Revisionen eines Schiffbruchs - Martin Kippenbergers Medusa 9783110730173, 9783110703993

Martin Kippenberger (1953–1997) is considered one of the outstanding artists of the 1980s and 1990s. One of the artist’s

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Revisionen eines Schiffbruchs - Martin Kippenbergers Medusa
 9783110730173, 9783110703993

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Katarina Schorb

Revisionen eines Schiffbruchs Martin Kippenbergers Medusa

PHOENIX. MAINZER KUNSTWISSENSCHAFTLICHE BIBLIOTHEK

herausgegeben von Matthias Müller, elisabeth oy-Marra und gregor Wedekind band 8

Katarina Schorb

Revisionen eines Schiffbruchs Martin Kippenbergers Medusa

Gedruckt mit großzügiger Unterstützung der FAZIT-STIFTUNG.

ISBN 978-3-11-070399-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-073017-3 ISSN 2747-9587 Library of Congress Control Number: 2021934300 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter De Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 150 × 180 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain. Reihenlayout und Satz: Andreas Eberlein, aromaBerlin Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com

Inhalt

IX Dank

1 1. Einleitung 5 1.1 Der Medusa-Werkkomplex – Bedeutung und Forschungsstand 13 1.2 Kippenberger als Vertreter – die 1980er Jahre 22

1.3 Offene Fragen – Kippenberger und das Floß der Medusa

27 2. Entstehungskontext 28

2.1 Memento Metropolis – eine Ausstellung über die Sehnsucht nach dem Neuen

2.1.1 Das Floß der Medusa im Kontext der Ausstellung 2.1.2 The Happy End of Franz Kafka’s “Amerika” 2.1.3 Géricault/Kafka – Aneignungen im Vergleich

67 2.2 Kippenberger / Géricault – eine Ausstellung in der Ausstellung 2.2.1 Die Ausstellungsdisplays im Vergleich 2.2.2 Von Happy End zu Medusa 2.2.3 Eine Ästhetik des Scheiterns

93 3. Analyse des Medusa-Werkkomplexes 94

3.1 Die (Selbst-)Bildnisse

3.1.1 Die Fotografien 3.1.2 Die Zeichnungen auf Briefpapier 3.1.3 Die Gemälde 3.1.4 Das Gemälde nach Uderzo 3.1.5 Die Lithografien 3.1.6 Die Widmungen an Peter Johansen

144

3.2 Das Floß-Motiv

3.2.1 Der Teppich 3.2.2 Die Zeichnung und die Lithografie 3.2.3 Die Floß-Gemälde

169

3.3 Géricault/Batters

177

4. Kippenberger über Géricault

178

4.1 Je suis Meduse: in die Gegenwart übersetzen



4.1.1 Selbstdarstellungen – die Subjektivität des Künstlers 4.1.2 Allegorien – die Unlesbarkeit der Zeichen 4.1.3 Stellvertreter – der Künstler als Betrachter

201

4.2 The End: Geschichte wiederholen



4.2.1 Nachbilder – die Wiederholung der Wirklichkeit 4.2.2 Narrationen – die Veranschaulichung von Zeit 4.2.3 Geschichtsbilder – die Darstellung von Geschichte

219

4.3 Hope: der Wert der Kunst



4.3.1 Künstlertopoi – der Mythos Künstler 4.3.2 Erfolgsstrategien – der Mythos Kunstwerk 4.3.3 Hoffnungsträger – Erkenntnis durch Kunst

239

5. Das offene Ende

245

tafeln

303

Literaturverzeichnis

321

Abbildungsnachweise

IX

Dank

Meine Recherchen zu Martin Kippenbergers Medusa-Werkkomplex haben mich von Karls­ruhe und Mainz unter anderem nach New York, Berlin, Wien, St. Georgen und bis ins Burgenland geführt. Auf diesem Weg bin ich zahlreichen Menschen begegnet, ohne deren Unterstützung diese Forschungsarbeit nicht möglich gewesen wäre. Ihnen möchte ich an dieser Stelle danken: Großer Dank gilt Elfie Semotan, die sich 2014 die Zeit für ein Gespräch in New York genommen hat. Durch ihr Vertrauen und ihre Offenheit habe ich wichtige Einsichten in ihre Zusammenarbeit mit Martin Kippenberger erhalten und konnte die Entstehungsgeschichte der Fotografien weitgehend nachvollziehen. Besonders möchte ich ihr dafür danken, dass ich die gesamten Medusa-Fotografien hier erstmals als Kontaktabzüge veröffentlichen darf. Mein Dank gilt auch dem Estate of Martin Kippenberger für hilfreiche Angaben und die Bereitstellung des Bildmaterials. Durch die großzügige Gewährung der Nutzungsrechte konnte ich in dieser Publikation die gesamten Medusa-Motive systematisch gegenüberstellen und zudem wichtige Referenzwerke abbilden. Insbesondere Lisa Franzen möchte ich für ihre Auskünfte danken. Die Ergebnisse des 2021 veröffentlichten Katalogs vom Museum Folkwang in Zusammenarbeit mit dem Estate über Martin Kippenbergers The Happy End of Franz Kafka’s „Amerika“ konnten leider nicht mehr in diese Forschungsarbeit einfließen. Ohne die von Annesofie Becker kuratierte Ausstellung Memento Metropolis wäre der Medusa-Komplex nicht entstanden. Ihre Hinweise und Einschätzungen waren grundlegend für diese Forschungsarbeit. Für ihre Hilfsbereitschaft bin ich ihr sehr dankbar. Herzlich möchte ich mich bei Wolrad Specht und Peter Johansen bedanken, die mir mit großer Leidenschaft und Begeisterung von ihrer Kooperation mit Martin Kippenberger und ihrer Arbeit an Medusa berichtet haben. Durch ihre ausführlichen Schilderungen konnte ich bedeutende Erkenntnisse gewinnen. Ebenso hat mir Margarete Heck in Wien mit wertvollen Informationen weitergeholfen, wofür ich ihr sehr danken möchte. Ohne ihre Aufgeschlossenheit wäre mir viel von Martin Kippenbergers Arbeit an Medusa verborgen geblieben. Eine besondere Erfahrung war für mich der Besuch im Burgenland. Die Groß­ zügigkeit und Warmherzigkeit von Reinhard Knaus gaben mir die einmalige Gelegenheit, einen Eindruck des Lebens im Club an der Grenze zu gewinnen. Für seinen liebenswürdigen Empfang und seine Offenheit möchte ich mich von ganzem Herzen bedanken. Bei meinem Aufenthalt konnte ich auch Karl Feiertag besuchen, der Kippenberger bei seinen letzten Werken assistierte. Auch ihm möchte ich herzlich für seine Bereitschaft danken, seine Erinnerungen und Dokumente mit mir zu teilen.

X Dank

Darüber hinaus bin ich meinem Betreuer Prof. Dr. Gregor Wedekind zu großem Dank verpflichtet. Sein fachliches Wissen und kritischer Blick haben mich bei meiner Forschung stets um entscheidende Schritte weitergebracht. Die Unterstützung durch seine präzisen Einsichten und den offenen Meinungsaustausch schätze ich sehr. Ich möchte zudem meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Gerald Schröder danken, der mich durch seine fachlichen Kenntnisse schon während der Magisterarbeit gefördert und durch seine konstruktiven, wohlwollenden Anmerkungen Mut für das Promotionsstudium gemacht hat. Auch all denjenigen, die mich beim Lektorat des Manuskripts unterstützt haben, möchte ich an dieser Stelle danken. Der FAZIT-Stiftung, die mein Forschungsprojekt finanziell und ideell gefördert hat, bin ich ebenfalls zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Mein größter Dank gilt meinen Freunden und meiner Familie. Besonders Heidi möchte ich für ihr offenes Ohr in jeder Lebenslage danken. Die Zielstrebigkeit, mit der sie ihre eigene Dissertation abgeschlossen hat, empfand ich als inspirierend. Bei meiner Familie möchte ich mich aus tiefstem Herzen für den uneingeschränkten Rückhalt bedanken. Ihnen verdanke ich nicht nur gute Ratschläge und aufmunternde Worte, sondern teile mit ihnen auch einen Humor, der mich angesichts so mancher Situationen des Scheiterns nicht hat aufgeben lassen. Ohne Iris und Volker, Sabrina und Tim hätte ich diesen Weg so nicht gehen können.

1. Einleitung

Ich würde sagen, 20 Jahre ist der Zeitraum. Danach stellt man dann fest, wie das Werk, der Künstler eigentlich gewirkt haben. Was dann die Leute noch von mir erzählen werden, entscheidet. Ob ich gute Laune verbreitet habe oder nicht. Und ich arbeite daran, dass die Leute sagen können: Kippenberger war gute Laune!1 Über zwanzig Jahre sind mittlerweile vergangen, seit Martin Kippenberger (1954–1997) im Alter von 44 Jahren verstorben ist. Sein künstlerisches Vermächtnis zählt heute zu den bedeutenden Positionen der Gegenwartskunst. Sein Werk ist nicht nur in renommierte Sammlungen eingegangen, wie ins Museum of Modern Art in New York oder in das ­Städel in Frankfurt am Main, sondern hat auch andere Künstler einer jüngeren Genera­ tion inspiriert, wie Andrea Fraser, Jonathan Monk oder Christian Jankowski.2 Dennoch ist weiterhin umstritten, ob Kippenberger mit seiner Kunst wirklich „gute Laune“ verbreitet oder mit deftigen Witzen und Tabubrüchen nicht viel eher Ablehnung bei vielen Betrachtern hervorruft. Schon seit Anfang der 1980er Jahre zählt Kippenberger zu den umstrittensten Künstlern der deutschen Kunstszene.3 Insbesondere sein provokatives, infantil anmutendes und scheinbar amoralisches Auftreten in der Öffentlichkeit führte dazu, dass der Künstler eine höchst kontroverse Figur im Kunstbetrieb wurde. Der Kunstkritiker Wolfgang Max Faust bezeichnete Kippenberger 1989 entsprechend in einem Artikel im Wolkenkratzer Magazin nicht nur als einen schlechten Künstler, sondern auch als einen schlechten Menschen mit reaktionärer Haltung.4 Bazon Brock geht im Gegenzug in seinem Katalogbeitrag, der anlässlich der ersten musealen Einzelausstellung ­Kippenbergers

1 Martin Kippenberger, B. Gespräche mit Martin Kippenberger. Tisch Nr. 17, Ostfildern 1994, S. 16. 2 Andrea Frasers Performance Kunst Muss Hängen von 2001, Jonathan Monks Reihe zu Dear painter, please paint me once again… von 2011 oder das von Christian Jankowski entwickelte Bühnenbild für das Theaterstück Kippenberger! Ein Exzess des Moments, das von Angela Richter 2013 für das Schauspiel Köln inszeniert wurde, können hierfür als prominente Beispiele gelten. 3 Nachrufe zeigen, dass die kontroverse Haltung gegenüber dem Künstler auch noch über seinen frühen Tod hinaus bestand, siehe Julia Gelshorn, „Keine schlechten Maler. Ethik und Ästhetik bei Polke und Kippenberger“, in: Bad Painting – good art, hg. von Eva Badura-Triska, ­Ausst.-Kat. Wien, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2008, Köln 2008, S. 165–192, hier S. 165. Zur Rezeption zu Lebzeiten siehe Roland Schappert, Martin Kippenberger. Die Organisationen des Scheiterns, Köln 1998, S. 17–31. 4 Wolfgang Max Faust, „Der Künstler als exemplarischer Alkoholiker. Anmerkungen zu einem peinlichen Thema”, in: Wolkenkratzer Art Journal, Europäisches Magazin für zeitgenössische Kunst und Kultur, Jg. 6, 1989, H. 3, S. 20–21. Faust kritisiert in seinem Artikel in erster Linie die Lebensweise des Künstlers, wobei er Kippenberger und Günther Förg in gleicher Weise als „infantile Proleten“ ansieht. Positiv äußert sich Faust über Kippenbergers Kunstwerke der frühen 1980er Jahre.

2

Einleitung

1986 entstand, so weit, Kippenberger zu einem „Moralisten“ zu deklarieren, der mit seiner Kunst eine „subtile Kritik an der Dialektik von Moral und Erkenntnis“5 leiste. So konträr diese beiden Positionen sein mögen, sie gehen doch aus einer Gemeinsamkeit hervor, welche die Rezeption Kippenbergers auffällig prägt: die Korrelation von Werk und Person. So werden in der Kritik zu Kippenberger die Kunstwerke oftmals als Spiegel für die fehlende Moral des Künstlers betrachtet oder es führt umgekehrt das schlechte Benehmen des Künstlers in der Öffentlichkeit zur Ablehnung der Kunstwerke.6 Kippenberger legte es auf eine solche Gleichsetzung von Werk und Person regelrecht an. In seiner Verkehrung des Beuys’schen Diktums zur Feststellung „Jeder Künstler ist ein Mensch“7 findet die Koppelung von Werk und Person ihren konzeptuellen Ausgangspunkt. Die Kritiken an seiner Person und seinem Verhalten wurden von ihm nicht ignoriert, sondern gaben Impulse für neue Kunstwerke.8 Um die problematische Gleichsetzung von Kunst, Künstler und Person zu vermeiden, versuchen andere Kritiker im Gegenzug Kippenbergers Verhalten, Aussagen bzw. öffentliche Auftritte von den Kunstwerken zu trennen und die Werkbetrachtung vollständig vom Künstler zu lösen.9 Dies hat eine Unterscheidung zwischen materiellem und immateriellem Wirken zur Folge, die aus zwei Gründen den Zugang zu Kippenbergers Kunst versperrt: Zum einen wird damit das immaterielle Arbeiten wie zum Beispiel das Agieren im Kunstbetrieb, die Performances oder konzeptuellen Ansätze von Kippenbergers Kunst ausgeschlossen.10 Zum anderen wird ein zentraler Aspekt des Schaffens übergangen, der gerade in der Vermischung von Werk und Leben und der Thematisierung seiner Rolle als Künstler und Mensch liegt.

5 Bazon Brock, „Bildjournalismus als ästhetische Macht“, in: Miete Strom Gas, hg. von Wolfgang Beeh, ­Ausst.-Kat. Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, 1986, Darmstadt 1986, S. 61–77, hier S. 73. 6 Schappert 1998, S. 30 konstatiert: „Übereinstimmend lässt sich nur sagen, dass die Ausstellungskritiken zum Großteil nur wenig Bezug auf die ausgestellten Arbeiten nehmen. Sie thematisieren dafür die Person Kippenberger und ein fiktiv unterstelltes Publikum. Werkimmanente Analysen waren überhaupt nicht zu finden.“ 7 Es handelt sich dabei um einen Bildtitel aus der 21-teiligen Gemäldereihe Blaß vor Neid steht er vor deiner Tür (1981). 8 Auf die Kritik Fausts reagierte Kippenberger mit einer Skulptur, die den Titel Martin, ab in die Ecke und schäm dich (1989) trägt. Die Arbeit verleitet dazu, Kenntnisse über die Person aus dem Werk ziehen und die vermeintlich echte Intention des Künstlers aufdecken zu wollen. Vgl. Susanne Neuburger, „Martin, ab in die Ecke und schäm dich, 1989“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, ­Ausst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 138. 9 Zum Beispiel Roberta Smith, „Madcap Bad Boy of Contemporary German Art“, in: The New York Times, 20.07.1997, URL: http://www.nytimes.com/1997/07/20/arts/madcap-bad-boy-of-contemporary-german-art. html?pagewanted=1 (25.05.2015). 10 Zur immateriellen Arbeit bei Kippenberger siehe Isabelle Graw, „Die Person im Produkt. Anmerkungen zum Stellenwert der Malerei im Werk von Martin Kippenberger“, in: Martin Kippenberger: Werkverzeichnis der Gemälde, hg. von Estate of Martin Kippenberger, Bd. IV: 1993–1997, Köln 2014, S. 22–38.

Einleitung

3

1 Théodore Géricault, Le Radeau de la Méduse, Salon 1819, Öl auf Leinwand, 491 × 716 cm, Paris, Musée du Louvre.

Seine Menschlichkeit sowie das Künstlerdasein hebt Kippenberger in seinen Kunstwerken immer wieder hervor, so auch in seinem mehrteiligen Werkkomplex Medusa, der 1996 entstand.11 In diesem Werkkomplex eignete er sich Théodore Géricaults monumentales Historiengemälde Floß der Medusa von 1818/19 (Abb. 1) unter anderem dadurch an, dass er selbst die Posen der Schiffbrüchigen einnahm und sich von seiner Ehefrau Elfie Semotan fotografieren ließ. Da der Künstler nur kurze Zeit nach Fertigstellung des Werkkomplexes im März 1997 starb, boten diese Bildnisse seither Nahrung für biografische Auslegungen. Interpretationen, wie die folgende von Daniel Baumann, prägen die Literatur zum Werkkomplex seit dieser Zeit: Es sind Bilder der Übertreibung, theatralisch bis ins Hysterische gesteigert und gestopft mit dem Mythos des Künstlers als einsamer und verlassener Kämpfer. Im Rahmen dieser masslosen [sic] Überinszenierung stellt sich Kippenberger als Leidenden, 11 Diesen Kurznamen, der in der Dissertation verwendet wird, nennt Kippenberger im Interview mit Daniel Baumann. Die Originaltonaufnahmen finden sich in Martin Kippenberger. I was born under a wand’rin’ star. Originaltonaufnahmen, hg. von Robert Eikmeyer und Thomas Knoefel, Pforzheim 2009, Track 7–9.

4

Einleitung

Traurigen, Zweifelnden, Verletzten und Hoffnungsvollen dar, jedoch ohne sich zu ironisieren, dafür mit einer erfrischenden Eitelkeit bar aller falschen Hemmungen.12 Auch bei Medusa werden die Darstellungen des Künstlers im Zusammenhang mit dem Mensch Kippenberger und seinem Leben gebracht. Manche Autoren erkennen in den Bildern sogar eine Auseinandersetzung mit dem menschlichsten aller Themen, dem eigenen Tod: „Posen zwischen Hoffnung und Verzweiflung: im Sterben, im Tod und in der Sehnsucht, anzukommen, gerettet zu werden. Er malte sich so, wie er war und wie er sich sah“13. Diese Einschätzung stammt von Susanne Kippenberger, der Schwester des Künstlers, die 2006 eine Biografie über ihren Bruder publiziert hat. Obwohl der Werkkomplex seit dem Tod des Künstlers in nahezu jedem Text über sein Schaffen Erwähnung findet und einzelne Arbeiten daraus in fast jede Ausstellung integriert wurden, so zuletzt 2019 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn,14 wurde Medusa bisher nicht erforscht. In den Besprechungen des Werkkomplexes beschränken sich die meisten Autoren auf die Selbstbildnisse und dabei insbesondere auf die Gemälde, obwohl Medusa noch mehr Bildsujets und Medien enthält. Einige Arbeiten aus dem Werkkomplex wurden erstmals 2014 im Rahmen einer Ausstellung in der Skarstedt Gallery in New York in Kooperation mit dem Estate of Martin Kippenberger abgebildet und so ihre Existenz überhaupt erst einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht.15 Bereits die Tatsache, dass 70 Arbeiten und 79 Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Beschäftigung mit Géricault hervorgingen, legt nahe, dass Medusa komplexer sein könnte als der bisherige Forschungsstand suggeriert. In dieser Dissertation soll der zu den größten zusammenhängenden Werkgruppen zählende Medusa-Komplex erstmals umfassend analysiert und in seinem Bezug zu Géricault erforscht werden, um zu einem differenzierten Verständnis der Medusa-Werke und des künstlerischen Schaffens Kippenbergers zu gelangen.

12 Daniel Baumann, „The Way You Wear Your Hat“, in: Martin Kippenberger, hg. von Kunsthalle Basel, ­Ausst.-Kat. Basel und Hamburg, Kunsthalle Basel, 1998, Deichtorhallen Hamburg, 1999, Basel 1998, S. 29–57, hier S. 40, S. 57. 13 Susanne Kippenberger, Kippenberger. Der Künstler und seine Familien, Berlin 2010, S. 514. Viele der recherchierten Informationen Susanne Kippenbergers gehen auf vom Künstler publizierte Interviews und die um Jahre später eingeholte Auskunft von Freunden oder Bekannten zurück. Kippenberger verfasste selbst anlässlich einer 1991 erschienenen Monografie eine stichwortartige Autobiografie, die in längerer Version 1997 erneut publiziert wurde. Kippenberger, hg. von Angelika Muthesius und Burkhard Riemschneider, Köln 1991, S. 148f. und Kippenberger, hg. von Angelika Taschen und Burkhard Riemschneider, Köln 1997, S. 224f. 14 Martin Kippenberger: Bitteschön. Dankeschön. Eine Retrospektive, hg. von Susanne Kleine, A ­ usst.-Kat. Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, 2019, Köln 2019. 15 Martin Kippenberger. The Raft of the Medusa, hg. von Skarstedt Gallery, A ­ usst.-Kat. New York, Skarstedt Gallery New York, 2014, New York 2014. In diesem Katalog wurde zum Beispiel erstmals eine Reihe von acht Gemälden aus dem Werkkomplex unter dem Titel „Carpet Paintings” erwähnt und abgebildet. Der Textbeitrag im Katalog stammt von Rachel Kushner und fügt sich in die populäre Interpretationslinie ein, siehe Rachel Kushner, „White Flags“, in: Martin Kippenberger. The Raft of the Medusa, hg. von Skarstedt Gallery, ­Ausst.-Kat. New York, Skarstedt Gallery New York, 2014, New York 2014, S. 5–11, passim.

Der Medusa-Werkkomplex – Bedeutung und Forschungsstand

5

1.1 Der Medusa-Werkkomplex – Bedeutung und Forschungsstand Der gesamte Umfang des Medusa-Komplexes war lange Zeit unbekannt, da es bis dato kein Werkverzeichnis zum Œuvre des Künstlers gibt, das einen vollständigen Überblick ermöglichen würde. Erst seit 2014 erscheint sukzessive ein auf vier Bände angelegtes Verzeichnis der Ölgemälde, von denen bisher die Bände III und IV erschienen sind, welche die Jahre 1987 bis 1997 abdecken. Neben dem Werkverzeichnis der Ölgemälde existieren zum Zeitpunkt der Verfassung dieser Forschungsarbeit vier weitere Werkverzeichnisse, in denen zumindest ein Teil des Œuvres dokumentiert ist: das Werkverzeichnis der Plakate (1998), der Karten (2000), der Bücher (2002) und der Multiples (2003).16 In der Literatur werden meistens die gleichen Informationen zur Entstehung des Werkkomplexes wiedergegeben ohne grundlegend Neues zur Erforschung von Medusa oder Kippenbergers Arbeit beizutragen. Diese Informationen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Werkkomplex entstand in Folge einer Ausstellung, bei der die Installation The Happy End of Franz Kafka’s „Amerika“ von Kippenberger mit einer originalgetreuen Kopie von Géricaults Floß der Medusa gegenübergestellt wurde. Kippenberger war von dieser Gegenüberstellung so angetan, dass er sich in die Posen der Schiffbrüchigen versetzte und von Semotan fotografieren ließ. Basierend auf diesen Fotografien entstanden Zeichnungen, Gemälde und Lithografien sowie ein Teppich mit dem Motiv des Floßes. Durch eigene Recherchen und die Ausstellung in New York 2014 können diese Angaben zum Bestand ergänzt werden, so dass Medusa nach derzeitigem Kenntnisstand aus folgnden Gruppen besteht: – 79 Schwarz-Weiß-Fotografien, aufgenommen von Elfie Semotan; – 19 Zeichnungen auf Briefpapier, davon 18 Zeichnungen basierend auf den Fotografien und eine Zeichnung mit dem Motiv des Floßes; – 26 Ölgemälde, davon eine Darstellung mit mehreren Schiffbrüchigen nach einem Comicbild aus Astérix Légionnaire, 17 Selbstbildnisse nach den Zeichnungen sowie weitere acht Gemälde mit dem Motiv des Floßes; – 14 Lithografien, erschienen in einer Auflage von 26 Exemplaren und sechs Künstlereditionen, sowie eine weitere Lithografie mit einer Auflage von nur zehn Exemplaren;

16 Martin Kippenberger, die gesamten Plakate 1977–1997, ­Ausst.-Kat. Zürich zu Martin Kippenberger – Frühe Bilder, Collagen, Objekte, die Gesamten Plakate und Späte Skulpturen, Kunsthaus Zürich, 1998, Zürich 1998; Martin Kippenberger. Bei Nichtgefallen Gefühle zurück. Die gesamten Karten 1989–1997, hg. von Gisela Capitain und Johannes Wohnseifer, A ­ usst.-Kat. Köln zu Martin Kippenberger – Künstlerbücher Einladungskarten Plakate, Deutsche Bank 24 AG, 2000, Köln 2000; Martin Kippenberger: Werkverzeichnis der Gemälde, hg. von Estate of Martin Kippenberger, Bd. IV: 1993–1997, Köln 2014 und Bd. III: 1990–1992, Köln 2016; Martin Kippenberger. Multiples, hg. von Karola Grässlin, ­Ausst.-Kat. Braunschweig, Kunstverein e. V., 2003, Köln 2003.

6

Einleitung

– der Teppich, der seit 2013 durch einen Auftrag des Estate of Martin Kippenberger in drei weiteren Farbvarianten angefertigt wird; – und zuletzt die Reihe von acht unbetitelten Zeichnungen, die auf einer Über­ lagerung von Werken Géricaults mit Fotografien von Elmer Batters beruhen. Der Werkkomplex kann somit nicht nur entsprechend der sechs verwendeten Medien, sondern auch nach den drei großen Motivgruppen – die (Selbst-)Bildnisse, das Floß und Batters – gegliedert werden. Da die Arbeiten des Werkkomplexes nicht betitelt wurden, musste für diese Forschungsarbeit eine Benennung eingeführt werden. Die Benennung der Ölgemälde folgt dem Werkverzeichnis und besteht aus dem Buchstaben P. für Painting, gefolgt von der entsprechenden Nummer. Die Benennung der Fotografien, Zeichnungen und Lithografien folgt dem gleichen Muster (Ph. für Photograph, D. für Drawing, L. für Lithograph), orientiert sich mit der Nummerierung allerdings bewusst nicht an der korrespondierenden Ikonografie zu den Gemälden. Eine mit der Ikonografie korrespondierende Nummerierung wäre nicht durchgängig möglich, da nicht jedes Motiv in jedem Medium wiederholt wurde und sich teilweise verschiedene Motive überlagern. Die Figur von D.1 entspricht ikonografisch entsprechend nicht der Figur von Ph.1 oder L.1, sondern korrespondiert mit Ph.9, L.12 und Gemälde P.75. Einen Überblick über die Korrespondenzen vermitteln die Tafeln I–XXVIII . Die Bezeichnung der jeweiligen Figurenvorbilder aus dem Floß der Medusa folgt dem Schema, das Germain Bazin im Catalogue Raisonné zu Géricault publizierte (Abb. 2).17 Die Nummerierung folgt der Abfolge der erstmaligen Veröffentlichung der Zeichnungen und Lithografien in Künstlerbüchern. Die Benennung der Fotografien orientiert sich bei der Mappe von neun Fotografien, die in der Skarstedt Gallery gezeigt wurden, an ihrer Abfolge im zugehörigen Katalog; die Nummerierung der weiteren Fotografien, die als Vergleichsbeispiele dienen (Ph.10–20), folgt ihrer Abfolge im Tafelteil I–XX . Die gesamten Kontaktabzüge sind auf Tafeln XXIX–XXXVIII abgebildet. Vom Multiple des Teppichs existieren bisher nur zwei Exemplare; diese wurden dem Muster entsprechend mit dem Buchstaben C für Carpet und dem Jahr der Fertigstellung benannt (C.1996 und C.2017). Für die zweite Gruppe an Zeichnungen wird die Bezeichnung „Géricault/Batters“ verwendet, die 2003 von Anke Kempkes im Ausstellungskatalog After Kippenberger eingeführt wird, vermutlich in Anlehnung an den Titel des 1996 erschienen Ausstellungskatalogs Kippenberger/Géricault.18 Die Bezeichnung markiert sowohl eine thematische 17 Germain Bazin, Théodore Géricault. Étude critique, documents et catalogue raisonné, Bd. 6: Génie et folie. Le radeau de la Méduse et les monomanes, Paris 1994. 18 Kippenberger/Géricault. Martin Kippenberger „The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“. Théodore Géricault „Le Radeau de la Méduse“, hg. von Martin Kippenberger, Annesofie Becker und Helle Rafn, ­Ausst.-Kat. Kopenhagen zu Memento Metropolis – En Udstilling Om Længslen Efter Det Ny, Turbinehallerne København, 1996, Kopenhagen 1996; Anke Kempkes, „Zeichnungen“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, ­Ausst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van

Der Medusa-Werkkomplex – Bedeutung und Forschungsstand

7

2 Théodore Géricault und Nicolas-Toussaint Charlet, Shipwreck of the Meduse, 1820, Lithographie, gedruckt von Charles Joseph Hullmandel, 28,7 × 29,5 cm, New York, The Metropolitan Museum of Art, Rogers Fund, 1922. Bearbeitet nach dem Schema von Germain Bazin durch die Verfasserin.

Verschiebung als auch den Bezug zum Werkkomplex. Die Nummerierung der Blätter entspricht der Abfolge der Fotografien von Elmer Batters im Bildband From the tip of the toes to the top of the hose.19 Die Interpretation des Werkkomplexes wird weitgehend vom frühen Tod des Künstlers bestimmt, so dass Medusa vorherrschend als existentialistische Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Tod und dem Künstlertum aufgefasst wird. Die Beispiele für diese Interpretation sind so zahlreich, dass hier nur wenige Positionen stellvertretend genannt werden, die sich entweder durch die Bedeutung der Autoren für die Kippenberger-Rezeption oder durch eine Erweiterung der Perspektive auf den Werkkomplex auszeichnen. Neben den bereits zitierten Interpretationen der Bilder durch Susanne K ­ ippenberger

Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 234–236, hier S. 236. Kempkes führt die Bezeichnung in Anführungszeichen ein. Diese Schreibweise wird beibehalten, da der Titel nicht vom Künstler eingeführt wurde. 19 Elmer Batters, From the tip of the toes to the top of the hose, hg. von Eric Kroll, Köln 1995.

8

Einleitung

und Daniel Baumann, der 1996 das letzte Interview mit dem Künstler im Rahmen der Vorbereitung zur Basler Ausstellung zu den Selbstbildnissen (1998) führte,20 muss auch Margarete Heck genannt werden, die bei der Entstehung der Bilder vor Ort war und ihren Eindruck von Medusa in der Biografie Susanne Kippenbergers folgendermaßen schildert: Die Medusa-Bilder […] haben mich richtig angesprungen, die waren so intensiv, so persönlich, das hatte so was Leibliches, körperlich Erlebtes. […] Als hätte er ganz freien Zugang zu seiner inneren Natur, als wäre alles offen. Obwohl das Thema so schwer war, war die Arbeitsweise so frei, ganz ohne Kampf.21 Das Körperliche der Medusa-Selbstbildnisse ist ein Aspekt, auf den in der Literatur oftmals verwiesen wird. Die eindringliche Darstellung des wie von Schmerz deformierten Leibes in den Selbstbildnissen wird als Zeichen für das innere Leid Kippenbergers aufgefasst und daher als Bestätigung der existentialistischen, biografischen Deutung der Arbeiten angesehen.22 Der Kontrast dieser Bildnisse zur Körperdarstellung der Schiffbrüchigen in Géricaults Gemälde wird zwar meist festgestellt, aber selten darüber hinaus verfolgt. Ein erster Beitrag, der den Blick dahingehend erweitert, findet sich im Ausstellungskatalog After Kippenberger von 2003. In einem der Werktexte zu den Zeichnungen Kippenbergers erwähnt Anke Kempkes erstmals die Reihe „Géricault/Batters“, die sich mit der Körperdarstellung bei Géricault in Analogie zu den gekünstelten Posen bei Batters beschäftigt. Allerdings wird diese Reihe in einem Beitrag unabhängig vom Werkkomplex betrachtet. Im Textbeitrag zu Medusa konzentriert sich Kempkes darauf, den Komplex – und erneut geht es um die Selbstbildnisse – von den früheren Werken abzugrenzen. Sie schreibt, die Selbstbildnisse seien 20 Das Interview ist für die Ausstellung Respektive in Genf (01.02.1997–25.05.1997, verlängert bis 14.09.1997) entstanden, die unter anderem von Baumann kuratiert wurde. Interview-Termine waren der 16.07. im Club an der Grenze in Windisch-Minihof bei Reinhard Knaus und der 18.07. in Wien. Die Originaltonaufnahmen sind gemeinsam mit anderen Interview-Mitschnitten veröffentlicht worden bei: Eikmeyer/ Knoefel 2009, Track 7–9. Eine Transkription von Ausschnitten des Interviews wurde in Kippenberger sans peine/avec des clichés de reconnaissance. Kippenberger leicht gemacht/mit Erkennungsphotos, hg. von Martin Kippenberger, ­Ausst.-Kat. Genf zu Respektive 1997–1976, Musée d’A rt Moderne et Contemporain, 1997, Genf 1997 publiziert. Dabei werden Abweichungen deutlich. In der Genfer Publikation wird beispielsweise die Bezeichnung „Bilderzyklus“ eingeführt, obwohl Kippenberger im O-Ton nicht von einem Zyklus spricht. In dieser Forschungsarbeit wird, wenn möglich, auf die Transkription im Genfer Ausstellungskatalog zurückgegriffen. In Ausnahmen sind die Abweichungen von den Originalaufnahmen zu stark oder die zitierte Passage fehlt, so dass eine eigene Transkription der Aufnahme verwendet wird. 21 Margarete Heck zitiert nach Kippenberger 2010, S. 515. 22 Zuletzt war dies in den Katalogbeiträgen zur Ausstellung Bodycheck der Fall, insbesondere bei Kirsty Bell, die Medusa ansieht als „Bilder des Jammers, die über die Erkenntnis von Sterblichkeit hinausführen in den Bereich von ‚Elend ohne Ende‘“, siehe Kirsty Bell, „Martin Kippenberger und der elende Körper“, in: Body Check: Martin Kippenberger - Maria Lassnig, ­Ausst.-Kat. Bozen und München, Museion – Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst, 2018, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, 2019, Köln 2018, S. 110–114, hier S. 113.

Der Medusa-Werkkomplex – Bedeutung und Forschungsstand

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für Kippenbergers Verhältnisse sehr pur […]. Es beginnt eine fast klassisch an­­mutende Phase, in der Kippenberger die Rolle einer anachronistisch männlich-existentialis­ tischen Künstlerfigur einnimmt, eine Art selbst geschaffener Spätmodernismus.23 In vergleichbarer Weise ist Manfred Hermes der Auffassung, diese Bilder würden sich von den anderen Gemälden Kippenbergers unterscheiden: „[d]ie Malerei insistiert nun auf einer neuen Ebene, Kippenberger malt hier nun vor allem seine eigene Malerei“24. Ann Temkin weist in ihrem Katalogbeitrag zur Ausstellung in Los Angeles 2008 da­ rauf­hin, dass der Werkkomplex aus mehr als den Selbstbildnissen besteht. Temkin scheint viele ihrer Erkenntnisse dem Katalog After Kippenberger zu verdanken und erwähnt ebenfalls die zweite Reihe an Zeichnungen „Géricault/Batters“. Sie recherchierte erstmals genauer die Entstehung des Werkkomplexes und nennt den Pariser Géricault-Ausstellungskatalog von 1991 und die Zeitschrift du, die Kippenberger als Arbeitsmaterial für Medusa nutzte.25 Inhaltlich untersucht Temkin den Werkkomplex eingehender im Kontext von Kippenbergers früheren und folgenden Werken und leistet eine erste Einordnung. Dabei kommt sie wie Kempkes und Hermes zu dem Schluss, dass sich Medusa als Spätwerk klassifizieren lasse, da in den Bildern „a thorny struggle that refuses untroubled applause“26 stattfinde, wie es charakteristisch für ein Spätwerk sei. Thomas Trummer erkennt im Werkkomplex sogar das Ende der „Clownerie des Grotesken“, die das Werk Kippenbergers bis dahin geprägt habe: Nicht zum ersten Mal hatte er sich selbst zum Hohn entstellt, doch schien seine Doppelbödigkeit diesmal ernst. Wahrscheinlich im Bewusstsein, es würden seine letzten Bilder sein, hatte sich der Maler ein Memento mori geschaffen und die Frage nach dem Scheitern aus letzter Perspektive gestellt.27 Daher ist Medusa für Trummer „eine Serie von Bildern, über die es nichts mehr zu lachen gab“28.

23 Anke Kempkes, „Medusa, 1996“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, ­Ausst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 214–216, hier S. 214. 24 Manfred Hermes, Martin Kippenberger, hg. von Friedrich Christian Flick Collection, Köln 2005, S. 123. 25 Ann Temkin, „The ‚Late Work‘ of Martin Kippenberger“, in: Martin Kippenberger. The problem perspective, hg. von Ann Goldstein, ­Ausst.-Kat. Los Angeles, Museum of Contemporary Art, 2008, Cambridge 2008, S. 256–283, hier S. 262, Anm. 11. 26 Ebd., S. 258. 27 Thomas Trummer, „martin kippenberger.“, in: scheitern, hg. von Gabriele Spindler, ­Ausst.-Kat. Linz, Landesgalerie, 2007, Linz 2007, S. 130–131, hier S. 130. 28 Ebd.

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Kippenbergers Arbeit an seiner eigenen Rezeption, die eines Künstlers, der gute Laune verbreitet, wie er im einleitend zitierten Interview angibt, hat sich im Fall von Medusa scheinbar nicht erfüllt. Der Werkkomplex hat in den ersten Jahren nach seiner Entstehung und im engeren Umfeld des Künstlers Gefühle des Unbehagens hervorgerufen, da in den Selbstbildnissen die Antizipation von Kippenbergers eigenem Tod nur schwer zu ignorieren sei, wie es Roberto Ohrt formulierte.29 In den Bildern kann allerdings nur deswegen die Vorwegnahme des eigenen Todes gesehen werden, weil Kippenberger tatsächlich verstarb – und das, so entstand der Eindruck, unmittelbar nach dem Malen dieser Bilder. Erst kurze Zeit vor und verstärkt nach dem Tod des Künstlers wurden Arbeiten aus dem Werkkomplex in verschiedenen Ausstellungen gezeigt: Die Lithografien und zwei der Fotografien waren bei der im Februar 1997 eröffneten Ausstellung Respektive in Genf zu sehen, nur wenige Tage nach Kippenbergers Tod eröffnete die Ausstellung über Medusa in der Akademie der Bildenden Künste in Berlin im Rahmen der Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises am 16.03.1997 und noch im gleichen Jahr fand eine Ausstellung zum Thema in der Galerie Gisela Capitain statt.30 Durch diese plötzliche Präsenz des Werkkomplexes kurz nach Kippenbergers Tod konnte nur schwer Distanz zwischen den Darstellungen und den Ereignissen gewonnen werden. Heute ist allerdings bekannt, dass Medusa nicht Kippenbergers letztes Werk darstellt und später noch weitere Reihen entstanden, frei von existentiellen Themen. Der Künstler arbeitete noch einige Monate nach Medusa, und vermutlich sogar zur gleichen Zeit, an anderen Projekten, die unter anderem das Ei oder Mode zum Thema haben. Auch Kippenbergers eigene Äußerungen zu Medusa, die anlässlich des letzten Interviews mit Baumann entstanden, vermitteln ein anderes Bild des Werkkomplexes. Denn K ­ ippenberger betont gerade den positiven Aspekt seiner Bilder und spricht zwar von Elend, aber nicht vom Sterben: […] ich bin ja für Gute-Laune-Welt. Ich glaube, dass Medusa doch, wenn du richtig hinschaust, lustige Bilder sind. Es sind lustige Bilder, die Farben… Aber es ist der Zwiespalt […]. Du kannst es nicht auseinanderhalten, so ist es eben auch, aber immer der positive Aspekt darin, in der Geschichte. Selbst beim größten Elend hast du immer noch Spaß.31 29 Roberto Ohrt, „To the Raft of the Medusa“, in: Frieze, Bd. 35, 07.06.1997, URL: https://frieze.com/article/ raft-medusa (30.03.2019). 30 Ausgestellt wurden 39 Exponate, darunter 24 Ölgemälde sowie 14 Lithografien, die im dazu erschienenen Ausstellungskatalog ohne Abbildungen aufgelistet sind; zudem wurde der Teppich ausgestellt, der im Katalog mit einer Fotografie im Hof der Teppichmanufaktur Magma Design in Wuppertal abgebildet ist. Mithilfe einer Ausstellungsansicht und des Verzeichnisses im Katalog lässt sich bestimmen, dass Gemälde P.62 und entweder P.63, P.64 oder P.65 nicht ausgestellt wurden, siehe Martin Kippenberger – Käthe-Kollwitz-Preisträger 1996, hg. von Inge Zimmermann, ­Ausst.-Kat. Berlin, Akademie der Künste, 1997, Berlin 1997, S. 29–31. Im Werkverzeichnis der Gemälde wird angegeben, alle Medusa-Gemälde seien Teil der Ausstellung gewesen, siehe Estate 2014, S. 316–351. 31 Transkription nach Eikmeyer/Knoefel 2009, Track 8.

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So hat Kippenberger mit Medusa offenbar erneut ein Tabu gebrochen und Bilder zurückgelassen, deren „positiver Aspekt“ angesichts ihrer posthumen Wirkung als Vorzeichen des Todes nur schwer erkennbar ist. Renate Puvogel, die bei der ersten – und bis 2014 auch der einzigen – umfassenden Schau des Werkkomplexes in Berlin 1997 einen Katalogbeitrag verfasste, versucht das Positive des Werks vorsichtig anzudeuten. So sind die Bilder für Puvogel zwar existentialistisch und Kippenberger habe darin alle Stadien des Verzweifelns und Hoffens durchlebt, doch würde mit der Ausstellung der Bilder gezeigt, dass Kippenberger zu den „Geretteten“ zähle.32 Erst 2013 wurde eine Untersuchung der komischen Aspekte der Medusa-Werke veröffentlicht. In einem Unterkapitel seiner Dissertation widmet sich der Kunsthistoriker Stefan Hartmann dem ironisierenden Aspekt der Bilder und definiert Medusa, entsprechend dem Titel seiner Publikation, als Persiflage. Hartmann kommt zu dem Schluss, Kippenberger karikiere in den Medusa-Bildnissen „zugleich die kulturkritische Hypothese einer Kultur des Überlebenskampfes, als deren Stellvertreter der Künstler zu sehen sei, und das Klischee des Künstlers als Melancholikers und Narzissten.“33 Hartmann führt damit die gängigen Deutungsstränge zusammen und hebt den Zwiespalt hervor, der in den Bildern angelegt ist. Er widmet sich zudem erstmals dem gesellschaftshistorischen Entstehungskontext des Werkkomplexes Mitte der 1990er Jahre. Zu seinem Fazit gelangt er methodisch allerdings durch eine zuvor geleistete „Betrachtung postmoderner Kunstund Gesellschaftskritik“34; eine eingehende Werkanalyse bleibt er schuldig und widmet Medusa nur wenige Seiten. Näher an den Bildern argumentiert hingegen Isabelle Graw, die in ihrem Beitrag zu Band IV des Werkverzeichnisses der Ölgemälde auch eines der gemalten Medusa-Selbstbildnisse genauer in den Blick nimmt.35 Graw untersucht in ihrem Artikel anhand verschiedener Beispiele die Mechanismen, die zur Vermengung von Werk und Künstler in der Malerei Kippenbergers führen. Sie konzentriert sich dabei insbesondere auf das spezifische Vermögen der Malerei, eine solche Verbindung von Künstler und Werk herzustellen, zum Beispiel über die Spur der Künstlerhand im Bild. Das konkrete Bezugsverhältnis zum Floß der Medusa findet bei Graws Analyse keine Berücksichtigung. Eine erste Untersuchung von Medusa, die stärker die Referenzen auf Géricault in den Blick nimmt und dabei auch die Géricault-Forschung einbezieht, stammt von Stephen ­Prina und wurde im Basler Ausstellungskatalog 1998 publiziert.36 Prina zitiert in sei32 Renate Puvogel, „Destruktive Konzepte“, in: Martin Kippenberger – Käthe-Kollwitz-Preisträger 1996, hg. von Inge Zimmermann, ­Ausst.-Kat. Berlin, Akademie der Künste, 1997, Berlin 1997, S. 4–9, hier S. 9. 33 Stefan Hartmann, Martin Kippenberger und die Kunst der Persiflage, Berlin 2013, S. 47. 34 Ebd. 35 Siehe Graw 2014, passim. 36 Stephen Prina, „[De Sades] [Rymans] Kippenbergers Takt“, in: Martin Kippenberger, hg. von Kunsthalle Basel, A ­ usst.-Kat. Basel und Hamburg, Kunsthalle Basel, 1998, Deichtorhallen Hamburg, 1999, Basel 1998, S. 81–95, hier S. 91.

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nem Beitrag über die Körperdarstellung in Medusa eine längere Textpassage von Norman ­ ryson zum Thema der Männlichkeit bei Géricault.37 Einen argumentativen ZusammenB hang zwischen der als Zitat integrierten Passage und dem von Prina verfassten Text herzustellen, überlässt der Autor jedoch dem Leser. Als einer der ersten deutet Prina jedoch an, dass Kippenberger sich womöglich nicht ausschließlich auf Géricaults Floß der Medusa, sondern auch auf andere Werke des Malers bezogen haben könnte, wie zum Beispiel auf die Porträtreihe der Monomanen. Einer der jüngsten Beiträge zum Werkkomplex entstand im Rahmen der Ausstellung XYZ von 2016, die sich mit dem Thema der Sprache im Werk Kippenbergers auseinandersetzte. Gabriel Hubmann, der sich in seiner kunsthistorischen Forschung mit Géricault beschäftigt, setzt sich eingehender mit der Ausstellung Memento Metropolis und der Entstehung des Werkkomplexes auseinander.38 Darüber hinaus stellt er, im Gegensatz zu Prina, erstmals konkrete Analogien zwischen den Werken Kippenbergers und Géricaults her. So vergleicht er zum Beispiel Géricaults Bruch mit den akademischen Konventionen der Historienmalerei mit Kippenbergers subversiver Mischung von sogenannter „high art“ und „low art“. Hubmann spricht sich dafür aus, den Werkkomplex von der existentiellen Deutung „zu entlasten bzw. gänzlich freizusprechen“39, um so das Werk als Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte verstehen zu können. Ein solcher Freispruch von existentialistisch geprägten Themen kann allerdings weder dem Sujet noch Kippenbergers Vermengung von Werk und Leben gerecht werden. Während Hubmann aufzeigt, wie eine Berücksichtigung der Forschung zu Géricault zur Untersuchung von Medusa beitragen könnte, stellt er diese wiederum nicht in einen engeren Zusammenhang mit dem Kontext der 1990er Jahre und der Rezeption des Gemäldes Floß der Medusa in dieser Zeit oder mit Kippenbergers Werk. So schreibt Hubmann, Kippenberger habe womöglich „die subversive Seite von Géricaults Kunst intuitiv“40 erfasst. Die Forschungsliteratur zu Kippenbergers Medusa-Komplex ist damit letztlich von Gegensätzen geprägt: Während der Werkkomplex für die einen eine Darstellung des Künstlers im Existenzkampf ist, bar jedes positiven Aspekts, sehen andere darin die Persiflage eben dieses Themas. Medusa wird entweder als biografisch motivierte Auseinandersetzung mit der Existenz oder als intuitive Beschäftigung mit der Kunstgeschichte angesehen. Der Werkkomplex gliedert sich entweder exemplarisch in das Gesamtwerk ein oder grenzt sich als Spätwerk vom Gesamtwerk ab. Allerdings schließen sich diese Deutungen nicht unbedingt aus und das „Entweder-oder“, das sich bisher in der Litera37 Norman Bryson, „Géricault and ‚Masculinity‘“, in: Visual Culture: Images and interpretations, hg. von dems., Michael Ann Holly and Keith Moxey, Middleton 1994, S. 228–259. 38 Gabriel Hubmann, Elemente der Moderne im Werk Théodore Géricaults, Diplomarbeit, Wien 2012. 39 Gabriel Hubmann, „Kippenberger – Géricault: Eine Gegenüberstellung“, in: Martin Kippenberger: XYZ, hg. von Lisa Ortner-Kreil und Ingried Brugger, A ­ usst.-Kat. Wien, Kunstforum, 2016, Köln 2016, S. 200–208, hier S. 201. 40 Ebd., S. 203.

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tur zum Werkkomplex hartnäckig hält, ist keine Notwendigkeit. Das Festlegen auf eine Bedeutung kann – und das soll in der Dissertation deutlich werden – dem Werk gar nicht gerecht werden, da dieses auf Widersprüchen und gegensätzlichen Bedeutungen beruht.

1.2 Kippenberger als Vertreter – die 1980er Jahre Um diesem dialektischen Aspekt von Kippenbergers Kunstschaffen Rechnung zu tragen, ohne dabei materielles Arbeiten und immaterielles Wirken getrennt voneinander betrachten zu müssen, wird Kippenbergers Kunst in dieser Forschungsarbeit als Kommunikation in Anlehnung an Niklas Luhmanns systemtheoretisches Modell betrachtet.41 Luhmanns Modell nach wird die Wahrnehmung eines Kunstwerks von den beobachtbaren Formentscheidungen im Werk und der Perspektive des jeweiligen Funktionssystems (zum Beispiel Kunst, Wirtschaft oder Religion) bestimmt, welchem der Betrachter zugehörig ist. Ein Kunstwerk kann somit gelöst von der vermeintlich echten Intention seines Urhebers betrachtet werden, da die Bedeutung aus den im Werk erkennbaren Formentscheidungen entsteht, die den kommunikativen Prozess bestimmen. Die Aussagen des Künstlers werden in dieser Forschungsarbeit herangezogen, um zu zeigen, dass die im Werk angelegten Themen auch in anderen, immateriellen Medien wie dem Interview fortgeführt werden. Es soll mit den Interviews nicht eine echte Intention aufgedeckt werden, sondern das Interview gleichsam als Teil des künstlerischen Wirkens betrachtet und die Kohärenz der Diskurse und des künstlerischen Ansatzes aufgezeigt werden.42 Kippenbergers künstlerische Tätigkeiten als Kommunikationen aufzufassen ist auch insofern fruchtbar, da er sich auf die zu seiner Zeit diskutierten Themen aus Gesellschaft, Politik und Kultur bezieht. Für Schappert ist Kippenbergers Werk ein „enzyklopädisches Spiegelbild“, alles wiedergebend, „was zu dieser Zeit unter den Künstlern diskutiert wurde oder bloß die Aufmerksamkeit der Medien erlangt hatte!“43 Nicht zuletzt Kippenbergers eigene Aussagen unterstützen diese Beobachtungen zur Gegenwartsnähe seiner Kunst, als er zum Beispiel Anfang der 1990er behauptet, es wisse jetzt schon jeder, dass er derje41 Siehe Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1995. Kommunikationen sind nach Luhmann die kleinsten messbaren Ereignisse (Letztelemente) sozialer, autopoietischer Systeme und werden in einem selbstreferentiellen Prozess aus anderen Kommunikationen erzeugt. Kommunikationen ergeben sich aus einer Medium/Form-Differenz, so dass die beobachtbaren Formentscheidungen im Vordergrund der Analyse stehen. Für eine Anwendung des Modells in der Kunstgeschichte vgl. Sabine Kampmann, Künstler sein. Systemtheoretische Beobachtungen von Autorschaft: Christian Boltanski, Eva & Adele, Pipilotti Rist, Markus Lüpertz, Paderborn und München 2006. 42 Vgl. zum Umgang mit Künstleraussagen u. a. Kampmann 2006; Julia Gelshorn, „Der Produzent als Autor. Künstlerische Theorie als kunsthistorische Herausforderung“, in: Kunstgeschichte & Gegenwartskunst. Vom Nutzen und Nachteil der Zeitgenossenschaft, hg. von Verena Krieger, Köln, Weimar, Wien 2008, S. 193–211. 43 Schappert 1998, S. 40.

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nige sei, „der die 80er Jahre erfasst hat“44. Roberta Smith, Kunstkritikerin für The New York Times, beschreibt die Zeitgenossenschaft von Kippenbergers Werk in einer im Juli 1997 posthum verfassten Kritik zur Genfer Ausstellung folgendermaßen: If Kippenberger was an art-scene catalyst, his actual art is extremely reactive, made in response to the facts of his life and as often as not to other art. […] But his work is so much of the moment, so reflective of the art around it, that it can seem like the artistic equivalent of newsprint. Its all-for-now perishability attracts us, but could also ultimately doom it to obscurity.45 Für Wolfgang Max Faust ist Kippenbergers Werk nicht nur reaktiv, sondern so reaktionär wie der Künstler, der es geschaffen hat. Der Vorwurf einer rückschrittlichen, konservativen Einstellung, die sich im Werk zeige, wurde allerdings nicht nur Kippenberger, sondern einer neuen Generation von Malern der 1980er insgesamt entgegengebracht. Peter Iden verfasste 1981 einen Artikel mit einer kurzen Analyse einiger der Bilder, die in der Westkunst-Schau in Köln46 gezeigt wurden, darunter u. a. Gemälde von Salomé als Vertreter der Wilden Malerei oder von Peter Adamski von der Mülheimer Freiheit. Seine Beobachtungen fasst er am Ende folgendermaßen zusammen: Alle vorausgegangenen Entwicklungen der Moderne werden ignoriert, die eigenen Motive, Mittel und Methode nicht mehr im Kontext der Geschichte reflektiert. Die Parole heißt: Gegenwart, Gegenwärtigkeit. Das ist aber in dieser emphatischen Ausschließlichkeit nur ein haltloses (und ein reaktionäres) Programm – weil Gegenwart, die Unmittelbarkeit in der Kunst nicht erst dieses Jahrhunderts nur zu haben sind in Bezug und als Antwort auf frühere Setzungen. Nur in der sie weiterdenkenden Rezeption von Vergangenheit kann Kunst sich aktualisieren.47 Kippenbergers Positionierung im Kontext der Neuen Malerei soll im Folgenden betrachtet werden, denn während Kippenberger heute zwar weitgehend als Maler rezipiert wird, wurde er zu Beginn seiner Karriere als Vermittler von Ideen angesehen. Diese Rezeption verschwand mit der zunehmenden Produktion an Gemälden, wobei sich ein konzeptueller, Ideen vermittelnder Ansatz durch das Gesamtwerk Kippenbergers zieht und auch die 44 Kippenberger, B. Gespräche, 1994, S. 17. 45 Smith 1997. Der zitierte Artikel erschien anlässlich der Ausstellung Respektive 1997–1976, die nur wenige Wochen vor dem Tod des Künstlers am 31.01.1997 im MAMCO in Genf eröffnet wurde. Die Ausstellung versammelte über 350 Werke, die in sechzehn Sektionen unterteilt waren. 46 Laszlo Glozer, Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939, ­Ausst.-Kat. Köln, Museen der Stadt Köln, 1981, Köln 1981. 47 Peter Iden, „Die hochgemuten Nichtskönner“, in: Das Kunstwerk: Zeitschrift für moderne Kunst, Jg. 34, 1981, H. 6, S. 3–33, hier S. 5.

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Malerei prägt. Anhand eines Überblicks über Kippenbergers künstlerische Entwicklung und ihrer Rezeption soll dieser Ansatz seines Kunstschaffens und seine beständige Orientierung an den Themen der Gegenwart aufgezeigt werden. Ausgehend von diesen Beobachtungen kann anschließend das Vorhaben dieser Forschungsarbeit vorgestellt werden. Obwohl den verschiedenen Medien im Werk längst ein Status der Gleichberechtigung zuerkannt wurde, wie zum Beispiel Graw schreibt, hat die Malerei im Gesamtwerk Kippenbergers weiterhin eine Sonderstellung inne. Dies wird auch in der bereits genannten Literatur zu Medusa deutlich, in der nur selten der Teppich oder die Drucke berücksichtigt werden.48 Weitgehender Konsens herrscht darüber, dass die Gemäldereihe Uno di voi, un tedesco in Firenze (1978) das künstlerische Debüt darstelle.49 Die Anfänge von Kippenbergers Kunstschaffen liegen jedoch weiter zurück. Kippenberger begann seine künstlerische Arbeit 1971, als er nach Hamburg zog und ein Studium an der Hochschule für Bildende Künste bei Franz Erhard Walther und Rudolf Hausner aufnahm, das er erst mit seinem Umzug nach Florenz offiziell abbrach.50 Beeinflusst von der Arbeit mit Fotoapparaten und den narrativ-figurativen Darstellungen seiner Kommilitonen, wie Thomas Wachweger und Ina Barfuss, entstanden schon 1972 erste Selbstbildnisse Kippenbergers mit einem Fotokopiergerät.51 Kippenberger widmete sich in den ersten Jahren reproduzierbaren Arbeiten und begann früh mit der Organisation von Ausstellungen, bei denen

48 Siehe u. a. Graw 2014, S. 22; Hermes 2005, S. 26. 49 Die Reihe basiert auf Fotografien und vorgefundenem Bildmaterial, wie Zeitungsausschnitten und Postkarten, die Kippenberger im Format 50 × 60 cm in schwarzer und weißer Ölfarbe umsetzte. Zur Unklarheit über die exakte Anzahl an Bildern siehe u. a. Muthesius/Riemschneider 1991, S. 148; Kathleen Bühler, „Uno di voi, un Tedesco in Firenze, 1977“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, ­Ausst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 30–33, hier S. 32. 50 Nach dem Unfalltod der Mutter ermöglichte das Erbe Kippenberger nach Florenz zu ziehen, wo er Schauspieler werden wollte. Nachdem sich kein Erfolg einstellte, fasste Kippenberger nach eigener Aussage den Entschluss, jeden Tag zu malen. Die Jahresangaben zum Umzug unterscheiden sich in der Literatur. Vermutlich ist die Angabe Ende Dezember 1977 korrekt, da Kippenberger ab August 1978 wieder in Hamburg gewesen sein soll. Die Bilder sind dann 1978 und nicht 1977 entstanden. Siehe Stephan Schmidt-Wulffen, „Alles in allem – Panorama ‚wilder‘ Malerei“, in: Tiefe Blicke: Kunst der achtziger Jahre aus der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, Österreich und der Schweiz, hg. vom Verein der Freunde und Förderer des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt, Köln 1985, S. 17–95, hier S. 53. 51 Siehe die biografischen Randnotizen in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, ­Ausst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 30 oder Baumann 1998, S. 30, der berichtet, Kippenberger habe 1972/73 erstmals Fotokopien seines Gesichts und anderer Körperteile erstellt und diese in Klarsichtfolie an einer Wäscheleine präsentiert. Die Zuwendung der Hamburger Studenten zum Fotoapparat ist unter dem Einfluss Sigmar Polkes zu sehen, der 1970 ein Jahr lang in Hamburg eine Gastprofessur innehatte. Kippenberger lebte 1974 zeitweise in Polkes Kommune in der Nähe von Düsseldorf, wo er die Briefmarken-Serie 21 Jahre unter Euch, Kippenberger 1953–1974 schuf. Später fotografierte Kippenberger mit Polke in Berlin. Zur Bedeutung von Polke für die Hamburger Kunstszene in den 1970er Jahren, siehe Schmidt-Wulffen 1985, S. 52, S. 59 und zu Polkes Einfluss auf Kippenberger vgl. Kippenberger 2010, S. 124.

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er eigene Arbeiten und die seiner Freunde in Wohnungen präsentierte.52 Die Verbreitung seiner Kunst in der Öffentlichkeit war somit von Beginn an ein entscheidender Aspekt seines Schaffens. Kippenberger baute seine Aktivitäten und Kontakte in der Szene in den 1970ern weiter aus und zog Ende 1978 von Hamburg nach Berlin, wo er zusammen mit Gisela Capitain, seiner späteren Galeristin und Nachlassverwalterin, Kippenbergers Büro gründete, das bis 1980 bestand. Kippenbergers Büro, ein Dienstleistungsunternehmen, das mit „Vermittlung, Beratung, Bilder“ warb, befand sich in einer Fabriketage von 600 Quadratmetern strategisch platziert in Nähe der aufstrebenden Galerie am Moritzplatz.53 Im Einzelnen fertigte das Unternehmen Publikationen an, kaufte Kunstwerke, organisierte Ausstellungen und Events und erteilte Aufträge. Trotz des Malverbots, das sich Kippenberger in dieser Zeit selbst erteilt hatte, entstand in dieser Zeit eine weitere Gemäldereihe unter seinem Namen mit dem Titel Lieber Maler, male mir… (1979), die er bei dem Plakatmaler Hans Siebert der Firma Werner Werbung in Auftrag gegeben hatte.54 Nach seinem Umzug nach Berlin kaufte Kippenberger auch Anteile am Punk-Club SO36 in Berlin-Kreuzberg, wo er bis Juni 1979 Mitinhaber war, und gründete zwei Punk-Bands.55 Als „Motor vieler künstlerischer Aktivitäten“56 initiierte er in dieser Zeit zudem die als Fortsetzung konzipierte Schau Elend, die im November 1979 in seinem Büro stattfand.57 1980 verließ Kippenberger

52 Im Frühjahr 1977 entstand noch vor seiner Reise nach Florenz die Ausstellung Chimären mit Wachweger und Barfuss und nach seiner Rückkehr im Oktober 1978 unter anderem gemeinsam mit Achim Duchow die Ausstellung Al Vostro Servizio, bei der er die Florenz-Bilder zeigte. Zu den Jahresangaben siehe Schmidt-Wulffen 1985, S. 52, S. 57. Im Werkverzeichnis werden beide Ausstellungen mit dem Jahr 1977 geführt, siehe Estate 2014, S. 405, S. 425. Siehe zu dieser Angabe auch Kippenberger 2010, S. 137–142. 53 Schmidt-Wulffen 1985, S. 60. 54 Bei der Ausstellung der Reihe im Jahr 1981 gab Kippenberger daher den Urhebernamen „Werner Kippenberger“ im Titel an, siehe unter anderem Anke Kempkes, „Lieber Maler, male mir…, 1981“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, A ­ usst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 36–38. 55 Zur Geschichte und Bedeutung des Clubs siehe zum Beispiel Schmidt-Wulffen 1985, S. 60–63. Die Angaben zu den Bands variieren. Vermutlich handelte es sich um zwei Bands: Die Grugas (mit Achim Schächtele) und Luxus (mit Christine Hahn und Eric Mitchell). Die erste Single der Band Luxus lautete The Person Who Can’t Dance Says The Band Can’t Play. Kippenberger selbst gibt an, die Band Die Grugas hätte eine Single mit dem Titel Luxus veröffentlicht. Siehe Taschen/Riemschneider 1997, S. 224 und im Gegensatz dazu Martin Kippenberger. The problem perspective, hg. von Ann Goldstein, ­Ausst.-Kat. Los Angeles, Museum of Contemporary Art, 2008, Cambridge 2008, S. 370. 56 Johann-Karl Schmidt, „Kippenberger – Kunst ist kein Motiv“, in: Miete Strom Gas, hg. von Wolfgang Beeh, ­Ausst.-Kat. Darmstadt, Hessisches Landesmuseum 1986, Darmstadt 1986, S. 11–22, hier S. 13. 57 Der volle Titel lautete 1. außerordentliche Veranstaltung in Bild und Klang zum Thema der Zeit „Elend“. In Elend waren neben der Hamburger Kunstszene, vertreten durch Albert Oehlen und Werner Büttner, unter anderem auch Wachweger und Barfuss, die Kippenberger nach Berlin gefolgt waren, und zudem Meuser zu sehen, der die Kölner Walther Dahn und Giri Dokoupil mitbrachte. In dieser ersten Ausstellung, der noch zwei weitere in Hamburg und Düsseldorf folgten, kamen erstmals auf Initiative Kippenbergers einige der jungen, sich gegenseitig eher mit Skepsis betrachtenden Künstler der drei westdeutschen Kunstzentren der Zeit zusammen. Im April 1980 eröffnete die von Büttner und Oehlen organisierte Fortsetzung Aktion

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Berlin und brach für ein Jahr nach Paris auf, um Schriftsteller zu werden. Aus diesem Aufenthalt gingen Gedichte und ein Künstlerbuch hervor, die später in anderen Werken weiterverarbeitet wurden.58 Kippenberger kehrte anschließend nach Berlin zurück, wo er erneut Veranstaltungen organisierte und in Performances auftrat.59 Erst ab 1982 wendet sich Kippenberger verstärkt der Malerei zu und nahm Kontakt zur Stuttgarter Galerie Max Hetzler auf, in der er kurz darauf ausstellte. Als einer der „Hetzler-Boys“ beginnt Kippenberger die Zusammenarbeit mit Albert Oehlen und Werner Büttner. Gemeinsam stellen die drei Künstler zwei Jahre später im Museum Folkwang aus.60 Heute ist die Auffassung verbreitet, Kippenberger, Büttner und Oehlen bildeten eine regelrechte Trias, doch waren Kippenbergers künstlerische Tätigkeiten in dieser Zeit weder auf Malerei noch auf diese Kooperation beschränkt. In Köln beginnt Kippenberger eine Zusammenarbeit mit Michael Krebber, mit dem erste Entwürfe zu skulpturalen Objekten entstehen, die 1987 in der Ausstellung Peter – Die russische Stellung bei Max Hetzler in Köln zu sehen sind. Kippenberger wird 1985 zum Mitbegründer der Männergruppe Lord Jim Loge um den Grazer Künstler Jörg Schlick, deren Logo Sonne Busen Hammer und Motto „Keiner hilft keinem“ von nun an wiederholt in seinen Werken auftauchen.61 Er verfolgt seine Karriere als Schriftsteller weiter, indem er 1985 eine Ghostwriterin anheuert, die das Buch Wie es wirklich war, am Beispiel Knokke verfasst, und schreibt selbst 1986 das autobiografisch motivierte Buch Café Central, Skizze zum Entwurf einer Romanfigur.62 Weiterhin verarbeitet er seine unzähligen Reisen zu Künstlerbüchern, Kunstwerken und Aktionen, wie zum Beispiel die Reise durch Brasilien. Die Reise wurde teilweise von Albert Oehlen und der Fotografin Ursula Böckler begleitet und führte zum Kauf einer Tankstelle, der Kippenberger den Titel Tankstelle Martin Bormann (1986) gab.

Pißkrücke – Geheimdienst am Nächsten im Künstlerhaus in Hamburg und im September in Düsseldorf in Jörg Immendorffs Atelier Finger für Deutschland. Siehe Schmidt-Wulffen 1985, S. 65f., S. 80, S. 84. 58 Der Titel des Künstlerbuchs lautet Vom Eindruck zum Ausdruck, 1/4 Jahrhundert Kippenberger. Siehe ebd. S. 67f. 59 Zum Beispiel in Knechte des Tourismus, bei der er mit Achim Schächtele in einer Dia-Show im Café Eisenstein die gemeinsamen Urlaubserlebnisse präsentierte, siehe unter anderem ebd. S. 68 oder Taschen/ Riemschneider 1997, S. 224. 1981 verweilte Kippenberger erneut in Italien, im Schwarzwald bei der Sammler-Familie Grässlin und in Stuttgart, bevor er sich 1982 in Köln niederließ. 60 Die Ausstellung ist vor allem aufgrund ihres Katalogs Wahrheit ist Arbeit bekannt, da dem von den Künstlern selbst verfassten Katalogtext regelrechter Manifestcharakter zugeschrieben wird. Wahrheit ist Arbeit – W. Büttner, M. Kippenberger, A. Oehlen, ­Ausst.-Kat. Essen, Museum Folkwang, 1984, Essen 1984. Später gab es eine Fortsetzung unter dem Titel: Malen ist Wahlen – Büttner, Kippenberger, Oehlen, hg. von Helmut Draxler, ­Ausst.-Kat. München, Kunstverein, 1992, Stuttgart 1992. 61 Zu den genauen Umständen der Gründung des Männervereins „Lord Jim Loge“ 1985 mit Jörg Schlick, Wolfgang Bauer, Mathias Grilj, Albert Oehlen und Claus Schöner siehe Elisabeth Fiedler, „Martin Kippenberger in/und Graz“, in: Martin Kippenberger: XYZ, hg. von Lisa Ortner-Kreil und Ingried Brugger, ­Ausst.-Kat. Wien, Bank Austria Forum, 2016, Köln 2016, S. 80–106, insbes. S. 90f. 62 Martin Kippenberger, Wie es wirklich war am Beispiel Knokke, Frankfurt am Main 1985; Martin Kippenberger, Café Central. Skizze zum Entwurf einer Romanfigur, Hamburg 1978.

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1990 tritt er eine Gastprofessur an der Städelschule in Frankfurt am Main an und unterrichtet 1992 an der Gesamthochschule Kassel die „Erfreuliche Klasse Kippenberger“, mit welcher er bald eine Ausstellung in der David Nolan Gallery in New York organisiert.63 Er gründet 1993 den Kunstverein Kippenberger im Museum Fridericianum in Kassel und das Museum of Modern Art Syros MOMAS auf der griechischen Insel, wo er Ausstellungen verschiedener Künstler zeigt, unter anderem mit den Künstlern, die er 1989 bei seinem Aufenthalt in Los Angeles kennengelernt hatte, wie Stephen Prina.64 In seiner letzten Wahlheimat in Jennersdorf im Burgenland hält er Aktionen im Club an der Grenze bei Reinhard Knaus ab. Die Niederlassung im Burgenland ergab sich durch die Hochzeit mit der österreichischen Fotografin Elfie Semotan im Februar 1996. Kippenberger hatte Semotan erstmals 1995 in Paris während eines Abends mit dem Modeschöpfer Helmut Lang kennengelernt. Die durch Lang und Semotan entstandene Verbindung zur Modebranche schlägt sich in den Themen der letzten Arbeiten Kippenbergers nieder.65 Entgegen dieser Präsenz im Kunstbetrieb schreibt Susanne Kippenberger in der Biografie über ihren Bruder, der große Durchbruch sei dem Künstler erst in der Zeit kurz vor seinem Tod gelungen. Kippenbergers Tätigkeiten erlangten allerdings schon weit vor 1996 Aufmerksamkeit und er erarbeitete sich früh eine wichtige, wenn auch umstrittene Rolle im Kunstbetrieb – und dies auch auf internationaler Ebene.66 Johann-Karl Schmidt ist sogar der Meinung, die Geschichte der 1970er bis 1980er könne nicht ohne Kippenbergers Büro geschrieben werden. In jeder größeren Schau zur Kunstszene der 1980er findet Kippenberger Erwähnung, auch wenn er nicht unbedingt mit einem Exponat vertreten war.67 Misst man den Erfolg Kippenbergers am Kunstmarkt und der Institutionalisierung 63 Die Ausstellung mit dem Titel Worm Works, Sculpture and Drawings fand von Mai bis Juni 1992 in New York statt; begleitet wurde die Schau von einem Katalog, siehe Estate 2014, S. 422. 64 Nach der Geburt seiner Tochter Helena Augusta Eleonore zieht Kippenberger 1989 nach Los Angeles und weitet sein Kunstnetz in die USA aus, wo er Künstler wie Mike Kelley, Cady Noland, Stephen Prina oder John Baldessari kennenlernt, die er später zum Teil für von ihm kuratierte Ausstellungen in Europa gewinnen kann. Siehe zum Beispiel Taschen/Riemschneider 1997, S. 224f. oder A ­ usst.-Kat. Wien 2003, S. 146. 65 Siehe u. a. Elfie Semotan, Eine andere Art von Schönheit, aufgezeichnet von Ute Woltron, Wien 2016, S. 100– 115 oder Kippenberger 2010, S. 501–512; zu den letzten Bildern siehe Estate 2014, S. 364–393 und Reinhard Knaus im Gespräch mit der Verfasserin im Burgenland am 23.10.2016. 66 1985 hatte Kippenberger seine erste Einzelausstellung in der Metro Pictures Gallery in New York, 1987 wurde er erstmals in der Villa Arson in Nizza ausgestellt und auf die documenta 8 eingeladen, 1991 erhält er seine erste Einzelausstellung im MoMA San Francisco (Put your Eye in Your Mouth), erarbeitet einen großen Installationskomplex in einem Wiener U-Bahntunnel im Rahmen der Wiener Festwochen (Tiefes Kehlchen), entwirft 1993 die Ausstellung Candidature à une rétrospective mit Roberto Ohrt im Centre Georges Pompidou und stellt 1994 im Rotterdamer Museum Boijmans van Beuningen aus. 67 Zum Beispiel in den Katalogen zu folgenden Ausstellungen: Rundschau Deutschland: Ausstellung in der Fabrik, hg. von Stefan Szczesny, A ­ usst.-Kat. München, Fabrik München, 1981, München 1981; Von hier aus: 2 Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf, hg. von Kasper König, A ­ usst.-Kat. Düsseldorf, Messegelände Halle 13, 1984, Köln 1984; Tiefe Blicke: Kunst der achtziger Jahre aus der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, Österreich und der Schweiz, hg. vom Verein der Freunde und Förderer des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt, Köln 1985; Arbeit in Geschichte, Geschichte in Arbeit, hg. von Georg Bussmann, ­Ausst.-Kat. Hamburg, Kunsthaus und Kunstverein, 1988, Hamburg 1988.

Kippenberger als Vertreter – die 1980er Jahre

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seines Werks, dann sind Erfolge tatsächlich erst spät zu verzeichnen und der Malerei kommt eine maßgebliche Rolle zu. So meint Susanne Kippenberger über die Zeit, als Max Hetzler Kippenberger vertrat, dass er damals überhaupt zum ersten Mal als Künstler „und nicht nur als Berliner Szenefigur ernst genommen [wurde], zum ersten Mal ließ sich das Publikum nicht nur von ihm unterhalten, sondern kaufte auch seine Arbeiten.“68 Auch bei seiner ersten Einzelausstellung Miete Strom Gas im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt 1986 wurde Malerei ausgestellt, obwohl diese noch als Novum im Werk Kippenbergers behandelt wurde.69 Dass sich Kippenberger in den 1980ern der Malerei zuwandte als er auf den Verkauf seiner Kunst angewiesen war und wie ein „Weltmeister“70 gemalt habe, ist nicht überraschend, war doch die Malerei in dieser Zeit das Medium, dem die Aufmerksamkeit des Markts galt. Der Malereihype, der sogenannte „Hunger nach Bildern“71, wird als Reaktion der Künstler auf die bis dahin marktbeherrschende Minimal Art der 1970er Jahre gesehen. Bezeichnungen, mithilfe derer die neue figurative Malerei in die Kunstgeschichte eingeschrieben werden sollten, waren zahlreich – Heftige und Obsessive Malerei, Neue Figuration, Neo-Expressionismus oder Junge bzw. Neue Wilde72 – und wurden teilweise synonym verwendet.73 Die gegenseitige Wertschätzung der Künstler in den drei Kunstzentren Köln, Hamburg und Berlin hielt sich jedoch in Grenzen, heißt es 1982 im Spiegel: „die Hamburger seien ‚für Witze zuständig‘, die Mülheimer für ‚Deftigkeit‘ und die Berliner für einen ‚ansehnlichen Expressionismus‘.“74 Bis heute hält sich eine solche Differenzierung, wie Franziska Leuthäußers Beschreibung der Gruppierungen im Ausstellungskatalog zu den 1980er Jahren des Städel Museums zeigt:

68 Kippenberger 2010, S. 221. 69 Miete Strom Gas, hg. von Wolfgang Beeh, ­Ausst.-Kat. Darmstadt, 1986, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt 1986. Die Darmstädter Einzelausstellung war bis 1997 die einzige in Deutschland und stellte somit keinen Wendepunkt für Kippenberger dar, siehe ebd. S. 290–292. 70 Ebd., S. 290. 71 Die Bezeichnung geht auf folgende Publikation zurück: Wolfgang Max Faust und Gerd de Vries, Hunger nach Bildern – deutsche Malerei der Gegenwart, Köln 1982. 72 Heute werden meistens die Maler vom Moritzplatz mit der Bezeichnung Neue Wilde gefasst. Der Begriff Neue Wilde geht jedoch zurück auf die von Wolfgang Becker 1980 kuratierte Ausstellung Les Nouveaux Fauves – Die Neuen Wilden in der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig in Aachen. Bei dieser Ausstellung wurde versucht, dem Einfluss des Fauvismus auf zeitgenössische Künstler (darunter auch Vertreter des Patterning Painting oder von support–surface) nachzugehen, siehe u. a. Martin Engler, „What you see is what you get – Malerei in Zeiten der Neo-Avantgarde“, in: Die 80er. Figurative Malerei in der BRD, hg. von dems., ­Ausst.-Kat. Frankfurt am Main, Städel Museum 2015, Ostfildern 2015, S. 11–19, hier S. 11. 73 Es erscheint sinnvoll, zwischen zwei Malergenerationen zu unterscheiden: die Generation von Baselitz (*1938), Immendorff (*1945), Lüpertz (*1941), Kiefer (*1945) und Polke (*1941), die sich bereits um 1960 der Malerei verschrieben und später teilweise sogar die folgende Malergeneration an den Akademien unterrichteten. Daneben steht die jüngere Generation von Malern, die meist nach 1950 geboren sind und erst Ende der 1970er Jahre mit ihrem Kunstschaffen begannen. Dazu zählen Kippenberger, Oehlen, Büttner sowie Fetting (*1949), Salomé (*1954), Middendorf (*1953) oder Dokoupil (*1954) und Dahn (*1954). 74 o. A., „Sturmflut der Bilder. Junge Malerei in Deutschland auf der Erfolgswelle und im Meinungsstreit“, in: Der Spiegel, Nr. 22, 31.05.1982, S. 172–182, hier S. 178.

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Während die Künstler am Moritzplatz über das Pathos des Tafelbildes ihre Anliegen in die Gesellschaft einbrachten und die Maler der Mülheimer Freiheit den Kunstbetrieb selbst in den Mittelpunkt des Interesses rückten, kommentierten Büttner und Oehlen in Bild und Text Themen aus der Mitte der Gesellschaft.75 Für Johann-Karl Schmidt bilden die „sogenannten wilden jungen Maler […] zwar die Kulisse, in die Martin Kippenberger […] immer wieder von selbst gestellt wird“76, jedoch sei er nicht als Maler beteiligt gewesen. Das malerische Werk Kippenbergers weist allerdings durchaus Parallelen zur neo-expressiven, wilden Malweise auf, auf die auch Schappert verweist: „[g]robe und schnelle Pinselführung, regelfreie Farbgebung, beliebig erscheinende Akzentuierungen der Konturverläufe, Mißachtung kompositioneller Gleichgewichte, flüchtige Skizzierung der Motive, etc.“77 Dennoch sei Schappert zufolge schon in den 1980er Jahren erkannt worden, dass sich Kippenberger gegen die Wilde Malerei gewandt hatte.78 Diese Auffassung wird auch von Julia Gelshorn vertreten. Gelshorn erkennt eine Subversion der neuen Malerei und ihrer Beliebtheit in den Gemälden Kippenbergers: Infantilismus, falsche Orthografie und das ‚politisch Unkorrekte‘ untergraben – in Analogie zum Anarchismus des Punk – jede bürgerliche Ästhetik und Moral und richten sich damit, auch wenn sie sich bei Kippenberger nicht auf die Malerei beschränken, ganz direkt gegen den zeitgenössischen neobürgerlichen Malereihype. […] Kippenbergers radikale Subversion des Pathetischen durch ein Bekenntnis zu Momenten der Würdelosigkeit und Peinlichkeit muss als vehemente Reaktion gegen den neuen Elitismus dieser Malereihysterie verstanden werden.79 Auch in seiner Malerei steht demnach eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Themen im Vordergrund, die er in subversiver Bezugnahme vermittelt. Kippenbergers sich selbst auferlegtes Malverbot zur Berliner Zeit kann ebenso als Reaktion auf die Galerie am Moritzplatz und der „übertrieben subjektive[n] Realitätsauffassung“80 ihrer Maler begriffen werden, die Kippenberger durch seine Negation von Autorschaft in Lieber Maler,

75 Franziska Leuthäußer, „Hamburg“, in: Die 80er. Figurative Malerei in der BRD, hg. von Martin Engler, ­Ausst.-Kat. Frankfurt am Main, Städel Museum 2015, Ostfildern 2015, S. 74–80, hier S. 76. 76 Schmidt 1986, S. 13, S. 15. 77 Schappert 1998, S. 41 bezieht sich auf Gemälde Büttners, Oehlens und Kippenbergers. 78 Aufgrund der Verbindung von subjektiven und konzeptuellen Aspekten im Werk ist Schappert der Auffassung, Kippenberger habe sich mit den aktuellen Kunstrichtungen, das heißt mit der Heftigen Malerei und Minimal Art, auseinandergesetzt und deren Vorgehensweisen zu vereinen versucht. Ebd., S. 21, S. 23. 79 Gelshorn, Ethik, 2008, S. 175. 80 Schappert 1998, S. 21f.

Kippenberger als Vertreter – die 1980er Jahre

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male mir… konterkariert.81 Ebenso nahm er persiflierenden Bezug auf einige Kunstwerke beziehungsweise Künstler der Mülheimer Freiheit, mit denen er aber gleichwohl gemeinsam Kunst gemacht hatte.82 Kippenberger lässt sich keinem Zentrum in Westdeutschland zuordnen, da er mit vielen der Künstler aus den unterschiedlichen Städten kooperierte und zudem nicht vorrangig als Maler tätig war. Stephan Schmidt-Wulffen zufolge sei Kippenberger nie ganz klar gewesen, „ob er nun Künstler, Schauspieler oder Kunstvermittler werden sollte“83 – hinzufügen ließe sich darüber hinaus noch Schriftsteller, Sammler, Herausgeber und Kurator. Bei seinen zahlreichen Aktivitäten handelt es sich nicht um eine reine „Dabeiseinsgier“84, sondern diese sind als Ausdruck eines vermittelnden, konzeptuellen Ansatzes des Kunstschaffens zu verstehen, der von ihm im Interview mit Jutta Koether in einer Art Selbstreflektion beschrieben wird. Dabei erwehrt er sich zunächst gegen Jutta Koethers Bezeichnung „professioneller Künstler“ und meint: „Ich fühl mich mehr als Vertreter, also verkaufe dann auch was, vermittle auch Ideen. […] Ich bin doch viel mehr für die Leute, als daß ich nur Bildermaler bin!“85 In wenigen Worten bringt er so verschiedene Aspekte seines Kunstschaffens zum Ausdruck: Er hebt den wirtschaftlichen Aspekt seiner Tätigkeit hervor, die oftmals als „inflationär“ bezeichnet wurde und verweist auf seine manchmal unangenehmen Verkaufsmethoden, die zur Annahme seines korrumpierten Charakters und der Scharlatanerie beigetragen hatten. Gleichzeitig unterstreicht er den kommunikativen, immateriellen Ansatz seines Kunstschaffens, der sich kohärent durch das gesamte Werk zieht und die Malerei ihrer Vorrangstellung enthebt, obgleich ihr in Blick auf Kippenbergers Rezeption im Kunstbetrieb und seinen Erfolg wiederum eine entscheidende Bedeutung zukommt.

81 Kippenberger hatte die Maler der Galerie am Moritzplatz in Berlin 1978 kennengelernt und den Kontakt gesucht. Die Maler standen Kippenberger jedoch kritisch gegenüber und waren eher um Distanz bemüht, unter anderem auch aufgrund seiner Zuwendung zur Fotografie, siehe Schmidt-Wulffen 1985, S. 58–60. 82 1983 gaben Kippenberger und Dokoupil beispielsweise das Künstlerbuch Homme Atelier Peinture a Cologne heraus. Ein Jahr später entstanden Kippenbergers I. N. P.-Bilder mit einem Katalog, der eine Persiflage der Publikation Die Afrika-Bilder darstellt, welche Dahn und Dokoupil für eine Ausstellung im Groninger Museum in Holland schufen. Siehe Jessica Morgan, „Sankt Martin“, in: Martin Kippenberger: Einer von Euch, unter Euch, mit Euch, hg. von Doris Krystof und ders., ­Ausst.-Kat. London und Düsseldorf, Tate Modern, 2006, K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2006, Ostfildern 2006, S. 11–25, hier S. 18; Hartmann 2013, S. 118–124. 83 Schmidt-Wulffen 1985, S. 52. 84 Werner Büttner zitiert nach Jakob Schillinger, „Dienstleistungsgesellschaft“, in: Martin Kippenberger: Bitteschön. Dankeschön. Eine Retrospektive, hg. von Susanne Kleine, ­Ausst.-Kat. Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, 2019, Köln 2019, S. 154–184, hier S. 163. 85 Kippenberger, B. Gespräche, 1994, S. 153. Vgl. hierzu auch Kampmann 2006, S. 30.

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1.3 Offene Fragen – Kippenberger und das Floß der Medusa Zu vermittelnde Ideen findet Kippenberger in der Gegenwart vor. Für Smith stellt Kippenbergers Beschäftigung mit der Gegenwart ein Problem für die zukünftige Rezeption seiner Kunst dar, die sie mit dem Zeitungsdruck vergleicht.86 Auch Bazon Brock, wie Smith ein Befürworter des Künstlers Kippenberger, ist der Auffassung, er arbeite für den schnellen Erfolg und nicht für die Nachwelt.87 Brock sieht in Kippenberger in positivem Sinne einen „Bildjournalisten“ und den Journalisten als „beherrschende Größe gesellschaftlicher Kommunikation“88. Diese Einschätzung von Kippenbergers Schaffen wirft jedoch in Hinblick auf den Medusa-Werkkomplex Fragen auf. Denn Géricaults Ereignisbild aus dem frühen 19. Jahrhundert scheint zunächst keinen Bezug zur Gegenwart der 1990er Jahre aufzuweisen. Doch zeigt die Entstehungsgeschichte, die in Kapitel 2 in zwei Schritten untersucht wird, dass durchaus eine Beschäftigung mit der Gegenwart stattfindet. Als erstes wird in Kapitel 2.1 das Konzept der Ausstellung Memento Metropolis rekonstruiert, da dieses Kippenberger den Impuls zur Auseinandersetzung mit G ­ éricault gab. In der Ausstellung wurde eine originalgetreue Kopie des Historiengemäldes Kippen­bergers Installation The Happy End of Franz Kafka’s „Amerika“ gegenübergestellt. Die Bedeutung von Installation und Gemälde innerhalb des Konzepts der Ausstellung werden anschließend erörtert. Dabei zeigt sich, dass Kippenbergers Beschäftigung mit dem Thema von der literarischen Rezeption des Historiengemäldes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusst war. In einem zweiten Schritt schließt sich in Kapitel 2.2 die Analyse der Ausstellungsdisplays an und es werden die ausstellungsbegleitend erschienenen Werke und Publikationen Kippenbergers untersucht – im Einzelnen handelt es sich um ein Plakat, eine Einladungskarte und einen Ausstellungskatalog. Diese belegen nicht nur den fließenden Übergang von Happy End zu Medusa, sondern verdeutlichen auch eine Weiterführung und einen Transfer von Themen, die bei Géricault angelegt sind. Kippenberger greift dabei auf eine Ästhetik zurück, die Brock als eine „Strategie der Differenzierung […] gegen das Verenden des Gedankens in der formalen künstlerischen Operation“89 beschreibt. Diese Strategie ist Teil des Bildjournalismus, der eine ästhetische Macht sei, „solange er eben nicht auch noch den Abfall der Alltäglichkeiten, den Dreck und das Elend ästhetisiert“90. Diese „Ästhetik des Scheiterns“ und ihr Bezug zu den 1990er Jahren wird in Kapitel 2.2.3 untersucht. Die Werkanalyse findet im zentralen Kapitel 3 der Arbeit statt. In diesem Kapitel wird Medusa eingehend beschrieben und die Entwicklung des Werkkomplexes aufgezeigt. Für die Analyse werden neben Katalogen zu den großen Ausstellungen des Werkkomplexes, 86 Smith 1997. 87 Brock 1986, S. 69. 88 Ebd. 89 Ebd., S. 67. 90 Ebd., S. 67ff.

Offene Fragen – Kippenberger und das Floß der Medusa

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wie 1997 in Berlin und 2014 in New York, andere Dokumentationen, wie Interviews oder Fotografien, herangezogen. Zum Beispiel dient das Interview mit Baumann im Juli 1997 als wichtiger Anhaltspunkt für die Eingrenzung der Entstehungszeit, da Kippenberger im Gespräch unter dem Namen „Medusa“ Fotografien, Zeichnungen und Gemälde subsumiert. Daneben geht die Analyse aber auch auf eigene Recherchen zurück. Durch den Besuch der New Yorker Ausstellung 2014 und die Betrachtung nahezu aller Werke im Original konnten in Hinblick auf die Bildanalysen und den Bestand wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Zusätzlich konnten durch die Gespräche mit Mitarbeitern und Freunden des Künstlers weitere Informationen über die Produktion des Werkkomplexes erlangt werden: Hierbei sind insbesondere Elfie Semotan, Wolrad Specht und Peter Johansen zu nennen, die direkt an der Werkproduktion beteiligt waren, aber auch Rainhard Knaus, Karl Feiertag und Margarete Heck, die während der Entstehungszeit vor Ort im Burgenland waren. Durch die Einbettung der Analyse des Werkkomplexes in den Kontext des Gesamtwerks kann gezeigt werden, dass der Medusa-Komplex charakteristische Ansätze fortführt und in enger Verbindung zu anderen Arbeiten Kippenbergers steht. Anhand des Werkkomplexes lassen sich sogar exemplarisch Themen, Verfahren und Ideen nachvollziehen, die Kippenberger in seiner Kunst in dieser Zeit und darüber hinaus beschäftigten. Andererseits legt die Werkbetrachtung nahe, dass die Themen, die für den Vergleich von Happy End und Floß der Medusa in der Ausstellung Memento Metropolis zentral waren, von Kippenberger in Medusa aufgegriffen und weitergeführt werden. Die Themen, die sich aus der spezifischen Referenz auf das Floß der Medusa ergeben, stellen den zentralen Gegenstand der Analysen des Werkkomplexes in Kapitel 4 dar. Zunächst steht der Gegenwartsbezug in Medusa im Fokus. Kippenberger findet mit dem Floß der Medusa ein Gemälde vor, das nicht nur ein Ereignis darstellt, sondern auch eine Gesellschaftsallegorie. Wie geht Kippenberger mit dieser Allegorie einer Gesellschaft, die Schiffbruch erlitten hat, um? Brock zufolge führe der Widerstand gegen die Veredelung im Bildjournalismus zu einer Abkopplung von Formen und Bedeutungen, Zeichen und Bezeichnetem, welche für den Betrachter die Zuordnung von sprachlichen Vergegenständlichungen und Bedeutungen nicht mehr nachvollziehbar mache.91 Wird in Medusa die allegorische Darstellung erneut transformiert und Zeichen von Bezeichnetem abgekoppelt? Auch die Frage nach der Rolle des Künstlers als ein Vertreter der zeitgenössischen Gesellschaft stellt sich in diesem Zusammenhang, da Kippenberger das Ereignisbild in die Gattung des Selbstbildnisses überführt. Das zweite Themenfeld betrifft die Bedeutung von Geschichte im Werkkomplex. Kippenberger scheint sich in Medusa nicht nur mit der Gegenwart, sondern durch die Aneignung eines fast zweihundert Jahre alten Ereignisbildes auch mit Geschichte auseinanderzusetzen. Er wiederholt mit seiner Aneignung gewissermaßen die Vergangenheit, so dass die Medusa-Arbeiten in ihrer Konzeption als Nachbilder betrachtet werden sollen. 91 Ebd., S. 67ff.

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Es stellt sich zudem die Frage, wie Kippenberger mit dem Narrativ des Ereignisbildes umgeht und ob dieses durch die Aneignung des Sujets mittels der Gattung des Selbstbildnisses vollständig aufgelöst wird. Welche Vorstellung von Geschichte wird dadurch in Medusa ausgedrückt? Dienen Geschichte beziehungsweise Geschichtsschreibung als Mittel der Erkenntnis über das Leben? Zuletzt stellt sich die Frage nach dem Künstlertum, dem Kunstsystem und der Bedeutung des Kunstschaffens selbst. Indem sich Kippenberger in Medusa in den Posen Schiffbrüchiger zeigt, ruft er den Gemeinplatz vom leidenden, scheiternden Künstler auf. Durch die Referenz auf das Floß der Medusa, das einen Höhepunkt der Kunstgeschichte darstellt, setzt sich Kippenberger jedoch gleichzeitig selbstbewusst mit Géricault und seine Kunstwerke mit einem Meisterwerk der Kunstgeschichte gleich. Die Verfahren der Auf- und Abwertung seines Kunstschaffens und seiner Bedeutung als Künstler führen zur Frage nach dem Selbstverständnis Kippenbergers und der Bedeutung, die er seiner Kunst beimisst. Um diese Fragen zu beantworten, wird in dieser Untersuchung nicht nur die Literatur zu Kippenberger, sondern auch die Forschung zu Géricault berücksichtigt. Grundlagenwerke, wie die Publikationen von Lorenz Eitner, der 1994 erschienene Catalogue Raisonné von Germain Bazin oder die biografische Studie von Charles Clément stellen wichtige Quellen dar. Auch der Pariser Géricault-Ausstellungskatalog von 1991 und die später im Kontext der Ausstellung entstandene Dokumentation des Forschungskolloquiums werden zur Untersuchung herangezogen.92 Gregor Wedekinds Forschung, wie zum Beispiel seine Habilitationsschrift zur Frage der Mimesis im Werk von Géricault, stellt eine wichtige Referenz dar, auf die sich im Folgenden in weiten Teilen bezogen wird.93 Daneben gehen auch thematische Aufsätze, unter anderem der bereits genannte Artikel von Norman Bryson zum Thema der Männlichkeit, der von Prina zitiert wird, oder Hubmanns Aufsatz zur immersiven Qualität der Komposition in die Erörterungen ein.94 Da im Vordergrund der Untersuchung allerdings Kippenbergers Beschäftigung mit dem Gemälde steht, werden nur ausgewählte Forschungsbeiträge zu Géricault herangezogen. Mit dieser Dissertation wird in erster Linie zur Erforschung von Martin Kippenbergers Werk beigetragen und einer der bekanntesten Werkkomplexe des Künstlers in seiner Komplexität untersucht. Der Beitrag dieser Dissertation für die Géricault-Forschung be92 Lorenz Eitner, Géricault’s Raft of the Medusa, London 1972; Lorenz Eitner, Géricault: His Life and Work, London 1983; Charles Clément, Géricault. A biographical and critical study with a catalogue raisonné of the master’s work, hg. von Lorenz Eitner, Neudruck der letzten Ausgabe von 1879, New York 1974; Gericault, hg. von Réunion des Musées Nationaux, ­Ausst.-Kat. Paris, Galeries Nationales du Grand Palais, 1991, Paris 1991; Géricault, critique et interprétation, hg. von Régis Michel, Bd. I und II, Paris 1996. 93 Gregor Wedekind, Das Leben fassen. Strategien der Mimesis bei Théodore Géricault, Habil. masch., Berlin 2008. 94 Bryson 1994, passim und Gabriel Hubmann, „Der prekäre Status der Immersion – Grenze und Übergang in Théodore Géricaults Gemälde ‚Das Floß der Medusa‘“, in: Jahrbuch immersiver Medien 2012: Bildräume – Grenzen und Übergänge, hg. vom Institut für immersive Medien i. A. des Fachbereichs Medien der Fachhochschule Kiel, Marburg 2012, S. 21–36.

Offene Fragen – Kippenberger und das Floß der Medusa

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steht in einer ersten Beschäftigung mit der kulturellen Rezeption des Gemäldes in den 1990er Jahren, die den Schwerpunkt auf den spezifischen Kontext der Aneignung durch Kippenberger legt. Mit der Dissertation soll deutlich werden, dass es sich beim Medusa-Werkkomplex um eine vielschichtige Arbeit handelt, die sich konsequent in das Gesamtwerk Kippenbergers einfügt. Das Verständnis des Künstlers als einem Vertreter von Ideen und seines Kunstschaffens als einem kommunikativen Prozess ermöglicht einen produktiven Zugang zu seinem komplexen Werk. Gleichzeitig soll am Beispiel von Medusa deutlich werden, dass Kippenbergers Schaffen in einem spezifischen Kontext der Kunst- und Zeitgeschichte steht, der im Werk nicht nur wiedergegeben, sondern in (selbst-)ironischen Gegensätzen und Widersprüchen reflektiert wird. Isabelle Graws anlässlich der Bonner Ausstellung 2019 formulierte Forderung, das Phänomen Kippenberger als eine Reihe von Problemen zu diskutieren und den historischen Kontext aufzuzeigen, aus dem es seine Schlagkraft gewinnt, soll hier eingelöst werden.95 Eine differenzierte Betrachtung des zeitgeschichtlichen Kontextes, der in den Werken erkennbar ist, macht deutlich, dass aus Kippenbergers Kunst durchaus Erkenntnisse gewonnen werden können, die über eine Selbstbezogenheit des Werks hinausgehen. Für Brock ist Kippenbergers „Bildjournalismus“ eine „Aufarbeitung unserer heutigen Welt“, die uns „zu der Offenbarung“ zwinge, „daß wir diese Welt nicht mehr verstehen“96. Doch anstatt die Widersprüchlichkeit der Existenz aufzuzeigen, veranlassen Kippenbergers Werke durch die gegenläufigen Bedeutungen zu einem ironischen, humorvollen Ringen um Sinn. Kippenbergers Kunstschaffen widersetzt sich damit der scheinbaren Sinnlosigkeit des Lebens. Diesem positiven Aspekt an Kippenbergers Werk gilt diese Forschungsarbeit.

95 Isabelle Graw, „Learning from Kippenberger? Isabelle Graw on Martin Kippenberger at the Bundeskunsthalle Bonn“, in: Texte zur Kunst, Reviews, 26.11.2019, URL: https://www.textezurkunst.de/articles/learning-kippenberger (10.01.2021). 96 Brock 1986, S. 77.

2. Entstehungskontext

Martin Kippenberger erhielt den Impuls zur Beschäftigung mit Floß der Medusa durch die Kopenhagener Ausstellung Memento Metropolis – an exhibition about the longing for the new (26.10.–15.12.1996). Die Kuratorin der Ausstellung war Annesofie Becker. Memento Metropolis war als Wanderausstellung konzipiert und wurde nach der Präsentation in Kopenhagen im Hessenhuis in Antwerpen (15.02.–11.05.1997) gezeigt, der Europäischen Kulturhauptstadt 1993, wo sie von Luc Denys und Lucie Bausart organisiert wurde. Im Jahr darauf war die Ausstellung in Stockholm, Kulturhauptstadt 1998, unter der Leitung von Alexis Pontvik in der Kulturfabriken Liljeholmen (01.09.–25.11.1998) zu sehen. Das von Becker und ihrem Kollegen Willie Flindt entwickelte Konzept der Kopenhagener Ausstellung wurde zwar in seinen Grundzügen beibehalten, dennoch gab es durch die wechselnden Ausstellungsorte und Organisatoren entscheidende Veränderungen sowohl in Hinblick auf die Szenografie wie auch in Bezug auf die Exponate und teilnehmenden Künstler, so dass es sich letztlich um drei Varianten einer Ausstellungsidee handelt. Bei allen drei Ausstellungen wurde Kippenbergers Installation The Happy End of Franz Kafka’s „Amerika“ (1994, Abb. 3) als Pendant zu Géricaults Floß der Medusa gezeigt.1 Der Gedanke, eine Verbindung zwischen dem eigenen Schaffen und den Arbeiten Géricaults herzustellen, geht somit nicht auf Kippenberger selbst zurück, sondern auf Becker und das von ihr entwickelte Ausstellungskonzept. Durch die Auskünfte der Kuratorin ist das ursprüngliche Ausstellungskonzept gut rekonstruierbar.2 Für die Entstehung des Werkkomplexes Medusa ist gerade diese erste Ausstellung entscheidend, denn der Medusa-Werkkomplex war bis zur Eröffnung der Kopenhagener Ausstellung im Oktober 1996 bereits weitgehend fertiggestellt.3 Noch während der Organisation der Ausstellung wurde Kippenberger mit den maßgeblichen Themen von Géricaults Floß der Medusa vertraut gemacht.

1 Kippenberger hat, nach Auskunft der Kuratorin, das Floß der Medusa bei dieser Gelegenheit erstmals kennengelernt, siehe Annesofie Becker in einer E-Mail an die Verfasserin vom 17.11.2013. Die Unkenntnis des Gemäldes mag angesichts des Paris-Aufenthalts von Kippenberger verwundern, allerdings arbeitete er in Paris als Schriftsteller und ein Besuch des Louvre ist nicht belegt, siehe Kippenberger 2010, S. 185f. 2 Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Ausstellungen steht noch aus. Die Museologin Line Hjorth ­Christensen untersucht in ihrem Aufsatz „Til minde om byen: Den refleksive udstillingstypologi i Memento Metropolis – en udstilling om langslen efter det Ny“, in: Nordisk Museologi, 2001, Bd. 1–2, S. 135–152 zumindest die Typologie der Kopenhagener Ausstellung und arbeitet ihren reflexiven Charakter heraus, von dem später noch die Rede sein wird. 3 Kippenberger reiste zur Vorbereitung der Ausstellung in Begleitung von Gisela Capitain nach Kopenhagen. Es ist unklar, ob er bei seiner zweiten Reise zur Eröffnung im Oktober auch die Ausstellung besichtigte, so Annesofie Becker in zwei E-Mails an die Verfasserin vom 17.11.2013 und 27.08.2017.

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Entstehungskontext

Die Hintergründe, die Becker dazu bewogen, Kippenberger mit Géricault zu vergleichen, sollen im ersten Teil dieses Kapitels beschrieben werden. Zunächst wird das der Kopenhagener Ausstellung zugrunde liegende Konzept vorgestellt und die Bedeutung von Floß der Medusa und Happy End innerhalb des Ausstellungskonzepts erörtert. Während Beckers Verständnis des Ereignisbildes von seinen literarischen und essayistischen Rezeptionen geprägt war, erweist sich für die Deutung von Kippenbergers Installation innerhalb der Ausstellung der Bezug auf Franz Kafkas Roman Amerika als entscheidend. Die Parallelen zwischen Kippenbergers künstlerischer Aneignung von Kafka und den literarisch-essayistischen Aneignungen von Géricaults Gemälde werden abschließend zusammengefasst. Im zweiten Teil des Kapitels wird die Umsetzung der Gegenüberstellung von Kippenberger und Géricault innerhalb der drei Ausstellungen in Kopenhagen, Antwerpen und Stockholm untersucht und aufgezeigt, dass sich diese zu einer Ausstellung in der Ausstellung entwickelte. Insbesondere Kippenbergers Produktionen anlässlich der Ausstellungen (ein Plakat, eine Einladungskarte und ein Katalog) verdeutlichen diese Entwicklung. Die Betrachtung dieser ausstellungsbegleitenden Arbeiten zeigt zudem, dass der Übergang von Happy End zu Medusa fließend ist. Zuletzt wird erörtert, inwieweit das Konzept der Ausstellung mit dem zeitgenössischen Kunstdiskurs und mit der von Kippenberger eingesetzten Ästhetik korrespondiert.

2.1 Memento Metropolis – eine Ausstellung über die Sehnsucht nach dem Neuen Die Ausstellung Memento Metropolis – an exhibition about the longing for the new wurde anlässlich der Wahl Kopenhagens zur Europäischen Kulturhauptstadt veranstaltet. Schauplatz war die Turbinenhalle, ein stillgelegtes, aus zwei großen Hallen bestehendes Elektrowerk des frühen 20. Jahrhunderts. Kuratiert wurde die Ausstellung von Becker und Flindt, die zu dieser Zeit gemeinsam in der ethnografischen Abteilung des Nationalmuseums Dänemarks tätig waren und dort bereits die Ausstellung Museum Europa: en udstilling om det europæiske museum fra renæssancen til vor tid konzipiert hatten. Diese Ausstellung, die unter dem Titel Wunderkammer des Abendlandes 1994 in Bonn gezeigt wurde, kann als Vorreiter für Memento Metropolis gelten, da sie mit Exponaten aus den Bereichen Natur, Wissenschaft, Technik und Kunst eine Art zeitgenössischer „Wunderkammer“ oder Memo­rientheater dargestellt hatte.4 In Fortführung der Bonner Ausstellung sollte Memento Metropolis ebenfalls eine Ausstellung sein, die Kulturgeschichte und Naturkunde mit 4 Die Ausstellung Museum Europa fand im Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen vom 19.06.– 31.10.1993 statt, die Bonner Ausstellung vom 25.11.1994–26.02.1995; Museum Europa: en udstilling om det europæiske museum fra renæssancen til vor tid, hg. von Nationalmuseet, ­Ausst.-Kat. Kopenhagen, Dänisches Nationalmuseum, 1993, Kopenhagen 1993 und Wunderkammer des Abendlandes. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit, hg. von Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, 1994, Wemding 1994.

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den bildenden Künsten mischte.5 Bereits die Wahl eines stillgelegten Elektrowerks als Ausstellungsort vermittelt diese Idee. Während bei der Ausstellung von 1994 die Geschichte des Ausstellens und Sammelns in Europa reflektiert wurde, lenkten die Kuratoren 1996 den Fokus auf die Konstruktion von Sammlungen als Mittel der Erinnerung. Der Schwerpunkt lag damit nicht mehr auf einer historischen Aufarbeitung der Vergangenheit (wie noch in Wunderkammer des Abendlandes), sondern richtete den Blick auf die Sehnsucht nach dem Neuen und die Frage nach der Erinnerung an die Gegenwart, wie schon der Ausstellungstitel ankündigt. Die Großstadt diente dabei als zentrales Motiv. Die Wahl des griechischen Worts „Metropolis“ im Titel ist sicherlich eine Anlehnung an Fritz Langs Stummfilm Metropolis aus den 1920er Jahren. Diese Assoziation wird durch die in den zur Ausstellung erschienenen Buchpublikationen verwendete Typografie, die der historischer Filmplakate ähnelt, noch weiter gefördert. Wie der Film beschäftigte sich auch die Ausstellung mit der Vorstellung von der Großstadt zwischen Utopie und Dystopie. Durch die Veränderungen, die der Fortschritt mit sich brachte, wurde im 20. Jahrhundert fraglich, ob die Metropole wirklich Utopie und Heilsversprechen bedeute oder nicht vielmehr den Untergang der Gesellschaft. Im Vorwort zur Ausstellung schreiben die Kuratoren: Zwei Vorstellungen, die des Neuen und des Endes, haben Kunst, Philosophie und Wissenschaft in diesem Jahrhundert beeinflusst. Die Ausstellung hinterfragt, wie die Erinnerung an das Leben in den Städten des 20. Jahrhunderts bewahrt werden kann. Wie war es, in einer Zeit zu leben, die einerseits von der Idee geprägt wurde, die Welt besser, größer und schöner zu gestalten, und andererseits von einem tief verwurzelten Nihilismus ohne Erwartungen an die Zukunft. Die Ausstellung versucht, die Großstadt nicht nur als geografisches Phänomen, städtische Form oder bestimmten Ort zu betrachten, sondern verfolgt die Beziehung zwischen Erinnerung und Erwartung, wie sie in der modernen Großstadt widergespiegelt wird.6

5 Annesofie Becker in einer E-Mail an die Verfasserin vom 17.11.2013. Vgl. zum Bezug zur barocken Wunderkammer, zum Studiolo, Raritätenkabinett, dem Panorama und Diorama auch Christensen 2001, S. 6f., S. 11. 6 Annesofie Becker, Willie Flindt, „Vorwort“, in: Memento Metropolis – En Udstilling Om Længslen Efter Det Ny, hg. von Willie Flindt, Helle Rafn und Morten Skriver, A ­ usst.-Heft Kopenhagen, Turbinehallerne København, 1996, Kopenhagen 1996, S. 3. Sinngemäße Übersetzung durch die Verfasserin, Original: „To idéer, nemlig idéen om det Ny og idéen om Afslutningen har præget kunsten, filosofien og videnskaben i dette arhundrede. Udstillingen stiller på den bagrund spørgsmålet: Hvordan husker vi livet i det 20. årdhundredes byer? Hvordan var det at leve i en tid, som på den ene side var lidenskabeligt besat af tanken om at gøre verden bedre, større og skønnere, og på den anden side prægedes af en dybt rodfæstet nihilisme, blottet for fremtidsforventning, opfyldt af undergangsvisioner. Derved anskuer udstillingen ikke blot metropolen som et bygeografisk fænomen eller som en særlig bymæssig dannelse, ej heller blot som et bestemt sted eller rum, men forsøger at opspore og visualisere forholdet mellem erindring og forventning, som det kommer til udtryk i den moderne metropol.“

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Kurz vor der Jahrtausendwende stellte sich die Frage nach der Haltung der ungewissen Zukunft gegenüber mit neuer Relevanz. Die Ausstellungsidee wird in den drei die Kopenhagener Ausstellung begleitenden Publikationen – es handelt sich um eine Aufsatzsammlung7, ein ausstellungsbegleitendes Heft mit einem Einleger8 und den Katalog Kippenberger/Géricault9 – weiter ausgearbeitet. Das die Ausstellung begleitende Heft im DIN A4-Format stellt die wichtigste Quelle dar, um einen Eindruck der Ausstellung zu erhalten. Neben zahlreichen Illustrationen und dem Verzeichnis der rund zwanzig in Kopenhagen vertretenen Künstler enthält das Heft Kurztexte, die unter anderem die ausstellungsrelevanten Themen „Innovation“, „Maschinen“ und „Sammeln“ behandeln oder die Exponate der Ausstellung erklären. Die teilnehmenden Künstler trugen zur Gestaltung dieses Heftes bei, indem sie auf Anfrage der Kuratoren einen Stadtplan einer für sie bedeutenden Stadt auswählten und darin in Weiß ihre Lieblingsplätze in dieser Stadt, in Rot die von ihnen gemiedenen Orte und in Grau für sie gleichgültige Orte markierten.10 Die Stadtpläne stellen damit kartografisch die ambivalenten Gefühle dar, die eine Stadt hervorrufen kann, und zeichnen mit den Markierungen gleichzeitig die Erinnerungen der Künstler auf. Kippenberger wählte einen antiquarisch wirkenden Stadtplan der Wiener Innenstadt, seinem damaligen Lebensmittelpunkt, und markierte darauf zwei Orte mit den schwer leserlichen Stempelabdrücken „IN-PUT“ und „OUT-PUT“ in roter Farbe.11 Die Stempel stammen ursprünglich aus der Werkreihe Input-Output. Umzüge 1957–88/1992, die aus Zeichnungen zu den Wohnungsumzügen des Künstlers besteht.12 Die englischen Begriffe sind demnach Wortspiele, die für das Ein- und Ausziehen aus Wohnungen, aber auch für den künstlerischen Prozess von Inspiration und Ausdruck, von Rezeption und Produktion stehen. Obwohl sich Kippenberger bei seinem Stadtplan nicht an die Vorgaben der Kuratoren hielt, nahm er auf seine eigene Art Bezug auf das Thema Erinnerung und Erneuerung, das sich auch in der Wiederverwendung der Stempel einer früheren Werkreihe manifestiert. Der dritte Katalog Kippenberger/Géricault bestätigt die zentrale Bedeutung der Künstler und ihre gleichwertige Stellung im Kontext der Ausstellung. Der Katalog beinhaltet 7 Der Aufsatzband enthält Beiträge verschiedener Autoren, darunter Schriftsteller und Professoren aus den Bereichen der Ethnologie, Kunst-, und Literaturwissenschaften wie Boris Groys, Beat Wyss oder Marc Augé, die sich mit dem Thema „Großstadt“ und Kopenhagen im Besonderen auseinandersetzen. Diese Artikel werden von Bilderreihen verschiedener Fotografen zu Kopenhagen unterbrochen, wie zum Beispiel von Roberto Fortuna oder Krass Clement, siehe Memento Metropolis – En Udstilling Om Længslen Efter Det Ny, hg. von Annesofie Becker u. a., ­Ausst.-Kat. Kopenhagen, Turbinehallerne København, 1996, Kopenhagen 1996. 8 Flindt/Rafn/Skriver, ­Ausst.-Heft, 1996. 9 ­Ausst.-Kat. Kopenhagen, Kippenberger/Géricault, 1996. 10 Siehe hierzu das Vorwort in Flindt/Rafn/Skriver, ­Ausst.-Heft, 1996, S. 3. 11 Auf dem Wiener Stadtplan ist mit „IN-PUT“ die Straße markiert, in der sich Elfie Semotans Office befindet. Der zweite Stempel markiert die Straße des Kaffee Alt Wien, das Kippenberger frequentierte. 12 Die 67 Zeichnungen auf Hotelrechnungen waren 1989 in der Galerie Gisela Capitain zu sehen. Weitere zehn Blätter entstanden 1992, siehe u. a. ­Ausst.-Kat. Wien 2003, S. 132.

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einen großzügigen Abbildungsteil, der von zwei Aufsätzen in je englischer und dänischer Fassung gerahmt wird. Der erste Aufsatz „Keep Smiling“ wurde vom dänischen Philosophen Arno Viktor Nielsen für die Ausstellung verfasst und nimmt in erster Linie Kippenbergers Installation und ihre Verbindung zu Franz Kafkas Roman Amerika in den Fokus.13 Als Verbindungspunkt zwischen Kippenberger und Kafka sieht Nielsen ihre zwiespältige Haltung gegenüber dem Fortschritt, der in Form einer zunehmend grotesken Bürokratisierung dargestellt wird. Der zweite Artikel „The Results of a Sinking“ stammt vom Chefredakteur der du – Zeitschrift für Kultur und erschien dort unter dem Titel „Folgen eines Untergangs“ bereits 1994 in der Ausgabe „Trotzdem. Kultur und Katastrophe“.14 Dieter Bachmann widmet sich darin der Geschichte des Ereignisbildes und seinem Weiterleben als Metapher des Schiffbruch-Erleidens. Bachmann konzentriert sich, nach einer Beschreibung der historischen Ereignisse des Schiffbruchs, primär auf die literarische Rezeption des Gemäldes und seinen Bedeutungswandel bis in die 1990er Jahre. Dadurch ergänzt Bachmann Nielsens Ausführungen zu Kafka, Kippenberger und der Fortschrittsfrage um Betrachtungen zu Géricault sowie den Themen Erinnerung und Erneuerung am Beispiel der literarischen Rezeptionsgeschichte des Bildes. Neben Happy End und Floß der Medusa bildete eine Bibliothek gebrauchter Bücher eine weitere Konstante der Memento Metropolis-Ausstellungen. Diese Bibliothek war partizipativ angelegt und ermöglichte den Besuchern, eigene Bücher gegen vorgefundene auszutauschen. Die Bibliothek als eine Institution der Bewahrung wurde zum Mittel der Reflexion über und der aktiven Gestaltung von Geschichte. Die Besucher entschieden, welche Bücher aufbewahrt und an die nächsten Stationen überliefert werden sollten. Anhand dieses Projekts verdeutlicht sich der selbstreflexive Anspruch der Ausstellung, die zum Instrument der Erinnerung wurde. Die Themen Sammeln und Ausstellen prägen auch andere Exponate, wie beispielsweise die Objekte aus dem Museum of Found Objects von Johannes Peter Kattrup oder das aus je zehn Buchbänden bestehende Konzeptwerk One Million Years Past, One Million Years Future von On Kawara, das aus der Auflistung jedes Tages von einer Million Jahre besteht. Zu den Exponaten zählten darüber hinaus Bilder mumifizierter Möwen von Jon Olsen und Jan Abrahamsen oder ein mechanischer Apparat von Stelarc, die Stomach Sculpture, die in den Magen eingeführt und dort bewegt

13 Arno Victor Nielsen, „Keep Smiling“, in: Kippenberger/Géricault. Martin Kippenberger „The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“. Théodore Géricault „Le Radeau de la Méduse“, hg. von Martin Kippenberger, Annesofie Becker und Helle Rafn, ­Ausst.-Kat. zu Memento Metropolis – En Udstilling Om Længslen Efter Det Ny, Kopenhagen, Turbinehallerne København, Kopenhagen 1996, S. 101–106. 14 Dieter Bachmann, „The Results of a Sinking“, in: Kippenberger/Géricault. Martin Kippenberger „The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“. Théodore Géricault „Le Radeau de la Méduse“, hg. von Martin Kippenberger, Annesofie Becker und Helle Rafn, ­Ausst.-Kat. zu Memento Metropolis – En Udstilling Om Længslen Efter Det Ny, Kopenhagen, Turbinehallerne København, Kopenhagen 1996, S. 107–127, ursprünglich: Dieter Bachmann: „Folgen eines Untergangs“, in: du – Die Zeitschrift der Kultur: Trotzdem. Kultur und Katastrophe, 1994, Nr. 2, S. 11–25.

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werden kann.15 Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass neben den Themen „Erinnerung“ und „Fortschritt“ weitere zeitgenössische Diskurse, wie das Verhältnis von Körper und Maschine, aufgegriffen wurden.16 Wie sich das Gemälde Floß der Medusa und die Installation Happy End jeweils in das hier skizzierte Ausstellungskonzept einfügen, ist der Gegenstand der folgenden Kapitel.

2.1.1 Das Floß der Medusa im Kontext der Ausstellung Das originale Gemälde Géricaults ist im Denon-Flügel des Louvre in der Salle Mollien dauerhaft ausgestellt (Abb. 1). Eine bis zur Kopenhagener Ausstellung 1996 nie gezeigte originalgetreue Reproduktion des Gemäldes von Jean-Baptiste-Antoine Guillemet und Etienne Antoine Eugène Ronjat aus dem Jahr 1860 findet sich in der Sammlung des Musée de Picardie in Amiens. Die Kopie entstand im Auftrag des französischen Staates wegen des fortschreitenden Verfalls des Gemäldes, dessen schwarze Farbe zersetzendes Blei enthält.17 Becker erfuhr durch Dieter Bachmanns Artikel „Folgen eines Untergangs“ von der Existenz dieser Kopie.18 15 Die Auflistung aller teilnehmenden Künstler in Kopenhagen umfasst: Leise dich Abrahamsen (*1955 Kopenhagen), Torben Ebbensen (*1945 Kopenhagen), Suzan Etkin (*1955 New York), Sabine Hornig (*1964 Berlin), Anita Jorgensen (*1942 Kopenhagen), Johannes Peter Kattrup (*1933 Dänemark), Martin Kippenberger (*1953 Dortmund), Edin Numankadic (*1948 Sarajevo), John Olsen (*1930 Fjellebro, Dänemark) und Lars Abrahamsen (*1953 Arhus), Kathy Prendergast (*1958 Dublin), Ulf Rollof (*1961 Karlskrona), Sarkis (*1938 Istanbul, arbeitet in Paris), Christian Skeel (*1956 Kopenhagen) und Morten Skriver (*1954 Kopenhagen), Stelarc (*1946 Zypern), Mikael Thejll (*1952 Kopenhagen), Anne Thulin (*1953 Lund), On Kawara (1932–2014, Los Angeles), Palle Nielsen (*1920 Kopenhagen) sowie Jean-Baptiste-Antoine Guillemet (*1843–1918, Frankreich) und Etienne Antoine Eugène Ronjat (*1822 Vienne-1912, Paris), siehe Flindt/ Rafn/Skriver, ­Ausst.-Heft, 1996. 16 Die Themen Körperlichkeit sowie Erinnerung wurden zwischen 1994 und 1996 auch mit je zwei Bänden in der Zeitschrift Kunstforum International aufgegriffen. Da einige der in den Aufsätzen besprochenen Künstler, wie Stelarc oder On Kawara, in Memento Metropolis vertreten waren, diente die Zeitschrift möglicherweise als Inspiration. Siehe Kunstforum International, hg. von Hans Ulrich Reck, Bd. 127–128: Konstruktionen des Erinnerns – Transitorische Turbulenzen I–II, Juli-September/Oktober–Dezember 1994 und Kunstforum International, hg. von Florian Rötzer, Bd. 132–133: Die Zukunft des Körpers I–II, November-Januar/Februar-April 1996. 17 Bazin 1994, S. 42ff., S. 45 legt dar, wie Guillemet und Ronjat den Generaldirektor der Museen, Comte de ­Nieuwerkerke, überzeugten, aufgrund des schlechten Zustands des Gemäldes durch Géricaults Verwendung von Bitumen eine Kopie erstellen zu lassen. Durch eine Analyse am CNRS des Louvre konnte festgestellt werden, dass Géricault kein Bitumen sondern Ölfarbe mit Blei verwendet hatte, die jedoch konservatorisch ebenso problematisch wie Bitumen ist. 18 Bachmann, Folgen, 1994. Géricaults Gemälde ist der Aufhänger der gesamten Zeitschriftenausgabe, die der Frage gewidmet ist, wie sich die gegenwärtigen Katastrophen in Form von Umweltverschmutzungen, Kriegen und Epidemien in der Kultur widerspiegeln und der Mensch angesichts seines Versagens dennoch überleben kann. Diese Frage wird in drei Kapiteln „Schiffbrüche“, „Überleben“ und „Widerstand“ diskutiert, wobei der Fokus auf dem Leisten von Widerstand liegt, wie bereits der Titel der Ausgabe ankündigt. Dieter Bachmann, „Editorial“, in: du – Die Zeitschrift der Kultur: Trotzdem. Kultur und Katastrophe, 1994, Nr. 2, S. 9.

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Bachmann war die Existenz der originalgetreuen Kopie des Gemäldes wiederum dank des Romans A History of the World in 10 ½ Chapters von Julian Barnes aus dem Jahr 1989 bekannt, auf den er in seinem Artikel zur literarischen Rezeptionsgeschichte des Gemäldes auch zu sprechen kommt.19 Barnes verfasst in der History anhand des Motivs und der Metapher des Schiffbruch Erleidens zehn nahezu autonome Kurzgeschichten, die, beginnend mit dem Mythos der Arche Noah und mit dem Traum eines Erzählers endend, eine alternative Version der Menschheitsgeschichte darstellen. Das fünfte und zentrale Kapitel des Romans trägt den Titel Shipwreck und ist dem Schiffbruch der Medusa gewidmet, anhand dessen sich der Erzähler nicht nur mit der Frage nach dem Überleben in einer von „Schiffbrüchen“ geprägten Welt und ihrem Sinn auseinandersetzt, sondern auch mit der Bedeutung von Kunst in dieser Welt. Sowohl bei Bachmann als auch bei Barnes wird das Ereignisbild zum Aufhänger, um das Verhältnis von Kunst, Geschichte und Existenz zu reflektieren. Dies hatte bereits Jahre zuvor ein anderer Autor getan, nämlich Peter Weiss in seinem dreibändigen Roman Die Ästhetik des Widerstands (publiziert zwischen 1975–1981).20 Die Ästhetik des Widerstands wurde in den 1980er und 1990er Jahren breit diskutiert und auch Bachmann war mit Weiss’ Rezeption des Bildes vertraut, die er in seinem Artikel ebenfalls knapp referiert. Allein der Titel des Zeitschriftenbandes, der mit „Trotzdem“ eine widerständige Haltung impliziert, wirkt wie ein Echo auf Weiss’ Roman. Der Roman erzählt aus der Ich-Perspektive die Lebensgeschichte eines 1917 geborenen deutschen Arbeiters und Widerstandskämpfers gegen den Faschismus, die in die Geschichte des Klassen­kampfes der unteren gegen die obere Schicht im 20. Jahrhundert eingebettet ist. Biografische Fakten und Fiktionen verbindet Weiss zu einer „Wunschautobiographie“21, die in weiten Teilen im Stil eines Essays verfasst ist. Die Frage nach der Bedeutung von Kunst im Klassenkampf stellt einen roten Faden innerhalb des Romans dar und Beschreibungen von Werken der bildenden Kunst von der Antike bis ins 20. Jahrhundert – vom Pergamon-Altar bis zu Pablo ­Picassos Guernica – bilden einen essentiellen Bestandteil. Unter einem anti-faschistischen, politisch linken Blickwinkel setzt sich der Erzähler in den ersten zwei Bänden auch mit Géricaults Gemälde Floß der Medusa auseinander. Die Ausstellung des Floß der Medusa war deutlich von Bachmanns Deutungen des Gemäldes geprägt und die Faszination der Kuratorin Becker für Géricaults Gemälde bestand schon seit ihrer Jugend, angeregt von Weiss’ Roman Ästhetik des Widerstands. Obwohl Becker die History nicht selbst gelesen hatte, wird auch Barnes’ Roman betrachtet, denn dessen Ideen finden sich nicht nur bei Bachmann wieder, sondern zeugen von in dieser Zeit herrschenden Vorstellungen in Bezug auf das Gesellschaftsbild, das Verständnis von 19 Julian Barnes, A History of the World in 10 ½ Chapters, London 1989. 20 Peter Weiss, Die Ästhetik des Widerstands. Roman. Frankfurt am Main¹ 2005. 21 Weiss zitiert nach Rolf Michaelis, „Es ist eine Wunschautobiographie. Peter Weiss im Gespräch mit Rolf Michaelis über seinen politischen Gleichnisroman“, in: Die Zeit, Nr. 42, 10.10.1975, URL: http://www.zeit. de/1975/42/es-ist-eine-wunschautobiographie, aktualisiert am 21.11.2012 (abgerufen: 27.01.2018).

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Geschichte sowie die Bedeutung von Kunst, welche die literarischen Aneignungen des Gemäldes, die Ausstellung und Kippenbergers Installation verbinden.22 Das Ziel der folgenden Analyse ist es dementsprechend nicht, das Floß der Medusa in seiner kunsthistorischen Komplexität vorzustellen, sondern den zeitspezifischen Blick ausgehend von den genannten Romanen und Bachmanns Artikel zu rekonstruieren. Die Ausführungen der Autoren über die Ereignisse des Schiffbruchs und die Entstehung des Gemäldes sind dabei weitgehend kongruent mit der kunsthistorischen Forschung bis Ende der 1980er Jahre. Die Autoren selbst stützen sich sowohl auf die kunsthistorische Forschungsliteratur (insbesondere auf Eitner23) als auch auf Primärquellen, darunter der Bericht zweier Überlebender des Schiffbruchs,24 der bereits dem Maler als Quelle diente. Daher wird in der folgenden Beschreibung des Gemäldes nur partiell auf weitere Forschungsliteratur zu Géricault zurückgegriffen, um wichtige Punkte zu verstärken oder zu erweitern. Die drei Autoren nähern sich dem Gemälde über die Beschreibung des dargestellten, historischen Ereignisses an. Der Schiffbruch der Fregatte Medusa ereignete sich 1816, ein Jahr nachdem England den Senegal an Frankreich abgetreten hatte. Zur Rekolonialisierung des Gebiets sandte die französische Restaurations-Regierung eine Flotte aus, deren wichtigstes und neuestes Schiff die Fregatte Medusa war. Unter dem Befehl Hugues Duroy de Chaumareys, eines ehemaligen Offiziers des Ancien Regime, beförderte die Medusa 396 Passagiere. Knapp einen Monat nach dem Auslaufen der Flotte aus Rochefort lief die Medusa vor der Küste Senegals durch einen Navigationsfehler des von de Chaumareys als Kommandanten eingesetzten Offiziers Richefort entgegen aller Warnungen der Korvette Echo auf eine in den Seekarten verzeichnete Sandbank auf. Die Versuche, das Schiff wieder frei zu bekommen, scheiterten. Als die Fregatte in der Nacht brach, wurde ihre Räumung beschlossen. Da das Schiff nicht über ausreichend Rettungsboote verfügte, wurde aus den Masten ein zwanzig auf sieben Meter großes Floß gezimmert, das, neben etwas Wasser, sechs Weinfässern und einem Sack Zwieback, nahezu die Hälfte der 396 Passagiere tragen sollte. Unter der Last der etwa 120 Soldaten und Seemänner sowie wei22 Die Texte beider Romanautoren mit den Passagen zum Gemälde fanden sowohl in literatur- wie kunstwissenschaftlicher Forschung weite Beachtung. Ein Vergleich beider Texte steht trotz ihrer vielen Analogien jedoch noch aus. Ansätze eines Vergleichs finden sich bei Hans Belting, Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst, München 1998, S. 122–125; Christoph Henke und Charis Goer, „Kunst und Katastrophe. Ein Zwiegespräch zum ‚Floß der Medusa‘ in Julian Barnes’ ‚A History of the World in 10 ½ Chapters‘“, in: Weimarer Beiträge, Jg. 46, 2000, Nr. 1, S. 129–136. 23 Barnes gibt in der „Author’s Note“ zur History Lorenz Eitner als Quelle an. Durch ein direktes Zitat in der History lässt sich nachweisen, dass Barnes mit Eitner 1983 arbeitete. Die von Barnes zitierte Passage findet sich Eitner 1983, S. 188, siehe Barnes 1989, S. 139, S. 311. 24 Der Bericht erschien erstmals 1817 und wurde bis 1821 in insgesamt fünf Auflagen publiziert. In der vorliegenden Untersuchung wurde mit folgender Ausgabe gearbeitet: Alexandre Corréard und Jean-Baptiste Henri Savigny, Le naufrage de la „Méduse“, Relation du naufrage de la frégate la „Méduse“, hg. mit einem Vorwort von Alain Jaubert, Text nach der 5. Ausgabe von 1821, hg. von Alexandre Corréard, Paris 2005. Für eine kritische Betrachtung des Berichts siehe Bazin 1994, S. 77–91.

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terer Mitglieder der Expedition, darunter eine Frau, sackte das Floß etwa auf einen Meter unter die Wasseroberfläche ab. De Chaumareys, der Gouverneur Julien-Désiré Schmaltz mit seiner Familie sowie die Offiziere nahmen in den Rettungsbooten Platz. Weitere 17 Passagiere blieben auf der aufgelaufenen Medusa zurück. Die Vereinbarung, das Floß mithilfe der Rettungsboote zu ziehen, wurde schnell gebrochen, die Seile gekappt und die Schiffbrüchigen ihrem Schicksal überlassen. So trieben sie dreizehn Tage lang auf offener See umher, bis das Floß von der Brigg der Flotte mit dem bezeichnenden Namen Argus gesichtet wurde. Durch Meutereien, Unfälle auf den rutschigen Planken, durch Hitze und Hunger reduzierte sich die Zahl der Überlebenden zum Zeitpunkt der Rettung durch die Argus auf nur fünfzehn von 152 Menschen. Fünf von ihnen erlagen noch den erlittenen Strapazen. Als Primärquelle zu diesen Hintergründen des Unglücks diente den Autoren der erstmals 1817 erschienene Bericht des Geografen Alexandre Corréard und des Arztes Henri Savigny, die zu den Überlebenden des Schiffbruchs zählten. Die Motivation Corréards und Savignys zur Publikation ihres Berichts bestand darin, die unvorstellbare Tortur der Schiffbrüchigen und die Fehlentscheidungen der Oberen der Öffentlichkeit bekannt zu machen und Gerechtigkeit einzufordern. Obwohl der Schiffbruch allein dem Versagen der Menschen zuzuschreiben war und hätte vermieden werden können, blieben zunächst nennenswerte Konsequenzen für die Verantwortlichen aus. Die Regierung und ihre Vertreter, welche die ihnen anvertrauten Passagiere nicht nur in die Katastrophe geführt, sondern in der Not auch noch im Stich gelassen hatten, war stattdessen bemüht, die Ereignisse zu vertuschen. Die Opposition wiederum versuchte, die Katastrophe für ihre eigenen Ziele zu instrumentalisieren, denn erst die Wiederherstellung der vorrevolutionären Zustände ermöglichte den Einsatz des unerfahrenen de Chaumareys25 und führte so in letzter Konsequenz zum Überleben weniger Privilegierter und dem Tod vieler. Aus der Katastrophe wurde ein politischer Skandal.26 Dieser politische Hintergrund des Schiffbruchs stößt beim Erzähler der Ästhetik, der im Spanischen Bürgerkrieg als Widerstandskämpfer gegen die Nationalisten eintritt, auf Resonanz. Er versteht das Floß der Medusa als ein Bild, „das die Korruption der Beamtenschaft, den Zynismus, die Selbstsucht der Regierung entblößte“27 und beschreibt den Prozess der Identifikation des Betrachters mit den Figuren des Gemäldes: 25 De Chaumareys war dank seiner Beziehungen – er war der Neffe des erfolgreichen, in der Gunst der Regierung stehenden Admirals Louis Guillouet d’Orvilliers – und nicht aufgrund seiner Erfahrungen zum Kommandanten der Fregatte ernannt worden. 26 Die Autoren Weiss, Barnes und Bachmann beschreiben den Hergang des Unglücks basierend auf diesem Bericht mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung: Weiss 2005, S. 425–427, S. 453–486 widmet sich ausführlich den politischen Umständen, Barnes 1989, S. 113–124 hebt die Momente der „Ironie des Schicksals“ und der Wiederholung hervor und Bachmann Folgen, 1994, S. 11–17 betont die Kaltherzigkeit der Obrigen gegenüber den Menschen in Not. Dass die politische Situation weitaus komplexer war, führen unter anderem Eitner 1972, S. 1–6, S. 52f. oder Bazin 1994, S. 8f. aus. 27 Weiss 2005, S. 425.

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Der Beschauer, [...] sollte, wenn auch keiner der Gescheiterten ihm einen Blick zuwandte, sich in unmittelbarer Nähe des Floßes wähnen, es sollte ihm scheinen, als hinge er, mit verkrampftem Griff, an einem der vorspringenden Bretter, zu matt schon, um die Rettung noch erleben zu können.28 Bereits Géricaults Zeitgenosse Eugène Delacroix wies auf die nahezu immersive Komposition hin, bei welcher das Floß zum Bildvordergrund so abfalle, dass sich der Betrachter bereits mit einem Bein im Wasser fühle.29 Auch bei seiner Lektüre des Berichts von Corréard und Savigny fühlt sich der Erzähler der Ästhetik in die Rolle der Schiffbrüchigen ein. Er stellt sich gleichzeitig die Lektüre des Berichts durch den Künstler vor und überblendet diese Vorstellungen mit seinen eigenen Erlebnissen in Paris. Diese „Parallelmontage“30 führt zu einer psychologisierenden Bildlektüre, welche das Gemälde zum Sinnbild der individuellen Schmerzen des Künstlers werden lässt. Denn, so der Erzähler, [n]ie ließen sich von andern erlittne Schmerzen nachempfinden, nur eigne Erfahrungen konnten wiedergegeben werden. Mit ihrer Einbildungskraft erzeugten die Maler Situationen, in denen Selbsterlebtes so lange über das gewählte Geschehnis geschoben wurde, bis der Eindruck von Übereinstimmung entstand.31 Die Parallelmontage stellt ihrerseits eine solche Überblendung von Selbsterlebtem mit vermittelten Ereignissen dar, wie sie der Erzähler in Géricaults Gemälde erkennt. ­Géricault erscheint ihm letztlich als leidendes, melancholisches Genie, das an der Welt zugrunde gegangen ist: Eine Hilfe, eine Rettung gab es für ihn [Géricault] nicht [...], der Wahnsinn hing ständig über ihm, als eine Auflehnung gegen die Erstarrung. Er, der eingreifen wollte in das System der Unterdrückung und Destruktivität, sah sich zugrundegehn als Geschlagner.32 28 Ebd., S. 478f. 29 Ebd., S. 427. Eugène Delacroix in einem Brief an Félix Guillemardet vom 02.11.1819 über die Umhängung des Gemäldes, frei übersetzt nach Eitner 1972, S. 40: „On a descendu le tableau des Naufragés et on les voit de plein pied, pour ainsi dire. De sorte qu’on se croit déjà un pied dans l’eau.“ Vgl. hierzu auch ebd., S. 26; Bazin 1994, S. 52–57; Gregor Wedekind, „Schiffbruch des Zuschauers. Théodore Géricaults Floß der Medusa als Dekonstruktion des Historienbildes“, in: Bilder machen Geschichte. Historische Ereignisse im Gedächtnis der Kunst, hg. von Uwe Fleckner, Berlin 2014, S. 235–252, hier S. 251f.; Hubmann 2012, passim. 30 Günter Giesenfeld, „Kunstwerke in der Ästhetik des Widerstands“, in: Ästhetik. Revolte. Widerstand, hg. von Internationale Peter Weiss-Gesellschaft, Ergänzungsbd., Luzern und Mannenberg 1990, S. 203–209, hier S. 205. Zur Technik der Montage bei Weiss vgl. auch Klaus Jochem, Widerstand und Ästhetik bei Peter Weiss. Zur Kunstkonzeption und Geschichtsdarstellung in der „Ästhetik des Widerstands“, Berlin 1984, S. 46–52. 31 Weiss 2005, S. 429. 32 Ebd., S. 485f. Zunächst blieb der Erfolg im Salon aus, so dass das Gemälde erst nach dem Tod Géricaults zu einem geringen Preis verkauft werden konnte, vgl. Eitner 1972, S. 57–61, insbes. Fußnote 23 und S. 66f.

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Wie der Maler begreift sich auch der Erzähler in Paris nach dem Scheitern der Widerstandskämpfer im Spanischen Bürgerkrieg als Geschlagener und die Identifikation mit den Schiffbrüchigen wandelt sich zur Identifikation des Erzählers mit dem Maler.33 Auch in der dreiecksförmigen Komposition erkennt der Erzähler der Ästhetik einen „gefährliche[n] Angriff [...] auf die etablierte Gesellschaft“34. In pyramidaler Form ordnet Géricault die letzten Überlebenden auf dem Floß zwischen ihren toten Kameraden an, zu einem Zeitpunkt kurz vor ihrer Rettung durch die Argus, die in weiter Ferne am Horizont erkennbar ist. An der Spitze der Pyramide steht ein Afrikaner (Figur P), der mithilfe eines Kameraden ein Weinfass erklimmt und versucht, durch das Schwenken eines Tuchs ins Sichtfeld der Argus zu gelangen. Durch die kompositorische Nähe dieser Rückenfigur zur Argus und der energischen Bewegung, die Ausdruck ihres Überlebenswillens ist, gilt diese Figur als Chiffre der Hoffnung auf Rettung. Der Afrikaner als Symbol für die Unterdrückung einer sozialen Klasse und Verweis auf den zeitgenössischen Sklavenhandel, wie er zum Beispiel im Senegal betrieben wurde, wird durch seine Positionierung an der Spitze der Menschenpyramide überdies zum Zeichen der Umkehr der sozialen Hierarchien. Für Weiss’ Erzähler lässt er als Stärkster unter den Schiffbrüchigen „den Gedanken aufkommen an die Befreiung aller Unterdrückten“35. Damit ist die Figur nicht nur Hoffnungsträger einer Errettung aus der Seenot, sondern stellt auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in gesellschaftspolitischer Hinsicht dar. Es bleibt jedoch fraglich, ob sich die Hoffnung auf Errettung beziehungsweise Erlösung erfüllen wird. Der Erzähler der Ästhetik bemerkt die ambivalente Struktur der Bildkomposition, die von einer „Doppeldiagonale“36 beherrscht wird: Die erste Diagonale folgt den hoffnungsvoll nach Rettung winkenden Schiffbrüchigen und steigt von links unten nach rechts oben auf; gekreuzt wird diese Diagonale von einer fallenden Linie, die sich aus der Fahrtrichtung des Floßes ergibt, so dass das Floß scheinbar an der Rettung vorbeisteuert. Die Perspektive auf das Geschehen „wie vom Blick eines Ertrinkenden“37 stützt die Zweifel an einer sich nähernden Rettung weiter.38 Nach der gescheiterten Liebesbeziehung mit der Frau seines Onkels, die mit der Geburt des unehelichen Kindes 1818 ihr Ende fand, starb Géricault schon in jungen Jahren an einer Verletzung des Rückgrats. Vgl. Eitner 1972, S. 12f., S. 57, S. 65f. Auch Bachmann, Folgen, 1994 und Barnes 1989 parallelisieren das Sujet des Existenzkampfes mit dem Leben des Künstlers, das von Misserfolgen und Leid geprägt war. 33 Zur Identifikation mit dem Künstler als ein typisches Verfahren von Peter Weiss, siehe Klaus Herding, „L’inversion de la souffrance. Une lecture du ‚Radeau de la Méduse‘ par Peter Weiss“, in: Géricault, critique et interprétation, hg. von Régis Michel, Bd. II, Paris 1996, S. 871–887, hier S. 876ff. 34 Weiss 2005, S. 427. 35 Ebd., S. 427. 36 Ebd., S. 426. 37 Ebd., S. 427. 38 Zur Analyse des Bildaufbaus vgl. unter anderem Bazin 1994, S. 53f.; Eitner 1972, S. 26–31; Lorenz Eitner, „Reversals of Direction in Géricaults Compositional Projects“, in: Stil und Überlieferung in der Kunst des Abendlandes. Akten des 21. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte in Bonn 1964, hg. von Giulio Carlo Argan u. a., Bd. 3: Theorien und Probleme, Berlin 1967, S. 126–133.

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Die Doppeldeutigkeit des Gemäldes beschäftigt auch den Erzähler des Shipwreck-­ Kapitels der History. Er sieht diese in der Szene der Sichtung der Argus selbst, dem dramaturgischen Höhepunkt des Ereignisses. Denn Géricault wählte als Motiv seines Gemäldes den Moment der ersten Sichtung der Brigg aus, die sich, dem Bericht zufolge, am Morgen des dreizehnten Tages am Horizont zeigte, dann jedoch zunächst wieder verschwand, um sich nach Stunden erneut von einer anderen Richtung her anzunähern. Obwohl die rettende Brigg am Horizont des Gemäldes zu erkennen ist, ist die Erlösung noch so weit entfernt, dass der dargestellte Zeitpunkt von der Anspannung der Schiffbrüchigen zwischen Hoffnung auf Rettung und Verzweiflung markiert ist. Der Erzähler beschreibt Schritt für Schritt die Wirkung anderer Szenen des Unglücksverlaufs, über die Corréard und Savigny berichten und welche Géricault in Studien austestete, wie den Kannibalismus, die Meutereien, das Kappen der Seile oder die eigentliche Errettung, die eindeutigere Bildaussagen generiert hätten. Mit der ersten Sichtung der Argus wählte Géricault jedoch eine Szene, die das noch offene Schicksal der Schiffbrüchigen darstellt. Den Zwiespalt zwischen dem Glauben an Rettung und der Hoffnungslosigkeit der Situation drückt Géricault durch das Licht und durch die Mimik beziehungsweise Gestik der Figuren aus. Während das Licht sowohl als Sonnenaufgang wie -untergang interpretiert werden kann, lassen sich die Figuren in Gruppen der Hoffnung und Verzweiflung aufteilen.39 Eine Gruppe, zu welcher der bereits beschriebene Afrikaner zählt, wird von aufkeimender Hoffnung angesichts der Sichtung der Argus erfasst und kämpft durch das Signalisieren um ihr Überleben. Andere, wie die zentrale Figur des sogenannten Vaters (Figur B) im Zentrum des Bildes, der seinen toten Sohn (Figur C) in den Armen hält, haben sich der Verzweiflung überlassen und der Hoffnung, repräsentiert durch den Afrikaner und die Argus, regelrecht den Rücken gekehrt. Für diejenigen, die leblos auf den Planken liegen, scheint jede Rettung zu spät. Diese Zweiteilung in eine Seite der Hoffnung und eine der Verzweiflung führt dazu, so der Erzähler, dass der Betrachter von einer Interpretation zur anderen wechseln kann.40 Die Figurendarstellung führt den Erzähler zu einer genaueren Betrachtung von Géricaults Arbeitsweise. Auf der einen Seite beobachtet er, dass Géricault genaue Recherchen über den Schiffbruch vornahm. Der Maler las nicht nur den Augenzeugenbericht, sondern trat zudem mit den Überlebenden in Kontakt, ließ sich ein Modell des Floßes nachbauen, arbeitete mit Wachsfiguren, ließ unter anderem Corréard und Savigny Modell stehen und studierte sogar die Verwesungsgrade von Leichenteilen. Doch bildet Géricault fünf Figuren mehr ab, als die fünfzehn Überlebenden, die sich zum dargestellten Moment

39 Barnes 1989, S. 130. Auch Bachmann, Folgen, 1994, S. 18 nennt die ambivalente Lichtführung, bei der das Sonnenlicht von Osten wie Westen zu kommen scheint. Vgl. hierzu Eitner 1972, S. 42. Corréard/Savigny 2005, S. 133f. zufolge wurde die Argus am Morgen des dreizehnten Tages gesichtet, so dass es sich um das Licht der aufgehenden Sonne handeln müsste. 40 Barnes 1989, S. 133.

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dem Bericht zufolge noch auf dem Floss befanden.41 So bemerkt der Erzähler auf der anderen Seite, dass Géricault in seinem Gemälde von einer tatsachengetreuen Wiedergabe Abstand nahm.42 Er beschreibt den Schaffensprozess folgendermaßen: „Truth to life, at the start, to be sure; yet once the process gets under way, truth to art is the greater allegiance.“43 Auch die Darstellung der Körper divergiert von den überlieferten Tatsachen, da diese kaum Anzeichen der physischen Pein aufweisen, wie die Wunden, welche durch die Hitze, das Salzwasser und die Kämpfe entstanden waren. Géricault verlieh seinen Schiffbrüchigen die makellosen, muskulösen Körper junger Helden.44 Die Szene erscheint „cleaned up as if for the state visit of some queasy-stomached monarch“45. Der Fokus des Betrachters wird dadurch auf das emotionale Leiden, das Hoffen und Verzweifeln, gelenkt und so verhindert, dass sich beim Betrachter Gefühle des Ekels und der Abscheu angesichts verwundeter Körper einstellen. Die Schönheit der Figuren und ihr Pathos des Leidens führen auch bei Barnes zur Identifikation des Erzählers mit den Figuren sowie ihrem Gefühlszustand und zu einem Gefühl der Empathie: „We don’t just imagine the ferocious miseries on that fatal machine; we don’t just become the sufferers. They become us.“46 Für keinen der beiden Autoren ist folglich die historische Verankerung des Ereignisbildes, das der Tragödie von 1816 als „emblem of the revolution betrayed“47 ein Denkmal gibt, das primäre Motiv. Das Gemälde weckt ihr Interesse, weil es für sie vielmehr ein zeitloses „Sinnbild eines Lebenszustands“48 darstellt, welcher dem Zustand Europas der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entspricht. Bachmann deutet das Gemälde in „Folgen eines Untergangs“, ohne den Umweg über einen fiktionalen Rahmen wie in der Epik Weiss’ oder Barnes’, als Sinnbild des Lebenszustands der Gegenwart, die von Katastrophen wie Kriegen, Epidemien oder Umweltzerstörung geprägt ist. Auch er identifiziert sich mit den Schiffbrüchigen:

41 Tatsächlich hatten die Schiffbrüchigen die Verstorbenen ins Meer geworfen. Corréard/Savigny 2005, S. 121. Corréard berichtet hier, dass sogar einige Kranke und Verletzte ins Meer geworfen wurden, um das Überleben der anderen zu garantieren. 42 Vgl. zu den Recherchen und Studien u. a. Eitner 1972, S. 27, Anm. 11, S. 22–39 oder Bazin 1994, S. 14–50. Eitner 1983, S. 182 spricht von einem „‚dossier of authentic proofs‘“. Zur Abweichung von einer tatsachengetreuen Darstellung des Ereignisses vgl. zum Beispiel Wedekind 2014, insbes. S. 236–241 sowie Bazin 1994, S. 52–57. 43 Barnes 1989, S. 135. 44 Eitner 1972 betont das Fehlen eines Helden, siehe zum Beispiel S. 51: „Its drama has no heroes and no message.“ Für Wedekind 2014, S. 248 liegt das Heroische in der Außerordentlichkeit des Leidens, das für den Betrachter durch die Ästhetisierung der Körper nachvollziehbar wird. Siehe auch Wedekind 2006, S. 103–128. 45 Barnes 1989, S. 135. 46 Ebd., S. 137. 47 Nielsen 1996, S. 106. 48 Weiss 2005, S. 426.

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170 Jahre nach dem Tod des Künstlers (1791–1824) wächst die Geschichte dieses Schiffbruchs, die Tragödie der auf dem Floss zusammengedrängten Letzten, in eine Gegenwartsmetapher hinein, die keinen Ausweg mehr zulässt: die dort, das sind wir.49 Bachmann sieht in den von ihm angeführten literarischen Aneignungen aus den Jahren zwischen 1945–1992 den Beleg für die Relevanz des Gemäldes für die Gegenwart.50 Seine Bemerkung über Géricault, „[m]an malt nicht ein Untergangsbild dieser Dimensionen, wenn dieser Untergang nicht das eigene Thema ist“51, trifft auch auf die Beschäftigung mit dem Gemälde in der Gegenwart zu. Die sogenannten „Letzten Nachrichten“, zeitgenössische Zeitungsmeldungen zu verschiedenen Unglücken und Katastrophen, die im Weißraum der du reproduziert wurden, bezeugen die unaufhörliche Präsenz von Katastrophen unterschiedlichen Ausmaßes in der Gegenwart. Im Editorial der du nennt Bachmann das Bild eine passende „Metapher für unsere heutige Situation“, die „besagt: Wir befinden uns, ausgesetzt, auf stürmischer See, aneinandergedrängt; wir schauen nach Hoffnungen aus; aber ob es eine Rettung gibt, bleibt ungewiss“52. Der Einfluss dieser Deutungen auf die Kuratorin von Memento Metropolis zeigt sich an ihrer Beschreibung des Gemäldes, die ganz ähnlich ausfällt: Das Bild sei „a great metaphor of our time: marked by a catastrophe, though we are not sure whether it’s behind or in front of us“53. Für Bachmann hat sich das Bild seit seiner Entstehung durch die zahlreichen Reproduktionen von der Leinwand und die Metapher des Schiffbruch-Erleidens wiederum vom Bild gelöst. Dass das Floß der Medusa zum „Allgemeingut“54 geworden sei, erkennt Bachmann insbesondere an den Trivialisierungen des Bildes, wie beispielsweise in den Comic-Parodien in Astérix Légionnaire und im Playboy.55 Das Gemälde ist für ihn dadurch auf die Metapher einer „hoffnungslose[n] Überlebenssituation“, einen „symbolischen Rest“, reduziert.56 Diejenigen Elemente, die für die Zeitgenossen Géricaults noch Hoffnung markierten und an die tatsächliche Rettung erinnerten, zum Beispiel die vom Licht erhellten 49 Bachmann, Folgen, 1994, S. 18. 50 Zu den Beispielen zählen – neben Weiss und Barnes – Georg Kaisers Theaterstück Das Floß der Medusa (Uraufführung 1945 durch Schüler im Stadttheater Basel), Hans Werner Henzes Oratorium Das Floß der Medusa (1968), Harald Müllers Theaterstück Totenfloss (Uraufführung 1984 in Oberhausen) sowie Joe Pintauros Theaterstück Raft of the Medusa (Uraufführung 1991 im New York Minetta Lane Theater); vgl. ebd., S. 22–25. 51 Bachmann, Folgen, 1994, S. 20. 52 Bachmann, Editorial, 1994, S. 9. 53 Annesofie Becker in einer E-Mail an die Verfasserin vom 27.8.2017. 54 Bachmann, Folgen, 1994, S. 21. 55 Ebd., S. 21. Im Text bezeichnet Bachmann den Band fälschlicherweise als „Astérix et les pirates“. Die Bildunterschrift zur Abbildung in der Zeitschrift du 1994, S. 43 benennt den Comic korrekt als Astérix Légionnaire, siehe René Goscinny und Albert Uderzo, Une aventure d’Astérix le Gaulois, Bd. 10: Astérix Légionnaire, Paris 1967. Die Ausgabe des Playboy ist nicht näher bestimmt; die Abbildung findet sich ebenfalls in der Zeitschrift du 1994, S. 43. 56 Bachmann, Folgen, 1994, S. 25.

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Tücher zum Signalisieren oder die Argus am Horizont, würden in den 1990er Jahren für die Betrachter, die mit dem Unglücksverlauf meist nicht vertraut waren, die Vergeblichkeit der Situation nur weiter unterstreichen: „Die Schatten- und Totenseite des Floßes ist so übermächtig, dass die Hoffnungshälfte rechts […] den Beiklang der Sinnlosigkeit hat. Wie ein Menetekel wirkt das Bild“57. Das rettende Schiff sei „der kulminierende Theatereffekt, ein Happy-End, den schönen Künsten vorbehalten“58. Die von Bachmann konstatierte, zunehmend negative Wahrnehmung des Gemäldes entspricht den steigenden Zweifeln an der Vorstellung von der Menschheitsgeschichte als Fortschrittsgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.59 Für Bachmann stellt das Gemälde, das durch seine Referenz auf das Scheitern der Revolution erste Zweifel am Fortschritt ausdrückt, einen „Anachronismus“ gegenüber dem technischen Fortschritt um 1800 dar.60 Durch die Aktualität, welche der fast zweihundert Jahre alten Gesellschaftsallegorie in den Rezeptionen im 20. Jahrhundert beigemessen wird, wird dieser Zweifel am Fortschritt weiter gestärkt. Die Auseinandersetzung mit der Menschheitsgeschichte und dem Fortschrittsdenken stellt das zentrale Thema der Romane dar. In dieser Hinsicht interessieren sich die Autoren nicht nur für Géricaults Motiv, sondern auch für seinen Produktionsprozess. Sie erkennen darin ein Modell der Historiografie, das auch der Poetik ihrer Romane als Grundlage dient. Géricault wählte ein ungewöhnliches Sujet, eine Bagatelle anstatt eines historisch bedeutsamen Ereignisses, und gibt dieses aus der Sicht Scheiternder wieder, wodurch er mit den Konventionen der Historienmalerei brach. Obgleich er den Ablauf des Ereignisses rekonstruierte, um sich über seine Recherchen einer „Augenzeugenperspektive“61 anzunähern, weicht er letztlich von den überlieferten Tatsachen ab, um aus dem Ereignis ein Kunstwerk zu machen, das sich durch eine formale Balance der Komposition, eine inhaltliche Ambivalenz zwischen Hoffnung und Verzweiflung und eine moralische Botschaft auszeichnet.62 In der Ästhetik wird Geschichte als eine fiktive Konstruktion und intentionale Auslegung von Fakten aufgefasst. Die fiktive Lebensgeschichte des Erzählers der Ästhetik wird zum Beispiel mit der Geschichte Europas des 20. Jahrhunderts vermischt und die Perspektiven von Erzähler und Maler durch die Parallelmontagen von Zeit und Raum verkoppelt. Die Geschichte der Linken im 20. Jahrhundert wird zudem 57 Ebd., S. 18. 58 Ebd. 59 Das Fortschrittsdenken basiert auf einer von Vernunft geleiteten Gesellschaft und entstammt der Aufklärung. Vertreter dieser Idee sind, neben Immanuel Kant, Friedrich Hegel und Karl Marx, die von Barnes 1989 in Bezug auf das Thema der Wiederholung zitiert und ihre Auffassungen persifliert werden, vgl. zum Beispiel Henke 2001, S. 44f. 60 Bachmann erwähnt in diesem Zusammenhang auch Joseph Conrad, „der […] in der Dampferzeit seine Seglergeschichten wie Menschheitsparabeln erzählt“, ebd., S. 22. Conrads „Lord Jim“ wurde in dieser Zeit auch im Umfeld Kippenbergers rezipiert und zeugt vom Interesse an Parabeln des Scheiterns. 61 Weiss 2005, zum Beispiel S. 430; Eitner 1983, S. 23 spricht vom „eye-witness account“. 62 Noch kurz vor der Salon-Ausstellung arbeitete Géricault am Gemälde und fügte noch im Louvre letzte Figuren hinzu, um Leerstellen zu vermeiden. Vgl. unter anderem Bazin 1994, S. 13–50; Eitner, 1972, S. 22–39.

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aus einer von der herrschenden Perspektive abweichenden Sicht beschrieben, nämlich der eines Proletariers sozusagen von unten. Geschichte basiert in der History ebenfalls aus der Verschmelzung von Fakt und Fiktion, die der Erzähler des Shipwreck-Kapitels bei Géricault erkennt und mit „truth to life“ und „truth to art“ benennt.63 Diese Geschichtsauffassung entspricht dem Konzept der „fabulation“, das Barnes im Kapitel Parenthesis folgendermaßen beschreibt: „We all know objective truth is not obtainable, that when some event occurs we shall have a multiplicity of subjective truths which we assess and then fabulate into history“64. Die Weltgeschichte erscheint in der History als „ein Bündel von Geschichten, das nur durch ‚seltsame‘ Verknüpfungen und ‚unerhörte‘ Verbindungen zusammengehalten wird“65, in Analogie zu den episodenartigen Kapiteln des Romans. Gemeinhin für bedeutsam erachtete Ereignisse der Weltgeschichte werden nur beiläufig erwähnt und aus ungewöhnlichen Perspektiven wiedergegeben – der Mythos der Arche Noah beispielsweise aus der Sicht eines Holzwurms, wie bei Weiss gleichsam von ‚unten‘. Barnes dekonstruiert in der History regelrecht die bestehenden Geschichtsvorstellungen und kommentiert diese im Kapitel Parenthesis. So erweist sich auch das Konzept der Wiederholung, das die History in Form der wiederkehrenden Motive und Strukturen prägt, nur als ein Versuch der Sinnkonstruktion. Im Kapitel Parenthesis gibt sich der Erzähler als Autor aus und kommentiert als solcher die zyklische Geschichtsvorstellung: „Does history repeat itself – the first time as tragedy, the second time as farce?“66 Der Erzähler bezieht sich mit dieser rhetorischen Frage auf Karl Marx’ Kommentar zu Georg Wilhelm Friedrich Hegels Vorstellung einer Doppelung aller Ereignisse und Personen der Weltgeschichte, wobei Marx der Auffassung ist, Hegel habe vergessen „hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“67 Selbst dieses Geschichtsmodell erscheint dem Erzähler noch zu kongruent, so dass die Antwort lautet: „No, that’s too grand, too considered a process. History just burps, and we taste again that raw-onion sandwich it swallowed centuries ago.“68 Entsprechend führen die wiederkehrenden Motive der ­History, wie der Holzwurm oder die Schiffbruch-Metapher, welche die eigentlich unabhängigen Erzählungen miteinander verbinden, nicht zu Erkenntnis, sondern erzeugen einen Eindruck von Willkür. In beiden Romanen entpuppt sich Geschichtsschreibung als zweckgebundene, subjektive Auslegung von Ereignissen, die Sinn stiften soll. Die Grenzen zwischen Geschichtsschreibung und kulturellen Produktionen wie Ereignisbildern, Romanen oder 63 Barnes 1989, S. 135. 64 Ebd., S. 245. Zum Geschichtsverständnis bei Barnes vgl. Christoph Henke, Vergangenheitsobsessionen: Geschichte und Gedächtnis im Erzählwerk von Julian Barnes, Trier 2001, S. 218f. 65 Henke 2001, S. 224. 66 Barnes 1989, S. 241. 67 Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, in: MEW, Bd. 8, Berlin 71982, S. 115: „Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ 68 Barnes 1989, S. 241.

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auch Ausstellungen, die ebenfalls Interpretationen der Wirklichkeit darstellen, verschwimmen. Beide Erzähler gelangen zur Frage, welche Bedeutung Kunst und Geschichte zugeschrieben werden kann, wenn diese Modelle der Welterklärung gewissermaßen konstruiert und subjektiv geprägt sind. Die bewusste Vermischung von Autor und Erzähler in beiden Romanen zeigt, dass es sich bei diesem Thema um eine metareflexive Auseinandersetzung handelt.69 Die Erzähler (und, so wird angedeutet, die Autoren) beschäftigen sich letztlich mit der Frage, ob Kunstwerke (und Geschichte) überhaupt Erkenntnis geben, Hoffnung stiften und zum Widerstand gegen das Scheitern des Menschen beitragen können oder das Kunstschaffen (ihr eigenes Schreiben eingeschlossen) angesichts sich wiederholender Katastrophen ein sinnloses Unterfangen ist. In der ­Ästhetik stellen Kunstwerke die „Summe geschichtlicher Erfahrungen“70 dar, denn „Maler, Dichter, Philosophen berichteten über die Konfrontationen und Krisen, die Verhärtungen und Aufbrüche ihrer Zeit.“71 Der konstruktive Wert von Kunst entsteht für den Erzähler durch ihr Vermögen als historisches Produkt und Instrument der Erinnerung, Vergangenes zu transzendieren.72 In der Ästhetik sind Kunstwerke nicht nur Erinnerung an „alle zurückliegenden Stadien der Unterdrückung“, sondern enthalten durch ihre Rezeption eine „Sammlung zu neuem Vorstoß“.73 Dadurch kann ein Gemälde in der Sicht des Erzählers durchaus zum Widerstandsmittel werden und konkret das Floß der Medusa zum Mittel, um der Ungerechtigkeit, die dem Volk durch die führenden Kräfte widerfahren ist, entgegenzutreten. Durch das Medium Kunst werde die Einsamkeit im Kampf gegen Unterdrückung überwunden. Géricault verleihe seinem Gefühl der „Verlorenheit“74 über das Kunstschaffen 69 Während Weiss die Bedeutung des Autors und den Einfluss seiner Subjektivität auf das Kunstschaffen über das Genre der Autobiografie betont, so rückt Barnes stärker den Leser in den Vordergrund, der Sinn selbst konstruieren muss. Beide Texte greifen damit Diskurse zur Autorschaft auf, die seit den 1960er Jahren geführt werden. Das komplexe Verhältnis von Autor und Erzähler in den Romanen kann im Rahmen dieser Dissertation nicht genauer untersucht werden. Untersuchungen zum Erzähler der Ästhetik finden sich zum Beispiel bei Gerhard Friedrich, „Auf der Suche nach Herakles: Zu Peter Weiss’ Romantrilogie ‚Die Ästhetik des Widerstands‘“, in: Monatshefte, Bd. 77, 1985, H. 2, S. 171–180 und zum Erzähler des Klammer-Kapitels der History bei Daniel Lea, „‚Parenthesis‘ and the unreliable author in Julian Barnes’s ‚A history of the world in 10½ chapters‘“, in: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik, Jg. 4, 2007, Nr. 55, S. 379–393. 70 Weiss 2005, S. 94. 71 Ebd. 72 Die therapeutische Funktion des Kunstschaffens bei Weiss wurde von Herding 1996 untersucht. Herding bindet Weiss’ Auffassung von Kunst an die Theorien Sigmund Freuds (Herding bezieht sich hier auch auf die therapeutische Wirkung der Kunst bei Joseph Beuys), Wilhelm Worringers (die intuitive Annäherung über die Identifikation) und Aby Warburgs (insbesondere die Leidschatztheorie). Die paradoxe Auffassung, dass sich erst aus der Erfahrung von Leid die Möglichkeit zum Widerstand schöpft, gibt Weiss’ dialektisches Denken zu erkennen. Nach Herding, S. 882f. sieht Weiss in der Katastrophe Hoffnung in der Form eines „lumière sombre“. Genia Schulz und Karl-Josef Müller sehen in dieser Wendung hingegen einen Verdrängungsmechanismus, vgl. Genia Schulz, „‚Die Ästhetik des Widerstands‘. Versionen des Indirekten in Peter Weiss’ Roman“, Stuttgart 1986, S. 83 und Karl-Josef Müller, Haltlose Reflexion. Über die Grenzen der Kunst in Peter Weiss’ Roman „Die Ästhetik des Widerstands“, Würzburg 1992, S. 102. 73 Weiss 2005, S. 421. 74 Ebd. S. 486. Der Erzähler bezeichnet dieses Gefühl auch als „Melancholie“.

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Ausdruck, gebe dem Betrachter mit dem Floß der Medusa eine Möglichkeit zur Identifikation mit anderen Menschen im Existenzkampf und trage zur Bildung eines auf Empathie basierenden Gemeinschaftsgefühls bei, welches in Form des kollektiven Gedächtnisses zur Überlieferung der Kultur führe. Eine Gemeinschaft erkennt der Erzähler auch in der Komposition, welche die Schiffbrüchigen über ihre physische Verbindung (sie lehnen aneinander, stützen sich gegenseitig etc.) als Einheit darstelle.75 Auch die Tradition des Handwerks „Malerei“ und die Bezugnahme auf andere Kunst führe zu einer solchen Gemeinschaft. Indem sich Géricault an anderen Künstlern orientierte und selbst folgende Generationen beeinflusste, stehe er „[m]it seinem Geben und Nehmen [...] in den universellen Beziehungen und Verbindungen, die den Grund der künstlerischen Tätigkeit ausmachten“76. Aus diesen Gründen wird der Reproduktion eines Kunstwerks in der Ästhetik ein größerer Wert beigemessen als dem Original.77 Denn die Reproduktion repräsentiert die Idee des Kunstwerks, seine Wiederholbarkeit, seine kollektive Rezeption, seine Möglichkeit, als Gebilde/Produkt in die Geschichte einzugehen, sei es auch als fixiertes Bildungsgut. So konnotiert sie eine Ebene von Optimismus, Fortschrittsglauben und Kontinuität an Kunst.78 Die Rezeption eines Werks, die für den Erzähler der Ästhetik einer „umwertenden Neuschöpfung“79 gleichkommt, ist unabhängig von seiner Materialität. Sie hält die Idee des Bildes am Leben. Die Ästhetik stellt mit ihrer Ekphrasis selbst eine solche umwertende Rezeption des Bildes dar. Entgegen aller Hoffnungslosigkeit, die dem Floß der Medusa in der Ästhetik zugeschrieben wird, kommt der Erzähler zu dem Schluss, dass das Gemälde positiven Wert hat, da es zur Bildung eines solidarischen Gefühls führe. So erhält das Gemälde die Hoffnung auf eine bessere Zukunft doch am Leben.80 Für den Erzähler des Shipwreck-Kapitels der History stellen Geschichte und Kunst Modelle der Welterklärung dar, da sie die Wirklichkeit transformieren und Katastrophen 75 Weiss 2005, S. 427. Hierbei handelt es sich um eine Interpretation des Erzählers, welcher andere Kritiker widersprechen und stattdessen Egoismus erkennen. Für die widersprüchlichen Kritiken bei den Zeitgenossen Géricaults siehe zum Beispiel Eitner 1972, S. 59. 76 Weiss 2005, S. 486. Zu den Vorbildern Géricaults siehe auch Eitner 1972, S. 44–51. 77 Die Betrachtung des Originals im zweiten Band ist für den Erzähler enttäuschend, zu sehr lenke der Zustand und die Beschaffenheit des Bildes den Erzähler vom Sujet ab. Der Erzähler bei Weiss 2005, S. 472f. stellt eine fehlende Leuchtkraft gegenüber der Reproduktion fest, empfindet „Mitgefühl mit Géricault, dessen Leistung der Verwitterung, dem Verfall preisgegeben war“ und das Gemälde scheint ihm „allzuviel [...] zu enthalten vom persönlichen Wesen des Malers“. 78 Nach Schulz löst sich diese Dualität von Original und Reproduktion für das literarische Werk in die Chronologie von Produktion und Rezeption auf, siehe Schulz 1986, S. 78. 79 Klaus Herding, „Arbeit am Bild als Widerstandsleistung“, in: Die Ästhetik des Widerstands, hg. von Alexander Stephan, Frankfurt am Main 1983, S. 246–284, hier S. 268. 80 Nach Herding ist Fortschritt nicht als lineare Bewegung zu verstehen, sondern als Paradoxie, ein „Sturm“, dem sich ausgesetzt werden muss, um nicht unterzugehen, siehe ebd., S. 272f. und Herding 1996, S. 881.

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Sinn geben. Der Erzähler fasst das Floß der Medusa entgegen seiner negativen Wirkung als eine Erkenntnis gebende Metapher über den Lebenszustand auf, die erklärt und befreit: There is no formal response to the painting’s main surge, just as there is no response to most human feelings. […] How hopelessly we signal; how dark the sky; how big the waves. We are all lost at sea, washed between hope and despair, hailing something that may never come to rescue us. Catastrophe has become art, but this is no reducing process. It is freeing, enlarging, explaining. Catastrophe has become art: that is, after all, what it is for.81 Kunst und Geschichte bleiben jedoch nur unzulänglich hilfreich bei der Suche nach dem Sinn des Lebens: „The masterpiece, once completed, does not stop: it continues in motion, downhill.“82 Barnes bezieht sich hier auf Lorenz Eitners Feststellung des restauratorisch kritischen Zustands des Gemäldes, das „now in part a ruin“83 sei und einmal verfallen werde. Der Kampf zwischen Hoffnung und Verzweiflung drücke sich im Material aus: Die bleihaltige, schwarze Farbe frisst regelrecht die hellen Seiten auf und wird das Gemälde letztlich zersetzen.84 Kunstwerke sind damit für den Erzähler Erklärungsmodelle, die aufgrund ihrer Materialität weder von Dauer noch uneingeschränkt zugänglich sind und daher nur bedingt den negativen Seiten des Weltgeschehens etwas entgegensetzen können. Das eigentliche Thema von Barnes’ Roman ist eher die Metareflexion der Suche nach Sinn. Indem der Leser mit der Rezeptionserwartung eines zusammenhängenden Romans in allen Episoden des Buchs nach übergreifenden Verknüpfungen Ausschau hält, wird ihm sein eigenes Interpretieren als Prozeß der Sinnkonstruktion vor Augen geführt.85 Während der Erzähler der Ästhetik versucht das Leiden durch die Versöhnung von Paradoxien zu überwinden, besteht das Verfahren in der History darin, den Widersprüchen der Wirklichkeit mit Ironie zu begegnen. Der Erzähler des Shipwreck-Kapitels steht dem Verfall des Bildes so auch gespalten gegenüber und scheint einen gewissen Trost in der ironischen Wendung zu finden, dass nichts vom Tod und Vergessen ausgeschlossen ist – 81 Barnes 1989, S. 137. 82 Ebd., S. 139. 83 Eitner zitiert nach Barnes 1989, S. 139. Das Originalzitat stammt aus Eitner 1983, S. 188. 84 Barnes 1989, S. 139; Eitner 1972, S. 41, insbes. Anm. 7. Vgl. auch Bazin 1994, S. 45. 85 Henke 2001, S. 225. Das Kapitel Shipwreck ist nach Henke „geradezu zwingend metafiktional zu verstehen und als ästhetischer Kern des metahistorischen Programms der History anzusehen“, Henke 2001, S. 223. Henke schließt sich mit dieser Auffassung Ansgar Nünning an, der in diesem Kapitel die Entwicklung der Grundzüge einer Ästhetik sieht. Diese Grundzüge bestehen nach Henke in der Vorrangstellung künstlerischer Formprinzipien gegenüber wahrheitsgetreuer Realitätsdarstellung, dem narrativen Prinzip der „fabulation“ und der Wiederholung, siehe ebd., S. 223f.

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auch nicht das Leiden.86 Für den Erzähler des Parenthesis-Kapitels liegt der Sinn des Lebens letztlich im Vermögen zu lieben. Eine Verbindung zum Appell des Gemäldes an die Empathie wird nicht gezogen. Die Frage nach der Bedeutung von Kunst (und Kultur) angesichts täglicher Katastrophen stellt auch den Inhalt der Ausgabe „Trotzdem“ der Zeitschrift du dar. In seinem Artikel nimmt Bachmann eine ähnliche Haltung wie der Erzähler der Ästhetik ein, da er in seinem Fazit eine kritische Haltung gegenüber dem Erzähler des Shipwreck-Kapitels der History ausdrückt. Er schreibt der Rezeption des Gemäldes in der History, entgegen des Zynismus des Erzählers angesichts des sich langsam zersetzenden Gemäldes, einen positiven Wert zu. Denn auch diese Rezeption erhalte das Gemälde am Leben. Für Bachmann gilt: „Von der Leinwand löst sich das Bild, und vom Bild löst sich die Metapher, schwimmt weiter, trägt.“87 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Floß der Medusa in der Zeitschrift und in den Romanen eine „Kernparabel“88 der Zeit darstellt. Anhand des Gemäldes setzen sich die Autoren mit dem Zustand der Gesellschaft, den Vorstellungen von Geschichte und letztlich der Bedeutung von Kunst für den Gewinn von Erkenntnis auseinander. Diese Themen bilden wiederum den Ausgangspunkt der Ausstellung ­Memento Metropolis. Inwiefern sich Kippenberger in seiner Installation, die als Pendant zu Géricaults Gemälde ausgestellt wurde, mit den gleichen Themen beschäftigt, wird im nächsten Kapitel untersucht.

2.1.2 The Happy End of Franz Kafka’s „Amerika“ Kippenbergers Installation The Happy End of Franz Kafka’s „Amerika“ (Abb. 3) wurde erstmals im Rahmen der gleichnamigen Einzelausstellung im Museum Boijmans van Beuningen in Rotterdam vom 27.02.–24.04.1994 unter dem Titel Einstellungsgespräche ausgestellt.89 Fortan hat sich für die Benennung der Installation der Titel der Ausstellung 86 87 88 89

Barnes 1989, S. 139. Bachmann, Folgen, 1994, S. 21. Herding 1983, S. 266. Vgl. Schappert 1998, S. 175 und Fiona McGovern, Die Kunst zu zeigen. Künstlerische Ausstellungsdisplays bei Joseph Beuys, Martin Kippenberger, Mike Kelley und Manfred Pernice, Bielefeld 2016, S. 159. Eine kunsthistorische Aufarbeitung der Installation, die sich in Privatbesitz befindet, steht noch aus. Die Erfassung der Installation wird dadurch erschwert, dass ein Werkverzeichnis der plastischen beziehungsweise installativen Arbeiten des Künstlers noch nicht existiert. Die bisher umfassendste Analyse der Installation entstand im Rahmen der Ausstellung Einer von uns, unter uns, mit uns, die im K21 in Düsseldorf und in der Tate Modern in London zu sehen war. Die Kuratorin des K21, Doris Krystof, stand bei der Ausstellungsorganisation in ausführlichem Kontakt mit ehemaligen Mitarbeitern des Künstlers und konnte so einige Hintergründe zur Installation klären. Im Folgenden beziehe ich mich, wo nicht anders angegeben, auf die Informationen aus diesem Text, siehe Doris Krystof, „Das größte Theater der Welt. Komplexität und Redundanz in The Happy End of Franz Kafka’s ‚Amerika‘ (1994)“, in: Martin Kippenberger: Einer von Euch, unter Euch, mit Euch, hg. von ders. und Jessica Morgan, ­Ausst.-Kat. London, Tate Modern, 2006, Ostfildern 2006, S. 26–37. Neben

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3 Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka‘s „Amerika“, 1994, Installation, Dim. variabel, ausgestellt in Rotterdam, Museum Boijmans van Beuningen, Privatsammlung.

durchgesetzt. Das Werk war Becker durch eine Abbildung aus der Rotterdamer Ausstellung in einer Zeitschrift bekannt.90 Die Installation stellt Kippenbergers künstlerische Aneignung von Franz Kafkas Roman Amerika dar und bestand in Rotterdam aus etwa fünfzig Kombinationen von meist einem Tisch mit zwei Stühlen, die auf einem grünen Teppich von 20 × 30 Metern zwischen zwei Zuschauertribünen arrangiert waren.91 Die paarweise Aufstellung wurde durch Ausnahmen in Form von Tischen mit nur einem Stuhl oder Stühlen ohne zugehörige Tische aufgebrochen. Die meisten Tische wurden mit einer Nummer auf unterschiedlichen Schildchen versehen, bei manchen Tischen fand

­K rystofs Beitrag im Ausstellungskatalog gibt Roland Schapperts Kapitel zur Installation weiteren Aufschluss, da er die Rotterdamer Ausstellung besuchte und fotografierte. Zudem existieren Fotografien und Filmfootages der Eröffnung in Rotterdam, die als Quellen hinzugezogen werden können, siehe Schappert 1998, S. 175–184 und Kippenberger. Der Film, Deutschland 2005, 105 min, Regie: Jörg Kobel. 90 Annesofie Becker in einer Mail an die Verfasserin vom 17.11.2013. Die Zeitschrift konnte nicht genau bestimmt werden. 91 Krystof 2006, S. 27 zufolge beträgt die Größe 23 × 20 Meter, doch unterscheiden sich die langen und kurzen Seiten deutlich, so dass die Angabe 20 × 30 Meter eher zutrifft.

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sich zusätzlich ein „Reserviert“- oder ein Namensschild (Abb. 4–6).92 Die Nummerierung, die unter anderem an die Auszeichnung von Exponaten in Ausstellungen oder bei Versteigerungen erinnert, scheint willkürlich gewählt und variiert bei den verschiedenen Ausstellungen.93 Ein Zwei-Kanal-Video wurde bei der Eröffnung ausgestrahlt, das eine inszenierte Aufführung von amerikanischen Cheerleadern zeigt, die Kippenberger mit dem Ruf „Kippenberger is my man! If he can’t do it, nobody can“ anfeuern.94 Weiße Markierungen auf dem Teppich gleichen den Markierungen auf einem Fußballfeld, bei dem die Seiten verkehrt wurden, so dass die Torfelder an den langen Seiten liegen.95 In den Tormarkierungen standen in Rotterdam je zwei Hochsitze. Die Datierung der Installation ist insofern problematisch, da die integrierten Objekte unterschiedliche Entstehungszeiten aufweisen. Kippenberger spricht erstmals im Interview 1990/91 von seiner Idee einer zunächst literarischen Kafka-Rezeption.96 In Happy End sind jedoch Objekte aus früheren Installationen enthalten, beispielsweise zwei Loch­ skulpturen aus Familie Hunger von 1984/85, die an Tisch Nr. 1 platziert sind, und Objekte aus Peter – die russische Stellung von 1987. Hinzu kommen zahlreiche Design-Klassiker verschiedener Jahrzehnte, wie ein Drahtstuhl von Charles & Ray Eames oder ein Freischwinger von Marcel Breuer sowie Werke von Franz West, Reinhard Mucha, Michael Krebber, Jason Rhoades oder Tony Oursler, die teilweise als Einrichtungsgegenstände von Kippen­ bergers Wohnungen gedient hatten. Nur ein Teil der „Stuhl- und Tisch­skulpturen“97 wur92 Es wäre denkbar, dass die unterschiedlichen Nummer-Schildchen in Restaurants gesammelt wurden und damit gleichsam autobiographischen Charakter haben. Das Restaurant beziehungsweise die Kneipe waren für Kippenberger und seinen Umkreis in den 1980er Jahren wichtige soziale und kreative Treffpunkte, an denen nicht nur Kontakte geknüpft, sondern auch Ideen für Kollaborationen und Kunstwerke entstanden. Neben dem Berliner Stammlokal Kippenbergers, der Paris Bar, von dessen damaligen Inhaber Michel Würthle Kippenberger lebenslang kostenloses Essen im Tausch für seine Bilder erhielt, zählen in den letzten Lebensjahren der Club an der Grenze oder das Hotel Raffel im Burgenland zu den wichtigen sozialen Treffpunkten des Künstlers. Krystof 2006, S. 28 spricht in diesem Zusammenhang sogar vom Motiv „Restaurant“ bei Kippenberger. Zum Zusammenhang der Tische und Schilder mit der Ausstellung Kontext-Kunst, siehe ebd., S. 31; McGovern 2016, S. 162. 93 Die im Folgenden verwendeten Angaben beziehen sich auf die Rotterdamer Nummern, soweit diese aus den Quellen ersichtlich sind. 94 Vgl. Tom Holert, „Aussitzer. Robert Irwin und Martin Kippenberger“, in: Texte zur Kunst, Bd. 14, 1994, 188–194, hier S. 190: „Auf Videomonitoren lief eine Fake-on-the-Road-Reportage über irgendwelche allamerikanischen Kippenberger-cheer-leaders irgendwo in New York“. McGovern 2016, S. 162 zufolge wurden die Cheerleader von Kippenbergers damaliger amerikanischer Freundin angeführt. Felix Zdenek beschreibt die Aufführung als Live-Performance, siehe Felix Zdenek, „Von Kafka zu Kippenberger“, in: Martin Kippenberger, The happy end of Franz Kafka’s „Amerika“, hg. von dems., ­Ausst.-Kat. Hamburg zu Martin Kippenberger – Selbstbildnisse, Deichtorhallen Hamburg, 1999, Köln 1999, S. 5–12, hier S. 14. Es scheint jedoch eher unwahrscheinlich, dass die Ausstrahlung live war. Vgl. auch Krystof 2006, S. 33. 95 Hartmann 2013, S. 40 zufolge handelt es sich um ein Tennisfeld. Ein Tennisfeld weist allerdings ausschließlich rechteckige Felder anstatt Kreise auf. 96 Die „Premiere“ bei der Rotterdamer Ausstellung gilt als Entstehungsjahr des Werks, so dass der Entstehungszeitraum in der Forschung gemeinhin auf drei Jahre festgesetzt wird. Vgl. Schappert 1998, S. 178. 97 Schappert 1998, S. 177.

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4 Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka‘s „Amerika“, 1994, Tisch Nr. 11, Privatsammlung.

5 Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka‘s „Amerika“, 1994, Tisch Nr. 33, Privatsammlung.

6 Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka‘s „Amerika“, 1994, Tisch Nr. 10, Privatsammlung.

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de neu für Happy End angefertigt und von Kippenberger selbst entworfen. Er baute beispielsweise einen Stuhl mit Rückenlehne in der Form eines Atompilzes (an Tisch Nr. 57) und erteilte den Auftrag zum Nachbau des Tischs, an dem Robert Musil den Roman Der Mann ohne Eigenschaften geschrieben hatte (Tisch Nr. 5).98 Manche Künstler beteiligten sich bewusst an der Entstehung, wie der ehemalige Assistent Kippenbergers, Ulrich Strothjohann, aber auch Cosima von Bonin und Michael Krebber, indem sie Lampen, Tische oder Stühle für das Happy End entwarfen. Strothjohann schuf beispielsweise einen Schrank mit eingestelltem Stuhl in blau-gelb in Anlehnung an Donald Judd (Nr. 11, Abb. 4) und Krebber und von Bonin setzten unter anderem einen Stuhl mit Kleiderbügel nach einer Idee von Dieter Roth um. Werke anderer Künstler wurden zum Teil ohne ihr explizites Einverständnis integriert und entstammen der persönlichen Sammlung des Künstlers. Neben den Design-Objekten waren Bilder von Werner Büttner beispielsweise in den ausziehbaren Schubladen von Tisch Nr. 4 zu sehen. Die Installation enthielt zudem ortsspezifische Objekte, die aus dem Depot der Kunstgewerbeabteilung des Museum Boijmans van Beuningen stammten.99 Kippenberger unterwandert mit der Installation folglich nicht nur eine zeitlich geordnete, traditionelle Betrachtungsweise von Kunst, er konterkariert mit der Installation auch ein traditionelles Verständnis von Autorschaft. Zur Ausstellung entstanden darüber hinaus elf Bücher, von denen zehn in Rotterdam auf den Tischen zur Lektüre ausgelegt wurden.100 Kippenbergers Aussagen nach war ursprünglich geplant, ein Buch für jeden der ca. 50 Tische zu produzieren. Drei der elf 98 Vgl. Eikmeyer/Knoefel 2009, Track 7–9. Kippenberger arbeitete in St. Georgen 1992/93 gemeinsam mit den Kunststudenten Andreas Höhne und Sven O. Ahrens an den Objekten der Installation. Kompliziertere Aufträge delegierte er an die Schreinerei Georg Moosmann in Tennenbronn, siehe Krystof 2006, S. 30. 99 McGovern 2016, S. 164 zählt die verschiedenen Bedeutungsebenen eines einzelnen Objektes exemplarisch auf: „Ein Stuhl von Franz West etwa ist in diesem Zusammenhang 1. ein Gebrauchsobjekt, nämlich ein Stuhl, 2. ein singuläres Kunstwerk, das auf den Autor Franz West zurückzuführen ist, 3. situationsbedingt ein Teil innerhalb der Kafka-Fiktion des ‚Happy Ends‘ und 4. der Teil eines Kunstwerks von Martin Kippenberger“. 100 Siehe Kommentiertes Werkverzeichnis der Bücher von Martin Kippenberger 1977–1997, hg. von Uwe Koch, Köln 2002, S. 283–299 (Nr. 124–133). Folgende Publikationen sind dort neben Kippenbeger, B. Gespräche, 1994 (Koch 131) aufgelistet: Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka’s „Amerika“, Rotterdam 1994 (Koch 124); Jörg Schlick, Ein Einstellungsgespräch, Graz 1993 (Koch 125); Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka’s Amerika zwecks Einstellungsgespräch. Vorschläge zur Diskussion. Tisch Nr. 3, St. Georgen 1993 (Koch 126); Rüdiger Carl, Ein Einstellungsgespräch für Tisch Nr. 54. Dialog für zwei Akkordeons zum Thema: Das glückliche Ende von Franz Kafka’s „Amerika“, St. Georgen 1994 (Koch 127); Walter Grond, Der Schoppenhauer. Ein Schauspiel. Tisch Nr. 32, Graz 1994 (Koch 128); Werner Büttner & Daniel Richter, Toll, Hamburg 1994 (Koch 129); Diedrich Diederichsen und Roberto Ohrt, Mehr Rauchen! Der Zigarettentester im Test, Köln 1994 (Koch 130); Michel Würthle, Embauche au Balkan. 24 elastische Seiten zum Thema Einstellungsgespräche oder „The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“, Hamburg 1994 (Koch 132); Heliod Spiekermann, frech und ungewöhnlich am Beispiel Kippenberger, Köln 1994 (Koch 133); Herbert Fuchs, Einstellungsgespräch. Roman, o. O. 1994 (Koch 134). Im Katalog Kippenberger/Géricault wird der Roman von Herbert Fuchs (Koch Nr. 134) nicht erwähnt. Kippenberger gibt in seiner selbstverfassten Kurzbiografie auch an, neun Publikationen seien erschienen, unter denen sich der Roman von Herbert Fuchs nicht findet, siehe Martin Kippenberger: Einer von Euch, unter Euch, mit Euch, hg. von Doris Krystof und Jessica

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Bücher stammen von Kippenberger, darunter die Diskussionsvorschläge auf Tisch Nr. 3 (237 Reproduktionen von Taschenbuchcovern verschiedener Jahrzehnte mit englischer Übersetzung der Titel und einer Liste aus dem Adressbuch von Karola Grässlin) und die Interviews B. Gespräche mit Martin Kippenberger auf Tisch Nr. 17, die fünf Gespräche umfassen und heute einen bedeutenden Zugang zum Werk des Künstlers darstellen.101 Zur Ausstellung entwarf Kippenberger zudem eine Art Katalog, der über 330 Abbildungen von Stühlen und Tischen enthält, die nur zum Teil aus der Installation stammen. Des Weiteren enthält dieser Katalog Fotografien aus dem Leben des Künstlers, Abbildungen seiner Zeichnungen oder Gemälde, Film-Stills und anderes, vom Künstler gesammeltes Abbildungsmaterial wie zum Beispiel Zeitungsausschnitte. Die Anordnung dieser Abbildungen scheint unsystematisch und entspricht darin der Aufstellung der Tische und Stühle in der Installation.102 Nicht zuletzt aufgrund der Größe und Komplexität gilt die Installation als Kippenbergers (unverkäufliches) „opus magnum“103. Zu verschiedenen Anspielungen auf Literatur und Design kommen zahlreiche kunsthistorische Bezüge sowie Verweise auf das eigene Werk hinzu, die sich oftmals überlagern. Tisch Nr. 33 (Abb. 5) stellt beispielsweise eine Referenz auf Daniel Spoerris Tableaux Pièges dar, wobei das bei Spoerri für gewöhnlich benutzte Geschirr durch saubere Aschenbecher ersetzt wurde, die wiederum eine Referenz auf Kippenbergers Namen darstellen.104 Auch viele zeithistorische Bezüge existieren: Der Sportturnier-Charakter der Installation ist vom zeitgleich zur Ausstellung stattfindenden Tennisturnier in den Niederlanden inspiriert und der Atompilz-Stuhl weist auf das politische Geschehen hin.105 Die Pressspanplatten von Tisch Nr. 10 (Abb. 6) waren wiederum

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Morgan, ­Ausst.-Kat. London und Düsseldorf, Tate Modern, 2006, K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2006, Ostfildern 2006, S. 169. Die Gespräche fanden mit Jutta Koether und einmal zusätzlich mit Diedrich Diederichsen am 15.11.1990, 20. und 21.02.1991, am 27.05.1991 und 14.09.1991 in Köln, Frankfurt am Main und in der Deutschen Bundesbahn statt. Kippenberger, B. Gespräche, 1994, S. 189. Dass es sich um Jutta Koether und Diedrich Diederichsen handelt, schreibt Susanne Kippenberger, siehe Kippenberger 2010, S. 560. Der Titel B. Gespräche impliziert eine Fortsetzung von Andy Warhols Buch a, A Novel (1968), das selbst die Transkription zweier Gespräche zwischen Warhol und Robert Olivo (unter dem Namen Ondine bekannt) darstellt und seinerseits in Referenz auf James Joyces Roman Ulysses entstand. Vgl. Roberto Ohrt, „Einleitung“, in: Kippenberger, hg. von Angelika Taschen und Burkhard Riemschneider, Köln 1997, S. 6–17, hier S. 6f. Ob auch der Katalog zur Ausstellung Kippenberger, The Happy End, 1994, auf einem Tisch ausgelegt wurde, ist nicht klar. Vgl. Zdenek 1999, S. 5–12, hier S. 7; Krystof 2006, S. 27; McGovern 2016, S. 159, 177; Kippenberger 2010, S. 458, 461; Thomas Grässlin in Kobel 2005, Minute 51:00. Für die Verwendung von Zigarettenkippen als Signatur in Heavy Burschi 1990, vgl. Schappert 1998, S. 9, Fußnote 1. Krystof 2006, S. 27 berichtet: „Mit der Parallele zwischen Kunst und Sport sollte aber auch, so hat Kippen­ berger spitzfindig in der niederländischen Tageszeitung Het Parool vom 26. Februar 1994 erklärt, den sich Ende Februar in Rotterdam zu einem Turnier versammelnden Tennisstars Steffi Graf, John McEnroe und Boris Becker ein Anreiz zum Museumsbesuch geboten werden.“

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Teil des Podestes, auf dem der Papst bei seinem Besuch in Köln 1986 stand und welche danach kostenlos abgegeben wurden. Das zentrale Motiv der Installation ist jedoch das Einstellungsgespräch, das durch die dialogischen Situationen von zwei Stühlen an einem Tisch ausgedrückt wird und auch das Thema der elf Bücher darstellt. Bei der Eröffnung wurde aus einigen der ausgelegten Bücher vorgelesen (es lasen beispielsweise Roberto Ohrt, Michel Würthle oder Carl Rüdiger). Nach dem offiziellen Teil der Eröffnung und den Lesungen sollten die Besucher durch die Arrangements spazieren und sich, angeregt von den vorgelesenen beziehungsweise ausgelegten Büchern und Objekten, eigene Vorstellungsgespräche ausdenken. Die Besucher erhielten damit die Möglichkeit zu Rollenspielen, bei denen sie zwischen machtvollen und machtlosen, erfolgreichen und scheiternden Rollen wechseln konnten. Sie befanden sich schon auf den Tribünen einander gegenüber sitzend in einer ersten Gesprächssituation. Die ausgedachten Gespräche der Besucher (oder auch real mit anderen Besuchern geführten) sollten sich, so Kippenberger, aus den Erinnerungen an persönliche Erfahrungen speisen, die durch die Objekte hervorgerufen werden: Und da siehst du beim Happy End zum Beispiel die verschiedenen Jahrzehnte, in den Stühlen, und du erinnerst dich mit Sicherheit an einen Stuhl, der verkörpert für dich das und das, und dann bist du schon in der Zeit drin, wie so ein Nachschlepp­ lexikon, visuell. Du kannst dir deine eigene Geschichte erzählen, wie bei den Psycho­ buildings.106 Dieses Konzept wird auch im zur Ausstellung erschienenen Katalog verfolgt. Die assoziative Verbindung der Impressionen aus Kippenbergers Leben mit den Tischen und Stühlen verdeutlicht die intendierte Wirkung der Installation als Auslöser von Erinnerungen an die eigene Lebensgeschichte am Beispiel Kippenbergers. Kippenberger inszeniert sich mit Happy End ebenfalls in wechselnden Rollen als Künstler, Kurator, Sammler oder Wettkämpfer. Die Ausstellung beziehungsweise Installation ist nicht nur aus diesem Grund, sondern auch durch ihren geradezu „retrospektiven“ Charakter selbstreflexiv konzipiert. Kippenberger kündigt zudem im Vorwort zu B. Gespräche an, diese Interviews gälten als seine „Bewerbung für eine Anstellung als Einstellungsinterviewer“107. Happy End kann entsprechend als eine Allegorie auf die Bewerbungssituation des Künstlers gelesen werden.108 Das Motiv des Einstellungsgesprächs geht auf Franz Kafka’s Roman Amerika zurück, dem die Installation ihren Titel verdankt. Kafka arbeitete zwischen 1911 und 1914 an dem

106 Kippenberger zitiert nach ­Ausst.-Kat. Genf 1997, S. 24ff. Vgl. auch Martin Kippenberger, Psychobuildings, Köln 1988. 107 Kippenberger, B. Gespräche, 1994, Vorwort. 108 Für diese Deutung siehe zum Beispiel McGovern 2016, S. 160.

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unvollendet gebliebenen Roman, aus welchem zu Lebzeiten nur das erste Kapitel „Der Heizer“ (1913) veröffentlicht wurde. Während die Abfolge der ersten sechs Kapitel dokumentiert ist, geht die Anordnung der übrigen, fragmentarischen Kapitel auf Max Brod zurück. Brod war ein Freund und Nachlassverwalter Kafkas, der auch den Titel Amerika anstatt des von Kafka 1911 gewählten Titels Der Verschollene festlegte.109 Amerika erzählt die Suche des Protagonisten Karl Roßmann nach einer Anstellung in den Vereinigten Staaten und seinem Platz in der „Neuen Welt“. Nachdem Karl ein Dienstmädchen schwängert, muss er von Europa nach Amerika emigrieren, wo er erfolglos von Anstellung zu Anstellung wechselt. In einem der fragmentarischen Kapitel, das Brod „Das Naturtheater von Oklahoma“ betitelte und am Romanende platzierte,110 sieht Karl auf einem Plakat die Stellenausschreibung – oder vielmehr den Aufruf – des Naturtheaters: Auf dem Rennplatz in Clayton wird heute von sechs Uhr früh bis Mitternacht Personal für das Theater in Oklahoma aufgenommen! Das große Theater von Oklahoma ruft euch! Es ruft nur heute, nur einmal! Wer jetzt die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für immer! Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns! Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will, melde sich! Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort!111 Karl reist zum Rennplatz, auf dem die Einstellungsgespräche in den Buchmacherbuden von einer Werbetruppe des Naturtheaters abgehalten werden. Die Buchmacherbuden sind dafür in etwa 200 nach Berufsgruppen unterteilte Aufnahmekanzleien umgewandelt. Nach Abschluss des Gesprächs besiegelt der sogenannte Führer die Aufnahme eines jeden Bewerbers auf der Schiedsrichtertribüne der Rennbahn. Auf den Anzeigetafeln, die sonst das Siegerpferd bekanntgeben, werden ihre Namen verkündet. Am Ende feiern 109 In dieser Untersuchung wird der Titel „Amerika“ in Anlehnung an den Titel von Kippenbergers ­Installation verwendet. Zur Titeländerung durch Brod, vgl. unter anderem Nicola Albrecht, Verschollen im Meer der Medien: Kafkas Romanfragment „Amerika“. Zur Rekonstruktion und Deutung eines Medienkomplexes, Heidelberg 2007, S. 36; Rembert Hüser, „Vorsingen in Amerika“, in: Kafkas Institutionen, hg. von Arne Höcker und Oliver Simons, Bielefeld 2007, S. 157–185, hier S. 161; Ralf R. Nicolai, Kafkas Amerika-Roman „Der Verschollene“: Motive und Gestalten, Würzburg 1981, S. 229. 110 Die originale Schreibweise „Teater von Oklahama“ aus Kafkas Manuskript wurde durch Brod verändert, vgl. unter anderem Nicolai 1981, S. 229 und Albrecht 2007, S. 37. Die Bezeichnung „Naturtheater“ stammt ebenfalls von Brod, vgl. zum Beispiel Wolfgang Jahn, Kafkas Roman „Der Verschollene“ („Amerika“), Stuttgart 1965, S. 93, Fußnote 66. Brod begründet die Stellung des Kapitels am Romanende aufgrund eines Gesprächs mit Kafka, siehe Max Brod, „Nachwort zur ersten Ausgabe“, in: Franz Kafka, Amerika, Text nach: Franz Kafka. Gesammelte Werke, hg. von Max Brod, Frankfurt am Main 1953, S. 356–360, hier S. 356f.: „Mit rätselhaften Worten deutete Kafka lächelnd an, daß sein junger Held in diesem «fast grenzenlosen» Theater Beruf, Freiheit, Rückhalt, ja sogar die Heimat und die Eltern wie durch paradiesischen Zauber wiederfinden werde.“ Siehe zur Ordnung der Kapitel im Manuskript und zur kritischen Einschätzung dieser Bemerkung zum Beispiel Jahn 1965, S. 93f.; Nicolai 1981, S. 229; Albrecht 2007, S. 37. 111 Franz Kafka, Amerika, Text nach: Franz Kafka. Gesammelte Werke, hg. von Max Brod, Frankfurt am Main 1953, S. 305.

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die angenommenen Bewerber, darunter auch Karl, ihre Einstellung bei einem Empfangsessen und treten direkt im Anschluss ihre Abreise per Zug zum Naturtheater in Oklahoma an. Mit den Tribünen und Monitoren sowie dem Fußballfeld als Treffpunkt für die Gespräche greift Kippenberger das Motiv eines Sportfeldes als Schauplatz der Gespräche auf. Die Tisch-Stuhl-Paare können als Umsetzungen der Aufnahmekanzleien verstanden werden, welche die verschiedenen Berufsgruppen repräsentieren. Der Hochsitz aus Holz gehört beispielsweise zum Gewerbe des Jägers, während die drei anderen Hochsitze typischerweise von Aufsehern in Gefängnissen, Rettungsschwimmern oder Schiedsrichtern beim Tennis genutzt werden.112 Andere Objekte, wie die Air France-Plastikschalensitze (Nr. 55), lassen sich hingegen auf Piloten, Flugbegleiter oder Passagiere beziehen. Auch Personengruppen werden repräsentiert, zum Beispiel durch den Tisch mit Aschenbechern für Raucher, den Stuhl mit Kleiderbügel für Anzugträger oder den in der Psychiatrie eingesetzten Sessel mit hoher Rückenlehne zur Fixierung für Patienten. Auch in Happy End ist scheinbar jeder Tisch und Stuhl willkommen. Die Installation erweist sich nicht nur als Allegorie auf das Künstlertum, sondern das „Einstellungsgespräch“ kann als Metapher für das stete Sich-Präsentieren und den Überlebenskampf eines jeden in der Wettbewerbsgesellschaft verstanden werden, ob nun in der Kunstszene oder in anderen Berufen und Lebenssituationen. Durch die Aufnahme jedermanns stellt Kafkas Naturtheater ein „Theatrum Mundi“ dar, wofür auch die Formulierungen im Text sprechen, wie „das größte Theater der Welt“, das „fast grenzenlos“ sei oder auch die Bezeichnung als „ein altes Theater, [...] [das] immerfort vergrößert“ werde.113 Kippenbergers Vorstellung vom Naturtheater ist jedoch eng mit dem Zirkus statt mit dem Theater verbunden. Er beschreibt seine Idee im Interview mit Baumann folgendermaßen: Es gibt den Roman Franz Kafkas ‚Amerika‘ und es bahnt sich ein ‚Happy End‘ an, damit das mal nicht so traurig ausgeht, das Ganze. Und es [das Buch] ist aber nicht ausgeführt worden, also sage ich, ich mache die Ausführung: Es ist ein Zirkus in der Stadt und davor stehen Tische und Stühle […]. Da hängen Plakate [mit der Aufforderung] ‚Bitte, bewerben Sie sich‘ und jeder […] kriegt einen Job, egal, als was.114 Im Vorwort der in Rotterdam ausgelegten B. Gespräche äußert er sich ebenfalls zum Motiv des Zirkus:

112 Vgl. Krystof 2006, S. 27–29. Die Hochsitze wurden schon 1991 in der Installation Tiefes Kehlchen in Wien gezeigt, aus der auch der Spiegelei-Tisch mit Schleudersitzen übernommen wurde. 113 Kafka 1953, S. 311. Vgl. zum Motiv des Welttheaters unter anderem Nicolai 1981, S. 230. 114 Kippenberger transkribiert nach Eikmeyer/Knoefel 2009, Kapitel 8.

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[…] Es hieß folgendermaßen: Es sei ein Zirkus in der Stadt, der tatkräftige Helfer, Könner, selbstsichere Anpacker und, und, und gegen Entgelt suche. Vor dem Zirkuszelt, so denke ich mir, wurden Tische zwecks Einstellungsgesprächen aufgebaut.115 Kippenberger unterstrich die Zirkusatmosphäre durch weiße und rote Streifen im Vorraum der Rotterdamer Ausstellung sowie durch die Tribünen, die von einem Kinderzirkus geliehen waren.116 Auch das Ausstellungsplakat, das Kippenbergers Auftritt in „The Happy End of Franz Kafka’s America“ ankündigt, unterstreicht den Charakter der Ausstellung als Spektakel.117 Zudem wurden in Rotterdam Zeichnungen auf Briefpapier von Personen mit besonderen Fähigkeiten ausgestellt, wie sie auch im Zirkus auftreten könnten (zum Beispiel eine Turnerin), ebenso weitere Bilder von Tischen und Stühlen. Während der Begriff „Zirkus“ in Kafkas Romanfragment selbst nur einmal fällt,118 ist die Metapher jedoch durchaus vergleichbar zu Kafkas Naturtheater. Denn Brods Interpretation des Kapitels als „glückliches Ende“ ist umstritten und der Text legt andere Möglichkeiten der Auslegung durchaus nahe. Kafka definiert beispielsweise das Naturtheater nicht genauer und lässt den Leser im Unklaren über die Tätigkeiten des Unternehmens. Die Bewerber werden bei ihrem Eintreffen zu den Vorstellungsgesprächen an der Rennbahn durch einen Bläser-Chor von als Engel verkleideten Frauen begrüßt. Schon bei Karls Ankunft am Bahnhof vernimmt er den Lärm der Trompeten, die „rücksichtslos geblasen“119 werden. Später, so erfährt Karl, wird diese Gruppe durch Trommler abgelöst werden, die als Teufel verkleidet sind. Dieses Szenario, das als beeindruckender Empfang gedacht ist, trägt apokalyptische Züge und schreckt die Bewerber zunächst vom Betreten des Geländes ab. Das Naturtheater, das mit dem Versprechen wirbt, jeder könne hier sein Heil – sein „Happy End“ – finden, gibt vor, Paradies zu sein, doch lassen die als Teufel verkleideten Trommler fraglich werden, ob dieser Ort wirklich Himmel oder nicht doch eher Hölle sein könnte.120 Thomas Anz fasst zusammen:

115 Siehe Kippenberger, B. Gespräche, 1994, Vorwort. Krystof 2006, S. 33 zufolge war der Bekannte der Maler Michael Krebber. 116 Siehe McGovern 2016, S. 162 und Krystof 2006, S. 33. Eine Fotografie des Vorraums findet sich in Estate 2014, S. 126. Die Streifen verweisen neben dem Zirkus auch auf die Museumsarchitektur mit dem schwarz-weißen Innenhof und auf Daniel Buren. Sie stehen zudem in Bezug zu Kippenbergers fünf Preis-Bildern von 1994, siehe auch ebd., S. 127–133. Schappert erwähnt den Vorraum nicht und schreibt von zwei Räumen, siehe Schappert 1998, S. 177. Im Gegensatz dazu siehe Krystof 2006, S. 33. 117 ­Ausst.-Kat. Zürich 1998, S. 195. 118 Kafka 1953, S. 306: „Mochte alles Großsprecherische, das auf dem Plakate stand, eine Lüge sein, mochte das große Theater von Oklahoma ein kleiner Wanderzirkus sein, es wollte Leute aufnehmen“. Zur Analyse dieses Motivs siehe Nicolai 1981, S. 230f. 119 Kafka 1953, S. 306. 120 Vgl. zu dieser Deutung unter anderem Albrecht 2007, S. 80; Nicolai 1981, S. 234; Thomas Anz, „Das größte Theater der Welt. Kafka und der Krieg“, in: Krieg der Geister. Erster Weltkrieg und literarische Moderne, hg. von Uwe Schneider und Andreas Schumann, Würzburg 2000, S. 247–262, hier S. 259ff.

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Daß hier mit Lockungen und Drohungen, Engeln und Teufeln, Pseudoästhetik und Scheinbürokratie für ein gigantisches Betrugsunternehmen geworben wird, das alle brauchen kann, doch vielleicht alle mißbrauchen wird, legt der Text als Möglichkeit durchaus nahe.121 Die Kakophonie bei der Begrüßung, die bürokratische Maschinerie des Unternehmens und Karls Lügen während seines Interviews lassen tatsächlich auf Letzteres schließen. Das Misstrauen des Lesers gegenüber dieser scheinbaren Utopie wird zudem durch zahlreiche Zweifel des Protagonisten, den bürokratisierten Anstellungsprozess, das Verhalten der anderen Bewerber und des Führers sowie die unklaren Umstände über die Hintergründe des Unternehmens und seiner Aufgaben weiter geschürt. Durch die neutestamentarischen Anspielungen liegt gleichzeitig eine Deutung des Kapitels als Persiflage der christlichen Heilsutopie nahe, wie sie unter anderem Wolfgang Jahn formuliert hat: Bei aller Deutlichkeit der Anspielung werden die neutestamentalichen [sic] Bilder nicht einfach genannt oder als solche dargestellt, sondern sie erscheinen in verwandelter und verhüllter Gestalt. […] Diese Unterscheidung ist sehr folgenreich: sie bedeutet, daß die in Clayton ausgesprochene Verheißung, ja, daß das ganze große Theater überhaupt als eine Travestie biblischer Jenseitsvorstellungen anzusehen ist.122 Und weiter: Die Inkongruenz zwischen dem Optimismus des Heilsversprechens und der wirklichen Heillosigkeit des Daseins ist hier also Gegenstand der Persiflage. Dies drückt sich in der Phantastik, Widersprüchlichkeit – und somit auch Lächerlichkeit einzelner Bilder und Motive folgerichtig aus.123 Formulierungen im Text, wie die Bezeichnung „Truppe“ und „Theater“ oder der Aufruf zur Bewerbung per Plakat, deuten wiederum darauf hin, dass das Naturtheater ein militärisches Unternehmen ist, wie Thomas Anz ausführt.124 Die Abreise mit dem Zug bedeutet in diesem Kontext das Aufbrechen in den Krieg und stellt erneut den glücklichen Ausgang des Kapitels infrage, das womöglich für Karl und die anderen Bewerber mit dem Tod endet.125 Das Kapitel zum Naturtheater kann somit als Persiflage verschiedener sozialer

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Anz 2000, S. 260. Jahn 1965, S. 97. Ebd., S. 98. Zur Analyse des Einflusses des ersten Weltkriegs auf den Roman vgl. Anz 2000, S. 247–262. Siehe hierzu Kafkas Tagebuchnotiz: „Roßmann und K., der Schuldlose und Schuldige, schließlich beide unterschiedslos strafweise umgebracht, der Schuldlose mit leichterer Hand, mehr zur Seite geschoben als

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Ideologien gelesen werden, deren utopischer Charakter fragwürdig erscheint. Für Anz ist das „Naturtheater“ so gesehen, in der Tat ein ‚großes Theater‘ im metaphorischen und kritischen Sinn. Das haben etliche Interpreten inzwischen ähnlich gesehen, wenn sie etwa das ‚­Theater‘ als ‚ironische Metapher‘ einschätzen und das ganze Kapitel als ‚Persiflage‘ auf weltliche Sozialutopien.126 Diese weltlichen Sozialutopien sind in Amerika stets mit der Thematisierung ökonomischer Verhältnisse und des Arbeitsmarkts verknüpft. Mit dem Zirkus sind ebenfalls positive Aspekte, wie Komik, Glück oder Freude verbunden, aber auch die negativ-zynische Anschauung einer Welt, die von „Abnormalem“, von Unordnung, Unheimlichem und Unerklärlichem geprägt ist. Nielsen interpretiert Happy End in seinem zur Ausstellung Memento Metropolis erschienen Aufsatz „Keep Smiling“ als Allegorie einer Gesellschaft, in der, ganz im Sinne Kafkas, Komik und Tragik untrennbar verbunden sind. Die komischen Aspekte sind bei Kippenberger insbesondere in Form von Persiflagen auf die Kunst-, Design- und Kulturgeschichte zu finden (beispielsweise der Tisch nach Spoerri oder das Fußballfeld mit falschen Markierungen als Bezug zu einem Tennisturnier). Negative Aspekte des Lebens finden sich explizit zum Beispiel im Atompilz- oder Psychiatriestuhl sowie in den Hochsitzen, denen eine Kontrollfunktion zukommt.127 Auch die vom Künstler entworfene Einladungskarte zur Rotterdamer Ausstellung, die ein Mannschaftszelt einer amerikanischen Kavallerie-Division von 1917 abbildet (Abb. 7), kann als weitere Analogie zu Kafkas Romanfragment und seinen Anspielungen auf den Krieg gesehen werden.128 Für Nielsen stellt Kafkas Naturtheater ein Paradox dar, eine „egalitarian utopia turned dystopia“. In der Ankündigung, jeder sei willkommen, sieht er einerseits die Proklamation des Rechts auf Gleichheit verwirklicht. Dieses Recht bildet die Grundlage der Unabhängigkeitserklärung von 1776 und damit auch der Idee des „American Dream“, den das Naturtheater mit seinen Erfolgsversprechungen uneingeschränkt zu verwirklichen vorgibt.129 Doch erweist sich die vom Naturtheater beworbene Gleichheit letztendlich als Einschränkung: „Everyone gets hired, but it is to be

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niedergeschlagen.“, zitiert nach Anz 2000, S. 261. Aufgrund dieser Notiz revidiert Brod seine vorbehaltlos positive Auslegung des Kapitels später teilweise. Vgl. Jahn 1965, S. 92, Anm. 65. Anz 2000, S. 260. McGovern 2016, S. 162 erinnern diese Hochsitze an die Postamente der Engel und Teufel bei Kafka. Siehe Krystof 2006, S. 33 und ­Ausst.-Kat. Köln 2000, Nr. 159. Das Mannschaftszelt erinnert gleichzeitig auch an ein Zirkuszelt. Das Naturtheater wurde jedoch auch als sozialistisches Gegenmodell zum kapitalistischen Amerika gedeutet, da dort jeder Arbeit findet und unabhängig vom Lohn versorgt wird, ohne dass Regelverstöße geahndet werden. Zur kritischen Einschätzung einer solchen Deutung vgl. Anz 2000, S. 259. Nielsen 1996, S. 102 zieht an dieser Stelle über das Scheitern der Französischen Revolution und der Erklärung der Menschenrechte von 1789, die ebenfalls auf der Gleichheit aller Menschen aufbaut, eine Verbindung

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Entstehungskontext

7 Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka‘s „Amerika“, 1994, Einladungskarte zur Ausstellung in Rotterdam, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

feared, that the price for this all-embracing openness is that nobody can escape.“ N ­ ielsen schreibt weiter: „In infinitely individualistic America, the individual vanishes.“130 Die unüberschaubare Fülle und fehlende Systematik der präsentierten Tische und Stühle in Happy End lassen das einzelne Objekt untergehen. Für Hüser drückt Kippenberger durch den improvisierten Charakter der Aufstellung aus, dass es viele Ordnungen gebe: „Gemeinsames Merkmal aller Gruppen der Installation ist die Mischung. Kein klassifikatorisches Element nimmt hier überhand“131. Hierarchien oder Wertigkeiten, die einer Kategorisierung oder Systematisierung dienen würden, zum Beispiel zwischen „high art“ und „low art“, Reproduktion und Original oder eine Differenzierung entsprechend der Autorschaft, werden von Kippenberger unterlaufen. Der vom Papst geweihte Tisch steht neben einem Barbie-Tisch, die Designklassiker finden sich zwischen Reproduktionen oder Nachahmungen von künstlerischen, funktionalen oder historischen Objekten verschiedener Urheber und sind umgeben von Alltagsgegenständen. Es entsteht eine visuelle Kakophonie, vergleichbar zum Konzert der Bläser und Trommler des Theaters bei Kafka. Ohne ein zentrales Objekt, auf das sich der Betrachter konzentrieren kann, oder Ordnungen, die der Masse eine Lesbarkeit geben, vermittelt die absolute Gleichwertigkeit der Tisch- und zwischen Kafka und Géricault, die sich jedoch in der Verknüpfung der Geschichte der Nationen erschöpft und keine weiteren Aufschlüsse über die Werke bietet. 130 Nielsen 1996, S. 103f. 131 Hüser 2007, S. 165, S. 170. Für Holert 1994, S. 190f. besteht eine ästhetische Ordnung: „Durch das ihm eigene Händchen bei Auswahl und Arrangement der Objekte demonstrierte er sehr direkt und äußerst unbescheiden seine Geschmackssicherheit und sein Ordnungsverständnis. Die Überlagerungen und Kombinationen gelangen schmissig-konzertant, so dass der etwas käsige objet-trouvé-Charakter des Ganzen auf ein erträgliches Maß zurückgestimmt wurde. [...] Kippenbergers meta-wissenschaftliche Klassifizierungen, sein offen willkürliches Festlegen von Parametern und Verteilen von Hausaufgaben schleift Disziplingrenzen.“

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Stuhlobjekte den Eindruck von Chaos und Beliebigkeit. Für Nielsen erreicht die Installation eine schwindelerregende, haarsträubende Wirkung und er beschreibt Happy End als eine „wicked allegory of a hyper-modern society, stiffened into controlling functions“132. Bezogen auf die Bedeutung der Tisch-Stuhl-Kombinationen als Einstellungssituationen tritt auch in Happy End das Unheimliche von Ökonomie und Kapitalismus hervor und, wie bei Kafka, „everything is at once perfectly transparent and utter enigma“133. Entgegen dieser negativen Wirkung von Happy End beschreibt Kippenberger sein ausdrückliches Interesse am glücklichen Ende des Romanfragments im Vorwort in B. Gespräche: Liebe Leser, liebe Besucher! Jenes von diversen Büchern zu dieser Ausstellung oder die Ausstellung mit diesen Büchern möchte einen kleinen Beitrag üben. Man las, ehrlich gesagt, das Buch Franz Kafkas ‚Amerika‘ nicht zu Ende, doch es gab im Bekanntenkreis einen, der dies wohl tat und mir davon berichtete, dass sich zum ersten Mal, unvollendet in einem Oeuvre von Franz Kafka, ein Happy End anbahnte.134 Mit diesem Vorwort untergräbt Kippenberger sein eigenes Werk und lässt Zweifel an seiner Glaubhaftigkeit aufkommen, da er sich scheinbar nur oberflächlich mit dem Roman beschäftigte.135 Der Kontrast zwischen der eingestandenen Unkenntnis und der Verwendung eines gehobenen, „beinahe kafkaesk geschraubte[n]“136 Sprachregisters verstärken den (selbst-)ironischen Ton. Gleichzeitig weist das Vorwort auf ein zentrales Thema hin, denn ein glückliches Ende ist dennoch ein Ende. Die Zweischneidigkeit einer Vollendung steckt ebenfalls im Begriff der „Einstellung“, der sowohl den Beginn (ein neuer Job) als auch das Ende (Einstellung der Suche) bezeichnet. Im Interview von 1996 beschreibt Kippenberger, dass ihn gerade die fehlende Vollendung, das Unfertige, an Amerika reizten: „Das heißt, die Geschichte, das Buch ist nicht zu Ende geschrieben. Und das ist aber, woran ich arbeiten will, ein Happy End zu schreiben. Kafka das ist so meine Lebensaufgabe, glaube ich.“137 Der Tod ist demnach die „letzte große Bewerbung“138. Entsprechend bleibt 132 Nielsen 1996, S. 103. 133 Ebd. Ob Nielsens Eindrücke auf die Präsentation in Rotterdam oder Kopenhagen zurückgehen, ist nicht bekannt. 134 Siehe Kippenberger, B. Gespräche, 1994, Vorwort. Schappert 1998, S. 178f. zufolge richtet Kippenberger diese Bewerbung an Kafka, um sich bei Kafka als Interviewer für die fiktive Szene zu bewerben. Allerdings ignoriert Schappert, dass Kippenberger den Leser und Besucher direkt anspricht. 135 Hüser 2007, S. 159f. setzt sich mit den hier von Kippenberger evozierten Erwartungen auseinander und kommt ebenfalls auf die Uneindeutigkeit dieser Aussage zu sprechen, die nicht bedeutet, dass Kippenberger den Roman nicht las, sondern nur eine lineare Lektüre verneint. 136 Krystof 2006, S. 33. Zum Begriff „kafkaesk“, siehe beispielsweise Hüser 2007, S. 160. 137 Kippenberger, B. Gespräche, 1994, S. 150. 138 Hüser 2007, S. 174.

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das glückliche Ende in der Installation entgegen ihres Titels stets unerreicht.139 Da jedoch Kafkas Roman nicht zu Ende geschrieben, sogar von Kafka „ins Endlose angelegt“140 wurde, ergibt sich eine weitere Verbindung. Für Hüser liest die „Installation […] den Text als eine offene Struktur, die weder ein Ende noch ein Zentrum hat“141. Statt einer zentralen Erzählung weist jedes Objekt in Happy End seine eigene, oftmals verborgene Geschichte auf, so dass die Installation zur „endlose[n] Geschichte“142 wird und Schappert sieht in der Installation das „inszenierte Scheitern einer verbindlichen Erzählung und Erzählstruktur“143. Kippenbergers Vorwort ist nun auch insofern ironisch aufzufassen, da ein unvollendeter Roman nicht zu Ende gelesen werden kann.144 Die Konzeption von offenen, variablen und damit unvollendeten Werken ist durchaus charakteristisch für Kippenbergers Kunstschaffen und zeigt sich in Happy End durch die Integration früherer Werke und der Ortsbezogenheit der Installation. Die Beschäftigung mit Kafka ist für Kippenberger mit der Rotterdamer Ausstellung keinesfalls abgeschlossen und auch das Thema der Vollendung eines Werks nach dem Tod eines Künstlers beschäftigte ihn weiterhin.145 Die Reihen Jacqueline – The Paintings Pablo Couldn’t Paint Anymore,146 bei der Kippenberger das Werk Picassos weiterführt, oder auch der Werkkomplex Medusa, für den er die Posen der toten oder sterbenden Figuren aus Géricaults Gemälde um neue erweitert und sich selbst in diesen Posen inszeniert, sind Beispiele dafür. Im Thema der Weiterführung klingt auch das Thema des Fortschritts an. Für Nielsen besteht der Zusammenhang zwischen Kafka und Kippenberger darin, dass beide eine 139 Zur Problematisierung des Terminus „Vollendung“ in Bezug auf die Installation Happy End, siehe auch McGovern 2016, S. 170. 140 Kafka zitiert nach Hüser 2007, S. 161. 141 Ebd., S. 165. 142 Kippenberger im Interview mit Baumann, Transkription nach Eikmeyer/Knoefel 2009, Track 8: „Also es sind Geheimnisse da drin, also das ist eine endlose Geschichte“. Da Kafka sich in ähnlichen Worten über seinen Roman äußerte, findet sich hier eine weitere Analogie zwischen Kafka und Kippenberger. 143 Schappert 1998, S. 183. 144 Schappert weist daraufhin, dass sich Kippenberger mit seiner Installation auf eine abgeschlossene Textpassage bezieht, die er mit der Installation nicht weiterführe oder verändere, siehe Schappert 1998, S. 179. Die Passage bei Kafka ist jedoch ambivalent und das glückliche Ende bleibt fraglich. Zudem verändert Kippenberger diese Passage durchaus, zum Beispiel durch das Motiv des Zirkus‘ und überträgt dem Betrachter die Weiterführung der Geschichte(n) durch Rollenspiele. 145 Zwei Jahre nach der Premiere in Kopenhagen entstanden weitere Zeichnungen und Siebdrucke mit Motiven der Installation: die Serie Bitte nicht auf die Bilder setzen, siehe Estate 2014, S. 117–125 MK.P 1994.01–07, ausgestellt in der Galerie Mikael Andersen 1996 aus Anlass der Verleihung des Arthur-Kopcke Preises gleichzeitig zu Memento Metropolis, ein Multiple in Form eines weißen Plastik-Klapptisches mit zwei Stühlen und dem Siebdruck einer Installationsansicht von Happy End auf der Tischplatte, verschiedene Zeichnungen der Objekte auf Hotelbriefpapier (beispielsweise vom Atompilz-Stuhl oder den Hochsitzen), abgebildet in Martin Kippenberger – Schattenspiel im Zweigwerk. Die Zeichnungen, hg. von Götz Adriani, A ­ usst.-Kat. Tübingen, Kunsthalle, 2003, Köln 2003, S. 104f., ein weiteres Gemälde mit Siebdruck nach einem Donald Duck-Comicbild zum Thema „Ei“, siehe Estate 2014, S. 260f. MK.P 1996.26, sowie eine fünfteilige Reihe von übermalten Siebdrucken, siehe ebd., S. 264f. MK.P 1996.27. 146 Ebd. S. 291–311 MK.P 1996.48–57.

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Allegorie der modernen Gesellschaft zeigen, in der „progress may have vanquished itself. Here progress and disaster meet in the same picture, and remind us that true progress can take place only when progress comes to a halt.“147 Nielsen differenziert in dieser Hinsicht zwischen Innovation und Verbesserung von bereits Existierendem, wie dies beim Design der Fall sei: When progress manifests itself solely as a surplus of standard goods, progress no longer holds anything qualitatively new. […] Today everything is possible but nothing can happen. Thus, the static and the dynamic converge. In this, the age of permanent innovation, all new possibilities reveal themselves as repetitions of the old.148 In Happy End zeigt sich, dass trotz des Fortschritts des Designs (zum Beispiel verbesserte Funktionalität oder neuartige Produktionstechniken/materialien) ein Stuhl weiterhin ein Stuhl ist. Das Neue trete, so Nielsen, nur noch als Wiederholung des Alten auf: „Everything doubles and repeats itself and everything remains the same.“149 Stillstand und Entwicklung fallen zusammen. Fortschritt ist für Nielsen zur Travestie seiner selbst geworden und trägt die Katastrophe bereits in sich. So stellt die Installation zwar einen Abriss der Literatur-, Kunst- und Designgeschichte des 20. Jahrhunderts dar, präsentiert diese jedoch nicht linear als Fortschrittsgeschichte, sondern rhizomatisch. Auch die Kultur- und Sozialgeschichte spiegelt sich in der Installation durch die Thematisierung von zunehmender Bürokratisierung und Wettkampforientierung sowie durch die Anspielungen auf das Zeitgeschehen. Die Installation setzt sich aus einem „Geflecht narrativer Stränge“150 zusammen. Mit Happy End erzielt Kippenberger folglich eine vergleichbare Wirkung zu Kafkas Kapitel über das Naturtheater, ohne dabei auf eine eins-zu-eins Umsetzung der Motive zurückzugreifen. Stattdessen übernimmt Kippenberger das Kafkaeske, also die für Kafka typischen Aspekte wie das Bedrohliche, die Herrschaft undurchschaubarer Mächte, wie der Bürokratisierung und des Kapitalismus, sowie das Thema des Scheiterns, das Kippenberger auf selbstreflexive Weise auf die Situation des Künstlers überträgt. Er setzt sich über die Aneignung des Romanfragments mit Geschichte auseinander, indem er die Aktualität des Romans aufzeigt und sich mit dem Motiv des Endes und der Erneuerung beschäftigt. Dieses Thema korrespondiert mit dem skizzierten Ausstellungskonzept von Memento Metropolis, das sich mit der Sehnsucht nach dem Neuen beschäftigte. Dabei berührt die Installation als Sammlungsausstellung auch museologische Fragen, die das Ausstellungsdisplay, die Bedeutung von Ausstellungen als Spektakel und die Ausbildung

147 148 149 150

Nielsen 1996, S. 104. Nielsen entfernt sich an dieser Stelle allerdings von einer Analyse der Werke. Ebd., S. 105. Ebd., S. 103. Siehe Krystof 2006, S. 30

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eines Kanons betreffen, ebenfalls Themen, die mit den selbstreflexiven Fragestellungen von Memento Metropolis korrespondieren.151 Kippenberger schafft mit Happy End eine Gesellschaftsallegorie, die wie bei Kafka positiv und negativ ausgelegt werden kann. Das glückliche Ende und der Fortschritt der Menschheit bleiben fraglich. Letztlich entscheidet der Betrachter, wie der Leser von Amerika, ob es zum ‚glücklichen Ende‘ kommt, wie der Titel suggeriert, oder die Installation die Persiflage eines solchen darstellt. Das Fußballfeld impliziert, alles sei ohnehin nur ein Spiel.

2.1.3 Géricault/Kafka – Aneignungen im Vergleich Nielsen kommt am Ende seines Aufsatzes in Kippenberger/Géricault auf Géricault zu sprechen und weist auf die Gemeinsamkeiten zwischen Kafkas Roman und dem Schiffbruch der Medusa hin. Die Parallelen sieht er in den Motiven der Reise Verstoßener, der Suche nach Neuem und der Trennung vom Mutterschiff. Obwohl Nielsens Vergleich zwischen beiden Werken nur oberflächliche Parallelen aufzeigt, zeigt sich daran, dass die Verbindung von Happy End und Floß der Medusa über den Umweg von Kafkas Roman verläuft. In gleicher Weise, wie das Floß der Medusa einen Anlass zur Befassung mit den Themen der eigenen Zeit gab, bot Amerika für Kippenberger den Ausgangspunkt zur Auseinandersetzung mit Themen seiner Gegenwart. Die Gegenüberstellung von Happy End und Floß der Medusa in Memento Metropolis geht letztlich auf Parallelen zurück, die zwischen den beschriebenen literarischen Deutungen zum Gemälde bei Weiss und Barnes und der bildkünstlerischen Aneignung von Kafkas Roman Amerika durch Kippenberger in Happy End bestehen.152 Der folgende Vergleich der Aneignungen soll nicht etwa einen direkten Bezug Kippenbergers auf einen der Romane nachweisen oder, wie bei Nielsen, eine direkte Gegenüberstellung zwischen Kafka und Géricault anstreben.153 Es sollen vielmehr die zeithistorischen Parallelen der Aneignungen dieser Werke hinsichtlich der Beschäftigung mit der Gegenwart, der Auffassung von Geschichte und der Bedeutung des Kunstschaffens aufgezeigt werden. Diese drei Themenfelder haben ihren Ausgangspunkt in der Erfahrung des Scheiterns, das Künstler, Autoren und Kuratoren als prägend für ihre Zeit empfinden. Die Themenfelder sind eng miteinander verknüpft, erwachsen auseinander und ergänzen sich. Die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Gesellschaft betrifft gleichermaßen die Frage nach der Geschichtsauffassung der Zeit und der Rolle des Künstlers innerhalb der Gesellschaft. Das künstlerische Selbstverständnis ist wiederum für die 151 Vgl. McGovern 2016, S. 159ff.; Hüser 2007, S. 170, S. 174. 152 Bachmann fasst diese Deutungen zusammen. Sein Aufsatz wird im folgenden Vergleich aufgrund der unterschiedlichen Textform nicht berücksichtigt. 153 Peter Weiss’ Die Ästhetik des Widerstands war Kippenberger zwar bekannt, der Künstler zeigte im Interview mit Diederichsen jedoch kein weiteres Interesse daran, siehe Kippenberger, B. Gespräche, 1994, S. 139.

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Aneignung der Werke der Moderne von Relevanz, die gleichzeitig die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Geschichte aufwerfen. Die Beschäftigung mit der Bedeutung von Kunst und dem Künstlerdasein in der Gegenwart führt zu Fragen nach Identität und dem Erkenntniswert von Kunst und Geschichte. Nicht nur die Themen der literarischen und bildkünstlerischen Aneignungen gleichen sich, auch beim Vorgehen gibt es Gemeinsamkeiten. Kippenberger, Weiss und Barnes eignen sich die Gesellschaftsallegorie über einen Identifikationsprozess an, nutzen Wiederholung zur Vergegenwärtigung der Vergangenheit und setzen sich auf metareflexive Weise mit dem Kunstschaffen auseinander. Die erste thematische Gemeinsamkeit betrifft den allegorischen Gehalt der angeeigneten Werke. Das Floß der Medusa wird in den Romanen weniger als eine Allegorie der Restaurationsgesellschaft, sondern vor allem als eine Allegorie der Gesellschaft der 1990er Jahre betrachtet. Die Erzähler identifizieren sich mit den Schiffbrüchigen als Gescheiterte, mit deren emotionalem Zwiespalt der Zukunft gegenüber, aber auch mit dem Maler selbst, der im Gemälde den Misserfolgen seines Lebens Gestalt gebe. Auch sie bringen in ihren Romanen das eigene Scheitern zum Ausdruck. Weiss’ Roman stellt eine Auseinandersetzung mit dem Scheitern der politischen Linken in Europa im 20. Jahrhundert dar, und Barnes verfasst mit der History eine Menschheitsgeschichte, die aus Episoden des (metaphorischen) Schiffbruch-Erleidens besteht. Der emotionale Zwiespalt gegenüber der Zukunft spiegelt sich in den Deutungen des Gemäldes. Zunächst erscheint den Erzählern das Gemälde als Ausdruck der Vergeblichkeit des Existenzkampfes. Weiss beschreibt es als „Hades-Bild“154 während der Erzähler der History darin schlichtweg „hope being mocked“155 sieht. Der Aussichtslosigkeit, die ihnen das Gemälde vermittelt, wird dann die Hoffnung gegenübergestellt, die im Kunstschaffen begründet liegt. Für den Erzähler der Ästhetik führt Kunst zur Bildung einer Gemeinschaft und in der History wird dem Kunstschaffen unter anderem eine erklärende, befreiende Wirkung zugeschrieben. Am Ende ihrer Beschäftigung mit dem Floß der Medusa gelangen die Erzähler so doch zu einer positiven Rezeption des Gemäldes und leisten mit ihren Ausführungen gewissermaßen selbst Widerstand gegen den Untergang, wie schon Géricault mit seinem Gemälde. Kippenberger bezieht sich mit Happy End ebenfalls auf eine Gesellschaftsallegorie, die er sich über eine Identifikation aneignet. Die Allegorie findet er in Kafkas fragmentarischem Kapitel zum Naturtheater, welches das Schicksal des bis dahin wiederholt gescheiterten Protagonisten ungewiss hält, da das Kapitel weder eindeutig ist noch ein Ende aufweist. Kippenberger identifiziert sich zunächst mit dem Protagonisten des Romans und erweckt mit seiner Erklärung zur Bewerbung den Eindruck, in die Rolle Karl Rossmanns zu schlüpfen. Wie Karl kommt er dem Aufruf des Naturtheaters an all diejenigen, die Künstler werden wollen, nach und „bewirbt“ sich mit seiner Installation. Dabei entspricht 154 Weiss zitiert nach: Philipp Anton Knittel, Erzählte Bilder der Gewalt. Die Stellung der „Ästhetik des Widerstands“ im Prosawerk von Peter Weiss, Konstanz 1996, S. 15. 155 Barnes 1989, S. 132.

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das Motiv des Einstellungsgesprächs, das auch eine Metapher für den Existenzkampf mit ungewissem Ende darstellt, dem Motiv des Schiffbruchs bei Géricault. Das Scheitern des Künstlers ist in Happy End somit ein zentrales Thema, dem Kippenberger unter anderem durch seine Bekenntnisse zum vorzeitigen Abbruch des Bücher-Projekts oder der unabgeschlossenen Romanlektüre Ausdruck gibt. Auch in Happy End besteht ein Zwiespalt zwischen Hoffen und Verzweifeln, der sich bereits am Titel zeigt. Denn der Begriff „Happy End“, der aus der Filmkunst kommt, suggeriert, wie die Referenz auf einen Roman, dass das glückliche Ende nur im Bereich der Fiktion zu finden ist. Der Titel der Installation hat daher eine vergleichbare Funktion wie das Schiff Argus, das Bachmann als einen „Theatereffekt“156 beschreibt: Es weckt zwar Hoffnung, die Rettung erscheint aber unrealistisch. Ein glückliches Ende wird bei Kippenberger zum Paradox, da das Ende in Bezug auf ein Menschenleben den Tod bedeutet. Durch sein freiwilliges Scheitern an der Vollendung schiebt Kippenberger das angekündigte Ende auf und bewahrt so die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang. Das Vorhaben der Fortführung des Romans stellt darüber hinaus eine Identifikation Kippenbergers mit Kafka als Autor des Textes dar, an dessen Stelle der Künstler treten möchte. Wie Kafka scheitert auch Kippenberger an der Vollendung seiner Installation. Er führt darüber hinaus eine Vermengung von Werk und Privatperson herbei, die vergleichbar zur Verbindung von Autor und Erzähler in der Literatur ist.157 Unter anderem durch die Übernahme von ehemaligen Einrichtungsgegenständen aus seinen Wohnungen oder die Verwendung von Fotografien aus seinem Leben, aber auch durch die Publikation der Interviews mit direkter Anrede an die Leser, lässt Kippenberger die Grenzen zwischen Privatperson und Künstler verschwimmen. Er tritt jedoch nicht nur in die Rolle des Autors, sondern hat auch die Rolle eines Stellvertreters für die Betrachter und die Gesellschaft inne, da er an seiner Person exemplarisch die allegorische Bedeutung der Installation vorführt. Happy End kann daher ebenfalls als Gesellschaftsallegorie aufgefasst werden, bei der sich Kippenberger anhand des Romans letztlich mit dem Scheitern von sich und der Gesellschaft auseinandersetzt. Eine weitere Analogie zwischen dem Vorgehen der Autoren und Kippenberger besteht darin, dass Kunstwerke der Vergangenheit den Anlass zur Beschäftigung mit der Gegenwart bilden und nicht aktuelle Ereignisse. Die Wiederholung der Vergangenheit in ihren Aneignungen überführt Geschichte in die Gegenwart und stellt als Wiederkehr des Überkommenen den Fortschritt der Menschheit infrage. Die Frage nach Fortschritt bildet angesichts des wiederholten Scheiterns den Ausgangspunkt. Wiederholung hat jedoch in den Romanen positiven Wert. Bei Weiss erhält Wiederholung in Form von Erinnerung und Reproduktion eine positive Bedeutung. Erinnerung ist bei Weiss das Mittel zur Bewahrung von Erkenntnis, die in der „Idee“ eines Kunstwerks vermittelt werden 156 Bachmann, Folgen, 1994, S. 18. 157 Vgl. zum Thema des autorschaftsreflexiven Kunstschaffens und dem Zusammenhang mit der Literaturwissenschaft Kampmann 2006, insbesondere S. 39–46.

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kann. Erinnerung ist zudem als „Mutter der Künste“ auch Quelle des Kunstschaffens und dient der umwertenden Neuschöpfung. Während die Wiederholung von Katastrophen den Glauben an Fortschritt erschüttert, bedeutet die Erinnerung an transformierende Darstellungen dieser Katastrophen in Kunstwerken eine Arbeit gegen das Scheitern. Wiederholung ist bei Barnes hingegen ein ästhetisches Mittel, um Verbindungen und Zusammenhänge anzudeuten und den Leser zur Sinnkonstruktion anzuregen. Der wiederholenden Darstellung von Katastrophen in Kunst kommt bei Barnes ebenfalls eine Erkenntnisfunktion zu (wenn auch im Fall der Bildenden Kunst nur bedingt aufgrund ihrer Materialität). Geschichte ist demnach bei beiden Autoren nur vermittelt erfahrbar. Für Genia Schulz gibt es „[d]as ‚Original‘ Geschichte“ in Weiss’ Roman nicht; „es konstituiert sich aus einer Serie von Geschehenem, das in einen Sinnzusammenhang gebracht, also ausgelegt, reproduziert wird.“158 Weiss standen bei seinem Arbeitsprozess „nur Textund Bildreproduktionen, Erinnerungen und Meinungen über die ‚wirkliche‘ Geschichte zur Verfügung, die ihrerseits subjekt- und zweckgebundene Auslegungen sind“159, die er, wie schon der Maler Géricault, für sein Kunstwerk erneut auslegte. Dies trifft gleichsam auf Barnes Modell der „fabulation“ zu. Bei beiden Autoren ist Geschichtsschreibung eine Mischung von Fakten und Fiktionen, von persönlichen Erlebnissen und historisch bedeutsamen Ereignissen, wie es auch die Erzählungen der Romane prägt. Die Perspektive des Augenzeugen erweist sich als nur eine Sichtweise von vielen. Die Vermitteltheit von Geschichtsschreibung wird in den Romanen durch Erzähltechniken offengelegt, wie Fragmentierung, Parallelmontage, Wiederholung und metafiktionales Schreiben, die mit der Illusion der Erzählung als Wirklichkeit brechen und letztlich ein Zeugnis des Geschichtsverständnisses der Zeit darstellen. Auch in Happy End findet eine Auseinandersetzung mit Geschichte unter den Gesichtspunkten Wiederholung, Erinnerung und Geschichtsdarstellung statt. Die Wiederholungsverfahren in der Installation, ihre offene Konzeption ohne Anfang und Ende sowie der nicht chronologische Aufbau stehen einem Fortschrittsdenken entgegen. Wiederholung in Form von Erinnerung erhält bei Kippenberger allerdings ebenfalls eine positive Bedeutung. Kippenberger erinnert mit der Installation an Kafkas Roman, den er für die Gegenwart aktualisiert und durch seine Neuinterpretation zum Leben erweckt und die Rezeptionsgeschichte des Romans auf verschiedenen Ebenen (Bücher, Objekte, Zeichnungen etc.) fortführt.160 Er rekurriert auch auf zahlreiche Werke und Ereignisse 158 Schulz 1986, S. 79. 159 Ebd. 160 Eine solche Verzeitlichung findet sich auch in den Ekphrasen der Autoren. Zu Beginn steht die Nacherzählung des Ereignisses, dann folgt eine Beschreibung des Bildes mit seinem Entstehungsprozess und schließlich die eigene Rezeption. Henke/Goer 2000, S. 135 beschreiben am Beispiel der History, dass das Gemälde „als fixierte Gegenwart […] durch die fingierte Vorgeschichte […] eine Vergangenheit sowie durch die spielerische Ekphrase im zweiten Teil eine potentielle Zukunft“ erhalte. Diese Beobachtung trifft auch auf die Ekphrase bei Peter Weiss zu.

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aus Lebens-, Literatur-, Design-, Kunst- und Zeitgeschichte. Konzipiert als „visuelles Nachschlepplexikon“161 verbindet die Installation individuelle Perspektiven (Erinnerungen an das eigene Leben durch Künstler und Betrachter) mit historisch Bedeutsamen (zum Beispiel bedeutendes Design oder Ereignisse wie der Papstbesuch in Köln). Die Installation besteht, wie der Roman von Barnes, aus einem Bündel fragmentarischer, individueller Geschichten, die in jedem Objekt enthalten sind, und von Kippenberger aus einer endlosen Vielzahl an möglichen Objekten und Ereignissen im Bezug zum Motiv „Einstellungsgespräch“ ausgewählt wurden. Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Objekten, das heißt die übergreifende Geschichte, wird durch Wiederholungen angedeutet, der Sinn muss jedoch vom Betrachter selbst hergestellt werden. Wie in der History wird in Happy End allerdings keine zusammenhängende, Sinn gebende Metanarration ersichtlich, so dass die Bemühungen des Betrachters ins Leere laufen und sich dieser seiner Versuche der Sinnkonstruktion bewusst wird. Indem Kippenberger unterschiedliche Zeiten und Geschichten gleichzeitig nebeneinander vergegenwärtigt, stellt er seine Kunst mithilfe der vielfältigen Referenzen auf Werke und Künstler der Vergangenheit oder die Kollaborationen mit zeitgenössischen Künstlern in ein Geflecht von Kulturgeschichte. Da sich die Installation zudem als eine alternative Design- oder Stilgeschichte, als autobiografisch motivierte Sammlungsgeschichte oder als Fortführung von Amerika lesen lässt, schreibt Kippenberger damit Geschichte(n). Geschichte wird auch hier pluralistisch aufgefasst und jede Aufführung des Werks stellt eine neue Version der gleichen Geschichte dar. Durch die Kombination „authentischer“, historischer Objekte – wie einem Original-Stuhl von Eames – mit rekonstruierten Tischen und Stühlen – wie dem Tisch Robert Musils – und neu erfundenen Werken – wie dem Schrank in Anlehnung an Donald Judd – erweist sich die von Kippenberger in der Ausstellung „erzählte“ Geschichte als rhizomatisches Netz aus Fakten und Fiktionen, Vorgefundenem und Erfundenem. Die Romane von Weiss und Barnes reflektieren Geschichtsschreibung im und durch das Medium der Geschichtsschreibung selbst. Die dritte Analogie zwischen den Romanen und der Installation betrifft daher ihre selbstreflexive Beschäftigung mit dem Kunstschaffen. Die Textpassagen zum Ereignisbild sind in den Romanen metafiktional angelegt und stellen eine Auseinandersetzung der Erzähler mit ihrer Rolle als Schriftsteller und Geschichtsschreiber dar. Für den Erzähler der Ästhetik stellt sich die Frage nach der Bedeutung seiner Tätigkeit für den Widerstand. Im Shipwreck-Kapitel der History beschäftigt sich der Erzähler mit dem Sinn der Darstellung von Katastrophen als Modell der Welterklärung und verhandelt diese Fragen auf offen metareflexive Weise im Kapitel Parenthesis. Da die Autoren in den Romanen eine Vermischung von Autor und Erzähler herbeiführen (zum Beispiel bei Weiss durch die autobiographischen Anlehnungen oder durch die Aussage des Erzählers bei Barnes im Kapitel Parenthesis, er sei der Autor) scheint es, als stellten sich die Autoren ebenfalls diesen Fragen. Die Bemerkung in der Ästhetik 161 Kippenberger zitiert nach Eikmeyer/Knoefel 2009, Kapitel 8.

Kippenberger / Géricault – eine Ausstellung in der Ausstellung

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über Kunst, in der nur Selbsterlebtes wiedergegeben werden könne, sowie Barnes Prinzip der „fabulation“, treffen somit, so wird suggeriert, auch auf das Verfassen der Romane zu. Die positive Deutung des Gemäldes erhält vor diesem metareflexiven Hintergrund zusätzliche Relevanz: Durch den positiven Wert, den die Erzähler dem Gemälde trotz seines Sujets des Scheiterns beimessen, erhält auch das Unterfangen der Kunstproduktion der Autoren einen positiven Wert und erweist sich als Erkenntnis- und Widerstandsmittel. Die Installation Happy End weist eine ebenso metareflexive Konzeption auf. Die Auseinandersetzung mit dem Künstlertum im Werk, zum Beispiel durch die Allegorie auf die Bewerbungssituation des Künstlers, kann in Analogie zur Beschäftigung der Erzähler mit ihrer Tätigkeit als Schriftsteller angesehen werden. Die Installation stellt zudem auch Kunst über Kunst dar, da das Werk aus anderen Kunstwerken und vielfältigen Referenzen auf Kunst(-geschichte) zusammengesetzt ist. Dabei untergräbt Kippenberger sowohl seine Bedeutung als Künstler als auch das Verständnis vom Kunstwerk als eines festgelegten „Bedeutungsspeichers“162 und führt sein Scheitern in Form der fehlenden Vollendung aber auch das Scheitern des Betrachters am Verstehen der Installation (zum Beispiel durch die verborgenen Geschichten) ironisch vor. Durch sein Scheitern an der Vollendung hält er gleichzeitig die Möglichkeit auf ein glückliches Ende am Leben. Er begegnet dieser negativen Seite des Endes mit Ironie, indem er den Roman mit einer auf Endlosigkeit angelegten Installation zu Ende führen möchte. Wie bei Barnes ist auch bei Kippenberger die Ironie ein Weg, um der Tragik des Scheiterns mit Humor zu begegnen. Damit kann auch Happy End als Kunstwerk verstanden werden, mit dem auf paradoxe Weise Widerstand geleistet und Erkenntnis gewonnen werden kann (über den Kunstbetrieb, das Leben als stetes Vorstellungsgespräch etc.). Die Themen, die in den literarischen Aneignungen von Géricaults Gemälde verhandelt werden, sind für Kippenberger somit nicht neu, sondern stellen bereits einen Gegenstand seiner Auseinandersetzung mit Kafka dar. Wie die Gegenüberstellung von Happy End und Floß der Medusa konkret in den Memento Metropolis-Ausstellungen realisiert wurde, wie Kippenberger von seiner Beschäftigung mit Kafka zur Aneignung von Géricaults Gemälde übergeht und in welchem Zusammenhang die beschriebenen Themen und Verfahren der Aneignung zu den Kunstdiskursen der Zeit stehen, wird im folgenden Kapitel untersucht.

2.2 Kippenberger / Géricault – eine Ausstellung in der Ausstellung Obwohl Happy End allgemein eine hohe Bedeutung beigemessen wird, wurde die Installation zu Lebzeiten des Künstlers nur zweimal gezeigt: 1994 in Rotterdam und zwei Jahre später in Kopenhagen. Schon in Kopenhagen gab es jedoch einschneidende Änderungen am Display, die nicht allein die ortsspezifischen Objekte, sondern die gesamte Präsen162 Kampmann 2006, S. 79.

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tationsform betrafen. Fiona McGovern spricht sich in ihrer Untersuchung des Displays der Installation dafür aus, im Fall der Ausstellungen von Happy End von „Aufführungen“ und neuen Varianten einer Arbeit anstatt eines Originals mit seinen Rekonstruktionen zu sprechen.163 Die verschiedenen Präsentationen der Installation resultieren für sie in einer endlosen Neuausrichtung der Beziehung von initialem Text und Prätext, das heißt zwischen der initialen Anlage der Installation als Allegorie der Bewerbungssituation des Künstlers und dem Roman Kafkas.164 Diese neuen Ausrichtungen der Installation und ihre Auswirkungen auf die Gegenüberstellung des Werks im Rahmen der drei Memento Metropolis-Ausstellungen mit Géricaults Gemälde werden im Folgenden analysiert. Becker zufolge hat sich die Gegenüberstellung von Kippenberger und Géricault in Kopenhagen zu einer eigenen Ausstellung innerhalb der Memento Metropolis-Ausstellung entwickelt.165 So erschien in Kopenhagen ein Einleger im Begleitheft zur Ausstellung, der als „Alphabet“ betitelt wurde und wie ein Lexikon in rund neunzig Einträgen die Werke und Künstler sowie Themen der Ausstellung in Kürze vorstellt. Etwa zehn Einträge des Alphabets behandeln Schlüsselbegriffe zu Kippenberger und Géricault. Das Cover stellt die Rekonstruktionsaufsicht des Floßes dar, die von Alexandre Corréard, einem der Überlebenden des Schiffbruchs, erstellt wurde (Abb. 20). Noch vor Eröffnung der Kopenhagener Ausstellung griff Kippenberger die Idee der Gegenüberstellung seiner Installation mit dem Floß der Medusa in bildkünstlerischen Arbeiten auf. Er entwarf zur Kopenhagener Ausstellung ein Plakat, eine Einladungskarte und forderte die Produktion des schon erwähnten Katalogs Kippenberger/Géricault. Insbesondere diese ausstellungsbegleitend erschienenen Arbeiten demonstrieren, wie Kippenberger selbst die Aufwertung der Gegenüberstellung zu einer eigenen kleinen Ausstellung in der Ausstellung initiierte. Auf der Einladungskarte und im Katalog werden zudem erstmals Arbeiten aus dem Medusa-Werkkomplex abgebildet. Die Produktionen richten sich als Medien der Vermittlung direkt an die Öffentlichkeit und kommunizieren Kippenbergers Auseinandersetzung mit den Inhalten der Gegenüberstellung. Sie sollen daher in Kapitel 2.2.2 untersucht und die fließende Entwicklung von Happy End zu Medusa aufgezeigt werden. Der Vergleich der Aneignung von Kafkas Roman und der Aneignung von Géricaults Gemälde beruht letztlich auf dem Motiv des Scheiterns. Kippenbergers künstlerische Haltung ist von Beginn an von einer Ästhetik des Scheiterns gekennzeichnet, die Schap163 McGovern 2016, S. 174, S. 176. 164 Ebd., S. 175. Neben McGoverns Analysen gibt es derzeit keine weiteren Untersuchungen zu den Ausstellungsdisplays des Werks. Während McGoverns Differenzierung zwischen Rekonstruktion und Aufführung für die Displays in Memento Metropolis zutreffend erscheint, wäre ihre These für die folgenden Ausstellungen der Installation zu prüfen, da sich diese, wie zum Beispiel im Museum of Modern Art in New York 2009, in der Tate Modern in London 2006 oder in den Deichtorhallen 2000, wieder deutlicher an der Rotterdamer Präsentation orientierten und im Rahmen ihrer Anlage als monografische Ausstellungen zumindest auf den ersten Blick keine neuen Bezüge (außer werkimmanenter) etablierten. Deshalb wäre zu fragen, ob in diesen Fällen der Begriff „Rekonstruktion“ nicht doch zutreffender wäre. 165 Annesofie Becker in einer E-Mail an die Verfasserin vom 27.8.2017.

Kippenberger / Géricault – eine Ausstellung in der Ausstellung

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pert als „Strategischen Dilettantismus“166 bezeichnet. Eine Entsprechung im Bereich der Malerei findet dieser Begriff in der Bezeichnung Bad Painting. Diese auf Antagonismen beruhenden Ansätze werden vor dem Hintergrund der bisherigen Beobachtungen genauer in Kapitel 2.2.3 in den Blick genommen und gezeigt, dass die Diskurse zur Kunst der 1980er Jahre ebenso vom Thema des Scheiterns geprägt sind.

2.2.1 Die Ausstellungsdisplays im Vergleich In Kopenhagen fanden die Eingriffe in die Installation noch mit dem Einverständnis des Künstlers statt. Doch den Aufbau der Installation übernahm Kippenberger nicht mehr selbst, sondern übertrug die Aufgabe seinem damaligen Assistenten, Johannes Wohnseifer. Wohnseifer übernahm auch in Stockholm und vermutlich Antwerpen den Aufbau.167 Die Änderungen betrafen neben den ortsspezifischen Objekten (in diesem Fall handelt es sich um Objekte aus dem Dänischen Designmuseum168) insbesondere die Zugänglichkeit und die Betrachtungsmöglichkeiten der Installation. Ein schematischer Aufriss der Turbinenhalle, der im Einleger des Ausstellungshefts publiziert wurde, macht den Aufbau der Kopenhagener Ausstellung nachvollziehbar. Die Ausstellungsarchitektur wurde von zwei Hallen und drei Etagen bestimmt. Die beiden Hauptwerke waren auf die zwei Hallen aufgeteilt: In Halle 1 als Auftakt der Ausstellung das Floß der Medusa, das den Besucher mit einer Katastrophe konfrontieren sollte, die einen positiven Ausgang der Menschheitsgeschichte seit dem Beginn der Moderne fraglich macht.169 Im nicht zugänglichen Untergeschoss der Halle 2 befand sich Happy End, das von einer Empore aus betrachtet werden konnte.170 Die Interaktion mit den Objekten in Form von imaginierten Rollenspielen, bei denen sich die Betrachter Einstellungsgespräche ausdenken sollten, war somit nur aus der Distanz möglich. Auch die in Rotterdam zur Lektüre auf den Tischen ausgelegten Bücher fehlten, so dass die assoziative Wirkung der Installation auf die Betrachter weiter begrenzt sowie der literarische Bezug des Werks in Kopen166 Schappert 1998, S. 23. Schappert führt diese Bezeichnung in seiner Untersuchung erstmals in Anführungszeichen ein. Diese Schreibweise wird im Folgenden beibehalten, um einerseits eine kritische Distanz zu dieser kontroversen Begriffsschöpfung zu markieren, die sich in der Forschungsliteratur zu Kippenberger nicht durchgesetzt hat. Andererseits soll dadurch auf die zeitspezifische Prägung des Begriffs „Dilettantismus“ hingewiesen werden, wie noch erläutert wird. 167 McGovern 2016, S. 171 schreibt, Kippenberger sei am Aufbau noch maßgeblich beteiligt gewesen. Becker zufolge übernahm jedoch Johannes Wohnseifer den Aufbau in Kopenhagen. Annesofie Becker in einer E-Mail an die Verfasserin vom 27.8.2017. Für die Details des heutigen Aufbaus und ihre Problematik vgl. McGovern 2016, S. 173. 168 Annesofie Becker in einer E-Mail an die Verfasserin vom 17.11.2013. Um welche Objekte aus dem Dänischen Designmuseum es sich handelte, konnte Becker nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, siehe E-Mail an die Verfasserin vom 27.08.2017. 169 Nielsen 1996, S. 106. 170 Annesofie Becker in zwei E-Mails an die Verfasserin vom 20.11.2013 und 27.08.2017.

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hagen kaum ersichtlich waren.171 Darüber hinaus beschränkte sich die Ausstellung auf einen einzigen Raum, in dem die Tische und Stühle in deutlich reduzierter Dimension auf einem länglichen Podest aufgebaut wurden, wie es auf dem Ausstellungsplakat für Antwerpen zu erkennen ist (Abb. 10).172 Der grüne Teppich fehlte ebenso wie die Tribünen und Monitore. In der erhöhten Perspektive auf das Spielfeld findet sich zwar eine Entsprechung zum erhöhten Blick von den Tribünen in Rotterdam, doch war ein Begehen des Werks, elementarer Bestandteil der Rotterdamer Schau, nicht vorgesehen. Von der lebendigen Zirkus- und Sportatmosphäre blieb entsprechend kaum etwas übrig. Stattdessen entstand eine ausgestorbene, kühl wirkende Bürolandschaft, deren bedrückende Atmosphäre durch die Präsentation auf dem schwarz-weiß gefliesten Boden, das Kunstlicht des ehemaligen Elektrowerks sowie die gedrängte Aufstellung der Objekte auf dem Podest, welches das Rotterdamer Spielfeld ersetzte, intensiviert wurde. Ohne das Podest hätte die Inszenierung vermutlich stärker einem Depot geglichen, stattdessen trat der Eindruck einer Sammlungs- oder Designausstellung stärker in den Vordergrund. Der einem „Skulpturen-Wald“ gleichende Aufbau verstärkt für McGovern die Bildhaftigkeit des Displays.173 Der Eindruck von Stillstand und Verlassenheit stellt sich bei der ersten Präsentation in Rotterdam nicht in diesem Maße ein, da das Feld beim Betreten durch die Besucher belebt wurde. Durch die Verknüpfung von Motiven aus den Bereichen Zirkus, Sport und Bürokratie herrschte 1994 in Rotterdam eine spielerische Lebendigkeit, chaotische Unüberschaubarkeit sowie Deutungsoffenheit. In Kopenhagen wurde die Installation zwar weiterhin als Allegorie einer am Wettkampf orientierten, von Bürokratie bestimmten Gesellschaft verstanden, doch traten die durch den witzig-spielerischen Ton erzeugte Ambivalenz zwischen Komik und Tragik sowie die Subversion der Machtstrukturen, welche die Rotterdamer Ausstellung prägte, in den Hintergrund und waren nur schwer erkennbar ohne Spielfeld, ohne die Kenntnis um Kippenbergers Bewerbungsintention und ohne die Möglichkeiten des Betrachters zur Interaktion. In der Tat musste den Besuchern in Kopenhagen der Titel der Installation als zynischer Kommentar erschienen sein, denn das glückliche Ende erschien, wie auch McGovern schreibt, in weite Ferne gerückt. Die Veränderungen in Kopenhagen führten somit zu einer inhaltlichen Kondensierung und zur Stärkung einzelner Aspekte der Installation: ihrem Bezug zur Bürokratisierung, dem Motiv des Endes und Stillstandes gegenüber des Fortschritts und ihrem Sammlungscharakter. Diese Themen zeichneten sich auch in anderen Exponaten ab, zum Beispiel in On Kawaras bürokratisch anmutender Auflistung der Jahre und Tage, in Géricaults Floß der Medusa als einer Erschütterung des Fortschrittdenkens zu Beginn der Ausstellung oder in Kattrups Museum of Found Objects als einer Assemblage gesammelter Fundstücke. Im Rotterdamer Happy End waren diese Aspekte durchaus schon angelegt, 171 McGovern 2016, S. 172. Lesungen oder Performances fanden keine statt. 172 ­Ausst.-Kat. Zürich 1998, S. 213. 173 Siehe McGovern 2016, S. 172.

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wenn auch weniger prominent. McGoverns Schlussfolgerung, im Kopenhagener Happy End werde „das gesamte Arrangement in einen völlig neuen Referenzrahmen gestellt […], der den Kafka-Bezug überlagert“174, trifft daher nicht in vollem Umfang zu. Die Eingriffe in die Installation, insbesondere der Verzicht auf das Zirkus-Motiv, lassen zwar wichtige Bezüge zum Naturtheater in den Hintergrund treten. Allerdings war die Referenz auf Kafka und die Übernahme der Tragikomik des Romans immer noch wichtig für die Ausstellung, da hierdurch die These von der ambivalenten Haltung der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts gegenüber der Zukunft untermauert werden konnte. Entsprechend erörtert Nielsen in seinem zur Ausstellung erschienenen Beitrag die Referenz Kippenbergers auf Kafka und das Fortschrittsthema, und nicht auf Géricault. Der Referenzrahmen der Installation war nicht grundlegend neu, jedoch auf wenige Aspekte reduziert. Gleichzeitig stellte die deutlich pessimistischer und dramatischer ausgerichtete Präsentation der Installation in Kopenhagen eine markante Verbindung zu Géricaults Gemälde und dem Thema des Existenzkampfes her.175 Die Antwerpener Schau stellt die erste Präsentation der Installation nach Kippenbergers Tod dar. Zur Ausstellung erschien der Katalog Kippenberger/Géricault und der Aufsatzband (sowie vermutlich das Ausstellungsheft) in einer flämischen Fassung.176 Inwieweit Kippenberger bis zu seinem Tod noch in die Planung der Ausstellung involviert war, ist unbekannt. Die Rekonstruktion der Ausstellung wird dadurch erschwert, dass weder Kataloge noch Abbildungen zugänglich sind. McGovern äußert sich in einer Fußnote ihrer Untersuchung zum Antwerpener Aufbau, leider ohne eine Quelle für diese Informationen zu nennen. Ihr zufolge war die Installation in Antwerpen durch Trennwände von den anderen Exponaten isoliert und glich einer „Abstellkammer“177. Sie erkennt darin einen möglichen Rückbezug auf die Peter-Ausstellung aus dem Jahr 1987, aus der Kippenberger viele Objekte in Happy End übertrug. Demnach wäre in Antwerpen eine Rückbindung an das Œuvre Kippenbergers zu verzeichnen gewesen. Der Aufbau wurde in Antwerpen vermutlich ebenfalls von Johannes Wohnseifer übernommen, der zur Zeit der Peter-Ausstellung allerdings noch nicht mit Kippenberger gearbeitet hatte. Über das Zusammenspiel der Installation mit dem Floß der Medusa und die Deutlichkeit der kafkaesken Bezüge in Antwerpen ist darüber hinaus nichts Weiteres bekannt. Die Stockholmer Ausstellung ist durch einen eigens erschienenen Katalog mit einem Supplement, das einen erklärenden Text zum Konzept und zahlreiche Abbildungen enthält, gut dokumentiert.178 Der Katalog Kippenberger/Géricault inklusive der beiden Artikel 174 Vgl. ebd., S. 171. 175 Siehe ebd., S. 172. Bachmann, Folgen, 1994, S. 18. 176 Annesofie Becker in einer E-Mail an die Verfasserin vom 27.08.2017. 177 McGovern 2016, S. 172, Anm. 179. 178 Siehe Memento Metropolis. An Art Exhibition about the city and the memory, hg. von Alexis Pontvik, A ­ usst.-Kat. Stockholm, Kulturfabriken Liljeholmen, 1998, Stockholm 1998; Alexis Pontvik, „Memento Metropolis in Stockholm. The Exhibition“, in: Memento Metropolis. An Art Exhibition about the city and the memory, hg.

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8 Martin Kippenberger, The Happy End of Franz Kafka‘s „Amerika“, 1994, Installation Dim. variabel, ausgestellt in Stockholm, Kulturfabriken, Privatsammlung.

und Abbildungen ist in den Stockholmer Katalog integriert, der in kleinerem Format publiziert wurde. Neben Ansichten der Stockholmer Ausstellung und Aufnahmen der Exponate enthalten beide Kataloge und das Supplement jeweils einen Aufsatz von P ­ ontvik, unter anderem über die Unterschiede zum Konzept der ersten Ausstellung und den in Stockholm neuen Exponaten, die oftmals in direktem Bezug zur Stadt stehen. Pontvik schreibt in seinem Aufsatz, dass er Memento Metropolis als „a narrative, not a textbook“ auffasste, welches vom Besucher neu erzählt, verändert und ergänzt werden konnte.179 Von den fast zwanzig Künstlern in Kopenhagen wurden daher nur sechzehn für Stockholm übernommen, wobei die Werkauswahl teilweise verändert wurde und zwölf weitere Künstler neu hinzukamen, wie aus dem Verzeichnis im Stockholmer Katalog hervorgeht. Die Offenheit des Konzepts wurde durch Parcours, Szenografie und dem Ausstellungsort Kulturfabrik – für Pontvik ein „spatial neuter“180 – unterstrichen. Entsprechend wurde Happy End, das erneut von Johannes Wohnseifer aufgebaut wurde, nicht mehr so stark räumlich getrennt, wie noch in Kopenhagen durch das Podest und in Antwerpen durch die Trennwände. Stattdessen wurde Happy End im direkten Dialog mit anderen Kunstwerken präsentiert. Auch hier wurde auf den durch Tribünen, Monitore und Teppich erzeugten Sportbezug verzichtet, doch konnte die Installation theoretisch ebenerdig von allen Seiten betreten werden.181 Die Offenheit des ringförmigen Parcours ermöglichte eine von dems., Supplement zum ­Ausst.-Kat. Stockholm, Kulturfabriken Liljeholmen, 1998, Stockholm 1998, o. S. Pontvik betont in einer E-Mail an die Verfasserin vom 21.6.2016, dass es sich in Kopenhagen und Stockholm um zwei völlig unterschiedliche Ausstellungen gehandelt habe. Die Kopenhagener Ausstellung hatte er selbst nicht gesehen. 179 Pontvik 1998, S. 9. 180 Ebd. 181 Es ist unwahrscheinlich, dass ein Betreten nach Rotterdam tatsächlich noch gestattet war. Krystof 2006, S. 37, Anm. 3 zufolge wurde das Begehen erst durch die Verkleinerung der Installation für die Ausstellung

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Präsentation von Happy End in direkter räumlicher Nähe zum Floß der Medusa (Abb. 8). Die Gegenüberstellung wurde durch einen etwa zwei Meter langen Druck der Rekonstruktionsaufsicht des Floßes nach Corréard (Abb. 20) und einem Gemälde Kippenbergers aus dem Medusa-Komplex (P.58, S. x) erweitert. An einer anderen Seite der Installation befand sich ein Beitrag des Kopenhagener Kurators Flindt in Form eines abgerissenen ­Appartements aus Kopenhagen. Zudem grenzte die spiegelnde Rückwand der partizipativen Bibliothek an die Installation und war mit ihr durch einen Durchgang verbunden. Daneben befanden sich eine Fotografie des Stockholmer Marktplatzes Sergels torg von Michael Perlmutter (1994) und eine Liste berühmter Patente aus dem Kopenhagener Patentbüro aus den Jahren 1816–1975. Darüber hinaus gab es Blickachsen zu den Werken von Leise dich Abrahamsen, Suzan Etkin, Kathy Pendergast oder On Kawara.182 Die Stockholmer Präsentation unterstrich die dialogische Struktur der Installation, ihre offene, variable Anlage und Vielschichtigkeit. Gleichzeitig wurden die zentralen Inhalte von Memento Metropolis im direkten Zusammenspiel der drei konstanten Hauptwerke der Ausstellungen – Bibliothek, Happy End und Floß der Medusa – hervorgehoben und ihr Zusammenhang miteinander durch die Themen Erinnerung, Erneuerung, Fortschritt und das Großstadt-Motiv kenntlich. Die anderen Exponate, wie die Patente, die Rekonstruktionsansicht des Floßes, das abgerissene Appartement und On Kawaras Bücher verstärkten diese Themen durch ihren Archiv- oder Sammlungscharakter sowie das inhaltliche Nebeneinander von Fortschritt und Niedergang. Der kreisförmige Aufbau der Ausstellung, bei dem Anfang und Ende zusammenfallen, sowie die Gegenüberstellung des Ereignisbildes mit den Patenten, stehen ebenfalls einer Geschichte des Fortschritts entgegen. Das Kafka-Motiv des Einstellungsgesprächs sollte im Stockholmer Happy End weiterhin ersichtlich bleiben. Für Pontvik fühlt der Betrachter „the presence of a variety of absent individuals who hold employment interviews with each other.“183 Dementsprechend sollte die Installation die Imagination des Betrachters anregen, erzielte allerdings statt des Eindrucks eines lebendigen Zirkus vielmehr den eines Relikts der Bürokratisierung. Durch die direkte Gegenüberstellung der Installation mit dem Floß der Medusa trat die Referenz auf Kafka in Stockholm weiter in den Hintergrund. Die Integration eines Gemäldes aus dem Medusa-Komplex machte Kippenbergers direkte Auseinandersetzung mit Géricault evident. Für Pontvik entwickelt dieses Medusa-Gemälde den Dialog zwischen der Installation und dem Ereignisbild und nimmt damit gewissermaßen eine didaktische Funktion zur Vermittlung des Ausstellungskonzepts ein.184 Durch die unmittelbare Nähe 2006 verboten, allerdings war die Installation schon seit Kopenhagen verkleinert und dort bereits nicht mehr zu betreten. Vgl. auch McGovern 2016, S. 172. 182 Siehe hierzu die Abbildungen und den Ausstellungsplan in A ­ usst.-Kat. Stockholm 1998 und bei Pontvik 1998. 183 ­Ausst.-Kat. Stockholm 1998, S. 11. 184 Ebd.

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des Gemäldes zu seinem Vorbild Floß der Medusa und seinem verschwisterten Werk Happy End verbindet das Gemälde die Installation und das Ereignisbild. Indem sich dieses Bild durch eine Sprechblase als Kippenbergers Version vom Floß der Medusa zu erkennen gibt und „JE SUIS Meduse“ verkündet, wird eine konkrete Verbindung zwischen Ereignisbild und Kippenbergers Kunstwerken hergestellt. Durch die veränderten Ausstellungdisplays der Installation traten folglich die Metapher des Existenzkampfes sowie die Zweifel am Fortschritt der Gesellschaft deutlicher hervor. Die Deutung des Einstellungsgesprächs als Allegorie des Existenzkampfes des Menschen in der Großstadt findet ihr Pendant in der Allegorie des Schiffbruch-Erleidens. Mit dem Wegfallen des spielerischen Charakters, der durch Zirkus- und Sport-Motive erzeugt wurde, entfielen wichtige Elemente der Kafka-Aneignung. Die Vergleichspunkte der Installation mit dem Floß der Medusa traten stattdessen zunehmend in den Vordergrund. Der Kafka-Bezug blieb bei Happy End aber dennoch zentral im Motiv „Einstellungsgespräch“ und der Tragikomik erhalten, obgleich auch weitgehend darauf reduziert.

2.2.2 Von Happy End zu Medusa Der nahtlose Übergang von Happy End zu Medusa lässt sich nicht nur an den Ausstellungsdisplays ablesen. Auch das von Kippenberger geschaffene Ausstellungsplakat, die Einladungskarte und der Katalog Kippenberger/Géricault zeugen hiervon. Diese Produktionen entstanden neben den offiziellen Publikationen für Memento Metropolis zusätzlich und untermauern den Charakter der Gegenüberstellung von Kippenberger mit Géricault als einer Ausstellung innerhalb der Ausstellung.185 Allein die Anzahl an Kippenbergers Begleitproduktionen zu seinen Ausstellungen zeugt von der Bedeutung, die er diesen Arbeiten beimaß. Da Kataloge dem künstlerischen Schaffen – mehr als ephemere Ausstellungen – den „Adel des Dauerhaften“186 zuteilwerden lassen, wird bei Kippenberger die Anzahl seiner Ausstellungskataloge zur Messlatte des Erfolgs und aus diesem Grund ihre Produktion auch vom Künstler initiiert. Im Sinne eines „Total-Service-Denkens“187 werden Kippenbergers Publikationen allerdings nicht nur als Marke des Erfolgs und ­Mittel der Vermarktung eingesetzt, sondern dienen auch zur Vermittlung seiner Ideen.188 ­Indem Kippenberger neue Werke auf Karten, Plakaten und in Katalogen publiziert, gibt 185 Becker konnte zur Verbreitung der Plakate oder der Verwendung der Einladungskarte keine Auskunft geben. Annesofie Becker in einer E-Mail an die Verfasserin vom 27.08.2017. 186 Diedrich Diederichsen, „Die Leseratte“, in: Kommentiertes Werkverzeichnis der Bücher von Martin Kippenberger 1977–1997, hg. von Uwe Koch, Köln 2002, S. 16. 187 Ebd., S. 13. 188 Vgl. ebd., passim und Roberto Ohrt, „‚Fütterung der Affen von der falschen Seite des Käfigs‘“, in: Kommentiertes Werkverzeichnis der Bücher von Martin Kippenberger 1977–1997, hg. von Uwe Koch, Köln 2002, S. 24–30.

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er nicht nur einen Vorgeschmack auf die kommenden Werke, noch bevor diese überhaupt öffentlich gezeigt werden, sondern stärkt auch die Verbindung seines Œuvres, das sich einer strikten Trennung zwischen den Werkkomplexen verwehrt und stattdessen aus einer prozessualen Entwicklung heraus entsteht. Die existierenden Werkverzeichnisse bieten einen Überblick über die Fülle an Produktionen und deuten bereits an, dass diese scheinbar begleitend erscheinenden Arbeiten mehr als Dokumentationen sind und als eigenständige Kunstwerke betrachtet werden sollten. Auch die Medusa-Fotografien setzte Kippenberger später für die Gestaltung der Einladungskarte und eines Posters zur Genfer Ausstellung Respektive ein.189 Eingehende Untersuchungen der Arbeiten oder Verfahren Kippenbergers in Hinblick auf diese Produktionen stehen noch aus. Das von Kippenberger entworfene Plakat zur Kopenhagener Ausstellung stellt das Floß der Medusa und Happy End direkt gegenüber (Abb. 9), wie es nach Kippenbergers Tod in der Stockholmer Ausstellung tatsächlich realisiert wurde. Mithilfe des Kopenhagener Plakats hebt Kippenberger die Bedeutung seines eigenen Werks und Géricaults innerhalb der Ausstellung hervor und wirbt so für seine Kunst, die gleichrangig neben einem kunsthistorischen Meisterwerk platziert werden kann.190 Das Kopenhagener Plakat wurde für Antwerpen in abgewandelter Form nach einem Design des belgischen Künstlers Mark Verstockt erneut aufgelegt und hieraus auch eine Einladungskarte angefertigt (Abb. 10).191 Auf beiden Plakaten sind jeweils in die Länge gestreckte Abbildungen vom Floß der Medusa (links) und Happy End (rechts) nebeneinander positioniert. Die Ansicht von Happy End stammt für das Kopenhagener Plakat aus Rotterdam, während in Antwerpen eine von Roberto Fortuna angefertigte Aufnahme der Installation aus Kopenhagen eingesetzt wurde. Abgesehen vom Austausch der Abbildungen, die an gleicher Stelle und in entsprechender Verzerrung gesetzt wurden, unterscheidet sich das textbasierte Design der Plakate. Das Kopenhagener Plakat ist durch drei Schriftkästen gegliedert, die in abnehmender Schriftgröße an erster Stelle die Namen der beiden Künstler, dann die Titel der Werke und zuletzt den Titel der Ausstellung mit zusätzlichen Informationen aufführen. Die Lesbarkeit nimmt nach unten hin ab und wird durch die Farbigkeit (farbige Schrift auf farbigen Abbildungen) zusätzlich erschwert, während der Informationsgehalt dort zunimmt. Die unterschiedliche Länge der Eigennamen wird durch variierende Schrift­größe sowie unterschiedliche Laufweite der Worte einander angepasst, wodurch die Schrift jedoch insgesamt disharmonisch und unruhig wirkt. Bice Curiger zufolge zeichnen sich Kippenbergers Plakate gerade durch dieses ständige „Über-den-Haufen-fahren der letzten Gute-Form-Gesetze in Typographie und Plakatgestaltung“192 aus. Ein Vergleich mit dem 189 Siehe ­Ausst.-Kat. Köln 2000, Nr. 189 und ­Ausst.-Kat. Zürich 1998, S. 211. 190 ­Ausst.-Kat. Zürich 1998, S. 204 und S. 213. 191 Die Vorderseite der Karte ist abgebildet in ­Ausst.-Kat. Köln 2000, Nr. 191. 192 Bice Curiger, „‚IST NICHT PEINLICH‘“, in: Martin Kippenberger, die gesamten Plakate 1977–1997, ­Ausst.-Kat. Zürich zu Martin Kippenberger – Frühe Bilder, Collagen, Objekte, die Gesamten Plakate und Späte Skulpturen, Kunsthaus Zürich, 1998, Zürich 1998, S. 9–11, hier S. 9.

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9 Martin Kippenberger, Plakat zur Ausstellung Memento Metropolis, Kopenhagen 1996, Siebdruck, 96,5 × 67,8 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

10 Mark Verstockt, Plakat zur Ausstellung Memento Metropolis, Antwerpen 1997, Offset, 60 × 40 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Antwerpener Plakat macht das deutlich, da der Text dort ohne eine Rahmung erscheint und die Größenverhältnisse sowie Anordnung der Textelemente umgekehrt wurden: Der in weiß und hellblau gehaltene Ausstellungstitel stellt die Überschrift des Plakats dar, hiernach folgt der Untertitel und abgesetzt davon die Künstlernamen in abnehmender Schriftgröße. Die Werktitel werden nicht mehr aufgeführt. Am unteren Teil des Plakats finden sich die praktischen Informationen zur Ausstellung, welche die blaue Farbe des Titels aufnehmen; am Seitenrand finden sich die Informationen zu Bildherkunft und Gestaltung. Die hellblaue Farbe stammt aus den Abbildungen und wiederholt sich in einer Tischplatte der Installation und einem der Air-France-Stühle, so dass das Plakat harmonischer und ruhiger erscheint als Kippenbergers Fassung für Kopenhagen. Die Lesbarkeit ist ebenfalls weitaus besser und die jeweils eingesetzte Schriftgröße entspricht der Bedeutung des Informationsgehalts. Ein Bruch mit den Normen einer „guten“ Plakatgestaltung findet sich nur noch in den Abbildungen, die verzerrt und schief sind und ihre digitale Manipulation sichtbar machen. In beiden Plakaten scheinen die rechtwinkligen Abbildungen der disparaten Kunstwerke ungekonnt in das Hochformat des Plakats gezwungen.

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Dass sich hinter dieser Anordnung womöglich ein ironischer Kommentar des Künstlers zum Konzept der Ausstellung verbirgt, im Sinne eines nur durch Verzerrung erzielten Vergleichs zweier disparater Werke, ist durchaus denkbar, denn Kippenbergers Plakate entstanden „aus unmittelbaren Reaktionen auf oft nicht von ihm selbst formulierte Aufgabenstellungen, Provokationen, Arbeiten und Behauptungen anderer“193. Das Kopenhagener Plakat kann als eine solche Reaktion des Künstlers auf das Ausstellungskonzept verstanden werden. Allerdings erreicht Kippenberger durch die Verformung der Abbildungen nicht nur verzerrte Bilder, sondern auch eine Annäherung der Werke aneinander: Die verzerrte Fotografie der Installation führt zu einer sich dreieckig zuspitzenden Form, die mit der dreiecksförmigen Komposition des Gemäldes korrespondiert. Die scheinbar nicht zusammenpassenden Werke stehen dadurch letztlich doch in Analogie zueinander und die Stühle und Tische erscheinen als Pendant der Schiffbrüchigen. Das Plakat wertet demnach die abgebildeten Arbeiten zu den Hauptwerken der Ausstellung auf, degradiert gleichzeitig ihre Bedeutung durch die Verzerrung ihrer Abbildungen und verleiht ihrem Nebeneinander durch dieses scheinbar missglückte Layout einen tragikomischen Ton, der wiederum der Installation entspricht. Noch vor dem Besuch der Ausstellung vermittelt Kippenberger dem Besucher die Verbindung zwischen den Werken, die durch das erzwungene Nebeneinander auf dem Plakat allerdings auch wieder infrage gestellt wird. Diederichsens Anmerkungen zu Kippenbergers Künstlerbüchern und Katalogen, die „immer von Respekt vor und [Hervorhebung im Original] Negation der Institution in gleicher Weise geprägt“194 seien, trifft folglich gleichermaßen auf Kippenbergers Umgang mit Géricault zu. Während Kippenberger seine Installation Happy End im Kopenhagener Plakat gleichwertig neben Géricaults Gemälde abbildet, ist das Floß der Medusa im Ausstellungskatalog Kippenberger/Géricault und in der Einladungskarte zur Kopenhagener Ausstellung nur noch indirekt, als angeeignetes Bild, präsent. Das Layout des Katalogs stammt von Becker und Michael Jensen und entspricht in Format, Typografie und Farbigkeit dem im gleichen Verlag erschienenen Aufsatzband. Seine Entstehung geht auf Kippenbergers Bedingung bei der Planung der Ausstellung 1995 zurück, einen eigenen Katalog zu erhalten. Kippenberger schuf im Gegenzug auf Anfrage Beckers eine Reihe von Zeichnungen für den Katalog, die zum Medusa-Komplex zählen und Selbstbildnisse des Künstlers in den Posen der Schiffbrüchigen aus dem Floß der Medusa zeigen. Die Zeichnungen sind – mit einer Ausnahme (D.19) – im Katalog in Schwarz-Weiß abgebildet. Der Katalog Kippenberger/Géricault, der in zwei Farbvarianten (rot und grün) erschien, wurde allerdings nicht von Kippenberger selbst produziert. Diederichsen ist der Auffassung, bei Kippenberger sollte ein

193 Diederichsen 2002, S. 13. 194 Ebd., S. 15.

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Katalog oder ein aus Anlaß einer Ausstellung erschienenes Buch […] mehr darstellen als eben diese Ausstellung und die in ihr gezeigten Arbeiten. Ein Katalog war ein eigenständiges künstlerisches Werk und mußte in allen Aspekten diesen An­sprüchen genügen: Schriftgestaltung, Layout, Druck- und Papierqualität – kein Parameter durfte als neutral angesehen werden.195 Aus diesem Grund stellen für Diederichsen die Ausstellungskataloge Kippenbergers immer auch Künstlerbücher dar.196 Die Aspekte, die Diederichsen als Zeichen der Autonomie der Kataloge Kippenbergers erkennt (Papier, Schrift etc.), wurden im Fall von Kippenberger/Géricault jedoch von den Kuratoren gewählt und entsprechen den Publikationen zu Memento Metropolis. Der Katalog Kippenberger/Géricault ist damit formal nicht von Achtung vor und gleichzeitiger Zurückweisung des institutionellen Ausstellungsrahmens geprägt, wie Diederichsen feststellt, sondern akzeptiert gerade das Vorgegebene dadurch, dass Typografie und Layout des offiziellen Ausstellungskatalogs übernommen werden. Die rote Variante von Kippenberger/Géricault unterscheidet sich zwar farblich von den anderen Publikationen, die in einem Grünton gehalten sind, entspricht ansonsten aber dem gemeinsamen Layout. Die Dialektik zwischen Respekt und Negation, Hommage und Persiflage richtet sich damit nicht nur im Plakat, sondern auch in Kippenberger/Géricault weniger an eine Institution als an die Idee der Gegenüberstellung. Neben den Parallelen zu den anderen Memento Metropolis-Publikationen weist der Katalog Gemeinsamkeiten mit dem Künstlerkatalog The Happy End of Franz Kafka’s „Amerika“ von 1994 auf. In gleicher Art wie im Katalog von 1994 werden auch in Kippenberger/Géricault schwarz-weiß Abbildungen von Tischen und Stühlen (darunter Objekte aus Happy End), Zeitungsausschnitte und Werbebilder, Comics, Fotografien von Kippenberger und Abbildungen weiterer Werke, zum Beispiel die Medusa-Zeichnungen und die Reihe Bitte nicht auf die Bilder setzen, zusammengebracht. Folglich stellt auch dieser Katalog, trotz seines konformen Layouts, mehr dar als in der Ausstellung gezeigt wird. Zum Teil handelt es sich dabei um die gleichen Abbildungen wie im Rotterdamer Katalog, wobei statt über 300 Abbildungen nur 64 enthalten sind und die Gegenüberstellungen paarweise erfolgen, da jede Abbildung eine ganze Seite einnimmt. Im Gegensatz zum Rotterdamer Katalog bilden nicht mehr Tisch und Stuhl das zentrale, wiederkehrende Motiv, sondern die Metapher des Schiffbruch-Erleidens. Auch diesem Katalog kommt somit eine doppelte Funktion von Vermarktung der zum Teil neu entstandenen Kunstwerke sowie Vermittlung der Ausstellungsidee zu, die in der Analogie von Géricaults Schiffbruch-Gemälde mit Kafkas Einstellungsgespräch liegt.

195 Ebd., S. 13. 196 Zur Unterscheidung Katalog und Künstlerbuch, siehe ebd., S. 15. Das Buch Kippenberger/Géricault wird im Werkverzeichnis der Bücher als Katalog Nr. 145 geführt ohne Angabe der Auflage, siehe Koch 2002, S. 32.

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Eröffnet wird der Abbildungsteil mit einer Reproduktion der Titelseite eines Artikels aus dem Spiegel, der unter der Headline „Letztes Floß aus Florida“ das Ende des Asyls für die aus Kuba flüchtenden „boat people“ durch die US-amerikanische Regierung im Jahr 1995 behandelt.197 Der Artikel macht die Aktualität der Allegorie einer Gesellschaft, die Schiffbruch erlitten hat, evident und erhebt vor dem Hintergrund von Géricaults Gemälde die Frage nach dem Fortschritt der Gesellschaft. Das Ende des Abbildungsteils bildet eine Darstellung von neun der elf Buchcover, die zum Thema „Einstellungsgespräch“ zur Rotterdamer Ausstellung erschienen sind. Die Motive Schiffbruch und Einstellungsgespräch geben buchstäblich den Rahmen der Abbildungen vor.198 Die weiteren Gegenüberstellungen der Abbildungen enthalten in dreizehn Fällen Sitzgelegenheiten oder Tische, die mit den Medusa-Zeichnungen Kippenbergers zusammengebracht werden. Vier Objekte der dreizehn Tische und Stühle lassen sich mit Bestimmtheit der Installation zuordnen (die Air-France-Stühle und die Tische Nr. 4, 11 sowie 57); möglicherweise waren alle abgebildeten Tische und Stühle einmal Teil von Happy End. Die im Buch erstmals publizierten Medusa-Zeichnungen auf Briefpapier zeigen einen Ausschnitt der Rekonstruktionsaufsicht nach dem Stich Corréards und siebzehn gezeichneten Selbstbildnisse des Künstlers in den Posen der Schiffbrüchigen nach Géricaults Gemälde. Die Zeichnungen sind schief abgebildet und weisen Schatten an den Rändern auf. Zudem haben die Seiten immer einen kleinen weißen Rand am unteren Blattrand und bilden eine Reißzwecke mit ab, mit welcher die Zeichnungen womöglich zur Aufnahme fixiert wurden. Darüber hinaus sind beispielsweise eine Bogner-Werbung für Männerparfum, die einen auf einem Floß treibenden Mann auf einem See zeigt,199 sowie verschiedene Dialogsituationen mit Tisch und Stuhl (Büros, Klassenzimmer, Esstische, Besprechungen usw.), sitzende Personen, darunter Prominente wie Prince Charles, oder unbestimmte, abstrus erscheinende Dialogsituationen zwischen Personen und Tieren, ein Zeitungsartikel zu einem Streik in den Niederlanden oder auch die Fotografie einer obdachlosen Flüchtlingsfamilie zu sehen. Die Herkunft oder der Kontext der meisten Abbildungen, die größtenteils aus Zeitungen oder der Popkultur zu stammen scheinen, bleibt unbekannt und der konkrete Zusammenhang der einzelnen Abbildungen sowie ihre Anordnung erschließen sich nicht. Während die Abbildungen durch die Motive „Schiffbruch“ und „Dialogsituation“ lose miteinander verbunden scheinen, so lassen sich doch nur in Ausnahmen konkrete Zu197 Es handelt sich um den Artikel Carlos Widmann, „Letztes Floß nach Florida“, in: Der Spiegel, 1995, Nr. 20, S. 184–187. Der hierdurch erfolgte Bezug auf das Tagesgeschehen übernimmt die gleiche Funktion wie die „Letzten Nachrichten“ in der Zeitschrift du 1994, da er die Verknüpfung von Gegenwart mit Vergangenheit anhand des Schiffbruch-Motivs stärkt. 198 Es fehlt auf der Abbildungsseite Kippenberger, Happy End, 1994 sowie die Publikation Fuchs 1994; siehe Koch 2002, Nr. 124, Nr. 134. 199 Auch in der Zeitschrift du 1994, S. 43 war ein Werbebild als Beispiel der Trivialisierung des Bildes zu sehen, das ein treibendes Floß zeigt, welches für eine Autowerbung allerdings mit einem PKW besetzt war.

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sammenhänge zwischen den Bilderpaaren ausmachen. Zum Beispiel sind auf einer Doppelseite in der Medusa-Zeichnung als auch in der gegenüberstehenden Fotografie zwei Männer zu sehen, die eine melancholische Haltung eingenommen haben. Die Zeichnung Kippenbergers rekurriert auf die Figur des Vaters (Figur B, D.14) aus dem Floß der Medusa, der seinen gesenkten Kopf auf seine Hand stützt. Die Fotografie wiederum zeigt einen Mann in einer fast leeren Bar, der gerade neben aufgestuhlten Stühlen wohl kurz vor der Sperrstunde innehält und seinen gesenkten Kopf auf einem Besen abstützt. Die Entsprechung der melancholischen Posen verdeutlicht die Universalität der Körpersprache beziehungsweise des Gefühls und stellt eine Korrespondenz her zwischen der Ausnahmesituation des Schiffbrüchigen nach Géricault und einem Arbeiter im Alltag. Wie der Spiegel-Artikel verdeutlicht auch dieses Bilderpaar, dass die Metapher vom Schiffbruch-Erleiden von Aktualität ist. Im Gegensatz dazu verlaufen in zwei weiteren Fällen die Aussagen der gegenüberliegenden Bilder geradezu konträr zueinander. Kippenberger stellt sich in einer Zeichnung mit weit ausgebreiteten Armen dar, während die auf der rechten Seite abgebildete Fotografie eine Tänzerin in streng geschlossener Haltung mit angewinkelten Armen und Beinen zeigt. Nicht nur Mann und Frau bilden hier ein Gegensatzpaar, auch die Posen können für die gegensätzlichen Emotionen des Haltung Bewahrens oder Verlierens stehen und damit zwei gegensätzliche Reaktionen auf Krisensituationen darstellen. Ein weiteres, scheinbar nicht zusammenpassendes Bilderpaar zeigt Kippenberger als liegenden Akt nach Géricaults Schiffbrüchigem (Figur O, D.4) neben einem Stuhl aus Ähren auf der gegenüberliegenden Seite. Der mit Ähren verkleidete Stuhl wirkt seltsam und erinnert an ein Relikt aus einer anderen Kultur oder Zeit. In der, unter anderem christlichen, Symbolik stehen Ähren für das Leben, die Auferstehung sowie Fruchtbarkeit. Die leblos erscheinende Aktfigur mit schlaffem Glied scheint hingegen das genaue Gegenteil zu verkörpern. Während der Stuhl als Zeichen der Hoffnung aufgefasst werden kann, erweckt die Aktfigur vielmehr Gefühle der Verzweiflung. Auch diese Gegenüberstellung kann somit in Analogie zu den Emotionen aus Géricaults Gemälde gelesen werden, die als Antagonismus nebeneinander bestehen. Neben diesen wenigen Verbindungen sind weitere Zusammenhänge nicht offensichtlich; auch mit diesem Buch scheint, wie mit der Installation, die Intention verfolgt zu werden, das Assoziationsvermögen und die Erinnerung des Betrachters zu aktivieren. Persönliche Erlebnisse des Künstlers (durch Fotografien und Zeichnungen) werden in den Kontext von gesellschaftlich bedeutsamen Ereignissen (zum Beispiel Flüchtlingskrisen) gestellt. Wie beim Rotterdamer Katalog kommt Kippenberger in dieser Publikation ebenfalls eine Stellvertreterrolle zu, mit welcher sich der Leser identifizieren kann. Obwohl der Bezug zu Kippenbergers Leben in Form autobiografischen Materials in Kippenberger/Géricault im Vergleich zum Rotterdamer Katalog weniger stark ist – eine Veränderung, die womöglich darauf zurückzuführen ist, dass der Katalog nicht vom Künstler selbst entworfen wurde – bestehen weiterhin Referenzen auf sein Leben, die jedoch in erster Linie durch

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die abgebildeten Werke erzeugt werden. Insbesondere die Medusa-Zeichnungen, die den Künstler in scheinbar intimen Momenten zeigen, erzeugen einen persönlichen Bezug. Für die Einladungskarte zur Kopenhagener Ausstellung wählte Kippenberger die Abbildung eines Gemäldes, das in der Ausstellung nicht zu sehen war. Auf der Karte wird das Medusa-Gemälde (P.58, S. x) abgebildet, das in Stockholm ausgestellt wurde.200 Die Einladung vermittelt in vergleichbarer Weise zur Integration des Gemäldes innerhalb des Stockholmer Ausstellungsparcours einen Bezug zwischen dem ausgestellten Floß der Medusa und Kippenbergers Schaffen. Dieser Bezug wird im abgebildeten Gemälde buchstäblich über die Sprechblase „JE SUIS Meduse“ zum Ausdruck gebracht.201 Werden die dargestellten Figuren als Selbstbildnisse des Künstlers aufgefasst, dann lässt sich in diesem Gemälde die in der Ausstellung angestrebte Parallele zwischen Kippenbergers und Géricaults Werk erkennen. Kippenberger versetzt sich durch die Selbstbildnisse geradezu in das Floß der Medusa hinein. Allerdings war die Vorlage dieses Medusa-Gemäldes nicht in erster Instanz Géricaults Floß der Medusa, sondern, wie unter anderem die Sprechblase belegt, die von Bachmann erwähnte und in du abgebildete Comic-­ Parodie aus Astérix Légionnaire. Das Motiv der Einladungskarte stellt folglich auch einen Bezug zu Bachmanns Artikel her, der in Kippenberger/Géricault reproduziert wurde, und führt die von Bachmann skizzierte Rezeptionsgeschichte des Ereignisbildes unmittelbar fort. Plakat, Katalog und Einladung zeugen von der Entwicklung des Medusa-Werkkomplexes aus der Gegenüberstellung von Happy End mit dem Floß der Medusa. Der Übergang von Happy End und der Beschäftigung mit Kafka zu Medusa und der Auseinandersetzung mit Géricault gestaltet sich fließend. Der Katalog Kippenberger/Géricault markiert gewissermaßen diese Verbindung zwischen den Werken, da er gleichermaßen als Weiterführung des Werks Happy End wie auch als erstes Künstlerbuch zur Medusa-Gruppe angesehen werden kann. Kippenberger selbst äußerte sich im Interview 1996 über die Analogie der Werkkomplexe: „Happy End ist eben genau wie das Floß der Medusa eine Bewegung, eine Übersiedlung in etwas anderes“202. Während er diese Übersiedlung bei Happy End im neuen Kontext der Stühle und Tische sieht, die als „Nachschlepplexikon“203 Erinnerungen an Jahrzehnte wachrufen, so ist die Übersiedlung im Fall von Medusa in den folgenden Kapiteln noch zu untersuchen. Für Anke Kempkes liegt die Gemeinsamkeit der beiden Werkkomplexe in der Fortführung von Denkfiguren der Moderne: Mit The Happy End of Franz Kafka’s „Amerika“ und dem Medusa-Zyklus schreibt sich Kippenberger in eine Verlängerung der Denkfiguren der Moderne ein: Von Kafkas

200 ­Ausst.-Kat. Köln 2000, Nr. 182. 201 Zur Analyse der semantischen Ebenen dieser Sprechblase, siehe Kapitel 3. 202 Kippenberger zitiert nach ­Ausst.-Kat. Genf 1997, S. 24. 203 Kippenberger zitiert nach Eikmeyer/Knoefel 2009, Track 8.

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Kritik des sich gegen sich selbst richtenden Fortschrittswillens mit den Motiven der Flucht, des Aufbruchs in ein neues, gleiches „Amerika“, bis zur eigentümlichen Neubespielung des existentialistisch-humanistischen Künstlerbildnisses, des stellvertretend und doch zugleich narzisstisch Leidenden, untermalt von dem Wissen, dass ein ungebrochener Zugriff auf eine Vorstellung vom Großkünstler als ‚Erlöserfigur‘ verloren gegangen ist.204 Kempkes Bemerkungen treffen zwar auf beide Werke zu, reduzieren ihre Komplexität jedoch auf jeweils ein einziges Thema: das Fortschrittsdenken in Happy End und das Künstlerbildnis in Medusa. Das Fortschrittsthema ist jedoch nicht die einzige „Denkfigur der Moderne“, auf die sich Kippenberger in Happy End bezieht, zumal auch Kafkas Amerika weitaus vielschichtiger ist. In beiden Vorbildern findet er Metaphern für den existentiellen Überlebenskampf und das Scheitern vor. Die Auseinandersetzung mit dem Scheitern bildet die eigentliche zentrale Denkfigur, welche alle Werke miteinander verknüpft. Diese Denkfigur bestimmt auch den künstlerischen Diskurs der 1980er Jahre, wie er im Folgenden am Beispiel Kippenbergers skizziert werden soll, und prägt die Ästhetik der Werke Kippenbergers.

2.2.3 Eine Ästhetik des Scheiterns Schappert untersucht in seiner Dissertation Die Organisationen des Scheiterns (1998) Kippenbergers künstlerische Strategien und führt dabei den Begriff des „Strategischen Dilettantismus“ ein. Der Begriff des Dilettantismus wurde in den 1970er und 1980er Jahren verwendet, um in Anlehnung an die negative Bedeutung des Wortes, das im Alltagsgebrauch „Stümperhaftigkeit“ und „Unprofessionalität“ bezeichnet, eine Art Anti-Kunst zu beschreiben, die mit der Erwartungshaltung des Publikums an die Virtuosität von Künstler und Werk bricht und der Punk-Bewegung nahesteht. Der Begriff bildet somit einen Gegenpol zur Vorstellung vom Künstler als Genie.205 Nicht nur in Ausstellungsbeiträgen oder der Kunstkritik der Zeit wurde der Begriff verwendet.206 Auch in Egon Friedells Kulturphilo204 Kempkes, Medusa, 2003, S. 216. 205 Die Bedeutung des Begriffs Dilettantismus, wie er in dieser Forschungsarbeit verwendet wird, hat folglich keinen Zusammenhang mit dem Phänomen des Amateur-Künstlers im 18. Jahrhundert. Der Dilettant als Amateur-Künstler bezeichnet einen Kunstschaffenden, der diese Tätigkeit aus Vergnügen betreibt (insbesondere Malerei). Der Begriff diente als Abgrenzung vom Berufskünstler. Vgl. auch Simone Leistner, „Dilettantimus“, in: Ästhetische Grundbegriffe, hg. von Karlheinz Barck u. a., Bd. 2, Stuttgart und Weimar 2001, S. 63–87. Vgl. weiterführend für den Amateur-Künstler beispielsweise die Untersuchung von Alexander Rosenbaum, Der Amateur als Künstler: Studien zu Geschichte und Funktion des Dilettantismus im 18. Jahrhundert, Berlin 2010. 206 In der Kunstkritik findet sich der Begriff nicht nur bei Schappert, sondern u. a. auch bei Schmidt 1986, S. 15; bei Wolfgang Bachauer in „Der Dilettant als Genie“, in: Zeitgeist, hg. von Christos M. Joachimides

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sophie taucht der Begriff auf, zum Beispiel im Essay „Über Dilettantismus“, welcher in den 1980er Jahren im Umkreis Kippenbergers rezipiert wurde.207 Zudem bedienten sich die Künstler selbst des Begriffs, wie beispielsweise das Festival im Berliner Tempodrom 1981 zeigt, das den Titel Die große Untergangs-Show – Festival genialer Dilletanten trug.208 Der orthografische Fehler im Titel bricht mit dem Anspruch an die Genialität der Künstler sowie mit der Konvention der Rechtschreibung und führt die scheinbare Stümperhaftigkeit der Künstler vor. Mathilde Weh beschreibt im Ausstellungskatalog Geniale Dilletanten diese Entwicklung im Bezug zur Subkultur der 1980er Jahre folgendermaßen: Vor allem im Umfeld von Kunsthochschulen entwickelte sich eine künstlerische Vehemenz, die durch genreübergreifendes Experimentieren und den Einsatz neuer elektronischer Geräte geprägt war. Maler spielten in Bands oder gründeten Clubs. Musiker drehten Super-8-Filme. Dada und Fluxus wurden revitalisiert. Auf Virtuosität wurde häufig bewusst verzichtet. Das Nicht-Können, der Widerstand gegen Konventionen, die Kunst des Vergessens und des Verlernens sollten den Weg öffnen zu einer ungebremsten Kraft des Ausdrucks, einer neuen Expressivität.209 Eine entsprechende Haltung prägt auch Kippenbergers künstlerische Tätigkeit. Schappert bezeichnet mit dem „Strategischen Dilettantismus“ bei Kippenberger eine bewusst eingesetzte Strategie, die „aus der Differenz zwischen der Art der Darstellung und dem inszenierten Anspruch“210 entsteht. Kippenbergers Ausgangsfrage sei gewesen, ob ein Künstler den Alltag künstlerisch besser subjektiv-spontan (entsprechend der Wilden und Norman Rosenthal, ­Ausst.-Kat. Berlin, Martin-Gropius-Bau, Berlin, 1982, Berlin 1982, S. 20–24; Jutta Koether, „Köln. Der Fällt-Auf-Schwung“, in: Kunstforum International, hg. von Klaus Honnef, Bd. 68: Zwischenbilanz II. Neue Deutsche Malerei, Heft 12, Dezember 1983, S. 72f. Verwandte Begriffe, wie „Hochgemute Nichtskönner“, zielen auf das gleiche Phänomen, siehe Iden 1981. Die Bezeichnung Dilettantismus wurde dabei ebenso frei verwendet wie Neue Wilde. Für Schmidt 1986, S. 15 wendet sich Kippenberger beispielsweise gegen den „fruchtbaren Dilettantismus“ der wilden Maler. Für Schappert 1998 lehnt sich Kippenberger mit dem Dilettantismus wiederum an die Subjektivität dieser Maler an. Jutta Koether bezieht den Begriff ihrerseits auf die Mülheimer Freiheit und erkennt eine Ablösung von diesem Image. 207 Der Essay erschien in der Aufsatzsammlung Abschaffung des Genies posthum 1982 und beschreibt den Dilettantismus als „neue Technik“, siehe Egon Friedell, „Über Dilettantismus“, in: Ders., Abschaffung des Genies: Essays bis 1918, hg. mit einem Nachwort von Heribert Illig, Wien und München 1982, S. 266–270. Friedell wurde selbst als „genialer Dilettant“ bezeichnet und war Kippenberger bekannt, siehe Eikmeyer/ Knoefel 2009, Track 16. Auch beispielsweise Albert Oehlen beschäftigte sich mit dem Theoretiker in einem Gemälde, siehe Klaus Honnef, „Albert Oehlen“, in: Kunstforum International, hg. von dems., Bd. 68: Zwischenbilanz II. Neue Deutsche Malerei, Heft 12, Dezember 1983, S. 177. 208 Bei diesem Festival traten primär Musiker und Performance-Künstler auf, unter anderem Die Tödliche Doris, Einstürzende Neubauten oder Blixa Bargeld. Es folgte 1981 im Merve Verlag das Buch mit gleichnamigem Titel: Geniale Dilletanten, hg. von Wolfgang Müller, Berlin 1981. 209 Mathilde Weh, „‚Seele brennt‘ – Zur Einführung“, in: Geniale Dilletanten. Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland, hg. von Leonhard Emmerling, A ­ usst.-Kat. München, Haus der Kunst, 2015, Ostfildern 2015, S. 5–6, hier S. 6. 210 Schappert 1998, S. 146.

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­Malerei) oder distanziert-konzeptuell (entsprechend der Minimal Art) gestalten solle. Beide Ansätze habe er im „Strategischen Dilettantismus“ vereint. Durch das Verfehlen eines inszenierten Anspruchs beruht dieser Ansatz folglich auf dem (inszenierten) Scheitern des Künstlers. In Happy End wurde eine Differenz zwischen Anspruch und Resultat zum Beispiel durch den Titel der Installation und den damit verbundenen Erwartungen sowie der Konzeption und Wirkung des Werks erzeugt, das unvollendet und ambivalent ist. Aber schon bei Kippenbergers erster Gemäldereihe von 1978 lässt sich ein solches Vorgehen beobachten. Der Titel von Uno di Voi, un tedesco in Firenze müsste korrekt un tedesco a Firenze lauten. Kippenberger demonstriert damit seine mangelnde Kenntnis der italienischen Sprache, die vor dem Hintergrund seines Italienaufenthalts peinlich wirkt. Das „Projekt“, wie ­Kippenberger die Reihe nennt, bestand zudem nicht nur darin, jeden Tag zu malen, sondern auch im Erreichen der eigenen Körpergröße von 189 cm durch Stapelung der Keilrahmen. Eine Verbindung von Kunst und Künstler wird damit ebenfalls erzeugt, da die Bilder buchstäblich den Künstler repräsentieren, zumindest ihrer Größe nach. Kippenberger brach das Projekt jedoch ab, als ihm noch zehn Zentimeter fehlten, so dass er hinter dem inszenierten Anspruch zurückbleibt und im Interview von seinem Scheitern spricht.211 Im Kontext der Malereidiskurse der 1970er bis 1980er wurde für derartige, subversive Verfahren die Bezeichnung Bad Painting eingeführt. Ursprünglich geht die Bezeichnung auf eine Ausstellung in New York 1978 zurück, bei der die Kuratorin Marcia Tucker vierzehn zeitgenössische amerikanische Maler in einer Ausstellung zusammenführte.212 Der Titel „Bad“ Painting enthielt dabei noch Anführungsstriche, um die Ironie der Bezeichnung „schlecht“ für eigentlich gute Gemälde hervorzuheben. Die ausgewählten Maler, die sich teilweise nicht einmal kannten, waren Tucker zufolge durch ihren Ikonoklasmus verbunden, der die Konventionen des Minimalismus auf die Probe stellte.213 Tucker bezeichnet mit „Bad“ Painting figurative work that defies, either deliberately or by virtue of disinterest, the classic canons of good taste, draftsmanship, acceptable source material, rendering, or illusionistic representation. In other words, this is work that avoids the conventions of high art, either in terms of traditional art history or very recent taste or fashion.214 211 ­Ausst.-Kat. London 2006, S. 167. 212 Die Ausstellung fand in The New Museum in New York statt. Ausgestellt wurden Arbeiten von: James Albertson, Joan Brown, Eduardo Carrilo, Hames Chatelain, Coply, Charles Garabedian, Robert Chambless Hendon, Joseph Hilton, Neil Jenney, Judith Linhares, P. Walter Siler, Earl Staley, Sari Urquhart und William Wegman. Die Idee zur Ausstellung kam Tucker bei einem Besuch des Ateliers von Joan Brown, deren Gemälde in heterogenen Stilen, Formaten und einem breiten Spektrum an Sujets einer einzigen individuellen Handschrift und der klaren Formensprache der Minimal Art entgegen standen. Siehe Marcia Tucker, „Bad“ Painting, ­Ausst.-Kat. New York, The New Museum, 1978, New York 1978. 213 Ebd., S. [4]. 214 Ebd., S. [2].

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Die Bezeichnung verbreitete sich anschließend in Deutschland und wurde dabei im Kontext der Subkultur des Punks betrachtet.215 Die Verbreitung des Begriffs zeigt sich daran, dass dieser 2014 einen eigenen Eintrag in der Neuausgabe des Begriffslexikon zeitgenössischer Kunst erhielt.216 Hans-Jürgen Hafner problematisiert darin die Bezeichnung anstatt sie zu definieren und rekurriert auf die Ausstellung Bad Painting – good art von 2008, die er als Versuch versteht, Bad Painting als Genre der Malerei zu definieren. Das Ziel der Ausstellung von 2008 war es allerdings, mithilfe des Begriffs einen anderen Blick auf die Malereigeschichte des 20. Jahrhunderts zu werfen. Die Herausgeberinnen des Ausstellungskatalogs, Eva Badura-Triska und Susanne Neuburger, verstehen Bad Painting als Denkfigur (und nicht als Genre), derer sich verschiedene Künstler, wie zum Beispiel René Magritte oder Sigmar Polke, zu verschiedenen Zeiten innerhalb ihres Gesamtwerks bedienten.217 Susanne Neuburger bestimmt in ihrem Katalogbeitrag Bad Painting als „Projekt, Aktion und Text“ und als eine „Art Ironiefigur, die bekanntlich zwischen Distanz und Komplizenschaft schwankt“218. Badura-Triska beschreibt Bad Painting mit ähnlichen Charakteristika wie Tucker: Rückgriff auf überwunden geglaubte Malweisen, stilistische Inkonsistenz (selbst innerhalb eines einzelnen Werks) und fehlerhaftes, grobes Malen, Verformungen, Störfaktoren und Überfrachtungen, Humor und Parodie, Antagonismus und Paradox, extremer Individualismus, „low art“-Einflüsse und die Aufwertung von Kitsch, die Irrelevanz des Gegensatzes von gegenständlicher und abstrakter Malerei, Tabu-Brüche durch Sujets wie Tod oder Sexualität sowie Selbstreflexion und Hinterfragung von Wertvorstellungen.219 Badura-Triska nennt darüber hinaus noch die Kritik am Vermögen der Malerei und Kunst im allgemeinen mit den Mitteln der Malerei sowie die Vermeidung eines wiedererkennbaren Stils.220

215 Schmidt-Wulffen 1985, S. 52 zufolge habe Kippenberger von Bad Painting in Hamburg durch Hans Joachim Bötel erfahren. Unter anderem Bazon Brock verbindet Bad Painting mit der Subkultur des Punk, aber auch Schappert rechnet Bad Painting der Punkbewegung zu und zieht selbst einen Vergleich zum „Strategischen Dilettantismus“, siehe Schappert 1998, S. 60. Punk und die Malerei der 1980er werden auch bei Iden 1981, in Verbindung gebracht, der die Malerei mit den „Anrempeleien“ des Pogo-Tanzens zur Punk-Musik vergleicht. 216 Hans-Jürgen Hafner, „Bad Painting“, in: Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, hg. von Hubertus Butin, Köln 2014. 217 Siehe Susanne Neuburger, „Das erste und das letzte Bild?“, in: Bad Painting – good art, hg. von Eva Badura-Triska, ­Ausst.-Kat. Wien, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2008, Köln 2008, S. 11–43; Eva Badura-Triska, „Wer wird wann, warum und inwiefern zum Bad Painter?“, in: Bad Painting – good art, hg. von ders., ­Ausst.-Kat. Wien, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2008, Köln 2008, S. 45–101. 218 Neuburger 2008, S. 17. 219 Tucker 1978, S. [14]. Viele dieser genannten Kriterien sind derart vage, dass sie sich auf die gesamte westdeutsche Malerei der 1980er Jahre anwenden ließen. Gerade in den Kritiken, die sich auf die Ästhetik der Bilder konzentrieren, wie bei Peter Iden, gehen die Begriffe Bad Painting und Wilde Malerei ineinander auf. Zur näheren Bestimmung Wilder Malerei, siehe Einleitung. 220 Ebd., S. 47–49.

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In Bezug auf Tucker sieht Neuburger in Bad Painting ebenfalls eine „Strategie, die das Potenzial der Moderne und ihrer Avantgarden regressiv unterläuft“221. Für Neuburger zeichnen sich Bad Painter durch die Skepsis aus, die sie dem Fortschrittsglauben der Avantgarden durch Überwindung des Alten entgegenbringen, und ihren „Erlösungskonzepten, die entweder ein gesellschaftsveränderndes Potenzial der Kunst postulieren und/oder der Kunst eine Ersatzfunktion für ein transzendentes Defizit zuschreiben“222. Auch Tucker zufolge richtet sich Bad Painting durch seinen nostalgischen, figurativen und kunsthistorischen Charakter gegen einen Avantgardismus und dem damit verbundenen Fortschrittsdenken. Darin besteht für sie jedoch das Neue dieser Malerei, so dass Fortschritt gerade aufgrund der Abkehr von der Fortschritts-Ideologie doch stattfindet.223 Bad Painting ist damit eine Malerei, die auf Scheitern und Paradoxien beruht (gut und schlecht zugleich, Fortschritt durch Verweigerung von Fortschritt, Abkehr von den Avantgarden durch Auseinandersetzung mit der Darstellungstradition). Verstanden als eine solche Denkfigur bezeichnet Bad Painting eine vergleichbare künstlerische Praxis zu dem von Schappert definierten „Strategischen Dilettantismus“, mit dem Unterschied, dass die Beschränkung auf das Medium Malerei entfällt.224 Eine dilettantische Umsetzung oder ein dilettantisches Vorgehen kann, entsprechend der Bedeutung als Stümperhaftigkeit in den 1980er Jahren, jede Art der künstlerischen Arbeit prägen – auch immaterielles ­Schaffen. Zwei Aspekte führt Schappert als Kennzeichen des „Strategischen Dilettantismus“ an: Erstens: Die vorübergehende Abwendung von der Kunstgeschichte. Der mit professionellem Anspruch praktizierte, strategische Dilettantismus wird von Künstlern anscheinend gewählt, um etablierte Stilrichtungen und künstlerische Produktionsverfahren destruieren zu können. Die Angriffe der Dilettanten richten sich auch gegen Wahrnehmungs- und Rezeptionsgewohnheiten, insofern diese den eigenen Interessen entgegenstehen (ästhetisches Urteil etc.). Jedes konkrete Geschmacksempfinden wird zudem als zeitlich begrenzt angesehen. 221 Neuburger 2008, S. 13, S. 15. 222 Badura-Triska 2008, S.47f. 223 Tucker 1978, S. [4]. Benjamin Buchloh greift später den Begriff der Regressivität ebenfalls in seiner negativen Kritik am aufkommenden Malereihype in den 1980er Jahren auf, siehe Benjamin H. D. Buchloh, „Figures of Authority, Ciphers of Regression: Notes on the Return of Representation in European Painting“, in: October, Bd. 16, 1981, S. 39–68. Insgesamt ist der Diskurs um die Malerei der 1980er Jahre von der Frage nach ihrer Legitimation geprägt. Die Befürworter stellen diese in eine Genealogie mit der Avantgarde und die Kritiker hingegen verstehen diese als reaktionär und regressiv. Tuckers Ausstellungsprojekt kann als Versuch gesehen werden, diese Maler als neue Avantgarde zu bestimmen, indem sie diese in eine Tradition antagonistischen Denkens stellt, die für sie spätestens mit der Romantik beginnt und sich über Dadaismus und Surrealismus bis hin zum Abstrakten Expressionismus fortsetzt. Vgl. hierzu auch Martin Englers Argumentation gegen Buchlohs Kritik. Auch für Engler 2015, S. 11 sind die Bilder nicht konservativ oder regressiv, sondern uneinheitlich, diskontinuierlich und brüchig. 224 Schappert 1998, S. 60, Anm. 141.

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Zweitens: Der strategische Dilettantismus stellt den Versuch dar, das künstlerische Rohmaterial und die Produktion des Bildes ästhetisch indifferent zu erhalten. Dadurch soll die Vorstellung von der Alltagsrealität innerhalb der Kunst nicht als ästhetisch verklärt erscheinen.225 Die genannten Punkte treffen auf Kippenbergers Installation Happy End zu, in der diese Charakteristika über die Malerei hinaus auf Design beziehungsweise Plastik und das Ausstellen übertragen werden. Kippenbergers künstlerische Tätigkeit ist gerade nicht an die Verwendung eines spezifischen Mediums gebunden und umfasst als Idee oder Konzept das gesamte Schaffen. Schappert orientiert sich scheinbar an Brock, der 1986 den Bildjournalismus als eine Abkehr von einer Ästhetisierung im traditionellen Sinne beschreibt.226 Für Brock führt der Widerstand gegen eine Ästhetisierung im traditionellen Sinne – das heißt gegen eine Veredelung des rohen Materials im Kunstwerk, um künstlerisches Konzept zur Übereinstimmung mit künstlerischem Realisat zu führen – zu einer Abkopplung von Formen und Bedeutungen, Zeichen und Bezeichnetem, welche für den Betrachter die Zuordnung von sprachlichen Vergegenständlichungen und Bedeutungen nicht mehr nachvollziehbar mache. Indem Kippenberger auch wieder „Bildwerte“ produziere, komme er dazu, „künstlerisch zu arbeiten, wo er sonst Betrachter fremder Arbeiten geblieben wäre, und er bleibt Bildjournalist, wo er als Künstler im obigen Sinne ein Gigant der Museumskultur hätte werden können.“227 Die von den Autoren beschriebenen formal-ästhetischen Charakteristika von Bad Painting beziehungsweise „Strategischem Dilettantismus“ lassen sich immer nur ex negativo, vor dem Hintergrund einer dadurch konterkarierten Ästhetik – wie zum Beispiel die grobe Malweise als Reaktion auf die klaren Formen der Minimal Art – beschreiben. Für Neuburger sind Bad Paintings „kaum formal fassbar“228. Durch die gleichsam negative Definition des „Strategischen Dilettantismus“ (und Bad Painting), die sich aus einer Abgrenzung zu herrschenden Vorstellungen ergibt, entsteht für Schappert und Hafner eine Relativität, welche die Bedeutung der Kunstwerke einschränkt. Schappert gibt beispielsweise zu bedenken: Strategischer Dilettantismus wirkt nur zeitlich und räumlich begrenzt: Dilettantismus endet immer dann, wenn die dilettantischen Produkte selbst als ‚Kunstwerke‘ innerhalb der Kunstgeschichte betrachtet werden können. Das kommt einer Historisierung ihres eigenen Anspruchs nach. […] Selbst der radikalste Dilettantismus hat nur solange Bestand, wie er als solcher rezipiert wird. Ein Definitionsversuch muss

225 226 227 228

Ebd., S. 60. Brock 1986, S. 67ff. (vgl. Kapitel 1.3). Ebd., S. 71. Für Neuburger 2008, S. 13.

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relativ ausfallen, weil das Erkennen wesentlich durch das Vorwissen, die Erwartungshaltung und durch die Akzeptanzschwelle der Rezipienten vorbedingt ist.229 Auch für Hafner lässt sich Bad Painting „immer nur relativ, in negativer Abgrenzung zum offiziellen guten Geschmack oder in Opposition zu den ‚herrschenden Verhältnissen‘ […] definieren“230. Als Konsequenz zieht Hafner daraus, dass die Praxis nur solange bestehe, wie sie nicht anerkannt und institutionalisiert werde. Die Institutionalisierung eines Bad Painting kann zwar Anerkennung durch einen Teil des Kunstbetriebs bedeuten, allerdings führt sie nicht zwingend zur Akzeptanz durch eine breite oder gar die gesamte Öffentlichkeit und längst nicht zu einer allgemein wirksamen Umwertung von Normen oder Geschmack in der Gesellschaft.231 Schon der Ursprung des Begriffs Bad Painting geht auf eine institutionelle Anerkennung der Malerei durch Tuckers Ausstellung zurück. Tucker erkennt einen Verstoß der Malerei gegen den guten Geschmack, hält die Gemälde aber gerade aus diesem Grund für bedeutungsvoll. Sie äußert sich selbst zur Relativität eines Bad Painting, dessen Bedeutung für sie vom Kontext abhängt: It would seem that, without a specific idea of progress toward a goal, the traditional means of valuing and validating works of art are useless. Bypassing the idea of progress implies an extraordinary freedom to do and to be whatever you want. In part, this is one of the most appealing aspects of ‚bad‘ painting – that ideas of good and bad are flexible and subject both to the immediate and the larger context in which the work is seen.232 Das Malen eines guten Bad Painting führt aufgrund des im Bild angelegten Antagonismus dazu, den Diskurs über Werte in der Kunst (und darüber hinaus) anzuregen. Der Gegensatz von gut/schlecht ist ein zentrales Thema eines Bad Painting und kann dann gerade durch die Institutionalisierung und einen Vergleich mit für gut befundenen und daher institutionalisierten Bildern hervorgebracht werden.233 Im Interview äußert sich 229 Schappert 1998, S. 65f. 230 Hafner 2014, S. 42. 231 Wird Kunst in Anlehnung an Luhmanns Systemtheorie als kommunikativer Prozess aufgefasst, deren Wahrnehmung vom Funktionssystem abhängt, dann erweist sich das Problem der Relativität ohnehin als obsolet, da die Rezeption von Kunst immer relativ ausfallen muss und jedes System andere Codes nutzt. Vgl. Luhmann 1995, passim; Kampmann 2006, S. 88–92. 232 Tucker 1978, S. [18, 20]. 233 Siehe Hafner 2014, S. 42f. An dem von Hafner angeführten Beispiel der Unterscheidung von „high art“ und „low art“ wird deutlich, dass eine Anerkennung durch Institutionalisierung nicht zur Änderung der Wertvorstellungen führt. Hafner zufolge ist die Differenzierung zwischen hoher und niederer Kunst in den 1980er Jahren hinfällig. Motive aus der „low art“ haben spätestens mit der Pop Art Eingang in die Institutionen gefunden, so dass in den 1980er Jahren die Verwendung von Bildmaterial, das der „low art“ zugeschrieben wird, durchaus akzeptiert war. Dennoch kann nicht behauptet werden, dass die Unterscheidung zwischen hoher und niederer Kunst nicht mehr bestünde. Die Tatsache, dass in Kritiken damals wie heute weiterhin von „low art“-Bildquellen die Sprache ist und der Bruch mit hoher Kunst

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Kippenberger zu diesem Gegensatz in seinem Werk und erklärt, er male gezielt schlechte Bilder, wodurch seine guten Bilder als solche kenntlich würden und eine Spannung im Gesamtwerk erzeugt werde. Kippenberger unterstreicht mit dieser Aussage das Bewusstsein über die Historisierung und Institutionalisierung von Kunst sowie die Wandelbarkeit von Wertvorstellungen. Er führt mit seiner Aussage zudem die in den Bildern angelegte Provokation weiter und fordert den Betrachter durch seine Behauptung, bewusst schlechte Bilder zu malen, zu einer kritischen Beurteilung seiner Kunst heraus. Auch Happy End regt zu einer Stellungnahme des Betrachters an, da die Installation letztlich zur Erkenntnis führt, dass Kunst immer eine „Frage der jeweiligen Perspektive“234 ist und „jeder für sich bestimmt, was Kunst ist – je nach der persönlichen Einstellung und dem individuellen Vorwissen“235, wie Hartmann schreibt. In der Installation Happy End nimmt Kippenberger darüber hinaus die Musealisierung seines Werks vorweg, indem er die Installation gleich in Form einer Ausstellung konzipiert. Eines der grundlegenden künstlerischen Mittel zur Hervorbringung der Dialektik von gut/schlecht ist der Fehler, der von Schappert als ästhetisches Differenzmittel beschrieben wird: Fehler können aus einer Situation hervorgehen, in der ein herangezogenes Werte­ system (bestimmte ästhetische Kriterien, die Abbildleistung etc.) durch eine künstlerische Produktion nicht erfüllt wird. […] Fehler können des weiteren [sic] aus Schwierig­keiten im Umgang mit verschiedenen Kontexten entstehen. […] Somit liegt der ‚Fehler‘ nicht in der Produktion, sondern in der falsch klassifizierenden Rezeption.236 Der erste von Schappert angeführte Punkt entspricht dem Zurückbleiben hinter einem gesetzten Anspruch. Exemplarisch können hierfür die Schreibfehler stehen, die auch im Werk Kippenbergers häufig auftreten und das bildungsbürgerliche Wertesystem der korrekten Rechtschreibung untergraben. Die Schreibfehler im Werk verweisen einerseits auf die scheinbare Stümperhaftigkeit, die bei Kippenberger aufgrund einer tatsächlichen Schreib- und Leseschwäche geradezu zur Marke der Authentizität wird.237 Das Erkennen der Fehler kann beim Betrachter zu unangenehmen Gefühlen, wie Scham oder Peinlichkeit führen, wodurch der Witz, der aus der Inkongruenz entsteht, wiederum gehemmt von Tucker als ein Charakteristikum von Bad Painting genannt wird, belegt die weiterhin bestehenden Wertvorstellungen. 234 Hartmann 2013, S. 41. 235 Ebd. 236 Schappert 1998, S. 153. 237 Bei Kippenberger wurde als Kind Legasthenie diagnostiziert, vgl. Kippenberger 2010, S. 91. Zur Bedeutung zum Lesen und der Leseschwäche des Künstlers vgl. auch die Aufsätze von Ohrt 2002 und ­Diederichsen 2002.

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Entstehungskontext

wird. Bei seinen Norm- und Tabubrüchen macht sich Kippenberger meist selbst zur Zielscheibe der Lächerlichkeit. So inszeniert er sich in Happy End auf vermessene Weise als genialer „Alleskönner“, da er unter anderem als Kurator, Sammler, Designer, bildender Künstler und Schriftsteller auftritt, und führt die Lächerlichkeit dieses Anspruchs vor, da er sich gleichzeitig als nach gesellschaftlichen Maßstäben scheiternder Nichtskönner erweist, der einen neuen Beruf sucht und kein Vorhaben zur Vollendung bringt. Peinlichkeit wird dabei zu einer Qualität im Werk aufgewertet, da die Verbindung von Lachhaftem mit Beschämendem auf die zeitgenössischen Normen und Werte aufmerksam macht und somit ebenfalls zur Hinterfragung derselben dienen kann.238 Das Lachhafte findet sich auch in der Persiflage, die eine zentrale Bedeutung im Werk Kippenbergers hat und als eine Art Ironiefigur ebenfalls auf Antagonismen beruht. Hartmann definiert die Persiflage als verzerrende Infragestellung von Normen und Werten, so dass die Berührungspunkte der Persiflage mit den Verfahren des „Strategischen Dilettantismus“ und Bad Painting evident sind.239 Fehler im Werk stören andererseits den kommunikativen Prozess, da sie eine richtige und falsche Sichtweise auf die Welt (und Kunst) implizieren, worauf Schappert mit seinem zweiten Punkt abzielt. Da Kippenberger in Happy End sowohl Rezipient als auch Produzent ist, betrifft die falsch klassifizierende Rezeption, von der Schappert spricht, nicht nur den Betrachter seiner Werke, sondern auch Kippenberger selbst. Kippenbergers falsche Kenntnis des Romanfragments führt über den Umweg (des „falschen“ Motivs Zirkus) zu einer Erkenntnis über den eigentlichen Kern des kafkaesken Motivs vom Naturtheater, das in der Mischung von Komik und Tragik liegt. Auch seitens des Betrachters kann es zu Missverständnissen kommen und so legt Kippenberger in Happy End die Herkunft und Kontexte der Objekte gerade nicht offen, sondern lässt diese teilweise als Rätsel bestehen. Die Unterscheidung zwischen Erfundenem und Vorgefundenem sowie das Erkennen der zahlreichen Referenzen sind nur durch eine genaue Beschäftigung und zusätzliche Informationen möglich, so dass mit einer falschen, den Tatsachen nicht entsprechenden Rezeption gerechnet werden muss. In Interviews spricht Kippenberger dementsprechend von in den Werken auftretenden Missverständnissen, die er durch Verstär-

238 Zum Beispiel in der Werkreihe I. N.P (= Ist Nicht Peinlich) ganz offensiv im ironischen Titel, in dem er eine Publikation von Dahn und Dokoupil persifliert, siehe zum Beispiel Morgan 2006, S. 18f. Zum Thema der Peinlichkeit siehe zum Beispiel Schappert 1998, S. 46 Fußnote 108. 239 Hartmann 2013, S. 10f. zitiert Waltraud Wende zur Definition der Persiflage. Die Persiflage sei „eine kunstvoll-intellektuelle Strategie der Verspottung mit dem Ziel, ein im Visier des Angriffs stehendes Objekt […] durch Übertreibung der Lächerlichkeit preiszugeben. Eine häufig gebrauchte Vorgehensweise der P. ist die imitierende Überzeichnung von kollektiven oder individuellen Wirklichkeitsvorstellungen und Deutungsmustern, Gefühlsprofilen, Handlungspraxen und Kommunikationsweisen. Durch verzerrende Bezugnahme auf Normen, Werte, […] Gewohnheiten, Überzeugungen, emotionale Befindlichkeiten […] werden kulturelle Ordnungen, gesellschaftliche Gruppen oder Personen […], Kunstwerke verlacht, demaskiert, in Frage gestellt.“

Kippenberger / Géricault – eine Ausstellung in der Ausstellung

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kung produktiv zu machen suche und untergräbt so die Vorstellung der ‚einen‘ richtigen Auslegung.240 Das Produktive eines Fehlers – und damit auch des Scheiterns – besteht im Aufzeigen alternativer Möglichkeiten der Wahrnehmung (zum Beispiel durch den Wertebruch) und der Darstellung alltäglicher Widersprüche des Lebens. Dadurch erweist sich die Ästhetik des Scheiterns als Mittel der Erkenntnis. Erkenntnis muss vom Betrachter allerdings selbst aus den im Werk bestehenden Gegensätzen gewonnen werden. Wirklichkeit wird als Widerstreit erfahren und das Ringen mit den Widersprüchen dieser Wirklichkeit wird in Happy End regelrecht durch die Motive eines sportlichen Wettkampfs visualisiert, der letztlich eine Suche nach dem „glücklichen Ende“ darstellt.241 „Strategischer Dilettantismus“ und Bad Painting als ästhetische Verfahren des Scheiterns sind damit von den gleichen Themen geprägt, welche auch für die Ausstellung ­Memento Metropolis und die Gegenüberstellung von Kippenberger mit Géricault zentral sind. Sie beruhen auf einer subversiven Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Gesellschaft und ihren Normen und Werten. Gerade aufgrund ihres Bezugs zur Gegenwart beinhalten beide Ansätze auch eine kritische Reflexion über Geschichte und Fortschritt, indem sie das Bewusstsein um die Zeitgebundenheit von Geschmack und Wertvorstellungen reflektieren. Fortschritt wird als Paradox erfahren und ist erst durch die Abkehr von Fortschritt wieder möglich. Die Verfahren sind metareflexiv und stellen ihr eigenes Vermögen als Erkenntnis- oder Widerstandsmittel infrage. Diese Ästhetik prägt nicht nur Happy End, sondern findet sich bereits in früheren Arbeiten Kippenbergers. Die begleitend zur Ausstellung erschienenen Produktionen Kippenbergers deuten an, dass auch Medusa von einer Ästhetik des Scheiterns geprägt ist.

240 ­Ausst.-Kat. Genf 1997, S. 34; Kippenberger, B. Gespräche, 1994, S. 16, S. 53. In B. Gespräche spricht Kippenberger davon, dass ein Bild nicht falsch auslegbar sein darf, obwohl es – im Sinne der Übereinstimmung mit der Intention des Künstlers – falsch ausgelegt wird. Der Künstler selbst trifft jedoch für sich eine Aussage. Im Interview mit Baumann spricht er davon, mit seiner Kunst auf falsche Fährten zu leiten und Missverständnisse beziehungsweise Fehler zu verdoppeln, siehe Eikmeyer/Knoefel 2009. 241 Schappert 1998, S. 52; Brock 1986.

3. Analyse des Medusa-Werkkomplexes

Nachdem die Hintergründe zur Entstehung des Medusa-Werkkomplexes im Rahmen der Ausstellung Memento Metropolis und die Zusammenhänge mit Happy End beschrieben wurden, gilt es im Folgenden den Bestand genauer zu betrachten. Dabei soll auch die Chronologie der einzelnen Arbeiten soweit wie möglich rekonstruiert werden. Da Kippenberger oftmals an verschiedenen Werkreihen zur gleichen Zeit arbeitete, auf ältere Produktionen zurückgriff und selbst kein Werkverzeichnis führte, ist die Erstellung einer linearen, kohärenten Chronologie zum Werkkomplex nicht im Detail möglich. Seine Kunst entwickelt sich häufig aus einem Wechselspiel vorangegangener Arbeiten und aktuellen, persönlichen Erfahrungen wie am Beispiel der Entstehung von Medusa bereits gezeigt wurde. Dass keine erkennbare strukturierte Arbeitsweise eingehalten wird und damit der Nachvollzug einer linearen Entwicklungsgeschichte unmöglich ist, entspricht der künstlerischen Haltung des „Strategischen Dilettantismus“, die von Systembrüchen, Missverständnissen und dem Fehlerhaften lebt. Dennoch ist es aufschlussreich, die recherchierten Informationen zur Genese darzulegen, um so zu einem besseren Verständnis der Vorgehensweise und Strategien des Künstlers zu gelangen. Der Estate of Martin Kippenberger datiert alle Medusa-Gemälde im Werkverzeichnis auf das Jahr 1996. Da das Werkverzeichnis allerdings in erster Linie eine thematische Zusammenstellung der Gemälde enthält anstatt ihre Entstehung chronologisch zu rekonstruieren,1 gibt diese Angabe nur wenig Aufschluss über den Arbeitsprozess an Medusa, zumal alle anderen Medien des Werkkomplexes nicht berücksichtigt werden. Die durch Recherchen erzielten Kenntnisse deuten auf einen Beginn der Arbeit Anfang des Jahres 1996 hin, wobei die Entstehung erster Werke im Anschluss an die Reise nach Kopenhagen zur Vorbereitung von Memento Metropolis 1995 nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann. Entgegen der geringen Aufmerksamkeit, die den Werken zum Floß-Motiv im Vergleich zu den Selbstbildnissen bisher entgegengebracht wurde, stellte die Auseinandersetzung mit diesem Motiv den aktuellen Kenntnissen nach den ersten Schritt der Bearbeitung dar, der in der Auftragserteilung zur Produktion des Teppichs lag. Hintergründe zur Entstehung der Zeichnungen „Géricault/Batters“ sind hingegen kaum bekannt, so dass eine Fertigstellung dieser Gruppe noch vor den anderen Reihen grundsätzlich denkbar ist. In der Forschungsliteratur werden weitgehend die Fotografien des Künstlers als erster

1 Siehe Gisela Capitain und Lisa Franzen, „‚Arbeiten bis alles geklärt ist‘. Martin Kippenberger, 1984“, in: Martin Kippenberger: Werkverzeichnis der Gemälde, hg. von Estate of Martin Kippenberger, Bd. IV: 1993–1997, Köln 2014, S. 7.

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Analyse des Medusa-Werkkomplexes

Schritt der Aneignung des Themas aufgeführt, da er bei dieser Arbeit vermutlich erstmals selbst aktiv an der Produktion beteiligt war. Die Entstehung der einzelnen medialen Gruppen dürfte weitgehend blockweise erfolgt sein. Bisher kann dies bei den Fotografien und Lithografien durch die Auskunft Semotans und Johansens als gesichert angesehen werden; diese Gruppen entstanden an einem Tag beziehungsweise im Zeitraum von zwei Wochen. Da unter anderem die Lithografien als Bildmotiv sowohl Selbstbildnisse als auch das Floß zeigen, ist auch bei den anderen Medien anzunehmen, dass Kippenberger an den Selbstbildnissen und dem Floß-Motiv parallel gearbeitet hat.2 Dennoch gliedert sich die folgende Analyse zunächst nach den drei Motivgruppen (Bildnisse, Floß und „Géricault/Batters“), die in den Unterkapiteln wiederum entsprechend der Medien erfasst werden. Dadurch kann den Überschneidungen zwischen Ikonografie und Medium Rechnung getragen werden. Jedes Unterkapitel enthält eine kurze Beschreibung der jeweiligen Gruppe und ihrer Besonderheiten, um ikonografische, materielle, stilistische oder formale Referenzen und Beziehungen der Werke sowohl untereinander als auch in Bezug auf Kippenbergers Œuvre allgemein aufzuzeigen.

3.1 Die (Selbst-)Bildnisse In der Forschungsliteratur werden die Selbstbildnisse weitgehend als Kippenbergers früheste und bedeutendste Auseinandersetzung mit dem Géricault-Thema angesehen. Die anderen Gruppen fanden bisher weniger Beachtung. Die Grundlage dieser Selbstbildnisse sind Semotans Fotografien des Künstlers. Die Fotografien bilden vermutlich Kippenbergers ersten Schritt der Aneignung des Themas, bei dem er selbst gestalterisch an der Produktion mitwirkte. Auch wenn der Auftrag zum Teppich vermutlich noch vor den Fotografien erfolgte – womöglich auch die Reihe „Géricault/Batters“ den Fotografien zeitlich vorausgeht – markieren die Selbstbildnisse in dieser Chronologie den Anfang. Grund hierfür ist die gute Quellenlage zu den Selbstbildnissen und der eingrenzbare Entstehungszeitraum, der unter anderem auf die aufeinander aufbauenden Motive zurückzuführen ist.

2 Ralph Melcher, „Der Künstler und die Zeitkrankheit. Martin Kippenbergers Zeichnungen“, in: Martin Kippenberger – Schattenspiel im Zweigwerk. Die Zeichnungen, hg. von Götz Adriani, ­Ausst.-Kat. Tübingen, Kunsthalle, 2003, Köln 2003, S. 17f. zufolge entstanden auch Kippenbergers Zeichnungen in Schüben.

Die (Selbst-)Bildnisse

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3.1.1 Die Fotografien Die Schwarz-Weiß-Fotografien des Medusa-Komplexes nahm Semotan im Atelier in Wien mit ihrer Mittelformatkamera Mamia 6 × 7 auf.3 Einige Aufnahmen wurden mit einer Polaroid aufgenommen, um die gewünschten Lichtverhältnisse abzugleichen. Es entstanden 79 Aufnahmen, die als Kontaktabzüge erstmals abgebildet werden können (Taf. XXIX–XXXVIII) und aus dem Archiv der Künstlerin stammen.4 Eine Anerkennung der fotografischen Reihe in ihrer Qualität als eigenständiges Kunstwerk, wie sie durch eine institutionelle Ausstellung hätte erbracht werden können, blieb zunächst aus. Dem derzeitigen Kenntnisstand nach wurden die Fotografien 2013 im Hamburger Bahnhof in Berlin erstmals als Exponate in eine museale Ausstellung über Kippenberger integriert. Im Hamburger Bahnhof sowie 2014 in der Skarstedt Gallery wurde eine Mappe mit neun Fotografien (Ph.1–Ph.9, S. 101–105) ausgestellt, die von Semotan zusammengestellt worden war. Das Foto-Shooting erfolgte an einem Tag im Winter 1995/96 und nicht erst im Sommer 1996, wie in der Literatur oftmals zu lesen ist.5 Da Kippenberger einen Ring am rechten Ringfinger trägt, den er erstmals in dieser Reihe Selbstbildnisse einführt und später in Zeichnungen, Gemälden und Lithografien noch hervorhebt, scheint es wahrscheinlich, dass es sich hierbei um den Ehering handelt. Es liegt damit nahe, dass die Aufnahmen erst nach der Hochzeit mit anschließender Hochzeitsreise nach Venedig entstanden sind. Die Entstehungszeit der Fotografien läge damit frühestens bei Ende Februar oder Anfang März 1996 und so auch nur wenige Wochen vor Entstehung der Gemälde. Die Medusa-Fotografien stellen eine der ersten Kooperationen Kippenbergers mit ­Semotan dar.6 In einem Filminterview bezeichnet Semotan diese Fotografien als Ergeb3 Die österreichische Fotografin Elfie Semotan (*1941 in Wels, Österreich) ist heute insbesondere für ihre Porträts von Schauspielern und Künstlern bekannt. Bevor Semotan Fotografin wurde, studierte sie zunächst Modedesign in Wien und arbeitete als Modell in Paris. Über diese Arbeit kam sie schließlich 1969 zur Fotografie und konzentrierte sich zunächst auf Modefotografien, die in bedeutenden Zeitschriften, wie Vogue oder Harper’s Bazaar abgebildet wurden. 1973 zog sie mit ihrem Ehemann, dem Maler Kurt Kocherscheidt (1943–1992) nach Jennersdorf, wo das Paar eine Familie gründete und ein Haus mit Atelier baute. Aus dieser Ehe stammen die zwei Söhne, Ivo (*1975) und August Luis Kocherscheidt (*1982), beide ebenfalls Fotografen. Nach dem frühen Tod von Kocherscheidt 1992 heiratete Semotan im Februar 1996 Kippenberger. Alle Informationen zum Ablauf des Fotoshootings stammen von Elfie Semotan im Gespräch mit der Verfasserin am 26.02.2014 in New York und per E-Mail am 11.12.2020. 4 2014 erfolgte neben der Digitalisierung auch eine Wiederaufnahme der Fotografien durch Ivo Kocherscheidt, dem ältesten Sohn Elfie Semotans aus erster Ehe mit Kurt Kocherscheidt. Die Aufnahmen wurden im Blackfish-Print-Verfahren gedruckt und bestanden aus einer Mappe mit 13 Fotografien (Ph.1–Ph.9 und Ph.14, Ph.16, Ph.17 und Ph.20). 5 Elfie Semotan im Gespräch mit der Verfasserin am 26.02.2014. Zur Angabe Sommer 1996 siehe Temkin 2008, S. 262. 6 Bei der Hochzeitsreise in Venedig entstanden weitere Fotografien des Künstlers, die auch in Berlin 1996 ausgestellt wurden. Wenn die Medusa-Fotografien erst nach der Hochzeit entstanden, gehen ihnen diese Fotografien voraus. Die Aufnahmen wirken allerdings stärker wie Urlaubsfotografien, da sie Kippenberger

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nis einer Gemeinschaftsarbeit und berichtet von Kippenbergers anfänglichen Bedenken, sie als Fotografin einzusetzen, da er befürchtete, die Aufnahmen könnten zu „perfekt“ werden.7 Beim Shooting hatte Semotan freie Hand bei den fotografischen Entscheidungen, während Kippenberger die darstellerische Aufgabe übernahm.8 Diese Arbeitsteilung schlägt sich deutlich in den Bildern nieder, deren Aufbau von Klarheit und Präzision markiert ist. Im Vergleich mit anderen Fotografien aus Kippenbergers Œuvre, wie den Aufnahmen von Elite ’88 (Abb. 11–12) oder einigen Fotografien aus Psycho-Buildings (1988), werden die Differenzen – und damit auch Kippenbergers Befürchtung gegenüber einer Perfektion der Bilder – anschaulich. Kippenbergers eigene Fotografien zeichnen sich durch die Wahl fragmentarischer Ausschnitte, durch Unschärfe und Verschwommenheit sowie eine Überfrachtung der Szenen mit Objekten aus.9 Im Gegensatz dazu erscheint der Körper des Künstlers in den Medusa-Fotografien in einem nahezu leeren, weißen Raum; die Motive sind weder angeschnitten noch verschwommen, sondern bilden das Zentrum eines klaren Bildaufbaus mit scharfem Fokus, der jede Falte und Narbe des Künstlers zu erkennen gibt. Der Ablauf des Shootings verlief improvisiert und Semotan berichtet, dass zum Beispiel das Glas Wein aus Fotografie Ph.5 zufällig in die Aufnahme einging.10 Die Entscheidung für die Schwarz-Weiß-Fotografie fällte Semotan, um, so die Fotografin im Gespräch, einen zugleich realistischeren als auch abstrakteren Ausdruck zu erzielen. In der Schwarz-Weiß-Fotografie lenke keine Farbe vom eigentlichen Motiv ab und die Aufnahmen erschienen dabei gleichzeitig weniger „naturalistisch“. Bei der Beleuchtung orientierte sie sich an Géricaults Gemälde und versuchte durch eine gerade Lichteinstellung anstelle einer Ausleuchtung der Szene von oben die Lichtverhältnisse eines Sonnenuntergangs zu evozieren. Im Abgleich mit Corréards Bericht müsste es sich bei Géricault zwar um das Licht einer aufgehenden Sonne handeln, doch wurde bereits die Ambivalenz der Lichtverhältnisse des Gemäldes thematisiert, welche den Zwiespalt zwischen Hoffnung und Verzweiflung widerspiegeln. Semotans Aussage verdeutlicht die Absicht, eine eher melancholische, von Verzweiflung geprägte Stimmung zu er-

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mit Tauben auf dem Markusplatz zeigen. Aufgrund ihrer weniger kontrollierbaren Umgebung unterscheiden sie sich ebenfalls von Medusa. Später entstand die Reihe Window Shopping, die auch im Atelier aus Anlass eines Mode-Shootings aufgenommen wurde. Vgl. Kobel 2005, Kapitel 7 und Kippenberger 2010, S. 513f. Elfie Semotan im Gespräch mit der Verfasserin, 26.02.2014. Vgl. auch Kippenberger 2010, S. 514f. Eine grundlegende Untersuchung zur Fotografie in Kippenbergers Œuvre blieb bisher trotz der Bedeutung des Mediums in seinem Schaffen aus. Erste Ansätze finden sich bei Andreas Schalhorn, „‚Versuch’s mal ohne Film.‘ Fotografie im Werk von Martin Kippenberger“, in: Martin Kippenberger, das 2. Sein, hg. von Götz Adriani, A ­ usst.-Kat. Karlsruhe, ZKM Museum für Neue Kunst, 2003, Köln 2003, S. 46–100. Die Fotografien für Elite ’88 entstanden per Selbstauslöser oder über einen Spiegel. Kippenberger trank während der Aufnahmen Wein und stellte sein Glas auf dem Boden ab. Semotan beschloss, das Shooting nicht zu unterbrechen, um dieses Glas wegzuräumen, so dass es in einer Fotografie zu sehen ist. Elfie Semotan im Gespräch mit der Verfasserin, 26.02.2014.

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11 Martin Kippenberger, Elite’88, 1988, Kalender mit Ori­gi­nal­seriegraphien (Monat März), Edition ARTELIER, Graz, Format 60,5 × 42 cm, 27 Exemplare, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

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12 Martin Kippenberger, Elite’88, 1988, Kalender mit Ori­ginalseriegraphien (Monat Juni), Edition ARTELIER, Graz, Format 60,5 × 42 cm, 27 Exemplare, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain..

zeugen. Die Fotografien zeigen dies nicht nur durch ihr Schwarz-Weiß, sondern auch durch die starken Schatten­w ürfe und hohen Hell-Dunkel-Kontraste, die den Bildern eine gewisse Dramatik verleihen, für welche die Fotografie Ph.7 als markantes Beispiel gelten kann. Das Atelier wurde für die Aufnahmen leergeräumt und nur wenige Gegenstände eingesetzt, so dass sich die Aufmerksamkeit auf den Körper des Künstlers konzentriert. Statt eines Floßes bildet ein Bett den Schauplatz, das aus der einen Stock höher gelegenen Wohnung ins Atelier getragen wurde. Zwei Kissen und ein zerknittertes, weißes Bettlaken vervollständigen die Szene und verleihen ihr weitere Neutralität. Kippenbergers Kleidung besteht aus einer Armbanduhr und dem Ring sowie schwarzen Socken, einer schwarzen, fleckigen Jeans und einem weißen, faltigen Hemd, die in unterschiedlicher Kombination getragen wurden. Die fleckige, zerknitterte Kleidung verleiht der Inszenierung einen spontanen, unvollkommenen Charakter und dem Künstler ein ärmliches Erscheinungsbild, welches sein leidvolles Dasein über die Posen hinaus zu bestärken scheint. Die Uhr,

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Analyse des Medusa-Werkkomplexes

welche schon in einzelnen Selbstbildnissen von 1992 prominent auftaucht (aber noch nicht bei den Selbstbildnissen von 1988), dient als Symbol der Vergänglichkeit.11 Zusammen mit den Posen, der Reduktion des Bildmotivs und der Lichtstimmung erscheint der Künstler in melancholischer Einsamkeit. Insgesamt nahm Kippenberger 23 unterschiedliche Posen ein, von denen die meisten in verschiedenen Varianten aufgenommen wurden, die sich durch eine leichte Abweichung in der Perspektive, dem gewählten Ausschnitt oder in seltenen Fällen einer Variation in der Haltung unterscheiden. Zu den meisten Posen gibt es drei bis vier Aufnahmen. Bei zehn Posen orientierte sich Kippenberger recht exakt am jeweiligen Figuren-Vorbild aus dem Floß der Medusa, wie es beispielsweise die Fotografien Ph.17 oder Ph.14 belegen (Taf. XI , XIV), in denen Kippenberger die sich aufrichtende Rückenfigur (Figur T) und den im Vordergrund liegenden Schiffbrüchige (Figur O) nachstellt. Manche Posen weisen leichte Variationen der Haltung gegenüber dem Vorbild auf, bleiben dabei aber klar einer Figuren aus dem Gemälde zuzuordnen, wie zum Beispiel die Nachstellung des Vaters (Figur B) in Ph.6, bei der die Handhaltung abweicht und Kippenberger sitzt statt zu knien (Taf. II). Auch bei Ph.16 nach Figur R kniet Kippenberger auf dem Bett mit fast senkrechtem Oberkörper anstatt sich aus einer halb liegenden Haltung aufzurichten (Taf. XIII). Drei weitere Posen lassen sich auf Zeichnungen Géricaults zum Floß der Medusa zurückführen (Ph.5, Ph.18 und Ph.19, Taf. V, XVIII , XIX). Sie belegen, dass sich Kippenberger nicht allein auf das Ereignisbild bezog, sondern auch andere Werke Géricaults nutzte. Die Vorbilder entstammen wohl den Studienblättern Géricaults, die im Géricault-Ausstellungskatalog von 1991 abgebildet waren.12 Die Fotografie Ph.19 entspricht beispielsweise der Pose aus Études d’homme assis (Taf. XIX) und Ph.5 sowie Ph.10 den Haltungen nach der Études d’écorché (Taf. V). Da Géricault diese Studien für sein Gemälde nutzte, ist in einigen Fällen uneindeutig, ob sich Kippenberger eher auf die Studie oder auf das finale Gemälde bezog. So lassen sich bei einigen Fotografien die Vorbilder (zum Beispiel bei Ph.12, Ph.13 oder Ph.20) nicht mit Bestimmtheit identifizieren, doch ist die Anlehnung an Géricaults Werk erkennbar. Bei weiteren neun Aufnahmen lässt sich keine Entsprechung der Pose bei Géricault finden, so dass es sich, zum Beispiel bei Ph.4, um eine Erweiterung des Figurenrepertoires 11 Zu den größeren Gruppen an Selbstbildnissen zählen Handpainted Pictures von 1992 (Abb. 16) und die 1988 in Spanien entstandenen, unbetitelten Gemälde (Abb. 15), die Kippenberger in Anlehnung an die Fotografie Picassos in Unterhose mit Afghanen zeigen und wiederum aus den Fotografien hervorgingen, die in Elite ’88 publiziert wurden. Vgl. Baumann 1998, S. 34–57; Eva Meyer-Hermann, „Selbstporträtbilder, 1988“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von ders., A ­ usst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 114f.; Anke Kempkes, „Handpainted Pictures, 1992“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, ­Ausst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 172f. 12 ­Ausst.-kat. Paris 1991.

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13 Martin Kippenberger, Plakat zu Respektive 1997–1976, MAMCO, Genf, 1997, Offsetdruck, 100 × 68,1 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

durch Kippenberger zu handeln scheint. Diese Erweiterung kann als bewusster Fehler im Sinne des „Strategischen Dilettantismus“ interpretiert werden, da nicht mehr von einer Nachstellung der Schiffbrüchigen aus dem Floß der Medusa gesprochen werden kann. Die Kohärenz eines festgelegten Konzepts und damit der inszenierte Anspruch werden gebrochen und der Betrachter auf eine „falsche Spur“ geführt – offenbar erfolgreich, wie die fehlende Feststellung dieses doch sehr bedeutenden Aspekts in der Fachliteratur zum Werkkomplex zeigt. Die neun Fotografien, deren Vorbilder sich nicht identifizieren lassen, veranschaulichen auch den freien, spontanen Ablauf des Foto-Shootings. Im Gegensatz zu den heldenhaften Körpern bei Géricault, die sich zum Teil energisch gegen den Tod aufbäumen, weisen Kippenbergers Körper sowie seine Haltung gerade keine Dynamik oder Grazie auf, sondern erscheinen steif, starr und ungelenk. Vor dem neutralen Setting erklären sich dem Betrachter die eingenommenen Pathosgesten nicht und der Ausdruck extremer Emotionen wirkt im leeren Raum teilweise überzogen. Bisweilen gleiten die Motive sogar ins Komische ab, wie beispielsweise in Ph.3, in der Kippenberger mit der ausladenden Geste der schräg ausgestreckten Arme von Figur K sein Gleichgewicht zu suchen scheint, obwohl er sitzt. Offensichtlich wird hier eine Haltung nachgeahmt. Das Pathos des Vorbilds schlägt in Komik und Lächerlichkeit um, so dass ein Gegensatz zur melancholischen Reduktion und Stimmung der Schwarz-Weiß-Fotografien erzeugt wird.

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14 Martin Kippenberger, Einladungskarte zu Respektive 1997–1976, MAMCO, Genf, 30. Januar 1997, Offsetdruck, 14,8 × 21 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Die Fotografien wurden von Kippenberger als Bildvorlage der Selbstbildnisse genutzt, so dass ihnen darin die Funktion von Studien zukommt. Allen drei großen Reihen der Selbstbildnisse Kippenbergers gehen Fotografien voraus. Unabhängig von ihrer Verwendung als Bildvorlage nutzte er diese Aufnahmen auch für Poster und Plakate.13 Aus dem Medusa-Komplex wurden die Fotografien Ph.4 und Ph.7 noch im Entstehungsjahr als Motiv von Poster (Abb. 13) und Einladungskarte (Abb. 14) zur Ausstellung Respektive in Genf (30.01.–24.05.1997) eingesetzt.14 In Genf wurden aus dem Medusa-Komplex allerdings nur die Lithografien ausgestellt und der Bezug zu Géricault war somit nicht zwingend erkennbar.15 Kippenberger scheint die Kenntnis um die Géricault-Referenz ohnehin nicht als essentiell für Poster und Karte angesehen zu haben, da er zwei Porträts auswählte, die ihn in Posen zeigen, die sich nicht auf ein konkretes Vorbild Géricaults zurückführen lassen. Beide Bildmotive werden allerdings in Zeichnungen, Gemälden und Lithografien wiederholt und sind somit wichtiger Teil des Medusa-Komplexes.

13 Vgl. unter anderem Kippenberger 2010, S. 160f. 14 Siehe A ­ usst.-Kat. Zürich 1998, S. 211 und ­Ausst.-Kat. Köln 2000, Nr. 189. 15 Ohrt, Raft, 1997 schildert seine anfängliche Verwunderung angesichts dieser „seltsamen“ Fotografien, deren Kontext sich ihm erst durch die Ausstellung 1997 in Berlin erklärte.

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Ph.9 Ph.1–9  Elfie Semotan, Martin Kippenberger – Das Floß der Medusa, Wien, 1996, Fotografie, im Besitz der Fotografin.

3.1.2 Die Zeichnungen auf Briefpapier Die 19 Zeichnungen (D.1–D.19, S. 110–111) entstanden im Anschluss an die Fotografien noch vor den Gemälden. Aufgrund ihrer Farbigkeit und der Signaturen waren die Blätter sicherlich nicht ausschließlich als schwarz-weiße Illustrationen des Katalogs Kippen­berger/ Géricault konzipiert. Aus welchen Gründen Zeichnung D.19 in diesem Katalog nicht abgebildet wurde, ist nicht bekannt. Diese Zeichnung wurde erstmals in der Kunsthalle Tübingen 2003 ausgestellt und im Katalog zusammen mit den anderen Blättern mit einer Ausnahme abgebildet (es fehlte entweder D.2, D.10 oder D.17).16 Alle 19 Zeichnungen wurden nach aktuellem Kenntnisstand erst 2014 in der Skarstedt Gallery vereint.17 16 Siehe ­Ausst.-Kat. Tübingen 2003, S. 167. 17 In der Käthe-Kollwitz-Ausstellung wurden die Zeichnungen nicht gezeigt; möglicherweise befanden sich die Medusa-Zeichnungen unter den „150 Hotel-Zeichnungen“, die in Basel 1998 zu sehen waren oder waren Teil der Ausstellung zum Medusa-Komplex 1997 in der Galerie Gisela Capitain. Siehe Martin Kippenberger, hg. von Kunsthalle Basel, A ­ usst.-Kat. Basel und Hamburg, Kunsthalle Basel, 1998, Deichtorhallen Hamburg, 1999, Basel 1998, S. 149

106 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

Kippenberger erläutert im Interview mit Baumann Mitte Juli 1996, dass er in Medusa Abstand von seinem üblichen Verfahren genommen habe, Zeichnungen erst nach Gemälden anzufertigen.18 Das eigentlich gängige Verfahren des Künstlers stellt eine Subversion der akademisch etablierten Arbeitsweise dar, Zeichnungen als Skizzen und Studien zur Vorbereitung von Gemälden anzufertigen. Die Umkehr der akademischen Arbeitsweise entspricht dem „Strategischen Dilettantimus“ als Normbruch und Inszenierung mangelnder Könnerschaft. Die Handzeichnungen stellen dadurch die Vorrangstellung der Gemälde infrage. Die Gründe, die Kippenberger in Medusa dazu bewogen haben von seinem subversiven Verfahren Abstand zu nehmen, sind nicht bekannt. Ein Beweggrund könnte Géricaults akademische Arbeitsweise sein, die Kippenberger nachahmt oder auch der subversive Bruch mit seinem eigenen bisherigen Verfahren.19 Aufgrund des Entstehungszeitraums der Medusa-Zeichnungen nach den Fotografien und vor den Gemälden (das heißt zwischen März und Mai) ist davon auszugehen, dass auch die Medusa-Zeichnungen in einem Block im Atelier in Österreich entstanden sind.20 Die Auswahl der 18 Vorlagen aus den 79 Fotografien für die gezeichneten Selbstbildnisse verdeutlicht, dass eine erkennbare Referenz auf Géricault beabsichtigt wurde. So übersetzte Kippenberger alle zehn eindeutig dem Floß der Medusa zuzuordnenden Fotografien, darunter so prominente Figuren wie die Gruppe von Vater und Sohn (Figuren B und C), die Figur der Hoffnung (Figur P) sowie der leblose Schiffbrüchige vorne rechts (Figur O). Er übertrug auch manche der nicht eindeutig zuzuordnenden Figuren und einige der Posen nach Géricaults Studien (unter anderem Ph.4, Ph.7, Ph.18) in Zeichnungen. Demnach musste es Kippenberger ein Anliegen gewesen sein, nicht allein die Identifikation seiner Referenz auf das Floß der Medusa in den Zeichnungen augenscheinlich zu machen, sondern auch die eigene Erweiterung der Posen zu integrieren. Die Zeichnungen verdeutlichen, dass Medusa nicht nur eine Nachahmung, sondern auch eine Weiterführung des Sujets ist. Er übersetzte beispielsweise die eigene Erfindung der Pose aus Ph.4 in die Zeichnung D.10 und nutzte einen Ausschnitt der gleichen Fotografie auch als Vorlage für Zeichnung D.12. Bei Fotografie Ph.9 nutzte er ebenfalls ein Detail für D.1, das sich entsprechend keiner neuen Figur bei Géricault zuordnen lässt. Die Posen, die weniger mit einem Schiffbruch assoziiert werden können und eine geringere Dramatik aufweisen, wie zum Beispiel die Porträts die Kippenberger lächelnd zeigen (Taf. XXXVI) oder auch die Aufnahme Ph.19, die ihn geradezu lasziv auf dem Bett aufgerichtet darstellt, fanden keinen Eingang in die Medusa-Selbstbildnisse.

18 Eikmeyer/Knoefel 2009, Track 9. 19 Vgl. auch Ohrt, Raft, 1997. 20 Vgl. Melcher 2003, S. 17f. Obwohl Kippenberger in seinen Werken oftmals einen Ortsbezug herstellte, stammt keines der Briefpapiere aus Kopenhagen. Erst bei seiner Arbeit an den Gemälden und den Lithografien stellt Kippenberger einen Bezug zu Dänemark über die Geldmünzen und Druckstöcke mit Getränkeetiketten her.

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Die Motive der Zeichnungen basieren nahezu exakt auf ihren fotografischen Vorlagen und geben die Körperhaltung, Lichtverhältnisse und Kleidung getreu wieder. Allerdings reduziert Kippenberger die Motive der Fotografien auf die Darstellung seines Körpers. Der Raum, das Bett oder die Details wie Kissen oder Wein gehen nicht in die Zeichnungen ein. Nur in einem Blatt (D.13) führt Kippenberger ein zusätzliches Motiv, eine stark abstrahierte Darstellung der Argus, ein. Kippenberger verformt seinen Körper, indem er bestimmte Charakteristika, wie Körperfülle, Größe der Ohren, Haarfülle und unordentliche Frisur bis ins Karikaturale übertreibt. Die Zeichnungen bezeugen damit einen Vorgang der Abstraktion, bei dem sich Kippenberger von dem räumlichen Kontext und der melancholischen Stimmung entfernt.21 Auch durch die Einführung von Farbe nimmt er weiter Abstand von der Nüchternheit der Schwarz-Weiß-Fotografien. Der einheitliche Zeichenstil lässt die Werkgruppe homogen und die Einzeldarstellungen gleichzeitig heterogen wirken. Für die Zeichnungen verwendete Kippenberger in unterschiedlicher Kombination sowohl Bleistifte als auch farbige Holz- und Filzstifte, Wasserfarbe und Tinte, welche die Motive uneinheitlich und disharmonisch erscheinen lassen. Die Konturen und Schraffuren bestehen aus vielen, kurzen Strichen, so dass die Zeichnungen wie schnelle „Kritzeleien“ wirken. Die höchste Dichte der Linien findet sich meistens in den Gesichtern und kontrastiert mit der Auslassung von Konturen an anderen Körperpartien (insbesondere an Armen und Beinen), so dass die Zeichnungen unfertig wirken und die Vervollständigung der Körper der Imagination des Betrachters überlassen wird.22 Farbkleckse aus Ölfarbe, wie in D.18 oder D.14, verstärken den Eindruck einer achtlosen Behandlung. Besonders stark ist dieser Eindruck in Blatt D.13, das, wie zur Reinigung eines Pinsels, mit Strichen gelber Wasserfarbe gleichsam beschmiert wurde. Die öligen Farbflecke und Pinselspuren auf den Blättern suggerieren darüber hinaus einen Entstehungszusammenhang der Zeichnungen mit den Ölgemälden im Atelier. Auch die exakte Übertragung des Farbschemas der Zeichnungen, wie zum Beispiel von D.7 in P.73, suggeriert, dass die Blätter als direkte Vorlagen der Malereien gedient haben (Taf. VIII). Da jedoch keines der Ölgemälde mit Zeichnung D.2 korrespondiert, das Blatt nichtsdestotrotz einen öligen Fleck und orange Farbspuren aufweist, dürfen die Farbkleckse und Flecken ebenso als Spuren künstlerischer Arbeit verstanden werden, die den Betrachter auf den Herstellungsprozess im Maleratelier verweisen. Die Spuren treten damit zwar in Widerspruch zum Träger, der Reisen suggeriert, zeugen aber dadurch auf andere Weise von der Person des Künstlers.23 Darüber hinaus etablieren die Flecken auch eine Verbindung zu Géricaults Skizzen, beispielsweise zu Études d’écorché (Taf. V) oder Homme nu sur 21 Kippenberger spricht im Interview von einem Abstraktionsvorgang in den Zeichnungen, siehe Eikmeyer/ Knoefel 2009, Track 9. 22 Die Hotelbriefpapier-Publikationen Martin Kippenberger, Hotel – Hotel, Köln 1992 und Martin Kippenberger, Hotel, Hotel, Hotel, Köln 1995 lassen keine Zweifel an seinen großen zeichnerischen Fertigkeiten. 23 Zum Topos von Arbeits- und Lebenszeit in den Gemälden siehe Graw 2014, S. 23f.

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le dos (Taf. XI), da diese Blätter Alters- oder Verfallserscheinungen in Form von Flecken aufweisen. Der abwertende Umgang mit den Zeichnungen wird in Blatt D.16 weitergetrieben: Die Zeichnung wird von Kippenberger regelrecht beschädigt, indem er das Papier wie zur Befestigung an einer Wand mit einem abgerissenen Stück Paket-Klebeband schief beklebte. Auf dem Klebeband sind die Buchstaben „LOSED“ (von „I hold myself closed“) und „NTENGO AIS“ (von „Yo me mantengo aislado“) zu lesen. Der zu einem Klebeband passende und für seine zusammenhaltende Funktion werbende Spruch „Ich halte mich verschlossen“ steht im Widerspruch zur offenen Haltung der Figur mit ihren ausgestreckten Armen. Das Klebeband erzeugt darüber hinaus wieder einen Bezug zu Kippenbergers früheren Werken, in denen er dieses Klebeband ebenfalls verwendete.24 Die Zeichnungen sind auf Briefpapier ausgeführt, eine Technik, die Kippenberger bereits seit Mitte der 1980er Jahre nutzte und welcher er drei Künstlerbücher widmete.25 Das verwendete Papier stammt vorwiegend aus Hotels. In der Literatur hält sich die Geschichte, dass Kippenberger bei einem seiner zahlreichen Hotelaufenthalte aus Materialnot die Idee bekommen habe, das Papier als Träger zu nutzen.26 Diese Anekdote, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, geht konform mit einer der Funktionen des Hotelbriefpapiers, die darin besteht, die Zeichnungen als scheinbar autobiografische Aufzeichnungen erscheinen zu lassen. Kippenberger nutzte aber nicht nur Hotelbriefpapiere, sondern verwendete auch Papiere anderer Herkunft, etwa aus Arztpraxen, von Sehenswürdigkeiten oder selbst gefertigtes Papier des Büro Kippenberger. Mithilfe des Papiers evoziert Kippenberger somit die Vorstellung vom nomadischen, mittellosen und unter regelrechtem Ausdruckszwang stehenden Künstler, aber auch des alltäglichen Menschen (der zum Arzt geht) und des Dienstleisters.27 Doch die autobiografisch erscheinende Arbeitsweise trügt, denn das gewählte Papier gibt nicht tatsächlich Aufschluss über die Ereignisse im Leben des Künstlers, seine Reisen oder besuchten Hotels. Viele Blätter wurden ihm von Freunden mitgebracht oder erfuhren ihre Verwendung erst zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort. Die Zeichnungen scheinen zeitlich und örtlich fixiert, sind jedoch „in ein imaginäres Itinerarium des Künstlers“28 einzuordnen. Für Pamela M. Lee liegt die Rele24 Kippenberger nutzte dieses Klebeband schon Ende der 1980er Jahre für Bilder und Skulpturen (zum Beispiel für Reserve oder Yo me mantengo aislado, 1989). Vermutlich stammt das Klebeband von einer Reise oder dem Spanienaufenthalt mit Albert Oehlen im Jahr 1988. 25 Es handelt sich um Kippenberger 1992, Kippenberger 1995 und Martin Kippenberger, No Drawing, No Cry, Köln 2000. Die posthum veröffentlichte Publikation stellt eine Sammlung der unbearbeiteten Briefpapiere dar. 26 Zum Beispiel in Melcher 2003, S. 15. 27 Vgl. Melcher 2003, S. 18, aber auch Pamela M. Lee, „‚If everything is good, then nothing is any good any more‘: Martin Kippenberger, Conceptual Art, and a problem of distinction“, in: Martin Kippenberger. The problem perspective, hg. von Ann Goldstein, A ­ usst.-Kat. Los Angeles, Museum of Contemporary Art, 2008, Cambridge 2008, S. 194 sowie Kempkes, Zeichnungen, 2003, S. 234. 28 Melcher 2003, S. 17.

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vanz des Briefpapiers in seiner Serialität und sie folgert: „the substrait assumes principle import in this work, not the individual drawing as such“29. Obwohl diese Interpretation zu reduktiv ist – die Bedeutung der Zeichnungen kann nicht hauptsächlich in ihrer Konzeptualität gesehen werden, da die eigentlichen Darstellungen somit zur Nebensache erklärt würden – so ist die vernetzende Funktion des Trägers durchaus von Bedeutung. Auch Ralph Melcher geht auf diese Funktion ein und erkennt darin eine Verbindung zum Motiv des Reisens, das sowohl inhaltlich mit der Vorstellung vom Künstler auf Reise wie auch formal durch die wandernden Motive beziehungsweise die wiederkehrenden Träger dargestellt wird.30 Die vernetzende, über die Motive hinausgreifende Funktion des Trägers wird auch anhand der drei Buchpublikationen der Hotelbriefpapierzeichnungen deutlich, welche die Zeichnungen als zusammenhängenden Komplex präsentieren. Im Fall der Medusa-Zeichnungen stammen die Briefpapiere aus zwei Hotels, der ­Wiener Staatsoper sowie dem Palazzo Vendramin in Venedig und wurden in wechselnd vertikalem (neun Mal) wie horizontalem (zehn Mal) Format verwendet. Vier Zeichnungen sind auf einem weißen Papier des Arcadia Opera Shops der Wiener Staatsoper ausgeführt (D.9, D.11–12, D.16). Der Rand des Papiers ist mit einem umlaufenden Mäander verziert; der Briefkopf zeigt ein Abbild der Opernfassade. Sieben Mal verwendete Kippenberger das gelbliche Papier aus dem Palazzo Vendramin in Venedig, dessen linke obere Ecke das Wappen des Dogen Andrea Vendramins ziert (D.8, D.10, D.13–15, D.17, D.18). Weitere sieben Zeichnungen befinden sich auf weißem, schwerem Papier aus dem Hotel im Palais Schwarzenberg in Wien (D.1–4, D.6–7, D.19). Nur für eine Zeichnung wurde das Papier des Hotel Baltschug der Kette Kempinski in Moskau verwendet (D.5). Dieses Briefpapier ist am linken Seitenrand mit einer marmorierten Bordüre verziert. Kippenberger stellt auf diesem Blatt einen Ausschnitt des Floßes nach der Vorlage von Corréard dar (Abb. 20). Nur in einem Blatt, in der Zeichnung D.10, wird der Aufdruck des Papiers als Motiv in die Zeichnung aufgenommen und das Wappen des Dogen erscheint wie eine Blume in der Hand der Figur. Die bei Medusa verwendeten Papiere erscheinen in den drei Buchpublikationen (Hotel, Hotel, Hotel und No Drawing, No Cry) nicht und wurden offenbar erst ab 1996 verwendet. Die vernetzende Funktion des Trägers ist bei Medusa daher nur konzeptuell vorhanden und eine direkte Wiederholung des Papiers lediglich innerhalb des Werkkomplexes gegeben.31 Ein Zusammenhang zwischen Motiv und Träger besteht 29 Lee 2008, S. 204. 30 Melcher 2003, S. 18 geht insbesondere auf den Topos des Reisens bei Kippenberger ein, der durch seine zahlreichen Ortswechsel im Ruf stand, rastlos zu sein. Vgl. zum Topos des Reisens und zur Vernetzung des Werks auch Julia Gelshorn, „Inhalt auf Reisen: ‚Zur Lesbarkeit bildlicher Referenzen bei Rosemarie Trockel und Martin Kippenberger‘“, in: Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate in Bild und Text, hg. von Silke Horstkotte und Karin Leonhard, Köln 2006, S. 133–154. 31 Die gleichen Papiere finden sich zum Beispiel in der Gruppe Frieda für alle, einer Reihe Zeichnungen, die nach Semotans Fotografien des Künstlers in Venedig zur gleichen Zeit entstanden sind. Die Zeichnungen sind abgebildet in ­Ausst.-Kat. Berlin 1997, S. 34–37. Auch stilistisch stehen diese Zeichnungen den Medusa-Zeichnungen nahe.

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nur in den Ausnahmen der Zeichnungen D.5 und D.10. Als ein Mittel des „Strategischen Dilettantismus“ verfügt das Papier über eine weitere dialektische Funktion, da ein reproduzierbares Werbeprodukt als Träger einer einzigartigen Handzeichnung genutzt wird, die wiederum nach einem kunsthistorischen Hauptwerk entstand: hohe und niedere Kunst treffen so aufeinander.

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3.1.3 Die Gemälde Die siebzehn Selbstbildnisse (P.59–P.75, S. 120–121) des Medusa-Komplexes müssten – zumindest weitestgehend – noch vor Mitte Juli 1996 fertiggestellt worden sein, da Kippenberger im Gespräch mit Baumann über seine abgeschlossene Arbeit an diesen Bildern spricht.32 Baumann zufolge fertigte Kippenberger die Gemälde speziell für die Ausstellung in der Kunsthalle Basel 1998 an, bei der Peter Pakesch, ehemaliger Galerist Kippenbergers, alle Selbstporträts des Künstlers zusammenführen wollte.33 Die erste Ausstellung dieser Selbstbildnisse fand jedoch schon kurz nach Kippenbergers Tod Anfang März 1997 in Berlin statt (fünfzehn der siebzehn Selbstbildnisse wurden gezeigt). In der Galerie ­Gisela Capitain im gleichen Jahr waren acht Gemälde zu sehen.34 Erst anschließend wurden die Selbstbildnisse (mit einer Ausnahme) auch in Basel 1998 und ein Jahr später in Hamburg gezeigt.35 Seither war eine Auswahl aus der Werkgruppe integraler Bestandteil der Retrospektiven zum Künstler, da es sich um die letzte große Gruppe von Selbstbildnissen im Œuvre handelt.36 Eine fast vollständige Präsentation fand erneut 2014 in der Skarstedt Gallery statt, bei welcher nur das Selbstbildnis P.71 nicht gezeigt wurde. Margarete Heck, die Kippenberger gemeinsam mit ihrer Schwester vom 25.05. bis zum 16.06.1996 in Jennersdorf besuchte,37 erinnert sich an die Entstehung von zwölf dieser Gemälde (einschließlich der dazugehörigen Zeichnungen). Gemalt wurden die Bilder vermutlich alle in Jennersdorf, wobei frühere oder spätere Entstehungszeiten einzelner Bilder nicht ausgeschlossen werden können. Die Selbstbildnisse sind, zumindest teilweise, auch als Gemeinschaftsarbeiten entstanden, wie beispielsweise Gemälde P.59, an dem während eines feucht-fröhlichen Abends mit Freunden ge32 Kippenberger spricht im Interview über die Medusa-Bilder in der Vergangenheit, was auf eine abgeschlossene Arbeit hindeutet, siehe Eikmeyer/Knoefel 2009, Track 9. Eine Fotografie des Ateliers zeigt zudem die fertigen (und offenbar trockenen) Gemälde zwischen anderen Werken auf dem Boden stehend oder an den Wänden hängend. Entgegen der Angabe im Werkverzeichnis, diese Fotografie sei zwischen 1996/97 entstanden, belegen die erkennbaren Werke mit ihrer Ausstellungsgeschichte und Provenienz, dass die Fotografie noch vor September 1996 erstellt wurde. Siehe Estate 2014, S. 81; ­Ausst.-Kat. Los Angeles 2008, S. 352. 33 Baumann 1998, S. 40. 34 Siehe Estate 2014, P.58–P.62, P.65, P.68, P.70. 35 ­Ausst.-Kat. Basel 1998, S. 3 und S. 154–156 bietet andere Informationen als das Werkverzeichnis Estate 2014, S. 316–363: Drei Gemälde (P.69, P.71, P.72) waren Letzterem zufolge in Basel nicht zu sehen. Dem Basler Katalog nach waren allerdings 16 Gemälde ausgestellt und nur Gemälde P.71 (oder P.69) fehlte. Die Ausstellung ging anschließend nach Prag, wo nur noch die sechs Gemälde P.58, P.59, P.70, P.72, P.73, P.75 zu sehen waren. 36 Vereinzelt entstanden später noch weitere Selbstbildnisse, wie in der Reihe Window Shopping (MK.P 1996.85). 37 Margarete Heck in einer E-Mail an die Verfasserin vom 11.09.2016. Auch Susanne Kippenberger berichtet über den Besuch. Ihr zufolge befand sich Elfie Semotan zu dieser Zeit in New York, vgl. Kippenberger 2010, S. 513–515. In einer E-Mail an die Verfasserin von März 2014 schreibt Heck, Kippenberger habe sich besonders für die Gesichter der Ertrinkenden interessiert.

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malt wurde.38 Kippenberger unterwandert damit den „Topos vom Künstler-allein-zuHaus“39, den er in den Bildmotiven jedoch evoziert. Temkin schreibt sogar davon, in Berufung auf ein Gespräch mit Semotan, dass Kippenberger zunächst die Hinter­ gründe der Medusa-Gemälde von anderen Personen habe malen lassen. Die Malerei sei aber zu perfekt geworden, so dass er schließlich doch selbst die Arbeit übernommen habe.40 Womöglich entstanden die Gemälde auch unter Einsatz eines Diaprojektors.41 Alle Gemälde basieren auf den gezeichneten beziehungsweise fotografischen Vorlagen. Nur das Selbstbildnis aus Zeichnung D.2 sowie das Floß von Zeichnung D.5 wurden nicht als Gemälde umgesetzt. Kippenberger verwendete für die gemalten Selbstbildnisse verschiedene, ungerahmte Standard-Leinwandformate: – vier Gemälde haben das Format 180 × 150 cm, wovon eine Leinwand mit einem Tuch beklebt wurde; – es existieren jeweils drei Gemälde im Format 150 × 180 cm, 120 × 100 cm, 100 × 120 cm und 75 × 90 cm (hiervon sind zwei Leinwände mit Münzen beklebt) – und ein einzelnes Gemälde im Format 90 × 75 cm, die Leinwand ist mit Münzen beklebt. In ähnlicher Weise wie das Briefpapier bei den Zeichnungen bricht auch hier der Träger durch das variierende Format die Serialität der Werkgruppe auf und betont ihre Heterogenität. In gleicher Weise erzeugen auch die Münzen Zusammengehörigkeit, die durch das Format verstärkt wird. Allerdings klebte Kippenberger nur bei drei der vier Gemälde im Format 75 × 90 cm und 90 × 75 cm Geldmünzen auf die Leinwand. Ein weiteres Münzbild findet sich jedoch unter der Gruppe der Floß-Bilder, die im Format 60 × 50 cm ausgeführt sind.42 Die einzelnen Werke stehen dadurch in Zusammenhang miteinander, wobei die

38 Margarete Heck in einer E-Mail an die Verfasserin vom 11.09.2016. Womöglich trug auch Walter Pichler mit einem Pinselstrich zur Entstehung bei, zumindest erinnert sich Reinhard Knaus an eine Begebenheit, bei der Kippenberger Pichler dazu provozierte, an Gemälden mit zu malen. Knaus im Gespräch mit der Verfasserin im Burgenland am 23.10.2016. 39 Rudolf Schmitz, „Das unvollendete Happy End“, in: Martin Kippenberger, The happy end of Franz Kafka’s „Amerika“, hg. von Felix Zdenek, A ­ usst.-Kat. Hamburg zu Martin Kippenberger – Selbstbildnisse, Deichtorhallen Hamburg, 1999, Köln 1999, S. 22. 40 Temkin im Gespräch mit Semotan am 21.11.2007, siehe Temkin 2008, S. 264, Anm. 13. Weitere Belege sind nicht bekannt und Kippenberger hatte dem derzeitigen Kenntnisstand nach in Jennersdorf erst ab der Reihe Burberrys meets Burlington einen Assistenten (Karl Feiertag) beauftragt, so Knaus und Karl Feiertag im Gespräch mit der Verfasserin am 23.10.2016. 41 Knaus berichtet über Kippenbergers Verwendung eines Diaprojektors für seine Gemälde in dieser Zeit. Schon früher hatte Kippenberger bei anderen Projekten (speziell bei performativen Inszenierungen) mit Diaprojektoren gearbeitet, wie Schmidt-Wulffen 1985 berichtet. Eine Überlagerung der digitalen Abbildungen der Medusa-Bildnisse legt dies in manchen Fällen nahe, in anderen bleibt es unklar. 42 Kippenberger verwendete Münzen schon früher auf den Oberflächen seiner Gemälde. Der erste Beleg stammt aus seiner Zeit in Spanien 1988, siehe Estate 2016, S. 145, MK.P 1988.25.

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jeweilige Stringenz der zwei Gemälde-Gruppen entweder durch Ausnahmen in Format, Motiv oder Material aufgehoben wird. Diese Brüche können im Sinne des „Strategischen Dilettantismus“ als Fehler im System aufgefasst werden und regen zu alternativen Betrachtungsmöglichkeiten der Werke an. Neben den Selbstbildnissen bestehen die Bildmotive aus Farbfeld-Mustern, die in manchen Fällen durch weitere gegenständliche Motive bereichert werden. Diese Nebenmotive stehen in Zusammenhang mit dem Schiffbruch-Sujet und bestehen aus einer Wolke am Horizont (P.67), dem Floß selbst (P.65), Wellen (P.59, P.63, P.65, P.70) und dem Schiff Argus (P.63). Die Argus erscheint zuerst in D.13, wobei das Selbstbildnis dieser Zeichnung nicht mit Gemälde P.63, sondern mit Gemälde P.72 korrespondiert, auf welchem wiederum die Argus fehlt. Die Motive werden dadurch miteinander verzahnt und die Referenz auf das Floß der Medusa gestärkt. In Gemälde P.59 übernimmt Kippenberger das Ornament des Briefpapiers aus der korrespondierenden Zeichnung D.11 und verweist damit auch in diesem Fall auf den Zusammenhang zwischen Zeichnung und Gemälde.43 Das Band wirkt wie die Andeutung einer Bordüre und erinnert an eine „schlechte“ Referenz auf das Patterning Painting, das aus der Pattern & Decoration-Bewegung in den USA der 1970er Jahre hervorging.44 Diese Deutung wird durch die Integration eines gemusterten Stofftuchs – das schmutzige Maltuch – weiter gestärkt. Wie der Bildträger erzeugen auch die Hintergründe der Malereien eine Einheit, die durch Ausnahmen gebrochen wird. Fünfzehn Gemälde bestehen aus rechteckigen, unsauber ausgeführten Farbfeldern oder -balken. Bei Gemälde P.70 wurden die Farbfelder übermalt, so dass sich eine nahezu monochrome Fläche ergibt, bei der jedoch die Übergänge der unterliegenden Farbfelder noch durch die letzte Malschicht durchscheinen. Gemälde P.63 weist einen monochromen Grund auf, ohne unterliegende Schichten durchscheinen zu lassen. Der Farbfeld-Grund der Medusa-Gemälde erzeugt des Weiteren eine Vernetzung des Werkkomplexes mit früheren und späteren Arbeiten im Œuvre, da Kippen­ berger bereits seit den frühen 1980er Jahren Bildgründe aus Farbspritzern, -feldern und -balken für seine Malerei verwendete. Techniken des Farbauftrags – wie Dripping, das Schütten von Farbe, reliefartig dicker Farbauftrag und sichtbarer Pinselduktus, Farbwürste aus der Tube, Verwischungen mit Spatel, Händen oder Tüchern und Abdrücke des Farbtopfes – werden bei Kippenberger in einem Bild „wild“ gemischt. Isabelle Graw 43 Dieses Ornament übernahm Kippenberger schon Anfang 1996 in andere Gemälde, siehe zum Beispiel Estate 2014, S. 229, MK.P 1996.04. Ein ähnliches Ornament stellte Jiří Georg Dokoupil in Gemälden dar, vgl. ­Ausst.-Kat. München 1981, S. 92. 44 Unter anderem Iden 1981, S. 3 hebt den Bezug zum amerikanischen Patterning Painting der Malerei der 1980er Jahre hervor. Das Pattern Painting oder Patterning Painting ist eine Malrichtung aus den USA, zu deren Vertretern zum Beispiel Robert Kushner, Miriam Schapiro oder Joyce Kozloff gerechnet werden. Nach einer Ausstellung 1977 im PS 1 wurde eine Ausstellung zum Patterning Painting auch 1979 in Europa im Palais des Beaux Arts in Brüssel abgehalten. Vgl. auch Pattern and Decoration. Ornament als Versprechen, hg. von Esther Boehle und Manuela Ammer, ­Ausst.-Kat. Aachen und Wien, Ludwig Forum für internationale Kunst, Aachen 2018, Mumok, Wien 2019, Köln 2018.

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zufolge habe Kippenbergers gestischer Umgang mit der Farbe vor dem Hintergrund der Malereigeschichte einen „rhetorischen Effekt“, der in Bezug zum Action Painting stehe und den Arbeitsprozess, die Dynamik des Malvorgangs sowie die Präsenz des Künstlers signalisiere.45 Damit verfolgt auch diese Malerei eine Koppelung von Werk und Künstler, die sich auch in den Motiven ausdrückt. Allerdings bezieht sich Kippenberger nicht allein auf das Action Painting, sondern persifliert auch andere Richtungen, wie das Informel oder die Farbfeldmalerei. Der mit dem jeweiligen Farbauftrag verbundene Ausdruck wie Dynamik, Poesie der Geste oder Expressivität des Subjekts wird durch die Überladung oder durch „schlechte“ Ausführung unterwandert. Die Farbfelder sind beispielsweise schief ausgeführt und nicht akkurat wie bei der Farbfeldmalerei oftmals üblich, die Übermalungen werden nicht vollständig abgedeckt, die Farbdichte variiert von transparent bis pastos und die Pinselführung scheint zögerlich und unsicher. Die Farben sind zudem disharmonisch, teilweise sogar grell beißend (zum Beispiel die Kombination von orange und lila in Gemälde P.63) und laden damit gerade nicht zur Kontemplation ein, sondern sind unpassend und zeugen von scheinbar fehlendem Geschmack. Die Darstellung des eigenen Körpers wird von dieser „schlechten“ Ästhetik nicht verschont. Kippenberger steigert seine Körperfülle im Vergleich zu den Zeichnungen noch weiter, so dass der Grad der Entfremdung im Vergleich zu den korrespondierenden Fotografien überraschend ist. Während die Rückenfigur im Gemälde P.67 adipös erscheint und ihr Torso aus Wülsten geformt ist, zeigt die zugehörige Fotografie Ph.17, dass Kippenberger tatsächlich wesentlich schlanker war (Taf. XIV). Die aus Halbkreisformen bestehenden Körperkonturen von Rücken und Armen im Gemälde ähneln der stilisierten Wolke, die am Horizont wie eine Kulisse montiert scheint, worin womöglich eine persiflierende Referenz auf die bühnenhafte Komposition des Vorbildes liegt. Kippenberger verleiht seinen Selbstbildnissen zudem große Ohren, eine dicke Nase, einen aufgedunsenen Torso bei dünnen, muskelarmen Gliedmaßen, deutliche Narben, eine übertriebene Körperbehaarung, eingefallene Augen und kahle Stellen im zerzausten Haar. Diese Merkmale erinnern an die Vergänglichkeit und deuten ein hohes Alter an, obwohl Kippenberger zu diesem Zeitpunkt erst 43 Jahre alt war.46 Die Verformungen könnten als Anspielung auf seine Krankheitserscheinungen durch den Alkoholismus verstanden werden (wie Wassereinlagerungen oder Gicht). Die übermalten Münzen und das schmutzige Tuch verleihen den Gemälden eine unregelmäßige Oberflächenstruktur, so dass gerade im Fall der Münzbilder die Haut der Leinwand aus etwas Entfernung wie von Krankheit befallen er45 Vgl. Graw 2014, S. 24. 46 Wie Susanne Kippenberger berichtet, ging es ihrem Bruder durch seinen Alkoholismus körperlich schon Jahre vor seinem Tod schlecht. So klagte er im Winter 1994/95 in Tokio über aufgequollene Füße und Rötungen, siehe Kippenberger 2010, S. 494. Erst kurz vor Weihnachten 1996 suchte Kippenberger einen Arzt auf und erhielt sechs Wochen später die offizielle Diagnose, an Leberkrebs, Zirrhose und Hepatitis zu leiden. Anfang Februar 1997 wurde er dann hospitalisiert und starb kurze Zeit später, siehe Kippenberger 2010, S. 501, S. 525.

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15 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Selbstporträts), 1988, Öl auf Leinwand, 240 × 200 cm, Hong Kong.

scheint.47 Die teilweise reliefartige Oberfläche der Malerei, die durch einen pastosen Auftrag oder die aus der Tube auf die Leinwand gedrückten Farbwürste entsteht, verstärkt die abstoßende Ästhetik der Oberfläche. In manchen Gemälden sind außerdem Motive zu sehen, die an Wundnähte oder Verletzungen erinnern. In Gemälde P.59 wird eine schwarze, kurze Vertikale von vier kürzeren, gleichmäßig gesetzten Horizontalen gekreuzt und erinnert damit an eine Naht oder Narbe. Der Einsatz der roten Farbe in P.61 und P.70 erweckt den Eindruck von Blutspritzern, einer Blutlache und einer Seitenwunde am Körper des Malers. Eine unästhetische und abstoßende Körperlichkeit findet sich bei Kippenberger damit sowohl in der Figurendarstellung als auch in der Materialität der Malerei selbst. In Anbetracht anderer Figurendarstellungen im Werk zeigt sich jedoch, dass die körperlichen Verformungen typisch für Kippenbergers Bildnisse sind und nicht nur bei Medusa vorkommen. So führt Kippenberger nicht nur frühere Selbstbildnisse (Abb. 15–16), sondern zum Beispiel auch das Porträt seiner Tochter mit karikaturalen Verformungen und Überzeichnungen aus.48 Spätestens mit dieser Beobachtung wird klar, dass eine bio47 Temkin 2008, S. 264: „marred by skin disease“. 48 Vgl. die Abbildungen in Estate 2014, S. 370 und ­Ausst.-Kat. Wien 2003, S. 253. Verformungen finden sich auch in der Jacqueline-Reihe oder in Window Shopping, siehe Estate 2014, S. 292–311, S. 365–383.

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16 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Hand Painted Pictures), 1992, Öl auf Leinwand, 180 × 150 cm, Privatsammlung.

grafisch motivierte Interpretation der Medusa-Selbstbildnisse zwar durch das Leidenspathos suggeriert wird, allerdings unzulänglich ist. Die Verformungen des Körpers und Übertreibungen von bestimmten Merkmalen sind Mittel, die aus der Karikatur und dem Comic stammen und Witz erzeugen. Darüber hinaus inszeniert Kippenberger anhand der Körperdarstellung eine mangelnde Könnerschaft in der Kunst. Die überdimensionierten, deformierten Hände zeichnen den Maler auf zwei Ebenen, durch die technische Ausführung und die übertragene Bedeutung, als Unfähigen aus. Da es sich im Fall von Medusa um Selbstbildnisse handelt, zieht er nicht nur seine Virtuosität als Maler ins Lächerliche, sondern stellt seine Person als „Witzfigur“ dar. Die Auslassung des eigenen Kopfes in drei Gemälden (P.64, P.72, P.75), durch den die Wiedererkennung eines Bildnisses eigentlich ermöglicht wird, bekräftigt diese Funktion der Malweise weiter. Das Motiv signalisiert, der porträtierte Künstler wisse nicht, was er tue, so dass Motiv (der „Kopflose“) und Malweise (scheinbarer „Nichtskönner“) miteinander korrespondieren.49

49 In Zeichnungen ist das Motiv des Kopflosen schon früher zu finden, insbesondere im Zusammenhang mit den Zeichnungen zu Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften, siehe Puvogel 2003, S. 66. Zum Motiv der Hand des Malers, vgl. zum Beispiel Hermes 2005, S. 118.

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Wie in den Zeichnungen definiert auch in den Gemälden meist eine Konturlinie den gemalten Körper. Stellenweise wird diese ausgelassen und die Körperform durch kon­tras­ tierende Farbflächen herausgearbeitet, wie zum Beispiel beim rechten Arm und der linken Schulter in Gemälde P.62. Körper und Grund scheinen auf einer Ebene zu liegen und die Plastizität der Darstellung wird gebrochen. Einige Körperpartien füllt Kippenberger wiederum mit Farbe aus, so dass der ausgemalte Körperteil vor dem Farbfeldhintergrund zu liegen scheint, wie bei den orangen Partien des Oberkörpers in P.63. Diese Mischung hebt die Trennung zwischen Vorder- und Hintergrund, Figur und Grund, auf (besonders deutlich in P.63) und bricht mit dem räumlichen Eindruck. Gesteigert wird dies überdies durch den Einsatz silberner, glitzernder Farbe (vermutlich Sprühfarbe) in P.62, die im Bereich der Stirn aufgetragen ist. Ein Illusionismus wird somit verhindert und die Flächigkeit sowie die Bildhaftigkeit der Malerei vor Augen geführt. In diesem Gemälde streicht Kippenberger sein Selbstbildnis durch Diagonalen aus, die ein Andreaskreuz bilden – womöglich eine Anspielung auf Géricaults Bildkomposition – wodurch er ebenfalls die Bildhaftigkeit hervorhebt. Gleichzeitig stellt die Verknüpfung von Figur und Grund, von Selbstbildnis und Farbflächen, eine buchstäbliche Verflechtung von ­Malerei und Person des Malers dar, die im Gemälde durch die Auflösung des Selbstbild­nisses im Farbgrund ineinander aufgehen.50 Der Maler wird eins mit seiner Malerei, wird aber auch von ihr überlagert. In P.64 bleiben vom Künstler nur die Beine zu sehen, da Oberkörper und Kopf von einer opaken, bunten Farbmasse verdeckt werden. Gemälde P.64 signalisiert somit, dass vom Maler in seiner Malerei kaum etwas sichtbar bleibt. Die Darstellung inszeniert ebenso Kippenbergers scheinbar unzureichende Könnerschaft, da er mit dieser pastosen, flächigen Farbdecke das weiße, durch das Wasser transparent gewordene Tuch wiedergibt, das bei Géricault den leblosen Schiffbrüchigen im Vordergrund (Figur O) bedeckt. Die möglichst illusionistische Darstellung eines transparenten Stoffes mit seinen Faltenwürfen und seiner spezifischen Materialqualität zur Demonstration des malerischen Talents ist eines der ältesten Themen der Malerei­geschichte. Im griechischen Mythos um den Wettstreit der Maler Zeuxis und P ­ arrhasios hat diese Vorstellung ihren Ursprung. Parrhasios konnte seinen Gegner durch die täuschend echte Darstellung eines Vorhangs übertreffen. Kippenbergers Darstellung des Tuchs bricht mit einem solchen angestrebten Illusionismus und demonstriert gerade, dass es sich bei dem Tuch nicht um Stoff, sondern um eine aus Farbe bestehende Fläche handelt. Die Bildhaftigkeit und Flächigkeit der Malerei werden darüber hinaus durch gemalte Worte oder Buchstaben in den Gemälden P.59, P.69 und P.71 deutlich. Nur das auf dem Kopf stehende Wort „Hope“ in Gemälde P.59 lässt einen Bezug zu Géricaults Vorbild erkennen (Taf. XII). Die dargestellte Figur entspricht Géricaults Figur der Hoffnung (Figur P), so dass „Hope“ einerseits die Zeichenhaftigkeit der Figur verschriftlicht, andererseits durch die Positionierung am Horizont des oberen Bildrands den Platz des Rettung und 50 Vgl. zur Verbindung Maler und Malerei ausführlicher Graw 2014, S. 22–38.

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Hoffnung symbolisierenden Schiffes Argus im Floß der Medusa einnimmt. In diesem Gemälde ist zudem neben der rechten Hand der Figur das mehrfach durchgestrichene Kürzel „MK“ des Künstlers in Schwarz zu erkennen. Das Ausstreichen kann als nachlässige Korrektur eines Fehlers gewertet werden, signalisiert aber auch, dass es sich bei dem Bild beziehungsweise der Figur gerade nicht um (einen) Kippenberger handelt. Auf der Ansichtsseite des Gemäldes P.69 scheint erneut Kippenbergers Signatur mit dem Buchstaben „K“ aufzutauchen. Erst beim Betrachten des Leinwandrandes des ungerahmten Bildes wird die Fortsetzung „OMPOST BILD“ am Rand sichtbar (Taf. IX). Die Bezeichnung „Kompost Bild“ ist einerseits ein Verweis auf Kippenbergers Bild-Verwertungsstrategie, sein „Recycling“ von eigenem und fremdem Bildmaterial.51 Andererseits wird das Bild als Abfallprodukt betitelt und somit in seinem Wert herabgesetzt. Die Bedeutung der Abkürzung „F. M. F.“ von P.71 ist bisher ungeklärt und stellt eines der Rätsel im Werk dar. Auch das Einbringen von Alltagsgegenständen in vier Selbstbildnissen verhandelt die Bildhaftigkeit von Malerei. In den Gemälden P.72, P.74 und P.75 kleben Geldmünzen auf der Leinwand, unter anderem dänische und deutsche Münzen, und in P.59 ersetzt ein tatsächliches Tuch, möglicherweise ein Malertuch, das bei Géricault gemalte Tuch des signalisierenden Afrikaners (Figur P). Die collagierten Objekte brechen aus dem zweidimensionalen Bildraum heraus, so dass das Verhältnis von Repräsentation und Wirklichkeit aufgegriffen und die Diskrepanz der gemalten Darstellung zur dreidimensionalen Wirklichkeit verdeutlicht wird. Indem Kippenbergers Selbstbildnis in P.59 das Malertuch in der Hand zu halten scheint, kann es gleichzeitig auch als eine Darstellung des Künstlers gesehen werden, der gerade im Begriff ist, sein Bild zu malen, wie Graw schreibt.52 Dadurch spielt Kippenberger erneut auf das Verhältnis von Maler zu Malerei an, von Präsenz und Absenz des Künstlers in seinem Bild. Durch die Ersetzung des gemalten Stoffs durch ein collagiertes Tuch persifliert Kippenberger zudem von Neuem die täuschend echte Darstellung von Textilien in der Malerei, die als Merkmal künstlerischen Talents angesehen wird. Indem er ein reales Tuch einsetzt, übertrifft er alle anderen Maler im Bestreben nach Wirklichkeitstreue und bleibt gleichzeitig malerisch hinter ihrem Können zurück. Für Graw erzeugen Malertuch, Münzen und Schrift darüber hinaus den Eindruck von Lebendigkeit. Die grelle Farbigkeit unterstütze das „vitalistische“ Vermögen der Malerei. Aber auch durch die Schriftzüge sprechen die Bilder scheinbar zum Betrachter, anhand der Münzen veranschaulichen sie selbst ihren Wert und das Malertuch kann den Eindruck erwecken, das Bild male sich selbst.53 Während das Bild lebendig wirkt, nimmt der Maler in Medusa allerdings die Posen sterbender oder toter Figuren ein (unter anderem in P.65, P.68, P.70). Kippenberger spielt damit auf das Eigenleben von Kunstwerken an, die losgelöst vom Künstler über dessen Tod hinauswirken, wie auch beim Floß der Medusa der Fall. 51 Vgl. Krystof 2006, S. 29 oder Kippenberger 2010, S. 160f. („Mehrfachverwertung“). 52 Graw 2014, S. 36ff. 53 Zur Lebendigkeit der Bilder und Analyse von P.59 vgl. ebd.

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3.1.4 Das Gemälde nach Uderzo Das Gemälde P.58 (S. 127) stellt innerhalb der Selbstbildnisse im Medusa-Komplex einen Sonderfall dar, nicht nur, weil es als einziges Bild eine Szene mit mehreren Figuren zeigt, sondern auch, da es mit einer Leinwand von 200 × 240 cm das größte Gemälde ist. Ausgestellt wurde es zum ersten Mal mit den anderen Medusa-Bildnissen in der Käthe-­KollwitzAusstellung im März 1997. Es ist das einzige Medusa-Bild, welches darüber hinaus in einer der Memento Metropolis-Ausstellungen 1998 in Stockholm neben Kippenbergers Happy End und der Kopie von Géricaults Gemälde ausgestellt wurde. Im Werkverzeichnis wird dieses Gemälde mit nahezu monochrom rotem Grund als erstes der Medusa-Bilder aufgeführt und als Ansammlung mehrerer Selbstbildnisse beschrieben.54 Als Vorlage diente Kippenberger die von Bachmann erwähnte und in der du abgebildete Parodie vom Floß der Medusa aus dem 1967 erschienenen Comic-Band Astérix Légionnaire von Albert Uderzo.55 Das Comic-Bild stellt das Resultat eines Kampfes der Helden Astérix und Obélix gegen die Piraten dar, einem Running Gag der Reihe. Auf dem Comic-Bild sind die besiegten Piraten auf einem aus Überresten ihres Schiffs bestehenden Floß zu sehen. Die Anordnung der vierzehn Piraten orientiert sich an den Hauptfiguren aus Géricaults Gemälde während Farbe und Darstellungsweise keinerlei Verbindungen zum Vorbild aufweisen. Unmissverständlich wird die Referenz auf G ­ éricault durch das Wortspiel „JE SUIS MÉDUSÉ“ in der Sprechblase des Piraten-Kapitäns, wobei das Partizip Perfekt „médusé“ sowohl eine Emotion markiert (als fester Ausdruck, dt.: „Ich bin versteinert“) als auch im Sinne eines als Adjektiv verwendeten Nomens (dt.: „Ich bin zu Medusa geworden“) auf die Anordnung der Figuren anspielt, die jener im Floß der Medusa gleicht. Der Bild-Witz entsteht durch den Transfer des Motivs, bei dem die „unschuldigen“, in ihrem Leiden heldenhaften Schiffbrüchigen durch die von den Helden besiegten „Bösewichte“ des Comics ersetzt werden. Der Schiffbruch ist damit im Comic nicht nur moralisch richtig (als Strafe für die Verbrechen der Piraten), sondern bleibt als Running Gag folgenlos, denn die Piraten werden im nächsten Band ohnehin wiederkehren. Durch den Transfer der Komposition in ihren neuen Kontext erhalten die aus dem Vorbild übernommenen Gesten und Posen des Leidens und der Verzweiflung neue Bedeutung: Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Figur der Hoffnung (Figur P), die im Floß der Medusa der Argus Signale gibt. Ersetzt wird diese Figur durch einen dunkelhäutigen Piraten, der mit gleicher Geste nun allerdings dem untergehenden Piratenschiff zum Abschied winkt. Die Ahnungslosigkeit der Piraten, die, scheinbar ohne es zu wissen, Géricaults Gemälde imitieren, führt beim Leser, der diese Referenz erkennt, zu einem Gefühl der Überlegen54 Estate 2014, S. 316f. Aufgrund der Nähe der gemalten Selbstbildnisse zu den Zeichnungen wurde die Abfolge der Gemälde im Werkverzeichnis in dieser Bestandsanalyse nicht berücksichtigt, so dass die Betrachtung dieses Gemäldes nach der Erfassung der Selbstbildnisse folgt. 55 Goscinny/Uderzo 1967, S. 35. Weitere Beispiele für Kippenbergers Verwendung von Comics als Bildvorlage sind beispielsweise zu finden in Estate 2014, S. 230, S. 260.

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heit und Selbstversicherung, aus welcher der Comic, neben der Harmlosigkeit der Szene, seinen Witz gewinnt. Kippenbergers Bezug auf das Comic-Bild zeigt sich eindeutig an den Übernahmen der Sprechblase, der Kleidung einzelner Figuren (zum Beispiel die blauen Hosen, das weiße Hemd oder das grüne Haarband), der Flagge des gesunkenen Schiffes und der Schaumkronen – Motive, die sich bei Géricault nicht finden. Trotz dieser in Details übereinstimmenden Übernahmen aus dem Vorbild, bleibt Kippenbergers Bild weit entfernt von einer Kopie des Comics. Bereits das fast quadratische Leinwandformat erfordert eine räumliche Konzentrierung des länglichen Comic-Bildes, so dass die Figuren bei Kippenberger verzerrt werden, sich überschneiden und bis zur Unkenntlichkeit überlagern. Kippen­berger wandelt die Figuren Uderzos ab, indem er einige der Köpfe ins Profil dreht und auch die Haltungen der Piraten verändert. Primäre Bedeutung kommt in diesem Gemälde offenbar den Gesichtsausdrücken der Figuren zu, da ihre Köpfe nicht nur gedreht, sondern auch überdimensioniert und deformiert dargestellt werden. Der Fokus liegt auf sechs Gesichtern, die scheinbar körperlos in einem Gewirr von Figurenfragmenten schweben. Die Gesichter vermitteln durch ihre aufgerissenen Münder und ihre schädelförmigen Köpfe Gefühle der Verzweiflung und des Leids und entsprechen damit keineswegs mehr den sympathischen, vom Pech verfolgten Bösewichten des Comics. Da sich zumindest in einem Fall – dem in Aufsicht gezeigten Gesicht der Figur vorne links – eine Ähnlichkeit zum Selbstbildnis von D.7 und P.73 erkennen lässt, kann angenommen werden, dass es sich bei den Figuren tatsächlich um mehrere, stark verfremdete Selbstbildnisse Kippenbergers handelt. Die Medusa-­ Zeichnungen oder Fotografien könnten daher ebenfalls als Vorlagen für das Bild gedient haben. Neben den Figuren verändert Kippenberger auch die Farbtöne des Vorbilds. Indem er die dominierenden Farben invertiert, wird das hellblaue Comic-Bild mit dem roten Segel zum roten Gemälde, auf dem die Konturen des Segeltuchs schablonenartig in hellblau ausgeführt sind; die Fläche des Segeltuchs bleibt unausgefüllt und erscheint damit rot. Die heterogene Malweise kennzeichnet sich auch in diesem Fall durch die ungleichmäßige Dichte des Auftrags, Übermalungen, den variierenden Duktus mit exakten Pinselstrichen und Verwischungen mit Händen oder Spatel sowie einem Wechsel zwischen ausgemalten und konturierten Partien aus. Die leuchtend rote Farbe des nahezu monochromen Bildes zusammen mit dem großen Bildformat weisen auf den Abstrakten Expressionismus hin und erinnern an die rotfarbenen Gemälde Barnett Newmans oder Mark Rothkos. Im Gegensatz zu Newman oder Rothko wird durch das figurative Motiv allerdings die expressive Wirkkraft des Farbraumes unterwandert, ungegenständliche und gegenständliche Malerei somit vermischt. Räumlichkeit wird angedeutet und durch das Verweben von Figur und Grund gebrochen. Die Schaumkronen der Wellen aus dem Comic werden von Kippenberger zu amorphen Schlangenlinien verformt, die sich wie Würmer, Nudeln oder Fäden auf der Bildoberfläche

124 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

winden.56 Diese freien Formen evozieren ihrerseits gestische, informelle Malerei, wobei die Unbeholfenheit der Linienführung nicht über die Poesie und Dynamik des Informell verfügt, stattdessen erscheinen die Linien unsicher, zögerlich, beliebig und erinnern an Malerei-Versuche eines Kindes. Durch diese scheinbar „stümperhafte“ Malweise wird auch in diesem Fall eine Persiflage verschiedener Malerei-Stile und Strömungen erzeugt. Die deformierte Figurendarstellung, die Vermischung von gegenständlicher und ungegenständlicher Malweise, die heterogene Wirkung, die persiflierende Bezugnahme auf andere Maler sowie die Referenz auf einen Comic machen auch dieses Gemälde zu einem Bad Painting. Durch diese Malweise wird darüber hinaus die Wirkung der überschaubaren und farblich freundlichen Komposition des Comics verkehrt. Einzelne Figuren, beispielsweise die Figur der Hoffnung (Figur P), werden bei Kippenberger durch unterschiedlich breite, pastose und verschiedenfarbige Linien konturiert, so dass die Körper fragmentiert und uneinheitlich erscheinen. Manche Körperteile erreichen dadurch eine Mehrdeutigkeit. Der Arm des Afrikaners kann, ohne das Vorbild zu kennen, wie ein Ohr erscheinen, ebenso wie die ovale Form neben dem Kopf links von der sitzenden Figur einem Ohr oder einem Fuß gleicht.57 Das Floß wird nur durch zwei braune, vermutlich mit einem Spatel oder Messer gezogene Streifen angedeutet, so dass die meisten Figuren bodenlos auf dem roten Grund zu wirbeln scheinen. Kippenberger verändert auch die im Wind flatternde Piratenflagge und lässt deren schwarze Umrisse spitz gezackt wie Reißzähne wirken. Der Eindruck, den Gemälde P.58 erweckt, ist daher der eines wilden, unüberschaubaren Durcheinanders fragmentierter Körperteile und Malweisen. Auf keine andere Arbeit des Werkkomplexes trifft die Beobachtung, Kippenberger kannibalisiere Géricaults Werk in seinem Medusa-Komplex, so zu, wie auf das „incoherent amalgam, a scramble of faces and body parts“58 des Gemäldes P.58. Für Temkin steht das Gemälde P.58 dadurch im Gegensatz zu Géricaults Bild, in welchem die Gruppierungen der Figuren die klare Ordnung der Komposition ausmachen, während Kippenbergers Darstellung einem „unanchored mass“59 gleiche. Temkin berücksichtigt allerdings nicht das weitere Werk Géricaults und übersieht daher den Bezug zur Radierung Meuterei (Abb. 17). Die Szene der Meuterei charakterisiert sich durch 56 Die ungleichförmig geschwungene Linie tritt bei Kippenberger häufig auf, wie beispielsweise in den Latex- und Gummibildern von 1989–91, den Laternen-Skulpturen ab 1987 oder den Arbeiten mit dem Motiv der Nudel. Siehe hierzu zum Beispiel Estate 2016, S. 281; Manfred Hermes, „Lampe Documenta IX, 1992“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, A ­ usst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 168; siehe auch den Hinweis auf die Ausstellung Erfreuliche Klasse Kippenberger. Worm Works in der Galerie David Nolan 1992 in New York bei Michael Sanchez, „Zerberus“, in: Martin Kippenberger: Werkverzeichnis der Gemälde, hg. von Estate of Martin Kippenberger, Bd. III: 1990–1992, Köln 2016, S. 27–36, hier S. 35f. 57 Vgl. Sanchez 2016, S. 36. 58 Temkin 2008, S. 264. 59 Ebd., S. 265.

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ihr unüberschaubares Chaos, das aus dem Gedränge der Schiffbrüchigen und durch die in Schrecken verzerrten Gesichtsausdrücke der vom Floß stürzenden Menschen besteht. Derartige vor Schmerz oder Schreck aufgerissene Augen und Münder sind ebenfalls in der Federzeichnung zu erkennen, die bereits das klar strukturierte Dreiecks-Schema der finalen Komposition aufweist. Diese beiden Werke waren ebenfalls in der Zeitschrift du abgebildet und Kippenberger somit bekannt. Statt unbeschwert und lustig wie die Comic-Vorlage zu wirken, vermitteln die überdimensionierten Köpfe in Gemälde P.58 einen Leidenspathos, über den sie sich den Schiffbrüchigen Géricaults annähern. Statt einer Verwandtschaft zu Géricault erkennt Temkin in diesem Gemälde eine Anlehnung an Edvard Munchs Der Schrei von 1893. Temkins Eindruck einer Ähnlichkeit mit Munchs Gemälde resultiert vermutlich aus der Schädel-Form der Köpfe mit ihren aufgerissenen Mündern.60 Der geschwungene Pinselstrich zur Konturierung der Köpfe könnte Temkin an Munchs Duktus erinnert haben und die Verwendung ausdrucksstarker, nicht naturalistisch eingesetzter Farben wie dem dominanten Rot oder den teilweise in Grün konturierten Körpern lassen ebenfalls an die Malerei des Expressionismus denken. Ein konkretes Interesse Kippenbergers an Munch ist allerdings nicht nachweisbar und der „wilde“, expressive Malstil charakterisiert das Gesamtwerk des Künstlers. Temkins Bemerkung ist jedoch insofern relevant, da sie auf die Tradition der Leidensdarstellung in der Malerei verweist, in die sich Kippenberger mit Medusa einschreibt.61 Die wie Schlote geöffneten Münder können demnach vielleicht sogar eher mit dem Gemälde Das Narrenschiff von Hieronymus Bosch oder auch mit Delacroix’ Dantes Barke in Verbindung gebracht werden, zwei Bilder, die Kippenberger durch Abbildungen in der Zeitschrift du nachweislich vor Augen hatte. Mit Gemälde P.58 übermittelt Kippenberger folglich existentielle Motive wie Leid, Bedrohung, Chaos und Gewalt, die von der Beschäftigung mit dem Überlebenskampf unter anderem bei Géricault stammen. Der Witz des fiktionalen, heiteren Comic-Bildes, der sich aus der Überlegenheit des Betrachters gegenüber den Figuren und der Harmlosigkeit der Szene mit wiederkehrendem „Happy Ending“ generiert, wird durch das Leidenspathos ersetzt und damit wie die Farbtöne ins Gegenteil verkehrt. Während Kippenberger jedoch durch motivische Übernahmen die Identifizierbarkeit des Comic-Bildes garantiert, besteht eine eindeutig bestimmbare Referenz auf ein Vorbild nach Géricault nicht. Diejenigen Figuren, die sich dem Comic-Vorbild nicht zuordnen lassen, finden auch keine exakte Entsprechung bei Géricault, so zum Beispiel die zentrale Figur, deren rechte Hand sich zum Mast erstreckt. Möglicherweise handelt es sich um eine Abwandlung der Dreiergruppe des Comics, die sich um den Mast gruppiert, oder um eine Anlehnung an die Figur am Mast aus der Meuterei (Abb. 17). Es könnte sich auch schlicht um eine eigene 60 Ebd. 61 Ebd., S. 277: „As Kippenberger’s paintings cannibalize Géricault’s work, they speak to the way in which all artists ruthlessly consume their forebears as they fight for their own survival.”

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Erfindung handeln, wie sie der Künstler schon bei seiner Nachstellung der Posen vornahm. Die Aneignung bezieht sich damit weder auf die exakten Figurenposen mit ihrem Kompositionsschema noch auf den narrativen Moment, sondern auf eine Darstellung des Existenzkampfes zwischen Komik und Tragik. Neben Motiv und Malweise trägt die Mischung der Vorbilder gegensätzlicher Genres (Comic-Bild, Ereignisbild) zum Eindruck eines inkohärenten Durcheinanders bei. Die Ambivalenz des Gemäldes P.58, welche durch die Mischung komischer und tragischer Elemente erzeugt wird, wird ferner durch die Sprechblase unterstrichen, die dem Bild eine weitere Bedeutungsebene verleiht. Durch einen Fehler beim Übertragen der Sprechblase – dem Auslassen der französischen Akzente – geht der Wortwitz des Comics verloren und die Aussage wird aufgrund ihrer falschen Orthografie sinnfrei. Die Bedeutung des Schreibfehlers liegt auch hier in der Inszenierung achtloser Umsetzung und der Herabsetzung des Gemäldes, das eine schnelle und nachlässige Produktion vermittelt. Der Künstler erscheint als Nichtskönner. In diesem Gemälde wird zudem deutlich, dass sich Kippenbergers „Strategischer Dilettantismus“ insbesondere gegen die Normen einer gebildeten Gesellschaftsschicht richtet, die auch das Zielpublikum des Comics darstellt.62 Durch den Schreibfehler gelingt es Kippenberger, den Witz aus dem Vorbild zu verkehren und das dem Comic-Humor zugrundeliegende Gefühl der Überlegenheit des Lesers ins Gegenteil zu verkehren. Durch die neu eingeführte Groß- und Kleinschreibung bei „­Meduse“ ersetzt Kippenberger das Wortspiel durch eine Entlehnung des Eigennamens „Medusa“, der sowohl das gekenterte Schiff bezeichnet als auch synonym für die Metapher des Schiffbruch-Erleidens oder die eigene Medusa-Werkgruppe stehen kann. Die Sprechblase nimmt das Thema des Scheiterns demnach nicht nur durch den Schreibfehler auf, sondern auch durch die Verhinderung einer eindeutigen Lesbarkeit der Aussage. Der Leser bleibt mit einem Gefühl der Unsicherheit statt Selbstversicherung zurück. Für Temkin liefert die Mehrdeutigkeit der Sprechblase sogar den Anstoß zu einer Metareflexion über das Verhältnis von Wirklichkeit, Kunst und dem Leben des Malers als Mittler zwischen diesen beiden Welten: Who exactly is speaking? The painting? The painter? In French, ‚Je suis médusé‘ means ‚I am stupefied‘, as if one were turned to stone by the snake-haired Gorgon herself. The inscription emphasizes an irresolvable confusion between actor and acted upon, painter and painted upon. Kippenberger explicitly presented the allegory that was read into Géricault’s original painting, the play between the complementary catastrophes of a historical event, a painting, and a life.63

62 Der Comic setzt die Kenntnis des Ereignisbildes und das Verständnis der Doppeldeutigkeit des Wortes „­médusé“ voraus. Demgemäß zielt er hauptsächlich auf eine gebildete Leserschaft, wie das Bildungsbürgertum, ab. 63 Temkin 2008, S. 265.

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P.58 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 200 × 240 cm, New York, The Museum of Modern Art.

17 Théodore Géricault, La Mutinerie sur le Radeau, 1818–1819, Bleistift, Feder und braune Tinte, 40,6 × 59,3 cm, Amsterdam, Amsterdam Museum, legaat C.J. Fodor.

128 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

Temkin ist nicht allein damit, eine implizite Anspielung auf die Gorgone der griechischen Mythologie in Kippenbergers Sprechblase zu erkennen.64 Der Mythologie zufolge ließ die Gorgone „Medusa“ ihre Gegner durch einen Blick in ihre Augen zu Stein werden, woher auch der französische Ausdruck „médusé“ stammt.65 Die Geschichte der Gorgone, die nur durch eine List – die Begegnung ihres Blicks über ihr Spiegelbild – besiegt werden konnte, thematisiert den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Abbild. Diese Differenz wird von Kippenberger auch in seiner Malerei verhandelt, die in paradoxem Bezug zur Wirklichkeit steht: Als Abbild der Wirklichkeit ist Malerei etwas Anderes und gleichzeitig doch in ihrer materiellen Präsenz Teil derselben, steht in konkretem Bezug zu ihr und wirkt sich auf die Wirklichkeit aus. Folgt man dieser Interpretation, belässt das Gemälde durch den uneindeutigen Sprecher offen, ob die lähmende Wirkung durch die tatsächliche Katastrophe des Schiffbruchs entsteht und dann durch ihre Darstellung im Bild entmachtet werden kann, oder ob der Maler beziehungsweise das Bild nicht selbst das Medusenhaupt sind, das den Betrachter vor Schreck erstarren lässt.

3.1.5 Die Lithografien Kippenberger kam bei seiner Reise nach Kopenhagen zur Ausstellungsvorbereitung mit dem Galeristen Mikael Andersen in Kontakt, in dessen Galerie er im Oktober 1996 erstmals ausstellte. Anlässlich dieser Ausstellung traf Kippenberger den Lithografen Peter Johansen, der Kippenberger bat, Lithografien in seiner Druckerei herzustellen. Kippenberger willigte ein, unter der Bedingung, dass auch Michel Würthle, enger Freund und ehemaliger Inhaber seines Berliner Stammlokals Paris Bar, zur gleichen Zeit Lithografien gestalten dürfe. Johansen stimmte zu und Kippenberger verbrachte mit Würthle Ende November 1996 zwei Wochen in Kopenhagen, um in Johansens Druckerei in Valby die Lithografien (L.1–L.15, S. 135–142) zu schaffen. Die Drucke stellen vermutlich die chronologisch letzte Auseinandersetzung mit dem Medusa-Thema dar. Während dieses Aufenthalts entstanden vierzehn Lithografien in einer Auflage von 26 nummerierten und signierten Exemplaren sowie sechs Editionen für Künstler und Mitarbeiter (gekennzeichnet mit römischen Zahlen)66 zusätzlich zu einer Lithografie in einer Auflage von zehn 64 Auch für Géricaults Gemälde wurde eine solche Parallele zur Mythologie gezogen, am prominentesten durch Klaus Heinrich, Floß der Medusa: 3 Studien zu Faszinationsgeschichte, Frankfurt am Main 1995. 65 Kushner 2014, S. 9f. weist in ihrem Aufsatz im Katalog der Skarstedt Gallery auf die Bedeutung des französischen Substantivs „méduse“ (dt.: Qualle) hin. Sie hält die Sprechblase für eine Anspielung auf die Schiffbrüchigen, die ins Meer stürzten und von Quallen gestreift wurden. Diese Interpretation scheint sehr abwegig, da die einzige Verbindung zur Qualle in den amorphen Linien zu finden ist, die an Tentakel erinnern könnten. Kushners Bemerkung lässt jedoch erkennen, dass für sie vom Bild eine unsichtbare Gefahr ausgeht. 66 Peter Johansen in einem Brief an die Verfasserin vom 01.08.2014. An wen diese sechs Exemplare neben Kippenberger selbst und Johansen gingen, ist nicht bekannt. Bei der Abschlussfeier waren Johansen

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Exemplaren (ebenfalls mit römischen Zahlen nummeriert). Gedruckt wurde auf weißem Papier mit ausgefransten Rändern, das zwischen 48–76 cm lang und zwischen 42–76 cm breit ist. Bedingt durch die Auflage waren die Lithografien bereits häufiger als die anderen Werkgruppen in Galerien und Museen ausgestellt oder abgebildet, dabei überwiegend die Edition mit fünfzehn Blättern. Die vierzehn ursprünglichen Blätter wurden 1997 beim Käthe-Kollwitz-Preis gezeigt. Durch die Auskunft des Lithografen Johansen ist die Genese dieser Gruppe nahezu vollständig rekonstruierbar.67 Johansen zufolge arbeitete Kippenberger hier – abgesehen von erfolglosen Versuchen des Künstlers während seines Kunststudiums in Hamburg – erstmals im Medium der Lithografie. Die Auswahl der Motive überließ Johansen Kippenberger, dessen Interesse am Medusa-Thema offensichtlich Ende 1996 noch nicht erschöpft war. Parallel zur Arbeit an den Lithografien fertigte der Künstler bei dem Kupferstecher Niels Borch Jensen zwölf motivisch unabhängige Radierungen an, die in Zusammenhang mit den zu dieser Zeit entstandenen Gemälde-Reihen mit den Titeln Eiermann und Burberrys meets Burlington stehen.68 Die Wahl des Steindrucks für das Medusa-Sujet statt der Radierung könnte darauf zurückzuführen sein, dass auch Géricault in dieser Technik arbeitete. Das Medium der Lithografie entwickelte sich im 19. Jahrhundert und wurde von Géricault unter anderem zur Verbreitung seiner Bilder (darunter das Floß der Medusa) eingesetzt.69 Im Steindruckverfahren ist zudem die Idee einer gleichsamen Versteinerung des Motivs im Bild und seiner Erneuerung durch die Neuschöpfung enthalten, die für den gesamten Medusa-Komplex als eine Aneignung des Ereignisbildes von Géricault zentral ist. Diese Vermutung wird dadurch gestützt, dass Kippenberger während seiner Arbeit zufällig in der Druckerei alte Druckstöcke von Getränkeetiketten und Glückwunschkarten entdeckte, die er daraufhin in zwei der Lithografien (L.11, L.13) mit der Absicht wiederverwendete, die alten Steine zum Leben zu erwecken, wie Johansen berichtet. Das Ergebnis des Aufenthalts wurde 1997 in dem ausklappbaren Künstlerbuch Prints publiziert, das in der rechten Hälfte die Radierungen und in der linken die Lithografien enthält. Der linke Teil bildet fünfzehn Medusa-Lithografien mit einer Reproduktion der ­zufolge Niels Borch Jensen, Anneli Fuchs, Michel Würthle sowie die Galeristen Anders Tornberg und Mikael Andersen anwesend. Alle sechs Mappen hätten eine persönliche Widmung erhalten sollen, Kippen­ berger bearbeitete aber letztlich nur die Edition IV/VI auf Johansens Nachfrage hin. 67 Im Folgenden beziehe ich mich, wo nicht anders gekennzeichnet, auf die Informationen aus dem Brief Johansens vom 01.08.2014. 68 Johansen berichtet, dass das Pendeln zwischen den Werkstätten organisatorischen Gründen geschuldet war, um die Wartezeit zwischen den Arbeitsgängen effektiv nutzen zu können. Zu den Motiven der Radierungen vgl. die Ölgemälde in Estate 2014, S. 386–393 (Burberrys) und S. 221–261 (Eiermann). 69 Das Verfahren geht zurück auf eine Entdeckung Alois Senefelders von 1798. Die Lithografie ermöglicht, gegenüber anderen Druckverfahren, die Erstellung farbiger Drucke in hoher Auflage. Das Verfahren wurde insbesondere zu kommerziellen Zwecken eingesetzt. Géricault begann schon 1817 mit der Erstellung von Lithografien. Die meisten Lithografien, wie zum Floß der Medusa und die sogenannte Suite Anglaise (engl. Titel: Various subjects drawn from life and on stone), sind bei seinem Aufenthalt in England entstanden, siehe hierzu u. a. Clément 1974, S. 205–222; Eitner 1972, S. 62; Eitner 1983, S. 228–233.

130 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

Federzeichnung der Meuterei von Géricault (Abb. 17) als Deckblatt ab. Damit wird erneut belegt, dass sich Kippenberger nicht ausschließlich mit dem Floß der Medusa beschäftigte, sondern auch mit anderen Werken Géricaults. In der Mitte des Buches steht gleich einer Widmung in fünf Sprachen (Englisch, Dänisch, Schwedisch, Spanisch, Deutsch) folgender Fünfzeiler in Prosa: Neulich war ich in Kopenhagen und habe Druck gemacht. Das Resultat sagt mir zu. Ich hoffe, Sie schliessen [sic] sich meiner Meinung an.70 Kippenbergers Anrede an den Leser liest sich wie der Auszug aus einem Brief des Künstlers an einen potentiellen Käufer oder Sammler. Wie beim Interview-Band B. Gespräche verwendet Kippenberger auch hier eine direkte Anrede an den Rezipienten und ein veraltetes, dadurch literarisch wirkendes Sprachregister, das mit dem Inhalt des Buchs ironisch kontrastiert, in dem Radierungen des Künstlers mit heruntergelassener Hose zu sehen sind. Das Cover des Buches, die Fotografie des Künstlers vor einer Druckerpresse mit seriöser Miene im Anzug, zu dem er Krawatte, Schal und Mütze im einheitlichen Burberry-Muster trägt, treibt diese Ironie weiter – denn 1996 gewann Kippenberger mit einem Anzug und Accessoires in einheitlichem Burberry-Muster einen „Bad Taste“-Wettbewerb im Burgenland.71 Die Ironie, die sich demnach hinter der Bekleidung verbirgt, die Kippenberger auf dem Buchcover zeigt, ist für den Betrachter nicht unbedingt ersichtlich beziehungsweise wird es erst durch genauere Kenntnis des Künstlers und seines Werks. Obwohl das Buch fünfzehn Lithografien enthält, waren ursprünglich nur vierzehn Motive angedacht. Die Lithografie L.14 ist ein zufällig entstandener Makulatur-Druck, der beim Anlaufen der Druckmaschine entstand. Ein erster Druck des Motivs der Litho­grafie L.5 wurde versehentlich auf dem gleichen Blatt erneut gedruckt, allerdings gedreht um 90 Grad. Die vier Arme der zwei Figuren bilden so ein Ornament, das an das Hakenkreuz erinnern kann.72 Auf Kippenbergers Vorschlag hin wurde dieses Motiv in einer Auflage von zehn Exemplaren gedruckt und mit römischen Ziffern versehen. Abfolge und Nummerierung der Blätter im Buch entsprechen folglich nicht ihrer chrono70 Martin Kippenberger, Prints: The Raft of Medusa: 15 Lithographs; 3 Air Blasters and Other Etchings, hg. von Hostrup-Pedersen & Johansen und Niels Borch Jensen, Kopenhagen 1997, Mittelteil Innenseite Umschlagklappe. Die Sprachen entsprechen den aufgeführten Galerien und Ausstellungsorten, nur Griechisch wurde scheinbar durch Englisch ersetzt. 71 Vgl. Estate 2014, S. 385. 72 So Peter Johansen in Referenz auf Kippenberger, siehe Johansen in einem Brief an die Verfasserin vom 01.08.2014.

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logischen Entstehung in der Druckerei, da die noch vor Druck entstandene Lithografie L.14 einige Seiten nach dem ursprünglich beabsichtigten Motiv von Lithografie L.5 abgebildet ist. Die Publikation der Blätter in Buchform und die Anregung zur Produktion durch andere Personen verbinden die Lithografien mit den Zeichnungen auf Briefpapier, deren Entstehung durch die Kuratoren von Memento Metropolis angeregt wurde. Auch die an Kritzeleien erinnernde Darstellungsweise korrespondiert mit den Zeichnungen und manche Lithografien entsprechen nahezu exakt ihrer zugehörigen Zeichnung (L.2, L.6, L.12). Johansen stellte auf Wunsch Kippenbergers eine trockene lithografische Zeichenkohle her, damit dieser in den Lithografien auch den gleichen Charakter wie in den Zeichnungen erzielen konnte. Nur in fünf Lithografien (L.2, L.6, L.10, L.12, L.14) hat sich Kippenberger auf die Zeichenkreide beschränkt. In den meisten Drucken schöpfte er auf experimentelle Weise die Möglichkeiten des Mediums aus. In vielen Blättern wandte er gleich mehrere Techniken und verschiedenes Zeichenmaterial an – erkennbar sind beispielsweise Wassertusche, chemische und mechanische Korrekturen oder auch der Einsatz zusätzlicher Farbplatten für die Farblithografien – so dass auch in den Lithografien ein Eindruck von Heterogenität entsteht. Vier Lithografien unterscheiden sich von ihren gezeichneten Vorlagen allein durch den Zusatz von Körperbehaarung (wie L.5) oder eines Hintergrundes aus Wassertusche (L.5, L.8, L.9). Einige Körper gestaltete Kippenberger noch fülliger als in den Zeichnungen, wie beispielsweise Lithografie L.5 im Vergleich mit Zeichnung D.15 zeigt. Die in den Lithografien dargestellten Körper entsprechen dadurch viel stärker den Figuren der Ölgemälde, an denen sich Kippenberger zusätzlich orientiert haben könnte. Dass er auch Semotans Fotografien zur Produktion heranzog, gibt eine Aufnahme zu vermuten, die Kippenberger bei der Arbeit in der Druckerei mit einer Medusa-Fotografie vor sich zeigt (Abb. 18). Die Lithografien sowie das Künstlerbuch weisen somit durch motivische Überladung, heterogene Darstellungsweise, karikaturale Verformungen des Körpers, der Verwendung von Werbematerial, der Ironie und der Geschmacksbrüche ebenfalls die Merkmale des „Strategischen Dilettantismus“ auf. Das Versehen der zufälligen Drehung und Doppelung eines Motivs in L.14 gliedert sich in die Gesamtheit der Drucke ein, da die Motive oftmals aus verschiedenen Verfahren der Wiederholung, wie Doppelungen oder Überblendungen, bestehen. Kippenbergers Interesse an solchen Verfahren findet sich im Werkkomplex in derart ausgeprägter Form nur hier und könnte in der Drucktechnik selbst begründet liegen, da durch die Technik das Motiv ohnehin gespiegelt wiedergegeben wird. Womöglich wurde Kippenberger hierbei auch von Géricault inspiriert, der nicht nur die Komposition vom Floß der Medusa letztlich spiegelte, sondern auch in seinen Studienblättern verschiedene Posen in Varianten wiederholt darstellte, wie beispielsweise bei der Figur des Vaters. In den Lithografien werden auch neue Motive eingeführt, die von anderen Werken Géricaults inspiriert zu sein scheinen, so dass eine kurze Beschreibung der einzelnen Blätter im Vergleich mit den Zeichnungen notwendig ist. Nur drei der Zeichnungen (D.7, D.12,

132 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

18 Martin Kippenberger bei der Arbeit an den Lithografien, Valby 1996.

D.19) wurden nicht in die Lithografien übertragen. Während die versehentlich entstandene Lithografie L.14 zweimal das gleiche Motiv gedreht zeigt, überblendet Kippenberger in L.3 und L.7 zwei unterschiedliche Zeichnungen miteinander (D.8 und D.13 in L.3, D.2 und D.18 in L.7). In L.7 sind zwei liegende Figuren zu sehen, deren Arme ineinander übergehen. In Lithografie L.3 werden zwei fast identische Rückenfiguren miteinander überblendet, die durch die Haltung der rechten Hand zu unterscheiden sind, und zusätzlich mit einer Darstellung von Schiffbrüchigen auf einem Floß im Hintergrund kombiniert. Die gedoppelte Rückenfigur im Vordergrund wendet sich mit erhobener linker Hand den Schiffbrüchigen zu, rechts von ihr befindet sich der Mast des Floßes mit Segel. Die Gruppe Schiffbrüchiger im Hintergrund scheint keine Notiz von der Rückenfigur zu nehmen, da am Horizont die Argus erscheint, auf die manche der Figuren zeigen. Diese Darstellung erinnert darin an Géricaults Zeichnung L’Argus en vue (Abb. 19), die zudem die gleiche Ausrichtung nach rechts (statt nach links wie die Komposition vom Floß der Medusa) aufweist. Die Doppelung der Rückenfigur erzeugt den Eindruck von Bewegung und verleiht ihr, über ihre prominente Stellung im Bildvordergrund hinaus, zusätzliche Dominanz. Obgleich die Argus eine eindeutige Referenz auf Géricaults Gemälde ist, gibt es keine Komposition bei Géricault, die ein derartiges Gegenüber zwischen einer Rückenfigur, die als Platzhalter für den Betrachter gelten kann, und den Schiffbrüchigen auf dem Floß darstellt.

Die (Selbst-)Bildnisse

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19 Théodore Géricault, Croquis pour le naufrage de la Méduse, Lille, Palais des Beaux-Arts.

In Lithografie L.4 stellt Kippenberger neben dem Selbstbildnis die Dreiergruppe um die Figur der Hoffnung (Figuren P, Q und R) vom Floß der Medusa dar und verwendet neben Zeichenkreide auch mit einem Pinsel aufgetragene schwarze Tusche. Die Figuren P und R sind durch ihre in der Luft wehenden Tücher erkennbar. Hinter dem Selbstbildnis sind die fünf Finger einer überdimensionierten linken Hand zu erkennen, weitere Details jedoch aufgrund der dicken, schwarzen Linien kaum zu entschlüsseln. Das Selbstbildnis im Vordergrund ist von diesem Motiv im Hintergrund wie von einer Aureole umgeben. Darüber hinaus experimentierte Kippenberger in diesem Blatt augenscheinlich mit Wassertusche und manuellen Abkratzungen mit Rasierklingen oder Spateln, wie kurze, diagonale Farbspuren zeigen, die vom An- oder Absetzen des Werkzeugs stammen dürften. Durch diese wild gesetzten Spuren verleiht Kippenberger der Lithografie Dynamik und macht wie in der Malerei die Bewegung der Künstlerhand bei der Herstellung sichtbar. Kippenberger führt auch neue Motive ein oder geht über den Géricault-Bezug hinaus. In Lithografie L.1 verwendet er zwei Drucksteine, von dem einer mit roter Wassertusche

134 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

bearbeitet ist und das Segel des Floßes mit dem dreieckigen Kompositionsschema zeigt. Dieses Motiv wird mit einem Selbstbildnis überlagert, das mit schwarzer Zeichenkreide in feinen Linien ausgeführt ist. Während in L.3 durch die Repoussoir-Figur eine Räumlichkeit angedeutet wird, werden hier zwei Motive ungeachtet eines räumlichen oder proportionalen Zusammenhangs miteinander überblendet. Die Pose der Figur mit ihren ausgestreckten Armen gleicht einem Gebetsgestus, so dass ihr Oberkörper ein Dreieck bildet und die Form des Segeltuchs wiederholt. Für die Lithografien L.11 und L.13 verwendete Kippenberger in der Druckerei zufällig entdeckte Drucksteine für Getränkeetiketten wieder, die er durch Ätzungen weiterbearbeitete und seinem Motiv anpasste. Nicht nur durch die Etiketten, sondern auch durch die mit ihren Händen signalisierenden Figuren erscheinen diese zwei Lithografien als Pendant zueinander.73 Die Etiketten von Bier und antialkoholischen Limonaden können als Anspielungen auf Kippenbergers Leben und seine Alkoholkrankheit verstanden werden. Da es sich um dänische Getränke (darunter Weihnachtsbier) und um dänische Weihnachtsgrüße („Glaedelig Jul“) handelt, bieten diese Lithografien darüber hinaus eine zeitliche und geografische Verortung und erzeugen wie das Briefpapier der Zeichnungen eine Verbindung von Werk und Leben. Der Einsatz von Werbemitteln steht in den Lithografien zusätzlich in Relation zur Geschichte des Mediums, das zur Verbreitung sowie Vermarktung eines Bildes genutzt wurde, wie auch in Géricaults Lithografien zum Floß der Medusa der Fall.

3.1.6 Die Widmungen an Peter Johansen Eine Besonderheit stellt die Edition IV/VI dar, die Peter Johansen als Schenkung vom Künstler erhielt und die sich heute in den Deichtorhallen Hamburg, Sammlung Falckenberg befindet. Auf die Bitte Johansens hin widmete Kippenberger ihm die Edition, wobei seine Widmungen aus witzigen bis obszönen Zeichnungen auf elf der fünfzehn Blätter bestehen (S. 135–142).74 In der ersten Lithografie fügte Kippenberger in einer Sprechblase in falscher Orthografie das Wort „HÜGELIK“ hinzu, dessen Bedeutung assoziativ in Bezug zur Dreiecksform des stark abstrahierten Segels im Hintergrund steht, das einem Hügel gleicht. Bei den Drucken L.2 und L.13 fügte er seinen Figuren zusätzliche Körperbehaarung und zwei zusätzliche Brustwarzen hinzu und entstellt seinen Körper so auf selbst­ ironische Weise weiter. Im dritten Blatt der Mappe windet sich eine Schlangenlinie wie ein Faden oder ein Wurm aus dem Ohr einer der gedoppelten Rückenfiguren und greift damit eine beliebte Form aus dem Œuvre auf, die in Medusa auch in Gemälde P.58 und in den Floß-Bildern auftritt. In der Lithografie wirkt diese Linie wie eine Wiederholung der 73 Die alten Drucksteine hatten das Format 35 × 25 cm und befanden sich in der Druckwerkstatt, vgl. Peter Johansen in einem Brief an die Verfasserin vom 01.08.2014. 74 ­Ausst.-Kat. Los Angeles 2008, S. 272–275.

Die (Selbst-)Bildnisse

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L.1 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 56 × 76,5 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

L.2 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 64,5 × 47,5 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

136 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

L.3 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 54 × 76 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

L.4 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 76,5 × 56 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

Die (Selbst-)Bildnisse

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L.5 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 51 × 65,5 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

L.6 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 76 × 56,5 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg /  Sammlung Falckenberg.

138 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

L.7 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 48 × 65 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

L.8 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 49,5 × 65 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

Die (Selbst-)Bildnisse

L.9 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 49,5 × 65 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

L.10 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 48,5 × 65,5 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

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L.11 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 53,5 × 42 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

L.12 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 49 × 60 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

Die (Selbst-)Bildnisse

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L.13 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 52,5 × 42 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

L.14 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie, 48,5 × 65 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

142 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

L.15 Martin Kippenberger, o. T. (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Lithografie mit Handzeichnung, 54 × 76,5 cm, Hamburg, Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg.

Schlangen­linie über der Argus am Horizont und stellt somit eine weitere Doppelung und mehrdeutige Form dar. Auch eines der Taue in Lithografie L.15 wird durch eine solche Form verlängert. In L.4 zeichnete Kippenberger einem der Schiffbrüchigen eine Zigarettenkippe in den Mund, wodurch er auf seinen Namen verweist und einen Bezug zu früheren Werken herstellt, in denen er seine Signatur durch einen Berg „Kippen“ ersetzte.75 Die Zigarette stellt aber auch einen persönlichen Hinweis auf sein Rauchen bei der Arbeit an den Lithografien in der Werkstatt dar.76 In Lithografie L.8 hält das Selbstbildnis zwischen Zeigefinger und Daumen eine runde Form, welche die Aufschrift „LSD“ trägt. Die Zeichnung verweist somit auf Kippenbergers Drogenkonsum und auf ein weiteres Künstlerstereotyp, das auf dem Einsatz bewusstseinserweiternder Rauschmittel für gesteigerte Kreativität besteht.77 Bei L.5 zeichnet Kippenberger seinem Selbstbildnis einen Gürtel um den Bauch, auf dem „5 von 6“ steht, wobei es sich um eine Note oder Platzierung handeln könnte. 75 Es handelt sich dabei um die Reihe Heavy Burschi (1990), siehe Schappert 1998, S. 9, Anm. 1. 76 Peter Johansen in einem Brief an die Verfasserin vom 01.08.2014. 77 Zum Drogenkonsum siehe Kippenberger 2010, S. 22.

Die (Selbst-)Bildnisse

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Ob damit der zweite oder vorletzte Platz gemeint ist, bleibt offen, allerdings sind beide Plätze weder im positiven noch negativen Sinne herausragend, sondern zweitrangig. Das Thema der Mittelmäßigkeit sowie der Bewertung bildet ein beliebtes Motiv im Œuvre des Künstlers.78 Die Lithografie L.7 trägt die Aufschrift „Dalí“, die wie eine Signatur erscheint und den Druck damit als das Werk eines anderen ausgibt. Woher diese Idee stammt, ist unklar. Susanne Kippenberger erwähnt Dalí in ihrer Biografie als Kontrastfigur zu Kippenberger, da sich Dalí das Bild vom gottgleichen Künstler zunutze machte, welches Kippenberger persiflierte.79 Mit der Signatur auf den Lithografien stellt sich Kippenberger gleichrangig mit zwei männlichen Meistern der Kunstgeschichte, Dalí und Géricault, dar. Auf dem Druck des neunten Blatts verleiht sich Kippenberger einen Heiligenschein und spielt so auf das Bild vom Künstler als Propheten und Märtyrer an, das durch den liegenden Akt in der Pose des toten Sohns (Figur C) verstärkt wird. Diese Intervention belegt, dass sich Kippenberger in Medusa mit der Rolle des Künstlers als Heilsbringer beschäftigte, der sich wie Christus für die Gesellschaft aufopfert. Der Vergleich mit Heiligenfiguren ist für Kippenberger nicht ungewöhnlich. So bezeichnete er sich, unter anderem aufgrund der Namensverwandtschaft, auch wiederholt als „Sankt Martin“.80 Die Lithografie L.10 datiert Kippenberger mit „Weihnacht 96“ und zeichnet ein winziges Geschenk dazu, darunter in Klammern der Kommentar „mehr Geld war nicht übrig“. Diese Beschriftung dient einerseits als Datierung und ist andererseits eine Anspielung auf die finanzielle Not des Künstlers und den vermeintlich geringen Wert der Drucke selbst, die nur ein „kleines“ Geschenk für Johansen darstellen. In Lithografie L.11 wird Johansen persönlich durch einen gezeichneten Zettel mit der Aufschrift „für Peter“ in der Hand des Selbstbildnisses adressiert. Zusätzlich bearbeitet Kippenberger die Figur, so dass es scheint als schnaube sie vor Erregung aus der Nase, darunter zu lesen ist „wie ein wilder Burberry Stier“. Dieser Kommentar belegt Kippenbergers Interesse am Burberry-Thema in dieser Zeit und stellt gleichzeitig eine witzig-ironische Bemerkung über die Virilität Kippenbergers („Stier“) dar. Durch das Motiv des Stieres wird ein Zusammenhang mit dem Topos der Männlichkeit im Werk und womöglich auch ein Bezug zur Selbstdarstellung Picassos hergestellt. Im Blatt L.12 fügt Kippenberger seinem Porträt am Auge eine Pupille und weitere Formen hinzu, die über Auge und Nase schweben. Dreht man das Blatt um 45 Grad im Uhrzeigersinn erweisen sich die Formen als unvollständige Darstellung einer Frauenfigur, von der nur ein offenes Auge, die Nase, der Mund, eine geschlossene Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger und die Brüste zu sehen sind; die eigentliche Silhouette fehlt. Durch das geöffnete Auge des Selbstbildnisses wird deutlich, dass Kippenberger mit der Mehrdeutigkeit der liegenden Posen spielt. Eines der Augen erscheint geöffnet und 78 Kippenberger bezeichnete sich als „Erster unter den Zweitklassigen“, siehe Kippenberger, B. Gespräche, 1994, S. 139; zuvor spricht sich Kippenberger gegen Mittelmäßigkeit aus, ebd. S. 80. Siehe auch Kippenberger 2010, S. 539. 79 Vgl. Kippenberger 2010, S. 539. 80 Siehe ebd., S. 547 oder Kippenberger, B. Gespräche, 1994, S. 32, S. 113.

144 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

suggeriert daher, dass es sich nicht um eine tote oder sterbende Figur handelt, sondern um einen sich ausruhenden Kippenberger. Die Andeutung der Frauenfigur wirkt wie ein Traumbild. In L.13 notiert Kippenberger unter dem Selbstbildnis die Worte „Behartes Arschloch“ und fügt seinem dargestellten Körper weitere Körperbehaarung hinzu, die wie Borsten vom Körper abstehen. Durch die Körperbehaarung stellt sich Kippenberger gleichsam als „Schwein“ dar, eine Metapher, die synonym zu seiner Beschriftung als eines schlechten Menschen verwendet werden kann. Der schlechte Charakter spiegelt sich im „unschönen“ Äußeren wider. Der Schreibfehler von „behaart“ entwertet das Blatt über seinen Inhalt hinaus. Die Widmungen wirken durch ihren provokativen Inhalt sowie ihre nachlässige Erscheinung herabsetzend. Johansen nahm diese Eingriffe zunächst auch als Verunstaltungen wahr. Kippenberger entgegnete Johansen daraufhin, dass diese Blätter aufgrund seiner Eingriffe einmal mehr wert sein würden. Durch die scheinbaren „Kritze­leien“ auf den Blättern erzielt Kippenberger infolge der ästhetischen und ethischen Herab­setzung eine Steigerung des monetären wie ideellen Werts dieser Blätter, macht die Lithografien zu Unikaten und gibt ihnen zusätzliche Bedeutungen. Kippenbergers Vorgehen und die Produktivität der Ästhetik des Scheiterns zeigen sich anhand dieser Edition eindrücklich.

3.2 Das Floß-Motiv Neben den Selbstbildnissen stellen die Floß-Darstellungen den zweiten großen Motivkomplex der Auseinandersetzung mit dem Floß der Medusa dar. Die Gruppe besteht, abgesehen von dem in vier Farbvarianten konzipierten Teppich (S. 147 und 158–159), aus acht Gemälden (S. 165–168), einer Zeichnung (D.5, S. 159) und einer Lithografie (L.15, S. 158). Wolrad Specht, Inhaber der Teppichmanufaktur Magma Design, berichtet, Kippenberger habe den Teppich Ende 1995 oder Anfang 1996 in Auftrag gegeben.81 Die Zeichnung D.5 entstand vermutlich zur gleichen Zeit wie die anderen Zeichnungen im Frühjahr 1996 und die Lithografie L.15 sicher im November des gleichen Jahres. Die acht Gemälde mit dem Floß-Motiv malte Kippenberger wahrscheinlich erst im Anschluss an die Selbstbildnisse, da er diese Bilder im Interview mit Baumann nicht erwähnt. Zudem kann eine formale Verwandtschaft mit den Mustern der später entstandenen Reihe Burberry meets Burlington verzeichnet werden. Diese Abfolge entspricht auch der Aufführung der Gemälde im Werkverzeichnis. Hieraus ergibt sich eine Chronologie für die motivische Gruppe, die mit der Auftragserteilung für den Teppich im Winter beginnt, dann folgt die Zeichnung im Frühjahr und schließlich im Spätjahr 1996 die Lithografie sowie vermutlich die Gemälde.82 81 Wolrad Specht im Telefongespräch mit der Verfasserin am 02.02.2015. 82 Siehe Estate 2014, S. 385–393, MK.P 1996.92–MK.P 1997.03.

Das Floß-Motiv

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Das Vorbild des Motiv-Komplexes geht nicht mehr auf Géricault zurück, sondern auf einen Plan des Floßes, welcher der ersten Ausgabe des Berichts zusammen mit einer detaillierten Beschreibung der Konstruktion im Text 1817 beigefügt wurde (Abb. 20).83 Die Zeichnung wird dem Ingenieur Alexandre Corréard (1788–1857) zugeschrieben und diente als Grundlage für einen Stich.84 Corréard war Teil der Expedition in den Senegal und blieb nach dem Auflaufen der Medusa auf der Sandbank mit der Besatzung auf dem Floß zurück anstatt Rettung in einem der Boote in Anspruch zu nehmen. Zusammen mit seinem Schicksalsgenossen Henri Savigny befand sich Corréard unter den fünfzehn Schiffbrüchigen, welche die Argus lebend bergen konnte. Mit der Ansicht des Floßes unterstrich Corréard die dokumentarischen Absichten seines Berichts, der mit einer „plume guidée par la vérité“85 verfasst sei und erhebt einen Anspruch auf Wirklichkeitstreue, Eindeutigkeit und Objektivität. Der Ingenieur erfasste in der Tat nicht nur die Maße des Floßes oder die Platzierung der Weinfässer, sondern erstellte eine regelrechte Bauzeichnung, welche die Konstruktion mit Nägeln und Tauen sowie die unterschiedlichen Elemente durch Schraffuren genau darstellt. Die Detailtreue wurde 2014 auf die Probe gestellt, als das Marinemuseum in Rochefort Corréards Plan nutzte, um das Floß mit der Unterstützung verschiedener Experten tatsächlich nachzubauen.86 Dieser Nachbau, der im Innenhof des Museums ausgestellt wird, macht die gewaltige Größe des Floßes mit 20 × 7 m nachvollziehbar, die in Corréards Darstellung, entgegen der Absichten das Ereignis anschaulich zu machen, gerade nicht deutlich wird. Die Planken wirken auf dem kleinen Stich schmal und filigran und die Darstellung ist wenig plastisch mit geringer Tiefenwirkung. Die Spannung und Kräfte, welche die Taue und Nägel aushalten mussten, ist nicht ersichtlich und die Seilenden sind schlangenförmig dargestellt, als würden sie locker im Wasser treiben. Die einzelnen Elemente des Holzgerüsts, wie die Mastbäume, waren tatsächlich von einer solchen Größe, dass viele Menschen zwischen den übereinander gelagerten Hölzern eingeklemmt wurden und ertranken. Das Floß, das eigentlich das Überleben der Schiffbrüchigen sichern sollte, wurde für viele zum Verhängnis. Ebenso wie Géricaults Floß der Medusa stellt auch das Floß von Corréard ein ambivalentes Zeichen dar, das sowohl für die Errettung als auch den Untergang stehen kann. Kippenberger war dieser Stich bekannt, da dieser nicht nur in der du abgebildet war, sondern auch als Coverbild des Einlegers im Beiheft zur Kopenhagener Ausstellung ­Memento Metropolis verwendet wurde.87 Géricault ist bei dieser Motivgruppe für Kippenberger nur insofern noch Vorbild, da auch er sich bei seinen Recherchen auf Darstellungen des Floßes stützte. Géricault arbeitete mit einem Modell des Floßes, das der 83 Bazin 1994, S. 89ff. 84 Corréard/Savigny 2005, S. 65–82. Siehe Wedekind 2008, S. 89, Anm. 160. 85 Corréard/Savigny 2005, S. 65. 86 Zu sehen im Dokumentarfilm La véritable histoire du radeau de la Méduse (ARTE France/Grand Angle Productions, 90 min., Frankreich 2014; Regie: Herlé Jouon). 87 Siehe Zeitschrift du 1994, S. 20 und den Einleger in Flindt/Rafn/Skriver, ­Ausst.-Heft, 1996.

146 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

20 Alexandre Corréard, Plan du radeau de la Méduse au moment de son abandon, Paris, Bibliothèque nationale de France.

Das Floß-Motiv

C.2017 Martin Kippenberger, Radeau de la Meduse, 1996/2017, Schurwolle (gelb und grau), handgetuftet von Wolrad Specht, magma-design, Wuppertal, 250 × 440 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

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148 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

Schiffszimmermann der Medusa angefertigt hatte. Er platzierte darauf Wachsfiguren und näherte sich mithilfe des Modells der Perspektive eines Augenzeugen an.88 In Géricaults Studien taucht das Floß als Motiv aus unterschiedlichen Perspektiven wiederholt auf. Für seine finale Komposition wählte er letztlich eine Ansicht quer über das Floß von der linken unteren Ecke aus, so dass im Wasser noch die U-förmige Gabel eines der zwei Mastbäume zu sehen ist.89 Die linke Ecke wird im Bildvordergrund abgeschnitten und verläuft in Diagonalen quer auf den Betrachter zu. Dadurch entsteht für den Betrachter der Eindruck der Teilhabe am Geschehen. Die Gefahr, die das Floß barg, wird von ­Géricault ebenfalls dargestellt. So ragt beispielsweise von Figur A nur der leblose Torso aus den Planken hervor, während die Beine wohl im Floß unter Wasser eingeklemmt sind. Die Unkontrollierbarkeit und Monumentalität des Floßes werden dadurch augenscheinlich, dass sich das gesamte Gerüst dem Blick des Betrachters entzieht und das Floß anstatt auf die Rettung verheißende Argus auf eine hohe Welle zugetrieben wird, die es zu überspülen droht. Obwohl die Rekonstruktion Corréards eine größere Nähe zur Wirklichkeit aufweist, vermag die Malerei Géricaults dem Betrachter die Konstruktion in ihrer Größe, Unkontrollierbarkeit und Ambivalenz tatsächlich vor Augen zu führen. Im Gegensatz zu Géricault beschäftigt sich Kippenberger mit diesem Motiv weitgehend unabhängig von den Figuren. Ein einziges Mal taucht die Andeutung eines Floßes, die jedoch mehr einer Pritsche gleicht, in den gemalten Selbstbildnissen auf (P.65). Während das abstrahierte Motiv in diesem Selbstbildnis die Funktion verfolgt, an das Sujet des Schiffbruchs und das Vorbild der gesamten Werkgruppe zu erinnern, verwendet Kippenberger die Darstellung in einigen Werken als eigentliches Bildmotiv, dem er fast ebenso viel Bedeutung beimisst wie der Darstellung der Schiffbrüchigen. Denn auch diese Darstellung von Corréard wird von Kippenberger zu einer Vielzahl an Werken dekonstruiert, die unterschiedliche Bedeutungen tragen. Stärker als bei den Selbstbildnissen erweisen sich in diesen Werken die medialen und technischen Unterschiede zwischen Teppich, Handzeichnung, Druck und Malerei als ausschlaggebend für die Bedeutung der Darstellungen.

3.2.1 Der Teppich Bei der Ausstellung anlässlich des Käthe-Kollwitz-Preises 1997 in Berlin wurde der getuftete Teppich aus pastellfarbener, grüner und brauner Schurwolle auf einem Podest zwischen den Selbstbildnissen ausgestellt (C.1996, S. 158–159). Der Teppich hat eine Länge von 440 cm und ist 250 cm breit. Der Auftrag zur Herstellung mit den Vorgaben zu Farbe und Motiv erging durch Gisela Capitain 1995/96 an Wolrad Specht, dem Inhaber der 88 Zum Floß-Modell, siehe Clément 1974, S. 130. 89 Bazin 1994, S. 53.

Das Floß-Motiv

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Wuppertaler Teppichmanufaktur Magma Design.90 Specht kommunizierte während seiner Arbeit mit Kippenbergers Assistenten Johannes Wohnseifer. Er erhielt die erwünschten Farbtöne per Computerausdruck und ließ daraufhin das Garn bei einem Färber anfertigen. Seine motivische Vorlage war eine Kopie der Rekonstruktionsansicht. Die Maße des Teppichs resultieren aus der Vergrößerung der Fotokopie unter einem Episkop. Specht übertrug das Motiv so exakt, dass sogar die Tonerflecken der Kopiervorlage im Teppich dargestellt werden. Wohnseifer zufolge sollte der Rahmen des Stichs dem Teppichrand entsprechen und nur die Darstellung des Floßes innerhalb des Rahmens (nicht die Bildunterschrift oder der Rahmen selbst) in den Teppich übertragen werden. Der pastellfarbene Teppich ist also Träger der in braunem Garn ausgeführten, zweidimensionalen Darstellung und bildet mit seiner Form nicht selbst ein Floß. Durch die Kopie und Vergrößerung der Vorlage erfährt das Motiv eine derartige Verfremdung, dass alle Linien in Bildpunkte aufgelöst erscheinen, so dass die Darstellung eine stärker grafische, schematische Qualität erhält. Von der Materialität der Holzplanken und Taue sowie von der Klarheit und Eindeutigkeit der Darstellung bleibt nichts mehr. Allerdings kann durch die verschwommenen Konturen und die blasse Farbe der Eindruck entstehen, das Teppich-Floß befinde sich „wie unter einem unbewegten Wasserspiegel“91, so dass durchaus ein Bezug zum Schiffbruch gesehen werden kann. Im Frühjahr 2013 erhielt Wolrad Specht von Gisela Capitain im Sinne des Vermächtnisses Kippenbergers den Auftrag, den Teppich in drei weiteren Farbvarianten herzustellen. Diese Varianten finden erstmals 2014 im Katalog der Skarstedt Gallery Erwähnung.92 Die Farben der drei weiteren Teppiche sollen grün-beige, altrosa und gelb auf verschiedenen Grau-Tönen sein. Der gelbe Teppich (C.2017, S. 147) wurde 2019 in Bonn erstmals ausgestellt.93 Die Ausführung des ursprünglichen Teppichs von 1996 erfolgte verstärkt mit einer Pistole, um die Linien zu ziehen.94 Der erste Teppich konnte daher in etwa neun bis zehn Monaten fertig gestellt werden. Die folgenden Teppiche führt Specht primär manuell aus und benötigt dementsprechend eine längere Arbeitszeit.95

90 Die Informationen zum Produktionsprozess gehen zurück auf ein Telefongespräch zwischen Wolrad Specht und der Verfasserin am 02.02.15. 91 Ohrt, Einleitung, 1997, S. 17. 92 Siehe ­Ausst.-Kat. New York 2014, S. 118. 93 Siehe ­Ausst.-Kat. Bonn 2019. 94 Beim Tufting wird das Garn nach dem Prinzip einer Nähmaschine von der Rückseite her in einen Träger eingearbeitet. Dabei kann eine Garnpistole eingesetzt werden, die Produktion kann aber auch vollständig maschinell oder manuell erfolgen. Vgl. zum Beispiel Cécile Godefroy, „Glossaire technique“, in: Decorum. Tapis et tapisseries d’artistes, hg. von Anne Dressen, ­Ausst.-Kat. Paris, Musée d’A rt moderne de la Ville de Paris, 2013, Paris 2013, S. 198–218, hier S. 218. 95 Wolrad Specht beschreibt, dass er seine Technik durch andere Aufträge, darunter fotorealistische Darstellungen für Albert Oehlen, immer weiter verfeinert habe. Erschwert werde die Arbeit am Medusa-Teppich, da das Motiv aufgrund der aufgelösten Konturen über keine geraden Linien verfüge und daher eine hohe Konzentration erfordere. Wolrad Specht im Gespräch mit der Verfasserin am 02.02.15.

150 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

Die Gründe, die Kippenberger dazu bewogen, die Produktion eines Teppichs zu veranlassen, sind unbekannt.96 Womöglich entstand die Idee aus dem Kontext der Einzel­ ausstellung Vergessene Einrichtungsprobleme in der Villa Hügel, die zur gleichen Zeit wie die Ausstellung Memento Metropolis vom 27.10.–08.12.1996 in der Villa Merkel in Esslingen am Neckar stattfand und bei der sich Kippenberger mit Inneneinrichtung und Design beschäftigte.97 Kippenbergers Interesse an Teppichen in ihrer Funktion als Design- beziehungsweise Einrichtungsobjekte bestand allerdings schon früher.98 Der Zeitpunkt und die Entstehungsumstände der ersten Textilarbeiten sowie der Bestand an textilen Arbeiten im Œuvre sind bisher nicht zweifelsfrei erfasst. Kippenbergers bekannteste textile Kunstwerke stellen die Toilettenvorleger mit Ausschnitt von 1990 dar, die im Werkverzeichnis der Multiples von 2003 abgebildet sind (Abb. 21–23).99 Im Katalog zur Ausstellung The Problem Perspective ist ein solcher Vorleger, seiner Funktion nachkommend, vor einem WC in der Wohnung Kippenbergers fotografiert worden.100 Die Vorleger sind für die Ausstellung Eine Handvoll vergessener Tauben in der Galerie Grässlin-Ehrhardt in Frankfurt am Main von Sabine Grässlin hergestellt worden. Drei unterschiedliche ­Motive

96 Wolrad Specht zufolge entstand der Teppich nicht für die Berliner Ausstellung. Der Preisträger war im Winter auch noch nicht bekannt gegeben. Wolrad Specht im Gespräch mit der Verfasserin am 02.02.15.  97 Ein konkreter Bezug zum Textilen besteht durch die Geschichte der Villa Merkel, die für den Textilindustriellen Oskar Merkel Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurde. Die Firma Merkel & Kienlin produzierte bis in die 1960er Jahre „Esslinger Wolle“. Siehe zur Geschichte des Museums Villa Merkel, Galerien der Stadt Esslingen am Neckar: „Villa Merkel“, in der Rubrik Über uns, Esslingen am Neckar 2012–2018, URL: https://www.villa-merkel.de/index.php?id=41 (13.05.2018). Im Katalog zur Ausstellung Martin Kippenberger. Vergessene Einrichtungsprobleme in der Villa Hügel (Villa Merkel), hg. von Renate Damsch-Wiehager, ­Ausst.-Kat. Esslingen, Villa Merkel, Galerie der Stadt Esslingen am Neckar, 1996, Ostfildern-Ruit 1996 sind unter anderem Zeichnungen zu sehen, die den Stempel The Happy End of Franz Kafka’s „Amerika“ tragen, so dass auch eine Verbindung zur Installation besteht. 98 Eine wissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema steht noch aus. Neben Kippenberger nutzten auch Künstler wie Rosemarie Trockel oder Albert Oehlen das Medium. Die Verbindung des Interesses dieser Künstler am Teppich wäre zum Beispiel im Kontext der Pattern & Decoration-Bewegung aus den USA, aber auch in Bezug zu Sigmar Polke zu untersuchen, der Teppich- und Tapetenmuster in seine Malerei aufnahm und damit das Spießbürgertum und die kleinbürgerliche Gesellschaft vorführte, zum Beispiel in der Werkreihe Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen (1972–76), siehe Sigmar Polke: Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Die 1970er Jahre, hg. von Petra Lange-Berndt und Dietmar Rübel, Hamburger Kunsthalle, 2009, Köln 2009. Auch im Neuen Deutschen Design war die Verwendung von Teppichen nicht ungewöhnlich und Ausstellungen wurden dem Medium gewidmet, siehe Schrill Bizarr Brachial. Das Neue Deutsche Design der 80er Jahre, hg. von Tobias Hoffmann und Markus Zehentbauer, ­Ausst.-Kat. Berlin, Bröhan-Museum, 2014, Köln 2014, S. 166, S. 129. 99 Siehe ­Ausst.-Kat. Braunschweig 2003. Neben den Toilettenvorlegern (Nr. 34–36, ebd. S. 68–73) ist noch eine weitere Textilarbeit als Ready-Made mit dem Titel Tentative allemande de ne pas effacer la Memoire de Chat ­Baker (1990, Auflage von sieben, Nr. 54, ebd. S.97) erfasst: Es handelt sich dabei um drei kleinere Teppiche mit BMW-Logo auf Podesten, über welchen Kehrbesen hängen. Das Multiple wurde von der Galerie Samia Saouma in Paris herausgegeben und dort auch ausgestellt (In and out carnations, 1990). Der Medusa-Teppich ist in diesem Werkverzeichnis nicht aufgeführt, vermutlich weil der Teppich erst seit 2013 als Multiple produziert wird. 100 ­Ausst.-Kat. Los Angeles 2008, S. 16.

Das Floß-Motiv

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21 Martin Kippenberger, Goethestadt, 1990, Wolle, 67 x 65 x 2 cm, 8 Exemplare und 1 e.a., ausgeführt von Sabine Grässlin, St. Georgen, hg. von Galerie Grässlin-Ehrhardt, Frankfurt am Main, Standorte unterschiedlich, zum Teil in Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

wurden in ­einer Auflage von je acht Stück produziert, wobei jeder Vorleger in anderer Farbkombination ausgeführt wurde, wie es auch für die Medusa-Teppiche vorgesehen ist. Die drei Motive sind: der Schriftzug „Goethestadt“ umgeben von Wellen (Abb. 21), ein Patchwork-Muster mit dem Begriff „New Age“ (Abb. 22), eine Bezeichnung für die esoterische und von östlichen Religionen inspirierte Bewegung der 1970er Jahre, und passend dazu das Yin-Yang Zeichen (Abb. 23), das jedoch durch ein drittes Kreissegment ad absurdum geführt wird. Der Name „Goethestadt“ ist wiederum eine Referenz auf Frankfurt am Main, wo die Werke ausgestellt wurden und Kippenberger zu dieser Zeit lebte. Die Motive fallen ebenso wie der Toilettenvorleger als Einrichtungsgegenstand in den Bereich des Kitsches. Gerhard Schulz untersucht die Tendenzen zum Kitsch und die damit verbundene Spießigkeit in Deutschland in seiner kultursoziologischen Untersuchung aus dem Jahr 1992. Diese alltagsästhetische Tendenz bezeichnet er mit dem Begriff „Trivialschema“.101 Da im Trivialschema „nicht das Neue, sondern das Altgewohnte“ gesucht werde, erkennt Schulz darin den Ausdruck einer Sehnsucht nach Harmonie und 101 Gerhard Schulz, Die Erlebnisgesellschaft: Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt am Main und New York 1992, S. 150f.: „In der Gegenüberstellung von Kunst und Kitsch ist die Annahme enthalten, daß der hohen Kultur eine niedere gegenüberstehe, dem ästhetischen Anspruch die vergnügungsorientierte Anspruchslosigkeit, der individuellen Kultiviertheit der Massengeschmack. […] Zum hochkulturellen Prinzip der Variation elaborierter formaler Strukturen finden wir hier das Gegenprinzip: die Wiederholung des Schlichten. Man sucht nicht das Neue, sondern das Altgewohnte.“

152 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

22 Martin Kippenberger, New Age, 1990, Wolle, 53 x 53 x 2 cm, 8 Exemplare und 2 e.a., ausgeführt von Sabine Grässlin, St. Georgen, hg. von Galerie Grässlin-Ehrhardt, Frankfurt am Main, Standorte unterschiedlich, zum Teil in Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Sicherheit, die sich in der Zuwendung zur Gemütlichkeit erfüllt.102 Die Toiletten­vorleger entsprechen dem Trivialschema, wie von Schulz definiert, da die Vorleger für warme Füße sorgen und damit zur Gemütlichkeit im Heim beitragen. Die Motive zu Esoterik und nationaler Identität beziehungsweise Heimat kommen zudem der Sehnsucht nach Harmonie und Sicherheit nach.103 In den Toilettenvorlegern fallen darüber hinaus dem Massengeschmack nachkommende Ware, wie sie im Souvenirhandel zu finden sein könnte, und hohe Kunst zusammen. Einerseits karikiert Kippenberger durch ironische Übertreibung und die Gebrauchsfunktion der Vorleger das „Trivialschema“. Andererseits erweisen sich die Multiples aufgrund ihrer vermeintlichen Trivialität als Persifla-

102 Gemütlichkeit bezeichnet bei Schulz „[d]as schöne Erlebnis im Trivialschema“. Nur der WC-Deckelbezug und der gehäkelte Klopapierhut fehlen noch, um das Bild der spießbürgerlichen Toilette zu vervollständigen. Vgl. zum Thema Gemütlichkeit auch Brigitta Schmidt-Lauber, Gemütlichkeit. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung, Frankfurt am Main und New York 2003. 103 Kippenbergers Interesse am „Kitsch“, von dem er in B. Gespräche wiederholt spricht, und seine Zuwendung zu Motiven, die mit dem deutschen Kleinbürgertum assoziiert sind, wie zum Beispiel Gartenzwerge (siehe ­Ausst.-Kat. Braunschweig 2003, Nr. 85, S. 135) oder Kanarienvögel (Krieg, böse), sind in seinem Œuvre unbestreitbar. Kippenberger, B. Gespräche, 1994, zum Beispiel S. 19, S. 52, S. 187. Wenn Kippenberger von Kitsch spricht, bezieht er diesen Begriff jedoch stärker auf eine gefällige Qualität der Bilder. Zum Beispiel Picassos Werk oder die Reihe Heavy Burschi bezeichnet Kippenberger als Kitsch. Vgl. zu den Kitsch-Motiven aus kultursoziologischer Perspektive auch Schulz 1992, S. 150.

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23 Martin Kippenberger, Ying und Yang, 1990, Wolle, 53 x 53 x 2 cm, 8 Exemplare und 1 e.a., ausgeführt von Sabine Grässlin, St. Georgen, hg. von Galerie Grässlin-Ehrhardt, Frankfurt am Main, Standorte unterschiedlich, zum Teil in Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

gen des „Hochkulturschemas“104 (Schulz‘ Gegenentwurf zum „Trivialschema“). So wurden die Multiples nicht für den Gebrauch, sondern für eine Galerie-Ausstellung angefertigt und dort auf Wandträgern präsentiert.105 Die Toilettenvorleger unterwandern damit die Tradition des Bildteppichs von mittelalterlichen Tapisserien bis zum avantgardistischen Bauhaus.106 Kunst und Kitsch werten sich gegenseitig auf und ab und Wertvorstellungen beziehungsweise alltagsästhetische Schemata werden durch ihre Dialektik im Werk ironisch gebrochen und hinterfragt. Insbesondere aufgrund ihrer Gebrauchsfunktion, welche den Kunstwerken buchstäblich einen Platz in der Toilette zuweist, hinterfragen diese Arbeiten auch Wertvorstellungen in Bezug auf Kunst und ihre Überführung in den Alltag.

104 Schulz 1992, S. 142ff. Die verschiedenen Schemata schließen sich für Schulz nicht gegenseitig aus. 105 Vgl. Sanchez 2016, S. 33, Anm. 44. Eine Abbildung der Ausstellungsansicht findet sich im ­Ausst.-Kat. Los Angeles 2008, S. 170. Auf solchen Wandträgern wurden ein Jahr zuvor die Zeichnungen aus der Input/ Output-Reihe bei Gisela Capitain präsentiert. 106 Vgl. zum Medium „Teppich“ zum Beispiel Decorum. Tapis et tapisseries d’artistes, hg. von Anne Dressen, ­Ausst.-Kat. Paris, Musée d’A rt moderne de la Ville de Paris, 2013, Paris 2013; Kunst & Textil, Stoff als Material und Idee in der Moderne von Klimt bis heute, hg. von Markus Brüderlin, Hartmut Böhme und Magdalena Abakanowicz, ­Ausst.-Kat. Wolfsburg und Stuttgart, Kunstmuseum Wolfsburg, 2013, Staatsgalerie Stuttgart, 2014, Ostfildern 2013. Die Tradition der Teppichkunst, das Medium des Teppichs als Bilderfahrzeug oder die geschlechtsspezifischen Konnotationen des textilen Handwerks spielen hier augenscheinlich keine dominante Rolle.

154 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

Ein ästhetischer Genuss wird durch die Erinnerung an den Toilettengang von vornherein vermindert und ein Gebrauch würde einer Entwertung der Kunstwerke gleichkommen.107 Diese Ausführungen zu den Vorlegern wurden deswegen erbracht, da der Medusa-Teppich ebenfalls als Persiflage des deutschen Trivialschemas aufgefasst werden kann. Nicht nur das Medium Teppich und seine Alltagsfunktion, sondern auch die „Farbkombinationen aus braun, beige, grün, oliv, bonbonrosa und hellblau“108 entsprechen dem kleinbürgerlichen Trivialschema nach Schulz. Das Festhalten an Altem spiegelt sich in der Zuwendung zur traditionellen, manuellen Handwerkskunst, die im Zeitalter der neuen Medien rückschrittlich und fast schon fortschrittsfeindlich erscheint.109 Dadurch entsteht eine weitere Analogie zum historischen Schiffbruch, der als Folge einer Rückkehr zu überkommenen Gesellschaftsstrukturen angesehen werden kann. Da das Motiv allerdings nicht dem Massengeschmack entstammt, sondern, im Gegensatz zu den Vorlegern, durch Géricault in Bezug zum „Hochkulturschema“ steht, treten erneut Trivial- und Hochkulturschema in ein dialektisches Bezugsverhältnis von Auf- und Abwertung. Eine persiflierende Wirkung erhält der Medusa-Teppich allein aufgrund seiner Darstellung eines Floßes aus Wolle, welches im Wasser sofort sinken würde. Diese offenbar falsche, ungeschickte Wahl des Mediums für das Motiv ist wiederum ein Merkmal des „Strategischen Dilettantismus“. Durch den Teppich wird zugleich die Metapher des Schiffbruchs in die private Wohnung überführt, die zum neuen Schauplatz des Existenzkampfes wird, wie bereits in den Medusa-Fotografien festgestellt wurde. Durch ein Betreten des Teppichs wird der Betrachter in die Rolle eines Schiffbrüchigen versetzt und über das Motiv des Floßes täglich mit einer Katastrophe konfrontiert.110 Das ungemütliche Motiv einer Tragödie steht so im Gegensatz zur gemütlichen Wirkung eines Teppichs. Die Ambivalenz des Floßes, das sowohl Rettung als auch Untergang bedeutet, wird beim Teppich in den Kontrast von Motiv und Medium überführt. 107 Kippenberger stellt sich damit in die Tradition Marcel Duchamps: Auch Fountain war als Pissoir eine zu Kunst deklarierte Industrieware und brachte die Toiletten-Ausstattung in den Museumsraum. Im Unterschied zu Duchamps Ready-Made fertigt Kippenberger jedoch ein Multiple speziell für die Toilette an und führt das Kunstwerk zurück in den Alltag. Der Weg geht also weg vom Museum zurück in den Alltag. Vgl. hierzu auch Schappert 1998, S. 117–120. Sanchez erkennt die Verbindung von Kunst und Leben durch die implizierte Dialektik von Ausscheiden (Output als Kreation aber auch Urinieren) und Aufnehmen (Input als Inspiration und Trinken), die in diesen Kunstwerken zusammenfallen, siehe Sanchez 2016, S. 33 108 Schulz 1992, S. 150. 109 Vgl. im Kontrast zum Beispiel Post Human, neue Formen der Figuration in der zeitgenössischen Kunst, hg. von Jeffrey Deitch, ­Ausst.-Kat. Lausanne et al., FAE Musée d’A rt Contemporain Pully/Lausanne, 1992, Castello di Rivoli Torino, 1992, Deste Foundation for Contemporary Art Athen, 1992, Deichtorhallen Hamburg, 1993, Pully/Lausanne 1992. 110 Die Bemerkungen Renate Puvogels und Rachel Kushners über den Teppich, der die Autorinnen an einen magischen, fliegenden Teppich denken lässt, sind zwar in Bezug zum orientalischen Märchen abwegig, können jedoch als Beleg dafür stehen, dass der Teppich den Betrachter zumindest in der Vorstellung zum Betreten oder zum darauf Platznehmen einlädt. Kushner 2014, S. 9 äußert sich folgendermaßen: „The rug sits on a low pedestal, itself a kind of raft, or maybe a magic carpet, offering journeys to hell“. Puvogel 1997, S. 9 schreibt, Kippenberger habe das „schwimmende Floß aus Holz durch einen (fliegenden) Woll-Teppich ersetzt“.

Das Floß-Motiv

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Wie bei den Vorlegern bedeutet ein Betreten eine Entwertung des Kunstwerks, da dieses buchstäblich „mit Füßen getreten“ und dabei beschmutzt oder sogar zerstört werden könnte. Gleichzeitig erhält Kippenbergers Floß-Teppich eine vergleichbare Funktion zum gemalten Floß in Géricaults Komposition, da durch beide Floß-Darstellungen der Betrachter zur Teilhabe am Geschehen gebracht wird. Durch Farbe und Gebrauchsfunktion wird das Motiv dem kleinbürgerlichen Massengeschmack einverleibt und dabei gleichzeitig die Rückschrittlichkeit des Kleinbürgertums und das Festhalten an „Altgewohntem“ ironisiert. Kippenberger verleiht auf diese Weise einer dokumentarischen Darstellung neue Bedeutung und etabliert eine weitere Analogie zu Géricaults Arbeitsprozess, der ebenfalls wahrheitsgetreue Recherche und gestalterische Freiheiten miteinander vermischte, um dadurch wiederum dem Betrachter die Wirklichkeit anschaulich vor Augen zu führen. Kippenbergers Teppich überführt das Floß in die Alltagswirklichkeit des Betrachters. In den Ausstellungen wurde der Medusa-Teppich auf einem niederen Podest präsentiert, das in der Form variierte.111 Durch die Präsentation der Selbstbildnisse um den Teppich herum wird er zum verbindenden Element, durch das gewissermaßen alle Werke miteinander zentral verknüpft wurden.112 Da der Teppich selbst aus einem Netz zusammengeknüpfter Fäden besteht und das Motiv gleichzeitig ein Gitternetz aus Holzbrettern ist, spielt das Werk auf mehrfache Weise auf das Thema Vernetzung an. Kippenberger greift diesen Topos explizit 1996 im Werk Spiderman-Atelier und zuvor in den Installa­tionen Metro-Net (begonnen 1993) auf. Mit diesen Werken vermittelt er, dass die (Super-)Macht des Künstlers im Spinnen von Netzen, im Erzeugen und Aufweisen von Verbindungen und Zusammenhängen besteht.113 Kippenberger rekurriert damit gleichzeitig auf die neue Ökonomie am Ende des 20. Jahrhunderts, in der Erfolg nicht mehr (allein) durch handwerkliches Können, sondern durch die Positionierung und die Kontakte eines Menschen entsteht.114 Nicht nur inhaltlich, auch produktionstechnisch erweist sich Kippenberger als Networker. Bei der Produktion des Medusa-Teppichs delegierte er den Auftrag an seinen Assistenten und griff weder in Motiv noch Produktion ein, trat nicht einmal selbst mit ­Wolrad Specht in Kontakt, mit dem er hier erstmals zusammenarbeitete. Seine künstlerische Leistung

111 Die Präsentationsform mit Podest ist üblich für Möbelstücke wie beispielsweise ­Ausst.-Kat. Berlin 2014 und Albert Oehlen: Teppiche, ­Ausst.-Kat. Frankfurt am Main, Galerie Grässlin-Ehrhardt, 1987, Villingen-­ Schwenningen 1987. 112 Die Auswahl der den Teppich umgebenden Bilder ist nicht festgelegt (in der Ausstellung zum Käthe-­ Kollwitz-Preis waren nur die gemalten Medusa-Selbstbildnisse, im Hamburger Bahnhof eine Auswahl der M ­ edusa-Fotografien mit vier der Gemälden, in New York das Gemälde P.58 zusammen mit den ­Medusa-Zeichnungen zu sehen) und kann neben Medusa-Selbstbildnissen auch andere Werke enthalten. In Hamburg wurde beispielsweise eines der Handpainted Pictures gemeinsam mit Medusa im gleichen Raum ausgestellt. 113 Siehe weiterführend zum Beispiel Manfred Hermes, „Spiderman-Atelier, 1996“, in: Nach Kippenberger/ After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, A ­ usst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 208–211. 114 Vgl. Graw 2014, S. 25.

156 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

bestand in der immateriellen Arbeit, in Kooperation, Kommunikation und Koordination. Der Medusa-Teppich kann daher in seiner „Netzstruktur“115 als eine Allegorie auf Kippenbergers künstlerische Produktionsverfahren als Netzwerker aufgefasst werden.116

3.2.2 Die Zeichnung und die Lithografie Die Zeichnung D.5 und die Lithografie L.15 bilden beide das gleiche Detail aus der Darstellung Corréards ab: das untere Drittel des Floßes (S. 158–159). Das Trägerpapier der Zeichnung stammt aus dem Fünf-Sterne-Hotel Baltschug Kempinski in Moskau und ist am linken Blattrand mit einer braun marmorierten Bordüre verziert, die möglicherweise eine Holz- oder Marmoroptik suggerieren soll. Der Träger, der auf ein Luxushotel verweist, steht damit im Gegensatz zum Motiv des Floßes, welches das Leiden und Scheitern einer unteren Schicht repräsentiert. Rechts unten ist die Zeichnung mit „Medusa“ betitelt und mit „M. K. 96“ signiert und datiert. Erscheint die Zeichnung zunächst wie eine exakte Übernahme des Motivs, zeigt sich bei einem genaueren Vergleich der Darstellung mit der Vorlage, dass Kippenberger bei seiner Aneignung des Motivs durchaus Änderungen vornimmt und „Fehler“ im Sinne des „Strategischen Dilettantismus“ einbaut. Zum Beispiel stimmt die Anzahl an Planken nicht mit der Vorlage überein und eines der Fässer fehlt bei Kippenberger. Er verwendete in der Zeichnung schwarze Tinte und Bleistift und setzte zudem farbliche Akzente durch die Ausmalung eines der drei Fässer mit gelber Farbe und durch braune Spuren am linken Blattrand. Auch bei den Schraffuren weicht Kippenberger vom Vorbild ab, indem er einzelne Planken des Floßes teilweise schraffiert und teilweise mit Punkten ausfüllt. Die unterschiedlich dunklen Tonwerte, der Wechsel von Transparenz und Deckung sowie die variierende Breite der Linien, die unter anderem durch die verschiedenen Zeichenwerkzeuge entstehen, erzeugen ein Spiel mit Plastizität. Tiefe und Räumlichkeit werden angedeutet, doch stimmt die räumliche Wirkung nicht immer mit den Überschneidungen der Balken überein und der illusionistische, plastische Eindruck wird gebrochen. Die Konturen der Planken sind zudem schief und krumm statt akkurat und gerade zu verlaufen. Die unsauber ausgeführten Linien konterkarieren die ursprüngliche Intention Corréards, mit der Handzeichnung eine dokumentarische Abbildung zu schaffen. Als 115 Veit Loers, „Während des Fahrens nicht Aussteigen“, in: Martin Kippenberger, The happy end of Franz Kafka’s „Amerika“, hg. von Felix Zdenek, ­Ausst.-Kat. Hamburg zu Martin Kippenberger – Selbstbildnisse, Deichtorhallen Hamburg, 1999, Köln 1999, S. 28–34, hier S. 32. Zur Netzwerkmetapher und textiler Kunst, siehe Birgit Schneider, „Verfangen im Kabelsalat der Netze. Zu einer Geschichte der Netzwerkmetapher“, in: Kunst & Textil, Stoff als Material und Idee in der Moderne von Klimt bis heute, hg. von Markus Brüderlin, Hartmut Böhme und Magdalena Abakanowicz, ­Ausst.-Kat. Wolfsburg und Stuttgart, Kunstmuseum Wolfsburg, 2013, Staatsgalerie Stuttgart, 2014, Ostfildern 2013, S. 328–339. 116 Für Puvogel 1997, S. 9 repräsentiert der Teppich sogar den gesamten Kunstbetrieb, er sei das „Kunst-Floß“, mit dem sich Kippenberger auf Reise begebe.

Das Floß-Motiv

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Bauzeichnung wäre Kippenbergers Zeichnung keinesfalls geeignet, da die unterschiedlichen Schraffuren, die variierende Breite der Linien, die Farbigkeit, die Verwendung verschiedener Zeichenwerkzeuge oder die angedeutete Plastizität keine dokumentarische Funktion erfüllen, sondern ästhetischen Zwecken dienen. So vermittelt die Ästhetik auch in diesem Beispiel das Scheitern. Selbst die differenzierte Darstellung der Materialität, welche die Taue von den Planken unterscheidet, wird von Kippenberger aufgelöst. Die Wahl des unteren Drittels des Floßes für die Darstellung erfolgte vermutlich ebenfalls aus ästhetischen Kriterien, denn nur am unteren Ende des Floßes sind sowohl die Taue in Schlangenlinienform zu sehen als auch die an Fischflossen erinnernden Planken. Die geometrische Strenge der Floßstruktur wird daher nur an dieser Stelle durch die runden Formen und Schlangenlinien bereits in der Vorlage gebrochen. Kippenbergers eigenes Interesse an Schlangenlinien fällt zusammen mit Corréards Darstellung. Er löst die Geometrie der Planken auf und steigert die organische Form der Seilenden, so dass sich die Gitterstruktur des Floßes einem organischen Netz angleicht, welche wiederum die Zeichnung mit dem Teppich verbindet. Die Lithografie unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von der Zeichnung. Das Motiv erscheint aufgrund des Druckverfahrens gespiegelt und der Bildtitel „Medusa“ sowie die Datierung und Signatur werden durch den Schriftzug „The End“ ersetzt, der sich mittig am unteren Bildrand befindet. Bei genauerem Vergleich mit der Zeichnung zeigen sich jedoch auch hier Änderungen an Details. Durch das andere Format verfügt die Lithografie über einen größeren Weißraum am unteren Bildrand. Kippenberger fügte zudem weitere Planken hinzu; die Anzahl stimmt dennoch nicht mit der von Corréards Floß überein. In der Lithografie wird die Farbigkeit auf Schwarz- und Grautöne reduziert, so dass die Darstellung insgesamt homogener wirkt als die Zeichnung. Durch den Einsatz verschiedener Lithowerkzeuge, wie Kreide und Wassertusche, bestehen die Schraffuren sowohl aus feinen Linien, breiten Strichen als auch aus malerisch wirkenden Flächen. Insgesamt weist die Lithografie dadurch eine geringere Tiefenwirkung auf als die Zeichnung; dafür sind die Konturen der Planken schiefer und die Bretter in sich stärker gebogen und kürzer. Der strenge und kantige Aufbau eines Gitters wird dadurch gebrochen und die Struktur erscheint organischer und weicher wie ein Geflecht. Während auch in der Lithografie aufgrund des Motivs das Thema des Gitters beziehungsweise Netzes von Bedeutung ist, eröffnet der Schriftzug „The End“ im Weißraum unter den Planken des Floßes weitere Bedeutungsebenen. Zunächst führt Kippenberger auch hier einen Schreibfehler ein, der fast überlesen werden kann, indem das t sowohl einen Querstrich oben und in der Mitte aufweist, Majuskel und Minuskel ist oder sogar den Buchstaben F bilden könnte. Durch die Positionierung am unteren Bildrand und den gewählten Ausschnitt des Floßes, das am oberen Bildrand abgeschnitten ist, wird die Assoziation mit dem Abspann eines Films erweckt, da sich das Floß nach oben aus dem Bild zu bewegen scheint. Der Schriftzug suggeriert eine vorausgehende Geschichte, die mit dieser Lithografie zu einem Ende kommt. Mit dem Schriftzug bringt Kippenberger

158 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

C.1996 Martin Kippenberger, Radeau de la Meduse, Installationsansicht, Käthe Kollwitz-Preis, Akademie der Bildenden Künste, Berlin 1996, Schurwolle (grün und braun), handgetuftet von Wolrad Specht, magmadesign, Wuppertal, 250 × 440 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

L.15

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C.1996 Martin Kippenberger, Radeau de la Meduse, 1996, Schurwolle (grün und braun), handgetuftet von Wolrad Specht, magma-design, Wuppertal, 250 × 440 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

D.5 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Hotel Baltschug Kempinski (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Tinte und Bleistift auf Briefpapier, 21 × 29 cm, Privatsammlung.

160 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

das Thema des Endes zur Buchstäblichkeit. Obwohl die Lithografie L.15 die letzte Darstellung in Prints bildet und die Publikation der Drucke in Buchform eine sinnstiftende Abfolge implizieren könnte, ist kein erzählerischer Zusammenhang der Lithografien erkennbar. Statt einer linearen Geschichte ergeben sich Analogien und Beziehungen der Drucke unter­einander, die simultan und quer verlaufen wie bei einem Netz. Die Vielfalt an Lektüremöglichkeiten wird durch die Offenheit und falsche Schreibweise des Begriffs „The End“ verstärkt. Neben dem Ende der Abbildungen in Prints kommen ebenso das Ende von Kippenbergers Arbeit an den Lithografien oder das Ende seiner Auseinandersetzung mit Géricault in Frage. Als Tautologie bezeichnet der Begriff aber auch das untere Ende des Floßes oder kann als Metapher für das Lebensende der Schiffbrüchigen und damit auch für Kippenbergers Tod stehen. Die Abkehr von den dokumentarischen Absichten Corréards zugunsten einer Hervorhebung ästhetischer Qualitäten des Motivs und die Lösung desselben von seinem ursprünglichen Kontext führen dazu, dass das Floß-Motiv bei Kippenberger in Zeichnung und Lithografie von einer Bauzeichnung in eine Darstellung mit metaphorischen Bedeutungen übergegangen ist. Während in Kippenbergers Floß-Zeichnung die Vernetzung verschiedener Werke (durch das Briefpapier, den Bezug zum Teppich und zur Lithografie oder auch die Verbindung zu Géricault und Corréard) im Vordergrund steht, wird in der Lithografie darüber hinaus die Metapher vom Ende eingeführt.

3.2.3 Die Floß-Gemälde Dem Werkverzeichnis zufolge entstanden die acht Gemälde P.76–P.83 (S. 165–168) im Anschluss an die Selbstbildnisse. Die unbetitelte Reihe wird im Werkverzeichnis nicht wie die achtzehn anderen Gemälde mit dem Zusatz „aus der Serie Das Floß der Medusa“ versehen.117 Nach der Ausstellung der Floß-Bilder 1997 in Berlin wurde eine Auswahl seither nur noch im gleichen Jahr in der Galerie 3 in Klagenfurt (P.77, P.78, P.79, P.81, P.82) gezeigt. Bis zu ihrer Abbildung im Katalog der Skarstedt Gallery 2014 war die Existenz dieser Gemälde weitgehend unbekannt. Da Kippenberger die Floß-Gemälde gemeinsam mit den Medusa-Selbstbildnissen 1997 in Berlin ausstellte und es ganz konkret um das Floß der Medusa geht, ist die Zugehörigkeit zum Werkkomplex allerdings unbestreitbar. Die nahezu vollkommen ausgebliebene Betrachtung der Floß-Bilder in der Literatur zeugt davon, dass das vorherrschende Interesse am Œuvre Kippenbergers bis heute seiner Künstlerperson gilt. Durch die Konzentration auf die Selbstbildnisse wurde die biografisch-psychologische Auslegung des Werkkomplexes gefestigt. Die Floß-Bilder verdeutlichen jedoch, wie reduktiv eine solche Deutung ist und dass das Medusa-Thema für Kippenberger weit komplexere Dimensionen hat. 117 Siehe Estate 2014, S. 356–363.

Das Floß-Motiv

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Alle acht Floß-Gemälde sind in dem fast quadratischen Format von 60 × 50 cm ausgeführt, so dass die Gruppe als Serie erscheint. Die Motive beziehen sich jeweils auf einen anderen Detailausschnitt des Floßes. Kippenbergers „Methodik des Puzzles“118, das heißt der Dekonstruktion und Fragmentierung von Motiven, mit dem Ziel diese zu etwas Neuem zusammenzusetzen, zeigt sich an dieser Werkreihe deutlich. Der Versuch, die motivischen Ausschnitte auf der Rekonstruktion zu lokalisieren, ergibt allerdings nur ein unvollständiges Bild des Stichs. Die Ausschnitte stammen sowohl vom unteren Ende des Floßes (P.79, P.81, P.82) wie auch von der Spitze, die durch ihre Dreiecksform erkennbar ist (P.76, P.77). Drei Detailausschnitte sind aufgrund ihrer Abstraktion nicht eindeutig zuzuordnen (P.78, P.80, P.83); womöglich handelt es sich in diesem Fall erneut um eigene Erfindungen. Unterscheiden sich die Floß-Gemälde durch Format und Referenzbild von den Selbstbildnissen, weisen sie dennoch eine enge Verwandtschaft durch Stil und Formenvokabular auf. Wie die Selbstbildnisse bauen auch die Floß-Gemälde auf einem Grund von Farbfeldern auf, der mit den Floß-Balken, dem eigentlichen Bildmotiv, verwoben wird. Auch hier gehen Figur und Grund – die durch gebrochene Linien definierten Balken des Floß-Konstrukts und die bunten Farbfelder – ineinander auf und über. Vorder- und Hintergrund sind nicht voneinander trennbar, räumliche Tiefe wird durch Überschneidungen erzeugt und gleich wieder gebrochen. Im Unterschied zu den Selbstbildnissen existiert bei den Floß-Gemälden kein zentrales Motiv mehr und der Hintergrund ist einheitlicher gestaltet, da alle Gemälde in zwei rechteckige Farbfelder geteilt sind, die von schmaleren Streifen oben und unten gerahmt werden. Aber auch bei den Floß-Gemälden bestehen Ausnahmen, wie in Gemälde P.83, bei dem der untere Farbstreifen fehlt, und Gemälde P.80, dessen Mitte aus einer einzigen gelben Farbfläche besteht. Darüber hinaus verfügen die Floß-Bilder über eine ähnliche Farbigkeit wie die Selbstbildnisse, sind grundsätzlich allerdings harmonischer gestaltet. Schrill beißende Kontraste, wie in P.63 zwischen Orange und Lila, bestehen nicht und die Farbskala ist grundsätzlich dezenter. Neben dem Schwarz der Planken kehren häufig grau-braune oder hellblaue Töne wieder, die durch kräftigere Akzente in Orange, Gelb oder Blau ergänzt werden. In sechs der acht Floß-Gemälden stellt Kippenberger die Taue und Seile dar, wobei manche an der Oberfläche zu treiben scheinen, während andere als Schlaufen und Knoten die Planken zusammenhalten. Vergleichbare, an Fäden erinnernde Schlangenlinien erscheinen bereits in Gemälde P.58 als Übersetzung der Schaumkronen aus dem Comic-Bild. Unter den Floß-Gemälden befindet sich zudem ein Münzbild, welches die Verbindung zu den Selbstbildnissen stärkt und auf die Materialität des Bildes verweist. Umgekehrt lassen sich auch in den Selbstbildnissen Referenzen auf das

118 Siehe Estate 2016, S. 211.

162 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

Floß-Motiv finden, beispielsweise die sich kreuzenden Streifen und farbigen Balken in P.61, P.62 oder P.66 und das Floß in P.65.119 Die Darstellung der Balken, Streifen und Felder zieht sich in den Floß-Bildern wie ein Allover-Muster über die Bildfläche, so dass das gegenständliche Motiv zu einer ungegenständlichen Gitterstruktur verfremdet wird. Die Gitter-Bilder können daher als Persiflagen der gegenstandslosen Malerei gesehen werden und stellen Bad Paintings dar. Im Gegensatz zur nüchternen Klarheit der Gitter zum Beispiel eines Piet Mondrians oder Kasimir Maléwitschs sind hier die Linien schief und krumm ausgeführt anstatt geometrischer Strenge zu folgen; Farbspritzer, -nasen und ein heterogener Auftrag (pastos, opak, transparent, etc.) verweisen auf die Hand des Malers und stehen als Spuren der Subjektivität im Kontrast zu beispielsweise streng geometrischer Malerei. Die angedeutete Serialität der Reihe deutet eine konzeptuelle Arbeitsweise an, die allerdings durch expressive, subjektive Momente gebrochen wird (zum Beispiel durch die wechselnden Ausschnitte und die gestische Malweise). Räumlichkeit und Flächigkeit werden zusammengeführt. Das ungegenständlich erscheinende Gitter erweist sich bei Kippenberger zudem als figürliche Darstellung eines Floßes. Kippenberger verbindet folglich die Antagonismen von Abstraktion und Figuration, Serialität und Individualität, das Verhältnis von Figur und Grund oder von Fragment zu Ganzem sowie die Beziehung von Darstellung und Wirklichkeit in seinen Bildern miteinander. Bei den Floß-Gemälden eröffnen die gemalten Taue und Seile darüber hinaus einen Bezug zum Teppich, weiter korrespondieren der gemalte Faden im Gemälde sowie die Gitterstruktur des Floßes mit dessen Fadengitter.120 Die englische Bezeichnung „Carpet Paintings“, die 2014 im Katalog der Skarstedt Gallery verwendet wird, suggeriert auch eine Entstehung der Gemälde in Folge der Anfertigung des Teppichs und verdeutlicht den motivischen Zusammenhang.121 Dieser posthum verliehene Titel kann produktiv aufgefasst werden, da er sowohl eine Anlehnung an das Phänomen des Patterning ­Painting der 1970er Jahre suggeriert als auch einen Bezug zu den Malereidiskursen um Flächigkeit im 20. Jahrhundert. Womöglich ist der Titel eine konkrete Anlehnung an Joseph ­Mashecks Artikel The Carpet Paradigm von 1976. Masheck widmet sich im Kontext der aufkommenden Pattern & Decoration-Bewegung in den USA der Entwicklung von Flächigkeit in der Malerei und begreift diese als Ausdruck von Modernität.122 Auch ­Rosalind Krauss beschäftigt 119 Die Linien aus P.66 erinnern auch an die unbetitelten Selbstporträts von 1988 (Abb. 15). Dort stellte Kippenberger in einigen Bildern die Skulptur Worktimer dar, die ursprünglich Teil der Peter-Ausstellung war. Vgl. Estate 2016, S. 103f. 120 Siehe Hartmut Böhme, „Mythologie und Ästhetik des Textilen“, in: Kunst & Textil, Stoff als Material und Idee in der Moderne von Klimt bis heute, hg. von Markus Brüderlin, dems. und Magdalena Abakanowicz, ­Ausst.-Kat. Wolfsburg und Stuttgart, Kunstmuseum Wolfsburg, 2013, Staatsgalerie Stuttgart, 2014, Ostfildern 2013, S. 52. 121 ­Ausst.-Kat. New York 2014, S. 118. 122 Joseph Masheck, „The Carpet Paradigm: Critical Prolegomena to a Theory of Flatness“, in: Arts Magazine, Bd. 51, 1976, Nr. 1, S. 82–109. Diesen Text unterzog er 2013 einer Revision, siehe u. a. Joseph Masheck, „‚Le

Das Floß-Motiv

163

24 Martin Kippenberger, Ohne Titel, 1996, Öl auf Leinwand, 90 × 75 cm, Privatsammlung.

sich mit der Flächigkeit der Avantgarde-Malerei in ihrem Aufsatz Grids von 1979. In ihrem Artikel beschreibt sie das Gitter als Emblem der ­Moderne, das von Avantgarde-Künstlern wie Mondrian oder Maléwitsch verwendet wurde.123 Für Krauss stellt das Gitter in der Malerei ein „staircase to the Universal“124 dar, dem transzendentaler Gehalt zukommt. Krauss schreibt weiter: „By virtue of the grid, the given work of art is presented as a mere fragment, a tiny piece arbitrarily cropped from an infinitely larger fabric“125. Auch Krauss assoziiert das Gitter durch den Begriff „fabric“ mit dem Textilen. Die These eines Zusammenhangs zwischen den „Carpet Paintings“ und den malereispezifischen Diskursen um Flächigkeit wird dadurch gestärkt, dass sich Kippenberger in der kurz darauf entstandenen Reihe Burberrys meets Burlington tatsächlich mit einem gitterförmigen Stoffmuster auseinandersetzte. Eine gewisse Nähe hinsichtlich des Motivs und der Farbigkeit lässt sich zwischen Paradigme du Tapis‘ revisité“, in: Decorum. Tapis et tapisseries d’artistes, hg. von Anne Dressen, A ­ usst.-Kat. Paris, Musée d’A rt moderne de la Ville de Paris, 2013, Paris 2013, S. 95–102. 123 Bereits Krauss nutzte in Verbindung mit dem Gitter das Wort „fabric“, siehe Rosalind Krauss, „Grids“, in: October, Bd. 9, 1979, S. 60. 124 Ebd., S. 52. 125 Ebd., S. 61.

164 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

25 Martin Kippenberger, Ohne Titel, 1996, Öl auf Leinwand, 90 × 75 cm, Privatsammlung.

den „Carpet Paintings“ und der Burberry-Reihe (Abb. 24–25) durchaus feststellen, beispielsweise bei P.78 und P.93. Kippenbergers Floß-Bilder stellen jedoch eine regelrechte Verkehrung dieser Diskurse dar, da das Gitter zwar das Sujet der Bilder ist, allerdings auf ein figürliches Motiv zurückgeht. Kippenberger stellt das Motiv fragmentiert wie ein Allover auf der gesamten Bildfläche dar und evoziert dadurch scheinbar Unendlichkeit. Allerdings sind Kippenbergers Fragmente Teil eines konkreten und endlichen Gegenstandes, dem Floß nach Corréard. Das Vorbild steht in keinem Bezug zu einer Vorstellung von Transzendenz, sondern steht hingegen als Rekonstruktion in immanentem Bezug zur materiellen Wirklichkeit und verweist durch seine Geschichte auf die körperliche Erfahrung von Leid und Tod. Kippenbergers Gemälde weisen durch ihre Referenz zwar über sich hinaus, allerdings nicht auf Höheres, Geistiges oder Universales, sondern auf die Metapher des Schiffbruch-Erleidens, auf das Körperliche, Niedere und Endliche. Das Thema des Scheiterns auf menschlicher Ebene verbindet sich in den „Carpet Paintings“ mit dem Schiffbruch moderner Malerei, deren Ende er mit seinen ironischen, persiflierenden Floß-Bildern vorführt. Gleichzeitig hebt er das Ende auf, indem er Endlosigkeit durch das Fragmentarische der Gemälde evoziert. In diesen Gemälden weist Kippenberger damit stärker als bei den Selbstbildnissen auf die Diskurse zur Malerei der 1980er Jahre.

Das Floß-Motiv

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P.76 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 60 × 50 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

P.77 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 60 × 50 cm, Privatsammlung.

166 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

P.78 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 60 × 50 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

P.79 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 60 × 50 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Das Floß-Motiv

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P.80 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 60 × 50 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

P.81 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 60 × 50 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

168 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

P.82 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl und Münzen auf Leinwand, 60 × 50 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

P.83 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 60 × 50 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Géricault/Batters

169

3.3 Géricault/Batters Die Zeichnungen zum Thema „Géricault/Batters“ (GB.1–GB.8, S. 175)126 bestehen aus acht Blättern. Sieben der Zeichnungen sind auf DinA4-Fotokopien, eine ist auf Hotel­ briefpapier ausgeführt, wodurch in typischer Weise die Systematik der Gruppe aufgebrochen ist. Erstmals wurde die Reihe 2003 im Ausstellungskatalog Nach Kippenberger/ After Kippen­berger abgebildet.127 In den Ausstellungskatalogen The Problem Perspective und Schattenspiel im Zweigwerk findet die Werkgruppe nur Erwähnung. Alle Zeichnungen wurden 2019 in Bonn ausgestellt.128 Die sieben schwarz-weißen Fotokopien zeigen fünf Seiten mit Skizzen aus dem Ausstellungskatalog Géricault zur gleichnamigen Ausstellung im Grand Palais, Paris 1991.129 Kippenberger erhielt diesen Katalog von Gisela Capitain zusätzlich zur Zeitschrift du als Arbeitsmaterial für den Medusa-Komplex.130 Die kopierten Seiten zeigen Skizzen und Studien Géricaults zum Floß der Medusa. Neben zwei Studien für die Figur des Vaters (Figur B, Taf. II) finden sich unter den kopierten Seiten ebenfalls Aktstudien für einen Toten (­Figur O, Taf. XI), Rückenansichten eines Afrikaners (Abb. 26), anatomische Studien von Füßen (Abb. 27–28) und zwei liegende Rückenfiguren (Figur G, Taf. V) sowie eine Zeichnung abgetrennter Köpfe (Abb. 29).131 Die Seite mit den anatomischen Studien der Füße verwendete Kippenberger als Untergrund für drei der acht Zeichnungen (GB.1, GB.2, GB.7). Die Kopien sind scheinbar nachlässig ausgeführt, denn die Abbildungen sind angeschnitten, der Buchfalz ist sichtbar, die Vorlagen sind schief angelegt und schwarze Ränder wurden zugelassen. Über die stellenweise sehr dunklen Fotokopien zeichnete er anschließend mit bunten Holz- und Filzstiften Bildausschnitte aus dem 1995 erschienenen Bildband From the tip of the toes to the top of the hose des Fetischfotografen Elmer Batters.132 Batters’ Bildband richtet sich an Fußfetischisten und zeigt erotische Fotografien von ­Frauen, die ihre nackten oder mit Strumpfhosen bekleideten Beine und Füße aufreizend in Szene setzen. Motive von sieben Schwarz-Weiß- sowie einer Farbfotografie wählte Kippenberger aus dem Bildband aus (Taf. XXI–XXVIII). Während Kippenberger in P.58 Elemente verschiedener Vorbilder zu einem neuen Bild verbindet, überlagert er in der Gruppe „Géricault/Batters“ zwei scheinbar unabhängige Vorbilder in der Art eines Palimpsests, so dass beide Vorbilder getrennt voneinander lesbar bleiben, wenn auch nur erschwert. 126 127 128 129 130 131

Die Nummerierung ist an der Abfolge der Fotografien von Elmer Batters orientiert, siehe Batters 1995. Siehe ­Ausst.-Kat. Wien 2003, S. 220f. Siehe ­Ausst.-Kat. Bonn 2019, S. 226–228. Siehe ­Ausst.-Kat. Paris 1991, S. 138–164. Siehe Temkin 2008, S. 262, Anm. 11. Die zwei Studien zur Figur B finden sich in A ­ usst.-Kat. Paris 1991, S. 156; Figur O ebd., S. 159; Figur P ebd., S. 164; die anatomischen Zeichnungen der Füße sowie die Figur G ebd., S. 140; die Studien der abgetrennten Köpfe ebd., S. 138. 132 Siehe Batters 1995, o. S.

170 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

26 Théodore Géricault, Cinq croquis de noirs et d’un cavalier, 1818–1822, Feder und braune Tinte, 23 × 28,3 cm, Lyon, Musée des Beaux-Arts de Lyon, Inv. X 1029-25.

Kippenberger führt in dieser Reihe erneut „high art“ und „low art“ zusammen und demonstriert seinen indifferenten Umgang mit Bildmaterial. Wie in früheren Werken „bringt er das Verhältnis von Vorlage, Original und Kopie ebenso durcheinander wie die Rolle des Autors.“133 Er kehrt die mechanischen und manuellen Verfahren der Bildproduktion um: Die Handzeichnungen Géricaults werden kopiert (allerdings nicht die Originale, sondern Reproduktionen davon) und Fotografien in Handzeichnungen übersetzt. Durch die fragmentarische Gegenüberstellung der Fetischfotografien mit den Studien zum Ereignisbild erzeugt Kippenberger Analogien, welche die Bedeutungen der Darstellungen erweitern. In der Gegenüberstellung der zwei elementaren menschlichen Triebe, Lust und Tod (Eros und Thanatos), liegt die zentrale inhaltliche Analogie des Bildmaterials. In GB.6 zeigt sich dies besonders klar: Dort überlagern sich der gestreckte Oberkörper der Aktstudie einer Leiche (Figur O) mit dem Gesicht einer Frau, die einen Fuß an ihre Wange drückt. Beide Vorbilder zeigen Personen mit geöffnetem Mund, eine Pose, die sowohl ekstatische Erregung (bei Batters) als auch Leid und Tod (bei Géricault) ausdrücken 133 Baumann 1998, S. 39 über die Reihe Heavy Burschi.

Géricault/Batters

27 Théodore Géricault, Etude de jambe écorchée, 1819–20, Zeichnung, 28,1 × 20 cm, Besançon, musée des Beaux-Arts et d’Archéologie.

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28 Théodore Géricault, Deux études de pied écorché, étude de jambe écorchée, 1819–20, Zeichnung, 29,3 × 20,7 cm, Besançon, musée des Beaux-Arts et d’Archéologie.

kann.134 In GB.2 verwendet Kippenberger die Kopie der gesamten Seite, auf die er die Farbfotografie eines Weinglases in der Hand einer Frau neben ihrem Fuß abzeichnet. In GB.7 verwendet er diese Vorlage erneut, um sie mit der Fotografie eines Modells zusammenzubringen, die im Begriff ist, den Fuß einer anderen Frau abzulecken. Am häufigsten liegt die Analogie in der Gegenüberstellung von Füßen, wie die dreifache Verwendung der Seite mit anatomischen Studien von Füßen belegt. In GB.1 kopiert Kippenberger diese Seite angeschnitten mit dem fast schwarzen Buchfalz und zeichnet darauf die Berührung zweier nackter Füße aus einer Fotografie von Batters. Daneben schreibt Kippenberger „Aw, Ja“, was als Ausruf des Entzückens verstanden werden kann. Der Buchfalz als Berührungspunkt zweier Seiten stellt eine weitere Analogie zu den sich berührenden Füßen dar. Neben der Wiederholung des Fuß-Motivs stellen sich somit weitere Analogien ein, die in der (sinnlichen) Berührung oder der Konstellation von Paaren 134 Bei Kenntnis von Batters’ Fotografie erkennt man eine weitere Analogie zwischen den gestreckten Oberkörpern der zweiten Frau und der Leiche. Kippenberger stellte die zweite Frau allerdings nicht dar. ­Offenbar interessierte er sich stärker für einen Vergleich der offenen Münder und der Füße.

172 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

29 Théodore Géricault, Quatre études d’une tête d’homme coupée, 1819–20, Zeichnung, 21 × 27,9 cm, Besançon, musée des Beaux-Arts et d’Archéologie.

(zwei Rückenfiguren, zwei Füße, zwei Frauen) liegen. Das Glas Wein erinnert darüber hinaus an das Shooting der Medusa-Fotografien, bei welchem ebenfalls Wein getrunken wurde und kann mit Kippenbergers persönlichen Vorlieben assoziiert werden. In Zeichnung GB.4, in der Kippenberger die Aufsicht auf das angewinkelte Bein einer Frau mit den zwei Aktstudien des knienden Vaters kombiniert, liegt die Gemeinsamkeit in den Körper­an­ sichten der gebeugten Beine. In GB.5 findet sich über den Studien eines abgetrennten Kopfes die Zeichnung einer Frau, die mit gespreizter Hand zwischen ihrem Zeigefinger und Daumen den Absatz ihres Pumps hält. Diese Geste, die bei Batters sicherlich delikat wirken soll, wird durch Géricaults Köpfe von Toten zu einer Geste des Ekels. Auch in GB.3 wird eine Analogie zwischen den Körperposen etabliert. Géricaults Zeichnung von drei Rückenansichten und zwei Porträts eines Afrikaners wird mit der Fotografie der entblößten Pobacken einer Frau kombiniert. Bei den zwei Ansichten der Körper von hinten positioniert Kippenberger den Rücken des Afrikaners zentral zwischen die Pobacken des Modells, so dass er den Afrikaner regelrecht an hinterste Stelle setzt.135 In dieser Arbeit liegt damit ein vulgärer Witz über die soziale Stellung von Män135 Kippenberger bezog sich wiederholt auf Themen wie Rassismus oder die deutsche Geschichte, zum Beispiel im Gemälde Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken (1984) oder in Zeichnungen wie

Géricault/Batters

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nern afrikanischen Ursprungs in der eurozentristischen Gesellschaft und ein Verweis auf die Deutung von Géricaults Floß der Medusa als einer Kritik am Sklavenhandel. Im Gegensatz zu Géricault, der den Afrikaner an die Spitze der Menschenpyramide stellt, verbindet Kippenberger diese Figur in dieser Zeichnung mit der untersten Position. Das Blatt enthält damit eine Doppeldeutigkeit, da es sich sowohl um einen Ausdruck rassistischer Diskriminierung als auch um einen gesellschaftskritischen Kommentar zur Fremdenfeindlichkeit im Deutschland der 1990er Jahre handeln könnte. Kippenberger greift in der Reihe noch ein weiteres gesellschaftspolitisches Thema auf, nämlich die Rolle von Mann und Frau. Da in den verwendeten Studien Géricaults ausschließlich Männer dargestellt sind, ergibt sich bei Kippenberger eine Paarbildung von Männern und Frauen, die durch die Fetischfotografien erotisch aufgeladen ist. Kippen­ berger weist auf die Absenz von Frauen in Géricaults Gemälde hin, die vor dem Hintergrund der Deutung des Bildes als Gesellschaftsallegorie der 1990er Jahre kritisch aufgefasst werden kann. Allerdings nehmen die Modelle bei Batters als Lustobjekte eine stereotype Frauenrolle ein und es bleibt unklar, ob dieses Frauenbild durch Kippenbergers Zeichnungen bestätigt oder kritisiert wird. Die Objektifizierung von Frauen treibt Kippenberger in der Zeichnung GB.8 auf die Spitze. Das Motiv der Zeichnung beruht auf einer Fotografie von Batters, die eine auf einem geblümten Sofa liegende nackte Frau mit einem Pump zwischen ihren Pobacken zeigt. Beim Abzeichnen verzichtete Kippenberger auf die Darstellung des Kopfes des Modells, so dass die Figur in der Zeichnung auf ihren Körper reduziert wird. Der kopflose Torso kann als eine Ergänzung zu Géricaults Studien abgeschlagener Köpfe betrachtet werden, die dadurch vervollständigt werden. Die Auslassung kann jedoch auch als Überspitzung der Frauendarstellung in Batters’ Fotografien verstanden werden, die oftmals tatsächlich als gesichtslose Körper(teile) und Fetischobjekte erscheinen. Auch hier bleibt offen, ob das bei Batters vermittelte Frauenbild kritisiert oder unterstützt wird. Im zweiten Fall müsste Kippenberger als chauvinistischer Künstler abgestempelt werden, allerdings ist zu beachten, dass er sich selbst in den Medusa-Gemälden in einigen Fällen als kopflosen Torso darstellt und bei den Medusa-Fotografien selbst als Aktmodell eine traditionell weiblich konnotierte Rolle einnimmt. Gerade die lasziven Posen, wie in Polaroid 2 und Kontaktabzügen 6 (Taf. XXX, XXXVI), verdeutlichen ein solches Spiel mit Geschlechter­ rollen in der Kunst. Die Subversion wird zusätzlich pointiert, weil eine Künstlerin die Fotografien aufgenommen hat. Kippenberger macht somit in der Reihe „Géricault/Batters“ Sexismus zum Thema und persifliert stereotype Frauen- und Männerrollen in der Kunst. Durch die Verwendung von Hotelbriefpapier der Hotelkette Kempinski als Träger der Zeichnung GB.8 stellt Kippenberger darüber hinaus eine Verbindung zu den ­Medusa-Zeichnungen her. Drei weitere Blätter der Gruppe „Géricault/Batters“ verweisen auf Neger haben einen Längeren! – Stimmt nicht! und Südländer sind feuriger! – Irrtum! (1972/82), deren Motive vermutlich auf Werbekampagnen für Hilfsorganisationen wie Misereor zurückgehen, vgl. Hartmann 2013, S. 128–132.

174 Analyse des Medusa-Werkkomplexes

Hotelbriefpapier, da in kindlicher, ungelenker Handschrift jeweils die Worte „Hotel H ­ otel“ (GB.7), „Hotel Hotel Hote“ (GB.6, das letzte „l“ erscheint wie abgeschnitten) und „­Hotel Mama“ (GB.3) als Überschriften zu lesen sind. Die schiefe, kindlich-ungelenk erscheinende Handschrift und fehlerhafte Orthografie zeigen, dass es sich nicht um Versuche einer Imitation von Hotelbriefpapier handelt, sondern um einen selbstreferentiellen Verweis auf seine eigene Produktion und seine Künstlerbücher. Die Beschriftung „Hotel Mama“ von GB.3 ist zudem eine Persiflage kleinbürgerlicher Alltagsschemata wie Gemütlichkeit und Geborgenheit, die im „Hotel Mama“ herrschen.136 Das Blatt gliedert sich damit auch in die Gender-Thematik der Reihe ein und führt ein weiteres weibliches Rollenbild ein. Kippenberger überlagert jedoch durch Schrift und Bild gegensätzliche Vorstellungen von Weiblichkeit mit Mutter und Hausfrau auf der einen Seite und Lustobjekt auf der anderen.137 Das Blatt GB.3 enthält somit eine Auseinandersetzung mit benachteiligten Gesellschaftsgruppen (Frauen und dunkelhäutige Männer) in Form eines mehrfachen Tabubruchs. Durch die uneindeutige Aussage erscheint die Zeichnung regelrecht mit kontrastierenden Gesellschaftsbildern überfrachtet und kann daher insgesamt als Persiflage politischer Korrektheit und Doppelbödigkeit des kleinbürgerlichen Denkens aufgefasst werden. Nicht zuletzt diese letzte kleine Motiv-Gruppe zeigt, dass Kippenbergers Medusa äußerst vielschichtig ist und weit mehr Themen beinhaltet als die Auseinandersetzung mit dem eigenen Existenzkampf. Der Werkkomplex steht in enger Verbindung zum künstlerischen Schaffen Kippenbergers und kann nicht als Spätwerk davon abgekoppelt werden. In Medusa kommt Kippenbergers künstlerische Haltung des „Strategischen Dilettantismus“ gleichsam zum Tragen und prägt den Werkkomplex entscheidend. Die Ästhetik des Scheiterns erweist sich auch bei Medusa als produktives Verfahren, durch das Bedeutung geschaffen wird. Jede Gruppe innerhalb des Werkkomplexes setzt dabei gewissermaßen medienspezifische Schwerpunkte: Zum Beispiel betonen die Fotografien am deutlichsten die innere, emotionale Verfasstheit des Künstlers, die Zeichnungen spielen mit Formen der Abstraktion, die Gemälde thematisieren die Malerei und ihren Bezug zur Wirklichkeit sowie die Künstlerrolle, die Lithografien machen das Thema der Wiederholung durch Spiegelung und Doppelung kenntlich, der Teppich weist auf die Vernetzung und bei „­Géricault/Batters“ wird die Lesbarkeit von Bildern durch Überlagerung und Bedeutungsüberfrachtung infrage gestellt. Gleichzeitig finden sich diese Themen jedoch auch in 136 Im Spiegel erschien zu dem Phänomen einer „neuen Generation an Nesthockern“ 1988 ein Artikel, der nicht nur den Zusammenhang mit „Gemütlichkeit“, sondern auch zu einer zunehmenden Aussichtslosigkeit der jüngeren Generation auf ein eigenes Leben darstellte, unter anderem angesichts steigender Arbeitslosigkeit, siehe o. A., „‚Im ‹Hotel Mama› kenne ich das Personal‘. Eine neue Generation von Nesthockern zieht das Elternhaus einer eigenen Wohnung vor“, in: Der Spiegel, Nr. 14, 1988, S. 242–245. 137 Siehe für das Thema „Mutter“ auch die Zeichnung Kippenbergers in ­Ausst.-Kat. Tübingen 2003, S. 89, die eine nackte, sitzende Frau mit gespreizten Beinen à la Aktionshose Genitalpanik von VALIE EXPORT zeigt, über deren Geschlecht „Mutti“ steht, oder Susanne Neuburger, „Entwürfe für Muttergenesungswerke, 1985“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, ­Ausst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 94.

Géricault/Batters

175

den anderen Darstellungen in Medusa wieder, so dass die Gruppen des Werkkomplexes in engem Zusammenhang stehen. Die Wechselwirkung der Gruppen miteinander führt zu einer Öffnung der Werke, da verschiedene Betrachtungsmöglichkeiten zulässig werden. Nach Kenntnis der Reihe „Géricault/Batters“ lassen sich zum Beispiel die Medusa-Fotografien auch unter dem Aspekt der Mehrdeutigkeit der Posen oder der Rollenbilder betrachten. Ein solches wechselseitiges Bezugsverhältnis bestimmt auch die Referenzen auf das Floß der Medusa, die im nächsten Kapitel anhand der drei bereits erörterten Themenfelder Gesellschaftsallegorie, Geschichte und der Bedeutung von Kunst erörtert werden sollen.

GB.1

GB.2

GB.3

GB.4

GB.5

GB.6

GB.7

GB.8

4. Kippenberger über Géricault

Als Kippenberger im Interview mit Baumann nach der Themenwahl für seine Malerei gefragt wird, spricht er von einer Zurückführung von Ideen. Er wolle an die vorliegenden Themen wieder von einer anderen Seite heran, die nicht diesen schlechten Kunstcharakter hat, dieses Abstrakte, Absolute, Unnahbare. […] Dass du so wieder rankommst, dass du dort, wo die Ideen herkommen, sie wieder zurückführst, über den Umweg.1 Dieser „Umweg“ bildet den Fokus dieses Kapitels, das einen Vergleich der Medusa-Arbeiten mit dem Floß der Medusa darstellt. Kippenbergers Medusa-Arbeiten greifen einerseits die Bedeutungen und Themen von Géricaults Gemälde aktualisierend auf, lassen sich andererseits als eine Art Kommentar über diese verstehen. Diesem doppelten Sinne geht die folgende Analyse nach. Mit dem Vergleich wird nicht das Ziel verfolgt, eine mögliche Intention Kippenbergers herauszuarbeiten und nachzuweisen, dass Kippenberger den Bezug auf einen bestimmten Aspekt tatsächlich intendiert hatte. Das Ziel ist es vielmehr, den Dialog der Kunstwerke miteinander in der gesamten Bandbreite zu untersuchen und zu zeigen, welche Ideen den Medusa-Werkkomplex mit Géricaults Gemälde verbinden, sich aber auch von diesem unterscheiden. Es zeigt sich dabei, dass einige Ideen beziehungsweise Themen, die für Kippenbergers künstlerische Tätigkeit einen zentralen Aspekt darstellen, vor dem Hintergrund von Géricaults Gemälde eine Bedeutungsverschiebung erfahren. So ist zum Beispiel das Scheitern in Medusa nicht nur durch den „Strategischen Dilettantismus“ und Bad Painting, sondern auch durch die Referenz auf das von Géricault stammende Motiv des Schiffbruch-Erleidens im Werkkomplex enthalten und dadurch deutlicher existentialistisch ausgerichtet. Durch die Rekonstruktion des Entstehungskontextes und die Bestandsanalyse wurden die Grundlagen für den Vergleich gelegt. Es wurde gezeigt, dass Kippenberger bei der Ausstellung Memento Metropolis mit drei Themenfeldern vertraut gemacht wurde, die in der Auseinandersetzung mit der Gegenwart, mit Geschichte und mit der Bedeutung des Kunstschaffens liegen. Diese Themen prägen auch Kippenbergers Schaffen, wie die Installation Happy End zeigt. Drei Werke aus dem Medusa-Komplex kündigen durch ihre Schriftzüge buchstäblich eine Beschäftigung mit diesen Themen an: Das Astérix-Gemälde P.58 mit der Sprechblase „JE SUIS Meduse“ weist auf eine Übersetzung in die Gegenwart, die Lithografie L.15 mit „The End“ auf das Thema Fortschritt und Geschichte und 1 Kippenberger zitiert nach ­Ausst.-Kat. Genf 1997, S. 30.

178 Kippenberger über Géricault

das Selbstbildnis P.59 mit „Hope“ auf den Wert des Kunstschaffens. In den folgenden drei Kapiteln werden diese Werke zum Ausgangspunkt, um die Fragestellungen zu entwickeln, die sich jeweils in Hinblick auf dieses Thema und in Vergleich mit Géricaults Werk ergeben. Wie schon für Happy End und die literarischen Rezeptionen des Ereignisbildes konstatiert, ist auch in Hinblick auf Medusa jedes der drei Themenfelder mit jeweils einem künstlerischen Verfahren der Aneignung verbunden. Das Astérix-Gemälde basiert auf einer Identifikation Kippenbergers mit dem Floß der Medusa, die auf drei Ebenen stattfindet: eine Identifikation mit den Schiffbrüchigen, mit der Metapher des Schiffbruch-Erleidens sowie mit dem Künstler als Scheiterndem und seiner Stellvertreterrolle in der Gesellschaft. Die Lithografie L.15 stellt die Wiederholung eines Motivs dar und betrifft daher das Thema des Nachbildes als nachahmender Wiederholung von Wirklichkeit. Mittels Wiederholung dekonstruiert Kippenberger das Ereignisbild in Selbstbildnisse, so dass sich die Frage nach dem Umgang mit den narrativen Strukturen des Vorbildes stellt. Daran zeigt sich letztlich, dass es in Medusa auch um Modelle der Geschichtsdarstellung geht. Das Selbstbildnis P.59 enthält die Metareflexion über die Rolle des Künstlers, derer sich das letzte Kapitel widmet. Der metareflexive Charakter von Medusa drückt sich in der Auseinandersetzung mit der Künstlerrolle, dem Wert eines Kunstwerks sowie der Bedeutung von Kunst angesichts des Scheiterns aus. Jedes Themenfeld ist somit mit drei Aspekten verbunden, die in den jeweiligen Unterkapiteln eingehender erörtert werden.

4.1 Je suis Meduse: in die Gegenwart übersetzen Das Gemälde P.58 stellt als einziges der Medusa-Gemälde eine Szene des Schiffbruchs mit mehreren Figuren dar (S. 127). Obwohl die äußere Ähnlichkeit der fragmentierten, deformierten Figuren in Gemälde P.58 mit dem Künstler weniger eindeutig ist als bei den anderen Medusa-Selbstbildnissen, spricht vieles dafür, dieses Gemälde als Selbstbildnis aufzufassen. Nicht zuletzt die Sprechblase „JE SUIS Meduse“ weist auf eine Beschäftigung mit dem Selbst hin. Auch Géricaults Floß der Medusa wurde als Ausdruck der Subjektivität des Künstlers aufgefasst. Kippenberger macht diese Subjektivität nicht nur sichtbar, sondern zum eigentlichen Thema, indem er sich selbst in der Rolle der Schiffbrüchigen darstellt. Die Sprechblase in P.58 kann daher als Identifikation mit den Schiffbrüchigen gelesen werden. Die Multiplikation Kippenbergers, der sich in diesem Gemälde als neun verschiedene Schiffbrüchige darstellt und im gesamten Komplex an die Stelle siebzehn verschiedener Figuren tritt, deutet jedoch an, dass Identität für Kippenberger einem Rollenspiel gleichkommt. Die fragmentiert dargestellten Körper verheißen in ihrem Gefühls­ ausdruck Zugang zur Subjektivität und Identität, die jedoch keine feste Einheit bildet, sondern multipel und brüchig erscheint. Subjektivität spielt auch für die gefühlsmäßige Wirkung des Floß der Medusa eine Rolle. Diese und die Selbstdarstellung des Künstlers wird im folgenden Unterkapitel untersucht.

Je suis Meduse: in die Gegenwart übersetzen

179

Die Sprechblase sowie die mehrschichtigen Bildreferenzen, unter anderem auf ­ stérix aber auch auf Werke Géricaults, halten Kippenbergers Bezugspunkt der IdentiA fikation uneindeutig. Die Majuskel von „Meduse“ suggeriert den Eigennamen „Méduse“ oder „Medusa“, hält allerdings offen, wofür dieser Name stehen soll: das Schiff, die Schiffbrüchigen und die Metapher des Scheiterns, Géricaults Gemälde oder Kippenbergers Werkkomplex – eventuell sogar die Gorgone? Der ursprüngliche Sinn der Sprechblase aus dem Comic wird durch neue Deutungsmöglichkeiten ersetzt. Auch der Schiffbruch der Medusa bei Géricault ist mehrdeutig und bildet nicht nur das Ereignis ab, sondern zeigt den metaphorischen Schiffbruch der Gesellschaft und stellt eine Gesellschaftsallegorie dar. Eine Allegorie bezeichnet eine Sinnübertragung, bei dem einem Zeichen eine andere Bedeutung zugeschrieben wird.2 Auch bei Kippenberger werden Zeichen andere Bedeutungen als im Referenzwerk zugeschrieben. Während das Floß der Medusa durch seine ambivalente Komposition sowohl als Ausdruck der Hoffnung als auch der Verzweiflung ausgelegt werden kann, trägt die Mischung der Vorbilder in P.58 durch die Lösung von ihrer ursprünglichen Bedeutung (als Darstellung eines historischen Schiffbruchs und als Running Gag einer Comic-Reihe) zu einer Bedeutungsüberfrachtung des Gemäldes bei. Die Vieldeutigkeit des Bildes führt dazu, dass letztlich auch der Betrachter an einer eindeutigen, abschließbaren Bildlektüre scheitert und zum metaphorischen Schiffbrüchigen wird. Ob Medusa daher auch als eine Gesellschaftsallegorie aufgefasst werden kann, die auf dem Schiffbruch-Erleiden beruht, wird im zweiten Unterkapitel untersucht. Ebenso offen bleibt, wer sich hinter dem Sprecher von „JE SUIS Meduse“ verbirgt, da als Subjekt gleichzeitig Gemälde, Künstler aber auch der Betrachter infrage kommen. Im Entstehungsprozess von Medusa nimmt Kippenberger zunächst die Rolle eines Betrachters ein, der sich mit dem Floß der Medusa beschäftigt. Géricault versetzt den Betrachter vom Floß der Medusa durch die Komposition in die Rolle eines Schiffbrüchigen und Teilhabers am Geschehen. Da Kippenberger sich selbst als Schiffbrüchigen inszeniert, wird er zu einer Stellvertreterfigur für den Betrachter von Géricaults Gemälde und letztlich zu einem Stellvertreter der Gesellschaft, die im Gemälde allegorisch dargestellt ist. Während er einerseits durch die Vieldeutigkeit seines Gemäldes die Bedeutungskonstruktion dem Betrachter überträgt und somit als Autor hinter dem Gemälde zurücktritt, dieses gleichsam selbst sprechen lässt, hebt er andererseits über die Gattung Selbstporträt und seine Position als Stellvertreter der Gesellschaft seine herausragende Bedeutung als Künstler hervor. Dieses Spiel mit der Betrachter- und Künstlerrolle wird im abschließenden Unterkapitel erörtert.

2 Siehe u. a. Cornelia Logemann, „Allegorie und Personifikation“, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart und Weimar² 2011, S. 14–19; Ulla von Haselstein, „Vorbemerkungen der Herausgeberin“, in: Allegorie. DFG-Symposion 2014, hg. von ders., Berlin 2016, S. IX–XV.

180 Kippenberger über Géricault

4.1.1 Selbstdarstellungen – die Subjektivität des Künstlers Kippenberger eignet sich das Floß der Medusa durch die Verwendung seines Körpers als Material an und überführt das Ereignisbild so in die Gattung des Selbstporträts.3 Aus der Beschäftigung mit Vergangenheit wird eine Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Kippenberger stellt zunächst die vorgefundenen Posen nach, die wiederum durch den Blick einer Anderen, der Fotografin Semotan, festgehalten wurden.4 Die Bildnisse unterwandern durch ihre Entstehung als Aneignungen fremder Vorbilder und die Beteiligung Semotans die Vorstellung eines „Dialog[s] des Künstlers mit sich selbst“5, wie es gemeinhin von einem Selbstbildnis erwartet wird. Aufgrund des Bezugs auf ein Gemälde besteht eine Parallele zur Praxis des „Tableau vivant“. Wie bei einem Tableau vivant versetzt sich Kippenberger für die Medusa-Fotografien in die wiedererkennbaren Posen aus dem gemalten Vorbild, überführt die Darstellung in das Leben, verharrt in den Posen als wäre er Bild geworden und lässt sich gewissermaßen zu Dokumentationszwecken fotografieren.6 Da er das Gemälde jedoch dekonstruiert, die Figuren isoliert und in einen anderen Kontext transferiert, bricht er wiederum mit der Praxis des Tableau vivant. Er führt subjektive Aspekte ein und konstruiert, wie bei der inszenierten Fotografie, Wirklichkeit durch Planung von Licht, Setting sowie der Übernahme von Posen, die einem anderen Bild entstammen und durch den Verweis auf das Ereignisbild narrative Züge aufweisen.7 Wie bei der inszenierten Fotografie wird auch in den Medusa-Fotografien der Weg „der organisierten Spaltung von Präsenz und Absenz [erkennbar], wo der Auftritt des Künstlers oder der Künstlerin im Bild eine Zuspitzung der Sicht auf das Ich als anderen bedeutet.“8 Dennoch wirken einige Aufnahmen derart überzeugend (Ph.7, Ph.20), dass die Nachstellung der Gefühlschiffren kein Rollenspiel,9 sondern authentischer Ausdruck der

3 Zur Gattung des Selbstbildnisses seit den 1960er Jahren, vgl. zum Beispiel Kampmann 2006; Susanne Düchting, Konzeptuelle Selbstbildnisse, Essen 2001; Martina Weinhart, Selbstbild ohne Selbst, Dekonstruktion eines Genres in der zeitgenössischen Kunst, Berlin 2004; James Hall, Das gemalte Ich. Die Geschichte des Selbstporträts, Darmstadt 2016; Oskar Bätschmann, The Artist in the Modern World. The Conflict between Market and Self-Expression, Köln 1997, S. 113–121. 4 Nur das Astérix-Gemälde geht nicht direkt auf eine in diesem Rollenspiel entstandene Fotografie zurück; dafür sind die verwendeten Vorbilder, die im Astérix-Gemälde zusammenfließen, ebenfalls vorgefunden und stammen von anderen Urhebern. 5 Kampmann 2006, S. 63. 6 Vgl. zur Geschichte des Tableau vivant Birgit Joos, „Tradition des Tableau vivant“, in: Rollenbilder – Rollenspiele, ­Ausst.-Kat. Salzburg, hg. von Esther Ruelfs, Toni Stooss, Museum der Moderne, Salzburg, München 2011, S. 14–19 und zum Begriff Rollenspiele Toni Stooss, „Vorwort“, in: Ebd., S. 6–11, hier S. 8. 7 Als Vergleichsbeispiele hierfür können die inszenierte Fotografie Cindy Shermans aus der Reihe Untitled Film Stills (1977–80) oder auch die Rollenspiele Yasumasa Morimuras dienen, vgl. Rollenbilder – Rollenspiele, ­Ausst.-Kat. Salzburg, hg. von Esther Ruelfs, Toni Stooss, Museum der Moderne, 2011, München 2011. 8 Weinhart 2004, S. 247. 9 Zum Thema Rollenspiel in der Kunst siehe exemplarisch ­Ausst.-Kat. Salzburg 2011.

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Empfindungen des Künstlers zu sein scheint. Semotan beschreibt, wie Kippenberger die Grenze zwischen Inszenierung und authentischem Gefühlsausdruck überschritten habe: Ich dachte, jetzt schau ich da wohin beim Martin, woandershin, da war er voll­kommen entrückt, da sah ich ein Drama, ein Lebensdrama. Der Martin kann sehr gut spielen, aber das war mehr: Es war das, was er ausdrücken wollte. Da hat er völlig aufgemacht und alles rausgelassen, was ihn geschmerzt hat an seinem Leben.10 Die körperliche Nachstellung wird zu einem gefühlsmäßigen Hineinversetzen in die von den Schiffbrüchigen verkörperten Emotionen und die zunächst imitierten Posen und Emotionen überlagern sich mit der eigenen Gefühlswelt. Insbesondere diejenigen Posen, die keine Wiederholungen von Géricaults Repertoire sind, suggerieren, es handele sich um eine Darstellung authentischer, persönlicher Empfindungen des Künstlers, als habe die Nachstellung bei ihm die verkörperten Gefühle tatsächlich hervorgerufen. Der entblößte Körper, den der Künstler in zwei Fotografien präsentiert (Ph.8, Ph.9), wird zum Sinnbild für die Enthüllung des Inneren. Die Identifikation mit den Schiffbrüchigen drückt sich nicht nur durch Kippenbergers Körper, sondern auch durch andere Details der Bilder aus. Er übersetzt Motive aus dem Gemälde in Alltagsgegenstände, die Teil seiner Lebenswelt sind. Das Floß wird beispielsweise in den Fotografien durch das Bett im Atelier ersetzt, die zerrissene Kleidung der Schiffbrüchigen durch weißes Hemd und schwarze Jeans, an die Stelle verschiedener Tücher treten Bettlaken, Socken oder sogar ein Maltuch. Atelier und Bett fungieren dabei als Zeichen für Intimität und suggerieren gleichzeitig, durch die Reduktion der Umgebung, einen unverstellten Blick auf das Innere des Künstlers.11 Kippenbergers Armbanduhr und Ehering erscheinen, aufgrund ihrer auffälligen Wiederkehr und Hervorhebung durch Größe und Farbe in allen Selbstbildnissen, ebenfalls wie persönliche Attribute und Zeichen der Identität des Künstlers. Das Glas Wein in Fotografie Ph.5 kann nicht nur durch seine zufällige Positionierung als Zeichen der Spontaneität und damit Authentizität des Entstehungsprozesses, sondern auch als weiterer Einblick in das Leben des alkoholsüchtigen Künstlers verstanden werden. Die Socken, die Kippenberger trägt, stellen einerseits eine direkte Übernahme des Motivs der verhüllten Füße der Schiffbrüchigen dar, die ihre Füße mit den Tüchern gegen das Salzwasser schützten. Andererseits trug Kippenberger, so Semotan, sehr gerne Socken und beschäftigte sich wiederholt mit Socken und Füßen in seiner Kunst.12 Es scheint daher, als reflektiere Kippenberger sein

10 Semotan zitiert nach Kippenberger 2006, S. 514. 11 Das Atelier spielt als Ort eine bedeutsame Rolle für den Künstlerkult. Vgl. zum Topos des Ateliers als eines tragischen, mit dem Tod verbundenen Ortes u. a. Bätschmann 1997, S. 96–103. 12 Elfie Semotan im Gespräch mit der Verfasserin am 26.02.2014 in New York. Ein Beispiel ist das Multiple Socken (1991), siehe ­Ausst.-Kat. Braunschweig 2003, S. 98, Nr. 55. Ob Georg Baselitz’ Darstellung von abge-

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„Lebensdrama“13 im Historiengemälde und greife den Topos vom Gemälde als Spiegel der Gegenwart auf, wie er sich unter anderem in Bachmanns Zeitschriftenaufsatz findet. Auch Géricaults ausgeprägtes Interesse am Schiffbruch der Medusa, das sich in der langjährigen Beschäftigung, den geradezu obsessiven Recherchen und der Emotionalität der Figuren entfaltet, wurde als Kennzeichen der Identifikation des Malers mit dem Sujet angesehen. Die Darstellung des Existenzkampfes der Schiffbrüchigen wurde sogar als Ausdruck der persönlichen Lebensgeschichte betrachtet, die von Verlusten, Enttäuschungen und Misserfolgen geprägt war, wie zum Beispiel der Liebesbeziehung zur Ehefrau seines Onkels.14 Die anekdotischen Begebenheiten aus dem Leben Géricaults wie zum Beispiel der Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben während der Produktion des Gemäldes oder auch das Interesse am Morbiden, über die unter anderem Clément berichtet,15 trugen zu dieser Legendenbildung bei.16 Neben dieser an die Biografie des Malers gekoppelten Deutung des Gemäldes finden sich konkrete Merkmale der Subjektivität zudem im Schaffensprozess. Denn Géricault überlagert in seinem Gemälde die recherchierten Sachverhalte mit gestalterischer Freiheit. Die motivische Zuwendung zum individuellen Leiden verweist ebenso auf die Bedeutung der Subjektivität für das Verständnis des Gemäldes. Für Wedekind wird die Subjektivität schließlich zum Mittel, um die Wahrheit der Malerei zu beglaubigen. Denn durch Géricaults Abweichung von den Sachverhalten wirkt er mit seinem Gemälde auf die emotionale Wirklichkeit des Betrachters ein. Die Subjektivität des Malers wird im Floß der Medusa zur Marke der Authentizität des Gemäldes und die Malerei verweist gleichzeitig zurück auf die Subjektivität des Künstlers.17 Kippenberger spielt in Medusa nicht nur in den Fotografien, auch in den Gemälden, Zeichnungen und Drucken auf unterschiedliche Weise mit Authentizität. Das Briefpapier, aber auch die Münzen, das Malertuch, das Klebeband oder die wiederverwendeten Etiketten in den Lithografien erwecken den Eindruck, unmittelbar mit dem Leben des Künstlers verbunden zu sein und scheinen die Unverfälschtheit seines Kunstschaffens zu demonstrieren. Auch der Pinselduktus, die wilde, expressiv wirkende Malweise sowie die Spuren der Hand des Künstlers (durch Verwischungen oder Farbspritzer) weisen auf die Subjektivität des Malvorgangs und suggerieren, unmittelbarer Ausdruck des Künstlers zu sein. Besonders deutlich erweisen sich die Farbauswahl oder der gestische Farbauftrag

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trennten Füßen (P. D.  Füsse) aus den Jahren 1960–1963 einen Einfluss auf Kippenberger hatten, ist nicht bekannt. Semotan zitiert nach Kippenberger 2010, S. 514. Vgl. hierzu u. a. Eitner 1972, S. 12f., S. 57, S. 65f. Clément 1974, S. 132–143. Siehe Wedekind 2013, S. 56, S. 73. Wedekind weist daraufhin, dass es sich um eine Legendenbildung handelt und drückt Zweifel am Wahrheitsgehalt aus. Wedekind 2008, S. 222f. Auch für Bruno Chenique, „Géricault oder die Graumsakeit des Alltäglichen“, in: Géricault – Bilder auf Leben und Tod, hg. von Gregor Wedekind, A ­ usst.-Kat. Frankfurt am Main, Schirn Kunsthalle, 2013, Museum voor Schone Kunsten Gent, 2014, München 2013, S. 155–166, hier S. 166, besteht ein Zusammenhang zwischen der Zuwendung zur Individualität und der Darstellung von Wirklichkeit.

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in den Floß-Gemälden als Zeichen der Subjektivität, da die expressive Ästhetik die dokumentarische Funktion des Vorbildes verkehrt. So erscheinen auch die Floß-Darstellungen als Ausdruck der Subjektivität Kippenbergers. Wie bei Géricault scheint auch bei Kippenberger die Subjektivität des Künstlers unabhängig von der Gattung beziehungsweise dem Sujet in den Werken auf. 18 Kippenberger untergräbt jedoch den authentischen Eindruck seiner Gemälde und führt nicht nur in der Malerei vor, „dass gemalte Bilder keine Rückschlüsse auf ihren Urheber zulassen, auch wenn sie mit dessen Persona angereichert zu sein scheinen“19. So konterkariert beispielsweise das Klebeband in D.16 die geöffnete Körperhaltung der Figur, die metaphorisch für eine Offenbarung des Selbst im Bildnis stehen kann und durch den Schriftzug „Ich halte mich geschlossen“ revidiert wird. Zudem stammen die als Spuren seiner Subjektivität gedeuteten Elemente nicht unbedingt vom Künstler: Das Briefpapier wurde von Freunden gesammelt, die Gemälde wurden zumindest teilweise gemeinschaftlich angefertigt und die expressive Malerei ist eine persiflierende Bezugnahme auf verschiedene Malweisen. Darüber hinaus erzeugen auch einige Motive ein Wechselspiel zwischen Echtheit und Inszenierung. Für Graw bringt Kippenberger in den Selbstbildnissen „seinen Körper mit malerischen Mitteln deutlich ins Spiel, um ihn zugleich als malerisch vermittelt auszuweisen, wodurch er dem Betrachter natürlich entzogen bleibt.“20 In Gemälde P.62 streicht Kippenberger sein Selbstbildnis mit zwei diagonalen Balken aus und zieht damit die Glaubwürdigkeit des Bildes in Zweifel, da das Selbstbildnis als ungültig oder falsch ausgewiesen und die Bildhaftigkeit der Darstellung hervorgehoben wird. Diedrich Diederichsen schlägt für Kippenbergers Kunstschaffen daher den Begriff der Selbstdarstellung vor, den er im Kontext der Postmoderne zu Kippenbergers Werk von 1977–83 in einem Katalogbeitrag entwickelt. Wie Diederichsen darlegt, weist der Begriff „Selbstdarstellung“ einen doppelten Sinn auf und grenzt sich dadurch von verwandten Begriffen, wie zum Beispiel Selbstinszenierung, ab, da er sowohl die Repräsentation des Ichs im Bild als auch die Inszenierung der eigenen Identität bezeichnet, die über die Repräsentation erst konstruiert wird. Der Begriff „Darstellung“ bedeutet für Diederichsen „‚Interpretieren‘, ‚eine Form geben‘ und auch ‚Verfremden‘“21. Selbstdarstellung ist somit nie entweder Inszenierung oder authentischer Ausdruck, sondern ist die Verbindung des Interesses „an der eigenen Person mit dem Interesse an den performativen Prozessen“22. Die Selbstdarstellung bei Kippenberger entsteht aus dem Zusammenspiel zweier Aspekte, 18 Doris Krystof, „A Play of Selves“, in: „Jeder Künstler ist ein Mensch!“ – Positionen des Selbstportraits, hg. von Karola Kraus, A ­ usst.-Kat. Baden-Baden, Staatliche Kunsthalle, Köln 2010, S. 16–24, hier S. 18. Krystof zitiert dazu Pollock: „Malerei ist Selbstentdeckung. Jeder gute Künstler malt, was er ist.“ 19 Graw 2014, S. 24. 20 Ebd., S. 27f. 21 Diedrich Diederichsen, „Der Selbstdarsteller: Martin Kippenberger zwischen 1977 und 1983“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-Hermann, ­Ausst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 48. 22 Ebd.

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welche Diederichsen zufolge die Postmoderne prägen: Intertextualität und Sekundarität. Das Selbst ist für Diederichsen „als kleinste Arena der Intertextualität, als ein Netzwerk von Zwischenzustände[n]“23 zu verstehen und bildet damit keine feste Einheit mehr, sondern ist nur als Fragment in einem bestimmten Kontext wahrnehmbar.24 Auch Stefan Hartmann rückt eine solche Auffassung von Identität ins Zentrum seiner Dissertation über Kippenberger. Hartmann bezieht sich mit dem Begriff „Identität“ auf eine Ideengeschichte, die in der Postmoderne problematisiert werde: „Betont wurde nicht Einheit und Konsistenz, sondern radikale Differenz und Pluralität. Identität wurde als Konstrukt, als Projekt in stetem Wandel aufgefasst, als inkonsistent, brüchig, fragmentiert und hybrid.“25 In Medusa drückt sich dies insbesondere anhand des Rollenspiels bei der Nachstellung und den Körperdarstellungen aus. Über das Rollenspiel verweist Kippenberger auf die Pluralität von Identität und ihre Inszenierung. In den Selbstbildnissen wird Kippenbergers Körper oftmals nur ausschnitthaft wiedergegeben und macht so die fragmentierte Lektüre des Selbst anschaulich. Auch die Heterogenität der Malerei, die sich unter anderem durch die vielen Referenzen auf andere Malereistile ergibt, kann als Zeichen für die wandelbare Identität des Künstlers angesehen werden. Der Umgang mit der Signatur, die gemeinhin als Marke des Künstlers und Zeichen der Echtheit eines Werks gilt, verdeutlicht Kippenbergers spielerischen Umgang mit Identität. Im Gemälde P.59 zur Figur der Hoffnung streicht Kippenberger seine Signatur aus. In Gemälde P.69 steht der Buchstabe „K“ gerade nicht für Kippenberger, sondern ist Initiale des Wortes „Kompost“. In zwei der Lithografien der Edition IV/VI fügt er einmal die „Kippe“ als symbolischen Ersatz für seinen Namen hinzu (L.4) und ersetzt seine eigene Signatur ein anderes Mal durch den Namen „Dalí“ (L.7). Der variierende Umgang mit dem Namen beziehungsweise der Signatur ist ein weiteres Merkmal des Entzugs der Identität des Künstlers, zu der die Bilder aber gleichzeitig Zugang anzubieten scheinen. Ebenso wie eine wiedererkennbare Signatur gilt der Personalstil eines Künstlers als Erkennungsmerkmal und Marke der Authentizität der künstlerischen Identität. Durch die Heterogenität seiner Werke verweigert er sich deren Einheitlichkeit und Fixierung.26 In diesem Sinne kann auch die Aussparung des Kopfes in den Selbstbildnissen gedeutet werden. Gesicht und Augen werden in Selbstporträts besondere Bedeutung beigemessen:

23 Ebd. 24 Eine Entsprechung findet diese Auffassung im Konzept der Polykontexturalität der Systemtheorie, da auch hier nicht von einem feststehenden Subjekt ausgegangen wird, sondern sich eine Person nur durch Kommunikationen erfassen lässt, die wiederum von unterschiedlichen Perspektiven abhängen, siehe Kampmann 2006, S. 75. 25 Hartmann 2013, S. 9. 26 Schappert 1998, S. 11 sieht dies auch in der Signatur mit Zigaretten, das heißt „Kippenbergen“: „Man könnte aus der Anhäufung der Kippen die ironische Darstellung eines ‚multiplen Ichs‘ (Kippenberger) herauslesen.“

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Auge und Gesicht bestimmen in der klassischen Selbstdarstellung in der Ausformung als Selbstporträt weite Teile der Darstellungen. Vor allem dem Gesicht als ‚semiotisch dichteste Landschaft des Leibes‘ kommt neben dem Körper und indirekteren Attribuierungen die größte Aufmerksamkeit in Hinblick auf eine Ablesbarkeit von Empfindungen und Befindlichkeiten zu, die in der Lage sind, einen Weg zu Subjekt und Subjektivität zu weisen.27 In den Medusa-Selbstbildnissen besteht entweder eine buchstäbliche Verdichtung von Linien und Farbe in den Darstellungen des Gesichts, wodurch eine semiotische Überfrachtung stattfindet, oder es handelt sich um Rückenfiguren, bei denen Kippenberger sogar in drei Fällen vollständig auf die Darstellung seines Kopfes verzichtet (P.64, P.71, P.72). Die Lesbarkeit seiner Empfindungen wird dadurch beschränkt. Doris Krystof beschreibt „Identität“ in ähnlichen Worten wie Diederichsen: Identität beruht demnach auf dem modellhaften Entwerfen der eigenen Biografie und des Selbst. Das ‚Ich‘ wird im semantischen und sozialen Raum zur Leerstelle, die nach eigenen Prioritäten gefüllt wird, es erscheint als selbst produziertes, variables Konstrukt. Das Selbst artikuliert sich nur in der Präsenz der Aufführung, im Moment der Kommunikation, und im Erkennen des Spiels, der Illusion.28 Kippenberger vermittelt eine solche Auffassung von Identität in seinem Medusa-Werkkomplex. Das Motiv des Kopflosen in den Selbstbildnissen kann gleichzeitig als Zeichen für die mangelnde Könnerschaft des Künstlers verstanden werden und gibt so doch ein authentisches Bild für Kippenberger als Nichtskönner im Sinne des „Strategischen Dilettantismus“ ab. In P.58 erscheint die Identität des Künstlers zudem fragmentarisch, als ein variables Konstrukt aus einer Verbindung verschiedener Rollen. Eine Fragmentierung stellt Prina in Referenz auf Norman Brysons Analyse zur Männlichkeit in Géricaults Werk ebenfalls fest, zum Beispiel in den Studien von Leichenteilen. Bei Géricault werde dadurch die Unzulänglichkeit des Körpers, ein Selbstbild zu generieren, aufgezeigt.29 Schon in einer anonymen, zeitgenössischen Kritik wurde das Floß der Medusa abwertend als „fricassée“ beschrieben.30 In Analogie zu Géricault verfolge Kippenberger, so Prina, 27 Weinhart 2004, S. 231. 28 Krystof 2010, S. 24. 29 Prina 1998, S. 91f.; Bryson 1994, S. 256f. Bryson orientiert sich bei seiner Analyse an der Semiotik und bezieht sich zudem auf die Theorien Jacques Lacans. Er interpretiert das Gemälde damit nicht in seinem zeithistorischen Kontext des 19. Jahrhunderts, sondern verbindet die Identitätsvorstellungen des 20. Jahrhunderts mit dem Gemälde. 30 Siehe Wedekind 2008, S. 106, Anm. 214. Der Begriff wurde genutzt, um die Anonymität und Einheitlichkeit der Figuren, die unter anderem durch das Inkarnat entsteht, zu bezeichnen.

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das Bestreben, zu zeigen, dass man niemals Zeuge einer endgültigen und umfassenden Subjekthaftigkeit wird, sondern nur von einer, die sich in einer hyperbelartigen Rate vervielfältigt und eine unbestreitbare Allgegenwart erreicht.31 Das Astérix-Gemälde lässt durch die Fragmentierung der Figuren und ihrer Anhäufung im Zentrum in Medusa am deutlichsten einen vergleichbaren Eindruck des Zerstückelten entstehen. Die Mehrdeutigkeit des Subjektes „Je“ in der Sprechblase im Astérix-Gemälde nimmt das Thema der Vervielfältigung des Selbst auf, da unbestimmbar bleibt, wer „Ich“ eigentlich ist. „Ich“ ist hier nicht mehr nur – in Anlehnung an Arthur Rimbaud – ein anderer, sondern in einer Vielzahl vorhanden. Die Vorstellung einer multiplen Identität wird in diesem Gemälde auf die Spitze getrieben, indem sich Kippenberger gleichsam als mehrköpfiger Organismus präsentiert.32 Für Prina betreibt Kippenberger in Medusa letztlich eine schrittweise Auslöschung des Körpers und damit des Selbst. In P.71 ist der Körper des Künstlers nur noch als Andeutung erkennbar, worin womöglich eine Anlehnung an die unfertige Studie Géricaults für Figur R besteht (Taf. XIII). Die Auslöschung des Körpers wird jedoch erst durch ihre Darstellung im Bild deutlich, so dass hier Diederichsens Definition der Selbstdarstellung Kippenbergers ebenfalls greift. Der zweite Begriff, Sekundarität, bezeichnet nach Diederichsen die Negation des „Unmittelbarkeitskitsch“ der älteren Generationen und ihrer Selbsterfahrungskultur, wodurch Sekundarität eine „neue, zeitgemäße Form authentischer Welthabe“33 sei. Doch ist die Figurendarstellung aus dem Floß der Medusa bereits eine Weiterführung der Erfindungen anderer Künstler. Géricault macht durch den Rückgriff auf tradierte Figurendarstellungen die Emotionen lesbar. Zum Beispiel lässt sich bei der Figur des Vaters (Figur B) mit seinem auf die Hand gestützten Kopf und stieren Blick der Rückgriff auf eine klassizistische Figurendarstellung erkennen, die ihrerseits aus früheren Darstellungen, wie zum Beispiel Albrecht Dürers Melencolia, hervorging.34 Auch die anderen Schiffbrüchigen sind „echoes of the past“35 und können als „Engramme leidenschaftlicher Erfahrung“36 mit Aby Warburgs Begriff der Pathosformel beschrieben werden. Warburg beschäftigte sich in seinem unvollendeten Projekt Mnemosyne mit der Darstellung von Leidensausdrücken in der europäischen Kultur von der Antike an.37 Bei der Pathosformel nach Warburg geht es

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Prina 1998, S. 87. Vgl. Sanchez 2016, S. 36. Diederichsen 2003, S. 48. Siehe u. a. Wedekind 2014, S. 244. Für die Vorbilder vgl. auch Eitner 1972, S. 46. Eitner 1972, S. 46. Aby Warburg, „Einleitung“, in: Aby Warburg. Gesammelte Schriften, hg. von Horst Bredekamp et al., Bd. II.1, Berlin⁴ 2012, S. 3–6, hier S. 3. 37 Warburg fasst diesen Begriff allerdings nie theoretisch, so dass der Begriff selbst zur Formel wurde, worauf Ulrich Pfisterer, „‚Die Bildwissenschaft ist mühelos‘“, in: Visuelle Topoi. Erfindung und tradiertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance, hg. von dems. und Max Seidel, München und Berlin 2003, S. 21–47, hier

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offenbar nicht um eine unvermittelte, gleichsam naturwüchsige Faktizität von Affekten, Leiden und Leidenschaften, sondern um eine bereits kulturell überformte und diskursivierte Darstellung derselben. Das aber weist auf eine unvermeidbare Spannung zwischen der performativen Intention und der intendierten oder realisierten Sache selbst, die sich per definitionem doch der Verfügungsgewalt ihrer Trägersubjekte entziehen soll. Ob im Pathos Affekte simuliert oder stimuliert werden, bleibt schon in der antiken Rhetorik unscharf.38 Kippenberger macht im Medusa-Komplex eine solche Formalisierung heftiger Erregung und die kulturelle Überformung der Gefühlsausdrücke nicht nur durch die Starre seines Ausdrucks innerer Bewegung in den Fotografien, sondern auch durch die verformenden Wiederholungen der gleichen Posen in Fotografie, Zeichnung, Malerei und Lithografie explizit. Die Konzentration auf das Pathos und die Zeichenhaftigkeit des Körpers, die im Floß der Medusa bereits angelegt ist, werden bei Kippenberger noch gesteigert, indem die Szene auf die isolierte Figur reduziert wird. Der Fokus liegt allein auf dem körperlichen Gefühlsausdruck, der das Wechselverhältnis von Authentizität durch die physische Ergriffenheit und Inszenierung durch die tradierte Darstellung beinhaltet. Die Spannung zwischen Simulation und Stimulation wird nicht aufgelöst, sondern gestärkt. Deutlicher noch als die Malerei verweist die Fotografie auf die Lebenswirklichkeit und Momenthaftigkeit des festgehaltenen Augenblicks, die von Kippenberger durch die starren Haltungen gebrochen werden. Die Posen, die sich als narrativ qualifizieren ließen, zum Beispiel die signalisierenden Figuren in Ph.2, Ph.16 und Ph.17 werden vor dem neutralen Kontext und der Isolation des Künstlers als Inszenierungen kenntlich. Der Künstler hat sich der Wand zugewendet, mit einer Geste, deren Adressat unbestimmt bleibt. Die Umgebung, die durch ihre Reduktion und Neutralität einen authentischen Blick auf den Künstler zu verheißen scheint, wird als inszeniertes Setting erkenntlich, das als Mittel dient, um die Intimität der Darstellungen und den Fokus auf den Künstler zu steigern. Dies zeigt sich auch an der Lichteinstellung oder der Wahl der Schwarz-Weiß-Fotografie, die als gestalterische Mittel zur melancholischen Stimmung und dem Eindruck von Authentizität führen. Die Inkongruenz trägt einerseits zur komischen Wirkung der Bilder bei und verdeutlicht andererseits, dass die mit der Gattung Selbstporträt verknüpfte Vorstellung des Betrachters, intime Einblicke in das Leben und die Innenwelt des Künstlers zu erhalten, von Kippenberger über Inszenierung und Rollenspiel erfüllt wird. Die in der Kunst enthaltene Subjektivität erweist sich nicht nur als Marke der Authentizität der Bilder, sonS. 41, Anm. 5 hinweist. Pfisterer weist auch darauf hin, dass der Begriff im Anschluss durch Begriffe wie zum Beispiel „Ausdruckstypen“ oder „Typengeschichte“ abgelöst wurde, ebd. S. 27. 38 Ulricht Port, Pathosformeln. Die Tragödie und die Geschichte exaltierter Affekte (1755–1888), München 2005, S. 25. Port untersucht die Pathosformel in Hinblick auf die Intermedialität zwischen Bild und Text und koppelt Warburgs Untersuchungen an die Rhetorik und Tragödientheorie. Vgl. dazu auch Susi K. Frank, „Einleitung“, in: Bildformeln. Visuelle Erinnerungskulturen in Osteuropa, hg. von ders., Bielefeld 2018, S. 7–34.

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dern wird von Kippenberger eingesetzt, um, im Gegensatz zu Géricault, die Vermitteltheit von Wirklichkeit in Bildern aufzuzeigen. Die Sekundarität wird bei Kippenberger durch medienspezifische Verfahren und Motive deutlich, die entsprechend der dilettantischen Arbeitsweise mit Illusionismus brechen und die Bildhaftigkeit vor Augen führen, wie das abstrahierende Moment der Schwarz-Weiß-Fotografie, die gebrochene Räumlichkeit, die Verfremdungen des Körpers, die Auslassungen und Überzeichnungen, das Mischen von Bild und Schrift sowie die „Fehler“ und Ironiefiguren. Insbesondere die Formelhaftigkeit der Posen zeigt, dass Kippenbergers Referenzpunkt bereits eine vermittelte Darstellung anstatt der unmittelbaren Wirklichkeit bildet. Für Diederichsen liegt darin die neue Form der Authentizität. Indem die Werke nicht vorgeben, ein unmittelbares Abbild der Wirklichkeit zu sein, erreichen sie eine authentische Wirkung und scheinen sich der Wirklichkeit über diesen Umweg wieder anzunähern. In Medusa wird deutlich, dass das Thema der Identität und Subjektivität nicht nur die Gattung des Selbstporträts betrifft, sondern sich auf einer grundsätzlichen Ebene auf jegliches Kunstschaffen beziehen lässt, wie durch die Referenz auf Géricault, aber auch durch die Floß-Bilder aus dem Medusa-Komplex deutlich wird. Ein Kunstwerk ist mit der Subjektivität eines Künstlers verbunden, aber – so verdeutlicht Kippenberger mit Medusa vor dem Hintergrund von Géricaults Malerei – diese Subjektivität kann vom Künstler als Mittel eingesetzt werden, um Authentizität zu inszenieren, Erwartungen zu erfüllen und dabei Identität auszuformen. Kippenberger übermittelt in Medusa zeitgenössische Identitätsvorstellungen in ihrer Widersprüchlichkeit mithilfe seiner Körperdarstellungen:39 Der Körper repräsentiert Identität und steht für das „Ich“ als anderen, er steht für die unmittelbare Realitätserfahrung, aber gleichzeitig auch für die Sekundarität jeder Erfahrung, er steht für eine spezifische, einheitliche Person und für den fragmentarischen Charakter des Werdens und die Prozessualität des Aufführens dieser Person. Wahre, authentische Aspekte und inszenierte, künstliche Elemente werden in Kippenbergers Medusa in einem Moment der Aufführung beziehungsweise Kommunikation zusammengebracht. An Kippenbergers regelrechter Übersteigerung dieser Diskurse der 1990er Jahre in Medusa zeigt sich, dass die Darstellungen des fragmentierten Körpers und der multiplen Identität wie rhetorische Mittel eingesetzt werden, um den zeitgenössischen Erwartungen nachzukommen, diese jedoch auch gleichzeitig ironisch infrage zu stellen. Die Socken, in denen sich Kippenberger zeigt (Ph.8, Ph.9), sind ein aufschlussreiches Beispiel dafür. Das Motiv der verhüllten Füße schafft einen Eindruck von Authentizität und erhält darin die gleiche Funktion wie im Floß der Medusa. Im Ereignisbild macht dieses Motiv ein Detail aus dem Bericht Corréards anschaulich und festigt somit die Authentizität der Wieder-

39 Vgl. neben den genannten Forschungsbeiträgen zum Thema Identität auch exemplarisch zum zeitgenössischen Diskurs ­Ausst.-Kat. Lausanne 1992; Multiple Identity, amerikanische Kunst 1975–1995 aus dem Whitney Museum of American Art, ­Ausst.-Kat. Bonn, Kunstmuseum, 1997, Ostfildern 1997; Kunstforum I/II 1996 oder das Thema der 46. Venedig-Biennale „Identität & Alterität“.

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gabe des Ereignisses. Auch bei Kippenberger besteht ein Bezug zur Wirklichkeit, da sich darin ein Teil der Persönlichkeit des Künstlers zeigt. Allerdings ist die Ähnlichkeit der Socken zu Géricaults Darstellung der verbundenen Füße rein formaler Natur. Denn während die verhüllten Füße im Fall der Schiffbrüchigen zur notdürftigen Milderung der Pein dienen und die tatsächliche körperliche Tortur anschaulich machen, stehen die Socken bei Kippenberger für warme Füße, kleinbürgerliche Gemütlichkeit und eine persönliche Präferenz. Die Gleichsetzung erscheint vermessen und der Betrachter kann das Motiv als eine peinliche Bloßstellung des schlechten Charakters des Künstlers sehen. Gerade bei der Nachstellung der Figur C (Ph.9, Taf. III) wird das Gefühl der Peinlichkeit noch gestärkt. Denn die Erotik des bis auf die Füße gänzlich entblößten Schiffbrüchigen, der leblos in den Armen des Vaters liegt, wird von Kippenberger konterkariert, indem er ­Socken trägt, was als erotischer Fauxpas gilt. Baumann deutet Kippenbergers Selbstporträts seit den späten 1980er Jahren entsprechend und schreibt ihnen die Funktion der Selbstentblößung gegenüber einer Selbststilisierung zu.40 Eben weil es sich um inszenierte Bilder handelt, erzeugt diese Entblößung jedoch Witz. Das Motiv erweist sich als (selbst-)ironisches Detail, das auf humorvolle Weise den distanzierten Blick auf die Konstruktion des Selbst zwischen Authentizität und Inszenierung, Wirklichkeit und Fiktion aufzeigt.

4.1.2 Allegorien – die Unlesbarkeit der Zeichen Da Kippenberger das Ereignisbild in Selbstbildnisse überführt, stellt sich die Frage, inwiefern das eigentliche Sujet des Vorbildes – der Schiffbruch – noch von Bedeutung ist. Bei der Nachstellung löst Kippenberger die Figuren aus ihrem Kontext und das Atelier bildet in den Fotografien das Setting. Bezüge zu einem Schiffbruch bestehen nicht. In den Zeichnungen entbindet Kippenberger die Posen außerdem auch vom Atelierumfeld und stellt seinen fragmentierten Körper frei auf dem sonst leeren Briefpapier dar; nur in Zeichnung D.13, in welcher die Argus in abstrahierten Umrissen am Horizont sichtbar ist, wird eine Referenz über die Pose hinaus auf den Schiffbruch hergestellt. In den gemalten Medusa-Selbstbildnissen bilden die motivischen Anlehnungen an den Schiffbruch ebenfalls die Ausnahme. Weder die Farbfelder noch die Monochromie der Malereien weisen eine Verbindung zum Vorbild auf und sind überdies in ihrer Verwendung innerhalb des Gesamtwerks nicht einmal spezifisch für diese Reihe an Selbstbildnissen. Manche der M ­ edusa-Selbstbildnisse lassen für sich genommen weder an einen Schiffbruch noch an das Floß der Medusa denken. Zum Beispiel wird bei Gemälde P.60 die Referenz auf ­Géricault nur durch den Titelzusatz und den intermedialen Zusammenhang des Werkkomplexes deutlich. In wenigen Ausnahmen führt Kippenberger motivische Anspielungen auf das Vorbild in abstrahierter Form ein, wie zum Beispiel Wolke, Wellen oder Floß. 40 Siehe Baumann 1998, S. 57.

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Auch die Bilder zum Floß-Motiv abstrahieren dieses auf eine Weise, die den Bezug auf die Rekonstruktion nach Corréard nicht unbedingt ohne die Kenntnis des Vorbildes offensichtlich werden lassen. In den drei Lithografien L.1, L.3 und L.4 sowie im Astérix-Gemälde finden sich noch die deutlichsten Referenzen auf den Schiffbruch, da die Figuren jeweils von Mast und Segel begleitet werden. Das Motiv des Schiffbruchs war jedoch grundlegend für die allegorische Bedeutung des Floß der Medusa. Die durch das Fehlverhalten der Menschen herbeigeführte Katastrophe steht im übertragenen Sinn für das Scheitern der Gesellschaft nach der Französischen Revolution, was sie in den Zwiespalt zwischen Hoffen und Verzweifeln gestoßen hat. Bei Kippenberger findet eine motivische Ablösung vom Schiffbruch-Sujet statt, welches hingegen über das künstlerische Verfahren des „Strategischen Dilettantismus“ weitergeführt wird. Fehler in der Orthografie oder das Verfehlen erhobener Ansprüche inszenieren ein Scheitern des Künstlers auf persönlicher, intellektueller und professioneller Ebene. Der Schiffbruch bezieht sich so in Medusa nicht auf eine spezifische Ausnahmesituation, sondern wird als Metapher des Scheiterns in den Alltag überführt und nahbar. Dieser Transfer des Themas in den Alltag kann an der Nachstellung abgelesen werden. Die Resignation und Verzweiflung der Figur des Vaters (Figur B), der seinen toten Sohn in den Armen hält (Figur C), erscheint bei Kippenberger in der entsprechenden Fotografie Ph.6 in schwarzer Jeans mit Uhr und Leintuch über den Oberschenkeln schlichtweg wie Ermüdung angesichts des (Arbeits-)Alltags. Das Fehlen des toten Sohnes nimmt der Figur die Tragik und überlässt den Auslöser für die Resignation der Imagination des Betrachters. Die Figur des Sohnes wiederum stellt Kippenberger in Ph.9 nur mit Socken bekleidet nach und zeigt sich ausgestreckt am Bettrand liegend, als wäre er nach einer durchzechten Nacht oder anderer Anstrengung sprichwörtlich „wie tot ins Bett gefallen“. Die Nachstellung der leblosen Figuren erinnert bei Kippenberger trotz des Bettes weniger an eine Totenstatt als an die Darstellung des Künstlers im Schlaf (zum Beispiel in Ph.8 und Ph.9). Das Delirium der Schiffbrüchigen, das durch Hunger, Hitze und Durst herbeigeführt wurde und sich in den verdrehten Körperhaltungen, den abgespreizten Gliedmaßen oder verrenkten Kopfhaltungen ausdrückt, erscheint im Atelierraum der ­Medusa-Fotografien wie ein Kontrollverlust über den Körper, der durch Erschöpfung, Schlaf, Rausch oder Krankheit hervorgerufen wird; Erfahrungen, die jeder im Alltag macht – im Gegensatz zu einem tatsächlichen Schiffbruch. Damit stellt Kippenberger eine Nähe zur Lebenswirklichkeit des Betrachters der Wohlstandsgesellschaft der 1990er Jahre her und zeigt metaphorische Schiffbrüche eines – im Vergleich zur außerordentlichen Tragödie bei Géricault – trivialen Existenzkampfes, der sich im privaten Raum alltäglich abspielt. Die minimalen Änderungen an den Körperhaltungen, die Kippenberger bei der Nachstellung vornimmt, sowie ihre Lösung vom Kontext führen dazu, dass die Fotografien andere emotionale Zustände vermitteln als die Figuren in Géricaults Gemälde. Während das Floß der Medusa auf einem Antagonismus der Gefühlschiffren von Hoffen und Verzweifeln aufgebaut ist, scheint Kippenberger diesen Gegensatz, wie er zum Beispiel

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zwischen der Figur des Vaters (Figur B) und der Figur der Hoffnung (Figur P) besteht, aufzulösen. Bei der Nachstellung der Figur der Hoffnung (Taf. XII) fehlen der aufsteigenden Figur die Dynamik und Energie, die Ausdruck des hoffnungsvollen Aufbäumens gegen den Tod sind. Kippenbergers Körperhaltung erinnert stattdessen an ein Abschiedswinken, was durch die Referenz auf den Comic im Astérix-Gemälde bestärkt wird. Denn schon im Comic wird die Figur P durch einen Piraten ersetzt, der Abschied vom sinkenden Schiff nimmt. Kippenberger verkörpert in der Pose von Figur P keine Hoffnung mehr, dafür repräsentiert Figur B im Medusa-Komplex auch keine Resignation angesichts des Todes, sondern eher Erschöpfung. Auf der einen Seite erfüllt Kippenbergers Nachstellung so die inhaltliche Offenheit von Pathosformeln, die nach Warburg „als Elemente einer Sprache aufrufbar sind, aber je nach Kontext immer wieder semantisch neu aufgeladen werden können“41. Aufgrund der Differenz der Posen gegenüber den zugrunde liegenden Vorbildern kann Kippenbergers Aneignung wie die Pathosformel „als Vergleichsfolie für das je Eigene eines Kunstwerkes und einer Kultur“42 dienen. Auf der anderen Seite erweist sich Kippenbergers Nachstellung durch diese Differenz nur bedingt als eine Einfühlung in die Figuren aus dem Floß der Medusa. Die von Kippenberger dargestellten Emotionen entsprechen nicht in jedem Fall der Gefühlschiffre aus dem Vorbild und unterscheiden sich durch die Abweichungen im Grad des Affekts (Ermüdung statt Verzweiflung angesichts des Todes) oder ihrer Uneindeutigkeit (Abschied statt Hoffnung). Eine Analyse der von Kippenberger angeeigneten Gefühlschiffren aus dem Vorbild gibt folglich keinen Aufschluss darüber, ob Kippenberger der positiven oder negativen Seite des Gemäldes Vorrang gibt.43 Die Beobachtung, dass Kippenberger eine zusätzliche liegende Figur in seinen Werkkomplex aufnimmt (Taf. XVII), die aus einem Detail der Fotografie Ph.9 hervorgeht, bedeutet nicht die Stärkung von Verzweiflung im Medusa-Werkkomplex gegenüber Géricaults Gemälde. Die Medusa-Zeichnungen weisen dadurch zwar sechs statt fünf leblos wirkende Körper auf, wie im Floß der Medusa der Fall (Figuren A, C, O, G und S), doch hält Kippenberger seine Körpersprache uneindeutig. Zum Beispiel erscheinen die Augen der sechsten, zusätzlichen Figur in Zeichnung D.1 aufgrund der

41 Frank 2018, S. 9. Vgl. hierzu auch Pfisterer 2003, S. 28f. 42 Pfisterer 2003, S. 26. Im Erkennen dieser Differenzen zwischen den Kulturen sieht Pfisterer den Beweggrund für Warburgs Untersuchung. 43 Eine solche Analyse der zwanzig Figuren aus dem Vorbild würde zu folgendem Ergebnis führen: Dem Bericht zufolge müssten fünf Figuren bereits tot sein, hierzu zählen Figuren A, C und O sowie die Figuren G und S, die von Kippenberger allesamt angeeignet werden, wobei zu Figur S kein Gemälde existiert. Zu den hoffnungsvollen Figuren zählt die Gruppe um das Fass (M, N, P, Q, R, T), von denen Kippenberger alle außer Figur M rezipiert (auf Q und R verzichtet er in den Lithografien). Die Hoffnung keimt in der Gruppe um Figur K auf (H, I, J, K), wobei Figur J von Zweifeln geprägt ist und Figur I die Hände zum Gebet gefaltet hat. Kippenberger bezieht sich auf Figur K und womöglich mit P.66 und D.12 auf Figuren H oder I. Figuren B, D und E sind der Verzweiflung zuzurechnen; von diesen Figuren stellt Kippenberger nur Figur B nach. Zudem findet sich die resignierte Figur F in Medusa. Die Figur L, die kurz vor der Bewusstlosigkeit zu sein scheint, ähnelt dem Selbstbildnis aus P.73 und D.7.

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Übertragung der Schatten aus der Fotografie Ph.9 nicht eindeutig offen oder geschlossen. In der entsprechenden Lithografie L.12 der Edition IV/VI zeichnet Kippenberger eine Pupille an die Stelle des Auges und verleiht sich damit zumindest ein geöffnetes Auge. Der Widerstreit zwischen Hoffnung und Verzweiflung wird auf die Konzeption des einzelnen Bildes verlagert. Kippenberger übernimmt die Posen aus dem Floß der Medusa, verleiht diesen jedoch eine andere Bedeutung. Zeichen und Bedeutung werden voneinander abgekoppelt und die Lesbarkeit der Körperdarstellungen eingeschränkt. Die Trennung von Zeichen und Bedeutung und ihre daraus resultierende Unlesbarkeit wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Merkmale allegorischer Verfahren beschrieben. Die Allegorie erlebte, in Anlehnung an Walter Benjamins Text zum barocken Trauerspiel, ab den 1970er Jahren eine Rehabilitierung und Aktualisierung.44 Benjamin definierte dabei den Begriff der Allegorie gegenüber dem Symbol und brachte Aspekte wie Fragmentierung, Ungleichheit und Gegensätzlichkeit mit der Allegorie in Verbindung.45 Ende der 1970er Jahre brachte Paul De Man im Kontext dekonstruktivistischer Ansätze in der Literaturwissenschaft die Allegorie mit der Lektüre von Texten in Verbindung. Für De Man geben Texte Anlass zu endlosen Lektüren und stellen daher Allegorien der Unlesbarkeit dar.46 Unter anderem Craig Owens machte die Theorien Benjamins und De Mans in den 1980ern für die Kunst fruchtbar und untersuchte die Allegorie in Bezug auf Land Art und Appropriation Art.47 Owens beschreibt die Allegorie als ein „Bilder­ rätsel“48, das auf einer fundamentalen Unlesbarkeit der visuellen Zeichen beruhe. Das gleiche Zeichen könne widersprüchliche Bedeutungen tragen, wodurch die Bildlektüre an sich problematisiert werde und in Unsicherheit verhaftet bleiben müsse.49 44 Walter Benjamin, Der Ursprung des deutschen Trauerspiels [1928], hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main² 1982. Während die Allegorie als Anticredo der Moderne gegolten habe, gerade aufgrund ihrer Verbindung zur Historienmalerei, erlebt sie für Owens am ausgehenden 20. Jahrhundert eine neue Beliebtheit. Vgl. Craig Owens, „The Allegorical Impulse: Toward a Theory of Postmodernism, Part I“, in: October, Bd. 12, 1980, S. 67–86, hier S. 67, S. 77; Gail Day, „Allegory: Between Deconstruction and Dialectics“, in: Oxford Art Journal, Bd. 22, 1999, Nr. 1, S. 105–118, hier S. 105; Haselstein 2016, S. IX–XV. 45 Vgl. Day 1999, S. 107–109. 46 Paul De Man, Allegories of Reading. Figural Language in Rousseau, Nietzsche, Rilke, and Proust, Yale 1979. 47 Owens, Part I, 1980 und Craig Owens, „The Allegorical Impulse: Toward a Theory of Postmodernism, Part II“, in: October, Bd. 13, 1980, S. 58–80. Benjamin Buchloh wendete den Begriff der Allegorie kurz darauf in „Allegorical Procedures: Appropriation and Montage in Contemporary Art“, in: Artforum, Bd. 21, 1982, Nr. 1, S. 43–56 für die Strategien der Appropriation und Montage in der zeitgenössischen, amerikanischen Kunst an. Buchloh bringt den Begriff der Allegorie nach Owens mit der Strategie der Montage in Verbindung, die aus Beschlagnahmung, Superimposition und Fragmentation bestehe. In Weiterführung dieser Ansätze beschreibt die Allegorie für Peter Bürger in seiner Theorie der Avantgarde einen Schlüssel zum Verständnis der Malerei der 1980er Jahre in Europa, siehe Peter Bürger, Theorie der Avantgarde [1974], Göttingen 2017. Für einen Vergleich der Theorien siehe Engler 2015, S. 18f. 48 Unter „Bilderrätsel“ versteht Owens Part I, 1980, S. 74 eine Art Hieroglyphe, das heißt Schrift, die sich aus Bildern zusammensetzt. 49 Siehe Owens, Part I, 1980, S. 74 und Owens, Part II, S. 60. Owens führt dabei die Performance Americans on the Move von Laurie Anderson an und weist auf die Geste des Winkens, deren Doppeldeutigkeit in der Per-

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Die Unlesbarkeit der Bilder, die sich aus der Fragmentierung der Vorbilder und ihrer Verbindung mit neuen Referenzen ergibt, ist in der Tat ein zentraler Aspekt des ­Medusa-Werkkomplexes. In einigen Fällen wird diese Unlesbarkeit konkret durch die Kombination von Schrift- und Bildsprache erzielt. Für Hubmann stellt die Sprache in Medusa, im Gegensatz zur Sprache im übrigen Werk Kippenbergers, eine Verbuchstäblichung dar. Dies trifft zwar auf einer Ebene der Deutung zu, wie bei „JE SUIS Meduse“ im Astérix-Gemälde, das eine Referenz auf das Floß der Medusa ist, bei „Hope“ in Gemälde P.59, das die Figur der Hoffnung zeigt, oder bei „The End“ in Lithografie L.15, die das untere Ende des Floßes abbildet. Doch wird bereits die Lesbarkeit der Schrift durch Schreibfehler und die Darstellung von „Hope“ auf dem Kopf erschwert. In anderen Gemälden unterminieren das Ausstreichen von Buchstaben, unbekannte Abkürzungen oder die Fortsetzung eines Wortes auf dem Bildrand die Bedeutung der Schrift. Zudem erweisen sich die Bedeutungen oftmals als konträr zu den Darstellungen selbst, die auch das Gegenteil suggerieren – das Gemälde P.58 ist in erster Linie eine Aneignung des Astérix-Comics und nicht des Floß der Medusa, Gemälde P.59 vermittelt auf den ersten Blick keine Hoffnung und die Offenheit des Begriffs „The End“ konterkariert sich durch die unabschließbare Deutungsvielfalt selbst. Der Ausdruck „Kompost Bild“ in P.69 enthält an sich schon eine doppelte Bedeutung, da es sich um die abwertende Bezeichnung eines Bildes als Abfall handelt. Da das Kompostieren eigentlich ein produktives Mittel ist, um aus vorgefundenem Abfall etwas Neues entstehen zu lassen, hat das Wort aber ebenso eine positive Bedeutung. Auch die Zeichnung D.16 erzeugt eine solche unlesbare Konfrontation gegensätzlicher Bedeutungen zwischen offener Körperhaltung und dem Aufdruck des Klebebandes „Ich halte mich geschlossen“. Die Schriftsprache in Medusa ist also gerade nicht buchstäblich, sondern bleibt uneindeutig, im Fall der Abkürzung „F. M. F.“ sogar vollständig rätselhaft. Auch ohne den Einsatz von Schrift weisen die Medusa-Arbeiten Widersprüchlichkeiten auf, wie am Fluktuieren zwischen Authentizität und Inszenierung schon gezeigt wurde. Durch die Kombination verschiedener Malweisen in einem Bild, wie zum Beispiel die Verbindung figurativer und ungegenständlicher Malerei, entstehen ebenfalls Mehrdeutigkeiten. Insbesondere in den Floß-Gemälden zeigt sich im Kontrast zur ursprünglichen Funktion der Rekonstruktionsansicht Corréards, die auf Eindeutigkeit und Wirklichkeitstreue abzielte, die Auflösung des eindeutigen Verhältnisses von Zeichen und Bedeutung bei Kippenberger. Die Darstellungen enthalten dadurch allegorische Bedeutung und können unter anderem als Sinnbilder des Schiffbruchs der Malerei gesehen werden. Die paradoxe Struktur ist nach Owens ein weiteres Merkmal der Allegorie, die eine „blind confrontation of antithetical meanings“50 sei. Owens schreibt weiter: „We thus enformance als Begrüßung oder Abschied thematisiert wird. Entsprechend ist auch die Geste in Kippenbergers Gemälde P.59 von gegenläufiger Bedeutung. 50 Owens Part II, 1980, S. 72.

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counter once again the unavoidable necessity of participating in the very activity that is being denounced precisely in order to denounce it [Hervorhebung im Original].“51 Ein vergleichbares Paradox wurde für die Verfahren des „Strategischen Dilettantismus“ und Bad Painting nachgewiesen, die auf (gesellschaftlich und moralisch festgelegte) Kategorien wie gut/schlecht Bezug nehmen, um diese zu dekonstruieren. Ein Spiel mit Gegensätzen findet sich auch bei der Körperdarstellung im Floß der Medusa. Die Körper der Toten beziehungsweise Sterbenden wirken durch die Muskulatur und Posen lebendig, während die Lebenden durch das grünliche Inkarnat und ihre Körperhaltung vom Tod überschattet werden.52 Eine Verbindung von Tod und Leben zeigt sich im Vater-Sohn-Paar aus dem Floß der Medusa, da der lebende Vater angesichts seines toten Sohnes erstarrt ist, während der schöne, entblößte Körper des toten Sohnes auf den Eros weist. Auch in der Figur O gehen Lebens- und Todestrieb eine antithetische Verbindung ein. Der mit dem Kopf im Wasser liegende, scheinbar tote Schiffbrüchige ist kurz davor, vom Floß ins Wasser zu gleiten. Seine linke Hand scheint sich jedoch lebendig und kraftvoll um eine Planke zu schließen, als würde er sich mit letzter Willenskraft am Leben festklammern. Dabei bedeckt ihn ein transparent gewordenes Tuch derart, dass gerade noch der Ansatz des Schamhaares sichtbar ist und eine Brustwarze durch das Tuch durchscheint. Das erotische Spiel von Verhüllen und Zeigen erweckt Anstoß. Wedekind beschreibt die Wirkung auf den Betrachter folgendermaßen: Das Vermischen von Tod und Leben führt zur Verstörung des Betrachters; ein visueller Zwiespalt, wie er auch in den beiden hingesunkenen Körpern der Jünglinge im Vordergrund akzentuiert wird. […] Der ins Obszöne spielende Bezug von Entblößung und Bekleidung unterstreicht mit dem Verweis auf die Schönheit des jungen Körpers die Grausamkeit des Todes und führt den Betrachter in die Ambivalenz von Eros und Thanatos.53 Insbesondere in der Reihe „Géricault/Batters“ greift Kippenberger diesen Antagonismus der Körperdarstellung (Eros, Thanatos) auf und verbindet diesen mit der Uneindeutigkeit der Körpersprache, die sowohl Ekstase als auch Leid bedeuten kann. Er erzeugt eine anstößige Verbindung von Lebens- und Todestrieb, da die erotische Wirkung der Fotografien von Batters durch die Überlagerung mit Géricaults Studien nach Leichen(-teilen) be51 Owens, Part II, 1980, S. 79. Owens Part I, 1980, S. 69 verbindet die Allegorie daher auch mit der Kommentarhaftigkeit von Kunst: „Conceived in this way, allegory becomes the model of all commentary“. Das Thema der Kommentarhaftigkeit und Kommentarbedürftigkeit von zeitgenössischer Kunst wurde in dieser Zeit ebenfalls diskutiert, siehe Arnold Gehlen, Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, Frankfurt am Main 1986 und Schappert 1998, S. 164–168. 52 Vgl. hierzu die Kunstkritik und die zeitgenössische Wahrnehmung des Gemäldes, zum Beispiel bei Wedekind 2008, S. 68–154. 53 Wedekind 2014, S. 245.

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einträchtigt wird und verstörend erscheint. Im Gegenzug wird die erotische Wirkung der Studien Géricaults durch die Kombination mit Batters’ Erotik-Fotografien hervorgehoben. In den Medusa-Selbstbildnissen sind die Verformungen des Körpers als Verweise auf die Sterblichkeit deutbar, da sie den körperlichen Verfall durch Krankheit oder Alter bedeuten. Die Assoziationen mit Vergänglichkeit und Verfall werden durch die Armbanduhr als Vanitas-Symbol, die starren Posen und die das Abgebildete schmutzig wirken lassende Darstellungsweise unterstützt. Allerdings weisen die Selbstbildnisse durch die Verfahren des „Strategischen Dilettantismus“ gleichzeitig auch einen lebendigen Ausdruck auf: Die in die Bilder integrierten Objekte, die Farbigkeit, die Sichtbarkeit der künstlerischen Hand (in Duktus oder durch Farbflecke) sowie die Verwendung von Schriftsprache verleihen den Bildern eine Vitalität, die den Verweisen auf Sterblichkeit entgegensteht.54 Das Paradigma der Allegorie ist für Owens jedoch das Palimpsest, eine Überschreibung der in den Bildern enthaltenen Bedeutungen.55 Er schreibt, the allegorist does not invent images but confiscates them. […] He does not restore an original meaning that may have been lost or obscured […]. Rather, he adds another meaning to the image. If he adds, however, he does so only to replace: the allegorical meaning supplants an antecedent one; it is a supplement.56 Die Reihe „Géricault/Batters“ ist buchstäblich doppelt beschrieben und die einzelnen Werke stellen in diesem Sinne Palimpseste dar. Die gesamte Konzeption von Medusa geht auf die Aneignung bestehender Bilder zurück, wobei Kippenberger diese mit neuen Bedeutungen versieht. Das Ereignis des Schiffbruchs wird durch Selbstbildnisse ersetzt und die Rekonstruktionsansicht des Floßes zu einer Auseinandersetzung mit Malereidiskursen oder mit alltagsästhetischen Tendenzen wie Kitsch (so im Fall des Teppichs), so dass die ursprünglichen Bedeutungen der Vorbilder von neuen, zeitgenössischen Themen überlagert werden. Dies trifft auch auf die Verbindung von Tod und Leben zu. In Gemälde P.64, das in Anlehnung an Figur O entstand, konterkariert Kippenberger Géricaults erotisches Spiel aus dem Floß der Medusa, indem er seinen Körper hinter einem Farbberg fast gänzlich verschwinden lässt. Er enthüllt seinen Körper nicht, sondern verdeckt ihn. Die grellen Farben, die unsaubere Malweise, die Masse des farbigen Tuchs und die dünnen Gliedmaßen erzeugen eine eher abstoßende Wirkung des Bildes. In Anbetracht des Figurenvorbildes wirkt diese Darstellung letztlich verfehlt, da das erotische Spiel scheinbar nicht gelingt. Gerade diese verfehlte Umsetzung des Motivs erzeugt wiederum neue Bedeutungen. Das Gemälde P.64 stellt gewissermaßen eine Entblößung der Fehlbarkeit des

54 Vgl. zur Lebendigkeit der Malerei zum Beispiel Graw 2014, passim. 55 Vgl. Klaus Krüger, „Das Bild als Palimpsest“, in: Bilderfragen: die Bildwissenschaften im Aufbruch, hg. von Hans Belting, München und Paderborn 2007, S. 133–163. 56 Owens, Part I, 1980, S. 69.

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Menschen statt des Körpers dar. Die gleiche Funktion erfüllt die Hervorhebung von Brust und Brustwarzen in anderen Gemälden. Während bei Géricault die Brustwarze der Figur O, die durch das Tuch hervorscheint, auf die sinnliche Schönheit des Körpers verweist, wirken Kippenbergers betonte Darstellungen seiner Brustwarzen – und ihre Verdoppelung in Lithografie L.2 der Edition IV/VI – sowie die Überformung seiner Brust zu fast weiblichen Brüsten in den Selbstbildnissen (P.62, P.63, P.65, P.68, P.75) gerade nicht erotisch, sondern lächerlich und selbstironisch. Der Antagonismus von Kippenbergers Darstellung besteht weniger in einem moralisch anstößigen Spiel aus Verhüllen und Zeigen, sondern liegt vielmehr in der Verbindung von Lächerlichkeit und Tragik. So erzeugen die karikaturalen Verformungen in den Selbstbildnissen ebenfalls Witz. Der von schlechter Lebensführung gezeichnete, in diesem Sinne unattraktive Körper in Zeichnungen und Gemälden bricht ironisch mit dem Ideal des gesunden, jungen und durchtrainierten Körpers, welches nicht nur in Géricaults Gemälde erkennbar ist, sondern auch den Fitnesskult der 1990er Jahre prägt.57 Während bei Géricault die allegorische Bedeutung des Gemäldes auf der Metapher des Schiffbruch-Erleidens beruht, erhalten die Arbeiten aus Medusa ihre allegorische Struktur durch die Überfrachtung mit widersprüchlichen Bedeutungen. Mit Medusa schafft Kippenberger eine Allegorie im Sinne Owens, die auf Unlesbarkeit, Überschreibung von Bedeutungen und Ironie beruht. Auch Medusa kann so als eine Allegorie einer Gesellschaft gesehen werden, die Schiffbruch erlitten hat, da die Zeichen (und entsprechend die Welt) nicht mehr lesbar sind.

4.1.3 Stellvertreter – der Künstler als Betrachter Die Deutung des Medusa-Werkkomplexes erweist sich schließlich als unabschließbare Aufgabe, so dass der Betrachter metaphorisch Schiffbruch erleidet. Dabei regt Kippenberger durchaus zur Konstruktion von Sinn an, indem er Fehler und unvollendete Elemente bewusst einsetzt. Zum Beispiel werden die fehlenden Konturlinien in den Selbstbildnissen vom Betrachter gedanklich vervollständigt und so Kohärenz geschaffen. Auch die Schreibfehler führen zur gedanklichen Korrektur, durch welche der Betrachter Sinn herzustellen versucht. Die Lösung der Posen von ihrem Kontext regt die Imagination des Betrachters an. Durch das Überschreiten von Geschmacksgrenzen wird dieser verstört und auf emotionaler Ebene angesprochen. Er kann entweder Kippenbergers witzigen Umgang mit dem Scheitern erkennen oder Anstoß an der Grenzverletzung im Werk nehmen, wie am Motiv der Socken gezeigt wurde. Julia Gelshorn beobachtet 57 Zum Körperbild in den 1990er Jahren, vgl. zum Beispiel A ­ usst.-Kat. Lausanne 1992 sowie Kunstforum I/II 1996. Das Verhältnis von Körper und Maschine war auch Thema von Memento Metropolis, siehe Flindt/Rafn/ Skriver, A ­ usst.-Heft, 1996, passim.

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die „Heterogenität der Signifikanten“58 auch in anderen Werken Kippenbergers, in denen Sinnstiftung „als ein ständiger Prozess begriffen [wird], der sich der Vorstellung eines Ganzen, Vollständigen widersetzt.“59 Gelshorn zufolge rechne Kippenberger „mit ebenso souveränen Betrachterinnen und Betrachtern, die sich nicht von Schlüsselreizen in die Irre führen lassen, sondern Bedeutung als unlösbaren Prozess begreifen, an dessen wiederholter Erprobung sie selbst teilhaben.“60 Während der Betrachter des Floß der Medusa den Zwiespalt der Darstellung nicht zugunsten einer Seite auflösen kann, so wird der Betrachter des ­Medusa-Komplexes mit einer Vielzahl von Widersprüchen konfrontiert, die keine endgültige Deutung ermöglichen. Auch beim Floß der Medusa erfährt der Betrachter zwar eine Verunsicherung aufgrund der ambivalenten Struktur und der Perspektive, die den Betrachter vor dem Gemälde in eine unsichere Position versetzt, die zum Beispiel Hubmann beschreibt.61 Bei Kippenberger geht jedoch die Dichotomie aus dem Floß der Medusa in eine endlose Deutungsvielfalt und sogar falsche Schlussfolgerungen über. So hat Gelshorn auch nur zum Teil Recht, denn Kippenberger baut durchaus darauf, die Betrachter auch bis zu einem gewissen Grad in die Irre führen zu können. So integriert er rätselhafte Elemente in seine Werke (zum Beispiel unbekannte Abkürzungen), fordert Missverständnisse heraus (zum Beispiel durch das Briefpapier oder auch durch erfundene Posen, die nicht vom Floß der Medusa stammen) und unterwandert Bedeutungen, die er schafft, wodurch er das Scheitern des Betrachters bei der Interpretation seiner Werke befördert. Mithilfe falscher Fährten überführt Kippenberger die Arbeit an der Deutung seiner Kunst in einen produktiven Prozess, der nicht nur in der Bedeutungskonstruktion, sondern auch in der kontinuierlichen Hinterfragung des eigenen Standpunktes liegt. Wie Martin Engler für die Kunst der 1980er Jahre feststellt, verschiebt sich hier die Verantwortung vom Künstler auf den Rezipienten. Darin liege das politische Statement dieser Kunst.62 Auch für den Medusa-Werkkomplex gilt, dass die Werke dazu führen können, dem Betrachter seine Eigenverantwortung bei der Deutungskonstruktion, aber auch seine Fehlbarkeit bei diesem Prozess vor Augen zu führen. Diese Bedeutung, die Kippenberger dem Betrachter zuschreibt, steht in Zusammenhang mit den Diskursen um Autorschaft in der Postmoderne. Vor dem Hintergrund der linguistischen Wende und der Theorien zur Autorschaft in den 1960er Jahren geraten der Rezipient und seine Bedeutung für das Verständnis eines Kunstwerks in den Fokus. Als eine der richtungsweisenden Untersuchungen zur Autorschaft gilt Roland Barthes’ Aufsatz La mort de l’auteur aus dem Jahr 1967. Barthes beschreibt, in Anlehnung an Julia Kristevas Theorie der Intertextualität, die Lösung der Textrezeption von einer subjekt­ 58 Julia Gelshorn, „Interferenzen – Martin Kippenbergers fremde Worte und Bilder“, in: Kulturen des Bildes, hg. von Birgit Mersmann und Martin Schulz, München 2006, S. 61. 59 Gelshorn, Inhalt, 2006, S. 152. 60 Ebd. 61 Hubmann, Immersion, 2012, S. 33–35. 62 Engler 2015, S. 18.

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orientierten Auslegung, nach welcher die biografische Prägung sowie die Intention des Autors entscheidend für das Verständnis eines Textes angesehen werden. Barthes rückt den Text selbst in den Vordergrund, der dadurch an Autonomie gewinnt und von der außerhalb des Textes liegenden Intention eines Autors gelöst wird. Der Text wird gleichsam als ein Gewebe von Zitaten betrachtet, die beim Leser zusammenlaufen, so dass die Bedeutung eines Textes nicht fixiert ist, sondern bei der Lektüre immer wieder neu entsteht. Er ruft daher den Tod des Autors aus, an dessen Stelle der Rezipient trete.63 Dieser Ansatz erfuhr im Rahmen dekonstruktivistischer Textanalysen, für die Paul De Man oder ­Jacques Derrida als beispielhafte Vertreter gelten können, insofern eine Zuspitzung, als dass Texten eine eindeutige Bedeutung aberkannt und die Interpretation als unabschließbarer Prozess aufgefasst wurde. Michel Foucault baut später mit seinem Text Qu’est-ce qu’un auteur? auf Barthes’ Theorie auf und lenkt diese in eine andere Richtung. Foucault legt den Fokus auf die Funktionen des Autors, die durch Diskurse über Autorschaft bestimmt werden und zeitlichen Veränderungen unterliegen. Foucault schreibt dem Autor daher eine Ego-Pluralität zu, die sich zum Beispiel in der Differenz zwischen Erzähler und Autor entfaltet. Mit seinem Text legte er die Grundlage für den anschließenden Diskurs über die sogenannte Rückkehr des Autors, der sich zunächst über rechtliche Fragen der Urheberschaft entwickelte und Autorschaft als Untersuchungsgegenstand der Wissenschaft neue Legitimation verlieh.64 Während das Thema der Autorschaft in der Literaturwissenschaft seit den 1960er Jahren große Aufmerksamkeit erfuhr, fanden die Theorien nur wenig Berücksichtigung in der Kunstgeschichte.65 Sabine Kampmann legt in ihrer Untersuchung dar, dass dem Künstler als Urheber in der Kunstgeschichte – im Gegensatz zum Schriftsteller in der Literaturwissenschaft – weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Werkrezeption zukommt. Nicht zuletzt der in der Einleitung skizzierte Umgang mit Kippenbergers Werk kann als Beleg hierfür gelten. Ein Grund für die Bedeutung des Künstlers in der Kunstgeschichte liegt in ihren Ursprüngen als Subjektwissenschaft.66 Allerdings ist Autorschaft und das Wechselverhältnis von Autor und Rezipient längst in künstlerischen Arbeiten thematisiert worden, so auch bei Kippenberger.67 Gelshorn beschreibt das Spiel Kippenbergers mit Autorschaft so:

63 Vgl. Roland Barthes, „Der Tod des Autors“, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. und kommentiert von Fotis Jannidis et al., Stuttgart 2000, S. 185–197. 64 Vgl. Michel Foucault, „Was ist ein Autor?“, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. und kommentiert von Fotis Jannidis et al., Stuttgart 2000, S. 198–229. 65 Vgl. zu dieser Thematik das kommentierte Kompendium von Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. und kommentiert von Fotis Jannidis et al., Stuttgart 2000 und für die Kunstgeschichte zum Beispiel Kampmann 2006, S. 24–68. 66 Vgl. Kampmann 2006, S. 65. 67 Vgl. ebd. S. 21–68.

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Dieses Verfahren der Manipulation bestehender Kommunikations-strukturen und Identitätsmodelle erweist sich als spielerischer Umgang mit Konzepten der Autorschaft, die gerade in der Ambivalenz zwischen Unterminierung und Distanzierung erprobt werden. Was hier als Reproduktion und Manipulation visueller und verbaler Codes beschrieben wurde, kann demnach als […] performative Stellungnahme zum Topos der Autorschaft verstanden werden.68 Eine solche performative Stellungnahme besteht im wahrsten Sinne in der Lithografie L.3, in der sich Kippenberger in der Position einer Stellvertreterfigur inszeniert. Das Selbstbildnis der Lithografie zeigt Kippenberger als gedoppelte Rücken- und Repoussoirfigur im Vordergrund der Darstellung, während im Hintergrund das Floß mit weiteren Schiffbrüchigen sowie die Argus zu erkennen sind. Ihm kommt damit nicht nur symbolisch die Funktion eines Stellvertreters für den Betrachter vor dem Bild zu, sondern er nimmt buchstäblich die Position eines Vermittlers zwischen Betrachter vor der Lithografie und dargestellter Floß-Szene im Hintergrund des Bildes ein. Das Selbstbildnis suggeriert, Kippenberger sei Mittler zwischen dem Floß der Medusa und dem Betrachter. Beim Floß der Medusa wird der Maler Géricault gleichsam als Stellvertreter für den Betrachter angesehen.69 Wie Wedekind beschreibt, ersetzt Géricault mit seinem Gefühl und Leben die gemalte Heldenfigur, die in der Historienmalerei nach akademischen Konventionen als Identifikationsfigur für den Betrachter diente. Der Maler tritt im Floß der Medusa mit seiner Subjektivität selbst an die Stelle der Darstellung einer exemplarischen Heldenfigur. Im Gegensatz zu Géricault setzt sich Kippenberger selbst ins Bild und macht so die Bedeutung des Künstlers in seiner Funktion als exemplarische Figur nicht nur über sein Gefühl und seine Subjektivität anschaulich, sondern durch die Gattung Selbstbildnis und seinen Körper. In Medusa inszeniert sich Kippenberger in einer Doppelrolle als Betrachter und Künstler. Zunächst ist er selbst Betrachter des Floß der Medusa. Das Hineinversetzen in die Schiffbrüchigen ist dabei ein Hineinversetzen in die Betrachterrolle. Denn Géricaults Komposition lädt nicht zur Kontemplation, sondern zur Partizipation ein, so Eitner.70 Die Identifikation des Betrachters mit den Figuren verläuft über eine Spannung der Figurendarstellung zwischen Individualisierung und Typisierung. Obwohl Géricault bei seinen Recherchen mit den Schiffbrüchigen arbeitete und Porträts nach den Überlebenden anfertigte, fand er im finalen Gemälde über ihren Ausdruck, die stilisierten Körper, die tradierten Posen, das Inkarnat sowie die Kleidung zu einer typisierten Darstellung, die über ihre Individualität hinausweist. In diesem Spannungsfeld von Individualität und Anonymität werden die Figuren zu glaubhaften Stellvertreterfiguren

68 Gelshorn, Inhalt, 2006, S. 152. 69 Gregor Wedekind, „Heroes after the death of the hero. Géricault’s Raft of the Medusa“, in: NCU Journal of Art Studies, Bd. 1, 2006, 103–128, hier S. 120. 70 Eitner 1972, S. 44: „His composition does not invite contemplation, but participation.“

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der Gesellschaft. Während Eitner mit seiner Beobachtung die emotionale Betroffenheit meint, die durch die Komposition erreicht würde, versetzt sich Kippenberger mit der Nachstellung physisch in die Figuren der Schiffbrüchigen hinein. Temkin schreibt daher über die Medusa-Selbstbildnisse in Referenz auf Eitners Begriff der „participation“71, Kippenberger würde Géricaults Einladung zur Partizipation wörtlich nehmen.72 Während Eitner mit seinem Begriff „participation“ einen Erkenntnisgewinn des Betrachters durch ein emotional-empathisches Mitleiden gegenüber einer rational-geistigen Kontemplation meint – und eben nicht eine performative Kunstpraxis – nutzt Kippenberger wie bei einer Performance seinen Körper als Darstellungs- beziehungsweise Kommunikationsmittel. Er geht auf die Konzeption des Gemäldes ein und macht mithilfe seines Körpers und der Nachstellung der Posen sein Mitleiden sichtbar. Obwohl es sich um Selbstbildnisse handelt, werden die individuellen Merkmale des Künstlers oftmals reduziert. Die vielen Darstellungen in Rückenansicht oder die kopflosen Figuren sowie die Vielzahl an Bildnissen laufen dem Ausdruck von Subjektivität und Individualität entgegen. Insbesondere im Astérix-Gemälde werden die Figuren so stark abstrahiert und fragmentiert, dass die individuellen Merkmale fast vollständig aufgehoben sind.73 Der Künstler erscheint nicht nur als eine Figur von vielen, sondern wird durch die Auslöschung der Subjektivität zur Identifikationsfigur. Kippenberger identifiziert sich nicht nur mit der Einzelfigur, sondern verleibt sich die gesamte Komposition ein, wie die Pose aus Fotografie Ph.4 (Taf. XVI) zeigt. Obwohl sich diese Haltung mit ausgebreiteten Armen nicht auf eine konkrete Figur in Géricaults Werk zurückführen lässt, etabliert Kippenberger einen engen Bezug zum Gemälde. Dieser Bezug entsteht zum einen durch die Körperhaltung, die sich als Ausdruck der „Hingabe an das Unvermeidliche“74 in den emotionalen Kanon des Gemäldes eingliedert. Da es sich bei diesem Gestus um einen Gebetsgestus handelt, schreibt er sich auch in den kunsthistorischen Figurenkanon vom Floß der Medusa ein, das unter anderem auf christliche Ikonografie zurückgeht. Zum anderen bildet Kippenberger im Dreiviertelprofil mit seinen ausgestreckten Armen ein Dreieck, dessen Schenkel durch die Perspektive vorne links aufsteigen und hinten rechts abfallen. Seine Arme verlaufen demnach wie die Doppeldiagonale, die Géricaults Bildaufbau kennzeichnet. Die Analogie zwischen den Bildkompositionen tritt in Lithografie L.1 deutlich vor Augen, da sich die Dreiecksformen des Selbstbildnisses mit ausgestreckten Armen mit einer Gesamtdarstellung des Floßes überlagern. Demnach vermittelt Kippenberger nicht nur eine Identifikation mit den Schiffbrüchigen, sondern identifiziert sich mit der Gesamtkomposition Géricaults, die er nun selbst verkörpert. Kippen­berger geht damit über eine Partizipation hinaus und 71 Ebd., S. 41. 72 Temkin 2008, S. 262. 73 Einer von Euch, unter Euch, mit Euch (1979) lautet auch der Titel eines Posters Kippenbergers, siehe ­Ausst.-Kat. London 2006, S. 159. 74 Hermes 2005, S. 47. Dieses Unvermeidliche wird im Bild nicht weiter spezifiziert und muss daher nicht unbedingt den Tod bedeuten.

The End: Geschichte wiederholen

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führt durch seine neuen Posen das Gemälde weiter, inszeniert sich als Künstler, Betrachter und Kunstwerk zugleich. Indem sich Kippenberger in Medusa als Produzent und Rezipient zeigt, greift er die Diskurse des 20. Jahrhunderts um Autorschaft auf und führt diese ironisch vor, indem er die unterschiedlichen Vorstellungen miteinander verbindet. Er tritt als Autor hinter sein Werk zurück und hebt gleichzeitig seine Bedeutung hervor. Die Inszenierung als Vermittler und Stellvertreter der Gesellschaft ist von Beginn an elementarer Bestandteil seines künstlerischen Schaffens. Vor dem Hintergrund von Géricaults Gemälde, der ebenfalls an die Stelle des Betrachters tritt, erscheint diese Stellvertreterrolle als überzeitlicher Faktor des Kunstschaffens. Über Umwege und ironische Brüche zeigt Kippenberger die Zeitlosigkeit der Diskurse zur Subjektivität von Kunst, der Lesbarkeit von Zeichen und der Rolle des Autors in ihrem Kern auf.

4.2 The End: Geschichte wiederholen Die Lithografie L.15 stellt einen Ausschnitt der Rekonstruktionsansicht des Floßes nach Alexandre Corréard dar. Abgebildet wird der untere Teil des Konstrukts bis zur zweiten Querverstrebung, darunter ist „The End“ lesbar. Corréards Rekonstruktionsansicht diente dazu, die Ereignisse des Schiffbruchs einerseits möglichst wirklichkeitsgetreu ins Gedächtnis zu rufen und diese andererseits der Öffentlichkeit aus der Perspektive eines Augenzeugen anschaulich zu machen. Die Übermittlung von Vergangenheit und die Darstellung von Wirklichkeit sind folglich mit Corréards Rekonstruktionsansicht verbunden. Géricault nutzte Rekonstruktionen des Floßes, um Wirklichkeitstreue und die Perspektive eines Augenzeugen zu erreichen. Allerdings mischte er diese dann mit gestalterischen Entscheidungen, um dem Betrachter die Wirklichkeitsnähe anschaulich zu machen. Auch Kippenberger verbindet eine genaue Nachahmung eines motivischen Ausschnitts mit gestalterischen Änderungen der Darstellung. Er wählt nicht nur einen Ausschnitt, sondern abstrahiert dieses Fragment und schafft eine Bedeutungsoffenheit, die sich deutlich in den zahlreichen Auslegungsmöglichkeiten des Schriftzugs zeigt. Während die Rekonstruktionsansicht ursprünglich selbst eine nachahmende Wiederholung des Floßes darstellt, stellt der Gegenstand der Wiederholung in Medusa nicht mehr ein reales Objekt dar, wie bei Corréard, sondern bereits ein Abbild davon. Ebenso musste Géricault auf Zeugnisse anderer zurückgreifen. Die Medusa-Bilder sind damit Nachbilder, welche die Frage nach der Vermittlung von Wirklichkeit in Bildern aufwerfen, die im ersten Unterkapitel untersucht werden soll. Der Schriftzug „The End“ suggeriert eine vorausgehende Erzählung. Da die Lithografie den Abschluss der lithografischen Reihe bildet, wie sie in Prints publiziert wurde, wird dieser Eindruck noch verstärkt. Die Abfolge scheint jedoch keiner sinnvollen Erzählung zu folgen und nur lose Verbindungen zwischen den Blättern sind erkennbar, die durch

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Wiederholungen erzeugt werden (beispielsweise durch die dänischen Getränkeetiketten in den Lithografien L.11 und L.13). „The End“ lässt sich daher sowohl als Anspielung auf eine vorausgehende Narration lesen wie auch als Ausdruck des Endes einer solchen. Auch die (Selbst-)Bildnisse bergen narrative Anklänge in sich, brechen gleichzeitig jedoch die Ereignisgeschichte zu einzelnen Bildern auf. Während Kippenberger in der Aneignung des dokumentarischen Bildes eine narrative Ebene andeutet, scheint er das Ereignisbild durch den Transfer in mehrere Selbstbildnisse von der Erzählung zu lösen. Daher soll in einem zweiten Schritt die narrative Struktur der Medusa-Werke in ihrem Zusammenhang mit den Vorbildern betrachtet werden. Der Schriftzug „The End“ kann darüber hinaus als Verweis auf geschichtsphilosophische Tendenzen in den 1990er Jahren gelesen werden. In dieser Zeit kamen Endzeit-Visionen an einen Höhepunkt. Mit der Absage an übergreifende Erzählungen, wie es sich zum Beispiel in Prints zeigt, greift Kippenberger diesen Diskurs auf. Die netzartige Verbindung der Werke durch Wiederholungen entspricht wiederum der Vorstellung eines rhizomatischen Geschichtsmodells. Eine Auseinandersetzung mit Geschichte beziehungsweise ihrer Darstellung findet ebenso bei Géricault (und Corréard) statt. Die Modelle der Geschichtsdarstellung in Medusa soll daher im letzten Unterkapitel untersucht werden.

4.2.1 Nachbilder – die Wiederholung der Wirklichkeit Kippenbergers Medusa-Arbeiten können als Nachbilder bezeichnet werden, da sie nach dem Vorbild anderer Kunstwerke entstanden sind.75 Ein Nachbild bezeichnet sowohl eine nachahmende Wiederholung, zum Beispiel der Natur, als auch ein physiologisches Phänomen, ein „Augengespenst“.76 Letzteres entsteht durch visuelle Reizungen der Retina, die dazu führen, dass das Auge ein Bild losgelöst von seiner materiellen Grundlage in seinen Komplementärfarben oder in einer Schwarz-Weiß-Umkehrung wahrnimmt, obwohl das ursprüngliche Bild nicht mehr im Sichtfeld ist. Ein Nachbild ist daher Ausdruck des lebendigen „Gedächtnis des Auges“77. In Medusa scheinen einige der Gemälde, insbesondere die Bilder P.58 und P.60, nicht nur in ihrer nachahmenden Wiederholung von Géricault, sondern auch durch einen dargestellten Positiv-Negativ-Effekt ihren Charakter als Nachbilder augenscheinlich zu machen. So ist beispielsweise das Schulterstück des 75 In der Publikation Nachbilder wird das Phänomen ausgehend von den wissenschaftlichen Entwicklungen und Wahrnehmungstheorien vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart untersucht. Das Thema der Wiederholung wird dabei weitgehend ausgeklammert. In anderen, früheren Untersuchungen wird der Begriff allgemein als Bezeichnung für Bilder verwendet, die in Bezug auf andere Bilder entstanden und diese zitieren, vgl. zum Beispiel Nachbilder. Vom Nutzen und Nachteil des Zitierens für die Kunst, hg. von Katrin Sello, Gerhard Ahrens, ­Ausst.-Kat. Hannover, Kunstverein, Hannover 1979. 76 Carolin Meister, „Einleitung“, in: Nachbilder, hg. von Werner Busch, Zürich 2011, S. 7–15, hier S. 7. 77 So lautet der Titel bei Meister 2011.

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Künstlers im Viertelprofil auf rotem Grund von P.60 in zwei Hälften geteilt: Die rechte Gesichtshälfte wird negativ wiedergegeben durch ausgesparte Konturlinien in einem rechteckigen, weißen Feld, das über dem roten Grund zu liegen scheint. Die Kante des weißen Feldes durchzieht etwa die Mitte des Gesichts. Die linke Gesichtshälfte ist durch violette und weiße Konturen gekennzeichnet. Dieser Teil des Gesichts ist nicht flächig mit Farbe ausgefüllt, sondern besteht in erster Linie aus dem Rot des Hintergrundes. Die Umkehrung der Farben beziehungsweise farbigen Flächen wird an den Augen besonders auffällig, da der rechte Augapfel weiß ausgemalt ist und eine rote Kontur und Pupille besitzt, während beim linken Auge eine weiße Konturlinie die Iris definiert und die Pupille weiß gemalt ist. Die Teilung des Gesichts in zwei Seiten gibt den Licht- und Schattenverlauf der Ausgangsfotografie Ph.7 wieder, der das Gesicht ebenfalls in eine helle (weiße) und eine verschattete (rote) Seite teilt. Die Farben Weiß und Rot entsprechen dem Hell-Dunkel der Fotografie und verleihen der Darstellung durch die Umkehrung von ausgefüllten und konturierten Partien einen Positiv-Negativ-Effekt, der an ein physiologisches Nachbild erinnert. Das Bild macht deutlich, dass ihm ein anderes vorausgeht. Auch in Gemälde P.58 verkehrt Kippenberger die Farben, die er im Comicbild vorfindet. Das rote Segel vor dem blauen Himmel und Meer wird bei Kippenberger negativ durch hellblaue Konturen vom roten Grund abgehoben. Über diesen Negativeffekt verweist Kippenberger auch in diesem Beispiel auf den Abbildcharakter der Darstellung, die ein Nachbild darstellt und gleichzeitig, wie ein Negativ in der Fotografie, als Vorlage für folgende Bilder erscheint. In der Positiv-Negativ-Teilung drückt sich gleichsam die antagonistische Struktur des Vorbildes in eine positive, hoffnungsvolle und eine negative, pessimistische Seite aus. Das Gedächtnis des Auges wird auch durch die Nachstellung der Posen aus Géricaults Gemälde angesprochen. Allerdings wiederholt Kippenberger nicht nur das eine Vorbild (Géricaults Ereignisbild), sondern viele weitere Bilder Géricaults, ahmt den Produktionsprozess nach und bezieht sich auf die mit dem Gemälde verbundenen Themen. Er eignet sich das Comic-Bild und Corréards Rekonstruktionsansicht an, verwendet bekannte Stilrichtungen der Malerei und wird sich selbst zum Vorbild, indem er seine Bilder in unterschiedliche Medien übersetzt, eigene Verfahren wiederholt (wie die Verwendung von Briefpapier) und sein Werk selbst zitiert (zum Beispiel die Hotel-Publikationen in „Géricault/Batters“). Derartige Bezugnahmen in Kunstwerken stellen ein zentrales Forschungsgebiet der Kunstgeschichte dar, das im Kontext der zunehmenden Verbreitung und Reproduktion von Bildern mithilfe neuer Medien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besondere Relevanz erhielt. Insbesondere ab den 1970er Jahren verstärkte sich die Aufmerksamkeit, was nicht nur zahlreichen Ausstellungen zum Thema, sondern auch den Entwicklungen innerhalb der Kunst und Gesellschaft geschuldet ist. In Hinblick auf die sogenannte Pictures Generation beziehungsweise Appropriation Art proklamierte zum Beispiel Douglas Crimp, dass unter jedem Bild bereits ein anderes Bild liege, und übertrug so einen zentralen Gedanken der Intertextualität auf die

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Kunst.78 Unter dem Einfluss intertextueller Ansätze wurde schließlich der kontroverse Begriff der Interikonizität beziehungsweise Interpikturalität in die kunstwissenschaftliche Forschung eingeführt, der zunehmend ab den 1990er Jahren Verwendung fand.79 Unter Rückgriff auf die Methoden der Literaturwissenschaft wurde an der Theoretisierung der Bezugnahmen in der Kunst gearbeitet. Eines der einflussreichen Referenzwerke stellt dabei Gérard Genettes Buch Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe von 1982 dar. ­Genette beschäftigt sich darin mit der Hypertextualität, einer der fünf Formen der Transtextualität.80 Die Hypertextualität beschreibt für ihn die Beziehung zwischen zwei Texten, Hypotext und Hypertext, die sich überlagern und dadurch Palimpsest-Charakter annehmen. Der Hypotext leitet sich vom Hypertext ab und kann ohne diesen nicht existieren. Zwei Arten der Bezugnahme können dabei unterschieden werden: die Transformation, bei der dasselbe anders gesagt wird (gleiches Sujet, anderer Stil), und die komplexere Imitation, bei der etwas anderes auf dieselbe Weise gesagt wird (gleicher Stil, anderes Sujet, so dass ein Übersetzungsmodell notwendig ist).81 Genette weist in seinem Buch darauf hin, dass das literaturwissenschaftliche Analysemodell nicht eins-zu-eins auf Kunst übertragen werden kann, da Text und Bild grundsätzlich unterschiedlich beschaffen seien. Während in der bildenden Kunst das exakte Kopieren eines Bildes möglich ist, was zu einer Fälschung oder zu einer reproduzierenden Wiedergabe (beispielsweise als Druck) führen kann, resultiert das Kopieren eines Textes nicht in einem neuen Text. Ist in der Literatur ein Zitat durchaus erkennbar und kann durch Anführungszeichen markiert werden, bleibt für die bildende Kunst fraglich, ob im engeren Sinne zitiert werden kann und wie dann Markierungen aussehen würden. Dennoch wurde versucht, Genettes Modell für die Kunstgeschichte in seinen Ansätzen fruchtbar zu machen. Bis heute kann aller78 Douglas Crimp, „Pictures“, in: October, Bd. 8, 1979, S. 87. 79 Für eine Definition, siehe zum Beispiel Valeska von Rosen, „Interpikturalität“, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart und Weimar² 2011, S. 208: „Interpikturalität bezeichnet die Relationen zwischen Bildern sowie die Modi ihrer Transformation von Einem in ein Anderes.“ Die Umstrittenheit des Begriffs zeigt sich auch darin, dass er zum Beispiel in der Ausgabe der Texte zur Kunst zum Thema nicht verwendet wird, sondern hier die Rede von „Referenzialismus“ ist. Damit sollte der Versuch unternommen werden, „eine Differenzierung zwischen einem formelhaften bis formalistischen und einem reflexiven Mobilisieren von Verweissystemen vorzuschlagen“, siehe Isabelle Graw, Stefanie Kleefeld und André Rottmann, „Vorwort“, in: Texte zur Kunst, hg. von Isabelle Graw, Heft Nr. 71: Künstler Künstler, 2008, S. 4. 80 Die weiteren vier Arten der Transtextualität sind: Intertextualität (die Kopräsenz von Texten durch Zitat, Plagiat etc.), Paratexte (zum Beispiel Titel), Metatextualität (Kommentare und Texte mit kritischer Beziehung zu anderen Texten), Architextualität (bezogen auf die Gattung) sowie Hypertextualität, siehe Gérard Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, übersetzt nach der ergänzten 2. Auflage, Frankfurt am Main 1993, S. 9–18. 81 Diesen zwei Arten der Bezugnahme ordnet Genette anschließend Gattungen beziehungsweise Schreib­stile zu, wie Parodie, Travestie, Pastiche, etc. und beschreibt darüber hinaus die Funktionen der jeweiligen Gattungen (zum Beispiel satirisch), siehe ebd., S. 39–47. In diesem Kapitel wird der Begriff Imitation im Sinne von Genettes Definition verwendet, während „Nachahmung“ im allgemein gebräuchlichen Sinn eingesetzt wird.

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dings noch nicht von einer Methodik oder einem Modell der Interikonizität gesprochen werden.82 Die noch ausstehende Theoriebildung hat unter anderem zur Konsequenz, dass viele Termini aus diesem Diskurs, wie Imitation, Transformation, Zitat, Variation, Kopie oder Paraphrase, in der Fachliteratur oftmals frei und uneinheitlich verwendet werden.83 Kippenbergers Medusa-Komplex scheint sich auf den ersten Blick für eine Analyse unter Verwendung des Modells von Genette anzubieten, da der Werkkomplex wie ein Hypotext nicht ohne das Floß der Medusa existieren würde und das Vorbild gewissermaßen überschreibt. Allerdings führt die Übertragung von Genettes Modell auf den Medusa-Komplex nicht zu weiterer Erkenntnis, da je nach Perspektive unterschiedliche Auslegungen möglich sind. So lassen sich die verhüllten Füße bei Kippenberger beispielsweise sowohl als Imitationen als auch als Transformationen auffassen. Obwohl sich dieses motivische Detail bei Kippenberger und Géricault formal gleicht und in Medusa auch als Zitat bezeichnet werden könnte,84 weisen die verhüllten Füße in den Bildern unterschiedliche Bedeutung auf und drücken Gegensätzliches aus – körperliches Wohlbefinden gegenüber physischer Pein. Daher ließe sich im Fall der Socken von einer Transformation mit satirischer Funktion sprechen. Wie Géricault erzeugt Kippenberger unter anderem durch das Tragen der Socken bei entblößtem Körper Anstoß, so dass die bedeckten Füße auch Imitationen im Sinne Genettes sind. Denn Kippenberger imitiert Géricaults Verbindung hohen und niederen Stils und leistet eine Übersetzungsarbeit, indem er die Anstoß erzeugende Mischung auf ein anderes Sujet (sich selbst im Atelier und seine Präferenz für Socken) überträgt.85 Folglich lassen sich die Socken je nach Perspektive sowohl in ihrer formalen und inhaltlichen Ähnlichkeit zum Vorbild betrachten oder aber in ihrer Differenz dazu. Die Socken stellen dabei nur ein Detail in einzelnen Arbeiten aus dem Werkkomplex dar und werden mit weiteren Referenzen überlagert, zum Beispiel durch den Bezug auf das Motiv der Socken in anderen Werken Kippenbergers. Nach Genettes Definition wäre durch die Kopräsenz von Bildern, wie unter anderem in den doppelt beschriebenen Gruppen „Géricault/Batters“ oder den Lithografien, nicht nur von Hypertextualität, sondern auch von Intertextualität zu sprechen. Beim Astérix-Gemälde wird diese Unterscheidung von Hypertextualität und Intertextualität jedoch schwierig, da das Gemälde als Überschreibung verstanden werden kann, gleichzeitig aber auch eine Kopräsenz verschiedener Bilder aufweist. 82 Julia Gelshorn, „Interikonizität“, in: kritische berichte – Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Bd. 35, 2007, H. 3, S. 53–58 hat aufgrund der ausstehenden Theoriebildung in der Kunstgeschichte den sinnvollen Umgang mit dem Begriff der Interikonizität zu Recht infrage gestellt. 83 Ein Vorschlag zur Definition findet sich zum Beispiel unter den „Stichworten“ im Ausstellungskatalog Déjà-Vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis Youtube, A ­ usst.-Kat. Karlsruhe, hg. von Ariane Mensger, Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe 2012, S. 159–161. 84 Christoph Zuschlag, „Auf dem Weg zu einer Theorie der Interikonizität“, in: Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate in Bild und Text, hg. von Silke Horstkotte und Karin Leonhard, Köln 2006, S. 89–99, hier S. 97 zufolge stellt ein gemaltes „Zitat“ immer schon eine Transformation dar. 85 Siehe Wedekind 2008, S. 99f. Vgl. auch Hubmann 2016, S. 202.

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Da Kippenberger in Medusa eine Vielzahl an Verfahren anwendet und sich auf unterschiedlichste Vorbilder gleichzeitig bezieht, scheint die Übertragung literaturwissenschaftlicher Modelle auf Bilder an ihre Grenzen gebracht zu werden. An den genannten Beispielen zeigt sich, dass Kippenberger nicht ein Verfahren systematisch einsetzt, sondern sich unterschiedlicher Wiederholungsverfahren bedient, um eine Bedeutungsüberfrachtung zu erzielen. Die Verfahren der Wiederholung und Bezugnahme, wie der Rekurs auf die Kunstgeschichte, auf tradierte Stile, Malweisen und Motive, aber auch die Aneignung von Comics und anderem Bildmaterial der Populärkultur, wurden bereits als charakteristische Merkmale des Bad Painting und „Strategischen Dilettantismus“ definiert und sind ebenso grundlegend für die Allegorie nach Owens. Sinnvoll erscheint es im Fall von Medusa, das komplexe Feld der Wiederholung in Hinblick zwei konkrete Aspekte zu betrachten, die in Géricaults Gemälde angelegt sind. Denn im Floß der Medusa findet eine mimetische Nachahmung86 – das heißt eine Wiederholung – der Wirklichkeit statt, so dass das Ereignisbild gewissermaßen auch ein Nachbild darstellt. Géricault war um eine möglichst genaue Wiedergabe des Schiffbruchs bestrebt, die er durch die Rekonstruktion der Perspektive eines Augenzeugen zu erreichen suchte. Seine Recherchen schlugen sich in einem Realismus der Darstellung nieder, der nicht nur in der Forschungsliteratur, sondern auch in den zeitgenössischen Kritiken beschrieben und als Gegensatz zur klassizistischen Idealisierung wahrgenommen wurde.87 Doch brachte er seine eigenen Studien der Schiffbrüchigen mit dem Figurenstudium nach Künstlern wie Michelangelo oder Rubens zusammen. Durch die Wiederholung einer tradierten Figurendarstellung ermöglicht er den Betrachtern die Lesbarkeit der Figuren.88 Das Gemälde hält damit nicht nur ein vergangenes Ereignis für die Zukunft fest, sondern erinnert ebenso an eine kunsthistorische Tradition. Das Gemälde ist selbst mittlerweile ins kulturelle Gedächtnis eingegangen und wurde vielmals rezipiert. Kippenbergers Wiederholungsverfahren im Medusa-Werkkomplex sollen daher in Bezug auf diese beiden Aspekte des Vorbildes hin untersucht werden: als nachahmende Wiederholungen von Wirklichkeit und in ihrem Zusammenhang mit dem kulturellen Gedächtnis.89 86 Zum Thema der Mimesis im Werk Géricaults siehe Wedekind 2008, passim. 87 Siehe u. a. Eitner 1972, S. 57–61; Eitner 1983, S. 189, S. 200; Wedekind 2014, S. 242–249. 88 Als besonders vielschichtig erweist sich die Figur des Vaters, da in der Darstellungstradition nicht nur Melancholie und Todestrauer zusammenlaufen, sondern für den informierten Betrachter auch ein Verweis auf den Kannibalismus enthalten ist, wie er auf dem Floß stattfand. Dieser Verweis entsteht durch die Referenz auf die Figur des Grafen Ugolino aus Dantes Inferno, vgl. Eitner 1972, S. 45f. oder Wedekind 2008, S. 97. 89 Zur Differenzierung von kollektivem Gedächtnis und individueller Erinnerung, siehe Aleida Assmann, „Individuelles und kollektives Gedächtnis – Formen, Funktionen und Medien“, in: Das Gedächtnis der Kunst. Geschichte und Erinnerung in der Kunst der Gegenwart, hg. von Kurt Wettengl, ­Ausst.-Kat. Frankfurt am Main, Historisches Museum, Schirn Kunsthalle und Paulskirche 2000, Ostfildern-Ruit 2000, S. 22, die drei Punkte nennt: Das kulturelle, kollektive Gedächtnis ist „nicht vernetzt und auf Anschlussfähigkeit angelegt, sondern tendiert im Gegenteil zu selbstgenügsamer Geschlossenheit. […] Es ist auch nicht bruchstückhaft fragmentiert, sondern stützt sich auf Erzählungen, die wie Mythen und Legenden eine narrative Struktur haben und eine klare Aussage transportieren. Schließlich existiert es nicht als ein labiles und flüchtiges Gebilde,

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Bereits mit der Nachstellung der Posen nimmt Kippenberger auf die Wirklichkeitsnähe des Vorbilds Bezug. Der von Kippenberger genutzte Begriff der „Nachstellung“90 ist eine Übersetzung des Begriffs „Reenactment“, eine populärkulturelle Praxis, die seit den 1960ern zunehmend auch von Künstlern genutzt wurde. Während die künstlerische Praxis des Reenactment bisher nur ansatzweise untersucht wurde,91 bezeichnet der Begriff in der Populärkultur gemeinhin als Historic Reenactment92 das Nachstellen eines vergangenen Ereignisses, in dessen Vollzug Historie als Präsenz erlebt werden soll. […] Indem R.s die Vergangenheit als etwas gegenwärtig zu Erlebendes inszenieren, bringen sie das mediale Bildreservoir zur Aufführung und lassen diese Aktualisierung gleichsam in das kulturelle Gedächtnis eingehen. Sie realisieren sich daher in einer Spannung von ästhetischer Wiederholung und historischem Doku­ment, die sich tendenziell der geläufigen Unterscheidung von lebendigem Ereignis und totem Zeugnis entzieht.93 Ein historisches Ereignis stellt dabei zwar den grundlegenden Bezugspunkt dar, doch ist es durchaus üblich für Reenactors, auf Gemälde zurückzugreifen, die als visuelle Grundlage und historische Quelle des Ereignisses genutzt werden.94 Das Ereignisbild nimmt im Reenactment die Rolle eines Augenzeugen ein und verhilft zu einer konkreten Vorstellung der vergangenen Wirklichkeit, die in der Gegenwart wiederholt und am eigenen Leib erfahren werden soll.95 Wie ein Reenactor versetzt sich Kippenberger bei der Nachstellung physisch in die Rolle eines Schiffbrüchigen aus dem Bild und wird zum Augenzeugen in doppeltem Sinne: Augenzeuge des Schiffbruchs, aber auch Augenzeuge des

sondern beruht auf symbolischen Zeichen, die die Erinnerung fixieren, verallgemeinern, vereinheitlichen und über die Grenzen der Generationen hinweg tradierbar machen.“ 90 Kippenberger spricht von „Nachstellung“ in Eikmeyer/Knoefel 2009, Track 9, Minute 2:16. 91 Die meisten Untersuchungen setzen das Reenactment in Bezug zu Medientheorien, vgl. exemplarisch Martin Obermayr, Reenactment als künstlerische Strategie in der gegenwärtigen Medien- und Performancekunst, Dipl. arbeit Universität Wien, Wien 2011. URL: http://othes.univie.ac.at/13129/ (12.05.19); Anja Dreschke et al. (Hg.), Reenactments. Medienpraktiken zwischen Wiederholung und kreativer Aneignung, Bielefeld 2016; Inke Arns, „History Will Repeat Itself “, in: History Will Repeat Itself, Strategien des Reenactment in der zeitgenössischen (Medien-)Kunst und Performance, hg. von ders. und Gabriele Horn, ­Ausst.-Kat. Dortmund und Berlin, Hartware MedienKunstVerein Dortmund, 2007, KW Institute for Contemporary Art Berlin, 2008, Frankfurt am Main 2008, S. 36–63; Heike Engelke, Geschichte wiederholen. Strategien des Reenactment in der Gegenwartskunst – Omer Fast, Andrea Geyer und Rod Dickinson, Bielefeld 2017. 92 Obermayr 2011, S. 7. 93 Ulf Otto, „Reenactment“, in: Metzler Lexikon Theatertheorie, hg. von Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch und Matthias Warstat, Stuttgart und Weimar 2014, S. 287–290, hier S. 287. 94 Vgl. Engelke 2017, S. 46. 95 Vgl. Uwe Fleckner, „Die Ideologie des Augenblicks. Ereignisbilder als Zeugen und Protagonisten der Geschichte“, in: Bilder machen Geschichte. Historische Ereignisse im Gedächtnis der Kunst, hg. von dems., Berlin 2014, S.11.

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Bildes.96 Dadurch erzeugt er eine Analogie zu Géricaults Bemühen um die Rekonstruktion der Perspektive eines Augenzeugen, der, so Eitner, ebenfalls versucht habe, das Ereignis neu zu erleben.97 Durch den performativen Aspekt entsteht ferner eine Analogie zur bühnenhaften Komposition des Gemäldes.98 Allerdings übernimmt Kippenberger keine Elemente des Schiffbruchs oder historische Details aus dem Floß der Medusa, wie zum Beispiel die Kleidung der Figuren. Wenn solche Anlehnungen in den Medusa-Werken aufscheinen, wie bei den verhüllten Füßen, dann nur in transformierter, zeitgenössischer und gerade nicht historisch treuer Weise. So bricht er mit der Praxis des Reenactment, die auf ein historisches Ereignis und seinen Handlungsablauf bezogen ist. Kippenberger zielt stattdessen auf die Empfindungen ab und kommt damit Géricaults Bildkonzeption nach, die sich gerade auf die emotionale Wirklichkeit richtet. Wedekind führt aus: Die stilisierenden Überhöhungen nahm er [Géricault] nicht deswegen vor, um den realistischen Gehalt des Stoffes zurückzudrängen, sondern um ihn hervorzuheben. Sein Problem bestand […] darin, die rücksichtslose Mischung von niedriger und hoher Stillage so vorzunehmen, dass jene Erfahrung von Wirklichkeit dabei möglich wurde, um die es ihm offenbar zu tun war. Dokumentarische Recherche und pikturale Konstruktion stehen bei dem Versuch, eine dem Ereignis adäquate Anschauungsform zu finden, nicht im Gegensatz zueinander, sie gehen vielmehr Hand in Hand.99 Sujet und formale Mittel, moderner Realismus und tradierte Formeln stehen im Floß der Medusa nicht im Gegensatz zueinander, sondern ergänzen sich. Géricault erzielt durch seine gestalterischen Abwandlungen der Fakten, durch seine Subjektivität, einen Eindruck von Unmittelbarkeit, der über das Gefühl transportiert wird. Konkret entsteht die Unmittelbarkeit der gefühlsmäßigen Wirkung durch die Ästhetisierung der Körper und den körperlichen Nahraum des Bildraums, welcher den Betrachter in die Position eines Zeugen versetzt.100 Das Gemälde gibt einerseits zu verstehen, dass „selbst der leidenschaftlichste Ausdruck nur ein schwacher Abklatsch des tatsächlich Erlebten“101 sein kann und wirkt andererseits gerade durch die Abkehr von einer objektiven, allein den Fakten verbundenen Darstellung auf die emotionale Wirklichkeit des Betrachters ein. Wie Géricault erzeugt Kippenbergers Werkkomplex durch die Mischung von wirklichkeitstreuer Wiedergabe und künstlerischer Freiheit eine Nähe zur Realität des Be96 Martin Engler und Anna Helfer, „Das Floß der Medusa – Die Gegenwart des Historienbildes“, in: Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum Jubiläum, hg. von Max Hollein, Städel, Köln 2015, S. 178–181, hier S. 180 sprechen bei Medusa von einem Reenactment, eine differenzierte Betrachtung bleibt aber aus. 97 Eitner 1983, S. 182 verwendet das Verb „re-experience“. 98 Zur Theatralik der Komposition, vgl. zum Beispiel Einter 1972, S. 27–31. 99 Wedekind 2003, S. 241. 100 Vgl. Hubmann, Immersion, 2012, S. 27. 101 Wedekind 2014, S. 249.

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trachters. Die Arbeiten aus Medusa entfalten ihre Wirkung auf den Betrachter durch ihre subjektive, expressive Ästhetik bei gleichzeitiger Orientierung an konventionellen, tradierten Motiven beziehungsweise durch die Mischung von Authentizität und Inszenierung bei der Selbstdarstellung (insbesondere in den Fotografien). In einigen Gemälden wird der Wirklichkeitsbezug für den Betrachter – so wie bei Géricault – durch eine Öffnung des Bildraumes zum Betrachterraum gestärkt. Allerdings erfolgt dies bei Kippenberger durch materielle Objekte wie Tuch oder Münzen, die einen regelrechten Einbruch von Wirklichkeit ins Bild darstellen. Sie brechen gleichzeitig mit dem Eindruck einer illusionistischen Nachahmung der Wirklichkeit und weisen auf die Bildhaftigkeit der Malerei hin. Wie bei Géricault ist das Bild nur ein Abklatsch der Wirklichkeit, bleibt hinter dieser zurück, wirkt allerdings dennoch auf die Wirklichkeit des Betrachters ein und ist ein Teil von dieser. Eine Nähe zur Wirklichkeit wird für den Betrachter von Medusa weniger durch das Gefühl, als durch sein Assoziations- und Erinnerungsvermögen hergestellt.102 In einem Gespräch mit Jutta Koether hebt Kippenberger eine solche Wirkung von Bildern über Erinnerung hervor und sagt über das Bild, es „wird nie einen Wirkungsgrad haben, außer als Erinnerung“103. Hans Belting beschreibt Kippenbergers Bezugnahme auf das Floß der Medusa als fortgesetzte Erinnerungsarbeit: Nachschöpfen heißt in diesem Falle, Géricaults Projekt noch einmal zu malen und dabei das damalige Ergebnis umzustoßen. Dazu gehört der Versuch, das Spielmaterial Géricaults neu in Gebrauch zu nehmen und die ‚Story of Art‘ fortzusetzen, um den Tod zu überwinden, den ein Werkprozeß in einem vollendeten Werk erlitten hat. Man könnte auch das Kunstschaffen als eine fortgesetzte Erinnerungsarbeit bezeichnen. Die Gesten sind als Kunstgesten, die Posen als Kunstzitate wiederzuerkennen. Man erinnert sich, sie schon einmal gesehen zu haben, wenn man sie mit einem neuen Duktus entstehen sieht.104 Die Posen in Medusa erscheinen dem Betrachter vertraut, da sie „Kunstzitate“105 sind, aber auch, da sie bei Kippenberger im Alltagsraum erscheinen. Mit dem visuellen Gedächtnis spielen auch die Floß-Gemälde unter anderem aufgrund ihrer Gitterstrukturen, die in den 1990er Jahren bereits bekannte Motive der ungegenständlichen Malerei darstellten. Die Medusa-Bilder wirken, als habe man sie schon einmal gesehen. Obwohl die Motive in Medusa vertraut erscheinen, lassen sich nicht alle Figuren auf ein konkretes Vorbild zurückführen. Kippenberger spielt mit dem trügerischen Aspekt des Gedächtnisses und der Erinnerung des Betrachters, er fügt zum Beispiel neue Posen hinzu, legt falsche 102 Zur Konstruktionstätigkeit von Erinnerung und Gedächtnis, vgl. exemplarisch Assmann 2000; Henke 2001, S. 34–42. 103 Kippenberger, B. Gespräche, 1994, S. 155. 104 Belting 1998, S. 123. 105 Ebd.

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Fährten und arbeitet Fehler ein. Erst ein direkter Vergleich der Medusa-Werke mit dem jeweiligen Vorbild offenbart, wo tatsächlich Abweichungen und Differenzen vorliegen, wie beispielsweise bei der Zeichnung und Lithografie mit dem Floß-Motiv. Medusa wirkt dabei nicht nur auf die Erinnerung des Betrachters ein, sondern weist selbst die Merkmale individueller Erinnerungen auf, wie sie Aleida Assmann aufführt: Erstens: Sie sind grundsätzlich ‚perspektivisch‘, also subjektiv bestimmt […]. Zweitens: Sie existieren nicht isoliert, sondern sind mit den Erinnerungen anderer vernetzt. […] Drittens: Für sich genommen sind sie fragmentarisch, begrenzt und ungeformt. […] Viertens: Sie sind flüchtig und labil.106 Kippenbergers Darstellungen sind subjektiv bestimmt und stehen in einem Netzwerk von Vor- und Nachbildern. In ihrer Referenz auf die Vorbilder sind sie fragmentarisch und tragen der Flüchtigkeit von Erinnerung durch Abweichungen Rechnung. Durch die Offenlegung dieses Aspekts nähert sich Kippenberger, entsprechend dem Prinzip der Sekundarität bei der Selbstdarstellung, wieder der authentischen Darstellung von Wirklichkeit an. An die Stelle einer unmittelbaren Wirklichkeitserfahrung tritt die vermittelte und damit perspektivisch verzerrte, vernetzte, fragmentarische, flüchtige Wiederholung von Wirklichkeit. Dieser doppelte Aspekt von Wirklichkeitsbezug und Verzerrung findet sich im Augenzeugenbericht wieder, der aufgrund der Subjektivität besondere Nähe zur Wirklichkeit aufzuweisen scheint. Wiederholung zeichnet sich folglich durch ein Wechselspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Lebendigkeit und Stillstand, Identität und Alterität, Alt und Neu, Vollendung und Endlosigkeit aus. So macht Kippenberger mit Medusa die Vergangenheit präsent, hält sie durch Wiederholungen lebendig, führt Differenzen vor, schafft aus Altem etwas Neues. Im Nachbild drückt sich dieser Spannungszustand aus.

4.2.2 Narrationen – die Veranschaulichung von Zeit Ereignisbilder wie das Floß der Medusa beruhen auf dem Darstellungsproblem, einen zeitlichen Verlauf in einem statischen Bild darzustellen. Géricaults Gemälde weist in dieser Hinsicht einige Besonderheiten auf, denn die „traditionelle Forderung an die Historienmalerei nach Einheitlichkeit und Zentrierung ist weder räumlich, noch narrativ, noch psychologisch eingelöst. Stattdessen zerfällt das Bild in zwei Hälften“107. Es ist „auf einen Hiatus gebaut und hat eine Leere zum Zentrum. Die Bilderzählung wird stillgestellt,

106 Assmann 2000, S. 21–27, hier S. 21 (alle Hervorh. im Orig.). 107 Wedekind 2014, S. 246.

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fragmentiert, statt Anekdoten bleiben Figuren.“108 Auf diese Weise macht Géricault das Ereignis im Floß der Medusa zu einem „Zeichen für die Peripetie des Geschehens“109, zu einer „Metapher des Stillstandes“110. Indem Kippenberger das Floß der Medusa in die Porträt-Gattung übersetzt, scheint er direkten Bezug auf die narrative Struktur des Vorbildes zu nehmen. Durch die Übertragung in Selbstbildnisse wird der bei Géricault erkennbare Fokus auf die Figuren statt auf Anekdoten weitergetrieben, bis der letzte Rest an Narration, welche das Floß der Medusa enthält, vollständig aufgelöst ist. Durch seine Dekonstruktion des Gemäldes in einzelne Figuren bricht er auch die Teilung in zwei Hälften weiter auf. Die Leere des Bildzentrums findet ihr Pendant in der Leere des Zwischenraums zwischen den Bildern. Einen Höhepunkt gibt es auch in Medusa nicht, die Bilder stehen gleichwertig nebeneinander. Die „innere Widersprüchlichkeit zeitgeschichtlicher Darstellungen“111, die im Ereignisbild aufgrund der „simultanen Wiedergabe sukzedaner Sachverhalte“112 auftritt, scheint durch diesen Transfer aufgelöst. Die Erzählung (und Zeit) wird hier stillgestellt, wofür die Armbanduhr Kippenbergers in den Selbstbildnissen oder „The End“ in L.15 sinnbildlich stehen kann. Die Medusa-Arbeiten werden, wie das Floß der Medusa, zum „Ausdruck temporaler Dauer“113. Im Vergleich der auf die Einzelfigur reduzierten Medusa-Bilder mit Géricaults Gemälde wird allerdings ersichtlich, dass im Floß der Medusa durchaus noch Bezüge zur Ereignisgeschichte und ihrem Verlauf sowie anekdotische Verweise bestehen. Die Figuren bauen in ihrer pyramidalen Anordnung aufeinander auf und bilden eine sinnvolle Abfolge von Gesten. Der Zusammenhang der Figuren wird durch ihre physische Verbindung und die aufsteigende Diagonale, welche eine Leserichtung von unten links nach oben rechts vorgibt, im Floß der Medusa gestärkt, auch wenn diese durch die zweite Diagonale gebrochen wird und die Komposition in Form eines Andreaskreuzes den Zustand des Stillstandes repräsentiert. Die physische Verbindung der Körper der Schiffbrüchigen ermöglicht eine linear verlaufende Bildlektüre und macht die Posen und Gefühlsausdrücke in ihrem Zusammenhang sinnvoll deutbar. Beispielsweise steht der Zeigegestus der Figur K nach Corréard in einer zeitlichen Abfolge der Ereignisse, da er durch die Sichtung der Argus ausgelöst wurde, die zum Dialog mit den anderen Schiffbrüchigen führt. Auch die Argus am Horizont weist auf eine (wenn auch ungewisse) Zukunft hin, die durch die räumliche Entfernung als zeitliche Distanz markiert wird. Der auf einen Moment reduzierte Ereignisverlauf war aufgrund der Aktualität des Sujets zumindest den Besuchern des ­Salons bekannt und ist eindeutig in das Narrativ des Ereigniszusammenhangs einzu­ 108 109 110 111 112 113

Ebd. S. 243. Fleckner 2014, S. 13. Wedekind 2014, S. 246. Fleckner 2014, S. 12. Ebd. S. 12. Ebd. S. 13.

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ordnen. Es handelt sich bei der Szene um einen Moment des spannungsvollen Stillstandes, der gleichwohl innerhalb eines linearen Ereignisberichts stattfindet. In Medusa deuten die Gesten vieler Figuren zwar auf den zeitlichen Ablauf einer Handlung hin und implizieren ein Augenblick innerhalb eines größeren Kontextes zu sein, so zum Beispiel das Strecken (P.67), Signalisieren (P.59) oder die Hand, die wie zum Herunterziehen an das Leintuch geführt wird (P.64). Der Kontext und die Motivation dieser Handlungen entziehen sich dem Betrachter jedoch. Auch das eigentliche Ereignis des Schiffbruchs tritt nur in Einzelfällen in den Selbstbildnissen durch motivische Anspielungen auf (P.63, P.65 und P.67). Während diese Motive zwar einen Bezug zum Schiffbruch herstellen, vermitteln sie keine Narration, sondern bilden eine zeichenhafte Referenz auf das Vorbild. Ein narrativer Zusammenhang dieser Motive zum Selbstbildnis bleibt oftmals unklar. Der in den Bildmotiven fehlenden Narration setzt Kippenberger die Prozessualität der Lektüre von Kunstwerken entgegen, die mit dem „Modus des Statischen“114 bricht. Erst durch die Rezeption kann das statische Bild zum Ereignis und der Stillstand der Darstellung aufgehoben werden. Die Bilder werden durch ihre Rezeption aktiviert, wie auch das Ereignisbild als lebendiger Organismus erscheint, der mit seinen Rezipienten über die Zeiten hinweg aktiv in immer neue dialogische Konstellationen eintritt, dessen Wahrnehmung demzufolge ereignishaften Charakter aufweist und der mithin […] als Protagonist der Geschichte verstanden werden muss.115 Fleckner bezieht diese Beobachtungen zwar auf eine bestimmte Bildgattung, in Kippenbergers Medusa wird jedoch deutlich, dass es sich bei Bildern grundsätzlich „nicht um passive, historisch abgeschlossene und daher unwandelbare Objekte handelt.“116 Indem Kippenberger Bezug auf die Produktion des Bildes nimmt, beispielsweise durch die Referenz auf Géricaults Studien, den Schaffensprozess mit den Recherchen zur Rekonstruktion einer Augenzeugenperspektive sowie den Stich Corréards, gibt er in Medusa dem Ereignisbild eine Vergangenheit. Durch Kippenbergers Wiederholungen und die Endlosigkeit der Rezeptionsmöglichkeiten erhalten die Medusa-Bilder zudem eine potentielle Zukunft. Auch hierfür kann die Uhr stehen, da diese nicht nur Zeichen für Vergänglichkeit und die im Bild eingefrorene Zeit, sondern als Kreis Symbol einer endlosen Bewegung ist, wie auch die Rezeption der Bilder auf Endlosigkeit angelegt ist.117 Die narrativen Strukturen in Medusa zeigen, dass der ereignishafte Charakter des Floß der Medusa (im Gegensatz zur Darstellung von Ereignissen im Bild) im Vordergrund steht. Uwe Fleckner schreibt Geschichtsbildern, wie dem Floß der Medusa, einen doppel-

114 Ebd. S. 12. 115 Ebd., S. 19. 116 Ebd. 117 Prina 1998, S. 82.

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ten Aspekt zu, die er mit den Begriffen Ereignisbild, in dem Geschichte dargestellt wird, und Bildereignis, das Geschichte aktiv beeinflusst, benennt.118 Er schreibt: Darüber hinaus verändern sich durch die vermittelnden Eingriffe der Ereignisdarstellung und deren immerwährende Aktualisierung in der Werkrezeption nachfolgender Zeiten das Ereignis selbst, das im historischen Bewusstsein weniger als Fakt, sondern vielmehr als variable Fiktion wahrgenommen wird. Die Frage nach derjenigen Instanz, die das historische Ereignis eigentlich hervorbringt, muss also dahingehend beantwortet werden, dass für unser Verständnis der Geschichte allein das historiographische Narrativ verantwortlich ist, wie es im Ereignisbild auf unterschiedliche Weise inszeniert wird, als scheinbar authentischer Augenzeugenbericht, als dramatisierender Heldenepos, als Allegorie und Personifikation, als moralisierendes Exemplum und entlarvende Dekonstruktion oder als theoretisierende Abstraktion.119 Das historiographische Narrativ des Floß der Medusa als Allegorie des Stillstandes der Gesellschaft findet bei Kippenberger eine zeitgemäße Übersetzung als Allegorie der Simultanität. Die Darstellungsschwierigkeit eines Ereignisbildes wird nicht aufgehoben, sondern auf die Betrachtung von Bildern übertragen. Aus dem Einzelbild wird eine Vielzahl von Bildern, so dass die Widersprüchlichkeit der simultanen Wiedergabe sukzedaner Sachverhalte zum Widerspruch von sukzedaner Wiedergabe eines simultanen Sachverhaltes – einem Bild – verkehrt wird. Die mehrfach beschriebenen Bilder, wie in der Reihe „­Géricault/Batters“, machen die simultane Präsenz von Bildern in einem Bild besonders deutlich. Aber auch die anderen Nachbilder aus Medusa weisen als Aneignungen bestehender Bilder eine simultane Präsenz von Bildern im Bild auf, die sich schon in der Tradition der Figurendarstellung im Floß der Medusa findet.120 Für Owens ist die Struktur der Gleichzeitigkeit ein weiteres Merkmal der Allegorie: Allegory concerns itself, then, with the projection – either spatial or temporal or both – of structure as sequence; the result, however, is not dynamic, but static, ritualistic, repetitive. It is thus the epitome of counter-narrative, for it arrests narrative in place, substituting a principle of syntagmatic disjunction for one of diegetic combination. In this way allegory superinduces a vertical or paradigmatic reading of correspondences upon a horizontal or syntagmatic chain of events.121

118 Vgl. Fleckner 2014. 119 Ebd. S. 27f. 120 Vgl. u. a. Philipp Hubmann und Till Julian Huss, „Einleitung: Das Gleichzeitigkeits-Paradigma der Moderne“, in: Simultaneität: Modelle der Gleichzeitigkeit in den Wissenschaften und Künsten, hg. von Philipp Hubmann, Bielefeld 2013, S. 9–36. 121 Owens, Part I, 1980, S. 72.

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Der Werkkomplex regt zu einer solchen „vertikalen“ Lektüre der Korrespondenzen anstatt einer Ereigniskette an (zum Beispiel die Betrachtung eines Motivs in seiner Wiederholung in den verschiedenen Medien anstatt der Figurenabfolge). Kippenberger deutet in manchen Fällen zwar eine sukzessive Bildlektüre an, wie in den Buchpublikationen zu den Zeichnungen und Lithografien. Diese Abfolgen ergeben jedoch keinen eindeutigen Sinn, sondern wirken willkürlich. Nicht nur das Ereignisbild kann demnach zum Ereignis werden und unseren Blick auf Geschichte beeinflussen, auch Kippenbergers Medusa-Werke können ereignishaften Charakter erhalten und unsere Wahrnehmung der Vergangenheit verändern. Durch den Medusa-Werkkomplex können gewisse Aspekte an Géricaults Gemälde auf andere Weise wahrgenommen werden. So verdeutlicht Kippenberger in Medusa, dass in Bildern Zeit immer stillgestellt wird. Er zeigt auf, dass eine Verzeitlichung von Bildern nur in der Rezeption stattfindet, wodurch diese wieder lebendig werden. Erst „wenn Speicherungsformen der Dauer mit solchen der Wiederholung verbunden werden“ kann „eine Überlieferung am Leben erhalten werden“122. Wiederholung hält entsprechend Bilder (als Überlieferung der Wirklichkeit) lebendig, gibt ihnen eine Vergangenheit und Zukunft. Diese Lebendigkeit wird in der Lithografie durch den Eindruck von Bewegung ausgedrückt. Das Motiv des Floßes, das aus dem Bildträger heraus weiter zu schwimmen scheint, findet sich auch in Bachmanns Beobachtung über die Metapher vom Floß der Medusa, die gelöst von ihrem Träger durch die Rezeptionen weiter trage.123

4.2.3 Geschichtsbilder – die Darstellung von Geschichte Das Floß der Medusa ist ein Geschichtsbild, das nicht nur ein historisches Ereignis überliefert, sondern als kulturelles Zeugnis selbst Einfluss auf die Vorstellung der Vergangenheit genommen hat. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit und ihre Interpretation dienen einer sinnstiftenden Auseinandersetzung mit der Existenz, die zur Weiterentwicklung der Menschheit beitragen soll.124 Fleckner schreibt auch Kunstwerken, in denen Ereignisse reflektiert werden, eine solche Erkenntnisfunktion zu: „Durch ihre visuelle Leistungsfähigkeit arbeiten sie [Kunstwerke] aus dem tatsächlichen Ereignis ein übergeordnetes Verständnis für zeitgenössische Vorgänge heraus und werden dadurch – neben der eigentlichen Geschichtsschreibung – zu einem Erkenntnisinstrument, mit dessen Hilfe das historische Gedächtnis zu einer leitenden Ordnungskategorie des Weltgeschehens wird. Das Ereignisbild erfasst, interpretiert, 122 Assmann 2000, S. 26. 123 Siehe Bachmann, Folgen, 1994, S. 21. 124 Vgl. exemplarisch Assmann 2000, passim oder Henke 2001, S. 30–57.

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manipuliert die historischen Begebenheiten, wechselnde Strategien haben dabei im Lauf der Jahrhunderte zu stets neuen produktiven Deformationen geschichtlicher Sachverhalte geführt und diese dadurch überhaupt erst sicht- und verstehbar gemacht. Dem flüchtigen Ereignis wird durch seine mediale Transformation dauerhafte Präsenz verliehen, denn gerade angesichts solcher Geschehnisse (Krieg, Tod und Gewalt), die dem Menschen die eigene Vergänglichkeit unabweisbar vor Augen führen, muss dem Verlöschen ein memoriales Bild entgegengesetzt werden.“125 Géricaults genaues Vorgehen bei den Recherchen über den Schiffbruch, die Anfertigung eines Dossiers und das Bemühen darum, die Sachverhalte des Ereignisses möglichst wirklichkeitsgetreu nachzuvollziehen, verbinden die Arbeit des Malers mit der Historiografie. Allerdings brach Géricault mit den traditionellen Forderungen an die Geschichtsdarstellung. Das von Géricault ausgewählte Sujet fällt eigentlich in den Bereich der Genre-Malerei, der traditionell ein kleineres Bildformat vorbehalten ist. Durch das monumentale Format ließ Géricault jedoch keine Zweifel daran, dass es sich bei seiner Darstellung um ein Historienbild handelt. Das historische Ereignis, auf das sich G ­ éricault bezieht, ist eine dem Menschen geschuldete Katastrophe, welche nicht nur moralisch, sondern auch als Folge des politischen Zustands die fortschrittliche Entwicklung des Menschen infrage gestellt hatte. Das Sujet zeigt die Folgen des moralischen Verfalls unter der ­Bourbonen-Herrschaft, statt den Ruhm der Nation zu preisen, wie es von der Historienmalerei erwartet wurde.126 In seinem Gemälde hebt Géricault die Zweifel an der Weiterentwicklung hervor, indem er einen Moment des Stillstandes festhält und die Ungewissheit der Zukunft aufzeigt. Während das Gemälde zwar weder einen Helden noch einen narrativen und moralischen Höhepunkt aufweist, so rehabilitiert Géricault darin jedoch die schlechten Seiten des Menschen, indem er diese durch die Leidensfähigkeit und das Vermögen zur Empathie seitens des Betrachters transzendiert. Darin liegt die moralische Botschaft des Gemäldes.127 Die auf das kreatürliche, körperliche Leiden verweisenden Körper der Schiffbrüchigen zeigen durch ihre heroisierten Züge das erhabene Potential der menschlichen Seele.128 Die Vorstellung, das Erhabene des Menschen erwachse aus seiner Leidensfähigkeit, entstammt der christlichen Heilsvorstellung beziehungsweise einem eschatologischen Geschichtsmodell. Im Floß der Medusa wird das weltliche Leben als Leidensgeschichte anschaulich. Da das Modell der Heilserwartung die Idee einer besseren Zukunft enthält, wird bei Géricault die Möglichkeit zu Fortschritt aufrechterhalten, auch wenn die Rettung in der Darstellung in weite Ferne gerückt ist. So stellt das Gemälde durchaus eine sinnstiftende Erzählung dar, durch die nicht nur die Vergangenheit fest125 Fleckner 2014, S. 27. 126 Vgl. Eitner 1972, S. 6 oder Wedekind 2014, S. 252. 127 Vgl. Fleckner 2014, S. 13. Fleckner zufolge ist die Darstellung von Geschichte ohne Handlung ein Kennzeichen der Moderne. 128 Vgl. ebd.

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gehalten wird, sondern aus dem Scheitern auch Erkenntnisse für die Zukunft gewonnen werden können.129 Zwei Modelle der Geschichtsdarstellung, das Fortschrittsmodell und das eschatologische Modell, prägen damit das Gemälde. Während das Floß der Medusa durch diese Transformation einer Bagatelle historische Bedeutsamkeit verleiht, birgt Kippenbergers Medusa-Werkkomplex keine unmittelbar erkennbare überzeitliche Bedeutung. Die (Selbst-)Bildnisse suggerieren, es gehe um die persönliche Lebensgeschichte anstatt um höhere Bedeutungen. Martin Engler und Anna Helfer zufolge beschäftige sich Kippenberger in Medusa „mit dem historischen Vorbild, aber eben auch mit sich selbst und seiner eigenen Geschichte und Gegenwart“, so dass das „Historienbild […] zum Medium der künstlerischen Selbstreflexion“130 werde. Diese Selbstbezogenheit scheint einem überzeitlichen Erkenntniswert entgegenzustehen, wie er von Geschichtsdarstellungen gemeinhin erwartet wird. Er tritt in den Medusa-Bildnissen an die Stelle des Ereignisses und rückt damit das Einzelschicksal in den Fokus der Geschichte. In Kippenbergers Zuwendung zum Individuum spiegelt sich ein geschichtsphilosophisches Modell des 20. Jahrhunderts: Anfang der 1970er Jahre etablierte sich die sogenannte Mikrogeschichte, welche die Alltagsgeschichte in den Mittelpunkt rückt und sich auf den einzelnen Menschen konzentriert. Mit dem Medusa-Werkkomplex inszeniert Kippenberger gewissermaßen seine eigene Biografie, zeigt seine Leidensgeschichte durch die Posen auf und integriert in die Bilder materielle Spuren seines Lebens, wie die Münzen, das Briefpapier oder die Getränkeetiketten. Kunst wird zum Mittel der persönlichen Geschichtsschreibung, der Interpretation des eigenen Lebens. Da er jedoch gleichzeitig die Rolle eines Stellvertreters innehat, weist die persönliche Geschichte über sich hinaus und erhält überindividuelle Bedeutung. Kippenberger stellt nicht nur sich selbst in Medusa in den Mittelpunkt und nimmt seinen Alltag zum Ausgangspunkt, er verbindet auch Erfundenes mit Vorgefundenem. Darin spiegelt sich die seit den 1960er Jahren bestehende Aufhebung der Trennung zwischen Geschichtsschreibung und Fiktion, welche aus der Beobachtung entstand, dass Wirklichkeit durch Sprache konstruiert werde.131 Eine solche Vermengung ist ebenfalls in Géricaults Gemälde erkennbar, doch wird dadurch die Wirklichkeitsnähe erst erzeugt. 129 Vgl. exemplarisch Assmann 2000, passim oder Henke 2001, S. 30–57. 130 Engler/Helfer 2015, S. 180. 131 Zum Verhältnis von Fiktion, Geschichte und Wahrheit, siehe zum Beispiel für die Kunst Detlef Hoffmann, „Vom Leben der Historie – vor und nach ihrem Tode“, in: Das Gedächtnis der Kunst. Geschichte und Erinnerung in der Kunst der Gegenwart, hg. von Kurt Wettengl, A ­ usst.-Kat. Frankfurt am Main, Historisches Museum, Schirn Kunsthalle und Paulskirche 2000, Ostfildern-Ruit 2000, S. 29–55, hier S. 32; Gerald Sieber, ­Reenactment. Formen und Funktionen eines geschichtsdokumentarischen Darstellungsmittels, Schriften zur Kultur- und Mediensemiotik, Bd. 10, hg. von Martin Nies, Marburg 2016, S. 45–65; Sven Beckstette, Das Historienbild im 20. Jahrhundert. Künstlerische Strategien zur Darstellung von Geschichte in der Malerei nach dem Ende der klassischen Bildgattungen, Berlin 2008, S. 31–39. Das Thema wurde insbesondere in der Literaturwissenschaft bearbeitet, zum Beispiel bei Aleida Assmann, Die Legitimität der Fiktion: Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Kommunikation, München 1980, S. 57–65.

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Kippenberger verweist nicht nur auf die subjektive Prägung von Geschichtsdarstellungen, sondern steigert diese bis zur regelrecht falschen, fiktiven Erzählung. Er entfernt sich, beispielsweise beim Briefpapier, von seinem Leben und erstellt eine fiktive Autobiographie. Durch die Kunst wird so eine alternative Realität geschaffen. Dadurch zieht Kippenberger das Vermögen von Geschichte und Kunst, eine verbindliche Erklärung der Wirklichkeit liefern zu können, in Zweifel. Durch die Verfahren der Wiederholung stellt Kippenberger im Medusa-Werkkomplex das Fortschrittsdenken infrage und knüpft an den postmodernen Paradigmenwechsel und die Zurückweisung der „optimistischen Fortschrittsidee der Vernunftphilosophie“132 durch Theodor Adorno und Max Horkheimer an. Während Géricault in seinem Gemälde über das Sujet und die Erzählstruktur Zweifel am positiven Fortschrittsdenken aufkommen lässt, erhalten in Kippenbergers Medusa-Werkkomplex die Verfahren der Wiederholung diese Funktion. Nicht allein die wiederholte Aneignung des Floß der Medusa im Werkkomplex steht dem Glauben an einen Entwicklungsfortschritt entgegen, indem dem Gemälde von 1819 als Gegenwartsmetapher noch 1996 Gültigkeit zugesprochen wird. Auch durch Wiederholungen und Referenzen auf andere Motive und Themen verbindet Kippenberger Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig miteinander und bricht mit linearen Erzählstrukturen und Geschichtsvorstellungen. Durch die Tradition der Figurendarstellung erscheint Geschichte beispielsweise als ein Netz von Verbindungen. Der Medusa-Komplex baut in vielen Aspekten auf einer solchen netzartigen Struktur auf, die sich auch motivisch als Netz oder Gitter innerhalb der Floß-Darstellungen und bei der Wirkung auf Erinnerung und Gedächtnis des Betrachters findet. Auch die Struktur des Gedächtnisses kann als rhizomatisch bezeichnet werden.133 Der Begriff Rhizom stammt eigentlich aus der Botanik und bezeichnet eine unterirdisch wachsende Sprossachse. Gilles Deleuze und Felix Guattari wenden den Begriff in den 1970er Jahren metaphorisch an, um ein vielfach verflochtenes Gebilde zu bezeichnen, das endlos wuchert und damit dem Netz ohne Anfang und Ende verwandt ist. Die Metapher des Netzes und die Verknüpfungen innerhalb des Werkkomplexes erzeugen eine Parallele zur Vorstellung eines rhizomatischen Geschichtsverlaufs. Die Verbindungen und Ähnlichkeitsverhältnisse, die durch Wiederholung erzeugt werden, ergeben in Medusa allerdings keinen Sinn, sondern führen zur Überfrachtung an Deutungsmöglichkeiten. Für Schappert entsteht der Eindruck „einer ziellos sinnbildenden Vernetzung und endlosen Weiterführung“134. Im Gegensatz zu Géricault, der gemäß des eschatologischen Geschichtsmodells die Hoffnung auf Fortschritt erhält, er132 Henke 2001, S. 44f. 133 Gilles Deleuze und Félix Guattari, Rhizom, übersetzt von Dagmar Berger et al., Berlin 1977 führen das Rhizom in Kontrast zu hierarchischen Strukturen der Wissensbildung, wie zum Beispiel dem Wissensbaum, ein. Damit wird auch das Denken in einfachen Dichotomien aufgelöst, da ein Rhizom in verschiedene Richtungen verläuft. 134 Schappert 1998, S. 188.

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zeugt Kippenberger mit den Verfahren der Wiederholung einen Widerstreit zwischen Fortgang (Differenz zur Vergangenheit) und Rückschritt (Wiederkehr des Vergangenen). Der Wider­streit wird nicht transzendiert.135 Im Medusa-Werkkomplex dekonstruiert Kippenberger vielmehr verschiedene Modelle der Geschichtsschreibung, indem diese gerade keine Erkenntnis liefern und durch ihre teilweise Gegensätzlichkeit in Widerspruch gebracht werden.136 Der Betrachter versucht die fragmentarischen Darstellungen des Werkkomplexes in eine sinnvolle Erzählung zu bringen und wird sich dabei seiner Deutungsversuche bewusst. Medusa ist letztlich eine Absage an übergreifende Erzählungen, wie zum Beispiel an die Aufklärung. Damit greift Kippenberger einen weiteren Diskurs der Postmoderne auf, der in der Deklaration des Endes besteht. Nach François Lyotards These des Endes der großen Erzählungen tritt in der Postmoderne ein am Mythos orientiertes Denken als Erklärungsmodell der unverständlichen Welt an deren Stelle.137 Geschichte nähert sich dem Mythos an, der nicht faktisch, sondern in der Erinnerungswelt fundiert ist. Diskurse um das Ende führte man ebenso auf dem Gebiet der Kunstgeschichte. Vielfach wurde das Ende der Malerei verkündet, aber auch das Ende der Kunstgeschichte selbst.138 Die Zuwendung zur Malerei kann in den 1980er Jahren vor diesem Hintergrund als provokative Fortführung des „totgesagten“ Mediums gewertet werden. Die Prophezeiungen eines bevorstehenden Endes und dessen Aufschub sind ein zentrales Thema des Werkkomplexes, dessen Motiv mit den um ihr Überleben kämpfenden Schiffbrüchigen eine Art Endzeit-Vision darstellt. Allerding hebt Kippenberger durch die Deutungsoffenheit und kontinuierliche Weiterführung von Ideen und Werken im Medusa-Komplex das Ende im Sinne einer Vollendung bzw. abgeschlossenen Deutung auf und inszeniert Endlosigkeit.139

135 Die Debatte um den Fortschritt der Malerei, wie sie in Bezug auf die Malerei der 1980er Jahre und Bad Painting geführt wurde (siehe Kapitel 2.2.3), erhält damit eine neue Ausrichtung. Es kann bei Kippenberger nicht behauptet werden, dass Fortschritt im Sinne einer vernunftorientierten Entwicklung stattfindet. Aber es findet durchaus eine Entwicklung im Sinne einer Differenz statt. Der Schiffbruch kann als Motiv exemplarisch für dieses Wechselverhältnis von Identität und Differenz stehen und wird auf diese Weise auch in der History von Barnes verwendet. Vgl. Barnes 1989, passim. 136 Für einen Überblick über die Geschichtsphilosophie, welche die Zeit nach 1960 und Kippenbergers Werkkomplex prägen, vgl. exemplarisch Henke 2001, S. 42–57 und Beckstette 2008, S. 31–39. 137 Siehe Jean-François Lyotard, La condition postmoderne, Paris 1979. Vgl. auch Henke 2001, S. 47. Neben Lyotard ruft auch Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte: Wo stehen wir?, München 1992 ein Ende aus, wobei Fukuyama durch die politischen Entwicklungen und den Niedergang des Marxismus zu dieser Zukunftsvision gelangt. 138 Zum Beispiel bei Hans Belting, Das Ende der Kunstgeschichte?, München 1983 oder Arthur C. Danto, Kunst nach dem Ende der Kunst, München 1996. Vgl. hierzu Gerhard Seel, „The End of the Millenium – The End of Art?“, in: End of art – endings in art, hg. von dems., Basel 2006, S. 12–25; Gottfried Boehm, „Das Ende als Anfang – Eine Reflexionsfigur der modernen Kunst“, End of art – endings in art, hg. von Gerhard Seel, Basel 2006, S. 244–263; Johannes Meinhardt, „Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei“, in: Kunstforum International, hg. von dems., Bd. 131: Malerei nach dem Ende der Malerei, 1995, S. 20–246. 139 Vgl. hierzu Schappert 1998, S. 184 und S. 189.

Hope: der Wert der Kunst

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Der Medusa-Werkkomplex legt mit seinen Anlehnungen an diese geschichtsphilosophischen Diskurse letztlich ein Zeugnis der Auffassungen und Themen der Zeit ab. Die Werke können als Bilder beschrieben werden, die ein Stück (Zeit-)Geschichte darstellen. Nicht nur das Floß der Medusa, sondern auch der Medusa-Werkkomplex entfalten das Potential, „unseren Blick auf die Geschichte und damit die Geschichte selbst zu verändern“140. Bei Kippenberger trifft dies in doppeltem Sinne zu: Er versammelt verschiedene Geschichtsmodelle in seinem Werk, die er in ihrer Widersprüchlichkeit aufzeigt und ironisch dekonstruiert. Auf diese Weise trägt er zu einem veränderten, distanzierten Blick auf die Darstellung von Geschichte bei. Er gibt dadurch aber auch ein Bild seiner Zeit und ihrer Themen beziehungsweise Vorstellungen ab, auf die er sich in seinem Werk bezieht. Sein Kunstschaffen geht zwar von der Gegenwart aus, ist als Zeugnis einer bestimmten Zeit ebenfalls für eine Nachwelt von Bedeutung. Über diesen Umweg bezieht der ­Medusa-Werkkomplex seine überzeitliche Bedeutung und vermittelt Erkenntnis.

4.3 Hope: der Wert der Kunst Das Gemälde P.59 stellt Kippenberger in der Pose der Hoffnungs-Chiffre (Figur P) aus Géricaults Gemälde dar. Kippenberger zeigt die Rückenfigur vor einem Hintergrund aus fünf Farbfeldern, davon je zwei in Grau und Grün sowie eines in unreinem Weiß. Am linken und oberen Bildrand ist in abstrahierter Form das Ornament aus der dem Gemälde vorausgehenden Zeichnung D.11 erkennbar. Das auslaufende Ende des Ornamentbandes umfasst in P.59 wie eine Sprechblase das auf dem Kopf stehende Wort „Hope“ in gelber Farbe. Das Wort nimmt im rechten oberen Bildteil einen ähnlichen Platz ein wie die ­Argus in Géricaults Darstellung und stellt sowohl über die kompositorische Referenz auf das Rettung symbolisierende Schiff als auch durch die Benennung der Gefühlschiffre einen Bezug zum Vorbild her. Denn die Figur P an der Spitze der Dreieckskomposition im Floß der Medusa symbolisiert den von Hoffnung motivierten Kampf ums Überleben. Ihre dynamische Haltung steht im Kontrast zur Resignation und Leblosigkeit anderer Schiffbrüchiger, insbesondere zum reglos sitzenden, in Melancholie versunkenen Vater, der seinen leblosen Sohn hält. Nicht nur der heldenhafte Körper der Figur P, der Stärke und Energie vermittelt, auch ihre Positionierung an der Spitze der Menschenpyramide sowie die kameradschaftliche Unterstützung durch einen anderen Schiffbrüchigen lassen in dieser Figur die Hoffnungen des Bildes auf Rettung aus Seenot, aber auch auf Rettung in gesellschaftspolitischer Hinsicht kulminieren. Denn durch ihre Position im Bild, die im Gegensatz zu ihrer gesellschaftlichen Stellung eines Afrikaners um 1819 in Europa steht, kann die Figur als Hoffnung auf einen Umbruch der bestehenden Gesellschaftshierarchien angesehen werden. Die kameradschaftliche Unterstützung, die dem Schiffbrüchigen 140 Fleckner 2014, S. 19.

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zuteil wird, verweist auf den Wert von Solidarität und weckt damit die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und moralischen wie gesellschaftspolitischen Fortschritt. Die Figur wurde in der Forschung oftmals als Held aufgefasst, der sich durch seine außerordentliche Stärke und Willenskraft auszeichnet und die Schiffbrüchigen anführt auf dem Weg in eine bessere Zukunft.141 Doch ist diese Interpretation umstritten und der Betrachter, dem der Ereignisverlauf bekannt ist, weiß, dass die Hoffnung auf Rettung zunächst enttäuscht werden wird. Trotz des Signalisierens von Figur P verschwand die Argus, so berichten Corréard und Savigny, nach der ersten Sichtung und näherte sich erst Stunden später zur Rettung. Das Signalisieren bewirkte nichts und die Figur stellt die enttäuschte Hoffnung dar.142 Die Figur P bildet im Floß der Medusa damit nicht nur einen Gegensatz zur hoffnungslosen Seite, sondern ist selbst von einem Antagonismus geprägt: einerseits heldenhafter Hoffnungsträger, andererseits von der Gesellschaft Ausgestoßener und Sinnbild für die Vergeblichkeit des Hoffens. Alle Merkmale der Hoffnung, die sich im Figurenvorbild finden, fehlen in P.59. Kippenberger isoliert die Figur, so dass sie weder eine prominente Stellung innerhalb der Medusa-Bildnisse einnimmt noch kameradschaftliche Unterstützung erfährt. Da Kippenberger selbst jede Figur nachstellt, unterscheidet sich dieses Selbstbildnis auch nicht auf andere Weise, wie durch Hautfarbe und sozialen Stand, von den anderen Schiffbrüchigen. Der über die Pose transportierte Gefühlsausdruck geht durch leichte Änderungen in der Haltung ebenso verloren. Bei Géricault hat die Hoffnung den gesamten Körper der Figur P erfasst, der in schwungvoller Aufwärtsbewegung beim Aufsteigen auf ein Fass gezeigt und von dynamischer Bewegung in S-Form gebogen ist; die emotionale Erregung drückt sich im bewegten Körper aus, vom signalisierenden Arm bis hinein in das im Wind flatternde Tuch, das sich der Schiffbrüchige um den Arm geschlungen hat. Kippenberger steht mit seinen Beinen auf nahezu gleicher Höhe auf der weichen Matratze, die seinen Körper nach unten absinken lässt, statt ihn in die Höhe zu heben. Der disproportional große rechte Arm ist nach unten gestreckt und zieht mit seiner riesigen Hand und den gespreizten Fingern die Figur zudem nach unten. Das Rückgrat bildet eine Gerade statt einer S-Linie und die Gliedmaßen wirken steif und sind rechtwinklig gebeugt. Der massige Block des Oberkörpers lässt keine Bewegung erkennen. Der linke, verkürzt dargestellte Arm ist gerade ausgestreckt und nicht durch ein dynamisches Signalisieren gebogen. Das Tuch liegt zwar in Falten, ist jedoch unbewegt auf der Leinwand festgeklebt und fällt ebenfalls nach unten hin ab, wo es durch die Malerei verlängert wird. Kompositorisches Zentrum des Bildes bildet die rechte Hand, genau genommen die ein Vanitas-Symbol darstellende Armbanduhr. In der Uhr kreuzen sich zwei Diagonalen, die, wie in der Komposition vom 141 Eine solche Interpretationslinie findet sich in der kunsthistorischen Forschungsliteratur seit den 1980er Jahren vor allem in den USA, wobei der signalisierende Afrikaner als „heldischer Körper der Nation” aufgefasst wurde, siehe Wedekind 2014, S. 242f. Wedekind weist nach, dass Géricaults Zeitgenossen diese Figur auf Grund ihrer Anonymität nicht als Held wahrnahmen, ebd. S. 242f. und Wedekind 2006, S. 112ff. 142 Vgl. Wedekind 2008, S. 121.

Hope: der Wert der Kunst

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Floß der Medusa, die Struktur des Bildes ausmachen: Eine fallende Linie zieht sich von der linken Hand zum rechten Arm und wird in der Armbanduhr von einer flach aufsteigenden Diagonale gekreuzt, die durch eine gelb-schwarze Linie auf dem grünen Farbfeld gebildet wird. Die aufsteigende Diagonale führt zwar vom linken Fuß über rechtes Knie und Armbanduhr auf die Horizontlinie zu, allerdings an dem Wort Hoffnung vorbei, so wie auch das Floß in Géricaults Gemälde von dem Rettung symbolisierenden Schiff Argus wegzutreiben scheint. Die abfallende Diagonale in P.59 wirkt ihrerseits der Aufwärtsbewegung entgegen, verläuft allerdings über die signalisierende Hand. Keine der Diagonalen lässt sich daher eindeutig der Hoffnung oder dem Untergang zuordnen. P.59 wird ebenfalls von widersprüchlichen Bedeutungen beherrscht, die sich nicht auflösen lassen. Durch eine gemalte Verbindungsspur zwischen Tuch und linker Hand, die über den Kopf ausgestreckt ist, wird in P.59 suggeriert, die Figur halte dieses in ihrer Hand. Da es sich um ein Selbstbildnis handelt, erkennt Isabelle Graw im Bild den Künstler im Inbegriff, mit dem Malertuch in der Hand sein Selbstbildnis zu malen. Einerseits kann das Gemälde als eine Selbsterhöhung Kippenbergers verstanden werden, der nicht nur ein Meisterwerk neuschöpft, sondern dabei auch in die Rolle einer heldenhaften Figur, eines Hoffnungsträgers, tritt und somit auf einen populären Gemeinplatz vom Künstler als Retter der Gesellschaft rekurriert. Der Künstler zeigt sich buchstäblich beim Malen der Hoffnung. Andererseits stellt sich Kippenberger gerade nicht in heroischer Schönheit dar, sondern gibt seinem Körper ein schmutziges, deformiertes und lächerliches Aussehen. Durch die Malerei des Bad Painting, die Farbspritzer, wilde Malweise und schmutzige Farbgebung, erhält die Figur ein eher abstoßendes Körperbild, welches durch das zerknitterte, dreckige Tuch verstärkt wird. Kippenbergers Körper folgt dem Bild eines verstoßenen, gescheiterten Menschen anstatt eines idealisierten Helden. Er konterkariert damit den Gemeinplatz vom heroischen Künstler und zeigt sich als Schiffbrüchigen, als schlechten Maler in moralischer wie künstlerischer Hinsicht. Dadurch ruft er einen weiteren Gemeinplatz über das Künstlertum wach. Die verschiedenen, teilweise konträren Gemeinplätze, die Kippenberger in den Figuren Géricaults vorfindet und in den Medusa-Bildnissen auf seine Rolle als Künstler transferiert, sollen im folgenden Unterkapitel untersucht werden. In der Gestik und Positionierung der Figur der Hoffnung wurde bei Géricault auch eine Figur zur Erringung von Aufmerksamkeit im Salon von 1819 gesehen.143 Der Figur kommt eine programmatische Rolle zu, da sie die Hoffnung des Künstlers spiegelt, mit seinem Gemälde zu Erfolg zu gelangen. Kippenbergers Bezug auf Géricaults ikonisches Gemälde in Medusa kann per se als Verfahren zur Erringung von Aufmerksamkeit und Erfolg aufgefasst werden. In der Figur P.59 scheint dieses Bestreben besonders deutlich. Nicht nur die Referenz auf das Meisterwerk, auch der Transfer in die populäre Gattung des Selbstbildnisses, die eine besondere Nähe zur Kultfigur Künstler zu vermitteln scheint, 143 Hierauf verweist zum Beispiel Hubmann, Elemente, 2012, S. 99.

222 Kippenberger über Géricault

steigert die Chancen auf Erfolg.144 Kippenberger erfüllt die mit der Gattung verbundenen Erwartungen unter anderem, indem er „Relikte“ wie das Tuch oder Spuren seiner Handlungen durch den sichtbaren Pinselduktus integriert. Der Aufwertung des Bildes zum Fetischobjekt setzt er die Entwertung seiner Malerei durch dilettantische Verfahren entgegen, zum Beispiel durch das Ausstreichen seiner Signatur in P.59, die üblicherweise als Garant der Authentizität gilt. Als weiteres Beispiel lassen sich die karikaturalen Verformungen und stilisierten Wiedergaben in P.59 anführen, die typisch für Formen der „low art“ wie Cartoons oder Comics sind (so zum Beispiel die sieben strahlenförmig angeordneten Linien unter den Füßen, eine Wiedergabe der Falten der Matratze). Die Verfahren zur Erringung von Erfolg sowie Kippenbergers Wechselspiel zwischen Auf- und Abwertung werden im dann anschließenden Unterkapitel beschrieben. Géricault erreicht im Floß der Medusa unter anderem durch die antagonistische Struktur eine moralische Botschaft. Das Leiden der Schiffbrüchigen erscheint heldenhaft und erzeugt dadurch Gefühle der Empathie und Solidarität beim Betrachter. Dem Sujet des Untergangs werden christliche Werte entgegengesetzt, durch welche die Katastrophe hätte verhindert werden können. Das Gemälde kann insgesamt zu einem Hoffnungsträger für die Gesellschaft werden, da es Erkenntnis vermittelt und die Sinnlosigkeit der Katastrophe transzendiert. Kippenberger erscheint in P.59 weder heldenhaft, noch erzeugt er Gefühle der Empathie. Er verstößt vielmehr gegen Werte und Ideale (ästhetische wie ethische) des Betrachters. So lässt sich das Gemälde P.59 auch als Abschied oder als das Auswischen von einer Hoffnung auf Rettung durch Kunst und Künstler lesen. Das Wort „Hope“ unterstreicht durch seine verkehrte Schreibweise diesen Eindruck. Hubmanns Bemerkung, dass es sich bei dem Wort um die „Verbuchstäblichung einer allegorischen Bedeutungsdimension [handelt], die im Gemälde Géricaults gerade offen gelassen“145 wird, trifft nur insofern zu, als dass der Begriff das Figurenvorbild eindeutig benennt. Das Bild selbst wird von widersprüchlichen Bedeutungen beherrscht, wodurch eine Analogie zum Vorbild entsteht. Durch die Widersprüche und Wertverstöße, die unter anderem durch die Verformungen und karikaturalen Mittel erzeugt werden, verleiht Kippenberger den Darstellungen jedoch Witz, der wiederum eine Bewältigungsstrategie der negativen Seiten der Existenz darstellen kann. Im abschließenden Unterkapitel soll daher untersucht werden, inwiefern Medusa ebenfalls Erkenntnis vermittelt und durch die Darstellung eines existentiellen Überlebenskampfs Hoffnung generiert.

144 Siehe u. a. Donald Kuspit, Der Kult vom Avantgarde-Künstler, Klagenfurt 1995 oder Bätschmann 1997, passim. 145 Hubmann 2016, S. 206.

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4.3.1 Künstlertopoi – der Mythos Künstler Der Medusa-Werkkomplex wird, stärker als andere Selbstbildnisse in Kippenbergers Werk, von einer existentialistischen, biografischen Deutung dominiert.146 Die Verknüpfung von Werk und Leben sowie die Auseinandersetzung mit dem Künstlertum scheinen sich bei Kippenberger in Medusa durch die Aneignung des existentiellen Sujets von Géricault zuzuspitzen. Das Thema des Überlebenskampfes der von der Gesellschaft verstoßenen Schiffbrüchigen wird durch die Übersetzung der Figuren in (Selbst-)Bildnisse des Künstlers in einen neuen Kontext gestellt und auf das Künstlertum bezogen. Der Rekurs auf die Gemeinplätze des Künstlertums anstelle der Darstellung von Künstlern zugeschriebenen Attributen (wie zum Beispiel eine Palette, ein Werk oder das Atelier als Ort des Schaffens) zeichnen Kippenberger als Künstler aus. Es handelt sich bei diesen Gemeinplätzen um visuelle Topoi, wie sie Ulrich Pfisterer definiert. Pfisterer bezeichnet mit dem Begriff die „Übertragung rhetorischer bzw. literarischer ‚Gemeinplätze‘ in die Bildmedien“ sowie „visuelle Argumentationsmuster von allgemeiner Bedeutung und fest etablierte Grundformeln des kulturellen Bildgedächtnisses, die den Ausgangspunkt für alle Arten von Bilderfindungen liefern“147. Diese Grundformeln findet Kippenberger bei Géricault vor. Wie Géricault auf ein tradiertes Figurenrepertoire zurückgriff, um dadurch sein Gemälde lesbar zu machen, nutzt Kippenberger die bekannten Künstlertopoi, um seinen Status als Künstler sichtbar zu machen. Zum Beispiel evoziert die melancholische Stimmung in den Fotografien zusammen mit den Leidensposen den Topos vom Künstler als einsamen Melancholiker. Einen konkreten Bezug zur Melancholie findet Kippenberger im Floß der Medusa in der Pathosformel der Figur des Vaters (Figur B) vor, der auf einen melancholischen Figurentypus zurückgeht.148 In den Figurenvorbildern der Schiffbrüchigen treffen jedoch teilweise gegensätzliche Gemeinplätze aufeinander, wie beispielsweise in der Figur der Hoffnung (Figur P), die sowohl heldenhafter Hoffnungsträger als auch Ausgestoßener ist, so dass sich auch in Medusa widersprüchliche Topoi finden. Inszeniert als Schiffbrüchiger erscheint Kippenberger in Medusa zunächst als Opfer der Gesellschaft, die ihn ausgestoßen hat. Der Topos vom Künstler, der von der Gesellschaft verstoßen und in den Tod getrieben wird, findet sich prominent in Antonin 146 Die in Spanien entstandene Reihe von 1988 rückt den Bezug zu Picasso (und der Avantgarde) und dem Thema des männlichen Körpers in den Vordergrund, vgl. zum Beispiel Meyer-Hermann 2003. Neben dem Ballon-Motiv werden im Eintrag im Werkverzeichnis zur Reihe auch die Referenzen auf die ­Peter-Skulpturen hervorgehoben. Kippenberger inszeniere sich hier als Skulpteur, siehe Estate 2016, S. 103f. Die Reihe der Handpainted Pictures von 1992 wird hingegen in Anbetracht des sich auflösenden Körpers als Vorstufe zu den Medusa-Bildnissen angesehen, u. a. bei Prina 1998 oder Kempkes, Handpainted, 2003, S. 172–175. Im Werkverzeichnis wird diese Reihe ebenfalls differenzierter betrachtet und die Bedeutung der in den Bildern auftauchenden Sprache sowie die Thematisierung von Autorschaft angesprochen, siehe Estate 2016, S. 411f. 147 Pfisterer 2003. 148 Siehe u. a. Wedekind 2014, S. 244 oder Eitner 1972, S. 46.

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­ rtauds Schrift über Vincent van Gogh. Als Reaktion auf eine klinische Abhandlung über A den Maler 1947 verfasste Artaud in Van Gogh, le suicidé de la société eine Anklage an die Gesellschaft. Demnach diene die Psychiatrie der Verteidigung der Gesellschaft gegen die „investigations de certaines lucidités supérieures dont les facultés de divination la gênaient. […] C’est ainsi que la société a fait étrangler dans ses asiles tous ceux dont elle a voulu se débarrasser ou se défendre“149. Der Künstler ist eigentlich ein Visionär, wird aber von der Gesellschaft aufgrund ihres Unverständnisses für psychisch krank erklärt und verstoßen. Dies habe für van Gogh letztlich zum Selbstmord geführt. Géricault zeigt mit den Schiffbrüchigen ebenso Ausgestoßene der Gesellschaft, die sich in psychischen Ausnahmezuständen und wahnhaften Zuständen befinden. Der Wahn ist bei den Schiffbrüchigen jedoch auf die außerordentliche physische Tortur zurückzuführen und nicht auf eine Form der Hellsichtigkeit.150 Das Thema der Psychiatrie und des geistigen Ausnahmezustandes wird allerdings in Géricaults Gemäldereihe der Monomanes (Taf. XX) zum eigentlichen Sujet. Die heute noch fünf erhaltenen „Irrenporträts“ entstanden in zeitlicher Nähe zum Floß der Medusa und gehen wie das Ereignisbild einem Streben nach Realismus nach, der sich aus einer Dialektik zwischen Individualität und Typisierung ergibt. Géricault konzentriert sich in diesen Porträts – wie im Floß der Medusa – auf das Erfassen des Menschlichen, das sich zwischen Hohem und Niederem ansiedelt. Einige von Kippenbergers Medusa-Porträts weisen eine Ähnlichkeit zu diesen Porträts auf, ebenfalls Schulterstücke im Dreiviertelprofil, auf die bisher nur Prina hingewiesen hat. Die Fotografie Ph.20 erinnert durch den gesenkten Kopf bei nach oben gerichtetem, undurchdringlich lauerndem Blick, der aus einer Aufsicht aufgenommen wurde, an das Porträt Monomane de l’envie (Taf. XX). Wie bei den Monomanes kann zudem bei Kippenberger nicht nur der Blick, sondern auch die zerknitterte, fleckige Kleidung als Spiegel der inneren Unruhe gesehen werden.151 Dieser Topos wird fortgeführt durch die Vorstellung vom Künstler als Abhängigen, der durch Drogenkonsum zu erweiterten, wahnhaften Bewusstseinszuständen gelangt. Hierauf spielt Kippenberger mit der LSD-Pille in der Lithografie L.8 aus der Edition IV/VI an. Ebenso stehen Kippenbergers Alkoholismus und das Glas Wein in Fotografie Ph.5 in Bezug zu dieser Vorstellung. Da Géricaults Gemäldereihe der Monomanes zudem Porträts von Abhängigen umfasst, wie die Darstellung der Spielsüchtigen (Taf. XX), ergibt sich in dieser Hinsicht eine weitere Analogie. Kippenberger greift einerseits den Topos vom Künstler als Wahnsinnigen auf, stellt diesem andererseits die gegenläufige Vorstellung vom Künstler als Visionär entgegen (wie 149 Siehe Antonin Artaud, Van Gogh, le suicidé de la société, Paris 1990, S. 7, S. 11. Van Gogh sei nicht geisteskrank gewesen, sondern habe unter dem Zwiespalt von Körper und Geist gelitten. 150 Vgl. zum Zusammenhang der Darstellungen u. a. Wedekind 2008, S. 155–224. Diese Dialektik steht bei den Monomanes in Bezug zu den wissenschaftlichen Neuerungen in der Medizin der Zeit. Auch diese Bilder sind von einer christlichen Weltsicht geprägt. 151 Ebd., S. 159. Die Medusa-Fotografien können durch diese Analogie auch an die Fotografien der Hysterikerinnen von Jean-Martin Charcot aus dem 19. Jahrhundert erinnern.

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es sich auch bei Artaud findet). Insbesondere in den Medusa-Lithografien zeigt er sich als ein solcher. Durch die Überlagerung zweier Motive in den Selbstbildnissen in L.1 oder L.4, die in keinem räumlich sinnvollen Verhältnis stehen, erscheinen diese Bilder wie die Visionen des porträtierten Künstlers. Im Porträt von P.60 (Taf. XV) lässt Kippenberger seinen Blick durch die markante Betonung stecknadelgroßer Pupillen luzide erscheinen. Der Topos vom Künstler als Visionär, der sich für die Menschen aufopfert, geht auf die christliche Mythologie zurück. Neben Märtyrern und Heiligen gilt Christus als Urtyp des sich für die Menschen aufopfernden Messias. Auch dieses Thema ist gewissermaßen in der Tradition der Figurendarstellung des Floß der Medusa enthalten, da Géricault auf eine christliche Ikonografie zurückgriff, wie zum Beispiel auf Pietà-Darstellungen. Werner Büttner bemerkt 2003 über Medusa, Kippenberger sei hier in einer „Imitatio Christi“ verhaftet.152 Eine eindeutige Referenz auf den Topos vom Künstler als Heiligen bildet der Heiligenschein, den sich Kippenberger in der Lithografie L.9 aus der Edition IV/VI verleiht.153 Zudem zeigt sich dieser Topos in Gemälde P.70, in dem Kippenberger auf dem Bauch liegend zu sehen ist, die Arme und der Kopf des leblos wirkenden Körpers hängen nach unten. Der Hintergrund des Gemäldes besteht aus einem roten Farbfeld, das teilweise übermalt wurde, allerdings scheint an manchen Stellen noch rote Farbe durch, die an Blut denken lässt. An den Rippen befindet sich ein roter Farbfleck, der an die Seitenwunde Christi erinnert. Da Kippenberger eine rote rechte Hand hat, wirkt die Darstellung wie ein Bild des Malers, der sich zu Tode gemalt, sich im Kunstschaffen für die Gesellschaft aufgeopfert hat. Auch dieser Topos wird in Artauds Text zu van Gogh beschrieben. Das profane Pendant zum Topos vom Künstler als Heiligen ist die Vorstellung vom Künstler als virilem Helden, der sich durch Stärke, Kampfbereitschaft und Mut auszeichnet. Der Begriff des Helden wird in der Literatur zum Floß der Medusa in Bezug auf die ästhetisierte Körperdarstellung der Schiffbrüchigen eingesetzt und bezieht sich auf die ju­gendliche Stärke und Schönheit der Schiffbrüchigen.154 Die äußere Schönheit des Helden spiegelt traditionell seine Tugendhaftigkeit, das heißt die außerordentliche Charakterstärke, den Mut, das Moralempfinden und den Altruismus. Auch wenn das Bild keine Heldentaten darstellt, verleiht zumindest das heldenhafte Aussehen der Schiffbrüchigen ihrem Leiden heroische Bedeutung. Bei Kippenberger findet eine Heroisierung durch das Selbstbildnis als Gattung und die Vielzahl seiner Darstellungen statt, die den Künstler wie einen Helden zu glorifizieren scheinen und als außergewöhnliche Figur i­ nszenieren. 152 Werner Büttner, „Sehfahrt“, in: Martin Kippenberger, das 2. Sein, hg. von Götz Adriani, A ­ usst.-Kat. ­Karlsruhe, ZKM Museum für Neue Kunst, 2003, Köln 2003, S. 152. 153 Kippenberger rekurriert häufig auf christliche Topoi (zum Beispiel in „I had a vision“ oder in den Fred the Frog Skulpturen als gekreuzigten Frosch) und bezeichnete sich auch als „Sankt Martin“ oder „­Hirten“. Vgl. u. a. Manfred Hermes, „Fred the Frog“, in: Nach Kippenberger/After Kippenberger, hg. von Eva Meyer-­ Hermann, ­Ausst.-Kat. Wien und Eindhoven, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, 2003, Van ­Abbemuseum Eindhoven, 2003, Wien 2003, S. 128–130. Zum ironischen Umgang mit diesem Topos siehe Hartmann, 2013, S. 39–42. 154 So zum Beispiel als „nudité héroïque“ bei Bazin 1994, S. 17.

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In der heroisierenden Körperdarstellung der Schiffbrüchigen bei Géricault ist ferner das Thema der Virilität enthalten. Das Bild wird von Brüderlichkeit und Homoerotik ­beherrscht, wie es sich in der Vater-Sohn-Gruppe kondensiert findet.155 Frauen sind nicht dargestellt. Einerseits entspricht dies dem Bericht Corréards, demzufolge nur eine Frau auf dem Floß war, die nicht überlebte. Andererseits erprobte Géricault in seinen Studien die Darstellung dieser Frauengestalt, entschied sich bei der finalen Komposition jedoch gegen die Aufnahme der Figur. Für Linda Nochlin ist die Absenz von Frauen im Gemälde nur auf den weiblichen Körper bezogen, denn das Weibliche sei durchaus im Bild vorhanden als „displacement of the feminine“156 im vergeblichen Begehren der Schiff­ brüchigen und ihrem Status als Opfer.157 Ähnlich sieht auch Wedekind den Antagonis­ mus des Bildes: Der melancholische Vater repräsentiert die weibliche Bildhälfte, welcher das phallische Begehren mit der Figur P als Höhepunkt gegenübersteht.158 In der Figur des patriarchalischen Vaters sind auch Referenzen auf weibliche Figurenvorbilder wie die Melencolia oder Pietà angelegt. Der leblose, nackte Sohn mit seinem heroischen Körper ist Sinnbild der gebrochenen Heldenhaftigkeit. Kippenberger stellt seine Männlichkeit ebenso gebrochen dar und spielt mit Vorstellungen vom Weiblichen. Er inszeniert sich auf der einen Seite gleichrangig mit berühmten Malern (wie Géricault oder Dalí), tritt an die Stelle heldenhafter Figuren und integriert in Géricault/Batters sogar chauvinistisch deutbare Themen. Auf der anderen Seite unterwandert er das typische Rollenverhältnis von Künstler, Modell und Muse, indem er in den Fotografien selbst zum Aktmodell wird, das dem Blick einer weiblichen Fotografin unterliegt. In den Selbstbildnissen zeigt er sich ferner nackt, mit schlaffem Glied, welches er mehr durch Absenz andeutet als tatsächlich darstellt (­Figur O, Taf. XI). Wie in einer Art Selbstkastration führt er seine fehlende Männlichkeit vor. Auch bei anderen Selbstbildnissen ist dies der Fall: Er löscht die heroische Energie und Stärke der Figurenvorbilder aus (zum Beispiel in P.59), demonstriert seine Machtlosigkeit durch die Posen (insbesondere in P.63) und verleiht seinem Kör­ per weiche, feminine Rundungen (zum Beispiel in P.62, P.68).159 Die Geschlechtlichkeit Kippen­bergers erweist sich, entsprechend der Darstellung von Identität in Medusa, als performative Kategorie, mit der Kippen­berger spielerisch umgeht. Damit steht Kippen­ bergers Vorgehen in Bezug zur Th ­ eorie vom „Doing Gender“160, der gesellschaftlichen und handlungsorientierten Formung von Geschlechtlichkeit, wie sie in den 1970er ­Jahren in

155 Vgl. Wedekind 2008, S. 153. 156 Linda Nochlin, „Géricault or the Absence of Women“, in: Géricault, critique et interprétation, hg. von Régis Michel, Bd. I, Paris 1996, S. 403–421, hier S. 409. 157 Ebd., insbes. S. 408–410. 158 Vgl. Wedekind 2006, S. 115 bzw. Wedekind 2008, S. 98. 159 Vgl. hierzu auch Bryson 1994 und das Thema der verletzten, gescheiterten Männlichkeit. 160 Der Begriff wurde in den 1960er Jahren geprägt und von Judith Butler in den 1990er Jahren eingesetzt, ­siehe für einen Überblick zum Beispiel Ilka Becker, „Gender und Repräsentationskritik“, in: ­Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, hg. von Hubertus Butin, Köln 2014, S. 97–103.

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f­ eministischer Kunst ihren Ausdruck fanden.161 Kippenbergers Rollenspiel und die inszenierten Foto­grafien können als eine Anlehnung daran angesehen werden. Beispielsweise zu den inszenierten Fotografien Cindy Shermans lassen sich Parallelen ziehen, die sich durch die Konzeption der Nachstellung zwischen Reenactment und Tableau vivant ergeben und zudem im Aufbrechen tradierter Rollenbilder durch Travestie liegen. Kippen­ bergers Einnahme gegensätzlicher Rollen wird auch in der Malerei ersichtlich. Graw konstatiert, er sei in vielen seiner Bildnisse „Maler und Muse zugleich, wie um einmal mehr deutlich zu machen, dass er sich der Malerei von innen und von außen her nähert.“162 Gerade auch die zur gleichen Zeit geschaffene Reihe Jacqueline: The Paintings Pablo Couldn’t Paint Anymore von 1996 sei ein Versuch, „die Position des männlichen Produzenten und die der Reproduktion dienenden Muse zugleich einzunehmen.“163 Auch in Medusa inszeniert er eine Virilität, die er durch seine teilweise feminin runde Körperdarstellung, die Einnahme mit Weiblichkeit verbundener Rollen (zum Beispiel als Modell) und die Darstellung von Machtlosigkeit konterkariert. Die Reihe „Géricault/Batters“ treibt die Komplexität dieses Rollenspiels weiter, indem die entmächtigten, heroisierten Figuren aus den Studien ­Géricaults mit den objektifizierten Modellen bei Batters zusammengebracht werden. Wer in diesem „Geschlechterkampf “ letztlich noch Macht hat, bleibt offen.164 Kippenberger greift allerdings nicht nur gegensätzliche Topoi auf, sondern konterkariert die verschiedenen Topoi in den Bildern selbst. Er tritt zwar in die Rolle von Helden, deformiert jedoch seinen Körper und karikiert sich. Die Vorstellung vom einsamen, an Weltschmerz leidenden Melancholiker wird von ihm beispielsweise durch die komisch-starren Haltungen in den Fotografien und später in den karikierenden Körperdarstellungen in den Selbstbildnissen gebrochen. Aber auch die Expressivität der Gemälde (und teilweise der Zeichnungen), die bunt und schrill sind, der lustvolle und dynamische Pinselduktus sowie die humorvollen Anspielungen, wie die Socken oder die Schreibfehler, stehen einem Eindruck von introspektiver Melancholie entgegen. Das Konzept des „Strategischen Dilettantismus“ widersetzt sich ohnehin der Vorstellung vom Künstler als melancholischem Genie. Schon im Produktionsprozess unterläuft er die aufgerufenen Gemeinplätze. Obwohl die Medusa-Fotografien Kippenberger isoliert zeigen, handelt es sich um eine Gemeinschaftsarbeit mit seiner Ehefrau. Dass diese Arbeit nicht von Melancholie geprägt war, verdeutlichen die Porträts, die Kippenberger beim Blödeln zeigen (Taf. XXXVI). Die Gemälde sind zumindest teilweise bei gemeinschaftlichen Abenden entstanden, beim Teppich handelt es sich um einen delegierten Auftrag nach einer Kopie 161 Vgl. zum Beispiel Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er Jahre aus der Sammlung Verbund, Wien, hg. von Gabriele Schor, ­Ausst.-Kat. Rom et al., Galleria Nazionale d’A rte Moderna 2010, München 2015. 162 Graw 2014, S. 29. 163 Ebd., S. 28. 164 Zur Virilität bei Kippenberger vgl. Kirsty Bell, „Martin Kippenbergers Selbstporträts. Ernst sein ist alles oder wie wichtig die Jacke von Ernst ist“, in: Martin Kippenberger: Werkverzeichnis der Gemälde, hg. von Estate of Martin Kippenberger, Bd. III: 1990–1992, Köln 2016, S. 10–18, hier S. 14; Estate 2016, S. 104ff.

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und die Produktion der Lithografien entstand in der Werkstatt von Peter Johansen, wohin Kippenberger von Michel Würthle begleitet wurde. Durch diese Kooperationen nimmt Kippenberger die Rolle des Netzwerkers ein. Im Astérix-Gemälde zeigt er sich entsprechend als mehrköpfiger Organismus, ganz im Kontrast zum Topos vom einsamen Genie. Dieser Topos ist mit der neuen Ökonomie und Entwicklungen wie der Globalisierung in den 1990er Jahren verbunden. Mit dem Cover von Prints führt Kippenberger diesen Gemeinplatz fort und zeigt sich als weltmännischer Geschäftsmann oder eine Art Dandy in eleganter, modischer Kleidung und selbstsicherer Haltung. Sein offener Einsatz von Vermarktungsstrategien (wie beispielsweise die regelrecht inflationäre Produktion von Kunst, die Medusa-Drucke oder die Kataloge und Bücher) unterstreichen dieses Bild weiter und kontrastieren mit dem Bild vom Künstler als Ausgestoßenen. Das einsame, melancholische Genie, der Netzwerker und Businessmann, der Märtyrer und Held, der Gescheiterte und Ausgestoßene sind jedoch Rollenbilder, die nicht ausschließlich auf den Künstler zutreffen. Indem Kippenberger in Medusa die Rolle eines Stellvertreters für den Betrachter einnimmt, werden die angeführten Topoi auch auf die Gesellschaft übertragen. Der Künstler als „exemplarisches Individuum“165 – ein weiterer Topos – bedeutet damit, dass die Gemeinplätze vom Künstlersein auch auf die Gesellschaft zutreffen. So erzeugt Kippenberger über den Umweg eine Verbindung zu Géricault, der sowohl im Floß der Medusa als auch in den Porträts der Monomanes das allen Menschen Gemeinsame aufzuzeigen versuchte.166 Kippenberger führt gleichzeitig diese Gemeinplätze ad absurdum, nicht nur indem er widersprüchliche Topoi aufgreift, sondern auch durch den ironischen Bruch der jeweiligen Vorstellungen. Dadurch unterminiert er ihren Anspruch auf Wahrheit, da gleichzeitig mehrere, gegensätzliche Vorstellungen gültig zu sein scheinen. Keines der Künstlerbilder scheint wahr, keines davon falsch. So nehmen die Künstlertopoi den Charakter von Mythen an, da sie sowohl Erzählungen mit Anspruch auf Wahrheit darstellen und gleichzeitig in falschen Vorstellungen fundiert sind. Für Anne Haun ist der „ ‚Mythos Kippenberger‘ […] das eigentliche Kunstprodukt“167.

4.3.2 Erfolgsstrategien – der Mythos Kunstwerk Durch den Rekurs auf die skizzierten Gemeinplätze vom Künstlersein kommt Kippenberger einer Erwartungshaltung der Öffentlichkeit nach, die durch die gegenläufigen Topoi gleichzeitig unterwandert wird. Géricault richtete sich mit seinem Gemälde ebenfalls an eine Öffentlichkeit, indem er das Floß der Medusa speziell für die Salon-Ausstellung

165 Kampmann 2006, zum Beispiel S. 29. 166 Vgl. hierzu Wedekind 2008, passim. 167 Anne Haun, „Martin Kippenberger“, in: Die Inszenierung des Künstlers, hg. von Anne Marie Freybourg, Berlin 2008, S. 48–53, hier S. 49.

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von 1819 anfertigte. Die Aktualität des Sujets seines Bildes, ein politischer Skandal, die Gattung der Historienmalerei sowie die Monumentalität des Formats können als künstlerische Verfahren zur Erlangung von Aufmerksamkeit und als Inszenierung der eigenen Bedeutung angesehen werden. Durch die „Erneuerung“ der hierarchisch bedeutendsten Gattung der Malerei tritt Géricault darüber hinaus in einen Wettstreit mit anderen Künstlern. Oskar Bätschmann fasst Géricault dementsprechend als einen neuen, modernen Künstlertypus auf: den Ausstellungskünstler. Dieser Typus entstand im 18. Jahrhundert und zeichnet sich im Gegensatz zum Hofkünstler und Unternehmer entsprechend der Bezeichnung durch das Ausstellen seiner Kunst, aber auch durch die Verbreitung des Werks und seinen Bezug zur Öffentlichkeit aus. Während der Hofkünstler für den Hof und der Unternehmer für den Markt arbeitet, wendet sich der Ausstellungskünstler mit seinem Werk an die Öffentlichkeit.168 Ein Bezug zur Öffentlichkeit wird im Floß der Medusa durch den immersiven, partizipativen Aspekt der Komposition erzeugt, der den Betrachter einbindet.169 Das Signalisieren der Figur P kann als Geste zur Erringung von Aufmerksamkeit im Salon angesehen werden. Statt einer Heldenfigur setzt Géricault zudem seine eigene ästhetische Leistung ins Zentrum und deklariert sich, ohne sich selbst im Bild darzustellen, zum Helden und Meister: The format chosen, the composition, and the elevation of this subject, politically quite provocative, to the status of great art, communicate a claim to genius that directly refers to the artist and his uncompromising drive towards fame and greatness.170 Zu dieser Selbstinszenierung des Künstlers und der Bezugnahme zum Publikum zählt auch die Legendenbildung mithilfe der Biografie. Bätschmann sieht die Biografie von Clément als Bestätigung seiner These, da Géricault darin als Ausstellungskünstler inszeniert werde, dessen Außerordentlichkeit sich in seiner virilen Energie und melancholischen Geisteshaltung ausdrücke.171 Die verschiedenen anekdotischen Erzählungen um die Entstehung des Floß der Medusa tragen zu diesem Topos vom einsamen Genie bei, das in Isolation von der Gesellschaft schöpferisch tätig ist.172 Bei Géricault findet eine Verbindung von Werk und Leben statt, die nicht nur durch das Werk erzeugt, sondern gerade durch andere Zeugnisse, wie den Berichten von Zeitgenossen, befördert wird. Die Überhöhung der Künstlerperson in Malerei und Lebensgeschichte ist eine Methode, um das Werk in der öffentlichen Wahrnehmung aufzuwerten. In dem Maße, in dem Géricault heroische Qualitäten zugeschrieben werden, erhält auch seine Kunst gesteigerte Bedeutung. Wie 168 Siehe Oskar Bätschmann, „Géricault: An Exhibition Artist“, in: Géricault, critique et interprétation, hg. von Régis Michel, Bd. II, Paris 1996, S. 679–699. 169 Vgl. Hubmann, Immersion, 2012, passim. 170 Wedekind 2006, S. 117. 171 Vgl. ebd., S. 119f. Demnach trug Géricault zu den ersten Biografien selbst bei. 172 Vgl. ebd., S. 118.

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Belting schreibt, hängen der Mythos vom Künstler mit dem Mythos des Bildes zusammen und befördern sich gegenseitig.173 So hat auch Kunst die Möglichkeit, heroische Qualitäten anzunehmen.174 Die Verbindung von Werk und Künstlerperson als eine Strategie für Erfolg ist ein wesentlicher Bestandteil von Kippenbergers Kunstschaffen. Durch die Rezeption tradierter Künstlertopoi scheint Kippenberger die Authentizität seines Künstlertums zu bestätigen und stellt sich in eine kunsthistorische Entwicklungslinie. Je mehr Gemeinplätze er aufgreift, umso höher scheinen seine Erfolgschancen, da er verschiedene Vorstellungen gleichzeitig bedient. Wie im Floß der Medusa lassen sich auch Kippenbergers Posen als Ringen um Aufmerksamkeit verstehen, sogar deutlicher noch als bei Géricault, da sich Kippenberger selbst zeigt und isoliert ins Bild setzt. Darüber hinaus kommt die Wahl der Gattung des Selbstporträts der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit entgegen. Dem Selbstporträt wird aufgrund der Auseinandersetzung mit Identität eine wichtige Stellung im Werk eines Künstlers zugesprochen. Durch den Künstlerkult gilt das Selbstporträt Ende des 20. Jahrhunderts als eines der am höchst geschätzten Genre, dem ein ähnlicher Rang zukommt wie der Historienmalerei zu Géricaults Zeiten.175 Nicht zuletzt die vorherrschende Betrachtung der Selbstbildnisse des Medusa-Werkkomplexes zeigt, dass auf dem Markt und in der Fachliteratur die Gattung oftmals höher angesehen wird als andere Genres.176 Kippenberger nährt die Erwartungen einer Öffentlichkeit, die mit dem Selbstbildnis auch ein Stück des Künstlers erhalten möchte, und integriert Spuren seines Lebens in die Werke, wie die Münzen, das Papier oder das Maltuch. Insbesondere in Gemälde P.59 verstärkt das Maltuch den Eindruck, der Künstler sei im Bild „wie zum Leben erweckt“177. Des Weiteren dienen die Anzahl an Medusa-Werken und die Verbreitung der Bildmotive durch Reproduktionen (in Buchform oder in Drucken) dem Erfolg des Künstlers und dem Bekanntheitsgrad seines Werks. Die Monumentalität des Formats bei Géricault findet ihre Entsprechung in Kippenbergers geradezu inflationärer Produktion an Werken. Kippenberger erfüllt folglich ebenfalls die von Bätschmann angeführten Kriterien eines Ausstellungskünstlers. Während Bätschmann die Öffentlichkeit als Motor und mögliche Inspirationsquelle für den Ausstellungskünstler ansieht, zeigt sich bei Kippenberger die zunehmende Bedeutung von Institutionen und Ausstellungen im 20. Jahrhundert. Entsprechend ist es bei Kippenberger die Ausstellung seines Werks (im Fall von Medusa die Ausstellung Memento Metropolis), die zum Motor für das weitere Kunstschaffen wird.178 173 174 175 176 177 178

Siehe Belting 1998, S. 122. Vgl. ebd., S. 121. Vgl. hierzu Kuspit 1995, passim. Vgl. auch Kampmann 2006, S. 63 oder Bätschmann 1997, S. 113–121. Graw 2014, S. 38. Jakob Schillinger sieht bei Kippenberger „mit der Verschiebung der Kunst von der Herstellungs- zur Ausstellungsmacht“ das „Dienstleistungsparadigma“ verwirklicht, siehe Schillinger 2019, S. 174. Dieses Paradigma erscheint bei Kippenberger jedoch nur im ironischen Bruch.

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Die Aneignung des Gemäldes kann somit in doppelter Hinsicht als ein Verfahren zur Erringung von Erfolg gewertet werden und bindet die Öffentlichkeit auf zwei Wegen ein: über die Referenz auf eine Ausstellung (in anderen Worten eine öffentliche Anerkennung des Werks) und auf ein Meisterwerk der Kunstgeschichte. Im Gegensatz zur Erfüllung der Erwartungen der Öffentlichkeit steht der ironische Bruch derselben. So entwerten sich die Künstlertopoi durch ihre Vielzahl und Widersprüchlichkeit gegenseitig. Einen solchen Effekt erzielt Kippenberger auch durch seine Signatur, die eigentlich wie eine Marke für die Authentizität des Werks und die Identität des Künstlers steht. Kippenberger verwendet unterschiedliche Signaturen, streicht sein Namenskürzel aus oder gibt diesem andere Bedeutungen. Dadurch leistet er „symbolisch Widerstand gegen das zunehmende Interesse an der Person des Künstlers in der neuen Ökonomie […], um diesem Interesse in seiner Arbeit zugleich aber auch weiter Nahrung zu geben“179, so Isabelle Graw. Kippenbergers gewaltiger „Output“ kann nicht nur als Zeichen seiner Originalität gesehen, sondern auch als Zeichen für die mangelnde Bedeutung und Beliebigkeit der Werke gewertet werden, die dem Status eines Meisterwerks entgegenstehen. Zudem unterläuft er durch die gleichwertige Bezugnahme auf unterschiedlichstes Bildmaterial, das der „low art“ und „high art“ zugerechnet wird, den herausragenden Charakter von Kunst. Am Motiv des Künstler-Wettstreits zeigt sich dies ebenso deutlich. Indem sich Kippenberger das Floß der Medusa aneignet, schreibt er sich in die Geschichte des Gemäldes ein, so dass sein eigenes Werk seither mit dem Gemälde verbunden ist.180 Er stellt sich auf eine Ebene mit Géricault und greift die Tradition der übertreffenden Nachahmung auf, der imitatio und aemulatio. So kann Kippenbergers Nachstellung beispielsweise als eine Nachahmung des akademischen Figurenstudiums und der aufwendigen Recherchen Géricaults über das Ereignis angesehen werden. Er „studiert“ die Figuren, indem er sich in ihre Haltungen hineinversetzt und den Emotionen mithilfe des gesamten Körpers statt nur mit Hand und Auge nachspürt. Dieses „Figurenstudium“ nach einem so bekannten Künstler wie Géricault dient ihm letztlich als Material für die Gemälde. Kippenberger ist bei der Nachstellung jedoch nicht auf zeichnerische Fertigkeiten angewiesen, um eine Wirklichkeitstreue zu erreichen, sondern bedient sich der Fotografie.181 Dadurch übertrifft er Géricault beim Studium an Wirklichkeitstreue und rekonstruiert nicht nur die Perspektive eines Augenzeugens, sondern versetzt sich selbst in die Position eines Augenzeugen und erlebt die Emotionen am eigenen Leib. Gleichzeitig bleibt er hinter Géricault zurück, da er ein technisches Verfahren anstatt handwerklicher Fähigkeiten zur Aneignung nutzt. Kippenberger ist nicht einmal selbst der Produzent der Fotografien. In vergleichbarer Weise zur Darstellung von Stoffen in seiner Malerei, 179 Graw 2014, S. 28. 180 Dies zeigt nicht nur Beltings Beitrag zur Faszinationsgeschichte des Floß der Medusa, sondern auch Ausstellungen wie Dialog der Meisterwerke im Städel Museum, siehe Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum Jubiläum, hg. von Max Hollein, ­Ausst.-Kat. Frankfurt am Main, Städel Museum, 2015, Ostfildern 2015. 181 Nach Ohrt hat die Fotografie die Historienmalerei abgelöst, siehe Ohrt, Raft, 1997.

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die er entweder ohne Rücksicht auf ihre Materialität dilettantisch darstellt oder direkt durch einen echten Stoff ersetzt, treibt er das Prinzip der aemulatio ad absurdum. Indem er neben Géricault gleichsam auf andere Vorbilder zurückgreift, die der „niederen“ Populärkultur zugerechnet werden, wie Batters oder Uderzo, konterkariert er die Vorstellung des Wettstreits weiter. Da sich Kippenberger zudem in Medusa wiederholt selbst zum Vorbild macht, sein eigenes Werk nachschöpft und zitiert, werden Urheber und Kopist, Lehrer und Schüler eins. Kippenberger scheint sich selbst zum Maßstab zu werden, den es zu übertreffen gilt. Mit der Nachstellung der Figuren des Vaters und Sohnes (Figuren B und C) übermittelt Kippenberger seine doppelte Rolle: Er tritt einerseits das Erbe Géricaults an, führt andererseits das Werk fort und wird selbst zum Vorbild kommender Generationen.182 Er unterwandert damit auch die Vorstellung von Innovation und Originalität die mit der Filiation und dem Wettstreit verbunden sind. Die Originalität des Künstlers, die maßgeblich zum Status eines Kunstwerks als Meisterwerk beiträgt, wird von Kippenberger durch die Kopierverfahren unterwandert. Weder „Géricault/Batters“ noch der Teppich weisen als exakte Kopien anderer Bilder Originalität auf, erzeugen durch die mediale Differenz oder Kombination mit Handzeichnungen allerdings wieder Originale mit neuen Bedeutungen. Die Produktionsprozesse, wie das (mechanische) Kopierverfahren, das gemeinschaftliche Kunstschaffen oder die Auftragserteilung sind Subversionen von subjektiver Expressivität, wie sie vom Künstler als Originalgenie und als Kultfigur erwartet werden. Gleichzeitig entsprechen diese Verfahren der „neuen Ökonomie“183, sind daher zeitgemäß und können als neuartig eingestuft werden. Der Maler Daniel Richter schreibt entsprechend 1992 über Kippenberger: Martin Kippenberger hat sich ein Reich geschaffen, in dem das Werk des Künstlers als Individuum und Autor immer undeutlicher zugunsten der Rolle eines sich in alle Bereiche entfaltenden und fördernden Potentaten verschwindet. Die dadurch entstehenden Abhängigkeiten sind Ergebnis delegierter Arbeit, durchbrechen also den Mythos vom schöpferischen, einsamen Genie – an den eh keiner glaubt – schöpfen ihren Wert aber aus Strukturen, die primär dem Ruhm des Auftraggebers dienen.184

182 Dieses Thema spielt bei Kippenberger gerade auch in Hinblick auf seine lebenslange Beschäftigung mit Picasso eine Rolle, der sich selbst ikonische Werke der Kunstgeschichte angeeignet hatte. Obwohl sich Kippenberger in Medusa nicht auf Picasso bezieht, wurden diese Selbstbildnisse doch wiederholt im Zusammenhang mit den Bildnissen nach Picasso von 1988 gesehen und auch der Bezug zur Jacqueline-Reihe hervorgehoben, zum Beispiel bei Temkin 2008, passim. 183 Graw 2014, zum Beispiel S. 25. 184 Daniel Richter, „Bitte nicht nach München schicken“, in: Texte zur Kunst, Nr. 7: Tradition, Köln 1992, S. 150– 151, hier S. 150.

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Kippenbergers Erteilung von Aufträgen zeigt, dass die von Bätschmann getroffene Unterscheidung zwischen dem Typus des Ausstellungskünstlers und Unternehmers, der für den Markt arbeitet, in den 1990er Jahren aufgehoben ist. Markt, Ausstellungen und Öffentlichkeit sind eng miteinander verwoben und eine ideelle Aufwertung des Werks zieht oftmals eine monetäre nach sich. Diesen Zusammenhang führt Kippenberger zum Beispiel durch den Einsatz von Münzen vor Augen. Der Einsatz von materiell wertsteigernden Verfahren ist ein tradiertes Mittel der Kunstgeschichte, das mit Veredelung und Fetischisierung zunächst in religiösem, etwa durch Gold, und später in profanem Kontext, so zum Beispiel der Diamantenstaub bei Andy Warhol, in Zusammenhang steht.185 Kippenbergers Geldmünzen steigern den materiellen Wert der Bilder effektiv, sind „eingelassener Wohlstand“186. Die materielle Wertsteigerung ist auch eine ideelle, da es sich um vom Künstler vermeintlich gesammelte Münzen handelt. Allerdings handelt es sich um gängiges Kleingeld, unter den Münzen sind keine seltenen Sammlerobjekte, so dass der ideelle Wert der Bilder herabgesetzt und suggeriert wird, die Bilder seien nicht mehr wert als ein paar Münzen – und dies trotz ihrer Referenz auf eine kunsthistorische Ikone. Gleichzeitig können die Münzen als Zeichen der Armut des Künstlers gesehen werden und unterstützen damit das existentialistische Künstlerbild. Die Inszenierung der Armut des Künstlers trägt wiederum zu einer ideellen Aufwertung des Werks bei. Neben den Münzen weist auch die fleckige Kleidung auf seine Mittellosigkeit hin, die in der Lithografie L.10 aus der Edition IV/VI direkt mit der Beschriftung „mehr Geld war nicht übrig“ benannt wird. In der Kunst werden Geld und Moral traditionell als unvereinbar angesehen und Künstlern, die um des Geldes und Ruhmes willen Kunst schaffen, haftet der Ruf an Scharlatane zu sein.187 Kippenberger vermittelt hier jedoch, dass er nicht aus niederen, finanziellen Gründen Kunst schafft, sondern aus ideellen. Die Vorstellung vom moralisch guten Künstler konterkariert er wiederum dadurch, dass es sich um eine scheinbar peinliche, verfehlte Nachahmung von Verfahren zur Aufwertung von Kunst handelt (wie sie unter anderem von Warhol eingesetzt wurden). Die ästhetische (die Oberfläche der Gemälde wirkt wie mit Pusteln besetzt) und ideelle (gängige statt einzigartiger Münzen) Entwertung der Bilder steht im Widerspruch zur gleichzeitigen ideellen und monetären Aufwertung.188 Der Fetisch-Charakter von Kunst (und Künstler) wird ins Lächerliche gezogen und darüber wieder ein ideeller Wert der Bilder erzeugt.

185 Nicht nur Warhol arbeitete mit wertsteigernden Materialien, sondern auch andere Künstler wie Heimo Zobernig oder Damien Hirst (mit Swarovski-Steinen oder Diamanten). 186 Prina 1998, S. 94. 187 Kampmann 2006, zum Beispiel S. 30f. 188 Die Frage nach dem monetären und ideellen Wert von Kunst behandelt Kippenberger konkret in der Gemälde-Reihe Preis Bilder, siehe Estate 2014, S. 127–133, MK.P 1994.08–MK.P 1994.12 und Estate 2016, S. 51ff.

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Wie Kippenberger durch entwertende Verfahren eine Aufwertung seiner Kunst erzielt, verdeutlicht ebenfalls die Edition IV/VI der Lithografien. Er führt mit den Kritzeleien vor, dass guter Geschmack (in moralischer wie ästhetischer Hinsicht) für den Marktwert eines Kunstwerks nicht relevant ist und bedingt sogar die ökonomische Wertsteigerung durch den immateriellen Werteverlust, das „Beschmieren“ der Blätter.189 Die Widmungen sind keine Kritzeleien, sondern Interventionen, die zur Reflexion über die paradoxen Verhältnisse des Markts und (im-)materiellen Werten führen. Zwei Lithografien aus der gewidmeten Mappe (L.9 und L.13) verdeutlichen dies am Eindringlichsten, da diese den Vorgang des Widmens und seine Wirkung selbstreflexiv kommentieren. Kippenberger beschreibt einen Druck fehlerhaft mit „Behartes Arschloch“ und wird gerade durch diese Beschriftung überhaupt zu einem solchen, da er Johansen zunächst mit seiner scheinbaren Verunstaltung der Arbeit vor den Kopf stieß. Die Blätter wurden dadurch zu Unikaten und sind auf dem Kunstmarkt mehr wert. Insofern erfüllen die Widmungen Johansen gegenüber dennoch eine Form der Dankerweisung, denn dieser profitierte von der Wertsteigerung, da es sich um eine Schenkung handelte.190 Dieser Schenkungsgedanke wird mit der Darstellung eines Geschenks konkret in L.11 aufgegriffen. Kippenberger ist demnach nicht etwa ein fieser Typ, sondern er gibt etwas von sich, verschenkt etwas ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Darin ähnelt er dem Heiligen Martin, der seinen Mantel teilt, eine Rolle, auf die er in der Lithografie L.9 anspielt, in welcher er sich einen Heiligenschein verleiht. Kippenbergers „pietätloser“ Umgang mit Kunst provoziert letztlich dazu, den Wert von Kunst in materieller, ästhetischer und ethischer Hinsicht zu hinterfragen. Er fordert die Öffentlichkeit heraus, auf deren Wertschätzung er einerseits angewiesen ist, die er wie ein Dienstleister erfüllt, und andererseits durch Übersteigerung persifliert. Kippenberger demonstriert die weiterhin bestehenden Wertstrukturen, wie „high art“ und „low art“, die längst durch Pop Art, Konzeptkunst oder institutionskritischer Kunst infrage gestellt wurden, dennoch Einfluss auf die Wahrnehmung von Kunst ausüben. Wie dem Künstler werden auch dem Kunstwerk besondere Kräfte zugeschrieben, die es zu einem Fetisch aufwerten. Kippenberger wertet seine Kunst durch Materialien wie die Münzen oder das Maltuch und Referenzen auf kunsthistorische Meisterwerke auf und widersetzt sich dem Fetisch-Charakter gleichzeitig durch den „Strategischen Dilettantismus“, welcher das Kunstwerk auf ästhetische und ethische Weise herabsetzt. Letztlich zeigt Kippenberger, dass auch mit dem Kunstwerk mythosnahe Vorstellungen verbunden sind.

189 Zur Verbindung von Ethik und Ästhetik bei Kippenberger, vgl. Gelshorn, Ethik, 2008, passim. 190 Peter Johansen in einem Brief an die Verfasserin, 01.08.2014. Johansen nahm die Widmungen zunächst als Verunstaltung der Arbeit wahr. Als er dies Kippenberger gegenüber äußerte, entgegnete dieser ihm daraufhin, er solle still sein, denn diese Lithografien seien dadurch später viel wert.

Hope: der Wert der Kunst

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4.3.3 Hoffnungsträger – Erkenntnis durch Kunst Die mythosnahen Vorstellungen von Kunst und vom Künstler sowie der Wert der Kunst hängen mit ihrer Bedeutung als Erkenntnismittel zusammen. Während der Schiffbruch der Medusa weder eine lehrreiche Moral aufwies noch ein Beispiel für heldenhafte Taten war, erhält das Sujet in Géricaults Darstellung höhere Bedeutung. Diese Bedeutung liegt in dem moralischen Appell des Gemäldes an die Empathie des Betrachters. Géricault musste dazu die Abscheu erregenden Tatsachen des Schiffbruchs, wie die mit Wunden übersäten Körper der Schiffbrüchigen oder der durch die große Not verursachte Kannibalismus, auf eine Weise wiedergeben, die den Betrachter davon abhielt, sich vor Ekel abzuwenden und stattdessen Mitleid mit den Schiffbrüchigen zu empfinden. Géricault erreicht dies durch eine Ästhetisierung des Abstoßenden und eine Mischung von hoher und niederer Stillage. In seiner Figurendarstellung verweist er durch die Posen auf das kreatürliche Leiden und mithilfe der Ästhetisierung der Körper auf das Erhabene der Seele. Auf diese Weise weckt er beim Betrachter tugendhafte, christliche Werte wie Nächstenliebe und setzt der Fehlbarkeit und den niederen Eigenschaften des Menschen, wie dem Egoismus, Höheres entgegen.191 Clément sieht im Gemälde eine Darstellung der Menschlichkeit: „Ces idées toutes nouvelles […] de pitié, de charité, de solidarité, respirent dans son tableau, et je ne puis le voir sans qu’un mot s’échappe de mes lèvres: humanité!“192 Auch für Wedekind spürt Géricault „in dieser aufs höchste gesteigerten Individualität jedoch wieder das allen Menschen Gemeinsame auf, eine tragische Wirklichkeit der lebendigen Natur.“193 Das Gemälde enthält somit nicht nur einen moralischen Appell, sondern gibt auch die Wahrheit der menschlichen Natur zu erkennen. Es ist folglich nicht nur Ausdruck eines Widerstands gegen die schlechten Seiten der Menschen und ihrer Fehlbarkeit, sondern kann durch die enthaltene Erkenntnis über das Leben zur Handlungsanleitung für eine bessere Zukunft werden. Dadurch kann das Floß der Medusa – auch aus heutiger Perspektive – zum Hoffnungsträger werden. Im Gegensatz zu Géricaults Sujet bildet Kippenbergers Thema bereits ein erkenntnisstiftendes Gemälde. Das Gemälde geht zwar auf eine sinnlose Katastrophe zurück, vermittelt jedoch höhere Werte. Um den Erkenntniswert des Gemäldes wieder offenzulegen und die Wahrheit der menschlichen Natur aufzuzeigen, muss Kippenberger die Darstellung des Höheren mit dem Niederen verbinden. Er geht damit den gegensätzlichen Weg zu Géricault: Statt das Schlechte zu ästhetisieren, entstellt er das Höhere. Durch die Verformung seines Körpers, die Abkehr von Schönheit und ästhetischer Gefälligkeit durch die Verfahren des „Strategischen Dilettantismus“ verweist er auf das Scheitern, das kreatürliche Leiden sowie die niederen Seiten des Daseins. Er setzt sich dabei selbst dem 191 Vgl. Wedekind 2008, S. 99f. 192 Clément 1974, S. 161. 193 Wedekind 2008, S. 223f.

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möglichen Spott aus, da er seine Fehlbarkeit vorführt und seine eigene Person karikiert. Mit seinen regelrechten Entblößungen der niederen, unmoralisch und würdelos erscheinenden Seiten verstößt der Künstler gegen Wertvorstellungen und weckt beim Betrachter Gefühle der Peinlichkeit oder Scham. Medusa erzeugt so quälende Gefühle, die mit den niederen Seiten der Menschlichkeit verbunden sind und an die Stelle der Anteilnahme treten, die bei Géricault empfunden wird. Der Betrachter wird demnach über eine gefühlsmäßige Grenzverletzung anstatt über Empathie in seiner Wirklichkeit erreicht. Diesen negativen, niederen Gefühlen stellt Kippenberger den Humor und die Ironie der Bilder entgegen.194 Kippenbergers körperliche Verformungen symbolisieren nicht nur die moralisch gesehen schlechten Seiten der menschlichen Natur, sondern generieren in der Art ihrer Darstellung auch den Humor und Witz der Bilder. Das Scheitern und die Wertverletzungen werden ironisch gebrochen und so der Lage die Ernsthaftigkeit genommen. Humor hat die Funktion einer Selbsterhaltungsstrategie und ist eine widerständige Haltung, bei der dem Leiden getrotzt wird.195 Kippenbergers Scheitern wird durch Humor relativiert und der Fehlbarkeit des Menschen etwas entgegengesetzt. Er weist dem Betrachter damit einen Weg, über den die tragische Seite der Existenz zwar nicht überwunden, aber ihr ihre erdrückende, lähmende Macht genommen werden kann. Diese Botschaft steht ganz im Zeichen der zeitgenössischen Diskurse: Die Lust an der entzogenen Bedeutung, am verzweigten Sinn, die im Zeichen der Postmoderne zum neuen ästhetischen Dogma zu gerinnen droht, ist selber keineswegs bedeutungslos; vielmehr dürfte sie sich entschlüsseln lassen als Chiffre einer Epoche, der aus sehr realen historischen Gründen die Vorstellung einer vom Menschen gestaltbaren Zukunft abhanden gekommen ist.196 Während Géricaults Gemälde an den Wert von Moral, Empathie und Altruismus erinnert, indem ihr Fehlen thematisiert wird, verstößt Kippenberger in seiner Kunst gegen Wertvorstellungen und Konventionen und hält dem Scheitern Humor entgegen. Indem er sich selbst und seine Kunst herabsetzt, deutet er gleichzeitig an, dass seine Kunst keine Erkenntnis geben kann. Der Verlust von Sinnhaftigkeit und Erkenntnis sind jedoch Teil der Wirklichkeit Kippenbergers, die als unlesbar erfahren wird. Kippenberger scheint Erkenntnis regelrecht zu verhindern, indem er Systeme bricht, falsche Fährten legt und den Eindruck von Willkürlichkeit schafft. Dementsprechend kann der Betrachter zu kei194 Vgl. hierzu Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten / Der Humor, mit einer Einleitung von Peter Gay, Frankfurt am Main⁹ 1992. 195 Vgl. exemplarisch mit Bezug auf Kippenberger Kunstforum International, hg. von Jürgen Raap, Bd. 120 und 121: Kunst und Humor I und II, 1992 und 1993, passim sowie The fate of irony, hg. von KAI 10, Raum für Kunst der Arthena Foundation, ­Ausst.-Kat. Düsseldorf, KAI 10 Düsseldorf 2010, Bielefeld 2010. 196 Peter Bürger, „Vorbemerkung“, in: Postmoderne: Alltag, Allegorie und Avantgarde, hg. von dems. und Christa Bürger, Frankfurt am Main 1987, S. 7–12, hier S. 12.

Hope: der Wert der Kunst

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ner Auflösung der Widersprüche, zu keiner eindeutigen Botschaft gelangen. Die Widersprüchlichkeit wird bei Kippenberger nicht transzendiert und die Gegensätze von gut und schlecht, komisch und tragisch, erhaben und nieder versöhnen sich nicht harmonisch miteinander oder können durch Empathie seitens des Betrachters überwunden werden, sondern bleiben als Widerstreit bestehen. Für Kippenberger besteht das Darstellungsproblem einerseits darin, einen Bezug zur Wirklichkeit herzustellen und dabei der Differenz von Kunst und Wirklichkeit Rechnung zu tragen. Andererseits muss Kunst die Wirklichkeit selbst in ihrer Widersprüchlichkeit vermitteln, so dass Kunst als Medium der Erkenntnis ebenso wenig wie Geschichte eine einzige Wahrheit aufzeigen kann, ohne in einen Dogmatismus oder eine Ideologie zu verfallen. Entsprechend wird in Medusa keine Handlungsanweisung deutlich, es wird keine eindeutige, definitive Aussage für den Betrachter ersichtlich. Auch die moralische Botschaft vom Floß der Medusa wird aufgehoben, worin ein zentraler Werteverstoß vom Medusa-Werkkomplex liegt. Da Kippenberger die Funktion eines Stellvertreters für die Gesellschaft beziehungsweise für den Betrachter einnimmt, betreffen die Verletzung der ästhetischen Körperideale, die an ethische Ideale geknüpft sind, sowie das Vorführen des eigenen Unvermögens auch den Betrachter. Die Uneindeutigkeit der Bilder kann, gerade in Hinblick auf gesellschaftspolitische Themen, zur Provokation des Betrachters werden, wie nicht zuletzt die kontroversen Kritiken zum Künstler zeigen.197 Statt wie Géricault eine Handlungsanweisung zu vermitteln, wirft Kippenberger den Betrachter auf sich selbst zurück. Durch Übersteigerung, Verzerrung, Ironie und Inkongruenz erzeugt er zudem eine Komik, die beim Betrachter gerade nicht zur Selbstversicherung führt, sondern zu seiner Verunsicherung beiträgt, da keine eindeutige Botschaft ersichtlich ist. Durch den ironischen Bruch und die Offenheit seiner Kunst, die den Betrachter zur Selbsttätigkeit anregt, erreicht er eine fragile Balance zwischen Darstellung von Wirklichkeit bei gleichzeitiger Differenz zu ihr und Erkenntnis ohne Absolutheitsanspruch. Georg Bussmann schreibt, man habe Kippenberger vorgeworfen, seine Kunst sei destruktiv. Was er in der Tat zerstört, ist die Aura verdinglichter Kunst und das Gravitätische ihrer Vermittlung. Konstruktiv ist er für den Freiheitsanspruch des Individuums, für dessen Schrankenlosigkeit im Denken und im Umgang mit dem Spielmaterial Kultur. Und das wäre auch – sollte jemand danach fragen – das Politische dieser so ganz und gar amoralisch erscheinenden Position.198 197 Es handelt sich damit bei Kippenberger nicht um ein „Pastiche“ im Sinne von Fredric Jameson, Postmodernism, or, the cultural logic of late capitalism, Durham 1991, S. 17, der das Pastiche als Merkmal der Postmoderne beschreibt, das eine Art „blanc parody“ sei: „Pastiche is, like parody, the imitation of a peculiar or unique, idiosyncratic style, the wearing of a linguistic mask, speech in a dead language. But it is a neutral practice of such mimicry […], amputated of the satiric impulse“. Bei Kippenberger besteht durchaus ein satirischer Impuls. 198 Georg Bussmann, „Martin Kippenberger“, in: Arbeit in Geschichte, Geschichte in Arbeit, hg. von dems., ­Ausst.-Kat. Hamburg, Kunsthaus und Kunstverein, 1988, Hamburg 1988, S. 166–169, hier S. 169.

238 Kippenberger über Géricault

Das aus der Zerstörung entstehende Ringen um die Bedeutung der Kunstwerke entspricht dem Ringen um den Sinn der Existenz. Wenn Belting in Medusa die „Metapher für das Rettungsfloß der Kunst“199 sieht, dann nicht, weil Kunst etwa vor Katastrophen bewahren könnte, ebenso wenig wie Kippenbergers Floß-Teppich vor dem Untergang retten kann. Kippenberger rechnet mit dem Mythos von Kunst als Rettung ab. Gleichzeitig zeigt er, dass durch die immaterielle Arbeit am Bild aus dem Werk durchaus ein Mittel zur (Selbst-)Erkenntnis und ein Hoffnungsträger werden kann. Die Arbeit an der Deutung von Kippenbergers Kunst kommt einer selbstreflexiven Arbeit am Kern der eigenen Existenz gleich, die über das Beispiel Kippenberger hinterfragt werden kann. In Medusa kann der Betrachter zu keiner endgültigen Deutung gelangen, die Rezeption wird zur endlosen Arbeit an den Bildern, die Widersprüche werden nicht aufgelöst, das Scheitern nicht transzendiert, dem Betrachter wird keine Erkenntnis vorgegeben. Der Wert von Kippenbergers künstlerischer Tätigkeit besteht in der Anregung zur Eigenverantwortlichkeit des Betrachters. Mithilfe von Ironie und Humor erhält Kippenberger in der Art einer Ästhetik des Widerstands die Hoffnung auf eine glückliche Bewältigung des Lebens trotz des Scheiterns. Auf diese Weise kann auch Medusa zur Bewältigung des Existenzkampfes beitragen und zu (Selbst-)Erkenntnis führen. Wie Bussmann schreibt gibt es im Anarchismus „nicht nur die Position der gewaltsamen Beseitigung der bestehenden Verhältnisse, sondern auch die Hoffnung, dass die Macht an ihrer eigenen Dummheit erstickt“200.

199 Belting 1998, S. 124f. 200 Bussmann 1988, S. 169.

5. Das offene Ende

Der Werkkomplex verstellt sich einer eindeutigen Lektüre und basiert auf einer Offenheit der Rezeption, die den Betrachter zur eigenverantwortlichen Deutungskonstruktion anregt. Während die Arbeit am Verständnis von Kippenbergers Medusa-Werkkomplex nicht endgültig abgeschlossen werden kann, konnten die einleitend aufgeworfenen Fragen, die sich aus den Beobachtungen zur Kunstkritik der 1980er und 1990er Jahren über Kippenberger und den Medusa-Werkkomplex ergaben, durchaus beantwortet werden. Die Bezugnahme Kippenbergers auf die Gegenwart, wie sie zum Beispiel von Brock oder Smith beschrieben wurde, schien im Widerspruch zur Aneignung des Floß der Medusa zu stehen, das als Ereignisbild und kunsthistorisches Meisterwerk gleich doppelt mit Geschichte verbunden ist. Anhand der Entstehungsgeschichte des Medusa-Werkkomplexes wurde gezeigt, dass das Gemälde allerdings durchaus in Bezug zur Gegenwart steht. Denn in der Ausstellung Memento Metropolis wurde Géricaults Gemälde als Sinnbild für den Lebenszustand der 1990er Jahre präsentiert. Auf diese Deutung des Bildes als Gegenwartsmetapher, die auf die Romane von Peter Weiss und Julian Barnes zurückgeht, lässt sich auch Kippenbergers Beschäftigung mit Géricault zurückführen. Kippenberger veranschaulicht den Gegenwartsbezug durch die Übersetzung des Ereignisbildes in Selbstbildnisse. Mit dem Selbstbildnis greift er auf eine Gattung zurück, die im 20. Jahrhundert eine vergleichbare Wertschätzung erfuhr wie die Historienmalerei zu Géricaults Zeit, und schafft durch die Subjektivität der Gattung eine weitere Referenz auf das Gemälde. Diese Subjektivität – das demonstriert Kippenberger mit dem Medusa-Komplex – kann allerdings nicht in der Rezeption des Werks eindeutig und wahrhaftig erfasst werden, da sie sich erst im Moment der Vermittlung formt und gleichermaßen authentisch wie inszeniert ist. Schon zuvor wendet Kippenberger ein solches Vorgehen in Happy End und bei seiner Aneignung von Kafkas Roman Amerika an: Er versetzt sich in die Position des Protagonisten des Romans, erkennt die Aktualität der Allegorie der Welt als Theater und führt Kafkas Werk fort. Auch in Medusa lässt sich eine Transformation der Sujets beobachten, die auf ein Ästhetisieren nach den Verfahren des „Strategischen Dilettantismus“ zurückgeht. Kippenberger gelangt durch die Verfahren des „Strategischen Dilettantismus“, durch die Loslösung von Zeichen und Bezeichnetem zu einer allegorischen Bedeutungsdimension. Die ­Medusa-Bilder werden aufgrund ihrer Überfrachtung mit gegensätzlichen Bedeutungen zu Allegorien des Scheiterns und versetzen den Betrachter, wie es auch Géricault durch seine Komposition vermag, in die Rolle eines Schiffbrüchigen. Kippenbergers Vorgehen weist dabei aufschlussreiche Parallelen zur literarisch-essayistischen Rezeption des Ereignisbildes auf. Denn auch die Erzähler in den Romanen von Weiss und Barnes gehen bei der Rezeption vom Floß der Medusa vergleichbar vor: Sie identifizieren sich zunächst

240 Das offene Ende

mit der Situation der Schiffbrüchigen, woraus sich eine Identifikation mit Géricault entwickelt und sehen in der Metapher des Schiffbruch-Erleidens ein Sinnbild der eigenen Situation. Die Übersetzung des Gemäldes in die Gegenwart resultiert bei Kippenberger jedoch nicht in einer Trennung von seiner Historizität. Kippenberger überführt vielmehr durch die aneignende Wiederholung die Vergangenheit in die Gegenwart. Medusa erweist sich als eine fortgeführte Erinnerungsarbeit, wobei dem subjektiven, verzerrenden Aspekt der Erinnerung Rechnung getragen wird. Die Nachbilder von Medusa beruhen auf einem Zusammenspiel von Vergangenheit und Gegenwart, Wiederholung und Erneuerung, Identität und Alterität. Schon in Happy End konnte eine Auseinandersetzung mit Wiederholung und Geschichte beobachtet werden. Die Installation basiert auf einer Wiederholung von einem Tisch und zwei Stühlen und kann als eine Kippenberger’sche Version der Geschichte des 20. Jahrhunderts angesehen werden, in der sich Vorgefundenes und Erfundenes mischen. Eine sinnstiftende Ordnung (zum Beispiel nach der Entstehungszeit der Objekte) bleibt dabei aus und Modelle der Geschichtsschreibung werden dekonstruiert. Auch in Medusa stellt Kippenberger Modelle der Geschichtsdarstellung und ihren Erkenntniswert infrage, indem er unterschiedliche Vorstellungen aufgreift und persifliert. Die Beschäftigung mit Geschichte und Wiederholung bildet ebenfalls ein zentrales Thema der Ästhetik des Widerstandes von Peter Weiss und der History von Julian Barnes. Beide Autoren messen Erinnerung einen positiven Wert bei und die Romane beruhen auf einer Vorstellung von Geschichtsschreibung als einer Verbindung von Fakten mit Fiktionen. Gerade in Hinblick auf die Auffassung von Geschichte zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zu Géricaults Gemälde. Denn im 20. Jahrhundert wird deutlich, dass Vergangenheit nur in der Gegenwart fassbar ist und umgekehrt die Gegenwart nur als Vergangenheit darstellbar. Zuletzt stellt der Medusa-Komplex auch eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit Kippenbergers Bedeutung als Künstler, dem Wert seiner Kunst und der Bedeutung seines Werks dar. Es handelt sich beim Werkkomplex nicht nur durch den Bezug auf das Floß der Medusa um Kunst über Kunst. Kippenberger setzt sich mit seiner Rolle als Künstler und Mensch auf subversive Weise auseinander und zeigt bestehende Künstlertopoi auf, die er persifliert. Er unterwandert damit in gleichem Maße sein Schaffen, wie er es auch aufwertet. Das 19. Jahrhundert steht am Ursprung dieser Entwicklung und Géricault kann als ein Beispiel für einen „Ausstellungskünstler“ gelten, der sich mit seinem Werk an eine Öffentlichkeit richtet. Ein metareflexiver Ansatz prägt auch die Installation Happy End, in der sich Kippenberger über das Motiv des Einstellungsgesprächs gleichermaßen mit seiner Rolle als Künstler und der Bedeutung seines Kunstschaffens auseinandersetzt. In Happy End vermischen sich zudem Komik und Tragik und eine eindeutige Botschaft eröffnet sich dem Betrachter nicht. Der Erkenntniswert der Installation entsteht durch die Auseinandersetzung mit der Uneindeutigkeit des Werks. Auch mit Medusa gibt Kippenberger keine eindeutige Botschaft vor und vermischt komische und tragische Aspekte, indem er Wertvorstellungen persifliert. Die Beschäftigung mit Kippenbergers Medusa

Das offene Ende

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erweist sich als eine Arbeit an eigenen Wertvorstellungen und dem Sinn der eigenen Existenz. Humor ist dabei der von Kippenberger eingeschlagene Weg, um den negativen Seiten der Existenz etwas entgegenzusetzen. Die History und die Ästhetik stellen ebenfalls Metafiktionen dar, in denen sich die Erzähler mit ihrer Rolle als Geschichtsschreiber und dem Sinn des Kunstschaffens beschäftigen. In beiden Romanen wird dem Kunstschaffen positiver Wert zugeschrieben, da dadurch Widerstand gegen den Untergang geleistet werden kann. Auch Barnes setzt Humor und Ironie als Bewältigungsstrategie ein. Für beide Erzähler steht in den Romanen zudem die Idee des Werks über seiner Materialität. Ebenso steht für Kippenberger weniger das Kunstwerk als Original (und Fetischobjekt) im Vordergrund als die darüber vermittelten Ideen, welche die eigentliche Bedeutung des Kunstschaffens ausmachen. Der Medusa-Werkkomplex beruht auf einem vermittelnden Ansatz, bei dem der Künstler die Themen beziehungsweise Ideen, die im Floß der Medusa angelegt sind, aufgreift, aktualisiert und in zeitgemäßer Form dem Betrachter nahebringt. Kippenberger ist nicht nur Vertreter seiner eigenen Ideen, sondern auch Vertreter der Gesellschaft und Vertreter der Ideen anderer Künstler, wie Kafka oder Géricault. Medusa erscheint damit als ein Werkkomplex, der die Bedeutung vom Floß der Medusa in der Aneignung über den Umweg der Gegenwart aufzeigt und mit zeitgenössischen Diskursen in Verbindung bringt. Kippenberger zeigt die Widersprüchlichkeit der Existenz und die Absurdität des Daseins durch Verkehrung, Übertreibung und Ironisierung auf. Er konfrontiert den Betrachter mit Problemen, erzeugt angesichts der Widersprüchlichkeit und des Scheiterns am Auflösen dieser Widersprüche jedoch Witz, durch den die Tragik der Existenz entmachtet werden kann. Der Medusa-Werkkomplex ist, wie das Floß der Medusa, eine Kernparabel der menschlichen Existenz. Er vermittelt gleichzeitig auch Aufschlüsse über die Bedeutung, die Géricaults Gemälde in den 1990er Jahren zugeschrieben wurde. Im Gemälde zeichnen sich Aspekte der Moderne ab, die Ende des 20. Jahrhunderts neue Relevanz erhielten, wie zum Beispiel die Beschäftigung mit dem Scheitern, mit Fortschritt und der Bedeutung von Kunst. Mit den aufgegriffenen Themen und Diskursen wird deutlich, dass Kippenberger nicht nur die 1980er Jahre erfasst hat, wie er selbst behauptet hatte, sondern in seinem Werk auch viele Themen der 1990er Jahre abbildet.1 Über den Géricault-Bezug zeigt sich die überzeitliche Bedeutung dieser Themen, so dass Kippenbergers künstlerische Arbeit für die Nachwelt durchaus von Interesse ist, da durch die Werke Einsicht in die Zeit der 1990er Jahre und darüber hinaus gewonnen werden kann. Die vorliegende Forschungsarbeit erweist sich in verschiedener Hinsicht als anschlussfähig. Im Sinne der offenen Konzeption von Kippenbergers Kunst sollen abschließend einige offene Anknüpfungspunkte skizziert werden. Zunächst bietet sich eine erweiterte Untersuchung von Kippenbergers Werk an mit Blick auf die Verfahren von Identifikation, Wiederholung und Metareflexivität. Es wäre zu prüfen, ob diese Verfahren auch in Werkreihen, die sich ausschließlicher mit der Gegenwart beschäftigen, wie zum 1 Kippenberger, B. Gespräche, 1994, S. 17.

242 Das offene Ende

Beispiel Bekannt durch Film, Funk, Fernsehen und Polizeinotrufsäulen (1981), Anwendung finden oder ob es sich um ein Charakteristikum der Beschäftigung mit der Moderne handelt. Ebenso interessant wäre es, eben solche Werkreihen, die sich mit moderner Kunst beschäftigen, wie zum Beispiel Kippenbergers Auseinandersetzungen mit Picasso oder Robert Musil, zu analysieren und zu untersuchen, ob Überschneidungen der Themen (Fortschritt, Geschichte, Identität etc.) bestehen. Die Erforschung des Werkkomplexes ist auch in Hinblick auf das Gesamtwerk anschlussfähig: Eine sozusagen vertikale Lektüre des Werks, orientiert am Einsatz der Farbfelder oder dem Gebrauch der Münzen, ihrem erstmaligen Auftreten usw. könnte mehr Einsicht in das Schaffen Kippenbergers geben. Aber auch in Hinblick auf Kippenbergers Aneignung des Floß der Medusa bestehen weitere Anknüpfungspunkte. Denn Kippenberger war nicht der einzige Künstler, der sich im 20. Jahrhundert Géricaults Gemälde zugewandt hat. So bezogen sich zwischen 1920 und 2005 so unterschiedliche Künstler wie Max Ernst, Asger Jorn, Fischli & Weiss, Alfred Hridlicka, Frank Stella, Marcel Odenbach, Dierk Schmidt sowie Muntean & Rosenblum auf das Gemälde. Der Vergleich mit Kippenbergers Medusa-Werkkomplex könnte dabei nicht nur das jeweils spezifische der künstlerischen Arbeitsweisen aufzeigen, sondern auch zu weiterer Erkenntnis über die Rezeption des Gemäldes und die wandelnden Deutungen führen. Der Vergleich der Aneignungen könnte zudem das Verständnis für die Kunstproduktion der 1990er Jahre und die zeitspezifischen Veränderungen schärfen. Anhand des Beispiels von Dierk Schmidt (*1965) und seinem 19-teiligen Bilderzyklus SIEV-X – Zu einem Fall von verschärfter Flüchtlingspolitik, der sich heute in der Sammlung des Städel Museums in Frankfurt am Main befindet, kann dies kurz skizziert werden.2 Ausschlaggebend für die Beschäftigung mit dem Floß der Medusa war für Schmidt (wie für Kippenberger und Géricault) ein aktueller Anlass – eine Zeitungsmeldung über ein Flüchtlingsunglück, das sich 2001 vor der Küste Australiens ereignete. Es wurde über die Harvarie eines anonymen „Suspected Illegal Entry Vessel“ (SIEV) berichtet, das mit 421 Flüchtlingen besetzt war. Von den 421 Menschen überlebten nur 44. Der australischen Regierung wurde unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen und ihre verschärfte Flüchtlingspolitik heftig kritisiert. Angesichts des Ausmaßes der Katastrophe und der politischen Bedeutung des Unglücks fiel die Berichterstattung jedoch auffällig kurz aus. Die Parallelen dieses Schiffbruchs zum Schiffbruch der Medusa veranlassten Schmidt dazu ein Werk zu schaffen, das der Öffentlichkeit ein Bild der vertuschten Katastrophe gibt und Widerstand gegen die politischen Zustände leistet. Schmidt arbeitete zwischen 2001–2003 an diesem Bilderzyklus. 19 individuell betitelte Gemälde auf Folie, die zu einem Zyklus zusammengefasst wurden, entstanden daraus sowie ein Katalog, der die Entwicklung dokumentarisch begleitet und Schmidts Prozess erläutert.3 Das Vorgehen 2 Eine erste Untersuchung des Zyklus findet sich bei Beckstette 2008, S. 284–289. 3 Dierk Schmidt, SIEV-X, Zu einem Fall von verschärfter Flüchtlingspolitik, hg. von Sabeth Buchmann et al, Berlin 2005.

Das offene Ende

243

Schmidts und sein Bemühen um eine möglichst wirklichkeitsgetreue und von den Sachverhalten ausgehenden Wiedergabe des Geschehens lehnt sich dabei an Géricaults Produktionsprozess und seine Recherchen an. So spiegeln sich auch die Transparenz seines Unterfangens und die Verschleierung der Tatsachen durch die Regierung in der verwendeten Folie, die schwarz beziehungsweise transparent ist. Unbekanntes wird von Schmidt ausgespart und als Leerstelle im Bild belassen. Auch den zeitlichen Abläufen versucht Schmidt durch eine lineare Folge seiner Bilder Rechnung zu tragen. Mit SIEV-X schafft Schmidt somit Bilder, die formal der Historienmalerei zugerechnet werden können. Er setzt sich auch theoretisch mit der Historienmalerei auseinander und thematisiert beispielsweise die Wirkmacht von Ereignisbildern, die er anhand ihres Displays und dessen politischen Kontext verfolgt. Dabei berücksichtigt er nicht nur Géricaults Ausstellung im Salon, sondern auch Delacroix’ Die Freiheit führt das Volk auf die Barrikaden und die Präsentation der Gemälde heute im Louvre. Schmidts Bilderzyklus ist somit, wie Kippenbergers Medusa-Werkkomplex, von einer Auseinandersetzung mit Geschichte, Fortschritt und Erinnerung geprägt. Schmidt setzt sich ebenfalls mit dem Kunstschaffen, dem Bezug von Kunst zur Wirklichkeit und der Wirkmacht von Bildern metareflexiv auseinander. Im Gegensatz zu Kippenberger bezieht sich Schmidt in SIEV-X allerdings nicht auf Géricaults Motiv, sondern auf ein Ereignis und seine politische Dimension. Mit seinem Bilderzyklus schafft er keine vieldeutige Gesellschaftsallegorie wie Kippenberger und ist stattdessen um die Eindeutigkeit seiner Darstellungen und Treue zu den Sachverhalten bemüht. Für Schmidt stehen demnach bei seiner Aneignung vom Floß der Medusa andere Aspekte des Gemäldes im Vordergrund als bei Kippenberger. Die Differenzen, die schon bei dieser kurzen Gegenüberstellung der Werke auffallen, deuten auf die verschiedenen zugrunde liegenden Auffassungen von Wirklichkeit und Geschichte hin. Nicht eine Trennung von Zeichen und Bezeichnetem wie bei Kippenberger, sondern fehlende Informationen führen bei Schmidt zur Unlesbarkeit. Auch das dokumentarische Bestreben um eine authentische Wiedergabe von Geschichte steht für Schmidt nicht im Gegensatz zur Erfahrung von Wirklichkeit als vermittelt und perspektivisch verzerrt, wie dies bei Kippenberger der Fall ist. Ob es sich dabei um Unterschiede handelt, die einer zeitgeschichtlichen Entwicklung geschuldet sind, oder schlichtweg um unterschiedliche, nahezu gleichzeitig bestehende Auffassungen der Gegenwart, bleibt zu erforschen. Mit dieser Dissertation über Kippenbergers Medusa-Werkkomplex sollte ein wichtiger Grundstein für die Erforschung von Kippenbergers Werk gelegt werden, der als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen dienen kann. Die Untersuchung des Werkkomplexes ist damit nicht an ihr Ende gebracht. So lange Kippenberger und das Floß der Medusa Interesse wecken, wird auch die Erforschung des Werkkomplexes keinen Abschluss erreichen. Die nie endgültig oder erschöpfend ausfallende Bedeutung der Bilder schiebt den Untergang auf und kann, ganz im Sinne Kippenbergers, zu einer fortwährenden Arbeit am glücklichen Ende werden.

tafeln

246 Tafel I, Figur A

P.68 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 100 × 120 cm, Privatsammlung.

L.7

Ph.8

Tafel I, Figur A

D.17 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Palazzo Vendramin – Venezia (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Bleistift auf Briefpapier, 21 × 29,7 cm, Privatsammlung.

247

248 Tafel II, Figur B

P.62 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 180 × 150 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

L.2

Ph.6

Tafel II, Figur B

249

Théodore Géricault, Etude d’homme pour le radeau de la Méduse, 1818–1819, Feder­­­zeichnung, 25,6 × 30,4 cm, Lille, Palais des Beaux-Arts.

D.14 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Palazzo Vendramin – Venezia (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Bleistift auf Briefpapier, 29,7 × 21 cm, Privatsammlung.

250 Tafel III, Figur C

P.65 Martin Kippenberger Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 150 × 180 cm, Privatsammlung.

L.9

Ph.9

Tafel III, Figur C

251

Théodore Géricault, Etude pour le groupe du père tenant le cadavre de son fils dans le ‚radeau de la Méduse‘, 1818–1819, Zeichnung, 29,3 × 20,7 cm, Bayonne, musée Bonnat-Helleu.

D.18 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Palazzo Vendramin - Venezia (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Bleistift und Filzstift auf Briefpapier, 21 × 29,7 cm, Privatsammlung.

252 Tafel IV, Figur F

P.74 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl und Münzen auf Leinwand, 90 ×  75 cm, Privat­sammlung.

L.4

Ph.1

Tafel IV, Figur F

253

Théodore Géricault, Six études de têtes, vor 1818, schwarze Kohle, 25,6 × 39,65 cm, New York, The Metropolitan Museum of Art, Bequest of Walter C. Baker, 1971.

D.9 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Wiener Staatsoper (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Buntstift auf Briefpapier, 29,7 × 21 cm, Privatsammlung.

254 Tafel V, Figur G

P.70 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 100 × 120 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

L.5

Ph.5

L.14

Ph.10

Tafel V, Figur G

Théodore Géricault, Deux études d‘écorchés, 1818, Zeichnung mit Graphit und schwarzer Kreide, 23,1 × 34,8 cm, Princeton (NJ), Princeton University Art Museum, Museum purchase, John Maclean Magie, Class of 1892, and Gertrude Magie Fund, x1986-9.

D.15 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Palazzo Vendramin – Venezia (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Bleistift auf Briefpapier, 21 × 29,7 cm, Privatsammlung.

255

256 Tafel VI, Figur I/H

P.66 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 120 × 100 cm, Belgien, Privat­sammlung.

Ph.4

Tafel VI, Figur I/H

257

D.12 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Wiener Staatsoper (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Buntstift auf Briefpapier, 29,7 × 21 cm, Privatsammlung.

258 Tafel VII, Figur K

P.61 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 180 × 150 cm, New York, The Museum of Modern Art.

L.11

Ph.3

Tafel VII, Figur K

259

Théodore Géricault, Figurenstudie zum „Floss der Medusa“ (Alexandre Corréard), aus: Skizzenbuch P 106, fol. 52 recto, bestehend aus 92 Blättern, gebunden in originalen Kartoneinband, 1818–1819, schwarze Kreide auf Papier (vélin), 26,7 × 21,1 cm, Zürich, Kunsthaus Zürich, Grafische Sammlung, Legat Johann Jakob Ulrich II, 1877.

D.16 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Wiener Staatsoper (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Buntstift auf Briefpapier und Klebeband ‚I keep myself closed‘, 29,7 × 21 cm, Privatsammlung.

260 Tafel VIII, Figur L

P.73 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 90 × 75 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Ph.11

Tafel VIII, Figur L

261

D.7 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Hotel im Palais Schwarzenberg (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Bleistift und Buntstift auf Briefpapier, 29,7 × 21 cm, Privatsammlung.

262 Tafel IX, Figur N/Q

Detail P.69, Ansicht des Rahmens, Foto­grafie der Verfasserin

P.69 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 120 × 100 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

L.3

Ph.12

Tafel IX, Figur N/Q

263

Théodore Géricault, Etude pour un des personnages du ‚Radeau de la Méduse‘, 1818–1819, Zeichnung, 25,7 × 19,8 cm, Paris, Musée du Louvre, D. A. G.

D.8 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Palazzo Vendramin – Venezia (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Bleistift auf Briefpapier, 21 × 29,7 cm, Privatsammlung.

264 Tafel X, Figur N/Q

P.72 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl und Münzen auf Leinwand, 90 × 75 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

L.3

Ph.13

Tafel X, Figur N/Q

265

D.13 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Palazzo Vendramin – Venezia (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Bleistift und Aquarell auf Briefpapier, 29,7 × 21 cm, Privatsammlung.

266 Tafel XI, Figur O

P.64 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 150 × 180 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

L.10

Ph.14

Tafel XI, Figur O

267

Théodore Géricault, Homme nu étendu sur le dos, 1818–1819, Zeichnung, 28,9 × 20,5 cm, Besançon, musée des Beaux-Arts et d’Archéologie.

D.4 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Hotel im Palais Schwarzenberg (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Bleistift auf Briefpapier, 21 × 29,7 cm, Privatsammlung.

268 Tafel XII, Figur P

P.59 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl und Stoff auf Leinwand, 180 × 150 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

L.13

Ph.15

Tafel XII, Figur P

269

D.11 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Wiener Staatsoper (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Buntstift auf Briefpapier, 29,7 × 21 cm, Privatsammlung.

270 Tafel XIII, Figur R

P.71 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 120 × 100 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Ph.16

Tafel XIII, Figur R

271

Théodore Géricault, Etude pour ‚le radeau de la Méduse‘, 1818–1819, Zeichnung und Öl auf Leinwand, 55,7 × 45,1 cm, Montauban, musée Ingres.

D.19 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Hotel im Palais Schwarzenberg (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Buntstift auf Briefpapier, 29,7 × 21 cm, Privatsammlung.

272 Tafel XIV, Figur T

P.67 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 100 × 120 cm, Friedrich Christian Flick Collection.

L.8

Ph.17

Tafel XIV, Figur T

D.6 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Hotel im Palais Schwarzenberg (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Buntstift auf Briefpapier, 21 × 29,7 cm, Privatsammlung.

273

274 Tafel XV

P.60 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 180 × 150 cm, Friedrich Christian Flick Collection.

L.6

Ph.7

Tafel XV

275

Théodore Géricault, Etude d’homme, d’après le modèle de Joseph, 1818-1819, Öl auf Leinwand, 47 × 38,7 cm, Los Angeles, Getty Museum.

D.3 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Hotel im Palais Schwarzenberg (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Bleistift auf Briefpapier, 27,7 × 21 cm, Privatsammlung.

276 Tafel XVI

P.63 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl auf Leinwand, 150 × 180 cm, Berlin, Privatsammlung.

L.1

Ph.4

Tafel XVI

D.10 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Palazzo Vendramin - Venezia (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Bleistift auf Briefpapier, 21 × 29,7 cm, Privatsammlung.

277

278 Tafel XVII

P.75 Martin Kippenberger, Ohne Titel (aus der Serie Das Floß der Medusa), 1996, Öl und Münzen auf Leinwand, 75 × 90 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

L.12

Ph.9

Tafel XVII

D.1 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Hotel im Palais Schwarzenberg (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Buntstift auf Briefpapier, 21 × 29,7 cm, Privatsammlung.

279

280 Tafel XVIII, Figur S

D.2 Martin Kippenberger, Ohne Titel, Hotel im Palais Schwarzenberg (aus der Serie Medusa), 1996, Zeichnung mit Buntstift auf Briefpapier, 21 × 29,7 cm, Privatsammlung.

L.7

Ph.18

Tafel XIX

281

Théodore Géricault, Etude pour la figure de l’homme assis à droite du groupe du père et du fils du ‚radeau de la Méduse‘, 1818–1819, Federzeichnung, 19 × 26,2 cm, Bayonne, musée Bonnat-Helleu.

Ph.19

282 Tafel XX, Monomane

Théodore Géricault, La Folle. La Monomane de l’Envie, 1819–1820, Öl auf Leinwand, 72,1 × 58,5 cm, Lyon, Musée des Beaux-Arts de Lyon, Inv. B 825.

Ph.20

Tafel XX, Monomane

Théodore Géricault, La Monomane du jeu, 1819–1820, Öl auf Leinwand, 77 × 64,5 cm, Paris, Musée du Louvre.

283

284 Tafel XXI, Géricault/Batters

GB.1 Martin Kippenberger, Ohne Titel, 1996, Farb- und Filzstift auf Fotokopie, 21 × 29,7 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Elmer Batters, Ohne Titel, Fotografie, aus: Elmer Batters, From the tip of the toes to the top of the hose, hg. von Eric Kroll, TASCHEN Verlag Köln 1995.

Tafel XXII, Géricault/Batters

GB.2 Martin Kippenberger, Ohne Titel, 1996, Farb- und Filzstift auf Fotokopie, 21 × 29,7 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Elmer Batters, Ohne Titel, Fotografie, aus: Elmer Batters, From the tip of the toes to the top of the hose, hg. von Eric Kroll, TASCHEN Verlag Köln 1995.

285

286 Tafel XXIII, Géricault/Batters

GB.3 Martin Kippenberger, Ohne Titel, 1996, Farb- und Filzstift auf Fotokopie, 29,7 × 21 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Elmer Batters, Ohne Titel, Fotografie, aus: Elmer Batters, From the tip of the toes to the top of the hose, hg. von Eric Kroll, TASCHEN Verlag Köln 1995.

Tafel XXIV, Géricault/Batters

287

GB.4 Martin Kippenberger, Ohne Titel, 1996, Farb- und Filzstift auf Fotokopie, 21 × 29,7 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Elmer Batters, Ohne Titel, Fotografie, aus: Elmer Batters, From the tip of the toes to the top of the hose, hg. von Eric Kroll, TASCHEN Verlag Köln 1995.

288 Tafel XXV, Géricault/Batters

GB.5 Martin Kippenberger, Ohne Titel, 1996, Farb- und Filzstift auf Fotokopie, 29,7 × 21 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Elmer Batters, Ohne Titel, Fotografie, aus: Elmer Batters, From the tip of the toes to the top of the hose, hg. von Eric Kroll, TASCHEN Verlag Köln 1995.

Tafel XXVI, Géricault/Batters

289

GB.6 Martin Kippenberger, Ohne Titel, 1996, Farb- und Filzstift auf Fotokopie, 29,7 × 21 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Elmer Batters, Ohne Titel, Fotografie, aus: Elmer Batters, From the tip of the toes to the top of the hose, hg. von Eric Kroll, TASCHEN Verlag Köln 1995.

290 Tafel XXVII, Géricault/Batters

GB.7 Martin Kippenberger, Ohne Titel, 1996, Farb- und Filzstift auf Fotokopie, 29,7 × 21 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Elmer Batters, Ohne Titel, Fotografie, aus: Elmer Batters, From the tip of the toes to the top of the hose, hg. von Eric Kroll, TASCHEN Verlag Köln 1995.

Tafel XXVIII, Géricault/Batters

GB.8 Martin Kippenberger, Ohne Titel, 1996, Farb- und Filzstift auf Hotelbriefpapier, 21 × 29,7 cm, Köln, Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain.

Elmer Batters, Ohne Titel, Fotografie, aus: Elmer Batters, From the tip of the toes to the top of the hose, hg. von Eric Kroll, TASCHEN Verlag Köln 1995.

291

292 Tafel XXIX, Kontaktabzüge

Elfie Semotan, Contact Sheet Polaroid 1 für „Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa)“, Wien, 1996, Contact Silver Print, Photo Paper Glossy, 30,7 × 24 cm, Elfie Semotan.

Tafel XXX, Kontaktabzüge

Elfie Semotan, Contact Sheet Polaroid 2 für „Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa)“, Wien, 1996, Contact Silver Print, Photo Paper Glossy, 30,7 × 24 cm, Elfie Semotan.

293

294 Tafel XXXI, Kontaktabzüge

Elfie Semotan, Contact Sheet 1 für „Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa)“, Wien, 1996, Contact Silver Print, Photo Paper Glossy, 30,7 × 24 cm, Elfie Semotan.

Tafel XXXII, Kontaktabzüge

Elfie Semotan, Contact Sheet 2 für „Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa)“, Wien, 1996, Contact Silver Print, Photo Paper Glossy, 30,7 × 24 cm, Elfie Semotan.

295

296 Tafel XXXIII, Kontaktabzüge

Elfie Semotan, Contact Sheet 3 für „Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa)“, Wien, 1996, Contact Silver Print, Photo Paper Glossy, 30,7 × 24 cm, Elfie Semotan.

Tafel XXXIV, Kontaktabzüge

Elfie Semotan, Contact Sheet 4 für „Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa)“, Wien, 1996, Contact Silver Print, Photo Paper Glossy, 30,7 × 24 cm, Elfie Semotan.

297

298 Tafel XXXV, Kontaktabzüge

Elfie Semotan, Contact Sheet 5 für „Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa)“, Wien, 1996, Contact Silver Print, Photo Paper Glossy, 30,7 × 24 cm, Elfie Semotan.

Tafel XXXVI, Kontaktabzüge

Elfie Semotan, Contact Sheet 6 für „Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa)“, Wien, 1996, Contact Silver Print, Photo Paper Glossy, 30,7 × 24 cm, Elfie Semotan.

299

300 Tafel XXXVII, Kontaktabzüge

Elfie Semotan, Contact Sheet 7 für „Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa)“, Wien, 1996, Contact Silver Print, Photo Paper Glossy, 30,7 × 24 cm, Elfie Semotan.

Tafel XXXVIII, Kontaktabzüge

Elfie Semotan, Contact Sheet 8 für „Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa)“, Wien, 1996, Contact Silver Print, Photo Paper Glossy, 30,7 × 24 cm, Elfie Semotan.

301

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­Ausst.-Kat. Kopenhagen 1993 – Museum Europa: en udstilling om det europæiske museum fra renæssancen til vor tid, hg. von Nationalmuseet, ­Ausst.-Kat. Kopenhagen, Dänisches Nationalmuseum, 1993, Kopenhagen 1993. ­Ausst.-Kat. Bonn 1994 – Wunderkammer des Abendlandes. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit, hg. von Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, 1994, Wemding 1994. ­Ausst.-Kat. Esslingen 1996 – Martin Kippenberger. Vergessene Einrichtungsprobleme in der Villa Hügel (Villa Merkel), hg. von Renate Damsch-Wiehager, ­Ausst.-Kat. Esslingen, Villa Merkel, Galerie der Stadt Esslingen am Neckar, 1996, Ostfildern-­ Ruit 1996. Ausst.-Kat. Kopenhagen, Memento Metropolis, ­ 1996 – Memento Metropolis – En Udstilling Om Længslen Efter Det Ny, hg. von Annesofie Becker et al., ­Ausst.-Kat. Kopenhagen, Turbinehallerne København, Kopenhagen 1996. ­Ausst.-Kat. Kopenhagen, Kippenberger/Géricault, 1996 – Kippenberger/Géricault. Martin Kippenberger „The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“. Théodore Géricault „Le Radeau de la Méduse“, hg. von Martin Kippenberger, Annesofie Becker und Helle Rafn, ­Ausst.-Kat. Kopenhagen zu Memento Metropolis – En Udstilling Om Længslen Efter Det Ny, Turbinehallerne København, Kopenhagen 1996. ­Ausst.-Kat. Berlin 1997 – Martin Kippenberger – Käthe-Kollwitz-Preisträger 1996, hg. von Inge Zimmermann, A ­ usst.-Kat. Berlin, Akademie der Künste, Berlin 1997. ­Ausst.-Kat. Genf 1997 – Kippenberger sans peine/avec des clichés de reconnaissance. Kippenberger leicht gemacht/mit Erkennungsphotos, hg. von Martin Kippenberger, ­Ausst.-Kat. Genf zu Respektive 1997–1976, Musée d’A rt Moderne et Contemporain, 1997, Genf 1997. ­Ausst.-Kat. Graz 1994 – Kontext Kunst: Kunst der 90er Jahre, hg. von Peter Weibel, A ­ usst.-Kat. Graz, Steiermärkisches Landesmuseum Joanneum, 1994, Köln 1994. ­Ausst.-Kat. Basel 1998 – Martin Kippenberger, hg. von Kunsthalle Basel, A ­ usst.-Kat. Basel und Hamburg, Kunsthalle Basel, 1998, Deichtorhallen Hamburg, 1999, Basel 1998.

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320 Literaturverzeichnis

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­Ausst.-Kat. Frankfurt am Main, Dialog, 2015 – Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum Jubiläum, hg. von Max Hollein, ­Ausst.-Kat. Frankfurt am Main, Städel Museum, 2015, Ostfildern 2015. ­Ausst.-Kat. Rom 2015 – Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er Jahre aus der Sammlung Verbund, Wien, hg. von Gabriele Schor, ­Ausst.-Kat. Rom et al., Galleria Nazionale d’A rte Moderna 2010, München 2015. ­Ausst.-Kat. Aachen 2018 – Pattern and Decoration. Ornament als Versprechen, hg. von Esther Boehle und Manuela Ammer, A ­ usst.-Kat. Aachen und Wien, Ludwig Forum für internationale Kunst, 2018, Mumok, 2019, Köln 2018. ­Ausst.-Kat. Bozen 2018 – Body Check: Martin Kippenberger - Maria Lassnig, ­Ausst.-Kat. Bozen und München, Museion – Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst, 2018, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, 2019, Köln 2018. ­Ausst.-Kat. Bonn 2019 – Martin Kippenberger: Bitteschön. Dankeschön. Eine Retrospektive, hg. von Susanne Kleine, ­Ausst.-Kat. Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, 2019, Köln 2019.

Internetressourcen (ohne Autorenangabe) Geschichte des Museums Villa Merkel, Galerien der Stadt Esslingen am Neckar: „Villa Merkel“, in der Rubrik Über uns, Esslingen am Neckar 2012–2018, URL: https://www.villa-merkel.de/ index.php?id=41 (13.05.2018).

Galerie Bärbel Grässlin, Ausstellung Teppiche Albert Oehlen, URL: http://galerie-graesslin.de/ exhibitions/teppiche-albert-oehlen/140/images (17.10.2018). Musée National de la Marine, Rochefort, URL: http:// musee-marine.fr/rochefort (13.05.2018).

ABBILDUNGSNACHWEISE

Zu Martin Kippenberger: © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Köln

Abb. 3–16, Abb. 21–25, Zeichnungen D.1–D.19, Gemälde P.58–83, Lithographie L.14, ­ eppich C.1996 und C.2017, GB.1–GB.8 T Fotografien: Jannes Linders

Abb. 3 Jörg Oberfell

Abb. 11–12 Peter Johansen

Abb. 18 Lothar Schnepf, Köln

Abb. 24–25, P.59, P.62, P.64, P.67–76, P.78–83 Simon Vogel, Köln

D. 1–3, D.6–13, D.15–19, Teppich C.2017, Teppich C.1996 (S. 159), GB.1–8 Isabelle Arthuis

P.66 © Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg, Fotos: Egbert Haneke

L.1–L.13, L.15

Zu Elfie Semotan: Courtesy Studio Semotan. © Elfie Semotan

Fotografien Ph.1–Ph.20 und Kontaktabzüge Taf. XXIX–XXXVIII

Zu Elmer Batters: Elmer Batters © 2021 TASCHEN GmbH, Hohenzollernring 53, D-50672 Cologne, www.taschen.com

Abbildungen Taf. XXI–XXVIII

322 Abbildungsnachweise

Zu Théodore Géricault: Photo © RMN-Grand Palais (musée du Louvre), Foto: Michel Urtado

Abb. 1 Open Content, Metropolitan Museum of Art, New York

Abb. 2 und Taf. IV, S. 253 Amsterdam Museum

Abb. 17 Photo © RMN-Grand Palais, Foto: Philipp Bernard

Abb. 19, Abb. 28 und Taf. XIII , S. 271 BNF, Dist. RMN-Grand Palais, Foto: BNF

Abb. 20 Photo © RMN-Grand Palais (Lyon MBA)

Abb. 26 und Taf. XX , S. 282 Photo © RMN-Grand Palais (musée des Beaux-Arts et d’Archéologie de Besançon), Foto: A. Choffet

Abb. 27, Abb. 29 und Taf. XI , S. 267 Photo © RMN-Grand Palais (musée des Beaux-Arts et d’Archéologie de Besançon), Foto: Philipp Bernard

Abb. 28 Photo © RMN-Grand Palais, Foto: Franck Raux

Abbildung Taf. II , S. 249 Photo © RMN-Grand Palais, Foto: René-Gabriel Ojéda

Abbildung Taf. III , S. 251 und Taf. XIX , S. 281 © 2021. Princeton, University Art Museum/Art Resource NY/Scala, Florence, Foto: Bruce M. White

Abbildung Taf. V, S. 255 Kunsthaus Zürich

Abbildung Taf. VII , S. 259 Photo © RMN-Grand Palais (musée du Louvre), Foto: Martine Beck-Coppola

Abbildung Taf. IX , S. 263 Photo © Digital image courtesy of the Getty’s Open Content Program

Abbildung Taf. XV, S. 275 Photo © RMN-Grand Palais (musée du Louvre), Foto: Philippe Fuzeau

Abbildung Taf. XX, S. 283