts umfunktioniert wird; s. dazu insbesondere auch die Ausführungen bei Drexl, Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 747, 774 ff. mwN, der die ratio decidendi der Courage-Entscheidung in überzeugender Argumentation auch auf den Bereich der Grundfreiheiten erstreckt. 343 S. dazu nur die berechtigten Ausführungen bei Franzen, JZ 2003, 321 ff., der am Beispiel der Folgen des Heininger-Verfahrens eindrucksvoll das Zusammenspiel aus expansiver Umsetzung von Richtlinienrecht, (letztlich unzutreffender) hypothetischer Vorlage bezüglich der resultierenden Hybridnormen, einseitig auf der reduzierten und daher verzerrten methodologischen Grundlage des Effektivitätsgrundsatzes ergangener Rechtsprechung des EuGH und nachfolgender überschießender legislativer Umsetzung der durch den EuGH gemachten Vorgaben für das nationale Recht umreißt. Vgl. auch grundlegend Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 461 ff. zur Anwendung des effet utile Grundsatzes im Verbraucherschutzrecht; vgl. allgemein auch die umfassenden Nachweise zur Rechtsprechung zum Richtlinienprivatrecht schon bei Remien, RabelsZ 60 (1996), 1 ff.; zuletzt mit einem umfassenden Überblick auch Möllers, JZ 2002, 121 ff. und Möllers, Tulane European & Civil Law Forum 18 (2003), 1 ff., jeweils mwN. 344 S. mit einer näheren Ausführung dieses Gedankengangs Leistner, Entwicklung des allgemeinen Gemeinschaftsprivatrechts, in: FS Schricker, S. 87 ff. 345 So die griffige Terminologie bei Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 139, im Hinblick auf die etwas anders gelagerte Problematik des Regresses im Verbrauchsgüterkauf: zwingendes Recht „fresse“ sich von Vertragsverhältnis zu Vertragsverhältnis. 346 S. nunmehr mit einem weiteren großen Schritt zur Kontrolle der Schnittstelle zum allgemeinen Zivilrecht der Mitgliedstaaten auf der Grundlage des effet utile verbraucherschützender Richtlinien EuGH Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-0000 (Schulte . /.Badenia), Rz. 100 ff.; sowie – insoweit inhaltsgleich – EuGH Rs. C-229/04, Slg. 2005, I-0000 (Crailsheimer Volksbank . /.Conrads
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e. Zwischenfazit Will man ein Zwischenfazit ziehen, so ist grundsätzlich anzuerkennen, daß die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinsichtlich des Schutzes informierter Vertragsentscheidungen (Entscheidungsgrundlage – erste Ebene des hier zugrundegelegten Modells) ein bereits in hohem Maße kohärentes System hinsichtlich des mateu.a.), Rz. 48 f. Die Entscheidungen, die sich – sozusagen im entfernten Anschluß an Heininger – nunmehr mit den Rechtsfolgen des Widerrufs eines an ein Immobiliengeschäft gebundenen Realkreditvertrags auseinandersetzen, bestätigen und stärken den Trend zur Ausgestaltung der Schnittstelle verbraucherschützenden Richtlinienrechts zum allgemeinen mitgliedstaatlichen Zivilrecht anhand des auf in den Richtlinien lediglich rudimentäre Regelungen der Sanktionsfrage gestützten effet utile-Grundsatzes insofern entscheidend, als der EuGH – wiederum strikt am effet utile des Verbraucherschutzzwecks des Art. 4 Haustürgeschäfte-RL orientiert – unter Wahrung des Primats der Systematik nationalen Rechts (s. EuGH Rs. C-350/03, Slg. 2005, I0000 (Schulte . /.Badenia), Rz. 71 und 102), doch der Anordnung aus Art. 4 HaustürgeschäfteRL, die Mitgliedstaaten hätten dafür zu sorgen, „daß ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers vorsehen, wenn die in diesem Artikel vorgesehene Belehrung [über das Bestehen des Widerrufsrechts] nicht erfolgt“, die Vorgabe entnimmt, daß mitgliedstaatliche Recht sei – falls irgend möglich – so auszulegen, daß der Verbraucher – sofern er über sein Widerrufsrecht nicht belehrt wurde – von sämtlichen mit dem abgeschlossenen Geschäft verbundenen Risiken (sofern sich diese verwirklichen) freizustellen sei, wobei dies im konkreten Falle nicht allein den Abschluß des Kreditvertrags, sondern auch den Abschluß des Immobiliengeschäfts betreffe, da „feststehe“, daß wenn die Kläger sich zum Widerruf des Darlehensvertrags entschlossen hätten, auch der Kaufvertrag nicht zustandegekommen wäre (s. aaO., Rz. 95 ff., 100 ff.). Für das deutsche Recht bedeutet das einen tiefgreifenden systematischen Eingriff, wobei noch im einzelnen zu klären sein wird, wie die Erfüllung der EuGH-Vorgaben in den einzelnen Fallgestaltungen erfolgen soll. In der sogleich entbrannten Diskussion in der Literatur ist unter anderem die Lösung über eine Schadensersatzhaftung auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs.1 BGB oder aber eine Lösung auf Grundlage der Bestimmung der Rechtsfolgen des Widerrufs auch bei Realkreditverträgen, die mit einem Immobilienkaufvertrag in Verbindung stehen, unter Anwendung der Grundsätze über verbundene Geschäfte erwogen worden; s. nur unter vielen etwa Derleder, BKR 2005, 441, 443 ff.; Thume/Edelmann, BKR 2005, 477, 479 ff.; Hoffmann, BKR 2005, 487, 490 ff.; Habersack, JZ 2006, 91, 92 f. Der XI. Zivilsenat des BGH hat nunmehr in seiner Reaktion auf die neue EuGHVorgabe für Situationen, in denen die Grundsätze über verbundene Geschäfte nach der bisherigen Rechtsprechung nicht greifen (vgl. demgegenüber für verbundene Geschäfte BGH NJW 2006, 1788 ff.), eine Erweiterung dieser Grundsätze ausdrücklich abgelehnt und auch eine Schadensersatzhaftung bezüglich sämtlicher Risiken des Geschäfts wegen der fehlenden Widerrufsbelehrung jedenfalls für diejenigen Fälle mangels Kausalität abgelehnt, in denen der Verbraucher bei Abschluß des Darlehensvertrags bereits an seine Erklärung zum Abschluß des Immobilienkaufvertrags gebunden ist (s. BGH NJW 2006, 2099, 2100 ff. und 2102 f.). Stattdessen wählt der XI. Zivilsenat des BGH weiterhin die grundsätzliche Lösung über eine eigene vorvertragliche Aufklärungspflicht des Kreditgebers (bezüglich der mangelnden Werthaltigkeit der Immobilie) in Sachverhaltsgestaltungen mit nicht verbundenen Geschäften. Diese wird jedoch nunmehr wegen des dann widerleglich zu vermutenden konkreten Wissensvorsprungs des Kreditgebers für Situationen eines institutionalisierten Zusammenwirkens der kreditgebenden Bank mit dem Verkäufer oder Vertreiber des finanzierten Objekts und evident unrichtiger Angaben des Vertreibers, Vermittlers oder Prospekts gegenüber der bisherigen Rechtsprechung des XI. Zivilsenats praktisch erheblich ausgedehnt; s. BGH NJW 2006, 2099, 2103 ff., und dazu etwa Habersack, BKR 2006, 305 ff. Inwieweit daneben für Situationen, in denen der Immobilienkaufvertrag oder Fondsbeitritt zum Zeitpunkt des Abschlusses des Darlehensvertrags für den Verbraucher noch nicht bindend war, auch die in der Literatur befürwortete Schadensersatzpflicht gerade
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riellen Schutzstandards, wie auch hinsichtlich der Durchsetzungskonzeption, entwickelt hat, welches naturgemäß jedoch bezüglich einzelner Detailfragen sowie auch mit Blick auf seine prospektive Vervollständigung durch Einbeziehung des (in dieser Konzeption bisher nicht hinreichend berücksichtigten) Aspekts des fehlerfreien Entscheidungsprozesses (zweite Ebene des Vier-Ebenen-Modells), insbesondere mit Blick auf eine stärkere Berücksichtigung der Informationsverarbeitungskapazität realer Verbraucher, noch der weiteren Entwicklung bedarf. Grundsätzlich gekennzeichnet ist das Konzept des EuGH durch den konsequenten („mikrojuristischen“) Fokus auf den Schutz der möglichst freien und fehlerfreien individuellen Vertragsentscheidung, der seinerseits funktional („makrojuristisch“)347 an das institutionelle Modell des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt rückgebunden wird. Im gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht zum Lauterkeitsrecht und vertragsrechtlichen Verbraucherschutz wird diese in sich schlüssige Konzeption in doppelter Hinsicht entscheidend erweitert.
2. Verbraucherschutz und Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs im europäischen Sekundärrecht a. Einführung Das europäische Sekundärrecht, die Richtlinien zum Lauterkeitsrecht und zum vertragsrechtlichen Verbraucherschutz 348, fügen dem auf den Schutz der Entscheidungsgrundlage kaprizierten Informationsmodell des EuGH (neben einer Vielzahl weiterer Informationspflichten) erstens zwei neue Kategorien von Verbraucherschutzinstrumenten, nämlich einerseits Widerrufsrechte (und andere abschlußbezogene Regeln 349) sowie andererseits Instrumente der Inhaltskonwegen der fehlenden Widerrufsbelehrung in Betracht kommt, hat der BGH in seiner Entscheidung offengelassen (s. ebenso Habersack, BKR 2006, 312). 347 Vgl. für diese Terminologie mit Blick auf Informationspflichten im Gemeinschaftsrecht den grundlagenorientierten Beitrag von Fleischer, ZEuP 2000, 772, 777 ff. 348 Der weite Bereich der Produktsicherheit und Sicherung der Umweltqualität von Produkten, der das hier behandelte Thema nicht betrifft, sowie auch die eher technischen EG-Kennzeichnungsrichtlinien, die zwar hohe Bedeutung zumal in den ersten Verbraucherprogrammen der Gemeinschaft hatten, jedoch gleichfalls das hier behandelte Thema allenfalls am Rande berühren und sich zudem überwiegend auf spezifische Branchen und Bereiche beschränken, werden im folgenden nicht behandelt. Branchenübergreifende Bedeutung beim Schutz des Preismechanismus hat allerdings die Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse (Preisangaben-Richtlinie), ABl. EG L 80 v. 18.3.1998, S. 27. Vgl. im übrigen für die hier nicht behandelten Bereiche statt aller Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 849 ff. mwN (betreffend die Sicherheit und Umweltqualität von Produkten); Bülow, Kennzeichnungsrecht und Produktwerbung für Lebens-, Genuß-, Arzneimittel und Kosmetika (5 Bände mit Nachträgen), 1989–1991, Meier, EuZW 1994, 391 ff. mwN (jeweils betreffend die bereichsspezifischen Kennzeichnungsregeln). 349 In diese Unterkategorie zählen vor allem die (teils zwingend ausgestalteten) abschlußbezogenen Regeln der Art. 10, 11 E-Commerce-Richtlinie. S. auch sogleich unten b und c.
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trolle, hinzu350. Zweitens – und konzeptionell beinahe wesentlicher – läßt sich in den sekundärrechtlichen Maßnahmen zum Verbraucherschutzrecht gegenüber dem grundsätzlich individuell orientierten (situationsbezogen dezentralen) Ansatz des Gerichtshofs ein grundlegender Perspektivwechsel feststellen: Insbesondere im Rahmen des Modells des confident consumer wird die situationsbezogene Korrektur konkreter Gefährdungssituationen für den Vertragsschluß ersetzt durch eine Orientierung am Systemvertrauen des Verbrauchers, dem ein verläßlicher Rahmen für kommerzielle Kommunikation und Vertragsschluß im Binnenmarkt zur Verfügung gestellt werden soll. Damit einher geht die konzeptionelle Einebnung der Grenze zwischen allgemeinen Verkehrssicherungspflichten (des Lauterkeitsrechts) und individuellen Pflichten (im vorvertraglichen Bereich und im Vertragsrecht), was sich auch an der stetig abnehmenden Bedeutung der Zäsur des Vertragsschlusses bzw. der vorvertraglichen Individualisierung für das Regelungsmodell des Gemeinschaftsrechts ablesen läßt (s. unten d). Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung bildet die 1999 verabschiedete Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, deren Bestimmungen sich zum Teil gar nicht mehr mit der sachgerechten Regelung der individuellen Interessen der Vertragsparteien erklären lassen, sondern vielmehr ersichtlich auch systemorientierte (teils auf die Regelung kommerzieller Kommunikation im Binnenmarkt und damit auf ein lauterkeitsrechtliches Kerngebiet gerichtete) Ziele verfolgen. Dies bringt einen bisher ungekannten Import typisierter (sozusagen „lauterkeitsrechtlicher“) Beurteilungsmaßstäbe in ein Kerngebiet des Vertragsrechts mit sich, was den Bereich des harmonisierten Kaufrechts für die hier angestellte Untersuchung als einen neuralgischen Schnittpunkt des Lauterkeits- und Vertragsrechts identifiziert (s. dazu die Ausführungen zur Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie als Fallbeispiel für diese Aspekte unten e). Diese gesamte Entwicklung zu rahmenorientierter, institutioneller Harmonisierung durch Anordnung zwingender Regeln im Seukundärrecht bildet einerseits die wirtschaftliche Realität mit dem Trend zum massenhaften Gattungskauf in den Verbrauchermärkten durchaus treffend ab, ist aber andererseits nicht frei von Gefahren, auf die auch nochmals in der abschließenden Bewertung (unten IV) eingegangen werden soll, bevor der Blick sich dem deutschen Recht zuwendet. b. Überblick: Maßnahmen und Instrumente (1) Lauterkeitsrecht Die Irreführungs-RL in ihrer heutigen Form beschränkt sich auf eine Mindestharmonisierung des Bereichs irreführender Werbung im Verhältnis zu Gewerbetreibenden sowie auf die Festlegung der Bedingungen für zulässige vergleichende 350 Zu dieser Erweiterung des instrumentellen Rahmens und zu der insoweit feststellbaren wechselseitigen Grenzüberschreitung von lauterkeitsrechtlichen und verbrauchervertragsrechtlichen Maßnahmen der Gemeinschaft, s. sogleich den Überblick unten b und c.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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Werbung, die insofern sozusagen reduktionistisch allein unter dem Aspekt des Mitbewerberschutzes betrachtet wird 351. Spiegelbildlich unternimmt die neue Lauterkeits-RL vom 11. Mai 2005 den Versuch einer umfassenden und punktgenauen Harmonisierung des verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts, dem jedoch – worauf in der deutschen Rechtswissenschaft zu Recht vielfach und praktisch fast einhellig hingewiesen wurde352 – gerade aufgrund der dem institutionell einheitlichen Wesen des freien Wettbewerbsprozesses zuwiderlaufenden Limitierung allein auf die verbraucherschützenden Schutzziele des Wettbewerbsrechts gewisse innere Mängel anhaften 353. Den Mängeln, wie sie sich unter binnenmarktorientierter Perspektive gerade auch aus der Beschränkung des Anwendungsbereichs auf B2C-Verhältnisse ergeben354, entsprechen also unter inhaltlich-privatrechtlicher Perspektive die Mängel, wie sie sich aus der künstlichen sekundärrechtlichen Aufspaltung des – nach der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Konzeption des Primärrechts355 – institutionell einheitlichen Schutzzwecks europäischen Lauterkeitsrechts ergeben. Zumindest was die Interpretation der Richtlinie anbetrifft, wird man aus den vorerwähnten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundsätzen des Primärrechts jedenfalls ein Gebot dahingehend ableiten können, daß die Lauterkeits-RL nicht allein unter verbraucherschützender Perspektive, sondern – dem Binnenmarktziel entsprechend – unter Berücksichtigung der Interessen sämtlicher Marktteilnehmer auszulegen ist356. Allein eine solche primärrechtskonforme Auslegung, die das institutionelle Ziel des Schutzes des freien Wettbewerbs auch im Interesse der Mitbewerber (als Teil des Binnenmarktschutzzwecks der Richtlinie) mit einbezieht, vermöchte zugleich der Gefahr vorzubeugen, daß die Lauterkeits-RL vom EuGH künftig nach der effet utile-Methode in einseitig verbraucherschutzorientierter, sozusagen „verzerrter“ Form interpretiert werden könnte. Inhaltlich-privatrechtlich spiegelt die neue Lauterkeits-RL, gleichermaßen wie im Ansatz schon die Irreführungs-RL, die ersten beiden Ebenen des hier zugrun351 S. zur Entwicklung vom Ulmer-Gutachten über die Irreführungs-RL von 1984 bis hin zur Einbeziehung und Vollharmonisierung des Aspekts der vergleichenden Werbung im Jahre 1997 schon oben II 1 a (1). Nunmehr ist die Irreführungs-RL durch die Lauterkeits-RL nochmals geändert und im Rahmen des nunmehr gespaltenen Lauterkeitsrechtskonzepts der Gemeinschaft im Regelungszweck und Anwendungsbereich auf den Schutz der Gewerbetreibenden vor irreführender Werbung sowie die Festlegung der Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung – die insofern sozusagen reduktionistisch allein unter dem Aspekt des Mitbewerberschutzes betrachtet wird – beschränkt worden. S. aktuell Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl UWG, Rz. 3.41; Glöckner, S. 69 ff. Zu Recht kritisch zu diesem Konzept eines künftig gespaltenen europäischen Lauterkeitsrechts schon in der Entstehungsphase der Lauterkeits-RL statt vieler die Nachweise in o. Fn. 204; vgl. ebenda (oben II 1 a) auch schon die Kritik unter binnenmarktorientierter Perspektive. 352 S. die Nachweise o. Fn. 204. 353 S. für eine übersichtliche Kritik Harte/Henning-Glöckner, Einl B, Rz. 174 ff. mwN. 354 S. bei o. Fn. 212 mwN sowie noch unten 2 e (4) (a). 355 Vgl. oben I 1 und 3 b. 356 S. oben bei Fn. 58.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
degelegten Vier-Ebenen-Modells des Schutzes informierter und freier wirtschaftlicher Entscheidungen konzeptionell genau, wobei als normativer Maßstab für die notwendige Interessenabwägung – neben dem eher heteronom-rezeptiven Kriterium der „Erfordernisse der beruflichen Sorgfaltspflicht“357 – für eine autonom lauterkeitsrechtliche Wertung wesentlich auf die vom EuGH entwickelte Rechtsfigur des europäischen Durchschnittsverbrauchers358 (samt ihren Differenzierungsmöglichkeiten359) zurückgegriffen wird360. Hinsichtlich der Grundbegriffe der Richtlinie ist unter der Perspektive der hier angestellten Untersuchung weiterhin der den Anwendungsbereich umreißende Begriff der „Geschäftspraxis“ von besonderem Interesse, welche als „jede Handlung [oder] Unterlassung …, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt …“, definiert wird361. Hierin liegt, was die Forderung nach einem „unmittelbaren“362 Zusammenhang mit Absatzförderung oder -handlungen im weitesten Sinne anbetrifft, eine Verengung gegenüber der bisherigen Konzeption des deutschen Rechts, zugleich aber auch – für das hier betrachtete Thema von besonderer Wesentlichkeit – eine Erweiterung insofern, als demnach auch unternehmerische Handlungen bei und nach Vertragsschluß als „Geschäftspraktiken“ vom Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts zunächst einmal uneingeschränkt mit erfaßt sind363. Die Richtlinie regelt auf der Basis der genannten Grundkonzeptionen in einer großen und drei kleinen Generalklauseln (neben dem Irreführungsverbot, welches in zwei Vorschriften über irreführende Handlungen und irreführende Unter357 S. Art. 5 Abs. 1 lit. a) Lauterkeits-RL i.V.m. Art. 2 lit. h) Lauterkeits-RL, der die „berufliche Sorgfalt“ definiert als den „Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, bei denen billigerweise davon ausgegangen werden kann, daß der Gewerbetreibende sie gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet“. 358 S. oben 1 b. 359 S. nur EuGH Rs. 382/87 (Buet), Slg. 1989, 1235, 1242, Rz. 13. 360 S. statt vieler zuerst Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1054. 361 S. Art. 2 lit. d) Lauterkeits-RL. 362 Der Begriff der „Unmittelbarkeit“ ist wegen seiner geringen Trennschärfe (vgl. auch Erw.-Grd. 7 Lauterkeits-RL, der als ein Beispiel ausdrücklich nur „Geschäftspraktiken, die vorrangig anderen Zielen dienen, wie etwa bei kommerziellen, für Investoren gedachten Mitteilungen wie Jahresberichten und Unternehmensprospekten“ vom Anwendungsbereich der Lauterkeits-RL ausschließt und insofern nicht unmittelbar absatzbezogene Marketingmaßnahmen, wie allgemeine Imagewerbung o.ä., offenbar weiterhin dem Geltungsbereich der Lauterkeits-RL einordnet) nicht zu Unrecht kritisiert worden, s. ursprünglich Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1034 f. 363 S. zutreffend zuletzt Köhler, GRUR 2005, 793, 794; etwas abweichend Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1325, die davon ausgehen, daß der deutsche Begriff der „Wettbewerbshandlung“, im Lichte der Rechtsprechung des BGH interpretiert, bereits der Vorgabe der Lauterkeits-RL entspricht. S. aus der Sicht der hier angestellten Untersuchung zur entsprechenden Ausgangslage und zu den Konsequenzen für das deutsche Recht, welches auch nach der hier vertretenen Auffassung schon de lege lata teleologisch erweiternd in diesem Sinne auszulegen wäre, und zum diesbezüglich (dennoch bestehenden) Umsetzungsbedarf noch eingehend unten 3. Kap. 3. Abschn. B IV mwN.
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lassungen aufgespalten ist, wird das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken geregelt) das Recht des unlauteren Wettbewerbs, wobei diese Generalklauseln – für die Praxis am wesentlichsten – durch einen umfassenden Anhang mit Beispielen „unter allen Umständen als unlauter geltender“ Geschäftspraktiken ergänzt werden. Dabei ist der Ansatz der Generalklauseln im Richtlinientext – auch im Bereich der aggressiven Geschäftspraktiken – insofern konsequent auf die Perspektive wirtschaftlicher Autonomie reduziert, als auch das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken, die nach deutschem Recht dem weiter gezogenen Bereich des Belästigungsschutzes entsprechen, allein auf die Gefahr einer resultierenden Verzerrung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit der betroffenen Verbraucher limitiert wird. Ein solches Konzept, welches auch aus dem Belästigungsschutz sozusagen allein die für die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit relevanten Aspekte löst, während die – nach dem hier zugrundegelegten Modell auf der vierten Ebene der Externalitäten bestimmter Marketing- und Vertriebstechniken anzusiedelnde – Problematik der Belästigung als solcher (Zeitaufwand, Ressourcenverbrauch oder persönliche Beeinträchtigungen bei unerwünscht angesprochenen Kunden) außen vor bleibt, obwohl sie doch – soweit sich bestimmte Marketing- und Vertriebstechniken aufgrund bestimmter ordnungspolitischer Durchsetzungslücken des Individualrechtsschutzes gegen den Willen der Marktgegenseite durchsetzen – durchaus ebenfalls wettbewerbsverzerrender (wenn auch nicht wirtschaftliche Vertragsentscheidungen beeinflussender) Natur sein kann 364, ist konsequent reduktionistisch. Die lauterkeitsrechtliche Konzeption des europäischen Sekundärrechts ist ausschließlich auf die ersten beiden Ebenen des Vier-Ebenen-Modells konzentriert, sonstige Aspekte des Paternalismus (auf der dritten Ebene) sowie insbesondere des Schutzes vor externen Effekten bestimmter Geschäftspraktiken (auf der vierten Ebene des hier vertretenen Modells) sind ausgeklammert und werden anderen Instrumenten des Gemeinschaftsrechts – ein Beispiel bildet die EKDatenschutz-RL, die das Problem elektronischen Direktmarketings reguliert 365 – bzw. dem Recht der Mitgliedstaaten vorbehalten366. Tatsächlich setzt sich der Richtlinientext mit dieser Konzeption, die sozusagen die erste Hälfte des hier zugrundegelegten Vier-Ebenen-Modells exakt abbildet, in gewissen Widerspruch mindestens zu einzelnen der per se-verbotenen Beispiele unlauterer aggressiver Geschäftspraktiken im Anhang I der Lauterkeits-RL, die sich kaum mehr allein unter der Per-
364 Weil beispielsweise Kosten bei den betroffenen Verbrauchern ohne Vertragsinteresse verursacht werden, was im Vergleich zu derartige Techniken nicht verwendenden und insofern keine externen Kosten verursachenden Mitbewerbern einen Wettbewerbsvorsprung verschafft, vgl. zum hier zugrundegelegten Modell der Erfassung gerade derjenigen Vertriebstechniken, die sich aufgrund geringer Kosten auch gegen den „Willen“ der Marktteilnehmer durchzusetzen drohen, noch unten 4. Kap. 3. Abschn. A. 365 S. dazu an dieser Stelle nur Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815 ff. (dort mit umfassenden weiteren Nachweisen), sowie im übrigen auch noch unten 4. Kap. 3. Abschn. A III. 366 S. ausdrücklich Erw.-Grd. 7 Lauterkeits-RL; zu dessen Verhältnis zum in Art. 4 Lauterkeits-RL vorgesehenen Binnenmarktprinzip vgl. o. Fn. 209.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
spektive des Schutzes wirtschaftlicher Entscheidungsfreiheit erklären lassen 367. Dieser innere Bruch in der Richtliniensystematik mag rechtspolitisch wiederum auf das Spannungsfeld zwischen limitierter innerbehördlicher Zuständigkeit der für die Richtlinie verantwortlichen Verbraucherschutzgeneraldirektion (sowie auch dem limitierten Charakter des bisher in der Rechtsprechung des EuGH gewachsenen Modells eines europäischen Lauterkeitsrechts insgesamt), einerseits, und dem – an sich nur im Rahmen eines institutionell einheitlichen Modells, welches über den Bereich des Schutzes wirtschaftlicher Entscheidungsfreiheit hinaus weitere Aspekte denkbarer Wettbewerbsverzerrungen anerkennt368, sinnvoll regulierbaren – holistischen Charakter der in der Wettbewerbspraxis auftretenden wettbewerbsverzerrenden Phänomene, andererseits, zurückzuführen sein. Eine Vielzahl potentiell wettbewerbsverzerrender Geschäftspraktiken läßt sich eben nicht ausschließlich auf den Schutz der Entscheidungsfreiheit reduzieren, bedarf aber dennoch – zum Teil dringend – einer pragmatischen Regelung, wie sie dann letztlich in Anhang I der Lauterkeits-Richtlinie zum Teil auch über die limitierte Grundkonzeption der Richtlinie hinausweisend aus schlichtweg praktischen Gründen mit erfolgte.
In einen gewissen Überschneidungsbereich zum Regelungsumfeld vorvertraglicher Informationshaftung begibt sich die neue Lauterkeits-RL schließlich mit ihrer detaillierten Regelung irreführenden Unterlassens in Art. 7 Lauterkeits-RL. Diese Vorschrift ist – trotz der Einbindung in den lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz –, angesichts der in Art. 7 Abs. 4 und 5 Lauterkeits-RL recht konkret und tendenziell expansiv festgelegten Kerninformationen als Grundlage einer „informierten“ und „somit“ unverzerrten Entscheidung normativer Durchschnittsverbraucher, in ihrem Verhältnis zum Vertragsrecht (der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten) – das von der Richtlinie jedenfalls gem. Art. 3 Abs. 2 Lauterkeits-RL unberührt bleiben soll – nicht vollkommen unproblematisch und ist daher naturgemäß in dieser Untersuchung noch Gegenstand näherer Betrachtung369. (2) Verbrauchervertragsrecht Teilt man das branchenübergreifende europäische Verbrauchervertragsrecht zur Regelung besonderer Vertriebsformen370 in abschlußbezogene und inhaltsbezogene Instrumente ein 371, so lassen sich die Haustürgeschäfte-Richtlinie, die Fern367 S. dazu ausführlicher schon Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1045; Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 163 ff., 173 mwN; kritisch zuletzt auch Glöckner, S. 71. 368 Wie es beispielsweise in dieser Studie mit dem Vier-Ebenen-Modell vorgeschlagen wird, vgl. grundlegend oben 1. Kap. 1. Abschn. D VI. 369 S. noch unten c und d betreffend den gemeinschaftsrechtlichen Kontext sowie unten 4. Kap. 3. Abschn. B II mit Folgerungen für das deutsche Recht. 370 Ausgeklammert werden in dieser Untersuchung weitestgehend die geschäftsspezifischen Richtlinien, d.h. die Verbraucherkredit-RL, die Pauschalreise-RL und die Time-Sharing-RL. Zwar hat jede dieser geschäftspezifischen Maßnahmen zum Ausbau des acquis communautaire ihren Teil beigetragen; da es jedoch insoweit nicht um vertriebsspezifische Regelungen – mit der für diesen Bereich strukturbedingten Überschneidung von Lauterkeits- und Vertragsrecht – geht, sind die genannten Richtlinien (mit Ausnahme einzelner Aspekte, auf die im jeweiligen sachlichen Zusammenhang eingegangen wird) für diese Untersuchung von geringerem Inter-
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absatz-Richtlinie und die FernabsatzFinDL-Richtlinie relativ unproblematisch dem Bereich der abschlußbezogenen Instrumente zuordnen; hinzu kommen in dieser Kategorie noch die halbzwingenden Regelungen der E-Commerce-Richtlinie zum Vertragsschluß im Netz, die unter Nichtverbrauchern 372 abdingbar sind. Diese Maßnahmen eines europäischen „Verbrauchervertriebsrechts“373 stehen, da sie unmittelbar dem Schutz des freien und informierten Vertragsschlusses dienen und insoweit instruktive Überschneidungen mit dem Bereich des Lauterkeitsrechts aufweisen, im Mittelpunkt der hier angestellten Untersuchung. Hinzu kommen Teilaspekte der Klausel-Richtlinie als einem im Kern dem Vertragsrecht zuzuordnenden, inhaltsbezogenen Instrument 374, welches jedoch – nicht nur funktional rechtsvergleichend375, sondern auch mit Blick auf die Ausgestaltung der Sanktionsseite, etwa betreffend die Möglichkeit einer abstrakten AGB-Kontrolle schon im Vorfeld des individuellen Vertragsschlusses (s. Art 7 Abs. 1 KlauselRichtlinie) – einen lauterkeits- und vertragsrechtlichen Doppelcharakter aufweist. Schließlich wird als geschäftsspezifische Richtlinie die VerbrauchsgüterkaufRichtlinie nach Art eines zentralen Fallbeispiels für die hier vertretene These eingehender analysiert, da deren Bestimmungen über Garantien unmittelbar den hier interessierenden Bereich der Werbung und des Vertriebs betreffen und darüber hinaus insbesondere deshalb, weil sich die neue Gewährleistungshaftung für Werbeangaben im Verbrauchsgüterkauf mindestens zum Teil lediglich über wettbeesse. Die einzige „geschäftsspezifische“ Richtlinie, auf die hier (zumindest überblicksartig als ein Fallbeispiel) eingegangen werden soll, ist die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, s. noch sogleich im folgenden Text. Vgl. für Gesamtdarstellungen der geschäftsspezifischen Instrumente des Gemeinschaftsrechts statt vieler Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 580 ff. (mit der ungewöhnlichen – gegenüber der herrschenden Meinung genau spiegelverkehrten – Qualifizierung sämtlicher Instrumente des europäischen Verbrauchervertragsrecht als Regelungen von Unternehmensgeschäften, die sich freilich vor dem Hintergrund der erst nach Erscheinen der Studie verabschiedeten E-Commerce-Richtlinie – welche hinsichtlich der abschlußbezogenen Pflichten ausdrücklich auch Verbraucher bindet, soweit sie „Diensteanbieter“ im Netz sind – nicht mehr lückenlos stringent durchhalten läßt); für die klassische Sicht s. Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, S. 645 ff.; mit kürzeren Abrissen zum System der Richtlinien des europäischen Privatrechts in Aufsatzform Remien, RabelsZ 60 (1996), 1 ff.; Möllers, JZ 2002, 121 ff., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. 371 S. statt aller Drexl, Selbstbestimmung, S. 445 ff. mwN. 372 Vgl. zu den sich aus dem mit dem acquis communautaire nicht ganz kohärenten Verbraucherbegriff in Art. 2 e) der E-Commerce-Richtlinie ergebenden Problemen noch sogleich im folgenden Text. 373 S. die Terminologie bei Micklitz, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 189 ff.; vgl. auch Reich, EuZW 1997, 581, 582, der die Fernabsatz-Richtlinie als „verbraucherspezifisches Vertriebsgesetz“ bezeichnet und gleichfalls in den allgemeineren Kontext eines verbraucherrechtlichen Vertriebrechts stellt. 374 Der weite Bereich der – abschlußbezogenen – Einbeziehungskontrolle findet sich ja in der Klausel-Richtlinie praktisch gar nicht, allenfalls ganz fragmentarisch am Rande und unter inhaltskontrollbezogenem Blickwinkel (etwa als einer der Aspekte im Rahmen des Transparenzgebots gem. Art. 5 Klausel-Richtlinie sowie mit Blick auf die Umstände des Vertragsschlusses als ein Kriterium der Mißbrauchskontrolle in Art. 4 Abs. 1 Klausel-Richtlinie) geregelt. S. Remien, ZEuP 1994, 34, 63. 375 S. o. 1.Kap. 3.Abschn. bei Fn. 150.
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werbsbezogene, institutionelle Ziele erklären läßt, die hinsichtlich ihrer Regelungsfunktion gleichfalls „nach vorn“ in den Bereich der Werbung und des Produktmarketing reichen. Als Strukturelemente des abschlußbezogenen Verbrauchervertriebsrechts der Gemeinschaft lassen sich die Orientierung auf den – bezieht man die E-CommerceRichtlinie ein, nicht durchweg gänzlich kohärent definierten – privaten Endverbraucher, der das Geschäft nicht zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken abschließt376, sowie die Konzentration auf Informationspflichten und Widerrufsrechte 376 Ohnedies ist im Grundsatz festzustellen, daß das europäische Verbrauchervertragsrecht – zu Recht – einen konkret bereichsspezifischen (situationsbezogenen) Regelungsansatz verfolgt, in dem der jeweilige Verbraucherbegriff nicht notwendig einheitlich ist, sondern im sachlichen Kontext des Anwendungsbereichs der jeweiligen Richtlinie bestimmt wird. Nur der sich vor diesem Hintergrund abzeichnende „Kernbegriff“ eines europäischen Verbrauchers definiert sich als eine natürliche Person, die das Geschäft nicht zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken abschließt. Mit Blick auf die jeweils unterschiedlichen strukturellen Informationsungleichgewichtslagen oder sonstigen Gefährdungen eines freien und informierten Vertragsschlusses wird aber in Einzelfeldern bereichsspezifisch differenziert: so schützen die Versicherungsrichtlinien sämtliche natürlichen Personen, gleichgültig, ob sie zu gewerblichen, beruflichen oder privaten Zwecken handeln, und die Pauschalreise-Richtlinie kennt gar keine Begrenzung im persönlichen Anwendungsbereich. Diese Differenzierung ist im Grundsatz zu begrüßen, da sie es in gewissem Umfang gestattet, auf den Charakter der jeweiligen strukturellen Informationsungleichgewichtslage bzw. abstrakten Gefährdung des Vertragsschlußmechanismus einzugehen und den persönlichen Anwendungsbereich entsprechend anzupassen. Vor diesem Hintergrund ist es im übrigen umso unverständlicher, daß die Lauterkeits-Richtlinie, welche in ihrem Kernregelungsgehalt Verhaltensweisen im Wettbewerb berührt, die private und gewerbliche Abnehmer strukturell-qualitativ genau gleichermaßen gefährden (allenfalls eine quantitative Abstufung wäre hier denkbar), sich in ihrem Anwendungsbereich (sachlich ungerechtfertigt) auf B2C-Verhältnisse beschränkt; nicht nur gegenüber der Irreführungs-Richtlinie, sondern auch gegenüber dem (spätestens durch die Pauschalreise-Richtlinie) erreichten Stand der Dogmatik des situationsbezogenen europäischen Verbraucherschutzes stellt diese Beschränkung mithin einen fatalen Rückschritt dar. Die hier behandelten Verbraucherschutz-Richtlinien zu besonderen Vertriebsformen (Haustürgeschäfte-Richtlinie; Fernabsatz-Richtlinie) folgen der umrissenen „Kerndefinition“ des europäischen Verbrauchers im Sekundärrecht; demgegenüber definiert die E-Commerce-Richtlinie (wohl wegen ihrer insgesamt etwas abweichenden, binnenmarktorientierten Stoßrichtung) den Begriff des Verbrauchers in Art. 2 e) E-Commerce-Richtlinie – der insbesondere Bedeutung mit Blick auf den nur im B2B-Bereich (also auch nicht im C2BBereich oder im C2C-Bereich) dispositiven Charakter einiger der Informations- und Vorkehrungspflichten der Art. 10, 11 E-Commerce-Richtlinie hat – enger: auch die sogenannte „geschäftliche“ Tätigkeit von natürlichen Personen wird aus dem Verbraucherbegriff ausgenommen. Bedeutung dürfte dies insbesondere mit Blick auf „Diensteanbieter“ (in Art. 2 a) E-Commerce-Richtlinie i.V.m. Art. 1 Nr. 2 Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften der Informationsgesellschaft, ABl. EG 1998 L 204, S. 37 in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG vom 20. Juli 1998, ABl. EG 1998 L 217, S. 18 (Transparenz-Richtlinie), definiert als jeder Anbieter einer Dienstleistung der Informationsgesellschaft, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird) haben, die eine Dienstleistung erbringen, die zwar in der Regel gegen Entgelt erbracht wird, jedoch ihrerseits zu privaten Zwecken handeln (und konkret individuell kein Entgelt verlangen). S. spezifisch für diese Problematik (auch mit Blick auf die insoweit teilweise fehlerhafte Umsetzung in das deutsche Recht) schon Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 41 ff.; Mohr, AcP 204 (2004), 660, 668 ff., sowie noch unten 4. Kap. 2. Abschn. A II. Allgemein zum Verbraucherbegriff der Richtlinien, des internationalen und des
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als Verbraucherschutzinstrumente erkennen. Dem Informationsmodell des Gerichtshofs, welches die Grundlagen der freien und informierten Entscheidung der Abnehmerseite schützt, wird also die – für eine gesetzgeberische Maßnahme wohl im Interesse der Rechtssicherheit unvermeidliche 377 – Typisierung durch Orientierung an einem konkret-generell definierten Verbraucherbegriff sowie insbesondere das Instrument der Widerrufsrechte hinzugefügt, welch letztgenanntes im Vergleich zum bloßen Schutz der Entscheidungsgrundlage zugleich die zweite Ebene, den Schutz des Entscheidungsprozesses (in diesem Falle vor vertriebsspezifischen Störungen378), als Regelungsziel in das Gemeinschaftsrecht einbringt 379. Bei der Mehrzahl der durch das europäische „Verbrauchervertriebsrecht“ (einschließlich der E-Commerce-Richtlinie) neu eingeführten Informationspflichten handelt es sich um nachfragerschützende (konkrete) Informationspflichten, die – insoweit im Einklang mit dem Informationsmodell des Gerichtshofs – eine informierte Entscheidung des einzelnen Nachfragers vorbereiten sollen; häufig sind diese Informationspflichten akzessorisch zu den jeweils eingeräumten Widerrufsrechten bzw. sonstigen Vorkehrungen zum Schutz des freien und informierten Vertragsschlusses, stützen diese Instrumente also gewissermaßen durch entsprechende Information des Verbrauchers über ihre Existenz ab380. Insbesondere in Fernabsatz- und E-Commerce-Richtlinie finden sich darüber hinaus aber auch marktunterstützende (abstrakte) Informationspflichten, die institutionelle Ziele des Binnenmarkts verfolgen 381. Auf die sich hier andeutende Entwicklung wird zurückzukommen sein (s. unten c und d).
deutschen Rechts Faber, ZEuP 1998, 854 ff.; vgl. auch mit Blick auf den in seiner Pauschalität (und hinsichtlich der verfehlten Beschränkung auf „abgeschlossene“ Rechtsgeschäfte) nicht unproblematischen neuen § 13 BGB Pfeiffer, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 133 ff., der (aaO., S. 136 f. ) – ähnlich wie schon Drexl, Selbstbestimmung, S. 206 ff. – auf den letztlich (auch in der Beweislastverteilung zu berücksichtigenden) „negativen“, die nicht schutzbedürftigen Personenkreise in bestimmten situationsbezogenen Gefährdungslagen aussondernden Charakter des Verbrauchermerkmals hinweist. 377 Vgl. Pfeiffer, aaO., S. 134 ff. 378 Das angemahnte Problem einer verstärkten Berücksichtigung (situationsunabhängiger) informationsverarbeitungsbedingter Störungen des Entscheidungsprozesses, wie sie sich insbesondere aus der Überforderung durch ein „zuviel“ an Information – zu der das EuGH-Informationsmodell sowie die sich ausbreitende Anordnung von Informationspflichten im sekundärrechtlichen Verbraucherschutz unvermeidlich inhärent beitragen – mehr als bisher zu berücksichtigen wird dadurch allerdings – abgesehen von gewissen Vorschriften betreffend eine gewisse Standardisierung und die besondere Hervorhebung bestimmter Kernelemente der zu gewährenden Informationen – nicht gelöst. In diesem Zusammenhang wäre eine Fortentwicklung des Informationsmodells, die die Grenzen eines Verbraucherschutzes durch Information auslotet und für die Rechtsanwendung fruchtbar macht, für die Zukunft geboten. Vgl. schon bei o. Fn. 23 und 276 mwN. 379 Vgl. etwa in aller wünschenswerten Deutlichkeit EuGH Rs. 382/87 (Buet), Slg. 1989, 1235, Rz. 12. 380 S. etwa deutlich EuGH (o. Fn. 339) – Heininger, Rz. 44 f. 381 Zu dieser Einteilung unter Verwendung der hier entlehnten Terminologie Fleischer, ZEuP 2000, 772, 784 ff.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Die Widerrufsrechte in der Fernabsatz- und in der Haustürgeschäfte-Richtlinie sollen im Sinne einer cooling off-Periode grundsätzlich dem Schutz des Entscheidungsprozesses vor abstrakten Gefährdungslagen (Überrumpelung; fehlende Möglichkeit, den Vertragsgegenstand und den Vertragspartner in Augenschein zu nehmen382) im Rahmen dieser besonderen Vertriebsformen durch Einräumung einer Überlegungsfrist dienen, welche eine nachträgliche, ungestörte und vollinformierte Entscheidungsfindung des Verbrauchers ermöglicht383. In diesen Kontext gehören auch die abschlußbezogenen Vorschriften des Art. 11 E-CommerceRichtlinie, soweit sie den Diensteanbieter verpflichten, bestimmte Vorkehrungen zum Schutz vor Irrtümern bei der Eingabe zu treffen, sowie die zugehörigen akzessorischen Informationspflichten des Art. 10 E-Commerce-Richtlinie384. Grundsätzlich zeichnet sich also in dem Bild aus Informationspflichten und Widerrufsrechten ein kohärentes Muster europäischen Verbrauchervertriebsrechts ab, welches freilich hinsichtlich des Verhältnisses der einzelnen Richtlinie zueinander385 nicht ganz unerhebliche Verwerfungen im Detail – insbesondere mit Blick auf die Anpassung der Anwendungsbereiche, die jeweilige Ausgestaltung der Widerrufsrechte und zumal der einzelnen Widerrufsfristen – aufweist 386. Ähnlich wie im 382 S. für die ökonomische Einordnung des Widerrufsrechts im Fernabsatz mit Blick auf die Korrektur der fehlenden Möglichkeit zur Inaugenscheinnahme des Vertragsgegenstands schon oben 1. Kap. 1. Abschn. D IV 4 c. 383 Im hier vertretenen Modell geht es damit, insbesondere im Rahmen der Haustürgeschäfte-Richtlinie, um Regelungen der zweiten Ebene (Schutz des Entscheidungsprozesses). Sowohl in der Haustürgeschäfte-Richtlinie als auch – noch weitaus deutlicher – in der FernabsatzRichtlinie geht es aber zugleich um den Schutz einer (insbesondere hinsichtlich des Vertragsgegenstands) hinreichend informierten Entscheidung (so daß auch die erste Ebene des Schutzes der Entscheidungsgrundlage involviert ist. 384 Anhand der Erwähnung in beiden vorstehenden Abschnitten wird deutlich, daß Art. 10 E-Commerce-Richtlinie sowohl individuelle (dem konkreten Schutz des Vertragsmechanismus im Netz akzessorische) Informationspflichten als auch abstrakte (marktorientierte) Informationspflichten enthält. Eine entsprechende Einteilung, die insbesondere mit Blick auf die Frage nach den Rechtsfolgen von Bedeutung ist, wird noch unten 4. Kap. 3. Abschn. B I für das deutsche Recht am vorgenommen. 385 Insbesondere an den Schnittstellen zu geschäftsspezifischem sekundärrechtlichem Verbrauchervertragsrecht kommt es zu gelegentlichen Überlappungen und inneren Widersprüchen. S. exemplarisch EuGH (o. Fn. 339) – Heininger betreffend das Verhältnis von HaustürgeschäfteRichtlinie und Verbraucherkredit-Richtlinie. 386 S. nur die beispielhafte Zusammenfassung im Aktionsplan 2003, Rz. 16 ff.; sowie auch schon die Kommissionsmitteilung Vertragsrecht, Rz. 34 ff. mwN. Man wird mit Blick auf derartige Unstimmigkeiten und Überlappungen im System der Richtlinien immerhin die Prognose wagen können, daß der Gerichtshof in Zweifelsfällen stets zugunsten der effektiven Durchsetzung des jeweils situationsspezifischen Verbraucherschutzziels entscheiden wird; soweit mithin einzelne Richtlinien sich überschneiden und es zu inneren Widersprüchlichkeiten kommt, wird der Gerichtshof nach der hier vertretenen Auffassung zur Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes im Gemeinschaftsrecht stets eine Lösung wählen, die das Verbrauchervertragsrecht hinsichtlich des Tatbestands möglichst extensiv anwendet (s. nur EuGH (aaO.) – Heininger, Rz. 31 zum Verhältnis von Verbraucherkredit- und Haustürgeschäfte-Richtlinie; vgl. auch EuGH Rs. C-423/97 (Travel-Vac), Slg. 1999, I-2195 zur kumulativen Anwendbarkeit von Pauschalreiseund Haustürgeschäfte-Richtlinie) und hinsichtlich der Rechtsfolge möglichst effektiv durchsetzt (s. nur deutlich EuGH, aaO. – Heininger, Rz. 44 ff., mit dem Hinweis (Rz. 47), daß schutz-
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Lauterkeitsrecht ist zudem der Bereich der Rechtsfolgen (Sanktionen) der Verletzung der Informationspflichten nur sporadisch (am ehesten noch im Bereich der einem Widerrufsrecht akzessorischen Informationspflichten) geregelt 387; hier bleibt – im rechtlichen Rahmen des Effektivitätsgrundsatzes388 – vieles den Mitgliedstaaten überlassen. Typisch ist für das europäische Sekundärrecht die Einebnung der konzeptuellen Grenzziehung zwischen allgemeinen Verkehrssicherungspflichten (lauterkeitsrechtlichen Charakters) und individualisierten Pflichten im vorvertraglichen Bereich; so finden sich in den Verbrauchervertrags-Richtlinien häufig Elemente lauterkeitsrechtlichen Charakters und – umgekehrt – bewegen sich einzelne Regelungen insbesondere der neuen Lauterkeits-Richtlinie bedenklich weit in den vorvertraglichen Bereich; grundsätzlich wird dabei dem Modell sachlicher Komplementarität gefolgt. Diese wechselseitigen Grenzüberschreitungen sind im folgenden noch etwas näher zu belegen. c. Wechselseitige Grenzüberschreitung und sachliche Komplementarität Die Existenz einer einheitlichen Mischkategorie europäischen Verbrauchervertriebsrechts, die lauterkeitsrechtliche und vertragsrechtliche Elemente unterschiedslos in sich vereinigt (und insofern den bisherigen schwerpunktmäßig handels- und kartellrechtlichen Ansatz im Vertriebsrecht 389 kategoriell ergänzt), läßt sich am besten belegen, indem man die wechselseitige Grenzüberschreitung der schwerpunktmäßig lauterkeitsrechtlichen bzw. schwerpunktmäßig verbrauchervertragsrechtlichen Maßnahmen beispielhaft belegt. Hinzu kommen die medienspezifischen Regelungen der Fernseh- und der E-Commerce-Richtlinie, wobei insbesondere letztgenannte Richtlinie lauterkeits- und vertragsrechtliche Elemente untrennbar in sich vereinigt. würdige Unternehmerinteressen durch eine möglichst effektive Rechtsdurchsetzung gar nicht betroffen seien, da die Unternehmer sich einer derartigen Beschränkung ihrer Interessen ja jederzeit durch rechtstreues Verhalten entziehen könnten). Man wird insbesondere der letztgenannten Aussage des Gerichtshofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus (für den sie angesichts des dem Widerrufsrecht akzessorischen Charakter der streitgegenständlichen Informationspflicht zutraf) insofern nur eingeschränkt zustimmen können, als die – in Heininger im Streit stehende – Nichtauslösung der Widerrufsfrist bei Verletzung der Informationsobliegenheiten eine verschuldensunabhängige Rechtsfolge darstellt. Angesichts der extensiven Ausdehnung gemeinschaftsrechtlicher Informationspflichten kommt eine unverschuldete oder einfach fahrlässige Verletzung dieser Pflichten jedoch durchaus häufig in Betracht, es droht also eine verschuldensunabhängige Sanktionierung schlichtweg überforderter Unternehmer. Die Sanktionen sind deshalb nicht einfach zu kumulieren; vielmehr sind (zwar unter dem bestimmenden Blickwinkel effektiver Durchsetzung, aber zugleich unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips) sehr wohl die entsprechenden Informationspflichten auf ihren jeweiligen Zweck hin rechtsfolgenspezifisch zu analysieren, um sodann die jeweils „passende“ Sanktion zu ermitteln (so in der Tat auch die Argumentation des EuGH (aaO.) unmittelbar zuvor, Rz. 44 f. S. näher noch unten 4. Kap. 3. Abschn. B I . 387 Fleischer, ZEuP 2000, 772, 792 f. 388 S. nur EuGH (Heininger), aaO. 389 Vgl. z.B. Martinek/Semler, Handbuch des Vertriebs, S. 118 ff.; kritisch gegen diesen „zu engen Ansatz“ auch Reich, EuZW 1997, 581, 582 (dort Fn. 17).
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Nimmt man zuerst die schwerpunktmäßig verbrauchervertragsrechtlich ausgerichteten Maßnahmen in den Blick, so kommen aus diesem Bereich für die Analyse die Haustürgeschäfte-RL, die Fernabsatz- sowie die FernabsatzFinDLRichtlinie in Betracht; wegen des für den hier betrachteten Bereich vorrangigen Schwerpunkts der E-Commerce-Richtlinie bei der Regelung des Vertragsschlusses im Netz und wegen des insofern bestehenden Zusammenhangs mit den Fernabsatz-Richtlinien, soll auch diese Richtlinie für die Zwecke der Untersuchung an dieser Stelle kategoriell den schwerpunktmäßig vertragsrechtlichen Instrumenten zugerechnet werden. Schon die Haustürgeschäfte-Richtlinie von 1985, die wegen ihres vergleichsweise engen Ansatzes an sich ohnedies nicht mehr dem Stand der Entwicklung des europäischen Verbraucherrechts entspricht, hatte – neben ihrem verbrauchervertragsrechtlichen Kernstück, dem Widerrufsrecht nach Art. 5 HaustürgeschäfteRichtlinie – nach den ursprünglichen Plänen der Kommission auch die lauterkeitsrechtliche Beurteilung von Haustürgeschäften gemeinschaftsweit regeln sollen390. Letztendlich blieb von diesen Plänen immerhin der Hinweis auf die weiterhin bestehende Möglichkeit lauterkeitsrechtlicher Totalverbote dieser Vertriebsform (mithin abstrakter Gefährdungsdelikte) in der letzten Erwägung der Präambel, die somit bereits die funktionale Austauschbarkeit wettbewerbsrechtlicher und verbrauchervertragsrechtlicher Instrumente in diesem Bereich belegt 391. Schon wegen der dennoch bestehenden grundsätzlichen Geltung der Art. 30, 43 EG im Bereich „überschießenden“ wettbewerbsrechtlichen Schutzes, änderte die permissive Begründungserwägung auch nichts an der insgesamt liberalisierenden Rolle, die die Richtlinie bezüglich der in der rechtswissenschaftlichen Diskussion zum damaligen Zeitpunkt durchaus umstrittenen wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Haustürvertriebs gespielt hat. Mindestens eine lauterkeitsrechtliche Rückwirkung schon dieser Richtlinie aus der Frühzeit europäischen verbraucherspezifischen Vertriebsrechts läßt sich daher belegen. Die Einbeziehung im Kern lauterkeitsrechtlicher Vorschriften wird spätestens mit der Fernabsatz-Richtlinie von 1997 zum Strukturprinzip europäischen Verbrauchervertriebsrechts. Schwerpunktmäßig betrifft die Richtlinie im allgemein zivilrechtlichen Sinne die Ausgestaltung und Absicherung des Fernabsatzgeschäftes durch Informationspflichten (unterschiedlichen Rechtscharakters 392) und ein Widerrufsrecht des Verbrauchers. Die Fernabsatz-Richtlinie regelt aber auch lauterkeitsrechtlich (und gleichermaßen im Wege der Mindestharmonisierung) in Art. 10 die Zulässigkeit bestimmter Fernkommunikationstechniken im Marke390 S. Micklitz, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 189193; vgl. zur langwierigen Entstehungsgeschichte der Haustürgeschäfte-Richtlinie, in der die Bundesrepublik aus integrationspolitischer Sicht eine durchaus fragwürdige Rolle spielte, auch Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, S. 206 ff. mwN. 391 S. auch oben 1 c zur Buet-Entscheidung des EuGH, die diese Sicht der Dinge in aller Deutlichkeit bestätigt. 392 S. noch sogleich unten c sowie ausführlicher unten 4. Kap. 3. Abschn. B I 2 b (1).
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ting, insbesondere der Telefon-, Telefax- und E-mail-Werbung393. Darüber hinaus verpflichtet Art. 9 Fernabsatz-Richtlinie die Mitgliedstaaten, ein Verbot der Zusendung unbestellter Waren vorzusehen; dabei handelt es sich nach richtiger Auffassung ebenfalls um eine lauterkeitsrechtliche Bestimmung (im Sinne eines Totalverbots einer abstrakt gefährlichen und belästigenden Vertriebstechnik). Die in der Folge 2002 ergangene FernabsatzFinDL-Richtlinie enthält in ihren Art. 9 und 10 fast inhaltsgleiche Bestimmungen, freilich in diesem Falle – da keine Mindestklausel enthalten ist394 – im Wege der punktgenauen (Maximal-)harmonisierung395. 393 Der in Art. 10 der Fernabsatz-RL gefundene Kompromiß, grundsätzlich bezüglich der Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Marketing der liberaleren opt out-Linie des angelsächsischen Rechtskreises zu folgen (Art. 10 Abs. 2), zugleich aber insbesondere die Verwendung von voice-mail-Systemen und die Telefaxwerbung dem strengeren opt in-Ansatz zu unterwerfen (Art. 10 Abs. 1), war stets in seiner Wirksamkeit dadurch begrenzt, daß es sich hierbei gem. Art. 14 Fernabsatz-Richtlinie lediglich um eine Mindestharmonisierung handelte und daß strengere Regeln auch einer Prüfung am Maßstab der Art. 28, 43 EG standgehalten hätten. Nachdem durch mehrfach sich überschneidende Regelungen insbesondere der E-Mail-Werbung im europäischen Recht eine etwas unübersichtliche Rechtslage entstanden war (wobei freilich trotz mancher Mißverständnisse in der rechtswissenschaftlichen Diskussion und einiger unzutreffender Einzelurteile unterer Instanzen stets von der grundsätzlichen europarechtlichen Zulässigkeit der strengeren deutschen Maßstäbe im Sinne eines grundsätzlichen opt in-Ansatzes unter § 1 UWG (alt) auszugehen war), ist die Problematik mittlerweile in Art. 13 der EKDatenschutz-Richtlinie für das europäische Recht einer Lösung zugeführt worden, die für Telefax-, voice-mail- und E-Mail-Direktmarketing grundsätzlich den strengeren (und nur durch einzelne Ausnahmen durchbrochenen) opt in-Ansatz wählt und in § 7 Abs. 2 und Abs. 3 UWG auch in das deutsche Recht umgesetzt worden ist. Vgl. zu diesem gesamten Komplex erschöpfend Leistner/ Pothmann, WRP 2003, 815 ff.; sowie auch schon Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 33 ff.; spezifisch unter dem Blickwinkel des Einbruchs lauterkeitsrechtlicher Bestimmungen in das europäische Verbrauchervertragsrecht auch Glöckner, GRUR Int. 2000, 29 ff. S. zur Behandlung des E-Mail-Direktmarketing in der neuen Lauterkeits-RL an dieser Stelle nur Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1044 f. 394 S. schon o. Fn. 113. 395 Bezüglich der umstrittenen Frage, wie das – in Art. 10 Abs. 2 FernabsatzFinDL-Richtlinie – den Mitgliedstaaten ausdrücklich (und ja nunmehr im Wege punktgenauer Harmonisierung) eingeräumte Wahlrecht zwischen opt in- und opt out-Ansatz bezüglich der Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (außerhalb des Bereichs der auch in Art. 10 Abs. 1 FernabsatzFinDL dem opt in-Ansatz unterworfenen Verwendung von voice mail und Telefax) zu den strengeren Bestimmungen der nur wenige Wochen zuvor verabschiedeten EK-Datenschutzrichtlinie steht, wird man richtigerweise davon ausgehen müssen, daß sich die strengeren Bestimmungen der EK-Datenschutzrichtlinie durchsetzen, da hierdurch die maximale Schutzobergrenze der FernabsatzFinDL-Richtlinie im Ergebnis nicht verletzt wird und die FernabsatzFinDL-Richtlinie zudem in Erw.-Grd. 26 ausdrücklich den Vorrang bereichsspezifischer Regelungen im Bereich des Schutzes der Privatsphäre von Verbrauchern und deren personenbezogenen Daten (dem die EK-Datenschutzrichtlinie dient) anerkennt. S. dazu Leistner/Pothmann, aaO., S. 823 ff.; hiergegen unzutreffend Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1025 (dort insbesondere Fn. 44), die gegen die ganz einhellige Meinung in der Literatur und Rechtsprechung schon zur Fernabsatz-Richtlinie von 1997 und entgegen dem klaren Wortlaut beider Fernabsatz-Richtlinien davon ausgehen, daß die E-Mail-Werbung von den jeweiligen Art. 10 Abs. 2 beider Fernabsatzrichtlinien nicht erfaßt werde. Die hierfür angeführte Begründung, E-Mail-Werbung erlaube keine individuelle Kommunikation – „wie etwa Telefonwerbung“ – verkennt den mittlerweile vollkommen selbstverständlich individuellen Charakter der (häufig durchaus auch durch Nachrichtenaustausch in Echtzeit stattfindenden) E-Mail-Kommunikation im Netz. Diese (tatsächliche) Beurteilung der
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Über den Bereich eines Schutzes reiner wirtschaftlicher Entscheidungsfreiheit hinaus wird mit diesen Regelungen die vierte Ebene des hier zugrundegelegten Modells, d.h. der Belästigungsschutz gegenüber unternehmerischen Eingriffen in den Privatbereich – und damit eine typisch lauterkeitsrechtliche Regelungsmaterie –, erreicht. Die Frage der Sanktionen für das in den Richtlinien demnach enthaltene europäische Lauterkeitsrecht wird in beiden Richtlinien nicht spezifisch geregelt, bleibt somit – außerhalb des durch die Unterlassungsklage-RL angeglichenen Bereichs kollektiver Rechtsbehelfe bezüglich der Verletzung verbraucherschützender Normen – dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen, das freilich dennoch in der Zukunft vom EuGH aufgrund einer effet-utile-Interpretation der rudimentären Sanktionsvorschriften der Richtlinien in ganz erheblicher Intensität durch Einzelfallentscheidungen inhaltlich überformt werden könnte396. Die E-Commerce-Richtlinie, die – soweit sie das hier behandelte Untersuchungsthema betrifft – in ihren Art. 10, 11 den Kanon der Informationspflichten des Unternehmers aus der Fernabsatz-Richtlinie um internetspezifische Pflichten zur Verfügunghaltung bestimmter technischer Mittel sowie um einige weitere Informationspflichten (unterschiedlichen Rechtscharakters397) ergänzt und insofern im Kern die Vertragsschlußmodalitäten im Internet (wenn auch nicht das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Verträge selbst398) betrifft, enthält ihrerseits wiederum einige lauterkeitsrechtliche Regelungen spezifisch für die kommerzielle Kommunikation399 E-Mail-Kommunikation ist im übrigen durch Art. 10, 11 E-Commerce-Richtlinie, die den Vertragsschluß per „elektronischer Post oder durch damit vergleichbare individuelle Kommunikation“ (Hervorh. des Verfassers) von den entsprechenden Informations- und Vorkehrungspflichten ausnehmen, im europäischen Recht sogar juristisch anerkannt. Die Kritik bei Köhler/Lettl, aaO., steht daher in unauflösbarem Widerspruch zu geltendem europäischen Recht. 396 Vgl. schon die exkursartige Schilderung der Durchsetzungskonzeption des EuGH oben 1 d. 397 S. noch sogleich unten c. 398 Die Pläne der Kommission bezüglich einer „Vergemeinschaftung“ des Vertragsschlusses selbst sind sowohl in der Fernabsatz- (s. insoweit etwa Micklitz, VuR 1993, 129 ff. betreffend den ursprünglichen Vorschlag der Kommission) als auch in der E-Commerce (s. insoweit Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 75 ff.; Reich/Nordhausen, Verbraucher und Recht im elektronischen Geschäftsverkehr (eG), Rz. 170 ff.) letztendlich am Widerstand der Mitgliedstaaten gescheitert. In der E-Commerce-Richtlinie ist davon nur der Ermöglichungsgrundsatz des Art. 9 geblieben, der die nationalen Vertragssysteme bezüglich des Vertragsschlusses – so sehr sie auch mittels vor- und nachvertraglichen Informationspflichten und durch Regelungen des Eingangs der jeweiligen Erklärung gewissermaßen „eingezingelt“ werden – nominell bewahrt und in diesem Zusammenhang lediglich den Mitgliedstaaten vorschreibt, daß ihr Rechtssystem den elektronischen Vertragsschluß ermöglichen muß und kein Hindernis für die Verwendung elektronischer Verträge bilden darf. 399 Allein der Begriff der kommerziellen Kommunikation, der durch Art. 2 lit. f) E-Commerce-Richtlinie neu in das europäische Recht eingeführt wurde (und sich – mit einer allerdings ein wenig unglücklichen, da wenig trennscharfen Beschränkung auf unmittelbare Absatzförderung – auch in der neuen Lauterkeits-Richtlinie wiederfindet, s. kritisch dazu ursprünglich Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1034 f.) verdeutlicht den umfassenden Regelungsansatz des europäischen Rechts der „Marktkommunikation“, welches zwischen dem lauterkeitsrechtlich zu regelnden Bereich der Publikumswerbung und den unmittelbar auf Vertragsschluß gerichteten Kommunikationsformen nicht trennt, sondern vielmehr „alle Formen der Kommunikation, die
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im Internet400. So wird in den Art. 6 und 7 E-Commerce-Richtlinie verbindlich vorgeschrieben, daß sämtliche per Internet übermittelten kommerziellen Kommunikationen (samt ihrer Herkunft) klar und unmißverständlich als solche erkennbar sein müssen (der schon aus mehreren Richtlinien bekannte Transparenzansatz401), gleiches gilt für die Bedingungen von Verkaufsförderungsmaßnahmen (Zugaben, Gewinnspiele etc.)402. Darüber hinaus findet sich in Art. 7 Abs. 2 E-Commerce-Richtlinie eine weitere der notorisch über beinahe das gesamte Gemeinschaftsrecht verstreuten Regelungen der unaufgeforderten E-Mail-Kommunikation403. Auch die E-Commerce-Richtlinie überschreitet also (aus der Perspektive des deutschen Rechts) mit ihren Regelungen die imaginäre Grenze zwischen Lauterkeits- und Vertragsrecht und vereinigt nach deutschem Verständnis Regelungen beider Rechtsgebiete in einem einheitlichen Instrument. Ist die Grenzüberschreitung der schwerpunktmäßig vertragsrechtlich ausgerichteten Instrumente des Gemeinschaftsrechts in den angestammten Bereich des Lauterkeitsrechts sonach belegt, so ist umgekehrt auch festzustellen, daß sich insbesondere die neue verbraucherschützende Lauterkeits-Richtlinie mit den abgestuften Regelungen des irreführenden Unterlassens in Art. 7 404, der für den Fall einer sogenannten „Aufforderung zum Kauf“ 405 in Abs. 4 einen ganzen Katalog der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens“ (einschließlich der freien Berufe) umfaßt. 400 S. ausführlich Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5 ff. mwN; Leupold/Bräutigam/Pfeiffer, WRP 2000, 575 ff. mwN. 401 Der seit dem insoweit als Vor- und Urbild anzusehenden Art. 5 Abs. 1 Klausel-Richtlinie ein regelrechtes Strukturelement europäischen Informationsrechts bildet, s. Fleischer, ZEuP 2000, 772, 786 f. 402 S. zu den lauterkeitsrechtlichen Bestimmungen der E-Commerce-Richtlinie bündig Henning-Bodewig, GRUR Int. 2002, 389 393 f. mwN, dort auch zu den lauterkeitsrechtlichen Bestimmungen der Fernseh-Richtlinie, die in dieser Untersuchung – da in der Fernsehrichtlinie eine derart enge Verbindung zu vertragsrechtlichen Bestimmungen wie in der E-CommerceRichtlinie fehlt – nicht im einzelnen behandelt werden. 403 Dort im Sinne eines opt out Ansatzes, der durch Verwendung sogenannter Robinson-Listen in seiner Funktionsfähigkeit abgesichert werden sollte. Derartige Listen haben sich im Netz aber nie durchgesetzt. S. schon die Nachweise o. Fn. 395 für eine erschöpfende Behandlung der gesamten Thematik. 404 Das irreführende Unterlassen im lauterkeitsrechtlichen Verständnis war (ohne, daß hierfür eine Sonderregelung notwendig oder auch nur tunlich gewesen wäre) auch schon durch den allgemeinen Irreführungstatbestand der Irreführungs-Richtlinie erfaßt, da das Verbot „irreführender Äußerungen“ naturgemäß auch Irreführungen durch unvollständige Äußerungen mit umfaßte, s. nur EuGH (o. Fn. 291) – Nissan. 405 Diese wird ihrerseits in Art. 2 lit. i) als eine kommerzielle Kommunikation definiert, die die Produkteigenschaften und den Preis (in einer für das verwendete Kommunikationsmittel angemessenen Form) so konkret angibt, daß der Verbraucher in die Lage versetzt wird, einen Kauf zu tätigen. Letztlich müssen also sämtliche essentialia negotii gegeben sein, ein Rechtsbindungswille des Gewerbetreibenden – mithin die Abgabe eines bereits bindenden Angebots – ist aber offenbar ebensowenig notwendig, wie eine vertragsrechtlich zu beurteilende invitatio ad offerendum. Vielmehr scheint es eher im lauterkeitsrechtlichen Sinne um eine Art Festlegung einer werblichen Konkretisierungsschwelle (die dem Kunden bereits konkrete Überlegungen über die Abgabe eines Angebots ermöglicht) zu gehen, ab der der Inhalt der Werbung dann im
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
konkreter Pflichtangaben aufstellt, deren Nichtzurverfügungstellung im Ergebnis – sofern sich die Information nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt406 – in den meisten Fällen zur Fiktion einer Irreführung durch Unterlassen gemäß Art. 7 Abs. 1 führen dürfte, in bedenkliche Nähe zum Bereich vorvertraglicher Aufklärungspflichten gerät407. Die Liste der im Falle einer „Aufforderung zum Kauf“ Sinne einer Standardisierung durch Einführung bestimmter rechtlich vorgeschriebener Pflichtangaben transparenter gestaltet wird. Der Begriff dürfte also unter diesem Blickwinkel autonom lauterkeitsrechtlich zu interpretieren sein. S. dazu schon Leistner, Entwicklung des allgemeinen Gemeinschaftsprivatrechts, in: FS Schricker, S. 87, 91 f.; Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, 99 ff. (noch mit Blick auf den ursprünglichen Kommissionsvorschlag). 406 S. die ausdrückliche Einschränkung in Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL. 407 Eine Einschränkung ergibt sich nur aus der allgemeinen Voraussetzung des Irreführungsschutzes, daß die Unterlassung der Zurverfügungstellung der „wesentlichen Information“ geeignet sein muß, einen Durchschnittsverbraucher potentiell zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte (Art. 7 Abs. 1 Lauterkeits-RL, diesen Aspekt betonen Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1331). Doch steht zu fürchten, daß bei einer teleologischen Interpretation der Richtlinie durch den EuGH unter besonderer Berücksichtigung des effet utile des Verbraucherschutzzwecks der Richtlinie schon allein aufgrund der Nichtzurverfügungstellung der in Art. 7 Abs. 4 und Abs. 5 i.V.m. Anhang II Lauterkeits-RL genannten „Basisinformationen“ für den Regelfall eine Irreführungseignung bejaht werden könnte und nur in konkret belegten Ausnahmefällen – beispielsweise: höchstwahrscheinliche Nachholung der Aufklärung bis Vertragsschluß wie in Nissan (s. bei o. Fn. 313) – die Eignung zur Verzerrung der wirtschaftlichen Entscheidung der Verbraucher verneint würde. S. auch ganz ausdrücklich Erw.-Grd. 14 Lauterkeits-RL: „Im Hinblick auf Unterlassungen legt diese Richtlinie eine bestimmte Anzahl von Basisinformationen fest, die der Verbraucher benötigt um eine informierte geschäftliche Entscheidung treffen zu können“. In dieselbe Richtung geht auch der Wortlaut des insoweit einschlägigen Art. 7 Abs. 1 Lauterkeits-RL: „Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlassen oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte“ (Hervorh. d. Verf.). Dabei ist der Halbsatz „die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen“ als konkrete Definition der „Wesentlichkeit“ i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Lauterkeits-RL (nicht: als zusätzliche Voraussetzung einer Irreführung) zu verstehen, da andernfalls das Merkmal der Wesentlichkeit neben der Notwendigkeit der Information für eine informierte Entscheidung keinerlei eigenständige Bedeutung hätte; dies wird noch durch den systematischen Zusammenhang mit der spezielleren Vorschrift des Art. 7 Abs. 2 Lauterkeits-RL bestätigt (die gleichfalls auf den Begriff der „Wesentlichkeit“ in dem Sinne Bezug nimmt, daß das Merkmal der Notwendigkeit für eine informierte Entscheidung in diesem Begriff bereits inkorporiert ist). Nachdem in den Fällen des Art. 7 Abs. 4 und Abs. 5 Lauterkeits-RL die „Wesentlichkeit“ der Information in diesem Sinne nunmehr fingiert wird, scheint sich aus der Formulierung „somit“ in Art. 7 Abs. 1 Lauterkeits-RL zu ergeben, daß allein aufgrund dieser fingierten „Wesentlichkeit der Information“ die Eignung, den Durchschnittsverbraucher zu einer wirtschaftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte, indiziert ist, sofern nicht eine Nachholung der Information bis Vertragsschluß typischerweise erfolgt. Dies liefe also darauf hinaus, bei Nichtzurverfügungstellung der in Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL genannten Informationen in Fällen der Aufforderung zum Kauf mindestens in der Regel eine Irreführungseignung zu bejahen. Damit kommt Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL trotz der Einpassung des Katalogs wesentlicher „Kerninformationen“ in das Konzept der Irreführung durch Unterlassen einer Anordnung genuiner lauterkeitsrechtlicher Informationspflichten im praktischen Ergebnis be-
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mitzuteilenden „Basisinformationen“408 reicht von Produkteigenschaften („die wichtigsten Merkmale des Produkts…“) und Preis, Anschrift und Identität des Gewerbetreibenden bis hin zu Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie das „Verfahren im Falle von Beschwerden, falls dieses von den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt abweicht“ und zur Belehrung über etwa bestehende Rücktritts- und Widerrufsrechte409. Inhaltlich bedeutet dies nichts anderes als die – durchaus noch lauterkeitsrechtlich zu qualifizierende – Einführung einer allgemeinen Informationspflicht der Unternehmer bezüglich bestimmter Basisangaben im Sinne einer lauterkeitsrechtlichen Standardisierung in jedem Falle zur Verfügung zu stellender vorvertraglicher Information im Rahmen eines konkretisierten Transparenzgebots410. Rechtstechnisch liegt das Problematische an einer derart weitreichenden und konkreten (zugleich in Einzelbereichen aber unbestimmten: „die wichtigsten Merkmale des Produkts“) Festlegung in jedem Falle mitzuteilender Kerninformationen im (nicht notwendig individualisierten) vorvertraglichen Bereich411 darin, daß durch die Richtlinie die Sanktionen einer Verletzung der dadurch im praktischen Ergebnis formulierten weitreichenden vorvertraglichen Informationspflicht nur sehr rudimentär – nämlich in Art. 11 Lauterkeits-RL im wesentlichen auf Grundlage des gerichtlich/behördlichen Alternativmodells, welches schon aus der Irreführungs-RL bekannt war, mit den üblichen verwaltungsoder deliktsrechtlichen lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen – harmonisiert werden, wobei im übrigen die Sanktionierung durch „geeignete und wirksame Mittel zur denklich nahe wenn nicht sogar gleich. Bezogen auf die ausstehende Umsetzung der LauterkeitsRL im Ergebnis ähnlich wie hier (anders als nach der hier vertretenen Auffassung diese Entwicklung aber rechtspolitisch begrüßend) Fezer, WRP 2006, 781, 786 ff. 408 Vgl. Erw.-Grd. 14 Lauterkeits-RL. 409 Wobei sich Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL an dieser Stelle ersichtlich mit Art. 7 Abs. 5 Lauterkeits-RL überschneidet, der zudem i.V.m. Anhang II sämtliche gemeinschaftsrechtlichen Informationsanforderungen als „wesentlich“ qualifiziert. Denn entsprechende Belehrungspflichten sind im Gemeinschaftsrecht bezüglich sämtlicher Widerrufsrechte in spezifischer Ausgestaltung vorgesehen. Die allgemeine Verpflichtung, in Fällen der „Aufforderung zum Kauf“ über etwa bestehende Rücktritts- oder Widerrufsrechte zu belehren, soll nun offenbar zu diesen bereichsspezifischen Regelungen noch hinzutreten, obwohl ja andererseits diese spezifischeren Bestimmungen gem. Art. 3 Abs. 4 Lauterkeits-RL allein maßgebend sein müßten. Ist dies aber der Fall, so dürfte für Art. 7 Abs. 4 lit. e) Lauterkeits-RL kaum ein sinnvoller praktischer Anwendungsbereich bleiben. 410 Für die es aus rechtsvergleichender Sicht etwa im schwedischen, finnischen und dänischen Recht auch Vorbilder gibt. S. Schulte-Nölke, aaO., 103; Kur, GRUR Int. 1996, 38 ff. S. demgegenüber aber die (systemgerechtere) „offene“ Formulierung des Tatbestands der Irreführung durch Verschweigen auch im neuen § 5 Abs. 2 S. 2 UWG, die weiterhin dogmatisch nur ein konkretisiertes Irreführungsverbot darstellt und nicht etwa positiv-zwingend standardisierte Informationsgebot enthält. Vgl. hierzu ebenso etwa Harte/Henning-Dreyer, Rz. 783 ff. S. zu der Tatsache, daß die dogmatische Verankerung in einer Konzeption der Irreführung durch Unterlassen hieran im praktischen Ergebnis nach der Formulierung des Art. 7 Lauterkeits-Richtlinie voraussichtlich nichts zu ändern vermag schon o. Fn. 407 (insoweit gegen Glöckner-HenningBodewig, WRP 2005, 1311, 1331). 411 Die tatbestandliche Anknüpfung an das Merkmal der „Aufforderung zum Kauf“, kann selbst bei Zugrundelegung einer lauterkeitsrechtlichen Interpretation (s. o. Fn. 405) nicht anders verstanden werden, als im Sinne einer Einschränkung auf den vorvertraglichen – wenngleich nicht notwendig individualisierten – Bereich.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken“ den Mitgliedstaaten überlassen bleibt412. Dies ist insbesondere deshalb bedenklich, weil die in Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL vorgesehenen Pflichten ihrem Schutzzweck nach und damit auch hinsichtlich ihrer rechtsfolgenspezifischen Analyse mit Blick auf den Schutzzweckzusammenhang bezüglich gegebenenfalls aus einer Pflichtverletzung resultierender individueller Schäden der Verbraucher nicht einheitlich zu beurteilen sind. Vielmehr trägt die Richtlinie im Ergebnis konkrete Informationsgebote undifferenziert in den vorvertraglichen Bereich, die ihrer Natur nach zum Teil allgemeine Verkehrssicherungspflichten des Lauterkeitsrechts ohne individualvertragsrechtlichen Schutzzweckbezug sind (etwa betreffend die Information über das Beschwerdeverfahren, die ersichtlich lediglich einen institutionellen – auf das reibungslose Funktionieren des Wettbewerbssystems bezogenen – Schutzzweck verfolgt), zum Teil aber auch als individualisiert vorvertragliche Pflichten aufgefaßt werden könnten, denen ein individualschützender Zweck mit Blick auf einen in der Folge fehlerhaft abgeschlossenen Vertrag ohne weiteres zugestanden werden könnte (Information über die wichtigsten Produktmerkmale). Derartige Pflichten übergreifend – und damit für den lauterkeitsrechtlichen und für den vorvertraglichen Bereich zugleich – und konkret zu formulieren, ist für sich genommen noch nicht problematisch. Nicht ohne inhärente Gefahren ist es jedoch, wenn die – je nach Charakter der einzelnen „wesentlichen“ Information insbesondere im Bereich vorvertraglicher Informationshaftung differenziert zu beurteilende413 – Frage nach den konkret vorzusehenden Sanktionen (bestehen neben dem stets ausgelösten lauterkeitsrechtlichen Sanktionssystem, wie es die Richtlinie in Anlehnung an die entsprechende Konzeption schon der Irreführungs-RL rudimentär harmonisiert, individualvertragliche Ansprüche bzw. kommt es zu einer Rückwirkung auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrags oder nicht) offen und damit dem Recht der Mitgliedstaaten und zumal einer gegebenenfalls einseitig den Effektivitätsgedanken betonenden Kontrolle durch den EuGH414 überlassen bleibt. Denn dadurch droht potentiell eine undifferenzierte Kumulation der Rechtsfolgen beider hier betrachteter Systeme im Recht der Mitgliedstaaten. Die Lauterkeits-RL sucht der vorstehend skizzierten Gefahr, die offenbar auch seitens der Kommission durchaus gesehen wurde, durch entsprechende Klarstellungen zu begegnen, daß die Richtlinie weder das Vertragsrecht415 noch die Problematik „individuelle(r) Klagen von Personen, die
412 So spezifisch bezüglich der Frage, ob die Lauterkeits-RL den Mitgliedstaaten die Einführung eines individualrechtlichen Schadensersatzanspruchs des von unlauterem Wettbewerbs betroffenen Verbrauchers vorschreibt, zuletzt auch Augenhofer, WRP 2006, 169, 171: Richtlinie fordert die Einführung derartiger Ansprüche nicht, steht ihr aber auch nicht entgegen. 413 S. noch unten 4. Kap. 3. Abschn. B II mit einer entsprechenden Analyse der „wesentlichen“ Informationen des Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL im Hinblick auf eine potentielle Schadensersatzhaftung wegen Nichtgewährung der Information gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. 414 Vgl. kurz oben 1 d. 415 Art. 3 Abs. 2 Lauterkeits-RL; vgl. auch Erw.-Grd. 9 Lauterkeits-RL.
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durch eine unlautere Geschäftspraktik geschädigt wurden“416, betrifft. Dies mag nun immerhin das Damoklesschwert der Konstruktion entsprechender Individualansprüche aufgrund einer am verbraucherschützenden effet utile der Richtlinie ausgerichteten Interpretation der Lauterkeits-RL durch den EuGH noch einmal in seine Scheide verbannt haben. Die drohende Disharmonisierung durch zusätzliche Anknüpfung unterschiedlicher Rechtsfolgen – auch individueller Schadensersatzansprüche – an eine Verletzung der lauterkeitsrechtlichen „Informationspflicht“ im Recht einzelner Mitgliedstaaten, wie sie sich aus Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL letztlich ergibt, kann auf diesem Wege jedoch nicht effektiv verhindert werden. Dies weist nun auf ein allgemeineres Problem. Denn eine Vermischung konkret individualschutzbezogener (sozusagen „vertragsrechtlicher“) und „abstrakt“-marktbezogener (letztlich ausschließlich „lauterkeitsrechtlicher“) Informationspflichten findet auch – und insofern als es sich um echte, eigenständige Pflichtentatbestände handelt, die dogmatisch nicht in eine lauterkeitsrechtliche Irreführungskonzeption rückgebunden sind, sogar noch deutlicher – in den Fernabsatz-Richtlinien und insbesondere in der E-Commerce-Richtlinie417 (im übrigen ebenso wie im branchenspezifischen Verbrauchervertragsrecht418) statt, ohne daß insoweit jeweils die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung vollständig harmonisiert würden419. Beide Richtlinien enthalten nämlich nicht nur explizit lauterkeitsrechtliche Vorschriften, wie es bereits vorstehend beispielhaft belegt wurde, sondern vielmehr ist ein großer Teil der in ihnen enthaltenen – dem Wortlaut nach vertragsbezogenen (die Vertragsschlußmodalitäten vorbereitenden und regelnden) – Informationspflichten nach angestammtem deutschem Verständnis lauterkeitsrechtlich zu qualifizieren, da diese zum Teil bereits weit vor der vorvertraglichen Individualisierung in der Phase allgemeiner kommerzieller Kommunikation (Werbung und Marketing) ansetzen und zudem in Einzelfällen keine individualschützenden, sondern allein marktordnungsbezogene, „institutionelle“ Regelungszwecke aufweisen420. Insoweit kommt es auch prompt zu einer flächendeckenden Überschneidung der jeweiligen Regelungsbe416 417
S. wiederum Erw.-Grd. 9 Lauterkeits-RL. Instruktiv Grigoleit, WM 2001, 597 ff.; s. näher auch noch unten 4. Kap. 3. Abschn. B I
2 b (2). 418 Insoweit insbesondere im Verbraucherkreditrecht sowie mit Blick auf die extensiven Informationspflichten der Pauschalreise- und Time-Sharing-Richtlinien. 419 Immerhin sieht die Unterlassungsklage-Richtlinie eine Verbandsklagemöglichkeit für repräsentative Verbraucherverbände im Falle der Verletzung sämtlicher dieser Pflichten vor. Der für die hier angestellte Untersuchung entscheidende Bereich individueller Ansprüche (der Mitbewerber oder Verbraucher) ist demgegenüber weitenteils gerade nicht harmonisiert. Allenfalls regeln die Richtlinien (mit nicht ganz unerheblichen Unterschieden im Detail) bezüglich bestimmter, meist auf das Widerrufsrecht bezogener Informationspflichten vor, daß jeweils eingeräumte Widerrufsfristen vor Erfüllung der entsprechenden Informationspflichten nicht in Lauf gesetzt werden. S. insoweit auch noch unten 4. Kap. 3. Abschn. B I 2 mit Bezug auf das deutsche Recht. 420 Vgl. noch unten 4. Kap. 3. Abschn. B I 2 b (2) für eine rechtsfolgenspezifische Analyse der Informationspflichten aus der E-Commerce-RL.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
reiche der (allgemeingültigen) Lauterkeits-Richtlinie und der (bereichsspezifischen) Bestimmungen über Informationspflichten in den vertriebs- und branchenspezifischen Richtlinien. Die Lauterkeits-Richtlinie löst den sich hier anbahnenden potentiellen Konflikt im Sinne eines Vorrangs der jeweiligen sektorspezifischen Regelungen421, die mithin als Spezialvorschriften den allgemeineren Bestimmungen der Lauterkeits-Richtlinie vorgehen und zudem, was die Informationspflichten anbetrifft, über Art. 7 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Lauterkeits-RL in die Konzeption der Irreführung durch Unterlassung inkorporiert werden, was sie – neben den Sanktionsinstrumenten, wie sie die Unterlassungsklage-RL vorsieht – im Ergebnis (um auf die Terminologie des deutschen Rechts zurückzugreifen) nach Art eines gesetzlich konkretisierten Rechtsbruchtatbestands zusätzlich in das lauterkeitsrechtliche Sanktionssystem422 einbindet. Da es sich freilich bei den meisten der sektorspezifischen Regelungen (mit den wesentlichen Ausnahmen der FernabsatzFinDL- und der E-Commerce-Richtlinie) um Minimalregelungen handelt, wären die Mitgliedstaaten – soweit die sektorspezifischen Informationspflichten hinter dem allgemeinen Standard des Art. 7 Lauterkeits-Richtlinie zurückbleiben – aber trotz des Vorrangs der spezifischen Regeln nicht gehindert, auch in diesen Bereichen strengere, am Maßstab der Lauterkeits-Richtlinie orientierte Vorschriften zu erlassen, so daß insgesamt für das künftig angeglichene mitgliedstaatliche Recht ein Panorama bedenklicher Expansion konkreter wettbewerblicher Informationspflichten (unterschiedlichen Umfangs) droht. Die rechtliche Problematik der im Gemeinschaftsrecht sonach weitgehend einheitlichen Behandlung lauterkeits- und vertragsrechtlicher Informationspflichten liegt nun – wie bereits oben angedeutet – darin, daß dem im Gemeinschaftsrecht – sofern überhaupt eine Regelung der Sanktionen erfolgt – auch eine entsprechend undifferenzierte Behandlung der jeweiligen Pflichten mit Blick auf die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung entspricht. Stets wird jedenfalls nunmehr im Bereich der gemeinschaftsrechtlichen Informationspflichten – neben den Möglichkeiten der Unterlassungsklage-RL – auch das Sanktionensystem des Lauterkeitsrechts über Art. 7 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Lauterkeits-RL ausgelöst. Man wird in diesem Zusammenhang – wie im Falle der ebenfalls bereits umfassend ausgerichteten Unterlassungsklage-Richtlinie und im übrigen auch 421 S. Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 2004, 99, 107 ff. Die dort gleichfalls erwogene (und im Ergebnis verworfene) Möglichkeit einer Kumulierung sämtlicher Informationspflichten (seien sie sektorspezifisch oder allgemeiner Art) liefe gerade den hier entwickelten Prinzipien sachlicher Komplementarität und des Vorrangs der spezifischen verbrauchervertragsrechtlichen Lösung zuwider. 422 Wie es Art. 11–13 Lauterkeits-RL in Anlehnung an die entsprechenden Vorschriften der Irreführungs-RL (und teils darüber hinausgehend) rudimentär harmonisieren. S. dazu nur Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1047 f. (mit einer Forderung nach weiterer Harmonisierung im Vorfeld der endgültigen Verabschiedung der Richtlinie); zurückhaltender in diesem Bereich Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 168 ff.: Koexistenz der nationalen Durchsetzungslösungen, wobei die Richtlinie der eingefahrenen angelsächsischen Praxis der Selbstregulierung gewissermaßen institutionelle „Rückendeckung“ verschafft.
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ähnlich wie im Bereich des deutschen Rechtsbruchtatbestands – immerhin argumentieren können, daß eine derartig umfassende kollektive Sanktionierung der Nichterfüllung zwingender verbraucherschützender vorvertraglicher Pflichten unter der Perspektive des ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung und zudem auch aufgrund des (sich schon aus dem Verbraucherschutzzweck ergebenden) Marktordnungsbezug dieser sämtlichen Regelungen durchaus nicht unangemessen ist. Aus exakt spiegelverkehrter Perspektive droht aber zugleich größere Gefahr, da die individualvertragsrechtlichen und überhaupt die individuellen „Sanktionen“ (mithin die Rückwirkung einer Pflichtverletzung auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit von in der Folge geschlossenen individuellen Verträgen sowie die potentielle (vor)vertragliche Schadensersatzhaftung nicht pflichtgetreu handelnder Unternehmer) im Rahmen der Lauterkeits-Richtlinie – wie auch überhaupt im bisherigen europäischen Verbraucherrecht – gerade nicht oder nur rudimentär harmonisiert wurden423. Daraus ergibt sich die (im Falle der Umsetzung der E-Commerce-RL bereits zur Realität gewordene424) Möglichkeit, daß die Mitgliedstaaten die im europarechtlichen Kontext ganz unterschiedliche – teils auch rein institutionell marktordnungsbezogene – Zielsetzungen verfolgenden verbraucherschützenden Pflichtenprogramme (insbesondere die Informationspflichten) undifferenziert übergreifend mit individualvertragsrechtlichen Folgen (betreffend das Zustandekommen und die Wirksamkeit von Verträgen, insbesondere, was die Inlaufsetzung gemeinschaftsrechtlicher Widerrufsfristen anbetrifft, sowie mit Schadensersatzansprüchen) bewehren425; dies wäre nicht nur aus rechtsfolgenspezifischer Sicht zwangsläufig teilweise ordnungspolitisch fehlerhaft, sondern schafft auch eine Gefahr zusätzlicher Disharmonisierung im Hinblick auf die bisher nicht angeglichenen Vertragsschlußsysteme im Recht der Mitgliedstaaten426. Für den Stand des europäischen Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrechts ist die vorstehend geschilderte Problemlage samt dem potentiell entstehenden Druck 423
S. nur Art. 3 Abs. 2 und Erw.-Grd. 9 Lauterkeits-Richtlinie. Vgl. an dieser Stelle nur das negative Fazit zur Richtlinie aufgrund einer rechtsvergleichenden Analyse bei Hultmark Ramberg, 26 E.L.Rev. 2001, 429, 449 f. 425 Dieser, sich aus dem Tätigwerden der Umsetzungsgesetzgeber ergebenden Gefahr, mag immerhin die eindeutige systematische Verankerung in einer lauterkeitsrechtlichen Konzeption irreführenden Unterlassens mutmaßlich vorzubeugen; insoweit ist die von Glöckner/HenningBodewig, WRP 2005, 1311, 1332, geäußerte Hoffnung, daß die Regelung des Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL nicht zur Begründung isolierter, von der Irreführungsfrage losgelöster Informationspflichten in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen führen möge, berechtigt und hinsichtlich ihres rechtspolitischen Gehalts unbedingt zustimmungswürdig. 426 Eine rechtsfolgenspezifische Analyse der Informationspflichten der E-Commerce-Richtlinie wird noch unten (4. Kap. 3. Abschn. B I 2 b (2)) im Rahmen der Beurteilung der (gerade unter diesem Blickwinkel teilweise kritikwürdigen) deutschen Umsetzungsbestimmungen durchgeführt. Auf die fatale Gefahr einer Disharmonisierung bezüglich der Rückwirkungen einer Pflichtverletzung auf Zustandekommen und Wirksamkeit der im Netz geschlossenen Verträge weist im übrigen bezüglich der E-Commerce-RL auch Hultmark Ramberg, 26 E.L.Rev. 2001, 429, 449 f., hin. 424
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
in Richtung auf eine künftige schrittweise Angleichung der zivilrechtlichen Sanktionen – und damit ganzer Kernbereiche mitgliedstaatlichen Zivilrechts427 – symptomatisch. Das materielle Gemeinschaftsrecht, das mit der Frage „passender“ Sanktionen wegen der bisherigen Zurückhaltung in diesem Bereich nicht belastet ist, vermischt bei der Regelung der Pflichten in wenig übersichtlicher Weise die Phase nicht individualisierter Werbung und allgemeinen Marketings, die darauf folgende Phase individualisierter vorvertraglicher Kommunikation, schließlich die Phase des Vertragsschlusses und zuletzt auch die Phase nach dem Vertragsschluß stattfindender Kommunikation (bei der Lieferung und Abwicklung des Vertrags) in einem einheitlichen vertragsrechtlichen Kontinuum428 und verläßt sich bezüglich der jeweils angemessenen individuellen Sanktionierung in weiten Bereichen429 auf die angestammte Systematik und die etablierten Differenzierungen im Recht der Mitgliedstaaten430. Für das deutsche Recht ist damit jedenfalls die dringende Aufgabenstellung verbunden, die Dogmatik der Wechselwirkung lauterkeitsrechtlicher Pflichtverstöße mit den im Rahmen des vorvertraglichen Instrumentariums zum Schutz der freien rechtsgeschäftlichen Willensbildung und zum Schutz sonstiger Interessen der vorvertraglich in eine Sonderbeziehung eingetretenen prospektiven Vertragsparteien entwickelten Pflichtenprogrammen und Maßstäben des Zivilrechts, zumal des Pflichtenprogramms im vorvertraglichen Vertrauensschuldverhältnis, insgesamt dogmatisch sorgsam zu durchleuchten und gegebenenfalls fortzuentwickeln. 427 Vgl. in diese Richtung Leistner, Entwicklung des allgemeinen Gemeinschaftsprivatrechts, in: FS Schricker, S. 87 ff. 428 Der Begriff des „vertraglichen Kontinuums“ des Gemeinschaftsrechts findet sich mit Blick auf die Fernabsatz-Richtlinie bei Reich, EuZW 1997, 581, 582 und wird aufgegriffen für das Verbrauchervertragsrecht von Micklitz, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 189, 196 ff.; für das Verhältnis von Lauterkeitsrecht und Vertragsrecht Micklitz/Keßler, GRUR Int. 2002, 885, 890 f. 429 Nur die widerrufsakzessorischen (und teils auch darüber hinausgehende) Informationspflichten werden typischerweise mit der Inlaufsetzung der jeweiligen Widerrufsfrist verknüpft, s. Art. 6 Abs. 1 Fernabsatz-Richtlinie, Art. 6 Abs. 1 FernabsatzFinDL-Richtlinie sowie auch schon Art. 5 Abs. 1 Haustürgeschäfte-RL und dazu EuGH Rs. C-481/99, Slg. 2001, I-9945, Rz. 44 ff. – Heininger. S. dazu und insgesamt zu der Tendenz des EuGH, das auf diese Weise an der Schnittstelle zum Recht der Mitgliedstaaten entstehende „Vakuum“ aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes aus eigener Kraft auszugestalten, nunmehr auch die Entscheidung in Rs. C350/03, Slg. 2005, I-0000 (Schulte . /.Badenia), Rz. 100 ff. 430 Die deshalb bei der Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen und bei der Auslegung der angeglichenen Rechtsvorschriften für das deutsche Recht notwendige rechtsfolgenspezifische Analyse insbesondere der im Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenen Informationspflichten für besondere Vertriebsformen, wie sie sich für das deutsche Recht in den §§ 312 ff. BGB umgesetzt finden, wird noch unten 4. Kap. 3. Abschn. B I 2 b durchgeführt. Einzige europarechtliche Grenze der zulässigen Optionen bei der Sanktionierung ist der Effektivitätsgrundsatz, wie er in der Rechtsprechung des EuGH (s. insoweit kurz oben 1 d) entwickelt wurde; selbst dessen Anwendung kann aber die Frage der Gewährung individueller Ansprüche im Rahmen des Rechts der jeweiligen Mitgliedstaaten bereits äußerst nachhaltig beeinflussen. S. nur aktuell EuGH Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-0000 (Schulte . /.Badenia), Rz. 100 ff., sowie insoweit inhaltsgleich EuGH Rs. C-229/04, Slg. 2005, I-0000 (Crailsheimer Volksbank . /.Conrads u.a.), Rz. 48 f.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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Für das europäische Recht ist die vorstehend geschilderte, Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht mit einer zunehmend einheitlichen europäischen Verbraucherrechtskonzeption überwölbende Regelungstechnik im übrigen nicht allein den Eigenheiten der europäischen Rechtsangleichung durch Richtlinien geschuldet, die lediglich in ihrer Zielsetzung, nicht aber in der rechtstechnischen, systematischen Qualifizierung der einzelnen Pflichten verbindlich sind. Sie ist vielmehr Ausdruck und Teil eines größeren konzeptionellen Perspektivwechsels431: Im System des sekundären Gemeinschaftsrechts wird nämlich in den letzten Jahren die Orientierung auf den Schutz individueller Entscheidungsfreiheit im (und entsprechend dezentral „von unten“ wachsenden Vertrauens der Verbraucher in den) Binnenmarkt zusehends durch eine Orientierung am Systemvertrauen, dem (hinsichtlich der Erwartungshaltung sozusagen „von oben“ fingierten, vermeintlichen) Vertrauen der Verbraucher (confident consumer) in einen einheitlichen (die Werbung, das Marketing und schließlich die vorvertragliche Information möglichst weitgehend standardisierenden) Rahmen zwingenden Gemeinschaftsrechts für kommerzielle Kommunikation und Vertragsschluß in ganzen Marketing- und Vertriebsbereichen, ersetzt. Diese Entwicklung, auf die im folgenden noch etwas näher eingegangen werden soll – bevor am Beispiel der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie belegt wird, daß sie auch bereits den Bereich vertraglicher Inhaltskontrolle erreicht hat, wo sie zu unmittelbaren Überschneidungen des Vertragsrechts mit typisierten, lauterkeitsrechtlichen Maßstäben führt – ist nicht ohne inhärente Gefahren. Auch auf diese Gefahren wird in der Folge noch eindringlich hinzuweisen sein. d. Der konzeptionelle Perspektivwechsel: Orientierung am Systemvertrauen in einem einheitlichen institutionellen Rahmen für Kommerzielle Kommunikation und Vertragsschluß Der Trend zur Orientierung am Systemvertrauen, der die Grenzen konkret situationsbezogenen Verbraucherschutzes konzeptionell sprengt, läßt sich für das Gemeinschaftsrecht sowohl betreffend die schwerpunktmäßig lauterkeitsrechtlichen als auch betreffend die schwerpunktmäßig verbrauchervertragsrechtlichen Instrumente mittlerweile explizit belegen. Die dahinterstehende Zwecküberlegung der Kommission verbirgt sich in der Konzeption des confident consumer, dessen „Vertrauen in den Binnenmarkt“ es durch zwingende Harmonisierung des materiellen Rechts zu sichern gelte 432. Hier geht es nicht länger um konkret situationsbezogenen Verbraucherschutz, sondern vielmehr um die (abstrakte) Schaffung von Vertrauen in das rechtliche System des Binnenmarkts, die notwendig sein soll, um die Bereitschaft der Verbraucher zur 431 Auch im Vergleich zur einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs mit ihrem individuell-konkreten Informationsmodell, vgl. oben 1 b. 432 S. programmatisch das Grünbuch Verbraucherschutz 2001 (o. Fn. 201), S. 9.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
grenzüberschreitenden Nachfrage zu sichern. Die entsprechenden Minimalerwartungen des Verbrauchers an das materielle Recht – als Vorbedingung seiner Aktivierung als grenzüberschreitender Nachfrager – werden von der Kommission schlicht unterstellt433. Eine entsprechende Zweckrichtung mit Blick auf den Schutz des confident consumer findet sich explizit nicht nur in den Erwägungsgründen der neuen Lauterkeits-Richtlinie434, sondern auch in der vertriebsbezogenen FernabsatzFinDL-Richtlinie435, der E-Commerce-Richtlinie436 und insbesondere der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie437. Der Schutz des confident consumer durch Schaffung von Systemvertrauen in den Rahmen zwingenden Rechts im Binnenmarkt438 ist demnach eine das Lauterkeits- und Vertragsrecht übergreifende Konzeption. Dies muß aber, weil – statt den situationsbezogenen Einzelfall konkret zu thematisieren – ein abstrakter, zwingender Pflichtenrahmen für einen bestimmten Bereich geschaffen wird, notwendig mit einer Entindividualisierung und einer gegenüber dem konkret situationsbezogenen Verbraucherschutzrecht noch verstärkten Typisierung der Pflichtentatbestände einhergehen. In der Tat orientiert sich etwa die (allgemeine, weder vertriebs- noch branchenspezifische) LauterkeitsRichtlinie auch hinsichtlich der potentiell in den unmittelbar vorvertraglichen (individualisierten) Bereich reichenden Informationspflichten aus Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-Richtlinie an den Erwartungen des verständigen Durchschnittsverbrauchers439. Dem entspricht die weitgehende Standardisierung der vorvertraglichen Information durch den extensiven Rahmen als wesentlich fingierter (und damit im praktischen Ergebnis zwingender) Pflichtangaben im Falle einer „Aufforderung zum Kauf“440. Ganz ähnlich enthalten die FernabsatzRichtlinien und die E-Commerce-Richtlinie (ebenso wie im übrigen auch die
433 Genau zutreffend Roth, JZ 2001, 475, 481 unter Hinweis auf Weatherill, in: Micklitz (Hrsg.), Rechtseinheit oder Rechtsvielfalt in Europa?, 1996, S. 423 ff. 434 Erw.-Grd. 4 Lauterkeits-Richtlinie. 435 S. Erw.-Grd. 5 FernabsatzFinDL-Richtlinie. Bezeichnenderweise fehlte eine entsprechende explizite Formulierung in der Fernabsatz-Richtlinie noch, die daher insoweit mit dem Verweis auf Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt aus der Sicht der Anbieter zwar theoretisch auf sehr viel tragfähigerem Grund stand, ohne freilich mit einem Ansatz reiner Minimalharmonisierung praktisch wesentlich zur Beseitigung dieser Verzerrungen beitragen zu können. 436 Erw.-Grd. 7 E-Commerce-Richtlinie. 437 Erw.-Grd. 5 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. 438 S. zu den Gründen für die Entwicklung zwingenden Rechts zu einem regelrechten Strukturprinzip europäischen Verbrauchervertragsrechts Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771 ff.; inhaltlich ähnlich die „markige“ Kritik bei Canaris, AcP 200 (2000), 273, 364, der ebenfalls die Gefahr einer Ausdehnung zwingenden Rechts in immer weitere privatrechtliche Materien ohne konkrete Rechtfertigung betont. 439 Immerhin kann, in Anlehnung an die Buet-Entscheidung (o. Fn. 296) typisiert danach differenziert werden, ob eine Werbung sich an spezifisch verletzliche Verbrauchergruppen richtet, s. (systematisch etwas unglücklich verborgen) Art. 5 Abs. 3 Lauterkeits-Richtlinie. 440 Vgl. bei o. Fn. 407.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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branchenspezifischen Verbraucherschutz-Richtlinien441) jeweils einen ganzen Katalog von Pflichtangaben für die in ihnen behandelten besonderen Vertriebsformen; die vorgeschriebenen Informationspflichten wirken sich sowohl auf ganz allgemeine Werbemaßnahmen442 als auch auf die unmittelbare Phase der Vertragsanbahnung (die bereits mit vertragsschlußbezogener Werbung beginnt, also im europäischen Recht keine vorvertragliche Individualisierung voraussetzt)443 und schließlich auf den Ablauf des Vertragsschlusses selbst444 sowie auch auf die Zeit nach Vertragsschluß (insbesondere bei Erfüllung) 445 aus. Im Ergebnis wird so die allgemein werbliche und mehr noch die sogenannte vertragsbezogene Kommunikation in diesen sämtlichen Phasen in gar nicht geringem Umfang durch zwingendes Recht halbseitig (nämlich auf Seiten des Unternehmers) standardisiert446. Die vorvertragliche Individualisierung und der Vertragsschluß selbst – als vormals entscheidende Zäsuren – spielen in diesem durch zwingendes Recht standardisierten, einheitlichen Rahmen für kommerzielle Kommunikationen und gegebenenfalls darauffolgende Vertragsabschlüsse und -abwicklungen (jedenfalls mit Blick auf besondere Vertriebsformen, insbesondere den Internet-Handel) keine wesentliche Rolle mehr447. Dieser gesamte Pflichtenkosmos wird nun europarechtlich von der Kommission im wesentlichen – wie beschrieben – mit den Erwartungen des Verbrauchers an ein hohes Verbraucherschutzniveau im Binnenmarkt begründet, daß notwendig sei, damit das Vertrauen des Verbrauchers in den grenzüberschreitenden 441 S. insoweit Fleischer, ZEuP 2000, 772, 785 f. Viel beklagt wird in diesem Zusammenhang insbesondere die Intensität der Informationspflichten der Pauschalreise-Richtlinie, die eine ganze „Plethora von Pflichtangaben“ verlange, die eher Verwirrung stifteten, als Verständnis förderten (s. Fleischer, aaO., 787; Roth, JZ 1999, 529, 533); auch die Informationspflichten der Time-Sharing-Richtlinie dürften ein der Privatautonomie noch förderliches Maß bereits überschreiten (s. Fleischer, aaO.; Martinek, NJW 1997, 1393, 1396; Mäsch, EuZW 1995, 8, 11; vgl. auch schon oben 1. Kap. 1. Abschn. D IV zu den aufgrund kognitiver Überforderung des Verbrauchers durch ein „zuviel“ an Information drohenden adversen Effekten). Auch die Vorschriften des Art. 6 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie über Garantien gehören in diesen Zusammenhang, da sie bestimmte standardisierte Pflichtangaben festlegen, die in der Garantie enthalten sein müssen und insoweit ein eigenständiges Transparenzgebot normieren. 442 S. insoweit Art. 5 ff. E-Commerce-Richtlinie; Art. 4 Abs. 2 Fernabsatz-Richtlinie. 443 S. nur die extensiven Informationspflichten in Art. 4 Abs. 1 Fernabsatz-Richtlinie. 444 S. Art. 10, 11 E-Commerce-Richtlinie. 445 S. Art. 5 Fernabsatz-Richtlinie. 446 S. nur Fleischer, aaO., S. 786 ff. mwN. 447 Zutreffend Grundmann, NJW 2000, 14, 18. Letztlich entspricht die sinkende Bedeutung der vorvertraglichen Individualisierung im Recht in gewissem Umfang schlicht der wirtschaftlichen Realität insbesondere des Internet-Marketings und -vertriebs; die dort eingesetzten Werbeformen bieten in der Regel für den Nutzer – ohne daß es zuvor zu einer nennenswerten Individualisierung gekommen wäre – die unmittelbare Möglichkeit, direkten Kontakt mit dem Anbieter aufzunehmen bzw. verbindlich zu bestellen. So kommt es zu einem ständigen und unmittelbaren Wechsel zwischen an die Öffentlichkeit gerichteter Kommunikation und individueller Kontaktaufnahme; öffentliche und individuelle Kommunikation fließen auf diese Weise ineinander. S. schon Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 1 ff.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Fernabsatz wächst448. Dieses binnenmarktbezogene Begründungsmuster ist schon allgemein nicht frei von Zweifeln449, mit Blick auf den Fernabsatz aber im Ergebnis überhaupt nicht tragfähig450. Insbesondere ist zu bedenken, daß im weit überwiegenden Teil der regulierten Bereiche ohnehin (nach der zwingenden Anknüpfung gem. Art. 5 EVÜ im Verbraucherschutzrecht451) das Recht des Staates zur Anwendung kommt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat452; wenn überhaupt etwas das Vertrauen des Verbrauchers in die Verläßlichkeit des rechtlichen Rahmens des Binnenmarkts untergräbt, so ist es wohl weniger die Sorge um das Schutzniveau im materiellen Recht, sondern mehr der Zweifel, ob eine effektive grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung im europäischen Ausland möglich ist453. Das Argument des confident consumer trägt also in seiner binnenmarktbezogenen Ausprägungsform nicht, um den Trend zum Verbraucherschutz durch Stärkung des abstrakten Vertrauens des Verbrauchers in das System zwingenden Rechts im Binnenmarkt zu erklären454. Entkleidet man die Argumentation somit von der nicht tragfähigen, binnenmarktspezifischen Begründung, so ist es wohl eher ein wirtschaftstheoretisches Argument, welches den Trend zur Stärkung des abstrakten, auf das systembezogene Vertrauen konzentrierten Ansatzes erklärt. In den modernen, immer kom448
So Erw.-Grd. 3 der Fernabsatz-FinDL-Richtlinie fast wörtlich. S. statt vieler Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 131 ff.: „Stützradtheorie“ mit dem entscheidenden Unterschied, daß Lernprozesse gerade ausgeschaltet werden und das Stützrad selbst nach Erlernen des Fahrradfahrens erhalten bleibt. 450 Ebensowenig trägt im übrigen der Verweis auf das allgemeine Gebot, ein hohes Verbraucherschutzniveau anzustreben, in Art. 95 Abs. 3 EG und (dem in diesem Bereich ohnedies nicht direkt einschlägigen) Art. 153 Abs. 1 EG. Denn im Kontext des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Gesamtkonzepts der Gemeinschaft, wie es sich insbesondere auch in den Institutionszielen des Art. 4 EG und zumal den Grundfreiheiten verkörpert, beinhaltet die Zielvorgabe eines hohen Verbraucherschutzniveaus naturgemäß kein Gebot, stets das höchstmögliche Verbraucherschutzniveau anzustreben, sondern vielmehr lediglich ein Gebot, ein – am Ziel frei und informiert geschlossener Verträge orientiertes – optimales Verbraucherschutzsystem (welches insbesondere durch innere Schlüssigkeit gekennzeichnet ist, während im übrigen auch Spielraum für politische Wertentscheidungen besteht) zu erstreben. S. statt aller Drexl, in: Grundmann/Stuyck (eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103, 124 f. 451 Vgl. näher oben II 1 b (1) (b) und 2. 452 S. Art. 5 Abs. 2 EVÜ. und hierzu Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771, 779. Es bleiben für das Konzept des confident consumer eigentlich nur die Fälle des aktiven, in einen anderen Mitgliedstaat reisenden Verbrauchers, die aber für die Fortentwicklung des Binnenmarkts von weit weniger entscheidender wirtschaftlicher Bedeutung sein dürften als der Fernabsatz. Insbesondere mit Blick auf die Fernabsatz-Richtlinien und die E-Commerce-Richtlinie trägt das Argument demzufolge überhaupt nicht; denn in der typischen Vertriebssituation, die diese Richtlinien anvisieren, bleibt der Verbraucher in seinem Mitgliedstaat und bestellt grenzüberschreitend im Fernabsatz (insbesondere im Internet). Vgl. auch Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 132. 453 S. zum ganzen auch schon oben II 2. 454 Daher wurde hier auch bewußt nicht die Terminologie von Roth, JZ 2001, 475, 481 („binnenmarktbezogener Verbraucherschutz“) aufgegriffen, sondern vielmehr von „Systemvertrauen“ gesprochen, da es aus den genannten Gründen an einem entscheidenden Binnenmarktbezug an sich fehlt. Kritisch im Ergebnis auch Roth, aaO. 449
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
459
plexeren und insbesondere zunehmend anonymisierten Massenmärkten – zumal im Internet-Marketing und -vertrieb – wird das individuelle Vertrauen, welches von einem bestimmten Geschäftspartner hervorgerufen wird, immer mehr ersetzt durch Vertrauen in die Verläßlichkeit des rechtlichen Rahmens des Verkehrssystems. Die Person des Vertragspartners oder durch diesen konkret geschaffene Vertrauenstatbestände verlieren als Vertrauensfaktoren an Bedeutung gegenüber dem abstrakten Vertrauen, daß der rechtliche Rahmen für die typischen Verkehrsgeschäfte derart verläßlich sei, daß es auf den jeweiligen Vertragspartner und die individuelle Gestaltung des vorvertraglichen Kontakts und der Vertragsbedingungen letztlich gar nicht mehr entscheidend ankomme, solange sich der prospektive Vertragspartner nur pflichtgetreu verhalte. Es ist kein Zufall, daß derartige abstrakte Regelungsansätze gerade bei der Regulierung des europäischen Binnenmarkts verstärkt auftauchen, denn das diesbezügliche Schwergewicht auf der Förderung grenzüberschreitenden Verkehrs bringt gewissermaßen schon strukturell einen erhöhten Grad an Anonymisierung und Komplexität mit sich. Der Trend zum Verbraucherschutz durch Systemvertrauen ist demnach zwar nicht unmittelbar notwendig, um die Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts zu sichern (wie es das Modell vom confident consumer fälschlich suggeriert); er ist aber doch durch bestimmte strukturelle Eigenheiten des Binnenmarkts – seine im Vergleich zu rein nationalen Märkten größere Komplexität und Anonymität – gerade in diesem Bereich besonders bedingt und befördert worden. Dies erklärt den insgesamt zu beobachtenden Trend im europäischen Vertrags- und Lauterkeitsrecht zur Entindividualisierung von Pflichten, die insbesondere im Falle der Informationspflichten immer zunehmend als allgemeine Verkehrssicherungspflichten gestaltet sind. Soweit hier individuelle Rechte des Verbrauchers bestehen, dienen diese (im Einklang mit dem Durchsetzungskonzept des Gerichtshofs) weniger – nach Art subjektiver Rechte – dem unmittelbaren Schutz des Verbrauchers, sondern werden diesem vielmehr eingeräumt, um die effektive Durchsetzung des zwingenden rechtlichen Rahmens des Verkehrssystems selbst zu sichern. Der Verbraucher wird so zum Funktionsträger der Verkehrssicherheit im Binnenmarkt, von der er dann seinerseits wiederum (abstrakt) profitieren soll, da er in das solcherart abgesicherte Verkehrssystem einen höheren Grad an Systemvertrauen setzen kann. Der entscheidende Unterschied zum konkret-individuell und dezentral ausgerichteten System situationsbezogenen Verbraucherschutzes liegt darin, daß in der Konzeption der Kommission der abstrakte Verbraucherschutz durch Systemvertrauen nicht systemtheoretisch „von unten“ wächst, sondern gewissermaßen „von oben“ anhand dessen, was der europäische Gesetzgeber als „berechtigte Erwartungen“ des Verbrauchers fingiert, als zwingender Rahmen des Verkehrssystems ausgestaltet wird. Ein solcher Ansatz ist schon im allgemeinen notwendig fehleranfälliger als die dezentralen, sozusagen systemtheoretisch-verfahrensbezogenen Ansätze eines situationsbezogenen Verbraucherschutzes, der typischerweise erst auf die im
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Markt real aufscheinenden Gefährdungssituationen für den Vertragsschluß reagiert455; es droht schlicht ein proaktiver, letztlich kontraintentionaler Überschutz und daraus resultierend eine ungerechtfertigte Einschränkung des Angebots, sofern der Schutzbedarf des Verbrauchers im Verkehrssystem durch den Gesetzgeber überschätzt wird456. Spezifisch als Trend für die europäische Harmonisierung birgt der abstrakte Verbraucherschutz durch Stärkung des Systemvertrauens noch aus zwei weiteren Gründen – die ebenfalls schon angeklungen sind – zusätzliche Gefahr. Es ist dies zum einen die Tatsache, daß speziell die interne Kompetenzverteilung der Kommission457 gleichermaßen wie allgemein institutionenökonomisch begründbare Eigenheiten des politischen und administrativen Prozesses, einen übertriebenen Aktionismus im Bereich zwingenden europäischen Verbraucherschutzes eher befördern als hemmen. Hinzu kommt die stets nur teilweise erfolgende Harmonisierung der Sanktionen, die die Gefahr schafft, daß die – im Rahmen des Trends zum Systemvertrauen ihrem Rechtscharakter nach sehr häufig als auf das Verkehrssystem bezogene allgemeine Verkehrssicherungspflichten aufzufassenden – zwingenden Pflichten des europäischen Rechts im Recht der Mitgliedstaaten systemwidrig mit individualvertragsrechtlichen Sanktionen versehen werden. Verhindern läßt sich dies nur durch eine sorgsame rechtsfolgenspezifische Analyse dieser Pflichten, wie sie noch (unten 4. Kap. 3. Abschn. B I 2) für das deutsche Recht vorgenommen werden soll; dabei wird sich aber gerade an der Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie in § 312e BGB die Realisierung der vorgenannten Gefahr beispielhaft schon belegen lassen. Als Zwischenfazit ist festzuhalten, daß durch den Trend zum Schutz des Systemvertrauens (im Rahmen des letztlich schon aus internationalprivatrechtlichen 455 Dies läßt sich anhand praktisch sämtlicher situationsbezogener Verbraucherschutzinstrumente belegen. Stets war zuerst das Problem im Markt erkennbar, bevor die gesetzgeberische Reaktion erfolgte. S. lediglich beispielhaft die frühen Überlegungen bei Raiser, Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, zur Klauselproblematik oder auch die Ausführungen des Gerichtshofs in der Buet-Entscheidung (o. Fn. 296) zu den notorischen Verbraucherschutzproblemen bei Verkauf von Fernkursen bzw. Fernunterrichtsmaterial, die den einschlägigen französischen Verbotsgesetzen diesbezüglichen Haustürvertriebs vorausgingen. Zum Zusammenhang zeitlicher Komplementarität von Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht mit Blick auf neu aufscheinende Gefährdungssituationen, s. grundlegend schon oben 1. Kap. 3. Abschn. F III. 456 Notwendig wäre aus Sicht des Gesetzgebers, um diese Gefahr zu vermeiden, eine abstrakte Prognose über das benötigte Schutzausmaß; eine solche Prognose über das „richtige“ Ausmaß an Schutz zu treffen, ist aber nach der hier vertretenen Auffassung schon aus ökonomischen und auch rechtsphilosophischen Gründen nicht möglich. S. insoweit oben 1. Kap. 4. Abschn. Pkt. III. 457 Die Generaldirektion SANCO darf lediglich im Falle eines manifesten Verbraucherschutzbedürfnisses tätig werden, welches gerade dann angenommen wird, wenn einer der Mitgliedstaaten in einem bestimmten Bereich zwingendes Recht vorsieht. Das Aufrufen der kommissionsinternen Kompetenz im Verhältnis zur Generaldirektion Binnenmarkt setzt daher eine zwingende Regelung regelrecht strukturell voraus. Der Trend zu abstraktem Verbraucherschutz durch Vertrauen in ein durch zwingendes Recht standardisiertes Verkehrssystem wird also gestärkt. S. zum ganzen auch Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771, 775 f.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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Gründen nicht tragfähigen Konzepts vom confident consumer) für das europäische Recht die Gefahr eines übertriebenen Schutzes des Verbrauchers „vor sich selbst“ sowohl im Lauterkeits- als auch im Vertragsrecht droht. Dies gefährdet nicht nur geradezu das Binnenmarktziel, da eine nicht zu rechtfertigende Einschränkung des Angebots die Folge sein könnte, sondern erscheint auch unter marktstrukturellen Gesichtspunkten bedenklich, weil die Beschränkungen der Anbieter durch die Explosion von Informationspflichten im Gemeinschaftsrecht (und die Unsicherheit hinsichtlich der jeweiligen Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung in den einzelnen Mitgliedstaaten458) gerade kleine und mittlere Unternehmen ohne eine eigene juristische Infrastruktur überdurchschnittlich hart treffen und somit potentiell vom grenzüberschreitenden Angebot abhalten könnten459. Hinzu kommt, daß auf lange Sicht ein übertriebener Schutz durch zwingende Standards auch das Vertrauen der Verbraucher in das Rechtssystem des Binnenmarkts nicht stärken wird. Denn wenn das Rechtssystem einen derart übertriebenen Schutz bietet, wie ihn verständige Verbraucher gar nicht erwarten und wie sie ihn deshalb vernünftigerweise auch selbst nicht geltend machen würden, dann droht – selbst bei noch so großzügiger Absicherung der Verbraucherrechte durch über sie aufklärende Informationspflichten – die Gefahr, daß letztlich nur juristisch Kundige (oder querulatorisch veranlagte) Einzelverbraucher effektiv von ihren Rechten Gebrauch machen und letztlich auf Kosten der Masse der Verbraucher – die den Rahmen des zwingenden Rechts in einem solchen Falle ignoriert und schlicht durch einen individuellen „Interessenausgleich“ auf der Basis alltäglicher Vernunft durch Nichtgeltendmachung der Rechte ersetzt – windfall profits erzielen. Eine solche Entwicklung würde aber das Vertrauen der Masse der Verbraucher in das Rechtssystem des Binnenmarkts mehr schwächen als stärken. Eine derartige Situation, in der sich der rechtliche Rahmen des zwingenden Gemeinschaftsrechts nach der hier vertretenen Auffassung im Detail bereits erheblich über die Erwartung der Masse der Verbraucher hinausbewegt hat460, dürften insbesondere einzelne der Vorschriften der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie geschaffen haben. Diese Regeln lassen sich mit dem typisierten Ausgleich individueller Interessen der Vertragsparteien teils nicht mehr erklären, vielmehr wurden 458 Fatal erscheint in diesem Zusammenhang insbesondere die Kombination aus Minimalharmonisierung (wie in der Fernabsatz-Richtlinie) und potentiell drohenden individualvertragsrechtlichen Sanktionen (insbesondere die Verlängerung der Widerrufsfrist) für nicht dem Widerrufsrecht unmittelbar akzessorische Pflichten. Denn ein solches Regelungsmodell führt aus Sicht der Unternehmer dazu, daß letztlich ein in europäischen Auslandsmärkten erzielter Umsatz ohne eine vorherige aufwendige rechtsvergleichende Analyse nicht verläßlich verbucht werden kann, sondern vielmehr Rückstellungen zu bilden sind für etwaige spätere Ausübungen der Widerrufsrechte durch eine nicht abschätzbare Zahl von Verbrauchern. 459 Vgl. zur Situation kleiner und mittlerer Unternehmen im Binnenmarkt Ott/Schäfer, in: dies. (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen, S. 203, 212 ff. mwN auch zur diesbezüglichen Diskussion um ein europäisches Vertragsgesetzbuch. 460 Dies gilt wohl auch für einzelne der hier nicht eingehend behandelten branchenspezifischen Richtlinien mit ihren teils überbordenden Informationspflichten, s. schon o. Fn. 441.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
ersichtlich auf das Verkehrssystem bezogene (letztlich zum Teil sozusagen „lauterkeitsrechtliche“ bzw. „systemvertrauensorientierte“) Motive verfolgt, wobei sich die Richtlinie aus ökonomischer Sicht die funktionale Austauschbarkeit von lauterkeitsrechtlichen Informationspflichten und zwingender vertraglicher Gewährleistungshaftung zu Nutze macht461. Grundsätzlich ist dies als Regelungstechnik zu begrüßen, zumal wenn damit (was freilich im europäischen Recht nach derzeitigem Stand ebensowenig der Fall ist) eine Liberalisierung des Lauterkeitsrechts einhergeht462; doch schießt die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in Einzelfragen eben über die selbstgesetzten Ziele hinaus. Auch darauf ist in der Folge im Sinne eines Fallbeispiels für die Bedenklichkeit des hier angeführten Trends zumindest übersichtsartig einzugehen (s. unten e (3)); zuerst ist – mehr pragmatisch rechtsanwendungsorientiert – aufzuzeigen, welche Folgen eine Sicht der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie im Schnittfeld von Lauterkeits- und Vertragsrecht insbesondere für die dogmatische Einordnung und die Interpretation der Garantie- und Sachmängelbestimmungen der Richtlinie hat (s. in der Folge unten e (1) und (2)). e. Fallbeispiel: Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (1) Die Regelungen über Garantien (Art. 6) Zuerst sind kurz die Regelungen über Garantien in Art. 6 VerbrauchsgüterkaufRichtlinie zu betrachten. Diese Reihenfolge mag merkwürdig anmuten, stehen doch die zwingenden Vorschriften über die Gewährleistungshaftung im Verbrauchsgüterkauf ganz im Mittelpunkt der Richtlinie. Doch sind die in Art. 6 enthaltenen Vorschriften über Garantien aus zwei Gründen von besonderem Interesse für die hier behandelte Thematik. Zum einen bilden die dort enthaltenen Informationsregeln mit lauterkeitsrechtlichem Charakter einen klaren Beleg für die These von der wechselseitigen Grenzüberschreitung zwischen Lauterkeits- und Vertragsrecht in den einheitlichen verbraucherrechtlichen Instrumenten des Gemeinschaftsrechts; und zum anderen zeigt sich in Art. 6 mit Blick auf die Haftung für „einschlägige Werbung“ wie unter einem Brennglas in aller Klarheit das ursprüngliche Konzept der Kommission, welches – zu Beginn auch mit Blick auf die Gewährleistungshaftung, wo es aber in der Folge dogmatisch grundlegend verändert wurde – weniger einem individuell subjektiven Maßstab der Vertragsgemäßheit folgte, als vielmehr eher einem allgemein objektiven Maßstab des Schutzes verobjektivierter Verkehrserwartungen im Sinne einer Art Gefährdungshaftung für Information463. 461
S. grundlegend oben 1. Kap. 1. Abschn. D IV 4 b. S. zu dieser Forderung, die sich nach der hier vertretenen Auffassung unmittelbar aus der sachlichen Komplementarität von Teilen des Lauterkeits- und Vertragsrechts in ihrer marktbezogenen Wirkung sowie aus der Geltung des Grundsatzes vom Gleichlauf der Wertungen im Vertrags- und Lauterkeitsrecht ergibt, auch sogleich unten (2) (c). 463 Ursprünglich hatte die Kommission in ihrem Grünbuch über Verbrauchergarantien und 462
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
463
(a) Die Transparenz- und Informationspflichten nach Art. 6 Abs. 2 und 3 Verbrauchsgüterkauf-RL Die in Art. 6 Abs. 2 und 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie enthaltenen Pflichten für Garantien464, den Verbraucher über die Existenz seiner – von der Garantie unberührten – gesetzlichen Rechte zu informieren, den wesentlichen Inhalt der Garantie sowie für die Inanspruchnahme notwendige Informationen klar und verständlich (in einer oder mehreren Sprachen, die der jeweilige Mitgliedstaat, in dem das Verbrauchsgut in Verkehr gebracht wird, gem. Art. 6 Abs. 4 bestimmen kann465) dem Verbraucher mitzuteilen (Transparenzgebot) und diese gesamten Informationen schriftlich oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger dem Verbraucher zur Verfügung zu stellen, sind ihrem Rechtscharakter nach im wesentlichen466 als lauterkeitsrechtliche Informationspflichten, die einem primär auf Markttransparenz bezogenen Irreführungsschutz dienen, zu qualifizieren 467. Aus rechtsfolgenspezifischer Sicht ist daher in erster Linie eine Sanktionierung mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts im Recht der Mitgliedstaaten einschlägig468. DaKundendienst v. 15.11.1993, Dok. KOM (93) 509 endg., S. 109 f. den Sachmangel „fundamental objektiv“ anhand der „berechtigten Erwartungen des Verbrauchers“ definiert, wobei das Erfordernis der „Berechtigung“ das an sich subjektive Abstellen auf die Erwartungen des Verbrauchers in einen objektiven Maßstab unter umfassender Berücksichtigung sämtlicher vertrags- und marktbezogener Umstände verwandeln sollte. Von diesem ursprünglich im Kern objektiven Konzept war die Kommission dann in der Folge nach heftiger Kritik abgerückt und hat sich letztlich in Art. 2 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (in Anlehnung an das UN-Kaufrecht) für den subjektiven Grundsatz der Vertragsmäßigkeit entschieden. Von der ursprünglich beabsichtigen umfassenden und letztlich objektiven Einbeziehung von berechtigten Erwartungen aufgrund von Werbeangaben ist dann letztlich die Vermutung des Art. 2 Abs. 2 lit. d VerbrauchsgüterkaufRichtlinie mit dem Bezug auf die „vernünftigen“ Erwartungen des Verbrauchers geblieben, die wiederum auch anhand von öffentlichen Äußerungen des Herstellers und seiner Vertreter ermittelt werden können (s. dazu noch unten (2)). Vgl. zum Hintergrund des verfolgten Sachmängelkonzepts in der Entstehungsgeschichte der Richtlinie Jorden, Verbrauchergarantien, S. 90 f.; Lehmann, JZ 2000, 280, 283 f.; vgl. allgemein auch Grundmann/Bianca-Grundmann, Einl, Rz. 13 ff. und Schlechtriem, Gewährleistungsrecht, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 205, 207 ff. (aus der Perspektive des deutschen Rechts), jeweils mwN zur Entstehungsgeschichte der Richtlinie. 464 Zur teilweise uneinheitlichen Verwendung des Begriffs der Garantie in Art. 1 Abs. 2 lit. e) und Art. 6 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (welcher teils die Garantievereinbarung, teils aber auch lediglich die Willenserklärung des Herstellers bezeichnet), vgl. Jorden, Verbrauchergarantien, S. 549 mwN. 465 S. aber noch unten (2) (d) zu den Grenzen, die sich in diesem Zusammenhang aus dem Primärrecht ergeben. 466 S. zu den hinzu tretenden einzelnen Aspekten verbraucherrechtlichen Individualschutzes insbesondere mit Blick auf das Transparenzgebot sowie hinsichtlich der Information über die gesetzlichen Rechte noch sogleich im folgenden Text. 467 S. Erw.-Grd. 21 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. Zutreffend Alexander, S. 215; Jorden, Verbrauchergarantien, S. 549 (mit näheren Nachweisen auch aus den Vorarbeiten zur Richtlinie); für das deutsche Recht auch Erman-Grunewald, § 443, Rz. 1. Vgl. auch MüKo-Lorenz, § 477, Rz. 2. 468 Die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie selbst enthält in typischer europäischer Regelungstechnik insoweit keinerlei Harmonisierung der Sanktionen, bis auf die Klarstellung in Art. 6
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
rüber hinaus läßt sich ein individualschützender Gehalt insofern erkennen, als die Informationsgebote bezüglich der Existenz der gesetzlichen Rechte und betreffend die für die Inanspruchnahme der Garantie notwendigen Informationen sowie ihre Zurverfügungstellung in schriftlicher Form oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger, ersichtlich dem Zweck dienen sollen, eine effektive Rechtsverfolgung zu ermöglichen und insbesondere zu verhindern, daß im Falle einer Herstellergarantie (oder einer Garantie sonstiger nicht vertragsbeteiligter Dritter) der Verbraucher – in dem Glauben, er müsse sich an den Hersteller halten – seine gesetzlichen Mängelhaftungsrechte gegen den Verkäufer nicht rechtzeitig geltend macht. Nur insoweit kommen also auch individuelle Schadensersatzansprüche (wegen etwaiger Rechtsverfolgungskosten oder unterlassener Geltendmachung der gesetzlichen Mangelhaftungsansprüche) im Recht der Mitgliedstaaten in Betracht. Im übrigen ist der individuelle Verbraucher hinreichend dadurch geschützt, daß die eingeräumte Garantie gem. Art. 6 Abs. 5 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie trotz einer Verletzung der Abs. 2–4 wirksam bleibt, wobei zur Ermittlung des Garantieinhalts in einem derartigen Falle – soweit das Transparenzgebot des Art. 6 Abs. 2 Spiegelstrich 2 verletzt ist – in analoger Anwendung des Art. 5 KlauselRichtlinie der Grundsatz der verbraucherfreundlichsten Auslegung gilt469; weitergehende Schadensersatzansprüche des individuellen Verbrauchers kommen daher insoweit nicht in Betracht, da die Garantie gerade mit dem Inhalt wirksam bleibt, in den der Verbraucher sein Vertrauen setzen konnte470. (b) Die Haftung des Garantiegebers gemäß der Garantieerklärung und der einschlägigen Werbung Für das hier betrachtete Schnittfeld lauterkeitsrechtlichen und vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes noch ergiebiger ist die dogmatisch gänzlich neuartige Bestimmung in Art. 6 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, derzufolge die Garantie denjenigen, der sie anbietet, nicht nur zu den in der Garantieerklärung enthaltenen471, sondern auch zu den in der „einschlägigen Werbung“ angegebenen Abs. 5, daß eine Verletzung der Pflichten des Art. 6 Abs. 2–4 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie die Gültigkeit der Garantie nicht berührt. Für das deutsche Recht kommt insoweit eine Verbandsklage nach dem Unterlassungsklagegesetz (insoweit auch europäisch harmonisiert) sowie das wettbewerbsrechtliche Sanktionssystem unter dem Aspekt des Vorsprungs durch Rechtsbruch und des Irreführungsverbots in Betracht. 469 S. für die herrschende Meinung MüKo-Lorenz, § 477, Rz. 11 mwN. 470 Insbesondere kommt aus diesem Grund – entgegen der Auffassung des deutschen „Umsetzungsgesetzgebers“ und der herrschenden Meinung (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 247; MüKo-Lorenz, § 477, Rz. 13) – auch kein schadensersatzrechtlicher Anspruch auf Vertragsaufhebung (bezüglich des Kaufvertrags) wegen vorvertraglicher Verletzung der Informationspflichten über die Verkäufergarantie in Betracht, s. zutreffend nur Ehmann/Rust, JZ 1999, 853, 863 f.; Medicus, ZIP 1996, 1925, 1929. 471 S. für den Hintergrund dieses ersten Teils der Vorschrift des Art. 6 Abs.1 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, der aus Sicht des deutschen Rechts schlicht das Prinzip pacta sunt servanda für vereinbarte Garantien festzuschreiben scheint (so zutreffend Bamberger/Roth-Faust, § 443,
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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Bedingungen bindet. Der Garantiebegriff der Richtlinie ist dabei im Ausgangspunkt ein rechtsgeschäftlicher, es ist nur die vertragliche Garantie angesprochen472. Vor diesem konzeptionellen Hintergrund ist die doppelte Haftungsanordnung – für die Angaben in der Garantieerklärung einerseits und in der einschlägigen Werbung andererseits – als eine Vorgabe der Richtlinie an das nationale Recht dahingehend zu verstehen, daß – sofern nach den Regeln des nationalen Rechts eine vertragliche Garantie zustandegekommen ist473 – der Garantiegeber jedenfalls nach dem durch Auslegung entsprechend den Regeln des nationalen Rechts zu ermittelnden Inhalt der Garantieerklärung verpflichtet ist (Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL) und daß er zusätzlich – sofern nicht sämtliche einschlägige Werbeangaben nach dem im nationalen Recht verankerten Konzept des Zustandekommens und der Auslegung der vertraglichen Garantie ohnedies in den vertraglichen Inhalt der Garantie einbezogen sind – auch für die in der einschlägigen Werbung angegebenen Bedingungen auf Erfüllung haftet (Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 Verbrauchsgüterkauf-RL)474. Dabei tritt nach dem systematischen Konzept der Verbrauchsgüterkauf-RL die Haftung für Angaben in der einschlägigen Werbung selbständig neben die Haftung für den – nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen im nationalen Recht zu ermittelnden – vertraglichen Inhalt der Garantie 475, soweit das nationale Recht hierfür insofern einen sinnvollen Raum läßt, als nicht jegliche relevante Werbeangaben ohnedies bereits nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen in den Vertragsinhalt einbezogen sind476. Es ist mit anderen Worten – in entscheidender Abweichung vom grundsätzlich vorrangig subjektiven Fehlerbegriff der VerbrauchsgüRz. 1), seinen Ursprung jedoch in praktischen Schwierigkeiten der Durchsetzbarkeit von Garantieverpflichtungen (insbesondere im englischen Recht mit Blick auf die dort notwendige consideration hat), statt aller MüKo-Westermann, § 443, Rz. 2 mwN. Soweit schon für diesen ersten Teil der Vorschrift – die Bindung an den Garantievertrag gemäß der Garantieerklärung noch ohne Ansehung der einschlägigen Werbung – in der Literatur zum deutschen Recht (s. AnwKomm-Büdenbender, § 443, Rz. 3; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring-Büdenbender, § 8, Rz. 45) erwogen wird, hierbei handle es sich um eine gesetzliche Haftung quasi-vertraglicher Natur, entbehrt dies für das deutsche Recht der Grundlage und der Notwendigkeit und verkennt auch die zweigeteilte Systematik selbst der Richtlinie, welche unter einer Garantie gem. Art. 1 Abs. 2 lit. e grundsätzlich eine vertraglich eingegangene Verpflichtung versteht (s. insoweit zutreffend Grundmann/Bianca-Malinvaud, Art. 6, Rz. 1 ff.), während allein für die Haftung gemäß den Angaben der einschlägigen Werbung im Rahmen dieser Garantie der Rückgriff auf eine quasivertragliche Gefährdungshaftung für werbliche Information notwendig wird (s. dazu sogleich im folgenden Text). 472 S. Art. 1 lit. e Verbrauchsgüterkauf-RL. Aus der Literatur zutreffend statt aller Grundmann/Bianca-Luna Serrano, Art. 1, Rz. 20. 473 Denn die Regelungen über das Zustandekommen von Verträgen nach nationalem Recht bleiben von der Verbrauchsgüterkauf-RL unberührt, s. statt aller Grundmann/Bianca-Grundmann, Einl., Rz. 35; MüKo-Westermann, § 443, Rz. 2. 474 S. am deutlichsten Jorden, S. 526 f.; Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, § 5 III 2.12, Rz. 31. 475 S. insbesondere Lehmann, Der Betrieb 2002, 1090, 1093; ders./Dürrschmidt, GRUR 1997, 549, 553. 476 So zutreffend Jorden, S. 528 f.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
terkauf-Richtlinie mit Blick auf die gesetzliche Gewährleistungshaftung477 – an dieser Stelle kein Subsidiaritätsverhältnis in dem Sinne gegeben, daß eine ausdrücklich abweichende vertragliche Vereinbarung die Haftung für Angaben in der einschlägigen Werbung wiederum beschränken könnte 478. Der Richtliniengeber begründet das mit der Tatsache, daß zum Zeitpunkt des Kaufs die Garantiebedingungen der Garantieerklärung im einzelnen dem Käufer in aller Regel nicht bekannt sind, so daß er von einer relevanten Abweichung von den Angaben in der einschlägigen Werbung – aus der er zu diesem Zeitpunkt demnach allein seine Information bezieht – keine Kenntnis hat479. Ist nun die Werbung für die zusätzliche vertragliche Garantie in dem Sinne irreführend, daß sie aus der Sicht eines dem europäischen Leitbild des durchschnittlich informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers entsprechenden Verkehrsteilnehmers480 den Eindruck erweckt, in der vertraglichen Garantie seien Leistungen enthalten, die sie dann nach dem durch Auslegung zu bestimmenden Inhalt des letztlich (zumal im Falle der Herstellergarantie typischerweise später481) zustandekommenden selbständigen oder unselbständigen Garantievertrags gar nicht hat, so entstünde ein Schutzdefizit der Verbraucher (die u.a. aufgrund der Werbeangaben den Kaufvertrag ja bereits abgeschlossen hätten) gegenüber irreführender garantiebezogener Werbung, das die Richtlinie mit der Haftung für „einschlägige 477
S. sogleich unten (2) (a). S. am deutlichsten Lehmann, Der Betrieb 2002, 1090, 1093. 479 S. die Begründung zum Richtlinienvorschlag der Kommission, Dok. KOM (1995) 520 endg., zu Art. 8 Abs. 5 (S. 16). Vgl. auch schon das Grünbuch über Verbrauchergarantien und Kundendienst v. 15.11.1993, Dok. KOM (93) 509 endg., S. 99. Vgl. auch Jorden, S. 531 ff.; Alexander, S. 216 f. 480 Die Verbrauchsgüterkauf-RL trifft bezüglich des maßgeblichen Empfängerhorizonts keine ausdrückliche Regelung, doch ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Richtlinie (vgl. nur das Grünbuch über Verbrauchergarantien und Kundendienst v. 15.11.1993, Dok. KOM (93) 509 endg., S. 122 ff. zum inneren Zusammenhang mit dem gemeinschaftsrechtlichen Verbot irreführender Werbung im Garantiebereich und dem diesbezüglich erhofften Steuerungseffekt), aus Erw.-Grd. 21, der auf die Gefahr einer Irreführung durch Angaben über kommerzielle Garantien als Hintergrund der Regelung in Art. 6 Verbrauchsgüterkauf-RL verweist, sowie aus dem systematischen Umfeld der Richtlinie im acquis communautaire (im Grünbuch, aaO., S. 73 f., wird insoweit sogar ausdrücklich auf die Irreführungs-RL hingewiesen und betont, daß es an einer Sanktionierung irreführender Werbung durch private Verbraucherrechte fehle), daß nach der Konzeption des Gemeinschaftsrechts das insbesondere im Zusammenhang mit dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot entwickelte Leitbild des europäischen Durchschnittsverbrauchers für das Verständnis der „einschlägigen Werbung“ maßgeblich sein soll. S. zutreffend Lehmann/Dürrschmidt, GRUR 1997, 551, 554 (noch zum ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Kommission); Jorden, S. 533 ff. A.A. Alexander, S. 217: Auslegung der Werbeaussage wie eine Willenserklärung (so mittlerweile auch die hM zum deutschen Recht, vgl. näher unten (2)); vgl. eingehend zur Begründung der hier vertretenen Auffassung noch sogleich näher unten (2) (im Zusammenhang mit der entsprechenden Regelung bei der Gewährleistungshaftung, die aber entscheidend durch einen primär subjektiven Fehlerbegriff überformt wurde). 481 Insbesondere für die in diesem Zusammenhang problematischen Herstellergarantien kommt die Garantievereinbarung nach deutschem Recht in der Regel gem. § 151 S. 1 BGB auf Grundlage einer der Ware beigelegten Garantiekarte zustande, vgl. näher (und mit weiteren Konstruktionsvarianten des deutschen Rechts) unten 4. Kap. 3. Abschn. C I 2. 478
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Werbung“ ausgleichen will. Es geht mithin um den Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage der Verbraucher mit Blick auf den Kaufvertrag vor Verzerrungen durch irreführende garantiebezogene Werbung482. Die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie stellt in diesem Zusammenhang die innere Verbindung mit dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz ausdrücklich her; aus ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem gemeinschaftsrechtlichen Umfeld ergibt sich, daß es letztlich bei der Haftung für einschlägige Werbeangaben bezüglich Garantien neben dem Schutz des individuellen Verbrauchers vor irreführender Werbung zugleich auch um ein – institutionell auf das reibungsfreie Funktionieren des Binnenmarkts ausgerichtetes – Sanktionierungsinstrument gegen die Verwendung irreführender Angaben im Bereich kommerzieller Garantien geht483. Im System des europäischen Rechts ließe sich der resultierende verschuldensunabhängige Anspruch des Verbrauchers auf das sich aus dem Verständnis der einschlägigen Werbeangaben aus der Sicht eines leitbildartigen europäischen Durchschnittsverbrauchers ergebende Erfüllungsinteresse am ehesten als eine Art gesetzlich angeordneter Gefährdungshaftung für den Einsatz irreführender werblicher Information einordnen484. Daß die vom Gesetzgeber angeordnete Rechtsfolge insoweit gerade die (quasi)vertragliche Bindung des Herstellers ist, der Hersteller mithin auf das Erfüllungsinteresse haftet, steht dabei der im System des europäischen Rechts deliktischen Einordnung dieser gesetzlichen Gefährdungshaftung – die ja zumal von keinerlei vorvertraglicher Individualisierung und auch nicht von der ausdrücklichen oder konkludenten Einbeziehung der Werbeangaben in den Kaufvertrag oder die selbständige Garantievereinbarung abhängt – schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht entgegen, da die Gleichartigkeit einer in einer bestimmten Norm angeordneten Rechtsfolge mit der Rechtsfolge einer anderen Norm grundsätzlich keinen Rückschluß auf den 482 S. zur immer steigenden Relevanz des Konditionenwettbewerbs in diesem Bereich schon Schünemann, NJW 1988, 1943; Alexander, S. 207. 483 S. insbesondere Erw.-Grd. 21 Verbrauchsgüterkauf-RL sowie schon die Nachweise o. Fn. 480. 484 Zutreffend Alexander, S. 215 ff.; ähnlich Jorden, Verbrauchergarantien, S. 529 ff., insbes. 539 f. (die Richtlinie läßt für das nationale Recht die Frage, ob eine Erfüllungshaftung unmittelbar aus der Werbeangabe oder ob eine Schadensersatzhaftung des von den irreführenden Werbeangaben betroffenen Verbrauchers auf das Erfüllungsinteresse im Wege der Naturalrestitution angeordnet ist, offen); Lehmann/Dürrschmidt, GRUR 1997, 549, 553 (noch zum ursprünglichen Richtlinienvorschlag: schadensersatzrechtliche Lösung); anders aber Lehmann, Der Betrieb 2002, 1090, 1093 bezüglich der neuen Regelung in § 443 BGB: einseitig verpflichtendes Rechtsgeschäft (vgl. demgegenüber zur zutreffenden – und von der dogmatischen Konzeption der Verbrauchsgüterkauf-RL strikt zu trennenden – dogmatischen Einordnung des § 443 Abs. 1 BGB als zwingende Auslegungsregel noch eingehend unten 4. Kap. 3. Abschn. C II 1). A.A. Ehmann/ Rust, JZ 1999, 853, 863, die die Erfüllungshaftung nach Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 VerbrauchsgüterkaufRL mit einer „Straffunktion“ gegenüber dem arglistig handelnden Garantieverwender begründen und sie im systematischen Kontext des alten § 463 S. 2 BGB einordnen; dagegen wiederum zutreffend Alexander, S. 217 f. mit dem Hinweis, daß die Haftung nach Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 Verbrauchsgüterkauf-RL verschuldensunabhängig eintritt und der zutreffend gezogenen Parallele zum alten § 13a UWG.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Geltungsgrund der jeweils betrachteten Norm zuläßt485; die Anordnung gerade der Erfüllungshaftung ist unter dieser Perspektive im europäischen Recht entsprechend dem gerade erwähnten marktordnungsbezogenen Aspekt der Vorschrift letztlich als eine institutionell motivierte Regelungstechnik aufzufassen, die durch ihre intuitive Anknüpfung an die Verbrauchererwartung bezüglich der Garantie (statt der weitaus komplexeren Anknüpfung an einen etwa entstehenden und hinsichtlich der Kausalität nur schwierig zu belegenden Vertrauensschaden bezüglich des Kaufvertrags) im Interesse der Praktikabilität und der effektiven Geltendmachung des Anspruchs durch individuelle Verbraucher die Haftung auf das Erfüllungsinteresse anordnet486. Mit reinem Individualschutz des Verbrauchers – für den der Ersatz des durch den Abschluß des Kaufvertrags auf fehlerhafter informationeller Grundlage entstandene Vertrauensschaden grundsätzlich genügen würde – läßt sich eine solche Regelungstechnik nicht länger erklären; vielmehr geht es dem Gemeinschaftsgesetzgeber – im Kontext des acquis nur konsequent, wenn auch hinsichtlich der konzeptionellen Grundlagen nicht unproblematisch487 – offenbar zum Teil auch um einen sozusagen überindividuellen, institutionell-systembezogenen Verbraucherschutz durch effektive Absicherung des institutionellen Rahmens des Verkehrssystems (in diesem Falle vor irreführender garantiebezogener Werbung im Vorfeld des Abschlusses von Verbraucherkaufverträgen), wofür dann wiederum Verbraucheransprüche eingeräumt werden. Diese Ansprüche sind demnach nicht rein individualschützend, sondern vielmehr so ausgestaltet, daß sie möglichst effektiv geltend gemacht werden, was dann das in Frage stehende Wettbewerbsverhalten der Unternehmer nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers sozusagen ergänzend auf indirektem Wege „steuern“ soll; der individuelle Verbraucher wird auf diesem Wege 485 Grundlegend Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 53 f., der darauf hinweist, daß dieselbe Rechtsfolge, die für ein bestimmtes Prinzip charakteristisch ist, auch an ein anderes Prinzip geknüpft sein kann. Zutreffend mit Blick auf die neue Garantievorschrift des § 443 BGB, die in Umsetzung der Richtlinie erlassen wurde, auch MüKo-Westermann, § 443, Rz. 2, der auf die „Herkunft [des § 443] aus einem systematisch andersartigen Rahmen“ hinweist, was zu einer Sonderstellung des § 443 BGB im Schuldrecht führe, „die sich dann aber wegen der strikten Bindung der eingegangenen Verpflichtungen an den jeweiligen Vertragsinhalt kaum zu einem Fremdkörper im System des BGB auswachsen kann“. Dem ist allenfalls einschränkend hinzuzufügen, daß eine Norm, die den Inhalt der Erfüllungsverpflichtung ausnahmslos auch an die einschlägige Werbung bindet, selbst wenn sie methodisch noch so sauber diese Verpflichtung in den Rahmen einer vertraglichen Haftung fügt, doch zu einer Entindividualisierung des Äquivalenzbegriffs und damit zu einer schleichenden Objektivierung des Schuldrechts führt. 486 S. im Ansatz zutreffend Ehmann/Rust, JZ 1999, 853, 863, die dann aber in der Folge fälschlich insoweit auf einen (zu subjektiv am Verhalten des Unternehmers ausgerichteten und den verschuldensunabhängig institutionellen Charakter der Regelung verkennenden und damit letztlich zur dogmatischen Erklärung der Norm zu eng gefaßten) punitive damages-Gedanken abstellen, die Norm insofern konsequent im Kontext der Arglisthaftung des alten deutschen § 463 S. 2 BGB einordnen, dabei aber ihren verschuldensunabhängigen Charakter wohl übersehen bzw. jedenfalls im Rahmen einer solchen dogmatischen Zuordnung nicht zu erklären vermögen, vgl. insoweit auch schon o. Fn. 484. 487 Vgl. schon oben d und noch unten (3).
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zum Organ der institutionellen Durchsetzung des Rahmens des Verkehrssystems. Neben diesen damit nach der hier vertretenen Auffassung im europäischen Recht als gesetzliche Gefährdungshaftung mit grundsätzlich sonderdeliktsrechtlichem Charakter einzuordnenden Anspruch des Verbrauchers tritt dann nach Art. 6 Abs. 1 Alt. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL der hiervon vollkommen unberührte vertragliche Anspruch, in den die gesetzliche Haftung sozusagen mit eingebettet wird, so daß im Ergebnis (sofern etwa der Inhalt der vertraglichen Garantievereinbarung auch einmal positiv von den Werbeangaben abweicht) in Anwendung einer Art „Rosinentheorie“ der Garantiegeber dem Verbraucher nach der Vorgabe des europäischen Rechts gemäß den jeweils verbrauchergünstigsten Garantiebedingungen nach der einschlägigen Werbung bzw. nach dem tatsächlich zustandegekommenen Garantievertrag haften muß488. Entsprechend dem Rahmencharakter der Verbrauchsgüterkauf-RL bleibt dabei die Umsetzung dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe – kumulative Haftung nach dem Vertragsinhalt und dem aus der Sicht des europäischen Durchschnittsverbrauchers ermittelten Inhalt der einschlägigen Werbung – aber naturgemäß in vollem Umfang den nationalen Gesetzgebern überlassen489. Unter dieser Perspektive bestand in den europäischen Mitgliedstaaten mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL ein relevanter Umsetzungsbedarf genau dann, wenn in deren nationaler Rechtsordnung490 nicht ohnedies bereits gewährleistet war, daß die (vertragliche) Garantievereinbarung nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen mit dem kumulativ verbraucherfreundlichsten Inhalt von Garantieerklärung und einschlägigen Werbeangaben zustandekam491. Aus der Tatsache, daß das deutsche Recht mit Blick auf die Einbeziehung sämtlicher einschlägiger Werbeangaben – selbst wenn diese in keiner Weise (nicht einmal stillschweigend) zum Gegenstand der konkreten Vertragsverhandlungen gemacht worden waren492 – dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe jedenfalls nicht uneingeschränkt entsprach, wurde dann gelegentlich der Schluß gezogen, da somit die vertragliche Konstruktion des deutschen Rechts – mithin der in der Richtliniensystematik Art. 6 Abs. 1 488 Für das europäische Recht zutreffend Jorden, S. 529 ff.; Alexander, S. 216 f. Die „Rosinentheorie“ entspricht auch der mittlerweile ganz herrschenden Meinung im deutschen Recht zu § 443 BGB, vgl. noch unten 4. Kap. 3. Abschn. C I 2. 489 Vgl. mit einem rechtsvergleichenden Überblick des Umsetzungsstandes der Haftung des Verkäufers für Werbeaussagen in den Mitgliedstaaten (mit besonderem Augenmerk auf das österreichische und deutsche Recht) die Wiener Dissertation von Augenhofer, Gewährleistung und Werbung, S. 75 ff. 490 Dies jedenfalls soweit diese – wie das deutsche Recht – selbständige oder unselbständige Garantien i.S.d. Verbrauchsgüterkauf-RL zunächst einmal grundsätzlich sämtlich als vertragliche Vereinbarungen qualifizierte. 491 S. für den insoweit zutreffenden Ausgangspunkt der Analyse statt aller Jorden, S. 540. 492 Die diesbezügliche Judikatur hatte sich im alten deutschen Recht vorrangig im Rahmen der Konstruktion konkludenter Zusicherungen von Eigenschaften entwickelt, s. an dieser Stelle statt aller nur Jorden, S. 153 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung und Literatur zum alten Recht.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
Alt. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL zuzuordnende Bereich nationalen Rechts – hinter der diesbezüglichen Vorgabe der Richtlinie bezüglich der Haftung für einschlägige Werbeangaben zurückbleibe, sei das deutsche Recht demnach durch eine verschuldensunabhängige, auf das Erfüllungsinteresse gerichtete gesetzliche Haftung – nach dem Vorbild der systematischen Konstruktion des Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 Verbrauchsgüterkauf-RL – zu ergänzen493. Dieser Rückschluß war allerdings nie zwingend494, da angesichts der fehlenden Bindungskraft der VerbrauchsgüterkaufRL hinsichtlich der systematischen Konzeption der gewählten Umsetzungstechnik495 stets auch eine sozusagen rein „rechtsgeschäftliche“ Lösung dahingehend in Betracht kam, schlicht die Auslegungsregeln für diesen spezifischen Bereich durch eine zwingende typisierte Auslegungsregel dahingehend zu ergänzen, daß eine einmal zustandegekommene Garantievereinbarung den Garanten stets – und unabhängig vom konkreten Inhalt der später seitens des Verbrauchers zur Kenntnis genommenen und angenommenen Garantieerklärung sowie insbesondere von einer Inbezugnahme im Rahmen der konkreten Vertragsverhandlungen – jedenfalls auch nach den einschlägigen Werbeangaben binden müsse496. Eben diese „vertragliche“ Umsetzungsvariante hat der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsreform – auch über den Verbraucherschutzbereich hinaus – gewählt. Dies ist unten zum deutschen Recht497 näher darzustellen, wobei noch zu prüfen sein wird, ob die dementsprechend rein rechtsgeschäftlich als zwingende Auslegungsregel einzuordnende Umsetzungsvorschrift in § 443 Abs. 1 BGB insbesondere der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen „Rosinentheorie“, derzufolge die – dem Abschluß des Kaufvertrags insbesondere im Falle der Herstellergarantien typischerweise nachfolgende – konkrete Kenntnisnahme des Käufers von den in der Garantieerklärung enthaltenen Einschränkungen noch vor bzw. bei Abschluß des Garantievertrags die Haftung für darüber hinausreichende Werbeangaben unberührt lassen muß, hinreichend genügt. 493 So deutlich insbesondere Jorden, S. 542 ff.; ähnlich Lehmann/Dürrschmidt, GRUR 1997, 549, 555 f. (Schadensersatzhaftung auf das Erfüllungsinteresse); Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1414; vgl. auch Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1812 ff. Wohl auch Alexander, S. 217 f. 494 Daher bringen auch Ernst/Gsell, aaO., 1414, zu Recht das zusätzliche rechtsdogmatische Argument, zur Vermeidung gekünstelter Konstruktionen sei anzuerkennen, daß zur Begründung einer Garantieverpflichtung nach der Verbrauchsgüterkauf-RL die einseitige Bekanntmachung des Inhalts der Garantie durch Werbung genüge. Letztlich hat sich dieses Argument im Rahmen der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-RL nicht durchgesetzt. 495 Vgl. nur allgemein Oppermann, Europarecht, § 18, Rz. 35 ff. (S. 386 f.). 496 Ähnlich MüKo-Westermann, § 443, Rz. 7: „durch die Richtlinie … nicht gefordert“. Soweit Westermann, aaO., weiter betont, die Verbrauchsgüterkauf-RL selbst gehe von vertraglicher Begründung aus, ist das zwar hinsichtlich des Zustandekommens der Garantie zutreffend, nicht jedoch hinsichtlich der inhaltlichen „Aufladung“ der einmal zustandegekommenen Garantie mit den Angaben aus der voraufgegangenen Werbung, selbst wenn diese nach den – von der Richtlinie unberührten – Auslegungsmaßstäben des nationalen Rechts gerade nicht einbezogen wären. S. schon oben im Text sowie für eine nähere Diskussion der deutschen Umsetzungsvorschrift des § 443 BGB noch unten 4. Kap. 3. Abschn. C I 2. 497 S. unten 4. Kap. 3. Abschn. C I 2.
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Für das System des Gemeinschaftsrechts ist festzuhalten, daß die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie – im Kontext des acquis communautaire betrachtet – in Art. 6 Abs. 1 Var. 2 eine Art gesetzliche „Gefährdungshaftung“ für den Einsatz werblicher Informationen einführt, die durch Anordnung einer quasivertraglichen Bindung des Garantiegebers an den vom Horizont des europäischen Durchschnittsverbrauchers normativ verobjektiviert beurteilten498 Inhalt der Werbung sanktioniert wird499 und die neben ihrer individualschützenden Zielrichtung zugleich vom Gemeinschaftsgesetzgeber bewußt – durch Anordnung der Erfüllungshaftung – eine eigenständige, auf die indirekte Steuerung des Wettbewerbs gerichtete, institutionelle Systemfunktion zugewiesen bekommen hat. Eine Reindividualisierung des vor diesem Hintergrund zu begreifenden normativ („wettbewerbsrechtlich“) verobjektivierten Haftungsmaßstabs des europäischen Durchschnittsverbrauchers mit Blick auf den Empfängerhorizont des von garantiebezogenen Werbeangaben individuell betroffenen Verbrauchers (der ja beispielsweise auch über Spezialwissen verfügen könnte, welches ihn bestimmte mißverständliche Werbeangaben richtig auffassen läßt) und den von ihm konkret geschlossenen Vertrag kommt nach der Konzeption der Verbrauchsgüterkauf-RL – über die angestammte Möglichkeit der Berücksichtigung der gezielten Ansprache bestimmter Verbrauchergruppen in der Werbung hinaus – deshalb gerade nicht in Betracht 500. Dies ist auch insofern von hohem Interesse, weil exakt dasselbe entindividualisierte („verobjektivierend-wettbewerbsrechtliche“, sozusagen marktordnungsbezogene) Konzept ursprünglich auch dem Kernstück der Richtlinie – der Regelung der Vertragsgemäßheit – zugrundelag501, bevor diese – nach heftigem Widerstand der Mitgliedstaaten – im Sinne einer zumindest nominell grundsätzlich subjektiven Ausgestaltung des Fehlerbegriffs wieder mehr an die angestammten Vertragsrechtssysteme (und auch das Konzept des UN-Kaufrechts502) angenähert wurde; 498 Die eindeutige Zuordnung der Vorschrift in den Bereich des Irreführungsschutzes durch den Richtliniengeber (s. nur Erw.-Grd. 21), läßt allein den Schluß zu, daß auch insoweit der Irreführungsmaßstab des europäischen Durchschnittsverbrauchers Geltung erlangen sollte. S. kurz auch schon o. Fn. 480 sowie eingehend sogleich unten (2). 499 S. schon o. Fn. 480. 500 Zumindest für den Fall einer individuellen Aufklärung des Kunden schon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezüglich des Kaufvertrags (und damit rechtzeitig um die garantietypische Schutzlücke insbesondere bei Herstellergarantien zu vermeiden) will Jorden, S. 537, angesichts des in einem derartigen Falle evident fehlenden Schutzbedürfnisses des ausdrücklich aufgeklärten Kunden daher schon für das europäische Recht mit dem venire contra factum proprium-Einwand gegen dessen späteres Erfüllungsverlangen aushelfen, den sie als einen Teil des Prinzips von Treu und Glauben in den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts verankert sieht. Für das deutsche Recht entsteht das Problem nach der hier vertretenen Auffassung nicht, da insoweit eine „rechtsgeschäftliche“ Umsetzungslösung gewählt wurde, die es gestattet, den in diesem Falle geschlossenen Garantievertrag von vornherein dahingehend auszulegen, daß lediglich die Garantie in dem ausdrücklich besprochenen Umfang vereinbart worden ist. Vgl. auch unten 4. Kap. 3. Abschn. C I 2. 501 S. o. Fn. 463. 502 Vgl. zu den Entlehnungen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie beim Konzept des UNKaufrechts statt aller Grundmann, AcP 202 (2002), 40 ff.; die verbleibenden Unterschiede – ins-
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dies wird die Untersuchung bei der nun folgenden Betrachtung der Sachmängelvorschriften der Richtlinie noch zu beschäftigen haben, da entsprechende Anklänge an „verobjektivierend-wettbewerbsrechtlich“ entindividualisierte Maßstäbe insbesondere mit Blick auf die hier im Mittelpunkt des Interesses stehende vertragliche Haftung für Werbeangaben trotz des nunmehr grundsätzlich subjektiv ausgerichteten Konzepts der Vertragsgemäßheit durchaus noch vorhanden sind. (2) Der Gewährleistungstatbestand (insbesondere die Haftung für Werbeangaben Art. 2 Abs. 2 lit. d Var. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie) (a) Der (subjektive) Maßstab der Vertragsmäßigkeit Nunmehr bestimmt Art. 2 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie im Rahmen eines grundsätzlich vorrangig subjektiven Fehlerbegriffs, daß der Verkäufer verpflichtet ist, dem Verbraucher dem Kaufvertrag gemäße Güter zu liefern 503. besondere mit Blick auf die für das hier behandelte Thema entscheidende Haftung für Werbeangaben, wie sie in der Richtlinie festgeschrieben wird – betont Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 127 ff. 503 So die zutreffende herrschende Meinung, die den gesamten Art. 2 VerbrauchsgüterkaufRichtlinie als Verkörperung eines konzeptionell subjektiven (oder allenfalls subjektiv-objektiven) Fehlerbegriffs betrachtet, jedenfalls aber im Ergebnis (mit Differenzierungen im einzelnen) davon ausgeht, daß die subjektive Parteiabrede vorrangig, der verobjektivierende Maßstab der üblichen Beschaffenheit und Verwendbarkeit (wie er sich in den Vermutungsregeln des Art. 2 Abs. 2 lit. a, c und d widerspiegelt) demgegenüber nachrangig ist, s. nur Gsell, JZ 2001, 65; Grundmann/Bianca-Grundmann, Art. 2, Rz. 8 ff.; MüKo-Lorenz, Vor § 474 ff., Rz. 9, jeweils mwN. Daraus ergibt sich zugleich, daß die deutsche Umsetzung in § 434 BGB, die dieses Subsidiaritätsverhältnis („…sonst…“) auch ausdrücklich formuliert, im Ergebnis mit der Richtlinie übereinstimmt, da es auch nach der Richtlinie im Falle einer vorrangigen spezifischen Beschaffenheits- oder Verwendbarkeitsvereinbarung, die von der üblichen Beschaffenheit oder Verwendbarkeit abweicht, für die Frage, ob neben dieser Vereinbarung der Eignung zu einem bestimmten Zweck oder einer bestimmten Beschaffenheit auch die „Eignung zur üblichen Nutzung und die Einhaltung des üblichen Standards“ umfaßt sein soll, in erster Linie auf die Auslegung der vorrangigen Beschaffenheits- oder Zweckvereinbarung ankommt (die dann im Regelfall durchaus ergeben mag, daß die übliche Verwendbarkeit mit umfaßt ist). S. ausdrücklich in diese Richtung auch Erw.-Grd. 8 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie („Die in der Vermutung genannten Elemente gelten kumulativ. Ist ein bestimmtes Element aufgrund der Umstände des Falls offenkundig unanwendbar, so behalten die übrigen Elemente der Vermutung dennoch ihre Gültigkeit.“, Hervorh. d. Verf.) und Art. 2 Abs. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, denenzufolge die (objektiv zu bestimmende) Vermutung bezüglich der üblichen Beschaffenheit oder Verwendbarkeit bei grundsätzlich bestehender Möglichkeit, Zweck- oder Beschaffenheitsvereinbarungen zu treffen, die hinter den üblichen Standards zurückbleiben (s. ja auch eindeutig der vorrangige Art. 2 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie) oder eben auch einzelne Elemente der Vermutung ausschließen, nur subsidiär greift. Demgegenüber geht eine Minderansicht unter Betonung lediglich des vorletzten Satzes von Erw.-Grd. 8 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, demzufolge die Elemente der Vermutung grundsätzlich kumulativ gelten (was sich aber unter Berücksichtigung des insoweit einschränkenden letzten Satzes des Erwägungsgrundes auch mit einer Art Regelauslegung vorrangiger Zweckvereinbarungen erklären läßt, von der eben abgewichen werden darf, sofern die Umstände des Falles – mithin in diesem Fall die Auslegung der
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Sofern und soweit eine vorrangige Parteiabrede fehlt, kommt entscheidende Bedeutung der Vermutung der Vertragsgemäßheit gem. Art. 2 Abs. 2 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zu, wobei die einzelnen Elemente der Vermutung – mit Ausnahme der Zweckabrede in lit. b – sämtlich einem objektiven Maßstab folgen. Ob man in diesem Ansatz der Richtlinie – aus der Sicht des deutschen Rechts – eine Grundsatzentscheidung für einen subjektiven 504, einen subjektiv-objektiven505 oder gar für einen gänzlich verobjektivierten506 Fehlermaßstab (der dann wiederum der nach der Konzeption des Gemeinschaftsrechts nurmehr quasivertraglichen, gesetzlichen Gefährdungshaftung für werbliche Information wie im Bereich der Garantien nahestände507) sieht, kann für die hier angestellte Untersuchung der Schnittstelle von Lauterkeits- und Vertragsrecht einstweilen sogar offen bleiben 508. Zweckvereinbarung – dies offenkundig gebieten), davon aus, daß die VerbrauchsgüterkaufRichtlinie einen objektiven Fehlerbegriff festlege, so daß § 434 BGB richtlinienwidrig sei (so Pfeiffer, ZGS 2002, 94 f.; mit schwerpunktmäßigem Bezug auf die Richtlinie auch Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 126 ff.) oder doch zumindest der richtlinienkonformen Auslegung bedürfe (so Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 49, wobei sich das von diesem angestrebte zutreffende Ergebnis einer Vorrangigkeit der Auslegung der Parteivereinbarung mit Blick auf die Frage, ob auch die übliche Verwendbarkeit und Beschaffenheit in den Vertrag einbezogen sein soll, wohl auch ohne das methodische Mittel der richtlinienkonformen Auslegung schon aus der schlichten Auslegung des § 434 BGB ergibt). Wenngleich dieser Minderansicht mit Blick auf den grundlegenden konzeptionellen Wandel vom objektiven Mangelbegriff noch des Grünbuchs hin zum grundsätzlich subjektiven Maßstab der Vertragsmäßigkeit nach der Richtlinie nicht zuzustimmen sein dürfte (vgl. zu dieser Entwicklung zutreffend Jorden, Verbrauchergarantien, S. 85 ff.), so ist doch mindestens der Hinweis auf die (ja auch schon in der grundsätzlichen, wenngleich eben nach richtiger Auffassung parteidispositiven Kumulierung sämtlicher Elemente der Vermutung des Art. 2 Abs. 2 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie einschließlich der üblichen Beschaffenheit und Verwendbarkeit liegende) tendenzielle Verobjektivierung (und Entindividualisierung) des Mangelbegriffs durch die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (etwa bei Hassemer, aaO.; Jorden, aaO.; Lehmann, JZ 2000, 280, 282 ff.) zutreffend. 504 So insbesondere Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 120 f. mwN; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233. 505 Vgl. MüKo-Westermann, § 443, Rz. 1 mwN; ähnlich ders., NJW 2002, 241, 243 ff. mwN. 506 So Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 126 ff. 507 So wohl Alexander, S. 201 f., bezüglich der Haftung des Veräußerers für Herstellerangaben und andere Drittwerbung. 508 Auf Gemeinschaftsebene läßt sich eine derartige Qualifizierung ohnedies nicht sinnvoll vornehmen. Vielmehr läßt die Richtlinie den Mitgliedstaaten schlicht die Wahl, ob sie die – in Ermangelung einer vorrangigen Parteiabrede – durch die Vermutungselemente des Abs. 2 vorgeschriebene Verobjektivierung des Fehlerbegriffs (s. schon o. Fn. 503 aE) im Rahmen einer entsprechend „objektiv aufgeladenen“, mithin typisierten (und dadurch entindividualisierten) konkludenten Parteiabrede (und damit nominell subjektiv) oder aber schlicht als eine objektive, letztlich gesetzlich angeordnete quasivertragliche Haftung umsetzen, sofern das mitgliedstaatliche Konzept der Vertragsgemäßheit eine derartige Verobjektivierung nicht gestattet (vgl. auch ausdrücklich Erw.-Grd. 7 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie). Daher ist auch bezüglich der deutschen Umsetzung jedenfalls der Richtlinie (die selbst einem objektiv aufgeladenen Konzept subjektiver Vertragsmäßigkeit folgt) keine zwingende Vorgabe an die Mitgliedstaaten, bei der Umsetzung im Sinne eines rein subjektiven, subjektiv-objektiven oder sogar gänzlich objektiven Fehlerbegriffs vorzugehen, zu entnehmen. Insofern ist die deutsche Umsetzung, die im Ergebnis trotz der hierarchischen Abstufung der einzelnen Elemente des Mängelbegriffs inhaltlich der Richtlinie entspricht, richtliniengemäß, ohne insoweit das methodische Mittel der richtlinien-
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Jedenfalls steht fest, daß die – im übrigen auch bezeichnenderweise im UN-Kaufrecht nicht enthaltene509 – für die hier angestellte Untersuchung im Vordergrund des Interesses stehende Anknüpfung der üblichen Beschaffenheit510 der Kaufsache unter anderem511 auch an in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachte öffentliche Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder dessen Vertreters über die konkreten Eigenschaften des Gutes einen nicht individuellen, sondern vielmehr an der massenhaften Verkehrserwartung ausgerichteten (und dadurch „typisierten“512, „verobjektivierten“513, mit einer „starken objektiven Komponente“514 versehenen) Maßstab für die Vertragsgemäßheit der Kaufsache einführt 515. konformen Auslegung bemühen zu müssen (s. für die diesbezügliche Diskussion ebenfalls schon o. Fn. 503). 509 S. den zutreffenden Hinweis bei Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 127 ff., auf die Unterschiede zwischen CISG und Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie; mit einem. Grundmann/ Bianca-Grundmann, Einl Rz. 24, erklärt den diesbezüglichen Unterschied zwischen CISG und Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie mit dem Aufgreifen „modernerer Phänomene“. Man wird diesen Erklärungsansatz dahingehend weiter präzisieren müssen, daß die verobjektivierende Anknüpfung des Fehlerbegriffs auch an Werbeangaben Dritter gerade die im Binnenmarkt besonders zu Tage tretende Tendenz zum Massencharakter moderner Verkehrssysteme (und dem sich daraus ergebenden Primat des massenhaften und anonymisierten Gattungskaufs im Verhältnis zum Stückkauf) insoweit durchaus angemessen widerspiegelt, vgl. zutreffend Hassemer, aaO., S. 134 ff., sowie allgemein auch schon oben 1. Kap. 3. Abschn. C III 2–4. 510 Die Formulierung „Qualität und Leistungen“ in Art. 2 Abs. 2 lit. d VerbrauchsgüterkaufRichtlinie entspricht im Grundsatz gerade dem Begriff der Beschaffenheit der Kaufsache nach neuem deutschem Recht (vgl. zu dem Streit um die physische Sachgebundenheit des neuen Fehlertatbestandes, der sich am alten Beschaffenheitsbegriff des deutschen Rechts [bzw. dem – etwas weiteren – Begriff der zusicherungsfähigen Eigenschaft] entzündete, aber noch unten 4. Kap. 3. Abschn. C II 1). Zutreffend wurde demgegenüber die Bezugnahme auf die „Beschaffenheit des Gutes“ in Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (in der englischen und französischen Version der Richtlinie jeweils treffender: „nature“) als einer der Anknüpfungspunkte für Erwartungen über die übliche Qualität und Leistungen (es geht insoweit um Fälle, wo aufgrund der Art der Sache – z.B. ihres Alters (s. Erw.-Grd. 8 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie sowie noch deutlicher der Hinweis bei Jorden, Verbrauchergarantien, S. 114 auf den ursprünglichen Erw.Grd. 7 des Gemeinsamen Standpunkts: „Die Qualität und Leistungen, die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, hängen von der Beschaffenheit der Güter und damit unter anderem davon ab, ob sie neu oder gebraucht sind.“) oder aber auch der Verpackungsform (s. nur EuGH Rs. C-16/83 (Prantl), Slg. 1984, 1299 ff., betreffend die Bocksbeutel-Flasche) eine bestimmte Erwartung bezüglich Qualität und Leistungen „vernünftig“ ist) für das deutsche Recht mit dem Begriff „nach der Art der Sache“ umgesetzt. Vgl. zum ganzen auch Bamberger/RothFaust, § 434, Rz. 52, sowie Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 214. 511 Vgl. zum Verhältnis der übrigen Kriterien innerhalb des Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zueinander und zu den anderen Elementen der Vermutung eingehend Jorden, Verbrauchergarantien, S. 92 ff. 512 Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 121 f. 513 Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 126 ff. 514 Lehmann, JZ 2000, 280, 283; Jorden, Verbrauchergarantien, S. 124. 515 S. auch präzise Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1414 f.: Die Einbeziehung öffentlicher Äußerungen des Herstellers und anderer Dritter bringe einen objektiv-rechtlichen, durch das Gesetz bestimmten Maßstab für die vertragsgemäße Beschaffenheit, wobei sich die objektive Vermutung aber nicht auf die Sachbeschaffenheit, sondern auf den Inhalt der vertraglichen Einigung hinsichtlich des Sachzustandes beziehe.
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(b) Die zwingende Typisierung und Entindividualisierung des Haftungsmaßstabs Soweit dieser Maßstab zwingend ausgestaltet ist 516, läßt er sich nurmehr als eine entindividualisierte Typisierung der einzig aus Sicht des Gesetzgebers zulässigen „vertraglichen“ Einigung hinsichtlich des Äquivalenzmaßstabs deuten; jegliche Abweichung vom derartig typisierten „vertraglichen“ Äquivalenzmaßstab begründet die Vermutung einer Übervorteilung des Verbrauchers 517. Der an sich nach der Konzeption der Verbrauchsgüterkauf-RL subjektive Maßstab der Vertragsgemäßheit erhält solcherart eine starke objektive Komponente518. Dies bedeutet aber nichts anderes, als daß der individuelle (und im Kern rein subjektive) Äquivalenzmaßstab des Stückkaufs der wirtschaftlichen Realität des massenhaften Gattungskaufs angepaßt wird519, in der auf Erwerberseite die durch Werbeinformationen geprägte (entindividualisierte und dadurch „objektiv aufgeladene“) Verkehrserwartung der Marktabnehmer520 bezüglich eines Bündels an Eigenschaften, die die letztlich erhaltene Kaufsache für sie lediglich verkörpert, zum entscheidenden (objektiv-vertragswesentlichen) Äquivalenzmaßstab wird521, den 516 Dies betrifft insbesondere auch die Frage der Abdingbarkeit der Sachmängelhaftung für verborgene Mängel. Vgl. dazu auch sogleich unten (3). 517 So der Erklärungsversuch bei Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771, 787 f.; aus Sicht der Informationsökonomie, vgl. Riesenhuber, Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (eds.), Party Autonomy, S. 348, 357 ff. 518 Lehmann, aaO.; Jorden, aaO.; ähnlich Westermann, NJW 2002, 243, 245; Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1415. 519 S. die Nachweise o. Fn. 509. 520 Daß es insoweit nach der Regelung in Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie gerade auf die Verkehrserwartung der Abnehmerseite, mithin auf das Verständnis der Werbeaussage aus der Sicht der Verbraucher ankommen soll, entspricht nicht nur einem Gebot der Sachlogik, sondern ergibt sich auch ausdrücklich aus dem Verweis auf die Erwartungen des Verbrauchers in Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die dann zugleich einer normativen Beurteilung („vernünftigerweise“) unterworfen werden, s. dazu sogleich im Text. 521 Die diesbezügliche Haftung des Verkäufers auch für öffentliche Angaben des Herstellers und seiner Vertreter findet ihren Geltungsgrund im Informationsvorsprung des Verkäufers, bezüglich der Möglichkeit, sich über die Übereinstimmung der Ware mit den in der Werbung beschriebenen Eigenschaften zu informieren, sowie in dessen insgesamt besseren Möglichkeiten, auf den Hersteller einzuwirken, um Kosten für Werbefehler vertraglich bei ihm zu internalisieren (s. zutreffend der allgemeine Verweis auf den Sphärengedanken als Basis des § 434 BGB bei Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 63 ff. Hinzu kommt als Wertungsgesichtspunkt, daß auch die zusätzlichen Profite aus Werbung hauptsächlich beim Verkäufer anfallen, so daß sich ein Geltungsgrund für die Verkäuferhaftung auch dem alten Grundsatz cuius commodum eius periculum entnehmen läßt. S. zutreffend zum ganzen Grundmann/Bianca-Grundmann, Art. 2, Rz. 38 mwN; vgl. zum deutschen Recht zuletzt auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 53 f. Ähnlich schon Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 121 mwN, die aber insoweit insgesamt zu sehr den Kontrollgedanken mit Blick auf die Kontrollmöglichkeit hinsichtlich der physischen Beschaffenheit der Kaufsache betonen, was insbesondere mit Blick auf die Vertriebstechniken großer Sortimenter (und auf den massenhaften Fall ist die Typisierung der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie bezüglich der Werbeangaben ja gerade zugeschnitten) kaum mehr der wirtschaftlichen Realität entsprechen dürfte, da dort eine physische Kontrolle der massenhaft weiterveräußerten Kaufsachen ebensowenig erfolgen dürfte (und ökonomisch erfolgen könnte) wie beim
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es von lediglich subjektiv erheblichen Motiven abzugrenzen gilt522. Die in diesem Zusammenhang notwendige Interessenwertung mit Bezug auf das berechtigte Verständnis der Werbung nimmt Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie vom Ausgangspunkt des Empfängerhorizontes einerseits sachlogisch (durch die Begrenzung auf Angaben über konkrete Eigenschaften des Gutes523) und andererseits normativ durch die Begrenzung des Maßstabs auf diejenige Qualität und Leistung, die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, vor. In dem Verweis auf die Erwartungen des „vernünftigen Verbrauchers“ kann nach richtiger Auffassung524 nur die Inbezugnahme des (im Bereich des Irreführungsschutzes und damit im europäischen Lauterkeitsrecht entwickelten, aber allgemein auf die Auslegung öffentlicher Äußerungen zugeschnittenen und anwendbaren525) europäischen Verbraucherleitbilds im Sinne eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers gesehen werden. Soweit eine öffentliche Werbung sich ersichtlich an besondere Verkehrskreise richtet oder diese erreicht, kann demnach auch die besondere Schutzbedürftigkeit dieser angesprochenen oder betroffenen Verkehrskreise berücksichtigt werden526. Die Inbezugnahme des europäischen Verbraucherleitbilds für den Haftungsmaßstab hat die entscheidende Konsequenz, daß – da das europäische Verbraucherleitbild einen normativen Maßstab festlegt, der beispielsweise dem (funktional aufgefaßten) Verbraucher auch eine weitgefaßte Obliegenheit, sich aufmerksam zu informieren aufbürdet 527 – auch die Haftung für Werbeangaben nach der Endkunden vor dem Kauf. Die spezifische Verantwortlichkeit des Veräußerers ergibt sich deshalb im Einklang mit den Realitäten modernen Massenvertriebs wohl weniger aus seiner physischen Kontrollmöglichkeit als vielmehr allgemein rechtlich aus dem Sphärengedanken und ökonomisch insbesondere aus dem Gedanken der economies of scale, die es dem Veräußerer eher gestatten, bezüglich Werbeinformationen und ihren Wahrheitsgehalts auf den Hersteller einzuwirken. 522 S. Grigoleit/Herresthal, aaO. 523 S. Lehmann, JZ 2000, 280, 284. Auch die im Einzelfall schwierige Abgrenzung von Werbeaussagen bezüglich konkreter Sacheigenschaften und bloß sonstigen Aussagen, die etwa ein bestimmtes Image vermitteln oder Emotionen beim Käufer hervorrufen sollen, muß aber gerade am Maßstab des europäischen Verbraucherleitbilds eines kundigen und sich informierenden Durchschnittsverbrauchers erfolgen und erhält dadurch bereits eine intrinsische normative Komponente. S. dazu im folgenden Text sowie auch noch detaillierter unten 4. Kap. 3. Abschn. C II 3 b (1). 524 Zutreffend Lehmann, aaO., 283 ff.; Jorden, Verbrauchergarantien, S. 95 ff.; Bernreuther, WRP 2002, 368, 371; Weiler, WM 2002, 1784, 1790 (in zutreffender Abgrenzung vom ursprünglichen noch im Grünbuch verfolgten Konzept der „legitimen Erwartungen“ des Verbrauchers, in die auch soziale Verbraucherschutzabsichten im Sinne einer gruppenbezogenen besonderen Schutzbedürftigkeit der Verbraucher, die durch zwingende Ausgestaltung des Äquivalenzmaßstabs auszugleichen sei, hätten einfließen sollen, was aber dann letztlich durch die Regelung eines grundsätzlich subjektiven Maßstabs der Vertragsgemäßheit aufgegeben wurde). Grundsätzlich gegen eine Übertragung des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherleitbilds Alexander, S. 198 ff.; ablehnend zuletzt auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 67 ff. 525 Zutreffend Jorden, Verbrauchergarantien, S. 110. 526 EuGH Rs. 382/87 (Buet), Slg. 1989, 1235, 1242, Rz. 13. 527 S. oben 1 b und e.
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Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie einem normativen, an der Funktion des Binnenmarkts – die gerade durch Inbezugnahme der normativ binnenmarktfunktional gewichteten Verkehrserwartungen der Abnehmerseite gesichert werden soll – ausgerichteten Maßstab folgt528. An dieser Stelle wird somit eine entscheidende Wertungsparallele zwischen dem grundsätzlich kollektiv wettbewerbsrechtlichen und dem nominell zwar individuell-kaufrechtlichen – im Bereich der Haftung für Werbeangaben hinsichtlich des Tatbestands aber zwingend typisierten, dadurch praktisch entindividualisierten und letztlich ebenfalls verkollektivierten – Schutz der Erwartungen, die Verbraucher aus öffentlichen Äußerungen über eine Sache ableiten, deutlich529. Diese Parallele bestätigt nicht nur die hier vertretene These vom grundsätzlichen Gleichmaß der Wertungen im Lauterkeits- und Vertragsrecht530, sondern erlaubt zugleich eine Vielzahl konkreter Ableitungen mit Blick auf die Auslegungs- und Zurechnungsmaßstäbe im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. Auf diese konkreten Konsequenzen der Übertragbarkeit wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe in einen Teilbereich vertraglicher Sachmangelhaftung, die es gestattet, eine Vielzahl der Einzelprobleme, die sich bei der Auslegung der neuen § 434 Abs. 1 BGB stellen, sachgerecht zu lösen, wird noch unten (4. Kap. 3. Abschn. C II bei der Darstellung des deutschen Rechts im Detail eingegangen (s. für die Grundlage konkreter Folgerungen im europäischen Recht auch sogleich unten (d)). An dieser Stelle sind zuerst noch einige bedenkenswerte Einwände grundsätzlicher Art zu widerlegen, die gegen eine Übertragung des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherleitbilds in den Bereich der Sachmangelhaftung für Werbeangaben entweder bereits erhoben wurden 531 oder sich doch zumindest gedanklich erheben ließen. (c) Bedenken gegen eine Übertragbarkeit des europäischen Verbraucherleitbilds auf Art. 2 Abs. 2 lit. d Variante 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie aus der Sicht des deutschen Rechts Alexander wendet (aus der Sicht des deutschen Rechts) gegen eine Transponierung des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherleitbilds des europäischen Rechts auf die Auslegung des Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zuvörderst ein, 528 Letztlich finden hier die ursprünglichen Pläne der Kommission aus dem Grünbuch von 1993, welches den Mangelbegriff fundamental normativ verobjektivierend anhand der berechtigten Erwartungen der Verbraucher definieren wollte, ihren letzten Widerhall. S. insoweit schon o. Fn. 463. 529 Ähnlich Jorden, Verbrauchergarantien, S. 98, die allerdings im Ergebnis eine etwas weitergehende Re-Individualisierung des Auslegungsmaßstabes zulassen will, als es nach der hier vertretenen Auffassung tunlich ist. S. dazu sogleich im folgenden Text. 530 Auch die – wie immer rechtspolitisch zu wertende – Tatsache, daß die Lauterkeits-Richtlinie in ihrem Art. 7 über irreführendes Unterlassen letztlich den kollektiven Maßstab des europäischen Durchschnittsverbrauchers heranzieht, um den Tatbestand unmittelbar vorvertraglicher Informationspflichten zu umreißen, bestätigt diese These. 531 S. insbesondere Alexander, S. 198 ff.
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hierdurch werde in unzulässiger Weise der auf die wettbewerbsrechtlich geschützte anonyme Masse zugeschnittene Maßstab des schutzwürdigen Verbrauchers auf die grundsätzlich im individuellen Einzelfall zu beurteilende Bestimmung der tatsächlich geschuldeten Leistung im Rahmen eines konkreten Kaufvertrags übertragen532; diese müsse auch deshalb allein anhand des allgemein vertragsrechtlichen Auslegungsmaßstabs für Willenserklärungen (für das deutsche Recht gem. §§ 133, 157 BGB) erfolgen, weil nach der Richtlinie die Werbung hinsichtlich ihres haftungsauslösenden Informationsgehalts wie eine Willenserklärung zu behandeln sei533. Letztlich läuft dies darauf hinaus, in einem ersten Schritt die Haftung für Werbeangaben nach der Richtlinie (zutreffend) als Element einer gesetzlichen Typisierung einer konkludenten Beschaffenheitsabrede zu qualifizieren534, und dann in einem, hiervon aber sauber zu trennenden, zweiten Argumentationsschritt (vermeintlich mit Blick auf die zuvor vorgenommene dogmatische Einordnung nur konsequent) Auslegungs- und Zurechnungsfragen mit Blick auf die öffentlichen Äußerungen, die doch sorgsam zu scheiden wären von der Beschaffenheitsabrede, zu deren gesetzlich typisierter Auslegung (nicht bezüglich deren Zustandekommens535) sie lediglich herangezogen werden, allein auf Grundlage der vertragsrechtlichen Regelungen für Willenserklärungen zu beurteilen536. 532
Alexander, S. 199; ähnlich Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 69 f. Alexander, S. 200; ähnlich Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 235 ff.; für eine analoge Heranziehung der §§ 133, 157 BGB auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 58 ff. 534 So zutreffend insbesondere Schlechtriem, Gewährleistungsrecht, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 205, 215 f.; Grigoleit/Herresthal, aaO.; ähnlich Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1414. A.A. Westermann, JZ 2001, 530, 533; Westermann, NJW 2002, 241, 245; MüKo-Westermann, § 433, Rz. 21 mwN. 535 Denn insoweit trifft die Verbrauchsgüterkauf-RL nach allgemeiner Meinung gerade keine Regelung, womit sie sich in den (diesbezüglich bisher zurückhaltenden) Rahmen des acquis communautaire genau einfügt, s. statt aller Grundmann/Bianca-Grundmann, Einl., Rz. 35. 536 So insbesondere die Argumentationsrichtung bei Alexander, aaO.; Grigoleit/Herresthal, aaO. Demgegenüber den „Mischcharakter“ des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im Ansatz zutreffend erkennend, in der Folge jedoch nach der hier vertretenen Auffassung zu zurückhaltend und dadurch in sich in gewisser Weise widersprüchlich (oder zumindest terminologisch nicht ganz genau) Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 58, der einerseits (zuerst S. 52 und S. 54) betont, daß es sich bei der Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB nicht um die Regelung einer (wie auch immer typisierten) rechtsgeschäftlichen Beschaffenheitsvereinbarung, sondern vielmehr um eine vertragsrechtliche Vorschrift bezüglich eines außervertraglichen Verhaltens handle, die gerade der Ausfüllung einer Vertragslücke bei fehlender Beschaffenheitsvereinbarung diene, um dann aber andererseits die nach der hier vertretenen Auffassung mögliche Übertragung lauterkeitsrechtlicher Grundsätze auf dieses lückenschließende Element mit dem Argument abzulehnen, „bei der Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen“ (Hervorh. d. Verf.) gehe es typischerweise um einen anderen Schutzzweckzusammenhang als im Wettbewerbsrecht. Letztlich (und im praktischen Resultat wie Alexander, aaO.; Grigoleit/Herresthal, aaO.) will Tiller, aaO., S. 58 f., dann die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB analog heranziehen, obwohl doch für die ergänzende Vertragsauslegung (in deren Richtung seine Einordnung eher zu weisen scheint) aus einer rein vertragsrechtlichen Sicht als Basis ohne weiteres die §§ 157, 242 BGB als Grundlage heranzuziehen wären (vgl. allgemein zu den Rechtsgrundlagen für ergänzende Vertragsauslegung Larenz/Wolf, AT, § 28, Rz. 113 [S. 541 f.]). Gerade das etablierte (und auf §§ 157, 242 BGB) zu stützende Instrument ergänzender Vertragsauslegung, welches auch die Berücksichtigung 533
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Man wird dieser (sozusagen lupenrein rechtsgeschäftlichen) Einordnung zugute halten müssen, daß sie es vermag, die Regelungen der Richtlinie relativ bruchfrei in das System des existierenden deutschen Vertragsrechts einzufügen, für das eine Haftung für „Werbeangaben“ des Herstellers – im Rahmen einer konkludenten Beschaffenheitsabrede (auch schon vor der im Zuge der Schuldrechtsreform erfolgten Umsetzung der Richtlinie) durchaus keine grundlegende Neuerung darstellte, wobei diese aber – anders als nach der Richtlinie – nach der wohl herrschenden Meinung in irgendeiner Form erkennbar (ausdrücklich oder stillschweigend) zum Gegenstand der Vertragsverhandlungen geworden sein mußten537. Dieses Argument betrifft zunächst einmal aber allein die zustimmungswürdige dogmatische Einordnung des gesamten Haftungstatbestands des Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und der deutschen Umsetzungsvorschrift als gesetzlich typisierter Fall einer konkludenten Beschaffenheitsabrede. Hiervon zu trennen ist aber die Frage, anhand welcher Maßstäbe und mit welchen methodischen Mitteln die durch öffentliche Werbung und Etikettierung bestimmte Verkehrserwartung als ein Element einer derartigen gesetzlich typisierten Beschaffenheitsabrede zu beurteilen ist. Die rechtliche Qualifizierung der Beschaffenheitsabrede als solcher, läßt ja noch keine Rückschlüsse auf das bei der Auslegung und Anwendung des typisierten Tatbestandes mit heranzuziehende, lediglich eine Hilfsfunktion erfüllende – und zweifellos durch Typisierung verobjektivierte538 – Element der durch Werbung geprägten „vernünftigen“ Verkehrserwartung zu539. Der entscheidende Unterschied – auch zum alten deutschen Recht – liegt insoweit darin, daß die Verkehrserwartung gerade nicht mehr Gegenstand der konkreten Vertragsverhandlungen geworden werblicher Angaben für die Prägung der individuellen Umstände durchaus gestatten würde, läßt dann im übrigen das (bei Tiller, aaO., als Grundlage seiner Analogie zu §§ 133, 157 BGB bejahte) Vorhandensein einer offenen Regelungslücke für die Ermittlung des maßgeblichen Inhalts von Werbeangaben wiederum nicht frei von Zweifeln erscheinen. 537 S. nur ursprünglich sehr weitgehend die umstrittene Trevira-Entscheidung BGHZ 48, 118 = NJW 1967, 1903 (und kritisch dazu schon Teichmann, JuS 1968, 315, 320); aus der neueren Rechtsprechung auch BGHZ 132, 55 = NJW 1996, 1337; BGH NJW 1997, 2590 (jeweils zur [großzügig bejahten] konkludenten Einbeziehung von Kraftstoffverbrauchsangaben des KfzHerstellers in die Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Verkäufer). S. aus der Literatur statt vieler Jorden, S. 153 ff.; Grigoleit/Herresthal, aaO., S. 236; Lehmann, JZ 2000, 280, 286 ff.; MüKoWestermann, § 434, Rz. 21, jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen zum alten deutschen Recht; bündig zuletzt auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 50 f.; offen gelassen bei Alexander, S. 188 ff. Vgl. auch noch unten 4. Kap. 3. Abschn. C II 1 zu der im Grundsatz gleichen – wenn auch hinsichtlich der Feststellung des Rechtbindungswillens, insbesondere bezüglich einer Schadensersatzhaftung für Mangelfolgeschäden, strengeren – Begründung konkludenter Zusicherungen von Eigenschaften im bisherigen deutschen Recht, die im Rahmen der Verbrauchsgüterkauf-RL dem Bereich des Art. 6 Verbrauchsgüterkauf-RL zuzuordnen wäre. 538 S. für die insoweit zutreffende herrschende Meinung nur die Nachweise o. Fn. 512 bis 515. 539 Es ist ebendieser, nach der hier vertretenen Auffassung unzulässige Rückschluß, der trotz des im Vergleich zu Alexander, aaO., und Grigoleit/Herresthal, aaO., in zutreffender Weise differenzierteren Ansatzpunktes auch unvermeidlich zu der nach der hier vertretenen Auffassung im Ergebnis zu zurückhaltenden Argumentation Tillers, aaO. (vgl. insgesamt o. Fn.536), führt.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
sein muß540; es geht vielmehr um eine vertragsunabhängige, massenhafte Informationsaufnahme der Verbraucher, die in die qua Gesetz typisierte (und damit fiktive) Parteiabrede – als ein für sich zu beurteilendes Element – lediglich mit einbezogen wird541. Das bedeutet nach der hier vertretenen Auffassung durchaus nicht, daß damit eine rein objektive Gewährleistungshaftung für Werbeangaben geschaffen würde, wie dies ein Teil der Literatur annimmt 542. Es stellt sich aber doch die Frage, ob nicht – nach Art des hier vorgeschlagenen „Wasser und Öl“-Ansatzes543 – bezüglich der Auslegung derartig massenhaft ausgerichteter und empfangener Informationen als einem typisiert verobjektivierten Element der Beschaffenheitsabrede, auch die auf derartige Situationen massenhafter Informationsaufnahme gerade zugeschnittenen normativen Maßstäbe des europäischen Irreführungsschutzes herangezogen werden sollten, während es im übrigen – insbesondere für die Fälle, in denen schon nach altem deutschem Recht eine Werbeaussage als in den Vertrag einbezogen galt – bei der Anwendung der Regeln über Willenserklärungen bliebe. Bezüglich dieser Fragestellung scheint die von Alexander vorgeschlagene, komplett „re-individualisierende“ Betrachtungsweise, die Systematik der Art. 2 Abs. 1–3 Verbrauchsgüterkauf-RL nicht hinreichend zu widerspiegeln. Sie schließt zudem in nicht zulässiger Weise von der individuell kaufrechtlichen Einordnung der gesetzlich typisierten Beschaffenheitsabrede auf die Auslegung des Merkmals der durch Werbeinformationen geprägten Verkehrserwartung – als lediglich eines Elements der gesetzlichen Typisierung der Abrede – nach individuell-vertragsrechtlichen Maßstäben zurück. Die Chance, die in der – gegenüber der Konstruktion einer „quasi-individuell“ auszulegenden konkludentenParteiabrede–methodenehrlicheren,ausdrücklichenBezugnahmeaufdie–eben nicht individuell, sondern massenhaft zu beurteilende – Verkehrserwartung als bloßes Element einer gesetzlich typisierten Parteiabrede, welches nach eigenen Grundsätzen beurteilt werden kann, liegt 544, wird dadurch zumindest teilweise vertan. Systematisch erscheint eine „Re-Individualisierung“ des Auslegungsmaßstabs (unter Berücksichtigung insbesondere der konkret-individuellen Befähigung des betroffenen Verbrauchers545) mit Blick auf die Verbrauchsgüter540
So zutreffend insbesondere MüKo-Westermann, § 434, Rz. 21; ders., NJW 2002, 243,
245. 541
Vgl. insoweit zutreffend auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 50 ff. So nämlich die sozusagen „pur objektiven“ Ansätze, s. zuletzt insbesondere bei Bernreuther, WRP 2002, 368 ff.; Bernreuther, MDR 2003, 63 ff. 543 S. grundlagenorientiert schon oben 1. Kap. 3. Abschn. F III und IV 1 sowie für die Anwendung im System des deutschen Rechts noch unten 4. Kap. 3. Abschn. C I 2 b (3) und II 1. 544 So zutreffend Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 121, die aber in der Folge ihrerseits nicht ausreichend die Konsequenz aus der von ihnen erkannten maßgeblichen (und nunmehr ausdrücklich im Gesetz verankerten) Bedeutung der typischen Verkehrserwartung in derartigen Fallgestaltungen ziehen. 545 Die konkrete Verkaufssituation als Tatsachengrundlage (Möglichkeit und Angebot des Fachhandels, nähere Einzelheiten in einem Verkaufsgespräch unkompliziert zu erfragen) darf demgegenüber sehr wohl berücksichtigt werden (vgl. zutreffend Bamberger/Roth-Faust, § 434, 542
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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kauf-Richtlinie deshalb bedenklich, weil nach der Konzeption der Richtlinie das Eingreifen des Maßstabs der üblichen Qualität und Leistungen (mithin der unter anderem unter Rückgriff auf Werbeinformationen bestimmten Verkehrserwartung) grundsätzlich546 nach Art eines Auffangnetzes gerade das Fehlen einer vorrangigen Parteiabrede voraussetzt, die im Rahmen eines konkreten Verkaufsgesprächs mit einem individuellen Verbraucher aber in aller Regel geschlossen werden dürfte547. Ist damit – auf einer systematisch nachgelagerten Stufe – einmal gem. Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-RL unter anderem die abstrakt zu bestimmende Verkehrserwartung zum Maßstab der Vertragsmäßigkeit der Kaufsache geworden, kommt eine Re-Individualisierung nach der Konzeption der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie systematisch nurmehr im Rahmen des Art. 2 Abs. 4 Verbrauchsgüterkauf-RL in Betracht, was – einmal unter Hintanstellung der mehr verkäuferbezogenen ersten beiden Spiegelstriche der Norm – den positiven Nachweis, daß die (konkret-individuelle548) Kaufentscheidung nicht durch die öffentliche Äußerung beeinflußt sein konnte, voraussetzt. Dies zieht einer Re-Individualisierung mit Blick auf die systematische Stellung der Norm als Ausnahme zum Grundsatz des Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie schon tatbestandlich enge Grenzen. Diese Grenzen dürfen aber nicht über den Umweg einer re-individualisierenden Auslegung schon im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 lit. d Var. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie unterlaufen werden549. Hinzu kommt, daß die Qualifizierung des Art. 2 Abs. 2 lit. d Rz. 72; Alexander, S. 200). Nur ist insoweit bezüglich der rechtlichen Frage, welche Obliegenheiten zur Informationsbeschaffung etwa den Käufer trafen, gerade wieder auf den normativen Maßstab des europäischen Verbraucherleitbilds abzustellen; es kommt also nicht auf den individuellen Käufer, sondern auf das durchschnittliche Mitglied der angesprochenen Verkehrskreise an, das zumal europarechtlich bestimmte Obliegenheiten zur Informationsbeschaffung und -verarbeitung treffen. 546 Mit der Ausnahme derjenigen (nicht seltenen) Fallgestaltungen, in denen die Auslegung der vorrangigen Parteiabrede gerade ergibt, daß auch die übliche Qualität und Leistungen mit in die Beschaffenheitsabrede einbezogen sein sollten. 547 Besonders deutlich wird dies in der deutschen Umsetzungsvorschrift des § 434 Abs. 1 BGB, die aber nach zutreffender (wenngleich umstrittener) Ansicht insoweit den Regelungsgehalt des Art. 2 Abs. 1–4 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie korrekt widerspiegelt. S. o. Fn. 503. 548 Schon der Wortlaut („die Kaufentscheidung“) legt es nahe, bezüglich der Frage nach der Nichtbeeinflussung nicht mehr den abstrakten Maßstab des Durchschnittsverbrauchers anzulegen, sondern auf die konkret-individuelle Kaufentscheidung abzustellen. Wollte man auch in diesem Zusammenhang einen abstrakten Maßstab anlegen (so wohl Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, S. 44 f.), so wäre der Ausschlußgrund letztlich überflüssig, da dann bereits eine Haftung nach Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ausscheiden würde. Auch die systematische Stellung der Vorschrift und ihre Funktion, die letztlich gerade der re-individualisierenden Korrektur des abstrakten Maßstabs der Verkehrserwartung im Sinne eines Ausnahmetatbestandes (dessen Vorliegen der Veräußerer zu beweisen hat) dient, spricht für eine Re-Individualisierung im Rahmen des Art. 6 Abs. 4 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. S. zutreffend statt aller Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 237 mwN; vgl. auch Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 215. 549 Insbesondere ist nach Art. 2 Abs. 4 3. Spiegelstrich der positive Nachweis (seitens des Veräußerers) notwendig, daß jegliche Möglichkeit, daß der Verbraucher in seiner Kaufentscheidung durch die Werbung beeinflußt gewesen sein könnte, ausgeschlossen ist. Der bloße Verweis auf
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Var. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie aus der Sicht des deutschen Rechts als Fall einer gesetzlich typisierten konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung, die zu einer vertragsrechtlichen Gewährleistungshaftung führt, keinesfalls dagegen spricht, die – im Rahmen der Auslegung dieser typisierten Beschaffenheitsvereinbarung gewissermaßen nur als „Krücke“ heranzuziehende – massenhafte Verkehrserwartung nach Art des hier vorgeschlagenen „Wasser und Öl“-Ansatzes als eigenständiges Element für sich genommen nach den für die Auslegung von Werbeaussagen entwickelten und (gerade im Vergleich zu den allgemein zivilrechtlichen Leitlinien) ausdifferenzierteren Maßstäben des Lauterkeitsrechts zu bestimmen. Dies spielt (für das deutsche Recht) nicht einmal die Auslegung anhand des recht weit entwickelten europäischen Verbraucherleitbilds gegen eine Auslegung entsprechend der Maßstäbe der §§ 133, 157 BGB aus. Vielmehr sind insoweit die Maßstäbe schon aus intrinsischen Gründen – weil es in beiden Fällen um eine Auslegung öffentlicher Äußerungen geht – gerade wesentlich dieselben550, die Heranziehung des europäischen Verbraucherleitbilds hat insoetwaiges Sonderwissen des Verbrauchers (gewissermaßen im Sinne eines typisierten Nachweises, daß die konkret-individuelle Kaufentscheidung nicht von der öffentlichen Äußerung beeinflußt sein durfte) genügt insoweit (entgegen Jorden, Verbrauchergarantien, S. 107 ff.; wie hier wohl Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 87) deshalb nicht, weil dies letztlich wiederum auf eine im Rahmen des Art. 2 Abs. 4 3. Spiegelstrich nach dessen klarem Wortlaut unzulässige Abstrahierung hinausliefe; allenfalls im Rahmen der Regeln über den Anscheinsbeweis mag im Einzelfall der Hinweis auf sich regelrecht aufdrängendes Sonderwissen zivilprozessual zu einer Beweislastumkehr mit Blick auf die Frage der Nichtbeeinflussung führen. Demgegenüber ist eine allgemeine Berücksichtigung von Sonderwissen bei der Auslegung der Werbeangaben (entgegen Jorden, aaO.) auch nicht schon auf der vorgelagerten Stufe der Auslegung der öffentlichen Äußerungen nach Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zulässig, denn insoweit ergibt sich schon aus allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (s. etwa BGHZ 28, 264; Palandt-Heinrichs, § 133, Rz. 12 mwN), daß eine Berücksichtigung von Sonderwissen außer Betracht bleiben muß, da die Auslegung mit Blick auf die durchschnittlichen angesprochenen oder betroffenen Verkehrskreise einheitlich erfolgen muß. Soweit hier Sonderwissen des Verbrauchers eine Rolle spielt, das dieser treuwidrig nicht eingesetzt hat, wäre ein derartiger Einwand allenfalls als Teil des systematisch nachgelagerten Prinzips von Treu und Glauben möglich, dies betrifft systematisch aber nicht die Auslegung der öffentlichen Äußerungen des Herstellers oder seiner Gehilfen. Spezifisch mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 lit. d Var. 3 VerbrauchsgüterkaufRichtlinie würde jegliche andere Auffassung auch zu unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten führen. 550 S. auch Palandt-Heinrichs, § 133, Rz. 12 mwN, wo – im Ausgangspunkt genau dem lauterkeitsrechtlichen Ansatz vergleichbar – auf den objektiven Empfängerhorizont des durchschnittlichen Angehörigen des angesprochenen Verkehrskreises abgestellt wird. Vgl. auch die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 214. Insbesondere der Einwand, die Maßstäbe seien deshalb nicht dieselben, da die zugrundeliegende Interessenlage (der Ausgleich individueller Interessen im Kaufrecht einerseits und der lediglich institutionelle, nicht individuelle Schutz der Verbraucher im Wettbewerbsrecht andererseits) unterschiedlich sei (s. insbesondere Alexander, S. 199 f.), verkennt, daß gerade das einheitliche europäische Verbraucherrecht – und mithin auch die primär vertragsrechtlich ausgerichtete Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie – den normativen europäischen „Durchschnittsverbraucher“ nicht allein in seiner individuellen Rolle, sondern vielmehr gerade auch in seiner institutionellen Funktion bei der Verwirklichung des Binnenmarkts auffaßt. Eine kategorische Unterscheidung hinsichtlich des Schutzzwecks lauterkeitsrechtlicher und vertragsrechtlicher Normen, läßt sich damit im europäischen Recht gerade nicht ausmachen
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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weit mehr eine ergänzende und (mit Blick auf bestimmte zusätzliche europarechtliche Obliegenheiten des Verbrauchers im Binnenmarkt) normativ korrigierende, als eine substituierende Funktion. Eine kategorische dogmatische Grenzlinie zwischen individuellem Kaufrecht und massenbezogenem Lauterkeitsrecht, wie sie Alexander vorschwebt, existiert im europäischen Verbraucherrecht ohnedies nicht551. Ein Verbot, im Rahmen der Auslegung des Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie auf das europäische Verbraucherleitbild des EuGH zurückzugreifen, ergibt sich auch nicht aus sachlich-inhaltlichen Gründen mit Blick auf die jeweils zur Ausgleichung gebrachten Interessen 552. Alexander schließt aus der (zutreffenden und auch in dieser Untersuchung bestätigten) Beobachtung, daß das europäische Verbraucherleitbild schon innerhalb des Lauterkeitsrechts im Vergleich zum nationalen Recht Regelungen unter anderen Aspekten vornehme, als dies im nationalen Lauterkeitsrecht geschieht, daß demnach ein Versuch, die im Rahmen des Verbraucherleitbilds letztlich vorgenommene Interessenabwägung nunmehr sogar auf die kaufrechtliche Situation zu übertragen, erst recht fehlschlagen müsse553. Dieses a fortiori Argument überzeugt aus zwei Gründen nicht ohne weiteres. Zum einen läßt sich aus der (zutreffend beobachteten) Begrenztheit des im Rahmen des europäischen Verbraucherleitbilds ausgeglichenen Interessenbündels im (gewissermaßen vertikalen) Vergleich zum umfassenderen nationalen Lauterkeitsrecht schon systematisch nicht auf die fehlende (gewissermaßen horizontale) Übertragbarkeit jenes Verbraucherleitbilds vom europäischen Lauterkeits- auf das europäische Vertragsrecht schließen, zumal eine strikte Trennung zwischen Lauterkeits- und Vertragsrecht im europäischen Verbraucherrecht nicht durchgeführt ist554. Zum anderen ergeben sich die Unterschiede zwischen dem europäischen Verbraucherleitbild, wie es insbesondere im Bereich des Irreführungsschutzes in der Rechtsprechung des EuGH entwickelt wurde, und dem umfassen(s. insoweit schon oben c). Ähnlich im Ergebnis Jorden, aaO., S. 97 ff., die zwar gleichfalls die unterschiedliche Schutzrichtung des Wettbewerbs- und Vertragsrechts betont (die nach der hier vertretenen Auffassung so unterschiedlich nicht ist), dann jedoch in dem Verweis auf die „vernünftigen“ Erwartungen des Verbrauchers in Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie gerade eine Bezugnahme auf die wettbewerbsrechtlichen Maßstäbe sieht, die den wettbewerbsrechtlichen Zusammenhang in diesem speziellen Fall deshalb aufgreift, weil er bereichsspezifisch bezüglich der Auslegung öffentlicher Werbeangaben eine Parallele im Sinne einer „kollektiven Insel“ im neuen Kaufrecht findet. 551 S. schon oben 1 und 2 c. 552 S. zum Teil schon o. Fn. 550. A.A. bezüglich der Richtlinie Alexander, S. 198 f.; ähnlich zuletzt für das deutsche Recht Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 67 ff., unter zusätzlichem Rekurs auf die Entstehungsgeschichte der Richtlinie. 553 Alexander, aaO.; ähnlich Tiller, aaO. 554 Den letztlich einheitlichen Verbraucherschutzzweck europäischen Rechts und insbesondere den auch mit in (nach deutschem Verständnis) „lauterkeitsrechtlichen“ Aspekten verwurzelten Schutzzweck der Werbeangabenhaftung der Verbrauchsgüterkauf-RL betont an anderer Stelle auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 92 ff., mit der schönen Formulierung von der „Blindheit des Gemeinschaftsrechts“ bezüglich der systematischen Trennung von Wettbewerbs- und vertragsrechtlichem Verbraucherschutzrecht.
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deren nationalen Lauterkeitsrecht (wie in dieser Untersuchung gezeigt) gerade daraus, daß das Verbraucherleitbild des EuGH reduktionistisch auf diejenigen Aspekte des Lauterkeitsrechts begrenzt ist, in denen es um einen Schutz der Marktgegenseite in ihren informierten und somit unverzerrten Vertragsentscheidungen geht; die normative Interessenabwägung des europäischen Verbraucherleitbilds ist auf den Schutz informierter Vertragsentscheidungen begrenzt und läßt andere Aspekte des Schutzes der Allgemeinheit – wie etwa einen Belästigungsschutz vor überbordender Information o.ä. – außer Betracht. Das europäische Verbraucherleitbild des EuGH stellt sich demnach aber gerade als reduktionistische normative Abwägung genau jener widerläufigen Interessen von Anbieter- und Abnehmerseite dar, auf die es auch bei der normativen Ermittlung der Verkehrserwartung im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-RL ankommt 555. Es ist mithin gerade die im Vergleich zum nationalen Lauterkeitsrecht wertungsmäßig begrenzte Konzeption des normativen europäischen Verbraucherleitbilds, die die inhaltliche Übertragung der in ihm verkörperten Interessenabwägung auf Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zuläßt556. Eine fehlende Übertragbarkeit könnte sich demnach allein (unter dem Blickwinkel des verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips) 557 aus den unterschiedlichen Rechtsfolgen des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutzes und der vertragsrechtlichen Einstandspflicht zur Erfüllung ergeben. Insoweit stellt sich aber die Gewährleistungshaftung – so schwer sie finanziell je nach Fallgestaltung wiegen mag – systematisch als die mildere Rechtsfolge gegenüber einem Totalverbot einschlägiger Werbeaussagen dar. Soweit also überhaupt eine unterschiedliche Wertung auf Tatbestandsebene in Betracht käme, wäre (außerhalb der per se zu verbietenden Fallgruppe vorsätzlicher Irreführung) im Lauterkeitsrecht 555 A.A. Alexander, aaO.; Tiller, aaO., 68 f., die jeweils neben den (zwar gesehenen) „privatrechtlichen“ Aspekten des gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherleitbilds mehr seine europarechtliche Bedeutung im Sinne der Bestimmung der Grenzen der Rechtfertigungsmöglichkeit für „Maßnahmen gleicher Wirkung“ betonen, wobei insbesondere Tiller (aaO.) dann schon aus der Tatsache, daß bestimmte vertragsrechtliche Aufklärungspflichten (und zugehörige Haftungsregeln) nach seiner Lesart der Entscheidung CMC-Motorradcenter (vgl. zu der hier vertretenen, etwas abweichenden Lesart von CMC-Motorradcenter oben 1 c) keine Maßnahmen gleicher Wirkung darstellen, den Schluß zieht, die Haftungsregelungen der VerbrauchsgüterkaufRL und die Regelungen der §§ 434 ff. BGB stellten schon von vornherein keinen Eingriff in den Schutzbereich des freien Warenverkehrs dar, so daß schon aus diesem Grunde das gemeinschaftsrechtliche Verbraucherleitbild zu deren Auslegung nicht heranzuziehen sei. Nach der hier vertretenen Auffassung unterschätzt diese Argumentation den im europäischen Primär- und Sekundärrecht mehr und mehr gewachsenen, auch „privatrechtlichen“ Gehalt des Verbraucherleitbilds im Sinne einer Interessenabwägung zwischen den Interessen der Anbieter und bestimmten Verbrauchergruppen (s. ausführlich oben 1), wie er insbesondere dazu geführt hat, daß das Verbraucherleitbild in dieser („privatrechtlichen“) Funktion auch im gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht eine zunehmend zentrale Rolle einnimmt (so insbesondere als zentrales Konzept der Lauterkeits-RL, die Tiller in seiner Untersuchung nur im Entwurfsstadium berücksichtigen konnte). 556 Zur differenziert zu beurteilenden Vergleichbarkeit der jeweiligen Interessenlage im lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz und bezüglich der Werbeangabenhaftung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im deutschen Recht, vgl. noch ausführlich unten 4. Kap. 3. Abschn. C II 1 und 2. 557 S. grundlegend oben 1. Kap. 1. Abschn. C III 5 mwN.
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demnach (jedenfalls mit Blick allein auf Irreführungsaspekte) sogar liberaler zu entscheiden als im Vertragsrecht, um die Rechtsfolge des Totalverbots in ihrer Wirkungsbreite zu begrenzen; dies spricht dann aber gerade nicht gegen eine Heranziehung des von jeher liberalen Verbraucherleitbilds des europäischen Irreführungsschutzes, um im Rahmen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie eine normative Begrenzung der Gewährleistungshaftung für Werbeangaben zu erzielen. Vielmehr ist eine derartige normative Begrenzung der vertragsrechtlichen Gewährleistungshaftung aus ordnungspolitisch-rechtsfolgenorientierter Sicht demnach sogar aufgrund eines erst-recht-Schlusses geboten.
Soweit hinter den Bedenken Alexanders gegen eine Heranziehung des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherleitbildes für die Auslegung und Beurteilung von Werbeaussagen im Rahmen von Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und insbesondere von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB spezifisch für das deutsche Recht die berechtigte rechtspolitische Sorge steht558, eine Heranziehung lauterkeitsrechtlicher Maßstäbe könne im Gegenteil für das deutsche Recht zu einer Verschärfung der kaufrechtlichen Haftung durch Heranziehung des älteren deutschen Irreführungsmaßstabs eines naiven, leichtgläubigen Verbrauchers führen, scheint diese Sorge nicht nur mit Blick auf die letzthin in der deutschen Rechtsprechung mit großer Schnelligkeit vollzogene Wandlung hin zu liberaleren 559, wettbewerbsbezogenen560 Maßstäben im Lauterkeitsrecht561 und auf Grundlage des neuen UWG562 nunmehr weniger dringlich, sondern auch aus europarechtlicher Sicht unbegründet. Denn nach richtiger Auffassung ist die Übernahme des Maßstabs der „vernünftigen Erwartungen“ des Verbrauchers nach Art. 2 Abs. 2 lit. d VerbrauchsgüterkaufRichtlinie im Sinne des Abstellens auf den Empfängerhorizont eines verständigen europäischen Durchschnittsverbrauchers für das nationale Recht nicht nur rechtspolitisch geboten563, sondern – trotz der Mindestklausel des Art. 8 Abs. 2 Ver558
S. insoweit zutreffend auch Weiler, WM 2002, 1784, 1790 f. Insbesondere das Verbraucherleitbild im Rahmen des Irreführungsschutzes hat der BGH zwischenzeitlich weitgehend dem normativen Leitbild des europäischen Durchschnittsverbrauchers angepaßt, indem er in seiner neueren Rechtsprechung auf die situationsbedingte Aufmerksamkeit des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers abstellt und insoweit im übrigen durchaus zu Recht situationsunabhängige Generalisierungen vermeidet, s. näher unten 4. Kap. 2. Abschn. B und öfter. 560 S. eindeutig schon BGHZ 144, 255 = GRUR 2000, 1076 – Abgasemissionen zur Fallgruppe des Rechtsbruchs unter Geltung des UWG a.F. und mit verallgemeinerbaren Aussagen zum Schutzzweck des UWG und dem sich daraus ergebenden Gebot teleologischer, wettbewerbsbezogener Auslegung des alten Sittenwidrigkeitsbegriffs. 561 S. statt aller schon Beater, JZ 2000, 973, 976 ff.; Nordemann, WRP 2000, 977 ff., jeweils mwN. 562 Das neue UWG hat sowohl in der Begründung (s. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 5, S. 19) das Verbraucherleitbild der neueren BGH Rechtsprechung als auch (in § 4 Nr. 11 UWG ausdrücklich im Gesetzestext) die neue Ausrichtung des Rechtsbruchtatbestands und schließlich insbesondere – und am wesentlichsten – auch die Ausrichtung des Schutzzwecks des UWG auf wettbewerbsbezogene Interessen (s. § 1 UWG, dazu schon oben 1. Kap. 3. Abschn. D III 2) ausdrücklich übernommen und solcherart die in der Rechtsprechung angebahnte Liberalisierungstendenz gesetzgeberisch verfestigt. 563 So schon Lehmann, JZ 2000, 280, 285; Jorden, Verbrauchergarantien, S. 113; insoweit zustimmend auch Weiler, aaO. 559
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brauchsgüterkauf-Richtlinie – wegen der Geltung der Art. 28, 43 EG als Begrenzung auch für über das Mindestmaß hinausreichenden, national überschießenden Schutz in den meisten Fällen europarechtlich verbindlich564. Soweit Rückwirkungen einer Haftungsverschärfung für öffentliche Äußerungen auf die Etikettierung der Waren nicht ausgeschlossen werden können, ergibt sich die Qualifizierung als produktbezogene Maßnahme und damit die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Dassonville- und der Cassis-Formel schon aus der bestehenden Rechtsprechung des EuGH565. Noch darüber hinaus dürfte in bestimmten Fällen auch die Rückwirkung der verobjektivierten Haftung für Werbeangaben nach der Richtlinie auf die Ausgestaltung der Produktqualität durch die Hersteller566 als produktbezogen sich auswirkende Maßnahme die Anwendung des Art. 28 EG auslösen 567. Aber auch soweit eine Erhöhung des Schutzmaßstabs nicht unmittelbar produktbezogen im Sinne der Keck-Formel wirkt, sondern lediglich faktische Auswirkungen auf die Verwendbarkeit einer europaweit (oder grenzübergreifend) einheitlich gestalteten Werbekampagne für Warenvertrieb hat, gelangt man nach der hier vertretenen Auffassung zum selben Ergebnis (einer Rechtfertigungsbedürftigkeit nach der Cassis-Formel), weil in einem solchen Falle die Maßnahme für den grenzüberschreitend tätigen Händler oder Hersteller faktisch schwerer wirken würde, als für den rein national tätigen Hersteller oder Vertreiber. Damit wäre Art. 28 EG auch in derartigen Fällen berührt, eine Rechtfertigung nach der Cassis-Formel würde notwendig. In deren Rahmen konkretisiert der Gerichtshof das Verhältnismäßigkeitsprinzip bezüglich des Irreführungsschutzes aber gerade am Maßstab des europäischen Durchschnittsverbrauchers. Eine Übertragung in den Bereich der Maßstäbe für die Verkehrserwartung in Bezug auf Qualität und Leistungen von Verkaufsgütern läge angesichts der einheitlichen Konzeption europäischen Verbraucherrechts nahe. Damit wäre aber ein überschießender Schutz im nationalen Recht durch Orientierung am Empfängerhorizont eines naiven, leichtgläubigen Verbrauchers für die Konkretisierung der Verkehrserwartung im Rahmen der Umsetzung des Art. 2 Abs. 2 lit. d Var. 3 VerbrauchsgüterkaufRichtlinie trotz der Mindestklausel in praktisch allen Fallgestaltungen mit grenzüberschreitendem Element – soweit nicht sonstige Aspekte, etwa des Gesundheitsschutzes o.ä. involviert sind – primärrechtlich unzulässig. Und sogar für rein nationale Vertriebssituationen dürfte man zum selben Ergebnis dann gelangen, wenn eine zwingend ausgestaltete Haftungsverschärfung des nationalen Rechts gerade darauf hinausläuft, eine bestimmte eigenständige Produkt- oder Werbeform gänzlich zu unterbinden, wie es etwa der Fall sein könnte, wenn eine zwingende Haftungsverschärfung des nationalen Rechts dazu führt, daß bestimmte Vertriebsformen für Gebrauchtwaren (günstige Preise für Risikokäufe etc.) 568 gar nicht länger möglich sind569. Nach alldem dürfte in der großen Mehrzahl der Fälle eine Verschärfung des 564 Insoweit gegen Lehmann, aaO.; Jorden, aaO., die strengere Maßstäbe mit Blick auf das Verbraucherleitbild auf Grundlage der Mindestklausel der Richtlinie für zulässig halten. 565 EuGH Rs. C-315/92 (Clinique), Slg. 1994, I-317; EuGH Rs. C-470/93 (Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.V. v. Mars GmbH), Slg. 1995, I-1923. 566 S. zu diesem Aspekt Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 140 f. 567 Wohl generell a.A. Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 68 f.: Haftungsregelungen in der Regel schon von vornherein keine Maßnahmen gleicher Wirkung. 568 Unter diesem Aspekt ist sogar die Vereinbarkeit der zwingenden Bestimmungen der Richtlinie selbst (insbesondere mit Blick auf die selbst im Gebrauchtwarenhandel zwingend ausgestaltete Mindestverjährungsfrist von einem Jahr) mit dem europäischen Primärrecht des Vertrags zweifelhaft. Vgl. noch sogleich unten (3). 569 Vgl. zu derartigen Fallgestaltungen allgemein Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten, S. 533 f.
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Haftungsmaßstabs für öffentliche Äußerungen über den normativen Maßstab des Art. 2 Abs. 2 lit. d Var. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie hinaus, wegen Verstoßes gegen Art. 28 ff. EG unzulässig sein.
Faktischer Gleichbehandlungsdruck wird für die verbleibenden Bereiche zu einer Horizontalisierung des (liberaleren) europäischen Maßstabs führen, wie dies auch bereits im Lauterkeitsrecht geschehen ist. Die Gefahr einer kontraintentionalen Verschärfung der vertragsrechtlichen Haftungstatbestände durch Heranziehung wettbewerbsrechtlicher Beurteilungsmaßstäbe droht also nicht. Vielmehr dürfte die zwingende Heranziehung des europäischen Verbraucherleitbilds im Ergebnis normativ liberalisierende Wirkung mit Blick auf die kaufvertragliche Haftung für öffentliche Äußerungen bei Etikettierung und in der Werbung auch für das nationale Recht entfalten570. Insofern ist genau spiegelbildlich zu der Sorge von Alexander, die Übertragung wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe in den Bereich des Vertragsrechts könne zu einer Verschärfung der individuellen Haftungsmaßstäbe führen, vielmehr umgekehrt darüber nachzudenken, inwieweit die vertragsrechtliche Regelung der Einbeziehung von konkret eigenschaftsbezogenen Werbe- und Etikettierungsanga570 Es ist angesichts der Erfahrungen im Irreführungsbereich und der insoweit durch die Formulierung „vernünftigerweise“ bezweckten Bezugnahme auch praktisch damit zu rechnen, daß der EuGH seine diesbezügliche Auslegungsbefugnis gem. Art. 234 EG wahrnimmt und die normativen Maßstäbe für die „vernünftigen“ Erwartungen des Verbrauchers zumindest bezüglich des Verständnisses von Werbeangaben und deren Reichweite im Rahmen von Art. 2 Abs. 2 lit. d Var. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie präzisiert. Denn soweit es um das normativ „vernünftige“ Verständnis einer massenhaft verbreiteten Werbe- oder Etikettierungsinformation durch den Verbraucher geht, ist die Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 lit. d Var. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie im Sinne eines allgemeinen Kriteriums zu verstehen, dessen Auslegung durch den Gerichtshof gem. Art. 234 EG jedenfalls erfolgen kann. Die letzthin sich andeutende (s. insbesondere die Entscheidung EuGH Rs. C-237/02 (Freiburger Kommunalbauten), Slg. 2004, I3403, Rz. 22 ff., zur Auslegung des Begriffs der Mißbräuchlichkeit in Art. 3 Abs. 1 KlauselRichtlinie und hierzu Tilmann, GPR 2003–04, 182, 188 f.) Zurückhaltung des Gerichtshofs, Generalklauseln des sekundären Gemeinschaftsrechts auch in ihrer Anwendung auf Umstände des Einzelfalls auszulegen, die damit begründet wird, daß es insoweit um eine dem nationalen Gericht vorbehaltene Rechtsanwendung gehe (s. die Schlußanträge des GA Geelhoed, aaO., Rz. 17 f.), während dem Gerichtshof nur die gewissermaßen abstrakte Auslegung der allgemeinen Kriterien des gemeinschaftlichen Sekundärrechts vorbehalten sei (so auch eine verbreitete Ansicht in der Literatur, vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 536 ff., 538 ff.; Freitag, EWiR 2000, 783, 784; Freitag, EWiR 2004, 397, 398; anders Borges, NJW 2001, 2061, 2062; Tilmann, aaO.) wäre hier jedenfalls nicht einschlägig. Denn soweit es um die Auslegung einer massenhaft verbreiteten Werbeinformation geht, kann das „vernünftige Verständnis“ des Durchschnittsverbrauchers gerade ermittelt werden, ohne daß alle Umstände des Einzelfalles im Rahmen des nationalen Rechts geprüft werden müssen. Die Fallgestaltung läge also inhaltlich der (durch die Entscheidung in Freiburger Kommunalbauten ausdrücklich unberührten, s. EuGH, aaO., Rz. 23) Entscheidung in Verb. Rs. C-240–244/98 (Océano), Slg. 2000, I-4981 näher, wo der Gerichtshof doch eine Vertragsklausel anhand des Art. 3 Abs. 1 Klausel-Richtlinie konkret prüfte, da in diesem Falle die Klausel vertragstyp- und einzelfallunabhängig als mißbräuchlich zu werten war, so daß eine allgemeine Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts und nachfolgende Anwendung auf den konkreten Vertrag für den Gerichtshof in Betracht kam. Ohnedies (zu Recht) kritisch zu dieser Unterscheidung des Gerichtshofs und für eine umfassende Prüfungsbefugnis unter Art. 234 EG, Tilmann, aaO.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
ben – deren Auslegung vor dem Empfängerhorizont eines europäischen Durchschnittsverbraucher zu erfolgen hat – zu einer entsprechenden Liberalisierung der Maßstäbe im Lauterkeitsrecht führen muß571. Bezüglich auf konkrete Produkteigenschaften bezogener Angaben, die nicht vorsätzlich irreführend ausgestaltet sind, gibt nämlich nunmehr das europäische Vertragsrecht eine bereichsspezifische legislatorische Interessenabwägung vor, die für das Lauterkeitsrecht – da andernfalls die konkrete vertragsrechtliche Interessenausgleichung durch vorgelagerte abstrakte Gefährdungstatbestände des Lauterkeitsrechts unterlaufen würde – grundsätzlich zu akzeptieren ist572. Soweit daher im deutschen Irreführungsschutz mit Blick auf die Beschreibung konkreter Produkteigenschaften in der Werbung tatsächlich noch strengere Maßstäbe herrschen sollten, als sie das normative Leitbild des europäischen Durchschnittsverbrauchers nunmehr für die vertragsrechtliche Gewährleistungshaftung für Werbeangaben vorgibt, wären spezifisch für diesen Bereich die lauterkeitsrechtlichen Wertungen an die vorrangige Interessenabwägung des Vertragsrechts anzupassen. Außerhalb des per se Verbots vorsätzlicher Irreführung wäre daher das deutsche Lauterkeitsrecht für diesen Bereich durch eine Liberalisierung auf Grundlage des normativen Leitbilds eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu liberalisieren. Die Anerkennung des Grundsatzes vom Gleichlauf der Maßstäbe im Irreführungsschutz und im Verbrauchervertragsrecht hat in diesem Zusammenhang also gerade die umgekehrte Wirkung, als von Alexander zu Recht gefürchtet: Statt zu einer Verschärfung der Maßstäbe im deutschen Vertragsrecht, kommt es – soweit diese nicht ohnedies bereits erfolgt ist – für den Bereich konkret auf Produkteigenschaften bezogener Werbeangaben zu einer Liberalisierung des deutschen Irreführungsschutzes. (d) Konkrete Folgerungen Schließlich läßt sich gegen eine Heranziehung des europäischen Verbraucherleitbildes bezüglich der Auslegung des Art. 2 Abs. 2 lit. d Var. 3 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und insbesondere hinsichtlich der Auslegung der deutschen Umsetzungsvorschriften in § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und S. 3 BGB573 auch nicht einwenden, daß der Maßstab des europäischen Durchschnittsverbrauchers im Vergleich zu den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen für öffentliche Willenserklärungen im Rahmen der §§ 133, 157 BGB – für die anerkannt ist, daß auf ein durchschnittliches Mitglied des angesprochenen Verkehrskreises abzustellen ist – keinen wesentlichen praktischen Gewinn in der Rechtsanwendung bringe. 571 Vgl. zu dieser Fragestellung neuestens eingehend auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 75 ff. 572 Vgl. auch noch unten 4. Kap. 3. Abschn. D mit der Erläuterung, warum dennoch der Irreführungsschutz des Lauterkeitsrechts – auf dem Schutzniveau der Orientierung am Leitbild des europäischen Durchschnittsverbrauchers – auch neben der Gewährleistungshaftung im Verbrauchsgüterkaufrecht weiterhin seinen Platz hat. 573 S. insoweit unten 4. Kap. 3. Abschn. C II.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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Ein solcher Einwand würde den hohen Konkretisierungsgrad, den die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum europäischen Verbraucherleitbild erreicht hat, nicht hinreichend berücksichtigen. Insbesondere bringt der normative Charakter des europäischen Verbraucherleitbilds eine Anzahl von Obliegenheiten des Verbrauchers zur Selbstinformation und zur verständigen Informationsverarbeitung mit sich574, die sehr wohl eine normative Korrektur zu weitgehender kaufvertraglicher Gewährleistungshaftung auf Grundlage der anhand von Art der Ware575, Werbe- und Etikettierungsangaben geprägten Verkehrsauffassung gestattet576. Auch mit Blick auf die Informationspflichten betreffend Garantien – insbesondere die den Mitgliedstaaten gem. Art. 6 Abs. 4 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie eben wieder nurmehr im Rahmen des primärrechtlich zulässigen überlassene Frage, in welchen Amtssprachen eine Garantie abzufassen ist – verspricht die Parallele zu den marktbezogenen lauterkeits- und kennzeichnungsrechtlichen Wertungen des Gemeinschaftsrechts Gewinn. In letztgenanntem Fall ergibt sich aus der (allerdings wegen der Neuformulierung der Vorschrift jetzt nur noch entfernten) Nähe zur Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Vorgängervorschriften 577 des Art. 16 Abs. 2 Lebensmittelkennzeichnungs-Richtlinie 578 – die stets 574 Vgl. zu den Informationsobliegenheiten des „europäischen Durchschnittsverbrauchers“, die mittlerweile sogar eher zu weit reichen dürften, oben 1 b und e. 575 S. schon o. Fn. 510. 576 S. zu den Informationsobliegenheiten des europäischen Durchschnittsverbrauchers Hucke, Wettbewerbsrecht in Europa, S. 65 ff. (insbes. das Fazit S. 102–106); Lettl, Irreführende Werbung, S. 127 f., jeweils mwN. 577 Art. 14 Abs. 2 Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, ABl. 1979 L 33 v. 8.2.1979, S. 1 ff., sah noch ausdrücklich vor, daß die Information in „einer dem Käufer leicht verständlichen Sprache“ abgefaßt sein müsse. Hierzu hatte der Gerichtshof unter Auslegung der Richtlinie, aber auch gestützt auf die Grundfreiheiten des Vertrags entschieden, daß dies den Mitgliedstaaten nicht gestatte, die ausschließliche Verwendung einer bestimmten Sprache vorzuschreiben, ohne zugleich die Möglichkeit vorzusehen, eine andere für den Käufer leicht verständliche Sprache zu verwenden oder die Unterrichtung des Käufers durch andere Maßnahmen zu gewährleisten (EuGH Rs. C-369/89 (Piagème I), Slg. 1991, I-2971), wobei diese Möglichkeit dem Anbieter alternativ (nicht lediglich kumulativ) einzuräumen sei (EuGH Rs. C-85/94 (Piagème II), Slg. 1995, I-2955; EuGH Rs. C-385/96 (Goerres), Slg. 1997, I-4431; zuletzt EuGH Rs. C-366/98 (Geffroy), Slg. 2000, I-6579, ebenfalls noch zu Richtlinie 79/112/EWG). Daraufhin stellte der Gemeinschaftsgesetzgeber schon in Art. 13a Abs. 2 der novellierten Lebensmittelkennzeichnungs-Richtlinie von 1997 (Richtlinie 1997/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27. Januar 1997 zur Änderung der Richtlinie 79/112 EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür) – der insoweit auch der heute geltenden Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 Lebensmittelkennzeichnungs-Richtlinie von 2000 (s. im Text) entspricht – klar, daß eine Information seitens der Mitgliedstaaten jedenfalls in einer oder mehreren von ihnen bestimmten Amtssprachen verlangt werden könne. Dies scheint dem Tenor der Entscheidung in Piagème II ausdrücklich zuwiderzulaufen und die Entscheidung solcherart gegenstandslos zu machen, doch ist die Freiheit der Mitgliedstaaten in der Richtlinie zur Wahl einer oder mehrerer Amtssprachen nur „unter Beachtung der Bestimmungen des Vertrags“ gewährt. Da die PiagèmeRechtsprechung auch auf den Grundfreiheiten fußte, dürfte dies (nach umstrittener Ansicht) das Gebot, daß eine Kennzeichnung in einer dem Verbraucher leicht verständlichen Sprache genü-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
auch auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrags gestützt wurde, bei deren Geltung es ja sowohl nach Art. 16 Abs. 2 Lebensmittelkennzeichnungs-Richtlinie als auch nach Art. 6 Abs. 4 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie bleibt –, daß eine Formulierung der Garantien in einer dem Verbraucher leicht verständlichen Sprache genügen muß. Entsprechende Öffnungsklauseln sind im Recht der Mitgliedstaaten vorzusehen, sofern im übrigen der Gebrauch einer oder mehrerer Amtssprachen der Gemeinschaft zwingend vorgeschrieben wird. Bezüglich des diesbezüglichen Verbraucherleitbilds ist nach der hier vertretenen Auffassung im Einklang mit den Grundfreiheiten wiederum auf den typischen Durchschnittsverbraucher des europäischen Rechts abzustellen, so daß im Ergebnis mindestens die jeweils herrschende Sprache diejenige ist, die für „den Verbraucher“ verständlich ist 579; in bestimmten Verkehrskreisen – etwa bezüglich einfach gehaltener Teilgarantien für komplexere Computerprodukte – mag zudem die englische Sprache als „lingua franca“ genügen 580.
Neben der Inbezugnahme des europäischen Verbraucherleitbilds ist für die Anwendung der neuen Regelungen des deutschen Kaufrechts außerdem wesentlich, daß die methodenehrliche Anerkenntnis, daß es sich bei der Bezugnahme auf die „vernünftige“ Verkehrserwartung in Art. 2 Abs. 2 lit. d VerbrauchsgüterkaufRichtlinie letztlich um ein eigenständiges, weitgehend anhand der auf den gewerblichen Massenverkehr zugeschnittenen Vorschriften des Lauterkeitsrechts normativ zu beurteilendes Element einer gesetzlich typisierten konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung handelt 581 – welches aber als bloßes der Auslegung zugrundeliegendes Element einer derartigen gesetzlich typisierten Vereinbarung seinerseits nicht zwangsläufig nach den Vorschriften über Willenserklärungen zu behandeln ist – noch weitergehende Entlehnungen von lauterkeitsrechtlichen Grundsätzen (insbesondere mit Blick auf den Vertreterbegriff, die Zurechnung gen muß, gewissermaßen „durch die Hintertür“ des Verweises auf das Primärrecht wieder einführen. Vgl. zum ganzen Fleischer, ZEuP 2000, 772, 792; Kraus, Zur verbraucherrechtlichen Rechtsprechung des EuGH, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluß im acquis, S. 29, 41 ff.; Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 ff.; Usher, Disclosure Rules, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (eds.), Party Autonomy, S. 151, 158 ff. 578 S. o. Fn. 282. 579 Offengelassen bei Kraus, Zur verbraucherrechtlichen Rechtsprechung des EuGH, in: Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluß im acquis, S. 29, 44. Wohl a.A. Weatherill, Internal Market, in: Peers/Ward (eds.), EU Charta, S. 183, 206 ff., der hier einen Anwendungsfall für Art. 22 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union mit der Garantie der Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen sieht. Dieser Gedanke ist auf den ersten Blick logisch und naheliegend. Ob ein derartiger Rückgriff des EuGH auf die bloße Zielbestimmung des Art. 22 in der Zukunft gerade in diesem kommerziellen Kontext (der doch sehr von der Perspektive der Grundfreiheiten geprägt ist) erfolgt und zu einer Umwertung des bisherigen Ergebnisses der Verhältnismäßigkeitsabwägung führt, wird abzuwarten sein. Ob man mit einer Inflation seitens der Mitgliedstaaten zwingend vorgeschriebener unterschiedlicher Sprachfassungen auf Produktverpackungen tatsächlich der sprachlichen Vielfalt in der Gemeinschaft Achtung im Sinne des Art. 22 (wo sich der Verweis im Kontext der Kulturen und Religionen findet) erweist oder ob nicht über die Vorzugswürdigkeit einfacher standardisierter Information in wenigen Sprachen schlichtweg der Markt entscheiden sollte, läßt sich aber auch durchaus kontrovers diskutieren. 580 Zutreffend die Begründung des deutschen Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 245 f. zu § 477 BGB; gegen Bamberger/Roth-Faust, § 477, Rz. 5. 581 Insoweit wie hier Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 54.
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öffentlicher Äußerungen in der Werbung sowie die Reichweite der Einbeziehung bestimmter Werbeinformationen in den Vertrag zumal mit Blick auf die für das deutsche Recht umstrittene Frage der physischen Sachgebundenheit des Beschaffenheitsbegriffs) ermöglicht 582; auf all diese konkreten Folgerungen für die Lösung von Einzelproblemen, die bereits mehr der Rechtsanwendung des neuen Kaufrechts in der Praxis nahe stehen, soll unten für das deutsche Recht auch eingegangen werden583. (3) Zwingendes Recht (Art. 7) Die – unter Einbeziehung von durch Werbeangaben und Art der Kaufsache geprägter Verkehrsanschauung – in gewissem Umfang entindividualisierte Ausgestaltung der kaufvertraglichen Erfüllungshaftung nach der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie läßt sich also grundsätzlich im Sinne einer rechtlich typisierten Anpassung der „Regelbeschaffenheitsvereinbarung“ an die durch Gattungskäufe im modernen Massenverkehr geprägte Wirtschaftspraxis auffassen. Der methodischen Konsequenz, den entindividualisierten Maßstab der durch Werbeangaben geprägten Verkehrsanschauung unter Rückgriff auf kollektive lauterkeitsrechtliche Maßstäbe zu bestimmen, steht dies nicht entgegen. Allerdings kann der einer derartigen Typisierung (neben einer verkehrsgerechten subsidiären Entindividualisierung des Äquivalenzmaßstabs und der besonderen Informationsverantwortlichkeit des Verkäufers584) zugrundeliegende Vereinfachungsgedanke (im Sinne einer Verankerung der typischen Parteierwartungen im Gesetz) 585 nach der hier vertretenen Auffassung nicht uneingeschränkt die teilweise halbzwingende Ausgestaltung der Mängelhaftungsregeln durch Art. 7 Abs. 1 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie erklären. Zwar ist im Ansatz zutreffend darauf hingewiesen worden, daß die halbzwingende Ausgestaltung in erster Linie die rechtsfolgenseitige Frage der Gewährleistungsrechte und –fristen betrifft, während die Gewährleistungstatbestände – die den Umfang der Garantiehaftung umreißen – jeweils für sich genommen deshalb parteidisponibel bleiben, weil der typisierte Maßstab nur dann eingreift, wenn vorrangige Parteiabreden fehlen586. Doch greift diese Überlegung in einer Hinsicht durchaus auch schon mit Blick auf den Gewährleistungs582
Insoweit grundsätzlich a.A. Tiller, aaO., S. 57 f., 67 ff. Vgl. unten 4. Kap. 3. Abschn. C II für das deutsche Recht. 584 S. zum Charakter der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie als Regelung marktbezogener Informationsregeln grundlegend Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 61 ff. mwN. 585 S. zu diesen drei Wertungskriterien Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 121. 586 So insbesondere Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 52 f. mwN; ähnlich Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771, 787 f.; a.A. Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 126 ff., der durch die Richtlinie einen objektiven Fehlerbegriff zwingend festgelegt sieht. Da dies im Zusammenhang mit den in Art. 3 geregelten verschuldensunabhängigen Gewährleistungsrechten darauf hinausliefe, eine (bisher fast gänzlich vorbildlose) verschuldensunabhängige, zwingende Erfüllungshaftung für einen vom Gesetzgeber festgelegten Regelvertragsinhalt einzuführen, prägt Hassemer, aaO., insoweit den Begriff des positiv zwingenden Rechts. 583
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tatbestand zu kurz. Denn mindestens ist Art. 7 Abs. 1 VerbrauchsgüterkaufRichtlinie die Regelung zu entnehmen, daß eine Parteiabrede, welche – selbst gegen entsprechenden Preisnachlaß – dem Verbraucher das Risiko eines verborgenen Mangels (ohne daß insoweit schon eine konkrete Sachbeschreibung im Sinne einer individuellen Beschaffenheitsvereinbarung möglich wäre) überträgt, mit dem zwingenden Charakter der Gewährleistungsrechte nicht vereinbar ist; der Risikokauf wird also im Ergebnis weitgehend ausgeschlossen587. Neben der hier nicht im Mittelpunkt stehenden Ausgestaltung der Gewährleistungsrechte im einzelnen, sind also zwei Ebenen zwingenden Rechts in der Richtlinie enthalten: Das Verbot eines Haftungsausschlusses für verborgene Mängel, soweit sich nicht zumindest schon die Art der Mängel im Rahmen einer Sachbeschreibung konkretisieren läßt, sowie die zwingende Ausgestaltung der Gewährleistungsfrist. Die bisher beispiellose zwingende Standardisierung des Vertragsinhalts, zu der es auf diesen beiden Ebenen kommt 588, läßt sich mit dem Gedanken des typisierten Interessenausgleichs und eines dadurch unternommenen situationsbezogenen Schutzes der Vertragsfreiheit nach der hier vertretenen Auffassung nicht mehr uneingeschränkt erklären589. Vielmehr kommt es zu bedenklichen Ansätzen einer zwingenden Standardisierung des Verkehrssystems selbst mit Blick auf Schuldverträge590, wie sie ein loses Vorbild für das deutsche Recht bisher allenfalls im numerus clausus sachenrechtlicher Verfügungsgeschäfte finden. Auch der sachen587 So zutreffend für das deutsche Recht MüKo-Lorenz, § 475, Rz. 9; ähnlich Bamberger/ Roth-Faust, § 475, Rz. 8, jeweils mwN. Demgegenüber stellen sich die verschiedenartigen Konstruktionen, die erwogen wurden, um dieses rechtspolitisch höchst fragwürdige Ergebnis (s. dazu noch sogleich im folgenden Text) aufzuweichen (vgl. etwa Schulte-Nölke, ZGS 2003, 184, 187, der den Transparenzgedanken betont, wohingegegen aber eben nach der Richtlinie die bloße Herstellung von Transparenz offenbar gerade nicht ausreichen soll, um abweichende Vereinbarungen zu gestatten; daher zutreffend gegen diesen Ansatz Schinkels, ZGS 2003, 310, 314; Adomeit, JZ 2003, 1053, 1054 will dem Verbraucher beim informierten Risikokauf die Berufung auf den Sachmangel nach § 242 BGB verweigern), sämtlich als Umgehung des zwingenden Charakters der Gewährleistungsrechte nach der Richtlinie dar, sofern nicht im Rahmen einer konkreten Beschaffenheitsvereinbarung eine Beschreibung der Kaufsache gerade die Haftung für einen bestimmten bereits erkannten oder doch zumindest für einen nach der Beschreibung der Kaufsache bei einer derartigen Kaufsache typischen Mangel ausschließt. 588 Insofern ist – selbst wenn man mit der herrschenden Meinung von einem grundsätzlich subjektiven Fehlerbegriff der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ausgeht – doch selbst auf Grundlage dieser Interpretation die Begriffsprägung vom positiv zwingenden Recht bei Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 124 ff., durchaus nicht unzutreffend. 589 So aber wohl der Versuch bei Riesenhuber, Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (eds.), Party Autonomy, S. 348, 357 f.; s. auch Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771, 787 f. (allerdings nur bezüglich der Beschränkung des Gewährleistungstatbestandes auf Grundlage des subjektiven Fehlerbegriffs [der aber eben die Problematik der Nichtausschließbarkeit der Gewährleistungshaftung für atypische verborgene Mängel nicht zu lösen vermag], nicht hinsichtlich der Gewährleistungsfristen). 590 Zu einem frühen Zeitpunkt unverhohlen und zutreffend gesehen bei Hoffmann, Fortschreitende Privatrechtskodifikation, in: Krämer/Micklitz/Tonner, Law and Diffuse Interests, S. 291, 309, der dies aber für die dem privaten Marktbürger in der heutigen Industriegesellschaft mit ihren standardisierten Transaktionen angemessenste Lösung hält. Dies verkennt, daß es zum Schutze des privaten Marktbürgers vor den Gefahren der heutigen Industriegesellschaft
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rechtliche Typenzwang wird aber nicht etwa als Ausfluß einer materialisierten Vertragsfreiheit, sondern vielmehr als ein Ausschluß der Vertragsfreiheit im Interesse der Sicherheit des Verkehrssystems gesehen591. Es geht also bei den zwingenden Regelungen der Richtlinie genaugenommen nicht länger allein um situationsbezogenen Verbraucherschutz. Denn zum Schutze des privaten Marktbürgers vor den Gefahren der Vertrags- und Produktkomplexität der heutigen Industriegesellschaft würde es ausreichen, die Transparenz von den dispositiven Regeln abweichender Vereinbarungen sicherzustellen, wofür im übrigen bereits die Regelungen der Klausel-Richtlinie genügen dürften 592. Demgegenüber läuft ein Ausschluß auch individuell vereinbarter, abweichender Vereinbarungen eben auf einen – durch keinerlei sonstige Interessen der Allgemeinheit (wie etwa Gesundheitsschutz etc.) gerechtfertigten – Paternalismus hinaus, da die einzig mögliche Erklärung für eine derartige Regelung darin liegt, daß der Gesetzgeber davon ausgeht, einem nicht beruflichen Käufer könne eine Abweichung von den gesetzlichen Regelungen schlicht nie deutlich genug gemacht werden, um ihm eine entsprechend informierte Disposition zu gestatten 593. Der private Käufer wird also letztlich vor sich selbst geschützt 594. Auch eine rein system- oder marktordnungsbezogene (konstitutiv-infrastrukturelle) Erklärung der Vorschriften der Richtlinie im Sinne einer Schaffung einer optimalen Informationsinfrastruktur im Markt 595 – wie sie im Ansatz durchaus zutreffend ist596 – muß mit Blick auf die zwingende Ausgestaltung der Vorschriften scheitern; denn diese zwingende Gestaltung schließt den Informationscharakter unterschiedlicher Gewährleistungsniveaus – insbesondere mit Blick auf die Gewährleistungsfrist – im Markt gerade weitgehend aus597. Da jegliche andere ingenügen würde, die Transparenz abweichender Regelungen sicherzustellen, wofür im übrigen bereits die Regelungen der Klausel-Richtlinie genügen dürften. S. sogleich im folgenden Text. 591 S. schon RGZ 88, 160; Palandt-Bassenge, Einf v § 854, Rz. 2 mwN. 592 Zutreffend Roth, JZ 2001, 475, 481 f. 593 Drexls Erklärung (aaO., 787 f.), die den zwingenden Charakter des Gewährleistungstatbestandes mit dem überzeugenden Gerechtigkeitsgehalt des subjektiven Fehlerbegriffs erklären will, der dazu führe, daß jede Abweichung zu Lasten des Verbrauchers ein Indiz für dessen Übervorteilung darstellte, reicht weit, vermag aber wiederum nicht zu erklären, warum insoweit der Risikokauf mit Blick auf atypische verborgene Mängel ausgeschlossen sein soll. S. schon o. Fn. 589. 594 Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 53; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 364: „Auswuchs eines spießbürgerlichen Paternalismus“; kritisch auch Drexl, aaO., 788 bezüglich des zwingenden Charakters der einzelnen Gewährleistungsrechte und der Gewährleistungsfrist. 595 S. insbesondere Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 61 ff. mwN. 596 Insbesondere eine dispositive Regelung im Sinne der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ließe sich durch den Gedanken einer marktbezogenen Gewährleistung optimaler Verteilung der vorvertraglichen Informationsverantwortung durchaus erklären, s. Grundmann, aaO. Auf den aber durchaus auch konzeptuell entscheidenden Unterschied zu einer zwingenden Anordnung derartiger Regeln – der insbesondere auch Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und UN-Kaufrecht dann doch etwas weniger ähnlich erscheinen läßt, als allenthalben gesehen – hat Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 127 ff., zutreffend hingewiesen. 597 Zutreffend Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 133 f.; Grundmann/Bianca-Gomez, Einl., Rz. 75 ff., 116 ff.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
dividuelle oder systembezogene Erklärungsansätze ebenfalls scheitern598, läßt sich – systematisiert im hier vorgeschlagenen Vier-Ebenen-Modell – die zwingende Ausgestaltung der Gewährleistungsregeln der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie – weil drittbetroffene Werte der Allgemeinheit, wie etwa Gesundheitsschutz etc. im Regelfall nicht wesentlich betroffen sein dürften 599, so daß es jedenfalls nicht um die Regelung von Externalitäten des einzelnen Vertragsverhältnisses geht – demnach nur auf der dritten Ebene einer paternalistischen Regelung erklären. Die Rechtfertigung für derartigen Paternalismus findet der europäische Gesetzgeber eben im Gedanken des Systemvertrauens, wie er im Rahmen des Konzepts des confident consumer seine (freilich nicht tragfähige) binnenmarktbezogene Grundlegung durch die Kommission erfahren hat. Das vorbeschriebene Problem derartiger zwingender Verbraucherschutzregelungen, die sich bei genauem Hinsehen nicht länger uneingeschränkt als individuell situationsbezogen oder konstitutiv marktordnungsbezogen erklären lassen, liegt darin, daß der Gesetzgeber die Kenntnis gerade des „richtigen“ Standards für den Vertragsinhalt typischer Verkehrsgeschäfte kaum je typisierend so zielgenau festlegen kann, daß eine zwingende Ausgestaltung des Standards in allen Fallgestaltungen eines so verbreiteten Verkehrsgeschäfts, wie beispielsweise eben des Kaufs, angemessen wäre. Vielmehr bildet gerade die Regelung der Gewährleistungsfrist (von mindestens einem Jahr gem. Art. 7 Abs. 1 Satz 2) in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie für den gewerblichen Verkauf gebrauchter Güter ein Beispiel für eine zwingende Standardisierung eines Verkehrsgeschäfts, die gerade auch den typischen Interessen weiter Verbrauchergruppen – nämlich gerade der sozial schwächsten Verbraucher, die auf den Risikokauf gebrauchter Waren angewiesen sind600 – nicht gerecht werden dürfte. Es wird bei einer derartig zwingenden Ausgestaltung konkret standardisierter Vertragsinhalte wohl allzu leicht übersehen, daß es – genau wie lauterkeitsrechtlich beim Verbraucherleitbild mit Blick auf den abstrakten Irreführungsschutz – stets auch um eine Abwägung der Interessen unterschiedlicher Verbrauchergruppen geht. Einmal abgesehen von der verfassungsrechtlichen Problematik601, wirft dies die Frage auf, inwieweit Art. 7 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie mit dem Primärrecht des EG-Vertrags überhaupt vereinbar ist. Insbesondere stellt sich die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz der Gemeinschaft nach Art. 95 EG. Da die Richtlinie mit ihrer Regelung eines Mindestschutzes nicht unmittelbar – aus der Sicht der Anbieter – zu einer Einebnung tatsächlicher oder für die Zukunft konkret zu erwartender Handelshemmnisse im Binnenmarkt führt, und 598
Vgl. die weiteren Rechtfertigungsversuche bei Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121,
130 ff. 599 Allenfalls eine (indirekte) Rückwirkung auf die Qualität neu hergestellter Produkte ist natürlich zu bejahen. 600 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 363 (dort das Beispiel in Fußnote 315 mwN); Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771, 778 f. 601 Soweit ersichtlich sieht nur Canaris, AcP 200 (2000), 273, 363 f., in Art. 7 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie einen verfassungswidrigen – da unverhältnismäßigen – Eingriff in die Vertragsfreiheit.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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da sie – wiederum aufgrund ihres Mindestschutzcharakters – auch nicht wesentlich zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt (die in diesem Bereich auch nicht recht konkret erkennbar sind) beitragen kann, läßt sich aus einer anbieterbezogenen Perspektive die Binnenmarktkompetenz der Gemeinschaft jedenfalls nicht bejahen. Soweit es – nachfragerbezogen – darum geht, daß Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt zu stärken (Gedanke des Systemvertrauens) dürfte die Richtlinie – soweit die Regelungen zwingend ausgestaltet sind – aus den oben beschriebenen Gründen ebenfalls kaum Wirkung erzielen (oder sogar kontraproduktiv wirken), da sie erstens in weiten und zukunftsträchtigen Bereichen typisch europaweit-grenzüberschreitenden Handels (nämlich insbesondere mit Blick auf Distanzgeschäfte im Internet) schon aufgrund der Regelungen über das anwendbare Recht zur Stärkung des Verbrauchervertrauens überflüssig ist, und zudem durch die Richtlinie von europäischer Seite ein rechtlicher Rahmen geschaffen wird, der den Verbrauchern etwa im Gebrauchtwarenhandel mit zwingender Wirkung vertragliche Ansprüche zugesteht, die viele Verbraucher – zum Beispiel angesichts eines besonders niedrigen Preises – wegen der gar so offensichtlichen Abweichung von einer angemessenen vertraglichen Äquivalenzvereinbarung in weiten Bereichen kaum jemals geltend machen dürften602. Insofern läßt sich durchaus mit guten Gründen argumentieren, daß die Mehrzahl der Verbraucher, die derart subjektiv äquivalenzwidrig zugestandene Rechte gar nicht geltend machen würde, in ihrem Vertrauen in den rechtlichen Rahmen des Verkehrssystems eher erschüttert wird, soweit dieser rechtliche Rahmen es einer Minderzahl rechtskundiger oder besonders klagefreudiger Verbraucher ermöglicht, auf Kosten der Mehrzahl weniger durchsetzungsaktiver Verbraucher – die die Erfüllung derartiger Ansprüche über den Marktpreis letztlich kostenmäßig tragen würden – windfall profits zu erzielen. Es ist daher mit Blick auf die zwingende Ausgestaltung der Vorschriften der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie nicht erkennbar, wie die Richtlinie zur Beseitigung konkreter Handelshemmnisse oder Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt beitragen soll603. Mit Blick auf die in der Richtlinie angelegte Beschränkung der Grundfreiheiten der Anbieter – unter Umständen bezüglich ganzer Handelszweige, etwa den nicht vertragshändlergebundenen Gebrauchtwagenhandel mit älteren, eher fehleranfälligen Kraftfahrzeugen – dürften die Regelungen der Richtlinie zudem zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Grundfreiheiten führen und somit ebenfalls im Ergebnis sogar binnenmarktkonträr wirken. Nach alldem ist durchaus der Verdacht begründet, daß die Richtlinie nach den Grundsätzen der Tabakwerbe- und der British American Tobacco-Entscheidung des EuGH wegen fehlender Kompetenz der Gemeinschaft zum Erlaß einzelner der in der Richtlinie enthaltenen zwingenden Regelungen (insbesondere hinsichtlich der Verjährungsfrist) primärrechtswidrig sein könnte 604.
Einmal unabhängig von der praktischen Relevanz des vorstehend begründeten Verdachts der Primärrechtswidrigkeit des Erlasses der Verbrauchsgüterkauf-RL 605, 602 Übrigens ganz ähnlich der Versuch einer auch juristischen Fruchtbarmachung dieses Gedankens bei Adomeit, JZ 2003, 1053, 1054, der dem informiert einen Risikokauf tätigenden Verbraucher nach § 242 BGB die Berufung auf einen Mangel versagen will. Doch dürfte diese Konstruktion sich als eine Umgehung des Art. 7 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie darstellen. 603 Insbesondere der Verweis auf das Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus in Art. 95 Abs. 3 EG ändert hieran nichts, da dieses eben gerade nur im Rahmen binnenmarktorientierter Maßnahmen zu verfolgen ist. Vgl. auch o. Fn. 450 zur insgesamt keinesfalls im Sinne eines „Automatismus“ zu höchstmöglichen Verbraucherschutzregeln zu verstehenden Bedeutung dieser Vorschrift. 604 So (nur im Ergebnis) zutreffend auch Canaris, aaO. 605 Mit einer Verwerfung der Richtlinie durch den EuGH ist angesichts der weitgehen-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
werden jedenfalls die Gefahren eines proaktiven Verbraucherschutzes durch vermeintliche Stärkung des Systemvertrauens in den Rahmen zwingenden – zudem in diesem Falle positiv vertragsinhaltsbezogenen606 – Rechts, statt eines abwartenden Ansatzes, der situationsbezogen auf sich im Markt empirisch zeigende Probleme reagiert, deutlich. Dabei könnte sich ein derart abwartender, situationsspezifisch reaktiver Ansatz gerade auf das Zusammenspiel von Lauterkeits- und Vertragsrecht verlassen, indem auf Grundlage umfassender lauterkeitsrechtlicher Generalklauseln – wie aufgrund der neuen Lauterkeits-Richtlinie ja auch im europäischen Recht nunmehr vorhanden – bestimmte Problemgestaltungen im Sinne abstrakter Gefährdungsdelikte zunächst „aufgefangen“ würden, bevor eine konkrete Lösung im Verbrauchervertragsrecht (die gegebenenfalls mit einer Liberalisierung im Lauterkeitsrecht einhergehen könnte) erfolgt. Alles in allem hätten jedenfalls die Regelungen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie – insbesondere die Regelung der Verjährungsfristen – dispositiv erfolgen, im übrigen eine Lösung situationsbezogener Probleme der Klausel-Richtlinie überlassen bleiben sollen607. (4) Horizontalisierende Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-RL in das deutsche Recht und ordnungspolitische Folgerungen für das Lauterkeitsrecht (a) Der rechtspolitische „erst-recht“-Schluß bezüglich der Umsetzung der Lauterkeits-RL Noch unter einem anderen Aspekt ist eine Sichtweise der VerbrauchsgüterkaufRL im Spannungsfeld zwischen vertragsrechtlichen und lauterkeitsrechtlichen Regelungszielen illustrativ, was die für das deutsche Recht anstehende Umsetzung der – im europäischen Recht auf den Verbraucherschutz im B2C-Verhältnis limitierten – Lauterkeits-RL anbetrifft. Die sogenannte „große Lösung“ bei der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie im Rahmen der Schuldrechtsreform bildet nämlich ein Paradebeispiel608 für eine ordnungspolitisch gebotene Horiden politischen Einigkeit bei ihrem Erlaß schlechterdings nicht zu rechnen. S. auch Canaris, aaO. 606 Treffend der diesbezügliche terminologische Ansatz bei Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 124 f. 607 Im Ergebnis auch weit überwiegende Meinung in der deutschen Literatur, s. Medicus, ZIP 1996, 1925, 1929 f.; Kirchner, ZRP 1997, 290, 293; Micklitz, EuZW 1997, 229, 235; Ehmann/Rust, JZ 1999, 853, 860; Canaris, aaO.; Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 52 f.; (mit Einschränkungen) auch Drexl, in: FS Sonnenberger, S. 771, 786 ff. S. im übrigen als einer der ersten (und mittlerweile statt vieler) für einen grundsätzlich dispositiven Charakter einer künftigen allgemeinen europäischen Privatrechtskodifizierung Remien, Möglichkeiten und Grenzen eines europäischen Privatrechts, in: Jhb. Junger Zivilrechtswissenschaftler 1991, S. 11, 27. 608 Darüber hinaus liegt eine weniger augenfällige (aber doch wesentliche) teilweise sachliche Ausdehnung praktisch sämtlicher vertriebsbezogener europäischer Verbraucherschutzvorschriften für das deutsche Recht darin, daß der Verbraucherbegriff des § 13 BGB – anders als der europäische Verbraucherbegriff der vertriebsbezogenen Richtlinien – den Erwerb beruflicher Güter durch Arbeitnehmer mit einbezieht (s. statt aller Palandt-Heinrichs, § 13, Rz. 3), während die Richtlinien Geschäfte, die der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden
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zontalisierung des persönlichen609 Anwendungsbereichs der europäischen Verbraucherschutzvorschriften610 im mitgliedstaatlichen Recht. Die meisten Vorschriften der Richtlinie – mit der für das hier behandelte Thema wesentlichen Ausnahme der Transparenzvorschriften bezüglich Garantien – wurden über den Verbraucherkauf hinaus auch zum (außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs dispositiven) Modell für das allgemeine Kaufrecht sowie für die damit nunmehr verknüpften Regelungen des allgemeinen Schuldrechts genommen. Einmal unabhängig von der allgemeinen Diskussion um die „große Lösung“ betrachtet, ist dies für den hier interessierenden Bereich des Sachmangelbegriffs – und seiner Verknüpfung mit Werbeangaben – aus rechtspolitischer Sicht uneingeschränkt zu begrüßen. Die hier letztlich geregelte Verteilung vorvertraglicher Informationsverantwortung für werbliche Angaben nach dem Sphärengedanken betrifft ein spezifisches Informationsgefälle zwischen Veräußerern (die in der Absatzkette – zumindest bei typisierter Betrachtung – besseren Überblick und Einwirkungsmöglichkeiten auch bezüglich der Herstellerangaben besitzen) und Erwerbern, welches nicht verbraucherspezifisch ist611. Eine etwaige größere Erfahrung gewerblicher Käufer kann ohne weiteres im Rahmen des gruppenspezifisch flexiblen Auslegungshorizonts berücksichtigt werden. Zutreffend war es auch, die Regelung gegenüber gewerblichen Käufern dispositiv auszugestalten; da es letztlich um eine gesetzliche Typisierung des Vertragsinhalts im Interesse der Anpassung des Rechts an das zusehends von massenhaften Gattungskäufen geprägte Verkehrssystem geht, muß hier (auch über die Spielräume des subjektiven Mangelbegriffs hinaus) eine individualvertragliche Abweichung – mithin insbesondere eine Hafkönnen, insgesamt von ihrem Anwendungsbereich ausnehmen (im Falle der E-CommerceRichtlinie sind noch zusätzlich auch „geschäftliche Zwecke“ von der Verbraucherdefinition ausgenommen, was dazu führt, daß das deutsche Recht in diesem Bereich jedenfalls einen europarechtswidrigen [die Harmonisierung durch die E-Commerce-Richtlinie ist abschließend] „Überschutz“ statuiert). S. zu den damit verbundenen Problemen Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 40 ff.; vgl. grundlegend auch Mohr, AcP 204 (2004), 660 ff. Vgl. zu dieser Problematik im übrigen noch näher unten 4. Kap. 2. Abschn. A II. 609 Genaugenommen handelt es sich beim „persönlichen“ Anwendungsbereich der Richtlinien nicht um personenbezogene, sondern um situationsbezogene Definitionen. Denn die jeweiligen Verbraucherdefinitionen in den Richtlinien differieren nicht nur um Nuancen, sondern sind insbesondere rollenbezogener Art. D.h., für die Frage, ob eine bestimmte natürliche Person im jeweiligen Regelungsrahmen „Verbraucher“ ist, kommt es auf den jeweiligen Zusammenhang des Handelns der Person an, s. statt aller Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 40 ff. mwN. Dennoch wird hier um der intuitiven Verständlichkeit willen der Begriff vom persönlichen Anwendungsbereich verwendet. 610 Die Problematik stellt sich in erster Linie mit Blick auf die hier vorrangig betrachteten vertriebsbezogenen Richtlinien. Die branchenspezifischen Richtlinien – mit der wesentlichen Ausnahme der Verbraucherkredit-RL – sind ohnedies in ihrem Anwendungsbereich nicht kategorisch auf Verbraucherverträge beschränkt. Vgl. Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 59 ff. (allerdings scheint es zu weitgehend, wenn er das existierende europäische Schuldvertragsrecht als „meist nicht auf Verbraucherbeziehungen beschränkt“ charakterisiert). 611 AllgM, s. statt vieler Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952, 955; Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 56 f.; Weiler, WM 2002, 1784, 1785; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 236; MüKo-Westermann, § 434, Rz. 21.
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tungsfreizeichnung für atypische verborgene Mängel und Änderungen bezüglich der Gewährleistungsfrist und -rechte – möglich sein. Insgesamt belegt das Beispiel der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, daß stets wenn europäische „Verbraucherschutzvorschriften“ keine verbraucherspezifischen, sondern allgemeine Gefährdungen oder Störungen des Vertragsmechanismus betreffen – schon mit Blick auf das verfassungsrechtliche und ordnungspolitische Gleichmaßgebot für die Rechtsordnung – ein erheblicher rechtspolitischer Druck entsteht, diese Regelungen im mitgliedstaatlichen Recht tatbestandlich über den Verbraucherbereich hinaus auszudehnen612. Dabei ist außerhalb des Verbraucherbereichs eine dispositive Ausgestaltung der (im Verbraucherschutz zumeist zwingenden) europarechtlichen Normen geboten, soweit diese Normen positiv den individuellen Vertragsinhalt typisieren (wie im Falle der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie). Denn in derartigen Fällen ist der zwingende Eingriff in das Prinzip der Vertragsfreiheit so gering wie irgend möglich zu halten, eine individualvertragliche Abweichung muß – bis auf Grenzfälle, in denen die vertragliche Gestaltung so extrem weit von den Maßstäben typisiert verobjektivierter Äquivalenz entfernt ist, daß sie ein unwiderlegbares Indiz für eine fehlerhafte privatautonome Gestaltung bietet – möglich sein. Soweit die europäischen Bestimmungen jedoch – mit oder ohne unmittelbare Anknüpfung an den Abschluß individueller Verträge – sich nicht als Typisierungen einer Parteiabrede darstellen, sondern vielmehr gesetzlich den institutionellen Rahmen des Verkehrssystems mit Blick auf Werbung oder Vertragsschluß gestalten, ist eine dispositive Ausgestaltung nicht sinnvoll. Denn dann ist die Privatautonomie in ihrer Erscheinungsform als Vertragsinhaltsfreiheit gar nicht betroffen; vielmehr geht es um eine Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Wettbewerb und Vertragabschluß. Zwar gilt auch in diesem Bereich das Gebot weitestmöglicher Wahrung der Wettbewerbs- und Vertragsabschlußfreiheit vor Einschränkungen; doch ist dieses Gebot in derartigen Fällen lediglich an den Gesetzgeber gerichtet, zur Disposition der Parteien stehen die Bedingungen des Vertragsschlusses nicht. Eine dispositive Ausgestaltung käme in diesen Fällen auch regelmäßig „zu spät“, denn entweder bezieht sich die Regelung – die es abzubedingen gälte – gerade auf die Bedingungen des Vertragsschlusses selbst, kann also – zumindest im Rahmen eines einmaligen vertraglichen Kontakts – nicht sinnvoll abbedungen werden, oder die Regelung hat ihren Schwerpunkt weit im Vorfeld der Anbahnung individueller Verträge, so daß schon aus diesem Grund aus der Sicht des Anbieters eine nennenswerte Liberalisierung durch dispositive Ausgestaltung nicht erreicht werden kann. Es ist in derartigen Fällen deshalb schlicht zu prüfen, ob das zugrundeliegende Versagen des Vertragsschlußmechanismus (und in der Folge des Marktes) in bestimmten Situationen einen (zumindest bei typisierter Betrachtung) verbraucherspezifischen Charakter hat oder nicht. Im ersteren Falle ist die Regelung über612 Vgl. für den gesamten Bereich des Verbrauchsgüterkaufs zutreffend statt vieler Grundmann, aaO.
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haupt nicht auf Bereiche außerhalb des Verbraucherrechts auszudehnen613, im zweitgenannten Fall ist sie – sofern der europarechtliche Rahmen dies zuläßt – auch außerhalb des Verbraucherrechts zwingend auszugestalten. Ein Beispiel für institutionelle, vertragsabschlußbezogene gesetzliche Regeln, die an sich nicht verbraucherspezifisch sind, bieten die Art. 10 Abs. 1–3 und 11 Abs. 1–2 E-Commerce-Richtlinie 614. Ein Beispiel für institutionelle, eigenständig und gezielt auch auf die Gestaltung des rechtlichen Rahmens für den Wettbewerb bezogene Regeln, die gleichfalls nicht verbraucherspezifisch sind, bietet die Lauterkeits-Richtlinie. Auf dieses letztgenannte Beispiel ist noch etwas näher einzugehen, denn in diesem Zusammenhang ist es gerade auch die übergreifende Betrachtung von Lauterkeits- und Vertragsrecht, die die rechtspolitisch zutreffende Umsetzungslösung stützt.
Aus der Zusammenschau mit der zutreffenden „großen Lösung“ bei der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ergibt sich auch für die LauterkeitsRichtlinie das dringende rechtspolitische Gebot an den deutschen Gesetzgeber, die in ihrem Anwendungsbereich auf den B2C-Bereich begrenzte europäische Maßnahme im nationalen Rahmen zu horizontalisieren und auf die Regelung des gesamten Marktgeschehens auszudehnen615. Dafür spricht erstens die feh613 Ein Beispiel bieten insoweit die o.g. Bestimmungen für Garantien. Dem deutschen Gesetzgeber (s. Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 246) ist zuzustimmen, wenn er diese Transparenzbestimmungen für verbraucherspezifische Schutzvorschriften ansieht. Denn das zugrundeliegende Informationsgefälle dürfte (bei typisierter Betrachtung), da es hier nicht um warenspezifische Informationen, sondern um bestimmte Basisinformationen über die geltende Rechtslage geht, bei Garantieverträgen mit Gewerbetreibenden im Regelfall in der Tat nicht vorliegen. Insofern hätte dann aber auch eine dispositive Einbeziehung in den gewerblichen Bereich wenig Sinn gehabt; denn die Transparenzvorschriften bezwecken einen institutionellen, auf das Verkehrssystem bezogenen Irreführungsschutz, der auf einen Bereich im Vorfeld der Anbahnung individueller Verträge abzielt. Die abdingbare Ausgestaltung wäre daher systemwidrig und auch aus Sicht der Anbieter von Garantien wenig hilfreich; die schon tatbestandliche Beschränkung auf den Verbraucherbereich war daher zutreffend. 614 Es wäre daher rechtspolitisch geboten gewesen, die Vorschriften der Art. 10, 11 E-Commerce-Richtlinie insgesamt zwingend auszugestalten, was auch die nunmehr entstandene unübersichtliche und teils widersprüchlich erscheinende Rechtslage – bei zutreffender Betrachtungsweise sind die Art. 10 Abs. 1–2 und Art. 11 nur in B2B-Situationen (also insbesondere nicht in C2B-Situationen) abdingbar, wobei der gesonderte (engere) Verbraucherbegriff der Richtlinie zu bedenken ist, der neben selbständigen beruflichen und gewerblichen auch (sonstige) geschäftliche Zwecke aus der Definition ausnimmt – vermieden hätte. Eine Korrektur durch den deutschen Gesetzgeber durch eine überschießende Umsetzung kam aber in diesem Falle nicht in Betracht, da die Richtlinie abschließende Maximalstandards regelt; unter diesem Aspekt ist die derzeitige (wg. des weiteren Verbraucherbegriffs § 13 BGB zu strenge) Rechtslage in Deutschland ohnehin im Wege richtlinienkonformer Auslegung an die Vorgabe der Richtlinie anzupassen. S. zum ganzen Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 44 ff., sowie zur letztgenannten Problematik des deutschen Verbraucherbegriffs auch noch unten 4. Kap. 2. Abschn. A II. 615 A.A. noch Lettl, WRP 2004, 1079, 1089; zweifelnd auch schon Köhler/Lettl, WRP 1019, 1051 (jeweils im Vorfeld der Verabschiedung der Richtlinie). Nunmehr nach Verabschiedung der Richtlinie aber praktisch einhellige Meinung, s. nur Köhler, GRUR 2005, 793, 801 f.; Glöckner/ Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1324; Seichter, WRP 2005, 1087, 1089.Ähnlich Fezer, WRP 2006, 781, 784, der aber darauf hinweist, daß die formal gewahrte Gesetzeseinheit nicht verdek-
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lende Verbraucherspezifität616 der ihrem ganzen Charakter nach – trotz all der (rechtspolitisch mit Blick auf die diesbezügliche Reserviertheit des common law begründeten) Bemühungen, Aspekte des lauterkeitsrechtlichen Mitbewerberschutzes auszuklammern617 – institutionell auf den Schutz des Wettbewerbs vor irreführenden und aggressiven Werbemethoden (im Interesse der Verbraucher, Mitbewerber und der Allgemeinheit) ausgerichteten Regelung 618, die lediglich aus Gründen innerbehördlicher Kompetenz von der Verbraucherschutzgeneraldirektion der Kommission im Anwendungsbereich auf B2C-Situationen (und in der Zielsetzung auf einen vermeintlich ausschließlichen Verbraucherschutzzweck) begrenzt wurde 619. Hieran schließt sich unmittelbar ergänzend der zweite Aspekt an, in einem derartigen Falle auch im Interesse der Wahrung der ken dürfe, daß die b2c-Tatbestände des UWG im Interesse eines unmittelbaren Verbraucherschutzes auszulegen seien. 616 Die Verzerrung freier und informierter Vertragsentscheidungen durch irreführende und aggressive Werbemethoden betrifft als abstrakte Gefährdungslage die rechtlichen Interessen der gewerblichen Marktgegenseite grundsätzlich, d.h. der Art nach, ganz genauso wie private Verbraucher. Soweit bezüglich des jeweils benötigten Schutzumfangs, d.h. der Quantität des Schutzes, Unterschiede bestehen, könnten diese ohne weiteres im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Generalklauseln – wie sie ja auch die Richtlinie vorsieht – berücksichtigt werden, da diese ja ausdrücklich eine typisierte Orientierung an den angesprochenen bzw. erreichten Empfängerkreisen gebieten. Soweit einzelne der in den Anhängen genannten per se irreführenden oder aggressiven Praktiken als spezifisch gefährlich nur für private Verbraucher angesehen werden, kann insoweit auch durchaus eine Differenzierung durch lediglich verbraucherspezifische Übernahme einzelner der per se Verbote erfolgen (s. noch sogleich im folgenden Text). Dies betrifft aber nicht das prinzipielle Gebot der horizontalisierenden Eingliederung der deutschen Umsetzung der Lauterkeits-Richtlinie in das deutsche UWG. 617 S. eingehend Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141 ff. mwN. 618 Die Tatsache, daß sich in vielen der durch die Richtlinie geregelten Fallgruppen diese Aspekte gar nicht sinnvoll voneinander trennen lassen, sowie die Beobachtung, daß einzelne der per se-Verbote in den Anhängen zur Richtlinie mit einem rein auf den Schutz freier und informierter Entscheidungen der Verbraucher fokussierten Zweckrichtung gar nicht erklärbar sind, wurden an anderer Stelle Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141 ff. mwN, erschöpfend belegt. 619 Anders als im Falle der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, wo sich für die (gleichermaßen ordnungspolitisch sinnwidrige) Begrenzung auf Verbrauchergeschäfte zumindest noch ein rechtlicher Grund in der Kompetenzordnung der Gemeinschaft andeutete, die bezüglich der Binnenmarktkompetenz natürlich weitaus unproblematischer für den Bereich zwingend angeknüpften Rechts zu begründen ist (s. Grundmann, aaO., 58 f.), lag der Grund für die systemwidrige Begrenzung des Anwendungsbereichs der Lauterkeits-Richtlinie, die im Vergleich zumal zur Schutzzwecktrias der Irreführungs-Richtlinie einen regelrechten Rückschritt des europäischen Rechts bedeutet (zutreffend Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1054 (Rz.192)), also in einem rein innerbehördlichen Kompetenzstreit zwischen der GD Markt und der SANCO (s. schon Glöckner, European Law Reporter 2002, 42 ff.). Ein rechtlicher Grund mit Blick auf die Binnenmarktkompetenz der Gemeinschaft ließe sich für die Differenzierung auch nicht finden, da das aus dem Marktortprinzip des internationalen Wettbewerbsrechts resultierende, den Binnenmarkt hemmende „Mosaikproblem“ der Gewerbetreibenden mit Blick auf die rechtliche Beurteilung einer europaweiten Werbemaßnahme sowohl in B2B- als auch in B2C-Situationen dasselbe ist. Vgl. näher zum ganzen mit vollzähligen Nachweisen schon oben bei Fn. 212.
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Einheit der Rechtsordnung eine durch inhaltlich-interessenbezogene Gründe eben nicht gerechtfertigte Spaltung des deutschen Lauterkeitsrechts zu vermeiden. Dies umsomehr als – einmal ganz abgesehen von den rechtlichen Unstimmigkeiten und aufbrechenden Lücken an der Schnittstelle verbraucherschützenden und allgemeinen Lauterkeitsrechts, wie sie sich für das europäische Recht schon andeuten620 – (drittens) jegliche andere Lösung zu kaum lösbaren faktischen Abgrenzungsschwierigkeiten und im Resultat zu erheblicher Rechtsunsicherheit in all jenen Fällen führen würde, in denen eine Produkt- oder Dienstleistungswerbung (man denke nur an Werbung für PKW) sich potentiell sowohl an Geschäftsleute als auch an private Verbraucher richtet. Diese fehlende Vorhersehbarkeit der Privatverbraucherfokussierung einer Werbung in der der vorvertraglichen Individualisierung vorgelagerten Phase allgemeinen Marketings unterläuft im übrigen (viertens) auch vollkommen den Binnenmarktzweck der Richtlinie, da Hersteller und Vertreiber derart „hybrider“ Produkte – und eine gleichermaßen private wie gewerbliche Nutzbarkeit dürfte der typische Fall sein – weiter dem Mosaik anwendbarer – und insoweit nicht einmal harmonisierter – Rechte im Binnenmarkt ausgesetzt blieben, soweit die durch die Werbung angestrebte oder erreichte Verbrauchergruppe nicht eindeutig gewerblichen oder privaten Charakter hat. Dies beruht auf der widersinnigen europarechtlichen Vorgabe, daß künftig im B2B-Bereich den Mitgliedstaaten die Heranziehung strengerer Maßstäbe (begrenzt durch die Verhältnismäßigkeitsprüfung des Primärrechts) in weiten Bereichen theoretisch weiter offenstünde, während im B2C-Bereich durch die Richtlinie eine umfassende und abschließende Harmonisierung nach Ablauf der Übergangsfristen beabsichtigt ist621. Zumindest für das nationale Recht sind diese Widersprüche durch Horizontalisierung der Richtlinienumsetzung zu korrigieren622. Gegen eine Horizontalisierung des Anwendungsbereichs könnte allerdings die damit verbundene äußerst weitgehende Ausdehnung der mittelbaren Einflußzone europäischen Rechts (und europäischer Rechtsprechung) ins Feld geführt werden. Doch war genau derselbe Aspekt auch bei der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zu bedenken. In diesem Falle hat der deutsche Gesetzgeber letztlich akzeptiert, daß Transformationsnormen europäischen Rechts in den Kern des deutschen Vertragsrechts getragen werden, und hat damit den Aspekt der wer620 Und zu einer noch gar nicht überschaubaren Zahl von Abgrenzungs- und Abstimmungsproblemen im künftig gespaltenen europäischen Lauterkeitsrecht (im B2B-Bereich bleibt es bei der Geltung der Irreführungs-Richtlinie in ihrer durch die Lauterkeits-RL limitierten Form) führt, s. für ein Beispiel nur Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1039 f. mit Blick auf vergleichende Werbung, die im Hinlick auf den Vergleich irreführt. 621 Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 173 f.; ähnlich auch Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1057. 622 Zutreffend mit demselben Ergebnis auch die bisher einhellige Meinung in der deutschen Literatur Köhler, GRUR 2005, 793, 801 f.; Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1324; Seichter, WRP 2005, 1087, 1089; vgl. auch noch unten 4. Kap. 2. Abschn. A IV.
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tungsmäßigen inneren Einheit der Rechtsordnung höher bewertet, als den – zumal mit Blick auf die Verwerfungen an den Schnittstellen von nationalem und Gemeinschaftsrecht – durchaus a priori ebenso legitimen rechtspolitischen Gesichtspunkt, das mitgliedstaatliche Recht (durch bereichsspezifische Isolierung der Umsetzungsnormen) möglichst weitgehend vor dem Einfluß europäischer Rechtsetzung und Rechtsprechung zu bewahren. Ein regelrechter rechtspolitischer „erst-recht“-Schluß scheint auf der Grundlage dieser gesetzgeberischen Wertentscheidung dafür zu sprechen, auch bei der Umsetzung der Lauterkeits-Richtlinie eine „große“ Lösung zu wählen und die Bestimmungen der Richtlinie zu horizontalisieren. Der wesentliche Regelungsgehalt der Richtlinie (insbesondere die Generalklauseln des Richtlinientexts623) sollten also unter Beibehaltung der Schutzzwecktrias des deutschen Rechts hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs für das deutsche Recht auf den B2B-Bereich ausgedehnt werden, so daß es bei einem einheitlich konzipierten Lauterkeitsrecht bleiben kann. Lediglich, soweit einzelne der unwiderleglichen Beispiele unlauteren Wettbewerbs aus dem Anhang I der Richtlinie verbraucherspezifischen Charakter haben, ist eine entsprechend begrenzte Umsetzung geboten 624. Der Rahmen des neuen UWG ließe – sofern man überhaupt für eine Umsetzung durch Anpassung der Beispielstatbestände optiert625 – eine entsprechende Differenzierung bei den Beispielsfällen unlauteren Wettbewerbs jedenfalls ohne gesetzgebungstechnische Systembrüche zu. (b) Exkurs: Probleme überschießender Richtlinienumsetzung Aus europarechtlicher Sicht bestehen mit Blick auf die überschießende Richtlinienumsetzung im nationalen Recht zwei Problemkomplexe, auf die an dieser Stelle der Vollständigkeit halber kurz und umrißartig einzugehen ist. Es ist dies zum einen die Frage nach der Reichweite und Grundlage des Gebots richtlinienkonformer Auslegung in überschießenden Bereichen mitgliedstaatlichen Rechts und zum anderen die Frage nach der Reichweite des Vorlagerechts (oder gar der Vorlagepflicht) mitgliedstaatlicher Gerichte in derartigen Fällen, der sich die
623 Für eine ausdrückliche Umsetzung der europäisch harmonisierten Generalklausel auch Köhler, GRUR 2005, 793, 796 f.; keinen Umsetzungsbedarf sehen Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1327 ff. 624 Ohnedies nur für eine Umsetzung in der Gesetzesbegründung Köhler, GRUR 2005, 793, 797; eher für eine Umsetzung in einem Anhang zum novellierten UWG Seichter, WRP 2005, 1087, 1095; für eine Umsetzung im Gesetzestext – sei es durch Integration der „black list“ als ganzes in den Gesetzestext oder durch entsprechende Anpassung der existierenden Beispielstatbestände – auch Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1323. Insgesamt für eine offensive Umsetzung der Richtlinie und insbesondere für eine Umsetzung der black list im Gesetzestext auch aus Gründen der Transparenz und Präzision im Sinne „guter“ Gesetzgebungstechnik Fezer, WRP 2006, 781, 783. 625 Vgl. für die in der deutschen Literatur diskutierten Optionen o. Fn. 624.
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Frage nach der Reichweite der Bindungswirkung von EuGH-Urteilen unmittelbar anschließt626. Aus Sicht des deutschen Rechts stellt sich die Situation nach zutreffender Auffassung so dar, daß das Gebot richtlinienkonformer Auslegung unmittelbar lediglich die echten nationalen Transformationsnormen erfaßt, soweit die methodischen Möglichkeiten des nationalen Rechts reichen 627. Im überschießenden Bereich besteht in den gleichen methodischen Grenzen mittelbar ein Gebot zur richtlinienorientierten Auslegung 628, welches – (aus der Sicht des deutschen Rechts) gewissermaßen über den Katalysator der historischen und insbesondere der teleologischen Auslegung vermittelt – dann eine einheitliche Auslegung gebietet, wenn der nationale Gesetzgeber eine einheitliche Auslegung gewollt hat, und insbesondere wenn der Telos der jeweils in Frage stehenden Norm sich auch im überschießenden Bereich wesentlich mit dem Telos der unmittelbar umsetzenden Norm (der den Zweck des Gemeinschaftsrechtsakts widerspiegelt) deckt629; d.h., für die hier betrachteten Fälle lautet die entscheidende Frage, ob der verbraucherschützende Telos des Gemeinschaftsrechts auch im überschießenden Bereich (nicht verbraucherspezifischer) nationaler Transformationsnormen trägt oder ob in nicht verbraucherspezifischen Bereichen eine abweichende Zwecksetzung den Umsetzungsnormen des deutschen Rechts zugrundeliegt630. Der verbleibende Unterschied der richt626 S. zuletzt zu beiden Problemkomplexen Drexl, in: FS Heldrich zum 70. Geburtstag, S. 67 ff. mwN; Metzger, AcP 204 (2004), 231, 256 ff., zum Problem der Reichweite des Gebots richtlinienkonformer oder richtlinienorientierter Auslegung in überschießenden Bereichen; vgl. ausführlich zur richtlinienkonformen Auslegung kraft europäischen und nationalen Rechts zuletzt auch Roth, EWS 2005, 385 ff. 627 S. EuGH Rs. 14/83 (Von Colson und Kamann), Slg. 1984, 1891, Rz. 28; EuGH Rs. 79/ 83 (Harz), Slg. 1984, 1921, Rz. 28. Für weitere Nachweise aus der neueren Rechtsprechung und Literatur s. Jarass/Beljin, JZ 2003, 768, 775; Drexl, FS Heldrich zum 70. Geburtstag, S. 67 ff., der aaO., S. 76 ff., eine spezifisch europarechtliche Perspektive auf das Problem wählt. 628 In der Sache setzt sich zusehends ein Verständnis richtlinienorientierter Auslegung, wie im folgenden Text beschrieben, durch. Terminologisch besteht noch weitgehende Uneinheitlichkeit: neben der Formulierung „richtlinienorientierte Auslegung“ (s. z.B. MüKo-Lorenz, Vor § 475, Rz. 4 mwN), wird auch der Begriff „quasi-richtlinienkonforme Auslegung“ (s. z.B. Hommelhoff, in: FS 50 Jahre BGH, S. 889, 915 f.) verwendet oder von einer „Ausstrahlungswirkung der Richtlinie auf das richtlinienfreie Recht“ (so Canaris, in: FS Bydlinski, S. 47, 74) gesprochen, wobei dieser letztgenannte Begriff in der vorliegenden Untersuchung verwendet wird, um die Ausstrahlung europarechtlicher Pflichtentatbestände an der Schnittstelle zur Durchsetzung nach mitgliedstaatlichem Recht – das insoweit vom EuGH am Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz gemessen wird – zu beschreiben. Dem Ausgangspunkt der herrschenden Meinung, die von den Auslegungsmethoden des deutschen Rechts ausgeht, stellt Drexl, in: FS Heldrich zum 70. Geburtstag, S. 67, 78 ff. die Entwicklung einer Dogmatik einer europarechtlichen Pflicht zur einheitlichen Auslegung gegenüber, die er allgemein dogmatisch auf die in der Rechtsprechung des EuGH zur effet utile-Methode konkretisierte Pflicht zum gemeinschaftsfreundlichen Verhalten aus Art. 10 Abs. 2 EG stützt, und für die sich auch bereits einzelne konkretere Anhaltspunkte in der Rechtsprechung des EuGH finden lassen. Dabei decken sich die von Drexl, aaO., S. 85 f., gefundenen Ergebnisse der europarechtlichen Analyse bezüglich der Reichweite und Grenzen einer europarechtlichen Pflicht zur einheitlichen Auslegung – Pflicht zur einheitlichen Auslegung immer dann, wenn Sinn und Zweck der nationalen Regelung im überschießenden Bereich sich mit dem Telos des Gemeinschaftsrechtsakts decken – inhaltlich gerade im wesentlichen (s. aber für eine wichtige Abweichung noch u. Fn. 631) mit den vorgenannten Resultaten, wie sie auf der Grundlage der Methodik des deutschen Rechts erzielt werden. 629 Hommelhoff, aaO. 630 Ebenso Drexl, in: FS Heldrich zum 70. Geburtstag, S. 67, 86, auf der dogmatischen
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
linienorientierten zur richtlinienkonformen Auslegung besteht, wenn die vorgenannte Bedingung erfüllt ist, allenfalls noch darin, daß die richtlinienorientierte Auslegung nicht in vergleichbarer Weise wie die richtlinienkonforme Auslegung Vorrang vor den anderen Auslegungsmethoden – bis an die Grenzen zur Rechtsfortbildung und des Verbots horizontaler Direktwirkung – erlangen kann631. Die – auf der Ebene des europäischen Gerichtshofs auch mit Blick auf die dadurch noch zusätzlich wachsende Arbeitsbelastung nicht gänzlich unumstrittene 632 – Situation bezüglich des Vorlagerechts nationaler Gerichte 633 bei Zweifelsfragen in Fällen überschießender Umsetzung im nationalen Recht, wird vom EuGH beharrlich dahingehend beantwortet, daß eine Vorlage durch die nationalen Gerichte jedenfalls mindestens möglich ist634. Eine gewisse UnGrundlage der von ihm in ihrer Reichweite und ihren Grenzen ausgeloteten europarechtlichen Pflicht zur einheitlichen Auslegung überschießenden Rechts. 631 Canaris, aaO. Auf der Grundlage der Annahme einer europarechtlichen Pflicht zur einheitlichen Auslegung im überschießenden Bereich müßte man allerdings wohl konsequenterweise sogar einen derartigen Vorrang bejahen, soweit die europarechtliche Pflicht zur einheitlichen Auslegung reicht, vgl. Drexl, in: FS Heldrich zum 70. Geburtstag, S. 67, 83 ff. In dieser Klärung dürfte der besondere Wert der Analyse Drexls zu den europarechtlichen Grundlagen einer Pflicht zur einheitlichen Auslegung überschießenden nationalen Transformationsrechts liegen. 632 S. nach schon mehreren entsprechenden Anläufen der Generalanwälte (vgl. für Nachweise Bärenz, DStR 2003, 492 ff.) zuletzt GA Jacobs in Rs. C-306/99 (Banque Internationale pour l´Afrique Occidentale SA [BIAO]), Slg. 2003, I-1, mit seiner Kritik an einem entsprechenden Vorlagerecht (mit einer Darstellung der bisherigen Rechtsprechung, die unter anderem mit Blick auf die Arbeitsbelastung des EuGH, aaO., Rz. 65, sowie den nationalen Auslegungskontext, in den sich der Gerichtshof bei der Auslegung der Richtlinien bezüglich überschießenden nationalen Rechts begibt, aaO., Rz. 53 ff., hinterfragt wird) und dazu Bärenz, IStR 2002, 24 f. 633 Die Frage nach einer Vorlagepflicht wurde vom Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung offengelassen. Sie wird von der ganz überwiegenden Meinung in der Literatur verneint, s. Habersack/Mayer, JZ 1999, 913, 918; Bärenz, DStR 2001, 692, 694 ff.; ders., DStR 2003, 492, 493. Vgl. aber mit einer differenzierten Analyse zuletzt Drexl, in: FS Heldrich zum 70. Geburtstag, S. 67, 81 ff., der in der Rechtsprechung des EuGH auch einzelne Anhaltspunkte für eine Vorlagepflicht des letztinstanzlichen nationalen Rechts ausmacht und damit das Bild etwas detaillierter zeichnet als die herrschende Meinung. 634 S. ständige Rechtsprechung des EuGH Rs. C-197/89 (Dzodzi), Slg. 1990, I-3763; Rs. C231/89 (Gmurzynska-Bscher), Slg. 1990, I-4003; zuletzt in Reaktion auf vorbeschriebene Schlußanträge des Generalanwalts Jacobs (o. Fn. 632) eindeutig auch EuGH Rs. C-306/99 (BIAO), Slg. 2003, I-1, und dazu Bärenz, DStR 2003, 492 ff. Schon aus allgemeinen Gründen (also nicht nur im überschießenden Bereich, sondern auch innerhalb des Anwendungsbereichs einer Richtlinie) ist aber einschränkend zu berücksichtigen, daß schon bei der Frage nach einer Vorlagepflicht bzw. -möglichkeit zu berücksichtigen ist, daß wie oben beschrieben der Methodenkanon des nationalen Rechts die Grenze für die richtlinienkonforme Auslegung einer mitgliedstaatlichen Norm markiert. Soweit daher eine richtlinienkonforme Auslegung einer Vorschrift des nationalen Rechts auf Grundlage eines bestimmten Verständnisses der Richtlinie nach dem nationalen Methodenkanon nicht mehr in Betracht kommt, ist genaugenommen durch das nationale Gericht auch nicht vorzulegen, da dann die Zweifelsfrage bezüglich der Richtlinienauslegung nicht entscheidungserheblich ist. Vielmehr ist in einem solchen Falle genaugenommen der von der Richtlinienvorschrift hinreichend klar Begünstigte – angesichts der ausgeschlossenen horizontalen Direktwirkung von Richtlinien (EuGH Rs. C-91/92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rz. 2; siehe zuletzt auch EuGH Verb. Rs. C-397–403/01 (Pfeiffer u.a.), Slg. 2004, I-8835, Rz. 107 ff., wo der Gerichtshof entgegen den wohl weitergehenden Schlußanträgen des GA Ruiz-Jarabo Colomer v. 6.5.2003, Rz. 8, am Verbot horizontaler Direktwirkung zwischen Privaten prinzipiell festhält und es, im Grundsatz wie bisher, dem nationalen Gericht überläßt, unter Heranziehung
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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gleichgewichtslage entsteht dabei dadurch, daß die Entscheidung des Gerichtshofs über die Auslegung der Richtlinie – die das nationale Gericht in Zweifelsfragen demnach erreichen kann – dann in der Folge für dieses Gericht nach der herrschenden Meinung europarechtlich im Grundsatz nur bindend ist, soweit der Anwendungsbereich der Richtlinie reicht635; dennoch wird das mitgliedstaatliche Gericht naturgemäß im Regelfall die von ihm herbeigeführte Entscheidung des EuGH respektieren und – soweit dies wiederum ordnungspolitisch geboten ist – in ihrer Reichweite noch zusätzlich auf vergleichbare Situationen ausdehnen636. Die vorstehend geschilderte Ungleichgewichtslage zwischen prozessualem Ansatz des EuGH und materieller Reichweite der Bindungswirkung läßt sich im übrigen dann ausgleichen, wenn man die den EuGH-Entscheidungen zugrundeliegende Dogmatik dahingehend fortentwikkelt, auf Grundlage der zum effet utile-Grundsatz kristallisierten Pflicht der Mitgliedstaaten zu gemeinschaftsfreundlichem Verhalten (Art. 10 Abs. 2 EG) sogar eine europarechtliche Pflicht zur einheitlichen Auslegung in (teleologisch mit der Zwecksetzung des Gemeinschaftsrechtsakts übereinstimmenden) überschießenden Bereichen zu bejahen, der dann im übrigen auch eine entsprechende Vorlagepflicht letztinstanzlicher nationaler Gerichte entspräche 637.
Heruntergebrochen auf die hier behandelten Themenkreise, bedeuten diese allgemeinen Grundsätze, daß im Bereich des Kaufrechts – angesichts der vom Gesetzgeber ersichtlich gewollten und systematisch-teleologisch gebotenen einheitlichen Auslegung – grundsätzlich richtlinienorientiert auszulegen ist. Für die noch umzusetzende Lauterkeits-Richtlinie – für die hier eine horizontalisierende Umsetzung vorgeschlagen wurde – gilt grundsätzlich dasselbe. Die künftigen Umsetzungsvorschriften – und eine horizontalisierende Umsetzung ist angesichts der in dieser Frage einhelligen Haltung der deutschen Rechtswissenschaft durchaus zu erwarten – wären demnach einheitlich auzulegen; denn (trotz der nominellen Beschränkung auf Verbraucherschutzzwecke in Anwendungsbereich und Telos, die aber einer Einzelbetrachtung anhand der Normen aus der Perspektive des deutschen Rechts und auch des Primärrechts gerade nicht standhält), sind sie, insbesondere was die Generalklauseln anbetrifft, typischerweise gerade nicht als verbraucherspezifisch einzuordnen. Dabei kommt eine gruppenspezifische Anpassung des Maßstabs des Durchschnittsverbrauchers natürlich schon nach allgesämtlicher Vorschriften und methodischen Möglichkeiten des nationalen Rechts [nicht nur der unmittelbaren Transformationsnormen] ein möglichst richtlinienkonformes Ergebnis zu erzielen) – sofern die übrigen Voraussetzungen (insbesondere ein „schwerer Gemeinschaftsrechtsverstoß“) vorliegen, auf Staatshaftungsansprüche gegen seinen fehlerhaft umsetzenden Mitgliedstaat verwiesen. S. zutreffend Franzen, JZ 2003, 321, 327 f. 635 S. Bärenz, IStR 2002, 24, 25 mwN. 636 Das Paradebeispiel an dieser Stelle bildet wiederum BGH NJW 2002, 1881, 1884 – Heininger. Der BGH lehnte in dieser Entscheidung eine gespaltene Auslegung des damaligen § 5 Abs. 2 HWiG, die für den „überschießenden“ Bereich von den Vorgaben des EuGH abwiche, mit Blick auf die „durch das deutsche Recht geforderte Gleichbehandlung aller Haustürsituationen“, Sinn und Zweck des HWiG nach dem Willen des extensiv umsetzenden Gesetzgebers und insbesondere angesichts der sich aus einer gespaltenen Auslegung ergebenden Abgrenzungsprobleme und zwangsläufig resultierender Rechtsunsicherheit letztlich ab und übernahm die Vorgaben des EuGH auch für den Bereich überschießender Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber. 637 So zuletzt Drexl, in: FS Heldrich zum 70. Geburtstag, S. 67, 76 ff. mwN.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
meinen Grundsätzen in Betracht. Im Regelfall nicht zulässig wären aber unterschiedliche Auslegungsergebnisse prinzipieller Art. Lediglich soweit sich in den Anhängen der Richtlinie mit den per se-Verboten bestimmter Praktiken Einzelfälle finden, deren ratio eine gerade verbraucherspezifische ist, käme eine gespaltene Auslegung in Betracht; insoweit sollte aber nach der hier vertretenen Auffassung schon die Umsetzung der per se-Verbote verbraucherspezifisch erfolgen. Daneben mag im Einzelfall eine abweichende Auslegung außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie dann erwogen werden, wenn gerade die zutreffende Einbeziehung der Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit im Rahmen der institutionellen Schutzzwecktrias eine Abweichung von einer fälschlich 638 allein an den Maßstäben des Verbraucherschutzes im Blick auf unverzerrte Vertragsentscheidungen und dem diesbezüglichen effet utile des Gemeinschaftsrechts orientierten Entscheidung des EuGH rechtfertigt. In einem solchen Falle wäre eine einseitig verbraucherschutzorientierte (und deshalb in der Interessenabwägung verzerrte) Entscheidung des EuGH – die beispielsweise den Aspekt des Belästigungsschutzes unzutreffend berücksichtigt – im nationalen Recht auf den Geltungsbereich der Richtlinie („unmittelbarer Zusammenhang mit Absatzförderung im Verhältnis zu Verbrauchern“) zu begrenzen.
C. Bewertung und Folgerungen Das untrennbare komplementäre Zusammenspiel von lauterkeits- und vertragsrechtlichen Instrumenten zum Schutz einer freien Verbraucherentscheidung – die ihrerseits institutionell das Funktionieren des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt bedingt – läßt sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs insbesondere auf der ersten Ebene des hier vorgeschlagenen Vier-Ebenen-Modells, des Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage, beobachten. Das diesbezüglich funktionale Zusammenwirken von Lauterkeits- und Vertragsrecht unter Binnenmarktgesichtspunkten und die Geltung des Grundsatzes des normativen Gleichmaßes der Wertungen zeigt sich etwa in der Zusammenschau der kurz hintereinander ergangenen Nissan- und Yamaha-Entscheidungen oder auch in der der Buet-Entscheidung zugrundeliegenden rechtlichen Analyse nahezu idealtypisch. Hinsichtlich der Durchsetzung des lauterkeits- und vertragsrechtlichen Rahmens folgt der Gerichtshof einem institutionenorientierten Ansatz unter Betonung des Effektivitätsgedankens, der dem hier entwickelten ordnungspolitischen Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung nahesteht, und dieses – soweit es um die Sanktionierung europäisch harmonisierter Pflichtentatbestände durch „geeignete Maßnahmen“ der Mitgliedstaaten geht – als europarechtliche Vorgabe für das deutsche Zivilrecht gewissermaßen rechtlich absichert, wenngleich das beschränkte metho638 S. insoweit bei o. Fn. 204 zur Zwecksetzung der Richtlinie, die nach richtiger Auffassung über das Binnenmarktziel doch zumindest die Konzeption einer institutionell gebundenen Schutzzwecktrias inkorporiert.
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dische Instrumentarium, wie es dem EuGH zur Verfügung steht, zu gewissen einseitigen Verzerrungen führt. Zusammengenommen garantiert die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten – die jedenfalls im Prinzip sowohl als Anbieter- als auch als Nachfragerfreiheiten aufgefaßt werden, was künftig neben der dogmatischen Konsequenz einer Art Grundfreiheitenabwägung mit Blick auf die widerläufigen Anbieter- und Nachfragergrundfreiheiten 639 beispielsweise praktisch auch bestimmte europarechtliche Bindungen für die Tätigkeit von Verbraucherschutzorganisationen zur Folge haben könnte – und zum europäischen Sekundärrecht aber doch zutreffende, wenngleich nicht ausreichende oder gar im Sinne eines Systems in sich geschlossene Ansatzpunkte eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen Anbietern und Nachfragern. Der gefundene Interessenausgleich verkörpert sich in dem normativen europäischen Verbraucherleitbild, welches in seiner Geltung nicht auf den lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz begrenzt gesehen werden sollte, sondern im Grundsatz zur Ausdehnung in den Bereich verbrauchervertragsrechtlicher Instrumente taugt, und in diesen Bereich sekundärrechtlich auch bereits ausgedehnt worden ist. Die sekundärrechtliche Harmonisierung im Verbrauchervertragsrecht fügt dem auf die informationelle Entscheidungsgrundlage ausgerichteten Modell des EuGH neben einer – teils wohl bereits kontraintentionalen – Ausdehnung der Informationspflichten, insbesondere die zweite Ebene des Schutzes des Entscheidungsprozesses durch Widerrufsrechte (die zum großen Teil natürlich zugleich dem Schutz der Entscheidungsgrundlage dienen) hinzu. Dabei findet im Sekundärrecht eine Trennung zwischen lauterkeits- und vertragsrechtlichen Instrumenten – auch angesichts der weitgehend fehlenden Harmonisierung der Sanktionen – praktisch nicht mehr statt. Stattdessen entsteht ein einheitlicher institutioneller Rahmen für kommerzielle Kommunikationen und anschließenden Vertragsschluß. Die entscheidende Bedeutung des Zeitpunkts des Vertragsschlusses als Scheidelinie zwischen den kollektiv institutionsbezogenen Instrumenten des Lauterkeitsrechts und den einem individuellen Interessenausgleich dienenden Vorschriften des Vertragsrechts wird nivelliert, dafür gewinnt der Zeitpunkt der Lieferung als Anknüpfungspunkt jeweils unterschiedlicher Informationspflichten und der Mängelhaftung – durchaus im Einklang mit praktischen Gegebenheiten insbesondere im Distanzvertrieb – an Bedeutung. Insbesondere die Vorverlagerung und Entindividualisierung einzelner Auslegungselemente vertragsrechtlicher Haftungstatbestände in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und das damit verbundene Eindringen kollektiv-typisierter Maßstäbe in den Bereich des Vertragsrechts gestattet es, die aus dem Irreführungsschutz bekannte normative Figur des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers als Maßstab zur Auslegung der Gewährleistungsvorschriften der Richtlinie mit Blick auf die Haftung für Werbean639 Die die rein einseitige Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Cassis dann sozusagen inhaltlich privatrechtlich in die Balance bringen würde, s. oben III 1 b.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
gaben und auch hinsichtlich einzelner Fragen der Informationsregeln bezüglich Garantien heranzuziehen. Auch für den Bereich des Fernabsatzes, der von den Fernabsatz-Richtlinien und der E-Commerce-Richtlinie reguliert wird, lassen sich angesichts des Eindringens lauterkeitsrechtlich zu qualifizierender Pflichten in diese schwerpunktmäßig vertragsrechtlichen Instrumente einzelne Entlehnungen lauterkeitsrechtlicher Maßstäbe vornehmen, wie noch am Beispiel der Umsetzungsvorschriften des deutschen Rechts näher ausgeführt werden wird. Der sich insgesamt im europäischen Sekundärrecht manifestierende Trend zur auf den Binnenmarkt bezogenen Anerkennung der einheitlichen institutionellen Systemfunktion des Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrechts ist solange unproblematisch, wie der institutionelle, marktbezogene Rahmen für den Binnenmarkt gewissermaßen als Reflex einer situationsbezogenen Verbraucherschutzregelung im Lauterkeits- oder Vertragsrecht systemtheoretisch „von unten herauf“ wächst. Darüber hinaus ist im Rahmen der Harmonisierungsbemühungen (insbesondere im Rahmen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, ansatzweise aber auch bereits in den Fernabsatz-Richtlinien) letzthin aber auch der Versuch unternommen worden, Verbraucherschutz durch eine (für die geregelten Bereiche weitgehend unnötige, auf diesem Wege auch im praktischen Ergebnis kaum mögliche) Stärkung des Systemvertrauens in einen gewissermaßen „von oben herab“ 640 modulierten, standardisierten Rahmen zwingenden materiellen Vertragsrechts zu betreiben. Da marktkonforme Erklärungsansätze insbesondere für den teils zwingenden Charakter der vertragsinhaltsbezogenen Vorschriften der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie scheitern, handelt es sich dabei im Ergebnis zum Teil um ungerechtfertigte paternalistische Maßnahmen auf der dritten Ebene des hier vorgeschlagenen Modells. Die durch die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie aufgezeigte Gefahr einer kontraintentionalen Überregulierung, die das Funktionieren des Binnenmarkts eher behindert als befördert, wird noch dadurch verschärft, daß – selbst soweit gemeinschaftsrechtliche Instrumente für sich genommen einem binnenmarktorientierten Maßstab genügen – an den Schnittstellen zum jeweiligen nationalen Recht zusätzliche Disharmonisierungen und Friktionen drohen641. Hier bilden die vertragsschlußbezogenen Vorschriften der E-Commerce-Richtlinie und auch die neuen, konkretisierten Regelungen über irreführendes Unterlassen in der LauterkeitsRichtlinie potentiell warnende Beispiele. Mindestens drei der umfassender intendierten Ansätze der letzten Zeit im gemeinschaftsrechtlichen Vertrags- und Lauterkeitsrecht sind also hinsichtlich ihrer Binnenmarktfunktionalität durchaus nicht uneingeschränkt positiv zu bewerten. Dies wirft die Frage auf, inwieweit 640 Anhand der fingierten Erwartungen grenzüberschreitend aktiver europäischer Verbraucher (confident consumers) an den Rahmen materiell zwingenden Rechts in bestimmten Bereichen, s. oben III 2 d. 641 Zutreffend schon die allgemeinen Überlegungen bei Fikentscher, Harmonizing National and Federal European Private Laws, in: Bussani/Mattei (Hrsg.), The Common Core of European Private Law, S. 43, 44 ff.
3. Abschnitt: EG-Vertrag und europäisches Sekundärrecht
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nicht (insbesondere im Lauterkeitsrecht642) ein auf Grundlage der hier vorgeschlagenen Kollisionsregeln verfolgter, abwartender „Inselansatz“643 die vorzugswürdige Harmonisierungstechnik gewesen wäre644. Idealerweise hätte so zunächst im Binnenmarkt ein Wettbewerb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen entstehen können645, in welchen sodann – nur wenn und soweit sich situationsbezogen Probleme im Markt empirisch gezeigt hätten – gegebenenfalls auf Gemeinschaftsebene (im Sinne einer regelnden Sicherstellung des Wettbewerbs der Rechtsordnungen) einzugreifen gewesen wäre, wobei zu diesem Zweck dann auch Mindestregeln in Kombination mit Binnenmarktklauseln das geeignete Mittel hätten sein können. Zugleich ist aber auch anzuerkennen, daß der Trend des europäischen Verbraucherrechts – mit der Lauterkeits-Richtlinie auf der einen und der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie auf der anderen Seite, die bisher beispiellos umfassend konzipierte Instrumente des europäischen Lauterkeits- und Vertragsrechts verkörpern – derzeit eher in eine andere Richtung weist.
642 S. wie hier insbesondere Dethloff, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, S. 282 ff. (allerdings mit einem etwas abweichenden Vorschlag bezüglich des binnenmarktfunktionalen Kollisionsrechts). 643 Fikentscher, aaO., 44: „island theory“. 644 Die Gefahr eines zeitweiligen legislatorischen „Unterschutzes“ für freie und informierte Vertragsentscheidungen wäre insoweit eher hinzunehmen, als die Gefahr eines systematischen „Überschutzes“. Denn die Rechtsordnungen praktisch sämtlicher Mitgliedstaaten (mit einer gewissen Ausnahme im britischen und irischen common law) halten Generalklauseln bereit, in deren Rahmen problematische Situationen mit Blick auf eine Gefährdung freier und informierter Vertragsschlüsse zunächst aufgefangen werden könnten. S. schon oben 1. Kap. 3. Abschn. F III zum grundsätzlichen Konzept einer zeitlichen Komplementarität zwischen Wettbewerbsund Vertragsrecht sowie auch noch unten 4. Kap. 4. Abschn. zu den entsprechenden Auffangmöglichkeiten im deutschen Recht. 645 S. bezogen auf den Binnenmarkt grundlegend Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002.
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4. Abschnitt:
Zusammenfassung zum zweiten Kapitel I. 1. a) Im Werbe- und Vertragsrecht ist aus verfassungsrechtlicher Sicht im wesentlichen ein Dreieck von durch Grundrechtspositionen abgesicherten Interessen zur Ausgleichung zu bringen: Das Interesse der Anbieter an größtmöglicher Kommunikationsfreiheit für kommerzielle Äußerungen und an möglichst uneingeschränkter formeller Vertragsfreiheit, das Interesse schutzbedürftiger Abnehmer im Sinne eines Schutzes ihrer Spielräume für aufgrund persönlicher Präferenzen getroffene rationale Vertragsentscheidungen vor verzerrender Beeinflussung der (informationellen) Entscheidungsgrundlage oder des Entscheidungsprozesses durch abstrakte Gefährdungsdelikte im Lauterkeitsrecht bzw. durch konkrete Materialisierung der formellen Privatautonomie im Vertragsrecht und schließlich das Interesse derjenigen Abnehmer, die des spezifisch in Frage stehenden Schutzes nicht bedürften und daher von einer entsprechenden Ausweitung des Informationsangebots und der zur Verfügung stehenden Vertriebsformen indirekt profitieren würden. b) Für den Bereich der Privatautonomie ist der dogmatische Anker für die vorzunehmende Ausgleichung der Grundrechtspositionen im Wege praktischer Konkordanz im wesentlichen die weite Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ in Art. 2 Abs. 1 GG; für den Bereich kommerzieller Kommunikationen stellt sich das Lauterkeitsrecht als Schranke der Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 in Form eines allgemeinen Gesetzes nach Art. 5 Abs. 2 GG dar. c) Die verfassungsrechtliche Perspektive, die sich unter der – in beiden Rechtsgebieten mit Blick auf die jeweilige Eingriffsrechtfertigung („Ungleichgewichtslagen“, „Leistungswettbewerb“) mißglückten – Terminologie des Bundesverfassungsgerichts verbirgt, ist eine einheitliche: es geht um den Schutz des einwandfreien Funktionierens des Vertragsmechanismus durch Gewährleistung freier und informierter Entscheidungen der Abnehmer anhand ihres privatautonom gewählten (auch unvernünftigen) Präferenzkatalogs. d) Die einheitliche Perspektive gestattet eine vergleichende Zusammenschau der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in beiden Bereichen. Methodologisch wird anhand der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Generalklausel des alten § 1 UWG und zur verfassungsrechtlichen Einordnung der diesbezüglich entwickelten richterrechtlichen Fallgruppen-
4. Abschnitt: Zusammenfassung zum zweiten Kapitel
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methode deutlich, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Fachgerichte sich hinter dem (noch vergleichsweise vagen) Verweis auf die Notwendigkeit einer Typisierung in der Bürgschafts-Entscheidung verbergen. Erstens werden überkommene richterrechtliche Fallgruppen bzw. die aus diesen Fallgruppen kristallisierten indiziellen Obersätze am Maßstab der Grundrechteordnung in ihrem Bestand und in ihrer Reichweite überprüft; zweitens sind im Rahmen der Fallgruppen verbleibende Wertungsspielräume mit Rücksicht auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte auszufüllen. Auf gesetzgeberische Beispielstatbestände, wie im neuen UWG, läßt sich diese verfassungsgerichtliche Methodik jedenfalls im Prinzip mutatis mutandis übertragen. Dennoch dürfte in diesem Zusammenhang praktisch im Lauterkeitsrecht aufgrund der UWG-Reform die verfassungsgerichtliche Kontrolle der einfachrichterlichen Rechtsanwendung künftig tendenziell an Bedeutung einbüßen. Raum bleibt für die verfassungsgerichtliche Kontrolle insbesondere soweit die Sondertatbestände und Beispielsfälle unlauteren Wettbewerbs auf die Verwendung unbestimmter, wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe angewiesen sind oder wenn und soweit im Einzelfall in der Zukunft einzelne der Beispielstatbestände unlauteren Wettbewerbs sich wegen Wandlung der ihrer Schaffung zugrundeliegenden realen Marktverhältnisse insgesamt oder in Teilbereichen „überholen“ sollten. Für das Vertragsrecht bringen die Kammerbeschlüsse zur Anwendung des alten § 1 UWG im Einzelfall doch deutliche Klärung bezüglich der methodologischen Frage, wie eine Erfassung typisierter Situationen struktureller vertraglicher Unterlegenheit zu erfolgen hat. Im Lichte der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Lauterkeitsrecht gelesen, besagen die Bürgschafts-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die nachfolgenden Kammerbeschlüsse demnach, daß für künftig entstehende typisierbare Situationen einer Gefährdung der privatautonomen Gestaltung von Verträgen ein kontinuierlicher verfassungsrechtlicher Prüfauftrag an Gesetzgeber und Gerichte zur legislatorischen bzw. (im Rahmen der Generalklauseln erfolgenden) richterrechtlichen Abhilfe besteht, während außerhalb des Bereichs typisierbarer Gefährdungen einerseits die vorhandenen Wertungsspielräume der bestehenden Fallgruppen im Lichte der Drittwirkung der Grundrechte auszufüllen sind und andererseits in besonders gelagerten Einzelfällen eine grundrechtliche Schutzpflicht sich auch außerhalb der bestehenden Fallgruppen im Rahmen der Generalklauseln kristallisieren kann, soweit grundrechtsrelevante Interessen beteiligt sind, die im Rahmen der Typisierung nicht umfassend erfaßt wurden. Eine solche Lösung trägt dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit in gleicher Weise Rechnung, wie der berechtigten Kritik am Kriterium der Typisierbarkeit, die darauf hinwies, daß eine Beschränkung des verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstabs auf Situationen typisierbarer Gefährdung der Vertragsfreiheit im atypischen Einzelfall Schutzlücken hinterlassen kann. e) Neben dem methodologischen Erkenntnisgewinn, ist die verfassungsrechtlich überwölbende Perspektive auch vorbestimmend für die Suche nach inhaltlichnormativen Maßstäben im Lauterkeits- und Vertragsrecht. Insbesondere der ver-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
fassungsrechtliche Maßstab bezüglich einer etwaigen künftigen typisierten Fortentwicklung der Fallgruppen der Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB, des Prinzips von Treu und Glauben gem. § 242 BGB und insbesondere der culpa in contrahendo gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, aber auch die Vorgehensweise bei der im Lauterkeitsrecht gegebenenfalls gebotenen umfassenden Güter- und Interessenabwägung, können sich nur aus einer umfassenden, einzelne Bereiche des Lauterkeitsund des Vertragsrechts einheitlich überwölbenden Betrachtung ergeben. Insofern können (und ggf. mit Blick auf den kontinuierlichen verfassungsrechtlichen Prüfauftrag müssen) auch und gerade aus der Zusammenschau der empirisch richterrechtlichen Konkretisierung der wettbewerbs- und vertragsrechtlichen Generalklauseln Anstöße für die grundrechtskonforme Rechtsfortentwicklung gewonnen werden. Insbesondere die Rechtsprechungsentwicklung im Lauterkeitsrecht spielt in diesem Zusammenhang die Rolle einer Art Frühwarnsystems für den verfassungsrechtlich vorgegebenen gesetzgeberischen Prüfauftrag hinsichtlich der Sicherung privatautonom gestalteter Vertragsschlüsse. Dieses Frühwarnsystem kann negativ und positiv wirken: Obsolete Fallgruppen bzw. gesetzgeberische Beispielstatbestände sind formlos fallenzulassen bzw. förmlich aufzuheben; im Einzelfall mag sich künftig aber auch umgekehrt ein positives verfassungsrechtliches Gebot konkretisieren, neuartige Gefährdungslagen richterrechtlich (und ggf. in der Folge gesetzgeberisch) zu erkennen und im Rahmen des diesbezüglich weiten verfassungsrechtlichen Spielraums mit (nicht gänzlich ungeeigneten) Mitteln auszugleichen. Hinsichtlich der jeweils gefundenen oder in Umsetzung grundrechtlicher Schutzgebote zu suchenden gesetzgeberischen oder richterrechtlichen Lösungen für diesbezügliche typisierte Gefährdungslagen im Markt ergibt sich die verfassungsrechtliche Vorgabe, übergreifend nach denjenigen rechtlichen Gestaltungsformen zu suchen, die eine verhältnismäßige Lösung bestimmter Gefährdungslagen mit dem jeweils mildesten Mittel ermöglichen. Dies entspricht Drexls verbraucherschutzrechtlichem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers sichert der grundgesetzliche Rahmen dieses Prinzip jedoch nur gegen extreme Verstöße – insbesondere die Verwendung vollkommen untauglicher Mittel – ab; im übrigen gibt die Verfassung lediglich eine Tendenz im Sinne einer Wertungsperspektive vor. Auch für die Berücksichtigung der grundrechtlichen Werteordnung im Einzelfall hat die Vertrags- und Lauterkeitsrecht übergreifende Perspektive konkrete Folgen: So kann beispielsweise im Rahmen der gebotenen umfassenden Abwägung grundrechtlich gesicherter Rechtsgüter und beteiligter Interessen ein lauterkeitsrechtliches Werbeverbot gerade deshalb sich als unangemessene Beschränkung der Meinungsfreiheit darstellen, weil die rationale Verbraucherentscheidung bereits durch vertragsrechtliche Mittel gesichert ist. Ist eine irrationale Verbraucherentscheidung nämlich konkret nicht zu erwarten, kann es im Lauterkeitsrecht schon an einer hinreichend substantiellen Schutzgutsbetroffenheit fehlen.
4. Abschnitt: Zusammenfassung zum zweiten Kapitel
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2. a) Im Rahmen der Rechtsprechung zur EMRK deuten sich mit Blick auf lauterkeitsrechtliche Beschränkungen kommerzieller Kommunikation – nachdem bisher meist der weite Spielraum der Konventionsstaaten in diesem Bereich im Mittelpunkt der Rechtsprechung stand – letzthin strengere Maßstäbe bezüglich der Rechtfertigung von Einschränkungen der Meinungsfreiheit (auch im kommerziellen Bereich) an. Einzelne Anhaltspunkte lassen insoweit eine Art Informationskonzept im Rahmen der EGMR-Rechtsprechung erkennen, welches auf die Notwendigkeit der bestmöglichen Verbreitung wahrheitsgenauer Information im Markt zentriert ist. Für den Bereich des Vertragsrechts hat die EMRK bisher praktisch kaum Bedeutung erlangt. b) In der Rechtsprechung des EuGH sind die europäischen Grundrechte bisher – trotz der grundsätzlichen Anerkennung – nur zurückhaltend rezipiert worden, wobei der Schwerpunkt auf der Rezeption der EMRK-Rechte als allgemeine Rechtsgrundsätze der Gemeinschaft lag. Erste Ansätze deuten allerdings auf eine künftig offensivere Haltung des Europäischen Gerichtshofs hin. Zudem mag auch die verbindliche Aufnahme der Grundrechte-Charta der Europäischen Union in eine eventuelle, künftige europäische Verfassung in der Zukunft zu einer hinsichtlich des inhaltlichen Maßstabs im Vergleich zur EMRK graduell geänderten und denkbarerweise intensivierten Grundrechtekontrolle führen. Inhaltlich wäre dies erfreulich, da die Charta mit der ausdrücklichen Betonung auch des Grundrechts auf Informationsempfang die Bedeutung eines umfassenden Informationskonzepts klarstellt; andererseits sind an dieser Stelle verfahrensrechtlich gegebenenfalls auch erhebliche Kompetenzkonflikte und Abstimmungsprobleme im Verhältnis des Europäischen Gerichtshofs zum Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte sowie zu den mitgliedstaatlichen Verfassungsgerichten zu erwarten.
II. 1. a) Die Ansätze zu einer gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeitsrechtskonzeption und das Konzept der im Gemeinschaftsrecht vorausgesetzten Vertragsfreiheit wachsen wirtschaftsverfassungsrechtlich aus ein und derselben Wurzel: dem institutionellen, ordnungspolitischen Rahmen des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt. Entsprechend findet der hier vertretene Grundsatz des Gleichmaßes der Wertungen im Lauterkeits- und im Vertragsrecht eine wesentliche Stütze in der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft. Entscheidend ist dabei, daß in der Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft neben den integrationspolitischen, auf die Sicherung grenzüberschreitender Vertragsfreiheit ausgerichteten Zweck des europäischen Lauterkeits- und Vertragsrechts auch ein inhaltlich-normativer (gewis-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
sermaßen privatrechtlicher) Aspekt tritt, der über die Politiken der Gemeinschaft nach Art. 3 EG und insbesondere über die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundsätze für den Binnenmarkt nach Art. 4 EGG angeknüpft wird. b) Die Konzeptionen eines gemeinschaftsrechtlichen Lauterkeitsrechts und Vertragsrechts wachsen in der Gemeinschaft – mehr als im deutschen Recht – aus einem institutionellen Konzept: dem Konzept des Binnenmarkts. Das institutionelle Konzept des Binnenmarkts zeichnet sich dabei – neben dem unstreitig wesentlich vorhandenen integrationspolitischen Ziel des Binnenmarkts – inhaltlichnormativ durch ein im europäischen Vergleich mittleres Schutzniveau des umworbenen Verbrauchers im Lauterkeits- und Vertragsrecht aus. Zugleich wird damit auch die institutionelle Perspektive des Gemeinschaftsrechts deutlich: Das Institut des freien Vertrags wird weniger als ein Ausfluß individueller subjektiver Rechte und mehr in seiner Ordnungsfunktion als ein Mittel zur Verwirklichung des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt angesehen und mithin aus institutioneller Sicht funktionalisiert. Der freie und informierte Vertragsschluß wird um seiner Funktion bei der Verwirklichung einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb im Binnenmarkt willen geschützt (bzw. sein Schutz im Recht der Mitgliedstaaten für gerechtfertigt angesehen); die Vertragsparteien werden Funktionsträger der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes. Entsprechend ist die wesentlichste normative Quelle der europäischen Wirtschaftsverfassung neben dem europäischen Sekundärrecht die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten, die demnach gleichfalls nicht nur eine integrationspolitische, sondern auch eine normativ-inhaltliche Komponente besitzt. Wiederum lassen sich – wie dies im Grundlagenkapitel bereits vorgedacht wurde – die entscheidenden normativen Wertungen auch im europäischen Recht demnach nicht „von oben herab“ prognostisch festlegen (s. aber für diesbezügliche, zum Scheitern verurteilte Versuche unten Pkt. 3 c)-d)), sondern verbergen sich im gewachsenen Bestand des Fall- und Richtlinienrechts zu Vertrag und unlauterem Wettbewerb, welches auf seine innere Stimmigkeit hin zu untersuchen ist. c) Rechtlich wirkt die wirtschaftsverfassungsrechtliche Konzeption des Binnenmarkts wesentlich auf den Inhalt der Rechtsangleichungspolitik und insbesondere auf die Interpretation der Grenzen der Binnenmarktkompetenz nach Art. 95 EG ein. Sekundärrechtliche Schutzmaßnahmen für freie und informierte Vertragsentscheidungen im Lauterkeits- und Vertragsrecht sind im Rahmen der Binnenmarktkompetenz gerade solange und soweit auf der Kompetenzgrundlage des Art. 95 zulässig, wie sie zugleich zu einer Förderung des grenzüberschreitenden freien und informierten Vertragsschlusses im Sinne materialisierter Privatautonomie beitragen. Die verbleibende Spannung zwischen größtmöglicher Verkehrsfreiheit im Binnenmarkt und Materialisierung individueller Freiheit stellt in dieser Sichtweise keinen unauflösbaren Widerspruch dar, sondern vielmehr einen bloßen Zielkonflikt, der im Sinne praktischer Konkordanz zu lösen ist. Wesentlich ist die wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlegung des Binnenmarkts deshalb aber auch, wenn es gilt, vermeintlich widerstreitende Zweckset-
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zungen (hohes Verbraucherschutzniveau einerseits, Abbau von Binnenmarktschranken andererseits) einer sekundärrechtlichen Harmonisierungsmaßnahme miteinander in Einklang zu bringen. Dies hat potentiell unmittelbaren Einfluß auf die Ergebnisse einer teleologischen Interpretation des Gemeinschaftsrechts mit Blick auf seinen effet utile. Entscheidend ist, daß der binnenmarktbezogene Schutzzweck einer Harmonisierungsmaßnahme eben nicht für einen vollkommenen Abbau jeglicher rechtlicher Beschränkungen des freien Wettbewerbs und entsprechend für ein Konzept formeller Vertragsfreiheit aber auch nicht etwa – umgekehrt – für eine einseitige Überbetonung des Verbraucherschutzgedankens (verbraucherschützender sekundärrechtlicher Richtlinien und Verordnungen) streitet. Vielmehr ist die institutionelle Binnenmarktkonzeption der Gemeinschaft eine wirtschaftsverfassungsrechtlich materialisierte. Für den hier betrachteten Bereich ergibt sich als praktisches Ergebnis insbesondere, daß sich die – im Text der neuen Lauterkeits-Richtlinie bedauerlicherweise nicht ausdrücklich festgelegte – Schutzzwecktrias im Sinne eines institutionellen Schutzes der Mitbewerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit durch teleologische und systematische Auslegung schon der Rückbindung der Richtlinie an das Ziel eines funktionsfähigen Gemeinsamen Marktes entnehmen läßt. Schließlich bringt die institutionelle Anknüpfung der europäischen Wirtschaftsverfassung an das Binnenmarktziel zwei inhaltliche Beschränkungen des Anwendungsbereichs und der normativen Reichweite des europäischen Rechts mit sich: Zum einen beschränkt sich das europäische Recht im wesentlichen auf die wirtschaftlichen Aspekte des Schutzes freier und informierter Entscheidungen der Vertragspartner: lediglich zwei (und Teile der dritten) Ebene des hier vertretenen Vier-Ebenen-Modells sind daher im europäischen Recht abgebildet; verzerrende Interessen ideeller oder ethischer Art fehlen weitgehend. Weiter konzentriert sich der Schutz des europäischen Rechts auf grenzüberschreitende Verträge bzw. zumindest Sachverhalte, die die Problematik des grenzüberschreitenden Marktzugangs berühren; dementsprechend wird auch die Inländerdiskriminierung nach noch herrschender Auffassung von den Grundfreiheiten nicht erfaßt.
2. a) Durch die Brille des integrationspolitischen, binnenmarktorientierten Zwecks des Gemeinschaftsrechts sind Vertrags- und Lauterkeitsrecht grundsätzlich einheitlich zu betrachten – zwingendes Vertragsrecht gleichermaßen wie lauterkeitsrechtliche Vorschriften mitgliedstaatlichen Rechts stellen sich als potentielle Beschränkungen der Grundfreiheiten dar, die es – sofern sie nach Keck noch erfaßt werden, was aber nach der hier vertretenen Auffassung in weit größerem Umfang der Fall ist, als weithin gesehen – zu rechtfertigen gilt. Bezieht man – wie es unerläßlich ist – das Kollisionsrecht in die Betrachtung mit ein, so entspricht unter Binnenmarktperspektive das Marktortprinzip des Lauterkeitsrechts kollisions-
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
rechtlich der zwingenden Anknüpfung der Verbraucherschutzvorschriften (nach Art. 5 EVÜ) und sonstiger zwingender Vorschriften (s. Art. 6 und insbesondere Art. 7 EVÜ) im Vertragsrecht. b) Im Lauterkeitsrecht wird aber das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip für echte multistate-Sachverhalte weitgehend überformt durch sekundärrechtlich angeordnete materiell-rechtlich zu verstehende medienspezifische Binnenmarkt-Herkunftslandregeln. Dies hat Harmonisierungsdruck mit Blick auf das materielle Recht in diesem Bereich geschaffen. Mittlerweile bringt die Lauterkeits-Richtlinie dementsprechend eine grundsätzlich abschließende Rechtsangleichung für den gesamten Bereich des verbraucherschützenden Lauterkeitsrechts. Daß diese Lösung aus rechtspolitischen und kommissionsinternen Gründen einstweilen auf den Teilbereich der B2C-Verhältnisse beschränkt ist, kann nur bedauert werden; ebenso ist es zu rügen (und sogar unter Kompetenzgesichtspunkten bedenklich), daß für einen Übergangszeitraum in weiten Bereichen der neuen Lauterkeits-Richtlinie weiter dem Ansatz der Minimalharmonisierung gefolgt wird. Dennoch – mit der Kombination aus intendierter Vollharmonisierung im verbraucherschützenden Lauterkeitsrecht und medienspezifischer Anordnung (bedauerlicherweise noch nicht ganz lückenloser) materiell-rechtlicher Jinnenmarktklauseln für die Medien (Fernsehen, Internet), in denen sich typischerweise genuines multistate-Marketing und grenzüberschreitender Vertrieb im Binnenmarkt auch im Verhältnis zum Endverbraucher entwickeln, scheint im Grundsatz ein binnenmarktfunktionaler und inhaltlich befriedigender Ansatz für das europäische Lauterkeitsrecht im EWR gefunden. Es ist gerade die Kombination aus kollisionsrechtlicher Marktortregel und materiell-europarechtlichen Binnenmarktregeln – die das Kollisionsrecht paßgenau nur soweit überformen, wie dies europarechtlich im Sinne der Grundfreiheiten notwendig ist –, die im Bereich des Lauterkeitsrechts zusammen mit der nunmehr angestrebten Vollharmonisierung langfristig zu binnenmarktfunktionalen Ergebnissen führen wird; demgegenüber würde die pauschale Anordnung einer kollisionsrechtlichen Herkunftslandregel, wie sie verschiedentlich zumindest für grenzüberschreitende Medien gefordert wurde, zwar nicht zu dem vielbeschworenen race to the bottom im materiellen Recht, wohl aber in einzelnen Fallgestaltungen zu binnenmarktkonträren Ergebnissen sowie darüber hinaus zu fatalen Durchsetzungslücken in Fällen schwerpunktmäßigen Exportwettbewerbs führen. c) Der Absicherung des Binnenmarkts durch entsprechende materiell-rechtliche Herkunftslandregeln im Lauterkeitsrecht, die sogar der materiellen Angleichung des Lauterkeitsrechts zuvorgekommen war, steht im Verbrauchervertragsrecht weiterhin die zwingende Anknüpfung nach Art. 5 EVÜ gegenüber, ohne daß diese in nennenswertem Umfang durch binnenmarktorientierte Regelungen überformt wäre. Diese Situation widerspiegelt im Vergleich zum europäischen Lauterkeitsrecht, welches erst in den letzten Jahren zum Gegenstand einer umfassenden Harmoni-
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sierungsanstrengung geworden ist, insofern eine strukturelle Schieflage, als durch punktuelle Harmonisierungsmaßnahmen der Bereich des europäischen Verbrauchervertragsrechts schon seit längerer Zeit weitestgehend angeglichen ist; die wesentlichen situationsbezogenen Gefährdungen für eine freie und informierte Vertragsentscheidung sind im europäischen Recht im Sinne von Mindestregeln im Ergebnis befriedigend harmonisiert, mittlerweile liegt der Vorwurf einer Überregulierung näher als die Problematik eines materiell-rechtlichen race to the bottom. Zugleich sind die Differenzen in der Umsetzung des gemeinsamen Verbraucherschutzrahmens im Recht der einzelnen Mitgliedstaaten signifikant genug, um für genuine multistate-Vertreiber im Binnenmarkt erhebliche Rechtsinformationskosten zu generieren. Im Sinne des aus integrationspolitischer Sicht grundsätzlich gebotenen Gleichmaßes der Wertungen im Lauterkeits- und Vertragsrecht mit Blick auf den Binnenmarkt ist nicht länger nachzuvollziehen, weshalb im Verbrauchervertragsrecht nicht kollisionsrechtlich partiell der Grundsatz der zwingenden Anknüpfung innerhalb des EWR durch den Grundsatz der freien Rechtswahl ersetzt wird. Dies ergibt sich – sofern man die integrationspolitische Vergleichbarkeit der Wertungen akzeptiert – aus einem regelrechten argumentum a fortiori im Vergleich zum Bereich des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes. Mindestens für den Bereich der grenzüberschreitenden Medien – und damit faktisch im wesentlichen für die Bereiche Tele-Shopping und Internet –, in denen sich nicht nur die Beschränkungsprobleme besonders drastisch stellen, sondern in denen auch – zumal im Internet – die Verbraucher ganz neuartige Möglichkeiten haben, sich hinsichtlich der Verläßlichkeit ihrer Händler zu informieren (bzw. die Öffentlichkeit ihrerseits ohne größeren Aufwand vor einzelnen unverläßlichen Händlern warnen zu können), sollte daher die kollisionsrechtliche Regel im Vertragsrecht in einem ersten Schritt im Sinne des Prinzips der Rechtswahlfreiheit innerhalb des EWR abgeändert werden. Letztlich würde damit dem Verbraucher hinsichtlich der verbleibenden Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nur derselbe Lernprozeß angesonnen (und dieselbe Wahlmöglichkeit eingeräumt), wie sie ihm der EuGH hinsichtlich Produkteigenschaften und -bezeichnungen von jeher im Interesse der Marktöffnung und des Aufbrechens eingefahrener Gewohnheiten zugemutet hat. Der aktuelle Kommissionsvorschlag für die „Rom-I“-Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht verfolgt demgegenüber grundsätzlich weiterhin die Konzeption, auf Verbraucherverträge (nunmehr im Rahmen einer immerhin klareren kollisionsrechtlichen Regelung sogar insgesamt, also nicht begrenzt auf den Bereich zwingenden Rechts) das Recht des Mitgliedstaats anzuwenden, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern die berufliche oder gewerbliche Tätigkeit des Unternehmers (mindestens unter anderem) auf diesen Mitgliedstaat ausgerichtet war. Für den Bereich grenzüberschreitenden Vertriebs sollte diese Regelung im vorgenannten Sinne überarbeitet werden.
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
d) Ganz genau spiegelbildlich zum Bereich des Lauterkeitsrechts – wo die Binnenmarkt-Herkunftslandklausel der E-Commerce-Richtlinie einen erheblichen Harmonisierungsdruck bezüglich des lauterkeitsrechtlichen Schutzstandards generierte – würde auch eine Anordnung der Rechtswahl im Verbrauchervertragsrecht zu erheblichem Harmonisierungsdruck im Bereich zwingenden Vertragsrechts führen. Inhaltliche Schutzpolitiken müßten und würden den kollisionsrechtlichen Ansatz begleiten, die Tätigkeit der Gemeinschaft im Bereich zwingenden Vertragsrechts würde – genau wie es im Bereich des Lauterkeitsrechts der Fall war – intensiviert. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt ist eine entsprechende Konzentration der Harmonisierungsbemühungen der Gemeinschaft auf den Bereich zwingenden Vertragsrechts zu beobachten. Die zwingende Ausgestaltung vertragsrechtlicher Regelungen wird zum regelrechten Strukturprinzip sekundärrechtlichen europäischen Vertragsrechts.
3. a) Bezüglich der normativ-inhaltlichen (privatrechtlichen) Komponente der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Grundfreiheiten läßt sich das untrennbare komplementäre Zusammenspiel von lauterkeits- und vertragsrechtlichen Instrumenten zum Schutz einer freien Verbraucherentscheidung – die ihrerseits institutionell das Funktionieren des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt bedingt – insbesondere auf der ersten Ebene des hier vorgeschlagenen Vier-Ebenen-Modells, des Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage, beobachten. Das diesbezüglich funktionale Zusammenwirken von Lauterkeits- und Vertragsrecht unter Binnenmarktgesichtspunkten und der Grundsatz des Gleichmaßes der Wertungen zeigt sich etwa in der Zusammenschau der kurz hintereinander ergangenen Nissan- und YamahaEntscheidungen oder auch in der der Buet-Entscheidung zugrundeliegenden rechtlichen Analyse nahezu idealtypisch. Der EuGH folgt einem – das Vertragsrecht und das Recht des unlauteren Wettbewerbs übergreifend betrachtenden – Informationsmodell. Im Grundsatz hat er insoweit auch die Bedeutung der Grundfreiheiten der Nachfrager (etwa im Sinne eines Anspruchs, nicht von marktbezogener, zutreffender Information ausgeschlossen zu werden) in seiner Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt; dies sollte es in der Zukunft gestatten, bei der Grundfreiheitenkontrolle von privatrechtlichen Normen des Lauterkeits- und Vertragsrechts mehr als bisher die Grundfreiheiten auch der Nachfrager zu berücksichtigen. Auf dieser Grundlage ließe sich die Kontrolle mitgliedstaatlicher Normen des Lauterkeits- und Vertragsrechts mindestens zum Teil methodenehrlicher und ausgewogener als bisher wohl durch eine Art Grundfreiheitenabwägung (der Grundfreiheiten der Anbieter gegen jene der Nachfrager), als durch bloßen Rückgriff auf die Leerformel von den zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses vornehmen.
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Hinsichtlich der Durchsetzung des lauterkeits- und vertragsrechtlichen Rahmens des Gemeinschaftsrechts folgt der Gerichtshof einem institutionenorientierten Ansatz unter Betonung des Effektivitätsgedankens, der dem hier entwickelten ordnungspolitischen Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung haargenau entspricht. Probleme können allerdings entstehen, soweit die Auslegung sekundärrechtlicher Akte der Gemeinschaft auf Grundlage der effet utile-Methode die Berücksichtigung bestimmter widerläufiger Interessen nicht hinreichend zuläßt, weil diese in den auszulegenden Rechtsakten nicht verankert sind. Zusammengenommen garantiert die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten und zum europäischen Sekundärrecht zutreffende, wenngleich nicht ausreichende oder gar im Sinne eines Systems in sich geschlossene Ansatzpunkte eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen Anbietern und Nachfragern, insbesondere im Lauterkeits- aber ansatzweise auch im Vertragsrecht. Der gefundene Interessenausgleich verkörpert sich im normativen europäischen Verbraucherleitbild, welches in seiner Geltung nicht auf den lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz begrenzt gesehen werden sollte, sondern im Grundsatz zur Ausdehnung in den Bereich verbrauchervertragsrechtlicher Instrumente taugt und in diesen Bereich sekundärrechtlich auch bereits ausgedehnt worden ist. b) Die sekundärrechtliche Harmonisierung im Verbrauchervertragsrecht fügt dem auf die informationelle Entscheidungsgrundlage ausgerichteten Modell des EuGH neben einer – teils bereits kontraproduktiven – Ausdehnung der Informationspflichten insbesondere die zweite Ebene des Schutzes des Entscheidungsprozesses durch Widerrufsrechte (die zum großen Teil natürlich zugleich dem Schutz der Entscheidungsgrundlage dienen) hinzu. Dabei findet im Sekundärrecht eine echte Trennung zwischen lauterkeits- und vertragsrechtlichen Instrumenten – auch angesichts der weitgehend fehlenden Harmonisierung der Sanktionen – praktisch nicht mehr statt. Stattdessen entsteht ein einheitlicher institutioneller Rahmen für kommerzielle Kommunikationen und anschließenden Vertragsschluß; die entscheidende Bedeutung des Zeitpunkts des Vertragsschlusses als Scheidelinie zwischen den kollektiv institutionsbezogenen Instrumenten des Lauterkeitsrechts und den einem individuellen Interessenausgleich dienenden Vorschriften des Vertragsrechts wird nivelliert; dafür gewinnt der Zeitpunkt der Lieferung als Anknüpfungspunkt jeweils unterschiedlicher Informationspflichten und der kaufrechtlichen Mängelhaftung – durchaus im Einklang mit praktischen Gegebenheiten insbesondere im Distanzvertrieb – an Bedeutung. Insbesondere die Vorverlagerung und Entindividualisierung einzelner Auslegungselemente vertragsrechtlicher Haftungstatbestände in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und das damit verbundene Eindringen kollektiver Maßstäbe in den Bereich des Vertragsrechts gestattet es, die aus dem Irreführungsschutz bekannte normative Figur des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers als Maßstab zur Auslegung der Gewährleistungsvorschriften der Richtlinie mit Blick auf die Haftung für Werbeangaben
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
und auch hinsichtlich einzelner Fragen der Informationsregeln bezüglich Garantien heranzuziehen. Auch für den Bereich des Fernabsatzes, der von den Fernabsatz-Richtlinien und der E-Commerce-Richtlinie reguliert wird, lassen sich angesichts des Eindringens lauterkeitsrechtlich zu qualifizierender Pflichten in diese schwerpunktmäßig vertragsrechtlichen Instrumente einzelne Entlehnungen lauterkeitsrechtlicher Maßstäbe vornehmen, wie noch am Beispiel der Umsetzungsvorschriften des deutschen Rechts näher ausgeführt werden wird. c) Der sich insgesamt im europäischen Sekundärrecht manifestierende Trend zur auf den Binnenmarkt bezogenen Anerkennung der einheitlichen institutionellen Systemfunktion des Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrechts ist solange unproblematisch, wie der institutionelle, marktbezogene Rahmen zwingenden Rechts für den Binnenmarkt gewissermaßen als Reflex einer situationsbezogenen und reaktiven Verbraucherschutzregelung im Lauterkeits- oder Vertragsrecht in einem systemtheoretischen Sinne dezentral verfahrensorientiert „von unten herauf“ wächst. Darüber hinaus ist bei den aktuellen Harmonisierungsbemühungen im Verbraucherrecht (insbesondere im Rahmen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, ansatzweise aber auch bereits in den Fernabsatz-Richtlinien) letzthin aber auch auf Grundlage der unter Binnenmarktgesichtspunkten nicht tragfähigen Konzeption des „confident consumer“ der Versuch unternommen worden, Verbraucherschutz durch eine (für die geregelten Bereiche weitgehend unnötige, auf diesem Wege auch im praktischen Ergebnis kaum mögliche) Stärkung des Systemvertrauens in einen gewissermaßen „von oben herab“ modulierten zwingend standardisierten Rahmen des materiellen Vertragsrechts zu betreiben. Dabei entspricht das Abstellen auf das Systemvertrauen der Verbraucher in den rechtlichen Rahmen des Verkehrssystems durchaus den Realitäten des modernen Massenverkehrs; nur kann ein dementsprechender Rechtsrahmen eben (aufgrund der notwendigen Unbestimmtheit entsprechender normativer Prognosen und Typisierungen) nicht „von oben herab“ zumal zwingend ausgestaltet werden, sondern er muß situationsbezogen und systemtheoretisch „von unten herauf“ anhand einer empirischen Analyse der in der Rechtspraxis aufscheinenden Probleme wachsen. Ein Beispiel für einen zu weitreichenden Ausbau zwingenden europäischen Verbrauchervertragsrechts liefert die Verbrauchsgüterkauf-RL. Da marktkonforme Erklärungsansätze für den zwingenden Charakter einzelner ihrer vertragsinhaltsbezogenen Vorschriften, insbesondere der Verjährungsregelung, scheitern, handelt es sich bei der diesbezüglich zwingenden Ausgestaltung der Richtlinie im Ergebnis um eine ungerechtfertigte paternalistische Maßnahme auf der dritten Ebene des hier vorgeschlagenen Modells. d) Die durch die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie aufgezeigte Gefahr einer kontraintentionalen Überregulierung, die das Funktionieren des Binnenmarkts eher behindert als befördert, wird noch dadurch verschärft, daß – selbst soweit gemeinschaftsrechtliche Instrumente für sich genommen einem binnenmarktorientierten Maßstab genügen – an den Schnittstellen zum jeweiligen nationalen Recht zusätz-
4. Abschnitt: Zusammenfassung zum zweiten Kapitel
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liche Disharmonisierungen und Friktionen drohen. Hier bilden die vertragsschlußbezogenen Vorschriften der E-Commerce-Richtlinie und potentiell auch die neuen Regelungen über irreführendes Unterlassen in der Lauterkeits-Richtlinie warnende Beispiele. Unter einer langfristigen Perspektive wird dies zu Harmonisierungsdruck auf Kerngebiete mitgliedstaatlichen Zivilrechts im Bereich der Sanktionierung von Pflichtverstößen führen.
4. a) Wie das Beispiel der zutreffenden, weitgehend horizontalisierenden Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie belegt, entsteht stets, wenn europäische „Verbraucherschutzvorschriften“ keine verbraucherspezifischen, sondern allgemeine Gefährdungen oder Störungen des Vertragsmechanismus betreffen – schon mit Blick auf das verfassungsrechtliche und ordnungspolitische Gleichmaßgebot für die Rechtsordnung – ein erheblicher rechtspolitischer Druck, diese Regelungen im mitgliedstaatlichen Recht tatbestandlich über den Verbraucherbereich hinaus auszudehnen. b) Bezüglich der anstehenden Umsetzung der Lauterkeits-RL in das deutsche Recht ergibt sich nach der hier vertretenen Auffassung im Wege eines regelrechten rechtspolitischen „erst-recht“-Schlusses die Forderung, eine horizontalisierende Umsetzungstechnik zu wählen, die den wesentlichen Regelungsgehalt der Richtlinie (insbesondere die Generalklauseln des Richtlinientexts) – unter Beibehaltung der Schutzzwecktrias des deutschen Rechts – hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs für das deutsche Recht auf den B2B-Bereich ausdehnt, so daß es bei einem einheitlich konzipierten Lauterkeitsrecht bleiben kann. Lediglich soweit einzelne der unwiderleglichen Beispiele unlauteren Wettbewerbs aus dem Anhang I der Richtlinie verbraucherspezifischen Charakter haben, ist eine entsprechend begrenzte Umsetzung geboten. Der Rahmen des neuen UWG läßt eine entsprechende Differenzierung bei den Beispielsfällen unlauteren Wettbewerbs ohne gesetzgebungstechnische Systembrüche zu. c) Mit Blick auf „überschießende“ nationale Transformationsnormen gilt konkret für die hier behandelten Themenkreise, daß im Bereich des Kaufrechts – angesichts der vom Gesetzgeber ersichtlich gewollten und systematisch-teleologisch gebotenen einheitlichen Auslegung – grundsätzlich auch außerhalb des unmittelbar europarechtlich gebundenen Bereichs richtlinienorientiert auszulegen sind. Für die Normen, die der noch ausstehenden Umsetzung der Lauterkeits-Richtlinie dienen werden, gilt grundsätzlich dasselbe, sofern entsprechend der hier vertretenen Ansicht eine horizontalisierende Umsetzung (auch für den B2B-Bereich) durchgeführt wird. Dabei kommt eine gruppenspezifische Anpassung des Maßstabs des Durchschnittsverbrauchers natürlich schon nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht; im Regelfall nicht zulässig sind aber unterschiedliche Auslegungsergebnisse prinzipieller Art. Lediglich soweit sich in den Anhängen der Richtlinie mit den per se-Verboten bestimmter Praktiken Einzelfälle finden, deren ratio eine
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2. Kapitel: Rahmenbedingungen – Grundrechte und Europäisches Recht
gerade verbraucherspezifische ist, käme eine gespaltene Auslegung in Betracht; insoweit sollte aber nach der hier vertretenen Auffassung schon die Umsetzung der per se-Verbote verbraucherspezifisch erfolgen. Bei Zweifelsfragen in Fällen überschießender Umsetzung im nationalen Recht ist eine Vorlage zum EuGH durch die nationalen Gerichte im Bereich überschießender Richtlinienumsetzung jedenfalls möglich; es besteht ein Vorlagerecht, bisher aber keine Vorlagepflicht. d) Für das Lauterkeits- und Vertragsrecht lassen sich – je nach Art der umzusetzenden horizontalisierungsfähigen Vorschriften – einzelne rechtstechnische Folgerungen bezüglich der jeweils zutreffenden Horizontalisierungstechnik verallgemeinern. Insbesondere sollte bei jedweder positiv den Vertragsinhalt typisierenden Norm eine Ausdehnung des tatbestandlichen Anwendungsbereichs auf B2B-Vertragsverhältnisse (wenn überhaupt) stets nur dispositiv erfolgen. Soweit die europäischen Bestimmungen des Verbraucherrechts jedoch gesetzlich den institutionellen Rahmen des Verkehrssystems mit Blick auf Werbung oder Vertragsabschluß gestalten, ist eine dispositive Ausgestaltung nicht sinnvoll. Denn dann ist die Privatautonomie in ihrer Erscheinungsform als Vertragsinhaltsfreiheit gar nicht betroffen; vielmehr geht es um eine Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Wettbewerb und Vertragsabschluß. Es ist in derartigen Fällen deshalb schlicht zu prüfen, ob das zugrundeliegende Versagen des Marktes bzw. des Vertragsschlußmechanismus in bestimmten Situationen einen (zumindest bei typisierter Betrachtung) verbraucherspezifischen Charakter hat oder nicht. Im ersteren Falle ist die Regelung überhaupt nicht auf Bereiche außerhalb des Verbraucherrechts auszudehnen, im zweitgenannten Fall ist sie – sofern der europarechtliche Rahmen dies zuläßt – auch außerhalb des Verbraucherrechts zwingend auszugestalten.
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3. Kapitel:
Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption der Wertungen aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
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1. Abschnitt:
Überblick Sowohl im allgemeinen Zivilrecht als auch im Recht des unlauteren Wettbewerbs finden sich Einfallstore für die unmittelbare Rezeption der Wertungen der übrigen Rechtsordnung. Zum Teil sind diese Rezeptionsnormen in dem Sinne heteronom ausgestaltet, daß sie die Wertung des jeweils anderen Rechtsgebiets schlicht rezipieren und insoweit keinen eigenständigen normativen Gehalt der externen Wertentscheidung hinzufügen. Dies bedeutet nicht, daß derartige Rezeptionsnormen keinerlei normativen Gehalt hätten; doch sind die in ihnen verkörperten Wertungen – anders als bei den im nachfolgenden 4. Kapitel zu schildernden Instrumenten des Wettbewerbs- und Zivilrechts – nicht autonom in dem Sinne, daß sie der externen Wertung aus dem benachbarten Rechtsgebiet eine eigene spezifisch lauterkeits- oder zivilrechtliche Wertung entgegensetzten, die einen echten Vergleich der Wertungen ermöglichen würde. Vielmehr sind die in den heteronomen Rezeptionsnormen enthaltenen Wertungen zu der rezipierten externen Wertentscheidung gewissermaßen akzessorisch; sie setzen diese Wertungen im jeweils eigenen System um und treffen insoweit – weniger nach Art einer selbständigen normativen Wertung – sondern mehr nach Art eines Filters eine durchsetzungsbezogene Entscheidung, mit welchen Mitteln die externe Vorschrift im „eigenen“ Untersystem umzusetzen ist. Diese Filterfunktion impliziert naturgemäß normative Wertungen, doch sind diese gewissermaßen allein „nach innen“, auf das System der rezipierenden Norm gerichtet; dies schließt Rückwirkungen auf das jeweils benachbarte System zwar nicht aus, gibt diesen jedoch einen indirekten Charakter, der sich von einem echten Nebeneinander jeweils autonomer Wertungen in beiden Gebieten – die wechselseitig miteinander verglichen und aufeinander abgestimmt werden könnten – kategoriell unterscheidet. Im Zivilrecht hat einen derart heteronomen Charakter in den hier betrachteten Rechtsbereichen ersichtlich insbesondere § 134 BGB1, im übrigen ist etwa auch § 823 Abs. 2 BGB in diesem Zusammenhang zu erwähnen2; daneben sind gerade mit spezifischem Blick auf die Rezeption und Flankierung lauterkeitsrechtlicher Wertungen auch noch einzelne Fallgruppen der AGB-Inhaltskontrolle gem. 1 Vgl. insoweit deutlich auch Flume, AT II, § 17, 1, S. 341; ähnlich Larenz, AT, § 22 II, S. 390 f. Die daraus weiter gezogene Schlußfolgerung, § 134 BGB sei inhaltsleer oder doch von geringem Aussagewert, ist demgegenüber so nicht zutreffend, s. sogleich unten 1. Abschn. A I mwN. 2 S. Reichold, AcP 193 (1993), 204, 217 f. unter Hinweis auf Hans Stoll, Richterliche Fortbildung und gesetzliche Überarbeitung des Deliktsrechts, 1984.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
§ 307 ff. BGB in diese Kategorie zu ordnen, soweit sie lediglich einer Umsetzung lauterkeitsrechtlicher Verbote durch Gewährleistung einer Art vertragsinhaltsbezogenen Umgehungsschutzes dienen 3 (s. zum ganzen unten im 2. Abschnitt). Im Lauterkeitsrecht kommt eine derart heteronome Filterfunktion (es werden gewissermaßen die wettbewerbsrelevanten Aspekte lauterkeitsexterner Normen für die Sanktionierung mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts ausgefiltert) in erster Linie dem Rechtsbruch nach § 4 Nr. 11 UWG zu; um des bestehenden Sachzusammenhangs willen soll zudem der lauterkeitsrechtliche Schutz der vertraglichen Bindung in einzelnen Fallgruppen der Verleitung zum Vertragsbruch im Rahmen der Behinderung nach § 4 Nr. 10 UWG – soweit die in diesem Bereich an sich uneingeschränkt bestehende autonom lauterkeitsrechtliche Wertung hinter dem flankierenden Schutz bestimmter qualifizierter vertraglicher Bindungen fast ganz zurücktritt – an dieser Stelle exkursartig mit behandelt werden (s. unten im 3. Abschnitt).
3 Demgegenüber wird der hinsichtlich seines Regelungsbereichs § 134 BGB genau vergleichbare § 138 BGB unten im 4. Kapitel 4. Abschn. B behandelt, da § 138 BGB – anders als § 134 BGB – im Verhältnis zum Lauterkeitsrecht funktional andere, autonome Wertungen berücksichtigt, die der lauterkeitsrechtlichen Wertung unter Umständen regelrecht entgegengesetzt sein können, so daß ein echter Vergleich möglich ist und gegebenenfalls Wertungsdivergenzen aufbrechen können, die der Erklärung oder Auflösung bedürfen.
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2. Abschnitt:
Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtlicher Wertungen im BGB A. Heteronome Rezeption in § 134 BGB I. Unterschiedliche Regelungsbereiche von UWG und § 134 BGB Die Bestimmung des § 134 BGB ist das archetypische Beispiel einer heteronomen Rezeptionsnorm im BGB; rezipiert werden Verbotsnormen des positiven Rechts, die sich gegen den Inhalt oder die Vornahme eines bestimmten Rechtsgeschäfts richten1. Der heteronome Charakter des § 134 BGB bedeutet nicht, daß die Norm praktisch keinen eigenständigen Regelungsgehalt hätte2; vielmehr regelt sie ganz grundlegend das Verhältnis gesetzlicher Verbote zur rechtsgeschäftlichen Privatautonomie3. Dabei kommt es, wie für den hier betrachteten Bereich in der Folge zu zeigen sein wird4, zuerst entscheidend auf die Auslegung der Verbotsnorm mit Blick auf ihre Zielrichtung an; auf dieser Grundlage fügt 1 Dies wird insbesondere durch einen Blick auf das Gesetzgebungsverfahren deutlich: Ursprünglich sollte eine Regelung geschaffen werden, derzufolge nur Rechtsgeschäfte, deren „Vornahme“ verboten ist, mit der Vermutung der Nichtigkeit belegt sein sollten (s. Mot. I, 210). Erst in der zweiten Lesung der Kommission wurde eine Abänderung vorgenommen, die verdeutlichen sollte, daß auch solche Rechtsgeschäfte nichtig seien, bei denen sich das Verbot dem Wortlaut nach nicht gegen die Vornahme, sondern gegen den Inhalt des Rechtsgeschäfts richte (s. Protokolle 1, 123). S. statt aller im Zusammenhang mit dem hier betrachteten Bereich diesen Aspekt besonders betonend zuerst Sack, WRP 1974, 445, 446 f.; Lehmann, S. 146 ff.; Körner, GRUR 1996, 618, 619 (vgl. auch schon, noch mehr den Durchsetzungsaspekt in den Mittelpunkt rückend ders., GRUR 1968, 348, 350); Fezer, WRP 2003, 127, 129, 130 f., 132, 134, 136; Köhler, GRUR 2003, 265, 267; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 3, Rz. 86; Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 157; Staudinger-Sack, § 134, Rz. 1 ff.; Sack, GRUR 2004, 625, 626 mit umfassenden weiteren Nachweisen; zuletzt Augenhofer, WRP 2006, 169, 173. Aus der Rechtsprechung in aller Deutlichkeit BGH GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; zuletzt BGH GRUR 1998, 945, 947 – Co-Verlagsvereinbarung. 2 So aber zuerst Flume, AT II, § 17, 1, S. 341; ähnlich Larenz, AT, § 22 II, S. 390 f. 3 Wie hier MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 134, Rz. 1 f. Ähnlich, wenn auch methodisch abweichend insofern, als § 134 BGB lediglich als Interpretationsregel für das Verbotsgesetz gewertet wird, um dann auf dieser Grundlage in § 134 BGB eine (die nach der hier vertretenen Auffassung ganz im Vordergrund stehende Auslegung der Verbotsnorm mehr in den Hintergrund rückende) echte Vermutung zugunsten der Nichtigkeit in § 134 BGB zu erblicken, Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 14 ff. Vgl. dazu sogleich auch noch u. Fn. 5. 4 Zutreffend diesen Aspekt der Auslegung des Schutzgesetzes und der funktional-rechtsfolgenorientierten Durchsetzungsperspektive betonend, insbesondere schon Körner, GRUR 1968, 348, 350; Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 151 ff.; zuletzt umfassend Alexander, S. 92 ff.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
dann § 134 BGB eine systemfunktional-rechtsfolgenorientierte Wertung hinzu 5, wobei die Rechtsfolge der Nichtigkeit in erster Linie daran gemessen wird, ob und inwieweit sie zur Durchsetzung des im jeweiligen Verbotsgesetz niederge5 Die Wertung wird durch § 134 BGB typischerweise hinzugefügt, da zumal Verbotsgesetze öffentlich-rechtlicher Provenienz typischerweise – über ihre gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnde Zwecksetzung hinaus – keine klaren Anhaltspunkte für die Entscheidung über die privatrechtlichen Folgen ihrer Verletzung enthalten, s. zutreffend Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 15 f. Canaris, aaO., S. 15 ff., folgert daraus (und unter Verweis auf die in den Motiven (vgl. Mot. I, S. 210) und im Bericht der Reichstagskommission (vgl. Bericht der Reichstagskommission über den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1896, S. 42) niedergelegten Willen der historischen Gesetzesverfasser) weitergehend, daß § 134 BGB im Sinne einer Interpretationsregel für Zweifelsfälle aufzufassen sei, derzufolge immer dann wenn die externe Verbotsnorm eine klare Entscheidung für oder wider die Nichtigkeitsfolge nicht treffe, die Nichtigkeit gem. § 134 BGB als Regelfolge vorauszusetzen sei. Soweit Canaris, aaO., S. 17 ff., dem weiterhin eine gesetzgeberische Grundentscheidung für den Vorrang staatlicher Wirtschaftsordnung und -lenkung gegenüber der (ungesteuerten) Privatautonomie entnimmt, dürfte dem zumal auch wiederum mit Blick auf den Willen des historischen Gesetzgebers (s. Mot. I, S. 210 sowie weitergehend zur Entstehungsgeschichte Flume, AT II, S. 343 f., wo er zumal als Schulbeispiele gesetzliche Veräußerungsverbote in Zeiten einer hoheitlichen Lenkung des Warenverkehrs (etwa in Zeiten der Kriegsbewirtschaftung, s. Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 146) oder staatliche Preisgesetze nennt) dürfte dem zuzustimmen sein (a.A. MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 134, Rz. 2). Doch ergibt sich aus diesem Vorrang staatlicher Wirtschaftslenkung nach der hier vertretenen Auffassung gerade kein zusätzliches Argument für die von Canaris vertretene Auffassung vom Charakter des § 134 BGB als Zweifelsregelung zugunsten der Nichtigkeit als Regelfolge gesetzlicher Verbotsnormen; entgegen Canaris, aaO., S. 17, führt die systemfunktional-rechtsfolgenorientierte Interpretation des § 134 BGB, die sich ganz an durchsetzungsorientierten Folgeerwägungen mit Blick auf den Zweck der Verbotsnorm orientiert (so insbesondere von jeher der BGH, vgl. z.B. BGHZ 45, 322, 326; BGH WM 1973, 1274, 1276, vgl. auch noch die Nachweise aus der Literatur in der folgenden Fußnote 6) nämlich im Vergleich zum Verständnis des § 134 BGB als echte Zweifelsregel nämlich gerade nicht zu einer „Zurückdrängung spezifisch privatrechtlicher Mittel als Ergänzung des öffentlichen Wirtschaftsrechts“, sondern vielmehr gerade zu deren Stärkung. Canaris’ Argumentation wäre lediglich dann uneingeschränkt tragfähig, wenn die bestmögliche Steuerungswirkung mit Blick auf die Präventionsfunktion, die § 134 BGB systemfunktional bezüglich wirtschaftsrechtlicher Verbote hat, tatsächlich stets durch die Nichtigkeitssanktion erzielt würde. Dies ist aber durch nichts belegt und auch angesichts der Vielgestaltigkeit der jeweiligen Zwecksetzungen wirtschaftsrechtlicher Verbotsgesetze (der eine entsprechende Vielgestaltigkeit zivilrechtlicher Rezeptionsmöglichkeiten, zumal wenn man § 817 S. s BGB mit einbezieht, auch entspricht, s. nur der zutreffende Vorschlag halbseitiger Teilnichtigkeit im Falle von einseitigen unternehmerischen Verstößen gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit bei Canaris, NJW 1985, 2404, 2405, gegen BGH NJW 1985, 2403 f.) nicht einmal im Sinne einer substantiierten Vermutung tendenziell zu erwarten. Deshalb muß auch jeglicher andere Versuch hinsichtlich der Fragestellung nach dem Verbotsgesetzcharakter und der Nichtigkeitsfolge nach schematischen Kriterien, wie beispielsweise dem (einseitigen oder beidseitigen) Adressatenkreis eines gesetzlichen Verbots (so in Anlehnung an die Gesetzesmaterialien (Mot. I, S. 210) insbesondere schon das Reichsgericht (RGZ 60, 273, 276 f.) und in der Folge der BGH (vgl. z.B. BGHZ 78, 263, 265; zuletzt BGH NJW 2000, 1186, 1187) und zustimmend etwa Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, S. 64 f.) zu unterscheiden, nach der hier vertretenen Auffassung (s. ähnlich insbesondere MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 134, Rz. 47 ff.; Staudinger-Sack, § 134, Rz. 35; mit Blick auf das Dogma der Unterscheidung nach den Adressaten des gesetzlichen Verbots auch Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 22 ff. und ders., NJW 1985, 2404, 2405) scheitern. Vielmehr geboten ist eine Einzelbetrachtung, die auf Seiten des Verbotsgesetzes dessen – zumal teleologische – Auslegung in den Mittelpunkt stellt und im Rahmen
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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legten Schutzzwecks aus systemfunktionaler Sicht erforderlich oder überhaupt dienlich ist6. Im Verhältnis zu Verboten aus dem Recht des unlauteren Wettbewerbs muß im Ausgangspunkt der näheren Betrachtung die Anerkenntnis des unterschiedlichen Regelungsbereichs lauterkeitsrechtlicher Verbote im Vergleich zu § 134 BGB stehen. Während Verbote des Lauterkeitsrechts in der Regel die Anbahnung von Verträgen im Markt, die Art und Weise ihres Zustandekommens betreffen, bezieht sich die Rezeptionsregel des § 134 BGB als Norm der Inhaltskontrolle auf gesetzliche Verbote, die Rechtsgeschäfte ihrem Inhalt nach mißbilligen oder doch zumindest wegen der besonderen Umstände der Vornahme des Rechtsgeschäfts sich auch gerade gegen deren Existenz als solche richten7. Entsprechend ist zu unterscheiden zwischen den sogenannten „Folgeverträgen“ unlauteren Wettbewerbs, für die eine Nichtigkeit gem. § 134 BGB grundsätzlich nur in Betracht kommt, sofern sich das lauterkeitsrechtliche Unrecht in der Vertragsanbahnung auch in dem bestehenden Vertrag perpetuiert (s. unten II), und solchen Verträgen, die die Verpflichtung zur Begehung unlauteren Wettbewerbs unmittelbar und notwendig zum Gegenstand haben (s. unten III)8.
II. Wettbewerbsverstoß in der Vertragsanbahnung Soweit ein Wettbewerbsverstoß lediglich in der Vertragsanbahnung erfolgt ist – mithin im typischen Fall unlauteren Wettbewerbs im Vertikalverhältnis – kommt die Nichtigkeit des resultierenden Rechtsgeschäfts gem. § 134 BGB lediglich dann in Betracht, wenn sich der Lauterkeitsverstoß in der Vertragsanbahnung in dem Sinne in dem daraus entstandenen Folgevertrag perpetuiert, daß das einschlägige UWG-Verbot als Verbotsnorm im Sinne des § 134 BGB gerade auch die Existenz des resultierenden Rechtsgeschäfts mißbilligt9. der Filter- oder Rezeptionsfunktion des § 134 BGB den Aspekt der systemfunktionalen Rechtsfolgenorientierung mit Blick auf die möglichst effektive Durchsetzung des Verbotsgesetzes (so zutreffend insbesondere MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 134, Rz. 49 mwN). 6 So deutlich schon Steindorff, in: FS Raiser, S. 621, 639; für den hier betrachteten Bereich zuerst Körner, GRUR 1968, 348, 350. Vgl. auch noch die Nachweise im folgenden Text. 7 So die mittlerweile ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur, s. die Nachweise o. Fn. 1. Im Ergebnis genau gleich, wenn auch aufgrund einer Argumentation anhand eines mehr gleitenden Systems entscheidender Wertungskriterien Alexander, S. 92 ff.; ähnlich im Ansatz im übrigen allgemein auch MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 134, Rz. 41 ff. und insbesondere Rz. 67. A.A. LG Mainz, Urt. v. 30.6.1967 – HO 142/66, BB 1967, 1180 f.; vgl. auch AG Frankenberg Urt. v. 25.11.1986, 1 C 566/85 – Lama Alpaca, VuR 1987, 224 ff. bestätigt durch LG Marburg, Urt. v. 18.3.1987, 5 S 15/87; aus der Literatur für die Minderansicht insbesondere Reich, JZ 1975, 550, 553. 8 Für diese Unterscheidung am klarsten Sack, zuletzt GRUR 2004, 625, 626 mwN; im Ergebnis auch Reichelsdorfer, WRP 1998, 142, 143 f. Etwas abweichend und wohl auch nach heutigem Stand nicht mehr haltbar die noch weiterreichenden Kategorisierungsversuche bei Körner, GRUR 1968, 348, 350 ff.; Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 146 ff. S. näher noch u. Fn. 36. 9 S. die Nachweise o. Fn. 1. Die Formulierung von dem sich im Vertrag „perpetuierenden und manifestierenden“ wettbewerblichen Unrecht findet sich bei Köhler, GRUR 2003, 265, 267.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
Wann dies der Fall ist, ist grundsätzlich eine Frage, die durch einzelbetrachtungsorientierte10 Auslegung der Verbotsnorm (in diesem Falle der jeweils einschlägigen UWG-Verbote) mit Blick auf ihren Schutzzweck (im ersten Schritt) und durch durchsetzungsorientierte funktional-rechtsfolgenspezifische Analyse mit Blick gerade auf die Nichtigkeitsfolge (im zweiten gewissermaßen aus der Sicht des § 134 BGB das UWG-Verbot rezipierenden Schritt) zu beantworten ist. Entscheidend ist also eine funktional-rechtsfolgenorientierte Durchsetzungsperspektive. Eine Minderansicht hatte in diesem Zusammenhang in Anlehnung an ein vereinzelt gebliebenes Urteil des LG Mainz11 aus der verbraucherschützenden Ausrichtung einzelner UWG-Tatbestände bereits auf deren Charakter als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB geschlossen und in der Konsequenz die Nichtigkeit in diesem Sinne unlauter angebahnter Verträge postuliert12. Dem ist die ganz herrschende Meinung13 zu Recht nicht gefolgt. Erstens verkannte der einseitige Rekurs auf die Zwecksetzung des UWG dessen auf einen im wesentlichen handlungsbezogenen Vorfeldschutz ausgerichtete Gesamtsystematik14, in deren Rahmen Verbraucherinteressen im wesentlichen eben gerade lediglich kollektiv durchsetzbar sein sollen, was im übrigen der Annahme einer verbraucherschützenden Zwecksetzung in keiner Weise entgegensteht15. Diese Gesamtsystematik würde auf dem Wege über eine – selbst differenzierende16– Anwendung des § 134 10
Nicht: einzelfallorientierte, vgl. o. Fn. 5. LG Mainz, Urt. v. 30.6.1967 – HO 142/66, BB 1967, 1180 f. Das LG Mainz hatte ohne jegliche nähere Begründung die Nichtigkeit eines Vertrags gem. §§ 1 UWG, 134 BGB aus einer wettbewerbswidrigen Beeinflussung einer – übrigens nicht als Verbraucherin im heutigen Sinne, sondern als Vertreterin eines Unternehmens handelnden – Kundin (konkret hatten sich die Werbenden durch irreführende Angaben ein verbessertes Entrée bei der Kundin verschafft, diese danach zudem durch Erweckung ihres Mitleids gefühlsbetont beeinflußt) abgeleitet. 12 So insbesondere Reich, JZ 1975, 550, 553; vgl. für den grundlegenden Rahmen auch Reich, ZRP 1974, 187 ff. Ähnlich zuletzt wieder die personalistisch ausgerichtete Nichtigkeitskonzeption bei Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, 1998, S. 190 (s. dazu näher auch sogleich u. Fn. 20). Vgl. umfassend zur diesbezüglichen Entwicklung der Diskussion auch schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 149 ff.; zuletzt Alexander, S. 88 ff., jeweils mwN. Bemerkenswert ist im Zusammenhang mit Reichs Minderansicht, daß diese sich gerade an dem zum damaligen Zeitpunkt ersichtlich als besonders dringlich regelungsbedürftig empfundenen Problem der anreißenden Werbung in der Öffentlichkeit oder sonstiger „Haustürsituationen“ im weitesten Sinne entzündete, daß dann in der Folge mit dem Haustürwiderrufgesetz einer bereichsspezifischen zivilrechtlichen Lösung zugeführt wurde. Der (freilich zum Scheitern verurteilte) Versuch, derartige Gestaltungen gewissermaßen über den Umweg des UWG i.V.m. § 134 BGB im Zivilrecht aufzufangen, bildet ein typisches Beispiel zeitlicher Komplementarität von Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht. Vgl. allgemein oben 1. Kap. 3. Abschn. F III sowie zu anderen Versuchen einer „Auffanglösung“ im BGB de lege lata unten etwa 4. Kap. 4. Abschn. B. 13 S. die Nachweise o. Fn. 1 und 7. 14 S. ausführlich Lehmann, S. 151 ff.; Alexander, S. 95. 15 S. zum System des alten UWG, welches ein regelrechtes e contrario-Argument zu § 13a UWG a.F. nahelegte, Alexander, aaO. 16 Auch weiter differenzierende Einteilungsversuche helfen in diesem Zusammenhang letztlich wenig. So überzeugt etwa die von Reich, JZ 1975, 550, 553, vorgeschlagene Abgrenzung danach, ob das Verbotene einer bestimmten Werbemethode gerade in dem Herbeiführen von Vertragsabschlüssen liegt (dann Anwendbarkeit von § 134 BGB) oder nicht (dann keine Anwend11
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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BGB regelrecht unterlaufen17. Insbesondere ist aber auch zweitens (gewissermaßen spiegelbildlich aus der Sicht des § 134 BGB) die Nichtigkeitsfolge gerade deshalb nicht geboten, weil sie den Interessen der Verbraucher in derartigen Gestaltungen typischerweise gar nicht gerecht wird. Denn ein individueller Verbraucher kann – ja wird angesichts des massenhaft typisierenden Maßstabs des UWG häufig – mit einem unlauter angebahnten Vertrag inhaltlich dennoch zufrieden sein. Die Nichtigkeit in derartigen Situationen geschlossener Verträge als Regelbarkeit von § 134 BGB, Reich, aaO., nennt für diese letztgenannten Konstellationen das Beispiel des reinen Belästigungsschutzes), mit Blick auf die entscheidende Frage nach dem Verbot gerade der resultierenden Rechtsgeschäfte kaum. Denn letztlich würde damit gerade entgegen der Systematik des UWG doch in sämtlichen Fällen, in denen die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher im Vorfeld des Vertragsabschlusses gefährdet wurde, § 134 BGB angewendet. Die Frage, ob ein UWG-Verbot im Vorfeld des Vertragsschlusses sich gerade auf den Schutz der Entscheidungsfreiheit richtet, ist aber für die Anwendbarkeit der inhaltsbezogenen Norm des § 134 BGB gerade nicht entscheidend. Allein entscheidend ist vielmehr, ob die über § 134 BGB rezipierte Rechtsnorm aufgrund dieser Gefährdung der Entscheidungsfreiheit gerade auch den Abschluß des Rechtsgeschäfts unter bestimmten Umständen gänzlich verbietet. Deshalb überzeugt auch der in eine ganz ähnliche Richtung gehende Ansatz des AG Frankenberg in einem Urteil zu § 11 Nr. 8 Heilmittelwerbegesetz (Urt. v. 25.11.1986, 1 C 566/85 – Lama Alpaca, VuR 1987, 224 ff. bestätigt durch LG Marburg, Urt. v. 18.3.1987, 5 S 15/87, vgl. dazu auch Alexander, S. 88 und im übrigen auch LG Hamburg v. 2.4.1984, 75 O 311/83 und OLG Hamburg v. 4.8.1984, 14 U 106/84), wo das Gericht (übrigens auch wiederum in einem Sachverhalt, der nach heutiger Rechtslage ohnehin dem Haustürwiderrufsrecht unterfiele) darauf abstellt, daß § 11 Nr. 8 HWG neben dem Schutz der Allgemeinheit auch dem Schutz des einzelnen Erwerbers von Heilmitteln vor wirtschaftlicher Übervorteilung durch Schutz vor unüberlegten Kaufentschlüssen diene. Dies ist eben nicht der entscheidende Aspekt. Fraglich ist vielmehr, ob das Verbot sich bei systematischteleologischer Auslegung des Verbotsgesetzes mit Blick auf das Gesamtsystem des allgemeinen Zivilrechts und des allgemeinen und bereichsspezifischen Werberechts tatsächlich gegen den Abschluß des Rechtsgeschäfts als solchen als einzig effektives Durchsetzungsmittel richten kann. Dies ist gerade mit Blick auf die individuell den Erwerber schützenden Rechtsbehelfe des Zivilrechts eben nicht der Fall, da die sich in diesem Gesamtsystem verkörpernde sorgsame Interessenabwägung der Vertragsparteien mit Blick auf das jeweilige Bestands- und Lösungsinteresse in (zumal für den Verbraucherschutz typischerweise vollkommen unnötiger Art) unterlaufen würde (s. ähnlich Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 153 mwN; mehr den abschließenden Charakter der individuellen Verbraucherrechtsbehelfe im UWG betont Alexander, S. 95). Das vorerwähnte Urteil des AG Frankenberg, aaO., 226, illustriert dies selbst in aller Deutlichkeit, da nach der Prüfung der Nichtigkeit des Vertrags gem. §§ 11 Nr. 8 HWG, die Anfechtbarkeit gem. § 123 BGB hilfsweise geprüft und prompt bejaht wurde. Richtigerweise wurde dieses Instrument den Verbraucherinteressen im Sachverhalt ohnedies gerechter, als die ex tunc angeordnete Nichtigkeit gem. § 134 BGB. Für ein weiteres Beispiel, das die feine Abgrenzungslinie zwischen dem Schutz der Entscheidungsfreiheit durch Anordnung handlungsbezogener Vorfeldverbote in Abgrenzung vom Schutz der Entscheidungsfreiheit durch Verbot des Abschlusses von Rechtsgeschäften unter bestimmten Umständen illustriert, s. die bejahende Entscheidung d. BGH v. 22.5.1978, BB 1978, 1184 (und dazu ausführlicher Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 152) zum Verbotsgesetzcharakter des § 56 Abs. 1 Nr. 6 GewO, wo der BGH zwar zuerst ebenfalls im Kern teleologisch argumentiert, um in der Folge jedoch Verbote, die sich nur gegen die Art der Vornahme eines sonst unbedenklichen Rechtsgeschäfts abzugrenzen von Verboten, die sich gerade gegen den Abschluß eines Rechtsgeschäfts unter bestimmten Umständen richten. S. auch noch für weitere (letztlich überholte) Versuche einer Kategorisierung von Folgeverträgen mit Blick auf die Anwendbarkeit von § 134 BGB in u. Fn. 36. 17 S. die Nachweise o. Fn. 16.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
rechtsfolge des UWG-Verbots würde demgegenüber nicht nur zu einer aus Gründen des Verkehrsschutzes schlicht unhinnehmbaren Verunsicherung des Rechtsverkehrs führen, sondern würde auch durch die im Vergleich zu den Rechtsbehelfen des § 123 BGB18 und auch zu der nach der hier vertretenen Auffassung unter Umständen einschlägigen Haftung des Vertragspartners aus culpa in contrahendo (§§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB)19 mindestens sich ergebende, für die anonymisierten Massengeschäfte des täglichen Lebens in höchstem Grade unpraktische20 Umkehrung der Initiativlast mit Blick auf die Aufrechterhaltung einmal zustandegekommener Verträge21) den Verbraucherinteressen nicht gerecht werden 22. Zugleich würde auf diese Weise (nunmehr aus der Perspektive des allgemeinen Zivilrechts) auch das Gesamtsystem des BGB mit Blick auf den Schutz vor dem unerwünschten Vertrag unterlaufen. Gerade die spätere Schaffung des Widerrufsrechts für Haustürsituationen (im weitesten Sinne) – welches genau diejenigen si18
S. unten 4. Kap. 4. Abschn. A III. S. unten 4. Kap. 4. Abschn. C. 20 So zutreffend Alexander, S. 96 gegen Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 401 ff., der darauf hinweist, daß der von Beckmann vorgeschlagene Ansatz einer auf den Personenschutzcharakter der Verbotsnorm abstellenden Auslegung des § 134 BGB in dem Sinne, daß Mitglieder des geschützten Personenkreises über die Nichtigkeitsfolge einseitig disponieren (mithin dem Vertrag durch einseitig erklärten Verzicht auf die Geltendmachung der Nichtigkeit zur Wirksamkeit verhelfen) könnten, letztlich im Massenverkehr des Verbrauchsgüterhandels weder aus Sicht der Unternehmer, noch aus Sicht der Verbraucher wirklich praktikabel wäre. 21 Da das Problem der Umkehrung der Initiativlast dadurch nicht gelöst wird, hilft auch der Vorschlag von Reich, JZ 1975, 550, 553 (dort in Fußnote 31), dem Verbraucher über die Einrede der replicatio doli gegen den allfälligen Nichtigkeitseinwand des Veräußerers zu helfen, letztlich praktisch nicht weiter. Beinahe scheint dies auch Reich, aaO., zu ahnen, wenn er derartige Fälle – in denen der Verbraucher am Vertrag festhalten wolle – als Ausnahmesituationen („will der Käufer ausnahmsweise am Vertrag festhalten“) bezeichnet. Handelte es sich tatsächlich um bloße Ausnahmefälle, so wäre der Weg über die replicatio doli (gleichermaßen wie Beckmanns Konzeption [s. o. Fn. 20]) unter Umständen gangbar; doch dürfte die Situation, in der ein individueller Verbraucher an einem unlauter angebahnten Vertrag festhalten will, eben gerade keine Ausnahmesituation, sondern – soweit sich hier überhaupt Vermutungen anstellen lassen – eher der Regelfall sein. 22 Zutreffend Alexander, aaO. S. auch schon o. Fn. 16 am Beispiel des dort erwähnten Urteils des AG Frankenberg, wo § 123 BGB „hilfsweise“ geprüft wird. Der Drang der Gerichte in den Anwendungsbereich des § 134 BGB im übrigen, der von einer auffälligen Ignoranz gegenüber der Anfechtungsmöglichkeit begleitet ist, läßt beinahe vermuten, daß in den entschiedenen Fällen den (wohl typischerweise geschäftlich ganz außerordentlich unerfahrenen und unbedarften) Verbrauchern die Anfechtungsmöglichkeit nicht bewußt war und daher eine Anfechtung nicht hinreichend klar erklärt wurde. Bedenkt man jedoch, daß die Anfechtungserklärung als empfangsbedürftige Willenserklärung formlos abgegeben werden kann und nur unzweideutig den Willen erkennen lassen muß, von dem angefochtenen Rechtsgeschäft wegen eines Fehlers bei dessen Abschluß (insbesondere eines Willensmangels) abzustehen (vgl. schon RGZ 48, 218, 221; BGH WM 1975, 1002, 1003) und daß zudem die Anfechtung auch noch im Prozeß erklärt werden kann (BGH NJW 1958, 2099), so wird deutlich, daß eine derartige Mindestinitiative von denjenigen Verbrauchern, die von den geschlossenen Verträgen abstehen wollen, schon im Interesse derjenigen Verbraucher, die mit den geschlossenen Verträgen zufrieden sind und andererseits in einen Zustand der Rechtsunsicherheit gestürzt würden, doch in jedem Falle abverlangt werden kann. 19
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tuationsbezogenen Gefährdungen der Freiheit des Entscheidungsprozesses der Verbraucher ausglich, die auf dem Umweg über § 1 UWG a.F. i.V.m. § 134 BGB ungelenk 23 aufgefangen werden sollten – verdeutlicht, daß auch schon vor Schaffung dieser bereichsspezifisch typisierenden Lösung durch den Gesetzgeber aus der Sicht der angestammten Instrumente des Zivilrechts – insbesondere der Anfechtung nach § 123 BGB24 und der Haftung aus culpa in contrahendo (nunmehr §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB), die nach der hier vertretenen Auffassung hinsichtlich des Schadensbegriffs auf derartige Fallgestaltungen ausgedehnt werden sollte – ein regelrechtes e contrario-Argument gegen die generelle Anordnung der Nichtigkeit für Folgeverträge gegen Verbraucherinteressen verstoßenden unlauteren Wettbewerbs sprach. Nunmehr, nach der Schaffung des Widerrufsrechts bei Haustürgeschäften, gilt dies für diesen so besonders problematischen Bereich erst recht und jetzt unübersehbar. Entsprechend ist die alte Diskussion um die Nichtigkeit von einfachen Folgeverträgen unlauteren Wettbewerbs gerade gem. § 134 BGB auch weitgehend zum Erliegen gekommen. Die nun auch ausdrückliche Anerkennung des Verbraucherschutzzwecks im neuen § 1 UWG ändert an der Richtigkeit der insoweit mittlerweile ganz herrschenden Meinung nichts25. Damit bleiben mit der herrschenden Meinung im Bereich der Folgeverträge für eine Annahme von Nichtigkeit gem. § 134 BGB allenfalls diejenigen Ausnahmefälle, in denen sich der Lauterkeitsverstoß gerade in der Existenz des resultierenden Vertrags perpetuiert 26. Dies ist nach einhelliger Auffassung faktisch nur im Bereich progressiver Kundenwerbung i.S.d. § 16 Abs. 2 UWG der Fall, da progressive Vertriebssysteme – gleichgültig, ob sie als sogenannte Schneeballsysteme vertraglich zentralisiert oder als Pyramidensysteme auch vertraglich dezentral nach unten sich stufenförmig fortpflanzend ausgestaltet sind 27 – jedenfalls gerade aufgrund des Inhalts der abgeschlossenen Verträge, die ihrerseits für die Anwerbung weiterer Mitglieder Vorteile versprechen, funktionieren. Das lauterkeitsrechtliche Unrecht manifestiert sich mithin in diesem Falle mithin in den abgeschlossenen Verträgen, eine Nichtigkeit gem. § 16 Abs. 2 UWG i.V.m. § 134 BGB ist daher im Regelfall anzunehmen 28. 23 Das die vorgeschlagene Lösung über die Nichtigkeitsfolge nach § 134 BGB im Fall der Haustürgeschäfte letztlich gerade mit Blick auf die betroffenen Verbraucher nicht zu interessengerechten Lösungen führte, hatte schon frühzeitig Wedemeyer, WRP 1972, 117, 118 f. (dort konkret zu § 138 BGB in seiner Kritik eines Urteils des AG Trier v. 22.7.1971, NJW 1972, 160), betont. Zustimmend zuletzt Alexander, S. 96; vgl. zur Beurteilung unter § 138 BGB im übrigen noch unten 4. Kap. 4. Abschn. B. 24 S. zum diesbezüglichen Konkurrenzverhältnis zu § 134 BGB (§ 123 BGB als Sonderregelung), Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 153. 25 S. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl UWG, Rz. 7.8; § 3, Rz. 86 mwN. 26 S. die Nachweise o. Fn. 1, 7 und 9. 27 S. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 16, Rz. 32; zuletzt ausführlich Alexander, WRP 2004, 407, 409 ff. Noch weitere Systeme und Gestaltungsformen finden sich ins einzelne gehend beschrieben bei Fezer-Rengier, § 16, Rz. 122 ff. 28 Einhellige Meinung, s. statt aller Alexander, S. 93 ff. mwN.; Köhler, GRUR 2003, 265, 267 (beide zum alten § 6c UWG, der in § 16 Abs. 2 UWG mit einer kleinen Einschränkung des An-
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Darüber hinaus wurde vereinzelt vertreten 29, auch in den Fällen irreführender Angebotsschreiben (insbesondere für die Eintragung in Branchenverzeichnisse), in denen der BGH im Rahmen seiner (als Begründungskategorie freilich eher zweifelswürdigen) Gesamtkonzepttheorie, zuerst ein wettbewerbsrechtliches Durchsetzungsverbot bejahte30, sei ausnahmsweise Nichtigkeit gem. § 134 BGB anzunehmen. Nach richtiger Auffassung liegt in derartigen Fällen aber gerade kein sich im Inhalt des erschlichenen Vertrags perpetuierender Wettbewerbsverstoß vor. Der Vertragsabschluß als solcher ist vielmehr auch in derartigen Fällen – sofern überhaupt ein Vertrag zustandekommt 31 – rechtlich neutral. Hinzu kommt auch wiederum die funktional-rechtsfolgenorientierte Überlegung, daß die Nichtigkeitsfolge in derartigen Fällen zur Durchsetzung des wettbewerbsrechtlichen Verbots im Interesse der betroffenen Vertragspartner gerade im Vergleich zum flexibleren Instrument der Anfechtung gem. § 123 BGB nicht das geeignete Instrument wäre. Solange die Täuschung andauert, ist ohnehin auch die Berufung auf § 134 BGB seitens der getäuschten Kunden nicht zu erwarten; an dieser Stelle besteht keine tatbestandliche, sondern eine rein faktisch ordnungspolitische Durchsetzungslücke aufgrund der fehlenden Kenntnis der unmittelbar Betroffenen. Die Anwendung des § 134 BGB wäre in derartigen Fällen mit allen Nachteilen behaftet, wie sie allgemein vorstehend für Folgeverträge geschildert wurden, ohne deshalb das eigentliche Problem des Durchsetzungsmangels zu lösen. Eine Anwendung von § 134 BGB auf Fälle des Adreßbuchschwindels scheidet daher nach richtiger Auffassung aus. Damit bleibt es – um ein Zwischenfazit mit Blick auf § 134 BGB zu ziehen – bei der grundsätzlichen Wirksamkeit unlauter angebahnter Verträge mit der einzig nennenswerten Ausnahme von Verstößen gegen § 16 Abs. 2 UWG32.
wendungsbereichs [nunmehr nur noch gegenüber Verbrauchern, vgl. auch Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, S. 26] sonst aber vollkommen unverändert übernommen wurde). Vgl. aber auch noch u. Fn. 40 zum minimalen Einschränkungsvorschlag bei Alexander, aaO., S. 95, dem hier nicht gefolgt wird. 29 So insbesondere MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 134, Rz. 67 (dort in Fußnote 221) mit mißverständlichem Verweis auf Staudinger-Sack, § 134, Rz. 305, wobei letzterer an dieser Stelle aber zutreffend lediglich die BGH-Rechtsprechung zum wettbewerbsrechtlichen Durchsetzungsverbot gem. § 1 UWG aF in derartigen Fällen referiert und in diesem Zusammenhang zu Beginn gerade betont, daß derartige Verträge demgegenüber nicht nach § 134 BGB nichtig seien. 30 S. ausführlich unten 4. Kap. 5. Abschn. B I. 31 S. zur zivilrechtlichen Beurteilung unten 4. Kap. 5. Abschn. B I. 32 S. die Nachweise o. Fn. 1, 7 und 9. Zum selben Ergebnis gelangt man im übrigen mit Blick auf die wesentlichen lauterkeitsrechtlichen Nebengesetze bzw. bereichsspezifischen Werberegelungen, insbesondere auch für die PreisangabenVO, s. zutreffend Alexander, S. 91; MüKoMayer-Maly/Armbrüster, § 134, Rz. 68, jeweils mwN.
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III. Wettbewerbsverstoß als Gegenstand des Vertrags Von den Fällen, in denen Verträge im Vertikalverhältnis unlauter angebahnt wurden, sind diejenigen Situationen zu unterscheiden, in denen eine Verpflichtung zur Begehung unlauteren Wettbewerbs unmittelbar Gegenstand 33 des geschlossenen Vertrags ist34. In derartigen Fällen ergibt sich aus dem Zweck des UWG, unlauteren Wettbewerb zum Schutz der Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer und damit der Allgemeinheit an unverfälschtem Wettbewerb zu verbieten, – ganz im Einklang mit den gerade nachgezeichneten Grundsätzen zur Anwendung von § 134 BGB – daß Verträge, die die Begehung unlauteren Wettbewerbs in dem Sinne zum Gegenstand haben, daß der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung das wettbewerbswidrige Verhalten innewohnt, gemäß § 134 BGB nichtig sind35. Das ist genau dann der Fall, wenn sich die vertragliche Verpflichtung nicht erfüllen läßt, ohne dabei notwendig einen Wettbewerbsverstoß zu begehen 36. Typische Beispielsfälle sind insbesondere vertragliche Verpflichtungen zu wettbewerbswidrigem Verhalten, wie Verträge über Schleichwerbung durch redaktionell aufgemachte Werbefilme37 oder durch Product Placement 38. 33
Im Einklang mit der neueren BGH-Rechtsprechung wurde auf die Bildung weiterer Kategorien, wie sie in der älteren Literatur zum Teil vorgeschlagen wurden, verzichtet, da diese Fallgruppenbildungen mit Blick auf die neuere Rechtsprechung entweder in ihrem Umfang nicht mehr zu halten oder doch zumindest in ihrer praktischen Bedeutung überholt sind. S. näher noch sogleich u. Fn. 36. 34 S. die Nachweise o. Fn. 8. 35 BGHZ 110, 156, 175 = GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; zuletzt BGH GRUR 1998, 945, 947 – Co-Verlagsvereinbarung. S. aus der Literatur nur Sack, GRUR 2004, 625, 626 mwN (in Fußnote 12). 36 S. eindeutig BGH GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; zuletzt BGH GRUR 1998, 945, 947 – Co-Verlagsvereinbarung. Demgegenüber gerade spiegelbildlich auf die Notwendigkeit und Unmittelbarkeit der Vorbereitungshandlung abstellend Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 148 f. Die von ihm gebildete Fallgruppe der „Rechtsgeschäfte, die notwendiger Bestandteil unlauteren Verhaltens sind“ dürfte sich mit Blick auf die Terminologie der neueren BGH-Rechtsprechung (insbesondere in der Entscheidung Co-Verlagsvereinbarung, aaO.), die zu Recht in Fällen, in denen ein notwendiger Basisvertrag zwar für die Begehung des Wettbewerbsverstoßes unerläßlich sein mag, aber der streitgegenständliche Vertrag doch auch auf andere Weise erfüllt werden könnte, eine Anwendung des § 134 BGB verneint, nur schwerlich in ihrem ganzen Umfang halten lassen (beispielsweise zählt Lehmann, aaO., zu den notwendigen Basisverträgen etwa auch die Einstellung von „´Sachbearbeitern‘ zur Durchführung einer wettbewerbswidrigen Telefonwerbekampagne“, derartigen – für sich neutralen – Verträgen wohnt jedoch das lauterkeitsrechtliche Unrecht nach der neueren BGH-Rechtsprechung gerade nicht inne, da sie sich – um beim gewählten Beispiel zu bleiben – zumindest theoretisch auch durch gerade noch rechtlich zulässiges Direktmarketing erfüllen ließen). Auch die von Körner (s. Körner, GRUR 1968, 348, 351) gebildete Fallgruppe der „notwendigen Folgeverträge“ dürfte im übrigen verzichtbar sein, da sie praktisch über die hier gebildeten zwei Kategorien hinaus keinen nennenswerten Anwendungsbereich hat. Auch bei Körner, GRUR 1996, 618 ff. findet sich kein ausdrücklicher Verweis mehr auf diese Fallgruppe. Zu Recht kritisch auch Alexander, S. 89. 37 OLG München AfP 1995, 655 f. 38 LG München NJW-RR 1997, 1544 f.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
IV. Rechtsfolgen Sowohl in den Fällen des § 16 Abs. 2 UWG als auch mit Blick auf „Basisverträge“ unlauteren Wettbewerbs39 ist die zweckgerechte Rechtsfolge des § 134 BGB grundsätzlich beidseitige (Voll-)nichtigkeit40. Bei der Rückabwicklung der jeweiligen wechselseitigen Verträge in Schneeballund Pyramidensystemen ist aus Gründen des primären Verbraucherschutzzwecks des wettbewerbsrechtlichen Verbots im Falle der Nichtigkeit gem. § 16 Abs. 2 UWG i.V.m. § 134 BGB der Rückforderungsanspruch der betroffenen Verbraucher nicht etwa gem. § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen41; dies gilt selbst dann, wenn die Verbraucher selbst schon als Werber aufgestiegen und dadurch im System verstrickt sind42. Die Norm des § 817 S. 2 BGB ist insoweit mit Blick auf den primären Verbraucherschutzzweck des Verbotsgesetzes teleologisch zu reduzieren. 39
Insoweit mag die luzide Terminologie von Lehmann, aaO., S. 148 f., trotz der bei ihm zu weitreichenden Abgrenzung dieser Fallgruppe (wie sie in dieser Untersuchung soeben oben [III] behandelt wurde) übernommen werden. 40 Alexander, S. 93 ff., hat bezüglich der progressiven Vertriebssysteme zu Recht darauf hingewiesen, daß der Wortlaut des § 6c UWG a.F. (nunmehr § 16 Abs. 2 UWG) insofern auf den ersten Blick bedenklich weit geraten ist, als auch harmlose „progressive“ Werbepraktiken (wie etwa die Werbegeschenke von Zeitungen oder Buchclubs für die Werbung neuer Abonnenten) erfaßt werden könnten (vgl. auch GroßKomm-Otto, § 6c UWG, Rz. 13; ders., GRUR 1982, 274, 282 f.; und zuletzt ausführlich wiederum Alexander, WRP 2004, 407, 409 ff.) und daraus (neben der Forderung nach einer Einschränkung auf wettbewerbsrechtlicher Ebene) gefolgert, daß gegebenenfalls im Rahmen von § 134 BGB im konkreten Einzelfall zu prüfen sei, ob die Vertriebspraxis tatsächlich eine Gefährdung der eingebundenen Werber (durch Irreführung, aleatorische Anreize, Laienwerbung usf.) mit sich brächte, um so gewissermaßen die wettbewerbsrechtliche Fehlentwicklung zumindest im BGB einengend zu „korrigieren“. Dem kann insofern schwerlich gefolgt werden, als § 134 BGB die Wertung des Verbotsgesetzes – das mit Blick auf seinen Sinn und Zweck eben nur auszulegen ist – richtigerweise zu respektieren hat; soweit mit Blick auf die Nichtigkeitsfolge im Rahmen von § 134 BGB eigene Wertmaßstäbe in der Einzelbetrachtung anzulegen sind, geht es insoweit lediglich darum, ob die Nichtigkeitsfolge dem Ziel des externen Verbotsgesetzes zu möglichst weitgehender Geltung verhilft. Ein in seiner Zielsetzung zu weitreichendes externes Verbotsgesetz auf diesem Umweg über die zivilrechtliche Wertung zu „korrigieren“, sollte demgegenüber ausgeschlossen sein. Vielmehr ist die Lösung schon bei der (restriktiven) Auslegung des Verbotsgesetzes selbst zu suchen. Dies ist im Falle des § 16 Abs. 2 UWG auch ohne größere Probleme möglich: an sich ungefährliche progressive Formen der Laienwerbung (wie eben Geschenke für die Neuanwerbung von Abonnenten) sind deshalb nicht vom Tatbestand des § 16 Abs. 2 UWG erfaßt, weil in derartigen Fällen nicht „nach der Art d[er] Werbung“ die späteren Vorteile für den eigenen Kaufentschluß des Verbrauchers bestimmend sind. Auf dieser Grundlage können an sich ungefährliche Formen der Laienwerbung, denen ein „finales“ Element in dem Sinne, daß der Vertragsentschluß gerade auf der Hoffnung auf spätere Vorteile beruht, verläßlich ausgeschlossen werden. So zutreffend und ausführlich zuletzt auch Alexander, aaO., 415 f.; s. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 16, Rz. 42 ff. mit weiteren Beispielen; vgl. auch die ursprüngliche Gesetzesbegründung zum inhaltsgleichen §6c UWG a.F., BT-Drs. 10/5058, S. 39, derzufolge auch der Gesetzgeber unproblematische Formen der Laienwerbung ohne ein bestimmendes progressives Element nicht von der Norm erfaßt sehen wollte. 41 BGH, Urt. v. 22.5.1997, WRP 1997, 783, 784 – Sittenwidriges Schneeballsystem; zustimmend Kisseler, WRP 1997, 625, 629; Alexander, S. 97 f. 42 So zu Recht Alexander, aaO., S. 98.
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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Im Falle der „Basisverträge“, die Wettbewerbsverstöße zum Gegenstand der vertraglichen Verpflichtung machen, bleibt es demgegenüber richtigerweise im Regelfall bei der Anwendung von § 817 S. 2 BGB für diejenigen Teile43 des Vertrags, die mit dem vertragsgegenständlichen Wettbewerbsverstoß untrennbar verknüpft sind. Das heißt, die Parteien des nichtigen Vertrags können die wechselseitig gewährten Leistungen insoweit dann nicht zurückfordern, wenn sie hinsichtlich der Wettbewerbswidrigkeit der Leistungsverpflichtung zum Zeitpunkt der Leistung mit Vorsatz, mithin praktisch mindestens in leichtfertiger44 Unkenntnis der Wettbewerbswidrigkeit handelten. Fehlt es hingegen einer oder beiden Seiten subjektiv an der Mindestvoraussetzung der Leichtfertigkeit – was angesichts der Vielgestaltigkeit wettbewerbsrechtlicher Verbote durchaus häufig, ja wohl beinahe typischerweise der Fall sein dürfte – so kommt es für den oder die schuldlos vorleistenden Vertragspartner angesichts der Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts zur normalen Rückabwicklung über Leistungskondiktion gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB45.
V. Fazit und Einordnung Die heteronome Rezeption lauterkeitsrechtlicher Verbote über § 134 BGB führt mit Blick auf Folgeverträge praktisch nur im Falle des § 16 Abs. 2 UWG zur Nichtigkeit des Vertrags; demgegenüber ergibt sich aus § 134 BGB soweit unlauterer Wettbewerb Gegenstand eines Vertrags ist, mithin mit Blick auf sogenannte „Basisverträge“ unlauteren Wettbewerbs, in der Regel die Nichtigkeit entsprechender Verträge. Insbesondere der Bestand bloßer Folgeverträge ist darauf zurückzuführen, daß § 134 BGB mit seiner Anknüpfung an den Vertragsinhalt und wettbewerbsrechtliche Verbote, die die Vertragsanbahnung betreffen, sich auf unterschiedliche Regelungsbereiche richten. Im übrigen bestätigt auch eine funktionalinteressenorientierte Betrachtungsweise, die die Frage nach der Angemessenheit der Nichtigkeitssanktion am Maßstab des Schutzzwecks des UWG und der diesbezüglichen Durchsetzungseffektivität mißt, die hier nachgezeichneten Ergebnisse der ganz herrschenden Meinung. Soweit gelegentlich erwogen wurde, § 134 BGB auf einzelne weitere Fallgruppen von Folgeverträgen – insbesondere in Fällen der Gefährdung des Entschei43 S. zur Möglichkeit, nach einzelnen Vertragsteilen zu differenzieren, allgemein BGH NJW-RR 1997, 564; mit Blick auf einen Vertrag über eine wettbewerbswidrige Telefon-Werbeaktion zutreffend im Ergebnis auch Reichelsdorfer, WRP 1998, 142, 144 (auf Grundlage einer mit den Wertungen im Kartellrecht vergleichenden Argumentation). 44 Leichtfertiges Handeln steht insoweit dem vorsätzlichen Gesetzesverstoß gleich, s. z.B. BGH NJW 1983, 1420. 45 Die Sondernorm des § 817 S. 1 BGB erlangt insofern keine praktische Bedeutung. Denn hat der Leistende nicht zumindest leichtfertig gehandelt, so kann sein Anspruch aus Leistungskondiktion auch kaum gem. § 814 BGB wegen Kenntnis der Nichtigkeit ausgeschlossen sein, so daß bereits der Anspruch aus der allgemeinen Leistungskondiktion gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB genügt.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
dungsprozesses der Kunden – anzuwenden, verkörpern diese Ansätze ein perfektes Beispiel zeitlicher Komplementarität zwischen lauterkeitsrechtlichem Vorfeldschutz als einer Art „Frühwarnsystem“, darauffolgender Rezeptionsversuche im Zivilrecht de lege lata und letztlich bereichsspezifisch typisierender Lösungen im situationsspezifischen Verbrauchervertragsrecht46. Insbesondere das Problem der „Kaffeefahrten“ und ähnlicher Formen des Anreißens wurde schlicht zuerst im UWG „aufgefangen“, um sodann – angesichts des Fehlens „passender“ Instrumente – den Versuch zu unternehmen, aus dem Unwerturteil des UWG zivilrechtliche Abhilfe herzuleiten. § 134 BGB war hierfür jedoch angesichts der starren Nichtigkeitsfolge – die im Rahmen derartiger Auffangbemühungen prompt ihrerseits zum Gegenstand rechtswissenschaftlicher Umformungsversuche wird – nie das geeignete Instrument, weil die Nichtigkeit derartig angebahnter Verträge weit über das Ziel des Ausgleichs der situationsspezifischen Gefährdung des Entscheidungsprozesses hinausschießt, die ihrerseits in der Tat geeigneter durch ein befristetes Widerrufsrecht ausgeglichen werden kann47. Ein solches wurde in der Folge dann auch angeordnet. Weitere Versuche, im zeitlichen Vorfeld der Schaffung dieses bereichsspezifischen Instruments des Problems mit den Mitteln anderer autonom wertender Institute des allgemeinen Zivilrechts – die gewissermaßen lauterkeitsrechtlich „aufgeladen“ werden sollten – Herr zu werden, werden diese Untersuchung noch beschäftigen: Neben § 138 BGB48, wurde insoweit auch eine Lösung über spezifische Einwände auf Grundlage von § 242 BGB49 sowie über das damals ungeschriebene Institut der culpa in contrahendo erwogen50. Letztlich mußten alle diese Versuche scheitern, da das Problem in derartigen Fällen weniger im Bestehen tatbestandlicher Sanktions„lücken“ im Zivilrecht liegt, sondern sich vielmehr typischerweise als eine Situation präsentiert, in der eine Geltendmachung der Rechte aus unterschiedlichen Gründen (mangelnder Anreiz wegen vergleichsweiser Geringwertigkeit der erworbenen Güter, insbesondere aber auch Informationsdefizite der Kunden über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten schon des allgemeinen Zivilrechts) nicht erfolgt, so daß es zu praktisch-ordnungspolitischen Durchsetzungslücken kommt51. In historischer Perspektive stellen die Diskussionen um eine Nichtigkeit von Folgeverträgen, wie sie sich in den siebziger Jahren insbesondere hinsichtlich des Problems der „Kaffeefahrten“ und ähnlicher Gefährdungen des Entscheidungs46 Ganz ähnlich verlief im übrigen die Entwicklung mit Blick auf die Kontrolle von AGB, die zuerst als Gegenstand des Lauterkeitsrechts erwogen wurden, bevor eine Inhaltskontrolle über §§ 138, 242 versucht wurde, um schließlich mit dem AGBG eine bereichsspezifische Regelung zu schaffen, vgl. von Hippel, RabelsZ 40 (1976), 513, 524 ff.; Lehmann, S. 165 mwN. 47 S. ähnlich zuletzt Canaris, AcP 200 (2000), 273, 345. 48 S. unten 4. Kap. 4. Abschn. B. 49 S. nur überblicksartig und unter Hinweis auf den illustrativen Charakter für den rechtshistorischen Zusammenhang zeitlicher Komplementarität u. 4.Kap. 4.Abschn. in Fn. 413. 50 S. ausführlich zur culpa in contrahendo (nunmehr §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB) noch unten 4. Kap. 4. Abschn. C. 51 Vgl. insoweit zutreffend letztlich schon Schricker, GRUR 1979, 1, S. 3 f.
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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prozesses entzündeten, auch für die Gegenwart ein warnendes Beispiel gegen Versuche dar, zu schnell auf systemwidrige individuelle Verbraucherschutzlücken im allgemeinen Zivilrecht zu schließen und deren Heilung de lege lata durch analoge Erweiterung der bestehenden Instrumente oder de lege ferenda durch Schaffung neuer Individualschutzinstrumente zu befürworten. Die rechtswissenschaftliche und insbesondere die gerichtspraktische Entwicklung in diesem Bereich situationsspezifischer Gefährdungen des Entscheidungsprozesses verdeutlicht als ein historisches Beispiel zeitlicher Komplementarität52 nämlich zunächst einmal in aller Klarheit, daß faktische Lücken im System des individuellen Kundenschutzes sich in der Regel in der forensischen Praxis zuerst dadurch nachweisen lassen müssen, daß auf dem Umweg über das „Frühwarnsystem“ des UWG und der hierauf folgenden (häufig fehlgeleiteten) Rezeption der lauterkeitsrechtlichen Wertungen im Rahmen der heteronomen und autonomen Instrumente des Zivilrechts, bestimmte Schutzdefizite empirisch zu Tage treten. Derartige Schutzdefizite werden sich in der forensischen Praxis – wie es das vorstehend geschilderte Beispiel der rechtlichen Annäherung an den Haustürvertrieb im Rahmen des § 134 BGB belegt – mithin typischerweise durch gewagte Analogien, unzutreffende Heranziehung und Erweiterung letztlich nicht durchsetzungsgeeigneter Instrumente und ähnliche vereinzelte instanzgerichtliche „Ausreißer“ zuerst einmal zeigen; andernfalls ist schon das Bestehen einer Schutzlücke unwahrscheinlich. Sofern sich derart eine Lücke manifestiert, ist weiter zu prüfen, ob diese nach dem Gesamtsystem insbesondere des Zivilrechts mit Blick auf den Schutz vor dem unerwünschten Vertrag53 nicht gerade von dessen tragenden Prinzipien bewußt offengelassen wird. Dann fehlt es an einer systemwidrigen Lücke, denn mit Blick auf das Gesamtsystem des Vertrags- und Lauterkeitsrechts, gibt das Vertragsrecht soweit es um den Schutz des individuellen Vertragspartners geht und soweit es reicht gerade die zu respektierende rechtliche Wertung vor54. Nur sofern in diesem Sinne eine systemwidrige Lücke besteht, könnte über Lösungsmöglichkeiten de lege lata oder de lege ferenda nachgedacht werden. Schließlich ist für derartige vorsichtige Weiterungen das „richtige“, auch weiterungsfähige zivilrechtliche Konzept zu finden. § 134 BGB ist insoweit aus den genannten Gründen jedenfalls kein erweiterungsfähiges Regelungskonzept zur Verbesserung der zivilrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten. Die genuin vertragsrechtlichen Alternativen, die für vorsichtige Erweiterungen der Lösungsmöglichkeiten vom Vertrag und für allfällige Schadensersatzansprüche zugunsten im Vorfeld unlauter beeinflußter Kunden in Betracht kommen, werden noch im 4. Kapitel auf ihre jeweilige Eignung zu diesem Zweck überprüft.
52 Als weiteres konkretes Beispiel ließe sich die rechtliche Behandlung von AGB benennen, s. o. Fn. 46. 53 Die Formulierung ist bei Lorenz‘ Münchner Habilitation „Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag“, München 1997, entlehnt. 54 S. oben 1. Kap. 3. Abschn. F II.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
B. Einwilligungsvorbehalte bezüglich bestimmter verbotener Direktmarketingformen und zivilrechtliche Kontrolle der „Einwilligungen“ als mittelbar-heteronome Absicherung I. Wettbewerbsrechtliche Ausgangslage Zu einer mittelbar-heteronom flankierenden Absicherung generell-abstrakter Interessenabwägungsentscheidungen des Lauterkeitsrechts durch die allgemeine Rechtsgeschäftslehre kommt es insbesondere im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Beispielstatbestände zum Schutz vor unzumutbaren Belästigungen gemäß § 7 Abs. 2 Nrn. 2–4 UWG55. Der Schutz bestimmter subjektiver Rechte56 der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer wird in den diesbezüglichen Fallgruppen im Wettbewerbsrecht durch ausdrückliche Einwilligungsvorbehalte in unterschiedlicher Ausgestaltung und in unterschiedlichem Umfang57 zur Disposition der Betroffenen gestellt. Die Behandlung der entsprechenden Einwilligungen bzw. mutmaßlichen Einwilligungen in der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre hat die gesetzgeberische Wertung des Wettbewerbsrechts zu reflektieren. Es ist hier weder Raum noch ist es aus der Sicht der Untersuchungsperspektive geboten, auf die wettbewerbsrechtliche Behandlung belästigender Formen des Direktmarketing durch Telefonanrufe, automatische Anrufmaschinen, Faxgeräte oder elektronische Post im Detail einzugehen, zumal dieser Bereich an anderer Stelle im Kontext der UWG-Reform eingehend behandelt wurde58. Nur der wettbewerbsrechtliche Ausgangspunkt für die zivilrechtliche Be55 So zutreffend statt vieler (gerade unter einer der hier angestellten Untersuchung vergleichbaren Perspektive) noch zum alten Recht Alexander, S. 221 ff. 56 Grundlegend zur Rechtsnatur der einseitigen, widerruflichen Einwilligung als befugniserweiternde Disposition über subjektive Rechte Ohly, Einwilligung, S. 178 ff. Auch bezüglich bestimmter subjektiver Interessenpositionen, die lediglich durch deliktsrechtliche Handlungspflichten oder Verbote geschützt werden, läßt sich die Einwilligung auf dieser dogmatischen Grundlage treffend erklären, da der Schutz durch gesetzliche Handlungspflichten oder Verbote letztlich nur eine unterschiedliche gesetzliche Ausgestaltung subjektiver Interessensphären verkörpert (Ohly, aaO., S. 192 ff.). Im Falle des wettbewerbsrechtlichen Verbots bestimmter Direktmarketingformen stellt sich dieses Problem nicht einmal, da insoweit (mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bei natürlichen Personen [vgl. zur notwendigen, wenn auch nicht unumstrittenen, inneren Verbindung des durch die Einwilligung ausgeübten Selbstbestimmungsrecht mit dem jeweils betroffenen Persönlichkeitsrecht wiederum zutreffend Ohly, aaO., S. 190 ff.], sowie im Falle der elektronischen Werbung auch dem Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs und des Eigentums [letzteres insbesondere mit Blick auf den Ressourcenverbrauch beim Empfänger im Falle der Telefax-Werbung, u.U. auch bei der Email-Werbung]) klar auch individuelle subjektive Rechtspositionen der Betroffenen hinter dem wettbewerbsrechtlichen Schutz stehen (vgl. für die bürgerlich-rechtliche Beurteilung der einzelnen Belästigungsformen statt aller kurz und treffend Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7 UWG, Rz. 33, 84 mwN). 57 S. grundlegend zu den bestehenden Möglichkeiten der Ausgestaltung, die nunmehr der Gesetzgeber im hier betrachteten Bereich gerade in diejenigen Formen gegossen hat, die sich zuvor schon richterrechtlich entwickelt hatten Ohly, Einwilligung, S. 195 ff. 58 S. Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen; im übrigen zur Rechtslage nach Erlaß des neuen UWG statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 32 ff.; Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 32 ff.; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 103 ff.
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handlung entsprechender ausdrücklicher, konkludenter oder mutmaßlicher Einwilligungen der Betroffenen ist umrißartig festzuhalten. Die insoweit relevanten Tatbestände finden sich teils in Fortzeichnung schon der bisherigen Rechtsprechung 59, daneben auch in Umsetzung europarechtlicher Vorgaben60 als Beispielstatbestände für unzumutbare Belästigungen in § 7 Abs. 2 Nrn. 2–4, Abs. 3 UWG konkretisiert. Die Festlegung der nicht abschließenden61 Beispielstatbestände unzumutbar belästigenden Direktmarketings stellt sich als abstrakte gesetzgeberische Interessenabwägung zugunsten der von einer bestimmten Form des Direktmarketing betroffenen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer62 dar. Soweit deshalb einer der Tatbestände einschlägig ist, bleibt daher kein Raum für eine weitere konkrete Unzumutbarkeitsprüfung unter § 7 Abs. 1 UWG63; wohl aber ist wegen der Rückbindung von § 7 Abs. 2, Abs. 1 UWG an die Generalklausel des § 3 UWG stets noch eine zusätzliche Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung der Bagatellklausel der nicht nur unerheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung möglich und geboten64. Jedoch dürfte diese wegen der mit den Wer59 S. BGHZ 54, 188, 192 f. = GRUR 1970, 523 – Telefonwerbung I; BGH GRUR 1989, 753, 754 – Telefonwerbung II; BGH GRUR 1990, 280, 281 – Telefonwerbung III; BGH GRUR 1991, 764, 765 – Telefonwerbung IV; BGH GRUR 1994, 380, 381 – Lexikothek; BGH GRUR 1995, 220, 221 – Telefonwerbung V; BGH GRUR 1996, 208, 209 – Telefax-Werbung; BGH GRUR 1973, 210 – Telex-Werbung; BGH GRUR 2004, 517 – E-Mail-Werbung mit Anmerkung Hoeren. Vgl. im übrigen für umfassende Rechtsprechungs- und Literaturnachweise zur jeweiligen Ausgangslage im deutschen Recht statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 39 (Telefonwerbung), 68 (Faxwerbung) und 85 (Email-Werbung). 60 Prägend ist nach heutigem Stand insbesondere die Bestimmung des Art. 13 EKDatenschutz-Richtlinie. S. für die Einzelheiten des in diesem Bereich im übrigen außergewöhnlich verwickelten Richtlinienrechts Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 821 ff. (und zustimmend Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 37 bezüglich des verbleibenden Anwendungsbereichs der FernabsatzFinDL-Richtlinie); Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1025 ff. 61 AllgM auf Grundlage des eindeutigen Gesetzestexts, s. auch Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 7 Abs. 2. 62 Dabei genügt grundsätzlich wie nach der bisherigen Rechtslage die Belästigung gegenüber einem Marktteilnehmer (zumal insoweit ja durch Nachahmungseffekte eine unzumutbare Belästigung im Bereich der hier betrachteten Werbeformen resultieren kann), der abweichende Wortlaut zwischen § 7 Abs. 1 UWG („…einen Marktteilnehmer…“) und § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG („… gegenüber Verbrauchern … sonstigen Marktteilnehmern…“) ist allein sprachlich bedingt, s. Lettl, Rz. 525; zustimmend Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 2. 63 Wie hier eindeutig Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 3; wohl auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 15; Lettl, Rz. 525. A.A. nur Harte/Henning-Ubber, Rz. 77. S. näher zu den historischen, systematischen und teleologischen Argumenten, die gegen die sich allein auf eine bestimmte Lesart des Wortlauts haftende Interpretation Ubbers sprechen noch u. Fn. 176. 64 S. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 3; Lettl, Rz. 525 f. Die zusätzliche Prüfung der Bagatellklausel führt auch in der Fallgruppe des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG nicht zu einer Abweichung von den Vorgaben des Art. 13 EKDatenschutz-RL, deren Wortlaut für die dort genannten Fälle elektronischer Werbung gegenüber Privatpersonen per-se-Verbote vorsieht. Denn einerseits dürfte wegen der erheblichen Nachahmungsgefahr der Fall einer nur unerheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung selbst durch einzelne Handlungen im Rahmen der § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG ganz atypisch und selten sein; und andererseits ist für derart atypische und seltene Fälle auch die Vorgabe des Art. 13 Abs. 3 EKDatenschutz-RL mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als ungeschriebenen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts bei grundfreiheitenkonformer Auslegung der Richtlinie (vgl. dazu allgemein oben 2. Kap. 3. Abschn. B II 3) dahingehend zu interpretieren, daß bei ganz atypisch gelagerten Situationen eine Ausnahme vom per-se-Verbot in Betracht kommt. Zudem stehen dem von elektronischer Werbung betroffenen Verbraucher im deutschen Recht stets noch die Rechtsbehelfe aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog zu (vgl. auch näher Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 817 mwN). S. wie hier die Be-
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
beformen der § 7 Abs. 2 Nrn. 2–4 UWG stets verbundenen erheblichen Nachahmungsgefahr65 in aller Regel66 wiederum zum Ergebnis einer nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs führen67. Im einzelnen gilt, daß telefonische Werbung gegenüber Verbrauchern von deren Einwilligung68 abhängt, während bei sonstigen Marktteilnehmern auch die zumindest mutmaßliche Einwilligung genügt (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG); die wegen der geringeren Grenzkosten besonders nachahmungsträchtigen69 Werbeformen vermittels automatischer Anrufmaschinen, Zusendung von Faxen oder elektronischer Post stellen sogar gegenüber sämtlichen Marktteilnehmern eine unzumutbare Belästigung i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 3, 7 Abs. 1 UWG dar, wenn keine Einwilligung der Adressaten vorliegt. Aufgelockert wird diese Vorgabe im Falle der E-MailWerbung durch die Regelung des § 7 Abs. 3 UWG zur Zulässigkeit bestimmter E-Mails unter den (kumulativen) Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nrn. 1–4 UWG, wenn die Adresse im Zusammenhang mit einem Vertragsschluß vom Betroffenen erhalten wurde. Dabei handelt es sich wiederum um einen Fall einer gesetzlich unwiderlegbar typisierten Form der mutmaßlichen Einwilligung70.
gründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 7 Abs. 2, S. 21; Hefermehl/Köhler/ Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 3; a.A. Lettl, Rz. 526; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 165, die für elektronische Werbung gegenüber natürlichen Personen im Wege richtlinienkonformer Auslegung per-se-Verbote in dem Sinne annehmen wollen, daß in jedem Falle stets eine erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung vorliege, ohne daß in diesen Fällen überhaupt noch eine Prüfung der Bagatellklausel nach § 3 UWG erfolgen könne. Zweifelnd aus allgemeiner Sicht auf die Erheblichkeitsschwelle Ohly, GRUR 2004, 889, 895. 65 Es ist hier nicht der Raum die diesbezüglich eindeutige Rechtsprechungsentwicklung seit den Entscheidungen zur Telex-Werbung in Einzelheiten nachzuzeichnen, vgl. statt aller die umfassenden Nachweise zu diesem Aspekt bei Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 23 ff.; ders./Pothmann, WRP 2003, 815, 816 ff.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 68, 76, 85. 66 Eine Ausnahme mag der noch unten (III 2) zu schildernde Fall mutmaßlicher Einwilligung von Verbrauchern unter § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG in ganz atypisch gelagerten Situationen der „Gefahr im Verzug“ bilden. 67 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 7 Abs. 2, S. 21. So zu Recht auch die ganz hM, s. BGH GRUR 2004, 817, 819 – E-Mail-Werbung; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 3; Lettl, Rz. 525. Demgegenüber mit einem (systematisch in § 7 Abs. 1 UWG fehlverorteten, s. insoweit noch u. Fn. 176) und inhaltlich wegen der in beiden Fällen gleich hohen Nachahmungsgefahr und der empfindlichen Störung gerade der Betriebsabläufe in Unternehmen durch ständig (per Fax oder Email) eingehende elektronische Werbung (vgl. Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 83, 99, jeweils mwN) auch nicht gerechtfertigten Versuch einer Differenzierung der Unzumutbarkeitsprüfung in Fällen der unter § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG an Unternehmen gerichteten Werbung aber Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 165 (gegen BGH aaO.). 68 Zur dogmatischen Einordnung des Begriffs in der Rechtsgeschäftslehre und zu den Folgerungen für das Wettbewerbsrecht sogleich unten II. 69 Vgl. zu diesem entscheidenden Gesichtspunkt noch unten 4. Kap. 3. Abschn. A I 2 b. 70 S. für die grundlegende Qualifizierung derartiger dem Gesetzgeber offenstehender Gestaltungsformen zum Schutz subjektiver Rechte Ohly, S. 214 ff. (insbes. S. 218). Für die Qualifizierung konkret des § 7 Abs. 3 UWG als Form gesetzlich typisierter mutmaßlicher Einwilligung vor dem Hintergrund der aus systematischen und teleologischen Gründen ebenfalls als gesetzlich typisierte mutmaßliche Einwilligung zu qualifizierenden europäischen Vorbildnorm des Art. 13 Abs. 2 EKDatenschutz-RL s. Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 821 f., 827; zustimmend Harte/Henning-Ubber, §7, Rz. 184 jeweils mwN (auch zu abweichenden Qualifikationsversuchen).
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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Die gewählten wettbewerbsrechtlichen Gestaltungsformen zum Schutz der Kunden vor unzumutbarer Belästigung setzen also sämtlich (wenngleich durch unterschiedliche Ausgestaltung der Initiativlast mehr oder weniger entscheidend) auf die Dispositionsbefugnis der Betroffenen bezüglich des ihnen eingeräumten Schutzes. Die nähere Regelung der entsprechenden befugniserweiternden Dispositionen71 bleibt dabei allgemein dem Privatrecht (insbesondere der Rechtsgeschäftslehre72) überlassen, welches insoweit die gesetzgeberische Wertung des Wettbewerbsrechts gewissermaßen umsetzen muß73.
II. Einordnung ausdrücklicher oder konkludenter Einwilligungen in der Rechtsgeschäftslehre und Abstimmung der zivilrechtlichen Kontrolle mit der Wertung der lauterkeitsrechtlichen Verbote 1. Einwilligung als Rechtsgeschäft? Dem Begriff der „Einwilligung“ in § 7 Abs. 2 Nrn. 2, 3 UWG können im allgemeinen Zivilrecht unterschiedliche Gestaltungsformen entsprechen. Insbesondere kommt sie im Rahmen einer Art „Stufenleiter“ unterschiedlicher Formen von Gestattungen sowohl als schuldvertragliche Gestattung als auch als einseitige Disposition bezüglich eines subjektiven Rechts74 des Betroffenen vor75. Bezüglich dieser letztgenannten Form ist der Rechtscharakter der Einwilligung umstritten: In Betracht kommt eine Qualifikation als Rechtsgeschäft oder als lediglich geschäftsähnliche Handlung76. Da es bei der Einwilligung im Kern um ein Einverständnis mit einem tatsächlichen Eingriff in ein subjektives Recht geht77, ist jedenfalls der Aus71
Grundlegend Ohly, Einwilligung, 2002. Vgl. zur Anwendbarkeit der Bestimmungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre in den einzelnen Gestaltungsformen sowie zur Heranziehung sonstiger zivilrechtlicher Prinzipien noch sogleich unten II 1 und 2. 73 So im Ansatz zutreffend zuletzt insbesondere Alexander, S. 221 ff. (beschränkt auf die rechtsprechungsnotorisch gewordene AGB-Inhaltskontrolle); s. zu den allgemeinen Grundlagen im Privatrecht deutlich auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 44 ff. mwN. 74 S. zu der in bestimmten Fällen nicht ganz unstrittigen Verankerung der einseitigen Einwilligung im Gedanken der Disposition über ein durch das Gesetz eingeräumtes subjektives Recht oder doch zumindest den durch das Gesetz gewährten Schutz einer subjektiven Interessensphäre in unterschiedlichen Gestaltungsformen schon o. Fn. 56. 75 S. grundlegend Ohly, Einwilligung, S. 141 ff.; vgl. für den hier betrachteten Bereich Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 44. 76 S. Ohly, aaO., S. 178 ff. (mit dem Vorschlag einer Einordnung als atypisches Rechtsgeschäft), gegen die heute hM insbesondere in der Rechtsprechung (s. grundlegend BGHZ 29, 33, 36 – Minderjährigenentscheidung), die die einseitige Einwilligung als lediglich geschäftsähnliche Handlung zuordnet (so auch Köhler, aaO.). 77 Bezüglich des Streits um die Zuordnung des Schutzes der körperlichen Integrität als ein Gegenstand von Persönlichkeitsrechten (oder als bloßen Rechtsgüterschutz), der für den wesentlichsten Fall der Einwilligung in ärztliche Heileingriffe bzw. andere Eingriffe in die körperliche Integrität eine entscheidende Rolle spielt, ebenso wie für die innere Verbindung des Selbstbestimmungsrechts in persönlichen Angelegenheiten mit dem jeweils geschützten Rechtsgut, s. eingehend Ohly, aaO., S. 187 ff. Vgl. auch Köhler, aaO. 72
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
gangspunkt des diesbezüglichen Theorienstreits klar: Da sich Form, Umfang und Voraussetzungen der Dispositionsbefugnis entscheidend nach der eingeräumten und geschützten Rechtsposition richten, können die Vorschriften der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre jedenfalls nicht uneingeschränkt Geltung beanspruchen, sondern vielmehr lediglich insoweit herangezogen werden, wie der Charakter des geschützten Rechtsguts und die Ausgestaltung der Dispositionsbefugnis im einzelnen dies gestatten78. Damit stellt sich die Diskussion um den Rechtscharakter der Einwilligung als eine Konstruktionskontroverse bezüglich der Fragestellung dar, ob – bei Qualifikation als lediglich geschäftsähnliche (Real-)handlung – stets die analoge Anwendung der Vorschriften der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre im einzelnen zu begründen ist oder ob – bei Qualifikation als atypisches Rechtsgeschäft – gerade umgekehrt bezüglich des konkret von der Einwilligung betroffenen Rechts und der konkreten Ausgestaltung der Dispositionsbefugnis zu begründen ist, warum und in welchem Umfang die Vorschriften über Rechtsgeschäfte einer teleologischen Reduktion bedürfen79. Gute Gründe mögen in dieser Frage für eine Qualifizierung als Rechtsgeschäft sprechen, zumal die Einordnung als geschäftsähnliche Handlung, wie sie die Rechtsprechung allgemein für derartige Einwilligungen vornimmt80, gerade für den hier betrachteten Bereich in den einschlägigen Urteilen häufig entweder gar nicht erfolgt81 oder aber nur zu rasch in die sich direkt anschließende Bejahung einer analogen Anwendbarkeit entschei-
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S. Ohly, aaO., S. 195 ff. mwN. Vgl. grundlegend Ohly, aaO., S. 201 ff., der zu Recht darauf hinweist, daß die weitgehend identischen praktischen Ergebnisse (die er aaO., S. 206 konzediert) die dogmatische Konstruktion keinesfalls bedeutungslos machen, da die jeweilige Argumentationslast genau spiegelverkehrt ist (wobei die letztlich häufig rein negative Abgrenzung ohne eigenen alternativen konstruktiven Ansatz auch in der Argumentation der hM, s. insoweit Ohly, aaO., S. 208 f., praktisch nicht selten sogar eher dem Argumentationsmuster einer teleologischen Reduktion entsprechen dürfte). 80 S. den grundlegenden Nachweis o. Fn. 76, sowie im übrigen die theoriengeschichtliche Darstellung der Entwicklung der herrschenden Meinung (seit der begriffsjuristisch in ihrer Wirkung fehlsam überspannten Zuordnung als Rechtsgeschäft [so die Rechtsprechung des Reichsgerichts, s. etwa RG JW 1911, 748, im Anschluß an Zitelmann, AcP 99 (1906), 1 ff.] bis hin zum [teils mehr an die fehlerhaft überdehnten Folgerungen der Zuordnung als Rechtsgeschäft, als an diese Zuordnung selbst anknüpfenden] Schwenk in der Rechtsprechung des BGH [s.o. Fn. 76]) bei Ohly, aaO., S. 201 ff. 81 Sondern stattdessen insbesondere hinsichtlich der Auslegung von ausdrücklichen und konkludenten Einwilligungen im Wettbewerbsrecht von vornherein kommentarlos gerade Kriterien herangezogen werden (s. etwa BGHZ 54, 188, 192 f. = GRUR 1970, 523 – Telefonwerbung I; BGH GRUR 1989, 753, 754 – Telefonwerbung II; BGH GRUR 1990, 280, 281 – Telefonwerbung III; BGH GRUR 1994, 380, 381 – Lexikothek; s. aber auch andererseits den ausdrücklichen Verweis auf § 683 S. 1 BGB in BGH GRUR 1991, 764, 765 – Telefonwerbung IV, bezüglich der mutmaßlichen Einwilligung von Gewerbetreibenden, vgl. dazu noch näher unten III 1), die sich nur durch den Rückgriff auf die Maßstäbe der Rechtsgeschäftslehre über die Auslegung ausdrücklicher und konkludenter Willenserklärungen erklären lassen und die durch die Aufdekkung dieses Zusammenhangs hinsichtlich ihrer Vorhersehbarkeit erheblich gewinnen könnten (s. noch sogleich unten im Text). 79
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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dender Teile der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre mündet82, ohne daß (bezeichnenderweise) auch nur sorgsam zwischen den ja in jedem Falle auch möglichen vertraglichen Gestattungen und den (nach dieser Auffassung doch nicht einmal atypisch rechtsgeschäftlichen) einseitigen „schlichten“ Einwilligungen unterschieden würde83. Mithin orientiert sich die Argumentationsführung der bisherigen Rechtsprechung in diesem spezifischen Bereich bisher von vornherein nicht an einer sauberen systematischen Zuordnung der „Einwilligung“ in belästigende Werbung, sondern entwickelt ihre Maßstäbe mehr oder weniger ad hoc. Die breite Vorhersehbarkeit der Ergebnisse würde insofern durch eine Zuordnung als atypisches Rechtsgeschäft wohl verbessert und entspräche auch gerade der zumindest für den hier betrachteten Bereich charakteristischen Verteilung der Argumentationslast, da die Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre mit Blick auf die Einwilligung in die Ansprache durch belästigende Werbung gerade die Ausnahme sein dürfte. Letztlich kann für den hier spezifisch betrachteten Bereich der zivilrechtlichen Behandlung allfälliger „Einwilligungen“ im Rahmen der § 7 Abs. 2 Nrn. 2, 3 UWG die systematische Einordnung aber dennoch zumindest für die Zwecke unserer Untersuchung insofern dahinstehen, als die praktischen Ergebnisse sich für diesen Bereich84 nicht wesentlich unterscheiden dürften85. Im Ergebnis kommt es nämlich jedenfalls zu einer weitgehenden Anwendbarkeit der Normen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, wie im folgenden zu beschreiben ist.
2. Anwendbarkeit der Normen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre Jedenfalls § 183 S. 1 BGB ist in keinem Falle einschlägig, da es bei der Einwilligung i.S.d. § 7 UWG nicht um eine vorherige Zustimmung zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts, sondern um eine befugniserweiternde Disposition bezüglich eines wettbewerbsrechtlich geschützten Rechtsguts geht86. Damit kann sich auch nicht unmittelbar aus der Definition des § 183 S. 1 BGB ergeben, daß Einwilligung stets nur die vorherige Zustimmung meint87; dennoch erschließt sich aus der 82 So BGHZ 141, 124, 126 ff.; BGH GRUR 2000, 818, 819 – Telefonwerbung VI, jeweils auf Grundlage einer Art erst-Recht-Schluß im Anschluß an BGHZ 98, 24, 28. 83 Vgl. auch die entsprechende Kritik am Fehlen einer sauberen Unterscheidung bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47. 84 Vgl. mit Blick auf die praktischen Ergebnisse ähnlich sogar der allgemeine Befund bei Ohly, Einwilligung, S. 206. 85 Vgl. schon o. Fn. 81 f. zum im Kern am Maßstab der (letztlich ohne entsprechende Klarstellung analog herangezogenen) Grundsätze der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre orientierten Ansatz der Rechtsprechung. 86 Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 44. 87 Daher hatte der Verf. (s. Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 827) mit Blick auf die europäische Vorgabe in diesem Bereich ursprünglich für die klarstellende Einfügung des Worts „vorherige“ plädiert; gegen eine entsprechende Notwendigkeit aber vor dem Hintergrund des letztlich verabschiedeten UWG vollkommen zu Recht Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 59 (s. auch u. Fn. 91).
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
Gesetzesbegründung88, dem europäischen89 und nationalen90 Hintergrund des § 7 Abs. 2 UWG und der vom Gesetzgeber ersichtlich beabsichtigten terminologischen Parallele zu § 183 BGB ohne weiteres, daß „Einwilligung“ in § 7 UWG eine vorherige Zustimmung bedeutet91. Die Auslegung der ausdrücklichen oder konkludenten Einwilligung sollte nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB erfolgen92. Die bisherige BGH-Rechtsprechung in diesem Bereich richtet sich ohne ausdrücklichen Verweis gerade an diesem Maßstab aus93; das neue UWG schließt an diese Konzeption an94. Der auch offengelegte Rückgriff auf §§ 133, 157 BGB – sei es im Wege der Analogie oder durch unmittelbare Anwendung – würde in diesem Bereich die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen noch erheblich verbessern, da die Rechtsprechungspraxis unmittelbar zu §§ 133, 157 BGB – insbesondere unter Berücksichtigung vergleichbarer Einwilligungsformen – mit herangezogen werden könnte95. So ließe sich etwa auch außerhalb des Geltungsbereichs des § 305c Abs. 2 BGB – und damit für individuelle Einwilligungen in Direktmarketing – zwanglos der Grundsatz der engen und insbesondere zweckorientierten Auslegung96 über eine Heranziehung der Rechtsprechung zu §§ 133, 157 BGB allgemein begründen97, derzufolge Abreden, die wesentliche Rechte einer Partei einschränken, im Zweifel eng und insbesondere unter konsequenter Begrenzung auf den für die Erreichung des Einwilli-
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S. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG, S. 21. S. o. Fn. 60 mwN. 90 S. die ständige Rechtsprechung des BGH zum alten UWG, etwa BGH GRUR 1994, 380, 381 – Lexikothek; aus der Literatur statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 43 mwN. Für eine letzte Darstellung der alten Rechtslage vgl. auch die umfassende Schilderung der Ausgangslage im deutschen Recht bei Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 91 S. zutreffend für die einhellige Meinung Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 43; Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 59 ff.; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 127; Lettl, Rz. 535. Zutreffend auch die Kritik von Mankowski, aaO., Rz. 59, an unserer Ansicht (Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 826 f.), daß es hier notwendig gewesen wäre, zur Klarstellung noch das Wort „vorherige“ einzuschieben. Im Gesamtkontext können natürlich keinerlei Zweifel bestehen, daß die „vorherige“ Einwilligung gemeint ist; die von uns vorgeschlagene Klarstellung war sicher hilfreich, geboten war sie nicht (so zutreffend Mankowski, aaO.). S. im übrigen auch u. Fn. 100 zum diesbezüglichen europarechtlichen Hintergrund. 92 S. nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 45. 93 S. o. Fn. 81. 94 S. die ausdrücklichen Verweise in der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 7 Abs. 2 UWG Nr.2 und zu Nr. 3. 95 Ein ausdrücklicher grundlagenorientierter Rückgriff auf die Grundsätze und Normen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre (begründet im Wege der Analogie) findet sich nur bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 45 f. 96 S. dazu für den hier betrachteten Bereich Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 53 mwN. 97 S. weiterführend die allgemeinen Vorschläge für derartige Entlehnungen von Auslegungsgrundsätzen insbesondere aus den Bereichen des Urheberrechts und des Rechts am eigenen Bild (Zweckübertragungslehre) bei Ohly, Einwilligung, S. 340 ff.; vgl. allgemein für den Grundsatz enger Auslegung nur die Nachweise in Palandt-Heinrichs, § 133, Rz. 23; § 276, Rz. 23. 89
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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gungszwecks notwendigen Umfang auszulegen sind98. Der Grundsatz enger, zweckorientierter Auslegung vermag schlüssig, sämtliche der in der lauterkeitsrechtlichen Literatur meist nur intuitiv ad hoc begründeten Einschränkungen zu weitgehend verstandener Einwilligungen zu begründen. So führt er insbesondere dazu, daß eine Generaleinwilligung nicht in Betracht kommt99. Aus der zweckorientierten Auslegung ergibt sich auch das Gebot größtmöglicher Konkretisierung: im Zweifel erfolgt die Einwilligung nur für das konkrete Vertragsverhältnis100, in dessen Rahmen sie abgegeben wurde (bzw. für vergleichbar konkretisierte Zwecke) und für einen konkreten Zeitraum, in dem sie zur Erreichung des Einwilligungszwecks notwendig ist101. Auf vertragliche Gestattungen sind im übrigen sämtliche Bestimmungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, insbesondere die §§ 104 ff. BGB, die §§ 119 ff. BGB und der §§ 305 ff. BGB unmittelbar anwendbar102. Auch bezüglich einseiti98
Im Ergebnis herrscht darüber prompt weitgehende Einigkeit, ohne daß der innere Zusammenhang mit allgemeinen Auslegungsgrundsätzen stets aufgedeckt wäre, s. nur Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 62; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 129 f., 162, 166 ff., jeweils mwN. Der ausdrückliche Verweis auf die Anwendbarkeit der Grundsätze der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre findet sich deutlich nur bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 45; die Entlehnungsvorschläge insbesondere hinsichtlich der urheberrechtlichen Zweckübertragungslehre hat Ohly, aaO., näher entwickelt. 99 S. Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 62; Köhler, in: FS Koppensteiner, S. 431, 444. 100 Die Beschränkung der Einwilligung auf den konkreten Fall ergibt sich im übrigen auch aus dem Gebot richtlinienkonformer Auslegung mit Blick auf Art. 13 Abs. 1, 3, Art. 2 S. 2 lit. f EKDatenschutz-Richtlinie i.V.m. Art. 2 lit. h Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. EG 1995 L 281, S. 31 (Datenschutz-RL), demzufolge die Einwilligung „ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage“ erfolgen muß. Nicht nur für die Umsetzungsvorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG mit Blick auf Telefax, Voicemail und Email-Werbung ist diese Vorgabe europarechtlich bindend, sondern auch für die Regelung der Telefonwerbung in § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Denn auch diese letztgenannte Norm beruht auf einer zulässigen gesetzgeberischen Ausübung des Wahlrechts, welches Art. 13 Abs. 3 der EKDatenschutz-RL den nationalen Gesetzgebern zur Wahl einer opt in-Lösung mit Blick auf individuelle Telefonanrufe einräumt; der insoweit europarechtlich eingeräumte Spielraum ist aber nicht schrankenlos, sondern bezieht such auf ein Wahlrecht („… welche dieser Optionen gewählt wird…“) zwischen zwei vorgegebenen Alternativen, von denen die opt in-Alternative gerade wieder auf den europarechtlichen Begriff der „Einwilligung“ verweist. Insofern sind die Schranken der Informiertheit, Freiwilligkeit und Konkretheit in jedem Falle im Wege richtlinienkonformer Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 2, 3 UWG zu berücksichtigen. Vgl. aber auch Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 60, der zutreffend darauf hinweist, daß demgegenüber ein weiteres Einwilligungsverständnis im Sinne einer auch gleichzeitigen Einwilligung (die gar uno actu mit der ersten belästigenden Werbemail eingeholt werden könnte) auf Grundlage der europarechtlichen Vorgabe nicht geboten ist, obwohl die Definition des Art. 2 lit. h Datenschutz-RL dies auf den ersten Blick nahelegen könnte. Doch führte ein solches fehlsames Verständnis zu einem inneren systematischen Widerspruch, da das Einwerben der Einwilligung selbst nach der EKDatenschutz-RL bereits inkriminiert wäre, und kommt daher nach richtiger Auffassung nicht in Betracht (s. auch die Lösung des § 107 Abs. 2 östTKG, welches ebenfalls nur eine vorherige Einwilligung genügen läßt). 101 Vgl. für die Einzelheiten der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 53, 73, jeweils mwN. 102 S. schon o. Fn. 82 f. zur Kritik an der Rechtsprechung des BGH zur AGB-Inhaltskon-
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
ger Einwilligungen kommt eine weitgehende analoge (oder sogar unmittelbare)103 Anwendung der Vorschriften der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre in Betracht. Im Falle der einseitigen Einwilligung ist allerdings – da es im Falle natürlicher Personen um eine Situation der Einwilligung in den Eingriff in ein höchstpersönliches Recht geht – für Minderjährige nicht der Maßstab des § 107 BGB heranzuziehen, sondern vielmehr – in Parallele zur Einwilligung in faktische Eingriffe bezüglich anderer höchstpersönlicher Rechtsgüter104 – auf die individuelle Einsichtsfähigkeit abzustellen105. Die Anfechtungsregeln sind anwendbar, im Falle arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung ist die einseitige Einwilligung jedoch als von vornherein nichtig zu betrachten106; dies ergibt sich schon aus der europarechtlichen Vorgabe der Freiwilligkeit und Informiertheit als Voraussetzung der wirksamen Einwilligung107 und folgt im übrigen aus dem Charakter der Einwilligung als einseitige befugniserweiternde Disposition (hinsichtlich derer in einem Fall des § 123 BGB weder ein schutzwürdiges Erhaltungs- oder Informationsinteresse des Erklärungsgegners in Betracht kommt noch ein vernünftiges Interesse des Einwilligenden an der Aufrechterhaltung vorstellbar ist). Die Methode richtlinienkonformer Auslegung muß in diesem Zusammenhang also gar nicht bemüht werden, um zum zutreffenden Ergebnis der sofortigen Nichtigkeit zu gelangen108.
3. Abschluß- und Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB mit Bezug auf Einwilligungen in belästigende Werbung Eine gewisse Kontroverse ist um die Auswirkungen der Abschluß- und Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB mit Bezug auf Einwilligungen in belästigende Werbung, insbesondere mit Telefonanrufen, entstanden. Im Ausgangspunkt besteht Einigkeit, daß die §§ 305 ff. BGB auf seitens des Werbenden vorformulierte Einwilligungserklärungen anwendbar sind109. Dies gilt grundsätzlich auch dann, trolle der Einwilligungserklärungen bezüglich Direktmarketings, in der nicht sauber zwischen vertraglichen Gestattungen und einseitigen Einwilligungen im engeren Sinne unterschieden wird, sondern vielmehr von vornherein eine pauschal lediglich analoge Anwendung der §§ 305 ff. BGB erfolgt. 103 S. zum zugrundeliegenden Streit um die Rechtsnatur der einseitigen Einwilligung die Nachweise o. Fn. 76. 104 In der Praxis mit Abstand am wesentlichsten ist die Einwilligung in den Eingriff in die körperliche Integrität im Rahmen ärztlicher Heileingriffe, s. zur diesbezüglichen Entwicklung von § 107 BGB zur individuellen Einsichtsfähigkeit im Rahmen der Rechtsprechung, Ohly, Einwilligung, S. 295 ff. mwN. 105 S. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 46. 106 S. Köhler, aaO. 107 S.o. Fn. 100. 108 S. auch Köhler, aaO., dementsprechend auch ohne Rückgriff auf das Europarecht. 109 S. für den Ansatz der Rechtsprechung BGHZ 141, 124, 126 ff.; BGHZ 141, 137; NJW 1999, 2279, 2282 – Private Vorsorge bei Arbeitslosigkeit; BGH GRUR 2000, 818, 819 – Telefonwerbung VI; dem folgend BGH VuR 2001, 264 ff. Zustimmend insoweit Alexander, S. 223 f. mwN.; im Ergebnis auch Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 63; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 133. Vgl. aber auch
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wenn – wie im BGH-Fall Telefonwerbung VI110 – dem Kunden die Möglichkeit eingeräumt wird, zwischen mehreren Alternativen (in Telefonwerbung VI lautete die konkrete Formulierung: „mit telefonischer Beratung einverstanden [ ]/nicht einverstanden [ ]“) zu wählen111. Die insoweit zur formularmäßigen Einwerbung der Einwilligung in Telefonwerbung entwickelten Grundsätze sind auf die Fälle des § 7 Abs. 2 Nr. 3 übertragbar und insbesondere auch auf den für die EmailWerbung typischen Fall einer entsprechenden „tickbox“ im Netz anwendbar112. Die abschließende europarechtliche Wertung gibt – soweit natürliche Personen betroffen sind, unmittelbar, soweit es um den Schutz von Unternehmen geht (die von § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG in überschießender Umsetzung mit erfaßt sind), im Wege richtlinienorientierter Auslegung113 – für die diesbezügliche Abschlußkontrolle – ganz im Einklang mit dem selbstbestimmungszentrierten Modell des europäischen Rechts auch im übrigen – die Gebote der Freiwilligkeit und der Informiertheit sowie für die Inhaltskontrolle das Gebot hinreichender Konkretisierung und Klarheit vor114. Im Bereich des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG kommt – für die EmailWerbung diese Gebote hinsichtlich der Abschlußkontrolle konkretisierend – im Wege richtlinienkonformer bzw. richtlinienorientierter Auslegung noch die europarechtliche Voraussetzung hinzu, daß schon bei Erhebung der elektronischen Kontaktinformation115ein deutlicher und klarer Hinweis auf die Möglichkeit, die werbliche Verwendung der Kontaktinformation gebührenfrei und problemlos abzulehnen, erfolgen muß. Dementsprechend kommt es auch unter §§ 305 ff. BGB von vornherein nicht zu einer Einbeziehung einer Einverständnisklausel, sofern sich diese als überraschend
die berechtigte Kritik an der fehlenden sauberen Unterscheidung zwischen vertraglichen Gestattungen und einseitigen Einwilligungen, s.o. Fn. 83 und dazu auch Gilles/Ewert, EWiR 1998, 45, 46 mit Bezug auf OLG Stuttgart, BB 1997, 2181. 110 BGH, GRUR 2000, 818, 819 – Telefonwerbung VI; s. auch BGH, VuR 2001, 264 ff. 111 So insbesondere der BGH, aaO. S. zustimmend Alexander, S. 222 f. mwN; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 133, jeweils mwN. A.A. noch OLG Frankfurt, WM 1998, 2053, 2054; Lettl, NJW 2001, 42, 43. 112 Zweifelnd (und für eine liberalere Handhabung) noch Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 37 (allerdings auch noch auf Grundlage eines strengeren Verständnisses der BGH-Rechtsprechung hinsichtlich des Inhaltskontrollmaßstabs, als es im folgenden vorgeschlagen werden soll). 113 Die hier geboten ist, da der Gesetzgeber bewußt die europarechtliche Wertung über den Bereich der an natürliche Personen gerichteten Werbung hinaus ausgedehnt hat, s. allgemein schon o. 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (4) (b) zu den Voraussetzungen und Wirkungen richtlinienorientierter Auslegung und zur (noch) uneinheitlichen Terminologie in diesem Bereich. 114 S. Art. 13 Abs. 1, 3, Art. 2 S. 2 lit. f EKDatenschutz-Richtlinie i.V.m. Art. 2 lit. h Datenschutz-Richtlinie und zum ganzen die Nachweise o. Fn. 60. 115 Insoweit nämlich nicht eindeutig § 7 Abs. 1 Nr. 4 UWG, der sich in Anlehnung an Art. 13 Abs. 4 EKDatenschutz-RL nur auf die Möglichkeit der Aufforderung zur Einstellung von Nachrichten bei den nachfolgenden Übertragungen bezieht; nach Art. 13 Abs. 2 EKDatenschutz-Richtlinie hat ein entsprechender klarer und deutlicher Hinweis auf die Möglichkeit, eine werbliche Nutzung abzulehnen, schon bei Erhebung der Kontaktdaten (Faxnummer, Telefonnummer, Email-Adresse) zu erfolgen.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB darstellt116. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn es – insoweit auch dem europarechtlichen Transparenzgebot zuwiderlaufend – zu einer Einbeziehung der Klausel an einer versteckten Stelle umfänglicher AGB oder sonst in unauffälliger oder verschleierter Weise kommt117. Daneben kann eine Einwilligungsklausel – selbst wenn sie konkret formuliert ist118 – auch ihrem Umfang nach überraschend sein, wenn etwa im Zusammenhang mit der Abwicklung eines konkreten Vertragsverhältnisses auch in die werbliche Ansprache durch Kooperationspartner des Vertragsgegners oder sonstiger Dritter eingewilligt wird119. Ist eine Einwilligung in Werbung bezüglich ihres Umfangs (hinsichtlich der einbezogenen Produkt- oder Dienstleistungskategorien oder – wiederum – hinsichtlich der Einbeziehung der Werbeaktivitäten Dritter) von vornherein unklar oder gar unverständlich (wobei auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Teilnehmer des angesprochenen Kundenkreises abzustellen ist)120, so ist sie – wiederum im Einklang auch schon mit dem diesbezüglichen europarechtlichen Transparenzgebot121 – wegen Verstoßes gegen das AGB-Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ebenfalls unwirksam122.
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So insbesondere Alexander, S. 224; Köhler, in: FS Koppensteiner, S. 431, 443; Ayad/ Schafft, BB 2002, 1711, 1712 ff.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7 UWG, Rz. 47. 117 S. allgemein zu derartigen Fällen OLG Hamm NJW-RR 1997, 370; KG NJW-RR 2002, 490. 118 S. für unklar formulierte Klauseln noch sogleich im folgenden Text. 119 So zutreffend Alexander, S. 224, wobei auch zu bedenken ist, daß die von ihm analysierte Klausel der Banken-AGB bezüglich der Eröffnung von Girokonten, wie sie auch der BGH-Entscheidung, BGH GRUR 2000, 818 – Telefonwerbung VI zugrundelag (aaO., S. 221 f.), mindestens nach der Zweifelsregel des § 305c Abs. 2 BGB nicht etwa dahingehend auszulegen sein dürfte, daß Kooperationspartner der Bank den Kunden direkt werblich ansprechen dürfen. Vielmehr ging es insoweit wohl nur um die werbliche Ansprache durch die Bank bezüglich der Produkte ihrer Kooperationspartner. Insoweit war die Klausel auch nicht von vornherein unklar oder unverständlich. Angesichts der weiten Verbreitung entsprechender Vertriebsaktivitäten der Banken, die häufig – zumal im Konzernverbund – auch Finanzdienstleistungen insbesondere ihrer Versicherungstöchter oder Fondsgesellschaften anbieten, dürfte eine entsprechende Klausel auch nicht überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB sein, was selbstredend nichts an Alexanders zutreffenden Hinweis darauf ändert, dass, sofern eine Klausel tatsächlich die Möglichkeit direkter Ansprache durch die Kooperationspartner selbst einräumte, sie nach § 305c Abs. 1 BGB von vornherein nicht wirksam werden könne. 120 Ist die Klausel nach diesem Maßstab noch verständlich, bleiben jedoch Zweifel hinsichtlich des konkreten sachlich/persönlichen Umfangs oder der Dauer der Einwilligung, so ist jedenfalls die Zweifelsregel des § 305c Abs. 2 BGB zugunsten des Betroffenen bei der Auslegung heranzuziehen. S. auch schon oben im Text zur Geltung des Grundsatzes enger Auslegung selbst im Bereich individueller Einwilligungen. 121 Für formularmäßige Einwilligungen ergibt sich das Transparenzgebot schon aus der dem § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zugrundeliegenden Norm des Art. 5 Klausel-Richtlinie (vgl. zum diesbezüglichen Gebot ausdrücklicher Umsetzung auch EuGH Rs. C-144/99 – Kommission . /.Niederlande, Slg. 2001, I-3541); im übrigen gelten auch wiederum Art. 13 Abs. 1, 3, Art. 2 S. 2 lit. f EKDatenschutz-Richtlinie i.V.m. Art. 2 lit. h Datenschutz-Richtlinie. 122 S. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47.
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Über all dies läßt sich nicht streiten123. Damit bleibt als entscheidender Anknüpfungspunkt oben erwähnter Kontroverse die Frage nach dem Maßstab der AGB-Inhaltskontrolle, dem Verbot unangemessener Benachteiligung gem. § 307 Abs. 1 BGB in seiner Ausprägung als Schutz vor Abweichungen von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), wie sie sich an der einschlägigen Rechtsprechung zu formularmäßigen Einverständniserklärungen mit Telefonanrufen werbenden Inhalts entzündet hat124. Wieder sind die folgenden Grundgedanken aber auch auf den Bereich der in § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG geregelten weiteren Formen elektronischen Direktmarketings übertragbar125. In der Rechtsprechung des BGH betreffend formularmäßige Einwilligungserklärungen bezüglich telefonischer Direktwerbung sind zwei Tendenzen erkennbar126: Zuerst wurde in zwei Fällen, in denen die zugrundeliegende Einverständnisklausel keine Wahlmöglichkeit einräumte127, entscheidend darauf abgestellt, daß eine 123
Wohl aber ist auffällig, daß die Rechtsprechung (s. die Nachweise o. Fn. 109) das Schwergewicht ihrer Prüfung stets auf die Inhaltskontrolle gelegt hat, ohne die vorgelagerten Stufen der Einbeziehungskontrolle, des Transparenzgebots und der Auslegungsregel für Zweifelsfälle in den Maße heranzuziehen, wie es nunmehr zumal die auf Freiheit, Informiertheit und Konkretheit fokussierte europäische Vorgabe gebieten würde. 124 S. für die BGH-Rechtsprechung o. Fn. 109. Vgl. im übrigen auch OLG Frankfurt a.M., ZIP 1998, 729; OLG Frankfurt a.M., WM 1998, 2053 (Anwendbarkeit des damaligen AGBG auf eine Optionsklausel verneint); OLG Stuttgart, BB 1997, 2181; LG Stuttgart, VersR 1999, 179; schließlich in der Folge der BGH-Entscheidungen LG Hamburg, AfP 2001, 151; LG München, VuR 2001, 229; LG Berlin, VuR 2002, 413 ff. (mit einer nicht ganz zweifelsfreien Ausdehnung der Grundsätze über die Inhaltskontrolle in diesem Bereich auf eine Einverständniserklärung betreffend Werbung per Post). Der Rechtsprechung des BGH uneingeschränkt zustimmend Alexander, S. 224 f.; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 133; wohl auch Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 63. Differenzierend Lettl, GRUR 2000, 977 ff.; ders., NJW 2001, 42 f.; Köhler, in: FS Koppensteiner, S. 431, 442 f. (ihm zustimmend wiederum Mankowski, aaO.); Hefermehl/Köhler/ Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47. Ablehnend Graf von Westphalen, BB 1999, 1131 (unter Betonung der einseitigen Widerrufsmöglichkeit, die jedoch an der in derartigen Fällen unter Umständen resultierenden Abweichung vom Grundgedanken der gesetzlichen Regelung im Sinne einer Umkehrung der Aktions- oder Initiativlast nichts ändert). 125 S. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 72; vgl. auch o. Fn. 112. 126 Vgl. insbesondere die Darstellung der Rechtsprechung bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47 mwN und Zuordnung der entsprechenden Argumentationsmuster auf die jeweils entscheidenden BGH-Senate. 127 Im einen Fall (BGHZ 141, 124 ff. = NJW 1999, 1864) war sie zumindest, obgleich im Zusammenhang mit anderen Einwilligungen insbesondere bezüglich Datenübermittlung, gesondert zu unterschreiben. Im anderen Falle (BGHZ 141, 137 ff., NJW 1999, 2279 ff. – Private Vorsorge bei Arbeitslosigkeit) war sie im Kontext sogenannter „Erläuterungen“ auf der Rückseite des Formulars untergebracht. Tatsächlich legte der letztgenannter Entscheidung zugrundeliegende Sachtverhalt es im übrigen schon nach der damaligen Rechtslage eher nahe, die zumal in ihrem Umfang über die Beratung im Rahmen des bestehenden Vertragsverhältnisses hinausgehende Einwilligungsklausel, schon als überraschende Klausel gem. § 305c Abs. 1 BGB als nicht in den Vertrag einbezogen zu behandeln (vgl. auch Alexander, S. 224 und dazu, soweit die Argumentation sich auf den tatsächlichen Inhalt der Klausel richtet, auch schon o. Fn. 119); ähnlich Köhler, in: FS Koppensteiner, S. 431, 442 ff. Nach der jetzigen Gesetzeslage wäre im Rahmen richtlinienkonformer Auslegung (s. schon o. Fn. 100) die Einwilligung auch an den Voraussetzungen des Art. 2 lit. h Datenschutz-Richtlinie zu messen. Insoweit würde es sowohl an einer hinreichenden Konkretisierung als auch an einer hinreichenden Sicherung der „Kenntnis der Sachlage“ fehlen,
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
derartige Möglichkeit der Einwilligung in AGB wegen der damit verbundenen Nachahmungsgefahr auch hinsichtlich der Angleichung der AGB-Gestaltung auf breiter Front zu einer vollkommenen Umkehr der rechtlichen Lage und damit gerade zu der massiven Belästigung führen würde, die das wettbewerbsrechtliche Verbot unterbinden wolle128. Ob diese Argumentationslinie auch im Falle der Einräumung einer Wahlmöglichkeit durch anzukreuzende Kästchen anwendbar wäre, hatten der IV. und der XI. Senat des BGH in ihren vorgenannten Urteilen genaugenommen nicht entscheiden müssen. Dennoch wurde die ratio der genannten Urteile in der Literatur weitgehend dahingehend aufgefaßt, daß eine vorformulierte Einwilligung generell eine unangemessene Benachteiligung des Kunden darstelle129. Ein Sachverhalt mit Wahlmöglichkeit (durch Einräumung einer Alternativklausel mit anzukreuzenden Kästchen) lag dann der Entscheidung des I. Senats des BGH Telefonwerbung VI130 zugrunde, wobei die Klausel sich über das konkrete Vertragsverhältnis hinaus auch auf anderweitige telefonische Werbung der Bank für Vertragsabschlüsse in anderen „Geldangelegenheiten“, die über das konkrete Vertragsverhältnis (die Eröffnung von Girokonten) hinausgingen, erstrecken sollte131. In dieser Entscheidung wählt der BGH nunmehr – als zweite der o.g. Tendenzen – einen neuen, etwas differenzierenderen Ansatzpunkt132: es steht weniger die Nachahmungsgefahr im Mittelpunkt, als vielmehr die weitgehende Umkehrung der Initiativ- oder Aktionslast, die sich aus der über das konkrete Vertragsverhältnis hinausgehenden, in ihrer Reichweite – unabhängig von der Frage, was unter „Geldangelegenheiten“ überhaupt im einzelnen zu verstehen ist133 – nicht konkret überschaubaren Einwilligung ergab134. Der Ansatzpunkt des BGH in Telefonwerbung VI ist unter der Perspektive der im Wettbewerbsrecht konkret so daß schon danach keine wirksame Einwilligung vorläge. Auf den Klauselcharakter käme es demnach genaugenommen gar nicht mehr an. 128 BGHZ 141, 124, 128; BGHZ 141, 137 ff., NJW 1999, 2279, 2282 – Private Vorsorge bei Arbeitslosigkeit. 129 Vgl. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47. 130 BGH GRUR 2000, 818 – Telefonwerbung VI. 131 S. aaO. 818 und 820. 132 Solcherart (nämlich einschränkend auf den Aspekt der in ihrem Umfang unüberschaubaren Umkehrung der Initiativlast) interpretieren das Urteil auch Hefermehl/Köhler/BornkammKöhler, § 7, Rz. 47; wohl auch Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 133. Demgegenüber zu weitgehend in der Kritik am Ansatz des BGH Lettl, NJW 2001, 42, 43, der die Anwendbarkeit des damaligen AGBG auf den entschiedenen Sachverhalt von vornherein ablehnt (und dabei den Aspekt, daß die einseitige Gestaltungsmacht der die Formulierung erstellenden Bank zwar nicht mit Blick auf die Optionsmöglichkeit als solche, wohl aber mit Blick auf die Ausgestaltung des Umfangs der auszuübenden Option durchaus bestand, übersieht). 133 Vgl. nur die diesbezüglich offengelassene Fragestellung in BGH, aaO., S. 819 und die nähere Darstellung des Sachverhalts auch bei Alexander, S. 221 f., der zu Recht den Aspekt betont, daß zudem nach dem Einverständnis von der Bank auch telefonisch für Finanzprodukte ihrer Kooperationspartner geworben werden konnte (so lag es denn auch bezüglich der letztlich beworbenen Kapitallebensversicherung im Streitfall, bei der es sich um ein Angebot einer Kooperationspartnerin der Beklagten handelte, s. BGH, aaO., S. 819). 134 BGH, aaO., 820.
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gewählten Gestaltungsform für den Schutz der Privatsphäre (nämlich der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und eben nicht einer Erlaubnis mit Widerspruchsmöglichkeit) zutreffend135. Er ist aber auch – was von der bisher herrschenden Meinung, die mindestens die älteren Entscheidungen im Sinne eines generellen Verbots der Einwiligung in Direktmarketing in AGB auffaßte und zum Teil auch ausdrücklich begrüßte – bei genauer Betrachtung auch mit den früheren Urteilen des IV. und des XI. Senats vereinbar136. Eine zutreffende Lösung, die diese Rechtsprechung kohärent umspannt, muß entscheidend den Grundgedanken der wettbewerbsrechtlichen Regelung in den Mittelpunkt stellen. Deren Gestaltung ist aber nicht nur von dem grundsätzlichen Verbot der in § 7 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 UWG geregelten Formen des Direktmarketing geprägt, sondern auch von dem – durchaus nicht selbstverständlichen137 – Aspekt, daß das Gesetz – und zuvor auch schon die richterrechtliche Ausgestaltung138 – dem Betroffenen hinsichtlich dieses Schutzes seiner subjektiven Rechte volle Dispositionsbefugnis im Sinne eines Einwilligungsvorbehalts einräumt. Die Befugnis des Werbenden soll also vom betroffenen Rechtsträger einseitig im voraus erweitert werden können, wobei natürlich – und dies ist der vom BGH in Telefonwerbung VI zu Recht betonte Wertungsaspekt – in diesem Zusammenhang wiederum zu beachten ist, daß die diesbezügliche Initiativ- oder Aktionslast für die Einholung der Einwilligung grundsätzlich der Werbende trägt. Der Initiativlast des Werbenden muß aber auch eine real bestehende Initiativmöglichkeit entsprechen, da andernfalls die den Betroffenen durch das Wettbewerbsrecht bewußt eingeräumte Dispositionsbefugnis – schließlich kann ja auch in durchaus nicht seltenen Fällen ein Wunsch nach telefonischer Beratung bestehen139 – faktisch leerliefe. Denn anders als in massenhaft vorformulierter Ansprache kann die Anfrage, in135 Wie hier (nämlich die ratio decidendi des Urteils Telefonwerbung VI gerade auf Sachverhalte begrenzend, in denen die AGB-Optionsklausel so unbestimmt ist, daß es zu einer von vornherein hinsichtlich ihres Umfangs nicht klar abschätzbaren Überwälzung der Initiativlast auf den Kunden kommt) Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47; Harte/HenningUbber, § 7, Rz. 133. Demgegenüber mit einem weitergehenden Verständnis der BGH-Entscheidung i.S.e. grundsätzlichen Verbots der Überwälzung der Initiativlast im Rahmen von Werbenden erstellter Formulare Alexander, S. 224 f.; wohl auch Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 63. 136 Insoweit a.A. wohl Köhler, aaO., der die ältere Rechtsprechung des IV. und XI. Senats des BGH dem (auch von ihm differenzierend interpretierten) Urteil des I. Senats in Telefonwerbung VI kontrastiert. Vgl. im übrigen auch noch die weiteren Nachweise in u. Fn. 148 und 149. Die älteren Urteile bezogen sich aber eben nicht auf Optionsvarianten, so daß sie gemeinsam mit der neueren Rechtsprechung zu Optionsklauseln in AGB sich nach der hier vertretenen Auffassung doch in ein stimmiges Gesamtbild fügen lassen. S. dazu sogleich im folgenden Text. 137 Wären etwa auch Interessen der Allgemeinheit durch das Verbot wesentlich betroffen, wäre es u.U. von vornherein nicht disponibel ausgestattet. S. für Schranken der Dispositionsbefugnis im übrigen grundlegend Ohly, Einwilligung, S. 392 ff. mwN. 138 S. die Nachweise o. Fn. 81. 139 Nur wenn eine derartige Interessenlage von vornherein nicht vorstellbar wäre, käme ein Verzicht auf die auch faktische Absicherung einer realistischen Dispositionsmöglichkeit für die Kunden in Betracht. S. ähnlich wie hier Lettl, GRUR 2000, 977, 979; ders., NJW 2001, 42 f.; Ayad/Schafft, BB 2002, 1711, 1712 ff.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47.
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wieweit telefonisches oder anderes elektronisches Direktmarketing gewünscht wird, gar nicht ökonomisch sinnvoll erfolgen. Insbesondere ist auch eine vollkommen freie, nicht durch den Werbenden induzierte Initiative der Kunden selbst ersichtlich eine unrealistische Variante. Damit sind die entscheidenden Wertungsaspekte der wettbewerbsrechtlichen Ausgestaltung die folgenden140: Der Kunde soll grundsätzlich über die Frage elektronischen Direktmarketings frei und informiert entscheiden können. Durch eine derartige Entscheidung soll es aber nicht zu einer in ihrem Ausmaß unüberschaubaren Umkehrung der Initiativlast mit Blick auf die Notwendigkeit eines Widerspruchs kommen. Die Disposition des Kunden muß folglich stets hinreichend konkret umrissen sein. Bezeichnenderweise sind diese drei Aspekte (Freiheit der Entscheidung, Transparenz der Entscheidung und Konkretheit der Entscheidung) gerade diejenigen Voraussetzungen, die nunmehr im Hintergrund der Umsetzungsbestimmungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG auch das europäische Recht mit seinem notwendig undogmatisch-pragmatischen, direkt aufs Regelungsziel fokussierenden Ansatz aufstellt141. Diese wettbewerbsrechtliche (bzw. im europäischen Kontext datenschutzrechtliche) Vorgabe hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Schutzes der subjektiven Rechte der Betroffenen ist es, die es mit den Mitteln des AGB-Gesetzes gegen wesentliche Abweichungen zu sichern gilt. Dabei erfolgt die Sicherung der Informiertheit der Entscheidung im Kontext von AGB durch die oben umrissene Abschluß- und Inhaltskontrolle hinsichtlich überraschender Klauseln und hinsichtlich des AGB-rechtlichen Transparenzgebots. Des weiteren beziehen sich die beiden älteren BGH-Entscheidungen des IV. und des XI. Zivilsenats zu formularmäßigen Einwilligungen ohne eingeräumte Wahlmöglichkeit142 unter dieser Perspektive – soweit sie nicht, was insbesondere auf die zweite BGH-Entscheidung (des IV. Zivilsenats) zutreffen dürfte143, ohnehin richtigerweise über die Nichteinbeziehung überraschender Klauseln zu lösen gewesen wären – auf den Aspekt der Freiheit der Entscheidung des Kunden. Denn in der Tat ist dem BGH zuzustimmen, wenn er hinsichtlich derartiger Klauseln ohne Wahlmöglichkeit die faktische Umkehrung der Rechtslage durch formularmäßige Herbeiführung der „Einverständniserklärung“ auf Grundlage faktisch einseitiger Ausübung der Gestaltungsfreiheit seitens des Verwenders, den entsprechenden Anpassungsdruck für vergleichbare AGB-Klauselwerke und die im Endeffekt resultierende massive Belästigung prognostiziert. Doch hat der BGH in seiner älteren Rechtsprechung eben nicht entscheiden müssen und nicht entschieden, inwieweit dieser Gedankengang auch tragfähig wäre, wenn das entsprechende Formular – typischerweise im schriftlichen oder elektronischen „tickbox“-System – eine entsprechende Wahlmöglichkeit einräumt (wie in der neueren Entscheidung 140 141
Ähnlich im Ergebnis Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47. S. schon o. Fn. 100 zu Art. 2 lit. f EKDatenschutz-RL i.V.m. Art. 2 lit. h Datenschutz-
RL. 142 143
S. o. Fn. 127. S. ebenfalls schon o. Fn. 127.
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Telefonwerbung VI), so daß die diesbezügliche Ausdehnung der ratio decidendi der beiden älteren Urteile in der Literatur genaugenommen nicht berechtigt war. Tatsächlich ist die ratio der älteren Entscheidungen nicht für derartige Sachverhalte verallgemeinerungsfähig. Denn bei Einräumung einer real wahrnehmbaren Alternative im (analogen oder elektronischen) Formular, droht bei genauer Betrachtung keine relevante Einschränkung der Kundenfreiheit gegenüber der gesetzlichen Ausgangslage. Zwar ist grundsätzlich anerkannt, daß auch ergänzungsbedürftige Formulare die Gestaltungsfreiheit des Kunden einengen, da ihm lediglich eine rudimentäre Freiheit gewissermaßen in den Bahnen der vorgegebenen Alternativen gewährt wird144. Nur deshalb kommt eine AGB-Inhaltskontrolle ja auch grundsätzlich insoweit in Betracht145. Doch weicht eine derartige Gestaltung im konkreten Fall eben dann nicht vom Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab, wenn sie dem Kunden gerade diejenige Wahlmöglichkeit eröffnet, die das Gesetz ihm als Dispositionsbefugnis eingeräumt hat. Deshalb ist in einem solchen Falle auch die in den beiden älteren BGH-Urteilen prognostizierte Nachahmungsgefahr nicht vorhanden. Selbst auf Grundlage einer entsprechenden Angleichung sämtlicher Klauselwerke bliebe doch den Kunden in jedem konkreten Falle ihre freie Wahlmöglichkeit erhalten, eine unzumutbare Belästigung durch massenhafte werbliche Ansprache drohte demnach von vornherein nicht und die gesetzliche Lage würde auch nicht unterlaufen. Eine gegenteilige Haltung des BGH läßt sich deshalb auch nicht aus den genannten Urteilen – die derartige Sachverhalte ja nicht betrafen – ableiten; vielmehr ergibt sich aus ihnen letztlich nur das Gebot, dem Kunden mit geeigneten Mitteln in aller Deutlichkeit die freie – und vom Abschluß eines etwaigen Vertrags unabhängige146 – Wahl einzuräumen, sich mit einer späteren elektronischen Direktwerbung einverstanden zu erklären oder nicht. Die neuere BGH-Entscheidung in Telefonwerbung VI hat diese demnach für Fälle ei144
S. Alexander, S. 223 mwN. Kritisch Lettl, NJW 2001, 42, 43, der die bestehende Wahlmöglichkeit betont und dabei übersieht, daß hinsichtlich des Umfangs der eingeräumten Option in der Tat der AGB-Ersteller gewissermaßen die bestehenden Möglichkeiten vorspurt. 146 Man mag sich die Frage stellen, ob die gebotene Klarheit der Trennung der Einwilligung von dem im übrigen möglicherweise abgeschlossenen Vertrag es erfordert, daß dem Kunden die Optionen bezüglich der Direktwebung auf einem getrennten Formular angeboten werden (so insbesondere Lettl, GRUR 2000, 977, 979 vor dem Hintergrund der einschlägigen BGH-Rechtsprechung; zustimmend Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47; wohl auch FezerMankowski, § 7, Rz. 63). Mit Blick auf die Einwerbung des Einverständnisses für Direktwerbung etwa in Formularen auf Internet-Homepages (auf die sich Lettl, aaO., nicht bezog, da er insoweit seinerzeit noch eine opt out-Lösung insbesondere für Email-Werbung befürwortete) erscheint dies jedoch nicht mehr zeitgemäß und auch nicht zwingend (s. auch der auf europäische Vorgaben zurückgehende Rechtsgedanke des § 312c Abs. 1 BGB: klare Information in einer „dem eingesetzten Fernkommunikationsmittel entsprechenden Weise“). Vielmehr genügt eine hinreichend klare räumliche Trennung oder jedwede andere Verdeutlichung der Unabhängigkeit des gewährten Einverständnisses mit Direktmarketing-Maßnahmen vom Gegenstand des Vertrags im übrigen. Selbst wenn aber in einem einheitlichen Formular in Papierform mit grafischen Mitteln klar verdeutlicht wird, daß das Einverständnis vom eigentlichen Vertrag unabhängig ist, sollte dies nach der hier vertretenen Auffassung genügen. 145
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ner echten Wahlmöglichkeit im Formular permissive Haltung nach vertretbarer Lesart sogar indirekt bestätigt147 und hat sie um den Aspekt der Konkretisierungspflicht dahingehend ergänzt, daß die Einwilligung in AGB aber in ihrem persönlichen (hinsichtlich der Berechtigten) und sachlichen (hinsichtlich der erfaßten Produkte und Dienstleistungen) Umfang sorgsam begrenzt sein muß, um zu vermeiden, daß dem Kunden in einer nicht klar überschaubaren Weise doch wiederum entgegen der gesetzlichen Gestaltungsform die Widerrufsobliegenheit überbürdet würde. Damit stellt sich im Ergebnis das Gesamtpanorama der Rechtsprechung hinsichtlich der Möglichkeit, die Einwilligung nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG im Rahmen vom Werbenden vorformulierter Einverständnisklauseln zu erteilen, liberaler dar, als von der bisher herrschenden Meinung angenommen148 und befürwortet149. Im Einklang mit der Vorgabe des europäischen Datenschutzrechts ist lediglich eine dem Kunden in geeigneter Form klar und transparent (auch hinsichtlich der absoluten Unabhängigkeit von sonstigen im Zusammenhang mit der Einwilligung stehenden Rechtsgeschäften) eingeräumte Wahlmöglichkeit im Sinne einer echten in zweckdienlicher Form ausgestalteten freien Option zur Einwilligung, die ihrerseits hinsichtlich des persönlichen und sachlichen Umfangs hinreichend konkret ausgestaltet sein muß, zu fordern. Strengere Voraussetzungen sind auch auf Grundlage der einschlägigen BGH-Rechtsprechung nach richtiger Auffassung nicht geboten, wenngleich eine entsprechende Klarstellung durch die Rechtsprechung zu wünschen wäre150. Damit unterscheidet sich der Maßstab der AGB-Kontrolle für Einwilligungen im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG im übrigen nicht wesentlich von den Voraussetzungen auch individueller Einwilligungen, wie sie sich auf Grundlage richtlinienkonformer Auslegung für § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG ergeben. Lediglich hinsichtlich des Konkretisierungserfordernisses dürften im Bereich vorformulierter Einwilligungserklärungen strengere Anforderungen zu stellen sein als im Falle individueller Einwilligungen, da andernfalls angesichts der in diesem Bereich stets zu gewärtigenden Informationsasymmetrien (insbesondere durch fehlende Anreize zu sorgsamer Prüfung des Umfangs bei der Ausübung des Optionsrechts) eine zu weitgehende Überwälzung 147 Über diese (liberale) Lesart der BGH-Entscheidung läßt sich sicher streiten. Wie hier wohl Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 133. Demgegenüber a.A. und mit einer strengeren Lesart des BGH-Urteils Alexander, S. 224 f.; vgl. auch Lettl, NJW 2001, S. 42, 43, der das Urteil des BGH in einem strengen Sinne auffaßt, um es aber in der Folge einer grundlegenden Kritik zu unterziehen. Vgl. auch o. Fn. 132. 148 Vgl. Lettl, GRUR 2000, 977, 978 f.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47; Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 63; Alexander, S. 224 f.; wohl auch Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 133; zu pauschal auch noch Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 34. 149 So insbesondere Alexander, S. 224 f.; Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 63; wohl auch Harte/ Henning-Ubber, § 7, Rz. 133. Zu Recht kritisch demgegenüber Hefermehl/Köhler/BornkammKöhler, § 7, Rz. 47; Lettl, NJW 2001, 42, 43; vgl. auch Leistner, aaO., Rz. 33, jeweils mwN. 150 S. nur die Mißverständnisse mit Blick auf Telefonwerbung VI, o. Fn. 132. Vgl. nunmehr aber differenzierend LG Stuttgart, WRP 2005, 1041, 1042.
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der Initiativlast auf die Betroffenen drohte. Nur das hier befürwortete zurückhaltendere Verständnis der „unangemessenen Benachteiligung“ wird im Ergebnis den wesentlichen Grundgedanken der wettbewerbsrechtlichen Wertung – zu der eben auch die Einräumung einer realen Dispositionsbefugnis an den Kunden zählt – gerecht, so daß es zu einer zielgenauen, flankierenden Absicherung der wettbewerbsrechtlichen Wertung mit den Mitteln des § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB kommt151.
III. Fallgruppen der mutmaßlichen Einwilligung in § 7 Abs. 2 Nr. 2, 3 und § 7 Abs. 3 UWG Neben die grundsätzlich erforderliche ausdrückliche oder konkludente Einwilligung tritt im Falle des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG bei Werbung mit individuellen Telefonananrufen gegenüber Nichtverbrauchern152 die Möglichkeit einer mutmaßlichen Einwilligung. Dies entspricht der bisherigen rechtlichen Lage153 und ist vom weiten Spielraum, den das europäische Recht in diesem Bereich den nationalen Gesetzgebern einräumt, gedeckt154. Zu dieser Möglichkeit einer mutmaßlichen Einwilligung im konkreten Fall, kommt mit § 7 Abs. 3 UWG im Falle der EmailWerbung (in diesem Zusammenhang sowohl Verbraucher als auch sonstige Marktteilnehmer betreffend) noch eine Bestimmung hinzu, die dogmatisch als gesetzlich typisierter Fall einer unwiderlegbaren mutmaßlichen Einwilligung zu
151 Ähnlich wie hier im Ergebnis insbesondere auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 47; Lettl, GRUR 2000, 977, 978 f.; ders., NJW 2001, 42, 43. A.A. Alexander, S. 223 ff. Vgl. auch die vorstehenden Nachweise im einzelnen. 152 Hinsichtlich der europäischen Vorgabe des Art. 13 EKDatenschutz-RL kommt es an dieser Stelle insofern zu einer Abweichung, als die europäische Regelung ihrer datenschutzrechtlichen Provenienz entsprechend nicht auf die Unterscheidung zwischen Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern abhebt, sondern zwischen „natürlichen Personen“ und „anderen Teilnehmern“ differenziert. Dennoch kommt es mit Blick auf sonstige natürliche Personen als Marktteilnehmer, die nicht Verbraucher i.S.d. § 2 Abs. 2 UWG, 13 BGB sind, nicht zu einem Schutzdefizit im Vergleich zum europäischen Recht, da bezüglich der in § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG geregelten individuellen Telefonwerbung im europäischen Recht den Mitgliedstaaten ohnedies auch bezüglich des Schutzes natürlicher Personen die Wahl zwischen einem opt in- und einem opt out-Ansatz gelassen wird, welche – angesichts der praktischen Identität zwischen einer (richterrechtlich in ihrem Umfang umrissenen) mutmaßlichen Einwilligung und einer gesetzlichen Regelung im Sinne einer Erlaubnis mit Widerrufsvorbehalt für bestimmte Bereiche (vgl. dazu Ohly, Einwilligung, S. 218) – die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Ausgestaltungsform im Bereich der Telefonwerbung gegenüber Gewerbetreibenden gerade decken dürfte. S. im übrigen zum detaillierten Zusammenspiel der europäischen Richtlinien gerade spezifisch mit Blick auf die telefonische oder elektronische werbliche Ansprache von Unternehmen und den Schutz der dahinterstehenden Interessen auch der letztlich individuell betroffenen Angestellten (die konkret von der Ansprache erreicht werden) auch Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 824. 153 S. BGH GRUR 1991, 764, 765 – Telefonwerbung IV; BGH GRUR 1995, 220, 221 – Telefonwerbung V. 154 S. Art. 13 Abs. 5 EKDatenschutz-RL. Vgl. zur europäischen Ausgangslage im übrigen eingehend an anderer Stelle (Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815 ff. mwN).
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qualifizieren ist155. Im übrigen (d.h., insbesondere für Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern sowie für sämtliche Marktteilnehmer in den Fällen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG) ist eine Möglichkeit der mutmaßlichen Einwilligung im Gesetzestext nicht vorgesehen156.
1. Mutmaßliche Einwilligung von Gewerbetreibenden im Falle des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG Wie auch in anderen Fällen der mutmaßlichen Einwilligung in den Eingriff in subjektive Rechtsgüter aufgrund überwiegenden Interesses157, orientiert sich die Rechtsprechung158 für die Voraussetzungen einer mutmaßlichen Einwilligung (seitens eines Gewerbetreibenden) inhaltlich an den Kriterien des § 683 S. 1 BGB159, die die für die mutmaßliche Einwilligung typische Kombination aus einer subjektiv-voluntativen und einer interessenorientiert objektiven Komponente (die in der Regel unvermeidbar im Vordergrund steht) gerade durch die Merkmale des Interesses und des wirklichen160 bzw. mutmaßlichen Willens tatbestandlich abbilden161. Um auf die Einzelheiten der Konkretisierung dieser Elemente für den Fall der telefonischen Werbung gegenüber Gewerbetreibenden einzugehen, ist an dieser Stelle weder der Raum noch ist eine nähere Darstellung der insoweit nicht durch die spezifische Überschneidung mit dem allgemeinen Zivilrecht geprägten wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung geboten; jedenfalls steht naturgemäß das 155 Bezüglich § 7 Abs. 3 UWG stellen sich im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht keine vergleichbar spezifischen Probleme wie mit Blick auf die Zulässigkeit und zivilrechtliche Einordnung individueller mutmaßlicher Einwilligungen, da die Wertung ohnedies im Wettbewerbsrecht zwingend typisiert erfolgt ist. Daher ist auf die durchaus nicht ganz unumstrittenen Einzelheiten insbesondere der situativen und sachlichen Reichweite der Bestimmung an dieser Stelle nicht näher einzugehen. Übersichtsartig ist festzuhalten, daß im einzelnen insbesondere umstritten ist, ob die Hingabe der Email-Adresse „im Zusammenhang mit einem Vertragsverhältnis“ voraussetzt, daß der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde (so Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1027; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 88; Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 123; Lettl, Rz. 565; a.A. Leistner/Pothmann, WRP 2003, 817, 822; Ohlenburg, MMR 2003, 83, 84; Eckhardt, MMR 2003, 557, 559; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 187) und wie der Begriff der ähnlichen Ware oder Dienstleistung auszulegen ist (enger unter Rückgriff auf das Kriterium der Kreuzpreiselastizität aus dem Kartellrecht [so Leistner/Pothmann, aaO.; zustimmend Harte/ Henning-Ubber, §7, Rz. 191] oder weiter unter Einbeziehung auch von Ergänzungsangeboten [so Köhler/Lettl, aaO.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 89]; eine sehr nachdenkenswerte Synthese beider Ansätze findet sich bei Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 136 ff.). 156 Diesen Aspekt betonend Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 131. 157 Vgl. grundlegend Ohly, Einwilligung, S. 214 f. 158 S. die Nachweise o. Fn. 153. 159 So zu Recht nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 61. Vgl. auch grundlegend zum Verhältnis der Geschäftsführung ohne Auftrag zur Fragestellung der deliktsrechtlichen Rechtfertigung des berechtigten Geschäftsführers, Ohly, Einwilligung, S. 218 ff. 160 Angesichts der Subsidiarität der mutmaßlichen gegenüber einer ausdrücklichen oder konkludenten Einwilligung sind Fälle, in denen der wirkliche Wille als das voluntative Element maßgeblich ist, natürlich in der Praxis äußerst selten. S. Ohly, Einwilligung, S. 221 mit entsprechend vereinzeltem Nachweis aus der Rechtsprechung (BGH NJW 1979, 598, 599). 161 S. noch sogleich im folgenden Text zu alternativen gesetzlichen Anknüpfungspunkten.
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objektive Element der konkreten Interessen des betroffenen Gewerbetreibenden ganz im Vordergrund162.
2. Mutmaßliche Einwilligung von Verbrauchern unter § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG und (allgemein) unter § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG in atypischen Notfällen Wohl aber ist auf einen durch den Wortlaut der neuen Beispielstatbestände in § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG zusätzlich angefachten Streit einzugehen, der sich auf die Frage bezieht, ob und inwieweit neben dem in § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG einzig vorgesehenen Fall einer mutmaßlichen Einwilligung von Gewerbetreibenden in individuelle Telefonwerbung in atypischen Situationen auch weiterhin eine mutmaßliche Einwilligung von Verbrauchern in den Fällen der § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG noch in Betracht kommt163. Der Streit gehört in den Kontext der hier angestellten Untersuchung; denn im Kern geht es um eine juristische Konstruktionskontroverse164 hinsichtlich einer an sich auf der Hand liegenden Wertung, wobei einige der Alternativen zur normativen Anknüpfung dieser Wertung dem allgemeinen Zivilrecht (teils der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, teils dem allgemeinen Vertragsrecht, teils dem Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag) entstammen, andere Ansätze dem Wettbewerbs- oder gar Strafrecht. Die auf der Hand liegende Wertung ist die folgende165: in Fällen, in denen (zumal im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses) hinsichtlich eines drohenden Schadens an wesentlichen Rechtsgütern des betroffenen Kunden „Gefahr im Verzug“ ist, muß eine telefonische oder per Fax oder Email erfolgende Warnung (selbst wenn diese mit einer werblichen Direktansprache untrennbar verbunden ist) gerechtfertigt sein, wenn keine andere Möglichkeit zur rechtzeitigen Gefahrabwendung besteht. Zugleich darf diese vom Erfordernis vorheriger individueller Einwilligung in bestimmten atypischen Situationen im Sinne eines verobjektiviert-interessenorientierten Maßstabs abweichende Wertung nicht dazu führen, daß es entgegen der typisierten gesetzlichen Wertung des UWG zu einer Ausuferung telefonischer oder elektronischer Werbung aufgrund „unbequemer Bevormundung“ durch „tatkräftige“ oder „hilfsbereite Gewerbetreibende“ kommt166. Angesichts des Wortlauts des neuen UWG ist in diesem Zusammenhang von Ubber 167 argumentiert worden, jedenfalls die Konstruktion einer mutmaßlichen 162 Vgl. allgemein Ohly, Einwilligung, S. 220 ff.; s. im übrigen als eines der ersten Urteile zum neuen Recht OLG Frankfurt/M., WRP 2004, 1188. 163 Dafür Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 54; ihm folgend Lettl, Rz. 548. Dagegen insbesondere Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 131. 164 Wobei die in Betracht kommenden Anknüpfungspunkte freilich durchaus unterschiedliche praktische Konsequenzen zur Folge haben, s. dazu sogleich im Text. 165 S. insoweit einig auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 54; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 131. 166 In Anlehnung an ein Zitat bei Fischer, Die Rechtswidrigkeit mit besonderer Berücksichtigung des Privatrechts, 1911, S. 281, gefunden bei Ohly, Einwilligung, S. 220. 167 Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 131.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
Einwilligung in atypischen Fällen unmittelbar drohender Gefahr168 käme auf Grundlage des neuen Rechts nicht mehr in Betracht169. Sie sei auch nicht notwendig, da in derartigen Notsituationen (der Patient, dem das Erfordernis einer sofortigen Operation mitzuteilen ist; der Kfz-Inhaber, den seine Werkstatt wegen eines sicherheitsrelevanten Mangels seines Fahrzeugs anrufen will; der Versicherungsnehmer, bei dem ein wesentliches Risiko irrtümlich nicht abgedeckt ist170) in aller Regel schon eine konkludente Einwilligung anzunehmen sei. Dies mag für viele Fälle – nämlich insbesondere dann, wenn die Telefon- oder Faxnummer bzw. Email-Adresse in anderem Zusammenhang zumindest hinterlassen wurde – in der Tat zutreffen171. Soweit aber (unter Umständen sogar bewußt, um zunächst jegliche Ansprache im privaten Bereich auszuschließen) diese Kontaktdaten, insbesondere trotz einer diesbezüglichen Aufforderung, nicht hinterlassen wurden, scheidet eine derartige Annahme aus172. Auch ist zu bedenken, daß der Weg über die Konstruktion einer konkludenten Einwilligung in Fällen, in denen diesbezüglich schlicht jeglicher Anhalt fehlt, eine Entwicklung einleiten würde, in deren Verlauf die Anforderungen an konkludente Einwilligungen in diesem Bereich ganz generell ausgehöhlt werden könnten. So drohte die Gefahr, daß die vermeintlich strengere Ansicht (mit dem Weg über die konkludente Einwilligung) mittelund langfristig zur Entwicklung sogar liberalerer Maßstäbe führen könnte und damit gerade dem Mißbrauch Vorschub leistete, den sie ursprünglich soweit als möglich unterbinden wollte. Der Weg über die konkludente Einwilligung vermag also bei genauem Hinsehen jedenfalls nicht alle derartigen Fälle interessengerecht zu entscheiden. Im übrigen wird von Ubber hilfsweise vorgeschlagen, derartige Fälle über eine abschließende Interessenabwägung zu lösen173, wie sie auch in Fällen des § 7 Abs. 2 UWG hinsichtlich der Zumutbarkeit stets auf Grundlage von § 7 Abs. 1 UWG durchzuführen sei174. Nachdem § 7 Abs. 2 Beispielstatbestände unzumutbarer Belästigungen enthält, in denen der Gesetzgeber in abstrakter Weise die Entscheidung über die Unzumutbarkeit (nicht nur im Sinne einer Umkehr der Argumentationslast) getroffen hat, dürfte eine konkrete Unzumutbarkeitsprüfung im Rahmen des § 7 Abs. 1 UWG bei zutreffender Betrachtung175 jedoch ausscheiden176. 168 So schon Köhler/Piper-Köhler, 3. Aufl. 2002, § 1 UWG, Rz. 152 und nunmehr Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 54. 169 S. Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 131. 170 Diese Beispiele finden sich bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7 UWG, Rz. 54; vgl. auch schon Köhler/Piper-Köhler, 3. Aufl. 2002, § 1 UWG, Rz. 152. 171 Insoweit zutreffend Ubber, aaO. 172 Insoweit gegen Ubber, aaO. 173 So die hilfsweise Argumentation bei Ubber, aaO. 174 S. insoweit grundsätzlich Ubber, aaO., Rz. 77. 175 Wie hier im Ergebnis eindeutig Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 3; vgl. im übrigen schon o. Fn. 63. 176 Die stark am Wortlaut orientierte abweichende Ansicht Ubbers, aaO., Rz. 77, hält einer Prüfung am Maßstab der anderen Auslegungsmethoden letztlich nicht stand. Schon der Schluß aus dem Wortlaut „Eine unzumutbare Belästigung ist insbesondere anzunehmen…“ (Hervorh.
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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Wohl aber wäre – insoweit inhaltlich durchaus Ubbers Ansatz entsprechend – die Berücksichtigung atypischer Notsituationen durch individuell korrigierende Interessenabwägung auf Grundlage der Bagatellklausel des § 3 UWG möglich177. Insbesondere ließe sich argumentieren, derartige Fälle – in denen das überwiegende Interesse am Schutz anderer subjektiver Rechtsgüter des Beworbenen den Eingriff in die Privatsphäre rechtfertige – seien derart selten, daß insoweit keine nennenswerte Nachahmungsgefahr mit der Konsequenz unzumutbaren Überhandnehmens derartiger Werbeformen drohe. Dem Ziel, eine derartige Rechtfertigung auf absolute Ausnahmesituationen zu beschränken178, würde der Verweis auf die Bagatellklausel hinsichtlich der Verteilung der Argumentationslast zudem d. Verf.) auf einen hinsichtlich der Zumutbarkeitsprüfung lediglich indiziellen Charakter der Fallgruppen erscheint (zumal im Vergleich etwa mit der ausdrücklichen Regelbeispielstechnik in § 243 StGB „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor…“ [Hervorh. d. Verf.]) alles andere als zwingend. Entscheidend gegen eine derartige Auslegung der Beispielstatbestände i.S.d. § 7 Abs. 2 UWG als bloße Indikation der Unzumutbarkeit, die daraufhin noch im Wege abschließender Interessenabwägung in § 7 Abs. 1 UWG gegebenenfalls zu korrigieren wäre, sprechen im übrigen die historische, systematische und teleologische Auslegung der Norm. Der Wille des Gesetzgebers, wie er sich in diesem Falle aus der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 7 Abs. 2 UWG ergibt, ging gerade dahin, die generalklauselartige Umschreibung der unzumutbaren Belästigung für die genannten Beispielfälle (wenn auch nicht abschließend hinsichtlich anderer Erscheinungsformen) zu konkretisieren, eine darüber hinausgehende Interessenabwägung sollte im übrigen – wie es sich aus den Überlegungen der Begründung zur Europarechtskonformität des § 7 Abs. 2 UWG eindeutig erschließt – nurmehr im Rahmen der Bagatellklausel des § 3 UWG stattfinden. Dies leitet über zum systematischen Argument: eine abschließende Zumutbarkeitsprüfung am Maßstab des § 7 Abs. 1 UWG auch in den Fällen des § 7 Abs. 2 UWG liefe – da sich im übrigen noch die Interessenabwägung im Rahmen der Bagatellklausel des § 3 UWG anschlösse – schlicht auf eine „doppelte“ Interessenabwägung hinsichtlich der Zumutbarkeit der Belästigung im konkret betroffenen Fall hinaus, die gegenüber der Prüfung in § 3 UWG kein erkennbar anderes Wertungskriterium brächte. Aus systematischer Sicht wäre insoweit auch die Abweichung von der Regelungstechnik des § 4 UWG unverständlich, zumal sowohl die Beispielsfälle des § 4 UWG als auch die Beispielsfälle in § 7 Abs. 2 UWG als bloße Beispiele unlauteren Wettbewerbs einheitlich von dem Zusatzerfordernis der erheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung überwölbt werden. Hinzukommt – aus teleologischer Sicht –, daß der Zweck der Beispielstatbestände in § 7 Abs. 2 UWG, dem Rechtsanwender durch abstrakte Vornahme der notwendigen Interessenabwägung in geeignet klaren Beispielfällen unlauteren Wettbewerbs Rechtssicherheit zu verschaffen, durch eine stets sich anschließende Zumutbarkeitsprüfung nach § 7 Abs. 1 UWG unterlaufen würde. Nach alldem muß eine Zumutbarkeitsprüfung durch abschließende Interessenabwägung nach § 7 Abs. 1 UWG in den Beispielsfällen des § 7 Abs. 2 UWG ausscheiden. Allein die Prüfung der Bagatellklausel des § 3 UWG hat zu erfolgen (s. dazu sogleich im Text). 177 Dies ist entgegen der wohl herrschenden Meinung (vgl. auch die Nachweise o. Fn. 64) auch europarechtlich zulässig. Denn obwohl Art. 13 EKDatenschutzrichtlinie insbesondere bezüglich elektronischer Werbung (wohl aber auch bezüglich des Wahlrechts zwischen opt in- und opt out-Lösung hinsichtlich individueller Anrufe) grundsätzlich dem Wortlaut nach per se-Verbote enthält, ist die Richtlinie mit Blick auf die Grundfreiheiten (insbesondere Warenverkehrsund Dienstsleitungsfreiheit) aber auch mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsgebot als anerkanntem ungeschriebenem Grundsatz des Gemeinschaftsrechts primärrechtskonform (s. dazu allgemein oben 2. Kap. 3. Abschn. B II 3) dahingehend auszulegen, daß ganz geringfügige, durch vollkommen überragende Interessen des Betroffenen selbst gerechtfertigte Belästigungen insoweit nicht erfaßt sein sollen. S. auch o. Fn. 64. 178 So ja auch Ubber, aaO., Rz. 131.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
immerhin etwas eher gerecht, als eine zusätzliche Interessenabwägung unter § 7 Abs. 1 UWG. Fraglich bleibt aber doch, ob eine derartige Begründung von Abweichungen zur Regelung des § 7 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 UWG hinsichtlich der Zulässigkeit von uneingewilligten Telefonanrufen, Faxen oder Emails tatsächlich den Kerngrund der Rechtfertigung für die oben genannten (Not)fälle trifft. Entscheidend ist insoweit neben dem Prinzip des überwiegenden Interesses des Betroffenen selbst das Vorliegen einer Notsituation, die jegliches andere Mittel zur rechtzeitigen Abwendung der Gefahr für den Betroffenen als nicht hinreichend sicher erscheinen läßt. Eben diesen Aspekt einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr, die die Mißachtung des fehlenden oder gar entgegenstehenden Willens des Betroffenen rechtfertigt, vermöchte aber eine allgemein verobjektivierende Interessenabwägung unter § 3 UWG nicht hinreichend genau abzubilden. Vielmehr drohte wiederum ganz allgemein eine – zumal auch mit Blick auf die in diesem Bereich zum Teil umzusetzenden zwingenden Vorgaben des europäischen Rechts bedenkliche179 – „schiefe Ebene“ der Ausweitung von atypischen Ausnahmefällen zu den Beispielstatbeständen des § 7 Abs. 2 UWG, die auch methodisch mit Blick auf die sich hieraus ergebende Gefahr einer breiteren Unterhöhlung der den Beispielstatbeständen des § 7 Abs. 2 UWG zugrundeliegenden gesetzgeberischen Wertungen bedenklich erschiene180. Insofern stellt sich die Frage, ob es nicht doch die Anknüpfung an die allgemeine Figur der mutmaßlichen Einwilligung ist, die trotz des entgegenstehenden Wortlauts der § 7 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 und Nr. 3 UWG über eine entsprechende teleologische Reduktion dieser Normen am genauesten den Aspekt des überwiegenden Interesses in Situationen unmittelbar drohender Gefahr zu erfassen vermag181. Aus teleologischer Sicht ist insoweit trotz des entgegenstehenden Wortlauts der Beispielstatbestände zu bedenken, daß das Ziel, eine Ausnahme vom Gebot vorheriger Einwilligung so genau wie möglich auf die insoweit einschlägigen Ausnahmesituationen zu beschränken (ohne allfälligen Ausdehnungstendenzen in der Rechtsanwendung Raum zu lassen), auf diesem Wege mit der auch terminologischen Anknüpfung an den mutmaßlichen Willen des konkret Betroffenen (zusätzlich zu seinen objektiven Interessen) wohl am besten erreicht werden kann. Fraglich ist, inwieweit als Maßstab für das Vorliegen der mutmaßlichen Einwilligung nunmehr wiederum direkt oder analog Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre, des Rechts der Schuldverhältnisse (soweit der Anruf im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses erfolgt) und des Rechts der Geschäftsführung ohne Auftrag (soweit es daran fehlt) herangezogen werden können182. Nach Köhler soll insbe179 S. o. Fn. 64 und 177 zu den per-se-Verboten im europäischen Recht, von denen eine Abweichung nur unter strengster Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Betracht kommt. 180 Vgl. zur Problematik einer Unterhöhlung vorrangiger gesetzgeberischer Wertungen der typisierenden Beispielstatbestände auf dem „Umweg“ über die Heranziehung der Generalklausel des § 3 UWG näher noch unten 4. Kap. 2. Abschn. A III 2 c. 181 So Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 54. 182 Vgl. die allgemeine Grundlegung bei Ohly, Einwilligung, S. 214 ff. und insbesondere 220 ff.
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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sondere die Erfüllung einer vertraglichen Verhaltenspflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) bzw. das Vorliegen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag (Maßstab des § 683 S. 1 BGB) zur Rechtfertigung genügen183. Mit Blick auf das Vorliegen einer vertraglichen Nebenpflicht nach § 241 Abs. 2 BGB ist dem uneingeschränkt zuzustimmen. Tatsächlich läßt sich sowohl das Gebot der Verwendung eines verhältnismäßigen Kommunikationsmittels (in derartigen Fällen dürfte jedenfalls im Ergebnis bei gleicher Effektivität zur Gefahrenabwehr die Information durch Email- als geringster Eingriff, der Information durch Telefax und schließlich der Information durch einen Anruf vorgehen), als auch die Beschränkung auf Situationen, in denen „Gefahr im Verzug“ ist, unter zutreffender Anknüpfung an den (durch Auslegung zu ermittelnden) konkreten Inhalt des umrahmenden Vertragsverhältnisses auf § 241 Abs. 2 BGB (insbesondere auf entsprechende Schutzpflichten bezüglich der Integritätsinteressen des Vertragspartners) stützen. Hinsichtlich der Heranziehung des Maßstabs des § 683 S. 1 BGB außerhalb eines bestehenden Vertragsverhältnisses scheint es demgegenüber gerade zu dem von der Gegenansicht eingewandten Wertungswiderspruch zur Rechtslage mit Blick auf die telefonische Direktansprache von Gewerbetreibenden zu kommen. Denn hinsichtlich letzterer gelten mit dem von der Rechtsprechung in diesem Bereich bei der richterrechtlichen Ausgestaltung der mutmaßlichen Einwilligung im Kern herangezogenen Maßstab des § 683 S. 1 BGB184 seit jeher genau dieselben methodischen Maßstäbe für eine mutmaßliche Einwilligung, wie sie nunmehr gegenüber Verbrauchern anzulegen wären. Die Maßstäbe gegenüber Verbrauchern müßten aber nach der Wertung des Gesetzes schon konstruktiv strenger sein, der bloße Rückfall auf die unterschiedliche objektive Interessenlage in beiden Bereichen (der in der Abwägung nach § 683 S. 1 BGB natürlich berücksichtigt werden könnte185) darf insoweit nicht genügen, da in der Praxis der Rechtsprechung (zumindest theoretisch) mit sich wandelnden Vorstellungen des Geschäftsverkehrs 183 S. insoweit nicht vollkommen klar Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 54, der zwar einerseits das Vorliegen einer vertraglichen Verhaltenspflicht bzw. der Voraussetzungen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag genügen läßt, dann aber andererseits in der Folge lediglich in Fällen von „Gefahr im Verzug“ (und damit wohl enger als nach § 683 S. 1 BGB; vgl. auch allgemein MüKo-Seiler, Vor § 677, Rz. 17 zu dem in diesem Bereich gerade weiteren Maßstab des § 683 BGB, sowie die Vorschläge bei Ohly, Einwilligung, S. 223 f., um auf Grundlage des Rechts der Geschäftsführung ohne Auftrag de lege lata [unter allerdings an die Grenzen möglicher Rechtsfortbildung reichender Verbreiterung der Rechtsfolge des § 681 BGB] oder de lege ferenda zu einer echten Begrenzung auf Notsituationen zu gelangen) eine Ausnahme vom Erfordernis vorheriger Einwilligung zulassen will. 184 S. die Nachweise o. Fn. 153. 185 So ist wohl Köhlers Vorschlag (o. Fn. 183) aufzufassen, der ja auf Grundlage der Heranziehung des Maßstabs des § 683 S. 1 BGB außerhalb bestehender Vertragsverhältnisse gerade die von ihm gleichfalls befürwortete Begrenzung auf Situationen von „Gefahr im Verzug“ erreichen will. Vgl. allgemein für einen derartigen Ansatz unter § 683 S. 1 BGB auch Ohly, aaO., wobei sich dessen allgemeiner Vorschlag im wesentlichen auf den Bereich der mutmaßlichen Einwilligung Bewußtloser in den ärztlichen Heileingriff bezieht, der der hier betrachteten Situation insofern nicht vergleichbar ist, als das neue UWG bezüglich der Möglichkeit mutmaßlicher Einwilligung ein klares Stufenverhältnis zwischen der Behandlung Gewerbetreibender und der Behandlung
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
nach und nach eine graduelle Verschiebung entsprechender Interessenabwägungsvorgänge zu Lasten der Verbraucher drohte, wie sie die per se-Verbote der § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG (bis auf die Einschränkung hinsichtlich bloßer Bagatellfälle) gerade verhindern wollen. Es scheint also notwendig, gegenüber dem bloßen Maßstab des § 683 S. 1 BGB noch ein einengendes Korrektiv zu finden, an welches die Beschränkung auf Notsituationen und auf das mildeste Mittel anknüpfen kann. Im allgemeinen Zusammenhang anderer Situationen der mutmaßlichen Einwilligung wurde in derartigen Fällen überwiegenden Interesses in Notsituationen die Heranziehung der Maßstäbe über den übergesetzlichen rechtfertigenden Notstand, insbesondere auch eine analoge Anwendung des § 34 StGB vorgeschlagen186. Ob dieser Maßstab allgemein mit Blick auf Eingriffe in subjektive Rechte187 geeignet ist, die Selbstbestimmung der Betroffenen hinreichend zu wahren, mag für die Zwecke der hier angestellten Untersuchung dahinstehen; Zweifel sind insoweit angebracht188. Jedenfalls aber für den hier zu beurteilenden spezifisch wettbewerbsrechtlichen Fall eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt (für Telefonanrufe gegenüber Verbrauchern und für elektronische Ansprache gegenüber sämtlichen Marktteilnehmern) in seinem klaren Stufenverhältnis zum Ausreichen einer mutmaßlichen Einwilligung (und damit einer von der Rechtsanwendung objektiv interessenorientiert konkretisierten Ausgestaltung des Schutzes als teilweise Erlaubnis mit Widerrufsvorbehalt) paßt der Maßstab des § 34 StGB mit seiner Fokussierung auf echte Notsituationen gegenwärtiger Gefahr189 als einengende Wertung190 ebenso wie hinsichtlich des zweifellos gleichermaßen berechtigten Gedankens der Verhältnismäßigkeit des zu verwendenden Kommunikationsmittels. Daher sind die Grundsätze über den übergesetzlichen rechtfertigenden Notvon Verbrauchern vorsieht, welches eben bei letzteren eine Konstruktion nur über § 683 S. 1 BGB wertungsmäßig fragwürdig erscheinen läßt. 186 S. insbesondere MüKo-Seiler, Vor 677, Rz. 17 mwN seit Entstehung der hM; vgl. auch die Darstellung bei Ohly, Einwilligung, S. 218 f. mwN. 187 Insbesondere im Medizinrecht den ärztlichen Heileingriff an einem Bewußtlosen, s. Ohly, Einwilligung, S. 221 ff. sowie S. 238 ff. mwN. 188 Verneinend Ohly, Einwilligung, S. 221 f. gegen MüKo-Seiler, aaO. 189 Gerade der Aspekt des jederzeit möglichen Umschlagens in einen Schaden („gegenwärtige Gefahr“ unter § 34 StGB, vgl. etwa Tröndle/Fischer, § 34 StGB, Rz. 4 mwN und detaillierteren Differenzierungen) entspricht der im Stufenverhältnis zum Genügen einer „schlichten“ mutmaßlichen Einwilligung im Verhältnis zu Gewerbetreibenden gebotenen abstufenden Wertung. 190 Es ist insofern nochmals die Besonderheit der Situation im Wettbewerbsrecht mit dem Stufenverhältnis der mutmaßlichen Einwilligung (die bei Telefonwerbung gegenüber Gewerbetreibenden in Betracht kommt) und der grundsätzlich ausgeschlossenen (in Notsituationen aber wohl zu befürwortenden) qualifizierten mutmaßlichen Einwilligung im Verhältnis zu Verbrauchern und bei der elektronischen Werbung zu betonen. Es ist dieses Stufenverhältnis, welches es im Falle der § 7 Abs. 2 UWG gestattet, die passende Wertung des § 34 StGB heranzuziehen, soweit es um die Beschränkung auf Notsituationen und das jeweils verhältnismäßige Mittel geht. Demgegenüber sollte eine Erweiterung, die in der Orientierung am Maßstab des § 34 StGB im Sinne einer vollkommenen Verobjektivierung der Interessenabwägung auch liegt, gerade nicht erfolgen (s. insoweit die vollkommen überzeugende Argumentation bei Ohly, Einwilligung, S. 221 f.).
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stand jedenfalls in diesem Fall einer qualifizierten mutmaßlichen Einwilligung der Verbraucher entsprechend heranzuziehen. Zweifelsohne ließen sich interessengerechte Ergebnisse zwar auch allein über eine Anwendung des § 683 S. 1 BGB unter Berücksichtigung der besonderen Interessenlage im Vergleich zur Fallgruppe der mutmaßlichen Einwilligung von Gewerbetreibenden erzielen191. Doch wäre die Gefahr, daß das klare gesetzliche Stufenverhältnis zwischen der Ausgestaltung des Schutzes der Gewerbetreibenden und der Ausgestaltung des Schutzes der Verbraucher vor unerwünschten Telefonanrufen nach und nach abgeflacht würde, bei einer einheitlichen Verankerung der unterschiedlichen Interessenlage in § 683 S. 1 BGB wohl größer, weil solcherart dem nach dem Wettbewerbsrecht grundsätzlich unterschiedlich ausgestalteten Maßstab der Rechtfertigung keine unterschiedliche dogmatische Anknüpfung der Situationen mutmaßlicher Einwilligung mehr entspräche. Zudem unterscheiden sich die Ergebnisse auch praktisch. Um bei den von Köhler gebildeten Beispielsfällen zu bleiben192: sowohl im Fall der dringend notwendigen Operation als auch im Falle des nur scheinversicherten substantiellen Risikos (die Situation einer nur vermeintlich bestehenden Privathaftpflichtversicherung im Vorfeld der Ausübung einer Risikosportart o.ä. dürften insoweit nach der hier vertretenen Auffassung für private Versicherungsnehmer Beispiele für gerade noch erlaubte Fälle bilden) führt der Weg über die analoge Heranziehung der Notstandsregelung zum selben Ergebnis wie der von Köhler herangezogene Maßstab des § 683 S. 1 BGB. Im Falle des sicherheitsrelevanten Schadens am Fahrzeug in der Werkstatt verbietet es sich demgegenüber nach den hier entwickelten Grundsätzen in der Regel, den Fahrzeughalter anzurufen, soweit ein entsprechender konkludenter Wille (insbesondere durch Hingabe der Telefonnummer, die üblicherweise im Vorfeld des Werkstattaufenthalts des Wagens ohnedies abgefragt wird) nicht geäußert wurde. In einem derartigen Falle ist sogar umgekehrt durch die Verweigerung der Angabe der Telefonnummer beinahe hinreichend deutlich, daß der Kunde offenbar in keinem Falle193 eine telefonische Kontaktaufnahme wünscht. Diese Entscheidung ist außerhalb einer gegenwärtigen Gefahrenlage – an der es im Werkstattfall bei genauem Hinsehen fehlt – zu respektieren, so daß im Ergebnis eine Information erst beim Aufsuchen der Werkstatt geboten ist. Denn das – in dieser Lösung dann unzweifelhaft hintangestellte – Interesse, dem Kunden den nunmehr – wegen der aus Sicherheitsgründen ohnedies durchzuführenden Reparatur – notwendigen zweiten Werkstattbesuch zu ersparen, genügt 191 S. allgemein die überzeugenden Vorschläge bei Ohly, Einwilligung, S. 220 ff., die sich aber als allgemeiner Ansatz eben auch nicht auf ein Stufenverhältnis mutmaßlicher Einwilligung und qualifizierter mutmaßlicher Einwilligung beziehen, wie es nach der hier vertretenen Auffassung im neuen UWG zu finden ist. 192 S. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 54. 193 Der Fall eines sicherheitsrelevanten Mangels dürfte ja durchaus nicht so selten sein, daß er bei der Entscheidung die Telefonnummer nicht hinzugeben, nicht zumindest im Hintergrund abstrakt mitbedacht würde.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
dem Kriterium der Notwendigkeit zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahrenlage eben nicht. Relativierend ist festzuhalten, daß der hier dargestellte Streit um die Zulässigkeit der mutmaßlichen Einwilligung außerhalb des in § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG ausdrücklich geregelten Falls in der Praxis nicht allzu große Relevanz haben dürfte. Denn einerseits unterscheiden sich die praktischen Ergebnisse – gleichgültig, ob eine innerwettbewerbsrechtliche oder eine auf Entlehnungen in der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und im Strafrecht beruhende Lösung gewählt wird – nicht wesentlich und andererseits sind die hier betrachteten Fälle in der Rechtswirklichkeit nicht notorisch streitträchtig, wie es das diesbezüglich weitestgehende Fehlen entsprechender Judikatur belegt. Dies ist wohl auch darauf zurückzuführen, daß in derartigen Fällen (insbesondere von Telefonanrufen in eindeutigen Situationen von „Gefahr im Verzug“) wohl kaum jemals ein gerichtliches Vorgehen des Betroffenen194 oder gar eine Unterlassungsklage durch Gewerbe- oder Verbraucherverbände erfolgt.
C. Deliktsrechtlicher Exkurs: Heteronome Rezeption in § 823 Abs. 2 BGB? Für eine rein heteronome Rezeption wettbewerbsrechtlicher Wertungen steht im System des deutschen Deliktsrechts nur § 823 Abs. 2 BGG zur Verfügung195. Eine heteronome Rezeption lauterkeitsrechtlicher Verbotstatbestände und ihre Sanktionierung durch deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche kommt unter § 823 Abs. 2 BGB in Betracht, soweit man Vorschriften des UWG als Schutzgesetze i.S.d. Norm qualifiziert. Die Frage der Schutzgesetzqualität wettbewerbsrecht194 Dann auf Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts analog §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB; zum beinahe vollkommenen Fehlen der praktischen Relevanz derartiger Fälle im Individualrechtsschutz und den zu vermutenden Gründen, vgl. auch MüKo-Seiler, Vor 677, Rz. 17. 195 Versuche, über die Konstruktion eines Rechts auf wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit als zu einem (über die allgemeine Handlungsfreiheit (die als solche nach § 823 Abs. 1 BGB jedenfalls keinen deliktsrechtlichen Schutz erlangen kann, da andernfalls die systematische Begrenzung auf den Schutz absoluter Rechte vollkommen unterlaufen würde, s. statt aller Larenz/Canaris, BT II/2, § 76 II 4, S. 392) hinausgehenden eigenständigen Recht verdichteten Teilaspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bezüglich unlauter angebahnter Verträge in den Schutz absoluter Rechtsgüter gem. § 823 Abs. 1 BGB zu gelangen (s. grundlegend Fikentscher, in: FS Hefermehl, S. 41, 54 ff.; unmittelbar für den Bereich des unlauter angebahnten Vertrags in der Folge Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 267 ff.; dagegen zu Recht die grundlegende Kritik bei Larenz/Canaris, BT II/2, § 80 II 6 b, S. 513; konkreter für den hier betrachteten Bereich Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 382 f.; Alexander, S. 126 ff., jeweils mwN), haben sich bisher nicht durchsetzen können. In der hier entwickelten Systematik wären sie jedenfalls den autonomen zivilrechtlichen Instrumenten zuzuordnen, da mindestens im Rahmen der Rechtswidrigkeitsprüfung – die angesichts der Verankerung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht als bloßem Rahmenrecht unter § 823 Abs. 1 BGB jedenfalls stets im konkreten Fall durchzuführen wäre – eine autonome deliktsrechtliche Wertung den rein lauterkeitsrechtlichen Maßstab überlagern würde (so zu Recht Lorenz, aaO., S. 383 gegen Lehmann, aaO., S. 270 ff.).
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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licher Verbote ist seit jeher umstritten gewesen196 und – trotz der diesbezüglich wohlbedachten Klarstellung in der Gesetzesbegründung197 – auch unter Geltung des neuen UWG weiterhin nicht vollends unumstritten198. Richtigerweise muß man zwischen der Schutzgesetzqualität der Generalklausel des § 3 UWG und den Straftatbeständen der §§ 16–19 UWG unterscheiden199.
I. § 3 UWG als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB? Entscheidend für die Schutzgesetzbestimmung unter § 823 Abs. 2 BGB ist nach heute weitgehend unumstrittener Auffassung die Frage, ob ein Schadensersatzanspruch dem Sinn und System der Gesamtordnung des bürgerlichen Rechts entspricht, wobei neben dem Schutzzweck der betroffenen Norm – die zumindest neben anderen Zwecken auch einen gezielten individualschützenden Zweck haben muß – ausschlaggebende Bedeutung der Frage zukommt, ob ein individueller Schadensersatzanspruch vom Gesetzgeber erkennbar erstrebt wird oder doch zumindest im Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems und schließlich der Gesamtordnung des Zivilrechts systematisch-teleologisch tragbar erscheint200. 196 S. unter Geltung des alten UWG für die gegen eine Anerkennung als Schutzgesetz gerichtete herrschende Meinung aus der Rechtsprechung grundlegend BGH NJW 1974, 1503 – Prüfzeichen; BGH NJW 1983, 2493, 2494; aus der Literatur statt vieler nur Canaris, in: 2. FS Larenz, S. 2768 f.; Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), Einl. Rz. 342; Köhler/Piper, 3. Aufl. 2002, Einf., Rz. 42; GroßKomm-Köhler, § 13a, Rz. 87 ff.; eingehend Scherer, S. 239 ff.; zuletzt Alexander, S. 131 f.; Köhler, GRUR 2003, 265, 271 alle mwN. A.A. von jeher Sack, NJW 1975, 1303, 1305 f.; Schricker, GRUR 1975, 111, 112 ff.; vgl. demgegenüber im Kontext der Bemühungen um die Schaffung eines Schadensersatzanspruchs für Verbraucher im UWG de lege ferenda differenzierend aber auch Schricker, GRUR 1979, 1, 4f. Vgl. im übrigen die umfassenden Nachweise bei Alexander, aaO. 197 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 8, S. 22; s. näher auch noch sogleich noch u. Fn. 201. 198 Für die ganz hM s. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl, Rz. 7.5; Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 149; Gloy/Loschelder-Mellulis, § 23, Rz. 5; Lettl, Rz. 601. Weiterhin a. A. Sack, GRUR 2004, 625, 629 f.; Augenhofer, WRP 2006, 169, 173; Fezer-Koos, § 9, Rz. 3, jeweils mit einer im Kern teleologischen Argumentation (s. dazu noch u. Fn. 205) unter rechtsvergleichendem Hinweis auf die Lage im österreichischen Recht (die insoweit stets genannte Entscheidung des ÖOGH, GRUR Int. 1999, 181, 182 – 1. Hauptpreis, betrifft unmittelbar allerdings nur Schadensersatzansprüche der Verbraucher direkt aus dem österreichischen UWG und illustriert mit der parallel erwogenen Anwendung der Haftung des Gewinnspielveranstalters aus culpa in contrahendo zugleich die individualvertragsrechtliche Alternative zu deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüchen individueller Verbraucher [so zutreffend insbesondere auch Köhler, GRUR 2003, 265, 271], vgl. zu einer solchen Lösung über die culpa in contrahendo noch eingehend unten 4. Kap. 4. Abschn. C) und im schweizerischen Recht (dort findet sich in Art. 10 Abs. 1 schw.UWG in der Tat ein individueller Schadensersatzanspruch für Verbraucher, was aber genaugenommen allenfalls ein tragfähiges rechtspolitisches Argument für eine de lege ferenda anders geartete Lösung im deutschen Recht, nicht aber einen Anhalt für die Auslegung der lex lata liefert); Fezer-Fezer, Einleitung E, Rz. 102 (dort Fußnote 95). 199 So zutreffend Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl, Rz. 7.5 mwN. 200 So insbesondere die ständige Rechtsprechung des BGH seit BGHZ 66, 388, 390; in der Folge BGH VersR 1978, 609, 610; BGH NJW 1980, 1792 f.; NJW 1982, 2780 f., im Anschluß an Knöpfle, NJW 1967, 697, 699 f. Zur weiteren Präzisierung wurden verschiedene Anläufe unter-
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
Für § 3 UWG steht nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich fest, daß der Reformgesetzgeber des Jahres 2004 keinen pauschalen individuellen Schadensersatzanspruch außerhalb der sowohl hinsichtlich der Klagebefugnis als auch hinsichtlich der Anspruchsgrundlagen als abschließend angesehenen Regelungen des UWG unter § 823 Abs. 2 BGB erstrebt hat. Entsprechend ist nach dem Willen des historischen Gesetzgebers § 3 UWG „weiterhin kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB“201. Grundsätzlich zutreffend auch 202 für das neue UWG ist allerdings der Hinweis, daß die historische Auslegung – selbst angesichts der in dieser Frage nunmehr vollkommenen Klarheit – bezüglich der Schutzgesetzbestimmung unter § 823 Abs. 2 BGB nicht allein ausschlaggebend sein kann203. Es bleibt also zu prüfen, ob teleologisch nach dem Sinn und Zweck des UWG im systematischen Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems individuelle Schadensersatzansprüche von Verbrauchern unter § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommen. Schon entscheidend gegen die Zulässigkeit eines Schadensersatzanspruchs auf Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 UWG spricht dabei aus systematischer Sicht ein e contrario-Argument zu §§ 8, 9 i.V.m. 2 Nr. 3 UWG, die die unmittelbaren nommen, s. etwa die Subsidiaritätsthese bei Schlosser, JuS 1980, 657 ff. aufgrund seiner vereinzelt gebliebenen Interpretation von BGH NJW 1980, 1792 f.; die von Canaris, in: 2. FS Larenz, S. 27 ff., entwickelte Strafnormtheorie und die näheren Kriterien zur Ermittlung des Schutzzwecks einer Norm bei Schmiedel, Deliktsoblikationen, S. 168 f., 171, 179. Vgl. näher zu alldem unter der Perspektive der Schutzgesetzqualität des § 1 UWG a.F. Scherer, S. 242 ff. mwN. 201 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 8, S. 22. Der Bundesrat hatte ursprünglich sogar eine Klarstellung im Gesetz selbst verlangt (s. aaO., S. 34), wofür die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung, aaO., S. 43, aber keinen Anlaß sah. Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte und zum historischen Hintergrund der Diskussionen im Rahmen der UWG-Reform 2004, zu dem insbesondere auch die ähnlich gelagerte Debatte um Schadensersatzansprüche und Vertragsauflösungsrechte der Verbraucher in den siebziger Jahren zu rechnen ist (vgl. für die damalige Diskussion statt aller nur archetypisch den Beitrag von Schricker, GRUR 1979, 1 ff. mwN), die dann letztlich 1986 nur in die Schaffung des vergleichsweise hochbescheidenen (und praktisch prompt weitestgehend wirkungslosen, s. statt aller die Darstellung bei Alexander, S. 63 ff.) Rücktrittsrechts in § 13a UWG a.F. mündete, welches in der UWG-Reform 2004 wieder abgeschafft wurde (s. auch Begründung des Regierungsentwurfs, aaO., S. 14). 202 Vgl. schon die diesbezügliche Diskussion im Rahmen des 1986 um das Rücktrittsrecht in § 13a erweiterten UWG a.F., wo sich auf Grundlage der Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des § 13a UWG a.F. sowie im Lichte der gesamten Vorgeschichte der Norm, der Wille des historischen Gesetzgebers, dem Verbraucher über § 13a UWG a.F. hinausgehende Ansprüche nicht zu gewähren, ebenfalls bereits eindeutig feststellen ließ (s. nur BT-Drs. 10/5771 (1986), insbesondere S. 22 zu den Beratungen im Rechtsausschuß, in dem damals Ausschußmitglieder der SPD-Fraktion ursprünglich einen zusätzlichen Schadensersatzanspruch für Verbraucher favorisiert hatten, was dann gerade mit Blick auf den als ausreichend und abschließend erachteten Schutz durch das Rücktrittsrecht nach § 13a UWG mehrheitlich abgelehnt wurde; zum ganzen eingehender auch Scherer, S. 249 f.), was aber als bloße historische Auslegung den Rekurs auf Systematik und Telos des UWG a.F. gerade nicht vollkommen ersetzen konnte, s. dazu GroßKomm-Köhler, § 13a, Rz. 88. 203 S. Sack, GRUR 2004, 629 f. Vgl. bezüglich der dort im Mittelpunkt stehenden Frage nach individuellen Verbraucheransprüchen unmittelbar aus dem UWG (wie sie das österreichische [vgl. insoweit zuletzt Augenhofer, WRP 2006, 169, 173] und schweizerische Recht kennt) noch unten 4. Kap. 5. Abschn. C.
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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individuellen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche aus dem Wettbewerbsrecht auf Unternehmer begrenzen, die zum Verletzer in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen 204. Lassen die wörtliche, historische und systematische Interpretation demnach wohl nurmehr theoretischen Raum für die Annahme einer Anspruchsberechtigung des individuellen Verbrauchers auf dem „Umweg“ über § 823 Abs. 2 BGB, so ist doch als Dreh- und Angelpunkt der teleologischen Auslegung auch weiterhin die Frage zu stellen, ob mit Blick auf den Verbraucherschutzzweck des Wettbewerbsrechts nach dem Rahmen des bürgerlichrechtlichen Gesamtsystems ein Anspruch des individuellen Verbrauchers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 3 UWG nicht doch in Betracht kommt. Ausgangspunkt der teleologischen Überlegungen ist die Erkenntnis, daß das UWG seiner konkreten Ausgestaltung nach das Schutzziel des Verbraucherschutzes offenbar durch Gewährung lediglich kollektiver Ansprüche an Verbraucherverbände zur Sicherung unverfälschten Wettbewerbs sowie im übrigen durch gleichberechtigte Berücksichtigung der Verbraucherinteressen bei der Auslegung und Konkretisierung der wettbewerbsrechtlichen Verhaltensnormen reflexartig mit verfolgt205. Unter dieser Perspektive erschiene ein individueller Schadensersatzanspruch allein aufgrund des Verbraucherschutzzwecks des neuen UWG entgegen der konkreten Ausgestaltung des Sondergesetzes überhaupt nur denkbar, wenn in Fällen verfälschten Wettbewerbs für den individuellen Verbraucher Schäden drohten, die nach dem Sinn und System der Gesamtordnung des bürgerlichen Rechts nicht schon an anderer Stelle – mithin insbeson204 Insoweit kann nicht Sacks, aaO., Argumentation gefolgt werden, der Hinweis auf den abschließenden Charakter der zivilrechtlichen Rechtsfolgenregelung im UWG in der Gesetzesbegründung habe im Gesetzeswortlaut keinen ausreichend deutlichen Niederschlag gefunden, da schon nach dem bisherigen UWG neben den in § 13 UWGaF genannten Anspruchsberechtigten und Klagebefugten, die Klagebefugnis des „unmittelbar Verletzten“ als nicht ausdrücklich im Gesetz geregelte Kategorie anerkannt gewesen sei. Dies übersieht, daß nach dem neuen UWG nunmehr ohnedies nur noch den unmittelbar verletzten Mitbewerbern Ansprüche zustehen, während die erweiterte individuelle Anspruchsberechtigung der nur abstrakten sogenannten „Mitbewerber“ nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG a.F. gerade aufgegeben wurde (s. dazu statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 3.26, sowie auch den entsprechenden Modellvorschlag bei Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1321); damit ist aber auch die ungeschriebene Kategorie des unmittelbar Verletzten überflüssig geworden. Die gesetzliche Regelung ist dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprechend nunmehr auch aus der Sicht systematischer Interpretation als abschließend anzusehen und gerade der geänderte Wortlaut und die veränderte Systematik des neuen UWG im Vergleich zu § 13 UWG a.F. machen dies auch hinreichend deutlich. 205 So die hM für das alte UWG, s. aus der Rechtsprechung BGH GRUR 2000, 1076, 1078 – Abgasemissionen; aus der Literatur statt vieler GroßKomm-Köhler, § 13a, Rz. 88; zuletzt Alexander, S. 132 mit umfassenden weiteren Nachweisen; für die Minderansicht schon zum alten UWG Sack, NJW 1975, 1303, 1305 f.; Schricker, GRUR 1975, 111, 112 ff. Daran hat sich insbesondere durch die Einbeziehung des Verbraucherschutzes in die Schutzzweckklausel des § 1 UWG, die insoweit nur die bisherige Rechtslage reflektiert (s. schon die Nachweise für die diesbezüglich ganz hM o. 1.Kap. 3.Abschn. Fn. 221), nichts geändert. A.A. und mit einer Art rechtspolitischem erst-recht-Schluß Fezer-Koos, § 9, Rz. 3; Fezer-Fezer, Einleitung E, Rz. 102 (dort Fußnote 95).
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
dere im Vertragsrecht sowie auch über § 823 Abs. 1 BGB – erschöpfend geregelt sind206. Dabei ist der deliktsrechtliche Weg über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Schutzgesetzen aber nicht zu jeglicher auch nur punktueller Regelung von vornherein subsidiär207. Vielmehr bedeutet das Erfordernis erschöpfender anderweitiger Regelung im bürgerlichen Recht für den hier betrachteten Bereich, daß um den Schutzgesetzcharakter mit letzter Sicherheit verneinen zu können, eine konkrete Analyse des Vertragsrechts mit Blick auf vertragsrechtliche Schadensersatzansprüche notwendig ist. Das Vertragsrecht muß insoweit nicht schlechthin lückenlos sein, sich aber doch als ein in sich geschlossenes Wertesystem mit Blick auf individuelle Folgen unlauteren Wettbewerbs derart darstellen, daß eine Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB grundlegende Wertungen auch dieser geschlossenen Ordnung unterliefe208. Entscheidend ist insofern die Frage, ob das Gesamtsystem aus Vorfeldschutz im UWG und vertragsrechtlichen Instrumenten essentielle Schutzlücken oder Durchsetzungslücken 209 aufweist 210. Doch ergibt die nachfolgende Analyse der autonomen Instrumente der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, des Vertragsrechts (und am Rande auch des Deliktsrechts im übrigen) – deren Ergebnis hier verkürzt vorweggenommen sei –, daß die Mindestvoraussetzung einer „erschöpfenden“ Regelung zum Schutz relevanter Interessen des Verbrauchers mit den Mitteln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, des Vertragsrechts und auch des § 823 Abs. 1 BGB jedenfalls erfüllt ist, ja das nicht einmal überhaupt relevante tatbestandliche Lücken bleiben, bzw. daß sich verbleibende Lücken systemgerecht doch zumindest aus rechtsfolgenspezifischer Sicht vorrangig durch Erweiterung passender vertragsrechtlicher Instrumente auffangen lassen 211. Dieses differenzierte System zivilrechtlicher Erfassung individueller Schäden durch unlauteren Wettbewerb darf nicht über eine pauschale zivilrechtliche Rezeption unternehmerischer Verstöße gegen UWG-Verbote auf Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB unterlaufen werden. Im Ergebnis vermag der im wesentlichen alleinige Verweis auf 206 Allgemein entspricht dies gerade der von der Rechtsprechung übernommenen Schutznormkonzeption von Knöpfle, NJW 1967, 697 ff., die entscheidend darauf abstellt, ob ein Anspruch unter § 823 Abs. 2 BGB mit Blick auf allfällige anderweitig erschöpfende Regelungsbereiche des bürgerlichen Rechts systemgerecht ist. Konkret für die Frage nach der Schutzgesetzqualität des UWG a.F. hat insbesondere Köhler diese Theorie fruchtbar gemacht und die entscheidende Bedeutung verdeutlicht, die bei der Beantwortung dieser Frage der Analyse insbesondere des Vertragsrechts im Sinne einer Suche nach überhaupt vorhandenen substantiellen Schutzlücken (vgl. zu dem hiervon zu unterscheidenden Aspekt des Vorhandenseins bestimmter Durchsetzungslücken und der diesbezüglich angemessenen Konsequenzen, s. noch unten 4. Kap. 5. Abschn.) zukommen muß, s. schon GroßKomm-Köhler, § 13a, Rz. 88; ders., GRUR 2003, 265, 271. 207 So zu Recht Scherer, S. 244 mwN gegen die „Subsidiaritätsthese“ Schlossers (s. o. Fn. 200). 208 Vgl. allgemein Knöpfle, aaO. 209 Vgl. zur Relevanz dieser Differenzierung insbesondere auch für die rechtliche Reaktion noch unten 4. Kap. 5. Abschnitt. 210 Ähnlich GroßKomm-Köhler, § 13a, Rz. 88; ders., GRUR 2003, 265, 271 mit Blick auf die Frage von Schutzlücken. 211 Vgl. insbesondere unten 4. Kap. 4. Abschnitt.
2. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtl. Wertungen im BGB
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den nunmehr ausdrücklich im UWG zugrundegelegten Verbraucherschutzzweck mithin nicht zu einer teleologischen Auslegung zu führen, die das UWG als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB qualifizierte.
II. §§ 16–19 UWG als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB Zu bejahen ist jedenfalls der Schutzgesetzcharakter der Strafvorschriften in §§ 16– 19 UWG212. Dies ergibt sich neben der Grundvoraussetzung des Verbraucherschutzzwecks der Normen – der, wie gerade der Vergleich zu § 3 UWG zeigt, insoweit aber allein nicht genügen kann – einerseits aus dem erklärten Willen des historischen Gesetzgebers, der mithin einen entsprechenden individuellen Schadensersatzanspruch über § 823 Abs. 2 BGB regelrecht erstrebte213, sowie andererseits auch schon für sich genommen aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber die Tatbestände der §§ 16–19 UWG allein mit Kriminalstrafen bewehrt hat. Denn daraus ergibt sich erstens – im strikten Gegensatz zu dem oben umrissenen e contrario-Schluß zu § 8, 9 UWG – im Falle der §§ 16–19 UWG, daß gerade keine abschließende Regelung der zivilrechtlichen Rechtsfolgen vorliegt214 und zweitens ist auch die Strafbewehrung der genannten Normen schon für sich genommen ein entscheidendes Indiz dafür, daß der Gesetzgeber durch die Verbotstatbestände einen allseitig durchsetzbaren Schutz betroffener Individualinteressen auch mit den Mitteln des Deliktsrechts erstrebte215. Wird dieses Indiz, wie im Falle der §§ 16–19 UWG, aufs klarste durch die Gesetzesbegründung bestätigt, kann am Schutzgesetzcharakter der Normen i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB kein vernünftiger Zweifel bleiben. Ein Widerspruch zu der ablehnenden Haltung dieser Untersuchung (wie auch der ganz herrschenden Meinung) gegenüber der Schutzgesetzqualität des § 3 UWG liegt darin, mit Blick auf die genannten systematischen Unterschiede zwischen der abschließenden Regelung in §§ 8, 9 UWG und der hinsichtlich der zivilrechtlichen Folgen bewußt offengehaltenen Strafnormen der §§ 16–19 UWG entgegen vereinzelten Bedenken 216 ebenfalls nicht.
212 Insoweit einhellige Meinung, s. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Einl UWG, Rz. 7.5 mwN. 213 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 8, S. 22. 214 Ebenso die Begründung des Regierungsentwurfs, aaO. 215 Dies reflektiert für den hier betrachteten Bereich gerade Canaris’ „Strafnormtheorie“, vgl. grundlegend Canaris, in: 2.FS Larenz, S. 27 ff. 216 Sack, GRUR 2004, 625, 629.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
3. Abschnitt:
Unmittelbar-heteronome Rezeption vertragsrechtlicher Wertungen im UWG A. Informationspflichtverletzung und Rechtsbruch I. Entwicklung der Fallgruppe des Rechtsbruchs in der neueren Rechtsprechung und der zugehörige Beispielstatbestand des neuen UWG als allgemeiner Hintergrund Zur heteronomen Rezeption außerwettbewerbsrechtlicher gesetzgeberischer Wertungen ist im UWG im wesentlichen der Beispielstatbestand des Rechtsbruchs gem. § 4 Nr. 11 i.V.m. § 3 UWG bestimmt. Typisch für die heteronome Rezeption im hier verstandenen Sinne wird die Wertung des außerwettbewerblichen Gesetzes respektiert, jedoch einer Art wettbewerbsbezogener „Filterung“ unterworfen, die letztlich darüber entscheidet, ob eine Durchsetzung der betroffenen gesetzlichen Vorschrift gerade mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts erfolgen soll oder nicht. Diese „Filterung“ wird – unter weitgehender Aufgabe der vormaligen, schon seit den siebziger Jahren in der Lehre kritisierten1 Differenzierung der Rechtsprechung zwischen wertbezogenen und wertneutralen Normen (bei welch letzteren ein bewußtes, planmäßiges Vorgehen des Gesetzesverletzers, mit dem er sich einen sachlich ungerechtfertigten Vorsprung im Wettbewerb verschafft, zusätzlich vorausgesetzt wurde)2 – seit der Abgasemissionen-Entscheidung des BGH3 nunmehr – für den hier be1 S. schon frühzeitig die grundlegenden Untersuchungen von von Schall-Riaocour, Wettbewerbsverstöße durch Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Normen, 1968, und insbesondere von Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970 (vgl. dazu auch die spitzzüngige Bemerkung bei Schricker, GRUR Int. 2003, 485, 486: „Bei der Wirkungsgeschichte von Habilitationsschriften muß man offenbar längere Zeiträume in Rechnung stellen.“). Vgl. im übrigen eingehend zur letztlich überholten historischen Entwicklung die Darstellungen bei Fezer-Götting, § 4–11, Rz. 2 ff.; Harte/Henning-v. Jagow, § 4, Rz. 2 ff., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen zur älteren Rechtsprechung, deren Kritik und der nachfolgenden Wandlung des Beurteilungsmaßstabs. S. im übrigen auch noch die Nachweise u. Fn. 2. 2 Vgl. für umfassende Darstellungen der Grundlinien der älteren Rechtsprechung GroßKomm-Teplitzky, § 1, Rz. G1 ff.; Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), § 1, Rz. 608 ff.; Köhler/PiperPiper, § 1, Rz. 726 ff.; s. spezifisch für den hier betrachteten Bereich auch die älteren Darstellungen bei Doepner, WRP 1980, 473 ff. und Sack, BB 1987, 1048 ff., sowie insbesondere die letzte ausführliche und dementsprechend schon kritische Diskussion der diesbezüglichen Rechtsprechung zu Rechtsbruch durch Verletzung von Verbraucherinformationspflichten bei Alexander, S. 226 ff. (s. dazu auch sogleich näher im folgenden Text). 3 BGHZ 144, 255, 269 = NJW 2000, 3351 – Abgasemissionen; s. zur weiteren Entwicklung der Rechtsprechung seit dieser grundlegenden Wende noch die Nachweise u. Fn. 4.
3. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption vertragsrechtlicher Wertungen im UWG
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trachteten Bereich der Markverhaltensregeln vollkommen unstrittig4 – allein anhand des vorbestimmenden Maßstabs der notwendigen (mindestens sekundär) wettbewerbsbezogenen Schutzfunktion der Norm vorgenommen5. Das neue UWG nimmt diese Entwicklung der neueren Rechtsprechung mit dem Erfordernis einer Regelung, die (mindestens) auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, auf6.
II. Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten als praktisch wesentlichster Fall unmittelbar-heteronomer Rezeption im Beispielstatbestand Rechtsbruch Für den hier betrachteten Bereich der Überschneidung zwingender vertragsrechtlicher Normen mit Wertungen des UWG spielt die ganz vorherrschende Rolle die Frage nach der Sanktionierung der Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten sowie sonstiger verbraucherschützender Pflichten7 als Rechtsbruch i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG8. Insbesondere die Verbraucherinformationspflichten, wie sie sich nunmehr im allgemeinen Vertragsrecht des BGB und in der BGB-InfoV finden, verfolgen dabei typischerweise neben ihrer institutionellen Funktion auch individualschützende Zwecke und sind entsprechend im Ausgangspunkt mit individuellen Rechtsfolgen (insbesondere der Verlängerung allfälliger Widerrufsfristen, gegebenenfalls einer Haftung aus §§ 311 Abs.1, 241 Abs. 2 BGB) und darüber hinaus mit der Klagemög4 Vgl. zu dem in der Folge der in den BGH-Entscheidungen BGH GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung, GRUR 2002, 825, 826 – Elektroarbeiten, etablierten Differenzierung zwischen Marktverhaltens- und Marktzutrittsregelungen entbrannten Streit um die Sinnhaftigkeit einer derartigen Unterscheidung, für die befürwortende hM etwa Köhler, GRUR 2001, 777, 780; Köhler, NJW 2002, 2761 ff.; Köhler, GRUR 2004, 381, 384 f.; Ullmann, GRUR 2003, 817, 823; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 11.44 ff.; demgegenüber kritisch insbesondere Doepner, WRP 2003, 1292, 1298 ff.; Doepner, in: FS Helm, S. 47, 64 ff.; Haslinger, WRP 2002, 1023; Fezer-Götting, § 4–11, Rz. 12 ff.; wohl auch Harte/Henning-v. Jagow, § 4, Rz. 32 f., wo die Kritik der neueren Rechtsprechung in Lehre und im Gesetzgebungsverfahren zum neuen UWG ohne insoweit klare eigene Stellungnahme sorgsam referiert wird. 5 S. auch die umfassenden weiteren Nachweise bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 11.4; Harte/Henning-v.Jagow, § 4, Rz. 23 ff.; Fezer-Götting, § 4, Rz. 9 ff., sowie in der dort zitierten Aufsatzliteratur (vgl. zum Teil o. Fn. 4). 6 S. dazu Köhler, GRUR 2004, 381, 382 ff.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 11.5, jeweils mwN. 7 S. neben den Vorkehrungspflichten im E-Commerce gem. § 312e BGB, die sich bei funktionalem Verständnis Sinne noch sämtlich als Informationspflichten im weiteren Sinne auffassen lassen (vgl. zutreffend Grigoleit, WM 2001, 597, 600), da sie der Ausgleichung spezifischer Informationsungleichgewichte dienen, beispielhaft für eine verbraucherschützende Pflicht, die nicht zu den Informationspflichten zu rechnen ist, etwa die Pflicht des Reiseveranstalters gem. § 651k Abs. 4 BGB, vor Beendigung der Riese keine Zahlungen auf den Reisepreis zu fordern oder anzunehmen, ohne zugleich dem Kunden einen Sicherungsschein auszuhändigen und dazu aus wettbewerbsrechtlicher Sicht BGH GRUR 2000, 731 – Sicherungsschein; OLG München, WRP 1996, 238, 239 – Paris Tours. 8 Vgl. zuletzt Alexander, S. 226 ff.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
lichkeit nach dem Unterlassungsklagegesetz9 bewehrt; die Sanktionierung über den Rechtsbruchtatbestand bringt insoweit neben der abweichenden Regelung der Verjährung und bestimmter Verfahrensfragen im wesentlichen die zusätzliche Möglichkeit der Klage durch einzelne unmittelbar verletzte Mitbewerber10. Neben diese individualschützenden Informationspflichten des BGB treten einzelne vertriebsspezifische Informationspflichten, die bei genauem Hinsehen keine individualschützenden – insbesondere nicht auf die Flankierung von Widerrufsrechten bezogenen –, sondern vielmehr von vornherein überhaupt nur wettbewerbsbezogene, marktverhaltensregelnde Zwecke verfolgen: das augenfälligste Beispiel bilden in diesem Zusammenhang die Pflichten nach § 312e BGB i.V.m. § 3 Nr. 4 und 5 BGB-InfoV für Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr (Information über zur Verfügung stehende Sprachen und Information über einschlägige Verhaltenskodizes, denen sich der Unternehmer unterworfen hat). Für diese Pflichten ist eine Sanktionierung durch Verbesserung der Rechtsstellung der individuell von einer Pflichtverletzung betroffenen Verbraucher11 insbesondere entgegen § 312e Abs. 3 BGB bei teleologischer Betrachtung nicht geboten und auch sinnvoll gar nicht möglich12. Hier sind also nach richtiger Auffassung trotz des entgegenstehenden Gesetzestextes die kollektiven Rechtsbehelfe des Unterlassungsklagegesetzes sowie gegebenenfalls der Rechtsbruchtatbestand nach § 4 Nr. 11 UWG schon von vornherein die einzigen in Betracht kommenden Sanktionierungsmöglichkeiten13. Schließlich gehört auch die Umsetzung der sich aus Art. 7 Abs. 2, Abs. 5 Lauterkeits-RL im Zusammenhang irreführender Unterlassungen ergebenden Pflicht der Mitgliedstaaten, die Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikationen lauterkeitsrechtlich zu sanktionieren, in diesem Zusammenhang14. Da nach der hier vertretenen Auffas9 S. dazu statt vieler Heß, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), S. 525 ff.; Greger, NJW 2000, 2457 ff. 10 S. zur (nicht gänzlich unstrittigen) Sanktionenkonkurrenz zwischen UKlaG und UWG noch sogleich näher unten im Text. 11 Für die Pflicht gemäß § 3 Nr. 2 BGB-InfoV ist zwar – angesichts des ausschließlich auf Beweissicherung zielenden Telos der Norm – wiederum nicht die Rechtsfolge des § 312e Abs. 3 BGB sinnvoll (der auch insoweit teleologisch zu reduzieren ist), wohl aber ist bezüglich dieser Pflicht als Rechtsfolge bezüglich des individuell betroffenen Verbrauchers eine Beweiserleichterung hinsichtlich der konkreten Vertragsbedingungen bis hin zu einer vollkommenen Beweislastumkehr interessengerecht. 12 So zutreffend schon Grigoleit, WM 2001, 597, 603 f. im Vorfeld der Schuldrechtsreform; s. nunmehr mit der einzig zutreffenden Konsequenz auf Grundlage der in dieser Frage verfehlten Rechtsfolgenanordnung des § 312e Abs. 3 BGB auch Palandt-Heinrichs, § 312e, Rz. 11 (teleologische Reduktion der insoweit erheblich über das Ziel hinausschießenden Norm für die genannten Fälle). Vgl. zur rechtsfolgenspezifischen zivilrechtlichen Analyse dieser Pflichten (insbesondere unter der Perspektive eines denkbaren Schadensersatzanspruchs auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) noch eingehend unten 4. Kap. 3. Abschn. B I 2 b (2). 13 S. noch eingehend unten 4. Kap. 3. Abschn. B I 2 b (2) mwN. 14 Vgl. insoweit auch Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1332; Köhler, GRUR 2005, 793, 800; Seichter, WRP 2005, 1087, 1091 ff.
3. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption vertragsrechtlicher Wertungen im UWG
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sung Verletzungen derartiger Informationspflichten schon auf Grundlage der lex lata sowohl vor als auch nach Vertragsschluß als unlauterer Wettbewerb unter dem Aspekt des Vorsprungs durch Rechtsbruch gem. § 4 Nr. 11 UWG erfaßt werden können15, ist insoweit eine ausdrückliche Umsetzung des Art. 7 Abs. 5 Lauterkeits-RL nicht notwendig. Vielmehr sollte dieser Aspekt irreführenden Unterlassens über § 4 Nr. 11 UWG aufgefangen werden, wobei allenfalls an eine diesbezügliche Klarstellung in den Gesetzesmaterialien noch zu denken wäre16. Auch all diejenigen Informationsgebote des Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL (Nichtzurverfügungstellung bestimmter „Basisinformationen“ als unlautere Irreführung), die ohnehin bereits in spezialgesetzlichen Vorschriften des deutschen Rechts, wie insbesondere der Preisangaben-VO u.a., enthalten sind, können insofern über § 4 Nr. 11 UWG sanktioniert werden17. Nur für die darüber hinaus verbleibenden Bereiche bedarf § 5 Abs. 2 UWG der weiteren Konkretisierung, um Art. 7 Abs. 2–4 Lauterkeits-RL umzusetzen18.
III. Die ordnungspolitische (Durchsetzungs-)Perspektive Ordnungspolitisch geht es bei der Frage nach der Sanktionierbarkeit verbrauchervertragsrechtlicher Informationspflichten im Wettbewerbsrecht um ein Durchsetzungsproblem19. Die individuellen Rechtsbehelfe – neben der Verlängerung der Widerrufsfrist bei das Widerrufsrecht flankierenden Informationspflichten (teils auch systemwidrig darüber hinaus) kommen im wesentlichen allenfalls noch verschuldensabhängige Schadensersatzpflichten in Betracht – dürften in derartigen Fällen häufig individuell nicht geltend gemacht werden, weil entweder – in Bagatellfällen – ein hinreichender Anreiz hierfür fehlt oder aber – weitaus wesentlicher – weil die Verbraucher gerade mangels Erfüllung der Informationspflicht 15
Vgl. dazu sogleich unten B. S. ähnlich Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, aaO.; Köhler, aaO.; Seichter, aaO. Zu Recht weisen Glöckner/Henning-Bodewig, aaO., darauf hin, daß die Rückbindung in den Irreführungstatbestand, derzufolge die Nichtgewährung der Information zumindest geeignet sein muß, die geschäftlichen Entscheidungen des Durchschnittsverbrauchers zu beeinflussen, im neuen UWG bereits dadurch gewährleistet ist, daß andernfalls eine erhebliche Wettbewerbsbeeinflussung i.S.d. neuen § 3 UWG (selbst bei dem gebotenen weiten Verständnis dieser Bagatellregelung, s. insoweit noch u. bei Fn. 54) auch im deutschen Recht nicht in Betracht kommt. 17 S. zutreffend auch schon OLG Hamburg, GRUR-RR 2005, 27, 28 f. – Internet-Versandhandel (bereits zum neuen Recht mit Blick auf einen Verstoß gegen die Preisangabenverordnung als per se unlauterer Wettbewerb i.S.d. §§ 4 Nr. 11, 3 UWG (nicht rechtskräftig, die Revision wird beim BGH unter dem Az. I ZR 143/04 geführt). 18 S. dazu Seichter, aaO., 1093; zustimmend Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1332; Köhler, GRUR 2005, 793, 800; demgegenüber wohl für eine umfassende Umsetzung des Informationsmodells des Art. 7 Lauterkeits-RL durch umfassende Anordnung entsprechender Informationspflichten im UWG Fezer, WRP 2006, 781, 786 f. S. auch für die zivilrechtliche Rezeption der aus Art. 7 Abs. 2– 4 Lauterkeits-RL (nach ihrer Umsetzung) sich ergebenden Transparenzgebote (insbesondere unter dem Blickwinkel theoretisch denkbarer Schadensersatzansprüche auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) unten 4. Kap. 3. Abschn. B II. 19 So zutreffend insbesondere Alexander, S. 227 ff. 16
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ihre respektiven Rechte (insbesondere Widerrufsrechte) nicht hinreichend kennen. Zur Lösung zumal dieses letztgenannten Problems hilft auch die (europäisch für das Haustürwiderrufsrecht angestoßene) nunmehr im deutschen Recht in allen Fällen unbegrenzte Verlängerung der Widerrufsfristen bei mangelhafter Erfüllung der Informationspflichten (s. § 355 Abs. 3 S. 3 BGB) nicht wesentlich weiter, da in Fällen außergewöhnlich langer Zeiträume seit Vertragsschluß (eine Veränderung wurde durch das OLG-Vertretungsänderungsgesetz ja im Ergebnis nur für Fälle bewirkt, bei denen der Vertragsschluß länger als 6 Monate zurückliegt) typischerweise beim Verbraucher der Anreiz entfallen sein dürfte, seine ursprüngliche Entscheidung zu überdenken. Aus ordnungspolitischer Sicht erscheint es passender, soweit wie irgend möglich mit Hilfe breitenwirksamer, auf den Massenverkehr zugeschnittener Sanktionsmechanismen dafür zu sorgen, daß die Verbraucher schon im zeitlichen Zusammenhang mit dem Vertragsschluß verläßlich über ihre Rechte informiert werden. Aus Sicht des ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung war es zuerst die Durchsetzungslücke, die an dieser Stelle (vor Erlaß des Unterlassungsklagegesetzes noch unüberwindbar) im Vertragsrecht klaffte, die die Kumulation der individuellen Rechtsfolgen mit den kollektiven und individuellen Rechtsbehelfen des UWG zuerst rechtfertigte. Zugleich bildet der historische Rückblick in diesem Bereich, in dem das kollektive Durchsetzungsdefizit zuerst mit den Mitteln des UWG aufgefangen wurde, um später mit dem europäisch angestoßenen Unterlassungsklagegesetz die kollektive Durchsetzungsmöglichkeit für sämtliche Verbraucherschutzvorschriften des Individualvertragsrechts zu schaffen, ein typisches Beispiel zeitlicher Komplementarität von lauterkeitsrechtlichem Sanktionsinstrumentarium und prozessualen Instrumenten des Verbraucherschutzrechts. Dennoch hat das Unterlassungsklagegesetz aus ordnungspolitischer Sicht die Notwendigkeit für den Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Durchsetzungsmöglichkeiten im vertragsrechtlichen Verbraucherschutz nicht etwa vollkommen überflüssig gemacht 20. Denn insbesondere auf die besonders aktive Rolle21 unmittelbar verletzter Mitbewerber als Kläger, die solcherart ihrer ordnungspolitischen Funktion als sachnächste Agenten der Sicherung des lauteren Marktverhaltens idealerweise gerecht werden, sollte nicht durch vorschnelles Zurücktreten des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums vor kollektiv verbraucherschützenden Sanktionsinstrumenten im Wege der Subsidiarität verzichtet werden. Zudem sind die kollektiven Instrumente des Unterlassungsklagegesetzes grundsätzlich allein auf die Durchsetzung verbraucherschützender Normen im Verbraucherinteresse 20 So aber in der Tendenz verallgemeinerbar (wenn auch ausdrücklich nur für den Bereich der AGB-Kontrolle) die Argumentation bei Ullmann, GRUR 2003, 817, 823 (dort insbesondere Fußnote 59); dagegen zu Recht für die hM Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 11.17; Palandt-Bassenge, § 1 UKlaG, Rz. 2; MüKo-Micklitz, § 13 AGBG, Rz.162; Ulmer/Brandner/ Hensen, § 13 AGBG, Rz. 2. 21 Vgl. den diesbezüglichen Hinweis von Beater, § 13, Rz. 5 (S. 357).
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zugeschnitten und widerspiegeln deshalb die spezifische Interessenlage im Wettbewerbsrecht – mit Blick auf die reflexartigen individuellen Nachteile auch für unmittelbar verletzte Mitbewerber aus Verbraucherrechtsverstößen ihrer Konkurrenten –, der auch bestimmte abweichende Verfahrens- und Verjährungsregeln entsprechen, trotz der unübersehbaren Parallele der jeweiligen Verbandsklagevorschriften nur zum Teil, weshalb die Vorschriften des Unterlassungsklagegesetzes auch nicht etwa als gegenüber dem Wettbewerbsrecht eigenständiges und in sich geschlossenes Rechtsschutzsystem angesehen werden können, hinter dem das wettbewerbsrechtliche Sanktionsinstrumentarium vollständig zurückzutreten hätte22. Für die betroffenen Mitbewerber kommt daher auch neben den kollektiven Durchsetzungsmöglichkeiten des Unterlassungsklagegesetzes ein wettbewerbsrechtliches Vorgehen über § 4 Nr. 11, § 3 UWG i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG weiterhin in Betracht 23.
IV. Die dogmatische Umsetzung und ihre Entwicklung Die wesentlichsten für diese Untersuchung relevanten verbraucherschützenden Informationspflichten des BGB, wie sie sich nunmehr in § 312 (dem Haustürwiderrufsrecht akzessorische Belehrungspflicht), § 312c BGB (teils dem Widerrufsrecht im Fernabsatz akzessorische, teils eigenständige Informationspflichten im Fernabsatz24, s. § 1 BGB-InfoV), § 312e (für den elektronischen Geschäftsverkehr25), § 491 ff. BGB (für Verbraucherkredite und das zugehörige Widerrufsrecht) finden, wurden schon vor der oben angedeuteten Rechtsprechungswende und vor Erlaß des neuen UWG als – grundsätzlich für die Fallgruppe des Rechtsbruchs in Betracht kommende – wertneutrale Normen eingestuft. Die Einordnung als wertneutral brachte es mit sich, daß es – soweit nicht der Wettbewerbsverstoß ohnedies (gewissermaßen freistehend lauterkeitsrechtlich) unter dem Aspekt des Ausnutzens der Rechtsunkenntnis bejaht wurde – als entscheidende Beurteilungskriterien bezüglich der wettbewerbsrechtlichen Relevanz der Verbraucherrechtsverstöße entscheidend darauf ankam, ob sich der betroffene Unter22
So die herrschende Meinung, vgl. die Nachweise o. Fn. 20 (auch zur Minderansicht). S. zum alten Recht OLG Stuttgart BB 1987, 2394; schon zum neuen Recht OLG Hamm, GRUR-RR 2005, 285 f. – Internet-Widerrufsbelehrung. Fast einhellige Meinung auch in der Literatur, s. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4 UWG, Rz. 11.17; Palandt-Bassenge, § 1 UKlaG, Rz. 2 und § 3 UKlaG, Rz. 1. A. A. (für den Bereich von AGB-Verstößen) Ullmann, GRUR 2003, 817, 823. 24 Seit der Umsetzung der FernabsatzFinDL-RL durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen v. 2. Dezember 2004 (BGBl. I Nr. 64 v. 7.12.2004, S. 3102) einschließlich des Fernabsatzes von Finanzdienstleistungen. 25 Vgl. insoweit Schulte/Schulte, NJW 2003, 2140, 2141 f., die aber (noch zum alten UWG) die neuere Entwicklung der Rechtsprechung vollkommen übersehen und folgerichtig verfehlt die Pflichten im elektronischen Geschäftsverkehr weiterhin im Rahmen der Differenzierung der älteren Rechtsprechung zwischen wertneutralen und wertbezogenen Normen behandeln. Spätestens zum jetzigen Zeitpunkt ist diese Ansicht durch § 4 Nr. 11 UWG überholt und so nicht mehr vertretbar. 23
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nehmer bewußt und planmäßig einen wettbewerbswidrigen Vorsprung vor gesetzestreuen Mitbewerbern verschaffte26. Die Kriterien des bewußten und planmäßigen Vorgehens und insbesondere die Voraussetzung des Vorsprungs im Wettbewerb durch den Verbraucherrechtsverstoß zielten allerdings am Kern des Problems vorbei 27, wurden dementsprechend auch nicht stets stringent geprüft 28 und waren wohl allein der Konstruktionsnotwendigkeit einer „Subsumtion“29 unter die richterrechtliche Fallgruppe des Rechtsbruchs in ihrer Ausprägung durch die ältere Rechtsprechung geschuldet. Richtigerweise darf und durfte es auf den konkret nachzuweisenden Vorsprung gegenüber Mitbewerbern nicht ankommen30. Entscheidend ist – wie es nunmehr auch die neuere Rechtsprechung und der sich anschließende § 4 Nr. 11 UWG tatbestandlich korrekt widerspiegeln – allein, daß eine Marktverhaltensregel (mit dementsprechend zumindest sekundärem Wettbewerbsbezug) verletzt wird, die dem Interesse der Wettbewerber oder der Verbraucher gerade in ihrer Eigenschaft als Marktteilnehmer31 dient32. Im Falle der individuell verbraucherschützenden zwingenden Informationspflichten des Vertragsrechts ergibt sich ohne weiteres, daß diese den Interessen der Verbraucher gerade in ihrer Eigenschaft als Marktteil26 S. noch die Nachweise in den folgenden Fußnoten; vgl. für umfassende Nachweise auf einen Blick auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 11. 170 ff.; Harte/Henning-v. Jagow, § 4, Rz. 81 ff. 27 So zutreffend Alexander, S. 229 f. mwN gegen die entsprechende Prüfung der Rechtsprechung, wie sie grundlegend (und im Ergebnis dort allein als dogmatisches Konstrukt zur Ausgrenzung von Bagatellfällen, s. u. Fn. 34) sich aber nur in BGH GRUR 1989, 669, 671 – Zahl nach Wahl (sowie leerformelartig auch in den weiter genannten Urteilen, u. Fn. 28) findet, während im übrigen schwerpunktmäßig ohnedies stets der Aspekt einer sittenwidrigen „Ausnutzung der Rechtsunkenntnis“ ganz im Mittelpunkt stand (vgl. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 11.170 und 2.21 ff. mit erschöpfenden Rechtsprechungsnachweisen und der Verankerung dieses Aspekts in § 4 Nr. 2 des neuen UWG), s. dazu auch noch unten D. 28 S. nur (betreffend Verstöße gegen die Belehrungspflicht nach dem damaligen Haustürwiderrufs-Gesetz) die gänzlich kursorische, leerformelartige Prüfung in BGH GRUR 1995, 68, 70 – Schlüssel-Funddienst; entsprechend auch die apodiktische Feststellung in BGH GRUR 2002, 1085, 1088 (schon nach der entsprechenden Wende bezüglich des Rechtsbruchtatbestands allgemein). Schwerpunktmäßig wurde in den genannten Entscheidungen, ebenso wie (sogar ausschließlich) in BGH GRUR 1986, 816, 818 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf, der Wettbewerbsverstoß ohnedies stets über ein sittenwidriges „Ausnutzen der Rechtsunkenntnis“ begründet (s. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, aaO. mwN). Vgl. dazu auch noch unten D. 29 S. zur Methodik der Rechtsfortbildung in Fallgruppen im deutschen Richterrecht und mit der Feststellung, daß es häufig statt eines sauberen Fallvergleichs und genauer Bestimmung der normativen Reichweite der Präjudizien zu einer Tendenz zur regelrechten „Subsumtion“ unter die abstrakt gefaßten Leitsätze kommt Ohly, S. 285 ff. 30 S. näher die diesbezügliche eindrucksvolle Argumentation bei Alexander, S. 229 f. mwN, noch auf Grundlage der älteren Rechtsprechung. 31 So zutreffend Harte/Henning-v. Jagow, § 4 Nr. 11, Rz. 43, in zutreffender Abgrenzung von verbraucherschützenden Normen, die den Verbraucher nicht gerade in seiner Eigenschaft als Marktteilnehmer betreffen. 32 S. schon zum neuen Recht auch OLG Hamm, GRUR-RR 2005, 285 f. – Internet-Widerrufsbelehrung.
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nehmer dienen33. Bei den zudem vereinzelt ins Vertragsrecht verirrten allein institutionell marktbezogenen Pflichten in einzelnen Bereichen (insbesondere die vorbeschriebenen einzelnen Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr) handelt es sich um Marktverhaltensregelungen, die durch die Verfolgung bestimmter institutioneller Interessen (Wettbewerbstransparenz im Binnenmarkt, Förderung von Selbstregulierungsmechanismen) in institutionell gebundener Weise dem Interesse der Marktteilnehmer dienen, auch sie kommen also für § 4 Nr. 11 UWG in Betracht. Sämtliche Informationspflichten des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes betreffen auch das Marktverhalten der Unternehmen im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG (nicht die Voraussetzungen des Marktzutritts), bezüglich dessen sie einen (zwingenden) Pflichtenrahmen gleicher Bedingungen für alle Unternehmer etablieren. Insofern kommen sämtliche Informationspflichten des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes als gesetzliche Vorschriften mit Marktverhaltensbezug im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG in Betracht. Ein zutreffender Kern steckte allerdings im – demnach nunmehr entbehrlichen – Vorsprungskriterium der älteren Rechtsprechung insofern, als aufgrund der Voraussetzung einer planmäßigen Vorsprungserzielungsabsicht einmalig minimale Verbraucherrechtsverstöße ohne jegliche Tendenz zur gleichartigmassenhaften Ausdehnung ausgeschieden werden konnten 34. Das insoweit in der Voraussetzung bewußten, planmäßigen Vorgehens mitschwingende subjektive Element (Absicht der Vorsprungserzielung), zielte allerdings wiederum am eigentlichen Problem, wettbewerbsrechtlich irrelevante Verstöße von wettbewerbsrechtlich relevanten Fällen mit marktbezogener Außenwirkung abzugrenzen, vorbei; nunmehr dürften derartige – angesichts der weitgehenden Automatisierung der Marketing- und Vertriebsabläufe sicher seltenen 35 – Fälle minimaler Einzelverstöße ohne Tendenz zur gleichartigen Ausdehnung über die Bagatellklausel des § 3 UWG zu lösen sein 36. Stellt sich demnach die Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten grundsätzlich als wettbewerbswidrig i.S.d. § 4 Nr. 11, § 3 UWG dar, ohne daß die Vorschriften des Unterlassungsklagegesetzes insoweit eine abschließende Regelung statuierten, die das wettbewerbsrechtliche Sanktionsinstrumentarium verdrängt, so ist doch noch ein Zusatzproblem insofern zu lösen, als eine 33
Zutreffend Alexander, S. 229 f. mwN. So BGH GRUR 1989, 669, 671 – Zahl nach Wahl. Ein Bedarf, ganz minimalen Einzelfällen bloßer „Untererfüllung“ der Belehrungspflichten – wie sie angesichts der reichen Verwendung dieses Mittels im europäischen und in der Folge im deutschen Verbraucherschutzrecht zukünftig noch weitaus häufiger werden dürften – das Verdikt der Sittenwidrigkeit zu ersparen, besteht sicher auch für die Zukunft. Zutreffend dürften derartige Fälle nunmehr über die Bagatellklausel des § 3 UWG zu lösen sein, s. auch noch sogleich unten B II. 35 Ein denkbares Beispiel bietet ein Verstoß eines Unternehmens, daß im Rahmen eines ungewöhnlichen Vertragsabwicklungsverlaufs, der nicht automatisiert ablief und daher von einem Mitarbeiter sozusagen „händisch“ abgewickelt wurde, eine der Informationspflichten minimal „untererfüllt“ hat, weil etwa eine besondere Hervorhebung nicht den diesbezüglichen gesetzlichen Voraussetzungen entsprach. 36 Wie hier Harte/Henning-von Jagow, § 4 Nr. 11, Rz. 83. 34
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Vielzahl der neueren Informationspflichten sich auf das Verhalten der Unternehmer nach Vertragsschluß richtet. Insofern könnte aber zweifelhaft sein, ob es sich bei der Nichterfüllung dieser Pflichten nach Vertragsschluß überhaupt noch um Wettbewerbshandlungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG handelt. Die Problematik ist innerlich verbunden mit der (allgemeineren) Frage, ob und inwieweit eine Durchsetzung verbraucherschutzrechtlicher Vorschriften mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts auch noch nach Vertragsschluß erfolgen kann, ob und inwieweit demnach in derartigen Situationen einzelne Mitbewerber auch in die bereits entstandenen individuellen Vertragsbeziehungen eingreifen können. Darauf ist für den hier behandelten Komplex heteronomer Rezeption verbraucherschutzrechtlicher Informationspflichten – die sich dem Kontinuum europäischen Verbraucherschutzrechts wie auch den faktischen Gegebenheiten insbesondere des Fernabsatzes entsprechend, mittlerweile zumal in diesem Vertriebsfeld sogar typischerweise auf Situationen nach Vertragsschluß beziehen (s. nur die Informationspflichten bei Lieferung, gem. § 312c Abs. 2 BGB) – an dieser Stelle etwas näher einzugehen, wobei sich die zugrundeliegende Argumentation verallgemeinern läßt und noch unten (4. Kap. 5. Abschn. B) wieder aufgegriffen und vertieft werden wird.
B. Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf vertragsbezogene unternehmerische Handlungen, insbesondere die Verletzung verbraucherschützender (Informations-)pflichten I. Nochmals: Vertragsschluß als entscheidende Zäsur bezüglich des Vorliegens einer Wettbewerbshandlung de lege lata? 1. Die bisher vertretenen Ansichten Mit Blick auf die Nichterfüllung von verbraucherschutzrechtlichen Informationspflichten nach Vertragsschluß stellt sich de lege lata zuerst die Frage, inwieweit es sich bei derartigem Fehlverhalten eines Unternehmers überhaupt noch um Wettbewerbshandlungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG handelt 37. Drei Auffassungen lassen sich (zum alten Recht) insoweit unterscheiden, wobei die von der Rechtsprechung allgemein entwickelten Kriterien gerade auch im Zusammenhang mit dem hier betrachteten spezifischen Bereich der Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten noch in der Widerrufsbelehrung bei TeilzahlungskaufEntscheidung38 des BGH Anwendung gefunden haben. 37 S. zu den aufgrund der anstehenden Umsetzung der Lauterkeits-RL insoweit zu erwartenden Veränderungen de lege ferenda noch sogleich unten B IV. 38 BGH GRUR 1986, 816, 819 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf, insoweit bezüglich der Frage, ob die Behauptung, die Widerrufsfrist sei verstrichen, im Rahmen der Durchsetzung von Teilzahlungskaufverträgen, bei denen nicht hinreichend über das Widerrufsrecht be-
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Der BGH geht im Grundsatz davon aus, daß ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs in Fällen vertragsbezogener Handlung nach Vertragsschluß grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt 39; dieser Grundsatz gestatte aber Ausnahmen insbesondere dann, wenn sich das Handeln des Unternehmers auf den Erhalt40 oder eine Erweiterung41 der Vertragsverhältnisse mit dem bestehenden Kundenstamm richte oder wenn es sich als planmäßig bewußter Wettbewerbsverstoß darstelle, der dem gesamten Verhalten nach die Kundentäuschung zum Mittel des Wettbewerbs macht42. Dabei ist die Beurteilung von Maßnahmen zur Erweiterung oder zum Erhalt des Kundenstamms insofern unstrittig, als durch derartige Handlungen Kunden den Wettbewerbern potentiell entzogen werden können, so daß eine Wettbewerbshandlung vergleichsweise unproblematisch vorliegt43. Problematisch sind allein diejenigen Sachverhalte, in denen eine unternehmerische Handlung lediglich der inhaltlichen Umgestaltung der in ihrem Bestand unberührten Vertragsverhältnisse oder gar nur deren Durchsetzung oder Erfüllung dient. lehrt worden war, so daß die Frist nach zutreffender Rechtsauffassung noch nicht abgelaufen war, ihrerseits eine Wettbewerbshandlung darstelle. 39 S. auch grundlegend BGH GRUR 1983, 451 f. m. Anm. Abels – Ausschank unter Eichstrich für vertragswidrige Schlechterfüllung; anders aber bei gezielter planmäßiger Vorgehensweise, in deren Rahmen der Unternehmer von vornherein nicht gewillt ist, sich an seine Ankündigungen zu halten und so die Kundentäuschung zum Mittel seines Wettbewerbs macht BGH GRUR 1986, 180, 181 – Ausschank unter Eichstrich II; betreffend letztgenannte Entscheidung weist Alexander, S. 178 ff., nicht zu Unrecht darauf hin, daß es in einer derartigen Situation von vornherein planmäßiger Täuschung genaugenommen gar nicht um die wettbewerbsrechtliche Beurteilung eines Verhaltens nach Vertragsschluß geht, da bei bewußtem planmäßigen Vorgehen schon das Verhalten im Zeitpunkt der Ankündigung vor der Bestellung des Gastes wettbewerbsrechtliche Relevanz insofern aufweist, als über die Erfüllungsbereitschaft getäuscht wird. Das Kriterium eines von vornherein planmäßigen, einheitlich auf Täuschung angelegten Gesamtkonzepts spielt in der Rechtsprechung insgesamt die entscheidende Rolle als Voraussetzung des Vorliegens einer Wettbewerbshandlung nach Vertragsschluß, s. insbesondere noch unten 4. Kap. 5. Abschn. B zum von der Rechtsprechung entwickelten wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverbot, daß in der Tat mit der Anknüpfung an die Durchsetzung bestimmter unlauter angebahnter und abgeschlossener Verträge an ein Verhalten nach Vertragsschluß anknüpft. 40 S. BGH GRUR 1970, 465, 467 – Prämixe. 41 S. BGH GRUR 1990, 609, 610 f. – Monatlicher Ratenzuschlag. Dieser Aspekt spielte – neben anderen, eigenständigen Überlegungen – auch bei der Bejahung einer Wettbewerbsabsicht in BGH GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft eine Rolle. 42 So spezifisch für den hier betrachteten Bereich BGH GRUR 1986, 816, 819 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf; vgl. zu dieser (bezüglich der Problematik der Anwendbarkeit des UWG auf Situationen nach Vertragsschluß verallgemeinerbaren) Konzeption des BGH im übrigen auch die Nachweise o. Fn. 39 sowie (zum wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverbot) noch unten 4. Kap. 5. Abschn. B. Dem Ansatz des BGH folgt die herrschende Meinung in der Literatur, s. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 2, Rz. 53 ff. mwN. Anders im übrigen noch BGH GRUR 1977, 498, 500 – Aussteuer-Sortimente. Vgl. aber auch die „merkwürdige“ (und argumentativ „befremdlich“ andersgelagerte [mit diesen Formulierungen Schünemann, WRP 2003, 16]) Entscheidung des BGH WRP 2003, 76 – Ersetzung unwirksamer Versicherungsbedingungen und dazu näher sogleich unten 2. 43 Insoweit auch vollkommen unumstritten in der Literatur, s. statt aller Hefermehl/Köhler/ Bornkamm-Köhler, § 2, Rz. 53 mwN.
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Für diese eigentlich problematischen Fälle will Sack44 den Abgrenzungszeitpunkt des Vertragsschlusses sogar kategorisch ausnahmslos verstehen. Mangels eines Wettbewerbsverhältnisses könne es nicht einmal in den vom BGH eingeräumten Ausnahmefällen – eines bewußt planmäßigen, einheitlichen Vorgehens, das die Täuschung zum Mittel des Wettbewerbs mache – zu einer Anwendung des UWG auf Verhaltensweisen nach Vertragsschluß kommen45. Vielmehr sei – unter Aufgabe der Kriterien der Planmäßigkeit und des Gesamtverhaltens – allein an das wettbewerbswidrige Verhalten vor Vertragsschluß anzuknüpfen46, welches noch nach Vertragsschluß Beseitigungsansprüche nach dem UWG auslösen könne, die sich dann aber allein auf die Beseitigung der vor Vertragsschluß ausgelösten Störung – und mithin auf die Nachholung einer korrekten Belehrung der Kunden richteten47. Der strengeren Auffassung von Sack steht schließlich die Auffassung von Schünemann gegenüber, der – im größeren Rahmen seiner (mindestens teilweise berechtigten) grundlegenden Kritik an dem zu sehr den Parallelprozeß in den Mittelpunkt rückenden Kriterium des konkreten Wettbewerbsverhältnisses in der Rechtsprechung zum alten UWG48 – letztlich allein inhaltlich-ökonomisch auf den Marktbezug des Verhaltens abstellt und damit zwar (weil das Handeln im Rahmen individueller Vertragsbeziehungen in der Regel keinen Marktbezug
44
Sack, BB 1987, 1048, 1050 ff. Dem folgend wohl auch Alexander, S. 230 f. und (deutlicher) S. 251 ff. 46 Soweit Sack, BB 1987, 1048, 1052 ff., bezüglich der Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten (insbesondere auch des Unterlassens einer Widerrufsbelehrung, s. insoweit S. 1053 f.) die Wettbewerbswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt der Irreführung begründen will, erscheint dies insofern unzutreffend, als die irreführende Angabe insoweit kaum geeignet wäre, die Verbraucherentscheidung zugunsten eines Vertragsschlusses zu verzerren. Der Rückgriff auf eine autonome wettbewerbsrechtliche Wertung – wie er angesichts der noch lückenhaften Informationspflichten des Abzahlungsgesetzes und insbesondere angesichts deren Qualifikation als wertneutrale Vorschriften noch als Hilfskonstruktion sich anbieten konnte – ist mittlerweile (nach der Rechtsprechungswende und der klaren Formulierung des neuen UWG bezüglich des Rechtsbruchs durch Verletzung marktverhaltensbezogener Regeln und insbesondere nach der reichen Flankierung der neueren Widerrufsrechte mit zugehörigen Informationspflichten im BGB) auch unter keinem Aspekt mehr notwendig. Vielmehr ist der alleinige Weg über den Rechtsbruchtatbestand, der die Vorrangigkeit der vertragsrechtlichen Wertung akzeptiert, vorzuziehen. S. auch noch unten D zur Frage der Berechtigung einer eigenständigen Fallgruppe des Ausnutzens von Rechtsunkenntnis im UWG. 47 S. Sack, BB 1987, 1048, 1051 f.; vgl. allgemein zum wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch, der von der Rechtsprechung bisher (angesichts des im Vergleich zur Terminologie des § 1004 BGB fehlenden ausdrücklichen Verweises auf den Beseitigungsanspruch im alten UWG) direkt den wettbewerbsrechtlichen Verbotsnormen entnommen bzw. unter einen im weiten Sinne verstandenen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch subsumiert werden mußte (s. etwa BGH GRUR 1958, 30, 31 – Außenleuchte; BGH GRUR 1977, 614, 616 – Gebäudefassade), sich aber nunmehr (ohne daß damit eine inhaltliche Änderung der bisherigen Rechtslage verbunden wäre, s. insoweit statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 8, Rz. 1.70 mwN) auch in § 8 UWG ausdrücklich geregelt findet, zuletzt ausführlich Gommlich, Die Beseitigungsansprüche im UWG, 2001. 48 S. ausführlich GroßKomm-Schünemann, Einl, Rz. D 202 ff. 45
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mehr aufweist49) zumeist zu denselben Ergebnissen gelangen dürfte wie der BGH, jedoch in bestimmten Situationen – insbesondere in Fällen massenhaften Handelns zur bloßen Umwandlung (Präzisierung oder inhaltlichen Veränderung) der Vertragsbeziehungen zu bestehenden Kundenstämmen nach Vertragsschluß – wohl zu einer weiterreichenden Anwendbarkeit des UWG gelangen würde50.
2. Stellungnahme und eigene Auffassung: Notwendigkeit einer inhaltlich-wertenden Abgrenzung Nach der hier vertretenen Auffassung hat der Vertragsschluß hinsichtlich der Frage nach dem Vorliegen einer Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG lediglich noch indizielle Bedeutung im Sinne eines ausnahmefähigen Grundsatzes, was im wesentlichen der Haltung der neueren Rechtsprechung51 und auch der Theorie Schünemanns entspricht52, jedoch hinsichtlich der Interpretation des Begriffs der „Wettbewerbshandlung“ durch endgültige Loslösung von einem scheinsubjektiven Kriterium planmäßigen Gesamtverhaltens noch über diese hinausgeht53. Gegenüber der Rechtsprechung ist der Kritik Sacks nämlich zuzugestehen, daß die Kriterien der Planmäßigkeit und des Gesamtverhaltens den eigentlichen (mehr objektiven) Kern der Problematik verfehlen 54. Es 49 S. zutreffend statt aller Bauer, Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs, S. 34 ff.; zu weitgehend Alexander, S. 57 f. 50 S. insbesondere Schünemann, WRP 2003, 16, 17 gegen BGH WRP 2003, 76 f. – Ersetzung unwirksamer Versicherungsbedingungen; vgl. dazu auch noch näher unten im Text. Vgl. für den hier spezifisch betrachteten Bereich im übrigen ähnlich wie hier Harte/Henning-Keller, § 2, Rz. 23. Noch weitergehend Körner, GRUR 1996, 618, 620 ff.: jegliches Herbeiführen, Verfestigen oder auch nur Aufrechterhalten eines durch eine wettbewerbswidrige Handlung erlangten, rechtlich zu mißbilligenden wettbewerblichen Vorsprungs im Rahmen der sich anschließenden Folge- oder Vollzugshandlungen sei seinerseits wettbewerbswidrig; ähnlich (wenn auch weniger weitgehend) im übrigen schon OLG Frankfurt, GRUR 1978, 720, 722 – Folgeverträge bezüglich der Verfestigung und Vertiefung durch Durchsetzung von Verträgen, die aufgrund kraß wettbewerbswidrigen oder betrügerischen Verhaltens zustandegekommen sind; ebenso Walchner, S. 218. S. zur Problematik der Folgeverträge und wettbewerbsrechtlicher Durchführungsverbote insgesamt unten 4. Kap. 5. Abschn. B. 51 S. an dieser Stelle nur BGH GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft, sowie noch weitergehend OLG Frankfurt, GRUR 2002, 727, 728 f. – Kerosinzuschlag. 52 Vgl. auch noch unten 4. Kap. 5. Abschn. B mwN zu den von der Rechtsprechung entwikkelten wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten, die sich gerade ebenfalls auf Grundlage des hier spezifisch für den Rechtsbruch entwickelten inhaltlich-normativen Abgrenzungsmodells zwischen Wettbewerbs- und Vertragsrecht erklären läßt. 53 Wie hier zuletzt im Ansatz auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 135 ff., der auf das Kriterium des Marktbezugs sogar von vornherein gänzlich verzichten will und (im Ausgangspunkt ähnlich wie hier) zu einer vollumfänglichen Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts nach Vertragsschluß gelangt. 54 Zu Recht weist Sack (zuletzt GRUR 2004, 625, 633) nämlich darauf hin, daß rein terminologisch die Voraussetzung eines Gesamtkonzepts letztlich keine effektive Qualifikation darstellt, da die Durchsetzung unlauter zu Stande gebrachter Verträge ja naturgemäß Ziel jeglicher Werbung sei, die selbstverständlich immer auch auf die sich anschließende Vertragserfüllung
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
ist sicher auch im Ergebnis zutreffend, wie dies Sack ebenfalls hervorhebt, daß der wettbewerbsrechtliche Anspruch im Falle verletzter Informationspflichten nach Vertragsschluß sich im Ergebnis nur auf die (nachträgliche) korrekte Information der nicht oder nur fehlerhaft belehrten Kunden und damit die Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands (nicht etwa auf ein umfassendes Unterlassungsgebot) richten sollte55. Doch läßt sich eben dieses zutreffende Ergebnis – welches sich bezüglich Belehrungspflichten bei Vertragsschluß, wie jenen nach dem damaligen Abzahlungsgesetz, auf dem von Sack gewählten Weg konstruktiv zutreffend begründen ließ – doch auf Grundlage seines kategorischen Ansatzes nach jetziger Rechtslage gar nicht mehr für alle verbraucherschützenden Informationspflichten über den Beseitigungsanspruch erreichen. Denn insbesondere die wesentlichsten – zumal auch die das Widerrufsrecht im einzelnen flankierenden – Informationspflichten im Fernabsatz sind – den faktischen Verhältnissen dieser Vertriebsform56 durchaus entsprechend – erst im Zeitpunkt der Lieferung zu erfüllen, s. § 312c Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 BGB-InfoV. Damit scheitert aber der von Sack gewählte – für die Belehrungspflichten nach dem damaligen Haustürwiderrufs- und dem Abzahlungsgesetz (wie sie sich nunmehr in § 312 BGB, § 495 Abs. 2 BGB wiederfinden) ja durchaus tragfähige – konstruktive Weg über den an ein Verhalten im Parallelwettbewerb vor Vertragsschluß anknüpfenden Beseitigungsanspruch, um das von ihm umrissene zutreffende Ergebnis einer reinen „Hilfsrolle“ des Lauterkeitsrechts in der vertragsrechtlichen Domäne zu erzielen. Letztlich widerspiegelt die demnach zu konstatierende „Durchlöcherung“ der These vom Vertragsschluß als grundsätzlich undurchdringlicher Zäsur lediglich den Wandel in der Prinzipienebene des deutschen Vertragsrechts, welches – in Rezeption europäischer Entwicklungen – eben nunmehr auch für den Zeitraum nach Vertragsschluß Pflichten enthält, die nicht allein in der Regelung der individuellen Vertragsbeziehung sich erund Vertragsabwicklung im Verhältnis zu den umworbenen Kunden ziele. Vgl. auch das entsprechende Zugeständnis in BGHZ 147, 286, GRUR 2001, 1178, 1180 – Gewinn-Zertifikat, wo es im Ausgangspunkt heißt, daß die Abwicklung der unlauter zustande gebrachten Verträge natürlich Teil des Gesamtplans gewesen sei, daß aber ein derart „ – durchaus typischer Zusammenhang zwischen wettbewerbwidriger Werbung und Vertragsabwicklung … grundsätzlich nicht“ genüge, „um auch der Vertragsabwicklung den Stempel der Wettbewerbswidrigkeit aufzudrücken“. Im Vergleich dieses „Normalfalls“ zur spezifischen Rechtsprechung zu wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten wird das Kriterium in der Folge vom BGH dahingehend konkretisiert, daß sich der Gesamtplan darauf richten müsse, die Betroffenen durch ein getarntes Angebot, über dessen Annahme sie sich gar nicht klar seien, sozusagen in eine „Vertragsfalle“ zu locken und sie dann an dem scheinbar geschlossenen Vertrag festzuhalten. Vgl. näher zur Rechtsprechung zum wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverbot noch unten 4. Kap. 5. Abschn. B. 55 Sack, BB 1987, 1048, 1050 f. 56 Die sich insbesondere im elektronischen Geschäftsverkehr dadurch auszeichnet, daß es zu einer nennenswerten Individualisierung des Kontakts zwischen den Vertragspartnern nicht schon zum Zeitpunkt des massenhaft-anonym abgewickelten Vertragsschlusses, sondern allenfalls erst im nachgelagerten Zeitpunkt der Lieferung kommt, vgl. (in etwas anderem Zusammenhang) auch oben 1.Kap. 1. Abschn. D IV 4 c.
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schöpfen, sondern die vielmehr (mindestens auch) auf die Regelung des Marktverhaltens im Sinne auf den massenhaften Verkehr ausgerichteter allgemeiner Verkehrssicherungspflichten zielen57. Folglich ist dann aber auch eine kategorische Anknüpfung wettbewerbsrechtlicher Verbote allein an den Parallelwettbewerb im Vorfeld des Vertragsschlusses insgesamt nicht mehr geboten58. Vielmehr sollte der von Sack zutreffend herausgearbeitete Aspekt, daß das Wettbewerbsrecht – bei grundsätzlichem Vorrang der Abwicklung in der vertraglichen Beziehung – lediglich im Rahmen von Vertragsbeziehungen bestehende – über den natürlichen Antagonismus der Vertragsparteien hinausreichende – marktrelevante Störungszustände beseitigen bzw. deren Ausnutzung verhindern sollte, im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Die Abgrenzung kann folglich nicht kategorisch anhand einzelner Zeitpunkte erfolgen, sondern muß vielmehr inhaltlich wertend vorgenommen werden 59. Dieser Ansatz ist über den Bereich der Verletzung vertragsrechtlicher Informationspflichten des Verbraucherschutzrechts hinaus 60 verallgemeinerbar. Allein entscheidend ist nach der hier vertretenen Auffassung für das Vorliegen einer Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG zu prüfen, inwieweit das unternehmerische Verhalten nach Vertragsschluß eine marktbezogene Außenwirkung aufweist61. Unproblematisch zu bejahen ist dies in der Tat, wenn die Maßnahme – etwa durch massenhaft-gleichartige 62 unrichtige Wiedergabe höchstrichterlicher Rechtsprechung bezüglich des Bestehens einer Kündigungsmöglichkeit63 – unmittelbar sich auf die Erhaltung oder gar auf eine Erweiterung des Kundenstamms 64 durch aktive Täuschung richtet65. An dieser Stelle sind zudem auch Verstöße gegen sämtliche derjenigen vertriebsspezifischen Informationspflichten, die der Sicherung allfälli-
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S. grundlegend oben 1. Kap. 3. Abschn. C III. Zutreffend zuletzt auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 146 ff. 59 Ähnlich im Ansatz der Kritik an der herrschenden Meinung Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 144 ff. 60 S. zu diesem spezifischen Fall, in dem das Verbrauchervertragsrecht seinerseits bereits typisiert marktverhaltensbezogene Regelungen auch für die Zeit nach Vertragsschluß vorgibt, aber noch sogleich unten II 2. 61 Sogar gänzlich für den Verzicht auf jeglichen Marktbezug Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 148 ff. 62 Dieser Aspekt – der das Kriterium subjektiver Planmäßigkeit durch eine rein objektive marktbezogene Anknüpfung ersetzt – ist nunmehr zum Teil auch nachgelagert unter § 3 UWG im Rahmen der Bagatellklausel zu erfassen, s. näher noch sogleich unten II. 63 So letzthin im Sachverhalt, der der Entscheidung des OLG Köln, VersR 1999, 985, GRUR 1999, 376 (Leitsätze) zugrundelag. 64 S. insbesondere die Situationen, in denen eine Abwicklungshandlung ihrerseits Werbewirkung entfaltet, BGH GRUR 1990, 609, 610 f. – Monatlicher Ratenzuschlag; dieser Aspekt spielte – neben anderen, eigenständigen Überlegungen – auch bei der Bejahung einer Wettbewerbsabsicht in BGH GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft eine Rolle. 65 Vgl. allgemein für die Rechtsprechung des BGH zum alten UWG, GRUR 1970, 465, 467 – Prämixe; GRUR 1992, 450, 452 – Beitragsrechnung. Insoweit auch vollkommen unumstritten in der Literatur, s. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 2, Rz. 53 mwN. 58
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ger Widerrufsrechte dienen, – gleichgültig ob sie bewußt und planmäßig erfolgen66 – zunächst einmal zweifelsfrei mit erfaßt67. Bereits problematischer und umstritten sind die Fälle, in denen – wie in der BGH-Entscheidung Ersetzung unwirksamer Versicherungsbedingungen68 – ein Vertragsverhältnis unter massenhaft-gleichartiger Täuschung der Kunden über die insoweit bestehenden rechtlichen Spielräume durch den Unternehmer lediglich inhaltlich umgestaltet wird69. Der BGH verneinte in diesem Fall zum alten Recht unter einseitiger Fokussierung auf den mitbewerberschützenden (Horizontal-)aspekt des wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs70 eine auf Außenwirkung im Markt gerichtete Förderung eigenen oder fremden Wettbewerbs durch derartige Verhaltensweisen im Rahmen bestehender Verträge71. Die Formulierung des neuen § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG scheint mit dem Bezug auf den „Absatz- oder Bezugsförderungszweck“ diese mitbewerberorientierte Rechtsprechung aufzugreifen und zu bestätigen72. Mit Blick auf den gemäß § 1 UWG gleichberechtigt zu berücksichtigenden Verbraucherschutzzweck des UWG erscheint dies aber alles andere als unproblematisch; denn die Veränderung der bestehenden Vertrags66 Insoweit a.A. BGH GRUR 1986, 816, 818 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf. Der letztlich entscheidende Aspekt, individuelle Einzelfälle auszuscheiden und allein massenhaftes (oder für den Massenfall intendiertes) unternehmerisches Verhalten zu erfassen, läßt sich nunmehr systematisch passender aber über die Bagatellklausel des § 3 UWG sozusagen materiellrechtlich auffangen, s. noch unten II. 67 Insoweit durchaus zutreffend schon BGH GRUR 1977, 498, 500 f. – Aussteuer-Sortimente; dagegen aber kritisch Sack, BB 1987, 1048, 1050. Im vorbeschriebenen Sinne differenzierend dann BGH GRUR 1986, 816, 818 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf und auch insoweit (wenn auch weniger) kritisch Sack, aaO., nach dessen Argumentation die neuere Entscheidung sozusagen einen (wenn auch unzureichenden) Schritt in die richtige Richtung darstellte. 68 WRP 2003, 76 f. (Nichtannahmebeschluß des IV. Zivilsenats). 69 In dem dem BGH-Nichtannahmebeschluß (s. o. Fn. 68) zugrundeliegenden Sachverhalt ging es um den Austausch von Versicherungsbedingungen. Die Beklagte hatte, nachdem ihr die Verwendung bestimmter Teile ihrer Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Verbandsklageverfahren untersagt worden war (s. für die entsprechenden Verfahren OLG Stuttgart, VersR 1999, 832; BGH, VersR 2001, 839) mit einem Rundschreiben neue, die kassierten Klauseln ersetzende Bedingungen versandt, wobei im wesentlichen umstritten war, ob und inwieweit eine derartige Änderung ohne Zustimmung der Betroffenen gem. § 172 Abs. 1 S. 1 VVG überhaupt möglich war. Auf diesen versicherungsrechtlichen Aspekt hatten sich auch die Vorinstanzen konzentriert (s. OLG Stuttgart VersR 2001, 1141 mit Anmerkung Lorenz), während erst der BGH ganz den vorgelagerten wettbewerbsrechtlichen Aspekt, d.h., die Frage, inwieweit in einem derartigen Vorgehen im Rahmen bestehender Verträge überhaupt ein Handeln im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs liege, in den alleinigen Mittelpunkt seiner Argumentation stellte. 70 Kritisch zu der beinahe ausschließlich auf die Interessen der Mitbewerber ausgerichteten Argumentation des BGH Schünemann, WRP 2003, 16. 71 WRP 2003, 76, 77. 72 Konsequent verneint auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 2 UWG, Rz. 53 im Anschluß an die genannte BGH-Entscheidung für derartige Fälle das Vorliegen einer Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. A.A. für das neue Recht Harte/Henning-von Jagow, § 2, Rz. 23, der sich für seine Auffassung auch auf die BGH-Urteile GRUR 1970, 465, 467 – Prämixe; GRUR 1992, 450, 452 – Beitragsrechnung beruft, dabei aber übersieht, daß diese BGH-Urteile – anders als der Beschluß, WRP 2003, 76 – Sachverhalte betrafen, in denen gerade die Erhaltung des Kundenstamms unmittelbar betroffen war.
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pflichten (im Unterschied zu einer bloßen Erfüllung bzw. Durchsetzung derartiger Pflichten73) hat Außenwirkung mit Bezug auf die Verbraucher gerade in ihrer Eigenschaft als Marktteilnehmer insofern, als das im Konditionenwettbewerb gewählte Leistungspaket in seiner exakten Ausgestaltung verändert wird. In einer derartigen Situation die Anwendbarkeit der §§ 3, 4 Nr. 2 UWG unter streng am Wortlaut orientierter Auslegung des Begriffs der Wettbewerbshandlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG von vornherein auszuschließen, erscheint nur schwerlich mit dem Gebot teleologischer Auslegung anhand des bestimmenden Maßstabs der Schutzzwecktrias des § 1 UWG – auch schon bezüglich der Anwendungsvoraussetzungen des Wettbewerbsrechts74 – vereinbar75. Noch wesentlicher ist, daß die grundsätzliche Anerkennung des Verbraucherschutzzwecks als Interpretationsgrundlage nach der hier vertretenen Auffassung dazu führen muß, daß auch rein durchführungsbezogene unternehmerische Handlungen (wie Erfüllung und Anspruchsverfolgung) potentiell über die bisher anerkannten Fälle hinaus eine Marktaußenwirkung entwickeln können. Zwar ist der Marktbezug, soweit es um eine rein individuelle Durchführung eines Vertragsverhältnisses auf Grundlage (und in Erfüllung bzw. Durchsetzung) der bereits entstandenen Vertragspflichten geht, ohne daß die bestehenden Vertragsbeziehungen überhaupt umgestaltet werden, grundsätzlich zu verneinen76. Denn dann liegt in der Regel eine allein durch das Individualvertragsrecht bestimmte Handlung vor, die die Mitbewerber ohnedies von vornherein nicht und den Kunden zumindest nicht 73 Insoweit ja absolut zutreffend der BGH, WRP 2003, 76, 77, und auch schon Sack, BB 1987, 1048, 1049 f. Vgl. mit dieser im Ansatz zutreffenden Differenzierung auch Hefermehl/Köhler/ Bornkamm-Köhler, § 2, Rz. 53. Um die Abgrenzung einer rein auf die individuelle Durchsetzung bzw. Anspruchsabwehr bezogenen Handlung ohne Marktbezug an einem Beispiel zu verdeutlichen, sei ein Fall aus der eigenen Erfahrung des Autors im Verhältnis zu einer Kraftfahrzeugversicherung genannt: Auf die (dem Grunde nach unstreitig berechtigte) Forderung nach Schadensersatz in Höhe der Reparaturkosten für einen Totalschaden (wobei die Kosten für die Reparatur den Zeitwert des Fahrzeugs nur geringfügig, d.h. deutlich unterhalb der diesbezüglichen Kappungsgrenze von 10 % überstiegen) teilte die Versicherung formularmäßig (und damit offenbar systematisch) im eklatanten Gegensatz zur diesbezüglichen ständigen BGH-Rechtsprechung (dafür aber unter Berufung auf ein vereinzeltes Amtsgerichtsurteil) mit, es sei nach der geltenden Rechtslage – wenn die Reparaturkosten den Zeitwert des Fahrzeugs überstiegen – stets nur der geringere Zeitwert zu ersetzen. Ein solches Verhalten stellt eine bewußte Täuschung über die Rechtslage dar, ist aber – selbst wenn es systematisch erfolgt – nicht marktrelevant, da es allein um den Streit um Ansprüche aus dem bestehenden – und auch nicht zu verändernden – Versicherungsvertrag geht. Eine Wettbewerbshandlung liegt also in diesem Fall in der Tat nicht vor. 74 S. für den hier diskutierten Fall Schünemann, WRP 2003, 16. Vgl. allgemein prägend für diesen Gedanken Beater, § 11, Rz. 27 (S. 307); GroßKomm-Schünemann, Einl Rz. D 234 ff. S. für das neue UWG auch der ausdrückliche Hinweis bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 4, demzufolge die Schutzzweckbestimmung des § 1 UWG als Interpretationsmaßstab nicht nur für einzelne, sondern für sämtliche Bestimmungen des UWG gilt. 75 Vgl. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, aaO., zum besonderen Rang, den die ausdrückliche Schutzzweckbestimmung im Verhältnis zu den anderen Auslegungskriterien (Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und besondere Normzwecke) einnimmt. Vgl. allgemein auch Larenz, Methodenlehre, S. 343 ff. 76 S. an dieser Stelle nur für die bisher ganz herrschende Meinung Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 2, Rz. 53 f.; insoweit gleicher Auffassung auch Schünemann, WRP 2003, 16 f.
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in seiner Eigenschaft als Marktteilnehmer, sondern nurmehr innerhalb einer individuellen Relation – die sozusagen ohnedies eine künstliche Wettbewerbsbeschränkung bildet – betrifft77. In derartigen Fällen kommt – wie auch noch unten (4. Kap. 5. Abschn. B) näher ausgeführt wird – eine ergänzende Heranziehung des Wettbewerbsrechts auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung – die insoweit das in dieser Studie grundlagenorientiert entwickelte ordnungspolitische Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung spiegelt – aber wiederum in sämtlichen Sachverhaltsgestaltungen in Betracht, in denen eklatant systemwidrige faktische Durchsetzungslücken des Individualvertragsrechts bestehen, die durch den Unternehmer in gleichartig-massenhafter Weise geschaffen oder genutzt werden; denn dann liegt der Marktbezug der Handlung gerade in der wettbewerblichen Nutzung oder gar der gezielten Schaffung einer strukturellen Durchsetzungslücke im Vertragsrecht und betrifft den Kunden dadurch auch in seiner Eigenschaft als Marktteilnehmer78. Die an dieser Stelle sich andeutende Problematik, eine sinnvolle Begrenzung der auf Grundlage wettbewerbsrechtlicher Ansprüche letztlich geschaffenen Eingriffsmöglichkeiten Dritter in das einmal etablierte Vertragsverhältnis nur dort zu finden, wo ein derartiger Eingriff tatsächlich nötig ist, um die Aufrechterhaltung freien, unverzerrten Wettbewerbs zu garantieren, betrifft aber genaugenommen nicht allein die reinen Durchführungshandlungen, sondern, wie dies aus ordnungspolitischer Sicht bereits oben (A III) herausgearbeitet wurde, sämtliche der unter dem Stichwort vertragsbezogenen Handelns im Wettbewerbsrecht diskutierten Gestaltungen. Letztlich liegt in der inhaltlich-wertenden – nicht in der tatbestandlichen – Klärung des Verhältnisses der wettbewerbsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten Dritter zum Individualvertrag der Parteien und dessen vertragsrechtlicher Regelung für diesen gesamten Bereich (und damit auch für die zuerst genannten Fallgestaltungen des Erhalts oder der Veränderung vertraglicher Bindung79) des Pudels (eigentlicher) Kern80. 77 Bildhaft gesprochen liegt der Unterschied zu den Konstellationen der Veränderung des Kundenstamms des Ausmaßes der vertraglichen Verpflichtung oder ihrer inhaltlichen Änderung darin, daß sich das rein durchführungsbezogene Handeln innerhalb der Sphäre des Vertrags (als natürlicher Wettbewerbsbeschränkung zur Ermöglichung des Wettbewerbs) bewegt, während in den erstgenannten Fallgruppen das unternehmerische Verhalten der Umdefinition dieser wettbewerbsfreien Sphäre dient und daher bereits Marktrelevanz aufweist. 78 S. zu den Folgevertrags-Sachverhalten, in denen der Unternehmer eine Situation herbeiführt, in der die betroffenen Marktteilnehmer die Fehlerhaftigkeit ihrer geschäftlichen Entscheidung gar nicht kennen und insofern auch die entsprechenden Behelfe der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des allgemeinen Schuldrechts von sich aus nicht geltend machen und in denen die deutsche Rechtsprechung zum UWG schon nach jetzigem Stand bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen mit wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten hilft, noch eingehend unten 4. Kap. 5. Abschn. B. 79 Allein, wenn eine vertragsbezogene Maßnahme tatsächlich der Erweiterung des Kundenstamms oder dem Abschluß neuer, weiterer Verträge durch den Vertragspartner dienen soll und insofern eigenständige, von der Vertragsbeziehung vollkommen unabhängige wettbewerbliche Wirkung entfaltet, kommt es auf dieses Abgrenzungsproblem nicht an, s. die Nachweise für derartige Sachverhaltsgestaltungen in o. Fn. 64. 80 Ähnlich zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 148 ff., der daher sogar auf das
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Alles in allem erscheint daher eine teleologisch erweiternde Interpretation des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG geboten, die auch unternehmerisches Handeln zur Umgestaltung und Durchführung vertraglicher Pflichten in den Begriff der Wettbewerbshandlung (wie vorstehend beschrieben) zunächst einmal weitgehend mit einbezieht81, dafür aber konsequenter als bisher bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts auf vertragsbezogene unternehmerische Handlungen den grundsätzlichen Vorrang der Wertungen des Vertragsrechts für die Ausgestaltung des individuellen Vertragsverhältnisses inhaltlich strikt zu berücksichtigen sucht (dazu sogleich in der Folge u. II). Unter diesen Voraussetzungen verbindet sich mit der hier vorgeschlagenen teleologisch erweiternden Interpretation des Begriffs der Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dann auch gegenüber der bisherigen Rechtslage keine wesentliche Mehrbelastung der betroffenen Unternehmer; vielmehr haben sie im Sinne dieser Interpretation hinsichtlich vertragsbezogenen Handelns mit marktbezogener Außenwirkung für die Verbraucher als Marktteilnehmer lediglich diejenigen Ansprüche zu gewärtigen, wie sie für Fälle vertragsbezogenen Handelns mit marktbezogener Außenwirkung für Mitbewerber von jeher anerkannt waren und auch schon insoweit nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung geführt haben82. Gerade die relativ dünn gesäte Rechtsprechung in diesem Bereich belegt, daß eine übermäßige Einschränkung unternehmerischer Freiheit durch Überhandnehmen wettbewerbsrechtlicher Eingriffe Dritter in bestehende Vertragsbeziehungen in dieser konkreten Situation schwerlich droht. Nach alldem erscheint es angemessen, die erweiternde teleologische Interpretation des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG für Fälle der inhaltlichen Umgestaltung vertragsrechtlicher Pflichten sowie für einzelne Durchführungshandlungen mit Marktrelevanz als Konsequenz der gleichberechtigten Anerkennung des Verbraucherschutzes als Schutzzweck schlechterdings hinzunehmen83. Kriterium des Marktbezugs gänzlich verzichten will und im übrigen wegen der unterschiedlichen funktionalen Ausrichtung des vertrags- und des wettbewerbsrechtlichen Systems einen Konflikt beider Bereiche durch die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts nach Vertragsschluß von vornherein nicht sieht (s. aaO., S. 157 ff., sowie auch noch u. Fn. 84). 81 Ähnlich Tiller, aaO., der den von ihm befürworteten gänzlichen Verzicht auf das Kriterium des Marktbezugs (aaO., S. 155 ff.) ebenfalls im Kern teleologisch mit der eigentlichen Funktion des Merkmals – der Abgrenzung vom allgemeinen Deliktsrecht – begründet. 82 S. etwa vergleichsweise weitreichend auch BGH GRUR 2002, 1093, 1094 f. – Kontostandsauskunft und dazu näher und mit umfassenden Rechtsprechungsnachweisen zum Problem vertragsbezogenen Handelns als unlauterer Wettbewerb im übrigen auch noch unten 4. Kap. 5. Abschn. B. 83 Dem läßt sich schließlich auch nicht entgegenhalten, daß die Schutzzweckklausel des § 1 UWG an der bisherigen Rechtslage hinsichtlich der Schutzzwecke nichts geändert habe. Denn dieses Argument ist zwar für sich genommen zutreffend, doch verkürzte eben auch schon nach der – in der Tat insoweit identischen – Rechtslage unter Geltung des alten UWG der vom BGH in der Entscheidung Ersetzung unwirksamer Versicherungsbedingungen (BGH, WRP 2003, 76 f.) gewählte ausschließliche Fokus auf die Außenwirkung bezüglich der Mitbewerber den Geltungsbereich der wettbewerbsrechtlichen Ansprüche mit Blick auf den Verbraucherschutzzweck in unzulässiger Weise. S. zutreffend die kraftvolle Kritik bei Schünemann, WRP 2003, 16 f.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
Die hier vertretene Auffassung über das potentielle Anwendungsfeld wettbewerbsrechtlicher Ansprüche nach Vertragsschluß ist in diesem Zusammenhang also zunächst einmal weiter als der bisherige Ansatz des BGH und der herrschenden Meinung. Insbesondere ist das vermeintlich subjektive Element eines bewußten, planmäßigen Vorgehens – zumindest im Sinne einer Gesamtkonzeption, welche Verhaltensweisen vor und nach Vertragsschluß gewissermaßen verklammert – schlichtweg in allen Fallgruppen verzichtbar. Stattdessen ist methodenehrlich allein auf den Marktbezug des konkreten unternehmerischen Verhaltens abzustellen. In diesem Zusammenhang sind dann – als zweite entscheidende Erweiterung – auch Maßnahmen, deren Marktbezug sich nur aus der Außenwirkung auf die Verbraucher in ihrer Eigenschaft als Marktteilnehmer ergibt, anders als nach der bisher herrschenden Meinung (auch zum alten Recht) mit in den Begriff der Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG einzubeziehen.
II. Die inhaltlich wertungsbezogene Korrektur und die gebotene Abgrenzung gegenüber reinen Einzelfällen nach der Bagatellklausel des § 3 UWG 1. Allgemein Angesichts des damit im Vergleich zur Rechtsprechung und herrschenden Meinung – durch konsequent schutzzweckorientierte ad hoc-Prüfung des Vorliegens einer Wettbewerbshandlung (d.h., einer Handlung mit marktbezogener Außenwirkung, gleich ob vor oder nach Vertragsschluß und gleich für welche Gruppe von Marktteilnehmern) – verbundenen potentiell weitergehenden Eindringens des Wettbewerbsrechts in den Bereich des Vertragsrechts bzw. vertragsbezogener Pflichten ist aber eine inhaltlich wertungsbezogene Korrektur unerläßlich84. Diese geht dahin, im Verhältnis von Wettbewerbs- zu vertragsrechtlichen Pflichten die materielle Subsidiarität des Eingreifens des Wettbewerbsrechts in individualvertragliche Verhältnisse zu akzeptieren, wobei aber der ordnungspolitische Aspekt
84 Einen gegenüber der hier entwickelten Konzeption durchsetzungsorientierter materieller Subsidiarität (bei der es sich im Kern um eine konkurrenzähnliche Abgrenzung handelt) abweichenden, kategorischen Ansatz zur Begrenzung des Einflusses des auch nach seiner Auffassung nach Vertragsschluß grundsätzlich vollumfänglich anwendbaren Wettbewerbsrechts wählt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 164 f. Er will auf die „mit einer bestimmten Art und Weise der Einflußnahme verbundene Intensität des Einwirkens auf die Geschäftsentscheidung“, mithin „nicht auf das Ob, sondern das Wie“ der Beeinflussung des Kunden abstellen und betont insofern den handlungsbezogenen Charakter des Wettbewerbsrechts. Daraus leitet er auf materiell-rechtlichem Wege das Ergebnis ab, daß es ein wettbewerbsrechtliches Durchsetzungsverbot nie geben könne, so daß der (in dieser Untersuchung in der Folge untersuchte und einer konkurrenzähnlichen Lösung durchsetzungsorientierter Subsidiarität zugeführte) potentielle Konflikt von Lauterkeits- und Vertragsrecht von vornherein stets ausgeschlossen sei, da das Wettbewerbsrecht stets nur auf die „Art und Weise“ einer bestimmten Wettbewerbshandlung nach Vertragsschluß ziele.
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praktischer Durchsetzbarkeit der individualvertraglichen Rechte85 mit in die Überlegungen einzubeziehen ist86. Damit sollte es erstens insgesamt – wie bereits für die Fallgruppe reiner Durchführungshandlungen erwähnt – zu einer Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Rechtsbehelfe nach Vertragsschluß nur kommen, sofern und soweit im individuellen Vertragsrecht sich systemwidrige Durchsetzungslücken im Verhältnis der Vertragspartner zueinander ergeben, die das Eingreifen des Wettbewerbsrechts im Sinne einer über die Regelung des individuellen Vertragsverhältnisses hinausgehenden allgemein marktverhaltensbezogenen Handlungsanweisung erforderlich machen. Insbesondere soweit Verbraucher ihre verkürzten Rechte nicht hinreichend kennen (so etwa im Falle der die Widerrufsrechte flankierenden Informationspflichten aber auch im Falle der notorisch bekannt gewordenen Rechtsprechung zu Folgeverträgen rechnungsähnlicher Offerten87 und schließlich eben auch in der umstrittenen Konstellation einer Ersetzung AGB-rechtlich unwirksamer Vertragsbedingungen, falls in deren Rahmen eine Täuschung der Verbraucher über die diesbezüglichen rechtlichen Spielräume erfolgt88) oder soweit sie wegen des Bagatellcharakters des drohenden Schadens typischerweise die Rechte nicht geltend machen (so etwa im Falle einer systematisch minimal mangelhaften Vertragserfüllung89) kommt unter dieser Perspektive eine Heranziehung des Wettbewerbsrechts für die Sanktionierung von Verhaltensweisen nach Vertragsschluß in Betracht, wenn Unternehmer derartige Durchsetzungslücken in marktrelevanter (d.h. in zumindest potentiell gleichartig-massenhafter90) Weise schaffen und nutzen. 85 Vgl. auch grundlagenorientiert zum ordnungspolitischen Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung als Leitmotiv der Untersuchung oben 1. Kap. 1. Abschn. D V 2. 86 Es geht dabei nicht um eine Konkurrenzerwägung im engeren Sinne, da es zu einem unmittelbaren Konkurrenzverhältnis von Vertrags- und Wettbewerbsrecht angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen und beteiligten Interessen so allgemein nicht kommen kann. Eher geht es um eine Art „durchsetzungsbezogene“ Subsidiarität i.S.d. hier vorgeschlagenen Gleichmaß- und Komplementaritätsgrundsatzes, der zu einem grundsätzlichen Vorrang der Abwicklung in der vertraglichen Sonderbeziehung führt, jedoch eine Kumulierung der Behelfe aufgrund des ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung ausnahmsweise gestattet. D.h., eine Kumulierung der vertrags- und wettbewerbsrechtlichen Rechtsfolgen ist wegen der damit verbundenen Zusatzbelastung für die Vertragspartner (nicht nur die Unternehmer) und wegen der drohenden Gefahr eines Unterlaufens der vertragsrechtlichen Wertungen (s. zu diesem allgemein dem Gesichtspunkt der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung und spezifischer dem hier vertretenen Gleichmaßgrundsatz zuzuordnenden Aspekt noch sogleich unten im Text) konsequent auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen sie zur faktischen Durchsetzung des Schutzes der Interessen einer der Vertragsparteien gerade in ihrer Rolle als Marktteilnehmer, d.h. in der Regel typisiert auf Fälle systematischer Nutzung von Durchsetzungslücken bezogen, notwendig ist. 87 S. zu dieser, den autonomen Wertungen des UWG zuzuordnenden Fallkonstellation noch unten 4. Kap. 5. Abschn. B. 88 S. bei o. Fn. 50. 89 Vgl. zu dieser, ebenfalls den autonomen Wertungen des UWG zuzuordnenden Fallkonstellation noch unten 4. Kap. 5. Abschn. B. 90 S. zur dogmatischen Anknüpfung dieser Voraussetzung im neuen UWG sogleich im folgenden Text.
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Daneben erfordert es die Wertungseinheit zwischen Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht zweitens, daß die Anwendung des Wettbewerbsrechts nach Vertragsschluß vorrangige Wertungen des Vertragsrechts respektiert. Eine Anwendung wettbewerbsrechtlicher Instrumente nach Vertragsschluß kommt mithin – selbst wenn Durchsetzungslücken vorhanden sind und unternehmerisch ausgenutzt werden – nur dann in Betracht, soweit nicht explizite oder implizite vertragsrechtliche Wertungen entgegenstehen. Dies wird im folgenden Kapitel noch für die typisch umstrittenen Konstellationen, in denen ein autonom wettbewerbsrechtliches Eingreifen von Mitbewerbern in die Durchführung bestehender Vertragsbeziehungen erwogen wird, im einzelnen beurteilt werden91. In Fällen, in denen ein Verstoß gegen eine explizit geregelte verbraucherschützende Informationspflicht sich als ganz minimal darstellt92, sowie insbesondere in rein individuellen Einzelfällen, in denen der Wettbewerbsverstoß ohne Tendenz zur gleichartigen Ausdehnung (also nicht etwa durch Verwendung von Formularen, Handlungsanweisungen an Angestellte in Bezug auf den Umgang mit Nachfragen etc.) erfolgt, ist zudem drittens eine zusätzliche Begrenzung der tatbestandlichen Reichweite des Wettbewerbsrechts im Verhältnis zum Individualvertragsrecht über die Bagatellklausel des § 3 UWG vorzunehmen93. Denn soweit einem minimalen vertragsbezogenen Einzelverstoß offensichtlich keinerlei Tendenz zur gleichartigen Ausdehnung innewohnt, fehlt es ohnehin an der notwendigen nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs94. Das wettbewerbsrechtliche Sanktionsinstrumentarium ist dann nicht anzuwenden, rein individuelles Handeln (insbesondere im Rahmen bestehender Vertragsbeziehungen) damit auch auf diese Weise hinreichend gegen ein unverhältnismäßiges Eingreifen Dritter (insbesondere Mitbewerber) gesichert.
2. Spezifische Folgerung für die typisierten verbraucherschützenden Informationspflichten des Vertragsrechts Für das hier unmittelbar diskutierte – und lediglich zum Anlaß einer vorgreiflichen Verallgemeinerung genommene95 – Problem der heteronomen Rezeption von Verstößen gegen verbraucherschutzrechtliche Informationspflichten im Rahmen 91
S. u. 4. Kap. 5. Abschn. B. Im Bereich der verbraucherschützenden Informationspflichten dürften dies insbesondere Situationen der „Untererfüllung“ der Pflichten sein, weil etwa Pflichten zur besonderen Hervorhebung o.ä. nicht hinreichend beachtet wurden. 93 Für rein durchführungsbezogene Fälle ergibt sich die Begrenzung auf Situationen (potentiell) massenhaft-gleichartiger Verstöße schon aus der Voraussetzung des Vorliegens einer Wettbewerbshandlung, s. oben I 2. Die Bedeutung der Bagatellklausel zur Ausgrenzung weniger ins Gewicht fallender Wettbewerbsverstöße in diesem Bereich erwähnt im übrigen auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 171 f. 94 So (und nicht über den obsoleten Rekurs auf den Vorsprungsgedanken) wäre nunmehr der Fall BGH GRUR 1989, 669 – Zahl nach Wahl auf Grundlage des neuen UWG zutreffend zu lösen. S. ähnlich auch Harte/Henning-Keller, § 2, Rz. 23. 95 Vgl. allgemein nochmals unten 4. Kap. 5. Abschn. B für die hier vorgeschlagene inhaltlich92
3. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption vertragsrechtlicher Wertungen im UWG
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des Rechtsbruchtatbestands ist die Wertung des Vertragsrechts eindeutig. Sie steht einer Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die Verletzung explizit geregelter verbraucherschützender Informationspflichten auch nach Vertragsschluß nicht nur nicht entgegen, sondern gebietet sie vielmehr sogar. Denn nach der Konzeption des Gesetzgebers handelt es sich bei den zwingend typisierten verbraucherschützenden Informationspflichten eben gerade um auf den massenhaft-typisierten Fall bezogene und damit marktverhaltensbezogene Pflichten, die zwar in aller Regel auch das Verhältnis der Vertragspartner in ihrer individuellen Vertragsrelation betreffen, im übrigen aber eine darüber hinausgehende eigenständige marktbezogene Ordnungsfunktion verfolgen und damit auf die Verbraucher nicht nur als Individuum, sondern auch in ihrer Eigenschaft als Marktteilnehmer zielen. Der Gesetzgeber hat durch die explizite Anordnung typisiert marktverhaltensbezogener Pflichten – die sich auch in die Abwicklung des individuellen Vertragsverhältnisses hinein erstrecken – eine Wertung vorgenommen, die spezifische Situationen typisierbarer Informationsasymmetrien im Vertragsrecht identifiziert und anvisiert (dadurch auch das Vorhandensein einer Durchsetzungslücke im Massenverkehr in den geregelten Situationen als legislatorische Wertung vorgegeben), und diese Durchsetzungslücke durch zwingend typisierte (und damit zumindest auch marktbezogene Außenwirkung auf die Verbraucher als Marktteilnehmer entfaltende) Regelungen entschärft. Zugleich gibt dieser zwingende Rahmen den unternehmerischen Handlungen in den geregelten Vertriebssituationen ein level playing field vor. Deshalb haben Verstöße gegen diese Pflichten auch nach Vertragsschluß stets mitbewerberbezogene Außenwirkung96. Diese Regelungen müssen deshalb – selbst soweit sich ihre Tatbestände in den Bereich vertraglicher Individualverhältnisse erstrecken – wegen ihres unmittelbar bezweckten institutionellen Marktbezugs auch wettbewerbsrechtlich durchsetzbar sein97. wertende Klärung des Konkurrenzverhältnisses von Vertrags und Wettbewerbsrecht nach Vertragsschluß. 96 Soweit es dadurch zu einer Anwendung der §§ 4 Nr. 11, 3 UWG auch in Situationen nach Vertragsschluß kommt, in denen die in Frage stehende Informationspflicht allein der Sicherung der Durchsetzung der vertraglichen Forderung dient (etwa im Falle von Informationen bezüglich Gewährleistungsrechten) mag dies unter Umständen die Interessen von Mitbewerbern zwar unmittelbar gar nicht berühren, weil der Erhalt des Kundenstamms dadurch nicht unmittelbar betroffen ist. Soweit hier dennoch das Vorliegen einer Wettbewerbshandlung bejaht wird, ist dies dann aber wiederum die Konsequenz der gleichberechtigten Anerkennung des Verbraucherschutzzwecks in § 1 UWG, in dessen Lichte betrachtet § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG in derartigen Fällen teleologisch zu erweitern ist. 97 Vgl. ähnlich wie hier allgemein auch Harte/Henning-Keller, § 2, Rz. 23. Im übrigen rechtfertigt die über die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche hinaus bestehende kollektive Durchsetzungsmöglichkeit durch das Unterlassungsklagegesetz ebenfalls keine abweichende Bewertung, da sie nach richtiger Auffassung die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche nicht verdrängt. Demgegenüber argumentiert Alexander, S. 232 f., einzig das UKlaG (damals § 22 AGBG) greife für Verstöße nach Vertragsschluß – auf die das Wettbewerbsrecht nie anwendbar sei – ein und stehe daher mit den wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen in einer Art Komplementaritätsverhältnis. Daraus läßt sich aber jedenfalls kein eigenständiges Argument für die hier abgelehnte These von der Nichtanwendbarkeit des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums etwa in dem Sinne ab-
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An dieser Stelle wird deutlich, daß bezüglich des Tatbestands des Rechtsbruchs nach § 4 Nr. 11 i.V.m. § 3 UWG mit Blick auf zwingende verbraucherschützende Informationspflichten die Prüfung des Marktverhaltensbezugs der betroffenen Verbraucherschutznorm gewissermaßen auch schon die Wertung für die vorgelagerte Fragestellung nach dem Charakter der Pflichtverletzung als Wettbewerbshandlung (auch nach Vertragsschluß) implizit vorgibt; das Vorliegen einer Wettbewerbshandlung ist im Falle der unternehmerischen Verletzung derartiger verbraucherschützender und folglich marktverhaltensbezogener Pflichten – auch wenn sie sich auf den Zeitraum nach Vertragsschluß richten – stets indiziert 98. Zugleich kann in einem derartigen Falle die vertragsrechtliche Wertung der Anwendung des wettbewerbsrechtlichen Sanktionsinstrumentariums bei teleologischer Betrachtung nie entgegenstehen.
III. Rechtsfolgenbezogene Reichweite des wettbewerbsrechtlichen Schutzes bei Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten nach Vertragsschluß Die Anerkennung der durchsetzungsorientierten materiellen Subsidiarität des Wettbewerbsrechts99 bringt es schließlich mit sich, daß das Wettbewerbsrecht nur insoweit nach Vertragsschluß eingreifen darf, wie dies notwendig ist, um den Vertragspartner wieder (oder erstmals) instand zu setzen, seine individuellen Rechte leiten, die lauterkeitsrechtliche Kontrolle sei nach Vertragsschluß deshalb nicht notwendig, weil insoweit die Kontrollmöglichkeiten nach dem Unterlassungsklagegesetz ausreichten. Denn ein solches Argument müßte dann – angesichts des umfassenden Anwendungsbereichs des UKlaG – konsequenterweise sich auch auf die Zeit vor Vertragsschluß erstrecken und führte damit insgesamt nur wiederum zu der unzutreffenden Annahme, daß das Unterlassungsklagegesetz für seinen Anwendungsbereich die Anwendbarkeit des Lauterkeitsrechts verdränge (in diese Richtung ja in der Tat Ullmann, GRUR 2003, 817, 823 und dagegen zu Recht die herrschende Meinung, s. insoweit schon o. Fn. 20). 98 Vgl. im Ergebnis zutreffend (und in der Begründung im Ansatz genau wie hier inhaltlich mit dem Marktverhaltensbezug jeglicher verbraucherschützender Vorschriften argumentierend und auf dieser Grundlage einen Verstoß gegen § 1 UWG a.F. bejahend) auch BGH GRUR 2000, 731, 733 – Sicherungsschein betreffend Verstöße eines Reiseveranstalters gegen die verbraucherschützende reisevertragsrechtliche Norm des § 651k Abs. 4 BGB (durch Entgegennahme von Zahlungen auf den Reisepreis ohne Übergabe eines Sicherungsscheins). Das Problem des Vorliegens einer Wettbewerbshandlung des Unternehmers, welches – nachdem die Annahme einer Anzahlung auf den Reisepreis ohne Hingabe eines Sicherungsscheins ja nach Vertragsschluß erfolgte und sich als reine Durchführungshandlung darstellt – durchaus zu diskutieren war, thematisiert der BGH in seinen (nur am Rande des Urteils erfolgten) Ausführungen zu § 1 UWG a.F. aber nicht. Ebenso im Ergebnis (und in der Begründung das Problem des Vorliegens einer Wettbewerbshandlung ebensowenig problematisierend) schon OLG München, WRP 1996, 238, 239 – Paris Tours. S. auch nach neuem Recht zutreffend zu den hier vornehmlich interessierenden Informationspflichten im Fernabsatz (konkret: einen unzureichenden Hinweis auf das Widerrufsrecht, der erst die Aktivierung eines Links mit der Bezeichnung „mich“ in den Angaben zum Verkäufer erforderte, um wahrgenommen zu werden) OLG Hamm, GRUR-RR 2005, 285 f. – Internet-Widerrufsbelehrung. 99 Vgl. oben II 1.
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geltend zu machen. In diesem Punkt ist Sack im Ergebnis weiterhin uneingeschränkt zuzustimmen, soweit er für ein Eingreifen wegen Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten in Situationen nach Vertragsschluß den wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch, nunmehr nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG, heranziehen will100. Nur sein bezüglich Verletzungshandlungen kategorisch auf Verhaltensweisen vor Vertragsschluß begrenzter Anknüpfungspunkt hinsichtlich des zugrundeliegenden Wettbewerbsverstoßes läßt sich angesichts der neuen verbraucherschutzrechtlichen Informationspflichten in der Vertragsabwicklung so nicht mehr aufrechterhalten. Gegenstand des Beseitigungsanspruchs ist für die hier betrachteten Informationspflichten des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzrechts (mithin der §§ 312, 312c und 312e BGB, letztere i.V.m. BGB-InfoV), wie sie unter § 4 Nr. 11, § 3 UWG heteronom rezipiert werden, die Verpflichtung des Gewerbetreibenden, für alle Kunden, die bei Lieferung in substantieller Weise unkorrekt101 oder gar nicht informiert wurden, eine entsprechende Information nachzuholen und die dadurch gegebenenfalls entstandene fortwirkende Störung zu beseitigen102. Dies setzt dementsprechend aber auch das Vorhandensein einer entsprechenden fortwirkenden Störung beim Kunden voraus, die bezüglich der hier betrachteten Informationspflichten im wesentlichen nur in einer fortwirkenden Gefährdung der Entscheidungsgrundlage und der Widerrufsmöglichkeit durch fehlende oder lükkenhafte Kenntnis (nur im Einzelfall auch in der Gefährdung sonstiger durch die spezifischen Informationspflichten gesicherter Interessen der Kunden) erblickt werden kann; wo es an einer derart fortwirkenden Gefährdung der Kundeninteressen fehlt, kommt auch kein Beseitigungsanspruch in Betracht103. Als einziger praktisch wesentlicher Fall dürfte insoweit die Nachholung der korrekten Infor100
S. Sack, BB 1987, 1048, 1051 f. S. oben im Text für die Einschränkung bei Minimalverstößen, wie sie sich aus § 3 UWG ergibt. Vgl. im übrigen für ein Beispiel fehlerhafter, weil nicht hinreichend deutlicher Belehrung BGH GRUR 2002, 1085, 1086 ff. – Belehrungszusatz. 102 Insoweit zutreffend Sack, BB 1987, 1048, 1051 f.; vgl. allgemein ähnlich Köhler/PiperKöhler, Vor § 13, Rz. 44; Teplitzky, Ansprüche und Verfahren, § 26, Rz. 1 (S. 322); s. auch noch unten 4. Kap. 5. Abschn. B im Zusammenhang mit der Problematik der „Folgeverträge“. 103 Insoweit ist zu differenzieren: Die Nichterfüllung der Belehrungs- und Informationspflichten, die Widerrufsrechte absichern, führt stets zu einer andauernden Störung (da die Fristen der zugehörigen Rechte ja bei fehlerhafter Belehrung nach § 355 BGB nicht zu laufen beginnen, so daß es für die Geltendmachung der Rechte auf die Nachholung der Information weiterhin ankommt). Im übrigen ist bezüglich der Informationspflichten danach zu differenzieren, ob der Kunde nicht zwischenzeitlich ohnedies informiert wurde oder sich sein Informationsbedarf anderweitig erledigt hat (so etwa im Falle der Pflichten nach § 1 Abs. 1 Nr. 1–11 BGB InfoV, soweit bei Lieferung der entsprechende Informationsbedarf des Kunden [beispielsweise im Fall des § 1 Abs. 1 Nr. 3 BGB-InfoV durch Inaugenscheinnahme der Ware] bzw. auch, wenn die Informationspflicht Einzelheiten bezüglich solcher Rechte des Kunden betrifft, die dieser ohnedies nicht mehr geltend machen kann [so muß die Information nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 BGB-InfoV nach Ablauf der Gewährleistungsfristen naturgemäß nicht mehr nachgeholt werden]). Nur wenn dies nicht der Fall ist, die Störung also tatsächlich fortwirkt (was außerhalb der Informationspflichten zur Sicherung von Widerrufsrechten sehr selten sein dürfte, eins der wenigen praktisch relevanten Beispiele mögen nähere Informationen bezüglich der Kündigungsrechte 101
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mation der Kunden bezüglich bestehender Widerrufsrechte über den Beseitigungsanspruch auch von Mitbewerbern, Gewerbe- und Verbraucherverbänden durchsetzbar sein104; für die meisten anderen Informationspflichten fehlt es an der Voraussetzung einer fortwirkenden Störung, da die Information der Kunden entweder im Verlauf der Vertragsabwicklung ohnedies erfolgt oder sich doch zumindest der Gegenstand der Informationspflicht spätestens bei Lieferung oder mit Ablauf der Gewährleistungsfristen typischerweise erledigt haben dürfte105. Demgegenüber richtet sich der Unterlassungsanspruch in derartigen Fällen bei Wiederholungsgefahr in der Regel ohnehin nur darauf, in der Zukunft einen Vertrieb ohne korrekte Erfüllung der Informationspflichten zu unterlassen106. Dieser bei im Fernabsatz geschlossenen Dauerschuldverhältnissen gem. § 1 Abs. 3 Nr. 4 BGB InfoV sein), wirkt die Störung fort und kann der Beseitigungsanspruch greifen. 104 Dies führt auch nicht zu unabwägbaren Risiken für die betroffenen Unternehmer, da der Anspruch der kurzen Verjährung nach § 11 Abs. 1 UWG unterliegt. Der Verjährungsbeginn richtet sich nach dem Eintritt der Beeinträchtigung (der in derartigen Fällen mit dem Eingang der fehlerhaften Belehrung beim Kunden bzw. in der Lieferung der Ware ohne entsprechende Erfüllung der Belehrungspflichten liegen dürfte) und der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis von der Beeinträchtigung und der Vorhersehbarkeit ihrer Fortdauer (vgl. allgemein Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 1.34 mwN). Entscheidend kommt es insoweit – wegen der diesbezüglich wesentlichsten Abweichung vom Unterlassungsklagegesetz – wohl darauf an, ab wann einzelne Mitbewerber Kenntnis haben oder als grob fährlässig in Unkenntnis angesehen werden können. Dies mag nun in der Tat zu ganz erheblichen Zeiträumen führen, in denen dem pflichtverletzenden Unternehmer noch entsprechende Beseitigungsansprüche gewärtigen müßte. Doch ist auch zu bedenken, daß der verletzende Unternehmer für den wesentlichsten Fall von wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsansprüchen, nämlich die Nachholung von Belehrungen und Informationen über allfällige Widerrufsrechte, schon aus eigenem Interesse gegebenenfalls die Informationen nachholen müßte, da andernfalls unbefristet mögliche Widerrufserklärungen der betroffenen Verbraucher ihn vergleichsweise vollkommen unabwägbaren Risiken aussetzen. Der durch die Verjährung immerhin begrenzte wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch stellt demgegenüber nurmehr eine vernachlässigbare Zusatzbelastung dar. A.A. Alexander, S. 232, der nur einen Anspruch auf „Unterlassung der Unterlassung“ gewähren will, dabei aber den Beseitigungsanspruch übersieht und allein auf Grundlage des Unterlassungsanspruchs argumentiert. S. demgegenüber illustrativ für die richtige Abgrenzung von (nicht einschlägigem) Unterlassungsanspruch und (potentiell einschlägigem) Beseitigungsanspruch in Fällen fortwirkender Störung, bei denen die bloße Fortwirkung der Störung gerade nicht der Verletzungshandlung gleichkommt, BGH GRUR 1958, 30 ff. (betreffend unrichtige Angaben in einem Werbekatalog); vgl. nur zur Abgrenzung auch den anders gelagerten Sachverhalt in BGH GRUR 1977, 614, 616 – Gebäudefassade, für einen typischen Fall, in dem die Nichtbeseitigung der fortgesetzten Verletzungshandlung entspricht (und deshalb der Unterlassungsden Beseitigungsanspruch gewissermaßen mit umfaßt). S. auch aus der Literatur zutreffend zu der Möglichkeit, aufgrund von Beseitigungsansprüchen schon unter § 1 UWG a.F. ein positives Tun anzuordnen und dementsprechend zu vollstrecken (was angesichts der nun ausdrücklichen Regelung der Beseitigungsansprüche unter § 8 Abs. 1 UWG nunmehr erst recht möglich ist), etwa Loschelder, WRP 1999, 57, 60; GroßKomm-Köhler, Vor § 13 UWG, Rz. B 10, 127 (zum alten UWG) und (statt aller) Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 8, Rz. 1.69 ff. (insbesondere Rz. 1.80 ff.). 105 Vgl. zur Voraussetzung einer hinreichend substantiellen, fortwirkenden Störung, wie sie bei den meisten der anderen vertriebsspezifischen Informationspflichten im Regelfall spätestens ab Lieferung fehlt, schon die Beispiele o. Fn. 103. 106 So zutreffend Alexander, aaO., im Anschluß an Loschelder, WRP 1999, 57, 61 f.
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Anspruch erfaßt (insofern weiter als der Beseitigungsanspruch) alle vertriebsspezifischen Informationspflichten gleichermaßen, naturgemäß gleichgültig, ob eine fortwirkende Störung besteht oder nicht. Umgekehrt gestattet es der Unterlassungsanspruch aber (insofern enger als der Beseitigungsanspruch) nicht, ein aktives Handeln im Sinne einer Nachholung etwaiger Belehrungen anzuordnen. Denn in den hier betrachteten Fällen ist die Unterlassung stets für die Zukunft auch dadurch möglich, daß schlicht der Vertrieb eingestellt wird. Die Anordnung einer aktiven Handlung ist daher dem Unterlassungsanspruch in diesen Fällen gerade nicht inkorporiert107. Auf die der Fallgruppe wettbewerbsrechtlicher Durchführungsverbote zuzuordnende Sonderproblematik, inwieweit nach Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten schon die Beitreibung offener Forderungen, ohne den Verbraucher über seine Rechte doch noch adäquat aufzuklären oder gar unter rechtlich unzutreffendem Hinweis, er sei bereits korrekt belehrt worden und insofern seien seine Widerrufsrechte erloschen, als solche von Wettbewerbern zum Gegenstand eines Unterlassungsgebots gemacht werden kann, wird noch unten (4. Kap. 5. Abschn. B) erschöpfend eingegangen108.
IV. Umsetzung der Lauterkeits-RL mit Blick auf Geschäftspraktiken nach Vertragsschluß Die hier vorgeschlagene teleologische Erweiterung des Begriffs der Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Nr. Abs. Nr. 1 UWG auf jegliche Handlungen mit marktbezogener Außenwirkung auch nach Vertragsschluß, welche durch eine inhaltlich wertungsbezogene Klärung des Verhältnisses zum Vertragsrecht im Sinne einer Relation durchsetzungsorientierter materieller Subsidiarität des Wettbewerbsrechts zum Individualvertragsrecht sozusagen „abgefedert“ wird, entspricht im Grundsatz genau der Konzeption der Lauterkeits-RL mit Blick auf die wettbewerbsrechtliche Erfassung von „Geschäftspraktiken“ nach Vertragsschluß. Hinsichtlich ihres rein „zeitlichen“ Anwendungsbereichs erfaßt die Lauterkeits-RL gem. Art. 3 Abs. 1 Lauterkeits-RL im Grundsatz Geschäftspraktiken „vor, während und nach Abschluß“ des Geschäfts, mithin auch Handlungen nach Vertragsschluß, während sachlich der Begriff der „Geschäftspraxis“109 – soweit 107
Loschelder, WRP 1999, 57, 60 f.; insoweit zutreffend auch Alexander, aaO. Dies die Problematik, die BGH GRUR 1986, 816, 818 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf zugrundelag. 109 Der sich im übrigen vom Begriff der Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Nr. 1 UWG durch die der Richtlinie immanente Begrenzung auf das B2C-Vertikalverhältnis und durch die (wohl als redaktionelles Versehen aufzufassende, vgl. schon die Kritik bei Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1035, im Zusammenhang mit dem Lauterkeits-Richtlinienvorschlag, der in diesem Punkt jedoch leider nicht klarstellend korrigiert wurde) Limitierung auf Absatzförderung (was bei wortlautgetreuer Auslegung zweckwidrig die in bestimmten Märkten durchaus denkbare Bezugsförderung ausschließen würde) als eher verengend abhebt (ohne daß insoweit für das deutsche Recht, angesichts der Möglichkeit im Rahmen des primärrechtlich zulässigen das Anwen108
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für das hier interessierende Verhältnis zum Individualvertragsrecht von Relevanz – nur durch das Merkmal des „unmittelbaren Zusammenhangs“ mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts110 begrenzt wird. Ein „unmittelbarer Zusammenhang“ mit der Lieferung eines Produkts läßt sich aber tatbestandlich ohne weiteres auch nach Vertragsschluß für rein durchführungsbezogene Handlungen bejahen111. Insoweit scheint die Konzeption der LauterkeitsRL hinsichtlich der Anwendbarkeit auf Handlungen nach Vertragsschluß sogar noch weiter zu reichen, als der hier unterbreitete Vorschlag einer teleologischen Erweiterung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Doch ist zugleich zu berücksichtigen, daß die Lauterkeits-RL gemäß Art. 3 Abs. 2 Lauterkeits-RL das Vertragsrecht unberührt läßt112. Mit anderen Worten wird genau die hier als „Abfederung“ vorgeschlagene Konzeption inhaltlich wertender Abgrenzung im Sinne eines Zurücktretens des Wettbewerbsrechts aufgrund materieller Subsidiarität, wenn und soweit individualvertragsrechtliche Wertungen einer bestimmten wettbewerbsrechtlichen Rechtsfolgenanordnung entgegenstehen, bestätigt. Entsprechend ist also auch bei der Anwendung der Tatbestände der Lauterkeits-RL auf Handlungen nach Vertragsschluß zu berücksichtigen, daß vorrangige Wertungen des Vertragsrechts, insbesondere betreffend die reine Abwicklung von Verträgen, nicht unterlaufen werden. Mithin ist insoweit dann aber – genau wie hier für das deutsche Recht vorgeschlagen – gleichfalls bezüglich sämtlicher vertragsbezogener Handlungen, ein qualifizierter Verstoß im Rahmen der Vertragsdurchführung zu fordern, der über die reine – zivilrechtlich dem vertraglichen Individualverhältnis zugrundeliegende – Antagonität der Vertragspartner und die hiermit einhergehende (grundsätzlich ja berechtigte) Geltendmachung und Verteidigung der jeweils eigenen Interessen dadurch hinausgeht, daß vertragsrechtliche Durchsetzungslücken in marktrelevanter Weise durch den Unternehmer geschaffen oder genutzt werden. Diese Bedingung ist etwa auch im Fallbeispiel der hartnäckigen Forderung nach weiteren Versicherungsunterlagen (Anhang I Nr. 27 Lauterkeits-RL) erfüllt, so daß die entsprechenden Handlungen auch im Rahmen der hier zum deutschen Recht de lege lata vertretenen Konzeption wettbewerbsrechtlich erfaßbar wäre: Da es sich um Situationen handelt, in denen seitens des Unternehmers nach Vertragsschluß die Vertragspartner systematisch von der Geltendmachung ihrer Rechte abgehalten werden sollen (um solcherart eine eklatante individualvertragsrechtliche Durchsetzungslücke zu schaffen und zu nutzen), könnten derartige unternehmerische Handlungen nach der hier vertretenen Auffassung als „Wettbewerbshandlungen“ nämlich im Grundsatz durch teleologisch erweiternde Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 1
dungsfeld der Harmonisierung aus Gründen der Wertungskonsistenz im nationalen Recht auszudehnen, eine entsprechende Umsetzung und Begrenzung geboten wäre, vgl. schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (4) (a) und noch unten 4. Kap. 2. Abschn. A IV. Vgl. zum ganzen Köhler, GRUR 2005, 793, 794 f.; Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1325 f. 110 Was gemäß Art. 2 lit. c) Lauterkeits-RL sinngemäß auch Dienstleistungen erfaßt. 111 S. Köhler, GRUR 2005, 793, 795. 112 S. der Hinweis bei Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1326.
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UWG erfaßt werden113, wobei dann allerdings aufgrund des § 3 UWG offensichtlich reine Einzelfälle ohne Tendenz zur gleichartigen Wiederholung auszugrenzen sind, was sich aber wohl auch unter Geltung der Richtlinie auf Grundlage des Verhältnismäßigkeitsprinzips als allgemeinem Grundsatz des Gemeinschaftsrechts – der auch die Interpretation des Sekundärrechts bindet – noch begründen ließe114.
Läßt sich daher in einer methodologisch rein nationalen Perspektive gut argumentieren, daß nach der hier vertretenen teleologisch erweiternden Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG die von der Lauterkeits-RL zusätzlich abgedeckten Geschäftspraktiken nach Vertragsschluß bereits sämtlich mit erfaßt werden115, so ist doch – wenn man das europarechtliche Gebot klarer Richtlinienumsetzung in die Überlegungen einbezieht – in diesem Zusammenhang ein gewisser Zweifel geboten. Denn jedenfalls nach dem klaren Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG muß das Ziel einer Wettbewerbshandlung gerade in der Absatz- oder Bezugsförderung liegen. Dieses Kriterium ist aber zumindest für die – in Fällen der Schaffung und Nutzung von Durchsetzungslücken durch den Unternehmer – nach der hier vertretenen Auffassung im Rahmen einer teleologisch erweiternden Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG mit erfaßten rein durchführungsbezogenen Wettbewerbshandlungen bei strikter Wortlautauslegung nicht erfüllt, was für das deutsche Recht angesichts des Vorrangs der teleologischen Methode nicht nachhaltig schadet, aber doch unter europarechtlicher Perspektive den Vorwurf nicht hinreichend klarer Richtlinienumsetzung nach sich ziehen könnte. Insofern spricht einiges dafür, die Definition der Wettbewerbshandlung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dadurch an die Vorgaben der Lauterkeits-RL anzupassen, daß das Kriterium des „Ziels“ der Absatz- oder Bezugsförderung der Handlung ersetzt wird durch die weiter formulierte Voraussetzung eines „unmittelbaren Zusammenhangs“ mit Absatz oder Bezug116. Handlungen nach Vertragsschluß wären aufgrund dieser Lösung dann vom Begriff der Wettbewerbshandlung tatbestandlich ohne weiteres in den allermeisten Fällen mit erfaßt, was die hier vorgeschlagenen und entwickelten Kriterien für eine inhaltlich-wertende Abgrenzung zum Individualvertragsrecht, welche im Wege durchsetzungsbezogener ma113 Ähnlich im Ergebnis Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1326, die allerdings – ohne insoweit das Instrument einer teleologischen Erweiterung zu bemühen – ohnedies alle relevanten Fallgestaltungen nach Vertragsschluß bereits de lege lata aufgrund der einschlägigen BGH-Rechtsprechung für erfaßt halten, was immerhin für einige Formen reiner Durchführungshandlungen nach der hier vertretenen Auffassung nicht ganz frei von Zweifeln ist, vgl. auch noch unten 4. Kap. 5. Abschn. B. Insoweit wie hier Köhler, GRUR 2005, 793, 795: Die Rechtsprechung habe sich bei der Beurteilung von Sachverhalten nach Vertragsschluß immer „schwer getan“, wobei Köhler, aaO., dann aus diesem Grund für eine ausdrückliche Umsetzung durch Änderung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG plädiert. 114 Vgl. insoweit (in anderem Zusammenhang) auch unten 4. Kap. 3. Abschn. A III 3 und IV. 115 Im Ergebnis wie hier Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1326, die allerdings – anders als hier – derartige Gestaltungen schon auf Grundlage des Standes der bisherigen Rechtsprechung erfaßt sehen; a.A. Seichter, WRP 2005, 1087, 1089; für eine ausdrückliche Umsetzung auch Köhler, GRUR 2005, 793, 795. 116 So Köhler, GRUR 2005, 793, 795; ähnlich Seichter, WRP 2005, 1087, 1089.
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terieller Subsidiarität den Vorrang spezifischer Wertungen des Vertragsrechts akzeptiert, so weit diese reichen, künftig um so wesentlicher erscheinen läßt.
C. Exkurs: Ordnungspolitische Durchsetzungsperspektive als (über den Bereich des vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes hinaus) verallgemeinerbares Prinzip Es ist im übrigen ein keineswegs auf verbraucherschutzrechtliche Aufweichungen des pacta sunt servanda-Grundsatzes beschränktes Prinzip im Zusammenspiel von Wettbewerbs- und Vertragsrecht, daß das Wettbewerbsrecht gerade solange und soweit auch im Rahmen bestehender Vertragsbeziehungen zur Anwendung gebracht werden kann, wie die vertragsrechtlichen Instrumente substantielle faktische Durchsetzungslücken lassen. Vielmehr bestätigt sich das hier vertretene Verständnis eines primär von einer Art durchsetzungsorientierter Subsidiarität geprägten Verhältnisses des Wettbewerbs- zum Vertragsrecht (soweit es um vertragsbezogene Verletzungshandlungen geht) nicht nur in Situationen, wo das Wettbewerbsrecht von Dritten „gegen“ die Durchsetzung vertraglicher Ansprüche in Anschlag gebracht wird, sondern gerade auch dort, wo – umgekehrt – das Wettbewerbsrecht die Durchsetzung vertraglicher Ansprüche – und damit das Prinzip pacta sunt servanda – durch Gewährung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche für den aus dem Vertrag Berechtigten gegen „Dritte“ sichert bzw. „stabilisiert“. Für diese zweitgenannte und gleichberechtigte Alternative des Zusammenspiels von Vertrags- und Wettbewerbsrecht bei der Durchsetzung des pacta sunt servanda-Grundsatzes ist charakteristisch, daß individualvertragliche Rechtsbehelfe zum Schutze einer Vertragspartei faktisch ineffektiv bleiben, so daß eine Rechtsverfolgung nur erfolgversprechend gegen den in die Vertragsbeziehung einbrechenden Dritten erfolgen kann117. Dies kann sich einerseits aus ganz spezifischen Sachverhaltsgestaltungen im Einzelfall ergeben118, kann andererseits aber auch die typische Erscheinungsform einer ganz bestimmten Kategorie von Vertragsverletzungen sein. Bezeichnenderweise kommt es in diesem Zusammenhang zu einem drittbezogenen Eingreifen des Wettbewerbsrechts (gegenüber dritten, nicht am Vertrag beteiligten Personen) zum Schutze eines der Vertragspartner nur wenn und exakt nur soweit, wie dies für die Durchsetzung der vertraglichen Verpflichtung des Vertragspartners zweifelsfrei unumgänglich ist. 117
Zutreffend Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 152 mwN. Ein illustratives Beispiel für eine ganz spezifische Situation, in der ein Vorgehen gegen den Vertragspartner, letztlich keinen Erfolg verspricht, bietet BGH GRUR 1987, 532 ff. – Zollabfertigung (betreffend einen Fall des wettbewerbswidrigen Abfangens von Abfertigungsaufträgen durch ein Speditionsunternehmen, wobei der Verstoß für die Angestellten des vertraglich gebundenen Unternehmens, die sich am Tor der Münchener Großmarkthalle für die Abfertigung einteilen ließen, gar nicht erkennbar war, so daß allein ein Vorgehen gegen das nicht vertragsbeteiligte Konkurrenzunternehmen erfolgversprechend war. 118
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Ein beredtes Beispiel für diese These liefert die historische Entwicklung der Rechtsprechung zum Schutz der Vertragstreue in selektiven Vertriebsbindungssystemen über den Behinderungstatbestand (nunmehr § 4 Nr. 10 UWG)119. Es ist an dieser Stelle weder Anlaß noch Raum, in diesem Zusammenhang auch nur ansatzweise auf Einzelheiten eingehen zu können. Festzuhalten ist aber, daß außerhalb der unstreitigen (obzwar häufig im Streitfall nur schwierig beweisbaren) Fallgruppen des aktiven Verleitens zum Vertragsbruch und des Schleichbezugs ein rein passives Handeln Dritter durch bloßes Ausnutzen fremden Vertragsbruchs zur Durchbrechung eines selektiven Vertriebssystems in der Rechtsprechung zunächst als wettbewerbswidrig angesehen wurde, sofern es sich um ein kartellrechtlich zulässiges und nicht nur logisch-gedanklich, sondern auch praktisch lückenloses System handelte120. Pragmatisch erklärte sich diese ältere Rechtsprechung daraus, daß der Vertragsverletzer innerhalb des selektiven Vertriebssystems typischerweise nicht ermittelt werden konnte. War das kartellrechtlich zulässige selektive Vertriebssystem aber auch in der Verkehrspraxis lückenlos durchgeführt, so konnte ein Dritter nach Auffassung der Rechtsprechung die streitgegenständliche Ware nur durch Schleichbezug oder Induzieren fremden Vertragsbruchs erlangt haben. Das Erfordernis auch praktischer Lückenlosigkeit und konsequenterweise dann auch das Abstellen auf die bloße Ausnutzung fremden Vertragsbruchs durch Dritte wurde in der Rechtsprechung in der Folge aufgegeben, nachdem sich mit dem Vordringen technischer Kontrollmerkmale (Chargennummern etc.) zur Absicherung selektiver Vertriebssysteme im realen Geschäftsverkehr eine Alternative zur praktischen Durchsetzung derartiger Systeme abzeichnete und schließlich auf breiter Front durchsetzte, die es nunmehr gestattet, den Vertragsverletzer innerhalb des selektiven Vertriebssystem vergleichsweise zielsicher zu ermitteln121. Prompt wurde das Erfordernis praktischer Lückenlosigkeit und konsequenterweise auch die Fallgruppe des bloßen wettbewerbswidrigen Ausnutzens fremden Vertragsbruchs in derartigen Fällen aufgegeben und stattdessen die wett119 Vgl. allgemein Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 10.63 ff.; Harte/Henningv.Jagow, § 4, Rz. 147 ff.; Fezer-Götting, § 4, Rz. 75 ff. Ähnlich wie hier auch Harte/HenningAhrens, Einl F, Rz. 152 ff. mwN. 120 S. etwa BGH GRUR 1968, 272, 275 – Trockenrasierer; GRUR 1985, 1059, 1060 – Vertriebsbindung; GRUR 1989, 832, 833 f. – Schweizer Außenseiter; GRUR 1991, 614, 615 – Eigenvertriebssystem; GRUR 1992, 627, 629 – Pajero. S. aus der Literatur grundlegend für den älteren Ansatz Kraßer, Der Schutz von Preis- und Vertriebsbindungen gegenüber Außenseitern, 1972. 121 S. für die Wende der Rechtsprechung von der Forderung nach praktischer Lückenlosigkeit selektiver Vertriebssystems hin zur bloßen gedanklichen Lückenlosigkeit als Kriterium und zur dementsprechenden Umorientierung auf den wettbewerbsrechtlichen Schutz der Möglichkeit, durch technische Kontrollmerkmale den Vertragsverletzers innerhalb des (kartellrechtlich zulässigen und schutzwürdigen) gedanklich geschlossenen selektiven Vertriebssystems zu identifizieren BGHZ 142, 192, 203 f. – Entfernung der Herstellungsnummer I; GRUR 1999, 1113, 1115 f. – Außenseiteranspruch I (Anfrage an Kartellsenat); BGHZ 143, 232, 236 ff., 243 f. – Außenseiteranspruch II; GRUR 2001, 448, 449 f. – Kontrollnummernbeseitigung II. S. zur Wende der Rechtsprechung auch Fezer, GRUR 1999, 99; Busche, WRP 1999, 1231; Lubberger, WRP 2000, 139; Sack, WRP 2000, 447, sowie die Kommentarliteratur (o. Fn. 119) mit umfassenden weiteren Nachweisen.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
bewerbs- und markenrechtliche Sicherung des verhältnismäßigeren Mittels der technischen Kontrollmerkmale in den Mittelpunkt gerückt122. Da diese es gestatten, den Vertragsverletzer innerhalb des Systems zu identifizieren, sichern sie die Funktionsfähigkeit der individualvertragsrechtlichen Instrumente als „milderes Mittel“ gegenüber einem undifferenzierten wettbewerbsrechtlichen Vorgehen gegen Dritte. Diese Funktion können technische Kontrollmerkmale aber nur erfüllen, sofern und soweit ihre Integrität unangetastet bleibt. Deren Schutz ist unter dieser Perspektive gewissermaßen das nächstmildere, notwendige Instrument des Wettbewerbsrechts, um die Sicherung der Vertragstreue durch das neue Identifizierungsinstrument zu flankieren. Ganz genau diese faktische Entwicklung nachzeichnend, rückt die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung zur Sicherung selektiver Vertriebsbindungssysteme etwa seit Beginn des neuen Jahrtausends nun ganz das Entfernen oder die Beschädigung technischer Kontrollmerkmale in den Mittelpunkt der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle im Rahmen des Behinderungstatbestands (jetzt § 4 Nr. 10 UWG)123. Aus der Sicht der hier vertretenen These belegt dies schlicht die Gültigkeit des – Vertrags- und Lauterkeitsrecht übergreifenden – ordnungspolitisch-durchsetzungsorientierten Verhältnismäßigkeitsprinzips mit Blick auf die vorrangigen Wertungen des Vertragsrechts. Denn das Lauterkeitsrecht greift damit (auch zur Absicherung der Vertragstreue in bestimmten qualifizierten Fällen) mehr oder weniger zielgenau (und mit entsprechenden nicht unbeträchtlichen „Reaktionszeiten“ der Rechtsprechung) gerade insoweit ein, wie es unabdingbar notwendig ist, um die faktisch durchsetzungsorientierte Funktionsfähigkeit der vertragsrechtlichen Instrumente zu sichern.
D. Die Fallgruppe des unlauteren Ausnutzens von Rechtsunkenntnis als eigenständige, mittelbar-heteronome Flankierung zivilrechtlicher Wertungen außerhalb des Rechtsbruchtatbestands? Die Rechtsprechung hat Fälle unterbliebener, falscher oder unvollständiger Belehrung neben der Behandlung im Rahmen des Rechtsbruchtatbestands häufig auch eigenständig wettbewerbsrechtlich unter dem Aspekt eines unlauteren Ausnutzens der Rechtsunkenntnis des Kunden zum Vorteil des Unternehmers begründet124. Systematisch wäre dieser Aspekt nunmehr im Beispielstatbestand des § 4
122 S. die Nachweise o. Fn. 121 sowie insbesondere BGH WRP 2002, 947, 949 – Entfernung der Herstellungsnummer III. 123 S. die Nachweise in den beiden vorangegangenen Fußnoten. 124 S. etwa BGH GRUR 1986, 816, 818 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf, wo sich beide Ansatzpunkte finden; BGH GRUR 1986, 819, 820 – Zeitungsbestellkarte. Vgl. im übrigen statt aller die erschöpfenden Rechtsprechungsnachweise bei Hefermehl/Köhler/BornkammKöhler, § 4, Rz. 11.170 und 2. 20 ff.
3. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption vertragsrechtlicher Wertungen im UWG
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Nr. 2 UWG zu verorten125. Für die Fälle des Verstoßes gegen Informationspflichten des Verbrauchervertragsrechts hat der Rekurs auf § 4 Nr. 2 (bzw. im seltenen Einzelfall § 5 UWG) allerdings keine erkennbar eigenständige praktische Bedeutung, da insoweit nach dem neuen UWG ohnedies stets zweifelsfrei § 4 Nr. 11 UWG anwendbar wäre126. Der Rückgriff der Rechtsprechung auf die Figur eines Ausnutzens von Rechtsunkenntnis ist insofern nicht nur für die meisten praxisrelevanten Fälle eigentlich unnötig, sondern zugleich deshalb problematisch, weil ihm – auch außerhalb des Bereichs der Verletzung expliziter Informationspflichten des Verbrauchervertragsrechts – eine Tendenz zur Ausdehnung innewohnt. Denn auf den ersten Blick ist nicht ohne weiteres zu begründen, warum eine derartige Fallgruppe nur im Bereich der Verletzung typisierter Informationspflichten des Verbraucherschutzrechts eingreifen soll. Es droht die Gefahr, daß vermittels des Lauterkeitsrechts (und für diesen Fall konkret auf Grundlage von § 4 Nr. 2 UWG) letztlich wettbewerbsrechtliche Pflichten des Unternehmers konstruiert werden, den Verbraucher gar bezüglich einer bestimmten (ihm günstigen) hinreichend gefestigten127 Rechts125 S. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, aaO. Darüber hinaus mag im Einzelfall eine Irreführung – nunmehr nach § 5 UWG – gegeben sein, sofern etwa zusätzlich auch widersprüchliche und verwirrende Angaben über Zeitpunkt und Art des Vertragsschlusses oder die Einzelheiten der Zahlungsmodalitäten gemacht werden (s. den Sachverhalt in LG Magdeburg, GRURRR 2003, 55). Geht es allerdings allein um die Nicht- oder Schlechterfüllung einer verbraucherschutzrechtlichen Informationspflicht dürfte eine Irreführung in aller Regel ausscheiden. Denn dem Verstoß gegen die Informationspflicht als solchem fehlt es dafür an der Erheblichkeit (Relevanz) für nachfolgende Vertragsentscheidungen (da ein fehlender oder unklarer Hinweis auf etwaige Widerrufsrechte oder sonstige Kundenrechte die angesprochenen Durchschnittskunden – soweit die Information für sie überhaupt relevant ist – wohl eher von einer Vertragsentscheidung abhalten dürfte, weil sie den Eindruck gewinnen müßten, daß derartige Kundenrechte bei diesem Vertrag nicht oder nicht in vollem Umfang eingeräumt sind). Vgl. zutreffend zu dieser Überlegung in anderem Zusammenhang (jeweils mit Blick auf unklare Angaben in Katalogen) BGH GRUR 1997, 472, 473 – „Irrtum vorbehalten“; OLG Stuttgart, Urt. V. 26. 5. 1994 – 2 U 263/94 –, RRa 1995, 190 ff. Aus der Literatur s. Bernreuther, GRUR 1998, 542, 543 (zu vorgenannter BGH-Entscheidung), der für diesen Sachverhalt, in dem es um eine Formulierung in einem Werbeprospekt ging (die nach Bernreuthers Auffassung – wenn überhaupt – als rechtswidrige Klausel anzusehen war), sogar noch einen Schritt früher ansetzt und den Anwendungsbereich des Irreführungsverbots in derartigen Fallgestaltungen schon von vornherein nicht als eröffnet sieht, da es an einer „Angabe über geschäftliche Verhältnisse“ (so die Formulierung in § 3 UWG a.F., die Argumentation läßt sich aber auf § 5 UWG übertragen, da die weitere Formulierung in § 5 Abs. 1 UWG insoweit keine inhaltliche Erweiterung bezweckt hat, vgl. allgemein Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.24 ff. mwN) fehlt (insoweit a.A. Alexander, S. 205 f. unter Hinweis auf BGH GRUR 1983, 654, 655 – Kofferschaden). A.A. mit Blick auf die Irreführungsproblematik im Ergebnis wohl auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 2.22 (Anwendung von § 5 Abs. 2 UWG in Fällen der Unterlassung der gesetzlich gebotenen Aufklärung). 126 Allenfalls die in der älteren Rechtsprechung wenig stringente Ausgestaltung der Fallgruppe des Rechtsbruchs in den Fällen der Verletzung wertneutraler Normen (zu denen die Informationspflichten nach damaligem Stand zählten) hat wohl zu der „Ausweichbewegung“ hin zur Entwicklung eines autonom-wettbewerbsrechtlichen Kriteriums geführt. Vgl. auch schon oben 3. Kap. 3. Abschn. A I und II. 127 S. zu diesem Aspekt (im systematisch richtigen Zusammenhang des Rechtsbruchs) Bern-
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
lage zu informieren. Eine solche wettbewerbsrechtliche Aufklärungspflicht bezüglich der Rechtslage ist aber in jedem Fall abzulehnen. Dies ergibt sich auf Grundlage der hier vertretenen Vorrangigkeit der vertragsrechtlichen Wertung gerade daraus, daß das Vertragsrecht – welches mit der Anordnung typisierter Informationspflichten im Massenverkehr seine Wertung bezüglich der situationsspezifischen Schutzwürdigkeit der Verbraucher ja gerade in das wettbewerbliche Vorfeld ausdehnt – hinsichtlich der Anordnung von Informationspflichten zur Sicherung der Geltendmachung bestimmter Rechte der Kunden grundsätzlich als abschließend anzusehen ist. Allenfalls soweit sich im situationsspezifisch typisierten Verbraucherschutz tatbestandlich systemwidrige Lücken auftun oder soweit es in bestimmten Situationen zu einer eklatanten faktischen Durchsetzungslücke kommt, käme daher ein Eingreifen des Wettbewerbsrechts in Betracht. Derartige Lücken sind im Bereich der überrreich gestreuten verbraucherschutzrechtlichen Informationspflichten hinsichtlich der Sicherung der Geltendmachung der Rechte der Verbraucher aber gerade nicht ersichtlich. Außerhalb der im allgemeinen Zivilrecht gesetzlich geregelten Fälle besteht daher grundsätzlich keine Verpflichtung, den Vertragspartner – praktisch vorbeugend – über seine Rechte und Pflichten zu belehren. Diese Haltung nimmt – vollkommen zu recht – auch im Grundsatz der BGH ein; die diesbezügliche Rechtsprechung bildet das hier vertretene Subsidiaritätsverhältnis zwischen Vertrags- und Wettbewerbsrecht – soweit sich die Wertungen überschneiden – exakt ab128. Im Ergebnis umreißt der BGH mithin die dogmatische Konstruktion des Ausnutzens der Rechtsunkenntnis der Verbraucher (für Situationen vor Vertragsschluß) exakt anhand der verbrauchervertragsrechtlichen Informationspflichten für diesen Bereich; dies verdeutlicht nur zu klar, daß es bei dieser nur vermeintlich autonomen wettbewerbsrechtlichen Beurteilung wohl stets nur darum ging, der hinsichtlich ihrer Anwendungsvoraussetzungen in der älteren Rechtsprechung durch die Differenzierung in wertneutrale und wertbezogene Normen bedauerlich unsicheren Fallgruppe des Rechtsbruchs ein verläßliches eigenständiges Unlauterkeitsverdikt stützend zur Seite zu stellen. Mit dem nunmehr zutreffend anhand des Kriteriums der Marktbezogenheit umrissenen Beispielstatbestand für Rechtsbruch nach § 4 Nr. 11 UWG – der Verstöße gegen Verbraucherinformationspflichten nunmehr ganz eindeutig und vollständig umfaßt – ist der Bedarf für eine derartige Stütze entfallen129. Die Konstruktion einer reuther, GRUR 1998, 542, 544 dort betreffend die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Verwendung rechtswidriger AGB, solange die diesbezügliche Rechtslage noch gar nicht hinreichend geklärt ist. 128 S. eindeutig BGH GRUR 1997, 472, 473 – „Irrtum vorbehalten“ in Abgrenzung zu BGHZ 121, 52, 54 – Widerrufsbelehrung und BGH GRUR 1994, 59, 60 – Empfangsbestätigung; vgl. auch OLG Stuttgart, Urt. V. 26. 5. 1994 – 2 U 263/94 –, RRa 1995, 190 ff. 129 Mißt man im übrigen die wesentlichen praktischen Fälle, in denen bisher der Aspekt des Ausnutzens der Rechtsunkenntnis außerhalb der Nicht- oder Schlechterfüllung gesetzlicher Informationspflichten eine Rolle spielte, an den hier vertretenen Maßstäben, so wird deutlich, daß die hier vertretene Auffassung (insbesondere die vorgeschlagene Begrenzung des § 4 Nr. 2 UWG
3. Abschnitt: Unmittelbar-heteronome Rezeption vertragsrechtlicher Wertungen im UWG
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bloßen Ausnutzung der Rechtsunkenntnis der Verbraucher sollte – soweit es nicht um Fälle aktiver Täuschung geht130 – künftig gänzlich fallengelassen werden131. Eine andere Bewertung mag aber natürlich in Betracht kommen, soweit zusätzlich besondere Unlauterkeitsmerkmale im Einzelfall vorliegen132.
auf Fälle aktiver Täuschung über die Rechtslage, demnach auch terminologisch künftig eher „Hervorrufen von Rechtsirrtümern“ als bloßes „Ausnutzen der Rechtsunkenntnis“) jedenfalls wahrlich keine grundstürzenden praktischen Veränderungen, etwa im Sinne einer aufbrechenden Schutzlücke mit sich brächte. Denn außerhalb der Überschneidungsbereiche mit den verbraucherschutzrechtlichen Informationspflichten und den Vorschriften des AGB-Gesetzes (s. insoweit beispielhaft etwa BGH WRP 1992, 706, 708 – Haftungsbeschränkung bei Anwälten) sind derartige Fälle in der Rechtsprechung eben ohnedies äußerst rar. Der Verzicht auf die Fallgruppe des bloßen Ausnutzens von Rechtsunkenntnis stellt sich unter etwas weiterer Perspektive aber zugleich auch als ein Beispiel für die nach der hier vertretenen Auffassung als Komplement der erweiternden Anwendung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche auch nach Vertragsschluß zu fordernde Akzeptanz der vertragsrechtlichen Wertungen im Wettbewerbsrecht dar. Die praktischen Ergebnisse dieses veränderten Ansatzes dürften gleichfalls in etwa denen der bisherigen Rechtsprechung gleichen. So wäre etwa der BGH-Fall Ersetzung unwirksamer Versicherungsbedingungen, WRP 2003, 76 f., nach der hier vertretenen Auffassung im Ergebnis inhaltsgleich zu lösen. Zwar würde zunächst das Vorliegen einer Wettbewerbshandlung bejaht und es käme zu einer Anwendung der §§ 4 Abs. 2, 3 UWG, jedoch läge ein unlauteres Verhalten in der Folge dann gerade nicht vor, da die Vorgehensweise der Beklagten in dem genannten Fall ja nur darin bestand, ihre Kunden über die ihnen günstige Rechtslage nicht aufzuklären und da entsprechende Aufklärungspflichten im Zivilrecht für sie nicht angeordnet waren. 130 S. dazu schon oben (B I) für die typisch umstrittenen Konstellationen nach Vertragsschluß. S. auch im Überblick die erschöpfenden Nachweise bei Hefermehl/Köhler/BornkammKöhler, § 4, Rz. 2.23. 131 Ähnlich wohl Bernreuther, GRUR 1998, 542, 544, der bezüglich der Verwendung rechtswidriger AGB in der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung gerade – wie es nunmehr dem Kriterium des Marktverhaltensbezugs in § 4 Nr. 11 UWG entspricht – entscheidend darauf abstellt, ob die Verwendung der rechtswidrigen Klauseln zu einer Störung des wettbewerblichen level playing field führt. 132 S. BGH GRUR 1997, 472, 473 – „Irrtum vorbehalten“.
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
4. Abschnitt:
Zusammenfassung zum dritten Kapitel I. 1. a) In der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre kommt allein § 134 BGB für eine rein unmittelbar-heteronome Rezeption wettbewerbsrechtlicher Vorschriften in Betracht. Die Vorschrift hat aber vergleichsweise geringe Bedeutung, weil es nur in den seltensten Fällen zu einer Überschneidung der unterschiedlichen Regelungsgegenstände des handlungsbezogenen Wettbewerbsrechts und der auf den Inhalt des Rechtsgeschäfts bezogenen Norm des § 134 BGB kommt. b) Auch aus der funktional-rechtsfolgenorientierten Sicht des verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips unter Berücksichtigung des ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung stellt § 134 BGB wegen der unflexiblen Rechtsfolge, die eine interessengerechte Behandlung der Problematik unlauter angebahnter Verträge nicht gestattet, kein geeignetes, erweiterungsfähiges Instrument dar. Neben ihrer starren Nichtigkeitsfolge spricht gegen die Eignung der Norm zur im nachhinein erfolgenden Ausgleichung von Gefährdungssituationen für Entscheidungsprozeß oder Entscheidungsgrundlage insbesondere, daß sie das in diesen Fällen typischerweise bestehende Durchsetzungsproblem des Zivilrechts – individuelle Rechte werden nicht geltend gemacht, weil der Kunde sie nicht kennt oder weil eine Rechtsverfolgung wegen des Bagatellcharakters des unerwünschten Vertrags bzw. des entstandenen Schadens nicht lohnend erscheint – nicht zu lösen vermag. Es besteht, um es schlagwortartig auszudrücken, zumeist nicht nur eine systematisch tatbestandliche Lücke, sondern häufig auch eine rein faktische Durchsetzungslücke. Bezüglich dieses Problems helfen nur situationsspezifische Instrumente, die insbesondere mit Informationspflichten flankiert sind, teilweise weiter. c) Soweit dennoch in rechtshistorischer Perspektive gerichtspraktisch eine Lösung der Probleme, wie sie insbesondere neue Vertriebsformen (Haustürgeschäfte etc.) für die Entscheidungsfreiheit der Kunden mit sich brachten, gerade über eine Anwendung des § 134 BGB i.V.m. UWG-Verboten versucht wurde, belegt dies erstens nur die hier vertretene These der zeitlichen Komplementarität von Lauterkeits- und Verbraucherschutzrecht. Neu entstehende Problematiken wurden im UWG zuerst aufgefangen, um sodann gewissermaßen auf dem ungeeigneten Um-
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weg über § 134 BGB schon de lege lata den Rückweg in eine Problemlösung im Kontext der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zu finden. Bedeutung hat dies zweitens insofern, als die historische Entwicklung empirisch belegt, daß typisierbare vertriebsspezifische Gefährdungen für die Freiheit der Verbraucherentscheidung stets relativ rasch gerichtsnotorisch werden. Das heißt, die Annahme einer tatbestandlichen Lücke im System des Schutzes für die Entscheidungsfreiheit im individuellen Vertragsrecht dürfte im Regelfall im Sinne einer Rechtstatsachenanalyse voraussetzen, daß sich „Ausreißer“ der instanzgerichtlichen Rechtsprechung im Sinne von Versuchen nachweisen lassen, vertriebsbezogene Probleme über das „Frühwarnsystem“ der UWG-Verbote aufzufangen (und dann in der Folge die so getroffene Wertung auch im Rahmen systematisch ungeeigneter Instrumente der Rechtsgeschäftslehre, wie eben § 134 BGB, vertragsrechtlich fehlsam zu rezipieren). Ist dies nicht der Fall, ist die Begründungslast für die sozusagen „proaktive“ Identifizierung einer entsprechenden Verbraucherschutzlücke im Vertragsrecht jedenfalls zusätzlich erhöht.
2. a) Neben der unmittelbar-heteronomen Rezeption wettbewerbsrechtlicher Verbote in § 134 BGB spielen die Vorschriften der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre auch eine mittelbar-heteronom stabilisierende Rolle, soweit es um die zivilrechtliche Umsetzung wettbewerbsrechtlicher Verbote mit Einwilligungsvorbehalt – insbesondere bezüglich der in § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG geregelten Formen des Direktmarketing – geht. Für die exakte Umsetzung der wettbewerbsrechtlichen Wertung in diesen Bereichen bietet sich bezüglich der zivilrechtlichen Behandlung entsprechender Einwilligungserklärungen die Heranziehung der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre an. Soweit es um vertragliche Gestattungen geht, hat diese ohnedies unmittelbar zu erfolgen. Im übrigen ist auf einseitige Einwilligungen jedenfalls im Ergebnis der überwiegende Teil der Vorschriften der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre (mit der wesentlichen Ausnahme des § 107 BGB, da in diesem Fall auf die individuelle Einsichtsfähigkeit abzustellen ist) anwendbar. b) Insbesondere die §§ 305 ff. AGBG werden von der Rechtsprechung – unter bisher zu weitgehender Betonung des Inhaltskontrollaspekts – herangezogen, um die wettbewerbsrechtlichen Verbote gegen eine Umkehrung der Initiativlast durch klauselmäßige Vereinbarungen abzusichern. Im Grundsatz ist dieser Ansatz zustimmungswürdig. Die genaue Analyse der wettbewerbsrechtlichen Wertung und auch ihrer Umsetzung in der BGH-Rechtsprechung ergibt allerdings, daß die Rechtsprechung von der bisher herrschenden Meinung zu restriktiv verstanden wird. Nach dem Grundgedanken der wettbewerbsrechtlichen Regelung genügt die formularmäßige Einwilligung in Direktmarketing dann den Anforderungen der AGB-Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle, wenn sie im Rahmen einer klar eingeräumten, vom
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
Hauptgegenstand des Vertrags unabhängigen Wahlmöglichkeit erfolgt und wenn der Gegenstand der Werbung hinreichend klar umrissen ist. Eine genaue Betrachtung der Rechtsprechung führt, im Gegensatz zum Verständnis der herrschenden Meinung, auch zu dem Ergebnis, daß der Maßstab der Rechtsprechung in dieser Frage schon nach jetzigem Stand im Ergebnis die hier und andernorts vorgeschlagene liberalere Lösung stützt. c) Soweit die wettbewerbsrechtliche Regelung ausdrücklich Raum für eine mutmaßliche Einwilligung läßt, ist der Ansatz der Rechtsprechung und herrschenden Meinung, für die Umsetzung dieser Wertung auf den objektiv-subjektiven Maßstab des § 683 S. 1 BGB zurückzugreifen, zutreffend. Bezüglich des Streits, ob daneben auch in denjenigen Fällen, in denen das neue UWG die Möglichkeit einer mutmaßlichen Einwilligung nicht ausdrücklich vorsieht, Raum für die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung in atypischen Notsituationen bleibt, verdient die Ansicht Zustimmung, derzufolge auch insoweit eine mutmaßliche Einwilligung weiterhin in Betracht kommt. Es ist dann aber nicht allein auf den Maßstab des § 683 S. 1 BGB abzustellen, sondern vielmehr ist der qualifizierte Charakter der diesbezüglich nur in Notfällen möglichen mutmaßlichen Einwilligung durch Rückgriff auf die Wertung des § 34 StGB für den übergesetzlichen Notstand auch konstruktiv zu verdeutlichen.
II. 1. Zur unmittelbar-heteronomen Durchsetzung zwingender vertragsrechtlicher Vorschriften kommt es im wesentlichen über den Rechtsbruchtatbestand, nunmehr § 4 Nr. 11 UWG. Die praktisch wesentlichste Rolle spielt die wettbewerbsrechtliche Durchsetzung verbraucherschützender Informationspflichten. a) Die verbrauchervertragsrechtlichen Informationspflichten des BGB werden ihrem zumeist vorhandenen Doppelcharakter – als individuelle Regelungen, die wegen ihres typisiert zwingenden Charakters zugleich Marktverhaltensregelungen darstellen – entsprechend sowohl über individuelle Rechtsfolgen im Vertragsrecht als auch über das Sanktionsinstrumentarium des Wettbewerbsrechts umgesetzt. Das Sanktionensystem des Unterlassungsklagegesetzes ist insoweit nicht als abschließend anzusehen. Es erfolgt also für die zwingenden Pflichten des Verbraucherschutzrechts eine Kumulierung individualvertragsrechtlicher, kollektiv verbraucherschutzrechtlicher und kollektiv institutioneller Rechtsbehelfe des Wettbewerbsrechts. b) Aus der Grundlagenperspektive des hier für das Verhältnis von Lauterkeits- und Verbrauchervertragsrecht vorgeschlagenen ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung löst die ergänzende Heranziehung des wettbewerbsrechtlichen Sanktionsinstrumentariums ein Durchsetzungsproblem im Individualvertragsrecht, daß wiederum auf der mangelnden Kenntnis der Kun-
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den bezüglich ihrer Rechte sowie – seltener – auf dem Bagatellcharakter der in diesem Bereich typischerweise entstehenden Schäden beruht. Eine ergänzende wettbewerbsrechtliche Durchsetzung zwingender Vorschriften des Individualvertragsrechts erfolgt also gerade, wenn und soweit eine vertragsrechtliche Durchsetzungslücke besteht. Wiederum steht bezüglich der Notwendigkeit eines kumulativen Eingreifens des Wettbewerbsrechts demnach weniger die systematische Geschlossenheit der Tatbestände des Individualvertragsrechts im Mittelpunkt, als vielmehr der Aspekt auch faktischer Durchsetzbarkeit vertragsrechtlich zwingender Pflichten. c) In diesem Zusammenhang belegt der europäisch angestoßene, zwischenzeitliche Erlaß des Unterlassungsklagegesetzes auch einmal mehr die zeitliche Komplementarität wettbewerbsrechtlicher und verbraucherschutzrechtlicher Lösungen. In diesem Fall hat das Unterlassungsklagegesetz jedoch den Rückgriff auf das Wettbewerbsrecht nicht im Sinne einer abschließenden Regelung nunmehr überflüssig gemacht. Vielmehr sind beide Instrumente grundsätzlich nebeneinander anwendbar, zumal das Unterlassungsklagegesetz keinen individuell mitbewerberschützenden Effekt entfaltet. d) Schließlich läßt sich ein Großteil des durch typisierte Informationsgebote konkretisierten Tatbestands irreführenden Unterlassens nach Art. 7 Abs. 3–5 Lauterkeits-RL – nämlich all jene irreführenden Unterlassungen, die mit einer Verletzung gesetzlich geregelter Informationspflichten einhergehen – auf Grundlage der hier vertretenen Lösung bereits im Rahmen der § 4 Nr. 11, § 3 UWG als Rechtsbruch erfassen, so daß lediglich für die darüber hinaus verbleibenden Bereiche typisiert wesentlicher „Basisinformationen“ nach der Richtlinie ein Bedarf für gesetzgeberische Umsetzung durch entsprechende Konkretisierung des § 5 Abs. 2 UWG besteht.
2. Die durchsetzungsorientierte Perspektive hilft auch bei der Beantwortung der umstrittenen Frage, ob und inwieweit die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche auch auf vertragsbezogene Handlungen anwendbar sind. a) Nach der hier vertretenen Auffassung ist entgegen der bisher herrschenden Meinung der Begriff der Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG als Konsequenz der gleichberechtigten Anerkennung des Verbraucherschutzes in § 1 UWG (wie auch im Rahmen der bisherigen Schutzzwecktrias) teleologisch erweiternd auszulegen. Nach Vertragsschluß kommt demnach eine Wettbewerbshandlung jedenfalls in Betracht, wenn und soweit die vertragsbezogene Handlung marktbezogene Außenwirkung in dem Sinne aufweist, daß bestehende Vertragsbeziehungen gegen ihre Auflösung abgesichert werden oder aber auch nur inhaltlich verändert werden sollen. Neben die Berücksichtigung der mitbewerberbezogenen Marktaußenwirkung (durch Einbeziehung von Maßnahmen zur Sicherung oder gar Erweiterung eines bestehenden Kundenstamms) tritt damit gleichberech-
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
tigt die verbraucherbezogene Marktaußenwirkung durch inhaltliche Veränderung bestehender Vertragsbeziehungen. Entscheidende Konsequenz der Berücksichtigung des Verbraucherschutzzwecks bei der Prüfung der Marktaußenwirkung ist es darüber hinaus, daß auch bisher als grundsätzlich nicht marktrelevant angesehene, reine durchsetzungs-, anspruchsabwehr- oder erfüllungsbezogene Handlungen nach Vertragsschluß eine Wettbewerbshandlung darstellen können. Voraussetzung ist insoweit nur, daß der Kunde nicht lediglich individuell, sondern durch potentiell massenhaftgleichartige Nutzung einer vom Unternehmer geschaffenen oder genutzten systemwidrigen Durchsetzungslücke zugleich in seiner Eigenschaft als Marktteilnehmer betroffen ist. Damit stellt jedenfalls eine Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten, die zwingende Verhaltensanweisungen für den Zeitraum nach Vertragsschluß enthalten, auch nach Vertragsschluß stets eine Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar und ist gemäß §§ 4 Nr. 11, 3 UWG im Rahmen des Rechtbruchtatbestands erfaßt. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Charakter dieser verbraucherschützenden Vorschriften als (mindestens auch) marktverhaltensbezogene zwingende Regeln, die gerade dem Schutz vor gesetzgeberisch typisiert erkannten, auf Informationsasymmetrien zurückzuführenden Durchsetzungslücken dienen. b) Dieser Erweiterung der Anwendbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Ansprüche auf vertragsbezogene Handlungen entspricht als inhaltlich-wertendes Korrektiv die strikte Anerkennung der durchsetzungsorientierten Subsidiarität des Wettbewerbsrechts gegenüber dem Vertragsrecht in diesem gesamten Bereich. Vorrang für das individuelle Verhältnis der Vertragsparteien hat die Wertung des Vertragsrechts. Nur soweit das ordnungspolitische Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung es konkret gebietet, kommen Ausnahmen von diesem Grundsatz in Betracht; diese sind im einzelnen zu umreißen, wie im folgenden beschrieben. Insgesamt, also auch über den Bereich des rein durchführungsbezogenen Handelns im Rahmen bestehender Verträge hinaus, gilt, daß nur wenn und soweit im potentiell massenhaften Fall systemwidrige Durchsetzungslücken im Vertragsrecht seitens des Unternehmers geschaffen oder genutzt werden, eine Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche seitens Dritter (der Mitbewerber) bezüglich ausschließlich vertragsbezogenen Handelns nach Vertragsschluß in Betracht kommt. Reine Einzel- oder Bagatellfälle ohne Tendenz zur nachahmungsbedingt massenhaften Verbreitung sind zudem über § 3 UWG auszuscheiden. Stehen etwaige spezifische Wertungen des Vertragsrechts der Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche Dritter mit Blick auf vertragsbezogene Handlungen (selbst bei Nutzung einer Durchsetzungslücke) unmittelbar entgegen, hat überdies stets die Wertung des Vertragsrechts Vorrang. Dieser Grundsatz gilt im übrigen nicht nur nach Vertragsschluß, sondern auch schon zuvor, wenn und soweit eine spezifische Wertung des Vertragsrechts über die Regelung des Vorfelds individueller Vertragsanbahnung hinausreicht und demnach (mindestens auch)
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Marktverhaltensbezug entwickelt (die Konsequenzen aus dieser Feststellung sind im nächsten Kapitel zu ziehen). Schließlich kommt eine Durchsetzung aktiver Handlungen (insbesondere aufgrund von Pflichten zur Nachholung einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung) über wettbewerbsrechtliche Beseitigungsansprüche nach Vertragsschluß nur insoweit in Betracht, wie eine allfällige Gefährdung der Entscheidungsgrundlage oder des Entscheidungsprozesses des Verbrauchers oder eine (außerhalb dieser Fälle ganz seltene) anderweitige Gefährdung der Geltendmachung seiner durch Informationspflichten geschützten Interessen fortbesteht. Andernfalls besteht in der Regel nur ein zukunftsorientierter Anspruch auf „Unterlassung der Unterlassung“ in Fällen künftigen Vertriebs. Die Problematik etwaiger lauterkeitsrechtlicher Ansprüche auf Unterlassung der Forderungsdurchsetzung in bestimmten Folgevertragssituationen wird im nächsten Kapitel behandelt. c) Aus den vorstehenden Grundsätzen – und insbesondere aus dem Vorrang der vertragsrechtlichen Wertung – ergibt sich praktisch für den Bereich der Durchsetzung verbraucherschutzrechtlicher Informationspflichten, daß eine über die Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG (Rechtsbruch) für Fälle der Verletzung im Vertragsrecht ausdrücklich geregelter Informationspflichten hinausgehende Fallgruppe des bloßen „Ausnutzens der Rechtsunkenntnis“ der Verbraucher außerhalb von Situationen aktiver Täuschung künftig nicht mehr anerkannt werden sollte. Eine wesentliche Verschlechterung der Kundensituation gegenüber der bisherigen Lage ergibt sich daraus nicht. d) Künftig wird im Rahmen der Umsetzung der Lauterkeits-RL die Definition der Wettbewerbshandlung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dadurch an die Vorgaben des europäischen Rechts anzupassen sein, daß das Kritierium des „Ziels“ der Absatzoder Bezugsförderung der Handlung ersetzt wird durch die weiter formulierte Voraussetzung eines „unmittelbaren Zusammenhangs“ mit Absatz oder Bezug. Handlungen nach Vertragsschluß wären aufgrund dieser Lösung dann vom Begriff der Wettbewerbshandlung tatbestandlich ohne weiteres in den allermeisten Fällen mit erfaßt, ohne daß es der hier vorgeschlagenen teleologisch erweiternden Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG zur Erreichung dieses gebotenen Ergebnisses noch bedürfte. Die hier vorgeschlagenen und entwickelten Kriterien für eine inhaltlich-wertende Abgrenzung zum Individualvertragsrecht, welche im Wege durchsetzungsorientierter materieller Subsidiarität den Vorrang spezifischer Wertungen des Vertragsrechts akzeptiert, so weit diese reichen, läßt dies für die Zukunft als umso wesentlicher erscheinen, zumal auch die Richtlinie den Vorrang des Vertragsrechts insoweit respektiert.
3. Die durchsetzungsorientierte Perspektive, derzufolge das Wettbewerbsrecht mit Blick auf vertragsbezogene Handlungen im wesentlichen eingreift, soweit das Individualvertragsrecht faktische Durchsetzungslücken aufweist, bestätigt sich im
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3. Kapitel: Die unmittelbar-heteronome wechselseitige Rezeption
übrigen nicht nur, wenn es um verbraucherschützende Aufweichungen des pacta sunt servanda Grundsatzes geht, sondern auch im umgekehrten Fall, wenn wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen Außenseiter gerade zur Absicherung der Vertragstreue notwendig sind.
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4. Kapitel:
Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung von Vertragsund Wettbewerbsrecht
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
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1. Abschnitt:
Überblick Im folgenden Kapitel wird mit der Untersuchung der mittelbar-autonomen wechselseitigen normativen Beeinflussung vertrags- und wettbewerbsrechtlicher Wertungen eines der eigentlichen Kernfelder der vorliegenden Untersuchung erreicht. Normative Wertungen bezüglich des Verbraucher- und Kundenschutzes, wie sie sich im Wettbewerbsrecht einerseits sowie in den Instrumenten der allgemeinen Rechtsgeschäftlehre und des Schuldrechts andererseits ausgeprägt haben, sind einander gegenüberzustellen und zu vergleichen bzw. – soweit tatsächlich identische Regelungsgegenstände betroffen sind – auf Grundlage des Gleichmaßgrundsatzes in einem normativen Wechselwirkungsprozeß einander anzugleichen, sofern und soweit konkrete Interessenpositionen fehlen, die eine Fortgeltung unterschiedlicher Maßstäbe im Wettbewerbs- und allgemeinen Zivilrecht zu rechtfertigen vermögen. Vorab sollen wegen des bestehenden Sachzusammenhangs einzelne allgemeine Konzeptionen, die im allgemeinem Zivil- und Wettbewerbsrecht gleichermaßen gelten, sozusagen akzessorisch mit untersucht werden (s. unten 2. Abschnitt). Angesprochen sind an dieser Stelle insbesondere der Verbraucher- und Unternehmerbegriff des Zivilrechts, wie sie für das Wettbewerbsrecht in der UWG-Reform durch Verweisung übernommen wurden. Tatsächlich macht gerade diese Übernahme im UWG einzelne Problemstellungen, die sich im Zusammenhang mit der rollenspezifischen Verbraucher- und Unternehmerdefinition des deutschen Rechts ergeben, besonders visibel. Häufig ließen sich diese Probleme, wie sie nun auch im Wettbewerbsrecht virulent werden, bereits mit Blick auf den zivilrechtlichen Verbraucherbegriff an einzelnen Stellen beobachten. Insofern schärft die wettbewerbsrechtliche Perspektive den Blick für Korrekturbedarf auch bezüglich des zivilrechtlichen Verbraucher- und Unternehmerbegriffs und hilft, – durch methodologischen Vergleich – bestimmte Lösungsansätze zum Ausgleich der identifizierten Schwächen der Verbraucher- und Unternehmerdefinition des Zivilrechts aufzuzeigen. Im sich anschließenden dritten Abschnitt werden sodann zuerst die vertragsrechtlichen Instrumente, die schon ihrer Konzeption nach (auch) eine eigenständige marktbezogene Ordnungsfunktion (und mithin auch eine wettbewerbsregelnde Intention) als Zielsetzung verfolgen, in ihrer wertungsmäßigen Rückwirkung auf das System des Wettbewerbsrechts untersucht. Insbesondere die verbraucherschützenden Regelungen der besonderen Vertriebsformen im BGB (§§ 312 ff. BGB) weisen nach der hier vertretenen Auffassung derartig eigenständige, spezifisch auch auf die Regulierung zwingender Rahmenbedingungen des Wettbewerbs in den betroffenen Marketing- und Vertriebsumgebungen gerich-
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
tete Wertungen auf, deren Rückwirkung auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der geregelten Marketing- und Vertriebsbereiche unter der Perspektive des Gleichmaßgrundsatzes und unter Rückgriff auf die Systematik des Vier-Ebenen-Modells näher zu untersuchen ist. Daneben steht in diesem Bereich zumal die vergleichende, rechtsfolgenspezifische Analyse verbrauchervertragsrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Informationspflichten im Mittelpunkt, bevor mit der Analyse der neuen kaufrechtlichen Regelung der typisierten Aufnahme bestimmter öffentlicher Werbeangaben in die kaufvertragsrechtliche Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB) einer der wesentlichsten Schwerpunkte der hier anzustellenden Untersuchung für das deutsche Recht erreicht wird1. Insbesondere vor dem europäischen Hintergrund der Neuregelung des Kaufrechts wird nämlich deutlich, daß einzelne der neuen kaufrechtlichen Vorschriften – neben der Neuregelung der Gewährleistungshaftung für Werbeangaben sind insbesondere einzelne der neuen Vorschriften über Garantien zu nennen – durch die typisierte Anknüpfung kaufvertragsrechtlicher Folgen an öffentliche Aussagen (insbesondere in der Werbung) neben ihrer individualschützenden Zielrichtung auch in innerem Zusammenhang mit der institutionellen Zielsetzung stehen, die Markttransparenz im Binnenmarkt durch Schutz vor irreführender Werbung zu erhöhen. Innerhalb der durch das Zivilrecht umgrenzten Einfallstore für eine typisierte Anknüpfung an Maßstäbe der durch öffentliche Werbung geprägten Verkehrserwartung ist dieser innere Zusammenhang fruchtbar zu machen und im einzelnen zu untersuchen, welche der wettbewerbsrechtlichen Beurteilungsmaßstäbe aus dem Irreführungsschutz auch im Bereich des Kaufrechts künftig eine Rolle spielen können und zu welchen konkreten Ergebnissen der Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Kriterien in diesem Bereich führt, wie er hinsichtlich seiner Möglichkeiten und Grenzen auf Grundlage des funktional-interessenorientiert differenzierten Gleichmaßgrundsatzes ausführlich auszuloten ist. Im darauffolgenden vierten Abschnitt werden ausgewählte „klassische“ Instrumente der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts, die primär dem Schutz individuell in ihren (im Vier-Ebenen-Modell modellierbaren) Interessen beeinträchtigter prospektiver Vertragspartner dienen, dabei aber unvermeidbar auch reflexartige Rückwirkungen auf die konkrete Gestalt des Verkehrssystems aufweisen (reflexartige marktbezogene Ordnungsfunktion), näher untersucht. Insbesondere geht es um die Identifikation typisierter Bereiche im Zivilrecht, in denen die diesbezüglichen rechtlichen Maßstäbe mit den typisierten Maßstäben 1 Vgl. zu dem sich daraus insgesamt ergebenden gewissen Fokus auf verbraucherschützende Normen des Vertragsrechts oder im deutschen Vertragsrecht horizontalisierend umgesetzte Normen europäischen Verbraucherrechts, der der hier angestellten, umfassend orientierten Studie zwar nicht immanent ist, sich aber doch im Sinne einer faktisch unvermeidbaren Schwerpunktsetzung daraus ergibt, daß die hier beobachteten Trends zumal im europäischen Recht sich typischerweise in Instrumenten des Verbraucherschutzrechts zuerst kristallisierten, schon oben Einführung A.
1. Abschnitt: Überblick
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des wettbewerbsrechtlichen Kundenschutzes verglichen werden können („Wasser und Öl-Ansatz“2). Derartige typisierte Wertungen lassen sich zumal im Recht der Anfechtung, in einzelnen Bereichen der Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 138 BGB sowie insbesondere im Rahmen der vorvertraglichen Schadensersatzhaftung aus §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB (culpa in contrahendo) erkennen, die demnach schwerpunktmäßig hinsichtlich des normativen Wechselwirkungsprozesses der etablierten zivilrechtlichen Wertungen mit vergleichbaren rechtlichen Maßstäben des Lauterkeitsrechts näher analysiert werden, wobei zumal die Haftungsfigur der culpa in contrahendo ein ganz erhebliches Potential aufweist, um die Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB hinsichtlich der in ihrer individualrechtlichen Relevanz erheblich aufgewerteten massenhaft-vorvertraglichen, werblichen Beeinflussung der Kunden über den spezifischen Bereich des Kaufrechts hinaus sozusagen allgemein-schuldrechtlich zu Ende zu denken. Stets geht es dabei nicht um einen nur einbahnstraßenartigen „Import“ lauterkeitsrechtlicher Wertungen in das Vertragsrecht, sondern um eine Wechselwirkung der jeweiligen Beurteilungsmaßstäbe; da hierbei jedoch die Rückwirkung (der in diesem Bereich nur implizit-reflexartigen) vertragsrechtlichen Wertungen auf das Lauterkeitsrecht insgesamt weniger stark ausgeprägt ist, als die Auswirkung typisierter wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe auf die Interpretation entsprechend typisierter Elemente des Vertragsrechts, wird die jeweilige Rückwirkung des Zivilrechts auf das Wettbewerbsrecht nicht in einem eigenständigen Abschnitt behandelt, sondern bei der Untersuchung des zivilrechtlichen Instrumentariums implizit mitberücksichtigt. Schon Charakterzüge eines Zwischenfazits weist schließlich der fünfte Abschnitt auf, in dem die Fragestellung aufgeworfen wird, ob tatsächlich – wie dies gelegentlich zumal im Vorfeld der UWG-Reform behauptet wurde – tatbestandliche Schutzlücken hinsichtlich des Schutzes von unlauterem Wettbewerb betroffener Verbraucher im System des Zivilrechts klaffen oder ob nicht vielmehr eher eine ordnungspolitische Durchsetzungsperspektive, wie sie schon im vorangehenden Kapitel ansatzweise entwickelt wurde, das Verhältnis von Wettbewerbs- und Vertragsrecht (insbesondere einzelne „Übergriffe“ des wettbewerbsrechtlichen Sanktioneninstrumentariums in etablierte vertragliche Sonderbeziehungen) sinnvoll zu modellieren vermag. Nachdem einzelne strukturelle Durchsetzungslücken aus ordnungspolitischer Sicht identifiziert sind, gilt das rechtspolitische Augenmerk dann in der Folge konsequenterweise weniger etwaigen tatbestandlichen Schutzlücken im Zivilrecht, sondern vielmehr ebenjenen strukturell faktischen Durchsetzungslücken des vorvertraglichen und vertraglichen Instrumentariums des Zivilrechts zum Schutz werblich angesprochener Kunden gelten müßte. Zuletzt werden im sich anschließenden sechsten Abschnitt die Ergebnisse der Untersuchung zur autonomen Wechselwirkung vergleichbarer Wertungen des 2
S. zuerst oben 1. Kap. 3. Abschn. F III und IV 1.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Wettbewerbs- und Vertragsrechts ausführlich zusammengefaßt, bevor (dann schon im folgenden Kapitel) ein kurzes Fazit der Untersuchung gezogen und wesentliche Entwicklungslinien des Verhältnisses von Wettbewerbs- und Vertragsrecht im Sinne einer Zukunftsperspektive aufgezeichnet werden sollen.
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2. Abschnitt:
Allgemeine Konzeptionen A. Der jeweilige Verbraucher- und Unternehmerbegriff Mit der UWG-Reform 2004 hat das UWG den Verbraucher- und Unternehmerbegriff des allgemeinen Zivilrechts in für das Wettbewerbsrecht entsprechender Weise übernommen, wie sich aus der Verweisung in § 2 Abs. 2 UWG auf die §§ 13 und 14 BGB ergibt. Für diese Untersuchung interessieren in erster Linie die Probleme, die sich aus dem Verweis auf diese – schon für das Zivilrecht sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der gesetzestechnischen Umsetzung alles andere als unumstrittenen3 – Begriffe an der Schnittstelle spezifisch wettbewerbsrechtlicher Regelungen und verbraucherrechtlicher Regelungen des Zivilrechts ergeben. Insbesondere die Vergleichbarkeit einzelner Problemstellungen für das Wettbewerbsund Zivilrecht mag dabei auch ein erster Indikator sein, in welchem Umfang zumal die verbraucherschutzrechtlichen Regelungen des Zivilrechts schon beginnen, marktbezogene, gewissermaßen „wettbewerbsrechtliche“ Funktionalität zu entwickeln. Schließlich ist auch der durch die Lauterkeits-RL in diesem Bereich möglicherweise entstandene Umsetzungsbedarf kurz zu überprüfen.
I. Relevanz und praktische Probleme der Anwendung des zivilrechtlichen Verbraucher- und Unternehmerbegriffs im Wettbewerbsrecht Der Verbraucherbegriff erlangt im UWG zuerst und zuvörderst insofern Bedeutung, als der „Verbraucher“ in § 1 UWG als Schutzsubjekt nunmehr ausdrücklich genannt und insoweit als typisiert abgrenzbare Untergruppe der sonstigen Marktteilnehmer (auf der Marktgegenseite) identifiziert wird4. Zugleich sind einige der Beispielstatbestände und Strafvorschriften des neuen UWG bezüglich bestimmter Marketing- und Vertriebsformen verbraucherspezifisch ausgestaltet; dies betrifft insbesondere die § 4 Abs. 1 Nrn. 2 und 6, § 7 Abs. 2 Nr. 2 und § 16 Abs. 2 UWG. Hier dient der Verbraucherbegriff, um durch typisierte Regelung schon im gesetzlichen Tatbestand einen situationsspezifisch erhöhten Schutzbedarf der Verbraucher – bzw. eine hinsichtlich einzelner Handlungsweisen im Vertikalverhältnis 3
S. einstweilen statt aller nur die deftige Kritik bei Flume, ZIP 2000, 1427, 1428 im Kontext der Einführung der §§ 13, 14 BGB im Rahmen des Fernabsatzgesetzes. 4 S. nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 3, 11 ff.; Harte/Henning-Schünemann, § 1, Rz. 41 ff.; Lettl, Rz. 33 ff. und eingehend ders., GRUR 2004, 449 ff.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
nicht vorhandene Schutzbedürftigkeit unternehmerischer Marktteilnehmer – mit dem nötigen Maß an Rechtssicherheit im Wettbewerbsrecht abzubilden5. Der diesbezügliche Rückgriff auf den Verbraucherbegriff des § 13 BGB – wie auch auf den Unternehmerbegriff des § 14 BGB – ist dabei für das Wettbewerbsrecht insofern nicht unproblematisch, als diese Vorschriften – in schon für das bürgerliche Recht kritikwürdiger und korrekturbedürftiger Weise 6 – auf die Zwecke des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts abstellen. Im Wettbewerbsrecht geht es aber typischerweise um das Stadium der Anbahnung von Rechtsgeschäften. Es ist daher ohne Zweifel Lettl zuzustimmen, wenn er auch unter Hinweis auf die entsprechende Terminologie im ganz überwiegenden Teil der Verbraucherschutzrichtlinien des Gemeinschaftsrechts7 und im übrigen auf Grundlage einer im Kern systematischen und teleologischen Interpretation § 2 Abs. 2 UWG i.V.m. § 13 BGB erweiternd dahingehend auslegt, daß es für den rollenspezifischen Verbraucherbegriff im Wettbewerbsrecht allein darauf ankommt, ob das potentiell abzuschließende Rechtsgeschäft nicht der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zuzurechnen ist8. 5 S. für die einzelnen Beispielstatbestände des UWG, in denen die Verbraucherinteressen eine bestimmende Rolle spielen, nur Lettl, GRUR 2004, 449, 450; ders., Rz. 41ff.; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 11 ff. mwN. Natürlich sind dies nicht die einzigen Vorschriften des UWG, die primär dem Verbraucherschutz im Vertikalverhältnis dienen, vielmehr gehören insgesamt die Beispielstatbestände der § 4 Abs. 1 Nr. 1–6, und Teile der Nr. 11, §§ 5 und 6 sowie schließlich § 7 UWG in diesen Zusammenhang. Nicht in allen diesen Normen erfolgt aber eine typisierte Differenzierung anhand des Verbrauchermerkmals in dem Sinne, daß die im Text genannten Beispielstatbestände ihrer Formulierung nach verbraucherspezifischen Schutz beinhalten und insofern den in ihnen enthaltenen Schutz den „sonstigen Marktteilnehmern“ im Vertikalverhältnis versagen. Das wirft umgehend die Frage auf, inwieweit von der typisierten Wertung des UWG-Gesetzgebers auch hinsichtlich der verbraucherspezifischen Tatbestände im Einzelfall auf Grundlage der Generalklausel abgewichen werden kann, eine Frage, die sich im übrigen für die typisierte zivilrechtliche Wertung des Verbrauchervertragsrechts in inhaltlich durchaus ähnlicher – wenn auch hinsichtlich der methodischen Möglichkeiten abweichender – Weise stellt; darauf wird sogleich noch näher einzugehen sein, s. unten III. 6 Palandt-Heinrichs, § 13, Rz. 5; zum Teil gesehen auch bei MüKo-Micklitz, § 13, Rz. 28 f. und 47. Bamberger/Roth-Schmidt-Räntsch,§ 13, Rz. 11, will mit einer feinsinnigen sprachlichen Differenzierung zwischen „Abschluß“ von Rechtsgeschäften (in § 13 BGB) und „Vertragsschluß“ bzw. „Vornahme von Rechtsgeschäften“ (im „Rest“ des BGB) helfen, die verdeutlichen soll, daß auch das Vorfeld konkreter Vertragsabschlüsse durch § 13 BGB erfaßt sei. Man mag dieser Lösung – soweit sie reicht – durchaus folgen, doch hilft sie spätestens dort nicht weiter, wo es im Rahmen einzelner Verbraucherschutzvorschriften des BGB nicht einmal um das Vorfeld konkreter Vertragsschlüsse geht, s. dazu sogleich unten im Text. Erst recht hilft der bloße Rückfall auf die weite Auslegung des Wortlauts für das Wettbewerbrecht nicht weiter, dessen Tatbestände ja ganz unabhängig von der Anbahnung konkreter Rechtsgeschäfte schon im Stadium massenhafter Marktkommunikation eingreifen. 7 S. statt aller die eingehenden Schilderungen bei Lettl, GRUR 2004, 449, 451, und umfassend etwa MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14 BGB, Rz. 79 ff. mwN. 8 S. für die einhellige Meinung Lettl, GRUR 2004, 449, 451 f.; ders., Rz. 33 ff.; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, § 2, Rz. 79; Harte/Henning-Keller, § 2 Abs. 2, Rz. 7, der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß der wettbewerbsrechtliche Verbraucherbegriff schon insofern für das Wettbewerbsrecht funktionsspezifisch korrigierend aufgefaßt werden könne, als §§ 13, 14 BGB gem. § 2 Abs. 2 UWG für das Wettbewerbsrecht ja lediglich „entsprechend“ an-
2. Abschnitt: Allgemeine Konzeptionen
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Für das hier behandelte Querschnittsthema von besonderem Interesse ist die Tatsache, daß die unglückliche Formulierung des § 13 BGB hinsichtlich der Begrenzung auf den Abschluß von Rechtsgeschäften bei genauem Hinsehen auch schon für den zivilrechtlichen Verbraucherschutz genau dasselbe Problem aufwirft, wie es nunmehr im systematischen Kontext des Wettbewerbsrechts virulent wird9. Denn nicht nur erstrecken sich die vertriebsspezifischen Informationspflichten der §§ 312c und 312e BGB (wie im übrigen unter anderem auch die geschäftsspezifische Vorschrift des § 482 BGB) weit in das Vorfeld des individuellen Vertragsschlusses, sondern insbesondere sehen auch die §§ 241a Abs. 1 BGB und 661a BGB individuell verbraucherschützende Regelungen für den Fall der Zusendung unbestellter Waren bzw. für die Zusendung von Gewinnzusagen an Verbraucher vor, die mit einem späteren Vertragsschluß überhaupt nur noch in ganz mittelbarem Zusammenhang stehen10. Hier hilft der Rekurs des § 13 BGB auf den Zweck, zu dem ein Rechtsgeschäft vom Verbraucher abgeschlossen wird, also auch schon für die Abgrenzung einzelner Vorschriften des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes letztlich überhaupt nicht mehr weiter11. Vielmehr ist – wie nunmehr auch im Kontext des UWG – schlichtweg darauf abzustellen, ob das durch die werbliche Maßnahme seitens des Unternehmers erstrebte Geschäft – das ja insbesondere im Falle der Gewinnzusage mit dem durch § 661a BGB fingierten einseitigen „Geschäft“ in keinerlei Zusammenhang stehen muß – nicht der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit des Empfängers zuzurechnen ist12. Schön läßt sich an dieser Stelle beobachten, wie sich Probleme des zu vertragsbezogen formulierten Verbraucherbegriffs im Zivilrecht genau an jenen Stellen zeigen, wo das Zivilrecht – wie im Falle der §§ 312c und 312e13 BGB – durch typisierte Regewendbar sind. Genaugenommen wird man auf dieses Argument gar nicht zurückgreifen müssen, da – wie im übrigen auch Keller, aaO., betont – dieselbe Problematik sich auch schon für den Verbraucherbegriff des BGB stellt und dort letztlich auch in gleicher Weise zu lösen ist, s. dazu sogleich näher im Text. Mit Blick auf das Problem von vornherein treffender formuliert war übrigens der ursprüngliche „Professoren-Entwurf“ für das neue UWG, s. Köhler/Bornkamm/ Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1318 (dort § 2 Nr. 3). 9 S. nur die zutreffenden Hinweise auf die Problematik bei Soergel-Pfeiffer, § 13, Rz. 26; Staudinger-Weick, § 13, Rz. 40. 10 Denn derartige Zusendungen mögen zwar im Verkehr typischerweise erfolgen, um den Verbraucher in der Folge zum Abschluß eines Rechtsgeschäfts zu bewegen, doch sind die genannten Normen in ihrer Schutzwirkung tatbestandlich in keiner Weise vom späteren Abschluß eines Rechtsgeschäfts oder auch nur vom Willen des Verbrauchers, überhaupt ein Rechtsgeschäft abzuschließen, abhängig. S. nur Palandt-Heinrichs, § 241a, Rz. 2a. 11 Zutreffend gesehen für § 661a BGB auch bei MüKo-Micklitz, § 14, Rz. 47. 12 Insoweit ist § 13 BGB dann analog heranzuziehen, zutreffend statt vieler Soergel-Pfeiffer, § 13, Rz. 26; Staudinger-Weick, § 13, Rz. 40. 13 Neben der verfehlten Anknüpfung an die „Unternehmereigenschaft“ des Diensteanbieters (s. dazu noch sogleich unten II 1) kommt es in § 312e BGB insofern auf den Verbraucherbegriff an, als die Informationspflichten des § 312e Abs. 1 S. 1–3 BGB zwischen Parteien, die nicht Verbraucher sind, abbedungen werden können. S. zu dieser – in der (in mancher Hinsicht) verunglückt formulierten E-Commerce-Richtlinie (vgl. dazu nur MüKo-Wendehorst, § 312e, Rz. 15: „Man wird sich allerdings damit abfinden müssen, daß die ECRL ein technisch ungewöhnlich schlechtes Regelwerk ist.“) verwurzelten – ohnedies vollkommen unpraktikablen Regelung und
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
lungen schon im Vorfeld vorvertraglicher Individualisierung auch die Marktumgebung (das level playing field der besonderen Vertriebsformen) reguliert bzw. wo einzelne Normen – wie im Falle der §§ 241a, 661a BGB – letztlich überhaupt nur die Sanktionierung eines bestimmten Verhaltens im Wettbewerb verfolgen14, ohne daß die entsprechenden Tatbestände an den Zusammenhang mit einem späteren Vertragsschluß überhaupt noch rückgebunden wären. Wie ein Indikator weisen die diesbezüglichen Friktionen des zivilrechtlichen Verbraucherbegriffs in § 13 BGB solcherart auf die funktionalen „Übergriffe“ des allgemeinen Zivilrechts – und insbesondere des Verbrauchervertragsrechts – in die angestammten Domänen des Rechts des unlauteren Wettbewerbs hin. Zugleich bestätigt die für Zivil- und Wettbewerbsrecht einheitliche Lösung der auftretenden Probleme den hier vertretenen Grundsatz des Gleichmaßes der Wertungen in Zivil- und Wettbewerbsrecht, soweit diese einander funktional in einzelnen Bereichen überschneiden. Im übrigen stellt sich durch die erweiternde Ausdehnung des abschlußbezogenen Verbraucherbegriffs des § 13 BGB in das Vorfeld individueller Vertragsschlüsse noch ein weiteres, bisher selten gesehenes Problem (in gleicher Weise auch für das Wettbewerbsrecht)15. Es ist dies die Frage, an welchen Zeitpunkt die Zweckbestimmung des § 13 BGB in Fällen verbraucherschützender Regelungen – die sich in das Vorfeld des Vertragsschlusses erstrecken – anzuknüpfen ist. Micklitz16 will insoweit – auf Grundlage einer wortlautorientierten Argumentation mit Blick auf die Inbezugnahme des „Abschlusses“ des Rechtsgeschäfts im deutschen Recht, im Vergleich mit der Orientierung auf das bloße „Handeln“ im Gemeinschaftsrecht – auf die Zweckbestimmung, die der Verbraucher dem Rechtsgeschäft im Moment des Vertragsschlusses erkennbar gegeben hat, abstellen. Dies ist zweifelsohne zustimmungswürdig, soweit es darum geht, eine nachträgliche Umwidmung des Vertragszwecks abzuschneiden. Bedenklich erscheint das Abstellen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses allerdings insofern (zumal für den wettbewerbsrechtlichen Bereich), als diejenigen Pflichten des Unternehmers, die einem Verbraucher gegenüber schon vor Vertragsschluß zu erfüllen wären, auf diese Weise von einem zunächst vermeintlich gewerblich handelnden Kunden zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sozusagen noch nachträglich begründet werden könnten. Zu diesem Zeitpunkt wäre aber (schon für den verbrauchervertragsrechtlichen Bereich) eine Nachholung – insbesondere der Erfüllung entsprechender Informationspflichten – im rechtsgeschäftlichen Massenverkehr (man denke nur an die standardisiert-automatisierte Praxis des Internet-Vertriebs) nur noch unter erheblich höherem Aufwand möglich; für den wettbewerbsrechtlichen Bereich käme eine Korrektur des unternehmerischen Verhaltens im nachhinein sogar überhaupt der Lösung, die de lege ferenda (im europäischen Recht) eigentlich zu wählen wäre, schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (4) (a). 14 Zuletzt zutreffend Wagner, AcP 206 (2006), 352, 369 f. Vgl. in anderem Zusammenhang zu rein institutionellen Zielsetzungen im Vertragsrecht auch noch unten 3. Abschn. B I. 15 S. nur die Überlegungen bei MüKo-Micklitz, § 13, Rz. 28 f. 16 AaO.
2. Abschnitt: Allgemeine Konzeptionen
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nicht mehr in Betracht. Gerade der entscheidende Vorteil der Typisierung, mit hinreichender Rechtssicherheit – und daher in einer für die Unternehmer überschaubaren und deshalb noch zumutbaren Weise – eine Anordnung von Informationspflichten und sonstigen verbraucherspezifischen Schutzvorkehrungen zu ermöglichen17, ginge auf diese Weise verlustig, weil die Unternehmer stets gewärtig sein müßten, daß der noch in der Phase der Vertragsanbahnung sich im gewerblichen Kontext präsentierende Kunde bei Vertragsschluß unerwartet den privaten Zweck seines Handelns aufdeckt18. Richtigerweise wird man daher schon für die Verbrauchereigenschaft des Kunden im Zivilrecht (und erst recht für das Wettbewerbsrecht) allenfalls auf dessen dem Unternehmer erkennbare Zwecksetzung bezüglich seines Handelns zu dem Zeitpunkt, zu dem die einzelnen Pflichten erfüllt werden müssen, abstellen können. Jede andere Lösung, auch der Rückgriff auf die Figur rechtsmißbräuchlichen Verhaltens – der den Nachteil hätte, daß zumindest der Unternehmer insoweit wieder die Argumentationslast zu tragen hätte und dadurch erheblicher Rechtsunsicherheit ausgesetzt würde –, würde unter Dreingabe des Gewinns an Rechtssicherheit, den die verbraucherbezogene Typisierung mit sich bringt, die Unternehmer jedenfalls in Fällen nachträglich sich ergebender Verbrauchereigenschaft unzumutbar belasten.
II. Vereinbarkeit des zivilrechtlichen Verbraucherund Unternehmerbegriffs mit gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und Folgerung für das Wettbewerbsrecht 1. Vereinbarkeit des zivilrechtlichen Verbraucher- und Unternehmerbegriffs mit den Vorgaben des vertriebsspezifischen gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzes Mit dem Verweis auf den Verbraucher- und Unternehmerbegriff der §§ 13 und 14 BGB hat sich der Wettbewerbsgesetzgeber nolens volens auch die sonstigen in diesem Zusammenhang kontrovers diskutierten Probleme in das Lauterkeitsrecht importiert, wie sie hier – da sie allgemeinen Charakters sind – nur angedeutet werden können. 17 Die Typisierung der Tatbestände, in denen durch Informationspflichten abgesicherte Widerrufsrechte angeordnet werden, ist aus Sicht der Interessen der Unternehmer deshalb so entscheidend, weil nur auf diese Weise insbesondere die umgehende Inlaufsetzung der Widerrufsfrist erreicht werden kann, die zur Gewährung hinreichender Rechtssicherheit für die Unternehmer unerläßlich ist und den im Kern „prozeduralen“ Charakter der Widerrufsrechte erst sichert. S. treffend Canaris, AcP 200 (2000), 273, 346 ff. 18 Gedacht ist hier insbesondere an die Fallgestaltung „gespaltenen“ Vertriebs im Internet. Richtet ein Diensteanbieter eine Internet-Präsenz mit Vertriebsfunktion ein und differenziert er insoweit eingangs der Vertragsanbahnung nach „Geschäftskunden“ und „Privatkunden“, so muß er sich darauf verlassen können, daß ein potentieller Kunde, der sich zuerst als Geschäftskunde identifiziert und den „Pfad“ des Vertriebs an gewerbliche Kunden beschreitet, nicht im nachhinein bei Vertragsschluß (etwa durch einen individuellen Kommentar in seiner auf den Abschluß des Vertrags gerichteten Erklärung) sich als Privatkunde offenbart.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Problematisch ist insbesondere die Vereinbarkeit des deutschen Verbraucherbegriffs mit den Vorgaben des europäischen Rechts soweit im deutschen Recht unselbständig beruflich Tätige (Arbeitnehmer) in den Verbraucherbegriff mit einbezogen werden. Dies ist – nach dem deutschen Wortlaut der einschlägigen Richtlinien19 – im Gemeinschaftsrecht anscheinend nicht der Fall. Soweit das Problem überhaupt gesehen wird, verweist die deutsche Rechtswissenschaft in der Regel auf den Mindestcharakter der transformierten Richtlinien, der die Etablierung eines höheren Verbraucherschutzniveaus im Recht der Mitgliedstaaten gestatte20. Diese Argumentation läßt sich – etwa mit Blick auf § 312e BGB, der die E-Commerce-Richtlinie umsetzt, welche ihrer ganzen binnenmarktorientierten Zweckrichtung entsprechend gerade keine Mindestklausel enthält 21 – einerseits nicht lückenlos durchhalten und zielt andererseits wohl auch überhaupt am Kern des Problems vorbei. Zu Recht hat nämlich Mohr darauf hingewiesen, daß eine entsprechende Argumentation 22 hinsichtlich der Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs durch Erweiterung des Verbraucherbegriffs auf unselbständig beruflich Tätige scheitern muß, weil sie die hiermit zwangsläufig – und in § 14 BGB auch ganz praktisch – verbundene spiegelbildliche Einschränkung des Unternehmerbegriffs übersieht. So definieren auch die vertriebsspezifischen europäischen Richtlinien den Gewerbetreibenden 23, Lieferer24 bzw. Anbieter25 genau spiegelbildlich (oder komplementär) zur Verbraucherdefinition als im Rahmen seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit Handelnden, ohne insoweit Arbeitnehmer ausdrücklich auszunehmen. Dies führt zu dem paradoxen Ergebnis, daß – wenn man den Verbraucherbegriff des europäischen Rechts so versteht, wie es die herrschende Meinung tut – die Erweiterung des deutschen Verbraucherbegriffs in § 13 BGB wegen der zwangsläufigen spiegelbildlichen Verengung des Unternehmerbegriffs in § 14 BGB nicht etwa als Überschreitung des gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzniveaus zulässig ist26 – soweit überhaupt Mindest19 S. für die einzelnen Sprachfassungen der Richtlinien insbesondere die Überlegungen (und Nachweise) bei Faber, ZEuP 1998, 854, 874. 20 S. für das BGB statt aller Palandt-Heinrichs, § 13, Rz, 3; Roth, JZ 2000, 1013, 1014; Bülow/ Artz, NJW 2000, 2049, 2050; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 248 f. Für das UWG statt aller Lettl, GRUR 2004, 449, 451 mwN. 21 S. Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 54. S. zum grundsätzlich abschließenden Charakter der Harmonisierung durch europäische Richtlinien ohne Mindestklausel, EuGH Rs. C-183/00 (González Sánchez), Slg. 2002, I-3901 (konkret betreffend die Produkthaftungs-Richtlinie). Hinzu kommt nunmehr auch der durch die FernabsatzFinDL angeglichene Bereich, da auch diese Richtlinie – anders als noch die Fernabsatz-RL – keine Mindestklausel enthält. 22 Die hinsichtlich der Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinien (im Rahmen des primärrechtlich zulässigen) noch tragfähig wäre, s. Mohr, AcP 204 (2004), 660, 671 ff. mwN. 23 S. Art. 2 Haustürgeschäfte-RL. 24 S. Art. 2 Nr. 3 Fernabsatz-RL. 25 S.Art. 2 lit. c) FernabsatzFinDL-RL. 26 Insoweit ist die Frage nach der Möglichkeit, den Verbraucherbegriff insgesamt (d.h. nicht situations- oder geschäftsspezifisch) zu erweitern – wie es mit der vereinheitlichenden Einbezie-
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klauseln vorgesehen sind –, sondern vielmehr wegen der gleichzeitigen Verengung des gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Verbraucherschutzes mit Blick auf die Unternehmerseite den effet utile der einschlägigen Richtlinien des Verbrauchervertriebsrechts27 schmälert und aus diesem Grunde gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt 28. Denn in dem (zugegeben seltenen 29) Falle, in dem sich ein „echter“ Privatverbraucher und ein im Rahmen seiner unselbständigen beruflichen Tätigkeit im sachlichen Geltungsbereich der Verbraucherschutz-Richtlinien handelnder „Arbeitnehmer“-Unternehmer (im Sinne des so verstandenen Gemeinschaftsrechts) gegenüber stünden, wäre nach Gemeinschaftsrecht – nicht aber nach deutschem Recht – der „Arbeitnehmer“-Unternehmer an die Vorgaben des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzrechts gebunden. Mit Blick auf die praktisch betroffenen Fälle – der Arbeitnehmer, der das Fahrzeug mit dem er stets fast ausschließlich zur Arbeit fuhr, in einer Haustürsituation veräußert etc. – erscheint dieses Ergebnis wenig einsichtig. Typischerweise fehlt in diesen Fällen gerade das Professionalitätsgefälle, wie es für die gesamte Konzeption auch des situationsspezifischen, marktbezogenen gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzes kennzeichnend ist 30. Genau dieses Gefälle zwischen dem hung auch von unselbständig beruflich Tätigen geschähe –, sorgsam zu unterscheiden von der Frage, inwieweit Verbraucherschutzregeln der Gemeinschaft hinsichtlich bestimmter Geschäfte im Recht der Mitgliedstaaten auch auf „Gewerbetreibende“ ausgedehnt werden können. Diese letztgenannte Frage bejaht der EuGH unter Hinweis auf den Mindestcharakter etwa der Haustürgeschäfte-RL in der Entscheidung EuGH Rs. C-361/89 – Di Pinto, Slg. 1991, I-1206, Rz. 20 ff. Was der EuGH bei genauem Hinsehen (auf Grundlage der Minimalharmonisierungsklausel) insoweit gestattet, ist aber nur die sachliche Ausdehnung des situationsspezifischen Verbraucherschutzes auch auf Gewerbetreibende soweit diese hinsichtlich eines bestimmten Geschäfts des besonderen Schutzes bedürfen, nicht aber die generalisierende (d.h. situationsunabhängige) Ausdehnung des personalen Verbraucherbegriffs auf bestimmte Gruppen von Gewerbetreibenden insgesamt. 27 S. nur grundlegend EuGH, Rs. 41/74 – van Duyn, Slg. 1974, 1337, 1347, Rz. 12. 28 So zuletzt insbesondere Mohr, AcP 204 (2004), 660, 671 ff. mwN. 29 Genannt werden an dieser Stelle die Beispiele eines Arbeitnehmers, der das Fahrzeug mit dem er überwiegend nur seinen Arbeitsweg zurückgelegt hat oder seine Arbeitsbekleidung in einer Haustürsituation (oder im Internet) verkauft, vgl. Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 52 (dort Fußnote 69); MüKo-Micklitz, § 14, Rz. 25; für den Bereich der §§ 305 ff. BGB auch Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, Art. 2 Klausel-RL, Rz. 15. Bei genauem Hinsehen dürfte sich das Problem im wesentlichen nur für den Bereich des Haustürvertriebs stellen, da in diesem Fall in der Tat ein Handeln des Arbeitnehmers in einer Haustürsituation (und damit im sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie) in Betracht kommt. Demgegenüber dürfte im Falle der Fernabsatz-RL und der FernabsatzFinDL-Richtlinie schon der sachliche Geltungsbereich in Fällen des vereinzelten Angebots durch einen „Arbeitnehmer-Unternehmer“ nicht einschlägig sein, da beide Richtlinien ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebsoder Dienstleistungssystem voraussetzen, über welches ein Arbeitnehmer für seine gelegentlichen berufsbezogenen Verkäufe wohl kaum jemals verfügen dürfte. Dennoch erfaßt die Problematik gerade wegen der durch den Gesetzgeber erstrebten einheitlichen Regelung des Verbraucherbegriffs in § 13 BGB die Interpretation dieser Norm insgesamt, läßt sich aber wohl über eine zutreffende Auslegung des europäischen Rechts für die meisten Fälle lösen (s. dazu sogleich im folgenden Text). 30 S. zutreffend statt aller Canaris, AcP 200 (2000), 273, 359 ff.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
planvoll in der geschäftlichen Sphäre Agierenden und dem ohne entsprechenden Kontext privat (und daher potentiell leichtfertiger oder schutzloser) Handelnden ist es, welches neben der sorgsamen Identifikation situationsspezifischer Gefährdungslagen in einer marktbezogenen Konzeption die Materialisierung der Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit durch Verbraucherschutzvorschriften überhaupt erst rechtfertigt. Gerade die Voraussetzung professionell-geschäftlichen Agierens ist für unselbständig tätige Arbeitnehmer aber nicht erfüllt, soweit sie nur im weiteren Kontext berufsbezogener Zwecke Geschäfte tätigen, die letztlich ihrem ganzen Charakter nach der privaten Bedürfnisbefriedigung dienen und insoweit auch nur durch den angestrebten späteren Nutzungszweck in ganz mittelbarem Zusammenhang mit der beruflichen Sphäre stehen. Bei genauer Betrachtung ist es denn auch wohl so, daß das Gemeinschaftsrecht – trotz des insoweit unklaren Wortlauts der deutschen Fassungen der einschlägigen Richtlinien – einen Unternehmerbegriff verfolgt, für den prägend ist, daß der unternehmerisch Tätige das wirtschaftliche Risiko seines Handelns trägt, was den „professionell“-planvollen Einsatz seiner Mittel erfordert31. Bezieht man zudem den englischen Wortlaut der einschlägigen Richtlinien mit ein, in dem eben nicht von „employment“, sondern von „commercial or professional capacity“32 die Rede ist, so läßt sich auf Grundlage einer im Kern teleologischen Interpretation mit Blick auf den effet utile der Richtlinien – der bei Einbeziehung von Arbeitnehmern in den Verbraucherbegriff ja nach vorstehender zutreffender Identifikation des Richtlinienzwecks mit Blick auf die Nivellierung typisiert identifizierter Professionalitätsgefälle gerade nicht geschmälert, sondern vielmehr gestärkt wird – gut argumentieren, daß auch der gemeinschaftsrechtliche Unternehmerbegriff unselbständig beruflich Tätige ausklammert, soweit sie Geschäfte tätigen, die nur mittelbar mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammenhängen33. Wegen der spiegel31 Auch die Definition der Lauterkeits-RL (in Art. 2 lit. B Lauterkeits-RL) weist deutlich in diese Richtung, wenn zwischen den „Gewerbetreibenden“, die „im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handeln“ und den „Person[en], die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handel[n]“ unterschieden wird. Wenn insofern schon zum Begriff des „Gewerbetreibenden“ auch unselbständig beruflich handelnde Personen zählten, dann wäre der eigenständige Verweis auf die „Hilfs“personen, die im Namen oder Auftrag von Gewerbetreibenden handeln von denkbar geringer Bedeutung, da diese typischerweise beruflich agieren werden, so daß sie – wenn man den Gewerbetreibendenbegriff des Gemeinschaftsrechts so verstehen wollte, wie die bisher herrschende Meinung – schon „für sich“ dem Anwendungsbereich der Lauterkeits-RL unterfielen. Die Lauterkeits-RL geht aber ersichtlich – und durchaus praxisgerecht – eher davon aus, daß das Handeln der genannten Hilfspersonen ihrem Auftraggeber, der das unternehmerische Risiko trägt, zuzurechnen ist (wenngleich in diesem Zusammenhang die doppelte Verwendung des Begriffs „Gewerbetreibender“ in dem Sinne, daß „Gewerbetreibende“ auch Personen seien, die im Namen des „Gewerbetreibenden“ handeln, denkbar unglücklich ist, weil die Definition bei wortlautgetreuer Interpretation dadurch zirkulär wird). 32 S. die englischen Fassungen von Art. 2 Haustürgeschäfte-RL; Art. 2 Abs. 3 FernabsatzRL; Art. 2 lit. c) FernabsatzFinDL-RL. 33 S. die sorgsam abgewogene und überzeugende Argumentation bei Faber, ZEuP 1998, 854, 871 ff.; zustimmend MüKo-Micklitz, § 14, Rz. 25 mwN. A.A. die wohl hM, s. für den Verbraucherschutzbereich statt vieler Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 42;
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bildlichen Formulierung der entsprechenden Richtlinien sind sie demnach auch im Sinne des Gemeinschaftsrechts Verbraucher, soweit sie im lediglich weiteren Kontext ihrer beruflichen Tätigkeit Geschäfte – sei es mit Dritten, sei es auch mit ihrem Arbeitgeber34 – schließen. Entscheidend ist demnach, ob der Arbeitnehmer unmittelbar im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit (dann wohl zumeist typischerweise als Stellvertreter oder Hilfsperson seines Arbeitgebers) handelt (in diesem Falle unterfällt sein Handeln dem unternehmerischen Bereich dann in der Regel schon unter Zurechnungsgesichtspunkten) oder ob er lediglich im weiteren Kontext seiner beruflichen Tätigkeit „für sich“ Geschäfte abschließt (also etwa der Autokauf des Fahrzeugs für den Arbeitsweg), wobei er dann auch im Sinne des Gemeinschaftsrechts als Verbraucher anzusehen ist 35. Klarstellend festzuhalten ist nur, daß dies nach richtiger36 (wenn auch höchst umstrittener37) Auffassung nicht für den Abschluß des Arbeitsvertrags selbst gelten kann; denn insoweit handelt der Arbeitnehmer typischerweise in der Tat im Rahmen eines professionellen, planvollen Kontexts, der dem vergleichsweise leichtfertigeren Handeln im – selbst im weiteren Sinne berufsbezogenen – Privatbereich schon deshalb nicht vergleichbar ist, weil es nicht um private Bedürfnisbefriedigung, sondern um die planvolle, geschäftliche „Vermarktung“ der eigenen Arbeitskraft geht 38. Nach europäischem Recht ist er daher bei Handeln in derartigen Zusammenhängen kein Verbraucher; § 13 BGB ist daher bereichsspezifisch für den Abschluß von Arbeitsverträgen im Einklang mit der Vorgabe des europäischen Rechts entsprechend teleologisch zu reduzieren 39. Auch bezüglich § 312e BGB, der auf die Art. 10 und 11 E-Commerce-Richtlinie zurückgeht, führt die vorstehend skizzierte Argumentation (schon für das europäische Recht Arbeitnehmer bei Geschäften „für sich“ außerhalb des unmittelbaren Arbeitsverhältnisses als Verbraucher, nicht als Unternehmer anzusehen) im übrigen allein nicht weiter. Denn die ECommerce-Richtlinie – die auch europarechtlich von vornherein nicht einem verbraucherschützenden systematischen Kontext, sondern der Tradition binnenmarktorientierter Harmonisierung zuzuordnen ist – umfaßt mit ihrer weiten Definition des Diensteanbieters40 Mohr, AcP 204 (2004), 660, 671 mwN. Für das neue UWG, s. Lettl, GRUR 2004, 449, 451 mwN. 34 S. die entsprechenden Szenarien, in denen der Arbeitnehmer in der Tat bei teleologischer Betrachtung als Verbraucher anzusehen ist, bei Mohr, AcP 204 (2004), 660, 690 f. 35 Auch die Gewerbetreibenden-Definition der Lauterkeits-RL weist in die Richtung der hier vertretenen Argumentation, vgl. o. Fn. 31. 36 So insbesondere Reichold, ZTR 2002, 202 ff.; Mohr, AcP 204 (2004), 660, 689 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen 37 A.A. nämlich die herrschende Meinung, s. etwa Boemke, BB 2002, 96, 97; Däubler, NZA 2001, 1329, 1333; Hümmerich/Holthausen, NZA 2002, 173, 175 f.; weitere Nachweise bei Mohr, AcP 204 (2004), 660, 690. 38 S. Mohr, AcP 204 (2004), 660, 691 ff. mwN; vgl. auch Reichold, ZTR 2002, 202, demzufolge eine „diffuse ‚Meistbegünstigungs‘lehre“ zugunsten eines neuen „Arbeitnehmer-Verbrauchers“ für den Bereich des Abschlusses von Arbeitsverträgen abzulehnen ist. 39 S. die Nachweise für die Minderansicht in den vorstehenden Fußnoten. 40 S. Art. 2 e), 2 a) E-Commerce-Richtlinie i.V.m. Art. 1 Nr. 2 Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften der Informationsgesellschaft, ABl. EG 1998 L 204, S. 37 in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG vom 20. Juli 1998, ABl. EG 1998 L 217, S. 18 (Transparenz-RL).
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
nicht einmal nur gewerbliche oder berufliche, sondern vielmehr jegliche im weitesten Sinne wirtschaftlich geprägte Tätigkeit. Entsprechend sind auf Anbieterseite nach der Konzeption der Richtlinie in jedem Falle auch unselbständig beruflich tätige Anbieter an die Informations- und Vorkehrungspflichten im E-Commerce gebunden41. § 312e BGB setzt diese Vorgabe mit der Rückbindung an den Unternehmerbegriff des § 14 BGB nur unzureichend um und ist insofern unvermeidlich – im Wege der gebotenen und möglichen europarechtskonformen Auslegung – auf jedwedes im weitesten Sinne wirtschaftliche Angebot im Netz auszudehnen42.
2. Folgerung für das Wettbewerbsrecht: Vereinbarkeit des wettbewerbsrechtlichen Verbraucher- und Unternehmerbegriffs mit den Vorgaben der Lauterkeits-Richtlinie Interpretiert man entsprechend den vorstehenden Ausführungen schon den gemeinschaftsrechtlichen Begriff des „Gewerbetreibenden“ bzw. des „Verbrauchers“ dahingehend, daß Handeln im lediglich weiteren Rahmen unselbständiger beruflicher Tätigkeit auch im Sinne des europäischen Rechts als Verbraucherhandeln (und nicht als das Handeln eines Unternehmers oder Gewerbetreibenden) einzu41 So insbesondere Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 45 ff.; Grabitz/Hilf-Marly, Art. 10 E-Commerce-RL, Rz. 5; für das europäische Recht auch Hassemer, MMR 2001, 635, 638; Erman-Saenger, § 312e, Rz. 5 (unter Hinweis auf MüKo-Wendehorst, § 312e, Rz. 14 ff., wo eine entsprechende Tendenz der E-Commerce-Richtlinie zwar entnommen wird, um aber letztlich angesichts der dürftigen technischen Qualität dieses europäischen Regelwerks eine entsprechende Auslegung letztendlich doch abzulehnen). A.A. im übrigen mit unterschiedlicher Begründung auch Spindler, ZUM 1999, 75, 76; ders., MMR-Beilage 7/2000, 4, 5; Boente/Riehm, Jura 2002, 222, 226. 42 So insbesondere Drexl, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 473, Rz. 52. A.A. allerdings (aus durchaus nachvollziehbaren rechtspolitischen Gründen) die herrschende Meinung: Soweit das Problem überhaupt gesehen wird (keine entsprechenden Überlegungen finden sich etwa in Palandt-Heinrichs, § 312e, Rz. 3; Bamberger/Roth-Masuch, § 312e, Rz. 7), wird entweder der Versuch unternommen, das europäische Recht entsprechend umzuinterpretieren (so auch in diesem Bereich die Autoren der Minderansicht zitiert in o. Fn. 31) oder eine Argumentation verfolgt, derzufolge die für das deutsche Recht gewählte Lösung in ihrem Gesamtzusammenhang (insbesondere einschließlich der Regelung der dispositiven Pflichten in § 312e Abs. 2 Satz 2 BGB) inhaltlich weitestgehend der E-Commerce-RL entspreche, zumal diese ja nach ihrer wesentlichen Zielsetzung – dem Ermöglichungsgrundsatz nach Art. 9 E-Commerce-RL – den elektronischen Vertragsschluß gerade „erleichtern“ wolle, so insbesondere Hassemer, MMR 2001, 635, 638 f. (noch zum Regierungsentwurf zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz). Soweit Hassemer, aaO., allerdings argumentiert, der Regierungsentwurf sei deshalb mit der Richtlinie vereinbar, weil er dem geschäftlich tätigen Privatmann im wesentlichen lediglich diejenigen Informationspflichten von vornherein nicht aufbürde, die nach der E-Commerce-Richtlinie dispositiv ausgestaltet seien, übersieht diese Argumentation, daß nach der Richtlinie die entsprechenden Informationspflichten lediglich gegenüber Nichtverbrauchern abdingbar sind, während man gegenüber rein privaten Abnehmern auch als nichtgewerblicher, aber geschäftlicher Anbieter zwingend an die Informationspflichten gebunden bleibt. So gering die praktische Relevanz der Abweichung sein mag (und so zweifelswürdig die Bindung lediglich geschäftsmäßig handelnder Nichtunternehmer an die Informationspflichten im E-Commerce rechtspolitisch sein mag), ist dennoch festzuhalten, daß unter diesem Blickwinkel § 312e BGB die zwingenden Vorgaben der Richtlinie unzureichend umsetzt.
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ordnen ist, so sind jedenfalls die Begriffsdefinitionen in § 2 Abs. 2 UWG i.V.m. §§ 13, 14 BGB mit den entsprechenden Vorgaben aus Art. 2 lit. a) und b) Lauterkeits-Richtlinie vereinbar43. Eine Beibehaltung dieser Definitionen scheitert also nicht etwa am Fehlen einer allgemeinen Mindestharmonisierungsklausel in der Lauterkeits-RL44. Denn auch die komplementären Definitionen des Verbraucherund Gewerbetreibendenbegriffs in Art. 2 lit. a) und b) Lauterkeits-Richtlinie, weisen gerade in die Richtung oben skizzierter Argumentation, derzufolge in der Regel nur selbständiges berufliches Handeln aus dem Verbraucher- in den Unternehmerbereich führt, weshalb dann komplementär ein privates Handeln von Arbeitnehmern „für sich“ im lediglich weiteren Kontext ihrer beruflichen Tätigkeit gerade dem Verbraucherbegriff unterfällt. Zwingender Umsetzungsbedarf besteht demnach an dieser Stelle nicht45. 43 Ginge man demgegenüber davon aus, daß nach europäischem Recht ein Handeln im Rahmen unselbständiger beruflicher Tätigkeit nicht als Verbraucherhandeln i.S.d. Art. 2 lit. a) der Lauterkeits-RL (und damit konsequenterweise als Handeln eines Gewerbetreibenden i.S.d. Art. 2 lit. b) Lauterkeits-RL) einzuordnen wäre, so gelangte man zu dem Ergebnis, daß ein Arbeitnehmer, der eine vereinzelte Handlung zur Förderung des Absatzes eines vorwiegend beruflich genutzten Gegenstands unternimmt (s. für den weiten sachlichen Anwendungsbereich Art. 2 lit. d), c), Art. 3 Abs. 1 Lauterkeits-RL) allen Ernstes an die umfänglichen Unterlassungsgebote (und Informationspflichten) der Lauterkeits-RL gebunden wäre. Dieses schlechthin widersinnige Ergebnis scheint noch zusätzlich für das hier vertretene weitere Verständnis auch des europäischen Verbraucherbegriffs (und dementsprechend engere Verständnis des Begriffs des Gewerbetreibenden) zu streiten. Auch Erwägungsgrund 8 Lauterkeits-RL, der den reflexartig mitbewerberschützenden Charakter der (in kritikwürdiger Weise) primär verbraucherschutzrechtlich ausgestalteten Richtlinie zumindest anerkennt, spricht für eine derartige Argumentation, da der Aspekt des Mitbewerberschutzes lediglich im geschäftlichen, im engeren Sinne unternehmerischen Verkehr (unter Ausschluß unselbständiger beruflicher Zwecke) eine Rolle spielt, nicht aber für das vereinzelte berufsbezogene Handeln eines Arbeitnehmers. Nach alldem dürften der deutsche Verbraucher- und Unternehmerbegriff, wie er in § 2 Abs. 2 UWG für das Wettbewerbsrecht übernommen wurde, und der Begriff des Verbrauchers (nach Art. 2 lit. a) Lauterkeits-Richtlinie) und des Gewerbetreibenden (nach Art. 2 lit. b) Lauterkeits-Richtlinie) bei teleologischer Interpretation der Lauterkeits-Richtlinie mit Blick auf ihren Zweck (wie er sich wesentlich aus den Erwägungsgründen ermittelt) als deckungsgleich anzusehen sein. 44 Nach vorstehend (vgl. oben II 1)) skizzierter richtiger Auffassung käme es auf die Existenz einer Mindestharmonisierungsklausel für die Frage einer Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzes ohnedies nicht entscheidend an. Auf Grundlage der Argumentation der bisher herrschenden Meinung in dieser Frage (die sich für die Zulässigkeit des vermeintlich weiteren deutschen Verbraucherbegriffs auf die Möglichkeit eines Überschreitens des europäischen Verbraucherschutzniveaus auf Grundlage von Mindestklauseln berufen muß, vgl. nur die Nachweise o. Fn. 20) wäre allerdings das Fehlen einer allgemeinen Mindestklausel in der neuen Lauterkeits-RL (außerhalb der Übergangsvorschrift des Art. 3 Abs. 5 Lauterkeits-RL) fatal, da dies zur Folge hätte, daß der bisherige deutsche Verbraucherbegriff (unter Einbeziehung unselbständig Berufstätiger) für weite Bereiche des UWG nicht aufrecht erhalten werden könnte. 45 Ähnlich Köhler, GRUR 2005, 793, 795, der dann aber trotz der demnach nicht bestehenden zwingenden Umsetzungsnotwendigkeit für eine Neuformulierung der §§ 13, 14 BGB anhand der Vorgaben der Lauterkeits-RL plädiert, wobei es aber – genau wie nach der hier vertretenen Auffassung – bei der Begrenzung des Unternehmerbegriffs auf Handeln zu Zwecken selbständiger beruflicher Tätigkeit bliebe. Die von Köhler, aaO., vorgeschlagene neue Definition in Anlehnung an die Lauterkeits-RL brächte insofern allerdings den wesentlichen Vorteil, das
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Inwieweit die Umsetzung der Lauterkeits-Richtlinie im Kontext des existierenden deutschen UWG im übrigen möglich ist, ohne den hohen Preis einer vollkommenen Spaltung des deutschen Lauterkeitsrechts in einen verbraucherschützenden und einen „sonstigen“ Teil zu zahlen, soll noch sogleich unten (IV) untersucht werden.
III. Rechtspolitische Kritik an der Vereinheitlichung des Verbraucherund Unternehmerbegriffs in §§ 13, 14 BGB und Vergleich mit der Rechtslage im Wettbewerbsrecht Vorstehende bereichsspezifische Differenzierungsbemühungen hinsichtlich des zivilrechtlichen Verbraucher- und Unternehmerbegriffs, die nicht von ungefähr ein wenig an die berühmte Haarspaltemaschine aus dem von Iheringschen Begriffshimmel46 erinnern mögen, verdeutlichen die Probleme, zu denen ein vereinheitlichter Verbraucherbegriff – wie er gesetzestechnisch zuerst in §§ 13, 14 BGB einheitlich für das zivilrechtliche Verbraucherschutzrecht ausgestaltet wurde und wie er nunmehr im Lauterkeitsrecht entsprechend übernommen ist – im Kontext eines im Kern situationsspezifischen Verbraucherschutzrahmens unvermeidlich führen muß. Entsprechend heftig ist teilweise die Kritik an der Vereinheitlichung des Verbraucher- und Unternehmerbegriffs – wie auch an der verbraucherschutzrechtlichen Typisierung überhaupt – in der Zivilrechtswissenschaft ausgefallen (unten 1); insbesondere für das Zusammenspiel von typisierenden Beispielstatbeständen und Generalklausel im Lauterkeitsrecht lassen sich hieraus einzelne Folgerungen bei vergleichender Betrachtung ableiten (unten 2).
1. Kritische Stimmen im Zivilrecht Gerade im Vergleich mit dem im Ansatz bereichsspezifischen, situationsbezogen im Kontext der jeweiligen Richtlinie differenzierten Verbraucherbegriff des europäischen Rechts47 – dessen kleinsten gemeinsamen Nenner für das Vertragsrecht48 oben (A I) beschriebene Problem der Einbeziehung von „Vorfeldhandlungen“ im Gesetzestext zu lösen, was in dieser allgemeinen Form durchaus zu begrüßen wäre, da die Problematik (wie aaO. ausgeführt) in der Tat nicht nur für das Lauterkeits-, sondern auch für das Zivilrecht virulent ist). Keinen Umsetzungsbedarf sehen im übrigen Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1325, ohne allerdings die eben benannte „Vorfeldproblematik“ zu thematisieren. 46 S. von Ihering, Scherz und Ernst in der Jurisprudenz, 1. Aufl. 1884. 47 S. für eine nähere Darstellung statt aller MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14 BGB, Rz. 79 ff. mwN. 48 Für das europäische Recht läßt sich im wesentlichen ein (engerer) – dem § 13 BGB konzeptuell zumindest ähnelnder – Verbraucherbegriff im Bereich des Verbrauchervertragsrechts von einem (weiteren) „Verbraucherbegriff“ unter Einbeziehung auch professioneller „Kunden“, „Anleger“ oder „Einleger“ im Bereich der Regelungen von Finanzdienstleistungen (wie sie im deutschen Recht mit der wesentlichen Ausnahme des Verbraucherkreditrechts außerhalb des BGB geregelt sind) unterscheiden, vgl. für die Einzelheiten MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14, Rz. 80 ff. mwN. Selbst für das gemeinschaftsrechtliche Vertragsrecht läßt sich diese bloße Grob-
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§ 13 BGB gewissermaßen repräsentiert – wird deutlich, daß die einheitliche und kontextunabhängig formulierte Definition des Verbraucherbegriffs in § 13 BGB die eigentliche dogmatische Funktion des Verbrauchermerkmals verunklart. Nach mittlerweile herrschender Meinung dient der Verbraucherbegriff in einem marktkonformen Verbraucherschutzmodell situationsbezogenen Verbraucherschutzrechts zur gewissermaßen typisiert negativen Auslese derjenigen Teilnehmer am Rechtsverkehr, die eines bestimmten Schutzes ihrer rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in spezifischen Gefährdungslagen nicht bedürfen49. Konstitutiv für das Verbraucherschutzrecht ist demnach zuerst die Identifikation und sorgsame Begründung entsprechender Gefährdungslagen; der Verbraucherbegriff als solcher scheidet unter dieser Perspektive nur die nicht schutzbedürftigen Verkehrsteilnehmer (die „Nichtverbraucher“) typisiert aus dem Schutzbereich aus. Hinzu kommt dann noch das – für das gemeinschaftsrechtliche Verbraucherschutzmodell zumeist, wenn auch nicht immer50 – vorhandene Professionalitätsgefälle zwischen den Vertragspartnern, wie es der komplementäre Unternehmerbegriff in § 14 BGB aufnimmt51. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, sind die einheitlichen Regelungen in §§ 13, 14 BGB in zweierlei Hinsicht nicht ganz unproblematisch. Zum einen verdeutlicht die kontextunabhängige, gewissermaßen „neutrale“ Definition des Verbraucherbegriffs in § 13 BGB nicht die recht eigentlich „negative“ Auslesefunktion dieses Merkmals hinsichtlich der fehlenden Schutzwürdigkeit eines Teils der Verkehrsteilnehmer in einzelnen Bereichen situationsspezifischen Verbraucherschutzes52. Zum anderen droht53 die kontextunabhängige Herausstellung der Difeinteilung allerdings nicht lückenlos durchhalten: So sind etwa auch die Informationspflichten in Art. 10, 11 E-Commerce-RL (in bemerkenswerter Abweichung von § 312e BGB, s. dazu schon oben II 1 aE) gerade nicht verbraucherspezifisch – wenn auch nur im Verhältnis zu Verbrauchern zwingend – ausgestaltet, sondern gelten für jeden Nutzer (im weiten Sinne des Art. 2 lit. d) ECommerce-RL), der einen Dienst der Informationsgesellschaft in Anspruch nimmt. 49 S. hierzu und zum folgenden grundlegend Drexl, S. 206 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 359 ff.; Pfeiffer, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 481, 496; Pfeiffer, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 133, 136 f.; Mohr, AcP 204 (2004), 660, 677; ähnlich Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 243 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen und mit einem Vergleich zu anderen denkbaren Modellen der Abgrenzung der Privat- zur professionellen Sphäre. 50 Dies beweist das gegenteilige Regelungskonzept der E-Commerce-RL, die – soweit man diese Pflichten überhaupt als verbraucherschützend ansehen will – in Art. 10 und 11 E-Commerce-RL Informations- und Vorkehrungspflichten vorsieht, die nicht lediglich für gewerblich tätige Diensteanbieter, sondern darüber hinaus auch für alle wirtschaftlich geprägten Tätigkeiten und Angebote im Netz (seien sie auch ihrem Ursprung nach privater Natur) bindend sind. S. schon oben II 1. 51 So insbesondere Canaris, AcP 200 (2000), 273, 360 f.; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 262 f. 52 S. zutreffend Pfeiffer, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 481, 496; Pfeiffer, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 133, 136 f. und 141 mwN. 53 Wie einzelne Kritiker betonen, s. zuletzt eindringlich insbesondere Mohr, AcP 204 (2004), 660, 675.
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ferenzierung in Verbraucher und Unternehmer an prominenter Stelle des allgemeinen Teils des Bürgerlichen Rechts54, der typisierenden Unterscheidung nach Verbrauchern und Unternehmern – die an sich doch nur als „notwendiges Übel“ eine recht grob gerasterte55 Definition des situationsabhängigen persönlichen Schutzbereichs für bestimmte Gefährdungssituationen der Vertragsfreiheit ermöglichen soll56 – rechtspolitisch eine Tendenz in Richtung auf eine gewissermaßen situationsunabhängig-verallgemeinerte, inhaltlich-wertende Zweiteilung des Zivilrechts zu unterlegen. Sollte sich an dieser Stelle ein Trend zum unterschiedslosen „Verbraucherschutz“ für alle dem B2C-Bereich zuzuordnenden Rechtsgeschäfte entfalten, in dessen Rahmen nicht länger in situationsspezifisch differenzierter Art und Weise konkrete Gefährdungslagen sauber identifiziert würden57, so wäre dies in der Tat eine bedenkliche Entwicklung. Dieser letztgenannten Kritik der Gesetzgebungstechnik des BGB und den sich anschließenden rechtspolitischen Befürchtungen vor einem undifferenzierten Verbraucherschutz – ebenso wie spiegelbildlich den damit kritisierten Vertretern einer (mindestens auch58) personal orientierten Verbraucherrechtslehre, die in der Tat allzu rasch allein in der Normierung der Begriffe in §§ 13, 14 BGB eine rechte gesamthafte Umwertung der Prinzipienebene des BGB erblicken wollen, deren „formale Freiheitsethik“59 es nunmehr „mit der neu aufgenommenen Verantwortungsethik des Verbraucherrechts auszusöhnen“ gelte – ist aber gleichermaßen entgegenzuhalten, daß auch ein anderes, bescheideneres Verständnis der Verankerung der §§ 13, 14 BGB im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Betracht kommt, ja naheliegt60. Es geht wohl – zumindest was allein die Definitionen der 54 Zumal dies auch noch der verfehlte systematische Rahmen der Regelungen über den persönlichen Status der Zivilrechtssubjekte ist, s. nur die zutreffende Kritik bei Pfeiffer, in Schulze/ Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 133, 140. 55 Nach Meinung vieler sogar zu grob gerasterter, s. nur die grundlegende Kritik (und der Vorschlag teleologischer Reduktion im Einzelfall) bei Bydlinski, System und Prinzipien, S. 728 ff. und in der Folge etwa (betreffend das Haustürwiderrufsrecht) bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 144 f.; wiederum allgemein auch Mohr, AcP 204 (2004), 660, 680 ff. 56 Und solcherart für die Unternehmer überhaupt erst die Rechtssicherheit mit sich bringt, die die Anordnung insbesondere von widerrufsrechtsflankierenden Informationspflichten und insbesondere die damit verbundene hinreichend sichere Inlaufsetzung der Fristen allfälliger Widerrufsrechte (s. nur allgemein § 355 Abs. 2 BGB) gestattet (so zutreffend insbesondere Canaris, AcP 200 (2000), 273, 346 ff. gegen Bydlinski und Lorenz (o. Fn. 55); abgewogen und mit einer wohlfahrtsökonomischen Rechtfertigung der Typisierungslösung des Gesetzgebers Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 267 f.). 57 S. die Befürchtungen (und Beispiele insbesondere mit Blick auf das Arbeitsrecht) bei Mohr, AcP 204 (2004), 660, 675 und 689 ff. 58 So insbesondere das „Kombinationsmodell“ bei MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14, Rz. 66, und unter diesem Blickwinkel konsequent seine Forderung nach Vereinheitlichung des bisher bereichsspezifisch differenzierenden europäischen Verbraucherbegriffs, aaO., Rz. 84 aE. 59 Vgl. zum liberalen Sozialmodell des ursprünglichen BGB grundlegend Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 51 ff. mwN. 60 Es ist in diesem Zusammenhang auch festzuhalten, daß entsprechende Kritik an der Regelungstechnik eines Allgemeinen Teils beileibe nicht nur spezifisch im Zusammenhang mit der Neuregelung der §§ 13, 14 BGB zu beobachten war. Ganz im Gegenteil hat vergleichbare Kritik
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§§ 13, 14 BGB anbetrifft61 – trotz der insoweit unglücklichen Verortung der Vorschriften im Kontext der Regelungen des Status‘ der Personen im Zivilrecht62 – weniger um die Definition eines Zentralbegriffs des bürgerlichen Rechts im Sinne einer echten Wertentscheidung des BGB für den Schutz der Verbraucher als einer personenbezogen im Verhältnis zum Unternehmer typischerweise stets unterlegenen Marktgruppe63, als vielmehr schlicht um eine – der angelsächsischen Gesetzgebungstechnik entlehnte 64 – sozusagen aus rein gesetzestechnischen Gründen vorab erfolgende Definition eines Begriffs, der an vielerlei Stellen des Gesetzes – und dann typischerweise in situationsbezogenem Kontext – benötigt wird. Unter diesem Blickwinkel mag die Verortung des Verbraucher- und Unternehmerbegriffs im Allgemeinen Teil des BGB nicht ganz glücklich sein65. Doch ändert sie nichts daran, daß allein mit der Definition dieser Begriffe im BGB für sich genommen noch keine weitergehenden inhaltlichen Folgerungen für die Prinzipienebene des BGB – schon gar nicht im Sinne einer personenbezogenen Spaltung in reine Unternehmer- oder Privatgeschäfte einerseits und Verbrauchergeschäfte andererseits – verbunden sind. Insofern wird auch die wegen ihres zwangsläufig groben Rasters häufig kritisierte persönliche Typisierung66, die auch für das situationsbezogene Verbrauchervertragsrecht zur Identifikation der schutzwürdigen Verkehrsteilnehmer mit hinreichender Rechtssicherheit unerläßlich ist, durch die Regelung des Verbraucher- und Unternehmerbegriffs im allgemeinen Teil des BGB nicht etwa in höhe– die in Frage stellte, inwieweit mit einigem Nutzen allgemeine Regelungen für alle Rechtsinstitute gleichermaßen aufgestellt werden könnten – schon die Schaffung des Allgemeinen Teils des BGB seit seinen Ursprüngen begleitet, s. näher (und mit zahlreichen rechtshistorischen und rechtsvergleichenden Nachweisen) Mertens, Gesetzgebungskunst, S. 446 ff. 61 Soweit im übrigen in dieser Untersuchung konkret aufgrund der Einbeziehung der Verbraucherschutzvorschriften in das Recht der Schuldverhältnisse, aus der horizontalisierenden Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und aufgrund einzelner Wandlungen, wie sie vertragsrechtliche Institutionen in der Rechtsprechung schon de lege lata erfahren haben, ebenfalls eine gewisse Wandlung der Prinzipienebene des BGB Vertragsrechts in Richtung auf seine „Materialisierung“ konstatiert wurde (s. insbesondere oben 1. Kap. 3. Abschn. C III), ist diese auf inhaltliche Wandlungen insbesondere des Schuldvertragsrechts, nicht allein auf die Vereinheitlichung einzelner Definitionen im allgemeinen Teil des BGB gestützt. 62 Vgl. o. Fn. 54. 63 So aber wohl Palandt-Heinrichs, § 13, Rz. 1; MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14, Rz. 1. 64 S. dazu eingehend (und im Vergleich zu den Abstraktionstechniken des deutschen Rechts) zuletzt Mertens, Gesetzgebungskunst, S. 453 ff. mit weiteren (insbesondere historischen) Nachweisen. 65 Vgl. auch schon o. Fn. 53 und 54. Da der in §§ 13, 14 BGB geregelte Verbraucherbegriff im wesentlichen ein vertragsrechtlich orientierter Verbraucherbegriff ist (wie es schon die Inbezugnahme des „Abschlusses“ eines Rechtsgeschäfts, aber auch die Abweichungen der „Verbraucherbegriffe“ in anderen Bereichen [insbesondere Finanzdienstleistungen aber auch Probleme im Zusammenhang etwas mit § 661a BGB] belegen), wäre wohl auch eine bereichsspezifische Regelung zuerst nur für das Recht der Schuldverhältnisse im Zweiten Buch des BGB in Betracht gekommen. 66 S. statt vieler die Ausführungen von Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 142 ff. (insbesondere S. 144 f.) zum (damaligen) Haustürwiderrufsgesetz; s. allgemein auch die Kritik bei Mohr, AcP 204 (2004), 660, 675 ff. Vgl. im übrigen auch schon die weiteren Nachweise o. Fn. 55.
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rem Maße als schon bisher zementiert. Vielmehr dürfte in diesem Zusammenhang ganz im Gegenteil die Integration insbesondere der verbrauchervertragsrechtlichen Nebengesetze in das BGB einen nicht ganz unerheblichen Druck erzeugen, in gänzlich atypisch gelagerten Situationen (der geschäftlich ganz unerfahrene Kleingewerbetreibende erwirbt ein Verbrauchsgut im Fernabsatz, welches vollkommen außerhalb seiner üblichen Geschäftstätigkeit liegt, ohne dem Anbieter zuerst überhaupt als Gewerbetreibender erkennbar zu sein67; der kundige Rechtsprofessor68 nutzt einen marginalen Fehler in der Belehrung über sein Widerrufsrecht, um nach Jahren einen ihm nunmehr unerwünschten Vertrag aus gänzlich anders gelagerten Gründen zu widerrufen) das allzu grobe Raster des Verbraucherbegriffs im Einzelfall zu hinterfragen69. Auf die Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden, doch ist festzuhalten, daß im BGB für eine derartige Korrektur des ganz atypisch gelagerten Einzelfalls das methodische Rüstzeug durchaus vorhanden wäre70. Dabei sollte aber 67 Für den weiten Bereich des Fernabsatzes von Verbrauchsgütern und -dienstleistungen im Internet (aber auch im klassischen Versandhandel) hat sich der typisierende gesetzliche Rahmen der §§ 312b ff. BGB ohnedies als level playing field weitestgehend unabhängig von der Verbrauchereigenschaft des konkreten Kunden durchgesetzt. Insoweit dürfte der zu Recht monierte Schutzbedarf auch Kleingewerbetreibender (s. statt aller noch zum Haustürwiderrufsgesetz Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 145) rein rechtspraktisch schon allein dadurch im wesentlichen aufgefangen werden, daß der verkehrstypische Fernabsatzvertrieb – insbesondere für Waren oder Dienstleistungen, die auch von kleinen Gewerbetreibenden gewissermaßen „unaufmerksam“ erworben werden mögen – in dieser Frage heute gar nicht mehr differenziert, sondern vereinheitlichend die Widerrufsrechte ohnedies sämtlichen Kunden zugute kommen läßt. Die Problematik, inwieweit die vertriebsspezifischen Verbraucherschutzrechte hinsichtlich ihres persönlichen Anwendungsbereichs erweiternd ausgelegt werden können oder gar Analogien gestatten, dürfte sich damit für den Bereich des Fernabsatzes weitestgehend entspannt haben. Für den Bereich „klassischen“ Haustürvertriebs, wo zumindest im Falle des Vertreterbesuchs auch weiterhin durchaus eine Differenzierung nach Art der Kunden stattfinden dürfte, bleibt das Problem allerdings bestehen. Doch ist die Problematik mittlerweile durch die legislative Entwicklung des Fernabsatzwiderrufsrechts in einer Hinsicht entscheidend abgeschwächt: denn in den Diskussionen um eine analoge Erweiterung des Haustürwiderrufsrechts ging es häufig nicht um den persönlichen Anwendungsbereich, sondern um eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs gerade auf diejenigen Fälle, die nunmehr die §§ 312b ff. BGB abdecken (vgl. nur am weitesten gehend Gilles, NJW 1986, 1131 ff.; Gilles, NJW 1988, 2424 ff. [dort zum Telefonmarketing]; und zum ganzen eingehend Lorenz, aaO., S. 154 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen). Da die gesetzgeberische Entscheidung hinsichtlich der verbleibenden Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs bewußt im Interesse der Rechtssicherheit typisierend erfolgte – zumal nur eine hinreichend klare Typisierung eine Belehrung über das Widerrufsrecht gestattet und damit auch im Interesse des Gewerbetreibenden die alsbaldige Inlaufsetzung der Widerrufsfrist ermöglicht, welche allein die Anordnung eines Widerrufsrechts für den Gewerbetreibenden berechen- und damit zumutbar macht –, dürfte insoweit allerdings kaum jemals eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung der Analogie im Einzelfall vorliegen. So wiederum zutreffend in etwas anderem Zusammenhang Lorenz, aaO., S. 158. 68 So das zu Prominenz gelangte Beispiel von Bydlinski, System und Prinzipien, S. 743 (dort Fußnote 838). 69 Vgl. allgemein nur Grundmann, AcP 202 (2002), 40, 68 ff. 70 Insbesondere in Fällen ganz krassen, offensichtlichen Mißbrauchs eines einschlägigen Wi-
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nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden, indem der typisierende Verbraucherbegriff – der mit seinem groben Raster und der kontextunabhängigen Vereinheitlichung gerade den Anlaß für dogmatische Bemühungen um Korrektur im Einzelfall bildet – gar seinerseits typisierend im Sinne eines erweiterten Schutzes auch bestimmter Kleingewerbetreibender (entsprechend den französischen non professionels 71) uminterpretiert wird72. Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine solche typisierende Uminterpretation – soweit sie europarechtlich überhaupt zulässig ist73 – nicht wünschenswert, weil sie nur zu neuen Abgrenzungsderrufsrechts – etwa durch bewußt arglistige Nutzung minimalster Fehler bei der Erfüllung der Informationspflichten für einen Widerruf weit nach Ablauf der normalen Widerrufsfrist aus gänzlich anders gelagerten Gründen – mag man dem kundigen Verbraucher die Ausübung seines Widerrufsrechts unter Heranziehung der allgemeinen Figur des Verbots unzulässiger Rechtsausübung gem. § 242 BGB abschneiden (so insbesondere Medicus, JuS 1996, 761, 767 unter zutreffender Betonung der Begrenzung auf „besonders krasse Fälle“, die notwendig sei, um die im Interesse der Rechtssicherheit bewußt erfolgte gesetzgeberische Entscheidung für die Typisierung nicht zu unterlaufen; ebenso Mohr, AcP 204 (2004), 660, 682 mit sogar noch etwas weitergehender Tendenz [„… zumindest in schwerwiegenden Fallgestaltungen verstößt der Überlegene gegen Treu und Glauben…“, Hervorh. d. Verf.]). Demgegenüber dürfte eine teleologische Reduktion im Einzelfall (so der Vorschlag von Bydlinski, System und Prinzipien, S. 728 ff.) in derartigen Fällen kaum in Betracht kommen, da auf diesem Wege – soweit nicht ein wiederum typisierendes Merkmal sich finden ließe – gerade die gesetzgeberische Entscheidung, im Interesse der Rechtssicherheit ein typisierendes Kriterium heranzuziehen, in eine durch die Methode teleologischer Interpretation nicht mehr gedeckten Art und Weise durch regelrechte Korrektur des Gesetzes unterlaufen würde (so schon Medicus, aaO.; ebenso Canaris, AcP 200 (2000), 273, 348 [dort insbesondere Fußnote 265]; Mohr, aaO., 681). Aus demselben Grund scheidet auch eine teleologische Erweiterung des Verbraucherbegriffs, ebenso wie eine analoge Ausdehnung von Verbraucherschutzvorschriften (etwa auf Kleingewerbetreibende), nach richtiger Auffassung aus (s. insoweit auch schon o. Fn. 67). Soweit im ganz atypisch gelagerten Einzelfall tatsächlich ein Nichtverbraucher ebenso schutzwürdig erscheint wie ein Verbraucher, ist nach der diesbezüglich klaren Entscheidung des deutschen Gesetzgebers richtigerweise wohl eher auf die allgemeinen Instrumente des Zivilrechts zum Schutz vor dem unerwünschten Vertrag zurückzugreifen (s. dazu noch unten 4. Abschn. C), als auf eine wie auch immer geartete Erweiterung der spezifischen Verbraucherschutzvorschriften. 71 S. insbesondere die Entscheidung der Cour de Cassation Civ. Ire. 3.5.1988, Bull. Civ. I No. 125, die den Kauf eines Fotokopierers durch einen Geistlichen für seine Kirchengemeinde betraf, der als branchenfremdes Geschäft qualifiziert wurde mit der Folge, daß Schutz nach dem Code de la Consommation in Betracht kam. 72 So aber MüKo-Micklitz, § 13, Rz. 17 ff. 73 Europarechtlich wäre eine derartige Erweiterung nach der Entscheidung des EuGH Rs. C-361/89 – Di Pinto, Slg. 1991, I-1206, Rz. 20 ff. auf Grundlage der Mindestharmonisierungsklauseln in den Verbraucherschutz-Richtlinien wohl rechtlich möglich (wenngleich der EuGH in derselben Entscheidung, Rz. 14 ff., eine entsprechende Ausdehnung für den europäischen Verbraucherschutz ausdrücklich ablehnte). Auch die oben skizzierte Argumentation – zur Komplementarität von Verbraucher- und Unternehmerbegriff – steht insoweit nicht entgegen, weil es bei der Figur des non-professionnel bei genauem Hinsehen um eine Ausdehnung des Verbraucherschutzes auf branchenfremde Geschäfte und damit nicht um eine Ausdehnung des persönlichen, sondern um eine Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs geht. Eine solche Ausdehnung des situationsspezifischen Verbraucherschutzes auch auf Gewerbetreibende soweit diese hinsichtlich eines bestimmten Geschäfts des besonderen Schutzes bedürfen, gestattet der EuGH, aaO., Rz. 20 ff. (nach der hier vertretenen Auffassung im Gegensatz zur generalisierenden Ausdehnung des personalen Verbraucherbegriffs auf bestimmte Gruppen von Gewerbetrei-
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problemen an der dann gewissermaßen vorverlagerten Grenze des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes führen und solcherart einer sozusagen in infinitesimalen Schritten immer weiter voranschreitenden, stückweisen Ausdehnung der personalen Anknüpfung des Verbraucherbegriffs Vorschub leisten würde. Es muß daher nach der hier vertretenen Auffassung bei einer rein einzelfallbezogenen Korrektur extrem atypisch gelagerter Fälle bleiben, die zudem mit äußerster Behutsamkeit zu handhaben ist, um das durch die Typisierung gewonnene Niveau an Rechtssicherheit – und damit insbesondere den unter Marktgesichtspunkten vorzugswürdigen rein prozeduralen „Spielregel“charakter der situationsspezifischen Verbraucherschutzvorschriften – nicht über Gebühr zu unterhöhlen.
2. Vergleich zum Wettbewerbsrecht a. Keine grundlegende inhaltliche Differenzierung des geltenden UWG bezüglich des Verbraucherschutzes im Vergleich zum Schutz sonstiger Marktteilnehmer im Vertikalverhältnis Soweit im neuen UWG mit § 2 Abs. 2 UWG i.V.m. §§ 13, 14 BGB eine Definition des Verbraucher- und Unternehmerbegriffs im Kontext eines allgemeinen Definitionenkatalogs enthalten ist, wird der gerade auch für das BGB angedeutete Einzug angelsächsischer Gesetzgebungstechnik, durch Voranstellung allgemeiner Definitionskataloge zur Festlegung der im Gesetz in der Folge verwendeten Rechtsbegriffe für gesteigerte Rechtsklarheit in der Rechtsanwendung zu sorgen, überdeutlich. Auch im Zusammenhang des neuen UWG (und hier noch deutlicher als im BGB) gilt also, daß sich mit der bloßen gesetzestechnischen Definition der Begriffe keinerlei inhaltliche Wertentscheidung verbindet. Schon eher für die Anknüpfung einer echten inhaltlichen Wertung scheint jedoch die terminologische Differenzierung in der Schutzzweckklausel des § 1 UWG74 zwischen dem Schutz von „Verbrauchern“ und „sonstigen Marktteilnehmern“ in Betracht zu kommen. Sowohl bezüglich der Verbraucher als auch bezügbenden insgesamt, s. o. II 1), gerade. Zu bedenken ist aber auch, daß für den Bereich des Fernabsatzes von Finanzdienstleistungen (wie er sich nunmehr in § 312b ff. integrierend mit geregelt findet) eine entsprechende Mindestklausel in der FernabsatzFinDL-RL gerade fehlt. Für diesen Bereich ist eine typisierende Ausdehnung des Verbraucherbegriffs auf Geschäfte des non-professionnel demnach gerade nicht zulässig. Angesichts der bewußt integrativ im Kontext der allgemeinen Regelungen des Fernabsatzes erfolgten Umsetzung der FernabsatzFinDL-RL ist diese gemeinschaftsrechtliche Vorgabe im Wege richtlinienorientierter Auslegung (s. dazu allgemein schon o. 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (4) (b)) dann mindestens auch auf den Bereich des Fernabsatzes insgesamt auszudehnen. Unter Gleichheitsgesichtspunkten läßt sich dann angesichts dieser Wertung eine Einbeziehung von non-professionnels in den Schutzbereich lediglich des § 312 BGB – angesichts der wiederum bewußt vereinheitlichenden Regelung in § 13 BGB – kaum mehr rechtfertigen. Auch europarechtlich sprechen also die besseren – wenn nicht zwingenden – Gründe im Ergebnis gegen eine Einbeziehung der non-professionnels in den Verbraucherbegriff des BGB (soweit überhaupt möglich). 74 S. ebenso auch in der Generalklausel des § 3 UWG.
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lich der sonstigen Marktteilnehmer geht es in erster Linie75 um den durch das UWG bezweckten Schutz der Interessen der Marktteilnehmer im Vertikalverhältnis. Doch wird in diesem Zusammenhang die Gruppe der Verbraucher als Teilmenge von der Gesamtmenge der „sonstigen Marktteilnehmer“ typisierend abgegrenzt. Auch diese Differenzierung sollte allerdings für sich genommen in ihrem verallgemeinerbaren Wertungsgehalt keinesfalls überschätzt werden76. Erstens bringt sie – wie auch die Schutzzweckklausel im übrigen – keine inhaltliche Änderung gegenüber der bisherigen Haltung der Rechtsprechung, die auch bereits „insbesondere die Verbraucher“ als Untergruppe der sonstigen Marktteilnehmer (auf der Marktgegenseite) ausdrücklich identifizierte77. Vor allem aber ist, zweitens, die inhaltliche Wertung der Schutzzweckklausel mit Blick auf die terminologischtypisierende Hervorhebung verbraucherspezifischer Interessen auch wiederum gewissermaßen rückgebunden an die konkrete Ausgestaltung der Beispiels- und Sondertatbestände unlauteren Wettbewerbs in den §§ 4 ff. UWG. Nur soweit sich in diesen eine typisiert verbraucherspezifische Differenzierung der normativen Interessenabwägung zwischen den Interessen der Mitbewerber, der Verbraucher im Vergleich zu den sonstigen Marktteilnehmern (auf der Marktgegenseite) und der Allgemeinheit hinsichtlich einzelner Formen unlauteren Wettbewerbs kristallisiert (weil etwa bezüglich dieser Handlungsformen professionelle Marktteilnehmer bei typisierter Betrachtung im Vergleich zu Privatverbrauchern nicht schutzbedürftig erscheinen), erfolgt tatsächlich eine normative Anerkennung im engeren Sinne spezifisch verbraucherbezogener lauterkeitsrechtlicher Interessen. Allein die Formulierung der Schutzzweckklausel, die zumal die Interessen der einzelnen geschützten Gruppen von Marktbeteiligten inhaltlich gar nicht festlegt, macht also aus dem UWG nicht etwa ein Verbraucherschutzgesetz78. Ebensowenig läßt sie sich gar im Sinne einer wertenden Spaltung des als einheitliches Marktverhaltensrecht konzipierten deutschen Lauterkeitsrechts (schon im Vertikalverhältnis) in einen verbraucherschützenden und einen sonstige (professionelle) Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite schützenden Bereich verstehen. In diesem Zusammenhang allein entscheidend ist vielmehr die konkrete Ausgestaltung der Beispielstatbestände. Auch im UWG geht es also im Ergebnis stets um eine situationsspezifische Verbraucherspezifität.
75 Neben professionellen Marktteilnehmern auf der Marktgegenseite bezieht der Begriff der sonstigen Marktteilnehmer gem. der Definition des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG jegliche weiteren Marktbeteiligten ein und erstreckt sich daher insbesondere auch noch auf Unternehmer, die zum Handelnden in einem lediglich abstrakten Wettbewerbsverhältnis (i.S.d. alten UWG) stehen. 76 Zutreffend Harte/Henning-Schünemann, § 1, Rz. 41. 77 S. nur BGHZ 123, 330, 334 – Folgeverträge; vgl. im übrigen die umfassenden Nachweise bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 2. 78 So zutreffend die ganz herrschende Meinung (s. nur Lettl, GRUR 2004, 449; ders., Das neue UWG, Rz. 16; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 3; Ohly, GRUR 2004, 889, 894) gegen vereinzelt geäußerte Bedenken (etwa bei Engels/Salomon, WRP 2004, 32; Ring, ZGS 2004, 373, 377).
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b. Verbraucherspezifische Gestaltung einzelner Beispielstatbestände unlauteren Wettbewerbs Zu einer echten Differenzierung zwischen Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern auf der Marktgegenseite kommt es in diesem Zusammenhang nach geltendem Recht in unterschiedlicher gesetzestechnischer Ausgestaltung nur in § 4 Nr. 2 (neben insbesondere den Kindern und Jugendlichen werden nur Verbraucher als Zielobjekte des Ausnutzens erwähnt) und Nr. 6 (wiederum nur Erwähnung der Teilnahme von Verbrauchern an sachfremd an den Erwerb einer Ware gekoppelten Gewinnspielen oder Preisausschreiben), § 7 Abs. 2 Nr. 2 (Differenzierung zwischen Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern schon innerhalb des Beispielstatbestandes) und § 16 Abs. 2 UWG (wiederum nur Erwähnung von Verbrauchern). Mit Blick auf die im Zivilrecht teils vehemente Kritik hinsichtlich der Gefahren einer nicht ausnahmefähigen verbraucherspezifischen Typisierung stellt sich für diese wettbewerbsrechtlichen Tatbestände nach geltendem Recht insbesondere die Frage, inwieweit im Einzelfall eine Abweichung der rechtlichen Bewertung von den typisierten Beispielstatbeständen (insbesondere durch Einbeziehung sonstiger Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite in den verbraucherspezifischen Schutz oder aber auch umgekehrt durch Abweichung von der typisiert verbraucherschützenden Wertung zuungunsten der betroffenen Verbraucher79) im Einzelfall in Betracht kommt. Das Problem ist allgemeiner, methodologischer Natur, denn damit ist generell die Frage des Verhältnisses der Generalklausel zu den Beispielstatbeständen unlauteren Wettbewerbs angesprochen. c. Möglichkeiten zur Abweichung von den verbraucherspezifisch typisierenden Wertungen unter Rückgriff auf § 3 UWG im Einzelfall? Bei erstem Hinsehen scheint die Generalklausel des § 3 UWG als Auffangnorm zu den spezifischeren Beispielstatbeständen insoweit mehr Raum für Abweichungen von den typisierten Wertungen der § 4 Nrn. 2 und 6, § 7 Abs. 2 Nr. 2 und § 16 Abs. 2 UWG zu lassen, als die Instrumente des Zivilrechts hinsichtlich der typisierten Wertungen des Verbrauchervertragsrechts. Insbesondere scheint für eine (sozusagen erweiternde) Abweichung im Sinne einer Einbeziehung von Unternehmern (als sonstigen Marktteilnehmern) in den Schutz, ein Rückgriff auf die Generalklausel in Betracht zu kommen, während für eine (sozusagen verengende) Korrektur der Beispielstatbestände im einzelnen Fall die Bagatellklausel des § 3 UWG das geeignete Mittel zu sein scheint. Aus methodologischer Sicht ist insoweit allerdings Vorsicht angebracht. Denn trotz des grundsätzlich nicht abschließenden Charakters der Beispielstatbestände80, darf doch die in ihnen verkörperte typisierte Wertung des Gesetzge79
Vgl. für ein Beispiel schon oben 3. Kap. 2. Abschn. B III 2. S. die jeweiligen Formulierungen „insbesondere“ in §§ 4 und 7 UWG sowie die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 4 und § 7 Abs. 2 UWG. 80
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bers, soweit sie reicht, nicht etwa durch einen vorschnellen Rückgriff auf die Generalklausel unterlaufen werden. Indem die Beispielstatbestände ausdrücklich als nicht abschließend ausgestaltet wurden, sollte dem Rechtsanwender nämlich nur die Flexibilität in der Rechtsanwendung und die Möglichkeit einer Fortentwicklung des Lauterkeitsrechts auf Grundlage des § 3 UWG erhalten bleiben, da „nicht alle denkbaren Fälle unlauteren Handelns geregelt werden können“81. Nicht jedoch sollte er demgegenüber die umfassende Möglichkeit eingeräumt bekommen, auf dem Umweg über § 3 UWG auch die (zumeist eine im Vergleich zum bisherigen Recht liberalisierende Intention verfolgende) gesetzgeberische Interessenabwägung, die gerade auch der sorgsamen Begrenzung der einzelnen Beispielstatbestände zugrundeliegt, für den typischen Fall zu unterlaufen. Es lassen sich insofern hinsichtlich (vermeintlichen) Erweiterungsbedarfs einzelner Beispielstatbestände im wesentlichen drei Fälle unterscheiden: Im ersten Fall sind die interessenbezogenen Besonderheiten einer bestimmten („schlicht“ atypischen) Situation in die durch Interpretation zu ermittelnde Reichweite der typisierten gesetzgeberischen Interessenabwägung – wie sie einem Beispielstatbestand zugrundeliegt – bereits mit einbezogen, dennoch ist im Beispielstatbestand nur ein begrenztes Verbot erfolgt. In diesem Fall kommt ein Rückgriff auf die Generalklausel nicht in Betracht, die gesetzgeberische Wertung des Beispielstatbestandes geht insoweit als abschließend vor. Im zweiten Fall wurde eine bestimmte Sondersituation – die hinsichtlich der zugrundeliegenden spezifischen Interessensituation einem Beispielstatbestand genau vergleichbar ist und auch als wettbewerbsrechtliche Handlungsform in nicht nur vollkommen vereinzelten Fällen existent und bekannt war – vom Gesetzgeber schlichtweg übersehen. In diesem Fall ist mit sorgsam begründeten teleologischen Erweiterungen bzw. mit Analogien zu den Beispielsfällen auszuhelfen; ein Rückgriff auf § 3 UWG kommt wiederum typischerweise nicht in Betracht. Schließlich kann – dritter Fall – ein einzelner Sachverhalt im Umfeld eines Beispielstatbestands derart atypisch gelagert sein, daß er – insbesondere wegen des Hinzutretens ganz anders gelagerter, eigenständiger Interessenkonstellationen, die vom Gesetzgeber so keinesfalls „vorhergedacht“82 werden konnten – sich von dem typischen Fall des Beispielstatbestands als vereinzelte Ausnahme klar abhebt. In diesem – und nur in diesem – Falle kann auf § 3 UWG zurückgegriffen werden, um ein wettbewerbsrechtliches Verbot zu begründen83. 81
S. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 4. Der vielleicht etwas ungewöhnlich anmutende Terminus der Möglichkeit eines „Vorherdenkens“ ist an dieser Stelle mit Bedacht verwandt; denn in der Tat verweist die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 4, hinsichtlich des nicht abschließenden Charakters der Beispielstatbestände, wie im Text zitiert, gerade darauf hin, daß der Gesetzgeber nicht alle „denkbaren“ Fälle habe regeln können. Die ohne weiteres „denkbaren“ Fälle im – in seinem Umfang durch Auslegung zu ermittelnden – Umfeld eines Beispielstatbestands dürften demgegenüber vom Gesetzgeber in der Regel mit bedacht sein, so daß die diesbezüglich typisierende gesetzgeberische Wertung insoweit Vorrang erlangen muß. 83 Bildhaft gesprochen stellt sich das Universum des unlauteren Wettbewerbs nach dem 82
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Praktisch ist also stets zuerst – unter Ausschöpfung aller methodischen Möglichkeiten, mithin des gesamten Auslegungskanons insbesondere einschließlich der Möglichkeit teleologischer Erweiterung bzw. Reduktion84 – zu prüfen, ob und inwieweit die gesetzgeberische Wertung in einzelnen Beispielstatbeständen schon eine entsprechende Erweiterung oder Reduktion des Tatbestands durch Interpretation gestattet. Ist dies nicht der Fall, ist zugleich durch Auslegung zu ermitteln, ob und inwieweit sie – sozusagen umgekehrt – als für einen bestimmten Bereich abschließend zu betrachten ist. Nur soweit der bereichsspezifisch abschließende Charakter verneint wird, kann in einem zweiten Schritt die Bildung von Analogien erwogen werden, sofern die entscheidende Voraussetzung einer systemwidrigen Lücke im System der Beispielstatbestände bejaht werden kann. Nur nach Ausschöpfung dieser Möglichkeiten85 kommt überhaupt ein Rückgriff auf die Generalklausel insbesondere zur erweiternden „Korrektur“ der Wertung eines Beispielstatbestands in Betracht, sofern und soweit dieser „Korrektur“ im Einzelfall Interessenpositionen zugrundeliegen, die in die typisierte gesetzgeberische Wertung bei der Fassung des Beispielstatbestands noch nicht eingeflossen waren. Da die Beispielstatbestände nur die „Unlauterkeit“ als solche typisieren, dürfte eine korrigierende Verengung auf Grundlage der Bagatellklausel des § 3 UWG – die auch neben den Beispielstatbeständen unabhängig zu prüfen bleibt86 – etwas eher in Betracht kommen. Auch insoweit ist aber der Vorrang der in den Beispielstatbeständen verkörperten gesetzgeberischen Wertung zu wahren87. Wiederum dürfte deshalb die Verneinung der „erheblichen“ Wettbewerbsbeeinträchtigung in einem derartigen Fall doch zumindest die sorgsame Begründung einer relevanten Abweichung von dem durch den gesetzgeberischen Beispielstatbestand anvisierten „Normalfall“ erfordern, da für diesen Normalfall der Gesetzgeber ja offenbar neuen UWG also etwa wie ein Sternenhimmel dar, in dem die einzelnen Sterne (in ihrer klaren Begrenzung) die Beispielstatbestände unlauteren Wettbewerbs verkörpern, während ihre jeweiligen Strahlenkränze diejenigen Vorfeldbereiche markieren, in denen die gesetzgeberische Wertung des Beispielstatbestands als abschließend einem Rückgriff auf die Generalklausel gerade noch entgegensteht, so daß insoweit ein Verbot in der Regel (sofern nicht teleologische Erweiterung oder Analogie bezüglich des Beispielstatbestands helfen) gerade nicht in Betracht kommt. Ein Rückgriff auf die Generalklausel ist demgegenüber – um im Bild zu bleiben – dort möglich, wo ein so nicht „vorherdenkbarer“ Einzelfall unlauteren Wettbewerbs oder eine neu sich entwickelnde unlautere Wettbewerbspraxis sozusagen im freien Raum des wettbewerblichen Handelns rechtlich zu beurteilen ist. 84 S. zur Auslegungs- und Fortbildungsfähigkeit der Beispielstatbestände nur Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 5. Für ein Beispiel, in dem die teleologische Reduktion zweier Beispielstatbestände nach der hier vertretenen Auffassung Vorrang vor dem generalisierenden Rückgriff auf die Bagatellklausel des § 3 UWG beansprucht, vgl. schon oben 3. Kap. 2. Abschn. B III 2. 85 Zu diesem Anwendungsvorrang im Sinne einer „anwendungsmethodischen“ Subsidiarität treffend schon Schünemann, JZ 2005, 271, 278. 86 S. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 4. 87 Vgl. nur als ein Beispiel die vorgeschlagene Auslegung von § 7 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 und Nr. 3 UWG für Fälle ganz besonders gelagerter (Not-)situationen im Vergleich zu dem zur Lösung dieses Problems gleichermaßen vorgeschlagenen Rückgriff auf die Bagatellklausel, oben 3. Kap. 2. Abschn. B III 2.
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von der typischen Eignung zur nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs ausging, ohne die eine typisierende Regelung kaum notwendig gewesen wäre. Nach alldem ist festzuhalten, daß die Generalklausel zu den Beispielstatbeständen nicht nur im Sinne eines Anwendungsvorrangs letzterer sozusagen „anwendungsmethodisch“ subsidiär ist, sondern vielmehr in einem Sinne echter materieller Subsidiarität dort zurückzutreten hat, wo die Begründung oder Verneinung der Unlauterkeit eines wettbewerblichen Verhaltens über § 3 UWG die entgegenstehende gesetzgeberische Wertung eines oder mehrerer Beispielstatbestände unterläuft88. Dabei ist zudem die generell liberalisierende Intention des Gesetzgebers89 in dem Sinne mit in die Betrachtung einzubeziehen, daß im Zweifel die den Beispielstatbeständen zugrundeliegende gesetzgeberische Interessenabwägung eher für eine weitere Sphäre nicht unmittelbar geregelter, aber doch in einem dann permissiven Sinne bereits mitbedachter Fälle als vorrangig und abschließend anzusehen ist. Insofern darf in diesen Ausstrahlungsbereichen die typisierte gesetzgeberische Wertung auch hinsichtlich der Gestattung bestimmter Wettbewerbsformen am bloßen Rande zur beispielsartig typisierbaren Unlauterkeit nicht unter Begründung neuer (angeblicher) Verbotsnotwendigkeiten auf dem Umweg über die Generalklausel unterlaufen werden90. Für die Frage nach der Erweiterbarkeit bzw. Reduzierbarkeit der verbraucherspezifisch formulierten Beispiels- und Straftatbestände des UWG ergibt sich aus vorstehenden Überlegungen folgendes. Für den Straftatbestand des § 16 Abs. 2 UWG scheidet angesichts der klar entgegenstehenden Intention des Gesetzgebers, der – zumal als einzige wesentliche Veränderung der Norm im Rahmen der UWGReform im Vergleich zu § 6c UWG a.F.91 – den neuen § 16 Abs. 2 UWG hinsichtlich des geschützten Personenkreises bewußt gerade auf Verbraucher beschränkte92, eine erweiternde Ausdehnung auch auf sonstige Marktteilnehmer durch Auslegung93 oder Heranziehung der Generalklausel des § 3 UWG selbst für – in wel88
Ganz ähnlich wie hier Schünemann, JZ 2005, 271, 278 f. S. nur deutlich und grundlegend die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, A I. 90 Ähnlich, wenn auch allgemeiner im Sinne einer „herzustellenden Balance“ zwischen „Ausschöpfungs- und Zurückhaltungsgebot“ formuliert bei Schünemann, JZ 2005, 271, 278. 91 Der in seinem persönlichen Anwendungsbereich in wenig überzeugender Weise auf „Nichtkaufleute“ beschränkt war, wobei insbesondere unklar blieb, warum etwa Freiberufler insoweit schutzwürdiger sein sollten als Gewerbetreibende, vgl. nur die Kritik bei Alexander, WRP 2004, 407, 413. 92 Da er davon ausging, daß ein erhebliches Gefährdungspotenzial der progressiven Kundenwerbung nur gegenüber diesen bestehe, s. (die an dieser Stelle kurze) Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 16 Abs. 2 und zustimmend Alexander, WRP 2004, 407, 413. 93 Eine Analogie scheidet im Falle des § 16 Abs. 2 UWG mit Blick auf das strafrechtliche Analogieverbot, wie es sich auch für § 16 UWG aus dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG ergibt (vgl. zu diesem Aspekt, der mehr im Zusammenhang mit § 16 Abs. 1 UWG wegen der vergleichsweise unbestimmteren Formulierung des Tatbestands problematisch ist, nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 16, Rz. 11; ausführlicher Fezer-Rengier, § 16, Rz. 36 ff.), ohnehin aus. 89
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cher Weise auch immer – besonders gelagerte Einzelfälle in aller Regel aus. Ein ausnahmsweises Verbot progressiver Werbeformen gegenüber sonstigen Marktteilnehmern kommt danach im Einzelfall allenfalls dann in Betracht, wenn vollkommen unabhängige, gänzlich anders gelagerte Aspekte – wie etwa die Ausübung von Zwang o.ä. zum Eintritt in das System – hinzutreten, die dann aber primär ohnedies über andere Beispielstatbestände (wohl nur theoretisch auch über die Generalklausel) zu erfassen sind, so daß es gar nicht mehr um die rechtliche Qualifikation des progressiven Kundenwerbesystems im engeren Sinne geht. Darüber hinaus dürfte § 16 Abs. 2 UWG schon im Wege (noch) teleologischer Auslegung (also ohne Verletzung der Grenzen des strafrechtlichen Analogieverbots) auch anwendbar sein, wenn eine bewußte Umgehung des Tatbestands des § 16 Abs. 2 UWG etwa dadurch versucht wird, daß sämtliche Teilnehmer des progressiven Vertriebssystems in den zugrundeliegenden Verträgen als selbständig „beruflich“ tätige „Vertriebsagenten“ o.ä. bezeichnet werden94. Ähnliches gilt für die Beispielstatbestände des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG und des § 4 Nr. 6 UWG. Für erstgenannte Norm wurde schon oben (3. Kap. 2. Abschn. B III 2) bezüglich der ersten Alternative (Werbung gegenüber Verbrauchern) der Vorrang teleologischer Reduktion für gewerbliche Direktansprache in bestimmten Notfällen vor einem methodisch bedenklichen Rückgriff auf die Bagatellklausel des § 3 UWG für derartige Fälle begründet. Verallgemeinert betrachtet scheitert darüber hinaus auch eine denkbare Erweiterung des Belästigungsschutzes für sonstige Marktteilnehmer (etwa ein Verbot telefonischer Direktwerbung im Verhältnis zu Unternehmen trotz vorhandener mutmaßlicher Einwilligung im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 UWG) über § 3 UWG in bestimmten besonders kraß gelagerten Fallgestaltungen95 an der entgegenstehenden Wertung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG, der insoweit innerhalb des Beispielstatbestands in aller systematischer Klarheit eine typisierende Differenzierung vornimmt und daher eine Umgehung dieser gesetzgeberischen Wertung über eine Analogie (mangels Vorhandensein einer systemwidrigen Lücke) oder über einen Rückgriff auf § 3 UWG (wegen der klar entgegenstehenden materiellen gesetzgeberischen Wertung des Beispielstatbestands) kategorisch ausschließt. Stets ist also in derartigen Fällen nicht etwa auf § 3 UWG zurückzugreifen, sondern vielmehr allein über eine sorgsame Begrenzung der Reichweite mutmaßlicher Ein-
94 Richtigerweise darf es, genau wie bei § 661a BGB (s. oben A I), für die Verbrauchereigenschaft der von einem progressiven Vertriebssystem betroffenen Kunden ohnedies nicht darauf ankommen, ob sich deren Teilnahme an dem System als privates Verbraucherhandeln darstellt, sondern vielmehr allein darauf, ob sie als potenzielle Kunden für die zu vertreibende Ware oder Dienstleistung als Verbraucher anzusehen sind. 95 Zu denken wäre etwa an eine besonders intensive telefonische Werbung gegenüber kleinen Einzelunternehmen, die sich in einer bestimmten Branche als branchenüblicher Standard durchgesetzt hat und daher u.U. von einer mutmaßlichen Einwilligung gedeckt wäre. S. aber auch noch sogleich im folgenden Text zur Beschränkung der Reichweite der mutmaßlichen Einwilligung in derartigen Fällen.
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willigungen (und damit im systematischen Rahmen des § 683 S. 1 BGB96) zu argumentieren. Ebenso ergibt sich für § 4 Nr. 6 UWG (Verbot sachfremder Kopplung der Teilnahme an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel mit dem Erfordernis des Erwerbs einer Ware gegenüber Verbrauchern) aus dem systematischen Zusammenhang mit § 4 Nr. 5 UWG (lediglich Transparenzvorschriften hinsichtlich der Teilnahmebedingungen an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel gegenüber sämtlichen, auch „sonstigen“ Marktteilnehmern), daß eine Erweiterung des § 4 Nr. 6 UWG über den Verbraucherschutzbereich hinaus aufgrund der gesetzgeberischen Wertung, wie sie sich in einem regelrechten e contrario-Schluß zu § 4 Nr. 5 UWG manifestiert, kategorisch ausgeschlossen ist. Für die – bereits jetzt gelegentlich aus rechtspolitischer Sicht als zu streng kritisierte97 – Beispielsnorm dürfte wohl auch ohnehin in der Zukunft eher die Frage nach Möglichkeiten einer Begrenzung des Tatbestands im Mittelpunkt stehen. Doch auch insoweit muß zunächst gelten, daß die eindeutig verbraucherschützende gesetzgeberische Wertung jedenfalls für den markttypischen Fall – also etwa Preisausschreiben und Gewinnspiele in Verbrauchermärkten des Massenverkehrs mit Blick auf geringwertige Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs – nicht über einen voreiligen Rückgriff auf die Bagatellklausel des § 3 UWG unterlaufen werden darf. Denn für diesen „Normalfall“ ist der UWG-Gesetzgeber offenbar davon ausgegangen, daß aus derartigen sachfremden Kopplungen von Teilnahme und Erwerb in der Regel eine eben nicht nur unerhebliche Wettbewerbsverzerrung folgt. Eine etwa abweichende Wertung über die Bagatellklausel des § 3 UWG ist jedenfalls sorgsam für den Einzelfall, etwa anhand atypischer Besonderheiten des streitgegenständlichen Marktes, zu begründen. Zudem dürfte wiederum der Versuch, über eine möglichst liberale Handhabung des Beispielstatbestands selbst 98 – insbesondere durch eine weite und funktionale Auslegung des Merkmals der „naturgemäßen Verbindung“ entsprechend den Gepflogenheiten in bestimmten Märkten – Abhilfe zu schaffen, Anwendungsvorrang gegenüber dem vorschnellen Rückgriff auf die Bagatellklausel beanspruchen. Damit bleibt als einziger verbraucherspezifischer Beispielstatbestand, der entgegen seiner vermeintlich typisierenden Wertung einer Erweiterung auf sonstige Marktteilnehmer zugänglich ist, § 4 Nr. 2 UWG99. Die in dieser Norm geschilderte Gefährdungslage für eine freie Entscheidung der Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite durch Ausnutzen besonderer Umstände ist nämlich – mindestens bezüglich des Merkmals des Ausnutzens einer Zwangslage (wohl im Einzelfall 96
S. näher schon oben 3. Kap. 2. Abschn. B III 2. S. Sosnitza, GRUR 2003, 739, 743; wohl auch Ohly, GRUR 2004, 889, 896. 98 Die hier allerdings durch die sehr konkrete Formulierung des Beispielstatbestands ohne nennenswerten Rückgriff auf unbestimmte Rechtsbegriffe (vgl. zutreffend Ohly, GRUR 2004, 889, 896), nur in äußerst eng gesteckten Grenzen (nämlich über die sozusagen als Notbehelf weite Auslegung des Merkmals des „naturgemäßen Zusammenhangs“, wie im folgenden Text vorgeschlagen) möglich ist. 99 Ebenso im Ergebnis Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 2.8. 97
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auch mit Blick auf das Ausnutzen von Angst, soweit natürliche Personen als sonstige Marktteilnehmer betroffen sind) – nicht nur in keiner Weise verbraucherspezifisch, sondern nicht einmal gerade im Verbraucherbereich von einer im Vergleich zu sonstigen Marktteilnehmern derart gesteigerten Gefährlichkeit, daß eine kategorisch abschließende typisierende Differenzierung durch den Gesetzgeber gerechtfertigt wäre100. Anders als im Falle des § 16 Abs. 2 UWG und der §§ 7 Abs. 2 Nr. 2, 4 Nr. 6 UWG legen auch weder die historische101 noch die systematische102 Auslegung einen derartigen gesetzgeberischen Willen besonders nahe. Mit Blick auf den Telos der Norm, die Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer auf der Marktgegenseite vor – für Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer jedenfalls mit Blick auf die in der Ausnutzung von Zwangslagen oder Angst liegenden Störungen des Entscheidungsprozesses und der Entscheidungsgrundlage strukturell103 absolut vergleichbaren – situationsabhängigen Gefährdungen durch bestimmte Wettbewerbshandlungen zu bewahren, kommt daher eine Ausdehnung des Rechtsgedankens der Norm auch auf sonstige Marktteilnehmer in Betracht.
100 Graduell bestehen natürlich Unterschiede zwischen der Anfälligkeit Gewerbetreibender für die Ausnutzung von Zwangslagen (und Angst) und der entsprechenden Anfälligkeit von Verbrauchern; sonstige Marktteilnehmer dürften insoweit typischerweise in ihrem Entscheidungsfindungsprozeß robuster sein. Diese Unterschiede sind aber nicht struktureller Art, sondern allein gradueller Natur und können dadurch berücksichtigt werden, daß im einzelnen Fall sorgsam geprüft wird, inwieweit die für einen Gewerbetreibenden durch das Vorliegen der Ausnahmesituation eintretende Beeinträchtigung der Entscheidungsrationalität der in § 4 Nr. 2 UWG genannten typischen Beeinträchtigung eines Verbrauchers durch eine Zwangslage oder durch Angst vergleichbar ist. Vgl. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 2.8, der gleichermaßen die Notwendigkeit einer sorgsamen Betrachtung der Umstände des Einzelfalls betont. 101 Weder in der Gesetzesbegründung noch in den sonstigen Materialien zur UWG-Reform, findet sich insoweit ein eigenständiger Anhaltspunkt, warum der Gesetzgeber bewußt etwa die Ausnutzung einer Zwangslage gegenüber sonstigen Marktteilnehmern hätte kategorisch ausschließen wollen, vgl. insoweit noch u. Fn. 105. 102 Insbesondere aus dem systematischen Zusammenhang zu § 4 Nr. 1 UWG, der zunächst allgemein unangemessenen sachlichen Einfluß auf die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer erfaßt, läßt sich insoweit nichts gegenteiliges entnehmen. Denn die im Vergleich hierzu liegende komplementäre Erweiterung durch § 4 Nr. 2 UWG ist ihrem Telos nach (mit Ausnahme der Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit, die insbesondere bei Kindern und Jugendlichen und im übrigen wohl nur bei besonders schutzwürdigen Verbrauchergruppen erfaßt werden soll) weniger eine personenbezogene, als vielmehr in erster Linie eine situationsabhängige Erweiterung auf Fälle der Einschränkung der Entscheidungsrationalität in Ausnahmesituationen, wie insbesondere dem Vorhandensein einer Zwangslage oder Angst. Derartige Ausnahmesituationen sind aber nicht strukturell (allenfalls graduell) verbraucherspezifisch unterschiedlich zu beurteilen. Jedes andere – weniger situations- und mehr personenbezogene – Verständnis des § 4 Nr. 2 UWG würde auch zu einer der generell liberalisierenden Intention des Reformgesetzgebers zuwiderlaufenden Tendenz führen, sozusagen einen situationsunabhängigen, auf Erwägungen zur allgemeinen Schutzbedürftigkeit der Verbraucher gegründeten Schutz unter § 4 Nr. 2 UWG zu etablieren (vgl. insoweit ähnlich die zutreffende Warnung bei Harte/Henning-Stuckel, § 4 Nr. 2, Rz. 1). 103 S. für die Berücksichtigung nur gradueller Unterschiede, die grundsätzlich im Einzelfall erfolgen muß, schon o. Fn. 102.
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Dies setzt voraus, daß sich diese im Einzelfall in derartigen Ausnahmesituationen mit vergleichbarer Intensität der Beeinflussung der Entscheidungsrationalität befinden104. Hierfür dürfte – sofern man eine entsprechend teleologisch erweiternde Auslegung angesichts des klaren Wortlauts, wie er in der Gesetzesbegründung eine gewisse (wenngleich kaum eigenständigen zusätzlichen Gehalt beinhaltende) Bestätigung findet105, ablehnt – aber wiederum nicht in erster Linie auf die Generalklausel des § 3 UWG, sondern eher auf eine Analogie zu § 4 Nr. 2 UWG für das Ausnutzen von Zwangslagen oder Angst auch bezüglich sonstiger Marktteilnehmer im Einzelfall zurückzugreifen sein106. Denn bezüglich derartiger – in ihrer Intensität der Einwirkung auf Verbraucher genau vergleichbarer – Fälle, besteht in § 4 Nr. 2 UWG eine systemwidrige Lücke, die nicht allein durch den pauschalen Verweis auf den nach der Gesetzesbegründung nicht abschließenden Charakter107 der Beispielstatbestände und nachfolgenden Rückgriff auf § 3 UWG geschlossen werden kann. Vielmehr ist auch hier, wie stets, zu unterscheiden, ob es bei einem zu beurteilenden Wettbewerbshandeln um eine zur Zeit der Gesetzgebung eben noch nicht denkbare, neuartige Handlungsform geht (dann typischer Fall eines Rückgriffs auf § 3 UWG) oder ob lediglich eine der dem Gesetzgeber durchaus bekannten und zumal in den Beispielstatbeständen auch geregelten Formen unlauteren Wettbewerbsverhaltens in einer im Vergleich zur Formulierung des einschlägigen Beispielstatbestands weitergehenden Weise verboten werden soll, weil etwa in systemwidriger Weise ein an sich bekannter Aspekt des dem Gesetzgeber auch in seinen typischen Erscheinungsformen bekannten Wettbewerbshandelns übersehen wurde. In dieser letztgenannten Alternative muß die sorgsam begründete analoge Anwendung des Beispielstatbestands Vorrang gegenüber § 3 UWG eingeräumt werden, da die vorschnelle Heranziehung der Generalklausel in derartigen Fällen nur zu schnell zu einer systemwidrigen Ausdehnung der Beispielskataloge in immer weiter gezogene Vorfeldbereiche führen könnte.
104 S. auch die Betonung des situationsabhängigen Aspekts („Ausnahmesituationen“) neben dem personenbezogenen Aspekt in der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 4 Nr. 2. 105 Mehr als die sozusagen stillschweigende Differenzierung zwischen § 4 Nr. 1 UWG (dort: „Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer“) und § 4 Nr. 2 UWG (dort nur: „Verbraucher) – etwa im Sinne einer eigenständigen Erklärung der Differenzierung – findet sich nämlich auch in der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu 4 Nrn. 1 und 2 nicht. Ebensowenig geben die sonstigen Materialien Aufschluß über die diesbezüglichen Motive des Gesetzgebers. 106 Sofern dieser Einzelfall hinsichtlich des Intensitätsgrads der Einwirkung auf den Unternehmer – gegebenenfalls unter Berücksichtigung der größeren „Robustheit“ gewerblicher Marktteilnehmer – den Ausnahmesituationen des § 4 Nr. 2 UWG hinsichtlich der Intensität vergleichbar ist. 107 S. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, A IV Gründzüge der Reform, S. 13.
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IV. Notwendigkeit einer verbraucherschutzbezogenen Spaltung des UWG im Rahmen der Umsetzung der Lauterkeits-Richtlinie? Alles in allem ist demnach das deutsche UWG, vorbehaltlich der situationsspezifischen Differenzierung in einzelnen Beispielstatbeständen, grundsätzlich weiterhin von einer umfassenden und generell einheitlichen Erfassung des Vertikalverhältnisses – gleichgültig ob es sich bei den Marktteilnehmern auf der Marktgegenseite um Verbraucher oder Unternehmer handelt – im Sinne eines allgemeinen Marktverhaltensrechts geprägt. Allerdings hat letzthin die abweichende Konzeption der Lauterkeits-RL mit ihrer kritikwürdigen Beschränkung des Anwendungsbereichs auf vertikale B2C-Situationen und des Schutzzwecks auf (kaum trennscharf abgrenzbare) verbraucherschützende Aspekte des Lauterkeitsrechts (vgl. umfassend oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 b (1)) die Frage aufgeworfen, ob es nunmehr – im Rahmen der Umsetzung der Lauterkeits-RL – notwendig sei, das deutsche Lauterkeitsrecht in einen unternehmer- und einen verbraucherschützenden Teil aufzuspalten. In Betracht kämen und genannt wurden in diesem Zusammenhang als gesetzestechnische Möglichkeiten etwa die Ausgliederung und Übernahme der verbraucherschützenden Teile des Lauterkeitsrechts in das BGB108 oder eine verbraucherspezifische „Dopplung“ der Generalklausel109 innerhalb des UWG oder schließlich gar eine gesetzliche Auftrennung des UWG in ein unternehmerschützendes und ein verbraucherschützendes Gesetz110. Wenngleich nicht zu leugnen ist, daß unter rechtsvergleichender Perspektive eine derartige Lösung durchaus möglich und praktisch gangbar ist, so ist sie aber doch für das deutsche Recht keinesfalls geboten111. Vielmehr liegt hier – genau umgekehrt – einer derjenigen (oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (4) allgemein eingehend beschriebenen) Fälle vor, in denen eine horizontalisierende Umsetzung verbraucherspezifischen europäischen Rechts vorzunehmen ist. Gerade das Vertragsrecht und die gewählte „große“ Umsetzungslösung für die Verbrauchsgüterkauf-RL sind in diesem Zusammenhang nunmehr vorbildhaft für die anstehende Umsetzung der Lauterkeits-RL, die ebenfalls einheitlich auch für Wettbewerbshandlungen zwischen Wettbewerbsteilnehmern und bezüglich Nichtverbrauchern erfolgen sollte. Der vergleichsweise beschränkte Anwendungsbereich der Lauterkeits-RL steht dem jedenfalls nicht entgegen, da die Mitgliedstaaten außerhalb des harmonisierten Bereichs in den Grenzen des Primärrechts frei sind, lau-
108 So insbesondere Lettl, WRP 2004, 1079, 1089; vgl. auch schon die Sorge bei Köhler/Lettl, WRP 1019, 1051. 109 Vgl. Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1324 unter rechtsvergleichendem Hinweis auf die entsprechende Konstruktion im belgischen Gesetz über die Handelspraktiken von 1991 110 So die Lösung in einigen skandinavischen Ländern, etwa in Finnland, aber auch in Griechenland, s. Glöckner/Henning-Bodewig, aaO. 111 So im Ergebnis nunmehr auch Köhler, GRUR 2005, 793, 801 f.; ebenso Glöckner/Henning-Bodewig, aaO.; Seichter, WRP 2005, 1087, 1089.
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terkeitsrechtlich zu legiferieren112. Problematischer ist in diesem Zusammenhang allerdings die im wesentlichen auf Verbraucherschutzaspekte kupierte Schutzzweckregelung im Text der Richtlinie, wie sie schon oben (2. Kap. 3. Abschn. B III 2 b (1) und öfter) ausgiebig kritisiert wurde. Doch auch insoweit ergibt sich, da die konkreten Vorschriften der Richtlinie ihrem Charakter nach – und auch der primärrechtlichen Wurzel der Richtlinie entsprechend113 – institutionell auf den Schutz des Wettbewerbs vor irreführenden und aggressiven Werbemethoden ausgerichtet sind, bezüglich dessen sich die Interessen der Verbraucher, Mitbewerber und der Allgemeinheit sinnvoll gar nicht trennen lassen, daß eine einheitliche Umsetzung vorzuziehen ist, die die Spaltung des Wettbewerbsrechts vermeidet. Geringerem Schutzbedarf gewerblicher Marktteilnehmer kann – wie bisher – im Rahmen der Generalklauseln Rechnung getragen werden. Soweit derartige Differenzen situationsspezifisch typisierbar sind, kommt auch die Anordnung einzelner ganz oder teilweise verbraucherspezifischer Beispielstatbestände in Betracht, wie sie das neue UWG ohnedies bereits kennt114.
B. Abgrenzung von den Diskussionen um das Verbraucherleitbild und den zunehmenden Bemühungen um die Entwicklung eines Unternehmerleitbilds im UWG Der Verbraucher- und Unternehmerbegriff des BGB und des UWG als Anwendungsvoraussetzungen typisierten vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes bzw. verbraucherspezifischer lauterkeitsrechtlicher Beispielstatbestände sind zu unterscheiden von den ausgeuferten Diskussionen um das Verbraucherleitbild zumal des UWG, wie sie eine gewisse Bedeutung allerdings auch für die Anwendung der kollektiven Verbraucherschutzinstrumente des BGB haben115. Auf die Funktion insbesondere des normativ zu verstehenden Verbraucherleitbilds als Metapher einer dreiecksartigen Interessenabwägung zwischen den kollektiven Interessen der Anbieterseite des Marktes sowie der kollektiven Interessen der auf der Marktgegenseite voneinander abzugrenzenden Gruppen der – bezüglich einer bestimmten Gefährdungslage – schutzbedürftigen bzw. der in dieser 112 S. Erw.-Grd. 6 Lauterkeits-RL; auch einhellige Meinung in der Literatur (s. die Nachweise o. Fn. 111). 113 Die insoweit unleugbare institutionelle Verankerung auch der Richtlinie im Wettbewerbsschutz – wie sie dem gesamten Verbraucherschutzkonzept des Gemeinschaftsrechts mit seiner institutionellen Ausrichtung auf das Konzept des Binnenmarkts nur entspricht und wie sie sich auch ausdrücklich aus dem Binnenmarktbezug der Schutzzweckregelung (s. Art. 1 Lauterkeits-RL) ergibt – wird bisher zu selten gesehen, vgl. aber die Ausführungen o. 2.Kap. 3. Abschn. bei Fn. 58 und öfter. 114 Vgl. auch oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (4) (a). 115 Für die diesbezüglich selbstverständliche Abgrenzung aber auch mit weiteren Hinweisen auf dennoch bestehende Verbindungen beider Fragenkomplexe, vgl. für den Augenblick nur MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14, Rz. 6 und Rz. 86 f. mwN.
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Hinsicht eben nicht schutzbedürftigen Verbraucher, wurde in dieser Untersuchung bereits mehrfach allgemein und im Zusammenhang mit dem Europa- und Verfassungsrecht eingegangen116. Für das UWG ist in den letzten Jahren – unabhängig und unberührt (wenngleich gestützt117) von seiner Reform im Jahre 2004 – eine in großen Teilen der wettbewerbsrechtlichen Literatur seit langem geforderte118 und nunmehr auch fast einvernehmlich begrüßte und minutiös dokumentierte119 Wende der Rechtsprechung vom „alten“ deutschen Leitbild des flüchtigen unkritischen Verbrauchers120 hin zu einer über den Bereich zwingender Vorgaben des EuGH hinausreichenden differenzierten121 Übernahme des gemeinschafts116
S. oben 1. Kap. 3. Abschn. F IV 1 a; 2. Kap. 2. Abschn. B I 1; 2. Kap. 3. Abschn. B III 1 b. S. aber auch die deklaratorische Bestätigung der neueren Rechtsprechung des BGH in der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 5, S. 19; vgl. zur unterstützenden Haltung des Gesetzgebers schon seit der Abschaffung von Rabattgesetz und ZugabeVO im übrigen statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 25 mwN. 118 S. etwa frühzeitig die grundlegende, umfassende und treffende Kritik bei Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen, 1995; die spezifisch auf das Verbraucherleitbild des deutschen und europäischen Rechts abhebende, abgewogene Studie von von Wild, Der „vernünftige Verbraucher“, 1998, S. 217 f., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen zum Stand vor der eindeutigen Erkennbarkeit der „Rechtsprechungswende“; vgl. auch Niemöller, Das Verbraucherleitbild in der deutschen und europäischen Rechtsprechung, 1999, mit einem dem dieser Studie zugrundegelegten Komplementaritätsverständnis nahestehenden Ansatz, der den Regelungsgehalt des Irreführungsverbots wesentlich in der Sicherung von Verhandlungs- und Vertragsparität sieht. Vgl. zurückhaltender Sack, WRP 1998, 264 ff.; Sack, WRP 1999, 399 ff. 119 S. statt vieler nur Beater, JZ 2000, 973 ff.; Nordemann, WRP 2000, 977 ff.; Lettl, GRUR 2004, 449, 456 ff.; Lettl, Irreführende Werbung, S. 173 ff.; Lettl, Rz. 50 ff.; Hefermehl/Köhler/ Bornkamm-Köhler, § 1 UWG, Rz. 24 ff. und -Bornkamm, § 5 UWG, Rz. 1.62 ff.; Harte/Henning-Dreyer, § 5, Rz. 82 ff.: mit der neuen Begriffsprägung des „Durchschnittsumworbenen“; Fezer-Fezer, § 2, Rz. 171: der zu Recht die zutreffende Rechtsfortbildung betont, die in der Berücksichtigung der Situationsangemessenheit liegt, und eingehend auch Fezer-Peifer, § 5, Rz. 194 ff. Etwas zurückhaltender gegenüber dem Liberalisierungstrend Micklitz/Keßler, WRP 2003, 919, 923 f. (alle mwN). 120 S. für die letzten Entscheidungen, die dem alten Verbraucherleitbild folgten BGH GRUR 1988, 459, 460 – Teilzahlungsankündigung; BGH GRUR 1991, 546, 547 – … aus Altpapier; BGHZ 105, 277, 283 = GRUR 1991, 548 – Umweltengel; BGH GRUR 1992, 450, 452 f – Beitragsrechnung; BGH GRUR 1993, 127 – Teilzahlungspreis II. 121 Gegenüber der Konzeption des EuGH differenziert der BGH den Irreführungsmaßstab insofern, als er (realistischer als dies das limitierte europäische Informationsmodell gestattet, welches letztlich auf den Schutz der Entscheidungsgrundlage beschränkt ist, s. zu dessen diesbezüglich vorhandenen Schwächen schon o. 2.Kap. 3.Abschn. bei Fn.276 und 279) auch die (produkt- und vertriebsmedienbezogen) situationsangemessenen Grenzen der Informationsaufnahmekapazität und -willigkeit des Verbrauchers (und die sich daraus ergebenden Gefährdungen des Entscheidungsprozesses zumal in Situationen alltäglicher Massenverkehrsgeschäfte bezüglich geringwertiger Waren) normativ berücksichtigt. S. etwa die Voraussetzung eines höheren Aufmerksamkeitsgrads bezüglich außerhalb des täglichen Erwerbsbedarfs liegender, höherwertiger Produkte in BGH GRUR 2000, 619, 621 – Orient-Teppichmuster; BGHZ 148, 1, 7 – Mitwohnzentrale; BGH BGH-Rp 2002, 76, 77 f – Für´n Appel und n´Ei; BGH GRUR 2002, 81, 83 – Anwalts- und Steuerkanzlei; BGH GRUR 2003, 249 – Preis ohne Monitor; BGH GRUR 2003, 626, 627 – Umgekehrte Versteigerung II. Ebenfalls eine höhere Informationsobliegenheit des Verbrauchers wurde angenommen, wenn klärende Information ohne weiteres zur Verfügung steht, BGH GRUR 2002, 160, 162 – Warsteiner III. Wiederum strengere Maßstäbe legt der BGH jedoch an eine bewußt unwahre („dreiste Lüge“) Zeitungswerbung an, wenn der Verbraucher 117
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rechtlichen Leitbilds des durchschnittlich informierten aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers122 für das gesamte Wettbewerbsrecht123 zu beobachten. Dieser Prozeß kann hinsichtlich der normativen Grundlagen als abgeschlossen gelten. In der Folge wird es im deutschen Recht zunehmend um Konkretisierungen des Verbraucherleitbilds gehen, für die sich in der die Rechtsprechung systematisierenden Literatur – neben der ohnedies etablierten Möglichkeit nach einzelnen Verbrauchergruppen zu differenzieren124 – auch bereits hochentwickelte Ansätze einer sozusagen inhaltlich-situationsbezogenen Differenzierung bezüglich der einzelnen Gefährdungsaspekte finden125. Das neue UWG hat das Leitbild des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers von si-
diese typischerweise nur flüchtig wahrnehme, s. etwa BGH GRUR 2002, 715, 716 – ScannerWerbung. Vgl. zum ganzen die strukturierte Darstellung bei Lettl, GRUR 2004, 449. 122 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 1 b zum Hintergrund des normativen europäischen Verbraucherleitbilds. 123 BGH GRUR 2000, 619, 621 – Orient-Teppichmuster; BGH GRUR 2000, 914 – Tageszulassungen II; BGH GRUR 2000, 528 – L-Carnitin; BGH GRUR 2000, 820, 821 – Space Fidelity Peep-Show; BGH GRUR 2000, 1106, 1108 – Möbel-Umtauschrecht; BGH GRUR 2001, 358 – Rückgaberecht I; BGHZ 148, 1, 7 – Mitwohnzentrale; BGH GRUR 2001, 1166, 1169 – Fernflugpreise; BGH GRUR 2002, 81, 83 – Anwalts- und Steuerkanzlei; BGH GRUR 2002, 182, 183 – Das Beste jeden Morgen; BGH GRUR 2002, 550, 552 – Elternbriefe; BGH GRUR 2002, 715, 716 – Scannerwerbung; BGH GRUR 2003, 163, 164 – Computerwerbung II; BGH GRUR 2003, 247, 248 – THERMAL BAD; BGH GRUR 2003, 361, 362 – Sparvorwahl; BGH GRUR 2003, 249 – Preis ohne Monitor; BGH GRUR 2004, 162, 163 – Mindestverzinsung; BGH GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; BGH GRUR 2004, 249, 251 – Umgekehrte Versteigerung im Internet; BGH GRUR 2004, 435, 436 – FrühlingsgeFlüge; BGH WRP 2004, 1024, 1027 – Sportlernahrung II. 124 S. für das deutsche Recht statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 26 ff. mwN; bezüglich des europäischen Rechts vgl. schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 1 b mwN. 125 S. insbesondere Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 29 ff., Lettl, GRUR 2004, 449, 456 ff., ders, Rz. 52 ff., die bezüglich der Schutzhöhe systematisierend im wesentlichen zwischen der durchschnittlichen Informiertheit, der durchschnittlichen (situationsadäquaten) Aufmerksamkeit und der durchschnittlichen Verständigkeit unterscheiden (wobei insoweit – trotz der weiterhin bestehenden Möglichkeit eine Verkehrsbefragung durchzuführen, s. nur EuGH Rs. C-210/96 (Gut Springenheide), Slg. 1988, I-4657, Rz. 32 und dazu eingehend Lettl, Irreführende Werbung, S. 109 ff. mwN – insgesamt mittlerweile ein normativer Maßstab wie im europäischen Recht auch für das deutsche Recht mehr und mehr in den Mittelpunkt rückt) und dem für Belästigungsfälle noch die Figur des durchschnittlich empfindlichen Verbrauchers (s. Köhler, aaO., Rz. 32; Lettl, Rz. 42) hinzufügen. Auch die in dieser Untersuchung unternommene Aufgliederung im Vier-Ebenen-Modell in die drei Ebenen des Schutzes der Entscheidungsgrundlage, des Entscheidungsprozesses und des Schutzes vor Externalitäten (insbesondere Belästigungsschutz) – der Paternalismus als Gegenmodell dürfte für das UWG-Verbraucherleitbild nach dem jetzigen Stand (mit der möglichen Ausnahme des besonderen Schutzes Minderjähriger, vgl. o. 1.Kap. 1.Abschn. bei Fn. 533) an sich keine Rolle mehr spielen – ist für den Teilbereich des Systems Wettbewerb-Vertrag an diese Systematisierungsansätze angelehnt, entwickelt sie zum Teil fort und gestattet insbesondere eine Systematisierung des Verbraucherleitbilds hinsichtlich einzelner Gefährdungslagen, die den Vergleich mit den entsprechenden individuellen (und zum Teil auch kollektiven, vgl. noch im folgenden Text) Maßstäben des Vertragsrechts gestattet. S. insoweit insbesondere den grundsätzlich ganz ähnlichen Ansatz bei Alexander, S. 28 ff.
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tuationsangemessener Aufmerksamkeit aus der neueren BGH-Rechtsprechung ausweislich der Gesetzesbegründung ausdrücklich bestätigt126. Neben die Systematisierung und Konkretisierung des Verbraucherleitbilds tritt zunehmend auch die Bemühung um ein entsprechendes normatives Unternehmerleitbild, welches angesichts der vergleichsweise seltenen direkten Einwirkung auf Mitbewerber naturgemäß im Vertikalverhältnis (bezüglich des Schutzes sonstiger Marktteilnehmer) ein größeres potentielles Anwendungsfeld findet, als im Horizontalverhältnis mit Blick auf den Schutz der Mitbewerber (für den die notwendige Interessenabwägung deshalb vorrangig individuell mit Blick auf den konkret betroffenen Mitbewerber unter Einbeziehung der Interessen der sonstigen Marktbeteiligten erfolgen muß)127. Für die hier angestellte Untersuchung kann es nicht darum gehen, die entsprechenden wettbewerbsrechtlichen Maßstäbe in abstrakter Weise extensiv nachzuzeichnen, zumal hervorragende aktuelle Untersuchungen vor allem zum Verbraucherleitbild in reicher Fülle vorliegen128. Vielmehr kommt es allein konkret auf den Zusammenhang mit den vertragsrechtlichen Maßstäben an. Insoweit liegt ein legislatives normatives Verbraucherleitbild im Sinne einer typisierten Interessenabwägung natürlich konzeptionell auch sämtlichen Vorschriften des marktbezogenen situationsabhängigen Verbrauchervertragsrechts zugrunde. Das Ausmaß des gegen bestimmte situationsbezogene Gefährdungen der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit gewährten gesetzlichen Verbraucherschutzes beruht letztlich auf einer Wertentscheidung des Gesetzgebers, die sich in einem normativen Verbraucherleitbild durchaus gleichfalls sinnvoll strukturieren ließe129. Die diesbezüglich legis126 S. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 5, S. 19; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 1.65. 127 Dementsprechend beschränkt sich auch der vereinzelte Rückgriff der Rechtsprechung auf eine Art kollektives „Mitbewerberleitbild“ im Sinne eines Rückgriffs auf das „Anstandsgefühl des Durchschnittsgewerbetreibenden“ allein auf diejenigen Fälle, in denen ein kollektiver „ethischer“ Maßstab mit Blick auf die Auffassung der beteiligten Verkehrskreise hinsichtlich eines bestimmten Marktverhaltens (dann typischerweise wiederum für das Vertikalverhältnis) leerformelartig begründet werden soll. Vgl. ähnlich Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 8 unter beispielhaftem Hinweis auf BGH GRUR 1995, 595, 597 – Kinderarbeit. Im echten Horizontalverhältnis wäre ein Rückgriff auf die Figur des „durchschnittlich empfindsamen Unternehmers“ o.ä. wohl allenfalls mit Blick auf direkte Störungen der Betriebssphäre von Mitbewerbern (betriebsbezogene Eingriffe) denkbar, s. insoweit zutreffend Lettl, Rz. 30. Vgl. für das gänzlich anders geartete (sozusagen spiegelbildlich auf die aktive Rolle des Unternehmers im Markt ausgerichtete) Unternehmerleitbild des europäischen Rechts, welches – entsprechend der binnenmarktfunktionalen Konzeption in diesem Bereich – auf die Rolle eines binnenmarktfunktional „aktiven“, d.h. dynamisch und eigenverantwortlich handelnden, polyglotten Unternehmers im Gemeinsamen Markt abhebt Sack, WRP 1998, 264 ff.; Micklitz/Keßler, WRP 2003, 919, 924 f.; MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14 BGB, Rz. 94 ff. mwN. 128 S. die Nachweise o. Fn. 118 und 119. 129 Grundlegend und mit einem marktkonformen Modell statt aller Drexl, S. 414 ff. mwN, sowie auch allgemein die grundlagenbezogenen Überlegungen oben 1. Kap. 3. Abschn. F IV mwN. Für eine vehemente (aber wohl zu sehr an einem personalen Verständnis des existierenden Verbraucherschutzrechts ansetzende) Kritik, s. an dieser Stelle nur Dreher, JZ 1997, 167, insbesondere 176 ff., der die von ihm ausdrücklich kritisierte Figur eines vermeintlichen (gar beson-
2. Abschnitt: Allgemeine Konzeptionen
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lativ – etwa hinsichtlich des Umfangs von Informationspflichten – im BGB festgelegten explizit verbrauchervertragsrechtlichen Maßstäbe können deshalb eine Wertung hinsichtlich der Schutzhöhe130 enthalten, die auch im UWG (soweit es zu Überschneidungen kommt) zu berücksichtigen ist, wie dies im Grundlagenteil unter dem Begriff des Grundsatzes vom Gleichmaß der Wertungen begründet131 und in der Folge zum Teil auch schon für konkrete Anwendungsfelder näher ausgeführt wurde. Genau um weitere konkrete Konsequenzen aus diesem wechselseitigen Zusammenhang geht es wesentlich auch im folgenden Kapitel. Darüber hinaus spielt auch in der zivilrechtlichen Rechtsanwendung ein normatives Verbraucherleitbild bereits nach derzeitigem Stand insofern eine Rolle, als insbesondere (aber nicht nur) im Verbandsklageverfahren auch im Verbraucherschutzrecht bei der Auslegung der Verbraucherschutzbestimmungen häufig nicht auf einen konkret-individuellen Verbraucher, sondern eben allein im Sinne einer kollektiven Interessenabwägung oder Auslegung auf eine Art generalisierendes normatives Verbraucherleitbild abgestellt werden kann und muß132. In der Rechtsanwendung materialisiert sich dieser generalisierende Maßstab natürlich nur, wenn und soweit die Verbraucherschutzvorschriften – insbesondere durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe – für entsprechende Auslegung Raum lassen. Den wesentlichsten, sozusagen „klassischen“ Fall, in dem die Heranziehung eines „Verbraucherleitbilds“ im Sinne eines normativ-generalisierenden Maßstabs auch unter dieser Bezeichnung bereits eine bestimmende Rolle spielt, bildet die AGB-Verbandsklage (§ 1 UKlaG)133. Die hier angestellte Untersuchung beschäftigt dieser Bereich – wegen der nur im Einzelfall zu beobachtenden Überschneidung mit wettbewerbsrechtlichen Wertungen – aber eher am Rande134. Ein kollekders schutzbedürftigen) „Modellverbrauchers“ sogar als konstitutiv für das gesamte (folgerichtig harsch kritisierte) existierende Verbraucherschutzrecht ansieht, und dagegen wiederum zutreffend Reich, JZ 1997, 609 f. Vgl. zum ganzen statt vieler auch MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14, Rz. 6 ff. mwN. 130 Dieser für das Ergebnis der zugrundeliegenden Interessenabwägung sehr treffende Begriff findet sich bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 18 ff. 131 S. oben 1. Kap. 3. Abschn. F II und IV. 132 Zutreffend MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14, Rz. 8. S. im übrigen auch schon grundlegend oben 1. Kap. 3. Abschn. F II und IV. 133 In diesem Zusammenhang gilt nach ständiger Rechtsprechung des BGH der Grundsatz der „kundenfeindlichen“ Auslegung (begründet in BGH NJW 1981, 867 f. – Neckermann) als besonders strenge Grundlage der Klauselkontrolle: auch der rechtsunkundige Verbraucher, den die vielzähligen Deutungsmöglichkeiten abschrecken, wird also im Rahmen des diesbezüglichen normativen Verbraucherleitbildes in der Regel mehr oder weniger umfassend geschützt. S. statt näher statt aller nur MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14, Rz. 9; MüKo-Micklitz, § 13 AGBG, Rz. 19 ff. mwN. Allein in diesem Bereich hat sich im übrigen auch ein überhaupt nennenswertes passives Unternehmerleitbild in dem Sinne entwickelt, als die Bedeutung streitgegenständlicher Klauseln im unternehmerischen Verkehr in geeigneten Fällen anhand des Erwartungs- und Erfahrungshorizonts ideal branchentypischer (also modellhaft normativer) unternehmerischer Marktteilnehmer ermittelt wird, vgl. etwa MüKo-Micklitz, Vor §§ 13, 14, Rz. 12; Micklitz/Keßler, WRP 2003, 919, 924. 134 S. etwa oben 1. Kap. 1. Abschn. D IV 4 d. Festzuhalten ist daher allenfalls ganz allgemein, daß auch insoweit ein gewisses Bemühen der Rechtsprechung, insbesondere hinsichtlich der Er-
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
tives Interessenabwägungsergebnis, wie es sich sinnvoll in einem normativen „Verbraucherleitbild“ modellieren ließe, kommt aber auch über diesen sozusagen etablierten Bereich hinaus stets dort in Frage, wo die typisierenden Verbraucherschutzvorschriften des BGB unbestimmte Rechtsbegriffe mit Blick auf die Schutzintensität verwenden. Ein Beispiel bildet etwa die Pflicht zu „deutlich gestalteter“ (s. § 355 Abs. 2 BGB bezüglich der Belehrung über allfällige Widerrufsrechte) oder gar „hervorgehobener und deutlich gestalteter“ (bezüglich der in § 312c Abs. 2 i.V.m. § 1 BGB-InfoV vorgeschriebenen Angaben) Gewährung bestimmter Informationen. Einerseits ist in diesen Fällen natürlich, wie es auch das Gesetz für den Fall des Fernabsatzes ausdrücklich ermöglicht, konkret situationsabhängig – sozusagen sachlich – nach den Eigenheiten des eingesetzten Kommunikationsmittels zu differenzieren. Andererseits ist aber eben auch (je nach dem gegebenenfalls noch näher zu bestimmenden angesprochenen Kundenkreis sozusagen persönlich) durch eine konkret generelle Interessenabwägung zu ermitteln, welche Art der Belehrung aus der Sicht des durchschnittlichen Mitglieds dieses Kundenkreises noch hinreichend deutlich ist. Schließlich kann, wie es im Grundlagenkapitel herausgearbeitet wurde135, sogar noch weitergehend auch jenseits des Bereichs verbraucherschützender Normen im engeren Sinne überall dort (zumindest potentiell) auf Maßstäbe eines normativen Verbraucherleitbilds zurückgegriffen werden, wo vertragsrechtliche Vorschriften eine typisierende Wertung beinhalten (oder auf eine solche Wertung verweisen), die im Vorfeld vorvertraglicher Individualisierung an konkret-generelle Tatbestände anknüpft. Für alle diese Bereiche lohnt der Vergleich und die wechselseitige Abgleichung der Maßstäbe mit dem Wettbewerbsrecht anhand des funktional-interessenorientierten Gleichmaßgrundsatzes und des verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips in Kombination mit dem ordnungspolitischen Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung, wie sie im folgenden Teil für die einzelnen vertragsrechtlichen Instrumente unternommen werden sollen.
öffnung des Anwendungsbereichs und der Einbeziehungskontrolle mehr als bisher anhand konkret-genereller Maßstäbe zu differenzieren (und damit ein [in der Regel zu liberaleren Maßstäben führender] Trend zur zusätzlichen situationsabhängigen Differenzierung der Wertung), unverkennbar ist. S. näher statt aller nur MüKo-Micklitz, § 13 AGBG, Rz. 23 ff. mwN. 135 S. oben 1. Kap. 3. Abschn. F.
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3. Abschnitt:
Ausgewählte Instrumente des Zivilrechts mit eigenständiger marktbezogener Ordnungsfunktion und funktionale Wechselwirkung mit den jeweiligen Wertungsmaßstäben im Wettbewerbsrecht
A. Widerrufsrechte bei besonderen Vertriebsformen und Wettbewerbsrecht Im folgenden soll zuerst die wertungsmäßige und die faktische Rückwirkung der Regelung der besonderen Vertriebsformen in §§ 312 ff. BGB auf die lauterkeitsrechtliche Beurteilung von Wettbewerbshandlungen, die im Zusammenhang mit der Durchführung derartiger Vertriebsformen stehen, untersucht werden. Nach einer ganz kurzen, schwerpunktmäßig am Beispiel des Haustürvertriebs orientierten Darstellung der insoweit grundsätzlich vertretenen Argumentationsmuster (s. unten I 1), wird das hier – auf Grundlage des Gleichmaß- und des Komplementaritätsprinzips – entwickelte Modell im Grundsatz vorgestellt (s. unten I 2), um es in der Folge konkret auf die zivilrechtliche Regelung der einzelnen „besonderen Vertriebsformen“ in ihrem inneren Zusammenhang mit wettbewerbsrechtlichen Beurteilungsmaßstäben in diesem Bereich anzuwenden (s. unten II und III). Schließlich werden die Regelungen der Lauterkeits-Richtlinie in diesem Bereich, wie sie nunmehr in das deutsche Recht umzusetzen sind, als weiterer Beleg für die Richtigkeit des hier vertretenen Modells angeführt (s. unten IV).
I. Grundsatz 1. Argumentationsmuster in Literatur und Rechtsprechung Bei den – im wesentlichen durch die Widerrufsrechte im Haustürvertrieb und im Fernabsatz (nunmehr einschließlich Finanzdienstleistungen) sowie durch die teils diese Widerrufsrechte lediglich flankierenden, teils (wie insbesondere im E-Commerce) eigenständige Zwecke verfolgenden Informationspflichten gekennzeichneten – Regelungen der besonderen Vertriebsformen in §§ 312 ff. BGB handelt es sich in der Essenz um Instrumente der situationsbezogenen Abschlußkontrolle. Im Sinne des oben entwickelten Gleichmaßgrundsatzes ist die diesen situationsspezifischen Regelungen inhärente marktbezogene Wertung, wenn und soweit vorhanden, im Recht des unlauteren Wettbewerbs zu respektieren. Dies enthebt allerdings nicht
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
von der Notwendigkeit, durch Auslegung zu ermitteln, ob den Regelungen der §§ 312 ff. BGB überhaupt eine eigenständige, unmittelbar (oder zumindest mittelbar) marktbezogene Ordnungsfunktion (im Sinne einer auch wettbewerbsrechtlichen Wertung) innewohnt und insbesondere zu prüfen, welcher Art diese Wertung ist und wie weit sie gegebenenfalls reicht. Der Gleichmaßgrundsatz trifft in diesem Zusammenhang zunächst nur die gewissermaßen „negative“ Aussage, daß eine kategorische Verneinung von Wertungsüberschneidungen im Verhältnis des Wettbewerbsrechts zu den situationsspezifischen Verbraucherschutzregeln nicht länger in Betracht kommt. Wie weit sozusagen „positiv“ die jeweilige rechtliche Wertung des Verbraucherschutzrechts reicht und wo sie sich mit den Wertungen des UWG in relevanter Weise überschneidet, ist damit noch nicht ausgesagt. Für die Regelungen des situationsspezifischen Verbraucherschutzes ist diese Frage insbesondere im Kontext der Entstehung des Haustürwiderrufsrechts virulent geworden1. Die diesbezügliche, archetypische Diskussion wird daher an dieser Stelle als im Grundsatz verallgemeinerbares Beispiel für die möglichen Ansätze einer Beurteilung des Verhältnisses der verbrauchervertragsrechtlichen Regelung besonderer Vertriebsformen zu deren lauterkeitsrechtlicher Behandlung kurz umrissen. Drei Denkrichtungen kommen bezüglich dieses Verhältnisses in Betracht2 und tatsächlich ist in der Rechtswissenschaft in diese sämtlichen Richtungen auch gedacht worden: Erstens könnte man aus den situationsspezifischen Regelungen insbesondere des Haustürvertriebs eine grundsätzliche gesetzliche Mißbilligung derartiger Vertriebsformen herauslesen und hieraus die Forderung nach Behandlung derartiger Vertriebsformen als prinzipiell unlauter im Sinne des Wettbewerbsrechts ableiten3. Zweitens könnte man in den zivilrechtlichen (und 1 S. insbesondere auch die Diskussion um mögliche Regelungsvarianten im Vorfeld des Erlasses des HWiG, etwa Lehmann, GRUR 1974, 133 ff. (für eine Lösung vermittels eines Widerrufsrechts, welches er ausdrücklich als eine „mildere“ Alternative zu wettbewerbsrechtlichen oder gewerberechtlichen Verboten positioniert); strenger Völp, WRP 1973, 63 ff. (vgl. auch ders., GRUR 1979, 435); Krüger-Nieland, GRUR 1974, 561 ff. (für ein wettbewerbsrechtliches Verbot); von Hippel, BB 1983, 2024 f. (für eine Kumulierung zivilrechtlichen Schutzes mit wettbewerbsrechtlichen Totalverboten, die er aber selbst nicht für gangbar erachtet und daher [hilfsweise] für eine Stärkung der Selbsthilfe der Verbraucher plädiert). Differenzierend nach Formen des Haustürvertriebs etwa Hefermehl, GRUR 1980, 622 ff.; Schade, S. 128 ff. (der aufgrund aufwendiger rechtstatsächlicher Analyse [S. 34 ff.] und eines Vergleichs mit anderen belästigenden Werbeformen [S. 110 ff.] zwar zuerst zu dem Ergebnis gelangt, daß der Haustürvertrieb ein verbotwürdiges Überrumpelungs- und Belästigungspotential entfalte, um dann aber dennoch auf Grundlage einer verfassungsrechtlichen Besitzstandsargumentation aus Art. 14 GG abzuleiten, daß ein Totalverbot dieser Vertriebsform nicht in Betracht kommt). 2 Zutreffend und klar identifiziert insbesondere bei Ulmer, WRP 1986, 445, 452. 3 So in der Tat letzthin in aller Deutlichkeit Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 181 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; demgegenüber mit einer präzisen Identifikation der Schutzziele des Haustürwiderrufsrechts, die aber nicht die Stärkungsthese, sondern eher die hier vertretene Auffassung stützt auch ders., Beseitigungsrechte, S. 224 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. Schon im Vorfeld des Erlasses des HWiG mit einer ähnlichen, auf eine Kumulierung wettbewerbsrechtlicher und zivilrechtlicher Mittel hinauslaufenden Argumentation von Hippel, BB 1983, 2024 f.
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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für das sogenannte Reisegewerbe auch den gewerberechtlichen4) Regelungen des Haustürvertriebs (und insbesondere auch des Fernabsatzes und des E-Commerce5) auch eine Art gesetzlichen „Freibrief“6 dahingehend sehen, daß die entsprechenden abschlußbezogenen Instrumente des Verbraucherschutzes nicht nur unmittelbar dem Schutz des individuellen Verbrauchers dienen sollen, sondern zugleich im Sinne einer Art „Ermöglichungsgrundsatz“ auch die grundsätzliche Durchführung der geregelten Vertriebsformen im zwingenden gesetzlichen Rahmen möglich machen sollen. Der Gesetzgeber hätte also unter dieser Perspektive mit dem Erlaß der Vorschriften über die besonderen Vertriebsformen (denen ja im Falle des Haustürvertriebs auch extensive Diskussionen über die grundsätzliche Zulässigkeit der betroffenen Vertriebsform vorausgingen) die Erwartung verbunden, daß die mit Widerrufsrechten versehenen Vertriebsformen als solche (ohne Vorliegen besonderer Umstände) nunmehr grundsätzlich zulässig sein sollen7. Schließlich könnte drittens, soweit eine dementsprechende Wertung den situationsspezifischen Verbraucherschutzvorschriften nicht entnommen wird8, doch zumindest deren faktische Rückwirkung im Wettbewerbsrecht insofern zu berücksichtigen sein, als hinsichtlich einzelner Aspekte der Wettbewerbswidrigkeit 4 Insbesondere ist auch in der Rechtsprechung der Versuch unternommen worden, aus der Regelung der grundsätzlichen Zulässigkeit des Reisegewerbes in §§ 55 ff. GewO die Zulässigkeit des Haustürvertriebs als einer wesentlichen traditionellen Form des Reisegewerbes abzuleiten (s. BGH GRUR 1994, 380, 382 – Lexikothek; BGH GRUR 1994, 818, 819 – Schriftliche Voranmeldung); zustimmend zuletzt Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 46. Dagegen (aber ohne ausdrückliche Änderung der voraufgegangenen Rechtsprechung und daher wohl gültig nur für den besonderen Fall, in dem sich der Unlauterkeitsvorwurf gerade nicht aus dem bloßen Haustürvertrieb als solchem ergab, sondern sich vielmehr gerade auf „die Ausnutzung der rechtlichen und geschäftlichen Unerfahrenheit“ der spezifisch angesprochenen Teilnehmer bezog) BGH WRP 1998, 1068, 1069 f. – Verkaufsveranstaltung im Aussiedlerwohnheim. Diese Entscheidung aber verallgemeinernd (und insgesamt gegen eine Präjudizierung der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des „schlichten“ Haustürvertriebs durch die genannten gewerberechtlichen Vorschriften) Scherer, S. 124 f.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 115; Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 190. Die Problematik ist in dieser Untersuchung nicht weiter zu vertiefen, da es hier schwerpunktmäßig allein um das Verhältnis der zivilrechtlichen Vorschriften zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der besonderen Vertriebsformen geht. 5 Vgl. noch unten III zu den notwendigen Differenzierungen, die sich für diese Bereiche aus der im Vergleich zum Haustürgeschäft deutlich abweichenden Schutzziele des Gesetzgebers ergeben (vgl. nur ausführlich Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 224 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen; Alexander, S. 155 ff.), die aber nach der hier vertretenen Auffassung eine einheitliche Systembildung mit Blick auf das Verhältnis des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzes zum Lauterkeitsrecht (mit seinen zusätzlichen Aspekten) dennoch nicht entscheidend hindern. 6 Ulmer, aaO. 7 So MüKo-Ulmer, Vor §§ 312, 312a, Rz. 32; ders., WRP 1986, 445, 452 ff.; ähnlich beispielsweise die Tendenz der Argumentation Ubbers in Harte/Henning, § 7 UWG, Rz. 29 aE (für das Ansprechen in der Öffentlichkeit), Rz. 48 aE (für Vertreterbesuche an der Haustür). 8 So insbesondere Ulrich, in: FS Vieregge, 901, 914 f.; Scherer, S. 125 ff. (zum „Normalfall“ des unerbetenen Vertreterbesuchs); Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 115 f.; für unabhängige Beurteilung auch Staudinger-Thüsing, Vorbem zu §§ 312, 312a, Rz. 53. Dies ist im wesentlichen auch die Haltung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, s. die Nachweise u. Fn. 9.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
doch durch die situationsspezifischen Verbraucherschutzvorschriften rein faktisch die Schutzbedürftigkeit der von besonderen Vertriebsformen betroffenen Kunden schlichtweg entfallen sein könnte9. Die hier vertretene Lösung bewegt sich insofern zwischen der zweiten und der dritten der genannten Varianten, als einerseits den Regelungen der besonderen Vertriebsformen eine gewisse (situationsspezifisch, persönlich und geschäftsspezifisch typisierte) Wertung auch hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit entnommen wird, die aber andererseits in ihrer Reichweite sorgsamstmöglich – und weit mehr als bisher von den Vertretern entsprechender Rückschlüsse – auf den tatsächlich diesen typisierten Vorschriften inhärenten, marktbezogenen Regelungsgehalt begrenzt wird. Außerhalb dieser typisierten Wertung liegende Faktoren im Wettbewerbsrecht bleiben demnach frei berücksichtigungsfähig10. Zudem wird im Sinne der dritten Variante eine auch „rein“ wettbewerbsrechtliche Verankerung der vorgeschlagenen Lösungen unternommen, die dogmatisch insbesondere auf Grundlage der neuen wettbewerbsbezogenen „Bagatellklausel“ argumentiert, in diesem Rahmen und sucht, die faktische Rückwirkung der Existenz der Widerrufsrechte auf die tatsächlichen Markteffekte der betroffenen Vertriebsformen im Wettbewerb angemessen zu berücksichtigen und insofern mit der begrenzenden Funktion der Bagatellklausel für diese Bereiche ernst zu machen (s. unten 2 c). Zuvor ist aber kurz den oben genannten grundsätzlich möglichen Denkrichtungen etwas weiter nachzugehen und sind die entsprechenden Ansätze auf der Basis der im Grundlagenteil dieser Untersuchung entwickelten Prinzipien kritisch zu diskutieren.
2. Stellungnahme und eigene Ansicht zur Rückwirkung der zivilrechtlichen Regelungen besonderer Vertriebsformen auf das Wettbewerbsrecht a. Zivilrechtliche Regelung als stützendes Argument für ein wettbewerbsrechtliches Verbot? Die These, insbesondere der zivilrechtlichen Regelung des Haustürvertriebs11 wohne eine gegen derartige Vertriebsformen gerichtete Wertung des Gesetzgebers genereller Art inne, die einen gewissen gar positiven Rückschluß auf ein auch wett9 Dies dürfte insbesondere die Haltung der Rechtsprechung sein, vgl. zuletzt BGH WRP 1998, 1068, 1069 f. – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim (zum Haustürvertrieb); BGH GRUR 2000, 235, 236 – Werbung am Unfallort IV; BGH GRUR 2004, 699, 701 f. – Ansprechen in der Öffentlichkeit (jeweils zur „Haustürsituation“ des Ansprechens in der Öffentlichkeit). Vgl. für eine ähnliche Argumentation bezüglich des Verhältnisses des Widerrufsrechts nach § 312d BGB im Verhältnis zu Formen aleatorischer Werbung im Netz noch näher unten III 2. 10 Ähnlich wie hier insoweit die Lösung von Ulmer, WRP 1986, 445, 452 ff.; MüKo-ders., Vor §§ 312, 312a, Rz. 32. 11 Für den Fernabsatz läßt sich eine derartige These angesichts des anders gelagerten Telos der Vorschriften, die nicht etwa wettbewerbsrechtlich geächteten Überrumpelungsgefahren vorbeugen sollen, sondern vielmehr auf die besonderen Gefahren gerade des Fernabsatzes zuge-
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bewerbsrechtliches Verbot, insbesondere des Haustürvertriebs, gestatte, findet schon in der Entstehungsgeschichte des Haustürwiderrufsrechts keine Stütze. Vielmehr betont der Bundesrat in seiner Begründung zum Gesetzentwurf gerade die – spezifisch rechtsfolgenbezogen – vollkommene Unabhängigkeit beider Schutzinstrumente, weshalb das HWiG eben nicht auf ein generelles wettbewerbsrechtliches Verbot der Haustürgeschäfte abziele, zumal ein solches wettbewerbsrechtliches Verbot ja wiederum umgekehrt die zivilrechtliche Wirksamkeit im Haustürvertrieb geschlossener Verträge nicht beeinflusse12. Hinsichtlich des Verhältnisses zu einem wettbewerbsrechtlichen Verbot wird zudem betont, daß das Widerrufsrecht im Vergleich zu einer rein zivilrechtlichen Regelung das verhältnismäßigere Mittel darstelle13. Man wird allein in diese letztgenannte Andeutung sicher nicht den Willen des Gesetzgebers, mit dem HWiG zugleich die generelle Zulässigkeit der geregelten Vertriebsformen abzusichern, hineinlesen können14. Aber jedenfalls gegen jegliche Versuche, dem HWiG sogar umgekehrt eine stützende Wertung für ein wettbewerbsrechtliches Verbot zu entnehmen, spricht die Gesetzesbegründung eine deutliche Sprache. Auch der rechtsfolgenspezifisch ermittelte Sinn und Zweck der Widerrufsrechte im Haustürvertrieb verdeutlicht, daß diesen Vorschriften ein wettbewerbsrechtliches Unwerturteil sich nicht einmal im Sinne einer Argumentationshilfe für die Interpretation des UWG entnehmen läßt. Denn die zivilrechtlichen Instrumente, die sich vorrangig auf einen Überrumpelungsschutz richten (und damit zugleich im Sinne eines indirekten Steuerungseffekts einen gewissen Belästigungsschutz gegenüber denjenigen unerwünschten Formen des Haustürvertriebs, die allein auf diese Überrumpelungseffekte setzen, gewährleisten15), lösen das Problem der Überrumpelung ja zugleich gerade durch die Einräumung des hierfür rechtsfolgenspezifisch „passenden“ Widerrufsrechts (während ein wettbewerbsrechtliches Verbot wegen des Wirksambleibens der Folgeverträge hier ohnedies keine adäquate Abhilfe schaffen würde16); ebensogut ließe sich daher argumentieren, die zivilrechtliche Lösung der vom Zivilrechtsgesetzgeber erkannten Probleme sei gerade auch mit den Instrumenten des Zivilrechts abschließend erfolgt, so daß ein wettbewerbsrechtliches Unwerturteil nicht mehr in Betracht komme. Gegen diese Antithese, die der oben zweitgenannten Variante eines undifferenzierten liberalisierenden Rückschlusses von den zivilrechtlichen Regelungen in das UWG entspräche, läßt sich zwar wiederum in aller Klarheit die Gesetzesbegründung anführen. Die Ansicht trifft in dieser Pauschalität also sicherlich nicht schnitten sind (s. zutreffend statt aller Alexander, S. 155 f., 159 ff.; Mankowski, S. 224 ff. jeweils mwN), ohnedies nicht formulieren. 12 S. Begründung des Gesetzesentwurfs des Bundesrats, BT-Drs. 10/2876 v. 15.2.1985, S. 7. 13 AaO., S. 7 (rechte Spalte). 14 Zutreffend gegen derartige Versuche insbesondere Scherer, S. 126 f. mit weiteren Nachweisen aus der Begründung des Bundesrats. 15 S. dazu eingehend noch unten b, c und II 2. 16 S. auch Begründung des Gesetzesentwurfs des Bundesrats, BT-Drs. 10/2876 v. 15.2.1985, S. 7.
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zu17. Doch hilft sie, das Problem einer zivilrechtliche Regelungen in Richtung auf eine Stärkung des wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeitsurteils instrumentalisierenden Argumentation (im Sinne der oben erstgenannten Variante) zu verdeutlichen: Eine solche Argumentation bietet nämlich letztlich kein durchgreifendes Argument gegen den genau umgekehrt laufenden Rückschluß auf die Notwendigkeit einer korrespondierenden Liberalisierung im Wettbewerbsrecht. In welchen Fällen ein liberalisierender Rückschluß gewählt würde18 und wann eine das Unlauterkeitsurteil stärkende Wertung den zivilrechtlichen Vorschriften entnommen werden könnte, bliebe auf Grundlage einer solchen Argumentation völlig beliebig. Insofern scheint in der Tat einiges dafür zu sprechen, daß sich den zivilrechtlichen Regelungen der besonderen Vertriebsformen angesichts ihrer anders gearteten Zielrichtung und der abweichenden Rechtsfolge von vornherein gar kein Rückschluß auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung derartiger Vertriebsformen entnehmen läßt19. Doch auch diese Argumentation ist im Lichte der neueren, europäisch angestoßenen Verbraucherschutzentwicklungen und der Zusammenfassung der Regelungen über den Haustürvertrieb, über den Fernabsatz und über den E-Commerce in einem einheitlichen Unterabschnitt des BGB zumindest bezüglich der Frage einer möglichen indirekten Rückwirkung der zivilrechtlichen Problemlösungen durch spezifische Verbraucherschutzinstrumente auf die Beurteilungsmaßstäbe im UWG, kritisch zu hinterfragen. b. Direkte oder indirekte Rückwirkungen der zivilrechtlichen Regelung der besonderen Vertriebsformen im Sinne einer Liberalisierung der Maßstäbe im UWG? Zutreffend ist, daß sich den vertriebsspezifischen Regelungen der §§ 312 ff. BGB angesichts ihrer im Vergleich zum Wettbewerbsrecht zum Teil beschränkten Zielrichtung und angesichts der wesentlich abweichenden Rechtsfolgen keine direkte gesetzgeberische Anordnung dahingehend entnehmen läßt, die dort genannten Vertriebsformen lauterkeitsrechtlich als zulässig zu qualifizieren; die Normen sind also nicht abschließend bzw. es stellt sich (im wesentlichen)20 im Verhältnis 17
S. insbesondere die Argumentation bei Scherer, S. 126 f. mwN. Ein etwas anders gelagertes Beispiel mag das verdeutlichen: Auch das AGBG (nunmehr §§ 305 ff. BGB) verdeutlichte zum Zeitpunkt seiner Entstehung die besonderen Gefahren, die von vorformulierten AGB für die Ausgewogenheit der Vertragsgestaltung zu Lasten der Kunden ausgehen. Dennoch läßt sich daraus nicht ohne weiteres ein Argument für die wettbewerbsrechtliche Unzulässigkeit der Verwendung von AGB überhaupt gewinnen. Vielmehr ermöglicht es die zivilrechtliche Regelung als hinsichtlich der Rechtsfolgen problemspezifisch gestaltetes Instrument (Nichtigkeit bestimmter Klauseln einerseits, vorgelagerte Verbandsklage andererseits) umgekehrt, im Wettbewerbsrecht von der generellen Zulässigkeit der Verwendung von AGB auszugehen, da keine Unlauterkeitsaspekte erkennbar sind, die nicht von der verbraucherschutzrechtlichen Regelung entschärft würden. 19 S. die Nachweise o. Fn. 8 und 9. 20 Vorbehaltlich der Vorschriften letztlich allein lauterkeitsrechtlichen Charakters, die sich insbesondere in § 312e BGB „verirrt“ haben, s. allgemein grundlagenbezogen bereits oben 18
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zum Lauterkeitsrecht von vornherein kein Konkurrenzproblem im eigentlichen Sinne. Fraglich ist aber doch, ob nicht dem gesamten Unterabschnitt über die besonderen Vertriebsformen eine allgemeine Wertung des Gesetzgebers (mit indirekten Rückwirkungen auf das Lauterkeitsrecht) zugrundeliegt, die dort bezeichneten besonderen Vertriebsformen in ihren normalen – nicht durch außerhalb der typisierenden Wertung liegende, besondere Gefährdungslagen gekennzeichneten – Erscheinungsformen für den geschäftlichen Verkehr durch bereichsspezifische Regelungen gewissermaßen zivilrechtlich „abzusichern“ und damit auch zu „ermöglichen“. Ein derartiger Ermöglichungsgrundsatz bildet zweifelsfrei den Hintergrund des § 312e BGB. Dies folgt unmittelbar aus dem entsprechenden Grundsatz in Art. 9 Abs. 1 E-Commerce-RL21, die durch § 312e BGB umgesetzt wird und bei dessen Auslegung mit zu berücksichtigen ist. Ganz ähnlich gilt, daß die im Hintergrund der §§ 312b ff. BGB stehenden Fernabsatz-Richtlinien nicht etwa reine Verbraucherschutzanliegen verfolgen, sondern zugleich auch die Normalformen des Fernabsatzes in dem durch die Richtlinien gebildeten gesetzlichen Rahmen im Binnenmarkt fördern sollten22. Dabei umfassen die Richtlinien in untrennbarer Form lauterkeits- und zivilrechtliche Regelungen23, sind in ihren Wertungen also gerade nicht auf den rein zivilrechtlichen Bereich beschränkt 24. Auch den §§ 312b ff. BGB wird man also, wenn man sie im Kontext des europäischen Rechts interpretiert, neben ihrem unmittelbaren Verbraucherschutzziel eine hiervon untrennbare implizite Zwecksetzung im Sinne einer Ermöglichung des möglichst reibungsfreien Funktionierens der dort regulierten besonderen Vertriebsform entnehmen können. Dies wirft die Frage auf, inwieweit eine derartige Wertung nicht auch den §§ 312 und 312a BGB bezüglich der dort typisiert geregelten Haustürvertriebssituationen innewohnt. Gegen eine unmittelbare Gleichsetzung sprechen allerdings gewichtige Argumente. Insbesondere ist der Telos der jeweiligen Normenkomplexe deutlich unterschiedlich. Geht es in §§ 312 f. BGB um den Schutz des Kunden vor einer Be1. Kap. 3. Abschn. C III 3 und öfter sowie (detailliert und anwendungsbezogen) noch unten B I 2 b (2). 21 Vgl. auch noch deutlicher Erw.-Grd. 34 E-Commerce-RL. 22 S. nur Erw.-Grd. 2 und 3 Fernabsatz-RL 23 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 c. 24 Als Vorschrift mit Mindestcharakter räumt zwar noch die Fernabsatz-Richtlinie den Mitgliedstaaten die grundsätzliche Möglichkeit ein, über das durch die Richtlinie gewährte Maß an Verbraucherschutz hinauszugehen. Ein grundsätzliches lauterkeitsrechtliches Verbot des Fernabsatzes in seiner durch die Richtlinie regulierten normalen Form wäre aber – einmal unabhängig davon, daß für ein derartiges Verbot keinerlei Gründe erkennbar wären, so daß es auch dem Übermaßverbot zuwiderliefe – jedenfalls wegen eines Verstoßes gegen die Grundfreiheiten primärrechtswidrig. Im übrigen ist insoweit auch schon ein e contrario-Schluß zu Erw.-Grd. 21 Fernabsatz-RL naheliegend, der lediglich hinsichtlich bestimmter Produkte oder Dienstleistungen den Mitgliedstaaten eine Option offenhält, Vertragsabschlüsse im Fernabsatz gänzlich zu untersagen. Die FernabsatzFinDL-Richtlinie hat nun ohnehin abschließenden Charakter, da eine Mindestklausel – wie noch in der Fernabsatz-RL vorgesehen – gänzlich fehlt.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
einträchtigung des Entscheidungsprozesses und der Entscheidungsgrundlage durch Übereilung und Überrumpelung25, so steht bei der Zielsetzung der §§ 312b ff. BGB mehr der Schutz der Entscheidungsgrundlage vor den (in der Regel in geringerem Maße dem Geschäftsgegner zurechenbaren) Gefahren im Mittelpunkt, die die Fernabsatzsituation für die informationelle Grundlage der Entscheidung mit sich bringt („Unsichtbarkeit des Vertragspartners und des Produkts“, Flüchtigkeit und fehlende Fixierung der informationellen Grundlage des Vertrags und unter Umständen auch des Vertragsinhalts selbst)26. Schon dies verbietet eine unmittelbare Gleichsetzung der Wertungen mit Blick auf die jeweiligen Widerrufsrechte auf der (schwachen) systematischen Grundlage der Zusammenfassung in einem einheitlichen Unterabschnitt des BGB. Auch der jeweilige europäische Hintergrund ist insofern deutlich andersartig, als die Haustürgeschäfte-Richtlinie (anders als ihre Nachfolger im vertriebsspezifischen Verbraucherschutz) noch ausdrücklich den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumte, auf Grundlage der enthaltenen Mindestklausel auch mit lauterkeits- oder gewerberechtlichen Verboten gegen Haustürgeschäfte vorzugehen 27. Immerhin ist diesem letztgenannten Argument aber entgegenzuhalten, daß die Haustürgeschäfte-Richtlinie als Ursprungsmodell der europäischen Harmonisierung des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzes noch deutliche Unvollständigkeiten aufwies28, insbesondere anders als die späteren Richtlinien die lauterkeitsrechtlichen Aspekte schlichtweg offenließ und den Verbraucherschutzgedanken im Rahmen der Mindestharmonisierung zu Lasten des Binnenmarktziels überbetonte. Prompt weisen Reformvorschläge für die Richtlinie auf dieses Defizit hin und fordern, im Rahmen einer gleichberechtigten Gewichtung des Binnenmarktaspekts die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit des Normalfalls des Vertreterbesuchs ohne zusätzliche unlauterkeitsbegründende Elemente im Sinne einer opt out Lösung (Erlaubnis mit Widerspruchsvorbehalt) auf europäischer Ebene festzuschreiben 29. Zudem ist auch zu bedenken, daß der Schuldrechtsreformgesetzgeber bei der Integration der in ihrer Zwecksetzung so unterschiedlich gearteten vertriebsspezifischen Regelungen in einen einheitlichen Untertitel des BGB in Reaktion auf weitergehende Forderungen nach einem einheitlichen Verbraucher25
S. Alexander, S. 155; Mankowski, S. 224 f.; MüKo-Ulmer, § 312, Rz. 1. S. statt aller Alexander, S. 161 f.; Mankowski, S. 235 ff.; MüKo-Wendehorst, Vor § 312b, Rz. 4 jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen; vgl. grundlagenorientiert auch oben 1. Kap. 1. Abschn. D IV 4 c. 27 S. Art. 8 Haustürgeschäfte-RL sowie explizit der letzte Satz der Erwägungsgründe zur Haustürgeschäfte-RL; vgl. auch den rechtsvergleichenden Überblick bei Rott, Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten, S. 141, demzufolge von der Möglichkeit, Haustürgeschäfte vermittels umfangreicher gewerberechtlicher Verbote gänzlich zu unterbinden, insbesondere Dänemark und Luxemburg Gebrauch gemacht haben. 28 S. Micklitz, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 189, 193 f. (unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Haustürgeschäfte-RL); vgl. näher auch Micklitz/ Tonner-Tonner, § 312, Rz. 4 ff. mwN. 29 S. Rott, Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten, S. 145. Zur Lösung im Rahmen der Lauterkeits-Richtlinie, die die in dieser Untersuchung vertretene Auffassung im Ergebnis stützt, s. noch unten IV. 26
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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vertriebsrecht30 ausdrücklich betont hat, daß eine sogar noch engere Verflechtung der einzelnen vertriebsspezifischen Regelungen zwar grundsätzlich angemessen, jedoch allein aus praktischen Gründen (wegen der im Detail unterschiedlichen Vorgaben des europäischen Rechts für die jeweiligen Widerrufsrechte) zum damaligen Zeitpunkt nicht durchführbar gewesen sei31. Den Willen des deutschen Gesetzgebers zu einer gewissen Vereinheitlichung der vertriebsspezifischen Widerrufsrechte läßt dies jedenfalls erkennen. Man wird dem zugleich eine gewisse prinzipielle Parallele der zugrundeliegenden Zielsetzungen entnehmen können, so daß der „Ermöglichungsimpetus“ insbesondere des § 312e BGB (sowie auch der §§ 312b ff. BGB) zugleich auch die Regelungen des Haustürvertriebs sozusagen mit „infiziert“. Ein gewisses systematisches Argument, im Sinne einer impliziten „Ermöglichungszielsetzung“ auch in §§ 312 und 312a BGB, wird man demnach der Zusammenfassung des Haustürwiderrufsrechts mit den anderen vertriebsspezifischen Regelungen der §§ 312b ff. BGB in einem einheitlichen Unterabschnitt doch entnehmen können. Um die Argumente der herrschenden Meinung32 zu erschüttern, die eine derartige implizite Wertung gerade verneint, kann dieses systematische Argument allein jedoch nicht genügen 33. Entscheidend ist ein anderer Gesichtspunkt, der hinsichtlich der den Regelungsbedarf überhaupt erst auslösenden Gefährdungspotentiale (Überrumpelungsgefahr, Belästigungsgefahr) die faktische Überschneidung des § 312 BGB mit wettbewerbsrechtlichen Verboten bezüglich des Schutzes vor den identifizierten Gefahren betont und die insoweit jeweils extrahierten Wertungen des Gesetzgebers anhand der im Grundlagenteil herausgearbeiteten Grundsätze in das jeweils andere Regelungsumfeld transponiert. Eindeutig möglich ist das für den Aspekt der Überrumpelungsgefahr34. Diesbezüglich überschneiden sich die Schutzziele 30 S. Micklitz, in: Micklitz/Reich, Die Fernabsatz-Richtlinie im deutschen Recht, 1998 Nr. 101 S. 53; ders., in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 189, 200 ff. und öfter. 31 S. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu Untertitel 2 – Besondere Vertriebsformen, Vorbemerkung. Vgl. näher zu diesem Aspekt der Integration des Fernabsatzgesetzes in das BGB insbesondere Micklitz/Tonner-Micklitz, § 312b, Rz. 4 ff. mwN. 32 S. o. Fn. 8 und 9 für die herrschende Meinung; für die Minderansicht (ähnlich wie hier), s. o. Fn. 10. 33 Immerhin wird man zugestehen müssen, daß die Integration und Zusammenfassung der Vertriebsregelungen in den §§ 312 ff. BGB durchaus einem gewissen vereinheitlichenden Impetus folgte, der die zugrundeliegenden Gemeinsamkeiten betonen sollte. Vgl. deutlich schon die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 166 f.; im Anschluß daran auch die ganz herrschende Meinung in der Literatur, s. an dieser Stelle nur Erman-Saenger, Vor §§ 312– 312f., Rz. 6 ff.; MüKo-Ulmer, Vor §§ 312, 312a, Rz. 3: Integration in das BGB und gewisse Vereinheitlichung der verschiedenen Widerrufsrechte. 34 Vgl. ähnlich wie hier BGH GRUR 2004, 699, 700 f. – Ansprechen in der Öffentlichkeit (wo [mit etwas anderer, eigenständig wettbewerbsrechtlicher Begründung] bezüglich des typischen „schlichten“ Ansprechens in der Öffentlichkeit (ohne zusätzliche, den Rahmen der Typisierung sprengende Elemente, wie in BGH WRP 1998, 1068 – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim [zum Haustürvertrieb]; BGH GRUR 2000, 235 – Werbung am Unfallort IV [ebenfalls zum Ansprechen in der Öffentlichkeit, aber in einer Sondersituation]) ebenfalls nurmehr
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
von Zivil- und Wettbewerbsrecht unmittelbar35. Dies bedeutet aber zugleich, daß die Lösung, die der Gesetzgeber durch ein bewußt gewähltes Instrument des situationsspezifischen Verbraucherschutzes (als verhältnismäßigere Alternative zu einem tiefer eingreifenden wettbewerbsrechtlichen Totalverbot)36 zur Auflösung dieses Gefährdungspotentials (zunächst einmal nur der Überrumpelungsgefahr) etabliert hat, nicht über das Wettbewerbsrecht unterlaufen werden darf. D.h., jedenfalls soweit es um den Aspekt der Überrumpelungsgefahr (im hier vertretenen Vier-Ebenen-Modell37: die zweite Ebene des Schutzes des Entscheidungsprozesses) geht, ist die gesetzgeberische Wertung des § 312 BGB im Lauterkeitsrecht zu akzeptieren. Diese Wertung reicht allerdings nicht weiter als der situationsbezogen, normativ-personenbezogen und geschäftsbezogen typisierte Anwendungsbereich des § 312 BGB. Außerhalb dieser typisierten Bereiche – mithin soweit Zusatzaspekte vorhanden sind, die die typisierte Wertung nicht erfaßt – kommt ein flankierendes Eingreifen wettbewerbsrechtlicher Verbote in Betracht, wobei im Einzelfall die zivilrechtliche Wertung tatsächlich einmal sogar für ein lauterkeitsrechtliches Verbot streiten kann, wenn dieses etwa außerhalb des situationsbezogen typisierten Bereichs notwendig ist, um die mit der zivilrechtlichen Regelung verfolgten Ziele auch effektiv zu erreichen 38. Auch hinsichtlich des Aspekts des Überrumpelungsschutzes, bezüglich dessen sich die Wertungen des typisierten Verbraucherschutzes und des Wettbewerbsrechts überschneiden (so daß der Gleichmaßgrundsatz und das verbraucherschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip uneingeschränkt greifen), ist die Wertung des typisierten Verbraucherschutzes also nicht abschließend. Soweit die typisierte Wertung aber reicht, ist sie der Belästigungseffekt als Aspekt, der den Unlauterkeitsvorwurf tragen könnte, anerkannt wird; ebenso nun BGH NJW 2005, 1050 ff. – Ansprechen in der Öffentlichkeit II. Unmittelbar wie hier die der erstgenannten BGH-Entscheidung voraufgegangene permissive Entscheidung des OLG Frankfurt a.M., GRUR 2002, 639, 640 – Direktmarketing bei Telefondienstleistungen, und (auch aus denselben Gründen wie hier) zustimmend dazu Schwab, GRUR 2002, 579, 584 f. Ebenfalls durchaus mehr den Belästigungsaspekt in den Mittelpunkt rückend und hinsichtlich des Überrumpelungseffekts den faktischen Einfluß der Regelung in § 312 BGB, die den einzelnen Verbraucher, der sich von dem Geschäft lösen kann, in dieser Hinsicht weniger schutzwürdig erscheinen läßt, als einen von mehreren Bewertungsfaktoren im Wettbewerbsrecht anerkennend, die im Ergebnis diametral entgegengesetzte Vorentscheidung des OLG Köln, GRUR 2002, 641, 643 – Direktmarketing bei Telefondienstleistungen. Ebenfalls angesichts des effektiven Überrumpelungsschutzes im Zivilrecht, den das UWG gar nicht leisten könnte, nunmehr ganz den Belästigungsaspekt bei den § 312 BGB zuzuordnenden Werbe- und Vertriebsformen in den Mittelpunkt der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung rückend Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 96, 113 mwN. 35 S. insoweit ebenso auch Alexander, S. 155 f. 36 S. nur die Begründung des Gesetzesentwurfs des Bundesrats, BT-Drs. 10/2876 v. 15.2.1985, S. 7 (mit dem schon oben erwähnten Gedanken der Verhältnismäßigkeit im Vergleich zu lauterkeitsrechtlichen Totalverboten). Dem hier in Anlehnung an Drexl, Selbstbestimmung, S. 449 ff., vertretenen verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht dieser Ansatz des Gesetzgebers – soweit er reicht, d.h. mindestens bezüglich der den typisierten Situationen inhärenten Überrumpelungsgefahr – geradezu idealtypisch. 37 S. grundlegend oben 1. Kap. 1. Abschn. D VI und 3. Abschn. F IV. 38 Vgl. näher unten II 1.
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im Lauterkeitsrecht zu respektieren, so daß innerhalb des typisierten Bereichs lauterkeitsrechtliche Verbote jedenfalls nicht auf den Aspekt einer mit bestimmten Vertriebssituationen verbundenen Überrumpelungsgefahr gegründet werden können. Bis hierher dürfte dieser Ansatz auch durchaus noch der Haltung der herrschenden Meinung (insbesondere auch in der Rechtsprechung) entsprechen39. Die herrschende Meinung bestreitet zugleich aber ausdrücklich, daß § 312 BGB auch eine implizite Wertung hinsichtlich des mit den dort geregelten „Haustürsituationen“ verbundenen Belästigungspotentials (im hier vertretenen Vier-Ebenen-Modell40: der vierten Ebene der rechtlichen Reaktion auf die Externalitäten dieser Vertriebsform) entnommen werden kann. Bei genauem Hinsehen dürfte jedoch (sämtlichen) situationsbezogenen Verbraucherschutzvorschriften der §§ 312 ff. BGB doch auch hinsichtlich der Belästigung zumindest akzessorisch die legislatorische Mindestwertung zu entnehmen sein, daß der Gesetzgeber den mit einem einmaligen den spezifisch geregelten Vertriebssituationen Ausgesetztsein verbundenen Belästigungsgrad nicht für ausreichend erachtete, um ein gänzliches Verbot der geregelten Vertriebssituationen zu rechtfertigen. Denn andernfalls wäre die vom Gesetzgeber gewählte Lösung über Widerrufsrechte schlicht widersprüchlich. Dem läßt sich, insbesondere für den umstrittenen Bereich des § 312 BGB, auch nicht entgegenhalten, daß ein wettbewerbsrechtliches Verbot das eigentliche mit dem Haustürvertrieb verbundene Problem der Überrumpelung ja gar nicht löse, da die wettbewerbswidrig angebahnten Folgeverträge grundsätzlich wirksam blieben, so daß schon deshalb eine zivilrechtliche Lösung sozusagen als Zusatzinstrument erforderlich gewesen sei41. Denn dies ist zwar zutreffend und spricht auch in der Tat gegen die Annahme einer abschließenden Wertung in § 312 BGB, die jegliches wettbewerbsrechtliche Verbot des Haustürvertriebs ausschlösse. Die hier entwickelte weniger weitreichende Lösung, die insbesondere aus der Gestaltung des § 312 BGB nur eine begrenzte implizite Wertung dahingehend ableitet, daß die einmalige mit dem Haustürvertrieb verbundene Belästigung offenbar vom Gesetzgeber nicht für ausreichend erachtet wurde, um ein Totalverbot zu rechtfertigen, ohne daß insoweit der abschließende Charakter dieser Wertung (insbesondere für Fälle, in denen eine be39
S. o. Fn. 34. S. grundlegend oben 1. Kap. 1. Abschn. D VI und 3. Abschn. F IV. 41 In diese Richtung ja auch die Begründung des Gesetzesentwurfs des Bundesrats zum Haustürwiderrufsgesetz, BT-Drs. 10/2876 v. 15.2.1985, S. 7; Scherer, S. 126; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 116. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Demgegenüber überzeugt Scherers (aaO., S. 127) noch zusätzlich angeführtes systematisches Argument, daß selbst im Falle eines effektiven wettbewerbsrechtlichen Verbots wegen des engeren Verständnisses des Begriffs der „vorherigen Bestellung“ i.S.d. § 312 Abs. 3 Nr. 1 BGB (als Ausschlußgrund für das Widerrufsrecht) im Vergleich zur wettbewerbsrechtlichen Einwilligung in den Vertreterbesuch (als Ausschlußgrund für den Unlauterkeitsvorwurf) substantieller Raum für eine sinnvolle Anwendung des Widerrufsrechts bleibe, letztlich nicht. Für sich genommen ist Scherers Beobachtung zwar zutreffend, doch ändert sie nichts daran, daß dem Gesetzgeber schwerlich unterstellt werden kann, er hätte – wenn er Haustürbesuche für grundsätzlich unerwünscht erachtet hätte – dann statt eines generellen Verbots für einen lediglich ganz begrenzten „Restbereich“ theoretisch denkbarer Fälle ein Widerrufsrecht geschaffen. 40
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sondere Nachahmungsgefahr zu einer Multiplikation des Belästigungspotentials führt) vertreten würde, ist dadurch jedoch nicht berührt. Denn wäre es dem Gesetzgeber um die komplette Unterbindung dieser Vertriebsform gegangen, so wäre dieses Ziel ja durch ein spezialgesetzliches Totalverbot (oder durch eine differenzierende Lösung, etwa im Sinne eines opt in-Ansatzes), die dann – angesichts der Zwecksetzung, den gesamten unaufgeforderten Haustürvertrieb effektiv zu unterbinden, über § 134 BGB auch die Nichtigkeit der Folgeverträge zur Folge gehabt hätten – ohne weiteres zu erreichen gewesen. Daß dem Gesetzgeber die Existenz derartiger regelungstechnischer Möglichkeiten voll bewußt ist, ja daß er von diesen auch Gebrauch macht, belegt § 17 Abs. 1 FernUSG der bezüglich Werbung und Vertrieb von Fernunterrichtslehrgängen ausdrücklich eine opt in-Lösung für Vertreterbesuche etabliert. Dies legt hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Behandlung unaufgeforderter Haustürbesuche im übrigen schon beinahe ein regelrechtes e contrario Argument nahe42. Selbst wenn man einem solchen Umkehrschluß in dieser Reichweite nicht folgt – da ein durchschlagender Beleg für den abschließenden Charakter des § 17 Abs. 1 FernUSG letztlich nicht erbracht werden kann43 – so läßt sich doch – schon aus § 312 BGB – aus den genannten Gründen nach der hier vertretenen Auffassung zumindest eine begrenzte, nicht-abschließende Wertung des Gesetzgebers dahingehend ableiten, daß die mit einem einmaligen Haustürbesuch verbundene Belästigung allein kein Verbot dieser Vertriebsform rechtfertigt. Denn andernfalls hätte der Gesetzgeber eine andere Lösung dieses Problems gewählt, die ihm auch möglich war und praktisch zu Gebote stand, wie vorstehende Ausführungen belegen. Dieser Gedankengang läßt sich für sämtliche Regelungen der §§ 312 ff. BGB betreffend die besonderen Vertriebsformen verallgemeinern. Die mit den jeweils geregelten besonderen Vertriebsformen verbundene einmalige und typische Belästigung (durch zugehörige Werbung und Vertrieb) wird vom Gesetzgeber als in dem Sinne hinnehmbar angesehen, daß sie kein Totalverbot der betreffenden Vertriebsformen rechtfertigt. Diese implizite gesetzgeberische Wertung ist auf Grundlage des Gleichmaßgrundsatzes – soweit sie reicht – für das Lauterkeitsrecht zu respektieren. Dies bedeutet nicht, daß gänzliche oder teilweise wettbewerbsrechtliche Verbote derartiger Vertriebsformen unter dem Aspekt des Belästigungsschutzes gar nicht mehr in Betracht kämen. Sie müssen aber durch über die oben formulierte allgemeine gesetzgeberische Wertung hinausgehende Gründe gerechtfertigt sein. 42
So in der Tat Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 48. Noch weniger vermag im übrigen die entfernt vergleichbare Argumentation Schwabs (GRUR 2002, 579, 584) zu überzeugen, daß das Fehlen eines Hinweises auf das UWG in der Subsidiaritätsklausel des § 312a BGB bereits den Rückschluß auf die Vorrangigkeit der Wertung der §§ 312 f. BGB erlaube. Denn die Subsidiaritätsklausel ist ersichtlich auf Instrumente mit vergleichsweise bereichsspezifischem Charakter beschränkt, führt wohl schon aus diesem Grund allgemeinere Regelungen (etwa auch die Regelungen der Gewerbeordnung etc.) nicht auf und hat insofern keinen abschließenden Charakter. 43
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Dies ist zum einen natürlich dann der Fall, wenn Zusatzaspekte existieren, die von vornherein außerhalb der typisierten Wertung des situationsspezifischen Verbraucherschutzes liegen. Darüber hinaus – und praktisch viel wesentlicher – kommen wettbewerbsrechtliche Verbote auf Grundlage der hier vertretenen Lösung allerdings auch dann in Betracht, wenn mit einer bestimmten Vertriebsform in ihrer konkreten Durchführung44 eine besondere Nachahmungsgefahr verbunden ist. Denn dann droht sich das einmalige Ausgesetztsein der Kunden zu multiplizieren, das potentielle Belästigungspotential wächst signifikant über den im situationsspezifischen Verbraucherschutz typisierten Fall einer gelegentlichen, einmaligen Ansprache durch einen Gewerbetreibenden hinaus. Im Rahmen der hier gewählten Lösung kommt die entscheidende Bedeutung mithin dem Aspekt der Nachahmungsgefahr zu. Nur wenn eine signifikante Nachahmungsgefahr besteht, kann die wettbewerbsrechtliche Wertung von der aus der Regelung der besonderen Vertriebsformen destillierten begrenzten gesetzgeberischen Wertung hinsichtlich der Zulässigkeit einzelner Belästigungssituationen verschärfend abweichen. Entscheidend für das Ausmaß der Nachahmungsgefahr ist dabei die Kostenanalyse bezüglich der gewählten Werbe- oder Vertriebsmethode. Je geringer hierbei die Kosten der direkten Ansprache zusätzlicher Kunden sind, desto höher wird die Nachahmungsgefahr und desto eher kann ein wettbewerbsrechtliches Verbot zusätzlich neben die Instrumente des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzes treten. Der Kostenaspekt und die Nachahmungsgefahr als von jeher etablierte Kriterien zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung belästigender Werbe- und Vertriebsformen erhalten so für diese Bereiche eine zusätzliche dogmatische Grundlage, die sich gerade aus dem Verhältnis der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung zu den Wertungen des situationsspezifischen Verbraucherschutzes ableitet. Der hier vorgeschlagene Ansatz respektiert mithin einerseits die typisierten Wertungen des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzes auf Grundlage des Gleichmaßgrundsatzes in der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung und läßt andererseits aufgrund spezifischer (außerhalb der Typisierung liegender) Zusatzaspekte bzw. auf Grundlage des durch den Kostenaspekt quantifizierbaren Nachahmungsgedankens (der zu einer gegenüber dem verbraucherschutzrechtlich typisierten gelegentlichen „Normalfall“ einmaliger Ansprache prospektiv vergleichsweise potenzierten Belästigungswirkung führt und solcherart wiederum den Rahmen der typisierten gesetzgeberischen Wertung verläßt) weiterhin wettbewerbsrechtliche Verbote zu. Dabei vermag der vorgeschlagene Ansatz die existierende Gesetzgebung und Rechtsprechung zur lauterkeitsrechtlichen Behandlung besonderer Vertriebsformen in ein lückenloses System einzufügen und einzelne Fehlentwicklungen kritisch aufzugreifen. Insbesondere läßt sich auf der hier gewählten Grundlage – anders als auf Grundlage des bloßen Vergleichs des Belästigungsgrades einzelner Formen der Direktansprache, der zu den gesetzlichen Regelungen wider44 Dies soll auch vorgelagerte und sonstige mit der Durchführung einer bestimmten Vertriebsmethode verbundene Aspekte, wie etwa die vorgelagerte werbliche Ansprache, die Durchführung des Produktvertriebs selbst, gesamthaft erfassen.
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sprechenden und teils beliebigen Ergebnissen führt – durchaus erklären, warum einzelne Formen werblicher Ansprache, die an sich bei einmaliger Anwendung einen höheren Belästigungsgrad aufweisen als andere (verbotene) Werbeformen, dennoch erlaubt bleiben und umgekehrt45. Auf Grundlage des neuen UWG läßt sich die entscheidende Relevanz des durch den Kostengedanken quantifizierbar gemachten und verobjektivierten Nachahmungsaspekts im Verhältnis wettbewerbsrechtlicher Verbote zu vertriebsspezifischen Verbraucherschutzinstrumenten darüber hinaus auch sozusagen „innerwettbewerbsrechtlich“, mithin eigenständig und unabhängig von vorstehender Argumentation (also auch unabhängig von der Frage nach einer begrenzt permissiven Wertung des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzes bezüglich der Belästigungsgefahr) über die Bagatellklausel des § 3 UWG begründen, die entscheidend auf die potentiellen Wettbewerbsauswirkungen eines bestimmten Wettbewerbshandelns abstellt. Dies soll an dieser Stelle kurz näher ausgeführt werden, bevor der hier entwickelte Ansatz anhand einer Prüfung der einzelnen in ihrer wettbewerbsrechtlichen Beurteilung umstrittenen Werbe- und Vertriebsformen erprobt wird (s. unten II und III). c. Die wettbewerbsrechtliche Perspektive: Insbesondere die Rolle der wettbewerbsbezogenen Bagatellklausel in § 3 UWG Die lauterkeitsrechtliche Prüfung des Belästigungspotentials der Werbe- und Vertriebsmethoden, die mit den in §§ 312 ff. BGB geregelten besonderen Vertriebsformen – insbesondere mit Werbung und Vertrieb in den unterschiedlichen „Haustürsituationen“ verbunden sind – hat die unumstrittenen gesetzgeberischen Wertungen des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzrechts zum Ausgangspunkt zu nehmen. Soweit die typisierte Lösung reicht, ist insbesondere die Überrumpelungsgefahr hinsichtlich der freien Verbraucherentscheidung durch die spezifischen Widerrufsrechte des Zivilrechts ausgeräumt, weshalb sich die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ja auch nach herrschender Meinung insoweit allein auf den Belästigungsaspekt unter § 7 UWG zu kaprizieren hat. Doch auch der für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung verbleibende Belästigungsaspekt wird – selbst wenn man für den Moment von vorstehenden Überlegungen zu den auch insoweit in den Regelungen der §§ 312 ff. BGB implizierten begrenzten gesetzgeberischen Wertungen einmal absieht – schon allein dadurch entscheidend beeinflußt, daß die §§ 312 ff. BGB unstreitig die in diesen Situationen bestehende Überrumpelungsgefahr für freie Kundenentscheidungen ausräumen. Denn dies bedeutet ja nichts anderes, als daß die Verbraucherentscheidungen insbesondere in Haustürsituationen, in denen nunmehr das Widerrufsrecht des § 312 BGB greift, normativ als frei und unverzerrt anzusehen sind, da die zweiwöchige Überlegungsfrist jedenfalls aus normativer Perspektive die Freiheit der Entschei45
S. mit Beispielen etwa unten III 3.
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dung ausreichend sichert46. Das hat aber folgende Rückwirkung auf den Belästigungsaspekt: Wenn der in einer Haustürsituation unerwünscht belästigte (oder gar in einen Vertragsschluß gedrängte Kunde) die einmal getroffene Vertragsentscheidung hinreichend überdenken und gegebenenfalls widerrufen kann, so könnte er auch das ihn in unerwünschter Weise belästigende Werbeverhalten im Nachhinein dadurch sozusagen individuell sanktionieren, daß er den einmal in der unerwünschten Situation geschlossenen Vertrag widerruft. Angesichts der typischerweise durchaus gewährleisteten Anonymität der Widerrufsabwicklung ohne relevante Bindungen der Höflichkeit, des Peinlichkeitsempfindens o.ä.47 – insbesondere aber 46 Insbesondere das denkbare Gegenargument gegen die hier angeführte Argumentation, daß viele Verbraucher faktisch letztlich doch nicht widerriefen, so daß der zivilrechtliche Schutz allein nicht genüge und unlauterer Wettbewerb sich aufgrund der verbleibenden Fälle (sozusagen „träger“ Verbraucher) doch lohnen könne, ist deshalb nicht valide, weil es die Vorrangigkeit der zivilrechtlichen Wertung für die hier spezifisch zu treffende Interessenabwägung verkennt. Letztlich geht es – betreffend den Überrumpelungsaspekt im Zivilrecht gleichermaßen wie auch im Wettbewerbsrecht – um eine Interessenabwägung zwischen den Interessen derjenigen Verbraucher, die für einen bestimmten Bereich den Haustürvertrieb gerade wünschen und schätzen und derjenigen Verbraucher, die ihn an sich nicht wünschen, in der Folge aber dennoch unerwünschte Verträge schließen und schließlich zu träge sind, um von ihrem Widerrufsrecht – über das sie eingehend informiert werden – Gebrauch zu machen. Die Interessen letztgenannter Verbraucher sind dabei nach der im Zivilrecht getroffenen Interessenabwägung aber eben nicht uneingeschränkt schutzwürdig, sondern vielmehr wird ihnen, da einzig auf diese Weise die Schaffung praktischer Konkordanz zwischen den schon auf Seiten der Verbraucher widerstreitenden Interessenpositionen gelingt, zumindest die Initiativlast für die Ausübung des Widerrufsrechts überbürdet. Dieselbe Wertung ergäbe sich bei zutreffender Betrachtung wohl auch auf Grundlage einer rein innerwettbewerbsrechtlichen Betrachtung – sofern sie angesichts der klaren Entscheidung des Gesetzgebers im Zivilrecht überhaupt noch ergebnisoffen zulässig wäre –, da der leitbildartige aufgeklärte Durchschnittsverbraucher (auf den für den vergleichbaren Interessenabwägungsvorgang im Wettbewerbsrecht abzustellen ist, solange nicht außerhalb der typisierten Wertung auch der Regelung der besonderen Vertriebsformen liegende Sondergruppen von Verbrauchern gezielt angesprochen werden, s. für diesen Fall noch unten II 1 b) von einem bestehenden Widerrufsrecht wohl Gebrauch machen würde (bzw. im normativen Sinne „müßte“). Die zivilrechtliche Wertung ist aber ohnedies insoweit im Wettbewerbsrecht zu respektieren, da letztlich im Wettbewerbsrecht hinsichtlich des Überrumpelungsaspekts – wie gerade gezeigt – anhand des normativen Verbraucherleitbilds (als bloßer Metapher) im Kern genau derselbe kollektive Interessenkonflikt zu lösen ist, der im Zivilrecht durch den Gesetzgeber bereits gelöst wurde. Diese gesetzgeberische Wertung ist – sofern nicht außerhalb des typisierten Bereichs liegende Sonderumstände hinzutreten – auf Grundlage des Gleichmaßgrundsatzes auch im Wettbewerbsrecht zu respektieren. Ähnlich wie hier im übrigen Schwab, GRUR 2002, 579, 581 ff. 47 Vgl. ähnlich BGH GRUR 2004, 249, 251 – Internetauktion, wo der Gerichtshof für den Fall der „Ersteigerung“ eines Gebrauchtwagens im Internet, bei der der Vertragsschluß nicht allein durch Zuschlag gemäß § 156 S. 1 BGB zustandekommt, sondern bei der der Kunde noch nach Zuschlag frei entscheiden kann, ob er die resultierende Kaufberechtigung wahrnimmt, festhält, daß in einem derartigen Falle der Kunde typischerweise nicht in nennenswertem Ausmaß durch Gefühle der „Peinlichkeit“ (mit Blick auf die Aufwendungen des Anbieters) davon abgehalten wird, die entstandene Kaufberechtigung dann doch nicht auszuüben. Die hier zugrundeliegende Wertung des Gerichts läßt sich durchaus auf die Frage der Ausübung des Widerrufsrechts übertragen. Auch in diesem Fall ist die entstandene vertragliche Bindung eben noch widerruflich, ein weitergehendes Vertrauen des Anbieters (wie der Kunde weiß) noch nicht entstanden und es geht mithin – wie in genannter BGH-Entscheidung – lediglich um die Frage, ob
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angesichts der insoweit abschließenden gesetzgeberischen Wertung, die gerade normativ belegt, daß die Einräumung der Widerrufsfrist zur Gewährleistung der freien Kundenentscheidung genügen muß48 – ermöglicht ihm dies nicht nur ein Überdenken seines Vertragsabschlusses, sondern auch eine vollkommen freie Beurteilung des voraufgegangenen werblichen Verhaltens, welches er – soweit er es individuell als unzumutbar empfand – durch Widerruf des Vertrags noch im Nachhinein sozusagen „bestrafen“ kann. Das bedeutet aber zugleich für den Idealfall49, daß sich im solcherart vor verzerrten Kundenentscheidungen gesicherten Wettbewerb nur diejenigen Werbeund Vertriebsformen durchsetzen, die von den Kunden auch erwünscht sind oder ihnen doch zumindest grundsätzlich erwünschte Vertragsabschlüsse ermöglichen. Die verbraucherschutzrechtliche Regelung entfaltet also sozusagen einen indirekten Steuerungseffekt, der gewissermaßen mit „unsichtbarer Hand“ dafür sorgen könnte, daß die unerwünschten, aggressiven Formen des Direktvertriebs oder auch Formen des Direktvertriebs in Produkt- oder Dienstleistungsmärkten, in denen eine derartige Vertriebsform von den Kunden nicht honoriert wird, von selbst entscheidend dadurch reduziert werden, daß sie sich schlicht nicht mehr lohnen50. Umgekehrt formuliert würden sich – in denjenigen Bereichen, in denen freie Kundenentscheidungen durch Widerrufsrechte abgesichert sind – Direktvertriebsformen (und insbesondere der Haustürvertrieb) im Wettbewerb nur noch insoweit durchsetzen, wie sie aus produktbezogenen oder marktstrukturbezogenen Gründen auf Kundenseite doch in substantieller Form erwünscht sind. Mithin würde ein Totalverbot im Vergleich zu einer derart von selbst durch den Wettbewerb sich ergebenden Lösung gerade diejenigen wenigen Verbraucher, die sich dennoch weiterhin belästigt fühlen, zu Lasten derjenigen Mehrzahl der Verbraucher, die etwa den Haustürvertrieb hinsichtlich einzelner Produkte oder in einzelnen monopolisierten Märkten doch gerade wünscht oder zumindest im Nachhinein nicht als unzumutbar belästigend empfindet, begünstigen und dadurch den Wettbewerb sogar ungerechtfertigt beschränken 51. den Kunden Peinlichkeitsgefühle mit Blick auf den einmal entstandenen Aufwand des Anbieters von der Ausübung seines Widerrufsrechts in relevanter Weise abhalten könnten, was nach der ratio decidendi der Entscheidung Internet-Auktion eben nicht der Fall ist. 48 S. die Überlegungen o. Fn. 46. 49 S. noch sogleich unten im Text zu der entscheidenden Ausnahme von diesem „Idealfall“, die sich insoweit gerade wiederum aus dem (zu bestimmten Formen des Versagens der dezentralen Steuerung durch den Markt führenden) Kostenaspekt und den hiermit verbundenen spezifischen Gefährdungspotentialen einzelner Werbe- und Vertriebsformen ergibt. 50 Im Ansatz zutreffend erkannt nur bei Ulmer, WRP 1986, 445, 446; Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 178 (für das Ansprechen in der Öffentlichkeit), wobei letzterer daraus jedoch nicht die hier entwickelte Konsequenz zieht, sondern ganz im Gegenteil die darüber hinausreichende Notwendigkeit eines noch zusätzlichen direkten wettbewerbsrechtlichen Schutzes betont. Ein solcher direkter Schutz läuft aber nach der hier vertretenen Auffassung in denjenigen Konstellationen, in denen der indirekte Schutz genügt, um den Markt vor Verzerrungen zu sichern, den Interessen der Mehrzahl der Verbraucher zuwider 51 Die eigentlich sich anbietende, zielgenaue Lösung über ein vorheriges opt in der Kunden
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Wettbewerbsrechtlich ist dieser Gedanke, der entscheidend auf die Wettbewerbsauswirkung des zu beurteilenden Werbe- oder Vertriebsverhaltens abstellt, nunmehr in der Bagatellklausel des § 3 UWG auch ausdrücklich verankert52, wobei sich die Ausrichtung auf den unverfälschten Wettbewerb genaugenommen auch schon aus der Schutzzweckklausel des § 1 UWG ergibt53. Im systematischen Verhältnis zur Zumutbarkeitsprüfung nach § 7 Abs. 1 UWG, welche allein auf den Belästigungsgrad einer bestimmten Werbe- oder Vertriebsform für den einzelnen Verbraucher abhebt, ist die Prüfung der Bagatellklausel des § 3 UWG deshalb anders auszurichten, weil sie entscheidend die Auswirkungen der zu beurteilenden Werbe- oder Vertriebsform auf den Wettbewerb, der durch sie zumindest abstrakt-potentiell nicht unerheblich verzerrt werden können muß, in den Mittel-
hilft an dieser Stelle deshalb nicht weiter, weil die vorherige Einholung des Einverständnisses – die angesichts sonstiger Beschränkungen der werblichen Direktansprache praktisch nur schriftlich erfolgen könnte – aus Sicht zumal der kleinen und mittelständischen Unternehmer, deren Haustürbesuche ja noch am wenigsten belästigend empfunden werden, derart aufwendig wäre, daß letztlich für solche kleineren und mittleren Unternehmen der Haustürvertrieb gänzlich verunmöglicht würde, während allenfalls große und auf Haustürvertrieb spezialisierte Unternehmen, deren Haustürvertriebsaktivitäten im Grundsatz eher problematisch sind, ihre Aktivitäten aufrecht erhalten könnten. Naturgemäß anzuerkennen ist demgegenüber ein opt out der Kunden (so nunmehr auch explizit § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG). Verdeutlicht der Beworbene durch Hinweis an der Haustür o.ä., daß er Vertreterbesuche nicht wünscht, ist ein gegen diesen geäußerten Willen dennoch durchgeführter Hausbesuch zu Werbe- oder Vertriebszwecken in jedem Falle wettbewerbswidrig. Ähnlich wie hier aufgrund eines Aufwandsvergleichs (geringer Aufwand auf Seiten der Kunden für ein opt out gegenüber erheblichem – und für kleine und mittlere Unternehmen prohibitivem – Aufwand auf Seiten der Unternehmer mit geringen Erfolgsaussichten für ein opt in, da ein viel zu geringer Rücklauf derartiger Aktionen zu befürchten wäre [diesen letztgenannten Aspekt unterschätzt Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 117]) plädiert Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 48, für eine reine opt out-Lösung, wie bisher in der Rechtsprechung (vgl. insoweit schon vor Erlaß des neuen UWG etwa LG Hamburg, WRP 1987, 272 f. – Haustürwerbung). Ähnlich schon Lehmann, GRUR 1976, 133, 139; Hefermehl, GRUR 1980, 622, 627. Demgegenüber kritisch bezüglich der praktischen Durchführbarkeit des opt out wegen der damit den Kunden zugemuteten Verunzierung ihrer Eingangsbereiche Hefermehl/Köhler/ Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 113; Scherer, S. 129. 52 Die „nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs“ war schon nach dem alten UWG in ähnlicher Form Voraussetzung der Anspruchsberechtigung der nur abstrakt verletzten Gewerbetreibenden und klagebefugten Wirtschaftsverbände nach § 13 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UWG a.F., während die Anspruchsberechtigung der Verbraucherverbände gem. § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG a.F. voraussetzte, daß „wesentliche Belange der Verbraucher“ berührt waren (s. eingehend dazu statt aller Fezer-Fezer, § 3, Rz. 30 ff. mwN). Nunmehr ist die Bagatellklausel in § 3 UWG schon als Tatbestandsvoraussetzung einer unlauteren Wettbewerbshandlung normiert und in der neuen Formulierung („nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs“ zum „Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer“) auch – genau im Einklang mit der neuen Schutzzweckklausel des § 1 UWG – insgesamt konsequent wettbewerbsbezogen ausgestaltet worden. S. statt aller nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 3, Rz. 3 und 48; Harte/Henning-Schünemann, § 3, Rz. 230 ff.; Fezer-Fezer, § 3, Rz. 23 ff., jeweils mwN. Vgl. noch sogleich u. Fn. 54 zu der (zu verneinenden) Frage, ob dies bedeutet, daß nunmehr stets auch im konkreten Fall die Marktauswirkung eines unlauteren wettbewerblichen Verhaltens zu prüfen wäre. 53 S. Harte/Henning-Schünemann, § 3 UWG, Rz. 233.
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punkt rückt54. Dies heißt nun zwar nicht, daß in jedem konkreten Fall die Marktauswirkung einer unlauteren Wettbewerbshandlung zusätzlich zu prüfen wäre55. Wohl aber scheidet, wenn eine Wettbewerbshandlung für sich genommen die Ba54 Insofern ist die „nicht unerhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung“ als Tatbestandsvoraussetzung des § 3 UWG in ihrer Zwecksetzung deutlich anders ausgerichtet als die bisherigen „Bagatellklauseln“ (als Voraussetzung der Anspruchsberechtigung in § 13 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UWG a.F.), s. insoweit noch ähnlich auch Köhler, GRUR 2005, 1, 2 f. Während letztere mehr im Sinne einer Art de minimis-Klausel suchten, den Mißbrauch der Anspruchsberechtigung (als selbständige Erwerbsquelle aufgrund der entstehenden Aufwendungsersatzansprüche für die Abmahnungen) durch Geltendmachung ganz minimaler Wettbewerbsverstöße zu unterbinden, dient die neue „Bagatellklausel“ in § 3 UWG eben auch – genau im Einklang mit § 1 UWG und dessen Regelungsgehalt letztlich lediglich nochmals betonend (s. zutreffend Harte/HenningSchünemann, § 3, Rz. 233) und in Umsetzung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge wettbewerbsrechtliche Verbote als Einschränkungen der kommerziellen Kommunikation stets durch eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung des Schutzguts des Wettbewerbsrechts, das (etwas anders als vom Bundesverfassungsgericht mit seinem unglücklichen Rückgriff auf den Begriff des „Leistungswettbewerbs“ unterstellt) im Schutz des freien, unverzerrten Wettbewerbs im Interesse der Marktteilnehmer zu sehen ist, gerechtfertigt sein müssen (s. eingehend oben 2. Kap. 2. Abschn. II 2 b) – dazu, den wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeitsmaßstab konsequent auf die Gewährleistung freien, unverzerrten (was mit dem Terminus des „unbeeinträchtigten“ inhaltsgleich umschrieben wird, s. insoweit zutreffend statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 3, Rz. 52; Harte/Henning-Schünemann, aaO.) Wettbewerbs auszurichten. S. in diesem Sinne auch die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 3 (S. 17): „… Die Verfälschung des Wettbewerbs muß darüber hinaus nicht unerheblich sein. … Maßstab sind … die Wirkungen unlauteren Wettbewerbs auf das Marktgeschehen“. Aus der Literatur ähnlich wie hier wohl Harte/Henning-Schünemann, § 3, Rz. 234 ff. (der die konsequente Wettbewerbsbezogenheit und die Voraussetzung einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs allerdings schon im Begriff der Unlauterkeit selbst in einer konsequent schutzgutbezogenen Auslegung im Sinne des § 1 UWG verkörpert sieht); unentschieden Fezer-Fezer, § 3, Rz. 23 ff., der zwar einerseits (Rz. 35) die Zwecksetzung der Beschränkung im Ausschluß der Verfolgung von Bagatellfällen sieht, andererseits die Regelung aber auch in die Tradition der Diskussionen in den 90er Jahren um die Einführung einer Bagatellklausel im Sinne der Voraussetzung einer „spürbaren Auswirkung der Wettbewerbshandlung auf dem Markt“ (Hervorh. d. Verf.) stellt (Rz. 24 f.). Genau dieser letztgenannte Aspekt der konsequenten Ausrichtung des Kontrollmaßstabs auf die Marktauswirkung des Verhaltens (bzw. auch des wettbewerbsrechtlichen Verbots), der „Auswirkungen auf den Wettbewerb“ ist es aber, der den nachfolgenden Ausführungen zugrundeliegt. Für eine konsequente (und nicht zu weitherzige) Handhabung der Bagatellklausel in diesem Sinne auch deutlich Heermann, GRUR 2004, 94, 97 f. mwN. A.A. aber Köhler, GRUR 2005, 1, 2 f.: eine Ausrichtung auf die Marktauswirkung entspreche (obwohl sie aufgrund grammatikalischer und historischer Gesetzesauslegung mit Blick auf die Gesetzesbegründung nicht fernliegend sei) weder Funktion noch Zweck des Wettbewerbsrechts, da die Verfolgung von Rechtsverstößen in diesem Falle nicht – wie im Kartellrecht – in die Hände von Behörden, die zur Prognose der Marktauswirkung befähigt wären, gelegt sei (funktionaler Aspekt) und da dem (in § 1 UWG eben nicht allein auf die Sicherung freier Marktstrukturen, sondern auf den Schutz der Marktteilnehmer ausgerichteten) Zweck des Lauterkeitsrechts nach, jede unlautere Wettbewerbshandlung ihrer Natur nach eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs darstelle (insoweit ähnlich wiederum Harte/Henning-Schünemann, § 3, Rz. 237, der aber die hier vertretene Berücksichtigungsfähigkeit der Auswirkung auf die Wettbewerbsfreiheit in Fallgruppen, in denen der einzelne Verstoß nicht die Bagatellschwelle überschreitet und auch gar nicht geeignet ist zu überschreiten, wohl schon im Unlauterkeitsbegriff selbst verankern würde), so daß der Bagatellklausel allenfalls die Funktion zukomme, nur unerhebliche Beeinträchtigungen der Interessen der Mitbewerber, Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer auszuscheiden. Dem ist
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gatellschwelle nicht überschreitet, die Annahme einer nicht unwesentlichen Marktbeeinträchtigung durch Nachahmungseffekte dann aus, wenn diese einzelne Wettbewerbshandlung schon abstrakt nicht geeignet ist, sich intensiver oder weitflächiger durchzusetzen, als dies die Marktgegenseite wünscht56. Im Sinne vorstehender Argumentation wäre in denjenigen Bereichen, in denen die vertriebsspezifische Verbraucherschutzlösung über Widerrufsrechte durch indirekte Steuerung dafür sorgt, daß sozusagen von selbst lediglich die von der Mehrzahl der Verbraucher erwünschten Werbe- und Vertriebsformen sich durchsetzen, aber eine nicht unerhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung von vornherein auch abstrakt-potentiell nicht denkbar, da das entstehende Gesamtbild dann gerade das Ergebnis eines freien, unverzerrten Wettbewerbsverlaufs repräsentiert57. zuzustimmen soweit Köhler, aaO., für den einzelnen konkreten Fall betont, daß es hier nicht stets zu einer Prognose über die Marktauswirkungen kommen kann, da dies dem Ansatz des Wettbewerbsrechts, schnell und effektiv (gegebenenfalls mit dem Mittel der einstweiligen Verfügung) „den Anfängen zu wehren“, nicht entspräche. Etwas anderes muß aber gelten, wenn – wie in den hier diskutierten Fallgestaltungen – die Unlauterkeit schon von vornherein nur mit Blick auf den Nachahmungsaspekt bejaht wird, so daß ohnehin eine Prognoseentscheidung notwendig ist (auch insoweit aber a.A. Köhler, GRUR 2005, 1, 5) und wenn insbesondere schon von vornherein, d.h. sozusagen abstrakt, feststeht, daß eine bestimmte Verhaltensweise im Wettbewerb die Freiheit des Wettbewerbs nicht verzerren kann, weil sie sich nur insoweit durchsetzt, wie die Marktgegenseite dies wünscht. Genau genommen fehlt es dann schon an der Unlauterkeit als solcher, da es nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung kommt (insoweit ähnlich wiederum Harte/Henning-Schünemann, aaO.) bzw. – wenn man begrifflich Köhlers, aaO., S. 4, exklusiver Orientierung auf die Schutzzwecktrias der wettbewerbsrechtlichen Interessen der Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer folgt – da es an einer relevanten Beeinträchtigung der Verbraucherinteressen fehlt. 55 S. zu Recht Köhler, GRUR 2005, 1, 2 f. (sowie auch o. Fn. 54). 56 Genaugenommen fehlt es nach der neuen, auf die Wettbewerbsfreiheit ausgerichteten Konzeption des UWG dann wohl sogar schon an einer Unlauterkeit überhaupt, so daß der nochmalige Hinweis in § 3 UWG auf die Marktauswirkung in der Tat tautologisch ist (s. Harte/Henning-Schünemann, § 3, Rz. 235; s. insoweit auch Köhler, GRUR 2005, 1, 3 f.). Doch betont die Norm auf diese Weise zumindest zutreffend die Notwendigkeit einer abstrakten Eignung zur Wettbewerbsverfälschung des freien Wettbewerbs, wie sie sich genaugenommen schon aus § 1 UWG ergibt (Schünemann, aaO.). Man wird daher ebensogut formulieren können, daß in einem derartigen Fall dann die wettbewerbsrechtlich relevanten Interessen der Verbraucher von vornherein nicht berührt sind, was die hier vertretene Lösung wieder in Einklang mit Köhlers (aaO., S. 4) rein schutzzwecktriasorientierter Lesart des Bagatellkriteriums brächte. S. auch die nähere Erläuterung o. Fn. 54. Ähnlich im Ansatz übrigens auch BGH NJW 2005, 1050, 1052 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II zum neuen UWG: für die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes genüge die Eignung einer … Handlung, unzumutbar belästigend zu wirken (Hervorh. d. Verf.). Unklar bleibt in der BGH-Entscheidung allerdings, weshalb überhaupt zuerst und noch vor Rückgriff auf den vorrangigen § 7 Abs. 1 UWG auf eine Argumentation aus § 3 UWG zurückgegriffen wird; zugleich bleibt die nachgelagerte Prüfung des § 3 UWG als Bagatellklausel in der BGH-Entscheidung (aaO., S. 1052) dann Fragment: die nicht unerhebliche Verfälschung des Wettbewerbs wird aufgrund der „methodisch angewandten unzumutbare(n) Belästigung“ schlicht behauptet, was die Bagatellklausel des § 3 UWG neben der Unzumutbarkeitsprüfung des § 7 Abs. 1 UWG letztlich zu Unrecht vollends überflüssig macht. Vgl. dazu auch noch sogleich u. Fn. 57. 57 Dies übersieht nach der hier vertretenen Auffassung BGH NJW 2005, 1050, 1052 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II: Dort wird die Nachahmungsgefahr schlicht behauptet (s. zur Zweifelswürdigkeit der diesbezüglichen Argumentation schon o. 1.Kap. 3.Abschn. Fn. 382)
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Daß dieser Effekt in der Tat eintritt und unter bestimmten Bedingungen auch durchaus die erwünschten Folgen zeitigt, läßt sich – zum Teil im Vorgriff auf die konkrete Diskussion der Streitfragen unten II – gerade am umstrittenen Beispiel der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der „Haustürvertriebssituationen“ vorzüglich belegen. In diesem Bereich ist letzthin immer zunehmend durchaus eine empirische Entwicklung zu beobachten, in deren Rahmen besonders aggressive, „unfair“ auf Überrumpelung setzende Formen des Haustürvertriebs und des Ansprechens in der Öffentlichkeit zusehends abgelöst werden durch seitens der Kunden grundsätzlich erwünschte, „faire“ Vertriebsmethoden58. Diese Entwicklung hat einen vertriebsformbezogenen, einen produktbezogenen und einen marktstrukturbezogenen Aspekt. So gewinnen gegenüber dem klassischen Vertreterbesuch immer zunehmend differenzierte Formen des Haustürvertriebs an Bedeutung, die neben der Vertriebsfunktion auch eine soziale Komponente aufweisen, die offensichtlich von den Kunden durchaus geschätzt wird (TupperParties, Avon-Parties etc. werden zunehmend sogar bei jungen, mobilen Kunden zum beliebten Zirkel auch allgemeinen sozialen Austauschs). Hinzu kommt die produktbezogene Fokussierung des Haustürvertriebs. Vorbehaltlich einzelner „Ausreißer“59 verengt sich diese Vertriebsform zunehmend sozusagen von selbst, durch die „unsichtbare Hand“ des Widerrufsrechts gesteuert wiederum auf diejenigen klassischen Felder (Vertrieb hochpreisiger Qualitätsprodukte für den Haushalts- oder Bürobereich, die sich vor Ort schlicht besser vorführen und testen lassen. Direktvertrieb landwirtschaftlicher Produkte nicht länger nur in ländlichen Gegenden etc.60), in denen eine derartige Vertriebsform von den Kunden auch durchaus honoriert wird61. Hinzu kommen noch diejenigen Bereiche, in denen die Marktstrukturbedingungen (insbesondere in vormals monopolisierten Märkten mit hohen Marktzutrittsschranken), den während die Eignung zur nicht unerheblichen Wettbewerbsverfälschung aufgrund der bloßen „methodisch angewandte(n) unzumutbaren Belästigung“ unterstellt wird. Ein derartiger Rückschluß aus dem Unzumutbarkeitsmerkmal auf die Eignung zur nicht unerheblichen Wettbewerbsverfälschung (der die Bagatellklausel des § 3 UWG neben der Unzumutbarkeitsprüfung des § 7 Abs. 1 UWG praktisch vollkommen überflüssig macht) ist aber gerade nicht zulässig, weil der Unzumutbarkeitsmaßstab des § 7 Abs. 1 UWG mit der Orientierung auf die Interessen des einzelnen betroffenen Verbrauchers ganz anders ausgerichtet ist als der wettbewerbsorientierte Maßstab der Bagatellklausel des § 3 UWG (s. schon o. bei Fn. 54). Soweit der einzelne Kunde die unzumutbare Belästigung mit seiner „zivilrechtlichen Waffe“ des Widerrufsrechts hinreichend sanktionieren kann, ist der resultierende Wettbewerb aber gar nicht verzerrt bzw. ist die Marketingtechnik im betroffenen Marktsegment schon von vornherein abstrakt nicht geeignet, den Wettbewerb zu verfälschen. 58 S. schon Ulmer, WRP 1986, 444, 447 unter Hinweis auf Engelhardt/Kleinaltenkamp/Rieger, Der Direktvertrieb im Konsumgüterbereich, eine absatzwirtschaftliche Analyse, 1984, S. 32 ff. und Merk, in: Chiotellis/Fikentscher, Rechtstatsachenforschung, 1985, S. 333. Letzthin auch Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 40 mwN. 59 Wie etwa den notorischen Drückerkolonnen im Bereich des Zeitschriftenvertriebs, die aber auch nach der hier vertretenen Auffassung als besonders aggressive Absatzform häufig außerhalb der typisierten Wertung des Verbraucherschutzrechts liegen werden und daher wettbewerbsrechtlich erfaßt werden können, s. näher noch unten II 1 a. 60 Auch in den Wohnbezirken in Münchner Randlage gehören gelegentliche Besuche der Direktvertreiber landwirtschaftlicher Produkte, wie etwa des „Honigmanns“, zum gewohnten und seitens der Bewohner durchaus geschätzten Erscheinungsbild, während etwa Zeitschriftenwerber praktisch überhaupt nicht mehr in Erscheinung treten. 61 S. nur die Hinweise bei Ulmer, WRP 1986, 444, 447, der betont, daß sich die empirisch zu belegende ganz allgemein eindeutig ablehnende Haltung der Kunden gegenüber Haustürvertriebsformen (vgl. grundlegend Schade, S. 43 ff.) durchaus ins positive wendet, sobald differenzierter auf die einzelnen Erscheinungsformen des Haustürvertriebs hinsichtlich ganz bestimmter Produkte und Dienstleistungen gefragt wird.
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Direktvertrieb zur Marktpenetrierung unerläßlich (aber auch aus Sicht der Kunden erwünscht) erscheinen lassen, wie dies etwa – trotz des anderen Ergebnisses – auch die letzthin ergangene Rechtsprechung zum Ansprechen in der Öffentlichkeit empirisch illustriert 62. Diese bezog sich nicht zufällig gerade auf Fälle, in denen Kunden für die Pre-Selection eines anderen Providers als der marktbeherrschenden Deutschen Telekom auch im Festnetz gewonnen werden sollten, wobei die Deutsche Telekom bei den betroffenen Festnetzanschlüssen derzeit weiterhin über eine Marktposition verfügt, die es im Zusammenspiel mit der oben beschriebenen Anchor-Anomalie des Kundenverhaltens 63 durchaus gestattet, erhebliche Marktzutrittsschranken zu errichten, die eben nur durch Einsatz innovativer Werbeformen – auch im Kundeninteresse – überwunden werden können64. Ein ähnliches Beispiel bildet der letzthin zunehmend zu beobachtende Haustürvertrieb der nichtkommunalen Stromversorger, die diese Vertriebsmethode einsetzen, um neue Kunden erstmals zu gewinnen und zum Wechsel ihres Stromanbieters zu bewegen65. Es kommt, wie diese Beispiele belegen, also letztlich zu einer marktstrukturbezogenen Fokussierung kostenintensiver Direktvertriebsformen auf diejenigen (häufig monopolistisch oder oligopolistisch strukturierten) Märkte mit hohen Marktzutrittsschranken, in denen derartige Vertriebsformen unerläßlich sind, um in den Markt erstmals einzudringen66.
Unter bestimmten Voraussetzungen sorgt demnach bereits der zwingende Rahmen des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzrechts von selbst dafür, daß sich (produkt-, vertriebsform- und marktstrukturbezogen) gerade in denjenigen Bereichen besondere Vertriebsformen durchsetzen, in denen diese seitens der Kunden auch erwünscht oder jedenfalls zur Gewährleistung (oder erstmaligen Herstellung) wirksamen Wettbewerbs auch wirklich unerläßlich sind. Diese sozusagen indirekte Steuerung durch den Wettbewerb ist – wo sie funktioniert67 – zwangsläufig weitaus genauer als jegliche Versuche, vermittels anderer, normativ wertender Kriterien eine 62
S. näher noch unten II 1 2. S. oben 1. Kap. 1. Abschn. D V 4. Unter dieser Perspektive betrachtet, lassen sich dem Haustürvertrieb sogar wertvolle wettbewerbsfördernde Aspekte abgewinnen. Denn gerade zur Überwindung von Verhaltensweisen, die letztlich auf der anchor-Anomalie beruhen (sowohl im Telekommunikationsmarkt als auch in noch viel höherem Maße im Markt der Stromversorger ist seitens der Kunden schlichtweg eine ganz beträchtliche Initiativschwelle zu überwinden, um ihre eingefahrenen Verhaltensmuster zu ändern), kann die Ansprache vor Ort ein wertvolles Hilfsmittel darstellen, daß dann (angesichts der hiermit typischerweise verbundenen erheblichen Kostenersparnis) spätestens im Nachhinein auch seitens der betroffenen Verbraucher geschätzt wird. 64 Dies läßt, da es um erstmalige Marktpenetrierung, weniger um wechselseitige Konkurrenz in einem bereits unter mehreren Anbietern aufgeteilten Markt geht, durchaus auch an der Erheblichkeit der Nachahmungsgefahr in dem konkret vom BGH entschiedenen Fall zweifeln, s. näher unten II 2. 65 Hier wird die innovative Vertriebsmethode wiederum eingesetzt, um zumal die anchorAnomalie (s. oben 1. Kap. 1. Abschn. D V 4) durchaus und gerade auch in aller Regel im Interesse der betroffenen Verbraucher zu überwinden. S. o. Fn. 63. 66 Vgl. zu den Vorteilen des Haustürvertriebs gerade aufgrund der intensiveren Marktpenetration auch Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 182 mwN, der diese „Vorteile“ freilich – anders als hier vertreten – als reine Unternehmervorteile zu Lasten der Verbraucher wertet. 67 S. zu den Grenzen eines derartigen indirekten Steuerungsmodells durch negative Anreize gegen den Einsatz bestimmter Vertriebsformen durch die Ausübung von Widerrufsrechten noch sogleich im folgenden Text. 63
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differenzierende Beurteilung insbesondere des Haustürvertriebs im Wettbewerbsrecht zu erreichen. Denn diese sämtlichen anderen Kriterien – gedacht wird etwa an die Voraussetzungen einer mutmaßlichen Einwilligung68, was zwar (mit dem Abstellen auf das Kundeninteresse) strukturell den richtigen Ansatzpunkt bildet, jedoch wegen der auch insoweit notwendigen abstrakten Interessengewichtung unvermeidlich erfordert, über die Motive und Interessen der Kunden letztlich typisierende und damit ungenaue Vermutungen anzustellen, daneben sind noch andere, weniger geeignete Versuche, insbesondere zwischen erwünschten und unerwünschten Formen des Haustürvertriebs zu differenzieren 69, unternommen worden – setzen stets voraus, daß eine wertende Entscheidung über die Erwünschtheit bestimmter Erscheinungsformen im Markt getroffen wird. Dabei können aber hinsichtlich der diesbezüglichen Interessenlage letztlich nur Vermutungen angestellt werden, die im besten Fall70 lediglich den Versuch unternehmen, die Interessen der einzelnen Kundengruppen zu widerspiegeln. Demgegenüber sorgt im vorstehend geschilderten Idealszenario schon der – aufgrund der gesicherten Entscheidungsfreiheit unverzerrte – Wettbewerb selbst dafür, daß die Interessen der einzelnen Kundengruppen im Zuge der marktmäßigen Durchsetzung (oder Nichtdurchsetzung) be68 S. mit diesem Ansatz Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1045; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 117; Piper/Ohly-Ohly, § 7, Rz. 80, die schwerpunktmäßig auf das vorherige tatsächliche, hilfsweise auf das mutmaßliche Einverständnis der Kunden abstellen. Deren tatsächliches Einverständnis könnte aber praktisch (angesichts der anderen bestehenden Beschränkungen der werblichen Direktansprache) nur auf schriftlichem Wege (über frankierte Antwortkarten o.ä.) eingeholt werden, was wenig aussichtsreich erscheint, da für derartige sehr aufwendige Aktionen – die zumal für kleine und mittlere (etwa gerade die beliebten landwirtschaftlichen) Direktvertreiber schlicht prohibitiv wären (s. auch schon o. Fn. 51) – angesichts der auf den Kunden verlagerten Initiativlast nur mit einem ganz geringen Rücklauf zu rechnen wäre (ähnlich Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 48; a.A. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, aaO.). Das verlagert das Schwergewicht der Lösung auf das mutmaßliche Einverständnis der Kunden, welches letztlich nur anhand einer Identifizierung und Abwägung der objektiv verstandenen Interessen einzelner Kundengruppen (nämlich derjenigen, die den Direktvertrieb in einem ganz bestimmten Bereich wünschen gegenüber denjenigen, die dieser Vertriebsform für diesen Bereich ablehnend gegenüber stehen) erfolgen könnte. Eine solche Bestimmung und Abwägung der objektiv verstandenen Kundeninteressen muß letztlich ja aber durch den Rechtsanwender erfolgen und wird daher stets unvermeidlich Gefahr laufen, als „second best solution“ die tatsächlichen Kundeninteressen doch zu verfehlen und damit letztlich ganze Kundengruppen zu bevormunden. Die Lösung über den Markt ist daher, soweit sie funktioniert, als zielgenauer zu bevorzugen. Ähnlich wie hier im übrigen der Gedanke bei OLG Hamburg, WRP 1992, 728 f. (vgl. auch in der folgenden Fußnote). 69 Vgl. auch OLG Hamburg, WRP 1992, 728 f. gegen letztlich nicht weiterführende Versuche erwünschte und „traditionelle“ Formen des Direktvertriebs (Scherenschleifer und Kesselflikker) von modernen Formen des Direktvertriebs bezüglich hochwertiger Produkte (wie etwa Kopierer) abzugrenzen, die doch bei den Kunden aus ähnlichen oder neuartigen Gründen ebenso beliebt sein können wie die traditionellen Formen. 70 Häufig werden derartige Differenzierungsversuche nämlich nicht einmal lediglich die Kundeninteressen möglichst paßgenau zu widerspiegeln suchen, sondern vielmehr im Interesse bestimmter Lobbies einzelne Formen „erwünschten“ Haustürvertriebs vom Unlauterkeitsverdikt ausnehmen. Vgl. für ein Beispiel der (erheblichen) Lobby-Arbeit in diesem Bereich im Vorfeld der Überlegungen zum Erlaß der Haustürwiderrufs-Gesetzes nur die Ausführungen bei Lehmann, GRUR 1974, 133, 140.
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stimmter Erscheinungsformen des Vertriebs paßgenau gewichtet im Marktresultat abgebildet sind. Die dezentrale Steuerung durch den Wettbewerb, wie sie auf Grundlage der Bagatellklausel des § 3 UWG auch Anerkennung in der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung finden muß, stößt jedoch im Bereich der besonderen Vertriebsformen und der hiermit verbundenen werblichen Direktansprache der Verbraucher auf eine wesentliche, ja entscheidende Grenze. Je geringer die Grenzkosten einer bestimmten Werbe- oder Vertriebsmethode sind, desto eher kann sich ihr Einsatz selbst dann lohnen, wenn die Mehrzahl der Verbraucher diese Methode ablehnt und daher keine Vertragsabschlüsse eingeht bzw. einmal eingegangene Verpflichtungen widerruft. Im Extremfall der E-Mail-Werbung, bei der die mit der Versendung der Mails verbundenen Kosten praktisch verschwindend gering sind, lohnt sich der Einsatz dieser bei den Betroffenen zweifellos unerwünschten Werbemethode daher trotz einer verschwindend geringen Vertragsabschlußrate, die nach neueren Erkenntnissen bei allenfalls etwa 0,3 % liegt71. In einem derartigen Falle drohen demnach durchaus entscheidende Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten derjenigen Verbraucher, die eine derartige Direktansprache nicht wünschen, da die geringen Kosten der Methode dazu führen, daß die einzelnen Fälle, in denen eine Ansprache erfolgreich ist, für ihren lohnenden Einsatz ausreichen. In derartigen Fällen auch des Einsatzes besonderer Vertriebsformen, in denen angesichts geringer Kosten eine Belästigung der überwiegenden Mehrzahl der Kunden droht, selbst wenn nur einzelne Kunden letztlich Verträge schließen, wird also der Wettbewerb nicht unerheblich verzerrt und die Bagatellklausel des § 3 UWG steht einem Unlauterkeitsverdikt unter den sonstigen Voraussetzungen des § 7 UWG nicht im Wege72. Wiederum sind also – wenn man entsprechend der Wertung der Bagatellklausel des neuen UWG wettbewerbsbezogen argumentiert – die Kosten, die mit dem Einsatz einer bestimmten Vertriebsmethode verbunden sind, entscheidend für die Beurteilung des Belästigungsaspekts einzelner Vertriebsformen im Verhältnis zu ihrer verbrauchervertragsrechtlichen Regelung. Ist der Einsatz bestimmter Formen der besonderen Vertriebsformen mit signifikanten Kosten verbunden, so löst der Markt durch das dezentrale Steuerungsinstrument der Widerrufsrechte auch das Belästigungsproblem gewissermaßen von selbst, zu einer Wettbewerbsverzerrung kommt es von vornherein nicht. Sind demgegen71
Geschätztes Ergebnis einer Internet-Recherche zum Thema am 27.1.2006. Im hier vertretenen Vier-Ebenen-Modell geht es dabei um den Ausschluß von Externalitäten. Denn die wenigen fehlerfrei entstandenen Vertragsverhältnisse, denen seitens der beteiligten Verbraucher ein entsprechendes Interesse an der Direktansprache zugrundelag, entfalten zu Lasten derjenigen Mehrzahl der Verbraucher, die eine entsprechende werbliche Kontaktaufnahme nicht wünschte und demzufolge auch keine Verträge geschlossen bzw. einmal geschlossene Verträge widerrufen hat, positive externe Effekte. Diese externen Effekte der nur vereinzelt abgeschlossenen Verträge überwiegen im geschilderten Fall den Nutzen dieser Einzelverträge bei weitem, was das Einschreiten des Wettbewerbsrechts rechtfertigt. Vgl. grundlegend oben 1. Kap. 1. Abschn. D VI. 72
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über die Grenzkosten des Einsatzes dieser Methode vergleichsweise gering, so droht eine Verzerrung des Wettbewerbs zu Lasten derjenigen überwiegenden Mehrzahl der Verbraucher, die sich durch diese Methode unzumutbar belästigt fühlen. In einem derartigen Falle steht die Bagatellklausel des § 3 UWG dem Unlauterkeitsverdikt nicht entgegen. Der hier entwickelte wettbewerbsbezogen kostenorientierte Ansatz auf Grundlage einer ernstgenommenen und wettbewerbsbezogenen Anwendung der Bagatellklausel des neuen § 3 UWG könnte sich immerhin dem Bedenken aussetzen, daß eine derart konkretisierte Prüfung der Nachahmungsgefahr und der zumindest prinzipiell bestehenden Eignung zu erheblichen Wettbewerbsauswirkung für das auf schnelle und verläßliche Entscheidungen angewiesene Recht des unlauteren Wettbewerbs zu übergroßer Rechtsunsicherheit und damit zu Verunsicherung auf Seiten der Direktmarketingunternehmen führen könnte. Tatsächlich lassen sich derartige Bedenken jedoch widerlegen. Zum einen ist die kostenorientierte Prüfung der Nachahmungsgefahr und resultierender potentieller Wettbewerbsauswirkungen ein rationalerer und damit sogar verläßlicherer Ansatz73 zur Beurteilung von Nachahmungsgefahren gegenüber der bloßen, nicht näher begründeten Behauptung derartiger Gefahren74. Insbesondere aber führt die wettbewerbsbezogen-kostenorientierte Prüfung der Bagatellklausel nicht dazu, daß in jedem konkreten – gar im Verfügungsverfahren schnell zu entscheidenden – Einzelfall anhand der präzisen ökonomischen Gegebenheiten des spezifisch zugrundeliegenden Markts bezüglich der drohenden erheblichen Verfälschung des Wettbewerbs eine genaue ökonomische Analyse vorgenommen werden müßte. Ganz im Gegenteil gestattet auch der hier vertretene Ansatz eine Typisierung in Fallgruppen, da ja lediglich die Eignung bestimmter Direktmarketingmethoden, den Wettbewerb nicht unerheblich zu verfälschen, zu prüfen ist. Nur wo schon diese abstrakte Eignung ausgeschlossen ist, weil eben erhebliche Kosten einer Direktmarketingmethode deren Einsatz nur lohnend erscheinen lassen, wenn eine signifikante Anzahl der Marktteilnehmer diese Methode auch schätzt, schließt die konsequente Anwendung der Bagatellklausel des § 3 UWG ein Verbot entsprechender (dezentral durch den Markt steuerbarer) Vertriebsmethoden aus. Der oben gerade mit Blick auf den Vergleich der Wertungen von Verbrauchervertriebsrecht und Wettbewerbsrecht (auch hinsichtlich der einmaligen Belästigung) entwickelte Ansatz, der für die differenzierte Beurteilung der einzelnen Vertriebsformen im Wettbewerbsrecht neben der Anerkennung der Begrenztheit der typisierten Wer73 Vgl. nur BGH NJW 2005, 1050, 1052 f. – Ansprechen in der Öffentlichkeit II, wo ausdrücklich auf die vor der Entscheidung bestehende Rechtsunsicherheit bezüglich der präzisen Beurteilung des Ansprechens in der Öffentlichkeit hingewiesen wird. 74 Bedenklich etwa BGH NJW 2005, 1050, 1052 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II, wo die Nachahmungefahr unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung schlicht behauptet wird. Tatsächlich dürfte eine Nachahmungsgefahr in dem zugrundeliegenden Sachverhalt (der Werbung bezüglich abzuschließender Pre-selection-Verträge für Telekommunikationsdienstleistungen) allenfalls sehr spezifisch, nämlich begrenzt auf die im Umbruch befindlichen vormals monopolisierten TK-Märkte vorhanden gewesen sein.
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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tung des Verbrauchervertragsrechts auch entscheidend auf den durch den Kostengedanken verobjektivierten Gedanken der Nachahmungsgefahr setzt, läßt sich demnach bei konsequenter Berücksichtigung der wettbewerbsbezogenen Bagatellklausel auch rein „innerwettbewerbsrechtlich“ bestätigen und durch Typisierung rechtssicher ausgestalten, ohne hierfür überhaupt auf einen Rückgriff auf die (nach der hier vertretenen Auffassung freilich in gewissem Umfang vorhandenen) belästigungsbezogenen Wertungen der zivilrechtlichen Regelungen der besonderen Vertriebsformen angewiesen zu sein. Für den hier vertretenen wettbewerbsbezogen kostenorientierten Ansatz könnte demnach die notorisch umstrittene (und oben I 2 b vorsichtig bejahte) Frage, inwieweit insbesondere hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Belästigungsaspekts die zivilrechtliche Regelung der §§ 312 ff. BGB eigenständige Wertungen enthält, die im Wettbewerbsrecht berücksichtigt werden müßten, sogar offen bleiben. Dieser Ansatz ist nun in der Folge an den einzelnen Situationen des Direktvertriebs, wie sie in §§ 312 ff. BGB geregelt sind, in ihrem Verhältnis zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung (zumal seitens der Rechtsprechung) zu erproben, wobei dadurch zugleich die im Interesse der Rechtssicherheit unerläßlich notwendige Typisierung geleistet wird. Es wird sich zeigen, daß der hier vertretene Ansatz nicht nur die Lösungen der Rechtsprechung zu erklären und zu rationalisieren vermag (s. unten II und III), sondern daß das hier vorgetragene Verständnis der Bagatellklausel des § 3 UWG – das diese (im deutlichen Unterschied zur Zumutbarkeitsprüfung unter § 7 Abs. 1 UWG) nicht auf den Grad der Belästigung, sondern auf die Wettbewerbsauswirkung einer bestimmten belästigenden Werbe- oder Vertriebsform (und damit entscheidend auf den Kostenaspekt und auf die mit der Methode verbundene Nachahmungsgefahr) ausrichtet – gerade auch im Einklang mit den methodisch zwar enumerativer gestalteten, inhaltlich aber ganz ähnlich ausgerichteten Lösungen des europäischen Rechts steht. Dies ist insofern überraschend, als die Vereinbarkeit der Bagatellklausel des § 3 UWG mit den Vorgaben des europäischen Rechts (das eine ausdrückliche Bagatellklausel nicht vorsieht) gerade in diesem Bereich des Belästigungsschutzes explizit bezweifelt wurde75. Dieses Problem vermag der hier vertretene Ansatz demnach gleichfalls zu lösen. Er klärt, warum die Bagatellklausel des deutschen Rechts, im hier vertretenen Sinne aufgefaßt, gerade mit den Vorgaben des bereits umgesetzten europäischen Rechts übereinstimmt (s. unten III 3) und wird zudem durch die neue Lauterkeits-Richtlinie im Ergebnis noch zusätzlich bestätigt (s. unten IV).
75
S. nur Ohly, GRUR 2004, 889, 895 f. Vgl. im übrigen auch Heermann, GRUR 2004, 94 ff.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
II. Das Widerrufsrecht beim „Haustürgeschäft“ gem. § 312 BGB und der innere Zusammenhang mit der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von „Haustürsituationen“ Auf Grundlage des hier vertretenen Ansatzes bleiben als Anwendungsfeld für flankierende wettbewerbsrechtliche Verbote bestimmter Vertriebsmethoden im Kontext der drei in § 312 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1–3 BGB regulierten „Haustürsituationen“ (im weiteren Sinne) einerseits alle diejenigen Bereiche, die sich gegenüber der in § 312 Abs. 1 S. 1 BGB typisierten Situation durch einen oder mehrere Zusatzaspekte auszeichnen, die in die typisierte Wertung nicht eingeflossen sind (dazu unten 1). Andererseits kommen – auf Grundlage des wettbewerbsbezogen kostenorientierten Ansatzes – wettbewerbsrechtliche Verbote für diejenigen Vertriebsmethoden in Betracht, die sich aufgrund geringer Kosten oder anderer Faktoren selbst dann für den Unternehmer zu lohnen drohen, wenn die ganz überwiegende Mehrzahl der Kunden durch Ausübung ihrer Widerrufsrechte bzw. von vornherein durch Nichtabschluß von Verträgen ihre Ablehnung dieser Vertriebsformen im Markt zum Ausdruck bringt (dazu unten 2).
1. Reichweite der situationsbezogenen, geschäftsbezogenen und normativ-personenbezogenen Typisierung des § 312 BGB und flankierender Umfeldschutz durch das UWG Die in § 312 Abs. 1 BGB erfolgte Typisierung hat als Instrument des situationsbezogenen Verbraucherschutzrechts situationsbezogen76, als verbraucherorientierte Bestimmung normativ-personenbezogen77 und schließlich (aufgrund vereinzelter, branchenspezifischer Besonderheiten) auch geschäftsbezogen 78 typisierenden Charakter79. Außerhalb der konkret typisierten Bereiche und wenn und soweit Zusatzfaktoren vorhanden sind, die sich nicht schon in der typisierten Wertung widerspiegeln, vermag das Wettbewerbsrecht vermittels abstrakter Gefährdungsdelikte zweifelsfrei zusätzlichen Flankenschutz zu leisten. Das ist naturgemäß umso eher möglich, je generalisierender die zivilrechtliche Typisierung erfolgt ist. Diesem Ansatzpunkt entspricht auch die Grundhaltung der Rechtsprechung, die in ihren Argumentationsmustern im Regelfall nach zusätzlichen Faktoren sucht, die das wettbewerbsrechtliche Unlauterkeitsverdikt zu tragen vermögen.
76 Statt vieler mit einer Grundlegung des situationsbezogenen Verbraucherschutzes Drexl, Selbstbestimmung, S. 284 ff., und konkret bezogen auf das hier behandelte Thema Alexander, S. 156 f. 77 S. nur die Darstellung oben 2. Abschn. A III. 78 S. statt aller die Überlegungen bei Köhler, WRP 1997, 373, 375; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 127; ders., in: LM § 1 UWG Nr. 778, Bl. 4. 79 S. zu den Nachteilen der Typisierung im Verbraucherschutzrecht und ihrer dennoch unerläßlichen Rolle schon die verallgemeinerbare Darstellung der diesbezüglichen Diskussion mit Blick auf den Verbraucherbegriff oben 2. Abschn. A III.
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a. Situationsbezogene Typisierung Dies ist erstens der Fall, soweit es um die situationsbezogene Typisierung geht. Diese weist sowohl (äußere) Grenzen zeitlicher Natur (Vorfeld- und Nachfeldschutz) als auch (inhärente) Grenzen sachlicher Natur (Beschränkung auf den „Normalfall“ der in § 312 Abs. 1 S. 1 BGB genannten Vertriebssituationen) auf. Fälle im zeitlichen Vorfeld allfälliger Vertreterbesuche i.S.d. § 312 Abs. 1 Nr. 1 BGB beziehen sich in erster Linie80 auf einen Umgehungsschutz gegen die Ankündigung oder Vereinbarung „bestellter Vertreterbesuche“81, die mit dem Ziel erfolgt, das Widerrufsrecht auf Grundlage der Ausschlußklausel des § 312 Abs. 3 Nr. 1 BGB zu umgehen. Eine solche Ankündigung bzw. Vereinbarung muß hinsichtlich des darauffolgenden Vertreterbesuchs hinreichend transparent sein82. Soweit die Ankündigung oder Vereinbarung der „Bestellung“ des Vertreters vermittels Methoden der werblichen Direktansprache erfolgt, die ihrerseits wegen der mit ihnen verbundenen Belästigung als unlauter erachtet werden (insbesondere Telefonanrufe), muß es selbstverständlich auch für diese Sondersituation beim Unlauterkeitsverdikt für diese Direktwerbemethoden bleiben, welches nicht etwa auf Grundlage verfehlter Verhältnismäßigkeitserwägungen mit Blick auf den jeweiligen Belästigungsgrad (telefonische Ankündigung als „milderes“ Mittel gegenüber dem unangekündigten Besuch) 83 für diese Situationen 80 Dagegen waren insbesondere im Vorfeld des Erlasses des Haustürwiderrufsgesetzes noch die Fälle „provozierter“ Vertreterbesuche von hoher Relevanz, in denen durch bestimmte Lockangebote unterschiedlicher Art, die typischerweise den nachfolgenden Vertreterbesuch gar nicht verdeutlichten, darauffolgende Vertreterbesuche „provoziert“ wurden, was den Kunden in eine Situation der Dankbarkeit bringen sollte, die unter dem Aspekt des psychologischen Kaufzwangs als wettbewerbswidrig erachtet wurde, s. BGH GRUR 1968, 648 – Farbbildangebot; BGH GRUR 1976, 32, 33 – Präsentation; BGH GRUR 1971, 320 – Schlankheitskur; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 121 mwN. Die Situation hat sich insoweit naturgemäß durch den Erlaß des HWiG (nunmehr §§ 312 f. BGB) entscheidend entspannt, da die Kunden ihre Entscheidung hinreichend lange und unbedrängt überdenken können, um noch in relevanter Weise von situativem psychologischem Kaufzwang in ihrer freien Entscheidung beeinträchtigt zu sein. 81 S. zum Begriff der „Bestellung“ im zivilrechtlichen Sinne des § 312 Abs. 3 BGB ausführlich Scherer, S. 127 mwN. 82 Dieser Aspekt der Rechtsprechung zu „provozierten“ Vertreterbesuchen (s.o. Fn. 80) bleibt auch nach Erlaß des HWiG relevant. Im übrigen gehören in diesen systematischen Kontext der – nunmehr § 4 Nr. 3 UWG zuzuordnenden – Transparenzsicherung durch das Wettbewerbsrecht im Vorfeld der zivilrechtlichen Typisierung auch diejenigen Entscheidungen, die sich auf die Sicherung der deutlichen Information von Teilnehmern an Werbeverkaufsfahrten (hier: Verhältnis der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung zur Typisierung in § 312 Abs. 1 Nr. 2 BGB) beziehen und die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit derartiger Vertriebsformen davon abhängig machen, daß die Teilnehmer derartiger Fahrten zuvor deutlich darüber informiert wurden, auf welche Zwangssituation (mit dann aufgrund ihrer eigenen selbstbestimmten Entscheidung drastisch reduzierten Ausweichmöglichkeiten) sie sich mit ihrer Teilnahme einlassen würden, vgl. an dieser Stelle nur BGH GRUR 1962, 461, 464 ff. – Film-Werbeveranstaltung; BGH GRUR 1986, 318, 320 – Verkaufsfahrten I; BGH GRUR 1988, 829 – Verkaufsfahrten; Pluskat, WRP 2003, 18; s. auch noch unten II 2. 83 Die Verhältnismäßigkeitsüberlegungen gehen, soweit sie allein auf den individuellen Belä-
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der Ankündigung bzw. Vereinbarung eines Vertreterbesuchs ausnahmsweise gelockert werden kann84. Angesichts unvermeidbar vorhandener Durchsetzungslücken im Wettbewerbsrecht mit Blick auf die flächendeckende Gewährleistung des diesbezüglichen wettbewerblichen Standards, der ja durch Klagen der befugten Personen und Kollektive stets erst (im Nachhinein) aufrechterhalten bzw. wiederhergestellt werden muß, ist es aber – um die Verbraucherschutzziele des § 312 BGB effektiv zu erreichen – darüber hinaus auch notwendig, daß die zivilrechtliche Regelung den Standard des Wettbewerbsrechts „importiert“, um allfälligen wettbewerbswidrigen Umgehungsversuchen des zivilrechtlichen Verbraucherschutzstandards entgegenzuwirken. Aus der teleologischen Auslegung des § 312 Abs. 3 Nr. 1 BGB ergibt sich mithin, daß eine relevante „Bestellung“ des Verbrauchers im normativen Sinne dann nicht vorliegt, wenn diese im Rahmen einer wettbewerbsrechtlich ihrerseits verbotenen Situation der Direktansprache – insbesondere im Verlaufe eines uneingewilligten Telefonanrufs – erteilt wurde; das Widerrufsrecht bleibt dem Verbraucher in diesem Falle also erhalten85. Um den Schutz des Verbrauchers vor Überrumpelung und sonstigen unüberlegten Entscheidungen – wie er nach der Wertung des Zivilrechts in Haustürsituationen notwendig aber auch ausreichend ist – aufrechtzuerhalten, genügt das. Der nachfolgende Hausbesuch ist daher dann nicht etwa noch darüber hinaus bereits aufgrund seiner wettbewerbswidrigen Vorankündigung oder Vereinbarung seinerseits als wettbewerbswidrig zu erachten86. Auf den ersten Blick im zeitlichen Nachfeld eines in einer Haustürsituation geschlossenen Vertrags bewegte sich die BGH-Entscheidung Lexikothek, in der es um die „Nachbearbeitung“ von Kunden, die ihr Widerrufsrecht ausgeübt hatten, durch weitere Vertreterbesuche, in deren Rahmen Mitarbeiter der Beklagten sich nach den Gründen des Widerrufs erkundigten, ging87. In seiner vorrangig auf den Belästigungsaspekt fixierten Entscheidung kommt der BGH zu dem Ergebnis, daß – da auch wiederholte Vertreterbesuche das Belästigungspotential dieser Vertriebsform nicht signifikant erhöhten – eine derartige Nachbearbeitung von Kunden grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig sei. Dabei übersieht das Gericht, daß dies der Wertung des zivilrechtlichen Widerrufsrechts – das bei teleologischer Auslegung mit Blick auf das effektiv zu verfolgende Verbraucherschutzziel für seine Wirksamkeit entscheidend auf die freie und von jeglichen Bindungen der
stigungsgrad abstellen, ohnehin fehl, weil sie den (bei der telefonischen Ansprache unvergleichlich stärkeren) Nachahmungsaspekt nicht hinreichend berücksichtigen. S. wie hier BGH GRUR 1994, 380, 381 f. – Lexikothek, sowie näher zur Zweifelhaftigkeit von Argumentationen, die auf einem Vergleich des jeweiligen individuellen Belästigungsgrades einzelner Werbemethoden beruhen, noch unten III 3. 84 So zutreffend BGH GRUR 1994, 380, 381 f. – Lexikothek. 85 Ebenso im Ergebnis OLG Karlsruhe, WRP 1990, 430, 431. Aus der Literatur Alexander, S. 156 f.; Gilles, NJW 1986, 1131, 1142; Löwe, BB 1986, 821, 827; Rahn, VuR 1988, 229 ff. 86 BGH aaO.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 119. 87 BGH GRUR 1994, 380, 382 f. – Lexikothek und dazu Köhler, LM UWG § 1 Nr. 643 Bl. 3.
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Höflichkeit, Peinlichkeit o.ä. unabhängige88 Widerrufsentscheidung der Verbraucher angewiesen ist89 – evident zuwiderläuft. Der BGH spricht diesen Aspekt zwar an, ist bezüglich der Wertungen des HWiG aber anderer Auffassung und begründet seine permissive Haltung bezüglich des „Nachbearbeitens“ trotz des damit verbundenen „Rechtfertigungsdrucks“90 auf den Kunden lediglich mit dem zirkulären Argument, daß „[d]a Vertreterbesuche nicht von vornherein wettbewerbsrechtlich zu beanstanden [seien], … sich nur im Einzelfall deren wettbewerbsrechtliche Unzulässigkeit aus dem Vorgehen des Werbenden im konkreten Fall ergeben“ könne. Eben die Frage, ob das konkrete Vorgehen der Beklagten – die ja über den mit einem Vertreterbesuch typischerweise verbundenen Druck hinaus, ganz spezifisch auf den entstehenden Rechtfertigungsdruck setzte – nicht einen relevanten konkreten Zusatzaspekt beinhaltete, der die konkrete Form der beanstandeten Vertreterbesuche gerade in Fortführung und Absicherung der teleologischen Wertung des Zivilrechts wettbewerbswidrig machte, war ja zu beantworten. Allein die Tatsache, daß die konkrete Vorgehensweise der Beklagten ihrerseits typisierbar war, mithin eine ganze Gruppe bzw. Art von Haustürbesuchen hätte als wettbewerbswidrig qualifiziert werden müssen, stand doch dem Unlauterkeitsverdikt nicht entgegen, solange nur diese gesamte Fallgruppe wegen des hiermit als Zusatzfaktor verbundenen „Rechtfertigungsdrucks“ außerhalb der im Zivilrecht typisierten Wertung lag. Genaugenommen ging es insoweit also um einen Aspekt der Wettbewerbswidrigkeit, der nicht außerhalb der zeitlichen Typisierung des situationsbezogenen Verbraucherschutzrechts lag (der konkret betroffene, erneute Haustürbesuch fiel ja seinerseits wiederum in die zeitlichen Grenzen der situationsbezogenen Typisierung), sondern vielmehr um eine Situation, die aufgrund des situationsspezifisch zusätzlichen Rechtfertigungsdrucks einen inhaltlich-sachlichen Zusatzfaktor aufwies, der die Situation außerhalb der typischen Normalsituation des Haustürbesuchs verortete. In derartigen Sondersituationen sollte die zivilrechtliche Wertung – mit Blick auf die Freiheit der Ausübung des Wettbewerbsrechts – durch Anordnung der Wettbewerbswidrigkeit konsequent im Lauterkeitsrecht abgesichert werden. Die Entscheidung des BGH war unter diesem Gesichtspunkt sicher kritikwürdig91. Fälle, in denen sich die konkret zu beurteilende Situation durch inhaltlich-sachlich situationsbezogene Zusatzfaktoren auszeichnet, die in die typisierte Wertung des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzrechts noch nicht eingeflossen sind und auf die sich der wettbewerbsrechtliche Unlauterkeitsvorwurf in legitimer Weise stützen kann, sind im übrigen nicht selten. Für „Haustürsituationen“ im 88 Vgl. zur Relevanz dieses Aspekts in anderem Zusammenhang BGH GRUR 2004, 249, 251 – Internetauktion, s. dazu auch o. Fn. 47. 89 S. zuletzt die überzeugenden diesbezüglichen Ausführungen bei Neumann, Bedenkzeit vor und nach Vertragsabschluß, S. 338 ff. mwN aus der Praxis. 90 So auch der BGH aaO. 91 Wie hier im Ergebnis Alexander, S. 231 f.; für grundsätzliche Unzulässigkeit unerbetener Vertreterbesuche und die Entscheidung unter diesem Blickwinkel aus der Sicht effektiven Verbraucherschutzes eher bedauernd Köhler, LM UWG § 1 Nr. 643 Bl. 3 ff.
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engeren Sinne des § 312 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist neben der eben genannten Fallgruppe der „nachbearbeitenden“ Hausbesuche unter anderem92 etwa auch an Situationen zu denken, in denen das Auftreten der Werbenden im Vergleich zur gesetzlich typisierten Normalsituation ungewöhnlich aggressiv und bedrängend oder gar betrügerisch ist93. Die fließende Grenze zum bloßen Normalfall – für den die Absicherung durch das Widerrufsrecht grundsätzlich ausreicht – ist an dieser Stelle natürlich besonders schwer zu bestimmen, das Kind darf nicht mit dem Bade ausgeschüttet, eine Abweichung vom typisierten Fall nicht voreilig bejaht werden94. Vielmehr sind deutliche objektive Indizien zu suchen, die belegen, daß das aggressive Auftreten der Werber systematischer Natur ist. Die Ausgestaltung des Vertriebssystems und insbesondere der Entlohnung der Vertreter kann an dieser Stelle ein entscheidendes Indiz bilden. Der Einsatz sogenannter „Drückerkolonnen“ ist unter dieser Perspektive in jedem Falle als wettbewerbswidrig zu qualifizieren95. In diesem Falle sind nach der hier vertretenen Auffassung ausnahmsweise sogar die zugrundeliegenden „Vorfeldverträge“, d.h. die Provisionsvereinbarungen etc., die das Vertriebssystem konstituieren, gemäß § 138 BGB als nichtig zu behandeln96. Sogar noch größere Bedeutung kommt situationsbezogenen Zusatzfaktoren nach der hier vertretenen Auffassung mit Blick auf die Tatbestandsalternative des Ansprechens in der Öffentlichkeit i.S.d. § 312 Abs. 1 Nr. 3 BGB zu, da diese Alternative derart offen formuliert ist, daß sie Situationen ganz unterschiedlicher Couleur zunächst einmal vollkommen unterschiedslos mit dem Instrument des zivilrechtlichen Widerrufsrechts erfaßt. Hier zusätzliche situationsbezogene Faktoren zu identifizieren, die angesichts der Vielgestaltigkeit denkbarer Situationen noch nicht in die generell typisierende gesetzgeberische Wertung eingeflossen sind, ist für zahlreiche potentielle „Sondersituationen“ möglich. Seit Erlaß des Haustürwiderrufsgesetzes hat der BGH ein derartiges Argumentationsmuster in aller Deutlichkeit insbesondere in der Entscheidung Werbung am Unfallort IV bemüht97. In der neueren Entscheidung Wettbewerbswidriges Direktmarketing bei Telefon92 Auch der klar wettbewerbswidrige Fall (s. nunmehr § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG), in dem ein Haustürbesuch trotz des erkennbar (durch Schilder an der Haustür etc.) geäußerten entgegenstehenden Willens des Betroffenen durchgeführt wird, ließe sich an dieser Stelle in das hier vorgeschlagene System einordnen. S. LG Hamburg, WRP 1987, 272 f.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 108, 125. 93 Ein Beispiel bieten wiederum die Fälle aus dem Bereich der Werbung für Stromversorger, in denen die eingesetzten Haustürvertreter in einzelnen Fällen den besuchten Kunden vorspiegelten, der „Mann vom Strom“ ihres kommunalen Versorgungsunternehmens zu sein, um sich Eintritt und Überblick über die Rechnungslage der potentiellen Neukunden zu verschaffen. 94 Vgl. noch unten IV für die diesbezüglich vergleichsweise enge und nunmehr in das deutsche Recht umzusetzende Regelung im Rahmen der Lauterkeits-RL. 95 S. statt aller Köhler, WRP 1997, 373, 375; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 129. 96 S. unten 4. Abschn. B II. 97 S. BGH GRUR 2000, 235 – Werbung am Unfallort IV, LM UWG § 1 Nr. 808 – Werbung am Unfallort IV mit Anmerkung Köhler.
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dienstleistungen hat der BGH diese Linie aber nunmehr verlassen und letztlich eine allgemeine Argumentation entwickelt, die schwerpunktmäßig auf den Belästigungsaspekt und die durch Nachahmungseffekte entstehende Summenwirkung abstellt98 und auf dieser Grundlage das traditionell uneingeschränkte wettbewerbsrechtliche Verbot des Ansprechens in der Öffentlichkeit 99 (zumindest für Fälle fehlender Erkennbarkeit des Werdenden als solcher) aufrechterhält100. b. Normativ-personenbezogene Typisierung Den „klassischen“ Fall, in dem der BGH aufgrund der gezielten Ansprache einer Personengruppe, die gegenüber der normativ-personenbezogenen Typisierung des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzes angesichts ihrer rechtlichen und geschäftlichen Unerfahrenheit schutzwürdiger erschien, ein wettbewerbsrechtliches Verbot des Haustürvertriebs aussprach, bildet die Entscheidung Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim101. Hier ergab sich die Wettbewerbswidrigkeit der streitgegenständlichen Verkaufsveranstaltung eben nicht aus dem – in seiner einmaligen Zulässigkeit im Zivilrecht nach der hier vertretenen Auffassung permissiv typisierten – Vertreterbesuch als solchen, sondern aus der gezielten Ausnutzung der spezifischen Unerfahrenheit der angesprochenen Aussiedler. Weitere Beispiele und Anhaltspunkte für eine besondere gruppenbezogene Schutzwürdigkeit, die von der typisierten Wertung des § 312 BGB nicht erfaßt wird, lassen sich im übrigen für das Wettbewerbsrecht gerade auch aus einer sinngemäßen Transponierung der diesbezüglichen Rechtsprechung unter § 138 Abs. 2 BGB gewinnen, die ihrerseits den potentiellen Gewinn einer parallelen Betrachtung beider hier untersuchter Rechtsgebiete unter übergreifender Perspektive verdeutlicht102. c. Geschäftsbezogene Typisierung Am Beispiel des Mitgliederwettbewerbs gesetzlicher Krankenkassen vermittels Haustürvertriebs hat schließlich Köhler auf die (leicht zu übersehende) auch geschäftsbezogene103 Typisierung der verbraucherschutzrechtlichen Regelungen 98 S. zu diesem Aspekt, der sich – anhand des hier vertretenen Ansatzes – auf Grundlage des wettbewerbsbezogen kostenorientierten Modelle verobjektiviert modellieren läßt, noch sogleich unten II 2. 99 S. aus der Zeit vor Erlaß des HWiG BGH GRUR 1960, 431, 432 – Kfz-Nummernschilder; BGH GRUR 1965, 315, 316 – Werbewagen. 100 S. näher sogleich unten II 2. 101 BGH WRP 1998, 1068 – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim und dazu Köhler, LM § 1 UWG Nr. 778, Bl. 4. 102 S. insoweit näher unten 4. Abschn. B III 1 a. Vgl. für weitere denkbare Anwendungsfälle und Kriterien produkt- oder situationsbezogener Überlegenheit, auch Köhler, aaO. 103 Köhler, in: LM § 1 UWG Nr. 778, Bl. 4, weist zudem auf die Möglichkeit spezifisch produktbezogener Überlegenheit in besonderen Situationen hin. Ein Beispiel für eine produktbzw. dienstleistungsbezogene Sondersituation mit einem außerhalb der gesetzlichen Typisie-
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hingewiesen104. So besteht nach § 175 Abs. 4 SGB V eine achtzehnmonatige Bindung an die Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse, da das auf diese Mitgliedschaft gerichtete Geschäft nicht in einem Vertragsabschluß zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher besteht, sondern einen Antrag auf Etablierung eines öffentlich-rechtlich geregelten Leistungsverhältnisses zu einer Körperschaft öffentlichen Rechts darstellt, so daß der Anwendungsbereich des § 312 BGB von vornherein nicht eröffnet ist. In derartigen und vergleichbaren Fällen, die außerhalb der geschäftsbezogenen Typisierung des Verbrauchervertriebsrechts liegen, kann das wettbewerbsrechtliche Verbot, sofern die sonstigen Anwendungsvoraussetzungen erfüllt sind105, eingreifen, da eine entgegenstehende Wertung des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes gerade nicht vorhanden ist.
2. Rückwirkung des situationsbezogenen Vorfeldschutzes in „Haustürsituationen“ auf die wettbewerbsrechtlichen Verbote bestimmter Vertriebsmethoden im einzelnen Soweit gegenüber der typisierten zivilrechtlichen Regelung des „Haustürvertriebs“ im weiteren Sinne in § 312 BGB keine situations-, normativ-personen- oder geschäftsbezogenen Zusatzfaktoren vorhanden sind, kommt nach der hier vertretenen Auffassung für die „Normalsituation“ des Vertreterbesuchs, der Werbeverkaufsfahrt bzw. des Ansprechens im öffentlichen Raum ein zusätzlicher wettbewerbsrechtlicher Schutz auf Grundlage des drohenden Belästigungseffekts nur dann in Betracht, soweit aufgrund geringer Grenzkosten die eingesetzte Werbemethode auch dann gewinnversprechend ist, wenn nur ganz vereinzelt Vertragsabschlüsse erzielt werden, so daß sie sich über die gelegentliche Belästigung – den im Zivilrecht bereits typisierten Einzelfall – hinaus, zu multiplizieren droht. Unter dieser Perspektive ist die Fallgruppe der Werbeverkaufsfahrten am eindeutigsten einzuordnen. Eine relevante Belästigung kommt in diesem Bereich schon deshalb nicht in Betracht, weil die angesprochenen Kunden sich in die Verkaufssituation freiwillig begeben haben. Dasselbe gilt für die – wegen der fehlenden Ausweichmöglichkeiten – in derartigen Situationen sicher nicht zu rung liegenden besonderen Belästigungsaspekt bildet etwa BGH GRUR 1955, 541, wo das Gericht festhält, daß Hausbesuche zum Zwecke der Werbung für den Abschluß von Verträgen auf dereinstige Bestattung als unlauter zu qualifizieren sind, wobei zur Begründung unter anderem angeführt wird, daß es „vielfach als Belästigung“ empfunden wird, „wenn ein Werber aus Geschäftsgründen die Tatsache, daß mit [dem] Ableben [der Beworbenen] in absehbarer Zeit zu rechnen ist, zum Anlaß nimmt, unter Hinwegsetzung über ihre Gefühle die Einzelheiten ihrer Bestattung zu erörtern“. 104 Köhler, WRP 1997, 373, 375; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 127. 105 Was im o.g. Beispiel der Mitgliederwerbung gesetzlicher Krankenkassen durch Haustürvertreter der Fall ist, vgl. überzeugend Köhler, WRP 1997, 373, 375 (dort auch [S. 373 f.] zur nicht ganz unproblematischen Voraussetzung des Handelns im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in derartigen Fällen); Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 127.
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leugnende Gefahr eines psychologischen Kaufzwangs etwa aus Dankbarkeitsgefühlen (an die im Rahmen derartiger Veranstaltungen auch gezielt appelliert wird)106, die sich aber in der situationsbezogenen zivilrechtlichen Regelung grundsätzlich auch bereits typisiert und entschärft findet. Dem Wettbewerbsrecht kommt an dieser Stelle nur die Vorfeldfunktion zu, die Freiheit der informationellen Entscheidungsgrundlage mit Blick auf den konkreten Verkaufscharakter der betreffenden Veranstaltungen konsequent abzusichern107. Auf die Fallgruppe psychischen Kaufzwangs aus Dankbarkeitsgefühlen sollte demgegenüber im Regelfall108 verzichtet werden, da sich genau diese Problematik in der typisierten zivilrechtlichen Lösung bereits vollumfänglich widerspiegelt findet und da die diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen (auch aus einer rein wettbewerbsrechtlichen Perspektive) nicht hinreichend berücksichtigen, daß sich die Betroffenen freiwillig in die Situation psychischen Drucks – sofern eine solche tatsächlich vorliegt – begeben haben109. Die Beurteilung unaufgeforderter Vertreterbesuche wird für den an dieser Stelle verbleibenden „Normalfall“ in Rechtsprechung und Literatur kontrovers beurteilt. Der grundsätzlich permissiven Haltung der Rechtsprechung110 steht die ablehnende Haltung des überwiegenden Teils im wettbewerbsrechtlichen Schrifttum gegenüber111. Soweit die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang auf Grundlage der Wertungen der Gewerbeordnung und des Haustürwiderrufsgeset106 Vgl. BGH GRUR 1988, 130, 131 – Verkaufsreisen. Der Fall wäre unter Geltung des neuen UWG nunmehr § 4 Nr. 1 UWG zuzuordnen, soweit man in derartigen Situationen überhaupt einen relevanten psychischen Kaufzwang für gegeben erachtet. Vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 3.14. 107 S. aus der Rechtsprechung BGH GRUR 1986, 318, 320 – Verkaufsfahrten I; BGH GRUR 1988, 829 – Verkaufsfahrten; aus der Literatur statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 3.14; Pluskat, WRP 2003, 18. 108 Eine Ausnahme mag es wiederum darstellen, wenn auf die Teilnehmer einer Werbeverkaufsreise – wie es durchaus nicht selten geschieht – im Rahmen der angeschlossenen Werbeverkaufsveranstaltungen regelrechter Druck ausgeübt und Gruppenzwang zum Kauf aufgebaut wird. Vgl. für einen besonders drastischen Fall aus der Praxis letzthin etwa (im „Selbstversuch“) Neumaier, „Und das jetzt bitte keiner rausgeht!“, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 142 vom 23. Juni 2005, S. 47, zu – vermutlich sogar strafrechtlich als Nötigung gem. § 240 StGB und (bezogen auf das vertriebene Produkt) als Betrug gem. § 263 StGB einzuordnenden – Praktiken unseriöser Veranstalter von „Kaffeefahrten“ zur Bundesgartenschau 2005. 109 Diesen Aspekt zu Recht betonend Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 218 ff. 110 S. BGH GRUR 1994, 380, 382 f. – Lexikothek; BGH GRUR 1994, 818, 819 – Schriftliche Voranmeldung; BGH GRUR 2004, 699, 701 – Ansprechen in der Öffentlichkeit (in einem obiter dictum ohne eigenständige Bedeutung). 111 S. aus der Zeit vor Erlaß des HWiG Völp, WRP 1973, 63 ff. (vgl. auch ders., GRUR 1979, 435); Krüger-Nieland, GRUR 1974, 561 ff.; von Hippel, BB 1983, 2024 f. Seither ebenso Ulrich, in: FS Vieregge, 901, 914 f.; Paefgen, EWiR § 1 UWG 4/93, 181; Scherer, S. 125 ff.; Beater, § 16, Rz. 43 (S. 465 f.); Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 113 ff.; Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 181 ff.; Piper/Ohly-Ohly, § 7, Rz. 80; MüKoUWG-Leible, § 7, Rz. 219 ff. Für eine permissive Lösung (opt out Ansatz in Verbindung mit zivilrechtlichem Widerrufsrecht als „milderer“ Variante) im Vorfeld des Erlasses des HWiG aber Lehmann, GRUR 1974, 133 ff.; der Rechtsprechung zustimmend seither auch Ulmer, WRP 1986, 445 ff.; Emmerich, § 13 III 3 d (S. 250 f.); Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 48. Differenzierend HdbWettbR-Hasselblatt, § 71, Rz. 28 ff., der
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zes (nunmehr § 312 BGB) argumentiert, ist ihre Haltung allerdings insofern widersprüchlich, als derartige Wertungen (insbesondere aus § 312 BGB) mit dieser Konsequenz etwa für die Fallgruppe des Ansprechens in der Öffentlichkeit von den Gerichten gerade nicht akzeptiert werden112. Auch der Verweis auf die traditionelle Zulässigkeit von Vertreterbesuchen, zu dem sich noch verfassungsrechtliche Besitzstandsargumente auf Grundlage von Art. 14 GG gesellen, überzeugt zur Begründung der permissiven Haltung für sich genommen kaum. Insbesondere die schon seit langem bemühte verfassungsrechtliche Argumentation113 könnte allenfalls Übergangsfristen rechtfertigen114 und ist im übrigen – soweit sie den Schutz einer ganzen Branche zu gewährleisten sucht und sich nicht auf einzelne Unternehmen und deren konkrete Investitionen bezieht – dogmatisch verfehlt115. Nach dem hier vertretenen Ansatz ergibt sich die Richtigkeit des Ergebnisses der Rechtsprechung letztlich aber aus einer konsequenten Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Bagatellklausel des § 3 UWG und aus einer Berücksichtigung der Wertungen des § 312 BGB, die – anders als dies die Rechtsprechung praktiziert – dann aber konsequenterweise auch mit Blick auf das Ansprechen in der Öffentlichkeit Berücksichtigung finden müssen. Insofern ist die nach der hier vertretenen Auffassung entscheidend zu beantwortende Vorfrage, ob der Haustürvertrieb mit lediglich derart geringen Kosten verbunden ist, daß er sich für den Unternehmer auch lohnt, wenn nur ganz vereinzelt Vertragsabschlüsse erzielt werden. Denn nur dann kann (mit Blick auf die Haltung der Kunden bezüglich dieser Vertriebsform in ihrer konkreten Ausprägung) eine Wettbewerbsverzerrung eintreten, so daß sich der Belästigungseffekt über die gelegentliche, vereinzelte Störung der Verbraucher – also über den im Zivilrecht bereits typisierten Einzelfall hinaus – zu multiplizieren droht. Obwohl das Kostenargument auch in der Rechtsprechung anklingt, die argumentiert, daß Nachahmungseffekte im Falle der Vertreterbesuche wegen der höheren Kosten in geringerem Maße zu erwarten sind, als im Falle etwa der günstigeren Telefonwerbung, geht es bei der hier vertretenen – im tatsächlichen Anknüpfungspunkt durchaus ähnlichen Argumentation – dabei genaugenommen aber nicht allein um die Nachahmungsfrage, sondern um das bereits erläuterte Argument, daß – hinlänglich hohe Kosten und einen effektiven zivilrechtlichen Überrumpelungsschutz vorausgesetzt – im Falle des Haustürvertriebs der Markt für die „Normalfälle“ (ohne atypische Zusatzfaktoren) von selbst dafür sorgt, daß sich nur die (vertriebsformbezogen, produktbezogen oder marktstrukturbezogen) von einer Mehrzahl der Kunden honorierten Ausprägungsformen im Wettbewerb durchsetzen. Es droht mithin – ganz unababer gleichfalls den schlichten Haustürbesuch als solchen gerade nicht als wettbewerbswidrig einordnet. 112 S. noch sogleich im folgenden Text. 113 Grundlegend Schade, S. 128 ff.; dagegen zutreffend insbesondere Ulrich, in: FS Vieregge, S. 901, 914; Scherer, S. 124 f.; Beater, § 16, Rz. 43 (S. 465 f.); Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 114; Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 187 ff. 114 Diesen Aspekt besonders betonend Paefgen, WRP 1994, 73, 76 f. 115 Ablehnend auch BVerfGE 32, 311, 319. S. im übrigen sämtliche Nachweise o. Fn. 113.
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hängig von der (mit anderen Direktvertriebsformen vergleichenden) Frage nach der Intensität der einzelnen Belästigung, die systematisch im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung nach § 7 Abs. 1 UWG zu verorten ist und auf deren Grundlage allein sich die differenzierten Lösungen des Belästigungsschutzes nach der hier vertretenen Auffassung ohnedies nicht erklären lassen116 – im Falle der verbleibenden „Normalformen“ des Haustürvertriebs keine „nicht unerhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung“ i.S.d. § 3 UWG. Aus diesem Grund kommt jedenfalls auf Grundlage des neuen UWG nach der hier vertretenen Auffassung eine generelle Unlauterkeit des Haustürvertriebs – über die durch zusätzliche Faktoren gekennzeichneten, oben 1 durchaus sehr weit umrissenen und auch ihrerseits in gewissem Umfang typisierbaren117 „Sonder“fälle hinaus – nicht in Betracht. Hinsichtlich des Ansprechens in der Öffentlichkeit (Verhältnis zu § 312 Abs. 1 Nr. 3 BGB) stellte die Haltung der Rechtsprechung nach Erlaß des Haustürwiderrufsgesetzes118 zuerst – durchaus ähnlich wie im hier vertretenen Ansatz – auf das Vorliegen echter (insbesondere situationsbezogener) Sonderfaktoren ab, die ein Ansprechen besonders gefährlich erscheinen ließen119. Mit der Entscheidung Ansprechen in der Öffentlichkeit 120 hat der BGH diese Linie – obwohl mit der Nichterkennbarkeit der geschäftlichen Absichten des Ansprechenden noch ein gewisses Zusatzelement erwähnt wird121, das sich aber (wenn überhaupt) kaum vom „überraschenden“ Ansprechen i.S.d. § 312 Abs. 1 Nr. 3 BGB unterscheiden dürfte – verlassen. Letztendlich wird der in § 312 Abs. 1 Nr. 3 BGB typisierte „Normalfall“ des Ansprechens im öffentlichen Raum nunmehr – wie wohl auch schon122 in der 116
S. noch sogleich unten III 3. Insoweit gegen die zumindest mißverständlichen Ausführungen in BGH GRUR 1994, 380, 382 – Lexikothek. 118 Zuvor wurde das Ansprechen in der Öffentlichkeit als grundsätzlich wettbewerbswidrig erachtet, wobei in den relevanten Entscheidungen jeweils aber wiederum neben dem Belästigungsaspekt noch eigenständige zusätzliche Aspekte, wie etwa das Abziehen von Kunden von spezifischen Konkurrenten bzw. das Hineinlocken in ein Ladenlokal, hinzutraten (vgl. dazu auch noch u. Fn. 122), s. etwa BGH GRUR 1960, 431, 432 – Kfz Nummernschilder; BGH GRUR 1965, 315, 316 – Werbewagen. 119 BGH GRUR 2000, 235, 236 – Werbung am Unfallort IV. 120 BGH GRUR 2004, 699, 701 f. – Ansprechen in der Öffentlichkeit; s. auch BGH NJW 2005, 1050 ff. – Ansprechen in der Öffentlichkeit II (schon zum neuen UWG). 121 Bestätigend nunmehr auch BGH NJW 2005, 1050 ff. – Ansprechen in der Öffentlichkeit II: Die gezielte Direktansprache von Passanten ist nur dann im Grundsatz als unzumutbare Belästigung i.S.d. § 7 Abs. 1 UWG anzusehen, wenn der Werbende für den Angesprochenen nicht eindeutig als solcher erkennbar ist. 122 A.A. Schwab, GRUR 2002, 579, 583 f., der die Sonderaspekte der in o. Fn. 118 zitierten Entscheidungen betont und das Unlauterkeitsverdikt dort jeweils substantiell auf die Sondersituation des „Hineinlocken[s in ein Ladenlokal], einer dem Ansprechen von Verkehrsunfall-Beteiligten vergleichbaren Situation einer emotionalen Bedrängnis“ gestützt sieht, während das „schlichte“ Ansprechen bezeichnenderweise gerade nicht erfaßt sei. Das übersieht allerdings, daß in der Entscheidung Kfz-Nummernschilder (aaO.) der relevante Sonderaspekt (die Näher des Konkurrenzgeschäfts, von dem Kunden abgezogen wurden) lediglich als ein eigenständiger Sonderaspekt behandelt wurde, der in Verbindung mit der Belästigung – bezüglich derer die Begründung des Urteils aber für sich genommen bereits eigenständig tragfähig ausgestaltet ist – die Wettbewerbs117
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ständigen Rechtsprechung vor dem Erlaß des Haustürwiderrufsgesetzes123 – als im wettbewerbsrechtlichen Sinne grundsätzlich unlauter qualifiziert124. Nur für von vornherein erkennbare Werbende (also etwa: das Ansprechen von einem eindeutig als solchem erkennbaren Werbestand aus) soll eine Ausnahme gelten. Nach dem hier vertretenen Ansatz stellt das schlichte Ansprechen in der Öffentlichkeit demgegenüber per se keine Form der unlauteren Belästigung dar, selbst wenn der Werbende nicht von vornherein als solcher erkennbar sein sollte. Wiederum gilt im auch von herrschender Rechtsprechung und Literatur nunmehr unbestrittenen Ausgangspunkt, daß die Überrumpelungsgefahr durch die Regelung des Widerrufsrechts in § 312 BGB für den typischen Fall – wie er der BGH-Entscheidung letztlich zugrundelag – ausgeräumt ist. Allenfalls der Belästigungsaspekt vermöchte den Vorwurf der Unlauterkeit insofern noch zu tragen125. Nach der hier vertretenen Auffassung ist aber auch hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Belästigung die dem Zivilrecht inhärente Wertung dahingehend zu berücksichtigen, daß das nur einmalige, selbst überraschende (dabei aber nicht atypisch aggressive oder bedrängende) Ansprechen – als der im situationsspezifischen Verbraucherschutzrecht typisierte und einer verhältnismäßigen Lösung zugeführte Normalfall – jedenfalls keine die Unlauterkeit begründende unzumutbare Belästigung konstituiert126, wie dies letztlich (wenn auch nur im Erwidrigkeit des Verhaltens begründete. Es wird also letztlich in der Entscheidungsbegründung nicht eindeutig auf die Sondersituation abgestellt. Ebensowenig läßt sich aus der Entscheidung Werbewagen eine klare Haltung des BGH im Sinne einer Suche nach Sonderfaktoren ableiten: Zwar ist Schwab, aaO. unter Hinweis auf Baumbach/Hefermehl (22. Aufl.), § 1 UWG, Rz. 60, zuzugeben, daß die Entscheidung in Werbewagen ihrem offiziellen Leitsatz und auch der Rechtskraft nach auf die Situation eines „Hineinlockens“ in einen Werbewagen, das einer Aufforderung zum Betreten eines Ladens vergleichbar sei, begrenzt war. Die entscheidenden Begründungsüberlegungen stellen aber auf den Sonderaspekt des Hineinlockens letztlich nicht ab, sondern stützen sich allein auf Überlegungen zu der mit dem Ansprechen als solchem verbundenen untragbaren Belästigung, die aus Unlustgefühlen sogar nicht selten zu Vertragsentscheidungen führe, allein um die entstehenden Gefühle der Unlust und des Unbehagens zu beenden. Die beschriebenen Belästigungswirkungen sind aber von der Nähe des Ladenlokals unabhängig, während die zuletzt genannten Überrumpelungsaspekte nunmehr ohnedies nicht mehr von Relevanz sind. Insofern kann man die ratio decidendi der genannten BGH-Entscheidungen jedenfalls nicht mit der von Schwab behaupteten Eindeutigkeit auf den Sonderfall des Hineinlockens beschränken. 123 S. die Nachweise o. Fn. 118. 124 Zustimmend die hM in der Literatur, s. nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 96; Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 151 ff.; MüKoUWG-Leible, § 7, Rz. 194; ablehnend (noch im Vorfeld der BGH Entscheidung und auf Grundlage der dieser zugrundeliegenden divergierenden oberlandesgerichtlichen Judikate) Schwab, GRUR 2002, 641, 642 im Anschluß an OLG Frankfurt/M., GRUR 2002, 639 – Direktmarketing bei Telefondienstleistungen und gegen OLG Köln, GRUR 2002, 641 – Direktmarketing bei Telefondienstleistungen; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 29; differenzierend zuletzt auch Piper/Ohly-Ohly, § 7, Rz. 74 f. 125 Ebenso zumindest im Ergebnis BGH, aaO., 700; ebenso die Vorinstanz OLG Köln, GRUR 2002, 641, 642. S. auch Schwab, GRUR 2002, 579, 584 f.; Hefermehl/Köhler/BornkammKöhler, § 7, Rz. 96; Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 28; Piper/Ohly-Ohly, § 7, Rz. 74. A.A. wohl Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 153. 126 Insofern explizit a.A. nunmehr der BGH, GRUR 2004, 699, 701, sowie die hM in der Literatur (s. die Nachweise o. Fn. 124).
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gebnis) wiederum auch der BGH nunmehr im Ausgangspunkt anerkennt127. Insofern muß nach dem hier entwickelten Grundmodell – wie im übrigen (wenn auch ohne wiederum ohne die entsprechende Begründung) auch nach der Auffassung des BGH – letztlich die Frage nach der auf Grundlage des Grenzkostengedankens verobjektivierbaren Nachahmungsgefahr entscheiden. In diesem Zusammenhang verweist der BGH nur auf die rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts zur bestehenden Nachahmungsgefahr128. Das somit angesprochene OLG Köln hatte in seiner Entscheidung129 aber letztlich hinsichtlich dieser Frage eine reine Behauptung aufgestellt, die zudem nach der hier vertretenen Auffassung am eigentlichen Kernproblem vorbeizielt: Nachdem das OLG Köln zuerst herausgestellt hatte, daß das Ansprechen in der Öffentlichkeit auf breiter Front in Deutschland gerade keine verbreitete Werbemethode sei130, sondern sich vielmehr – wie das Gericht anhand des sonstigen aktuellen Fallrechts belegt – gerade jetzt im Zusammenhang mit den im streitgegenständlichen Sachverhalt zugrundeliegenden Werbeaktionen für Pre-Selection Verträge im Festnetzbereich spezifisch auspräge, hält es zur Frage der Nachahmungsgefahr nur apodiktisch fest, daß „eine Vielzahl von Mitbewerbern des Anbieters der von der Beklagten propagierten Pre-Selection Verträge zur nämlichen Werbeform greifen wird, um andernfalls befürchte127
S. BGH, aaO., 701: „Das Gewicht dieses Eingriffs ergibt sich … nicht so sehr aus der einzelnen beanstandeten Werbemaßnahme, sondern aus der Gefahr, daß im Falle ihrer Zulassung zahlreiche Anbieter von dieser Werbemethode Gebrauch machen …“. 128 Noch apodiktischer BGH NJW 2005, 1050, 1052 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II, wo unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung in diesem Bereich die Nachahmungsgefahr schlicht behauptet, nicht aber einer sorgsamen Prüfung unterzogen wird, wie sie auf Grundlage des hier vertretenen kostenorientierten Modells durchaus möglich wäre. 129 S. OLG Köln, GRUR 2002, 641, 642 f. 130 Soweit das OLG Köln, aaO., 642, die Tatsache, daß das gezielte Ansprechen von Passanten in der Öffentlichkeit in Deutschland derzeit – bis auf vereinzelte Ausnahmen – vollkommen unüblich ist, gerade auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung, die diese Werbeform seit jeher für unlauter erachtete zurückführt, wirkt dieser Rückschluß zwar auf den ersten Blick einleuchtend, ist aber nicht zutreffend. Denn mittlerweile ist praktisch in allen westlichen Industrienationen (mindestens in Europa und in den Vereinigten Staaten) das Ansprechen in der Öffentlichkeit allenfalls sehr vereinzelt zu beobachten, obwohl in zahlreichen Rechtsordnungen (beispielhaft genannt seien nur Dänemark [wo ein Ansprechen in der Öffentlichkeit nur an besonderen Orten oder in unzumutbaren Situationen lauterkeitsrechtlich oder spezialgesetzlich untersagt ist], England und Irland [wo die einschlägigen Kodizes der Selbstregulierung der Straßenwerbung nicht entgegenstehen, solange sie nicht zu öffentlichem Ärgernis führt], Italien [wo weder lauterkeitsrechtliche noch Verbote der Selbstkontrolle der Werbewirtschaft dem Ansprechen in der Öffentlichkeit entgegenstehen], Schweden [wo das schlichte Ansprechen auf der Straße als wettbewerbsrechtliche Fallgruppe praktisch vollkommen unbekannt ist], Spanien [wo die direkte Ansprache von Kunden grundsätzlich zulässig ist], vgl. zum ganzen näher Rott, Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten, S. 39 f., 64, 74, 81 f., 125 f., jeweils mwN; bezüglich der skandinavischen Mitgliedstaaten ist zudem Prof. Annette Kur, MaxPlanck-Institut, München, herzlichst für ihre Mithilfe zu danken) keine einschlägigen generellen Verbote bestehen. Lediglich in Entwicklungs- und Schwellenländern, insbesondere wo Einheimische mit Touristen in Kontakt kommen, sind derartige Werbemethoden verbreitet, was wiederum auf die Kostendiskrepanz zwischen (touristisch strukturierten) Preisen und verschwindenden Kosten in diesen Ländern zurückzuführen ist, vgl. auch noch u. Fn. 136.
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ten Wettbewerbsnachteilen zu entgehen“. Begründet wird diese Behauptung nicht131. Nach der hier vertretenen Auffassung kann die Frage nach der Nachahmungsgefahr anhand des Grenzkostengedankens aber zumindest teilweise verobjektiviert werden. Für die in Frage stehende Werbemethode liegen die Kosten vergleichsweise hoch. Unter Umständen müssen Sondernutzungserlaubnisse beschafft werden, die Personalkosten dürften angesichts der vergleichsweise geringen Personenzahl, die selbst in einer belebten öffentlichen Fläche angesprochen werden kann, im Verhältnis zur Breitenwirksamkeit relativ hoch liegen. Insbesondere aber ist kaum gezielte Ansprache nach Kundengruppen möglich, sondern die vergleichsweise Undifferenziertheit des angesprochenen Publikums verhindert zielgenaue Fokussierung132. Unter diesen Umständen liegt es nahe, daß diese Vertriebsmethode nicht in größerem Umfang und in allen Produkt- und Dienstleistungsbereichen – d.h. unabhängig von ihren Erfolgsaussichten bei den Verbrauchern – nachgeahmt würde, sondern vielmehr nur in denjenigen Fällen, wo sie sich produkt- bzw. dienstleistungsbezogen oder marktstrukturbezogen besonders lohnt, weil sie aus Sicht eines substantiellen Teils der Verbraucher letztendlich doch erwünscht ist, was diese durch Vertragsabschlüsse äußern. Genau dieser Gedankengang wird nun aber durch die zuerst getroffenen Feststellungen des OLG Köln indiziell unübersehbar bestätigt. Denn nicht etwa hat sich das Ansprechen in der Öffentlichkeit in undifferenzierter Form letzthin wieder weit verbreitet, sondern vielmehr allein im Zusammenhang mit einer spezifischen Telekommunikationsdienstleistung, deren Markt sich dadurch auszeichnet, daß er monopolistisch beherrscht ist und daß die Kunden angesichts der Zugehörigkeit der Dienstleistung zu ihrer üblichen Daseinsvorsorge und angesichts der vergleichsweisen Intransparenz der Kosten in höherem Maße der anchor-Anomalie133 unterliegen als in sonstigen Bereichen und deshalb einem Wechsel ihres Anbieters abhold sind. Tatsächlich sind es gerade diese Spezifika, die dazu führen, daß zur Marktdurchdringung – auch im Interesse der Kunden – ungewöhnlich direkte Vertriebsmittel eingesetzt werden müssen. Insofern ist die darauffolgende Behauptung des OLG Köln, andere TK-Anbieter würden diese Werbemethode sicher in breitem Umfang nachahmen, nicht nur in einer mittelfristigen Perspektive auf die TK-Märkte wohl nicht ganz zutreffend (da in einem einmal aufgebrochenen Markt im reinen Konditionenwettbewerb vieler Anbieter eine solche Methode sich u.U. wiederum nicht mehr lohnen würde), sondern zielt insbesondere am eigentlichen Kern des Problems vorbei. Denn selbst wenn noch mehrere TK-Anbieter Direktwerbemethoden unterschiedlicher Couleur einsetzen würden, 131 Jegliche konkrete Begründung fehlt auch in BGH NJW 2005, 1050, 1052 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II (zum neuen UWG), vgl. näher schon o. Fn. 128. 132 Wie sie etwa in Telefonwerbeaktionen in höherem Maße möglich ist und wie sie im übrigen auch als ein rudimentärer Versuch der verbreiteten Werbung durch Ansprechen von Verbrauchern gerade an Flughäfen, die zumindest eine gewisse Selektion der angesprochenen Verbrauchergruppen gestattet, zugrundeliegen mag. 133 S. schon oben 1. Kap. 1. Abschn. D V 4.
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wäre damit allein die Schwelle zu einer unzumutbaren Belästigung noch schwerlich überschritten. Der entscheidende Punkt liegt vielmehr darin, daß sich diese Werbemethode nicht undifferenziert in anderen Branchen und bezogen auf andere Produkte oder Dienstleistungen lohnt, sondern vielmehr nur – und nur für eine begrenzte Zeit am Beginn der Öffnung der Märkte – im Bereich des Wettbewerbs um Festnetzkunden angesichts der dort unzweifelhaft vorhandenen im Ausgangspunkt monopolistischen Marktstruktur, die den Newcomern im Markt – auch im Interesse der Kunden – besondere Anstrengungen und innovative Vertriebsideen abverlangt. Dies leitet wiederum über zum bereits im Grundsatz dargestellten, entscheidenden Argument auf der Grundlage der Bagatellklausel des § 3 UWG. Während insoweit Vergleiche des individuellen Grades der Belästigung134 zur Begründung der Unlauterkeit letztlich unergiebig – weil beliebig135 – bleiben, ist nach der hier vertretenen Auffassung – jedenfalls soweit die einmalige Belästigung den Grad des Unzumutbaren noch nicht erreicht – auf Grundlage des § 3 UWG bezüglich der nicht unerheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung danach zu fragen, ob die zu beurteilende Vertriebsform den Wettbewerb hinsichtlich ihrer Beurteilung bei den Verbrauchern dadurch verzerrt, daß sie sich aufgrund geringer Kosten trotz grundsätzlicher Unerwünschtheit, die die Verbraucher durch Nichtabschluß bzw. Widerruf von Verträgen im Markt frei äußern können, zu lohnen und damit (unabhängig von ihrer Unbeliebtheit im Markt) auf breiter Front durchzusetzen droht. Genau dies ist mit Blick auf das Ansprechen in der Öffentlichkeit nach der hier vertretenen Auffassung nicht der Fall136. Vielmehr kommt diese Werbeme134 S. auch den beim OLG Köln und beim BGH, GRUR 2004, 699, 701 noch zusätzlich angeklungenen Aspekt des Ausnutzens der Gebote der Höflichkeit unter zivilisierten Menschen. 135 S. geradezu beispielhaft in diese Richtung ein Vergleich der Argumentation der Minderansicht bei Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 48 (Haustürbesuche seien nicht belästigender als das Ansprechen in der Öffentlichkeit, das er – nochmals entgegen der herrschenden Meinung – als nicht unzumutbar belästigend einstuft, und daher ebenfalls nicht als unlauter zu behandeln) mit den Argumenten der herrschenden Meinung in der Literatur, die genau umgekehrt auf Grundlage eines Vergleichs des Belästigungsgrads mit der gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG gegenüber Verbrauchern unlauteren Telefonwerbung ohne vorherige Einwilligung (s. nur statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 113 mwN) zu dem Ergebnis gelangt, daß Haustürbesuche als unlauter einzustufen seien. Die Beliebigkeit von Argumentationsmustern, die allein auf den Grad individueller Belästigung setzen, ist dadurch hinreichend illustriert, wenngleich letztgenannter Auffassung natürlich zuzugeben ist, daß sie sich hinsichtlich der zugrundegelegten Wertung zumindest auf eine vom Gesetzgeber in § 7 Abs. 2 UWG in enumerativer Form getroffene Wertung stützen kann. Letztlich bleiben aber nach der hier vertretenen Auffassung gerade auch insoweit alle Versuche, die differenzierte Behandlung einzelner Belästigungsformen im Wettbewerbsrecht (wie sie in § 7 Abs. 2 UWG zum Teil in enumerativer Form niedergelegt ist) auf Grundlage eines Vergleichs des jeweiligen Belästigungsgrades zu erklären, zum Scheitern verurteilt, was sogleich noch unten III 3 gerade an dem genannten Beispiel der in § 7 Abs. 2 UWG enumerativ geregelten Sondertatbestände in ihrem Verhältnis zueinander illustriert werden soll. 136 Die Richtigkeit des kostenorientierten Arguments bestätigt auch ein untechnischer Blick auf die praktische Relevanz der Problematik in anderen Ländern. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß – vollkommen unabhängig von einem existierenden lauterkeitsrechtlichen
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thode – sozusagen von „unsichtbarer Hand“ gesteuert – jedenfalls bisher gerade in denjenigen (vergleichsweise schmalen) Bereichen zur Anwendung, in denen sie produkt- oder dienstleistungsbezogen besondere Erfolgsaussichten bei den Verbrauchern hat bzw. (marktstrukturbezogen) zum Aufbrechen eingefahrener Marktstrukturen – auch im Interesse der Verbraucher – notwendig ist. Daher wird durch das „schlichte“ Ansprechen in der Öffentlichkeit – soweit nicht echte situationsbezogene Sonderfaktoren hinzutreten, was durchaus häufig der Fall sein kann – nicht generell i.S.d. § 3 UWG der Wettbewerb „nicht nur unerheblich“ beeinträchtigt, selbst wenn der Werbende nicht von vornherein als solcher erkennbar sein sollte. Entgegen der herrschenden Meinung137 ist das schlichte Ansprechen in der Öffentlichkeit demnach – gerade wegen des in diesem Bereich bestehenden Zusammenhangs mit der Regelung des situationsbezogenen Verbraucherschutzrechts in § 312 Abs. 1 Nr. 3 UWG – nicht als unlauter einzustufen138, selbst wenn der Werbende nicht von vornherein und in aller Eindeutigkeit als solcher erkennbar sein sollte. Voraussetzung ist allein, daß der Werbende nicht in atypischer Weise aggressiv, bedrängend oder hartnäckig aufritt.
III. Das Widerrufsrecht beim Fernabsatz (insbesondere im E-Commerce) gemäß §§ 312b ff. BGB und der innere Zusammenhang mit der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung bestimmter Vertriebsmodelle und Direktmarketingformen 1. Grundsatz: Der Zusammenhang mit § 312e BGB und das Verhältnis zum lauterkeitsrechtlichen Schutz vor Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit und vor Belästigung Das Widerrufsrecht und die (teils selbständigen, teils dem Widerrufsrecht akzessorischen) Informationspflichten im Fernabsatz gem. §§ 312b ff. BGB schützen die Verbraucher insbesondere vor vertriebsspezifischen Störungen der informaVerbot (vgl. die zahlreichen Nachweise für die ganz überwiegende Anzahl der Staaten, in denen das Ansprechen in der Öffentlichkeit grundsätzlich zulässig ist, o. Fn. 130) – sich das Ansprechen in der Öffentlichkeit in den westlichen Industriestaaten – mit ihren hohen Lohnkosten – lediglich noch in ganz schmalen Bereichen findet, die selbst in ihrer Summenwirkung keinesfalls ein untragbares Ausmaß erreichen. Unzumutbar belästigt durch Ansprechen in der Öffentlichkeit finden sich demgegenüber Touristen insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern, was sich aus den dort im Vergleich zu den – an westlichen Standards orientierten Produktpreisen für die feilgebotenen Souvenirs, landestypischen Produkte etc. – verschwindenden Kosten für diese Vertriebsmethode erklärt. Die vergleichsweise „Ruhe“ der Fußgängerzonen hierzulande ist also nicht etwa auf das etablierte wettbewerbsrechtliche Verbot zurückzuführen, sondern vielmehr auf den hier betonten Aspekt, daß sich das Ansprechen in der Öffentlichkeit aufgrund der hiermit in Deutschland verbundenen hohen Kosten schlichtweg nur in den schmalen Bereichen lohnt, in denen Kunden die in dieser Form angebotenen Verträge letztlich doch auch honorieren. 137 S. die Nachweise o. Fn. 120 (für die Rechtsprechung) und 124 (für die Literatur). 138 Wie hier im Ergebnis nur Harte/Henning-Ubber, § 7, Rz. 29; Schwab, GRUR 2002, 641 ff.; in dieselbe Richtung im Ergebnis zuletzt wohl auch Piper/Ohly-Ohly, § 7, Rz. 74.
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tionellen Entscheidungsgrundlage (der ersten Ebene des vertretenen Vier-EbenenModells139)140. Für den wesentlichen Bereich des Internet-Vertriebs werden die Bestimmungen durch die Informations- und Vorkehrungspflichten des § 312e BGB ergänzt. Die beiden Normenkomplexe stehen angesichts ihrer unterschiedlichen – einerseits vertriebsformspezifischen, andererseits medienspezifischen – tatbestandlichen Anknüpfung in Idealkonkurrenz141 und überlagern einander insbesondere in Fällen des Internet-Vertriebs142. Dem gesamten Normenkomplex liegt – insbesondere im Lichte des europarechtlichen Hintergrunds der Normen betrachtet – nicht allein ein reiner Verbraucherschutzzweck zugrunde, sondern zugleich ein binnenmarktbezogener Ermöglichungsaspekt in dem Sinne, daß Vertrieb in den regulierten Erscheinungsformen und Vertriebsmedien im zwingenden gesetzlichen Rahmen der §§ 312b ff. BGB auch im Interesse der Unternehmer und Verbraucher gerade reibungsfrei und unter gleichen Wettbewerbsbedingungen möglich gemacht werden soll. Zu Überschneidungen mit wettbewerbsrechtlichen Regelungszielen kann es wiederum mit Blick auf den Schutz der Informiertheit und Freiheit der Verbraucherentscheidungen (erste und zweite Ebene des Vier-Ebenen-Modells) sowie hinsichtlich des Belästigungsschutzes vor werblicher Direktansprache im Zusammenhang mit den zivilrechtlich regulierten Vertriebsmethoden und medialen Erscheinungsformen kommen (vierte Ebene des Vier-Ebenen-Modells). Mit Blick auf den Schutz des Entscheidungsprozesses vor Überrumpelung und aleatorischen Anreizen, wie er in der wettbewerbsrechtlichen Bewertung zumal neuer Vertriebsmethoden (wie Versteigerungen, Powershopping etc.) im Internet im Mittelpunkt steht, überschneiden sich die Regelungsziele allerdings nicht so unmittelbar wie im Falle des Haustürvertriebs. Denn während die wettbewerbsrechtliche Beurteilung den Schutz des Entscheidungsprozesses in den Mittelpunkt rückt, haben das Widerrufsrecht und die Informationspflichten im Fernabsatz einen deutlich abweichenden Zweck, indem sie mehr den Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage vor den spezifischen Gefahren des Fernabsatzes auszugleichen suchen143. Die medienspezifischen Informations- und Vorkehrungspflichten gem. § 312e BGB verfolgen ohnedies in nicht ganz übersichtlicher Weise durchaus unterschiedliche Regelungsziele zwischen Verbraucherschutz und institutionellem 139
S. grundlegend oben 1. Kap. 1. Abschn. D VI und 3. Abschn. F IV. S. statt aller die kurze Darstellung bei Alexander, S. 161 und umfassend Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 235 ff., jeweils mwN. 141 S. statt aller Micklitz/Tonner-Micklitz, § 312b, Rz. 2 f.; Fezer-Mankowski, § 4–S12, Rz. 177, jeweils mit weiteren Einzelheiten und Nachweisen. 142 S. zur entstehenden Gesamtwirkung für den Bereich des Internet-Vertriebs schon Leistner, Verbraucher- und Kundenschutz, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 665 ff. mwN. 143 Insoweit betrifft die jeweilige Zielrichtung genaugenommen unterschiedliche Ebenen des hier entwickelten Vier-Ebenen-Modells, wenngleich die erste und zweite Ebene zumindest mit Blick auf den Schutz der unverzerrten Geschäftsentscheidung des Verbrauchers auch eine grundlegende innere Verbindung aufweisen. Vgl. grundlegend dazu schon oben 1. Kap. 1. Abschn. D IV 4 c. 140
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Wettbewerbsschutz, worauf in dieser Untersuchung schon verschiedentlich hingewiesen wurde144 und auch noch gesondert einzugehen sein wird145. Nach alldem basiert die hier zu diskutierende Rückwirkung der wesentlich auf den Schutz der Informationsgrundlage gerichteten §§ 312b ff. BGB auf diejenigen, mehr auf den Schutz des Entscheidungsprozesses gerichteten, lauterkeitsrechtlichen Fallgruppen, die (im wesentlichen im Rahmen des § 4 Nr. 1 UWG) die durch aleatorische Kaufanreize im Internet neu entstehenden Gefahren für freie Verbraucherentscheidungen auszuräumen suchen, nicht unmittelbar auf schutzzweckbezogenen Überschneidungen, sondern auf rein faktischen Überlagerungen der Schutzeffekte (s. sogleich unten 2). Hinsichtlich des lauterkeitsrechtlichen Belästigungsschutzes (Ebene der Externalitäten) enthielten die europäischen Richtlinien, wie sie den §§ 312b ff. BGB und § 312e BGB zugrundeliegen, bereits spezifische Bestimmungen146, insbesondere bezüglich der nunmehr in § 7 Abs. 2 Nr. 2–4 UWG geregelten Formen des Direktmarketings. Der deutsche Gesetzgeber hat den einheitlichen Regelungsansatz des europäischen Rechts, der insoweit zwischen zivilrechtlichem Verbraucherschutz und lauterkeitsrechtlichen Instrumenten nicht mehr sauber unterschied147, aufgespalten in die in § 312b ff. BGB, § 312e BGB enthaltenen zivilrechtlichen Instrumente148, die medienspezifischen Bestimmungen des Teledienstegesetzes und Mediendienstestaatsvertrags149 und insbesondere die wettbewerbsrechtlichen Regelungen des Belästigungsschutzes in § 7 Abs. 2 Nrn. 2–4 UWG150. Die insoweit – in Umsetzung auch noch weiterer, aktuellerer europäischer Vorgaben – getroffene enumerative Regelung einzelner lauterkeitsrechtlicher Belästigungstatbestände, die gerade im Zusammenhang mit werb144
S. etwa oben 1. Kap. 3. Abschn. C III 3 und öfter. S. unten B I 2 b (2). 146 S. nur Art. 10 Fernabsatz-RL, Art. 7 E-Commerce-RL, Art. 10 FernabsatzFinDL-RL; vgl. zu den erstgenannten schon Leistner, Werbung, Commercial Communication und E-Commerce, in: Lehmann (Hrsg.), Electronic Business, S. 275, Rz. 36 ff. mwN, vgl. näher auch schon oben 3. Kap. 2. Abschn. B I. 147 S. zutreffend schon Glöckner, GRUR Int. 2000, 29 ff. 148 Die in diesen Zusammenhang noch gehörende Problematik der unverlangt zugesandten Waren (Art. 9 Fernabsatz-RL), wie sie sich im deutschen Recht in § 241a BGB geregelt findet, wird – da sie sich nicht wie die anderen hier diskutierten Belästigungsformen als eine von einem Teil der Verbraucher auch erwünschte Vertriebsform, wie sie der im übrigen fehlerfreien Anbahnung von Vertragsabschlüssen im Fernabsatz typischerweise zugrundeliegt, sondern vielmehr als eine reine Belästigung mit dem Ziel, den Verbrauchern von vornherein nicht gewollte Vertragsabschlüsse durch systematische Nutzung verbreiteter Fehlvorstellungen über die in derartigen Situationen bestehende Rechtslage sozusagen „unterzuschieben“, darstellt und da sie insofern nicht in vergleichbarer Weise wie die hier diskutierten Vertriebsformen von der Grundwertung der §§ 312b ff. BGB in Einzelfällen im Ausgangspunkt gedeckt ist – an dieser Stelle nicht diskutiert. 149 Wesentlich sind insbesondere die anbieterbezogenen Informationspflichten in §§ 6 TDG bzw. 10 MDStV. S. für einen aktuellen Überblick statt aller Harte/Henning-Hoeren, § 4–S13, Rz. 4 ff. mwN. 150 Die nunmehr natürlich zugleich der Umsetzung auch der (noch strengeren) Regelung des Art. 13 EKDatenschutz-RL dienen. S. zu alldem auch schon oben 3. Kap. 2. Abschn. B I. 145
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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licher Direktansprache vermittels Fernkommunikationsmitteln und damit mit den §§ 312b ff., 312e BGB stehen, bestätigt genau das hier vertretene kostenorientierte Modell auf Grundlage der Bagatellklausel, ja läßt sich sozusagen als eine in die Form enumerativer Sondertatbestände gegossene Erscheinungsform dieses Ansatzes auffassen. Deshalb ist die diesbezügliche Umsetzung im deutschen Recht trotz ihres – im europäischen Recht zum Teil151 fehlenden – expliziten Bagatellvorbehalts aufgrund von § 3 UWG gerade eine zutreffende Umsetzung der europäischen Vorgaben (s. unten 3).
2. Die neueste lauterkeitsrechtliche Rechtsprechung zu innovativen Direktvertriebsmodellen und die faktische Rückwirkung der durch §§ 312b ff. BGB gewährleisteten Überlegungsfrist auf die lauterkeitsrechtliche Beurteilung Angesichts der divergierenden Schutzrichtung ist die Rückwirkung des vertriebsspezifischen verbraucherschützenden Widerrufsrechts im Fernabsatz auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung spezifischer Gefährdungen des Entscheidungsprozesses, insbesondere durch neue, innovative Vertriebsmodelle im Internet, eine rein faktische. Dennoch läßt sich – auch allein aufgrund der faktisch geringeren Schutzbedürftigkeit der durch die Einräumung des Widerrufsrechts bereits recht effektiv vor rein gefühlsgeleiteten oder vom Spieltrieb bestimmten Entscheidungen geschützten Verbraucher – eine Wechselwirkung zwischen spezifischem Schutz im Verbrauchervertriebsrecht und Liberalisierung der Maßstäbe im Wettbewerbsrecht bejahen. Diese Wechselwirkung reflektiert – im hier zugrundegelegten Vier-Ebenen-Modell152 – die innere Verbindung, die naturgemäß zwischen der ersten (Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage) und der zweiten (Schutz des Entscheidungsprozesses) Ebene bestehen, da beide auf das einheitliche Ziel der Gewährleistung einer unverzerrten geschäftlichen Präferenzäußerung des angesprochenen Kunden ausgerichtet sind. Ganz ähnlich wie mit Blick auf das Ansprechen in der Öffentlichkeit – wo die Rechtsprechung trotz der evidenten Überschneidung der Überrumpelungssituationen vorbeugenden Schutzrichtung des § 312 Abs. 1 Nr. 3 BGB mit entsprechenden lauterkeitsrechtlichen Beurteilungsaspekten die Irrelevanz der Überrumpelungsgefahr nicht auf diesen inneren Zusammenhang gestützt, sondern vielmehr (sozusagen rein „innerwettbewerbsrechtlich“) mit gewandelten Verkehrsgepflogenheiten begründet hat – hat die Rechtsprechung auch mit Blick auf die lauterkeitsrechtliche Beurteilung bestimmter innovativer Vertriebsmethoden (wie ins151 Die neue Lauterkeits-RL enthält zwar nunmehr Beschränkungen auf „erhebliche“ Beeinträchtigungen (s. Art. 9 Abs. 1 Lauterkeits-RL) gilt aber nur für den B2C-Bereich und läßt insbesondere die teleologisch anders ausgerichtete Regelung in Art. 13 EKDatenschutz-RL unberührt, die im Wortlaut keine de minimis Beschränkung enthält; vgl. insoweit auch schon zu denkbaren Auflösungen dieses Konflikts o. 3. Kap. 2.Abschn. bei Fn. 64. 152 S. oben 1. Kap. 1. Abschn. D VI und 3. Abschn. F IV.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
besondere Internet-„Versteigerungen“153) den Beurteilungsmaßstab deutlich liberalisiert, ohne sich aber in den zugehörigen Begründungen argumentativ explizit auf den etablierten zivilrechtlichen Verbraucherschutz im Fernabsatz zu stützen154. Insbesondere mit Blick auf umgekehrte Versteigerungen und Auktionen im Internet ist nunmehr, soweit die Aspekte des Ausnutzens des Spieltriebs (aleatorischer Anreize) sowie ähnlicher unsachgemäßer Beeinflussung der Kunden betroffen sind, von deren genereller wettbewerbsrechtlicher Zulässigkeit auszugehen155. Die Rechtsprechung hat dies (im Falle einer vermittels Zeitungsanzeigen durchgeführten „holländischen“, d.h. umgekehrten, Auktion) zuerst im wesentlichen auf die Tatsache gestützt, daß der Kunde – zumal bei größeren Anschaffungen – erfahrungsgemäß nur nach reiflicher Überlegung und aufgrund in diesem Bereich ohne größeren Aufwand möglichen Vergleichs unterschiedlicher Angebote auf ein derartiges Vertriebsmodell zurückgreifen würde156. In einer späteren Entscheidung kommt dann für den Fall einer „umgekehrten“ Internetauktion, bei der allerdings der Vertrag nicht etwa durch Zuschlag gem. § 156 BGB zustande kam, sondern vielmehr der „Ersteigerer“ lediglich ein Bezugsrecht erwarb und nach seinem „Auktionsgewinn“ die freie Wahl hatte, ob er das „ersteigerte“ Fahrzeug erwerben wollte oder nicht157, noch die Überlegung hinzu, daß angesichts 153
S. dazu allgemein statt vieler nur umfassend Spindler/Wiebe (Hrsg.), Internet-Auktionen und Elektronische Marktplätze, 2. Aufl. 2005; Stögmüller, K & R 1999, 391; Schafft, CR 2001, 393; Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 60 ff. Aus der Kommentarliteratur zu den wettbewerbsrechtlichen Aspekten Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.197 ff.; Harte/Henning-Frank, Einl G, Rz. 35; Fezer-Mankowski, § 4–S12, Rz. 206 ff. S. zu den zivilrechtlichen Aspekten statt aller Wiebe, Vertragsschluß und Verbraucherschutz, in: Spindler/ders. (Hrsg.), aaO., S. 57 ff. mwN. 154 S. grundlegend BGH, GRUR 2003, 626, MMR 2003, 465 – Umgekehrte Versteigerung II; BGH, GRUR 2004, 249 – Internetauktion. 155 S. zustimmend aus der Literatur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.198 f.; Harte/Henning-Frank, Rz. 32 ff.; Fezer-Mankowski, Rz. 206 ff. Vgl. zu den Einzelheiten der hier nicht im Mittelpunkt stehenden umstrittenen Fragestellung nach einem Vorsprung durch Rechtsbruch durch Verletzung gewerberechtlicher Erlaubnisanforderungen (die für die ganz überwiegende Mehrzahl der Angebote, bei denen es sich gar nicht um „echte“ Versteigerungen i.S.d. § 34b Abs. 6 Nr. 5 lit. b GewO handelt, bei genauer Betrachtung gar nicht bestehen), s. schon Leistner, aaO., Rz. 60 mwN. Für eine umfassende Darstellung auf aktuellem Stand, s. nur Fezer-Mankowski, § 4–S12, Rz. 206 ff. 156 BGH, MMR 2003, 465, 466 – Umgekehrte Versteigerung II. Die Entscheidung stellt ausdrücklich fest, daß an der anderslautenden Auffassung aus dem Senatsurteil BGH, GRUR 1986, 622 – Umgekehrte Versteigerung (ebenfalls für die Versteigerung mehrerer Gebrauchtwagen aufgrund von Anzeigen in Tageszeitungen mit wöchentlich fallenden Preisen) nicht mehr festgehalten wird. 157 Ein Zustandekommen der Verträge durch Zuschlag gem. § 156 BGB kommt ohnedies bei praktisch keiner der gebräuchlichen „Versteigerungs“formen im Internet in Betracht. Allerdings kommt im Rahmen der üblichen Versteigerungsplattformen, wie ebay oder ricardo.de, durchaus mit Abgabe des Höchstgebots durch Angebot und Annahme ein Vertrag unmittelbar zustande (wobei die antizipierte Annahmeerklärung des Verkäufers in der Freischaltung der Seite auf der Plattform des Auktionators liegt – was sich auf Grundlage einer Auslegung des Erklärungsverhaltens des Verkäufers unter Heranziehung der AGB-Versteigerungsbedingungen der Plattformen ergibt – und das verbindliche Angebot des Käufers in der Abgabe des Höchstgebots liegt), s.
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einer derartig eingeräumten Überlegungszeit noch nach „Ersteigerung“ und angesichts der Möglichkeit, die Entscheidung ohne finanzielles Risiko158 rückgängig zu machen, die unzweifelhaft vorhandenen aleatorischen Elemente einer derartigen Internet-Vertriebsform jedenfalls nicht zu einer lauterkeitsrechtlich relevanten Verzerrung der Kundenentscheidung führten159. Dies sei nicht einmal dann der Fall, wenn der Kunde aufgrund der blickfangmäßigen Herausstellung des Auktionscharakters des Angebots zunächst geglaubt habe, bereits aufgrund des „Zuschlags“ zum Erwerb verpflichtet zu sein160. Dieser letztgenannte Aspekt, der vom BGH allein auf das fehlende Zustandekommen von Verträgen durch „Zuschlag“ im Falle der Internet-Auktionen und auf die daraus resultierende zusätzliche „Überlegungszeit“ gestützt wird, läßt sich nun aber – trotz der abweichenden Zielrichtung – ohne weiteres auch auf die durch das Widerrufsrecht im Fernabsatz161 faktisch gewährte Überlegungszeit bei Internet-Verträgen, die zwar befristet, dafür aber im wesentlichen Unterschied zur grundlegend BGH NJW 2002, 363 – ricardo.de (wobei die Frage, welche der Willenserklärungen als Angebot, welche als Annahme zu qualifizieren ist, letztlich offengelassen wird); ebenso die Vorinstanz OLG Hamm, NJW 2001, 1141 (wobei dort das Angebot in der Freischaltung der Seite, die Annahme in der Abgabe des Höchstgebots gesehen wurde). Im Ergebnis anders noch die Ursprungsinstanz LG Münster, JZ 2000, 730, die einen verbindlichen Vertragsschluß abgelehnt hatte. 158 Relevante Bindungsempfindungen des Kunden aufgrund von Peinlichkeitsgefühlen wegen des einmal entstandenen Aufwands verneint der BGH, MMR 2003, 465, 466 – Umgekehrte Versteigerung II, ausdrücklich. 159 S. BGH, GRUR 2004, 249, 251 – Internetauktion und die zustimmenden Nachweise aus der Literatur, vgl. o. Fn. 155 mwN. Zutreffend auch schon die Entscheidung der Vorinstanz, OLG München, CR 2001, 338, 339 – Umgekehrte Versteigerung im Internet und zustimmend Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 65 f. A.A. noch OLG Hamburg, GRUR-RR 2001, 113 – Versteigerung im Internet „in umgekehrter Richtung“, wobei sich die Entscheidung im wesentlichen auf die Autorität des BGHSenatsurteils GRUR 1986, 622 – Umgekehrte Versteigerung stützt, welches aufgrund der ausdrücklichen Klarstellung in BGH, MMR 2003, 465 – Umgekehrte Versteigerung II nunmehr als überholt gelten muß. 160 BGH aaO. Vgl. zu der sich an dieser Stelle aufdrängenden Fragestellung, inwieweit die blickfangmäßige Bezeichnung als „Versteigerung“ oder „Auktion“ schon für sich genommen eine Irreführung des Kunden über die Verkaufsbedingungen beinhalten könne, da dieser angesichts der Bezeichnung ein Zustandekommen des Vertrags mit Zuschlag gem. § 156 BGB erwarte, nur OLG Frankfurt/M., NJW 2001, 1434, wo angesichts des schon in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeflossenen untechnischen Begriffs der „Versteigerung“ eine derartige Irreführung abgelehnt wird; KG NJW 2001, 3272. Zustimmend Leistner, aaO., Rz. 61; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.200 (der – unabhängig vom hier betrachteten Internet-Bereich – allgemein für Versteigerungen ergänzend darauf hinweist, daß eine Irreführung aber vorliegt, wenn eine öffentliche Versteigerung vorgespiegelt wird, da die Verbraucher dann besonders günstige Erwerbschancen erwarten); Fezer-Mankowski, § 4–S12, Rz. 206. 161 Das auf derartige und andere „Versteigerungs“formen trotz der Ausschlußklausel des § 312d Abs. 4 Nr. 5 BGB anwendbar ist, da es sich eben nicht um „echte“ Versteigerungen i.S.d. § 156 BGB handelt, für die allein die ratio der erwähnten Ausnahme gilt. S. statt aller Leistner, Verbraucher- und Kundenschutz, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 665, Rz. 33; Leible/Sosnitza, MMR 2003, 467 mit weiteren umfassenden Nachweisen für die zutreffende Ansicht der ganz herrschenden Meinung.
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Überlegungszeit bei vorbeschriebener Internet-Auktion sogar effektiv durch Informationspflichten162 abgesichert ist, übertragen163. Insbesondere ist die durch das Widerrufsrecht dem mündigen Verbraucher164 garantierte faktische Absicherung auch vor Entscheidungen, die zuerst allein aufgrund des „Spieltriebs“ sozusagen spontan getroffen wurden, vollkommen unabhängig von einer etwaigen Abweichung des Schutzzwecks des § 312d BGB. Es läßt sich also nicht etwa, wie dies von deutschen Instanzgerichten zur Stützung der strengen wettbewerbsrechtlichen Behandlung neuer, innovativer Internet-Vertriebsmodelle gelegentlich versucht wurde165, die Irrelevanz des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzes für die Beurteilung der unsachlichen Beeinflussung im Wettbewerbsrecht (nunmehr § 4 Nr. 1 UWG) allein mit den abweichenden Schutzzwecken begründen. Insofern kommt für neue, innovative Internet-Vertriebsmodelle angesichts des bestehenden Schutzes durch das Widerrufsrecht im Fernabsatz (soweit dieser reicht) eine Wettbewerbswidrigkeit unter dem Aspekt der unsachlichen Beeinflussung gem. § 4 Nr. 1 UWG, insbesondere durch Ausnutzen des Spieltriebs, nach der hier vertretenen Auffassung grundsätzlich nicht mehr in Betracht166. Diese Argumentation, die sich bezüglich der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung der für die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher durch neue Internet-Vertriebsmodelle entstehenden Gefahren gerade auf das Zusammenspiel zivilrechtlichen Verbraucherschutzes mit wettbewerbsrechtlichem Vorfeldschutz stützt und die diesbezügliche Wechselwirkung zwischen effektivem zivilrechtlichem Verbraucherschutz und spiegelbildlicher Liberalisierungsmöglichkeit im Wettbewerbsrecht (jedenfalls für all diejenigen Vertriebsmethoden, die einzelnen besonders kundigen Verbrauchergruppen auch nutzen) betont, läßt sich über den Bereich der vom BGH bereits entschiedenen Sachverhalte (umgekehrte Versteigerungen im 162
Deren Erfüllung wiederum Voraussetzung des Fristablaufs ist, § 312d Abs. 2 BGB. So schon Leible/Sosnitza, MMR 2003, 467. 164 Der – zumal angesichts seiner lückenlos gewährleisteten Informiertheit – von seinem Recht, die Überlegungszeit in Anspruch zu nehmen, auch Gebrauch machen wird und der – sofern er dies nicht tut – jedenfalls nach dem normativen Verbraucherleitbild des Wettbewerbsrechts nicht schutzwürdig ist, vgl. allgemein zutreffend zuletzt Harte/Henning-Stuckel, § 4, Rz. 76 mwN. 165 S. nur geradezu exemplarisch verfehlt OLG Köln, GRUR-RR 2002, 40, 42, CR 2001, 545, 547 mit Anmerkung Leible/Sosnitza – Powershopping: „Schließlich kommt eine andere Wertung auch nicht deswegen in Betracht, weil die Kunden gem. § 3 FernAbsG ein Widerrufsrecht haben. Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher schützen und kann nicht dazu führen, Handlungsweisen von Gewerbetreibenden, die ohne das Widerrufsrecht wegen der unsachlichen Beeinflussung von Verbrauchern als unlauter zu werten sind, zu legalisieren“. Dies verkennt, daß das Widerrufsrecht gerade praktische Konkordanz mit Blick auf die divergierenden Verbraucherinteressen schafft. Die Interessen derjenigen Verbraucher, die durch die Ausnutzung der Spiellust gefährdet würden, werden durch das Widerrufsrecht als verhältnismäßiges Mittel effektiv gesichert, um im Interesse derjenigen Verbraucher, die von derartigen Angeboten profitieren – da sie sie kundig zu nutzen wissen – die neuartigen, innovativen Vertriebsformen nicht gänzlich verbieten zu müssen. S. daher vorsichtig a.A. schon Leistner, Werberecht, in: Bettinger/ Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 66 mwN. 166 S. ähnlich schon Leible/Sosnitza, ZIP 2000, 732, 737; Leistner, aaO., Rz. 66; Leible/ Sosnitza, MMR 2003, 466, 467, jeweils mwN. 163
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Internet, Internet-Auktionen) hinaus verallgemeinern. Bedeutung hat dies insbesondere für neue Internet-Vertriebsmodelle, wie das Powershopping oder das Community-Shopping167. Derartige Vertriebsmodelle sind angesichts des bestehenden verbrauchervertragsrechtlichen Schutzes vor übermäßiger Ausnutzung des Spieltriebs der Verbraucher grundsätzlich als wettbewerbsrechtlich zulässig zu behandeln. Allenfalls in ganz besonders gelagerten Fällen, in denen sich die gesamte Ausgestaltung des Vertriebsmodells nurmehr auf die Manipulierung der freien Verbraucherentscheidungen (und nicht etwa schlicht auch auf das Angebot eines innovativen Preismodells, das für gewitzte Verbraucher nützlich ist) richtet, kommt eine Unlauterkeit aufgrund des § 4 Nr. 1 i.v.M. § 3 UWG noch in Betracht. Innovative Internet-Vertriebsmodelle, wie Powershopping oder CommunityShopping, sind demnach grundsätzlich als lauterkeitsrechtlich zulässig zu behandeln168. Statt wettbewerbsrechtlicher Totalverbote, die den Wettbewerb in diesem Bereich ihrerseits ungerechtfertigt zu beeinträchtigen und den Verbrauchern durch Einschränkung des Angebots an Vertriebsmodellen im Preiswettbewerb zu schaden drohen, ist das Augenmerk in der Folge mehr als bisher auf die flankierende wettbewerbsrechtliche Absicherung der Transparenz und Manipulationsfreiheit entsprechender konkreter Internet-Angebote zu richten. So ist insbesondere die absolute Freiheit der Widerrufsmöglichkeit der Verbraucher durch „Nachfeldschutz“ im Wettbewerbsrecht konsequent abzusichern169. Dasselbe gilt für die 167 Die Problematik, die noch einige (für die hier angestellte Untersuchung nicht im Mittelpunkt stehende) andere Facetten umfaßt (ursprünglich hatten die Gerichte sich mit den ersten Verboten auf das später ersatzlos gestrichene Rabattgesetz gestützt [s. nur OLG Hamburg, CR 2000, 182 – Powershopping] und zu diesem Aspekt Ernst, CR 2000, 239 ff.] die Vereinbarkeit mit der PreisangabenVO wurde gelegentlich bezweifelt, ist aber nach richtiger Auffassung unproblematisch zu bejahen), wird hier nur – soweit sich Argumente gerade aus dem Zusammenspiel von Vertrags- und Wettbewerbsrecht ergeben – gewissermaßen selektiv angedeutet. Mehr ist im Rahmen vorliegender Untersuchung nicht angebracht, für umfassendere Auseinandersetzungen mit dem Thema und eine nähere Darstellung der zugrundeliegenden Vertriebsmodelle, s. nur (sämtlich auch noch mit Darstellung der ursprünglich in den ersten Gerichtsentscheidungen problematisierten Aspekte) Bullinger, WRP 2000, 253; Huppertz, MMR 2000, 329; Leible/ Sosnitza, ZIP 2000, 732 ff.; Menke, WRP 2000, 337; Wiebe, MMR 2000, 65; Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 60 ff. (ab Rz. 64 ff. zu Powershopping und Co-Shopping-Angeboten). Für bündige Darstellungen auf aktuellem Stand mit umfassenden weiteren Nachweisen, s. kurz Hefermehl/Köhler/BornkammKöhler, § 4, Rz. 1.199; umfassend Fezer-Mankowski, § 4–S12, Rz. 240 ff. 168 So schon Huppertz, MMR 2000, 329 ff.; Leible/Sosnitza, ZIP 2000, 732 ff.; dies., MMR 2003, 466, 467; Leistner, aaO., Rz. 67 (insbesondere auch mit Blick auf das Leitbild des aufgeklärten Durchschnittsverbrauchers und die Vorgaben des europäischen Rechts); Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.199 (Hinzutreten besonderer Umstände notwendig). Differenzierend nach der Form der Vertriebsmodelle im einzelnen Fezer-Mankowski, § 4–S12, Rz. 244 ff. 169 Insbesondere ist es nach der hier vertretenen Auffassung gem. §§ 4 Nr. 1, 3 UWG wettbewerbswidrig, vom Kunden nach Ausübung des Widerrufsrechts in systematischer Weise (etwa per Email) noch eine Begründung seiner Entscheidung zu fordern, da dies die zivilrechtliche Wertung – begründungslose Widerrufsmöglichkeit innerhalb der Widerrufsfrist – durch systematisches Ausnutzen von Peinlichkeitsgefühlen, die in diesem Zusammenhang (zumal wenn
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Transparenz und den fairen Ablauf der angebotenen Vertriebsmodelle. Einerseits sind diese auf der Grundlage von §§ 5, 4 Nrn. 2–6 i.V.m. § 3 UWG konsequent gegen Täuschungsversuche der derartige Vertriebsmodelle anbietenden Unternehmer über die Bedingungen und die konkrete Funktionsweise des Systems zu schützen. Andererseits ist aber auch zu verhindern, daß das wettbewerbsrechtliche Instrumentarium (oder auch vertragliche Klauseln) seitens der Unternehmer mißbraucht werden, um die Freiheit ihrer potentiellen Kunden – und in der Folge des Wettbewerbs – in ungerechtfertigter Weise zu beschränken. Deshalb wird etwa die von den Internet-Auktionshäusern unter den wettbewerbsrechtlichen Aspekten der Absatzbehinderung170 und des Verleitens zum Vertragsbruch171 sowie auf vertraglicher Grundlage angegriffene Praxis des Sniping (eine spezifische Sniper-Software des Kunden sorgt durch Abgabe möglichst zielgenau später und damit taktisch geschickt infinitesimal vor Ablauf der Auktionsfrist plazierter Gebote dafür, daß es nicht zu einem nennenswerten „Hochschaukeln“ des Preises kommen kann)172 von der herrschenden Meinung vollkommen zu Recht als zulässig erachtet173. Rechtliche Verbote derartiger Nutzerstrategien würden den Wettgrößere Anschaffungen schon ins Haus geliefert wurden) sicher nicht ganz zu unterschätzen sind, zu unterlaufen drohte; vgl. ähnlich schon oben II 1 a zum Parallelfall der „Nachbearbeitung“ von widerrufenden Kunden im Haustürvertrieb. Die einzige Ausnahme insoweit dürfte die Ermittlung des Widerrufsgrundes zum Zwecke der Geltendmachung der vertraglichen Überwälzung der Rücksendekosten, die bis zu einem Warenwert von 40 Euro gem. § 357 Abs. 1 S. 3 BGB möglich ist, bilden. Erfragt also ein Unternehmer, ob der „Widerruf“ auf einem von ihm zu verantwortenden Umstand (also etwa: verspätete oder fehlerhafte Lieferung etc.) beruht oder ob er aus einem vom Kunden zu verantwortenden Grund (also etwa: Ware gefällt doch nicht; Kaufentscheidung wird aus anderen Gründen nicht mehr gewollt) erfolgt, um dann nur sofern der Widerrufsgrund aus der Sphäre des Kunden stammt, diesem auf Grundlage seiner AGB die Rücksendekosten zu überwälzen, so dürfte dies zulässig sein. S. zum Aspekt der psychischen Barrieren und ihrer Rückwirkungen auf die Ausübung des Widerrufsrechts zuletzt überzeugend Neumann, Bedenkzeit vor und nach Vertragsabschluß, S. 338 ff. 170 So LG Hamburg CR 2002, 763, 764. Man wird dem aber entgegenhalten können, daß die angebotene Sniper-Software letztlich mit der strategisch günstigen Plazierung des Gebots kurz vor Ablauf der Versteigerungsfrist nichts anderes automatisiert leistet, als was dem Kunden ohnedies erlaubt wäre, ohne insoweit konkurrierenden Bietern zu schaden (denn, wenn ein höheres Angebot existiert und in die Bietagenten der Internet-Auktionsplattform eingegeben wurde, setzt sich dieses höhere Angebot durch). Zudem gestattet der Einsatz von Sniper-Software dem Kunden – durch Schutz vor Hochschaukeln des Preises durch die Bietagenten der Internet-Auktionsplattform – eine gewisse Rationalisierung des Versteigerungsprozesses und Selbstschutz vor übertriebenen aleatorischen Anreizen. S. ausführlicher Leible/Sosnitza, CR 2003, 344, 345 f.; Weber/Skripsky, sic! 2003, 685, 688 f. 171 So LG Hamburg CR 2002. 763, 764. Allerdings wird man die insoweit relevanten Klauseln der AGB der Internet-Auktionshäuser, die typischerweise die Weitergabe des Paßworts an Dritte verbieten, die zur Realisierung des Sniping notwendig ist, für derartige Fälle – in denen der „Dritte“ gewissermaßen nur als Bote des Bieters handelt – einschränkend auslegen müssen, so daß sie einer derartigen Weitergabe des Paßworts im Ergebnis nicht entgegenstehen. S. ausführlicher Leible/Sosnitza, CR 2003, 344, 346 f.; insoweit a.A. Weber/Skripsky, sic! 2003, 685, 691 f. 172 S. für die technischen Einzelheiten statt vieler Leible/Sosnitza, CR 2003, 344 ff.; Weber/ Skripsky, sic! 2003, 685, 687 f. 173 S. für die herrschende Meinung LG Berlin, CR 2003, 857 f.; Leible/Sosnitza, CR 2003,
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bewerb in ungerechtfertigter174 Weise beschränken und solcherart mit rechtlichen Mitteln zugunsten der Anbieter der Auktionsplattformen verzerren175.
3. Die differenzierte Regelung des Belästigungsschutzes in diesem Bereich als Beleg des grenzkostenorientierten Modells für das Verhältnis von Verbrauchervertriebs- und Wettbewerbsrecht Die Sondertatbestände des lauterkeitsrechtlichen Belästigungsschutzes gegen Direktmarketing in § 7 Abs. 2 Nrn. 1–4 UWG stehen mit der zivilrechtlichen Regelung der besonderen Vertriebsformen in §§ 312 ff. BGB schon insofern in jedenfalls sachlichem Zusammenhang, als die Durchführung der angesprochenen Vertriebsformen typischerweise unter werblicher Direktansprache der Verbraucher erfolgt, die – zumal im Falle des Fernabsatzes i.S.d. § 312b BGB – häufig in einer der besonderen Erscheinungsformen, die in § 7 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 UWG reguliert sind, auftreten wird. Der innere Zusammenhang erhellt zudem dadurch, daß die integralen europäischen Richtlinien zur Regelung des Fernabsatzes und des ECommerce ihrerseits bereits rudimentäre Regelungen auch der Belästigungsaspekte enthielten176, wenngleich diese Vorschriften im Grundsatz noch liberaler ausgestaltet waren als die jetzige Regelung in § 7 Abs. 2 UWG, die ihrerseits eine primär vor datenschutzrechtlichem Hintergrund erlassene noch strengere europäische Vorgabe jüngeren Datums umsetzt177. Auf die Einzelaspekte ist im Rahmen des hier behandelten Querschnittsthemas nicht extensiv einzugehen178. Es soll lediglich kurz beispielsartig umrissen werden, daß die konkrete Ausgestal344 ff.; Harte/Henning-Omsels, § 4, Rz. 297; Fezer-Mankowski, § 4–S12, Rz. 215 ff.; mit Blick auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung unter dem Aspekt der Absatzbehinderung auch Weber/Skripsky, sic! 2003, 685 ff. A. A. aber LG Hamburg CR 2002, 763 f. (Absatzbehinderung und Verleitung zum Vertragsbruch); LG Hamburg, K & R 2003, 296 ff. (Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit unter §§ 823, 1004 BGB). 174 Aus Sicht der Internet-Auktionshäuser ist eine Unterbindung des Sniping mit rechtlichen Mitteln zur Erreichung ihrer Ziele auch unnötig, da durch eine technische Umgestaltung des Bietverfahrens – etwa eine technische Verlängerung des Bietverfahrens um jeweils mehrere Minuten für jedes Angebot in der Schlußphase einer Auktion, wie dies Ricardo und die Auktionsplattform von amazon praktizieren – dem erfolgreichen Einsatz von Sniper-Software seitens der Internet-Auktionshäuser durchaus mit technischen Mitteln vorgebeugt werden könnte. S. Weber/Skripsky, sic! 2003, 685, 692. 175 Denn einer der Hauptgründe für die Unterbindung der Sniping-Praxis dürfte das Anliegen der Internet-Auktionshäuser sein, die Versteigerungsgebühren durch Hochschaukeln der Preise durch die internen Bietagenten zu steigern, s. Leible/Sosnitza, CR 2003, 344, 347, die betonen, daß die bloße Gewinnaussicht oder Chance auf höhere Gebühren auf Seiten der Auktionshäuser jedenfalls keine schützenswerte rechtliche Position darstellt. 176 S. o. Fn. 146 sowie auch schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 c. 177 S. ausführlicher Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815 ff.; Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1044 f., sowie zur im europäischen Recht nun nochmals eigenständig erfolgten Regelung der lauterkeitsrechtlichen Gesichtspunkte im Rahmen der nunmehr umzusetzenden LauterkeitsRichtlinie noch sogleich unten 178 Vgl. im übrigen auch schon die Ausführungen oben 3. Kap. 2. Abschn. B I.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
tung der enumerativen Sondertatbestände der §§ 7 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 UWG genau das hier vertretene kostenorientiert-wettbewerbsbezogene, auf die Marktauswirkungen ausgerichtete Modell zur Beurteilung belästigender Werbeformen, die im Zusammenhang mit verbraucherschutzrechtlich regulierten besonderen Vertriebsformen stehen, bestätigt. Da dieses hier vertretene Modell seinerseits gerade auf einer konsequenten Anwendung der Bagatellklausel des § 3 UWG beruht, ist diese Vorschrift – in ihrer neuen Eigenschaft als Voraussetzung der Unlauterkeit als solcher179 – insoweit im Ergebnis auch nicht etwa im Vergleich mit den europäischen Vorgaben in diesem Bereich problematisch180. Vielmehr lassen sich genau umgekehrt die europäischen Vorgaben – wie übrigens auch die traditionelle BGHRechtsprechung in diesem Bereich181 – als konkrete Erscheinungsform eines konsequent wettbewerbsbezogen auf nicht ganz unerhebliche Auswirkungen im Markt ausgerichteten Belästigungsschutzkonzepts des europäischen und des deutschen Rechts auffassen. Das Belästigungsmodell der § 7 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 UWG läßt sich nämlich allein auf Grundlage eines Vergleichs des individuellen Belästigungsgrades der dort angesprochenen Direktmarketingmethoden gerade nicht mehr erklären und ein solcher Versuch wird auch gar nicht unternommen. Vielmehr ist das enumerative gesetzliche Regelungsmodell in diesem Bereich grenzkostenorientiert und stellt damit maßgeblich auf die konkret im Wettbewerb bestehende Nachahmungsgefahr und die daraus sich ergebende Gefahr einer letztendlich substantiellen Beeinträchtigung des Wettbewerbs ab182. So ist der durch eine einzelne Email oder ein Fax erfolgende Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Empfängers bzw. in sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb183 für sich genommen sicher sehr viel geringer zu gewichten als beispielsweise der Eingriff durch einen persönlichen Anruf, dessen Inempfangnahme und insbesondere Beendigung mehr Zeit und zumal Nervenkraft in Anspruch nimmt, als das bloße Löschen einer Email oder Wegwerfen eines Faxdokuments. Dennoch ist für diese demnach für sich genommen weniger belästigenden Formen der elektronischen Direktansprache insgesamt das strengere opt in-Modell vorgesehen, während für persönliche telefonische Anrufe zumindest im Verhältnis zu Gewerbetreibenden auch eine mutmaßliche Einwilligung genügt184. Dies 179
S. näher o. Fn. 52 und 54. Zutreffend aber im Ansatz der Hinweis bei Ohly, GRUR 2004, 889, 895 f., auf den unter anderem an dieser Stelle jedenfalls bestehenden Erklärungsbedarf. 181 In aller Klarheit schon BGH GRUR 1988, 614, 616 – Btx-Werbung. S. zutreffend auch BGH GRUR 1994, 380, 382 – Lexikothek, wo unter anderem der kostenmäßige Aufwandsvergleich und die damit verbundene höhere Summenwirkung angeführt wird, um die unterschiedliche Behandlung von Telefonanrufen und Haustürbesuchen zu rechtfertigen. Kritisch aber Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 113. 182 S. zu diesem Zusammenhang oben I 2 c. 183 S. zu den hier nicht im Mittelpunkt stehenden deliktsrechtlichen Aspekten statt aller nur Leistner, Werberecht, in: Bettinger/Leistner (Hrsg.), Werbung und Vertrieb im Internet, S. 5, Rz. 27 f. mwN. 184 Die vergleichsweise liberalere rechtliche Ausgestaltung der persönlichen telefonischen Direktansprache wird im europäischen Recht sogar noch deutlicher, da die EKDatenschutz-RL für die genannten Formen der elektronischen Direktansprache im Verhältnis zu Verbrauchern 180
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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könnte man nun immerhin noch mit dem Aspekt des Ressourcenverbrauchs zu erklären suchen: während der Empfang einer Email bzw. eines Faxes beim Empfänger verbrauchbare Ressourcen belastet (Speicherplatz beim Provider; Papier und Toner) belegt ein Telefonanruf nur die zur Verfügung stehende Infrastruktur, ohne weitergehende Auswirkungen zu entfalten. Spätestens soweit man aber die Werbung vermittels automatischer Anrufmaschinen mit in die Betrachtung einbezieht, die gleichfalls im Sinne des ausnahmslosen opt in-Modells strenger geregelt ist als die Werbung durch persönliche Telefonanrufe, obwohl doch keinerlei Zweifel bestehen kann, daß letztere – da sie aufgrund des von geschulten Werbern psychologisch geschickt aufgebauten Kontakts und der auf Seiten des Kunden bestehenden Höflichkeitsgefühle ungleich schwerer zu beenden sind – einen schwerwiegenderen Eingriff in die persönliche oder betriebliche Sphäre des Angesprochenen konstitutiert, wird deutlich, daß ein allein auf den individuellen Grad der Belästigung abstellendes Modell die nuancierten Regelungen in diesem Bereich nicht befriedigend erklären kann. Es ist vielmehr wiederum der Kostengedanke und der durch diesen Maßstab verobjektiviert beurteilungsfähige Aspekt der Nachahmungsgefahr, der die Einzeldifferenzierungen trägt. Nur die wegen der praktisch ganz entfallenden Personalkosten extrem kostengünstigen Formen elektronischer Direktansprache (angesichts des im wesentlichen konstanten Personalaufwands gehen die relevanten Grenzkosten für die Mehransprache von Verbrauchern sogar gegen Null185) drohen sich selbst dann zu lohnen, wenn die ganz überwiegende Mehrzahl der angesprochenen Kunden diese Werbeform ablehnt und das durch Nichtabschluß von Verträgen bzw. Widerruf einmal geschlossener Verträge zum Ausdruck bringt. Nur deshalb kann der Markt dieses Problem nicht allein regulieren und das Eingreifen des Wettbewerbsrechts wird notwendig, um Verzerrungen des Wettbewerbs vorzubeugen.
Wenn somit die enumerative Regelung der §§ 7 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 UWG – die das europäische Modell in diesem Bereich in das deutsche Recht transponiert – neben der Berücksichtigung des individuellen Belästigungsgrades ganz wesentlich auch auf der Kostenanalyse der dort geregelten Direktmarketingformen und auf dem daraus ermittelten Aspekt der Nachahmungsgefahr im Wettbewerb und der daraus letztendlich im Falle der besonders kostengünstigen Formen drohenden wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs beruht, so entspricht dies dem wettbewerbsbezogenen Ansatz der Bagatellklausel des § 3 UWG gerade. Nicht etwa kann daher (im Sinne einer Art reinen de minimis-Verständnisses der Bagatellklausel) beispielsweise argumentiert werden, eine einzelne werbliche Direktansprache per Email sei nach dem deutschen Recht aufgrund der Zusatzvoraussetzung des § 3 UWG keine unlautere Wettbewerbshandlung, was in der Tat einen relevanten Europarechtsverstoß konstituieren würde. Stets ist vielmehr der Nachahmungsaspekt und die Marktauswirkung der Zulassung auch einer einzelnen nunmehr zwingend das opt in-Modell vorsieht, während sie im Falle persönlicher Telefonanrufe bei Verbrauchern den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen einer opt in- und einer opt out-Regelung einräumt, die der deutsche Gesetzgeber legitim im Sinne der strengeren Option ausgeübt hat. S. zum ganzen näher Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815 ff. mwN, sowie auch schon o. 2. Kap. 2. Abschn. B I. 185 Allenfalls die TK-Verbindungskosten (im Falle der Voicemail- und Faxwerbung, im Falle der Email-Werbung sind sogar diese fast fixe Kosten) und die Kosten für die Adreßbeschaffung sind in derartigen Fällen keine fixen Kosten, sondern wachsen mit der Anzahl der zusätzlich angesprochenen Empfänger.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
derartigen Direktmarketinghandlung in die Analyse mit einzubeziehen. Unter dieser Perspektive ergibt sich dann, daß eben auch schon eine einzelne Werbemail den Keim zu einer wesentlichen Wettbewerbsbeeinträchtigung in sich trägt und daß daher – verallgemeinert formuliert – die Bagatellklausel als Voraussetzung der Unlauterkeit (abgesehen von ganz besonders gelagerten Fällen186) nicht zu einer relevanten Einschränkung der Sondertatbestände in § 7 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 UWG führen kann. Insofern ist in diesem Bereich auch durch die zusätzliche Prüfung des § 3 UWG gerade keine relevante Abweichung vom Konzept des europäischen Rechts begründet187. Zugleich illustrieren die Sondertatbestände der § 7 Abs. 2 Nr. 2–4 UWG die letztlich begrenzte Aussagekraft eines bloßen Vergleichs individueller Belästigungsgrade. Dies muß dann aber darüber hinaus für sämtliche Formen belästigender Werbung gelten, soweit nicht schon der einzelne Fall einer solchen Werbeform die Schwelle der unzumutbaren Belästigung überschreitet. Auf dieser Grundlage ist dann etwa auch die permissive Haltung des BGH in Bezug auf Haustürvertreterbesuche – die das Gericht ja gerade im Vergleich zu Telefonanrufen (die hinsichtlich des individuellen Belästigungsgrades tatsächlich kaum schwerer wiegen mögen188) ausdrücklich mit der abweichenden Kostensituation begründet – nur zutreffend und konsequent, soweit man nicht den weitergehenden Schritt wagt und sogar den Einzelbesuch eines einzelnen Haustürvertreters bereits als unzumutbare Belästigung einordnet189. Das hier, insbesondere für die Bereiche, in de186 Die dann auch im Europarecht aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als ungeschriebenem Grundsatz des Gemeinschaftsrechts permissiv zu behandeln wären, s. schon o. 2. Kap. 2. Abschn. Fn. 135 mwN. 187 Wie hier Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 3; Lettl, Rz. 526; Lettl, WRP 2004, 1079, 1125 f. 188 Mit einer Argumentation aufgrund der individuellen Eingriffsintensität bezüglich des persönlichen Bereichs und mit diesbezüglichen Versuchen, aus dem Vergleich unterschiedlicher Eingriffsintensitäten (etwa auch einem Vergleich mit dem Ansprechen im öffentlichen Raum, welches nach der hier vertretenen Auffassung freilich entgegen der herrschenden Meinung und Rechtsprechung ohnedies zulässig ist, s. oben II 2) zu argumentieren, insbesondere Völp, WRP 1973, 63, 64 ff.; Krüger-Nieland, GRUR 1974, 561 ff.; Ulrich, in: FS Vieregge, 901, 903 ff. Die vom BGH, GRUR 1994, 380, 381 – Lexikothek für eine auch individuell vergleichsweise geringere Eingriffsintensität von Haustürbesuchen angeführten Argumente (Durchführung nur zu Geschäftszeiten, schnellere Erkennbarkeit des Vertreterbesuchs) überzeugen demgegenüber allenfalls zum Teil auch Telefonanrufe werden in der Regel in zeitlich beschränkter Form erfolgen. Einen Vertreter an der Haustür abzuweisen dürfte nicht wesentlich einfacher sein, als einen einmal angenommenen Telefonanruf zu beenden. Kritisch daher auch die hM in der Literatur, s. nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 113 mwN. Die mangelnde Tragfähigkeit der individuell ausgerichteten Argumentationsmuster verdeutlicht aber die dadurch sogar noch erhöhte Relevanz des mithin einzig für eine Differenzierung tragfähigen Arguments aus der konkreten Marktauswirkung, die eine Funktion der kostenabhängigen Nachahmungsgefahr ist. 189 A.A. aber Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 113, der die Argumentation aus dem Kostenvergleich angesichts der überwiegend negativen Haltung gegenüber dieser Vertriebsmethode in der Bevölkerung ablehnt. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, daß die pauschal negative Haltung bei den Kunden in dem Maße nicht aufrecht erhalten wird, wie nach Erscheinungsformen des Haustürvertriebs und insbesondere nach Produkten differenzierende Fragenkataloge es gestatten, ein genaueres Bild von der Meinung der Verbraucher zu zeichnen (s. oben I
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nen sich verbrauchervertriebsspezifische Regelungen und wettbewerbsrechtlicher Schutz faktisch überschneiden, vertretene kostenorientiert-wettbewerbsbezogene Modell des Belästigungsschutzes, das etwa bezüglich der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung von „schlichten“ Haustürbesuchen – anders als die herrschende Meinung in der Literatur – zum selben Ergebnis gelangt wie die Rechtsprechung190, wird demnach ebenfalls durch die nuancierte Ausgestaltung der Sondertatbestände des § 7 Abs. 2 UWG im Grundsatz gerade bestätigt.
IV. Bestätigung der hier vertretenen Sichtweise durch die Regelungen der Lauterkeits-Richtlinie Die Regelung der hier diskutierten Formen belästigender (oder in europäischer Terminologie: „aggressiver“) Werbeformen in der neuen Lauterkeits-Richtlinie bestätigt die hier vertretene Sichtweise im Ergebnis gleichermaßen. Bezüglich Vertreterbesuchen im persönlichen Bereich enthält Anhang I in Ziff. 25 i.V.m. Art. 5 Abs. 5, Art. 5 Abs. 4 b) und Art. 8 Lauterkeits-Richtlinie eine Regelung, derzufolge es in jedem Falle als unlauter gilt, wenn bei persönlichen Besuchen in der Wohnung des Verbrauchers dessen Aufforderung, die Wohnung zu verlassen bzw. nicht zurückzukehren, nicht beachtet wird. Dies entspricht – „positiv gewendet“ – gerade dem hier vertretenen Konzept, bestimmte besonders aggressive Formen des Haustürvertriebs lauterkeitsrechtlich zu unterbinden, die im Vergleich zum verbraucherschutzrechtlich typisierten Normalfall bestimmte qualifizierende Zusatzmerkmale aufweisen, die von der typisierten Wertung noch nicht erfaßt sind. Die entscheidende Frage lautet, ob der solcherart festgelegte Maßstab auch in dem Sinne abschließend ist, daß die Haustürwerbung als solche – ohne Vorliegen entsprechender Zusatzmerkmale, wie in Anhang I Nr. 25 Lauterkeits-Richtlinie beschrieben – demnach keine Form einer unlauteren aggressiven Geschäftspraxis i.S.d. Art. 5 Abs. 4 b) i.V.m. Art. 8 Lauterkeits-Richtlinie darstellt191. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln. Bedenkt man den Binnenmarktzweck der Richtlinie, der darin besteht, durch die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften 2 b, bei Fn. 58). Mit dem hier angedeuteten Weg über das „Wagnis“, sogar den einzelnen Vertreterbesuch als unzumutbare Belästigung einzuordnen, der Ansatz bei Fezer-Mankowski, § 7, Rz. 186, der die geringere Wiederholungswahrscheinlichkeit konzediert, dem aber entgegenhält, schon gegen die Erstbelästigung sei effektiver Schutz zu gewährleisten. Nach der hier vertretenen Auffassung steht dem aber nicht nur die (ohnedies klar abweichende) Haltung der Rechtsprechung (die ja „korrigiert“ werden könnte), sondern insbesondere die gesetzgeberische Wertung des zivilrechtlichen Verbrauchervertriebsrechts entgegen, die eine einzelne Belästigung offenbar gerade nicht für ausreichend erachtete, um diese gesamte Vertriebsform von Gesetzes wegen von vornherein effektiv zu unterbinden (wie es durchaus möglich gewesen wäre, s. oben A I 1 und 2 a). 190 S. oben II 2. 191 Gegen eine diesbezügliche Lesart Lettl, WRP 2004, 1079, 1124: „Die Frage, ob Haustürwerbung überhaupt und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen zulässig ist, wird damit nicht beantwortet“.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
im Bereich unlauterer Geschäftspraktiken und das dadurch erreichte hohe Maß an Konvergenz, die Handelshemmnisse zu beseitigen, die durch die Fragmentierung der Vorschriften über derartige Geschäftspraktiken entstehen und dadurch die Verwirklichung des Binnenmarktes in diesem Bereich zu ermöglichen192, so spricht dies für ein abschließendes Verständnis der Klausel, da es andernfalls mit Blick auf die besonders weit verbreitete Praxis des Haustürvertriebs aus Sicht der Unternehmer gerade trotz der an sich klaren Regelung im Anhang der Richtlinie bei der (auch im Rahmen der jeweiligen nationalen Anwendung der Generalklausel zweifelsfrei potentiell fortbestehenden) Fragmentierung unterschiedlicher nationaler Rechtsvorschriften und der daraus resultierenden erheblichen Rechtsunsicherheit bleibt. Dieses Resultat teleologischer Betrachtung bestätigt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Richtlinie193. Diese hatte in der Fassung des ersten Kommissionsentwurfs von 2003 noch ein klar international-privatrechtlich zu interpretierendes Binnenmarkt-Herkunftslandprinzip enthalten194, welches auf Kosten des effektiv durchgesetzten Verbraucherschutzes – insbesondere aufgrund zu erwartender erheblicher Durchsetzungsdefizite angesichts der nicht harmonisierten Sanktionen und angesichts des traditionell geringen Interesses der Mitgliedstaaten, ansässige Unternehmen im Exportwettbewerb effektiv zu kontrollieren195 – den Binnenmarktzweck der Richtlinie noch übergewichtet hätte. Im Verlaufe der Verhandlungen im Rat wurde diese klar international-privatrechtliche Formulierung des Herkunftslandprinzips, die politisch nicht durchsetzbar war, dann gestrichen und durch die jetzige Formulierung einer nunmehr materiell-rechtlich – an den Grundfreiheiten orientiert – aufzufassenden Binnenmarktklausel in Art. 4 Lauterkeits-Richtlinie ersetzt196. Harmonisierung auf Grundlage eines materiell-rechtlich verstandenen Herkunftslandprinzips ist aber nur dann möglich und – angesichts der andernfalls fast unvermeidbaren Durchsetzungsdefizite – sogar vorzugswürdig, wenn der gemeinschaftsrechtliche Schutzstandard in der Rahmenrichtlinie im Interesse der Unternehmer möglichst präzise, zweifelsfrei und ohne innere Widersprüche – mithin so punktgenau wie möglich – niedergelegt ist197. Genau in diesem Sinne und nur unter dieser Voraussetzung hatte 192
Art. 1 Lauterkeits-RL, Erw.-Grde. 11–13 Lauterkeits-RL. S. eingehender zum ganzen und auch zum nachfolgenden Argument Leistner, in: Jb. J. ZivRWiss. 2004, S. 185, 210 ff. mwN. 194 Art. 4 Abs. 1 Vorschlag für eine Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern, Dok. KOM (2003) 356 endg. 195 Demgegenüber ist der stets (schon in den Diskussionen zur E-Commerce-Richtlinie) betonte Aspekt eines materiell-rechtlichen „race to the bottom“ wohl immer etwas überschätzt gewesen, wäre aber insbesondere durch die neue Lauterkeits-Richtlinie angesichts der dadurch erreichten Harmonisierung gerade verhindert worden. S. auch oben 2. Kap. 3. Abschn. B II 2 sowie eingehender Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 185, 211 f. mwN. 196 Vgl. die Politische Einigung im Rat (Dok. 9667/04 v. 25.5.2004), S. 14, wonach nurmehr Art. 4 Abs. 2 des ursprünglichen Richtlinienvorschlags verblieb, der jetzt in den nicht weiter unterteilten Art. 4 Lauterkeits-Richtlinie überführt ist. 197 S. für eine eingehende Begründung dieser Auffassung Leistner, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, 193
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die Kommission der Streichung des Herkunftslandprinzips durch den Rat zugestimmt, wobei das insoweit von der Kommission angeführte Argument, angesichts der punktgenauen Harmonisierung durch die Richtlinie sei ein Herkunftslandprinzip für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts ohnedies nicht länger notwendig198, im Lichte der erheblichen Interpretationsspielräume, die die Lauterkeits-Richtlinie für die Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten läßt, von vornherein ein wenig von Wunschdenken geprägt anmutete. Dies ändert aber nichts daran, daß nun jedenfalls das vorliegende Instrument in einem Sinne auszulegen ist, der im Interesse des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts die aufgrund des Mosaiks bestehender „Empfangsstaats“-Rechtsordnungen für europaweit tätige Unternehmer entstehenden Reibungsverluste soweit wie möglich durch Gewährleistung eines einheitlichen und verläßlichen europäischen Rechtsrahmens für bestimmte Vertriebsformen reduziert. Dieses Gebot einer am Binnenmarktzweck der Richtlinie orientierten Auslegung läßt sich auch für die per se-Verbote des Anhangs I konkretisieren, da Erwägungsgrund 17 der LauterkeitsRichtlinie diesen Enumerativbestimmungen ausdrücklich die Funktion zuweist, durch Identifikation unter allen Umständen unlauterer Geschäftspraktiken für größere Rechtssicherheit zu sorgen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn den Einzelbeispielen der Anhänge – ganz ähnlich wie im übrigen den Regelbeispielen unlauteren Wettbewerbs nach neuem deutschem Recht199 – auch insoweit ein begrenzt abschließender Charakter zugebilligt wird, als jedenfalls die in die Wertung des per se Verbots eingeflossene Interessenabwägung nicht dadurch unterlaufen werden darf, daß etwa eine zum Zeitpunkt des Richtlinienerlasses im Binnenmarkt weit verbreitete Geschäftspraxis, die durch eines der aufgeführten per se-Verbote gerade nur unter bestimmten zusätzlichen Umständen als unlauter qualifiziert wird, dann auf Grundlage der Generalklauseln als Vertriebskategorie vollständig für unlauter erklärt wird. Jegliches andere Verständnis würde das Binnenmarktziel der Lauterkeits-Richtlinie zur bloßen Makulatur werden lassen: Denn orientierte sich ein – an sich bereits in vorbildlicher Weise nach den Vorgaben europäischen Rechts fahndender – kleiner oder mittlerer Unternehmer in Ermangelung der Ressourcen für europaweite Recherche am leicht zugänglichen Text der Richtlinie, so ginge er auf Grundlage des Tatbestandes in Anhang I Nr. 25 Lauterkeits-Richtlinie gerade davon aus, daß der Normalfall des Haustürvertriebs jedenfalls ohne Vorliegen besonderer, die Unlauterkeit im einzelnen Fall oder für eine bestimmte Unterkategorie von Fällen begründender Sonderumstände – wobei die in Nr. 25 umschriebenen besonders aggressiven Verhaltensweisen als ein Beispiel für derartige Sonderumstände gelten könnten – vom europäischen Recht für zulässig erachtet wird. S. 185, 216 f. mwN. 198 Vgl. die Politische Einigung im Rat (aaO.), Anlage 2, S. 34. Das Argument an dieser Stelle lautet etwa, daß es, wenn die Mitgliedstaaten die punktgenaue Harmonisierung durch die RL umsetzten, ohnedies zur Entwicklung eines einheitlichen rechtlichen Standards komme, so daß eine Art de facto-Herkunftslandprinzip die Folge wäre, da sich die Unternehmen angesichts des einheitlichen Standards faktisch lediglich am Recht ihres Sitzstaates orientieren könnten. 199 Vgl. insoweit oben 2. Abschn. A III 2 c.
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Man wird daher im Lichte des Binnenmarktziels der Richtlinie der Regelung in Ziff. 25 Anhang I i.V.m. Art. 5 Abs. 5, Art. 5 Abs. 4 b) und Art. 8 LauterkeitsRichtlinie jedenfalls begrenzt abschließenden Charakter dahingehend zubilligen müssen, daß der Normalfall des persönlichen Vertreterbesuchs in der Wohnung des Verbrauchers nach europäischem Lauterkeitsrecht künftig zulässig ist, soweit nicht besondere Umstände hinzutreten, die diesen als besonders aggressiv erscheinen lassen, wobei insoweit wiederum die Regelung in Ziff. 25 das per se-Verbot eines besonders krassen und kategorisierbaren Falls derartiger Zusatzumstände enthält. Weitere Fälle besonderer, unlauterer Formen des Haustürvertriebs ließen sich demnach auf Grundlage der Art. 8, 5 Abs. 4 b) Lauterkeits-Richtlinie begründen, nicht jedoch die generelle Qualifizierung des gesamten Haustürvertriebs als unlautere Geschäftspraxis200. Eine solche Auffassung führt auch nicht etwa zur Gefährdung des zweiten, hier nicht übersehenen Ziels der Richtlinie, ein hohes Verbraucherschutzniveau im Binnenmarkt zu erreichen 201. Denn wie dies eingehend oben beschrieben wurde, reguliert der Markt mit Blick auf die Normalform des Haustürvertriebs gerade aufgrund der durch das Verbrauchervertragsrecht in diesem Bereich typisiert gesicherten Freiheit der Verbraucherentscheidungen auch das Belästigungsproblem in indirekter Weise gewissermaßen von selbst. Dem Verbraucherschutz im Sinne der Lauterkeits-Richtlinie, die auch hinsichtlich der aggressiven Geschäftspraktiken ganz den Schutz der wirtschaftlichen Wahlfreiheit der Verbraucher in Bezug auf das erworbene Produkt in den Mittelpunkt rückt202, ist mit einer solchen Konzeption ohnedies genüge getan. Denn das europäische Verbrauchervertragsrecht garantiert – soweit sein typisierter Anwendungsbereich reicht – gerade die diesbezügliche Wahlfreiheit des Verbrauchers durch Gewährung von Widerrufsrechten. Im Lichte dieses systematischen Zusammenhangs betrachtet bleibt für die Annahme einer „erheblichen Beeinträchtigung“ der Wahlfreiheit des Verbrauchers in Bezug auf das Produkt i.S.d. Art. 8 Lauterkeits-Richtlinie durch den schlichten Haustürvertrieb ohnedies kein Raum 203. 200
A.A. Lettl, WRP 2004, 1079, 1124. Art. 1 Lauterkeits-Richtlinie, Erw.-Grd. 202 S. nur deutlich Art. 8 Lauterkeits-Richtlinie sowie auch Erw-Grd. 16. Kritisch zu dieser allerdings realitätsfernen (oder doch zumindest entscheidend verkürzten) Konzeption eines Belästigungsschutzes Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 163 ff. mwN. 203 Selbst wenn man die letztlich mit Blick auf belästigende (oder „aggressive“) Geschäftspraktiken unrealistisch verkürzende Konzeption des Art. 8 Lauterkeits-RL zu Recht kritisch sieht (vgl. die Nachweise o. Fn. 202) und daneben einen auch sozusagen „freistehenden“ Aspekt reinen (nicht auf die vertragliche Entscheidungsfreiheit ausgerichteten) Belästigungsschutzes sozusagen unter teleologischer Reduktion der Voraussetzung der wesentlichen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit in Bezug auf das Produkt in Art. 8 Lauterkeits-RL hineininterpretiert (wofür trotz des klar entgegenstehenden Wortlauts immerhin einige der im Anhang geregelten per se-Verbote aggressiver Geschäftspraktiken sprechen könnten, die sich auf Grundlage eines rein auf die Entscheidungsfreiheit ausgerichteten Schutzkonzepts gar nicht erklären lassen, s. Leistner, aaO.), so wäre doch auch dieser reine Belästigungsschutz entspre201
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Bezüglich des Ansprechens in der Öffentlichkeit enthält Erwägungsgrund 7 Lauterkeits-Richtlinie allerdings eine begrenzte Freigabeklausel 204, die verallgemeinerungsfähig formuliert ist und insofern auch für die Beurteilung der Vertreterbesuche relevant sein könnte. Den Mitgliedstaaten wird, da die Richtlinie sich nur auf Geschäftspraktiken im unmittelbaren Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen der Verbraucher richtet, die Möglichkeit eingeräumt, aus kulturellen Gründen das Ansprechen von Personen auf der Straße zu Verkaufszwecken zu unterbinden. Dahinter verbirgt sich der allgemeinere Gedanke, daß gesetzliche Anforderungen des Lauterkeitsrechts in Bezug auf Fragen der „guten Sitten und des Anstands“, die in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich beurteilt werden, durch die Richtlinie nicht präjudiziert werden sollen 205. Dem ist dann aber indiziell der Grundgedanke zu entnehmen, daß der Regelfall des schlichten (nicht: des besonders aggressiven oder bedrängenden) Ansprechens auf der Straße nach der Konzeption der Richtlinie gerade keine aggressive Geschäftspraxis i.S.d. Art. 8 i.V.m. 5 Abs. 4 b) Lauterkeits-Richtlinie darstellt, weil es an einer unmittelbaren Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers fehlt. Nur wenn und genau dann wenn einzelne Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet diese (und andere) Geschäftspraktiken gerade aus kulturellen Gründen (des Geschmacks und des Anstands) verbieten, sind ihnen eigene Beurteilungsspielräume eröffnet, da diese Gesichtspunkte nicht von der Richtlinie harmonisiert werden. Für derartige Beurteilungsaspekte bleibt nun aber wiederum aus der Sicht des deutschen Rechts nach der Schutzzweckklausel (§ 1 UWG) und dem Unlauterkeitsbegriff (§ 3 UWG) des neuen UWG, die Erwägungen der Sittlichkeit und der Moral bewußt zugunsten eines rein wettbewerbsbezogenen Beurteilungsmaßstabs ausschließen206, gerade kein Raum mehr. Damit ist aber auch der durch die Richtlinie den Mitgliedstaaten eingeräumte Freiraum nicht eröffnet. Vielmehr spricht dann Erwägungsgrund 7 der Lauterkeits-Richtlinie genau umgekehrt indiziell dafür, daß das schlichte Ansprechen auf der Straße zu Geschäftszwecken – jedenfalls soweit die Tatbestände der Richtlinie (mithin Art. 8 i.V.m. 5 chend der Gesamtkonzeption der Lauterkeits-Richtlinie entscheidend wiederum an die freie Wahlmöglichkeit der Verbraucher (in diesem Falle bezüglich der Erwünschtheit der Geschäftspraxis) rückanzuknüpfen. Zum Aspekt der Entscheidungsfreiheit in Bezug auf das Produkt, käme also sozusagen noch der – in der Richtlinie fehlerhaft und verkürzend – gerade nicht erfaßte Aspekt der Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die aggressive Geschäftspraxis, d.h. die Vertriebsform als solche. Auch insoweit wäre im Falle des Haustürvertriebs aber wiederum gerade keine Beeinträchtigung der Wahlfreiheit der Verbraucher hinsichtlich der verwendeten Vertriebsform gegeben, da insoweit – wie oben II 2 b und c – beschrieben wiederum die Einräumung der Widerrufsrechte durch indirekte Steuerung dazu führt, daß sich genau die von der Mehrzahl der Verbraucher gewünschten Formen des Haustürvertriebs im Markt als Ergebnis eines freien und nicht vorhersehbaren Wettbewerbsprozesses durchsetzen. Der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit der Verbraucher mit Blick auf die Beurteilung der Vertriebsform wird dadurch im Wettbewerb gerade wieder zur Geltung verholfen. 204 S. dazu auch Lettl, WRP 2004, 1079, 1124. 205 S. wiederum ausdrücklich Erw.-Grd. 7 Lauterkeits-Richtlinie. 206 S. oben 1. Kap. 3. Abschn. D III 2 und öfter.
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Abs. 4 b) Lauterkeits-Richtlinie) reichen – nicht als unlautere Geschäftspraxis zu werten ist. Selbst wenn diese Wertung – angesichts des Fehlens entsprechender Vorgaben im Richtlinientext oder den Anhängen – nicht einer expliziten Umsetzung in das deutsche Recht bedarf, so ist sie doch in der Rechtsprechungspraxis künftig zu berücksichtigen. Daraus dürfte sich im Ergebnis ein weiteres Argument für die Änderung der aktuellen Rechtsprechung, derzufolge das Ansprechen in der Öffentlichkeit zu Geschäftszwecken als unlauter zu beurteilen ist, ergeben207. Schließlich bestätigt auch die lauterkeitsrechtliche Regelung der Direktansprache vermittels „für den Fernabsatz geeigneter Medien“ in Anhang I Nr. 26 i.V.m. Art. 5 Abs. 5, Art. 5 Abs. 4 b) und Art. 8 Lauterkeits-Richtlinie die hier diesbezüglich vertretene Position. Neben den ausdrücklich genannten Fernkommunikationsmitteln des Telefons, Faxes und der E-Mails gehört in diesen Zusammenhang auch die Direktansprache durch Briefe, Zusendung von Katalogen etc. 208 Durch die Anknüpfung an die Eignung der Medien zum Fernabsatz stellt die Lauterkeits-Richtlinie terminologisch genau den hier für die genannten Direktmarketingformen betonten inneren Zusammenhang mit den situationsspezifischen Regelungen des Fernabsatzes als besonderer Vertriebsform im Verbrauchervertragsrecht her. Im übrigen verbietet sie derartige Formen der Direktansprache lediglich dann, wenn sie in „hartnäckiger und unerwünschter“ Weise erfolgen 209. Mithin wird wiederum zum lauterkeitsrechtlichen Ausgangspunkt der Bewertung die Legitimität derartiger Formen der Direktansprache genommen, während bestimmte Zusatzaspekte – im Sinne eines besonders aggressiven, „hartnäckigen“ Einsatzes dieser Kommunikationsmittel – das Unlauterkeitsverdikt im Sinne des per se-Verbots rechtfertigen. Für die elektronischen Kommunikationsmittel, d.h. Fax, Telefon und E-Mail, ist diese Lösung freilich im europäischen Recht – auf Grundlage des hier vertretenen Modells durch die geringen Grenzkosten dieser Kommunikationsmittel gerechtfertigt – vollkommen durch die – in der Systematik des acquis anderen, nicht von der Lauterkeits-RL betroffenen Regelungszielen folgenden – Vorgaben der EKDatenschutz-RL überlagert, die in diesem Bereich 207 Insbesondere vermag auch der noch vom BGH (BGH GRUR 2004, 699, 701 – Ansprechen in der Öffentlichkeit; vgl. auch BGH NJW 2005, 1050, 1052 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II) mit angesprochene Aspekt des Ausnutzens eines Gebots der Höflichkeit und des Anstands, fremde Personen, die einen ansprechen, nicht von vornherein ablehnend und abweisend zu behandeln, gerade nicht länger eine Zuordnung des Ansprechens in der Öffentlichkeit als unlauter zu rechtfertigen. Nach Erw.-Grd. 7 Lauterkeits-Richtlinie wäre dies zwar wohl ein kulturellsittlicher Gesichtspunkt, der sich in dem von der Richtlinie in diesem Bereich eingeräumten Spielraum bewegen könnte, doch gestattet es die rein wettbewerbsbezogene Schutzgutausrichtung des (zum Zeitpunkt der BGH-Entscheidung noch nicht in Kraft befindlichen) des neuen UWG genaugenommen nicht länger, derartige Aspekte der Sittlichkeit oder des Anstands für das Unlauterkeitsverdikt heranzuziehen. Damit muß es bei einer rein wettbewerbsbezogenen Beurteilung bleiben – und dieser Beurteilungsmaßstab wird von der Richtlinie wiederum abschließend harmonisiert, wobei Erw.-Grd. 7 (wie im Text beschrieben) dann gerade indiziell für die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit des Ansprechens in der Öffentlichkeit streitet. 208 S. Lettl, WRP 2004, 1079, 1124. 209 Daher zu verkürzt Lettl, aaO.
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zwischen Unternehmern und Verbrauchern zwingend das strengere opt in-Modell im Sinne eines Erfordernisses vorheriger Einwilligung vorsehen210. Praktische Bedeutung behält die Regelung der Lauterkeits-Richtlinie demnach im wesentlichen nur für „klassische“ Formen der Direktansprache durch Briefe oder Zusendung von Katalogen oder vergleichbarem Werbematerial 211.
B. Die Rolle der Informationspflichten (insbesondere bei den besonderen Vertriebsformen) im Verhältnis zum Wettbewerbsrecht und ihre rechtsfolgenspezifische Analyse I. Geltende Rechtslage 1. Institutionelle Funktion und institutionelle Durchsetzung Wie es oben vor dem Hintergrund einer systematischen Analyse der Eingliederung der situationsspezifischen Verbraucherschutzregelungen in § 312 ff. BGB212 und insbesondere mit Blick auf die Konzeption der zugrundeliegenden europäischen Verbraucherschutzinstrumente213 belegt wurde, dienen die zwingenden 210 S. schon oben 2. Kap. 2. Abschn. B I. Vgl. im übrigen auch die diesbezüglichen Vermutungen bei Köhler/Lettl, WRP 2003, 1019, 1054, die Regelung der EKDatenschutz-RL sei in der Lauterkeits-RL zuerst schlicht vollkommen „übersehen“ worden. Man wird nach jetzigem Stand, nachdem die Regelung in der ursprünglichen Form im wesentlichen erhalten geblieben ist (und nunmehr auch eine ausdrückliche Unbeschadet-Klausel mit Blick auf die EKDatenschutz-Richtlinie enthält, s. Anhang I Nr. 26 Satz 2), wohl eher davon ausgehen müssen, daß die europäische Kommission ein sozusagen „separierendes“ Regelungskonzept verfolgt, in dem die einzelnen rechtlichen Aspekte der Direktansprache mit Hilfe elektronischer Fernkommunikationsmittel (Datenschutz, Belästigung) auch in einzelnen ideal konkurrierenden Regelungsinstrumenten behandelt werden, die sich dann weitenteils überlagern, so daß einzelne Regelungen eines Instruments u.U. auch jeglicher praktischer Bedeutung verlustig gehen können, sofern und soweit sie von einer strengeren Regelung des anderen Instruments überlagert werden. So schon zuvor in der Tendenz Veelken, WRP 2004, 1, 25 f. (insbesondere Fußnote 317). Das Anhang I Nr. 26 Lauterkeits-Richtlinie demnach gerade keine abschließende Regelung der Direktansprache mit Fernkommunikationsmitteln enthält, kann im übrigen nicht als Argument gegen die oben vertretene Lesart von Anhang I Nr. 25 im Sinne einer begrenzt abschließenden Regelung besonders aggressiver Formen des Haustürvertriebs ins Feld geführt werden. Denn anders als Nr. 25 enthält Nr. 26 gerade eine ausdrückliche Unbeschadet-Klausel bezüglich der strengeren Regelungen, die sich zudem nicht auf die lauterkeitsrechtlichen, sondern vielmehr auf datenschutzrechtliche Aspekte der Beurteilung von Direktmarketing mit den genannten Kommunikationsmitteln beziehen. Es läßt sich also gut argumentieren, daß bezüglich der lauterkeitsrechtlichen Aspekte auch Nr. 26 gerade wieder begrenzt abschließende Wirkung hat; zudem spricht das Fehlen einer entsprechenden Unbeschadet-Klausel (etwa für strengere Regelungen im nationalen Recht auf Grundlage der Generalklauseln der Richtlinie) im systematischen Vergleich zu Nr. 26 mit seiner ausdrücklichen Unbeschadet-Klausel gerade wiederum für die These von der begrenzt abschließenden Wertung der Nr. 25. 211 S. nur Lettl, WRP 2004, 1079, 1124. 212 S. oben 1. Kap. 3. Abschn. C III 2–4. 213 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 b-d.
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Informationspflichten 214 der §§ 312 Abs. 2, 312c (zum Teil i.V.m. § 1 BGB-InfoV) sowie § 312e (zum Teil i.V.m. § 3 BGB-InfoV) sämtlich (mindestens indirekt neben in den meisten Fällen darüber hinaus vorhandenen individualschützenden Zwecken unterschiedlicher Richtung) auch der marktbezogenen Etablierung eines rechtlichen Rahmens für den Geschäftsverkehr bezüglich der geregelten besonderen Vertriebsformen. Faktisch entspricht dies der Entwicklung des modernen Massenverkehrs, in der die individuelle Beziehung zwischen Veräußerer und Kunde ständig an Bedeutung verliert und durch ein Vertrauen in das Vorhandensein bestimmter rechtlicher Minimalstandards ersetzt wird; rechtlich widerspiegelt dieser „Trend zum Systemvertrauen“215 auch den aktuellen Ansatz des (stets auch binnenmarktorientierten) europäischen Rechts, das zumal im Rahmen der – obwohl nicht von berechtigten Zweifeln freien – letzthin doch immer mehr in den Vordergrund rückenden Konzeption des confident consumer auch explizit auf das Systemvertrauen der Verbraucher in den Schutz durch zwingende rechtliche Rahmenbedingungen des Wirtschaftsverkehrs setzt 216. Aufgrund der demnach stets mit vorhandenen eigenständigen institutionellen Systemfunktion vorgenannter besonderer Informationspflichten, dem Ziel der Etablierung einer wirtschaftsrechtlichen Rahmenordnung zwingenden Rechts, verfolgen diese sämtlichen Informationspflichten unzweifelhaft eine eigenständige marktbezogene (wettbewerbsverhaltenssteuernde) Ordnungsfunktion beim Aufbau eines zwingend geebneten level playing field des Wettbewerbs in den regulierten Vertriebsbereichen im Interesse der Marktteilnehmer. Dem entspricht die Sanktionierung der Verletzung besonderer verbraucherschützender Informationspflichten durch Verbandsklagen nach dem Unterlassungsklagegesetz und auch durch Mitbewerberklagen (und wiederum Verbandsklagen) gem. § 8 Abs. 3 UWG (unter dem Aspekt des Vorsprungs durch Rechtsbruch, § 4 Nr. 11 UWG217) im kollektiven Interesse der in diesem Bereich beteiligten Gruppen von Marktteilnehmern 218.
214 S. zum genuinen Pflichtencharakter der einzelnen Belehrungspflichten, insbesondere der Belehrung über bestehende Widerrufsrechte, der – etwa bezüglich des § 355 Abs. 3 BGB – (insbesondere betreffend das Haustürgeschäft) bisher nicht unumstritten war (teils wurde für die Annahme bloßer Obliegenheiten plädiert), nunmehr aber aufgrund der europarechtlichen Vorgabe des EuGH aus den Entscheidungen EuGH Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-0000 (Schulte . /.Badenia), Rz. 100 ff., sowie EuGH Rs. C-229/04, Slg. 2005, I-0000 (Crailsheimer Volksbank . /. Conrads u.a.), Rz. 48 f., nach der hier vertretenen Auffassung nicht mehr geleugnet werden sollte, noch u. Fn. 227. 215 S. grundlegend oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 d. 216 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 d. 217 S. eingehend oben 3. Kap. 3. Abschn. A und B. 218 S. kurz und zutreffend Grigoleit, WM 2001, 597, 599 f.
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2. Individualschützende Zwecke und individuelle Rechtsfolgen a. Grundsatz Sind demnach sämtliche der besonderen Informationspflichten, wie sie sich in §§ 312 ff. BGB für die besonderen Vertriebsformen im einzelnen geregelt finden, wegen ihrer (stets mitschwingenden) institutionellen Systemfunktion auch „institutionell“ sanktioniert, so gestattet dies noch keine Aussage darüber, wann und in welcher Art diese zwingenden Informationspflichten mit individualrechtlichen Rechtsbehelfen der betroffenen Kunden zu versehen sind. Soweit diesbezüglich keine expliziten Regelungen getroffen wurden, ist insbesondere die Fragestellung, inwieweit (bei Verschulden des Unternehmers) die allgemeinen Grundsätze über Schadensersatzverpflichtungen aus vorvertraglichen und nachvertraglichen Informationspflichtverletzungen auf die Verletzung besonderer Informationspflichten (der §§ 312 ff. BGB) anzuwenden sind, anhand einer sorgsamen rechtsfolgenspezifischen Analyse der jeweiligen Schutzzwecke der einzelnen Informationspflichten zu beantworten 219. Zugleich kann eine derartige Analyse dazu dienen, der oben angedeuteten Gefahr220 vorzubeugen, daß die Mitgliedstaaten rein institutionell (d.h. sogar ausschließlich am Schutz des Verkehrssystems im Interesse des Systemvertrauens der Verbraucher) ausgerichtete besondere Informationspflichten des europäischen Rechts in zweckwidriger Weise mit individuellen Sanktionen versehen. Soweit entsprechende legislative Fehlentwicklungen bereits vorhanden sind, sind sie durch teleologische Reduktion der zweifelhaften Rechtsfolgenanordnungen – soweit europarechtlich möglich – im Sinne eines rechtsfolgenspezifisch sinnvollen Ergebnisses zu korrigieren. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob und inwieweit die vertriebsspezifischen Informationspflichten individualschützende Zwecke verfolgen. Ist dies der Fall, so kann sich dem Grundsatz nach aus einer schuldhaften Pflichtverletzung seitens des Unternehmers ein individueller Schadensersatzanspruch des Kunden gem. §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB ergeben, der unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Aufhebung bzw. Anpassung des Vertrags221 im Wege der Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB gerichtet sein kann 222. Neben einem solchen Schadensersatzanspruch kommt na219 S. grundlegend Grigoleit, WM 2001, 597 ff. (bezüglich der besonderen Informationspflichten nach § 312e BGB); insgesamt bezüglich der besonderen Vertriebsformen im BGB ders, NJW 2002, 1151, 1155 ff. 220 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 c. 221 S. noch sogleich u. Fn. 223. 222 So jedenfalls die ganz herrschende Meinung, Grigoleit, WM 2001, 597 ff.; ders, NJW 2002, 1151, 1155 ff.; Riehm, Jura 2000, 505 ff.; Palandt-Heinrichs, § 312c, Rz. 12, § 312e, Rz. 11; MüKo-Wendehorst, § 312c, Rz. 76 und 120 ff., § 312e, Rz. 121 ff.; Staudinger-Thüsing, § 312c, Rz. 94 und 125; § 312e, Rz. 71. Zurückhaltender Bamberger/Roth-Schmidt-Räntsch, § 312c, Rz. 27 ff. (Schadensersatzansprüche insbesondere im Falle der vor Vertragsschluß zu erfüllenden Informationspflichten nur in nicht näher bezeichneten Ausnahmefällen und nicht allein auf § 312c Abs. 1 BGB zu stützen).
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türlich die Anwendung sämtlicher anderer allgemeiner Vorschriften (insbesondere über den Dissens bzw. die Einbeziehung von Vertragsbedingungen, die Irrtumsanfechtung und die Gewährung bestimmter Beweiserleichterungen als Folge der vorvertraglichen Pflichtverletzung) grundsätzlich in Betracht. Mit Blick auf diese prinzipiell zur Verfügung stehenden Instrumente allgemeiner vorvertraglicher Informationshaftung im deutschen Recht sind die besonderen Informationspflichten der §§ 312 ff. BGB zu prüfen: Soweit Rechtsfolgenanordnungen bereits getroffen sind, ist festzustellen, ob diese abschließenden Charakter haben und ob die getroffenen Rechtsfolgenanordnungen im Lichte vorstehender allgemeiner Grundsätze mit Blick auf die den einzelnen Informationspflichten zugrundeliegenden Zwecke sinnvoll sind. Soweit ein abschließender Charakter nicht bejaht wird, ist zu prüfen, ob und inwieweit sich im Lichte des Schutzzwecks der Informationspflichten ein Schadensersatzanspruch aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB ergeben kann. Gerade auf Vertragsaufhebung bzw. Vertragsanpassung kann der gegebenenfalls entstehende Schadensersatzanspruch gemäß den allgemeinen Grundsätzen über die vorvertragliche Informationshaftung der Rechtsfolge nach jedenfalls nur dann gerichtet sein, wenn sich ein solcher Anspruch in das System vorvertraglicher Informationshaftung mit seinen grundlegenden Rahmenbedingungen – nämlich (ausnahmsweise) Verantwortlichkeit einer Partei für die ungestörte vorvertragliche Willensbildung der anderen Partei und unzureichende Information bezüglich eines substantiell vertragswesentlichen Umstands – einfügt223. An diesem (aufgrund des auch im Bereich der besonderen 223 Noch unter Hintanstellung der in Rechtsprechung und Literatur höchst umstrittenen konstruktiven Details (die Rechtsprechung wählt insoweit traditionell eine schadensersatzrechtliche Lösung [ständige Rechtsprechung seit BGH NJW 1962, 1196; s. zuletzt etwa BGH NJW 1998, 302] wobei dann wiederum umstritten ist, inwieweit der bloße Vertragsschluß als solcher bereits einen Schaden i.S.d. § 249 S. 1 BGB darstellen kann [dagegen die frühere Rechtsprechung, die zusätzlich einen Vermögensschaden forderte, der allerdings in weitem sozusagen versubjektiviertem Verständnis bereits dann vorliegen sollte, wenn die Leistung für die Zwecke des informationsberechtigten Kunden unbrauchbar war, s. zuletzt etwa BGH NJW 1998, 302, 304 und BGH NJW 1998, 898, 899; für eine Unabhängigkeit vom Vermögensschadenserfordernis aber wohl BGH NJW 2001, 436, 438, sowie prononciert Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 330 ff.; ders., ZIP 1998, 1053, 1055 ff. und öfter; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 111 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 276, 314] und wie das Konkurrenzverhältnis eines solchen Schadensersatzanspruchs zu §§ 123 f. BGB (insbesondere hinsichtlich der Befristung: § 124 BGB oder § 195 BGB) im einzelnen auszugestalten ist [s. dazu ausführlich Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 330 ff.; Fleischer, AcP 200 (2000), 91 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 276, 304 ff.; von vornherein für eine Lösung über eine Rechtsfolgenanalogie zu § 123 BGB seit jeher Grigoleit, s. zuerst ders., Informationshaftung, S. 137 ff., seither ders., WM 2001, 597, 598 und öfter], vgl. zum ganzen näher auch noch unten 4. Abschn. A III 2 b) ist bezüglich der Rechtsfolge der allgemeinen vorvertraglichen Informationshaftung festzuhalten, daß sie die Wirksamkeit des Vertrags – im Ergebnis ähnlich wie die vertriebsspezifischen verbraucherschützenden Widerrufsrechte – potentiell vollständig aufhebt bzw. sich in einzelnen Fällen – insbesondere soweit der Kausalitätsnachweis gelingt – auch auf Vertragsanpassung richten kann; diese Rechtsfolgen der Informationshaftung werden durch den spezifischen (im Rahmen des hier vertretenen Vier-Ebenen-Modells schwerpunktmäßig dem Schutz der Entscheidungsgrundlage zuzuordnenden) Schutzzweck – den Schutz der störungsfreien vorvertraglichen Willensbildung durch
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Vertriebsformen grundsätzlich fortgeltenden allgemeinen Prinzips der informationellen Selbstverantwortung) strengen Maßstab sind die einzelnen der zahlreichen vertriebsspezifischen Informationspflichten zu messen. Jedenfalls im dogmatischen Ausgangspunkt können dabei die Informationspflichten im Rahmen sämtlicher besonderer Vertriebsformen – auch gleichgültig, ob sie vor Vertragsschluß oder nach Vertragsschluß (bis Lieferung oder sogar noch zu einem späteren Zeitpunkt) zu erfüllen sind – gleich behandelt werden 224. b. Einteilung der besonderen Informationspflichten und Konsequenzen für die Sanktionierung (1) Pflichten bei Haustürgeschäften und im Fernabsatz Ihrer individualschützenden Zweckrichtung nach lassen sich zu diesem Zweck die besonderen Informationspflichten der §§ 312 und 312c BGB (letztere ggf. i.V.m. §§ 1 und 3 BGB-InfoV) bei den Haustürgeschäften und im Fernabsatz einteilen in Pflichten, die dem abschlußbezogenen Instrument des jeweiligen Widerrufsrechts unmittelbar akzessorisch sind (d.h. die Ausübbarkeit des Widerrufsrechts selbst sichern, vgl. insoweit auch § 355 Abs. 3 BGB), in Pflichten, die für die Ausübung des jeweiligen Widerrufsrechts (insbesondere durch Sicherung der Entscheidungsgrundlage) relevant sind und schließlich in Pflichten, die gänzlich anders geartete individualschützende Zwecke (beispielsweise betreffend die Absicherung der späteren Rechtewahrnehmung seitens des Verbrauchers) verfolgen, die gar nicht im Begründung einer Verantwortlichkeit der einen Partei für eine Willensstörung der anderen Partei zu sichern – allgemeiner vorvertraglicher Informationspflichten legitimiert (zutreffend allgemein statt aller Grigoleit, WM 2001, 597, 599 f. mit umfassenden weiteren Nachweisen). Angesichts des – nach der hier vertretenen Auffassung zumal auch für das Verbraucherrecht durch das verbraucherschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip geschützten – Prinzips der informationellen Selbstverantwortung als Ausgangspunkt kommt die Begründung derartiger Aufklärungspflichten allerdings nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn erkennbar vertragswesentliche Umstände – die typischerweise die Erreichung des Vertragszwecks vereiteln können oder doch zumindest für den Vertragsschluß erkennbar von wesentlicher Bedeutung sind – betroffen sind (s. nur BGHZ 114, 87, 90 f.; Grigoleit, aaO., 599; näher Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 417 ff. mwN). Anhand dieser prinzipiellen Rahmenbedingungen allgemeiner vorvertraglicher Informationshaftung im deutschen Recht (s. ähnlich für die vertragsschlußbezogenen Informationspflichten im Gemeinschaftsrecht Fleischer, ZEuP 2000, 772, 785 f.; vgl. im übrigen auch grundlegend Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluß im Acquis communautaire, 2003) – nämlich: Verantwortlichkeit für die vorvertragliche Willensbildung einer Partei und substantiell vertragswesentlicher Umstand – sind auch die besonderen Informationspflichten der §§ 312 ff. BGB zu messen, wie dies im folgenden Text im einzelnen noch näher skizziert wird. 224 Zutreffend Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1155; MüKo-Wendehorst, § 312c, Rz. 76 und 120. Offen Bamberger/Roth-Schmidt-Räntsch, § 312c, 27 ff. Allerdings setzt dies voraus, daß man auch sämtliche der Belehrungsanordnungen im Haustürvertrieb, Fernabsatz und E-Commerce als echte Pflichten, nicht zum Teil lediglich als Obliegenheiten ansieht. Doch ist dies nach den EuGH-Entscheidungen EuGH Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-0000 (Schulte . /.Badenia), Rz. 100 ff., sowie EuGH Rs. C-229/04, Slg. 2005, I-0000 (Crailsheimer Volksbank . /.Conrads u.a.), Rz. 48 f., nach der hier vertretenen Auffassung nunmehr unumgänglich, s. noch sogleich u. Fn. 227.
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Zusammenhang mit der situationsbezogenen Abschlußkontrolle stehen. Hinzu kommen dann im E-Commerce (s. insoweit unten (2)) noch Pflichten, für die sich eine sinnvolle individualschützende Zwecksetzung gar nicht feststellen läßt und die folglich allein institutionelle, marktbezogene Zwecke verfolgen. (a) Den verbraucherschützenden Widerrufsrechten unmittelbar akzessorische Informationspflichten Unmittelbar den jeweils eingeräumten Widerrufsrechten akzessorisch sind die diesbezüglichen ausdrücklichen Belehrungs- bzw. Informationspflichten gem. § 355 Abs. 2 BGB i.V.m. § 312 Abs. 2 (Haustürgeschäfte) und § 312 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 10 und § 1 Abs. 4 Nr. 1 BGB-InfoV (Fernabsatzgeschäfte). Hauptzweck dieser Pflichten ist es, dem Verbraucher in effektiver Weise die Ausübung des Widerrufsrechts zu ermöglichen, sie sind auf das Widerrufsrecht als Instrument der Abschlußkontrolle bezogen. Entsprechend besteht die in §§ 312d Abs. 2, 355 Abs. 2 BGB ausdrücklich angeordnete individuelle Sanktion darin, daß die Widerrufsfrist vor Erfüllung der entsprechenden Informationspflichten nicht zu laufen beginnt. Nicht einmal die Begrenzung auf eine Maximalfrist von 6 Monaten für das Erlöschen des Widerrufsrechts gilt in diesem Falle (gem. § 355 Abs. 3 Abs. 3 BGB) mehr225. Wenn somit der Schutzzweck der akzessorischen Informationspflichten sich hinsichtlich der Möglichkeit einer Vertragsaufhebung gerade auf die Absicherung des Widerrufsrechts richtet, so bleibt für einen darüber hinausgehenden Schadensersatzanspruch, der sich auf Aufhebung oder Anpassung des unmittelbar betroffenen Vertrags gem. §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 249 S. 1 BGB richten könnte, dogmatisch kein Raum (und angesichts der infiniten Verlängerung des Widerrufsrechts auch kein sinnvoller praktischer Anwendungsbereich). Vielmehr ist hinsichtlich des bloßen Interesses an einer Vertragslösung des Verbrauchers von dem unmittelbar betroffenen Geschäft die Sanktionierung durch den Nichtbeginn der Widerrufsfrist die abschließende Rechtsfolge; in der Sicherung des Widerrufsrechts geht die akzessorische Informationspflicht – soweit das Interesse an Vertragslösung betroffen ist – insoweit sozusagen als „Minus“ auf. Das bedeutet jedoch nicht, daß es sich bei den Informationspflichten bezüglich der Widerrufsrechte nur um reine Obliegenheiten handelte226. Sie stellen vielmehr selbständige, gesetzgeberisch konkretisierte Informationspflichten nach §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB dar227. Und für einen individuellen Schadensersatz225 Womit die entsprechende Rechtslage im europäischen Recht betreffend das Haustürwiderrufsrecht (s. nur EuGH, Rs. C-481/99 (Heininger), Slg. 2001, I-9945) vom deutschen Gesetzgeber in überschießender Weise umgesetzt wird. 226 So aber Staudinger-Kaiser, § 361a, Rz. 28; MüKo-Ulmer, § 355, Rz. 44. 227 So die herrschende Meinung zum neuen Recht, s. nur OLG Bremen, NJW 2006, 1210, 1212; AG Siegburg, NJW-RR 2002, 129; Palandt/Heinrichs, § 355, Rz. 13; AnwK-Ring, § 355, Rz. 14 und Rz. 22; Stillner, VuR 2002, 79, 82; offengelassen für die Belehrungspflicht beim Haustürgeschäft nunmehr von BGH NJW 2006, 2099, 2103; a.A. Staudinger-Kaiser, § 361a, Rz. 28;
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anspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen schuldhafter Verletzung dieser Pflichten bleibt auch insofern ein sinnvolles Anwendungsfeld, als die Verletzung der Informationspflichten bezüglich des Widerrufsrechts zu kausal verursachten Schäden beim Verbraucher führen kann, die nicht lediglich das Vertragslösungsinteresse bezüglich des unmittelbar betroffenen Vertrags, sondern die Verursachung sonstiger Schäden betreffen. Den wesentlichsten Anwendungsfall für einen derartigen Schadensersatzanspruch dürfte nunmehr das – aufgrund der Vorgabe der EuGHEntscheidung Schulte ./.Badenia rechtlich nach Maßgabe des mitgliedstaatlichen Rechts zu schützende228 – Interesse des Verbrauchers bilden, von anderen Verträgen, die mit dem von dem Widerrufsrecht erfaßten Vertrag in Verbindung standen und insgesamt von allen mit dem Abschluß des Vertrags zurechenbar verbundenen wirtschaftlichen Risiken freigestellt zu werden 229. Darüber hinaus mag eine MüKo-Ulmer, § 355, Rz. 44 und die ganz herrschende Meinung zur früheren Rechtslage (s. nur BGH NJW 1990, 181), die aber dogmatisch gerade auf der andersartigen Konzeption (schwebende Unwirksamkeit des Vertrags, statt nunmehr schwebender Wirksamkeit bis Widerruf) fußte (vgl. allgemein zu den Konsequenzen der nunmehrigen Klärung des diesbezüglichen Meinungsstreits zum früheren Recht, Riehm, Jura 2000, 505, 507 f.). Bezüglich der besonders umstrittenen Informationspflicht aus § 312 Abs. 2 BGB (im Haustürgeschäft), wie auch insgesamt bezüglich der widerrufsrechtsakzessorischen Belehrungspflicht aus § 355 Abs. 3 BGB, dürfte nunmehr auch die zwingende europarechtliche Vorgabe der Haustürgeschäfte-RL, wie sie der EuGH in den aktuellen Entscheidungen EuGH Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-0000 (Schulte . /.Badenia), Rz. 100 ff., sowie EuGH Rs. C-229/04, Slg. 2005, I-0000 (Crailsheimer Volksbank . /. Conrads u.a.), Rz. 48 f. konkretisiert hat, entscheidend dafür sprechen diese Belehrungspflichten als echte vorvertragliche Informationspflichten zu qualifizieren (wie hier OLG Bremen, NJW 2006, 1210, 1212 f.; demgegenüber offengelassen vom BGH NJW 2006, 2099, 2103). 228 S. EuGH Rs. C-350/03, Slg. 2005, I-0000 (Schulte . /.Badenia), Rz. 100 ff., sowie – insoweit inhaltsgleich – EuGH Rs. C-229/04, Slg. 2005, I-0000 (Crailsheimer Volksbank . /.Conrads u.a.), Rz. 48 f. 229 Wie hier für eine Umsetzung der vom EuGH aus Art. 4 Haustürgeschäfte-RL abgeleiteten mitgliedstaatlichen Verpflichtung zur Freistellung des Verbrauchers von sämtlichen mit dem von ihm (hinsichtlich des Widerrufsrechts unbelehrt) abgeschlossenen Geschäft verbundenen Risiken auf dem konstruktiven Wege einer Schadensersatzhaftung aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB zuerst Habersack, JZ 2006, 91, 92 ff. Die Schwierigkeiten dieses Wegs (Verschuldenserfordernis des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, Kausalitätserfordernisse der §§ 249 ff. BGB) betonen Derleder, BKR 2005, 441, 448 und Hoffmann, BKR 2005, 487, 490 ff., wobei letzterer aber ebenfalls zugesteht, daß diese – mindestens im Wege der richtlinienkonformen Auslegung – durchaus zu überwinden wären (Ausnahmen vom Verschuldenserfordernis auf Grundlage von § 276 Abs. 1 S. 1 BGB im Sinne eines verschuldensunabhängigen Vertretenmüssens, das sich aus dem gemeinschaftsrechtlich geprägten „sonstigen Inhalt“ des Schuldverhältnisses ergibt; für diese spezifischen Fälle im Wege richtlinienkonformer Auslegung des § 249 S. 1 BGB umfassende Beweislastumkehr bezüglich der Kausalität der Nichtbelehrung für den Abschluß des Darlehensvertrags und des Immobilienkaufvertrags). Allerdings ist nicht zu verkennen, daß in diesem gemeinschaftsrechtlich überformten Bereich der Schadensersatzanspruch auf Grundlage von § 249 S. 1 BGB auf diese Weise – angesichts des im Hintergrund stehenden Effektivitätsgrundsatzes europäischen Rechts (s. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 1 d zur mehr institutionell ausgerichteten Durchsetzungskonzeption des EuGH) wenig überraschend – in systematisch durchaus nicht unbedenklicher Weise letztlich insofern mit einem gewissen generalpräventiven, sozusagen sanktionierenden Gehalt aufgeladen würde, als im Falle der Verletzung der Belehrungspflicht dem Gewerbetreibenden der Gegenbeweis, daß die betroffenen und verbundenen Geschäfte ohnedies abgeschlossen worden wären, entsprechend der Vorgabe des Ge-
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nicht oder nur fehlerhaft erfolgte Information dem Verbraucher bei der Rechtsverfolgung zusätzliche Kosten (etwa für die Einschaltung eines Rechtsanwalts zur Anspruchsabwehr, da Unklarheit über das Bestehen des einfach auszuübenden Widerrufsrechts bestand) verursachen; auch derartige zusätzliche Aufwendungen können dann gem. §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 S. 1 BGB ersatzfähig sein. (b) Die für die Ausübung der Widerrufsrechte relevanten Informationspflichten zur Sicherung der informationellen Entscheidungsgrundlage des Vertragsschlusses Die weiteren Pflichten, die für die Ausübung des jeweiligen Widerrufsrechts (insbesondere durch Sicherung der zugrundeliegenden Entscheidungsgrundlage) zumindest von Relevanz sind, finden sich in § 312c Abs. 1 und 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 und Abs. 1 Nr. 1–10 (nicht: Nr. 11 und 12, die anders gerichtete Zwecke verfolgen) BGB-InfoV sowie i.V.m. § 1 Abs. 3 und Abs. 2 Nr. 1–6 Alt. 2 BGB-InfoV (nicht: Nr. 6 Alt. 1, 7–8, die wiederum anders gerichtete Zwecke verfolgen und deshalb nicht widerrufsrechtsrelevant sind). Insbesondere für die Verletzung der diesbezüglichen nachvertraglichen Pflichten (spätestens bei Lieferung) nach § 312c Abs. 2 BGB ist die insoweit explizit vorgesehene Sanktion des Nichtbeginns der Widerrufsfrist und der maximalen Verlängerung des Widerrufsrechts auf 6 Monate nach Vertragsschluß bzw. Eingang der Ware beim Empfänger (§§ 312d Abs. 2, 355 Abs. 3 BGB) demnach mit Blick auf den jeweils zugrundeliegenden Individualschutzzweck (Sicherung der Entscheidungsgrundlage und damit zugleich der Grundlage für eine eventuelle Ausübung des Widerrufsrechts) sinnvoll. Wiederum kommen bei einer schuldhaften Verletzung der Pflichten – die als gesetzlich konkretisierte vorvertragliche Informationspflichten nach §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB einzuordnen sind – auch Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Da die vorbezeichneten Informationspflichten nicht unmittelbar den Widerrufsrechten akzessorisch sind, sondern zugleich auch unabhängig von jenen ganz allgemein die informationelle Entscheidungsgrundlage des Vertrags sichern, ist insoweit die Verlängerung der Widerrufsfrist als Rechtsfolge nicht einmal mit Blick auf ein eventuelles Vertragslösungsinteresse des Verbrauchers im Sinne einer abschließenden Regelung zu interpretieren. Es ist demnach auch denkbar, daß sich der Schadensersatzanspruch der Rechtsfolge meinschaftsrechts abgeschnitten würde. Diese dogmatische Unwucht hat nunmehr den BGH, NJW 2006, 2099 ff. (zustimmend Habersack, BKR 2006, 305 ff.), bewogen, jedenfalls für Fälle, in denen das Immobiliengeschäft bereits vor Abschluß des Darlehensvertrags für den Verbraucher bindend geworden war, eine andere konstruktive Lösung über eine eigene (auf den nachteiligen Inhalt des Immobilienvertrags gerichtete) vorvertragliche Aufklärungspflicht des Verkäufers zu wählen. Für Situationen, in denen das Immobiliengeschäft für den Verbraucher vor Abschluß des Darlehensvertrags nicht bindend geworden war, läßt der BGH den Weg über eine Schadensersatzhaftung gerade wegen der fehlenden oder fehlerhaften Belehrung aber offen. Vgl. zum ganzen näher auch schon o. 2.Kap. 3.Abschn. Fn. 346.
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nach auf eine Vertragsaufhebung oder –anpassung nach § 249 S. 1 BGB richtet 230, was insbesondere in den Fällen, in denen ein Widerrufsrecht nach § 312d Abs. 4 BGB ausgeschlossen ist, auch einmal von praktischer Relevanz sein mag 231. Jedoch müssen dann nach der hier vertretenen Auffassung die allgemeinen Voraussetzungen einer entsprechenden vorvertraglichen Informationshaftung erfüllt sein. Mithin muß sich die Informationspflicht auf einen derart vertragswesentlichen Umstand (der für die Erreichung des Vertragszwecks von substantieller Relevanz ist) richten, daß die Begründung einer ausnahmsweisen vorvertraglichen Verantwortlichkeit des einen Vertragspartners für die insoweit fehlerfreie Willensbildung des anderen Vertragspartners, noch über die explizit angeordneten Rechtsfolgen des Verbraucherschutzrechts hinaus, ganz allgemein geboten ist 232. Bezüglich dieser Frage enthalten die vorbezeichneten Informationspflichten nach § 312c Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. der BGB-InfoV nach der hier vertretenen Auffassung keinerlei Wertung, da sie sich in der Anordnung gesetzlich konkretisierter vorvertraglicher Informationspflichten mit einer spezifischen, wenn auch nicht abschließenden Rechtsfolge des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzrechts – nämlich der Verlängerung des Widerrufsrechts – erschöpfen. Insofern sind bezüglich der Möglichkeit eines Abstehens vom Vertrag auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 S. 1 BGB die strengen allgemeinen Maßstäbe vorvertraglicher Informationshaftung nicht zu modifizieren. Hiernach dürften in aller Regel allenfalls Verletzungen der preisbezogenen bzw. auf die wesentlichen Wareneigenschaften (oder Eigenschaften der Finanzdienstleistung und ihres Anbieters) bezogenen Pflichten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4–7 sowie Abs. 2 Nr. 1–3 BGB-InfoV – sofern in einem derartigen Falle dann trotz der fehlerhaften Information überhaupt ein Vertrag zu den vom Unternehmer gewünschten und vom Verbraucher nicht klar gekannten Bedingungen zustande gekommen ist233 – einmal die strengen Bedin230 S. für die ganz herrschende Meinung nur MüKo-Wendehorst, § 312c, Rz. 76; PalandtHeinrichs, § 312c, Rz. 12 (aber gleichfalls mit dem Hinweis, daß dies wegen des vorhandenen Widerrufsrechts nur von geringer praktischer Relevanz sei). 231 S. wie hier MüKo-Wendehorst, § 312c, Rz. 76; insoweit a.A. Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1156 (strikte Begrenzung auch auf den Anwendungsbereich des Widerrufsrechts). 232 Wie hier insbesondere Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1155 f. mit weiteren Details und Differenzierungen. 233 Die praktisch wesentlichste allgemein zivilrechtliche Folge einer Verletzung der an dieser Stelle diskutierten, waren-, preis- und nebenabredenbezogenen Informationspflichten dürfte nämlich sein, daß die entsprechenden Angaben bezüglich der Ware, zusätzlichen Preisbestandteilen und Einzelheiten bezüglich Gewährleistung, Lieferung etc. von vornherein nicht Vertragsbestandteil werden (da dann häufig vom objektiven Empfängerhorizont betrachtet keine entsprechende Willenerklärung des Verbrauchers vorliegen dürfte bzw. – mit Blick auf AGB – die [unabhängig zu prüfenden, s. näher zur diesbezüglichen Kontroverse noch u. Fn. 256] Einbeziehungsvoraussetzungen der §§ 305 Abs. 2 und 3, 305a BGB nicht erfüllt sein dürften), wobei sich die Rechtsfolgen der Nichteinbeziehung dann nach § 306 BGB bestimmen, demzufolge in diesem Falle in der Regel dispositives Gesetzesrecht anstelle der nicht Vertragsbestandteil gewordenen Klauseln eingreift. Sind gar essentialia negotii von der fehlenden Einigung aufgrund fehlender Information des Verbrauchers – und von dem entsprechend nicht vorhandenen objektiven Erklärungsinhalt seiner Willenserklärung – betroffen, kommt von vornherein kein Vertrag zustande. Sind die Fehlvorstellungen des Verbrauchers einseitig und haben sie sich nicht im objektiven Erklärungsinhalt niedergeschlagen, kommt eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB in Betracht (die allerdings – soweit es um vertragswesentliche Umstände geht – gegenüber der dann u.U. möglichen schadensersatzrechtlichen Aufhebungsmöglichkeit nach § 280 Abs. 1
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
gungen für eine Vertragsaufhebung bzw. – anpassung nach den Grundsätzen vorvertraglicher Informationshaftung nach §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 S. 1 BGB erfüllen; denn allein diese Pflichten können potentiell hinreichend substantielle („vertragswesentliche“) Umstände betreffen, um eine Verantwortlichkeit des Unternehmers für die hinsichtlich der Informationsgrundlage hinsichtlich dieser besonders wichtigen Umstände vollständig gewährleistete Fehlerfreiheit der Willensbildung des Kunden zu begründen. Die schadensersatzrechtliche Haftung auf Vertragsaufhebung – bzw. anpassung wegen Vertragsverletzung ist dann zudem – um einen Wertungswiderspruch zu der verbraucherschutzrechtlichen Maximalregelung hinsichtlich der Verlängerung der Widerrufsmöglichkeit, die sich ja auf dasselbe Interesse richtet, zu vermeiden – auf maximal 6 Monate nach Vertragsschluß bzw. Warenlieferung zu begrenzen234.
Für alle anderen Informationspflichten, die sich eher auf Nebenaspekte hinsichtlich des Produkts bzw. der Dienstleistung und bestimmte Nebenbedingungen des Vertrags beziehen, ist demgegenüber ein schadensersatzrechtlich begründeter Anspruch auf Vertragsaufhebung bzw. –anpassung praktisch nie denkbar. Im übrigen kommen aber natürlich für sämtliche der vorbezeichneten widerrufsrechtsrelevanten Pflichten, die sich auf den Schutz der Entscheidungsgrundlage richten, wiederum auf andere Interessen ausgerichtete Schadensersatzansprüche (etwa für kausal verursachte zusätzliche Rechtsverfolgungskosten) gem. §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 S. 1 BGB in Betracht, sofern deren Voraussetzungen im einzelnen Fall erfüllt sind. (c) Sonstige individualschützende Informationspflichten im Fernabsatz mit anders gerichteten Zwecken Schließlich enthalten § 1 Abs. 1 und Abs. 2 (gegebenenfalls i.V.m. Abs. 3 für die nachvertraglich zu erfüllenden Pflichten) BGB-InfoV auch Informationspflichten im Fernabsatz, die von vornherein nicht im Zusammenhang mit dem Schutz der Entscheidungsgrundlage oder überhaupt des störungsfreien Vertragsschlusses seitens des Verbrauchers stehen. In § 1 Abs. 1 BGB-InfoV (betreffend den „klassischen“ Fernabsatz) sind dies die Pflichten gem. Nr. 11 bezüglich der Kosten für die Kommunikationsmittel, die für den Vertragsschluß eingesetzt werden, sowie insbesondere gem. Nr. 12 die Informationen über eine etwa befristete Gültigkeitsdauer bestimmter zur Verfügung gestellter Informationen (etwa befristeter Angebote). Diese Pflichten verfolgen zwar individualschützende Zwecke (Schutz vor unbekannten und überhöhten Verbindungsentgelten, Schutz vor dem Entgang bestimmter befristeter Angebote), die aber nicht im Zusammenhang mit der Fehlerfreiheit des späteren Vertragsschlusses bezüglich der angebotenen Ware oder Dienstleistung stehen. Das gleiche gilt nunmehr auch für die Pflichten im Fernabsatz von Finanzdienstleistungen gem. § 1 Abs. 2 BGB-InfoV, über die für den VerBGB die Nachteile der Schadensersatzpflicht des Anfechtenden nach § 122 BGB und der Beweislast auf Seiten des Anfechtenden bezüglich der Kausalität zwischen Irrtum und Vertragsschluß hat, s. näher noch unten (2)). S. allgemein zutreffend statt aller schon Riehm, Jura 2000, 505, 510. 234 S. insoweit zutreffend statt aller Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1156.
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tragsschluß verwendeten Sprachen 235 (Nr. 6 Alt. 1236), über den Zugang zu außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren (Nr. 7) und über das Bestehen von Garantiefonds (Nr. 8) zu informieren. Denn diese Pflichten sind für den Vertragsschluß als Informationsgrundlage schon deshalb nicht von Relevanz, weil sich entweder zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen und des Vertragsschlusses der entsprechende Informationsbedarf bereits überholt hat (so im Falle der Nr. 6 Alt. 1) oder weil die verfolgten Zwecke wiederum mit der Fehlerfreiheit des Vertragsschlusses gar nicht im Zusammenhang stehen 237, sondern vielmehr nur (in ganz anderen Zusammenhängen) eine effektive Information und Rechtsverfolgung seitens des Verbrauchers sichern sollen. Sämtliche dieser Pflichten verfolgen demnach durchaus individualschützende Zwecke. Für den Schutz der Entscheidungsgrundlage hinsichtlich des Vertragsschlusses des Verbrauchers sind sie aber nicht von Relevanz. Insofern ist bezüglich der Verletzung dieser Pflichten an sich auch die Sanktion der Verlängerung der Widerrufsfrist gem. §§ 312d Abs. 2, 355 Abs. 2 BGB auf maximal 6 Monate gar nicht zweckgerecht. Andererseits besteht in diesem Bereich kein Spielraum für entsprechende teleologische Reduktion des § 312d Abs. 2 BGB, da dieser insoweit zwingende europäische Vorgaben 238 umsetzt. Dogmatisch wird man daher in der spezifischen Rechtsfolgenanordnung des § 312d Abs. 2 BGB insoweit eine dem allgemeinen deutschen Zivilrecht bisher weitgehend fremde Instrumentalisierung des Verbrauchers als Organ der Durchsetzung institutioneller (Markttransparenz-)pflichten sehen müssen. Die individuelle Sanktion – Verlängerung der Widerrufsfrist – wird nämlich gewährt, um die Erfüllung der Pflicht – die zwar neben ihrer Rolle für die Sicherung der Markttransparenz einen auch individuellen, aber ganz anders ausgerichteten 235 Deren Verwendung der Verbraucher ja ohnehin rechtzeitig vor Vertragsschluß wahrnimmt und bezüglich derer ohnedies keine Pflicht des Unternehmers zu einem vielsprachigen Angebot besteht, so daß die diesbezügliche Informationspflicht allenfalls der Bequemlichkeit des Verbrauchers, von vornherein zu wissen, in welcher Sprache der weitere Vertragsschluß sich abspielen wird, dient. Diese Information ist für den späteren Abschluß des Vertrags aber nicht von Relevanz, da der Verbraucher in dieser Phase ja noch ohne weiteres vom Vertrag abstehen kann. Geschützt ist hier also allenfalls das Interesse, keine Zeit zu verschwenden, indem man sich einem Angebot zuwendet, daß dann in einer Sprache präsentiert wird, die man für einen Vertragsschluß nicht hinreichend beherrscht; dieses Interesse dürfte allerdings kaum jemals schadensersatzrechtlich relevant werden. Vgl. ähnlich bezüglich der entsprechenden Pflicht im E-Commerce schon Grigoleit, WM 2001, 603. 236 Nicht: die zweite Alternative der Vorschrift betreffend die Sprachen, derer sich der Unternehmer in der Folge bedient, um Kommunikation mit dem Verbraucher während der Laufzeit des Finanzdienstleistungsvertrags zu führen. Denn diese Pflicht betrifft nach der hier vertretenen Auffassung durchaus die Entscheidungsgrundlage bezüglich des abgeschlossenen Vertrags, da die Information potentiell die Vertragsentscheidung beeinflussen mag und der Verbraucher entsprechende Klarheit in der Tat u.U. erst lange nach Vertragsschluß erlangt. Die Information ist daher dem Bereich widerrufsrechtsrelevanter Informationen zuzuordnen, insofern ist in diesem Fall auch die Verlängerung der Widerrufsfrist angebracht. S. näher oben im Text. 237 Der Vertrag wird durch die dem Verbraucher nicht mitgeteilten Informationen (zusätzliche Beschwerdeverfahren; zusätzliche Garantiefonds) ja sogar attraktiver. 238 S. Art. 6 Abs. 1 Fernabsatz-RL; Art. 6 Abs. 1 FernabsatzFinDL-RL.
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Schutzzweck verfolgt – effektiv abzusichern. Der Verbraucher wird – sofern er tatsächlich auf dieser Grundlage einmal verspätet sein Widerrufsrecht ausüben sollte – zum Organ der Durchsetzung in ganz anderem Zusammenhang stehender (zumal im Sinne der eigenständigen institutionellen Systemfunktion markttransparenzbezogener) Informationspflichten. In dieser Perspektive wird deutlich, daß auf Grundlage der genannten Pflichten – da sie sich gar nicht auf die individuelle Entscheidungsgrundlage bezüglich des geschlossenen Vertrags beziehen – jedenfalls eine schadensersatzrechtliche Lösung vom Vertrag gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 S. 1 BGB von vornherein ausscheidet. Mit Blick auf die eigentlich verfolgten individuellen Schutzzwecke kommen aber natürlich bei Verschulden des Unternehmers Schadensersatzansprüche nach §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB in Betracht, soweit die fehlende Information etwa beispielsweise den Entgang eines besonders günstigen Angebots (s. § 1 Abs. 1 Nr. 12 BGB-InfoV), zusätzliche Rechtsverfolgungskosten oder sonstige Zusatzaufwendungen (s. z.B. § 1 Abs. 2 Nr. 7 und 8 BGB-InfoV), die der Verletzung der respektiven Informationspflichten objektiv zurechenbar sind, verursacht hat. (2) Informations- und Vorkehrungspflichten im E-Commerce Bezüglich der rechtsfolgenspezifischen Analyse der Informationspflichten 239 im E-Commerce gem. § 312e Abs. 1 i.V.m. § 3 BGB-InfoV, die sich für den wesentlichen Fall des Internet-Vertriebs in der Regel mit jenen des Fernabsatzrechts ideal konkurrierend überlagern 240, lassen sich wiederum vorstehend entwickelte Kategorien anwenden. Hinzukommen im E-Commerce, wie in dieser Studie schon mehrfach angeklungen, noch rein institutionell ausgerichtete Pflichten, die gar keinen sinnvollen Individualschutzzweck verfolgen, sondern vielmehr allein (im „klassisch“ wettbewerbsrechtlichen Sinne) eine marktbezogene Ordnungsfunktion (insbesondere bei der Sicherung der Markttransparenz) haben 241. Einen auch individualschützenden Zweck, der sich gerade auf die Sicherung des Entscheidungsprozesses des Kunden und die Absicherung seiner fehlerfreien Wil239 Genaugenommen enthalten §§ 312e Abs. 1 und § 3 BGB-InfoV nicht lediglich Informationspflichten im eigentlichen Sinne, sondern auch auf die Gestaltung der Abläufe und zugrundeliegenden elektronischen Programme bezogene Pflichten, die insbesondere der Sicherung der fehlerfreien Willensentäußerung des Kunden dienen sollen und die hier bisher als Vorkehrungspflichten bezeichnet wurden. Da die Erfüllung dieser Pflichten letztlich aber sämtlich darauf zielt, dem Kunden hinsichtlich des Prozesses der Willensentäußerung und seines Ablaufs Informationen auf einzelnen näher bezeichneten Zwischenstufen zukommen zu lassen, um seinen Entscheidungsprozeß abzusichern, soll an dieser Stelle aber im Interesse der Vereinfachung nurmehr von Informationspflichten die Rede sein, zumal der zugrundeliegende gleichartige Zweck eine uneingeschränkte dogmatische Gleichbehandlung rechtfertigt. S. zutreffend Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1157; ders., WM 2001, 597, 600. 240 S. für die Einzelheiten statt vieler etwa Micklitz, Vertragsschlußmodalitäten, S. 191 ff.; Grigoleit, NJW 2002, 1151 ff. 241 S. insoweit ja schon oben 1. Kap. 3. Abschn. C III 3; 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 c und d.
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lensentäußerung (und damit auch auf einen für ein gegebenenfalls vorhandenes Widerrufsrecht 242 relevanten Zweck) richtet, verfolgen die bedienungsbezogenen Pflichten gem. § 312e Abs. 1 Nr. 1 und 3 sowie § 312e Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 Nr. 1 und 3 BGB-InfoV243. Dabei beziehen sich die Informationspflichten nach Nr. 1 und 3 der Informationspflicht-VO gerade auf die bedienungsbezogenen Vorkehrungspflichten zur Vermeidung von Willensmängeln gem. § 312e Abs. 1 Nr. 2 BGB und gehen gewissermaßen in deren Absicherung auf. Diese Pflichten verfolgen den Zweck, den Kunden dadurch in der störungsfreien Abgabe seiner elektronischen Willenserklärung zu sichern, daß dem Unternehmer in dem durch die besonderen Informations- und Vorkehrungspflichten umrissenen Umfang die Verantwortlichkeit für die fehlerfreie vorvertragliche Willensbildung des Kunden – insbesondere die Vermeidung von Erklärungen ohne Erklärungsbewußtsein sowie die Vermeidung von Erklärungsirrtümern 244 – übertragen wird245. Wegen des Bezugs auf den fehlerfreien Vertragsabschluß ist insofern die Sanktionierung durch § 312e Abs. 3 Satz 2 BGB, demzufolge vor Erfüllung dieser Pflichten die Frist für ein etwa gegebenes (praktisch dürfte ganz typischerweise § 312d BGB einschlägig sein) Widerrufsrecht nach § 355 BGB nicht beginnt (was gegebenenfalls zur Maximalfrist für den Widerruf von 6 Monaten ab Vertragsschluß bzw. Eingang der Ware gem. § 355 Abs. 3 BGB führt), eine angemessene Rechtsfolge. Darüber hinaus wird natürlich häufig in den Fällen einer Verletzung dieser Pflichten entweder vom objektiven Empfängerhorizont betrachtet schon keine Willenserklärung des Kunden vorliegen oder aber jedenfalls für eine einmal abgegebene Willenserklärung wegen von vornherein fehlenden Erklärungsbewußtseins (analog § 119 Abs. 1 BGB) bzw. wegen entstandener Erklärungsirrtümer (unmittelbar gem. § 119 Abs. 1 BGB) ein Anfechtungsrecht des Kunden in Betracht kommen, welches dann aber im Grundsatz die Schadensersatzpflicht des § 122 BGB nach sich zieht 246. Wegen der Schadensersatzpflicht des Kunden aus § 122 BGB im Rahmen der Anfechtung bleibt neben der Anfechtungsmöglichkeit insofern wiederum auch sinnvoller Raum für eine schadensersatzrechtliche Lösung vom Vertrag bzw. Vertragsanpassung gem. §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2,
242 Das natürlich insbesondere typischerweise nach den Regelungen des Fernabsatzes gem. § 312d BGB auch einschlägig sein wird, s. zum modalen Anwendungsbereich statt aller Riehm, Jura 2000, 505, 509 f. 243 Ähnlich Grigoleit, WM 2001, 597, 600 ff.; Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1157. 244 S. für die Einzelheiten bezüglich der einzelnen Irrtumsarten, vor denen die bedienungsbezogenen Pflichten im E-Commerce schützen, statt vieler Grigoleit, WM 2001, 597, 601 f. 245 S. Grigoleit, WM 2001, 597, 600 ff.; Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1157. 246 Gegen einen durchsetzbaren Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens in Fällen, in denen der Unternehmer durch die unterlassene Information die Benachteiligung des Kunden beim Vertragsschluß erst verursacht hat, Staudinger-Thüsing, § 312e, Rz. 70, da in diesem Fall die Geltendmachung des Anspruchs aus § 122 BGB seitens des Unternehmers rechtsmißbräuchlich unter dem Aspekt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) sei.
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280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 249 S. 1 BGB wegen vorvertraglicher Informationspflichtverletzung247. In diesem Falle dürfte sich eine derartige Haftung auch sinnvoll in das bestehende System vorvertraglicher Informationshaftung einpassen: Ersichtlich verfolgen die besonderen Vorkehrungspflichten des § 312e Abs. 1 Nrn. 1 und 3 BGB und die zugehörigen Informationspflichten des § 3 Nrn. 1 und 3 BGB-InfoV den Zweck, eine Verantwortlichkeit des Unternehmers für die fehlerfreie vorvertragliche Willensbildung und -äußerung des Kunden zu begründen, soweit sie dem Schutz vor Irrtumsfreiheit im Rahmen der Abgabe der Willenserklärung im elektronischen Geschäftsverkehr dienen248. Zwar betreffen diese Pflichten nicht – hinsichtlich der informationellen Entscheidungsgrundlage – vertragswesentliche Umstände, aber sie sind doch – hinsichtlich des Prozesses der Abgabe der Willenserklärung – von entscheidender Relevanz für den störungsfreien Vertragsschluß. Insofern sind – sofern man bereit ist, die Verantwortlichkeit des Unternehmers für die Fehlerfreiheit der Willensabgabe des Kunden, wie sie die Pflichten im ECommerce zum Schutz des Entscheidungsprozesses vorsehen, grundsätzlich ähnlich zu werten wie die angestammten Grundsätze der vorvertraglichen Informationshaftung hinsichtlich der informationellen Entscheidungsgrundlage – die Bedingungen eines Abstehens vom Vertrag nach §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 249 S. 1 BGB aufgrund einer Verletzung vorgenannter bedienungsbezogener Pflichten grundsätzlich erfüllt, sofern ein Verschulden des Unternehmers vorliegt249. Entsprechend dem Schutzzweck der bedienungsbezogenen Pflichten, dem Unternehmer für die insoweit fehlerfreie Abgabe der Willenserklärung des Kunden effektiv die Verantwortlichkeit zu übertragen, sollten dann in diesem Zusammenhang auch die nach den Grundsätzen vorvertraglicher Informationshaftung etablierten Beweiserleichterungen hinsichtlich der Kausalität der Pflichtverletzung für den Vertragsschluß greifen; d.h., der Kunde hätte die Pflichtverletzung zu beweisen, unter dieser Voraussetzung wäre dann die Kausalität für den Vertragsschluß nach den Regeln des Anscheinsbeweises250 zu vermuten. Auch insoweit wäre die schadensersatzrechtliche Lösung dann von Vorteil im Vergleich zur Anfechtungsmöglichkeit, in deren Rahmen gem. § 119 Abs. 1 BGB die Beweispflichtigkeit hinsichtlich der Kausalität des Irrtums für die Abgabe der Willenserklärung in vollem Umfang beim Kunden verbliebe251. Wiederum sollte aber die Schadensersatzhaftung – im Einklang mit der spezifischen Wertung des § 355 Abs. 3 BGB – zugleich auf 6 Monate ab Vertragsschluß bzw. Warenlieferung begrenzt werden.
Die Pflicht nach § 312e Abs. 1 Nr. 4 BGB, dem Kunden252 bei Geschäftsabschluß die Möglichkeit zum Abruf der Vertragsbedingungen (einschließlich der AGB) zum Abruf und zur bleibenden Speicherung zur Verfügung zu stellen und die ihr 247
S. statt vieler Köhler, AT, § 8, Rz. 5. S. ausführlicher Grigoleit, WM 2001, 597, 601. 249 Nach der hier vertretenen Auffassung ist dabei der unerwünschte Vertrag als solcher als Schaden i.S.d. § 249 S. 1 BGB anzusehen, vgl. für die diesbezügliche Kontroverse zwischen früherer Rechtsprechung und Literatur und für die zahlreichen weiteren in diesem Bereich umstrittenen Einzelheiten, schon o. Fn. 223 sowie näher noch u. 4. Abschn. A III 3. 250 Vgl. zu dieser hier vertretenen Auffassung bezüglich der Vorzugswürdigkeit der Heranziehung der flexibleren Grundsätze des Anscheinsbeweises statt einer starreren Beweislastumkehr im eigentlichen Sinn noch mehrfach in dieser Untersuchung, etwa auch noch unten 4. Abschn. C IV 3. 251 Näher Grigoleit, WM 2001, 597, 602; Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1157. 252 In diesem Falle auch zwingend gegenüber Nichtverbrauchern, s. § 312e Abs. 2 Satz 2 BGB. 248
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akzessorisch zuzuordnende Informationspflicht des § 3 Nr. 2 BGB-InfoV, lassen sich wiederum zuordnen als zwar individualschützende Pflichten, die aber hinsichtlich ihres Schutzzwecks mit der Sicherung des fehlerfreien Vertragsabschlusses gar nicht in Zusammenhang stehen. Sie richten sich vielmehr hauptsächlich auf den Zweck der dauerhaften Beweissicherung im Interesse der späteren Rechtsverfolgung des Kunden. Insofern ist an dieser Stelle die Sanktionierung durch einen Nichtbeginn der Widerrufsfrist etwa bestehender Widerrufsrechte wiederum nicht zweckentsprechend. Der deutsche Gesetzgeber ist an dieser Stelle der Versuchung erlegen, der schon der europäische Gesetzgeber für den Bereich des Fernabsatzes bezüglich der oben genannten nicht widerrufsrechtsrelevanten Pflichten nicht widerstehen konnte253: die Verletzung der Informationspflichten wurde einheitlich und ohne hinreichende Differenzierung nach ihrem individuellen Schutzzweck durch den Nichtbeginn des Fristablaufs für bestehende Widerrufsrechte sanktioniert. Diese Regelung ist nicht nur im Sinne der individuellen Schutzziele der Vorschriften nicht zweckgerecht, sondern auch im Sinne der Durchsetzung der marktbezogenen Ordnungsfunktion der Norm (Kunden als Organ der Rechtsdurchsetzung bezüglich des rechtlichen Rahmens für den E-Commerce) wenig erfolgversprechend, da wohl nur selten eine Pflichtverletzung in diesem – ersichtlich gar nicht mit der Sicherung der Widerrufsrechte oder der Entscheidungsgrundlage in Zusammenhang stehenden – Bereich einen Verbraucher oder sonstigen Kunden veranlassen würde, sich auf ein entsprechend verlängertes Widerrufsrecht zu berufen. Die diesbezügliche Regelung in § 312e Abs. 3 Satz 2 BGB sollte daher – zumal das an dieser Stelle anders als im Bereich der Informationspflichten im Fernabsatz europarechtlich möglich ist – teleologisch reduziert werden 254. Eine Erfüllung der Pflichten nach § 312e Abs. 1 Nr. 4 BGB und § 3 Nr. 2 BGB-InfoV ist also nach richtiger Auffassung nicht nach § 312e Abs. 3 Satz 2 BGB Voraussetzung des Beginns der Fristen für etwa bestehende Widerrufsrechte. Wohl aber kommt bezüglich einer schuldhaften Verletzung dieser Pflichten wiederum ein Schadensersatzanspruch des individuell betroffenen Kunden gem. §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 249 S. 1 BGB in Betracht, der sich in diesem Falle insbesondere auf den Ersatz der Schäden durch Verunmöglichung und Erschwerung der Rechtsverfolgung aufgrund der Pflichtverletzungen richten kann. Daneben wäre als Rechtsfolge einer Verletzung der Dokumentationspflicht auch an Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung zu denken 255. Schließlich wird die Verletzung der Pflicht nach § 312e Abs. 1 Nr. 4 BGB jedenfalls im Verhältnis zu Verbrauchern schon von vorn253
S. oben 2 b (1) (c). Vgl. allgemein zu den dogmatischen Ansatzpunkten für die ersichtlich in einigen Fällen gebotene enge Auslegung des § 312e Abs. 3 S. 2 BGB Staudinger-Thüsing, § 312e, Rz. 62: teleologische Reduktion bzw. eine am Verhältnismäßgkeitsgebot orientierte verfassungskonforme Auslegung oder gegebenenfalls zumindest ein Verbot, sich auf die Verzögerung des Beginns der Widerrufsfrist zu berufen, auf Grundlage von § 242 BGB. 255 S. Grigoleit, WM 2001, 597, 602 f.; ders., NJW 2002, 1151, 1157 f. 254
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herein dazu führen, daß AGB nach dem Maßstab des § 305 Abs. 2 BGB nicht Bestandteil des Vertrags werden 256. Mit den Informationspflichten gem. § 312e Abs. 1 Nr. 2 BGB i.V.m. § 3 Nr. 4 und 5 BGB-InfoV, betreffend die für einen Vertragsschluß zur Verfügung stehenden Sprachen und die Verhaltenskodizes, denen sich der Unternehmer unterwirft, ist schließlich der Bereich derjenigen vertriebsspezifischen Pflichten in §§ 312 ff. BGB erreicht, die kaum mehr erkennbare und sinnvolle individualschützende Zwecke verfolgen, sondern vielmehr im wesentlichen als marktbezogene Ordnungsvorschriften allein institutionellen Zwecken dienen, zu denen in diesem Falle insbesondere die Sicherung von Markttransparenz durch Schaffung bestimmter verkehrssystembezogen standardisierter Informationsstrukturen zählt. Ganz besonders deutlich ist dies im Falle der Informationspflicht bezüglich der Verhaltenskodizes. Diese verfolgt jedenfalls nicht etwa den Zweck, die Entscheidungsgrundlage des Kunden zu sichern (für den sich der Vertrag ja sogar günstiger darstellen würde, wenn er von entsprechenden Selbstverpflichtungen des Unternehmers wüßte) und sie ist auch für sonstige individuelle Zwecke des Kunden (etwa die Sicherung der individuellen Rechtsverfolgung o.ä.) nicht von erkennbarer rechtlicher Relevanz. Vielmehr geht es wohl eher im Sinne einer rein institutionell systembezogenen Zwecksetzung um die Beförderung entsprechender Selbstregulierungsstrukturen und um die Verbesserung der diesbezüglichen Transparenz im Markt. Ganz ähnlich mag die Pflicht, über die zur Verfügung stehenden Sprachen zu informieren, zwar im (systembezogenen) Interesse der Schaffung übersichtlicher Informationsstrukturen im Netz geeignet sein, den Kunden zu einer ihm leicht verständlichen Sprache hinzuleiten und insofern etwaige (unnötige) Willensstörungen aufgrund der unbeabsichtigten Verwendung einer ihm schwer verständlichen Sprache zu vermeiden. Doch ist in diesem Zusammenhang – soweit es um den Maßstab des Schutzes der individuellen Interessen der betroffenen Kunden geht – auch die Wertung zu berücksichtigen, daß der Unternehmer ja von vornherein nicht verpflichtet wäre, überhaupt ein mehrsprachiges Angebot zur Verfügung zu stellen 257. Ihn dann aber von einer derartigen – 256 S. für die herrschende Meinung Palandt-Heinrichs, § 312e, Rz. 8 mwN, der aber zugleich zu Recht darauf hinweist, daß bezüglich der Einbeziehung allein die unabhängigen Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB gelten; a.A. und für eine Qualifizierung nicht nur der Pflicht nach § 312e Abs. 1 Nr. 4 BGB, sondern auch der Informationspflichten nach § 312c BGB als besondere Einbeziehungsvoraussetzungen MüKo-Wendehorst, § 312c, Rz. 21 ff. mit umfassenden Nachweisen zur diesbezüglichen Kontroverse. Am Ergebnis ändert sich durch den diesbezüglichen Meinungsstreit für die hier betrachtete Informationspflicht nach § 312e Abs. 1 Nr. 4 BGB nichts, da im Falle einer Verletzung der Pflicht auch die unabhängigen Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB ohnehin gerade nicht erfüllt sind. Denn nach richtiger Auffassung setzt die Möglichkeit einer „zumutbaren Kenntnisnahme“ gem. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB im Verhältnis zu Verbrauchern jedenfalls voraus, daß die AGB abgerufen und auch dauerhaft gespeichert bzw. ausgedruckt werden können. Wie hier Grigoleit, NJW 2002, 1151, 1157; im Ergebnis auch MüKoWendehorst, § 312e, Rz. 103. 257 S. zutreffend schon Spindler, MMR-Beilage 7/2000, 4, 12, der darauf hinweist, daß nach der Rechtsprechung des BGH (s. BGHZ 87, 112, 113 f.) eine Vertragspartei, die sich auf fremd-
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grundsätzlich wünschenswerten – Initiative dadurch abzuhalten, daß ihm die Verantwortlichkeit für sprachbedingte Willensstörungen des Kunden überwälzt wird – die doch der betroffene Kunde, da er die letztlich verwendete Sprache ja rechtzeitig vor Vertragsschluß wahrnimmt, durch schlichten Abbruch des Kontakts vermeiden könnte und für die er deshalb auch allein verantwortlich wäre, wenn von vornherein lediglich eine Fremdsprache zur Verfügung stünde – erscheint in sich widersprüchlich 258. Letztlich sollte deshalb sowohl für die sprachbezogene als auch für die auf die Unterwerfung unter Verhaltenskodizes bezogene Informationspflicht wiederum § 312e Abs. 3 Satz 2 BGB teleologisch reduziert werden. Die Erfüllung dieser Pflichten sollte nicht Voraussetzung der Inlaufsetzung der Fristen für bestehende Widerrufsrechte sein. Auch individuelle Schadensersatzansprüche erscheinen in diesem Falle nicht sinnvoll denkbar. Die genannten Pflichten sollten daher – trotz ihrer systematischen Stellung im Zusammenhang mit der Begründung von individuellen Schuldverträgen im BGB – individuell vollkommen unsanktioniert bleiben. Es handelt sich um – sozusagen rein „wettbewerbsrechtliche“ – Pflichten, die – als auf den rechtlichen Rahmen des Verkehrssystems bezogene Pflichten zur Schaffung einer bestimmten standardisierten Informationsstruktur des E-Commerce im Binnenmarkt – lediglich eine marktbezogene Ordnungsfunktion haben und die insofern den Trend zur marktbezogenen Regelung und zur Schaffung eines institutionellen Rahmens zwingenden Rechts, in den der Verbraucher sein nicht länger individuelles, sondern auf den Rahmen des Verkehrssystems bezogenes „Systemvertrauen“ setzen soll, im gesamten Untertitel über die „besonderen Vertriebsformen“ am eindrücklichsten belegen. Dementsprechend sollte es für diese Pflichten bei der auch nur „institutionellen“ Durchsetzung über das Unterlassungsklagegesetz und lauterkeitsrechtlich über § 4 Nr. 10 UWG259 bleiben 260. Eine Sanktionierung durch individuelle Verbraucheransprüche ist nach der Zweckrichtung der Vorschriften nicht angebracht. sprachige AGB einläßt, das damit verbundene Irrtumsrisiko grundsätzlich trägt. Zustimmend Grigoleit, WM 2001, 597, 603. 258 Letztlich dürfte die Vorschrift ohnehin von verschwindender praktischer Relevanz sein, da jeder Unternehmer der im Netz mehrsprachig anbietet, auch dafür sorgen wird, daß die Nutzer über diese kundenfreundliche Maßnahme auch angemessen unterrichtet (bzw. soweit technisch möglich von vornherein zu der für sie passenden Sprachversion geleitet) werden. S. dazu – sowie zu der zweifelhaften Steuerungswirkung der Pflicht – schon Grigoleit, WM 2001, 597, 603 mwN. 259 S. oben 3. Kap. 3. Abschn. A II-IV und B II 2. 260 So mittlerweile auch die ganz herrschende Meinung, vgl. nur zutreffend Palandt-Heinrichs, § 312e, Rz. 11; Staudinger-Thüsing, § 312e, Rz. 62; etwas zurückhaltender MüKo-Wendehorst, § 312e, Rz. 113: gesetzgeberische Sanktionierungsintention dürfe auch nicht vollends unterlaufen werden, daher nur teleologische Reduktion, wenn Sanktion in keinerlei Verhältnis zum Pflichtenverstoß steht; s. wiederum ähnlich wie die hier vertretene umfassendere teleologische Reduktionslösung zuerst zutreffend Grigoleit, WM 2001, 597 ff. (freilich methodisch noch auf Grundlage des Gesetzentwurfs und daher mit entsprechenden Korrekturvorschlägen für den legislativen Prozeß).
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
3. Zwischenfazit: Überlegenheit indirekt dezentraler Steuerung durch Sicherung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher gegenüber direkter Steuerung durch ausschließlich institutionell systembezogene Regeln zwingenden Rechts Der hier entwickelte Gleichmaßgrundsatz zwischen Wettbewerbs- und Zivilrecht 261 (insbesondere dem Verbrauchervertragsrecht) steht diesem Ergebnis bei genauer Betrachtung nicht entgegen, sondern stützt es sogar. Denn es ist die abweichende – zum Teil allein institutionell systembezogene – Zwecksetzung der Vorschriften in § 312e BGB, die diese Normen von den Regelungen (bisher zumindest stets auch individualschützenden) Verbrauchervertragsrechts abhebt. Diese entscheidende Differenz in der Zielsetzung rechtfertigt und gebietet gerade den Unterschied in der Sanktionierung. Zugleich bilden die einzelnen rein institutionell systembezogenen Informationspflichten, insbesondere des § 312e BGB, die eben nicht auf den Ausgleich situationsspezifischer Gefährdungslagen für die individuelle Entscheidungsfreiheit, sondern vielmehr – ganz im Sinne der europäischen Konzeption einer Schaffung von Systemvertrauen eines imaginären Verbrauchers in die Strukturen des Verkehrssystems – auf die Schaffung bestimmter Informationsstrukturen zwingenden Rechts für den E-Commerce zielen, einen Beleg für die zwangsläufige Ungenauigkeit derartiger systembezogener Ansätze, die – wie es in dieser Studie schon verschiedentlich beklagt wurde262 – in ihrer Steuerungswirkung für den Wettbewerb häufig zweifelhaft, wenn nicht sogar in einzelnen Fällen unmittelbar wettbewerbsbeschränkend sind. Unter dieser Perspektive betrachtet ist die hier angestellte Analyse der Informationspflichten im Rahmen der besonderen Vertriebsformen ein weiterer Beleg dafür, daß sich Strukturen des Verkehrssystems, in die die Verkehrsteilnehmer ihr „Systemvertrauen“ setzen könnten 263, stets zunächst einmal besser durch Individualschutz sozusagen indirekt „von unten herauf“ schaffen lassen, als durch strukturelle Rahmenbedingungen zwingenden Rechts, die ausschließlich institutionell systembezogene Zwecke – im zweifelhaften Interesse bestimmter Steuerungsziele264 – verfolgen. Denn sie hat erwiesen, daß gerade jene Informationspflichten, für die eine sinnvolle individualschützende Zielrichtung nicht erkennbar ist und die demnach sogar allein institutionell systembezogene Zwecke verfolgen, zugleich in ihrer Steuerungswirkung am zweifelswürdigsten sind. Insofern schließt sich auch der Kreis zu den Überlegungen zum wettbewerbsrechtlichen Belästigungsschutz im Bereich der besonderen Vertriebsformen, die ebenfalls – soweit möglich – die Vorrangigkeit indirekt dezentral wirkender Lö261
S. oben 1. Kap. 3. Abschn. F I, II und IV. S. nur oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 d und e (3) sowie dazu auch noch sogleich unten D. 263 Zu dessen in den Massenmärkten der Konsumgesellschaft stetig gewachsener Bedeutung s. schon grundlegend oben 1. Kap. 2. Abschn. F, 3. Abschn. C III 4. 264 Beispielsweise eben der Förderung von Selbstregulierungssystemen, wie im Falle des § 312e Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 Nr. 5 BGB-InfoV, s. nur die Kritik bei Grigoleit, WM 2001, 597, 603 f. mwN. 262
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sungen, die angesichts abgesicherter Entscheidungsfreiheit der Verbraucher im wesentlichen auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes setzen, gegenüber zwingenden Eingriffen in den Markt – die die Möglichkeit zur individuellen Verbraucherentscheidung gerade abschneiden und durch eine normative Prognose des Gesetzgebers über die vermeintlichen Interessen der Verbraucher ersetzen – erwiesen und die Konsequenzen hieraus gezogen haben.
II. Künftige Umsetzung der Lauterkeits-Richtlinie und Verhältnis zum Vertragsrecht Unter der Perspektive der Überlegenheit dezentraler, aus dem Individualschutz des Verbrauchers im Einzelfall durch Typisierung wachsender Lösungen, erscheint auch ganz allgemein die richterrechtliche Begründung ungeschriebener Informationspflichten in Ausnahme zum Prinzip informationeller Selbstverantwortung im Einzelfall „von unten herauf“, die sich durch fallgruppenartige Typisierung (sowohl im wettbewerbsrechtlichen Kontext des Transparenzgebots als auch im Rahmen vorvertraglicher Haftung wegen schuldhafter Aufklärungspflichtverletzung) im deutschen Recht zu einem auch angemessene Rechtssicherheit gewährleistenden System vorvertraglicher Informationshaftung entwickelt hat265, grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einem Versuch, einen bestimmten Katalog generell, d.h. geschäfts- und vertriebsformunabhängig, zu gewährleistender Mindestinformationen legislativ – sozusagen als Standard für lauteres Marktverhalten – „von oben herab“ festzulegen. Einen derartigen Versuch unternimmt allerdings in gewissem Umfang wiederum die neue europäische Lauterkeits-Richtlinie in ihrem Art. 7 Abs. 4. Im Kontext des irreführenden Unterlassens verortet, welches in Art. 7 Abs. 1 Lauterkeits-RL eine generalklauselartige – im wesentlichen durchaus der angemessenen (wenn auch erheblich schlankeren) deutschen Version in § 5 Abs. 2 S. 2 UWG266 entsprechende – Regelung erfahren hat, werden zusätzlich bestimmte „Basisinformationen“267 in Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL als in Fällen einer „Aufforderung zum Kauf“268 stets „wesentlich“ – und damit i.S.d. Art. 7 Abs. 1 265
Vgl. auch noch unten 4. Abschn. C III 1. Der Teilaspekt des Verbots der Tarnung von Werbung, den Art. 7 Abs. 2 Lauterkeits-RL mit umfaßt, ist im deutschen UWG vom Beispielstatbestand des § 4 Nr. 3 UWG erfaßt, wobei es auch bleiben sollte. Soweit die Lauterkeits-RL (vermeintlich strenger als § 4 Nr. 3 UWG) wg. Art. 7 Abs. 2 Lauterkeits-RL noch voraussetzt, daß die Verschleierung des kommerziellen Charakters der Kommunikation geeignet sein muß, die wirtschaftliche Entscheidung eines Durchschnittsverbrauchers zu beeinflussen, ergibt sich diese Voraussetzung im deutschen UWG schon aus der Bagatellklausel des § 3 UWG. S. ähnlich Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1332; Köhler, GRUR 2005, 793, 800. 267 Vgl. Erw.-Grd. 14 Lauterkeits-RL. 268 S. die Definition in Art. 2 lit. i) Lauterkeits-RL: jede kommerzielle Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen. 266
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Lauterkeits-RL zu einer irreführenden Unterlassung potentiell geeignet – fingiert269. Damit ist jedenfalls im praktischen Ergebnis eine lauterkeitsrechtlich bewehrte Informationspflicht bezüglich der betreffenden „Basisinformationen“ formuliert worden, sofern sich diese nicht unmittelbar aus den Umständen ergeben 270. Denn zwar führen die entsprechenden „wesentlichen“ Informationsanforderungen rein dogmatisch betrachtet nur dann zu einem irreführenden Unterlassen i.S.d. Art. 7 Abs. 2 Lauterkeits-RL, wenn sie geeignet sind, den Durchschnittsverbraucher zu einer ungewollten wirtschaftlichen Entscheidung zu veranlassen 271. Doch ist die Konkretisierung eines Katalogs wesentlicher Basisinformationen in diesem Zusammenhang dennoch überaus problematisch, weil eine potentielle Beeinflussung des wirtschaftlichen Entscheidungsverhaltens des Durchschnittsverbrauchers in derartigen Fällen für den Regelfall allein aufgrund der Nichtzurverfügungstellung der Information bejaht werden dürfte; dies umso mehr, als die katalogartige Regelung des Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL geradezu impliziert, daß nach Auffassung des Gemeinschaftsgesetzgebers die Nichtgewährung derartiger Informationen in der Regel zu einer potentiellen Beeinflussung des Entscheidungsverhaltens des europäischen Durchschnittsverbrauchers, dem eine „informierte Entscheidung“ nicht mehr möglich ist, führen kann 272. Insofern läuft die Fiktion eines bestimmten Basiskatalogs von Informationen als „wesentlich“, wie in Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL vorgesehen, letztlich (vorbehaltlich einer bloßen Relevanzprüfung) wohl doch auf die Anordnung lauterkeitsrechtlicher Mindestinformationsgebote für sogenannte „Aufforderungen zum Kauf“ hinaus, wie immer rechtspolitisch kritisch man dies sehen will 273. Für das deutsche UWG werden die in Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL genannten Informationsanforderungen, soweit sie nicht bereits in Spezialgesetzen – wie der PreisangabenVO u.a. – enthalten sind 274, durch Konkretisierung der Regelung irreführenden Unterlassens in § 5 Abs. 2 S. 2 UWG für Fälle der Aufforderung zum Kauf umzusetzen sein, wobei im Interesse innerer Kohärenz eine über den Verbraucherschutzbereich der Richtlinie hinausgehende, horizontalisierende Umset269 Vgl. auch schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 c zu der entsprechenden Regelung in Art. 7 Abs. 5 Lauterkeits-RL, die zudem i.V.m. Anhang II Lauterkeits-RL sämtliche in anderen Instrumenten des Gemeinschaftsrechts festgelegten Informationsanforderungen als wesentlich fingiert. 270 S. für diese Einschränkung Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL. 271 Diesen Aspekt betonen Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1332. 272 S. in dieselbe Richtung Erw.-Grd. 14 Lauterkeits-RL: „Basisinformationen…, die der Verbraucher benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen“; in dieselbe Richtung weisen Wortlaut und Systematik des Art. 7 Abs. 1 Lauterkeits-RL in seinem Zusammenspiel mit Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL, vgl. zum ganzen ausführlicher o. 2. Kap. 3. Abschn. bei Fn. 407. 273 Zu Recht skeptisch bezüglich einer Ausdehnung lauterkeitsrechtlicher Informationspflichten schon Ohly, GRUR 2004, 889, 898 im Kontext der UWG-Reform; ähnlich Glöckner/ Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1331. 274 Vgl. schon oben 3. Kap. 3. Abschn. A II.
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zung gewählt werden sollte275. Für das hier behandelte Thema stellt sich damit allerdings die Frage, ob und welche zivilrechtlichen Folgen eine Nichtgewährung der dort genannten Mindestinformationen im Rahmen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, des Anfechtungsrechts, des AGB-Rechts und der vorvertraglichen Informationshaftung aus culpa in contrahendo (gemäß §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB) nach sich zieht. Insoweit ist (insbesondere mit Blick auf mögliche Schadensersatzansprüche einzelner Verbraucher) wiederum primär anhand des – auch in diesem Falle in erster Linie einer lauterkeitsrechtlichen Transparenzsicherung des Verkehrssystems durch informationelle Standardisierung dienenden – Zwecks europäischer Verbraucherschutzvorschriften eine rechtsfolgenspezifische Analyse der einzelnen Informationsanforderungen nach Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL vorzunehmen. Es ist mithin zuerst zu ermitteln, welcher der „wesentlichen“ Informationen nach Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL neben dem institutionellen Transparenzschutz auch ein individueller Schutzzweck mit Blick auf die unverzerrte Entscheidung des einzelnen Verbrauchers zugemessen werden kann, um auf dieser Grundlage die danach verbleibenden wettbewerbsrechtlichen Maßstäbe bezüglich des Individualschutzes mit den entsprechenden Maßstäben vorvertraglicher Informationshaftung zu vergleichen und festzulegen, ob und inwieweit eine Verletzung der sich aus Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL ergebenden Informationsgebote zugleich – nach dem Gleichmaßgrundsatz 276 – eine Pflichtverletzung i.S.d. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB darstellen kann, die gegebenenfalls individuelle Schadensersatzansprüche betroffener Verbraucher nach sich zieht. Daß insoweit gerade eine Aufforderung zum Kauf, d.h. eine öffentliche kommerzielle Kommunikation, die so konkret ist, daß auf ihrer Grundlage eine Kaufentscheidung getroffen werden könnte, geeignet ist, eine vorvertragliche Sonderbeziehung durch Werbung zu etablieren, wird noch an anderer Stelle ausführlich und differenziert begründet277. An dieser Stelle soll (im Interesse der einheitlichen Behandlung im Zusammenhang mit den ähnlich ausgerichteten vertriebsspezifischen Informationspflichten) gewissermaßen im Vorgriff lediglich analysiert werden, welche der „wesentlichen“ Informationen i.S.d. Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL überhaupt geeignet wären, auch im Rahmen der Konkretisierung des vorvertraglichen (Aufklärungs-)pflichtenprogramms nach § 241 Abs. 2 BGB eine Rolle zu spielen. Insoweit bedarf die Information über wesentliche Merkmale des Produkts in dem für das Medium und das Produkt angemessenen Umfang ersichtlich für eine Rezeption unter § 241 Abs. 2 BGB der „Filterung“ und des Abgleichs mit dem Maßstab der Vertragswesentlichkeit für die Begründung einer ungeschriebenen Aufklä275 Zutreffend und im wesentlichen ähnlich Seichter, WRP 2005, 1087, 1091 f.; Glöckner/ Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1332; Köhler, GRUR 2005, 793, 800. 276 S. zu dessen Bedeutung im Rahmen der Konkretisierung des vorvertraglichen Pflichtenprogramms nach § 241 Abs. 2 BGB anhand etablierter wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe noch grundlegend unten 4. Abschn. C III. 277 Vgl. unten 4. Abschn. C II.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
rungspflicht im Rahmen eines vorvertraglichen Vertrauensschuldverhältnisses 278. Während im Rahmen letzterer nur derart wesentliche Pflichten, mit denen der primäre Vertragszweck steht und fällt, bisher im Grundsatz akzeptiert werden, ist die weitere Entwicklung des Begriffs der „wesentlichen Merkmale des Produkts“ im Wettbewerbsrecht durchaus noch nicht abzusehen. Bliebe es beim bisherigen strengen (und gegenüber der Begründung von ungeschriebenen Informationspflichten äußerst zurückhaltenden) Maßstab des Wettbewerbsrechts auch in Zukunft, so wäre an eine Konvergenz der entsprechenden Pflichtenmaßstäbe bezüglich der Begründung wettbewerbsrechtlicher und vorvertraglicher Aufklärungspflichten durchaus zu denken 279. Sollten sich die wettbewerbsrechtlichen Informationsanforderungen in diesem Bereich im Rahmen der künftig nach Umsetzung der Lauterkeits-RL voraussichtlich zur Verfügung stehenden unbestimmten Rechtsbegriffe aber strenger entwickeln, als im Rahmen der ungeschriebenen vorvertraglichen Aufklärungspflichten der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, so kommt eine zivilrechtliche Schadensersatzhaftung jedenfalls nur dann in Betracht, wenn die strengeren Voraussetzungen letzterer erfüllt sind. Der Gleichmaßgrundsatz würde an dieser Stelle auch für die Zukunft aber ohnedies eher – genau umgekehrt – dafür sprechen, allenfalls solche Merkmale des Produkts als im Sinne eines (künftig voraussichtlich in einem weiter konkretisierten § 5 Abs. 2 S. 2 UWG verankerten) wettbewerbsrechtlichen Transparenzgebots „wesentlich“ anzusehen, die auch unter Geltung der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB als wesentlich zur Erreichung des Vertragszwecks qualifiziert werden und daher ungeschriebene vorvertragliche Aufklärungspflichten begründen könnten. Denn dies würde gewährleisten, daß der sich aus Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL letztlich ergebende lauterkeitsrechtliche Pflichtinformationskatalog – soweit er dies durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ermöglicht – hinreichend streng an diejenigen Ausnahmen vom Prinzip informationeller Selbstverantwortung gebunden bliebe, die durch eine im zivilrechtlichen Richterrecht dezentral „von unten herauf“ herauskristallisierte Wesentlichkeit der betroffenen Information und bestimmte, in richterrechtlichen Fallgruppen bereits typisierte Aspekte ihrer asymmetrischen Verteilung gekennzeichnet sind280. Eine Entwicklung strengerer Maßstäbe im Lauterkeitsrecht im institutionellen Interesse bestimmter standardisierter Marktinformationsstrukturen wäre einer derartigen dezentral aus Individualschutzerwägungen im Einzelfall gewachsenen und insoweit die diesbezüglichen Wertungen des zivilrechtlichen Richterrechts offenherzig rezipierenden Lösung nach der hier vertretenen Auffassung voraussichtlich deshalb unterlegen, weil eine derartige wettbewerbsrechtliche Steuerung „von oben“ im Interesse bestimmter institutioneller Ziele zwangsläufig in ihrer genauen Steuerungswir278
Vgl. auch unten 4. Abschn. C III 1 b. S. eingehend noch unten 4. Abschn. C III 1 b zu den bisherigen ungeschriebenen Aufklärungspflichten im Rahmen des § 5 Abs. 2 S. 2 UWG und im Rahmen der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB. 280 Vgl. zu ungeschriebenen Aufklärungspflichten im bisherigen Wettbewerbs- und im Vertragsrecht noch unten 4. Kap. 4. Abschn. C III 1 b. 279
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kung unkalkulierbar bliebe. Insofern sollte es nach der hier vertretenen Auffassung auch künftig – im Bereich des Wettbewerbsrechts gleichermaßen wie im Bereich vorvertraglicher Aufklärungspflichten – bei den bisherigen, eher strengen Maßstäben bleiben, wobei die wettbewerbsrechtlichen Informationspflichten im Rahmen des Transparenzgebots mit dem Programm vorvertraglicher Aufklärungspflichten zumindest im groben durchaus konvergieren könnten281. Bezüglich der „wesentlichen“ Information über Anschrift und Identität dürfte eine Haftung auf Schadensersatz aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB allenfalls im Einzelfall dann in Betracht kommen, wenn eine nichtangegebene Anschrift beim Kunden zusätzliche Rechtsverfolgungskosten verursacht. Insoweit kann der Informationsanforderung nach Art. 7 Abs. 4 lit. b Lauterkeits-RL ein gewisser individualschützender Charakter beigemessen werden, der sich jedoch in der Regel nicht auf den Schutz vor Abschluß unerwünschter Verträge, sondern vielmehr auf den Schutz vor zusätzlichen Rechtsverfolgungskosten richtet, die sich aus diesbezüglich mangelhafter Information ergeben können. In dem Ausnahmefall, daß es einem Kunden gerade darauf ankam, mit einem ganz bestimmten Gewerbetreibenden einen Vertrag abzuschließen, käme – sofern bis Vertragsschluß keine Aufklärung erfolgt – allenfalls (sofern nicht schon ein Dissens vorliegt) eine Anfechtung auf Grundlage von § 119 Abs. 2 BGB in Betracht, wobei der Kunde dann – sofern der Gewerbetreibende wissen mußte, daß es dem Kunden um den Abschluß gerade mit einem bestimmten Unternehmer zu tun war – wegen § 122 Abs. 2 BGB nicht zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet wäre. Eine Verletzung des Gebots zur Preisangabe, wie es sich im wesentlichen bereits in der PreisangabenVO für das deutsche Recht findet 282, wird bis zum Vertragsschluß typischerweise geheilt sein. Ist dies tatsächlich einmal nicht der Fall, so liegt entweder ein versteckter Dissens vor oder es kommt eine Anfechtung des Vertrags auf Grundlage von § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB in Betracht. Für Schadensersatzansprüche wegen einer etwaigen vorvertraglichen Informationspflichtverletzung ist insoweit jedenfalls kein sinnvoller Anwendungsfall ersichtlich. Soweit zusätzliche Kosten für Fracht, Lieferung usw. in AGB vereinbart werden, sind ohnehin die Voraussetzungen der §§ 305 ff. BGB für deren wirksame Einbeziehung in den Vertrag zu berücksichtigen 283. 281 S. bezüglich der ungeschriebenen Aufklärungspflichten und der diesbezüglichen Konvergenzbewegung in Wettbewerbs- und Zivilrecht noch ausführlicher unten 4. Abschn. C III 1 b. 282 Weshalb insoweit auch im Wettbewerbsrecht eine ausdrückliche Umsetzung des Art. 7 Abs. 3 Lauterkeits-RL überflüssig ist, zumal bei Fehlen einer zutreffenden Preisangabe auch stets eine Eignung zur Beeinflussung des Durchschnittsverbrauchers in seinem wirtschaftlichen Entscheidungsverhalten zu bejahen sein dürfte, weshalb eine Umsetzung dieser zusätzlichen Voraussetzung aus Art. 7 Abs. 2 Lauterkeits-RL insoweit nicht notwendig ist. Im Rahmen einer lauterkeitsrechtlichen Sanktionierung über § 4 Nr. 11 UWG ergibt sich die Voraussetzung der potentiellen Beeinflußbarkeit des Durchschnittsverbrauchers ohnehin bereits aus § 3 UWG. Vgl. auch Seichter, WRP 2005, 1087, 1093. 283 Vgl. ähnlich Seichter, WRP 2005, 1087, 1093.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Die Information über Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen und (falls atypisch) das Verfahren zum Umgang mit Beschwerden gem. § 7 Abs. 4 lit. d Lauterkeits-RL ist ersichtlich auch von dem mehr institutionell motivierten Bestreben, in diesen Fragen im Binnenmarkt eine gewisse Markttransparenz zu erzielen, geprägt. Jedenfalls sind derartige Informationen über Nebenaspekte des Vertrags keinesfalls derart vertragswesentlich, daß sie zum Gegenstand einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB werden könnten. Insoweit ist der wettbewerbsrechtliche Maßstab also künftig strenger als im Zivilrecht, sofern die zusätzliche Voraussetzung der Möglichkeit einer Beeinflussung des geschäftlichen Entscheidungsverhaltens des Durchschnittsverbrauchers aus Art. 7 Abs. 2 UWG erfüllt ist, was aber nach der hier vertretenen Auffassung in der Regel angenommen werden dürfte284. Zivilrechtlich dürften insoweit im übrigen wiederum die Vorschriften der § 305 ff. BGB dazu führen, daß im Falle der Nichtangabe von Informationen i.S.d. Art. 4 lit. d Lauterkeits-RL entsprechende Nebenklauseln ohnedies als nicht in den Vertrag einbezogen gelten, sofern nicht noch bis zum Vertragsschluß ein Hinweis gegenüber dem Kunden erfolgt und ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, in zumutbarer Weise von entsprechenden AGB-Nebenabreden Kenntnis zu nehmen, s. § 305 Abs. 2 BGB285. Die Einordnung der Information über etwa bestehende Rücktritts- und Widerrufsrechte als „wesentlich“ im Rahmen irreführenden Unterlassens schließlich entspricht lauterkeitsrechtlich lediglich dem, was unter § 4 Nr. 11 UWG nach der hier vertretenen Auffassung ohnehin schon bisher gilt 286. Die zivilrechtlichen Folgen einer Verletzung dieser Pflichten wurden bereits oben (I 2 b (1) (a)) im jeweiligen Zusammenhang behandelt. Alles in allem zeigt sich, daß die Einordnung der „wesentlichen“ Informationsanforderungen im Falle von „Aufforderungen zum Kauf“ i.S.d. Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL in das System der vorvertraglichen Informationshaftung des deutschen Rechts keine größeren Schwierigkeiten verursacht, soweit der zivilrechtliche „Filter“ der Vertragswesentlichkeit im Sinne einer drohenden Vereitelung des primären Vertragszwecks als Voraussetzung der Annahme einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht im Rahmen der § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB konsequent beachtet wird. Die sich aus Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL – trotz der nominellen Rückbindung in den systematischen Zusammenhang irreführenden Unterlassens – letztlich ergebenden Informationsgebote für Aufforderungen zum Kauf mögen sich künftig im Einzelfall strenger entwickeln; insoweit kommt eine vorvertragliche Informationshaftung nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB dann nach richtiger Auffassung nicht in Betracht. Sollte es allerdings bei der bisherigen äußersten Zurückhaltung des deutschen Lauterkeitsrechts gegenüber wettbewerbsrechtlichen „Informationspflichten“ auch unter Geltung eines künftig in Anpassung an die Vorgaben der Lauterkeits-RL konkretisierten § 5 Abs. 2 S. 2 UWG bleiben, 284 285 286
S. schon eingehend o. 2.Kap. 3.Abschn. bei Fn. 407. Ähnlich Seichter, WRP 2005, 1087, 1093. Vgl. oben 3. Kap. 3. Abschn. A II.
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ließe sich eine gewisse wechselseitige Konvergenz der Maßstäbe im Wettbewerbsund Vertragsrecht für die Etablierung vorvertraglicher Sonderbeziehungen durch Werbung bejahen 287. Nach der hier vertretenen Auffassung spricht gerade der Gleichmaßgrundsatz sowie die grundsätzlich diagnostizierte Überlegenheit dezentral aus der Typisierung jeweils im Einzelfall angemessenen Individualschutzes wachsender Informationsgebote gegenüber zentral angeordneten Informationsstandards dafür, auch in Zukunft im Wettbewerbsrecht äußerste Zurückhaltung bei der Konstruktion lauterkeitsrechtlicher Informationsgebote im Rahmen einer künftigen, konkretisierten Regelung der Irreführung durch Unterlassen walten zu lassen. Stattdessen sollte sich der lauterkeitsrechtliche Standard in diesem Zusammenhang – soweit möglich – weiterhin an den vergleichsweise strengen Maßstäben der vorvertraglichen Aufklärungspflichten orientieren, mit denen der bisherige (restriktive) wettbewerbsrechtliche Maßstab ungeschriebener Transparenzpflichten derzeit im wesentlichen auch noch deckungsgleich ist 288.
C. Die Neuregelung des Verbrauchsgüterkaufs in ihrem Verhältnis zum Wettbewerbsrecht Die hier allein zu untersuchenden Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf, die für die Schnittstellenproblematik im Verhältnis zum Wettbewerbsrecht wegen ihrer zugleich wettbewerbsbezogenen Zielsetzungen von Interesse sind, gehen sämtlich auf die Verbrauchsgüterkauf-RL zurück und wurden im Kontext des europäischen Rechts im Zusammenhang mit der näheren Betrachtung der Richtlinie bereits großenteils – auch unter Einbeziehung der spezifischen Perspektive der deutschen Umsetzungsvorschriften – abgehandelt 289. Im folgenden soll es darüber hinaus im wesentlichen darum gehen, für das deutsche Recht die anwendungsbezogenen Konsequenzen der oben begründeten dogmatischen Einordnungsversuche zu ziehen. Von Relevanz für die Untersuchung sind, wie dies bereits oben begründet wurde, insbesondere einzelne Aspekte der Regelungen über Garantien (s. unten I) sowie – als wesentlichste Neuerung – die Neuregelung der Gewährleistungshaftung für Angaben über Sacheigenschaften in der Werbung oder bei der Kennzeichnung (s. unten II).
287
S. insoweit (bezüglich der bisherigen ungeschriebenen Aufklärungspflichten) eingehend unten 4. Abschn. C III 1 b. 288 S. ausführlicher unten 4. Abschn. C III 1 b. 289 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
I. Die Regelungen über Garantien in §§ 443, 477 BGB in ihrem Verhältnis zum Wettbewerbsrecht Die Regelungen über Garantien in §§ 443 und 477 BGB, die auf Art. 6 Verbrauchsgüterkauf-RL zurückgehen, sind für die hier angestellte Untersuchung in zweifacher Hinsicht von Interesse. Zum einen befinden sich die Informationspflichten des § 477 BGB genau in dem Schnittfeld aus „wettbewerbsrechtlichen“, institutionell systembezogenen Zielsetzungen und – in diesem Falle geschäftsspezifischem – individualvertragsrechtlichem Verbraucherschutz, wie es auch für die vertriebsspezifischen Informationspflichten der §§ 312 ff. BGB so kennzeichnend ist (s. sogleich unten 1). Zum anderen bewegt sich die Haftung des Garantiegebers für Angaben in der „einschlägigen Werbung“ gem. § 443 Abs. 1 BGB mit ihrer Anknüpfung an Werbeangaben in den Grenzbereich zur lauterkeitsrechtlichen Regelung entsprechender werblicher Aktivitäten (s. unten 2).
1. Die standardisierenden Informationspflichten des § 477 BGB Die verbraucherschützenden 290 Informationspflichten des § 477 Abs. 1 und 2 BGB entsprechen in ihrer doppelten Zwecksetzung genau den besonderen Informationspflichten der §§ 312 ff. BGB291. Einerseits und vorrangig wird ein institutionelles Ziel – die Verbesserung der Markttransparenz durch Gewährleistung eines standardisierten Mindestkatalogs mitzuteilender Informationen – verfolgt. Daneben lassen sich sowohl für das Transparenzgebot des § 477 Abs. 1 Satz 1 BGB als auch für die einzelnen Informationspflichten des § 477 Abs. 1 Satz 2 BGB und die flankierende Pflicht zur Mitteilung in Textform auf Verlangen nach § 477 Abs. 2 BGB individualschützende Zwecke identifizieren. Wiederum muß sich die Sanktionierung von Pflichtverletzungen in diesem Bereich an diesen Zwecksetzungen orientieren. Entsprechend wurde schon oben 292 ausgeführt, daß im Mittelpunkt die Sanktionierung durch „institutionell“ orientierte Instrumente, mithin für das deutsche Recht wiederum durch die kollektiven Rechtsbehelfe des UKlaG sowie mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts unter dem Aspekt des Rechtsbruchs gem. § 4 Nr. 11, § 3 UWG stehen muß293. 290 Anders als die Regelungen in § 443 BGB, die auf Art. 6 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL zurückgeht, wurden die Informationspflichten aus Art. 6 Abs. 2 und 3 Verbrauchsgüterkauf-RL in das deutsche Recht nicht überschießend für das gesamte Kaufrecht, sondern vielmehr entsprechend dem Geltungsbereich der Verbrauchsgüterkauf-RL lediglich begrenzt auf B2C-Verhältnisse umgesetzt, da der deutsche Gesetzgeber die durch die einschlägigen Pflichten ausgeglichenen Informationsasymmetrien als verbraucherspezifisch qualifizierte, s. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 477 Vorbemerkung. 291 Vgl. zum ganzen schon oben B I mwN. 292 S. oben aaO. 293 S. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 477 Abs. 3 BGB. S. darüber hinaus eingehend Alexander,
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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Aus vertragsrechtlicher Sicht führt insbesondere die Verletzung des Transparenzgebots gem. § 477 Abs. 1 Satz 1 BGB nach dem Grundsatz der verbraucherfreundlichsten Auslegung dazu, daß Zweifel bei der Auslegung einer unklar oder mißverständlich abgefaßten Garantieerklärung zu Lasten ihres Verwenders gehen 294. Dies ergibt sich nach richtiger Auffassung unmittelbar aus der entsprechenden Vorgabe des europäischen Rechts295. Darüber hinaus kommen natürlich wiederum individuelle Schadensersatzansprüche der betroffenen Verbraucher gem. § 280 Abs. 1 BGB296 wegen einer schuldhaften Verletzung der Pflichten nach § 477 Abs. 1 und 2 BGB in Betracht, die aber im Lichte der Zwecksetzung dieser Informations- und Mitteilungspflichten sorgsam auf die den Regelungszielen objektiv zurechenbaren Schäden zu begrenzen sind. Individuelle Schadensersatzansprüche gem. § 280 Abs. 1 BGB können sich demnach insbesondere auf Ersatz von durch schuldhafte Pflichtverstöße des Unternehmers gegen die Pflichten nach § 477 Abs. 1 und 2 BGB verursachte zusätzliche Rechtsberatungs- und Rechtsverfolgungskosten sowie – typischerweise im Falle der Vereinbarung einer Herstellergarantie unter Verstoß gegen § 477 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB – auf den Ersatz des Schadens richten, der sich daraus ergibt, daß der Verbraucher seine gesetzlichen Mängelhaftungsrechte gegen den Verkäufer wegen einer Unklarheit über die Unberührtheit ebendieser gesetzlichen Rechte in ihrem Verhältnis zur Garantie nicht rechtzeitig geltend gemacht hat 297. Demgegenüber kommt nach der hier vertretenen Auffassung eine schadensersatzrechtliche Vertragsaufhebung auf Grundlage von § 280 Abs. 1 BGB wegen einer schuldhaften Verletzung einer der Informationspflichten nach § 477 Abs. 1 Satz 2 BGB oder des Transparenzgebots nach § 477 Abs. 1 Satz 1 BGB entgegen der herrschenden Meinung nicht in Betracht 298. Im Falle des § 477 Abs. 1 Nr. 1 S. 205 ff. mwN, zu dem Aspekt einer möglichen unlauteren Irreführung durch Einsatz unklarer oder in mißverständlicher Weise besonders günstig wirkender Garantiebedingungen zum Zwecke irreführender Werbung. 294 Die Garantie wird mit dem sich aus der verbraucherfreundlichsten Auslegung ergebenden Inhalt auch wg. § 477 Abs. 3 BGB, der Art. 6 Abs. 5 Verbrauchsgüterkauf-RL umsetzt, wirksam. Dem Wirksamwerden steht insbesondere auch im Falle der Verwendung von AGB nicht § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB entgegen, da andernfalls – angesichts der absolut überwiegenden Verwendung von AGB in diesem Bereich – die geschäftsspezifische Regel des § 477 Abs. 3 BGB – in zweckwidriger Weise zu Lasten der beteiligten Verbraucher – vollkommen unterhöhlt würde. Zutreffend MüKo-Lorenz, § 477, Rz. 11; dem wohl nicht entgegenstehend Bamberger/RothFaust, § 477, Rz. 10 aE, da dessen Ausführungen sich nach dem Kontext lediglich auf die Pflichten nach § 305 Abs. 1 Nr. 2 BGB, nicht auf dessen Rechtsfolge beziehen dürften. 295 Zutreffend MüKo-Lorenz, § 477, Rz. 11; Grundmann/Bianca-Malinvaud, Art. 6, Rz. 29. S. daher insgesamt oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) mwN. 296 Die Pflichten des § 477 Abs. 1 und 2 BGB sind in diesem Zusammenhang als gesetzlich konkretisierte vorvertragliche Aufklärungspflichten i.S.d. §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB einzuordnen. Eine gewisse neue Qualität erreichen sie allerdings insofern, als sie sich „positiv“ auf die Ausgestaltung der Willenserklärung des Unternehmers selbst beziehen und diese bezüglich der geforderten Mindestangaben sozusagen standardisieren. 297 Vgl. die Nachweise oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (a). 298 Vgl. zum ganzen schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (a) mwN.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
BGB ergibt sich dies aus der abweichenden Zwecksetzung der Norm, die sich nicht in erster Linie auf den Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers, sondern vielmehr allein darauf richtet, daß der Verbraucher von einer hinsichtlich der Existenz und der Unberührtheit seiner gesetzlichen Mängelhaftungsrechte unklaren Garantieerklärung nicht von der Wahrnehmung dieser Rechte (insbesondere gegenüber dem Verkäufer) abgehalten werden soll. Im Falle des § 477 Abs. 1 Satz 1 sowie Satz 2 Nr. 2 und Abs. 2 BGB – die sich in der Tat auf die klare Mitteilung der Vertragsbedingungen und damit auf den Schutz der Entscheidungsgrundlage richten – kommt demgegenüber ein individueller Schadensersatzanspruch des Verbrauchers deshalb realistischerweise nicht in Betracht, weil angesichts des Grundsatzes der verbraucherfreundlichsten Auslegung für die Annahme einer kausalen und relevanten Störung der informationellen Entscheidungsgrundlage des individuellen Verbrauchers kein Raum bleibt. Denn die selbständige oder unselbständige Garantie kommt auf diese Weise ja gerade zu jenen Bedingungen zustande, welche sich der Verbraucher angesichts fehlender oder intransparenter Informationen legitimerweise vorgestellt hatte. Es wird deutlich, daß der geschäftsspezifisch informationsbasierte Regelungsansatz des § 477 BGB im Grundsatz genau der Konzeption der vertriebsspezifischen verbraucherschützenden Informationspflichten der §§ 312 ff. BGB entspricht. Insbesondere hinsichtlich der Sanktionierung von Pflichtverletzungen konnten dieselben Maßstäbe angelegt werden wie in diesem letztgenannten Bereich und führen zu angemessenen Lösungen. Das europäisch induzierte Konzept eines Verbraucherschutzes durch Standardisierung eines Informationskatalogs zu gewährleistender Mindestinformationen erreicht mit § 477 BGB allerdings im Vergleich zu den vertriebsspezifischen Informationspflichten dennoch insofern eine neue Qualität, als die Pflichten des § 477 BGB sich nicht allein auf die Gewährleistung der informationellen Entscheidungsgrundlage und des ungestörten Entscheidungsprozesses des Verbrauchers durch Anordnung bestimmter Informationspflichten, die vorvertraglich oder im Verlaufe der Vertragsabwicklung zu erfüllen sind, beziehen, sondern vielmehr auf die Gestaltung der auf den Abschluß des Garantievertrags gerichteten Willenserklärung des Unternehmers selbst 299. Im geltenden Recht findet sich ein derartiger Regelungsansatz in vergleichbarer Form unter anderem etwa auch in den geschäftsspezifischen Verbraucherschutzregelungen der § 492 Abs. 1 Satz 5 BGB (für Verbraucherdarlehen), § 502 Abs. 1 BGB für Teilzahlungsgeschäfte300 und § 651a Abs. 3 BGB (für den Reisevertrag). Es wird durch diese Regelungen letztlich im Interesse der Markttransparenz und der Versorgung des Verbrauchers mit einem bestimmten Katalog gesetzgeberisch als we299
S. statt aller MüKo-Lorenz, § 477, Rz. 3. Die geschäftsspezifische Pflicht zur Zurverfügungstellung einer Reisebestätigung mit bestimmten standardisierten Informationen gem. § 651a Abs. 3 BGB geht in eine ähnliche Richtung, bezieht sich allerdings insofern nicht auf die Ausgestaltung der Willenserklärung des Unternehmers selbst, als die Reisebestätigung vom Reisevertrag getrennt und dem Verbraucher bei oder unverzüglich nach Vertragsschluß auszuhändigen ist. 300
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sentlich eingeordneter Informationen die Ausgestaltung der Willenserklärung des Unternehmers selbst in gewissem Umfang aufgrund zwingenden Rechts sozusagen „standardisiert“301. Unter dieser Perspektive lassen sich § 477 BGB – ebenso wie die anderen genannten Beispiele – auch als geschäftsspezifische Vorläufer der nunmehr in das deutsche Recht umzusetzenden, dem Kontext des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutzes zuzuordnenden Bestimmung des Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-Richtlinie auffassen, der ein durchaus ähnliches Konzept der Standardisierung bestimmter vertragsbezogener Informationen 302 bezüglich sogenannter „Aufforderungen zum Kauf“ situations- und geschäftsunabhängig für das gesamte Verkehrssystem horizontalisiert.
2. Die dogmatische Konstruktion einer nicht dispositiven rechtsgeschäftlichen Haftung für die Angaben in der „einschlägigen Werbung“ im deutschen § 443 Abs. 1 BGB a. Grundsatz Nach der Vorgabe des Art. 6 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL war für das deutsche Recht sicherzustellen, daß bezüglich jeglicher Form vertraglich vereinbarter selbständiger oder unselbständiger Garantien303 der Garantiegeber jedenfalls entsprechend dem vereinbarten Inhalt der Garantie und – soweit deren durch Auslegung ermittelter Inhalt hinter den Angaben der aus der Sicht eines dem europäischen Leitbild des durchschnittlich informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers entsprechenden Verkehrsteilnehmers interpretierten einschlägigen Werbung zurückbleibt – auch entsprechend den solcherart interpretierten Werbeangaben dem Garantienehmer zur Erfüllung verpflichtet ist 304. In der Konzeption des Gemeinschaftsrechts ist die Einbeziehung der Werbeangaben in den Garantieumfang in der selbständigen Form einer Art gesetzlich angeordneten quasi-vertraglichen Gefährdungshaftung für den Einsatz irreführender werblicher Information vorgesehen und steht damit zugleich auch im teleologischen Kontext des institutionell ausgerichteten gemeinschaftsrechtlichen Irreführungsschutzes, was insbesondere den Rückgriff auf das europäische Verbraucherleitbild (des gemeinschaftsrechtlichen Irreführungsschutzes) bei der Interpretation einschlägiger Werbeangaben rechtfertigt 305. Damit war nach der 301 Naturgemäß berührt dies aber nicht die Frage der Voraussetzungen und des Inhalts der Willenserklärung, so daß es dem Unternehmer weiterhin freisteht, ob und mit welchem Inhalt er eine selbständige oder unselbständige vertragliche Garantie einräumt, s. zutreffend MüKo-Lorenz, § 477, Rz. 1 mwN. 302 Vgl. allgemein zu diesem Trend im europäischen Recht schon Fleischer, ZEuP 2000, 772 ff. mwN. 303 S. für den Garantiebegriff der Verbrauchsgüterkauf-RL schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1). S. zur Reichweite des Garantiebegriffs i.S.d. neuen § 443 BGB, der der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-RL dient, noch u. Fn. 316. 304 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b). 305 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b). Vgl. eingehend zur wettbewerbsrechtlichen
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Verbrauchsgüterkauf-RL ein bemerkenswerter systematischer Unterschied zwischen der gesetzlich – und individuell nicht modifizierbar – konstruierten, sozusagen objektiven Haftung für garantiebezogene Werbeangaben und der Haftung für Werbeangaben im Rahmen des (im Grundsatz subjektiv ausgestalteten) Maßstabs der Vertragsmäßigkeit aufgebrochen. Dieser systematische Bruch innerhalb der Verbrauchsgüterkauf-RL war darauf zurückzuführen, daß die Kommission ihre ursprünglich auch im viel wesentlicheren Bereich des Maßstabs der Vertragsgemäßheit intendierte Absicht, ein sozusagen objektives, am unabdingbaren Maßstab der Verkehrserwartung orientiertes Konzept der Vertragsgemäßheit zu entwickeln, nicht hatte durchsetzen können und schließlich im Grundsatz einen subjektiven Fehlerbegriff hatte akzeptieren müssen. Entsprechend dem Rahmencharakter der Verbrauchsgüterkauf-RL blieb dabei aber die Umsetzung dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe für den Bereich der kommerziellen Garantien – kumulative Haftung nach dem Vertragsinhalt und dem aus der Sicht des europäischen Durchschnittsverbrauchers ermittelten Inhalt der einschlägigen Werbung gemäß den jeweils günstigsten Bedingungen („Rosinentheorie“) – naturgemäß in vollem Umfang den nationalen Gesetzgebern überlassen306. Der deutsche Schuldrechtsreformgesetzgeber307 stand demnach – angesichts der nach deutschem Recht nicht uneingeschränkt gewährleisteten Erfüllung der Richtlinienvorgabe bei Behandlung von Zustandekommen und Auslegung vertraglicher Garantien nach den allgemeinen Grundsätzen 308 – vor der Behandlung defizitärer Garantien und garantiebezogener Konditionenwerbung Schünemann, NJW 1988, 1943 ff.; Alexander, S. 209 ff. 306 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b). 307 Der ursprüngliche Entwurf der Schuldrechtskommission (Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, herausgegeben vom Bundesminister der Justiz, Bundesanzeiger-Verlag 1992) hatte im Hinblick auf eine Haftung für Garantiewerbung naturgemäß noch keine Regelung enthalten (s. §§ 444, 643 Entwurf der Schuldrechtskommission, die lediglich die nunmehr in § 443 Abs. 2 BGB enthaltene [und schon zuvor von der Rechtsprechung entwickelte] Vermutung festschrieben, daß ein während der Garantiezeit auftretender Sachmangel die Rechte aus der Garantie zur Folge habe) und auch dem Wortlaut nach Garantien Dritter noch nicht einbezogen (die Schuldrechtskommission war davon ausgegangen, eine Regelung der Garantien Dritter [insbesondere der Herstellergarantien] gehöre systematisch nicht ins Kaufrecht, sei daher dort nicht ausdrücklich zu regeln und es sei insofern ohnedies ausreichend, wenn die Rechtsprechung im Wege der Analogie die Vorschrift auf Herstellergarantien ausweite, s. Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, aaO., S. 232). In § 442 Diskussionsentwurf (s. in: Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 3 ff.), gleichermaßen wie in § 442 Konsolidierter Diskussionsentwurf (s. aaO., S. 349 ff.), war dann eine entsprechende Regelung der Haftung für „einschlägige Werbung“ für seitens des Verkäufers oder Dritter übernommener Garantien bereits vorhanden, wobei sich die damalige Fassung noch lediglich auf die Beschaffenheitsgarantie bezog (ohne die Haltbarkeitsgarantie ausdrücklich zu erwähnen und insoweit eine Differenzierung vorzunehmen). In § 443 E-SMG wurde dann deklaratorisch noch die Klarstellung der Unbeschadetheit der gesetzlichen Ansprüche des Käufers durch vertragliche Garantien eingefügt und auf Initiative des Rechtsausschusses (s. BT-Drs. 14/7052) die jetzige Differenzierung zwischen Beschaffenheits- und Haltbarkeitsgarantien (wobei bei letzteren gem. § 443 Abs. 2 BGB vermutet wird, daß ein erst während der Geltungsdauer der Garantie auftretender Sachmangel die Rechte aus der Garantie begründet) vorgenommen. 308 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b).
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Wahl, entweder ergänzend (und sozusagen orientiert am systematischen Konzept der Richtlinie) eine quasi-vertraglich gesetzliche Haftung des Garantiegebers der einmal ordnungsgemäß zustandegekommenen Garantie für die Erfüllung nach den Bedingungen „einschlägiger Werbung“ aus Gesetz vorzusehen oder aber die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) für diesen spezifischen Bereich durch eine am Maßstab der durch Werbung geprägten Verkehrserwartung orientierte, zwingend typisierte Auslegungsregel dahingehend zu ergänzen, daß stets auch die Bedingungen der „einschlägigen Werbung“ als konkludent vereinbarter Bestandteil der vertraglichen Garantie gelten 309. Mit der Regelung von § 443 Abs. 1 BGB hat er sich – jedenfalls im Grundsatz nach Ansicht der ganz herrschenden Meinung310 – für diese zweitgenannte, sozusagen „rechtsgeschäftliche“ Umsetzungsvariante entschieden. Damit herrscht im deutschen Recht zwischen der dogmatischen Konzeption der Einbeziehung von Werbeangaben in eine typisierte Beschaffenheitsvereinbarung (in § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB) und der Haftung für die „einschlägigen Werbeangaben“ in § 443 Abs. 1 BGB im grundsätzlichen Ausgangspunkt wieder dogmatische Kohärenz311. b. Konsequenzen der rechtsgeschäftlichen Lösung für Einzelprobleme und verbleibende Einfallstore für eine Wechselwirkung mit dem Wettbewerbsrecht Die grundsätzlich rechtsgeschäftliche Konzeption der Haftung des Garantiegebers nach deutschem Recht auf Grundlage von § 276 Abs. 1 S. 1 (letzter Halbsatz) BGB, ergänzt durch die bloße Auslegungsregel des § 443 Abs. 1 BGB scheint das Tor für den Einfall wettbewerbsrechtlicher Beurteilungsmaßstäbe – insbesondere den Rückgriff auf das Verbraucherleitbild des Irreführungsschutzes für die Auslegung von Werbeangaben, wie ihn das Gemeinschaftsrecht seiner systematischen Konzeption und legislativen Entwicklung nach gerade fordert 312 – gewissermaßen zuzuschlagen und stattdessen lediglich den Rückgriff auf die Grundsätze der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre – sowohl was die Auslegung als auch was das Zustandekommen von Garantievereinbarungen betrifft – zuzulassen. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild, wie dies zum Teil auch be309
S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b). So auch zu Recht die ganz hM in der deutschen Literatur zu § 443 BGB, s. nur Bamberger/Roth-Faust, § 443, Rz. 14; Erman-Grunewald, § 443, Rz. 5 ff.; MüKo-Westermann, § 443, Rz. 6; Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 5, 122. A.A. aber AnwKomm-Büdenbender, § 443, Rz. 3; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring-ders., § 8, Rz. 45; abweichend auch Lehmann, DB 2002, 1090, 1093 (einseitiges verpflichtendes Rechtsgeschäft, das einen gesetzlichen Direktanspruch des Käufers gegen den Garantiegeber eröffne). Ähnlich in Bezug auf die Richtlinie ursprünglich auch Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1414 („zur Vermeidung gekünstelter Lösungen“). S. näher und mwN zur Diskussion um die dogmatischen Möglichkeiten zur Umsetzung des Art. 6 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL im Rahmen der Schuldrechtsreform auch schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b). 311 Vgl. insoweit im Ansatz zutreffend auch die Stellungnahme des Bundesrats (Anlage 2 zu BT-Drs. 14/6857), S. 28. 312 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b) und insbesondere (2) (b)-(d). 310
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
reits oben im Zusammenhang der Ausführungen zum europäischen Recht begründet wurde313. (1) Zustandekommen von Garantievereinbarungen Was das Zustandekommen von Garantievereinbarungen betrifft, sind dabei ausschließlich rechtsgeschäftliche Maßstäbe anzulegen 314. Auch die Verbrauchsgüterkauf-RL – die sich auf Fragen des Zustandekommens von Verträgen gerade nicht bezieht – gibt in diesem Zusammenhang keine andere Wertung vor315. Die diesbezüglich im deutschen Recht typischerweise zugrundegelegten Konstruktionen – insbesondere von Herstellergarantien – sind etabliert und an dieser Stelle nicht näher zu diskutieren316. Darüber hinaus kann eine bloße Werbung allenfalls 313 Denn für das europäische Recht hatte sich ein vergleichbares Problem ja mit Blick auf den in diesem Bereich auch schon nach der Konzeption des Gemeinschaftsrechts im Grundsatz subjektiven Maßstab der Vertragsmäßigkeit nach Art. 2 Verbrauchsgüterkauf-RL, in den jedoch unter anderem Werbeangaben als ein typisiertes, am Maßstab der Verkehrserwartung orientiertes Element einfließen können, gestellt. Da die Frage der Einfügbarkeit eines am Maßstab der massenhaften Verkehrserwartung, sozusagen verobjektiviert „wettbewerbsrechtlichen“ Elements im Rahmen eines grundsätzlich subjektiv-individuellen (rein „rechtsgeschäftlichen“) Maßstabs der Vertragsgemäßheit demnach in diesem Bereich schon für das europäische Recht virulent geworden war, wurde sie auch schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) im sachlichen Zusammenhang des Gemeinschaftsrechts behandelt. Bezüglich der Haftung für garantiebezogene Werbeangaben hatte sich demgegenüber das Problem für das Gemeinschaftsrecht genaugenommen noch nicht gestellt, da die diesbezügliche Haftung für einschlägige Werbeangaben gem. Art. 6 Abs. 1 Alt. 2 Verbrauchsgüterkauf-RL nach dem Konzept der Richtlinie gerade nicht rechtsgeschäftlich, sondern nach der hier vertretenen Auffassung gesetzlich ausgestaltet ist (s. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b)). Da der deutsche Gesetzgeber aber seinerseits in legitimer Weise eine rechtsgeschäftliche Umsetzungsvariante dieser europarechtlichen Vorgabe gewählt hat, stellt sich für das deutsche Recht das Problem nun aber auch schon im Bereich des § 443 BGB (und dann in § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB) in genau ähnlicher Weise, wie es oben (aaO.) nur für Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-RL behandelt wurde. 314 S. schon die Nachweise für die hM o. Fn. 310. 315 Vgl. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b). 316 Nach deutschem Recht kommen Garantievereinbarungen i.S.d. § 443 Abs. 1 BGB in unterschiedlicher Weise zustande. Der Garantiebegriff des § 443 Abs. 1 BGB entspricht dabei nicht den Begriffen der „Garantie“ in §§ 276 Abs. 1 S. 1, 442 und 445 BGB, in denen es um die rechtsgeschäftliche Vereinbarung eines verschuldensunabhängigen Einstehenwollens (für den hier betrachteten Teilbereich weitestgehend entsprechend der bisherigen Zusicherung einer Eigenschaft i.S.d. §§ 459 Abs. 2, 463 BGB a.F., s. nur Westermann, NJW 2002, 241, 247 f.) geht, sondern er ist weiter. Er umfaßt – je nach Auslegung der Garantievereinbarung – nämlich auch bloße zusätzliche Beschaffenheitsvereinbarungen und sonstige unselbständige und selbständige (daher zu Recht für eine Aufgabe dieser nicht länger aussagekräftigen Unterscheidung Bamberger/Roth-Faust, § 443, Rz. 11 f.; zum Teil wird demgegenüber allerdings fälschlich angenommen, § 443 BGB sei im Falle der Verkäufergarantien auf unselbständige Verkäufergarantien zu begrenzen, dagegen wiederum zu Recht MüKo-Westermann, § 443, Rz. 4; MüKo-Lorenz, § 477, Rz. 3; Palandt-Putzo, § 443, Rz. 5) Garantien, die nicht notwendig zu der verschärften Haftung nach §§ 444, 445 und § 276 BGB führen, im Rahmen welch letzterer der Garantiebegriff daher eigenständig im Hinblick auf den Regelungsgehalt dieser Vorschriften zu bestimmen ist. S. zutreffend für die insoweit ganz herrschende Meinung Huber/Faust-Huber, § 13, Rz. 173 f.; Bamberger/Roth-Faust, § 443, Rz. 4 f.; Erman-Grunewald, § 443, Rz. 2; MüKo-Westermann, § 443, Rz. 3 f., jeweils mit weiteren ausführlichen Nachweisen zur
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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dann nach allgemeinen Grundsätzen eine Garantievereinbarung auch begründen317, wenn sie einen entsprechenden rechtsgeschäftlichen Bindungswillen, für die Erfüllung bestimmter garantiebezogener Werbeangaben einzustehen, vom normativen Empfängerhorizont der angesprochenen Kunden schon aus sich heraus erkennen läßt318. (2) Einbeziehung von garantiebezogenen Werbeangaben Dritter? Eine wesentliche Konsequenz ergibt sich darüber hinaus aus der rechtsgeschäftlichen Umsetzungslösung hinsichtlich der Frage der Einbeziehung der Werbeangaben Dritter in die Vereinbarung zwischen dem Garanten und dem Garantienehmer. Die Richtlinie regelt diese Fragestellung im Bereich der Haftung für kommerzielle Garantien ebensowenig wie § 443 Abs. 1 BGB ausdrücklich 319, während § 434 I 3 BGB insoweit – genau wie Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-RL – eine Sonderregelung bezüglich der Einbeziehung der Werbeangaben Dritter („des Herstellers oder seines Gehilfen“) in die Beschaffenheitsvereinbarung zwischen Verkäufer und Käufer enthält. Während also die Regelungen der Richtlinie (und Entstehungsgeschichte, die die notwendige Differenzierung innerhalb des Oberbegriffs der Garantie i.S.d. § 443 Abs. 1 BGB (samt den Versuchen, sie durch Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 443 Abs. 1 BGB [die mit Blick auf die zwingende gemeinschaftsrechtliche Vorgabe des Art. 6 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL nicht möglich war] bzw. durch möglichen Rückgriff auf den alten Zusicherungsbegriff in §§ 442, 444 BGB [der sich letztlich bei den Beratungen im Rechtsausschuß nicht durchsetzte]) nur zu deutlich macht. Betreffend das Zustandekommen vertraglicher Garantien (welches nicht von § 443 BGB geregelt wird, sondern nach allgemeinen Grundsätzen beurteilt werden muß) ist ganz allgemein festzuhalten, daß zusätzliche Verkäufergarantien in der Regel vergleichsweise unproblematisch in den Kaufvertrag über die Kaufsache mit einbezogen sein dürften (s. statt aller MüKo-Westermann, § 443, Rz. 6). Schwieriger ist demgegenüber die Konstruktion des Zustandekommens von Herstellergarantien (die am häufigsten auf Grundlage eines der Ware beiliegenden Garantiezettels vereinbart werden sollen). Die von der ganz herrschenden Meinung in der Literatur (s. die Nachweise o. Fn. 310 [auch zur Minderansicht]) bestätigte Rechtsprechung (s. nur BGHZ 78, 369, 372 f. = NJW 1981, 275; BGH WM 1981, 548, 549; WM 1981, 952, 953; BGHZ 104, 82, 85; NJW 1988, 1726 = JZ 1988, 715 mit Anmerkung von M.Wolf) basiert das Zustandekommen der demnach vornehmlich problematischen Herstellergarantien – je nach Gestaltung des Einzelfalls – typischerweise auf die Konstruktion eines Angebots des Herstellers (wobei das Angebot durch die Garantiekarte, durch den Verkäufer als Boten bzw. auf Grundlage einer Stellvertreterrolle des Verkäufers für den Hersteller an den Kunden übermittelt wird, s. für die einzelnen Konstruktionsformen nur Jorden, Verbrauchergarantien, S. 522 f. mwN [in Fn. 111]) unter Verzicht auf den Zugang der Annahme und einer darauffolgenden konkludenten Annahme des Käufers (gem. § 151 S. 1 BGB) oder gar – nur in besonderen Fallkonstellationen (so nur BGHZ 75, 75, 77 ff. = NJW 1979, 2036; zu Recht eher kritisch insbesondere bezüglich einer Anwendbarkeit dieser Konstruktionsform im Bereich des § 443 Abs. 1 BGB Das Neue Schuldrecht-Haas, Kap. 5, Rz. 385; zurückhaltend auch Erman-Grunewald, § 443, Rz. 8; MüKo-Westermann, § 443, Rz. 7) – eines Vertrags zugunsten eines Dritten (des Endkunden) unter Abbedingung des § 334 BGB (s. zu dessen Abdingbarkeit BGHZ 127, 378, 385) zwischen dem Hersteller und dem Verkäufer. 317 Die Verbrauchsgüterkauf-RL enthält insoweit gerade keine zwingende Vorgabe, s. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b). 318 Zutreffend Lehmann, Der Betrieb 2002, 1090, 1093. 319 Zutreffend mit Blick auf die Richtlinie statt aller Jorden, S. 537; Bamberger-Roth-Faust, § 443, Rz. 20.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
des § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB) im Rahmen der gesetzlichen Sachmängelhaftungsvorschriften bezüglich der Einbeziehung von eigenschaftsbezogenen Werbeangaben Dritter eine Sonderregelung treffen, die im Rahmen der subsidiär gesetzlich typisierten, am Maßstab der Verkehrserwartung orientierten Beschaffenheitsvereinbarung auch eine Regelung bezüglich der üblichen Verkehrserwartung mit Blick auf die Einbeziehung werblicher Angaben bestimmter Dritter in die Verkäufererklärung enthält – und damit zumal den diesbezüglichen Empfängerhorizont im Massenverkehr und den Sphärengedanken widerspiegelt 320 –, fehlt eine derartige typisierende Regelung in § 443 BGB gerade. Ob dies angesichts des Fehlens einer vergleichbaren Regelung auch in der Verbrauchsgüterkauf-RL schon für sich genommen einen Umkehrschluß nahelegt 321, mag an dieser Stelle dahinstehen. Jedenfalls ist eine analoge Anwendung der Regelung des § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB im Garantiebereich ausgeschlossen322: Denn – selbst unabhängig von der Frage nach dem Vorhandensein einer systemwidrigen Gesetzeslücke in diesem Bereich 323 betrachtet, die angesichts der im Hintergrund bereitstehenden allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regelungen für die Auslegung eigener konkludenter Willenserklärungen (auch mit Blick auf die konkludente Einbeziehung der Angaben Dritter) und für die Zurechnung von Willenserklärungen Dritter wohl ohnedies kaum bejaht werden könnte – ist jedenfalls die § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB bezüglich der Beschaffenheitsvereinbarung zugrundeliegende Wertung – insbesondere mit Blick auf die für die typisierten Auslegungs- und Zurechnungsregeln entscheidend relevanten Verkehrserwartungen im Massenverkehr – schlicht nicht pauschal für den Bereich sämtlicher Garantien i.S.d. § 443 Abs. 1 BGB324 übertragbar. Denn mit der Anordnung einer Haftung des Verkäufers auch für die Angaben des Herstellers trägt § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB lediglich der Tatsache Rechnung, daß der Käufer seine Verkehrserwartung mit Blick auf die Beschaffenheit der Sache gerade deshalb wesentlich nach den Angaben des Herstellers bestimmt, weil für den Käufer im modernen Massenverkehr typischerweise der Hersteller die einzig verläßliche Informationsquelle bezüglich bestimmter Sacheigenschaften ist 325. Demgegenüber ist der Hersteller (außerhalb bestimmter Sonderbereiche326) jedenfalls nicht 320
Zutreffend Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 121. S. auch noch sogleich unten II 1. So Bamberger/Roth-Faust, § 443, Rz. 20; mit Bezug auf die Verbrauchsgüterkauf-RL und mit weiteren Belegen aus ihrer Entstehungsgeschichte ähnlich Jorden, S. 537. 322 Wie hier Bamberger/Roth-Faust, § 443, Rz. 20; Erman-Grunewald, § 443, Rz. 13; MüKoWestermann, § 443, Rz. 13; teilweise aA Oetker/Maultzsch, S. 126. 323 S. zur Feststellung von Lücken im Gesetz monographisch grundlegend statt aller Canaris, Feststellung von Lücken im Gesetz, 1983. 324 S. zum weiten Garantiebegriff des § 443 BGB schon o. Fn. 316. 325 S. auch noch sogleich unten II 1. 326 In bestimmten Bereichen – wie insbesondere dem Autohandel – mag aufgrund der Organisation des Vertriebssystems über Vertragshändler durchaus etwas anderes gelten. Doch sind diese bereichsspezifischen Absatzformen nicht derart verbreitet, daß man vom übergreifenden Vorhandensein einer typisierbaren Verkehrserwartung, der Händler stehe für Garantieangaben des Herstellers ein, ausgehen könnte, sondern eben vielmehr gerade auf bestimmte Sonderbereiche begrenzt. Die Frage einer Zurechnung der garantiebezogenen Werbeangaben des Herstellers 321
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derart typischerweise eine vom Verkehr allgemein anerkannte (und mangels diesbezüglicher Kompetenz des Verkäufers alternativlose) Quelle von verläßlichen Informationen bezüglich von über die gesetzlichen Regelungen hinausreichenden Händlergarantien. Auch im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre dürfte zudem den durchschnittlichen Kunden durchaus einleuchten, daß der Hersteller im Normalfall diesbezüglich kaum eine effektive Bindungsmöglichkeit im Innenverhältnis bzw. Vertretungsmacht im Außenverhältnis hätte. Damit läßt sich dann aber auch nicht nach dem Vorbild des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB eine Auslegung vom Standpunkt des durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers dahingehend gesetzlich typisieren, der Händler hafte stets für sämtliche garantiebezogene Werbeangaben des Herstellers. Das Fehlen von Regelungen über die Haftung für fremde Werbung in § 443 Abs. 1 BGB ist demnach nämlich Ausdruck einer bewußten gesetzgeberischen Entscheidung, die lediglich der differenzierteren Realität der – durch eine derartige Regelung in diesem vielgestaltigen Bereich übergreifend eben nicht sinnvoll zu typisierenden – Verkehrserwartungen im Massenverkehr entspricht. Eine Sonderregelung für den gesamten weiten Bereich der Garantien i.S.d. § 443 Abs. 1 BGB ist deshalb für diese Fragestellung gerade nicht angebracht gewesen. Vielmehr ist Voraussetzung einer Erfüllungshaftung des Garantiegebers, daß dieser eine fremde garantiebezogene Werbeaussage konkludent in sein eigenes Angebot einbezogen hat bzw. daß sie ihm nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen zugerechnet werden kann. Insofern ist zu differenzieren. Genaugenommen gar nicht um eine Haftung für Angaben Dritter, sondern vielmehr um eine Frage der Auslegung der eigenen Garantieerklärung geht es, wenn der Garant sich Aussagen der „einschlägigen“ Werbung Dritter im Rahmen der Verhandlungen über die Garantievereinbarung oder bei ihrem Abschluß zu eigen macht. Dies war schon im bisherigen Recht anerkannt327. In der Praxis dürfte dies typischerweise die Konstellation einer eigenen Haftung des Verkäufers (im Rahmen des Kaufvertrags) für garantiebezogene Werbeangaben des Herstellers betreffen, soweit sich der Verkäufer bei Abschluß des Kaufvertrags oder im Rahmen der Vertragsverhandlungen die garantiebezogene Werbung des Herstellers ausdrücklich oder stillschweigend zu eigen gemacht hat328. Konkludent kann dies etwa durch das Einbeziehen von Prospekten in die
zur Willenserklärung des Verkäufers läßt sich für diese Sonderbereiche aber gerade auch auf Grundlage der allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regelungen insbesondere über die Duldungsund Anscheinsvollmacht befriedigend konstruieren, so daß auch keine Schutzlücke für den Verbraucher entsteht. Vgl. dazu noch sogleich im folgenden Text. 327 S. nur die Rechtsprechung zum Zu-Eigenmachen öffentlicher Aussagen Dritter (insbesondere bezüglich der Zusicherung von Eigenschaften in Prospekten etc., die in die Vertragsverhandlungen einbezogen wurden), etwa BGHZ 16, 54, 56; BGHZ 48, 118, 122 ff.; BGH NJW 1981, 1269, 1270; NJW 1996, 1337 f.; NJW 1997, 2590 ff.; OLG Köln, NJW 1990, 955, 956. In der Literatur schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 200 f.; Dürrschmidt, Werbung und Verbrauchergarantien, S. 47 ff.; Jorden, Verbrauchergarantien, S. 153 ff., jeweils mwN. 328 S. dazu schon die Rechtsprechung zum alten Recht o. Fn. 327.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Vertragsverhandlungen o.ä. 329 geschehen. Demgegenüber ist der umgekehrte Fall, daß ein Hersteller sich die Werbeaussagen seiner Händler konkludent „zu eigen macht“ in der Praxis wohl nur selten denkbar, da insoweit nicht ersichtlich ist, durch welchen stillschweigenden Akt der Hersteller – der zum Kunden ja nicht in unmittelbarem Kontakt steht – sich konkludent eine Händleraussage bezüglich Garantien mit erkennbar geäußertem eigenem Rechtsbindungswillen zu eigen machen sollte, zumal ihm – außerhalb bestimmter Sonderbereiche gebundenen Vertriebs – auch eine effektive Kontrollmöglichkeit bezüglich garantiebezogener Aussagen der Händler gar nicht zur Verfügung steht 330. Außerhalb der Fälle des ausdrücklichen oder konkludenten Sich-Zueigenmachens einer fremden „einschlägigen“ Werbeaussage im Rahmen der eigenen Willenserklärung wird zusätzlich erwogen, für eine Dritthaftung bezüglich fremder Garantieangaben die Regelungen über die Duldungs- oder Anscheinsvollmacht entsprechend anzuwenden331. Eine derartige Analogie ist dabei nicht etwa schon deshalb verfehlt, weil Werbeangaben für Garantien bezüglich des Einstehens eines dritten Garanten wohl realistischerweise nur sehr selten aus der Sicht der betroffenen Kunden ein Vertretungsverhältnis des Werbenden für den Garanten implizieren werden, sondern vielmehr typischerweise allenfalls den Anschein begründen dürften, der Dritte selbst habe eine derartige Garantiezusage angeboten und habe insofern selbst eine Willenserklärung abgegeben. Denn auf ein derartiges Handeln unter fremdem Namen seitens des Werbenden für den Namensträger wären die §§ 164 ff. BGB in dieser Konstellation – in der es dem Kunden auf die Garantiezusage gerade des Namensträgers ankäme – grundsätzlich entsprechend anzuwenden332. Allerdings dürften Situationen, in denen tatsächlich die Voraussetzungen einer diesbezüglichen Duldungs- oder Anscheinsvollmacht vorliegen333, äußerst selten sein. Es ist in diesem Zusammenhang wohl im wesentlichen nur an ganz spezifische Bereiche zu denken, in denen der Vertrieb (wie etwa im Kfz-Handel) besonders eng gebunden ist. So könnte eine öffentliche garantiebezogene Werbeangabe eines Autoherstellers in der Tat auf Seiten des Verkehrs die – in aller Regel ja auch zutreffende – Erwartung auslösen, an diese Werbeangaben seien sämtliche Vertragshändler gebunden 334. In einem derartigen Falle mag in der Tat – sofern die 329
S. nur zur alten Rechtslage BGH NJW 1968, 1622 ff.; Jorden, S. 154 mwN. Für den Kunden entsteht insoweit auch keine Schutzlücke, weil ihm sein Verkäufer – sofern er falsche Angaben über angebliche Herstellergarantien gemacht hat – ggf. aus dem Kaufvertrag gem. § 280, 276 Abs. 1 Satz 1 BGB (sofern er das Beschaffungsrisiko übernommen hat, sogar verschuldensunabhängig) bzw. – sofern die Angaben über den angeblichen Umfang einer Herstellergarantie nicht Vertragsbestandteil geworden sind – jedenfalls nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 311 Abs. 2 BGB aus culpa in contrahendo auf Schadensersatz haftet. Näher Bamberger/ Roth-Faust, § 443, Rz. 20. 331 Erman-Grunewald, § 443, Rz. 13. 332 S. im Grundsatz BGHZ 45, 195 ff.; BGH NJW 1963, 148 ff. 333 S. allgemein statt aller nur den kurzen Überblick bei Palandt-Heinrichs, § 173, Rz. 9 ff. 334 Nicht zufällig ist die Frage nach der Verkehrsauffassung bezüglich der Person des Garantiegebers auch genau einer der Bereiche, in denen das Verständnis von werblichen Garantieangaben im Lauterkeitsrecht zum Gegenstand von Gerichtsentscheidungen geworden ist, s. noch u. 330
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eigene Garantievereinbarung des Vertragshändlers dann hinter den einen entsprechenden Vertretungswillen implizierenden „einschlägigen“ Werbeangaben des Herstellers zurückbleibt – eine Haftung nach den dann sogar unmittelbar angewendeten Regeln über die Duldungs- oder Anscheinsvollmacht in Betracht kommen, wenn deren sonstige Voraussetzungen vorliegen und sofern sich der Händler nicht ohnedies nach den allgemeinen Regeln die Herstellerangaben stillschweigend zu eigen gemacht hat. Der umgekehrte Fall einer Vertragshändleraussage bezüglich einer Herstellergarantie, die den Hersteller nach den entsprechend angewendeten Regeln über die Duldungs- oder Anscheinsvollmacht bindet, dürfte in genau gleicher Weise allenfalls in den genannten Sonderbereichen gebundenen Vertriebs einmal in Betracht kommen. Außerhalb dieser Bereiche scheidet hier insbesondere die Annahme einer Anscheinsvollmacht schon deshalb aus, weil es dem Hersteller kaum jemals möglich sein dürfte, mit zumutbarem Aufwand die Werbung seiner sämtlichen Händler in der Vertriebskette zu überwachen 335. (3) Auslegung des Inhalts von Garantievereinbarungen mit Blick auf die Angaben der „einschlägigen Werbung“ Sind somit die Problemkomplexe des Zustandekommens von Garantievereinbarungen und der Haftung für garantiebezogene Werbeangaben Dritter uneingeschränkt nach rechtsgeschäftlichen Grundsätzen zu beurteilen, so gilt dies für die Frage der Auslegung des Inhalts von Garantievereinbarungen und der diesbezüglichen Relevanz der „einschlägigen Werbung“ nicht ohne weiteres336. Denn insoFn. 338. Die diesbezüglichen wettbewerbsrechtlichen Entscheidungen und selbst die Übertragung der ihnen zugrundeliegenden methodischen Analyseinstrumente (wenn auch nicht der mittlerweile überholten strengen Maßstäbe bezüglich des anzunehmenden Verkehrsverständnisses) in die Auslegung des § 443 Abs. 1 BGB (wie unten vorgeschlagen) betreffen aber allein die Frage, wie eigene Angaben des Werbenden zu verstehen sind, ob er mithin ggf. – sofern diese dahin verstanden werden mußten, daß ein Dritter (typischerweise der Hersteller) eine Garantie gibt – selbst auf Schadensersatz haftet, wenn der Dritte dann in Wirklichkeit nicht gebunden ist. Die hier diskutierte Frage, ob durch derartige Werbeangaben eine Bindung auch des Dritten entstehen könnte, betreffen diese noch unten näher beschriebenen Überlegungen zur Auslegung der eigenen Erklärung des Werbenden genaugenommen nicht. 335 Das Argument des Bundesrats aus den Gesetzesberatungen, es müsse berücksichtigt werden, daß der Hersteller keinen Einfluß auf die Werbung der Händler habe, sie regelmäßig nicht einmal kenne und daher auch sein Verhalten nicht darauf einstellen könne (s. Stellungnahme des Bundesrats, Anlage 2 zu BT-Drs. 14/6857, Zu Art. 1 Abs. 1 Nr. 31 (§ 443 BGB) – Begründung) findet hier seine dogmatische Verankerung, wobei die Heranziehung der Regeln über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht es zudem gestattet, in den atypischen Fällen, in denen der Hersteller entsprechende Kenntnis von Händlerwerbung hat (und sie als vertriebsfördernd u.U. sogar duldet) bzw. in denen er über eine entsprechende Erkenntnis- und Verhinderungsmöglichkeit verfügt und sie nicht pflichtgemäß wahrnimmt, zum interessengerechten Ergebnis einer Herstellerhaftung zu gelangen. 336 Daß der hier vertretene teilweise Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Maßstäbe für die rechtliche Behandlung der „einschlägigen Werbung“ – als einem am Maßstab der Verkehrserwartung orientierten und damit objektiv überformten Element einer typisierten Auslegungsvorschrift – im Verhältnis zur grundlegend rechtsgeschäftlichen Einordnung sowohl des § 443
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
weit ist eben – anders als bezüglich des Zustandekommens der Vereinbarung und dem Problemkomplex der Bindung durch Angaben Dritter – auch in § 443 BGB eine Typisierung des Erwartungshorizonts anhand der Realitäten des geschäftlichen Massenverkehrs erfolgt, die eine Entlehnung auch diesbezüglicher wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe gewinnbringend und dogmatisch möglich erscheinen läßt. Die wesentlichste Neuerung, die § 443 Abs. 1 BGB in diesem Bereich bringt, liegt darin, daß Angaben aus der einschlägigen Werbung des Garanten nunmehr auch dann als zwingend typisiert in die Garantievereinbarung inkorporiert gelten, wenn sie nicht – ausdrücklich oder konkludent – zum Gegenstand der konkret individuellen Vertragsverhandlungen gemacht wurden 337. Die Regelung stellt im System des deutschen Rechts nach der hier vertretenen Auffassung eine (im Verhältnis zu Verbrauchern zwingende) Auslegungsvorschrift dahingehend dar, daß – vom gesetzlich typisierten objektiven Empfängerhorizont betrachtet – in Garantievereinbarungen stets auch die Angaben der einschlägigen Werbung mit dem Inhalt einfließen, den sie aus der Sicht der Verkehrserwartung im betroffenen Markt haben. Mit diesem Abstellen auf den typisierten Maßstab der massenhaften Verkehrserwartung – der dem öffentlichen Charakter der Werbung entspricht – ist aber eine unmittelbare Überschneidung mit denjenigen Interessenwertungen erreicht, die sich im normativen Verbraucherleitbild des Wettbewerbsrechts mit Blick auf den Irreführungsschutz kristallisieren338. Soweit die wettbewerbsrechtAbs. 1 BGB als auch des § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB keinen systematischen Bruch darstellt, wurde schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (b) und (c) ausführlich begründet. 337 So die alte Rechtslage, die sich freilich (insbesondere im Bereich der Beschaffenheitsvereinbarungen) faktisch – durch Senkung der Voraussetzungen konkludent einbeziehenden Verkäuferhandelns auf ein minimales Maß und insbesondere durch die stets anerkannte Möglichkeit der zeitlichen Vorverlagerung einbeziehender Handlungen vor den Zeitraum der konkreten Vertragsverhandlungen – diesem Maßstab teilweise schon recht weitgehend angenähert hatte, s. nur zutreffend Westermann, NJW 2002, 241, 245 mwN. 338 S. insoweit aus der älteren (strengeren) Rechtsprechung unmittelbar mit Bezug auf Garantien BGH GRUR 1970, 467 – Vertragswerkstatt mit Anm. Hoth; OLG Düsseldorf, WRP 1977, 193, 194; OLG Köln, WRP 1979, 887 (Verwendung der Begriffe „Garantiekarte“ und „Garantie-Urkunde“ rufe beim Verkehr den Eindruck einer Herstellergarantie hervor); zurückhaltender aber BGH BB 1997, 1867 – Herstellergarantie; OLG Frankfurt/M., NJW-RR 1996, 1386 (Bezeichnung einer Reparaturkostenversicherung als Garantie); OLG Köln WRP 1982, 47 f. – Drei-Jahres-Garantie auf alle Teppichböden; OLG Köln, WRP 1980, 648, 649; BGH GRUR 1983, 254, 255 (betreffend eine „Geld-Zurück“-Garantie bei Nachhilfeunterricht); zur irreführenden Werbung mit Vertragskonditionen BGH GRUR 1983, 654 – Kofferschaden mit Anm. Schulze zur Wiesche. Vgl. zur Beurteilung von Garantieversprechen mit Blick auf das Irreführungsverbot auch Schünemann, NJW 1988, 1943 ff.; ders., Wettbewerbsrecht, S. 154 ff.; Alexander, S. 210 f. S. allgemein für die neuere Rechtsprechung des BGH, die auf die situationsbedingt angemessene Aufmerksamkeit des durchschnittlich informierten und verständigen Durchschnittsverbrauchers abstellt, sich insoweit dem Maßstab des europäischen Rechts angenähert hat und zu Recht situationsunabhängige Generalisierungen vermeidet, nur BGH WRP 2000, 510 – L-Carnitin; BGH WRP 2000, 517 – Orient-Teppichmuster; BGH WRP 2000, 723 – Space Fidelity Peep-Show; BGH WRP 2000, 1129 – Tageszulassungen II; BGH WRP 2001, 258 – Rückgaberecht; BGH WRP 2001, 1450 – Warsteiner III. Vgl. zum ganzen an dieser Stelle nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 1.57 mit umfassenden weiteren Nachweisen, sowie näher auch schon oben 2. Abschn. B.
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liche Interessenwertung im Irreführungsschutz demnach nicht außerhalb des Schutzes der Entscheidungsfreiheit der Kunden (und dem durch die resultierende Unterbindung von Wettbewerbsverzerrungen indirekt vermittelten Konkurrentenschutz) liegende sonstige institutionelle Interessen mit einbezieht 339, wofür im hier betrachteten Bereich der garantiebezogenen Werbung außerhalb bestimmter Sonderfälle340 aber keine konkreten Anhaltspunkte erkennbar sind, müßte der Auslegungsmaßstab der §§ 133, 157 BGB – soweit sie auf öffentliche Äußerungen bezogen werden341 – im Grundsatz gerade mit dem wettbewerbsrechtlichen Maßstab konvergieren. Der wettbewerbsrechtliche Erwartungshorizont müßte sich sozusagen in die §§ 133, 157 BGB importieren lassen342 und umgekehrt 343. Als dementsprechenden Standard gibt das Europarecht für die Auslegung der „einschlägigen Werbung“ in § 443 Abs. 1 BGB das Leitbild des durchschnittlich informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers vor344. Das damit in Bezug genommene Verbraucherleitbild des EuGH gestattet es 339 Anders als der Rahmen der §§ 133, 157 BGB (der bezüglich öffentlicher Äußerungen zunächst nur auf den objektiven Empfängerhorizont des durchschnittlichen Erklärungsempfängers abstellt) gestattete es die Metapher des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherleitbilds bisher, im Rahmen einer umfassenden, einzelfallbezogenen Interessenabwägung (wie sie nunmehr statt Abstellens auf starre Irreführungsquoten auch der BGH in seiner neueren Rechtsprechung vornimmt, s. nur beispielhaft die Nachweise o. Fn. 338) neben dem Schutz der Entscheidungsfreiheit auch sonstige (individuelle oder kollektive) Interessen der Marktteilnehmer in die Wertung mit einzubeziehen. Hierzu können etwa Aspekte des Gesundheits- oder Umweltschutzes sowie sonstige soziale Anliegen zählen (s. nur beispielhaft Drexl, Selbstbestimmung, S. 573 ff., insbes. 579 f.); vgl. grundlegend auch Beater, § 15, Rz. 84 ff. mwN. Einmal abgesehen von der Frage, inwieweit die neue Schutzzweckklausel eine derartige umfassende Einbeziehung auch außerwettbewerblicher Interessen der Marktteilnehmer überhaupt noch gestattet (s. nur o. 1. Kap. 3. Abschn. D III 2), ist aber festzuhalten, daß für den Bereich der Verbrauchergarantien – die sich typischerweise auf Zusicherungen bezüglich der Haltbarkeit o.ä. der verkauften Produkte beziehen – jedenfalls im allgemeinen sich relevante sonstige institutionelle Interessen – außerhalb des Schutzes der Entscheidungsfreiheit der Marktgegenseite – nicht in substantiellem Ausmaß identifizieren lassen, so daß nach der hier vertretenen Gleichmaßthese im grundsätzlichen Ausgangspunkt – angesichts des demnach zu konstatierenden Fehlens konkreter, eine Abweichung der Maßstäbe rechtfertigender Zusatzaspekte im Lauterkeitsrecht – die Maßstäbe der §§ 133, 157 BGB und des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherleitbilds jedenfalls für den typischen Fall in diesem Bereich konvergieren müssen. Neben der Möglichkeit, in § 443 Abs. 1 BGB auf bestimmte dogmatische Figuren des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes (unter strikter Bindung an das neue, liberalere Leitbild des europäischen Durchschnittsverbrauchers) zurückzugreifen, bringt dies nach Art einer „Schaukelbewegung“ insbesondere eine zwingende Liberalisierung der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung garantiebezogener Werbeaussagen (nach der Vorgabe des europäischen Verbraucherleitbilds) mit sich, die dazu führen dürfte, daß praktisch sämtliche älteren und strengeren Entscheidungen in diesem Bereich nach dem neuen Verbraucherleitbild auch des deutschen Rechts nicht mehr aufrechterhalten werden können. S. dazu auch noch sogleich im folgenden Text. 340 S. die soeben angedeuteten Beispiele o. Fn. 339. 341 Ganz ähnlichen Grundsätzen folgt naturgemäß die Auslegung von AGB, vgl. auch die Nachweise u. Fn. 362. 342 Ähnlich insoweit Lehmann, DB 2002, 1090, 1093. 343 S. dazu sogleich im folgenden Text. 344 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b) und (2) (b).
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aber aus sich heraus gerade in nur sehr begrenztem Maße, neben dem Schutz der Entscheidungsfreiheit der Marktgegenseite im institutionellen Interesse des reibungsfreien und unverfälschten Funktionierens des Binnenmarkts auch sonstige normative Interessenpositionen zu berücksichtigen. Solche sonstigen Interessenpositionen – wie etwa das Interesse an Umwelt- oder Gesundheitsschutz – werden vielmehr grundsätzlich nur insoweit sozusagen indirekt berücksichtigt, wie sie sich in den hinsichtlich der Freiheit ihrer Ausübung geschützten Vertragsentscheidungen der Marktgegenseite widerspiegeln345. Diesem auf den Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen beschränkten Konzept entspricht im Grundsatz auch die Konzeption des neuen UWG346. Der BGH hat seine Rechtsprechung – insbesondere soweit es um den Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage durch das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot geht – schon seit Mitte der neunziger Jahre dem europäischen Verbraucherleitbild angepaßt und stellt nunmehr ab auf einen durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher, der der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt 347, wobei die Rechtsprechung inzwischen zunehmend einzelfallabhängig argumentiert und situations- und produktunabhängige Generalisierungen durchaus zu Recht vermeidet348. Man wird in der neueren Rechtsprechung des BGH nach richtiger Auffassung zugleich eine Abkehr von einer starren Orientierung an fixierten Irreführungsquoten und eine Hinwendung zu einem normativen Maßstab im Sinne einer produkt- und situationsabhängigen Interessenabwägung – in deren Rahmen eine Irreführungsquote dann durchaus noch ihre Rolle zu spielen vermag – erkennen können 349. Dieser Maßstab kann nun – der Vorgabe des europäischen Rechts entsprechend 350 – insoweit auch zur Auslegung der „einschlägigen Werbeangaben“ in § 443 Abs. 1 BGB herangezogen werden, wie er sich tatsächlich allein auf den Schutz der Entscheidungsgrundlage der Verbraucher vor informationsbezogenen Störungen und den sich daraus ergebenden Wettbewerbsverfälschungen bezieht (und nicht unter dem Gewand des Irreführungsschutzes – der in Deutschland traditionell aus dem sonderdeliktsrechtlichen Konkurrentenschutzgedanken gewachsen ist 351 – über den Schutz des unverfälschten Wettbewerbs hinausgehende sonstige Interessen der Konkurrenten oder der Allgemeinheit verfolgt 352). Davon ist aber bezüglich der 345
S. grundlagenbezogen schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B I 3 b. S. allgemein schon oben 1. Kap. 3. Abschn. D III 2 und öfter; bezogen auf das Irreführungsverbot, s. ausdrücklich die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, S. 19. Vgl. im übrigen bezogen auf den Irreführungsmaßstab wie hier Hefermehl/Köhler/BornkammBornkamm, § 5, Rz. 1.57 am Ende. 347 S. die Nachweise o. Fn. 338. 348 S. Lettl, Irreführende Werbung, S. 183 ff. mwN. 349 Vgl. Lettl, Irreführende Werbung, S. 183 ff. mwN. 350 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (1) (b) und (2) (b). 351 S. nur Beater, § 15, Rz. 85 mwN. 352 S. nur die diesbezüglich grundlegende Darstellung der älteren Rechtsprechung bei Beater, § 15, Rz. 84 ff. mwN. 346
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neueren Rechtsprechung des BGH in diesem Bereich gerade nicht mehr auszugehen353. Es kann deshalb im Rahmen der sozusagen entindividualisierten „wettbewerbsrechtlichen Insel“ der Auslegung der „einschlägigen Werbeangaben“ im Sinne des hier vertretenen „Wasser und Öl“-Ansatzes354 auch innerhalb der Rechtsgeschäftslehre für die Bestimmung der maßgeblichen typisierten Verkehrserwartung auf lauterkeitsrechtliche Wertungsgesichtspunkte zurückgegriffen werden355. Welche Lösungsansätze dies – insbesondere mit Blick auf die Auslegung der sehr viel bedeutsameren und in dieser Hinsicht vergleichbaren Vorschrift des § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB – gestattet, soll noch sogleich (unten II) ausgeführt werden. Für den hier betrachteten – vergleichsweise untergeordneten – Bereich der Garantiewerbung ist festzuhalten, daß sowohl die Frage der „Einschlägigkeit“ der Werbung, d.h. ihrer Bezogenheit auf konkrete Garantiebedingungen, als auch die Fragen der Auslegung der Werbeangaben zur Ermittlung ihres Inhalts und der Relevanz dieses Inhalts für die wirtschaftliche Entscheidung des Kunden, wobei dann insoweit auf die Relevanz der Werbung für die Kaufentscheidung (nicht für die Garantievereinbarung) abzustellen ist 356, nach dem wettbewerbsrechtlichen Maßstab des Verständnisses eines situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers beurteilt werden kann 357. Daß dieser am Maßstab der massenhaften Verkehrserwartung orientierte, typisierte Maßstab entscheidet und keine Auslegung nach dem individuellen Empfängerhorizont des konkret betroffenen Kunden stattfindet, widerspiegelt die auch institutionelle Zielrichtung der Norm, die – genau entsprechend dem europäischen Hintergrund – in der Art einer wettbewerbsbezogenen allgemeinen Verkehrssiche353 S. insoweit schon die Nachweise o. Fn. 338. Mit zu verkürzter Perspektive auf die neuere Rechtsprechung des BGH und daher zu Unrecht eine Übertragung wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe des deutschen Rechts ablehnend Weiler, WM 2002, 1784, 1787. Insbesondere ist entgegen Weiler, aaO., gegen eine situations- und produktabhängige Differenzierung des Aufmerksamkeitsmaßstabs, die letztlich nur die Verkehrsgewohnheiten typisiert widerspiegelt, im Grundsatz nichts einzuwenden. 354 S. grundlagenorientiert oben 1. Kap. 3. Abschn. F III und IV 1 sowie auch schon zum europäischen Richtlinienrecht oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (c). 355 S. ähnlich auch schon Lehmann, JZ 2000, 280, 284; Jorden, Verbrauchergarantien, S. 95 ff. (jeweils bezogen auf die Verbrauchsgüterkauf-RL); Bernreuther, WRP 2002, 368, 371 (für das deutsche Recht). Nur mit Blick auf den Maßstab des EuGH-Durchschnittsverbrauchers eingeschränkt zustimmend (und dabei die aktuellen Entwicklungen in der deutschen Rechtsprechung zu gering schätzend) Weiler, WM 2002, 1784, 1787. 356 S. zum Relevanzkriterium, welches nach richtiger Auffassung auch im Bereich des § 443 Abs. 1 BGB analog § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Var. 3 BGB einschränkend heranzuziehen ist, noch sogleich im folgenden Text. 357 S. für Nachweise zur neueren BGH-Rechtsprechung o. Fn. 338. Die dort angeführten älteren Entscheidungen mit ihren strengen Maßstäben unmittelbar betreffend Garantiewerbung dürften demgegenüber praktisch sämtlich nach den neuen Maßstäben nicht mehr aufrechtzuerhalten sein, wie es sich im Rahmen einer Art „Schaukeltheorie“ auch gerade aus der Ausdehnung des europäischen Verbraucherleitbilds auf den Bereich der Garantiewerbung ergibt (vgl. auch bei u. Fn. 363). Demgegenüber dürfte beispielsweise BGH GRUR 1983, 654 – Kofferschaden mit Anm. Schulze zur Wiesche, aufrechtzuerhalten sein.
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rungspflicht eben nicht nur individuellen Verbraucherschutz leistet, sondern zugleich durch dezentrale Steuerungseffekte irreführende garantiebezogene Werbung mit dem Ziel, die Kunden zu Kaufentscheidungen zu bewegen, unterbinden will. Der einzelne Kunde muß also die einschlägigen Werbeangaben auch nicht gekannt haben, um sie in die Garantievereinbarung einzubeziehen. Entsprechend dem wettbewerbsrechtlichen Kriterium der Relevanz ist nur insofern – analog § 434 Abs. 1 Satz 3 HS 2 Var. 2 und 3 BGB358 – eine wiederum nicht auf den individuellen Kunden, sondern auf den typisierten Maßstab der Verkehrserwartung abgestellte Einschränkung zu machen, als eine garantiebezogene Werbung nicht als in die Garantievereinbarung einbezogen gelten kann, wenn sie zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses in gleichwertiger Weise berichtigt war359 bzw. wenn sie die Kaufentscheidung (bezüglich des Produkts auf das sich die Garantie bezieht)360 aus der Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers nicht beeinflussen konnte361. Im übrigen ist der hier vorgeschlagene Abgleich der Wertungen der §§ 133, 157 BGB mit den Maßstäben des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherleitbilds nicht im Sinne einer einbahnstraßenartigen Argumentation zu verstehen, die sozusagen nur das Einfallstor des § 443 Abs. 1 BGB dahingehend nutzt, wettbewerbsrechtliche Maßstäbe in die Wertungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre – insbesondere bezüglich der Anwendung der §§ 133, 157 BGB für diesen Bereich – zu importieren. Vielmehr geht es um eine Wechselwirkung. Denn umgekehrt hat – angesichts des zumal seitens des europäischen Gesetzgebers mit der im Grundsatz vertragsrechtlichen Verbrauchsgüterkauf-RL bewußt verfolgten Nebenziels einer Marktsteuerung mit Blick auf die Unterbindung irreführender garantiebezogener Verkaufswerbung – auch das Lauterkeitsrecht die verbrauchervertragsrechtliche Festlegung des europäischen Maßstabs auf den in der EuGH-Rechtsprechung etablierten Standard des durchschnittlichen Verbrauchers, wie er im Hintergrund des § 443 Abs. 1 BGB steht und wie er im hergebrachten deutschen Recht auch in den Grundzügen bereits dem Maßstab der §§ 133, 157 BGB für Erklärungen an die Allgemeinheit (bzw. Teilen davon)
358 Im Ergebnis zutreffend Bamberger/Roth-Faust, § 443, Rz. 21 gegen Henssler/Graf v. Westphalen-Graf v. Westphalen, § 443, Rz. 37, 41. Demgegenüber kommt eine analoge Anwendung des ersten Ausschlußgrundes in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 BGB (Unkenntnis der fremden Werbung und auch kein Kennenmüssen) naturgemäß nicht in Betracht, da in § 443 BGB – anders als in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB – eine positive Regelung für die typisierte Einbeziehung fremder Werbeangaben in die Garantievereinbarung des Garanten (nach der hier vertretenen Auffassung aufgrund einer bewußten gesetzgeberischen Entscheidung) gerade fehlt, so daß ein entsprechender Ausschlußgrund überflüssig ist. Auch insoweit zutreffend für die hM Bamberger/Roth-Faust, aaO. 359 S. näher unten II 3 d. 360 S. zur Relevanz von werbemäßigen Garantieversprechen für die Kaufentscheidung des Verbrauchers mit Bezug auf das beworbene Produkt bzw. die beworbene Dienstleistung in der deutschen Rechtsprechung etwa BGH GRUR 1983, 245, 255 – Nachhilfeunterricht; OLG Köln, WRP 1980, 648, 649. Vgl. auch Schünemann, NJW 1988, 1943 ff.; Alexander, S. 207. 361 S. für Anwendungsbeispiele sogleich unten II 3 c.
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entspricht362, für sämtliche garantiebezogene Werbung nunmehr zwingend zu respektieren. Damit sind einige ältere Entscheidungen aus diesem Bereich zweifellos nicht mehr tragfähig363. Im wesentlichen wird die vorgeschlagene – auf dem Gleichmaßgrundsatz fußende – wechselseitige Beeinflussung der Wertungsmaßstäbe der §§ 133, 157 BGB und des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherleitbilds also nach Art einer „Schaukeltheorie“ darauf hinauslaufen, daß sich das wettbewerbsrechtliche Verbraucherleitbild für diesen Bereich weiter liberalisiert, während bei der Ermittlung des Inhalts der „einschlägigen Werbeangaben“ i.S.d. § 443 Abs. 1 BGB im Rahmen der §§ 133, 157 BGB erstens einzelne methodische Ansätze des Wettbewerbsrechts zur Ermittlung des durchschnittlichen Verbraucherverständnisses herangezogen werden können und zweitens die Informationsobliegenheiten, die zumal den durchschnittlich verständigen und informierten europäischen Durchschnittsverbraucher treffen, gegenüber einem zu oberflächlichen Verständnis konkret garantiebezogener Werbeangaben zu berücksichtigen sind364. Wie sich dies im einzelnen auswirkt, ist im folgenden an der bedeutsameren Regelung des § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB zu demonstrieren, die zudem mit der – dort, anders als in § 443 BGB, ebenfalls in gewissem Umfang typisiert geregelten – Haftung für Werbeangaben Dritter noch ein zusätzliches Problem aufwirft, daß sich wiederum gerade durch Heranziehung wettbewerbsrechtlicher Haftungsmaßstäbe interessengerecht lösen läßt.
362 S. nur BGHZ 28, 259, 264; BGHZ 53, 304, 307; Palandt-Heinrichs, § 133, Rz. 12; Bamberger/Roth-Wendtland, § 133, Rz. 28 und 31, jeweils mwN. 363 So insbesondere BGH GRUR 1970, 467 – Vertragswerkstatt mit Anm. Hoth; OLG Düsseldorf, WRP 1977, 193, 194; OLG Köln, WRP 1979, 887 (s. auch o. Fn. 338). Kritisch insoweit auch schon bisher die hM in der Literatur, s. nur GroßKomm-Lindacher, § 3, Rz. 944 f.; Alexander, S. 210 f. Aber praktisch auch sämtliche anderen aaO. zitierten Entscheidungen – mit der denkbaren Ausnahme von BGH GRUR 1983, 654, 655 – Kofferschaden mit Anm. Schulze zur Wiesche – dürften noch einem zu strengen Maßstab folgen. 364 Dies ist gerade eine wesentliche Abweichung vom – in diesem Falle sogar strengeren – Maßstab der §§ 133, 157 BGB. Denn in deren Rahmen sind bei der Auslegung von Erklärungen an eine unbestimmte Vielzahl von Personen, die einem bestimmten Verkehrskreis zugehörig sind, gerade nur diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die jedem Angehörigen des angesprochenen Personenkreises bekannt oder erkennbar sind (s. nur BGHZ 28, 264; BGHZ 53, 307). Nach dem europäischen Verbraucherleitbild, käme es demgegenüber wohl nur darauf an, welche Umstände dem durchschnittlichen angesprochenen Kunden bekannt oder erkennbar sind, während alle diejenigen Kunden die unterhalb dieses Standards liegen, eine entsprechende Obliegenheit zur Selbstinformation trifft. Vgl. nur EuGH Rs. 407/85 (Drei Glocken), Slg. 1988, 4233, sowie auch schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (d). Vgl. im übrigen zur Auslegung von AGB, die für das deutsche Recht bisher ebenfalls eher strengeren Maßstäben folgt, als sie nunmehr das europäische Verbraucherleitbild für die Konkretisierung der „einschlägigen Werbung“ in § 443 Abs. 1 BGB vorgibt, die Nachweise o. 4.Kap. 2. Abschn. Fn. 133 und 134.
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II. Die typisierte Einbeziehung von Werbeaussagen des Verkäufers und bestimmter Dritter in die Beschaffenheitsvereinbarung 1. Grundsatz Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB über die Einbeziehung der Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Herstellers oder seines Gehilfen über bestimmte Eigenschaften der Sache erwarten kann, in die übliche Beschaffenheit i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, im Sinne einer gesetzlich typisierten konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung aufzufassen365. Es geht also nicht um eine Gewährleistungshaftung für Werbeangaben366, sondern vielmehr um eine Art zwingende Auslegungsregel in dem Sinne, daß die Beschaffenheitsvereinbarung in Ermangelung einer zulässigen vorrangigen konkret-individuellen Abrede stets die Eignung zur gewöhnlichen Verwendung und die übliche Beschaffenheit umfaßt, welche dann ihrerseits – innerhalb dieses ohnedies verobjektivierten Elements der Beschaffenheitsvereinbarung367 – auch die durch Werbeinformationen geprägte (entindividualisierte und dadurch „objektiv aufgeladene“) Verkehrserwartung der Marktteilnehmer berücksichtigt, soweit sie berechtigt ist (§ 434 Abs.1 S. 3 BGB: erwarten „kann“)368. Soweit das deutsche Recht eine konkludente Einbeziehung öffentlicher Äußerungen in die Beschaffenheitsvereinbarung – unter geringeren Voraussetzungen bezüglich eigener Aussagen des Verkäufers und unter höheren Voraussetzungen auch bezüglich öffentlicher Herstellerangaben – bereits anerkannte 369, sind derartige Fälle einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung (die der Typisierung ja gar nicht bedürfen) gemäß § 434 Abs. 1 S. 1 BGB zu behandeln370. Insofern liegt die Hauptbedeutung der Regelung in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB in der Einbeziehung der durch öffentliche Äußerungen Dritter über bestimmte Eigenschaften der Sache geprägten berechtigten Verkehrserwartung hinsichtlich bestimmter Sacheigenschaften in die Beschaffenheitsvereinbarung, ohne daß diese durch irgendeine – sei sie auch noch so minimale – Aktivität des Verkäufers in die Vertragsverhandlungen konkludent einbezogen gewesen sein oder auch nur dem Verkäufer 365 S. für diese Ansicht im Grundsatz statt aller Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233 f., sowie näher (auch zu sämtlichen abweichenden Einordnungsversuchen) schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2). 366 In diese Richtung aber Bernreuther, WRP 2002, 368 ff.; Bernreuther, MDR 2003, 63 ff.; dagegen im Ansatz zu Recht Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 54. 367 S. zutreffend Westermann, NJW 2002, 241, 245. 368 S. für diese Ansicht statt vieler Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 121 f.; dies., JZ 2003, 233, 236 mwN. Ähnlich – wenn auch in der dogmatischen Konstruktion etwas abweichend – zuletzt auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 52 f.: Ausfüllung der Vertragslücke, die sich aus dem Fehlen einer Beschaffenheitsvereinbarung ergibt. 369 S. nur oben etwa 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (c), bei Fn. 537. 370 S. zutreffend statt vieler Huber/Faust-Huber, § 12, Rz. 37 ff.; ebenso und mit einer differenzierten Fallgruppenbildung als Grundlage der Auslegung zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 43 ff.
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bekannt371 gewesen sein müßten372; die gesetzliche Typisierung stellt sich insofern als die Fiktion einer entsprechenden Beschaffenheitsvereinbarung dar, welche primär an die entsprechende Verkehrserwartung anknüpft. Insoweit kommt es nun darauf an, nach welchen Grundsätzen die demnach entscheidende Prägung der Verkehrserwartung – hinsichtlich der Fragestellungen nach dem Eigenschaftsbegriff, nach dem berechtigten Verständnis von Werbeaussagen, nach ihrer Relevanz für die Kaufentscheidung, nach der Zurechnung insbesondere von Gehilfenaussagen sowie in Bezug auf die in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB vorgesehenen Ausschlußgründe – rechtlich zu behandeln ist. Zum Teil wird aus der zutreffenden dogmatischen Einordnung der Regelung, die – wie auch § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB insgesamt – als gesetzliche Typisierung einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung aufzufassen ist, dann der Schluß gezogen, daß die Prägung der Käufererwartung durch Werbeaussagen demnach im wesentlichen nach rechtsgeschäftlichen Grundsätzen zu behandeln sei373. Zum Teil wird die Regelung von vornherein als eigenständige gesetzliche Haftungsregel aufgefaßt, die eine Gewährleistungshaftung für Werbeangaben etabliere, weshalb nach dieser Auffassung zur Konkretisierung der enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe dann im wesentlichen wettbewerbsrechtliche Regeln heranzuziehen wären374. Nach dem hier vertretenen und als „Wasser und Öl“-Ansatz be371 Insoweit genügt gem. § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB Kennenmüssen des Verkäufers, s. näher auch noch unten II e (2). 372 Hierin liegt im Vergleich zur bisherigen Rechtslage durchaus eine erhebliche Neuerung, s. (noch mit Bezug auf die Verbrauchsgüterkauf-RL) zutreffend Lehmann, JZ 2000, 280, 287 gegen Medicus, ZIP 1996, 1925, 1927 und Schmidt-Räntsch, ZIP 1998, 849, 851. Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 49 ff., unterscheidet insoweit noch zwischen „echter Öffentlichkeits-„ und „unechter Einzelwerbung“, wobei die Unterscheidung aber letztlich dennoch nur auf die entscheidende materielle Fragestellung zurückgeführt wird, ob eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung zustandegekommen ist oder nicht. Ist letzteres nicht der Fall, wird die „unechte Einzelwerbung“ dann ohnedies – wie hier – nach den Regeln der Öffentlichkeitswerbung behandelt (aaO., S. 49 f.), so daß die Unterscheidung wohl letztlich keinen wesentlichen Gewinn in der Rechtsanwendung bringt. 373 S. am deutlichsten Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233 f. (und dann mit den genannten Konsequenzen aaO., 237, 238 und öfter); ablehnend gegenüber der Heranziehung wettbewerbsrechtlicher Grundsätze (wegen der nach seiner Auffassung wesentlich abweichenden Interessenlage im Wettbewerbsrecht) auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 57 f., der dann aber wiederum wegen der von ihm gewählten abweichenden dogmatischen Konstruktion (Schließung einer Vertragslücke statt gesetzlich typisierte Auslegungsregel, vgl. schon bei o. Fn. 368) lediglich analog auf §§ 133, 157 BGB zurückgreifen will, was immerhin mit Blick auf das etablierte (und auf §§ 242, 157 BGB zu stützende) Instrument ergänzender Vertragsauslegung in diesem Bereich schon hinsichtlich des Vorhandenseins einer Regelungslücke nicht unproblematisch erscheint (vgl. dazu schon bei o. 2.Kap. 3.Abschn. Fn. 536). Vgl. im übrigen bezüglich der jeweiligen Interessenlage grundlegend zu der in dieser Untersuchung gerade anhand einer interessenorientiert-funktionalen Analyse ausgeloteten Reichweite und den Grenzen des demgegenüber in dieser Untersuchung entwickelten Gleichmaßgrundsatzes schon oben 1. Kap. 3. Abschn. F IV. 374 In diese Richtung zuletzt am deutlichsten Bernreuther, WRP 2002, 368 ff.; Bernreuther, MDR 2003, 63 ff.; zum Teil zustimmend auch Müko-Westermann, § 434, Rz. 23 und 29, ohne diesen Ansatz jedoch weiterzudenken.
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zeichneten Vorschlag ist eine Mittellösung zu wählen, die einerseits die grundsätzliche Zuordnung zum Bereich einer gesetzlich typisierten konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung respektiert und die andererseits anerkennt, daß die berechtigte Verkehrserwartung als ein verobjektiviertes Element einer solchen Beschaffenheitsvereinbarung zum Teil nach den hierauf zugeschnittenen Grundsätzen des Wettbewerbsrechts – insbesondere des Irreführungsschutzes – behandelt werden kann375. Nur innerhalb dieser wettbewerbsrechtlichen „Insel“ können wettbewerbsrechtliche Grundsätze herangezogen werden. Demgegenüber bestimmen sich die äußeren Grenzen dieser Insel (mithin insbesondere der durch den Beschaffenheits- und Eigenschaftsbegriff umrissene Bereich bezüglich dessen überhaupt die Prägung durch massenhafte Verkehrserwartung das Pflichtenprogramm der vertraglichen Erfüllungshaftung bestimmt) nach der grundsätzlichen zivilrechtlichen Zuordnung als typisierte Beschaffenheitsvereinbarung zwischen Verkäufer und Käufer bezüglich der üblichen Beschaffenheit, insbesondere der konkreten Eigenschaften, der Kaufsache376. Der immense Vorteil einer solchen Lösung liegt darin, daß sie einerseits die Grenzen des gesetzgeberischen Abstellens auf die Prägung der Käufererwartungen durch Werbung, mithin die Umrisse des Eigenschaftsbegriffs nach neuem Recht erklären kann (was den „rein wettbewerbsrechtlichen“ Ansätzen nicht gelingt, da sie unvermeidbar in Richtung einer praktisch nur noch durch das Verkehrsverständnis begrenzten Informationshaftung für Werbeangaben steuern 377), während sie andererseits bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im übrigen zwanglos auf wettbewerbsrechtliche Grundsätze zurückgreifen kann, was wiederum mit Blick auf die Ermittlung und Relevanz der Verkehrserwartung, auf die Zurechnung öffentlicher Äußerungen im Rahmen des Gehilfenbegriffs und auf die Ausschlußgründe befriedigendere Erklärungs- und Interpretati375 S. schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2). Ähnlich wie hier im Ansatz wohl nur MüKoWestermann, aaO., unter Hinweis auf Bernreuther, aaO., wobei letztgenannter aber wie beschrieben einen ganz anderen, radikaleren dogmatischen Grundansatz verfolgt, der die Haftung von vornherein als gesetzliche Gewährleistungshaftung für Werbeangaben zuordnet, was dann seinerseits zu Problemen – insbesondere mit Blick auf die Begrenzung des „Eigenschaftsbegriffs“ – führt, vgl. für ein rechtsanwendungsbezogenes Beispiel dieser Schwierigkeiten etwa noch unten 3 b (3). 376 Insoweit dann wiederum wie hier Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233 f., 236 ff. 377 S. nur beispielhaft die im Ergebnis zwar zutreffend negatorischen, in der Begründung aber vollkommen unbefriedigenden und fernliegenden Überlegungen bei Bernreuther, WRP 2002, 368, 374 f., zum Preis als Sacheigenschaft. Ebensowenig vermag insgesamt seine weite Ausdehnung der Haftung für öffentliche Äußerungen des Verkäufers auf praktisch alle Werbeangaben zu überzeugen (s. nur deutlich Bernreuther, MDR 2003, 63, 65 f.: erstmals sei der Eigenschaftsbegriff nicht an die Eigenschaften der Sache gebunden); sie übersieht bei der übereilten Zuordnung des gesamten Problemkomplexes in das Wettbewerbsrecht schlicht die grundsätzliche zivilrechtliche Verankerung in der Beschaffenheitsvereinbarung (s. insoweit zutreffend Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 236, sowie auch schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (b) und (c) mwN mit Blick auf die Verbrauchsgüterkauf-RL). Vgl. für die diesbezüglichen auch praktischen Abgrenzungsschwierigkeiten in Bernreuthers Ansatz im übrigen etwa auch noch unten 3 b (3).
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onsansätze gestattet378 als der Versuch der wohl herrschenden Meinung379, diese wettbewerbsrechtlich verwurzelten Begrifflichkeiten in das Prokrustesbett der Rechtsgeschäftslehre zu pressen380. Während also die rein wettbewerbsrechtlichen Ansätze übersehen, daß das durch § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB typisierte Element eben nicht allein durch die Begrenzung auf die berechtigte Verkehrserwartung sozusagen vertikal normativ begrenzt ist, sondern auch von vornherein in seiner Reichweite gewissermaßen horizontal sich nur auf Angaben über Eigenschaften der Kaufsache im Rahmen einer Beschaffenheitsvereinbarung bezieht, fehlen den rechtsgeschäftlichen Ansätzen die geeigneten methodischen Mittel, um das Element der berechtigten Verkehrserwartung, der diesbezüglichen Zurechnung von Werbeangaben und ihrer Relevanz für die Kaufentscheidung – welches mit seinem typisiert massenhaften Maßstab allenfalls zum Teil in den Kontext der Rechtsgeschäftslehre paßt – befriedigend zu konkretisieren. Der hier vertretene Ansatz setzt im Ausgangspunkt – insoweit im Rahmen der grundsätzlichen zivilrechtlichen Zuordnung als gesetzlich typisierte Beschaffenheitsvereinbarung – voraus, daß die Grenzen des typisierten Bereichs – in dem es dann zur Heranziehung wettbewerbsrechtlicher Beurteilungskriterien kommen kann – durch Interpretation der zivilrechtlichen Regelung zutreffend umrissen werden. Dabei müssen den entscheidenden Orientierungspunkt die der erfolgten Typisierung und ihrer zivilrechtlichen Einordnung zugrundeliegenden gesetzgeberischen Wertungsgesichtspunkte bilden 381. Der (im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs europäisch vorgegebenen und im übrigen vom deutschen Gesetzgeber zutreffend auf das gesamte Kaufrecht ausgedehnten382) gesetzlichen Typisierung liegt insoweit im wesentlichen die Anpassung des grundsätzlich individuellen Äquivalenzmaßstabs des Stückkaufs an die wirtschaftliche Realität massenhaften Gattungskaufs zugrunde, in der auf Erwerberseite die durch Werbeinformation (zumal seitens des Herstellers) geprägte Verkehrserwartung zum entscheidenden Äquivalenzmaßstab wird 383. Die Typisierung der Käufererwartung folgt hier also dem Äquivalenz- und dem Vereinfachungsgedanken384. Die Verantwortung des Verkäufers – auch für Drittangaben – folgt im wesentlichen aus dem Sphärengedanken 385, wobei zusätzlich – wenn auch 378 S. insoweit dann durchaus zutreffend Bernreuther, WRP 2002, 368; ders., MDR 2003, 63 ff.; teilweise zustimmend MüKo-Westermann, § 434, Rz. 23 und 29. 379 S. dezidiert etwa Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 236 ff. 380 S. für Beispiele noch unten 3. 381 Am deutlichsten (wenn auch hinsichtlich des Kontrollgedankens nicht frei von Zweifeln) herausgearbeitet bei Grigoleit/Herresthal, JZ 2002, 118, 121 f.; s. insoweit auch schon o. 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2). 382 S. eingehend oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (4). 383 Vgl. auch oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (b). 384 S. insbesondere Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 121, sowie oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (b) mwN. 385 Vgl. in etwas anderem (allgemeinerem) Zusammenhang (mit Blick auf den Beschaffenheitsbegriff des § 434 BGB) Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 63 ff.; den Kontrollgedanken in realitätsferner Weise überbetonend Grigoleit/Herresthal, JZ 2002, 118, 121.
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nicht uneingeschränkt überzeugend386 – vom Gesetzgeber das Argument angeführt wird, der Verkäufer, der von Herstellerwerbung auch wesentlich profitiere, werde schon aus diesem Grunde durch die Bindung an öffentliche Aussagen des Herstellers nicht in unzumutbarer Weise in seiner Rechtsposition beeinträchtigt387. An diesen drei Grundgedanken hat sich also die Beantwortung der Frage zu orientieren, wie weit in diesem Falle die dadurch gerechtfertigte Typisierung reicht, mithin wie der Eigenschaftsbegriff388 in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB aufzufassen ist389. Insoweit spricht mindestens bezüglich des für die hier angestellte Untersuchung allein praktisch relevanten Sachkaufs schon die grammatikalische Auslegung („Beschaffenheit“, „Eigenschaft“ der Sache) für eine gewisse Bindung an die physische Substanz der Kaufsache 390. berdies ist aus der teleologischen Perspektive der der Regelung zugrundeliegenden Wertungsgesichtspunkte zu bedenken, daß die Verkehrserwartung allein mit Blick auf die Sachqualität der Kaufsache dem Hersteller besondere Kompetenz einräumt, auf seine öffentlichen Informationen sozusagen angewiesen ist. Nur in dieser begrenzten Reichweite trägt auch der Sphärengedanke, denn nur insoweit ist dem Verkäufer im 386 S. allgemein die kritische Anmerkung bei Weiler, WM 2002, 1784, 1785, der zu Recht darauf hinweist, daß jedenfalls für Kaufverträge, bei denen auf beiden Seiten Privatverbraucher beteiligt sind, der cuius commodum eius periculum-Grundsatz zur Begründung der Haftung nach § 434 Abs. 1 S. 3 BGB nicht oder zumindest nur sehr eingeschränkt trägt, da private Verkäufer gebrauchter Waren nicht zielgerichtet von der Herstellerwerbung profitieren. Man wird dem nur dadurch Rechnung tragen können, daß jedenfalls der Ausschlußgrund des Nichtkennenmüssens mit Blick auf private Verkäufer gebrauchter Waren insofern großzügig gehandhabt wird, als Privatverkäufer jedenfalls keinerlei Beobachtungspflichten mit Blick auf Herstellerwerbung treffen, s. noch u. Fn. 593. 387 S. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 Satz 3. Diesen Gedanken besonders betonend auch Ehmann/Rust, JZ 1999, 853, 856; Jorden, Verbrauchergarantien, S. 163 ff. 388 Der Eigenschaftsbegriff als solcher deckt sich insoweit gerade mit dem Beschaffenheitsbegriff des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB (s. zutreffend Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 122. Die Frage, inwieweit sich die öffentliche Äußerung dann auch auf bestimmte Eigenschaften bezieht, wie dies § 434 Abs. 1 S. 3 BGB noch zusätzlich voraussetzt ist demgegenüber bereits wieder allein aus der Sicht des Verkehrsverständnisses zu beantworten, s. dazu sogleich unten 3 b (1). 389 Insoweit wieder uneingeschränkt zutreffend Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 121 ff. 390 S. zutreffend Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 123 gegen Vertreter eines rein subjektiven Mangelbegriffs ohne jedwede Rückbindung an die Substanz der Kaufsache. S. in diese Richtung etwa Wolf/Kaiser, DB 2002, 411, 412; Dauner-Lieb/Thiesen, ZIP 2002, 108, 110. Ähnlich auch Mertens, AcP 203 (2003), 818, 832 ff., der zwischen einem rein subjektiven Beschaffenheitsbegriff in § 434 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1 BGB und einem weiterhin an den bisherigen Kriterien zum Eigenschaftsbegriff orientierten (wobei Mertens, aaO., 839 dann auch insoweit zu Recht auf die Kriterien der Dauerhaftigkeit und des „Anhaftens“ verzichten will) objektiven Beschaffenheitsbegriff in § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB unterscheiden will, wobei er die Haftung nach § 434 Abs. 1 S. 3 BGB dann aber fälschlich dem Bereich des subjektiven Eigenschaftsbegriffs nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB zuordnet und folgerichtig rein subjektiv umreißt. Man wird dem für den hier interessierenden Fall des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB entgegenhalten müssen, daß dieser nach richtiger Auffassung (die allein auch mit dem Wortlaut des Gesetzes zu vereinbaren ist) gerade der Fallgruppe des verobjektivierten Eigenschaftsbegriffs nach § 434 Abs. 1 Nr. 2 BGB unterfällt, so daß selbst auf Grundlage von Mertens differenzierender Auffassung jedenfalls für diesen Bereich an gewissen objektiv begrenzenden Kriterien für die Relevanz von Werbeaussagen festzuhalten wäre.
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normativen Sinne eine gewisse Sachkompetenz hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der Werbung anzusinnen, ohne ihn unzumutbar zu belasten. Soweit daher eine Eigenschaft der Kaufsache (einschließlich ihrer tatsächlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Umweltbeziehungen) ihren Wurzelkeim in irgendeiner Weise in der physischen Beschaffenheit der Sache (einschließlich ihrer Lage im Raum391) findet oder sich doch zumindest auf diese physische Beschaffenheit bezieht (also etwa: Steuererleichterung für Pkw wg. eines geringen Schadstoffausstoßes392; Passen eines Wäschetrockners in eine Reinigung mit einer bestimmten Kaminform393), liegt nach neuem Recht eine Eigenschaft vor, die dem Beschaffenheitsbegriff nach § 434 Abs. 2 Nr. 2 BGB zugeordnet werden kann. Insoweit ist nicht – wie im alten Recht – zwischen zusicherungsfähigen Eigenschaften und Sachmängeln zu unterscheiden, vielmehr umfaßt der neue Beschaffenheitsbegriff des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB nach richtiger Auffassung auch alles, was nach altem Recht nur eine zusicherungsfähige Eigenschaft darstellte394. Mit Blick auf die vorgenannten, beschaffenheitsbedingten Umweltbeziehungen – also etwa das „Passen“ zu einer anderen vorhandenen Sache oder Einrichtung – ist er sogar noch weiter395. Auch die Forderung nach einer Dauerhaftigkeit der der Sache anhaftenden Umstände396 aus dem alten Recht sollte aufgegeben werden, da sie – anders als die Voraussetzung der Gegenwärtigkeit der „Eigenschaft“ zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs, an der festzuhalten ist 397 – weder im Gesetzeswortlaut noch in den für § 434 BGB tragenden Grundgedanken eine Stütze 391 S. Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 22 (mit dem Beispiel des Ausblicks eines Grundstücks). 392 S. Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 22 mwN, der außerdem noch das im alten Recht in den Einzelheiten notorisch umstrittene Beispiel der Beschlagnahme einer Kaufsache aufgrund ihrer physischen Eigenschaften bringt. Nach neuem Recht betrifft dies die Beschaffenheit der Kaufsache. S. zum alten Recht die umstrittene Ablehnung in BGHZ 113, 106, 112 f.; NJW 1991, 915, 916. 393 Vgl. allgemein Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 22 mwN. Das hier gebildete Beispiel ist der berühmten Wäschetrockner-Entscheidung (BGH NJW 1985, 2472) nachgebildet, die für das alte Recht besonders deutlich illustrierte, daß den bisherigen Differenzierungsansätzen der Rechtsprechung wohl weniger inhaltlich-sachbezogene Aspekte, als vielmehr der Versuch, im alten Recht in die lange dreißigjährige Verjährung der culpa in contrahendo wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichten zu gelangen, zugrundelag; s. ähnlich auch schon der Kreissägen-Fall bezüglich der Frage, ob eine Kreissäge nach ihren Ausmaßen an einem bestimmten Platz aufgestellt werden konnte, BGH NJW 1962, 1196 ff. S. grundlegend bezüglich des Verjährungsproblems unter dem alten Kaufrecht die bahnbrechende Analyse bei Leenen, § 477 BGB: Verjährung oder Risikoverlagerung?, 1997; ähnlich im übrigen der entsprechende Hinweis in der Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Vorbemerkung. für weitere Beispiele aus der unübersichtlichen Kasuistik zur gewährleistungsrechtlichen Relevanz von Umweltbeziehungen, s. nur Bamberger/RothFaust, § 434, Rz. 16. 394 S. Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 21 mwN. 395 S. Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 22 mwN. 396 S. nur BGHZ 90, 198, 203 = NJW 1984, 2287, betreffend eine noch nicht vorliegende öffentliche Genehmigung. 397 S. Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 25 mwN (in Fn. 50).
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findet und zu gerade auch aus diesem Grund kaum nachvollziehbaren Abgrenzungsproblemen führt 398. Die diesbezüglichen Differenzierungen der Rechtsprechung zum alten Recht waren ohnedies nie überzeugend 399. Soweit dagegen lediglich eine Werbeinformation bezüglich bestimmter rechtlicher oder faktischer Verhältnisse gegeben wird, die nicht gerade mit dem physischen Zustand der Kaufsache im weitesten Sinne zusammenhängen oder die nicht gegenwärtig sind (also etwa: Steuererleichterung für einen Pkw ist aufgrund einer Gesetzesinitiative zu erwarten400; Vorhandensein einer Herstellergarantie, die nicht gerade von der physischen Beschaffenheit der Kaufsache abhängt), tragen die der gesetzlichen Typisierung der Beschaffenheitsvereinbarung zugrundeliegenden Wertungsaspekte nicht. Mag die Verkehrserwartung auch insoweit dem Hersteller oder dem Verkäufer eine besondere Kompetenz einräumen, so sind sie doch zumeist nicht die faktisch exklusive Quelle derartiger Informationen; insbesondere aber ist in der Realität des modernen Massenverkehrs diesbezüglich der Verkäufer nicht als derart kompetent anzusehen, daß ihm zumutbar wäre für jegliche derartige Angaben auch des Herstellers und seiner Gehilfen stets auf Erfüllung zu haften. Hier spricht auch das systematische Argument mit Blick auf das Haftungssystem des europäischen Rechts gegen eine Einbeziehung in die kaufvertragliche Erfüllungshaftung. Denn für derartige, nicht unmittelbar sachsubstanzbezogene Werbeinformationen ist nach der Konzeption der Verbrauchsgüterkauf-RL, wie im übrigen noch klarer auch nach deutschem Recht, eine Erfüllungshaftung nur unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL bzw. § 443 Abs. 1 BGB vorgesehen, wenn eine entsprechende Garantie vorliegt. Im übrigen muß es nach deutschem Recht bei den allgemeinen Grundsätzen bleiben, eine gesetzliche Typisierung der Beschaffenheitsvereinbarung ist daher bezüglich derar398
S. Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 24 mwN (in Fn. 49). Sondern beruhten (sowohl mit Blick auf das physische Zusammenpassen mit vorhandenen Einrichtungen als auch mit Blick auf die Forderung nach einer Dauerhaftigkeit des Umstands) vielmehr auf dem (zum Teil gekünstelten) Versuch, in bestimmten Fällen möglichst eine Haftung aus culpa in contrahendo wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung zu konstruieren, da diese der langen dreißigjährigen Regelverjährung des alten Rechts unterlag. S. bezüglich der Kompatibilität mit vorhandenen Einrichtungen schon o. Fn. 393; s. nur die (allerdings weitgehend zustimmende) Darstellung der wenig übersichtlichen Judikatur bei Soergel-Huber (12.Aufl.), § 459, Rz. 30 ff.; s. insbes. aaO., Rz. 32, wo besonders deutlich wird, daß für die entschiedenen Fälle im hier interessierenden Bereich auch für das alte Recht weniger das Merkmal einer gewissen Dauerhaftigkeit, als vielmehr die Voraussetzung einer bestimmtem minimalen Verwurzelung in der physischen Beschaffenheit der Kaufsache entscheidend war, wie sie im folgenden als Minimalvoraussetzung des Beschaffenheitsbegriffs auch nach neuem Recht befürwortet wird. 400 Vgl. zu diesem Beispiel (im allgemeinen Zusammenhang) auch Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 64 f., der diese Fälle und insgesamt die Begrenzung des Beschaffenheitsbegriffs im wesentlichen über den Sphärengedanken lösen und demnach vorrangig danach entscheiden will, aus wesen Sphäre der „Störfaktor“ stammt. Für den hier interessierenden Fall deckt sich das ermittelte Ergebnis – Teil der Beschaffenheit, soweit steuerliche Einordnung an physischen Eigenschaften der Kaufsache im weitesten Sinne anknüpft, nicht Teil der Beschaffenheit, wenn es um die Wahrscheinlichkeit einer gesetzgeberischen Initiative oder anderer „äußerer“ Umstände geht – gerade mit der hier vertretenen Auffassung. 399
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tiger Angaben nicht gerechtfertigt, es bleibt insoweit für einschlägige Fehlinformationen außerhalb des Bereichs des § 443 Abs. 1 BGB in erster Linie bei einem (auf den Ersatz des entstandenen Vertrauensschadens begrenzten) Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 (und gegebenenfalls Abs. 3), 241 Abs. 2 BGB401. Ist somit die Reichweite der durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB vorgenommenen gesetzlichen Typisierung der Beschaffenheitsvereinbarung sozusagen horizontal auf Sacheigenschaften, die in irgendeinem gegenwärtigen Zusammenhang mit der physischen Beschaffenheit der Kaufsache stehen, begrenzt402, so kann innerhalb dieses sicher begrenzten typisierten Bereichs nunmehr im Grundsatz für Bestimmung, Zurechnung und Relevanz dieser Verkehrserwartung auch auf wettbewerbsrechtliche Beurteilungskriterien zurückgegriffen werden. Art und Reichweite dieses Rückgriffs, der sich eher nach Art einer Wechselwirkung zwischen Wettbewerbs- und Zivilrecht im Sinne einer dem hier vertretenen Gleichmaßgrundsatz entsprechenden Konvergenzbewegung gestaltet, sind in der Folge noch etwas näher zu präzisieren, bevor (unten 3) beispielhaft einige konkrete Folgerungen gezogen werden.
2. Wechselwirkung und Konvergenz: Wettbewerbsrechtliche Beurteilungskriterien und Leitbild des Durchschnittsverbrauchers (Erwartungshorizont) Die Bedenken, die gegen eine Heranziehung wettbewerbsrechtlicher Beurteilungskriterien im Bereich des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB bestehen könnten403, wurden bereits oben (2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (c)) umfänglich widerlegt. Insbesondere ist festzuhalten, daß – angesichts der europäischen Vorgabe, in diesem Bereich bezüglich der „vernünftigen“ Verkehrserwartungen auf das Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen404 (für das deutsche Recht nicht ausdrücklich umgesetzt und in der Formulierung „erwarten kann“ verborgen405) – die Gefahr einer für den Verkäufer in unzumutbarer Weise ausgedehnten Haftung für das Verkehrsverständnis leichtgläubiger Verbraucher jedenfalls nicht droht. Der BGH hat die entsprechende Vorgabe in seinem neuen normativen Leitbild des durchschnittlich informierten und verständigen, situationsadäquat aufmerksamen Verbrauchers im Lauterkeitsrecht ohnedies bereits umfassend umgesetzt406. Für den Bereich von 401
S. Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 122 f.; Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 19. Der hier vorgeschlagene Maßstab dürfte schon unter Geltung des alten Rechts gerade weitestgehend dem Eigenschaftsbegriff im Rahmen der Eigenschaften der Sache unter § 119 Abs. 2 BGB entsprochen haben. Nach jetziger Rechtslage sind die Begriffe einheitlich auszulegen, vgl. insoweit noch unten 4. Abschn. A II 2. 403 S. nur Alexander, S. 198 ff.; Weiler, WM 2002, 1784, 1790 f. 404 S. die Nachweise oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (b) und (c). 405 S. nur Weiler, WM 2002, 1784, 1785 mwN; ebenso zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 67. 406 Vgl. oben 2. Abschn. B mwN. 402
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Werbeangaben bezüglich Eigenschaften einer Kaufsache steht dahinter nunmehr nach der hier vertretenen Auffassung eine zwingende Vorgabe europäischen Rechts, die bei der Auslegung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zu berücksichtigen ist407. Und noch über diesen Bereich hinaus gibt die spezifische vertragsrechtliche Lösung zugleich die Wertung für das Lauterkeitsrecht vor: die vertragsrechtliche Lösung ist nämlich nicht dadurch zu unterlaufen, daß wettbewerbsrechtliche Totalverbote aufgrund eines strengeren Maßstabs getroffen werden, Im Grundsatz ergibt sich vielmehr aus dem hier vertretenen Gleichmaßgebot, daß nunmehr auf irreführende Werbung bezüglich bestimmter Eigenschaften einer Kaufsache bei der Bestimmung der entsprechenden Verkehrserwartung auch im wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz zwingend das Leitbild des europäischen Durchschnittsverbrauchers anzuwenden ist, soweit dies nicht ohnehin schon getan wurde408. Entgegen vereinzelt geäußerten Befürchtungen409, der einzelfallabhängige, situations- (und damit auch produkt- und medien-)bezogen differenzierende neue Ansatz des BGH im Rahmen des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes entspreche dieser Vorgabe nicht uneingeschränkt, ja bringe gerade für eine Anwendung im Rahmen des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB insofern sogar zusätzliche Probleme, als dann bezüglich von Massengeschäften des täglichen Lebens ein wiederum leitbildartig nur sehr unaufmerksamer Verbraucher der Ermittlung der Verkehrserwartung zugrundezulegen sei, ist festzuhalten, daß der normative und situationsbezogen differenzierende neuere Ansatz des BGH im Irreführungsschutz nicht nur sachgerecht ist, sondern auch geradezu Schwächen der (methodisch limitierten) europäischen Vorgabe insofern ausmerzt, als er sie zutreffend und durchaus i.S.d. institutionellen Konzepts eines unverzerrten Wettbewerbs im Binnenmarkt ausdifferenziert410. Die aus diesem Ansatz resultierende größere Rechtsunsicherheit ist in gewissem Umfang in Kauf zu nehmen, da die zugrundeliegende situationsabhängige Typisierung im realen Käuferverhalten eine nicht zu übersehende Entsprechung findet. Insbesondere aber dürfte die situations- und produktabhängige Differenzierung mit Blick auf eine Heranziehung dieses Maßstabs im Rahmen von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB bei genauerem Hinsehen deshalb nicht zu unüberwindlichen praktischen Schwierigkeiten oder gar zu einer unerträglichen Überdehnung der vertraglichen Erfüllungshaftung des Verkäufers führen, weil Werbeangaben bezüglich bestimmter Sacheigenschaften, wie sie § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB voraussetzt, typischerweise eher bezüglich höherpreisiger Konsumgüter mit einem gewissen Investitionscharakter erfolgen, bezüglich deren Erwerbs nach der differenzierenden Rechtsprechung des BGH ohnedies in der 407
S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (c) mwN. S. auch oben 2. Abschn. B mwN. 409 Weiler, WM 2002, 1784, 1790. 410 S. näher oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 1 b mwN zu den diesbezüglichen Defiziten des europäischen Verbraucherleitbilds und 2. Kap. 3. Abschn. B I 1 und 3 b zum institutionellen Konzept unverzerrten Wettbewerbs im Binnenmarkt. 408
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Regel eine erhöhte Aufmerksamkeit der Kunden zugrundegelegt werden kann411. Insofern spricht auch der situationsbezogen differenzierende Charakter der neueren BGH-Rechtsprechung zum Irreführungsverbot nicht gegen die Heranziehung der insoweit entwickelten Grundsätze im Rahmen von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. Insbesondere aber ist – wie es auch oben I 2 b bezüglich der Haftung für Garantiewerbung bereits angedeutet wurde – im Blick zu behalten, daß es ohnedies nicht um einen reinen „Import“ wettbewerbsrechtlicher Grundsätze in das Vertragsrecht geht, sondern vielmehr um eine Wechselwirkung des Vertrags- und Wettbewerbsrechts, die spezifisch für den hier betrachteten Bereich zu einer gewissen Konvergenzbewegung führen dürfte. Dabei werden die wettbewerbsrechtlichen Beurteilungskriterien, die Methodik in den Bereich des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB übernommen, was insbesondere bezüglich der Bestimmung der Verkehrserwartung (einschließlich der Fragen, auf welche Verkehrskreise für die Empfängerseite einer öffentlichen Werbung abzustellen ist, wie die unterlassene Information hinsichtlich bestimmter Sacheigenschaften zu behandeln ist etc.), der Relevanz der Verkehrserwartung für den Vertragsabschluß (in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB geregelt als ein Ausschlußgrund der Haftung), der Zurechnung fremder Information soweit § 434 Abs. 1 S. 3 BGB hier durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe Raum läßt, der übrigen Ausschlußgründe (insbesondere wieder hinsichtlich des Zurechnungsmaßstabs für den Verkäufer sowie auch hinsichtlich der Frage, wann von einer gleichwertigen Berichtigung auszugehen ist) Gewinn verspricht (s. zu alldem sogleich unten 3). Hinsichtlich des normativ-inhaltlichen Schutzniveaus, mithin der Frage, wieviel Schutz vor sacheigenschaftsbezogener Irreführung zu gewähren ist, welche Verkehrserwartung insoweit schutzwürdig ist, auf welches Verbraucherleitbild mithin im Rahmen der hierfür notwendigen Interessenabwägung abzustellen ist, gibt umgekehrt das Vertragsrecht dem Wettbewerbsrecht nunmehr eine spezifische Wertung vor. Demnach ist insoweit das Leitbild 411 Das übersieht Weiler, WM 2002, 1784, 1792, der in seiner Warnung vor den Gefahren eines situationsspezifischen Maßstabs nur darauf abhebt, daß die „Mehrzahl aller Kaufverträge“ Massengeschäfte des täglichen Lebens betreffen. Dies sagt aber noch nichts darüber aus, ob es sich auch bei der Mehrzahl der Kaufverträge, in deren Vorfeld typischerweise der Verbraucher objektiv unzutreffende oder normativ irreführende werbliche Information des Herstellers bezüglich bestimmter Sacheigenschaften wahrnimmt, um Massengeschäfte des täglichen Lebens handelt. Dies ist bei genauem Hinsehen auf die derzeit im Geschäftsverkehr verwendeten Marketingmethoden jedoch eher nicht der Fall. S. näher noch unten 4 mwN. Eher schon mag die medienbezogene Differenzierung (die der BGH ebenfalls gelegentlich vorgenommen hat) insofern Probleme aufwerfen, als der BGH bezüglich einiger der typischerweise im Verbrauchsgüterhandel verwendeten Werbemedien (insbesondere Zeitungsanzeigen) zumindest in Fällen „dreister Lüge“ von einer nur flüchtigen Wahrnehmung ausgegangen ist (s. o. 4.Kap. 2.Abschn. Fn. 119). Doch dürfte dies durchaus der Realität des objektiven Empfängerhorizonts der angesprochenen Kundenkreise entsprechen und daher auch unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB hinzunehmen sein, zumal auch der BGH – wenn ohne weiteres eine Möglichkeit des Verbrauchers besteht, sich ohne weiteren Aufwand noch zutreffende Information zu verschaffen – wiederum eine höhere Selbstinformationsobliegenheit des Verbrauchers annimmt (s. BGH GRUR 2002, 160, 162 – Warsteiner III, vgl. für weitere Nachweise o. Fn. 338).
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des europäischen Durchschnittsverbrauchers bestimmend, das im übrigen als einem durchschnittlichen Teilnehmer des durch die öffentliche Äußerung angesprochenen Verkehrskreises gerade im Ansatz den Grundsätzen entspricht, wie sie auch der Auslegung öffentlicher Äußerungen nach §§ 133, 157 BGB zugrundeliegen. Während also hinsichtlich der Methodik, der Beurteilungskriterien, das Vertragsrecht wettbewerbsrechtliche Maßstäbe (insbesondere des Irreführungsschutzes und der wettbewerbsrechtlichen Haftung für fremde Zuwiderhandlungen) übernehmen kann, konvergiert der inhaltlich-normative Maßstab des Schutzniveaus auf der europäisch nunmehr zwingend vorgegebenen Ebene eines Abstellens auf den Durchschnittsverbraucher. Insoweit gibt sozusagen das Vertragsrecht dem Wettbewerbsrecht die Wertung vor, die zukünftig in diesem Bereich zu berücksichtigen ist. Es ist mithin gerade dieser im Rahmen einer Art Wechselwirkung zunehmend konvergierende Maßstab zwischen wettbewerbsrechtlichem Irreführungsschutz bezüglich von Werbeangaben betreffend konkrete Sacheigenschaften und der typisierten Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 2 Nr. 2, S. 3 BGB, der es gestattet, in der Folge einzelne wettbewerbsrechtliche Kriterien zur Konkretisierung der genannten unbestimmten Rechtsbegriffe in § 434 Abs. 2 S. 3 BGB heranzuziehen412.
3. Praktische Folgerungen für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB Im Ergebnis besteht Einigkeit darüber, daß im Rahmen von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB jegliche413 von den dort genannten Personen veranlaßte und ihnen zurechenbare414 „öffentliche“ Äußerung in Betracht kommt, wobei eine Aussage als „öffentlich“ zu qualifizieren ist, wenn sie durch einen nicht individuell umgrenzten415 Adres412 Grundsätzlich a.A. und mit einem genuin vertragsrechtlichen Ansatz zuletzt aber Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 57 f., 67 ff. 413 Die in der Literatur zum Teil erfolgte sorgsame Auseinandersetzung mit den näher bezeichneten Beispielsfällen der Werbung und der Kennzeichnung (die Formulierung geht entfernt auf den verunglückten Wortlaut der Verbrauchsgüterkauf-RL [„in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachte öffentliche Äußerungen“] zurück, nach deutschem Verständnis umfaßt der weite Werbebegriff des Wettbewerbsrechts, wie er sich in § 5 UWG genannt, wenn auch nicht definiert, findet, ohnedies Äußerungen jeglicher Art – also auch bei der Warenkennzeichnung und sogar nichtöffentliche Äußerungen) ist insofern wenig ergiebig, als die genannten Tatbestände ohnedies lediglich Beispielsfälle des umfassenderen Begriffs der öffentlichen Äußerung (der darüber hinaus etwa auch Sachangaben in Testberichten oder veröffentlichten Gutachten umfaßt, s. zutreffend statt vieler MüKo-Westermann, § 434, Rz. 22) bilden, so daß sich mit ihrer näheren Definition kein rechtsanwendungsbezogener Erkenntnisgewinn verbindet. S. aber für nähere Auseinandersetzung mit den Begriffen Bernreuther, WRP 2002, 368, 370; ders., MDR 2003, 63, 64; Weiler, WM 2002, 1784, 1786 414 S. bezüglich der Zurechnung von Drittaussagen insbesondere im Rahmen des „Gehilfen“begriffs noch sogleich unten im Text. 415 Demgegenüber ist die Ansicht, die § 434 Abs. 1 S. 3 BGB analog (Schaub, AcP 202 (2002), 765) oder durch richterliche Rechtsfortbildung (Krebs, BB 2000, Beil. 14, S. 17) auch auf individuelle Äußerungen des Herstellers gegenüber dem Käufer anwenden will, abzulehnen. Nach der hier vertretenen Auffassung besteht insoweit keine wertungsmäßige Vergleichbarkeit, da es in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB um den massenhaft typisierten Maßstab der Verkehrserwartung als Teil
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satenkreis – seien es auch Fachkreise, Vertriebsunternehmen etc. 416 – wahrgenommen werden kann417. a. Bestimmung der angesprochenen Verkehrskreise Das führt unmittelbar zu einer ersten – für die Lösung aller anderen Fragestellungen präjudiziellen – Problemstellung mit Blick auf die Festlegung des maßgeblichen Erwartungshorizonts, mithin des heranzuziehenden „Verbraucherleitbilds“. Es stellt sich nämlich die aus dem Irreführungsschutz des Wettbewerbsrechts auf europäischer und deutscher Ebene wohlbekannte Frage, auf den Erwartungshorizont welcher Verkehrskreise abzustellen ist, wenn etwa eine ersichtlich an Fachkreise gerichtete Werbung sozusagen zufällig einen privaten Verbraucher erreicht, der sie hinsichtlich einer bestimmten Sacheigenschaft mißversteht und mißverstehen „kann“, obwohl ein derartiges Mißverständnis dem kundigen Fachpublikum nicht unterlaufen würde418.
der üblichen Beschaffenheit und damit gerade nicht um die Rezeption individueller Äußerungen geht (ähnlich Westermann, NJW 2002, 241, 245; MüKo-ders., § 434, Rz. 21; zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 39 ff.). Im Ergebnis wie hier Erman-Grunewald, § 434, Rz. 22, die betont, daß das Risiko einer Erfüllungshaftung für vollkommen unkontrollierbare individuelle Herstelleräußerungen dem Verkäufer nicht überbürdet werden könne (eine Problematik die sich aber wohl immerhin über den Ausschlußgrund der Unkenntnis bzw. des Nichtkennenmüssens lösen ließe); Weiler, WM 2002, 1784, 1786, mit dem Argument, vorvertragliche Individualäußerungen könnten über § 434 Abs. 1 S. 1 BGB berücksichtigt werden, was – sofern es als systematisches Argument auf die insofern zweigleisige Struktur des § 434 Abs. 1 BGB und damit auf das Vorhandensein einer systemwidrigen Lücke zielt – der hier vertretenen Argumentation ähnelt, sofern es schon das Vorhandensein einer Lücke überhaupt meint, jedoch verkennt, daß sich über § 434 Abs. 1 S. 1 BGB nur individuelle Äußerungen des Verkäufers erfassen lassen, in die dann individuelle Herstellerangaben allenfalls einbezogen sein könnten. 416 S. insoweit zutreffend Weiler, WM 2002, 1784, 1786. 417 S. mit unterschiedlichen Formulierungen im Detail, die im wesentlichen alle auf das hier vorgebrachte Verständnis hinauslaufen, nur Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 237 – nicht individuell umgrenzter Adressatenkreis; AnwKomm-Büdenbender, § 434, Rz. 13 – Zugänglichkeit für den Markt; Palandt-Putzo, § 434, Rz. 34 – durch unbeteiligte Dritte wahrnehmbar; Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 81 – unbestimmt viele und nicht individuell ausgewählte Personen; Oetker/Maultzsch, S. 43 – im einzelnen nicht bestimmter Adressatenkreis; Weiler, WM 2002, 1784, 1786 – an eine unbegrenzte Anzahl von Personen (einschließlich Fachpublikum) gerichtet. Dem Versuch einer Defition des Begriffs „Werbung“ widmet sich zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 7 ff. mwN. 418 Weiler, aaO., 1487, bringt das wettbewerbsrechtliche Beispiel der BGH-Entscheidung BGHZ 27, 1, 4 ff.; NJW 1958, 866 ff. – Emaillelack, in der der BGH festhielt, daß aus der Bezeichnung Emaillelack für fachlich geschulte Abnehmer erkennbar war, daß es sich um einen Lack handelte, der lediglich den äußeren Eindruck einer Emaillierung hervorrief, so daß die Werbung für derartige fachlich geschulte Abnehmer nicht irreführend war. Für einen privaten Verbraucher, der etwa eine Anzeige in einer Fachzeitschrift durch Zufall zur Kenntnis bekommen könnte, stellte sich jedoch unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB die Frage, ob dieser nach seinem Erwartungshorizont nicht davon ausgehen würde, mit einem derartigen Lack ließen sich Werkstücke wasserdicht emaillieren. Vgl. zuletzt auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 59 f.
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Nach der hier vertretenen Auffassung können insoweit die wettbewerbsrechtlichen Grundsätze zur Bestimmung der durch eine Werbung angesprochenen Verkehrskreise herangezogen werden419. Wendet sich also eine Werbung nach ihrer Gestaltung und dem konkret eingesetzten Werbemedium eindeutig und ausschließlich an Fachkreise, so ist die Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds des angesprochenen Fachkreises zugrundezulegen, das typischerweise nicht nur besser informiert sein420, sondern das Werbeangaben auch zumeist sorgfältiger betrachten dürfte421. Ist die Werbung dann für einen außerfachlichen Verbraucher, dem sie zufällig zur Kenntnis gelangt ist, hinsichtlich einer bestimmten Sacheigenschaft bei durchschnittlicher Informiertheit und Aufmerksamkeit mißverständlich, so ist dennoch auf den Erwartungshorizont des Fachpublikums abzustellen. Eine Einbeziehung der vom Endverbraucherhorizont falsch verstandenen Angabe bezüglich einer bestimmten Eigenschaft gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB darf in einem derartigen Fall also nicht erfolgen. Die vermeintliche Eigenschaft „kann“ nicht im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB erwartet werden422. Dieses Ergebnis hält insbesondere einer Überprüfung anhand der beteiligten Interessen stand423. Aus der Sicht der Verbraucher ist die Orientierung an den angesprochenen Verkehrskreisen nämlich nur die Kehrseite der Typisierung, die § 434 Abs. 1 S. 3 BGB letztlich vornimmt und die dem individuellen Verbraucher im Regelfall ja zugute kommt. Aus der Sicht des Verkäufers jedoch entfiele gerade eines der Hauptargumente für die diesbezügliche Haftungsausdehnung auf Herstellerwerbeangaben424: Denn im Falle einer an Fachkreise und Zwischenhändler gerichteten Werbung würde ein Endverkäufer von einer derartigen Werbung gerade nicht – oder allenfalls ausnahmsweise – profitieren. Ihm in diesem Falle das Informationsrisiko auch für Mißverständnisse der Endverbraucher hinsichtlich an Fachkreise gerichteter Werbung zu überbürden, wäre daher nicht mehr zu rechtfertigen425. Das bedeutet nicht, daß sich ein Privatkäufer – der nicht zur durch die Werbung angesprochenen Gruppe zählte – in einem derartigen Falle überhaupt nicht auf einen Sachmangel auf Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB berufen könnte426. 419
S. für einen Überblick Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2. 75 ff. S. nur BGHZ 27, 1, 4 ff. = NJW 1958, 866 ff.; BGH GRUR 1984, 376 – Johannisbeerkonzentrat; vgl. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5 UWG, Rz. 2.85 mwN. 421 S. schon BGH GRUR 1996, 445, 447 – Glutamat; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.80 mwN. 422 So im Ergebnis auch Weiler, WM 2002, 1785, 1785 f.; zustimmend Erman-Grunewald, § 434, Rz. 24. 423 S. insoweit die sorgsame Argumentation bei Weiler, WM 2002, 1784, 1785 f. 424 Nämlich der cuius commodum eius periculum-Grundsatz, s. unter anderen o. bei Fn. 387 sowie auch schon o. 2.Kap. 3.Abschn. Fn. 521. 425 S. zutreffend und mit weiteren Ausführungen Weiler, WM 2002, 1784, 1785 f. 426 Mißverstanden wird daher Weiler, WM 2002, 1784, 1785 f., bei Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 82: fraglich sei, ob der Käufer Teil der Öffentlichkeit sein müsse, an die sich die Äußerung gerichtet habe und Weiler, aaO., bejahe diese Frage. Dies muß der Käufer natürlich nicht sein (insoweit zutreffend auch Bamberger/Roth-Faust, aaO.) und so ist Weiler, aaO., trotz ein wenig mißverständlicher Formulierung auch nicht zu verstehen. Vielmehr betrifft auch seine 420
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Jedoch kommt die Einbeziehung eines bestimmten Verständnisses einer eigenschaftsbezogenen Werbung in diesem Falle eben nur dann in Betracht, wenn auch das durchschnittliche Mitglied des angesprochenen Fachpublikums die Werbung in diesem Sinne mißverstanden hätte 427. Bezüglich der demnach entscheidenden Abgrenzung zwischen Werbemaßnahmen, die sich an ein Fachpublikum wenden und allgemeiner Publikumswerbung, die in Grenzfällen – zumal um bewußt intendierten Umgehungen durch provozierten overspill vorzubeugen – mit Blick auf die Identifikation der angesprochenen Verkehrskreise äußerst sorgsam vorzunehmen ist, vermag wiederum die wettbewerbsrechtliche Judikatur entscheidende Anhaltspunkte zu liefern. So ist die Werbung mit der Reichweite einer Zeitschrift im Verhältnis zu einem Konkurrenzprodukt, die sich einerseits an potentielle Inserenten, andererseits aber zugleich auch an das allgemeine Abonnementpublikum richtet, bereits dann irreführend, wenn einer der Verkehrskreise die Werbeangaben mißversteht428. Unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB könnte sich demnach ein Verbraucher des allgemeinen Publikums auf diesbezüglich für ihn mißverständliche Angaben als Sacheigenschaften berufen429. Demgegenüber kann sich in bestimmten Fällen bereits aus der Art der Kaufsache ergeben, daß sich die zugehörige Werbung zwar nicht an Fachkreise, wohl aber an Teile des Publikums mit speziellen Vorkenntnissen richtet. So wird nach der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung ein Schachcomputerkatalog sich vor allem an diejenigen Verbraucher wenden, die mit den Grundregeln des Schachspiels vertraut sind und insofern beurteilen können, was ein Internationaler Großmeister ist und was es bedeutet, einen solchen zu schlagen. Insofern muß zutreffende Argumentation wohl nur die eigentliche Frage, nach wessen Erwartungshorizont die Äußerung auszulegen ist. So im Ergebnis letztlich dann auch zutreffend Bamberger/RothFaust, aaO. 427 Im Einzelfall mag auch einmal allein das Fachpublikum eine bestimmte eigenschaftsbezogene Werbung mißverstehen, während die Endverbraucher auf ein derartiges Mißverständnis gar nicht verfielen; s. etwa BGH GRUR 1969, 422, 423 – Kaltverzinkung. Auch in einem derartigen Falle ist dann konsequenterweise für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB selbst dann im Ausgangspunkt auf das Verständnis der Fachkreise abzustellen, wenn ein privater Endverbraucher kauft. Allerdings könnte dieser sich dann u.U. wegen des Ausschlußgrundes der Nichtbeeinflußbarkeit seiner Kaufentscheidung darauf nicht berufen, sofern ihm der Händler die fehlende Relevanz für seine Kaufentscheidung positiv beweisen kann. 428 S. BGH GRUR 2004, 244, 246 – Marktführerschaft; Hefermehl/Köhler/BornkammBornkamm, § 5 UWG, Rz. 2.75 f. mwN. 429 Vgl. auch BGH GRUR 1955, 415, 416 – Arctuvan; BGH GRUR 1957, 339, 340 – Venostasin, wonach für pharmazeutische Erzeugnisse selbst bei Werbeangaben über verschreibungspflichtige Arzneimittel das Verständnis sowohl der Ärzte und Apotheker als auch die Auffassung des Käuferpublikums maßgeblich sind. Anders liegt es aber, wenn es sich um Mittel handelt, die nicht pur, sondern nur als Grundstoff für die weitere Verarbeitung an Apotheken vertrieben werden, BGH GRUR 1957, 435, 437 – Eucerin. Wendet sich die Werbung des Herstellers eines Backhilfsmittels direkt an die Brothersteller, so ist auf deren Erwartungshorizont abzustellen, es sei denn, die Bezugnahme auf das spezifische Grundprodukt wird von den Bäckern ihrerseits typischerweise als Marketingmittel gegenüber den Endverbrauchern eingesetzt, s. BGH GRUR 1983, 256 – Sauerteig; vgl. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.85 f. mit weiteren Beispielen und Nachweisen.
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dann nicht mehr eigens mit angegeben werden, in welcher Turnierform etwaige Siege des Schachcomputers erfolgten430. Dieser Grundgedankengang läßt sich auf § 434 Abs. 1 S. 3 BGB übertragen: auch im Rahmen der hier maßgeblichen Verkehrserwartung mit Blick auf bestimmte Eigenschaften ist der Vorkenntnis spezifischer Teile des Publikums in typisierter Weise produktbezogen Rechnung zu tragen. So können von Personen, die beispielsweise Server-Stationen erwerben, grundsätzlich weitergehende Computerkenntnisse erwartet werden, als von Personen, die einen normalen Heim-PC kaufen. Derartigen Differenzierungen ist – genau wie im Wettbewerbsrecht – durch Heranziehung eines typisierten Maßstabs situations- und produktadäquater Informiertheit und Aufmerksamkeit Rechnung zu tragen431. Dies leitet bereits über zum Maßstab des Erwartungshorizonts und zu der vor diesem Hintergrund zu beantwortenden Frage, wie öffentliche Äußerungen bezüglich bestimmter Sacheigenschaften von bloßen Anpreisungen, Übertreibungen, imagebezogenen Äußerungen etc. abzugrenzen sind. b. Der Erwartungshorizont des Durchschnittsverbrauchers: Abgrenzung eigenschaftsbezogener Äußerungen von bloßen Anpreisungen und weitere Einzelfragen Nach der hier vertretenen Auffassung kann – vorbehaltlich der vorstehend umrissenen Differenzierungen mit Blick auf spezifisch angesprochene Verkehrskreise und Publikumsteile – für die Bestimmung der vernünftigen Erwartungen 432 des Käufers im Rahmen des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB auf das neue wettbewerbsrechtliche Verbraucherleitbild des deutschen Rechts zurückgegriffen werden, daß insoweit der Vorgabe des europäischen Rechts entspricht433. (1) Bestimmte Eigenschaften Auf dieser methodischen Grundlage ist zuerst die Frage zu beantworten, ob es sich bei den öffentlichen Äußerungen um Angaben bezüglich bestimmter Eigenschaften der Kaufsache handelt – für die § 434 Abs. 1 S. 3 BGB eingreift – oder um bloße Anpreisungen, Übertreibungen oder allgemeine Imagewerbung, die sich nicht auf die konkrete Beschaffenheit der Kaufsache bezieht434. Soweit es dabei um 430 S. BGH GRUR 2003, 800, 802 – Schachcomputerkatalog; Hefermehl/Köhler/BornkammBornkamm, § 5 UWG, Rz. 2.78. 431 Gegen Weiler, WM 2002, 1784, 1790 f.; ähnlich wie hier wohl MüKo-Westermann, § 434, Rz. 23. 432 Dieser Maßstab ist für das deutsche Recht implizit umgesetzt in der Formulierung „… die der Käufer erwarten … kann“ (Hervorh. d. Verf.); s. Weiler, WM 2002, 1784, 1785. 433 Vgl. oben 2. Abschn. B. 434 Im Grundsatz besteht über die Notwendigkeit dieser Abgrenzung Einigkeit, wobei die herrschende Meinung dieses Kriterium grammatikalisch in der doppelten Bezugnahme auf Eigenschaften der Kaufsache in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB verortet, wobei § 434 Abs. 1 S. 3 BGB in Anlehnung an den Text der Verbrauchsgüterkauf-RL (Art. 2. Abs. 2 lit. d): konkrete Eigenschaften)
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die Abgrenzung des Eigenschaftsbegriffs als solchem geht, ergibt sich diese nach der hier vertretenen Auffassung im neuen Recht aus der systematischen Verankerung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im Rahmen der üblichen Beschaffenheit gem. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, da die Norm dogmatisch als gesetzliche Typisierung einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung aufzufassen ist. Daraus folgt, daß es sich um Sacheigenschaften handeln muß, die in irgendeinem gegenwärtigen Zusammenhang mit der physischen Beschaffenheit der Kaufsache stehen. Der Begriff umfaßt also im System des alten Rechts sowohl die Beschaffenheit als auch diejenigen Eigenschaften die nach altem Recht zusicherungsfähig waren. Hinzu kommen sogar noch diejenigen Umweltbeziehungen der Kaufsache, die nur in irgendeiner Weise mit ihren physischen Eigenschaften (einschließlich ihrer Lage im Raum) zusammenhängen435. Mit Blick auf die hierauf folgende weitere Abgrenzung zwischen konkreten Angaben hinsichtlich bestimmter Sacheigenschaften und bloßen Anpreisungen, Übertreibungen oder Imagewerbung, kann nach der hier vertretenen Auffassung zum Teil wiederum auf die diesbezüglichen Beurteilungskriterien des Wettbewerbsrechts zurückgegriffen werden, soweit die ältere Judikatur auch im Lichte der neueren Rechtsprechung weiterhin Gültigkeit beanspruchen kann436. Schon die ältere wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung bietet zahlreiche Beispiele für nichtssagende oder nicht nachprüfbare Anpreisungen im Sinne reiner Imagewerbung, die sich nicht auf konkrete, objektiv nachprüfbare Produkteigenschaften bezieht und daher jedenfalls für § 434 Abs.1 S. 3 BGB außer Betracht bleiben muß437. Soweit das Wettbewerbsrecht jedoch – insbesondere im Bereich der Alleinstellungswerbung – auch subjektive Wertungen dem Unlauterkeitsverdikt un-
sogar öffentliche Äußerungen bezüglich bestimmter Eigenschaften der Kaufsache fordert, s. für die im wesentlichen einhellige Meinung statt aller Weiler, WM 2002, 1784, 1787 und zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 56 f., jeweils mwN. 435 S. zu alldem oben 1. 436 Wohl a.A. Weiler, WM 2002, 1784, 1790 f., sowie (ohnedies grundsätzlich gegen eine Berücksichtigungsfähigkeit wettbewerbsrechtlicher Wertungen) Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 57 f.; insoweit wie hier Bernreuther, WRP 2002, 368, 371 f.; ders., MDR 2003, 63, 64, 66. Im Ansatz ähnlich Alexander, S. 194 ff., der auf die wettbewerbsrechtliche Unterscheidung zwischen suggestiver und informativer Werbung zurückgreifen will. 437 S. für nichts sagende Anpreisungen nur BGH GRUR 1964, 33, 35 – Bodenbeläge (für nach der Verkehrsauffassung inhaltlich nichtssagende Werbeaussagen); BGH GRUR 1965, 363 – Fertigbrei („Mutti gibt mir nur das Beste“ als bloße scherzhafte Übertreibung und allgemeine Anpreisung); BGH GRUR 1965, 365 – Lavamat II („AEG-Lavamat, den und keinen anderen“ – als bloß allgemeine Anpreisung); OLG Frankfurt NJW 1977, 1783 (Dreilagigkeit eines Toilettenpapiers als „unbezahlbarer Vorteil“ bezieht sich – abgesehen von der Dreilagigkeit – nicht auf eine besondere Eigenschaft); zuletzt BGH GRUR 2002, 182 – Das beste jeden Morgen („Kelloggs – das Beste jeden Morgen“ keine unzulässige Alleinstellungsbehauptung, da allgemeine suggestive Anpreisung mit erkennbar subjektivem Gepräge). All diese Werbeaussagen beziehen sich nicht auf objektiv nachprüfbare konkrete physische Eigenschaften der Kaufsache und bleiben daher für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB von vornherein außer Betracht. Vgl. für weitere Beispiele Bernreuther, MDR 2003, 63, 64; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2. 30 ff. mwN.
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terwirft, die sich nicht auf konkrete Beschaffenheitsmerkmale beziehen438, kommt eine Heranziehung im Rahmen von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB von vornherein nicht in Betracht, weil dann dessen Anwendungsbereich gar nicht eröffnet ist439. Wenn somit jedenfalls eine ganz oder zumindest teilweise nachprüfbare Angabe bezüglich konkreter Eigenschaften der Kaufsache vorauszusetzen ist, so bleibt für die Heranziehung wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe im wesentlichen noch die Abgrenzung konkret eigenschaftsbezogener Angaben von bloßen reklamehaften Übertreibungen bezüglich bestimmter Sacheigenschaften, die der Verkehr nicht als Tatsachenbehauptung ernst nimmt. Insoweit ist wiederum auf den Erwartungshorizont eines situationsadäquat aufmerksamen und informierten Durchschnittsverbrauchers im Sinne des neuen wettbewerbsrechtlichen Verbraucherleitbilds abzustellen440. Aus dessen Sicht ist zu beurteilen, ob er eine bestimmte öffentliche Äußerung über Sacheigenschaften von vornherein als überhaupt nicht ernst zu nehmende Übertreibung auffaßt oder ob er sie zwar nicht „wörtlich nimmt“, ihr aber doch zumindest einen gewissen Tatsachenkern beimißt441. Hierfür ist auf sämtliche Umstände der öffentlichen Äußerung abzustellen442, also etwa auf deren Kontext443, 438 S. aus dem Wettbewerbsrecht zum Beispiel BGH GRUR 1969, 425, 426 – Melitta-Kaffee mit Anm. Krieger. 439 Daher unzutreffend Bernreuther, WRP 2002, 368, 376; ders., MDR 2003, 63, 65 f. Zutreffend demgegenüber die ganz herrschende Meinung auf Grundlage einer rein zivilrechtlichen Argumentation, s. nur (zum Teil noch bezogen auf die Verbrauchsgüterkauf-RL) Boerner, ZIP 2001, 2264, 2266; Lehr/Wendel, EWS 1999, 321, 323; Peifer, JR 2001, 265, 268; Staudenmayer, NJW 1999, 2393, 2394; Weiler, WM 2002, 1784, 1786. 440 Ähnlich wie hier Bernreuther, MDR 2003, 63, 68 und Alexander, S. 195 ff. mwN, der auf die im Wettbewerbsrecht häufig vorgenommene Unterscheidung zwischen suggestiver und informativer Werbung zurückgreifen will. Für den Maßstab des vernünftigen Verbrauchers, den er im deutschen Wettbewerbsrecht weiterhin nicht verwirklicht sieht, Weiler, WM 2002, 1784, 1787 f. Für strengere Maßstäbe und eine Zweifelsregel, derzufolge der Käufer im Zweifel davon ausgehen dürfe, daß eine sachliche Beschreibung des Gegenstands gewollt ist, so daß die Annahme einer nur scherzhaften Übertreibung faktisch nur in Betracht komme, wenn sich ein solches Verständnis aus objektiver Empfängersicht geradezu aufdränge Grigoleit/Herresthal, 2003, 233, 237. Richtigerweise wird man insoweit auf den „Abstand“ zwischen der Übertreibung und den tatsächlichen Produkteigenschaften abstellen müssen, der so groß sein muß, daß ein Durchschnittsverbraucher von situationsadäquater Aufmerksamkeit nicht umhin kann, die Übertreibung zu bemerken. Eines besonders strengen Maßstabs bedarf es dann nicht mehr. 441 S. für den grundsätzlichen Ansatz Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.127, sowie für illustrierende Beispiele bezüglich reiner Übertreibungen bzw. auf einen objektiv nachprüfbaren Tatsachenkern reduzierbarer Übertreibungen noch sogleich u. Fn. 447 und 448. 442 S. insgesamt für einen Überblick Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 5, Rz. 2.128 ff. mwN; für eine monographische Befassung mit der Problematik auf europäischer und deutscher Ebene (und mit einem europaweiten Rechtsvergleich) Lettl, Irreführende Werbung, S. 97 ff. und S. 172 ff. 443 S. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.128 mit Differenzierungsvorschlägen betreffend die Art der Werbung (Jahrmarkt einerseits, gedruckte Produktbeschreibungen oder Versandhauskataloge andererseits etc.). Vgl. auch BGH GRUR 1986, 321, 323 – Modemacher, wonach ein Slogan „Die Mode kommt von Neckermann“ nicht dahingehend verstanden werden kann, daß beklagte Großversandhaus habe eine substantielle eigene Rolle in der Modeschöpfung und kreiere eigene Modelle oder bestimmende Modestile, da sich ein derartiges Ver-
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ihre Form444 und gegebenenfalls ihre Formulierung445, auf die Art des verkauften Produkts sowie auch auf sonstige Umstände, die im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung relevant sein können446. In der Regel wird sich dann entweder ergeben, daß eine öffentliche Äußerung von vornherein als Übertreibung irrelevant ist447 oder daß sie auf einen nachprüfbaren, auf Produkteigenschaften bezogenen ständnis derart weit von der erkennbaren Realität (unter § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB – der „Üblichkeit“) entfernen würde, daß die Übertreibung überdeutlich wird. Der Slogan ist daher nur dahingehend zu verstehen, daß die angebotene Kleidung des Versandhauses modisch ist. 444 S. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm,§ 5, Rz. 2.129 mit Differenzierung zwischen Wort- und Bildwerbung und dem Beispiel einer bildlichen Übertreibung der Werbung für ein vierrad-angetriebenes Kfz, das eine Skischanze hinauffährt. Hiermit verbindet sich nicht die Aussage, daß Fahrzeug wäre technisch dazu in der Lage, sondern lediglich die allgemeine Information betreffend eine besondere Wintertauglichkeit des Wagens. 445 S. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.130 mit Beispielen satirischer Werbung, die – selbst soweit sie sich einmal auf konkrete Produkteigenschaften im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB bezöge – jedenfalls als bloß suggestiv satirische Aussage für die Beschaffenheitsbestimmung in der Regel irrelevant sein dürfte. 446 So ist allgemein wettbewerbsrechtlich bei gesundheitsbezogenen Angaben (und wohl auch bei Umweltwerbung, s. nur BGHZ 105, 277, 280 = GRUR 1991, 548 – Umweltengel; BGH GRUR 1991, 550 – Zaunlasur; vgl. auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 576 ff. für eine Rechtfertigung im Rahmen des verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips), tendenziell ein strengerer Maßstab anzulegen, da die Verbraucher diesen besondere Bedeutung zumessen und in diesem affektiv behafteten Bereich für das Fehlverständnis von Werbebotschaften besonders anfällig sind (s. allgemein BGH GRUR 1980, 797, 799 – Topfit Boonekamp). Zugleich ist aber natürlich auch dem besonderen Informationsinteresse der Verbraucher Rechnung zu tragen, weshalb gerade in diesem Bereich gelegentlich auch das Instrument besonderer Aufklärungspflichten als „milderes Mittel“ gegenüber einem wettbewerbsrechtlichen Totalverbot in Betracht kommt (s. grundlegend Drexl, Selbstbestimmung, S. 580 ff. mwN). Ob auch die zusätzlich für strenge Maßstäbe in diesem Bereich angeführte überragende Bedeutung der Rechtsgüter Gesundheit und Umwelt schon für sich genommen als Argumentation in diesem Bereich weiter Bestand haben kann, wird angesichts des nunmehr rein auf Wettbewerbsverzerrungen ausgerichteten Maßstabs des neuen UWG – der die Berücksichtigung wettbewerbsfremder Allgemeininteressen an sich ausschließt – abzuwarten sein. Doch dürfte eine strenge Beurteilung gesundheits- und umweltbezogener Werbung bei Heranziehung eines situations- und produktbezogen differenzierenden Ansatzes sich stets auch allein mit dem typisiert besonders anfälligen Verbraucherverhalten in diesem Bereich begründen lassen. S. spezifisch für den Bereich des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ergiebig die Idee-Kaffee Entscheidungen RG GRUR 1937, 396 – Idee-Kaffee („Idee Kaffee ist für Nervöse“ oder „für Kaffee-Empfindliche“ unschädlich); BGH GRUR 1973, 538 – Idee Kaffee II („der Kaffee, der nicht … belastet“, „von Reizstoffen befreit“, „für Herz und Kreislauf gut“ ist); BGH GRUR 1975, 664 – Idee-Kaffee III („Idee Kaffee ist magenfreundlich veredelt, also von unerwünschten Röstreizstoffen weitestgehend befreit, die Beschwerden an Magen, Leber, Galle verursachen können“): all diese Werbebehauptungen beziehen sich durchaus auf konkrete Eigenschaften der Kaufsache und erwecken beim Verbraucher die Erwartung, daß alle Kaffee-Empfindlichen den (durchaus noch Koffein und andere Reizstoffe enthaltenden) Kaffee gut vertragen. Enthält der Kaffee demnach noch Koffein und andere Reizstoffe, die ihn für Kaffee-Empfindliche unverträglich machen, so läge – vorbehaltlich der sonstigen Voraussetzungen – unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ein Sachmangel vor. Vgl. näher zur wettbewerbsrechtlichen Sicht Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.135 mwN. 447 S. für Beispiele aus der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung, die als Leitlinien für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB relevant werden könnten (selbst wenn es hier gelegentlich auch schon an der Angabe bezüglich konkreter Eigenschaften fehlen dürfte), etwa BGH GRUR 2002, 982 – Die Steinzeit ist vorbei!, als Werbeslogan eines Herstellers von Häusern in Holzrahmen-Bau-
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Kern unter Abzug der scherzhaften Übertreibung sozusagen reduziert werden kann448, der dann auch die normative Käufererwartung i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB prägt. (2) Der objektive Erwartungshorizont des „vernünftigen“ Käufers: Einzelheiten und mögliche Entlehnungen aus dem Wettbewerbsrecht Im Rahmen der Ermittlung der berechtigten Erwartung bezüglich bestimmter Sacheigenschaften für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB kann im wesentlichen auf sämtliche methodische Hilfsmittel des Wettbewerbsrechts zur Ermittlung der Verkehrsauffassung der durch eine Werbung angesprochenen Verkehrskreise aus dem Bereich des Irreführungsschutzes zurückgegriffen werden449. Insbesondere kommt im Rahmen des grundsätzlich nunmehr normativ aufzufassenden Verbraucherleitbilds sowohl des europäischen wie auch des deutschen Rechts durchaus in geeigneten Fällen weiterhin der Rückgriff auf durch Verkehrsbefragungen zu ermittelnde Irreführungsquoten in Betracht, die sich dann als ein indizielles Element der Bestimmung der Verkehrsauffassung in einen übergeordneten normativen Rahmen einfügen, in dessen Kontext die beteiligten Interessen umfassend abgewogen werden450. Die Bedeutung einer quotenmäßigen Bestimmung des Anteils der Verbraucher, die eine Werbung (oder unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB eine konweise; BGH GRUR 1997, 227 – Aussehen mit Brille für den Slogan „Fielmann: Lieber besser aussehen als viel bezahlen!“; OLG Hamburg, GRUR-RR 2003, 251 – „zäh wie Gummi und staubtrocken“ als Bezeichnung für die Gattung der Müsli-Riegel. Vgl. im übrigen Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.131, 2.136 mwN. 448 S. (aus der als Leitlinie für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB brauchbaren wettbewerbsrechtlichen Judikatur und Literatur) das Beispiel Unzerreißbares Bilderbuch, wonach vorgenannte Bezeichnung die berechtigte Verkehrserwartung begründet, das Buch sei aus besonders festem Papier (was dann auch zutraf, vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.136); OLG Düsseldorf, WRP 1959, 150, wonach die Werbeaussage „Dauerelastisches Gummiband“ beim Verkehr die Erwartung eines überdurchschnittlich haltbaren Gummibands begründet. Vgl. im übrigen Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, aaO. mit weiteren Beispielen und Nachweisen. 449 Im Ergebnis wie hier Bernreuther, WRP 2002, 368, 371 ff.; ders., MDR 2003, 63, 66. Im Ansatz auch Lehmann, JZ 2000, 280, 284 f. und Weiler, WM 2002, 1784, 1790 f., die aber jeweils noch eine ausdrückliche Klarstellung des Gesetzgebers forderten, daß in diesem Bereich das liberale gemeinschaftsrechtliche Verbraucherleitbild und nicht das Leitbild des unterdurchschnittlich begabten, flüchtigen und unkritischen Verbrauchers der alten BGH-Rechtsprechung gelten solle. Mittlerweile ist dieses alte deutsche Verbraucherleitbild aber durch die neuere BGHRechtsprechung, die den Maßstab insgesamt den Vorgaben des europäischen Rechts angepaßt hat, nach der hier vertretenen Auffassung überholt, weshalb auf das Verbraucherleitbild der neueren BGH-Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. Grundsätzlich a.A. und gegen eine Berücksichtigungsfähigkeit wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe wegen der abweichenden Interessenlage (die aber nach der hier vertretenen Auffassung nicht so generell unterschiedlich liegt, sondern vielmehr der differenzierenden Analyse bedarf, s. grundlegend oben 1. Kap. 3. Abschn. F I, II und IV) Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 57 f. S. zum neuen Verbraucherleitbild des BGH auch schon o. Fn. 338 und o. 2.Abschn. B. 450 Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.101 ff., insbes. Rz. 2.105, 2. 107 f. mwN. Wohl für die gänzliche Aufgabe der methodisch fragwürdigen Verkehrsbefragungen Lettl, Irreführende Werbung, S. 183 ff.
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krete Werbeangabe bezüglich einer bestimmten Sacheigenschaft) mißverstehen, sinkt durch diesen normativen Rahmen erheblich. Denn letztlich kommt es damit auf eine Interessenabwägung im Einzelfall – insbesondere auch der unterschiedlichen Interessen auf Verbraucherseite – an, in deren Gesamtkontext die ermittelte Irreführungsquote je nach Situation vollkommen unterschiedlich zu bewerten sein kann. Damit kann das Instrument der Verkehrsbefragung – als ein bloßes Einzelelement in einem umfassenden Interessenabwägungsprozeß – aus dogmatischer Sicht451 grundsätzlich weiterhin probate Anhaltspunkte für das normative Verkehrsverständnis hinsichtlich einer bestimmten Werbeaussage liefern. Insbesondere für die Auslegung des Ausschlußtatbestands der Unerheblichkeit für die Kaufentscheidung unter § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB (Relevanz) wäre es durchaus denkbar, auch für die zivilrechtliche Ermittlung der Verkehrsauffassung und ihrer Relevanz für die Kaufentscheidung unter anderem auf das Mittel der Verkehrsbefragungen zurückzugreifen452. Allgemein läßt sich sagen, daß unter § 434 Abs. 1. S. 3 BGB – insoweit genau wie im Irreführungsschutz – der Gesamteindruck der Werbung entscheidet453. Konkrete Bedeutung können die wettbewerbsrechtlichen Erfahrungen zum Beispiel für die rechtliche Behandlung blickfangmäßiger Angaben bezüglich bestimmter Eigenschaften der Kaufsache haben, die dann ohne einen entsprechenden Sternchenhinweis im kleingedruckten Teil einer Anzeige eingeschränkt oder sonst modifiziert werden454. Ist ein derartiger Hinweis nicht vorhanden oder nicht 451 Allerdings stellt sich – gerade im Vergleich zum wettbewerbsrechtlichen Sanktionssystem, das in diesem Bereich wesentlich auf Mitbewerberklagen ruht – spezifisch für den Verbraucherschutzkontext (s. zur zwingenden Ausgestaltung im Verbrauchsgüterkauf, § 475 Abs. 1 BGB) des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ein Problem administrativer Effizienz mit Blick auf die effektive Wahrnehmbarkeit der Rechte. Denn – anders als im Wettbewerbsrecht, wo sich zumindest im Falle der Mitbewerberklage typischerweise zwei finanziell vergleichbar potente Prozeßpartner gegenüberstehen – wäre in der für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB typischen Prozeßsituation – nämlich der Klage eines einzelnen Verbrauchers gegen ein (typischerweise finanziell nachhaltiger ausgestattetes) Unternehmen, das sich mit einer Vielzahl derartiger Fälle auseinandersetzt – das Instrument der Verkehrsbefragung unter Umständen insofern problematisch, als es prozessual mißbraucht werden könnte, um den finanziell kurzatmigeren Prozeßgegner vermittels der drohenden Kostenlast zur Klagerücknahme oder zum Verzicht zu bewegen. Die Problematik ist – unter dem größeren Blickwinkel des ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung (s. oben 1. Kap. 1. Abschn. D V 2) – durchaus insofern verallgemeinerbar, als die Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB insgesamt hinsichtlich ihrer Durchsetzung in der Praxis allenfalls in einzelnen Teilbereichen gute Erfolgsaussichten hat (s. unten 4); unter dieser (zugegebenermaßen an dieser Stelle limitierten und damit einseitigen) Perspektive sprechen die angedeuteten und noch anzusprechenden Probleme in erster Linie für einen Ausbau der Instrumente kollektiver Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im deutschen Recht, vgl. insoweit noch unten 5. Abschn. C. 452 S. dazu noch sogleich unten c. 453 Vgl. aus dem Irreführungsschutz BGH GRUR 1968, 382, 385 – Favorit II; BGH GRUR 1988, 459, 460 – Teilzahlungsankündigung; BGH GRUR 2002, 550, 552 – Elternbriefe; BGH GRUR 2002, 715, 716 – Scanner-Werbung; BGHZ 151, 83, 91 = GRUR 2002, 976, 979 – Kopplungsangebot I; BGH GRUR 2003, 361, 362 – Sparvorwahl; Hefermehl/Köhler/BornkammBornkamm, § 5, Rz. 2.90 mwN. 454 S. allgemein für Nachweise aus dem Wettbewerbsrecht Hefermehl/Köhler/BornkammBornkamm, § 5, Rz. 2.94 ff.
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klar genug, so kann sich die Erfüllungshaftung aus dem Kaufvertrag gem. § 434 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 Nr. 2 BGB durchaus auf diejenige Beschaffenheit der Kaufsache richten, die der Blickfang aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers erwarten ließ. Insoweit ist aber – insbesondere mit Blick auf die strenge Vorgabe des europäischen Verbraucherleitbilds, demzufolge den Verbraucher im Binnenmarkt auch bestimmte Selbstinformationsobliegenheiten treffen455 – sorgsam zu differenzieren: Nur sofern Massengeschäfte des täglichen Lebens betroffen sind, denen sich der Verbraucher typischerweise nur mit ganz geringer Aufmerksamkeit zuwendet, ist der Durchschnittsverbraucher durch ein deutliches Warnsignal – also gleichwertig hervorgehobenes Sternchen o.ä.456 – auf die entsprechenden Einschränkungen im Kleingedruckten hinzuweisen. Geht es demgegenüber – wie dies typischerweise bei § 434 Abs. 1 S. 3 BGB der Fall sein dürfte 457 – um höherwertige Angebote, mit denen sich der Durchschnittsverbraucher sorgsamer auseinandersetzt, trifft ihn durchaus auch selbst eine Obliegenheit, schon aufgrund einer bloßen Fußnote oder anderweitigen nicht besonders hervorgehobenen Kennzeichnung auch das Kleingedruckte zu lesen. Der Hinweis muß dann dem Blickfang nur klar zugeordnet, nicht aber vergleichbar deutlich sein458. Unter Umständen kann in derartigen Fällen (etwa bei Katalogangeboten) dann sogar eine allgemeine salvatorische Klausel – etwa am unteren Seitenrand – genügen, wenn eine optische Zuordnung zu jeder einzelnen der beschriebenen Sacheigenschaften vollkommen untunlich wäre und wenn die Klausel selbst hinreichend deutlich macht, welche Angaben modifiziert werden sollen459. Es ließen sich noch zahlreiche weitere Sachverhaltsgestaltungen anführen, die verdeutlichen, wie die wettbewerbsrechtliche Methodologie bei der Ermittlung der Verkehrserwartung unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB fruchtbar gemacht werden kann. Herausgegriffen sei lediglich beispielsartig noch der bereits in der Literatur zum neuen § 434 Abs. 1 S. 3 BGB angeklungene Problemkreis der rechtlichen Behandlung des Verschweigens von bestimmten Sacheigenschaften unter § 434
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S. auch oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (d). Es ist in derartigen – strenger zu beurteilenden – Fällen dann nicht nur eine klare Zuordnung des Verweises auf die Modifikationen oder Einschränkungen an den Blickfang zu fordern, sondern auch eine gleichwertige Deutlichkeit des Hinweiszeichens mit der blickfangmäßig herausgestellten Angabe, s. aus der Rechtsprechung (die sich in diesem Bereich typischerweise auf Kopplungsangebote bezieht) nur allgemein BGHZ 139, 368, 373 = GRUR 1999, 264 – Handy für 0,00 DM; BGHZ 151, 84, 89 = GRUR 2002, 976 – Kopplungsangebot I; BGH GRUR 2002, 979, 981 – Kopplungsangebot II; BGH GRUR 2003, 538, 539 – Gesamtpreisangebot; BGH GRUR 2003, 890, 891 – Buchclub-Kopplungsangebot; BGH GRUR 2004, 343, 344 – Playstation; Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.98. 457 S. noch unten 4 für den Versuch einer rechtstatsächlichen Analyse. 458 S. BGH GRUR 2003, 249 – Preis ohne Monitor; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.98 mwN. 459 Vgl. allgemein BGH GRUR 2000, 911, 913 f. – Computerwerbung; BGH GRUR 2003, 163, 164 – Computerwerbung II; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.99 mwN. 456
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Abs. 1 S. 3 BGB, bevor sich die Untersuchung den Ausschlußgründen für die Haftung zuwendet, die in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 BGB geregelt sind. (3) Eigenschaftsangaben durch Unterlassung (Verschweigen)? Bernreuther will im Rahmen seines rein wettbewerbsrechtlichen Blicks auf § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, der dem hier vertretenen „Wasser und Öl“-Ansatz gerade nicht entspricht, auch auf die Behandlung des Verschweigens bestimmter Eigenschaftsangaben uneingeschränkt wettbewerbsrechtliche Grundsätze anwenden460, wobei nunmehr § 5 Abs. 2 S. 2 UWG als Leitlinie heranzuziehen wäre. Dabei ist schon im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, daß auch der neue § 5 UWG im grundsätzlichen Ausgangspunkt kein generelles Informationsgebot, sondern lediglich eine negative Informationspflicht461 dahingehend, den Verbraucher nicht zu desinformieren, statuiert462. Hieraus eine Irreführung bezüglich des Verschweigens bestimmter Tatsachen abzuleiten, setzt voraus, daß den Werbenden eine spezifische Aufklärungspflicht trifft. Dies ist nach der Rechtsprechung463 und auch der Konzeption des neuen § 5 Abs. 2 S. 2 UWG464 aber nur der Fall, wenn das Publikum die Werbung nach ihrem Gesamteindruck so beurteilt, daß es durch Unterbleiben des Hinweises in einem wesentlichen und für den Kaufvertragsentschluß relevanten Punkt getäuscht wird465. Zudem kann sich eine Aufklärungspflicht als das gegenüber einem Totalverbot im Sinne des verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips mildere Mittel darstellen, wenn etwa im Rahmen der gebotenen umfassenden Interessenabwägung auch ein relevantes Informationsund Aufklärungsinteresse bezüglich der beworbenen Eigenschaft vorhanden ist, so daß ein Totalverbot gerade nicht im Verbraucherinteresse liegt466. Bernreuther will nun (mit dem Argument, es sei die gesetzgeberische Absicht gewesen, Verantwortungsparallelen zwischen Wettbewerbs- und Zivilrecht zu schaffen) die diesbezügliche wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung – insbesondere die zahlreichen Entscheidungen zu einer Informationspflicht in der Wer-
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S. Bernreuther, WRP 2002, 368, 370 f.; vgl. auch die Beispiele in ders., MDR 2003, 63, 68. S. für die grundlegender Unterscheidung zwischen positiven und negativen Informationspflichten Drexl, Selbstbestimmung, § 10 III, S. 452 ff. 462 S. im Grundsatz etwa BGH NJW 1996, 1135 – Umweltfreundliches Bauen; im Anschluß an BGH GRUR 1985, 450, 451 – Benzinverbrauch; BGHZ 104, 185, 188 – Entfernung von Kontrollnummern I; vgl. auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 576 f.; Hefermehl/Köhler/BornkammBornkamm, § 5, Rz. 2.44. 463 S. zuletzt BGH GRUR 1999, 757 – Auslaufmodelle I. 464 Mit § 5 Abs. 2 S. 2 UWG wollte der deutsche Gesetzgeber – in bewußter Abgrenzung gegenüber Forderungen nach einer weitergehenden Anordnung von Informationspflichten im Lauterkeitsrecht – lediglich die bestehende Lösung der Rechtsprechung aufgreifen, s. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 5 Abs. 2 UWG. 465 S. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 5 Abs. 2 UWG; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.44 mit umfassenden weiteren Nachweisen. 466 S. ausführlicher Drexl, S. 576 ff. am Beispiel von BGH NJW 1996, 3419 ff. – PVC-frei. 461
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
bung betreffend unmittelbar bevorstehende Modellwechsel467 oder etwa die (für den Käufer relevanten) und in der Werbung verschwiegenen Grenzen einer Herstellergarantie468 – uneingeschränkt sozusagen eins zu eins in den Bereich der Bestimmung der Verkehrserwartung nach § 434 Abs. 1 S. 3 BGB übertragen469. Daraus leitet er beispielsweise ab, daß der Käufer auf Grund von § 434 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB letztlich mindern könne, wenn ein Anbieter von Kraftfahrzeugen oder Unterhaltungselektronik für seine Angebote mit einem besonders billigen Preis werbe, ohne auf die Eigenschaft der Kraftfahrzeuge bzw. Geräte als Auslaufmodelle hinzuweisen470. Der wettbewerbsrechtlichen Lage mit Blick auf die mit derartigen Werbeanzeigen ihrem Gesamteindruck nach verbundene Irreführungsgefahr entspricht dies durchaus. Auch wird man Bernreuther folgen können, wenn er die – zumal vom europäischen Gesetzgeber intendierten – Verantwortungsparallelen zwischen Wettbewerbs- und Zivilrecht betont. Doch übersieht sein weitreichender Vorschlag, der den Eigenschaftsbegriff aufgrund von Werbung praktisch vollkommen von jeglichem Bezug zur Sachsubstanz löst471, die zivilrechtliche Einbettung der Anknüpfung an die Verkehrserwartung als „wettbewerbsrechtliche Insel“ im größeren Rahmen des Beschaffenheitsbegriffs. Aus dieser ergibt sich aber, daß auch die Begründung einer Verkehrserwartung im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB durch Verschweigen sich auf eine konkrete und in irgendeiner Form mit der physischen Substanz und Beschaffenheit der Kaufsache in Zusammenhang stehende Eigenschaft beziehen muß. Andernfalls kommt nach dem System des Zivilrechts nur eine selbständige Garantie nach § 443 Abs. 1 BGB oder eine Haftung wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB in Betracht472. Damit trägt die Überlegung Bernreuthers im Ergebnis, 467 S. BGH GRUR 1982, 374 – Ski-Auslaufmodelle; BGH GRUR 1987, 45 – Sommerpreiswerbung; BGH GRUR 1999, 757 – Auslaufmodelle I; BGH GRUR 2000, 616 – Auslaufmodelle III; vgl. auch Bernreuther, MDR 2003, 63, 68; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.48 ff. mwN. 468 S. das Beispiel bei Bernreuther, MDR 2003, 63, 68, wo er für einen derartigen wettbewerbsrechtlichen Fall (BGH GRUR 1997, 929, 930 – Herstellergarantie: Relevanz der Irreführung der Werbung mit einer Herstellergarantie, die dann auf ein Recht zur Nachbesserung beschränkt war, für den Kauvertragsschluß verneint) zwar im Anschluß an den BGH auch für den Bereich des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB die Relevanz verneint, dabei aber dogmatisch offenbar davon ausgeht, eine Werbung mit dem Vorhandensein einer Garantie könne jedenfalls grundsätzlich für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB relevant werden; ebendies ist aber wegen der Einbettung des typisierten Elements in den zivilrechtlichen Beschaffenheitsbegriff der §§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB, nach der hier vertretenen Auffassung nicht der Fall, da das Vorhandensein und der Umfang einer Herstellergarantie mit der Substanz der Kaufsache nicht in Beziehung stehen. S. auch oben 1. 469 S. Bernreuther, WRP 2002, 368, 370 f. mwN; vgl. auch die Beispiele in ders., MDR 2003, 63, 68. 470 S. Bernreuther, MDR 2003, 63, 65 f. und 68 (dort mit den genannten Beispielen). 471 S. am deutlichsten auch Bernreuther, MDR 2003, 63, 65 f. 472 S. für die überwiegende Meinung statt vieler Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 122 f., bezüglich der Einbettung im informationshaftungsrechtlichen Gesamtsystem des Zivilrechts. A.A. Mertens, AcP 203 (2003), 818, S. 838 f., der auf Grundlage seines rein subjektiven Beschaffenheitsbegriffs praktisch sämtliche Umstände, für die sich aus § 434 Abs. 1 S. 3 BGB aufgrund
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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wenn man sie auf eine zutreffende dogmatische Grundlage stellt, nur zum Teil. Für die „Modellwechsel“-Fälle ist seiner Ansicht im Ansatz zu folgen, da es sich bei dem Umstand, daß ein neues Modell im Handel ist (oder ein altes Modell gar nicht mehr hergestellt wird) auch aus der Sicht des Kaufrechts um eine unter den Beschaffenheitsbegriff fallende Eigenschaft der Kaufsache handelt473. Geht es demgegenüber etwa um die Grenzen einer werblich herausgestellten Garantie, so handelt es sich insoweit von vornherein nicht um eine „Eigenschaft“ der Kaufsache i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. Vielmehr ist dann im System des Zivilrechts § 443 BGB einschlägig474. Ist die Bedingung der Beschaffeheitsbezogenheit erfüllt, mag gelegentlich auch noch in anderen Fällen die Heranziehung der wettbewerbsrechtlichen Grundsätze zur Irreführung durch Verschweigen entscheidungserheblicher und wesentlicher Angaben, die der Werbung in ihrem Gesamtkontext ein verzerrtes Gepräge vermitteln, auch unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zur Begründung einer Verkehrserwartung mit Blick auf eine konkrete Sacheigenschaft führen. Doch werden diese Fälle – im Gegensatz zur überdehnten, rein wettbewerbsrechtlichen Lösung Bernreuthers – nach der hier vertretenen Auffassung (außerhalb des in der Tat wesentlichen Bereichs der „Modellwechsel“-Fälle) eher selten sein, weil ein bloßes Verschweigen fast nie eine derart konkrete Erwartung des Verkehrs bezüglich einer bestimmten Eigenschaft auslösen dürfte, daß eine Einbeziehung in die Beschaffenheitsvereinbarung in Betracht kommt475. Deshalb illuöffentlicher Aussagen des Verkäufers oder Herstellers etwas entnehmen läßt, mit in den Bereich einer rein subjektiven Beschaffenheitsvereinbarung einbeziehen will. Man wird dem aber für die hier interessierenden Fälle mindestens entgegenhalten müssen, daß § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gerade dem verobjektivierenden Kriterium des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB zuzuordnen ist, in dem an sich auch Mertens, aaO., 839, bestimmte objektive Begrenzungen im Sinne des alten Eigenschaftsbegriffs akzeptiert, vgl. zum ganzen näher bei o. Fn. 390 im Zusammenhang der grundsätzlichen Diskussion des Beschaffenheitsbegriffs im neuen Kaufrecht. Vgl. zur konvergierenden Behandlung der Problematik unterlassener Aufklärung im Wettbewerbsrecht und im Rahmen des vorvertraglichen Informationspflichtenprogramms auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB noch ausführlich unten 4. Abschn. C III 1. 473 S. grundlegend für das alte (und übertragbar auf das neue) Recht, BGH NJW 1980, 1097, 1098; BGH NJW 2000, 2018 ff., wo die Eigenschaft als „fabrikneu“ im dem Sinne, daß das betreffende Modell noch unverändert hergestellt werden muß, nach altem Recht sogar als zusicherungsfähige Eigenschaft anerkannt wird, womit sie dem weiteren Eigenschaftsbegriff des § 434 BGB in jedem Falle unterfällt. Im übrigen sind die zivilrechtlich für die rechtliche Relevanz der Bezeichnung „fabrikneu“ entwickelten Maßstäbe jenen des Wettbewerbsrechts, wie etwa in BGH GRUR 1999, 757 ff. – Auslaufmodelle I, durchaus vergleichbar. 474 Vgl. oben I 2. 475 So gilt eben insbesondere bezüglich eines Verschweigens von Einzelheiten über Bestand und Umfang von Garantien in öffentlichen Äußerungen (s. aus dem Wettbewerbsrecht nur beispielsweise OLG Düsseldorf, GRUR 1977, 261; OLG München WRP 1989, 50, 53), daß dieses zivilrechtlich zwar eine Haftung nach § 443 Abs. 1 BGB aus Garantievertrag oder aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung nach sich ziehen kann, aber jedenfalls – gegen Bernreuther – keine Rolle für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB spielen kann (vgl. auch oben im Text); Teil der Beschaffenheitsvereinbarung werden die aufgrund des Verschweigens zu erwartenden Garantieangaben nämlich gerade nicht, s. allgemein zutreffend für die hM Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 23.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
strieren neben den „Modellwechsel“-Fällen nur vereinzelte Beispiele aus der wettbewerbsrechtlichen Judikatur diese Transponierungsmöglichkeit: So ist eine Werbung für den Betrieb im Inland verbotener Fernmeldeanlagen ohne deutlichen dementsprechenden Hinweis als irreführend angesehen worden 476. Unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB wäre eine Aufnahme der Eigenschaft der Legalität des Betriebs im Inland in die Beschaffenheitsvereinbarung anzunehmen, sofern das Verbot in irgendeiner Weise an die physische Beschaffenheit und Funktionsweise der Fernmeldeanlagen anknüpft. Weiter mag die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung zur Entfernung von Kontrollnummern477 auf § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im Einzelfall übertragen werden. Sind die übrigen Voraussetzungen der Norm – insbesondere Relevanz für den Kaufvertragsentschluß des Durchschnittsverbrauchers – erfüllt, kann das Fehlen der Gerätenummer bei Fehlen eines entsprechenden Hinweises in einem Bereich, in dem der Verkehr eine derartige Nummer (als Grundlage von Garantiedienstleistungen oder als Identifikationshilfe für Ersatzteile etc.) erwartet, gegenüber Wiederverkäufern478 und Endverbrauchern479 potentiell einen Sachmangel begründen. Weiter mag im Lebensmittelhandel der fehlende Hinweis auf das abgelaufene Mindesthaltbarkeitsdatum einzelner Waren eine Verkehrserwartung des Käufers hinsichtlich des Nichtablaufs der Verbrauchsfrist begründen, da nach dem Gesamteindruck der Präsentation in einem Supermarkt grundsätzlich frische Waren mit nicht abgelaufener Mindesthaltbarkeit erwartet werden, sofern entsprechende explizite Hinweise an den Regalen fehlen480. Wäre das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen, würde dies demnach einen Sachmangel begründen, was sich in diesem Falle wohl auch schon aus § 434 Abs. 2 Nr. 2 BGB mit Blick auf die übliche Beschaffenheit ergibt. Der Vertrieb eines Reinigungsmittels mit dem Umweltzeichen „umweltfreundlich, weil abwasserentlastend“ ohne den nach den VergabeRichtlinien des Siegels zwingenden Hinweis, daß das Mittel nur in Kombination mit einem Ölabscheider benutzt werden kann, begründet beim Verkehr die Erwartung das Produkt belaste die Umwelt nur unerheblich481. Ist dann bei Benutzung ohne Ölabscheider das Gegenteil der Fall, kann das einen Sachmangel i.S.d. § 434 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BGB begründen. Schließlich begründet eine Werbung für eine Telefonauskunfts-CD, die den Lieferumfang der CD herausstellt, in dem eine Vielzahl von Anwendungsprogrammen enthalten sei, die Erwartung des Verkehrs, bei den werblich angekündigten Programmen handle es sich dann letztlich nicht lediglich um kostenlose und funktionseingeschränkte 476 OLG München, GRUR 1987, 181; s. auch KG GRUR 1991, 690. Zum ganzen Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2. 55 mwN. 477 S. für den Irreführungsaspekt Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.56. 478 BGH GRUR 1988, 461 f. – Radio-Recorder. 479 BGH GRUR 1989, 110, 113 – Synthesizer. 480 S. für den Irreführungsaspekt OLG Köln, GRUR 1988, 920; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.58 mwN. 481 S. aus dem Bereich des Irreführungsverbots OLG Köln GRUR 1988, 630; Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.59.
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Shareware482. Ist die Ankündigung daher hinreichend konkret und fehlt ein entsprechender Hinweis auf beschränkte Funktionalität, kann die dann gegebene Beschränkung gleichfalls unter § 434 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BGB einen Sachmangel begründen, wenn nach dem Gesamteindruck der Werbung aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers voll funktionsfähige Programme erwartet werden konnten. Wie die vorgenannten Beispiele belegen, lassen sich also für gewisse Teilbereiche durchaus die wettbewerbsrechtlichen Grundsätze bezüglich der Irreführung durch Verschweigen in die zivilrechtliche Umgebung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB übertragen. Unerläßliche Bedingung ist aber stets, daß für den Durchschnittsverbraucher aus dem Gesamteindruck der Werbung im Zusammenhang mit dem verschwiegenen Faktum tatsächlich eine Fehlvorstellung hinsichtlich einer konkreten Sacheigenschaft entsteht, über deren Fehlen dann nicht aufgeklärt wird und daß diese Fehlvorstellung hinreichend wichtig ist, um die Kaufentscheidung zu beeinflussen. Es muß mithin – genau wie im Wettbewerbsrecht – nach dem Gesamteindruck der Werbung und nach der Bedeutung der verschwiegenen Eigenschaft eine Aufklärungspflicht des Verkäufers bestehen. Hinzu kommt dann noch die strikte Begrenzung auf konkrete Sacheigenschaften. Insgesamt dürften derartige Fälle dann sehr viel seltener sein, als dies gelegentlich in der Literatur vertreten wurde 483. c. Relevanz der öffentlichen Äußerung: Nichtbeeinflussenkönnen der Kaufentscheidung als Ausschlußgrund Besondere Bedeutung entfaltet die Wertungsparallele zum Wettbewerbsrecht im Zusammenhang mit dem Ausschlußgrund der Irrelevanz der öffentlichen Aussage, die gemäß § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB die Beschaffenheitsvereinbarung dann nicht prägt, wenn sie „die Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte“. Die Einordnung und Interpretation dieser Ausnahmebestimmung, deren Tatbestandsvoraussetzungen vom Verkäufer zu beweisen sind484, hat der rein zivilrechtlichen Dogmatik einige Mühe bereitet. Westermann will unter anderem die Irrelevanz von Übertreibungen, scherzhaften Anpreisungen u.ä. für den Käuferentschluß an dieser Stelle verorten485. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß derartige öffentliche Aussagen sich erstens typischerweise nicht auf konkrete Sacheigenschaften beziehen dürften, so daß der Anwendungsbereich des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB insoweit häufig gar nicht eröffnet sein dürfte und daß sie – zweitens – bei 482 S. BGH GRUR 2000, 76 – Shareware-Version; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.59. 483 S. mit vollkommener Aufgabe der Rückbindung an konkrete Sacheigenschaften Bernreuther, WRP 2002, 368, 370 f. mwN; vgl. auch die nur zum Teil zutreffenden Beispiele in ders., MDR 2003, 63, 68. 484 S. statt aller Palandt-Putzo, § 434, Rz. 38. 485 Müko-Westermann, §434, Rz. 29; ders., NJW 2002, 241, 245.
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normativer Betrachtung jedenfalls schon von vornherein die berechtigten Erwartungen des Käufers nicht prägen, so daß für eine nochmalige Berücksichtigung des Scherz- oder Übertreibungscharakters im Rahmen des Ausschlußgrundes nach § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB gar kein Raum bleibt486; dies umsomehr, als auch die dem Ausnahmecharakter der Vorschrift entsprechende Auferlegung der Beweis- bzw. Vortragslast bezüglich der Irrelevanz auf den Verkäufer für die Behandlung rein übertreibender oder allgemein anpreisender Werbeaussagen gerade nicht interessengerecht wäre487. Die wohl herrschende Meinung sieht in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB eine Art Re-Individualisierungstatbestand488. Der Maßstab der massenhaft geprägten Verkehrserwartung werde durch die Ausnahmevorschrift wiederum den Verhältnissen des konkreten Käufers angepaßt, da dieser nicht schutzwürdig sei, wenn er etwa die in Frage stehende öffentliche Äußerung nicht kannte oder wenn sie für seinen konkreten Verwendungszweck bedeutungslos war489. Die Beweislast hierfür würde der Verkäufer tragen, wobei die herrschende Meinung durchaus zu Recht beobachtet, daß ein derartiger Beweis wohl kaum jemals gelingen dürfte 490. Denn letztlich müßte der Verkäufer dem konkreten Käufer beweisen, daß dieser den Inhalt der öffentlichen Äußerung in keiner Weise (auch nicht durch Hörensagen von Dritten o.ä.) wahrgenommen habe491; ein derartiger Negativbeweis dürfte aber praktisch niemals möglich sein. Immerhin denkbar wäre der Beweis, daß die in Frage stehende Eigenschaft nach dem konkreten Verwendungszweck des Käufers bedeutungslos sei. Doch dürfte auch ein derartiger Beweis bezüglich in der Sphäre des Käufers liegender Umstände äußerst schwer fallen, zumal schon allein 486
So zu Recht auch Weiler, WM 2002, 1784, 1793 gegen Westermann, aaO. S. vielmehr insgesamt oben b (1) und (2). 488 S. etwa Haas, BB 2001, 1313, 1314; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 238; Bamberger/ Roth-Faust, § 434, Rz. 87; Erman-Grunewald, § 434, Rz. 28; zustimmend wohl auch Weiler, WM 2002, 1784, 1793; MüKo-Westermann, § 434, Rz. 29; zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 72 f. 489 Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 238 mwN. Insbesondere der Gedanke, über § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB Sachverhalte zu erfassen, in denen für den individuellen Käufer nach seinem konkreten Verwendungszweck eine bestimmte Sacheigenschaft bedeutungslos ist, geht auf Haas, BB 2001, 1313, 1314 zurück. 490 S. statt vieler Weiler, WM 2002, 1784, 1793 – Anwendungsbereich ausgesprochen klein; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 239 – Nachweis wird nur in seltenen Fällen gelingen; MüKoWestermann, § 434, Rz. 29 – Beweis wird schwierig zu führen sein; ders., NJW 2002, 241, 245; zuletzt differenzierend (rechtlich erhebliches Verständnis der Werbung sei für den Ausschlußtatbestand entscheidend) Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 73. Doch wird man auch die von Tiller (aaO.) beschriebene Situation, der Käufer werde sein konkretes Verständnis der Werbeangabe spätestens in der Klageschrift dahingehend aufdecken, daß er eine bestimmte Werbeangabe wegen bestimmter Vorkenntnisse o.ä. sozusagen „rechtlich unerheblich“, weil anders als der angesprochene Verkehr, mißverstanden habe, nicht als eine typische oder auch nur für die Praxis häufig zu erwartende Fallgestaltung ansehen können. 491 Diese Möglichkeit einer indirekten Kenntnisnahme über Dritte übersieht Das neue Schuldrecht-Haas, § 5, Rz. 116, soweit er es für den Beweis der Unkenntnis ausreichen läßt, daß eine Werbung regional begrenzt war, so daß der Käufer keinen Zugang haben konnte. Ähnlich verkürzt auch MüKo-Westermann, § 434, Rz. 29. 487
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die potentielle Kausalität für den Vertragsschluß innerhalb eines Motivbündels genügt, um das Vorhandensein einer Eigenschaft relevant i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB sein zu lassen492. Folgerichtig billigt die herrschende Meinung – der prekären Beweissituation entsprechend – der Ausschlußvorschrift des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB nurmehr ganz untergeordnete praktische Bedeutung zu493. Die Ansicht der herrschenden Meinung, die § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB demnach in einem sozusagen konkret-individuellen Sinne interpretiert, stößt insofern auf gewisse Zweifel, als – auch mit Blick auf die entsprechende, eindeutige Vorgabe des europäischen Rechts – eine Interpretation, die die Vorschrift angesichts unüberwindbarer Beweisprobleme praktisch bis zur Bedeutungslosigkeit reduziert, schwerlich der Absicht des Gesetzgebers entsprechen kann494. Insbesondere die Interessen des Verkäufers, deren Schutz § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB nach Ansicht auch der herrschenden Meinung dienen soll495, wären damit nicht effektiv berücksichtigungsfähig496. Auch spricht die Systematik des § 434 Abs. 1 BGB eher gegen die Ansicht der herrschenden Meinung. Denn ein konkreter Verwendungszweck des Käufers müßte unter § 434 Abs. 1 Nr. 1 BGB (mindestens konkludent) vereinbart sein. Ist dies nicht der Fall, kann ein tatsächlicher konkreter Verwendungszweck des Käufers diesen nicht binden und schon gar nicht die gewöhnliche Verwendung und übliche Beschaffenheit prägen, auf die allein § 434 Abs. 1 S. 3 BGB sich bezieht497. Damit bliebe für § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB allein der Fall der konkreten Unkenntnis des Käufers von der öffentlichen Äußerung, der praktisch unbeweisbar ist, so daß die Vorschrift letztlich vollends sinnentleert würde. Ein fast vollkommenes Leerlaufen kann aber schwerlich dem Telos des eigens sowohl in Art. 2 Abs. 4 Spiegelstrich 3 VerbrauchsgüterkaufRL als auch in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB angeordneten Ausschlußgrundes der Irrelevanz entsprechen498.
492 Insoweit zutreffend Palandt-Putzo, § 434, Rz. 39; Lorenz/Riehm, Rz. 488; Haas, BB 2001, 1313, 1314; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 239. 493 S. statt vieler die Nachweise o. Fn. 490 (auch zur abweichenden Auffassung der Minderansicht). 494 Die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 Satz 3, läßt die Frage, wie § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB aufzufassen ist, offen und wiederholt lediglich leerformelartig, daß der Verkäufer auch dann nicht haftet, wenn die unzutreffende Werbeaussage „die Kaufentscheidung nicht beeinflussen, also für die Willensbildung des Käufers nicht maßgeblich sein konnte“. Ob dies aber nach einem konkreten oder einem abstrakt normativen Maßstab zu beurteilen ist, bleibt offen. A.A. insoweit Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 238, die der Formulierung der Regierungsbegründung einen Hinweis in Richtung auf eine konkrete Lesart des Kriteriums entnehmen wollen. 495 S. nur Grigoleit/Herresthal, aaO. mwN. 496 Ähnlich Henssler/Graf von Westphalen-Graf von Westphalen, § 434, Rz. 40: die den Verkäufer entlastende Nachweispflicht würde praktisch leerlaufen, dem Verkäufer würden durch eine derartige Interpretation des Ausschlußgrundes „Steine statt Brot“ gegeben. 497 Wie hier Oetker/Maultzsch, S. 47 gegen Haas, BB 2001, 1313, 1314. 498 Ähnlich Henssler/Graf von Westphalen-Graf von Westphalen, § 434, Rz. 40.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Löst man sich einmal von dem (oben widerlegten499) Kurzschluß vom Charakter des § 434 Abs. 1 Nr. 2, S. 3 BGB als Fall einer durch gesetzliche Typisierung im Sinne einer zwingenden Auslegungsregel konkretisierten Beschaffenheitsvereinbarung auf die notwendig vollständige Behandlung der durch öffentliche Äußerungen geprägten (oder eben nicht geprägten) Verkehrserwartung (als einem Element dieser Vereinbarung) nach ausschließlich rechtsgeschäftlichen – auf den Einzelfall bezogenen – Grundsätzen500, so wird deutlich, daß auch eine andere – sozusagen abstraktgenerell typisierte – Sicht des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB in Betracht kommt501. Unter dieser Perspektive ist die Bedeutungslosigkeit (oder Irrelevanz) einer öffentlichen Äußerung für die Kaufentscheidung demnach abstrakt – nach dem Maßstab der massenhaft geprägten Verkehrserwartung und mithin anhand des normativen Verbraucherleitbilds – zu ermitteln502. Dies hat insbesondere die Konsequenz, daß es bezüglich der Frage, ob die betreffende Eigenschaft für den Kaufvertragsabschluß ohne Einfluß war, nicht auf die Sicht des konkreten Käufers, sondern vielmehr auf den normativen Maßstab des Durchschnittsverbrauchers ankommt. Ist eine bestimmte Eigenschaft für den konkreten Käufer von Bedeutung, aus der normativen Perspektive des Durchschnittsverbrauchers jedoch für den Kaufvertragsabschluß nicht von Relevanz, so kommt es allein auf die abstrakt normative Perspektive des Verbraucherleitbilds an503. Umgekehrt kann eine konkrete Bedeutungslosigkeit für den einzelnen Käufer, sofern aus der Sicht des normativen Durchschnittskäufers eine Eigenschaft doch relevant ist, nach dieser Auffassung nicht gemäß § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB dazu führen, daß die in Frage stehende Eigenschaft nicht in die
499
S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) sowie auch (kürzer) oben 1. So insbesondere zu Unrecht Grigoleit/Herresthal, JZ 2993, 233, 238, die im Kriterium der Beeinflussung ein Verbindungsglied zwischen dem objektiven Maßstab der Verkehrserwartung (als einer Konkretisierung des objektiven Empfängerhorizonts) und den Umständen des jeweiligen Einzelfalls sehen. Die Umstände des Einzelfalls sind mit Blick auf einen konkreten Verwendungszweck aber ohnedies nur relevant, wenn eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Nr. 1 BGB mindestens konkludent geschlossen wurde. Damit bliebe als einziger Anwendungsfall für eine Rekonkretisierung die konkrete Unkenntnis des Käufers, die nie zu beweisen wäre. Insofern läuft die Ansicht von Grigoleit/Herresthal, aaO., darauf hinaus, § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB jeder praktischen Bedeutung zu entkleiden, was dem auch nach ihrer Auffassung (s. aaO.) erklärten Ziel der Vorschrift – nämlich auch die Interessen des Verkäufers in bestimmten Fällen zu schützen – gerade zuwiderläuft. 501 Ähnlich wie hier Oetker/Maultzsch, S. 47; Henssler/Graf von Westphalen-Graf von Westphalen, § 434, Rz. 40. 502 Ähnlich wie hier Oetker/Maultzsch, S. 47; Henssler/Graf von Westphalen-Graf von Westphalen, § 434, Rz. 40. Bezüglich des Abstellens auf den Erwartungshorizont des Durchschnittskäufers in Fällen, in denen eine Eigenschaft zwar für den konkreten Käufer relevant, aus der normativen Sicht des Durchschnittskäufers jedoch bedeutungslos ist, auch Huber/FaustHuber, § 12, Rz. 50. 503 Insoweit wie hier auch Huber/Faust-Huber, § 12, Rz. 50, der den abstrakten Maßstab aber sozusagen nur „halbseitig“, nämlich allein zu Lasten des konkreten Käufers heranzieht. Ist für diesen nämlich – genau umgekehrt – eine Eigenschaft bedeutungslos, die aus der normativen Sicht des Durchschnittskäufers für die Kaufentscheidung relevant wäre, so soll es nach Huber, aaO., in diesem Falle allein auf die Sicht des konkreten Käufers ankommen. 500
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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Beschaffenheitsvereinbarung Eingang findet504. Denn die Sicht des konkreten Käufers ist nach der Systematik des § 434 Abs. 1 BGB eben nur zu berücksichtigen, wenn und soweit sie sich in einer mindestens konkludenten konkreten Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 oder § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB niederschlägt505. Ein solcher abstrahierender Ansatz, der auch für § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB einen normativen, an der massenhaften Verkehrserwartung ausgerichteten Maßstab wählt, scheint der Systematik des § 434 Abs. 1 BGB eher zu entsprechen als die re-individualisierende Sicht der herrschenden Meinung. Anders als die herrschende Meinung gestattet er es auch, die Interessen des Verkäufers selbst dann durch Anwendung eines normativen Maßstabs angemessen zu berücksichtigen, wenn der konkrete Käufer der in Frage stehenden Eigenschaft mehr Bedeutung zumißt als dies der leitbildartige Durchschnittkäufer täte. Für den seltenen Fall, daß der einzelne Käufer – da er tatsächlich einmal zugestandenermaßen die öffentliche Äußerung nicht kannte oder aber der betreffenden Eigenschaft keinerlei, nicht einmal potentielle Bedeutung beimißt – führt die hier vorgeschlagene abstrakte Betrachtungsweise allerdings zu einer stärkeren Gewichtung der Käuferinteressen zu Lasten der Interessen des Verkäufers. Doch wird dies vom Gesetz im Sinne des auch verfolgten eigenständigen institutionellen Zwecks der Norm – irreführende Werbung angemessen zu sanktionieren506 – nach der hier vertretenen Auffassung gerade in Kauf genommen. Auch ist der Verkäufer – sofern der konkrete Käufer nicht in irgendeiner Weise konkludent verdeutlicht hat, daß er eine bestimmte öffentliche Aussage nicht kannte oder eine Eigenschaft für ihn konkret bedeutungslos war – insofern nicht schutzwürdig, als er in einem derartigen Falle auf eine solche – für ihn günstige – Sonderkonstellation gar nicht vertrauen durfte. Im übrigen mag in besonders gelagerten Fällen – in denen etwa ein Käufer, für den eine bestimmte Eigenschaft zugestandenermaßen individuell vollkommen bedeutungslos ist, den Kaufvertrag schon von vornherein in der Absicht abschließt, sich dann in der Folge auf Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB auf einen (für ihn gar nicht relevanten) Sachmangel zu berufen, um etwa durch Minderung einen günstigeren Preis zu erzielen – die Geltendmachung der Rechte aus dem Kaufvertrag sich als gem. § 242 BGB 504 A.A. aber insoweit Huber/Faust-Huber, § 12, Rz. 50, der den abstrakten Maßstab des Durchschnittskäufers allein als Korrektiv zu Lasten des konkreten Käufers heranzieht, s. schon o. Fn. 503. 505 Ähnlich Oetker/Maultzsch, S. 47; Henssler/Graf von Westphalen-Graf von Westphalen, § 434, Rz. 40. 506 Jedenfalls in die Vorgabe des europäischen Rechts ist diese institutionelle Zielsetzung untrennbar mit eingewoben (s. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2)); aber auch für das deutsche Recht findet sich eine entsprechende Andeutung in der Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 Satz 3, wenn es (im Zusammenhang mit der zutreffenden Horizontalisierung der Norm auch über den Verbraucherschutzbereich hinaus) heißt: „Der Schutz vor unzutreffenden Werbeaussagen ist zwar in erster Linie ein Anliegen des Verbraucherschutzes…“ (Hervorh. d. Verf.); jedenfalls die mitverfolgte institutionelle Zielsetzung eines Schutzes vor unzutreffenden Werbeaussagen findet sich also in der Regierungsbegründung wieder. Zutreffend gesehen bei Bernreuther, WRP 2002, 368, 370 f.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
unzulässige Rechtsausübung (unter den Aspekten des Fehlens eines schutzwürdigen Eigeninteresses507 und unter Umständen auch des venire contra factum proprium508 oder gar des unredlichen Erwerbs der eigenen Rechtsstellung509) darstellen510. Führt somit die abstrakte Sichtweise im Grundsatz zu interessengerechteren Ergebnissen als die herrschende Meinung und entspricht sie der Systematik des § 434 Abs. 1 BGB und dem doppelten – eben auch institutionellen – Zweck des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB eher als jene, so ist es den (vereinzelten) Vertretern dieser zutreffenden Ansicht in der Zivilrechtsdogmatik511 dennoch bisher nicht gelungen, überzeugende Anwendungsfälle bzw. Leitlinien für einen (demnach notwendigen) abstrakt-typisierten Relevanzmaßstab zu finden. Oetker/Maultzsch bringen für eine Irrelevanz allein das Beispiel einer in nicht gleichwertiger Weise erfolgten Berichtigung einer Werbeaussage, die dann dennoch dem konkreten Käufer zur Kenntnis und zu Bewußtsein gelangt ist. In einem derartigen Falle sei die ursprüngliche öffentliche Aussage für den Käufer im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB bedeutungslos. Dieser Anwendungsfall stellt aber gerade wieder eine Rekonkretisierung dar, wie sie Oetker/Maultzsch in ihrem abstrakt genannten Ansatz – nach der hier vertretenen Auffassung zu Recht – gerade vermeiden wollen. Letztlich bleibt ihr Ansatz zu sehr in der Vertragsrechtsdogmatik verhaftet, um einen überzeugenden normativen Maßstab für eine abstrakte Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der Bedeutungslosigkeit für die Kaufentscheidung zu finden. An dieser Stelle mag aber gerade wieder der Rückgriff auf die entwickelten Maßstäbe des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes helfen, da in diesem wettbewerbsrechtlichen Zusammenhang das Kriterium der Relevanz der Irreführung für den Kaufvertragsabschluß durch die (ursprünglich von den gemeinschaftsrechtlich harmonisierten Bereichen ausgehende) jüngere Rechtsprechung mittlerweile insgesamt als normatives Korrektiv zu weitreichender Irreführungsverbote etabliert ist512. Die entsprechenden aktuellen wettbewerbsrechtlichen Erfahrungen auf die 507 Vgl. (der hier betrachteten Fallgruppe entfernt verwandt) etwa BGHZ 107, 310 – Geltendmachung einer Anfechtungsklausel zu dem Zweck, sich das Anfechtungsrecht abkaufen zu lassen. 508 Vgl. allgemein nur Palandt-Heinrichs, § 242, Rz. 55 ff. mwN. 509 Vgl. allgemein etwa BGHZ 94, 138 – Geltendmachung der Rechte aus einem Vertrag, der unter erkanntem Mißbrauch der Vertretungsmacht oder durch Submissionsbetrug zustande gekommen ist. Vgl. auch Palandt-Heinrichs, § 242, Rz. 42 ff. mwN. 510 Vgl. allgemein nur Palandt-Heinrichs, § 242, Rz. 38 ff. mwN. 511 S. im wesentlichen nur Oetker/Maultzsch, S. 47, sowie insbesondere die zutreffenden Ansätze bei Henssler/Graf von Westphalen-Graf von Westphalen, § 434, Rz. 40. 512 S. aus der ständigen Rechtsprechung des BGH zum alten UWG zuletzt nur BGH GRUR 1995, 125, 126 – Editorial I; BGH GRUR 1995, 610, 611 – Neues Informationssystem; BGH GRUR 1997, 380 – Füllanzeigen; BGH GRUR 1997, 929 – Herstellergarantie; BGH GRUR 1998, 598 – D-Netz-Handtelefon; BGH GRUR 1998, 1043, 1044 – GS-Zeichen; BGH GRUR 2001, 239, 241 – Last-Minute-Reise; BGH GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei; BGH GRUR 2004, 162, 163 – Mindestverzinsung; BGH GRUR 2004, 437, 438 – Fortfall einer Herstellerpreisemp-
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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normativ anhand der Sichtweise eines Durchschnittsverbrauchers zu bestimmende Bedeutungslosigkeit einer bestimmten Eigenschaft der Kaufsache für die Kaufentscheidung zu übertragen, liegt nur zu nahe. Ein entsprechender Denkansatz ist auch in der Tat von Bernreuther entwickelt worden, wobei sich dieser allein auf die Gleichheit der Begriffsbestimmung der Relevanz in der Formulierung des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB im Vergleich zur Definition der Relevanz in der Rechtsprechung zum Irreführungsschutz unter Geltung des alten § 3 UWG (Fehlvorstellungen von maßgeblicher Bedeutung für den Kaufentschluß) stützt513. Ein solches rein grammatikalisches Argument greift allerdings naturgemäß zu kurz. Identisch formulierte Kriterien mögen in unterschiedlichen Regelungszusammenhängen unterschiedliche Bedeutung haben514. Entscheidend ist die jeweilige Funktion des Kriteriums. Nur wenn auch diese übereinstimmt, kommt tatsächlich eine wechselseitige Übertragbarkeit der Maßstäbe in Betracht. Es ist also – über die rein grammatikalische Argumentation Bernreuthers hinaus – doch zu bedenken, daß im Wettbewerbsrecht neben den Interessen der Verbraucher auch die Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit Eingang in die umfassende Interessenabwägung des Irreführungsschutzes finden könnten515, was dem wettbewerbsrechtlichen Relevanzkriterium eine andere, umfassendere Bedeutung geben könnte, als dem Kriterium der Bedeutungslosigkeit in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB, welch letzteres trotz seines selbständigen institutionellen Schutzziels doch ganz schwerpunktmäßig an der Verkehrserwartung der Marktgegenseite und damit wesentlich verbraucherorientiert ist. Anders ausgedrückt: Der Gleichmaßgrundsatz kann an dieser Stelle nur gelten, soweit das Wettbewerbsrecht nicht in größerem Umfang als das Vertragsrecht auch kollektive Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit selbständig berücksichtigt. Dies ist nach dem Grundansatz dieser Studie jedoch nicht leerformelartig zu behaupten, sondern als Abweichung vom Gleichmaßansatz konkret zu belegen. Insoweit ist nun aber zu berücksichtigen, daß das Relevanzmerkmal bisher im deutschen Wettbewerbsrecht – anders als etwa nach der auch insoweit konsequent der Schutzzwecktrias folgenden bisherigen Konzeption der Irrefüh-
fehlung. S. nunmehr auch implizit angedeutet in § 5 Abs. 2 S. 2 UWG, der das Merkmal der Relevanz sozusagen implizit voraussetzt, wenn es heißt, daß „insbesondere die Bedeutung der verschwiegenen Tatsache für die Entscheidung zum Vertragsschluß … sowie die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu berücksichtigen“ seien. s. hierzu der zutreffende Hinweis bei Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.170. Vgl. im übrigen eindeutig das Merkmal der Relevanz aufgreifend auch die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 5 UWG am Anfang: „… und geeignet sind, … und Fehlvorstellungen von maßgeblicher Bedeutung für den Kaufentschluß hervorzurufen“ (Hervorh. d. Verf.). 513 Bernreuther, WRP 2002, 368, 374; kürzer auch ders., MDR 2003, 63, 67 f. 514 S. nur eingehend und insoweit verallgemeinerbar die Ausführungen zum Verhältnis des Begriffs der „Sittenwidrigkeit“ in § 138 BGB im Vergleich zur „Sittenwidrigkeit“ im Sinne des alten UWG unten 4. Abschn. B. 515 Diesen Aspekt für die ältere Rechtsprechung ganz besonders betonend (und kritisierend, daß die entsprechenden Interessenpositionen nicht sauber getrennt und in ihrer Bedeutung aufgedeckt würden) Beater, § 15, Rz. 133 ff., § 22, Rz. 95 ff. mwN.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
rungs-RL516 – trotz der stets betonten grundlegenden Verankerung des Irreführungsschutzes in der Schutzzwecktrias517 – derzufolge hier auch die Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit in einem umfassenden Interessenabwägungsvorgang stets mit zu berücksichtigen wären – explizit im wesentlichen allein auf die Maßgeblichkeit für die Kaufentscheidung der Marktgegenseite bezogen wurde518. Die deutsche Rechtspraxis – insbesondere die neuere Rechtsprechung519 – argumentiert an dieser Stelle mittlerweile auch inhaltlich520 sozusagen „kupiert“ anhand eines essentiell auf die Informationsinteressen der Marktgegenseite bezogenen Leitmaßstabs521. Mitbewerberinteressen finden bis auf wenige Ausnahmefälle522 gerade 516
S. Art. 2 Nr. 2 Irreführungs-RL. S. insoweit aus der Rechtsprechung BGH GRUR 1995, 125, 126 – Editorial I; BGH GRUR 1998, 949, 951 – D-Netz-Handtelefon; BGH GRUR 2001, 239, 241 – Last-Minute-Reise; vgl. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.171 mwN. 518 Dies allerdings (für die ältere Rechtsprechung) als bloßes Scheinkriterium kritisierend, innerhalb dessen sich dann letztlich Aspekte des Konkurrenten- und des Verbraucherschutzes unentwirrbar vermengten Beater, § 15, Rz. 133 ff. und (mit seinem eigenen Gegenentwurf der expliziten Heraustrennung der Investitionsschutzinteressen der Mitbewerber) § 22, Rz. 95 ff. Für die neuere Rechtsprechung wird man dem entgegenhalten müssen, daß mit Ausnahme der noch (in u. Fn. 522) zu nennenden Bereiche die neuere Rechtsprechung nunmehr auch materiell das Relevanzkriterium tatsächlich im wesentlichen nur an den Interessen der Verbraucherseite (mit Blick auf ihre normativ relevante Verkehrserwartung) ausrichtet und die Maßstäbe des Irreführungsschutzes entsprechend liberalisiert hat. S. insoweit noch das Beispiel u. Fn. 519, sowie auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.171; für die neuere Rechtsprechung (seit BGH GRUR 1996, 985, 987 – PVC-frei) ähnlich im übrigen auch Beater, § 15, Rz. 137; die Bedeutung der PVC-frei-Entscheidung für eine offene Abwägung insbesondere der unterschiedlichen Verbraucherinteressen (an umweltbezogener Information einerseits und an Schutz vor Irreführung andererseits) betonend auch Drexl, Selbstbestimmung, S. 582. 519 S. nur das Beispiel BGH GRUR 2001, 239, 241 – Last-Minute-Reise: Der BGH verneint in dieser Entscheidung die Relevanz der Bezeichnung als „Last-Minute-Reise“ für Reisen, die tatsächlich nicht besonders kurzfristig angetreten werden mußten, sondern lediglich aus stark verbilligten Restkontingenten stammten, da – wegen der unstreitig besonders günstigen Preise – den Verbrauchern letztlich kein Schaden entstanden, ihrer Erwartung eines besonders günstigen Angebots entsprochen worden sei. Dies untergewichtet nun in der Tat die eigenständigen Interessen der Mitbewerber, denen durchaus ein Schaden dadurch entstehen kann, daß Verbraucher durch die Anlockwirkung des vermeintlichen „last minute“-Angebots umgeleitet werden und stellt stattdessen allein auf die Interessen der Marktgegenseite als Leitmaßstab auch des Mitbewerberschutzes ab (s. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.191). Der Rekurs auf die Schutzzwecktrias wird an dieser Stelle zur Leerformel. Tatsächlich sind alleiniger Leitmaßstab (auch bezüglich legitimer Mitbewerberinteressen) die Interessen der Marktgegenseite und deren Erwartungen. Dies entspricht dann aber gerade exakt der Schutzrichtung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, weitergehende Interessen werden gerade nicht eigenständig berücksichtigt und somit kann der Gleichmaßgrundsatz insoweit uneingeschränkt Geltung beanspruchen. 520 S. aber insgesamt zu den ursprünglichen Wurzeln des Irreführungsschutzes im Konkurrentenschutzgedanken, die (ohne daß die berücksichtigten Mitbewerberinteressen explizit herausgearbeitet worden wären) zwischenzeitlich zu einer weit ausgreifenderen Anwendung des Irreführungsverbots geführt hatten, die mittlerweile aber weitestgehend korrigiert sein dürfte (s. insoweit die Nachweise in den vorangegangenen Fn. 518 und 519), grundlegend Beater, § 15, Rz. 84 ff. und Rz. 133 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 521 S. zusammenfassend Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.171 mwN; schon in dieselbe Richtung, wenn auch etwas zurückhaltender Beater, § 15, Rz. 137. 522 Deren wesentlichster hier interessierender ist die Werbung mit bloßem Anlockeffekt, die 517
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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insoweit Berücksichtigung, wie sich (für den hier betrachteten Bereich) aus der Täuschung der Verbraucher über ein bestimmtes Leistungsmerkmal Schäden für die Mitbewerber durch Verzerrung des Wettbewerbs aufgrund beeinflußter Kaufentscheidungen sozusagen spiegelbildlich realisieren. Ein solcher, im wesentlichen auf die Verbraucherinteressen als Leitmaßstab „kupierter“ Ansatz, der die Mitbewerberinteressen nur indirekt berücksichtigt, entspricht aber – wie immer man ihn aus wettbewerbsrechtlicher Sicht beurteilen mag523 – gerade der Funktionsweise und Zielrichtung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, so daß die bisherige wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung insofern weitestgehend herangezogen werden könnte, um das Merkmal der Bedeutungslosigkeit für die Kaufentscheidung im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB normativ zu konkretisieren. Um es im Rahmen der hier entwickelten Terminologie auszudrücken: da eine konkrete Abweichung vom Gleichmaßgrundsatz durch Berücksichtigung zusätzlicher Interessenpositionen im wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz jedenfalls bezüglich der Werbung mit – wie dies beispielhaft auch die Regelung des § 5 Abs. 5 UWG zur angemessenen Bevorratung von Sonderangeboten belegt (vgl. zum Schutzzweck nur die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 5 Abs. 4 UWG) – insofern eine relevante Irreführung der Verbraucher begründen kann, als der Verbraucher, der durch das Lockangebot in die Geschäftsumgebung des Werbenden gelangt ist, gegebenenfalls – selbst wenn die anlockende Werbung korrigiert wird oder das beworbene Sonderangebot ausverkauft ist – veranlaßt werden kann, andere Waren zu kaufen. Hat er die diesbezüglichen Kaufentscheidungen frei getroffen, so ist seine Selbstbestimmung allenfalls sehr mittelbar tangiert (s. GroßKomm-Lindacher, § 3 UWG, Rz. 125 f.). Die Relevanz der Irreführung ergibt sich hier deshalb weniger aus dem Verbraucherinteresse – das sich wohl allenfalls sofern der betroffene Verbraucher keine weiteren Käufe tätigt, auf den Ersatz frustrierter Aufwendungen für die Anfahrt, falls ein Sonderangebot o.ä. Lockangebote nicht mehr vorhanden waren, richten könnte (s. dazu noch unten 4. Abschn. C IV 2) –, als vielmehr wesentlich aus dem Interesse der Mitbewerber, vor Umleitungen der Verbraucherseite mit unlauteren Mitteln geschützt zu werden. Die Relevanz von Irreführungen mit bloßem Anlockeffekt im wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz kann daher, soweit sie überhaupt wettbewerbsrechtlich anerkannt wird, jedenfalls unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB nicht zur Verneinung der Nichtbeeinflußbarkeit führen, da sie in der Tat – anders als § 434 Abs. 1 S. 3 BGB – wesentlich auch auf dem Gedanken des Konkurrentenschutzes ruht. Vgl. näher zum ganzen aus wettbewerbsrechtlicher Sicht Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rn. 2.177 und 2.192 ff. Einen weiteren Beispielsfall für die (mindestens auch) schwerpunktmäßige Berücksichtigung von Konkurrentenschutzinteressen im Irreführungsschutz bilden nicht für die Verbraucherentscheidung normativ wesentliche Angaben bezüglich Eigenschaften des anbietenden Unternehmens (s. nur BGH GRUR 1992, 66, 69 – Königlich-Bayerische Weisse mit Anm. Knaak; vgl. für umfassende weitere Nachweise Beater, § 22, Rz. 95 ff. insbes. ab Rz. 100 ff.); diese Fallgruppe ist aber für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ohnedies nicht von unmittelbarem Interesse, da es sich bei derartigen Werbeangaben nicht um Angaben bezüglich einer bestimmten Eigenschaft der Kaufsache handelt, weshalb die entsprechenden Entscheidungen die Heranziehung des Relevanzmerkmals im Rahmen von § 434 Abs. 1 S. 3 HS. 2 Alt. 3 BGB zunächst einmal nicht hindern; vgl. aber unten 4. Abschn. A II 3 zur (zweifelhaften und letztlich in den meisten Fällen wohl ebenfalls zu verneinenden) Berücksichtigungsfähigkeit der diesbezüglichen wettbewerbsrechtlichen Wertungen zur Konkretisierung der Verkehrswesentlichkeit personenbezogener Irrtümer im Rahmen von § 119 Abs. 2 BGB. 523 Kritisch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.171, 2.191 jeweils mwN; kritisch bezüglich der nicht hinreichend sauberen Trennung der Interessen auch Beater, § 15, Rz. 129 ff. und § 22, Rz. 95 ff.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
bestimmten Sacheigenschaften im Vergleich zum ausdrücklich auf die Erwartung der Marktgegenseite ausgerichteten (und ebenfalls institutionelle Zielsetzungen mitverfolgenden) § 434 Abs. 1 S. 3 BGB in der bisherigen wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung gerade nicht belegt werden kann, gilt der Gleichmaßgrundsatz und der Ausschlußgrund der Irrelevanz in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB kann unter Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Beurteilungsmaßstäbe konkretisiert werden. Im Vergleich zu dem bescheidenen Anwendungsbereich, den die Vertreter eines abstrakten Ansatzes in der reinen Zivilrechtsdogmatik ihrem dem Grunde nach zutreffenden Gedanken bisher zubilligen, gestattet dies eine wirkmächtige normative Korrektur einer zu weitreichenden Haftung für öffentliche Äußerungen gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, die die typisierte Einbeziehung derartiger Äußerungen in eine gesetzlich konkretisierte Beschaffenheitsvereinbarung konsequent auf diejenigen Fälle reduziert, in denen das aus Gründen eines normativ verstandenen Verbraucherschutzes auch tatsächlich notwendig ist. Sorgsam ist lediglich darauf zu achten, tatsächlich nur jene wettbewerbsrechtliche Judikatur zum Relevanzkriterium des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes heranzuziehen, die sich auf konkrete Sacheigenschaften bezieht und die auch inhaltlich allein unter Verbraucherschutzgesichtspunkten argumentiert. Wird diese Einschränkung berücksichtigt, so können in dem solcherart abgesteckten Rahmen sowohl die methodischen Ansätze als auch einzelne geeignete Judikate aus dem Wettbewerbsrecht in die Konkretisierung des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB übertragen werden. So ist bei der Prüfung des Ausschlußgrundes gem. § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die öffentliche Äußerung bezüglich einer konkreten Sacheigenschaft eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung für die Kaufentscheidung zentrale oder nur untergeordnete Bedeutung hat524. Ist ersteres der Fall, kommt eine Anwendung des Ausschlußgrundes nicht mehr in Betracht, da dann bei normativer Betrachtung aus der Sicht des Durchschnittskäufers die Eigenschaft die Kaufentscheidung in jedem Fall beeinflussen konnte525. Handelt es sich demgegenüber um eine Eigenschaft von prima facie eher untergeordneter Bedeutung, wofür den Verkäufer die Vortragslast trifft, so ist im einzelnen weiter zu prüfen, ob nach der normativen Verkehrserwartung diese Eigenschaft der Kaufsache für die Kaufentscheidung dennoch zumindest potentiell maßgeblich (relevant) sein konnte, wobei wiederum der Verkäufer die Vortragslast bezüglich der Irrelevanz der Sacheigenschaft trägt. Bei der sich anschließenden Einzelprüfung können sämtliche Umstände des Einzelfalls – insbesondere auch das Verhalten des Werbenden – eine Rolle spielen. Stellt der Werbende selbst eine nach der allgemeinen Erfahrung eher marginale 524 S. für die Prüfungsfolge statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.179 ff. mwN. 525 War der konkret betroffene Käufer dennoch tatsächlich und zugestandenermaßen nicht einmal potentiell durch die öffentliche Äußerung beeinflußbar, so kommt allenfalls in Betracht, ihm auf Grundlage von § 242 BGB die Berufung auf die gesetzlich typisierte Beschaffenheitsvereinbarung zu verwehren. S. insoweit auch schon oben im Text.
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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Eigenschaft in seinen öffentlichen Äußerungen ganz besonders heraus, so bildet dies allein ein gewisses (wenn auch widerlegbares) Indiz für ein korrespondierendes Interesse des Verkehrs an dieser Eigenschaft, welches der Werbende sozusagen vorausgeahnt hat und anzusprechen sucht526. Die Anforderungen an die Vortragslast des Verkäufers zum Beleg des Ausschlußgrundes sind dann noch zusätzlich erhöht. Im Einzelfall mögen auch Verkehrsbefragungen herangezogen werden, um die potentielle Bedeutung einer bestimmten Sacheigenschaft für die Kaufentscheidung des typischen Verkehrsteilnehmers nach Art eines Quorums derjenigen Verkehrsteilnehmer, für die die betreffende Eigenschaft tatsächlich relevant ist, zu ermitteln527. Die Ergebnisse einer derartigen Verkehrsbefragung bilden dann innerhalb der letztlich normativ zu bestimmenden Verkehrshaltung bezüglich der Relevanz der fraglichen Eigenschaft für die Kaufentscheidung jedoch allenfalls nur ein Indiz unter anderen528. Während die vorstehend umrissenen allgemeinen methodischen Rahmenbedingungen der Prüfung des Relevanzkriteriums angesichts der hohen Voraussetzungen der Irrelevanz den Verdacht wecken könnten, eine hieran orientierte Auslegung des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB könnte diesen – im Ergebnis dann ganz ähnlich wie der Ansatz der herrschenden Meinung – ebenfalls zur weitgehenden praktischen Bedeutungslosigkeit reduzieren, so sind dem doch die zahl526 S. allgemein Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.181 unter Hinweis auf BGH GRUR 1992, 66, 69 – Königlich-Bayerische Weisse mit Anm. Knaak; BGH GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei. Die genannten Entscheidungen wären freilich direkt nicht in den Bereich des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB übertragbar, da sie nach der hier vertretenen Auffassung keine werblichen Angaben bezüglich hinreichend konkreter („bestimmter“) Sacheigenschaften im Sinne dieser Norm betrafen. Vgl. auch schon o. Fn. 522. 527 Im Ansatz zutreffend gesehen nur bei Henssler/Graf von Westphalen-Graf von Westphalen, § 434, Rz. 40, der den Bezug zum Wettbewerbsrecht allerdings nicht ausdrücklich herstellt und auch zugunsten einer unklaren Grenzziehung („Nachweis, daß ein ganz überwiegender Prozentsatz des kaufenden Publikums die öffentlichen Erklärungen/Werbungen etc. des Herstellers praktisch als „Firlefanz“ einstuft…“) übersieht, daß auch die Ergebnisse von Verkehrsbefragungen in den größeren Rahmen einer letztlich normativen Beurteilung des Verkehrsverständnisses mit Blick auf die Relevanz einer bestimmten öffentlichen Aussage zu stellen sind. 528 S. statt vieler für die nunmehr herrschende Meinung Hefermehl/Köhler/BornkammBornkamm, § 5, Rz. 2.101 ff., insbes. Rz. 2.105, 2. 107 f. und 2.173 mwN. Sogar für die gänzliche Aufgabe der nach seiner Auffassung insgesamt methodisch fragwürdigen Verkehrsbefragungen Lettl, Irreführende Werbung, S. 183 ff. mwN. Im Rahmen des neuen Verbraucherleitbilds ist jedenfalls die Irreführungsquote – soweit insofern überhaupt noch generalisierende Maßstäbe möglich sind – ganz substantiell anzuheben, vgl. auch BGH GRUR 2004, 162, 163 – Mindestverzinsung, demzufolge selbst in dem sensiblen Bereich der Werbung für Kapitalanlagen jedenfalls eine Quote von 15– 20 % irregeführter Verkehrsteilnehmer nicht genügt (s. dazu auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.106). Damit dürfte für den typischen Fall – ohne besonders zu berücksichtigende Interessenpositionen – die Irreführungsquote nunmehr jedenfalls gegenüber der bisherigen Quote ganz substantiell anzuheben – und wie es (freilich in ihrer Tragweite limitierte) ökonomische Erkenntnisse für den Normalfall nahelegen (s. grundlegend schon van den Bergh/Lehmann, GRUR Int. 1992, 588, 596 f.) – allein an den Bedürfnissen des durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer zu orientieren sein (vgl. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, aaO.: für eine Quote von etwa einem Viertel bis zu einem Drittel der Verkehrsteilnehmer im Regelfall).
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
reichen wettbewerbsrechtlichen Judikate zur Irrelevanz der Irreführung über bestimmte positive Sacheigenschaften beispielsartig entgegenzuhalten, die die Effektivität eines derartigen normativen Korrektivs für die Relevanz der Verkehrserwartung hinsichtlich einer bestimmten Sacheigenschaft recht eindrucksvoll belegen. Diese sämtlichen Entscheidungen können gedanklich auch mutatis mutandis auf die Anwendung des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB übertragen werden. So hat der BGH im Fall Tageszulassung II529 entschieden, daß eine Werbung mit der Angabe „Tageszulassungen mit 0 km“ für ein Fahrzeug, das – ohne Benutzung im Straßenverkehr – tatsächlich sechs Tage zugelassen war, nicht geeignet ist, eine verzerrte Kaufentscheidung herbeizuführen. Entsprechend wurde die Relevanz der Irreführung verneint. Unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB würde in einem entsprechenden Sachverhalt die öffentliche Aussage bezüglich der Tageszulassung nicht Bestandteil der typisierten Beschaffenheitsvereinbarung, da der Ausschlußgrund der Nichtbeeinflussung nach § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB gegeben wäre. Ein ähnlich gelagertes Beispiel bietet die BGH-Entscheidung Skibindungen530, derzufolge eine Werbung für Skibindungen, die die mit diesen Bindungen erzielten Rennerfolge herausstellt, nicht in relevanter Weise irreführend ist, nur weil ein Hinweis darauf fehlt, daß die tatsächlich verkauften Bindungen nicht über vergleichbar harte Federn verfügen, wie die Rennbindungen. Unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB wäre eine derartige öffentliche Aussage – sofern man ihr überhaupt einen Tatsachenkern mit Blick auf die konkrete Eigenschaft „Bindungshärte“ der Kaufsache entnimmt – demnach ebenfalls wegen des Ausschlußgrundes der Nichtbeeinflussung der Kaufentscheidung unbeachtlich. Schließlich wäre – entsprechend der wettbewerbsrechtlichen Entscheidung D-Netz-Handtelefon531 – eine Werbeanzeige für ein bestimmtes Markentelefon, wenn letztlich im Ladengeschäft ein baugleiches Gerät verkauft wird, bei dem zusätzlich die Marken- und Typenbezeichnung der Telekom angebracht ist, unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB jedenfalls wegen Irrelevanz nach § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB unbeachtlich, da die Diskrepanz zwischen Werbung und tatsächlich veräußertem Gerät die Kaufentscheidung nicht in relevanter Weise beeinflussen kann. Zahlreiche weitere Beispiele für die Konkretisierung des Ausschlußgrundes der Nichtbeeinflussung in seinem abstrakten Verständnis durch Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Maßstäbe des Relevanzkriteriums im Irreführungsschutz ließen sich anführen. Schon vorstehende Ausführungen belegen aber, daß das abstrakte Verständnis des Ausschlußgrundes des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB nicht nur der Systematik des § 434 Abs. 1 BGB besser entspricht als der re-individualisierende (konkrete) Ansatz der herrschenden Meinung, sondern auch dem Verkäuferinteresse, nur dann aus § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB in Anspruch 529 BGH GRUR 2000, 914 – Tageszulassung II. Das Beispiel findet sich auch bei Bernreuther, MDR 2003, 63, 68. 530 BGH GRUR 1973, 206, 207 – Skibindungen; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.187. 531 BGH GRUR 1998, 949, 951 – D-Netz-Handtelefon.
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genommen zu werden, wenn das normative Käuferschutzziel der Vorschrift dies unerläßlich erfordert, besser gerecht wird als der konkrete Ansatz, der den Ausschlußgrund für die Rechtspraxis wegen der mit dem Verständnis der herrschenden Meinung verbundenen unüberwindlichen Beweisschwierigkeiten praktisch bis zur Bedeutungslosigkeit reduziert532. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zur Bestimmung der Nichtbeeinflußbarkeit der Kaufentscheidung des Durchschnittskäufers auf die Erfahrungen des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes mit Blick auf das Relevanzkriterium zurückgegriffen wird und wenn die daraus sich ergebenden Limitationen auch für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB konsequent beachtet werden. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Käuferinteressen kann mit diesem Ansatz schließlich schon insofern nicht verbunden sein, als die Limitierung durch das Relevanzkriterium allein den Bereich genuin typisierter Beschaffenheitsvereinbarungen auf Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB (und damit praktisch in erster Linie die Verkäuferhaftung für Äußerungen Dritter) betrifft, während das weite Feld konkludent individueller Beschaffenheitsvereinbarungen (insbesondere für werbliche Äußerungen des Verkäufers selbst bzw. soweit ein minimales Zu-Eigenmachen seitens des Verkäufers bejaht werden kann) weiterhin – nach den in diesem Bereich durchaus schon extensiven Maßstäben des bisherigen Rechts – über § 434 Abs. 1 S. 1 BGB abgedeckt ist533.
532 Auch die unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB problematische Situation des Verkaufs gebrauchter Sachen durch private Verkäufer, für die eine umfassende Haftung für Herstellerwerbeangaben häufig nicht interessengerecht erscheint, läßt sich auf Grundlage des hier vertretenen abstraktnormativen Ansatzes bezüglich der Irrelevanz zielgenau lösen. Denn die meisten Eigenschaften auf die sich werbliche Herstellerangaben bezüglich neuer Sachen beziehen, werden mit zunehmendem Zeitablauf die Kaufentscheidung für einen second hand-Kauf von einem privaten Verkäufer nach der Verkehrsauffassung weniger und weniger beeinflussen können. Etwas anderes mag allenfalls bezüglich bestimmter besonders „langlebiger“ Werbeaussagen gelten, die sich etwa gerade auf die Haltbarkeit der Kaufsache oder auf bestimmte bleibende Eigenschaften beziehen, die nicht dem üblichen Verschleiß unterliegen (vgl. für den Gebrauchtwagenhandel Reinking, DAR 2001, 8, 11). Der abstrakt-normative Relevanzbegriff des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB gestattet hier durch Orientierung am Maßstab der diesbezüglichen Verkehrserwartung in den betreffenden Gebrauchtmärkten gerade die notwendige Differenzierung danach, inwieweit nach der Verkehrsauffassung das Vorhandensein einer bestimmten beworbenen Eigenschaft bei einer gebrauchten Sache überhaupt noch erwartet werden und daher den Kaufentschluß des Gebrauchtkäufers potentiell beeinflussen konnte. Demgegenüber überzeugt die Lösung der wohl herrschenden Meinung (s. Westermann, NJW 2002, 241, 245; Weiler, WM 2002, 1784, 1788), die das vorstehend geschilderte Problem der Notwendigkeit einer Haftungsdifferenzierung beim Verkauf gebrauchter Sachen durch Verweis auf den verobjektivierenden Maßstab der Üblichkeit (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB) lösen will, in dem die Haftung gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB verankert und an den sie deshalb rückgebunden sei, deshalb nicht, weil die Verkehrserwartung gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB den Maßstab der Üblichkeit gerade mit prägt, so daß eine Korrektur über diesen selben Maßstab auf einen unzulässigen Zirkelschluß hinausliefe. S. zutreffend zur Durchsetzung einer abweichenden Verkehrserwartung gegenüber dem objektiven Maßstab der Üblichkeit auch Bernreuther, WRP 2002, 368, 372. 533 S. schon oben 1 mwN.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
d. Gleichwertige Berichtigung der Äußerung als Ausschlußgrund Auch bezüglich des Ausschlußgrundes der gleichwertigen Berichtigung vor Vertragsschluß gem. § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 2 BGB kommt grundsätzlich eine abstrakte oder eine konkrete Lesart in Betracht. In diesem Falle erhellt allerdings die Entstehungsgeschichte der Norm534, daß nach dem Willen des parlamentarischen Gesetzgebers – der im Einklang mit der Richtlinienvorgabe steht 535 – jedenfalls die abstrakte Lesart Vorzug verdient 536.
534 Im ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung fehlte der Ausschlußgrund der Berichtigung noch vollkommen, weil die Bundesregierung diesen Ausschlußgrund als vom Ausschlußgrund der Nichtbeeinflußbarkeit konsumiert ansah, da eine öffentliche Aussage, die so berichtigt sei, daß nach den berechtigten Erwartungen des berichtigenden Verkäufers oder Dritten ein durchschnittlicher Käufer von ihr Kenntnis hätte erlangen müssen, die Kaufentscheidung nicht mehr beeinflussen könne, vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. Auf Initiative des Bundesrates (s. Stellungnahme des Bundesrats (Anlage 2 zu BT-Drs. 14/6857), Nr. 86) wurde die Berichtigung bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses dann als eigenständiger Haftungsausschlußgrund eingefügt und schließlich (nachdem die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung ihre grundsätzliche Zustimmung zur Neuaufnahme dieses Ausschlußgrundes mit der Erklärung verbunden hatte, daß dann jedenfalls ähnlich wie im Presserecht eine Berichtigung der Werbeaussage zu fordern sei, die mindestens so öffentlichkeitseffizient sei, wie die ursprüngliche Werbeaussage, s. Anlage 3 zu BT-Drs. 14/6857, Zu Nr. 86) in den Verhandlungen im Rechtsausschuß noch um die nunmehrige Voraussetzung der „Gleichwertigkeit“ der Berichtigung ergänzt (s. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/7052, Zu § 434 Abs. 1). Stets stand im Hintergrund der Überlegungen aber der ursprüngliche Maßstab aus dem Regierungsentwurf, demzufolge es (jedenfalls bei Fehlen einer ausdrücklichen Berichtigung gegenüber dem einzelnen Käufer) entscheidend darauf ankam, ob ein normativ leitbildartiger Durchschnittskäufer von der Berichtigung hätte Kenntnis erlangen müssen. Die spätere Gegenäußerung der Bundesregierung konkretisierte diesen Maßstab nur durch den Verweis auf das Erfordernis einer vergleichbar publikumseffizienten Berichtigung nach dem Vorbild des Presserechts. Vgl. zur Gesamtentwicklung wie hier auch Weiler, WM 2002, 1784, 1791 f. 535 Vgl. zutreffend Weiler, WM 2002, 1784, 1792. 536 So auch die ganz herrschende Meinung, s. etwa Bernreuther, WRP 2002, 368, 373 f.; ders., MDR 2003, 63, 67; Weiler, WM 2002, 1784, 1792; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 238; Lorenz/Riehm, Rz. 488; Das neue Schuldrecht – Haas, Kap. 5, Rz. 115; Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 86; Erman-Grunewald, § 434, Rz. 27; im Ergebnis auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 70 f. (nach dessen Auffassung der Ausschlußgrund in der Bestimmung der berechtigen Erwartung des Verkehrs ohnedies bereits aufgeht). A.A. (oder zumindest mißverständlich) aber Palandt-Putzo, § 434, Rz. 39: Berichtigung gegenüber dem Käufer (Hervorh. d. Verf.); abweichend auch MüKo-Westermann, § 434, Rz. 28: dem Käufer müsse der Beweis offenbleiben, daß er eine – vom Verkäufer bewiesene – gleichwertige Berichtigung nicht habe zur Kenntnis nehmen können, da den individuellen Käufer, der eine Werbung wahrgenommen habe, keine Erkundigungs- oder Beobachtungspflichten hinsichtlich weiterer öffentlicher Äußerungen träfen (s. ähnlich schon Westermann, NJW 2002, 241, 245); zustimmend Henssler/Graf von Westphalen-Graf von Westphalen, § 434, Rz. 43 f. Eine Gegenbeweismöglichkeit für den Käufer, wie von Westermann, aaO., vorgeschlagen, konterkariert aber gerade den normativen, von der Sichtweise des individuell betroffenen Käufers abstrahierenden Maßstab auch des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 2 BGB, den im Grundsatz auch Westermann, aaO. an etwas früherer Stelle im Text (die berichtigende Äußerung müsse den konkreten Käufer nicht erreicht haben [insoweit dann wiederum konsequenterweise a.A. Graf von Westphalen, aaO., Rz. 44]) anerkennt.
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Es ist also auf Grundlage des normativen Verbraucherleitbilds aus Sicht des durchschnittlichen Mitglieds der angesprochenen Verkehrskreise zu beurteilen, ob eine bestimmte öffentliche Äußerung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in gleichwertiger Weise berichtigt war537. Bezüglich der Gleichwertigkeit der Berichtigung will die herrschende Meinung, die sich hierfür auf entsprechende Hinweise aus der Gesetzgebungsgeschichte der Schuldrechtsreform berufen kann 538, in erster Linie auf die Gleichwertigkeit der Öffentlichkeitswirksamkeit abstellen539; dem ist zuzustimmen. Soweit zur weiteren Konkretisierung des Merkmals der Gleichwertigkeit dann zum Teil – wiederum auch auf Grundlage einer Andeutung in der Entstehungsgeschichte der Norm540 – weiter auf die Grundsätze des presserechtlichen Gegendarstellungsanspruchs verwiesen wird541, wird man derartigen Entlehnungen allerdings mit einer gewissen Vorsicht begegnen müssen. Denn die Grundsätze des presserechtlichen Gegendarstellungsanspruchs (wie er sich in den Pressegesetzen der Länder normiert findet 542), der sich typischerweise gerade gegen das Publikationsunternehmen richtet, welches eine bestimmte den Gegendarstellungsanspruch begründende Tatsachenmeldung in einer Zeitung oder Zeitschrift veröffentlicht hat, sind auf die im Pressebereich vorliegende Situation in kontinuierlicher Abfolge und in der Regel in stets vergleichbarer Form erscheinender Tageszeitungen oder Periodika zugeschnitten. Nur vor diesem Hintergrund erklären sich die vergleichsweise unflexiblen Anforderungen (Abdruck im gleichen Teil, in gleicher Schrift, gegebenenfalls mit Hinweis auf der Titelseite, wenn dies bei der ursprünglichen Meldung der Fall war543) bezüglich der konkreten Erfüllung des Gebots gleichwertiger Publizität. Auf die gleichwertige Berichtigung im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 2 BGB bezüglich Werbeangaben des Herstellers, die ja nicht einmal durch diesen selbst erfolgen muß, sondern auch etwa seitens des Verkäufers erfolgen könnte und die – solange und soweit das Gebot gleichwertiger oder sogar höherer Publizität erfüllt 537 S. insoweit weiterhin valide schon die ursprünglichen Ausführungen in der Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. In der Literatur sehen die Maßgeblichkeit dieses Maßstabs am deutlichsten Bernreuther, WRP 2002, 368, 373 f.; ders., MDR 2003, 63, 67; Weiler, WM 2002, 1784, 1792. 538 S. für die entsprechenden Nachweise aus der Gegenäußerung der Bundesregierung und aus dem Bericht des Rechtsausschusses schon o. Fn. 534. 539 S. im Ansatz praktisch sämtliche Nachweise o. Fn. 536 (mit Differenzierungen in den Einzelheiten). 540 In der Gegenäußerung der Bundesregierung, Zu Nr. 86 der Stellungnahme des Bundesrats, s. schon o. Fn. 534. 541 S. etwa Huber/Faust-Huber, § 12, Rz. 48; wohl auch Bernreuther, WRP 2002, 368, 374: „Gegendarstellungspflicht im Eigeninteresse“. 542 Näher Wenzel, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 2003, 11. Kap. Rz. 9 ff. (S. 665 ff., mit Abdruck sämtlicher Landesgesetze); kurz auch Hefermehl/Köhler/BornkammKöhler, § 9, Rz. 2.5 ff. 543 S. nur beispielsartig § 10 II 1 BayPresseG kurz zusammengefaßt auch bei Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, § 9, Rz. 2.8 mwN.
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ist – jedenfalls dem Wortlaut nach einen weiten Spielraum für die Art und Weise der Darstellung läßt, passen diese Grundsätze nicht ohne weiteres. Man wird vielmehr wiederum die Verkehrserwartung der angesprochenen Verkehrskreise zum entscheidenden Maßstab nehmen müssen. Demnach muß die Berichtigung der öffentlichen Äußerung, um gleichwertig zu sein, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die ursprünglich angesprochenen Verkehrskreise in gleicher Weise und in mindestens gleichwertiger Effektivität durchdrungen haben, wie die ursprüngliche Äußerung544. Die Frage, ob dies der Fall ist, ist nun nach der hier vertretenen Auffassung nicht schematisch, wie im Presserecht zu beantworten, sondern vielmehr im Einzelfall und unter Rückgriff auf das normative Leitbild des durchschnittlichen Mitglieds der angesprochenen Verkehrskreise, das die Medien mit situationsangemessener Aufmerksamkeit verfolgt545. Insofern ist es nicht notwendig, daß eine Berichtigung in genau demselben Medium oder gar in genau derselben Art und Weise erfolgt wie die ursprüngliche Werbung. Vielmehr genügt eine Durchdringung der ursprünglich angesprochenen Verkehrskreise in vergleichbarer Intensität und Frequenz, wie sie die ursprüngliche Äußerung hatte546. Eine Werbeaussage in einer Publikumszeitschrift kann also beispielsweise auch durch wiederholt ausgestrahlte Fernsehspots berichtigt werden und – entsprechende Verbreitung der Zeitschrift vorausgesetzt – potentiell auch umgekehrt 547. Entscheidend ist allein, daß aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers von situationsangemessener Aufmerksamkeit der Eindruck der ursprünglichen irreführen544 Insoweit zutreffend Weiler, WM 2002, 1784, 1792; ähnlich zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 71. 545 Gegen Westermann, NJW 2002, 241, 245, der in der Formulierung dieses Maßstabs die unzulässige Statuierung einer Art „Medienbeobachtungspflicht“ der Käufer sieht. Es geht bei zutreffender Betrachtung jedoch nicht um die Auferlegung einer Obliegenheit, sondern vielmehr nur um die Kehrseite der in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB schon vom Grundsatz her vorgenommenen normativen Typisierung des Empfängerhorizonts betreffend öffentliche Äußerungen, von der die Käufer in den allermeisten Fällen ja profitieren, so daß die Tragung auch entsprechender Nachteile der Typisierung im Rahmen der Ausschlußtatbestände durchaus zumutbar erscheint. Soweit Westermann, aaO., zudem hervorhebt, daß der Gesetzestext auf ein Kennenmüssen nicht abstelle, ist dem entgegenzuhalten, daß demgegenüber die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB (die trotz der Entwicklung der Norm im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens insoweit weiterhin maßgeblich ist, s. o. Fn. 534) durchaus auf einen normativen Maßstab – nämlich den des Durchschnittskäufers – abstellt und damit dem konkreten Käufer, der sich an diesem leitbildartigen Verbrauchermaßstab messen lassen muß, durchaus eine Art normatives Kennenmüssen ansinnt. 546 Am treffendsten formuliert bei Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 238; im Ergebnis ebenso Erman-Grunewald, § 434, Rz. 27 (mit einigen Beispielen); Das neue Schuldrecht-Haas, Kap. 5, Rz. 115. Skeptischer (aber letztlich zutreffend ebenfalls auf die Gleichheit des Aufmerksamkeitswerts und der angesprochenen Publikumskreise abstellend) Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 86; zweifelnd auch MüKo-Westermann, § 434, Rz. 28: Medienwechsel nur in Ausnahmefällen; ders., NJW 2002, 241, 245. Strenger und eine Gleichwertigkeit jedenfalls bei Berichtigung einer Fernsehwerbung durch Anzeigen in einer überregionalen Tageszeitung verneinend Oetker/Maultsch, S. 46 f. 547 S. im Ergebnis ebenso die herrschende Meinung, vgl. die Nachweise (auch zur Minderansicht) in o. Fn. 546.
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den öffentlichen Äußerung nicht mehr andauert. Tatsächlich legt dieses Kriterium – soweit überhaupt Entlehnungen aus angrenzenden Rechtsgebieten zu seiner Konkretisierung notwendig sind – wiederum eher eine Parallele zum Wettbewerbsrecht (nämlich zur Problematik der fortwirkenden Irreführung unter § 5 UWG548), als zu presserechtlichen Gegendarstellungsansprüchen nahe. So läßt sich der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung beispielsweise entnehmen, daß zur Beseitigung der Fortwirkung einer ursprünglich irreführenden Werbung oder Bezeichnung eine entsprechend eindeutige Abstandnahme erforderlich ist 549. Dies leitet bereits über zu der umstrittenen Fragestellung, ob eine gleichwertige Berichtigung im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 2 BGB stets eine Bezugnahme auf die ursprüngliche, unzutreffende öffentliche Äußerung voraussetzt550. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies jedenfalls nicht zwingend der Fall. Vielmehr ist einzelfallorientiert zu prüfen, ob das durchschnittliche Mitglied des angesprochenen Verkehrskreises bei Zugrundelegung situationsangemessener Aufmerksamkeit die neue öffentliche Äußerung dahingehend verstanden hätte, daß die alte Äußerung damit korrigiert werden soll. Dies wird nun – da die Aufmerksamkeit gegenüber werblicher Kommunikation zumal in den Massenmedien typischerweise gering ist – ein deutliches Signal an die Käuferseite voraussetzen, was dann in aller Regel doch zu dem Erfordernis einer eindeutigen Bezugnahme auf die ursprüngliche Aussage führen wird551. Doch ist dies kein Grundsatz ohne Ausnahme und insbesondere kommen auch andere Möglichkeiten der Schaffung gleichwertiger Aufmerksamkeit mit dem Ziel der Überlagerung der ursprünglichen Aussage in Betracht, sofern nur bei situationsadäquater Aufmerksamkeit die Berichtigungswirkung dem Durchschnittskäufer hinreichend deutlich wird 552. Den Käuferinteressen ist dabei durch die Heranziehung des normativen Maßstabs des Durchschnittsverbrauchers stets hinreichend genügt. Zugleich gestattet es aber die Abstandnahme von der Forderung der herrschenden Meinung nach ausdrücklicher Berichtigung, auch im Interesse der Verkäuferseite zu bedenken, daß die kategorische Forderung nach einer Inbezugnahme und ausdrücklichen Richtigstellung der ursprünglichen Werbung den Ausschlußgrund zu Lasten der Verkäuferinteressen wiederum mit kaum überwindbaren Hürden versehen würde, da der durch eine Korrektur drohende Imageschaden sicher viele Hersteller nachhaltig von entsprechenden Berichtigungskampagnen abhielte553. 548
S. allgemein Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.122 f. mwN. S. allgemein BGH GRUR 1963, 589, 593 – Lady Rose; vgl. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.123 mwN. 550 Bejahend die herrschende Meinung, s. nur Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 86; ErmanGrunewald, § 434, Rz. 27; MüKo-Westermann, § 434, Rz. 28; Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 71, jeweils mwN. A.A. Bernreuther, MDR 2003, 63, 67 (mißverstanden und angeführt im Sinne der herrschenden Meinung bei MüKo-Westermann, aaO. [in Fn. 156]); Weiler, WM 2002, 1784, 1792. 551 Das übersieht Weiler, WM 2002, 1784, 1792. 552 Wie hier Bernreuther, MDR 2003, 63, 67; ähnlich Weiler, WM 2002, 1784, 1792. 553 Weiler, WM 2002, 1784, 1792. Daß ein derartiges Interesse, ein etabliertes Image vor 549
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e. Zurechnungsfragen in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und wettbewerbsrechtliche Verantwortlichkeit für fremde Zuwiderhandlungen Auch mit Blick auf Zurechnungsfragen im Rahmen der Informationsverantwortung für öffentliche Werbeangaben, die § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im Ergebnis dem Verkäufer in bestimmten Grenzen durch die typisierte Einbeziehung in die Beschaffenheitsvereinbarung auferlegt, ist der Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Erfahrungen hinsichtlich der Verantwortlichkeit für unmittelbare Rechtsverstöße Dritter vielversprechend. Im Kern liegen insbesondere der Abgrenzung der relevanten Urheber öffentlicher Äußerungen in personaler Hinsicht (insbesondere der Konkretisierung des Gehilfenbegriffs), aber auch dem Haftungsausschluß des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB (Nichtkennenmüssen des Verkäufers) Zurechnungsfragen bezüglich der Verantwortung für von Dritten verbreitete werbliche Information zugrunde, wie sie sich im Wettbewerbsrecht zum Teil vergleichbar stellen. (1) Urheber der öffentlichen Äußerung Gemäß § 434 Abs. 1 S. 3 BGB muß die öffentliche Äußerung vom Verkäufer, Hersteller i.S.d. § 4 Abs. 1 und 2 ProdHaftG oder ihren554 Gehilfen stammen. Dies zieht schon den Begriff des Herstellers ausgesprochen weit (und weiter als nach der Richtlinie notwendig555), da demnach nicht nur öffentliche Äußerungen der Hersteller (sowie Importeure und Quasihersteller) der Kaufsache selbst, sondern auch der Hersteller (Importeure und Quasihersteller) der in der Kaufsache verarbeiteten Grundstoffe und Teilprodukte für die Prägung der Verkehrserwartung bezüglich der Beschaffenheit der Kaufsache in Betracht kommen556. Allerdings Schäden durch den öffentlichen Widerruf einmal getätigter Aussagen zu wahren, rechtlich durchaus eine gewisse Legitimität beanspruchen kann, lehrt in diesem Falle auch das – wenn auch nur entfernt vergleichbare – Beispiel des wettbewerbsrechtlichen Widerrufsanspruchs (als Teil des Beseitigungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 S. 1 UWG): denn auch in diesem Zusammenhang ist es anerkannt, daß das Interesse des Schuldners, nicht aufgrund der Auferlegung der Widerrufspflicht einen schwerwiegenden Imageschaden zu erleiden, in die Interessenabwägung der Interessen beider Parteien mit einzustellen ist, vgl. nur Teplitzky, Ansprüche und Verfahren, § 26, Rz. 10 (S. 324 f.) mit umfassenden weiteren Nachweisen. 554 Nämlich trotz der insoweit mißverständlichen Gesetzesfassung sowohl der Gehilfen des Herstellers als auch der Gehilfen des Verkäufers. So zu Recht Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 78; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 237; zustimmend nunmehr auch Oetker/Maultzsch, S. 45. 555 S. für den Herstellerbegriff der Richtlinie, der nur die Hersteller und Importeure der Verbrauchsgüter selbst, nicht aber die Hersteller von Grundstoffen und Teilprodukten umfaßt, Art. 1 lit. d Verbrauchsgüterkauf-RL. 556 S. nämlich § 4 Abs. 1 ProdHaftG. Das Problem wurde in der Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, noch übersehen. S. dazu kritisch schon die Stellungnahme des Bundesrats (Anlage 2 zu BT-Drs. 14/6857), Nr. 85, wo die Streichung der Verweisung auf das Produkthaftungsgesetz vorgeschlagen wurde, da es andernfalls zu einer im Vergleich mit der Konzeption der Richtlinie unangemessenen Haftungserweiterung komme. Demgegenüber dann durchaus be-
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wird man an dieser Stelle gerade unter Rückgriff auf das hier vertretene abstraktnormative Verständnis des Ausschlußgrundes der Nichtbeeinflußbarkeit der Kaufentscheidung (Relevanz) zu einer sinnvollen Haftungsbegrenzung gelangen können: Demnach ist die Haftung für öffentliche Angaben nur dann gegeben, wenn werbliche Äußerungen der Hersteller von Grundstoffen oder Teilprodukten sich zugleich auch auf konkrete Eigenschaften der Kaufsache beziehen 557 und wenn sie außerdem aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds der angesprochenen Verkehrskreise bezüglich der Kaufentscheidung für das Endprodukt überhaupt von relevanter Bedeutung sind558. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist eine Haftung des Verkäufers auch durchaus interessengerecht, da er dann von der Werbung der Hersteller der Grundstoffe oder Teilprodukte auch bezüglich des Absatzes der Kaufsache profitiert hat559. Probleme bereitet der Zivilrechtsdogmatik darüber hinaus die Auslegung des Gehilfenbegriffs, der im Gesetz nicht definiert ist 560. Einigkeit besteht jedenfalls, daß weder der Begriff des Verrichtungsgehilfen i.S.d. § 831 BGB561 noch die Stellvertretungsregeln562 oder der Begriff des Erfüllungsgehilfen i.S.d. § 278 BGB563 in wußt für die Haftungserweiterung die Gegenäußerung der Bundesregierung, Anlage 3 zu BTDrs. 14/6857, Zu Nr. 85. Vgl. zum ganzen auch Weiler, WM 2002, 1784, 1788 f. 557 Dies übersieht Weiler, WM 2002, 1784, 1789, wenn er eine erhebliche Haftungserweiterung fürchtet, die abgesehen von den Ausnahmetatbeständen der Berichtigung und der Irrelevanz unvermeidlich sei. 558 S. näher oben c. Ein Beispiel, das Weiler, WM 2002, 1784, 1789, bringt, sind die Werbekampagnen bestimmter Hersteller von Automobilkomponenten. Werden etwa von entsprechenden Herstellern öffentliche Äußerungen über einen bestimmten Reifentyp oder ein ABS-System gemacht, die zudem aus Sicht des Durchschnittskäufers erkennbar gerade in seinem Autotyp eingebaut sind und sich demnach zugleich auf konkrete Eigenschaften der Kaufsache beziehen, kommt eine Haftung des Automobilverkäufers auf Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB in Betracht. 559 So auch die Gegenäußerung der Bundesregierung, Anlage 3 zu BT-Drs. 14/6857, Zu Nr. 85. Zweifelnd allerdings Weiler, WM 2002, 1784, 1789, da dies dem Verkäufer eine Marktbeobachtungspflicht auferlege, die letztlich alle für den Erwartungshorizont eines Käufers prägende Werbeangaben (auch bezüglich Teilprodukten und Grundstoffen) mit erfasse. Doch ist eben auch diese Marktbeobachtungspflicht strikt auf diejenigen öffentlichen Äußerungen begrenzt, die sich auf konkrete Eigenschaften des Endprodukts beziehen und die zudem (aus der Sicht der normativen Verkehrserwartung) auch die Kaufentscheidung für das Endprodukt beeinflussen können. Derartige öffentliche Äußerungen, die schon aus Sicht des allgemeinen Verkehrs einen hinreichend klaren Bezug zur Kaufsache haben, mit zu beobachten, ist aber jedenfalls auch dem Verkäufer zuzumuten. Ähnlich übrigens (wenn auch in anderem Zusammenhang) Bernreuther, MDR 2003, 63, 67: „…was der Käufer kennen kann, muß in der Regel der Weiteroder Letztverkäufer kennen…“. 560 Vgl. zuletzt auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 61 ff. 561 Die § 831 BGB immanente Beschränkung auf weisungsabhängige Verrichtungsgehilfen wäre schon deshalb nicht übertragbar, weil eine entsprechende Limitierung in Art. 2 Abs. 2 lit. d Verbrauchsgüterkauf-RL (ebensowenig wie im übrigen in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB) gerade nicht enthalten ist. S. zutreffend Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 237. 562 S. zutreffend schon die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. 563 Für den typischen (und von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gerade anvisierten) Fall der Herstellerwerbung fehlt es ja gerade an einer Sonderverbindung zwischen dem Käufer und dem Urheber
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diesem Bereich anwendbar sind. Im übrigen herrscht in der Zivilrechtsdogmatik derzeit noch eine gewisse Unklarheit, wobei sich als kleinster gemeinsamer Nenner herauszukristallisieren beginnt, daß von einer Gehilfeneigenschaft einer dritten Person jedenfalls nur dann gesprochen werden kann, wenn diese Person mit Wissen und Wollen des Herstellers oder des Verkäufers gehandelt hat564. Richtigerweise ergibt sich dieses Ergebnis schon aus dem Sphärengedanken, der mit hinter der durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB angeordneten Verantwortlichkeit des Verkäufers für bestimmte öffentliche Äußerungen Dritter steht565. Nur soweit deshalb das Handeln Dritter zumindest in irgendeiner Form in der Einflußsphäre des Verkäufers veranlaßt wurde, besteht überhaupt eine Veranlassung, insoweit eine Verantwortlichkeit gerade des Verkäufers vorzusehen 566. Hierfür spricht aus Sicht der grammatikalischen Auslegung auch bereits die Bedeutung des Begriffs „Gehilfe“, die schon nahelegt, daß es sich insofern in irgendeiner Form um Hilfspersonen des Herstellers oder Verkäufers handeln muß, als dieser sie zur öffentlichen Äußerung von Tatsachen zumindest bewußt eingeschaltet haben muß567. der öffentlichen Äußerung. S. zutreffend etwa Westermann, NJW 2002, 241, 245; Weiler, WM 2002, 1784, 1789; Oetker/Maultzsch, S. 45; MüKo-Westermann, § 434, Rz. 26; Jauernig-Berger, § 434, Rz. 16. 564 So auch die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. S. im übrigen aus der Literatur für die im grundsätzlichen Ergebnis weitestgehend einige herrschende Meinung Weiler, WM 2002, 1784, 1789; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 237; Huber/Faust-Huber, Rz. 43; Oetker/ Maultzsch, S. 45; Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 78; MüKo-Westermann, § 434, Rz. 26. A.A. aber Henssler/Graf von Westphalen-Graf von Westphalen, § 434, Rz. 37. 565 Vgl. in allgemeinerem Zusammenhang mit Bezug auf den Beschaffenheitsbegriff des § 434 BGB Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 63 ff. Vgl. näher auch schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2). 566 Demgegenüber nicht überzeugend die abweichende Begründung bei Weiler, WM 2002, 1784, 1789, der die Begrenzung auf durch den Hersteller veranlaßtes Handeln Dritter wiederum aus dem cuius commodum eius periculum-Grundsatz ableiten will und insoweit anführt, der Verkäufer profitiere von einer nicht vom Hersteller veranlaßten Werbung deshalb nicht „zielgerichtet“, weil diese typischerweise andere Ziele verfolgen werde als die Absatzförderung beim Verkäufer, die daher allenfalls eine Art Nebeneffekt sei. Auf die Intention des Dritten kommt es für den Profit des Verkäufers aber schwerlich an, zumal die Kategorie eines „zielgerichteten Profitierens“ von Handlungen Dritter rechtlich ohne Relevanz ist. Insbesondere aber versagt Weilers Ansatz, wenn der Dritte im Einzelfall tatsächlich einmal das Ziel verfolgen sollte, den Warenabsatz zu fördern, wie dies durchaus denkbar ist (Beispiel: ein Verein zur Förderung gesunder Kinderernährung möchte den Absatz eines bestimmten neuartigen Bio-Kinderbreis fördern, wovon dessen Verkäufer durchaus plangemäß profitieren). In einem solchen Fall müßte nach Weiler konsequenterweise der Verein „Gehilfe“ i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB sein. Dies ist aber ersichtlich kein interessengerechtes Ergebnis, da weder Verkäufer, noch Händler in der Absatzkette oder der Hersteller eine wie auch immer geartete Kontroll- oder Einflußmöglichkeit haben. Entscheidend ist und bleibt daher der Sphärengedanke: ein ungesteuertes Handeln Dritter mag dem Verkäuferabsatz nutzen, es entstammt jedoch nicht der Verkäufersphäre (selbst wenn diese – wie durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB geschehen – im weitesten Sinne nach vorn in die Absatzkette bis hin zum Hersteller ausgedehnt wird); aus diesem Grunde ist eine Verkäuferhaftung nicht interessengerecht. 567 S. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB.
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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Hinsichtlich bestimmter sich aufdrängender Einzelfragen – etwa bezüglich der Fragen, inwieweit auch weitgehend unabhängig handelnde Dritte (z.B. Testinstitute etc.) als „Gehilfen“ anzusehen sind568 und ob der Hersteller/Verkäufer die konkrete Äußerung veranlaßt haben muß oder ob es genügt, wenn er allgemein den Gehilfen zur Erstellung und Verbreitung öffentlicher Aussagen eingeschaltet hat569 – herrscht in der Zivilrechtswissenschaft noch Streit. Verdeutlicht man sich, daß es bei der Auslegung des Gehilfenbegriffs i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im Kern um die Frage geht, inwieweit sich der Hersteller/ Verkäufer die Prägung einer bestimmten Verkehrsauffassung im wettbewerblichen Massenverkehr durch Dritte zurechnen lassen müssen, so wird erkennbar, daß bezüglich dieser offenen Fragestellungen – wie auch im grundlegenden Ansatz – durchaus ein Rückgriff auf die sonderdeliktsrechtlichen Grundsätze der wettbewerbsrechtlichen Verantwortlichkeit für Wettbewerbsverstöße Dritter, insbesondere auf die diesbezügliche Sonderregelung in § 8 Abs. 2 UWG, in Betracht kommt570. Denn einerseits geht es um die Verantwortung für eine quasideliktische Handlung im Massenverkehr – und nicht um ein Handeln im Rahmen einer schuldrechtlichen Sonderverbindung – und andererseits ist der Verrichtungsgehilfenbegriff des allgemeinen Deliktsrechts aus § 831 BGB ersichtlich zu eng571. Demgegenüber entspricht der Gehilfenbegriff des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB nach der (in beiden Fällen den werblichen Massenverkehr betreffenden) Regelungsumgebung und nach den den jeweiligen Normen zugrundeliegenden Wertungsgesichtspunkten (Bedürfnis des Verletzten, nicht auf Ansprüche gegen Hilfspersonen beschränkt zu sein; Korrespondenz von Nutzenziehung und Informationsverantwortung; Sphärengedanke)572 und damit letztlich nach dem Normzweck gerade der Regelung der Haftung des Unternehmensinhabers für die Handlungen von Mitarbeitern oder Beauftragten in § 8 Abs. 2 UWG. Die diesbezügliche wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung kann daher für die Auslegung des Gehilfenbegriffs in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB fruchtbar gemacht werden573. Dem568
Vgl. MüKo-Westermann, § 434, Rz. 26 mwN. Soweit sich (über die Nennung von Beispielen) zu dieser Frage konkrete Stellungnahmen finden, ist die Meinung geteilt, s. für die Auffassung, daß allgemeine Einschaltung genügt, zuerst Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 237; Oetker/Maultzsch, S. 45; wohl auch Medicus, Schuldrecht II, , § 74, Rz. 47 (S. 20): Werbeagentur als Gehilfe; noch weitergehend anscheinend Henssler/ Graf v. Westphalen-Graf v. Westphalen, § 434, Rz. 37; a.A. wohl Weiler, WM 2002, 1784, 1789: es müsse sich um Werbeaussagen handeln, die der Hersteller veranlaßt hat; ähnlich MüKo-Westermann, § 434, Rz. 26: konkrete Äußerung müsse auf den Willen des Herstellers oder der sonst in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Urheber zurückzuführen sein; Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 78: Zurechenbarkeit der Äußerung entscheidend; zustimmend Reinicke/Tiedtke, Rz. 331. 570 Insoweit wie hier zuletzt auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 62 ff. (insbes. S. 65 f.). 571 S. insoweit schon die Nachweise o. Fn. 561. 572 Vgl. für § 8 Abs. 2 UWG grundlegend Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 2.33; ders., GRUR 1991, 344, 345 f. 573 Zutreffend gesehen bei Bernreuther, MDR 2003, 63, 67; insoweit ebenso zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, aaO. 569
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
nach sind – neben weisungsabhängigen Mitarbeitern574 – insbesondere all diejenigen dritten Personen als „Beauftragte“ i.S.d. § 8 Abs. 2 UWG auch „Gehilfen“ i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, die für den Hersteller oder Verkäufer aufgrund eines vertraglichen oder anderen Verhältnisses tätig werden und die in die betriebliche Organisation im weitesten Sinne575 dergestalt eingegliedert sind, daß erstens der Erfolg ihrer öffentlichen Äußerungen jedenfalls auch dem Hersteller oder Verkäufer zugute kommt und daß zweitens dem Hersteller oder Verkäufer ein bestimmender Einfluß auf die Verbreitung der öffentlichen Äußerungen eingeräumt ist576, wobei es ausreicht, wenn Hersteller/Verkäufer sich einen derartigen Einfluß jedenfalls sichern könnten und müßten577. Soweit diese personalen Voraussetzungen vorliegen, wird dann vom Verkäufer für die öffentlichen Äußerungen dieser Dritten auch dann gehaftet, wenn deren konkreter Inhalt nicht vom Hersteller oder Verkäufer veranlaßt wurde. Auf dieser konzeptionellen Grundlage kann wiederum – insbesondere hinsichtlich der personalen Grenzziehung des Gehilfenbegriffs – die wettbewerbsrechtliche Einzeljudikatur für die Auslegung von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB als Anhaltspunkt mit herangezogen werden. So sind – um aus der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur zum bisherigen § 13 Abs. 4 UWG a.F. (nunmehr § 8 Abs. 2 UWG) nur einige Beispiele herauszugreifen 578 – etwa Handelsvertreter579, Vertragshändler580, Franchisenehmer581, Werbeagenturen582 sowie auch werbende Personen der Zeitgeschichte („Werbestars“)583 als Gehilfen i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB anzusehen, nicht jedoch beispielsweise unabhängige Händler584 oder unabhängige Testinstitute585, bei denen es an der Voraussetzung des potentiell bestimmenden Einflusses des Herstellers (oder Verkäufers) auf die öffentlichen Äußerungen gerade fehlt.
574
Vgl. insoweit Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 2.39 f. Zur Betriebsorganisation in diesem weiten (funktionalen) Sinne gehören dann aber auch solche Unternehmensfunktionen, die aus dem Betrieb ausgegliedert und gänzlich auf andere Unternehmen übertragen sind, s. OLG München WRP 2002, 358, 359; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 2.44 mwN. 576 BGH GRUR 1963, 438, 439 f. – Fotorabatt; BGH GRUR 1964, 263, 267 – Unterkunde; BGH GRUR 1990, 1039, 1040 – Anzeigenauftrag; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 2.41 mwN. 577 BGHZ 28, 1, 12 – Buchgemeinschaft II; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 2.41. 578 S. ausführlicher zum ganzen Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 2.45 mwN. 579 BGH GRUR 1971, 119, 120 – Branchenverzeichnis. 580 BGH aaO. 581 BGH GRUR 1995, 605, 607 – Franchise-Nehmer. 582 BGH GRUR 1973, 208, 209 – Neues aus der Medizin; BGH GRUR 1991, 772, 774 – Anzeigenrubrik. 583 Henning-Bodewig, GRUR 1982, 202, 204. 584 OLG Frankfurt/M., GRUR 1987, 549, 550. 585 Vgl. auch Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952, 954. 575
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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(2) Haftungsprivilegierung für den Verkäufer bei Nichtkennenmüssen Auch der Ausschlußgrund des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB (Unkenntnis586 und Nichtkennenmüssen) betrifft im Kern die Grenzziehung der Verantwortlichkeit des Verkäufers für öffentliche Aussagen Dritter, wenngleich diese hier in die Form eines vom Verkäufer zu beweisenden Ausnahmetatbestandes gegossen ist587. Mit dem Maßstab der nicht zu vertretenden Unkenntnis („und auch nicht kennen mußte“) der öffentlichen Aussagen 588 ist nach der allgemein zivilrechtlichen Legaldefinition des § 122 Abs. 2 BGB589 die Meßlatte einfacher Fahrlässigkeit i.S.d. § 276 Abs. 2 BGB angelegt 590. Fraglich ist allerdings, woran das Maß der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in diesem Falle hinsichtlich des Umfangs und der Intensität der demnach im Prinzip bestehenden Marktbeobachtungsobliegenheit591 des Verkäufers ausgerichtet werden soll 592. Unzweifelhaft ist jedenfalls zwischen privaten Verkäufern und gewerblichen Verkäufern zu unterscheiden 593: 586 S. dazu (und zu den diesbezüglichen Beweisproblemen des Negativbeweises bezüglich nicht vorhandener Kenntnis) nur Henssler/Graf v. Westphalen-Graf v. Westphalen, § 434, Rz. 39 f.; kritisch auch schon Schäfer/Pfeiffer, ZIP 1999, 1829, 1834. 587 S. insoweit statt aller Palandt-Putzo, § 434, Rz. 38. 588 Nach dem klaren Gesetzeswortlaut bezieht sich der Maßstab des Kennenmüssens dabei lediglich auf die Kenntnis von der tatsächlichen öffentlichen Aussage eines Dritten als solcher, also nicht etwa auf eine Kenntnis bezüglich deren Wahrheitsgehalts. Denn bezüglich der „Richtigkeit“ der fremden öffentlichen Aussage trifft den Verkäufer nach der Wertung des Gesetzes – sofern er eine fremde Werbeaussage einmal tatsächlich kennt oder kennen muß – in jedem Falle die volle Verantwortung. 589 S. statt aller Das neue Schuldrecht-Haas, § 5, Rz. 114. 590 S. nur Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. Die Verbrauchsgüterkauf-RL stellt in Art. 2 Abs. 4 1. Spiegelstrich darauf ab, ob der Verkäufer „vernünftigerweise“ von der öffentlichen Äußerung Kenntnis haben konnte. Damit dürfte in der Sache aber ebenfalls der Maßstab einfacher Fahrlässigkeit angesprochen sein (zweifelnd aber Weiler, WM 2002, 1784, 1791; offengelassen bei Huber/Faust-Huber, § 12, Rz. 47.), jedenfalls trifft auch nach der Konzeption der Richtlinie den Verkäufer eine Pflicht, sich über die Werbung der Hersteller und Vertreter (entsprechend den „Gehilfen“ i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB) zu informieren, deren Produkte er vertreibt (s. zutreffend Grundmann/Bianca-Grundmann, Art. 2, Rz. 41 mwN). 591 Mit dieser dogmatischen Einordnung zu Recht Weiler, WM 2002, 1784, 1791 gegen Hoffmann, ZRP 2001, 347, 348. Weiler, aaO., übersieht allerdings, daß sich auch im Rahmen dieser grundsätzlich zutreffenden Einordnung der verkehrsüblich sorgfältigen Marktbeobachtung des Verkäufers als Obliegenheit durchaus insofern von verkehrsbezogenen Sorgfaltspflichten sprechen läßt, als diese notwendig sind um den Maßstab einfacher Fahrlässigkeit nach § 276 Abs. 2 BGB zu konkretisieren. 592 Vgl. auch Weiler, aaO.: Marktbeobachtungsobliegenheit in ihrem Umfang schwer zu bestimmen. 593 Die einfachste Differenzierungsvariante (gewerbliche Händler einerseits, private Verkäufer gebrauchter Sachen andererseits) findet sich etwa bei Oetker/Maultzsch, S. 46. Zwischen Fachhandel und sonstigem gewerblichem und nichtgewerblichem Handel differenziert ErmanGrunewald, § 434, Rz. 25, wobei nur den Fachhandel eine Beobachtungspflicht bezüglich fremder werblicher Äußerungen treffen soll; zwischen gewerblichen Käufern im allgemeinen (die eine Beobachtungspflicht treffen soll) und kleinen und mittleren Unternehmen (bei denen jedenfalls keine Pflicht zur Beobachtung auch ausländischer Fach- oder Werbeorgane bestehen
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Während den privaten Verkäufer grundsätzlich keine Marktbeobachtungsobliegenheit trifft594 (so daß der Fahrlässigkeitsvorwurf allenfalls greift sofern eine Werbung derart massiv publiziert wurde, daß sie schon bei lebensüblicher Aufmerksamkeit auch für einen privaten Verkäufer unübersehbar war), zählt es für gewerbliche Verkäufer (jedenfalls im Fachhandel bzw. für große Handelsketten) zur im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, einschlägige Werbungen der in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Urheber bezüglich der von ihnen vertriebenen Produkte umfassend zu beobachten, soweit dies mit irgend angemessenem Aufwand möglich ist595. Um diesen – immer noch unbestimmten – Sorgfaltsmaßstab für gewerbliche Verkäufer näher zu konkretisieren, bietet sich auf den ersten Blick wiederum die Parallele zu wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen, in diesem Fall zum Maßstab der Prüfungspflichten im Bereich der wettbewerbsrechtlichen Störerhaftung an 596. Allerdings ist die Vergleichbarkeit des jeweiligen Pflichtenmaßstabs in diesem Bereich mit einer gewissen Vorsicht zu beurteilen. Zwar geht es in beiden Fällen wesentlich um das Ausmaß von Prüfungs- und Beobachtungspflichten bezüglich fremder Handlungen im Wettbewerb597. Während die wettbewerbsrechtliche Störerhaftung aber im Ausgangspunkt – auf zweifelhafter dogmatischer Grundlage598 – die Versoll) differenzierend Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 233, 238. Eine Art Synthese dieser beiden Differenzierungsansätze und damit der bisher differenzierteste Ansatz findet sich bei Das neue Schuldrecht-Haas, § 5, Rz. 114 und im Anschluß daran Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 85: keine Beobachtungspflicht (bzw. ganz geringe Anforderungen) bei Privatpersonen, umfassende Beobachtungspflicht bei Vertragshändlern, im übrigen (bei „normalen“ gewerblichen Händlern) einzelfallabhängiger Maßstab je nach Wert der Ware, Bedeutung im Sortiment und Visibilität der Werbung. Wiederum etwas anders differenzierend MüKo-Westermann, § 434, Rz. 27: umfassende Beobachtungspflicht des Vertragshändlers und der „Kaufhauskette“, die ein Produkt zum Weiterverkauf bestellt; keine Beobachtungspflicht privater Verkäufer oder derjenigen Händler, die ein bestimmtes Produkt nur einmalig auf besondere Bestellung beschaffen und veräußern. Wie selbst der vorstehende unvollständige und verkürzte Überblick belegt, erscheinen die bisherigen personenabhängigen Differenzierungsansätze in der Literatur – über die weitestgehend anerkannte grundlegende Differenzierung zwischen gewerblichen und nichtgewerblichen Verkäufern hinaus – noch sehr im Beispielhaften verhaftet und wenig berechenbar. S. aber für einen (gerade wieder „wettbewerbsrechtlich inspirierten“) Versuch, die Differenzierung nach der Verkäufersituation ansatzweise zu verobjektivieren und damit im Interesse der Rechtssicherheit vorhersehbarer zu machen, unten im Text (bei u. Fn. 604). 594 Diese gebotene Differenzierung übersieht nur Weiler, WM 2002, 1784, 1791. 595 S. im Grundsatz praktisch sämtliche Nachweise o. Fn. 593. 596 Zu verkürzt und deshalb genaugenommen unzutreffend Bernreuther, WRP 2002, 368, 373: Maßstäbe, die für die Begründung der Störerverantwortlichkeit im Wettbewerbsrecht gelten; vgl. auch ders., MDR 2003, 63, 67. Begründet ist die Haftung im Rahmen des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB nämlich grundsätzlich bereits, so daß die Prüfungspflichten mehr im Sinne ihrer klassischen Funktion als Begrenzungsmaßstab (so insbesondere im Immaterialgüterrecht, s. nur BGH WRP 1999, 211, 212 – Möbelklassiker; BGH WRP 1999, 1045, 1048 – Räumschild), nicht zur Ausdehnung der Haftung, herangezogen werden. S. näher sogleich im folgenden Text. 597 Jedenfalls öffentliche Äußerungen in der produktbezogenen Werbung gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB dürften stets Wettbewerbshandlungen darstellen. 598 S. für eine Zusammenfassung der diesbezüglichen Kritik in der Literatur Hefermehl/ Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 2.15 ff. mwN.
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antwortlichkeit für fremde Wettbewerbsverstöße über die deliktsrechtlichen Kategorien der Anstiftung und Beihilfe hinaus auch auf ohne wettbewerbsrechtliche Täterqualifikation handelnde Dritte ausdehnt599, geht es in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB allein um die ausnahmsweise Begrenzung einer durch diese Norm im Grundsatz schon begründeten Verantwortlichkeit des Verkäufers 600. Soweit allerdings „Prüfungs- und Beobachtungspflichten“ im Wettbewerbsrecht (aufgrund der einmal etablierten aber zweifelhaften Störerhaftung) und insbesondere im Immaterialgüterrecht (wo angesichts der insoweit für jedermann bestehenden Täterqualifikation von vornherein eine andere Ausgangssituation besteht601) dazu dienen, eine an sich gegebene Verantwortlichkeit einzuschränken, falls es an der Zumutbarkeit der zur Kenntniserlangung erforderlichen Prüfungs- und Kontrollaktivitäten des Betroffenen fehlt602, lassen sich die in diesem Zusammenhang von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (insbesondere einzelne branchen-, produkt- und bedeutungsabhängige Differenzierungsansätze) als Gedankenanstöße für mögliche Differenzierungen auch bei der Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs unter § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1, 122 Abs. 2, 276 Abs. 2 BGB heranziehen. Einzelne Ableitungen dieser Art finden sich bei Bernreuther603, wenn er zur Konkretisierung des Umfangs der Sorgfaltspflicht zur Marktbeobachtung und Nachforschung darauf abstellt, ob die Pflicht zur Kenntniserlangung der Werbung in einem unangemessenen Verhältnis zu den aufzuwendenden Kosten oder der aufzuwendenden Zeit steht und diesen Zumutbarkeitsmaßstab weiter danach ausdifferenziert, welchen Umsatzanteil bzw. Umsatzzuwachs der Verkäufer aufgrund der fremden öffentlichen Aussage zu erwarten hat und ob sich die betreffende Werbeaussage auf ein besonders sensibles, für die angesprochenen Verkehrskreise überragend wichtiges Schutzgut (also etwa: besonders intensive Marktbeobachtungspflicht des Verkäufers, soweit es um gesundheitsbezogene Aussagen bezüglich der von ihm vertriebenen Waren geht) bezieht. Insbesondere der Verweis auf den Vergleich zwischen Kosten für eine zumutbare Marktbeobachtung und Umsatzanteil des Verkäufers aus dem Vertrieb der betroffenen Waren weist in die richtige Richtung. Hier lassen sich auch die in der zivilrechtlichen Literatur bereits vorgeschlagenen604, bisher aber in der Diskussion von einer gewissen Beliebigkeit geprägten Differenzierungen nach der Art der Verkaufssituation (also etwa geringere Nachforschungspflicht auch des gewerblichen Verkäufers, wenn er eine
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S. insgesamt Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 2.12 ff. mwN. Das übersieht Bernreuther, WRP 2002, 368, 373. 601 S. Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 2.17 mwN. 602 Vgl. etwa BGH GRUR 1997, 313, 315 – Architektenwettbewerb; BGH WRP 1997, 1059, 1061 – Branchenbuch-Nomenklatur; BGH WRP 2001, 1305, 1307 f. – ambiente.de; BGH WRP 1999, 211, 212 – Möbelklassiker; BGH WRP 1999, 1045, 1048 – Räumschild. S. aus der Literatur die Darstellungen bei Teplitzky, Ansprüche und Verfahren, Kap. 14, Rz. 10 ff. (S. 178 ff.); Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 8, Rz. 2.13, 2.17 f., jeweils mwN. 603 S. insoweit Bernreuther, MDR 2003, 63, 67. 604 S. o. Fn. 593. 600
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von ihm sonst nie vertriebene Ware auf Nachfrage des Käufers beschafft hat605) in einen methodisch sinnvollen und ansatzweise verobjektivierbaren Rahmen bringen. Auf dieser Grundlage dürfte sich ein etwas weiterreichender Anwendungsbereich für den Ausschlußgrund des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB ergeben, als dies die herrschende Meinung im Zivilrecht bisher vertritt606. An der Tatsache, daß ein Händler normale Publikumswerbung in den einschlägigen Medien in der Regel kennen muß, ändert aber auch dieser kostenorientiert konkretisierte Sorgfaltsmaßstab für die Obliegenheit zu verkehrsüblicher Marktbeobachtung nichts607. So wird es insgesamt auch auf Grundlage des hier vertretenen Ansatzes und mithin trotz der Heranziehung wettbewerbs- und immaterialgüterrechtlicher Differenzierungsansätze hinsichtlich des Umfangs der verkäuferseitigen Beobachtungspflichten bei einer vergleichsweise begrenzten Bedeutung dieser Entlastungsmöglichkeit für den Verkäufer bleiben.
4. Rechtstatsächlich zu erwartende Bedeutung der hier vorgeschlagenen Lösung und des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB insgesamt in einzelnen Handelsbereichen Die Regelung der Erfüllungshaftung des Verkäufers für fremde Werbeangaben, selbst wenn diese in keiner Weise konkludent in den individuellen Kaufvertrag einbezogen wurden, sah sich von Beginn an dem Verdacht ausgesetzt, hier drohe eine nur sehr schwer abschätzbare und potentiell nicht interessengerechte Ausdehnung der Verkäuferhaftung608. Insbesondere die hier vorgeschlagene Orientierung der relevanten Verkehrserwartung bezüglich bestimmter Eigenschaften der Kaufsache am Verständnis eines Durchschnittsverbrauchers im Sinne der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung – also eines situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers – ist mit dem Argument abgelehnt worden, da es sich bei der Mehrzahl der Kaufverträge um Massengeschäfte des täglichen Lebens handle (für die demnach ein geringerer Aufmerksamkeitsgrad der Verbraucher zugrundezulegen sei), drohe 605
S. MüKo-Westermann, § 434, Rz. 28 mwN. Insoweit herrscht – trotz aller (wenn auch im beispielhaften verharrenden) Differenzierungsversuche – im Ergebnis große Skepsis bezüglich eines nennenswerten Anwendungsbereichs für § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB vor. Die Tendenz geht dahin, zumindest für gewerbliche Verkäufer nur ganz ausnahmsweise ein Nichtkennenmüssen zu akzeptieren, s. nur statt vieler Tonner, BB 1999, 1769, 1771; Westermann, JZ 2001, 530, 533; Weiler, WM 2002, 1784, 1791; Huber/Faust-Huber, § 12, Rz. 47; Oetker/Maultzsch, S. 46; Erman-Grunewald, § 434, Rz. 25. Demgegenüber im Rahmen seiner genuin vertragsrechtlichen Sicht (im Ergebnis zutreffend) für einen nicht zu strengen Sorgfaltsmaßstab Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S.72. 607 S. auch Bernreuther, MDR 2003, 63, 67. 608 S. statt vieler nur Boerner, ZIP 2001, 2264, 2266 f.: erhöhte Belastung des Letztverkäufers; Westermann, NJW 2002, 241, 245: „Weg …, von dem … nicht ganz abzusehen ist, wohin er führen wird…“; Weiler, WM 2002, 1784, 1793: Erweiterung der Verkäuferhaftung in ganz erheblicher Weise. 606
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hierdurch eine erhebliche Haftungserweiterung für den Verkäufer 609. Dagegen wurde bereits eingewandt, daß eine derartige Sicht im Grundsatz zu unidimensional ist, da die wechselseitige Annäherung der Maßstäbe – soweit sich wettbewerbsrechtlicher Irreführungsschutz und § 434 Abs. 1 S. 3 BGB überschneiden – eher nach Art einer Wechselwirkung dazu führen wird, daß sich die Maßstäbe im Wettbewerbsrecht weiter auf dem durch die Rechtsprechung des BGH mittlerweile eingeschlagenen Weg liberalisieren („Schaukeltheorie“). Insbesondere aber hält vorstehend angedeutete Analyse einer rechtstatsächlichen Überprüfung nicht stand. Zwei Gründe lassen vielmehr – beinahe umgekehrt – erwarten, daß § 434 Abs. 1 S. 3 BGB keine übermäßig (jedenfalls keine unangemessen) große Bedeutung in der Rechtspraxis erlangen wird. Erstens ist der Rückschluß vom Massencharakter der Mehrzahl der Kaufverträge auf den unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB typischerweise zugrundezulegenden Maßstab situationsspezifisch geringer Aufmerksamkeit in unzulässiger Weise verkürzt. Die richtige Fragestellung muß vielmehr lauten, in welchen Branchen und bezüglich welcher Produktkategorien überhaupt die Werbung dadurch gekennzeichnet ist, daß sie in nennenswerter Weise auf objektive Angaben bezüglich bestimmter Produkteigenschaften zurückgreift, die zudem typischerweise zum Spielfeld irreführender Werbemethoden werden. Wählt man die Perspektive so, zeigt sich ein deutlich anderes Bild610. Typischerweise ist Werbung mit Blick auf Massengeschäfte des täglichen Lebens im Verhältnis zum Letztkäufer nämlich hauptsächlich auf den Preis – der keine bestimmte Sacheigenschaft darstellt – und auf die Vermittlung eines bestimmten Images ausgerichtet, so daß der Anwendungsbereich des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB in den allermeisten Fällen von vornherein nicht eröffnet ist: Dies gilt insbesondere im Bereich der Werbung für Nahrungsmittel sowohl seitens der großen Lebensmitteldiscounter (Preisgünstigkeit steht im Mittelpunkt, Problem daher eher die Verfügbarkeit bestimmter Sonderangebote 611) als auch seitens der Hersteller (dann steht typischerweise die Etablierung der Marke durch allgemeine Imagewerbung im Vordergrund). Gleichermaßen gilt im Bereich der Werbung für Textilien jedweder Art sowie (mit Einschränkungen) auch für den Massenvertrieb von (geringwertigeren) Möbeln wiederum, daß sich die Werbung der großen Handelsketten – jedenfalls soweit sie in irreführungssensible Grenzbereiche gerät – im wesentlichen auf die Preisgünstigkeit der Angebote bezieht und wettbewerbsrechtliche Streitfälle sich dementsprechend eher um irreführende oder sonst unzulässige Preiswerbung und insbesondere um die mangelnde Verfügbarkeit bestimmter Sonderangebote ranken als um (wohl allenfalls nur selten zu beobachtende) irreführende Angaben bezüglich konkreter Sacheigenschaften612. Auch die 609 Weiler, WM 2002, 1784, 1790. S. zu dieser zu verkürzten Sichtweise schon die Kritik in o. Fn. 411. 610 S. den verdienstvollen Ansatz einer rechtstatsächlichen Analyse bei Bernreuther, WRP 2002, 368, 376 ff. 611 S. dazu noch unten 4. Abschn. C IV 2. 612 S. aber zum alten Recht die bekannt gewordene Trevira-Entscheidung BGHZ 48, 118 =
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Werbung der Hersteller in diesen Branchen verwendet eher selten konkret sacheigenschaftsbezogene Angaben, wobei zumal im Modebereich dann noch mehr als im Lebensmittelbereich die Etablierung eines bestimmten Markenimages ganz im Vordergrund steht. Soweit es um den Verkauf höherwertiger Konsumgüter, wie insbesondere hochwertigere Möbel, elektronisches Gerät und Neufahrzeuge geht, wandelt sich allerdings das Bild. Insbesondere und ganz eindeutig der Fahrzeughandel ist durchaus von intensiver Publikumswerbung auch bezüglich bestimmter Sacheigenschaften der beworbenen Kraftfahrzeuge gekennzeichnet613. Ähnliches gilt für die Werbekampagnen der großen Elektronikmärkte und Computerhersteller sowie (mit gewissen Einschränkungen) auch im Möbelhandel, wo sich in der Tat in den Werbekampagnen der großen Möbelhäuser – soweit sie etwas höherpreisige Produkte betreffen – dann häufig auch Angaben bezüglich konkreter Sacheigenschaften (Material, Herstellung, Maße) der beworbenen Möbel finden. Diese sämtlichen Bereiche, in denen also tatsächlich in nennenswerter Weise auch konkrete Sacheigenschaften zum Gegenstand der Werbung werden, zeichnen sich aber dadurch aus, daß es sich hierbei typischerweise (mit der teilweisen Ausnahme des Möbelhandels und des Vertriebs von Elektronikprodukten) bereits um den Vertrieb höherpreisiger Verbrauchsgüter handelt, deren Anschaffung für die Käufer einen gewissen Investitionscharakter hat. In diesen Bereichen ist dann aber nach dem neuen situationsspezifischen Verbraucherleitbild des BGH auch von einer situationsadäquat höheren Aufmerksamkeit bei der Wahrnehmung der Werbung auszugehen, als dies mit Blick auf die erstgenannten reinen Massengeschäfte des täglichen Lebens der Fall ist614. Die Anfälligkeit der Verbraucher für blickfangmäßig verkürzende Angaben o.ä. ist daher in diesen Bereichen deutlich niedriger anzusetzen, was den Anwendungsbereich des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB entsprechend reduziert. Der zweite Grund für die nach der hier vertretenen Auffassung zu erwartende vergleichsweise geringe Bedeutung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB außerhalb NJW 1967, 1903, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine konkludente Einbeziehung bestimmter öffentlicher Äußerungen des Herstellers mit Blick auf eine ganz spezifische Textilimprägnierung allein aufgrund der Verwendung der Marke „Trevira“ annahm. S. näher Teichmann, JuS 1968, 315, 320 (mit einer Kritik) und Jorden, S. 155 (mit zustimmender Tendenz), sowie auch schon o. 2.Kap. 3.Abschn. Fn. 537. 613 Nicht umsonst entstammen die weitestentwickelten Ansätze des alten deutschen Rechts, über die konkludente Einbeziehung von Werbeangaben in den Kaufvertrag zu einer Art Haftung für Werbeangaben Dritter zu gelangen, gerade diesem Bereich. S. nur BGHZ 132, 55 = NJW 1996, 1337; BGH NJW 1997, 2590, jeweils betreffend Äußerungen eines Pkw-Herstellers über den Treibstoffverbrauch der Fahrzeuge, vgl. auch oben 1 sowie oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e. Weitere Beispiele für typische Angaben bezüglich konkreter Sacheigenschaften von Kfz finden sich bei Reinking, DAR 2001, 8 ff.; Hermanns, ZfS, 2001, 437, 438. 614 S. allerdings zu gewissen Problemen, zu denen die medienbezogene Differenzierung des Aufmerksamkeitsgrads des Durchschnittsverbrauchers führen könnte, wie sie der BGH zumindest in Fällen „dreister Lüge“ seinem situationsdifferenzierten Verbraucherleitbild zugrundegelegt hat, und zur (möglichen) Lösung dieser Probleme schon die Überlegungen in o. Fn. 411.
3. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit eigenständiger Ordnungsfunktion
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der gerade genannten (recht klar umgrenzbaren) höherpreisigen Produkt- und Handelsbereiche liegt darin, daß mit Blick auf Massengeschäfte des täglichen Lebens – sofern hier tatsächlich einmal konkret sachbezogen und unzutreffend geworben wird, was ja wenn auch nicht typischerweise so doch durchaus häufiger der Fall sein mag – die aus einer unzutreffenden Eigenschaftsangabe resultierende Abweichung zwischen Sollbeschaffenheit und Ist-Beschaffenheit derart geringwertig sein dürfte, daß mit der Geltendmachung entsprechender Ansprüche seitens der Käufer in nennenswertem Umfang rein rechtspraktisch nicht zu rechnen ist. Die Durchsetzung der kaufvertraglichen Ansprüche, die sich in diesem Falle auf Grundlage der durch § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB typisierten Beschaffenheitsvereinbarung ergeben könnten, wird nämlich typischerweise schon an deren Bagatellcharakter scheitern 615. Insbesondere aber zielt § 434 Abs. 1 S. 3 BGB für die Massengeschäfte des täglichen Lebens am typischen Schutzbedarf der Verbraucher auch mindestens teilweise vorbei. Denn das in diesen Bereichen in der Praxis hauptsächlich bestehende Problem irreführender Preiswerbung, insbesondere bezüglich zeitlich begrenzter Lockangebote, die dann nicht in ausreichender Menge vorgehalten werden, wird durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gerade nicht gelöst616. Insgesamt dürfte die Vorschrift damit – nicht zufällig – nur in denjenigen Bereichen ihre zur Verwirklichung interessengerechter Kaufvertragsabschlüsse im modernen Wirtschaftsverkehr durchaus berechtigte Bedeutung entfalten, in denen schon bisher die deutsche Rechtsprechung dem rechtspraktischen „Druck“ auf entsprechende Lösungen durch an immer geringere Voraussetzungen geknüpfte Bejahung konkludenter Einbeziehung der Angaben Dritter in den konkret geschlossenen Kaufvertrag am weitestgehenden nachgegeben hatte 617. Außerhalb dieser Bereiche dürfte der Vorschrift eher das Schicksal des entfernt vergleichbaren § 13a UWG a.F. drohen, der ein Rücktrittsrecht des Abnehmers vorsah, wenn er durch eine unwahre und zur Irreführung geeignete Werbeangabe i.S.d. § 4 UWG a.F. zum Kaufvertragsabschluß bestimmt worden war618. Der Tatbestand ähnelte in seiner dogmatischen Struktur (unwahre irreführende Werbung als Voraussetzung, Wesentlichkeit der Angabe für den angesprochenen Adressatenkreis, Einbeziehung der Werbeangaben Dritter, wenn der Rücktrittsgegner die Unwahrheit kannte oder kennen mußte oder sich die Werbung mit der Angabe zu eigen gemacht hatte) durchaus dem neuen § 434 Abs. 1 S. 3 BGB619. Die Norm ist 615 Ganz allgemein bieten die Eichstrich-Entscheidungen des BGH (s. BGH GRUR 1983, 451 – Ausschank unter Eichstrich I; BGH GRUR 1987, 180 – Ausschank unter Eichstrich II) Beispiele für eine sogar systematische Nutzung derartiger Durchsetzungsdefizite im individuellen Fall und die ergänzende Rolle, die das Wettbewerbsrecht bei von vornherein geplanter systematischer Nutzung der Durchsetzungsschwäche einzelner Verbraucher bezüglich ihrer Gewährleistungsrechte (und der demnach sich ergebenden Irreführung der Verbraucher) spielen kann. 616 S. insoweit noch unten 4. Abschn. C IV 2. 617 S. soeben o. Fn. 613 sowie näher schon oben 1 und oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e. 618 S. ausführlicher zu dieser im Zuge der UWG-Reform gestrichenen Vorschrift zuletzt noch Alexander, S. 64 ff. mit umfassender Darstellung der (vollkommen vereinzelt gebliebenen) Rechtsprechung zu § 13a UWG a.F. 619 Auf die Parallele weisen zutreffend insbesondere Weiler, WM 2002, 1784, 1793 f. und
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
jedoch von praktisch fast vollkommener Bedeutungslosigkeit geblieben620, was in der Rechtswissenschaft auf die strengen Tatbestandsvoraussetzungen (nur unwahre irreführende Werbung), die hohe Komplexität des Tatbestandes und die letztlich zu starre, nicht interessengerechte Rechtsfolge zurückgeführt wurde621. Zu bedenken ist aber auch, daß die Vorschrift eben typischerweise Bagatellfälle betroffen haben dürfte, so daß sich genau das gleiche praktische Durchsetzungsproblem, wie es nun teilweise für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zu erwarten ist, auch im Rahmen des § 13a UWG gestellt hat. Die vereinzelte wettbewerbsrechtliche Judikatur622 zu § 13a UWG gibt sogar Anlaß zu Zweifeln, ob bezüglich eines derartigen Rücktrittsrechts zum Schutz der Willensbildungsfreiheit623 überhaupt eine nennenswerte tatbestandliche Lücke im Zivilrecht jemals vorhanden war, die § 13a UWG hätte schließen können. Denn praktisch sämtliche der unter § 13a UWG gerichtsnotorisch gewordenen Fälle hätten – sogar nach Lage des alten Rechts624 – ohne weiteres auch mit den herkömmlichen Instrumenten des BGB interessengerecht gelöst werden können625. Es ist also durchaus die Annahme berechtigt, daß an dieser Stelle stets mehr eine rechtspraktische Durchsetzungslücke, als eine tatbestandliche Lücke im System des Zivilrechts klaffte. Die dieser Durchsetzungslücke zugrundeliegende Bagatellproblematik hatte aber § 13a UWG nicht einmal im Ansatz gelöst und demselben Grundproblem wird künftig für den Bereich der Massengeschäfte des täglichen Lebens auch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ausgesetzt sein. Anders als im Falle der situationsspezifischen verbraucherschützenden Widerrufsrechte, läßt sich das Durchsetzungsproblem auch nicht sinnvoll durch die Anordnung von Informationspflichten lösen, da der Anspruch der Verbraucher nicht vergleichbar typisiert ist wie die unabdingbaren und in ihrem Anwendungsbereich strikt typisierten Widerrufsrechte, sondern sich – wenn überhaupt die Voraussetzungen vorliegen – in stets unterschiedlichem Umfang erst auf Grundlage der konkreten öffentlichen Äußerung entwickelt. Alexander, S. 201 f. (dort insbesondere bezüglich der Verantwortung für Angaben Dritter) hin. 620 Trotz der weitreichenden Parallelen zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB (mit zum Teil fast identisch formulierten, jedenfalls funktionsgleichen Tatbestandsmerkmalen) war es daher in vorstehendem Teil nicht sinnvoll möglich, auf die wettbewerbsrechtlichen Erfahrungen und insbesondere die Rechtsprechung zu § 13a UWG zur Konkretisierung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zurückzugreifen. Denn insoweit liegt unter § 13a UWG schlicht keine ausreichende Rechtsprechung vor, um klare Konturen für eine Anwendung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ausmachen zu können; daher war der Rückgriff auf die wettbewerbsrechtlichen Beurteilungskriterien aus dem Irreführungsschutz geboten. 621 S. statt vieler zuletzt Alexander, S. 68 f.; Weiler, WM 2002, 1784, 1793 f. Die diesbezüglich frühe und skeptische Prognose von Köhler, JZ 1989, 262 („Besser als nichts“, es bleibe „abzuwarten, ob die Regelung ‚angenommen‘ wird, nämlich ob sich die Wirtschaft darauf einstellt und ob Verbraucher von ihr Gebrauch machen“, wobei eine solche Akzeptanz durch „zahlreiche Zweifelsfragen“ erschwert werde), ist durch die nachfolgende rechtstatsächliche Entwicklung der Norm eindrucksvoll bestätigt worden. 622 S. nur OLG Nürnberg, GRUR 1990, 141 – Alarmanlage; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1990, 875 – Top-Existenz; OLG Düsseldorf, OLGR 1992, 316 (nur Leitsatz); OLG Zweibrücken, NJW-RR 1997, 175 f. – Absorbierende Wasserschutzkissen. Mit einer Zusammenfassung der Rechtsprechung Alexander, S. 66 ff. 623 S. die zutreffende dogmatische Einordnung bei Weiler, WM 2002, 1784, 1794. 624 S. zur Haftung aus culpa in contrahendo gem. §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB für vorvertragliche Informationspflichtverletzungen des Verkäufers oder Dritter nach neuem deutschen Recht noch unten 4. Abschn. C. 625 S. im einzelnen die zutreffende Darstellung bei Alexander, S. 66 ff. mwN; ähnlich im Ergebnis Beater, § 28, Rz. 48.
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Zu einer schwer abschätzbaren Überdehnung der Haftung der Verkäufer für Werbeangaben Dritter wird die Norm daher nach aller Voraussicht nicht führen; ihr Anwendungsbereich begrenzt sich vielmehr durch die Limitierung auf Werbeangaben hinsichtlich bestimmter Eigenschaften im wesentlichen von selbst auf diejenigen Bereiche des Geschäftsverkehrs (bezüglich etwas höherpreisiger Verbrauchsgüter mit Investitionscharakter), in denen eine derartige Haftung interessengerecht ist. Ist einmal ein Anspruch – was deutlich seltener der Fall sein dürfte – im Bereich der Massengeschäfte des täglichen Lebens entstanden, so wird er zudem aus den genannten Gründen wohl kaum massenhaft geltend gemacht werden, was an dieser Stelle unter der Perspektive des ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung eher die Problematik der Verbesserung der prozessualen Durchsetzungsmöglichkeiten für Bagatellansprüche aufwirft 626, als das Problem einer unangemessenen Überdehnung der unternehmerischen Haftung.
D. Zwischenfazit Der in dieser Studie entwickelte Gleichmaßgrundsatz zwischen Vertrags- und Wettbewerbsrecht und das verbraucherschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip in seiner Kombination mit dem ordnungspolitischen Gebot effektiver Rechtsdurchsetzung wirken sich bezüglich der Regelungen der besonderen Vertriebsformen und der Neuregelung des Kaufrechts – insbesondere der typisierten Einbeziehung der durch Werbeangaben geprägten Verkehrserwartung in die Beschaffenheitsvereinbarung – durchaus unterschiedlich aus. Dies bedarf des kurzen Vergleichs und einer Erklärung. Im Bereich der besonderen Vertriebsformen gibt das Verbrauchervertragsrecht mit seinem typisiert situationsspezifisch angeknüpften Rahmen zwingenden Rechts, der die Selbstbestimmung der Verbraucher im wesentlichen durch von Informationspflichten abgesicherte Widerrufsrechte vor Verzerrungen des Entscheidungsprozesses und der Entscheidungsgrundlage sichert, die normative Wertung vor. Dieser Regelungsrahmen, der nicht länger allein dem Individualschutz dient, sondern zugleich wettbewerbsbezogene Verkehrssicherungspflichten institutionellen Charakters für den Wettbewerb in den geregelten Bereichen etabliert, ist – soweit die typisierte Wertung reicht – aufgrund des Gleichmaßgrundsatzes durch das Wettbewerbsrecht zu akzeptieren und insbesondere nicht durch faktische wettbewerbsrechtliche Totalverbote 627 zu unterlaufen. Dies gilt deshalb, weil die Selbstbestimmung der Verbraucher – auch und gerade bezüglich der Frage, ob und inwieweit sie bestimmte besondere Vertriebsformen überhaupt wünschen – 626
S. dazu noch unten 5. Abschnitt. Im Sinne eines Erfordernisses individueller Einwilligung (opt in), welches Unternehmer im Ergebnis wegen der praktischen Undurchführbarkeit einer vorherigen Anfrage mit angemessenem Rücklauf in weiten Bereichen wirtschaftlich gänzlich am Angebot besonderer Vertriebsformen hindern würde. 627
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
durch den zwingenden gesetzlichen Rahmen des Verbrauchervertragsrechts mit seinen Informationspflichten und Widerrufsrechten im Grundsatz aus normativer Perspektive gesichert ist. Dieser gesetzliche Rahmen räumt den Verbrauchern nicht nur Widerrufsrechte ein, sondern sichert deren Ausübung auch durch entsprechende Informationspflichten. Möglich wird dies durch die vergleichsweise starre Typisierung des Anwendungsbereichs der Widerrufsrechte. Die an dieser Stelle bei den Verbrauchern verbleibende Initiativlast hinsichtlich der Ausübung der Widerrufsrechte und die Befristung dieser Widerrufsrechte ist im Interesse der Rechtssicherheit der Unternehmer hinzunehmen und gestattet gerade den angemessenen Interessenausgleich mit Blick auf das Ausmaß des Schutzes der Selbstbestimmung. Es besteht insofern hinsichtlich des Schutzes der Selbstbestimmung kein Durchsetzungsdefizit, welches durch ergänzendes Eingreifen des Wettbewerbsrechts behoben werden müßte. Vielmehr gestattet der zivilrechtliche Regelungsrahmen, der im normativen Sinne die Selbstbestimmung sichert, zum Teil gerade auch den innerverbraucherseitigen Interessenausgleich hinsichtlich des Belästigungsaspekts. Durch die normative Sicherung der Selbstbestimmung setzen sich im Regelfall gerade diejenigen Erscheinungsformen besonderen Vertriebs im Markt durch, die von der Mehrzahl der Verbraucher auch gewünscht werden. Es kommt insoweit von vornherein nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung durch belästigende Vertriebsformen, für wettbewerbsrechtliche Verbote bleibt daher im Idealfall kein Raum. Ein Anwendungsfeld für das Wettbewerbsrecht eröffnet sich allerdings, soweit der „Belästigungsschutz durch Selbstbestimmung“ versagt, weil geringe Grenzkosten eine bestimmte Vertriebsmethode selbst dann aus Sicht der Unternehmer lohnend erscheinen lassen, wenn die Mehrzahl der Verbraucher diese Methode ablehnt, so daß sich für den Individualschutz ein Durchsetzungsproblem stellt. Derartige Fälle erfaßt die implizite Wertung des Zivilrechts nicht mehr, ein Eingreifen wettbewerbsrechtlicher Verbote kommt folglich in Betracht, wenn die Zumutbarkeitsschwelle überschritten wird. Tatsächlich läßt sich die auf den ersten Blick (insbesondere mit Blick auf die jeweiligen individuellen Belästigungsgrade) inkonsistent wirkende Rechtsprechung zum wettbewerbsrechtlichen Belästigungsschutz im Bereich der besonderen Vertriebsformen auf Grundlage dieses grenzkostenorientierten Modells befriedigend erklären. Eine Rolle spielt das Wettbewerbsrecht bezüglich der besonderen Vertriebsformen zudem naturgemäß durch Flankierung des verbrauchervertragsrechtlichen Regelungsrahmens sowie insbesondere wenn und soweit Sondersituationen betroffen sind, die außerhalb der typisierten Wertung des Verbrauchervertragsrechts liegen. Insgesamt illustriert die zivilrechtliche Regelung der besonderen Vertriebsformen das Potential des Verbrauchervertragsrechts, durch indirekte Steuerung sozusagen „von unten herauf“ zugleich den Wettbewerb zu regulieren und vor Verzerrungen zu schützen. Das Verbrauchervertragsrecht entwickelt eine selbständige marktbezogene Ordnungsfunktion durch dezentrale Steuerungseffekte. Eine solche dezentrale Steuerung aufgrund gesicherter Verbraucherselbstbestimmung im Markt ist – soweit sie funktioniert – zwangsläufig zielgenauer als wettbewerbsrecht-
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liche Regelungen aufgrund bloßer normativer Vermutungen über den Verbraucherwillen. Dies gilt jedenfalls, soweit die Regelungen des Verbrauchervertragsrechts sich konsequent darauf beschränken, typisiert identifizierte Gefährdungslagen für Entscheidungsgrundlage und Entscheidungsprozeß der Verbraucher durch individualschützend ausgerichtete Normen auszugleichen. Wird allerdings darüber hinaus, wie dies insbesondere mit Blick auf einzelne der Informationspflichten im ECommerce der Fall ist, statt einer solchen auf Ausgleich konkreter Gefährdungslagen setzenden Regelung der Versuch unternommen, durch Schaffung bestimmter Informationsstrukturen zwingenden Rechts sozusagen „von oben herab“ einen zwingenden, rechtlich „standardisierten“ Rahmen des Verkehrssystems für die Informationsgewährung zu etablieren, in den ein imaginär leitbildartiger Verbraucher dann sein Systemvertrauen setzen soll, so sind derartige ausschließlich systembezogene Ansätze in ihrer verbraucherschützenden Wirkung zwangsläufig ungenau. Sie laufen nämlich Gefahr, am tatsächlichen Bedarf der Verbraucher vorbeizuzielen, sind daher auch in ihrer Steuerungswirkung für den Wettbewerb zweifelhaft, wenn nicht sogar häufig in ungerechtfertigter Weise wettbewerbsbeschränkend, und damit letztlich auch für die Verbraucher schädlich. Insgesamt belegt die Analyse der verbraucherschutzrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Regelung der besonderen Vertriebsformen demnach die Vorrangigkeit dezentral-prozeduraler Lösungen, die angesichts (durch das Verbrauchervertragsrecht typisiert) abgesicherter Entscheidungsfreiheit der Verbraucher im wesentlichen auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes setzen, gegenüber zwingenden Eingriffen in den Markt, die die Möglichkeit zur individuellen Verbraucherentscheidung gerade abschneiden und durch eine normative Prognose des Gesetzgebers über die vermeintlichen Interessen der Verbraucher ersetzen. Gerade aus diesem Grund gebietet der Gleichmaßgrundsatz in diesem Bereich, daß die typisierte verbrauchervertragsrechtliche Wertung auch hinsichtlich des Belästigungsschutzes durch das Wettbewerbsrecht in gewissen Grenzen zu akzeptieren ist und nicht durch einen wettbewerbsrechtlichen opt-in Ansatz, der in weiten Bereichen die praktische Konsequenz einer totalen Unterbindung hätte, unterlaufen werden darf, soweit der Markt den Aspekt des Belästigungsschutzes aufgrund gesicherter Selbstbestimmung aus sich heraus zu regulieren vermag. Mit Blick auf die Neuregelung des Kaufrechts wirkt sich der Gleichmaßgrundsatz deutlich anders aus. Dies beruht hauptsächlich darauf, daß eine typisiert zwingende zivilrechtliche Lösung in diesem Bereich nicht ohne weiteres möglich ist, da es um den Schutz des Erfüllungsinteresses der Käufer geht, dessen Ausmaß sich auch im Massenverkehr erst für jeden konkreten Fall aufgrund der im einzelnen ermittelten legitimen Verkehrserwartung der Käuferseite bestimmen läßt. Insofern ist im Zivilrecht keine grundsätzlich abschließende Etablierung eines zwingenden, situationsspezifisch typisiert starren Rahmens (auch wettbewerbsbezogen wirkender) Verkehrssicherungspflichten möglich. Vielmehr kann das Zivilrecht nur im konkreten Fall bestimmte öffentliche Äußerungen durch Einbeziehung der Bedeutung, die diese nach der Verkehrserwartung haben, in die kaufvertragliche Beschaf-
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
fenheitsvereinbarung sanktionieren. In den individuell geschlossenen Kaufvertrag werden also Informationen einbezogen, die die Käuferseite im vertragsunabhängigen, vorindividuellen werblichen Massenverkehr aufgenommen hat. Bei der Identifizierung der solcherart durch Werbung geprägten Verkehrserwartung greift die zivilrechtliche Lösung in genau abgestecktem Umfang („Wasser und Öl“-Ansatz) selbst auf die Erfahrungswerte des Wettbewerbsrechts zurück. Der Gleichmaßgrundsatz führt hier also nicht zu einem reinen Vorrang der zivilrechtlichen Wertung, sondern vielmehr zu einer Art Wechselwirkung zwischen zivilrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Maßstäben (des Irreführungsschutzes). Das Zivilrecht gibt hinsichtlich des normativen Ausmaßes des Schutzes – der Schutzintensität – die grundlegende Wertung im Sinne einer Orientierung am Schutzbedarf des durchschnittlichen Mitglieds der angesprochenen Verkehrskreise vor. Auf der Basis dieser grundlegenden normativen Wertung ist dann in dem durch das Zivilrecht genau abgesteckten Umfang der Rückgriff auf Methoden und Beurteilungskriterien des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes hinsichtlich der Ermittlung der Verkehrserwartung und der Zurechnung fremder Äußerungen möglich. Dies ist insbesondere deshalb zielführend, weil die Rechtsgeschäftslehre selbst für die Beurteilung vertragsunabhängiger, vorindividueller massenhafter Aufnahme werblicher Information keine vergleichbar entwickelten Methoden und Beurteilungskriterien bereithält wie das Wettbewerbsrecht. Zivil- und wettbewerbsrechtliche Maßstäbe werden demnach künftig für diesen Bereich – d.h., wenn und soweit es um irreführende Werbung bezüglich konkreter Sacheigenschaften geht – konvergieren. Dies gestattet eine befriedigende Lösung einiger der dringlichsten Probleme, denen sich die Zivilrechtsdogmatik bisher mit Blick auf die Auslegung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ausgesetzt sieht. Auf Grundlage dieses konvergierenden Maßstabs ist dann aber – insoweit anders als im Bereich der besonderen Vertriebsformen – der wettbewerbsrechtliche Vorfeldschutz vollumfänglich auch neben der spezifischen zivilrechtlichen Lösung weiter anwendbar628. Das Gleichmaßgebot gebietet in diesem Falle nicht etwa den Verzicht auf wettbewerbsrechtliche Totalverbote irreführender Werbung, nur weil deren Folgen nunmehr auch im Zivilrecht teilweise reguliert werden629. Dies beruht auf drei Gründen. Erstens existiert in diesem Falle keine spezifische zivilrechtliche Wertung, die eine grundsätzliche Zulässigkeit einer bestimmten Werbeform unter der Bedingung der Einhaltung eines zwingenden Kanons von Verkehrssicherungspflichten etabliert und die aus diesem Grund vom Wettbewerbsrecht im Rahmen des Gleichmaßgrundsatzes zu akzeptieren wäre. Vielmehr sieht das Zivilrecht allein einen Schutz der Interessen der Verbraucher durch Einbeziehung bestimmter werblicher Angaben in die vertragliche Beschaffenheitsvereinbarung vor. Eine implizite Wertung bezüglich der prinzipiellen Zulässigkeit irreführender Werbung verbindet 628
S. ausführlich und differenziert zur Rückwirkung der Neuregelung der kaufrechtlichen Gewährleistungshaftung auf den Irreführungsschutz Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 75 ff. 629 Ebenso im Ergebnis Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 210 f.
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sich damit aber gerade – anders als im Bereich der besonderen Vertriebsformen, wo die zivilrechtliche Lösung nach der hier vertretenen Auffassung zugleich für den gelegentlichen Normalfall auch eine begrenzte Wertung grundsätzlicher Zulässigkeit derartiger Vertriebsformen beinhaltet – nicht. Bei interessenorientierter Betrachtung beruht dieser Unterschied in der zivilrechtlichen Wertung – zweitens – darauf, daß bezüglich des Irreführungsschutzes in der Regel kein vergleichbarer innerverbraucherseitiger Interessenkonflikt existiert, wie mit Blick auf die Regulierung besonderer Vertriebsformen. Während nämlich einzelne Verbrauchergruppen an der prinzipiellen Zulässigkeit besonderer Vertriebsformen ein Interesse haben mögen, so daß die grundsätzliche Gestattung derartiger Vertriebsformen unter gleichzeitiger Anordnung von durch Informationspflichten gesicherten Widerrufsrechten für den Normalfall durch Sicherung der Selbstbestimmung die Schaffung praktischer Konkordanz gerade auch mit Blick auf konfligierende Interessenpositionen der Verbraucherseite erlaubt, besteht in den allermeisten Fällen kein legitimes Interesse einzelner Verbrauchergruppen an irreführender Werbung630. Soweit daher mit dem normativen Verbraucherleitbild ein Maßstab zur Ausgleichung des Interesses der Verbraucherseite an der Unterbindung irreführender Werbung mit dem Interesse der Unternehmerseite, nicht über das zur Sicherung des unverzerrten Wettbewerbs notwendige Maß hinaus an werblichen Aktivitäten gehindert zu werden, gefunden ist, kann dieser Maßstab mit allen Mitteln – und damit auch mit den Sanktionen des Lauterkeitsrechts – durchgesetzt werden. Die dezentrale zivilrechtliche Lösung betrifft hier ein allein zivilrechtliches Problem, sie enthält keine implizit permissive wettbewerbsrechtliche Wertung, sondern importiert sogar – genau umgekehrt – gerade die Wertungen des Wettbewerbsrechts in genau abgesteckten Umfang und knüpft an diese eine zusätzliche zivilrechtliche Folge. Unter der Perspektive des ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung kommt noch ein dritter Grund für die Kumulation kaufrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Sanktionierung irreführender Werbung hinzu. Jedenfalls im Bereich der Massengeschäfte des täglichen Lebens wird die vertragsrechtliche Erfüllungshaftung, die § 434 Abs. 1 S. 3 BGB für irreführende Werbeangaben betreffend bestimmte Sacheigenschaften im Ergebnis vorsieht, typischerweise aufgrund des Bagatellcharakters der zugrundeliegenden Kaufverträge und der Geringfügigkeit der gegebenenfalls entstehenden Abweichung zwischen Ist- und Sollbeschaffenheit von den Verbrauchern nicht geltend gemacht werden. Es besteht also ein strukturelles Durchsetzungsdefizit für die rechtsgeschäftliche Lösung; dieses Durchsetzungsdefizit läßt sich – da es an einer starren Typisierung der Verbraucherrechte fehlt, die eben vielmehr erst im konkreten Fall sich stets aufs neue ergeben – in diesem Bereich auch nicht durch Anordnung entsprechender Informations- und Hinweispflichten 630 S. zutreffend Beater, § 15 Rz. 81 f.: „Fälle, in denen sich über ein legitimes Interesse an der Inkaufnahme von Irreführungen nachdenken läßt, [seien] außerordentlich exotisch und könn[t]en weitgehend unberücksichtigt bleiben“. S. ebenda mwN für die gelegentlichen (seltenen) Fallgestaltungen, in denen eine Irreführung zugleich bestimmte Vorteile für einzelne Verbrauchergruppen bringt.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
normativ lösen. Dieses Durchsetzungsdefizit rechtfertigt auf Grundlage des hier vertretenen ordnungspolitischen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung das zusätzliche Eingreifen wettbewerbsrechtlicher Verbote 631. Hier deckt sich die Wertung auch gerade wieder mit der Situation im Bereich der besonderen Vertriebsformen; denn für diejenigen Sonderfälle, in denen die verbrauchervertragsrechtliche Lösung in diesem Bereich (aufgrund geringer Grenzkosten) gerade nicht gestattet, auf Grundlage der gesicherten Selbstbestimmung auch den Belästigungsschutz durch dezentrale Steuerungsanreize effektiv durchzusetzen, kommt auch in diesem Bereich ein Vorfeldschutz durch wettbewerbsrechtliche „Totalverbote“ im Sinne eines opt in-Ansatzes als das dann mildeste effektive Mittel in Betracht, sofern die entsprechenden Voraussetzungen des Lauterkeitsrechts erfüllt sind. Während demnach die zivilrechtliche Regelung der besonderen Vertriebsformen eine für den Normalfall begrenzt abschließende Regelung der in den Anwendungsbereich fallenden Situationen vorsieht, die zugleich einen zwingenden Rahmen wettbewerbsrechtlicher Verkehrssicherungspflichten für diese Verkehrsbereiche etabliert, der im Wettbewerbsrecht zu akzeptieren ist, knüpft das neue Kaufrecht nur bestimmte rechtsgeschäftliche Folgen (betreffend die Auslegung der Beschaffenheitsvereinbarung, die in einem gewissen Ausmaß zwingend typisiert wird) an Handlungen im vorindividualisierten werblichen Massenverkehr. Damit erzielt es zwar zugleich eine indirekte Steuerungswirkung für den Wettbewerb, die das zusätzliche Eingreifen des Wettbewerbsrechts aber nicht obsolet macht, sondern lediglich einen Vergleich und Abgleich der Wertungen erfordert, soweit sie unternehmerische Handlungen im Wettbewerb betreffen. Diese Steuerungswirkung und die Schaffung von Verantwortungsparallelen zum Wettbewerbsrecht ist im Falle des neuen Kaufrechts – wie es sich insbesondere aus der europarechtlichen Vorgabe in diesem Bereich ergibt – auch durchaus intendiert. Das neue Kaufrecht hat insoweit eine selbständige marktbezogene Ordnungsfunktion. Die nun zu beschreibenden Instrumente der Rechtsgeschäftslehre und des Rechts der Schuldverhältnisse, die dem individuellen Schutz der Selbstbestimmung durch Schutz unverzerrter Entscheidungsgrundlage und eines ungestörten Entscheidungsprozesses sowie dem Schutz sonstiger Interessen prospektiver Vertragspartner632 (insbesondere vor Frustrierung von Aufwendungen im Hinblick auf einen später nicht zustandekommenden Vertragsschluß) dienen, entfalten eine derartige Ordnungsfunktion nur reflexartig. Sie war bei ihrer Schaffung und Fortentwicklung nicht intendiert. Dennoch sind auch insoweit die jeweiligen Wertungen mit den Wertungen des Wettbewerbsrechts zu vergleichen. Soweit es zu unmittelbaren Überschneidungen kommt, ist Wertungsgleichmaß herzustellen und insbesondere sind für das allgemeine Schuldrecht die Konsequenzen aus der insti631
Ähnlich Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 191 f. Im hier zugrundegelegten Vier-Ebenen-Modell handelt es sich bei diesem Schutz sonstiger Interessen im wesentlichen um einen Schutz vor Externalitäten der massenhaften Vertragsanbahnung. 632
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tutionellen Aufladung und Materialisierung zu ziehen, die seine Prinzipienebene durch die Integration der Regelung der besonderen Vertriebsformen und die Neuregelung des Kaufrechts ganz allgemein erfahren hat.
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4. Abschnitt:
Ausgewählte Instrumente des Zivilrechts mit lediglich reflexartiger marktbezogener Ordnungsfunktion und Wechselwirkung typisierter Wertungen mit den jeweiligen Wertungsmaßstäben im Wettbewerbsrecht Der folgenden Auswahl einzelner „klassischer“ Instrumente der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts lag als Leitmaßstab der Gedanke zugrunde, schwerpunktmäßig diejenigen zivilrechtlichen Regelungen zu untersuchen, in denen es zu einer normativen Wechselwirkung typisierter rechtlicher Maßstäbe des Individualrechtsschutzes bezüglich der Interessen der prospektiven Vertragspartner mit rechtlichen Wertungen des wettbewerbsrechtlichen Kundenschutzes im Vertikalverhältnis kommen kann. Bei der näheren Untersuchung derartiger Einfallstore für einen wechselseitigen Vergleich (und gegebenenfalls Abgleich) spezifisch vergleichbarer Wertungen in beiden Rechtsgebieten war zumal die Neuregelung des Kaufrechts bezüglich der Einbeziehung der durch bestimmte Werbeangaben geprägten typisierten Verkehrserwartung in die Beschaffenheitsvereinbarung, die jedenfalls eine normative Aufwertung der rechtlichen Relevanz vorindividuell-massenhafter werblicher Beeinflussung in die Prinzipienebene des Schuldrechts getragen hat, als Entwicklungstrend des deutschen Schuldrechts zu beachten. Die nachfolgenden Überlegungen setzen sich dementsprechend auch mit zum Ziel, die kaufrechtliche Wertung mit Blick auf die rechtliche Relevanz massenhafter werblicher Beeinflussung der Kundenseite in der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und im allgemeinen Schuldrecht sozusagen „zu Ende zu denken“, insbesondere soweit dies geboten ist, um Wertungswidersprüche zu glätten, die sich andernfalls in diesem Bereich aus dem (europarechtlich angestoßenen) einseitigen Voranschreiten spezifisch des Kaufrechts im Vergleich zu anderen Vertragsarten ergeben könnten.
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A. Recht der Anfechtung und Zusammenhang mit dem Wettbewerbsrecht I. Relevante Schnittfelder des Rechts der Anfechtung mit dem Wettbewerbsrecht Im Recht der Irrtumsanfechtung (§ 119 BGB), die ihrem Zurechnungsmodell nach endogene Willensstörungen betrifft, die ohne dem Anfechtungsgegner zurechenbare Einflußnahme aufgetreten sind1, spielt die Frage der fehlerlosen Willensbildung im Vorfeld – die ganz im Mittelpunkt des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherschutzes steht – eine vergleichsweise untergeordnete Rolle2. Insbesondere die Regelung des Inhalts- und Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB, sowie die nach umstrittener herrschender Meinung3 über eine analoge Anwendung dieser Norm zu lösende Problematik fehlenden Erklärungsbewußtseins, rücken (ebenso wie im übrigen die §§ 116–118 BGB4) – in Übereinstimmung mit einem ursprünglich schwerpunktmäßig auf die Gewährung formaler Selbstbestimmung ausgerichteten Regelungskonzept des Anfechtungsrechts – ganz das Auseinanderfallen von rechtsgeschäftlichem Willen und Erklärung in den Blickpunkt 5. Störungen, 1 S. aus der letzten Zeit grundlegend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 261 und 361 f.; zuletzt auch Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 396 f. Vgl. näher auch noch unten II 4. 2 Vgl. an dieser Stelle nur aus neuerer Zeit statt vieler Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 207 ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 279 ff.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 396 ff., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. Mit einem ökonomischen Ansatz zur Erklärung der Irrelevanz der Motivbildung, s. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 392 ff. Vgl. spezifisch die Bedeutung im Verhältnis zum Wettbewerbsrecht betreffend noch die Nachweise u. Fn. 7. 3 Ständige Rechtsprechung des BGH seit BGHZ 91, 324, 328 f. = NJW 1984, 2279, 2280 f. mit abl. Anm. Canaris; s. seither bestätigt in BGH WM 1989, 652; BGHZ 109, 171, 177 = NJW 1990, 454; BGH NJW 1991, 2084, 2085 f.; BGH NJW 1995, 953. Für die herrschende Meinung in der Literatur s. statt vieler Palandt-Heinrichs, Einf v. § 116 BGB, Rz. 17; MüKo-Kramer, § 119, Rz. 79 ff.; Erman-H.Palm, Vor § 116, Rz. 3; Larenz/Wolf, AT, § 24, Rz. 8, § 28, Rz. 9 f., § 35, Rz. 16; für eine direkte Anwendung des § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB u.a. Bydlinski, JZ 1975, 1, 5. A.A. und für eine Zuordnung des Erklärungsbewußtseins zum Tatbestand der Willenserklärung grundlegend Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 426 ff., 548 ff. und öfter; Brehmer, JuS 1986, 440 ff.; Singer, JZ 1989, 1030, 1034 ff.; ders, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 169 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 4 S. statt aller nur Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 207; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 396. 5 Das entscheidende Gewicht liegt nach der ursprünglichen Konzeption des BGB vielmehr auf der Inkongruenz von Wille und Erklärung im Sinne eines Schutzes rein formaler Selbstbestimmung. S. nur die Haltung der 1. Kommission, die Irrtümer im Beweggrund sogar noch gänzlich von der Anfechtbarkeit ausgenommen hatte (s. Mot. I, S. 199 ff.), was dann der zweiten Kommission angesichts der „Bedürfnisse des Verkehrs, der Billigkeit und dem Zuge der modernen Rechtsentwicklungen“ doch zu weitgehend erschien (s. Prot. I, S. 238 (S. 114 f. in der Ausgabe 1897)). Vgl. für das Irrtumsrecht grundlegend zur Unterscheidung von Störungen der Willensbildung, die dem Bereich materialer Selbstbestimmung zuzuordnen ist und einem (auch in einem Konzept formaler Selbstbestimmung beachtlichen) Auseinanderfallen von rechtsgeschäftlichem Willen und Erklärung, wie es insbesondere im Mittelpunkt der Irrtumsanfechtung
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die ausschließlich im Bereich der Willensbildung ihren Ursprung haben, bleiben insoweit außer Betracht, es gilt der Grundsatz der Unbeachtlichkeit des bloßen Motivirrtums6. Entsprechend ist die Bedeutung des § 119 Abs. 1 BGB für das Verhältnis zum Wettbewerbsrecht, insbesondere als individuelles Schutzinstrument für die Opfer unlauterer Vertragsanbahnung, vergleichsweise gering. Zu einer relevanten Überschneidung der jeweiligen Wertungen kommt es angesichts der grundlegend unterschiedlichen Ausrichtung – schwerpunktmäßiger Schutz der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses (mithin der Willensbildung) der Verbraucher im Wettbewerbsrecht einerseits und Orientierung auf ein Auseinanderfallen von Wille und Erklärung in § 119 Abs. 1 BGB andererseits – grundsätzlich nicht7. Allenfalls in bestimmten, besonders gelagerten Einzelkonstellationen – wenn die Vertragsentscheidung des Verbrauchers durch unlauteren Wettbewerb nicht lediglich beeinflußt, sondern diesem (unter Umgehung jeglichen Willensbildungsprozesses) regelrecht abgelistet wird8 – mag § 119 Abs. 1 BGB eine Rolle als Schutzinstrument bei durch unlauteren Wettbewerb angebahnten Verträgen spielen9. Dies rechtfertigt nach § 119 Abs. 1 BGB steht, Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 288, 342 f., 414 ff., sowie für die Grundlage dieser sozusagen psychologischen Irrtumslehre auch die Unterscheidung zwischen „unechtem Irrtum“ (Auseinanderfallen von Wille und Erklärung, wobei die Geltung der Willenserklärung durch das Fehlen des entsprechenden Willens in Frage gestellt wird) und echtem Irrtum (Irrtum im Beweggrund, wobei dieser das Dasein des Willens genaugenommen nicht aufhebt) bei Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 3, S. 264, 356 und 441 (vgl. für eine bündige Darstellung der Irrtumslehre Savignys nur Flume, AT II, § 22, 2 (S. 440 ff.)). Die zentrale Bedeutung der – in heutiger Terminologie – scharfen Abgrenzung zwischen Erklärungs- und Motivirrtum betont wiederum Flume, Privatautonomie, in: FS Dt. Juristentag, S. 135, 203; aus neuerer Zeit statt vieler Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 207 ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 279 ff.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 396 ff.; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 391 ff., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. Vgl. zum ganzen auch noch sogleich unten II. 6 S. dazu näher sogleich unten II 1. 7 S. Schumacher, S. 46; Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 118 ff. (insbes. S. 120 und 125); Alexander, S. 100 ff. (insbes. S. 104 und 280); Sack, WRP 1974, 445, 450 und öfter; Trinkner, BB 1975, 1493 (der § 119 Abs. 1 BGB nicht einmal erwähnt). 8 Treffend formuliert bei Alexander, S. 245. 9 Neben dem Problemkomplex der Zusendung von Angebotsschreiben für die Eintragung in Branchenverzeichnisse, der – sofern in derartigen Konstellationen überhaupt einmal ein Vertrag zustandekommt – anfechtungsrechtlich in vielen Konstellationen einen Inhaltsirrtum begründen wird und auf den in dieser Untersuchung noch gesondert (unten 5. Abschn. B) eingegangen werden soll, sind nurmehr wenige Fallgestaltungen denkbar, in denen § 119 Abs. 1 BGB im Verhältnis zu unlauterer Vertragsanbahnung eine nennenswerte Rolle spielt. Allenfalls der (dem Bereich des Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB zuzuordnende) und in seiner Reichweite nicht unumstrittene (s. für eine umfassende Darstellung aus zivilrechtlicher Sicht nur Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 228 ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 266 ff.) Rechtsfolgenirrtum mag in einer in immer zunehmenden Maße auch durch Konditionenwettbewerb gekennzeichneten Wettbewerbsumgebung gelegentlich einmal eine gewisse Relevanz erlangen, wenn etwa ein Konsument zu einer unerwarteten vertraglichen Nebenleistung (die als atypische Nebenleistung nicht durch zwingendes Recht vorgesehen ist und im Verhältnis zum Hauptzweck des Vertrags als eine „entferntere“ Rechtsfolge mehr das „wie“ der privatautonomen Ausgestaltung betrifft) verpflichtet wird (s. im Ansatz zutreffend Alexan-
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im Rahmen der hier angestellten Untersuchung jedoch keine Behandlung im grundsätzlichen10. Vielmehr wird in dieser Untersuchung auf § 119 Abs. 1 BGB im sachlichen Zusammenhang mit einzelnen der vorerwähnten Sonderkonstellationen – insbesondere für den notorischen Bereich der unlauter erschlichenen Einträge in Branchenverzeichnisse – zurückzukommen sein11. Von großem grundsätzlichem Interesse für das Verhältnis zum Wettbewerbsrecht ist demgegenüber die – unter dieser Perspektive auch vielfach untersuchte – Regelung der Anfechtbarkeit wegen Eigenschaftsirrtums gem. § 119 Abs. 2 BGB (s. unten II), da sie sich – einmal noch unabhängig von der hitzig umstrittenen Frage nach der zutreffenden dogmatischen Einordnung der Norm (s. unten II 1 a und b) – jedenfalls auf das Stadium des Willensentschlusses richtet12. Der Irrtum über Eigenschaften der Person oder der Sache führt zu einem Auseinanderfallen von Wille und Erklärung auf der einen und der Wirklichkeit auf der anderen Seite13 während die Erklärung selbst mit dem rechtsgeschäftlichen Willen übereinstimmt, ist demnach aus einer rein formalen Sicht der Selbstbestimmung fehlerfrei14. Im Bereich der Willensbildung überschneiden sich aber – noch vorbehaltlich der Reichweite dieser Überschneidung und Vergleichbarkeit der der, S. 112 f. unter Hinweis auf OLG Stuttgart, GRUR 1978, 722 ff. – Radio-Digital-Uhr als ein denkbares Beispiel). Allzu große Relevanz dürften allerdings auch derartige Fälle nicht haben. Denn typischerweise wird es zu derartigen Nebenverpflichtungen im Rahmen allgemeiner Geschäftsbedingungen kommen, so daß dann häufig schon die AGB-Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle weiterhelfen dürfte, die der Anfechtung ebenso wie die Auslegung vorgeht (zutreffend Alexander, aaO., S. 113). Auch ist zu bedenken, daß die sonstigen Voraussetzungen einer Anfechtbarkeit nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB in den von Alexander, aaO., anvisierten Fällen bei genauem Hinsehen kaum jemals vorliegen dürften. Denn wenn man die Wertungsgleichheit zur Behandlung sogenannter „bewußter Unkenntnis“ im Rahmen des Inhaltsirrtums konsequent berücksichtigt, so kann allein die Tatsache, daß sich der Anfechtende über bestimmte überraschende Nebenpflichten überhaupt keine Vorstellung machte, sondern vielmehr seine Vertragsentscheidung tel quel getroffen hat, ohne insoweit sich Klarheit über die Rechtsfolgen zu verschaffen, für eine Anfechtung wegen Rechtsfolgenirrtums nicht genügen (s. ausführlich Lorenz, aaO., S. 269 f.). Vielmehr ist durch den Anfechtenden eine tatsächliche positive Fehlvorstellung hinsichtlich der Rechtsfolgen seiner Erklärung und die Kausalität dieser Fehlvorstellung für die Erklärung zu belegen. Allenfalls soweit daher etwa im Vorfeld blickfangmäßige Werbung eine Fehlvorstellung hervorgerufen hat, der dann der durch Auslegung zu ermittelnde und an den Vorgaben der §§ 305 ff. BGB zu messende Vertragsinhalt hinsichtlich einer „entfernteren“ Nebenpflicht tatsächlich nicht entspricht, ist einmal eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB denkbar. 10 S. für Darstellungen der schmalen Bedeutung, die § 119 Abs. 1 BGB im Verhältnis zum Wettbewerbsrecht in einzelnen Konstellationen haben kann, Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 118 ff.; Alexander, S. 100 ff. und 256 f. (in der Konstellation der Angebote für die Eintragung in Branchenverzeichnisse, s. insoweit auch unten 5. Abschn. B). 11 S. unten 5. Abschn. B. 12 S. für die praktisch alleinige Relevanz der Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB im Verhältnis zum Wettbewerbsrecht die Nachweise o. Fn. 7. 13 Unabhängig von der Validität seiner daraus abgeleiteten dogmatischen Einordnung als rechtsgeschäftlicher Eigenschaftsirrtum (s. dazu sogleich unten II 1 b) hat dies am deutlichsten Flume, § 24, 2 (S. 474 ff.) erkannt. 14 S. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 213 ff. mwN.
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Wertungen im einzelnen – wiederum wettbewerbsrechtliche Wertungen mit der zivilrechtlichen Regelung in § 119 Abs. 2 BGB mit Blick auf die erste Ebene des Vier-Ebenen-Modells, den Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage; dies wird in der Folge näher zu betrachten sein (s. unten II 1 c). Zudem ist mit Blick auf den durch Werbung induzierten Irrtum über Eigenschaften der Sache die Nähe der Norm zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB unübersehbar; auch das diesbezügliche Verhältnis wird mit Blick auf den Vergleich und die Übertragbarkeit einzelner Wertungen (s. unten II 2–4) und die notorisch umstrittene Frage der Konkurrenz des Anfechtungs- zum gesetzlichen Gewährleistungsrecht im Kauf (s. unten II 5) eingehender zu untersuchen sein. Dabei steht, als eine neue Leitlinie im Vergleich zu älteren Untersuchungen, zumal die Frage im Mittelpunkt, inwieweit die Neuregelung des Kaufrechts im Rahmen der Schuldrechtsreform Rückwirkungen auch auf die Diskussion zu den unter § 119 Abs. 2 BGB umstrittenen Problemkomplexen entfaltet. Einem (jedenfalls nach der ganz herrschenden Meinung)15 gänzlich anderen Zurechnungsmodell als § 119 BGB folgt die Regelung der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung in § 123 BGB, die nicht einseitige Fehlvorstellungen auf Seiten des Erklärenden, sondern dem Anfechtungsgegner zuzurechnende Störungen der Willensbildung und -äußerung in den Blick nimmt. Die Unterscheidung zwischen Bildung des rechtsgeschäftlichen Willens und seiner Äußerung in der Willenserklärung spielt hier keine Rolle, was sich aus dem exogenen Charakter der durch Täuschung oder Drohung verursachten Störungen der Entscheidungsfreiheit erklärt16. Die Überschneidung mit dem Schutz der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses der Verbraucherseite im Wettbewerbsrecht ist an dieser Stelle ebenso offensichtlich17, wie die im Vergleich zu Maßstäben des wettbewerbsrechtlichen Kundenschutzes strenge Begrenzung des Tatbestands des § 123 BGB (insbesondere durch das Vorsatzerfordernis im Bereich der arglistigen Täuschung und durch die im Rahmen der widerrechtlichen Drohung vergleichsweise hohen Anforderungen an relevante Zwangslagen)18. Im Mittelpunkt wissenschaftlicher Bemühungen hat für diesen Bereich die Korrektur der vielfach als zu streng empfundenen Maßstäbe des § 123 BGB gestanden. Erwogen wurden und werden für exogene Störungen der Entscheidungsfreiheit unterhalb der hohen tatbestandlichen Hürden des § 123 BGB eine auf § 119 Abs. 2 BGB gegründete Lösung über Risikosphären vorvertraglicher Willensbildung, eine Rechtsanalogie zu den §§ 119, 123 BGB, eine analoge Anwendung des § 123 BGB selbst bzw. seine Anwendung unter Derogation des Vorsatzdogmas, oder schließlich der Rückgriff auf schadensersatzrechtliche Lösun15 S. statt aller die Darstellung bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 360 ff. mwN; a.A. aber MüKo-Kramer, § 119, Rz. 119; Adams, AcP 186 (1986), 453, 460. Vgl. näher zum ganzen noch unten III. 16 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 361. 17 S. praktisch sämtliche der Nachweise o. Fn. 7. 18 Vgl. schon Sack, WRP 1974, 445, 450 f.
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gen im Rahmen der (in ihrem Konkurrenzverhältnis zur Anfechtung, insbesondere mit Blick auf das Vorsatzdogma und die Frist des § 124 BGB, umstrittenen) culpa in contrahendo (nunmehr §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB)19. Der gesamte Bereich ist Gegenstand umfänglicher Diskussion. Für die hier angestellte Untersuchung ist einerseits die (Vor-)frage der dogmatisch zutreffenden konstruktiven Lösung angesprochen, wobei insbesondere die durch die ausdrückliche Regelung der Rechtsfigur der culpa in contrahendo im Rahmen der Schuldrechtsreform in diesem Bereich doch in mancher Hinsicht neujustierte Perspektive auf das Konkurrenzproblem zu berücksichtigen ist 20. Auf dieser konstruktiv gesicherten Grundlage ist dann sorgsam zu prüfen, ob und inwieweit der Vergleich von Wertungen des Wettbewerbsrechts bezüglich der Sicherung des Bereichs vertragsunabhängiger, vorindividueller Beeinflussung der Willensbildung durch wettbewerbliche Verkehrssicherungspflichten mit dem Pflichtenmaßstab im Rahmen der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB fruchtet, und ob sogar einzelne der wettbewerbsrechtlichen Wertungen zur Konkretisierung des vorvertraglichen und vorindividuellen Pflichtenprogramms im Rahmen des hier entwickelten Gleichmaßgrundsatzes herangezogen werden können. Deutlich dürfte an dieser Stelle sein, daß der gesamte Komplex jedenfalls nicht allein im Rahmen der Anfechtungsregeln behandelt werden kann, sondern gesamthaft mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Regelungsalternativen (insbesondere die schadensersatzrechtlichen Lösungen) zu analysieren ist; entsprechend werden in diesem Teil (unten III) nur einzelne Fragestellungen spezifisch zu § 123 BGB angesprochen sowie insbesondere das heftig umstrittene Konkurrenzverhältnis zum schadensrechtlichen Schutz der Entscheidungsfreiheit unter §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB geklärt. Der wertende Vergleich mit wettbewerbsrechtlichen Maßstäben findet dann im wesentlichen erst im Rahmen der Darstellung der culpa in contrahendo (s. später unten C) statt.
19 S. mit umfassenden Nachweisen unten III 2–4. Einen weiteren, hier nicht im Text erwähnten überraschenden Weg zur Lösung des Problems der „fahrlässigen Täuschung“ hat Mankowski, ZGS 2003, 91 ff., erwogen, der auf Rechtsfolgenseite eine Anwendbarkeit des §324 BGB prüft, aber letztendlich zutreffend verwirft, weshalb dieser konstruktive Ansatz hier auch nicht weiter verfolgt wird. 20 S. unten III 3.
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II. Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums gemäß § 119 Abs. 2 BGB 1. Grundsätzliche Unbeachtlichkeit des bloßen Motivirrtums, dogmatische Einordnung des § 119 Abs. 2 BGB und Parallelen zu § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB a. Die Unbeachtlichkeit des Motivirrtums und der Vergleich mit dem Wettbewerbsrecht Der für das Verhältnis des Anfechtungsrechts zum Vorfeldschutz des Wettbewerbsrechts gerade im Bereich der Willensbildung schlechthin prägende Grundsatz der Unbeachtlichkeit des bloßen 21 Motivirrtums entspricht der ganz herrschenden Meinung zum geltenden Recht 22. Er ist jedoch nicht gänzlich unbestritten 23.
21 Es ist deshalb treffend, von der Unbeachtlichkeit des bloßen, einseitigen Motivirrtums zu sprechen, weil dieser Grundsatz natürlich nicht hindert, auch Motive der rechtsgeschäftlichen Willensbildung in den rechtsgeschäftlichen Willen einzubeziehen (das Verdienst, die Einbeziehbarkeit von Eigenschaften einer Person oder Sache in den Rechtsgeschäftsinhalt vermittels der Soll-Beschaffenheitsvereinbarung im Grundsatz erkannt zu haben, gebührt Brauer, Der Eigenschaftsirrtum, 1941, S. 26 ff.). Deckt sich dieser rechtsgeschäftliche Wille dann nicht mit der Willenserklärung, so kann es zu einer Überlagerung bloßer Motivirrtümer mit relevanten Erklärungs- oder insbesondere Inhaltsirrtümern kommen (Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 215 spricht für diesen Fall von „Doppelirrtümern“). In einem derartigen Falle ist der Motivirrtum dann nicht länger unbeachtlich (s. nur BGH JZ 1989, 41, 43), so daß es treffend ist, von der Unbeachtlichkeit des bloßen Motivirrtums zu sprechen, s. insoweit nur Singer, aaO.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 267 und 281. Soweit allerdings im Anschluß an Brauer ein Teil der älteren Lehre den Eigenschaftsirrtum (letztlich unter Verallgemeinerung der gerade geschilderten Sonderkonstellation der „Doppelirrtümer“) stets als einen Irrtum nicht über das „Sein“, sondern über das „Sollen“ – also über den Inhalt des Rechtsgeschäfts – auffaßte und folglich als (durch § 119 Abs. 2 BGB begrenzten) Unterfall des Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB einordnete (s. Schmidt-Rimpler, in: FS für Lehmann I, S. 213, 220; Raape, AcP 150 (1949), 494 ff.; Diesselhorst, in: Sympotica Wieacker, S. 180, 195; Soergel-Hefermehl, § 119, Rz. 35 f.), überspannt dies die Reichweite der rechtsgeschäftlichen Erklärung (die eben nicht stets sämtliche Motive mit beinhaltet, wie dies im neuen Recht etwa § 434 Abs. 1 S. 3 BGB schlagend belegt, indem er eine Auswahl ganz bestimmter Motive fiktiv in den Erklärungsinhalt und in die Beschaffenheitsvereinbarung mit einbezieht) und verwischt ohne überzeugende Begründung im Sinne einer reinen Fiktion die grundlegende (auch psychologische) Unterscheidung zwischen Motivation und Willensbildung einerseits und rechtsgeschäftlicher Willensäußerung andererseits. Daher zu Recht gegen diesen Teil der älteren Lehre die heute ganz herrschende Meinung, s. zuletzt Singer, aaO., 215 f.; Lorenz, aaO., S. 297; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 401 ff., jeweils mwN; im folgenden Text wird auf diese Ansicht im Einklang mit der herrschenden Meinung nicht mehr näher eingegangen. 22 S. für die ganz hM statt vieler Larenz/Wolf, AT, § 36, Rz. 2; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 207; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 279 ff.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 397; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 391 ff. (alle mit umfassenden weiteren Nachweisen, letzterer mit einem ökonomischen Erklärungsansatz für die grundsätzliche Unbeachtlichkeit der Motivbildung). 23 A.A. namentlich MüKo-Kramer, § 119, Rz. 110 ff.; Adams, AcP 186 (1986), 453 ff.
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Insbesondere Kramer hat auf der Basis von § 119 Abs. 2 BGB, in dem er einen nur „rudimentären, lückenhaften Ansatz“24 für eine Gesamtregelung des Anfechtungsproblems für sämtliche Fehlvorstellungen (unter grundsätzlicher Einbeziehung der Motivirrtümer sieht), eine materiale Gesamtkonzeption zur Behandlung von „Sachverhaltsirrtümern“ entwickelt, die den Gedanken vertraglicher Risikotragung in den Mittelpunkt der Entscheidung darüber rückt, ob ein Willensmangel durch Anfechtung geltend gemacht werden kann 25. Den dogmatischen Ausgangspunkt für seine sich von der lex lata weit entfernende, ja beinahe gänzlich trennende Lösung nach Risikosphären vorvertraglicher Willensbildung, die dazu führt, daß ein einseitiger26 Sachverhaltsirrtum nur dann durch Anfechtung geltend gemacht werden könnte, wenn er vom Anfechtungsgegner veranlaßt wurde oder diesem bekannt war bzw. zumindest hätte offenbar sein müssen 27, findet er im wesentlichen in einem Argument historischer Auslegung mit Blick auf eine Formulierung der Protokolle der zweiten Kommission. Dieser Formulierung zufolge ist durch § 119 Abs. 2 BGB das Anfechtungsrecht für den Anschluß an die „moderne Rechtsentwicklung“ offenzuhalten. Auf dieser Grundlage historischer Auslegung stellt Kramer den tragenden teleologischen Grundgedanken, daß es der in § 119 Abs. 2 BGB vorgesehenen Einschränkung einer Regelung des Motivirrtums auf den Eigenschaftsirrtum an jeglicher innerer Rechtfertigung fehle, in den Mittelpunkt seiner Überlegungen 28. Den Anschluß an die moderne Rechtsentwicklung sucht Kramer im wesentlichen in einer rechtsvergleichenden Analyse, mit der er seine Einheitslösung nach Risikosphären vorvertraglicher Willens24 Die demnach unterstellte Lücke im Gesetz wird von Kramer insbesondere zwischen §§ 119 Abs. 2 und § 123 BGB für Fälle der nicht vorsätzlichen, „unbewußten“ Irreführung beim Vertragsschluß ausgemacht, s. MüKo-Kramer, § 119, Rz. 119. Darin trifft sich der Ansatz Kramers mit dem Gedanken Sacks, der derartige Fälle zuerst über eine Gesamtanalogie zu §§ 119 ff. BGB (s. zuerst WRP 1974, 445, 450), später über eine analoge Anwendung des § 123 BGB (s. Sack, GRUR 2004, 625, 630) lösen wollte. Vgl. zu der gesamten Problematik eingehend unten III 2. 25 S. grundlegend MüKo-Kramer, § 119, Rz. 110 ff. mwN. 26 Wird der Sachverhaltsirrtum vom anderen Kontrahenten geteilt, so käme es nach Kramers Einheitslösung darauf an, ob der fragliche Umstand nach Treu und Glauben auch aus Sicht des Anfechtungsgegners die Grundlage des Geschäfts bildete, s. MüKo-Kramer, § 119, Rz. 121 ff. Aus Sicht der herrschenden Meinung wären derartige Fälle über § 119 Abs. 1 BGB oder über das Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage (s. grundlegend Larenz, AT, § 20 III (S. 395); ders., Geschäftsgrundlage, S. 20 ff.) auf Grundlage von § 242 BGB zu lösen (s. nur die Nachweise bei MüKo-Kramer, aaO., Rz. 121). Gegen Kramer nunmehr ausdrücklich auch BGHZ 138, 177 = NJW 1998, 3192 für den Fall eines vom Erklärungsempfängers erkannten Kalkulationsirrtums. Der BGH lehnt auch eine Anfechtung wegen erweiterten Inhaltsirrtums auf Grundlage von § 119 Abs. 1 BGB ab, selbst wenn der Anfechtungsgegner den Irrtum erkannte oder die Kenntnisnahme treuwidrig vereitelte. Doch könne in derartigen Fällen unter Umständen dem irrenden Kontrahenten ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen oder aber zumindest die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung zustehen, sofern der andere Kontrahent ihn auf seinen Kalkulationsfehler nicht hingewiesen habe. Vgl. näher dazu Singer, JZ 1999, 342 ff. 27 S. Müko-Kramer, § 119, Rz. 114. 28 S. MüKo-Kramer, § 119, Rz. 112 im Anschluß an Brauer, Der Eigenschaftsirrtum, 1941, S. 93 f. und Kegel, AcP 150 (1949), 361. Hervorh. d. Verf.
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bildung stützt 29. Der denkwürdige Vorschlag Kramers, der inhaltlich in der Lehre auf ein geteiltes Echo gestoßen ist30, ist jedenfalls nach Ansicht der ganz herrschenden Meinung mit der lex lata kaum vereinbar31. Insbesondere das diesbezügliche historische Argument Kramers ist durch eine nähere Untersuchung des Zusammenhangs, in dem die zweite Kommission von der Notwendigkeit einer Offenheit für die „moderne Rechtsentwicklung“ sprach, durchaus überzeugend widerlegt worden32. Man wird den gut begründeten und extensiv diskutierten Gegenargumenten auf Grundlage der Schuldrechtsreform nunmehr noch zwei Gesichtspunkte hinzufügen können. Zum einen stellt die ausdrückliche Regelung der culpa in contrahendo durch den Gesetzgeber in §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB das Vorhandensein einer systemwidrigen Lücke in diesem Bereich doch entscheidend in Frage, da diese Regelung Fälle der schuldhaften Beeinflussung durch den Erklärungsgegner im Vorfeld des Vertragsschlusses über den Naturalrestitutionsanspruch nach der hier vertretenen Auffassung nunmehr zweifelsohne erfassen kann und da sich der Gesetzgeber zur Abgrenzung von anderen Behelfen – insbesondere des Anfechtungsrechts – nicht geäußert hat, so daß von einem grundsätzlichen Nebeneinander der Regelungsinstrumente auszugehen ist33. Zum anderen ist der tragende teleologische Grundgedanke Kramers, demzufolge der Begrenzung auf Eigenschaften der Person oder Sache in § 119 Abs. 2 BGB jegliche innere Rechtfertigung fehle, nicht nur stets nicht ganz frei von Zweifeln gewesen 34, son29
S. MüKo-Kramer, § 119, Rz. 110, 114. S. nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 286 mit umfassenden weiteren Nachweisen. Lorenz selbst zieht aaO., S. 287 ff., insbesondere die Validität des rechtsvergleichenden Arguments Kramers in Zweifel. Demgegenüber positiver zu den hinter den Überlegungen Kramers stehenden rechtspolitischen und rechtsvergleichenden Erwägungen Singer, JZ 1999, 342, 245; Alexander, S. 120 f. 31 S. Flume, JZ 1985, 470, 474; Müller, JZ 1988, 381, 387; Medicus, AT, Rz. 770; Larenz, AT, § 20 II (S. 382); Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 135 (Fn. 97); Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 286; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 341 f.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 414, jeweils mwN. 32 S. Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 410 ff. mwN., der sorgsam herausarbeitet, daß sich die Formulierung, kein Präjudiz für die Wissenschaft schaffen zu wollen, schon nach der Konzeption der zweiten Kommission sich gerade auf die im Gesetz ausdrücklich angeführten Irrtümer beziehen sollte, während im übrigen die zweite Kommission von der selbstverständlichen Gültigkeit eines e contrario-Arguments ausging, mithin die Fälle beachtlicher Irrtümer gerade abschließend regeln wollte. 33 S. insoweit ausführlicher unten III 3. 34 S. nur überzeugend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 218 unter Hinweis auf Westermann, JuS 1964, 172; Weiler, S. 407 f., jeweils mit einer Erläuterung, warum es gerade der Eigenschaftsbegriff ist, vermittels dessen eine Auswahl derjenigen Motive, die ausnahmsweise für beachtlich gehalten werden, geleistet werden kann. In eine ganz ähnliche Richtung auch schon RGZ 149, 235, 238: „Will man den Begriff der verkehrswesentlichen Sacheigenschaft im § 119 Abs. 2 nicht ins Ungewisse zerfließen lassen und damit die Anfechtbarkeit eines an sich gültig abgeschlossenen Rechtsgeschäfts unangemessen ausdehnen, so muß man daran festhalten, daß unter diesen Begriff nur solche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse fallen, die den Gegenstand selbst kennzeichnen…“, sowie später auch die Rechtsprechung des BGH, s. BGH LM § 779 Nr. 2; BGHZ 16, 54, 57 = NJW 1955, 349; BGH BB 1963, 285. 30
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dern insbesondere mit Blick auf die nunmehr in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB vorgesehene Regel, die die Einbeziehung ganz bestimmter Motive aus der Phase vorvertraglicher und vorindividueller Willensbildung in die Beschaffenheitsvereinbarung im Wege gesetzlich typisierter Auslegung in ihrer Reichweite gerade ebenfalls entscheidend über den Eigenschaftsbegriff begrenzt35, kaum mehr haltbar. Denn damit hat der Gesetzgeber die zentrale Bedeutung, die aus der Sicht des Verkehrs gerade den Eigenschaften einer Person oder Sache für den rechtsgeschäftlichen Entschluß zukommt, mindestens partiell in anderem Zusammenhang erneut bestätigt36. Von einem Fehlen jeglicher Rechtfertigung für eine entsprechende Begrenzung in § 119 Abs. 2 BGB kann daher nach dem Gesamtsystem des heutigen BGB erst recht keine Rede sein. Nach alldem dürfte der Ansatz Kramers – unabhängig von der Frage nach seiner inhaltlichen Ausgewogenheit und Berechtigung37 – jedenfalls mit der lex lata nach heutigem Stand keinesfalls vereinbar sein. Nach der Konzeption des Gesetzes ist von der grundsätzlichen Unbeachtlichkeit des Motivirrtums auszugehen. Dies führt dann allerdings zu der prinzipienorientierten Frage, wie sich dieser Grundsatz – angesichts der auch durch Motivirrtümer, wenn auch mittelbarer als im Falle des § 119 Abs. 1 BGB, eingeschränkten Selbstbestimmung – rechtfertigt 38. Richtigerweise dürfte dies im wesentlichen mit der unerträglichen Gefährdung der Sicherheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs zu begründen sein, die eine unbegrenzte Anerkennung des Motivirrtums zur Folge hätte39. Hinzu kommt der Gedanke der Selbstverantwortung, der in seinem Verhältnis zur (und auch in der Abwägung mit dem Interesse an einem materialisierenden Schutz der) rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung dazu führt, daß das Risiko für endogene Störungen der Willensbildung zunächst im Grundsatz auf der Seite der Vertragspartei verankert wird, bei der diese Störungen aufgetreten sind40. Unter dieser Perspektive wird 35
Vgl. nur oben 3. Abschn. C II 1. S. zur grundsätzlichen Vergleichbarkeit der insoweit zugrundeliegenden Wertungen noch sogleich unten II 1 c. 37 S. o. Fn. 30. 38 Zur Rechtfertigungsbedürftigkeit des Grundsatzes zutreffend zuletzt Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 397 ff. 39 S. für sorgsame Darstellungen der Hintergründe, die teils bis in die Pandektistik zurückreichend geschildert werden, und auf die hier verwiesen werden kann, zuletzt Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 207 f.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 279 ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 336 ff.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 397 ff. Für einen Erklärungsansatz auf Grundlage ökonomischer und rechtspraktischer Überlegungen Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 391 ff. mwN. S. grundlagenorientiert zu den Geltungsgründen der Vertragsbindung auch schon ähnlich oben 1. Kap. 3. Abschn. C. 40 S. nur Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 400. Demgegenüber ist die rechtsethische Basierung in der „unlösbaren Verantwortung für das bewußt gegebene Wort“ (so Diesselhorst, in: Sympotica für Wieacker, S. 180, 190; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 244; ihm folgend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 281) nicht frei von Zweifeln (so zu Recht Weiler, aaO., 399 f., gegen Singer, aaO.). Denn im Kern geht es sowohl im Falle des Geschäfts- als auch des Motivirrtums um eine Abwägung widerstreitender Prinzipien und Interessen, bezüglich derer sich eine philosophisch-ethische Lösung jedenfalls allein aufgrund des 36
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
deutlich, daß die Lehre Kramers mit dem Gedanken der vertraglichen Risikotragung und der diesbezüglichen Abgrenzung nach Verantwortungssphären durchaus die entscheidenden Grundsätze, die hinter der im Gesetz vorgesehenen generellen Unbeachtlichkeit des Motivirrtums stehen, erkannt hat. Nur ist die Regelung im Bereich des Anfechtungsrechts strikt typisiert erfolgt und im Gesetz ist eine Lücke für diejenigen Fälle, in denen die andere Vertragspartei den Irrtum kennt oder gar schuldlos oder (fahrlässig) schuldhaft induziert hat, nach der hier vertretenen Auffassung nicht vorhanden41, so daß es letztlich keinen Grund gibt, diese Typisierung auf dem Wege einer Einheitslösung oder unter Rückgriff auf die Figur einer Rechtsanalogie zu den §§ 119 ff. BGB42 zu unterlaufen43. Augenfällig ist allerdings der Unterschied des Maßstabs des Rechts der Irrtumsanfechtung, für die einseitige Motivirrtümer demnach grundsätzlich unbeachtlich sind und der wettbewerbsrechtlichen Schutzrichtung, die sich im Verbraucher- und Kundenschutz gerade wesentlich auf das Verbot, derartige Motivirrtümer durch Werbung hervorzurufen, richtet. Während demnach die vorvertragliche Willensbildung im System der Irrtumsanfechtung zumindest grundsätzlich außer Betracht bleibt44, schützt das UWG den Verbraucher gerade vor Verzerrungen seines Willensbildungsprozesses durch unlautere Werbung. Die an dieser Stelle wesentlich im Wettbewerbsrecht geregelte Situation der Induzierung eines Irrtums beim Vertragspartner im Bereich vorvertraglicher und vorindividualisierter Kommunikation ist aber mit dem Zurechnungsmodell des § 119 BGB, das von einer rein endogenen Störung ausgeht, die eben nicht von Anfechtungsgegner hervorgerufen wurde, auch von vornherein nicht vergleichbar45. Im Anfechtungsrecht gehören derartige Situationen eher in das Umfeld des § 123 BGB (sofern dessen Voraussetzungen erfüllt sind), im Gesamtsystem des Zivilrechts in den Bereich der culpa in contrahendo46. Nur mit Blick auf das Gesamtumfeld dieser Regelungen können die Maßstäbe zwischen Wettbewerbsrecht, allgemeiner Rechtsgeschäftslehre und allgemeinem Schuldrecht sinnvoll Versprechensgedankens nicht finden läßt. Vgl. insoweit grundlegend kritisch auch oben 1. Kap. 2. Abschn. A zu entsprechenden Versuchen in der neueren amerikanischen Jurisprudenz. 41 S. noch unten III 3 b. 42 So insbesondere Sack, WRP 1974, WRP 1974, 445, 450; ders., GRUR 2004, 625, 630 (dort auf Grundlage einer Analogie nur zu § 123 BGB); vgl. zum ganzen noch unten III 2 a. 43 S. auch noch unten III 2–4. 44 Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 128 f., hat allerdings auch zu Recht darauf hingewiesen, daß – jedenfalls wenn man § 119 Abs. 2 BGB als Sonderregelung für den Irrtum im Beweggrund betrachtet (so auch die hier vertretene Meinung, s. sogleich unten b) – dies doch im Verhältnis zur werblichen Vertragsanbahnung insofern von Interesse ist, als demnach für das Anfechtungsrecht im Rahmen des § 119 Abs. 2 BGB nicht rechtsgeschäftliche und nicht einmal rechtsgeschäftsähnliche Elemente aus der vorindividuellen Vertragsanbahnung durch Werbung als Anfechtungsgrund relevant werden, wenn die in § 119 Abs. 2 BGB näher beschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind. 45 S. zutreffend Alexander, S. 108 f. 46 Vgl. allgemein aus zivilrechtlicher Sicht statt vieler Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 342.
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verglichen und Folgerungen aus den Ergebnissen dieses Vergleichs gezogen werden, wie dies noch unten (C und im darauffolgenden 5. Abschnitt) unternommen werden soll. Für den Bereich der Irrtumsanfechtung bildet § 119 Abs. 2 BGB demnach die einzige nennenswerte Ausnahme vom Grundsatz der Unbeachtlichkeit des Motivirrtums, wobei umstritten ist, ob es sich der dogmatischen Qualifikation nach überhaupt um eine Ausnahme von diesem Grundsatz handelt. Gemeinsam ist jedenfalls allen dogmatischen Ansätzen zur Einordnung des § 119 Abs. 2 BGB das Bemühen, die faktische Ausnahme vom Grundsatz der Unbeachtlichkeit des Motivirrtums in geeigneter Weise verläßlich zu begrenzen47. b. Die dogmatische Einordnung des § 119 Abs. 2 BGB Die wohl herrschende Meinung, die auf Zitelmann 48 und Larenz49 zurückzuführen ist, geht in diesem Zusammenhang aber zumindest weiterhin davon aus, daß es sich bei § 119 Abs. 2 BGB um eine Regelung der ausnahmsweisen Beachtlichkeit bestimmter Motivirrtümer handelt 50. Der Maßstab für die ausnahmsweise Beachtlichkeit bestimmter Motive der Willensbildung ist in diesem dogmatischen Rahmen konsequenterweise ein im wesentlichen objektiver, der sich an den Begrenzungskriterien des Eigenschaftsbegriffs und der Verkehrswesentlichkeit orientiert51. 47 S. nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 295; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 403, jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 395 ff., sieht in der verläßlichen Begrenzbarkeit nur des Eigenschaftsirrtums, bei dem es einzig für den Beleg nicht allein eines Rückgriffs auf die interne Vorstellungswelt des Erklärenden bedürfe, einen regelrechten Geltungsgrund für die Ausnahme vom Grundsatz der Unbeachtlichkeit des Motivirrtums gerade in diesem Bereich. 48 Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 435 ff., 552 ff. 49 Larenz, AT, § 20 II (S. 379, 381). 50 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 214; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 295; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 406 (dort mit umfassenden weiteren Nachweisen). Cum grano salis wird man auch die Rechtsprechung (s. die umfassenden Nachweise bei MüKo-Kramer, § 119, Rz. 102 f.), die eine explizite Festlegung in dem dogmatischen Streit bisher sorgsam vermieden hat (s. zutreffend nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 302; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 340), der Theorie vom ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum zurechnen können. Allerdings ist mit dem „Erfordernis“ der Erkennbarkeit für die andere Vertragspartei (s. dazu MüKo-Kramer, § 119, Rz. 102 und insbesondere Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 218 mit umfassenden Nachweisen in Fn. 51; zurückhaltender Lorenz, aaO., S. 302: vereinzelte Entscheidungen), welches bei genauem Hinsehen eher eine nicht ganz leicht zu kontrollierende Erweiterung gegenüber einer rein objektiven Orientierung am Maßstab der Verkehrserwartung mit sich bringt (s. noch unten 3), in der Rechtsprechung eine gewisse Tendenz zur „Versubjektivierung“ der Anfechtungsschranke (Formulierung von Singer, aaO., S. 219) zu erkennen, die aber die dogmatische Einordnung als Ausnahme vom Grundsatz der Unbeachtlichkeit des Motivirrtums gerade nicht betrifft, da die Rechtsprechung gerade nicht die Einbeziehung in die rechtsgeschäftliche Vereinbarung voraussetzt. 51 Zutreffend Larenz, AT, § 20 II; besonders klar für einen objektiven Maßstab Köhler, AT, § 7, Rz. 21; ders., JR 1984, 324. Vgl. auch noch unten 3.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Eine jedenfalls dogmatisch grundlegend andere Zuordnung nimmt Flume mit seiner Theorie des rechtsgeschäftlichen Eigenschaftsirrtums vor, die die Begrenzung des § 119 Abs. 2 BGB dadurch erreichen will, daß postuliert wird, die im Rahmen des § 119 Abs. 2 BGB geregelte Abweichung der Wirklichkeit von der Vorstellung des Erklärenden könne nur dann relevant werden, wenn die abweichende Vorstellung Eingang in das Rechtsgeschäft gefunden habe52. Dabei will aber auch Flume bezüglich der Frage der Einbeziehung in das Rechtsgeschäft zwangsläufig die Maßstäbe weitestgehend verobjektivieren bzw. – genauer gesagt – typisieren: Neben allen Eigenschaftsvorstellungen, die der anfechtende Teil rechtsgeschäftlich geäußert hat, sollen auch all jene Eigenschaftsvorstellungen maßgeblich sein, mit denen nach dem jeweiligen Geschäftstypus der Erklärungsempfänger rechne, weil derartige Eigenschaften bei Geschäften der fraglichen Art üblicherweise zu erwarten seien53. Diese Typisierung führt dazu, daß der Ansatz Flumes vom Ansatz der wohl herrschenden Meinung in den Ergebnissen nicht wesentlich abweichen dürfte54. Insbesondere die Ergebnisse der – die Lehre vom Eigenschaftsirrtum als ausnahmsweise beachtlichem Motivirrtum durch das Erfordernis der Erkennbarkeit und gelegentlich durch ausdrücklichen Rekurs auf die Typizität des Rechtsgeschäfts55 eigenwillig interpretierenden und eine dogmatische Festlegung jedenfalls meidenden – Rechtsprechung56 dürften sich mit den Ergebnissen der Lehre Flumes vom rechtsgeschäftlichen Eigenschaftsirrtum weitestgehend decken57. Dennoch stößt Flumes Ansatz auf gewisse dogmatische Bedenken. Denn letztlich wandelt er § 119 Abs. 2 BGB in eine Regelung des Leistungsstörungsrechts um, die in einem ersten Schritt im Sinne einer Art gesetzlichen Auslegungsregel 58 dafür sorgt, daß bestimmte typisierte Vorstellungen von den Eigenschaften der Person oder Sache in das Rechtsgeschäft mit einbezogen werden, um dann im zweiten Schritt bei Abweichung der Leistung von dem solcherart typisierten Inhalt des Rechtsgeschäfts im Wege einer Leistungsstörungsregel die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts vorzusehen59. Gegen eine solche Annahme, der Gesetz52 S. grundlegend Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, 1948; ders, AT II, § 24. Ihm folgend Medicus, AT, Rz. 770; ders, Bürgerliches Recht, Rz. 770; Pawlowski, AT, Rz. 543; StaudingerDilcher, § 119, Rz. 54. Weitere Nachweise finden sich bei Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 404 (Fn. 776). 53 S. Flume, AT II, § 24, 2 B) und c) (S. 476 ff.). 54 Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 129; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 218 f.; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 344; Alexander, S. 106. 55 S. insoweit BGH DB 1972, 479, 481, wo das Kriterium der Typizität verwendet wird, um unerhebliche Motivationen auszuschließen. Lediglich verkehrstypische Verhältnisse, von denen generell auf die Wertschätzung geschlossen wird, könnten verkehrswesentliche Eigenschaften i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB sein. Vgl. insoweit auch noch unten 3. 56 S. o. Fn. 50. 57 S. die Nachweise o. Fn. 54. 58 Dieser erste Schritt wird treffend gesehen bei Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 347 (insbes. Fn. 93) mwN. 59 Grundlegend Schmidt-Rimpler, in: FS für Lehmann I, S. 213, 217; im Anschluß daran La-
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geber habe mit § 119 Abs. 2 BGB letztlich eine Regelung des Leistungsstörungsrechts im Anfechtungsrecht „verborgen“, sind schon bisher sehr bedenkenswerte Einwände auf Grundlage grammatikalischer60, historischer61, systematischer62 und teleologischer63 Argumentationsstränge erhoben worden. Nach heutigen Stand wird man dem – wiederum auf Grundlage der durch die Schuldrechtsreform erfolgten Neuregelung des Kaufrechts – noch eine weitere skeptische Überlegung hinzufügen müssen: Letztlich ist § 434 Abs. 1 S. 3 BGB der dogmatischen Konstruktion nach unübersehbar genau eine Variationsform der Gattung gesetzlich typisierter Auslegungsregeln, wie sie Flume als dogmatische Kategorie für § 119 Abs. 2 BGB vorschwebt. Denn in wesentlicher Orientierung an der Verkehrserwartung werden – von Unterschieden in der Ausgestaltung der Einzelheiten einstweilen abstrahiert – bestimmte typisierte Erwartungen des Verkehrs, die durch Werbung induziert wurden, in die Beschaffenheitsvereinbarung beim Kauf einberenz, AT, § 20 II (S. 380 f.). S. zuletzt Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.215; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 300; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 404 f. 60 S. nur Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 406, demzufolge § 119 Abs. 2 BGB bei ungezwungener Interpretation nach dem Wortlaut einen Fall der ausnahmsweisen Beachtlichkeit des Motivirrtums regelt. 61 S. eingehender Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 301, der festhält, dem historischen Gesetzgeber könne trotz aller Konzeptlosigkeit (s. insoweit den Hinweis Flumes, § 24, 4, die zweite Kommission habe unter dem Eindruck der verfehlten Zitelmanschen Lehre keine klaren Vorstellungen vom Umfang der Beachtlichkeit des Eigenschaftsirrtums gehabt) jedenfalls nicht unterstellt werden, daß er nicht zumindest eine Regelung des Irrtums beim Abschluß des Rechtsgeschäfts schaffen wollte. Vgl. auch Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 404 f. 62 Aus systematischer Sicht ist wiederum die Vorstellung der Anordnung einer Leistungsstörungsregelung im systematischen Kontext der Regelung der Irrtumsanfechtung im zweiten Titel „Willenserklärung“ des dritten Abschnitts über Rechtsgeschäfte des allgemeinen Teils des BGB (und nicht im Zusammenhang des Rechts der Schuldverhältnisse) zumindest stark gewöhnungsbedürftig, s. nur Schmidt-Rimpler, in: FS für Lehmann I, S. 213, 228; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 301; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 404; MüKoKramer, § 119, Rz. 109. Hinzu kommt noch die systematische Zweifel nährende Überlegung, daß die Ausnahmeregelung zum Schadensersatz in § 122 Abs. 2 BGB in der Lösung Flumes für den Eigenschaftsirrtum vollkommen bedeutungslos würde, da der Anfechtungsgegner stets den Grund der Anfechtbarkeit kannte bzw. kennen mußte, wenn dieser bei typisierter Betrachtung sogar in die rechtsgeschäftliche Vereinbarung einbezogen war. 63 Aus teleologischer Sicht stimmt der Ansatz Flumes insofern bedenklich, als er die Bedeutung des § 119 Abs. 2 BGB neben den Regelungen insbesondere der kaufrechtlichen Sachmängelhaftung praktisch auf Null reduzieren würde, da stets, wenn ein beachtlicher Eigenschaftsirrtum des Käufers zu seinen Gunsten vorläge, die Vorschriften über die Sachmängelhaftung vorgingen (s. noch unten 5 zur hier vertretenen, abweichenden Auffassung zum damit angesprochenen Konkurrenzverhältnis). Damit bliebe für § 119 Abs. 2 BGB allein der praktisch irrelevante Bereich, wenn die Sache zugunsten des Käufers von der vereinbarten Beschaffenheit abweicht. So in der Tat auch Flume, § 24, 4, der hierin aber gerade einen Vorzug seiner Auffassung im Sinne des oben (s. bei o. Fn. 47) genannten gemeinsamen Ziels, den Anwendungsbereich des als unliebsames Einbruchstor in das Prinzip der Unbeachtlichkeit bloßer Motivirrtümer empfundenen § 119 Abs. 2 BGB so weit als möglich einzugrenzen, sieht. Vgl. zum ganzen Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 300 f.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 404 f., jeweils mwN.
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zogen. Dies wäre dann in der Tat eine geschäftsspezifisch abgewandelte Variation exakt der Regelung des § 119 Abs. 2 BGB, wenn man sie im Sinne Flumes interpretiert. Angesichts dieser inneren Verwandtschaft und angesichts der Virulenz des vorstehend geschilderten Meinungsstreits hätte eine Stellungnahme des Gesetzgebers zum dogmatischen Verhältnis des § 119 Abs. 2 BGB zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB – über die dürre Inbezugnahme der Haltung der bisherigen Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen Sachmängelhaftung und § 119 Abs. 2 BGB in der Gesetzesbegründung64 hinaus – dann aber nahegelegen, wenn der Gesetzgeber der Auffassung Flumes zu § 119 Abs. 2 BGB Gefolgschaft leistete. Denn aus dieser Sicht würde doch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB für den mit Abstand wesentlichsten Vertragstyp eine die kategoriell verwandte Regelung des § 119 Abs. 2 BGB modifizierende Regelung vorsehen. Nachdem eine solche Stellungnahme des Gesetzgebers aber nicht erfolgt ist, wird man davon ausgehen müssen, daß der Schuldrechtsreformgesetzgeber – über die bisherigen Konkurrenzdiskussionen in diesem Bereich hinaus65 – jedenfalls nicht die konkrete Vorstellung hatte, daß § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB und § 119 Abs. 2 BGB dogmatisch in eine einheitliche Kategorie gehörten. Man wird die Lehre vom rechtsgeschäftlichen Eigenschaftsirrtum daher aus historischer und aus systematischer Sicht mit Blick auf das Verhältnis zu § 434 BGB durch die Neuregelung des Kaufrechts nicht eben als gestärkt ansehen können. c. Die ansatzweise Vergleichbarkeit der zugrundeliegenden Interessenabwägung und der Tatbestandsstruktur in § 119 Abs. 2 BGB und § 434 Abs. 1 S. 3 BGB Letztlich kann der Streit um die dogmatische Einordnung des § 119 Abs. 2 BGB aus der Sicht der hier angestellten Untersuchung (trotz einer gewissen Skepsis gegenüber der Lehre vom rechtsgeschäftlichen Eigenschaftsirrtum) sogar offenbleiben. Für das hier zu untersuchende Verhältnis zu wettbewerbsrechtlichen Wertungen im Bereich der Bestimmung des (durch Typisierung verobjektivierten) Verkehrsverständnisses und seiner Relevanz im Zivilrecht ist – unabhängig von der Identität der dogmatischen Zuordnung – allein entscheidend, daß jedenfalls der in § 119 Abs. 2 BGB und § 434 Abs. 1 S. 3 BGB geregelte grundlegende Interessenkonflikt in der Tat ansatzweise vergleichbar ist, und daß die Normen auch in der strukturellen Ausgestaltung ihrer jeweiligen Tatbestände Zeichen einer unleugbaren inneren Verwandtschaft aufweisen. Im Kern geht es in beiden Fällen um den Konflikt zwischen den Bedürfnissen der Verkehrssicherheit und des Schutzes materialer Selbstbestimmung auch mit Blick auf die für eine vertragliche Willenserklärung bestimmenden Motive 66. Dieser Kon64 S. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), Zu § 433 Abs. 1 S. 2; vgl. näher auch noch unten 5. 65 S. insoweit noch unten 5. 66 S. bezüglich § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB schon oben 3. Abschn. C II 1 sowie insbesondere oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (b). S. zu § 119 BGB besonders klar herausgearbeitet bei
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flikt wird von beiden Normen – im Falle des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB in der Tat durch typisierte Einbeziehung in das Rechtsgeschäft im Wege einer gesetzlichen Auslegungsregel, in § 119 Abs. 2 BGB wohl eher durch ausdrückliche Anerkennung der rechtlichen Relevanz bestimmter Motive, ohne diese zum Rechtsgeschäftsinhalt zu erheben – dadurch gelöst, daß aus dem Bündel der für die individuelle Vertragsentscheidung relevanten, vielfältigen vorvertraglichen und vorindividuellen Motivationen, bestimmte Motive nach bestimmten Gesichtpunkten ausgewählt und dann hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Vertragsschluß durch Ausrichtung am normativen Maßstab der Verkehrserwartung typisiert verobjektiviert beurteilt werden. Es geht – trotz der unterschiedlichen dogmatischen Ausgestaltung – im Kern in beiden Fällen um das Ziel, einer Typisierung der Verkehrserwartung in einem bestimmten Bereich67. Dabei besteht – ungeachtet der unterschiedlichen Rechtsfolgen – eine entscheidende Ähnlichkeit zwischen § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und § 119 Abs. 2 BGB auch in der grundsätzlich vergleichbaren Tatbestandstechnik (im Kontext des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB in der hier angestellten Untersuchung als „Wasser und Öl“Ansatz bezeichnet)68: Zuerst wird in einem – sozusagen horizontal zu nennenden – ersten Schritt der Bereich, in dem ein durch Typisierung verobjektivierter Maßstab in die auf die Regelung individueller Rechtsgeschäfte zugeschnittenen Regeln des Vertragsrechts bzw. der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre einbrechen kann, möglichst verläßlich abgesteckt. In § 434 Abs. 1 S. 3 BGB geschieht dies, ebenso wie in § 119 Abs. 2 BGB, durch die Verwendung des Eigenschaftsbegriffs, wobei dieser durch Einbeziehung von Eigenschaften der Person in § 119 Abs. 2 BGB gegenüber der kaufspezifischen Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB erweitert wird69. Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 407 f.; vgl. ebenso aber letztlich auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 218; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 294 ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 340 ff.; Alexander, S. 105 ff. 67 S. für § 119 Abs. 2 BGB sogar ausdrücklich BGH DB 1972, 479, 481 und dazu MüKo-Kramer, § 119, Rz. 102; s. für § 434 I 3 BGB ausführlich oben 3. Abschn. C II 1 sowie oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (b). 68 S. bezüglich § 434 Abs. 1 S. 3 BGB schon oben 3. Abschn. C II 1 sowie oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2). 69 A.A. Larenz, AT § 20 II (S. 383), der das Kriterium der Eigenschaft als vom Merkmal der Verkehrswesentlichkeit letztlich untrennbar ansieht, da das Merkmal der Verkehrswesentlichkeit den im Gesetz verwandten Begriff der Eigenschaft erläutere („… eher … Erläuterung … als … getrenntes Erfordernis…“); kritisch zum Eigenschaftsbegriff auch Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 340 f. Man wird Fleischers Auffassung, die Anknüpfung an den farblosen und neutralen Eigenschaftsbegriff, drohe den Anschluß an die allgemeine Entwicklung der Irrtumsdogmatik im ausländischen und internationalen Vertragsrecht zu verlieren, jedenfalls auf Grundlage der lex lata nach der Schuldrechtsreform entgegenhalten müssen, daß der Schuldrechtsreformgesetzgeber in der strukturell vergleichbaren Norm des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB nunmehr aber wiederum auf der ersten Stufe auf den Eigenschaftsbegriff zurückgegriffen hat, um den Einbruch typisiert verobjektivierter Maßstäbe in das Vertragsrecht zu begrenzen. Die hierin liegende gesetzgeberische Wertung ist jedenfalls nunmehr zu respektieren (s. dazu auch sogleich unten 2), wobei Fleischers Bedenken durch eine erweiternde Auslegung des Eigenschaftsbegriffs (wie hier befürwortet, vgl. oben 3. Abschn. C II 1) zumindest zum Teil Rechnung getragen werden kann. Ohnedies im Ansatz wie hier Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 218.
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Nur in diesem vermeintlich sicher abgesteckten Rahmen kommt es dann bezüglich der Relevanz der Eigenschaft in einem zweiten – sozusagen vertikalen Schritt – auf die Beurteilung der Bedeutung der Eigenschaft nach dem typisiert verobjektivierten normativen Maßstab der Verkehrserwartung an 70. Ungeachtet dieser Vergleichbarkeit des grundlegenden Konflikts, den § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB und § 119 Abs. 2 BGB trotz der unterschiedlichen Rechtsfolge und systematischen Zuordnung – und der daher wohl doch (entgegen einer weiter gedachten Flumeschen Konzeption) zu verneinenden dogmatisch-kategoriellen Identität – jedenfalls hinsichtlich der Tatbestandsstruktur auch mit vergleichbaren Mitteln moderieren, bestehen allerdings zugleich wesentliche Unterschiede. Insbesondere sind bezüglich der Haftung für öffentliche Aussagen in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zumindest noch rudimentäre Ansätze einer dem Sphärengedanken folgenden Risikozuordnung zum Verkäufer aufgrund einer dessen Seite zugeordneter Beeinflussung des Käufers vorhanden. So werden etwa nur die Aussagen bestimmter Dritter relevant, die häufig der Sphäre des Verkäufers zuzuordnen sein dürften und von denen der Verkäufer typischerweise profitiert71. Auch ist die Haftung ausgeschlossen, wenn der Verkäufer die Aussage nicht kannte oder kennen mußte. Auf eine derartige Zurechnung kommt es für den Tatbestand des § 119 Abs. 2 BGB, der anders als § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ja auch keine Erfüllungshaftung, sondern allein eine – zudem durch die in § 122 Abs. 1 BGB vorgesehene Schadensersatzpflicht abgefederte72 – Möglichkeit, sich vom Vertrag zu lösen vorsieht, von vornherein nicht an73. Die Anfechtungsmöglichkeit besteht allein aufMankowski, Beseitigungsrechte, S. 395 ff., sieht den Hauptgrund für die Ausnahme gerade im Bereich des Irrtums über Sacheigenschaften darin, daß sich allein in diesem Bereich die interne Motivlage überhaupt sinnvoll verobjektivieren läßt. Dies stützt das hier vertretene, sozusagen zweistufige Konzept gerade. Daher zu weitgehend Beater, § 1, Rz. 70, mit seinem Vorschlag, einen Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften allgemein im Falle irreführender Werbung zu bejahen. 70 S. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 342 mwN. Zu den Folgerungen für die Interpretation der „Verkehrswesentlichkeit“ in § 119 Abs. 2 BGB s. noch unten 3. 71 Zu bedenken ist aber auch, daß dies nicht immer der Fall sein dürfte. Insbesondere beim Kauf gebrauchter Güter von Privaten ist nicht recht erkennbar, wieso dem Verkäufer nach Risikosphären oder nach dem cuius commodum eius periculum-Grundsatz die Gefahr, die von öffentlichen Aussagen des Herstellers ausgeht, zugeordnet werden sollte. Hier ist es wohl in der Tat allein der Maßstab der Verkehrserwartung, die eben Aussagen des Herstellers und seiner Gehilfen bezüglich der Sachqualität besondere Bedeutung beimißt, der die diesbezügliche Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zu tragen vermag. Vgl. auch schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) und 4. Kap. 3. Abschn. C II 1. 72 Das Eingreifen der Schadensersatzpflicht bezüglich des Vertrauensschadens ist aber gem. § 122 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, sofern der Anfechtungsgegner die Anfechtbarkeit kannte oder kennen mußte. Hier trifft sich die Wertung des Anfechtungsrechts bezüglich der Schutzwürdigkeit des Anfechtungsgegners wiederum ansatzweise mit der Lösung in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB. Nur die Beweis- und Vortragslast ist dort – da es sich um eine Ausnahmeregelung handelt – genau umgekehrt ausgestaltet, wie in § 122 Abs. 2 BGB, in dessen Rahmen den Anfechtenden die Beweis- und Vortragslast trifft, s. dazu noch näher unten 4. 73 Aus rechtsvergleichender Sicht ist diese demnach von einer Beeinflussung seitens des Verkäufers unabhängige Möglichkeit, sich jedenfalls bei zugleich angeordneter Pflicht, den entstan-
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grund des dem (besonders wichtigen, begrenzten) Bereich der Sach- oder Personeneigenschaften zuzuordnenden, nach der Verkehrsanschauung relevanten Irrtums des Anfechtenden, ohne daß es für die Anfechtungsmöglichkeit auf die Frage, welcher Seite das Risiko für dessen Entstehung eher zuzuordnen ist, überhaupt noch ankommt. Eine teilweise abweichende Zuordnung des Risikos auf den Verkäufer wird vielmehr konsequenterweise nur für die Begrenzung der Schadensersatzpflicht des Anfechtenden relevant, wenn der Anfechtungsgegner den Anfechtungsgrund kannte oder kennen mußte74. Sofern er den Anfechtungsgrund kannte, ist sein Vertrauen schlechterdings nicht schutzwürdig; sofern er ihn allerdings nur kennen mußte, wird dem Anfechtungsgegner als Voraussetzung des Schutzes seines Vertrauens im Ergebnis eine Beobachtungsobliegenheit bezüglich potentieller Fehlvorstellungen bei seinem Vertragspartner auferlegt, die letztlich eine gewisse begrenzte Mitverantwortung für dessen fehlerfreien Willensbildungsprozeß bezüglich der Sach- und Personeneigenschaften begründet. Dieses Kriterium ähnelt nun wiederum dem Ausschlußgrund für die Haftung nach § 434 Abs. 1 S. 3 Alt. 1 BGB. Nur Beweis- und Vortragslast, das Regel-Ausnahme-Verhältnis sind genau spiegelbildlich ausgestaltet, da die Ausgangssituation in § 434 Abs. 1 S. 3 Alt. 1 BGB anders gelagert ist als im breiteren Anwendungsfeld des § 119 Abs. 2 BGB. Der hinsichtlich der Gründe für die Fehlvorstellungen schmalere (auf öffentliche Aussagen bestimmter Personen) begrenzte Tatbestand des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB betrifft nämlich von vornherein Situationen, in denen die Entstehungsgründe für potentielle Fehlvorstellungen nach der Konzeption des Gesetzgebers schon tatbestandlich der Sphäre des Verkäufers zuzuordnen sind, so daß dessen Freistellung von der Verantwortungszuweisung nach Risikosphären die Ausnahme bildet. Ist demnach der Grundkonflikt, den § 119 Abs. 2 BGB und § 434 Abs. 1 S. 3 BGB regeln, vergleichbar, und erfolgt die Regelung – durch kategorielle Auswahl bestimmter typischerweise besonders wichtiger Motive für den Vertragsschluß im ersten Schritt (Eigenschaften der Person oder der Sache bzw. Sachbeschaffenheit), die dann in einem zweiten Schritt hinsichtlich ihrer konkreten Relevanz am typisierten normativen Maßstab der Verkehrserwartung zu beurteilen sind – auch im Grundsatz unter systematisch vergleichbaren Voraussetzungen (wenn auch mit unterschiedlichen Rechtsfolgen: nämlich der vergleichsweise bescheidenen ausnahmsweisen Beachtlichkeit des Motivirrtums einerseits und der sehr viel gravierenderen typisierten Einbeziehung in die Beschaffenheitsvereinbarung und damit in die kaufrechtliche Erfüllungshaftung andererseits), so dürfte dies zu gewissen Parallelen in der Auslegung der Tatbestände führen. Diese sind für die hier angestellte Untersuchung insofern von höchstem Interesse, als es damit zugleich – entsprechend dem zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB entwickelten „Wasser und Öl“-Ansatz – auch im Rahmen des § 119 Abs. 2 BGB wiederum einen streng umrissenen Bereich denen Vertrauensschaden zu ersetzen, vom geschlossenen Vertrag aufgrund einseitigen Motivirrtums zu lösen, alles andere als selbstverständlich. S. insoweit nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 291 f. und 361; MüKo-Kramer, § 119, Rz. 110, jeweils mwN. 74 S. dazu näher unten 4.
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geben kann, in dem ein Vergleich mit oder sogar ein Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Beurteilungskriterien hinsichtlich der durch Werbung geprägten Verkehrsanschauung und ihrer Relevanz („Verkehrswesentlichkeit“) für die Abgabe der Willenserklärung in Betracht kommt. Allerdings ist dabei im Bereich der Anfechtung weit größere Vorsicht geboten. Denn der durch den Eigenschaftsbegriff hinsichtlich Sachen und Personen umrissene Bereich ist sehr viel weiter, und es ist – angesichts des Fehlens jeglichen Zurechnungserfordernisses – auch von vornherein nicht nur die durch bestimmte Werbeaussagen geprägte Verkehrsanschauung angesprochen, sondern vielmehr jegliche relevante Verkehrsauffassung – gleichgültig wie diese entstanden sein mag –, was hinsichtlich der Rückgriffsmöglichkeit auf wettbewerbsrechtliche Maßstäbe, die ja im wesentlichen die vergleichsweise spezifisch gelagerte Beeinflussung der Kundenseite durch Werbung regeln, doch erhebliche Vorsicht gebietet und ersichtlich nur einen begrenzten Überschneidungsbereich der Wertungen in bestimmten Teilbereichen des weiter konzipierten Tatbestands des § 119 Abs. 2 BGB erwarten läßt. Dennoch ist in der Folge die Tragfähigkeit der hinsichtlich des zu regelnden Interessenkonflikts parallelen Fundamentierung der § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 und § 119 Abs. 2 BGB für eine Übertragung einzelner Auslegungsmaßstäbe und insbesondere für den (teilweisen) Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Beurteilungskriterien, zumal hinsichtlich der Prägung der Verkehrswesentlichkeit einer Eigenschaft durch Werbung, noch etwas tiefer auszuloten.
2. Eigenschaftsbegriff in § 119 Abs. 2 BGB: Parallelen zu § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB und Verhältnis zum wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutz a. Allgemein Eine erste wesentliche Ableitung betrifft die teilweise parallele Auslegung des Eigenschaftsbegriffs in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und des Eigenschaftsbegriffs mit Blick auf den Irrtum über Eigenschaften der Sache beim Kaufvertrag in § 119 Abs. 2 BGB. In der Tat dürfte die hier vorgeschlagene erweiternde Auslegung des Eigenschaftsbegriffs in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB75, die grundsätzlich an der inneren Beziehung zur Substanz der Kaufsache festhält, dabei aber über den Beschaffenheitsbegriff des alten Rechts76 und auch in Einzelfragen über den Begriff der zusicherungsfähigen Eigenschaft nach altem Recht hinausgeht, sich gerade weitgehend mit der seit jeher etablierten Interpretation des Eigenschaftsbegriffs hinsichtlich der Gegenstände eines Kaufvertrags in § 119 Abs. 2 BGB decken77. 75
S. oben 3. Abschn. C II 1. Für das neue Recht sind der Beschaffenheitsbegriff und der Eigenschaftsbegriff in § 434 BGB nunmehr als synonym anzusehen und einheitlich erweiternd auszulegen. S. nur Grigoleit/ Herresthal, JZ 2003, 118, 122; vgl. auch die synonyme Verwendung in der Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 Satz 3. 77 S. in diese Richtung schon zum alten Recht Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten 76
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Dies läßt sich auf Grundlage der hier erkannten gewissen Parallelen hinsichtlich der Funktionalität beider Normen auch rechtsdogmatisch befriedigend begründen. Zwar ist die einheitliche Auslegung des Begriffs in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und in § 119 Abs. 2 BGB angesichts der unterschiedlichen Reichweite der Normen, angesichts des grundlegend abweichenden Zurechnungsmodells und insbesondere angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen der beiden Regelungen durchaus nicht zwingend. Während § 119 Abs. 2 BGB jedenfalls nach Ansicht der herrschenden Meinung lediglich zur ausnahmsweisen anfechtungsrechtlichen Berücksichtigungsfähigkeit von ganz bestimmten Motivirrtümern betreffend Sacheigenschaften führt, bezieht § 434 Abs. 1 S. 3 BGB derartige bestimmte Sacheigenschaften betreffende Irrtümer, sofern sie im Vorfeld durch öffentliche Äußerungen bestimmter Dritter geprägt wurden, in die vertragliche Beschaffenheitsvereinbarung und damit in die kaufvertragliche Erfüllungshaftung ein. Da jedoch beide Normen insoweit mit derselben Tatbestandstechnik dasselbe Interessenabwägungsproblem lösen – nämlich die Auswahl bestimmter, für die Willensbildung hervorragend wichtiger Motive zu leisten, die trotz einer sie jedenfalls nicht individuell konkludent einbeziehenden 78 rechtsgeschäftlichen Erklärung eine gewisse verobjektivierte Relevanz behalten sollen –, liegt eine einheitliche Interpretation des in vergleichbarer funktionaler Umgebung vom Gesetzgeber einheitlich verwendeten Begriffs nahe. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform in bewußter Abweichung von der Terminologie der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB auf den Begriff der Eigenschaften der Kaufsache zurückgegriffen hat79, der sich mit der Begrifflichkeit des § 119 Abs. 2 BGB nun einmal deckt. Es ist also in grundsätzlich vergleichbarer funktionaler Umgebung vom Gesetzgeber bewußt ein einheitlicher Begriff verwendet worden. Unter diesen Umständen ist die einheitliche Interpretation des Begriffs aufgrund des identischen Wortlauts die naheliegende Regel, eine abweichende Interpretation des Begriffs in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und in § 119 Abs. 2 BGB bedürfte als Ausnahme mindestens einer gewichtigen BegrünVertrag, S. 307; auf Grundlage seiner Lehre vom rechtsgeschäftlichen Eigenschaftsirrtum ohnedies zwingend für Deckungsgleichheit natürlich auch Flume, § 24, 3 a) (S. 485). Nach der hier vertretenen Auffassung ist aber – jedenfalls auf Grundlage der Regelungen in § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform, die den Eigenschaftsbegriff synonym mit dem Beschaffenheitsbegriff verwenden, sogar unabhängig von der dogmatischen Zuordnung des § 119 Abs. 2 BGB jedenfalls von einer Deckungsgleichheit der Begriffe auszugehen, s. dazu sogleich im folgenden Text. A.A. Larenz/Wolf, AT, § 36, Rz. 48: Beschaffenheitsbegriff weiter als Eigenschaftsbegriff. 78 Ein solcher Fall wäre nämlich im Rahmen des § 434 BGB dem Unterfall der konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung gem. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB (s. insoweit oben 3. Abschn. C II 1) und unter § 119 BGB dem Bereich des Inhaltsirrtums zuzuordnen (s. insoweit statt aller Köhler, AT, § 7, Rz. 18). 79 In Art. 2 Abs. 2 lit. d) Verbrauchsgüterkauf-RL ist in diesem Zusammenhang von „Qualität und Leistungen“ der Verbrauchsgüter die Rede, während der deutsche Gesetzgeber sich entschieden hat, auf den Eigenschaftsbegriff zurückzugreifen. Vgl. auch Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 Satz 3: Übernahme der Richtlinie mit kleinen Umformulierungen.
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dung. Eine derartige Begründung ist angesichts der wesentlichen Funktionsgleichheit des Tatbestandsmerkmals in beiden Normen im Sinne einer jeweils sozusagen horizontalen Begrenzung der Einbruchsstelle für den durch Typisierung verobjektivierten Maßstab der Verkehrsanschauung hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit einzelner, besonders überragender Motive für einen Kaufvertragsabschluß jedenfalls nicht mit der hinreichenden Deutlichkeit erkennbar80. Also ist der Begriff – soweit die terminologische Überschneidung reicht, d.h. betreffend Eigenschaften der Sache – nach der hier vertretenen Auffassung einheitlich auszulegen. Im Ergebnis dürfte der Vergleich der jeweils in der Rechtsprechung zum alten Begriff der zusicherungsfähigen Eigenschaft im Kaufrecht und zum Eigenschaftsbegriff unter § 119 Abs. 2 BGB entwickelten Maßstäbe und Einzeljudikate unter dem Leitmaßstab des oben (3. Abschn. C II 1) entwickelten erweiterten Eigenschaftsbegriffs im wesentlichen dazu führen, daß einzelne „Ausreißer“ der Rechtsprechung zu § 119 Abs. 2 BGB, die im Einzelfall den Begriff der Sacheigenschaften mit Blick auf Kaufgegenstände im Rahmen dieser Norm überdehnte, nunmehr nicht länger Gültigkeit beanspruchen dürften81. Nur diejenigen Umweltbeziehungen, die in der Substanz der Sache oder ihrer Lage im Raum (der „Beschaffenheit der Sache selbst“) zumindest noch irgendeinen Anknüpfungspunkt im weitesten Sinne finden, sind nach der Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im Bereich des Sachkaufs von typisierbar derart überragender Wesentlichkeit für die Motivation des Käufers, daß sie eine Ausnahme vom zivilrechtlichen Grundsatz der Unbeachtlichkeit einseitiger vorvertraglicher und vorindividueller Willensbildungsstörungen rechtfertigen. Diese Wertung ist – trotz gewisser systematischer Unterschiede insbesondere im Zurechnungsmodell der beiden Normen und in den Rechtsfolgen82 – auch im Rahmen des § 119 Abs. 2 BGB aus den vorgenannten 80
S. dazu sogleich im folgenden Text. So ist nach der hier vertretenen Auffassung die Existenz eines Gutachtens, das die Echtheit eines Kunstwerks bejaht, entgegen BGH NJW 1972, 1658, keine „Eigenschaft“ der Sache i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB. Unzutreffend daher auch RG, DJ 35, 268; OLG Hamburg, HansGZ 18 Beibl. 115 (betreffend die Herkunft eines Bildes aus Privatbesitz oder seiner früheren Zugehörigkeit zu einer Privatsammlung). Nur zur Klarstellung ist festzuhalten, daß die Echtheit eines Kunstwerks selbst demgegenüber natürlich eine Eigenschaft i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB darstellt, s. nur BGHZ 63, 369. 82 Einen für die Interpretation des Eigenschaftsbegriffs durchaus wesentlichen Unterschied mag man insbesondere mit Recht darin erblicken, daß es im engeren Rahmen des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gerade um den Bereich der Verkehrsanschauung geht, der durch öffentliche Äußerungen des Verkäufers, Herstellers und bestimmter weiterer Dritter geprägt wurde. Die Begrenzung des Eigenschaftsbegriffs gerade auf im weitesten Sinne beschaffenheitsbezogene Umstände wurde zum Teil auch auf dieser Grundlage abgeleitet, da nur bezüglich solcher Umstände der Verkehr den Angaben des Herstellers und seiner Gehilfen (als häufig alternativlose Informationsquelle) besonderes Vertrauen entgegenbringt. Die insoweit hinter der Begrenzung des Eigenschaftsbegriffs in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB auf im weitesten Sinne mit der Beschaffenheit der Sache noch in Zusammenhang stehende Umweltbeziehungen stehende Wertung könnte daher, da dieser Wertungsaspekt bei § 119 Abs. 2 BGB mit seinem von der Frage der Verursachung des Irrtums vollkommen unabhängigen Tatbestand entfällt, gegen eine einheitlich limitierende Auslegung des Eigenschaftsbegriffs in dieser Hinsicht sprechen. Doch ist zu bedenken, daß auch der systematische Aspekt einer gebotenen tatbestandlichen Abgrenzung von den in diesem Bereich konkur81
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Gründen, insbesondere angesichts der bewußten Verwendung eines einheitlichen Begriffs durch den Schuldrechtsreformgesetzgeber, zu akzeptieren83. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Gebot einheitlicher Auslegung, daß (in diesem Falle den Eigenschaftsbegriff des § 119 Abs. 2 BGB erweiternd) auch in § 119 Abs. 2 BGB das Erfordernis einer gewissen Dauerhaftigkeit für den Sacheigenschaftsbegriff fallengelassen werden sollte, da es sich zur Auslegung des Eigenschaftsbegriffs in § 434 BGB, in dessen Rahmen das Erfordernis der Dauerhaftigkeit nach der hier vertretenen Auffassung keine Rolle mehr spielt84, in Widerspruch setzte und da auch keine Gründe erkennbar sind, warum diese Voraussetzung, die im Wortlaut des § 119 Abs. 2 BGB keine Stütze findet, in diesem Bereich aufrechterhalten bleiben müsste. Entscheidend ist allein, ob der fragliche Umstand die Brauchbarkeit und den Wert der Sache dauerhaft prägt, ob er selbst von Dauer ist, ist unerheblich. Im übrigen kann dann für die Konkretisierung des Eigenschaftsbegriffs unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB auf die vergleichsweise reiche Spruchpraxis zu § 119 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden. rierenden weiteren Instrumenten vorvertraglicher Informationshaftung die Begrenzung des Eigenschaftsbegriffs zu tragen vermag (s. insoweit bereits oben 3. Abschn. C II 1 mwN). Dieser Aspekt bleibt auch im Zusammenhang mit § 119 Abs. 2 BGB insofern valide, als der Tatbestand einer Lösungsmöglichkeit vom Vertrag in vollkommener Unabhängigkeit von der Hervorrufung der Willensbildungsstörung durch den Anfechtungsgegner (selbst trotz des in § 122 BGB vorgesehenen, begrenzten Schutzes des Anfechtungsgegners und insgesamt trotz der abweichenden Rechtsfolgenseite) ersichtlich der systematischen Begrenzung im Verhältnis zu den gerade auf eine der Seite des Geschäftspartners zurechenbare Störung der vorvertraglichen Willensbildung abhebenden Instrumenten der vorvertraglichen Informationshaftung bedarf. Diese Abgrenzung wird nach dem Willen des Gesetzgebers in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gerade durch eine Rückbindung an den Beschaffenheitsbegriff geleistet, was im Sinne einer tatbestandlichen Typisierung die typischerweise zentrale Bedeutung (s. dazu zutreffend Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 218 mwN) beschaffenheitsbezogener Motivationen für die vorvertragliche Willensbildung aufgreift. Dieses – mit Blick auf § 434 Abs. 1 S. 3 BGB oben 3. Abschn. C II 1 als zweite Argumentationsschiene etablierte – systematische Argument bleibt dann aber auch mit Blick auf § 119 Abs. 2 BGB insofern tragfähig, als es auch in dessen Bereich um die Auswahl ausnahmsweise für eine Lösungsmöglichkeit vom Vertrag beachtlicher, typischerweise zentral bedeutsamer Motive geht, die aus dem komplexen Motivbündel vorvertraglicher Willensbildung als ausnahmsweise – sofern sie aus typisiert-objektiver Sicht des Verkehrs „wesentlich“ sind (s. insoweit noch unten 3) – für eine Lösungsmöglichkeit vom Vertrag beachtlich herausgegriffen werden. Wenn angesichts dieser, zumindest ansatzweise auch bei § 119 Abs. 2 BGB für eine Begrenzung des Eigenschaftsbegriffs erkennbaren, Notwendigkeit und angesichts der diesbezüglichen Parallele zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB der Gesetzgeber in beiden Normen bewußt einen identischen Begriff zur Erreichung dieser Begrenzung gewählt hat, so genügt dies trotz der bestehenden Unterschiede im Zurechnungssystem und in den Rechtsfolgen der Normen auch insoweit zur Begründung der hier vertretenen Auffassung, daß die Begriffe einheitlich auszulegen sind. 83 S. am deutlichsten für die nach der hier vertretenen Auffassung durchaus zutreffend schon seit jeher erfolgte Rückbindung des Eigenschaftsbegriffs an die Beschaffenheit der Kaufsache im Rahmen des „Unmittelbarkeitskriteriums“ der Rechtsprechung zu § 119 Abs. 2 BGB die Entscheidung BGH NJW 1978, 370 f., derzufolge es sich bei „außerhalb des Kaufgegenstands liegende[n]“, in dessen „Beschaffenheit selbst nicht begründete[n] Verhältnisse[n]“ nicht um Eigenschaften i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB handelt. Vgl. für weitere Nachweise nur MüKo-Kramer, § 119, Rz. 102. 84 S. oben 3. Abschn. C II 1.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Außerhalb des Bereichs des Sachkaufs und insbesondere mit Blick auf den Irrtum über Eigenschaften der Person lassen sich demgegenüber naturgemäß keine Maßstäbe aus § 434 Abs. 1 S. 3 BGB für den Eigenschaftsbegriff unter § 119 Abs. 2 BGB ableiten85. Insoweit bleibt es bei den zu § 119 Abs. 2 BGB entwickelten Definitionen, wobei insbesondere die „Eigenschaft einer Person“ nach der gängigen Definition der Rechtsprechung, diejenigen Umstände umfaßt, die der Person für eine gewisse Dauer unmittelbar anhaften oder sie charakterisieren86. An der Berechtigung des Merkmals der Dauerhaftigkeit des „Anhaftens“ mag man zwar auch in diesem Zusammenhang zweifeln. Jedenfalls aus dem systematischen Vergleich mit dem Eigenschaftsbegriff des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB allein ergibt sich insofern aber kein durchschlagendes Argument gegen das Erfordernis der Dauerhaftigkeit. b. Die Behandlung des Wertirrtums als Beispiel des Verhältnisses des Rechts der Irrtumsanfechtung zum wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutz Aus der Sicht des hier betrachteten Themas von besonderem Interesse ist ein Sonderfeld des Eigenschaftsirrtums, in dem die Maßstäbe wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutzes und zivilrechtlicher Beurteilung im Rahmen der Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB besonders augenfällig divergieren87. Es geht um den Bereich des Wert- oder Preisirrtums. Unter § 119 Abs. 2 BGB stellt der Irrtum über den Wert der Sache nach ganz herrschender Meinung keine Sacheigenschaft dar, eine Anfechtung kommt insoweit nicht in Betracht. Im Kontrast dazu steht die Praxis des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes und der Wertreklame, die sich gerade wesentlich auf die Unterbindung irreführender Preiswerbung und ganz allgemein der Hervorrufung von Fehlvorstellungen über den Wert der Ware konzentriert. Bei genauem Hinsehen auf die konkret in diesem Bereich involvierten Interessen stellt dies jedoch auf Grundlage des hier vertretenen Wettbewerbsmodells keinen Widerspruch dar, sondern kann vielmehr sogar zu einem Ansatz führen, um das Verhältnis des Rechts der Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB zum wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutz und die (in diesem Bereich nur teilweise) Vergleichbarkeit der Maßstäbe verallgemeinernd zu beschreiben (s. insoweit unten 3).
85 Hinsichtlich der Verkehrswesentlichkeit derartiger Eigenschaften und insbesondere ihrer Prägung durch Werbung sind demgegenüber unter dem Gesichtspunkt einer gewissen Wertungskonsistenz zwischen dem Regelungsmodell des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und den Maßstäben im Bereich der Irrtumsanfechtung durchaus einzelne Ableitungen möglich, s. dazu noch unten 3 und 4. 86 BGH NJW 1992, 1222; Köhler, AT, §7, Rz. 20. 87 Vgl. aus der Sicht des hier behandelten Themas auch Alexander, S. 109 f. S. ebenda auch zu weiteren besonderen Irrtumsformen (Irrtum über die fremde Kalkulation, aaO., S. 110; Rechtsfolgenirrtum, aaO., S. 112 f. [vgl. insoweit auch schon o. Fn. 9]), die im Zusammenhang mit wettbewerbswidrigen Geschäftspraktiken Bedeutung erlangen können.
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Allein auf Grundlage eines Abstellens auf die Bedeutung einer Eigenschaft aus der Sicht des Verkehrs läßt sich der Ausschluß des Werts vom Eigenschaftsbegriff in § 119 Abs. 2 BGB nicht erklären, da der Wert einer Sache im Geschäftsverkehr in der Tat überragende Bedeutung hat, ja sogar das entscheidende Marktsignal verkörpert88. Hier wird besonders deutlich, daß der Eigenschaftsbegriff als solcher gerade eine der Anwendung des Maßstabs der objektiven Verkehrsanschauung (unter § 119 Abs. 2 BGB: der Verkehrswesentlichkeit) vorgelagerte Prüfungsstufe ist, und daß er den Bereich, in dem auf diesen Maßstab überhaupt zurückgegriffen werden darf, in einem ersten Schritt sozusagen horizontal begrenzt. Der insoweit nach ganz herrschender Meinung in der Literatur und insbesondere seit jeher in der Rechtsprechung89 geradezu intuitiv erfolgende Ausschluß des Verkehrswerts oder Marktpreises einer Sache aus dem Eigenschaftsbegriff90 ist auf Grundlage des hier vertretenen systemtheoretischen Wettbewerbsmodells letztlich im Sinne einer teleologischen Beschränkung zugunsten des freien Wettbewerbssystems zu erklären, wie dies (ungeachtet unterschiedlicher Nuancierung in den Einzelheiten) auch der mittlerweile ganz herrschenden Literaturmeinung entspricht 91. Der entscheidende Ansatz geht auf Larenz zurück92: Eine Anfechtbarkeit wegen Irrtums über den Verkehrswert oder Marktpreis einer Ware würde gerade das für das Funktionieren des Marktes als Informationsfindungsprozeß entscheidende Signal93 in seiner Gültigkeit untergraben. Damit würde das Funktionieren des Marktmechanismus im dynamischen Wettbewerb im Sinne eines durch das – gerade auch auf unvollständigen Informationen über den Marktwert beruhende – Wechselspiel von Angebot und Nachfrage gesteuerten oszillierenden Konvergierens in Richtung auf den Marktpreis, der in einer Konzeption dynamischen Wettbewerbs eben nicht durch eine objektive Fixierung aufgrund vollständiger Information bestimmt werden kann und soll, jedenfalls in durchschnittlich volatilen Märkten94 nicht etwa gesichert, sondern regelrecht gefährdet95. Aus diesem Grund darf ein endogener Irrtum über den Verkehrswert oder Marktpreis der 88
S. zutreffend statt aller Flume, AT II, § 24, 2 d) (S. 480 f.); Larenz, AT, § 20 II (S. 383). S. schon RGZ 64, 266, 269; RG JW 1912, 525 (betreffend den Verkehrswert); RG JW 1906, 378 (betreffend den Marktpreis). Im Anschluß daran die Rechtsprechung des BGH seit BGHZ 16, 54, 57, s. zuletzt etwa BGH NJW 1988, 2597, 2598. 90 S. auch die rechtsvergleichenden Andeutungen bei Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 354 f. 91 Vgl. (mit Nuancierungen in den Einzelheiten) nur Köhler, AT, § 7, Rz. 19; Larenz/Wolf, AT, § 36, Rz. 40; MüKo-Kramer, § 119, Rz. 129; Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 130; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 296 f.; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 353 ff.; Alexander, S. 109 f. Anders noch der mehr begriffliche Ansatz der Rechtsprechung, s. die Nachweise o. Fn. 89. 92 Larenz, AT, § 20 II (S. 383 f.); fortgeführt in Larenz/Wolf, AT, § 36, Rz. 40; StaudingerCoing (11.Aufl.), § 119, Rz. 29. 93 S. auch oben 1. Kap. 1. Abschn. C III 3 (zum „Signalsystem der Preise“ bei von Hayek) und D IV für weiterführende informationsökonomische Grundlagen. 94 S. für begründete Ausnahmefälle u.a. in oligopolistischen Märkten, die durch weitreichende Preisstarrheit gekennzeichnet sind, Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 359 ff. 95 S. praktisch sämtliche Nachweise o. Fn. 91. 89
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Ware nicht ohne Hinzutreten zusätzlicher Voraussetzungen zur Lösung vom Vertrag berechtigen96. Mit der demnach in § 119 Abs. 2 BGB entsprechend dem grundlegenden Zurechnungsmodell der Vorschrift vorausgesetzten Freiheit von störenden Einflüssen bezüglich der Preisinformation im Vorfeld, ist zugleich der Schnittpunkt mit dem wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutz erreicht. Denn das Wettbewerbsrecht sichert – mit Blick auf die herausragende Bedeutung der Preise als Marktsignal nur konsequent – im Rahmen des Irreführungsschutzes und der Unterbindung unlauterer Wertreklame die Entscheidungsgrundlage der Kunden auch und gerade vor wertbezogenen Fehlvorstellungen durch aus normativer Sicht irreführende Preisinformation oder die sonstige Hervorrufung von Fehlvorstellungen über den Wert des Angebots im Vorfeld des Vertragsschlusses. Die Herausnahme des Verkehrswerts und Marktpreises aus dem Eigenschaftsbegriff in § 119 Abs. 2 BGB und die besonders intensive rechtliche Auseinandersetzung mit Preiswerbung im Rahmen des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes beruhen also im Ansatz auf demselben konzeptionellen Grundprinzip des freien Wettbewerbs. Wettbewerbsrecht und allgemeine Rechtsgeschäftslehre ergänzen einander komplementär. Vergleicht man nun die Situation im Bereich der Irrtumsanfechtung mit dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz im Bereich preisbezogener Werbung oder der Wertreklame ganz allgemein, so ist mit Blick auf die jeweils involvierten Verbraucherinteressen nach verschiedenen Situationen sauber zu unterscheiden. Zunächst ist festzustellen, daß es im Falle von Irrtümern über den Preis der konkret veräußerten Ware selbst aufgrund einer irreführenden Preiswerbung (etwa bezüglich eines dann doch mittlerweile teureren Sonderangebots etc.) gar nicht um das Anwendungsfeld des § 119 Abs. 2 BGB geht. Denn dann 96 Prinzipienorientiert läßt sich dieser Gedanke wiederum im Grundsatz der Selbstverantwortung als Seitenstück der Privatautonomie verankern; dem Konzept privatautonomer Preisbestimmung entspricht entscheidend die grundsätzliche Risikozuweisung für Irrtümer in diesem Bereich an die jeweils irrende Partei. Eine Ausdrucksform dieses Prinzips findet sich in der Rechtsgeschäftslehre etwa auch in § 138 BGB insofern, als allgemein dem Grundsatz subjektiver Äquivalenzvereinbarung und damit insbesondere einer selbstverantworteten Preisbildung im Rahmen des Schutzes der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, sofern es an weitergehenden Indizien für eine Störung der vorvertraglichen Willensbildung fehlt, nur äußerste Grenzen in besonders kraß gelagerten Fällen vollkommener Inäquivalenz gezogen werden. Dogmatisch läßt sich bei der Auslegung des § 119 Abs. 2 BGB auf den Gedanken der bewußten Unkenntnis zurückgreifen: Der Ausschluß des Marktwerts aus dem Eigenschaftsbegriff stellt sich unter dieser Perspektive als eine Typisierung dieses Gedankens dar (den insoweit typisierenden Aspekt des § 119 Abs. 2 BGB übersieht Adams, AcP 186 (1986), 453, 468 ff. wenn er bezüglich der Relevanz von Preisirrtümern ganz allgemein nach Grundsätzen der Informationsökonomie das Irrtumsrisiko im jeweiligen Einzelfall unterschiedlich zuweisen will). Freiheit von verzerrenden Einflüssen in der Vertragsanbahnung vorausgesetzt, dürfte ein Irrtum über den Marktwert typischerweise auf einer bewußt nur lückenhaften und unzureichenden Markterforschung beruhen. Diesen Gedanken typisiert die telelogische Reduktion des Eigenschaftsbegriffs in § 119 Abs. 2 BGB bezüglich Marktwert und –preis einer Sache. S. zum ganzen die diesbezüglich den Erklärungsansatz Larenz‘ sorgsam ausbauenden Ausführungen bei Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 356 ff. mwN.
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irrt der Kunde nicht über den Wert der Ware, sondern über den Inhalt seiner Erklärung. Ist diese vom objektiven Empfängerhorizont so zu verstehen, daß sie auf den ursprünglich beworbenen niedrigeren Kaufpreis des dann nicht mehr gültigen Lockangebots abzielt (was aber angesichts der typischerweise wohl spätestens im Ladenlokal durch Preisschilder o.ä. erfolgenden Aufklärung praktisch nie der Fall sein dürfte), und ist die Erklärung des Verkäufers auf den (neuen) höheren Preis gerichtet, so liegt ein Dissens vor und ein wirksamer Vertrag kommt ohnehin nicht zustande97. Ist die Erklärung des Kunden vom objektiven Empfängerhorizont aber auf den Erwerb zum höheren Preis gerichtet (wie dies in derartigen Situationen wohl typischerweise der Fall sein dürfte) und irrt der Kunde aufgrund der vorangegangenen Werbeaktion insoweit nachweislich über den Preis, so liegt ein unter § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB zu subsumierender Inhaltsirrtum vor. Der Kunde kann anfechten und ist – da der Verkäufer aufgrund seiner Werbeaktion die Anfechtbarkeit kannte oder kennen mußte – auch wegen § 122 Abs. 2 BGB nicht zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet. Wird schließlich der durch die lockende Werbung zunächst hervorgerufene Irrtum korrigiert, und schließt der Kunde in nunmehriger Kenntnis des zutreffenden Preises den Vertrag, so besteht seitens des Kunden kein Schutzbedürfnis mehr, da der rechtsgeschäftliche Bindungswille des Kunden in diesem Fall ja auf ungestörter Tatsachengrundlage gebildet wurde. In einem derartigen Fall der Korrektur eines Lockangebots kann der Kunde in seinen Interessen allenfalls dann beeinträchtigt sein, wenn er sich aufgrund der korrigierten Informationsgrundlage nicht mehr zum Vertragsschluß entscheiden kann und insofern seine auf der Anlockungswirkung der Werbung beruhenden Kosten (Anfahrtskosten etc.) frustriert sind. Dies ist aber kein Problem der Irrtumsanfechtung, sondern im Rahmen der Rechtsgeschäftslehre und des Vertragsrechts allenfalls vermittels eines Schadensersatzanspruchs aus culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) zu behandeln, soweit dessen Voraussetzungen vorliegen98. Es wird deutlich, daß, soweit preisbezogene Werbung eine Lockfunktion erfüllt, im übrigen diese aber rechtzeitig vor Vertragsschluß korrigiert wird, der Anwendungsbereich des § 119 Abs. 2 BGB von vornherein nicht betroffen ist. Um den eigentlichen Anwendungsbereich des § 119 Abs. 2 BGB, unter den dann aber aus den genannten Gründen Wertirrtümer nicht fallen, geht es im Falle eines Irrtums des Kunden über den Marktwert der Waren, wenn etwa eine irreführende Werbung die besondere Günstigkeit des Angebots herausstellt, was dann einem Vergleich mit dem Marktwert der beworbenen Ware nicht standhält oder wenn eine Wertreklame die Vorstellung des Kunden über den Marktwert der Einzelbestandteile des Angebots verzerrt. In einem derartigen Fall berechtigt der resultierende Motivirrtum des Kunden bezüglich des Wertes des Angebots in der Tat grundsätzlich gerade nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB99. An die97 98 99
Diesen Fall beschreibt treffend Alexander, S. 110. S. dazu eingehend unten C (insbesondere IV 2). S. nur das Beispiel bei Köhler, AT, § 7, Rz. 19: Keine Anfechtungsmöglichkeit, sofern ein
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ser Stelle scheint sich auf den ersten Blick eine bemerkenswerte Diskrepanz zum wettbewerbsrechtlichen Verbot derartiger Formen der Wertreklame oder irreführenden Werbung zu ergeben. Erweitert man den Blick jedoch auf die anderen zivilrechtlichen Instrumente zur Lösung vom unerwünschten Vertrag, so wird deutlich, daß die Risikozuweisung in § 119 Abs. 2 BGB in diesem Bereich schlicht deshalb anders erfolgt, weil das Zurechnungsmodell dieser Norm im Grundsatz von einem seitens des Anfechtungsgegners gerade nicht induzierten Irrtum ausgeht100. Ist im Bereich des Marktwerts ein solcher endogener Irrtum sozusagen rein auf Seiten des Erwerbenden entstanden, so muß dieser aus den genannten Gründen nach dem Regelungsmodell des § 119 Abs. 2 BGB das Risiko seiner Fehlinformation tragen. Dies ist aber gerade nicht die Situation, wie sie sich im Bereich durch unlautere Werbemaßnahmen induzierter Fehlvorstellungen über den Wert der Ware darstellt. Denn in diesem Fall ist der Irrtum auf Seiten des Kunden nicht länger als endogen zu qualifizieren, sondern vielmehr in zurechenbarer Weise durch den Anfechtungsgegner hervorgerufen worden. Eine solche Konstellation fällt aber zivilrechtlich allenfalls unter § 123 BGB (wobei noch zu untersuchen sein wird, inwieweit es geboten ist, dessen vergleichsweise strenge Voraussetzungen einer Lösung vom Vertrag abzusenken) bzw. begründet einen Schadensersatzanspruch aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, der sich – wobei die umstrittenen Einzelheiten des Konkurrenzverhältnisses zu § 123 BGB noch zu klären sind – jedenfalls grundsätzlich auch auf eine Lösung vom Vertrag im Wege der Naturalrestitution richten kann101. Der besonderen Bedeutung der Wertreklame und der Irreführung über den Wert oder Preis der Ware im Wettbewerbsrecht ist demnach nicht etwa die Unbeachtlichkeit des Wertirrtums unter § 119 Abs. 2 BGB zu kontrastieren (die sich auf derartige Fälle gar nicht bezieht), sondern vielmehr muß insoweit ein Vergleich mit § 123 BGB und den Grundsätzen im Rahmen der culpa in contrahendo erfolgen, wie er in dieser Untersuchung auch noch durchgeführt wird102. Soweit im vorstehenden zwischen unlauteren Werbemaßnahmen, die lediglich eine Anlockwirkung entfalten, und solchen Werbemaßnahmen, die tatsächlich die informationelle Entscheidungsgrundlage oder den Entscheidungsprozeß des Kunden verzerren, differenziert wurde, läßt sich daraus ein verallgemeinerungsfähiger Grundsatz für das Verhältnis der Maßstäbe wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutzes mit Blick auf die Prägung der Verkehrserwartung und dem Tatbestandsmerkmal der Verkehrswesentlichkeit unter § 119 Abs. 2 BGB ableiten. Diese Verallgemeinerung soll an dieser Stelle in der gebotenen Kürze noch gedanklich entwickelt werden, um daraus unter § 119 Abs. 2 BGB für das Merkmal der Verkehrswesent-
Produkt deshalb gekauft wird, weil der Kunde irrtümlich glaubte, der (von ihm durchaus zutreffend erkannte) Preis sei ein herabgesetzter Preis. 100 Vgl. auch noch unten 4. 101 S. ebenso schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 131; Alexander, S. 109 f. 102 S. noch unten A III und insbesondere ausführlich unten C.
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lichkeit und seinen Vergleich mit wettbewerbsrechtlichen Maßstäben die Konsequenzen ziehen zu können.
3. Verallgemeinerung der Grundprinzipien des Verhältnisses der Irrtumsanfechtung zum wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutz a. Grundsätzlich nur begrenzte Vergleichbarkeit der Maßstäbe Unter verallgemeinerter Perspektive ist festzuhalten, daß bezüglich der Übertragbarkeit wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe mit Blick auf die in § 119 Abs. 2 BGB in den Grenzen des Eigenschaftsbegriffs wiederum objektiv typisiert zu bestimmende Verkehrswesentlichkeit deutlich größere Vorsicht geboten ist, als im Rahmen von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. Denn während letztgenannte Norm von vornherein auf eine Form vorvertraglicher Beeinflussung durch Werbung des Verkäufers, Herstellers und seiner Gehilfen bezüglich bestimmter Sacheigenschaften zielt und damit dem Regelungsumfeld des Irreführungsschutzes gerade in den Bereichen, in denen dieser primär verbraucherschützende Charakterzüge trägt103, aufgrund einer bewußten gesetzgeberischen Entscheidung nahesteht, behandelt § 119 Abs. 2 BGB ganz allgemein jegliche Störung der vorvertraglichen Motivationsbildung bezüglich Eigenschaften der Person oder Sache, gleichgültig, woher diese rührt104. Demzufolge ist bei einem Vergleich der Maßstäbe mit den wettbewerbsrechtlichen Beurteilungskriterien zur Ermittlung der Relevanz einer irreführenden Werbung größere Zurückhaltung geboten. b. Reichweite der Vergleichbarkeit und Rolle der Werbung bei der Konkretisierung des Kriteriums der „Verkehrswesentlichkeit“ in § 119 Abs. 2 BGB Den minimalen Rahmen für das Feld der unmittelbaren Vergleichbarkeit der Maßstäbe setzt dabei gerade der Tatbestand des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB105. Insofern können – wie dies in dieser Untersuchung für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ausführlich begründet und in der Reichweite im einzelnen konkretisiert wurde106 – wettbewerbsrechtliche Beurteilungskriterien bei der Ermittlung der Verkehrsanschauung unter § 119 Abs. 2 BGB – insbesondere soweit es um die grundsätzlich auch unter § 119 Abs. 2 BGB gebotene Berücksichtigung der Prägung der Verkehrsanschauung durch Werbung geht107 – jedenfalls soweit die Wertung des § 434 Abs. 1 103
S. insbesondere oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (b) und (c). S. zutreffend Alexander, S. 108 f. 105 Insoweit wohl ähnlich Alexander, aaO., noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform: Frage der Relevanz von Werbeangaben bestimme sich in diesem Zusammenhang „entsprechend den gewährleistungsrechtlichen Vorgaben“. 106 S. oben 3. Abschn. C II 2 und 3 sowie insbesondere auch oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2). 107 S. Alexander, S. 108 f.; zu weitgehend Schlussas, S. 68 f., der davon ausgeht, es werde nur für verkehrswesentliche Eigenschaften geworben, da nur diese das Publikum zur Kaufent104
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S. 3 BGB reicht, d.h. im wesentlichen bezüglich des sachbezogenen Eigenschaftsirrtums beim Kauf- und Werklieferungsvertrag, sofern er von den in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Personen durch öffentliche Äußerungen hervorgerufen wurde, wiederum ansatzweise herangezogen werden108. In diesem Zusammenhang läßt sich auch an eine behutsame Erweiterung dieser Grundsätze bezüglich des Irrtums über Eigenschaften der „Sache“ in den Dienstleistungsbereich denken, da auch in diesem Bereich Werbung, die sich unmittelbar auf das angebotene „Produkt“109 bezieht, die Verkehrserwartung und damit die Verkehrswesentlichkeit mit Blick auf die angebahnten Dienstleistungsverträge wesentlich und unmittelbar prägen dürfte, und da der wettbewerbsrechtliche Irreführungsschutz auch in diesem Bereich wegen der unmittelbaren Beeinflussung der Verbraucherentscheidung hauptsächlich verbraucherschützenden Charakter hat110. Auch wird man der Rechtsprechung zum Relevanzkriterium im Irrefühscheidung bestimmen könnten. Noch deutlich zurückhaltender und kritisch zur Rechtsprechung Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 131 mwN: Häufig würden in der Rechtsprechung gerade Eigenschaften, die in der Werbung besonders herausgestellt würden, als lediglich mittelbar den Wert der Sache prägend aus dem Eigenschaftsbegriff des § 119 Abs. 2 BGB ausgeklammert. Diese Diskrepanz dürfte allerdings aufgrund des hier vertretenen „Wasser und Öl“-Ansatzes, demzufolge eben der Bereich der Möglichkeit eines Imports am Maßstab der Verkehrserwartung typisierter und damit verobjektivierter Maßstäbe gerade durch den – soweit § 434 Abs. 1 S. 3 BGB reicht – teilweise deckungsgleichen erweiterten Eigenschaftsbegriff in § 119 Abs. 2 BGB und § 434 Abs. 1 S. 3 BGB umrissen wird, zumindest dogmatisch befriedigend erklärbar sein. 108 Dabei kann die – wie unter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB – ermittelte Verkehrsanschauung gerade auch in einem ersten Schritt als gewisses Indiz im Rahmen des notwendigen Irrtumsnachweises herangezogen werden (in der hierdurch möglichen Verobjektivierung der Motivation des Anfechtenden liegt gerade ein Geltungsgrund für die in § 119 Abs. 2 BGB vorgesehene ausnahmsweise Möglichkeit der Berufung auf Irrtümer im Beweggrund, s. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 395 ff. mwN). Der Beurteilung der Verkehrswesentlichkeit unter § 119 Abs. 2 BGB, die sich ebenfalls allein nach dem verobjektivierten Maßstab der Verkehrserwartung bestimmt und insoweit auch wiederum ansatzweise dem Relevanzkriterium aus dem Irreführungsschutz entspricht, korrespondiert in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB mutatis mutandis der Ausschlußgrund der Nichtbeeinflußbarkeit der Kaufentscheidung. Allerdings ist die Beweis- und Vortragslast in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und § 119 Abs. 2 BGB genau spiegelbildlich ausgestattet, was darauf zurückzuführen ist, daß § 434 Abs. 1 S. 3 BGB von vornherein auf die Prägung der Verkehrsanschauung bezüglich bestimmter Sacheigenschaften zugeschnitten ist, die typischerweise für die Kaufentscheidung relevant sein dürften. Man wird diese Wertung auch für § 119 Abs. 2 BGB – sozusagen im erst-recht-Schluß – respektieren müssen, soweit sie reicht. Bezieht sich daher eine die Verkehrserwartung prägende Aussage auf bestimmte Sacheigenschaften einer Kaufsache, so sollte unter § 119 Abs. 2 BGB die Verkehrswesentlichkeit eines hierdurch hervorgerufenen Eigenschaftsirrtums grundsätzlich vermutet werden. Eine Irrelevanz eines Irrtums über eine derartige bestimmte Sacheigenschaft ist dann die durch den Anfechtungsgegner zu belegende Ausnahme. 109 Der weite „Sachbegriff“ des § 119 Abs. 2 BGB, der im weiteren Sinne jeden Geschäftsgegenstand umfaßt (s. nur ständige Rechtsprechung seit RGZ 149, 235, 238; BGH LM § 779 Nr. 2; BGH WM 1963, 253), kann jedenfalls auch auf Dienstleistungsangebote, wie ein standardisiert zugeschnittenes Vertragsangebot im Finanzdienstleistungsbereich, erstreckt werden. 110 Insofern wurde auch in der Literatur zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gelegentlich bedauert, daß schlechthin nicht erklärlich sei, warum nicht auch die Werbung von Dienstleistern zu einer vergleichbaren Haftung führen solle, s. etwa Köndgen, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.),
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rungsschutz wiederum ganz allgemein für alle Eigenschaftsirrtümer gewisse Anhaltspunkte für eine sozusagen negative Begrenzung der Verkehrswesentlichkeit entnehmen können. Denn Fehlvorstellungen, die schon im wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz (mit seinem sogar auf eine Beeinflussung des Verbrauchers gerichteten Modell) als irrelevant erachtet werden, müssen unter § 119 Abs. 2 BGB, der rein endogene Irrtümer mit erfaßt, erst recht als nicht verkehrswesentlich gelten. Für die Konkretisierung des Maßstabs der Verkehrserwartung durch Werbung und insbesondere zur Beurteilung der Frage der Verkehrswesentlichkeit nach typisiert-verobjektiviert normativem Maßstab dürften damit – nach der grundsätzlich gleichen Vorgehensweise wie sie für § 434 Abs. 1 S. 3 BGB geschildert wurde – jedenfalls im praktisch weitaus wesentlichsten Bereich des Irrtums über Eigenschaften der „Sache“ beim Kauf und im Rahmen von Dienstleistungsverträgen durchaus passende Maßstäbe zur Begrenzung der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums allein auf der normativen Grundlage der Verkehrserwartung und ihrer typisiert zu beurteilenden Relevanz für die Willenserklärung zu gewinnen sein111. Diese typisiert-objektiven Maßstäbe können für diese Bereiche auch wiederum durch teilweisen Rückgriff auf Wertungen aus dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz bestimmt werden.
Schuldrechtsreform, 231, 239. Keine Differenzierung zwischen Kaufverträgen und Dienstleistungsverträgen nimmt Alexander, S. 108, vor. Da er insoweit aber stets von der „Kaufentscheidung“ spricht, dürfte seine Argumentation auf Kaufverträge beschränkt sein. Doch verkennt dies, daß der weite Sachbegriff in § 119 Abs. 2 BGB jeglichen Vertragsgegenstand – und damit etwa eben auch die Eigenschaften einer bestimmten Finanzdienstleistung o.ä. – erfassen kann. 111 In die dogmatisch richtige Richtung weist BGH DB 1972, 479, 481, mit dem Kriterium der „Typizität“, demzufolge für die Verkehrswesentlichkeit einer Eigenschaft vorauszusetzen sei, daß im Verkehr generell aus ihrem Vorhandensein auf die Wertschätzung der Sache geschlossen werde. Vgl. dazu auch MüKo-Kramer, § 119, Rz. 102. Soweit dann aber im übrigen ergänzend wiederum auf die irgendwie erkennbare Zugrundelegung atypischer Eigenschaften abgestellt wird, ist diese Ergänzung auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung unnötig und dann kontraintentional sogar zu weit, da in einem solchen Falle allein zu fragen wäre, ob eine bestimmte atypisch – oder besser: individuell – wesentliche Eigenschaft zum Vertragsinhalt erhoben wurde. Einer Zwischenstufe unterhalb der vertraglichen Einbeziehung i.S.e. in irgendeiner Weise erkennbaren Zugrundelegung bestimmter Eigenschaften bedarf es entgegen der Rechtsprechung und wohl herrschenden Meinung weder in begrenzender, noch in erweiternder (insoweit a.A. aber zuletzt Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 345: Offenlegung der Vertragsziele genüge) Funktion. Zutreffend letztlich auf die entscheidende Bedeutung der Verkehrsanschauung abstellend, die mit Blick auf Inhalt, Sinn und Zweck des Rechtsgeschäfts typisiert werden kann, auch BGHZ 72, 252 ff.; BGH NJW 1979, 160, 161, wonach eine Eigenschaft (das Alter eines Gebrauchtwagens) jedenfalls nicht erkennbar zugrundegelegt werden muß, wenn es sich nach der Verkehrsanschauung „von selbst versteht“, daß sie von entscheidender Bedeutung für den Kaufentschluß ist (dies illustriert die Fälle, in denen ein Abstellen auf die Verkehrsanschauung zu einem weiteren Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft führt, als der zuletzt wieder in der Regel stets die Erkennbarkeit voraussetzende Ansatz der Rechtsprechung). Wie hier zu Recht Köhler, AT, § 7, Rz. 21 gegen die wohl herrschende Meinung (s. die Nachweise in den folgenden Fn. 112 und 113).
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Des in der Rechtsprechung immer wieder herangezogenen112 und auch in der Literatur seine Anhängerschaft findenden113 versubjektivierenden Kriteriums der irgendwie erkennbaren Zugrundelegung der Bedeutung der Eigenschaft, ohne daß diese geradezu zum Inhalt der Erklärungen gemacht worden sein müßte, bedarf es dann zugunsten des Anfechtungsgegners nicht114, zumal diesem Kriterium – ganz entgegen der limitierenden Intention der Rechtsprechung115 – wegen der ihm innewohnenden Versubjektivierung stets auch die Gefahr einer schwer abschätzbaren Erweiterung der Anfechtungsmöglichkeit nach § 119 Abs. 2 BGB immanent eingepflanzt ist116. c. Grenzen der Vergleichbarkeit Vorsicht ist aber geboten, soweit es um eine über die vorstehend umrissenen Bereiche hinausgehende, verallgemeinernde Anwendung des hier vertretenen grundsätzlichen Gleichmaßgebots zwischen wettbewerbs- und zivilrechtlicher Wertung 112 S. aus der Rechtsprechung RGZ 64, 266, 269; RGZ 90, 342, 343 f.; fortgeführt vom BGH in den Entscheidungen BGH BB 1960, 152; BGH DB 1972, 479, 481. Weitere Nachweise bei Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 218 („ständige Rechtsprechung“), der aber – anders als hier – nicht zwischen sach- und personenbezogenen Eigenschaften scheidet. Wohl zu Unrecht zählt Singer, aaO., zudem auch BGHZ 16, 54, 57 – Ultraschallgerät in diese Reihe, was nicht frei von Zweifeln ist, da der BGH in dieser Entscheidung strengere Anforderungen im Sinne der Notwendigkeit, die fragliche Eigenschaft (Indikationsbreite eines Ultraschallgeräts) zum Vertragsinhalt zu erheben, aufgestellt hatte (s. mit derselben Fehlzuordnung allerdings auch BGHZ 88, 240, 246 = NJW 1984, 230, 231, wo die Entscheidung als Beleg bezüglich des Kriteriums der erkennbaren Zugrundelegung zitiert wird). Deutlich zurückhaltender daher die Einschätzung bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 302: „vereinzelte Entscheidungen“. 113 S. Staudinger-Coing (11.Aufl.), § 119, Rz.18; Medicus, AT, Rz. 770; weitere Nachweise bei Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 218 f. 114 In aller Deutlichkeit gegen das Kriterium der Erkennbarkeit in der Rechtsprechung auch Köhler, AT, § 7, Rz. 21; ders., JR 1984, 324 (gegen BGHZ 88, 240, 246 = NJW 1984, 230, 231), wo betreffend die Verkehrswesentlichkeit der Eintragung eines Werkunternehmers in die Handwerksrolle besonders deutlich auf die Erkennbarkeit der personenbezogenen Eigenschaft abgestellt wird, s. dazu auch noch u. Fn. 127). Für objektive Maßstäbe seit jeher Larenz, AT, § 20 II; zutreffend fortgeführt in Larenz/Wolf, § 36, Rz. 43. 115 S. nur zuletzt BGHZ 88, 240, 246 = NJW 1984, 230, 231: „soll der Eigenschaftsbegriff nicht zu sehr verflachen …, so dürfen als verkehrswesentlich nur solche Eigenschaften der Person berücksichtigt werden, die von dem Erklärenden in irgendeiner Weise erkennbar dem Vertrag zugrundegelegt worden sind, ohne daß er sie geradezu zum Inhalt seiner Erklärung gemacht haben muß“. 116 So in der Tat explizit Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 345: einseitige Offenlegung der Vertragsziele genüge, selbst wenn sie hinter der Qualität einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung oder auch nur einer tatsächlichen Verständigung (wie im Rahmen der condictio ob rem) zurückbleibe. Der rechtspraktische Bedarf für eine derartige einseitige Begründbarkeit der Anfechtungsmöglichkeit ist aber nicht ersichtlich, da der Erklärende, sofern ihm eine bestimmte Eigenschaft wichtig ist, diese ja durchaus ohne weiteres (und gegebenenfalls konkludent) in seine Willenserklärung aufnehmen kann. Insofern sollte es nach der hier vertretenen Auffassung stets – also gleichgültig, ob einzelne Eigenschaften (wie auch immer) seitens des Käufers einseitig erkennbar zugrundegelegt wurden – beim durch Typisierung verobjektivierten Maßstab der Verkehrserwartung bleiben.
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mit Blick auf die Ermittlung des Inhalts und der Relevanz der Verkehrsanschauung (Verkehrswesentlichkeit) geht117. Denn diese gerät unter einer derart generellen Perspektive (insbesondere betreffend auch Eigenschaften der Person und insgesamt die fehlende Begrenzung auf bestimmte Eigenschaften) bei differenzierter, funktional-interessenorientierter Analyse der jeweils beteiligten Interessen in beiden Rechtsgebieten ersichtlich an gewisse Grenzen. Insbesondere ist sorgsam darauf zu achten, daß nicht die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Fallgestaltungen, in denen sich die Relevanz einer Irreführung im Wettbewerbsrecht schwerpunktmäßig aus der allenfalls mittelbar die Verbraucherentscheidung beeinflussenden Anlockungswirkung ergibt, zu leichthändig auf den Begriff der Verkehrswesentlichkeit in § 119 Abs. 2 BGB übertragen wird118. Denn in derartigen Fallgestaltungen nährt sich das wettbewerbsrechtliche Verbot in der Tat mehr aus seiner konkurrentenschützenden Wurzel als aus individualisierbaren Verbraucherschutzerwägungen119 – jedenfalls soweit das (in diesem Bereich eben aus normativer Sicht keinesfalls selbstverständliche) Interesse des Verbrauchers an Lösung von dem auf Grundlage der Anlockwirkung doch letztlich normativ selbstbestimmt geschlossenen Vertrag betroffen ist120. Derartige Fallgestaltungen dürften im breiteren Regelungsbereich des § 119 Abs. 2 BGB sehr viel häufiger sein, als im oben diskutierten engeren Anwendungsfeld des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. Denn im Rahmen letztgenannter Norm geht es le117 Insoweit (wie es bisher auch kaum jemals üblich war, nach dem neuen Recht aber nach der hier vertretenen Auffassung notwendig ist) zwischen den einzelnen Formen des Eigenschaftsirrtums, insbesondere dem Irrtum über Eigenschaften der Sache und dem Irrtum über Eigenschaften der Person, nicht hinreichend unterscheidend und daher trotz des zutreffenden Ansatzes in den Folgerungen zwangsläufig allgemeiner als notwendig, Alexander, S. 107 ff. 118 Man wird natürlich zweifeln können, inwieweit hier im Wettbewerbsrecht sich die unterschiedlichen Zwecke des Irreführungsverbots stets sinnvoll auseinanderdividieren lassen. Eine Grobstrukturierung ist aber doch möglich, vor dem Hintergrund der neuen Schutzzweckklausel sicherlich geboten und läßt sich auch durchaus nachvollziehbar durchführen, s. für einen derartigen Ansatz insbesondere Beater, § 15, Rz. 9 ff., 133 ff.; § 22, Rz. 95 ff. (s. insbes. Rz. 100 für die hier übernommene Grobeinteilung); s. auch schon ders., JZ 1997, 916 ff.; ders, Verbraucherschutz und Schutzzweckdenken, 2000. Auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5, Rz. 2.169 ff., unterscheidet im Rahmen des Relevanzmerkmals zwischen sozusagen „verbraucherschützender“ Relevanz, wenn die Entscheidungsgrundlage bei Vertragsschluß noch gestört ist und „konkurrentenschützender“ Relevanz aufgrund einer Irreführung, die nur zu einem Anlockeffekt führt (aaO., Rz. 2.190 ff.), wobei er an dieser Stelle lediglich die Fälle, in denen eine Werbung korrigiert wurde oder aus anderen Gründen letztlich überhaupt nicht für einen Vertragsschluß relevant wurde, kategorisiert. Eine interessenbezogene Differenzierung auch für die Fälle, in denen etwa unternehmensbezogene Angaben zwar in der Tat die Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers potentiell betreffen mögen, normativ verobjektiviert wegen ihrer vergleichsweisen Bedeutungslosigkeit für den Vertragsschluß aber nicht dessen rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung berühren, so daß es letztlich im Kern lediglich um – aus der Verbraucherperspektive reflexartig evaluierten – Konkurrentenschutz geht, nimmt er – anders als Beater, aaO. – jedoch nicht vor. 119 S. im Grundsatz schon oben 1. Kap. 3. Abschn. F IV sowie (konkreter) auch 4. Kap. 3. Abschn. C II 2. 120 S. zu anderen Verbraucherinteressen in derartigen Fällen, insbesondere der Frage eines Schadensersatzes aufgrund frustrierter Aufwendungen, noch unten C III und IV 2.
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diglich um Angaben bezüglich bestimmter Eigenschaften der Sache, die in der Tat typischerweise unmittelbar die Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers verzerren dürften, so daß insoweit das grundsätzliche Gleichmaßgebot mangels konkret gerechtfertigter Abweichung der Maßstäbe gebietet, den wettbewerbsrechtlichen Maßstab bezüglich Bestimmung und Relevanz der Verkehrsanschauung – durchaus entsprechend der bewußt auch wettbewerbsregelnden Intention des Gesetzgebers – mit dem zivilrechtlichen Maßstab weitgehend zur Deckungsgleichheit zu bringen121. Demgegenüber verfolgt der wettbewerbsrechtliche Irreführungsschutz bezüglich unternehmens- und personenbezogener Angaben (die in § 119 Abs. 2 BGB als Irrtum bezüglich der Person des Vertragspartners durchaus potentiell relevant werden können) eher das Ziel, eine Anlockwirkung zu Lasten anderer Konkurrenten zu unterbinden122. Ein visibles Beispiel bilden die Werbekampagnen, die die Größe bestimmter Abholmärkte oder anderer Verkaufslokale betonen und damit in erster Linie darauf abzielen, den Kunden zunächst einmal in diese Verkaufslokale zu locken. Hier tritt im Wettbewerbsrecht der Schutz der Mitbewerber stärker neben den Verbraucherschutz, so daß ein Abgleich der Maßstäbe unter § 119 Abs. 2 BGB mit wettbewerbsrechtlicher Spruchpraxis bezüglich des Irrtums über Eigenschaften der Person jedenfalls generell nicht sinnvoll möglich erscheint, zumal § 119 Abs. 2 BGB, anders als § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, vom historischen Gesetzgeber zwar durchaus ebenfalls in seiner Reflexwirkung auf das Verkehrssystem gesehen und erörtert, keinesfalls aber in einen bewußt wettbewerbsregelnden Kontext gestellt wurde. An dieser Stelle mag ein Vergleich der zivilrechtlichen Judikate zur Verkehrswesentlichkeit personenbezogener Eigenschaften unter § 119 Abs. 2 BGB mit den wettbewerbsrechtlichen Irreführungsmaßstäben aber immerhin insofern erhellend sein, als er es gestattet, im Sinne einer – auch im Lichte der neuen wettbewerbsrechtlichen Schutzzweckklausel – durchaus wünschenswerten genaueren Interessenstrukturierung für das UWG123 einmal annäherungsweise festzustellen, wie weit bei unternehmensbezogener Werbung der Gedanke der Sicherung einer unbeeinflußten wirtschaftlichen Entscheidung der Kunden trägt, und ab welchem Punkt – sei es offen oder verborgen – eher Konkurrentenschutzgedanken den (strengeren) wettbewerbsrechtlichen Maßstab zu prägen beginnen124. 121 S. näher oben 3. Abschn. C II 1 und 2 auch zu Eingrenzungen bezüglich einzelner Fallgestaltungen. 122 S. Beater, § 22, Rz. 100 ff., der Beispiele aus der Rechtsprechung zu Allein- oder Spitzenstellungswerbung bezüglich des Unternehmens (s. nur BGH GRUR 1985, 140, 141 – Größtes Teppichhaus der Welt), Alters- und Traditionswerbung (s. nur BGH GRUR 1981, 69, 70 – Alterswerbung für Filialen) und besonderen Qualifikationen des Unternehmensinhabers (s. BGHZ 53, 65, 68 = GRUR 1970, 320) bringt. 123 Diese forderte schon im Vorfeld der aktuellen Reform wiederholt und kritisch zur insoweit nicht stets sauber differenzierenden älteren Rechtsprechung (wobei gegenüber der neueren Rechtsprechung diese Vorwürfe kaum in vergleichbarer Weise berechtigt sind) insbesondere Beater, vgl. die Nachweise o. Fn. 118 und öfter. 124 So vermag der hier vertretene dogmatische Ansatz, Beaters Überlegungen zur Interessenidentifizierung (s. insbesondere Beater, § 22, Rz. 100 ff., sowie im übrigen die Nachweise o.
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Beachtet man diese Einschränkungen (und beschränkt man sich demnach in diesem Bereich im wesentlichen auf den durch die Spruchpraxis der Gerichte entwickelten zivilrechtlichen Maßstab), so wird man in dem solcherart begrenzten Rahmen aber auch für die Beurteilung der Verkehrswesentlichkeit eines personenbezogenen Irrtums wiederum naturgemäß die Prägung der Verkehrserwartung durch Werbung durchaus mit heranziehen können und müssen125. Hierfür finden sich durchaus auch in der zivilrechtlichen Rechtsprechung zutreffende Ansätze126, wobei zumal der BGH dann stets vor dem Problem steht, zuerst das nicht sachgerechte Erfordernis der erkennbaren Zugrundelegung seitens der anfechtenFn. 118), ansatzweise zu stützen bzw. zu quantifizieren und dabei teilweise allerdings auch einzuschränken. Bedenkt man nämlich, daß unter dem – sozusagen exklusiv „verbraucherschützenden“ – verobjektiviert typisierten Verkehrsmaßstab des § 119 Abs. 2 BGB im Falle personenbezogener Eigenschaften beispielsweise die Eintragung eines Werkunternehmers in die Handwerksrolle schon die denkbare „Untergrenze“ der Verkehrswesentlichkeit markiert (im übrigen sind insbesondere bei normalen Güteraustauschverträgen, zumindest wenn es sich nicht um längerfristige Sukzessivlieferungsverträge oder Werkverträge mit persönlicher Komponente handelt, die persönliche Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit in höherem Maße voraussetzen [s. insoweit schon RGZ 90, 342, 344 f. mwN aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts], Irrtümer über derartige Eigenschaften des Vertragspartners in der Regel unter § 119 Abs. 2 BGB als nicht verkehrswesentlich angesehen worden [s. nur BGH BB 1960, 152]), so wird deutlich, daß der im Bereich unternehmensbezogener Angaben doch deutlich strengere irreführungsrechtliche Relevanzmaßstab bezüglich Zuverlässigkeit oder besondere Kompetenz durch Größe bzw. Marktführerschaft suggerierender irreführender Werbung mit unternehmensbezogenen Angaben (s. nur die Beispiele o. Fn. 122) sich in der Tat zusätzlich aus konkurrentenschützenden Motiven speist, die bisher von der normativ verbraucherschützenden Zielrichtung in diesem Bereich aber nicht sauber getrennt wurden. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang allerdings, daß soweit Beater, aaO., Rz. 98, auch viele Irreführungsverbote im Bereich sachbezogener Angaben für allein konkurrentenschutzgespeist hält (etwa das unter § 3 UWG a.F. begründete Verbot, eine Pizza, die tatsächlich in Stahlöfen gebacken wurde, als „Steinofen-Pizza“ zu bewerben [s. OLG Koblenz, WRP 1989, 332; zustimmend GroßKomm-Lindacher, § 3 UWG, Rz. 662]), auf Grundlage der nunmehr in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB auch zivilrechtlich – und damit hauptsächlich im Individualschutz der privatautonomen Willensbildung des Verbrauchers begründet – sanktionierten unwahren Werbung bezüglich bestimmter, objektiv nachprüfbarer Eigenschaften der Kaufsache, dieser ausschließlichen Interessenzuordnung nicht gefolgt werden kann. Vielmehr konkretisiert der Maßstab des Wettbewerbsrechts hier durchaus im normativen Sinne zugleich die Privatautonomie des Verbrauchers. Allenfalls soweit sich Beater, aaO., auf die strengen Maßstäbe der älteren Rechtsprechung auch zu reiner Imagewerbung mit allgemeinen Bezeichnungen (s. etwa BGH GRUR 1963, 482, 484 – Hollywood-Duftschaumbad) bezieht, wird man seiner Argumentation, daß derartige Rechtsprechung den Konkurrentenschutzgedanken in die Verbraucherperspektive der Verkehrserwartung „injiziert“, folgen können (die kategorielle Differenzierung zwischen konkreten und allgemeinen Bezeichnungen, wie sie das Zivilrecht nun vornimmt, ist an dieser Stelle deshalb berechtigt, weil sich der Wahrheitsgehalt und die Relevanz der Werbung mit konkreten Sacheigenschaften eher im Sinne eines normativen Schutzes der Privatautonomie verobjektivieren lassen, als die bloße Werbung mit allgemeinen imagefördernden Produktbezeichnungen, vgl. zutreffend Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 395 f.). Doch dürften die von Beater, aaO., zitierten älteren Judikate aus diesem Bereich aufgrund der neueren Rechtsprechung des BGH in diesem Bereich ohnedies überholt sein (insoweit ähnlich auch Beater, aaO.). Vgl. zum ganzen auch oben 3. Abschn. C II 2 und 3 b (1). 125 S. allgemein zutreffend Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 131; Alexander, S. 108 f.; Schlussas, S. 68 f. 126 Insoweit noch deutlich skeptischer Lehmann, aaO. (vgl. schon o. Fn. 107).
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den Partei „aus dem Weg räumen“ zu müssen127. Dessen bedarf es nach der hier vertretenen Auffassung nicht. Vielmehr ist schlicht von vornherein auf das Verständnis werbender Aussagen des Anfechtungsgegners aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds des Adressatenkreises abzustellen, um die Wirkung der Werbung auf die Verkehrswesentlichkeit eines Motivirrtums zu verobjektivieren128.
4. Das „Zurechnungsmodell“ der §§ 119, 122 BGB: Parallelen und Unterschiede zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB Die grundlegend wertungsmäßige, funktionale und strukturelle Parallele zwischen § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und § 119 Abs. 2 BGB ist – soweit sie reicht – schließlich auch zu berücksichtigen, soweit es um die Verursachung einer Verkehrsanschauung hinsichtlich Sacheigenschaften geht. Tatbestandlich kommt es auf eine Verursachung durch den Anfechtungsgegner oder eine Zurechnung fremder Ver127 S. paradigmatisch die Entscheidung BGHZ 88, 240, 246; NJW 1984, 230, 231. Nachdem der BGH festgestellt hat, daß der anfechtende Teil die Bedeutung, die eine besondere berufsrechtliche Qualifikation (eben die Eintragung in die Handwerksrolle) für ihn (vorgeblich) hatte, jedenfalls vor Vertragsschluß nicht erkennbar gemacht habe, führt er im Anschluß aus, die Anfechtungsgegnerin habe auch zu keinem Zeitpunkt (durch ihre Firmenbezeichnung o.ä.) den Eindruck erweckt, sie sei Inhaberin eines Handwerksunternehmens. Deshalb hätte die anfechtende Partei ihren Willen, mit einem Handwerksbetrieb zu kontrahieren, verdeutlichen müssen. D.h., die Tatsache, daß die Anfechtungsgegnerin nicht mit einer bestimmten personenbezogenen Eigenschaft warb, wird herangezogen, um das Erfordernis der erkennbaren Zugrundelegung zu begründen. Im Umkehrschluß wird man dann demnach davon ausgehen können, daß, wenn entsprechende Werbung der Anfechtungsgegnerin eine verkehrswesentliche Erwartung bezüglich ihrer Qualifikation geweckt hätte, der BGH die Voraussetzung der erkennbaren Zugrundelegung fallen lassen würde. Dann käme es auch für den BGH entscheidend nur noch auf die Anschauungen des Verkehrs an. Nach der hier vertretenen Auffassung wird man sich diesen Zwischenschritt aber ersparen können. Es ist schlicht von vornherein und ausschließlich auf die objektive Verkehrserwartung, die eben auch durch die Angaben und Äußerungen des Anfechtungsgegners bestimmt werden kann, abzustellen. Des Umwegs, aufgrund der werblichen Äußerungen zuerst zu begründen, warum eine Eigenschaft nicht erkennbar dem Vertrag zugrundegelegt werden mußte, bedarf es dann nicht. Vgl. im übrigen in einem der weiteren „Handwerksrollen“-Fälle noch deutlicher auf werbliche Kommunikation abhebend, die freilich in dem konkret entschiedenen Fall wiederum neutral gehalten und deshalb nicht geeignet war, beim Verkehr einen falschen Einruck bezüglich der berufsrechtlichen Qualifikation hervorzurufen, das LG Görlitz, NJW-RR 1994, 117, 118. Vgl. für eine sogar bejahte Relevanz der Außendarstellung des Anfechtungsgegners für die Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft „Eintragung in die Handwerksrolle“, OLG Hamm, NJW-RR 1990, 523, wobei auch in diesem Fall letztlich wegen Nichteinhaltung der Anfechtungsfrist die Anfechtung nicht durchgriff. 128 Die Prüfung der Kausalität des Eigenschaftsirrtums für die Erklärung, die notwendig ist, da § 119 Abs. 2 BGB auch insoweit auf § 119 Abs. 1 BGB verweist (s. statt aller Jauernig-Jauernig, § 119, Rz. 18), spielt im Rahmen des Eigenschaftsirrtums schon deshalb eine vollkommen untergeordnete Rolle, weil sie sich in aller Regel aus der Verkehrswesentlichkeit – als nach der hier vertretenen Auffassung ohnedies vollkommen verobjektiviertem Maßstab – ergibt. Daher war es nicht geboten, das Tatbestandsmerkmal an dieser Stelle näher zu thematisieren; vgl. aber mit etwas ausführlicherer Stellungnahme (und demselben Ergebnis wie hier) Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 417 mwN.
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ursachungshandlungen in § 119 Abs. 2 BGB entsprechend der generellen Ausrichtung der Norm auf ausnahmsweise beachtliche, rein endogene Motivirrtümer gerade nicht an. Jedoch entfällt für den Anfechtungsgegner aus normativer Sicht das Vertrauensschutzbedürfnis und damit die Schadensersatzpflicht des Anfechtenden gem. § 122 Abs. 2 BGB, wenn der Anfechtungsgegner die Anfechtbarkeit kannte oder kennen mußte129. Dies ist der aus § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB bekannte – und dort vom Gesetzgeber bewußt aus § 122 Abs. 2 BGB übernommene130 – Maßstab. Allerdings ist dort – dem Charakter der Norm als Ausnahme zum Grundsatz der Haftung für die in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten öffentlichen Äußerungen entsprechend – die Beweis- und Vortragslast genau umgekehrt ausgestaltet wie unter § 122 Abs. 2 BGB. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Irrtumsanfechtung – wie bereits mehrfach angesprochen – einem anderen Zurechnungsmodell folgt als der spezifischere § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. Grundsätzlich geht es in § 119 BGB ganz allgemein um endogen entstandene Irrtümer beim Anfechtenden, die diesen zur Vertragslösung berechtigen sollen, wobei der Anfechtungsgegner durch die kurze131 Frist des § 121 BGB und durch den grundsätzlichen Anspruch auf Ersatz des durch den ex tunc Wegfall des Rechtsgeschäfts entstandenen Vertrauensschadens in gewissem Umfang geschützt wird. Der Anfechtende muß insoweit die von seiner Willenserklärung ausgehende Gefahr nach dem Risikoprinzip tragen, da sie grundsätzlich in seiner Sphäre liegt und von ihm besser zu beherrschen ist132. Ausnahmsweise wird aber – wie dies eben auch § 122 Abs. 2 BGB widerspiegelt – die Interessenabwägung zwischen Anfechtendem und Anfechtungsgegner im Falle der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis der Anfechtbarkeit anders – nämlich gem. § 122 Abs. 2 BGB ohne Ersatz des Vertrauensschadens – ausgestaltet, weil dann der An129 S. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 91; Erman-Palm, § 122, Rz. 9; zustimmend Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 420 f. 130 Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 434 Abs. 1 Satz 3, woraus sich ergibt, daß der deutsche Gesetzgeber in bewußter Abweichung vom Wortlaut der Richtlinie an dieser Stelle den Maßstab des § 122 Abs. 2 BGB verankerte. 131 Da die Frist jedoch erst mit der Kenntnis des Anfechtungsgrundes beginnt (s. statt aller Palandt-Heinrichs, § 121, Rz. 2), ist der hierdurch vermittelte Schutz des Anfechtungsgegners sehr von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Eine kürzere oberste Grenze von 10 Jahren seit der Abgabe der Willenserklärung (30 Jahre im alten Recht) setzt immerhin nunmehr der durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz neugefaßte und an die allgemeinen Regelungen des neuen Verjährungsrechts angepaßte (s. dazu auch Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 121) § 121 Abs. 2 BGB. 132 Vgl. insbesondere zutreffend Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 486, 534 ff., 537; zustimmend Singer, S. 185 f. Diesen Gedanken noch zutreffend präzisierend Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 418 f., der in § 122 Abs. 1 BGB eine positiv-rechtliche Risikozuweisung als Ausgleich für die gewährte Anfechtbarkeit sieht. A.A. die Rechtsprechung, s. BGH NJW 1969, 1380, die den Grund für die in § 122 Abs. 1 BGB angeordnete verschuldensunabhängige Haftung in der Veranlassung des Vertrauens in die Willenserklärung sieht; ebenso auch Palandt-Heinrichs, § 122, Rz. 1. Vgl. für umfassende weitere Nachweise Weiler, aaO., 418 f.
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fechtungsgegner gar nicht (bzw. jedenfalls aus normativer Sicht in seinem Vertrauen auf die fehlerhafte Willenserklärung des Anfechtenden weniger) schutzwürdig ist133. Im tatbestandlich engeren Modell des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, der von vornherein eine durch – zumal an die Öffentlichkeit gerichtete und damit weithin wahrnehmbare – Aussagen bestimmter Dritter, die im weitesten Sinne der Sphäre des Verkäufers zuzurechnen sind, mindestens aber in den allermeisten Fällen ihm zugute kommen, geprägte objektiv-typisierte Verkehrserwartung in die Beschaffenheitsvereinbarung einbezieht, ist die Grundkonstellation gerade umgekehrt zu sehen, wie im allgemeineren Fall der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums. Hier wird die Risikotragung für die Entstehung einer bestimmten fehlerhaften Verkehrserwartung daher nach der gesetzgeberischen Wertung für den Normalfall dem Verkäufer zugerechnet, während dieser (die Ausnahmekonstellation) seiner positiven Unkenntnis bzw. des Nichtkennenmüssens beweisen und belegen muß134. Diese Wertung aus dem Risikosphärengedanken ist aber für den spezifischeren Bereich, wie ihn § 434 Abs.1 S. 3 BGB umreißt, grundsätzlich auch bezüglich der Beweis- und Vortragslast im Rahmen des § 122 Abs. 2 BGB valide. Ganz deutlich und unstreitig gilt dies im Falle irreführender Werbung, die vorsätzlich oder fahrlässig vom Anfechtungsgegner selbst ausging und die beim normativen Durchschnittskunden einen Eigenschaftsirrtum verursacht hat. In einem solchen Fall verliert der Gewerbetreibende in der Regel seinen Anspruch aus § 122 Abs. 1 BGB, da er sich dann nicht darauf berufen kann, er habe die Wirkung seiner Werbung auf die Marktgegenseite nicht kennen können135. Aber auch im übrigen (d.h., wenn und soweit die Werbung von bestimmten Dritten stammt) wird man den in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB legislatorisch konkretisierten Sphärengedanken zumindest für die Verteilung der Beweislast unter § 122 Abs. 2 BGB künftig berücksichtigen müssen136. Im Bereich der Kauf- und Werklieferungsverträge muß daher – soweit ein Motivirrtum nachweislich gerade durch Angaben des Herstellers oder der in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten hervorgerufen wurde137 – nach der hier 133
S. die Nachweise o. Fn. 129. S. schon oben 3. Abschn. C II 3 e (2). 135 S. Wronka, UFITA 1977, 221, 229 f.; Alexander, S. 114; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 420 f. 136 Dem läßt sich nicht etwa aus dogmatischer Sicht entgegenhalten, in § 122 Abs. 2 BGB gehe es ja bezüglich der verschuldeten Irrtumserregung gar nicht um eine Verteilung nach Risikosphären, sondern vielmehr schlicht um den Wegfall des schutzwürdigen Vertrauens und damit schon des Haftungsgrunds (so aber Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 421 mwN). Denn die Frage, wann ein Vertrauen schutzwürdig ist – nämlich nur dann, wenn bestimmte Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Erkennbarkeit der Anfechtbarkeit beachtet wurden – ist eine normative Frage, die der konkreten Ausgestaltung der Risikoverteilung im Rahmen der Anfechtbarkeit einer Willenserklärung zugehörig und damit – wie dies auch die materiell-rechtliche Identität des gewählten Kriteriums belegt – als allgemeinere Ausformung einer gesetzlichen Risikoverteilung dogmatisch durchaus der engeren Regelung in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB verglichen werden kann. 137 Wobei insoweit weiterhin der Anfechtende die Beweislast trägt. 134
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vertretenen Auffassung prozessual zuerst davon ausgegangen werden, daß der Anfechtungsgegner die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts kannte oder doch zumindest kennen musste. Ihn trifft dann die Beweis- und Vortragslast, das Gegenteil zu belegen, wobei den Interessen des Anfechtungsgegners dadurch hinreichend Rechnung getragen werden kann, daß – insbesondere im Falle privater Wiederverkäufer – keine weitergehenden Marketingbeobachtungspflichten statuiert werden. Dogmatisch läßt sich dieses Ergebnis, das durch den Gesichtspunkt der Wertungskonsistenz mit § 434 Abs. 1 S. 3 BGB geboten ist138, über eine Beweislastumkehr auf Grundlage des Gedankens der Beweislastverteilung nach Risikosphären (in diesem Falle analog § 434 Abs. 1 S. 3 BGB) erzielen139. Den in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB kristallisierten Sphärengedanken wird man hinsichtlich der Beweislast zudem ansatzweise in den Dienstleistungsbereich übertragen können und müssen140. Für diesen weiter gespannten Bereich bilden dann die flexibleren Grundsätze über den prima facie-Beweis ein passendes Instrument, um die Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, die nach dem üblichen Lauf der Dinge auch auf diese benachbarten Bereiche Geltung beansprucht, mit der notwendigen Beweglichkeit (und Offenheit für atypische Fälle) zu übertragen: Wird also ein Eigenschaftsirrtum bezüglich der Einzelheiten eines Dienstleistungsvertrags oder der Person des Dienstleisters durch Angaben Dritter, die aber bestimmungsgemäß dem Absatzinteresse des Dienstleisters zugute kommen sollen, hervorgerufen, so ist prima facie davon auszugehen, daß der Anfechtungsgegner derartige Angaben kannte oder kennen mußte. Liegt ein – wie auch immer – besonders gelagerter Fall vor, der die prima facie-Annahme erschüttert, so hat der Anfechtungsgegner dies zu belegen und vorzutragen. In diesem Fall geht dann die Beweislast wiederum nach den allgemeinen Grundsätzen auf den Anfechtenden über. Im übrigen kann die Schutzwürdigkeit der anderen Partei im Rahmen der durch die §§ 119 Abs. 2, 122 BGB verfolgten Gesamtkonzeption hinsichtlich der Risikozuweisung für den durch die fehlerhafte Willenserklärung entstehenden Vertrauensschaden gerade im Falle vorausgegangener irreführender Werbung, die auf Seiten des Anfechtenden einen Eigenschaftsirrtum hervorgerufen hat, sogar dann ganz oder teilweise entfallen, wenn die andere Partei 138 S. o. Fn. 136 zum Beleg, daß die Wertungen in der Tat verglichen werden können, sowie u. Fn. 140 zur Begründung der Reichweite der Ausdehnbarkeit der Wertung aus § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB betreffend die Beweislast auch über ihren unmittelbaren, begrenzten Anwendungsbereich hinaus. 139 Vgl. insoweit allgemein nur Musielak-Foerste, § 286 ZPO, Rz. 38 ff. (insbes. Rz. 58). 140 Eine vollkommene Verallgemeinerung des Gedanken scheidet demgegenüber naturgemäß aus. Denn es ist gerade die tatbestandliche Begrenzung auf von ganz bestimmten Dritten stammende Aussagen gerade über bestimmte Sacheigenschaften, die die spezifisch andere Beweislastverteilung in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB erklärt. Nur soweit die hinter dieser Regelung stehenden Prinzipien – und damit im wesentlichen der cuius commodum eius periculumGedanke sowie das Risikosphärenprinzip – behutsam verallgemeinert werden können, kommt daher überhaupt eine wertungsmäßige Ausdehnung der spezifischen Wertung aus § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB betreffend die Beweislast in Betracht. Die hier vorgeschlagene Ausdehnung in den Dienstleistungsbereich bezüglich Angaben Dritter aus der Absatzkette, wird von diesen Grundgedanken aber gerade mit getragen.
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den zur Anfechtung verursachten Fehler schuldlos verursacht hat141. Derartige Fälle sind nach der heute142 herrschenden Meinung143 ganz allgemein über eine analoge Heranziehung des § 254 BGB zu lösen. Ob das in dieser Allgemeinheit zutreffend ist, mag mit guten Gründen bezweifelt werden144. Jedenfalls für die hier betrachtete Fallkonstellation durch unlauteren 141 S. zutreffend und mit näherer Darstellung Alexander, S. 114 f. mwN.; a.A. Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 421 f., jeweils mwN. 142 Das Reichsgericht wollte in derartigen Fällen noch über die exceptio doli generalis helfen, da der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs nach § 242 BGB die Einrede der mißbräuchlichen Ausnutzung einer formalen Rechtsposition entgegengehalten werden könne, wenn der Anfechtungsgegner den Irrtum selbst schuldlos hervorgerufen habe, s. RGZ 58, 356 f.; RGZ 81, 395, 399 und zum ganzen Alexander, S. 114. Nach heutiger Rechtslage (mit der grundsätzlichen Lösung über § 254 BGB, s. noch sogleich u. Fn. 143) kommt eine Einrede wegen fehlenden Eigeninteresses unter § 242 BGB jedenfalls dann noch in Betracht, wenn der Anfechtungsgegner zwar nicht den Irrtum des Anfechtenden veranlaßt hat, wohl aber wenn er in Kenntnis des Irrtums von vornherein die rechtsgeschäftliche Vereinbarung nur nutzen wollte, um unlautere oder vertragsfremde Zwecke (insbesondere eben den Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 Abs. 1 BGB) zu verfolgen, s. beispielhaft die Entscheidung OLG München, NJW 2003, 367 (im Prozeßkostenhilfeverfahren). 143 S. aus der Rechtsprechung BGH, NJW 1969, 1380, mit dem Argument, schließlich müsse auch der Anfechtende unter § 122 BGB verschuldensunabhängig für das Ausbleiben des durch seine Willenserklärung geschaffenen Vertrauenstatbestandes haften; aus der Literatur PalandtHeinrichs, § 122, Rz. 5; Alexander, S. 114 f. A.A. Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 145, da er der Auffassung ist, die nicht rechtsgeschäftliche (Mit-)verursachung des Irrtums (durch den Anfechtungsgegner) könne wertungsmäßig nicht der Schaffung eines Vertrauenstatbestandes gerade durch eine Willenserklärung gleichgestellt werden; zustimmend Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 422. Man wird aber (mit leicht veränderter Begründung, nämlich einer Argumentation aus dem Risikozuweisungsgedanken, statt aus dem Veranlassungsprinzip [vgl. allgemein auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 486, 534]) konzedieren müssen, daß dieses Argument wiederum gerade durch die neue Regelung in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, derzufolge nicht rechtsgeschäftliches Handeln jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmtem Umfang verschuldensunabhängig den Inhalt einer Beschaffenheitsvereinbarung durch Prägung der Verkehrserwartung positiv bestimmen kann, wertungsmäßig mindestens zusätzlich erschüttert wird. Denn aus § 434 Abs. 1 S. 3 BGB wird man hinsichtlich der Risikotragung für durch Werbung aus der Sphäre des Anbieters verursachte Irrtümer eine grundsätzliche Zuordnung zur Risikosphäre des Anbieters entnehmen können, die jedenfalls soweit reicht, wie die in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB insoweit tatbestandlich umrissenen Fälle (also: Angaben des Verkäufers hinsichtlich bestimmter Sacheigenschaften unter den weiteren Bedingungen des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB), und die im Sinne der Wertungskonsistenz zumindest auf Fälle unlauterer Werbung im Dienstleistungsbereich und auf tatsächlich verkehrswesentliche Eigenschaftsirrtümer über die Person zu übertragen ist (vgl. insoweit die Überlegungen o. Fn. 140). A.A. aber Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 421 f., mit Blick auf die insoweit vergleichbare Regelung des § 13a UWG a.F., der im Ansatz zu Recht gegen die verallgemeinerte Lösung der Rechtsprechung über § 254 BGB argumentiert und auf den objektiv begrenzten Tatbestand der mittlerweile aufgehobenen Sonderregelung des § 13a UWG a.F. verweist. Dies spricht bezüglich des neuen § 434 Abs. 1 S. 3 BGB (den Weiler in seinen Überlegungen noch nicht berücksichtigt) aber nicht dagegen, soweit dessen objektiver Tatbestand mit Blick auf vom Verkäufer verursachte Werbeangaben reicht, die Wertung des neuen § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zu respektieren und sie zudem auf diejenigen Fallgestaltungen wertungsmäßig auszudehnen, für die die diesem objektiven Tatbestand insoweit zugrundeliegenden Wertungsprinzipien tragen. S. für den dementsprechend gegenüber der herrschenden Meinung begrenzten Ansatz dieser Untersuchung auch noch sogleich im folgenden Text. 144 S. insoweit zu Recht Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 421 f. (gegen die Versuche einer verallgemeinerten Begründung aus dem Risikotragungsgedanken) und Medicus, Bürgerli-
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Wettbewerb seitens des Anfechtungsgegners verursachter Eigenschaftsirrtümer145 ist die Lösung über § 254 BGB aus dem Gedanken angemessener Risikoverteilung gerechtfertigt, wie dies zuletzt Alexander gerade bezüglich der hier betrachteten Fallkonstellation kurz und treffend näher präzisiert und begründet hat146.
5. Die Konkurrenz zu den kaufrechtlichen und sonstigen Mängelansprüchen Zumal die Frage des Konkurrenzverhältnisses der Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB zu den kaufrechtlichen Sachmängelvorschriften nach §§ 437 ff. BGB147 ist für die hier angestellten Überlegungen zu einer teilweisen Rezeption der Wertungen der Neuregelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB bei der Auslegung der §§ 119 Abs. 2, 122 BGB insofern von Bedeutung148, als ein genereller Vorrang der ches Recht, Rz. 145 (gegen die Versuche einer verallgemeinerten Begründung aus der spiegelbildlichen Heranziehung des Veranlassungsprinzips). 145 Über den Eigenschaftsbegriff und die Voraussetzung der Verkehrswesentlichkeit wird dabei gerade wieder die gebotene Beschränkung der Heranziehung des § 254 BGB auf diejenigen Fälle, die der Situation des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB mit Blick auf öffentliche Äußerungen des Verkäufers vergleichbar sind (s. o. Fn. 143), erreicht. 146 S. daher statt aller Alexander, S. 114 f. mwN (schon auf Grundlage der Rechtslage vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform). A.A. wohl Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 421 f. (auch wegen dem an dieser Stelle zu § 123 Abs. 1 BGB von ihm ausgemachten Wertungswiderspruch); doch wird man dem entgegenhalten müssen, daß jedenfalls durch die hier allein vertretene begrenzte Heranziehung des § 254 BGB analog im Rahmen durch unlauterer Werbung vom Anfechtungsgegner verursachter Eigenschaftsirrtümer ein allgemeiner Wertungswiderspruch zu § 123 Abs. 1 BGB gerade nicht entsteht, da die hier betrachteten Fälle lediglich die spezifische Konstellation unlauteren Verhaltens bei Verursachung eines Eigenschaftsirrtums betreffen, für die sich – unter dem Gesichtspunkt des Gleichmaßgebots – eine spezifischere Wertung aus § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und den dieser Norm zugrundeliegenden Prinzipien ergibt. Man mag im übrigen ohnedies bezweifeln, daß die hier vertretene – tatbestandlich begrenzte – Lösung aus dem veränderten Risikotragungsgedanken, wie ihn § 434 Abs. 1 S. 3 BGB verkörpert, überhaupt in Konflikt mit § 123 Abs. 1 BGB geraten kann. Denn § 123 Abs. 1 BGB folgt einem grundlegend anderen Zurechnungsmodell, da hier – ohne tatbestandliche Begrenzung – jedwede Willensbildungsstörung des Anfechtenden über das Verschuldensprinzip dem Anfechtungsgegner zurechenbar sein muß, s. dazu näher sogleich unten III. 147 Die Frage stellt sich natürlich im wesentlichen vergleichbar auch für die Sachmängelvorschriften des Mietvertrags (§§ 536 ff.), des Werkvertrags (§§ 633 ff., soweit nicht ohnedies Werklieferungsvertrag) und des Reisevertrags (§§ 651c ff. BGB), s. nur Köhler, AT, § 7, Rz. 33; Larenz/ Wolf, AT, § 36, Rz. 48. 148 Wenn auch die Bedeutung der Frage, für die in dieser Untersuchung im Mittelpunkt stehenden Massengeschäfte des täglichen Lebens nicht überschätzt werden darf, vgl. auch noch bei u. Fn. 180. Dies belegt im übrigen schon die Tatsache, daß die typischen Fälle, an denen sich die nachfolgend geschilderte Kontroverse über das Konkurrenzverhältnis der Anfechtungsregeln mit den Mängelansprüchen des besonderen Schuldrechts und insbesondere des Kaufrechts entzündet hat, nicht dem Bereich des massenhaften Gattungskaufs entstammen, sondern vielmehr typischerweise Stückkäufe – zumal vermeintlich besonders wertvoller Einzelstücke, wie Gemälde, Grundstücke etc. (s. nur die Leitentscheidungen in diesem Bereich: RGZ 61, 171, 175 f. [betreffend die Schwammfreiheit eines Hauses]; BGHZ 34, 32 ff. = NJW 1961, 772 [betreffend einen Grundstückskaufvertrag]; BGHZ 60, 319, 320 f. = NJW 1973, 1234 [ebenfalls einen Grundstückskaufvertrag betreffend]; BGHZ 63, 369, 376 f. = NJW 1975, 970, 972 [betreffend die fehlende Echtheit eines Gemäldes, das Alexander Jawlensky zugerechnet worden war] oder auch das von Larenz/Wolf, AT, § 36, Rz. 49 zur Illustration gewählte Beispiel, das wiederum einen
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§§ 437 ff. BGB vor der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums der Irrtumsanfechtung in den hier schwerpunktmäßig fortentwickelten Bereichen ohnedies beinahe jegliche praktische Relevanz nehmen würde149. Auf Grundlage der hier vertretenen Auffassung zur (trotz der unterschiedlichen dogmatischen Ausgestaltung und der unterschiedlichen Ausgestaltung der Rechtsfolgen) grundsätzlichen Vergleichbarkeit des im Rahmen der Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB und im Rahmen des Sachmangelbegriffs geregelten Interessenabwägungsproblems und der vergleichbaren Tatbestandsstruktur hinsichtlich der sorgsam eingedämmten rechtlichen Relevanz bestimmter vorvertraglicher Motivationen – sei es für die Einbeziehung in die Erfüllungshaftung nach §§ 434 ff. BGB oder sei es für die Möglichkeit einer ausnahmsweisen Lösung vom Vertrag auf Grundlage von § 119 Abs. 2 BGB – stellt sich an dieser Stelle jedenfalls grundsätzlich ein Konkurrenzproblem150. Die herrschende Meinung löst dieses Problem grundsätzlich im Sinne eines Vorrangs des Sachmängelhaftungsrechts151, wobei dann im einzelnen umstritten Gemäldekauf thematisiert) – betrafen. Für die hier angestellte Untersuchung des Verhältnisses von Vertrags- und Wettbewerbsrecht, die ihren Schwerpunkt im durch den Einfluß von Werbeangaben geprägten Gattungskauf und anderen Massengeschäften des täglichen Lebens hat, ist die Kontroverse damit letztlich doch von eher untergeordneter Bedeutung und wird daher in gebotener Kürze nur umrißartig nachgezeichnet. 149 S. treffend statt aller das Eingeständnis dieser Tatsache bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 313 f., das sich – wie Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 401 (in Fn. 765) aufmerksam beobachtet hat – für die allermeisten praktischen Fälle in einen gewissen Widerspruch zu der zuvor (S. 294) getroffenen Feststellung setzt, beim Streit um die dogmatische Einordnung des Eigenschaftsirrtums handle es sich um einen Streit von eminent praktischer Bedeutung. 150 Auf Grundlage der Lehre Flumes vom rechtsgeschäftlichen Eigenschaftsirrtum ergibt sich dies ja schon allein aus der letztlichen Umdefinierung des § 119 Abs. 2 BGB in eine Leistungsstörungsregel (s. denn auch prompt Flume, AT § 24, 3 a) (S. 484 f.), der (S. 485) von vollkommener Identität des Fehlermaßstabs nach § 459 BGB a.F. und Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB ausgeht und dann daraus konsequent folgert, daß die §§ 459 ff. BGB im Sinne echter Exklusivität auch vor Gefahrübergang der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums vorgingen). Das Konkurrenzproblem stellt sich aber auch auf Grundlage der hier befürworteten Lehre vom Eigenschaftsirrtum als ausnahmsweise beachtlicher Motivirrtum, da diese dogmatische Zuordnung über die Teilidentität der Interessenlage, wie sie auch in dieser Untersuchung klar gesehen wird (s. oben II 1 c), nicht hinwegtäuschen kann. S. insoweit zutreffend nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 310 mwN für die herrschende Meinung. 151 S. für umfassende Nachweise bezüglich der ganz herrschenden Meinung zum alten Recht nur MüKo-Kramer, § 119, Rz. 33. Für die Aufrechterhaltung dieses grundsätzlichen Vorrangs nach neuem Recht, s. die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 433 Abs. 1 S. 2, sowie MüKo-Westermann, § 437, Rz. 53 mit umfassenden weiteren Nachweisen für die Aufrechtherhaltung der herrschenden Meinung nach der Schuldrechtsreform. Grundsätzlich a.A. und im Sinne einer freien Alternativkonkurrenz seit jeher Schmidt, NJW 1962, 710 ff.; Schmidt-Salzer, JZ 1967, 663; Schröder, in: FS Kegel, S. 397, 409 ff.; Wasmuth, in: FS Piper, S. 1083; Köhler, AT, § 7, Rz. 33; Larenz/Wolf, § 36, Rz. 49 f. (dort in Rz. 50 mit einem zusätzlichen Argument auf Grundlage der Neuregelung des Verjährungsrechts im Rahmen der Schuldrechtsreform [vgl. dazu noch u. Fn. 173 und 179], aber auch schon in der Vorauflage: Larenz/Wolf, § 36, Rz. 53); auf dem Stand nach der Schuldrechtsreform s. neuestem nunmehr auch Bamberger/Roth-Faust, § 434, Rz. 173.
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ist, ob dies auch vor Gefahrübergang gelten soll152, und ob die Vorschriften der §§ 434 ff. BGB sogar negative Exklusivität insgesamt dahingehend entfalten, daß bei jeglicher Eigenschaft, die Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung sein könnte – gleichgültig, ob sie in dem konkreten Kaufvertrag in die Beschaffenheitsvereinbarung aufgenommen ist oder nicht –, die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist153. Die Rechtsprechung zum alten Recht verneinte eine derart absolute Ausschlußwirkung und ließ vor Gefahrübergang und überhaupt, sofern die Sachmängelvorschriften von ihrem Anwendungsbereich her nicht griffen, eine Anfechtung zu154. Die strengere Auffassung in der herrschenden Literatur, die demgegenüber – vermeintlich konsequent155 – auch die negative Exklusivi152 Verneinend insbesondere die Rechtsprechung, s. nur BGHZ 34, 32, 37; NJW 1961, 772, 773 f. mit umfassenden weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur und der zusätzlichen Feststellung, daß ein Ausschluß der Anfechtung vor Gefahrübergang auch bei ausnahmsweiser Geltung der Gewährleistungsansprüche schon vor Gefahrübergang nicht in Betracht kommt (s. zu der Entscheidung auch schon o. Fn. 148 und noch u. Fn. 176). A.A. im Ergebnis die wohl überwiegende Meinung in der Literatur, vgl. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 312 mit umfassenden weiteren Nachweisen zum Stand vor der Schuldrechtsreform. Der Schuldrechtsreformgesetzgeber hat die Frage, ob es bei der Lösung einer Ausschlußwirkung nur nach Gefahrübergang bleiben soll, offengelassen, aber eine Tendenz dahingehend ausgedrückt, daß es angesichts der Veränderung der Rechtsbehelfe des Käufers „naheliege[…], die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums als von vornherein ausgeschlossen anzusehen“ (s. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 433 Abs. 1 S. 2). In der Folge haben nunmehr für den Stand nach der Schuldrechtsreform eine Anzahl von Autoren einen Ausschluß der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums schon vor Gefahrübergang befürwortet, s. nur Lorenz/Riehm, S. 310 f.; Das neue Schuldrecht-Haas, Kap. 5, Rz. 270; Oetker/Maultzsch, S. 131 f.; Reinicke/Tiedtke, Rz. 798 f.; Westermann/Buck S. 178; Jauernig-Berger, § 437, Rz. AnwK-Büdenbender, § 437, Rz. 26; weiterhin a.A. aber Palandt-Putzo, § 437, Rz. 53; Erman-Grunewald, Vor § 437, Rz. 22; wohl auch MüKoWestermann, § 437, Rz. 53. 153 Wiederum verneinend die Rechtsprechung zum alten Recht mit Blick auf Beschaffenheitsvereinbarungen (auf Grundlage des alten, engen Sachmangelbegriffs) und Eigenschaftszusicherungen, s. BGH NJW 1979, 160; BGHZ 78, 216, 218. A.A. zum Teil die Literatur, s. nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 304 ff. mwN (auf dem Stand vor Schuldrechtsreform); Palandt-Putzo, § 437, Rz. 54. 154 Einzige vermeintliche Ausnahme bildet insoweit die Rechtsprechung zu vertraglichen Gewährleistungsausschlüssen, welche nach Gefahrübergang dann – obwohl Gewährleistungsregeln in diesem Falle ja gerade nicht greifen – auch die Anfechtbarkeit nach § 119 Abs. 2 BGB ausschließen sollen, s. nur BGHZ 63, 376; BGH WM 1977, 118. Dies ist aber genaugenommen nur konsequent, da von ihrem Anwendungsbereich her die Sachmängelansprüche in einem derartigen Fall ja eingreifen, eben nur vertraglich ausgeschlossen sind. S. auf dem Stand nach der Schuldrechtsreform für die insoweit praktisch einhellige Meinung Erman-Grunewald, Vor § 437, Rz. 24 mwN. Für die Zeit vor Gefahrübergang ist die Wirkung von Gewährleistungsausschlüssen wiederum umstritten, s. nur die Nachweise o. Fn. 152 sowie auch noch u. Fn. 165 (zur eigentlich angemessenen Lösung über die Annahme eines konkludenten Ausschlusses auch der Anfechtbarkeit wegen Eigenschaftsirrtums in den problematischen Fällen). 155 Vgl. nur Bamberger/Roth-Faust, § 437, Rz. 173 aE zur Inkonsequenz der Lösung des BGH, wobei Faust, aaO., als einer der Proponenten der vordringenden Minderansicht in der Literatur dann daraus genau umgekehrt zur herrschenden Literaturmeinung schließt, es sei konsequenter, die Alternativität beider Instrumente stets anzuerkennen. Vgl. zu den weiteren Argumenten der Minderansicht noch sogleich näher im Text.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
tät und Ausschlußwirkung vor Gefahrübergang bejaht, stützt sich letztlich auf ein Spezialitätsargument, das die Vorschriften der §§ 434 ff. BGB als abschließende Sonderregeln einordnet156. Man wird dem aber entgegenhalten müssen, daß angesichts der unterschiedlichen Rechtsfolgen und der unterschiedlichen dogmatischen Einordnung ein echtes Spezialitätsargument nicht greifen kann, sondern es vielmehr nur um eine Teilüberschneidung von Wertungen geht157, da die Irrtumsregeln ihrer systematischen Stellung und ihrem Telos nach das Zustandekommen des Vertrages betreffen, während das Sachmängelrecht die Durchführung des Vertrags betrifft158. Dies konzedieren zum Teil auch die Anhänger vorgenannter Literaturansicht159, stützen sich dann aber letztlich für den absoluten Vorrang der Sachmängelvorschriften auf das Argument, die Begrenzungen der Sachmängelvorschriften (insbesondere hinsichtlich der kürzeren Frist160, des Vorrangs der 156 S. nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 304; Staudinger-Honsell (12.Aufl.), Vorbem. zu §§ 459 ff. BGB, Rz. 28. Für eine Ausschlußwirkung vor Gefahrübergang bezüglich der Beschaffenheit i.S.d. § 434 BGB zuzuordnender „verkehrswesentlicher Eigenschaften“ im Anschluß an die Andeutung dieser Möglichkeit in der Gesetzebegründung (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 14/6040, S. 210) auch Jauernig-Berger, § 437, Rz. 32; Staudinger-Beckmann, Vorbem zu §§ 433 ff., Rz. 18. 157 Insoweit zur vergleichbaren Problematik der Abgrenzung von Grundlagenirrtum und Mängelgewährleistung im Schweizer Obligationenrecht zuletzt im Ansatz zutreffend das Schweizerische Bundesgericht (BGE 114 II, 131, 136 mwN, vgl. auch die weiteren Nachweise zum Schweizerischen Recht bei Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 348), in seiner für die Anhänger der freien Alternativkonkurrenz (vgl.. nur der allgemeine Hinweis auf die rechtsvergleichende Perspektive bei Larenz/Wolf, § 36, Rz. 49) wegweisenden Rechtsprechung, die von einer Alternativkonkurrenz beider Behelfe ausgeht. Insoweit zustimmend auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 308. Nicht zu Unrecht kritisch bezüglich der Argumentation des Bundesgerichts im übrigen (insbesondere zu dem involvierten undifferenzierten Käuferschutzargument) aber dann sowohl Fleischer, aaO., S. 350 (mit weiterführenden Hinweisen auf Kritik auch im Schweizer Schrifttum) als auch Lorenz, aaO.). 158 S. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 352. Daran hat insbesondere die Umgestaltung der Sachmängelvorschriften im Rahmen der Schuldrechtsreform und die unbestrittene Tatsache, daß es sich dabei nun um Erfüllungsansprüche handelt, (entgegen der vorsichtigen Andeutung des Gesetzgebers, s. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 433 Abs. 1 S. 2) nichts geändert, da auch weiterhin die „gesetzliche Konzeption von Rechten und Pflichten aus mangelhafter Lieferung so stark auf einen zumindest versuchten Leistungsaustausch zugeschnitten ist, daß es dem Käufer freistehen sollte, diesen durch seine Anfechtung hintanzuhalten“, wie MüKo-Westermann, § 437, Rz. 53, zutreffend hervorhebt. A.A. aber die herrschende Meinung in der Literatur, s. die Nachweise o. Fn. 152. 159 S. wiederum Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 308; ähnlich Staudinger-Beckmann, Vorbem zu §§ 433 ff. BGB, Rz. 18 mwN: durchweg „sachangemessenere“ Lösungen im Kaufrecht. 160 S. statt vieler nur Oetker/Maultzsch, S. 131. Dagegen aber Larenz/Wolf, AT, § 36, Rz. 51, im Zuge seiner Argumentation für Alternativität der Anfechtungsregeln (vgl. zu dieser in der Literatur vordringenden Ansicht näher noch unten im Text), der zu belegen sucht, daß die Anfechtungsfrist in vielen Fällen wegen der verkürzten Ausschlußfrist nach § 121 Abs. 2 BGB nunmehr sogar kürzer sein wird, als die Verjährung der Sachmängelansprüche, die ja – je nach Vertragsart – zwischen zwei und 30 Jahren betragen kann. Dies untergräbt zwar – wenn auch für den Kaufvertrag als wesentlichsten Fall gerade nicht – das Argument der herrschenden Meinung, die Heranziehung der §§ 119 ff. BGB führe in der Regel zu einer Verlängerung der kurzen
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Nacherfüllung161, des Haftungsausschlusses nach § 443 Abs. 1 BGB bei Kenntnis oder grobfahrlässiger Unkenntnis des Mangels sowie vertraglicher Gewährleistungsausschlüsse) dürften nicht durch einen Rückgriff des Käufers auf das Anfechtungsrecht unterlaufen werden162. Diese Argumentation trägt nun aber allenfalls, soweit die Sachmängelvorschriften tatsächlich eingreifen. Das Gegenargument, schon zuvor drohe eine Umgehung etwa des § 442 Abs. 1 BGB oder vertraglicher Haftungsausschlüsse163, überzeugt deshalb nicht, weil die „Umgehung“ einer Vorschrift – angesichts eines eben nicht bestehenden unmittelbaren Konkurrenzverhältnisses sondern vielmehr einer nur teilweisen Überschneidung der jeweiligen Wertungen und Rechtsfolgen– doch voraussetzen würde, daß diese Vorschrift zu einem bestimmten Zeitpunkt, zu dem sie umgangen werden soll, überhaupt anwendbar ist164. Und bezüglich vertraglicher Haftungsausschlüsse dürfte sich das Problem einer Umgehung schon aufgrund einer Auslegung derartiger Vereinbarungen mit Blick auf die Frage, ob auch die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums ausgeschlossen sein soll, interessengerecht lösen lassen165. Insofern ist die von der Rechtsprechung seit jeher favorisierte Begrenzung des Vorrangs der Sachmängelvorschriften auf die Zeit nach Gefahrübergang und auf Situationen, in denen sie tatsächlich eingreifen, nach der hier vertretenen Auffassung durchaus gerechtfertigt. Es geht – wie dies Fleischer treffend bezeichnet hat – bei der Konkurrenz des Anfechtungsrechts mit den Sachmängelvorschriften eben weniger um ein Spezialitätsproblem, als vielmehr um ein Verhältnis von prius und posterius166: Der eine Normenkomplex ist Verjährungsfristen der Sachmängelansprüche, läßt sich allerdings gegen die hier vertretene Argumentation, die Regelung der Sachmängelansprüche sei – gleichgültig ob für den potentiell Anfechtenden günstiger oder ungünstiger – wegen der Rechtsfolgenspezifität der auf die Situation nach Gefahrübergang zugeschnittenen Regeln als lex posterius vorrangig (ähnlich Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 352, und auf dem Stand nach der Schuldrechtsreform auch MüKoWestermann, § 437, Rz. 53, sowie im Ergebnis auch Palandt-Putzo, § 437, Rz. 53; Erman-Grunewald, Vor § 437, Rz. 22), nicht ins Feld führen. Vgl. näher noch unten im Text. 161 Dieses Argument ist nach der Schuldrechtsreform insofern noch gestärkt, als sich nach neuem Recht der Käufer nur vorm Vertrag lösen kann, nachdem er dem Verkäufer Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben hat, s. statt vieler zutreffend Bamberger/Roth-Faust, § 437, Rz. 168. 162 S. nur MüKo-Kramer, § 119, Rz. 33 mwN. 163 S. statt vieler nur Reinicke/Tiedtke, Rz. 799; Oetker/Maultzsch, S. 131 f., jeweils bezüglich der Umgehung des § 442 Abs. 1 BGB; dagegen aber durchaus überzeugend Erman-Grunewald, Vor § 437, Rz. 22. 164 Vgl. nur für die ständige Rechtsprechung des BGH im Anschluß ans Reichsgericht, BGHZ 34, 32, 37 = NJW 1961, 772, 773 mit umfassenden weiteren Nachweisen. A.A. aber Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 311 f. 165 In aller Regel dürfte nämlich die Auslegung eines vertraglichen Gewährleistungsausschlusses (auch BGHZ 34, 32, 37; NJW 1961, 772, 773, betraf einen solchen Fall und bejahte die Anfechtbarkeit wegen Eigenschaftsirrtums vor Gefahrübergang) in den wertungsmäßig problematischen Fällen (etwa eines bewußten Risiko- oder Spekulationskaufs) eindeutig ergeben, daß auch die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums ausgeschlossen sein soll, s. insoweit wie hier (und bezüglich des Hinweises, daß diese Frage vom BGH, aaO., hätte geprüft werden müssen, absolut zutreffend) Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 312 (in Fn. 581). 166 Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 352 f.
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auf das Zustandekommen des Vertrages zugeschnitten, der andere auf seine Abwicklung. Dies muß zugleich die Leitlinie für die phasengerechte wechselseitige Abgrenzung bilden. Vor Gefahrübergang ist demnach grundsätzlich eine Anfechtung möglich, danach gehen die differenzierten Sachmängelvorschriften, die gerade auf eine Situation zugeschnitten sind, in der dem Käufer die Sache zur Verfügung steht, so daß er Mängel in angemessener Zeit rügen kann, und die auf eine vergleichsweise rasche Abwicklung des Erfüllungsstadiums zielen, der Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB vor. Es ist mithin eine Art Rechtsfolgenspezifität des jeweiligen Instruments für die jeweilige Vertragsphase, die den Vorrang der Sachmängelvorschriften des Kaufrechts – soweit sie eingreifen – gebietet. Nach alldem sprechen gute Gründe für die Lösung der Rechtsprechung, die vom grundsätzlichen Vorrang der Sachmängelvorschriften ausgeht, diesen aber eine Ausschlußwirkung schon vor Gefahrübergang und im Falle nur potentieller Sachmängel im Sinne negativer Exklusivität gerade abspricht. Eine sogar vollkommene Alternativkonkurrenz befürwortet eine letzthin immer mehr Anhänger findende Minderansicht in der Literatur, die sich neben rechtsvergleichender Analyse167 in erster Linie darauf stützt, daß das Argument einer Umgehungsgefahr mit Blick auf die Sachmängelvorschriften deshalb nicht überzeugen, weil die Irrtumsanfechtung schon wegen der Schadensersatzverpflichtung nach § 122 BGB168 und angesichts der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach der Saldotheorie169 den Verkäufer hinreichend schütze (und spiegelbildlich den Anfechtenden hinreichend abschrecke)170. Letztlich handle es sich bei der Irrtumsanfechtung stets um ein aliud171, das in seinen Rechtsfolgen sozusagen „hinreichend nachteilig“172 für den Käufer sei, um die von der herrschenden Meinung befürchteten Umgehungseffekte wirksam zu unterbinden. Man wird der Minderansicht hinsichtlich der sorgsamen Analyse des Günstigkeitsvergleichs173, die eben nicht das eindeutige Ergebnis bringt, welches der herrschenden Meinung 167 Larenz/Wolf, AT, § 36, Rz. 49; Wasmuth, in: FS Piper, S. 1083, 1110 ff.; dagegen aber Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 350, für das schweizerische, französische und das UN-Kaufrecht; ähnlich Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 308 f., für das schweizerische Recht. 168 S. Köhler, AT, § 7, Rz. 33. 169 Larenz/Wolf, AT, § 36, Rz. 50. 170 S. in diese Richtung Schröder, in: FS Kegel, S. 397, 413; ähnlich Larenz/Wolf, AT, Rz. 50; Bamberger/Roth-Faust, § 437, Rz. 173, die beide letztlich belegen, daß die jeweiligen Vorschriftenkomplexe mit ihren Vor- und Nachteilen eher in einem aliud-Verhältnis stehen. 171 Insoweit geht Larenz/Wolf, AT, § 36, Rz. 48, allerdings auch schon davon aus, daß sich der Eigenschaftsbegriff in § 119 Abs. 2 BGB und § 434 BGB nicht deckten, was den aliud-Charakter der jeweiligen Normenkomplexe natürlich noch zusätzlich betont. Nach der hier vertretenen Auffassung (s. oben II 2) ist insoweit aber nunmehr eine Deckungsgleichheit zwischen dem Eigenschaftsbegriff in § 434 Abs. 1 Nr. 3 BGB und in § 119 Abs. 2 BGB gegeben. Vgl. aber auch Bamberger/Roth-Faust, § 437, Rz. 173, Rechtsfolgen so unterschiedlich, daß reines aliud mit jeweils eigenen Vorzügen und Nachteilen. 172 S. o. Fn. 170. 173 S. am eindrücklichsten zuletzt Bamberger/Roth-Faust, § 437, Rz. 173 zu den jeweiligen Vor- und Nachteilen; s. bezüglich der jeweiligen Verjährungsregeln nach der Schuldrechtsre-
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vorschwebt, sicherlich zustimmen können174. Nachdem allerdings für die Zeit nach Gefahrübergang die Gewährleistungsvorschriften ein differenziertes und grundsätzlich lückenloses Regelungskonzept bilden, das hinsichtlich der Voraussetzungen für ein Abstehen vom Vertrag jedenfalls unübersehbar andere (und damit eben in Teilaspekten strengere) Anforderungen aufstellt als die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB, und nachdem häufig – zumal im geschäftlichen Massenverkehr – der Schadensersatzanspruch nach § 122 BGB den Verkäufer nicht hinreichend schützen dürfte, da ihm – angesichts massenhafter Bestellung und massenhaften Abverkaufs – ein zurechenbarer Vertrauensschaden gar nicht entsteht, so daß Verkehrsschutz in diesem Falle letztlich nur durch Bestandsschutz erreicht werden kann175, scheint die Ansicht der Rechtsprechung deshalb vorzugswürdig, weil sie für eine phasengerechte Abstimmung der beiden Normkomplexe sorgt und verhindert, daß diese sich in ihren Wertungen gegenseitig unterlaufen. Es geht mithin bezüglich des Vorrangs der §§ 434 ff. BGB nach Gefahrübergang, die ihrerseits ja grundsätzlich nicht im Zeitraum vor Gefahrübergang anwendbar sind (so daß insoweit im Normalfall ein vergleichbares Problem nicht entsteht und nicht durch entsprechenden Anwendungsvorrang der Anfechtungsregeln gelöst werden muß, der andernfalls aber zweifelsohne ebenfalls gelten müßte176), nicht um die Frage reinen Umgehungsschutzes, sondern um eine sozusagen rechtsfolgenspezifische Abgrenzung zweier Normkomplexe gegeneinander, die ersichtlich auf unterschiedliche Vertragsphasen zugeschnitten sind177. Sie entspricht auch der hier angenommenen interessenorientiert-funktionalen Ähnlichkeit der beiden Normenkomplexe, soweit es um die Frage nach der rechtlichen Relevanz bestimmter vorvertraglicher Motivationsbildungen beim Kaufvertrag geht. Denn unter dieser Perspektive sorgt die Lösung der Rechtsprechung schlicht dafür, daß das form durchaus treffend auch die Analyse bei Larenz/Wolf, AT, § 36, Rz. 50 (zu dessen sich daran anschließender Argumentation, s. aber noch die Kritik in u. Fn. 179). 174 So auch schon Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 349. 175 Insoweit zutreffend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 310 (in Fußnote 571), wobei das Argument nur trägt, soweit es um die Kritik an der Auffassung freier Alternativkonkurrenz geht. Eine Stütze für den Ausschluß der Anfechtbarkeit schon vor Gefahrübergang läßt sich demgegenüber aus diesem empirischen Argument gerade nicht entnehmen, da im Massenverkehr der Geschäfte des täglichen Lebens typischerweise ein etwaiger Eigenschaftsirrtum ohnedies erst nach Gefahrübergang offenbar werden dürfte, s. noch bei u. Fn. 180. 176 Daß es letztlich um eine Einteilung nach zeitlichen Phasen, also in der Tat um ein prius/ posterius-Problem geht, belegt gerade die Tatsache, daß, auch wenn ausnahmsweise schon vor Gefahrübergang nach altem Recht die Gewährleistungsregeln anwendbar waren (weil etwa der Mangel unbehebbar oder die Behebung endgültig abgelehnt war), die Rechtsprechung neben den dann vor Gefahrübergang bestehenden Gewährleistungsansprüchen dennoch die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB zuließ (ständige Rechtsprechung seit BGHZ 34, 32 ff. = NJW 1961, 772, 773 f. mwN). Die hier vertretene Sichtweise auf die Konkurrenzproblematik im Sinne einer rechtsfolgenspezifischen Abstimmung nach zeitlichen Phasen wird dadurch gerade bestätigt, vermag sie doch die vermeintlich inkonsequente Haltung der Rechtsprechung befriedigend zu erklären. 177 Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 351 f. Ähnlich nunmehr nach der Schuldrechtsreform auch Erman-Grunewald, Vor § 437, Rz. 22; MüKo-Westermann, § 437, Rz. 53.
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den beiden Normenkomplexen zugrundeliegende teilweise identische Interessenabwägungsproblem durch weitestgehende178 Anwendung des auf die jeweilige Vertragsphase genauer zugeschnittenen Normenkomplexes insgesamt interessengerechten Lösungen zugeführt wird179. Dies bedeutet dann aber auch, daß für die hier vertretene behutsame Anpassung der Auslegung der §§ 119 Abs. 2, 122 BGB an die sich aus der Neuregelung in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ergebenden, verallgemeinerbaren Wertungen hinsichtlich der Risikozuweisung für die vorvertragliche Willensbildung, ein gewisses theoretisches Anwendungsfeld vorhanden ist. Doch ist zugleich zuzugestehen, daß dem für die hier untersuchten Bereiche nur eine verschwindend geringe praktische Bedeutung entsprechen dürfte. Denn in der hier – aus der Perspektive des Schnittfelds von Wettbewerbs- und Vertragsrecht – besonders interessierenden Umgebung des rechtsgeschäftlichen Massenverkehrs des täglichen Lebens dürfte der Fall, daß ein Käufer bereits vor Gefahrübergang einen Sacheigenschaftsirrtum, der durch eine Werbung induziert wurde, entdeckt und auf Grundlage von § 119 Abs. 2 BGB den Kaufvertrag anficht, ganz selten sein180. Im Regelfall wird die Fehlvorstellung über die Sacheigenschaft sich vielmehr erst nach Gefahrübergang realisieren und dann gegebenenfalls nur Ansprüche des Käufers über § 434 Abs. 1 S. 3 BGB auslösen.
178 Vgl. zu einzelnen denkbaren Ausnahmesituationen Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 352 f. 179 Insbesondere das größte Problem des alten Kaufrechts, die in vielen Situationen als unangemessen kurz empfundene Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F., ist durch die neuen Verjährungsregeln der Schuldrechtsreform erheblich entspannt (und dem anfechtungsrechtlichen Maßstab mit der Notwendigkeit unverzüglicher Anfechtung ab Kenntnis und im übrigen der nunmehr zehnjährigen Obergrenze nach § 121 Abs. 2 BGB näher gekommen). Daraus könnte man nun einerseits schließen, dies verdeutliche noch zusätzlich den aliud-Charakter beider Behelfe und spreche – zumal wenn man noch die Verjährung Gewährleistungsansprüche anderer Vertragsarten betrachte, die zum Teil 30 Jahre beträgt – für die freie Alternativkonkurrenz (so Larenz/Wolf, § 36, Rz. 50). Doch läßt sich auf Grundlage des hier vertretenen prius/posteriusAnsatzes gerade ebensogut argumentieren, die nunmehr erfolgte Verlängerung der Verjährungsfristen für die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche führe nunmehr dazu, daß insoweit die kaufrechtlichen Mängelansprüche als Gesamtkomplex eine durchaus interessengerechte Regelung für die Zeit nach Vertragsschluß träfen (auch die Differenzierung bezüglich der einzelnen anderen Vertragsarten bestärkt ja diese Sichtweise), so daß für einen Rückgriff auf die Anfechtungsvorschriften, um in einzelnen Situationen diese Fristenregelungen unterlaufen zu können, nunmehr auch rechtspolitisch kein Bedarf mehr bestünde. Dies ist auch – soweit die Frage problematisiert wird – die Ansicht der herrschenden Meinung zur Rückwirkung der Schuldrechtsreform auf das hier diskutierte Konkurrenzproblem, s. nur bereits Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 353 (noch bezüglich des Richtlinienentwurfs für die Verbrauchsgüterkauf-RL; und ähnlich mit Bamberger/Roth-Faust, § 437, Rz. 168 sogar einer der Proponenten der freien Alternativkonkurrenz. Insofern wendet sich Wolfs Argument, jedenfalls wenn man nicht allein die Umgehungsgefahr ins Feld führt, sondern mehr mit der Sachgerechtigkeit der jeweiligen Gesamtregelung für die Zeit vor/nach Vertragsschluß argumentiert, wohl eher gegen seine Auffassung bzw. ist jedenfalls umkehrbar. 180 Vgl. zu Recht schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 133.
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III. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung 1. Struktur des Tatbestandes und Vergleich mit wettbewerbsrechtlichen Maßstäben Ohne jegliche tatbestandliche Begrenzung hinsichtlich der Art des hervorgerufenen Irrtums181 – und damit insbesondere auch uneingeschränkt für Motivirrtümer anwendbar182 – regelt die Anfechtungsmöglichkeit wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB eine bestimmte Situation vorvertraglicher Störung der informationellen Entscheidungsgrundlage183. Damit ist an dieser Stelle die strukturelle Überschneidung mit dem wettbewerbsrechtlichen Schutz der Entscheidungsgrundlage sogar noch deutlicher als in § 119 Abs. 2 BGB, da § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB in seiner tatbestandlichen Ausrichtung nicht auf eine bestimmte Irrtumsart zielt, sondern auf eine bestimmte – besonders kraße184 – Form vorvertraglicher Verzerrung der informationellen Entscheidungsgrundlage durch den Erklärungsgegner oder Dritte. Diese Ausrichtung auf die Art und Weise der Beeinflussung entspricht aber gerade ansatzweise dem wettbewerbsrechtlichen Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage. Dabei ist der Tatbestand des § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB jedoch – zumal im Vergleich mit den wettbewerbsrechtlichen Maßstäben in diesem Bereich – hinsichtlich des Grades der Zurechnung der Störung auf den Anfechtungsgegner äußerst streng gefaßt: Es wird eine von Arglist, d.h. mindestens bedingtem Vorsatz hinsichtlich der Irrtumserregung185 und der gerade durch den Irrtum mit zu veranlassenden Erklärung186, getragene Täuschung, d.h. die Erregung Verstärkung oder Aufrechterhaltung187 eines Irrtums188, vorausgesetzt, die für die Erklärung in irgendeiner Weise mit kausal werden konnte189. Schon die Aufweichung des Arg181
S. statt aller MüKo-Kramer, § 123, Rz. 13 mwN. S. nur der Hinweis bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 314. 183 S. aus der Sicht des hier betrachteten Themas nur Alexander, S. 115. 184 S. näher Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 346. 185 S. nur BGH NJW 2001, 64, demzufolge der Handelnde es zumindest für möglich halten muß, daß er die Unwahrheit sagt oder die Wahrheit verschweigt. Vgl. auch BGH NJW 1995, 955, 956, zu „arglistiger“ Täuschung durch Angaben „ins Blaue hinein“, die unrichtig sind, ohne daß der Handelnde irgendwelche tatsächlichen Anhaltspunkte hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts hatte. Dies soll für eine Arglist genügen, da dann ein Bewußtsein für die mögliche Unrichtigkeit der Angaben vorhanden ist und diese denkbare Unrichtigkeit billigend in Kauf genommen wird; ebenso schon BGH NJW 1980, 2460. S. aus der Literatur statt aller Köhler, AT, § 7, Rz. 43. 186 S. BGH NJW 1991, 1673, 1674; BGH NJW 1996, 1205; Köhler, AT, § 7, Rz. 43. 187 S. zur Sonderproblematik der arglistigen Täuschung durch Unterlassen, die die Verletzung einer entsprechenden Aufklärungs- oder Offenbarungspflicht voraussetzt, an dieser Stelle einstweilen nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 317 ff., sowie für grundlegende Systematisierungsversuche bezüglich vorvertraglicher Aufklärungspflichten in diesem Bereich Schumacher, S. 98 ff.; Breidenbach, Informationspflichten, 1989; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 266 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 188 S. nur Köhler, AT, § 7, Rz. Rz. 39 ff. mwN. 189 Mitbestimmung des Geschäftsentschlusses durch die Täuschung genügt, s. BGH NJW 1991, 1673, 1674; Köhler, AT, § 7, Rz. 42. 182
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listerfordernisses für bloße Angaben „ins Blaue hinein“ und ähnliche Situationen in der Rechtspraxis190 illustrieren, daß an dieser Stelle ein praktisch-ethisches Bedürfnis nach der Erfassung auch unterhalb der – insbesondere hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen – hohen tatbestandlichen Schwelle des § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB liegender Beeinflussungen des Erklärenden, die dem Erklärungsgegner zugerechnet werden können, unzweifelhaft besteht191. Der Vergleich mit den Wertungen des Wettbewerbsrechts in diesem Bereich bestätigt diesen Befund noch zusätzlich mindestens indiziell192. Die rechtswissenschaftlichen Versuche, den Tatbestand des § 123 BGB zu einer Art Zentralnorm für dem Erklärungsgegner zurechenbare193 Störungen der Willensbildung des Erklärenden zu entwikkeln, hatten und haben dementsprechend zuvörderst zum Ziel, auf durchaus unterschiedlichem methodischem Wege und in unterschiedlichem Umfang das Vorsatzerfordernis des § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB aufzulösen.
2. Unterschiedliche methodische Ansätze zur Verallgemeinerung bzw. Erweiterung des Tatbestandes des § 123 Abs. 1 BGB a. Der Ansatz Sacks Gerade vor dem Hintergrund der hier im Mittelpunkt stehenden Thematik wettbewerbsrechtlich unlauterer Vertragsanbahnung waren entsprechende Ansätze schon in den siebziger Jahren von Sack entwickelt worden194, der seine Überlegun190
S. nur die kursorischen Nachweise in o. Fn. 185. Mit einer rechtsvergleichenden Bestätigung dieses Befundes Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 338 f. mwN. 192 Gerade an dieser Schnittstelle setzen denn auch einige der im folgenden kurz zu diskutierenden Erweiterungsansätze in der Literatur zu § 123 BGB an; s. nur Sack, WRP 1974, 445, 450 f.; ders., GRUR 2004, 625, 630 ff.; Alexander, S. 118 f.; vgl. auch Weiler, WRP 2003, 423, 427; weitgehend kritisch ders., Beeinflußte Willenserklärung, S. 570 ff. 193 Dabei reichen die Vorschläge von einer Berücksichtigung jeglicher (auch nicht rechtswidriger) Fremdbeeinflussung der Freiheit des Willensentschlusses des Anfechtenden (so noch Sack, WRP 1974, 445, 451, wobei dies letztlich dem Verzicht auf jegliches Zurechnungskriterium gleichkommt), über die Berücksichtigung nur rechtswidriger Beeinflussungen (so mittlerweile Sack, GRUR 2004, 625, 630 f.), bis hin zur Berücksichtigung lediglich fahrlässiger (also zumindest schuldhafter) Irreführungen durch den Anfechtungsgegner (so die im Ergebnis wohl herrschende Strömung unter den Befürwortern einer Erweiterung des § 123 Abs. 1 BGB, vgl. etwa Grigoleit, Informationshaftung, S. 137 ff.; ders, NJW 1999, 900, 902 f.; ders., in: Schulze/SchulteNölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 271 ff. [im Wege der Analogie und nachfolgenden zulässigen rechtsfortbildenden Derogation des Vorsatzdogmas]; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 342 ff.; ders., ZGS 2002, 91; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 620 ff.; Weiler, ZGS 2002, 249, 250 ff.; ders, WRP 2003, 423, 427 ff. [sämtlich im Wege der schlichten analogen Erweiterungen des § 123 Abs. 1 BGB auf derartige Fälle]) oder gar nur ganz bestimmter, nicht näher beschriebener „Konstellationen mit ähnlich schwerwiegenden Eingriffen auf die andere Vertragspartei“ im Wege der „vorsichtigen Analogie“ (so J. Schmidt, in: FS Lukes, S. 793, 804 ff.; Alexander, S. 117). 194 S. für diesen ursprünglichen Ansatz statt vieler Sack, WRP 1974, 445, 450 f., wobei die damalige Verankerung in einer Gesamtanalogie zu §§ 119, 123 BGB zur Folge hatte, daß Sack – unter Rückgriff auf den behaupteten Rechtsgedanken der Vorschrift des § 119 BGB – sowie auf 191
4. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit reflexartiger Ordnungsfunktion
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gen bis heute fortentwickelt und ausdifferenziert hat195. Ging Sack ursprünglich von einer Gesamtanalogie zu §§ 119, 123 BGB aus196, so stützt er seine Argumentation nunmehr allein auf eine Analogie zu § 123 Abs. 1 BGB, der rudimentär den Grundsatz verkörpern soll, daß jegliche widerrechtlich beeinflußte Willenserklärung anfechtbar sei197. Sack hat mit diesem Ansatz gewisse Gefolgschaft gefunden198, ist aber zum Teil auch auf entschiedene Gegnerschaft gestoßen199, was wohl unter anderem zu der leichten Veränderung – mit Blick auf die nunmehr allein auf § 123 BGB gestützte Analogie – geführt hat 200. Insbesondere in seiner neuen, differenzierteren Form wird man als Anhaltspunkt für die in § 123 Abs. 1 BGB für rechtswidrige Beeinflussungen jeglicher Art vermutete Lücke jedoch letztlich nur das von Sack etablierte historische Argument auf Grundlage einer Formulierung in den Motiven der ersten Kommission ausmachen können 201, welches schon seit jeher als zu schwach kritiseine historische Argumentation anhand der Materialien (vgl. dazu sogleich bei u. Fn. 201) konsequenterweise nicht entscheidend auf die Rechtswidrigkeit der Willensbeeinflussung, sondern vielmehr allein auf das Vorhandensein einer freien, unbeeinflußten Willensentscheidung des Anfechtenden abstellen wollte, so daß es in dieser ursprünglichen Form seiner Argumentation auf die Rechtswidrigkeit der Störung des Willensbildungsprozesses überhaupt nicht ankam. 195 S. für den neuen engeren Ansatz statt vieler Sack, GRUR 2004, 625, 630 ff. mwN. 196 S. o. Fn. 194. 197 S. zuletzt Sack, GRUR 2004, 625, 630 ff. mwN. Dabei bildet die neue Verankerung in einer Analogie allein zu § 123 Abs. 1 BGB nicht etwa einen nur konstruktiv unterschiedlichen Weg zum selben Ziel, sondern führt vielmehr auch zu einem entscheidenden Unterschied im Ergebnis. Denn nachdem sich Sack mit seinem neueren Ansatz nurmehr auf eine auf die Materialien zum BGB gestützte (s. noch sogleich bei u. Fn. 201) Analogie zu § 123 Abs. 1 BGB beruft, während § 119 BGB jetzt nur noch eine sozusagen rein „illustrative“ Rolle bei der Verdeutlichung der bestehenden Lücke im Anfechtungsrecht zugewiesen wird, kommt es für die Anfechtbarkeit nunmehr nach seinem neueren Ansatz doch auf die Rechtswidrigkeit der Willensbeeinflussung (wenn auch nicht auf deren Schuldhaftigkeit) an, obwohl gerade Sacks rechtshistorisches Argument diese Begrenzung ebensowenig nahelegt, wie der „zur Verdeutlichung“ herangezogene Hinweis auf § 119 BGB (s. auch dazu sogleich in u. Fn. 201). 198 Einen ähnlichen Weg wie Sack geht Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 616 ff., mit seiner „differenzierten analogen Anwendung des § 123 BGB“, der jedoch im Falle der Irrtumserregung durch den Anfechtungsgegner auf das Verschuldenserfordernis der Fahrlässigkeit nicht verzichten will (s. Weiler, aaO., S. 641 ff.); ähnlich Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 344 ff. mwN. Einen methodologisch grundlegend anderen Weg zum weitgehend selben Ziel der rechtlichen Erfassung von Tatbeständen fahrlässiger Irreführung über § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB geht Grigoleit, s. näher sogleich unten III 2 b. 199 Vgl. ausdrücklich ablehnend BGH NJW 1988, 2599, 2601. Ablehnend in der Literatur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 345 ff.; Staudinger-Köhler, § 13a UWG, Rz. 78; ablehnend auch J. Schmidt, in: FS Lukes, S. 793, 804; Alexander, S. 117, die zwar jeweils „vorsichtige“ Analogien zu § 123 Abs. 1 BGB für gravierende Situationen vorvertraglicher Täuschung ohne Vorsatz bejahen, eine allgemeine Erweiterung im Sinne einer Absenkung des Verschuldenserfordernisses auf die Voraussetzung einfacher Fahrlässigkeit aber gerade ablehnen. 200 S. nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 345 ff. Vgl. auch die ausdrückliche Duplik und Bezugnahme Sacks auf die Kritik von Lorenz in GRUR 2004, 625, 631 f. 201 Auf ein systematisches Argument im Sinne einer Lücke „zwischen“ den Anfechtungsmöglichkeiten nach § 119 BGB und § 123 Abs. 1 BGB verzichtet Sack, GRUR 2004, 625, 630 ff., jetzt gerade. Er sieht vielmehr in § 119 BGB lediglich eine Verdeutlichung des Vorhandenseins einer Lücke für einfach rechtswidrige Täuschungen in § 123 Abs. 1 BGB. Letztlich steht dahin-
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siert wurde, um den Ausbau des § 123 Abs. 1 BGB zu einer Zentralnorm für die Erfassung vorvertraglicher Willensbeeinflussungen – der übrigens eine bemerkenswerte Spiegelung gerade in Kramers Überlegungen findet, § 119 Abs. 2 BGB zu einer derartigen Zentralnorm auszubauen – nachhaltig zu stützen 202. Insoweit ist alter die Anerkenntnis, daß in der Tat „zwischen“ § 119 BGB und § 123 BGB keine Lücke sich öffnen kann, da beide Vorschriften grundlegend anderen Zurechnungsmodellen (tatbestandlich eng begrenzte Anerkennung eines besonders relevanten Irrtums in der Willensbildung in § 119 Abs. 2 BGB [ohne daß dieser in irgendeiner Weise vom Anfechtungsgegner zurechenbar hervorgerufen sein müßte] gegenüber einer tatbestandlich hinsichtlich der Art des Irrtums unbegrenzten Anfechtbarkeit aufgrund einer besonders gravierenden Situation einer dem Anfechtungsgegner zurechenbaren Störung der vorvertraglichen Willensbildung, die sich durch besondere Schutzwürdigkeit des Anfechtenden bei vollkommen fehlender Schutzwürdigkeit des Anfechtungsgegners auszeichnet, s. zum ganzen Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 360 ff.) folgen und auch unterschiedliche historische Wurzeln haben (s. Lorenz, aaO., S. 345; vgl. insoweit auch zustimmend Sack, WRP 1974, 445, 451 mwN; ders., GRUR 2004, 625, 631). Besonders eindrucksvoll wird der letztlich gespaltene Charakter der Grundlage für die Rechtsanalogie im alten Ansatz Sacks (WRP 1974, 445, 450 f.) auch dadurch dokumentiert, daß die beiden Vorschriften vollkommen unterschiedliche Anfechtungsfristen vorsehen, weshalb Sack, aaO., 451, letztlich doch eine Entscheidung treffen mußte, anhand welcher der Normen die Rechtsfolgen seiner analogen Anfechtungsmöglichkeit zu bestimmen sind (s. auch Sack, aaO.: „erhebliche Schwierigkeiten“). Eine Veränderung seines Ansatzes sieht Sack, GRUR 2004, 625, 631 f., in der neuen, nunmehr ausdrücklich allein auf § 123 Abs. 1 BGB gestützten Grundierung der Analogie freilich nicht, betont vielmehr, die Analogiebasis habe stets lediglich im Verweis auf die Materialien (Mot. I, S. 204: „Die Rechtsordnung kann nicht gestatten, daß die freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiete in widerrechtlicher Weise beeinträchtigt wird. … Die freie, d.h. nicht rechtswidrig beeinflußte Willensentscheidung bildet … ein Tatbestandsmoment des Rechtsgeschäfts und ein in dieser Hinsicht mangelhaftes Rechtsgeschäft wird dergestalt als unverbindlich behandelt, daß es im Willen des Verletzten steht, ob er die Nichtigkeit geltend machen will oder nicht“; vgl. näher zum historischen Hintergrund Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 619 f. mwN) gelegen, während der Hinweis auf § 119 BGB stets lediglich der Verdeutlichung der vorhandenen Lücke gegolten habe. Demgegenüber ist festgehalten, daß der ursprüngliche Analogieschluß bei Sack, WRP 1974, 445, 450 f., sehr wohl auch in § 119 BGB mit wurzelte, was sich eindrucksvoll daran zeigt, daß es in dieser ursprünglichen Version nicht einmal auf die Rechtswidrigkeit der Willensbeeinflussung ankommen sollte (s. ausdrücklich Sack, aaO., 451). Wenn nunmehr in der neueren Version auf Grundlage einer Analogie nur zu § 123 Abs. 1 BGB doch die Rechtswidrigkeit der Willensbeeinflussung zur Voraussetzung des Anfechtungsrechts wird, so verdeutlicht dies, daß das systematische Argument aus dem Zusammenhang mit § 119 BGB – auf dessen Grundlage sich tatsächlich, da es in dieser Norm allein auf die Art des Irrtums, nicht etwa auf die Art der zurechenbaren Willensbeeinflussung ankommt, kein Rechtswidrigkeitserfordernis ableiten ließe – in der Tat aufgegeben wurde, was eben auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Worin dann aber noch die Rolle bei der bloßen Verdeutlichung der Lücke im Anfechtungsrecht liegen soll, wenn der Rückgriff auf § 119 BGB letztlich überhaupt keine rechtliche Relevanz für die Analogiebasis mehr hat, ist nicht ersichtlich. Damit ist aber zugleich festzuhalten, daß sonach in der neueren Version nurmehr das historische Argument aus den Materialien allein, die von Sack vorgeschlagene Analogie trägt (so auch ausdrücklich Sack, GRUR 2004, 625, 631). Dieses rein historische Argument ist aber, wie sogleich noch auszuführen ist (s. bei u. Fn. 202), nie recht überzeugend gewesen und ist nunmehr nach der hier vertretenen Auffassung durch die Schuldrechtsreform sogar ganz obsolet geworden, vgl. dazu noch ausführlich unten III 3 und 4. 202 S. ausführlich Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 345 ff., der insbesondere nach der hier vertretenen Auffassung zutreffend darauf hinweist, daß das Argument aus Mot. I, S. 204, insofern zirkelschlüssig sei, als der Gesetzgeber in den Materialien gerade auf die
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lerdings die Frage aufzuwerfen, ob dieses Argument auch auf Grundlage der durch die im Rahmen der Schuldrechtsreform erfolgte ausdrückliche Regelung der culpa in contrahendo in §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB neu geschaffenen Rechtslage mit Blick auf die im BGB existierenden Instrumente zur Lösung von fahrlässig rechtswidrig angebahnten Verträgen noch tragfähig ist. Diese Problematik, die sich im übrigen von der Frage nach der Konkurrenz der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB mit § 123 Abs. 1 BGB im Bereich der schadensersatzrechtlichen Vertragsaufhebung nicht sinnvoll trennen läßt, weshalb dieser hochumstrittene Bereich hier (im Vorgriff auf die nähere Darstellung der culpa in contrahendo) bereits teilweise mitbehandelt werden soll, betrifft auch alle anderen – methodisch abweichenden – Versuche einer Erweiterung des Tatbestandes des § 123 Abs. 1 BGB, weshalb insbesondere der Ansatz zur Derogation des Vorsatzdogmas in § 123 Abs. 1 BGB, wie ihn Grigoleit entwickelt hat, an dieser Stelle noch kurz nachgezeichnet werden soll, bevor auf die Rückwirkungen, die die Schuldrechtsreform in diesem Bereich zweifelsohne entfaltet, näher eingegangen wird (s. dazu unten 3). b. Der Ansatz Grigoleits Einen grundlegend anderen – zum Ansatz Sacks in scharfem methodischen Gegensatz stehenden – Weg, um über § 123 Abs. 1 BGB auch fahrlässige Irreführungen im Vorfeld der rechtsgeschäftlichen Entscheidung erfassen zu können, verfolgt Grigoleit 203. Er verneint (auf Grundlage des alten Rechts) gerade das Vorhan„rechtswidrige“ Beeinflussung abstellt. Denn, was „rechtswidrig“ in diesem Sinne sei, ergebe sich hinsichtlich des Anfechtungsrechts naheliegenderweise gerade aus dem Maßstab des § 123 Abs. 1 BGB, der insoweit bezüglich Täuschungen seitens des Anfechtungsgegners gerade grundsätzlich Vorsatz für den entscheidenden Maßstab der zurechenbaren Beeinflussung der freien Willensentscheidung voraussetze. A.A. aber Sack, GRUR 2004, 625, 632, der der Auffassung ist, die Vertreter beider Ansichten könnten sich – da auch die enge Interpretation der Mot. I, S. 204 gerade in den Grenzen des § 123 Abs. 1 BGB begründungsbedürftig sei – sozusagen „gegenseitig den Vorwurf eines unzulässigen Zirkelschlusses machen“, was gegen die Annahme eines logischen Fehlers spreche. Soweit dies auf die Annahme eines logischen Fehlers in beiden Ansichten zielt, wird man dem zustimmen können. Doch verkennt Sack, aaO., nach der hier vertretenen Auffassung die Argumentationslast, die sicher bei denjenigen liegt, die gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes eine Analogie zu § 123 Abs. 1 BGB für Situationen fahrlässiger Irreführung begründen wollen (zutreffend wiederum Lorenz, aaO., S. 345). Insofern ist die Entwertung des Arguments aus Mot. I, S. 204 BGB für die Vertreter des Analogieschlusses fatal, während den Gegnern einer Analogie die Argumentation aus dem Wortlaut des Gesetzes unbenommen bleibt. Sack, aaO., 632, scheint dies auch zu erkennen, da er als zusätzliche Stütze seiner Argumentation anführt, daß es – neben Arglist und widerrechtlicher Drohung – noch vielfältige andere rechtswidrige Beeinflussungsformen der Willensfreiheit gebe, wie gerade der Blick ins Wettbewerbsrecht zeige. Es könne nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe diese sämtlichen Formen anfechtungsrechtlich unberücksichtigt lassen wollen, was die Argumentationslast sozusagen wieder „umkehre“. Nachdem nunmehr das BGB nach der Schuldrechtsreform für die zivilrechtliche Rezeption derartiger vielgestaltiger Willensbeeinflussungen jedoch mit §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB ein Instrument bereithält, dürfte Sacks diesbezügliche Argumentation schlicht nicht mehr haltbar sein, s. dazu ausführlich unten 3 und 4. 203 Grundlegend Grigoleit, Informationshaftung, S. 16 ff.; s. auch Grigoleit, NJW 1999, 900,
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densein einer planwidrigen Lücke in § 123 Abs. 1 BGB bezüglich Täuschungen, die subjektiv unterhalb der Vorsatzschwelle liegen, da das Vorsatzerfordernis nach seiner Auffassung einem allgemeinen Grundsatz des BGB entspricht, der sich noch in zahlreichen anderen Vorschriften (des alten Rechts) zur vorvertraglichen Informationshaftung finde204. Insofern lasse sich durch Generalisierung ein Vorsatzdogma aus dem deutschen System vorvertraglicher Informationshaftung destillieren, demzufolge unvorsätzliche Irreführungen grundsätzlich (und rechtsfolgenübergreifend) irrelevant seien. Dieses informationelle Vorsatzdogma sei jedoch – durch die vom Gesetzgeber geduldete richterliche Weiterentwicklung des vorvertraglichen Schutzprinzips zu einer allgemeinen Fahrlässigkeitshaftung in anderen Bereichen, vor deren Hintergrund im Bereich der Informationshaftung ein bloßer Vorsatzschutz nicht mehr gerechtfertigt werden könne205, sowie durch die Erfordernisse des modernen Rechtsverkehrs mit seinem gewachsenen vorvertraglichen Informationsbedarf206 – überholt. Daher sei es gerechtfertigt, § 123 Abs. 1 BGB durch gesetzeskorrigierende Rechtsfortbildung dahingehend zu derogieren, daß für die Anfechtung eine fahrlässige Irreführung genüge207. Demgegenüber sei der dieses Ziel überschießende und nur scheinbar gesetzeskonforme Eingriff, der in der Anerkennung eines Vertragsaufhebungsanspruchs im Rahmen der culpa in contrahendo liege, nicht gerechtfertigt, und § 123 Abs. 1 BGB mit der durch die Derogation des Vorsatzdogmas erreichten Einbeziehung auch fahrlässiger Irreführungen demnach für Ansprüche auf Vertragsaufhebung vorrangig, was insbesondere Grigoleit mit der wertungsmäßigen Berechtigung der kurzen Frist des § 124 BGB für die Geltendmachung der Anfechtung in derartigen Fällen begründet208. Für eine ergänzende Heranziehung der subsidiären Haftung aus culpa in contrahendo wegen vorvertraglicher Informationspflichtverletzung bliebe in einer derartigen Konzeption dann im wesentlichen lediglich Raum, soweit sich diese nicht auf Vertragsaufhebung richtet 209. Einmal unabhängig davon, daß die These vom informationellen Vorsatzdogma schon in nachfolgenden Untersuchungen zum alten Recht nicht unwidersprochen geblieben ist 210, wird jedenfalls deutlich, daß auch insoweit die konkrete Form der Festschreibung der culpa in contrahendo durch den Schuld902 f. Zum neuen Recht Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 274 ff. (noch bezogen auf den Diskussionsentwurf [s. in: Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 3 ff.]). 204 Grigoleit, Informationshaftung, S. 16 ff.; Grigoleit, NJW 1999, 900, 902 f., jeweils mwN. 205 Grigoleit, Informationshaftung, S. 50 ff.; Grigoleit, NJW 1999, 900, 902 f. 206 Grigoleit, Informationshaftung, S. 52 ff.; Grigoleit, NJW 1999, 900, 902 f. 207 Grigoleit, Informationshaftung, S. 46 ff.; Grigoleit, NJW 1999, 900, 902 f. 208 Grigoleit, Informationshaftung, S. 123 ff. (zu den insoweit bestehenden Unterschieden nach altem Recht zwischen der zeitlichen Begrenzung der Anfechtung und der Verjährung der schadensersatzrechtlichen Vertragsaufhebungsansprüche), sowie S. 126 ff. für die Begründung des Vorrangs der Anfechtung; Grigoleit, NJW 1999, 900, 902 f. 209 Grigoleit, Informationshaftung, S. 134 ff.; Grigoleit, NJW 1999, 900, 902 f. 210 Zweifelnd Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 433; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 99 f.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 628.
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rechtsreformgesetzgeber in §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB sowie auch weitere Veränderungen, insbesondere des kaufvertraglichen Haftungssystems, im Rahmen der Schuldrechtsreform eine Rückwirkung auf die These vom informationellen Vorsatzdogma und vom grundsätzlichen Vorrang der Anfechtung in diesem Bereich haben können, wie dies sogleich (unten 3) näher zu belegen ist. c. Engere Ansätze unterschiedlichen Umfangs Zuvor sind noch vereinzelte, engere Ansätze einer „vorsichtigen“ analogen Fortentwicklung des § 123 Abs. 1 BGB lediglich für Konstellationen vergleichbar schwerwiegender „Eingriffe auf die andere Vertragspartei zu erwähnen, die eine allgemeine Öffnung für die fahrlässige Irreführung aber gerade ablehnen 211. Einmal unabhängig von der Frage, wie derartige wertungsmäßig „ähnlich schwerwiegende[n] Eingriffe“ mit hinreichender Rechtssicherheit zu umreißen wären, stehen und fallen aber jedenfalls auch diese Ansätze mit der Bejahung einer systemwidrigen Lücke im System des BGB für derartige Konstellationen, die über den Analogieschluß zu § 123 Abs. 1 BGB wertungsmäßig geschlossen werden könnte. Eben das Vorhandensein einer solchen Lücke hat nach der hier vertretenen Auffassung die im Rahmen der Schuldrechtsreform erfolgte Normierung der culpa in contrahendo durchaus in Frage gestellt, was nunmehr – wie bereits mehrfach angedeutet – näher ausgeführt werden soll.
3. Die Rückwirkung der Regelung der culpa in contrahendo im Rahmen der Schuldrechtsreform a. Tatbestandliche Abgrenzung zu §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB über das Erfordernis eines Vermögensschadens? Die ausdrückliche Normierung der culpa in contrahendo in §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform wirft nämlich auch ein neues Licht auf die Fragestellung, ob und inwieweit auf schadensersatzrechtlichem Wege nach §§ 311 Abs. 2 oder 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB ein Anspruch auf Vertragsaufhebung bestehen kann und wie in diesem Zusammenhang das Konkurrenzverhältnis der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung zu § 123 Abs. 1 BGB auszugestalten ist. Neben dem zuvor angesprochenen Vorsatzerfordernis des § 123 Abs. 1 BGB, das – einmal vorbehaltlich der vorstehend beschriebenen Erweiterungsversuche der Rechtswissenschaft betrachtet – durch die uneingeschränkte Anerkennung eines Vertragsaufhebungsanspruchs aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB vermeintlich unterlaufen zu werden drohte, stellt sich das Konkurrenzproblem insbesondere mit Blick auf die vergleichsweise kurze Anfechtungsfrist von einem Jahr nach § 124 BGB, die 211
S. Alexander, S. 117; J. Schmidt, in: FS Lukes, S. 793, 804.
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– selbst nach der drastischen Verkürzung der Verjährung des Schadensersatzanspruchs nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform – der dreijährigen Verjährungsfrist des Schadensersatzanspruchs auf Vertragsaufhebung weiterhin deutlich kontrastiert212. Die Rechtsprechung hatte das an dieser Stelle aufbrechende Konkurrenzproblem im alten Recht im Laufe der Zeit durch verschiedene Versuche einer zuerst rechtsfolgenseitigen 213, zuletzt dann tatbestandlichen am Erfordernis eines Vermögensschadens orientierten Abgrenzung214 des schadensrechtlichen Vertragsaufhebungsanspruchs von der Anfechtung zu entschärfen und das Nebeneinander beider Instrumente auf diese Weise zu begründen gesucht 215. Der zuletzt etablierte Versuch einer tatbestandlichen Abgrenzung fokussierte auf das jeweils unterschiedliche geschützte Rechtsgut: Während die Anfechtung die freie Selbstbestimmung unabhängig von einem Schadenseintritt schütze, setze die schadensrechtliche Vertragsaufhebung das Vorliegen eines Vermögensschadens voraus, da das Institut der culpa in contrahendo auf den Schutz des Vermögens gerichtet sei216. Angesichts der Verwurzelung des Vermögensschadenskriteriums in der normativen Differenzhypothese sollte sich ein solcher Vermögensschaden des Betroffenen allerdings nicht nur aus einem objektiv nachteiligen Austauschgeschäft, sondern vielmehr auch bereits dann ergeben können, wenn die Leistung für die Zwecke des Getäuschten nicht voll brauchbar sei. Dabei sollte das im Ansatz subjektive Kriterium der Brauchbarkeit für die (subjektiven) Zwecke des Getäuschten durch die normativ-verobjektivierende Orientierung an der Verkehrsanschauung aber wie212 S. statt aller nur Mertens, AcP 203 (2003), 818, 845 f.: Friktionen durch die Reduzierung des Unterschieds zwischen der Verjährungsfrist von 3 Jahren (nunmehr ab Kenntniserlangung bzw. grobfahrlässiger Unkenntnis von der Täuschung) nach §§ 195, 199 BGB im Falle der culpa in contrahendo und der Anfechtungsfrist von einem Jahr (in diesem Falle nur ab Erlangung positiver Kenntnis) gem. § 124 BGB zwar gemildert, aber keineswegs beseitigt. Die Maximalfrist von zehn Jahren ist nunmehr identisch, s. § 124 Abs. 3, §199 Abs. 3 Nr. 1 BGB. 213 So insbesondere BGH NJW 1962, 1196, 1198 unter Hinweis auf die dingliche Wirkung der Anfechtung. Dem hielt Medicus alsbald und zu Recht entgegen, daß auch ein schadensrechtlicher Anspruch auf Vertragsaufhebung wegen § 404 BGB ebenfalls Wirkung gegen jedermann entfalte, so daß die praktischen Unterschiede in der Rechtsfolge trotz der konstruktiven Unterschiede insoweit zu vernachlässigen seien, s. Medicus, JuS 1965, 209, 212. 214 So der V. Zivilsenat des BGH, s. BGH NJW 1998, 302, 304 unter ausdrücklicher Anerkennung der Kritik von Medicus (o. Fn. 213); BGH NJW 1998, 898. Zweifelnd am Erfordernis eines Vermögensschadens allerdings der VII. Zivilsenat, s. BGH, NJW 2001, 436, 438 mwN, wo die Frage, ob die bloße Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit als Anspruchsvoraussetzung ausreicht, dann dahinstehen konnte, da im konkreten Fall ein Vermögensschaden des Klägers nach den Feststellungen des Landgerichts vorlag. 215 Zustimmend Köhler, AT, § 7, Rz. 65; MüKo-Emmerich, § 311, Rn. 236 mwN. Kritisch demgegenüber Wiedemann, JZ 1998, 1176 f.; Lorenz, ZIP 1998, 1053, 1055 f.; Grigoleit, NJW 1999, 900, 901 f.; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 111 f.; Staudinger-Löwisch, Vorbem zu §§ 275– 283, Rz. 106. 216 BGH NJW 1998, 302, 304; bestätigt in BGH NJW 1998, 898. Ursprünglich geht dieser Abgrenzungsversuch, der dogmatisch in der Behauptung eines unterschiedlichen Schutzguts von Anfechtung nach § 123 BGB und Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo wurzelt, auf Schubert, AcP 168 (1968), 470, 504 ff.
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derum zumindest im Sinne eines Willkürschutzes einer normativen Korrektur unterworfen sein. Letztlich wurde – trotz dieses durch die typisierte Orientierung an der Verkehrsanschauung gewährleisteten Willkürschutzes 217 – mit der Loslösung von der rein vermögensmäßigen Werthaltigkeit und dem Abstellen auf die subjektiv-typisierte Brauchbarkeit für den Betroffenen das Kriterium des Vermögensschadens als Abgrenzung zur Anfechtung in eine sehr „kleine Münze“ gewechselt, ja wohl beinahe auf eine reine Scheinabgrenzungsfunktion reduziert 218. Die positive Festschreibung der culpa in contrahendo in §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform hat in diesem Zusammenhang nun insofern durchaus dramatische Bedeutung, als sie selbst eine derartige Scheinabgrenzung bei genauer Betrachtung nicht mehr zuläßt 219. Der Rechtsfolge nach kann die culpa in contrahendo jedenfalls nach §§ 280 Abs. 1, 249 S. 1 BGB im Wege der Naturalrestitution – wie schon zuvor – zu einem Anspruch auf Vertragsaufhebung führen, sofern dessen sonstige Voraussetzungen – insbesondere haftungsausfüllende Kausalität – gegeben sind 220. Der entscheidende Unterschied, den die Verpositivierung gebracht hat, ist nach der hier vertretenen Auffassung darin zu sehen, daß dieser Vertragsaufhebungsanspruch nunmehr nicht länger – um eine symbolisch schutzgutbezogene Abgrenzung von § 123 Abs. 1 BGB zu gewährleisten – vom Vorliegen einer Vermögensminderung abhängig gemacht werden kann. Denn in Kenntnis der diesbezüglichen Kontroverse221 hat der Gesetzgeber unter den Schutzgütern der culpa in contrahendo nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB neben Rechten und Rechtsgütern ausdrücklich auch ganz allgemein „Interessen“ des anderen Teils (unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die „Entscheidungsfreiheit“ als einen der hier zu erfassenden Aspekte) geschützt, womit die rechtsgeschäftliche Dispositionsfreiheit nunmehr auch im Rahmen der culpa in contrahendo ein legitimes Schutzgut verkörpert222. Damit kann aber am Kriterium des 217 Nicht zu Unrecht hat Grigoleit, NJW 1999, 900, 902, darauf hingewiesen, daß die „Willkürformel“ des BGH und die dadurch erzielte verobjektivierte Typisierung der subjektiven Brauchbarkeit letztlich kaum Vorteile im Vergleich zu einer Ausscheidung mißbräuchlicher Rückabwicklungsbegehren über den Rechtsmißbrauchseinwand auf Grundlage von § 242 BGB bietet. 218 So zu Recht die Auffassung der Kritiker des BGH, vgl. die Nachweise o. Fn. 215. 219 Insoweit zutreffend Schwab, JuS 2002, 773, 774; Weiler, ZGS 2002, 249, 250 f.; Lorenz/ Riehm, Rz. 383; Looschelders, Schuldrecht AT, Rz. 196; Medicus, Schuldrecht I, Rz. 109; Musielak, Rz. 491; Kersting, Kap. 7 § 3 B; AnwKomm-Krebs, § 311, Rz. 42 Bamberger/Roth-Grüneberg, § 311, Rz. 42 f.; Erman-Kindl, § 311, Rz. 17, 43; MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 117 ff. (alle mwN). In der Tendenz auch Palandt-Heinrichs (2005), § 311, Rz. 24; Henssler/Graf v. Westphalen-Muthers, § 311, Rz. 5, erwartet die Fortführung der bisherigen Rechtsprechung, obwohl nunmehr durch §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB die Entscheidungsfreiheit geschützt sei. 220 S. zutreffend statt aller Weiler, ZGS 2002, 249, 250 mwN. 221 S. näher zum Hintergrund der Einfügung Canaris, JZ 2001, 499, 519. 222 S. ausdrücklich die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 241 Abs. 2: Einfügung der „Interessen“ des anderen Teils, um zu verdeutlichen, daß im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB neben Vermögensinteressen auch andere Interessen, „wie zum Beispiel die Entscheidungsfreiheit“, zu schützen sein können.
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Vermögensschadens – gleichgültig was der historische Gesetzgeber mit der Einfügung des Begriffs der „Interessen“ konkret beabsichtigte 223 – für eine Abgrenzung von Vertragsaufhebungsansprüchen auf Grundlage der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 S. 1 BGB von der Anfechtungsmöglichkeit nach § 123 Abs. 1 BGB nicht mehr festgehalten werden. Denn jedenfalls ist die Entscheidungsfreiheit als Schutzgut vom weiten Begriff der „Interessen des anderen Teils“ erfaßt, so daß – da sich im Rahmen des § 249 S. 1 BGB, haftungsausfüllende Kausalität vorausgesetzt, ein Anspruch auf Vertragsaufhebung zur Wiederherstellung der Entscheidungsfreiheit durch Naturalrestitution rechtsfolgenseitig zweifelsfrei ergeben kann – keine besonderen Anforderungen im Sinne eines Vermögensschadens als Voraussetzung einer Vertragsaufhebung auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB mehr gestellt werden können 224. Damit überschneiden sich die im Gesetzestext festgeschriebene culpa in contrahendo und die Anfechtungsmöglichkeit nach § 123 Abs. 1 BGB mit Blick auf den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit nunmehr unmittelbar und nicht länger durch zusätzliche tatbestandliche Anforderungen gemildert. Mit Blick auf das strengere Vorsatzerfordernis in § 123 Abs. 1 BGB und die kürzere Anfechtungsfrist des § 124 BGB ist dieses Konkurrenzproblem jedenfalls zu lösen. b. Vorhandensein einer systemwidrigen Lücke in § 123 BGB nach der Schuldrechtsreform? Rückwirkung hat die Erkenntnis, daß sich das Instrument der culpa in contrahendo in der Fassung der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB und die Anfechtungsmöglichkeit nach § 123 Abs. 1 BGB hinsichtlich des Schutzes der Entscheidungsfreiheit unmittelbar überschneiden, aber auch auf die Argumentationen derjenigen 223 Die umstrittene Frage, inwieweit für einen Anspruch aus culpa in contrahendo auf Vertragsaufhebung eine Vermögenseinbuße Voraussetzung ist, wollte der Gesetzgeber wohl gerade nicht präjudizieren (s. nur Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 311 Abs. 2 Allgemeines), jedenfalls aber auch nicht die umstrittene BGH-Rechtsprechung in diesem Bereich (vgl. o. Fn. 214 und 215) festschreiben. Vgl. näher Canaris, JZ 2001, 499, 519; Weiler, ZGS 2002, 249, 250. 224 Zutreffend statt vieler Weiler, ZGS 2002, 249, 250. Einen anderen Ansatz zur sozusagen „tatbestandlichen“ Abgrenzung der culpa in contrahendo von der Anfechtungsmöglichkeit nach § 123 Abs. 1 BGB wählte letzthin Canaris, AcP 200 (2000), 273, 306 ff., der für eine Vertragsaufhebung auf Grundlage der culpa in contrahendo eine Verantwortungsübernahme der (fehl)informierenden Vertragsseite voraussetzen will, die hinsichtlich der Gewährsübernahme einer gewährleistungsrechtlichen Beschaffenheitsvereinbarung entspreche. Derartige Fälle dürften nach der Neuregelung und Erweiterung des Beschaffenheitsbegriffs in § 434 Abs. 1 BGB nunmehr neben der kaufrechtlichen Erfüllungshaftung denkbar selten sein. Für andere als Kaufverträge und für Fälle positiver Falschinformation (nicht für Unterlassungsfälle) mag ein derartiges Zusatzkriterium aber durchaus zu einer sachgerechten Abgrenzung zum Anfechtungsrecht taugen. Einen im Ergebnis durchaus ähnlichen Abgrenzungsversuch, der auf die Intensität der haftungsbegründenden Auskunftspflicht abzielt, unternehmen Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 150 und Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 319 ff., 326 f.
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Vertreter in der Literatur, die einer analogen Erweiterung (oder derogierten Anwendbarkeit) des § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB auf Konstellationen fahrlässiger oder sogar nur objektiv rechtswidriger Täuschung im Vorfeld des Vertragsschlusses das Wort reden 225. Denn nachdem der Schuldrechtsreformgesetzgeber mit der Positivierung der culpa in contrahendo unter ausdrücklicher Einbeziehung sonstiger Interessen des Geschädigten (und damit auch der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit) in den Schutzbereich ein in sich geschlossenes rechtliches Instrument kodifiziert hat, welches Situationen fahrlässiger Irreführung im Vorfeld eines Vertragsschlusses zweifelsohne erfassen kann, ist das Vorliegen einer systemwidrigen Lücke in § 123 Abs. 1 BGB für derartige Situationen mehr als fraglich geworden226. Jedenfalls das 225 Die Konkurrenzfrage wird dabei in dieser Denkschule durchaus nicht vollkommen einheitlich im Sinne des wohl überwiegend befürworteten Vorrangs des Anfechtungsrechts (s. Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 276 ff.; Weiler, ZGS 2002, 249, 250 f.) gesehen. So vertritt Sack, GRUR 2004, 625, 632 (auf Grundlage der von ihm befürworteten Anfechtungsmöglichkeit in Fällen auch lediglich „einfach“-rechtswidriger Beeinflussung des Anfechtenden aus § 123 Abs. 1 BGB analog nur konsequent) eine freie Alternativkonkurrenz zwischen § 123 BGB und den schadensrechtlichen Vertragsaufhebungsansprüchen aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB. 226 Das übersieht Weiler, ZGS 2002, 249, 250 ff., der auf Grundlage der zutreffenden Erkenntnis, daß sich die Konkurrenz zwischen Anfechtungsrecht und §§ 311, 280 BGB nunmehr jedenfalls nicht mehr durch die in der Rechtsprechung etablierten tatbestandlichen Abgrenzungsversuche nivellieren lasse, direkt auf eine analoge Anwendung des § 123 Abs. 1 BGB steuert, ohne das Vorhandensein einer systemwidrigen Lücke weiter zu problematisieren. S. insoweit zwar ausführlicher ders., Beeinflußte Willenserklärung, S. 603 ff., doch überzeugt die dortige Kernaussage (s. aaO., S. 614 f.), daß die (ausweislich der Materialien zur Schuldrechtsreform, vgl. o. Fn. 222, eindeutig erfolgte) Einbeziehung der Entscheidungsfreiheit als geschütztes Interesse in den Schutzbereich der culpa in contrahendo (wegen der insoweit ja letztlich nicht auf eine Präjudizierung der Frage gerichteten Absichten des Schuldrechtsreformgesetzgebers, vgl. o. Fn. 223) nicht dazu führe, daß im Rahmen der culpa in contrahendo auch Sorgfaltspflichten sich auf den Schutz der Entscheidungsfreiheit richten könnten, da derartige Sorgfaltspflichten (auch nach der Schuldrechtsreform) nicht mit dem System des bestehenden Rechts vereinbar seien (wobei insoweit dann letztlich ausschließlich auf Grundlage des alten Rechts und der Materialien zum BGB argumentiert wird, vgl. aaO., S. 608 ff.), nach der hier vertretenen Auffassung gerade nicht. Zwar ist Weiler, aaO., S. 612 ff., im dogmatischen Ausgangspunkt durchaus zuzugeben, daß mit der Bejahung einer schadensrechtlichen Lösungsmöglichkeit vom Vertrag (ohne im Rahmen der Differenzhypothese auf das Vorliegen eines wie auch immer näher bestimmten Vermögensschadens abzustellen) noch nichts über den Umfang der haftungsbegründenden Pflichten, die ja auf Grundlage auch der neuen Generalklausel erst zu definieren sind, ausgesagt ist (vgl. insoweit im übrigen ganz ähnlich Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 275, dort aber noch auf Grundlage des Diskussionsentwurfs (s. in Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 3 ff.), der eine Bezugnahme auf sonstige Interessen der anderen Partei als Schutzgegenstand gerade noch nicht enthielt). Doch ist die Irrelevanz des Kriteriums des Vermögensschadens im Rahmen der §§ 249 ff. BGB ja gerade nur Ausdruck der übergeordneten gesetzgeberischen Entscheidung zur Einbeziehung der „sonstigen Interessen“ einschließlich der Entscheidungsfreiheit in den Schutzbereich der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, wie sie durch den Gesetzgeber samt Verankerung im Gesetzestext ausdrücklich erfolgt ist. Und gerade mit dieser Einbeziehung der Entscheidungsfreiheit in den Schutzbereich der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB ist die Annahme, aus dem System des heutigen BGB ergebe sich, daß dennoch im Rahmen der culpa in contrahendo keine vorvertraglichen Pflichten mit der Zwecksetzung eines Schutzes
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historische Argument aus den Motiven, die verdeutlichten, daß der historische Gesetzgeber über § 123 Abs. 1 BGB jegliche rechtswidrige Störung vorvertraglicher Willensbildung durch den Erklärungsgegner habe erfassen wollen, läßt sich vor dem aktuelleren Hintergrund der Schuldrechtsreform schlechterdings kaum noch halten. Denn der Gesetzgeber hat mit der Regelung in §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB nunmehr ein Instrument geschaffen, das jedenfalls grundsätzlich in der Lage ist, schuldhafte Störungen vorvertraglicher Willensbildung ganz allgemein unterhalb der Vorsatzschwelle zu erfassen. Wenn in diesem Zusammenhang vom Gesetzgeber ausdrücklich auf das zum Zeitpunkt der Reform durchaus etablierte Zusammenspiel von culpa in contrahendo und Anfechtungsmöglichkeit nach § 123 Abs. 1 BGB verwiesen wurde, ohne daß der Gesetzgeber verdeutlicht hätte, daß dieses Zusammenspiel grundlegend im Sinne eines Vorrangs der Anfechtung bezüglich der Vertragsaufhebung umgestaltet werden sollte, dann läßt sich jedenfalls ein historisches Argument für eine analoge Erweiterung des § 123 Abs. 1 BGB, wie von Sack und anderen vorgeschlagen 227, nicht länger aufrechterhalten. Vielmehr spricht bezüglich des Willens des Schuldrechtsreformgesetzgebers sogar eher umgekehrt alles dafür, daß der Gesetzgeber derartige Situationen jedenfalls (mindestens wie bisher) auch mit den ergänzenden Mitteln der culpa in contrahendo erfaßt sehen wollte, womit ein historisches Argument, § 123 Abs. 1 BGB werde vom Gesetzgeber als Zentralnorm zur Lösung vom Vertrag in Fällen zurechenbarer Beeinflussung durch den Erklärungsgegner gesehen, jedenfalls nicht mehr in Betracht kommt. Ebensowenig trägt letztlich eine systematische Argumentation mit Blick auf eine vermeintlich „zwischen“ §§ 119 und 123 BGB ausgemachte Lücke. Denn beide Normen sind nicht nur historisch aus grundlegend unterschiedlichen Wurzeln gewachsen, sondern folgen, wie dies in der Literatur ausführlich, sorgsam und zustimmenswert belegt wurde, diesen unterschiedlichen Wurzeln entsprechend, auch vollkommen unterschiedlichen Zurechnungsmodellen 228. Damit bleiben den Vertretern eines Analogieschlusses zur Erfassung von Situationen rechtswidriger Irreführung im Vorfeld des Vertragsschlusses über § 123 Abs. 1 BGB im wesentlichen zwei Argumente. Zum einen argumentiert Sack mit der korrekten Willensbildung des Vertragspartners entstehen könnten, letztlich nicht mehr vereinbar, da eine derartige Begrenzung des Pflichtenprogramms mit Blick auf die Definition des Schutzzwecks der umrahmenden Generalklausel (der sonstige Interessen einschließlich der Entscheidungsfreiheit nach jetziger Rechtslage eben einbezieht) schlicht in sich widersprüchlich wäre. Wie hier im Ergebnis Lorenz, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 329, 332; Lorenz/Riehm, Rz. 372 mwN. Vgl. zum Streit auf Grundlage des alten Rechts (und mit extensiver Verarbeitung der Materialien aus der Entstehungsgeschichte des BGB); a.A. prononciert Lieb, in: FS Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, S. 251, 261; vgl. auch ders., in: FS Medicus, S. 337 ff.; zustimmend Weiler, aaO., S. 615. Schon nach altem Recht jedenfalls das Vorhandensein eines Bedürfnisses für eine Erweiterung des Anfechtungsrechts wegen der zusätzlich gegebenen Haftung aus culpa in contrahendo verneinend auch Staudinger-Köhler, § 13a UWG, Rz. 78. 227 S. die Nachweise o. Fn. 201. 228 S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 360 ff. mwN.
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den Faktizitäten des Rechtsverkehrs: Schon ein Blick in das Wettbewerbsrecht, insbesondere auf das Irreführungsverbot, belege, daß im Vergleich zu den in § 123 Abs. 1 BGB geregelten Konstellationen eine Vielzahl weiterer rechtswidriger Willensbeeinflussungen in Betracht komme, so daß es Aufgabe der Vertreter der Gegenansicht sei, zu belegen, daß der Gesetzgeber nur bei Arglist oder widerrechtlicher Drohung ein Anfechtungsrecht geben wollte229. Dieses Argument – das hinsichtlich der behaupteten Umkehrung der Argumentationslast wohl nie vollkommen überzeugend war230 – ist nun aber wiederum durch die Regelungen der Schuldrechtsreform vollends entkräftet: Denn mit der culpa in contrahendo steht nunmehr ein rechtliches Instrument zur Vertragsaufhebung zur Verfügung, welches – auch nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er in der ausdrücklichen Einbeziehung der „Interessen“ des anderen Teils in §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB seinen Ausdruck sogar im Gesetzestext gefunden hat – die von Sack durchaus zu recht hervorgehobenen vielgestaltigen Möglichkeiten der schuldhaft rechtswidrigen Willensbeeinflussung im Vorfeld des Vertragsschlusses ganz allgemein erfassen kann. Unter diesen Umständen ist aber, da der systematische Verweis auf eine Lücke „zwischen“ §§ 119 und 123 BGB insoweit unzutreffend ist, schlechterdings keinerlei Argument mehr erkennbar, warum im System des BGB neben diesem Instrument zur Lösung von Verträgen in Fällen schuldhafter Beeinflussung der Willensbildung noch eine systemwidrige Lücke für Situationen „einfach“-rechtswidriger Willensbeeinflussung vorhanden sein sollte. Vielmehr spricht genau umgekehrt alles dafür, daß es dem System des neuen BGB entspricht, eine Lösung vom Vertrag nur in Fällen mindestens schuldhafter Beeinflussung – als dem minimalen Zurechnungskriterium in diesem Bereich 231 – zuzulassen 232. Diese Fälle können über die culpa in contrahendo aber ausnahmslos erfaßt werden; eine systemwidrige Lücke ist insoweit nicht ohne weiteres ersichtlich. Diese könnte sich – und damit ist das zweite und letzte Argument der Vertreter eines Analogieschlusses zu § 123 Abs. 1 BGB bzw. eines Vorrangs der bezüglich des Vorsatzerfordernisses derogierten Anfechtungsregelung erreicht, der sich in dieser Denkschule dann aber nicht mehr auf „einfach“ rechtswidrige Beeinflussungen erstreckt, sondern vielmehr allein fahrlässige Irreführungen erfaßt 233 – al229
Sack, GRUR 2004, 625, 632. S. zutreffend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 345. 231 S. noch sogleich unten c zu der Frage, ob sich auf Grundlage des heutigen Rechts sogar noch das strengere Vorsatzdogma, wie es für das alte BGB im Grundsatz zutreffend diagnostiziert wurde, aufrechterhalten läßt. 232 Dies entspricht auch unter rechtsvergleichender Perspektive genau den Lösungsansätzen in der weit überwiegenden Mehrzahl relevanter ausländischer Rechtsordnungen und internationaler Instrumente, vgl. grundlegend Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 589 ff.; bündig ders., in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, 243, 263 f.; zweifelnd insoweit aber Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 345. Mit einer sorgsamen Begründung des Prinzips der Verschuldenshaftung für vertragsanbahnende Willensbeeinflussungen aus dem System des BGB schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 347 ff. mwN. 233 So insbesondere Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 342 ff.; ders., ZGS 2002, 91; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 620 ff.; Weiler, ZGS 2002, 249, 250 ff.; ders, WRP 2003, 423, 230
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lenfalls daraus ergeben, daß die Anfechtung wegen ihrer insgesamt sachnäheren Rechtsfolgenausgestaltung – und zumal wegen der im einzelnen engeren Voraussetzungen insbesondere mit Blick auf die kürzere Frist des § 124 BGB – rechtsfolgenseitig rechtssystematischen und rechtstechnischen 234 Vorrang vor einer schadensrechtlichen Lösung vom Vertrag über die culpa in contrahendo beansprucht, weshalb zumindest die Rechtsfolgen der culpa in contrahendo bezüglich der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung in Analogie zu § 123 BGB zu bestimmen seien. Das zum Teil als systemgerecht diagnostizierte Vorsatzdogma in § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB wäre in dieser Lösung – deren Verfechter den Bedarf nach einer Möglichkeit der Lösung vom Vertrag aufgrund fahrlässiger vorvertraglicher Fehlinformation ja durchaus anerkennen 235 – wiederum durch Analogieschluß236 bzw. durch zulässige Gesetzesderogation 237 zu überwinden. c. Vorsatzdogma und Vorrang des § 123 BGB? Auf der Basis der heutigen Rechtslage238 ist allerdings auch diese Argumentation schwerwiegenden Bedenken ausgesetzt. Hinsichtlich des informationellen Vorsatzdogmas ist zu konstatieren, daß dieses Prinzip durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz insgesamt – also nicht nur durch die ausdrückliche Einbeziehung der Entscheidungsfreiheit als „Interesse“ des anderen Teils in die Schutzgüter der dem Fahrlässigkeitsmaßstab nach § 276 Abs. 1 BGB unterworfenen culpa in contrahendo239, sondern insbesondere auch durch die Regelung einer einheitlichen 427 ff. Ähnlich im Ergebnis Grigoleit, Informationshaftung, S. 137 ff.; ders, NJW 1999, 900, 902 f.; ders., in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 271 ff., jeweils im Wege der von ihm befürworteten zulässigen rechtsfortbildenden Derogation des Vorsatzdogmas. 234 S. zu diesen beiden Aspekten Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 276 ff. 235 Vgl. nur zuletzt Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 273 f. 236 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 342 ff.; ders., ZGS 2002, 91; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 620 ff.; Weiler, ZGS 2002, 249, 250 ff.; ders, WRP 2003, 423, 427 ff. 237 Grigoleit, Informationshaftung, S. 137 ff.; ders, NJW 1999, 900, 902 f.; ders., in: Schulze/ Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 271 ff. 238 Anders aber die Überlegungen bei Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 271, 274 ff. (allerdings noch auf der Grundlage des Diskussionsentwurf [s. in Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 3 ff.], der die nach der hier vertretenen Auffassung durchaus entscheidende Ausdehnung der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB auf den Schutz auch sonstiger „Interessen“ der anderen Partei gerade noch nicht enthielt). Weiterhin für einen Vorrang des § 123 BGB aber auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 345 ff.; ders., ZGS 2002, 91; Weiler, ZGS 2002, 249, 250 ff. 239 Welche Grigoleit, aaO., 274 ff., in seinem grundsätzlich an der Geltung des informationellen Vorsatzdogmas festhaltenden Beitrag noch nicht berücksichtigen konnte, da der Diskussionsentwurf (s. in Canaris, aaO.) noch lediglich Rechte und Rechtsgüter als Schutzgut der gesetzlich festgeschriebenen culpa in contrahendo nannte, was der Regierungsentwurf unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Notwendigkeit einer Erfassung der Entscheidungsfreiheit durch die Aufnahme der „Interessen des anderen Teils“ korrigierte. Man mag darin nunmehr
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gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzhaftung für vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten, die mit der Streichung des § 463 BGB a.F. (samt dem dort enthaltenen Arglisterfordernis) einherging – jedenfalls als tragende Grundwertung des BGB im Bereich vertragsbezogenen Handelns im weitesten Sinne240 beseitigt wurde241. Angesichts der Tatsache, daß der Gesetzgeber die Rechtsprechung zur informationellen Fahrlässigkeitshaftung im Rahmen der culpa in contrahendo im Rahmen der Schuldrechtsreform ausdrücklich bestätigt hat, läßt sich von der Notwendigkeit einer zulässigen Gesetzesderogation mit Blick auf ein im System des BGB insgesamt verankertes informationelles Vorsatzdogma vorvertraglicher Informationshaftung schwerlich noch ausgehen242. Vielmehr wäre – sofern man die durchaus zumindest indiziell die von Grigoleit, aaO., S. 276, angemahnte Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Vorsatzdogma und rechtsfortbildender Fahrlässigkeitshaftung durch den Gesetzgeber im Sinne einer ausdrücklichen Anerkennung der informationellen Fahrlässigkeitshaftung für Beeinträchtigungen der Entscheidungsgrundlage sehen. Wohl a.A. aber Grigoleit, aaO., S. 275, der eine Auflösung des Vorsatzdogmas durch einen generalklauselartigen Pflichtentatbestand zumindest auf dem Stand des Diskussionsentwurfs für generell nicht möglich erachtet. A.A. aber ausdrücklich Mertens, AcP 203 (2003), 818, 848. 240 Da die deliktische Regelung des § 826 BGB sich nicht lediglich auf diesen Bereich bezieht, sondern allgemeine Geltung beansprucht, läßt sich aus dem aufrechterhaltenen Arglisterfordernis in § 826 BGB für den hier betrachteten Bereich der Anbahnung von Rechtsgeschäften unmittelbar keine Wertung im Sinne einer Fortgeltung eines rechtsfolgenunabhängigen Vorsatzdogmas für diesen Bereich ableiten. A.A. Grigoleit, aaO., S. 271 ff.; Grigoleit, Informationshaftung, S. 29 ff. 241 Wie hier Mertens, AcP 203 (2003), 818, 848; AnwKomm-Krebs, § 311, Rz. 30; DaunerLieb/Heidel/Lepa/Ring-Krebs, § 3, Rz. 29; Fleischer, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 243, 262 f. (noch bezugnehmend auf den Diskussionsentwurf [s. in: Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 3 ff.]). Schon zum alten Recht ganz oder teilweise kritisch bezüglich der Annahme eines rechtsfolgenunabhängigen informationellen Vorsatzdogmas im BGB Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 433; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 99 f.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 628. 242 Als methodologisch eigentümlich sieht Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 275, die nach seiner Auffassung weiterhin bestehende Notwendigkeit einer Rechtsfortbildung: Einerseits werde die Schuldrechtsmodernisierung das Spannungsverhältnis zwischen Vorsatzdogma und fahrlässiger Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo nicht auflösen, andererseits habe der Gesetzgeber die insoweit durch die Rechtsprechung etablierte Rechtsfortbildung ausdrücklich anerkannt und als Grundlage der weiteren Entwicklung in diesem Bereich bestätigt. Insofern sei zwar weiterhin eine Rechtsfortbildung notwendig, die jedoch nicht mehr als gesetzeskorrigierend anzusehen sei, da der Gesetzgeber ausweislich der „Materialien“ die Rechtsfortbildung ausdrücklich erlaube und ihr mit der Regelung in §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB auch eine gesetzliche Grundlage schaffe. Nach der hier vertretenen Auffassung wird man im Lichte des insgesamt im Rahmen der Schuldrechtsreform erfolgten Ausbaus der Fahrlässigkeitshaftung die Entwicklung durch das letztlich verabschiedete Schuldrechtsmodernisierungsgesetz auch schlichter sehen können: Gerade durch die ausdrückliche Inbezugnahme der Rechtsprechung zur schadensrechtlichen Informationshaftung, die nunmehr zusätzlich ihre indizielle Bestätigung durch die Aufnahme der „Interessen“ und damit der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in den Schutzbereich der culpa in contrahendo findet, sowie insgesamt durch das Vordringen des Fahrlässigkeitsprinzips im Rahmen der gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzhaftung ist deutlich geworden, daß der historische Schuldrechtsreformgesetzgeber das Vorsatzdogma nicht als tragendes Grundprinzip (jedenfalls im Bereich der vorvertraglichen Informationshaftung) sieht. Wenn auch die Gesetzessystematik dies vertretbarerweise selbst nach der Schuldrechtsreform noch nicht hinreichend spiegelt (was
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Anfechtung für derartige Fälle für vorrangig erachtet – dann wohl in der Tat ein Analogieschluß zu § 123 Abs. 1 BGB für Situationen fahrlässiger Irreführung der zutreffende methodische Ansatz243. Auch insoweit ist jedoch die These von der sich aus gesetzessystematischen und rechtstechnisch-konstruktiven Gründen ergebenden Vorrangigkeit der Anfechtungsregelung244, kritisch zu hinterfragen. Das dogmatisch gesetzessystematische Argument, der Verzicht auf ein Vorsatzerfordernis und die längere Verjährungsfrist des Anspruchs aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB setze sich in Widerspruch zur teildeckungsgleichen Regelung der Anfechtung245, läßt sich jedenfalls unter Hinweis auf die im Detail doch durchaus unterschiedliche, von jeweiligen Vorund Nachteilen gekennzeichnete Tatbestandsstruktur der beiden Instrumente (insbesondere der strengeren Voraussetzungen der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität 246 und des Mitverschuldens247, die in der hier vorgenommenen Untersuchung auch noch für eine differenzierte zivilrechtliche Rezeption vorvertraglicher Wettbewerbsverstöße fruchtbar gemacht werden sollen 248) dogmatisch widerlegen 249. Inhier nicht angenommen wird, aber arguendo unterstellt sei), so ist doch der historische Wille des Gesetzgebers, ein angenommenes Vorsatzdogma des BGB für den Bereich vorvertraglicher Informationshaftung aufzulösen, hinreichend deutlich geworden. Damit ist eine Gesetzesderogation – unabhängig vom systematischen Argument, über das sich streiten ließe (s. nur die Nachweise zur Diskussion selbst auf Grundlage des alten Rechts sowie zur weiteren Schwächung der Annahme eines übergreifenden Vorsatzdogmas im Rahmen der Schuldrechtsreform in o. Fn. 241) – jedenfalls nicht länger notwendig. 243 So in der Tat Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 342 ff.; ders., ZGS 2002, 91; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 620 ff.; Weiler, ZGS 2002, 249, 250 ff. 244 So auf der Basis des neuen Rechts weiterhin Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 342 ff.; ders., ZGS 2002, 91; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 620 ff.; Weiler, ZGS 2002, 249, 250 ff.; ähnlich Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 274 ff. (bezogen noch auf den Diskussionsentwurf [s. in: Canaris, Schuldrechtsmodernisierung, S. 3 ff.] und als Basis seiner rechtsfortbildenden Lösung über § 123 Abs. 1 BGB). 245 Dies ist hinsichtlich des insoweit einheitlichen Schutzguts der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit und der dogmatisch sicher zutreffenden Einordnung des § 123 Abs. 1 BGB als Sonderfall der culpa in contrahendo (s. nur BGH NJW 1998, 898; BGH JZ 1990, 340, 341; BGH WM 1986, 1032, 1034; aus der Literatur Canaris, AcP 200 (2000), 273, 319; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 113; Lorenz, ZIP 1998, 1053, 1056 f; Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 276) auch unzweifelhaft der Fall. Doch unterscheiden sich die jeweilige Tatbestandsstruktur und die Rechtsfolgen doch nicht so unerheblich, um von vornherein eine Umgehungsgefahr mit Blick auf die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 BGB anzunehmen (s. nur grundlegend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 332 ff.; Kersting, Kap. 7 § 3 B II mwN; a.A. aber etwa Canaris, AcP 200 (2000), 273, 305. 246 S. nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 337; ders., ZIP 1998, 1053, 1056; a.A. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 305; Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 273. Vgl. auch Lorenz, NJW 1999, 1001 f., sowie näher auch unten C IV 3. 247 S. Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 377 ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 335; Köhler, AT, § 7, Rz. 65. 248 S. näher unten C. 249 Zutreffend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 337; für den Stand nach Schuldrechtsreform Kersting, aaO. mwN.
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wieweit dem dann auch erhebliche Unterschiede in der Praxis entsprechen, mag dabei sogar dahinstehen 250, wobei immerhin zu bedenken ist, daß gerade der hier noch zu entwickelnde Ansatz, der sich bei der Berücksichtigung vorvertraglicher Pflichtverletzungen und der Frage eines daraus resultierenden Vertragsaufhebungsanspruchs wesentlich auf das Kriterium des Schutzzwecks der Norm im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität der schadensrechtlichen Haftung stützen wird, insoweit im Vergleich zu der hinsichtlich der Anforderungen an die Kausalität für eine Vertragsaufhebung gerade wegen der Kraßheit der erfaßten Störung der vorvertraglichen Willensbildung doch in erheblich höherem Maße pauschalierenden Regelung des § 123 Abs. 1 BGB zu durchaus strengeren, differenzierteren Lösungen, auch mit Blick auf vorsätzliche Täuschungen im vorvertraglichen Bereich, führt. Denn jedenfalls das gesetzessystematische Argument läßt sich – einmal ganz unabhängig von der Frage der praktischen Relevanz der diagnostizierten Unterschiede auf Rechtsfolgenseite – auf diese Weise durch eine dogmatisch durchaus befriedigende Erklärung des Nebeneinanders beider Instrumente entkräften 251. Interessenorientiert wertend läßt sich dem freilich weiterhin entgegenhalten, daß eine unbeschränkte Anwendung der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB auch bezüglich Ansprüchen auf Vertragsaufhebung droht, die strengeren Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB für beinahe alle praktisch wesentlichen Fälle zu unterhöhlen 252. Da auf das Vorsatzerfordernis jedenfalls im Ergebnis einhellig verzichtet werden soll, geht es dabei im wesentlichen um die systemwidrige Aushöhlung der einjährigen Anfechtungsfrist des § 124 BGB. Dem hier in der Tat aufbrechenden Wertungswiderspruch 253 ließe sich nun allerdings auch durch eine analoge Anwendung der Ein-Jahres-Frist des § 124 Abs. 1 BGB im Rahmen der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB abhelfen 254. Die eigentümliche konstruktive 250
Zutreffend Kersting, aaO. Zutreffend weist Kersting, aaO., darauf hin, daß auch die alte tatbestandliche Abgrenzungslösung der Rechtsprechung, wie sie vom Schuldrechtsreformgesetzgeber ja ausdrücklich anerkannt wurde, letztlich eine Scheinlösung ohne nennenswerte praktische Relevanz war. 252 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 305; zustimmend Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 273. 253 Wie hier Canaris, AcP 200 (2000), 273, 319 f.; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 119 f., die mit einer entsprechenden Anwendung des § 124 BGB auf den Vertragsaufhebungsanspruch aus culpa in contrahendo helfen wollen. Die Wertungswidersprüche anerkennen auch Mertens, AcP 203 (2003), 818, 847 f.; Kersting, Kap. 7 § 3 B mwN, die diese jedoch als nunmehr vom Gesetzgeber gewollt hinnehmen wollen, vgl. noch sogleich u. Fn. 254. 254 Wie hier OLG Hamm, NJW-RR1995, 205, 206; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 119 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 319 f.; Sack, GRUR 2004, 625, 628. A.A. aber die Rechtsprechung des BGH, s. BGH NJW 1962, 1196, 1198 f., die neben dem später in Zweifel gezogenen Verweis auf die dingliche Wirkung der Anfechtung hilfsweise auch darauf abstellt, daß § 123 Abs. 1 BGB nicht etwa durch die culpa in contrahendo funktionslos würde, da insbesondere beim Kaufvertrag nach Gefahrübergang die culpa in contrahendo, soweit sie mit Mängeln der Kaufsache zusammenhänge, durch die Gewährleistungsregeln verdrängt sei, während die Anfechtungsmöglichkeit nach § 123 Abs. 1 BGB bestehen bleibe. Gegen eine Berücksichtigung der Frist des § 124 nach altem Recht auch schon Köhler, AT, § 7, Rz. 65; GroßKomm-Köhler, § 13a, Rz. 83. Dabei ist 251
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Lösung über eine Analogie zu § 123 Abs. 1 BGB, für die es jedenfalls bei unbefangener Betrachtung des Gesetzessystems nach der Schuldrechtsreform an der Voraussetzung einer systemwidrigen Lücke fehlte, wäre insoweit nicht notwendig255. Es müssen sich also andere Gründe für den behaupteten Vorrang des § 123 Abs. 1 BGB finden. Damit ist schließlich der wertungsmäßige Kern der juristischen Konstruktionskontroverse zwischen § 123 Abs. 1 BGB, einerseits, und der Möglichkeit einer Vertragsaufhebung über §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 S. 1 BGB, andererseits, erreicht: Es geht um die letztlich rechtstechnische256 Frage, ob für die typischen Konstellationen fahrlässiger vorvertraglicher Willensbeeinflussung das Rechtsfolgensystem des Anfechtungsrechts oder der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB die „passendere“ und kohärentere Lösung bereithält. Dies ist nunmehr abschließend zu untersuchen, um auf dieser Grundlage ein Fazit bezüglich der Notwendigkeit einer Erweiterung des § 123 Abs. 1 BGB und bezüglich des Verhältnisses zur culpa in contrahendo zu ziehen. die Haltung der BGH-Rechtsprechung und der ihr folgenden Literaturansicht dogmatisch insofern konsequent, als die Ablehnung einer rechtsfolgenseitig entsprechenden Berücksichtigung der Frist des § 124 BGB im Rahmen der culpa in contrahendo letztlich auch darauf beruht, daß beide Instrumente (wie beschrieben) tatbestandlich voneinander abgegrenzt werden, weil die culpa in contrahendo nur eingreifen soll, sofern der eingegangene Vertrag bei typisierter Betrachtung eine Verschlechterung der Vermögenslage für den Betroffenen mit sich bringt. Sieht man insofern im Rahmen der culpa in contrahendo nicht unmittelbar die Entscheidungsfreiheit geschützt, sondern setzt einen Vermögensschaden voraus, ist eine Ablehnung der Berücksichtigung der Frist des § 124 BGB wegen der dann zumindest dogmatisch (wenn auch nicht praktisch) vermeidbaren Konsequenz einer unmittelbaren Überschneidung beider Institute durchaus vertretbar. Diese Argumentation trägt aber dann nicht mehr, wenn man – wie hier – im Rahmen der culpa in contrahendo unmittelbar die Entscheidungsfreiheit geschützt sieht, da dann – auch dogmatisch – der Wertungswiderspruch zu § 124 BGB nicht mehr durch Versuche einer tatbestandlichen Abgrenzung übertüncht werden kann. Sogar auf Grundlage dieser Annahme, daß im Rahmen der culpa in contrahendo die Entscheidungsfreiheit mit geschützt ist, aber gegen eine rechtsfolgenseitige Heranziehung des § 124 BGB schon zum alten Recht Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 332 ff. Jedenfalls zum neuen Recht gegen die rechtsfolgenseitig entsprechende Heranziehung der Frist und unter abermaligem Hinweis auf die hinsichtlich Kausalität, dinglicher Wirkung in der Insolvenz und Berücksichtigungsfähigkeit von Mitverschulden abweichenden Rechtsfolgen und auf den ersichtlichen Willen des Schuldrechtsreformgesetzgebers, das Nebeneinander beider Instrumente samt resultierender Wertungsfriktionen hinsichtlich der unterschiedlichen Fristen zur Geltendmachung nunmehr hinzunehmend, Mertens, AcP 203 (2003), 818, 847 f., und Kersting, Kap. 7 § 3 B II mwN, wobei letzterer in extrem gelagerten Fällen der Spekulation auf Kosten des Ersatzverpflichteten mit der Annahme einer Verwirkung des Anspruchs helfen will, für die sich die Bestimmung des Zeitmoments an die Frist des § 124 Abs. 2 BGB anlehnen soll; ähnlich Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht, S. 155 f.; Paefgen, Haftung, S. 30; ablehnend Rieble, in: Dauner-Lieb/Konzen/K. Schmidt (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 137, 151. 255 Das sieht zutreffend auch Weiler, ZGS 2002, 249, 251, der aber ohne nähere Begründung eine rechtsfolgenseitig analoge Anwendung des § 124 Abs. 1 BGB im Rahmen der Haftung gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB ablehnt. 256 Neben rechtstechnischen Argumenten führt Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 277, auch rechtsästhetische Belange, die für eine Konstruktion als Gestaltungsrecht sprächen, an.
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d. Rechtsfolgenunterschiede und Konstruktionsvorteile der Lösung über §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB Betrachtet man die Frage des Vorrangs des § 123 Abs. 1 BGB unter dem Blickwinkel eines pragmatischen Vergleichs der konstruktiven Vor- und Nachteile der anfechtungsrechtlichen Lösung einerseits und der schadensrechtlichen Konstruktion andererseits, so wird deutlich, daß die Lösung im Rahmen der §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB aus mindestens zwei Gründen überlegen ist. Erstens gestattet sie über § 311 Abs. 3 BGB – anders als § 123 Abs. 1 BGB – die kohärente Einbeziehung auch der vorvertraglichen Irrtumserregung durch Dritte257, wie sie für die hier angestellte Untersuchung schon insofern von besonderem Interesse ist, als häufig der unlauter Werbende nicht Vertragspartner des getäuschten Verbrauchers sein dürfte. § 123 Abs. 1 BGB hält insoweit nur eine Lösung für den Fall bereit, daß der (beispielsweise) irreführend Werbende der Seite des Anfechtungsgegners zuzurechnen und deshalb kein „Dritter“ i.S.d. § 123 Abs. 2 BGB ist bzw. daß der Anfechtungsgegner die Täuschung kannte oder kennen mußte258. Einen Anspruch gegen den Dritten auf Freistellung vom Vertrag im Wege der Naturalrestitution – wie er sich gem. §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 S. 1 BGB in systemgerechter Weise schadensrechtlich ergeben und wie er in einzelnen Konstellationen gerade interessengerecht sein kann, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen 259 – hält die Anfechtungslösung nicht bereit. Insofern wäre ohnedies wiederum ergänzend auf die culpa in contrahendo zurückzugreifen. Es ist dann aber aus konstruktiver Sicht die Lösung zu bevorzugen, die eine einheitliche Behandlung auch des Problems der Dritthaftung gestattet260. Dasselbe gilt, zweitens, bezüglich der Möglichkeit, auf der Grundlage der §§ 249 S. 2, 251 Abs. 1 BGB statt der Vertragsaufhebung im Wege der Naturalrestitution Geldersatz zu erlangen, und solcherart ein sozusagen „schadensrechtliches“ Minderungsrecht zu erreichen 261. Wiederum läßt sich dieses in bestimmten Fällen interessengerechte Ergebnis nur auf dem Wege über die culpa in contrahendo erreichen, die hier von der größeren rechtsfolgenseitigen Flexibilität der schadensrechtlichen Lösung über §§ 249 ff. BGB gegenüber dem starren Gestaltungsrecht, das § 123 Abs. 1 BGB einräumt, profitiert. Auch insgesamt gestatten die Vorschriften der §§ 249 ff. BGB interessengerechtere Lösungen als der Weg über § 123 Abs. 1 BGB. So kann im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität 257
S. grundlegend Kersting, Kap. 7 § 3 B; wie hier auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 318 f. Vgl. näher zu dieser Zurechnungsproblematik bezüglich des Verhaltens Dritter, die von der hier problematisierten Frage eines Anspruchs unmittelbar gegen den Dritten auf Freistellung vom Vertrag, zu scheiden ist, ausführlich Grigoleit, Informationshaftung, S. 144 ff. mwN. 259 S. nur grundlegend Kersting, Kap. 5–8. 260 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 318 f.; Fleischer, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 243, 263; a.A. aber Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 345. 261 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 75 ff. (insbes. 78 ff.); Canaris, AcP 200 (2000), 273, 315 ff. 258
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der Schutzzweck der verletzten vorvertraglichen Pflicht Berücksichtigung finden. Darüber hinaus gestattet § 254 BGB eine angemessene Berücksichtigung des Mitverschuldens des Betroffenen, auf das es im Rahmen des § 123 Abs. 1 BGB wegen der Massivität der dort geregelten vorvertraglichen Willensbeeinflussungen von vornherein nicht ankommt262. Diese höhere Flexibilität auf Rechtsfolgenseite gestattet nach der hier vertretenen Auffassung gerade auch eine differenziertere und interessengerechtere zivilrechtliche Rezeption von Wettbewerbsverstößen in der Vertragsanbahnung im Rahmen der zivilrechtlichen Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo im Vergleich zu § 123 Abs. 1 BGB. Gegenüber all jenen Nachteilen einer vorrangigen Lösung über § 123 Abs. 1 BGB mit seiner vergleichsweise starren Rechtsfolge, fällt der unbestreitbare Vorteil ebenjener starren Rechtsfolge, nämlich die Tatsache, daß die Anfechtung – anders als die schadensrechtliche Vertragsaufhebung, die lediglich einen Anspruch auf Zustimmung zur Vertragsaufhebung bzw. auf Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen gewährt, der gegebenenfalls eingeklagt werden müßte, was freilich häufig in der Praxis nicht mehr durchgeführt werden dürfte, so daß der Vertrag als letztlich inhaltsleere Hülse fortlebt 263 – die Beseitigung des Vertrags im Wege einseitiger Konstruktion erlaubt, als ein Vorzug mehr ästhetischer Natur264 nicht entscheidend ins Gewicht. Mithin sprechen die besseren Gründe gegen einen Vorrang des Anfechtungsrechts aus § 123 Abs. 1 BGB gegenüber der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung. Damit fehlt es aber nun in der Tat für eine Ausdehnung des § 123 Abs. 1 BGB auf fahrlässige vorvertragliche Fehlinformation an einer systemwidrigen Lücke, da §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB derartige Konstellationen demnach im Rahmen einer einheitlichen Lösung sowohl für Fälle der Irreführung durch den Vertragspartner als auch für Drittfälle systemgerecht lösen. Eine Lücke klafft im BGB jedenfalls in seiner neuen Fassung an dieser Stelle nicht mehr. Einzig die Frist des § 124 BGB ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Wege der rechtsfolgenseitigen Analogie auf Ansprüche auf Vertragsaufhebung auf Grundlage der §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB auszudehnen 265. 262 Vgl. ebenso Köhler, AT, § 7, Rz. 65; geradezu für einen Nachteil hält dies jedoch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 345 f., da § 254 BGB das Tor zu Billigkeitsüberlegungen öffne und insbesondere aus ökonomischer Sicht zu doppelten Informationskosten führen könne. 263 Der Berechtigte ist in diesen Fällen gegen Forderungen aus dem Vertrag durch die Einrede der Aufhebbarkeit des Vertrags geschützt (s. im Ergebnis nur BGH NJW 1969, 1625, 1626; BGH NJW 1979, 1983 f.; BGH NJW 1984, 2814, 2815), die sich letztlich aus dem dolo agitGrundsatz auf Grundlage von § 242 BGB ergeben dürfte, weil der Getäuschte seine Leistung unmittelbar im Wege des Schadensersatzes zurückfordern könnte, s. näher Grigoleit, Informationshaftung, S. 88 ff. Seine Leistung zurückfordern kann er ebenfalls unabhängig von einer (vorherigen) Beseitigung des Vertrags auf Grundlage von § 249 S. 1 BGB, da die Naturalrestitution auch die Rückgängigmachung der Leistungserbringung parallel mit umfaßt, s. näher Grigoleit, aaO., S. 111 f. 264 Vgl. ausdrücklich Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 269, 277: „einfacher, klarer und rechtsästhetisch vorzugswürdig“. 265 Vgl. die Nachweise o. Fn. 254 für die an dieser Stelle herrschende Diskussion zwischen
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4. Zwischenfazit und Folgerung für den Vergleich von § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB mit Maßstäben des wettbewerbsrechtlichen Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage Wenn demnach das System des BGB für eine analoge Anwendung des § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB auf Fälle fahrlässiger oder gar schuldlos rechtswidriger Irreführung nach richtiger Auffassung keinen Raum läßt, sondern hierfür vielmehr einen schadensrechtlichen Vertragsaufhebungsanspruch auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 oder 3, 241 Abs. 2 i.V.m. §§ 249 ff. BGB als systemgerechte Lösung bereithält, so ist ein grundlegender Vergleich mit wettbewerbsrechtlichen Wertungen aus dem Bereich des Irreführungsschutzes erst im Rahmen der Darstellung der culpa in contrahendo als dem demnach umfassenderen zivilrechtlichen Rezeptionsinstrument möglich und sinnvoll. Ein Anfechtungsrecht auf Grundlage von § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB kann aber naturgemäß in Fällen vorsätzlich irreführender Werbung durch den Anbieter einschlägig sein und bringt dann gegenüber dem Anspruch aus culpa in contrahendo den Vorteil mit sich, daß in der Regel auch das Erfüllungsgeschäft mit erfaßt wird266, was im Insolvenzfall den Vorzug des Aussonderungsrechts nach §§ 47 f. InsO zur Folge hat 267. Durchaus nicht selten in wettbewerbsrechtlich relevanten Situationen dürfte dabei die Konstellation sein, daß die vorsätzliche Irreführung nicht durch den Vertragspartner des Verbrauchers, sondern durch einen nicht am Vertrag beteiligten Werbenden begangen wird. In diesem Falle entscheidet § 123 Abs. 2 BGB über die Anfechtbarkeit, wobei entscheidende Bedeutung der Frage zukommt, ob der Täuschende „Dritter“ i.S.d. Norm ist, da dann eine Anfechtung nur in Betracht kommt, wenn der Erklärungsempfänger die Täuschung kannte oder kennen mußte268. Jedenfalls für den Normalfall der Werbung durch Hersteller, Importeure oder Lieferanten auf unterschiedlichen Stufen der Vertriebskette ist nicht davon auszugehen, daß der Werbende allein durch seine Stellung in der Vertriebskette „Nicht-Dritter“ i.S.d. § 123 Abs. 2 BGB wird269. Vielmehr sind hierfür besondere Indizien zu fordern, die belegen, daß der Werbende – über sein allgemeines Vertriebsinteresse hinaus – spezifisch auf seiten des Verkäufers stand und maßgeblich am Zustandekommen des Vertrags mitgewirkt hat 270. Mit Blick auf massenhafte werbliche Kommunikation sind derartige Situationen wohl kaum einmal denkbar. Nur wenn der Lieferant aktiv in die individualisierten Verhandden Vertretern einer entsprechenden Anwendung des § 124 BGB und den Proponenten einer freien Alternativkonkurrenz, die die an dieser Stelle entstehenden Wertungswidersprüche für hinnehmbar erachten. 266 RGZ 70, 55, 57 f.; BGH, DB 1966, 818; OLG Hamm, VersR 1975, 814, 815; Palandt-Heinrichs, Überbl. vor § 104, Rz. 23. Zurückhaltender allerdings BGH NJW 1998, 302, 305: „im Einzelfall fragwürdig“, was allerdings an der hier allein interessierenden Erstreckung auf das Erfüllungsgeschäft im Regelfall nichts Entscheidendes ändert. 267 So neuestens der zutreffende Hinweis bei Kersting, Kap. 7 § 3 B II. 268 Alexander, S. 116. 269 Zutreffend Alexander, aaO. 270 S. nur Palandt-Heinrichs, § 123, Rz. 13 mwN.
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lungen eingegriffen hat, kann er „Nicht-Dritter“ i.S.d. § 123 Abs. 2 BGB werden 271, doch betrifft dies dann nicht mehr den hier interessierenden Überschneidungsbereich mit wettbewerbsrechtlichen Wertungen. Für die hier interessierenden Drittsituationen mit Blick auf werbliche Massenkommunikation kommt es demnach, sofern einmal eine vorsätzliche Täuschung durch einen Dritten vorliegt, die für Vertragsschlüsse mit bestimmend werden konnte, was vom Dritten auch gewollt war, entscheidend darauf an, ob der Vertragspartner des Beworbenen die Täuschung kannte oder kennen mußte272. Nur bezüglich dieser Frage – also nicht etwa hinsichtlich der Dritteneigenschaft, bezüglich derer sich der kaufrechtlichen Gewährleistung für Herstellerangaben keine Wertung entnehmen läßt, da diese einem anderen, risikoorientierten Zurechnungsprinzip folgt und den Hersteller und die dort bezeichneten Dritten gerade nicht im Sinne einer echten Handlungszurechnung auf Seiten des Verkäufers verortet 273 – läßt sich hinsichtlich der beweisrechtlichen Beurteilung wiederum ein gewisses Indiz aus der im Vergleich zu § 123 Abs. 2 BGB spiegelbildlich verteilten Beweis- und Vortragslast in § 434 Abs. 1 S. 3 Alt. 1 BGB ableiten. Demnach entspricht es der Wertung des Gesetzgebers für den Kauf, daß im Regelfall der gewerbliche Händler eine vorsätzlich irreführende Werbung des Herstellers oder der dort bezeichneten Dritten bezüglich bestimmter Eigenschaften der vertriebenen Waren kennt oder kennen muß274. Der Blick in das reale Wirtschaftsleben bestätigt diese nur hinsichtlich der Beweis- und Argumentationslast vorsichtig verallgemeinerbare gesetzgeberische Wertung, da Händler häufig und immer intensiver in das Herstellermarketing (etwa durch Zurverfügungstellung von Werbematerial jeglicher Art) einbezogen werden und da sie – zumindest im Fachhandel – auch über die erforderliche Sachkunde verfügen sollten, um die Unrichtigkeit der Werbung zu erkennen275. Insofern wird man wiederum prima facie nach den Regeln des Anscheinsbeweises zumindest für den Fachhandel davon ausgehen müssen, daß ein Händler die Täuschung in der Werbung der Hersteller und der in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten bezüglich der Eigenschaften von ihm vertriebener Waren kennt oder zumindest kennen muß276. Das Nichtkennenmüssen ist in einer derartigen Sachverhaltskonstellation demzufolge schon nach allgemeinen Beweisgrundsätzen die seitens des Anfechtungsgegners zu belegende und vorzutragende Ausnahme.
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S. etwa BGH NJW 1989, 287: Lieferant, der für den Leasinggeber verhandelt. S. näher für die hier interessierenden Fallgestaltungen nur Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 139; Alexander, S. 116. 273 Vgl. auch oben II 4. 274 Vgl. ähnlich schon oben II 4 zu § 119 Abs. 2 BGB. 275 S. Alexander, S. 116. 276 Noch weitergehend und ohne Begrenzung auf den Fachhandel Alexander, aaO.: Daß einem Händler eine Werbeaktion des ihn beliefernden Herstellers unbekannt bleibe, sei im heutigen Wirtschaftsleben kaum vorstellbar. 272
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IV. Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung 1. Die Struktur des Drohungstatbestandes Der Tatbestand der Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung in § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB ergänzt den Tatbestand der arglistigen Täuschung, der die Sicherung der Entscheidungsgrundlage betrifft, um einen Schutz gegen eine spezifische, besonders gravierende Störung des Entscheidungsprozesses277. Die insoweit in § 123 Abs. 1 BGB angelegte strukturelle Bipolarität278, läßt sich im hier für den Vergleich von Wettbewerbs- und Vertragsrecht entwickelten Vier-Ebenen-Modell erfassen. Sie zeichnet in rudimentärer Form (da lediglich ganz bestimmte Beeinträchtigungsformen geregelt werden) die strukturelle Zweiteilung in Schutz der Entscheidungsgrundlage und Schutz des Entscheidungsprozesses nach, wie sie sich auch im Wettbewerbsrecht erkennen läßt 279. Dabei erfaßt § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB mit der widerrechtlichen Drohung – in diesem Falle vollkommen unabhängig von der Person des Drohenden 280 – das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluß zu haben vorgibt, und dessen Verwirklichung er davon abhängig macht, ob der Bedrohte die gewünschte Willenserklärung abgibt. Der Drohende muß insoweit i.S.d. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB den Bedrohten zur Abgabe seiner Willenserklärung „bestimmen“, d.h. die Drohung muß mindestens mitursächlich für die Abgabe der Willenserklärung werden281, und der Drohende muß bewußt auf die Entscheidungsfreiheit einwirken wollen, um eine ganz bestimmte rechtsgeschäftliche Erklärung zu bewirken. Er muß mithin „Erpresserwillen“ (mindestens in der Form des dolus eventualis) haben 282. Insofern wird deutlich, daß der Drohungstatbe277 S. insoweit statt aller Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 348 ff. mwN; grundlegend und ausführlich zuletzt auch Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 349 ff. mwN. 278 Lorenz, aaO., S. 391; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 630. 279 Vgl. grundlegend oben 1. Kap. 1. Abschn. D VI und 1. Kap. 3. Abschn. F IV mwN. 280 Vgl. näher zu Drohungen durch Dritte MüKo-Kramer, § 123, Rz. 53 (mit dem Vorschlag einer Analogie zu § 122 BGB, sofern der Anfechtungsgegner von der Drohung weder wußte noch wissen mußte). Der Gesetzgeber hatte seine Lösung ausweislich der Materialien (s. Mot. I, S. 206 f.) damit begründet, daß Drohungen (auch kollektiver Art, s. dazu später nur KG Berlin, SJZ 1947, 257 ff. betreffend die Veräußerungen, die von Juden auf nationalsozialistische Pressionen hin vorgenommen worden waren, sofern für diese das spezielle Rückerstattungsrecht nicht eingriff, s. BGHZ 10, 340, 344 zum Vorrang des BRüG v. 19.7.1957; vgl. auch BGH NJW 1992, 1757, 1758 zur Berücksichtigung kollektiver Veräußerungszwänge vormaliger DDR-Bürger, deren Ausreiseanträgen nur im Zusammenhang mit einer Veräußerung ihrer Grundstücke stattgegeben wurde, im Rahmen des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen, VermG) in Krisenzeiten („…namentlich in aufgeregten Zeiten…“) häufig seien und es dem Bedrohten nicht zumutbar sei, dem Dritten auch nur ein Kennenmüssen nachzuweisen. S. näher zu dieser nach seiner Auffassung nicht überzeugenden Begründung (und mit einer kurzen rechtsvergleichenden Umschau) Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 348. Unzutreffend Alexander, S. 119. 281 S. etwa BGHZ 2, 287, 299 = NJW 1951, 643. Für weitere Nachweise, s. MüKo-Kramer, § 123, Rz. 52. 282 S. BAG BB 1987, 1467; Enneccerus-Nipperdey, AT, § 173, I 2 (S. 1062); Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 351 mwN. Vgl. auch MüKo-Kramer, § 123, Rz. 45 und 52
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
stand des § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB – in wiederum auffälliger Differenz zum wettbewerbsrechtlichen Maßstab des UWG mit seinen unterschiedlichen Formen des (auch psychischen) Kaufzwangs und der Erfassung sonstiger Überrumpelungssituationen 283 – nur eine relativ eng definierte und ganz bestimmte Form der Einwirkung auf den Entscheidungsprozeß sanktioniert: Genaugenommen geht es um die Schaffung einer – durch das Inaussichtstellen des empfindlichen Übels – derart extrem (nämlich widerrechtlich 284) in eine bestimmte Richtung verzerrten Entscheidungsgrundlage, daß eine freie Entscheidung im eigentlichen Sinne nicht mehr möglich ist, so daß die Verzerrung der Entscheidungsgrundlage den freien Entscheidungsprozeß sozusagen mit infiziert. Es geht – im hier vertretenen VierEbenen-Modell – mithin um eine ganz spezifische Störung des Entscheidungsprozesses durch Schaffung unzulässiger Entscheidungsalternativen 285, deren Unzulässigkeit (Widerrechtlichkeit) sich aus der Widerrechtlichkeit des Drohmittels, d.h. der angedrohten Alternative für den Fall der Nichtabgabe der vom Drohenden gewünschten rechtsgeschäftlichen Willenserklärung286, des Ziels, d.h. der zu erreichenden rechtsgeschäftlichen Entscheidung selbst 287, sowie schließlich aus der sozialen Inadäquanz der spezifischen Kombination der Alternativen, eben der Zweck-Mittel-Relation 288, ergeben kann.
mwN. Zur sorgsamen Abgrenzung zwischen der Finalität der Drohung im hier beschriebenen Sinne, die unumgänglich zu einer Teilsubjektivierung des Tatbestands führt, und dem Fehlen eines allgemeinen Verschuldenserfordernisses als Tatbestandselement (im bezeichnenden Unterschied zur arglistigen Täuschung), s. ausführlich Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 369 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 283 Vgl. näher auch noch unten C III 2. 284 S. für eine sorgsame Beschreibung der einzelnen Fallgruppen widerrechtlicher Drohung, in deren Mittelpunkt (neben der Widerrechtlichkeit des Mittels bzw. des Zwecks schon für sich) die Widerrechtlichkeit wegen sozial inadäquater Zweck-Mittel-Relation steht, welche letztlich auf Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung zu beurteilen ist, monographisch Karakatsanes, Die Widerrechtlichkeit in § 123 BGB, 1974. Bündige Darstellungen bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 351 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 208 ff.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 264 ff.; Müko-Kramer, § 123, Rz. 47 ff., jeweils mwN. 285 Vgl. genau zutreffend M. Wolf, Entscheidungsfreiheit und Interessenausgleich, S. 131, demzufolge die Rechtsordnung den Einzelnen nicht jeder beliebigen Verkopplung von Alternativen aussetzen will; zustimmend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 349. 286 S. aus der Rechtsprechung etwa BGH LM Nr. 32. S. aus der Literatur MüKo-Kramer, § 123, Rz. 47; Palandt-Heinrichs, § 123, Rz. 19, jeweils mwN. 287 Wobei dann häufig schon §§ 134, 138 BGB eingreifen dürften, s. statt vieler der zutreffende Hinweis bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 353 mwN. AllgM, s. nur Palandt-Heinrichs, § 123, Rz. 20: Anfechtbarkeit in dieser Fallgruppe neben §§ 134, 138 BGB praktisch fast bedeutungslos. 288 S. für weitere Nachweise zur reichen Spruchpraxis in diesem Bereich nur MüKo-Kramer, § 123, Rz. 47 ff.; Palandt-Heinrichs, § 123, Rz. 21 f., jeweils mwN.
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2. Schmaler Überschneidungsbereich mit dem Wettbewerbsrecht Schon bei erstem Hinsehen wird deutlich, daß dies im Vergleich zur allgemeinen Berücksichtigung von Störungen des Entscheidungsprozesses durch Zwangslagen unterschiedlicher Art, wie Zeitdruck, Überrumpelungssituationen unterschiedlicher Art, seelische Zwangslagen etc. 289, wie sie im Wettbewerbsrecht im wesentlichen unter § 4 Nrn. 1 und 2 i.V.m. § 3 UWG erfolgt, wiederum ein bemerkenswert strenger Maßstab ist. Tatsächlich dürften Situationen, in denen unlauterer Wettbewerb zu einer Anfechtbarkeit der Willenserklärung nach § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB führt, eher selten sein, zumal kein wirtschaftlich vernünftig und zumindest ansatzweise nachhaltig denkender Unternehmer seine Kundschaft durch das widerrechtliche Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels zum Vertragsabschluß drängen dürfte, da eine solche „Marketingtechnik“ wohl allenfalls einmaligen Erfolg verspricht 290. Immerhin wird man bedenken müssen, daß in einzelnen Geschäftsbereichen – und insbesondere im Verhältnis zu bestimmten, in ihrer Widerstandskraft geschwächten Verbrauchern, wie etwa älteren Menschen – durchaus selbst vergleichsweise grobschlächtige Verkaufstechniken den wirtschaftlichen Erfolg nicht hindern müssen. Zu Recht bringt Alexander an dieser Stelle das Beispiel rüder Verkaufsmethoden im Rahmen von Werbeverkaufsfahrten, die – wenn etwa in einem abgelegenen Gasthof vor Antritt der versprochenen Reise an die „Dankbarkeit“ der Teilnehmer appelliert wird, um sodann eine Weiterfahrt erst nach Abschluß einer bestimmten Mindestzahl von Verträgen in Aussicht zu stellen – in der Tat die Stufe der widerrechtlichen Drohung i.S.d. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB (und zugleich dann wohl häufig auch des Straftatbestandes der Nötigung gem. § 240 StGB, nicht selten in Kombination mit strafrechtlich relevantem Eingehungsbetrug i.S.d. § 263 StGB291) erreichen können 292. Daß derartige Szenarien durchaus nicht aus der Luft gegriffen sind, illustrieren einschlägige Zeitungsberichte etwa im Zusammenhang mit Werbeverkaufsfahrten zur Bundesgartenschau 2005 in München 293. 289 S. die Einteilung bei Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 632 ff., sowie näher auch unten C III 2. 290 S. Alexander, S. 118; vgl. im Ergebnis ebenso Beater, § 28, Rz. 48. 291 Diese Grenze wird überschritten, wenn die veräußerten Waren, etwa vollkommen wirkungslose „homöopathische“ Präparate unterschiedlichster Couleur, erwiesenermaßen (aus objektiver Sicht) vollkommen nutzlos sind. Vgl. nur Neumaier, „Und das jetzt bitte keiner rausgeht!“, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 142 vom 23. Juni 2005, S. 47. 292 Alexander, S. 118 unter Hinweis auf Treuer, in: Bender (Hrsg.), Rechtstatsachen, S. 65 ff. 293 S. nur Neumaier, „Und das jetzt bitte keiner rausgeht!“, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 142 vom 23. Juni 2005, S. 47. Zu betonen ist nur, daß derartige extrem gelagerte Szenarien nicht die hier grundlegend befürwortete wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit „normaler“ Werbeverkaufsfahrten (insoweit ganz herrschende Meinung) und Hausbesuche (insoweit umstritten) in Frage stellen. Denn in so außergewöhnlich gelagerten Konstellationen ist auch nach der hier vertretenen Auffassung der Rahmen der zivilrechtlich typisierten Wertung weit überschritten, ein Eingreifen des Wettbewerbsrechts (neben strafrechtlicher Verfolgung und polizeirechtlicher Prävention) mithin angebracht. Vgl. eingehend oben 3 Abschn. A II 1.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
3. Erweiterung durch Analogien mit Blick auf drohungsähnliche Zwangslagen? Die enge Begrenzung des Tatbestandes des § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB hat mit Blick auf die rechtliche Berücksichtigung von Zwangslagen ganz allgemeiner Art wiederum Forderungen nach Analogieschlüssen zu § 123 Abs. 1 BGB in unterschiedlicher Reichweite befeuert 294, wobei diese zum Teil auch gerade im hier behandelten Querschnittsthema eines Vergleichs mit den strengeren wettbewerbsrechtlichen Maßstäben wurzeln295. Auf Grundlage der Neufassung des BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ist diesen sämtlichen Forderungen entgegenzuhalten, daß eine systemwidrige Lücke im BGB für derartige Konstellationen jedenfalls nicht mehr vorhanden ist (wohl auch nie vorhanden war)296, wobei insoweit die Überlegungen (oben III 3) bezüglich der Ausdehnung des Tatbestands der arglistigen Täuschung auf fahrlässige Irreführungen weitestgehend entsprechend gelten. Spezifisch bezüglich der widerrechtlichen Drohung i.S.d. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB kommt nach der hier vertretenen Auffassung noch eine weitere Überlegung hinzu: Es fehlt genaugenommen für die Schaffung oder Nutzung allgemeiner Zwangslagen (wie Zeitdruck, Überrumpelung, seelische Zwangslagen u.ä.), die letztlich entweder unmittelbar nur den Entscheidungsprozeß unter unziemlichen Druck bringen oder eine schon bestehende Zwangslage nur nutzen und dadurch eine unüberlegte, überhastete oder ungewollte Entscheidung provozieren sollen, an der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit mit der in § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB geregelten Konstellation widerrechtlicher Drohung297. Denn anders als jene ganz allgemein einen frei verlaufenden Entscheidungsprozeß störenden oder eine schon vorhandene Zwangslage ausnutzenden Einflußnahmen, ist für die widerrechtliche Drohung i.S.d. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB konstitutiv, daß Druck in eine bestimmte Richtung und gerade durch einen Aufbau unzulässiger Entscheidungsalternativen – mithin durch eine Form extremer Verzerrung der Entscheidungsgrundlage und mit Erpressungswillen – ausgeübt wird298. Dies ist 294 S. etwa Sack, WRP 1974, 445, 450 f.; ders., GRUR 2004, 625, 630 ff.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 630 ff.; ders, WRP 2003, 423, 427; geringfügig enger Alexander, S. 118 f. 295 Sack, WRP 1974, 445, 450 f.; ders., GRUR 2004, 625, 630 ff.; Alexander, S. 118 f. 296 S. insbesondere ausdrücklich gegen Sack, NJW 1974, 565 und MüKo-Kramer, § 123, Rz. 45, schon BGH NJW 1988, 2599, 2601, sowie aus der Literatur nur die sorgsam begründete Argumentation von Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 345 ff. Vgl. zum ganzen (und insbesondere zur nach der hier vertretenen Auffassung nunmehr doch weitgehend durch die Schuldrechtsreform geklärten Lage) oben III 2–4 mwN. 297 A.A. Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 630 ff. im Rahmen seiner „differenzierten Analogie“ zu § 123 Abs. 1 BGB; demgegenüber ähnlich wie hier Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 349, 351 mwN. 298 Bezeichnenderweise übersieht Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 630, in seiner wohl insgesamt zu einseitigen Fokussierung auf die resultierende Zwangslage als ihm einzig wertungsmäßig entscheidendes Element (s. aaO., S. 631 f.: entscheidend sei nicht das eingesetzte Mittel, sondern der erzielte Erfolg), diese subjektive Seite des Drohungstatbestandes vollkommen, wenn er ausführt, die Anfechtung wegen Drohung sei „frei von jedem Vorsatzerfordernis“.
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aber – ohne die sicher häufig gegebene Vergleichbarkeit der resultierenden Zwangslage leugnen zu wollen 299 – eine strukturell andere Form der Beeinflussung als die nur allgemeine Bedrängung, die durch Störung des Entscheidungsprozesses eine fehlerhafte Entscheidung zu provozieren hofft, nicht aber den Entscheidungsprozeß bewußt durch Präsentation unzulässiger Alternativen in eine bestimmte Richtung lenkt. Ebensowenig ist die bloße Ausnutzung einer schon vorhandenen Zwangslage der Konstellation widerrechtlicher Drohung vergleichbar300. Wenn aber der Gesetzgeber – durchaus in Kenntnis der Vielgestaltigkeit denkbarer Zwangslagen rechtsgeschäftlicher Willensbildung – lediglich die spezifische Form der widerrechtlichen Drohung in § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB als anfechtungsrechtlich relevante Störung des Entscheidungsprozesses regelte, so ist diese gesetzgeberische Wertung301 grundsätzlich zu respektieren und Dies verkennt, daß eine „Bestimmung“ zur Abgabe einer bestimmten Willenserklärung durch widerrechtliche Drohung gar nicht möglich ist, ohne insoweit „Erpressungswillen“ in dem Sinne zu haben, daß mit dem Inaussichtstellen des Übels mindestens mit Eventualvorsatz das Ziel verfolgt wird, eine bestimmte Willenserklärung mindestens mit kausal hervorzurufen, s. für die einhellige Meinung nur MüKo-Kramer, § 123, Rz. 45; Palandt-Heinrichs, § 123, Rz. 23; Larenz/Wolf, § 37, Rz. 30, jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. Hiervon sorgsam zu unterscheiden, sind die Fragestellungen, ob Schuldfähigkeit Voraussetzung der widerrechtlichen Drohung ist (was zu verneinen ist, s. nur Palandt-Heinrichs, § 123, Rz. 23) und ob die Rechtswidrigkeit einer Drohung nur aufgrund „gewisser innerer Merkmale auf Seiten des Drohenden“ zuzulassen, mithin gewissen subjektiven Anforderungen unterworfen ist, s. zum diesbezüglichen Streit nur BGHZ 25, 217, 224; BGH LM Nr. 28 zu § 123 BGB (für gewisse subjektive Mindestanforderungen, die die Rechtswidrigkeit zumindest im Falle eines Tatsachenirrtums ausschließen würden) gegen die herrschende Meinung in der Literatur, s. nur MüKo-Kramer, § 123, Rz. 51 mwN. Insgesamt zur Abgrenzung zwischen der Teilsubjektivierung des Drohungstatbestands durch die Notwendigkeit eines „Erpresserwillens“ im Sinne einer Finalität der Drohung und dem Fehlen eines allgemeinen Verschuldenserfordernisses, s. neuestens Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 369 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 299 Darauf hebt Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 631 f., entscheidend ab; auch Alexander, S. 118 f., der eine Analogie ebenfalls befürwortet, sieht die Anfechtbarkeit wegen Drohung – zu Unrecht, s. die Ausführungen bei und in o. Fn. 298 – nicht in der spezifischen Eigenart der Drohung, sondern allein in der Zwangssituation des Erklärenden begründet. 300 S. nur zu Recht Köhler, AT, § 7, Rz. 52; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 350, jeweils mwN. Insoweit im Ergebnis zutreffend auch Alexander, S. 119: Schaffung der Zwangslage seitens des anderen Vertragsteils notwendig; doch ist dieses Ergebnis auf der Grundlage der von Alexander, aaO., S. 118 f., grundsätzlich befürworteten Analogie zu § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht ohne weiteres zu erzielen, da § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB gerade nicht darauf abstellt, wer die Drohung ausgeübt hat (insoweit unzutreffend Alexander, aaO., S. 119, der aus dem Fehlen einer Zurechnungsnorm für widerrechtliche Drohungen Dritter in § 123 Abs. 1 BGB offenbar schließt, es sei stets nur die Drohung des Vertragspartners relevant; s. demgegenüber zutreffend die Ausführungen bei o. Fn. 280 mwN: Person des Drohenden vollkommen irrelevant). Insoweit dann konsequent auch für die Einbeziehung der Nutzung von Dritten geschaffener Zwangslagen in seine „differenzierte“ Analogie zu § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB, Weiler, S. 640 f.: Die Zwangslage müsse lediglich von irgend jemandem geschaffen sein, so daß allein ohne zurechenbares Zutun Dritter entstandene Zwangslagen ausscheiden. 301 Ganz ähnlich wie Sack (s. nur WRP 1974, 445, 450 f.; GRUR 2004, 625, 630 f.) führt Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 619, zum Beleg eines abweichenden und weitergehenden gesetzgeberischen Willens wiederum die Materialien und insbesondere Mot. I, S. 204, an (vgl. auch Weiler, aaO., S. 469 ff. mit näherer Darstellung der Gesetzgebungsgeschichte und -hinter-
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nicht durch Einbeziehung wertungsmäßig gerade nicht vergleichbarer Situationen im Wege des Analogieschlusses zu konterkarieren 302. Weiler sucht diesem zutreffend erkannten Argument entgegenzuhalten, daß die Weiterentwicklung des Schutzes der Willensbildung durch den modernen Gesetzgeber und die Rechtsprechung – insbesondere durch Schaffung situationsund geschäftsspezifischer Widerrufsrechte – das System des BGB dergestalt verändert habe, daß spätestens nunmehr auch Einflußformen unterhalb der hohen Schwelle widerrechtlicher Drohung über eine analoge Anwendung des § 123 Abs. 1 BGB zu erfassen seien 303. Sogar unabhängig von der vorerwähnten und entscheidenden Tatsache, daß es hierfür an einer Lücke fehlt, da insoweit die §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB als nunmehr nach dem Willen des Schuldrechtsreformgesetzgebers304 einschlägiges Instrument eingreifen, sofern die Voraussetzungen eines schadensrechtlichen Vertragsaufhebungsanspruchs vorliegen, ist dem aber entgegenzuhalten, daß die von Weiler genannten Widerrufsrechte sich gerade strukturell dadurch auszeichnen, daß sie aus Gründen der Rechtssicherheit auf ganz bestimmte, typisierte Situationen zugeschnitten sind, welche eben – entgegen rechtspolitischen Denkansätzen in diese Richtung305 – gerade nicht eine Verallgemeinerung i.S.d. Widerruflichkeit jedweder unter unangemessenem Druck abgegebenen Willenserklärung zulassen306. Soweit Weiler weiter die Verhaftetheit des historischen Gesetzgebers im Systemdenken des römischen Rechts, das nur der Drohung und der vorsätzlichen Täuschung eine Relevanz für die Gültigkeit gründe). Die Zirkularität dieses Arguments sowie insbesondere die Tatsache seiner Invalidisierung durch die Schuldrechtsreform wurden bereits oben III 3 belegt. 302 Soweit Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 350, die entsprechende Begrenzung allerdings gerade durch das Gebot klarer, begrenzbarer Tatbestände im Anfechtungsrecht im Sinne der Rechtssicherheit begründet, ist dies sicher so nicht ganz haltbar, da ja allein die Beurteilung der Voraussetzung der Widerrechtlichkeit der Drohung, insbesondere hinsichtlich widerrechtlicher, weil sozial inadäquater Zweck-Mittel-Relationen eine ganz erhebliche Unbestimmtheit in den Tatbestand des § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB trägt. Insoweit wird wohl eher Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 622 ff., ansatzweise Recht zu geben sein, wenn er die Begrenzung auf Tatbestände der widerrechtlichen Drohung und der arglistigen Täuschung in erster Linie in der Tradition des römischen Rechts begründet sieht. Nur spricht dies – entgegen Weiler, aaO. – für sich genommen noch nicht für eine Erweiterungsfähigkeit des Tatbestandes, da ein über die traditionellen Tatbestände bewußt hinausreichender Regelungsimpetus des Gesetzgebers eben nicht nachzuweisen ist, s. schon oben III 2 und 3 sowie auch noch bei u. Fn. 310. 303 Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 621 f. mwN. 304 S. näher oben III 3 b. 305 Vgl. bezüglich derartiger Initiativen de lege ferenda die Hinweise bei Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 583 ff. Mit einer sorgsamen Argumentation gegen Versuche einer weitreichenden Analogiebildung zu den situationsbezogenen Widerrufsrechten, insbesondere zum Haustürwiderrufsrecht, welche allerdings weitestgehend durch die Schaffung des Widerrufsrechts im Fernabsatz ohnedies obsolet sein dürften, Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 154 ff. mwN. 306 Zutreffend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 154 ff. (beispielhaft bezüglich des Haustürwiderrufsrechts). So letztlich auch Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 583: kein allgemeiner Überrumpelungsschutz, da an bestimmte Vertragsabschlußsituationen und Vertragstypen gebunden.
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der resultierenden Willenserklärung beimaß, sorgsam ausführt, um hieraus zu schließen, der Gesetzgeber habe nur in seiner rechtshistorischen Verwurzelung gehandelt, in Wirklichkeit jedoch auch andere Formen der Beeinträchtigung der Selbstbestimmung für relevant erachtet 307, bleibt er für diesen letzten und entscheidenden Schluß den Beleg schuldig. Lediglich der Verweis auf die Materialien – der, wie es bereits belegt wurde, letztlich zirkelschlüssig ist und insbesondere nicht zu erklären vermag, warum doch wiederum lediglich schuldhafte Störungen erfaßt sein sollen308 – wird unter Hinweis auf die entsprechenden Aussagen Sacks 309 angeführt. Ist dieser Schluß aus den Formulierungen in den Motiven jedoch letztlich nicht überzeugend310, so spricht die von Weiler sorgsam herausgearbeitete Rechtstradition der Beschränkung relevanter Beeinflussungen auf Zwang durch Drohung und arglistige Täuschung – da der Beleg des abweichenden „wahren“ Willens des historischen Gesetzgebers letztlich doch fehlt – sogar umgekehrt gerade dafür, daß der historische Gesetzgeber durchaus (traditions)bewußt, sich auf die in § 123 Abs. 1 BGB enumerativ geregelten Beeinflussungen als Grundlage der Anfechtbarkeit beschränken wollte. Nach alldem gilt mit Blick auf § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB erst recht wie mit Blick auf § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB und somit für die Regelung des § 123 Abs. 1 BGB insgesamt, daß eine Erweiterungsfähigkeit durch Analogien abzulehnen ist. Sofern hier zum alten Recht eine Lücke bestand, war sie jedenfalls nicht systemwidrig, sondern gerade systemkonform, im Falle der „drohungsähnlichen“ Zwangslagen fehlt zudem die wertungsmäßige Vergleichbarkeit mit dem in § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB geregelten Fall der Drohung. Im neuen Recht besteht genaugenommen nicht einmal überhaupt eine Lücke, da nunmehr kein Zweifel mehr bleiben kann, daß die §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB, 241 Abs. 2 BGB diejenigen Konstellationen, die die Vertreter einer Analogie zu § 123 Abs. 1 BGB im Blick haben, in grundsätzlich auch konstruktiv rechtstechnisch befriedigender Weise erfassen.
4. Zwischenfazit und Auswirkung für das Verhältnis von § 123 Abs. 1 BGB insgesamt zu Maßstäben des wettbewerbsrechtlichen Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses Insofern ist dann aber auch wiederum ein Vergleich der Maßstäbe bezüglich der rechtlichen Beurteilung von Störungen des Entscheidungsprozesses (durch Zeitdruck, situative Überrumpelungslagen, Ausnutzung von Zwangslagen oder Gefühlen etc.) im Zivilrecht und im Wettbewerbsrecht erst im Rahmen der Darstellung der culpa in contrahendo (s. unten C) sinnvoll möglich. Insoweit wird der Vergleich dann auch in der Tat fruchtbringend sein, vermag er doch einerseits die 307
Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 622 ff. S. oben III 2 und 3; vgl. für die Einbeziehung fahrlässiger (und eben nicht auch „einfach“rechtswidriger) Täuschungen auch Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 641 ff. 309 Sack, BB 1987, Beil. 2, 28. Vgl. näher zur Argumentation Sacks auch schon oben III 2 a. 310 S. schon oben III 2 a (bei Fn. 202) und III 3 b. 308
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anstehende Liberalisierung im Wettbewerbsrecht mit Blick auf bisher weithin zu streng beurteilte psychische Zwangslagen und andere Formen des Kaufzwangs argumentativ zu untermauern und andererseits eine wünschenswerte Konkretisierung und Systematisierung eines spezifischen Teils des vorvertraglichen Pflichtenprogramms im Rahmen der §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB durch zusätzliche Anhaltspunkte zu inspirieren. Diese Diagnose entspricht im übrigen genau dem Zwischenfazit bezüglich der Vergleichbarkeit des anderen Pols des bipolaren Anfechtungstatbestands des § 123 BGB – der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung – mit dem Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage im Wettbewerbsrecht. In beiden Fällen und aus denselben Gründen ist das gegenüber dem engen und de lege lata nicht erweiterungsfähigen Tatbestand des § 123 Abs. 1 BGB sinnvollere und vielversprechendere Vergleichsobjekt und Rezeptionsinstrument und damit der eigentliche Spiegel wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe im Zivilrecht die culpa in contrahendo, wie sie in §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB nunmehr im Gesetzestext festgeschrieben ist.
B. Wettbewerbsverstoß und Sittenwidrigkeit in § 138 BGB I. § 3 UWG und § 138 BGB: Unterschiedliche Regelungsbereiche oder funktional-rechtsfolgenspezifische Unterschiede in der jeweiligen Wertung Zu den meistdiskutierten zivilrechtlichen „Importinstrumenten“ für wettbewerbsrechtliche Vorfeldwertungen in ihrer Rückwirkung auf die Wirksamkeit der resultierenden „Folgeverträge“ zählt § 138 BGB, was auch auf die vor der UWGReform bestehende Begriffsidentität zwischen dem „Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt“ i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB und den Wettbewerbshandlungen, „die gegen die guten Sitten verstoßen“ i.S.d. großen Generalklausel des § 1 UWG a.F. zurückzuführen sein mag. Dabei ist jedoch § 138 BGB insofern unter der Perspektive der hier angestellten Untersuchung ein „autonomes Importinstrument“, als zwar der Begriff der Sittenwidrigkeit gerade dazu bestimmt ist, außerhalb des BGB liegende Wertungen der Sitten- und Rechtsordnung zu rezipieren, dabei jedoch nicht – wie § 134 BGB311 – spezifisch die gesetzliche Wertung des Wettbewerbsrechts rein heteronom rezipiert und dann funktional rechtsgeschäftsbezogen umsetzt, sondern vielmehr eigenständigen Maßstäben in Anknüpfung an die grundlegenden Wertungen der gesamten Sitten- und Rechtsordnung folgt. Diese könnten sich freilich – dennoch – mit den Maßstäben des Wettbewerbsrechts gerade decken. Ob dies der Fall ist, war zumal für die Rechtslage vor der UWGReform, die durch die terminologische Identität der Sittenwidrigkeitsbegriffe in 311
S. insoweit daher oben 3. Kap. 2. Abschn. A.
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§ 1 UWG a.F. und § 138 Abs. 1 BGB gekennzeichnet war, nicht gänzlich unumstritten. Im Ergebnis muß nach neuem Recht diese einstige Streitfrage312, ob und inwieweit im Rahmen der Generalklauseln des Wettbewerbsrechts und des § 138 BGB einheitliche Wertungsmaßstäbe anzulegen sind, nunmehr als erledigt angesehen werden. Der jeweils heranzuziehende Maßstab der „Sittenwidrigkeit“ ist keinesfalls einheitlich313, ja korreliert wohl im typischen Fall nicht einmal314. Das neue UWG bekräftigt dies durch die begrüßenswerte 315 Aufgabe des Begriffs vom „Verstoß gegen die guten Sitten“, der durch den Begriff der „unlauteren“ Wettbewerbshandlung ersetzt wurde, auch deklaratorisch316. Die hierfür angeführten 312 S. statt aller die jeweilige Darstellung in MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 24 ff., und Staudinger-Sack, § 138, Rz. 67 ff., jeweils mit umfassenden Nachweisen. 313 S. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 3, Rz. 87 mwN; monographisch zuletzt Alexander, S. 98 ff. 314 Zutreffend Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 157. 315 S. zutreffend statt vieler und mit näheren Ausführungen zu der damit auch deklaratorisch zu Recht nachvollzogenen „Entsittlichung“ des Wettbewerbsrechts Harte/Henning-Schünemann, § 3, Rz. 62 ff. mwN. 316 Die Änderung des Wortlauts ist insoweit in doppelter Hinsicht lediglich von deklaratorischer Bedeutung: Zum einen war die Streitfrage um die vermeintliche Einheit des Sittenwidrigkeitsbegriffs schon vor Inkrafttreten des neuen UWG von der herrschenden Meinung abschlägig entschieden worden (vgl. die Nachweise o. Fn. 312). Zum anderen aber ist ohnedies der jeweilige Wortlaut der „großen“ Generalklausel im UWG a.F. und des § 138 BGB für die Beantwortung der Frage nach der Einheitlichkeit der guten Sitten letztlich nie von großer Relevanz gewesen, ja hat beinahe nur als Quelle von Mißverständnissen eine Rolle gespielt. Allzu kühn etwa der diesbezügliche, praktisch nur in der fehlverstandenen grammatikalischen Auslegung basierte („… hier wie da ist das gleiche gesetzliche Tatbestandsmerkmal zu prüfen…“ (sic!)) Rückschluß des AG Trier, NJW 1972, 160 f., der dann von dem Gericht nurmehr um einen untauglichen Versuch, durch das Abstellen auf die jeweils berührten Interessen sich des eigentlichen Kernproblems des unterschiedlichen Regelungsgegenstands anzunehmen, ergänzt wird. Sämtliche dieser verirrten Auffassung folgenden Gerichtsentscheidungen in der Folge erlagen letztlich demselben Fehlschluß von der Identität des verwendeten Begriffs auf die einheitliche Funktion der Norm im Rechtssystem (dessen Einheit es zu wahren gälte [so ausdrücklich AG Trier, aaO.] und stellen damit letztlich einen späten Widerhall reiner Begriffsjurisprudenz dar (s. eingehend dazu schon Lehmann, S. 157 ff.; zuletzt auch Alexander, S. 98 ff., jeweils mwN; zum hier in Anlehnung an Canaris zugrundegelegten axiologisch-teleologischen System, welches nicht auf begriffliche Einheit abzielt, sondern die jeweils tragenden Wertprinzipien unter Einbeziehung der übergreifenden Ordnungsfunktion des Rechts in den Mittelpunkt rückt, schon oben 1. Kap. 3. Abschn. B mwN). Man wird angesichts dieser Ausgangslage aber zugleich anerkennen müssen, daß auch die nunmehr unterschiedlichen Begrifflichkeiten in § 3 UWG und § 138 BGB gerade keine zwingenden Rückschlüsse auf die Unterschiedlichkeit des jeweiligen Beurteilungsmaßstabs zulassen. Vielmehr ist mehr als ein Rückschluß auf den Willen des historischen UWGReformgesetzgebers, durch die Ablösung des Begriffs der guten Sitten wortlautorientierten Kurzschlüssen vorzubeugen und insbesondere den marktbezogen unlauter im Wettbewerb handelnden Unternehmer nicht unnötig mit dem Makel der Sittenwidrigkeit zu belasten (s. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 3 UWG), insoweit nicht abzuleiten. Dies macht es – letztlich wie bisher auch – weiterhin notwendig, zu prüfen, wie sich im einzelnen das Verhältnis von Gesetzesverstoß (gegen ein UWG-Verbot) und Sittenwidrigkeit (unter § 138 BGB) darstellt. Lediglich einseitig vereinfachenden, wortlautorientierten Lösungen ist insoweit nunmehr vorgebeugt.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Begründungen differieren allerdings im Detail, was für die Praxis bei genauer Betrachtung nicht ganz folgenlos bleibt. Ganz einheitlich mit der von ihm früh geprägten Argumentation auch zu § 134 BGB317 hebt Sack wiederum vollkommen auf den unterschiedlichen Regelungsbereich des § 138 BGB und der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel ab318. Die Frage nach einer einheitlichen Auslegung des Sittenwidrigkeitsbegriffs (bzw. nunmehr der Unlauterkeit in § 3 UWG im Vergleich zur Sittenwidrigkeit in § 138 BGB) – die grundsätzlich zu bejahen sei319 – stelle sich genaugenommen in der typischerweise umstrittenen Fallkonstellation des Folgevertrags gar nicht 320, da es im einen Falle um die Beurteilung eines Rechtsgeschäfts seinem Inhalt nach gehe, im anderen Falle jedoch um die Beurteilung eines wettbewerblichen Verhaltens im Vorfeld eines Vertragsschlusses321. Während dies für § 134 BGB vollkommen unproblematisch zutrifft – da in der Tat das gesetzliche Verbot in diesem Zusammenhang sich gerade gegen die Existenz des Rechtsgeschäfts richten muß – ist dieselbe Argumentation im Rahmen des § 138 BGB insofern nicht ganz unproblematisch, als sich – vollkommen unstrittig322 – bei § 138 BGB die Sittenwidrigkeit nicht zwangsläufig schon aus dem Inhalt oder Abschluß des Rechtsgeschäfts als solchem ergeben muß, sondern auch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aus den näheren Umständen des Vertragsschlusses (insbesondere Zweck und Motive der Parteien) folgen kann 323. Anders als für die Anwendung von § 134 BGB muß das Rechtsgeschäft also für § 138 BGB nicht den „Stempel der Sittenwidrigkeit“ bereits für sich genommen gewissermaßen auf der Stirn tragen324. Dies anerkennt auch Sack, verweist aber darauf, daß auch bei der Umstandssittenwidrigkeit letztlich der entscheidende Anknüpfungspunkt die Inhaltskontrolle des Rechtsgeschäfts sei325, für die die näheren Umstände seines Abschlusses (gewissermaßen sein „Hintergrund“) lediglich als zusätzliche Beurteilungsfaktoren herangezogen würden, sofern das Geschäft als solches einen „indifferenten Inhalt“326 habe327. All dem ist ohne Zwei-
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Vgl. oben 3. Kap. 2. Abschn. A I. S. zuletzt Sack, GRUR 2004, 625, 626 f. mit umfassenden weiteren Nachweisen für die maßgeblich von ihm geprägte (s. zuerst Sack, WRP 1974, 445, 447 f.), seither vielfach übernommene Auffassung; zustimmend zuletzt Augenhofer, WRP 2006, 169, 173. 319 S. nur Staudinger-Sack, § 138, Rz. 67 ff. mwN betreffend das Verhältnis zum alten UWG mit seiner Inbezugnahme der guten Sitten im Wettbewerb. 320 Wohl aber – und dies sieht auch Staudinger-Sack, §138, Rz. 70, 73, wenn unlauterer Wettbewerb unmittelbar Gegenstand eines Vertrags ist. S. zu diesem Problem noch unten II. 321 So Sack, aaO., Rz. 70. 322 S. statt aller die Darstellung bei Staudinger-Sack, § 138, Rz. 6 ff., dort auch sogleich zu seinem Gegenargument. Vgl. für umfassende Nachweise auch zur älteren Rechtsprechung (insbesondere auch des Reichsgerichts) zu der in diesem Zusammenhang notwendigen Beurteilung des „Gesamtcharakters“ des Geschäfts schon Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, S. 65. 323 Vgl. mit ähnlichen Bedenken in anderem Zusammenhang insoweit zutreffend schon Hönn, JZ 1983, 678, 681 f. 324 Am deutlichsten das Nebeneinander der Prüfung beider Normen in BGH GRUR 1998, 945, 946 f. – Co-Verlagsvereinbarung. Vgl. auch schon oben 3. Kap. 2. Abschn. A. 325 So absolut zutreffend auch die hM, vgl. Staudinger-Sack, § 138, Rz. 6 ff.; ders. GRUR 2004, 625, 627; vgl. aus allgemein zivilrechtlicher Sicht auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 245 mwN. 326 So wörtlich Sack, aaO., 627. S. noch sogleich unten im Text zur Mißverständlichkeit einer derartigen Formulierung. 327 Vgl. auch die treffende Formulierung bei Lorenz, S. 248, die Umstandssittenwidrigkeit füge die Äquivalenzkontrolle in ein bewegliches System von Sittenwidrigkeitsfaktoren ein. 318
4. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit reflexartiger Ordnungsfunktion
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fel zuzustimmen 328. Es fragt sich aber doch, ob angesichts der Tatsache, daß – soweit es um die Beurteilung etwa der näheren Umstände der Geschäftsanbahnung geht, bei der sich Wettbewerbsrecht und § 138 BGB im Falle der Umstandssittenwidrigkeit zumindest im jeweiligen tatsächlichen Anknüpfungsbereich der entscheidenden tatbestandlichen Beurteilungskriterien demnach doch überschneiden – tatsächlich so entscheidendes terminologisches Gewicht auf die Inhaltsbezogenheit des § 138 BGB gelegt werden sollte. Die oben zitierte Formulierung vom „indifferenten Inhalt“ des Vertrags – der genaugenommen nach Sacks eigenen Formulierungen im Falle der Umstandssittenwidrigkeit gerade nicht „indifferent“ sein kann, da andernfalls § 138 BGB gar nicht greife – zeigt die Gefahren einer derartigen terminologischen Zweideutigkeit, die zwischen dem Anwendungsbereich der Norm im tatsächlichen und ihrer rechtsfolgenspezifischen Funktion nach der hier vertretenen Auffassung zumindest terminologisch 329 nicht hinreichend klar unterscheidet 330. Terminologisch treffender ist es wohl, im Einklang mit der modernen Dogmatik, die unterschiedliche Funktion331 der jeweiligen Generalklausel als Ausgangspunkt der Differenzierung der Wertmaßstäbe zu wählen, statt insoweit den zweideutigen Begriff des Regelungsbereichs zu verwenden 332. Es geht also im Kern um eine funktional-rechtsfolgenspezifische Ab328
S. auch schon o. Fn. 325 für die Nachweise bezüglich der herrschenden Meinung. S. auch noch sogleich unten im Text für sich auf Grundlage von Sacks Auffassung sogar ergebende inhaltliche Unterschiede im einzelnen. 330 Der Begriff des „Regelungsbereichs“ erscheint insoweit schlicht nicht hinreichend klar, da er zweideutig zwischen der Frage der Funktion der Norm (genaugenommen müßte man wohl vom Regelungsgegenstand statt vom Regelungsbereich sprechen) und ihrem Regelungsbereich im tatsächlichen zu oszillieren vermag. Die terminologische Vagheit hat auch praktisch unterschiedliche Ergebnisse zur Folge, soweit es im Einzelfall dann tatsächlich zu einer Überschneidung der Regelungsbereiche im tatsächlichen kommt, s. sogleich unten im Text. 331 Demgegenüber weist wiederum Sack, WRP 1985, 1, 4 (vgl. auch Staudinger-Sack, § 138, Rz. 68) auf die einheitliche lückenfüllende Funktion sämtlicher Sittenwidrigkeitsklauseln hin. Wiederum liegt hierin in erster Linie eine gegenüber der hier vertretenen Auffassung unterschiedliche terminologische Verwendung des Funktionsbegriffs. Während nach der hier vertretenen Auffassung die Funktion einer Norm sich in erster Linie aus ihrer normativ-rechtsfolgenspezifischen Analyse im jeweiligen Gesamtsystem mit Blick auf den betroffenen Regelungsgegenstand ergibt (also aus einer teleologisch folgenorientierten Betrachtung folgt), hebt Sack, aaO., (insoweit enger) auf die einheitliche methodische Funktion der Sittenwidrigkeitsklauseln als „Lückenfüller“ für rechtlich zu mißbilligende Lebenssachverhalte ab, in deren Rahmen die Rechtsanwendung dann erst nach dem jeweiligen „Regelungsbereich“ (einem Begriff, dem wegen der ihm innewohnenden Zweideutigkeit nach der hier vertretenen Auffassung nicht gefolgt wird) hinsichtlich der sich ergebenden Wertungen (nicht aber hinsichtlich der heranzuziehenden Beurteilungsmaßstäbe) zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen könnte. Soweit Sack, aaO., die methodischen Parallelen bei der Anwendung der jeweiligen Generalklauseln betont, ist ihm uneingeschränkt zu folgen. Deshalb wurde auch in dieser Studie ein einheitlicher methodischer Ansatz vorgeschlagen, der es etwa ermöglicht die jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Konkretisierung einzelner Generalklauseln mutatis mutandis für sämtliche Generalklauseln übergreifend fruchtbar zu machen (s. oben 2. Kap. 2. Abschn. B II 2 c und III). Unter diesem Blickwinkel kann durchaus auch die funktionale Betrachtungsweise, wie sie zuerst im Rahmen des § 1 UWG a.F. von der Rechtsprechung (wenn auch nicht immer offengelegt) doch inhaltlich mehr und mehr mit als Konkretisierungsaspekt herangezogen wurde (s. schon die grundlegende Analyse bei Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, 1977), zum methodischen Vorbild für die Konkretisierung des § 138 BGB werden. Doch ändert dies nichts an der normativ unterschiedlichen Funktion der Normen mit Blick auf ihre jeweilige Rechtsfolge und den unterschiedlichen Regelungsgegenstand. 332 S. grundlegend Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105 ff.; Mayer-Maly, JuS 1986, 596, 599 f., 329
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grenzung, die zu unterschiedlichen Maßstäben führt 333. Während es im einen Falle, dem Regelungsgegenstand (der Funktion) nach, um eine äußerste Grenzziehung der Privatautonomie geht, indem – der Rechtsfolge nach – konkreten Geschäften, die mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sozialordnung unvereinbar sind und die sich daher als Mißbrauch der Privatautonomie darstellen 334, aus Gründen der Generalprävention durch Anordnung der Nichtigkeit von vornherein gänzlich die Anerkennung versagt wird, geht es im anderen Falle – für die hier besonders betrachteten Überschneidungsbereiche – um den Schutz der Privatautonomie des Kunden vor unsachlicher Beeinflussung durch Anordnung abstrakter Gefährdungsdelikte bezüglich bestimmter vorvertraglicher Handlungen, die mit der Rechtsfolge der Unterlassung und – bei Verschulden – der Verpflichtung zum Schadensersatz bewehrt sind335. In dieser funktional-rechtsfolgenorientierten Perspektive rechtfertigen sich zumal strengere Maßstäbe unter § 138 BGB gerade auch wiederum durch den Verweis auf das rechtsfolgenseitige zivilrechtliche Gesamtsystem mit Blick auf die Möglichkeiten der Lösung vom fehlerhaft angebahnten Vertrag. Als mildere Mittel im Falle zurechenbar durch den Vertragspartner gestörter Entscheidungsgrundlage oder gestörten Entscheidungsprozesses stehen insoweit – sofern lediglich einer der Vertragspartner unsachlich beeinflußt wurde – die Anfechtungsmöglichkeiten nach § 119 und insbesondere nach § 123 BGB, wie auch schadensersatzrechtliche Möglichkeiten der Lösung vom Vertrag, zur Verfügung336. Nur soweit besondere Umstände jeweils mwN (insbesondere zu entsprechenden Ansätzen bei § 138 BGB); zustimmend Alexander, S. 99. Für eine derartige methodologisch-funktionale Betrachtungsweise der jeweiligen Sittenwidrigkeitsklauseln steht ja gerade wiederum der (insoweit nur terminologisch nach der hier vertretenen Auffassung nicht vollends glückliche) Ansatz von Sack, vgl. etwa Sack, NJW 1985, 761 ff., sowie auch bereits die Nachweise o. Fn. 331. 333 S. insoweit auch der entsprechende Ansatz in BGH GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; zuletzt BGH GRUR 1998, 945, 946 f. – Co-Verlagsvereinbarung, wo jeweils neben der Betonung des unterschiedlichen Beurteilungsgegenstandes auch ein Hinweis auf die jeweils unterschiedliche Rechtsfolge in § 1 UWG a.F. und § 138 BGB erfolgt. Insbesondere letztgenannte Entscheidung stützt in ihrem Nebeneinander aus der (ausschließlich auf den unterschiedlichen Regelungsbereich abhebenden) Prüfung und Ablehnung des § 134 BGB (für einen Vorfeldvertrag) und der (mehr auf den unterschiedlichen inhaltlichen Maßstab als Resultat des unterschiedlichen Regelungsgegenstands und der unterschiedlichen Rechtsfolge abhebenden) Prüfung und Ablehnung des § 138 BGB für ein und denselben Vorfeldvertrag deutlich den hier vertretenen Ansatz. Vgl. dementsprechend auch die Kritik an der Begründung des BGH bei Staudinger-Sack, § 138, Rz. 70. 334 S. aus der Rechtsprechung BGH GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; zuletzt BGH GRUR 1998, 945, 946 – Co-Verlagsvereinbarung. Aus der Literatur statt vieler Lindacher, AcP 173 (1973), 124, 125; Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 158 f.; Larenz/ Wolf, BGB AT, § 41 Rz. 5; Alexander, S. 99. 335 S. für Rechtsprechungsnachweise o. Fn. 334. Aus der Literatur MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 25. 336 Dabei ist § 123 BGB aber nicht eine im Sinne eines echten Konkurrenzverhältnisses „vorrangige“ Norm – da mit der reinen Orientierung auf das Zustandekommen des Vertrags ein anderer Regelungsgegenstand im Mittelpunkt der Norm steht, als bei der Inhaltskontrollvorschrift des § 138 BGB –, weshalb eine Qualifikation als Sonder- oder Spezialnorm (so die freilich unklare Tendenz in der früheren Rechtsprechung seit RGZ 114, 342; RGZ 115, 378, 383 f.; BGH NJW 1988, 902, 903) zutreffend von der ganz herrschenden Meinung in der Literatur (s. schon Sack, WRP 1974, 445, 448; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 247; Staudinger-Sack, § 138, Rz. 6, 152 f.; MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 5 und MüKo-Kramer, § 123, Rz. 33; unklar Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 154 f.) und mittlerweile auch der neueren Rechtsprechung (zutreffend insbesondere BGH NJW 1991, 1046, 1047; NJW 1997, 254) abgelehnt wird. Der strengere Maßstab in § 138 BGB ergibt sich unter dieser Perspektive nicht etwa
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hinzukommen, die es aus (im Allgemeininteresse liegenden) Gründen der Wahrung der grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sozialordnung generalpräventiv geboten erscheinen lassen, dem Vertrag gänzlich die Anerkennung zu versagen (insbesondere im Falle der ganz kraß gestörten Äquivalenz unter § 138 II BGB oder beim wucherähnlichen Geschäft), kann die Nichtigkeitsfolge gem. § 138 BGB unter dieser Perspektive eintreten 337. Die funktionale Sichtweise dürfte neben der höheren terminologischen Präzision gegenüber der oben umrissenen Auffassung Sacks auch einen gewissen inhaltlichen Unterschied insofern bringen, als der unterschiedliche Wertmaßstab mit Blick auf die Sittenwidrigkeit in ein und demselben Fall selbst dort anerkannt wird, wo sich die Regelungsbereiche von § 138 BGB und § 3 UWG überschneiden338. Dies kann – da die Anknüpfungspunkte der Umstandssittenwidrigkeit eben auch im Umfeld des Vertragsschlusses liegen können und da (umgekehrt) die Wettbewerbswidrigkeit im Vorfeld des Vertragsschlusses sich im letztlich geschlossenen Vertrag in bestimmten Fällen (auf welche Weise auch immer) noch widerspiegeln kann – durchaus auch praktisch relevant werden. Insbesondere wenn sich ein Wettbewerbsverstoß in der Vertragsanbahnung gerade inhaltlich auch im letztlich geschlossenen (Folge-)Vertrag noch widerspiegelt339, wäre nach Sacks Auffassung auf den ersten Blick konsequenterweise in der Regel Nichtigkeit gem. § 138 BGB – gegebenenfalls nach § 138 II BGB, sofern das Resultat der unlauteren Anbahnung gerade in einem kraß gestörten Äquivalenzverhältnis sich wiederfindet und der subjektive Tatbestand erfüllt ist (bei Nichtvorhandensein des subjektiven Tatbestands u.U. noch aufgrund des Vorliegens eines sogenannten wucherähnlichen Geschäfts) – anzunehmen340. Richtigerweise ist jedoch auch in diesem Falle der autonome Maßstab der unmittelbar aus Konkurrenzerwägungen, sondern vielmehr aus einem systematisch-rechtsfolgenbezogenen „erst-recht“-Schluß, letztlich also aus einer systematischen Auslegung des § 138 BGB in seinem Zusammenspiel mit § 123 BGB. Wenn schon für die Loslösung von einem lediglich fehlerhaft angebahnten Vertrag die erhöhten Voraussetzungen des § 123 BGB gelten sollen, so können im Rahmen des § 138 BGB bei Nichtvorhandensein zusätzlicher inhaltsbezogener Umstände nicht bereits unterhalb dieser Schwelle liegende Einflußnahmen für die sogar gravierendere Nichtigkeitsfolge genügen, s. zutreffend für die hM Lorenz, aaO., S. 247. 337 Ebenso wie im Falle des § 134 BGB, sind im übrigen Versuche, die Nichtigkeitsfolge des § 138 BGB (sei es im Rahmen eines rein folgenorientierten Ansatzes mit Blick auf die differenzierende Berücksichtigung der jeweiligen Nichtigkeitsgründe insbesondere bei der Rückabwicklung im Bereicherungsrecht, vgl. Cahn, JZ 1997, 8 ff. oder sei es im Rahmen eines personalistisch schutzzweckorientierten Konzepts, so Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz (s. auch o. 3.Kap. 2.Abschn. Fn. 20)) zu relativieren, wiederum im Lichte der Gesamtsystematik des Zivilrechts mit Blick auf die Möglichkeit der Lösung vom unerwünschten Vertrag (so zu Recht Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 251 ff.,der dies zusätzlich mit einer Art „slippery slope“-Argumentation stützt; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 433 ff., jeweils mwN) sowie auch aus verkehrspraktischen Gründen (s. schon o. 3.Kap. 2.Abschn. Fn. 20; vgl. ähnlich auch Lorenz, aaO., S. 252 ff.) abzulehnen. 338 A.A. nämlich in der Tat schon Sack, BB 1970, 1511, 1514; s. auch Staudinger-Sack, § 138, Rz. 69 (mit umfassenden weiteren Nachweisen für seine Auffassung) und gegen BGH WM 1995, 112, 115. Demgegenüber für die zutreffende hM MüKO-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 25 mwN. 339 So potentiell etwa der Lösungsansatz des AG Frankfurt/M. für den „Schreibmaschinenfall“ (vgl. auch u. Fn. 413 und u. Fn. 417), MDR 1963, 591 f., wo zuerst auf die Einheitlichkeit des (letztlich inhaltsleeren) Vertretervertrags mit dem dadurch angerissenen Kaufvertragsentschluß abgestellt wird. 340 So wohl in der Tat die Tendenz bei Sack, GRUR 2004, 625, 627, wo aus psychischem Kaufzwang (i.S.d. UWG) im Rahmen von Kaffeefahrten bei Vorliegen einer entsprechenden Inäquivalenz des resultierenden Geschäfts auf die Ausnutzung einer erheblichen Willensschwäche i.S.d. § 138 Abs. 2 BGB rückgeschlossen wird. Vgl. dagegen allgemein zutreffend MüKo-
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§ 138 Abs. 1 und 2 BGB im Vergleich zum Wettbewerbsrecht selbst hinsichtlich des umstandsbezogenen Aspekts der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit zu respektieren. Denn mit Blick auf das gesamte Rechtsfolgensystem des Zivilrechts kann auch in derartigen Fällen unter Umständen die Anfechtung341, culpa in contrahendo oder der Rückgriff auf eine typisierende Verbraucherschutzvorschrift 342 zum Schutze der Entscheidungsfreiheit das interessengerechtere Mittel zum Schutz des Vertragspartners in Fällen lediglich geringfügiger Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit sein 343, solange nicht ganz besondere Umstände – die wegen ihres größeren Gemeinwohlbezugs sich nicht zwangsläufig mit der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung decken müssen – es in jedem Falle generalpräventiv (und damit unabhängig von der Interessenlage der beeinflußten Geschäftspartner) erforderlich erscheinen lassen, dem streitgegenständlichen Vertrag gänzlich die Anerkennung zu versagen344. Letztlich beruht der hier scheinbar aufbrechende Widerspruch zwischen Sacks These von der einheitlichen und widerspruchsfreien Festlegung des Inhalts der guten Sitten und dem auch in derartigen Fällen richtigerweise grundsätzlich autonomen Beurteilungsmaßstab in § 138 BGB im Vergleich zum Wettbewerbsrecht hinsichtlich ein und desselben Lebenssachverhalts (nämlich der Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit im Vorfeld des Vertragsschlusses) – für die hier angesprochene Fallgruppe der Folgeverträge – auf der ambivalenten Verwendung des Begriffs „Regelungsbereich“ bei Sack: denn genaugenommen kommt es an dieser Stelle zwar zu einer Überlappung der Regelungsbereiche, nicht aber zu einer Überschneidung der Regelungsgegenstände. Im einen Fall geht es um die Beurteilung des vorvertraglichen Wettbewerbsverhaltens, im anderen Falle immer noch um die inhaltliche Beurteilung des Vertrags345. Da insoweit aber nunmehr das wettbewerbliche Verhalten sich in bestimmten Eigenheiten des konkret geschlossenen Vertrags (kraß gestörtes Äquivalenzverhältnis) fortpflanzt und damit gewissermaßen in den Regelungsbereich des § 138 BGB hineinragt, scheint es nach Sacks Lösung bei unbefangener Betrachtung unabwendbar, soweit es zu einer Überschneidung kommt Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 152 mwN. Vgl. differenzierter auch die von Sack angeführte Entscheidung des LG Trier NJW 1974, 151, 152 – Kaffeefahrten, in der das Landgericht die Sittenwidrigkeit letztlich (wenngleich wohl im konkreten Fall ohnedies mit Blick auf den subjektiven Tatbestand unzutreffend) ausdrücklich nicht etwa auf eine psychische Zwangslage unter § 138 Abs. 1 BGB, und auch nicht auf eine erhebliche Willensschwäche unter § 138 Abs. 2 BGB lediglich wegen der besonderen Verkaufssituation, sondern auf Grundlage des § 138 Abs. 2 BGB ausdrücklich auf die Unerfahrenheit der konkret umworbenen Teilnehmerin der Kaffeefahrt zurückführt. S. dazu auch näher unten III. 341 In Fällen des Wuchers gem. § 138 Abs. 2 BGB bzw. wucherähnlicher Geschäfte gem. § 138 Abs. 1 BGB ist freilich schon angesichts der Interessenlage der Parteien in der Regel ein Wahlrecht des arglistig Getäuschten oder Bedrohten (wie nach § 123 BGB) im Verhältnis zur Nichtigkeitsfolge nach § 138 BGB in aller Regel nicht länger notwendig, da ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Vertrags seitens der bewucherten Partei schlechthin kaum vorstellbar ist, s. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 210; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 251. 342 Vgl. zur Rückwirkung des typisierten Verbraucherschutzes auf die Beurteilungsmaßstäbe in § 138 BGB und im UWG noch unten III 2. 343 Für eine zutreffende Analyse der Interessenlage in derartigen Fällen s. schon frühzeitig Wedemeyer, WRP 1972, 117 ff. 344 Vgl. allgemein zu den insoweit strengeren Anforderungen unter § 138 BGB schon Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, S. 66 ff. Mit Blick auf die Interessenlage der Vertragspartner 345 Besonders deutlich Flume, AT II § 18, 2 (S. 368) für das (insoweit vergleichbare) Verhältnis zu § 826 BGB; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 245 f.; für den hier betrachteten Bereich Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 162. Deutlich auch Staudinger-Sack, § 138, Rz. 170 mwN.
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(nämlich hinsichtlich des Aspekts der Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit) einen einheitlichen Wertmaßstab heranzuziehen. Dieser kollidiert aber, sofern er schlicht aus der wettbewerbsrechtlichen Umgebung importiert wird, prompt mit dem Rechtsfolgensystem des Vertragsrechts im übrigen. Dem ließe sich nun entgegenhalten, wer so argumentiere, erliege lediglich einem terminologischen Mißverständnis (das freilich durch die Formulierung vom „Regelungsbereich“ durchaus begünstigt wird), denn auch in einem derartigen Falle komme es doch genaugenommen gerade nicht zu einer Überschneidung der Regelungsbereiche (besser wohl: Regelungsgegenstände) beider Normen 346. Immerhin ist dem entgegenzuhalten, daß an dieser Stelle doch auch im praktischen Ergebnis gewisse Unklarheiten in Sacks Ansatz verbleiben, wenn er etwa im Falle „psychologischen Kaufzwangs“ auf „Kaffeefahrten“347, selbst noch nach aktuellem Recht § 138 II BGB heranziehen will, solange nur die Voraussetzung eines kraß gestörten Äquivalenzverhältnisses vorliege. Dies ist eine Auffassung, die eben doch eine Einheitlichkeit des Maßstabs mit Blick auf den Überschneidungsbereich der tatbestandlichen Anknüpfungspunkte beider Normen (psychologischer Kaufzwang als Fallgruppe im UWG im Vergleich zur psychischen Zwangslage als Tatbestandsvoraussetzung in § 138 II BGB) insinuiert348. Spätestens jedoch wenn ein Wettbewerbsverstoß unmittelbar Gegenstand des nach § 138 BGB zu beurteilenden Vertrags ist (die oben [im 3. Kap. 2. Abschn. A III und IV] als „Basisverträge“ bezeichnete Fallgruppe), helfen die geschilderten terminologischen Differenzierungen ohnedies nicht mehr über den inhaltlichen Unterschied zwischen der auf die unterschiedliche Funktion der Normen ausgerichteten Begründung der hier um den entscheidenden Aspekt der Rechtsfolgenspezifität ergänzten herrschenden Meinung und dem Ansatz Sacks hinweg: In einem derartigen Falle wäre zumindest unter Geltung des alten UWG nach Sacks Begründung jedenfalls Einheitlichkeit der rechtlichen Beurteilung anzunehmen349. Gerade dieser Forderung folgt die Rechtsprechung und herrschende Meinung jedoch mit durchaus guten Gründen seit jeher nicht 350.
Nach alldem erscheint es – soweit nach der Formulierung des neuen UWG hieran überhaupt noch Zweifel bestehen kann 351 – für die widerspruchsfreie Lösung sämtlicher denkbarer Fälle unerläßlich, den aus funktional-rechtsfolgenspezifischen Gründen jedenfalls im Grundsatz unterschiedlichen Maßstab der Sittenwidrigkeit unter § 138 BGB und der Unlauterkeit nach § 3 UWG auch ausdrück346 So wohl in der Tat Staudinger-Sack, § 138, Rz. 72 gegen die Kritik bei Mayer-Maly, AcP 194 (1994), 105, 138. 347 Vgl. dazu im einzelnen noch unten III 2. 348 So insbesondere zuletzt Sack, GRUR 2004, 625, 627 (vgl. auch o. Fn. 340). Der Unterschied zu der hier vertretenen funktional-rechtsfolgenspezifischen Erklärung der unterschiedlichen Wertmaßstäbe liegt insbesondere auch darin, daß selbst soweit sich in einzelnen Beurteilungsaspekten die wettbewerbsrechtliche und die allgemein zivilrechtliche Wertung überschneiden, doch zunächst einmal zu klären wäre, in welche Richtung ein Import der jeweiligen Maßstäbe zu erfolgen hat, welcher Bereich mithin insoweit die normative Wertung vorgibt. Bei Sack, aaO., scheint tendenziell ein Import der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung in die entsprechenden unbestimmten Rechtsbegriffe insbesondere des § 138 Abs. 2 BGB zu erfolgen. Diese Richtungsentscheidung ist aber aus funktional-rechtsfolgenspezifischer Sicht durchaus nicht zwingend, vgl. noch unten III. 349 So in der Tat Staudinger-Sack, § 138, Rz. 70 a.E. (gegen BGH NJW 1998, 2531, 2533 – CoVerlagsvereinbarung). 350 S. BGH NJW 1998, 2531, 2533 – Co-Verlagsvereinbarung mwN. 351 S. zu der Frage, inwieweit der neue Begriff der „Unlauterkeit“ in § 3 UWG insoweit abschließende Klärung bringt, schon o. Fn. 316.
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lich anzuerkennen; der alleinige Rekurs auf die unterschiedlichen Regelungsbereiche, die einen Widerspruch der jeweiligen Maßstäbe ohnedies stets ausschlössen, zielt demgegenüber nach der hier vertretenen Auffassung am eigentlichen Grund der Abweichung der Maßstäbe vorbei oder ist doch zumindest terminologisch in diesem Zusammenhang nicht eindeutig genug. Dies wirft die Folgefragen auf, wo die derart unterschiedlichen Maßstäbe im Wettbewerbsrecht und in § 138 BGB nunmehr unmittelbar oder mittelbar aufeinandertreffen und wie sie sich im solcherart möglichen Vergleich voneinander unterscheiden. Insbesondere ist zu prüfen, inwieweit trotz der grundsätzlich unterschiedlich ausgerichteten Maßstäbe doch eine Entlehnung einzelner Bewertungsaspekte in das jeweils benachbarte System in Betracht kommt. Nachdem die neue Formulierung des § 3 UWG Anhaltspunkte für eine ganz besondere Parallele dieses Gesetzes zu § 138 BGB nicht länger bietet, ist damit schlicht die Frage nach dem Zusammenhang von Gesetzesverletzung und Sittenverstoß352 für diesen spezifischen Bereich aufgeworfen. Wie im Falle des § 134 BGB bietet es sich insoweit an, nach Folgeverträgen und Basisverträgen unlauteren Wettbewerbs zu unterscheiden353.
II. Mögliche Konflikte mit der wettbewerbsrechtlichen Wertung im Falle von Basisverträgen Der Sondertatbestand des Wuchers gem. § 138 Abs. 2 BGB hat wegen der Voraussetzung einer auffällig gestörten Leistungsäquivalenz in der Fallgruppe der Basisverträge unlauteren Wettbewerbs keine Bedeutung. Jedoch kann § 138 Abs. 1 BGB für Basisverträge unlauteren Wettbewerbs soweit zum Tragen kommen, wie nicht bereits § 134 BGB i.V.m. § 3 UWG als Sonderregelung eingreift 354. Dies ist im wesentlichen denkbar in zwei voneinander zu unterscheidenden Fallkonstellationen: Zum einen könnte sich die Nichtigkeit eines Vertrags, dessen unmittelbarer Gegenstand eine unter gewissen Aspekten bedenkliche, nach den Regeln des Wettbewerbsrechts aber gerade hinzunehmende Wettbewerbshandlung ist, so daß § 134 BGB nicht eingreift, doch noch aus § 138 Abs. 1 BGB ergeben355. Zum anderen kann § 138 Abs. 1 BGB unter dem Aspekt 352 Die Formulierung ist bei Schrickers insoweit grundlegender Münchner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1970 entlehnt. S. für weitere Nachweise aus dieser Studie noch sogleich unten II. 353 Vgl. für diese Begriffe bereits oben 3. Kap. 2. Abschn. A IV im Zusammenhang mit der Darstellung des § 134 BGB. 354 S. dazu oben 3. Kap. 2. Abschn. A. 355 Vgl. insoweit durchaus verallgemeinerbar zum (im einzelnen etwas anders gelagerten) Verhältnis eines strafrechtlichen Verbots in Verbindung mit § 134 BGB zur damaligen Generalklausel unlauteren Wettbewerbs in § 1 UnlWG schon RG v. 7.12.1926, RGZ 115, 320 (es ging um einen Fall verschiedener Vertriebsarten eines Fahrradgeschäfts, die sämtlich durch im einzelnen unterschiedliche Kombinationen von Ratenzahlung und der Möglichkeit, einzelne Raten durch Vermittlung neuer Aufträge und die hieraus zu erlangende Provision abzugelten, ein sittenwidriges Schneeballsystem konstituierten). Die dort angestellten, zutreffenden, da wettbewerbsbe-
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der Umstandssittenwidrigkeit auch dort Bedeutung erlangen, wo der Regelungsbereich des § 134 BGB von vornherein nicht eröffnet ist, weil der Wettbewerbsverstoß nicht unmittelbar Gegenstand des Basisvertrags ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Basisvertrag für sich genommen noch insofern „neutral“ bleibt, als er zumindest denkbarerweise auch auf wettbewerbskonforme Art erfüllt werden könnte356. In dieser zweiten Konstellation (man könnte zur Abgrenzung von den Basisverträgen, deren Gegenstand unmittelbar der Wettbewerbsverstoß ist, in diesem Falle von Vorfeldverträgen sprechen) kommt § 138 Abs. 1 BGB also insbesondere dann in Betracht, wenn für sich genommen neutralen Vorbereitungshandlungen doch im Lichte der Gesamtbetrachtung der Zwecke und Motive der Parteien der geplante Wettbewerbsverstoß bereits innewohnt 357. Ein theoretisch denkbares Beispiel wären die Anstellungsverträge oder Dienstleistungsverträge, die zur Durchführung einer unlauteren Werbekampagne geschlossen werden358. Grundsätzlich ist dabei der Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB autonom. D.h., ein logisches Abhängigkeitsverhältnis zu § 3 UWG besteht nicht einmal da, wo sich die Regelungsbereiche unmittelbar decken. Weder folgt insoweit aus einem Wettbewerbsverstoß stets der Sittenverstoß i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB noch folgt aus dem Sittenverstoß stets der Wettbewerbsverstoß359. Erst recht gilt dies, wenn es nicht einmal zu einer unmittelbaren Überschneidung der jeweiligen Wertung kommt, etwa zogenen Überlegungen zum Verhältnis von Gesetzesverletzung und Wettbewerbsverstoß (die zwischenzeitlich in der Rechtsprechung von letztlich sachfremden Überlegungen zur Wertbezogenheit der betroffenen Gesetzesnorm überlagert wurden) würde man nach heutiger Dogmatik unter dem Stichwort der Wettbewerbsbezogenheit der gesetzlichen Vorschrift behandeln (vgl. § 4 Nr. 11 UWG). Verallgemeinerbar bleibt jedoch der Ausgangspunkt der Argumentation, demzufolge, soweit § 134 BGB i.V.m. einem Verbotsgesetz nicht eingreift, dennoch aber weiterhin eine Anwendung der Sittenwidrigkeitsklauseln sowohl des damaligen UWG als auch des BGB in Betracht kommt. § 134 BGB ist demzufolge zwar Sondernorm, aber nicht abschließend. Vgl. allgemein zu § 138 BGB (insbesondere notorisch im weiteren Zusammenhang mit der Tätigkeit von Prostituierten und zum Teil insoweit überholte moralische Anschauungen reflektierend) BGH NJW 1970, 1179 f. und dem folgend BGHZ 63, 365, 366 = NJW 1975, 638; BGHZ 67, 119, 123 = NJW 1976, 1883, 1884; BGH NJW 1981, 1439; vgl. auch BGH WM 1961, 530 (betreffend ein Darlehen zu Spielzwecken). S. aus der Literatur statt vieler frühzeitig und eingehend Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, S. 62 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen insbesondere aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts und unter besonderem Hinweis auf Soergel/Siebert-Hefermehl, 10. Aufl. 1967, § 138, Rz. 7, 15, 37, 82–89; ihm folgend unmittelbar mit Blick auf den hier betrachteten Bereich Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 153 ff. 356 Deutlich BGH GRUR 1998, 945, 947. 357 Genaugenommen geht es an dieser Stelle weniger (im Sinne der stehenden Formel der Rechtsprechung) um eine Gesamtbetrachtung der Umstände des Rechtsgeschäfts und im Kern häufig eher um die interpretative Konkretisierung des Inhalts des zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts, vgl. in anderem Zusammenhang zutreffend Leenen, MDR 1980, 353 ff. S. eingehend zu dieser Fallkonstellation der Vorbereitungsgeschäfte schon Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, S. 65. 358 Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 148 f., würde derartige Verträge teils (mit Blick auf die neuere Rechtsprechung) zu weitgehend noch sämtlich dem Anwendungsbereich des § 134 BGB zuordnen. 359 Deutlich Alexander, S. 99 f. mwN.
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weil ein bestimmtes Vorfeldgeschäft, unter § 138 Abs. 1 BGB zu beurteilen ist, das für sich genommen noch nicht unmittelbar den Wettbewerbsverstoß beinhaltet. Dennoch wird man eine vollkommene Unabhängigkeit der jeweiligen Wertung voneinander nicht unterstellen dürfen. Als „Faustregel“ wird man (für die zweite Konstellation der entfernteren Vorfeldverträge unlauteren Wettbewerbs) festhalten können, daß der Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB strenger ist, als derjenige des Wettbewerbsrechts. Greift ein wettbewerbsrechtliches Verbot für die letztlich resultierende Wettbewerbshandlung, so sind entferntere Vorfeldverträge nicht stets allein aus diesem Grund sittenwidrig i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB. Vielmehr müssen schon objektiv zum bloßen Wettbewerbsverstoß noch zusätzliche Umstände hinzutreten, die den insoweit zugrundeliegenden Vertrag als seinem Inhalt nach mit grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung unvereinbar erscheinen lassen360. In der Regel werden derartige zusätzliche Umstände um so eher anzunehmen sein, je mehr eine bestimmte Wettbewerbshandlung sich als bewußter Verstoß auch gegen Gemeinwohlinteressen darstellt oder je mehr der zugrundeliegende Vertrag noch andere, autonome Sittenwidrigkeitselemente aufweist. Rein innerwettbewerbliche Interessenpositionen dürften demgegenüber im Rahmen der anzustellenden Gesamtbetrachtung eher in den Hintergrund treten. Demnach kommt eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf den Vorfeldvertrag einerseits um so eher in Betracht, je mehr bei Verletzung eines bestimmten wettbewerbsrechtlichen Verbots typischerweise auch sonstige Allgemeinwohlinteressen betroffen sind, selbst wenn das Wettbewerbsrecht diese nicht berücksichtigt. Ein Beispiel dürfte in diesem Zusammenhang etwa § 4 Nr. 1 Alt. 2 UWG (unsachliche Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher in menschenverachtender Weise) bilden. Das wettbewerbsrechtliche Verbot hebt in diesem Falle entscheidend auf die unsachliche Beeinflussung der Marktteilnehmer ab. Diese allein würde die Sittenwidrigkeit entsprechender Vorfeldverträge (etwa die Produktion einer entsprechenden Werbekampagne betreffend) aber als letztlich auf die Interessen der Marktteilnehmer begrenzter Gesichtspunkt fast nie zu tragen vermögen361. Erfolgt die Beeinflussung der Marktteilnehmer aber gerade in menschen360
So besonders deutlich BGH WM 1995, 112, 115. An dieser Stelle ist sorgsam zu unterscheiden. Denn zwar wird auch im Anwendungsfeld des § 138 BGB der Aspekt der Abwehr von Freiheitsbeschränkungen oder der Ausnutzung von Störungen der Entscheidungsfreiheit beim Vertragspartner immer bedeutsamer, doch geht es in derartigen Fällen dem Regelungsgegenstand nach ja stets um eine inhaltsbezogene Regelung in dem Sinne, daß die individuelle Freiheitsbeschränkung gerade unmittelbar durch den Vertrag (wenngleich im Einzelfall eventuell unter Hinzutreten zusätzlicher Aspekte) erfolgt oder die Ausnutzung der gestörten Entscheidungsfreiheit sich unmittelbar im individuellen Vertrag (gegebenenfalls unter Heranziehung der Begleitumstände) widerspiegelt. So liegt die Situation unter Umständen bei den Folgeverträgen (vgl. noch sogleich unten III). Bei den hier betrachteten Vorfeldverträgen geht es demgegenüber um die Abwehr noch ganz abstrakter, nicht sich in einzelnen Verträgen konkretisierender Gefährdungen vertraglicher Entscheidungsfreiheit. Daß die Herbeiführung derartiger Gefährdungslagen stets und in jedem Falle generalpräventiv es notwendig machen würde, hierauf gerichteten Vorfeldgeschäften die rechtliche Anerkennung zu versagen, ist in keiner Weise ersichtlich, zumal ein prinzipielles Gebot, im Marketing nicht eine 361
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verachtender Weise, so sind typischerweise auch nicht wettbewerbsbezogene Gemeinwohlinteressen zusätzlich betroffen. Eine Berücksichtigung dieser Gemeinwohlinteressen kann dann in einschlägigen Fällen zur Nichtigkeit des Vorfeldvertrags führen. Wenn etwa der Vertrag über die Herstellung eines Werbefilms (oder aber auch schon die Anstellung von Mitarbeitern für eine Aktions- oder „Guerilla“-Werbekampagne362, die gerade durch Bloßstellung oder Herabsetzung ahnungsloser Passanten Aufmerksamkeit erwecken soll, unter Umständen auch noch die Anstellungsverträge in einem Werbefilm pornographisch zur Schau gestellter oder an der Darstellung menschenverachtender Posen beteiligter Schauspieler363, nicht dagegen wohl in aller Regel Verträge über die bloße Miete der Studioräume364 oder über die Einräumung von Werbezeiten, selbst wenn der problematische Charakter eines Spots bekannt ist365) als Ergebnis einer Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Zwecke und Motive der Vertragsparteien ihrem InGefährdung der Entscheidungsfreiheit (eines Teils) der Marktgegenseite zu „riskieren“, keinesfalls zu den grundlegenden Wertmaßstäben der Rechts- und Sittenordnung zählt. 362 S. zum neuen Trend der Guerilla-Werbung etwa die Stellungnahme von Sevriens, Guerilla-Werbung: BankSpam und GeldSpam, abrufbar unter http://www.123recht.net/article. asp?a=7688 (besucht am 11.2.2006), der Guerilla-Werbung definiert als Werbemaßnahmen, die vorsätzlich oder fahrlässig die öffentliche Sicherheit oder Ordnung beeinträchtigen, um den Kunden gezielt auf Waren oder Dienstleistungen aufmerksam zu machen. 363 Vgl. insoweit allgemein BAG BB 1973, 291 (betreffend den Angestelltenvertrag einer Stripteasetänzerin), wo das BAG die Frage der Sittenwidrigkeit offenläßt, um sodann jedoch zu Recht ohnedies einen Lohnanspruch für die Vergangenheit nach den Grundsätzen über ein faktisches Arbeitsverhältnis zu bejahen. S. zustimmend MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 58. Ähnlich wie bei den sittenwidrigen Raumnutzungsverträgen dürfte hier aus heutiger Sicht wesentlich auch auf die sonstigen Elemente des Vertrags, insbesondere die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung abzustellen sein. 364 Vgl. allgemein für das weite Feld der sittenwidrigen Raumüberlassungsverträge, welches insbesondere (unter Geltung einer von den heutigen Anschauungen noch deutlich abweichenden allgemeinen Sexualmoral) für Raumnutzungsverträge zur Errichtung von Bordellbetrieben virulent wurde, statt aller MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 61 mit umfassenden weiteren Nachweisen (auch zum seither gewandelten Ansatz der Rechtsprechung, der zu Recht mehr auf außerhalb der bloßen Sexualmoral liegende Sittenwidrigkeitselemente – insbesondere eine Ausbeutung der Prostituierten oder allgemein gestörte Leistungsäquivalenz der zugrundeliegenden Mietverträge – abhebt). Die Entwicklung der Rechtsprechung in diesem Bereich belegt bereits, daß insoweit immer mehr das Selbstbestimmungsrecht in den Mittelpunkt tritt, zumal eine zu weitgehende Ausdehnung der Nichtigkeitsfolge in das Vorfeld sittenwidriger Aktivitäten letztlich selten zu interessengerechten Ergebnissen führt, da die Zahlungsansprüche sachfernerer Anbieter (in diesem Falle die Vermieter) durch die potentielle Nichtigkeitsfolge letztlich zugunsten des eigentlich sittenwidrig Handelnden entfallen. Darin liegt ja zugleich der entscheidende Unterschied der hier betrachteten Fallgruppe zu den sittenwidrigen Raumüberlassungsverträgen im Bereich der Prostitution, wo der eigentliche Sittenwidrigkeitsvorwurf häufig den ausbeutenden „Vermieter“ treffen dürfte. Insgesamt dürfte daher für den hier betrachteten Bereich der Fall sittenwidriger Raumnutzungsverträge praktisch nie eintreten. Allenfalls in Randbereichen pornographischer Werbung scheint eine Heranziehung von § 138 Abs. 1 BGB denkbar, soweit zudem noch zusätzliche Sittenwidrigkeitselemente (etwa ein besonders überhöhter Preis wegen der anrüchigen Nutzung) hinzukommen. 365 S. entfernt vergleichbar BGH NJW 1981, 1439 f. – PAM-Kino, betreffend die Nichtigkeit eines Verleihvertrags über pornographische Spielfilme, die im Ergebnis zu Recht abgelehnt wird. In dieser Fallgruppe kommt eine Nichtigkeit des Vertrags über die Zurverfügungstellung von
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halt nach bereits festlegen, daß die Werbung beispielsweise einen nach Abstammung, Rasse, Geschlecht oder Staatsangehörigkeit erniedrigenden Gehalt oder einen pornographischen Inhalt haben wird, der den durch die Menschenwürdegarantie gesicherten humanen Achtungsanspruch der Betroffenen berührt, kann ein entsprechender Vorfeldvertrag nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein. Andererseits kommt eine Nichtigkeit auch dann in Betracht, wenn ein Vorfeldvertrag wegen seines Inhalts schon für sich genommen (aufgrund bestimmter autonomer Sittenwidrigkeitselemente) bedenklich ist (etwa im Falle einer drastisch erfolgsabhängigen, unsittlichen Absatzdruck und Knebelwirkung erzeugenden Vergütungs- und Kündigungsregelung) und sich zudem auf eine unlautere Werbemethode richtet. Hierfür können etwa die Anstellungsverträge von Werbekolonnen für den Direktvertrieb (sogenannte „Drückerkolonnen“) ein Beispiel bilden, die demnach, insbesondere sofern sie ein stark ausbeuterisches Element beinhalten (was durchaus häufig der Fall sein dürfte), nach § 138 Abs. 1 BGB als nichtig zu qualifizieren sein können366. Voraussetzung hierfür ist dann jeweils lediglich noch das Vorliegen des subjektiven Tatbestands des § 138 Abs. 1 BGB, der in derartigen Fällen jedoch nach umstrittener Auffassung der Rechtsprechung367 bei beiden Vertragsparteien jedenfalls dann unwiderleglich vermutet werden dürfte 368, wenn hinreichende objektive Anhaltspunkte für die Sittenwidrigkeit des Vertrags im Rahmen der Gesamtbetrachtung bestehen369. Die BGH-Rechtsprechung zum Verhältnis von Gesetzesverletzung und Sittenverstoß in denjenigen (hier der ersten Fallkonstellation zugeordneten) Fällen, in denen ein gesetzliches Verbot zwar tatbestandlich unmittelbar naheliegt, im Ergebnis jedoch nicht eingreift, berücksichtigt bei der autonomen Interpretation des § 138 Abs. 1 BGB durchaus die gesetzgeberischen Wertungen, die einer ganz bestimmten Ausgestaltung des Verbotsgesetzes innewohnen. Liegt der spezifischen Ausgestaltung insoweit zum Beispiel gerade die Überzeugung des Gesetzgebers zugrunde, daß bestimmte sittlich-soziale Urteile sich gewandelt haben (ist also die Ausgestaltung des Verbotsgesetzes gerade auf der Grundlage der in der RechtsgeWerbeverträgen schon deshalb nicht in Betracht, weil davon letztlich allein der hauptsächlich sittenwidrig handelnde Unternehmer profitieren würde. 366 Vgl. zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Einsatzes von Werbekolonnen Köhler, WRP 1997, 373, 375; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 129. 367 Ständige Rechtsprechung, s. RGZ 97, 253, 255; BGH NJW 1953, 297, 299; BGH NJW-RR 1998, 591. Demgegenüber werden in der Lehre (s. MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 130; Staudinger-Sack, § 138, Rz. 63, jeweils mwN) ganz überwiegend grundsätzliche Zweifel an allgemeinen subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit angemeldet. Angebracht seien jene nur als Element der Gesamtwürdigung in solchen Fällen, in denen erst und nur die sittenwidrige Zielsetzung ein an sich zulässiges Rechtsgeschäft als sittenwidrig erscheinen läßt. 368 S. BGH NJW 1992, 899, 900. Kritisch, die hL (o. Fn. 367). 369 In einem derartigen Falle dürfte wiederum die Ansicht der herrschenden Lehre (s. o. Fn. 367) die Sittenwidrigkeit aus einer rein objektiven Betrachtung herleiten, ohne insoweit – wie die Rechtsprechung – hinsichtlich des subjektiven Tatbestands auf Fiktionen angewiesen zu sein. Letztlich dürfte sich für den hier betrachteten Bereich aus dem Meinungsstreit kein praktischer Unterschied ergeben.
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meinschaft anerkannten guten Sitten erfolgt), wird diese Wertung in der Regel bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB, der in einem solchen Falle zurückträte, akzeptiert370. Gleichermaßen gilt, daß eine gesetzgeberische Wertung, die einen Verbotstatbestand gerade deshalb in bestimmten Einzelbereichen beschneidet, weil andernfalls eine sittlich unerwünschte Aktivität durch das Abdrängen in die Illegalität erst recht jeglicher Ordnung und Überwachbarkeit verlustig ginge, im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB ceteris paribus respektiert wird371. Nach alldem dürfte das Verhältnis von § 134 BGB i.V.m. den jeweiligen Verbotsgesetzen zu § 138 Abs. 1 BGB im Ergebnis ein Verhältnis der Subsidiarität sein. Soweit wie die gesetzgeberische Wertung des Verbotsgesetzes reicht, ist sie wiederum zu respektieren. Sie ist jedoch nicht zwingend abschließend; der Erfüllung des Tatbestands des § 138 Abs. 1 BGB aufgrund anderer Aspekte steht sie nicht entgegen. Gestattet demnach das Wettbewerbsrecht ein bestimmtes Verhalten im Wettbewerb gerade, so ist dies für die Qualifizierung von Verträgen, die sich auf dieses Verhalten beziehen, unter § 138 Abs. 1 BGB nicht bedeutungslos. Vielmehr ist dadurch eine Begründung der Sittenwidrigkeit unter § 138 Abs. 1 BGB gerade unter Heranziehung wettbewerbsspezifischer Aspekte mithin mit Blick auf sämtliche Interessen der Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb gerade nicht mehr möglich. Jedoch kommen in einem derartigen Falle wiederum sonstige Allgemeininteressen in Betracht. Insgesamt dürfte eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB deshalb um so eher möglich sein, je weniger ein bestimmtes (in der hier betrachteten Fallkonstellation dann letztlich nicht einschlägiges) wettbewerbsrechtliches Verbot mit seinem ausschließlichen Bezug auf die Interessen der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb die typischerweise hiervon betroffenen Sachverhalte normativ ausschöpft. Um das oben gewählte Beispiel nochmals aufzugreifen: Wird die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer etwa durch eine bestimmte Form menschenverachtender Werbung gar nicht unsachlich beeinträchtigt (häufig dürfte ja in derartigen Fällen eine gar zu geschmacklose Werbung sogar abschreckend wirken, so daß der Markt das Problem, soweit es marktbezogen ist, gewissermaßen selbst reguliert372), so greift § 4 Nr. 1 UWG nach zutreffender herrschender Meinung nicht ein 373. Dennoch mag der (Dienstleistungs370
S. deutlich BGH NJW 1976, 1883, 1884. S. BGH NJW 1970, 1179 f. 372 S. ebenso Ohly, GRUR 2004, 889, 894 im Zusammenhang mit dem UWG am Beispiel der zum alten UWG ergangenen interdiktorischen BGH-Entscheidungen zu den Likören mit der Bezeichnung „Busengrapscher“ und „Schlüpferstürmer“, vgl. BGH GRUR 1995, 592 – Busengrapscher, die sich nach richtiger Auffassung unter Geltung des neuen UWG gerade nicht mehr aufrechterhalten ließen. 373 So zu Recht die herrschende Meinung, Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.144 ff.; Harte/Henning-Stuckel, § 4, Rz. 111a; Lettl, Rz. 172 f.; Ohly, GRUR 2004, 889, 894 f.; Fezer-Scherer, § 4, Rz. 123 ff. Ohly, aaO., hat darauf hingewiesen, daß dem Gesetzgeber die entsprechende Beschränkung des § 4 Nr. 1 UWG auf Fälle unsachlicher Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit offenbar gar nicht bewußt war, er vielmehr sämtliche Fälle menschenverachtender Werbung regeln wollte (s. Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 371
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oder Werk-)Vertrag über die Erstellung einer derartigen Werbung im Einzelfall – soweit er nicht ohnedies nach § 134 BGB i.V.m. einem spezifischen Verbotsgesetz (in Betracht kämen in derartigen Fällen unter anderem §§ 130, 131, 166, 184 oder auch 185 ff. StGB374) nichtig ist – doch unter die Sittenwidrigkeitsklausel des § 138 Abs. 1 BGB fallen, sofern die übrigen Voraussetzungen – insbesondere der subjektive Tatbestand bei beiden Vertragsparteien – vorliegen. Man mag dieses Ergebnis auf den ersten Blick als in sich paradox ansehen. Doch folgt es notwendig aus der Anerkenntnis des autonomen Sittenwidrigkeitsmaßstabs in § 138 BGB im Vergleich zum wettbewerbsspezifischen Lauterkeitsbegriff des Wettbewerbsrechts, der ja gerade auch nur deshalb systemkonform auf die wettbewerbsbezogenen Aspekte wettbewerblicher Handlungen begrenzt werden konnte, weil das Rechtssystem im übrigen einen hinreichenden Schutz sonstiger Werte, der insbesondere den grundrechtlichen Schutzgeboten gerecht werden muß, garantiert375. Um widersprüchliche Ergebnisse zu vermeiden, ist allerdings sehr sorgsam darauf zu achten, wie weit die spezifisch wettbewerbsrechtliche Wertung reicht. Etwa im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung des § 138 Abs. 1 BGB den menschenverachtenden (und im Falle einer Betroffenheit der Menschenwürde dann sogar unvermeidbar grundrechtswidrigen) Charakter einer bestimmten vertragsgegenständlichen werblichen Kommunikation daraus abzuleiten, daß eine – für sich unbedenkliche – Aussage gerade im Wettbewerb (und aus kommerziellen Interessen) getroffen wird, ist in der Regel unzulässig376. Denn für diesen Fall hat die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts und nunmehr in der Folge auch der UWG-Gesetzgeber verdeutlicht, daß eine für sich genommen noch nicht menschenverachtende Aussage grundsätzlich nicht allein deshalb den Schutzbereich der Menschenwürdegarantie tangiert, weil sie im Wettbewerb und aus kommerziellen Beweggründen getroffen wird. Diese gesetzgeberische Wertung ist auch im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB zu akzeptieren. Damit dürften die Fälle, in denen Basisverträge „lauteren“ Wettbewerbs gem. § 138 Abs. 1 BGB als nichtig zu 15/2795, S. 43 f.). Daraus ließe sich theoretisch im Wege historischer Auslegung ein Argument ableiten, § 4 Nr. 1 UWG entsprechend erweiternd auszulegen. Sowohl der klar entgegenstehende Wortlaut der Bestimmung als auch der systematische Zusammenhang mit anderen Formen der Beeinflussung der Willensfreiheit in derselben Fallgruppe unlauteren Wettbewerbs (Ausübung von Druck) und schließlich – ganz entscheidend – die Zwecksetzung der Norm, wie sie sich nunmehr gerade aus der Schutzzweckklausel des § 1 UWG ergibt (a.A. nur Fezer-Fezer, § 1, Rz. 46 ff.), welcher ganz generell die Interessen der Allgemeinheit im UWG gerade auf die Sicherstellung unverfälschten Wettbewerbs beschränkt, sprechen jedoch gegen eine solche Auslegung; denn die Sicherstellung unverfälschten Wettbewerbs im Interesse der Allgemeinheit muß als solche durch eine menschenverachtende Werbung eben nicht stets und notwendig betroffen sein. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben, s. o. 1.Kap. 3.Abschn. Fn. 230 und 231. 374 Vgl. auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.147, der zudem noch die beiden medienspezifischen Bestimmungen des § 11 MDStV und § 4 JDMStV anführt; ebenso Lettl, Rz. 172. 375 S. schon o. 1.Kap. 3.Abschn. Fn. 231 mwN. 376 S. dazu schon o. 1.Kap. 3.Abschn. Fn. 234.
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qualifizieren sind, im Ergebnis sehr selten sein, zumal im Falle für sich genommen menschenverachtender Aussagen typischerweise bereits spezialgesetzliche Verbote greifen dürften. Bleiben diese aber im seltenen Einzelfall (insbesondere einzelne, vollkommen verirrte Fälle besonders kraß pornographischer Werbung377 im gerade noch legalen Bereich oder aber auch – wenngleich wohl noch seltener – der Grenzbereich zu bloßen extremen Geschmacklosigkeiten erscheinen hier als potentielle Anwendungsfelder) hinter den Moralvorstellungen der Allgemeinheit signifikant zurück, so kommt eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB in Betracht378, zumal sie bei näherer Betrachtung auch nicht zu interessenwidrigen Ergebnissen führt 379. Im System des hier vorgeschlagenen Vier-Ebenen-Modells läßt sich zusammenfassend festhalten, daß § 138 Abs. 1 BGB, obwohl insoweit für die Sittenwidrigkeit grundsätzlich strengere, im Vergleich zum schlichten Gesetzesverstoß qualifizierte Anforderungen gelten, doch zugleich spezifisch im Verhältnis zum UWG für die Rezeption bestimmter nicht wettbewerbsbezogener Externalitäten der Vertragsanbahnung sogar offener ist, als das Wettbewerbsrecht. Dies kann im seltenen Einzelfall dazu führen, daß „Basisverträge“ lauteren Wettbewerbs i.S.d. UWG doch nach § 138 Abs. 1 BGB als sittenwidrig zu qualifizieren sind. III. Folgeverträge unlauteren Wettbewerbs
1. Die im Ausgangspunkt unterschiedlichen Maßstäbe a. Wucher (§ 138 Abs. 2 BGB) Naturgemäß ist § 138 Abs. 2 BGB angesichts der Voraussetzung eines auffälligen Leistungsungleichgewichts für den hier betrachteten Überschneidungsbereich von vergleichsweise ganz geringer unmittelbarer Bedeutung geblieben 380. Dabei 377 In derartigen Fällen käme zusätzlich noch der (allerdings in seiner praktischen Bedeutung zuletzt immer mehr zurücktretende) Aspekt der Aufrechterhaltung der anerkannten Grundsätze der Sexualmoral hinzu, vgl. allgemein für Beurteilungsaspekte in diesem Bereich statt aller MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 55 ff. und insbesondere Rz. 58 mwN. 378 S. allgemein die Nachweise aus der Rechtsprechung o. Fn. 355. 379 Dies gilt insbesondere im Verhältnis von Auftraggeber und Werbeagentur betreffend einen nach vorstehenden Grundsätzen nichtigen Vertrag über die Erstellung einer menschenverachtenden oder sonst nicht mit den guten Sitten i.S.d. § 138 BGB zu vereinbarenden Kampagne. In einer derartigen Konstellation dürfte die Initiativrolle, die größere Sachnähe und die nähere Ausgestaltung in aller Regel bei der Werbeagentur liegen, die etwa derartige Werbeformen dem Auftraggeber als besonders provokant und effektiv präsentiert und ihn gewissermaßen „überzeugt. Um derartigen Entwicklungen generalpräventiv vorzubeugen, ist die Nichtigkeitsfolge nach § 138 Abs. 1 BGB, die im Zusammenspiel mit § 817 S. 2 BGB – soweit (wie es typischerweise der Fall sein dürfte) teilweise vorgeleistet wurde – letztlich zu einer Rechtlosstellung der Werbeagentur bezüglich des Honorars führt, gerade auch aus rechtsfolgenspezifischer Sicht mit Blick auf den Telos und die Funktion des § 138 BGB angemessen sein. 380 So zutreffend schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 162 ff.; vgl. allgemein für Störungen der Entscheidungsfreiheit statt vieler auch Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 258 f.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 209. S. aber auch die Nachweise unten III 2 für
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finden sich in § 138 Abs. 2 BGB mit den neben der schweren Inäquivalenz notwendigen381 Kriterien für eine subjektiv gestörte Entscheidungsfindung durchaus normative Ansatzpunkte für eine individuelle zivilrechtliche Beurteilung von Störungen der Entscheidungsfreiheit, selbst wenn diese im Gesamtkontext der Inhaltskontrollvorschrift des § 138 BGB steht. Insoweit kommt eine wechselseitige Befruchtung der Rechtsgebiete auf Grundlage eines Fallrechtsvergleichs durchaus in Betracht. Dabei läßt sich die „Zwangslage“ i.S.d. § 138 Abs. 2 BGB dem Begriff der „Zwangslage“ in § 4 Nr. 2 UWG kontrastieren. In § 138 Abs. 2 BGB geht es an dieser Stelle schwerpunktmäßig nicht um eine nur subjektiv empfundene Zwangslage im Sinne einer Störung des Entscheidungsprozesses, sondern um eine zumindest objektiv begründete382 Bedrängnissituation, in der der Abschluß des „Wuchergeschäfts“ als das kleinere Übel erscheint 383. Genaugenommen ist in einer Versuche der Rechtsprechung, situationsspezifische Gefahren für die Entscheidungsfreiheit – soweit (gegebenenfalls unter Überdehnung der Inäquivalenzvoraussetzung) irgend möglich – auch unter § 138 Abs. 2 BGB „aufzufangen“. 381 S. demgegenüber für Versuche, die eigenständige Bedingung eines auffälligen Leistungsmißverhältnisses in § 138 Abs. 2 BGB im Sinne einer gesamthaften Betrachtung, die die Bedeutung der einzelnen Kriterien des § 138 Abs. 2 BGB auf ein System beweglicher Beurteilungsfaktoren reduzieren würde (in dem ein „Mehr“ eines Faktors im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ein „Weniger“ des anderen Faktors ausgleichen könnte, wenn das dem Normzweck entspricht), grundsätzlich auszuhöhlen, etwa OLG Stuttgart, NJW 1979, 2409, 2412 auf der dogmatischen Grundlage des sogenannten „Sandhaufentheorems“. S. zum „Sandhaufentheorem“ grundlegend Bender, in: GS Rödig, S. 34, insbes. S. 38 ff., demzufolge nicht nur innerhalb von § 138 Abs. 2 BGB eine derartige Gesamtbetrachtung stattfinden könnte, sondern der sogar insgesamt den Einzelvorschriften des BGB zum Schutz vor dem fehlerhaften Vertrag ein allgemeines Prinzip des Schutzes vor „unfreien“ Vertragsentscheidungen dahingehend entnimmt, daß allein die Teilerfüllung einzelner auf den Schutz der freien Vertragsentscheidung orientierter Normen in ihrer additiven Betrachtung eine Lösungsmöglichkeit vom Vertrag ermöglichen soll, wobei die jeweilige Rechtsfolge dann nach dem überwiegenden Charakter der Freiheitsbeschränkung und der insoweit einschlägigen (wenn auch nur teilerfüllten) Norm zu bestimmen wäre; zustimmend aus grundlagenorientierter Sicht Treuer, in: Bender (Hrsg.), Rechtstatsachen, S. 65, 75. Etwas zurückhaltender für § 138 Abs. 2 BGB auch Staudinger-Sack, § 138, Rz. 59, 217, demzufolge zumindest eine Summenwirkung der Einzelkriterien dahingehend anzunehmen wäre, daß ein vollkommener Verzicht auf eines der Merkmale ausscheidet, aber doch bei Vorhandensein einer unterhalb der Wucherstufe liegenden Inäquivalenz der an sich fehlende Schweregrad hinsichtlich dieser (geringen) Inäquivalenz durch eine „Übererfüllung“ eines anderen Tatbestandsmerkmals ausgeglichen werden könnte. S. aber gegen derartige Versuche, auf das Merkmal der schweren Inäquivalenz mehr oder minder zu verzichten, die zutreffende hM aus der Rechtsprechung BGHZ 80, 153, 159; BGH NJW 1979, 758; aus der Literatur (nur für den hier betrachteten Bereich) zuletzt insbesondere Alexander, S. 149 ff.; Weiler, S. 209, jeweils mwN. 382 Die Bedrängnissituation muß jedenfalls objektiv begründet sein (so zu Recht für die hM MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 149 mwN, gegen Staudinger-Sack, § 138, Rz. 204; vgl. auch Sack, GRUR 2004, 625, 627), sei auch die Bedrängnis teils psychologisch vermittelt (im Sinne von übersteigert empfunden), wie im Falle einer plötzlichen und dringlichen Kalamität, vgl. schon LG Nürnberg, BB 1973, 777, 778 (Wasserrohrbruch). 383 Dabei muß nach der seit 1976 reformierten Fassung des § 138 BGB (s. Erstes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität [1. WiKG] v. 29. Juli 1976 [BGBl. 1976 I Nr. 1, S. 2034]; für die Regierungsbegründung, BT-Drs. 7/2441, S. 45) die Entscheidungsmöglichkeit des Bewucherten nicht durch existenzbedrohende wirtschaftliche Notlagen gewissermaßen „auf Null“
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Zwangslage i.S.d. § 138 Abs. 2 BGB also im hier vorgeschlagenen Vier-EbenenModell meist weniger die Ebene des Entscheidungsprozesses betroffen 384, als vielmehr eher die Entscheidungsgrundlage verzerrt. Zwar drohen ohne Abschluß des Geschäfts schwere Nachteile, doch bleibt auf dieser verzerrten Grundlage dem Vertragspartner im Regelfall die Möglichkeit, seine auf dieser gestörten faktischen Grundlage beruhende Präferenz (Abschluß des Geschäfts oder Inkaufnahme der Nachteile) grundsätzlich ungestört zu bilden und rechtsgeschäftlich zu äußern 385. Im Wettbewerbsrecht unter § 4 Nr. 2 UWG dürften derartige Situationen ungestörter Präferenzbildung aufgrund gestörter Entscheidungsgrundlage – wie sie zumal für § 138 Abs. 2 BGB typisch sind – eher selten sein386. Es tritt mehr der psychologisch vermittelte Aspekt der Störung des Entscheidungsprozesses in moreduziert sein (wie es für die alte Fassung des § 138 BGB zumal von der tendenziell strengen früheren Rechtsprechung, s. RG JW 1911, 576; BGH NJW 1957, 1274, 1275 vertreten wurde). Vielmehr genügt jedenfalls nunmehr (so zuvor schon die ganz überwiegende Literaturmeinung auch zum alten § 138, s. statt vieler Enneccerus/Nipperdey, AT II, S. 1176) auch eine ernsthafte Bedrängnis (nunmehr nicht nur wirtschaftlicher sondern jedweder objektiv begründeter Art), selbst wenn diese dem Betroffenen gegebenenfalls auch noch ernsthafte Wahlmöglichkeiten im Sinne eines freien Entscheidungsprozesses auf einer schwer verzerrten Entscheidungsgrundlage läßt, weil die Hinnahme der schweren Nachteile zwar möglich ist, sich der Abschluß des Wuchergeschäfts jedoch bei Abwägung als das „kleinere Übel“ darstellt (s. BGH NJW 1994, 1275, 1276 [dort auch zur weiterhin zumindest vorauszusetzenden besonderen „Schwere“ der drohenden wirtschaftlichen Nachteile für bestehende Vermögenswerte des Betroffenen]; Larenz/Wolf, AT, § 41, Rz. 66). S. eingehend und zutreffend zum ganzen zuletzt Weiler, S. 202 ff. mwN. 384 Mit der seltenen Ausnahme der Fälle, in denen auch unter § 138 Abs. 2 BGB eine (aber doch zumindest objektiv vorhandene) momentane Kalamität aus Gründen besonderer Dringlichkeit psychisch aus Sicht des Betroffenen gewissermaßen übersteigert empfunden wird, s.o. Fn. 382. 385 Auf Grundlage der alten Rechtsprechungsansicht zu § 138 BGB a.F. konnte man wegen der Erforderlichkeit einer existenzbedrohenden wirtschaftlichen Notlage, bezüglich derer sich argumentieren ließe, daß eine „echte“ Wahlmöglichkeit in derartigen Situationen gar nicht mehr bestehe, wohl noch anderer Auffassung sein. Nach der neuen Fassung des § 138 II BGB ist nunmehr aber eindeutig auch eine bloße Bedrängnis im Sinne einer freien Wahl des „kleineren Übels“ auf gestörter Entscheidungsgrundlage ausreichend. Die Übergänge sind an dieser Stelle natürlich fließend, je schwerer der gravierende Nachteil, desto eher mag aus Existenzangst auch der Entscheidungsprozeß mit verzerrt sein. Doch handelt es sich insoweit nur um eine Rückwirkung auf den Entscheidungsprozeß; strukturell handelt es sich dennoch stets um einen Fall schwerpunktmäßig zuerst notwendig gestörter Entscheidungsgrundlage, die dann eben lediglich im Einzelfall derart verzerrt sein kann, daß der Entscheidungsprozeß gewissermaßen mit infiziert wird. S. für die Entwicklung unter § 138 BGB näher schon o. Fn. 383. S. ähnlich wohl Weiler, aaO. 386 Beispiele könnten machtbedingte Kopplungsangebote oder Verträge von Verbänden zugunsten ihrer Mitglieder bilden, s. näher Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 2.30 f. mwN. Ist unter derartigen Umständen eine Zwangslage gegeben in dem Sinne, daß das einzelne Mitglied von der Verbandsmitgliedschaft abhängig ist, so kommt bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch eine Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB auf den resultierenden Folgevertrag in Betracht. Dies dürfte naturgemäß aber ganz selten der Fall sein, da es in aller Regel an der Voraussetzung eines auffälligen Leistungsmißverhältnisses fehlt; und für die Nichtigkeit der Folgeverträge schon aufgrund § 138 Abs. 1 BGB genügt das bloße Vorhandensein einer gewissen Zwangslage im wettbewerbsrechtlichen Sinne gerade nicht allein, s. grundlegend BGH GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz.
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mentan insbesondere subjektiv-emotional als bedrängend empfundenen Zwangslagen in den Vordergrund. In erster Linie gehört wohl die Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Werbung am Unfallort zum Teil – nämlich gerade insoweit, wie es um das Ausnutzen der real vorhandenen (sei es auch psychologisch überhöht empfundenen) Zwangslage geht 387 – in diese Fallgruppe; einzelne Entsprechungen einer solchen situationsbedingten Ausnutzung von Zwangslagen finden sich sogar in der Rechtsprechung zum Zwangslagenbegriff unter § 138 Abs. 2 BGB388. Keinesfalls jedoch ist die alte wettbewerbsrechtliche Fallgruppe des psychischen Kaufzwangs in diesen Bereich einzuordnen, die – im deutlichen Unterschied zu den Kriterien in § 138 Abs. 2 BGB und in § 4 Nr. 2 UWG durch ausschließlich psychisch empfundene „Zwangs“lagen geprägt ist 389. Derartige Situationen gehören – soweit überhaupt Raum für wettbewerbsrechtliche Verbote bleibt390 – nunmehr unter § 4 Nr. 1 UWG. Zu einer Überschneidung mit dem Kriterium der Zwangslage in § 138 Abs. 2 BGB oder § 4 Nr. 2 UWG kommt es insoweit gar nicht. Der auf Anfälligkeit für Störungen im Entscheidungsprozeß bezogene individuelle Maßstab der „Unerfahrenheit“ in § 138 Abs. 2 BGB, die sich als Mangel an Lebenserfahrung und insbesondere an Kenntnis geschäftlicher Dinge definiert391, fand seinen typisierenden wettbewerbsrechtlichen Widerhall schon in der Rechtsprechung zur lauterkeitsrechtlichen Unzulässigkeit von Haustürverkaufsveranstaltungen in Aussiedlerwohnheimen unter Geltung des alten UWG392 und ist nunmehr auch ausdrücklich in § 4 Nr. 2 UWG in der Fallgruppe der Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, parallel normiert393. Funktional ist der lauterkeitsrechtliche Begriff der Unerfah387 Soweit es um den Belästigungsaspekt geht, wären derartige Fälle unter § 7 UWG zu verorten. Vgl. auch oben 3. Abschn. A II 1 a. 388 LG Nürnberg, BB 1973, 777, 778. 389 Gegen Sack, GRUR 2004, 625, 627. 390 S. dazu auch noch unten C III 2 b-d. 391 BGH, DB 1958, 1241; Larenz/Wolf, AT § 41, Rz. 66; MüKO-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 150 mwN. 392 BGH GRUR 1998, 1041 f. – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim. 393 Insbesondere die Zugehörigkeit zur Gruppe der Aussiedler aus Ländern mit damals grundlegend andersartig ausgerichtetem Wirtschaftssystem ist in diesem Zusammenhang auch in § 138 Abs. 2 BGB bereits als Indiz für geschäftliche Unerfahrenheit herangezogen worden (s. OLG Hamm, JMBl. NRW 1974, 32, 33; vgl. auch Meier/Wehlau, VuR 1991, 141, 143). Soweit in derartigen Fällen demnach zusätzlich eine schwere Inäquivalenz i.S.d. § 138 Abs. 2 BGB vorliegt und auch der subjektive Tatbestand gegeben ist, kann es in der Tat zu einer Deckung des autonomen wettbewerbsrechtlichen Maßstabs und des Wuchertatbestands und damit zur Nichtigkeit des Folgegeschäfts aufgrund der eigenständigen Wertung des § 138 Abs. 2 BGB kommen. Für das Wettbewerbsrecht im Verhältnis zum situationsspezifischen Verbraucherschutz stellt die besondere geschäftliche Unerfahrenheit des angesprochenen Personenkreises einen der Zusatzaspekte dar, der dazu führen kann, daß auch außerhalb der insoweit bezüglich des situationsspezifischen Schutzes des Entscheidungsprozesses nach der hier vertretenen Auffassung vorrangigen gesetzgeberischen Wertung des § 312 BGB kumulativ der Vorfeldschutz des Wettbewerbsrechts mit zum Schutz des Entscheidungsprozesses herangezogen werden kann. Ausdrücklich bezieht der BGH GRUR 1998, 1041 f. – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim, seine wettbewerbs-
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renheit im Vergleich zur Unerfahrenheit im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB also schon insofern entscheidend weiter umrissen, als § 4 Nr. 2 UWG auch funktionale Störungen der Entscheidungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen typisierend erfaßt, die im Zivilrecht weitgehend durch die Regelungen über die Geschäftsfähigkeit aufgefangen würden, so daß für eine Anwendung von § 138 BGB praktisch nur wenig Raum bleibt. Eine teilweise funktionale Deckungsgleichheit besteht allerdings außerhalb dieses Bereichs des Minderjährigenschutzes, soweit es um gruppenspezifische Vermutungen hinsichtlich des Kriteriums der Unerfahrenheit geht394.Aus dem Bereich des Zivilrechts lassen sich in diesem Zusammenhang zusätzliche gruppenspezifisch indizielle Maßstäbe bezüglich typisiert besonderer Unerfahrenheit in das Wettbewerbsrecht entlehnen: So ist (neben den im Sinne einer tatsächlichen Vermutung als allgemein unerfahren zu betrachtenden Gruppen der Aussiedler und der Einwanderer, die noch nicht lange in Deutschland leben395, sowie der Betreuten396) in § 138 Abs. 2 BGB auch Unerfahrenheit aufgrund zu niedrigen oder besonders hohen Alters (außerhalb des Minderjährigenschutzes im engeren Sinne) ein in der Rechtsprechung zu § 138 BGB im Einzelfall anerkanntes Kriterium, sofern entsprechende inhaltsbezogene Aspekte bezüglich des konkret abgeschlossenen Rechtsgeschäfts hinzutreten 397. Diese Wertung dürfte rechtliche Argumentation nämlich gerade nicht auf den Belästigungsaspekt (der auch in der Gruppe der Aussiedler nicht auf eine etwa besondere Anfälligkeit trifft), sondern auf die Problematik der situationsspezifischen Störung des Entscheidungsprozesses durch Verkaufsveranstaltungen vor Ort, die sich nicht „aus dem Vertreterbesuch als solchem, sondern gerade aus der Ausnutzung der rechtlichen und geschäftlichen Unerfahrenheit der … angesprochenen Teilnehmer“ ergebe. Es geht mit anderen Worten um einen von der typisierenden Wertung des Haustürwiderrufsrechts nicht erfaßten Aspekt, der die Kumulierung des UWG-Vorfeldschutzes mit dem typisierenden Verbraucherschutz bezüglich der Entscheidungsgrundlage in dieser Situation rechtfertigt. Vgl. auch oben 3. Abschn. A II 1 b. 394 Zwar geht es grundsätzlich in § 138 BGB um einen konkret individuellen Maßstab, während der lauterkeitsrechtliche Maßstab abstrakt gruppenbezogen ist. Ganz im Einklang mit dem hier entwickelten Grundsatz des Gleichlaufs der Wertungen kommt es angesichts der insoweit notwendigen Verobjektivierung dann aber natürlich auch unter § 138 BGB häufig zur Entwicklung indiziell gruppenbezogener, abstraktionsfähiger Maßstäbe auf Grundlage des common sense. Ebenjene indiziell gruppenbezogenen Maßstäbe sind dann aber nach der hier vertretenen Auffassung auch in das Lauterkeitsrecht übertragbar und umgekehrt. 395 Vgl. auch BGHZ 125, 135, 140 für aus der ehemaligen DDR stammende Personen in den Jahren nach der Wiedervereinigung. Insoweit ist naturgemäß eine gruppenspezifische Vermutung nach dem jetzigen Stand jedoch schon seit längerem nicht mehr gegeben. 396 Diese gruppenspezifischen Vermutungen finden sich bei Hefermehl/Köhler/BornkammKöhler, § 4, Rz. 2.10 mwN. Insbesondere die besondere Schutzwürdigkeit der Betreuten auch im Lauterkeitsrecht mag durch die neue Regelung des § 105 a BGB in Bezug auf die Wirksamkeit bestimmter Geschäfte, die von Geschäftsunfähigen abgeschlossen werden, künftig noch zusätzliche Relevanz erlangen, da die in diesem Bereich noch bestehenden Unsicherheiten (kritisch zur Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in § 105a BGB [„erhebliche Gefahr“] insbesondere Erman/Palm, § 105a, Rz. 1; vgl. grundlegend auch Löhnig/Schärtl, AcP 204 (2004), 25 ff.) durchaus unlauter handelnde Wettbewerber im Massenverkehr der mit geringwertigen Mitteln zu bewirkenden Geschäfte des täglichen Lebens auf den Plan rufen könnte. 397 S. BGH NJW 1966, 1451 ff. zu § 138 Abs. 1 BGB (betreffend den Verkauf einer Trockenreinigungsanlage im Wert von 41.000,- DM an einen gerade volljährig gewordenen Studenten).
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sich – soweit sie geringes Alter selbst bei vorhandener Geschäftsfähigkeit und damit auch über den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 4 Nr. 2 UWG hinaus, der in dieser Fallgruppe sich auf Kinder [unter 14 Jahren] und Jugendliche unter 18 Jahren beschränkt 398, als ein potentielles gruppenbezogenes Indiz für Unerfahrenheit zumindest in bestimmten Lebens- und Wirtschaftsbereichen betrifft399, im Sinne einer Anregung für das Wettbewerbsrecht mit aller gebotenen Vorsicht übernehmen lassen400. So kann sich etwa auch die Durchführung von Verkaufsveranstaltungen für bestimmte Produkte oder Dienstleistungen in Schulen, Internaten oder auch Studentenwohnheimen im Einzelfall unter dem Aspekt der Ausnutzung der Unerfahrenheit als unlauterer Wettbewerb darstellen, wenn etwa komplexe und langfristig orientierte Finanzprodukte zur Absicherung gegen bestimmte Lebensrisiken oder zur Versorgung im Alter, mit denen bei besonders jungen Marktteilnehmern typischerweise noch keine vertiefte Auseinandersetzung erfolgt ist, die aber dennoch möglicherweise Lebensbereiche betreffen, welche bereits mit besonderen Ängsten und Unsicherheiten behaftet sind (insbesondere Altersvorsorge, Berufsunfähigkeitsversicherungen etc.) bewußt vor Ort an gerade erst Volljährige vertrieben werden sollen. Zugleich verdeutlicht die Rechtsprechung zu § 138 Abs. 2 BGB aber auch eindringlich die systematische Grenze, die einer allzuweiten (bereichsspezifischen) Ausdehnung des Tatbestands des „Ausnutzens der Unerfahrenheit“ auch im Wettbewerbsrecht zu ziehen ist. Entscheidend ist insoweit nach der hier vertretenen Auffassung die Abgrenzung zwischen Entscheidungsprozeß und Entscheidungsgrundlage. Stets muß es um eine gezielte Ausnutzung einer Störung des Entscheidungsprozesses aufgrund besonderer Unerfahrenheit und Unsicherheit (ggf. in einem bestimmten Lebensbereich) gehen. Nicht etwa genügt demgegenüber bloße Unkenntnis oder fehlende Übersicht in bestimmten Geschäftsbereichen oder Märkten. Denn etwa die Problema398
S. statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 2.8. Eine solche bereichsspezifische Unerfahrenheit kommt (im Gegensatz zur lediglich fehlenden Fachkenntnis für Sondergebiete, s. noch sogleich u. Fn. 401) nach der herrschenden Meinung unter § 138 BGB durchaus in Betracht. S. aus der Rechtsprechung zutreffend RG LZ 26, 819; demgegenüber schon zu weitgehend aber LG Trier, NJW 1974, 151, 152 (s. sogleich u. Fn. 401); aus der Literatur MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 150; Palandt-Heinrichs, § 138, Rz. 71; Staudinger-Sack, § 138, Rz. 208, jeweils mwN. A.A. aus der Rechtsprechung (zumindest in der Terminologie, konkret-inhaltlich betrafen beide Fälle jedoch Situationen bloß mangelnder Kenntnis bestimmter Bereiche, wie sie auch nach der hier vertretenen Auffassung als bloße Störungen der Entscheidungsgrundlage nicht als Unerfahrenheit anzuerkennen sind, s. sogleich bei u. Fn. 401) aber wohl BGH NJW 1979, 758; WM 1982, 849; aus der Literatur Jauernig-Jauernig, § 138, Rz. 22; Bamberger/Roth-Wendtland, § 138, Rz. 52 (unter unzutreffendem Hinweis auf MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, aaO.). 400 § 4 Nr. 2 UWG steht dem nicht entgegen, da insoweit die geschäftliche Unerfahrenheit nicht ausdrücklich lediglich auf Kinder und Jugendliche begrenzt wird („insbesondere“); aus dem Verweis auf die Unerfahrenheit insbesondere Kinder und Jugendlicher ergibt sich auch nicht etwa eine abschließende gesetzgeberische Wertung, alterbezogene Unerfahrenheit stets nur unterhalb von 18 Jahren anzunehmen. Vielmehr ist lediglich die unwiderlegliche Vermutung geschäftlicher Unerfahrenheit auf den engeren Bereich der Kinder und Jugendlichen begrenzt, vgl. dazu Köhler, § 4, Rz. 2.17. 399
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tik mangelnder Fachkenntnisse in bestimmten Gebieten betrifft Situationen der Informationsasymmetrie und damit ein Problem der Entscheidungsgrundlage. Hier dürfen nicht auf dem Umweg über § 4 Nr. 2 UWG neue wettbewerbsrechtliche oder über § 138 Abs. 2 BGB faktisch neue vorvertragliche Informationspflichten konstruiert werden401. Eine letzte potentielle Parallele zum Wettbewerbsrecht wird mit Blick auf das Kriterium der erheblichen Willensschwäche in § 138 Abs. 2 BGB diskutiert. Die entscheidende Frage an dieser Stelle lautet, ob auch eine Ausnutzung von Labilität gegenüber zu geschickter Werbung insoweit in Betracht kommt. Die ganz herrschende Meinung lehnt dies unter Hinweis auf die in dieser Hinsicht ausdrückliche Klarstellung in der Begründung zur Neufassung und Erweiterung des § 138 Abs. 2 BGB im Jahre 1976 402 auf Grundlage historischer Auslegung ab403. Dem ist auch aus Sicht der systematischen und teleologischen Auslegung zuzustimmen. Das Kriterium der erheblichen Willensschwäche in § 138 Abs. 2 BGB sucht seiner Zwecksetzung nach Fälle erhöhter psychischer Anfälligkeit aufgrund bestimmter (im Sinne von spezifischer) gewissermaßen interner psychischer Defekte zu erfassen, die zudem „erheblich“404 sein müssen. Krankhafte Drogen-, Alkohol- oder Spielsucht bilden hier Beispiele. Demgegenüber würde ein Abstellen auf die Geschicklichkeit einer werblichen Beeinflussung in diesem Bereich mehr außergewöhnlich schwerwiegende externe Bedrohungen der Entschlußkraft in den Blick nehmen, die naturgemäß zuerst sich bei allgemein entschlußschwächeren Verkehrsteilnehmern auswirken. Für § 138 Abs. 2 BGB genügt eine solche allgemein schwächere Entschlußkraft aber nicht, wie gerade der Vergleich mit den oben beispielhaft genannten bisher in der Rechtsprechung relevant gewordenen internen Störungen der Willenskraft zeigt, die sämtlich einen spezifischen Grund in der Person des Bewucherten haben und bestimmte psychische Störungen an der Grenze zur Krankhaftigkeit405 erfassen. Rückübertragen auf die Problematik 401 Vgl. deutlich zu § 138 BGB, BGH NJW 1979, 758; WM 1982, 849, jeweils mwN aus der Rechtsprechung des BGH. Deutlich zu weitgehend insbesondere LG Trier, NJW 1974, 151, 152, zumindest soweit auf die Unkenntnis der älteren Beklagten aus einem ländlichen Bereich bezüglich der Hersteller, Preise und sonstigen Qualitätsunterschiede im Markt für Friteusen und Heizdecken verwiesen wird. Die Entscheidung erklärt sich insoweit historisch aus dem erheblichen „Auffangdruck“ auf § 138 BGB im Bereich der „Kaffeefahrten“ (vgl. dazu auch noch sogleich unten III 2). 402 Bericht des Rechtsausschusses zum 1. WiKG (s.o. Fn. 383), BT-Drs. 7/5291, S. 20. 403 MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 152; Palandt-Heinrichs, § 138, Rz. 73; a.A. Staudinger-Sack, § 138, Rz. 210 f. (und ihm folgend Erman-Palm, § 138, Rz. 24) unter Hinweis auf LG Trier, NJW 1974, 151, 152, wo aber nicht das Kriterium der „erheblichen Willensschwäche“, sondern vielmehr eine spezifisch individuell (zumindest schein-)begründete Unerfahrenheit bejaht wurde; vgl. auch Sack, GRUR 2004, 625, 627. 404 MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 152 mwN und den Hinweis, daß insoweit nach dem Willen des historischen Gesetzgebers die Grenze gerade nicht zu niedrig angesetzt werden darf. 405 Ein krankhafter Zustand im technischen Sinne ist aber nicht erforderlich, s. BGH NJWRR 1988, 763, 764. Doch war auch im dort zugrundeliegenden Sachverhalt jedenfalls eine spezifische psychische Schwäche gegeben, die zwar nicht die Grenze einer „Schizophrenie … manisch
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werblicher Beeinflussung käme insoweit eine Heranziehung des § 138 Abs. 2 BGB allenfalls dann in Betracht, wenn eine bestimmte Werbung bewußt eine bereits vorhandene krankhafte (oder jedenfalls im Sinne einer psychischen Störung zwanghafte und erhebliche) Kaufsucht nutzt und bestärkt406. b. Sonstige Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) Naturgemäß hat § 138 Abs. 1 BGB im Bereich der Folgeverträge unlauteren Wettbewerbs ein potentiell weitergehendes Anwendungsfeld als der engere Wuchertatbestand, weil hier das Vorhandensein eines auffälligen Leistungsmißverhältnisses – das in diesem Bereich in aller Regel fehlen dürfte – nicht zwingende Tatbestandsvoraussetzung ist407. Über die entsprechende Tendenz im weiten Bereich der Familienbürgschaften408 – der für die hier betrachtete Schnittstelle von Lauterkeitsrecht und Sittenwidrigkeitsbegriff nicht von unmittelbarer Bedeutung ist – hinaus, ist ganz allgemein auffällig, daß im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB – anders als im Falle des Wuchers – auch rein emotionale oder psychische Zwangslagen zur Begründung der Sittenwidrigkeit herangezogen werden können409. Innerhalb des § 138 Abs. 1 depressiven Erkrankung oder eine[r] anankastischen Depression“ erreichte, aber dennoch zweifellos mindestens eine „´zwangsneurotische Systemneurose‘ darstellte“, die zu einer Persönlichkeit des Betroffenen führte, welche von „besonderen Zwängen und Schwierigkeiten“ gekennzeichnet war, die „sein geschäftliches Verhalten beeinflußt[en]“. Bezüglich des Schwergewichts der Störung ist die Entscheidungsbegründung des genannten Urteils geradezu ein Beleg für die hier vertretene Auffassung. 406 Ein – zugegeben – weit hergeholtes Beispiel vermöchten künftig auch Fallgestaltungen bilden, in denen sich Inhaber von Ladenlokalen die Wirkung bestimmter chemischer Substanzen zunutze machen, die – auf dem Wege der Inhalation eingenommen – zu einer drastischen Erhöhung der Vertrauensbereitschaft beim Menschen führen. Daß hormonelle Substanzen existieren, die einen entsprechenden Effekt besitzen und durch Inhalation vergleichsweise unproblematisch aufgenommen werden können, wurde erst kürzlich in spektakulären Experimenten Züricher Forscher belegt, s. Kosfeld/Heinrichs/Zak/Fischbacher/Fehr, Oxytocin increases trust in humans, Nature 435, 673–676 (2005); für einen populärwissenschaftlichen Abriß dieser Experimente, vgl. auch Renninger, Dieser Stoff verdient ihr Vertrauen, weltwoche.ch, 2005, abrufbar unter http:// www.iew.unizh.ch/home/kosfeld/press/weltwoche0605.pdf (besucht am 1.2. 2006). 407 S. BGH WM 1997, 230, 232. Ein besonders krasses Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kann zwar nach der Meinung der Rechtsprechung in § 138 Abs. 1 BGB den Schluß auf die bewußte oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner hemmenden Tatumstands und damit auch auf eine verwerfliche Gesinnung rechtfertigen (s. BGH WM 1987, 353; WM 1991, 404), wonach im Sinne einer tatsächlichen Vermutung dann nach umstrittener (vgl. auch o. Fn. 367) Meinung der Rechtsprechung auch der subjektive Tatbestand gegeben wäre (s. BGH WM 1992, 441). Ein notwendiges Kriterium der Sittenwidrigkeit ist es jedoch im Rahmen der anzustellenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf mögliche weitere sittenwidrige Umstände nicht. S. zum ganzen auch Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 248 ff.; Weiler, S. 209 ff., jeweils mwN. 408 Als von § 138 Abs. 2 BGB nicht erfaßter, unter § 138 Abs. 1 BGB zu behandelnder einseitiger Rechtsgeschäfte, vgl. zu diesem weiten Feld nur Drexl, Selbstbestimmung, S. 505 ff.; Drexl, JZ 1998, 1046 ff., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. 409 S. schon BGHZ 50, 63, 71 = NJW 1968, 1571 (wo sich der entsprechende Teil der Entschei-
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BGB werden also rein psychisch vermittelte Störungen des Entscheidungsprozesses bereitwilliger als Kriterium der Sittenwidrigkeit herangezogen, als unter dem mehr auf tatsächlich vorhandene wirtschaftliche Bedrängnis beschränkten Begriff der Zwangslage in § 138 Abs. 2 BGB410. Dadurch und insbesondere durch das Fehlen einer strikten Inäquivalenzvoraussetzung konnte die Vorschrift – obwohl es auch bei § 138 Abs. 1 BGB im Kern um eine rechtsgeschäftsbezogene Inhaltskontrolle geht411 – in größerem Umfang als § 138 Abs. 2 BGB zum Kondensationskern für (meist systematisch verfehlte) Versuche der Rechtsprechung werden, situationsspezifische Gefährdungen des Entscheidungsprozesses auf diesem Wege auszugleichen. Wie bei § 134 BGB – und in Bezug auf exakt dieselben Problemfälle – bietet sich in diesem Zusammenhang auch wiederum ein Panorama zeitlicher Komplementarität von Wettbewerbsrecht, § 138 BGB als individualisierter Inhaltskontrollvorschrift und schließlich dem Eingreifen typisierenden Verbraucherschutzrechts. Aus dessen kurzer Betrachtung lassen sich einige systematische Rückschlüsse sowohl für die Auslegung des § 138 BGB als auch für die Reichweite des notwendigen Vorfeldschutzes nach dem UWG ziehen.
2. Die Entwicklung der Rechtsprechung im Überschneidungsbereich von Wettbewerbsrecht, § 138 BGB und situationsspezifischem Verbrauchervertriebsrecht als Beispiel zeitlicher Komplementarität Die Situation zeitlicher Komplementarität von Wettbewerbsrecht, Regelungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und situationsspezifisch typisiertem Verbraucherschutz mit Blick auf den Schutz des Vertragsmechanismus vor neu aufkommenden Vertriebstechniken, die bewußt auf bestimmte Störungen der Entscheidungsgrundlage oder des Entscheidungsprozesses zielen, stellt sich mit Blick auf § 138 BGB nur im Ansatzpunkt genau identisch zu § 134 BGB412 dar413: Über eine dungsbegründung aber nicht mit abgedruckt findet); BGH NJW 1988, 2599, 2603. Aus der Literatur statt vieler Larenz/Wolf, AT, § 41, Rz. 24; MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 95; Palandt-Heinrichs, § 138, Rz. 35; Staudinger-Sack, § 138, Rz. 318; Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 249; Weiler, S. 211 mwN. 410 Ähnlich im Ergebnis Weiler, S. 212. 411 Deutlich Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 250 mwN. 412 Vgl. insoweit oben 3. Kap. 2. Abschn. A II und V. 413 Mit Blick auf ihre „Auffangrolle“ bezüglich der Ansätze einer zivilrechtlichen Erfassung neuer, in den sechziger und siebziger Jahren zunehmend virulent gewordener Vertriebsformen (inbesondere der damals praktizierten, hochproblematischen Formen des Haustürvertriebs) ähnelt die autonome Rezeption wettbewerbsrechtlicher Wertungen im Rahmen des § 138 BGB unter rechtshistorischer Perspektive auch den vereinzelt von der Rechtsprechung und Literatur beschrittenen Weg über Billigkeitslösungen im Rahmen des Prinzips von Treu und Glauben nach § 242 BGB, s. nur LG Oldenburg, MDR 1969, 392 (Rücktrittsrecht auf Grundlage von § 242 BGB mit letztlich allein rechtspolitischer Begründung im Vorfeld des Erlasses des AbzG in einem der „Schreibmaschinenfälle“, vgl. auch o. Fn. 339 und u. Fn. 417); vgl. aus der Literatur näher zum ganzen Henrich, 162 AcP (1962), 88 ff. (spezifisch zur unbewussten Irreführung im Vorfeld des Vertragsschlusses und dem Vorschlag einer Lösung über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, nunmehr § 313 BGB, der aber für die hier betrachteten Fälle ohnedies daran scheitern
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Vorschrift der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, die eine anders ausgerichtete Funktion hat, deren inflexible Rechtsfolge eine interessengerechte Lösung der typischen Problemfälle nicht gestattet, und die insofern für eine entsprechende Rolle eigentlich ungeeignet, zumindest aber unzureichend ist414, wird seitens der Gedürfte, daß die irreführende Vertragspartei in aller Regel den Irrtum des betroffenen Verbrauchers nicht teilt); Sack, WRP 1974, 445, 453; ders., GRUR 2004, 625, 627; Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 165 ff.; Alexander, S. 146 ff., jeweils mwN. § 242 BGB wurde in diesem Zusammenhang wohl auch deshalb seitens der Rechtsprechung gelegentlich als wohlfeile „Auffangnorm“ ins Spiel gebracht, weil seine Rechtsfolge im Rahmen der vielfältig ausgeprägten richterrechtlichen Fallgruppen des Prinzips von Treu und Glauben flexibler ausgestaltet ist als bei § 138 BGB und solcherart an Einzelfallgerechtigkeit orientierte Lösungen gestattet; dennoch ist natürlich aber wiederum dogmatisch auch § 242 BGB von einer Orientierung auf den Leistungsinhalt beherrscht, die dieses Instrument grundsätzlich ebenfalls als wenig geeignet erscheinen läßt, die wettbewerbsrechtliche Wertung der Unlauterkeit einer bestimmten Vertragsanbahnungsmethode hinsichtlich des Vertragsabschlusses zivilrechtlich zu rezipieren und zu sanktionieren. Genau wie unter § 138 BGB ist die vereinzelte Auswegsuche der Rechtsprechung, im Rahmen des § 242 BGB Rücktrittsrechte für Situationen struktureller Gefährdung des Entscheidungsprozesses zu konstruieren, daher dogmatisch ausnahmslos zweifelswürdig (s. zutreffend Sack, aaO.; Lehmann, aaO., S. 166 f.; Alexander, S. 147 ff.) und allenfalls – genau wie § 138 BGB – aus rechtshistorischer Sicht im Sinne der hier vertretenen These von der zeitlichen Komplementarität wettbewerbsrechtlichen Vorfeldschutzes, zivilrechtlicher Generalklauseln und situationsspezifisch verbraucherschutzrechtlicher Lösungen als eine Art „Seismograph“ für Situationen struktureller Gefährdung der Entscheidungsfreiheit in der Vertragsanbahnung, die rechtspolitisch einer spezifischen verbraucherschutzrechtlichen Lösung bedürfen, aufzufassen (ähnlich insoweit Alexander, S. 150: „Hilferuf an den Gesetzgeber“). Angesichts dieser unübersehbaren strukturellen Nähe zu § 138 BGB aus der Sicht der hier angestellten Untersuchung und angesichts der letztlich ganz untergeordneten Bedeutung billigkeitsorientierter Lösungen für den hier betrachteten Bereich, die aufgrund der nunmehr ausdrücklichen Regelung der culpa in contrahendo in §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB sogar noch weiter sinken dürfte, da diese ausdrückliche Regelung jetzt unzweifelhaft auch Situationen fahrlässiger Gefährdung der Entscheidungsfreiheit des anderen Vertragsteils in der Vertragsanbahnung ausnahmslos erfassen kann (s. eingehend noch unten C), so daß es nunmehr schon an einem praktischen Bedürfnis für den Rückgriff auf § 242 BGB fehlt, wird in dieser Untersuchung darauf verzichtet, die gelegentlichen Lösungsansätze der Rechtsprechung über § 242 BGB nochmals näher darzustellen (vgl. stattdessen weiterführend die Darstellungen bei Sack, aaO.; Lehmann, aaO.; und zuletzt Alexander, aaO., jeweils mwN). Die hier durchgeführte nähere Schilderung der Rezeption lauterkeitsrechtlicher Wertungen in § 138 BGB, der gelegentlichen – genau wie unter § 242 BGB stets rechtspolitisch motivierten – Versuche, dessen Tatbestand im Sinne eines „beweglichen Systems“ aufzubrechen und der letztlich nur sehr begrenzt möglichen wechselseitigen Beeinflussung derart primär inhaltsorientierter zivilrechtlicher Generalklauseln und wettbewerbsrechtlicher Wertungen bezüglich der Vertragsanbahnung mögen insoweit als repräsentativ auch für den Versuch billigkeitsorientierter Lösungen über das Prinzip von Treu und Glauben im Rahmen des § 242 BGB gelten. Für den in dieser Untersuchung im Mittelpunkt stehenden Versuch, Überschneidungsbereiche von Wettbewerbs- und Vertragsrecht zu finden, in denen die jeweiligen Wertungen miteinander vergleichbar und u.U. (mangels der Rechtfertigung abweichender Maßstäbe) sogar fruchtbringend in die jeweils andere Regelungsumgebung transponierbar sind, geben die Lösungsansätze über § 242 BGB ohnedies zu wenig her, um eine eigenständige Behandlung zu rechtfertigen. Soweit in einzelnen Zusammenhängen, der Weg über einzelne der richterrechtlichen Ausprägungen des Prinzips von Treu und Glauben nach § 242 BGB beschritten wird, um spezifische Konstellationen interessengerecht zu lösen, wird darauf im jeweiligen sachlichen Zusammenhang eingegangen. 414 S. zutreffend schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 165.
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richte der Versuch unternommen, im Vorfeld allfälliger spezialgesetzlicher Verbraucherschutzregelungen situationsspezifische Störungen der Entscheidungsfreiheit im allgemeinen Zivilrecht gewissermaßen „aufzufangen“415, wobei die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit dieser Störungen – auch unter anderen Aspekten – in den Einzelheiten teils bis heute strittig ist416. Die Akzentuierung ist allerdings im Falle des § 138 BGB insofern eine andere, als die Norm in entscheidend höherem Umfang als § 134 BGB eine autonome Tatbestandsbildung gestattet, weshalb anders als bei § 134 BGB ein Rückgriff auf vorgebliche „gesetzliche Verbote“ des Wettbewerbsrechts bei der Heranziehung des § 138 BGB durch die Rechtsprechung nicht notwendig war. Deshalb war in der Konfrontation mit neuen, hinsichtlich der drohenden Beeinflussung des Entscheidungsprozesses der Kunden problematischen Vertriebsformen der ausdrückliche Rückgriff auf die (potentiell) unlautere Vertragsanbahnung als Sittenwidrigkeitskriterium in der Gerichtspraxis zu § 138 BGB eher selten417. Stattdessen standen – unter nur mehr oder weniger exakter Beibehaltung der systematischen Orientierung der Vorschrift auf die Inhaltskontrolle von Rechtsgeschäften418 – Versuche einer „Aufwei415 Neben dem archetypischen Bereich der Haustürgeschäfte im weitesten Sinne (der in der Folge noch kurz näher beschrieben wird, vgl. insoweit im übrigen auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 344 ff.), finden sich entsprechende Wechselwirkungen praktisch für jedes einzelne der typisierenden Verbraucherschutzinstrumente der achtziger und neunziger Jahre, s. nur beispielhaft die zahlreichen Urteile zu Verbraucherkrediten im Vorfeld der Neuregelung des Verbraucherkreditrechts (z.B. BGH NJW 1979, 805 und 808; LG Bonn WM 1977, 1341; vgl. auch Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 156 ff.; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 249; MüKoMayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 91 ff. mwN aus der Rechtsprechung) oder auch entsprechende Urteile zum Vertrieb von Time-Sharing-Nutzungsrechten (s. z.B. LG Tübingen, NJWRR 1995, 1142, 1143 f.: dort neben der Würdigung der Umstände des Vertragsschlusses als einem Sittenwidrigkeitselement auch mit einer vorbildhaften Gesamtschau der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, die sich dann insbesondere auch sich auf den Inhalt des Vertrags und dessen außergewöhnliche Intransparenz beziehen und damit zugleich auch das zeitliche Komplementaritätsverhältnis von § 138 BGB zur Inhaltskontrolle nach dem AGBG (heute §§ 305 ff. BGB illustrieren (vgl. dazu auch schon Lehmann, aaO., S. 155 f. unter Hinweis auf Schmidt-Salzer, Allgemeine Geschäftsbedingungen, 1971, S. 221 ff.). 416 So insbesondere wiederum für den Bereich des Haustürvertriebs, vgl. eingehend schon oben 3. Abschn. A I und II. 417 Einsam ist die entsprechende (nicht in Rechtskraft erwachsene) Entscheidung des AG Trier, NJW 1972, 160 f., geblieben, in der das Amtsgericht von einer einheitlichen Auslegung der „Sittenwidrigkeit“ im Sinne des § 1 UWG a.F. und im Sinne des § 138 BGB ausging, um eine „Kaffeefahrt“-Situation aufzulösen, die heute ohne weiteres dem Haustürwiderrufsrecht unterfallen würde. Vgl. auch für einen ähnlichen Versuch das AG Frankfurt, MDR 1963, 591 f. in einem der notorischen „Schreibmaschinenfälle“. Im konkreten Fall war der Schreibmaschinenverkauf unter Vorspiegelung leichter Verdienstmöglichkeiten durch einen parallel abgeschlossenen, aber faktisch vollkommen inhaltsleeren Vertretervertrag für Verkäufe entsprechender Schreibmaschinen erfolgt. Nach Ausführungen zu § 138 BGB, die sich bereits schwerpunktmäßig auf die unlautere Vertragsanbahnung und Vertriebsmethode stützten, diese Aspekte aber auch um inhaltsbezogene Argumente ergänzten, wich das Gericht mit Blick auf die Relevanz eines Verstoßes gegen § 1 UWG a.F. – dogmatisch bereits vertretbarer, wenngleich letztlich ebenfalls unzutreffend – dann hilfsweise noch auf eine Heranziehung von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 UWG a.F. als Schutzgesetz aus. 418 Soweit man hier den Blick bewußt auch auf vereinzelte instanzgerichtliche „Ausreißer“
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chung“ der problematischen Tatbestandsmerkmale des § 138 BGB im Vordergrund. Dies betraf unter § 138 Abs. 2 BGB zumal das Erfordernis auffälliger Inäquivalenz419, aber etwa auch die Kriterien der Unerfahrenheit420, der Zwangslage421 und den subjektiven Tatbestand422. Unter § 138 Abs. 1 BGB wurde im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung neben den hier zumeist vorhandenen im weiteren Sinne inhaltsbezogenen Elementen423 wiederum insbesondere der Beurteilungsfakerstreckt (s. z.B. in Richtung auf eine rein situationsspezifische Vertragsabschlußkontrolle LG Mainz, BB 1967, S. 1181; keinerlei inhaltsbezogene Ausführungen auch in LG Frankfurt/O., NJW-RR 1997, 1332 ff.; bei genauer Betrachtung finden sich auch in OLG Frankfurt, NJW-RR 1988, 501 keine echten inhaltsbezogenen Überlegungen, obwohl vermeintlich inhaltsbezogen argumentiert wird; ganz ähnlich übrigens bei genauerem Hinsehen auch die Problematik in BGH NJW 1988, 1373 ff., s. zu beiden Urteilen sogleich u. Fn. 423; s. auch aus der Literatur zweifellos zu weitgehend MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster, § 138, Rz. 95: „Daher waren viele ‚Haustürgeschäfte‘ vor Inkrafttreten des HausTWG als sittenwidrig anzusehen“; dagegen wiederum zu Recht Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 249) erscheint in diesem Zusammenhang das Fazit bei Lorenz, aaO., S. 248 ff.: „stets auch … inhaltliche Beurteilung des Rechtsgeschäfts…“ (ähnlich Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 155 ff. ) mit Blick auf die tatsächliche Haltung zumal der unterinstanzlichen Rechtsprechung etwas zu optimistisch. „Verborgen“ hinter vermeintlich inhaltsbezogenen Überlegungen wurde durch die Rechtsprechung durchaus gelegentlich im Kern – unzutreffend – allein auf abschlußbezogene Aspekte abgestellt. 419 Einerseits gehören hierher die dogmatischen Versuche, das Erfordernis schwer gestörter Äquivalenz als eigenständige Voraussetzung des § 138 Abs. 2 BGB zugunsten einer additiv-gesamthaften Betrachtung prinzipiell auszuhöhlen (nicht zufällig betraf die insoweit vereinzelt gebliebene Entscheidung des OLG Stuttgart von 1979 einen Verbraucherkredit im Massengeschäft der Teilzahlungskredite, s. näher schon o. Fn. 381); andererseits sind auch mehr „pragmatische“ Ansätze zu beobachten, die sich im Einzelfall unter grundsätzlicher Beibehaltung des unterscheidbaren Kriteriums der schweren Inäquivalenz doch bezüglich der Voraussetzung eines auffälligen Mißverhältnisses unter erheblichem Begründungsaufwand an den unteren „Rand“ dessen bewegen, was man in diesem Bereich noch für objektiv auffällig halten könnte; s. insbesondere LG Trier, NJW 1974, 151, 152 (in der Berufungsentscheidung zum genannten Urteil des AG Trier (s. o. Fn. 417)): Preisaufschlag von 55 % (das Gericht führt in der Begründung, soweit veröffentlicht, zwar einen „Aufschlag von 155 %“ an, die Ausführungen zum zugleich abgeschlossenen Verkaufsvertrag über eine Decke bezüglich eines „Aufschlags“ von über 300 % (anhand derer sich die Berechnungsmethode des Gerichts nachvollziehen läßt) belegen aber, daß das Gericht insoweit offenbar mit „Aufschlag“ das Verhältnis von Wucherpreis zu Marktpreis bezeichnete) im Falle einer Friteuse zum Preis von 198, 50 DM als Wucher. 420 S. die auch insoweit zweifelhaften Ausführungen des LG Trier, aaO., S. 152, wo die Unerfahrenheit der Bewucherten (abgesehen von einem nicht weiter verfolgten Hinweis auf ihre Herkunft aus einem ländlichen Gebiet) letztlich mit ihrer Unkenntnis der Marktverhältnisse im Bereich der auf der Kaffeefahrt veräußerten Verbrauchsgüter begründet wird (s. zur Irrelevanz einer solchen fehlenden bloßen Marktkenntnis schon o. Fn. 399 und 401) und wo zudem jegliche Ausführungen zum diesbezüglichen subjektiven Tatbestand bei den Veranstaltern der Kaffeefahrt fehlen. 421 S. nur auch zuletzt die diesbezüglichen Überlegungen bei Sack, GRUR 2004, 625, 627 in Parallele zum psychischen Kaufzwang; dagegen schon o. Fn. 389; vgl. näher auch unten C III 2 b-d. 422 S.o. Fn. 420 zum Urteil des LG Trier. 423 Meist im Sinne einer subjektiv vollkommenen wirtschaftlichen Überforderung (typisch BGH NJW 1966, 1451 f.: Verkauf einer Trockenreinigungsanlage für 41.000,-DM an einen fast mittellosen Studenten), subjektiver Nutzlosigkeit (AG Frankfurt/M., MDR 1963, 591 f.; LG Wuppertal, MDR 1963, 756; LG Berlin, MDR 1963, 1009) des Geschäfts oder schließlich häufig auch ganz allgemein (und damit wiederum hinsichtlich der Frage nach einer „echten“ Inhalts-
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tor des Vorliegens einer psychischen Zwangslage im Sinne einer schweren persönlichen Bedrängnis424 zum Ansatzpunkt für ausdehnende Interpretation425. Hinzu kam schließlich der vereinzelte instanzgerichtliche Versuch, über § 138 Abs. 1 BGB letztlich sogar eine Art individueller Informationspflichten zum Schutz der Entscheidungsgrundlage im Vorfeld zu konstruieren426. Es läßt sich insoweit – anders als im Falle des § 134 BGB, der letztlich nur die Wertung des Wettbewerbsrechts durchsetzungsbezogen rezipiert – gewissermaßen ein Dreieck normativer Wechselwirkung beobachten: Zuerst wird der Versuch unternommen, den Schutzbedarf im Bereich der neu aufbrechenden Gefährdung der Entscheidungsfreiheit schon im Vorfeldbereich des Wettbewerbsrechts soweit wie möglich aufzufangen. Hinzu treten dann für die vielfach verbleibenden Individualschutzlücken entsprechende Korrekturversuche im Nachhinein unter § 138 BGB, die sich nurmehr gelegentlich auf die wettbewerbsrechtliche Wertung rückbeziehen, um so gewissermaßen zusätzliche Argumente für die Expansion der an sich zum Schutz der Entscheidungsfreiheit ungeeigneten Norm zu gewinnen. So sehr dabei im Falle des § 138 BGB von der Lehre zu Recht aus dogmatischer Sicht stets die Inhaltsbezogenheit dieser Norm betont wurde und betont wird427, so häufig wurde der Tatbestand des § 138 BGB dann aber doch (zumal in der instanzgerichtlichen Praxis) im Einzelfall systemwidkontrollkomponente durchaus zweifelhaft, denn insoweit wird lediglich die Unangemessenheit der Abschlußmethode in einem vermeintlich inhaltsbezogenen Argument „verhüllt“ und nochmals wiederholt) wegen einer besonders hohen finanziellen Verpflichtung aus dem Rechtsgeschäft, die für einen spontanen Entschluß in einer Haustürsituation als unangemessen qualifiziert wird (OLG Frankfurt, NJW-RR 1988, 501: Vertrag über Fassadenrenovierung zum Preis von 14.000,-DM im Rahmen eines unangekündigten Vertreterbesuchs an Ort und Stelle abgeschlossen, wobei dann zumindest noch weitere Ausführungen zur besonderen subjektiven Wehrlosigkeit des betagten Vertragspartners folgen). Ganz ähnlich finden sich übrigens auch in der auf den ersten Blick sorgsamen und umfänglichen Analyse des „Haustürvertrags“ in BGH NJW 1988, 1373 ff., der dem Haustürwiderrufsrecht als Altvertrag noch nicht unterfiel, bei genauerem Hinsehen (über die bloße eben für die Vertriebssituation typische sofortige endgültige Bindung , trotz fehlender Möglichkeit eines Marktvergleichs, bezüglich eines finanziell umfänglichen [Gesamtpreis 20.000,- DM] Kaufvertrags hinaus) nur recht dünne inhaltsbezogene Sittenwidrigkeitselemente (es blieben letztlich nur eine grob überzogene Verzugsregelung und eine intransparente Preisgarantie [die aber genaugenommen auch bereits wieder dem Argument akzessorisch ist, daß letztlich kein Marktvergleich möglich sei, was eben auch durch die Preisgarantie im Ergebnis nicht ausgeglichen werde], um das Sittenwidrigkeitsverdikt zu stützen). 424 Vgl. illustrativ das zu weitgehende Fazit bei MüKo-Mayer-Maly/Armbrüster (o. Fn. 418) bezüglich der Rechtslage unter § 138 Abs. 1 BGB für Haustürgeschäfte vor Inkrafttreten des Haustürwiderrufsgesetzes. 425 Sogar überhaupt keine inhaltsbezogene Ausführungen – welcher Art auch immer – finden sich bei LG Frankfurt/O., NJW-RR 1997, 1332 ff., wo die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts damit letztlich auch ganz offen allein aus den ungewöhnlichen Umständen des Vertragsschlusses (nah an der Grenze zum Betrug) abgeleitet wird; vgl. zur Kritik dieser in der Begründung fehlerhaften Entscheidung sogleich noch näher u. Fn. 441. 426 So für den hier betrachteten Bereich der vertriebsspezifischen Störungen der Entscheidungsgrundlage der Versuch des LG Berlin in einem der „Schreibmaschinenfälle“, s. LG Berlin, MDR 1963, 1009; entsprechende Ansätze finden sich im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB natürlich auch in einer Vielzahl anderer Fallgestaltungen. 427 Vgl. schon die Nachweise oben I.
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rig in Richtung auf einen schwerpunktmäßigen Schutz der reinen Entscheidungsfreiheit überdehnt428. Wiederum zeigt die gesamte historische Entwicklung – wie bei § 134 BGB –, daß die Annahme einer diesbezüglichen neuen „Verbraucherschutzlücke“ insofern im Regelfall nicht in Betracht kommt, solange und soweit sich derartige „Auffangversuche“ der gerichtlichen Praxis im Rahmen der Generalklauseln des Zivilrechts nicht konkret beobachten lassen429. Insbesondere mit der Schaffung des vertriebspezifischen Widerrufsrechts im Haustürvertrieb, zum Teil (neben anderen Aspekten) auch durch das Widerrufsrecht im Fernabsatz, sind die faktischen „Schutzlücken“, die vorstehend umrissener Rechtsprechung unter dem Aspekt zeitlicher Komplementarität spezifischen Verbraucherschutzes und individueller Behelfe der Rechtsgeschäftslehre zugrundelagen, vom Gesetzgeber durch situationsspezifische Verbraucherschutzinstrumente geschlossen worden. Obwohl wiederum zwischen den verbraucherschützenden Widerrufsrechten und § 138 BGB kein echtes Konkurrenzverhältnis besteht430, sind die den Verbraucherschutzvorschriften zugrundeliegenden gesetzgeberischen Wertungen mit Blick auf die Rechtsfolge eines befristeten Widerrufsrechts insofern in § 138 BGB – ähnlich wie im Verhältnis zum Wettbewerbsrecht431 – zu respektieren, als es nicht zu einem inneren Widerspruch mit der Wertung des vertriebsspezifischen Verbraucherschutzrechts kommen darf, soweit diese reicht432. Daraus ergibt sich etwa, daß innerhalb des Anwen428 Dies wird deutlich, wenn man zur Kontrolle einmal einen an der denkbaren Interessenlage der Vertragspartner justierten rechtsfolgenspezifischen Maßstab an einzelne der vorgenannten Urteile anlegt. Bei interessenorientierter Betrachtung mit Blick auf die Nichtigkeitsfolge, käme eine Nichtigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB unter Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zum Rechtsfolgensystem des Anfechtungsrechts an sich nur dann in Betracht, wenn bei den streitgegenständlichen Verträgen ein Vertragserhaltungsinteresse seitens der Kunden schlechthin unvorstellbar wäre (s. schon die Nachweise o. Fn. 341). Dies ist aber gleich in mehreren der genannten Fälle schlicht nicht der Fall. Das Unwerturteil liegt vielmehr (im Gewand vermeintlich inhaltsbezogener Ausführungen verkleidet) in mehreren Fällen gerade fast ausschließlich in der sofortigen Bindung begründet, wie sie für die betroffenen Vertriebssituationen typisch war; s. nur zu deutlich sogar LG Trier, NJW 1974, 151 f., wo das Gericht, obwohl es in den betroffenen Verträgen (wohl zu recht) sogar auffällige Leistungsmißverhältnisse identifizierte, dann in der Folge doch besonders darauf hinweist, daß sich die Ausnutzung der Unerfahrenheit gerade auch aus dem Fehlen einer (gegebenenfalls zeitlich befristeten) Rücktrittsmöglichkeit ergäbe (aaO., S.152). Deutlicher kann das hier letztlich doch vorhandene (zumindest forensisch-praktische) Komplementaritätsverhältnis zwischen der (nominell inhaltsbezogenen) Rechtsprechung zu § 138 BGB und den später erlassenen situationsspezifischen Verbraucherschutzvorschriften (die sich lediglich auf den Schutz der Entscheidungsfreiheit vor Überrumpelung durch Einräumung entsprechend durch Informationspflichten abgesicherter Widerrufsrechte beschränken) trotz der vermeintlich stets inhaltsbezogenen Ausführungen nicht mehr werden. 429 Vgl. zu dieser Argumentation bereits oben 3. Kap. 2. Abschn. A V. 430 Insoweit zu Recht Staudinger-Sack, § 138, Rz. 161 ff.; vgl. auch Sack, GRUR 2004, 625, 627 (dort Fn. 24). 431 S. oben 3. Abschn. A. 432 S. zur Reichweite der den Regelungen vertriebsspezifischen Verbraucherschutzes zugrundeliegenen Wertungen mit Blick auf den Schutz der Entscheidungsfreiheit schon oben 3. Abschnitt A I in anderem Zusammenhang.
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dungsbereichs des ausdrücklich dem Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit vor Überrumpelung dienenden Haustürwiderrufsrechts jedenfalls nicht gerade allein aus der situativen Störung des Entscheidungsprozesses auf eine Ausnutzung von Unerfahrenheit oder einer erheblichen Willensschwäche (für § 138 Abs. 2 BGB) oder auf eine psychische Zwangslage oder sonstige Überrumpelung (für § 138 Abs. 1 BGB) mit der Folge der Nichtigkeit des Vertrags (bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen, insbesondere einer entsprechenden Äquivalenzstörung) geschlossen werden darf433. Insofern sind vielmehr echte Zusatzumstände notwendig, die von der typisierten gesetzgeberischen Absicherung der freien Entscheidung gegen bestimmte Gefahren durch das Widerrufsrecht noch nicht erfaßt sind und die sich nach der hier vertretenen Auffassung in der Regel nicht allein in der hinzutretenden besonderen Inäquivalenz des resultierenden Rechtsgeschäfts erschöpfen dürfen434. Dabei kann es sich einerseits um gruppenspezifisch besondere Schutzbedürftigkeit, die von der typisierten Wertung noch nicht abgedeckt wird, handeln435. Daneben kommt auch die Sicherung gegen bestimmte zusätzliche Gefahren einer atypischen, qualifizierten Haustürsituation – sei es mit Blick auf den Schutz der Entscheidungs433 Wohl aA BGH NJW 1988, 1373, 1375, wo zwar ebenfalls Zusatzumstände gefordert werden, die Haustürsituation als solche aber bereits als eigenständiges Sittenwidrigkeitskriterium gewertet wird, was nach der hier vertretenen Auffassung gerade nicht mehr möglich wäre. Die diesbezügliche BGH-Entscheidung entspricht in diesem Punkt gerade der vermittelnden Haltung in der Literatur (s. sogleich die Nachweise u. Fn. 434). Insoweit ist allerdings zu bedenken, daß es sich bei dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt um einen „Altfall“ handelte, in dem das neue Haustürwiderrufsgesetz gerade noch nicht anwendbar war, so daß zugunsten des betroffenen Verbrauchers gerade kein Widerrufsrecht existierte. Die jetzige rechtliche Situation mit den existierenden Widerrufsrechten läßt sich mit diesem Sachverhalt nicht vergleichen. Stellt man auf die inhaltliche Begründung des BGH in der genannten Entscheidung ab, so stellt sich als Kernelement des Sittenwidrigkeitsverdikts, dem sich die anderen Elemente letztlich beinahe akzessorisch zuordnen (s. näher schon o. Fn. 423), die sofortige und irreversible Bindung an einen finanziell schwerwiegenden Kaufvertrag ohne die Möglichkeit vorherigen oder nachträglichen näherer Marktvergleichs dar. Eben dieses Problem wird durch das Haustürwiderrufsrecht nunmehr aber für den typischen Fall wertungsmäßig abschließend gelöst. Unter dieser inhaltlichen Perspektive dürfte dem genannten BGH-Urteil sogar eine Tendenz zu entnehmen sein, nach der nunmehr für diesen Bereich das Haustürwiderrufsrecht bei Fehlen von Zusatzfaktoren der Sittenwidrigkeit vorrangig wäre. 434 Ähnlich wie hier die wohl herrschende Meinung, s. Bork, BGB AT, Rz. 1173; ErmanPalm, § 138, Rz. 7; Staudinger-Thüsing, Vorbem zu §§ 312, 312a, Rz. 41; schon abweichend, da als Zusatzfaktor bereits die inhaltsbezogene Äquivalenzstörung genügen würde, um sodann ein weiteres Sittenwidrigkeitselement gerade aus der Haustürsituation zu gewinnen (was nach der hier vertretenen Auffassung in der Regel bereits unzulässig ist) auch die vermittelnde Auffassung von Palandt-Heinrichs, § 138, Rz. 18; Bamberger/Roth-Wendtland, § 138, Rz. 11. Ohnedies für eine vollumfängliche Anwendung des § 138 BGB wegen der unterschiedlichen Regelungsbereiche Staudinger-Sack, § 138, Rz. 168 mwN. 435 Vgl. für ein Beispiel eines personenbezogenen Zusatzfaktors das besonders hohe Alter des Betroffenen in OLG Frankfurt, NJW-RR 1988, 501. Übertragbar aus dem Wettbewerbsrecht in das Problemfeld des vergleichbaren (s. noch die Ausführungen bei und der Verweis in u. Fn. 443) Verhältnisses von § 138 BGB zum Haustürwiderrufsrecht auch BGH GRUR 1998, 1041 f. – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim.
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freiheit, sei es mit Blick auf gänzlich anders gelagerte Rechtsgüter436 – in Betracht. Nach der hier vertretenen Auffassung muß dasselbe auch im Bereich des Fernabsatzes von Waren und Finanzdienstleistungen gelten. Auch die Widerrufsrechte im Fernabsatz kommen letztlich stets neben der Ausgleichung der fernabsatzspezifischen Informationsdefizite der Verbraucher auch einem faktischen Überrumpelungsschutz zugute 437, der, selbst wenn die gesetzgeberische Zwecksetzung insoweit im Bereich des Fernabsatzes ausdrücklich auf die Ausgleichung der Informationsdefizite (Informationsgrundlage) begrenzt ist438, im typischen Fall zum Schutz auch unerfahrener Verbraucher vor unbedachten Entscheidungen (Informationsprozeß) mehr als ausreichend sein dürfte 439. Im übrigen ist die gesetzgeberische Wertung, die den genannten verbraucherschützenden Widerrufsrechten jeweils zugrundeliegt, in gewissem Umfang auch außerhalb ihres jeweiligen Anwendungsbereichs zu berücksichtigen. Denn – ob stets zutreffend oder nicht440 – ergibt sich insbesondere aus der Begrenzung der Widerrufsrechte auf Verbraucherverträge zugrundeliegenden gesetzgeberischen Wertung, daß Nichtverbraucher gegen die spezifische Überrumpelungsgefahr in den geregelten Vertriebssituationen jedenfalls typisiert-gruppenbezogen nicht für schutzbedürftig erachtet werden. Für die Inhaltskontrolle nach § 138 BGB, die sich ohnedies primär am Inhalt des konkreten Vertrags zu orientieren hat, ergibt sich daraus aber lediglich das Gebot, gegebenenfalls bei der Anwendung der persönlichen Kriterien des § 138 Abs. 2 BGB oder im Rahmen der Gesamtbetrachtung der Umstände des Rechtsgeschäfts in § 138 Abs. 1 BGB stets auf den von einer bestimmten Vertriebspraktik individuell betroffenen Vertragspartner abzustellen und nicht etwa beispielsweise allein aus dem Vorliegen einer besonderen Vertriebssituation (Haustürvertrieb; Vertrieb im Fernabsatz) auch gegenüber Nichtverbrauchern auf das Vorhandensein eines der Kriterien einer gestörten Entscheidung nach § 138 Abs. 2 BGB rückzuschließen. Wird diese Einschränkung berücksichtigt und dementsprechend einzelfallbezogen argumentiert, kann § 138 BGB – sofern die zusätzlichen inhaltsbezogenen Voraussetzungen der Norm vorliegen – durchaus eines der Instrumente sein, vermittels dessen in atypischen Fällen die Härten, die die verbraucherschutzrechtliche Typisierung gegenüber Nichtverbrauchern in Grenzbereichen mit sich bringt, durch eine am Inhalt des Rechts436 Vgl. als theoretisches Beispiel den ungenehmigten Telefonmitschnitt in einer Fernabsatzsituation zum Zwecke der Beweissicherung bezüglich eines mündlichen Vertragsabschlusses, der das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gem. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG berührte, in dem Sachverhalt, der der Entscheidung des LG Frankfurt/O., NJW-RR 1997, 1332 ff., zugrundelag. 437 Vgl. insoweit auch schon oben 3. Abschn. A III. 438 S. zu der in diesem Bereich situationsspezifisch auszugleichenden typisierbaren Informationsasymmetrie auch schon grundlagenorientiert oben 1. Kap. 1. Abschn. D IV 4 c. 439 Vgl. zum ganzen schon oben 3. Abschn. A III. 440 Vgl. für Zweifel, zu denen die unvermeidliche Typisierung des Verbraucherschutzrechts, unter Gesichtspunkten der Einzelfallgerechtigkeit und Zielgenauigkeit mit Blick auf die Verbraucherspezifität einiger typischer Informationsasymmetrien Anlaß gibt, schon oben 2. Abschn. A III 1.
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geschäfts ansetzende Korrektur besonders krasser Fälle ausgeglichen werden können. Dabei ist aber stets zu berücksichtigen, daß nicht etwa für vom typisierenden Verbraucherschutzrecht nicht erfaßte Bereiche neuartiger vertriebsspezifischer Störungen der Entscheidungsfreiheit der alten Versuchung aus der Situation insbesondere vor Inkrafttreten des Haustürwiderrufsrechts erlegen werden sollte, indem faktisch allein eine bestimmte situative Störung der Entscheidungsfreiheit als Indiz der Sittenwidrigkeit unter § 138 Abs. 1 BGB herangezogen und der inhaltsbezogene Regelungsgegenstand der Norm auf diese Weise derogiert wird. Dies ist – zumal auch mit Blick auf die neuen, aufgrund einer bewußten gesetzgeberischen Entscheidung situationsspezifisch ausgestalteten Widerrufsrechte – schon aus Gründen einheitlicher Wertung im Bereich der Rechtsfolgen nunmehr erst-recht unzulässig441 und zur Schließung potentiell aufbrechender Lücken in diesem Bereich auch nicht hilfreich442. 441
Soweit es an einem inhaltsbezogenen Element der Sittenwidrigkeit fehlt, ergibt sich dies ohnehin schon aus dem Regelungsgegenstand des § 138 BGB sowie aus der mangelnden Eignung der Vorschrift, derartige Situationen von der Rechtsfolge her interessengerecht aufzulösen. Illustrativ die unzutreffende Entscheidung LG Frankfurt/O., NJW-RR 1997, 1332 ff. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt war der Betroffene im Rahmen einer wettbewerbswidrigen Telefonwerbung (vgl. zu diesem Aspekt des Urteils auch Alexander, S. 87) in einen Vertragsschluß letztlich durch List hineingelockt worden (unauffällige Ankündigung eines Anrufs zum Zwecke der Beweissicherung des mündlichen Vertragsschlusses, der für ein derartiges Geschäft [Werbung Datex J (früheres BTX)-System der Deutschen Telekom vollkommen unüblich war]). Sonstige Sittenwidrigkeitselemente – abgesehen von weiteren abschlußbezogenen Erwägungen – waren im Sachverhalt nicht ersichtlich. Ein Wertungswiderspruch mit Blick auf die durch den Gesetzgeber gerade nicht erfolgte Nichteinbeziehung von Unternehmern in den situationsspezifischen Verbraucherschutz hätte insofern zwar auch nach der hier vertretenen Auffassung gerade nicht gegen eine Anwendbarkeit des § 138 BGB gesprochen, da mit dem auf Täuschung angelegten Vertriebssystem echte Zusatzumstände zur bloßen Fernabsatzsituation traten (s. insoweit auch die Überlegungen des Gerichts, aaO., 1333), doch fehlte eben jegliches inhaltsbezogene Sittenwidrigkeitselement insofern, als der letztlich abgeschlossene Vertrag weder objektiv noch subjektiv für den Betroffenen besonders belastend oder von vornherein unnütz war. Es ging damit in der Tat um einen reinen Schutz der Entscheidungsfreiheit. Eine Lösung über § 138 BGB war daher von vornherein nicht interessengerecht und setzte sich zudem in unüberwindbaren Widerspruch zu den Wertungen des Anfechtungsrechts, die in einer solchen Situation gerade nur eine Anfechtbarkeit zugelassen hätten. Nach der veröffentlichten Sachverhaltsdarstellung wäre diese zumal auch ohne weiteres möglich gewesen. Die Rechnung traf 14 Tage nach Vertragsschluß ein, selbst wenn die Voraussetzungen des § 123 BGB nicht gegeben gewesen wären, so lag doch jedenfalls ein Erklärungsirrtum gem. § 119 Abs. 1 2. Fall BGB vor und gem. § 122 Abs. 2 BGB wäre der Betroffene auch nicht zum Ersatz des (ohnedies nicht ersichtlichen) Vertrauensschadens verpflichtet gewesen, da insoweit jedenfalls mindestens fahrlässige Unkenntnis der Anfechtungsgegnerin von der Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts gegeben war. Unter diesen Umständen war der zugrundeliegende Sachverhalt zutreffend ohne weiteres durch schlichte Anwendung des Anfechtungsrechts zu lösen, das System des Zivilrechts enthielt insoweit ersichtlich keinerlei Lücke. Da offenbar auch streitig verhandelt wurde (in der Entscheidungsbegründung finden sich Hinweise auf Zeugenvernehmungen), so daß auch ohne weiteres die Möglichkeit bestand, die Anfechtung zu erklären, bleibt die Fehlentscheidung auch auf Grundlage prozessual-praktischer Erwägungen (Nichtigkeit als einziger Weg in die Unschlüssigkeit der Klage) unbegreiflich und ist unter jedem denkbaren Aspekt unzutreffend. 442 Immerhin illustriert die Entscheidung des LG Frankfurt/O., aaO daß potentiell Vertriebsverfahren denkbar sind, die sich bewußt Schutzlücken des bisherigen situationsbezogenen
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Insgesamt stellt sich die wertungsmäßige Rückwirkung der Schaffung der neuen situationsspezifischen verbraucherschützenden Widerrufsrechte auf den – andere Aspekte einbeziehenden – Bereich der Inhaltskontrolle nach § 138 BGB damit durchaus vergleichbar der entsprechenden Rückwirkung auf das – gleichfalls der Funktion nach vielschichtigere – Lauterkeitsrecht dar443. Jeweils soweit wie die gesetzgeberische Interessenwertung aus dem Verbraucherschutzrecht reicht, ist sie auch im Rahmen der funktional anders ausgerichteten Instrumente zu respektieren.
C. Zivilrechtlich „gefilterte“ Rezeption lauterkeitsrechtlicher Maßstäbe im Rahmen von Schadensersatzansprüchen aus culpa in contrahendo gemäß §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB I. Ausgangslage Soweit es um die lückenlose Erfassung exogener Störungen der informationellen Entscheidungsgrundlage und des unbeeinflußten Entscheidungsprozesses444 sowie um den Schutz vor sonstigen – durch werbliche Maßnahmen verursachten – Schäden in der Vertragsanbahnung geht, ist seit jeher dem praeter legem in Literatur445 und Rechtsprechung446 entwickelten, vom historischen BGB-Gesetzgeber bereits bedachten447 und mittlerweile im Rahmen der Schuldrechtsreform in §§ 311 Verbraucherschutzrechts zunutze machen würden. Wo hierfür konkreter Anhalt besteht, ist die Lösung über § 138 BGB jedoch wegen der Inhaltsbezogenheit der Norm und der unflexiblen Nichtigkeitsfolge wiederum ein nur in seltenen Fällen zu beschreitender Weg. Als erweiterungsfähige Konzeption bieten sich zutreffend vielmehr insbesondere schadensersatzrechtliche Lösungen über §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB an, s. noch in der Folge unten C. 443 S. oben 3. Abschn. A. 444 S. für die letzthin mehrfach untersuchte und ausgebaute Rolle der culpa in contrahendo in diesem Bereich nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 387 ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 416 ff.; ders., AcP 200 (2000), 91 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 304 ff. 445 S. für die historische Begründung der culpa in contrahendo, von Ihering, IherJB 4 (1861), 1 ff., und dazu Schanze, in: Ius Commune 7 (1978), S. 326 ff. Für einen Überblick über die historische Entwicklung im übrigen, s. Medicus, in: FS Kaser, S. 169 ff.; MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 55 ff. mwN; vgl. für eine nähere Darstellung neuestens auch Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 a) mwN zur älteren rechtswissenschaftlichen Diskussion um den Rechtscharakter der culpa in contrahendo. 446 S. zuerst RGZ 78, 238, 239; für eine Darstellung des Entwicklungsstandes der Rechtsprechung auf dem aktuellsten Stand vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform, s. statt vieler Singer, JZ 2000, 153 ff. mwN. 447 S. nur Mot. I, S. 195 (culpa in contrahendo als solche), 228 (Haftung des Vertreters und Grenzen der Haftung des Vertretenen); Mot. II, S. 179 (dort auch bezüglich der Haftung auf das negative Vertragsinteresse in Fällen der Nichtigkeit wegen Unmöglichkeit der Leistung mit der Aussage, daß die Qualifizierung dieser Haftung [Delikt oder wegen Verletzung rechtsgeschäftlicher Pflichten] bewußt offengelassen wurde); vgl. näher zur Entstehungsgeschichte die Nachweise in o. Fn. 445 sowie auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 333 ff. und
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Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB positivrechtlich verankerten448 Rechtsinstitut der culpa in contrahendo eine prominente Rolle zugewiesen worden449. Auf die vielfältigen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Einsatz der culpa in contrahendo zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit aufgeworfenen Problemstellungen, kann in dieser Untersuchung nicht in allen Verästelungen eingegangen werden. Einzelne Fragen sind auch bereits (oben A III 3) im Zusammenhang mit der Klärung des Konkurrenzverhältnisses zum Anfechtungsrecht untersucht worden. Es ist insoweit im Ausgangspunkt festzuhalten, daß nach der hier vertretenen Auffassung nunmehr auf dem Stand der Schuldrechtsreform außer Zweifel steht, daß die bloße, aus der Belastung mit einer unerwünschten Verbindlichkeit entstehende Einschränkung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit einen Schaden darstellen kann, der grundsätzlich nach § 249 S. 1 BGB im Wege der Naturalrestitution aus der Welt zu schaffen ist, und daß der Schutzzweck vorvertraglicher Sonderpflichten auch den Schutz der korrekten Willensbildung des Vertragspartners (seiner Entscheidungsfreiheit) umfaßt450. Auf die hiermit verbundenen Problemstellungen allgemeiner Natur und die in diesem Bereich beileibe nicht abgeschlossene rechtswissenschaftliche Diskussion soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Stattdessen soll die volle Konzentration den neuralgischen Bereichen gelten, an denen sich der vorvertragliche Pflichtenmaßstab der §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB mit Wertungen des Wettbewerbsrechts überschneidet. Mehrere Problemfelder lassen sich insoweit identifizieren. Zum einen ist im Lichte des nunmehr positiv formulierten Tatbestands der culpa in contrahendo in §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB die seit den siebziger Jahren diskutierte Fragestellung neu zu betrachten, unter welchen Umständen werb(skeptischer) Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 603 ff. (jeweils spezifisch im Hinblick auf den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo). 448 S. dazu die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857, B Zu § 311 Abs. 2 und 3 („aufbauend auf einer gefestigten Rechtsprechung“). Vgl. aus der Literatur für den Moment statt aller MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 50 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen auch zur positivrechtlichen Verankerung im Rahmen der Schuldrechtsreform und ihrem Hintergrund. 449 Vgl. mit dem Fokus auf Vertragsanbahnung durch Werbung und der im Rahmen des hier interessierenden Themas entscheidenden Konzentration auf den Vergleich mit wettbewerbsrechtlichen Maßstäben bzw. auf die rechtliche Anknüpfung an Wettbewerbsverstöße im Vorfeld des Vertragsschlusses und eine Haftung aus culpa in contrahendo für Wettbewerbsverstöße in der Vertragsanbahnung weitgehend bejahend: Sack, WRP 1974, 445, 454 ff. (und öfter, s. zuletzt ders, GRUR 2004, 625, 628 f.); Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 340 ff. (und öfter, s. zuletzt ders., DB 2002, 1090, 1091; Kohls, Informationshaftung, S. 13; Beaucamp, NJW 2003, 3096; zuletzt Augenhofer, WRP 2006, 169, 175. Skeptischer bzw. gänzlich ablehnend (insbesondere bezüglich der Bejahung einer Sonderverbindung durch Werbung) Alexander, S. 134 ff.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 586 ff.; Köhler, GRUR 2003, 265, 268: erhebliches Potential der culpa in contrahendo, aber gerade aus diesem Grunde Betonung der Grenzen, insbesondere im Sinne der Voraussetzung eines „persönlichen Kontakts“ mit dem Verbraucher. Vgl. näher zum ganzen sogleich unten II. 450 S. zum ganzen oben A III 2–4.
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liche Maßnahmen im Hinblick auf den Abschluß von Verträgen eine Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo auslösen können. Es ist mithin die Frage nach den Voraussetzungen einer vorvertraglichen Sonderverbindung durch werbliche Vertragsanbahnung bzw. nach der Relevanz werblicher Vertragsanbahnung für eine letztlich zustandekommende Sonderverbindung aufgeworfen (s. allgemein unten II 1). Hiermit in engem Zusammenhang steht die Fragestellung, ob und inwieweit werbliche Maßnahmen Dritter eine selbständige Dritthaftung nach § 311 Abs. 3 BGB auslösen können (s. unten II 2). Die § 311 Abs. 2 und 3 BGB haben bezüglich dieser beiden Problemkomplexe nach verbreiteter und grundsätzlich berechtigter Auffassung451 zunächst keine unmittelbaren Veränderungen im Vergleich zur bisherigen (durchaus zu Recht restriktiven) rechtlichen Beurteilung gebracht. Doch stellt sich die Frage, ob nicht die durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zweifellos erfolgte Aufwertung ganz bestimmter, nach Art eines „Wasser und Öl“-Ansatzes durch die Rahmensetzung im Zivilrecht strikt begrenzter Formen der massenhaften vorvertraglichen (und vorindividualisiert-typisierten) Informationsaufnahme (auch hinsichtlich von bestimmten Dritten stammender Informationen über konkrete Eigenschaften der Kaufsache) eine Wertung beinhaltet, die auch im Rahmen des gesetzlichen Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo zu berücksichtigen und zu Ende zu denken ist. Soweit als Resultat dieser Überlegungen auch bestimmte vorindividuell-massenhafte Werbemaßnahmen der Anbieterseite in typisierter Form dem Pflichtenmaßstab der §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB unterworfen werden, sofern es nur letztendlich zu einer vorvertraglichen Individualisierung kommt, ist der in dieser Untersuchung ganz im Mittelpunkt stehende situative Überschneidungsbereich mit dem Recht des unlauteren Wettbewerbs erreicht. An der Geltung des grundsätzlichen Gleichmaßgebots und seiner sich aus zum Teil unterschiedlichen Schutzzwecken ergebenden Ausnahmen orientiert, muß ein Vergleich der jeweiligen rechtlichen Maßstäbe mit Blick auf das vorvertragliche Pflichtenprogramm erfolgen, wobei auch im Rahmen der culpa in contrahendo die Bipolarität aus Schutz der Entscheidungsfreiheit und Schutz des Entscheidungsprozesses452 – wie sie dem hier vertretenen Vier-Ebenen-Modell entspricht – grundsätzlich beibehalten werden kann. Im Gegensatz zu bisherigen Untersuchungen, die stets sozusagen „einbahnstraßenartig“ auf die Möglichkeit eines Imports wettbewerbsrecht451 S. nur Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857, B Zu § 311 Abs. 2 und 3. Aus der Literatur statt aller Larenz/ Wolf, AT, § 31, Rz. 3. 452 Vgl. durchaus ähnlich Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 391 mwN. Auch soweit Lösungen der Problematik vorvertraglicher Willensbeeinträchtigung „unterhalb“ des strengen Maßstabs des § 123 Abs. 1 BGB eher im Rahmen einer Ausdehnung dieser letztgenannten Norm gesucht werden, ist die vorbezeichnete Bipolarität, wie sie sich in § 123 Abs. 1 BGB in der Unterscheidung zwischen arglistigen Täuschungen und widerrechtlichen Drohungen wiederfindet, als Strukturmerkmal zugrundegelegt worden, s. Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 630 ff. mwN.
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licher Maßstäbe in das zivilrechtliche Pflichtenprogramm der culpa in contrahendo ausgerichtet waren, soll dabei mehr nach Art einer Wechselwirkung die gegenseitige Angleichung beider Rechtsgebiete im Mittelpunkt der hier angestellten Überlegungen stehen, was dann nicht nur Gewinn für Argumentationsmuster im Rahmen des culpa in contrahendo-Pflichtenprogramms verspricht, sondern zugleich zu der Hoffnung berechtigt, den jüngst zu beobachtenden Liberalisierungsbewegungen im Recht des unlauteren Wettbewerbs eine dogmatische Grundlegung gerade auf der Basis des Vergleichs mit zivilrechtlichen Wertungen unterlegen zu können (s. näher unten III). Schließlich sind – mit entschiedenem Fokus auf die Sonderprobleme an der Schnittstelle wettbewerbsrechtlicher und zivilrechtlicher Maßstäbe, die sich in erster Linie daraus ergeben, daß ein sozusagen zivilrechtlicher „Filter“ für die Relevanz jeweils verletzter wettbewerbsrechtlicher Verbotstatbestände gefunden werden muß – die Komplexe des schadensrechtlichen Haftungsumfangs und der Konkurrenzen (insbesondere zum Gewährleistungsrecht) kurz zu betrachten (s. unten IV), wobei zu belegen ist, daß eine wesentliche „Filterfunktion“ insoweit durch die schadensrechtlichen Anforderungen an die Kausalität und insbesondere an die normative Zurechnung des entstandenen Schadens auf den Schutzzweck der verletzten Pflicht wahrgenommen werden kann, die – zusammen mit einer konsequenten Anwendung des § 254 BGB453 – verläßlich dafür zu sorgen vermag, daß die Anwendung der §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB in diesem Bereich nicht zur Entwicklung eines allgemeinen Reurechts führt, welches Wettbewerbsverstöße nur zum willkommenen Anlaß für Kunden werden ließe, sich von (aus anderen Gründen unerwünschten) Verträgen nach praktisch freiem Belieben zu lösen.
453 Insbesondere die Rolle des § 254 BGB zur Erzielung flexibler Ergebnisse betont Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 379 mit einigen Beispielen; insoweit bezüglich § 254 Abs. 1 BGB in Fällen vorvertraglicher Informationspflichtverletzungen aber berechtigt die Skepsis bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 441 ff., der darauf hinweist, daß typischerweise die Frage, ob der Berechtigte den Angaben vertrauen durfte oder ob er abweichende Umstände selbst erkennen konnte, schon bei der Pflichtenbegründung berücksichtigt wird, so daß für ein darüber hinausgehendes Mitverschulden aufgrund eines bloßen Unterlassens der Überprüfung der Angaben wohl nur wenig Raum bleibt. S. aaO., S. 443, aber auch zur vergleichsweise größeren Bedeutung des § 254 Abs. 2 BGB.
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II. Werbliche Vertragsanbahnung und Sonderverbindung 1. Entstehen einer Sonderverbindung durch Werbemaßnahmen gegenüber dem potentiellen Vertragspartner und Pflichtenmaßstab für den die Sonderverbindung begründenden Akt a. Haftungsgrund und dogmatische Einordnung Nach heutiger Auffassung handelt es sich bei der culpa in contrahendo um ein gesetzliches Schuldverhältnis, das gem. § 311 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BGB454 durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder (ganz allgemein) dadurch entsteht, daß im Hinblick auf die Anbahnung eines Vertrags der eine Teil dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter oder Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut455. Grundlage des gesetzlichen Schuldverhältnisses ist zum einen der Vertrauensgedanke456, der jedoch – zumindest soweit es um die Klarstellung geht, daß nicht zwangsläufig ein konkretes, persönliches Vertrauen in den Verhandlungspartner notwendig ist457 – zweifelsohne der Ergänzung bedarf 458. Für den hier interessie454 S. zur nach dem Gesetzestext etwas unklaren inneren Systematik des § 311 Abs. 2 BGB noch bei u. Fn. 469 und 470. 455 Vgl. für die Qualifikation als gesetzliches Schuldverhältnis zuerst der „Weinsteinsäure“Fall, RGZ 104, 265, 267 f. (in dem erstmals auf das Erfordernis eines letztendlichen Vertragsschlusses verzichtet und damit letztlich allein objektiv auf die – wie auch immer geartete – vorvertragliche Nähebeziehung abgestellt wurde); in der Folge auch ständige Rechtsprechung des BGH seit BGHZ 6, 330, 333. Aus der älteren Literatur, s. Hildebrandt, Erklärungshaftung, 1931, S. 94 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen für die damalige Diskussion, die sich von Versuchen einer rechtsgeschäftlichen Begründung (so noch entsprechende Ansätze des RG, s. etwa RGZ 65, 17, 19 [Vorvertrag als Begründung der Sonderpflichten]; RG JW 1912, 743 f. [institutionelle Vertragssicht im Sinne einer einheitlichen Haftungsmodalität, die – sofern es nur letztlich zum Vertragsschluß komme, was aber auch notwendig sei – das Stadium der Vertragsanbahnung mit umfasse] im Anschluß an die entsprechende Theorie Leonhard[s], Verschulden beim Vertragsschlusse, 1910, S. 42 ff., 48 ff., 58 ff.) löste und in Richtung auf eine objektiv-rechtliche Begründung der culpa in contrahendo entwickelte (s. aus Sicht des heutigen Rechts insoweit statt aller Larenz/Wolf, AT, § 31, Rz. 3). Vgl. für einen kurzen geschichtlichen Überblick im übrigen die Nachweise o. Fn. 445 (dort insbesondere Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 a) mwN). 456 S. grundlegend Ballerstedt, AcP 151 (1950/1951), 501 ff.; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 532 ff.; ders., in: FS 50 Jahre BGH, S. 129, 172 f. mwN. Zustimmend unter anderem Breidenbach, Informationspflichten, S. 47 ff. mwN; zurückhaltender MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 64 mwN. 457 Treffend das Beispiel bei Larenz/Wolf, § 31, Rz. 4: In Beziehungen, die durch wirtschaftliche und andere Zwangslagen gekennzeichnet sind, kann es durchaus sogar typisch sein, daß die Vertragspartner einander keinerlei konkretes, persönliches Vertrauen entgegenbringen. Vertraut wird vielmehr in den rechtlichen Rahmen des Verkehrssystems und seine Einhaltung, mithin in das pflichtgemäße Verhalten des potentiellen Schädigers, der sich im Rahmen des – gegenüber dem allgemeinen Deliktsrecht – spezifisch verengten und qualifizierten sozialen Kontakts, den man bei der Anbahnung geschäftlicher Kontakte eingehen muß, an die Pflichten zu halten hat, die die Rechtsordnung zum Schutze des Rechtsverkehrs in diesem Bereich konstituiert. Vgl. näher zu dem demnach zwangsläufig auch institutionellen Anknüpfungspunkt des Vertrauens sogleich im folgenden Text. 458 Vgl. nur MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 61 ff. (in Rz. 64): offenkundig gingen in einzelnen
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renden Überschneidungsbereich lauterkeitsrechtlich („institutionenorientiert“) beurteilten wettbewerblichen Massenverkehrs und des an eine gewisse Individualisierung knüpfenden vorvertraglichen Schuldverhältnisses von besonderer Bedeutung ist die Feststellung, daß sich der Pflichtenmaßstab der culpa in contrahendo jedenfalls nicht allein aus dem Gedanken persönlichen oder wie auch immer individuell-konkreten Vertrauens erklären lässt. Vielmehr bildet genau umgekehrt der Pflichtenrahmen, den das Recht zum (auch institutionellen) Schutze des Verkehrssystems konstituiert, und der für das spezifische Näheverhältnis rechtsgeschäftlicher Vertragsanbahnung zu konkretisieren ist, den Anknüpfungspunkt des Vertrauens in das pflichtgemäße Verhalten des prospektiven Vertragspartners459, so daß letztlich – grundlagenorientiert formuliert – Individualschutz und institutionelle Systemfunktion in diesem Bereich unlösbar miteinander verzahnt sind460. Auch die culpa in contrahendo weist mithin – in der Formulierung der vorliegenden Studie – eine marktbezogene Ordnungsfunktion auf. Es ist gerade der (auch) institutionelle Pflichtenrahmen des Verkehrssystems für den spezifisch vorvertraglichen Geschäftskontakt, der nach der hier vertretenen Auffassung für den in dieser Studie betrachteten Bereich den wesentlichen Anknüpfungspunkt des schutzwürdigen Vertrauens bildet. Insofern wird im Ausgangspunkt deutlich, daß eine Anknüpfung an typisiertes Vertrauen insoweit keinen zwangsläufigen Systembruch bedeutet461, sondern vielmehr in der Konsequenz der bereits im Fallgruppen auch der Verbraucherschutz, der Anlegerschutz sowie (in Ausnahmefällen) der Schutz des wirtschaftlich Schwächeren als tragende Grundgedanken in die Haftung mit ein. S. spezifisch für den hier betrachteten Bereich auch schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 300 ff., 340 (Transaktionskostensenkung durch Vertrauensschutz); diesen Gedanken verallgemeinernd und im Sinne einer stets (auch) institutionenökonomischen Grundlegung ausdehnend Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 416 ff.; Fleischer, in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 243, 254 ff.; ähnlich schon Wiedemann/Schmitz, ZGR 1980, 129, 135, 140 (Schutzbedürfnis eines reibungslosen und störungsfreien Geschäftsverkehrs; Institution des gegenseitigen Vertrages). Vgl. im übrigen die umfassenden weiteren Nachweise bei Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 a). 459 Vertraut wird mithin in pflichtgemäßes Verhalten. Der Vertrauensgedanke selbst kann die normative Festlegung des vorvertraglichen Pflichtenmaßstabs nicht ersetzen, sondern knüpft vielmehr an sie an. S. grundlegend schon Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 504; ähnlich Larenz, in: FS Ballerstedt, S. 397, 414: entscheidend die allgemeine „Redlichkeitserwartung“ des Rechtsverkehrs; vgl. auch ders., Schuldrecht I, § 9 I (S. 106): „allgemeine Redlichkeitserwartung des Rechtsverkehrs“, die den „Schutz der Rechtsordnung verdient, weil ohne sie ein reibungsloser Geschäftsverkehr nicht möglich ist“; zustimmend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 405 mwN. 460 Grundlegend zuletzt Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 416 ff.; Fleischer, in Schulze/ Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 243, 254 ff., jeweils mwN. 461 So aber wohl Alexander, S. 143. Dagegen spricht aber nach heutigem Recht schon, daß auch der BGH im Rahmen der – zugegeben etwas gesondert gelagerten und vormals eigenständig begründeten – Prospekthaftung, die aber nunmehr jedenfalls nach der ganz herrschenden Meinung in §§ 311 Abs. 3, Abs. 2 Nr. 2 BGB ihre positivrechtliche Verankerung finden kann (s. nur Larenz/Wolf, AT, § 31, Rz. 51: Zuordnung der Prospekthaftung in § 311 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB; MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 164: Bestätigung der Prospekthaftung der Organisatoren in „Garantenstellung“ durch § 311 Abs. 3; Erman-Kindl, § 311, Rz. 52: Verankerung in § 311 Abs. 3 S. 2 BGB [besonderes Vertrauen durch den Prospekt]), stets auf typisiertes Vertrauen abstellte (s. nur BGHZ 83, 222, 224; BGHZ 123, 106; BGH NJW 2002, 1711; BGH NJW-RR 2003,
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Grundlagenteil diagnostizierten prinzipiellen Entwicklung des Vertragsrechts in Richtung auf die präventive Sicherung eines gewissermaßen „standardisierten“ Vertrauens in die Verläßlichkeit des Verkehrssystems – welche in dieser Studie, da sie die Entwicklung des modernen Massenverkehrs mit dem Übergang zum massenweisen Gattungskauf letztlich nur unvermeidbar widerspiegelt, behutsam positiv beurteilt wurde – durchaus folgerichtig ist462. Dies beantwortet jedoch noch nicht die Frage, welche Anforderungen – insbesondere zur Abgrenzung vom Jedermanns-Maßstab des Deliktsrechts mit seiner Zweispurigkeit aus Schutz absoluter Rechtsgüter und Verletzung von Schutzgesetzen, samt abweichenden (gegenüber dem vertragsrechtlichen Maßstab entscheidend engeren) Zurechnungsnormen für das Verschulden Dritter – an den qualifiziert vertragsanbahnenden sozialen Kontakt zu stellen sind. Die Frage ist auch für die hier interessierende Abgrenzung von den wettbewerblichen Verkehrssicherungspflichten des wettbewerbsrechtlichen Sonderdeliktsrechts (mit ihrem qualifizierten „Jedermanns“-Maßstab bezüglich des Pflichtenrahmens von Wettbewerbshandlungen) von entscheidender Bedeutung. Sie läßt sich auf die Problemkreise fokussieren, ab welchem Stadium eine werbliche Vertragsanbahnung zur Etablierung einer Sonderverbindung führt und ob und inwieweit schon die werbliche Anbahnungshandlung Anknüpfungspunkt einer Schadensersatzhaftung aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB sein kann. Dabei sind – was weithin übersehen wird – die beiden vorgenannten Komplexe streng voneinander zu scheiden463. Genaugenommen ist nämlich die Frage, ab wann eine vorvertragliche Sonderbeziehung als Voraussetzung der Haftung aus culpa in contrahendo entsteht, dogmatisch durchaus sauber zu trennen von der nachgelagerten Frage, ob und inwieweit auch schon die Handlung des potentiell Schadensersatzpflichtigen, die das vorvertragliche Näheverhältnis erst etablieren soll, dem Pflichtenmaßstab des § 241 Abs. 2 BGB sozusagen „vorwirkend“ unterworfen werden kann und soll464.
1054). Jedenfalls dem gesetzlichen Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3, Abs. 2 BGB ist demnach ein typisierter Maßstab nicht von vornherein fremd, s. auch Palandt-Heinrichs, § 311, Rz. 16, mit ausdrücklichem Bezug auf Werbeangaben in diesem Kontext. Vgl. näher dazu noch unten e. 462 Vgl. grundlegend oben 1. Kap. 3. Abschn. C III 3. 463 S. für einen Ansatz in diese Richtung schon Grandpair, Haftung für culpa in contrahendo, 1950, S. 44 ff.; grundlegend zuletzt Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 b) und c) mwN. 464 S. für die Formulierung des Problems gerade für die hier interessierenden Fälle werblicher Erklärungen an die Öffentlichkeit luzide schon Erman, AcP 139 (1934), 273286 f.: dort noch mit dem (letztlich nicht tragfähigen) Versuch, den Haftungsbeginn für jede der Parteien an ihren jeweiligen Eintritt in die Vertragsverhandlungen zu knüpfen und damit gerade nicht mit der notwendigen Trennung zwischen Vollendung des Haftungstatbestands und der Frage, inwieweit die den Tatbestand begründende Handlung bereits Pflichten aus dem Tatbestand unterworfen sein kann. Insbesondere schließt Erman, aaO., 287, in der Folge aus dem Inhalt der Pflicht, nicht den Schein von Vertragsverhandlungen zu erwecken, auf ihre tatbestandliche Vorverlagerung hinsichtlich des Haftungsbeginns; eben dieser Rückschluß bedarf aber der dogmatischen Begründung. S. insoweit ausführlich im folgenden Text auf Grundlage des beide Aspekte letzthin sauber trennenden Ansatzes bei Kersting, aaO.
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b. Entstehungstatbestand der Sonderverbindung durch Werbung Ist somit zuerst die Frage nach dem Entstehungstatbestand der Sonderverbindung zu beantworten, so müssen den Ausgangspunkt zur Konkretisierung dieses Tatbestands nunmehr Wortlaut und Systematik des § 311 Abs. 2 BGB bilden. Für den hier interessierenden Bereich relevant sind § 311 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BGB465. Dabei ist es angesichts der einheitlichen Verweisung auf den Pflichtenmaßstab des § 241 Abs. 2 BGB nicht notwendig (und wohl auch nicht möglich466), zwischen den beiden Tatbeständen – der Aufnahme von Vertragsverhandlungen einerseits und dem Anvertrauen im Rahmen einer Vertragsanbahnung andererseits – trennscharf zu unterscheiden. Vielmehr sind die Übergänge fließend, wobei § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB den (weiter gefaßten) Grundtatbestand bildet, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB einen engeren (und durch einseitige Initiative des Vertrauensnehmers gekennzeichneten) Unterfall bilden dürfte. Für die hier im Mittelpunkt stehende Beurteilung der Vertragsanbahnung durch Werbung inhaltlich entscheidend ist die Frage, ob die vorvertragliche Sonderverbindung durch einseitiges Handeln begründet werden kann oder ob es sich bei der vorvertraglichen Sonderverbindung um einen zweiseitigen Tatbestand handelt, der auch seitens des Vertrauensgebers ein gewisses – die vorvertragliche Sonderbeziehung erst individualisierendes – Entgegenkommen voraussetzt. In dieser Frage besteht Streit467. Soweit eine einseitige Begründung – etwa durch Werbemaßnahmen in Massenmedien – für möglich gehalten wird468, stößt dies allerdings auf durchgreifende Bedenken. Bezüglich § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB spricht schon der klare Wortlaut („Einwirkung … gewährt … anvertraut“) mit seiner eindeutigen Orientierung auf den Vertrauensgeber gegen die Annahme einer einseitigen Begründungsmöglichkeit durch den Vertrauensnehmer. Dieses grammatikalische Argument ist im Falle des § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB weniger schlagkräftig, obgleich auch der Begriff der „Vertragsverhandlungen“ eine gewisse prospektive Zweiseitigkeit impliziert. Doch wird man – wenn man die Tatsache, daß § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB den hinsichtlich der situativen Begrenzung („Anbahnung“) am 465 Da es im Schnittbereich von Recht des unlauteren Wettbewerbs und Vertragsrecht in allen relevanten Fällen um die Anbahnung von Verträgen gehen dürfte, ist der Auffangtatbestand des § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB für die hier angestellte Untersuchung nicht von Interesse. 466 S. näher noch sogleich bei u. Fn. 469 und 470. 467 S.eindeutig für eine einseitige Begründung insbesondere Palandt-Heinrichs, § 311, Rz. 16; Soergel-Wiedemann (12. Aufl.), Vor § 275, Rz. 244, jeweils mwN aus Rechtsprechung und Literatur; wohl auch MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 70 (vgl. aber auch mit eher „zweiseitiger Tendenz“, aaO., Rz. 69). Für einen zweiseitigen Begründungstatbestand (mit unterschiedlichen Nuancierungen bezüglich der Anforderungen an das „Entgegenkommen“ des Vertrauensgebers) im Grundsatz die herrschende Meinung, s. die Nachweise in u. Fn. 473. 468 So für den hier interessierenden Bereich wohl Sack, WRP 1974, 445, 454: Ansprüche nicht nur, wenn die unlauteren Methoden nach Aufnahme der vorvertraglichen Beziehungen eingesetzt werden, sondern auch schon, wenn sie zum Zweck der Aufnahme von vertraglichen Beziehungen (einseitig) eingesetzt werden, da schon dadurch der soziale Kontakt etabliert werde. Vgl. allgemein für eine einseitige Begründung statt vieler Palandt-Heinrichs, § 311, Rz. 16; SoergelWiedemann (12.Aufl.), Vor § 275, Rz. 244, jeweils mwN aus Rechtsprechung und Literatur.
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weitesten formulierten Grundtatbestand bildet469, oder wenn man zumindest anerkennt, daß die einzelnen Begründungstatbestände im Rahmen einer einheitlichen Konzeption der vorvertraglichen Sonderverbindung jedenfalls nicht sauber getrennt werden müssen470 – nicht umhin kommen, auch insoweit ein gewisses „Eingehen“ auf die massenhafte Ansprache durch Werbung zu fordern. Selbst wenn man diesem, an Wortlaut und Systematik des § 311 Abs. 2 BGB orientierten Argument nicht folgt, so scheint doch ein zweiseitiger Begründungstatbestand auch insofern unabdingbar, als nach vollkommen herrschender Auffassung (auch zum alten Recht) eine vorvertragliche Sonderverbindung jedenfalls nur dann zu bejahen ist, wenn auf Seiten des potentiell Schadensersatzberechtigten zumindest eine ganz allgemein gehaltene Absicht vorhanden war, sich wegen irgendeines eventuell abzuschließenden Vertrags oder doch zumindest zum Zwecke einer perspektivisch vertragsorientierten Information (etwa Preisvergleich o.ä.) zu informieren471. Es wäre aber in sich widersprüchlich, einerseits grundsätzlich (und vollkommen zu Recht) eine derartig zumindest minimal qualifizierte Aktivlegitimation auf Seiten des durch die Sonderverbindung Geschützten zu fordern und andererseits die Etablierung einer vorvertraglichen Sonderverbindung allein durch einseitiges Handeln – welches eine Individualisierung der Betroffenen, und sei es nur zur Beurteilung der Frage eines Vorhandenseins ganz allgemein vertragsrelevanter Absichten in ihrer Person, eben gerade (noch) nicht gestattet – zu bejahen472. Insofern wird man – schon zum Zwecke der Individualisierbarkeit der Sonderverbindung – ein naturgemäß zwar nicht rechtsgeschäftliches, aber doch durch faktisches Verhalten im weitesten Sinne nach außen zu erkennendes „Eingehen“ des Vertrauensgebers auf das einseitige „Vertrauensangebot“ für sämtliche Fälle des § 311 Abs. 2 BGB fordern müssen. Der Tatbestand der nach § 311 Abs. 2 BGB notwendigen Sonderverbindung ist mithin nach richtiger Auffassung im Sinne eines zumindest in irgendeiner Weise erkennbaren „Aufeinanderzugehens“ zweiseitig ausgestaltet473. 469 Der insbesondere die Aufnahme von Vertragsverhandlungen als spezielleren Fall mit umfaßt, worüber in der Literatur weitgehende Einigkeit besteht, s. wie hier Lorenz/Riehm, Rz. 367 ff.; Huber/Faust-Faust, § 3, Rz. 10 f.; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring-Lieb, § 3, Rz. 37; AnwK-Krebs, § 311, Rz. 18; MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 68; Bamberger/Roth-Grüneberg, § 311, Rz. 46; zuletzt Kersting, Kap. 4 § 2 B II 1 b) mwN. A.A. nur Jauernig-Stadler, § 311, Rz. 43: Nr. 1 bilde den Grundtatbestand des § 311 Abs. 2. 470 S. für die diesbezüglich ganz hM nur Huber/Faust-Faust, § 3, Rz. 10 f.; Larenz/Wolf, AT, § 31, Rz. 7 f.; ähnlich Lorenz/Riehm, Rz. 367 f. 471 S. zum neuen Recht nur statt aller Canaris, JZ 2001, 499, 520; Lorenz/Riehm, Rz, 370; Palandt-Heinrichs, § 311, Rz. 17; zum alten Recht, s. BGHZ 66, 51, 54. A.A. konsequent nur MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 70: Vorhandensein einer minimalen Kaufabsicht sogar vollkommen unerheblich. 472 Zutreffend Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 b). 473 So die wohl hM zum neuen Recht, die insoweit aber zu Recht einen äußerst weiten Maßstab anlegt, der auch ein sozusagen „automatisches“ Gewähren von Einwirkungsmöglichkeiten durch rein faktisches Handeln mit umfaßt, s. etwa Larenz/Wolf, AT, § 31, Rz. 9 und 12; AnwKomm-Krebs, § 311, Rz. 20; Bamberger/Roth-Grüneberg, § 311, Rz. 47; Erman-Kindl, § 311, Rz. 21; Jauernig-Stadler, § 311, Rz. 44; Kersting, aaO. mwN. A.A. aber Palandt-Heinrichs, § 311,
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Dies bedeutet für die Etablierung einer Sonderbeziehung durch Werbung in Massenmedien, daß eine Sonderverbindung erst in dem Moment entstehen kann, wo an die Werbung erkennbar insofern Vertrauen geknüpft wird, als der potentiell Geschädigte in irgendeiner Weise nach außen erkennbar auf die Werbung eingeht, sich für die beworbenen Produkte oder Dienstleistungen also interessiert474. Das bedeutet zugleich, daß die Verbreitung der Werbeinformationen selbst genaugenommen noch nicht am Pflichtenmaßstab des § 241 Abs. 2 BGB gemessen werden kann. Diese an sich unausweichliche Konsequenz wird aber von der wohl überwiegenden Meinung gerade nicht gezogen475. Vielmehr wird – entweder ohne das Problem einer Pflichtenbindung schon vor Entstehung des verpflichtenden Tatbestands überhaupt zu sehen476 oder auf Grundlage eines konstruktiven „Tricks“, der im Falle durch irreführender Werbung verbreiteter Fehlinformation an die rechtswidrige Vorhandlung anknüpft, um sodann (nach Individualisierung) eine Aufklärungspflicht unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz zu bejahen477 – eine Rz. 16: einseitige Begründung möglich; ähnlich MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 70, der aber anders als Heinrichs, aaO., Rz. 17, konsequenterweise in seinem Beispiel dann auch gerade entgegen der ganz herrschenden Meinung nicht danach differenziert, ob die beispielsweise die Verkaufsräume betretende Person zumindest allgemeine Kaufabsichten hat oder nicht. S. zum alten Recht die zutreffende Interpretation der Rechtsprechung des BGH und der Lehre vom geschäftlichen Kontakt (s. insoweit nur Larenz, MDR 1954, 515, 517 f.; ders., Schuldrecht I, § 9 II (S. 104 ff.) und insoweit zustimmend BGH NJW 1962, 31, 32, wo in einem obiter dictum aber auch von der Möglichkeit einer einseitigen Begründung der culpa in contrahendo die Rede ist) bei Nirk, in: 1. FS Möhring, S. 385, 394: Der potentielle Vertragspartner müsse sich in den Einflußbereich des anderen Teils begeben und mit Wissen und Wollen dieses Beteiligten in einen die Aufnahme von Vertragsverhandlungen vorbereitenden „geschäftlichen Kontakt“ treten. Dies setzt aber eine Beteiligung des potentiell Schadensersatzberechtigten im Sinne einer zumindest faktischen Handlung, die vom Willen, in „geschäftlichen Kontakt“ zu treten, getragen ist, gerade ebenfalls voraus. S. ebenso die Leitentscheidung BGHZ 66, 51, 54 = NJW 1976, 712 – Gemüseblatt. Vgl. eingehend zum ganzen zuletzt Kersting, aaO. 474 Beaucamp, NJW 2003, 3096 f.; Larenz/Wolf, AT, § 31, Rz. 9 f.; noch weitergehend Kersting, aaO.: bloße Wahrnehmung und Befassung mit einer Werbebotschaft genüge; demgegenüber enger etwa Köhler, GRUR 2003, 265, 268: „persönlicher Kontakt“ nötig (für den hier betrachteten Bereich des Verbraucherschutzes im UWG). 475 Folgerichtig in dieser Hinsicht aber Köhler, GRUR 2003, 265, 271: Haftung für an die Öffentlichkeit gerichtete Werbeangaben verneint, da Vertrauensbasis zu schwach. 476 Exemplarisch Larenz/Wolf, AT, § 31, Rz. 9 f. (bezüglich des Schulbeispiels unzureichend bevorrateter, werblich herausgestellter Sonderangebote): Einerseits soll die Wahrnehmung des Kunden und ein Eingehen auf die Massenwerbung notwendig sein, um das Vertrauensschuldverhältnis zu begründen. Andererseits soll der Pflichtverstoß gerade darin liegen, daß „unlauter“ geworben und über die unzureichende Bevorratung nicht hinreichend informiert wurde. Damit liegt aber der relevante Pflichtverstoß vor der Begründung des Vertrauensschuldverhältnisses. Nicht hinreichend klar auch Alexander, S. 144 ff.: Einerseits soll besondere Nähebeziehung und Individualisierung notwendig sein, andererseits soll die Verletzung der wettbewerbsrechtlichen Verhaltenspflicht, die doch typischerweise vor der Etablierung der Nähebeziehung liegt, in bestimmten Konstellationen ein wesentliches „Indiz“ für das Vorliegen einer individualvertragsrechtlichen Pflichtverletzung beinhalten, ohne daß näher präzisiert wird, worin diese individualvertragsrechtliche Pflichtverletzung dann liegt. Klar gesehen wird das Problem nur bei Peifer, JR 2001, 265, 266. 477 So insbesondere Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 352 ff.; ähnlich Medicus, Bürgerliches
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Haftung aus culpa in contrahendo gegenüber dem unlauter beeinflußten potentiellen Vertragspartner für bestimmte Situationen bejaht, in denen ein Vertrag durch unlautere Werbung vorindividuell rechtswidrig angebahnt wurde. Das Problem läßt sich verallgemeinern478: Tatsächlich weisen selbst die „klassischen“ Gestaltungen, an deren Beispiel und aufgrund deren spezifisch problematischer Erfassung im allgemeinen Deliktsrecht die Haftung aus culpa in contrahendo erst entwickelt und fortentwickelt wurde – wie etwa die „Linoleum-Rollen“479-, „Gemüseblatt“480- und „Bananenschalen“481-Fälle –, eine vergleichbare konstruktive Recht, Rz. 150: Relevanz der auf die „Beratung“ bezogenen Werbeargumente für die Frage des Vorliegens besonderer Auskunftspflichten; vgl. allgemein auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 431 ff. 478 Für die culpa in contrahendo wurde und wird dieses Problem unter dem Stichwort des „Hysteron-Proteron“ (einer rhetorischen Stilfigur bei der das Spätere früher genannt wird) diskutiert, wobei das Stichwort in diesem Zusammenhang – wie in der traditionellen Logik – eine Erscheinungsform eines der klassischen Logikfehler – nämlich des circulus vitiosus (Zirkelschlusses) – darstellt, weil durch seine Anwendung eine Aussage als Voraussetzung benutzt wird, die selbst erst aus der zu beweisenden Behauptung abgeleitet werden kann. Genau vergleichbar liegt es bei der Problematik im Rahmen der culpa in contrahendo: Die Pflichtenbindung, die erst aus der Etablierung der Sonderbeziehung entsteht, müßte bereits auf den die Sonderverbindung beginnenden Begründungsakt angewendet werden. Die Begriffsverwendung im Zusammenhang der culpa in contrahendo geht zurück auf Levy, JW 1922, 1313 (der sie dort noch im Zusammenhang mit der zum damaligen Zeitpunkt umstrittenen Voraussetzung eines späteren Vertragsschlusses heranzieht). Vgl. für eine ausführliche Diskussion der gesamten Problematik neuestens Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 c), mit umfassenden rechtshistorischen Nachweisen; im hier interessierenden Zusammenhang, vgl. auch Peifer, JR 2001, 265, 266. 479 RGZ 78, 238, 239 – Linoleum-Rolle. 480 BGHZ 66, 51, 54 = NJW 1976, 712 – Gemüseblatt: Der Vortrag der Beklagten, alle „Verkehrssicherungspflichten“ (so ausdrücklich auch der BGH, aaO., bezüglich der entsprechenden Prüfungen der Berufungsgerichts) seien erfüllt worden, und ein Gemüseblatt erst kurz vor Betreten des Ladens durch die Mutter des in den Schutzbereich des vorvertraglichen Vertrauensschuldverhältnisses einbezogenen Kindes von einem anderen Kunden fallengelassen worden, mußte vom BGH nicht mehr näher erörtert werden, da das Berufungsgericht insoweit rechtsfehlerfrei den (auf Grundlage von § 282 BGB a.F. analog) der Beklagten obliegenden Entlastungsnachweis nicht als geführt ansah. Nicht gesehen wird allerdings das Problem, wie lange sich die betroffene Kundin bereits in dem Laden aufhielt und mithin die Frage, ob ihr gegenüber tatsächlich überhaupt schon eine individuelle Pflicht verletzt sein konnte, was ja – rein theoretisch – bei Annahme zweiseitiger Begründung eben vom Zeitpunkt ihres Betretens des Ladens abhängen würde. 481 BGH NJW 1962, 31, 32 – Bananenschale: Auch hier behilft sich das Gericht mit der Beweislastumkehr aus einer entsprechenden Anwendung des § 282 BGB a.F. bezüglich der schuldhaften Verletzung einer Pflicht, in Abständen das Geschäftslokal gegen trittgefährliche Gegenstände auf dem Boden abzusuchen und zu sichern, ohne die Frage zu problematisieren, ob einem Kunden gegenüber, der das Geschäft gerade erst betreten hat, diese Pflicht – die dann ja gerade erst entstanden ist – tatsächlich individuell schon verletzt sein kann oder ob insofern vorauszusetzen ist, daß sich der Kunde entsprechend lange im Geschäftslokal aufgehalten hat. Nimmt man eine derartige Prüfung jedoch nicht vor, so kann das nur bedeuten, daß die konstruierte Pflicht, das Geschäftslokal regelmäßig abzusuchen, als eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht (die schon mit der Eröffnung des Geschäftsverkehrs als solcher einhergeht) aufgefaßt wird (vgl. auch BGH, aaO., mit den Hinweisen auf Gefahrenquellen im Organisationsbereich von Gasthäusern mit regem Publikumsverkehr [s. RG JW 1939, 559; OLG Stuttgart, MDR 1959, 1009 f.], wobei die insoweit vom BGH genannten Urteile sich eben gerade auf deliktsrechtliche Verkehrssicherungspflichten im Sinne von Jedermanns-Pflichten bezogen); im Ergebnis hat der
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Schwierigkeit auf482. Denn auch bezüglich der Sicherung eines Geschäftslokals für den Verkehr gilt, daß – jedenfalls sofern man nicht eine einseitige Begründung bejaht – eine Verpflichtung nach § 241 Abs. 2 BGB erst entstehen kann, wenn der letztlich konkret geschädigte Kunde das Ladenlokal betreten hat. Dies ist nun nicht weiter problematisch, soweit es um die Entstehung der nach § 241 Abs. 2 BGB zu bestimmenden normativen Pflicht, das Geschäftslokal gegenüber Unfällen angemessen abzusichern, geht. Denn insoweit mag die Handlungspflicht im Moment des Betretens entstehen und demzufolge auch unmittelbar nach Betreten verletzt werden können. Doch knüpft diese Konstruktion das nach § 280 Abs. 1 BGB notwendige Verschulden letztlich an einen (mit dem Fokus auf das Betreten durch den individuell betroffenen Kunden) unvermeidbar gekünstelten Tatbestand bezüglich der Pflichtentstehung, was unter Umständen bei der Beurteilung der Schuldhaftigkeit der Pflichtverletzung zu willkürlichen Ergebnissen führt483. Verletzte sich nämlich beispielsweise ein Kunde unmittelbar nach Betreten des Lokals, so ließe sich schwerlich ein Verschulden des Ladeninhabers oder seiner Erfüllungsgehilfen feststellen. Denn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt i.S.d. § 276 Abs. 2 BGB erfordert es sicherlich nicht, das Ladenlokal praktisch sekündlich nach Gefahrenquellen abzusuchen484. Dieses Problem läßt sich nun auf die hier interessierende Fallgestaltung der Vertragsanbahnung durch Werbung zurückspiegeln. Auch insoweit knüpft eine Lösung, welche in der Verbreitung unlauterer Werbung zunächst nur eine rechtswidrige Handlung sieht, die es dann unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz nach Individualisierung gebiete, den betroffenen Kunden aufzuklären485, das Verschulden in unübersehbar gekünstelter, der eigentlichen Situation nicht entsprechender Art und Weise an die Verletzung einer nur „scheinindividualisierten“ Aufklärungspflicht. So sieht Lehmann in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit vorindividuell im Sinne des Lauterkeitsrechts eine irreführende Werbung verbreitet wurde, als nur implizit bedeutsam insofern an, als die Erfüllung des lauterkeitsrechtlichen Irreführungstatbestands den Rückschluß gestatte, daß dem Verletzer der resultierende Irrtum seines Kunden (unmittelbar nach IndividualisieBGH dann aber demnach eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht sozusagen vertragsrechtlich konstruiert. 482 S. dazu sorgsam zuletzt Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 c) mwN. 483 S. Kersting, aaO. 484 Eine eingehende Diskussion der Problematik vermeiden BGHZ 66, 51, 54 = NJW 1976, 712 – Gemüseblatt und BGH NJW 1962, 31, 32 – Bananenschale, wo sich das Gericht in diesem Zusammenhang jeweils allein mit einem Rückgriff auf die Beweislastumkehr des § 282 BGB a.F. behilft. 485 So die Konstruktion bei Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 352 ff., der man immerhin zugute halten muß, daß sie diejenigen Fälle, in denen es schließlich zu einem persönlichen Kontakt zwischen Werbendem und Kunden kommt, durchaus befriedigend zu lösen vermag, da dann die von Lehmann konstruierte Aufklärungspflicht bezüglich der durch irreführende Werbung induzierten Irrtümer der Kunden durchaus mit zumutbarem Aufwand erfüllbar ist, so daß man in der mangelnden Aufklärung dann in der Tat einen schuldhaften Verstoß gegen Informationspflichten aus dem vorvertraglichen Vertrauensschuldverhältnis erblicken mag.
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rung) erkennbar sei, weshalb ihn dann unverzüglich eine entsprechende Aufklärungspflicht treffe. Dies hat zwei wesentliche Konsequenzen: Zum einen wäre demnach eine Haftung aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB nicht einmal vom Verschulden des Anspruchsgegners bezüglich der Verbreitung der irreführenden Werbung abhängig. Unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz vermöchte vielmehr bereits die rechtswidrige Vertragsanbahnung als solche – die nach Lehmann die Vorhersehbarkeit entsprechender Irrtümer der Kunden impliziert – die Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluß zu begründen. Noch wesentlicher ist die zweite Konsequenz der verdienstvollen (aber letztlich zu artifiziellen) Konstruktion Lehmanns, um sein im Grunde wohlfundiertes und ökonomisch sorgsam begründetes486 Ziel einer vorvertraglichen Haftung für irreführende Werbeangaben zu erreichen: Genaugenommen würde es für die Mehrzahl der Fälle, in denen er eine Haftung aus culpa in contrahendo wertungsmäßig bejaht (nämlich insbesondere für all jene Drittfälle, in denen nach Lehmann den Hersteller für Sprungwerbung eine Eigenhaftung trifft, die dogmatisch nunmehr zwanglos in § 311 Abs. 3 BGB zu verankern wäre487) am gem. §§ 280 Abs. 1, 276 BGB notwendigen Verschulden des Schädigers fehlen. Denn eine Pflicht, den vorindividuell irregeführten Kunden unmittelbar nach Individualisierung aufzuklären, mag zwar in der Zweierbeziehung zwischen werbendem Verkäufer und beworbenem Kunden eine gewitzte konstruktive Lösung etablieren, sie versagt jedoch im Verhältnis zu werbenden und damit den Vertragsinhalt beeinflussenden dritten Personen, die Lehmann doch ausdrücklich und wohlerwogen einer Eigenhaftung aus culpa in contrahendo unterwerfen will. Denn in derartigen Situationen würde es mangels realistischer und mit zumutbarem Aufwand durchführbarer Möglichkeit, den individuell betroffenen Kunden nach Individualisierung überhaupt zu identifizieren und konkret anzusprechen, jedenfalls am nach §§ 280, 276 Abs. 1 BGB nun einmal materiell-rechtlich notwendigen Verschulden des Dritten für die Verletzung der aus Ingerenz konstruierten Aufklärungspflicht fehlen, so daß – trotz der diesbezüglichen Beweislastumkehr aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB – in allen praktischen Fällen letztlich ein Schadensersatzanspruch gegen Dritte am Verschuldenserfordernis scheitern würde. Dies ist dann aber ersichtlich nicht das praktische Ergebnis, welches Lehmann mit seinem visionären Vorschlag einer vorvertraglichen Haftung für Werbeangaben vorschwebte. Auch in den Situationen vorvertraglich frustrierter Aufwendungen (Fahrtkosten aufgrund vor Ort dann nicht realisierbarer konkreter Lockangebote u.ä.), wie sie die Zivilrechtslehre nach verbreiteter Auffassung über eine Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo lösen will488, würde ein Schadensersatzanspruch stets am Verschulden scheitern, 486
Vgl. die Nachweise u. Fn. 530. S. dazu sogleich unten 2. 488 S. schon zu einem frühen Zeitpunkt Erman, AcP 139 (1934), 273, 319 f. (dort zum Fall der Bewerbung unzureichend bevorrateter Waren, die zur Frustration von Fahrtkosten bei potentiellen Kunden führt [unter Hinweis auf den ursprünglich von Hildebrandt, Erklärungshaftung, 1931, S. 216 f., erdachten Beispielsfall] und mit sorgsamen Überlegungen zum Zeitpunkt des 487
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da – allfällig konstruierte – Aufklärungspflichten gegenüber Kunden, die aufgrund der Werbung den Entschluß gefaßt hatten, das betreffende Ladenlokal aufzusuchen, in zumutbarer Weise gar nicht erfüllt werden könnten, sofern nicht der massenhaft vorindividuell angesprochene (und nicht identifizier- geschweige denn erreichbare Kunde) von sich aus vor Tätigung seiner „Vertrauensdispositionen“ individuell beim Werbenden um Bestätigung der Information nachsucht. c. Zwischenbefund und wertend-systematische Überprüfung Es ist insoweit als Zwischenbefund zu konstatieren, daß eine Haftung gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB für irreführende Werbung im Massenverkehr jedenfalls über den Umweg einer Konstruktion von Aufklärungspflichten im vorvertraglichen Individualverhältnis nicht befriedigend konstituiert werden kann. Dieses Ergebnis könnte nun durchaus so hinzunehmen sein. Demnach wäre ein Schadensersatzanspruch allein aufgrund massenhaft verbreiteter irreführender Werbeinformationen zu verneinen489. Eine solche Auffassung ist mit Blick auf die vorbeschriebenen Schwierigkeiten systematisch-dogmatisch jedenfalls konsequent. Sie gibt jedoch auch Anlaß zu einigen Zweifeln. Zuerst ist zu bedenken, daß unter dieser Perspektive konsequenterweise auch einige der ganz klassischen Fallgestaltungen, in deren Rahmen die culpa in contrahendo ihre weithin akzeptierten und etablierten Anfänge genommen hat, letztlich nicht länger befriedigend (und insbesondere ohne die Gefahr von Willkürergebnissen etwa im Rahmen einer Differenzierung danach, wie lange sich ein konkret verletzter Kunde im Ladenlokal aufhielt) begründbar wären. Zum anderen ist bezüglich der hier unmittelbar interessierenden Fallgestaltung zu bedenken, daß die im Rahmen der Schuldrechtsreform zu beobachtende Aufwertung massenhaft vorvertraglicher Informationsaufnahme für die Bestimmung des Inhalts des sich daraus letztlich ergebenden Rechtsgeschäfts, für die zumal die Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB beredt Zeugnis ablegt, jedenfalls dem allgemeinen Trend nach in eine andere Richtung weist490. Denn § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ist – gerade im entschiedenen GePflichtbeginns in derartigen Fällen [s. aaO., S. 286 f., 324], sowie ebenfalls schon mit Hinweis auf die Möglichkeit, insoweit eine Überdehnung der Haftung durch konsequente und alsbaldige Anwendung von § 254 BGB [genauer müßte es heißen: § 254 Abs. 2 BGB] zu vermeiden [s. aaO., S. 320 in Fn. 58]); seither aufgegriffen und verallgemeinert bei Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 340 ff. (s. die ausdrücklichen Hinweise in Fußnoten 168 und 169); Soergel/Wiedemann (12. Aufl.), Vor § 275 Rn. 244; Larenz/Wolf, AT, § 31, Rz. 10; Kersting, Kap. 8 § 2 A (für den DreiPersonen-Fall); vgl. allgemeiner auch Sack, 1974, 445, 454 ff. (und öfter, zuletzt ders., GRUR 2004, 625, 628 f.); Beaucamp, NJW 2003, 3096 f.; Palandt-Heinrichs, § 311, Rz. 16. Dagegen für derartige Fälle von vornherein ablehnend Köhler, GRUR 2003, 265, 271 f. 489 Konsequent zuletzt Köhler, GRUR 2003, 265, 268 und 271 f.; ähnlich schon Wronka, UFITA 1977, 221, 230 f. 490 Soweit die vertriebsbezogenen Informationspflichten der §§ 312 ff. BGB individualschützenden Charakter haben, sich demnach in der Dogmatik des deutschen Rechts als gesetzgeberisch konkretisierte Pflichten i.S.d. § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB auffassen lassen, und dennoch – demselben europäischen Regelungskonzept eines vertraglichen Kontinuums, wie es
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gensatz zur alten Rechtslage, die für die Einbeziehung werblicher Information aus Prospekten etc. in einen Vertrag voraussetzte, daß diese im Rahmen der konkreten Vertragsverhandlungen zumindest in irgendeiner (sei es auch noch so minimalen) Weise individuell einbezogen waren491 – eine eindeutige Aufwertung durch den Verkäufer und bestimmte Dritte vorvertraglich massenhaft verbreitete Information zu entnehmen, die dazu führt, daß derartige Informationen gänzlich ohne konkret-individuellen Einbeziehungsakt im Wege einer gesetzlich-typisierten Auslegungsregel Bestandteil der Beschaffenheitsvereinbarung und damit sogar einer Vertrauenserfüllungshaftung werden. Dem ist nun aber mindestens die Wertung zu entnehmen, daß durch den Verkäufer vorindividuell verbreitete Werbeinformation als nicht rechtsgeschäftliches, faktisches Handeln im vorindividualisierten Bereich rechtliche Relevanz haben kann492. Eine entsprechende Relevanz des massenhaften werblichen Einsatzes vorvertraglicher Information ist in bestimmten Sonderbereichen von der Rechtsprechung auch durchaus bereits gesehen worden493. Die Vergleichbarkeit der entsprechenden kaufrechtlichen und allgemein schuldrechtlichen Maßstäbe illustriert es auch, wenn Canaris letzthin aus der Nähe der überwiegenden Anzahl der für eine Informationshaftung relevanten Fallgestaltungen der culpa in contrahendo zum Gewährleistungsrecht sogar ein Kriterium zur Abgrenzung der schadensrechtlichen vorvertraglichen Informationshaftung vom Anfechtungsrecht destilliert. Canaris grenzt dahingehend ab, daß eine vorvertragliche Informationshaftung aus culpa in contrahendo für positives Tun gerade dann in Betracht komme, wenn ein Vertrauenstatbestand gesetzt wurde, der in seiner Intensität ceteris paribus eine Beschaffenheitsvereinbarung zu begründen vermöchte, wenn deren zusätzliche Voraussetzungen (wie sie aus dem restriktiven Beschaffen§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB zugrundeliegt, entsprechend (vgl. auch oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 c und d) – „nach vorn“ in den vorindividuellen Bereich massenhafter Vertragsanbahnung hinausreichen, bestätigen und stärken sie gleichfalls nur zu deutlich den hier beschriebenen Trend. Der gesetzliche Pflichtenrahmen wird für bestimmte Geschäftsanbahnungsformen aus der Sonderbeziehung auf die die Sonderbeziehung erst anstrebenden unternehmerischen Geschäftsanbahnungshandlungen vorverlagert und dabei zugleich unvermeidlich im Sinne eines Rahmens zwingenden Rechts und in Orientierung an den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs typisiert. In diesen Trend fügt sich die Möglichkeit einer latenten Vorwirkung des Pflichtenprogramms aus § 241 Abs. 2 BGB nahtlos und systemgerecht ein. 491 Vgl. näher oben 3. Abschn. C II 1. 492 Ähnlich argumentiert Canaris, AcP 200 (2000), 273, 310 f. mwN schon auf Grundlage des Rechtsstandes vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform. Vgl. auch Köndgen, in: Schulze/ Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, S. 231, 239 f., der mit Blick auf den Diskussionsentwurf für die Schuldrechtsmodernisierung eine verallgemeinernde Lösung bezüglich vorvertraglicher Werbeaussgen durch Einfügung eines verschuldensunabhängigen Sondertatbestandes im Kontext der culpa in contrahendo de lege ferenda forderte. 493 S. nur der „Wirtschaftsprüfer“-Fall BGH NJW 2001, 360, 362: Haftung des Wirtschaftsprüfers, dessen Testate in der Werbung herausgestellt worden waren. Auch der spezifische Bereich der Prospekthaftung, wo, angesichts der besonderen Konstruktion der letztlich haftenden Gesellschaften, die eigentliche Informationsquelle, in die der Kunde sein Vertrauen setzt, sogar allein die vorindividuell von den Organisatoren u.a. gestalteten Werbeprospekte sind, gehört in diesen Zusammenhang, vgl. auch sogleich unten 2.
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heitsbegriff des alten Rechts folgten) vorlägen494. Ein solcher „Import“ der kaufrechtlichen Wertung bezüglich der notwendigen „Intensität“ vorvertraglicher Angaben als Grundlage potentieller Beschaffenheitsvereinbarungen als Anhaltspunkt der tatbestandlichen Grenzen der culpa in contrahendo nach altem Recht bestätigt ersichtlich gerade auch die hier argumentativ entfaltete Möglichkeit eines Vergleichs der Wertungen aus der neuen kaufrechtlichen Gewährleistungshaftung für Werbeangaben mit der vorvertraglichen Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluß. Ein ökonomisches Gebot, das Haftungsrisiko für massenhafte vorvertragliche Informationsverbreitung dem eigentlich für die Information Verantwortlichen aufzuerlegen, der zudem von der Verbreitung der werblichen Information auch wirtschaftlich profitiert, ist im Lichte der Entwicklung zum massenhaften Gattungsgeschäft ohnehin zu bejahen495. Da die Schuldrechtsreform dies – in Umsetzung europäischen Rechts – durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und die sich aus dieser Vorschrift letztlich ergebende, gesetzlich fingierte, typisierte Relevanz bestimmter werblicher Informationen im Massenverkehr für die resultierenden Beschaffenheitsvereinbarungen rechtlich ausdrücklich anerkennt, ist diese Wertung im allgemeinen Schuldrecht und insbesondere im Rahmen des vorvertraglichen Vertrauensschuldverhältnisses zweckgerecht zu rezipieren. Dabei ist im Zwei-Personen-Verhältnis nicht einmal die in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB angelegte (hier nach Art einer „Wasser und Öl“-Technik als bewußte Begrenzung des typisierten Maßstabs aufgefaßte) Limitierung auf beschaffenheitsbezogene Werbeangaben notwendig. Denn diese reflektiert nur die – insoweit im Verkehr typisiert vorausgesetzte – besondere Kompetenz des Herstellers und bestimmter Dritter für diesen spezifischen Bereich und die (trotz nunmehr weiter Ausdehnung des Beschaffenheitsbegriffs) weiterhin bestehenden Grenzen möglicher kaufvertraglicher Beschaffenheitsvereinbarungen in Abgrenzung von den anderen Haftungsinstrumenten vorvertraglicher Informationshaftung. Und zu jenen anderen Instrumenten des informationshaftungsrechtlichen Gesamtsystems zählt eben insbesondere (neben § 443 BGB) auch die an dieser Stelle gerade eine komplementäre Ergänzungsfunktion wahrnehmende potentielle Schadensersatzhaftung aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB. Entscheidend ist insofern für eine wertende Beantwortung der Frage nach einer Haftung des Verkäufers für schuldhaft verbreitete, irreführende Werbeangaben allein der Maßstab der Reichweite des normativ anhand der Wertungen der Rechtsordnung zu konkretisierenden Verkehrsvertrauens in pflichtgemäßes Verhalten in diesem Bereich. Bezüglich massenhaft verbreiteter, vorvertraglicher Äußerungen des Verkäufers läßt sich insoweit nun aber der Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB durchaus die verallgemeinerbare normative Anerkenntnis einer typisierten Verkehrserwartung dahingehend entnehmen, daß im Bereich vorvertraglicher öffentlicher Äußerungen (insbeson494
S. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 306 ff. (insbes. 310). S. zutreffend schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 344 ff.; in etwas anderem (engerem) Zusammenhang jedenfalls bezüglich der Analyse des heutigen Geschäftsverkehrs ähnlich zuletzt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 53. 495
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dere in der Werbung) zumindest die Verhaltenspflicht, nicht (aus normativer Sicht) irreführende Informationen durch aktives Tun zu verbreiten, seitens der Verkäufer erfüllt wird. Aus der die Rezeption typisierten, am Maßstab der Verkehrserwartung ausgerichteten Vertrauens zugleich auch begrenzenden Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ergeben sich für das Zwei-Personen-Verhältnis dann zudem auch die angemessenen Begrenzungen für ein derartiges Verkehrsvertrauen: Denn § 434 Abs. 1 S. 3 BGB läßt sich (wegen der Fokussierung auf „bestimmte“ Eigenschaften) die Beschränkung entnehmen, daß es sich bei massenhaften Werbeangaben, die ein rechtlich relevantes typisiertes Vertrauen des Verkehrs und seiner individuellen Teilnehmer auslösen sollen, um konkrete, nachprüfbare Angaben (nicht lediglich um allgemeine Anpreisungen, Übertreibungen etc.) handeln muß496. Dies alles belegt nun bis hierher nur das Gebot, die Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im Rahmen der culpa in contrahendo insofern „zu Ende“ zu denken, als durch Werbung induziertes, massenhaft-typisiertes Vertrauen eine bestimmte rechtliche Relevanz haben kann, die potentiell nach der hier vertretenen Auffassung geeignet ist, Schadensersatzansprüche nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB auszulösen, sofern es nur letztendlich zu einer Individualisierung der vorvertraglichen Sonderbeziehung kommt (denn jene wird mit der Anknüpfung an die vertragliche Beschaffenheitsvereinbarung ja auch in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB implizit vorausgesetzt497, so daß es sich bei dieser Norm gerade nicht um die von einigen vermutete allgemeine Informationshaftung für Werbeangaben handelt)498. Diese Wertung – Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs aus culpa in contrahendo aufgrund des vorindividuellen, massenhaften Begründungsakts für die Sonderbeziehung seitens des Geschäftsgegners, sofern es nur zu einer Reaktion auf diesen Begründungsakt kommt, die sozusagen a posteriori die zugehörige Sonderbeziehung etabliert – entspricht im Ergebnis auch durchaus der Auffassung des schon bisher überwiegenden Teils der Zivilrechtslehre 499 bei der Beurteilung derartiger Situationen, zumal die Haftung für frustrierte Fahrtkosten oder ähnliches aufgrund fehlerhafter oder irreführender Massenwerbung durchaus zu den (auch intuitiv an dieser Stelle sich gedanklich aufdrängenden) Problemfeldern zählte, deren vermeintliche Virulenz gerade mit an der Wiege der Entwicklung einer Haftung aus vorvertraglichem Verschulden stand500. 496
S. eingehend oben 3. Abschn. C II 3 b (1). In § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ist ja letztlich sogar ein Vertragsschluß gefordert; vgl. aber noch unten (bei Fn. 518) für die Feststellung, daß dies im Vergleich zur Voraussetzung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung keine entscheidende Zäsur bezüglich der jeweiligen Existenz und Relevanz vorindividueller Pflichten bildet. 498 Vgl. eingehend oben 3. Abschn. C II 1 sowie auch schon (im Kontext der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie) 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2). 499 S. die Nachweise (auch zur Gegenansicht) in o. Fn. 449 (mit Fokus auf Vertragsanbahnung durch Werbung) und o. Fn. 488 (allgemein für massenhafte, nicht rechtsgeschäftliche Erklärungen an die Öffentlichkeit im Vorfeld des konkreten Beginns von Vertragsverhandlungen). 500 S. nur Hildebrandt, Erklärungshaftung, 1931, S. 216 f.; Erman, AcP 139 (1934), 273, 319 f. 497
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d. Dogmatische Umsetzung Das dogmatische Konstruktionsproblem, auf welche Weise der vorindividuelle Begründungsakt für die Sonderbeziehung den Pflichten, die doch erst aus jener Sonderbeziehung entstehen, bereits unterworfen sein soll, ist damit jedoch noch nicht gelöst. Es ist nur sozusagen eine wertende Vorgabe aus dem System des neuen Kaufrechts destilliert und verallgemeinert worden, die das Gebot beinhaltet, eine Lösung in diese Richtung zu entwickeln, welche es im Rahmen der Haftung aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB konstruktiv sauberer als bisher gestattet, bereits den Begründungsakt für die vorvertragliche Sonderbeziehung den Pflichten aus jener Beziehung zu unterwerfen. Der Problematik hat sich – nachdem sie, seit entsprechenden Diskussionen in den zwanziger501 und nochmals in den sechziger Jahren502, letzthin allenfalls noch vereinzelt gesehen worden war503 – jüngst in argumentativ sorgsamer und als Grundlegung verallgemeinerbarer Art und Weise Kersting in einer Studie zur Haftung Dritter im Rahmen vertraglicher Sonderbeziehungen angenommen504. Das aufgeworfene Konstruktionsproblem löst Kersting in zutreffender und durch den hier im Mittelpunkt stehenden Blick auf die Parallelwertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB eindrucksvoll bestätigter505 Art und Weise wie folgt: Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß nach überwiegender Meinung gem. § 311 Abs. 2 BGB Pflichten i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB jedenfalls unmittelbar nach einem Eingehen des potentiell Schadensersatzberechtigten – als dem zweiten Teil des zweiseitigen Begründungstatbestands der Sonderbeziehung – auf werbliche Ansprache – als dem ersten Schritt des potentiellen Schädigers zur Begründung der Sonderbeziehung – entstehen506. Demnach lautet die präzisierte konstruktive Frage, ob nicht die mit der Vollendung des zweiseitigen Begründungstatbestands der vorvertraglichen Sonderbeziehung entstehenden Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB im Sinne einer latenten Vorwirkung bereits den Begründungsakt des potentiellen Schädigers erfassen können und müssen 507. Diese Frage ist zu bejahen, wobei im Ausgangspunkt festzuhalten ist, daß das Gesetz im Rahmen eines gesetzlichen Schuldverhältnisses eine rückwirkende Entstehung von Pflichten für den Pflichtenbegründungsakt durchaus in grundgesetzkonformer Weise anordnen kann, da der Verpflichtete in einer derartigen Situation ja um die (im Sinne einer jederzeit möglichen Vollendung des pflichtenbegründenden Tat501 S. für einzelne Nachweise o. Fn. 478 (dort noch bezüglich des Problems der Voraussetzung eines letztendlichen Vertragsschlusses) und 488 (dort schon bezüglich des Problems des genauen Entstehungszeitpunkt der Pflichten aus culpa in contrahendo); vgl. für umfassende Nachweise zuletzt Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 c). 502 S. die umfassenden Nachweise bei Kersting, aaO. 503 S. im Zusammenhang mit dem hier betrachteten Bereich Peifer, JR 2001, 265, 266. 504 Kersting, aaO. 505 S. dazu sogleich im folgenden Text. 506 Kersting, aaO. 507 So schon der Lösungsvorschlag von Grandpair, Haftung, S. 44 ff., der allerdings eine schlüssige dogmatische Begründung für die Existenz derartiger latent vorwirkender Pflichten im Rahmen des gesetzlichen Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo noch schuldig blieb.
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bestands seitens des anderen Teils, bezüglich derer der Verpflichtete keine Verhinderungsmöglichkeit mehr hat) unmittelbar bevorstehende Entstehung der Pflicht in Folge seiner Handlung weiß, und sein Verhalten daran ausrichten kann 508. Man wird eine derartige Pflichtenbindung für den Begründungsakt eines gesetzlichen Schuldverhältnisses im Rahmen eines weiten, die gesamte Rechtsordnung als allgemeines Prinzip durchdringenden Verständnisses des Gebots von Treu und Glauben gem. § 242 BGB509 bereits aus dem Gebot widerspruchsfreien Verhaltens ableiten können: Es wäre selbstwidersprüchlich, wenn der potentielle Schädiger zuerst folgenlos irreführende werbliche Information verbreiten könnte, um ihn dann in dem Moment, in dem jemand absichtsgemäß die Information wahrnimmt und in erkennbarer Weise darauf eingeht – also praktisch unmittelbar zu dem Zeitpunkt, wo die Werbung beginnt, ihr Ziel überhaupt erst zu erreichen und mithin in irgendeiner Weise relevant zu werden –, zur (dann aber nicht mehr mit zumutbarem Aufwand möglichen) Aufklärung der aus seiner Informationsverbreitung resultierenden Irrtümer zu verpflichten 510. Eine derartige Fundierung im Verbot widersprüchlichen Verhaltens setzt natürlich voraus, daß schon die Verbreitung der irreführenden werblichen Information als solche grundsätzlich geeignet ist, bei den dann letztlich in der Sonderbeziehung Geschädigten ein schutzwürdiges Vertrauen hervorzurufen511, welches diese veranlaßt, ihre Dispositionen nach dem hervorgerufenen Vertrauenstatbestand auszurichten und in diesem Moment die vorvertragliche Sonderbeziehung zu etablieren. Daß ein derart vorgelagertes, schutzwürdiges Vertrauen aber seitens des Gesetzgebers im Grundsatz anerkannt wird, belegt gerade wiederum der wertende Vergleich mit der Neuregelung des Kaufrechts samt Anknüpfung des Umfangs der Primärleistungsansprüche an die zweifellos vorindividuelle Verbreitung bestimmter Werbeangaben. Entscheidend ist daneben noch eine weitere gesetzliche Wertung, die auch gerade durch die in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB angeordnete, gesetzlich typisierte Auslegung unter Heranziehung der Beschaffenheitsrelevanz von Werbeangaben, bestätigt wird, zugleich aber im BGB auch zuvor schon sich nachweisen ließ. Das BGB ordnet an unterschiedlicher Stelle, so insbesondere in § 311a Abs. 2 BGB (der Verpflichtung zum Schadensersatz im Falle anfänglichen Unvermögens oder anfänglicher Unmöglichkeit, sofern das bei Vertragsschluß vorliegende Leistungshindernis dem Schuldner nicht bekannt war und er es auch nicht kennen mußte 512), eine letztlich der Abgabe der Willenserklärung vorgelagerte und potentiell schon in den vorindividualisierten Bereich hinausreichende Sorgfaltspflicht des Schuldners an, 508 So zutreffend Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 c (c) unter Hinweis auf Baumert, Tatbestand und Haftungsmaßstab der einzelnen Pflichten bei der culpa in contrahendo, 1955, S. 19 f. 509 Vgl. an dieser Stelle nur Staudinger-Looschelders/Olzen, § 242, Rz. 101 ff., 401 f. mwN. 510 S. verallgemeinert Kersting, aaO.: „Die Rechtsordnung verhielte sich selbstwidersprüchlich, wenn sie ein Verhalten für zunächst zulässig erklärt, dann jedoch sofort die Neutralisierung seiner Effekte verlangt.“ 511 Vgl. allgemein schon Canaris, Vertrauenshaftung, S. 278. 512 Hervorh. d. Verf.
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sich über das Vorhandensein von Leistungshindernissen zu vergewissern 513. Genau in dieselbe Kerbe schlägt nun auch die Beschaffenheitshaftung nach § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 BGB: nur wenn der Verkäufer eine die Verkehrserwartung prägende Werbeangabe nicht kannte und auch nicht kennen mußte, wird er von der kaufvertragsrechtlichen Erfüllungshaftung – konstruktiv realisiert durch eine gesetzlich typisierte Einbeziehung der durch Werbung geprägten Verkehrserwartung in die Sollbeschaffenheit – diesbezüglich befreit. Das bedeutet aber im Kern nichts anderes als die Vorverlagerung von Sorgfaltspflichten – in diesem Falle einer Werbebeobachtungsobliegenheit514 – in den vorindividualisierten Bereich, deren schuldhafte Verletzung einen Einfluß auf den Inhalt des letztendlich konkret individuell entstehenden Schuldverhältnisses hat. Wenn derartige Sorgfaltspflichten den Verkäufer im Rahmen der wesentlichsten Vertragsart des besonderen Schuldrechts schon hinsichtlich fremder Werbung treffen, so können und müssen – wenn man auch die allgemeine Wertung des § 311a Abs. 2 BGB berücksichtigt, der gleichermaßen die Möglichkeit einer Existenz vorindividueller Pflichten, deren schuldhafte Verletzung den letztendlichen Inhalt des Schuldverhältnisses prägt, illustriert – diese Ansätze in verallgemeinerter Form im Rahmen der culpa in contrahendo „zu Ende gedacht“ werden515, wobei die Verallgemeinerbarkeit noch zusätzlich dadurch illustriert wird, daß ja seit je in bestimmten Grenzen das vorvertragliche (und auch das vor der Etablierung einer Sonderbeziehung gelegene) Verhalten der Parteien sich auf die Vertragsauslegung auswirken konnte516. 513
Kersting, aaO. Zu Recht hat Weiler, WM 2002, 1784, 1791 (in Fußnote 69), gegen Hoffmann, ZRP 2001, 347, 348 („Produktinformationsbeobachtungspflicht“), darauf hingewiesen, daß es sich bei der letztlich aus § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB folgenden Werbebeobachtungspflicht als Voraussetzung einer Entlastung des Verkäufers („nicht kennen mußte“) insofern um eine „Obliegenheit“ handelt, als die Verletzung der Pflicht nicht anspruchsbegründend wirkt, sondern vielmehr den Verkäufer nur um den Vorteil der entsprechenden Entlastungsmöglichkeit bringt. Nur ändert diese terminologische Klarstellung nichts am wertungsmäßigen Kerngehalt des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB dahingehend, daß den Käufer die Verletzung einer vorindividuellen, vorvertraglichen Sorgfaltspflicht dahingehend belasten kann, daß er für fremde – wiederum massenhaft vorindividuelle – produktbezogene öffentliche Äußerungen (insbesondere in der Werbung) im Rahmen der Beschaffenheitsvereinbarung haftet. Im Ergebnis treffen den Verkäufer also jedenfalls vorindividuelle Sorgfaltspflichten, deren schuldhafte Verletzung einen unmittelbaren Einfluß auf den Inhalt des resultierenden Kaufvertrags hat. 515 S. auch Kersting, aaO., der in diesem Zusammenhang auch auf die §§ 122, 179 BGB hinweist, die letztlich ebenso an Sorgfaltspflichten im Vorfeld der Abgabe der Willenserklärung ansetzen, um an deren Verletzung rechtliche Folgen zu knüpfen und die bei der Entwicklung der culpa in contrahendo gerade als Ansatzpunkte im Gesetzestext mit herangezogen wurden. Vgl. auch noch u. Fn. 516. 516 Vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 311. S. auch der Hinweis bei Kersting, aaO., auf die Anordnungen einer Schadensersatzpflicht in §§ 122 Abs. 1, 179 BGB, die nicht nur ebenfalls die potentielle Relevanz der Verletzung vorvertraglicher, vor der Etablierung der Sonderbeziehung liegender Sorgfaltspflichten illustrieren, sondern zugleich die Verallgemeinerbarkeit der zugrundeliegenden Wertung für das gesetzliche Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB belegen, da es eben jene Normen waren, die bei der „Entdeckung“ der culpa in contrahendo Pate standen (vgl. nur Herholz, AcP 130 (1929), 257, 294 f.; Rolf Raiser, AcP 127 (1927), 1, 25 f.). 514
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Denn wenn schon der Inhalt der rechtsgeschäftlichen Vereinbarung (mithin beispielsweise der Willenserklärung des Verkäufers als Grundlage der kaufvertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung) in typisierter Weise durch die Existenz vorindividueller Pflichten des Schuldners geprägt werden kann, ist kein Grund ersichtlich, warum das gesetzliche Schuldverhältnis, welches sich aus der Begründung der vorvertraglichen Sonderbeziehung ergibt, nicht gleichermaßen die potentiell resultierende Schadensersatzhaftung an eine Verletzung von Sorgfaltspflichten schon hinsichtlich des Begründungsakts der Sonderbeziehung knüpfen können soll. Denn die letztlich der Annahme einer typisierten Beschaffenheitsvereinbarung und der Annahme einer Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo wegen Verbreitung irreführender vorvertraglicher Information zugrundeliegende Wertung – daß es nicht-rechtsgeschäftliche, vorindividuelle Informationshandlungen faktischer Art geben kann, die nicht den Charakter einer „echten“ vertraglichen Vereinbarung erreichen, aber dennoch Grundlage rechtlicher Wirkungen im Rahmen des Vertragsverhältnisses im organizistischen Sinne werden können – ist für die typisierte Vertragsabrede und die Haftung im Rahmen des gesetzlichen Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo aus vorvertraglichen Informationspflichtverletzungen jedenfalls dieselbe 517. Die Zäsur, die der Vertragsschluß in diesem Zusammenhang bringt, betrifft insofern nur den Geltungsgrund der vorindividuellen Pflichten, nicht aber notwendigerweise auch deren Inhalt518. Nach alldem sprechen gute Gründe dafür, die – eine vorvertragliche Sonderverbindung im Zusammenspiel mit dem Eingehen der Kunden auf die Werbung begründende – massenhafte werbliche Ansprache der Verbraucher und Kunden im Geschäftsverkehr als Begründungsakt der Haftung aus § 311 Abs. 2 BGB ihrerseits bereits dem sich ergebenden Pflichtenmaßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu unterwerfen, sofern es nur letztendlich zu einer Etablierung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung und zu entsprechender Individualisierung des gesetzlichen Schuldverhältnisses dadurch kommt, daß einzelne potentiell Vertragsinteressierte im weitesten Sinne in erkennbarer Weise auf die Werbung eingehen, indem sie – etwa durch Fahrt zum Ladenlokal, um ein beworbenes Sonderangebot wahrzunehmen – ihre Dispositionen danach ausrichten. Die wertende Grundlage hinsichtlich der Eignung vorindividueller Massenwerbung als vertrauensbegründendes Verhalten, welches geeignet ist, einen rechtlich relevanten Vertrauenstatbestand zu schaffen, ergibt sich dabei schon aus dem Vergleich mit dem System des neuen Kaufrechts samt seiner Haftung des Verkäufers für vorindividuelle, jeglicher Anbahnung von Sonderbeziehungen potentiell vorgelagerte Werbeangaben des Verkäufers und bestimmter Dritter519. Die dogmatische Umsetzung dieser systematisch-teleologischen Wertung wurde hier dadurch versucht, daß letztlich schon 517
S. ähnlich Canaris, AcP 200 (2000), 273, 311. Zutreffend Canaris, aaO., gegen Lieb, in: FS Gernhuber, 259, 262 (Vertragsschluß als entscheidende Zäsur). 519 S. oben c. 518
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der Begründungsakt für die Sonderbeziehung, in der das individualisierte Pflichtenprogramm der culpa in contrahendo sich dann konkretisiert, den in dieser Sonderbeziehung sich kristallisierenden Pflichten unterworfen, diese Pflichten also sozusagen zeitlich eine Stufe nach vorn verlagert werden, wobei zur Begründung der latenten Vorverlagerung an das Verbot selbstwidersprüchlichen Verhaltens angeknüpft wurde. Diese Argumentation setzt ihrerseits natürlich gerade voraus, daß im Widerspruch zu einem selbstgeschaffenen Vertrauenstatbestand gehandelt wurde, an dem der Geschädigte seine Dispositionen ausgerichtet hatte und sich auch ausrichten durfte. Ebendies ist im Falle bestimmter massenhafter Werbeangaben nach der hier vertretenen Auffassung jedoch der Fall, wobei sich die rechtliche Relevanz und die Zurechenbarkeit des hierdurch hervorgerufenen Verkehrsvertrauens zumal aus dem Vergleich mit der Wertung des Kaufrechts erhellt. e. Problem der Bestimmung des Pflichtenprogramms für die latent auf werbliche Äußerungen vorwirkenden Pflichten des § 241 Abs. 2 BGB und diesbezügliche Überlagerung der Wertmaßstäbe mit typisierten wettbewerbsrechtlichen Wertungen Die resultierende Vorverlagerung der Pflichten aus der vorvertraglichen Sonderbeziehung im Sinne einer latenten Vorwirkung in den Bereich vorindividuellen Geschäftsverkehrs führt nun allerdings zu einem Problem hinsichtlich der Bestimmung des Pflichtenprogramms des vorvertraglichen Schuldverhältnisses. Denn da zum Zeitpunkt des Begründungsakts noch keine Individualisierung stattgefunden hat, fehlt es für die Individualisierung der Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB an einem individuellen Maßstab520. Damit muß ein typisierter „Jedermanns“-Maßstab zugrundegelegt werden. Doch ist dies kein den §§ 311 Abs. 2, Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB vollkommen fremdes Kriterium zur Konkretisierung der Pflichten, wie es etwa auch (in spezifischer Nähe zum hier betrachteten Bereich) das Beispiel der Prospekthaftung521 belegt. Auch die Prospekthaftung mit ihrem Maßstab typisierten Vertrauens ist schließlich (in den neben der zunehmend umfassenden spezialgesetzlichen Regelung522 überhaupt verbleibenden Bereichen) nach der Schuldrechtsreform nicht länger als von der culpa in 520 S. der entsprechende allgemeine Hinweis bei Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 c (c): „Es wird nicht verkannt, daß diese Lösung, die culpa in contrahendo in gewisser Weise in die Nähe des Deliktsrechts rückt, weil der Akt der Kontaktaufnahme im Grunde Jedermannspflichten unterworfen wird.“ 521 S. für die umfangreiche Rechtsprechung in diesem Bereich an dieser Stelle nur die umfassenden Nachweise bei MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 162 ff. Vgl. für die Typisierung des Maßstabs in diesem Bereich auch die Nachweise o. Fn. 461. 522 S. §§ 44 ff., 77 BörsenG; §§ 8f., 13 VerkProspG; § 127 InvestmentG. Vgl. auch das einstweilen zurückgezogene Vorhaben eines Kapitalmarktinformationshaftungsgesetzes (KapInHaG), welches eine persönliche Informationshaftung von Managern für (mindestens grobfahrlässige) Informationspflichtverletzungen bei öffentlichen Äußerungen vorsah; die Referentenentwürfe v. 10. Juli 2004 und v. 16.8.2004 sind abrufbar im Internet u.a. unter www.jura. uni-augsburg.de/prof/moellers/aktuelles/kapinhag_gestoppt.html (besucht am 10.5.2006).
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contrahendo zu unterscheidende, durch die Rechtsprechung eigenständig entwikkelte Haftungsfigur zu behandeln, sondern vielmehr nach ganz überwiegender Auffassung nunmehr unmittelbar in § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB (bzw., soweit es um die Haftung der Gründer, Initiatoren oder sonstiger Drittpersonen geht, in § 311 Abs. 3 BGB) zu verankern523. Ein typisiertes Vertrauen kann demnach nicht länger als ein den §§ 311 Abs. 2, Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB vollkommen fremdes Kriterium zur Konkretisierung der Pflichten angesehen werden 524. Daß diese Orientierung an „standardisiertem“ Systemvertrauen in den rechtlichen Rahmen des Verkehrssystems grundlagenorientiert gerade der Verzahnung individueller und institutioneller Aspekte im Geltungsgrund der § 311 Abs. 2 und 3 BGB entspricht, wurde bereits erwähnt. Mit der Ausrichtung an einem typisierten Maßstab für diesen spezifischen Bereich latent vorwirkender Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB ist nun aber wiederum der diese Untersuchung beschäftigende Schnittbereich von vertragsrechtlichen Wertungen und Wertungen des Wettbewerbsrechts erreicht. Denn nachdem für die Bestimmung der latent vorwirkenden Pflichten i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB nur die Orientierung auf das massenhafte Verständnis bestimmter Informationen durch die angesprochenen Verkehrskreise (und das daraus resultierende, typisierte Schutzbedürfnis der betroffenen Verkehrsteilnehmer) bleibt, ist die situative Überschneidung mit den Wertungen des Rechts des unlauteren Wettbewerbs unvermeidlich. Naturgemäß liegt es insoweit – angesichts des in dieser Untersuchung 523
S. die Nachweise o. Fn. 461. Letztlich machen auch schon die für die Fortentwicklung der culpa in contrahendo durchaus grundlegenden „Integritätsschutz“-Fälle (wie BGHZ 66, 51, 54 = NJW 1976, 712 – Gemüseblatt und BGH NJW 1962, 31, 32 – Bananenschale, s. näher insoweit schon o. Fn. 480 und 481) dies bereits ganz allgemein hinreichend deutlich. Denn auch in diesen Fällen wendet das Gericht gerade keinen auf den individuellen Kunden bezogenen Maßstab an, sondern orientiert sich vielmehr für den Pflichtenumfang an den mit der Eröffnung eines Geschäftslokals verbundenen allgemeinen Verkehrssicherungspflichten (und mithin an Jedermanns-Pflichten), wobei dann eben nur die Nachteile des Deliktsrechts (hinsichtlich Zurechnung von Gehilfenverhalten, Beweislast u.a.) durch die vertragsrechtliche Gestaltung gemildert werden können (in dieser Analyse der diesbezüglichen Rechtsprechung besteht – einmal unabhängig von ihrer Bewertung – auch weitestgehende Einigkeit in der Literatur, vgl. statt vieler nur Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 199; MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 89). Die demnach letztlich konstruierten „JedermannsPflichten“ werden dabei auch gerade – ähnlich wie im lauterkeitsrechtlichen Sonderdeliktsrecht hinsichtlich der jeweils angesprochenen Verkehrskreise – je nach Art und Umfang des eröffneten Verkehrs typisiert. Dies bedeutet jedoch noch keinen echten Einzelfallbezug, da sich der Pflichtenumfang insofern gerade am typischen Kunden des eröffneten Verkehrs und eben nicht am einzelnen prospektiven Vertragspartner ausrichtet (vgl. nur MüKo-Emmerich, aaO.). Daß somit in „klassischen“ Kernbereichen der Haftung aus culpa in contrahendo letztlich schon bisher den Verkehrssicherungspflichten des Deliktsrechts (und auch den Maßstäben des lauterkeitsrechtlichen Sonderdeliktsrechts) ähnelnde typisierte „Jedermanns-Pflichten“ konstruiert werden, und daß daher für die culpa in contrahendo ein stets individuelles Pflichtenprogramm bei genauem Hinsehen beileibe nicht stets vorhanden ist, sieht Alexander, S. 143, nicht hinreichend, wenn er für das hier interessierende Schnittfeld von Lauterkeitsrecht und vorvertraglichen Pflichten aus culpa in contrahendo den entscheidenden Unterschied gerade darin erblicken will, daß vorvertragliche Verhaltenspflichten einzelfallbezogen und deshalb im Gegensatz zu wettbewerbsrechtlichen Handlungspflichten individueller ausgerichtet seien. 524
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entwickelten und vertretenen grundsätzlichen Gleichmaßgebots – dann wiederum nahe, für die Konkretisierung des Pflichtenprogramms – ähnlich wie im übrigen nach der hier vertretenen Auffassung im Bereich des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB – in differenzierter Weise (nämlich nur aufgrund einer sorgsamen Schutzzweckanalyse, die die Grenzen des Gleichmaßgrundsatzes definiert) die Argumentationsmuster und den Prüfungsaufbau des Wettbewerbsrechts, insbesondere aus dem Bereich des Irreführungsschutzes, heranzuziehen525. Dabei kann dann hinsichtlich der normativen Bestimmung des Schutzumfangs für die vorvertragliche Entscheidungsbildung auch wiederum ein Vergleich und Abgleich der Wertungen mit dem Zivilrecht erfolgen, der gerade die letzthin zu beobachtende Liberalisierungsbewegung im Recht des unlauteren Wettbewerbs aus einer spezifischen dogmatischen Perspektive beleuchtet und als Resultat einer Wechselwirkung beider Rechtsgebiete zu erklären vermag. Dies läuft letztlich wieder auf eine Art „Schaukeltheorie“ bezüglich der wechselseitigen Beeinflussung der zivilrechtlichen und lauterkeitsrechtlichen Maßstäbe bei der Bestimmung des vorindividuell typisierten Pflichtenprogramms i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB für den werblichen Begründungsakt der vorvertraglichen Sonderbeziehung hinaus (wie es noch unten III näher ausgeführt wird). Gegen eine derartige grundsätzliche Orientierung an den Maßstäben des Wettbewerbsrechts im Rahmen der latent vorwirkenden und deshalb unvermeidbar typisierten Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB lassen sich allerdings einige durchaus gewichtige Bedenken erheben, zumal individuelle Schadensersatzansprüche von unlauterem Wettbewerb betroffener Verbraucher im Kontext der aktuellen UWGReform vom deutschen Gesetzgeber durchaus wohlbewußt 526 ebenso abgelehnt wurden, wie ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. UWG-Verstößen. Daß diese Grenzen durch eine Orientierung der latent vorwirkenden Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB bezüglich vorvertragliche Sonderbeziehungen etablierender Wettbewerbshandlungen an Maßstäben des Lauterkeitsrechts jedoch bei genauem Hinsehen gerade nicht systemwidrig unterlaufen werden, wird noch zu begründen sein527. Zuvor soll jedoch der Bereich der hier vorgeschlagenen Vorverlagerung der tatbestandlichen Anknüpfung der Haftung nach §§ 311 Abs. 2, 525 Im Ansatz wie hier (mit Unterschieden in den Einzelheiten) Sack, WRP 1974, 445, 454 ff. (und öfter, s. zuletzt ders, GRUR 2004, 625, 628 f.); Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 340 ff. (und öfter, s. zuletzt ders., DB 2002, 1090, 1091, ihm folgend Kohls, Informationshaftung, S. 13); Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 488 ff.; Larenz/Wolf, AT, § 31, Rz. 10; Beaucamp, NJW 2003, 3096; Kersting, Kap. 8 § 2 A. A.A. etwa Alexander, S. 142 ff.; Köhler, GRUR 2003, 265, 268 und 271 f. Gänzlich anders und mehr auf § 123 BGB setzend Weiler, WRP 2003, 423, 427; vgl. auch ders., Beeinflußte Willenserklärung, S. 557 ff. (für seine Gesamtkonzeption). 526 S. nur die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 8 UWG. 527 S. die Widerlegung entsprechender Bedenken unten III 3 im Zusammenhang mit der näheren Darstellung des sich aus der Orientierung an den Maßstäben des UWG ergebenden Pflichtenprogramms für die latent vorwirkenden Pflichten i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB und nach der näheren Darstellung der Wechselwirkung des jeweiligen Maßstabs normativer Selbstbestimmung im vorvertraglichen Vertrauensschuldverhältnis und im Lauterkeitsrecht.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB in der vorvertraglichen Sonderbeziehung noch dadurch gedanklich vervollständigt werden, daß die vorvertragliche Haftung bestimmter Dritter für die von ihnen in Verkehr gebrachten Werbeangaben näher untersucht wird. Diese beurteilt sich nunmehr nach § 311 Abs. 3 BGB.
2. Die Einbeziehung Dritter nach § 311 Abs. 3 BGB in den Kreis der verpflichteten Personen a. Ausgangslage Bezüglich der Dritthaftung Werbetreibender für die von ihnen im Bereich der massenhaften Vertragsanbahnung verbreiteten Werbeinformationen hatte Lehmann bereits 1981 einen umfassenden Vorschlag unterbreitet, der eine derartige Haftung de lege lata sozusagen „zwischen“ den angestammten Fallgruppen einer Eigenhaftung bestimmter Sachwalter wegen Inanspruchnahme besonderen Vertrauens und einer Eigenhaftung wegen wirtschaftlichen Eigeninteresses verortete528. Grundlagenorientiert ökonomisch war der Vorschlag mit der gestiegenen Bedeutung von „Herstellersprungwerbung“ für die Orientierung, Information und Motivation der Käufer im Massenverkehr (der eine entsprechende Verantwortlichkeit zur Seite zu stellen sei) sowie aus dem Gedanken des cheapest cost avoider 529 (der in diesem Falle der Hersteller als der eigentliche Verursacher der fehlleitenden Information sei) begründet530. Die beiden etablierten Fallgruppen einer Eigenhaftung bestimmter Dritter im Rahmen der culpa in contrahendo sind seither in der Rechtsprechung tendenziell restriktiver behandelt worden, was wohl auch eine Realisierung der Vorschläge Lehmanns verhinderte. Insbesondere bezüglich des wirtschaftlichen Eigeninteresses als Einbeziehungsgrund für Dritte in die besondere Pflichtenbindung der vorvertraglichen Sonderbeziehung, hat die Rechtsprechung ausdrücklich klargestellt, daß ein lediglich mittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse für die Annahme einer Dritthaftung nicht genügt531. Zuletzt ist die Fallgruppe noch weiter verengt und beinahe vollständig auf ihren Ausgangspunkt – die Haftung des procurator in rem suam, für welche sie ursprünglich vom Reichsgericht entwickelt wurde532 – zurückgeführt worden533. Auch im Rahmen der Sachwalterhaftung wegen Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens war die Tendenz 528
Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 362 ff. mwN. Vgl. grundlegend (wenn auch nicht unkritisch dazu) auch schon oben 1. Kap. 1. Abschn. D III 2. 530 Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 307 ff., 317 ff., 344 ff., 360 ff. mwN; im Ergebnis zustimmend Kohls, Informationshaftung, S. 13; grundlegend zuletzt Kersting, Kap. 5 § 2. Die ökonomischen Erwägungen teilend und ausbauend zuletzt Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 93 ff.; ders., AcP 200 (2000), 91, 101 f. 531 S. BGH NJW 1986, 586, 587; BGH NJW 1990, 506; BGH NJW-RR 1991, 1241, 1242. 532 RGZ 120, 249, 253. 533 Grundlegend BGHZ 126, 181, 182 ff.; vgl. für weitere Rechtsprechungsnachweise Erman-Kindl, § 311, Rz. 50. 529
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letzthin restriktiv. Es wurde eine zusätzliche, gerade vom Dritten persönlich ausgehende Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Erklärungen, die für den Willensentschluß des anderen Teils bedeutsam gewesen sind, gefordert 534. Auch bezüglich der bisher außerhalb der culpa in contrahendo entwickelten, nunmehr aber in §§ 311 Abs. 3 BGB verankerbaren 535 Prospekthaftung bestimmter dritter Personen, die auf die Gestaltung des haftungsbegründenden Prospekts entscheidenden Einfluß haben, wurde von der Rechtsprechung eine eher restriktive Linie gewählt. So hat der BGH in einer Entscheidung aus den achtziger Jahren ausdrücklich klargestellt, daß über die besonderen Bereiche hinaus, innerhalb derer diese Haftungsfigur entwickelt wurde, weil den Gläubigern letztlich nur eine aus steuerrechtlichen Gründen organisierte Gesellschaft (aus von der Mitwirkung weitgehend ausgeschlossenen anderen Kunden) gegenüber steht, in die sie aber nicht ihr Vertrauen setzen, welches sich vielmehr (mangels anderer Informationsquellen) im wesentlichen an den Angaben im Prospekt als wesentlichster Informationsquelle ausrichtet, eine Verallgemeinerung für werbende Geschäftsprospekte jeglicher Art im alltäglichen Bereich nicht in Betracht kommt536. Angesichts dieser insgesamt mit Blick auf eine Dritthaftung restriktiven Tendenz der Rechtsprechung (zumal auch in den letzten Jahren), kann es nicht wundernehmen, daß sich Lehmanns Versuch, eine neue Fallgruppe der Dritthaftung aufgrund „Sprungwerbung“ sozusagen „zwischen“ den vorgenannten, etablierten Gestaltungen zu entwickeln, bisher nicht durchsetzen konnte537. Nach heutigem Rechtsstand ist aber die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit die Schuldrechtsreform in diesem Bereich neue Wertungen gebracht hat, die es nunmehr gestatten, eine sinnvoll begrenzte Dritthaftung bestimmter werbender Dritter aus culpa in contrahendo zu bejahen. Die Eigenhaftung Dritter im Rahmen des vorvertraglichen Vertrauensschuldverhältnisses ist nunmehr in § 311 Abs. 3 BGB geregelt, wobei Satz 2 der Vorschrift die Fälle der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens „für sich“ (und damit in erster Linie die alten Sachwalterfälle der Rechtsprechung) aufgreift 538, während 534 S. etwa BGHZ 56, 81, 84 f.; BGHZ 74, 103, 108; BGH WM 1988, 1535, 1536; BGH NJW 1990, 389, 390; BGH NJW 1990, 1907, 1908; BGH NJW-RR 1992, 605; BGH NJW 1997, 1233; vgl. für weitere Rechtsprechungsnachweise Erman-Kindl, § 311, Rz. 48; MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 210 ff. (auch zur Entwicklung der Fallgruppe aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Eigenhaftung von Vertretern und Verhandlungsgehilfen). 535 S. die Nachweise o. Fn. 461. 536 So ausdrücklich BGH NJW 1981, 2810 f. 537 Neben der fehlenden Rezeption in der Rechtsprechung ist letzthin auf die skeptische Stellungnahme von Alexander, S. 134 ff. (bezüglich der hier interessierenden Fragestellungen, s. S. 140 ff.), zu verweisen. Zurückhaltend auch Köhler, GRUR 2003, 265, 268: persönlicher Kontakt nötig. 538 Insbesondere wollte der Gesetzgeber damit der Rechtsprechung auch einen Anhalt geben, daß die Fallgestaltungen der sogenannten Berufshaftung bestimmter Sachverständiger (im Rahmen der Sachwalterhaftung aus culpa in contrahendo), die häufig auch über die Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zwischen dem (veräußernden) Auftraggeber und dem „dritten“ Gutachter gelöst wurden (vgl. nur BGH NJW 1995, 392 – Reparaturan-
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Satz 1 die Eigenhaftung insgesamt für weitere Fallgruppen offenhalten soll, was einstweilen im wesentlichen die (nunmehr aber von der Rechtsprechung sehr eng beurteilte) Fallgruppe des wirtschaftlichen Eigeninteresses in Bezug nehmen dürfte539. Dabei ist – in dem Bestreben, im Rahmen der Vorschrift Raum für sämtliche der etablierten Fallgruppen zu lassen und sie zudem für künftige Entwicklungen offen zu halten540 – der Kreis der „Dritten“ nun sehr weit formuliert541. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kann „Dritter“ jede Person sein, die nicht zu den prospektiven Parteien des angebahnten Schuldverhältnisses zählt542. Die entscheidende Begrenzung im Rahmen der mit ihren Informationen auf vorvertragliche Sonderbeziehungen einwirkenden Dritten liegt nunmehr im Rahmen des § 311 Abs. 3 S. 2 BGB in der Voraussetzung „besonderen“ Vertrauens543. Insoweit war der von der Rechtsprechung entwickelte Begriff des „Sachwalters“ nie von eigenständiger Unterscheidungskraft 544. Vielmehr sind die Voraussetzungen entscheidend, unter denen die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens bejaht werden kann und die die Rechtsprechung letzthin dahingehend formuliert, daß der Dritte eine zusätzliche, gerade von ihm persönlich (im Sinne eines „für sich“ in Anspruch genommenen Vertrauens) ausgehende Gewähr für Bestand und Erfülstau), auch über die Annahme einer Vertrauensinanspruchnahme und dann im Rahmen einer culpa in contrahendo des Dritten in Bezug auf den zwischen Veräußerer und Erwerber geschlossenen Vertrag zu lösen seien. Vgl. für diesen Hintergrund auch Canaris, JZ 2001, 499, 520; vgl. grundlegend für eine Lösung über das Institut der culpa in contrahendo in derartigen Fällen schon Canaris, JZ 1995, 441 ff. (in einem Besprechungsaufsatz zu o.g. BGH-Entscheidung); Canaris, JZ 1998, 603 ff.; Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220 ff. 539 S. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 311 Abs. 3 Satz 1; vgl. aus der Literatur statt aller Canaris, JZ 2001, 499, 520. 540 S. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 311 Abs. 3 Satz 1. 541 Canaris, JZ 2001, 499, 520. 542 Vgl. eingehend zuletzt Kersting, Kap. 4 § 2 B III und Kap. 5 § 3 mwN. 543 Canaris, JZ 2001, 499, 521. 544 Canaris, in: FS 50 Jahre BGH, S. 129, 186: „nahezu kein faßbarer juristischer Gehalt“; weiter führe demgegenüber der Rekurs auf das „besondere Vertrauen“, hinter dem sich nicht mehr und nicht weniger als die dogmatische Prüfung verberge, ob der Beklagte „die Tatherrschaft“ als eigentlicher „Herr“ des Geschäftes innehatte. Auch Canaris, aaO., S. 187 ff., weist darauf hin, daß die Kategorien der „Täterschaft“ oder „Tatherrschaft“ gerade für die Fälle der Haftung von „Hintermännern“ aus culpa in contrahendo und der sich daraus ergebenden Problematik des „typisierten“ Vertrauens (etwa in den Prospekthaftungsfällen) besonders fruchtbar sind, da sie die entscheidende Wertung – die Zurechenbarkeit des durch den Prospekt entstandenen Vertrauens auf die Hinterleute – besonders luzide macht. Das Problem der Zurechenbarkeit der eine bestimmte Verkehrserwartung und damit letztlich über § 434 Abs. 1 S. 3 BGB die resultierenden Beschaffenheitsvereinbarungen prägenden Werbeangaben auf ihre Urheber (Hersteller und sonstige Dritte i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB) dürfte in den hier interessierenden Fällen ohnehin vergleichsweise unproblematisch sein; der entscheidende Prüfstein bezüglich des hier behandelten spezifischen Dritthaftungsproblem ist vielmehr die Frage, ob die Hersteller tatsächlich Adressat der betreffenden Schutzpflichten sind (was sich insbesondere daraus ergeben könnte, daß ihre Angaben für die Käufer die wichtigste Informationsquelle im Massenverkehrsgeschäft sind), vgl. zu dieser eigentlichen Kernfragestellung sogleich unten b (2).
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lung des Rechtsgeschäfts bieten müsse545. Wann dies der Fall ist, ist letztlich eine Wertungsfrage, wobei man wohl weniger als bisher in „starrer“ Art und Weise auf die Stellung des betroffenen Dritten (hinsichtlich seiner besonderen öffentlichrechtlichen Bindung o.ä.), als vielmehr auf den Wechselzusammenhang von Nähe des Dritten zum Schuldverhältnis und Reichweite des in ihn gesetzten Vertrauens abstellen sollte. Jedenfalls die Verpositivierung der Dritthaftung durch den Schuldrechtsreformgesetzgeber in § 311 Abs. 3 BGB hat in diesem Zusammenhang keine (die zuletzt restriktiven Tendenzen in Literatur546 und Rechtsprechung547 nachhaltig verändernde) Neubewertung gebracht. Vielmehr wollte der Schuldrechtsreformgesetzgeber mit der gewählten offenen Formulierung nichts präjudizieren, der Wortlaut der Vorschrift läßt für die Weiterentwicklung in Wissenschaft und Judikatur sämtliche Optionen offen, auch eine notfalls gebotene einschränkende Interpretation ist weiterhin möglich 548. Die Vorschrift des § 311 Abs. 3 BGB ist also hinsichtlich der Frage, ob eine eigenständige Dritthaftung aufgrund von schuldhaft irreführenden Werbeangaben aus culpa in contrahendo in Betracht kommen kann, sozusagen als „neutral“ anzusehen. Das Kriterium des „besonderen Vertrauens“ ist insoweit nur Einfallstor für die letztlich notwendige normative Wertung, ob ein hinreichend intensives Vertrauen bezüglich des Inhalts und der Erfüllung des letztlich resultierenden Schuldverhältnisses vom Dritten für sich in Anspruch genommen wurde. b. Änderungen der Wertungsgrundlage durch die Neuregelung des Kaufrechts in der Schuldrechtsreform und insbesondere durch die Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB (1) Schutzwürdiges „besonderes“ Vertrauen der Kunden Insoweit könnte nun aber gerade wiederum § 434 Abs. 1 S. 3 BGB mit seiner durch gesetzliche Fiktion typisierten, zwingenden Auslegungsregel, derzufolge bestimmte Dritte (nämlich Hersteller und Quasi-Hersteller i.S.d. Produkthaftungsgesetzes) bezüglich ganz bestimmter Eigenschaften der Kaufsache in öffentlichen Äußerungen (und insbesondere in der Werbung) die Beschaffenheitsvereinbarung zwischen Verkäufer und Käufer typisiert prägen können, eine implizite Wertung hinsichtlich der Inanspruchnahme „besonderen Vertrauens“ 545
S. etwa BGH NJW 1989, 293, 294; BGH NJW 1997, 1233. S. statt vieler nur Lorenz/Riehm Rz. 376; Huber/Faust-Faust, § 3, Rz. 13; Medicus, Schuldrecht I, Rz. 111; Bamberger/Roth-Grüneberg, § 311, Rz. 114; Erman-Kindl, § 311, Rz. 47; MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 209, 221. Vgl. auch die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 311 Abs. 3 S. 2 (unter Hinweis auf BGH NJW-RR 1991, 1242): Besonderes Vertrauen müsse über die Inanspruchnahme normalen Verhandlungsvertrauens hinausgehen. Vgl. aber grundlegend anders und unter weitgehender Aufgabe tatbestandlicher Abgrenzungsversuche mit Blick auf die „Besonderheit“ des Vertrauens neuestens Kersting, Kap. 5 § 3 C. 547 S. nur die Nachweise o. Fn. 533 und 534. 548 S. statt aller MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 207. 546
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durch diese Dritten bezüglich des letztlich angestrebten Kaufvertrags und der Beschaffenheit der Kaufsache beinhalten. Daß der Hersteller und die in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten das typisierte Vertrauen des Verkehrs nach der ratio dieser Norm in derart entscheidender Weise prägen können, daß die derartige Prägung der Verkehrserwartung sogar zur Grundlage einer typisierten Einbeziehung in die Äquivalenzvereinbarung des Kaufvertrags wird, ist § 434 Abs. 1 S. 3 BGB als Wertung zweifellos mindestens zu entnehmen. Daß diese Wertung behutsam dahingehend verallgemeinert werden kann, daß Werbeangaben der eigentlichen „Erzeuger“ eines bestimmten Vertragsgegenstands (also etwa auch: einer bestimmten Dienstleistung) hinsichtlich bestimmter Eigenschaften dieses Vertragsgegenstands ebenfalls ein derartiges Verkehrsvertrauen prägen können, welches dann in die Äquivalenzvereinbarungen der letztlichen Vertragsparteien eingeht, wurde bereits begründet 549. Damit ist jedenfalls aufgrund der ratio des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gesetzgeberisch geklärt, daß das durch Werbeangaben hinsichtlich bestimmter Eigenschaften von Vertragsgegenständen geprägte Verkehrsvertrauen derart bedeutsam ist, daß es mutatis mutandis einer ausdrücklichen Äquivalenzvereinbarung zwischen den Vertragsparteien entspricht550. Ein hinreichender Vertrauenstatbestand liegt insoweit aufgrund von Werbeangaben jedenfalls vor, wobei zu betonen ist, daß dies nicht etwa dahingehend zu verstehen ist, daß ein Vertrauen der Verkehrsteilnehmer in jedwede Werbung Dritter nach der hier vertretenen Auffassung für schutzwürdig erachtet würde. Vielmehr steckt nach der hier vertretenen Auffassung gerade wiederum die Vorschrift des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB wertungsmäßig die Grenzen desjenigen Bereichs vorvertraglich massenhafter Informationsvermittlung seitens Dritter ab, die für das letztlich resultierende Schuldverhältnis rechtliche Relevanz erlangen. Die insoweit erfolgte Beschränkung auf Angaben bezüglich „bestimmter“ (also: konkreter, objektiv nachprüfbarer) Eigenschaften des Vertragsgegenstands – bezüglich derer eben im Verkehr den Angaben des eigentlichen Erzeugers des Vertragsgegenstands (nämlich: seines Herstellers und der in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Quasi-Hersteller) eine besondere Bedeutung als Informationsquelle beigemessen wird – umreißt gerade normativ die Grenzen schutzwürdigen Vertrauens in Werbeangaben Dritter sowohl in persönlicher als auch in sachlicher Hinsicht. Denn wenn derartige Werbeangaben die Erwartung der Verkehrsteilnehmer in die Eigenschaften des Vertragsgegenstands in derart relevanter Weise prägen, daß sie sogar in die Äquivalenzvereinbarungen der letztlich resultierenden Verträge typisiert-fiktiv Eingang finden, dann läßt sich nicht länger argumentieren, daß insoweit ein Vertrauen der Verkehrsteilnehmer nicht berechtigt sei. Diesem bei den Verkehrsteilnehmern induzierten Vertrauen korrespondiert bei normativer Betrachtung auch ein entsprechender Wille der Werbenden, hinsicht549
S. oben A II 3. Vgl. zu diesem Kriterium Canaris, AcP 200 (2000), 273, 306 ff. (im Zusammenhang seines Versuchs einer tatbestandlichen Abgrenzung von § 123 BGB). 550
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lich sämtlicher in Betracht kommender potentieller Kunden und deren konkreten Vertragsabschlüssen Vertrauen für ihre Angaben in Anspruch zu nehmen. Denn das Ziel der Werbung besteht gerade darin, im wirtschaftlichen Interesse des Herstellers und der sonstigen in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten möglichst viele Verkehrsteilnehmer zu entsprechenden Vertragsabschlüssen – bezüglich derer die Werbung durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB typisiertes Vertrauen prägt – zu veranlassen. Dem muß dann aber auch nach Treu und Glauben der Wille der werbenden Hersteller und Dritten entsprechen, das Vertrauen in Anspruch zu nehmen, welches letztendlich erst dazu führt, daß die resultierenden Äquivalenzvereinbarungen durch die öffentlichen Äußerungen in der Werbung geprägt werden 551. Nachdem somit feststeht, daß Hersteller und die in § 434 Abs. 1 S. 3 genannten Dritten – wie im übrigen die eigentlichen Ursprungsquellen von Vertragsgegenständen ganz allgemein für ihre werblichen Angaben hinsichtlich bestimmter, nachprüfbarer Eigenschaften der Vertragsgegenstände – schutzwürdiges typisiertes Vertrauen der Verkehrsteilnehmer induzieren, ist damit aber noch nicht letztgültig geklärt, ob sie dieses Vertrauen gerade i.S.d. § 311 Abs. 3 BGB in „besonderer“ Weise „für sich“ in Anspruch nehmen. Anders ausgedrückt: es gilt, die Frage der spezifischen Verantwortlichkeit der Drittwerbenden zu klären. (2) Spezifische Verantwortlichkeit der Hersteller bzw. Quasi-Hersteller und Inanspruchnahme „besonderen Vertrauens“ „für sich“ Hierfür ist im Ausgangspunkt nochmals auf den Haftungsgrund der Werbeangabenhaftung des Verkäufers zurückzukommen. Diese gründet sich, entsprechend den in dieser Untersuchung getroffenen Feststellungen, im wesentlichen auf den Sphärengedanken552: Dem Verkäufer, welcher in seinem Verhältnis zum Hersteller mannigfaltigere Einfluß- und Informationsmöglichkeiten hinsichtlich der Herstellerwerbung hat als der Käufer und welcher zudem von der Herstellerwerbung auch bestimmungsgemäß mit profitiert, wird – letztlich im Sinne einer Risikozuordnung – das Risiko für das vom Verkehr in irreführende Werbeangaben gesetzte Vertrauen dadurch aufgebürdet, daß dieses typisierte Vertrauen – in den durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genau umrissenen Grenzen – in die resultierenden Kaufverträge Eingang findet. Von einer – wie minimal auch immer gearteten – Einbeziehung der Werbeinformationen in die individualisierten Vertragsverhandlungen durch den Verkäufer selbst ist seine Haftung nicht länger abhängig553. Angesichts dieser grundlegenden Begründung der Werbeangabenhaftung des Verkäufers aus dem Sphärengedanken erschiene es aber wertungswidersprüchlich, wenn der Hersteller, der das Vertrauen des Verkehrs durch aktives Tun – nämlich die Verbreitung von Herstellerwerbung – erst in (sogar nach dem Verschuldens551 552 553
S. zuletzt Kersting, Kap. 8 § 2 A. S. näher oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) und 4. Kap. 3. Abschn. C II 1. S. oben aaO.
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prinzip) zurechenbarer Weise induziert hat 554, nicht auch unmittelbar zumindest für Schäden, die aus der Vertrauensinanspruchnahme durch typisierte Einbeziehung in die letztlich resultierenden Verträge entstehen (da nicht der Erwartung des Verkehrs entsprechend erfüllt wird)555, einzustehen hätte. Man wird eine derartige Haftung für „besonderes Vertrauen“ für „sich“ in Fällen, in denen letztlich die Äußerung eines bestimmten Sachwalters die für den Verkehr wesentlichste, beinahe unersetzliche Informationsquelle über den Kaufgegenstand ist, durchaus auch in einzelnen Judikaten zur Berufs- und Prospekthaftung bereits angedeutet finden (wenngleich sie über die genannten Sonderbereiche bisher nicht ausgedehnt wurde)556, wobei es dann im übrigen auch nie als schädlich angesehen wurde, wenn diese qualifizierte Informationsquelle interessenorientiert auf Seiten des Verkäufers zuzuordnen war557. Zwar wurden derartige Gestaltungen bisher häufig auch über die Annahme entsprechender Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zwischen dem Anbieter und dem Gutachter gelöst, doch war § 311 Abs. 3 BGB vom Gesetzgeber558 ausdrücklich auch intendiert, um der Rechtsprechung die 554 Und für dessen Verhalten der Verkäufer in derartigen Fällen schuldhafter werblicher Vertrauensweckung im Verkehr letztlich nur indirekt und nachgelagert nach dem Sphärengedanken einsteht, vgl. oben aaO. 555 Für den Käufer kann hier – obwohl er (wegen § 434 Abs. 1 S. 3 BGB) letztlich einen erwartungsgerechten Vertrag im Verhältnis zum Verkäufer erzielt – durchaus ein eigenständiger Schaden entstehen, der dann darin besteht, daß er an einen Vertrag gebunden ist, dessen Erfüllung nicht so abläuft, wie er dies aufgrund des vom Hersteller in Anspruch genommenen Vertrauens erwarten konnte (insoweit anders als im Zwei-Personen Verhältnis, wo in einem derartigen Fall eines „erwartungsgerechten“ Vertrags dann nach herrschender Meinung die Gewährleistungsregeln vorgehen, s. näher noch unten IV 3 a mwN). Insbesondere aber entsteht auch für den Verkäufer ein Schaden daraus, daß er wegen § 434 Abs. 1 S. 3 BGB dem Käufer Erfüllung für die in den öffentlichen Äußerungen des Herstellers getätigten beschaffenheitsbezogenen Äußerungen schuldet; den hieraus entstehenden Schaden kann dann insbesondere auch der Verkäufer nach §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB vom Hersteller im Falle schuldhaften Handelns direkt ersetzt verlangen. Vgl. zum Verhältnis dieses Anspruchs zum Herstellerregreß gem. §§ 478 f. BGB noch unten (3) und IV 3 b. 556 S. etwa BGH NJW 1995, 392 f. – Reparaturanstau (im Rahmen der konstruktiven Lösung über einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter): größeres Vertrauen in das Gutachten des Sachverständigen als in die Angaben des Verkäufers selbst, worin der „die Verkaufsabsicht fördernde besondere Wert des Gutachtens“ liege. Noch deutlicher (und im Rahmen der culpa in contrahendo) finden sich derartige Argumentationsansätze natürlich in den Fällen der Prospekthaftung, s. etwa BGHZ 115, 213 = NJW 1992, 228, 229: „Prospekt oftmals die einzige, jedenfalls die wichtigste Informationsquelle, die den Anleger in die Lage versetzt, die Anlage objektiv zu beurteilen“; noch deutlicher – und neben den üblichen Ausführungen zum „besonderen“, gegenüber den Angehörigen bestimmter öffentlich gebundener Berufe bestehenden Vertrauens auch schon mit einer ausdrücklich werbeverwendungsbezogenen Argumentation – BGH NJW 2001, 360, 364: zusätzlicher Vertrauenstatbestand durch den Wirtschaftsprüfer dadurch geschaffen, daß gerade der Werbeprospekt auf die Qualität der Kontrolle „durch halbjährige Prüfungen einer ‚unabhängigen namhaften Wirtschaftsprüfungsgesellschaft“ abhob, mithin besonderes Vertrauen gerade auch aufgrund des Einsatzes in der Kundenwerbung (wenn auch noch gebunden an die besondere berufliche Stellung des Wirtschaftsprüfers). 557 S. nur BGH NJW 1995, 392 f. – Reparaturanstau. 558 S. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 311 Abs. 3 S. 2: „Die Vorschrift soll der Rechtsprechung aufzei-
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Möglichkeit aufzuzeigen, die Berufshaftungsfälle über die Annahme einer vorvertraglichen Eigenhaftung des Gutachters aus culpa in contrahendo zu konstruieren, wie dies Teile der Literatur seit je präferiert hatten559. Der insoweit zugrundeliegende Gedanke – daß die Gutachter wegen ihrer öffentlichen Funktion eine Art Garantenstellung einnehmen, die sie für den Erwerber zur wesentlichen, ja der eigentlich relevanten Quelle von Informationen über die Kaufsache werden lassen – ist wertungsmäßig genau der Gedanke, der hinsichtlich einer Garantenstellung des Herstellers im Massenverkehr bezüglich der Eigenschaften von Kaufsachen auch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zugrundeliegt560. Dieser letztgenannten Norm läßt sich also – auf die Begrifflichkeiten der culpa in contrahendo gewendet – sozusagen die typisierte „Berufshaftung“ des Herstellers für die Übereinstimmung der von ihm angebotenen Produkte mit den von ihm öffentlich verbreiteten Werbeangaben entnehmen. Denn nur weil den in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten als Informationsquellen über die Beschaffenheit der Kaufsache im Verkehr eine besondere Erwartungshaltung entgegengebracht wird, die ihnen wegen ihrer Beteiligung am Herstellungsprozeß eine besondere, qualifizierte Kompetenz beimißt, wenn sie sich über konkrete Eigenschaften der Kaufsache öffentlich äußern, können ihre Angaben die Verkehrserwartung gerade für diesen Bereich in rechtlich relevanter Art und Weise prägen. Es ist diese Vertrauensinanspruchnahme „für sich“ (nicht etwa eine Art Stellvertretung für den Verkäufer), die die Verkehrserwartung prägt und die dem Verkäufer dann letztlich nur über den Sphärengedanken im weitesten Sinne zugerechnet wird. Diese Wertung ist im Rahmen des § 311 Abs. 3 BGB zu akzeptieren. Mithin nehmen die in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Personenkreise – wie auch verallgemeinerbar die eigentlichen Ursprungsquellen des Vertragsgegenstands im Rahmen von Dienstleistungsverträgen u.ä. – nach der Wertung des neuen Kaufrechts eine den Gutachtern im Grundansatz vergleichbare Garantenstellung ein, soweit es um öffentliche Äußerungen über bestimmte Eigenschaften der von ihnen erzeugten oder importierten Produkte geht. Dagegen läßt sich nicht etwa einwenden, daß die in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten nicht – wie dies bisher in den Sachwalterfällen gefordert wurde561 gen, daß diese Fälle auch auf diesem Wege zu lösen sind“. Dementsprechend nun für eine Lösung der „Berufshaftungsfälle“ über § 311 Abs. 3 S. 2 BGB Canaris, JZ 2001, 499, 520 (wenn auch: „ohne dogmatische Festlegung“ der Rechtsprechung durch dem Gesetzgeber; pointiert kritisch zu dieser zurückhaltenden Beurteilung wiederum Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring-Lieb, § 3, Rz. 47); Teichmann, JZ 2001, 1485, 1491; Schwab, JuS 2002, 872, 875 ff.; „einstweilen“ offengelassen, jedoch mit der Feststellung, daß jedenfalls der Weg über § 311 Abs. 3 S. 2 BGB nunmehr stets „unbedenklich“ mit offen stehe, MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 232; ähnlich wohl Dauner-Lieb/ Heidel/Lepa/Ring-Lieb, § 3, Rz. 47; dennoch weiterhin für eine Lösung über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Palandt-Heinrichs, § 311, Rz. 60; wohl auch AnwK-Krebs, § 311, Rz. 54 ff. 559 S. insbesondere prononciert Canaris, JZ 1995, 441 ff. (in einem Besprechungsaufsatz zu o.g. BGH-Entscheidung); Canaris, JZ 1998, 603 ff.; Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220 ff. 560 Vgl. mehrfach oben, am deutlichsten 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (b). 561 S. nur zuletzt BGH NJW 2004, 2523, 2525 mwN, dort allerdings auch zum Ausreichen
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– unmittelbar oder mittelbar an den Vertragsverhandlungen beteiligt sind. Denn letztlich ist dieses Kriterium der bisherigen Rechtsprechung nur der Versuch, die Intensität des Einflusses des „für sich“ in Anspruch genommenen Vertrauens auf den Inhalt des letztendlich entstandenen Vertrags, der resultierenden Äquivalenzvereinbarung indiziell festzustellen. Einer derartigen indiziellen Feststellung hinsichtlich der Intensität des Einflusses des Drittvertrauens – des „Hervortretens“ des Vertrauen in Anspruch nehmenden Dritten 562 – und hinsichtlich der sich ergebenden Prägung der resultierenden Äquivalenzvereinbarung der Vertragsparteien durch den Dritten bedarf es aber in Situationen, die der in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB vorgesehenen typisierten Einbeziehung der durch Werbung geprägten Verkehrserwartung in die Äquivalenzvereinbarung entsprechen, gerade nicht, da § 434 Abs. 1 S. 3 BGB die Wertung hinsichtlich der ausreichenden Intensität des Einflusses des in Anspruch genommenen Vertrauens – die ja intensiver, als dies durch die unmittelbare Einbeziehung in die Äquivalenzvereinbarung belegt wird, gar nicht sein könnte – vom Ergebnis her bereits vorgibt. Eine indizielle Feststellung – etwa hinsichtlich des Unmittelbarkeits- oder Mittelbarkeitsgrades der Beteiligung, eines persönlichen Kontakts o.ä. Kriterien – ist daher gar nicht notwendig. Vielmehr ergibt sich bereits aus der typisierten Einbeziehung in die Beschaffenheitsvereinbarung – die von konkret-individuellen Handlungen des Verkäufers gerade nicht mehr abhängt und die deshalb nur auf der Inanspruchnahme von Verkehrsvertrauen durch den Hersteller beruhen kann – daß der Hersteller mit einem Anspruch auf Vertrauen bezüglich der Sachbeschaffenheit auf die Vertragsverhandlungen mittelbar-vorgelagerten Einfluß hatte. Denn es wäre in sich widersprüchlich, einerseits den Werbeangaben des Herstellers derartige Bedeutung aus der normativen Sicht der Kundenseite beizumessen, daß sie typisiert Eingang in sämtliche Beschaffenheitsvereinbarungen finden und dann andererseits diesbezüglich die Inanspruchnahme von Vertrauen gerade durch die Herstellerseite zu verneinen. Setzte der Verkehr in die durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB persönlich und sachlich umrissenen Angaben Dritter nicht mittelbar sein Vertrauen, so wäre schlicht auch kein wertungsmäßiger Grund mehr für die insoweit doch nur sphärenartig abgeleitete Haftung des Verkäufers aus der typisierten Beschaffenheitsvereinbarung ersichtlich. Ebensowenig läßt sich gegen einen hier demnach letztlich befürworteten verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch direkt gegen die in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten werbetreibenden Dritten (und vergleichbare Dritte im Rahmen anderer Vertragsarten) nach §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 i.V.m. §§ 249 ff. BGB einwenden, er führe zu einer unabsehbaren und unerträglichen Ausdehnung des Haftungsrisikos der Hersteller und Quasi-Hersteller. Denn da der Schadensersatzanspruch gerade – entsprechend der Wertung des § 434 Abs. 1 einer nur mittelbaren Teilnahme an den Vertragsverhandlungen, solange nur der Dritte mit einem Anspruch auf Vertrauen insoweit hervortrete. 562 Vgl. BGH NJW 2004, 2523, 2525 mwN.
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S. 3 BGB, auf die er grundlegend gestützt ist – auf bestimmte (d.h. objektiv nachprüfbare) Angaben hinsichtlich relevanter Eigenschaften des Vertragsgegenstands begrenzt wird, reicht das Haftungsrisiko für die eigentlichen schuldhaften Verursacher des Verkehrsvertrauens nicht weiter563 als dasjenige Risiko, welches die gesetzliche Wertung gerade auch den Verkäufern – in diesem Falle, wenn man von der Entlastungsmöglichkeit des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 2 BGB absieht, sogar verschuldensunabhängig – zumutet. Dabei garantiert die Beschränkung auf bestimmte, objektiv nachprüfbare und relevante Eigenschaften des Vertragsgegenstands, ebenso wie die Begrenzung des Haftungsumfangs nach den etablierten Grundsätzen für die Eigenhaftung von Vertrauen für sich in Anspruch nehmenden Vertretern und Sachwaltern564, daß sich der Schadensersatzanspruch nicht zu einem allgemeinen Reurecht der betroffenen Kunden auswächst, welches ihm günstigere Rechtsfolgen bietet als seine vertraglichen Erfüllungsansprüche565. Anders als in den Gutachterfällen ist auch das Ausmaß der „Garantenstellung“ der in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten sehr viel restriktiver bemessen. Nicht etwa begründen ihre öffentlichen Angaben ein Vertrauen des Verkehrs, sie hätten den Kaufgegenstand eingehend und vollständig begutachtet (wie in den Fällen der bisherigen „Berufshaftung“566); vielmehr wird lediglich Vertrauen in die (aus der Perspektive des durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers beurteilte) Richtigkeit ihrer tatsächlich öffentlich geäußerten Angaben gesetzt567. Der dementsprechende (für das Ausmaß schutzwürdigen Vertrauens in pflichtgemäßes Verhalten entscheidende) Pflichtenmaßstab ist also vergleichsweise reduziert und kann – soweit es um das Verständnis bestimmter Äußerungen aus der normativen Sicht der Verkehrsteilnehmer geht – wiederum wechselwirkungsartig an den Maßstäben des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes orientiert werden, soweit der Gleichmaßgrundsatz wegen identischer Schutzzwecke reicht. Dem hier vertretenen „Wasser und Öl“-Ansatz bezüglich des strikt durch die zivilrechtlichen Wertungen begrenzten Einbruchs typisiertwettbewerbsrechtlicher Maßstäbe in das grundsätzlich am individuellen Ver563 Und auch insofern entscheidend weniger weit, als nicht ein Vertrauenserfüllungsanspruch gewährt wird, sondern nur nach §§ 249 ff. BGB der Vertrauensschaden ersetzt wird, vgl. unten IV 3 b. 564 S. dazu näher unten IV 3 b. 565 Auf dieses Problem wies völlig zu Recht Köhler, GRUR 2003, 265, 270 f., bezüglich der weiterreichenden Vorschläge für ein „wettbewerbsrechtliches“ Vertragsauflösungsrecht hin. Die hier vorgeschlagene zivilrechtliche „Filterung“ hinsichtlich des Bezugsobjekts der Werbeangaben, hinsichtlich ihrer Quelle und (wie noch unten III auszuführen sein wird) hinsichtlich der nur differenzierten (schutzzweckselektiven) Rezeption wettbewerbsrechtlicher Judikate im Rahmen der Konkretisierung des Pflichtenmaßstabs nach § 241 Abs. 2 BGB sowie auch hinsichtlich der Anforderungen an die Kausalität für den Vertragsschluß, bietet gegen eine derartige Entwicklung aber effektiven Schutz, vgl. näher noch unten III 3 und auch IV. 566 S. nur beispielhaft für den strengen Maßstab in diesem Bereich BGH NJW 1995, 392 f. – Reparaturanstau. 567 S. zum demnach vergleichsweise reduzierten Pflichtenmaßstab noch sogleich unten III.
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hältnis der Vertragsparteien orientierte Vertragsrecht entspricht dies gerade, da die Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB hinsichtlich der rechtlichen Relevanz vorindividueller Vertrauensprägung im Massenverkehr nur im Rahmen des gesetzlichen Vertrauensschuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB rezipiert und vervollständigt wird. (3) Unterminierung spezifisch kaufrechtlicher Wertungen bezüglich der Dritthaftung aus Garantien und bezüglich des auf die Vertriebskette limitierten Regresses der Letztverkäufer? Gegen eine derart (gerade unter wertungsmäßigem Rückgriff auf die durch die konstruktive Lösung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB spezifisch dem Verkäufer zugeordnete Werbeinformationshaftung) begründete Schadensersatzhaftung bestimmter Dritter für Werbeangaben über konkrete und relevante Eigenschaften des Vertragsgegenstands aus den §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 i.V.m. §§ 249 ff. BGB läßt sich allerdings auf den ersten Blick der Einwand erheben, hierdurch würden spezifisch kaufrechtliche Wertungen über die vorvertragliche Informationshaftung und den nach dem Willen des Gesetzgebers568 gerade innerhalb der jeweiligen Vertragsbeziehungen vorzunehmenden Regreß des Letztverkäufers im Verbrauchsgüterkauf unterlaufen. Insbesondere könnte eine derartige Direkthaftung Dritter für ihre öffentlichen Äußerungen in der Werbung die spezifischen Regeln des § 443 Abs. 1 BGB (der für die Begründung einseitiger Garantien Dritter vergleichsweise strenge Maßstäbe vorsieht569) sowie insbesondere des Regresses im Verbrauchsgüterkauf nach § 478 BGB (dem sich die Wertung entnehmen läßt, daß der Regreß des Verkäufers für die von ihm im Rahmen seiner kaufrechtlichen Erfüllungshaftung entstandenen Aufwendungen gerade in der Vertriebskette durch Absicherung der Rückabwicklung in der jeweiligen Vertragsbeziehung erfolgen soll570) regelrecht unterminieren. Bei genauem Hinsehen betreffen diese Vorschriften jedoch jeweils eine andere Haftung. In § 443 Abs. 1 BGB geht es nicht um Schadensersatz nach §§ 249 ff. BGB für das in die schuldhaft irreführend gestalteten Werbeangaben gesetzte Vertrauen (welches als ein Vertrauen in pflichtgemäßes Verhalten an die schuldhafte Verletzung entsprechender Verhaltenspflichten und den dadurch verursachten Schaden anknüpft)571, sondern vielmehr um eine verschuldensunabhängige, rechtsgeschäftliche Vertrauenserfüllungshaftung für die in der Garantie von einem Dritten zugesicherte Beschaffenheit und Haltbarkeit der Kaufsache. Diese Erfüllungshaftung, die eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Dritten voraussetzt, ist von dem hier 568 Vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 478 – Rückgriff des Unternehmers, Vorbemerkung. 569 Vgl. oben 3. Abschn. C I 2 b (1). 570 S. auch ausdrücklich Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 478 – Rückgriff des Unternehmers, Vorbemerkung. 571 S. dazu näher noch unten III und IV.
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diskutierten verschuldensabhängigen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens streng zu unterscheiden. Die Voraussetzungen des § 443 Abs. 1 BGB werden demnach durch den hier vorgeschlagenen Schadensersatzanspruch gem. §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB gerade nicht umgangen, da sich dieser mit dem Gebot der Naturalrestitution auf ein anderes – in der überwiegenden Anzahl der Fälle das „negative“572 – Interesse richtet. Schwerer wiegt das Argument, der Gesetzgeber habe im Verbrauchsgüterkauf bezüglich Aufwendungen des Verkäufers aus der vertraglichen Erfüllungshaftung wegen Mängeln gerade bewußt nur den Regreß in der Vertragskette „aufwärts“ (wie ihn §§ 478, 479 BGB in teilweise zwingender Gestaltung für den Verbrauchsgüterkauf näher definieren) vorgesehen573. Dem ließe sich nun wieder entgegenhalten, daß der Schadensersatzanspruch für die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens durch Werbeangaben auf Grundlage von § 311 Abs. 3 BGB wegen der Voraussetzung des Verschuldens genaugenommen die Regreßhaftung nach § 478 BGB – für die im Bereich sonstiger Beschaffenheitsmängel und insbesondere bei Fehlen des Verschuldensmerkmals in der Person des Herstellers und seiner Gehilfen breiter Raum bliebe – nicht vollkommen obsolet macht. Da allerdings – schon wegen § 280 Abs. 1 S. 2 BGB – ein Verschulden in der Mehrzahl der Fälle vorhanden (oder zumindest nicht widerlegbar sein) dürfte, erscheint diese rein systematische Argumentation jedoch zumindest noch ergänzungsbedürftig. Insoweit ist der folgende, wertende Gedankengang entscheidend. Entsprechend der Vorgabe des Art. 4 Verbrauchsgüterkauf-RL574 läßt sich der Regelung in § 478 BGB bei richtlinienkonformer Auslegung in erster Linie die Wertung entnehmen, daß der eigentlich für eine Vertragswidrigkeit durch sein Handeln oder Unterlassen Verantwortliche – mithin in den spezifischen Fällen des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB derjenige, der durch seine irreführende öffentliche Äußerung in der Werbung eine Beschaffenheitserwartung im Verkehr prägt, der die Kaufsache dann nicht standhält – letztlich die hierdurch verursachten Aufwendungen tragen soll, während dem praktisch haftenden Letztverkäufer im Verbrauchsgüterkauf eine entsprechende Regreßmöglichkeit zur Verfügung stehen 572 S. näher unten IV 1 (auch zu den Grenzen einer derartigen, letztlich nur „empirischen“ Feststellung). 573 S. ausdrücklich auch die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 478 – Rückgriff des Unternehmers, Vorbemerkung. 574 Genau wie hier: Grundmann/Bianca-Bridge, Art. 4, Rz. 7: eigentliches Ziel des Art. 4 Verbrauchsgüterkauf-RL nicht etwa die Regelung von (typisiert eben gar nicht vorhandenen) verhandlungsmachtbezogenen Ungleichgewichtslagen in der Verwertungskette, sondern vielmehr Internalisierung der Kosten beim eigentlich Verantwortlichen für die Vertragswidrigkeit. Jedenfalls bezüglich des eigentlich für (die Vertragsmäßigkeit prägende) Werbeangaben Verantwortlichen ist diese Wertung ganz eindeutig. Vgl. auch Grundmann/Bianca-Gomez, Einl., Rz. 127 f., mit Ansätzen einer ökonomischen Analyse. S. zur Frage des Händlerregresses und insbesondere der Angemessenheit einer Direktklage (schwerpunktmäßig aus der Sicht des österreichischen Rechts, aber mit umfassender historischer und rechtsvergleichender Grundlegung) Augenhofer, Gewährleistung und Werbung, S. 143 ff.
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muß, da er die Nachteile eines verbesserten Verbraucherschutzes (für die Anbieterseite) dann nicht allein tragen soll, wenn die Ursache für seine Haftung nicht in seinem Verantwortungsbereich entstanden ist 575. Dies sucht insbesondere der selbständige Regreß (§ 478 Abs. 2 BGB) in der Vertriebskette, zumal durch die eigentümliche „wirtschaftlich zwingende“ Ausgestaltung gem. § 478 Abs. 4, Abs. 5 BGB576, sicherzustellen. Der Weg zu diesem gesetzgeberischen Ziel ist dabei durch einen kritikwürdigen, von der Verbrauchsgüterkauf-RL 577 gerade nicht geforderten, hypertrophen Einsatz wirtschaftlich zwingenden Rechts zwischen Unternehmern gekennzeichnet, welcher die Rechtsprechung (zumal bei der Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals des „wirtschaftlich gleichwertigen Ausgleichs“) noch vor einige Probleme stellen wird578. Das Ziel, die Haftung des durch sein Tun oder Unterlassen für die Mangelhaftigkeit Verantwortlichen in der Vertriebskette abzusichern und den haftenden Letztverkäufer entsprechend freizustellen579, läßt sich aufgrund dieser Gestaltung allerdings nur sozusagen „zur Hälfte“ erreichen. „Bricht“ die Vertriebskette an einer Stelle durch Insolvenz, so wird – da entsprechende Regreßansprüche durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht würden – die Haftung in der Vertriebskette zwar weiter „nach oben“ gereicht. Allerdings führt die Insolvenz doch zugleich dazu, daß der Aufwendungsersatzanspruch des Vertragspartners des insolventen „Kettenglieds“ wirtschaftlich entwertet wird. Mithin ist die Haftung des Verantwortlichen für alle Fälle gesichert, nicht jedoch stets die Freistellung des betroffenen Händlers, der aber nach der Wertung des Gesetzes die Aufwendungen für den verbesserten Verbraucherschutz in derartigen Fällen (wo der Haftungsgrund nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt) eigentlich nicht tragen soll 580. Dennoch hat der deutsche Gesetzgeber die Lösung über den Rückgriff in der Vertriebskette durchaus bewußt gewählt, da er die Rückgriffsmöglichkeit auf die 575 So nun auch ausdrücklich der BGH in seiner Entscheidung v. 5. Oktober 2005 – VIII ZR 16/05, NJW 2006, 47, 50 (Tz. 41). Vgl. zu der hinter dieser rechtlichen Wertung stehenden ökonomischen Überlegung, die sogar eher für die Gewährung eines unmittelbaren Direktanspruchs zu sprechen scheint, wie er hier im Rahmen einer vorvertraglichen Vertrauenshaftung auf Grundlage des Verschuldensprinzips in der Folge konstruiert wird, oben 1. Kap. 1. Abschn. D IV 4 b. 576 S. dazu kritisch etwa Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 5, 128 f. mwN. 577 S. nur ausdrücklich Erw.-Grd. 9 Verbrauchsgüterkauf-RL: „Diese Richtlinie berührt nicht den Grundsatz der Vertragsfreiheit in den Beziehungen zwischen dem Verkäufer, dem Hersteller, einem früheren Verkäufer oder einer anderen Zwischenperson“. 578 Die diesbezüglichen Probleme lassen sich im Rahmen vorliegender Arbeit, mit ihrem Schwerpunkt auf der Untersuchung des Verhältnisses von Vertrags- und Wettbewerbsrecht, nicht einmal andeutungsweise ausleuchten. 579 S. zu diesem eigentlichen Ziel des Art. 4 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, welches freilich durch die Zurückhaltung der Norm und den Verweis auf Abwicklung und Durchführung nach innerstaatlichem Recht eher verunklart wird, schon o. Fn. 574. Vollends deutlich wird das wertungsmäßige Ziel der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in dieser Frage – nämlich die Kosten beim eigentlich Verantwortlichen zu internalisieren – durch die Prüfungsklausel in Art. 12 Verbrauchsgüterkauf-RL bezüglich Direktansprüchen gegen die Hersteller. 580 Vgl. BGH v. 5. Oktober 2005 – VIII ZR 16/05, NJW 2006, 47, 50 (Tz. 41).
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jeweiligen Vertragsbeziehungen beschränken wollte. Diese sozusagen rein „relative“ Grundgestaltung wurde dann aber wiederum durch die Vorschrift wirtschaftlich zwingenden Rechts zwischen Unternehmern wertungsmäßig konterkariert, da der deutsche Gesetzgeber mit dieser letztgenannten Vorgabe in gewissen Grenzen offenbar doch sicherstellen wollte, daß der Rückgriffsanspruch bei seinem Weg die Vertriebskette „hinauf“ nicht nur den eigentlich Verantwortlichen ökonomisch erreicht, sondern auch „niedrigeren“ Kettengliedern ein (in seiner ordnungspolitischen Begründung zweifelhafter581) Schutz ihrer wirtschaftlichen Interessen durch zwingendes Recht zuteil wird. Der letztlich die Aufwendungen eines verbesserten Verbraucherschutzes tragende Händler soll dadurch ganz offenbar von dieser (ihm nur nach dem Sphärengedanken und wiederum aus Gründen der Effektivierung des Verbraucherschutzes zugeordneten) Haftung im Verbrauchsgüterkauf auch wirtschaftlich effektiv freigestellt werden, sofern die Ursache der Haftung ihm nicht zugerechnet werden kann. Warum dieses Ziel dann aber ausgerechnet im Falle der Insolvenz eines der Glieder der Vertriebskette nicht mehr gültig sein sollte, ist jedenfalls für die Fälle der Werbeangabenhaftung aus § 434 Abs. 1 S. 3 BGB nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Die Beschränkung auf die jeweiligen Vertragsbeziehungen mag ja, soweit es ganz allgemein um die Beschaffenheit der Kaufsache geht, durchaus angebracht sein (zumal sich jedes der Glieder der Kette seinen Vertragspartner privatautonom wählen konnte)582. Soweit es aber darum geht, daß der Hersteller oder bestimmte, selbst gar nicht notwendig in die Vertriebskette gebundene, Dritte durch aktive Prägung der Verkehrserwartung im Wege werblicher Äußerungen eine Beschaffenheitserwartung (unter Umständen schon vor Abschluß ihrer jeweiligen Verträge in der Vertriebskette, sofern überhaupt vorhanden) sozusagen „von außen“ induzieren, der der Verkäufer im Rahmen seiner Erfüllungshaftung dann letztlich entsprechen muß, ist eine Zurechnung auf den (durch die Vertrauensinanspruchnahme) eigentlich die Haftung zurechenbar verursachenden Dritten nach dem Verschuldensprinzip sehr viel näher liegend, als die strikte Begrenzung auf die eigentümliche, wirtschaftlich zwingende Aus-
581 Gerade der der Entscheidung des BGH v. 5. Oktober 2005 – VIII ZR 16/05, NJW 2006, 47 ff. zugrundeliegende Sachverhalt (verhandlungsmächtiger Baumarktbetreiber benachteiligt verhandlungsschwächere Lieferanten in seinen AGB) illustriert eindrucksvoll, daß in weiten Bereichen des Wirtschaftslebens der Grundsatz „Unternehmer-Unternehmerlein-Verbraucher“, demzufolge immer das nächstniedrigere Glied in der Vertriebskette durch zwingendes Recht zu schützen wäre, schlichtweg seiner Überprüfung an der Realität nicht standhält. S. schon Lorenz, in: Karlsruher Form 2005, S. 5, 129 mwN. 582 Auch insoweit läßt sich freilich trefflich streiten, wie schon die Prüfungsklausel für Direktansprüche gegen den Hersteller in Art. 12 Verbrauchsgüterkauf-RL eindrücklich belegt. Vgl. aus der Sicht des österreichischen Rechts (mit historischen und rechtsvergleichenden Bezügen) auch Augenhofer, Gewährleistung und Werbung, S. 143 ff. (mit der Konstruktion einer Direktklage für das österreichische Recht über das Instrument einer im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung begründeten, aufschiebend bedingten Zession).
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gestaltung des Rückgriffs in der Vertriebskette, die offenbar dasselbe Ziel mit ungeeigneten Mitteln verfolgt583. Der Vorgabe der Verbrauchsgüterkauf-RL, die in diesem Punkt vergleichsweise zurückhaltend ist, entspräche ein derartiger ergänzender Komplementäranspruch für Fälle schuldhafter Prägung der Verkehrserwartung durch Werbung jedenfalls dem Geiste nach deutlich eher, als die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Lösung. Denn die VerbrauchsgüterkaufRL läßt insoweit einerseits extreme Zurückhaltung gegenüber der Anordnung zwingenden Rechts im B2B-Verhältnis der Unternehmer584 und andererseits die deutliche Zielvorgabe, im Verbrauchsgüterkauf einen wirtschaftlich werthaltigen Regreß des letztlich Betroffenen Händlers zum eigentlich Verantwortlichen vorzusehen585, erkennen586. Die deutsche Umsetzungslösung verfehlt letztendlich beide Zielvorgaben: Einerseits wird der Spielraum der Privatautonomie zwischen Unternehmern in durch keinerlei typisierbare Ungleichgewichtslagen 587 gerechtfertigter Art und Weise beschränkt, was zum Anlaß für verbreitete und deutliche Kritik geworden ist588. Andererseits wird das Ziel, daß der Betroffene den eigentlich Verantwortlichen in jedem Falle in Regreß nehmen kann, aufgrund der letztlich nicht gelösten Problematik der Insolvenz einzelner Glieder der Vertriebskette am Ende sozusagen „nur zur Hälfte“ erreicht. Dies alles wird in erster Linie damit begründet, daß eine vertragliche Regelung des Rückgriffsanspruchs nicht durch die Vorschrift eines Direktanspruchs unmöglich gemacht werden sollte589.
583 S. auch noch die nähere Erläuterung dieser mindestens gebotenen Differenzierung im folgenden Absatz. 584 S. nur Erw.-Grd. 9 Verbrauchsgüterkauf-RL, vgl. auch o. Fn. 577. 585 S. Art. 4 Verbrauchsgüterkauf-RL sowie Erw.-Grd. 9 Verbrauchsgüterkauf-RL; auch die Prüfungsklausel des Art. 12 Verbrauchsgüterkauf-RL weist in diese Richtung. 586 Vgl. ähnlich nunmehr auch der BGH in seiner Entscheidung v. 5. Oktober 2005 – VIII ZR 16/05, NJW 2006, 47, 50 (Tz. 41) bezüglich des der gesetzlichen Regelung der §§ 478, 479 BGB spezifisch für den Verbrauchsgüterkauf zugrundeliegenden Grundgedankens. 587 Es gilt eben nicht das Leitbild „Unternehmer-Unternehmerlein-Verbraucher“, welches der Anordnung wirtschaftlich zwingenden Rechts in den B2B-Verhältnissen der Vertriebskette „aufwärts“ zugrunde zu liegen scheint (s. nur die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 478 Abs. 5: „meist schwächere Händler“). S. mit vorgenannter spitzzüngiger Formulierung die prononcierte Kritik hieran bei Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 5, 129; vgl. kritisch schon mit Blick auf entsprechende Argumentationsmuster („stetige [Abnahme der] Verhandlungsmacht mit Herabsteigen in der Vertriebskette“) zur Verbrauchsgüterkauf-RL, Grundmann/Bianca-Bridge, Art. 4, Rz. 7: übermäßige Vereinfachung. Der der Entscheidung des BGH v. 5. Oktober 2005 – VIII ZR 16/05, NJW 2006, 47 ff., zugrundeliegende Sachverhalt belegt die Berechtigung dieser Kritik nur zu deutlich (vgl. schon o. Fn. 581). 588 S. nur Hassemer, in: Jb. J.ZivRWiss. 2004, S. 121, 139 f.; Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 128 f. mwN. Gegen eine zwingende Regelung hatten sich auch Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1421 f., ausgesprochen. 589 S. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 478 – Rückgriff des Unternehmers, Vorbemerkung.
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Jedenfalls für den Bereich der Haftung des Verkäufers für Werbeangaben nach § 434 Abs. 1 S. 3 BGB590 überzeugt dieses Argument jedoch nicht. Denn in diesem Bereich beruht der durch zwingend typisierte Auslegung im Ergebnis entstehende vertragliche Haftungstatbestand letztlich – bei inhaltlicher Betrachtung – gar nicht auf einem „Mangel“ des vertraglich weiterveräußerten Produkts im eigentlichen – einer vertraglichen Regelung der diesbezüglichen Risikoverteilung genuin zuzuordnenden – Sinne, sondern entsteht vielmehr dadurch, daß aufgrund einer normativ irreführenden Prägung von Verkehrsvertrauen, die einem – ohnehin mit keinem der Vertragspartner notwendig vertraglich verbundenen591 – dritten Verursacher nach dem Verschuldensprinzip in den hier interessierenden Fällen auch klar zugerechnet werden kann, einer der Vertragspartner eine bestimmte typisierte Erwartung hegt, die nach der Wertung des Gesetzes schutzwürdig ist. In diesem Falle richten sich auch eventuelle Schadensersatzansprüche der Parteien auf Grundlage des gesetzlichen Anspruchs aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB ohnedies gegen eine dritte – nicht notwendig mit auch nur einer der Parteien des letztendlich resultierenden Vertrags in irgendeiner Weise (sei es auch nur indirekt) vertraglich verbundene – Person, die einen Haftungstatbestand für eine der Vertragsparteien aufgrund ihres pflichtwidrigen Verhaltens sozusagen durch Einflußnahme auf das Vertragsverhältnis „von außen“ gesetzt hat. Unter diesen Umständen ist dann aber auch nicht ersichtlich, warum der insoweit hier vorgeschlagene, auf dem Prinzip der Vertrauenshaftung beruhende, nach dem Verschuldensprinzip zugerechnete gesetzliche Schadensersatzanspruch aus einem gesetzlichem Vertrauensschuldverhältnis zwingend stets einer – zumal ja der Vollendung des Haftungstatbestands unter Umständen sogar erst nachfolgenden – vertraglichen Regelung in der Vertriebskette zugänglich sein sollte. Vielmehr schüttet die Regreßregelung des § 478 BGB mindestens für diese spezifische Problematik das Kind mit dem Bade aus, ohne daß dies – wenn man die Möglichkeiten, die § 311 Abs. 3 BGB zur unmittelbaren Erfassung der schuldhaften Beeinflussung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung durch Dritte bietet, konsequent nutzt – überhaupt notwendig wäre. Denn wenn aufgrund der Haftung nach §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB jedenfalls sowohl für den Käufer592 als auch für den Verkäufer sichergestellt wäre, daß sie den ihnen durch die 590 Eine Diskussion der hochumstrittenen Regreßproblematik insgesamt kann an dieser Stelle naturgemäß nicht erfolgen; nur Andeutungen für den hier betrachteten, spezifischen Teilbereich sind möglich. 591 Nicht einmal ein mittelbar vertraglicher Weg in der Vertriebskette muß zu dem werbenden Dritten schließlich bestehen: Wirbt etwa der deutsche Importeur eines Produkts mit bestimmten Angaben hinsichtlich dessen Beschaffenheit, so kann dies eine entsprechende Haftung des Endverkäufers auf Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB selbst dann auslösen, wenn dieser Endverkäufer – weil er etwa seine Waren direkt vom Hersteller oder aus einem anderen europäischen Land erworben hat – in keinerlei (nicht einmal einer indirekten, über die Vertriebskette vermittelten) vertraglichen Beziehung steht. 592 Dann nach den Regeln über die Eigenhaftung des Vertreters zum Teil nur im Ausmaß seiner Ansprüche gegen den Verkäufer, vgl. näher unten IV 3 b.
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schuldhaft vom Hersteller (und die anderen in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten) verbreiteten irreführenden Werbeangaben entstandenen Schaden, direkt beim schuldhaften Verursacher dieses Schadens liquidieren können, bestünde für eine Beschränkung der im übrigen dann vollkommen frei vertraglich erfolgenden Verteilung des verbleibenden Regreßrisikos in der Vertriebskette durch wirtschaftlich zwingendes Recht im spezifischen Bereich der Werbeangabenhaftung nach der hier vertretenen Auffassung keinerlei Bedarf mehr. Das Ziel, den im Sinne einer Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip eigentlich Verantwortlichen auf Schadensersatz in Anspruch nehmen zu können, wäre ohnedies gesichert. Das verbleibende Regreßrisiko (insbesondere für schuldlose Verursachung) könnte aufgrund privatautonomer Ausgestaltung der Unternehmer in der Vertriebskette vollkommen frei verteilt werden. Der daraus resultierende Eingriff in das System des bisher bestehenden Privatrechts, dem eine Vertrauenshaftung nach dem Verschuldensprinzip ja selbst in typisierter Form durchaus nicht fremd ist, wäre sehr viel geringer, als der Systembruch, der in der Anordnung zwingenden Rechts für das Verhältnis der Unternehmer in der Vertriebskette untereinander liegt, da für diese wirtschaftlich zwingende Ausgestaltung keinerlei typisierbare Rechtfertigung (aus dem Prinzip materialisierter Selbstbestimmung) erkennbar ist 593. Zumindest läßt sich also der durch §§ 478, 479 BGB entstandene Systembruch spezifisch für den Bereich der Haftung für Werbeangaben gerade auf Grundlage des hier befürworteten diesbezüglichen Schadensersatzanspruchs aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB gegen den die Werbeangaben schuldhaft verbreitenden Hersteller oder Quasi-Hersteller einschränken. Denn da die hier befürwortete Lösung einen Schadensersatzanspruch zumindest für die Fälle schuldhafter Verursachung eines letztlich enttäuschten Verkehrsvertrauens mit Blick auf eine bestimmte Beschaffenheit der Kaufsache direkt gegen den zurechenbar Verantwortlichen sichert, ist insoweit der eigentliche Geltungsgrund für die Anordnung wirtschaftlich zwingenden Rechts in der Vertriebskette – der eben nie in der Sicherung materieller Privatautonomie lag594, sondern vielmehr für den hier betrachteten Bereich wohl eher in der Sicherung eines Regreßanspruchs gegen den eigentlichen Verursacher eines enttäuschten Verkehrsvertrauens zu sehen ist595 – entfallen. Für die aus irre593
S. nochmals die Kritik bei Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 128 f. mwN. So aber anscheinend die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 478 Abs. 5: „meist schwächere Händler“; vgl. dagegen schon die Nachweise für kritische Stimmen in o. Fn. 587 und 588. 595 S.die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 478 – Rückgriff des Unternehmers, Vorbemerkung, wo die Anordnung des selbständigen Regreßanspruchs gegen einen oder mehrere Glieder der Vertriebskette ausdrücklich mit der entsprechenden Richtlinienvorgabe des Art. 4 S. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL, derzufolge der Letztverkäufer, wenn er infolge eines Handelns oder Unterlassens des Herstellers oder eines anderen Gliedes der Vertriebskette haftet, einen Regreßanspruch gegen eines oder mehrere Glieder der Vertriebskette haben muß, begründet wird, wie folgt: „Damit soll verhindert werden, daß der Einzelhändler allein die Nachteile eines verbesserten Verbraucherschutze auch dann zu tragen hat, wenn der Grund für seine Haftung … nicht in seinem Be594
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führenden Werbeangaben resultierenden Aufwendungsersatzansprüche und sonstigen Rückgriffsansprüche der aufgrund von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB haftenden Verkäufer könnte daher der Geltungsbereich des § 478 Abs. 5 BGB gerade auf Grundlage der hier befürworteten Direkthaftung aus culpa in contrahendo im übrigen (d.h. für schuldlose Handlungen) teleologisch auf Null reduziert werden. Denn das gesetzgeberische Ziel, den Anspruch gegen den eigentlich Verantwortlichen wirtschaftlich abzusichern, ist auf diese Weise (mit der Einpassung in das angestammte System der Haftung für schuldhaft gesetztes Vertrauen sogar durchaus systemkonform, jedenfalls aber auf weniger „systeminvasivem“ Wege, als ihn § 478 Abs. 5 i.V.m. § 478 Abs. 4 BGB einschlägt) schon erreicht; der systemwidrigen Anordnung zwingenden Rechts – ohne situationsspezifisch typisierbare Rechtfertigung – für die verbleibenden Fälle bedarf es daher insoweit – mithin bezüglich der spezifisch aufgrund von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB entstehenden Aufwendungsersatzansprüche des jeweiligen Verkäufers – nicht mehr. Das eigentliche gesetzgeberische Ziel, wie es Art. 4 Verbrauchsgüterkauf-RL und Erwägungsgrund 8 Verbrauchsgüterkauf-RL doch mindestens anzudeuten schienen 596 und wie es §§ 478, 479 nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers doch umsetzen sollten597, wird auf diese Weise gerade aufgrund der hier befürworteten Direkthaftung des werbenden Herstellers (oder sonstiger Dritter i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB) in systemgerechter Art und Weise auf Grundlage des Gedankens der Vertrauenshaftung abgesichert, ohne daß insoweit der Grundsatz der Privatautonomie systemwidrig eingeschränkt werden müßte. Soweit daher durch die hier befürwortete Direkthaftung des Herstellers aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB für den Vertrauensschaden, der durch das Vertrauen in irreführende Werbeangaben, die nach § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zum Bestandteil von Kaufverträgen werden, dem Käufer oder auch dem Verkäufer entsteht, die Vorschrift des § 478 BGB für die meisten praktischen Fälle in diesem Bereich unterlaufen werden dürfte, ist dies nach all dem geradezu als Vorteil anzusehen 598. Denn reich entstanden ist…“ (dort allgemein bezogen auf Mangelhaftigkeit). Bezogen auf die Werbeangabenhaftung nach § 434 Abs. 1 S. 3 BGB weist diese Formulierung jedoch eindeutig auf den Urheber der irreführenden werblichen Äußerung. 596 S. sogar noch weitergehend die Analysen des Telos des Art. 4 Verbrauchsgüterkauf-RL o. Fn. 574. 597 S. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (BT-Drs. 14/6857), B Zu § 478 – Rückgriff des Unternehmers, Vorbemerkung. 598 Um dies – an dieser Stelle sicher überfällig – einmal anhand zweier Beispiels zu illustrieren: Wenn der Computerhersteller C durch seine fahrlässig irreführenden Äußerungen in der Werbung im Verkehr (ungerechtfertigtes) Vertrauen dahingehend erweckt, in seinem neuesten Modell arbeite ein bestimmter Prozessor (der dann doch nicht enthalten ist) und wenn daraufhin der gewerbliche Letztverkäufer V, der die Computer vom Zwischenhändler Z erworben hat, gegenüber privaten Kunden (K) auf Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB letztendlich angesichts scheiternder Nachbesserung auf Rücktritt oder Minderung haftet, so stellt sich (in erster Linie aus der Sicht des V, denn der private Käufer K wird sich in aller Regel ohnedies an seinen Verkäufer halten) die Frage des Regresses. Wenn nun insoweit V direkt – und ohne Rücksicht auf etwaige Haftungsausschlüsse in seinem Verhältnis zu Z (da diese sich bei Auslegung nach der verkehrstypischen Interessenlage beider Parteien kaum auf ihnen ja beiden genau gleicher-
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die direkte Zuordnung der Vertrauenshaftung nach dem Verschuldensprinzip ersetzt auf diese Weise zumindest für diesen spezifisch problematischen Bereich prospektiv weitestgehend die systemwídrige Notwendigkeit einer Beschränkung der Vertragsfreiheit in der Vertriebskette zum Zwecke einer indirekten Absicherung der Haftung des eigentlich Verantwortlichen.
maßen letztlich drittseitig aufgedrängte Haftungstatbestände beziehen dürften, vgl. dazu noch unten IV 3 b) – aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249, 251 Abs. 1 BGB Schadensersatzansprüche gegen C geltend machen kann (die sich mindestens im Prinzip durchaus systemkonform in die entwickelte Vertrauenshaftung des deutschen Privatrechts fügen), so besteht nicht der geringste Grund, bezüglich sich aus Werbeangaben Dritter ergebender Haftungstatbestände auf Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im Verhältnis von Z zu V getroffene Haftungs- oder Regreßausschlüsse in irgendeiner Weise durch zwingendes Recht zu kontrollieren. Denn es liegt auf der Hand, daß V und Z in ihrem grundsätzlich symmetrischen Verhältnis das Risiko für Werbeangaben Dritter (welches ja keiner der beiden Parteien in irgendeiner Weise stärker als der anderen zugeordnet werden könnte, da letztlich beide Parteien nur aus dem Sphärengedanken für vom Hersteller geschaffene Vertrauenstatbestände einstehen) frei zuordnen können müssen. Verantwortlich sind in dieser Fallkonstellation ja schließlich weder Z noch V für die drittseitigen Werbeangaben des C, die ihren Vertrag gewissermaßen nur „von außen“ typisiert prägen. Mindestens insoweit kann dann demnach der Geltungsbereich der § 478 Abs. 4 und 5 BGB teleologisch „auf Null“ reduziert werden. Zugleich wird aus Sicht des K bezüglich dieser typisierten Haftungselemente die Schutzlücke geschlossen, die sich aus einer etwaigen Insolvenz seines Vertragspartners ergibt, da sich im Insolvenzfall auch K auf Grundlage von §§ 311 Abs. 3 S. 2, Abs. 2 Nr. 2 BGB an H halten kann (vgl. noch unten IV 3 b zum Haftungsumfang in diesem Falle). Noch deutlicher wird die Sinnhaftigkeit eines Direktanspruchs zumindest für die Fälle der Haftung aufgrund öffentlicher Äußerungen Dritter nach § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im übrigen im Szenario eines privaten Weiterverkaufs: Hat der private Kunde K vom privaten Verkäufer V einen Pkw des Hersteller H erworben und wirbt H (fälschlich und schuldhaft) mit der „nachhaltigen Erfüllung“ einer bestimmten Schadstoffnorm, so entsteht für den privaten Käufer K eine potentielle (und mit Blick auf § 434 Abs. 1 S. 3 BGB wertungsinkonsistente) Schutzlücke, da ihm V schon aufgrund von § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB in aller Regel nicht haften dürfte, was aus Sicht des privaten Weiterveräußerers – den gerade im Regelfall keinerlei Werbebeobachtungsobliegenheiten treffen – auch das einzig interessengerechte Ergebnis ist, vgl. näher schon oben 3. Abschn. C II 3 e (2)). Andererseits ist mit Blick auf die Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in Werbeangaben bestimmter Dritter kein Grund ersichtlich, warum in einem derartigen Falle der K nicht einen direkten Anspruch aus § 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 BGB gegen H haben sollte, sofern H schuldhaft gehandelt hat. Denn das durch Werbeangaben schuldhaft geprägte Verkehrsvertrauen liegt in einem derartigen Falle auf Käuferseite ja in genau gleicher Weise vor, wie im Falle eines Kaufs vom Autohändler, da der Kunde insoweit ja sein Vertrauen gerade nicht in die Händlerangaben setzt (die Annahme, der Händler prüfe die Schadstoffwerte des Pkw wäre ersichtlich vollends wirklichkeitsfremd), sondern in die Angaben des Herstellers. Sind diese Fehlangaben schuldhaft in Verkehr gebracht worden, ist aber – mit Blick auf die Grundwertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB mit Blick auf die (vorhandene) Berechtigung des Verkehrsvertrauens – nach der hier vertretenen Auffassung kein Grund ersichtlich, warum der Hersteller hierfür nicht haften sollte. In beiden Szenarien führt die hier vorgeschlagene Lösung demnach zu interessengerechten Ergebnissen und greift dabei in das System des deutschen Privatrechts weniger ein, als der hypertrophe und letztlich – mindestens für den hier betrachteten Bereich – nicht zielführende Einsatz zwingenden Rechts in §§ 478, 479 BGB.
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c. Zwischenergebnis Nach alldem sprechen die besseren Gründe nunmehr nach der Schuldrechtsreform für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB gegen den für irreführende Werbeangaben hinsichtlich bestimmter, objektiv nachprüfbarer und relevanter Eigenschaften des Vertragsgegenstands verantwortlichen Hersteller (oder die sonstigen in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten). In den Grenzen des durch den Rechtsgedanken des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB umrissenen Bereichs – bestimmte, relevante Eigenschaften des Vertragsgegenstands, auf die sich die objektiv nachprüfbaren Werbeangaben beziehen – ist dabei wiederum für die Auslegung der Werbeangaben an das typisierte Verständnis – wie es im Grundsatz dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz zugrundeliegt – anzuknüpfen. Der „Wasser und Öl“-Ansatz wird auf diese Weise sozusagen für den Bereich der culpa in contrahendo zu Ende gedacht, und der Gleichmaßgrundsatz für die Bestimmung des Pflichtenprogramms der Dritten nach § 241 Abs. 2 BGB fruchtbar gemacht, welches sich für den vorindividuellen Bereich gerade wiederum an Vorgaben des Wettbewerbsrechts – soweit sie einer differenzierten Schutzzweckanalyse nach im wesentlichen verbraucherschützende Perspektive aufweisen – orientieren kann599. Entscheidend für die Haftung des Dritten ist also – solange es nicht dadurch, daß der Kunde begonnen hat, zu einem bestimmten Verkäufer Kontakt aufzunehmen, zu einer vorvertraglichen Individualisierung gekommen ist – ein typisierter Maßstab, wie er im Rahmen der nunmehr in § 311 Abs. 2 Nr. 2 bzw. für Dritte in § 311 Abs. 3 BGB zu verankernden Prospekthaftung ja auch den §§ 311 Abs. 3, Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht mehr vollkommen fremd ist600. Insofern kann – solange es nicht zu einer Individualisierung durch erkennbare Schritte eines bestimmten Kunden gekommen ist – der Vertrauenstatbestand auch noch (analog § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 2 BGB) durch gleichwertige Berichtigung beseitigt werden. Ist es jedoch, weil der prospektiv Schadensersatzberechtigte Käufer einen ersten Schritt auf irgendeinen Verkäufer zu getan hat, zu einer Individualisierung gekommen, kann der Dritte den Vertrauenstatbestand nicht mehr in typisierter Weise beseitigen. Ab diesem Zeitpunkt gilt – auch im Verhältnis zum Dritten – ein individualisierter Maßstab. Trotz alledem ist das hieraus resultierende Haftungsrisiko für Werbetreibende nicht zu überschätzen. Zum einen dürfte die Direktinanspruchnahme praktisch typischerweise allenfalls subsidiär zur Inanspruchnahme des Verkäufers erfolgen, zumal sie nach der hier vertretenen Auffassung weitgehend entsprechend den Maßstäben für die Eigenhaftung des aus culpa in contrahendo in Anspruch genommenen Vertreters oder Verhandlungsgehilfen zu begrenzen ist601. Zum anderen ist der Pflichtenmaßstab nach § 241 Abs. 2 BGB für Fälle der Werbeangaben599
So zuletzt ausdrücklich auch Kersting, Kap. 8 § 2 A, im Rahmen seiner umfassenden Analyse der Dritthaftung im Bereich der culpa in contrahendo. 600 Vgl. schon die Nachweise o. Fn. 461, 521 und 524. 601 S. näher noch unten IV 3 b.
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haftung aufgrund von § 311 Abs. 3 BGB nicht annähernd so streng, wie in den Fällen der Haftung der Angehörigen bestimmter Berufe als „Sachwalter“, wie sie der hier befürworteten Lösung zusammen mit der Prospekthaftung konstruktiv Pate gestanden haben. Letztlich trifft den Hersteller im Rahmen der §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB nur eine Pflicht, den Verkehr nicht aktiv durch unwahre oder mißverständliche vertragsgegenstandsbezogene Angaben in relevanter Weise irrezuführen602. Und insoweit kann gerade die Orientierung an den für Wettbewerbshandlungen etablierten sonderdeliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten des Wettbewerbsrechts, soweit sie schutzzweckidentisch und damit dem Gleichmaßgebot zugänglich sind, auch dazu dienen, die nötige Rechtssicherheit hinsichtlich der Verkehrssicherungspflichten für vorindividuelle Werbehandlungen im Rahmen des Pflichtenprogramms der §§ 311 Abs. 3 i.V.m. 241 Abs. 2 BGB zu schaffen603. Zudem ist – anders als im ansatzweise vergleichbaren, noch umfassender intendierten Vorschlag Lehmanns604 – nach der hier vertretenen Auffassung die Möglichkeit der rechtlichen Relevanz eines typisierten, vorindividuellen Vertrauens in (werbliche) Information Dritter, die im Vorfeld sich letztlich individualisierender vorvertraglicher Sonderbeziehungen öffentlich verbreitet wurde, im Sinne des „Wasser und Öl“-Gedankens streng durch die neue diesbezügliche Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB (in ihrem für alle Vertragsarten verallgemeinerbaren Kern) in persönlicher und sachlicher Hinsicht begrenzt. Es muß sich bezüglich der Werbeangaben mithin um konkrete, objektiv nachprüfbare Angaben über Eigenschaften des Vertragsgegenstands handeln, die für die Vertragsentscheidung von Relevanz sein können und die – für den Kauf – gerade von den in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB bezeichneten Dritten bzw. – für andere Vertragsarten (insbesondere Dienstleistungsverträge) – von den eigentlich einen Vertragsgegenstand im weitesten Sinne „erstellenden“ Anbietern oder „Quellen“ stammen, deren Angaben der Verkehr insoweit besonderes Vertrauen schenkt. Nur in diesem durch das Zivilrecht gesetzten Rahmen kann dann auch das Pflichtenprogramm für die latent vorwirkenden Pflichten aus der vorvertraglichen Sonderbeziehung zweckgerecht durch Rückgriff auf lauterkeitsrechtliche Prüfmuster und Judikate konkretisiert werden, wobei es weniger um einen reinen „Import“ lauterkeitsrechtlicher Maßstäbe, son602 Kersting, Kap. 8 § 2 A. Vgl. zu dessen noch weitaus grundlegenderem Ansatz auch noch die Andeutung in u. Fn. 604. 603 Ähnlich Kersting, Kap. 8 § 2 A. 604 S. Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 347 ff.; zustimmend Kohls, Informationshaftung, S. 13. Noch weitergehend und für eine grundsätzliche Haftung jeglicher nicht am prospektiven Vertrag beteiligter Personen als „Dritte“ i.S.d. § 311 Abs. 3 BGB, soweit sie bestimmungsgemäß Vertrauen bezüglich des prospektiven Vertrags mit ihren Handlungen in Anspruch nehmen, Kersting, Kap. 5, der seine weitreichende Haftungsausdehnung auf Dritte dann ebenfalls grundsätzlich dadurch rechtfertigt, daß das die Dritten treffende Pflichtenprogramm – u.a. unter Ansehung ihrer „Entfernung“ vom prospektiven Schuldverhältnis – entsprechend eingeschränkt wird. Die starre tatbestandliche Grenzziehung wird auf diese Weise sozusagen weitgehend durch eine flexible Anpassung des Pflichtenrahmens ersetzt.
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dern eher um eine Art Wechselwirkung geht. Dies ist im folgenden – sowohl für das Zwei-Personen-Verhältnis als auch für die Drittfälle – noch etwas näher auszuführen. Zugleich werden auch einige gewichtige Einwände gegen eine derartige Orientierung des Pflichtenprogramms nach § 241 Abs. 2 BGB an wettbewerbsrechtlichen Prüfungsfolgen und Judikaten näher darzustellen, zu erwägen und zu widerlegen sein.
III. Die Bestimmung des vorvertraglichen Pflichtenprogramms für den Akt der Kontaktaufnahme unter Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Verkehrssicherungspflichten und die Grenzen des durch die Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB definierten Bereichs typisierbaren Vertrauens Bezüglich der Sicherung der Entscheidungsfreiheit auf Grundlage vorvertraglicher Pflichten (nunmehr aus § 241 Abs. 2 BGB) hat Lorenz in seiner Münchner Habilitationsschrift ein umfassendes Konzept entwickelt, welches die Bipolarität aus Schutz vor Verzerrungen der informationellen Grundlage der Vertragsentscheidung und Schutz vor pflichtwidriger direkter Beeinflussung des Entscheidungsprozesses aus § 123 Abs. 1 BGB als Grundmuster übernimmt605. Dem wird hier – im größeren Rahmen des Vier-Ebenen-Modells – gefolgt, um näher zu erläutern, inwieweit in diesen beiden Feldern typisierte Maßstäbe des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes in einer anhand eines Schutzzweckvergleichs „gefilterten“ Form herangezogen werden können, um den – notwendig und systemkonform gleichfalls typisierten – zivilrechtlichen Pflichtenmaßstab nach § 241 Abs. 2 BGB für vorindividuelle werbliche Äußerungen, die die Sonderbeziehung erst etablieren, zu konkretisieren.
1. Sicherung der informationellen Entscheidungsgrundlage durch Schutz vor vorvertraglicher Fehl- und Nichtinformation a. Positiv irreführende Angaben und Pflichtenmaßstab im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB Entscheidend für die Konkretisierung des informationsbezogenen vorvertraglichen Pflichtenprogramms im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB ist die Unterscheidung zwischen aktiver Irreführung des Kunden durch positive Fehlinformation und bloßer Unterlassung gebotener Aufklärung 606. Der hier im Anschluß an 605 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 391; ähnlich im übrigen Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 630 ff. im Rahmen seiner auf eine analoge Anwendung des § 123 BGB gestützten Konzeption. 606 Zutreffend gesehen insbesondere bei Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 409; richtig auch die Einteilung bei Larenz/Wolf, § 31, Rz. 18 ff. Dagegen häufig ohne klare Abgrenzungen in diesem Zusammenhang insbesondere die Rechtsprechung, s. z.B. BGH NJW 1992, 3296 f.: Verletzung einer Aufklärungspflicht durch unrichtige Angaben im Verkaufs-
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Kersting entwickelte Ansatz, der das informationsbezogene vorvertragliche Pflichtenprogramm nach § 241 Abs. 2 BGB im Bereich der Erklärungshaftung für öffentliche Äußerungen in der Werbung, welche eine Sonderbeziehung erst etablieren, dem eigentlichen inhaltlichen Bezugspunkt der Pflicht entsprechend 607, schon auf die die Sonderbeziehung etablierende Handlung des Werbenden ausrichtet, gestattet es, im Gegensatz zu all jenen Lösungen, die erst sozusagen im „Nachhinein“ eine Aufklärungspflicht wegen vorangegangener irreführender Werbung konstruieren608, diese Unterscheidung sauber zu treffen. Denn die Frage, ob eine aktive Irreführung vorliegt oder ob lediglich eine gebotene Information des Kunden unterlassen wurde, kann auf diese Weise unmittelbar anhand der eigentlich die Verzerrung der informationellen Entscheidungsgrundlage verursachenden Handlung (oder Unterlassung) des potentiell Schadensersatzverpflichteten beantwortet werden. Dabei ist die vorvertragliche Pflicht, den Kunden nicht durch unwahre Angaben in die Irre zu führen, umfassend. Eine fahrlässige explizite Fehlinformation begründet stets einen Pflichtverstoß unter § 241 Abs. 2 BGB609. Demgegenüber ist der Bereich „echter“ vorvertraglicher Aufklärungspflichten vergleichsweise restriktiv zu behandeln610. Damit kommt aber entscheidende Bedeutung für das vorvertragliche Informationspflichtenprogramm der Beantwortung der Frage zu, wann vom normativen Empfängerhorizont betrachtet eine aktive Irreführung vorliegt – so daß tatsächlich die informationelle Entscheidungsgrundlage des Kunden verzerrt wurde – und wann lediglich eine Information des Kunden unterlassen wurde, deren Hinweglassung bei diesem aber keinen Irrtum hinsichtlich des Inhalts der sonst vermittelten Informationen hervorruft, sondern vielmehr allein in einer dem Kunden fehlenden Information – und damit einer bloßen Unvollständigkeit seiner informationellen Entscheidungsgrundlage – resultiert. Diese Frage ist grundsätzlich anhand eines entsprechenden Rückgriffs auf die Ausleprospekt. Diese Ungenauigkeit ist aber fatal, weil sie dazu führt, daß die Fragen nach der (restriktiv zu beurteilenden) Reichweite vorvertraglicher Aufklärungspflichten und die Konkretisierung der (umfassender zu umreißenden) Pflicht, den potentiellen Kunden nicht aktiv durch Fehlinformation irrezuführen, vermengt werden, so daß etwa auch das „Irreführungsverbot“ im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB an die Vertragswesentlichkeit der Information geknüpft wird, was dann naturgemäß – angesichts der ersichtlichen Sinnhaftigkeit eines weiterreichenden Verbots aktiver Irreführung – zur Folge hat, daß die Konzeption der Vertragswesentlichkeit der Information in unerwünschter Weise überdehnt wird und dadurch der Bereich vorvertraglicher Aufklärungspflichten in die Gefahr gerät, zu breit gezeichnet zu werden. Zutreffend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 409. 607 Insofern zutreffend schon Erman, AcP 139 (1934), 273, 287. 608 So insbesondere die Konstruktion bei Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 352 ff. 609 S. nur Larenz/Wolf, § 31, Rz. 19 ff. mwN; a.A. aber neuestens Kersting, Kap. 6 § 3, der der von ihm vorgeschlagenen tatbestandlichen Ausdehnung der informationellen Dritthaftung insofern letztlich eine entsprechende Anpassung durch einzelfallorientierte Rücknahme des Pflichtenrahmens für Situationen, wo Vertrauen für die Verläßlichkeit der gewährten Information gerade nicht in Anspruch genommen wurde, kontrastiert. 610 S. sogleich unten b.
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gungsmaßstäbe der §§ 133, 157 BGB zu beurteilen611. Für den hier betrachteten Bereich von an die Öffentlichkeit gerichteten werblichen Äußerungen – für die es eines typisierten Maßstabs bedarf – sollte der diesbezügliche Maßstab der §§ 133, 157 BGB zudem, soweit der in dieser Studie entwickelte Gleichmaßgrundsatz reicht (mithin: im wesentlichen vorbehaltlich der gebotenen Schutzzweckanalyse), mit den entsprechenden – und durch zahlreiche Judikate vergleichsweise durchaus entwickelten – Maßstäben abgeglichen werden, die der lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz an die Beurteilung einer Irreführung durch Hinweglassung bestimmter Informationen anlegt612. Für die Umfriedung des Bereichs, in dem zur Konkretisierung des typisierten Empfängerhorizonts der angesprochenen Kundenkreise wiederum auf wettbewerbsrechtliche Maßstäbe zurückgegriffen werden kann, ist, wie bereits festgestellt, aus zivilrechtlicher Sicht im Sinne eines „Wasser und Öl“-Ansatzes die – aus der Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gewonnene und (im Zwei-Personen-Verhältnis beschaffenheitsunabhängig613) verallgemeinerte – Begrenzung auf bestimmte, relevante Angaben entscheidend, auf die sich die objektiv nachprüfbaren Werbeinformationen beziehen. Denn für derartige konkrete Angaben steht auch im wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz grundsätzlich allein der Verbraucherschutzzweck im Mittelpunkt. Die Beeinträchtigung der Interessen der Mitbewerber und der Allgemeinheit ist im Falle derart konkreter und objektiv nachprüfbarer, produkt- oder preisbezogener werblicher Äußerungen in aller Regel allein Reflex der verzerrten Verbraucherentscheidung, so daß die normative Perspektive der betroffenen Durchschnittsverbraucher über Verständnis und Relevanz der verbreiteten Werbeaussage entscheidet. Die wenigen Ausnahmefälle (bloßer Anlockung), in denen sich eine Fehlinformation über bestimmte Eigenschaften des Vertragsgegenstands letztlich gar nicht realisiert, sondern nur der Anlockung der Kunden dient, die dann andere Vertragsentscheidungen treffen, sind – zivilrechtlich – ohne weiteres im Rahmen des Kriteriums des Schutzzwecks der unter § 241 Abs. 2 BGB in Anlehnung an wettbewerbsrechtliche Maßstäbe konstruierten Pflichten auszuscheiden, da es dann am notwendigen Schutzzweckzusammenhang zwischen entstandenem Schaden und verletzter Pflicht fehlt614. Wird in Fällen wettbewerbswid611 S. aus der Rechtsprechung BGH NJW 1995, 45, 46; aus der Literatur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 413; vgl. allgemein zur Anwendbarkeit der Auslegungsgrundsätze auf nur geschäftsähnliche Wissenserklärungen MüKo-Mayer-Maly/Busche, § 133, Rz. 41 mwN. 612 S. insbesondere zuletzt BGH GRUR 1999, 1122, 1123 f. – EG-Neuwagen I; BGH GRUR 1999, 1125 – EG-Neuwagen II, jeweils mwN. 613 Im Verhältnis zu Dritten erstreckt sich der durch Werbung geschaffene, „besondere“ Vertrauenstatbestand – der Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB entsprechend – in sachlicher Hinsicht nur auf bestimmte, objektiv nachprüfbare und relevante Angaben über den Vertragsgegenstand, die (in personeller Hinsicht) von den in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Personenkreisen bzw. (außerhalb des Kaufrechts) vom eigentlichen Ersteller, der Quelle des vertraglichen Angebots stammen. S. zum ganzen oben II 2 b. 614 S. in anderem Zusammenhang (nämlich im Rahmen eines Vorschlags eines individuellen Klagerechts für von unlauterem Wettbewerb betroffene Verbraucher de lege ferenda, der sich in
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riger übertriebener Anlockung vom Kunden letztlich kein Vertrag abgeschlossen, kommt bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen (insbesondere der haftungsausfüllenden Kausalität im Rahmen der §§ 249 ff. BGB) gegebenenfalls ein Anspruch des Kunden auf Ersatz seiner frustrierten Aufwendungen (für Fahrtkosten o.ä.) in Betracht615. Für den Bereich bestimmter, nachprüfbarer Angaben lassen sich also die vorvertraglichen Informationspflichten des § 241 Abs. 2 BGB unter Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Maßstäbe des Irreführungsschutzes typisieren und als Grundlage einer schutzzweckdifferenzierten Schadensersatzverpflichtung616 heranziehen, ohne daß der Gleichmaßgrundsatz wesentlichen Ausnahmen unterworfen wäre. Außerhalb dieses Bereichs – also insbesondere für mehr imageorientierte Anpreisungen, nur unternehmensbezogene Aussagen u.ä. – gilt der Gleichmaßgrundsatz demgegenüber nicht uneingeschränkt, kommt demnach ein Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Maßstäbe bezüglich des Verständnisses öffentlicher Äußerungen nur sehr behutsam und aufgrund sorgsamen Schutzzweckvergleichs im Einzelfall in Betracht.
den Kontext der diesbezüglichen Diskussionen um individuelle Schadensersatzansprüche und/ oder Vertragslösungsrechte der Verbraucher seit Mitte der siebziger Jahre im Vorfeld der verbraucherorientierten UWG-Reformbemühungen einordnet, die dann letztlich erst 1986 u.a. zur Schaffung des vergleichsweise bescheidenen § 13a UWG a.F. führten) zutreffend schon Schricker, ZRP 1975, 189, 195; zustimmend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 492. 615 Archetypisches Beispiel ist die Bewerbung unzureichend bevorrateter Sonderangebote. Die einschlägige typisierte wettbewerbliche „Verkehrssicherungspflicht“ findet sich in § 5 Abs. 5 S. 2 UWG, demzufolge „im Regelfall“ ein Vorrat für das beworbene Sonderangebot, der für zwei Tage ausreicht, vorhanden sein muß („angemessene Menge“); für atypische Fälle, etwa „Kultangebote“ der großen Discounter, von denen der Verkehr erwartet, daß sie extrem rasch ausverkauft sein werden, sind abweichende Maßstäbe möglich, wobei insbesondere auf die Art der Ware, die Gestaltung und Verbreitung der Werbung sowie die zu erwartende Nachfrage abzustellen ist (s. § 5 Abs. 5 S. 1 UWG). Da diese Pflicht, trotz der ebenfalls vorhandenen Aspekte des Konkurrentenschutzes, mit dem Abstellen auf die Perspektive des Verbrauchers, der eine angemessene Bevorratung erwartet und gegebenenfalls in dieser Erwartung irregeführt wird, letztlich die diesbezügliche Verkehrserwartung typisiert, die auch für die Konkretisierung der latent vorverlagerten typisierten Informationspflicht für die werbliche Etablierung der Sonderbeziehung nach § 241 Abs. 2 JGB entscheidend ist, konvergieren insoweit die Maßstäbe; d.h., der Gleichlaufgrundsatz gilt. Im Falle einer schuldhaften Verletzung der Pflicht aus § 5 Abs. 5 UWG kommt demnach ein Schadensersatzanspruch angelockter Kunden für frustrierte Aufwendungen auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich in Betracht. Einer Überdehnung des Haftungsmaßstabs kann dabei durch sorgfältige Handhabung des Angemessenheitsbegriffs in § 5 Abs. 5 UWG (s. für die reiche Judikatur in diesem Bereich auch schon unter Geltung des alten UWG, die für die Konkretisierung der typisierten Informationspflicht für die werbliche Äußerung unter § 241 Abs. 2 BGB herangezogen werden kann; statt aller Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 5, Rz. 8.1 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen) gleichermaßen wie durch sorgsame Prüfung der haftungsausfüllenden Kausalität und insbesondere der Frage einer denkbaren Verletzung der Schadensminderungspflicht seitens der betroffenen Kunden auf Grundlage von § 254 Abs. 2 BGB vorgebeugt werden, s. insoweit noch unten IV 2. 616 S. noch die Beispiele unten IV 2 zur dadurch erzielten praktischen Haftungsbegrenzung je nach Zweckrichtung der zum Modell des vorvertraglichen Schutzes genommenen konkreten wettbewerbsrechtlichen Pflicht.
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Inhaltlich vermögen die Judikate des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes bezüglich der produktbezogenen Irreführung einen verläßlichen typisierten Maßstab zu liefern, wann eine relevante aktive Irreführung vorliegt und insbesondere wann das bloße Verschweigen von Tatsachen im Ergebnis doch zu einer Irreführung durch Unterlassen führt, die für die Vertragsentscheidung potentiell relevant werden kann (s. nunmehr § 5 Abs. 2 S. 2 UWG617). Insoweit mag auf die Ausführungen im Zusammenhang mit § 434 Abs. 1 S. 3 BGB verwiesen werden618. Im Ergebnis dürfte bei positiven Falschinformationen unmittelbar über den Vertragsgegenstand in aller Regel eine relevante Irreführung vorliegen und damit nach der hier vertretenen Auffassung auch stets eine Verletzung der typisierten Pflichten für die vertragsanbahnende Handlung nach § 241 Abs. 2 BGB zu bejahen sein 619. Ob diese typisierte Verzerrung der Entscheidungsgrundlage der Marktgegenseite dann auch im konkreten Fall für den individuellen Kunden relevant war, ist im Rahmen der vorvertraglichen Informationshaftung des Zivilrechts eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität620. Soweit mit zutreffenden Angaben geworben wird, die jedoch von einem Teil des Verkehrs mißverstanden werden, ist die Relevanz der Werbeaussage und ihr Verständnis im Verkehr anhand des Maßstabs des durchschnittlich informierten und situationsadäquat aufmerksamen Verbrauchers zu beurteilen. Die diesbezüglichen wettbewerbsrechtlichen Judikate konvergieren – nicht nur im Grundsatz, sondern seit Anpassung auch des deutschen Verbraucherleitbilds an die europäischen Vorgaben jetzt durchaus auch in der Praxis621 – mit den Maßstäben der §§ 133, 157 BGB und können diese ergänzen622. Der wettbewerbsrechtliche Maßstab bringt insoweit mit dem Prüfungspunkt der Relevanz der Information für die Vertragsentscheidung in erster Linie einen zusätzlichen typisierenden Filter, so daß werbliche Irreführungen durch mißverständliche Information über für den Verkehr irrelevante Eigenschaften auch im Rahmen einer Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo nicht einmal dann geltend gemacht werden können, wenn sie für den individuellen Kunden nachweislich von Bedeutung waren. Denn bezogen auf den eigentlich haftungsbegründenden Akt – nämlich die öffentliche (werbliche) Äußerung – liegt insoweit dann nicht einmal eine Pflichtverletzung seitens 617 Auch die dogmatische Begründung des lauterkeitsrechtlichen Transparenzgebots (im Zusammenhang mit Maßnahmen der Verkaufsförderung, insbesondere Kopplungsangeboten) sollte (außerhalb ausdrücklich geregelter Aufklärungspflichten) unter Geltung des neuen UWG vorzugsweise über § 5 Abs. 2 Nr. 2 UWG (nicht über die gleichfalls denkbare, aber unspezifischere Basis des § 4 Nr. 1 Alt. 3 UWG) erfolgen (wobei die diesbezügliche Konstruktionskontroverse nicht überbewertet werden sollte, da letztlich entscheidend die normative Frage nach Bestand und Reichweite von ungeschriebenen Informationspflichten ist), s. nur Köhler, GRUR 2003, 729, 733; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-ders., § 4, Rz. 1.67; zustimmend Lettl, Rz. 181. Vgl. insoweit auch noch sogleich u. b. 618 S. oben 3. Abschn. C II 3 b (3). 619 Dies entspricht gerade dem genuin zivilrechtlichen Maßstab nach Etablierung der Sonderbeziehung, s. nur Larenz/Wolf, § 31, Rz. 19 ff. 620 S. dazu unten IV 3. 621 Vgl. sogleich noch beispielhaft die Nachweise in u. Fn. 625. 622 Vgl. insoweit schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (2) (c).
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
des potentiell schadensersatzverpflichteten Verkäufers oder Dritten vor, sofern nicht im Rahmen der Sonderbeziehung die mißverständliche Information individuell wiederholt wird. Soweit schließlich aufgrund bloßer Hinweglassung von Informationen ein falscher Eindruck entsteht, ist auf den Gesamteindruck der werblichen Aussage abzustellen, der wiederum aus der Perspektive des leitbildartigen Durchschnittsverbrauchers zu beurteilen ist; entscheidend ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch wiederum die Verkehrserwartung der angesprochenen Kundenkreise623. Für all diese Aspekte bringt der ergänzende Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Prüfungsmuster und das reiche lauterkeitsrechtliche Fallrecht – wie dies oben zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ausführlich beschrieben wurde – auch erheblichen praktischen Gewinn in der Rechtsanwendung, zumal die verbreiterte richterrechtliche Basis mehr Rechtssicherheit verspricht. Die diesbezüglichen Überlegungen zum Kaufrecht gelten grundsätzlich in gleicher Weise, soweit es um die Konkretisierung des Programms anhand (je nach den angesprochenen Kundenkreisen) typisierter Pflichten unter § 241 Abs. 2 BGB geht, und die diesbezüglichen Aussagen zum Kaufrecht (oben 3. Abschn. C II 2) können für andere Vertragsarten – soweit es um vertragsgegenstandsbezogene, konkrete Werbeaussagen geht – verallgemeinert werden. Im Falle der Irreführung gerade durch den Vertragspartner sind zudem, wie bereits erwähnt, im Rahmen der Haftung aus culpa in contrahendo nicht die Restriktionen einschlägig, die sich aus dem – nach der hier vertretenen Auffassung zumindest minimal weiterhin an einen Bezug zur Substanz der Kaufsache gebundenen – Beschaffenheitsbegriff des § 434 Abs. 1 BGB ergeben 624. Mithin kann hier etwa auch das Verschweigen der Eigenschaft als Auslaufmodell, einer unvollständigen Garantie o.ä. relevant sein, wobei die diesbezüglichen Maßstäbe des Wettbewerbs- und des Zivilrechts, soweit ersichtlich, ohnedies bereits im Wesentlichen konvergieren625. Doch dürften derartige Fälle mit Bezug auf Kaufverträge im Zwei-Personen-Verhältnis zum Verkäufer insgesamt eher selten sein. Denn im Regelfall wird der doch wesentlich erweiterte Eigenschaftsbegriff des § 434 BGB entsprechende werbliche Äußerungen des Verkäufers über bestimmte Eigenschaften der Kaufsache erfassen, die dann gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB als in den Vertrag einbezogen gelten. Die Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo tritt dann hinter die Ansprüche gem. §§ 437 ff. BGB aus dem durch die ge623 S. nur zuletzt BGH GRUR 1999, 1122, 1123 f. – EG-Neuwagen I; BGH GRUR 1999, 1125 – EG-Neuwagen II, jeweils mwN; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 5, Rz. 2.44 ff. 624 S. oben II 1 c. 625 S. etwa betreffend besonders günstig angebotene Auslaufmodelle ohne Aufklärung über den bevorstehenden Modellwechsel BGH GRUR 1999, 757 – Auslaufmodelle I, BGH GRUR 2000, 616 – Auslaufmodelle III, jeweils mwN (aus dem Wettbewerbsrecht) einerseits und OLG Düsseldorf, NJW 1971, 622, 624 (aus dem Zivilrecht) andererseits, wobei sich im Zivilrecht dann das Zusatzproblem des Konkurrenzverhältnisses zu den Gewährleistungsregeln stellt (vgl. mit zutreffenden Lösungen über die Gewährleistungsrechtsbehelfe grundlegend BGH NJW 1980, 1097, 1098; BGH NJW 2000, 2018 ff.).
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setzliche Fiktion ja letztlich erwartungsgerecht ausgestalteten Kaufvertrag zurück626. Die eigentliche praktische Bedeutung in dieser Domäne dürfte vielmehr der potentielle Schadensersatzanspruch nach § 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB gegen beschaffenheitsbezogen werbende Dritte erlangen. Deren fahrlässig positive Falschangaben über bestimmte Eigenschaften der Kaufsache oder des Vertragsgegenstands in der Werbung können nach der hier vertretenen Auffassung direkte Schadensersatzansprüche beider Vertragsparteien auslösen, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen 627. Von entscheidendem Interesse ist an dieser Stelle zusätzlich der bereits herausgearbeitete Aspekt möglicher Irreführungen durch Unterlassen i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 2 UWG wegen Verletzung gebotener Aufklärung. Es geht mithin um die Frage, an welchem Punkt eine bloße Unvollständigkeit der informationellen Entscheidungsgrundlage von derart wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung zum Vertragsschluß ist, daß eine Aufklärungspflicht begründet wird. Auch insoweit haben sich nicht nur im Zivilrecht, sondern auch im Wettbewerbsrecht bestimmte Maßstäbe herausgebildet, deren Vergleich mit dem und deren potentielle Übertragbarkeit in das zivilrechtliche Programm vorvertraglicher Aufklärungspflichten im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB im folgenden kurz überdacht werden soll. b. Zivilrechtlich „gefilterte“ Rezeption lauterkeitsrechtlicher Informationspflichten als Aufklärungspflichten i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB Da eine dem § 434 Abs. 1 S. 3 BGB entsprechende Wertung, die die zivilrechtliche Relevanz bestimmter wettbewerbsrechtlicher Aufklärungspflichten belegt, für diesen Bereich fehlt, ist dabei aber behutsamer vorzugehen und der Gleichmaßgrundsatz anhand einer sorgsamen Schutzzweckanalyse etwaiger wettbewerbsrechtlicher Aufklärungspflichten zu hinterfragen. Jedenfalls die Begrenzung auf die Aufklärung über bestimmte, nachprüfbare Umstände ist dabei im Ausgangspunkt wiederum sowohl dem Wettbewerbs- als auch dem Zivilrecht immanent628.
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Vgl. auch noch sogleich unten IV 3 a zu den Konkurrenzen. S. schon oben II 2. Zur diesbezüglichen Abstimmung mit den kaufrechtlichen Ansprüchen gegen den Verkäufer, s. noch unten IV 3. 628 S. für das wettbewerbsrechtliche Transparenzgebot zutreffend zuletzt Steingass/Teworte, WRP 2005, 676, 681 f.; für das Zivilrecht ergibt sich die Ausgrenzung lediglich vager, imagebezogener Umstände schon daraus, daß für die Begründung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht vorauszusetzen ist, daß es sich um Umstände handeln muß, die für den Aufklärunspflichtigen in ihrer primären Vertragswesentlichkeit für den Aufklärungsberechtigten auch erkennbar sind und über die der Aufklärungsberechtigte nach der Verkehrsauffassung Aufklärung erwarten durfte, s. etwa BGH NJW 1996, 451, 452. Letztlich ergibt sich die Begrenzung auf konkrete, nachprüfbare Umstände schon sachlogisch daraus, daß zuallermindestens eine derartige Limitierung notwendig ist, um aus der Sicht des Informationspflichtigen eine gewisse Rechtssicherheit mit Blick auf die gebotene Information zu gewährleisten. Über das Image eines Produkts läßt sich schließlich nicht sinnvoll allgemeingültig informieren und die Frage einer Informa627
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(1) Ungeschriebene Aufklärungspflichten und Transparenzgebot Für das Zivilrecht ist eine geschlossene Systematisierung vorvertraglicher Aufklärungspflichten – trotz verschiedentlicher Versuche, insbesondere zur Schaffung eines „beweglichen Systems“ auf Grundlage einer begrenzten Anzahl von Beurteilungselementen629, einer institutionenökonomischen Konkretisierung gebotener Aufklärungspflichten630 u.a.631 – bisher nicht gelungen. Vielmehr prägt – insoweit methodisch ähnlich wie im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Generalklauseln632 – ein fein gesponnenes Richterrecht, das sich in unterschiedliche Fallgruppen gliedern läßt, das Panorama der vorvertraglichen Informationshaftung wegen Unterlassung gebotener Aufklärung633. Für den hier betrachteten Schnittbereich im wesentlichen allein von Interesse ist die Fallgruppe der Vereitelung des Vertragszwecks durch Nichtaufklärung über „vertragswesentliche“ Umstände, die derart gravierend sind, daß für den Vertragspartner die Tauglichkeit des Vertrags für seine (typisierten) Zwecke mit dem Vorhandensein der fraglichen Umstände steht und fällt, und bezüglich derer er nach der Verkehrsauffassung Aufklärung erwarten konnte 634. Der heutige wettbewerbsrechtliche Maßstab der Irreführung durch Unterlassen (nunmehr gem. § 5 Abs. 2 S. 2 UWG) ähnelt dem im Ansatz insofern, als auch im Wettbewerbsrecht eine allgemeine Informationspflicht bisher völlig zu Recht nicht entwickelt wurde, sondern vielmehr Aufklärungspflichten nur im Einzelfall aus der Vertragswesentlichkeit der verschwiegenen Umstände mit Blick auf die Verkehrsauffassung abgeleitet werden können, wobei in der neueren Rechtsprechung letztlich eine umfassende Interessenabwägung des Interesses der Verbraucherseite an bestimmten Informationen gegenüber dem Interesse des Werbenden, auch bestimmte ausgewählte Umstände plakativ herausstellen zu können (woran ja auch tionspflicht würde vollkommen von der insbesondere hinsichtlich ihres tatsächlichen Vorhandenseins in keiner Weise überprüfbaren internen Motivlage der Kundenseite abhängen. 629 S. grundlegend Breidenbach, Informationspflichten, S. 62 ff.; ähnlich schon Schumacher, S. 98 ff. 630 S. mit einem solchen Ansatz schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 300 ff.; grundlegend zuletzt Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 277 ff., 420 ff.; ders., AcP 200 (2000), 91 ff. 631 S. die umfassenden Literaturnachweise bei MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 100. 632 S. zum grundsätzlichen Vergleich und den Funktionen der jeweiligen Fallgruppentechnik im Rahmen der Generalklauseln nur grundlegend Beater, AcP 194 (1994), 82 ff.; Ohly, AcP 201 (2001), 1 ff. Vgl. zur Entwicklungsfunktion insbesondere des § 1 UWG auch schon Deutsch, JZ 1963, 385 ff. 633 S. statt vieler nur Schumacher, S. 98 ff.; Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 350 ff.; Breidenbach, Informationspflichten, S. 47 ff.; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung; Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 416 ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 416 ff., jeweils mwN. Für eine Darstellung auf aktuellstem Stand, s. MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 94 ff. mwN (insbesondere die umfassenderen Literaturnachweise in Rz. 100). 634 S. am bündigsten die Zusammenfassung dieser Fallgruppe der Rechtsprechung bei Grigoleit, WM 2001, 597, 599: „Aufklärungspflichten … hinsichtlich solcher Umstände …, die … den Vertragszweck vereiteln können oder jedenfalls für den Vertragsschluß von erkennbar wesentlicher Bedeutung sind“. S. aus der Rechtsprechung z.B. BGH NJW 1996, 451, 452.
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wiederum die Verbraucherseite ein Interesse haben mag635), durchgeführt wird, was zu einem durchaus restriktiven Maßstab für wettbewerbsrechtliche Informationspflichten – außerhalb der expliziten Informationspflichten der PreisangabenVO sowie der vielfältigen Kennzeichnungs- und Etikettierungsvorschriften und verschiedener anderer Informationspflichten zumal europäischer Provenienz636 – führt637. Bezüglich produktbezogener Irreführung konvergieren diese Maßstäbe der neueren lauterkeitsrechtlichen Rechtsprechung – dem primär verbraucherschützenden Zweck entsprechend – durchaus in Grundzügen mit den zivilrechtlichen Maßstäben, wie sie nunmehr §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB zuzuordnen sind. Gegen eine wechselseitige Übertragung – soweit es um die typisierte Beurteilung vorindividueller öffentlicher Erklärungen in der Werbung geht – spricht daher grundsätzlich nichts. Denn insbesondere läßt auch der lauterkeitsrechtliche Maßstab der Irreführung durch Unterlassen i.S.d. § 5 Abs. 2 S. 2 UWG gerade nicht jeglichen für die Vertragsentscheidung potentiell relevanten Umstand genügen, sondern setzt – (nicht nur terminologisch) ähnlich wie der Maßstab der vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzungen im Rahmen der culpa in contrahendo – voraus, daß es sich bei dem fraglichen Umstand um einen wesentlichen Punkt handelt, der den Vertragsentschluß zu beeinflussen geeignet ist638. Einen Sonderaspekt betrifft das insbesondere für Situationen der sales promotion durch Zugaben und Rabatte sowie für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Kopplungsangeboten bedeutsame Transparenzgebot, wie es – außerhalb der ansatzweisen Regulierung in § 4 Nrn. 4 und 5 UWG – richtigerweise wiederum in § 5 Abs. 2 S. 2 UWG (und nicht im unspezifischeren § 4 Nr. 1 UWG) zu verankern ist, da dies der neueren spezifisch auf Irreführungspotentiale abstellenden Tendenz der Rechtsprechung besser entspricht639. Hatte die Rechtsprechung im Zu635 S. archetypisch die Begründung der „PVC-frei“-Entscheidung, BGH NJW 1996, 3419, 3420 f.: Die in Frage stehende mißverständliche Angabe bezüglich der PVC-Freiheit entspreche im Grundsatz einem Bedürfnis der Verbraucher nach Information und Aufklärung, die auch einfach und plakativ (und nicht durch komplizierte chemische Inhaltsangaben, vgl. aaO., 3421) erfolgen müsse, so daß ein schützenswertes Interesse an der Verwendung des plakativen Hinweises „PVC-frei“ bestehe, weshalb ein vollkommenes Verbot letztlich nicht in Betracht komme. Vgl. für eine Erklärung der Entscheidung im Modell des verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips Drexl, Selbstbestimmung, S. 580 ff. 636 S. dazu noch sogleich im folgenden Text. 637 Zutreffend Alexander, S. 142 f. 638 S. etwa BGH GRUR 1999, 1122, 1123 – EG-Neuwagen I mit umfassenden weiteren Nachweisen: „wesentlicher Punkt, der den Kaufentschluß zu beeinflussen geeignet ist“, sowie insbesondere die nachfolgende Interessenabwägung mit Blick auf die berechtigten Interessen des Werbenden, aus der sich ergibt, daß ein gewisses Schwergewicht des fraglichen Umstands (in diesem Falle eine substantielle Verkürzung der Garantiezeit) jedenfalls Voraussetzung der Annahme einer Irreführung durch Unterlassen ist. Für einen Gesamtüberblick über die Rechtsprechung in diesem Bereich, s. nur Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Bornkamm, § 5 UWG, Rz. 2.48 ff. mwN. 639 S. Köhler, GRUR 2003, 729, 733; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-ders., § 4, Rz. 1.67; zustimmend Lettl, Rz. 181; ähnlich Ohly, GRUR 2004, 889, 898. Dogmatisch ergibt sich der Vorrang des § 5 Abs. 2 S. 2 BGB insofern aus seiner Spezialität gegenüber § 4 Nr. 1 UWG für den Bereich der Information über die Zusammensetzung von Kopplungsangeboten; die spezifisch
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sammenhang mit Kopplungsangeboten zuerst die bloße unzureichende Information bezüglich der detaillierten Preiszusammensetzung aus den einzelnen Elementen – unabhängig von der Frage einer hierdurch entstehenden Irreführung – für die Annahme einer Unlauterkeit genügen lassen640, ist die Tendenz der aktuellen Judikatur eher entgegengesetzt: Im Urteil „Gesamtpreisangebot“641 heißt es, es sei in erster Linie Aufgabe des Verbrauchers, sich über die Preiswürdigkeit des Angebots Gedanken zu machen, weshalb bei Kopplungsangeboten keine grundsätzliche Verpflichtung zur Aufdeckung des Werts der gekoppelten Waren bestehe, sondern vielmehr eine Aufklärungspflicht nur dann in Betracht komme, wenn andernfalls eine Irreführung des Verbrauchers durch Täuschung über den Wert der Zusatzleistung drohe 642. Andererseits stellen einige neuere Entscheidungen nun wiederum auf „unzureichende Information“ ab643. Letztlich hilft der Versuch einer formelhaften Abgrenzung für diese Fälle wohl nicht entscheidend weiter, es sind vielmehr inhaltliche Kriterien zu entwickeln, die der Rechtsprechung einen Anhalt bei der weiteren Konturierung ausnahmsweise gebotener Informationspflichten in diesem Bereich geben können 644. Der insofern entscheidende Wertungsaspekt – nämlich die Frage, inwieweit tatsächlich ein Informationsbedarf der Marktgegenseite besteht, weil eine Selbstinformation bei Abwägung der Interessen der Verbraucher gegen die Interessen des Werbenden nicht zumutbar ist, wobei angesichts der (auch) institutionellen Wurzel allfälliger Informationsgebote auch ein ökonomischer Kostenvergleich zwischen den Informationskosten der auf die Beurteilung von Irreführungsgefahren ausgerichteten Maßstäbe des § 5 Abs. 2 S. 2 BGB dürfen auch bei der rechtlichen Beurteilung von werblichen Kopplungsangeboten, deren Gefährdungspotential nach der neueren Rechtsprechung gerade in der Verzerrung der Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers (nicht allein in deren Unvollständigkeit) liegt, nicht auf Grundlage des unspezifischern § 4 Nr. 1 UWG unterlaufen werden (so zutreffend Steingass/ Teworte, WRP 2005, 676, 687). Die dogmatische Konstruktionskontroverse sollte jedoch insgesamt nicht überbewertet werden, da es letztlich – gleich ob in § 4 Nr. 1 UWG oder in § 5 Abs. 2 S. 2 UWG verortet – um die Frage der Reichweite gebotener Aufklärungspflichten geht, so zutreffend Köhler, aaO.; Ohly, aaO. 640 So BGH GRUR 2002, 976, 978 – Kopplungsangebot I; BGH GRUR 2002, 979, 981 – Kopplungsangebot II. 641 BGH GRUR 2003, 538, 539 – Gesamtpreisangebot. 642 S. dazu pointiert Ohly, GRUR 2004, 889, 898: Das Urteil lese sich wie ein „liberales Manifest“. 643 S. BGH GRUR 2003, 343 – Einkaufsgutschein; BGH GRUR 2004, 255, 259 – Strom und Telefon I; BGH GRUR 2004, 343 – Playstation. Die einander vermeintlich widersprechenden Tendenzen der aktuellen BGH-Rechtsprechung erklärt Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.67, mit den unterschiedlichen zugrundeliegenden Formen der sales promotion: Während es sich in der „Gesamtpreisangebot“-Entscheidung um ein allgemeines Kopplungsangebot (Ski-Reise und Ski-Bekleidung zum Paketpreis) handelte, ging es in den „Kopplungsangebote“Entscheidungen eigentlich um Zugaben (Videorekorder bzw. Fernsehgerät zum Spottpreis in Verbindung mit dem Abschluß eines Stromlieferungsvertrags). 644 Zutreffend Köhler, GRUR 2001, 1067, 1069 ff.; ders., GRUR 2003, 729, 733; Fezer, WRP 2001, 989, 1015; Ohly, GRUR 2004, 889, 898; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.67; vgl. für eine Übersicht über die Rechtsprechung und über spezialgesetzliche Informationspflichten des UWG auch Lettl, Rz. 430 ff. mwN.
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Angebotsseite und den Selbstinformationskosten der Nachfrageseite insofern ein wesentliches Indiz liefern kann645 – entspricht aber wiederum gerade auch dem zentralen Angelpunkt der Begründung von Aufklärungspflichten nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB. Denn auch in diesem Zusammenhang kommt es entscheidend auf die Frage der Zumutbarkeit einer Selbstinformation und auf das bestehende Informationsgefälle zwischen den Parteien an646, wobei neuere Ansätze angesichts der (gleichermaßen auch institutionellen) Wurzel vorvertraglicher Aufklärungspflichten ebenfalls als wesentliches Indiz einen in der Institutionenökonomie begründeten Kostenvergleichsansatz wählen, der letztlich im Grundsatz dem cheapest cost avoider die Informationspflicht überbürdet647. Die Argumentationsmuster mit Blick auf das bestehende wettbewerbsrechtliche Transparenzgebot entsprechen also gerade den aktuellen Ansätzen zur Konkretisierung des vorvertraglichen Informationspflichtenprogramms unter §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB. Auch wird in beiden Fällen als dogmatische Anknüpfung der notwendigen wertenden Interessenabwägung § 242 BGB gesehen648. Damit kommt dann aber auch – soweit es um die Beurteilung vergleichbarer Handlungen, nämlich vorindividueller, an die Öffentlichkeit gerichteter werblicher Äußerungen geht – wiederum eine wechselseitige Befruchtung der Rechtsgebiete in Betracht. Die Argumentationsmuster konvergieren ohnehin schon, die gleichermaßen strengen inhaltlichen Maßstäbe könnten sich im Sinne eines Wechselwirkungsprozesses einander angleichen und komplementär ergänzen. Als Zwischenfazit wird deutlich, daß die sowohl im Bereich der vorvertraglichen Erklärungshaftung nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB als auch unter § 5 Abs. 2 S. 2 UWG richterrechtlich entwickelten Informationspflichten bezüglich eine Sonderbeziehung etablierender Werbung durchaus ähnlichen Argumentationsmustern und normativen Maßstäben folgen. Insoweit bestätigt sich der 645 S. für das Lauterkeitsrecht zuletzt Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.67; wohl noch zurückhaltender Ohly, GRUR 2004, 889, 898. 646 Einseitig auf den Informationsberechtigten abstellend, in Bezug auf den die Zumutbarkeit der Selbstinformation zu prüfen sei, insbesondere Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 421 ff. mwN; mehr im Sinne eines beidseitigen Maßstabs, der auf das bestehende Informationsgefälle abstellt (und insofern auch den Informationspflichtigen mit in den Blick nimmt) MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 101 ff. und damit wohl noch ähnlicher dem wettbewerbsrechtlichen Maßstab. Letztlich dürfte die Frage nach ausnahmsweise zu begründenden Aufklärungspflichten stets unabwendbar auf eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall unter dem Leitgedanken der informationellen Selbstverantwortung als Grundsatz und im übrigen unter Rückgriff auf das Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB hinauslaufen (wobei die neuere wettbewerbsrechtliche Judikatur bezüglich der letztlich notwendigen umfassenden Interessenabwägung, wie sie im Wettbewerbsrecht stets vorgenommen wird, nach der hier vertretenen Auffassung sogar eher vorbildhaft für das Zivilrecht sein könnte als „umgekehrt“). 647 S. mit einem solchen Ansatz schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 300 ff.; grundlegend zuletzt Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 277 ff., 420 ff.; ders., AcP 200 (2000), 91, 101 f. mit weiteren Überlegungen institutionenökonomischer Natur. 648 S. für das Wettbewerbsrecht Steingass/Teworte, WRP 2005, 676, 681; Hefermehl/Köhler/ Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.67, jeweils unter Hinweis auf die aus § 242 BGB abzuleitenden Maßstäbe.
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Gleichmaßgrundsatz und eine wechselseitige Befruchtung kommt in Betracht. In beiden Rechtsgebieten ist eine abstrakte Definition von Aufklärungspflichten „von oben herab“ dabei angesichts der Vielzahl denkbarer Einzelgestaltungen schwerlich möglich649. Allein die richterrechtliche Fallgruppenbildung gestattet eine adäquate Entwicklung angemessener Maßstäbe aufgrund umfassender Interessenabwägungsvorgänge (unter Berücksichtigung des Primats informationeller Selbstverantwortung650) im jeweiligen Einzelfall, wobei – sowohl für die Konkretisierung des Pflichtenmaßstabs für die latent vorwirkenden Pflichten nach §§ 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB als auch für die Interessenabwägung unter § 5 Abs. 2 S. 2 UWG – typisiert auf die durch eine Werbung angesprochenen Verkehrskreise und das Verbraucherleitbild des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist651. Alles in allem kann der Vergleich und die Wechselwirkung der Aufklärungspflichten im Wettbewerbs- und Zivilrecht bezüglich werblicher öffentlicher Äußerungen im vorindividuellen Bereich mithin grundsätzlich unter der Perspektive des Gleichmaßgebots modelliert werden. Wesentliche Gründe für Abweichungen sind nicht erkennbar. Lediglich klarstellend festzuhalten ist, daß der individuelle Pflichtenmaßstab der culpa in contrahendo nach Etablierung der Sonderbeziehung und mithin wenn eine vorvertragliche Individualisierung erfolgt ist, eigenen Maßstäben folgt. Denn dann kann unter § 241 Abs. 2 BGB auf die individuellen Verhältnisse der konkreten Sonderbeziehung – etwa hinsichtlich der Aufklärungsbedürftigkeit des individuellen Kunden, einer besonderen Inanspruchnahme von Vertrauen durch den Aufklärungspflichtigen, besonderer Dauer oder Art des Vertragsverhältnisses etc. – abgestellt und das Pflichtenprogramm tatsächlich individualisiert werden. Ins649 Aus der Rechtsprechung, s. für die vorvertraglichen Aufklärungspflichten treffend BGH NJW 1983, 2493, 2494: „Eine allgemeine Rechtspflicht, den Vertragspartner über alle Umstände aufzuklären, die auch seine Entscheidung Einfluß haben können, gibt es nicht. Eine Aufklärungspflicht läßt sich immer nur aus besonderen Gründen anhand der Umstände des Einzelfalls bejahen“. Und beinahe deckungsgleich bezüglich der wettbewerbsrechtlichen Irreführung durch Unterlassen BGH NJW 1999, 1122, 1123 – EG-Neuwagen I: „Eine solche [Aufklärungs-]Pflicht besteht, … im Wettbewerb nicht schlechthin. Denn der Verkehr erwartet nicht ohne weiteres die Offenlegung aller – auch der weniger vorteilhaften – Eigenschaften einer Ware oder Leistung. Die Pflicht zur Aufklärung besteht jedoch in den Fällen, in denen das Publikum bei Unterbleiben des Hinweises in einem wesentlichen Punkt, der den Kaufentschluß zu beeinflussen geeignet ist, getäuscht würde … . Allerdings müssen auch die Interessen des Werbenden beachtet werden: Seine wettbewerbsrechtliche Aufklärungspflicht bezieht sich nicht auf jede Einzelheit der geschäftlichen Verhältnisse. Vielmehr besteht aus dem Gesichtspunkt des § 3 UWG[alt] eine Verpflichtung, negative Eigenschaften des eigenen Angebots in der Werbung offenzulegen, nur insoweit, als dies zum Schutz des Verbrauchers auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden unerläßlich ist“. S. aus der Literatur (für die vorvertraglichen Aufklärungspflichten) nur Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 416 f.; für das wettbewerbsrechtliche Transparenzgebot zuletzt Ohly, GRUR 2004, 889, 898. 650 Zutreffend zuletzt Ohly, NJW 2003, 2135, 2137; ders., GRUR 2004, 889, 898; zustimmend Steingass/Teworte, WRP 2005, 676, 681. 651 S. nur Steingass/Teworte, WRP 2005, 676, 681 f. mwN.
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besondere mag dann auch eine Aufklärung notwendig sein, die im Rahmen der bloßen Werbung noch nicht geboten war, da etwa ein Interesse des Verkehrs, auf ein bestimmtes Angebot unkompliziert und plakativ erst einmal aufmerksam gemacht zu werden, der Konstruktion einer vorindividuellen Aufklärungspflicht schon für die öffentliche Äußerung entgegenstand 652. Die hier angestellten Überlegungen zur Konvergenz lauterkeits- und zivilrechtlicher Maßstäbe mit Blick auf das vorvertragliche Pflichtenprogramm betreffen also zunächst einmal allein diejenigen werblichen Akte, die die Sonderbeziehung seitens des Werbenden erst begründen, nach der hier vertretenen Auffassung aber dennoch bereits latent vorwirkenden Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB zu unterwerfen sind, in deren Rahmen sich – sofern die werblichen Informationen überhaupt konkrete, objektiv nachprüfbare und relevante Informationen enthalten, die aber lückenhaft sind653 – auch Aufklärungspflichtverletzungen ergeben können, wobei die Aufklärungspflichten dann zwangsläufig – im Zivil- wie im Wettbewerbsrecht – anhand eines typisierten Maßstabs umrissen werden müssen. (2) Explizit geregelte wettbewerbsrechtliche „Informationspflichten“ als Aufklärungspflichten i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB? Das insofern für die Möglichkeit einer Wechselwirkung zivilrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe bezüglich ungeschriebener vorvertraglicher Aufklärungspflichten – und insbesondere für eine Orientierung latent vorwirkender Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB für die die Sonderbeziehung erst begründende öffentliche Äußerung des Werbenden an wettbewerbsrechtlichen Maßstäben, soweit es bereits um konkrete Angaben geht – grundsätzlich positive Bild, wandelt 652
S. für einen derartigen Ansatz des EuGH schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 1 c. S. näher zu dieser Voraussetzung auch wettbewerbsrechtlicher Transparenzpflichten nach bestehendem deutschem Wettbewerbsrecht zuletzt Steingass/Teworte, WRP 2005, 676, 681 f. Letztlich ist – als Voraussetzung jeglicher Konstruktion von Aufklärungspflichten auch im Wettbewerbsrecht – zunächst eine derart konkrete werbliche Information zu fordern, daß aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers bereits Anlaß dazu gegeben ist, im Vertrauen auf die Pflichtgemäßheit der Werbung wirtschaftliche Dispositionen zu treffen. Eine bloße Aufmerksamkeitswerbung, die die Ableitung keinerlei bestimmter Informationen über den Vertragspartner oder Vertragsgegenstand gestattet, genügt hierfür nicht. De lege ferenda wird künftig die Regelung der Irreführung durch Unterlassen in Art. 7 Abs. 2, 4 und 5 Lauterkeits-RL in das deutsche Recht umzusetzen sein, die die Fiktion eines Katalogs bestimmter Mindestinformationen als stets „wesentlich“ bezeichnenderweise auch an das neuartige Kriterium der „Aufforderung zum Kauf“ (vgl. auch Art. 2 lit. i Lauterkeits-RL) anknüpft, welches letztlich in Form eines typisierten Tatbestandes genau die Abgrenzungsfunktion mit Blick auf eine hinreichende Konkretisierung der Werbung (um überhaupt Gegenstand von Aufklärungspflichten zu werden) erfüllen soll, welche bisher (zu Recht) im offenen Anschluß an die Erwartung des Durchschnittsverbrauchers der richterrechtlichen Konkretisierung überlassen ist. Vgl. zu Art. 7 Abs. 2, 4 und 5 Lauterkeits-RL noch sogleich unten (2) sowie eingehend zum (in diesem Bereich besonders problematischen Verhältnis zur vorvertraglichen Informationshaftung) auch schon oben 3. Abschn. B II. Vgl. im übrigen auch schon o. Fn. 628 (mit weiteren Nachweisen auch zum Erfordernis hinreichender Konkretisierung als Voraussetzung einer Haftung auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB im Zivilrecht). 653
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
sich allerdings, wenn man sich der Frage zuwendet, ob künftig auch explizit geregelte lauterkeitsrechtliche Aufklärungspflichten zugleich als Aufklärungspflichten unter §§ 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB importiert werden könnten. Für die Pflichten nach § 4 Nr. 4 und 5 UWG läßt sich allerdings eine Wesentlichkeit auch im Rahmen der vorvertraglichen Informationshaftung bejahen, soweit es um die wesentlichen Bedingungen von Rabatten, Zugaben, Geschenken oder Gewinnspielen geht654. Ein gegebenenfalls überschießender Pflichtentatbestand mag insoweit im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität im Rahmen der objektiven Zurechnung und des Schutzzweckzusammenhangs durch strenge Prüfung dieser Voraussetzungen korrigiert werden. Weitaus problematischer sind in diesem Zusammenhang jedoch die noch sehr viel weiterreichenden, situations- und geschäftsunabhängig festgelegten positiven wettbewerbsrechtlichen Informationsgebote nach Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Lauterkeits-RL, wie sie nunmehr in das deutsche UWG umzusetzen sind655. Trotz der Rückbindung in den Schutz vor Irreführung durch Unterlassen, wie sie in Art. 7 Abs. 1 Lauterkeits-RL erfolgt656, brechen diese Vorschriften, indem sie eine Art Katalog in jedem Falle wesentlicher Information zu standardisieren suchen, mit der diesbezüglichen (berechtigten657) Zurückhaltung auch des neuen deutschen UWG. Denn statt der aus Einzelfalljudikaten „von unten“ wachsenden richterrechtlichen Fallgruppen (ausnahmsweise) gebotener Aufklärung im typisierbaren Einzelfall, wird nunmehr sozusagen „von oben“ herab der Versuch einer situations- und geschäftstypunabhängigen Standardisierung vertrags- und situationsunabhängig stets notwendiger „wesentlicher“ „Basisinformationen“658 unternommen659, wobei abzuwarten sein wird, inwieweit die Einbindung in den Kontext der Irreführung durch Unterlassen, wie sie Art. 7 Abs. 1
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S. dazu zuletzt Heermann, WRP 2005, 141 ff. mwN. Vgl. schon oben 3. Abschn. B II mwN und öfter. 656 Dies betonen Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1331, die aber gleichfalls erkennen, daß sich hier eine nicht unbedenkliche Tendenz der Kommission zeige, die ohnehin bestehenden Informationspflichten immer weiter auszudehnen. Nach der hier vertretenen Auffassung (s. auch oben 3. Abschn. B II) vermag die Voraussetzung einer Eignung zur Beeinflussung des geschäftlichen Entscheidungsverhaltens des Durchschnittsverbrauchers allein (die letztlich nur eine Art Relevanzkriterium formuliert und im deutschen UWG ohnedies jedenfalls in § 3 UWG schon verankert ist, s. insoweit zutreffend wiederum Glöckner/Henning-Bodewig, aaO. mwN) nicht zu garantieren, daß sich das Gebot der Gewährung „wesentlicher Mindestinformationen“, wie es sich aus Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL ergibt, nicht letztlich doch zu einer Art wettbewerbsrechtlicher „Informationspflicht“ entwickelt. Vielmehr ist die Entwicklung inhaltlicher Begründungsargumente für die Aufrechterhaltung der bisherigen zu Recht strengen Maßstäbe in diesem Bereich auch unter Geltung eines künftig konkretisierten § 5 Abs. 2 S. 2 UWG unerläßlich, die sich nach der hier vertretenen Auffassung gerade aus einem Vergleich mit dem weiterhin strengen Maßstab im Bereich vorvertraglicher Informationshaftung ergeben können. S. sogleich im folgenden Text sowie auch schon oben 3. Abschn. B II. 657 S. nur Ohly, GRUR 2004, 889, 898. 658 Vgl. Erw.-Grd. 14 Lauterkeits-RL. 659 S. grundsätzlich kritisch dazu schon oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 c. 655
4. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit reflexartiger Ordnungsfunktion
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Lauterkeits-Richtlinie vornimmt660, es gestattet, diese neuen Transparenzpflichten mit der gebotenen Zurückhaltung in den Rahmen des deutschen Lauterkeitsrechts einzufügen661. Jedenfalls in der Frage einer Rezeption über § 241 Abs. 2 BGB als latent vorwirkende Pflichten im Rahmen einer vorvertraglichen Sonderbeziehung nach § 311 Abs. 2 BGB ist bezüglich der neuen Basisinformationen aus Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL erhebliche Zurückhaltung angebracht, da diese Informationsgebote des europäischen Rechts durchaus unterschiedliche, zum Teil – der europäischen Verbraucherschutzkonzeption des Schutzes der Erwartungen eines confident consumer an das Rechtssystem entsprechend – auch mehr marktbezogene, institutionelle Zwecke verfolgen662. Es ist an dieser Stelle für eine Inbezugnahme im Rahmen der vorvertraglichen Informationshaftung eine sorgsame Schutzzweckanalyse vorzunehmen, die feststellt, ob und inwieweit die Informationspflichten europäischer Provenienz (neben ihrer stets vorhandenen institutionellen Zwecksetzung im Sinne der marktbezogenen Etablierung eines rechtlichen Informationsrahmens für den Geschäftsverkehr im Binnenmarkt) auch individualschützende Zwecke verfolgen, die im Rahmen des Systems zivilrechtlicher vorvertraglicher Informationshaftung sanktioniert werden können und müssen. Angesichts der einheitlichen Verbraucherschutzkonzeption des europäischen Rechts, die zwischen Instrumenten des lauterkeits- und des vertragsrechtlichen Verbraucherschutzes zugunsten eines institutionalistischen Konzepts eines vertraglichen Kontinuums nicht länger sauber unterscheidet663, war es insofern geboten, die vertriebsspezifischen Informationspflichten der §§ 312 ff. BGB und die vertriebs- und geschäftsformunabhängige Regelung des irreführenden Unterlassens durch Nichtgewährung bestimmter Mindestinformationen, wie sie nunmehr entsprechend der Vor660 Die aber nichts daran zu ändern vermag, daß eine Nichtgewährung der „Basisinformationen“ entsprechend Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-RL nach Wortlaut und Systematik des Art. 7 Lauterkeits-RL sowie unter Berücksichtigung der in Erw.-Grd. 14 Lauterkeits-RL niedergelegten Wertung im praktischen Ergebnis in aller Regel – nämlich mindestens stets dann, wenn nicht bis Vertragsschluß eine Nachholung der Information erfolgt – als geeignet angesehen werden dürfte, um die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers allein deshalb zu beeinflussen, weil dieser keine „informierte“ Entscheidung treffen konnte. Vgl. insoweit schon die Ausführungen o. 2.Kap. 3.Abschn. bei Fn. 407. 661 S. für Überlegungen zur Umsetzung in das deutsche UWG, die zu Recht darauf hinauslaufen, den Katalog „wesentlicher“ Informationen nach Art. 7 Abs. 4 und 5 Lauterkeits-RL erstens über § 4 Nr. 11 UWG aufzufangen (vgl. insoweit auch schon oben 3. Kap. 3. Abschn. A II), zweitens insofern zu „entrümpeln“, als einige der Pflichten bereits im bestehenden deutschen Recht spezialgesetzlich vorgesehen und lauterkeitsrechtlich sanktioniert sind, so daß sie keiner weiteren expliziten Umsetzung bedürfen, und schließlich drittens die verbleibenden „wesentlichen“ Informationen durch eine Konkretisierung des Tatbestands des Irreführens durch Unterlassen in § 5 Abs. 2 S. 2 UWG umzusetzen, Seichter, WRP 2005, 1087, 1091 ff.; Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1332; Köhler, GRUR 2005, 793, 800; demgegenüber für eine umfassende Umsetzung des Informationsmodells aus Art. 7 Lauterkeits-RL Fezer, WRP 2006, 781, 786 f. 662 Vgl. schon oben 3. Abschn. B II. 663 S. oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 c und d.
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gabe des Art. 7 Abs. 2, 4 Lauterkeits-RL in das deutsche Wettbewerbsrecht umzusetzen ist, im Zusammenhang zu betrachten und rechtsfolgenspezifisch mit Blick auf ihre Schutzzwecke zu analysieren. Dies ist oben (im 3. Abschn. B I und insbesondere II) erfolgt, weshalb an dieser Stelle auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen sei664. Der Einfachheit halber ist an dieser Stelle lediglich wiederholend nochmals kurz festzuhalten, daß die diesbezügliche Argumentation im wesentlichen darauf hinauslief, im Rahmen der Spielräume, die die unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 7 Abs. 4 Lauterkeits-Richtlinie auch weiterhin lassen („wesentliche Merkmale des Produkts“), auch im künftig in diesem Bereich europäisch überlagerten Wettbewerbsrecht strenge Maßstäbe an die Konstruktion „neuer“ Informationsgebote im Rahmen des dann gesetzgeberisch konkretisierten Transparenzgebots anzulegen. Die Begründung dafür wurde gerade aus dem Vergleich mit dem diesbezüglich sogar in der vorvertraglichen Sonderbeziehung zurückhaltenden Maßstab des Zivilrechts gewonnen, der im Lauterkeitsrecht in diesem Bereich nach der hier vertretenen Auffassung keinesfalls verschärft werden sollte. Letztlich zeigt sich demnach an dieser Stelle, daß das Gleichmaßgebot zwischen (vergleichbaren) Pflichten in der vorvertraglichen Sonderbeziehung und wettbewerbsrechtlichen „Verkehrssicherungspflichten“ nicht ausschließlich im Sinne eines einbahnstraßenartigen Imports wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe in das typisierte vorvertragliche Pflichtenprogramm nach § 241 Abs. 2 BGB aufgefaßt werden kann, sondern vielmehr stets eine Art Wechselwirkung der jeweiligen richterrechtlich entwickelten Pflichteninhalte begründet: So kann im Regelfall der Maßstab für wettbewerbsrechtliche Aufklärungspflichten sogar schon im vorindividuellen Bereich schwerlich strenger ausgestaltet werden, als es das Pflichtenprogramm der vorvertraglichen Informationshaftung im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB selbst für vergleichbare Situationen innerhalb der Sonderbeziehung vorsehen würde. Hier kann der vertragsrechtliche Maßstab folglich Leitbild der Liberalisierung im UWG jedenfalls an all denjenigen Stellen sein, wo eine konkrete Rechtfertigung für strengere wettbewerbsrechtliche Maßstäbe – wie in den hier diskutierten Situationen – nicht erkennbar ist. Ein ähnlicher Wechselwirkungsprozeß, der zudem eine denkbare dogmatische Untermauerung für letzthin zu beobachtende Liberalisierungstendenzen im UWG liefert, ist mit Blick auf die Bereiche direkter Beeinflussung vorvertraglicher Willensbildung (durch unmittelbare Störungen des Entscheidungsprozesses) zu beobachten, die es im folgenden noch etwas näher zu betrachten gilt.
664 Vgl. außerdem auch oben 3. Kap. 3. Abschn. A II zu Umsetzungsperspektiven für Art. 7 Abs. 2–5 Lauterkeits-RL in das deutsche Recht.
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2. Sicherung des unbeeinflußten Entscheidungsprozesses durch Schutz vor pflichtwidriger Beeinflussung a. Ausgangslage Wieder geht es darum, ob und inwieweit die typisierten Maßstäbe des Wettbewerbsrechts bezüglich des Schutzes des Entscheidungsprozesses gegen direkte Einflußnahmen durch Druck oder Zwang (im Wettbewerbsrecht bisher insbesondere im Rahmen der alten Fallgruppe des psychischen Kaufzwangs, wie sie nunmehr im wesentlichen unter § 4 Nr. 1 und 2 UWG fällt, erfaßt) auch unterhalb der strengen tatbestandlichen Schwelle des § 123 BGB665 und außerhalb der letztlich unpassenden Norm des § 138 BGB666 über das Instrument der culpa in contrahendo gem. § 311 Abs. 2 BGB als rechtliche Maßstäbe vorvertraglichen Schutzes der Willensbildung des prospektiven Vertragspartners667 in das diesbezügliche Pflichtenprogramm nach § 241 Abs. 2 BGB integriert werden können. Während sich Lehmann im Rahmen seiner Konzeption vorvertraglicher Erfassung von Wettbewerbsverstößen in der Vertragsanbahnung noch ganz auf Informationspflichtverletzungen orientierte668, denkt Lorenz das bipolare Schutzkonzept aus Schutz der Entscheidungsgrundlage und Schutz des Entscheidungsprozesses (vor direkter Beeinflussung) im Rahmen der vorvertraglichen Sonderbeziehung zu Ende und will zu Recht (nunmehr über §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) auch direkte Störungen der Entscheidungsfreiheit (unterhalb der Grenze widerrechtlicher Drohung i.S.d. § 123 Abs. 1 BGB) durch Formen psychologischen Drucks erfassen669. Diese im Ansatz zutreffende Überlegung, die durch einen 665
Vgl. oben A III. Vgl. oben B. 667 Eine Haftung Dritter auf Grundlage von § 311 Abs. 3 S. 2 BGB kommt für diese Fallgruppe – wegen der spezifisch auf die informationsbezogene Vertrauensinanspruchnahme gerichteten Zwecksetzung der Norm – nicht in Betracht, dürfte wohl aber auch kaum jemals von praktischer Relevanz sein. 668 Vgl. Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 350 ff.; ähnlich Alexander, S. 142 ff., der bezüglich des maßgeblichen Inhalts des Pflichtenprogramms der culpa in contrahendo zwar im Ausgangspunkt zwischen Aufklärungs- und Schutzpflichten differenziert, um sich in der Folge jedoch ausschließlich den Schutzpflichten zuzuwenden. Mit einem umfassenden Konzept der Anknüpfung einer Haftung aus culpa in contrahendo an jedweden Wettbewerbsverstoß in der Vertragsanbahnung allerdings bereits frühzeitig Sack, WRP 1974, 445, 454 ff.: „alle Formen unlauteren Wettbewerbs grundsätzlich geeignet Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo zu begründen“ – mindestens mit Blick auf Wettbewerbshandlungen im reinen Horizontalverhältnis, für die es schon an der Etablierung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung vollkommen fehlt, erscheint dieser Befund aber doch zu pauschal. 669 S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 445 ff.; mit Blick auf die tatbestandlichen Grenzen im übrigen durchaus ähnlich im Ergebnis auch die Ansätze, die derartige Formen psychologischer Einflußnahme durch Druck (unterhalb der Grenze des § 123 Abs. 1 BGB) im Rahmen einer analogen Heranziehung letztgenannter Norm erfassen wollen, s. am ausführlichsten zuletzt Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 630 ff.; ohne eine entsprechende Öffnung des Drohungstatbestands aber Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 349 ff. mwN. Vgl. zu einer gezielten Überrumpelung als vorvertragliche Pflichtverletzung, die ein Verschulden bei Vertragsschluß begründen kann, auch OLG Bamberg, NJW-RR 1997, 694 f. 666
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Rechtsvergleich mit dem Konzept der undue influence im anglo-amerikanischen Recht670 gestärkt und konkretisiert wird, kann und soll hier in ihrer Allgemeinheit nicht nachgezeichnet werden. Im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung interessiert allein, ob und inwieweit Maßstäbe des wettbewerbsrechtlichen Schutzes der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher vor Formen direkter psychischer Einflußnahme auf die Freiheit ihrer Willensentscheidung auch den diesbezüglichen Pflichtenmaßstab bei Etablierung und innerhalb der vorvertraglichen Sonderbeziehung zu konkretisieren helfen könnten. Hinsichtlich dieser Frage ist Lorenz (schon zum alten UWG) durchaus positiv gestimmt: Gerade die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung zu den Fallgruppen der Überrumpelung, Belästigung und des psychologischen Kaufzwangs sei im Grundsatz geeignet, im Interesse der Rechtssicherheit den von ihm neu entwickelten Schutz der Entscheidungsfreiheit vor direkter Beeinflussung in der vorvertraglichen Sonderbeziehung zu konkretisieren 671. Diesem Befund ist allerdings – zumal für den damaligen Zeitpunkt Mitte der neunziger Jahre – mit einiger Vorsicht zu begegnen672. Richtigerweise ist für eine Analyse der Vergleichbarkeit der Maßstäbe zwischen der Rechtslage unter Geltung des alten UWG bis etwa in die zweite Hälfte der neunziger Jahre und der ab diesem Zeitpunkt einsetzenden Liberalisierungsbewegung, die einen sichtbaren legislativen Ausdruck schon in der Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung fand673 und nunmehr durch das neue UWG eine wegweisende Bestätigung und Stärkung erfahren hat674, zu unterscheiden. Dabei soll an dieser Stelle (nachdem situative Störungen des Entscheidungsprozesses mit Überrumpelungsaspekt bereits oben, im 3. Abschn. A, behandelt wurden675 und nachdem Aspekte der Belästigung bei genauem Hin670 671
S. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 453 ff. mwN. S. Lorenz, aaO., S. 488 ff.; ähnlich (wenn auch zu weitgehend) schon Sack, WRP 1974, 445,
454 ff. 672
Vgl. rundweg ablehnend Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 570 ff. S. Gesetz zur Aufhebung der Zugabeverordnung und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (BGBl. I Nr. 37 v. 23.7.2001, S. 1661), Gesetz zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (BGBl. I Nr. 37 v. 23.7.2001, S. 1663) sowie die jeweilige Gesetzesbegründung (BT-DRs. 14/5541 und 14/5594). 674 S. nur Ohly, GRUR 2004, 889, 900: das neue UWG als vorläufiger Abschluß eines Liberalisierungsprozeß unter dem Einfluß verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Vorgaben sowie einer sich dem Wandel der Zeit anpassenden BGH-Rechtsprechung. 675 In diesem Zusammenhang ist Lorenz‘ Analyse (in Anlehnung an die Systematik der alten Kommentierung von Hefermehl, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, bis zur 22. Aufl. 2001) insofern zu verkürzt, als sie die wettbewerbsrechtlich sanktionierten Belästigungstatbestände uneingeschränkt dem Bereich des Schutzes der Entscheidungsfreiheit zuschlägt. Nach der Konzeption des deutschen Rechts (s. nur in aller Deutlichkeit BGH GRUR 2004, 699, 700 – Ansprechen in der Öffentlichkeit sowie nunmehr § 4 Nrn. 1 und 2 UWG einerseits und § 7 UWG andererseits) sind diese beiden Aspekte aber stets sauber voneinander zu unterscheiden (auch in seiner ersten diesbezüglichen Entscheidung zum neuen UWG prüft der BGH die Unlauterkeit des gezielten Ansprechens in der Öffentlichkeit insoweit treffend nurmehr unter § 7 Abs. 1 UWG, s. BGH NJW 2005, 1050 ff. – Ansprechen in der Öffentlichkeit II). Im Rahmen des hier vertretenen Vier-Ebenen-Modells betrifft der reine Belästigungsschutz die Ebene des Schutzes (nicht vertragsinteressierter) Dritter vor Externalitäten einzelner, erfolgreich durch belästigende 673
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sehen sorgsam zu trennen sind von einer gegebenenfalls hinzukommenden Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit676) das besondere Augenmerk der wesentlichsten verbleibenden Unterfallgruppe des psychologischen Kaufzwangs gelten677: Es geht um die vermeintliche Einschränkung eines freien Entscheidungsprozesses der Verbraucher durch bestimmte Formen der Wertreklame – insbesondere durch Gewährung besonderer Vergünstigungen, die den Verbraucher dazu verleiten könnten, daß er seine Entscheidung „statt nach Preiswürdigkeit und Qualität der angebotenen Ware danach trifft, ob beim Kauf besondere zusätzliche Vergünstigungen gewährt werden“678 – oder des Einsatzes von Gewinnspielen679. b. Psychologischer Kaufzwang durch Wertreklame oder Gewinnspiele als Grundlage der zivilrechtlichen Wertung bezüglich des Schutzes der Entscheidungsfreiheit in § 241 Abs. 2 BGB? Die Übertragung der Wertungen aus der diesbezüglichen Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs, wie sie von der Rechtsprechung zum alten UWG entwickelt wurde, in das vorindividuelle Pflichtenprogramm latent vorwirkender Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB für den werblichen Etablierungsakt der Methoden angebahnter Verträge (vgl. auch grundlegend oben 1. Kap. 1. Abschn. D VI und 1. Kap. 3. Abschn. F IV). Einen Rückschritt bringt insoweit allerdings die nun umzusetzende Lauterkeits-Richtlinie mit ihrem Konzept aggressiver Werbemethoden gem. Art. 8 LauterkeitsRL, welches sich gerade wiederum auf die durch den Einsatz derartiger Methoden verursachte „wesentliche Beeinflussung“ der geschäftlichen Entscheidungsfreiheit der Verbraucher beschränkt. Dennoch wird man das weiterreichende Konzept des § 7 UWG aufrechterhalten können, da – genau für derartige Fälle, in denen die Wahlfreiheit der Verbraucher nicht beeinträchtigt ist – die Lauterkeits-RL eine Ausnahme vom Konzept punktgenauer Harmonisierung dann vorsieht, wenn Belästigungsschutzregelungen der Mitgliedstaaten Ausdruck „kultureller Gründe“ sind (s. Erw.-Grd. 7 Lauterkeits-RL mit dem Beispiel des Ansprechens auf der Straße). Vgl. zur diesbezüglichen Richtlinienumsetzung, für die es bei der Regelung des § 7 UWG letztlich wohl bleiben kann, wie hier Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1333; Köhler, GRUR 2005, 793, 800. 676 S. o. Fn. 675. 677 Genau in diesem Bereich sah auch Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 445 (unter Hinweis auf die alte englische equity-Entscheidung Allcard v. Skinner [1887] 36 Ch.D. 145 (183)), ja durchaus auch ein Spielfeld für eine weiterreichende Erfassung psychologischer Einwirkungen im Rahmen der culpa in contrahendo, die sich ja gerade auch daraus ergeben könne, daß eine bestimmte Vergünstigung vom Opfer nicht als Zwang, sondern als „Gelegenheit“ wahrgenommen werde. Die von ihm insoweit aus dem Rechtsinstitut der undue influence des anglo-amerikanischen Rechts entlehnten Maßstäbe sind allerdings im Ergebnis weitaus zurückhaltender als die entsprechenden bisherigen wettbewerbsrechtlichen Maßstäbe zur Beurteilung psychologischen Kaufzwangs im Zusammenhang mit bestimmten Formen der sales promotion, vgl. dazu näher im folgenden Text. 678 S. noch zuletzt etwa BGH GRUR 2002, 1000, 1001 ff. – Testbestellung; BGH GRUR 2003, 804 f. – Foto-Aktion (wenn auch im Ergebnis mittlerweile stets abgelehnt). Nach Geltung des neuen UWG mit einer auf § 4 Nr. 1, § 3 UWG gestützten, inhaltlich „traditionellen“ – an der Situation des Gewinnspielangebots im Ladengeschäft orientierten – Argumentation OLG Köln, GRUR-RR 2005, 194 f. – Gewinnspiel. 679 S. nur zuletzt etwa BGH GRUR 1998, 735, 736 – Rubbelaktion mwN.
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Sonderbeziehung erscheint aber der gesamten bisherigen Orientierung dieser Fallgruppe nach problematisch. Im alten Recht war insoweit, wie es auch die immer noch beibehaltene Formulierung von der Verbraucherentscheidung „nach Preiswürdigkeit und Qualität der angebotenen Ware“ nur zu klar verdeutlicht, unausgesprochen eine Konzeption des Leistungswettbewerbs im Hintergrund dieser Fallgruppe zuerst vorhanden680, die ein entscheidendes Unlauterkeitsmoment letztlich wohl gar nicht in der Beeinträchtigung der Verbraucherfreiheit, sondern mehr in der vermeintlich „unsachlichen“ Entscheidung des Verbrauchers nach dem Leistungswettbewerb fremden, „emotionalen“ Kriterien sah 681. Zwar wurde, insbesondere bei Gewinnspielen682, in der Folge stets das Hinzutreten besondere Umstände gefordert, wobei besonderes Augenmerk der Sicherung der Anonymität (und daraus sich ergebenden Unbefangenheit) des an einem Gewinnspiel teilnehmenden oder eine Vergünstigung in Anspruch nehmenden683 Kunden diente, da dieser nur so vor einer psychischen Ausnutzung 680 Ganz besonders deutlich das (zwischen Anlockung und sachfremder Entscheidung der Kunden letztlich nicht trennscharf differenzierende) Urteil BGH GRUR 1971, 162, 163 – Diagnosezentrum mit Anm. Knopp (Werbung mit kostenlosem Kfz-Check in einem in der Werkstätte gelegenen „Diagnose-Zentrum“ als Verstoß gegen § 1 UWG, da – sogar unabhängig von der psychologischen Situation – der Kunde sich jedenfalls der Beklagten zuwende, ohne sich nach Qualität und Preiswürdigkeit zu orientieren). 681 So die grundlegende Kritik bei Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 577 ff. mwN; ders., WRP 2003, 423, 430, wobei sein Fazit, im Wettbewerbsrecht gehe es allein um den Schutz der sachgerechten Entscheidung schon für das Jahr 2003 (angesichts der Tatsache, daß zu diesem Zeitpunkt bereits das neue Verbraucherleitbild auf breiter Front durchgesetzt war und zudem auch die Rechtsprechung seit Jahren die Frage psychologischen Kaufzwangs [zumindest nominell] situationsdifferenziert, freiheitsorientiert und [auch inhaltlich] zunehmend zurückhaltend beurteilte) so pauschal sicher nicht mehr zutreffend war und von der reichen Judikatur in diesem Bereich letztlich schon für das Jahr 2003 nicht (mehr) getragen wurde. Vgl. auch die Rechtsprechungsnachweise in den folgenden Fußnoten. 682 S. etwa BGH GRUR 1973, 418 f. – Das goldene A mit Anm. Hoth (psychologischer Kaufzwang bei Gewinnspiel, welches es erforderte die Verkaufsräume des Werbenden zu betreten und eingehend für längere Zeit unter den Augen des Verkaufspersonals zu durchsuchen); BGH GRUR 1973, 591, 592 f. – Schatzjagd mit Anm. Hoth (mehrfache Notwendigkeit des Betretens des Ladenlokals, um Teilnahmebescheinigungen für ein Gewinnspiel wöchentlich abzuholen, als Begründung psychologischen Kaufzwangs [trotz bestehender Möglichkeit, sich diese auch zusenden zu lassen]); noch strenger BGH GRUR 1974, 156, 157 – Geld-Gewinnspiel mit Anm. Gerstenberg (auch einmalig notwendiger Besuch genüge); ähnlich BGH GRUR 1987, 243, 244 – Alles frisch (Abholung an der Ladentheke). Die Differenzierungen zuletzt trefflich zusammenfassend (und mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung) BGH GRUR 1998, 735, 736 – Rubbelaktion (kein psychologischer Kaufzwang bei Aufstellung von Ständern mit Teilnahmekarten auf dem gesamten Gelände einer Tankstelle, an denen die Kunden ohne das Gefühl der Beobachtung unbefangen Teilnahmekarten an sich nehmen konnten); bestätigt und vertieft in BGH GRUR 2000, 820, 821 f. – Space Fidelity Peep Show (kein psychischer Kaufzwang bei weitläufigen Verkaufsflächen, in denen der am Gewinnspiel teilnehmende Kunde nicht aus seiner Anonymität hervortrete). 683 S. etwa BGH GRUR 1981, 746, 747 f. – Ein-Groschen-Werbeaktion (Konfrontation an der Ladenkasse als Situation psychologischen Drucks); BGH NJW-RR 1992, 1192, 1193 – Glücksball-Festival (Zusendung geringwertiger Werbegeschenke seitens eines Versandhandelunternehmens unabhängig von einer Bestellung nicht unlauter, s. ähnlich auch BGH GRUR
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seiner Peinlichkeits- und Anstandsgefühle in der direkten Konfrontation (insbesondere an der Ladenkasse) effektiv zu schützen sei. Auch die hiermit verbundene Präzisierung und Orientierung auf die Störung einer „sachlichen“ Verbraucherentscheidung durch übertriebene Dankbarkeits- oder Peinlichkeitsgefühle war aber spätestens im Lichte der gesetzgeberischen Begründung zur Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung nicht mehr frei von Zweifeln684. Schließlich mußte insgesamt ab Mitte der neunziger Jahre, im Einklang mit sich wandelnden Auffassungen vom Wettbewerbsprozeß sowie entsprechenden verfassungsgerichtlichen und europarechtlichen Vorgaben in anderem Zusammenhang, die Orientierung auf eine relevante Störung der Freiheit der Verbraucherentscheidung im Mittelpunkt stehen685. Nach der Konzeption des neuen UWG kann es gem. § 4 Nr. 1 und 2 UWG ohnehin nur noch auf die Freiheit der Verbraucherentscheidung als Leitkriterium ankommen686. Unter dieser Prämisse betrachtet, steht die Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs aber insgesamt auf eher schwankendem Boden: Die maßgebliche Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses soll nach der neueren Rechtsprechung darin liegen, daß der Verbraucher, der sich in eine Situation begeben habe, in der er die Vergünstigung, das Gewinnspiel o.ä. bereits in Anspruch genommen habe, unter Umständen ein derartiges Peinlichkeitsgefühl wegen der in Anspruch genommenen Vergünstigung entwickle, daß es ihm zumindest anstandshalber nicht mehr möglich sei, das Ladenlokal ohne Abschluß weiterer Verträge zu verlassen687. Diese Argumentation erscheint nun aber insofern zu kurz ge1998, 1037, 1038 f. – Schmuck-Set); BGH NJW-RR 1993, 1066, 1067 f. – Hotelgutschein (durch Dritten gesponserter Hotelaufenthalt keine Situation psychologischen Kaufzwangs, da keine Dankbarkeitsgefühle gegenüber dem Hotel, dessen Zahlung durch den Dritten ja gesichert); BGH GRUR 1998, 475, 476 f. – Erstcoloration (psychischer Druck bei vermeintlich von einem Friseur unentgeltlich erbrachter aufwendiger Dienstleistung bejaht, da Peinlichkeits- und Dankbarkeitsgefühle zum Erwerb weiterer Produkte verleiten könnten). S. zuletzt GRUR 2002, 1000, 1001 ff. – Wertreklame im Versandhandel (kein psychischer Kaufzwang wegen anonymer Situation bei der mit einem Werbegeschenk belohnte Testbestellung im Versandhandel). 684 S. zutreffend Weiler, WRP 2002, 871, 874, und in der Folge Scherer, WRP 2005, 672 (jeweils unter Hinweis auf die Gesetzesbegründungen für die Aufhebung der Zugabeverordnung (BT-Drs. 14/5594, S. 7) und des Rabattgesetzes (BT-Drs. 14/5541, S. 7), die – neben dem Aspekt der Beseitigung einer Inländerdiskriminierung – ausdrücklich auch festhielten, daß der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher durchaus wisse, daß Kaufleute nichts zu verschenken hätten und die Kosten für Gratis-Werbeleistungen über den Preis der Hauptleistung querfinanzierten). 685 Dem trug die neuere Rechtsprechung mit ihrer ausgeklügelten situationsabhängigen Differenzierung, je nach Größe des Ladenlokals, Modus der Teilnahme am Gewinnspiel bzw. der Inanspruchnahme der Vergünstigung (vgl. die Nachweise in o. Fn. 682 und 683), nominell auch durchaus Rechnung (wenngleich die zugrundeliegenden psychologischen Prämissen zweifelhaft waren und sind, s. sogleich im folgenden Text). S. auch nach Geltung des neuen UWG mit denselben Maßstäben zu § 4 Nr. 1 UWG letzthin OLG Köln GRUR-RR 2005, 194, 195 f. – Gewinnspiel (wenn auch Wettbewerbswidrigkeit im Ergebnis abgelehnt, da Anlagen für das Scannen der Teilnahmekarte am Gewinnspiel außerhalb des Kassenbereichs). 686 S. zutreffend statt vieler Scherer, WRP 2005, 672, 674 f. 687 S. die Nachweise o. Fn. 682, 683 und 685.
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griffen, als sie zu wenig mit berücksichtigt, daß sich der Verbraucher in die letztlich resultierende Drucksituation (der in bestimmten Fällen – trotz der mittlerweile auf breiter Front vorhandenen Vertrautheit der Verbraucher mit Sondergeschenken u.ä. im Markt688 – eine gewisse Peinlichkeit durchaus auch weiterhin nicht abzusprechen sein mag689) ja in aller Regel – nämlich wenn und soweit er im Vorfeld zutreffend über die Bedingungen der Preisnachlässe, Gewinnspiele o.ä. informiert wurde690 – freiwillig begeben hat. Insofern erschiene es aus Sicht eines (in der letztlich resultierenden Situation) durchschnittlich empfindlichen (oder empfindsamen) Verbrauchers691, der zuvor das Sonderangebot o.ä. mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit und Informiertheit wahrgenommen hat, in sich widersprüchlich, einerseits die Vergünstigung anzunehmen (ohne dies als zuerst peinlich zu empfinden), um sodann nach Annahme der Vergünstigung ein derart starkes Peinlichkeitsgefühl zu entwickeln, daß ihm ein normativ freier Entscheidungsprozeß nicht länger möglich ist692. Die der bisherigen Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs zugrundeliegenden Leitaspekte erscheinen aus diesem und anderen Gründen693 letztendlich – selbst bei Differenzierung je nach Situation im Ladenlokal – psychologisch nicht hinreichend fundiert, zu allgemein umrissen694 und dadurch insgesamt – zu Lasten der Verbraucher, die ja auch ein 688
S. zuletzt zutreffend OLG Köln, GRUR-RR 2005, 194, 195 – Gewinnspiel. Auf die diesbezüglich nach Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung rasant gewandelten Marktverhältnisse hatte schon in der Literatur etwa Schmits, NJW 2003, 3034 f., hingewiesen. 689 Gegen Scherer, WRP 2005, 672, 675. Demgegenüber insoweit zutreffend Steinbeck, GRUR 2005, 540, 545 f. 690 Eben dies garantieren unter Geltung des neuen UWG die Beispielstatbestände des § 4 Nr. 4 und 5 UWG und folgen damit – ganz ähnlich wie der europäische Entwurf einer Verkaufsförderungs-VO (s. Vorschlag für eine Verordnung über die Verkaufsförderung im Binnenmarkt v. 2. Oktober 2001, Dok. KOM (2001) 546; geänd. Fassung Dok. KOM (2002) 585 endg.; sowie geänd. Fassung v. 15.5.2003 (Dok. 9416/03)) – einem in erster Linie informationsorientierten Konzept. S. zuletzt zu diesem Bereich Heermann, WRP 2005, 141 ff. 691 Für die Weiterentwicklung dieser Facette des Verbraucherleitbilds letzthin insbesondere Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 1, Rz. 32; zustimmend Lettl, Rz. 43. 692 Auf diesen inneren Widerspruch weist zuerst Weiler, WRP 2002, 871, 872 f., hin; zustimmend Scherer, WRP 2005, 672, 675. Diesen Aspekt würdigt wiederum im Zusammenhang mit Werbegeschenken Steinbeck, GRUR 2005, 540, 545 f., nicht hinreichend. 693 Insoweit wurde neben dem von Weiler, aaO., präzise aufgedeckten inneren Widerspruch insbesondere (mehr oder weniger pauschal) auf das neue Verbraucherleitbild (s. etwa Weiler, WRP 2002, 871, 875 f.; Ohly, GRUR 2004, 889, 897: durchschnittlich „standhafter“ Verbraucher; Ohly, GRUR 200Ohly Scherer, WRP 2005, 672, 675) und die Entwicklung der Markrealität hin zu einer regelrechten Erwartungshaltung bezüglich Werbegeschenken verwiesen, die Peinlichkeitsgefühle als reine Fiktion erscheinen lasse (s. Emmerich, S. 227 ff.; Harte/HenningStuckel, § 4 Nr. 1, Rz. 92 f.; Fezer-Scherer, § 4–2, Rz. 92 f.). 694 Weiterführend aber zuletzt die differenzierte Analyse bei Steinbeck, GRUR 2005, 540 ff. Für eine differenzierte Aufrechterhaltung der Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs zu Recht auch Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.33, 1.111; Gloy/Loschelder-JaegerLenz, § 68, Rz. 92; § 69, Rz. 6. Die zutreffenden Wertungsaspekte, um den verbleibenden sinnvollen Anwendungsbereich für die Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs differenzierter zu umreißen, ergeben sich dabei nach der hier vertretenen Auffassung gerade aus dem Vergleich mit aktuellen Versuchen, hinsichtlich unzulässiger direkten Beeinflussung des Entscheidungs-
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Interesse an der Wahrnehmung derartiger Vergünstigungen haben 695 – zu weitgehend und streng696. Entsprechend könnte ein Schutz der Entscheidungsfreiheit im Zivilrecht, der tatsächlich den freien Ablauf des Entscheidungsprozesses (nicht: die Sachlichkeit der resultierenden Entscheidung) im Einklang mit § 241 Abs. 2 BGB697 in den Mittelpunkt der Rücksichtnahmepflichten rückt, schwerlich an der bisherigen Rechtsprechung zum psychologischen Kaufzwang orientiert werden698. So sind auch in der Tat die insoweit letzthin in der Literatur entwickelten und konkretisierten zivilrechtlichen Ansätze im Ergebnis – unabhängig von der dogmatischen Konstruktion über § 123 BGB analog oder über §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB – bei der Konstruktion entsprechender Rücksichtnahmepflichten (bzw. analog zum Drohungstatbestand begründeter Anfechtungsmöglichkeiten) deutlich zurückhaltender. So wird aufgrund rechtsvergleichender699 und tatsachenorientierter700 Analysen für eine pflichtwidrige Einflußnahme auf den ungestörten Entscheidungsprozeß etwa eine Instrumentalisierung naher Angehöriger, eine echte Überprozesses tragfähige zivilrechtliche Maßstäbe für das Pflichtenprogramm nach § 241 Abs. 2 BGB zu entwerfen, s. dazu sogleich im folgenden Text. 695 Den hierdurch entstandenen Wohlfahrtsverlust betonte schon recht frühzeitig Emmerich, in: FS Gernhuber, S. 857, 866. Vgl. auch grundlegend Sosnitza, Wettbewerbsbeschränkungen, S. 42 ff. 696 Sogar (wohl zu weitgehend) für eine gänzliche Aufgabe der Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs daher Weiler, WRP 2002, 871, 876 (der aber genaugenommen nur den Fall der Wertreklame und der Gewinnspiele untersucht); Scherer, WRP 2005, 672, 676; Berlit, Wettbewerbsrecht, Rz. 99 ff., 103; Emmerich, S. 227 ff.; Harte/Henning-Stuckel, § 4 Nr. 1, Rz. 59 ff.; Fezer-Scherer, § 4–2, Rz. 99 ff. Demgegenüber insoweit nicht eindeutig Schmits, NJW 2003, 3034 f.; Ohly, GRUR 2004, 889, 897. 697 Nach § 241 Abs. 2 BGB sind es die „Interessen“ des „anderen Teils“, die geschützt sind (und seine Entscheidungsfreiheit mit umfassen, vgl. Begründung des Regierungsentwurfs BTDrs. 14/6040, S. 126); für die Berücksichtigung rein institutioneller Interessen oder dem Interesse der Konkurrenten an „sachlichem“ Leistungswettbewerb (allein orientiert an Qualität und Preiswürdigkeit der angebotenen Waren) bleibt insofern kein Raum. Andererseits folgt auch das neue UWG nicht länger dem Leitbild des Leistungswettbewerbs, sondern orientiert sich – wie in § 4 Nr. 1 UWG für den hier interessierenden Bereich ausdrücklich festgehalten – ebenfalls ausschließlich am Schutz der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher, die gerade nicht durch paternalistische Vorgaben hinsichtlich der „Sachlichkeit“ ihrer Entscheidung eingeschränkt werden soll, vgl. dazu und zum nach neuester Rechtsprechung und neuem Recht demnach letztlich doch möglichen Abgleich mit vertragsrechtlichen Maßstäben des vorvertraglichen Schutzes der Entscheidungsfreiheit sogleich im folgenden Text. 698 Daher letztlich insoweit – trotz der schutzzweckorientierten Differenzierung – für den damaligen Zeitpunkt wohl unzutreffend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 488 ff., mit dem Vorschlag einer weitreichenden Orientierung an den Maßstäben des lauterkeitsrechtlichen Richterrechts. Auffällig ist insoweit auch, daß die von Lorenz, aaO., S. 498 ff., letztlich entwickelten inhaltlichen Maßstäbe für vorvertragliche Verhaltenspflichten zum Schutz vor direkter Beeinflussung des freien Entscheidungsprozesses durch positives Tun im Ergebnis sehr viel zurückhaltender sind, als es der damaligen Rechtsprechung zu § 1 UWG entsprochen hätte. 699 So insbesondere Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 453 ff. mwN. 700 S. insbesondere Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 165 ff., 630 ff. (mit weiteren Nachweisen auch aus der psychologischen Literatur).
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rumpelungssituation mit Überraschungseffekt oder aber – für den hier interessierenden Bereich – eine psychische Drucksituation von derartiger Intensität gefordert, daß es dem Umworbenen nicht möglich ist, sich noch frei zu entscheiden, weil er etwa unangemessenem Zeitdruck oder aber einer sonstigen psychischen Bedrängnis in Richtung auf einen Vertragsschluß ausgesetzt wird, der er sich mangels Ausweichmöglichkeiten nicht entziehen kann701. Derartige Situationen sind aber – insbesondere mit vergleichendem Blick auf die letztendlich in jedwedem Ladenlokal ohne weiteres bestehenden Ausweichmöglichkeiten im Falle „schlichten“ psychologischen Kaufzwangs im bisherigen wettbewerbsrechtlichen Sinne – durch eine deutlich höhere, qualifizierte Intensität der unmittelbaren oder psychisch vermittelten Einflußnahme gekennzeichnet, die es erst gestattet von einer relevanten Verzerrung des ungestörten Ablaufs des Entscheidungsprozesses auszugehen. c. Differenzierung der beteiligten Interessen, Geltung des Gleichmaßgrundsatzes und Wechselwirkung des zivilrechtlichen Maßstabs mit der Liberalisierung der Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs Tatsächlich bedeutet die – demnach unumgängliche – Ablehnung der alten wettbewerbsrechtlichen Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs als Anknüpfungspunkt zivilrechtlicher Rücksichtnahmepflichten bezüglich des Entscheidungsprozesses des Vertragspartners702 jedoch bei genauem Hinsehen nicht den Verzicht auf die Geltung des Gleichmaßgebots für diesen Bereich703. Vielmehr umreißt – genau umgekehrt – für den Bereich potentieller direkter Beeinflussungen des Entscheidungsprozesses das zivilrechtliche Programm an Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB für das Lauterkeitsrecht den Bereich verbraucherinteressenorientiert begründbaren Schutzes des Entscheidungsprozesses gegen direkte Beeinflussung. Denn was schon in der individuellen Sonderbeziehung nicht genügen kann, um eine pflichtwidrige Beeinflussung des Entscheidungsprozesses zu begründen, kann – sofern nicht konkrete institutionelle Interessen oder Interessen von Konkurrenten eine Abweichung vom Gleichmaßgebot rechtferti701 S. grundlegend Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 498 ff.; im Ergebnis durchaus ähnlich Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 632 ff. mwN (im Rahmen seines Lösungsvorschlags über eine analoge Erweiterung des § 123 Abs. 1 BGB). 702 Klar gesehen wird die diesbezügliche Unvergleichbarkeit der Wertungen nach damaligem Stand bei Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 575 ff.; s. auch ders., WRP 2003, 423, 430, wobei sein dortiges pauschales Fazit im Sinne eines Schutzes rein sachlicher Entscheidungen im Wettbewerbsrecht für den Stand des Jahres 2003 der schon zu diesem Zeitpunkt zunehmend situationsspezifisch differenzierenden und zurückhaltenden Rechtsprechung (vgl. nur deutlich BGH GRUR 2000, 820, 821 f. – Space Fidelity Peep Show) nicht mehr vollends gerecht werden dürfte (vgl. insoweit auch schon o. Fn. 681). 703 Vgl. aber im Ergebnis mit dieser fehlerhaften Konsequenz Weiler, aaO., der die Umorientierung auch des Wettbewerbsrechts auf das Leitkriterium der Freiheit der Verbraucherentscheidung (s. nur Scherer, WRP 2005, 672, 674 f.), die schon zum damaligen Zeitpunkt unübersehbar war, schlicht unterschätzt.
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gen – erst recht nicht im vorgelagerten Bereich massenhafter werblicher Ansprache ausreichen, um eine relevante Verzerrung der Verbraucherentscheidungen zu bejahen. Spezifisch institutionelle Interessen, die schärfere Maßstäbe im Wettbewerbsrecht rechtfertigen könnten, sind aber für den Bereich des psychologischen Kaufzwangs im Regelfall704 nicht ersichtlich, da die nur massenhafte Addition jeweils für sich genommen normativ unverzerrter, da zivilrechtlich gebilligter Verbraucherentscheidungen aufgrund zivilrechtlich legitimer Einflußformen705 – anders als etwa im Belästigungsschutz, wo es zu einer Intensivierung der Belastung des einzelnen Betroffenen durch Nachahmereffekte kommt – nicht zu einer Verschlimmerung einer gerade noch zivilrechtlich zulässigen Situation im Einzelfall, sondern vielmehr allein zu deren – grundsätzlich zu akzeptierender – Vervielfältigung – bei im Einzelfall stets gleichbleibender Intensität – führt706. Nachdem eine Abweichung vom Gleichmaßgebot aufgrund der besonderen Berücksichtigung institutioneller Interessen im Wettbewerbsrecht also erwartungsgemäß scheitert, vermöchten allenfalls die involvierten Konkurrenteninteressen insofern strengere Maßstäbe im Wettbewerbsrecht mit Blick auf den psychologischen Kaufzwang zu rechtfertigen. Doch ist insofern sorgsam zu unterscheiden: Wenn und soweit der Einsatz einer bestimmten Form der Wertreklame – etwa weil das beworbene Sonderangebot nicht hinreichend bevorratet ist oder weil ein bestimmtes Lockangebot ein bestimmtes Preisniveau des gesamten Sortiments suggeriert, das dann letztlich in der Breite nicht gegeben ist – zu einer übertriebenen Anlockung der Verbraucher auf Basis unzutreffender Erwartungen führt, mögen in der Tat gerade Konkurrenteninteressen – nämlich der Schutz vor dann wiederum „freien“ Verbraucherentscheidungen, die sozusagen „bei Gelegenheit“ getroffen werden, nachdem der Verbraucher in ein Ladenlokal gelockt wurde (wo er das erwartete Sonderangebot nicht vorrätig, das erwartete Preisniveau nicht vorhanden fand, dann aber doch ein anderes Produkt oder das gewünschte Produkt zu einem höheren Preis als ursprünglich beabsichtigt erworben hat) – durch die 704 S. für eine denkbare Ausnahmesituation zuletzt OLG Köln, GRUR-RR 2005, 194, 195 f. – Gewinnspiel, wo mit Blick auf das streitgegenständliche Gewinnspiel erwogen wird, ob insofern eine Behinderung von kleineren Mitbewerbern vorliegen könne, als diese zu einem vergleichbaren Kapitalansatz für Gewinnspiele wie ein großer Konkurrent nicht imstande wären und zudem (wegen der kleineren Ladenlokale) nicht in vergleichbarer Weise Anonymität und Unbefangenheit der Gewinnspielteilnehmer sichern könnten. In aller Regel dürften die insoweit sich ergebenden Nachteile kleinerer Unternehmen (insbesondere hinsichtlich des möglichen Kapitaleinsatzes) aber gerade dem Wettbewerb immanent sein und insofern kein geeignetes Abgrenzungskriterium für eine wettbewerbsrechtlich unzulässige Behinderung bilden (so im Ergebnis auch OLG Köln, GRUR-RR 2005, 196). 705 Die normative Differenzierung ist hier jedenfalls stets notwendig, da ein gewisses Maß an Einflußnahme – auch Druck – dem Wesen des Vertragsschlußmechanismus und des Wettbewerbs gerade immanent ist, vgl. grundlegend auch schon Mot. I S. 204, demzufolge es ein Recht geben kann, „einen anderen zur Abgabe einer Willenserklärung zu nöthigen“, was eben nur nicht durch „rechtswidrige“ Beeinflussung geschehen darf. 706 S. grundlegend oben 1. Kap. 3. Abschn. E I.
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Umlenkung zusätzlich betroffen sein, während die Freiheit der wirtschaftlichen Entscheidung der Verbraucher über den Erwerb des beworbenen Angebots genaugenommen gar nicht tangiert ist. Beeinflußt wird vielmehr nur die Entscheidung der Verbraucher, das Ladenlokal aufzusuchen, was seinerseits wiederum ein anderes Verbraucherinteresse, nämlich das Interesse, nicht zu frustrierten Vermögensdispositionen in Richtung auf einen dann letztlich nicht möglichen Vertragsschluß gelockt zu werden, betrifft, nicht aber das Interesse, eine hinsichtlich des Entscheidungsprozesses unverzerrte Entscheidung über den eigentlich beabsichtigten Vertragsschluß selbst zu treffen. Insoweit kommt auch aus Verbrauchersicht zivilrechtlich nicht etwa eine Lösung von den resultierenden, zwar unter Umständen mit unlauteren Mitteln in den eigenen Geschäftsbereich umgelenkten, aber doch frei geschlossenen Verträgen auf dem Weg über einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten in Betracht. Aus der Sicht der Verbraucher könnte allenfalls – sofern sie letztlich, nachdem sie der unzutreffenden oder übertriebenen Anlockung erlegen waren, keine anderweitigen Verträge abschließen – ein Anspruch auf Ersatz frustrierter Kosten für Anfahrt o.ä. entstehen. Das Schutzgut der Entscheidungsfreiheit und die hieraus abgeleitete Pflicht, bestimmte Formen direkter Einflußnahme auf den Entscheidungsprozeß potentieller Vertragspartner zu unterlassen, ist in derartigen Anlockungssituationen demgegenüber gar nicht betroffen. Die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung707 unterscheidet diese Situationen unlauterer übertriebener Anlockung durch Wertreklame auch idealerweise säuberlich von Situationen psychischen Kaufzwangs, in denen es gerade die Beeinträchtigung der Freiheit des Entscheidungsprozesses der Verbraucher sein soll, die – insoweit unabhängig vom Schutz der Konkurrenten vor bloßer Anlockung betrachtet, da diese Gegenstand eigenständiger Betrachtung ist – das Unlauterkeitsverdikt rechtfertigt. Ist aber demnach Perspektivpunkt auch des wettbewerbsrechtlichen Schutzes vor psychologischer Beeinflussung des Entscheidungsprozesses in der Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs – mindestens unter Geltung des § 4 Nr. 1 und 2 UWG – letztlich doch in erster Linie die Freiheit der Verbraucherentscheidung, nicht etwa deren Sachlichkeit und auch nicht – wie im Falle des hinsichtlich der Interessenlage und der gegebenenfalls resultierenden Schadensersatzansprüche sauber abzugrenzenden übertriebenen Anlockens – eigenständig mit berücksichtigte Konkurrenteninteressen (sondern vielmehr nur deren reflexartige, gewissermaßen durch die verzerrte Verbraucherentscheidung erst vermittelte Beeinträchtigung), dann müssen die insoweit zugrundegelegten Wertmaßstäbe mit Blick auf die notwendige Schutzintensität für die Freiheit des Entscheidungsprozesses vor Beeinflussung708 dieselben sein, wie sie dem (letzthin in mehreren Untersuchungen konkret formulierten) zivilrechtlichen Schutz der Entscheidungsfreiheit zugrundeliegen. Unter Geltung der diesbezüglich entwickelten zivilrechtlichen Maßstäbe dürfte etwa ein 707
S. nur zuletzt BGH GRUR 2002, 1000, 1001 f. – Wertreklame im Versandhandel mwN. Oder, um es umgekehrt zu formulieren: mit Blick auf das gerade noch hinzunehmende Maß an vorvertraglicher Beeinflussung durch Wertreklame. 708
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bloßes vorgelagertes und (potentielle) Peinlichkeits- oder Dankbarkeitsgefühle auslösendes Gratis- oder Gewinnspielangebot – solange der Kunde freiwillig und wohlinformiert auf dieses Angebot einging709 und solange er insbesondere die Möglichkeit hat, nach Annahme des Angebots grundsätzlich frei das Ladenlokal zu verlassen710 – gerade nicht genügen, um eine i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB pflichtwidrige Beeinflussung (oder eine Anfechtungsmöglichkeit analog § 123 Abs. 1 BGB) anzunehmen. Vielmehr wäre zivilrechtlich eine über die bloße Nutzung von Peinlichkeitsgefühlen hinausgehende Form intensiverer Einflußnahme auf den Kunden – etwa im Sinne einer vorhergehenden Fehlinformation samt daraus resultierendem Überraschungseffekt mit Überrumpelungscharakter, der bewußten Schaffung und Nutzung von Zeitdruck, eines Verweigerns des Verlassens des Ladenlokals oder die Schaffung vergleichbar bedrängender Situationen, in denen aus welchen Gründen auch immer eine Ausweichmöglichkeit nicht besteht711 – zu fordern, um eine Pflichtwidrigkeit unter § 241 Abs. 2 BGB (oder eine einer widerrechtlichen Drohung wertungsgleiche Form der Beeinflussung) zu bejahen. Diese zivilrechtliche Wertung ist dann aber nach der hier vertretenen Auffassung, da eine konkrete Rechtfertigung abweichender Maßstäbe nicht erkennbar ist, auch für das Lauterkeitsrecht zu akzeptieren. Der Vergleich mit dem zivilrechtlichen Maßstab des Schutzes vor unzulässigen Beeinflussungen des Entscheidungsprozesses hilft insofern bei der – aufgrund der Formulierung der Beispielstatbestände des neuen UWG, welches in § 4 Nrn. 1 und 2 UWG eben nurmehr auf die Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit abhebt, gebotenen – sauberen Differenzierung der Unlauterkeitsbegründung in den einzelnen Fallgruppen. Ein sozusagen aus Verbraucher- und Konkurrenteninteressen „zusammengemengter“ Schutz vor psychologischem Kaufzwang kommt jedenfalls nicht länger in Betracht. Psychologischer Kaufzwang kann sich allein aus der Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher ergeben – und die Orientierung, wann diese aus normativer Sicht nicht länger rechtlich hinzunehmen ist, bietet gerade der Vergleich mit dem diesbezüglichen zivilrechtlichen 709 Andernfalls könnte nämlich auch unter Geltung der in der Literatur angedachten zivilrechtlichen Maßstäbe die Schaffung einer Überrumpelungssituation mit Überraschungscharakter vorliegen, s. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 498 f. 710 S. zu diesem entscheidenden Aspekt Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 499 mwN. 711 Hier bliebe etwa wettbewerbsrechtlich ein denkbarer Anwendungsbereich für Situationen, wie in BGH GRUR 1998, 475 – Erstcoloration: Denn immerhin lag der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt insofern in gewissem Umfang besonders, als die Ausweichmöglichkeit der Kunden (die sich hierauf zwar freiwillig eingelassen hatten) aufgrund der Dauer der Colorationsbehandlung beim Friseur, während derer sie schwerlich sich einem etwaigen Einfluß durch Verlassen des Ladenlokals entziehen konnten, für einen nicht unerheblichen Zeitraum substantiell eingeschränkt war. Angesichts der Tatsache, daß sich die Kunden freiwillig in diese Situation begeben hatten, mag man insoweit die Schwelle psychologischen Kaufzwangs noch nicht erreicht sehen; wäre aber in einer ähnlichen Situation im Vorfeld nicht hinreichend klar, daß für einen längeren Zeitraum keine Ausweichmöglichkeit besteht, so vermöchte dies wohl einen der verbleibenden Fälle psychologischen Kaufzwangs zu begründen.
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Maßstab, demzufolge bestimmte Zusatzumstände im Mittelpunkt stehen, die sich unter den Leitkriterien des Überraschungseffekts der Situation, bestehender Ausweichmöglichkeiten und der Frage nach sonstigen weiterreichenden Einflußnahmen, wie insbesondere der Generierung von Zeitdruck, einordnen lassen712. Unter dieser Perspektive betrachtet, liegt daher die Fehleinschätzung derjenigen Autoren, die eine Vergleichbarkeit der Maßstäbe mit dem Lauterkeitsrecht für diesen Bereich wegen der bisher strengeren wettbewerbsrechtlichen Maßstäbe kategorisch ablehnen713, wohl darin begründet, daß sie in diesem Zusammenhang stets allein an einen einbahnstraßenartigen „Import“ des insoweit durch Richterrecht weiter entwickelten lauterkeitsrechtlichen Pflichtenmaßstabs in den Bereich vorvertraglicher Pflichtverletzungen denken (und diesen zu Recht für die bisherige Rechtslage im Lauterkeitsrecht ablehnen), dabei aber den unvermeidbaren Wechselwirkungscharakter eines Abgleichs der jeweiligen Pflichtenprogramme übersehen, aus dem sich – da das lauterkeitsrechtliche Richterrecht zum bisherigen UWG (zumal unter Geltung des neuen UWG) ja nicht im Sinne einer lex lata a priori zu akzeptieren ist – auch (und nach den der Schaffung des neuen UWG zugrundeliegenden Intentionen, wie sie in der Schutzzweckklausel ihren Ausdruck gefunden haben, nunmehr zwingend714) gerade ein Gebot ergeben kann, das (zu strenge) lauterkeitsrechtliche Richterrecht den liberaleren und mittlerweile in der Literatur gleichfalls konkretisierten Vorgaben des Zivilrechts anzupassen. Es steht daher mit Blick auf direkte Beeinflussungen des Entscheidungsprozesses mehr die vorrangige zivilrechtliche Wertung im Blickpunkt der Wechselwirkung zwischen dem Pflichtenprogramm für latent vorwirkende Pflichten aus der Sonderbeziehung i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB und dem lauterkeitsrechtlichen Maßstab hinsichtlich der Schaffung psychologischer Kaufzwänge im Wettbewerb. Insoweit ergibt sich aus der zivilrechtlichen Wertung, die letzthin für diesen Bereich mehr und mehr konkretisiert wird, daß jedenfalls die angestammten Situationen vermeintlichen psychologischen Kaufzwangs, in denen sich die Unfreiheit der Verbraucherentscheidung allein aus Peinlichkeitsgefühlen, die aus der Annahme bestimmter Gratisgaben resultieren sollen, ergibt, auch wettbewerbsrechtlich nicht länger als unlauter i.S.d. § 4 Nr. 1, § 3 UWG qualifiziert werden können, solange nicht bestimmte zusätzliche Umstände – insbesondere mangelnde oder gar bewußt versperrte Ausweichgelegenheit, zusätzliche verbale Provokation von Peinlichkeitsgefühlen oder „Gruppenzwang“715 – hinzutreten, die den Einfluß auf den Entscheidungsprozeß über das bloß schlichte Peinlichkeitsgefühl, das mit der 712 Vgl. bezeichnenderweise ganz ähnlich für die neuen, differenzierten Konturen des verbleibenden Bereichs psychologischen Kaufzwangs Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 4, Rz. 1.33. 713 So insbesondere Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 575 ff. 714 S. für die herrschende Meinung (und mit unmittelbarem Fokus auf den hier betrachteten Bereich) Scherer, WRP 2005, 672, 674 f. 715 Daß derartige Verkaufstechniken durchaus an der Tagesordnung sind, belegen einschlägige Berichte der Tagespresse, s. etwa nochmals Neumaier, „Und das jetzt bitte keiner rausgeht!“, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 142 vom 23. Juni 2005, S. 47. Vgl. zu psychischer Überwälti-
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Konfrontation in einem Ladenlokal verbunden ist, hinausgehend intensivieren. Für diesen Bereich wird also von denjenigen Autoren, die im Sinne einer Art „Brandmauerthese“ die Geltung eines Wertungsgleichmaßes zwischen wettbewerbsrechtlichem und zivilrechtlichem Schutz des Entscheidungsprozesses ablehnen, aufgrund der (zum alten Recht noch berechtigten) Sorge, falsch justierte lauterkeitsrechtliche Wertungen könnten auf diesem Wege die zutreffende, zurückhaltende vertragsrechtliche Pflichtenbestimmung sozusagen „infiltrieren“ und unterwandern, die Chance vertan, für beide Bereiche einheitlich „richtige“ Maßstäbe typisierten Schutzes vor massenhafter unzulässiger Beeinflussung des Entscheidungsprozesses zu entwickeln und insoweit die berechtigte und unterstützenswerte Liberalisierungstendenz im neuen Lauterkeitsrecht gerade für diesen Komplex aus dem Vergleich mit der vertragsrechtlichen Wertung entscheidend zu stärken. Hinzu kommt, daß von einer wettbewerbsrechtlich auf die Gewährleistung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher ausgerichteten Konzeption dann auch wiederum das Zivilrecht insofern profitieren kann, als die diesbezügliche unzweifelhaft reiche wettbewerbsrechtliche Erfahrung – sofern die Orientierung auf die Entscheidungsfreiheit ernstgenommen (und bei Einbeziehung alten Richterrechts korrigierend berücksichtigt wird) – helfen mag, die relevanten Zusatzumstände zu identifizieren, die letztlich doch zu einer pflichtwidrigen Störung des Entscheidungsprozesses durch aggressive Praktiken führen können. Einige Beispiele zur „Eichung“ des Maßstabs bezüglich derartiger Zusatzumstände, die den Einfluß auf den freien Entscheidungsprozeß hinreichend intensiv erscheinen lassen, um – insoweit nun eben wiederum (nach dem Gleichmaßgrundsatz) ex aequo – sowohl wettbewerbsrechtlich eine Unlauterkeit i.S.d. §§ 4 Nr. 1, 3 UWG wie auch zivilrechtlich eine Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB zu bejahen, geben nunmehr die per se-Verbote der Unlauterkeits-RL für „Agressive Geschäftspraktiken“ im Anhang I zur Richtlinie. Denn da das Konzept der aggressiven Geschäftspraktiken i.S.d. Art. 8 Lauterkeits-RL in der Tat zum entscheidenden Bezugspunkt der Wertung die Freiheit der Verbraucherentscheidung erhebt, können die diesbezüglichen Wertungen – wie sie nunmehr in das deutsche Recht umzusetzen sind716 – in der Tat sowohl im Wettbewerbsrecht als auch unter § 241 Abs. 2 BGB, soweit es um typisierte Formen direkten Einflusses auf den freien Entscheidungsprozeß im Rahmen der vorvertraglichen Sonderbeziehung geht, einen beispielhaften Maßstab für die in diesem Bereich künftig gebotene Schutzintensität (oder den Grad der Materialisierung der Privatautonomie) liefern. Angeführt werden – als gung durch Hypnose und Gehirnwäschetätigkeiten in neuen religiösen Bewegungen und Psychogruppen ausführlich Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 166 ff. 716 Wobei für die Umsetzung der „blacklist“ des Anhangs I der Lauterkeits-RL zu aggressiven Geschäftspraktiken eine Aufnahme der Liste in die Gesetzesmaterialien zum Umsetzungsgesetz nach richtiger Auffassung genügen dürfte, so Köhler, GRUR 2005. 793, 797; a.A. Seichter, WRP 2005, 1087, 1095: einfachster Weg, die Liste sinnentsprechend und unter Berücksichtigung der bereits bestehenden Beispielstatbestände in das nationale Recht zu übernehmen; Glöckner/ Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1323. Entschieden für Umsetzung im Gesetzestext Fezer, WRP 2006, 781, 783 f.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Extrembeispiele für den hier interessierenden Bereich – etwa das Erwecken des Eindrucks, der Verbraucher könne die Räumlichkeiten ohne Vertragsabschluß nicht verlassen, die Nichtbeachtung der Aufforderung des Verbrauchers, seine Wohnung zu verlassen, hartnäckige Beeinflussung mit Mitteln der Direktkommunikation717 sowie bestimmte Formen der Täuschung im Zusammenhang mit Gewinnspielen718. Hinzu kommt das System beweglicher Beurteilungsfaktoren für die Feststellung einer aggressiven Geschäftspraxis, wie es Art. 9 LauterkeitsRL etabliert und zu den Faktoren wie Zeitpunkt, Ort, Art oder Dauer der Praxis, die Verwendung drohender oder beleidigender Formulierungen oder Verhaltensweisen, die Ausnutzung konkreter Unglückssituationen o.ä. und einige weitere indizielle Umstände zählen. Dieser Maßstab der Lauterkeits-RL umreißt nun künftig sozusagen gerade den Kernbereich lauterkeitsrechtlicher Verbote aggressiver Geschäftspraktiken, in dem es tatsächlich um den Schutz der Entscheidungsfreiheit geht. Insoweit – und damit im neuen UWG in erster Linie für die Bereiche des § 4 Nrn. 1 und 2 UWG – stehen die rechtlichen Maßstäbe im Wettbewerbsrecht und bezüglich des Pflichtenprogramms in der vorvertraglichen Sonderbeziehung wieder in einer Wechselbeziehung, die die wechselseitige Angleichung der Maßstäbe gestattet, soweit es um typisierte Orientierung an der „typischen“ Empfindsamkeit des Durchschnittsverbrauchers geht719. Soweit die Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung im Recht des unlauteren Wettbewerbs gerade unter dem Aspekt psychologischen Kaufzwangs begründet wird, ist sie künftig an diesem weitaus strengeren Maßstab zu messen, was dazu führen wird, daß die bisherigen Fälle „schlichten“ psychologischen Kaufzwangs aufgrund bestimmter Formen von Wertreklame lauterkeitsrechtlich künftig in der Regel, d.h. ohne Hinzutreten der vorgenannt typisierten qualifizierenden Aspekte (Überrumpelungseffekt, Ausweichmöglichkeit, Zeitnot), unbedenklich sein werden720. Darüber hinaus bleiben zwar auch künftig 717 Vgl. zum diesbezüglichen Verhältnis zu sonstigen gemeinschaftsrechtlichen Regeln der werblichen Direktansprache schon Leistner, Unfair Competition or Consumer Protection, in: Bell/Kilpatrick (eds), Cambridge Yearbook of European Legal Studies 2003/2004, S. 141, 164 ff. mwN. Nunmehr mit Blick auf die anstehende Umsetzung der Lauterkeits-RL auch nochmals Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311, 1333. 718 Das insoweit in erster Linie auf bewußte Fehlinformationen über die Bedingungen bestimmter Gewinnspiele ausgerichtete Fallbeispiel unterfällt im deutschen Recht entweder dem Irreführungstatbestand oder doch zumindest § 4 Nr. 5 UWG. Auch insoweit genügt daher nach der hier vertretenen Auffassung eine Erwähnung der Praxis in den Materialien eines allfälligen Umsetzungsgesetzes, vgl. o. Fn. 716 mwN. 719 S. für Überlegungen einer weitergehenden Konkretisierung des Verbraucherleitbilds in diese Richtung schon die Nachweise o. Fn. 691. 720 So im Ergebnis auch die herrschende Meinung in der Literatur, s. die Nachweise o. Fn. 696 für eine (hier nicht befürwortete) gänzliche Abschaffung sowie o. Fn. 694 für eine wesentlich eingeschränkte, genuin auf den Schutz der Entscheidungsfreiheit ausgerichtete Aufrechterhaltung der Fallgruppe, für deren neue Umrisse nach der hier vertretenen Auffassung gerade der Vergleich mit aktuellen vertragsrechtlichen Konzeptionen des schadensersatzrechtlichen Schutzes der Entscheidungsfreiheit im Rahmen der vorvertraglichen Sonderbeziehung hilfreich sein kann.
4. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit reflexartiger Ordnungsfunktion
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im deutschen Recht (unter § 7 UWG) weitergehende, strengere Maßstäbe des reinen Belästigungsschutzes und insbesondere des Schutzes vor übertriebenem oder irreführendem Anlocken möglich, die jedoch dann nicht allein mit dem Schutz der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher begründet werden dürfen, sondern die ein anders gelagertes Interesse – der Konkurrenten und gegebenenfalls auch wiederum der Verbraucher –, nicht in pflichtwidriger Weise in ein bestimmtes Ladenlokal gelockt und dadurch hinsichtlich ihrer Entscheidungsumgebung „umgelenkt“ zu werden, betreffen. d. Zwischenfazit Insgesamt stellt sich somit der Wechselwirkungsprozeß des wettbewerbsrechtlichen und des typisiert vorvertraglichen Pflichtenprogramms für den Bereich des Schutzes des Entscheidungsprozesses vor direkter Einflußnahme deutlich komplexer dar, als im Bereich des Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage. Dies ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, daß sich in diesem Bereich bis etwa Mitte der neunziger Jahre unter dem Mantel des „Verbraucherschutzes“ bestimmte Vorstellungen eines sachlichen „Leistungswettbewerbs“ im UWG doch gehalten hatten721, die erst jetzt unter dem Eindruck verfassungsgerichtlicher und europäischer Vorgaben722 einer genuinen Orientierung auf die Freiheit der Verbraucherentscheidung gewichen sind723. Dieser Liberalisierungsprozeß wiederum läßt sich aber, wie gezeigt wurde, gerade auch aus einem Vergleich mit den diesbezüglich im Zivilrecht aktuell entwickelten (und von vornherein deutlich liberaleren) Wertungen unterstützen und erklären. Die insoweit nunmehr – nach Jahrzehnten einer zwischen beiden Rechtsgebieten in dieser Frage aufklaffenden Wertungsschere – zu beobachtende Konvergenzbewegung bietet zugleich ein Beispiel des zeitlichen Komplementaritätsprozesses, wie er zwischen Wettbewerbs- und Vertragsrecht in dieser Studie vermutet und an Einzelbeispielen bestätigt wurde724. Sofern und soweit die Liberalisierungstendenz im Wettbewerbsrecht im Rahmen der Rechtsprechung zum neuen UWG unter § 4 Nrn. 1 und 2, 3 UWG unumkehrbar und durch die neue, auch in diesem Bereich allein auf die Freiheit der Verbraucherentscheidung orientierte Konzeption europäischen Rechts zwingend fortgeführt wird, ist daher wiederum letztlich auch die wechselseitige Befruchtung der rechtlichen Maßstäbe im Wettbewerbsrecht und bezüglich des typisierten vorvertraglichen Pflichtenprogramms nach § 241 Abs. 2 BGB nicht nur wün-
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S. für die diesbezügliche Kritik die Nachweise o. Fn. 681 und 695. S. Ohly, GRUR 2004, 889, 900. 723 S. statt aller nur für den hier interessierenden Bereich Scherer, WRP 2005, 672, 674 f. mwN. Allgemein zutreffend Ohly, GRUR 2004, 889, 897: Gefahr übermäßiger und unzeitgemäßer Wettbewerbsbeschränkungen an dieser Stelle besonders groß. 724 Vgl. grundlegend oben 1. Kap. 3. Abschn. F III. 722
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
schenswert, sondern unter Berücksichtigung des Gleichmaßgrundsatzes auch geboten. Nachdem vorstehend die grundsätzliche Möglichkeit einer vom Gleichmaßgrundsatz bestimmten Wechselwirkung des vorvertraglichen Pflichtenprogramms nach § 311 Abs. 2, Abs. 3 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB mit wettbewerbsrechtlichen Maßstäben des Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage und des unbeeinflußten Entscheidungsprozesses der Verbraucher bejaht und in ihren Konsequenzen näher veranschaulicht wurde, sollen im folgenden noch einige berechtigte Bedenken prinzipieller Natur widerlegt werden, die sich gegen einen derartigen Abgleich der Maßstäbe für Wettbewerbshandlungen und für Akte zur Etablierung bzw. innerhalb der vorvertraglichen Sonderbeziehung richten.
3. Bedenken gegen den differenzierten Import lauterkeitsrechtlicher Prüfmuster und Judikate Soweit ganz allgemein der Einwand erhoben wird, die typisierten Maßstäbe des Wettbewerbsrechts seien dem grundsätzlich individuell zu bestimmenden Pflichtenprogramm in der vorvertraglichen Sonderbeziehung fremd725, wurde diese Überlegung bereits oben als letztlich schon dem Entwicklungsstand der Haftung aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB nicht gerecht werdend (da deren hohen Typisierungsgrad in etablierten und das Rechtsinstitut prägenden Fallgestaltungen verkennend) widerlegt726. Weiter ließe sich dogmatisch absolut zutreffend argumentieren, daß Wettbewerbsrecht binde mit seinen deliktsrechtlichen Sonderpflichten nur Wettbewerber bezüglich ihrer Wettbewerbshandlungen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG)727, während die gesetzlichen Sonderpflichten im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB mit der tatbestandlichen Voraussetzung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung an einen anderen Haftungstatbestand anknüpften und insofern beispielsweise zweifelsfrei auch private Marktakteure binden. Dieses bezüglich der in der Tat nicht vorhandenen Deckungsgleichheit der jeweils die Sonderpflichten begründenden Umstände zutreffende Argument ist insofern auch im Rahmen der hier entwickelten Gleichmaßlösung zu berücksichtigen, als eine wechselseitige Abgleichung der Pflichtenprogramme nach dem Recht des unlauteren Wettbewerbs im Vertikalverhältnis und nach den Sondermaßstäben in der vorvertraglichen Sonderbeziehung natürlich nur insoweit in Betracht kommt, wie der jeweilige Bereich für Sonderpflichten reicht und sich überschneidet. Nur, wo sowohl in der vorvertraglichen 725
S. Alexander, S. 143. S. oben II 1 e. 727 Insoweit wird künftig zudem die Umsetzung der Lauterkeits-RL zu beachten sein, deren – mit der Definition der Wettbewerbshandlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG nicht deckungsgleicher – Begriff der „Geschäftspraktiken“ (s. Art. 2 lit. d Lauterkeits-RL) in das deutsche Recht noch umzusetzen ist, vgl. dazu näher oben 3. Kap. 3. Abschn. B IV. 726
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Sonderbeziehung (und damit insbesondere bei ihrer werblichen Etablierung) als auch im Rahmen des Wettbewerbsrechts (und damit bezüglich Absatz- oder Bezugsförderung zugunsten von Unternehmern) Sonderpflichten entstehen, für die ein typisierter Maßstab benötigt wird und für die sich der jeweilige Wertungsgegenstand – die Orientierung auf die Freiheit der Verbraucherentscheidung – deckt, können die Pflichtenprogramme miteinander verglichen und einander in einem Wechselwirkungsprozeß angeglichen werden. Zu einer Wechselwirkung des wettbewerbsrechtlichen Maßstabs mit zivilrechtlichen Pflichten in der Sonderbeziehung und bei ihrer werblichen Etablierung kommt es mithin wiederum gerade nur, wenn und soweit im Zivilrecht ein diesbezüglich typisierter Maßstab benötigt wird (also: hinsichtlich bestimmter und konkret nachprüfbarer Angaben im unmittelbaren Zusammenhang der vorindividuell massenhaften Anbahnung von Verträgen) und wenn und soweit die in Frage stehende Handlung auch in der Tat als „Wettbewerbshandlung“728 durch die Sonderpflichten des UWG gebunden ist. Mithin erfolgt der wechselseitige Abgleich der Maßstäbe anhand des Gleichmaßgebots nach der hier vertretenen Lösung in der Tat nur dort, wo sich die wettbewerbsrechtliche und die zivilrechtliche Wertung hinsichtlich ihres Gegenstands, ihres Leitkriteriums und damit letztlich auch ihres Schutzzwecks überschneiden. Es geht insoweit dann auch nicht um eine unmittelbare Rezeption der jeweiligen Maßstäbe im anderen Rechtsgebiet, sondern allein um eine Angleichung der Wertungen, wie sie nach dem Gleichmaßgrundsatz geboten ist, soweit spezifische, eine abweichende Wertung rechtfertigende Interessenpositionen fehlen bzw. bisher nicht sauber herausgearbeitet wurden. Lassen sich die vorstehenden Bedenken noch vergleichsweise einfach ausräumen, so wiegt doch die Tatsache, daß im Rahmen der aktuellen UWG-Reform ausgiebig über die Schaffung oder Existenz von individuellen Schadensersatzansprüchen und Vertragslösungsrechten der Verbraucher wegen voraufgegangenen unlauteren Wettbewerbs nachgedacht und diskutiert wurde729 und daß derartige Ansätze vom Gesetzgeber mit Fug und Recht nicht weiter verfolgt wurden 730, un728
Beziehungsweise künftig als „Geschäftspraxis“, vgl. o. Fn. 727. S. nur Fezer, WRP 2003, 127 ff. (für ein Vertragslösungsrecht); im Ergebnis auch Micklitz/ Keßler, GRUR Int. 2002, 885, 901; Sack, BB 2003, 1073, 1078 f. A.A. Köhler, GRUR 2003, 265 ff. (gegen individuelle Vertragslösungsrechte oder Schadensersatzansprüche der Verbraucher); Sosnitza, GRUR 2003, 739; Weiler, WRP 2003, 423 ff. (gegen ein lauterkeitsrechtliches Vertragslösungsrecht). Vgl. für die im Kontext der UWG-Reform ebenfalls erneut aufgekommene Diskussion um das UWG als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB nur Sack, GRUR 2004, 625, 629 f., sowie zu der insoweit nach der hier vertretenen Auffassung nunmehr unumgänglichen Ablehnung der Schutzgesetzqualität schon oben 3. Kap. 2. Abschn. C mwN. 730 In der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 8 UWG, heißt es dazu: „Von einem Teil der Mitglieder der Arbeitsgruppe wurde vorgeschlagen, in das UWG auch individuelle Ansprüche des Verbrauchers aufzunehmen. Dies folge bereits zwingend daraus, daß der Verbraucher nunmehr auch durch den Gesetzgeber ausdrücklich als Schutzsubjekt anerkannt werde. Diesem Anliegen trägt der Gesetzentwurf aus folgenden Gründen nicht Rechnung: Das Lauterkeitsrecht enthält, auch wenn durch diese Reform eine Liberalisierung – insbesondere im Bereich der Sonderveranstaltungen – erfolgt, sehr hohe Anforderungen an das Ver729
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gleich schwerer731. Eine nähere Betrachtung der diesbezüglichen Diskussion erweist jedoch, daß die hier vertretene Lösung die – im Zusammenhang mit wettbewerbsrechtlichen oder deliktischen Vertragslösungsrechten oder Schadensersatzansprüchen durchaus berechtigten – Befürchtungen, wie sie im Zuge der UWGReform ventiliert wurden, gerade durch die sichere Einbettung im Rahmen des zivilrechtlichen Rechtsinstituts der culpa in contrahendo zu entkräften hilft, und insofern dem Willen des Gesetzgebers732, in diesem Bereich den Primat des Zivilrechts zu wahren, die zivilrechtlichen Wertungen nicht zu unterlaufen und dadurch unberechenbare Haftungsrisiken für die einheimische Wirtschaft zu vermeiden, sogar unmittelbar entspricht733. Denn zum einen unterscheidet sich der hier vertretene Lösungsvorschlag von den im Rahmen der UWG-Reform diskutierten Vertragslösungsrechten entscheidend dadurch, daß er – jedenfalls im Gegensatz zu den allein an die vorausgeganhalten der Unternehmer im Wettbewerb. Die Anerkennung von individuellen Rechten des Verbrauchers bei Verstößen gegen das UWG würde dieses hohe Schutzniveau, welches gerade auch im Interesse des Verbrauchers besteht, im Ergebnis in Frage stellen. Der Unternehmer müßte bei Beibehaltung des materiellen Schutzniveaus jederzeit mit einer Vielzahl von Klagen von Verbrauchern wegen eines (angeblichen) Verstoßes gegen das UWG rechnen. Dies würde zu sehr hohen Belastungen für die Wirtschaft führen und hätte einen erheblichen Standortnachteil zur Folge. Diese Belastungen ließen sich nur dadurch auf ein für die Wirtschaft akzeptables Maß verringern, daß man das Schutzniveau absenkt und dadurch das Prozeßrisiko für die Unternehmen verringert.“ 731 S. auch für eine Darstellung der insoweit vergleichbaren extensiven Diskussionen um wettbewerbsrechtliche Schadensersatzansprüche bzw. Vertragslösungsrechte individueller Verbraucher schon seit Mitte der siebziger Jahre, die dann letztlich – gerade unter Ablehnung individueller Schadensersatzansprüche – lediglich in der Einführung des (tatbestandlich vergleichsweise schmal umrissenen und in der Konsequenz weitgehend praktisch bedeutungslos gebliebenen) § 13a UWG a.F. resultierten, die entsprechenden Ausführungen bei Alexander, S. 63 ff.; Weiler, Beeinflußte Willenserklärung, S. 374 ff., jeweils mwN, sowie die weiteren Nachweise o. 1. Kap. 3. Abschn. Fn. 212. Jedenfalls aus der ersatzlosen Abschaffung des § 13a UWG a.F. im Zuge der UWG-Reform läßt sich keine negative Wertung des Gesetzgebers hinsichtlich der zivilrechtlichen Möglichkeit, sich von unlauter angebahnten Verträgen zu lösen ableiten, da diese ausdrücklich nur mit der praktischen Bedeutungslosigkeit der weitgehend leerlaufenden Norm (vgl. insoweit auch schon o. 4.Kap. 3.Abschn. Fn. 618) begründet wurde, s. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, 5 b) (S. 14). 732 Der UWG-Reformgesetzgeber hatte im Zuge der Abschaffung des (in der Praxis nie zu Bedeutung gelangten § 13a UWG a.F., vgl. insoweit o. Fn. 731) auf die Einführung eines allgemeinen Vertragslösungsrechts für die Abnehmer gerade deshalb verzichtet, weil er insoweit ausdrücklich die schuldrechtlichen Möglichkeiten (vgl. zum in diesem Zusammenhang außerdem noch mit berücksichtigten wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverbot noch sogleich u. 5. Abschn. B) für ausreichend erachtete, um sämtliche Fallkonstellationen zu erfassen, in denen der Verbraucher gegen sein schutzwürdiges Interesse an der Erfüllung eines unlauter zustandegekommenen Vertrags festgehalten werden könnte, s. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, 5 b) (S. 14). Die hier gewählte Lösung über eine Schließung systemwidrig verbleibender tatbestandlicher Schutzlücken unter Wahrung des diesbezüglichen Primats der Wertungen und der Systematik des Zivilrechts entspricht also bei genauem Hinsehen exakt dem Willen des UWG-Reformgesetzgebers. 733 Den Aspekt der Unterwanderung etablierter zivilrechtlicher Wertungen betonen zu Recht auch Köhler, GRUR 2003, 265, 266 ff. (insbes. 270); Weiler, WRP 2003, 423, 428 ff.
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gene rechtswidrige unlautere Wettbewerbshandlung geknüpften Vorschlägen eines Vertragslösungsrechts in der UWG-Reform734 – durch die Einbindung in den Rahmen des vorvertraglichen Haftungssystems des Zivilrechts gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 S. 2, 276 BGB verschuldensabhängig ausgestaltet ist735. Auch sonstige Leitlinien des zivilrechtlichen Systems werden durch die hier vertretene Lösung nicht ohne weiteres unterlaufen, da diese Lösung in das zivilrechtliche System gerade eingebettet ist: So wird eine Unterhöhlung der gewährleistungsrechtlichen Wertungen736 (insbesondere im Kauf- und Reisevertragsrecht) im Zwei-Personen-Verhältnis dadurch vermieden, daß die Gewährleistungsregeln die Anwendung der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB grundsätzlich im Konkurrenzwege verdrängen737. Im Verhältnis zu auf Grundlage von § 311 Abs. 3 BGB nach der hier vertretenen Auffassung potentiell unmittelbar haftenden Dritten ist dies zwar nicht der Fall. Doch garantiert insofern die Ausgestaltung und Limitierung der Haftung nach den Grundsätzen der Eigenhaftung des Vertreters, daß dem von unlauterem Wettbewerb Betroffenen durch den vorvertraglichen Schadensersatzanspruch kein unverdienter Vorteil entsteht738. 734
S. Fezer, WRP 2003, 127, 142 f. Damit wäre zugleich einem der ersten Argumente, die gegen die vorgeschlagenen Vertragslösungsrechte im Wettbewerbsrecht vorgetragen wurden (s. Köhler, GRUR 2003, 265, 271) Rechnung getragen. Dabei wird durchaus nicht verkannt, daß aufgrund der in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB bezüglich des Verschuldens (und in entsprechender Ausdehnung des Rechtsgedankens dieser Norm in gewissem Umfang auch hinsichtlich der objektiven Pflichtverletzung) vorgesehenen Beweislastumkehr, die (wie zuvor schon § 282 BGB analog, s. nur BGHZ 66, 51, 54; BGH NJW 1962, 31 f. – Bananenschale) nunmehr unmittelbar auch auf Pflichtverletzungen aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB anwendbar ist (s. statt aller Palandt-Heinrichs, § 311, Rz. 23), und insbesondere auch aufgrund der Tatsache, daß im Bereich des § 241 Abs. 2 BGB objektive Pflichtverletzung und Verschuldensvorwurf ohnedies praktisch weitestgehend zusammenfallen, da schon das objektive Pflichtenprogramm am Maßstab der verkehrserforderlichen Sorgfalt ausgerichtet ist (s. zutreffend statt aller Lorenz/Riehm, Rz. 182), der Voraussetzung des Vertretenmüssens i.S.d. § 276 BGB keine übermäßig große praktische Bedeutung zukommt. Doch ändert dies nichts daran, daß dieser prägenden Leitlinie des zivilrechtlichen Haftungssystems damit systematisch genau in der abgestuften Art und Weise Rechnung getragen ist, wie sie das Vertragsrecht vorsieht, während ein gänzlich verschuldensunabhängiger spezialgesetzlicher Schadensersatzoder Vertragsauflösungsanspruch wegen unlauteren Wettbewerbs die diesbezüglichen, differenzierten zivilrechtlichen Voraussetzungen in systemwidriger Weise gänzlich unterlaufen würde. Auch mag im schwierigen Grenzbereich wettbewerbsrechtlich bedenklicher Handlungen, bezüglich deren Zulässigkeit noch keine verläßliche höchstrichterliche Rechtsprechung besteht, auch im Rahmen der Haftung aus §§ 311, 241 Abs. 2 BGB in der Tat häufiger als in anderen Bereichen einmal ein entschuldigender Rechtsirrtum in Betracht kommen. 736 S. bezüglich der Konkurrenzsituation zum Anfechtungsrecht ausführlich schon oben A III 3. 737 S. sogleich unten IV 3 a. 738 S. insoweit ebenfalls unten IV 3 b. Vgl. im übrigen auch die Ausführungen oben II 2 b und noch in u. Fn. 750 a.E., die belegen, daß die hierin dennoch liegende Aufweichung der Relativität des Schuldverhältnisses letztlich wertungsmäßig unvermeidbar schon in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB angelegt ist, dessen Wertungen (und Limitierungen) bezüglich der rechtlichen Relevanz bestimmter Werbeangaben im Rahmen der hier vertretenen Lösung nur verallgemeinert und in das gesetzliche Haftungssystem vorvertraglichen Verschuldens transponiert werden, was zur Meidung unerträglicher Wertungswidersprüche wohl unvermeidbar ist und zudem einige der 735
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Problematischer ist die Überlegung, daß sich aufgrund eines Vertragslösungsrechts – angesichts der Vielgestaltigkeit werblicher Vertragsanbahnungshandlungen und ihrer Fehleranfälligkeit – letztlich eine Art allgemeines Reurecht des beworbenen Verbrauchers entwickeln könnte, welches dann wegen der zu breit gezeichneten Rechtsfolge (sozusagen reflexartig) zu einer Verengung der Tatbestände unlauteren Wettbewerbs und damit zu einer unerwünschten Absenkung des wettbewerbsrechtlichen Schutzniveaus führen könnte739. Dieses Bedenken mag für die im Zuge der UWG-Reform vorgeschlagenen Vertragslösungsrechte, die gerade keinen individuellen Verbraucherschaden (und auch seitens des betroffenen Vertragspartners kein Verschulden und nicht einmal einen eigenen Wettbewerbsverstoß740) voraussetzten, sondern als Zurechnungskriterium lediglich einfache Kausalität der unlauteren Werbung für den Vertragsschluß sowie ein „berechtigtes Interesse an der Auflösung des Vertrags“ forderten (und diesbezüglich zudem eine umfassende Beweislastumkehr vorsahen)741, auch zutreffen. Jedoch ist der hier vorgeschlagene schadensrechtliche Weg zur Vertragslösung wegen unlauteren Wettbewerbs über die – gem. § 241 Abs. 2 BGB nunmehr unzweifelhaft auch die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners als Interesse schützende culpa in contrahendo – gegen seine Verbreiterung zu einem allgemeinen Reurecht der Verbraucher (mit der Konsequenz einer unabsehbaren Haftungsgefahr für die Unternehmer) vergleichsweise besser, nämlich gleich in doppelter Hinsicht, geschützt. Zum einen garantiert die wettbewerbsrechtliche Typisierung aufgrund des neuen, widerstandskräftigeren Verbraucherleitbilds mit Blick auf die Relevanz einer Beeinflussung durch irreführende Störung der EntSchwierigkeiten zu entspannen hilft, die gerade die diesbezügliche Frage des Regresses zum eigentlichen Verantwortlichen des externen informationellen Einflusses aufwirft. 739 S. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 8 UWG (S. 22); in gleicher Richtung auch schon der Referentenentwurf v. 20.1.2003 (s. GRUR 2003, 298, 308). Zustimmend Köhler, GRUR 2003, 265, 271. 740 Die vorgeschlagenen Vertragslösungsrechte sollten nämlich – insoweit ähnlich wie § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und auch § 13a UWG a.F. – seitens des betroffenen Vertragspartners nur vom Kennen bzw. Kennenmüssens des Wettbewerbsverstoßes eines Dritten abhängen. In diesem Zusammenhang ist der hier vorgeschlagene Weg, der – sofern sämtliche Voraussetzungen vorliegen – einen Anspruch auf Freistellung von der vertraglichen Verpflichtung unmittelbar gegen den Dritten – und damit den eigentlich den entstandenen Haftungstatbestand schuldhaft verursachenden „Täter“ – gewährt, ein geringerer systematischer Eingriff in das zivilrechtliche Haftungssystem, da sich ein Anspruch gegen den schuldhaft irreführend Werbenden in das Prinzip der Vertrauenshaftung einfügt, während ein Anspruch gegen einen lediglich Marketingbeobachtungspflichten verletzenden Vertragspartner letztlich in bestimmten Fällen allein aus Risikosphärenüberlegungen zu erklären ist, die zum Teil wenig tragfähig erscheinen und hinter denen im Kern eher der Gedanke einer Effektivierung des Verbraucherschutzes durch Gewährung eines Anspruchs gegen den (für den Verbraucher am einfachsten greifbaren) Vertragspartner stehen dürfte. 741 S. Fezer, WRP 2003, 127, 142 f. Die Regelung einer echten Beweislastumkehr („es sei denn“) unterscheidet sich von der hier vertretenen Konzeption, die mit Blick auf die Kausalität des unlauteren Wettbewerbs für den Vertragsschluß gerade keine echte Beweislastumkehr, sondern lediglich Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des prima facie-Beweises in bestimmten (eng umgrenzten) Bereichen typisierbarer Relevanz vorsieht, besonders drastisch.
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scheidungsgrundlage bzw. auf die Intensität einer notwendigen Störung des Entscheidungsprozesses, gerade weil sie mit den entsprechenden zivilrechtlichen Wertungen nach Art eines Wechselwirkungsvorgangs abgeglichen wird, daß eine Lösung vom Vertrag jedenfalls nur dann in Betracht kommt, wenn ein durchschnittlich informierter, situationsadäquat aufmerksamer, durchschnittlich empfindsamer und standfester Verbraucher von dem Grad vorvertraglicher Beeinflussung in seiner geschäftlichen Entscheidung potentiell relevant hätte beeinflußt werden können. Soweit im Zuge der einheitlichen Justierung dieses typisierten Maßstabs für das Wettbewerbsrecht und die vorvertragliche Haftung aus culpa in contrahendo tatsächlich eine weitere „Absenkung“ des Schutzniveaus (oder besser: seine „Anpassung“ an den normativen Maßstab des Durchschnittsverbrauchers) im UWG die Folge sein sollte, wäre diese Entwicklung nach der hier vertretenen Auffassung durchaus zu begrüßen, da ein effektiv durchgesetztes mittleres Schutzniveau durchaus einem offenbar gerade nur wegen der fehlenden effektiven Durchsetzung akzeptierten742, sozusagen „scheinhohen“ Schutzniveau vorzuziehen wäre743. 742 Wie sollte man den Hinweis in der Regierungsbegründung (vgl. o. Fn. 730 und 739), eine Vielzahl von Klagen der Verbraucher werde zu einer hohen Belastung der Wirtschaft führen, die es nicht gestatte, das „hohe Verbraucherschutzniveau“ beizubehalten, anders verstehen, als in dem Sinne, daß das Verbraucherschutzniveau nur deshalb auf seiner trügerischen „Höhe“ gehalten werden kann, weil die verbraucherschützenden wettbewerbsrechtlichen Verbote in der Praxis (aufgrund bestimmter Eigenheiten des Durchsetzungssystems, insbesondere der relativen Schwäche der klageberechtigten Verbraucherverbände, vgl. zutreffend Beater, § 13, Rz. 5 [S. 357]) nicht effektiv durchgesetzt werden. 743 Insoweit im Ansatz zutreffend (wenn auch wohl zu pauschal) Sack, GRUR 2004, 625, 630: „Außerdem nützt einem Verbraucher ein hohes Schutzniveau des UWG nichts, wenn er keine Sanktionen hat, sobald er das Opfer unlauteren Wettbewerbs geworden ist“. Genaugenommen wird man differenzieren müssen: Ein – die Leitlinien des Haftungssystems des BGB unterlaufender (vgl. insoweit auch Weiler, WRP 2003, 423, 429 f.) und dadurch über den zivilrechtlich gebotenen Individualschutz hinausschießender – verschuldensunabhängiger und nicht hinreichend strengen Kausalitäts- und Zurechnungskriterien unterworfener individueller Vertragslösungsanspruch der von unlauterem Wettbewerb betroffenen Verbraucher würde in der Tat zu einer Untergrabung des effektiven Schutzniveaus führen, da dann eine Aushöhlung des Grundsatzes pacta sunt servanda durch querulatorische Verbraucher (im Sinne der Herbeiführung und des Mißbrauchs eines allgemeinen Reurechts aus sachfremden Gründen [vgl. auch Köhler, GRUR 2003, 265, 271]) zu Lasten durchschnittlicher und „anständiger“ Verbraucher (die von einem derart entindividualisierten typisierten Recht gar nicht Gebrauch machen würden) drohte, die letztlich zu einer Infragestellung des tatbestandlichen Schutzniveaus – auch seitens der Verbraucher, die von derart ihr Rechtsgefühl überschießenden Rechten aus einem Fairneßgefühl heraus gar nicht Gebrauch machen – führen würde (dieses Problem wurde oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (3) für den die Gebote individualschützenden, situationsspezifischen Verbraucherschutzes zum Teil überschießenden Rechtsrahmen des Gemeinschaftsrechts bereits angesprochen). Dieses Bedenken – auf das die Regierungsbegründung (vgl. auch die weiteren Nachweise o. Fn. 739) nicht völlig zu Unrecht wohl abzielt – gilt jedoch nicht in gleicher Weise für einen genuin individualschützenden Schadensersatzanspruch auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, da insoweit die Maßstäbe des Zivilrechts hinsichtlich der Schutzzweckanalyse bezüglich „importierter“ lauterkeitsrechtlicher Sonderpflichten und insbesondere der haftungsausfüllenden Kausalität, der Zurechnung und des Mitverschuldens im Rahmen der §§ 249 ff. BGB bei konsistenter Anwendung garantieren, daß eine Möglichkeit zur Vertragslö-
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Zum anderen sind es in der hier vertretenen schadensrechtlichen Lösung die am etablierten Maßstab der §§ 249 ff. BGB ausgerichteten Voraussetzungen der haftungsausfüllenden Kausalität, der objektiven Zurechnung und insbesondere des Schutzzweckzusammenhangs, die – besser als ein insoweit potentiell eigenständigen Kriterien folgendes wettbewerbliches Vertragslösungsrecht744 – zu garantieren vermögen, daß eben kein allgemeines Reurecht entsteht, sondern vielmehr eine Lösung vom Vertrag nur dann in Betracht kommt, wenn der individuell betroffene Verbraucher (der zudem nicht empfindlicher oder irreführbarer sein darf als der normative Durchschnittsverbraucher, da andernfalls schon kein Pflichtverstoß vorläge) tatsächlich kausal und zurechenbar durch die unlautere Wettbewerbshandlung zum Vertragsschluß verleitet wurde. Dies ist jedenfalls dann erreichbar, wenn die diesbezüglichen Beweiserleichterungen der Rechtsprechung sung tatsächlich nur dann besteht, wenn der Vertragsschluß gerade prima facie auf der unlauteren Wettbewerbshandlung beruhte (vgl. dazu sogleich noch unten IV 3). Mit einem überschießenden wettbewerbsrechtlichen Vertragslösungsrecht mit eigenständigen (weiteren) Zurechnungskriterien, das letztlich nur den Verbraucher als einen „Durchsetzungsagenten“ für dann (zu strenge), institutionell motivierte wettbewerbsrechtliche Maßstäbe instrumentalisieren würde (wie dies der institutionellen europäischen Regelungstradition freilich durchaus entspricht), hat eine solche, in den zivilrechtlichen Individualschutz eingebettete Lösung gerade nichts zu tun. 744 Statt der hier entwickelten Schutzzweckanalyse und Differenzierung der Schutzrichtungen des Wettbewerbsrechts in den einzelnen Fallgruppen, um die jeweilige konkrete Vergleichbarkeit mit dem Pflichtenprogramm im Rahmen der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB zu ermitteln, und der sich anschließenden Prüfung eines Anspruchs auf schadensrechtliche Vertragsaufhebung im Rahmen der §§ 249 ff. BGB, würde im Rahmen der im Zuge der UWG-Reform formulierten Vorschläge für ein wettbewerbsrechtliches Vertragslösungsrecht wohl einfache Ursächlichkeit jedweder unlauteren Werbung für den Vertragsschluß, deren Beurteilung zudem für alle Fälle einer Beweislastumkehr unterworfen wäre, genügen (s. etwa Fezer, WRP 2003, 127, 143: „infolge einer unlauteren Werbung … es sei denn, daß die unlautere Werbung für den Abschluß des Vertrages nicht ursächlich war“). Daß sich ein derartiges Kriterium einfacher Kausalität ähnlich differenziert entwickeln würde, wie die im Rahmen der schadensrechtlichen Regelungen der §§ 249 ff. BGB von der Rechtsprechung entwickelten und etablierten Kriterien für eine schadensrechtliche Lösung vom unerwünschten Vertrag (wie sie infolge der hier vertretenen Lösung typischerweise auf Grundlage eines Anspruchs des betroffenen Verbrauchers aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB zur Anwendung kommen dürften, s. noch sogleich unten IV 3), wäre angesichts eines gänzlich anders formulierten, wettbewerbsrechtsspezifischen Vertragslösungsrechts beileibe nicht garantiert. Allein der Verweis auf ein notwendiges „berechtigtes Interesse“ des Verbrauchers an der Auflösung des Vertrags vermöchte vermutlich nicht dieselbe Differenzierung zu leisten, wie die Zurechnungskriterien des Schadensersatzrechts, und würde sich insbesondere aller Voraussicht nach jedenfalls abweichend entwickeln. Für eine derartige Zweispurigkeit der Instrumentarien und Dopplung der Wertungsmaßstäbe bezüglich der Lösungsmöglichkeiten vom unlauter angebahnten Vertrag besteht aber – da die hier vertretene Konzeption schon im System des Zivilrechts alle relevanten Situationen eines schutzwürdigen Interesses der Lösung vom Vertrag abdeckt – im Ergebnis keinerlei Bedarf (s. ja ähnlich auch schon die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, 5 b) [S. 14]). Ein praktisch sehr wesentlicher Unterschied zwischen einem wettbewerbsrechtlichen Vertragslösungsrecht, wie von Fezer, aaO., vorgeschlagen, und der hier vertretenen Lösung würde im übrigen schon von vornherein in der unterschiedlichen Behandlung der Beweisfrage bezüglich der Kausalität unlauteren Wettbewerbs für nachfolgende Vertragsschlüsse liegen, vgl. auch o. Fn. 741 sowie noch sogleich im folgenden Text.
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(bezüglich einer schadensrechtlichen Lösung vom Vertrag) für den hier betrachteten Bereich auf den Prüfstand gestellt und zum Teil nicht unerheblich verengt werden745. Schließlich ist auch die Tatsache zu berücksichtigen, daß die hier vorgeschlagenen Schadensersatzansprüche auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 I i.V.m. §§ 249 ff. BGB gerade in der Praxis massenhaften Verbrauchsgüterkaufs des täglichen Lebens, wo die Haftungsrisiken in der Tat angesichts des Massencharakters der Verkaufsvorgänge substantiell sein könnten, wegen ihres Bagatellcharakters tatsächlich nur sehr selten geltend gemacht werden dürften. Allein aus diesem Grund wären nach jetzigem Stand unabsehbare Haftungsrisiken der Werbenden weniger zu fürchten, als vielmehr ein fast vollkommenes Leerlaufen der hier vorgeschlagenen Haftungsfigur in der Praxis746. Nach alldem scheint ein „wildes“ Wachstum des hier vertretenen Schadensersatzanspruchs für Wettbewerbsverstöße in der Vertragsanbahnung auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB in Richtung auf ein allgemeines Reurecht der Verbraucher, das zu unabsehbaren Haftungsrisiken für die Unternehmer führte, realiter nicht zu befürchten747. Denn aus wettbewerbsrechtlicher Sicht vermögen das veränderte Verbraucherleitbild und die Liberalisierung des Lauterkeitsrechts, wie auch aus zivilrechtlicher Sicht die hier vorgenommene Schutzzweckanalyse bezüglich wettbewerbsrechtlicher Sonderpflichten, das Verschuldenserfordernis und insbesondere die Voraussetzungen und Möglichkeiten der §§ 249 ff. BGB auf der Rechtsfolgenseite (hinsichtlich haftungsausfüllender Kausalität, objektiver Zurechnung und Schutzzweck der verletzten Pflicht), eine derartige Entwicklung effektiv einzudämmen. Doch bleibt zu überdenken, ob nicht allein durch die Konstruktion des Schadensersatzanspruchs aus culpa in contrahendo, als solche, eine weitere, gleichfalls gerade in der UWG-Reform gesetzgeberisch bestätigte748, und nach der hier vertretenen Auffassung auch zutreffende Wertung im Ergebnis unterlaufen würde – nämlich das Dogma, daß die Vorschriften des UWG keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten einzelner Verbraucher sind749. Denn hinter diesem Dogma steckt wertungsmäßig zumindest auch die Überlegung, daß das Haftungssystem des Wettbewerbsrechts hinsichtlich der sonderdeliktsrechtlichen Folgen unlauteren Wettbewerbs abschließend ist und in seiner konkreten Ausgestaltung nicht durch einen undifferenzierten deliktischen Schadensersatzanspruch des allgemeinen Zivilrechts überspielt werden sollte. Die hier vertretene Lösung
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S. dazu sogleich unten IV 3. S. zu dieser Durchsetzungsproblematik noch näher unten 5. Abschnitt. 747 Ebenso im Ergebnis zuletzt Augenhofer, WRP 2006, 169, 175. 748 S. Begründung des Regierungsentwurfs Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, zu § 8 UWG (S. 22): „Die Regelungen zu den zivilrechtlichen Rechtsfolgen sind sowohl hinsichtlich der Klagebefugnis als auch hinsichtlich der Anspruchsgrundlagen abschließend. Dies hat zur Folge, daß das UWG entsprechend der bisherigen Rechtslage weiterhin kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist“. 749 S. oben 3. Kap. 2. Abschn. C. 746
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– mit ihrer typisierten Anknüpfung des Pflichtenprogramms nach § 241 Abs. 2 BGB an wettbewerbsrechtliche „Verkehrssicherungs“-Pflichten für Unternehmer im Geschäftsverkehr schon bezüglich der die Sonderbeziehung erst anbahnenden werblichen Handlung – könnte einer derartigen allgemeinen Schadensersatzhaftung allerdings im Ergebnis recht nahe kommen750. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, daß durch die hier vertretene Lösung ein allgemeiner „quasi-deliktsrechtlicher“ Schadensersatzanspruch von unlauterem Wettbewerb betroffener Verbraucher gerade nicht etabliert wird. Denn die (zur Meidung von Wertungswidersprüchen unumgängliche) latente Vorverlagerung des Pflichtenmaßstabs aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB auf die eine vorvertragliche werbliche Sonderbeziehung anbahnende Handlung des Unternehmers (und die diesbezügliche Orientierung an einem typisierten Pflichtenmaßstab, der seine Wurzeln in einem durch das Gleichmaßgebot bestimmten Wechselwirkungsprozeß ex aequo in wettbewerbs- wie in zivilrechtlichen Maßstäben findet) setzt ja wesensmäßig doch weiterhin voraus, daß eine derartige Sonderbeziehung letztendlich durch Individualisierung zumindest derart zustande kommt, daß ein individueller Kunde mit zumindest ganz allgemeinem, untechnischem Vertragsanbahnungswillen auf das (hinsichtlich seiner Pflichtgemäßheit Vertrauen beanspruchende) Angebot in irgendeiner erkennbaren Form eingeht. Der sich daraus ergebende Bereich vorvertraglicher Sonderbeziehung mit Sonderpflichten ist aber demnach – selbst wenn man die latente Ausdehnung auf die werbliche Vertragsanbahnung in die Überlegungen einbezieht – deutlich enger als ein ganz allgemeiner Maßstab allseits vorhandener deliktischer Verkehrssicherungspflichten. Denn zumindest wird seitens 750 S. allgemein zu diesem Abgrenzungsproblem auch Kersting, Kap. 4 § 2 B II 2 c (c), der gleichfalls nicht verkennt, daß die Ausdehnung des Pflichtenmaßstabs aus § 241 Abs. 2 BGB schon auf die die Sonderbeziehung des Unternehmers etablierende Handlung (sofern es nur letzten Endes zu einer vorvertraglichen Individualisierung kommt) zwangsläufig mit einer Typisierung und folglich einer begrenzten Entindividualisierung des Maßstabs im Sinne von „Jedermanns-Pflichten“ im vorvertraglichen Bereich einhergeht. Nicht zu Unrecht weist Kersting, aaO., insoweit aber darauf hin, daß diese – aus einem lupenreinen Konzept der Relativität des Schuldverhältnisses zweifelsohne herausweisende – Konzeption aber letztlich nur den Hybridcharakter der eben nur vertragsähnlichen gesetzlichen Haftung aus der vorvertraglichen Sonderbeziehung – als „dritter Spur“ zwischen Vertrag und Delikt – durchaus stimmig widerspiegelt. Man mag dem – für den hier spezifisch betrachteten Bereich, für den auch gerade auf die Wertung aus § 434 Abs. 1 S. 3 BGB bezüglich der Reichweite eines möglichen Imports typisierter Maßstäbe in das deutsche Vertragsrecht zurückgegriffen wurde – noch hinzufügen, daß hinsichtlich der „Lupenreinheit“ des Relativitätsgrundsatzes der eigentliche „Sündenfall“ in der Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und der damit verbundenen Aufwertung individualisierungsunabhängiger, massenhafter Informationsaufnahme für die Vertragsgestaltung zumindest der Massenverträge des täglichen Lebens liegt (sofern man hierin einen „Sündenfall“ sehen möchte); die hier – auch im Verhältnis zu Dritten – entwickelte vorvertraglich typisierte Informationshaftung für Werbeangaben (gerade im Zusammenhang mit der Anbahnung von Verträgen, vgl. zu dieser entscheidenden Begrenzung sogleich bei u. Fn. 751) stellt der insoweit praktisch schon entstandenen – wenn auch konstruktiv in eine Auslegungsregel gegossenen – Haftung des Verkäufers nach dem Sphärengedanken im wesentlichen nur die insoweit wertungsmäßig weitaus unzweifelhaftere vorvertragliche Haftung auch Dritter nach dem Verschuldensprinzip zur Seite (vgl. insoweit auch schon oben II 2 b und c [spezifisch für die Drittfälle]).
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der von unlauterem Wettbewerb betroffenen Kunden ein minimales Eingehen auf die Werbung verlangt, daß zudem von einem zumindest ganz allgemeinen Vertragsschluß- (oder doch zumindest vertragsschlußbezogenen Informations-)willen getragen sein muß. Damit scheiden all diejenigen Fälle unlauteren Wettbewerbs, die beim individuell betroffenen Verbraucher zwar potentiell Schäden hervorrufen, die aber – insbesondere wenn der individuell betroffene Verbraucher nie vorhat, überhaupt einen Vertrag mit dem Unternehmer zu schließen – gerade nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Etablierung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung mit dem letztendlichen Ziel eines Vertragsschlusses (welcher Art auch immer) stehen, für einen Schadensersatzanspruch auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB aus. Dies betrifft durchaus erhebliche Bereiche durch unlauteren Wettbewerb verursachter Schäden, nämlich namentlich (aber nicht nur751) alle Belästigungssituationen, in denen durch Ressourcenverbrauch, Zeitaufwand, seelische Beanspruchung etc. dem Verbraucher ein Schaden entstehen mag, der jedoch – wenn der Verbraucher hinsichtlich des ihn belästigenden Angebots nie das geringste Interesse hatte – gerade nicht bei der Etablierung oder in einer vorvertraglichen Sonderbeziehung entstanden ist752. Insofern liegt die Einschränkung des Schadensersatzanspruchs auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB im Vergleich zu einer deliktsrechtlichen Konzeption mit dem UWG als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, wie sie hier an anderer Stelle aus gutem Grund abgelehnt wurde, auf eine kurze Formel gebracht darin, daß der in Frage stehende Schaden jedenfalls in irgendeiner Form unmittelbar im Zusammenhang mit einer – auch seitens des Verbrauchers jedenfalls in allgemeiner Form aufgegriffenen und gewollten – vorvertraglichen Sonderbeziehung entstanden sein muß. Ist dies nicht der Fall, kommt Schadensersatz aus culpa in contrahendo we751 Die Einbettung in das gesetzliche Schuldverhältnis aus vorvertraglicher Sonderbeziehung schließt nämlich auch die Entwicklung des Schadensersatzanspruchs auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB zu einer allgemeinen Informationshaftung für Werbeangaben, die unabhängig vom unmittelbaren Zusammenhang mit der Anbahnung eines Vertrags wäre, gerade effektiv aus. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Wirbt ein Autohersteller mit der konkreten Aussage, mit vierradgetriebenen Fahrzeugen könne man auch auf Eisflächen gefahrlos manövrieren (o.ä.), und benutzt im Vertrauen auf diese Werbeaussage der Besitzer eines vierradgetriebenen PKW (und sei es desselben beworbenen Typs), der die Werbung wahrgenommen und geglaubt hat, jedoch insoweit keinerlei Vertragsanbahnungsinteresse hatte, seinen bereits vorhandenen PKW bei Eis und verursacht einen schweren Unfall, so kommt eine Haftung des Werbenden aufgrund von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB gerade nicht in Betracht. Denn es fehlt für den Tatbestand des § 311 Abs. 2 BGB schon an einem allgemeinen Vertragsanbahnungswillen des betroffenen gutgläubigen Autobesitzers, so daß es letzten Endes zu einer vorvertraglichen Individualisierung auch nicht kam. Allenfalls mögen in dieser Konstellation natürlich (systematisch passende) Ansprüche aus Produzenten- oder Produkthaftung greifen. 752 Insoweit mögen dann deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche auf Grundlage von § 823 Abs. 1 BGB (etwa im Falle der Belästigung eines Privatverbrauchers wegen des hierin möglicherweise liegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, vgl. nur z.B. Hefermehl/Köhler/ Bornkamm-Köhler, § 7, Rz. 33 mwN) in Betracht kommen, so daß eine wesentliche Schutzlücke für den Verbraucher nicht entsteht; jedenfalls der Weg über §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB scheidet aber in diesem Falle aus.
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gen Lauterkeitsverstößen nach der hier vertretenen Auffassung nicht in Betracht. Damit ist dann aber ein tragfähiges Abgrenzungskriterium zu einer dammbrechenden allgemeinen deliktsrechtlichen Haftung für unlauteren Wettbewerb gefunden; die diesbezüglich zu Recht skeptische Wertung des UWG-Reformgesetzgebers wird insofern nicht unterlaufen. Dabei wird durchaus nicht verkannt, daß die verbleibenden Bereiche durch unlauteren Wettbewerb verursachter (Integritäts-)Schäden, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der letztendlichen Etablierung einer individualisierten vorvertraglichen Sonderbeziehung stehen, in praxi typischerweise von anderen zivilrechtlichen Instrumenten des Deliktsrechts753 – insbesondere § 823 Abs. 1 BGB – abgedeckt sein dürften754. Doch lag die Wertung des UWG-Gesetzgebers bei der Ablehnung individueller Schadensersatzansprüche der Verbraucher (im Rahmen einer pauschal-heteronomen Rezeption jeglicher UWG-Verstöße als deliktsrechtlich haftungsbegründend i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB) ja auch nicht darin, die differenziert-autonome Rezeption im Zivilrecht – deliktsrechtlich einerseits, im Rahmen der Sonderpflichten aus vorvertraglicher Sonderbeziehung andererseits – in dem Sinne präjudiziell zu überformen, daß die autonome zivilrechtliche Beurteilung lauterkeitsrechtlicher Verstöße nicht auch dazu führen dürfte, daß praktisch alle wesentlichen Bereiche unlauteren Wettbewerbs im Ergebnis einen – entweder deliktsrechtlichen oder auf culpa in contrahendo basierten – Schadensersatzanspruch nach sich ziehen. Vielmehr sollte – genau umgekehrt – das differenzierte Zusammenspiel des zivilrechtlichen Haftungssystems grundsätzlich ungestört bleiben und nicht durch eine auf Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB auf die Beine gestellte per se-Haftung für Wettbewerbsrechtsverstöße in seinen Unterschieden und Differenzierungen unterlaufen werden. Dies betrifft aus der Sicht des Zivilrechtssystems insbesondere die grundlegende Zweispurigkeit zwischen dem eingeschränkten Schutz im allgemeinen Deliktsrecht und dem intensivierten Schutz im vertraglichen Bereich, samt der culpa in contrahendo als „dritter Spur“ mit gewissem Hybridcharakter zwischen diesen beiden Sphären755. Führt nun aber just dieses dogmatisch ungestörte Zusammenspiel der zivilrechtlichen Institute des Deliktsrechts und der culpa in contrahendo dazu, daß doch im wesentlichen alle relevanten Fallgestaltungen unlauteren Wettbewerbs in praxi potentiell zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen der Verbraucher – wenn auch nicht stets gerade zu deliktsrechtlichen Ansprüchen oder stets gerade zu gesetzlichen Ansprüchen aus der vorvertraglichen Sonderbeziehung – führen, so ist auch diese autonom zivilrechtliche Wertung zu akzeptieren. Da sie nicht auf einer undifferenzierten Rezeption des UWG als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB beruht, sondern vielmehr die jeweils spezifischen Voraussetzungen der jeweiligen Haftungssysteme 753
Vgl. hierzu auch die kurzen Hinweise in o. Fn. 751 und 752. S. insoweit zutreffend nur Köhler, GRUR 2003, 265, 272. 755 Zum Hybridcharakter der culpa in contrahendo im Sinne einer „dritten Spur“ zwischen Vertrags- und Deliktshaftung, wie ihn gerade auch ihre hier vertretene Fortentwicklung belegt, vgl. grundlegend Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 220 ff. 754
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(Verletzung eines absolut geschützten Rechts in § 823 Abs. 1 BGB bzw. letztendlich individualisierte vorvertragliche Sonderbeziehung mit zumindest allgemeinem „Vertragswillen“ des betroffenen Verbrauchers bezüglich der Haftung auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) respektiert, droht sie in dieser differenzierten Form auch gewißlich nicht, (sozusagen „umgekehrt“) die von vornherein anders und pauschaler (nämlich: schlicht einheitlich sonderdeliktsrechtlich) ausgerichteten Wertungen des wettbewerbsrechtlichen Haftungssystems auszuhebeln. Vielmehr konkurriert das Sanktionsinstrumentarium beider Rechtsgebiete schlicht ideal und mit seinen jeweils eigenen Voraussetzungen. Alles in allem gestattet es sonach gerade die Einpassung lauterkeitsrechtlicher Wertungen in den Rahmen des gesetzlichen Vertrauensschuldverhältnisses aus vorvertraglicher Sonderbeziehung, diese typisierten Maßstäbe den Konturen des Zivilrechts einzufügen, ohne den Primat des zivilrechtlichen Systems vorvertraglicher Informationshaftung und spezifisch zivilrechtlichen Schutzes der Entscheidungsfreiheit vor direkter Einflußnahme auf den Entscheidungsprozeß zu unterlaufen. Eine wesentliche Rolle in diesem Einpassungsvorgang spielt – wie aus vorstehenden Ausführungen bereits deutlich geworden sein dürfte – das Rechtsfolgensystem der §§ 249 ff. BGB sowie insbesondere die Frage der Konkurrenzen – zumal jener zum Gewährleistungsrecht. Obwohl mit diesen Fragenkreisen der unmittelbare Bereich des hier behandelten Themas überschritten wird, sollen daher in der Folge spezifisch mit Blick auf die typischen Fallgestaltungen unlauteren Wettbewerbs, die an dieser Stelle denkbar sind, und im Hinblick auf die sich insoweit ergebenden spezifischen Probleme die Rechtsfolgenseite und Konkurrenzen der Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo zumindest ansatzweise durchdacht werden.
IV. Haftungsumfang nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 BGB i.V.m. §§ 249 ff. BGB und Konkurrenz zum Gewährleistungsrecht 1. Ausgangspunkt Der Umfang des Schadensersatzanspruchs aus §§ 311 Abs. 2 (bzw. ggf. Abs. 3 S. 2), 241 Abs. 2, i.V.m. §§ 280 Abs. 1, 276 BGB bestimmt sich nach den Regelungen der §§ 249 ff. BGB756. Die diesbezüglich andauernden Diskussionen allgemeiner Natur, d.h. die Ungereimtheiten der Debatte um die Ersatzfähigkeit des „positiven“ oder „negativen“ Interesses im Rahmen einer Haftung aus culpa in contrahendo, der Streit um das Konkurrenzverhältnis zu § 123 BGB, soweit es spezifisch um den schadensrechtlichen Schutz der geschäftlichen Entscheidungsfreiheit geht, die Probleme bei der Feststellung der Kausalität bezüglich der schadensrechtlichen Ver756 S. nur (in Abgrenzung zu den jedenfalls dogmatisch nicht weiterführenden Diskussionen um die Ersatzfähigkeit des „positiven“ oder „negativen“ Interesses) statt vieler erfrischend deutlich Lorenz, NJW 1999, 1001.
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tragsaufhebung bzw. Vertragsanpassung und schließlich auch die bedeutsame Frage nach dem Konkurrenzverhältnis zum Kaufrecht, können hier nicht annähernd erschöpfend dargestellt werden. Vielmehr kann es nur um eine überblicksartige Analyse der Problemkomplexe gehen, die sich spezifisch mit Blick auf die typischen Fallkonstellationen potentieller Schadensersatzansprüche aufgrund unlauterer Wettbewerbshandlungen in der Anbahnung von Verträgen ergeben. Bevor diese Gestaltungen kurz fallgruppenartig beleuchtet werden, soll lediglich – teils in Zusammenfassung bereits erzielter Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung757 – vorab (und in unvermeidbar apodiktischer Form) der derzeitige Stand der Diskussion zu den oben umrissenen Streitfeldern im Rahmen der vertragsschlußbezogenen Haftung aus culpa in contrahendo als Ausgangspunkt festgehalten werden. Dabei erweist sich die Diskussion um die Ersatzfähigkeit des „positiven“ oder „negativen“ Interesses im Ergebnis als dogmatisch wenig ergiebig758. Letztlich geht es schlicht um eine Subsumtion der jeweiligen konkreten Fallgestaltung unter die Regelungen der §§ 249 ff. BGB759. Daß das Ergebnis dieser Subsumtion für den Gesamtbereich der culpa in contrahendo beileibe nicht stets zu einem Ersatzanspruch nur auf das sogenannte „negative“ Interesse führt, belegen schon all jene Fallgestaltungen der Schadensersatzhaftung auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 (bzw. Abs. 3), 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB, die sich auf den Schutz des Integritätsinteresses oder den Ersatz frustrierter Aufwendungen im Falle letztlich nicht zustandegekommener Verträge richten. Hier ist in der Regel schlicht Naturalrestitution zu erbringen oder Schadensersatz in Geld zu leisten – eine Differenzierung zwischen sogenanntem „positivem“ und „negativem“ Interesse führt für diese – in der hier angestellten Untersuchung zum Teil durchaus interessierenden760 – Bereiche von vornherein wenig weiter761. Insbesondere ist der Schadensersatzanspruch – zumal in den auf das Integritätsinteresse bezogenen Fallgestaltungen – natürlich auch nicht stets von vornherein durch den Betrag des positiven Interesses begrenzt 762. Aber auch bezüg757 S. insbesondere oben A III 2–4 bezüglich des Schutzes der Entscheidungsfreiheit im Rahmen der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB und bezüglich des in diesem Zusammenhang folglich näher zu bestimmenden Konkurrenzverhältnisses zu § 123 BGB. 758 S. etwa Lorenz/Riehm, Rz. 378: keine subsumtionsfähige Rechtsnorm, da Anknüpfung an den allgemeinen Pflichtverletzungstatbestand des § 280 Abs. 1 BGB, die die allgemeine Folge der §§ 249 ff. BGB nach sich zieht; zuletzt Kersting, Kap. 7 § 3 A mwN. 759 Zutreffend Lorenz, NJW 1999, 1001; Lorenz/Riehm, Rz. 378. 760 S. sogleich unten 2. 761 S. auch Lorenz, NJW 1999, 1001. 762 Teils wird eine Begrenzung auf den Betrag des positiven Interesses aus einer Analogie zu §§ 122 Abs. 1, 179 Abs. 2 BGB hergeleitet, s. etwa Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 451 f.; Erman-Battes, § 276, Rz. 124; Staudinger-Löwisch, Vorbem zu §§ 275 – 283 Rz. 74 ff., 83 ff., 86. Doch bezieht sich eine solche Analogie von vornherein in erster Linie auf die Fallgruppe der schuldhaften Vereitelung des Vertragsschlusses, für die die grundsätzliche Begrenzung auf den Betrag des positiven Interesses ja in der Tat sinnvoll ist, sich aber auch schon, ohne daß insoweit Bedarf für Analogien bestünde, auf Grundlage der Anwendung der §§ 249 ff. BGB ergibt, da in diesem Falle schon die verletzte Verhaltenspflicht ihrem Inhalt und Schutzzweck nach nur maximal das positive Interesse abdecken kann (da ja der Geschädigte so zu stellen ist, wie wenn die Pflicht erfüllt worden, der Vertrag mithin wirksam geschlossen worden wäre), vgl. BGHZ 49, 77,
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lich des (so besonders umstrittenen) Schutzes vor unerwünschten Verträgen wohnt der Aussage, im Rahmen der culpa in contrahendo werde „in der Regel“ lediglich das „negative Interesse“ ersetzt, nurmehr eine empirische Feststellung ohne dogmatische Abgrenzungskraft inne763. Richtig ist, daß schlicht Schadensersatz nach den §§ 249 ff. BGB zu leisten ist. Dies wird dann häufig – zumal wegen bestehender Beweisprobleme mit Blick auf den hypothetischen Abschluß eines anders gearteten Vertrags764 bzw. wegen einer (stets möglichen) Begrenzung des Schutzzwecks der vorvertraglichen Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB765 – in den Fällen einer schuldhaften Störung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in der Tat nur zum Ersatz des negativen Interesses führen. Liegt jedoch eine Fallgestaltung vor, in der dem Betroffenen ein nachweislich kausal verursachter, über das negative Interesse hinausgehender, Schaden entstanden ist, der in den Schutzbereich der verletzten Pflicht fällt, ist dieser Schaden selbstverständlich zu ersetzen766. Die „Faustregel“, der Schadensersatz sei im Falle der culpa in contrahendo in der Regel auf das negative Interesse begrenzt, erweist sich vor diesem Hintergrund als dogmatisch nicht weiterführende (wenn auch sicherlich praktisch zutreffende) bloße Aussage zur relativen Häufigkeit derartiger Situationen767. Soweit es in den Diskussionen um die schadensrechtliche Lösung vom oder Anpassung des unerwünschten Vertrags geht, ist zudem das spezifische Konkurrenz82; Soergel/Wiedemann (12.Aufl.), Vor § 275 Rn. 189. Vgl. eingehender zum ganzen zuletzt Kersting, Kap. 7 § 3 A mit umfassenden weiteren Nachweisen. 763 Zutreffend Lorenz/Riehm, Rz. 378; zuletzt Kersting, aaO. mwN: statistische Aussage. 764 S. noch sogleich unten im Text. 765 S. für einen besonders deutlichen Fall einer Schutzzweckbegrenzung der vorvertraglichen Pflicht nur auf einen Teilaspekt des Geschäfts etwa BGHZ 116, 209 ff. = NJW 1992, 555 f. Vgl. in diesem Zusammenhang zur Bedeutung des Schutzzwecks der verletzten Pflicht spezifisch mit Blick auf die schadensrechtliche Lösung vom Vertrag näher Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 71. 766 Dies betrifft nicht nur die notorisch umstrittene Frage einer „Minderung“ aus culpa in contrahendo durch Anpassung des letztlich auf verzerrter Informationsgrundlage geschlossenen Vertrags, vgl. insoweit zuletzt deutlich in die hier vertretene Richtung nur BGH NJW 1998, 2900 f. (mit sorgsamer Ermittlung des Schutzzwecks der verletzten Pflicht und eingehender Prüfung der Kausalität) und dazu Lorenz, NJW 1999, 1001 f. mwN, sondern etwa auch Fälle eines nachweislich entgangenen anderweitigen Vertrags mit einem Dritten (s. etwa BGH NJW 1988, 2234). In diesem Falle umfaßt bei genauem Hinsehen nämlich schon das sogenannte „negative“ Interesse – nämlich das Interesse so gestellt zu werden, als habe der Geschädigte von dem Vertrag mit dem Schädiger nie gehört – das entgangene anderweitige Vertragsinteresse, was sich letztlich bereits aus § 252 BGB ergibt, demzufolge grundsätzlich jedenfalls auch nachweislich entgangener Gewinn zu ersetzen ist. Vgl. wie hier zuletzt Kersting, aaO. mwN. 767 So im Ergebnis auch die ganz herrschende Meinung in der Literatur, vgl. Bergjan, ZIP 2004, 395, 400; Lorenz/Riehm, Rz. 378; Larenz/Wolf, § 31, Rz. 45; Medicus, Schuldrecht I, Rz. 108, 668 f.; Musielak, Rz. 492; Eckert, Schuldrecht AT, Rz. 100 f.; Emmerich, Leistungsstörungen, § 8, Rz. 1 f.; Bamberger/Roth-Grüneberg, § 280, Rz. 35 f.; Jauernig/Stadler, § 311 Rz. 49; Palandt/Heinrichs, § 311 Rz. 56 ff. Gelegentlich mißverständlich formulierend die Rechtsprechung, s. etwa BGH NJW 2001, 2875 f. mwN; im Ergebnis aber zutreffend einen Anspruch auf das Erfüllungsinteresse bejahend, wenn sich die Kausalität für einen entgangenen hypothetischen oder anderweitigen Vertragsschluß „ausnahmsweise“ beweisen läßt, BGH NJW 1998, 2900 f.; BGH NJW 2001, 2875 mwN.
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verhältnis zum Anfechtungsrecht zu berücksichtigen; hierfür kann auf die Ausführungen im Kontext der Darstellung des Anfechtungsrechts verwiesen werden: Nach der hier vertretenen Auffassung ist ein Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 (oder Abs. 3), 241 Abs. 2 BGB nach heutigem Rechtsstand zweifelsfrei möglich, ohne daß es eines spezifisch qualifizierenden Abgrenzungskriteriums zu § 123 BGB noch bedürfte. Allerdings ist als Konsequenz dieser – somit nicht länger leugbaren – teilweisen Deckungsgleichheit hinsichtlich des Schutzzwecks beider Instrumente zur Meidung von Wertungswidersprüchen rechtsfolgenseitig die Frist nach § 124 BGB auch im Rahmen der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung zu beachten768. Was die Anforderungen an die Kausalität einer Fehlinformation oder einer pflichtwidrigen Einflußnahme für den letztendlichen Vertragsschluß als Voraussetzung einer schadensrechtlichen Lösung vom Vertrag und insbesondere die Fragestellung nach dogmatischer Konstruktion und Reichweite der – insoweit in gewissem Umfang unzweifelhaft gebotenen – Beweiserleichterungen hinsichtlich der Kausalität zugunsten des Geschädigten angeht769, steht diese Problematik in einem gewissen inneren Zusammenhang mit den hier vertretenen Thesen hinsichtlich der Ausdehnung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses auf Handlungen werblicher Vertragsanbahnung im Wertungsgleichklang mit § 434 Abs. 1 S. 3 BGB. Es besteht – untechnisch gesprochen – ein Verhältnis umgekehrter Propotionalität zwischen der Erweiterung des Haftungstatbestandes und notwendiger Behutsamkeit bezüglich allzu wohlfeiler Annahmen hypothetischer Kausalität der Fehlinformation für den Vertragsschluß. D.h., der Erweiterung des Haftungstatbestands muß nach der hier vertretenen Auffassung für diesen Bereich eine vergleichsweise zurückhaltende Handhabung der Beweiserleichterungen im Rahmen des Kausalitätsbeweises gegenüberstehen. Typisierte Wertungen des Wettbewerbsrechts mit Blick auf die Relevanz werblicher Angaben für geschäftliche Entscheidungen der Verbraucher können freilich wiederum in gewissem Umfang Berücksichtigung auch bezüglich demgemäß gebotener Erleichterungen des Kausalitätsbeweises finden (s. insoweit noch näher unten 3). Soweit es um eine Vertragsanpassung auf schadensrechtlichem Wege, die sogenannte „Minderung“ durch culpa in contrahendo geht, ist die Rechtsprechung – bezüglich des insoweit notwendigen Nachweises eines entsprechenden hypothetischen Vertragsschlusses770 – letzthin ohnedies zusehends und zu Recht771 von größerer Zurückhaltung 768
S. ausführlich zum ganzen oben A III 3 d a.E. S. zur diesbezüglichen (durchaus facettenreichen) Rechtsprechung an dieser Stelle nur den erschöpfenden Überblick bei Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 163 ff., sowie seither BGH NJW 1998, 302, 303 mwN und dazu wiederum Grigoleit, NJW 1999, 900, 903 f. mwN (bezüglich der Kausalität). Vgl. auch noch sogleich unten 3. 770 S. zur diesbezüglichen bisherigen Rechtsprechung des BGH (die zumindest im Regelfall wegen der bestehenden Beweisprobleme mit Blick auf die Kausalität noch dem Geschädigten ein Wahlrecht zwischen Vertragsaufhebung und Vertragsanpassung einräumte, vgl. auch noch u. Fn. 772) wiederum erschöpfend Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 182 ff., sowie seither BGH NJW 1998, 2900 f.; BGH NJW 2001, 2875 ff. mit der (strengeren, vgl. u. 769
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geprägt772. Gerade auch die zutreffende Handhabung der Beweislastfrage773 ist es demnach, die die hier befürwortete Ausdehnung der vorvertraglichen Informationshaftung wirtschaftlich-praktisch gangbar erscheinen läßt. Fn. 772) ausdrücklichen Forderung des Nachweises des Entgangs eines hypothetischen (angepaßten) Vertrags mit dem Schädiger. Soweit Canaris, AcP 200 (2000), 273, 315 ff., neben derartige Fälle einer Vertragsanpassung auf Grundlage von § 249 S. 1 BGB, die den (gegebenenfalls aber doch zu erleichternden, s. sogleich in u. Fn. 772) Nachweis eines hypothetischen Abschlusses eines entsprechend angepaßten Vertrags voraussetzen, seine Lösung auf Grundlage einer entsprechenden Anwendung von § 251 Abs. 1 BGB stellt, welche Fälle erfassen könnte, in denen zur Entschädigung die Lösung vom Vertrag – insbesondere aufgrund zwischenzeitlich getätigter, komplexer Investitionen in den Vertragsgegenstand – nicht genügend bzw. jedenfalls dem Geschädigten unzumutbar ist, weshalb ihm (dann nicht auf Grundlage eines hypothetischen Vertragsschlusses unter § 249 S. 1 BGB, sondern analog § 251 Abs. 1 BGB) eine Entschädigung in Geld – gerade im Umfang der Differenz zwischen dem geleisteten und dem proportional herabgesetzten Kaufpreis – zu leisten ist, sind die von Canaris, aaO., an dieser Stelle in den Blick genommenen Situationen (der archetypische Fall dürften komplexe und schwerlich rückabwickelbare Investitionen des Geschädigten in ein erworbenes Unternehmen sein) für den hier betrachteten Bereich des massenhaften Verbrauchsgüterkaufs ersichtlich von vergleichsweise geringer Bedeutung. 771 S. Lorenz, NJW 1999, 1001 f.; Mertens, ZGS 2004, 67, 70, jeweils mwN. Vgl. grundsätzlich gegen die ursprüngliche BGH-Rechtsprechung (s. etwa BGHZ 69, 53, 58; BGH NJW 1989, 1793, 1794 [jeweils zu Kaufverträgen]; BGHZ 114, 87 [zum Werkvertrag]), die dem Geschädigten im Ergebnis ein Wahlrecht zwischen Vertragsaufhebung und Vertragsanpassung einräumte und dadurch letztlich eine Art „Kontrahierungszwang“ bezüglich des hypothetischen Vertrags zu Lasten des Schädigers (unter praktisch vollkommener Hintanstellung des diesbezüglichen Kausalitätserfordernisses unter § 249 BGB) konstruierte, etwa (noch auf Grundlage von § 249 BGB entschieden kritisch argumentierend) Canaris, ZGR 1982, 395, 421 f. (vgl. seither aber für den neuen Ansatz bei Canaris auf Grundlage von § 251 BGB die Ausführungen in o. Fn. 770); Stoll, in: FS v. Caemmerer, S. 435, 466 f. (der derartige Fälle über § 242 BGB lösen will); Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 78 ff. (unter Hinweis auf die Unterscheidung zwischen dolus causam dans und dolus causam incidens, die im Rahmen von § 249 S. 1 BGB zu berücksichtigen sei und einen diesbezüglichen Nachweis seitens des Geschädigten, daß der Schädiger hypothetisch mit ihm zu veränderten Bedingungen abgeschlossen hätte, erfordert); Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 201 ff. (mit dem Ansatz, bezüglich des von Lorenz bezeichneten Beweisproblems über § 287 ZPO Beweismaßerleichterungen zu gewähren); der BGH-Rechtsprechung aber zustimmend Staudinger-Löwisch, § 311, Rz. 144 f. 772 S. BGH NJW 1998, 2900 f.; BGH NJW 2001, 2875 ff., wo nunmehr jeweils ausdrücklich der (in BGH NJW 1998, 2900 f. „ausnahmsweise“ gelungene, in BGH NJW 2001, 2875 ff. angesichts der sogar naheliegenden Unmöglichkeit eines derartigen Verlaufs der Dinge gescheiterte) Nachweis eines hypothetischen Vertragsschlusses für eine „Minderung“ auf Grundlage von § 249 S. 1 BGB gefordert wird. Dazu Lorenz, NJW 1999, 1001, 1002: neuere Rechtsprechung selbst bei gebotener Beweismaßsenkung strenger als das bisher praktisch bejahte Wahlrecht des Geschädigten zwischen Vertragsaufhebung und Vertragsanpassung im Bereich des Kauf- und Werkvertragsrecht (s. die Rechtsprechungsnachweise o. Fn. 771) und – sofern die Beweisprobleme unüberwindlich bleiben – im praktischen Ergebnis eher auf ein Wahlrecht des Schädigers hinauslaufend, während dem Geschädigten im Regelfall nur noch die schadensersatzrechtliche Vertragsaufhebung bleibe. S. zu den diesbezüglich aber wiederum bestehenden Möglichkeiten einer Beweismaßsenkung auf Grundlage von § 287 ZPO, die einen Teil der bisherigen Rechtsprechung zu erklären vermöchte, schon Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 201 ff. mwN. 773 Vgl. noch unten 3.
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2. Schadensersatz bei nicht zustandegekommenem Vertrag a. Schadensersatzanspruch gegen den prospektiven Vertragspartner Vergleichsweise einfach gestaltet sich die rechtliche Lage in den Fällen, in denen letztlich kein Vertrag zustandekommt774. Der Schadensersatzanspruch richtet sich gemäß §§ 249, 251 Abs. 1 BGB in diesem Falle auf die frustrierten „Vertrauensinvestitionen“, d.h. insbesondere Geldmittel für Kommunikations- oder Fahrtkosten sowie ähnliche Ausgaben, die seitens des Vertrauensgebers im Vertrauen auf eine bestimmte pflichtwidrige Werbeangabe getätigt wurden, um seinerseits dem erhofften – dann aber letztlich entgegen der pflichtwidrigen Werbeangabe nicht oder nicht so (wie in der Werbeangabe beschrieben) möglichen – Vertragsschluß einen Schritt näher zu rücken775. Derartige Fallgestaltungen werden in der Lehre seit langem als ein Anwendungsfall der culpa in contrahendo gem. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 i.V.m. §§ 280 Abs. 1, 249, 251 Abs. 1 BGB diskutiert und ein Schadensersatzanspruch für im Vertrauen auf irreführende Werbeangaben getätigte Aufwendungen wird von einem Teil der Literatur auch befürwortet776. In der Rechtsprechung hat sich diese Auffassung bisher aber erkennbar nicht durchgesetzt777, was auch darauf zurückzuführen sein mag, daß angesichts des typischerweise wohl ganz bagatellartigen Charakters der entstandenen Schäden in den meisten Fällen eine Geltendmachung unterbleiben dürfte778. Auch wurde und wird gegen einen derartigen Schadensersatzanspruch eingewendet, daß er für die Unternehmer ein völlig unkalkulierbares Haftungsrisiko schaffe779. Dieses Argument enthält ohne Zweifel einen zutreffenden Kern, da angesichts der Vielfältigkeit denkbarer „Fehler“ in der Werbung und angesichts der Multidirektionalität der werblichen Information – in einer Zeitungsanzeige mag die Information in Form übertriebener Anlockung (unter Hinweis auf den Sonderangebotscharakter oder einen besonders niedrigen Preis etc.) sich mit Informationen bezüglich der Eigenschaften des Produkts, der Einzelheiten des Vertrags, der Eigenschaften des Händlers etc. additiv überlagern – jedenfalls dann ein kaum übersehbares Haftungsrisiko geschaffen würden, wenn jeglicher Verstoß gegen das Irreführungsverbot zu einem Schadensersatzanspruch 774 Vgl. insoweit schon für den hier im Mittelpunkt stehenden Bereich Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 387 ff. 775 S. näher schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 387 ff. (auch zur Möglichkeit derartige Schäden auf Grundlage von § 287 ZPO zu schätzen). 776 Vgl. statt vieler zuerst Erman, AcP 139 (1934), 273, 287; Lehmann, NJW 1981, 1233, 1239 ff.; ders., Vertragsanbahnung, S. 387 ff.; Gilles, Direktmarketing, Rz. 255 ff.; Larenz/Wolf, § 31, Rz. 10; Soergel-Wiedemann (12.Aufl.), Vor § 275 Rz. 244; Palandt-Heinrichs, § 311, Rz. 16. Zuletzt allgemein Beaucamp, NJW 2003, 3096 f.; Augenhofer, WRP 2006, 169, 175. 777 Weiterhin zutreffend der diesbezügliche Befund bei Alexander, S. 134. 778 Vgl. zu diesem Durchsetzungsproblem, daß nach der hier vertretenen Auffassung auch gerade die zusätzliche Notwendigkeit des wettbewerbsrechtlichen Sanktionensystems in diesem Bereich erklärt, und zu anderen denkbaren Lösungsansätzen im Zivilrecht auch noch unten 5. Abschnitt. 779 S. zuletzt Köhler, GRUR 2003, 265, 271 f.
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für die frustrierten Aufwendungen wegen Verstoß mit diesem wettbewerbsrechtlichen Maßstab konvergierender Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB selbst bei späterer Aufklärung – die dann den (auf falscher Tatsachengrundlage) angestrebten Vertragsschluß (rechtzeitig) verhindert – führen würde. Bisher für den hier betrachteten Schnittbereich aus Wettbewerbs- und Vertragsrecht nicht hinreichend bedacht wurde jedoch die Möglichkeit, in diesem Zusammenhang je nach der Zweckrichtung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes zu differenzieren780. Denn die (nunmehr im Rahmen von § 5 UWG) verorteten Irreführungstatbestände verfolgen durchaus erkenn- und (zumindest schwerpunktmäßig) „trenn“bar unterschiedlich ausgerichtete Zwecke. Teils soll in der Tat gerade die unlautere, irreführende Anlockung unterbunden werden. Der Sinn und Zweck der diesbezüglichen Irreführungsverbote liegt darin, eine Anlockung des Verkehrs und Umlenkung der Verbraucher in das eigene Ladenlokal mit irreführenden Mitteln im Interesse der Verbraucher (und in diesem Falle schwerpunktmäßig auch zugleich der Konkurrenten) zu unterbinden: In diesen Bereich gehört insbesondere als archetypisches Beispiel der Tatbestand des § 5 Abs. 5 UWG betreffend die angemessene Bevorratung von spezifisch beworbenen Waren oder Dienstleistungen. Hinzu kommen auch noch andere Fallgruppen unlauterer Werbung mit übertriebenem Anlockungscharakter, wie sie sich zumal im weiten Feld der Wertreklame finden. Der Sinn und Zweck dieser Pflichten ist nicht 780 S. auch schon oben II 1 e und insbesondere III. Die Doppelerwähnung der Problematik ist insofern unvermeidlich, als sie dogmatisch in diesem Falle, da es um die Zurechnung eines konkret entstandenen Schadens auf den konkreten Inhalt und Schutzzweck einer spezifischen vorvertraglichen Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB geht, zugleich schon eine Frage der Haftungsbegründung betrifft. Nur der besseren Übersicht halber wurde die nähere Diskussion der Problematik, um das Potential der schutzzweckorientierten Differenzierung des Pflichtenmaßstabs unter § 241 Abs. 2 BGB praktisch im vergleichenden Überblick der relevanten Konstellationen illustrieren zu können, auch an dieser Stelle verortet. Vgl. für eine den hier gelagerten Fallgestaltungen nahestehende, vorbildlich sorgsame Betrachtung des Rechtswidrigkeits- bzw. Schutzzweckzusammenhangs (im Rahmen der Prospekthaftung) das Urteil BGH NJW 1993, 2865, 2866, wo genau die – hier für vertragsgegenstandsbezogene Werbeangaben verallgemeinerte – Wertung hinsichtlich des Schutzzwecks für den engeren Bereich der Prospekthaftung (im konkreten Fall bezüglich des Erwerbs von Aktien außerhalb der geregelten Märkte) bestätigt wird: der Schutzzweck der in diesem Falle vorgesehenen positiven und negativen Informationspflichten im Rahmen des latent typisiert in den Bereich der Werbung ausgedehnten vorvertraglichen Schuldverhältnisses liegt bezüglich vertragsgegenstandsbezogener Angaben im Schutz des „Recht(s) zur Selbstbestimmung“ mit Blick auf den angestrebten Vertragsschluß; vgl. allgemein zu der Voraussetzung, daß der entstandene Schaden vom Schutzzweck der verletzten Pflicht umfaßt sein muß, aus der Rechtsprechung BGHZ, 116, 209, 212 f.; BGH NJW 1992, 2560, 2561; BGH NJW 1992, 2148, 2149; aus der Literatur etwa MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 234 mwN. Für die hier betrachtete Problematik gesehen bei Sack, WRP 1974, 445, 455, der aber auch insoweit eine umfassende Beweislastumkehr befürwortet; dies mag bezüglich der Kausalität ein gangbarer (von der Rechtsprechung allgemein auch schon beschrittener (s. nur BGHZ 66, 51) Weg sein (wenngleich nach der hier vertretenen Auffassung lediglich Beweiserleichterungen ähnlich den Grundsätzen über den prima facie Beweis zu gewähren sind, s. unten 3); für die Frage der Zurechnung des entstandenen Schadens auf die verletzte Verhaltenspflicht, bei der es sich um eine Rechtsfrage handelt, sind diese Grundsätze aber gerade nicht anwendbar.
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primär der Schutz der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher781 – da typischerweise die beworbene Ware ohnedies nicht (mehr) zu erwerben ist oder die angepriesenen Konditionen nicht gelten, worüber dann aber auch vor allfälligen Vertragsschlüssen der Verbraucher aufgeklärt wird – , sondern vielmehr der Schutz vor „Umlenkung“ und Anlockung in das eigene Ladenlokal oder den Geschäftsbereich des eigenen Unternehmens. Diesem Schutzzweck entsprechend ist – Verschulden und einen entsprechenden lauterkeitsrechtlichen Pflichtverstoß des Unternehmers, der zugleich eine Verletzung der typisierten Pflichten nach § 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB impliziert, einmal vorausgesetzt – der dem Verbraucher dadurch, daß er etwa vergebens das Ladenlokal aufsucht, entstandene Schaden durch frustrierte Aufwendungen typischerweise auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 i.V.m. §§ 249, 251 Abs. 1 BGB nach der hier vertretenen Auffassung ersatzfähig. Angesichts des Sinn und Zwecks derartiger durch besondere Herausstellung des Preises, des Sonderangebotscharakters o.ä. einen besonderen Anlockungseffekt erzielender Werbeformen ist es dem Unternehmer nämlich durchaus zuzumuten, gerade die Pflichtgemäßheit der besonders herausgestellten Umstände (niedriger Preis, Sonderangebot o.ä.) im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Regeln – insbesondere hinsichtlich der angemessenen Bevorratung – mit der im Verkehr üblichen Sorgfalt zu überwachen. Einer Überdehnung der Haftung kann hier zudem durch eine angemessene Auslegung des § 5 Abs. 5 UWG, der eine Bevorratungspflicht für zwei Tage ja lediglich als „angemessen“ für den „Regelfall“ vorsieht, im übrigen aber eine Differenzierung nach Art der Ware, Gestaltung und Verbreitung der Werbung gestattet, so daß etwa den besonderen Verhältnissen im Zusammenhang mit „Kultangeboten“782 – für die eine Schlangenbildung schon vor Öffnung der Ladenlokale und ein Ausverkauf innerhalb der ersten Stunden oder gar Minuten der Kampagne ja durchaus den typischen, vom Verkehr auch erwarteten Geschehensablauf repräsentieren mag – durch eine entsprechende Absenkung des Pflichtenmaßstabs flexibel Rechnung getragen werden kann, schon im Ansatz vorgebeugt werden783. Wird aber der auf diese Weise doppelt eng ge781 Daher kommt bei Verletzung dieser Pflichten auch insbesondere nach der hier vertretenen Auffassung praktisch nie eine Lösung vom Vertrag auf Grundlage der §§ 311, 241 BGB in Betracht, vgl. schon oben III sowie auch noch unten 3. 782 Hierher zählen etwa die spektakulären Angebote einschlägiger Lebensmittel-Discounter im Elektronikbereich oder auch im Bereich der Transportdienstleistungen, wie der „Aldi“Computer oder die „Lidl“-Bahntickets. 783 Zuzugeben ist, daß eine derartige tendenziell strenge Auslegung des § 5 Abs. 5 UWG gerade die Befürchtungen bestätigt, eine zivilrechtliche Schadensersatzhaftung für aufgrund unlauteren Wettbewerbs entstandene Schäden werde spiegelbildlich zu einer Absenkung des Schutzstandards führen (vgl. Köhler, GRUR 2003, 265, 271 mwN [im Zusammenhang mit Überlegungen zur Schaffung eines entsprechenden spezialgesetzlichen Schadensersatzanspruchs de lege ferenda in der UWG-Reform]). Doch ist nach der hier vertretenen Auffassung eine derartige Absenkung des Schutzstandards auf das auch einen Individualanspruch der Verbraucher rechtfertigende Niveau jedenfalls für all jene Fallgruppen vertikaler Wettbewerbshandlungen, in denen nicht spezifische Konkurrenteninteressen oder der Schutz der Institution des Wettbe-
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spannte wettbewerbsrechtliche Pflichtenrahmen verletzt, so wird – da Verbraucher, die sich durch ihre Fahrt zum Ladenlokal oder eine entsprechende Kontaktaufnahme auf die Werbung eingelassen haben, damit zugleich eine vorvertragliche Sonderbeziehung etablieren – in der Regel ein Schadensersatzanspruch der Verbraucher auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 i.V.m. §§ 249, 251 Abs. 1 BGB entstehen. Dabei kann der Sorge vor einer unabsehbaren Ausdehnung der Haftungsgefahren für die Unternehmer zudem noch dadurch Rechnung getragen werden, daß in derartigen Fällen eine Haftung nur dann bejaht wird, wenn sich die „Vertrauensdisposition“ der betroffenen Verbraucher als im weitesten Sinne typische Reaktion auf die Werbekampagne darstellt: so mögen Fahrtkosten zu einem in der Nähe einer Großstadt gelegenen Outlet-Center noch als typische Reaktion auf die Werbung zu ersetzen sein. Bewegt sich ein angelockter Verbraucher aber etwa von München nach Frankfurt (ohne zumindest zuvor sich durch eine konkrete Anfrage beim Unternehmer zu vergewissern 784), um ein bestimmtes werbliches Sonderangebot wahrzunehmen, so überschreitet er damit sicher das Maß der typischerweise zu erwartenden „Vertrauensdispositionen“ bezüglich eines werblichen Sonderangebots785. In diesem Falle ist seine „überschießende“ Reaktion nicht länger dem Schutzzweck der – mit dem Maßstab des Wettbewerbsrechts konvergierenden – latent vorverlagerten vorvertraglichen Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB zurechenbar786, ein Schadensersatzanspruch kommt deshalb nicht in Betracht. werbs ein höheres Schutzniveau konkret rechtfertigen, durchaus zu wünschen, da ein höherliegendes Schutzniveau – welches etwa auch Kampagnen verhindern würde, die im Verkehr (der an derartige „Kultangebote“ insbesondere aufgrund des harten Wettbewerbs der Discounter mittlerweile gewöhnt ist) durchaus zutreffend dahingehend verstanden werden, daß für eine realistische Erwerbschance der Anbieter bereits am ersten Tag vor Öffnung der Märkte aufgesucht werden muß – dann letztlich nur Ausdruck einer wettbewerbsrechtlichen Fehlentwicklung in Richtung auf zu strenge Maßstäbe wäre. 784 Wird eine derartige individuelle Anfrage positiv beschieden und begibt sich der Kunde daraufhin zum Ladenlokal, so liegt jedenfalls unproblematisch eine schadensersatzbegründende vorvertragliche Aufklärungspflichtverletzung i.S.d. § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB vor, zu deren Begründung es dann auch nicht einer latenten Vorverlagerung und Typisierung des Pflichtenmaßstabs bedarf, s. insoweit statt aller Köhler, GRUR 2003, 265, 271 f. 785 Erst recht nicht dürfte der Inhalt und Schutzzweck der wettbewerbsrechtlichen Pflichten betreffend anlockende Wertreklame einen Schaden abdecken, der dem Verbraucher dadurch entsteht, daß er sich im bloßen Vertrauen auf die werblich massenhafte Information über etwaige Sonderangebote, anderweitige Vertragsangebote Dritter hat entgehen lassen, ohne zuvor individuell anzufragen, ob die beworbenen Sonderangebote noch verfügbar sind. Denn soweit reicht der durch anlockende Werbung geschaffene Vertrauenstatbestand gerade nicht, der sich vielmehr – genau der Intention derartiger Kampagnen und dem Inhalt und Zweck der zugehörigen typisierten Verhaltenspflichten entsprechend – darauf beschränkt, daß der Kunde im Vertrauen auf die werbliche Information (und ohne insoweit den Schutzzweckzusammenhang zu unterbrechen) diejenigen Dispositionen treffen kann und darf, die notwendig sind, um (wie vom Unternehmer erstrebt) dessen Ladenlokal aufzusuchen. 786 S. zur Anwendbarkeit der Schutzzwecklehre auch auf die Verletzung von Verhaltenspflichten aus culpa in contrahendo aus der Rechtsprechung zum alten Recht BGHZ, 116, 209, 212 f. = NJW 1992, 555; BGH NJW 1992, 2560, 2561; BGH NJW 1992, 2148, 2149; aus der Literatur etwa MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 234 mwN.
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Schließlich hilft die Differenzierung nach dem Schutzzweck der jeweils – in UWG und §§ 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB – konvergierenden Pflichten für die werbliche Etablierung der vorvertraglichen Sonderbeziehung, all diejenigen Fälle an dieser Stelle auszuschließen, in denen sich der wettbewerbsrechtliche Irreführungsmaßstab tatsächlich schwerpunktmäßig auf den Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage der Verbraucher richtet, um verzerrte Vertragsentscheidungen zu verhindern. Dies betrifft praktisch sämtliche unmittelbar produktbezogenen Aussagen, die sich ohne besondere Herausstellung allgemein auf Eigenschaften der angebotenen Waren oder Dienstleistungen beziehen, ohne hiermit eine besondere – über das stets vorhandene Maß hinausgehende – Anlockungswirkung erzielen zu wollen; denn in diesem Falle ist es nicht der Sinn und Zweck des Irreführungsverbots, den Verbraucher vor frustrierten „Vertrauensinvestitionen“ zu schützen, sondern vielmehr soll in erster Linie die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit der Verbraucher vor relevanten Verzerrungen gesichert werden. Wird dieses Ziel aber durch individuelle Aufklärung noch vor Vertragsschluß erreicht bzw. wird ein Vertrag letztlich gar nicht geschlossen, ist der dem Schutzzweck der wettbewerblichen Verbote zuzurechnende Schadenseintritt verhindert worden, und ein dem Schutzzweck der Pflicht zurechenbarer Schaden ist von vornherein nicht entstanden. Beachtet man diese Grundsätze, so ist das Haftungsrisiko, welches durch die grundsätzliche Ausdehnung der – dann zwangsläufig in einem Wechselwirkungsprozeß mit den typisierten Maßstäben des UWG konvergierenden – Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB schon auf – werbliche Sonderbeziehungen anbahnende – massenhafte Erklärungen des Unternehmers in der Tat entsteht, durch konsequente Berücksichtigung des Schutzzwecks der solcherart konstruierten typisiert vorvertraglichen Pflichten doch vergleichsweise begrenzt. Nur soweit eine Kampagne tatsächlich gerade schwerpunktmäßig eine unlautere, übertriebene Anlockung aufgrund irreführender Werbung bezüglich besonders herausgestellter Umstände beinhaltet, kommt ein Ersatz adäquat durch die Anlockung verursachter Schäden für frustrierte Aufwendungen in Betracht, der zudem auf diejenigen Schäden begrenzt ist, die aufgrund typischer Verbraucherreaktionen auf die Kampagne entstanden sind. Bedenkt man noch zusätzlich den vergleichsweise beinahe verschwindend geringen Umfang derartiger Schäden im Einzelfall, so wird deutlich, daß das an dieser Stelle den Unternehmern drohende Haftungsrisiko überschaubar gehalten werden kann787. Eher dürfte um787 Jedenfalls im Vergleich mit dem neugeschaffenen Gewinnabschöpfungsanspruch des § 10 UWG, der allerdings zugegeben auch nur bei vorsätzlichen Wettbewerbsverstößen greift (was allenfalls nur einen sehr entfernten Vergleich mit den hier problematisierten Konstellationen gestattet), ist das entstehende Haftungsrisiko sogar vergleichsweise gering, wobei der große institutionelle Vorteil der hier konstruierten Schadensersatzpflicht nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB in der unmittelbaren Greifbarkeit für die Verbraucher liegt, die das Vertrauen in den Wettbewerb als Institution voraussichtlich noch effektiver zu stärken vermöchte, als der lediglich kollektiv durchgesetzte – und dem breiten Publikum sicherlich gar nicht bekannte – Gewinnabschöpfungsanspruch.
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gekehrt die effektive Geltendmachung derartiger Streuschäden ein unübersehbares Durchsetzungsproblem aufwerfen788. b. Schadensersatzanspruch gegen Dritte Auf Grundlage der vorstehend entwickelten Überlegungen zum schwerpunktmäßigen Schutzzweck der wettbewerblichen Pflichten des produkt- und vertragsgegenstandsbezogenen Irreführungsschutzes wird auch deutlich, daß ein Schadensersatzanspruch gegen Dritte (insbesondere der Hersteller und QuasiHersteller) auf Grundlage der hier entwickelten Auffassung zum Umfang des von ihnen durch Veröffentlichung werblicher Informationen über Eigenschaften des Produkts oder der Dienstleistung gegebenenfalls in Anspruch genommenen „besonderen Vertrauens“ i.S.d. § 311 Abs. 3 BGB jedenfalls für die an dieser Stelle betrachteten Konstellationen frustrierter Aufwendungen für Vertragsanbahnungskosten letztlich gescheiterter Verträge praktisch stets ausgeschlossen sein dürfte. Denn ein „besonderes Vertrauen“ in die Hersteller- und Anbieterangaben789 besteht nach der hier vertretenen Auffassung – in Anlehnung an die Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB – nur, soweit sich diese gerade auf den Vertragsgegenstand, mithin das zu erwerbende Produkt oder die zu erwerbende Dienstleistung beziehen. Die Fälle übertriebener Anlockung dürften aber kaum jemals im Zusammenhang mit produktbezogenen Angaben stehen, sondern fallen typischerweise in den Bereich der Preis- oder Konditionenwerbung; in diesem Bereich genießen Hersteller und sonstige in den Produktionsprozeß eingebundene Dritte aber keinerlei irgendwie privilegiertes Vertrauen mit Blick auf die diesbezüglichen Angebote der Händler. Umgekehrt dient die produktbezogene Herstellerwerbung – für die eine besondere Vertrauensinanspruchnahme i.S.d. § 311 Abs. 3 BGB in Betracht kommt – typischerweise nie schwerpunktmäßig der Anlockung in ein bestimmtes Ladenlokal, sondern vielmehr der allgemeinen Herausstellung der positiven Eigenschaften der beworbenen Ware oder Dienstleistung bzw. ihres Herstellers oder Anbieters. Dem Schutzzweck der diesbezüglichen wettbewerblichen Pflichten (insbesondere betreffend produktbezogene Irreführung) ist aber der Schutz vor frustrierten Aufwendungen durch Fahrten zum Ladenlokal – wo dann noch „rechtzeitig“ vor Vertragsschluß über etwa konkret nicht vorhandene Eigenschaften welcher Art auch immer aufgeklärt wird – gerade nicht zuzurechnen. Damit dürfte ein Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller oder andere in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannte Dritte in dieser Fallkonstellation des nicht geschlossenen Vertrages praktisch für die allermeisten Fälle ausscheiden.
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S. insoweit unten 5. Abschnitt. Genauer: in ihr pflichtgemäßes Zustandekommen, aus dem sich für den Regelfall ihre Richtigkeit ergibt, vgl. oben C II 1 a. 789
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
3. Schadensersatzanspruch bei zustandegekommenem Vertrag a. Schadensersatzanspruch gegen den Vertragspartner und Konkurrenz zum Gewährleistungsrecht Ist ein Vertragsabschluß nach unlauterer Werbung zustandegekommen, so ist bezüglich eines potentiellen Schadensersatzanspruchs auf Grundlage von §§ 311, 241 Abs. 2 BGB wegen dieses unerwünschten Vertrags „als Schaden“ zunächst präjudiziell, daß überhaupt ein unerwünschter Vertrag vorliegt790. Insoweit ist auf Grundlage des neuen Schuldrechts mit der typisierten Einbeziehung der durch bestimmte Werbeangaben geweckten Verkehrserwartung in die zugehörigen Kaufverträge zu differenzieren. Soweit die Vorschrift des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB reicht, d.h. bezüglich konkreter Angaben des Verkäufers über bestimmte Eigenschaften der Kaufsache, die zu ihrer Beschaffenheit i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB zählen, kommt ein Schadensersatzanspruch auf Grundlage von §§ 311, 241 Abs. 2 BGB in der Fallgruppe des abgeschlossenen Kaufvertrags wegen Abschluß eines unerwünschten Vertrags schon deshalb nicht in Betracht, weil die gesetzliche Auslegungsregel des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB durch die typisierte Einbeziehung der entsprechenden Angaben in die Beschaffenheitsvereinbarung stets dafür sorgt, daß – soweit, wie das Verständnis der Werbeangaben, vom normativen Empfängerhorizont eines Durchschnittsverbrauchers betrachtet, reicht – gegebenenfalls ein erwünschter Vertrag mithin im praktischen Sinne eine vertragliche „Vertrauenserfüllungshaftung“ nach den speziellen Vorschriften der §§ 434 ff. BGB vorliegt, die aufgrund ihrer spezifischeren Voraussetzungen und Rechtsfolgen791 die gesetzliche Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo nach zutreffender herrschender Meinung ab Gefahrübergang792 (nunmehr auch bezüglich Rechtsmängeln793 und in Fällen arglistiger Täuschung794) ver790 S. für diese „tatbestandliche“ Lösung zutreffend Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 126; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 224 ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 388 ff. mwN. 791 Die das neue Recht nicht beseitigt hat, da es bei der (wenn auch nicht mehr vergleichbar drastisch) abweichenden Verjährungsregelung (mit Blick auf Dauer und Beginn der Verjährung) auf Grundlage von § 438 BGB, bei der Sonderregelung des § 442 Abs. 1 BGB, dem Vorrang der Nacherfüllung und anderen Spezifitäten der kaufrechtlichen Erfüllungshaftung bleibt, s. nur statt aller schon frühzeitig Lorenz/Riehm, Rz. 576. 792 Weiterhin zutreffend BGH WM 1982, 960 f.; Staudinger-Honsell (12.Aufl.), Vor § 459, Rz. 59; MüKo-Westermann, § 437, Rz. 57. 793 S. für die zutreffende herrschende Meinung zu diesem (für die hier angestellte Untersuchung eher nebensächlichen) Aspekt nur Weiler, ZGS 2002, 249, 256; Mertens, AcP 203 (2003), 818, 832; Lorenz/Riehm, Rz. 576; Palandt-Putzo, § 437, Rz. 51a; Palandt-Heinrichs, § 311, Rz. 27. 794 Anders zum alten Recht BGH NJW 1992, 2564, 2565 f.; BGH NJW 1995, 2159, 2160 (jeweils für vorsätzliche Pflichtverstöße); zutreffend bezüglich des neuen Rechts (für das die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit nichts mehr für die Abgrenzung hergibt, weil die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit als Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs im Rahmen der kaufvertraglichen Erfüllungshaftung entfallen ist) Weiler, ZGS
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drängt795. Dies dürfte – angesichts des auch nach der hier vertretenen Auffassung durch die Schuldrechtsreform wesentlich erweiterten Beschaffenheitsbegriffs des § 434 Abs. 1 BGB796 – für eine Anwendung der culpa in contrahendo wegen unerwünscht abgeschlossener Verträge im Verhältnis zum Verkäufer für den hier interessierenden Bereich des massenhaften Verbrauchsgüterkaufs praktisch nur einen schmalen Bereich verbleibender Fälle bestimmter und relevanter irreführender Werbeangaben belassen, die sich nicht auf Umstände beziehen, die im allerweitesten Sinne mit der Beschaffenheit der Kaufsache in Zusammenhang stehen797 und daher durch die vorrangige kaufrechtliche Erfüllungshaftung nicht umfaßt sind798. 2002, 249, 253 f.; Mertens, 203 AcP (2003), 818, 832; Palandt/Heinrichs, § 311, Rz. 25 f.; MüKoWestermann, § 437, Rz. 58. 795 S. für die herrschende Meinung zum neuen Recht Brüggemeier, WM 2002, 1376, 1378; Weiler, ZGS 2002, 249, 252 ff.; Mertens, AcP 203 (2003), 818, 832 ff.; Lorenz/Riehm, Rz. 576 ff.; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring-Büdenbender, § 8, Rz. 72; Westermann/Buck, S. 179; AnwKKrebs § 311 Rz. 33; Palandt-Heinrichs § 311 Rz. 25 f.; Jauernig-Berger Rz. 34; MüKo-Westermann, § 437, Rz. 58. A.A. Bamberger/Roth-Faust, § 437, Rz. 181: Anspruchskonkurrenz; Emmerich, Leistungsstörungen, § 7 II 5 a (S. 106 f.). Offengelassen bei Staudinger-Beckmann, Vorbem zu §§ 433 ff., Rz. 19 mwN. 796 Vgl. oben 3. Abschn. C II 1. 797 Genaugenommen müßte als Voraussetzung einer Anspruchskonkurrenz ein genuiner, selbständiger Beratungsvertrag zwischen Verkäufer und Käufer oder zumindest eine selbständige Nebenpflicht festgestellt werden, deren eigenständiges (Beratungs-)pflichtenprogramm nicht in der beschaffenheitsbezogenen kaufrechtlichen Erfüllungspflicht auf Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB aufgeht (s. allgemein nur MüKo-Westermann, § 437, Rz. 58). Für die hier interessierenden Fälle der Vertragsanbahnung durch unlauteren Wettbewerb ist dies auf Grundlage des neuen erweiterten Beschaffenheitsbegriffs bezüglich vertragsgegenstandsbezogener Äußerungen praktisch wohl eher selten. Einen denkbaren Anwendungsbereich bilden aber Äußerungen, die sich auf bestimmte, konkrete und relevante Eigenschaften des Verkäufers oder andere beschaffenheitsfremde Umstände (Vorhandensein und Umfang einer Herstellergarantie o.ä.) beziehen. 798 Die Verdrängung reicht dabei nach zutreffender (wenn auch umstrittener, s. weiterhin a. A. wohl Brüggemeier, WM 2002, 1376, 1378; AnwK-Krebs, § 311, Rz. 33 ff.; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring-Büdenbender, § 8, Rz. 72) herrschender Auffassung (wegen der weitergehenden Subjektivierung des Beschaffenheitsbegriffs) jedenfalls nach neuem Recht nur soweit, wie ein Haftungsgrund nach § 434 BGB tatsächlich gegeben ist (also: keine negative Exklusivität bei bloßer „Beschaffenheitstauglichkeit“, wie sie von der herrschenden Meinung zum bisherigen Recht vertreten wurde. Auch insoweit schon a.A. und für die „tatbestandliche“ Lösung aber Grigoleit, Informationshaftung, S. 224 ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 397 ff.), s. für das neue Recht wie hier Canaris, in: Karlsruher Forum 2002, S. 5, 87 ff.: Spezialität, aber keine negative Exklusivität in Fällen nur potentieller Beschaffenheitsvereinbarung; Weiler, ZGS 2002, 249, 255 f.; Mertens, 203 AcP (2003), 818, 839 f.; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118, 126; MüKo-Westermann, § 437, Rz. 59. Doch ändert dies für den hier interessierenden Bereich am praktischen Ergebnis deshalb nichts, weil dies auf Grundlage der typisierten Auslegungsregel des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB für alle Fälle, in denen eine Haftung aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB wegen vertragsgegenstandsbezogener Werbung in Betracht käme, stets der Fall sein dürfte. Für das hier interessierende praktische Ergebnis einer weitestgehenden Verdrängung der Verkäuferhaftung aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB durch die (ab Gefahrübergang, der aber in den hier interessierenden Fällen massenhaften Verbrauchsgüterkauf ebenfalls praktisch immer bereits erfolgt sein dürfte) vorrangige Regel des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB für Fälle vertragsgegenstandsbezogener Werbung kann die diesbezügliche Streitfrage also sogar unentschieden bleiben.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Insofern liegt die Hauptbedeutung der hier befürworteten Haftung auf Grundlage von §§ 311, 241 Abs. 2 BGB – unter Heranziehung auch der wettbewerbsrechtlichen Regelungen zur Konkretisierung des vorvertraglichen Pflichtenprogramms bezüglich der werblichen Etablierung der Sonderbeziehung durch Unternehmer – außerhalb des Kaufrechts, mithin insbesondere im Bereich der Werbung für Dienstleistungen, für die die Haftung auf Grundlage von §§ 311, 241 Abs. 2 BGB eine gewisse praktische Wertungsgleichheit zum Kaufrecht (mit der Vorschrift des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB) wieder herstellt799. Liegen in diesem Bereich schuldhaft irreführende konkrete und relevante Werbeangaben über bestimmte Eigenschaften des Vertragsgegenstands oder des Anbieters dem Vertrag zugrunde, so kommt ein auf Aufhebung des Vertrags bzw. Vertragsanpassung gerichteter Schadensersatzanspruch auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 i.V.m. § 249 S. 1 BGB grundsätzlich in Betracht, sofern nicht die Werbeangaben ohnehin im Wege der Auslegung in den Vertrag einbezogen sind, was allerdings auch in diesem Bereich durchaus häufig der Fall sein dürfte800. Voraussetzung einer schadensrechtlichen Vertragsaufhebung801 ist dann insbesondere die Kausalität der Pflichtverletzung i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB durch die irreführende Werbung für den späteren Vertragsschluß. Insoweit gewährt der BGH unter dem Stichwort der Vermutung „aufklärungsrichtigen Verhaltens“ im Rahmen der culpa in contrahendo dem potentiell Schadensersatzberechtigten seit jeher in unterschiedlichem Umfang Beweiserleichterung802, was in der Literatur – unter Hinweis auf den Sinn und Zweck der zugrundeliegenden Aufklärungspflichten, der Verantwortlichkeit des Schädigers für die Beweisnot sowie seiner Vorteile aus dem resultierenden Vertrag803 – im Grundsatz breite Gefolgschaft aber auch vereinzelten 799 Auf diese Weise wird letztlich insbesondere die insoweit – gerade unter Hinweis auf den Vergleich zum Kaufrecht mit der neuen Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB – monierte systemwidrige Schutzlücke für Situationen irreführender vertragsgegenstandsbezogener Werbung außerhalb des Kaufrechts (s. Köndgen, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Schuldrechtsreform, 231, 239; Micklitz/Keßler, Lauterkeitsrechtsharmonisierung und UWG-Reform, S. 157 f. [mit einer aus diesem Widerspruch abgeleiteten Forderung nach individuellen und verschuldensunabhängigen Vertragslösungsrechten von irreführendem Wettbewerb betroffener Verbraucher im UWG de lege ferenda]) mit genuin zivilrechtlichen Mitteln und damit innerhalb der Systematik der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des allgemeinen Schuldrechts (s. auch schon oben A zur Rezeption und Verallgemeinerung der kaufrechtlichen Wertung im Recht der Anfechtung) geschlossen, ohne daß es insoweit eines sondergesetzlichen wettbewerbsrechtlichen Vertragsauflösungsrechts bedürfte, welches Gefahr liefe, das diesbezügliche System des Zivilrechts gänzlich zu unterminieren. S. in eine ähnliche Richtung im Ansatz auch Köhler, GRUR 2003, 265, 270. 800 Vgl. zu den diesbezüglichen Grundsätzen des deutschen Rechts kurz oben 3. Abschn. C II 1. 801 Vgl. zum Sonderfall der Vertragsanpassung, der hier – da sich spezifische Probleme mit Blick auf das hier behandelte Thema insoweit nicht stellen – nicht mehr weiterverfolgt werden soll, nur die aktuellen Nachweise in o. Fn. 770–772. 802 S. für eine ausführliche Darstellungen der bisherigen Rechtsprechung und für die aktuelle Entwicklung in diesem Bereich die Nachweise in o. Fn. 769. 803 S. zuletzt die bündige Zusammenfassung dieser entscheidenden Aspekte bei Grigoleit, NJW 1999, 900, 903 f. Canaris, ZGR 1982, 395, 421, sieht in der diesbezüglichen Beweislastum-
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Widerspruch gefunden hat804. Nachdem nach der hier vertretenen Auffassung der diesbezügliche (zwangsläufig typisierte) materiell-rechtliche vorvertragliche Pflichtenmaßstab für werbliche Handlungen, die die Sonderbeziehung erst etablieren sollen, mit dem Maßstab der wettbewerbsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten des Irreführungsschutzes konvergiert, ist nunmehr festzuhalten, daß sich auch das beweisrechtliche Ergebnis – im Vergleich Wettbewerbsrecht/Vertragsrecht – gerade auf Grundlage schon des lauterkeitsrechtlichen Relevanzkriteriums des Irreführungsschutzes herleiten läßt, welches bezüglich schlicht irreführender, d.h. „nur“ mißverständlicher Werbeangaben, von vornherein eine Irreführung – und damit eine Pflichtverletzung – nur bejaht, sofern der werblich behauptete Umstand für den Vertragsschluß aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise potentiell relevant sein kann805. Schon aus Inhalt und Zweck der Pflicht ergibt sich insoweit eine typisierte Beeinflussungseignung hinsichtlich der resultierenden Vertragsentscheidung. Allerdings wird zugleich deutlich, daß für das damit umrissene vergleichsweise weite Feld potentiell relevanter Umstände eine Beweiserleichterung durch strikte Beweislastumkehr nicht angebracht ist, da dem Relevanzkriterium lediglich die Wertung entspricht, daß im typischen Normalfall derartige Umstände für den Vertragsschluß eine Rolle gespielt haben könnten. Wollte man hier dem Schadensersatzverpflichteten die volle Beweislast im Sinne einer echten Beweislastumkehr überbürden, könnte sich auf Grundlage der Haftung aus culpa in contrahendo für bestimmte und konkret nachprüfbare Werbeangaben in der Tat das gefürchtete allgemeine Reurecht der Verbraucher wegen irreführender Werbung ergeben, da der Schadensersatzverpflichtete kaum je beweisen könnte, daß der Berechtigte durch die Werbung nicht in relevanter Weise beeinflußt war und insofern den Vertrag auch in Kenntnis der wahren Umstände geschlossen hätte806. Eine derart weitgehende Beweislastumkehr entspräche aber dem Sinn und Zweck der an dieser Stelle in Bezug genommenen, ja am Maßstab des durchschnittlichen Werbeempfängers typisierten Pflichten gerade nicht. Vielmehr entspricht beweisrechtlich der materiell-rechtlichen Typisierung im Pflichtenprogramm eher die Regelung des Anscheinsbeweises807: Da die wettbewerbsrechtliche Pflichtbestimmung die typischerweise denkbare kehr sogar ein spezifisches Prinzip der Vertrauenshaftung, derzufolge zweckentsprechend die Kausalität zwischen einem Vertrauenstatbestand und dem entsprechenden Verhalten des Vertrauenden grundsätzlich zu vermuten ist. Vgl. ausführlich Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 163 ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 75 ff. 804 S. die umfassenden Nachweise bei Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 163 ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 75 ff. 805 S. zum ganzen schon oben 3. Abschn. C II 3 c. 806 Insoweit jedenfalls für den hier betrachteten Bereich zutreffend Lieb, in: FS Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, S. 251, 265; Grunewald, AcP 190 (1990), 609, 615. 807 Ein Wertungswiderspruch zu § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, der dem Verkäufer die volle Beweislast dafür überbürdet, daß eine tatbestandlich erfaßte Werbeangabe den Vertragsschluß nicht beeinflußt haben kann, liegt hierin nicht, da für den schmaleren (auf Informationen über die Beschaffenheit der Kaufsache begrenzten) Bezugsbereich des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB insoweit durchaus weitergehende Beweiserleichterungen zugunsten des Käufers berechtigt sein mögen. Insoweit ließe sich für die Haftung aus culpa in contrahendo allenfalls an eine abgestufte Lösung
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Relevanz der Angabe für die umworbenen Verkehrskreise bereits beinhaltet, ist im Ausgangspunkt vom Vorhandensein einer (sozusagen typisierten) Kausalität auszugehen. Kann vor diesem Hintergrund der Schädiger Umstände vortragen, die für den individuellen Fall ernsthafte Zweifel am Vorliegen der typischen Umstände hinsichtlich der Kausalität wecken, oder trägt der Geschädigte insoweit von sich aus unplausibel vor, so fällt die Beweislast dann nach allgemeinen Grundsätzen, da die typisierte, dem Wettbewerbsrecht entlehnte Wertung erschüttert ist, zum Geschädigten zurück808. Allenfalls für den Bereich unmittelbar vertragsgegenstandsbezogener Werbeangaben sollte die Anwendung dieser Grundsätze – in Anlehnung an die diesbezügliche Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB – in der Regel in Richtung auf eine echte Beweislastumkehr intensiviert werden809. Die insofern im Rahmen der Prüfung der Kausalität und des Schutzzweckzusammenhangs erfolgende Re-Individualisierung der Schadensersatzhaftung auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 2, 276 i.V.m. § 249 BGB führt zu der bereits erwähnten810 sozusagen „doppelten“ Kontrolle gegen die Entwicklung eines allgemeinen Reurechts: Schon der im Rahmen der Etablierung der vorvertraglichen Sonderbeziehung durch Werbung in UWG und § 241 Abs. 2 BGB konvergierende Pflichtenmaßstab hinsichtlich der Intensität des Schutzes der vertraglichen Entscheidungsfreiheit sorgt nicht nur für eine Typisierung der Schutzintensität am Maßstab durchschnittlicher Informiertheit und Empfindlichkeit sowie situationsadäquat durchschnittlicher Aufmerksamkeit der angesprochenen Verbraucher, sondern auch für eine erste (wenn auch noch zurückhaltende) Typisierung hinsichtlich der Relevanz der beworbenen Umstände. Im Rahmen der Prüfung der Kausalität nach § 249 S. 1 BGB wird dann zusätzlich der Maßstab durch die Möglichkeit der Erschütterung der typisierten Wertung hinsichtlich der Relevanz der werblichen Beeinflussung für den konkreten Einzelfall wieder individualisiert und dadurch der Gefahr der Entwicklung eines allgemeinen Reurechts wegen jedweden voraufgegangenen unlauteren Wettbewerbs angemessen vorgebeugt. Gerade in dieser Möglichkeit der Re-Individualisierung liegt der entscheidende „Filter“, den die wettbewerbsrechtliche Wertung im Rahmen ihrer Wechselwirkung mit dem individueller ausgerichteten Maßstab der Schadensersatzhaftung wegen Verletzung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses zu durchlaufen hat811; daß insoweit aber zumindest eine Erschütterung der typisierten Wertung hinsichtlich der Kausalität seitens des Schädigers beweisrechtlich nach Art der – volle Beweislastumkehr für unmittelbar vertragsgegenstandsbezogene irreführende Angaben, lediglich Beweiserleichterung nach Art der Grundsätze über den prima facie-Beweis für die verbleibenden Werbeangaben bezüglich Eigenschaften des Anbieters etc. – denken. 808 Für eine derartige Lösung allgemein schon Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 77 f.; eine dogmatische Grundierung liefert Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 166 ff. mwN, mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Beweismaßreduzierung auf Grundlage von § 287 ZPO. 809 S. schon o. Fn. 807. 810 S. oben III 3. 811 Ähnlich schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 352.
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Grundsätze über den prima facie-Beweis Voraussetzung des Rückfalls der Beweislast an den Geschädigten ist, entspricht gerade dem materiell-rechtlichen Verhältnis von Typisierung und individuellem Einzelfall. b. Schadensersatzanspruch gegen Dritte und Begrenzung der Haftung Angesichts der im Kaufrecht für die meisten Fälle im Verhältnis zum Verkäufer vorgehenden Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB entwickelt die hier entwickelte differenzierte vorvertragliche Schadensersatzhaftung für pflichtwidrige Werbeangaben ihre eigentliche Schlagkraft im Verhältnis zu den in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten, die den Inhalt der kaufvertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung durch ihre öffentlichen Äußerungen (insbesondere in der Werbung) über bestimmte Eigenschaften der Kaufsache beeinflussen können und die daher nach der hier vertretenen Auffassung – ebenso wie im Dienstleistungsbereich alle diejenigen „Dritten“, bei denen es sich um die eigentlichen Anbieter (die „Quellen“) der Dienstleistung handelt, bezüglich ihrer konkret vertragsgegenstandsbezogenen, nachprüfbaren und relevanten Äußerungen – für ihre öffentlichen Äußerungen insoweit besonderes Vertrauen i.S.d. § 311 Abs. 3 S. 1 BGB in Anspruch nehmen812. Ein echtes Konkurrenzproblem im Verhältnis zu den kaufvertraglichen Ansprüchen gegen den Verkäufer stellt sich hier nicht, da gegen den Dritten derartige Ansprüche nicht bestehen813. Wohl aber ist dafür zu sorgen, daß der Direktanspruch gegen den Dritten nicht Voraussetzungen und Umfang der kaufvertraglichen Haftung unterläuft oder ausdehnt und dadurch dem Geschädigten im Drittverhältnis einen unverdienten Vorteil – im Verhältnis zur vertraglichen Erfüllungshaftung mit ihren spezifischen Voraussetzungen814 – verschafft815. 812 In den Fällen der Dritthaftung steht demnach – der Wertung des § 311 Abs. 3 S. 2 BGB wie auch den praktischen Gegebenheiten entsprechend – insgesamt wieder ganz der Aspekt der Informationspflichtverletzungen im Mittelpunkt, während eine Schadensersatzhaftung aufgrund schuldhafter direkter Beeinflussung des Entscheidungsprozesses in diesem Zusammenhang praktisch kaum eine Rolle spielt. 813 S. grundlegend BGHZ 63, 382, 387 f.; NJW 1975, 642, 644 f.; BGH DB 1976, 954; aus der Literatur zutreffend schon Lehmann, S. 369 f. 814 Die Haftung des Dritten tritt grundsätzlich gesamtschuldnerisch neben die Gewährleistungshaftung des Vertragspartners, s. BGH NJW 2002, 208, 212; Erman-Kindl, § 311, Rz. 47 mwN. Zur Gestaltung einer gegebenenfalls notwendigen Ausgleichung im Innenverhältnis, falls auch den Verkäufer ein Mitverschulden trifft, allgemein schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 368 f.; vgl. auch noch sogleich u. Fn. 823 zu der Sondersituation, daß den Vertragspartner des Verbrauchers ein eigenes Mitverschulden an der Irreführung durch den Hersteller trifft, im Verhältnis Verkäufer-Käufer insoweit aber ein Haftungsausschluß greift. Nach neuem Schuldrecht sind, soweit der Verkäufer auf Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB haftet, zudem die spezifischen (verschuldensunabhängigen) Regreßregelungen der §§ 478, 479 BGB für den Verbrauchsgüterkauf zu berücksichtigen, die aber (hinsichtlich ihres wirtschaftlich zum Teil zwingenden Charakters) gerade aufgrund des hier konstruierten verschuldensabhängigen Direktanspruchs aus culpa in contrahendo wegen irreführender Werbeangaben gegen den Hersteller zugleich auch gelockert werden könnten. Vgl. insoweit schon oben II 2 b (3). 815 S. im Grundsatz ebenfalls schon BGHZ 63, 382, 388; NJW 1975, 642, 645.
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Grundsätzlich ist dies dadurch zu erreichen, daß der Schadensersatzanspruch gegen den Dritten nach den Grundsätzen über die Eigenhaftung des Vertreters oder Verhandlungsgehilfen zu begrenzen ist816. Mithin kommt grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch gegen den Dritten auf Freistellung von den vertraglichen Verpflichtungen als Naturalrestitution i.S.d. § 249 S. 1 BGB nur dann in Betracht, wenn ein entsprechender Gewährleistungsanspruch gegen den Verkäufer auch (noch) bestünde und nicht verjährt ist. Der Unterminierung der kaufrechtlichen Verjährungsvorschriften, der Risikoverteilung mit Blick auf die Tragung der Sachgefahr sowie spezifisch käuferseitiger Voraussetzungen der Haftung des Verkäufers, wie etwa gem. § 442 Abs. 1 BGB, wird auf diese Weise effektiv vorgebeugt und im Ergebnis damit im wesentlichen für eine interessengerechte Umverlagerung der Insolvenzgefahr (bezüglich einer Insolvenz des Verkäufers oder anderer Glieder der Vertriebskette) vom Käufer auf den eigentlich (nach dem Verschuldensprinzip) für die Schaffung des spezifischen Vertrauenstatbestands, der zur Grundlage der Anknüpfung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB wurde, verantwortlichen Dritten817 gesorgt818. Eine wesentliche Ausnahme von der hierdurch sich ergebenden Haftungsbegrenzung des Dritten auf Voraussetzungen und Umfang der Haftung des Verkäufers ist allerdings zu machen819: Umfassende vertragliche Haftungsaus816 S. wiederum grundsätzlich schon BGHZ 63, 382, 388; BGH NJW 1975, 642, 645; BGHZ 79, 281, 287; BGHZ 87, 302, 304 f., 308; BGH NJW 1987, 2511, 2512; BGHZ 127, 378 = NJW 1995, 392, 393 ff. (dort auch zu den hier besonders interessierenden Ausnahmen von diesem Grundsatz). S. aus der Literatur nur MüKo-Emmerich, § 311, Rz. 213; Erman-Kindl, § 311, Rz. 47, jeweils mwN. 817 Der eigentlichen Verantwortung des Dritten läßt sich insoweit nicht etwa entgegen halten, daß der Haftungstatbestand des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB letztlich erst durch die – der massenhaften Werbung konkret und später nachfolgende – vorvertragliche Individualisierung und den letztlichen Kaufvertragsschluß zustandekommt, so daß ein Direktanspruch gegen den besonderes Vertrauen nicht mit Blick auf diesen später geschlossenen individuellen Kaufvertrag, sondern vielmehr nur im massenhaft werblichen Vorfeld (und noch nicht auf die späteren konkreten Kaufverträge bezogen) in Anspruch nehmenden Dritten sozusagen eine Art Vertrag zu Lasten Dritter – durch Vollendung des Haftungstatbestands seitens der Vertragsparteien – konstituiere. Denn der werblichen Information ist, wie dies oben II 2 b (1) herausgestellt wurde, gerade immanent, daß der Werbende die Erzielung einer möglichst großen Anzahl von Kaufverträgen wünscht. Er verhielte sich widersprüchlich, würde er dann nicht auch bezüglich dieser sämtlichen (nach seiner Werbung) geschlossenen Kaufverträgen die entsprechende Inanspruchnahme von Vertrauen gewollt haben. Der Haftungstatbestand ist mithin seinerseits bereits mit der öffentlichen, werblichen Äußerung abgeschlossen (und dem latent vorwirkenden Pflichtenmaßstab des § 241 Abs. 2 BGB unterworfen) und wird durch das Eingehen des potentiellen Käufers auf diese Werbung nur vollendet. Vgl. insoweit schon oben II 2 b. 818 Vgl. ähnlich schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 391 ff. 819 Vgl. auch grundsätzlich zu möglichen Ausnahmen von der Regel, daß die Haftung Dritter („Sachwalter“) wegen Inanspruchnahme besonderen Vertrauens nicht weiter reicht als diejenige des Vertragspartners, BGHZ 127, 378 = NJW 1995, 392, 393 ff. (für einen Fall der Sachverständigenhaftung, der auf Grundlage der Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gelöst wurde, nunmehr aber nach wohl richtiger Auffassung § 311 Abs. 3 S. 2 BGB unterfiele): Durchbrechung des Grundsatzes, wenn dem Dritten bekannt sein mußte, daß seiner Information ein größeres Gewicht zukommen würde, als den unmittelbaren Aus-
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schlüsse zwischen Verkäufer und Käufer können die sich aus § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ergebende Erfüllungshaftung für die gerade sich aus den öffentlichen Äußerungen Dritter ergebende Beschaffenheitserwartung zwar im Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer ausschließen (soweit sie zulässig sind820), nicht aber den Direktanspruch auf Freistellung von der vertraglichen Verpflichtung nach §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 i.V.m. § 249 S. 1 BGB im Verhältnis zum Dritten, sofern dessen sonstige Voraussetzungen vorliegen. Dies ergibt sich letztlich schon aus der Auslegung derartiger Vereinbarungen. Denn hierdurch soll zwar das Risiko für das Vorhandensein etwaiger verborgener Mängel umfassend auf den Käufer überwälzt werden. Auch soll der Verkäufer von jeder Haftung frei sein. Doch dürfte dies nach dem Willen der Parteien nicht den Fall umfassen, daß eine aus Sicht des Käufers aufgrund öffentlicher Äußerungen des Herstellers zu erwartende (und dauerhafte) Eigenschaft der Kaufsache nicht vorhanden ist. Denn eine derartige Abweichung fällt eben genau genommen gar nicht unmittelbar (sondern allenfalls der Sphäre nach) in den Verantwortungsbereich des Verkäufers, so daß die diesbezügliche von den Parteien beabsichtigte Freistellung des Verkäufers schwerlich auch eine schuldhafte Verursachung einer derartigen Verkehrserwartung seitens des Dritten (typischerweise des Herstellers) mit erfassen kann oder gar soll. Vielmehr dürften die Parteien mit ihrer Vereinbarung nur darauf zielen, daß die Haftung für sämtliche verborgenen Mängel abbedungen ist und daß insgesamt der Verkäufer von der Haftung frei wird. Dies umfaßt demnach sämtliche Mängel und – um das Ziel der Freistellung des Verkäufers zu erreichen – im Verhältnis zum Verkäufer auch die Mängel, die sich aus der Einbeziehung von Werbeangaben in die Soll-Beschaffenheit aufgrund von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ergeben. Daß damit aber zugleich auch seitens des Käufers eine Geltendmachung von Ansprüchen wegen dauerhaft und von vornherein nicht vorhandener Eigenschaften der Kaufsache, die aber nach der einschlägigen Herstellerwerbung zu erwarten wären, gegen den Hersteller (oder die anderen in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB i.V.m. § 4 Abs. 1 und 2 ProdHaftG genannten Dritten) auf Grundlage von §§ 311 Abs. 3 S. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 i. V.m. § 249 S. 1 BGB auf Freistellung von dem – sich auf eine nicht den aufsagen des Verkäufers und wenn hierin auch gerade der erkennbare, die Verkaufsabsicht fördernde besondere Wert seiner gutachtlichen Aussage lag. Dies entspricht hinsichtlich der Interessenlage – besonderes Vertrauen des Verkehrs gerade in die Angaben des Herstellers bezüglich der Sachbeschaffenheit (zumal im Massenverkehr häufig wesentlicher als Angaben der Verkäufer), entsprechendes Interesse des Dritten, da Absatzzielsetzung der Herstellerwerbung – genau der hier gebildeten Haftung auf Grundlage von § 311 Abs. 3 S. 2 BGB für irreführende Werbeangaben des Herstellers, die – neben Entlehnungen aus der Prospekthaftung – ja auch genau jener Rechtsprechung zur Sachwalterhaftung bestimmter Berufsgruppen nachmodelliert ist. 820 Also insbesondere in der Regel nicht im Verbrauchsgüterkauf, s. § 475 Abs. 1 BGB. Zur insoweit notwendigen Abgrenzung (zulässiger) Beschaffenheitsvereinbarungen von (unzulässigen) Haftungsausschlüssen oder -beschränkungen, s. neuestens etwa Schulte-Nölke, ZGS 2003, 184 ff.; Lorenz, in: Karlsruher Forum 2005, S. 5, 124 ff. mwN.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
grund in Anspruch genommenen Vertrauens berechtigten Erwartungen des Käufers entsprechende Beschaffenheit der Kaufsache beziehenden – Kaufvertrag ausgeschlossen sein sollen, entspricht schlicht nicht dem durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermittelnden Inhalt des Haftungsausschlusses im Verhältnis der Vertragsparteien821. Vielmehr ist insoweit ein Direktanspruch gegen den Hersteller auf Freistellung von der vertraglichen Verpflichtung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zu bejahen, der dann den Käufer gem. § 249 S. 1 BGB Zug-um-Zug gegen Herausgabe der Kaufsache von den vertraglichen Verpflichtungen aus dem sich – gerade aufgrund der Herstellerangaben – auf ein nicht erwartungsgemäßes Produkt beziehenden Kaufvertrag befreien muß822. Da hierdurch die Haftung des eigentlich schuldhaft für den entstandenen Vertrauens- und letztlich Haftungstatbestand Verantwortlichen genau für den von ihm verantworteten Teilbereich sichergestellt wird, und zugleich der Verkäufer entsprechend dem Parteiwillen gänzlich von der Verantwortlichkeit frei bleibt 823, ermöglicht dieser Schadensersatzanspruch zugleich, auf die systemwidrige Anordnung zwingenden Rechts in der Vertriebskette nach §§ 478, 479 BGB zumindest für diesen spezifischen Bereich zu verzichten, da die letztgenannten Regelun821 Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht: Verkauft ein Privatmann einen gebrauchten Pkw (also: kein Verbrauchsgüterkauf, s. § 474 Abs. 1 BGB) und schließt insoweit zulässig die kaufvertragliche Mängelhaftung aus, so wird er im Verhältnis zum Käufer entsprechend dem Haftungsausschluß frei. Fehlt nun dem verkauften Pkw eine schon von jeher seitens des Herstellers beworbene und dauerhafte Eigenschaft (etwa: ein bestimmter Kraftstoffverbrauch), so soll ein derartiges Zurückbleiben der Kaufsache hinter den (gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ja wertungsmäßig berechtigten) Erwartungen des Käufers durch den vereinbarten Haftungsausschluß dessen Sinn und Zweck nach sicher nicht ausgeschlossen sein. Das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen (also insbesondere Verschulden) unterstellt, käme demnach ein Direktanspruch gegen den Hersteller gem. §§ 311 Abs. 3, Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 i.V.m. § 249 S. 1 BGB auf Freistellung von den vertraglichen Verpflichtungen Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Pkw nach der hier vertretenen Auffassung trotz des Haftungsausschlusses im Verhältnis zum Verkäufer in Betracht. S. zur rechtstechnischen Abwicklung auch noch die Nachweise u. Fn. 822. 822 S. zur technischen Abwicklung – die sich an die diesbezügliche Rechtsprechung zur Prospekthaftung aus culpa in contrahendo anlehnen kann – nur BGHZ 115, 213, 221 f.; BGH, NJWRR 1990, 229, 230. Weitergehend Canaris, AcP 200 (2000), 273, 318; enger Stoll, in: FS Deutsch, S. 361, 369 f. (nach dessen Ansicht der Irregeführte grundsätzlich [bis an die Grenze der Billigkeit] die erhaltene Gegenleistung behalten und sich als Vorteil anrechnen lassen muß); grundsätzlich ablehnend Lieb, in: FS Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, S. 251, 268 f. Für eine „Minderung“ aus culpa in contrahendo wiederum Canaris, aaO. (insoweit gegen BGH WM 1988, 1865, 1688). 823 Für Sondersituationen, in denen auch der Verkäufer (etwa indem er Plakate des Herstellers mit aufhängte o.ä.) an der Irreführung beteiligt war, läuft dies auf eine rechtliche Situation hinaus, die den Fällen gestörten Gesamtschuldnerausgleichs ähnelt (für eine analoge Anwendung der §§ 840, 421, 426, 254 BGB im Verhältnis Verkäufer und Dritter im Grundsatz schon Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 368). Da der Käufer im Verhältnis zum Verkäufer einen Haftungsausschluß privatautonom vereinbart (und entsprechende wirtschaftliche Kompensation, etwa in Form eines niedrigeren Preises bereits erhalten) hat, ist sein Anspruch aus §§ 311 Abs. 3 S. 2, Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 BGB gegen den Dritten (typischerweise: den Hersteller) in diesem Falle analog §§ 840, 421, 426, 254 BGB um den Mitverschuldensanteil des Verkäufers zu kürzen.
4. Abschnitt: Zivilrechtliche Instrumente mit reflexartiger Ordnungsfunktion
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gen genau dasselbe Ziel nur auf einem weniger erfolgversprechenden und zugleich hinsichtlich der Anordnung zwingenden Rechts nur schwerlich zu rechtfertigenden Wege zu verfolgen suchen824.
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Vgl. insoweit ausführlich oben II 2 b (3).
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
5. Abschnitt:
Systemwidrige tatbestandliche Schutzlücken im Vertragsrecht oder strukturelle Durchsetzungslücken des Individualschutzes als Paradigma für das Verhältnis von Wettbewerbsund Vertragsrecht? A. Tatbestandliche Lückenlosigkeit der vertragsrechtlichen Behelfe und Existenz struktureller Durchsetzungslücken im Individualschutz Als Zwischenergebnis der vorstehenden Überlegungen ist festzuhalten, daß im System der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts seit der Schuldrechtsreform materiell-rechtlich keine systemwidrigen tatbestandlichen Lücken bezüglich des Schutzes der Interessen von unlauterem Wettbewerb betroffener Personen mehr klaffen1. Soweit es – im Vier-Ebenen-Modell betrachtet – um den Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage geht, leistet die kaufrechtliche Gewährleistungshaftung – die nach Art eines „Wasser und Öl“-Ansatzes einen Bereich typisierter Wertung im Individualvertragsrecht umreißt, innerhalb dessen wettbewerbsrechtliche Maßstäbe zur Konkretisierung der Verkehrserwartung herangezogen werden können – eine umfassende Vertrauenserfüllungshaftung bezüglich irreführender Werbeangaben, die sich auf bestimmte Eigenschaften der Kaufsache beziehen und schützt dadurch für den wesentlichsten Vertragstypus des geschäftlichen Massenverkehrs die berechtigten Erwartungen der von irreführendem Wettbewerb betroffenen Marktgegenseite2. Die insoweit zugrundeliegenden Wertungen hinsichtlich der – durch das Zivilrecht selbst eingeräumten und limitierten – Relevanz massenhaft vorvertraglicher Informationsaufnahme – insbesondere aufgrund werblicher 1 Diesen Befund teilt der deutsche UWG-Reformgesetzgeber, s. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, S. 14 (insbesondere betreffend Vertragslösungsrechte) und S. 22 (allgemein bezogen auf das „bewährte System der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts mit Hilfe von zivilrechtlichen Ansprüchen“); ähnlich in der Literatur Köhler, GRUR 2003, 265, 271 f.; zustimmend Piper/Ohly-Ohly, Einf D, Rz. 68. Demgegenüber zum Teil anderer Auffassung Fezer, WRP 2003, 127 ff.; Sack, GRUR 2004, 625, 630 (betreffend Schadensersatzansprüche und Vertragslösungsrechte, wobei seine Argumentation bezüglich letztgenannter jedoch nicht in Abrede stellt, daß bei einer extensiven Auslegung der §§ 311 Abs. 2 i.V.m. 241 Abs. 2, 280 BGB mit Blick auf die schadensersatzrechtliche Lösung von unerwünschten Verträgen, wie sie hier befürwortet wird, keine wesentlichen Schutzlücken bleiben): ähnlich Augenhofer, WRP 2006, 169, 174. 2 S. oben 4. Kap. 3. Abschn.C.
5. Abschnitt: Strukturelle Durchsetzungslücken im Vertragsrecht
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Aussagen – lassen sich durch entsprechende Anknüpfungen an typisierte Maßstäbe des Wettbewerbsrechts im Anfechtungsrecht und insbesondere im Rahmen der vorvertraglichen Schadensersatzhaftung nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB rezipieren und geschäftsübergreifend umsetzen, so daß im Verhältnis zu anderen Vertragsarten eventuell nunmehr zu fürchtende Wertungswidersprüche und Schutzdefizite effektiv vermieden werden3. Insoweit ist insbesondere das Interesse, sich von einem aufgrund schuldhafter unlauterer Werbung geschlossenen unerwünschten Vertrag zu lösen (Vertragslösungsinteresse), im Rahmen der Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo sowohl im Verhältnis zum Vertragspartner als auch im Verhältnis zu bestimmten werbenden Dritten bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen vollumfänglich geschützt, wobei die Eingliederung in das Instrumentarium vorvertraglicher Schadensersatzhaftung aufgrund der klaren tatbestandlichen Abgrenzung zum Gewährleistungsrecht und aufgrund der allgemeinen Voraussetzungen für eine schadensersatzrechtliche Lösung vom Vertrag oder Vertragsanpassung unter Geltung der §§ 249 ff. BGB dafür sorgt, daß sich der Rechtsschutz von unlauterem Wettbewerb betroffener Marktteilnehmer widerspruchsfrei in das System vorvertraglicher Informationshaftung einfügt. Soweit dabei insofern eine – wohl ohnedies nurmehr theoretische – „Schutzlücke“ verbleibt, als lediglich schuldhaft begangene Handlungen unlauteren Wettbewerbs auf dem Wege über §§ 311, 241 Abs. 2 BGB zu einem Vertragslösungsrecht zu führen vermögen, stellt dies nicht etwa eine „Lücke“ im eigentlichen Sinne dar, sondern entspricht vielmehr den Leitlinien des Systems zivilrechtlichen Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage4. Soweit es um den Schutz vor direkter Beeinflussung des Entscheidungsprozesses geht, ist es wiederum zumal die Schadensersatzhaftung auf Grundlage von §§ 311, 241 Abs. 2, 280 BGB, die die Interessen von unlauterem Wettbewerb – insbesondere in qualifizierten Situationen psychologischen Kaufzwangs – betroffener Verbraucher effektiv durch Gewährung schadensersatzrechtlicher Vertragslösung zu schützen vermag. Soweit sich dabei im Zivilrecht zurückhaltendere Maßstäbe etabliert haben, als sie im Wettbewerbsrecht noch bis in die neunziger Jahre an der Tagesordnung waren, können diese – soweit der am Verkehrsmaßstab typisiert zu beurteilende Bereich massenhafter Wettbewerbshandlungen reicht – nach Art einer Wechselwirkung auch die wettbewerbsrechtlichen Maßstäbe beeinflussen und vermögen so, die letzthin in diesem Bereich lauterkeitsrechtlich sich abzeichnende Liberalisierungstendenz zu bestätigen und entsprechend strengere Verbotsvoraussetzungen im Sinne einer „qualifizierten“ Einflußnahme zu konkretisieren. Schließlich ist nach der hier vertretenen Auffassung grundsätzlich auf dem Wege über §§ 311, 241 Abs. 2, 280 BGB ein schadensersatzrechtlicher Schutz vor Externalitäten unlauterer Werbung, insbesondere soweit sie Verbraucher zu berechtigten Vertrauensdispositionen (wie die Aufwendung von Fahrtkosten, Tele3 4
S. oben 4. Kap. 4. Abschn. A und C. S. zutreffend Weiler, WRP 2003, 423, 429.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
kommunikationskosten etc.) veranlaßt, möglich. Entsprechende kausal entstandene Schäden, die (als dem entscheidenden und stringent anzuwendenden zivilrechtlichen „Filter“) dem Schutzzweck der verletzten – und an wettbewerbsrechtlichen Maßstäben zu orientierenden – Verhaltenspflichten zuzurechnen sind, sind auf Grundlage von §§ 249, 251 BGB zu ersetzen. Das System des Schutzes der Entscheidungsfreiheit und des Schutzes vor externen Effekten unlauteren Wettbewerbs in der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und im Vertragsrecht weist also – zumindest wenn die Behelfe des allgemeinen Schuldrechts unter sinngemäßer Erweiterung der der Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zugrundeliegenden Wertung angepaßt und ausgebaut werden – tatsächlich keine materiell-rechtlichen Lücken im Schutz der von unlauterem Wettbewerb betroffenen Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer auf. Wohl aber zeichnen sich unter dem ordnungspolitischen Blickwinkel administrativer Effizienz unübersehbare faktische Lücken im System der Durchsetzung der entsprechenden Ansprüche ab, die sich in zwei Gruppen strukturieren lassen. Markant ist zum einen das sich aus dem Bagatellcharakter der im Bereich der Externalitäten – sei es aufgrund belästigender Werbung, sei es augrund kleinerer Vertrauensdispositionen (wie Fahrtkosten u.ä.) – zu ersetzenden Streuschäden ergebende Problem mangelnder Anreize für die individuelle Rechtsdurchsetzung5. Durchaus charakteristisch ist insofern das Bild, das die Rechtspraxis bezüglich der Schadensersatzhaftung aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 276 BGB i.V.m. §§ 249 ff. BGB abgibt: Vergleichsweise entwickelten und seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts vertretenen Konzeptionen der Rechtslehre zum Ersatz entsprechender frustrierter Aufwendungen aufgrund irreführender Werbung für Sonderangebote o.ä., die sich dann letztlich vor Ort nicht realisieren lassen, steht nicht etwa explizite Ablehnung durch die Rechtsprechung, sondern vielmehr ein beredtes Schweigen der Judikatur gegenüber, welches wohl mindestens auch auf die mangelnde Geltendmachung einschlägiger Ansprüche in der Praxis zurückzuführen ist. Im Bereich des Schutzes der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses wird das (in Teilbereichen sicher gleichermaßen existente Bagatellproblem6) zum anderen noch überlagert von Informationsasymmetrien bezüglich der unter Umständen (mangels Aufklärung) fortbestehenden Beeinträchtigung und der diesbezüglich existierenden Rechte der schuldhaft in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinflußten Marktteilnehmer. Soweit derartige asymmetrische Informationsverteilungen bezüglich der Existenz der zur Verfügung stehenden Instrumentarien und des Vorliegens ihrer Voraussetzungen – insbesondere für eine Lösung vom Vertrag – persönlich, sachlich und rechtlich typisierbar sind, hat der Gesetzgeber entsprechende Informationspflichten vorgesehen. Insbesondere sämtliche der verbraucherschützenden Widerrufsrechten akzessorischen Informationspflichten, die die effektive 5 Vgl. statt vieler schon Schricker, GRUR 1979, 1, 3, 5 f.; Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 388 f. 6 Vgl. etwa oben 4. Kap. 3. Abschn. C II 4; 4. Kap. 4. Abschn. C III 3.
5. Abschnitt: Strukturelle Durchsetzungslücken im Vertragsrecht
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Wahrnehmbarkeit der Rechte erst gestatten und absichern7, gehören in diesen Kontext. Voraussetzung der Anordnung und Durchsetzung entsprechender Informationspflichten ist allerdings die situative Typisierbarkeit der zugrundeliegenden Gefährdungslagen für die Entscheidungsfreiheit8, da erst die Typisierung und gesetzliche Festlegung der Pflichten es ermöglicht, entsprechende Informationspflichten im voraus anzuordnen und sie (auch) mit den institutionellen Mitteln der Verbraucherverbandsklage und zusätzlich – vermittelt über den Rechtsbruchtatbestand – dem Sanktionensystem des Wettbewerbsrechts durchzusetzen. Wo entsprechende Gefährdungen nicht typisierbar sind, ist das Instrumentarium vertragsrechtlicher Informationspflichten demgegenüber insofern zum Scheitern verurteilt, als eine individuelle Information der betroffenen Marktteilnehmer im voraus über ihre Rechte – und damit gleichermaßen die kollektive Durchsetzung derartiger Informationspflichten vermittels Verbandsklagen und wettbewerbsrechtlicher Instrumente – mangels Vorhersehbarkeit und Definierbarkeit ebenjener Rechte und zugehörigen Pflichten in aller Regel ausscheidet, und weil generelle kundenschützende Aufklärungspflichten bezüglich der Rechtslage den Pflichtenrahmen für den Unternehmer – unter dem Blickwinkel des verbraucherschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips – überspannen würden. Besonders drastisch wirkt sich dies dann aus, wenn eine bestimmte Maßnahme unlauteren Wettbewerbs bewußt darauf abzielt, den Entscheidungsprozeß der betroffenen Marktteilnehmer regelrecht zu umgehen, ihnen eine geschäftliche Entscheidung sozusagen „abzulisten“. Denn dann werden die betroffenen Marktteilnehmer, welche sich – gerade der Intention der unlauteren Wettbewerbsmaßnahme entsprechend – schon über die Fehlerhaftigkeit ihrer geschäftlichen Entscheidung und die sich hieran anknüpfenden zivilrechtlichen Behelfe gar nicht bewußt sind, aufgrund dieses (von den Unternehmern in bestimmten Fallgestaltungen bewußt herbeigeführten) Informationsungleichgewichts auch ihre entsprechenden Rechte nicht wahrnehmen. An dieser Stelle liegt die Domäne wettbewerbsrechtlicher Durchführungsverbote, welche als Fallbeispiel für praktische Defizite bei der Durchsetzung zivilrechtlichen Schutzes im Individualverhältnis und für das zielgenau subsidiäre Eingreifen des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums genau insoweit, wie dies notwendig ist, um zivilrechtliche „Waffengleichheit“ im Individualverhältnis der Vertragsparteien wieder herzustellen, an dieser Stelle näher dargestellt werden sollen (unten B). Die aus dieser spezifischen Fallgestaltung gewonnenen Erkenntnisse zum ordnungspolitisch-durchsetzungsorientierten Zusammenspiel von Wettbewerbs- und Vertragsrecht lassen sich verallgemeinern, um solcherart die neue, nicht zeitlich-schematische, sondern inhaltlich-funktionale Abgrenzung von Wettbewerbs- und Zivilrecht zu bestätigen, wie sie an ande7 Welche ihrerseits wegen der hieran sich knüpfenden Befristungsmöglichkeit und dem daraus sich ergebenden berechenbaren level playing field der letztlichen, wenn auch hinausgezögerten Verbindlichkeit erzielter Vertragsabschlüsse auch im wesentlichen Interesse der Unternehmer liegen muß, vgl. oben 4. Kap. 2. Abschn. A I. 8 Vgl. schon o. 4.Kap. 2.Abschn. bei Fn. 17 und 67.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
rer Stelle dieser Untersuchung auf Grundlage des Gleichmaßgebots in seinem Zusammenspiel mit dem ordnungspolitischen Gedanken effektiver Rechtsdurchsetzung vorgeschlagen wurde9 (s. unten B II) und um schließlich Folgerungen über ein ordnungspolitisch „ideales“ Durchsetzungssystem für die schutzwürdigen Interessen von unlauterem Wettbewerb betroffener Verbraucher im Gesamtsystem aus Wettbewerbs- und Vertragsrecht abzuleiten (s. unten C).
B. Das wettbewerbsrechtliche Durchsetzungsverbot als Fallbeispiel für systematisch genutzte durchsetzungsbezogene Informationsasymmetrien und die ergänzende Rolle des Wettbewerbsrechts bei der Durchsetzung zivilrechtlichen Individualschutzes I. Die Entwicklung der Rechtsprechung zu wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten und die Gesamtkonzepttheorie des BGH Die Rechtsprechung zum wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverbot10 hat sich an der spezifischen Fallgestaltung des Zusendens irreführender Angebote für eine Eintragung in Branchenverzeichnisse jeglicher Couleur entzündet. Derartige Vertragsabschlüsse werden unter Umgehung eines genuinen Entscheidungsprozesses den prospektiven Kunden dadurch „abgelistet“, daß ihnen rechnungsartig 9
S. oben 3. Kap. 3. Abschn. B und C. S. zur Entwicklung des wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverbots in der Rechtsprechung des BGH BGHZ 123, 330 = GRUR 1994, 126 – Folgeverträge; BGH GRUR 1995, 358 – Folgeverträge II; zu entsprechenden Beseitigungsansprüchen nach Vertragsschluß BGH GRUR 1998, 415 – Wirtschaftsregister; zu den Grenzen BGH GRUR 1999, 261, 264 – Handy-Endpreis; BGHZ 147, 286 = GRUR 2001, 1178, 1180 f. – Gewinn-Zertifikat. S. aus der instanzgerichtlichen Rechtsprechung OLG Köln, WRP 1975, 170; OLG Frankfurt/M., GRUR 1978, 720; OLG Hamm, NJW-RR 1993, 871; OLG Hamburg, NJW-RR 1993, 1456; OLG Frankfurt/M., WRP 1995, 41; OLG Schleswig, NJW-RR 1995, 1127; OLG München, ZUM 1996, 168; OLG Stuttgart NJW 1998, 184; LG Neubrandenburg, NJW-RR 1998, 1435; AG Kiel, NJW 1997, 948; AG Hannover, NJW-RR 1998, 267. S. aus der Aufsatzliteratur Körner, GRUR 1968, 348 ff.; ders., GRUR 1996, 618 ff.; Mees, in: FS Brandner, S. 473 ff.; Sack, WRP 2002, 396 ff.; ders., GRUR 2004, 625, 632 ff. (jeweils zur wettbewerbsrechtlichen Problematik des Vorliegens einer unlauteren Wettbewerbshandlung durch Vertragsdurchsetzung nach Vertragsschluß); von Ungern-Sternberg, WRP 2000, 1057 ff. (schwerpunktmäßig bezüglich der zivilrechtlichen Wirksamkeit derartig zustandegekommener Verträge); Bernreuther, WRP 1998, 584 ff. (mit einem Regelungsvorschlag de lege ferenda); Karbe, NJW 1999, 2868 ff. (zur strafrechtlichen Seite und insbesondere zum Vorliegen des Täuschungsmerkmals i.S.d. Betrugstatbestands in derartigen Sachverhaltsgestaltungen); für Urteilsanmerkungen unterschiedlichen Umfangs Ahrens, EWiR § 1 UWG 2/94, 185 f.; Köhler, LM UWG § 1 Nr. 637 (jeweils zum Folgeverträge-Urteil); Schockenhoff, NJW 1995, 500 ff. (zur Folgeverträge-Entscheidung samt kurzem Abriß der vorangegangenen Rechtsprechungsentwicklung in diesem Bereich); Ahrens, EWiR § 1 UWG 16/95, 915 f.; Lauda, LM UWG § 1 Nr. 679 (jeweils zur Folgeverträge II-Entscheidung); Köhler, LM UWG § 1 Nr. 762 (zur Wirtschaftsregister-Entscheidung); aus der monographischen Literatur s. Bauer, Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs, S. 28 ff.; Alexander, S. 246 ff. 10
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aufgemachte Vertragsofferten (samt Überweisungsvordruck etc.) zugesandt werden, die (nur bei genauer Betrachtung erkennbar) lediglich ein Vertragsangebot enthalten, welches vom Kunden durch Überweisung des angegebenen Betrags erst angenommen werden soll. Die Hoffnung der hinter derartigen Angeboten stehenden Unternehmer richtet sich darauf, daß in der arbeitsteiligen Geschäftsabwicklung auf Seiten der Kunden die Schreiben als Rechnung wahrgenommen werden könnten, woraufhin eine Überweisung durch die Buchhaltung erfolgt, welche dann entsprechend den Formulierungen des Angebots als Vertragsannahme ausgelegt wird11. Typischerweise enthalten die derart angebahnten Verträge dann zudem eine Fortsetzungsklausel samt langen Kündigungsfristen, die zu einer Eintragung in Branchenverzeichnisse und entsprechenden Zahlungspflichten der unlauter akquirierten Kunden auch in den Folgejahren führt, um solcherart eine stetig wiederholte Ausbeutung des einmal etablierten Täuschungszustands zu ermöglichen12. Zivilrechtlich ist die Frage umstritten, ob unter derartigen Umständen ein Vertrag überhaupt wirksam zustandekommt13. Hatte der BGH diese Fragestellung ursprünglich bejaht14, so hat er sie doch letzthin offengelassen15. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und in der neueren Literatur läßt sich eine zunehmend restriktivere Tendenz beobachten, die angesichts der Bösgläubigkeit der Anbieter in derartigen Fällen wegen des Fehlens des Erklärungsbewußtseins16 11 S. zu den typischen Fallgestaltungen und Erscheinungsformen Otto, GRUR 1979, 90, 93 ff.; von Ungern-Sternberg, WRP 2000, 1057 f. (dort auch zu den rechtspraktischen Schwierigkeiten eines effektiven Vorgehens der betroffenen Kunden gegen derartige Geschäftspraktiken, die dem „fachfremden“ Zivilrichter häufig nicht hinreichend vertraut sein dürften, um das unlautere Gesamtkonzept zu durchschauen); Alexander, S. 246 f. mwN (samt einschlägigen Internet-Warnhinweisen aus jüngster Zeit); zuletzt mit einer kritischen Sicht auf die Begründungsmuster der Rechtsprechung auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 140 ff. 12 S. nur BGH GRUR 1998, 415 f. – Wirtschaftsregister. 13 S. zur Rechtsprechung des BGH noch die Nachweise in u. Fn. 14 und 15. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung herrscht die Auffassung vor, daß in derartigen Gestaltungen ein wirksamer aber anfechtbarer Vertrag zustandekommt, s. OLG Köln, WRP 1975, 170, 172; OLG Frankfurt/M., GRUR 1978, 720, 721; OLG Hamm, NJW-RR 1993, 871, 872; OLG Hamburg, NJW-RR 1993, 1456; OLG Schleswig, NJW-RR 1995, 1127; LG Berlin, WRP 1972, 96, 97; LG Neubrandenburg, NJW-RR 1998, 1435. Demgegenüber gegen das Zustandekommen eines wirksamen Vertrags AG Kiel, NJW 1997, 948 (fehlender Geschäftswille, der in diesem Falle erheblich sei, da der Werbende, der selbst ein unklares und bewußt verwirrendes Vertragsangebotsformular verwendet habe, nicht schutzwürdig sei); ähnlich AG Hannover NJW-RR 1998, 267 (Rechtsbindungswille fehle). Aus der Literatur für Vertragswirksamkeit Alexander, S. 254 ff.; dagegen von Ungern-Sternberg, WRP 2000, 1057, 1060; Palandt-Heinrichs, Einf v § 116, Rz. 17. 14 S. BGHZ 123, 330 = GRUR 1994, 126, 127 – Folgeverträge; BGH GRUR 1995, 358, 360 – Folgeverträge II. 15 S. BGH GRUR 1998, 415, 416 – Wirtschaftsregister. 16 So von Ungern-Sternberg, WRP 2000, 1057, 1060; zustimmend Palandt-Heinrichs, Einf v § 116, Rz. 17. Demgegenüber argumentiert Alexander, S. 254, dahingehend, daß die Betroffenen Überweiser sich ja selbst bei Interpretation des verkappten Vertragsangebots als Rechnungsschreiben doch zumindest bewußt seien, mit der (vermeintlichen) Tilgung einer Schuld eine rechtsgeschäftlich irgendwie erhebliche Erklärung abzugeben bzw. zumindest eine auf eine rechtserhebliche Folge gerichtete Handlung vorzunehmen, was für die Bejahung des Erklärungsbewußtseins grundsätzlich genüge (vgl. insoweit allgemein nur Köhler, AT, Rz. 5; Larenz/
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bzw. eines Geschäfts- oder Rechtsbindungswillens17 der ganz überwiegenden Anzahl der überweisenden Kunden das Vorliegen einer wirksamen Annahmeerklärung verneint18. Im Ergebnis würden dann nur im Verhältnis zu denjenigen Überweisern, die das Angebot tatsächlich richtig verstanden und daher mit entsprechendem Erklärungsbewußtsein und Geschäftswillen gehandelt haben, überhaupt wirksame Verträge zustande kommen. Die praktische Folge wäre, daß der Unternehmer vor Vertragsvollzug zuerst nachfragen müßte, welche der angesprochenen Kunden tatsächlich mit ihrer Zahlung eine Vertragsannahme beabsichtigten, um solcherart festzustellen, welche der Zahlungen auf wirksame Verträge geleistet worden sind19. Man wird Wolf, AT, § 24, Rz. 6; MüKo-Kramer, Vor § 116, Rz. Rz. 8; Palandt-Heinrichs, Einf v § 116, Rz. 1). Man wird dem jedoch – zumindest auf der Grundlage der herrschenden Meinung zum Rechtscharakter der Erfüllung (vgl. zur mittlerweile herrschenden Theorie der realen Leistungsbewirkung nur BGH NJW 1991, 1294, 1295; BaRo-Dennhardt, § 362, Rz. 2; MüKo-Wenzel, § 362, Rz. 5 ff. [insbes. Rz. 12]; Palandt-Heinrichs, Überbl v § 362, Rz. 5 mwN) – entgegenhalten müssen, daß die Erfüllungswirkung gem. § 362 BGB als objektive Tatbestandsfolge der Leistung als Realhandlung eintritt, so daß ein Wille des Erfüllenden, rechtsgeschäftlich zu handeln oder auch nur eine rechtsgeschäftlich relevante Erklärung abzugeben oder Handlung vorzunehmen, für die Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung gerade nicht notwendig – wenn auch natürlich (etwa im Sinne einer Tilgungsbestimmung) möglich – ist. Damit kann dann aber auch aufgrund der bloßen Zahlung auf eine Schuld nicht das Vorhandensein eines rechtsgeschäftlichen Erklärungsbewußtseins ohne weiteres unterstellt werden. 17 So AG Kiel, NJW 1997, 948; AG Hannover NJW-RR 1998, 267. Genaugenommen dürfte aber in der Tat schon das Erklärungsbewußtsein fehlen, s. o. Fn. 16. 18 Dies deshalb, weil – ungeachtet der in diesem Bereich hochumstrittenen Einzelheiten (insbesondere der [von der herrschenden Meinung verneinten] Frage nach dem Erklärungsbewußtsein als notwendigem Tatbestandsteil der Willenserklärung, s. für die herrschende Meinung nur Köhler, AT, § 7, Rz. 5; Larenz/Wolf, § 24, Rz. 8, jeweils mwN auch zur Minderansicht) – bei Fehlen des Erklärungsbewußtseins jedenfalls dann nicht aufgrund eines bloßen vom objektiven Empfängerhorizont als Abgabe einer Willenserklärung aufgefaßten und dem Erklärenden normativ zurechenbaren (d.h., von ihm bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in seinem Erklärungsgehalt erkennbaren und vermeidbaren) schlüssigen Verhaltens von einer aus normativer Sicht abgegebenen Willenserklärung trotz fehlenden Erklärungsbewußtseins ausgegangen werden kann, wenn der Empfänger kein schutzwürdiges Vertrauen in das Vorliegen einer Willenserklärung haben konnte, weil er das Fehlen des Erklärungsbewußtseins kannte, s. allgemein BGHZ 109, 171, 177; BGH NJW 1995, 953; BGH NJW 2002, 363, 365; spezifisch mit Blick auf die hier diskutierte Problematik von Ungern-Sternberg, WRP 2000, 1057, 1060; PalandtHeinrichs, § 116, Rz. 17. Für eine Unwirksamkeit der in den Fällen des „Adreßbuchschwindels“ geschlossenen Verträge wohl auch Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 168 f., der die Wirksamkeit zur Illustration wettbewerbsrechtlicher Ausführungen zum Irreführungsschutz in derartigen Konstellationen jedoch genaugenommen nur prämissenartig unterstellt. 19 S. von Ungern-Sternberg, WRP 2000, 1057, 1060; insoweit kritisch Alexander, S. 255. Das an dieser Stelle zudem von Alexander, aaO., angeführte Argument, die planmäßige Herbeiführung der Täuschungssituation durch den Erklärungsempfänger könne schon deshalb nicht zum Wegfall des objektiven Tatbestands einer Willenserklärung führen, weil dann die Anfechtungsmöglichkeit nach § 123 BGB praktisch obsolet würde, überzeugt demgegenüber gerade für die hier diskutierten Fälle einer als solcher bewußt erschlichenen Willenserklärung nicht uneingeschränkt. Denn während auf Grundlage von § 123 BGB für sämtliche Fälle vorsätzlicher Täuschung, insbesondere auch bezüglich des konkreten Inhalts der Willenserklärung bzw. auch über für die Willenserklärung motivierende Umstände, eine Anfechtung in Betracht kommt, richtet sich die hier diskutierte, vom Erklärungsempfänger herbeigeführte Täuschungssituation schon auf die Abgabe einer Willenserklärung als solche. Verneint man in einer derartigen Täuschungssituation, die sich gerade planmäßig auf die Abgabe einer Erklärung ohne Erklärungsbewußtsein richtet, den objektiven Tatbestand einer Willenserklärung mangels schutzwürdigen
5. Abschnitt: Strukturelle Durchsetzungslücken im Vertragsrecht
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dieser vordringenden Auffassung, die angesichts der letztlich betrügerischen Gesamtabsicht der Verwender rechnungsähnlich aufgemachter Vertragsofferten 20 zu einem interessengerechten Ergebnis führt (zumal sie es ja auch gestattet, das Interesse derjenigen Kunden, die tatsächlich das Angebot richtig verstanden, mit Erklärungsbewußtsein und Rechtsbindungswillen gehandelt und mithin eine wirksame Annahmeerklärung abgegeben haben, angemessen zu berücksichtigen), die Gefolgschaft nicht verweigern können, so daß letztlich von einer wirksamen Annahme durch Zahlung auf rechnungsähnliche Angebotsschreiben nicht auszugehen ist.
Das tatsächliche, an dieser Stelle sich aufdrängende Durchsetzungsproblem – die nicht vertragswilligen Kunden wissen schließlich (womit das eigentliche Problem der rechnungsähnlichen Offerten bezeichnet ist) gerade gar nicht, daß sie auf unwirksame Verträge geleistet haben – löst allerdings auch die Annahme einer Unwirksamkeit der entsprechend zustandegekommenen Verträge nicht 21. Schon auf Grundlage der älteren Auffassung, derzufolge derartige Verträge zuerst als wirksam zustandegekommen zu behandeln waren, griffen zugunsten der getäuschten Kunden ja in aller Regel zivilrechtlich die Anfechtungsmöglichkeiten nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB (wegen arglistiger Täuschung) und § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB (wegen Inhaltsirrtums) sowie nach der hier vertretenen Auffassung auch ein schadensersatzrechtlicher Anspruch auf Vertragsaufhebung gem. §§ 311 Abs. 2 Alt. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 S. 1 BGB22, um die Lösung von den unerwünschten Verträgen zu erreichen. Instrumente zur Lösung von den unlauter angebahnten Verträgen waren also stets in reicher Zahl vorhanden, wurden und werden aber in der Praxis deshalb typischerweise nicht geltend gemacht, weil die in eine „Vertragsfalle“ gegangenen Kunden um die Unwirksamkeit (oder – nach früher herrschender Meinung – die Angreifbarkeit) der irrtümlich geschlossenen Verträge typischerweise gar nicht wissen und deshalb von vornherein nicht gerichtlich vorgehen; es stellt sich mithin ein mehr rechtspraktisches Durchsetzungsproblem 23. Vertrauens des Erklärungsempfängers, so beläßt dies dennoch breiten Raum für eine Anwendung des § 123 BGB auf all jene Fälle, in denen eine wirksame Willenserklärung samt entsprechendem Erklärungsbewußtsein zuerst abgegeben wurde, die jedoch hinsichtlich ihres konkreten Inhalts bzw. hinsichtlich einzelner Motive auf einer arglistigen Täuschung beruhte. 20 Entscheidende Bedeutung kommt damit naturgemäß der aufgrund einer Gesamtbetrachtung festzustellenden rechnungsähnlichen und damit letztlich von einer planmäßigen Täuschungsabsicht getragenen Charakteristik der Angebotsschreiben zu, s. insoweit die näheren Ausführungen in BGH GRUR 1995, 358, 359 f. – Folgeverträge II und insoweit zustimmend Ahrens, EWiR § 1 UWG 16/95, 915, 916. Vgl. (aus strafrechtlicher Sicht mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal der Täuschung im Rahmen der Prüfung einer Strafbarkeit gem. § 263 StGB) auch Karbe, NJW 1999, 2868, 2869 f. mit weiteren Indizien für die Wertung eines rechnungsähnlich aufgemachten Angebots als konkludente Täuschung. 21 Insoweit gegen Bernreuther, WRP 1998, 584, 585. 22 S. allgemein oben 4. Abschn. C IV 3. 23 S. zur institutionellen Komponente dieser Problematik (der zuerst noch mangelnden Vertrautheit der nicht spezialisierten erstinstanzlichen Zivilgerichtsbarkeit mit den hinter rechnungsähnlich aufgemachten Schreiben stehenden betrügerischen Geschäftskonzepten) schon die Nachweise o. Fn. 11. Vgl. zu weiteren Erschwernissen der individuellen Rechtsverfolgung in diesem Bereich auch Ahrens, EWiR § 1 UWG 16/95, 915, 916.
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Dies führt zum Bedarf nach ergänzendem wettbewerbsrechtlichen Schutz, wobei sich – wenn man arguendo mit der Auffassung der früher herrschenden Meinung von der einstweiligen Wirksamkeit zumindest einiger der geschlossenen Verträge ausgeht 24 – die hier spezifisch interessierenden und zu verallgemeinernden Probleme stellen, ob und inwieweit, erstens, die reine Durchsetzung der Forderungen aus Anschlußverträgen für die Folgejahre eine unlautere Wettbewerbshandlung sein kann (gegen die Mitbewerber und qualifizierte Verbände mit dem Unterlassungsanspruch vorgehen können) und ob und inwieweit, zweitens, Mitbewerber und qualifizierte Verbände einen Beseitigungsanspruch dahingehend haben, den Unternehmer verpflichten zu können, den durch sein Handeln bei den angesprochenen Kunden entstandenen Täuschungszustand durch entsprechende Aufklärung zu beseitigen. Der BGH hat sich dem ersten Fragenkomplex in der wegweisenden Folgeverträge-Entscheidung v. 7. Oktober 1993 zuerst genähert und bei grundsätzlicher Ablehnung des Charakters der Durchsetzung rein individueller Ansprüche aus unlauter angebahnten, aber (nach damaliger Auffassung) wirksamen Verträgen als Wettbewerbshandlung eine ausnahmsweise Wettbewerbsrelevanz dann bejaht, wenn die letztliche Durchsetzung der Ansprüche Teil eines einheitlichen, von Anfang an auf Täuschung als Mittel des Wettbewerbs gerichteten Gesamtkonzepts sei, in dessen Rahmen der Unternehmer aufgrund seiner systematischen und zielgerichteten Täuschungshandlungen aus einer Vielzahl von Verträgen, „deren Fortbestand auch allein darauf zurückzuführen [… sei…], daß [der Unternehmer] die verursachte Täuschung auch bei der Durchführung des Vertrags durch konkludentes Verhalten aufrechterhält“, systematisch die Früchte ziehen könnte25. Ein solches Geschäftskonzept entspreche nicht dem Verhaltenskodex eines den Anforderungen des Leistungswettbewerbs gerecht werdenden Kaufmanns. Daher sei auch die Durchsetzung der Ansprüche aus den unlauter angebahnten Insertionsverträgen ihrerseits unlauter und ein entsprechender wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch zu bejahen 26. Dabei sieht der BGH durchaus das Problem, daß auf diese Weise die Gefahr droht, daß der Unterlassungsanspruch auch solche Fälle erfaßt, in denen der Fortbestand des Vertrags gerade nicht auf einer Ausnutzung der Täuschungsfortwirkung beruht, sondern vielmehr ein Vertrag bewußt und gewollt vom Kunden geschlossen wurde. Doch sieht er keinen Anlaß, die demnach gebotene Beschränkung auf die Unterlassung einer Beitreibung von Forderungen, ohne sicherzustellen, daß der fortwirkende Täuschungszustand hinreichend effektiv beseitigt wird, in den Tenor aufzunehmen. Etwaige Änderungs24 Demgegenüber spielt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 168 f., die Sachverhaltsgestaltung der „Adreßbuchschwindel“-Situationen einmal auf Grundlage der Annahme der Unwirksamkeit der entsprechenden Verträge durch und gelangt zu dem Ergebnis, daß bei Zugrundelegung von Vertragsunwirksamkeit in der Geltendmachung der (nicht vorhandenen) Ansprüche eine Irreführung der betroffenen Verbraucher i.S.d. § 5 UWG liegen könne. 25 S. BGHZ 123, 330; GRUR 1994, 126, 127 – Folgeverträge; s. für die ganz überwiegend positive Reaktion aus der Rechtswissenschaft auch die weiteren Nachweise o. Fn. 10. 26 S. BGHZ 123, 330 = GRUR 1994, 126, 127 f. – Folgeverträge.
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maßnahmen aufzuzeigen, die den Fortbestand der Täuschung hinreichend sicher ausräumten, sei in einer derartigen Situation Aufgabe des Klägers im Vollstrekkungsverfahren. Wenngleich es wohl richtiger gewesen wäre, die Beschränkung auf Fälle der Beitreibung von Forderungen ohne Sicherstellung der Aufklärung der Kunden über ihren potentiell fortbestehenden Irrtum in den Tenor aufzunehmen, um so für das Vollstreckungsverfahren – durchaus ebenfalls unter Wahrung hinreichenden Spielraums für geeignete Abhilfemaßnahmen der Beklagten – zumindest präzise Vorgaben zu machen 27, ist die materiell-rechtliche Tendenz der Entscheidung doch eindeutig und im Ergebnis zustimmungswürdig. Das Unterlassungsgebot für Durchsetzungshandlungen wird präzise auf eine Durchsetzung ohne vorherige Aufklärung der Kunden über ihre potentiell fortbestehende Irrtumslage limitiert, so daß im praktischen Ergebnis nichts anderes als eine Informationsobliegenheit des beklagten Unternehmers als Voraussetzung weiterer Durchsetzung seiner Forderungen konstruiert wird. Das wettbewerbsrechtlich sanktionierte Eingreifen Dritter in die etablierten Vertragsbeziehungen wird damit genau auf das Maß begrenzt, welches notwendig ist, um die betroffenen – potentiell noch in ihrem Täuschungszustand befangenen und daher weder die Fehlerhaftigkeit ihrer ursprünglichen Willenserklärung noch die daraus sich ergebenden Rechtsbehelfe kennenden – Kunden in Stand zu setzen, ihre individuellen Rechte selbst wahrzunehmen. Diese Konzeption entpuppt sich in aller Klarheit in der bald darauf folgenden Entscheidung Wirtschaftsregister, die sich bei wesentlich ähnlicher Ausgangslage mit dem zweiten hier identifizierten Problemkomplex, der Frage nach einem Beseitigungsanspruch bezüglich des kontinuierlich aufrechterhaltenen Täuschungszustands, zu befassen hatte28. Der BGH knüpft bezüglich der – letztlich entscheidenden – Frage, ob bei den betroffenen Kunden, die durch Überweisung vermeintlich Verträge abgeschlossen hatten, weiterhin ein durch die ursprüngliche Täuschung verursachter Störungszustand vorhanden sei, der der Störung vor und bei Vertragsschluß auch weiterhin vergleichbar ist 29, an seine Überlegungen aus dem Folgeverträge-Urteil an: Da der beklagte Unternehmer plangemäß eine Lage geschaffen habe, in der er bei den Kunden, die er getäuscht habe, systematisch den 27 So zutreffend (die Vorinstanz zu BGH GRUR 1995, 358 – Folgeverträge II) OLG Hamm, NJW-RR 1993, 871 f.; Ahrens, EWiR § 1 UWG 2/94, 185, 186. A.A. und im Anschluß an BGHZ 123, 330; GRUR 1994, 126, 127 f. – Folgeverträge ausdrücklich gegen die Entscheidung der Vorinstanz und gegen Ahrens, aaO., aber BGH GRUR 1995, 358, 360 – Folgeverträge II. 28 BGH GRUR 1998, 415 – Wirtschaftsregister. 29 Die Vorinstanz (OLG Köln Urt. v. 12.4.1995, GRUR 1995, 520 [nur Leitsatz]) hatte argumentiert, der durch die Täuschung verursachte Störungszustand habe sich durch den zwischenzeitlichen Vertragsschluß entscheidend gewandelt: Sei es zuvor um die Gefahr eines Irrtums des Empfängers gegangen, es handle sich bei dem verkappten Vertragsangebot um eine Rechnung, so stehe nunmehr – nach Vertragsschluß – nur noch der Irrtum des Kunden über die Möglichkeit, den Vertrag (durch Anfechtung nach §§ 119, 123 BGB) zu beseitigen, im Raum. Ein Anspruch auf Beseitigung dieser „Folgestörung“ würde den Grundsatz, daß auch unlauter angebahnte Verträge wirksam seien, in unzulässiger Weise aushöhlen. Entsprechend gewährte das OLG Köln keinen Beseitigungsanspruch.
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von ihm bewirkten Täuschungszustand weiter ausbeuten könne, weil diese in der Folgezeit davon ausgehen mußten, vertraglich gebunden zu sein und zudem (für die Folgejahre) weiterhin die Kündigungsfristen schwerlich einhalten konnten, da sie die jeweiligen Schreiben des Beklagten als Rechnung ansahen, sei zur Beseitigung dieses Störungszustands ein entsprechender Hinweis an die Kunden geboten, um diese instand zu setzen, ihre individuellen Rechte wahrzunehmen. Ein derartiger Beseitigungsanspruch und die sich daraus ergebende Hinweis- (oder Informations)pflicht sei dem Beklagten angesichts seines auf Täuschung angelegten Gesamtkonzepts auch selbst dann nicht unzumutbar, wenn er damit gegenüber seinen sämtlichen Kunden – also auch denjenigen, die sein „Angebot“ von vornherein richtig verstanden hatten – eine gewisse Bloßstellung erleide. Damit habe ursprünglich – so der BGH für den konkreten Sachverhalt – ein entsprechender Beseitigungsanspruch bestanden, der jedoch in der Folgezeit entfallen sei, da im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit „mildere Mittel“ zwischenzeitlich für einen hinreichenden Schutz der Kunden gesorgt hätten. Diese „milderen“ Instrumente sieht der BGH erstens in dem sich aus der FolgeverträgeRechtsprechung ergebenden Verbot, Forderungen aus den unlauter angebahnten Verträgen geltend zu machen, ohne zuvor den in Anspruch genommenen Kunden einen entsprechenden Hinweis auf ihr potentiell täuschungsbedingtes Zustandekommen zu geben, zweitens in weiteren Umständen des konkreten Falls, insbesondere der Tatsache, daß die Beklagte zwischenzeitlich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben und einzelne Bestätigungsschreiben an Kunden zur Klärung des Sachverhalts versandt hatte; und schließlich drittens in dem erheblichen Zeitraum, der zwischen den ursprünglichen Anbahnungshandlungen und der letztlichen höchstrichterlichen Entscheidung lag. Ungeachtet dieser (hauptsächlich im konkreten Einzelfall verwurzelten) Limitierungen, komplettiert das Wirtschaftsregister-Urteil die Konzeption des BGH bezüglich des Verhältnisses von Wettbewerbs- und Vertragsrecht insofern, als die Möglichkeit für Dritte (Mitbewerber und ihre Verbände sowie Verbraucherverbände), unter bestimmten Voraussetzungen vermittels wettbewerbsrechtlicher Beseitigungsansprüche letztlich dem Unternehmer eine Informationspflicht innerhalb etablierter vertraglicher Beziehungen aufzuerlegen, jedenfalls grundsätzlich anerkannt wird. Diese, im Beseitigungsanspruch dogmatisch verankerte und daher von Dritten durchsetzbare Informationspflicht richtet sich darauf, die in ihren Irrtümern bezüglich des Zustandekommens eines Vertrags befangenen Kunden genau in dem Maße aufzuklären, wie es notwendig ist, um sie instand zu setzen, ihre zivilrechtlichen Möglichkeiten selbst wahrzunehmen. Letztlich wird damit – jedenfalls für die Gesamtkonzeptfälle – eine Art abstrakte Aufklärungspflicht statuiert, deren Konkretisierung dann durch die Prinzipien der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit im einzelnen Fall erfolgen muß. War somit der Weg für eine dogmatische Begründung und Begrenzung des Eingreifens Dritter (nämlich der Mitbewerber und klagebefugten Verbände) in einmal etablierte Vertragsbeziehungen geebnet, so verdeutlichten einige (nicht im-
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mer ganz einheitliche) Folgeurteile insbesondere diejenigen Limitierungen derartiger wettbewerbsrechtlicher Dritteingriffe, die unerläßlich sind, um den Primat individueller – durch die allgemeine Rechtsgeschäftslehre und das Vertragsrecht geregelter – Vertragsbeziehungen zu wahren. Das Urteil Handy-Endpreis limitiert in einem Randaspekt der Entscheidung die Folgevertrags-Rechtsprechung auf diejenigen Fälle der Geltendmachung vertraglicher Ansprüche, in denen ein Gewerbetreibender systematisch und fortlaufend gerade das Zustandekommen von Verträgen als Folge der Irreführung anstrebt, diese sich also unmittelbar auf den Vertragsschluß als solchen richtet, dessen sich der Irregeführte gar nicht bewußt wird30. Eine derartige Irreführung liege jedenfalls in Fällen hauptsächlich anlockender Werbung nicht vor, da dann der durch Irreführung nur herbeigelockte Kunde vor Vertragsabschluß von allen maßgeblichen Umständen Kenntnis erlangt haben könne. Im entschiedenen Sachverhalt, in dem es um die Konditionen eines Mobiltelefon-Vertrags ging, war dies sogar unzweifelhaft der Fall. Denn die betroffenen Kunden hatten, nachdem sie zunächst vermittels der reißerischen Preiswerbung in einschlägige Ladenlokale gelockt worden waren, ja in der Folge entsprechende Verträge abgeschlossen, so daß ihnen jedenfalls mittlerweile die genauen Konditionen und Bedingungen bekannt sein mußten. Die Entscheidung Handy-Endpreis ließe sich insofern wohl ebensogut – statt der Fokussierung auf das gesamthafte Täuschungskonzept – dadurch erklären, daß ein Täuschungszustand in diesem Sachverhalt, da die Werbung anlockenden Charakter gehabt hatte und entsprechend verursachte Irrtümer schon durch den Vertragsschluß als solchen ausgeräumt sein mußten, letztlich gar nicht mehr vorhanden war. Die Kunden waren sich über die Art der Vertragsanbahnung wie auch über den Inhalt der Verträge jedenfalls aus normativer Sicht voll im klaren und daher uneingeschränkt imstande, ihre Rechte individuell geltend zu machen. Eines wettbewerbsrechtlich vermittelten Eingreifens Dritter in die Vertragsbeziehungen bedurfte es insofern von vornherein nicht. Daß dieser Aspekt fortdauernder Täuschung als Kausalfaktor für den Vertragsabschluß bzw. zwischenzeitlich ohnehin erfolgter Aufklärung ein entscheidendes Kriterium bildet, verdeutlicht seitdem auch die Gewinn-Zertifikat-Entscheidung31: Hier hält der BGH zu der an dieser Stelle interessierenden Fragestellung fest, daß die Abwicklung von Verträgen, die durch wettbewerbswidrige Mittel angebahnt worden seien, als solche grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig sei. Nur wenn sie nach den gesamten Umständen des Falls ihrerseits als unlauteres Wettbewerbsverhalten mit Marktrelevanz gewürdigt werden könne, komme ein entsprechender Unterlassungsanspruch in Betracht. Dabei genüge der typische Zusammenhang zwischen unlauterer Anbahnung des Vertrags und zugehöriger Durchsetzung der Ansprüche jedenfalls nicht, um einen qualifizierten Gesamtplan zu bejahen, der im Sinne der Folgeverträge-Rechtsprechung auch die Durchführungshandlungen als marktrelevant und wettbewerbswidrig erscheinen 30 31
BGH GRUR 1999, 261, 264 – Handy-Endpreis. BGHZ 147, 286 = GRUR 2001, 1178, 1180 f. – Gewinn-Zertifikat.
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lasse. Vielmehr wüßten im „Normalfall“ unlauterer Werbung, die sich nicht gerade auf das Verschleiern des Vertragsschlusses als solches richte, um den Kunden in eine Art „Vertragsfalle“ zu locken, die Kunden ja sehr genau, daß sie letztlich Verträge schlössen. Die unlautere Werbung habe sie allenfalls (sofern es nicht zwischenzeitlich zu entsprechender Aufklärung gekommen sei) zu diesen – ihnen bekannten und von ihnen jedenfalls im Sinne eines Vorhandenseins entsprechenden Geschäftwillens gewollten – Vertragsschlüssen veranlaßt. Wiederum ist also nach dem Urteil des BGH – unter durchsetzungsorientierter Perspektive betrachtet – entscheidend, daß die von „normaler“ unlauterer Werbung betroffenen Kunden die Tatsache der vorausgegangenen Werbung, wie auch ihrer resultierenden Vertragsabschlüsse sehr genau kennen, so daß jedenfalls die Durchsetzung der Verträge grundsätzlich dem individuellen Vertragsverhältnis zuzuordnen ist, ohne daß die Kunden noch in einem marktrelevanten Täuschungszustand, betreffend gerade die Tatsache ihrer vertraglichen Bindung, befangen und daher zur Durchsetzung ihrer Rechte nicht selbst imstande wären. Sind vorstehende Entscheidungen dennoch im Grundsatz deutlich der Gesamtkonzepttheorie als Grundlage einer sinnvollen Limitierung des Eingreifens des Wettbewerbsrechts nach Vertragsschluß in etablierte Vertragsbeziehungen verhaftet, so verfolgen seither einzelne Entscheidungen, in denen es nicht spezifisch um wettbewerbsrechtliche Durchführungsverbote, sondern allgemein um die Frage des Vorliegens von Wettbewerbshandlungen im Rahmen bloßer Vertragsabwicklung (insbesondere durch Vertragsverletzungen) geht, eine noch deutlicher durchsetzungsorientierte Perspektive. Insbesondere das Urteil Kontostandsauskunft 32, in dem ein wettbewerbsrechtlich relevantes Handeln der Beklagten aufgrund der Verletzung ihrer Pflichten aus den Giroverträgen mit den Kunden deshalb bejaht wird, weil sie sich zu Lasten einer Vielzahl von Kunden – die jeweils nur minimale Schäden erlitten hätten und daher ihre individuellen Rechte nicht geltend machten – ihrerseits erhebliche finanzielle Vorteile in Form von Überziehungszinsen gesichert hätte, und dadurch die Irreführung ihrer Kunden zum Mittel des Wettbewerbs gemacht habe33, verdeutlicht einen Perspektivwechsel in der Rechtsprechung des BGH. Denn letztlich ist mit dem Aspekt des bewußt verursachten Streuschadens die Fragestellung in den Mittelpunkt gerückt, inwieweit die Kunden ihre individuellen Rechte selbst geltend machen können oder werden, bzw. inwieweit der Unternehmer durch sein vertragsbezogenenes Handeln Durchsetzungslücken des Individualvertragsrechts in tendenziell massenhafter Weise nutzt, um sich dadurch in der Summe Vorteile im Verhältnis zu seinen Konkurrenten zu verschaffen34. 32 BGH GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft m. Anm. Köhler, LM UWG § 1 Nr. 851. 33 S. aaO. 34 Neben dem bekannten Durchsetzungsproblem im Zusammenhang mit der Verursachung im Einzelfall lediglich minimaler Streuschäden, bezüglich derer kein hinreichender Anreiz zur Rechtsdurchsetzung besteht, dürfte sich die Beklagte in dem der BGH-Entscheidung Konto-
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Tatsächlich läßt sich, ein Gedanke der an anderer Stelle in dieser Studie auch bereits näher entwickelt wurde35, nach der hier vertretenen Auffassung das gesamte Verhältnis von Vertrags- und Wettbewerbsrecht bezüglich unternehmerischer Handlungen nach Vertragsschluß auf Grundlage einer derartigen durchsetzungsorientierten Perspektive modellieren 36. In der Folge soll kurz illustriert werden, daß sich gerade auch die Folgeverträge-Rechtsprechung zu wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten exakt in diese Konzeption einfügt, diese damit bestätigt und vervollständigt. Der besondere Wert der hier entwikkelten – anhand des ordnungspolitischen Durchsetzungsgedankens inhaltlichwertenden – Abgrenzung von Vertrags- und Wettbewerbsrecht liegt dabei im Vergleich zur subjektiven „Gesamtkonzepttheorie“ des BGH mit ihrer tatbestandlichen Orientierung am Begriff der Wettbewerbshandlung (und bezüglich deren Vorliegens an der groben Scheidelinie des Vertragsschlusses) darin, daß die hier vertretene Auffassung zu interessengerechten und den Resultaten der Rechtsprechung weitgehend identischen Ergebnissen gerade auch dann führt, wenn man das Vorliegen von Wettbewerbshandlungen auch im Falle vertragsbezogener Handlungen nach Vertragsschluß weitestgehend bejaht – wie dies künftig die Lauterkeits-Richtlinie gebieten wird. So können nämlich auch künftig interessengerechte Ergebnisse auf dogmatisch selbst nach Umsetzung der Richtlinie tragfähiger Basis in diesem Schnittbereich erzielt werden 37, ohne das Vorliegen einer Wettbewerbshandlung nach Vertragsschluß schon tatbestandlich grundsätzlich verneinen zu müssen. Dies ist noch kurz näher auszuführen.
standsauskunft zugrundeliegenden Sachverhalt zudem auch die status quo bias insofern zunutze gemacht haben, als die – typischerweise älteren – Kunden der Beklagten selbst bei Entdeckung der vertraglichen Schlechterfüllung sicherlich von einem Wechsel ihrer kontoführenden Sparkasse zurückscheuten. Vgl. dazu grundlegend oben 1. Kap. 1. Abschn. D V 4. 35 S. oben 3. Kap. 3. Abschn. B und C. 36 Im Ansatz ähnlich Ahrens, EWiR § 1 UWG 16/95, 915, 916; Harte/Henning-Ahrens, Einl F, Rz. 171 ff. Einen abweichenden Ansatz, der ebenfalls von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts nach Vertragsschluß und auf vertragsbezogene Handlungen ausgeht und dann im übrigen – etwas anders als im Rahmen der hier gewählten Konzeption durchsetzungsorientierter Subsidiarität – nach der Art und Weise der Beeinflussung nach Vertragsschluß im Rahmen der materiellen Prüfung der Unlauterkeit abgrenzt, wählt Tiller, Gewährleistung und Irreführung, S. 135 ff.; vgl. insgesamt auch schon oben 3. Kap. 3. Abschn. B. 37 Vgl. zum Teil auch schon oben 3. Kap. 3. Abschn. B.
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II. Die konzeptionelle Alternative: Durchsetzungsorientierte Subsidiarität des Wettbewerbsrechts im Verhältnis zum Vertragsrecht statt tatbestandlicher Abgrenzungsversuche Hauptsächlich beruht der hier entwickelte Ansatz einer inhaltlich-wertenden, konkurrenzähnlichen38 Abgrenzung zwischen Wettbewerbs- und Vertragsrecht auf der Erkenntnis, daß angesichts der zunehmend zu beobachtenden institutionellen „Aufladung“ des Vertragsrechts39 – mithin der zunehmend anerkannten und regulatorisch aufgegriffenen Marktrelevanz bestimmter unternehmerischer Handlungen auch im Rahmen bloßer Vertragsabwicklung im Massenverkehr – eine tatbestandliche Trennung zwischen Wettbewerbs- und Vertragsrecht auf Grundlage des Begriffs der Wettbewerbshandlung40 den eigentlichen Kern des Problems einer wertenden Abgrenzung zwischen dem Bereich des individuellen Vertragsverhältnisses und seiner rechtsgeschäftlichen und schuldrechtlichen Regelung – als einer Art natürlichen Wettbewerbsbeschränkung, die im Rahmen eines Komplementärverhältnisses den freien Wettbewerb paradoxerweise erst er-
38 Um eine Konkurrenz im eigentlichen Sinne kann es zwischen Individualvertragsrecht und Wettbewerbsrecht angesichts der anders ausgerichteten Rechtsfolgen nicht gehen, s. oben 3. Kap. 3. Abschn. B II 1. 39 S. grundlegend oben 1. Kap. 3. Abschn. C III. 40 Und insoweit insbesondere aufgrund der Voraussetzung eines Absatz- oder Bezugsförderungsziels, deren Vorliegen von der Rechtsprechung bisher für den Regelfall vertragsbezogenen Handelns – insbesondere, wie in den Eichstrich- (s. BGH GRUR 1983, 451 f. mit Anm. Abels – Ausschank unter Eichstrich I; BGH GRUR 1987, 180, 181 – Ausschank unter Eichstrich II) und Folgeverträge-Urteilen (s. die Nachweise o. Fn. 10) als Ausgangspunkt der Überlegungen auch festgehalten, bei bloßen Erfüllungs- oder Durchsetzungshandlungen – grundsätzlich verneint wurde. Anders, und nach der hier vertretenen Auffassung vollumfänglich zutreffend und verallgemeinerbar, aber die differenzierten Überlegungen bei OLG Frankfurt/M., GRUR 2002, 727, 728 f. – Kerosinzuschlag: Bei dem gleichartigen und planmäßigen Versuch, durch schriftlichen Hinweis, man werde die Reiseunterlagen nur bei vorbehaltloser Zahlung aushändigen, die Kunden von der Ausübung ihrer vertraglichen und gesetzlichen Rechte, die sich aus einer einseitigen Reisepreiserhöhung ergaben, faktisch abzuhalten, handle es sich (obwohl weder eine Werbewirkung für künftige Verträge beabsichtigt war, noch durch das rein faktische Handeln der Kundenstamm erhalten, erweitert oder die Verträge inhaltlich geändert worden wären [die überprüfungsbedürftige Preiserhöhung war ja bereits vorangegangen]) um eine unlautere Wettbewerbshandlung. Dies richtet den Fokus genau zutreffend auf den Schutz der Kunden auch vor tendenziell massenhafter, marktrelevanter faktischer Beeinträchtigung ihrer Rechte im Rahmen reiner Durchsetzungs- und Erfüllungshandlungen. Dabei bezieht sich das Urteil des OLG Frankfurt/M. auf eine Sachverhaltsgestaltung, in der mit dem Versuch, die Kunden durch faktische Einschüchterung von der Geltendmachung ihrer Überprüfungsrechte auf Grundlage von § 651 a IV BGB abzuhalten, der Zweck einer nachvertraglichen, zwingenden Verbraucherschutzvorschrift unterlaufen wurde, worauf sich die Entscheidung argumentativ auch stützt. Doch ist der zugrundeliegende Gedankengang nach der hier vertretenen Auffassung für den gesamten Bereich faktischen nachvertraglichen Handelns, welches mit massenhafter Tendenz praktische Durchsetzungslücken schafft oder nutzt, zu verallgemeinern. Letztlich weist ja auch BGH GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft m. Anm. Köhler, LM UWG § 1 Nr. 851, in eine ähnliche Richtung.
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möglicht41 – und dem vom Lauterkeitsrecht regulierten Bereich wettbewerblich relevanter Handlungen verfehlt42. Stattdessen wurde eine teleologisch erweiterte Interpretation des Begriffs der Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG vorgeschlagen, die auch sämtliche nur erfüllungs- oder durchsetzungsbezogenen vertraglichen Handlungen des Unternehmers dann in den Begriff der Wettbewerbshandlung einbezieht, wenn diese insofern eine Marktaußenwirkung entfalten, als sie zumindest potentiell sich massenhaft gleichartig auf sämtliche Vertragsabwicklungsverhältnisse ausdehnen und dem Unternehmer dadurch einen Vorteil im Wettbewerb verschaffen könnten. Diese erhebliche tatbestandliche Ausdehnung des Begriffs der Wettbewerbshandlung in den Bereich individueller Vertragsabwicklung wurde jedoch dadurch inhaltlich-wertend sozusagen „abgefedert“, daß im Verhältnis zwischen schwerpunktmäßig individualvertraglicher Regelung durch die allgemeine Rechtsgeschäftlehre und das Schuldrecht einerseits und schwerpunktmäßig marktbezogener Regelung durch das Wettbewerbsrecht andererseits ein Grundsatz durchsetzungsorientierter materieller Subsidiarität des Wettbewerbsrechts bezüglich vertragsbezogener Handlungen anerkannt wurde, welcher seine grundlagenorientierte Basis im hier befürworteten normativen Gleichmaßgrundsatz zwischen Vertragsund Wettbewerbsrecht sowie im ordnungspolitischen Gedanken effektiver Individualrechtsdurchsetzung findet. Diese Konzeption hat für den hier betrachteten Bereich der Durchführungsverbote zur Folge, daß ein Eingreifen des Wettbewerbsrechts bezüglich unternehmerischer Abwicklungshandlungen erstens nur dann und insoweit in Betracht kommt, wie im Individualvertragsrecht systemwidrige faktische Durchsetzungslücken klaffen, die vom Unternehmer mit Tendenz zur massenhaft gleichartigen Ausdehnung geschaffen wurden und/oder genutzt werden. Zweitens ist selbst bezüglich derartiger Durchsetzungslücken eine spezifisch vertragsrechtliche Wertung vorrangig, wenn und soweit sie vorhanden ist. Deshalb kommt etwa eine zusätzliche Konstruktion wettbewerbsrechtlicher „Informationspflichten“ – wie in den Folgeverträge-Entscheidungen im praktischen Resultat für die insoweit zugrundeliegenden, atypischen Sachverhalte zu Recht entwickelt – in all denjenigen Situationen nicht in Betracht, wo eine bestimmte typisierbare Durchsetzungslücke schon durch den zivilrechtlichen Gesetzgeber erkannt und abschließend reguliert wurde. Schließlich soll drittens rechtsfolgenseitig ein Eingreifen des Wettbewerbsrechts bezüglich individuell etablierter Vertragsverhältnisse nur gerade insoweit möglich sein, wie dies notwendig ist, um die erkannten praktischen Durchsetzungslücken der Rechtsgeschäftslehre und des Vertragsrechts – insbesondere fehlende Information der betroffenen Kunden über ihre Rechte in bestimmten Situationen sowie die Streuproblematik im Bereich massenhafter Bagatellschäden – auszugleichen, und die Kunden instand zu setzen, ihre individuellen Rechte und Ansprüche selbst wahrzunehmen und durchzuset41 42
S. oben 1. Kap. 1. Abschn. C III und IV. S. eingehend zum ganzen oben 3. Kap. 3. Abschn. B I 2 und II.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
zen. Der aufgrund dieser Kriterien erreichbare „Schutz“ des Individualvertragsverhältnisses vor Eingriffen Dritter mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts (nämlich der Mitbewerber und qualifizierter Verbände) dürfte im Ergebnis sogar effektiver – und insbesondere zielgenauer und interessengerechter – sein, als die bisher praktizierte grundsätzlich tatbestandliche Abgrenzung, zumal eine vorrangige vertragsrechtliche Wertung sich aufgrund der hier vertretenen Auffassung auch im Vorfeld des Vertragsschlusses (im unzweifelhaft noch bestehenden Parallelwettbewerb) durchsetzt, sofern und soweit ihr nur eine eigenständige marktbezogene Ordnungsfunktion innewohnt43. Tatsächlich vermögen die hier vorgeschlagenen drei Kriterien durchsetzungsorientierter materieller Subsidiarität des Wettbewerbsrechts im Verhältnis zur zivilrechtlichen Regelung individualvertraglicher Beziehungen eine neue inhaltlich wertende Abgrenzungskonzeption zu etablieren, die praktisch die gesamte – im Ergebnis weitestgehend zutreffende und fast einhellig begrüßte – Rechtsprechung in diesem Bereich erklären kann, ohne insoweit einer – nach der hier vertretenen Auffassung ohnedies nicht von Zweifeln freien44 – tatbestandlichen Limitierung der „Wettbewerbshandlung“ im Sinne einer strikten Begrenzung auf parallelen Absatzund Bezugswettbewerb oder eines subjektiven Kriteriums bewußten, systematischen Vorgehens – welches Handlungen vor und Handlungen nach Vertragsschluß im Sinne der Gesamtkonzepttheorie sozusagen verknüpft – noch zu bedürfen. Insbesondere die Folgeverträge-Rechtsprechung zu wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten ist auf dieser Grundlage samt ihren genau gezeichneten Limitierungen dahingehend zu erklären, daß das Wettbewerbsrecht mit Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen genau dann in individualvertraglich etablierte Vertragsbeziehungen eingreift, wenn dies notwendig ist, um die vom Unternehmer in derartigen Sachverhalten geschaffene und massenhaft genutzte systemwidrige Durchsetzungslücke zu schließen und die betroffenen – in subjektiver Unkenntnis ihrer rechtlichen Situation befangenen – Kunden instand zu setzen, ihre 43 Ihre besondere Bedeutung und Brisanz erlangt die hier entwickelte Konzeption, wie bereits im Text erwähnt, aber insbesondere dadurch, daß – gleich ob eine explizite Umsetzung erfolgt oder nicht – jedenfalls nach der Lauterkeits-RL rein vertragsbezogene Geschäftspraktiken – solange sie nur in „unmittelbarem Zusammenhang“ mit „der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung“ erfolgen – grundsätzlich vom Anwendungsbereich lauterkeitsrechtlicher Regulierung erfaßt sein sollen. Sinnvollerweise wird man diese rechtliche Vorgabe nur einheitlich durch grundsätzliche tatbestandliche Erfassung rein vertragsbezogenen Handelns im Rahmen des Wettbewerbsrechts in das deutsche Recht umsetzen können. Damit werden aber verläßliche Kriterien für eine inhaltliche Abgrenzung eigenständig wettbewerbsrechtlicher Aspekte von rein individualvertraglichen Aspekten, die durch die allgemeine Rechtsgeschäftslehre und das Schuldrecht abschließend erfaßt sind, nunmehr unentbehrlich, zumal auch die Richtlinie den Vorrang des Vertragsrechts in dem Sinne anerkennt, daß sie ausdrücklich das Vertragsrecht unberührt läßt. S. zum ganzen und insbesondere zu der Frage, ob eine explizite Umsetzung geboten ist, nachdem schon die hier vertretene teleologisch erweiterte Interpretation des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG grundsätzlich der Vorgabe der Lauterkeits-RL entsprechen würde, näher oben 3. Kap. 3. Abschn. B IV. 44 S. oben 3. Kap. 3. Abschn. B I 2.
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Interessen wieder selbst wahrzunehmen. Dabei gestattet es der Unterlassungsanspruch den Mitbewerbern und qualifizierten Verbänden im praktischen Ergebnis, nach Art einer Informationsobliegenheit sicherzustellen, daß die Unternehmer ihre vertraglichen Ansprüche jedenfalls nicht durchsetzen, ohne den betroffenen Kunden entsprechende Hinweise zu geben. Daneben ermöglicht es jedenfalls grundsätzlich der Beseitigungsanspruch den Konkurrenten und qualifizierten Verbänden, in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit auch einen aktiven Hinweis im Sinne einer Informationspflicht der unlauter handelnden Unternehmer zugunsten ihrer getäuschten Kunden zu erreichen. Ebenso gut erklären sich auf der Grundlage durchsetzungsorientierter materieller Subsidiarität die Grenzen, die die Rechtsprechung wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten in den Handy-Endpreis- und Gewinn-Zertifikat-Urteilen gezogen hat. In den zugrundeliegenden Sachverhalten waren systemwidrige Durchsetzungslücken des individualvertraglichen Schutzes schlicht nicht vorhanden. Die von der – potentiell – irreführenden anlockenden Wertreklame in HandyEndpreis betroffenen Kunden kannten jedenfalls spätestens ab Vertragsschluß die genauen Konditionen ihrer Verträge. In einem Täuschungszustand, der die Geltendmachung individueller Rechte effektiv verhindert hätte, befanden sie sich nicht, so daß es eines wettbewerbsrechtlich sanktionierten Eingreifens Dritter in die etablierten Vertragsbeziehungen schlechterdings nicht bedurfte. Ebenso fehlte es in dem der Gewinn-Zertifikat-Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt an einer systemwidrigen Durchsetzungslücke des Individualvertragsrechts: Schließlich kannten die von der unlauteren Anlockung mit irreführenden Gewinnversprechen betroffenen Kunden genau die Fakten der Vertragsanbahnung samt dem letztlich nicht eingelösten vermeintlichen Gewinn und wußten auch selbst am besten, daß sie Verträge gerade aufgrund dieser Anlockung geschlossen hatten. Mithin waren sie im Prinzip durchaus imstande, sich daraus eventuell ergebende Rechtsbehelfe der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts wahrzunehmen. Soweit dies aufgrund des ausländischen Sitzes ihrer Vertragspartnerin, die sie vermittels des Gewinn-Zertifikats angesprochen hatte, rein praktisch nur unter gewissen Schwierigkeiten möglich gewesen sein sollte, handelte es sich dabei nicht etwa um eine systemwidrige Durchsetzungslücke des deutschen Vertragsrechts, die vom Unternehmer (unzweifelhaft) geschaffen oder genutzt worden wäre. Vielmehr handelte es sich bei dieser spezifischen Problematik schlicht um eine gerade systemkonforme Auswirkung der Etablierung eines gemeinsamen europäischen Marktes, für die entsprechende verbraucherschutzrechtliche Vorkehrungen – insbesondere bezüglich der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts – bereits getroffen sind, welche durch die Gewährung von wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten im Verhältnis zu inländischen „Mitstörern“ nur in ihren Wertungen unterlaufen würden45. Auch 45 Vgl. im übrigen auch Köhler, GRUR 2003, 265, 269: eine Schutzlücke bestehe in den insoweit typischen Konstellationen im Zivilrecht schon deshalb nicht, weil sich das deutsche Ver-
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insoweit führt das Abgrenzungsprinzip durchsetzungsorientierter materieller Subsidiarität mithin wegen des Fehlens einer systemwidrigen Durchsetzungslücke zum selben Ergebnis wie das vom BGH in der genannten Entscheidung konkret herangezogene (und jedenfalls nicht für sämtliche Fälle vertragsbezogenen Handelns verallgemeinerungsfähige) Kriterium eines auf die Schaffung einer „Vertragsfalle“ angelegten Gesamtverhaltens. Schließlich lassen sich auch die Sachverhalte wettbewerbsrechtlich ausnahmsweise berücksichtigungsfähiger Vertragsverletzungen im Rahmen der Konzeption durchsetzungsorientierter materieller Subsidiariät modellieren. So wären die Sachverhalte, die den Eichstrich-Entscheidungen des BGH zugrundelagen, nach der hier vertretenen Konzeption genau identisch zu entscheiden: Nur soweit einer Schlechterfüllung die nachweisliche Tendenz zur massenhaften Ausbreitung im Rahmen einer Vielzahl von Vertragsverhältnissen innewohnt46, welche dazu führt, daß ein Unternehmer das sich aus dem Bagatellcharakter der entstandenen Kundenansprüche ergebende praktische Durchsetzungsproblem massenhaft nutzt, um in wettbewerbsrelevanter Weise einen Vorsprung zu erzielen47, kommt ein Eingreifen des Wettbewerbsrechts in die etablierten Individualvertragsbeziehungen in Betracht. Insbesondere das neuere Urteil Kontostandsauskunft scheint – mit seinen deutlichen Hinweisen auf das im Sachverhalt letztlich zugrundeliegende Bagatellproblem mit Blick auf die den getäuschten Bankkunden durch die fehlerhafte Erfüllung der Pflichten aus dem Girovertrag entstandenen Schäden durch überhöhte Zinsen – eine ganz ähnliche Konzeption ins Auge zu fassen, wie sie hier vertreten wird48. tragsunternehmen, welches die Vertragsabwicklung übernehme, eine arglässige oder fahrlässige Täuschung des ausländischen Werbers wie eigenes Verhalten zurechnen lassen müsse. 46 Es ist gerade diese Mindestvoraussetzung einer über den rein individuellen Fall hinausreichenden Tendenz zur massenhaften Verbreitung einer bestimmten nachvertraglichen Erfüllungshandlung, die letztlich in BGH GRUR 1983, 451 f. mit Anm. Abels – Ausschank unter Eichstrich I, schon nicht nachgewiesen war. Auf subjektive Kriterien im Sinne eines bewußten, (gesamt-)planmäßigen Vorgehens sollte demgegenüber nach der hier vertretenen Auffassung (entgegen der älteren Rechtsprechung) nicht entscheidend abgestellt werden, zudem dies auch zu unüberwindlichen Beweisproblemen führt, die dann ohnedies in der Praxis zur Folge haben, daß letztlich aus rein objektiven Indizien – eben der über den Einzelfall hinausreichenden, typischen Ausbreitung einer bestimmten Art von Vertragsverletzungen in der Geschäftspraxis eines Unternehmers – auf den bewußten Gesamtplan geschlossen wird. Nach der hier vertretenen Auffassung läßt sich demgegenüber von vornherein an das Kriterium der Tendenz zur massenhaften Verbreitung anknüpfen, wobei die „massenhafte“ Tendenz nicht quantitativ, sondern allein im Sinne einer „typischen“, über den individuellen Fall hinausreichenden Verbreitung zu verstehen ist. 47 In BGH GRUR 1987, 180, 181 – Ausschank unter Eichstrich II, wurde die (subjektive) Voraussetzung eines gezielten, planmäßigen Vorgehens geprüft und anhand der Schlechtbedienung einer Tischgesellschaft, die „im Rahmen von drei Runden“ 20 bis 30 Maß Bier bestellt hatte, bejaht. Letztlich werden also – naturgemäß – rein objektive Indizien zum Beweis des gezielten planmäßigen Vorgehens herangezogen. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre demgegenüber von vornherein auf den typischen Charakter des unternehmerischen Handelns im Sinne einer Tendenz zu massenhafter Ausbreitung abzustellen, was zum selben Ergebnis führt, ohne des beweisrechtlichen Zwischenschritts noch zu bedürfen. 48 S. bei o. Fn. 32.
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Im übrigen lassen sich auf Grundlage der inhaltlich wertenden Betrachtung des Verhältnisses von Vertrags- und Wettbewerbsrecht auch die Heranziehung der § 4 Nr. 11, § 3 UWG (Rechtsbruch) für sämtliche Fälle von Verstößen gegen zwingende verbrauchervertragsrechtliche Pflichten auch nach Vertragsschluß und auch ohne Absatzbezug49 zwanglos erklären50. De facto würde der Bereich lauterkeitsrechtlichen Eingreifens in etablierte Vertragsbeziehungen an dieser Stelle aufgrund der hier vertretenen Auffassung dann etwas weiter reichen, als dies zumindest nach der älteren BGH-Rechtsprechung für dieses Überschneidungsfeld der Fall wäre: Denn durchsetzungsbezogene Schutzlücken der Verbraucher, die gerade auf einen Verbrauchervertragsrechtsverstoß (insbesondere eine fehlerhafte Belehrung über Widerrufsrechte) seitens des Unternehmers zurückgehen und die der Unternehmer in der Folge bei der Anspruchsdurchsetzung nutzt, indem er etwa erklärt, etwaige Widerrufsrechte seien verfristet, würden – gleich ob dem ein bewußtes Gesamtkonzept des Unternehmers zugrundeliegt oder nicht51 – auf Grundlage der hier vertretenen Kriterien dazu führen, daß – da eine Schutzlücke mit Tendenz zur massenhaften Ausbreitung vorhanden ist, die gerade vom Unternehmer geschaffen wurde und genutzt wird – der Unternehmer von Konkurrenten und qualifizierten Verbänden auf Grundlage von §§ 4 Nr. 1, § 3 UWG i.V.m. § 8 Abs. 1 UWG auf Beseitigung des Täuschungszustands der betroffenen Kunden durch exakte Nachholung der Aufklärung sowie auf Unterlassung einer Durchsetzung seiner vertraglichen Ansprüche ohne vorherige Aufklärung in Anspruch genommen werden könnte.
Insbesondere der grundsätzliche Vorrang der vertragsrechtlichen Wertung gerade soweit sie eine bestimmte Durchsetzungslücke bereits abschließend regelt, führt aber nach der hier vertretenen Auffassung auch zu bestimmten neuen und im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung strengeren Limitierungen eines wettbewerbsrechtlichen Eingreifens in die individuelle Vertragsbeziehung 52. Dadurch wird die Gefahr, individualvertragsrechtliche Wertungen – insbesondere bezüglich der rechtlichen Beurteilung bestimmter Informationsasymmetrien vor und nach Vertragsschluß – durch das tatbestandlich nunmehr potentiell weiter gezogene wettbewerbsrechtlich sanktionierte Eingreifen Dritter in die etablierten Ver-
49 S. insoweit im Ergebnis zutreffend auch BGH GRUR 2000, 731, 733 – Sicherungsschein, da der über § 1 UWG monierte Verstoß gegen § 651k Abs. 4 BGB keinerlei Absatzziel mehr verfolgte, sondern vielmehr allein die Abwicklung der Leistungsbeziehungen zwischen den Reisevertragspartnern betraf. Doch hatte die verletzte zwingende Verbraucherschutzregel eben in dem Sinne eigenständig wettbewerbsregelnde Wirkung, als sie geeignet und bestimmt war, gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen allen Reiseveranstaltern zu schaffen. S. zu Verbraucherrechtsverstößen nach Vertragsschluß im Rahmen der Vertragsabwicklung als Rechtsbruch i.S.d. § 4 Nr. 11, § 3 UWG schon oben 3. Kap. 3. Abschn. B II 2. 50 S. insgesamt oben 3. Kap. 3. Abschn. B mwN. 51 Anders aber noch BGH GRUR 1986, 816, 819 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf, wo planmäßiges Vorgehen schon im Rahmen der widerrechtlichen Gestaltung der Belehrungsvordrucke (mithin im Sinne eines Gesamtplans) gefordert wird. Vgl. auch oben 3. Kap. 3. Abschn. B I 1. 52 S. oben 3. Kap. 3. Abschn. B II und für eine anwendungsbezogene Folgerung auch 3. Kap. 3. Abschn. D.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
tragsbeziehungen in undifferenzierter Weise zu unterlaufen, sogar effektiver als bisher unterbunden53. Das solcherart durchsetzungsorientiert neu gezeichnete Panorama des richterrechtlich mittlerweile durchaus etablierten Zusammenspiels von Vertrags- und Wettbewerbsrecht im Bereich der Vertragsabwicklung erweist, daß das deutsche Recht der diesbezüglichen Vorgabe der Lauterkeits-RL – unabhängig von der Frage, ob dennoch eine Umsetzung durch Änderung des Begriffs der Wettbewerbshandlung erfolgen sollte54 – genaugenommen bereits genügt, da ja auch nach der Richtlinie eine inhaltliche Abgrenzung des vorrangigen Vertragsrechts von den lauterkeitsrechtlich intendierten Verboten der Lauterkeits-RL notwendig ist, soweit es bezüglich einer bestimmten Vertragsabwicklungshandlung an einer zusätzlichen spezifisch lauterkeitsrechtlichen Wertung fehlt. Insbesondere aber – und für das hier behandelte Thema von entscheidender Bedeutung – erhellt, daß die Rechtsprechung zu den wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten zum Teil gerade vermag, diejenigen faktisch-durchsetzungsorientierten Lücken, die das nur tatbestandlich-materiell lückenlose System der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts beim Schutz der Kunden potentiell läßt, durch zielgenau begrenztes Eingreifen Dritter in die Vertragsbeziehungen zu schließen. Vergleichsweise gut gelingt das jedenfalls, soweit es um den Schutz der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses der Kunden sowie um gerade auf spezifischer Unkenntnis der Kunden über ihre Rechte beruhende informationsbedingte Durchsetzungslücken geht55. Zum Teil läßt sich auch das aufgrund des typischen Bagatellcharakters entstandener Kundenansprüche entstehende Durchsetzungsproblem lösen, wie dies die Eichstrich-Rechtsprechung illustriert, welche im Umfeld des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB durchaus eine gewisse neu entfachte Bedeutung erlangen könnte56.
53
S. oben aaO. S. im Ergebnis für eine ausdrückliche Umsetzung oben 3. Kap. 3. Abschn. B IV mwN. 55 Die wettbewerbsrechtlich im Rahmen der Folgeverträge-Rechtsprechung konstruierten Informationsobliegenheiten und Informationspflichten bezüglich der Durchsetzung qualifiziert unlauter angebahnter Verträge leisten dabei für nicht typisierbare Situationen unlauter herbeigeführter rechtsdurchsetzungsbezogener Informationsasymmetrie sozusagen diejenige Aufklärung, die im typisierten Verbraucherschutz von den zwingenden Informationspflichten gewährleistet wird. Ähnlich wie es im Rahmen letzterer die kollektive Geltendmachung über das Unterlassungsklagegesetz sowie – auf Grundlage der § 4 Nr. 11, § 3 UWG – die Geltendmachung über das Sanktionensystem des Wettbewerbsrechts erreichen, garantieren die wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverbote und Beseitigungsansprüche im Ergebnis, daß Mitbewerber und klageberechtigte Verbände auf dem Weg über das Sanktionensystem des Wettbewerbsrechts für eine effektive Durchsetzung der gebotenen Information der aufgrund unlauteren Wettbewerbs über ihre Rechte im unklaren befindlichen Kunden auch im Rahmen bereits etablierter Vertragsverhältnisse sorgen. 56 S. oben 3. Abschn. C II 4 zu dem sich mit Blick auf § 434 Abs. 1 S. 3 BGB durchaus stellenden Problem, daß in bestimmten Sachverhaltsgestaltungen eine Geltendmachung der sich aus dieser Norm ergebenden vertraglichen Ansprüche, sofern diese nur Bagatellcharakter haben, unterbleiben dürfte. 54
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C. Durchsetzungsorientierte Folgerungen: Zweifelhafte Funktionalität spezialgesetzlicher Vertragslösungsrechte oder Schadensersatzansprüche und vorstellbare Alternativkonzepte Wenn somit unter der Perspektive der materiell-rechtlichen Erfassung der schutzwürdigen Interessen individuell von unlauterem Wettbewerb betroffener Kunden betrachtet, das System des Zivilrechts mit seinen Instrumenten zur Vertragsaufhebung sowie zur Geltendmachung individuellen Schadensersatzes keine tatbestandliche Lücke aufweist und wenn unter der ordnungspolitischen Perspektive effektiver Durchsetzung gerade das zielgenau limitierte Eingreifen wettbewerbsrechtlicher Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche in etablierte Vertragsverhältnisse bestimmte faktische Durchsetzungslücken des Zivilrechts zu schließen vermag, so wird deutlich, daß zur Behebung der dennoch verbleibenden Durchsetzungslücken jedenfalls neue wettbewerbsrechtliche Schadensersatzansprüche oder Vertragslösungsrechte keine Abhilfe versprechen. Als ordnungspolitisch wegen bestehender Durchsetzungsdefizite problematisch verbleiben nämlich allein bestimmte Situationen, in denen entstandene Schäden wegen ihres Bagatellcharakters typischerweise nicht geltend gemacht werden dürften und in denen zudem ein über wettbewerbsrechtliche Durchsetzungsverbote vermitteltes zusätzliches Eingreifen des wettbewerbsrechtlichen Sanktionsinstrumentariums insofern nicht weiterhilft, als die entstandenen Schäden nicht in der Eingehung und nachfolgenden Durchsetzung einer unerwünschten vertraglichen Bindung, sondern vielmehr in der Aufwendung frustrierter Kosten für die letztendlich gescheiterte Vertragsanbahnung bestehen. Das Kind ist in diesen Situationen sozusagen schon in den Brunnen gefallen, weshalb das Instrument des wettbewerbsrechtlichen Durchsetzungsverbots die im Individualrechtsschutz faktisch klaffende Durchsetzungslücke nicht zu schließen vermag. Das praktisch mit Abstand wesentlichste Beispiel bilden an dieser Stelle frustrierte Vertrauensinvestitionen, die durch Fahrt- oder Telekommunikationskosten entstanden sind, weil individuelle Kunden in den Bestand und das Vorhandensein besonders herausgestellter werblicher Sonderangebote – mithin in die pflichtgemäße Ausgestaltung diesbezüglicher Werbeangaben und pflichtgemäße Vorhaltung entsprechender Angebote – in berechtigter Weise vertrauten und dadurch zu Vermögensdispositionen veranlaßt wurden, die nach Art und Umfang dem kundenschützenden Zweck entsprechender wettbewerbsrechtlicher Pflichten zurechenbar sind57. Das an dieser Stelle bestehende Durchsetzungsproblem praktischer Natur, welches auf mangelnde Anreize für die individuelle Rechtsdurchsetzung zurückzuführen ist, läßt sich aber durch neue spezialgesetzliche Instrumente im Wettbewerbsrecht gerade nicht lösen, zumal nach der hier vertretenen Auffassung ein entsprechender zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB bereits besteht58. 57 58
S. eingehend oben 4. Abschn. C IV 2. S. oben aaO.
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In gleicher Weise gilt für letzthin verstärkt ins Blickfeld geratene zivilrechtliche Durchsetzungsschwierigkeiten, die auf dem Auseinanderfallen von abrechnendem Vertragspartner und unlauter werbendem (und wenn überhaupt nur unter größten Schwierigkeiten erreichbaren) weiterem Vertragspartner oder Dritten in bestimmten Drei-Personen-Konstellationen (insbesondere59 dem notorisch problematischen Einsatz von Telefonmehrwehrtdiensten60) beruhen, daß zusätzliche wettbewerbsrechtliche Ansprüche das eigentliche an dieser Stelle bestehende Durchsetzungsproblem aufgrund der faktischen Unerreichbarkeit des hinter einem Telekommunikationsanbieter sich „versteckenden“ Dritten gar nicht zu lösen vermögen61.
Wenn aber demnach neue Schadensersatzansprüche bzw. Vertragslösungsrechte im Wettbewerbsrecht letztlich – im Vergleich zu den in dieser Studie ausgebauten zivilrechtlichen Behelfen – keinen wesentlichen Gewinn für den Kundenschutz bringen62, so ist ihre Einführung auch unter dem Blickwinkel des ordnungspoliti59 Vgl. aber auch die Konstellation der Gewinnspielwerbung aus dem Ausland und dazu schon bei o. Fn. 45. 60 S. dazu die Grundlagenentscheidung BGH NJW 2002, 361, 362 f., derzufolge das Vertragsverhältnis zwischen Telekommunikationsanbieter und Kunde, aus dem sich die Verpflichtung zur Zahlung des erhöhten Kommunikationsentgelts gegenüber dem Telekommunikationsdienstleister jedenfalls für die anhand einer Preisliste fixierten Verbindungsentgelte für die 0190er-Nummern ergebe, zu unterscheiden ist von dem Vertragsverhältnis des Kunden zum Anbieter des Telefonmehrwertdienstes. Vgl. zu den an dieser Stelle drohenden Rechtsschutzlükken, die sich daraus ergeben, daß die Mehrwertdiensteanbieter häufig nicht ausfindig zu machen sind oder sich unerreichbar im Ausland befinden Fezer, WRP 2003, 127, 140 mwN. Vgl. für eine umfassende Darstellung der Rechtsprechung und Literatur bezüglich des Mißbrauchs von Mehrwertdiensterufnummern statt vieler allgemein Rösler, NJW 2003, 2633 ff.; vgl. spezifisch mit Blick auf das Problem der Zahlungspflicht für heimliche Dialereinwahlen BGH NJW 2004, 1590 und dazu Rösler, NJW 2004, 2566 61 Dies gesteht letztlich auch Fezer, WRP 2003, 127, 139 ff. (141) zu, der zutreffend in derartigen Fallkonstellationen das eigentliche Problem in der rechtlichen Abkopplung der rein technischen Dienstleistung des Netzbetreibers vom unlauter beworbenen Angebot des Dritten identifiziert; s. auch Köhler, GRUR 2003, 265, 269 f., der einerseits auf Möglichkeiten hinweist, in bestimmten qualifizierten Situationen vorhandener Kenntnis des Telekommunikationsanbieters, diesen aus eigener Vertragspflichtverletzung in Anspruch zu nehmen, andererseits zu Recht hervorhebt, daß das eigentliche Mißbrauchsproblem, das sich in dieser Drei-Personen-Konstellation ergebe, im Telekommunikationsrecht gelöst werden müsse. Der Gesetzgeber ist seither mit dem Erlaß des „Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs von 0190er/0900er-Mehrwertdiensterufnummern v. 9. August 2003 (BGBl. I Nr. 40 v. 14.8.2003, S. 1590 ff.) tätig geworden und hat das TKG zumindest um entsprechende Auskunftsansprüche der Kunden gegen die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) betreffend Namen und ladungsfähige Anschrift der Anbieter von Telefonmehrwertdiensten, sowie um einige weitere Maßnahmen (Preisangabepflicht vor Beginn der entgeltpflichtigen Verbindung, Einführung von Entgeltobergrenzen, Gebot automatischer Trennung nach einer Stunde, Registrierungsverfahren für sogenannte Dialer zur Sicherung verbraucherschützender Mindestvoraussetzungen, Befugnis der RegTP zum Entzug der Nummern bei rechtswidrigem Mißbrauch) ergänzt; s. dazu und zum ganzen näher etwa Rösler, NJW 2003, 2633 ff., mit umfassenden weiteren Nachweisen aus der weitgespannten Rechtsprechung und Literatur. 62 Allenfalls insofern ließe sich ein gewisser ordnungspolitischer Gewinn erhoffen, als die Schaffung neuer spezialgesetzlicher Schadensersatzansprüche oder Vertragsauflösungsrechte mit ihrer systematischen Verortung im UWG und der klaren Zuordnung als Rechtsfolge unlauteren Wettbewerbs gegenüber der Vielzahl einander zudem teilweise überlappender zivilrechtlicher Instrumente eine gewisse Erhöhung der Transparenz durch Vereinheitlichung des Haf-
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schen Gebots effektiver Rechtsdurchsetzung abzulehnen63, und im Rahmen der UWG-Reform zu Recht unterblieben64. Denn insbesondere ist zu bedenken, daß derartige neue Ansprüche im Wettbewerbsrecht stets Gefahr liefen, wegen der Unterminierung des differenzierten und über einen Jahrhundertzeitraum gewachsenen und vervollständigten Instrumentariums des Zivilrechts – insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an eine Zurechnung konkret-individuell entstandener Schäden auf den Schutzzweck der seitens des Werbenden verletzten Pflichten – letztlich Ansprüche zu konstruieren, die von der Masse der einzelnen Kunden gar nicht wahrgenommen würden. Im praktischen Ergebnis würden derartige Ansprüche dann aber lediglich einzelnen, in querulatorischer Weise ihre Rechte zur Verfolgung sachfremder Ziele nutzenden Kunden eine zusätzliche Option – insbesondere im Bereich der Vertragslösungsrechte faktisch ein allgemeines Reurecht – verschaffen. Eine derartige Einräumung zusätzlicher und zur Verfolgung schutzwürdiger Interessen nicht benötigter Kundenrechte würde dann aber das Vertrauen der Masse der Verbraucher, die derartige neue Rechte voraussichtlich gar nicht wahrnehmen würden, in den rechtlichen Rahmen des Verkehrssystems eher schwächen als zusätzlich stärken65. Belegen vorstehende Überlegungen vor dem Hintergrund des in diesem Kapitel gezeichneten Gesamtpanoramas der zivilrechtlichen Behelfe von unlauterem tungstatbestands und damit einen geringfügig erleichterten Normzugang der Rechtsanwender mit sich brächte (insoweit nachdenklich schon Schricker, GRUR 1979, 1, 3: Das BGB biete mit seiner „verwirrenden Vielfalt an Möglichkeiten“ „viele, vielleicht allzuviele Behelfe“). Da das eigentliche ordnungspolitische Durchsetzungsproblem des fehlenden Durchsetzungsanreizes im Falle von Massenschäden mit Bagatellcharakter, wie sie für werbliche Wettbewerbsrechtsverstöße typisch sind, dadurch aber ebenfalls nicht gelöst würde, wäre der Preis, der für diese geringfügige Verbesserung des Rechtszugangs mit der Unterminierung des ausdifferenzierten zivilrechtlichen Systems in diesem Bereich zu zahlen wäre, nach der hier vertretenen Auffassung entschieden zu hoch. Schricker selbst (aaO., 3 f.) plädierte zwar in der damaligen hitzigen Reformdiskussion um den Verbraucherschutz im UWG (vgl. für Nachweise o. 1.Kap. 3.Abschn. Fn. 212) für eine entsprechende Novellierung des UWG samt Einführung eines individuellen Schadensersatzanspruchs, argumentierte insoweit aber auch ausdrücklich pragmatisch dahingehend, daß bei einem Versuch der rechtspolitischen Durchsetzung einer entsprechenden Totalreform des systematisch eigentlich einschlägigen Rechtsfolgensystems des BGB eine derartige große Reform wohl „ad calendas graecas“ verschoben sei. Tatsächlich haben sich die Kalenden der europäischen und deutschen Rechtsetzung zwar als langfristig, nicht aber, wie im alten Griechenland, als gar nicht vorhanden, erwiesen. Letztlich ist nämlich mit der Verabschiedung der Verbrauchsgüterkauf-RL und im Anschluß der Schuldrechtsreform genau jene Totalreform durchgeführt worden, die Schricker, aaO., noch nicht zu erhoffen wagte. Daß im Rahmen des reformierten allgemeinen Schuldrechts unter behutsam verallgemeinernder Rezeption der Wertungen des neuen Kaufrechts nunmehr alle schutzwürdigen Interessen von unlauterem Wettbewerb geschädigter Verbraucher angemessen berücksichtigt werden können, hat die hier unternommen Untersuchung nach heutigem Rechtsstand belegt. 63 S. grundlagenorientiert oben 1. Kap. 1. Abschn. D V 2. 64 Vgl. schon die Nachweise für die diesbezügliche Diskussion im Vorfeld der UWG-Reform von 2005 o. 4.Kap. 4.Abschn. in Fn. 729 sowie für die entsprechende Diskussion in den siebziger und achtziger Jahren weitere Nachweise o. 1.Kap. 3.Abschn. in Fn. 212. 65 S. für einen vergleichbaren Gedankengang im Zusammenhang mit einzelnen Aspekten der zwingenden Neuregelung des Verbrauchsgüterkaufs oben 2. Kap. 3. Abschn. B III 2 e (3).
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Wettbewerb betroffener Kunden, daß es zusätzlicher spezialgesetzlicher Instrumente des individuellen Kundenschutzes im Lauterkeitsrecht nicht bedarf, so ist aber dennoch nicht von der Hand zu weisen, daß gewisse ordnungspolitische Durchsetzungslücken verbleiben. Mit Blick auf zivilrechtliche Schadensersatzansprüche sind diese insbesondere auf den typischen massenhaft-gleichartigen Streucharakter durch unlauteren Wettbewerb verursachter individueller Mimimalschäden in bestimmten Konstellationen zurückzuführen. Im Wettbewerbsrecht ergibt sich ein spezifisches Durchsetzungsproblem aus dem typischerweise erst im Nachhinein eingreifenden Sanktionsinstrumentarium, welches – insoweit wiederum angesichts der den Streuschäden bei Massendelikten gegenüberstehenden erheblichen potentiellen Gewinne der Unternehmer in der Summe – dazu führen kann, daß unlauterer Wettbewerb sich letztlich lohnt. Diese Durchsetzungsprobleme sind dann aber auch in dem jeweiligen Rechtssystem zu lösen, ohne daß es insoweit des Rückgriffs auf neugeschaffene Individualansprüche im Wettbewerbsrecht bedürfte. Vielmehr ist bei der Lösung der verbleibenden Durchsetzungsschwierigkeiten dem Wettbewerbsrecht das Prinzip zugewiesen, daß unlauterer Wettbewerb sich nicht lohnen sollte66, während dem Zivilrecht das Prinzip zuzuordnen ist, daß unlauterer Wettbewerb nicht zu Schäden führen sollte, die – gleich wie geringen Umfangs auch immer – letztlich beim betroffenen Kunden verbleiben. Für das Wettbewerbsrecht ist die eine Hälfte des Problems im Rahmen der UWG-Reform mit dem neugeschaffenen Gewinnabschöpfungsanspruch der Verbraucher- und Gewerbeverbände und sonstigen i.S.d. § 8 Abs. 3 Nrn. 2–4 UWG qualifizierten Einrichtungen nach § 10 UWG in Angriff genommen worden67, 66 Vgl. pointiert zu dieser spezifisch wettbewerbsrechtlichen Durchsetzungsproblematik schon Schricker, GRUR 1979, 1, 2 f. (auf Grundlage der rechtstatsächlichen Studie von Falckensteins, Schäden der Verbraucher durch unlauteren Wettbewerb, 1979, argumentierend): Unlauterer Wettbewerb könne sich als risikoloses Geschäft darstellen, wenn und soweit es im wesentlichen beim präventiven Charakter des Sanktionsapparats des Wettbewerbsrechts mit dem allein praktisch wesentlichen Unterlassungsanspruch bleibe, weshalb „im Kreis der Kundigen der Satz „unlauterer Wettbewerb rentiert sich immer“ schon zu einer Art von (Un)Rechtssprichwort geworden“ sei. Vgl. grundlagenorientiert zu Durchsetzungslücken im Wettbewerbsrecht aus der Sicht administrativer Effizienz auch schon oben 1. Kap. 1. Abschn. D V 2. 67 S. dazu auch die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 15/1487, Zu § 10 UWG, S. 23: „Mit der Regelung eines Gewinnabschöpfungsanspruches werden die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen wegen eines Verstoßes gegen das UWG mit dem Ziel einer weiteren Verbesserung der Durchsetzung des Lauterkeitsrechts erweitert. Das bisherige Recht hat Durchsetzungsdefizite bei den so genannten Streuschäden. Hierunter versteht man die Fallkonstellation, in der durch wettbewerbswidriges Verhalten eine Vielzahl von Abnehmern geschädigt wird, die Schadenshöhe im Einzelnen jedoch gering ist. Häufig vorkommende Fallgruppen dieser Art sind insbesondere die Einziehung geringer Beträge ohne Rechtsgrund, Vertragsschlüsse auf Grund irreführender Werbung, gefälschte Produkte sowie so genannte Mogelpackungen. Bleibt der Schaden im Bagatellbereich, so sieht der Betroffene regelmäßig von einer Rechtsverfolgung ab, weil der Aufwand und die Kosten hierfür in keinem Verhältnis zu seinem Schaden stehen. Mitbewerbern steht ein Schadensersatzanspruch in diesen Fällen nicht zwangsläufig zu. Daher sind Fälle denkbar, in denen der Zuwiderhandelnde den – bis zum Erlaß einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung erzielten – Gewinn behalten darf. Diese Rechtsdurchsetzungslücke
5. Abschnitt: Strukturelle Durchsetzungslücken im Vertragsrecht
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wobei rechtsvergleichende Seitenblicke in das Recht europäischer Nachbarstaaten68, trotz der unleugbar noch zu lösenden Probleme bei der Auslegung des Tatbestands69, zu der vorsichtigen Hoffnung Anlaß geben, daß sich dieser kollektive Gewinnabschöpfungsanspruch in der Zukunft, entgegen den im Vorfeld der UWG-Reform allenthalben geäußerten Befürchtungen70, als durchaus ansatzweise brauchbares zusätzliches Sanktionsinstrument erweisen könnte71.
soll durch die Regelung in § 10 geschlossen werden“. Vgl. für den Wurzelkeim des neuen Gewinnabschöpfungsanspruch im sogenannten „Professorenentwurf“ zum neuen UWG Köhler/ Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1322 und 1327; für die (hinsichtlich der Kausalität noch engere und wegen des vermeintlichen Erfordernisses einer „Stoffgleichheit“ problematische [vgl. dazu auch Sosnitza, GRUR 2003, 739, 746; Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 829 f. mwN]) Formulierung in § 9 des Referentenentwurfs, s. Referentenentwurf v. 20.1.2003 (GRUR 2003, 298, 299 und 309 f.). S. aus der wissenschaftlichen Diskussion im Kontext der UWG-Reform spezifisch bezüglich des Gewinnabschöpfungsanspruchs auch Sack, WRP 2003, 549 ff.; Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559 ff.; Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12 ff.; monographisch Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, 2001. Vgl. umfänglich zu Hintergründen und Entstehungsgeschichte auch Fezer-von Braunmühl, § 10, Rz. 6 ff. 68 S. bezüglich der Verbandsklage auf immateriellen Schaden (am „kollektiven Verbraucherinteresse als solchen“) im griechischen Recht durchaus behutsam positiv Papathoma-Baetge, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, 1999, S. 187, 200 ff. (insbes. S. 209: „mutige Lösung“). Demgegenüber skeptisch bezüglich der neuen Möglichkeit des spanischen Rechts, im Rahmen der Unterlassungsklage gegen den Gebrauch mißbräuchlicher Vertragsklauseln als Annex des Unterlassungsurteils Herausgabe der jeweils durch die unwirksamen Klauseln erzielten Beträge sowie Ersatz für die verursachten Schäden und Nachteile zu erlangen Kieninger, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, 1999, S. 252, 267: systematischer Bruch im spanischen Recht, ohne daß im Rahmen des übereilten Gesetzgebungsverfahrens auch nur die Rechtsfolgen einer stattgebenden Klage auf kollektive Gewinnherausgabe oder kollektiven Schadensersatz (insbesondere bezüglich des schwierigen Problems der Berechnung und Verteilung des Schadensersatzes) geregelt worden wären, weshalb die praktische Bedeutung der Regelung voraussichtlich ganz gering bleiben werde. Vgl. mit einem weiter gespannten Überblick, der auch die Gruppenklagen des amerikanischen, kanadischen und australischen Rechts sowie andere – dem deutschen Gewinnabschöpfungsanspruch nur entfernter vergleichbare – Regelungen der Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß einbezieht Fezer-von Braunmühl, § 10, Rz. 38 ff. 69 Insbesondere die Problematik der Kausalität, d.h. der Frage, welcher Gewinn zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern gerade durch den vorsätzlichen Wettbewerbsverstoß erzielt wurde, bereitet einige Probleme, s. nur (bezüglich des in dieser Frage noch problematischeren Referentenentwurfs) Sosnitza, GRUR 2003, 739, 746; Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815, 829 f. mwN. Bezogen auf das geltende Recht s. nur die Kommentierungen bei Hefermehl/Köhler/ Bornkamm-Köhler, § 10, Rz. 7 ff.; Harte/Henning-Goldmann, § 10, Rz. 57 ff.; Fezer-von Braunmühl, § 10, Rz. 164 ff., jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen. 70 S. insbesondere Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559, 562: „schöner bunter Papiertiger“. 71 Für das deutsche Recht sogar noch optimistischer Harte/Henning-Goldmann, § 10, Rz. 4: nicht unerheblicher praktischer Anwendungsbereich (auch unter Hinweis auf entsprechende Aussagen Bornkamms bezüglich der prospektiven richterlichen Praxis im Gesetzgebungsverfahren); vorsichtiger Köhler, GRUR 2003, 265, 266; Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, § 10, Rz. 2: praktische Erfolgsaussichten des neuen Gewinnabschöpfungsanspruchs ungewiß, jedoch (auch mit Blick auf die Abschreckungswirkung) ausreichend, um die Neuschaffung des Anspruchs zu rechtfertigen.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Für das Zivilrecht steht eine umfassende Lösung des Problems der praktischen Durchsetzung individuell minimaler zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche aufgrund unlauteren Wettbewerbs bisher aus, wenngleich die verbraucherschutzrechtliche Verbandsklage auf Grundlage von § 2 UKlaG – soweit der Bereich verbraucherschützender gesetzlicher Pflichten reicht72 – das an dieser Stelle demnach bestehende Sanktionsdefizit funktional zumindest zum Teil – nämlich soweit gesetzliche Verbraucherschutznormen vorhanden sind und soweit es um das bloße Unterlassungsinteresse geht – lösen kann. Eine entsprechende Lösung, die außerhalb des Bereichs gesetzlichen Verbraucherschutzes für den gesamten Kundenschutz das Problem der Durchsetzungsdefizite im Falle breit gestreuter Massenschäden auf Kundenseite umfassend – d.h. insbesondere auch mit Blick auf die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen – beheben könnte, ist demgegenüber im deutschen Zivilrecht bisher nicht vorhanden73. Ohne im Rahmen der hier unternommenen, anders ausgerichteten Studie auch nur im Ansatz auf die hiermit verbundenen Vor- und Nachteile eingehen zu können74, ist jedenfalls festzuhalten, daß aus der Sicht des Gesamtsystems aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht insofern die Schaffung zusätzlicher zivilrechtlicher Möglichkeiten, gleichgerichtete Interessen im Prozeß zu bündeln, durchaus innere Konsequenz hätte75. Insbesondere sollte der Anwendungsbereich der Verbandsklage über den Bereich des Verbraucherschutzes hinaus auf alle diejenigen Situationen erweitert werden, in denen durch ein 72 Richtigerweise ist die Vorschrift des § 2 Abs. 1 UKlaG in diesem Zusammenhang dahingehend weit auszulegen, daß eine Vorschrift bzw. ein Gesetz immer dann dem Schutz der Verbraucher dient, wenn der Zweck der entsprechenden Vorschrift bzw. des Gesetzes mindestens auch verbraucherschützender Natur ist, s. zutreffend MüKo-Micklitz (3. Aufl.), § 22 AGBG, Rz. 25; enger Palandt-Bassenge, § 2 UklaG, Rz. 5, sowie auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/2658, S. 146: untergeordneter Verbraucherschutzzweck genüge nicht. 73 Vgl. die umfassenden Darstellungen bei Stadler, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz, S. 1 ff.; dies., Verbandsklagen auf Schadensersatz bzw. Gewinnabschöpfung, Gutachten im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv), Konstanz 2002, sowie zuletzt Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, Gutachten für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 2005. 74 Vgl. neuestens umfassend zur Problematik der Popularklagen im Zivilrecht, Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, 2006. 75 Der besonders gelagerte Blickwinkel, wie er sich aus der Betrachtung des Gesamtsystems aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht ergibt, liefert insofern in der komplexen aktuellen Diskussion um die Einführung weiterreichender Verbandsklagerechte oder Gruppenklagen im deutschen Recht (s. auch den Gesetzesvorschlag für ein „Gesetz zur Regelung von Verbands-, Muster- und Gruppenklagen“ bei Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, Gutachten für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 2005, S. 1417 ff. [abrufbar unter http://www.verbraucherministerium.de/data/000C4D39B53811EBB3796521C0A8D816.0.pdf, besucht am 1.1. 2006]; vgl. aus rechtsvergleichender Sicht auch schon die umfassenden Empfehlungen zur Reform des deutschen Rechts [im Vorfeld der Umsetzung der Unterlassungsklage-RL], in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, 1999, S. 1 ff.) sozusagen ein Argument unter vielen, ohne daß die Frage, ob und inwieweit die Einführung derartiger dem deutschen Recht bisher fremder Instrumente insgesamt sinnvoll oder gar geboten ist, in dieser Studie abschließend entschieden werden könnte.
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rechtswidriges Verhalten des Beklagten gleichzeitig die rechtlich geschützten Interessen mehrerer anderer Personen in gleichartiger Weise verletzt werden und in denen der Schutz dieser Interessen zu den satzungsmäßigen Aufgaben des klagenden Verbandes gehört76. Darüber hinaus wäre darüber nachzudenken, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen als Rechtsschutzziel von Verbandsklagen neu aufzunehmen 77 oder gar für Massendelikte (mit dem ihnen immanenten Durchsetzungsproblem bezüglich des Ersatzes der entstandenen Streuschäden) die Möglichkeit von Muster- oder Gruppenklagen als neuer Rechtsschutzform für das deutsche Recht78 – über die bisherigen schmalen Ansätze im Bereich des Kapitalmarktrechts79 hinausgehend – in breiterem Umfang vorzusehen80.
Aus der Sicht des Gesamtsystems aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht würde eine derartige Effektivierung der zivilrechtlichen Rechtsbehelfe, insbesondere der kollektiven Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB in Massenfällen, dazu führen, daß die zivilrechtlichen Kun76
S. allgemein Hopt/Baetge, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, 1999, S. 1, 39 ff.; vgl. auch den aktuellen Gesetzesvorschlag für ein „Gesetz zur Regelung von Verbands-, Muster- und Gruppenklagen“ bei Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, Gutachten für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 2005, S. 1417 ff. (abrufbar unter http://www.verbraucherministerium.de/data/000C4D39B53811EBB3796521C 0A8D816.0.pdf, besucht am 1.1.2006). 77 S. allgemein Hopt/Baetge, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, 1999, S. 1, 44 ff.; vgl. auch den aktuellen Gesetzesvorschlag für ein „Gesetz zur Regelung von Verbands-, Muster- und Gruppenklagen“ bei Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, Gutachten für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 2005, S. 1417 ff. (abrufbar unter http://www.verbraucherministerium.de/data/000C4D39B53811EBB3796521C 0A8D816.0.pdf, besucht am 1.1.2006). 78 S. allgemein Hopt/Baetge, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, 1999, S. 1, 47 ff.; vgl. auch den aktuellen Gesetzesvorschlag für ein „Gesetz zur Regelung von Verbands-, Muster- und Gruppenklagen“ bei Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, Gutachten für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, 2005, S. 1417 ff. (abrufbar unter http://www.verbraucherministerium.de/data/000C4D39B53811EBB3796521C 0A8D816.0.pdf, besucht am 1.1.2006). 79 S. neuestens das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren v. 16. August 2005, BGBl. I Nr. 50 v. 19.8.2005, S. 2437 ff. und dazu statt vieler Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. 80 Auch das Bundesministerium der Justiz sieht das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz als eine Art „Testballon“. Entsprechend ist das Gesetz zunächst auf 5 Jahre befristet. Bewährt es sich in diesem Zeitraum, so ist auch nach Auffassung des Bundesministeriums der Justiz über eine allgemeine Regelung für Massenverfahren in der Zivilprozeßordnung nachzudenken, s. Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz v. 19. August 2005, abrufbar unter http://www.bmj.bund. de /enid /Corporate_Governance / Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz_q1.html (besucht am 1.1.2006). Ähnlich Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737, 2740 f., die einer vorschnellen Einführung entsprechender Instrumente für andere Sachverhaltsgestaltungen oder sogar ganz allgemein zwar nicht das Wort reden wollen, jedoch betonen, daß nach Ablauf der fünfjährigen „Probezeit“ und nach Behebung einiger Schwächen des vorliegenden Gesetzes, wie der Zuständigkeitsfrage, der Kostenregeln sowie Einzelheiten der Frage der Bindungswirkung im Rechtsbeschwerdeverfahren, eine Ausdehnung des neuen Verfahrens samt systematischer Verortung in der ZPO unter rechtsvergleichender Perspektive durchaus in Betracht kommt und wohl auch zu erwarten ist.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
denschutzinstrumente in ihrer bereits nach derzeitigem Stand vorhandenen reflexartig systembezogenen Ordnungsfunktion noch erheblich aufgewertet würden. Denn die zielgenauen Instrumente individuellen Kundenschutzes würden, sofern sie seitens der betroffenen Kunden effektiv durchgesetzt werden könnten, zugleich mehr als bisher ihr Potential zur dezentralen Wettbewerbssteuerung durch individuelle Sanktionierung unlauterer Vertragsanbahnung entfalten. Zusammen mit den hier unterbreiteten Vorschlägen zum sorgsam begrenzten wechselseitigen Abgleich zivilrechtlicher mit lauterkeitsrechtlichen Maßstäben zur typisierten Konkretisierung des Verkehrsverständnisses und des vorindividuell-vorvertraglichen Pflichtenprogramms würde dies die allgemeine Rechtsgeschäftslehre und die schuldrechtlichen Vorschriften des BGB – ähnlich wie dies schon im Bereich typisierten Verbraucherschutzes der Fall ist – ganz allgemein für den Kundenschutzbereich in ihrer dezentral wettbewerbssteuernden institutionellen Ordnungsfunktion sozusagen auf Augenhöhe mit dem Recht des unlauteren Wettbewerbs bringen. Die in dieser Studie bedachte, weiter als bisher reichende Wechselwirkung und Abgleichung der Wertungen im Lauterkeits- und Vertragsrecht bereitet einer derartigen Entwicklung hinsichtlich der materiell-rechtlichen Maßstäbe in gewisser Weise den Boden.
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6. Abschnitt:
Zusammenfassung zum Vierten Kapitel
I. 1. a) Eine sichtbare Parallele zwischen wettbewerbsrechtlichem und zivilrechtlichem Verbraucherschutz ist durch die Übernahme des Verbraucher- und Unternehmerbegriffs der §§ 13, 14 BGB in § 2 Abs. 2 UWG etabliert worden. Dabei bedarf der Verbraucherbegriff für das Wettbewerbsrecht insofern der Korrektur, als die Anknüpfung der rollenspezifischen Definition an den Abschluß eines Rechtsgeschäfts ersichtlich dem schwerpunktmäßig auf den Vorfeldschutz der Verbraucher ausgerichteten UWG nicht gerecht wird. Insofern ist eine teleologische Interpretation dahingehend angebracht, daß den entscheidenden Gesichtspunkt für die Verbrauchereigenschaft die Frage bilden muß, ob das potentiell abzuschließende Rechtsgeschäft nicht der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zuzurechnen ist. Tatsächlich ist eine derartig erweiternde Korrektur der rollenspezifischen Anknüpfung auch für das BGB notwendig, da auch schon in dessen Rahmen einzelne Verbraucherschutzvorschriften in den vorindividuellen Bereich der Geschäftsanbahnung hineinwirken. Wie ein Indikator weisen die diesbezüglichen Friktionen auch schon des allgemein zivilrechtlichen Verbraucherbegriffs in § 13 BGB solcherart auf die funktionalen „Übergriffe“ des allgemeinen Zivilrechts – und insbesondere des Verbrauchervertragsrechts – in die angestammten Domänen des Rechts des unlauteren Wettbewerbs hin. Zugleich bestätigt die für Zivil- und Wettbewerbsrecht einheitliche Lösung der auftretenden Probleme den hier vertretenen Grundsatz des Gleichmaßes der Wertungen in Zivil- und Wettbewerbsrecht, soweit diese einander funktional in einzelnen Bereichen überschneiden. b) Die Vereinbarkeit des deutschen Verbraucherbegriffs mit den Vorgaben des europäischen Rechts (sowohl im Verbrauchervertragsrecht als auch im Wettbewerbsrecht) ist mit Blick auf die Einbeziehung unselbständig beruflich Tätiger in den deutschen Verbraucherbegriff nicht unproblematisch. Richtigerweise wird man aber auch den – nicht ganz einheitlichen – Verbraucherbegriff des Gemeinschaftsrechts im wesentlichen dahingehend auslegen können, daß unselbständig beruflich Tätige dann in den europäischen Verbraucherbegriff einbezogen sind, wenn sie Geschäfte tätigen, die nur mittelbar mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammenhängen. In einzelnen Bereichen – insbesondere im E-Commerce – bleiben
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
aber dennoch richtlinienkonforme Korrekturen des deutschen Verbraucherbegriffs notwendig. Zur Umsetzung der Lauterkeits-Richtlinie sind insoweit jedenfalls im UWG keine ausdrücklichen Änderungen der Verweisung auf die bürgerlich-rechtliche Definition des Verbraucher- und Unternehmerbegriffs notwendig. c) Auch hinsichtlich des unvermeidbaren Konflikts zwischen Einzelfallgerechtigkeit und notwendiger Typisierung, wie ihn das zivilrechtliche Verbraucherschutzrecht seit langem aufwirft, ist der Vergleich mit dem Wettbewerbsrecht fruchtbringend. Im Zivilrecht wird die Inkorporierung wesentlicher Bereiche des Verbraucherschutzrechts in das BGB künftig einen nicht ganz unerheblichen Druck erzeugen, in atypisch gelagerten Situationen über die zivilrechtlichen Generalklauseln eine Abfederung im Einzelfall als ungerechtfertigt empfundener Resultate der gesetzgeberischen Typisierung, wie sie dem Verbraucherschutzrecht zugrundeliegt, zu erreichen. Dies bedarf einer gewissen methodologischen Grenzziehung, da sich andernfalls der situationsspezifische Verbraucherschutz nach Art einer „schiefen Ebene“, katalysiert durch die zivilrechtlichen Generalklauseln, situationsübergreifend für stetig neue, hinsichtlich der Schutzwürdigkeit „vergleichbare“ Situationen und Personenkreise auszudehnen drohte. Der vergleichende Blick auf das neue UWG, in dem einzelne der Beispielstatbestände verbraucherspezifisch ausgestaltet sind, wobei aber – auf den ersten Blick – stets eine einzelfallbezogene Ausdehnung oder Limitierung des spezifischen Verbraucherschutzes über die Generalklausel (bzw. über die Bagatellklausel) des § 3 UWG in Betracht zu kommen scheint, zeigt jedoch zugleich die (aus methodologischer Sicht verallgemeinerbaren) Grenzen einer derartigen Korrektur gesetzgeberischer Typisierung auf dem Weg über die Anwendung von Generalklauseln archetypisch auf. Stets gehen die teleologische Erweiterung oder Reduktion bzw. Analogieschlüsse zu einem der Beispielstatbestände – mit ihren immanenten methodologischen Grenzen, die im Falle einer bewußten legislatorischen Typisierung besonders streng sind – einem voreiligen Rückgriff auf die Generalklausel unlauteren Wettbewerbs vor. Tatsächlich kommt ein derartiger Rückgriff im „Umfeld“ eines der Beispielstatbestände nach richtiger Auffassung überhaupt nur dann in Betracht, sofern und soweit der erweiternden „Korrektur“ der beispielsartigen legislatorischen Typisierung im Einzelfall zusätzliche Interessenpositionen zugrundeliegen, die in die typisierte gesetzgeberische Wertung bei der Fassung des Beispielstatbestands ersichtlich noch nicht eingeflossen waren. d) Im übrigen ist, ebensowenig wie im Zivilrecht die Definitionen des Verbraucher- und Unternehmerbegriffs im Allgemeinen Teil des BGB eine gewisse (gelegentlich behauptete) „Spaltung“ der Prinzipienebene des Bürgerlichen Rechts in einen allgemeinen und einen verbraucherschützenden Bereich mit sich bringen, künftig im Wettbewerbsrecht eine gespaltene Umsetzung der Lauterkeits-Richtlinie erforderlich. Die Umsetzung der Richtlinie kann vielmehr horizontalisierend auch für den unlauteren Wettbewerb im Verhältnis zu Unternehmern erfolgen,
6. Abschnitt: Zusammenfassung zum Vierten Kapitel
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ohne daß es einer Zweiteilung des deutschen Wettbewerbsrechts bedürfte. Allenfalls bei der Umsetzung einzelner der per se-Verbote aus dem Anhang der Richtlinie kann eine verbraucherspezifische Transformation erfolgen, soweit die hinter einzelnen Verboten stehende verbraucherschützende Zwecksetzung nicht verallgemeinerungsfähig ist. Der systematische Rahmen des existierenden UWG, dessen Beispielstatbestände zum Teil bereits verbraucherspezifische Differenzierungen etablieren, läßt dies ohne weiteres zu.
2. Die Betrachtung des Verbraucher- und Unternehmerbegriffs in Zivil- und Wettbewerbsrecht ist von den Diskussionen und Entwicklungen des wettbewerbsrechtlichen (aber auch des zivilrechtlichen) Verbraucher- und Unternehmerleitbilds zu trennen. In diesem Bereich ist es gerade die in den letzten Jahren – teils aufgrund europarechtlicher und verfassungsrechtlicher Anstöße, teil aus eigener Initiative der wettbewerbsrechtlichen Fachgerichtsbarkeit – erfolgte Liberalisierung des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherleitbilds, welche es mehr als bisher erfolgversprechend erscheinen läßt, einen Vergleich und teilweisen Abgleich dieser neuen liberalisierten Maßstäbe des wettbewerbsrechtlichen Kundenschutzes mit typisierten Maßstäben des bürgerlich-rechtlichen Verbraucherschutzrechts, der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts zu wagen.
II. 1. Den typisierten Regelungen des zivilrechtlichen Verbrauchervertriebsrechts, wie sie in §§ 312 ff. BGB niedergelegt sind, kommt neben ihrer individualschützenden Zweckrichtung stets (gelegentlich auch ausschließlich) eine eigenständige institutionell-marktordnungsbezogene Funktion zu. Insofern wohnen ihnen in gewissen Grenzen stets auch „wettbewerbsrechtliche“ Wertungen inne, die eine Rückwirkung auf die Maßstäbe des Kundenschutzes im UWG entwickeln können.
2. a) Hinsichtlich der Widerrufsrechte im Haustürvertrieb und Fernabsatz gilt zunächst, daß diese faktisch – soweit die typisierte Wertung reicht – aus der Sicht des Gesetzgebers das Problem des Schutzes der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses für die typisierten Bereiche abschließend gelöst haben. Insofern kommt überschießender wettbewerbsrechtlicher Vorfeldschutz durch Total-
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verbote nach dem Gleichmaßgrundsatz allenfalls dann in Betracht, wenn zusätzliche, außerhalb der typisierten Wertung des Verbrauchervertriebsrechts liegende Aspekte ihn rechtfertigen oder wenn das wettbewerbsrechtliche Verbot der Flankierung des zivilrechtlichen Schutzes dient. b) Hinsichtlich des Belästigungsaspekts (der Externalitäten im Vier-EbenenModell) beinhalten die zivilrechtlichen Vorschriften demgegenüber nur eine begrenzte und nicht abschließende Wertung dahingehend, daß die mit dem Normalfall „gelegentlicher“ Durchführung der regulierten Vertriebstechniken (und des zugehörigen Marketings) verbundene Belästigung vom durchschnittlich empfindsamen Verbraucher hinzunehmen ist (begrenzter Ermöglichungscharakter des Verbrauchervertriebsrechts). Insofern kommen jedenfalls generelle wettbewerbsrechtliche Verbote der im zivilrechtlichen Verbrauchervertriebsrecht regulierten Vertriebsformen und der zugehörigen Marketing-Techniken auch unter dem Aspekt des Belästigungsschutzes nicht uneingeschränkt in Betracht. Dies beruht nicht nur auf der (nach dem Gleichmaßgrundsatz gebotenen) wettbewerbsrechtlichen Anerkennung der (nach der hier entwickelten Auffassung immerhin in gewissen Grenzen vorhandenen) impliziten zivilrechtlichen Wertung, sondern auch – aus sozusagen rein wettbewerbsrechtlicher Sicht – darauf, daß gerade die Widerrufsrechte, die die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit der betroffenen Verbraucher sichern, es den Verbrauchern gestatten, unerwünschte vertriebstechnische Überzeugung sozusagen im nachhinein durch Widerruf der geschlossenen Verträge zu sanktionieren. Es setzen sich nämlich, ideale Verhältnisse vorausgesetzt, spezifische Vertriebsformen nur in denjenigen Bereichen „über den Markt“ durch, in denen sie seitens der Verbraucher (vertriebsformbezogen, produktbezogen oder marktstrukturbezogen) auch honoriert werden. Die verbraucherschutzrechtliche Lösung entfaltet aufgrund der normativen Sicherung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher einen dezentralen Steuerungseffekt durch negative Anreize bezüglich unerwünschter Erscheinungsformen der im BGB geregelten besonderen Vertriebstechniken. Die resultierende Durchsetzung der besonderen Vertriebsformen am Markt (in ganz bestimmten Bereichen und in ganz bestimmter Form) reflektiert unter dieser normativen Perspektive gerade die durch das Marktsystem gewichtete Präferenzstruktur der betroffenen Verbraucher. Insofern kann der Wettbewerb durch den bereichsspezifischen Einsatz der in § 312 ff. BGB geregelten Vertriebstechniken schon von vornherein nicht i.S.d. § 3 UWG mehr als „unerheblich“ beeinträchtigt werden. Dem läßt sich nicht entgegenhalten, angesichts verbreiteter Trägheit oder Hemmschwellen der Verbraucher, ihre Widerrufsrechte auch praktisch geltend zu machen, setzten sich auf diese Weise doch unzumutbar belästigende Werbeformen am Markt durch. Denn die verbrauchervertragsrechtliche Lösung, die als normatives Mittel der Schaffung praktischer Konkordanz zwischen den Interessen derjenigen Verbraucher, die eine bestimmte Vertriebsform schätzen und derjenigen Verbraucher, die sie ablehnen, gerade zumindest den letztgenannten Verbrauchern aus normativer Sicht die Obliegenheit auferlegt, eingeräumte Widerrufsrechte auf-
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grund entsprechender Information rechtzeitig geltend zu machen, gibt insoweit eine Wertung hinsichtlich der Zumutbarkeit jedenfalls der Initiativlast für die Ausübung der gesetzlich eingeräumten Widerrufsrechte vor. c) Allerdings ist eine entscheidende Grenze der verbrauchervertriebsrechtlichen Rückwirkung auf den wettbewerbsrechtlichen Beläsitungsschutz zu berücksichtigen. Die dezentrale Steuerung auch hinsichtlich des Belästigungsaspekts durch die zivilrechtlich gesicherte Entscheidungsfreiheit der Verbraucher versagt dann, wenn aufgrund geringer Grenzkosten eine Vertriebsmethode sich auch zu lohnen und damit am Markt durchzusetzen droht, obwohl nur ganz wenige der angesprochenen Verbraucher überhaupt Verträge abschließen und an ihnen festhalten. Hier findet sich – für das Verhältnis verbrauchervertragsrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Verbraucherschutzes – die dogmatische Wurzel des Arguments der Nachahmungsgefahr in der Rechtsprechung. Tatsächlich lassen sich sämtliche Resultate der Rechtsprechung hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Belästigungsaspekts neuer Vertriebsformen gleichermaßen wie die enumerative Regelung des europäischen Rechts, wie sie in § 7 Abs. 2 und 3 UWG transformiert ist, unter einem derartigen grenzkostenorientierten Modell erklären. Einzelne Fehlbeurteilungen der Rechtsprechung können zudem korrigiert werden. Letztlich widerspiegelt das derart modellierte Verhältnis von Wettbewerbsund Verbrauchervertragsrecht im Bereich der besonderen Vertriebsformen gerade das Komplementaritätsverhältnis beider Rechtsgebiete unter dem Blickwinkel des ordnungspolitischen Gedankens effektiver Rechtsdurchsetzung. Der wettbewerbsrechtliche Belästigungsschutz greift nämlich genau dann und insoweit ein, wie aufgrund eines durch geringe Grenzkosten verursachten Marktversagens der (begrenzte) zivilrechtliche „Belästigungsschutz durch Schutz der Entscheidungsfreiheit“ versagt. Im übrigen leistet das Wettbewerbsrecht überall da ergänzenden Schutz, wo zu der situationsspezifisch typisierten legislatorischen Lösung des Verbrauchervertragsrechts zusätzliche Aspekte hinzutreten, die in der typisierten verbrauchervertragsrechtlichen Regelung nicht bereits berücksichtigt sind.
3. a) Die Analyse der verbrauchervertriebsrechtlichen Informationspflichten, wie sie in §§ 312 ff. BGB (teils i.V.m. der BGB-InfoV) niedergelegt sind, bestätigt die eigenständige marktbezogene Ordnungsfunktion dieses gesamten europarechtlich überformten bürgerlich-rechtlichen Normenkomplexes besonders eindrucksvoll. Denn tatsächlich lassen sich neben individualschützenden Pflichten auch Informationspflichten identifizieren, die allein institutionelle Zwecksetzungen, etwa betreffend die Markttransparenz im (Binnen-)markt, verfolgen. b) Dies macht es notwendig, die einzelnen Informationspflichten der §§ 312 ff. BGB unter rechtsfolgenspezifischer Perspektive zu analysieren. Dabei lassen sich – mit Blick auf einzelne der Informationspflichten im E-Commerce – aus ord-
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nungspolitischer Sicht insofern Fehlsanktionierungen identifizieren, als auch die Nichterfüllung ersichtlich rein institutionell marktbezogener Pflichten europäischer Provenienz vom deutschen Gesetzgeber zweckwidrig durch eine Nichtinlaufsetzung der Fristen allfälliger verbraucherschützender Widerrufsrechte sanktioniert wurde. Diese Fehlgriffe bei der Sanktionierung, die durch die fehlende Harmonisierung in diesem Bereich mit verursacht wurden, sind durch teleologische Reduktion des § 312e Abs. 3 S. 2 BGB bezüglich einzelner der Informationspflichten im E-Commerce zu korrigieren. Im übrigen stand die Frage, welche der Informationspflichten der §§ 312 ff. BGB als gesetzgeberisch konkretisierte Pflichten im vorvertraglichen Vertrauensschuldverhältnis Anknüpfungspunkt einer vorvertraglichen Schadensersatzverpflichtung auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB sein können und welche Schäden der Verbraucher insoweit vom spezifischen Schutzweck der jeweiligen Informationspflichten umfaßt sind, im Mittelpunkt der Analyse, wobei für die Ergebnisse im einzelnen auf die entsprechenden Ausführungen im Text dieses Kapitels zu verweisen ist. c) Im übrigen bringt die konkretisierte Neuregelung irreführenden Unterlassens in Art. 7 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Lauterkeits-RL, die zum Teil in das deutsche UWG umzusetzen sein wird, einen enumerativen Katalog lauterkeitsrechtlicher „Basisinformations“gebote, die trotz der dogmatischen Verwurzelung im lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz der Konstruktion vorvertraglicher Informationspflichten faktisch bedenklich nahe kommen. Insofern wurden auch diese künftigen „Basisinformations“gebote des Lauterkeitsrechts für „Aufforderungen zum Kauf“ einer schutzzweckorientierten Analyse unterzogen, um die diesbezüglichen Maßstäbe mit den Kriterien der vorvertraglichen Informationshaftung des Zivilrechts zu vergleichen und zu ermitteln, ob und inwieweit eine schuldhafte Verletzung dieser Pflichten als Anknüpfungspunkt allfälliger Schadensersatzansprüche aus §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB in Betracht kommt. Auf Grundlage dieses Vergleichs der Maßstäbe wurde zudem eine restriktive Auslegung der künftigen Informationsgebote auch im Lauterkeitsrecht befürwortet, die diese in Orientierung an den richterrechtlichen Kriterien für Aufklärungspflichten im Rahmen der zivilrechtlichen vorvertraglichen Informationshaftung vergleichsweise eng interpretiert, um die Entwicklung einer – durch spezifisch belegte Informationsasymmetrien in dieser Reichweite nicht gebotenen – allgemeinen Informationspflicht im Lauterkeitsrecht zu vermeiden.
4. a) Wie es sich insbesondere aus ihrem europarechtlichen Hintergrund ergibt, verfolgen auch einzelne Aspekte der Neuregelung des Kaufrechts eigenständige institutionelle Zielsetzungen. Diese richten sich insbesondere auf die Sicherung von Markttransparenz, wobei dieses Ziel teils durch explizite Transparenzpflichten (wie im Falle einzelner der Pflichten betreffend Garantieerklärungen aus § 477
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BGB), teils durch dezentrale Steuerung aufgrund der neuen Haftung des Verkäufers für Werbeangaben des Herstellers und weiterer Personen aus § 434 Abs. 1 S. 3, Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB verfolgt wird. Insbesondere die Neugestaltung der Verkäuferhaftung für Werbeangaben auf Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 3, Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, die dogmatisch für das deutsche Recht als eine gesetzlich typisierte Auslegungsregel aufzufassen ist, wurde in ihrer Wechselwirkung mit den Maßstäben wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes analysiert. b) Nach der hier vertretenen Auffassung kann in dem durch das Zivilrecht insbesondere aufgrund des Eigenschaftsbegriffs umgrenzten Bereich eines (durch Rückgriff auf den Maßstab der Verkehrserwartung hinsichtlich des Verständnisses öffentlicher Werbung des Verkäufers oder bestimmter Dritter vermittelten) Imports typisierter Wertungen in die Beschaffenheitsvereinbarung aufgrund von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB auch auf die diesbezügliche Dogmatik des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes zurückgegriffen werden. Das Verhältnis von Kaufrecht und Wettbewerbsrecht stellt sich in diesem Zusammenhang als eine Art Wechselwirkungsprozeß dar. Dabei legt das Zivilrecht zuerst den Bereich fest, in dem überhaupt auf typisierte Wertungen zurückgegriffen werden darf („Wasser und Öl“Ansatz). Innerhalb dieser „Insel“ typisierter Wertung im Zivilrecht ist zudem als normativer Maßstab bezüglich der Schutzintensität der Verbraucher- und Kundenseite das europäische Verbraucherleitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers dem Wettbewerbsrecht zwingend vorgegeben. Der wettbewerbsrechtliche Maßstab des deutschen Irreführungsschutzes entspricht dem nach heutiger Rechtslage auch bereits. Auf Grundlage dieser normativen Vorgabe kann dann auch im Rahmen des am Maßstab der massenhaften Verkehrserwartung „typisiert-verobjektivierten“ Elements einer gesetzlich typisierten Beschaffenheitsvereinbarung, wie es § 434 Abs. 1 S. 3 BGB repräsentiert, auf wettbewerbsrechtliche Kriterien des Irreführungsschutzes zurückgegriffen werden. c) Der Rückgriff auf wettbewerbsrechtliche Beurteilungsmaßstäbe für die Auslegung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gestattete die Ableitung zahlreicher konkreter Folgerungen für das Zivilrecht betreffend die Abgrenzung rein reklamehafter Übertreibungen von Angaben hinsichtlich „bestimmter Eigenschaften“ der Kaufsache, zur Ermittlung des Verkehrsverständnisses einer bestimmten öffentlichen Werbeaussage, zur Ermittlung der typisierten Relevanz dieser Werbeaussage für die Kaufentscheidung (Ausschlußgrund des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 3 BGB), zur Entwicklung von Anforderungen an die „gleichwertige Berichtigung“ einer öffentlichen Werbeaussage (Ausschlußgrund des § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 2 BGB) sowie bezüglich der Entwicklung eines Pflichtenmaßstabs zur Beobachtung fremder Werbeaussagen auf Grundlage wettbewerbsrechtlicher Haftungsgrundsätze (Interpretation des „Gehilfenbegriffs“ in § 434 Abs. 1 S. 3 HS 1 BGB; Ausschlußgrund des Nichtkennenmüssens i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 3 HS 2 Alt. 1 BGB).
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Dabei entspricht die hier vertretene, konsequent typisierend-verobjektivierte Sichtweise dieser sämtlichen unbestimmten Rechtsbegriffe (gegenüber der gelegentlichen re-individualisierenden Sichtweise der herrschenden Meinung insbesondere hinsichtlich einzelner der Ausschlußgründe für die Haftung) gerade der dogmatischen Zuordnung der Haftung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB in das typisiertverobjektivierte Element des Beschaffenheitsbegriffs, wie es § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB repräsentiert. d) Abschließend wurde die rechtstatsächlich zu erwartende Bedeutung der Norm des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und des hier vorgeschlagenen Ansatzes zu ihrer lauterkeitsrechtlich orientierten Konkretisierung einer kurzen tatsachenorientierten Analyse mit Blick auf die branchenspezifischen Werbegepflogenheiten unterzogen. Das Ergebnis dieser Analyse läßt sich – nach Art eines Gesamtpanoramas unvermeidlich vergröbernd – dahingehend zusammenfassen, daß die neue Haftung für Werbeangaben hinsichtlich „bestimmter Eigenschaften“ des Kaufgegenstands ihre eigentliche praktische Bedeutung in Branchen erlangen wird, in denen es schwerpunktmäßig um den Vertrieb höherwertiger Produkte (mit einem gewissen Investitionscharakter) geht und in denen schon bisher die Ansätze der deutschen Rechtsprechung, auf Grundlage des alten Rechts eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung auch bezüglich Werbeangaben Dritter aufgrund minimaler Indizien einer Einbeziehung dieser Angaben in den konkret geschlossenen Vertrag zu bejahen, am weitesten entwickelt waren. Diese Erkenntnis hat erstens Bedeutung insofern, als demnach insbesondere das situativ differenzierende Element, welches der BGH seinem Leitbild eines durchschnittlich informierten Verbrauchers von situationsangemessener Aufmerksamkeit zugrundelegt, nicht deshalb gegen die hier vertretene Orientierung an wettbewerbsrechtlichen Maßstäben zur Konkretisierung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ins Feld geführt werden kann, weil dadurch (aufgrund der Zugrundelegung niedriger Aufmerksamkeit im Massenverkehr) der Maßstab der Verkäuferhaftung unzumutbar überdehnt würde. Denn in den Bereichen, in denen § 434 Abs. 1 S. 3 BGB zu einer gewissen rechtspraktischen Bedeutung gelangt (nämlich bezüglich höherwertiger Verbrauchsgüter), dürfte auch nach dem Verbraucherleitbild der neueren BGH-Rechtsprechung eine situationsangemessen schon höhere Aufmerksamkeit zugrundezulegen sein. Zweitens läßt sich – auch in der rechtshistorischen Zusammenschau mit der entfernt vergleichbaren und vollkommen bedeutungslos gebliebenen Regelung des in der UWG-Reform gestrichenen § 13a UWG a.F. – an der rechtspraktischen Analyse des § 434 Abs.1 S. 3 BGB ein spezifisches Durchsetzungsproblem illustrieren. Die neuen kaufrechtlichen Ansprüche, wie sie sich auf der Grundlage von § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ergeben können, dürften häufig (zumal mit Blick auf geringwertige Güter des täglichen Bedarfs) wegen des Bagatellcharakters der Abweichung der Ist-Beschaffenheit der Kaufsache von der (durch Werbeangaben geprägten) Soll-Beschaffenheit von dem einzelnen betroffenen Käufer gar nicht geltend gemacht werden. Ihr Potential, durch Etablierung eines dezentralen, negativen An-
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reizsystems auch einen Beitrag zum wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz zu leisten, wird dadurch nicht unerheblich geschmälert.
5. Dennoch belegte die Analyse des neuen Kaufrechts, gleichermaßen wie insbesondere die Untersuchung des Verbraucherrechts der neuen Vertriebsformen in ihrem jeweiligen Verhältnis zum Lauterkeitsrecht, recht eindrucksvoll das Potential des Verbrauchervertragsrechts, durch indirekte Steuerung sozusagen „von unten herauf“ zugleich den Wettbewerb zu regulieren und vor Verzerrungen zu schützen. Das Verbrauchervertragsrecht entwickelt eine selbständige marktbezogene Ordnungsfunktion durch dezentrale Steuerungseffekte. Eine solche dezentrale Steuerung aufgrund gesicherter Verbraucherselbstbestimmung im Markt ist – soweit sie funktioniert – zwangsläufig zielgenauer als wettbewerbsrechtliche Totalverbote aufgrund bloßer normativer Vermutungen über den Verbraucherwillen. Dies gilt jedenfalls, soweit die Regelungen des Verbrauchervertragsrechts sich konsequent darauf beschränken, typisiert identifizierte Gefährdungslagen für Entscheidungsgrundlage und Entscheidungsprozeß der Verbraucher durch individualschützend ausgerichtete Normen auszugleichen. Wird allerdings darüber hinaus, wie dies insbesondere mit Blick auf einzelne der Informationspflichten im E-Commerce der Fall ist, statt einer solchen auf Ausgleich konkreter Gefährdungslagen setzenden Regelung, der Versuch unternommen, durch Schaffung bestimmter Informationsstrukturen zwingenden Rechts sozusagen „von oben herab“ einen zwingenden, rechtlich „standardisierten“ Rahmen des Verkehrssystems für die Informationsgewährung zu etablieren, in den ein imaginär leitbildartiger Verbraucher dann sein Systemvertrauen setzen soll, so sind derartige ausschließlich systembezogene Ansätze in ihrer verbraucherschützenden Wirkung zwangsläufig ungenau. Sie laufen nämlich Gefahr, am tatsächlichen Bedarf der Verbraucher vorbeizuzielen, sind daher auch in ihrer Steuerungswirkung für den Wettbewerb zweifelhaft, wenn nicht sogar häufig in ungerechtfertigter Weise wettbewerbsbeschränkend und damit letztlich auch für die Verbraucher schädlich. Insgesamt bestätigte die Analyse der verbraucherschutzrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Regelung der besonderen Vertriebsformen und des Kaufrechts demnach auch die Vorrangigkeit dezentral-prozeduraler Lösungen, die angesichts (durch das Verbrauchervertragsrecht typisiert) abgesicherter Entscheidungsfreiheit der Verbraucher im wesentlichen auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes setzen, gegenüber zwingenden Eingriffen in den Markt, die die Möglichkeit zur individuellen Verbraucherentscheidung gerade abschneiden und durch eine normative Prognose des Gesetzgebers über die vermeintlichen Interessen der Verbraucher ersetzen.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
III. 1. Schließlich wurden die angestammten Instrumente der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts, die sich nach der Zielsetzung des historischen Gesetzgebers bei ihrer Schaffung ausschließlich in der Regelung des vorvertraglichen und vertraglichen Individualverhältnisses erschöpften und die insofern lediglich reflexartig auch eine (erst letzthin immer zunehmend wissenschaftlich wahrgenommene) marktbezogene Ordnungsfunktion (hinsichtlich der Ausgestaltung des Verkehrssystems) entfalten, einer Prüfung daraufhin unterzogen, ob und in welchen Bereichen dennoch auch in diesen Vorschriften Einfallstore für typisierte Maßstäbe im Zivilrecht eingeräumt sind, die einen Vergleich mit wettbewerbsrechtlichen Maßstäben und gegebenenfalls auch eine wechselseitige Beeinflussung der Wertungen nach dem Gleichmaßgrundsatz zulassen. Ein wesentlicher Leitstern der Untersuchung ergab sich dabei insbesondere aus der Konzentration auf die Fragestellung, ob und inwieweit die neue und aufgewertete Orientierung des Inhalts kaufrechtlicher Beschaffenheitsvereinbarungen an Maßstäben der vorindividuellen, massenhaften werblichen Beeinflussung der Kundenseite künftig auch einen gewissen wertungsmäßigen Widerhall in den Instrumenten der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des allgemeinen Schuldrechts finden kann oder sogar muß.
2. a) Ein erstes Instrument stellen insofern die Regelungen der Irrtumsanfechtung dar. Zu eigentlichen Überschneidungen mit wettbewerbsrechtlichen Wertungen kann es nur insoweit kommen, wie sich diese auf den Schutz der Willensbildung selbst beziehen. Dies ist nach richtiger Auffassung allein im Bereich der Anfechtbarkeit wegen Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB der Fall. b) Nach der hier vertretenen Auffassung ist dabei – unabhängig von der umstrittenen dogmatischen Einordnung der Norm und ungeachtet wesentlicher Unterschiede, insbesondere mit Blick auf das unterschiedliche Zurechnungsmodell bezüglich der Verursachung des beim Vertragspartner entstandenen Irrtums wie auch natürlich mit Blick auf die Rechtsfolgen – jedenfalls der in § 119 Abs. 2 BGB durch eine spezifische Risikozuweisung geregelte grundlegende Interessenkonflikt zum Teil vergleichbar mit dem Problem, welches § 434 Abs. 1 S. 3 BGB für den schmaleren Bereich der durch Werbeangaben hervorgerufenen Verkehrserwartung löst; auch die strukturelle Ausgestaltung der jeweiligen Tatbestände weist unübersehbare Ähnlichkeiten auf. Im Kern geht es in beiden Fällen darum, in einem ersten Schritt zentrale Motive für die vertragliche Willensbildung kategoriell zu identifizieren (Eigenschaften der Person oder der Sache, bestimmte Eigenschaften der Kaufsache), um sodann
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– in einem zweiten Schritt – bezüglich dieser typischerweise zentralen Faktoren der Willensbildung ausnahmsweise eine typisierte rechtliche Relevanz vorvertraglicher Motivationen (sei es bezüglich des Interesses der Lösung vom Vertrag, sei es durch Einbeziehung in die vertragliche Beschaffenheitsvereinbarung) dann zu bejahen, wenn die betreffende Eigenschaft vom typisiert-verobjektivierten Standpunkt der Verkehrserwartung als wesentlich für den Vertragsschluß anzusehen war. c) Diese teilweise strukturelle Parallele hinsichtlich der Auswahl und rechtlichen Beurteilung bestimmter, ausnahmsweise rechtlich relevanter Motive der vorvertraglichen Willensbildung läßt – soweit das Schnittfeld der spezifischeren Vorschrift des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB mit dem Recht der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums reicht – bestimmte einheitliche Interpretationsansätze zu und gestattet es im übrigen, im Rahmen des § 119 Abs. 2 BGB einzelne Aspekte der spezifisch kaufvertraglichen Wertung, wie sie sich in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB verkörpert, behutsam zu verallgemeinern. d) So ist der Begriff der Eigenschaften der Sache nach der hier vertretenen Auffassung in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB und in § 119 Abs. 2 BGB einheitlich auszulegen, soweit es um den Bereich des Kaufrechts geht. Dies stützt die allenthalben vertretene Ausdehnung des kaufrechtlichen Eigenschaftsbegriffs nach der Schuldrechtsreform und gibt ihr zugleich eine nachvollziehbare und etablierte Grenze. Auch über den Bereich unmittelbarer Überschneidung der Normenkomplexe hinaus – und damit im wesentlichen für Dienstleistungsverträge – läßt sich an eine behutsame Ausdehnung der Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB bezüglich der rechtlichen Relevanz vorvertraglicher Prägung der Verkehrserwartung durch Werbung mit Blick auf die Eigenschaften des Vertragsgegenstands („Eigenschaften der Sache“ i.S.d. § 119 Abs. 2 BGB) denken. Insofern ist auch für diesen weiter gezogenen Bereich in § 119 Abs. 2 BGB die Rolle der Werbung (auch seitens bestimmter Dritter) für die Prägung der Verkehrserwartung hinsichtlich der Eigenschaften des Vertragsgegenstands mehr als bisher zu berücksichtigen und kann auch insoweit auf bestimmte Wertungen des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes zurückgegriffen werden, um das Tatbestandsmerkmal der „Verkehrswesentlichkeit“ in § 119 Abs. 2 BGB zu konkretisieren. In aller Regel nicht in Betracht kommt ein derartiger Rückgriff auf Wertungen des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutzes jedoch mit Blick auf „Eigenschaften der Person“. Denn insoweit ist die Interessenlage im Wettbewerbsrecht – wo im Bereich der Verbote irreführender Werbung bezüglich der Person oder des Unternehmens häufig der mehr mitbewerberschützende Aspekt der Unterbindung einer unlauteren Anlockungswirkung mit im Mittelpunkt steht – wesentlich abweichend von dem im Zivilrecht durch das verobjektivierende Abstellen auf die Verkehrswesentlichkeit zu lösenden Interessenkonflikt zwischen Bestandsinteresse des Unternehmers und Vertragslösungsinteresse des Kunden. e) Schließlich ist der hinter der Regelung der Beweislastverteilung aus § 434 Abs. 1 S. 3 BGB bezüglich des „Kennens oder Kennenmüssens“ des Verkäufers
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
betreffend die sacheigenschaftsbezogene Werbung bestimmter Dritter wertungsmäßig stehende Gedanke der Beweislastverteilung nach Sphären, soweit die Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB reicht, auch im Rahmen von § 122 Abs. 2 BGB durch Gewährung entsprechender Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zugunsten des potentiell schadensersatzverpflichteten, anfechtenden Kunden zu berücksichtigen.
3. a) Bei der Untersuchung der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung stand zuvörderst das diesbezügliche Konkurrenzverhältnis zu schadensersatzrechtlichen Möglichkeiten der Lösung vom Vertrag auf der Grundlage von §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 249 S. 1 BGB im Mittelpunkt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Interesse am Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit nach der Schuldrechtsreform vom Schutzbereich der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB zweifelsfrei umfassend mit erfaßt und ist auch eine Vertragslösung rechtsfolgenseitig auf Grundlage von § 249 S. 1 BGB nicht länger vom Erfordernis eines Vermögensschadens abhängig zu machen. Einzig die Frist des § 124 BGB ist, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen, im Wege der rechtsfolgenseitigen Analogie auf Ansprüche auf Vertragsaufhebung im Wege der Naturalrestitution auf Grundlage der §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB auszudehnen. b) Damit fehlt es aber zugleich – bezüglich des Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage – für eine (gelegentlich gerade zur Erfassung diesbezüglicher Wettbewerbsverstöße in der Vertragsanbahnung vorgeschlagene) Ausdehnung des § 123 Abs. 1 BGB auch auf Situationen fahrlässiger vorvertraglicher Fehlinformation an einer systemwidrigen Lücke, da §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB derartige Konstellationen demnach im Rahmen einer einheitlichen Lösung sowohl für Fälle der Irreführung durch den Vertragspartner als auch für Drittfälle systemgerecht und sogar mit gewissen Konstruktionsvorteilen zu lösen vermögen. Das gleiche gilt – bezüglich des Schutzes des Entscheidungsprozesses – für direkte psychische Beeinflussungen der Entscheidungsfreiheit unterhalb der Schwelle der widerrechtlichen Drohung, wie sie Gegenstand wettbewerbsrechtlicher Verbote sind; wiederum ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht eine Analogie zu § 123 Abs. 1 BGB das geeignete konstruktive Instrument zur Erfassung derartiger Störungen der Entscheidungsfreiheit, sondern vielmehr ein Schadensersatzanspruch auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Damit wurde aber zugleich deutlich, daß ein eigentlicher Vergleich der Wertungen zwischen typisierten wettbewerbsrechtlichen Maßstäben bezüglich des Schutzes der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses und dem diesbezüglichen vorvertraglichen Schutzmaßstab des Zivilrechts sinnvoll erst im
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Rahmen einer Untersuchung des vorvertraglichen, gesetzlichen Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo aus §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB erfolgen kann.
4. a) Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im Rahmen der culpa in contrahendo insofern „zu Ende“ zu denken, als durch Werbung induziertes, massenhaft-typisiert in Anspruch genommenes Vertrauen der Kunden eine bestimmte rechtliche Relevanz haben kann, die potentiell auch geeignet ist, Schadensersatzansprüche nach §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB auszulösen, sofern es nur letztendlich zu einer Individualisierung der vorvertraglichen Sonderbeziehung kommt. Denn jene wird mit der Anknüpfung an die vertragliche Beschaffenheitsvereinbarung auch in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB implizit vorausgesetzt, so daß es sich bei dieser Norm gerade nicht um die von einigen vermutete allgemeine Informationshaftung für Werbeangaben handelt. Es geht mit anderen Worten nicht darum, das individualisierende Erfordernis einer gewissen Sonderverbindung als Entstehungsvoraussetzung der erhöhten Sorgfaltspflichten aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen gem. § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB zu derogieren. Auch die nicht unumstrittene Zweiseitigkeit des Entstehungstatbestands der culpa in contrahendo wird in dieser Studie anerkannt. Dennoch ist es nach der hier vertretenen Auffassung – insbesondere zur Wahrung der Wertungseinheit mit den hinter § 434 Abs. 1 S. 3 BGB stehenden teleologischen Gesichtspunkten – geboten, vorindividuelle werbliche Handlungen des potentiellen Vertragspartners, die bestimmt und geeignet sind, eine Sonderverbindung mit prospektiven Kunden zu etablieren, bereits dem Pflichtenrahmen aus der Sonderverbindung zu unterwerfen, die dann in der Folge auch nach der hier vertretenen Auffassung erst entsteht, wenn einzelne der massenhaft angesprochenen Kunden individuell auf das werbliche Angebot eingehen. b) Die dogmatische Grundlage für diese Konstruktion einer (latent vorwirkenden) Pflichtenbindung bezüglich des Aktes, der die Entstehung der Pflicht erst begründet, wird in dieser Untersuchung im Anschluß an Kersting aus dem Gebot widerspruchsfreien Verhaltens abgeleitet. Es wäre nämlich widersprüchlich, wenn der potentielle Schädiger zuerst folgenlos irreführende werbliche Information verbreiten könnte, um ihn dann in dem Moment, in dem jemand absichtsgemäß die Information wahrnimmt und in erkennbarer Weise darauf eingeht – also praktisch unmittelbar zu dem Zeitpunkt, wo die Werbung beginnt, ihr Ziel überhaupt erst zu erreichen –, zur (dann aber nicht mehr mit zumutbarem Aufwand möglichen) Aufklärung der aus seiner Informationsverbreitung resultierenden Irrtümer zu verpflichten. Nur auf diese Weise läßt sich auch das Verschuldenserfordernis sinnvoll an den eigentlich haftungsbegründenden Akt anknüpfen, während dogmatische Kon-
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
struktionen, die mit (korrigierenden) Aufklärungspflichten unmittelbar nach Entstehung des Sondertatbestands arbeiten, unvermeidlich den Verschuldensmaßstab an eine gekünstelt konstruierte Handlungspflicht anlegen, was insbesondere dann auch ergebnisrelevant wird, wenn sich die konstruierte Aufklärungspflicht hinsichtlich massenhaft angesprochener potentieller Kunden mit zumutbarem Aufwand gar nicht erfüllen läßt. Die neue Regelung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB bestätigt die hier vertretene These einer latent vorwirkende Pflichtenbindung aus culpa in contrahendo bezüglich des die Sonderverbindung seitens des werbenden Verkäufers erst erstrebenden Aktes insofern, als auch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB dem Verkäufer eine vorindividuelle Obliegenheit zur Beobachtung sogar fremder Werbung auferlegt, die Voraussetzung einer Befreiung von der kaufvertragsrechtlichen Erfüllungshaftung bezüglich werbeinduzierter Beschaffenheitsvorstellungen beim Käufer ist. Wenn derartige vorverlagerte Pflichten, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten, den Verkäufer im Rahmen der wesentlichsten Vertragsart des besonderen Schuldrechts schon hinsichtlich fremder Werbung treffen, so können und müssen – wenn man zudem auch die allgemeine Wertung des § 311a Abs. 2 BGB berücksichtigt, der gleichermaßen die Möglichkeit einer Existenz vorindividueller Pflichten, deren schuldhafte Verletzung den letztendlichen Inhalt des Schuldverhältnisses prägt, illustriert – diese Ansätze in verallgemeinerter Form im Rahmen der culpa in contrahendo „zu Ende gedacht“ werden. Nach alldem sprechen gute Gründe dafür, die eine vorvertragliche Sonderverbindung begründende massenhafte werbliche Ansprache der Marktgegenseite im Geschäftsverkehr als Begründungsakt der Haftung aus § 311 Abs. 2 BGB bereits dem sich ergebenden Pflichtenmaßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu unterwerfen, sofern es nur letztendlich zu einer Etablierung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung und zu entsprechender Individualisierung des gesetzlichen Schuldverhältnisses dadurch kommt, daß einzelne potentiell Vertragsinteressierte im weitesten Sinne in erkennbarer Weise auf die Werbung eingehen, indem sie – etwa durch Fahrt zum Ladenlokal, um ein beworbenes Sonderangebot wahrzunehmen – ihre Dispositionen danach ausrichten. c) Auf Grundlage derselben wertenden Überlegungen – insbesondere mit Blick auf die in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB als Wertungsaspekt zugrundegelegte Relevanz des Vertrauens der Verkehrsteilnehmer in öffentliche werbliche Aussagen der Hersteller, Quasi-Hersteller und ihrer Gehilfen – erscheint es nach heutiger Rechtslage auch geboten, gemäß §§ 311 Abs. 3 S. 1, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB zudem einen direkten Schadensersatzanspruch individuell betroffener Kunden gegen die für irreführende Werbeangaben hinsichtlich bestimmter, objektiv nachprüfbarer und relevanter Eigenschaften des Vertragsgegenstands verantwortlichen Hersteller (oder die sonstigen in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten) zu gewähren. Denn § 434 Abs. 1 S. 3 BGB kann insoweit nur die Wertung zugrundeliegen, daß in dem durch das Kriterium der öffentlichen Angaben bezüglich bestimmter Eigenschaften der Kaufsache umrissenen Bereich die Hersteller und die sonstigen in
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§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten mit ihren öffentlichen Aussagen (insbesondere in der Werbung) „besonderes Vertrauen“ der Verkehrsteilnehmer „für sich“ in Anspruch nehmen. Dem Verkäufer wird die Verantwortung für diese Vertrauensinanspruchnahme seitens der Hersteller dann sozusagen nur nachgelagert nach Risikosphären zugeordnet. Gerade der in dieser Untersuchung demnach befürwortete Direktanspruch gegen den eigentlichen, nach dem Verschuldensprinzip verantwortlichen Verursacher eines typisierten Verkehrsvertrauens bezüglich des Vorhandenseins bestimmter Eigenschaften der Kaufsache auf Grundlage von §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB gestattet es zudem nach der hier vertretenen Auffassung, die systemwidrige Anordnung wirtschaftlich zwingenden Rechts betreffend den Regreßanspruch in der Vertriebskette für diesen spezifischen Bereich (der Haftung für letztlich dritterseits in die Beschaffenheitsvereinbarung induzierter Erwartungen aufgrund öffentlicher werblicher Aussagen) telelogisch zu reduzieren. Denn wenn aufgrund der Haftung nach §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB jedenfalls sowohl für den Käufer als auch für den Verkäufer auf jeder der Stufen der Vertriebskette sichergestellt ist, daß sie den ihnen durch die schuldhaft vom Hersteller (und die anderen in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB genannten Dritten) irreführend verbreiteten Werbeangaben entstandenen Schaden direkt beim schuldhaften Verursacher dieses Schadens liquidieren können, besteht für eine Beschränkung der im übrigen dann vollkommen frei vertraglich erfolgenden Verteilung des verbleibenden Regreßrisikos in der Vertriebskette durch wirtschaftlich zwingendes Recht im spezifischen Bereich der Werbangabenhaftung keinerlei Bedarf mehr. Das Ziel, den im Sinne einer Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip eigentlich Verantwortlichen auf Schadensersatz in Anspruch nehmen zu können, wäre ohnedies gesichert. Das Regreßrisiko im übrigen könnte aufgrund privatautonomer Ausgestaltung der Unternehmer in der Vertriebskette vollkommen frei verteilt werden. Dabei ist allerdings nach der hier vertretenen Auffassung die Möglichkeit der rechtlichen Relevanz eines typisierten, vorindividuellen Vertrauens in pflichtgemäße (werbliche) Information Dritter, die im Vorfeld sich letztlich individualisierender, vorvertraglicher Sonderbeziehungen öffentlich verbreitet wurde, im Sinne des „Wasser und Öl“-Gedankens streng durch die neue diesbezügliche Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB (in ihrem für alle Vertragsarten verallgemeinerbaren normativen Kerngehalt) in persönlicher und sachlicher Hinsicht begrenzt: es muß sich bezüglich der Werbeangaben mithin um konkrete, objektiv nachprüfbare Angaben über Eigenschaften des Vertragsgegenstands handeln, die für die Vertragsentscheidung von Relevanz sein können und die – für den Kauf – gerade von den in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB bezeichneten Dritten bzw. – für andere Vertragsarten (insbesondere Dienstleistungsverträge) – von den eigentlich einen Vertragsgegenstand im weitesten Sinne „erstellenden“ Anbietern oder „Quellen“ stammen, deren Angaben der Verkehr insoweit besonderes Vertrauen schenkt. Nur in diesem durch das Zivilrecht gesetzten Rahmen kann dann auch das latent vorwirkende,
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schon den werblichen Etablierungsakt des Händlers oder Herstellers erfassende typisierte Pflichtenprogramm aus der vorvertraglichen Sonderbeziehung (§ 241 Abs. 2 BGB) zweckgerecht durch differenzierten Rückgriff auf lauterkeitsrechtliche Prüfmuster und Judikate konkretisiert werden, wobei es weniger um einen reinen „Import“ lauterkeitsrechtlicher Maßstäbe, sondern eher um eine Art Wechselwirkungsprozeß lauterkeitsrechtlicher und vorvertraglicher Pflichtenprogramme geht. d) Die Bestimmung des sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden vorvertraglichen Pflichtenprogramms für den Akt der werblichen Kontaktaufnahme unter Rückgriff auf typisierte wettbewerbsrechtliche Verkehrssicherungspflichten gestaltet sich im Sinne der vorgenannten Wechselwirkung im einzelnen wie folgt. Grundsätzlich setzt eine Rezeption typisierter lauterkeitsrechtlicher Pflichten bezüglich des Verhaltens im Wettbewerb für das Programm latent vorverlagerter typisierter Pflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB eine sorgsame Schutzzweckanalyse der wettbewerbsrechtlichen Pflichten und eine entsprechend saubere Differenzierung der durch §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB geschützten Interessen der Kundenseite voraus. Dabei ist, soweit es um den Schutz rechtsgeschäftlicher Entscheidungsfreiheit geht (insoweit im Anschluß an Lorenz), nach dem Schutz der informationellen Entscheidungsgrundlage und dem Schutz des Entscheidungsprozesses vor direkter Beeinflussung zu unterscheiden. Hinzu kommt im Rahmen des hier vertretenen Vier-Ebenen-Modells noch der Schutz vor durch Werbung verursachten Vertrauensaufwendungen der Kundenseite im Hinblick auf einen erstrebten Vertragsschluß in Situationen, in denen es letztlich zu diesem Vertragsabschluß nicht kommt (Externalitäten). Im Rahmen des Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage sind die sich aus dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot – insbesondere unter Geltung des neuen Verbraucherleitbilds – ergebenden wettbewerbsrechtlichen Pflichten, die Verbraucher nicht aktiv irrezuführen, grundsätzlich primär am Individualschutz der Marktgegenseite ausgerichtet und damit für eine Rezeption im Rahmen des typisierten Pflichtenprogramms für den Akt der werblichen Kontaktaufnahme nach § 241 Abs. 2 BGB nach dem in dieser Studie zugrundegelegten Gleichmaßprinzip geeignet. Mit gewissen Einschränkungen gilt dies ebenso bezüglich der Rezeption des engen Bereichs ungeschriebener lauterkeitsrechtlicher Informationspflichten, wie sie sich im Rahmen des wettbewerbsrechtlichen Transparenzgebots unter strengen Voraussetzungen ergeben können. Demgegenüber haben sich im Bereich des Schutzes des Entscheidungsprozesses im Lauterkeitsrecht – insbesondere in der alten Fallgruppe des psychologischen Kaufzwangs – typisierte Maßstäbe entwickelt, die zum Teil erheblich strenger waren, als die für das vorvertragliche Pflichtenprogramm nach § 241 Abs. 2 BGB diesbezüglich in Rechtsprechung (und zumal in der zivilrechtlichen Literatur) erwogenen Sorgfaltspflichten. Insgesamt stellt sich somit der Wechselwirkungsprozeß des wettbewerbsrechtlichen und des typisiert vorvertraglichen Pflichtenprogramms für den Bereich des Schutzes des Entscheidungsprozesses vor direkter
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Einflußnahme deutlich komplexer dar, als im Bereich des Schutzes der informationellen Entscheidungsgrundlage. Dies ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, daß sich in diesem Bereich bis etwa Mitte der neunziger Jahre unter dem Mantel des „Verbraucherschutzes“ bestimmte Vorstellungen eines sachlichen „Leistungswettbewerbs“ im UWG doch gehalten hatten, die erst letzthin in der Rechtsprechungspraxis unter dem Eindruck verfassungsgerichtlicher und europäischer Vorgaben einer genuinen Orientierung auf die Freiheit der Verbraucherentscheidung gewichen sind. Dieser Liberalisierungsprozeß wiederum läßt sich aber, wie gezeigt wurde, gerade auch aus einem Vergleich mit den diesbezüglich im Zivilrecht aktuell entwickelten (und von vornherein deutlich liberaleren) Wertungen unterstützen und erklären. Die insoweit nunmehr – nach Jahrzehnten einer zwischen beiden Rechtsgebieten in dieser Frage aufklaffenden Wertungsschere – zu beobachtende Konvergenzbewegung bietet zugleich ein Beispiel des zeitlichen Komplementaritätsprozesses, wie er zwischen Wettbewerbs- und Vertragsrecht in dieser Studie vermutet und an Einzelbeispielen bestätigt wurde. Sofern und soweit die Liberalisierungstendenz im Wettbewerbsrecht im Rahmen der Rechtsprechung zum neuen UWG unter § 4 Nr. 1 und 2, 3 UWG unumkehrbar und durch die neue, auch in diesem Bereich allein auf die Freiheit der Verbraucherentscheidung orientierte Konzeption europäischen Rechts zwingend fortgeführt wird, ist daher wiederum letztlich auch die wechselseitige Befruchtung der rechtlichen Maßstäbe im Wettbewerbsrecht und bezüglich des typisierten vorvertraglichen Pflichtenprogramms nach § 241 Abs. 2 BGB nicht nur wünschenswert, sondern unter Berücksichtigung des Gleichmaßgrundsatzes auch geboten. Schließlich kommen auch bezüglich des Schutzes sonstiger Kundeninteressen, insbesondere des Interesses, nicht im Hinblick auf einen letztlich nicht zustandekommenden Vertragsschluß frustrierte Vertrauensaufwendungen (etwa durch Fahrt zu einem Geschäftslokal) zu tätigen, bestimmte Entlehnungen aus dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz zur Bestimmung des typisierten, latent vorwirkenden Pflichtenprogramms (aus §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB) für eine Sonderverbindung etablierende Werbehandlungen in Betracht. Allerdings ist in diesem Bereich besonders sorgsam nach dem jeweiligen schwerpunktmäßigen Schutzzweck der lauterkeitsrechtlichen Pflichten zu differenzieren. Denn insoweit geht es im Lauterkeitsrecht auch und zumal um den konkurrentenschützenden Aspekt, eine unlautere Anlockungswirkung zu unterbinden, der im Einzelfall zu über die Maßstäbe des Schutzes der Marktgegenseite hinausschießenden, strengeren wettbewerbsrechtlichen Maßstäben geführt haben mag. Gegebenenfalls ist ein anders ausgerichteter Schutzzweck im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität, insbesondere der Zurechnung entstandener Kundenschäden auf den Schutzzweck der aus dem Wettbewerbsrecht „importierten“ vorvertraglichen Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB, korrigierend zu berücksichtigen. e) Die latente Vorwirkung der Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB schon auf den die Sonderbeziehung erst etablierenden Akt und die sich daraus zwangsläufig ergebende Typisierung der diesbezüglichen vorvertraglichen Pflichten (samt der An-
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knüpfung des Pflichtenprogramms an interessenorientiert „gefilterte“ Pflichtenmaßstäbe des wettbewerbsrechtlichen Sonderdeliktsrechts) stellt im System der grundsätzlich individuell ausgerichteten Haftung aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen nicht etwa einen Systembruch dar, sondern eine systemkonforme Fortentwicklung. In einzelnen Bereichen, insbesondere der zivilrechtlichen Prospekthaftung im zeitlichen Vorfeld ihrer weitgehenden sondergesetzlichen Fixierung, war eine derartige Anknüpfung des Pflichtenprogramms an typisierte Maßstäbe seit je etabliert. Auch die Integritätsschutzpflichten in der vorvertraglichen Sonderbeziehung, wie sie einzelnen ganz klassischen Fallgruppen der culpa in contrahendo zugrundeliegen, stellten faktisch nie etwas anderes dar als deliktsrechtsähnliche typisierte Verkehrssicherungspflichten, die sich für alle praktischen Zwecke schon aus der Eröffnung des Verkehrs in einem Ladenlokal ergaben. An diese Traditionslinien knüpft die hier befürwortete, teilweise typisierte Ausgestaltung des Pflichtenprogramms aus §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB bezüglich eine vorvertragliche Sonderbeziehung erst etablierender werblicher Kundenansprache an. Die mit der Typisierung einhergehende Institutionalisierung einzelner Bereiche des vorvertraglichen Pflichtenprogramms im Sinne einer überindividuellen Orientierung an den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs widerspiegelt einerseits rechtstatsächlich-ökonomisch den Trend zu einer gewissen Standardisierung und stärkeren Gewichtung des Systemvertrauens der Verkehrsteilnehmer in die etablierten rechtlichen Strukturen. Andererseits entspricht die demnach gestärkte institutionelle Sicht auch des individuellen vorvertraglichen Vertrauensschuldverhältnisses der Fließrichtung des europäischen Privatrechts, zumal die Rechtsprechung des EuGH das mitgliedstaatliche Zivilrecht an den Schnittstellen zu Gemeinschaftsrechtsakten zusehends im Sinne der mehr institutionell ausgerichteten europäischen Privatrechtskonzeption zu überformen beginnt. f) Dem hier vorgeschlagenen individuellen Schadensersatzanspruch auf der Grundlage von §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB, der durch seine funktional-interessenorientiert differenzierte Anknüpfung der latent (auf den vorindividuellen werblichen Etablierungsakt) vorverlagerten Pflichten aus der vorvertraglichen Sonderbeziehung an wettbewerbsrechtliche Pflichtenmaßstäbe in bestimmten Bereichen letztlich eine Art individuellen Schadensersatzanspruch zugunsten von unlauterem Wettbewerb betroffener Kunden schafft, läßt sich auch nicht entgegenhalten, daß derartige individuelle Schadensersatzansprüche bzw. Vertragsauflösungsrechte aufgrund voraufgegangenen unlauteren Wettbewerbs in der aktuellen UWG-Reform aus guten Gründen vom Gesetzgeber nicht eingeführt wurden. Denn der hier vorgeschlagene differenzierte Import lauterkeitsrechtlicher Wertungen in das typisierte Pflichtenprogramm nach § 241 Abs. 2 BGB für latent vorverlagerte vorvertragliche Pflichten betreffend die werbliche Vertragsanbahnung vermeidet gerade die Nachteile der im Kontext der UWG-Reform in der wissen-
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schaftlichen Diskussion de lege ferenda geforderten sondergesetzlichen Schadensersatzansprüche und Vertragsauflösungsrechte unmittelbar aus dem UWG. Insbesondere ist der hier vorgeschlagene Schadensersatzanspruch auf Grundlage von §§ 311, 241 BGB durch das Verschuldenserfordernis, die zivilrechtlich gefestigten Grundsätze der Konkurrenz insbesondere im Verhältnis zu gewährleistungsrechtlichen Ansprüchen und schließlich zumal aufgrund der differenzierten Anforderungen an die haftungsausfüllende Kausalität, wie sie sich insbesondere aufgrund des Kriteriums des Schutzzweckzusammenhangs auch für eine zivilrechtlich „gefilterte“ Rezeption wettbewerbsrechtlicher Pflichten fruchtbar machen lassen, fest im zivilrechtlichen Gesamtsystem verwurzelt und paßgenau in dieses System eingefügt. Die Gefahr, ebenjenes Gesamtsystem durch (insbesondere bezüglich Kausalität und individuellem Zurechnungszusammenhang) unvermeidbar pauschalierende spezialgesetzliche Ansprüche zu unterminieren, wird dadurch gerade effektiv vermieden. Ebensowenig ist der hier vorgeschlagene Schadensersatzanspruch auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB etwa einem allgemeinen deliktischen Schadensersatzanspruch auf Grundlage von § 823 Abs. 2 i.V.m. UWG-Verstößen vergleichbar, wie er auch in dieser Studie im Einklang mit der herrschenden Meinung abgelehnt wurde. Denn – anders als ein allgemeiner deliktischer Schadensersatzanspruch – kommt der hier vorgeschlagene Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo von vornherein nur in Betracht, wenn die werbliche Einwirkung auf die Kundenseite letztlich zur Etablierung einer vorvertraglichen Sonderbeziehung geführt hat, weil auch der Kunde zumindest mit einem allgemeinen Informations- oder vertraglichen Anbahnungswillen auf die ihn ansprechende Werbung eingegangen ist. Alles in allem gestattet es sonach gerade die Einpassung lauterkeitsrechtlicher Wertungen in den Rahmen des gesetzlichen Vertrauensschuldverhältnisses aus vorvertraglicher Sonderbeziehung, diese typisierten Maßstäbe den Konturen des Zivilrechts einzufügen, ohne den Primat des zivilrechtlichen Systems vorvertraglicher Informationshaftung und spezifisch zivilrechtlichen Schutzes der Entscheidungsfreiheit vor direkter Einflußnahme auf den Entscheidungsprozeß zu unterlaufen. g) Die wesentlichste Rolle in diesem Einpassungsvorgang spielen das Rechtsfolgensystem der §§ 249 ff. BGB sowie insbesondere die Frage der Konkurrenzen – zumal jener zum Gewährleistungsrecht. Jeweils unter besonderer, funktional-interessenorientiert differenzierter Berücksichtigung des Schutzzweckzusammenhangs zwischen (an wettbewerbsrechtlichen Maßstäben) typisierten Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB und den letztlich kausal verursachten Schäden der werblich angesprochenen Kunden wurden daher auch diese Bereiche für die wesentlichsten Fallkonstellationen – jeweils differenziert nach Haftung des potentiellen Vertragspartners und Haftung bestimmter werbender Dritter – mit untersucht. Als wesentliche Varianten waren dabei (im Einklang mit dem VierEbenen-Modell) Sachverhaltsgestaltungen, in denen es letztlich zu einem (durch
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Einwirkung auf die Entscheidungsgrundlage oder den Entscheidungsprozeß des Kunden verzerrten) Vertragsschluß kommt, zu unterscheiden von Sachverhaltsgestaltungen, in denen von Kunden im Hinblick auf einen erhofften Vertragsschluß Vertrauensinvestitionen frustriert werden (Externalitäten pflichtwidriger werblicher Ansprache). Mit Blick auf die erstgenannte Fallkonstellation steht dabei (da eine potentielle Schadensersatzhaftung des Verkäufers praktisch weitgehend durch die Gewährleistungsregeln verdrängt ist) insbesondere die hier auf Grundlage der §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB befürwortete direkte Schadensersatzhaftung des Herstellers und der anderen in § 434 Abs.1 S. 3 BGB genannten Dritten für durch von ihnen in der Werbung über bestimmte Eigenschaften des Produkts pflichtwidrig und schuldhaft verursachte Schäden individuell betroffener Kunden als praktisches Ergebnis im Mittelpunkt. Hinsichtlich der zweitgenannten Konstellation dürfte das wesentlichste praxisrelevante Resultat des hier vorgeschlagenen Ansatzes darin bestehen, daß Kunden, die durch irreführende Werbung des potentiellen Verkäufers in sein Geschäftslokal gelockt wurden und (für die Anfahrt, Telekommunikationskosten im Vorfeld o.ä.) kausal verursachte Aufwendungen getätigt haben, die dann letztlich (da etwa das versprochene Sonderangebot nicht mehr vorhanden und pflichtwidrig nicht hinreichend vorgehalten war) ihr Ziel verfehlten, nach der hier vertretenen Auffassung einen Schadensersatzanspruch auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB gegen den werbenden Unternehmer haben können. Allerdings wurde in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer besonders sorgsamen Schutzzweckanalyse der lauterkeitsrechtlichen Pflichten in diesem Bereich verwiesen. Nur Kundenschäden, die dem Schutzzweck einer unter § 241 Abs. 2 BGB als Pflichtenmaßstab für die massenhafte werbliche Direktansprache prospektiver Kunden rezipierten wettbewerbsrechtlichen Pflicht (insbesondere des Irreführungsschutzes) tatsächlich auch zugerechnet werden können, sind nach der hier vertretenen Auffassung auf Grundlage von §§ 249 ff. BGB ersatzfähig.
IV. 1. a) Im Ergebnis der vorliegenden Analyse ausgewählter Instrumente der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Vertragsrechts ist festzuhalten, daß bezüglich des Schutzes der Interessen von unlauterem Wettbewerb betroffener Kunden keine systemwidrigen tatbestandlichen Lücken im Zivilrecht klaffen. Insbesondere sofern man den hier unterbreiteten Vorschlägen zum systemgerechten Ausbau der diesbezüglichen Rolle des Anfechtungsrechts und der vorvertraglichen Schadensersatzhaftung folgt, ist auf sämtlichen relevanten Ebenen des hier zugrundegelegten Vier-Ebenen-Modells – also hinsichtlich des Schutzes der Ent-
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scheidungsgrundlage, des Entscheidungsprozesses und auch hinsichtlich des Schutzes der Kunden vor Externalitäten werblicher Ansprache – für einen im System des Zivilrechts lückenlosen Schutz der individuellen Kundeninteressen gesorgt. b) Wohl aber lassen sich unter dem Gesichtpunkt des ordnungspolitischen Gedankens effektiver Rechtsdurchsetzung zwei strukturelle Kategorien faktischer Durchsetzungslücken im System der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Vertragsrechts ausmachen. Zum einen können spezifische Informationsasymmetrien dazu führen, daß die Kunden ihre Rechte (oder gar schon die Tatsache eines verzerrten Vertragsschlusses als solche) nicht kennen und daher diese Rechte auch nicht geltend machen; zum anderen führt in bestimmten Bereichen der Bagatellcharakter durch unlauteren Wettbewerb verursachter Schäden dazu, daß die Kunden keine hinreichenden Anreize zur Rechtsverfolgung haben.
2. a) Auf Grundlage des hier entwickelten Verhältnisses durchsetzungsbezogener Subsidiarität des Wettbewerbsrechts im Verhältnis zur individualvertragsrechtlich zu beurteilenden etablierten vertraglichen Sonderbeziehung läßt sich insofern die These ableiten, daß das Wettbewerbsrecht in individuelle Vertragsverhältnisse gerade genau dann eingreift, wenn aufgrund der eben genannten Durchsetzungsdefizite die von unlauterem Wettbewerb betroffenen Kunden ihre individuellen Rechte nicht geltend zu machen drohen. b) Tatsächlich gelingt es auf diese Weise, mit den Mitteln des wettbewerbsrechtlichen Sanktionssystems einzelne strukturelle Durchsetzungslücken im Individualrechtsschutz zu schließen, wobei das Wettbewerbsrecht typischerweise gerade auch nur insoweit Eingriffe Dritter in etablierte Sonderbeziehungen im Vertikalverhältnis gestattet, wie dies notwendig ist, um die Kunden instand zu setzen, ihre individuellen Rechte geltend zu machen. c) Die Gültigkeit dieses Modells durchsetzungsbezogener Subsidiarität des Wettbewerbsrechts im Verhältnis zu vertragsbezogenen Handlungen – wie es schon im Dritten Kapitel entwickelt wurde – läßt sich gerade bezüglich der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu wettbewerbsrechtlichen Durchführungsverboten fallbeispielsartig belegen. Das wettbewerbsrechtliche Durchführungsverbot (auf Grundlage des Unterlassungsanspruchs) und der wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch werden insofern zum Mittel des Kundenschutzes, als qualifizierte Verbände und aktivlegitimierte Mitbewerber eine Durchsetzung der Ansprüche aus unlauter angebahnten Verträgen gerade dann unterbinden können, wenn die betroffenen Kunden hinsichtlich des Vertragsschlusses selbst (und damit auch hinsichtlich ihrer individuellen Rechtsposition) in Irrtümern befangen sind. Das Wettbewerbsrecht greift in diesen Konstellationen zutreffend gerade in dem Sinne ein, daß eine Durchsetzung der auf diesem Wege erlangten Ansprüche nur unter der Bedingung möglich ist, daß die hinsichtlich ihrer individuellen Rechtslage in einem fortdauernden
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Irrtum befindlichen Kunden seitens des Unternehmers zuvor über die Tatsache der unlauteren Vertragsanbahnung aufgeklärt werden. d) Auch mit Blick auf Teilbereiche der zweiten identifizierten strukturellen Durchsetzungslücke des Vertragsrechts – dem Problem bagatellartig minimaler Vertragsverletzungen – läßt sich ein entsprechend zielgenaues Eingreifen des Wettbewerbsrechts in etablierte Vertragsbeziehungen feststellen.
3. a) Trotz dieses – in der hier angestellten Untersuchung in einem Grundsatz durchsetzungsorientierter Subsidiarität modellierten – Eingreifens des Wettbewerbsrechts, gerade um strukturelle Durchsetzungslücken des Individualvertragsrechts zu schließen, bleiben unter dem ordnungspolitischen Blickwinkel effektiver Rechtsdurchsetzung einzelne faktische Durchsetzungslücken. Insbesondere das Problem mangelnder Anreize zur Rechtsdurchsetzung mit Blick auf Bagatellschäden läßt sich nämlich auch mit den Mitteln wettbewerbsrechtlicher Durchführungsverbote nicht vollständig lösen. Denn diese können nur aushelfen, wenn die Durchführung unlauter angebahnter Vertragsbeziehungen unter systematischer Nutzung beim Kunden verursachter Fehlinformation seitens des unlauter handelnden Unternehmers noch aussteht. Ist demgegenüber ein Bagatellschaden beim Kunden schon entstanden, den dieser aber wegen seiner Geringfügigkeit typischerweise nicht geltend macht, können durch das Wettbewerbsrecht sanktionierte Dritteingriffe in das Vertragsverhältnis allenfalls sehr begrenzt aushelfen. Damit ist als die eigentlich verbleibende Schutzlücke im vertragsrechtlichen Kundenschutz das rein durchsetzungsbezogene Bagatellproblem mit Blick auf minimale, durch unlauteren Wettbewerb verursachte Schäden identifiziert. b) Da sich dieses faktisch-ordnungspolitische Durchsetzungsproblem durch neue Individualansprüche im Wettbewerbsrecht gerade nicht lösen ließe, ist die Schaffung derartiger neuer Schadensersatzansprüche oder Vertragslösungsrechte nicht geboten. Die diesbezügliche Zurückhaltung des UWG-Reformgesetzgebers war vollumfänglich gerechtfertigt. c) Zutreffenderweise muß eine Lösung des identifizierten Durchsetzungsproblems vielmehr im Prozeßrecht ansetzen. Mithin ergibt sich – aus der begrenzten Perspektive der hier angestellten Untersuchung – die Forderung nach einem Ausbau der zivilprozessualen Möglichkeiten, gleichgerichtete Interessen – insbesondere auch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen – im Prozeß zu bündeln. d) Aus der Sicht des Gesamtsystems aus Vertrags- und Wettbewerbsrecht würde eine derartige durchsetzungsbezogene Effektivierung der zivilrechtlichen Rechtsbehelfe, insbesondere der kollektiven Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf Grundlage von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB in Massenfällen, dazu führen, daß die zivilrechtlichen Kundenschutzinstrumente in ihrer bereits nach derzeitigem Stand vorhandenen reflexartig systembezogenen Ordnungsfunktion
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noch erheblich aufgewertet würden. Denn die zielgenauen Instrumente individuellen Kundenschutzes würden, sofern sie seitens der betroffenen Kunden auch effektiv eingesetzt werden könnten, zugleich mehr als bisher ihr Potential zur dezentralen Wettbewerbssteuerung durch negative Verhaltensanreize aufgrund individueller Sanktionierung unlauterer Vertragsanbahnung entfalten. e) Zusammen mit den hier unterbreiteten Vorschlägen zum sorgsam begrenzten wechselseitigen Abgleich zivilrechtlicher mit lauterkeitsrechtlichen Maßstäben zur typisierten Konkretisierung des Verkehrsverständnisses und des vorindividuell-vorvertraglichen Pflichtenprogramms, könnte dies künftig die allgemeine Rechtsgeschäftslehre und die schuldrechtlichen Vorschriften des BGB – ähnlich wie dies schon im Bereich typisierten Verbraucherschutzes der Fall ist – ganz allgemein für den Kundenschutzbereich in ihrer dezentral wettbewerbssteuernden institutionellen Ordnungsfunktion stärken.
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4. Kapitel: Die mittelbar-autonome wechselseitige normative Beeinflussung
Fazit und Perspektive Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung finden sich in den ausführlichen Zusammenfassungen der vier vorstehenden Kapitel in thesenartig gegliederter Form zusammengestellt. Insofern soll es im folgenden nurmehr darum gehen, die allerwesentlichsten Grundgedanken und Resultate der Studie zu resümieren, sie in den größeren Kontext der derzeit zu beobachtenden Entwicklungstrends des Wettbewerbs- und Vertragsrechts einzuordnen, und auf dieser Basis denkbare künftige Entwicklungslinien andeutungsweise fortzuzeichnen. Das wesentlichste, in dieser Untersuchung induktiv erarbeitete und dann der Untersuchung des Verhältnisses von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht prämissenhaft zugrundelegte Prinzip – der interessenorientiert-funktional begrenzte normative Gleichmaßgrundsatz bezüglich der Wertungen in Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht – wurde durch die vorstehende detaillierte Analyse wertungsmäßiger Überschneidungsfelder beider Rechtsgebiete in seinen Möglichkeiten und Grenzen bestätigt und rechtsanwendungsbezogen konkretisiert. Demzufolge sind die Wertungen in beiden Rechtsgebieten entgegen der bisher herrschenden Meinung nicht nur innerlich aufeinander abzustimmen, sondern sie sind vielmehr im Rahmen des Gleichmaßgrundsatzes sogar zur Deckung zu bringen, wo es an einer interessenorientiert-funktionalen, konkreten Rechtfertigung abweichender Maßstäbe fehlt. Zum Zwecke der demnach notwendigen, konkret interessenorientierten Analyse der Funktionen der jeweiligen lauterkeits- und vertragsrechtlichen Regelungskomplexe wurde der Untersuchung ein Vier-Ebenen-Modell zugrundegelegt, in dem die wesentlichen Funktionen des Vertrags- und Lauterkeitsrechts für die hier interessierenden Überschneidungsbereiche in die folgenden Ebenen eingeteilt sind: Schutz der Entscheidungsgrundlage der Kundenseite, Schutz des Entscheidungsprozesses der Kundenseite, Schutz vor Externalitäten bestimmter Marketingformen und schließlich die Ebene echter paternalistischer Eingriffe durch das Recht. Besonders weitreichende Bedeutung erlangt der Gleichmaßgrundsatz in denjenigen Bereichen, in denen dem deutschen Zivilrecht unter europäischem Einfluß eine explizite, über die Regelung des individuellen vorvertraglichen und vertraglichen Interessenausgleichs hinausreichende eigenständige marktbezogene Ordnungsfunktion zugewachsen ist. Insbesondere das Verbrauchervertriebsrecht der §§ 312 ff. BGB enthält neben seiner individualschützenden Funktionalität explizit marktsteuernde Zielsetzungen. Die sich daraus ergebenden wettbewerbsbezogenen Wertungen sind auch im Wettbewerbsrecht zu akzep-
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tieren. Abschließend sind sie jedoch nur bezüglich des erstrebten Schutzes der Entscheidungsgrundlage und des Entscheidungsprozesses der Verbraucher (erste zwei Ebenen des hier zugrundegelegten Vier-Ebenen-Modells). Bezüglich des Schutzes sonstiger Interessen der Verbraucher, insbesondere des Belästigungsschutzes (im Vier-Ebenen-Modell der Externalitäten bestimmter Marketing- und Vertriebsmethoden), wohnt den Regelungen der §§ 312 ff. BGB nur eine begrenzte Wertung inne, die aber wiederum teilweise im Wettbewerbsrecht zu rezipieren ist, soweit insbesondere der gewährleistete Schutz der Entscheidungsfreiheit zugleich dezentral marktsteuernde Negativanreize setzt, die das Belästigungsproblem mit den Mitteln des Marktes zum Teil bereits zu lösen vermögen. Im Sinne eines holzschnittartig zugespitzten Résumés formuliert, ließe sich von einem Wechselspiel situationsspezifischer Regelungen im vertriebsbezogenen Verbraucherrecht mit dementsprechend ermöglichten und zunehmend ausgeschöpften Liberalisierungspotentialen im Wettbewerbsrecht sprechen. Darüber hinaus entfaltet der Gleichmaßgrundsatz ein besonderes Potential für die Rechtsanwendung insbesondere in denjenigen Bereichen, in denen sich im Vertragsrecht letzthin (wiederum auch unter europäischem Einfluß) immer zunehmend Einfallstore für die Rezeption typisierter, am Maßstab der massenhaft werblich geprägten Verkehrserwartung ausgerichteter Elemente finden. Das archetypische und in dieser Untersuchung schwerpunktmäßig behandelte Beispiel bildet die gesetzliche Neugestaltung des Kaufrechts. Für den hier interessierenden Zusammenhang stand ganz die Bestimmung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB im Mittelpunkt. Diese Regelung hat im dogmatischen Gewand einer gesetzlichen Typisierung der Beschaffenheitsvereinbarung eine über die bisherigen Ansätze der Rechtsprechung im Rahmen konkludenter Beschaffenheitsvereinbarungen hinausgehende, massiv aufgewertete Orientierung der Einzelheiten des kaufvertraglichen Pflichtenprogramms an vorindividueller, massenhaft-werblicher Beeinflussung der Kundenseite gebracht. Nimmt man den typisierenden Charakter des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ernst, wie ihn ja auch die dogmatische Verankerung im verobjektivierenden Element kaufvertraglicher Beschaffenheitsvereinbarungen im Rahmen des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB unterstreicht, so ergeben sich bei der Bestimmung der durch öffentliche Werbeangaben geprägten Verkehrserwartung, ihrer Relevanz für den Kaufentschluß und zahlreicher weiterer Problemfelder der zivilrechtlichen Interpretation des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB Möglichkeiten der Entlehnung wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe (insbesondere des Irreführungsschutzes) zur Konkretisierung des durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB umrissenen Elements typisierter Wertung im Vertragsrecht. Die Grenzen derartiger Entlehnungen bestimmen sich einerseits von zivilrechtlicher, andererseits von wettbewerbsrechtlicher Seite. Aus der Sicht des Vertragsrechts umreißen die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen zunächst in einem ersten Schritt trennscharf die Bereiche, in denen überhaupt im Zivilrecht auf typisiert an der massenhaften Verkehrsauffassung ausgerichtete Elemente zurückgegriffen werden darf (in dieser Studie als „Wasser und Öl“-Ansatz bezeichnet). Innerhalb dieser Bereiche kann es dann zu einer
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Wechselwirkung mit wettbewerbsrechtlichen Wertungen des Irreführungsschutzes kommen, wobei der Maßstab einer Orientierung am normativen Leitbild eines europäischen Durchschnittsverbrauchers aufgrund der im Hintergrund stehenden Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie vom Zivilrecht zusätzlich vorgegeben wird. Auf dieser eingehegten und gesicherten Grundlage kann schließlich für die weitere Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe in § 434 Abs. 1 S. 3 BGB auf wettbewerbsrechtliche Kriterien und das Richterrecht des Irreführungsschutzes zurückgegriffen werden. Eine letzte Grenze ergibt sich dabei allerdings auch noch aus wettbewerbsrechtlicher Sicht: Es ist eine funktional-interessenorientierte Differenzierung vorzunehmen, die dazu führt, daß lediglich diejenigen wettbewerbsrechtlichen Maßstäbe, die tatsächlich schwerpunktmäßig an den Interessen des kollektiven Verbraucher- und Kundenschutzes orientiert sind, herangezogen werden dürfen. Bereiche, in denen im Wettbewerbsrecht der Aspekt des Mitbewerberschutzes überwiegt, kommen demgegenüber für die Konkretisierung zivilrechtlicher Bestimmungen, die auf die massenhaft werblich geprägte Beeinflussung gerade der Marktgegenseite abstellen, naturgemäß nicht in Betracht (funktional-interessenorientiert begrenzter normativer Gleichmaßgrundsatz). Die Rückwirkungen der durch die Neuregelung des Kaufrechts in diesem Bereich vorgegebenen individualrechtlichen Aufwertung massenhaft-vorindividueller werblicher Beeinflussung der Kundenseite auf die Prinzipienebene des deutschen Vertragsrechts sind nach der hier entwickelten Auffassung – soweit sie tatsächlich reichen – auch im Rahmen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des allgemeinen Schuldrechts zu berücksichtigen. Dies ist auch geboten, um aufbrechende Wertungswidersprüche zwischen dem Bereich des Kaufrechts, der diesbezüglich auf europäischen Anstoß vorangeschritten ist, und anderen Vertragsformen des besonderen Schuldrechts zumindest abzumildern. Entsprechende Resultate wurden für den Bereich der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums, Teilbereiche des § 123 Abs. 1 BGB und insbesondere – und mit Abstand am wesentlichsten – für den Bereich des gesetzlichen Schuldverhältnisses der vorvertraglichen Sonderverbindung gem. §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB in detaillierter und differenzierter Form herausgearbeitet. In all diesen Bereichen kommt in größerem Umfang als von der bisher herrschenden Meinung befürwortet eine Wechselwirkung lauterkeitsrechtlicher und vertragsrechtlicher Maßstäbe in Betracht. Ein essentieller Effekt ergibt sich nach der hier entwickelten Auffassung insbesondere bezüglich der Schadensersatzhaftung aus §§ 311 Abs. 2 oder 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB. Unter bestimmten Voraussetzungen können demnach schon die werbliche Ansprache des Kunden durch den Verkäufer sowie auch – insbesondere in den durch § 434 Abs. 1 S. 3 BGB ceteris paribus abgesteckten Grenzen – die Verbreitung werblicher Informationen durch bestimmte Dritte ein vorvertragliches Vertrauensschuldverhältnis etablieren, sofern nur letztlich ein werblich angesprochener Kunde individuell und mit allgemeinem Vertragsanbahnungswillen auf die entsprechende werbliche Ansprache eingeht. Ist diese letztgenannte Voraussetzung erfüllt, so ist bereits der werbliche Anbahnungsakt
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als solcher den (in diesem Bereich latent vorwirkenden) Sonderpflichten aus §§ 311 Abs. 2 oder 3, 241 Abs. 2 BGB zu unterwerfen. Für den diesbezüglichen (dann unumgänglich typisiert zu bestimmenden) Pflichtenmaßstab bezüglich der Handlungen des Werbenden kann in einer – wiederum durch das Zivilrecht „gefilterten“ – interessenorientiert differenzierten Art und Weise auch auf das Pflichtenprogramm der wettbewerbsrechtlichen besonderen „Verkehrssicherungspflichten“ zurückgegriffen werden. Allerdings ist die Analyse des Schutzzwecks der wettbewerbsrechtlichen Pflichten mit Blick auf die Fragestellung, ob und inwieweit diese tatsächlich schwerpunktmäßig kollektiven Interessen des Verbraucherund Kundenschutzes dienen und daher auch den Bereich legitimen typisiert-vorvertraglichen Vertrauens der Verkehrsteilnehmer auf der Marktgegenseite zu umreißen vermögen, in diesem weiteren Feld besonders sorgsam vorzunehmen. Auch gestaltet sich das Verhältnis vorvertraglicher und wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe in diesem Bereich insgesamt noch mehr als im enger begrenzten Rahmen des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB nach Art einer Wechselwirkung. So vermag nicht nur das wettbewerbsrechtliche Pflichtenprogramm typisiert vorindividuelle Kriterien für den Bereich der latent vorwirkenden Pflichtenbindung aus §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB zu liefern. Vielmehr können auch umgekehrt die etablierten vorvertraglichen Wertungen des Schutzes der Entscheidungsfreiheit und sonstiger Kundeninteressen in der vorvertraglichen Sonderbeziehung dem Wettbewerbsrecht bestimmte Grenzen normativ gebotenen kollektiven Verbraucher- und Kundenschutzes aufzeigen und solcherart den letzthin im Wettbewerbsrecht in vielen Bereichen zu beobachtenden Liberalisierungstrend von überraschender Seite dogmatisch flankieren. Entsprechende Maßstäbe und Eingrenzungen der Gültigkeit des Gleichmaßgrundsatzes und Einzelheiten der Wechselwirkung der normativen Wertungen wurden in dieser Studie entwickelt, wobei insbesondere auch auf Rechtsfolgenseite die haftungsausfüllende Voraussetzung des Schutzzweckzusammenhangs in §§ 249 ff. BGB entscheidende Dienste leistet, um eine interessengerechte Differenzierung und Begrenzung der hier befürworteten vorvertraglichen Schadensersatzhaftung für durch Werbung kausal verursachte Schäden der Kunden zu ermöglichen. Unübersehbar liegt in der demnach faktisch vorgeschlagenen teilweisen Vorverlagerung einer besonderen Pflichtenbindung aus der vorvertraglichen Sonderbeziehung schon auf die vorindividuelle werbliche Beeinflussung der Kundenseite eine gewisse Entindividualisierung des vorvertraglichen Pflichtenmaßstabs. Zumal die konsequenterweise gebotene Orientierung des diesbezüglichen vorindividuellen Pflichtenprogramms an typisierten wettbewerbsrechtlichen Maßstäben bringt schließlich – trotz sämtlicher eingebauten Begrenzungen und Differenzierungen, die den hier entwickelten Vorschlag (im teilweisen Unterschied zu früheren, noch radikaler ausgerichteten Lösungsansätzen in diesem Bereich) fest und widerspruchsfrei in das zivilrechtliche Vertragsrechtsystem einbinden – unvermeidbar eine Typisierung und letztlich Institutionalisierung des gesetzlichen Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo mit sich. Doch fügt sich diese behutsame Fortentwicklung in
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die derzeitigen Entwicklungstrends in diesem Bereich durchaus stimmig ein. Zum einen entspricht die Orientierung an typisierten Maßstäben des wettbewerbsrechtlichen Pflichtenprogramms dem faktisch-ökonomisch zu konstatierenden Trend zum institutionalisierten Systemvertrauen der Verkehrsteilnehmer in modernen Massenverkehrssystemen, die ihre individuellen Vertrauensdispositionen weniger an der vorvertraglich individualisierten Orientierung am Verhalten eines bestimmten Vertragspartners ausrichten, als vielmehr ihr Vertrauen in die Verläßlichkeit des rechtlichen Rahmens des Verkehrssystems setzen. Zum anderen entspricht der hier vorgeschlagene begrenzte Ausbau der Schadensersatzhaftung aus vorvertraglicher Sonderbeziehung auch auf bestimmte – gerade durch die Wertung des § 434 Abs. 1 S. 3 BGB identifizierbare – besonders zentrale Bereiche vorvertraglicher werblicher Beeinflussung der Käuferseite unübersehbar der Konzeption und den Entwicklungstrends des europäischen Rechts. Tatsächlich beginnt an den Schnittstellen europäisch harmonisierten Verbrauchervertragsrechts und mitgliedstaatlichen Zivilrechts ein entsprechend institutionalisiertes Verständnis individueller vertragsrechtlicher Regelungen bereits in das Vertragsrecht der Mitgliedstaaten hineinzuwachsen, wie dies eindrücklich und aktuell die zuletzt ergangene EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Schulte ./.Badenia illustriert. Das Individualvertragsrecht wird auf diese Weise in seiner Rolle bei der dezentralen Steuerung des Verkehrssystems durch effektive Sanktionierung unternehmerischer Pflichtverstöße wahrgenommen und die Bedeutung dieses Aspekts wird unter dem Einfluß des europäischen Effektivitätsgrundsatzes – wie er die Ausgestaltung der Schnittstelle harmonisierten Rechts mit allgemeinem mitgliedstaatlichen Zivilrecht in der Rechtsprechung des EuGH beherrscht – künftig unvermeidbar noch wachsen. Da sie den Faktizitäten modernen Massenverkehrs in durchaus realitätsgerechter Weise entspricht, ist diese Entwicklung (mit gewissen Vorbehalten) auch zu begrüßen. Die Anknüpfung individuellen Vertrauens und damit letztlich – im Ansatz der hier entwickelten Lösung vermittelt über §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB – auch individueller Schadensersatzansprüche der Kundenseite an Pflichtverstöße im Bereich vorindividuellen Wettbewerbshandelns ist insbesondere berechtigt, wenn und soweit den entsprechenden Pflichten – seien sie systematisch im Verbrauchervertragsrecht oder im Wettbewerbsrecht verankert – ein entsprechender Schutzzweck zugesprochen werden kann. Die hierfür notwendige Schutzzweckanalyse nicht nur der wettbewerbsrechtlichen, sondern auch der zahlreichen in den Bereich vorindividuellen Handelns vorausreichenden verbrauchervertragsrechtlichen Pflichten – insbesondere der zahlreichen Informationspflichten gemeinschaftsrechtlicher Provenienz – wurde in dieser Untersuchung auch durchgeführt. Dabei hat es sich erwiesen, daß der diesbezügliche Pflichtenrahmen stets dann relativ unproblematisch mit individuellen Sanktionen versehen werden kann, die zugleich auch seine indirekte Steuerungswirkung für das Verkehrssystem unverzerrten, freien Wettbewerbs noch zusätzlich stärken, wenn der Maßstab (insbesondere der Informationspflichten) sich dezentral-prozedural und situationsspezifisch am Schutz der Entscheidungsfreiheit des einzelnen Kunden
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ausrichtet. Zumal die im Rahmen der jeweiligen Generalklauseln richterrechtlich entwickelten, ungeschriebenen Aufklärungspflichten des Wettbewerbsrechts und der zivilrechtlichen vorvertraglichen Informationshaftung und ihre fallgruppenartigen Typisierungen sind insofern für eine individuelle Sanktionierung geeignet und zudem in ihrem Einfluß auf das Verkehrssystem deshalb positiv zu beurteilen, weil sie in der Rechtspraxis in einem systemtheoretischen Sinne dezentral, „von unten herauf“ gewachsen und in Fallgruppen strukturiert worden sind und solcherart gerade die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs aufgrund der empirischen Entwicklung und Ausziselierung des Richterrechts reflektieren. Demgegenüber ist der gerade im sekundären Gemeinschaftsrecht gelegentlich zu beobachtende Versuch, derartige Pflichten – insbesondere im Interesse rein institutioneller Zielsetzungen, wie etwa einer Erhöhung der Markttransparenz als solcher – als katalogartig zwingenden Rahmen des Marketings und Vertriebs in bestimmten Bereichen oder gar generell für Verbrauchergeschäfte sozusagen „von oben herab“ festzulegen, in der Regel weitaus problematischer, weil die Steuerungswirkung derartiger Pflichten im ergebnisoffenen System freien Wettbewerbs nicht verläßlich prognostiziert werden kann. Um diesen Gedankengang thesenartig zugespitzt zu formulieren: Auch das Systemvertrauen der Verkehrsteilnehmer (und an eine Verletzung dieses Systemvertrauens durch pflichtwidriges Verhalten geknüpfte Individualansprüche der Kundenseite) können sich sinnvoll nur an dezentral gewachsenen, ungeschriebenen Pflichten sowie darüber hinaus noch an denjenigen zwingenden Verbraucherschutzpflichten und wettbewerbsrechtlichen Pflichten ausrichten, die dem situationsspezifischen Individualschutz der Entscheidungsfreiheit oder sonstiger Interessen der Kundenseite in empirisch erkennbaren und typisierbaren Gefährdungssituationen dienen. Wird demgegenüber versucht, die institutionellen Bedürfnisse des Verkehrssystems als solche zur Grundlage zwingender Pflichten im Wettbewerbs- oder Verbraucherrecht zu nehmen, die den Marktprozeß (zumal die Marktkommunikation) durch zwingendes Recht sozusagen von vornherein kanalisieren oder „standardisieren“ wollen, so sind derartige Ansätze (wie es in dieser Untersuchung in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen belegt wurde) in ihrer Steuerungswirkung zumeist zweifelhaft, laufen gar Gefahr zu zusätzlichen Wettbewerbsbeschränkungen zu führen und sind daher – soweit bereits vorhanden – jedenfalls nicht durch Gewährung individueller Rechtsfolgen zusätzlich zu sanktionieren. Insoweit genügt dann vielmehr die „institutionelle“ Sanktionierung durch Mitbewerber- und Verbandsklagen im Wettbewerbsrecht sowie durch Verbraucherverbandsklagen im Zivilrecht. Die solcherart in dieser Studie fortentwickelte Dogmatik „passender“ Rechtsfolgen für gemeinschaftsrechtliche Informationspflichten – gleich ob verbrauchervertragsrechtlicher oder lauterkeitsrechtlicher Natur – mag zugleich dazu dienen, für eine allfällige sekundärrechtliche Regelung dieses Bereichs im europäischen Rahmen gewisse Denkanstöße zu geben. Eine solche europäische Regelung wäre deshalb dringend zu wünschen, weil die Alternative zu einem legislativen Tätigwerden des Gemeinschaftsgesetzgebers realistischerweise nicht etwa in der Beibehaltung des diesbe-
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züglichen status quo liegt, sondern vielmehr in einer (wiederum alles andere als unproblematischen) und bereits rasant fortschreitenden Ausgestaltung dieses Schnittstellenbereichs durch den EuGH auf der zur Erzielung interessengerechter Ergebnisse nicht uneingeschränkt geeigneten, weil zu limitierten methodologischen Grundlage des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes. Der hier für das deutsche Recht vorgeschlagene Ausbau vorvertraglicher und vertraglicher Instrumente für den individuellen Kundenschutz der von unlauterem Wettbewerb betroffenen Verbraucher und Kunden führt dazu, daß im System des deutschen Vertragsrechts in diesem Zusammenhang keine tatbestandlichen „Schutzlücken“ mehr zu finden sind. Insbesondere die Forderung nach neuen, spezialgesetzlichen Vertragsauflösungsrechten oder Schadensersatzansprüchen im Wettbewerbsrecht ist daher nicht berechtigt. Wohl aber lassen sich (unter dem Blickwinkel des ordnungspolitischen Gedankens effektiver Rechtsdurchsetzung) im Vertragsrecht strukturelle Durchsetzungslücken aufgrund bestimmter durchsetzungsbezogener Informationsasymmetrien sowie insbesondere auch aufgrund der Problematik mangelnder Anreize für die Rechtswahrnehmung in Bagatellfällen identifizieren. Tatsächlich sind dies bemerkenswerterweise zumeist gerade diejenigen Bereiche, in denen das Wettbewerbsrecht ausnahmsweise Dritten (Mitbewerbern und den einschlägigen Verbänden und qualifizierten Einrichtungen der Mitbewerber und Verbraucher) den lauterkeitsrechtlich sanktionierten Eingriff in etablierte individualvertragliche Beziehungen gestattet. Idealerweise ist dabei der wettbewerbsrechtliche Dritteingriff bei grundsätzlichem Primat der vertragsrechtlichen Regelung der Sonderbeziehung gerade auf diejenigen Situationen und auf dasjenige Maß zu begrenzen, welches notwendig ist, um die von unlauterem Wettbewerb in der Vertragsanbahnung betroffenen Verbraucher und Kunden instand zu setzen, ihre individuellen vertragsrechtlichen Rechte und Ansprüche selbst effektiv wahrzunehmen. Tatsächlich läßt sich die gesamte Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums auf vertragsbezogenes unternehmerisches Handeln in einem derartigen Modell durchsetzungsbezogener Subsidiarität des Wettbewerbsrechts zum Vertragsrecht mit Blick auf die rechtliche Beurteilung unternehmerischen Handelns im Rahmen der Erfüllung und Durchsetzung vertraglicher Ansprüche sinnvoll erklären. Das Wettbewerbsrecht hilft demnach gerade, einzelne der in dieser Untersuchung identifizierten strukturellen Durchsetzungslücken des Vertragsrechts durch die Gestattung entsprechend zielgerichteter Eingriffe in ihren Interessen betroffener Dritter in etablierte Vertragsbeziehungen zu schließen. Soweit dennoch – insbesondere im ordnungspolitisch problematischen Feld der Bagatellschäden – strukturelle Durchsetzungslücken des vertragsrechtlichen Instrumentariums verbleiben, wurde in dieser Untersuchung der Ausbau zivilprozessualer Instrumente zur Bündelung insbesondere gleichgerichteter Schadensersatzansprüche des bürgerlichen Rechts angeregt. Würde solcherart auch die faktische Durchsetzung der hier vorgeschlagenen, behutsam und systemkonform ausgebauten vertragsrechtlichen Schadensersatz- und Erfüllungsansprüche von
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unlauterem Wettbewerb betroffener individueller Verbraucher und Kunden effektiviert, so könnte das Vertragsrecht sein Potential zur dezentralen Steuerung des Systems lauteren und freien Wettbewerbs künftig wohl sogar noch besser ausschöpfen als bisher.
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Sachverzeichnis Abgrenzung des Vertragsrechts vom Wettbewerbsrecht 238 ff.; 1046 ff. – Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts nach Vertragsschluß 580 ff., 597 ff., 609 ff., 1046 ff. – durchsetzungsorientierte Subsidiarität des Wettbewerbsrechts 1046 ff. – Gesamtkonzepttheorie des BGH 534, 581, 1036 ff. – „Multiplikatoreffekt“ unternehmerischen Handelns als generelles Abgrenzungskriterium 238 ff. – ordnungspolitische Durchsetzungsperspektive als Abgrenzungsprinzip 1032 ff. – spezifisch funktional-interessenorientierte Abgrenzung 249 ff., 280, 1078 f., 1086 – Vertragsschluß als Zäsur 244 f., 434, 457, 580 ff., 597 ff. – vorvertragliche Sonderverbindung als Umschlagpunkt der Pflichtenstruktur 245 ff., 434, 474 – und vertragsbezogenes Handeln 580 ff., 597 ff., 609 ff., 1046 ff. – und wettbewerbsrechtliche Durchsetzungsverbote 534, 1036 ff. action directe s. Direktanspruch Adam Smith 16 ff., 40 f., 43, 46 f., 51 administrative Effizienz 116 ff., 139, 279 Allgemeine Geschäftsbedingungen 65, 111 f., 201 ff., 364 f., 548 ff., 591, 607 f., 651 Allgemeininteressen – im Lauterkeitsrecht 222 ff., 313 f., 902 ff. – im Vier-Ebenen-Modell und mit Blick auf den Gleichmaßgrundsatz 273 ff. – zwingende, als Rechtfertigungsgrund im Europarecht 370 f., 410 ff., 420 ff., 518 Anfechtung und wettbewerbsrechtliche Maßstäbe
– – – –
Allgemein 42, 131, 185, 238, 532, 817 ff. arglistige Täuschung 863 ff. Beweislast 852 f. und culpa in contrahendo in der Schuldrechtsreform 869 ff., 881 ff. – Drohung, widerrechtliche 885 ff. – Eigenschaftsirrtum 822 ff. – von Einwilligungen in belästigende Werbung 547 f. – Konkurrenz zur Sachmängelhaftung 855 ff. – und Mängelhaftung nach § 434 I 3 830 ff., 850 ff. – Motivirrtum 822 ff. – Preisirrtum s. Wertirrtum – als Rechtsfolge einer Verletzung der Informationspflichten nach §§ 312 ff., 713 f., 723 f. – als Rechtsfolge einer Verletzung lauterkeitsrechtlicher Informationspflichten nach der neuen Lauterkeits-RL 731 ff. – Schnittfelder mit dem und Verhältnis zum Wettbewerbsrecht 817 ff., 843 ff., 863 f., 883 f., 887, 891 f. – verkehrswesentliche Eigenschaft 834 ff. – Vorsatzdogma 876 ff. – und Werbeangaben 830 ff. – Wertirrtum 838 ff. Anomalien (im Verhalten der Marktteilnehmer) 92, 123 ff., 268 f., 278, 314 f., 673, 690 Ansprechen in der Öffentlichkeit s. belästigende Werbung Anwendbarkeit, des Wettbewerbsrechts nach Vertragsschluß s. Abgrenzung des Vertragsrechts vom Wettbewerbsrecht arglistige Täuschung s. Anfechtung Aufklärungspflichten, vorvertragliche s. Informationspflichten
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Aufklärungspflichten, wettbewerbsrechtliche s. Informationspflichten Ausnutzen – von Gefühlen 104 f., 137, 685, 693 f., 695 ff., 987 ff. – von Rechtsunkenntnis 602 ff., 611 – von Spiellust 693 f., 695 ff. – von Zwangslagen 643 f., 885 ff., 908 ff., 987 ff., s. auch Drohung Bagatellklausel, wettbewerbsrechtliche – und Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf vertragsbezogenes Handeln nach Vertragsschluß 590 ff. – und Auswirkung auf den unverfälschten Wettbewerb 669 ff. – und besondere Vertriebsformen 666 ff. – und Verhältnis zu den Beispielstatbeständen 638 ff., 640 ff., 1062 Bagatellschäden 1047 ff., 1056 ff. belästigende Werbung – und Einwilligung 540 ff. – durch E-Mails und Telefaxe 702 f. – durch Haustürbesuche 654 ff., 678 ff. – und innerer Zusammenhang mit der Regelung besonderer Vertriebsformen im BGB 653 ff., 678 ff., 1064 f. – und mutmaßliche Einwilligung 557 ff., 674 – durch Telefonanrufe 702 f. – durch unerlaubtes Ansprechen in der Öffentlichkeit 687 ff. Berichtigung, gleichwertige (in § 434 I 3) – im Rahmen vorvertraglicher Informationshaftung aus culpa in contrahendo 967 – und presserechtlicher Gegendarstellungsanspruch 793 – und wettbewerbsrechtliche Maßstäbe 792 ff., 1067 besondere Vertriebsformen – europäische Harmonisierung der 419 f., 438 ff., 443 ff., 455 ff. – Gleichmaßgrundsatz hinsichtlich besonderer Vertriebsformen und Wettbewerbsrecht 728 f., 809 ff., 1063 ff. – rechtsfolgenspezifische Analyse der Informationspflichten und Verhältnis zum Wettbewerbsrecht 711 ff., 1065 f.
– Regelung von Widerrufsrechten im BGB und liberalisierende Rückwirkung auf das Wettbewerbsrecht 653 ff., 1063 ff. – Überlegenheit dezentraler Steuerung gegenüber zwingender institutioneller Regelung 728 f., 1064, 1069 – und Überschneidung mit Wettbewerbsrecht hinsichtlich Verbraucherbegriff 620 f. – im Vier-Ebenen-Modell 265 ff., 267 bounded rationality s. eingeschränkte Rationalität Chicago School 28 ff. commercial speech, Schutz nach der EMRK 327 ff. Culpa in contrahendo – Allgemein 185 f., 244 ff., 924 ff. – und Grundfreiheiten des EG-Vertrags 374 f. – Haftung Dritter (z.B. werbender Hersteller) nach § 311 Abs. 3 936, 948 ff., 1021, 1027 ff. – Haftungsumfang nach §§ 249 ff. 1011 ff. – und Informationspflichten der Lauterkeits-Richtlinie 731 ff. – Kausalitätsbeweis 1014 f. – Konkurrenz zum Gewährleistungsrecht 1022 f., 1027 f. – und lauterkeitsrechtliche Beurteilungsmaßstäbe hinsichtlich des Pflichtenprogramms 945 ff., 969 ff., 999 ff. – und lauterkeitsrechtliche Informationspflichten 969 ff., 975 ff. – und psychologischer Kaufzwang (im Lauterkeitsrecht) 987 ff. – Schadensersatz bei zustandegekommenem Vertrag 1022 ff. – Schadensersatz bei nicht zustandegekommenem Vertrag 1016 ff. – und Sicherung der informationellen Entscheidungsgrundlage 969 ff. – und Sicherung des unbeeinflußten Entscheidungsprozesses 985 ff. – und typisiertes Vertrauen 186, 198 ff., 206 ff., 929 f., 940, 944, 945 ff., 951 ff. – und Verantwortlichkeit der Hersteller für Werbeangaben 951 ff.
Sachverzeichnis
– und Sanktionierung verbraucherschützender Informationspflichten 715 ff. – Verhältnis zur Anfechtung 869 ff. – Vorsatzdogma 876 ff. – vorvertragliche Sonderverbindung durch Werbung, Begründung der und werbliche Vertragsanbahnung 928 ff., 941 ff. dezentrale Steuerung durch Sicherung der Entscheidungsfreiheit, Überlegenheit der gegenüber zwingenden Eingriffen in den Markt 728 f., 1064, 1069 Direktanspruch, gegen Werbenden bei Herstellerwerbung und Werbung sonstiger Dritter (§ 434) 948 ff., 951 ff., 958 ff. Drohung s. Anfechtung Drückerkolonnen s. Werbekolonnen Durchsetzungsverbot, wettbewerbsrechtliches 534, 1036 ff. Durchschnittsverbraucher s. Verbraucherleitbild Durchsetzungslücken 534, 538, 570, 576, 587 f., 591, 600, 604, 606, 608 ff., 807 f. – strukturelle als Paradigma für das Verhältnis von Wettbewerbs- und Vertragsrecht 1032 ff. ebay s. Internet-Versteigerung E-Commerce 192 f., 200, 385 ff., 441, 692 ff., 715 ff., 722 ff., 1065 f. E-Commerce-Richtlinie 191, 385 ff., 438 ff., 443 ff., 456 ff. EG-Vertrag s. auch Europäischer Gerichtshof, Grundfreiheiten – und unlauterer Wettbewerb 340 ff. – und Vertragsfreiheit 347 ff. – wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen im 340 ff. E-Mail-Werbung s. belästigende Werbung Eigenschaftsirrtum s. Anfechtung eingeschränkte Rationalität 119 ff. Einwilligung – Abschluß und Inhaltskontrolle von 548 ff. – und Anwendbarkeit der Normen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre 545 ff. – in belästigende Werbung s. belästigende Werbung – mutmaßliche 557 ff., 674
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Entindividualisierung – und Aufweichung des Kriteriums der Sonderverbindung im Vertragsrecht 186, s. auch culpa in contrahendo – und Auslegung von Werbeangaben im Kaufrecht 751 ff., 754 ff. – im europäischen Verbraucherschutzrecht 455 ff., 507 f. – des Haftungsmaßstabs in der Verbrauchsgüterkauf-RL 475 ff., 491 ff., 507 f. – des Schuldrechts 198 ff. – und Typisierung des Pflichtenprogramms im Rahmen der culpa in contrahendo 945 ff. Entscheidungsgrundlage, informationelle, Schutz der – Allgemein 685 – im Anfechtungsrecht 818 ff., 822 ff., 863 ff., 883 ff., 891 f. – und Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf vertragsbezogenes Handeln 595, 611 – und culpa in contrahendo 924 ff., 969 ff. – und Durchsetzungslücken im Individualschutz 1032 ff., 1034 f., 1036 ff., 1052 – im europäischen Recht 344 f., 365 f., 409 f., 412 ff., 418 f., 425, 432 f., 506 f., 514, 518 – im Fernabsatz und E-Commerce 692 ff., 711 ff. – und gesetzliches Verbot (§ 134) 606 – aus ökonomischer Sicht 61 ff., 64, 81 ff., 98 ff., 119, 128 ff., 133 ff. – im Rahmen der culpa in contrahendo 969 ff. – und Sittenwidrigkeit (§ 138) 892 ff. – im Verbrauchsgüterkauf 467, 476 f., 736 ff., 754 ff. – im Verfassungsrecht 313 ff., 510 – und Verletzung verbraucherschützender Informationspflichten als Rechtsbruch 572 ff. – im Vier-Ebenen-Modell 265 ff., 278, 282, 314, 365 f., 409 f., 418 f., 506 f. Entscheidungsprozeß, Schutz des – Allgemein 685 – im Anfechtungsrecht 818 ff., 885 ff., 891 f.
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– und Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf vertragsbezogenes Handeln 611 – und culpa in contrahendo 924 ff., 985 ff. – und Durchsetzungslücken im Individualschutz 1033 ff., 1052 – im europäischen Recht 344 f., 365 f., 409 f., 412 ff., 415, 418 f., 432 f., 441, 506 f., 514, 519 – und gesetzliches Verbot (§ 134) 606 – aus ökonomischer Sicht 61 ff., 64, 83 ff., 104 f., 119 ff., 127 f., 128 ff., 133 ff. – im Rahmen der culpa in contrahendo 985 ff. – und Sittenwidrigkeit (§ 138) 892 ff. – im Verfassungsrecht 313 ff., 510 – im Vier-Ebenen-Modell 265 ff., 278, 282, 314, 365 f., 409 f., 418 f., 506 f., 886 Europäischer Gerichtshof – „Negative“ Harmonisierung durch den 369 ff. – Rechtsprechung zum Verbraucher- und Lauterkeitsschutz 369 ff., 410 ff. – Rechtsprechung zum Vertragsrecht 372 ff., 420 ff. – Durchsetzungskonzept des 429 ff. europäische Grundrechte 333 ff., s. auch Europäische Menschenrechtskonvention – Grundrechte-Charta 335 ff. Europäische Menschenrechtskonvention 324 ff. – Rezeption europäischer Grundrechte durch den EuGH 333 ff., s. auch europäische Grundrechte – Schutz kommerzieller Kommunikation und nationales Wettbewerbsrecht 327 ff. – Vertragsrecht und Vertragsfreiheit 326 Europäisches Sekundärrecht 356 ff., 385 ff., 433 ff. ethische Wertung – im Recht des unlauteren Wettbewerbs 163 ff. – in neueren rechtsphilosophischen Vertragstheorien s. rechtsphilosophische Vertragstheorien experimentelle Ökonomie 119, 123 ff., 265, 269, 278, 314 f.
Externalitäten – wettbewerbsrechtlicher Belästigungsschutz als Schutz vor 661 ff., 663 ff., 1064 – und Durchsetzungslücken im Individualschutz 1034 – in der ökonomischen Analyse 73 ff., 79, 94 f., 105, 133 ff., 137 f. – im Vier-Ebenen-Modell 133 ff., 137 f., 270 ff., 278, 283, 313 f., 437 f., 663, 906 f., 1033 f., 1064, 1076, 1079 ff., 1084 Fernabsatz – informationsökonomische Steuerungswirkung der Regelung des 110 ff. – Inkorporierung in das BGB 192 ff. – Regelung des Widerrufsrechts im und Rückwirkung auf wettbewerbrechtliche Maßstäbe 653 ff., 692 ff., 1064 ff. – Sanktionierung der Informationspflichten im 577 ff., 715 ff. Fernabsatz-Richtlinie 190 f., 364 ff., 438 ff., 444 ff., 507 f., 519 f. Fernseh-Richtlinie 385 ff. Freiburger Schule 54 ff. Garantien – im deutschen Recht 736 ff. – Haftung für Angaben in „einschlägiger Werbung“ 739 ff. – Informationspflichten bei 736 ff. – in der Verbrauchsgüterkauf-RL 462 ff., 489 f. – Wechselwirkung mit dem Lauterkeitsrecht 739 ff., 741 ff. gebrauchte Sachen, und zwingende Regelungen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 494 gefühlsbetonte Werbung s. Ausnutzen von Gefühlen Gehilfe, des Verkäufers, Herstellers (bei § 434) 743 ff., 796 ff. Gemeinsamer Referenzrahmen (GRR) 404 ff. Generalklausel – und Aufklärungspflichten 976 ff. – als Einfallstor für ökonomische Wertungen 78 f., 97, 141 f. – als Einfallstor für verfassungsrechtliche Wertungen 288 ff., 510 ff.
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– in der Lauterkeits-RL 389 f., 436 ff., 521, 729 – im neuen UWG 225 f., 236, 257 ff., 541, 638 ff., 892 ff., 1062 f. – als Schutzgesetz 557 ff. – im UWG aF 163 ff., 219, 230 ff. – und Verhältnis zu Beispielstatbeständen unlauteren Wettbewerbs 541, 638 ff. Gesamtkonzepttheorie des BGH s. Abgrenzung des Vertragsrechts vom Wettbewerbsrecht gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) – Allgemein 527 ff., 537 ff. – Rechtsfolgen 536 f. – und Wettbewerbsverstöße als Gegenstand des Vertrags 535 – und Wettbewerbsverstöße in der Vertragsanbahnung 529 ff. Gewährleistung s. Mängelhaftung Gewinnabschöpfungsanspruch 1056 f. Gleichgewichtsmodell der Neoklassik 25 ff. Gleichmaßgrundsatz, zwischen vertragsund wettbewerbsrechtlichen Wertungen – Allgemein 171 ff., 249 ff., 281, 282 f., 616 f., 1070 ff., 1085 ff. – und Anfechtung 819 ff., 846 ff., 1070 f. – und Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auf vertragsbezogenes Handeln 1047 – und besondere Vertriebsformen 653 ff., 662, 809 ff., 1063 f. – und culpa in contrahendo 926 f., 945 ff., 967, 969 ff., 1076 ff. – im europäischen Recht 350 f., 396 ff., 420 ff., 506 ff., 513, 517, 518 ff. – und Haftungsmaßstab im Verbrauchsgüterkauf 477, 752 f., 754 ff., 761 ff., 809 ff. – und Informationspflichten der Lauterkeits-RL im System des deutschen Rechts 730 ff. – bezüglich des Pflichtenprogramms der culpa in contrahendo 969 ff. – bezüglich des Verbraucherbegriffs 622, 1061 gleichwertige Berichtigung (in § 434) s. Berichtigung, gleichwertige Grundfreiheiten – Allgemein 518
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– und Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers 408 f. – und Vertragsrecht 372 ff., 411 ff. – und Wettbewerbsrecht 369 ff., 411 ff. Grundrechte – im Europarecht s. europäische Grundrechte – der Europäischen Menschenrechtskonvention s. Europäische Menschenrechtskonvention – und Vertragsfreiheit 289 ff. – und Recht des unlauteren Wettbewerbs 301 ff. Grundrechte-Charta s. europäische Grundrechte Gruppenklagen 1058 f. Haftung für Werbeangaben 472 ff., 747 ff., 754 ff., 924 ff. Haustürgeschäft s. belästigende Werbung, besondere Vertriebsformen Haustürbesuche s. belästigende Werbung Haustürwerbung s. belästigende Werbung Hayek, Friedrich August von 47 ff. Herkunftslandprinzip s. internationales Privatrecht Herstellergarantie s. Garantie Herstellerwerbung s. Haftung für Werbeangaben; Mängelhaftung Imagewerbung 769, 805 f. Individualschutz – und administrative Effizienz 118 f., 279 – Durchsetzungslücken im 1032 ff. – im Wettbewerbsrecht durch spezialgesetzliche Vertragslösungsrechte oder Schadensersatzansprüche der Verbraucher und Kunden 218, 262 ff., 1053 ff. – und wettbewerbsrechtliches Durchsetzungsverbot s. Durchsetzungsverbot, wettbewerbsrechtliches Informationsökonomie 82 f., 98 ff., 134, 138 f. Informationspflichten – im Rahmen der culpa in contrahendo und wettbewerbsrechtliche Maßstäbe 969 ff., 975 ff. – im Fernabsatzrecht 711 ff. – im E-Commerce 711 ff., 722 ff.
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Sachverzeichnis
– in der Lauterkeits-RL 447 ff., 574 f., 609, 729 ff., 982 ff., 1066 – rechtsfolgenspezifische Analyse der verbraucherschützenden 711 ff. – verbraucherschützende und Rechtsbruch im Wettbewerbsrecht 572 ff. – im Verbrauchsgüterkauf bezüglich Garantien 463 f., 736 ff. – und wettbewerbsrechtliches Transparenzgebot 449, 729 ff., 975 ff., 1076 informationelle Entscheidungsgrundlage, Schutz der s. Entscheidungsgrundlage, informationelle Initiative für ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht 404 ff. institutionelles Schutzgut des Wettbewerbsrechts s. Wettbewerb Internationales Privatrecht – und Herkunftslandprinzip 376, 385 ff., 394 ff., 517 f. – Marktortprinzip 376, 386, 394 ff., 515 ff. – im Vertragsrecht 376, 387, 394 ff., 515 ff. – im Wettbewerbsrecht 376, 386 f., 394 ff., 515 ff. Internet-Versteigerung 695 ff. – Sniping bei 700 f. Internet-Werbung – Herkunftslandprinzip s. Internationales Privatrecht – Überrumpelungsschutz gegen neue Werbeformen 695 ff. Irreführungsschutz – aus ökonomischer Sicht 38 f., 49, 81 ff., 98 ff., 106 ff., – fortwirkende Irreführungen und Berichtigung i.S.d. § 434 I 3 792 ff. – Irreführungsmaßstab und kaufrechtliche Sachmängelhaftung 472 ff., 761 ff. – Relevanz und kaufrechtliche Sachmängelhaftung 779 ff. – und Verbraucherleitbild s. Verbraucherleitbild – Zurechnungsfragen und kaufrechtliche Sachmängelhaftung 796 ff. Irrtum s. Anfechtung Kantzenbach/Hoppmann-Kontroverse 44 ff.
Kauf – Allgemein 193 f., 206 f., 266, 268, 462 ff., 735 ff. – und Anfechtung 822 ff., 834 ff., 850 ff., 855 ff. – und culpa in contrahendo 951 ff., 1022 ff. – Garantien 70, 462 ff., 736 ff. – Sachmängelhaftung und Werbeangaben 108 ff., 472 ff., 754 ff. Kaufzwang, psychischer 685, 885 f., 891 f., 910, 987 ff. Keck-Entscheidung 377 ff. Kommerzielle Kommunikation 306 ff., 327 ff., 455 ff., 519 f. Komplementäre Akzessorietät – Allgemein 66, 89, 263 f., 277 f., 313 – „Wasser und Öl“-Ansatz 263 f., 267 f., 273, 276, 282, 481 f., 616 f., 751, 755 f., 775, 812, 831 f., 833 f., 926, 939 f., 957 f., 967 f., 971 f., 1032 f., 1067, 1075 f., 1085 f. Kollisionsrecht s. internationales Privatrecht Lauterkeits-RL – Allgemein 360 f., 389 ff., 435 ff., 447 ff. – Belästigungsschutz in der 705 ff. – Informationspflichten in der 447 ff., 729 ff., 983 f. – Umsetzung der 496 ff., 521, 574 f., 597 ff., 628 f., 646 f., 729 ff. – Umsetzung mit Blick auf Geschäftspraktiken nach Vertragsschluß 597 ff., 1045, 1052 Leistungswettbewerb 49 f., 52, 59 f., 215 ff., 312 ff., 510, 999 Lieferkette, Regreß in der (im Kaufrecht) s. Regreß Mängelhaftung, kaufrechtliche s. Kauf Marktortprinzip s. Internationales Privatrecht Meinungsfreiheit – Einfluß auf das Lauterkeitsrecht 306 ff., 327 ff. Minderjährigenschutz 136, 270 Mindestharmonisierung, im europäischen Recht 356 ff. Motivirrtum s. Anfechtung Musterklagen 1058 f.
Sachverzeichnis
mutmaßliche Einwilligung s. belästigende Werbung „negative“ Harmonisierung, im europäischen Recht 369 ff. Neoklassik 25 ff. Neue Institutionelle Ökonomie 113 ff., 138 f. ökonomische Analyse des Rechts – Grundgedanken 71 ff. – informierte und freiwillige Entscheidungen in der Sichtweise der 81 ff. – Kritik an der 85 ff. – Verwendbarkeit bei der Rechtsanwendung 95 ff., 133 ff., 140 ff. Ordnungsdenken 54 ff. ordnungspolitische Durchsetzungsperspektive 118 f., 139, 255 f., 275, 279, 281, 396, 400 f., 429 ff., 506, 538, 575 ff., 588, 590 ff., 594 ff., 600 ff., 608 ff., 806 ff., 813 f., 1032 ff. Paternalismus 128 ff., 133 ff., 270, 278, 282, 314, 437, 491 ff., 508, 520 philosophische Grundlagen s. rechtsphilosophische Vertragstheorien Powershopping 698 ff. Preisirrtum, und Preisangabe im Wettbewerbsrecht s. Anfechtung presserechtlicher Gegendarstellungsanspruch s. Berichtigung, gleichwertige psychischer Kaufzwang s. Kaufzwang, psychischer psychologische und soziologische Forschung zum Verhalten der Marktteilnehmer 123 ff. Rechtsbruch – Allgemein 262 f. – Informationspflichtverletzung als 452, 572, 712, 1051 ff. rechtsphilosophische Vertragstheorien 144 ff. Regreß, im Kaufrecht 958 ff. Relevanz – im Irreführungsschutz und öffentlicher Äußerungen in § 434 I 3 779 ff. Richtigkeitsgewähr, Debatte um die 182 ff.
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richtlinienkonforme und richtlinienorientierte Auslegung (bei überschießender Richtlinienumsetzung) 502 ff. Rückgriff, des Verkäufers im Verbrauchsgüterkauf s. Regreß Sachmängelhaftung s. Kauf Schadensersatzanspruch – individueller Schadensersatzanspruch im UWG s. Individualschutz – aufgrund wettbewerbswidriger Werbung im Rahmen der culpa in contrahendo (§ 311 II, III) 924 ff. Schuldrechtsmodernisierung – Integration verbraucherschutzrechtlicher Vorschriften 188 ff. – Kaufrecht 496 ff., 735 ff. – Rückwirkung der Neuregelung des Kaufrechts auf die culpa in contrahendo 951 ff., 969 ff. – Rückwirkung auf das Verhältnis von Anfechtung und culpa in contrahendo 869 ff. Schutzgesetz, UWG-Normen als i.S.d. § 823 II 567 ff. Schutzgutdiskussion im Wettbewerbsrecht 211 ff. Schutzlücken im Vertragsrecht 1032 ff. Schutzzweckklausel 221 ff., 236 f., 636 f. Schutzzwecktrias 221 ff. Sittenwidrigkeit – in § 138 BGB 892 ff. – und Basisverträge unlauteren Wettbewerbs 900 ff. – und Folgeverträge unlauteren Wettbewerbs 907 ff. – und Komplementaritätsverhältnis zum Wettbewerbsrecht 915 ff. Sniping s. Internet-Versteigerung Sonderdeliktsrecht, Wettbewerbsrecht als 229 ff. Sonderverbindung, vorvertragliche – und Abgrenzung des Vertragsrechts vom Wettbewerbsrecht 245 ff. – und culpa in contrahendo s. culpa in contrahendo Streuschäden s. Bagatellschäden Systembildung zu Vertrag und Wettbewerb 171 ff.
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Telefonwerbung s. belästigende Werbung Transaktionskostenökonomie 72 ff., 116 ff., 138 f., 279 Transparenzgebot, wettbewerbsrechtliches s. Informationspflichten Typisierung und typisiertes (System-)vertrauen 186, 198 ff., 206 ff., 455 ff., 929 f., 940, 944, 945 ff., 951 ff. Überinformation, und Schutz des Entscheidungsprozesses 129, 414 f., 418 f. unerlaubtes Ansprechen in der Öffentlichkeit s. belästigende Werbung unerwünschter Vertrag s. culpa in contrahendo Unlautere Geschäftspraktiken-Richtlinie s. Lauterkeits-RL Unternehmerbegriff 619 ff. UWG-Reform 221 ff., 320, 619, 636 ff., 1001 ff., 1054 f., 1056 f. Verbandsklagen 201 f., 205, 220, 227 f., 234 f., 237, 262 f., 576 f., 651 f., 712, 1034 f., 1958 f. Verbraucherbegriff 619 ff. Verbraucherleitbild – und durchschnittlich empfindsamer Verbraucher 271, 990 – europäisches 413 ff., 436, 456, 466 ff., 475 ff., 507, 519, 739, 747 ff. – aus Sicht der Informationsökonomie 106 ff. – und Haftungsmaßstab im Kaufrecht 475 ff., 739, 747 ff., 754 ff., 761 ff., 768 ff., 1067 f., 1076 f. – normatives 107 f. – und Pflichtenprogramm der culpa in contrahendo 971 ff., 980, 990, 1004 f. – des UWG 647 ff. – und Auslegung von Verbraucherschutzbestimmungen allgemein 647 ff., 1063 – im Vier-Ebenen-Modell 267, 270 f. verbraucherschutzrechtliches Verhältnismäßigkeitsprinzip 53 f., 118, 132, 279, 370, 602, 652, 1035 Verbrauchsgüterkauf-RL – Allgemein 462 ff. – Gewährleistungstatbestand der 472 ff. – Haftung des Garantiegebers 462 ff.
– Transparenz- und Informationspflichten 463 f. – Übertragbarkeit des europäischen Verbraucherleitbilds 472 ff. – Umsetzung in das deutsche Recht 496 ff. – Zwingendes Recht 491 ff. vertragsbezogene unternehmerische Handlungen, Anwendung des Wettbewerbsrechts auf s. Abgrenzung des Vertragsrechts vom Wettbewerbsrecht Vertragsschluß – Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts nach Vertragsschluß s. Abgrenzung des Vertragsrechts vom Wettbewerbsrecht – als Abgrenzungslinie von Vertrags- und Wettbewerbsrecht s. Abgrenzung des Vertragsrechts vom Wettbewerbsrecht Vier-Ebenen-Modell 133 ff., 249 ff., 265 ff., 278 f., 282 f., 306, 313 f., 339 f., 355, 365, 409 f., 413 f., 418 f., 435 f., 437 f., 493 f., 506 f., 518 ff., 661 ff., 692 ff., 819 f., 886, 907, 909, 926, 969, 1032 ff., 1076, 1079 ff., 1084 Vorsatzdogma s. Anfechtung und wettbewerbsrechtliche Maßstäbe, culpa in contrahendo vorvertragliche Sonderverbindung s. Sonderverbindung, vorvertragliche „Wasser und Öl“-Ansatz s. komplementäre Akzessorietät Werbeangaben – und Anfechtung s. Anfechtung – und culpa in contrahendo (§ 311 II, III) s. culpa in contrahendo – und kaufrechtliche Sachmängelhaftung s. Kauf Werbekolonnen 682, 904 Werbeverkaufsfahrten 684 f., 887 Wertirrtum s. Anfechtung Wettbewerb – als institutionelles Schutzgut des Wettbewerbsrechts 215 ff. – in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive (einschließlich Wettbewerbsbegriffe) 19 ff., 35 ff., 44 ff., 58 ff., 66, 68 ff. – verfassungsrechtlicher Wettbewerbsbegriff 302 ff.
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Wettbewerbsfreiheit – und Vertragsfreiheit 66, s. auch komplementäre Akzessorietät Wettbewerbshandlungen, insbesondere nach Vertragsschluß s. Abgrenzung des Vertragsrechts vom Wettbewerbsrecht wettbewerbsrechtliches Durchsetzungsverbot s. Durchsetzungsverbot, wettbewerbsrechtliches Wettbewerbsverhältnis – und vertragsbezogenes Handeln 580 ff., 597 ff.
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Widerrufsrecht – bei besonderen Vertriebsformen und Rückwirkung auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung s. belästigende Werbung, besondere Vertriebsformen, Fernabsatz Zurechnung – von Werbeaussagen in § 434 I 3 743 ff., 796 ff.