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German Pages 357 [337] Year 1959
REPORTAGE AUS DEM 21. JAHRHUNDERT
In den allernächsten Jahren schon wird die Menschheit zum Sturm auf Mond, Mars und Venus antreten
MICHAIL WASSILJEW / SERGEJ GUSCHTSCHEW
Reportage aus dem 21. Jahrhundert Neunundzwanzig sowjetische Gelehrte berichten über die Wissenschaft und Technik von morgen
GREIFENVERLAG ZU RUDOLSTADT
Originaltitel: Репортаж из XXI Века Originalverlag: Sowjetskaja Rossija, Moskau Aus dem Russischen von Günter Löffler Lizenz-Nr. 384–220/36/59 (ES 8 C) Alle Rechte vorbehalten Buchausstattung: Rolf F. Müller Gesetzt aus der Korpus Buch-Bodoni Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Leipzig
INHALT ZUR EINFÜHRUNG Reise in die Zukunft Lernt träumen VOM WICHTIGSTEN IN DER GRUNDSTOFFINDUSTRIE Die Zukunft der Metallurgie liegt in der Umwandlung der Elemente Die Zeit der Bergwerke geht ihrem Ende entgegen Erdölbedarf und Erdölförderung im 21. Jahrhundert Die Quellen der Elektroenergie Die Stromerzeugung im Jahre 2007 Der Mensch wird Berge versetzen IM NAMEN DES LEBENS Die Biologie wird zur exakten Wissenschaft Die Geschichte einer unblutigen Chirurgie Das goldene Zeitalter liegt noch vor uns An einem Tisch mit Poseidon Konstrukteure der belebten Natur DAS ZEITALTER DES RADIOS Ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Radios beginnt Die Revolution der Kopfarbeit Unter den Strahlen einer künstlichen Sonne Ein Blick ins All SPAZIERGÄNGE, AUSFLÜGE, REISEN Zu Lande, zu Wasser und in der Luft Moskau im 21. Jahrhundert Ein Auto aus dem Jahre 2007 Die Schule des 21. Jahrhunderts Der Magnetismus in Fotografie und Film Ein Blick aus dem Fenster des Höhenflugzeugs
DIE GESTALTER UNSERES PLANETEN Die Geographen werden zu Gestaltern der Natur Das Schicksal des Tatarengolfs AUF GROSSER FAHRT Wird der Mond ein neuer „Kontinent“ der Erde? In der Mondstadt Von Stern zu Stern
Zur Einführung
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Reise in die Zukunft Die Idee dieses Buches kam in der Redaktion der „Komsomolskaja Prawda“ zur Welt.1 Das waren damals heiße Tage für uns Zeitungsleute, denn die 6. Weltfestspiele der Jugend und Studenten standen vor der Tür, und die Feiern zum 40. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution rückten immer näher. Die Briefträger überschütteten die Redaktion mit ganzen Bergen von Postsachen. Auf eine Unmenge von Fragen verlangten die Leser unserer Zeitung eine Antwort. Sie wollten alles wissen über die Geschichte unserer Partei und unseres Staates. Sie erbaten sich den Lebensbericht von hervorragenden Kommunisten, interessierten sich für die Heldentaten der Komsomolzen, suchten Rat in Fragen der Moral und Ethik. Und sie schrieben uns über ihre eigenen Zweifel und Hoffnungen. Besonders erfreulich aber war, daß so mancher von ihnen den Blick in die Zukunft lenkte. Das war doch wirklich ein gutes Zeichen! Sie wohnten in den verschiedensten Gegenden des Landes, und auch sonst glichen sie einander nur wenig. Da gab es Stahlgießer aus Kusnezk, Menschen aus den Sowchossiedlungen der neu erschlossenen Gebiete. Auch die Erbauer von Bratsk waren dabei, Metallarbeiter des Stalingrader Traktorenwerkes, Studenten der Hochschulen Moskaus, Angehörige der Sowjetarmee. Aber wir begriffen: sie hatten zugleich etwas Gemeinsames. Das war ihre ungestüme, vorwärtsdrängende Jugend. Hätte man den Rotarmisten im Bürgerkrieg von unserem heutigen Alltag erzählt, so wären sie sehr erstaunt gewesen und hätten wahrscheinlich alles nur für eine schöne Schwärmerei gehalten. Für diese jungen Brief Schreiber aber war es das normale, das gewohnte Leben. Daher wollten sie einen Blick in die Zukunft tun. Und ihre Aufgabe ist es ja schließlich auch, einen Platz in dieser kommenden Zeit zu finden, um darin zu leben. Den künftigen Mieter einer geplanten Neubauwohnung interessiert natürlich schon im
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voraus die genaue Beschaffenheit der Küche und der übrigen Räume. Nicht anders ergeht es denen, die einmal in dem großartigsten Gebäude leben werden, das in unserem Lande errichtet wird und das den Namen „Kommunismus“ trägt. Das war der Grund, weshalb uns der Chefredakteur eines Tages zu sich rief. Er sagte: „Wir müssen unseren Lesern von der Zukunft erzählen. Das ist jetzt aktuell. Unternehmen Sie also eine Reise ins 21. Jahrhundert!“ Für einen Augenblick schwieg er und dachte nach. Doch er blieb dabei ganz ernst, als hätte er gar keinen Scherz gemacht. „Ins Jahr 2007 sollten Sie reisen. Da werden wir die Neunzigjahrfeier der Oktoberrevolution begehen! Und nun machen Sie sich auf den Weg! Wir erwarten Ihre Berichte …“ Ich glaube, er fügte sogar noch hinzu: „Zweihundert Zeilen pro Nummer!“ In den Redaktionen der Zeitungen erzählt man sich seit Jahr und Tag viel Interessantes über die Arbeit der Reporter. Beispielsweise: An der Seite einiger Jäger streifte ein Journalist durch die Taiga, monatelang, und nur, um zu fotografieren, wie man einen lebenden Tiger fängt - während einer seiner Kollegen auf einem Floß die ganze Sowjetunion durchquerte, von ihrer südlichen Grenze bis ans Nördliche Eismeer, dem Lauf der Flüsse folgend. Es wird auch berichtet, daß Journalisten in die Krater noch tätiger Vulkane hinabstiegen, daß sie den Fuß aufs Eis der Pole setzten. Schade, daß die Bücher zur Geschichte der Journalistik nicht von Journalisten geschrieben werden. Deswegen sind sie nämlich so schrecklich langweilig. Und dabei könnten sie doch so fesselnd sein. Sie könnten davon berichten, wie die Vertreter eines so ruhmvollen und unruhigen Berufes aus brennenden und belagerten Städten ihre Berichte hinaussandten, wie sie ihre Reportagen im Schein der Lagerfeuer niederschrieben oder auf dem Rücken eines Pferdes schaukelnd mühsam zu Papier brachten, wie sie an der Malaria zugrunde gingen oder ein Opfer vergifteter Pfeile wurden, wie sie als Schiffbrüchige in dem salzigen Wasser der Meere versanken, wie sie im Sandstaub des Samum erstickten.
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Der erste Mensch, der Afrika durchquerte, einen damals noch geheimnisvollen, unerforschten Kontinent, war ein Journalist. Mit dem Staub von Jahrhunderten hat sich die Oberfläche des Mondes bedeckt. Aber unter denen, die dort die ersten Spuren hinterlassen werden, wird es Journalisten geben. Journalisten werden dereinst auch den rötlichen, fast rostig aussehenden Boden des Mars betreten. (Persönlich sind wir sogar davon überzeugt, daß dies Vertreter der „Komsomolskaja Prawda“ sein werden.) Noch aber ist es nicht soweit. Noch stopft sich bei uns in der Redaktion niemand die Taschen mit Notizblocks voll, um in einer Zeitmaschine auf die Reise zu gehen. In einer Zeitmaschine? Wir wissen, daß dies nur eine Ausgeburt der Phantasie ist, die nie verwirklicht werden kann, weil sie vom Standpunkt der Wissenschaft aus überhaupt absurd ist. Und so sitzen wir in unserer Abteilung auf dem Sofa. Wir haben das Telefon ausgestöpselt und am Türschloß die Sicherheitsvorrichtung einschnappen lassen. Wir grübeln über die Zukunft nach. Es versteht sich: wie alle Menschen, so haben auch wir den Wunsch zu träumen. Wir denken an die Zukunft, die licht sein wird und schön. Der Mensch wird aus dem vollen schöpfen. Das wird ein glückliches, ein interessantes Leben sein. Und wir sehen es schon vor uns, wie es sein wird, wenn das erhabene Gebäude des Kommunismus erst lebendige Wirklichkeit geworden ist! Aber freilich: auch dann werden die jungen Leser von kommenden Tagen träumen — doch nicht so wie wir, sondern von der Warte ihrer Zeit aus, aus der Perspektive ihres Wissens und dessen, was sie erreicht haben. Denn die Zukunft erwächst stets aus dem bereits Erreichten, wie ein Haus aus seinem Fundament, wie der Zweig aus einem dicken Stamm. Durch Millionen Fäden ist die Zukunft untrennbar mit der Gegenwart verbunden und kann ohne diese nicht existieren. Sie fließt aus der Gegenwart hervor, wie die Zeile eines Liedes aus der vorhergehenden. Und ist denn diese Zukunft nicht im wahrsten 8
Sinne des Wortes das Werk unserer eigenen Hände? Wird sie sich nicht grad so gestalten, wie wir sie uns schmieden? „Man muß träumen!“ schrieb W. I. Lenin. In den schweren Jahren, da das Land zerstört war, erzählte er dem Schriftsteller Herbert George Wells von seinen Träumen, von der Zukunft Rußlands. Der berühmte Phantast glaubte damals Wladimir Iljitsch nicht, nannte ihn den „Träumer im Kreml“. Die Jahre vergingen, und wir haben gesehen, wie aus dem Leninschen Traum inzwischen lebendige, großartige Wirklichkeit wurde. Wladimir Iljitsch träumte einst von hunderttausend Traktoren heute arbeiten auf den Feldern der Sowjetunion jedoch bereits mehr als anderthalb Millionen. Unser Land wurde zu einer starken Großmacht. Für die Träume aber gibt es kein Ende, keine Grenze. Sie stürmen unaufhaltsam vorwärts ins helle Morgen … Ja, unsere Zukunft wird heute schon geboren. Sie wird geboren in den Werken und Fabriken, auf den Feldern und in den Reparaturwerkstätten der Traktoren: in der Arbeit von Millionen werktätiger Menschen. Sie wird geboren, um uns morgen zu dienen. Ein junger Geologe kraxelt an einem steilen Felsen empor, läßt sich in dunkle Schluchten hinab, riskiert sein Leben. So erforscht er den zerklüfteten Gebirgsgrat, dessen geheimnisvolle Welt noch nie das Auge eines Menschen schaute. Da schlägt er von dem rostig bemoosten Felsen ein faustgroßes Stück ab und steckt den Hammer wieder zu sich. An die rauhe Bruchstelle des gelblichen Gesteins hält er zum Nachweis der radioaktiven Strahlung ein Meßgerät. Das Hartgummigehäuse dieses Instrumentes sieht wie ein Zigarettenetui aus. Und plötzlich kommt Leben in das rote Auge des Indikatorlämpchens. Am oberen Teil des Gerätes glimmt es auf, erlischt, flammt abermals auf… Es steht außer Zweifel: hier liegt das kostbarste Erz für unsere moderne Technik verborgen, das Metall, an das die Menschheit große Befürchtungen und schöne Hoffnungen knüpft: Uran. Heute noch liegt das Uranerz im Innern des Berges, tief unter den Füßen des Geologen. Im Jahre 1960 jedoch wird die 9
beim radioaktiven Zerfall der Atomkerne ausgesandte Energie unsere Wohnungen erleuchten, 1980 wird sie den stählernen Mechanismus gewaltiger Erdarbeitsgiganten in Tätigkeit setzen, und im Jahre 2000 wird sie eine Rakete zu den entferntesten Planeten schicken eine Rakete mit Erdenbürgern an Bord … Auf dem Reißbrett ist ein weißes, raschelndes Blatt Whatman-Papier aufgeheftet. Wir sehen den ersten Entwurf einer völlig neuen Maschine. Etwas Ähnliches hat es bisher noch nie gegeben. Jedoch nicht alles gelingt dem Konstrukteur gleich beim ersten Versuch. Viele Stunden muß er noch über diesem von Reißstiften durchbohrten Bogen sitzen - und dann über einem zweiten, einem dritten … ja, bis in die Dutzende geht vielleicht die Zahl der Varianten. Und nicht nur ein Heft schlägt er auf, um es von der ersten bis zur letzten Seite mit Zahlen vollzukritzeln. Am Ende aber entsteht der fertige Entwurf der neuen Maschine. Das Projekt geht dann in die Produktion. In der Gießerei, in der Schmiede und in den mechanischen Werkstätten stellen die Menschen aus Metall und mit Hilfe von Feuer und Glut die Einzelteile der Maschine her. Von kundigen Händen werden sie zusammengefügt und schließlich in Bewegung gesetzt. So wird die Arbeit vervollkommnet, die bis zu diesem Augenblick der Mensch mit seiner Hände Kraft bewältigen mußte. Bald wird auch diese Maschine laufen, die wir antrafen, als sie sich noch auf dem Papier befand, in einem Stadium ihrer Entwicklung … Ein jugendliches Gesicht ist über das Mikroskop gebeugt. In einem winzigen Plasmatropfen, der auf dem Kreuztisch mit bloßem Auge kaum zu sehen ist, verbirgt sich eine ganze Welt von Lebewesen. Und diese seltsamen kleinen Spiralen und Stäbchen sind die Erreger einer gefährlichen Krankheit. Der Biologe bringt die Plasmatröpfchen mit der Spitze einer Nadel in Berührung, an der ein unvorstellbar kleines Tüpfelchen Medizin haftet. Da hört die Bewegung der Spiralen und der Stäbchen auf. Die todbringenden Mikroorganismen sind vernichtet. Freilich handelt es sich hier nur um einen 10
Zwischenversuch, um ein kleines Glied aus einer langen, langen Kette. Aber der Biologe spürt, daß er kurz vor dem entscheidenden Experiment steht. Die Arznei, mit deren Hilfe es gelingen wird, eine furchtbare, bis zum heutigen Tage unheilbare Krankheit zu besiegen, ist gefunden. Morgen schon werden die Menschen diese Krankheit nicht mehr kennen, werden daran nicht mehr zugrunde gehen. Bedeutet das aber nicht, daß auch dieses Arzneimittel ein Stückchen Zukunft darstellt? Ja - die Zukunft wird heute geboren, bei der alltäglichen Arbeit der schaffenden Menschen. Schon ist in der Sowjetunion ein Atomeisbrecher vom Stapel gelaufen - der erste der Welt - und rüstet sich zu ausgedehnten Fahrten. Die Radiotechniker löten bereits an der Sendeanlage für den nächsten Sputnik. Betonarbeiter errichten biologische Schutzwände für Atomkraftwerke von geradezu phantastisch anmutender Kapazität… So kristallisierte sich die Idee dieser eigentümlichen Reise in die Zukunft langsam heraus. Und am folgenden Tage befanden wir uns schon frühmorgens auf den weichen und federnden Sitzen einer Zeitmaschine - das heißt im „Pobeda“ unserer Redaktion. Der Wagen trug uns auf dem kürzesten Wege in ein freundliches, helles Gebäude mit vielen Säulen davor. Hier hat das Präsidium der Akademie der Wissenschaften der UdSSR seinen Sitz. Vor uns öffnete sich das schwere Hauptportal. Und durch diesen Eingang betraten wir das 21. Jahrhundert… Wir trafen unsere bedeutendsten Gelehrten, Ingenieure und Erfinder, die mit ihren kühnen Plänen schon die Zukunft erobern. Im Namen von Millionen Lesern baten wir sie, gemeinsam mit uns davon zu träumen, wie auf ihrem jeweiligen wissenschaftlichen Arbeitsgebiet die großen Pläne von heute dereinst verwirklicht werden sollen und welchen Segen sie der Menschheit bringen werden. Und wirklich: Ist der Biologe nicht imstande, uns schon an Hand des ersten Sprößlings zu verraten, was für ein Baum an dieser Stelle einmal wachsen wird? Wir baten die Gelehrten, uns die besten
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Triebe der heutigen Wissenschaft zu zeigen, ihre wahrscheinlichen Entwicklungslinien zu bestimmen und uns eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie die ausgewachsenen, mächtigen Bäume einmal aussehen werden. So wollten wir uns ein Bild davon machen, was aus diesen heute noch so zarten Keimen dereinst einmal alles werden kann. Wir baten die Wissenschaftler, einen Blick in die kommende Zeit tun zu dürfen, aber nicht nur in die allernächsten Jahre, die wir in unseren Perspektivplänen bereits erfaßt haben, sondern darüber hinaus, durch die Jahrzehnte hindurch, bis an die Schwelle des 21. Jahrhunderts und sogar noch ein Stückchen weiter. Die Wissenschaftler leisteten unserer Bitte bereitwillig Folge. Doch wir sagen es geradeheraus, daß dies gar nicht so einfach war. Denn Wissenschaft und Technik entwickeln sich in unserem Lande unter der Führung der Kommunistischen Partei so zielstrebig und geradlinig, aber auch so schnell wie nie zuvor. Alt ist der Traum von der Nutzung der Atomkraft. Jetzt aber werden auf den Baustellen von gigantischen Atomkraftwerken die Apparaturen für die Kernreaktoren montiert. Nur in wissenschaftlich-utopischen Romanen gab es früher solche Verkehrsmittel, die es ermöglicht hätten, innerhalb weniger Minuten von einem Erdteil zu einem anderen zu fliegen. In unserer Epoche aber ist die interkontinentale Rakete zur Wirklichkeit geworden. In einer solchen Zeit, wo das technische Projekt selbst die kühnste Phantasie überbietet, ist es natürlich sehr schwer, einen Gedankenflug über fünfzig Jahre hinweg zu wagen. Trotzdem aber haben es unsere Wissenschaftler getan. Als wir ihren Erzählungen lauschten, die von den kommenden Wundertaten der Wissenschaft berichteten - von Wundertaten, die dank einer hochentwickelten Technik jedem, ohne Ausnahme jedem, zugänglich sein werden -, da lebten wir wirklich ganz in der Zukunft. Und daher wollen wir unserem Bericht auch den Titel „Reportage aus dem 21. Jahrhundert“ geben. 12
1 Etwa zur gleichen Zeit faßte der Greifenverlag den Plan, führende sowjetische Wissenschaftler zu bitten, in einem Sammelband über die Wissenschaft und Technik der Zukunft zu berichten. Da es sich bei beiden Projekten zum Teil um dieselben Wissenschaftler handelte, entschloß sich der Greifenverlag, das sowjetische Projekt in sein Verlagsprogramm zu übernehmen. (Anmerkung des Greifenverlages.)
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Lernt träumen Wir befinden uns im Arbeitszimmer von Alexander Nikolajewitsch Nesmejanow. Vor uns steht ein großflächiger Arbeitstisch mit dem dazugehörigen Schreibgerät, und darüber sehen wir einen aus Bronze gegossenen Titanen, der eine leuchtende Erdkugel in die Höhe hebt. An den Wänden hängen Bilder von russischen Gelehrten. Aus der Ecke lächelt uns Iljitsch entgegen; der berühmte Bildhauer S. T. Konenkow hat das Antlitz Lenins aus einem gewaltigen Holzblock herausmodelliert. Wir sagten Alexander Nikolajewitsch, weshalb wir gekommen waren. „Ihr Vorhaben gefällt mir“, erwiderte das Akademiemitglied nach einer kurzen Pause. Er sprach ruhig, ohne jede Hast. „Sie wollen den Blick in ein kommendes Zeitalter richten und versuchen, eine Vorstellung darüber zu gewinnen, wie unser heutiges geistiges Streben in der Zukunft praktisch verwirklicht wird. Es handelt sich hierbei doch vor allem darum, die interessantesten Ergebnisse unserer gegenwärtigen Wissenschaft und Technik der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies ist eine Angelegenheit von außergewöhnlicher Wichtigkeit und Nützlichkeit. Zugleich aber geht es auch darum, auf der Grundlage unseres heutigen Erfahrungsbereiches gleichsam wissenschaftlich zu träumen und die Entwicklung der Wissenschaft für einen längeren Zeitabschnitt im voraus zu bestimmen, und das ist nicht weniger nützlich und wichtig. Freilich können und wollen wir nicht immer nur träumen doch ohne Träume geht es nicht. Ohne Traum gibt es keine Perspektive. Wenn der Mensch nicht träumt, hört er auf sich zu entwickeln. So ergeht es natürlich auch dem Wissenschaftler, und wenn wir auf der Stelle treten, ist es aus mit unserem Schöpfertum. Die aufwärtsstrebende Wissenschaft möchte ich mit einem hohen, weit verästelten Baum vergleichen, der fest in der Erde verwurzelt ist. Selbstverständlich erwarten wir von der
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Wissenschaft, daß sie fruchtbar ist. In unserer sozialistischen Gesellschaft steht sie ausschließlich im Dienst des Menschen; sie befriedigt seine materiellen und - was genauso wichtig ist seine geistigen Interessen und Bedürfnisse. Aber wie gierig und üppig eine Pflanze ihre lebenswichtigen Säfte auch aus dem Erdreich ziehen mag - sie bleibt doch dürr und taub, wenn ihr das Licht der Sonne fehlt. Und was für die Pflanze das Licht, das ist für den Wissenschaftler die Phantasie, die hohe, begeisternde Idee. Sie erleuchtet ihn, läßt ihn reifen und verleiht ihm seine schöpferische Kraft. Je weiter der Entwicklungsstand der Technik gediehen ist, desto fester wurzelt der Baum der Wissenschaft in der Produktion, in der Praxis. Doch wächst mit den Wurzeln eines Baumes nicht auch zugleich sein Stamm, dehnen sich nicht auch seine Zweige, und recken sie sich nicht immer höher, der Sonne entgegen? So basiert unsere Wissenschaft auf den großen Erfolgen der Technik, der Produktion. Doch muß sie sich immer höhere Aufgaben stellen -Aufgaben, deren Lösung spürbar dazu beiträgt, einen uralten Traum der Menschheit zu verwirklichen: die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft. Das Bestreben, in die Zukunft hineinzuträumen, ist seit jeher ein besonderer Charakterzug der fortschrittlichen, revolutionär gesinnten Menschen unserer Heimat. Wir erinnern uns, wie Radischtschew, dieser Mensch von klarem Verstand und edelmütigem Herzen, von einer besseren Zukunft träumte, in der sich in Rußland ein Wandel vollziehen würde. ,Ich sehe Rußland ein ganzes Jahrhundert später4, sagte er. Erinnern wir uns an Tschernyschewski, der sich in seinen Werken bemühte, nicht nur eine Vorstellung von den sozialen Verhältnissen in der neuen, damals noch unbekannten sozialistischen Gesellschaft zu vermitteln, sondern der anch einen Einblick in die Lebensweise der Menschen dieser neuen Epoche geben wollte, der aus Aluminium errichtete Wohnstätten vorausschaute und Maschinen, die die Arbeit der befreiten Menschheit erleichtern würden.
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Ohne diese Fähigkeit, sich die Zukunft in ihren allgemeinen Umrissen vorzustellen, wären die Menschen nicht in der Lage, die komplizierten Aufgaben der Wissenschaft, des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu lösen. Diese Fähigkeit gilt es im Menschen zu entwickeln. Man muß lernen zu träumen, um die Arbeit der Gegenwart mit den Problemen der Zukunft zu verknüpfen. Der heutige Stand der Wissenschaft, das ungestüme Tempo ihrer Entwicklung geben uns nicht nur die Möglichkeit, einen interessanten Blick in die Zukunft zu werfen, sondern sie überflügeln und übertreffen sogar die mitunter noch recht lahmen Erwartungen einiger Verfasser von Zukunftsromanen. Wie wahrhaft phantastisch muten uns dagegen viele der von unseren Wissenschaftlern bereits vollbrachten Taten an. Das Jahr 1957 wird in der Geschichte der Menschheit einen ganz besonderen Platz einnehmen. In diesem Jahr wurde eine Tat vollbracht, die so großartig ist, daß sie von uns, ihren unmittelbaren Zeitgenossen, noch gar nicht ganz erfaßt werden kann. Vergleichbar ist sie wohl nur mit solchen Höhepunkten in der Geschichte der Menschheit wie der Entdeckung des Feuers, der Gewinnung des ersten Eisens, der Erfindung der Dampfmaschine, der Nutzbarmachung der Atomenergie. Ich denke an den Triumph, den die sowjetische Wissenschaft und Technik errangen, als die ersten künstlichen Erdtrabanten gestartet wurden. Himmelskörper, die von Menschenhand geschaffen waren, stiegen in den Kosmos auf und brachten der Wissenschaft neue Erkenntnisse. Die ersten kosmischen Laboratorien vermittelten uns per Funk wichtige Angaben über die Geheimnisse der Ionosphäre, über die kosmischen Strahlen, über das Verhalten von Lebewesen im interplanetaren Raum. Es begann eine Revolutionierung der Kopfarbeit, die vielleicht nur mit einer solchen Umwälzung vergleichbar ist, wie sie sich auf dem Gebiet der Produktion vollzog, als die Handarbeit durch die maschinelle Produktion abgelöst wurde. Die Revolution in der geistigen Arbeit begann mit der Erfindung der elektronischen Rechenmaschine.
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Diese Maschine bringt es fertig, innerhalb weniger Minuten eine Fülle schwieriger mathematischer Operationen auszuführen, die früher nur von Hunderten und aber Hunderten Menschen in intensiver, Monate und Jahre dauernder Anstrengung hätte bewältigt werden können. Aber die Elektronenmaschinen ermöglichen es uns auch, die Bedienung der kompliziertesten Aggregate vollständig zu automatisieren. Mit ihrer Hilfe können Übersetzungen technischer Texte von einer Sprache in die andere vorgenommen werden, und sie übernehmen die umf angreichen Arbeitsgänge ganzer Kollektive von Mathematikern, Rechnungsführern und Buchhaltern. In allernächster Zukunft wird es eine so verblüffende Einrichtung wie die Informationsmaschine geben, die eine große Menge von Auskunftsmaterial aufnehmen und registrieren, das heißt in sich aufbewahren kann. Kaum hat man eine Anfrage an die Maschine gerichtet, und schon beginnt der ,Elektrorechner4, der spezielle Mechanismus dieser Maschine, zu arbeiten. Er ,liest4 sozusagen das ganze Material durch, das in ihm aufgespeichert ist, ,analysiert4 es, ,sondert4 es aus und ,erteilt4 die gewünschte Auskunft. Tief sind die Physiker in die Geheimnisse des Atomkerns eingedrungen. Die bei der Kernreaktion freiwerdende Energie wird für friedliche Zwecke genutzt. In der ferneren Zukunft werden zahlreiche Kraftwerke entstehen, die das faktisch unerschöpfliche Vorkommen der leichten Elemente nutzbar machen und insbesondere die Kerne des Wasserstoffs und seiner Isotope als Wärmespender verwenden. Die Entdeckung des Antiprotons und des Positrons läßt an die Möglichkeit denken, eine aus Antiteilchen aufgebaute ,Antimaterie4 zu bilden … Ich habe hier als Beispiel nur einige Dinge angeführt, von denen sich die Menschheit noch vor kurzer Zeit nicht einmal etwas träumen ließ und die heute bereits den Stempel der Realität tragen.
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Nur wenn wir den Blick nach vorn richten, in die Zukunft schauen, nur wenn wir träumen, vermag sich die Wissenschaft weiterzuentwickeln. Der Traum ist ein notwendiger Vorläufer der Hypothese, die unter Ausnutzung der praktischen Erfahrung in eine wissenschaftliche Theorie verwandelt werden kann. Natürlich meine ich damit keine fruchtlosen Phantastereien, die jeder realen Grundlage entbehren, sondern einen vernünftigen Gedankengang, der auf die Weiterentwicklung eines wissenschaftlichen Gebietes gerichtet ist und von der Position des bereits gesicherten Wissensstandes ausgeht. Die Träume der Wissenschaftler sind gleichsam Reisen in noch unerforschte Gebiete, sind eine wissenschaftliche Vorwegnahme der Zukunft. Eine solche Prognose kann sehr kühn sein, und sie kann einen breiten Zeitraum überspringen, doch muß sie unbedingt eine solide Grundlage besitzen. Im allgemeinen sprechen die Gelehrten vor ihren Mitmenschen nur ungern über ihre Träume - sicher wohl darum, weil es angenehmer ist, zunächst einmal vollendete Tatsachen zu schaffen. Und dennoch haben auch die ,noch unerfüllten Träume4 eine große Bedeutung. Sie sind sozusagen die Wegweiser, die den Wissenschaftlern bei ihrem Vorwärtsschreiten die Richtung angeben. Und für diejenigen, die ihnen nachfolgen, bilden sie wichtige Orientierungspunkte. Wie Blinkfeuer eines Leuchtturms sind sie imstande, so manchem Neuling den Weg ins Reich der Wissenschaft zu weisen. An dieser Stelle möchte ich betonen, daß das Recht zu träumen durchaus kein Privileg von ehrwürdigen Gelehrten ist. In sehr ausgeprägter Form ist diese Eigenschaft vielmehr auch bei der Jugend anzutreffen, und wir sollten sie unermüdlich entwickeln. Wir leben ja in einem Lande, in dem die kühnsten Träume ihre Erfüllung finden. Aber freilich - wenn sich ein Traum erfüllen soll, muß man wissen, daß dazu harte, unermüdliche Arbeit nötig ist. Ohne zielstrebig und ausdauernd zu arbeiten, kann man nicht zur Wissenschaft gelangen. Und als Wissenschaftler einen eigenen Schritt nach
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vorn zu tun - das vermag man nur, wenn man sich mit Leib und Seele der Sache verschrieben hat. Gewöhnlich beweist die Jugend in ihren Träumen große Kühnheit. Daher fällt es einem Jugendlichen auch gar nicht so leicht, stets auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Doch wenn ein Traum Früchte tragen soll, so muß er kräftige Wurzeln haben. Noch gefährlicher als eine hemmungslose Träumerei allerdings ist die Kälte des Gleichmuts. Die Zukunft überhaupt nicht zu sehen, vor ihren großen, hohen Aufgaben das Herz zu verschließen, sich kein eigenes Ziel zu setzen — das ist schlimmer als alle ungezügelte Schwärmerei. Die Jugend muß lernen, zu träumen und ihre Träume zu verwirklichen …“ Alexander Nikolajewitsch unterbrach sich für einige Sekunden. Die Stenotypistin hörte auf zu schreiben. Wir saßen mit verhaltenem Atem. Am Anfang des Gespräches hatten wir das Akademiemitglied gebeten, uns auch etwas über die Entwicklungsaussichten der organischen Chemie zu sagen. Dieser Wissenschaft, richtiger gesagt, einem ihrer Zweige, hat Alexander Nikolajewitsch sein Leben gewidmet: der metallorganischen Chemie. Die Arbeiten, die er auf diesem Gebiet publizierte, wurden in vielen Sprachen übersetzt. Die Gelehrten der ganzen Welt kennen die „Nesmejanowsche Diazomethode44, die zur Erzielung einer sehr wichtigen Synthesereaktion bei metallorganischen Verbindungen verwendet wird. Wird Alexander Nikolajewitsch denn wirklich mit keinem Wort verraten, wie er sich die Zukunft derjenigen Wissenschaft denkt, die doch die imponierendste und zauberhafteste von allen ist: der Chemie? „Ich komme jetzt auf Ihre zweite Frage“, sagte Alexander Nikolajewitsch, als hätte er unsere Gedanken erraten, „also - zur Zukunft meiner eigentlichen Wissenschaft, der organischen Chemie. Es ist dies eine Wissenschaft, die sich in einer stürmischen Entwicklung befindet, die bereits gewaltige Erfolge
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aufzuweisen hat und dabei doch noch ungleich mehr in den kommenden Jahren zu leisten verspricht. Auf ihrer ersten Etappe begnügte sich die damals noch junge organische Chemie, die aus einer Verschmelzung der ,Pfianzenchemie4 und der ,Tierchemie4 entstanden war, damit, die Stoffe der belebten Natur lediglich zu studieren. Jedoch bereits im zweiten Drittel des vergangenen Jahrhunderts begab sie sich auf den Pfad eines eigenständigen Schöpfertums. Ihren ersten Sieg hatte sie erfochten, als es ihr gelungen war, solche Stoffe herzustellen, die wir in lebenden Organismen finden. Allerdings benutzte sie dabei nicht die gleichen Wege wie die belebte Natur. Vielmehr wandte sie ihr eigenes Verfahren an, und somit hatte die organische Chemie ihre besondere Grundmethode gefunden: die Synthese. Auf diesem Wege, mittels der Synthese, gelang es den Chemikern, auch solche organischen Stoffe zu erzeugen, die es in der Natur gar nicht gibt, beispielsweise die synthetischen Faserstoffe oder das Nitroglyzerin und das Trinitrotoluol, und vor allem für die Sprengstoffe bietet die Technik eine Fülle von Verwendungsmöglichkeiten. Die Zoologen kennen kein einziges Tier, das ein Fell aus Perlon oder Wolcrylon besäße; und die Botaniker haben noch nie eine Pflanze gesehen, in deren Knollen oder Samen sich Trinitrotoluol nachweisen ließe. Nein, die Moleküle dieser Stoffe sind von Menschenhand geschaffen, und wie viele andere Fasern, Farbstoffe, Arzneimittel, Brennstoffe usw., die in der Natur nicht Vorkommen, sind sie von größerer Wirksamkeit und besserer Qualität als die Gaben der Natur. Dies war der zweite große Siegeszug der organischen Chemie. Die revolutionierende Bedeutung, die diese Siege für die Technik hatten, läßt sich leicht an Hand eines Beispiels aus der Geschichte der Farbstoffindustrie illustrieren. Puschkin und Gogol trugen noch Kleider, die ausschließlich mit Hilfe von tierischen oder pflanzlichen Mitteln gefärbt waren. In dieser Hinsicht gab es also keinen Unterschied zu der Garderobe der alten Ägypter und Römer. Und wie ist das heute? An unserer Kleidung gibt es nicht mehr einen einzigen Faden, der mit
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natürlichen Mitteln gefärbt worden wäre. Für unsere gesamte Garderobe werden ausnahmslos künstliche Farbstoffe verwendet. In Mitteleuropa wurden früher riesige Ackerflächen mit Färberröte bebaut. Aus dem Wurzelstock dieser Pflanze gewann man das Alizarin, das zum Färben von Textilgeweben verwendet wurde. Aber die aus der Pflanze gewonnenen Krappfarbstoffe haben ihre Bedeutung jetzt fast völlig verloren. Sie räumten anderen, vollkommeneren Farbstoffen das Feld, die mit dem, was die Natur zu bieten hat, schon nichts mehr zu tun haben. Das gleiche gilt für den Anbau von Waid und der übrigen Indigopflanzen, die einstmals den Rohstoff für das Indigoblau lieferten. Sie sind so gut wie völlig verschwunden. Und wir dürfen mit Recht behaupten, daß den Agrikulturen der kautschukhaltigen Pflanzen ein ähnliches Schicksal bevorsteht. Schon gibt es verschiedene Sorten von Kunstkautschuk. Einige davon gleichen dem Naturkautschuk, andere stellen in Struktur und Eigenschaften besondere Varianten dar, die dritte Gruppe aber zeigt eine völlig andersartige Zusammensetzung als das aus dem Milchsaft gewonnene Naturprodukt – und besitzt dafür wertvolle neue Eigenschaften, die dieses nicht hat.
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1 Menschenhaar 50 kg/mm², 2 Kupferdraht 38 kg /mm², 3 Stahldraht 110 kg/mm², 4 Wolle 20 kg/mm², 5 Azetatseide von großer Haltbarkeit 125 kg/mm², 6 Viskoseseide 60 kg/mm², 1 Naturseide 30 kg/mm², 8 Glasseide 300 kg/mm² Die technische Revolution, die gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Farbstoffindustrie erfaßte, als im Verlaufe von nur zwei Jahrzehnten die natürlichen Farbstoffe von den Kunstfarbstoffen verdrängt wurden, blieb den meisten Menschen verborgen. Und ähnlich ist es auch heute. Nur
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wenigen Menschen wird die noch großartigere Veränderung bewußt, die wir gegenwärtig erleben und in deren Verlauf eine große Menge der natürlichen Materialien unserer Gebrauchsgüterproduktion durch künstliche Werkstoffe ersetzt wird. Mancherlei, wovon die Menschen in vergangenen Jahrhunderten und Jahrzehnten nur zu träumen wagten, nimmt schon eine konkrete Gestalt an, wechselt aus der Welt der Phantasie hinüber in die Realität unseres Zeitalters. Fast unbemerkt drang die Kunstfaser in unseren Alltag ein, und wer ein kunstseidenes Hemd auf dem Körper trägt, wird kaum an den wunderbaren Umwandlungsprozeß denken, der aus einem Scheit Fichtenholz das feine Gewebe dieses Hemdes entstehen ließ. Noch interessanter sind die rein synthetischen Fasern. Sie werden aus solchem Material hergestellt, das keinerlei Beziehung zur belebten Natur hat. Perlon, Nylon, Polyvinylchlorid sowie viele andere Fasern und Stoffe, die schöner, haltbarer und hygienischer sind als ein entsprechendes natürliches Material, finden bei der Herstellung von Kleidungsstücken und Schuhwerk eine vielfältige und umfangreiche Verwendung. Kürzlich hörten wir sogar, daß es in der UdSSR gelungen ist, aus einer neuen Faser künstliche Persianerfelle herzustellen. Den natürlichen Pelzen wird von ihren künstlichen Nachfolgern rasch der Platz streitig gemacht. In ganz ähnlicher Weise verdrängen die Kunstledersorten das Naturleder.
Ich hege nicht den leisesten Zweifel daran, daß es den natürlichen Fasern, Ledersorten und Pelzen letzten Endes genauso ergehen wird wie den natürlichen Farbstoffen, daß sie
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ganz zwangsläufig, endgültig und unwiderruflich vor den Materialien der Kunststoffindustrie kapitulieren werden. Bereits jetzt sind die Chemiker imstande, Fasern und Gewebe herzustellen, deren Eigenschaften sich im voraus bestimmen lassen und die eine ungleich höhere Qualitätsstufe erlangen als ihre natürlichen Vorgänger. Es steht deshalb unbestreitbar fest, daß die Menschen des 21. Jahrhunderts sich ausschließlich in Kunstfaserstoffe kleiden werden, daß sie nur noch Schuhwerk aus Kunstleder und Pelze aus synthetischen Fellen tragen werden, daß sie, kurz gesagt, von Dingen umgeben sein werden, die aus Kunststoffen hergestellt sind. Solche Stoffe, die der Natur gänzlich unbekannt sind, werden von uns schon heute in breitem Umfange verarbeitet. Ihr Füllfederhalter und Ihr Kamm, Ihr Radioapparat und die elektrischen Lichtschalter bei Ihnen zu Hause bestehen alle aus Kunststoff. Indes - selbst die tollkühnsten Weltenbummler wußten niemals von Felsen, Baumstämmen oder Ziegenhörnern zu berichten, die aus Kunststoff bestanden hätten. Dieses Material hat der Mensch eben nicht der Natur nachgestaltet. Dafür entspricht es in um so stärkerem Maße seinem Verwendungszweck, verfügt es über um so nützlichere Eigenschaften als die Stoffe der Natur, und daher drängt es die natürlichen Stoffe an der ganzen Front zurück. In der Geschichte der materiellen Kultur der Menschheit haben die einzelnen Epochen ihren Namen nach dem wichtigsten Produktionsmaterial der betreffenden historischen Entwicklungsstufe erhalten. So gab es eine Zeit, wo das einzige Werkzeug des Menschen der Stein war, den er von der Erde aufgelesen und mit Hilfe eines zweiten Steines behauen hatte. Diese Epoche erstreckte sich über Jahrtausende. Sie ging als »Steinzeit* in die Geschichte der Menschheit ein. Später wurde sie von der Bronzezeit abgelöst. Dann folgte die Eisenzeit. Wenn ich mich an die übliche historische Periodisierung halte, so kann ich mit gutem Recht und aus voller Überzeugung sagen, daß wir gegenwärtig in das
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Zeitalter der Kunststoffe, in das Zeitalter der Plaste eingetreten sind. Denn schon sind diese dabei, das Metall aus dem Felde zu schlagen. Bald werden sie die gesamte Produktion beherrschen, weil sie haltbarer sind als die Metalle. Es gibt bereits künstliche Werkstoffe, die genauso säure- und laugenfest sind wie Platin. Auch in der Bildhauerkunst finden Plaste Verwendung; sie werden gewiß den Marmor verdrängen. Die neuen Wagen der Trolleybuslinien, wie sie der Moskauer auf den Straßen seiner Stadt tagtäglich zu Gesicht bekommt, haben keine Scheiben aus Silikatglas mehr. Das Silikatglas, das die alten Phönizier erfanden, wurde hier durch organisches Glas ersetzt. Dieses ist weitaus leichter und lichtdurchlässiger. Vor allem bildet es auch für die ultravioletten Strahlen kein Hindernis. Irgendwann einmal wird sogar das polierte Holz, das wir heute noch verwenden, durch elastischere und schönere Kunststoffe verdrängt werden. Gibt es nicht bereits Automobile mit einer Innenausstattung aus künstlichem Werkstoff, der eine vorzügliche Holzimitation darstellt? Wenn wir da den Blick ins 21. Jahrhundert lenken, so wird es uns schwerfallen, überhaupt noch ein Erzeugnis zu finden, das nicht aus Plasten, sondern aus den unveränderten Stoffen der Natur besteht. Alles, worüber ich jetzt geplaudert habe, ist nichts anderes als eine Kette von gewonnenen Schlachten der organischen Chemie. Um diese Siege zu erringen, hat sich der Mensch solcher Methoden bedient, die den Organismen der belebten Natur gänzlich unbekannt sind. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die organische Chemie von Anfang an der Natur den Rücken kehrte. Selbst da, wo sie solche Stoffe erzeugte, die auch in der Natur anzutreffen sind, ging sie ihre eigenen Wege. Sie dachte gar nicht daran, die Methoden der Natur zu übernehmen. Und doch schafft die Natur ihre Stoffe mit bestrickender Schnelligkeit und Einfachheit. Denken wir nur an unseren Verdauungskanal ! Denken wir daran, wie dieser lebenswichtige Apparat die vom Körper aufgenommenen Lebensmittel in eine lösliche Form umsetzt
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und die ausgesonderten und verwertbar gemachten Nährstoffe in die Körperzellen überführt. Die kompliziertesten Gewebe werden auf diese Weise aufgebaut: die Muskeln, die Knochen, das Gehirn. Den Kunstkautschuk gewinnen wir durch ein Verfahren, das mit dem Laboratoriumsbetrieb der tropischen Gewächse, beispielsweise des Para-Kautschukbaumes, nichts mehr zu tun hat. Die Arbeitsgänge der betriebsmäßigen Herstellung von synthetischem Kautschuk erfordern häufig eine ziemlich hohe Temperatur. In den lebenden Pflanzenzellen sind es die Enzyme (Fermente), die auf jeder einzelnen Etappe des Umsetzungsprozesses die entsprechenden Vorgänge auslösen. Diese außerordentlich feinen Wirkstoffe beschleunigen und regulieren durch chemische Umsetzung die einzelnen Stufen des pflanzlichen Entwicklungsprozesses. Wenn wir erst hinter dieses Geheimnis der Natur gekommen sind, wenn wir erst wissen, unter welchen Bedingungen der komplizierte Mechanismus der chemischen Umsetzung funktioniert, so werden wir den dritten Sieg der organischen Chemie errungen haben. Und die organische Chemie wird dann die Tendenz haben, mit der Biochemie zu verschmelzen. Meiner Überzeugung nach wird die Chemie diesen Sieg noch in unserem Jahrhundert feiern können. Am Anfang dieser neuen Etappe der organischen Chemie, der enzymatischen Chemie, werden wir die Geheimnisse kennenlernen, mit deren Hilfe die belebte Natur ihre Stoffe erzeugt. Dann aber wird eine Zeit anbrechen - freilich sind wir heute noch sehr weit davon entfernt -, wo wir in die Lage versetzt werden, mit den Methoden der belebten Natur solche Stoffe herzustellen, die es in der Natur überhaupt nicht gibt. So erkennen wir also in der Geschichte der synthetischen organischen Chemie deutlich drei Hauptetappen. Auf der ersten Etappe werden Stoffe der Natur- und Pflanzenwelt mit Hilfe von naturfremden Methoden nachgeschaffen. Auf der zweiten Etappe wird unter Anwendung ganz ähnlicher synthetischer Methoden eine unendliche Vielzahl von Stoffen hergestellt, die in der Natur gar nicht vorhanden sind. Auf der
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dritten Etappe - in die wir bereits eingetreten sind -wird es möglich werden, daß sich der Mensch der Methode der belebten Natur bedient und auf enzymatischem Wege die Stoffe der Organismen nachbildet. Die vierte Etappe, die noch ganz der Zukunft angehört, wird dann erreicht sein, wenn wir gleichfalls auf enzymatischem Wege - völlig neuartige Stoffe herstellen können: Stoffe, wie sie in der Natur nicht Vorkommen. Das setzt freilich voraus, daß wir in der Lage sind, zu diesem Zwecke andere, der Natur unbekannte Fermente zu erzeugen. Noch ist schwer zu sagen, welche praktischen Ergebnisse die organische Chemie erbringen wird, wenn sie sich erst auf derartige, heute natürlich noch unbekannte Methoden stützen kann. Möglicherweise wird das Resultat großartiger sein als alles bisher Dagewesene. Vielleicht auch wird sich einmal aus den enthüllten Geheimnissen der Chlorophyllkörner und der zellularen Stoffumsetzung im lebenden Organismus die Technologie einer Industrie von künstlichen Nahrungsmitteln erschließen lassen. Sehr wahrscheinlich werden solche Werke dann imstande sein, Lebensmittel zu produzieren, die die heute bekannten Naturerzeugnisse qualitativ übertreffen, weil sie zweckentsprechender zusammengesetzt sind und deshalb vom Körper leichter aufgenommen werden können. Dann wird der Mensch auch eine Methode finden, die Sonnenenergie viel besser auszuschöpfen, als das zur Zeit durch die Aufnahme von Pflanzenkost möglich ist.“
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Vom Wichtigsten in der Grundstoffindustrie
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Die Zukunft der Metallurgie liegt in der Umwandlung der Elemente Jede Wissenschaft, mag sie noch so abstrakt und theoretisch sein, erwächst aus den Erfordernissen der Praxis. Die Astronomie entstand, weil die Menschen einen genauen Kalender brauchten, nach dem sie sich richten konnten, weil der Seereisende ein zuverlässiges Orientierungsmittel haben mußte. Die Geometrie entstand, um es den Ackerbauern zu ermöglichen, die Bodenparzellen auszumessen. Die Lehre von den Metallen aber gehört seit jeher zu jenen Wissenschaften, die ihre direkte Verbindung mit der Praxis nie verloren haben, die immer in der Praxis angewandte Wissenschaft waren. Wir unterhielten uns mit dem Akademiemitglied Iwan Pawlowitsch Bardin. Er hat bereits die Siebzig überschritten. Als wir bei ihm eintraten, war der Arbeitstag fast zur Neige gegangen. Man sah es ihm an, daß er schon stark ermüdet war. Aber sein Gesicht verjüngte sich, und in seinen Augen flammte es jedesmal auf, wenn er sagte: „Die Wissenschaft vom Metall.“ Er wurde in sehr armseligen Verhältnissen geboren. Seine Eltern hätten es sich nicht träumen lassen, daß ihr Sohn einmal ein gebildeter Mensch sein würde. Auf den Pfad der Wissenschaft hatten ihn erstmalig die Schwester seiner Mutter und deren Mann, sein Schwager, gestoßen. Sie war Lehrerin und er Student. Die weitere Biographie Bardins ist die Geschichte eines begabten jungen Mannes, der sich seinen Weg ins Leben bahnt, völlig auf sich selbst gestellt, ohne verwandtschaftliche Fürsprache, ohne Beziehungen, ohne materiellen Besitz. 29
Als er die Ausbildung im Institut abgeschlossen hatte, konnte er in Rußland keine Arbeit finden. Er emigrierte nach Amerika. Dort erhielt er, mit dem Ingenieurdiplom in der Tasche, eine Beschäftigung als Arbeiter in einem Industriebetrieb. Nach seiner Rückkehr hatte er das Glück - so erzählte er uns -, an der Seite des berühmten Metallurgen M. I. Kurako arbeiten zu dürfen. In den Flammen der Revolution schied sich sein Leben - wiederum nach den eigenen Worten Iwan Pawlowitschs - in zwei Teile. Da war der Bau des ersten Kindes der sowjetischen Industrie, des gigantischen Kusnezker Kombinates, und daneben stand eine gewaltige organisatorische und wissenschaftliche Arbeit zur Erweiterung und Vervollkommnung des Hüttenwesens im ganzen Lande. Man kann verstehen, weshalb dieser Mann, für den die Errichtung des Kusnezker Kombinates das glücklichste Ereignis seines Lebens bedeutet, jedesmal in Erregung gerät, wenn er die einfachen Worte ausspricht: „Die Wissenschaft vom Metall.“ „Diese Wissenschaft“, meint Iwan Pawlowitsch, „wurde vor vielen tausend Jahren geboren - schon damals, als der Mensch die gelegentlichen Funde von Metallklumpen für seine Zwecke verwandte. Dann lernte er, das Metall aus Erzen zu gewinnen. Und auch heute ist die Suche nach neuen Wegen auf diesem Gebiete noch nicht beendet. Auch heute noch besteht eine der wichtigsten Aufgaben der Metallurgie darin, neue Methoden der Metallgewinnung und Metallverarbeitung zu finden. Wie Sie sehen, wurden die Möglichkeiten dieser Wissenschaft in den vielen Jahrtausenden ihres Bestehens keineswegs schon restlos ausgeschöpft. Eisen ist dasjenige Metall, das in der modernen Technik am stärksten verwendet wird. Aber könnten wir denn behaupten, daß die Technologie der Eisengewinnung zur Zeit bereits ihren höchstmöglichen Entwicklungsgrad erreicht hätte?
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1 Hochofen, 2 Siemens-Martin-Ofen, 3 Blockwalzwerk (Blooming), 4 WalzenstraßeDas Metall wird erhitzt, abgekühlt, erneut erhitzt und abgekühlt…
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Ein komplizierter und kostspieliger technologischer Prozeß! Das übliche Schema dieses technologischen Prozesses sieht folgendermaßen aus: Nach der Aufbereitung schüttet man das Eisenerz in den Hochofen, wo es mit Koks vermischt und erhitzt wird. Das Eisen trennt sich von der Schlacke und nimmt Kohlenstoff auf. Aus dem Hochofen wird das Roheisen abgestochen, das dann noch einmal umgeschmolzen und in Spezialöfen gefrischt wird ; der Kohlenstofigehalt verringert sich dabei, und das fertige Produkt, der Stahl, wird in Blöcke gegossen. Doch bevor man diese Blöcke den schweren Walzen eines Blooming-Blockwalzwerks, eines Slabbing oder irgendeiner anderen Walzenstraße anvertrauen kann, muß das Metall noch mehrmals erhitzt werden. Ist es denn nicht möglich, aus diesem technologischen Prozeß die vielen kraft- und zeitraubenden - und so kostspieligen ! - Zwischenphasen auszuschalten und aus dem Erz auf direktem Wege reines Eisen oder einen Stahl in der gewünschten Qualität zu gewinnen, ja, mehr noch, vielleicht gleich als fertig geformtes Profil - als Schiene, Knüppel oder T-Träger? Weshalb vereinfachen wir den heute noch häufig unterbrochenen Prozeß der Aufbereitung des Erzes, der Erschmelzung des Roheisens, der Umwandlung zu Stahl nicht so, daß all diese Etappen in einem einzigen Arbeitsgang zusammengefaßt werden? Meiner Ansicht nach müßte dies auf jeden Fall möglich sein, und die Metallurgie der Zukunft wird sich von der heute üblichen Technologie sicher trennen. Unser moderner Hochofen, der Siemens-Martin-Ofen und die Bessemerbirne, unsere Blooming- und Slabbingwalzenstraßen, das gesamte Zubehör der heutigen Technik wird von der Technik der Zukunft beiseite geschoben werden. Allerdings ist nicht anzunehmen, daß wir etwa schon in den nächsten zehn Jahren beginnen werden, unsere Hochöfen abzureißen, um an ihrer Stelle irgendwelche neuartigen Anlagen für die Eisengewinnung zu errichten. Nein, der Hochofenprozeß ist noch nicht überholt, aber die Menschen
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werden ihn weiter vervollkommnen. Deshalb bauen wir heute noch Hochöfen, und wir werden auch morgen welche bauen. Der Hochofen ist ein kompliziertes Aggregat mit vielen automatisch funktionierenden Teilen, so daß er von nur wenigen Arbeitern bedient werden kann. Die Hochöfen von morgen jedoch werden vollständig automatisiert sein. Eine Elektronenmaschine wird den Arbeitsgang lenken. Diese Maschine wird für alle möglichen Fälle, wo der Prozeß von seinem vorgesehenen Verlauf abweichen sollte, ihre ,Instruktionen* haben und die entsprechenden ,Maßnahmen* ergreifen. In der nächsten Zeit schon wird der Prozeß der Metallgewinnung kontinuierlich verlaufen können. Aus dem Hochofen wird pausenlos Roheisen herausfließen. Dabei liefert auch unser heutiger Hochofen 2000 Tonnen innerhalb vierundzwanzig Stunden, das heißt also mehr als eine Tonne pro Minute. Später wird das so sein: In den glühenden Strom des frisch erschmolzenen Roheisens wird Sauerstoff eingeblasen. Uber der Wanne, wo dieser Prozeß abläuft, lodert eine starke Flamme. Dadurch wird das Eisen von dem überflüssigen Kohlenstoff befreit, desgleichen werden Schwefel, Phosphor und die übrigen Eisenbegleiter reduziert, denn auch sie würden die Qualität des Metalls herabsetzen. Was dann in die Kokillen der pausenlos arbeitenden Gießmaschine einströmt, ist also kein Roheisen mehr, sondern bereits fertiger Stahl. Aus den Kokillen wandern die gegossenen Stahlblöcke direkt in das Walzwerk, um hier zwischen den Walzenpaaren in die gewünschten Profile gebracht zu werden. Einen solchen fortlaufenden technologischen Prozeß wird man natürlich leichter automatisieren können, als das bei der heute noch üblichen Isolierung der einzelnen Arbeitsgänge möglich ist. Wahrscheinlich wird auch einmal die gesamte Konstruktion des Hochofens grundlegend verändert werden - allerdings noch nicht in der nächsten Zeit, sondern erst in fernerer Zukunft. Jedenfalls sieht die Perspektive folgendermaßen aus: Der Teil, der zur Metallgewinnung dient, besteht aus einem
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horizontal angelegten Aggregat. Dieses Aggregat hat die Gestalt eines großen rotierenden Rohres. Von der einen Seite wird das Gerät mit dem sorgfältig gereinigten und zu
Wieviel einfacher ist doch eine Technologie der direkten Metallgewinnung aus dem Erz! 1 Mühle zum Zerkleinern des Erzes, 2 Separatoren befreien die Erzmineralien von den Gangarten, 3 Ofen zur direkten Eisengewinnung, 4 Wasserstoff, 5 Legierungszusätze, 6 Elektroofen, 7 Kristallisator Pulver zermahlenen Erz beschickt - das ist reines Metalloxyd ohne alle Beimischungen -, und von der anderen Seite wird ein Gas zugeführt, beispielsweise Wasserstoff. Als Ergebnis dieses technologischen Prozesses erhält man ein feines, pulverförmiges Metall, das unter Beisetzung der geeigneten Legierungselemente umgeschmolzen oder auch sofort gepreßt werden kann. Die Lebensdauer der Tiere ist unterschiedlich. Man sagt, eine Schildkröte werde 300 Jahre alt, während ein Pferd nur selten die Dreißig erreicht. Wie wir wissen, haben auch die Metalle ihre bestimmte ,Lebensdauer4. Natürlich hängt diese
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weitgehend von den jeweiligen ,Lebensbedingungen4 ab. Ein Küchenmesser hat alle Aussicht, die Metallteile eines Flugzeugmotors zu überdauern. Die Belastung, der ein solches Küchenmesser unterworfen ist, macht ihm in der Regel nur wenig zu schaffen ; die inneren Strukturveränderungen vollziehen sich samt und sonders mit äußerster Geruhsamkeit. Wie die behäbige Schildkröte hat auch das Messer alle Aussicht, dreihundert Jahre alt zu werden. Ganz anders verhält sich die Sache bei unserem Flugzeugmotor. Seine ,Lebensbestimmung4 bringt es mit sich, daß er sich noch stärker verausgabt als das schnellste Pferd. In den Zylindern, seinen Herzkammern, knattern heftige Explosionen: mehrere hundert in der Minute, manchmal auch tausend, die die Wände ununterbrochen erschüttern. Der ganze Motor zittert und bebt. Wenn bei einer so hohen Beanspruchung die Lebensdauer unserer Motoren und Maschinen heutzutage 35 Jahre beträgt, so ist dies ein großartiges Verdienst der modernen Metallurgie. Schön. Aber wird sich die Lebensdauer des Metalls noch verlängern lassen? Selbstverständlich. Die Lebensdauer des Metalls wird in Zukunft ungleich höher liegen als gegenwärtig. Denken wir doch einmal an die Damaszenerklingen, die schon seit jeher einige Jahrhunderte überdauern. Der Stahl ist hier mit einer dünnen Schutzschicht überzogen, mit einem feinen Oxyd. Freilich wurde dieses Metall nicht im Hochofen gewonnen, wo sich die Massenerzeugung des Metalls unter einem sehr hohen Gasdruck und unter anderen ungünstigen Bedingungen abspielt. Doch müssen wir erreichen, daß auch unser als ,Massen ware4 produziertes Metall qualitativ dem kostbaren Damaszenerstahl der alten Meister in keiner Weise nachsteht. Allerdings sind unsere nichtrostenden legierten Stähle von heute sogar beständiger als der Damaszenerstahl der Meister von damals. Doch bedeutet dies, daß die Aufgabe technologisch auf andere Weise gelöst wurde. Der Damaszenerstahl enthält weder Chromzugaben noch Nickel
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noch irgendeines der übrigen Metalle, die bei unseren nichtrostenden Stählen fast 25 Prozent der Legierung ausmachen. Eisen stellt das Hauptmetall der gegenwärtigen Technik dar. Aber wird denn nicht auch eine Zeit kommen, da das Eisen das Feld räumen und den ersten Platz anderen Metallen abtreten muß? 1 Im allgemeinen nimmt man an, daß das Eisen durch Kupfer verdrängt werden könnte - dem Metall der Elektrotechnik -, von dem biegsamen Aluminium oder von einem recht jugendlichen Helden, dem Titan, das doch allem Anschein nach sehr erfolgreich mit dem Stahl wetteifert. Infolgedessen glaubt man - ich spreche hier wohlbemerkt nur vom Standpunkt des Metallurgen aus -, daß das kommende Zeitalter ein Kupferzeitalter sein werde, denn die Elektrizität befindet sich gewaltig auf dem Vormarsch und dringt in immer neue Gebiete der menschlichen Kultur vor oder ein Aluminiumzeitalter, denn Aluminium ist bereits heute ein stark verbreitetes Metall, ein ,Hans Dampf in allen Gassen*, von sehr praktischer Natur, leicht, in der elektrischen Leitfähigkeit dem Kupfer verwandt, in Legierungen sehr beständig, ähnlich wie Stahl: das Metall der Aeronautik. Oder aber wir gehen einem Titanzeitalter entgegen… Ich persönlich glaube jedoch nicht, daß das Eisen im Verlaufe der nächsten hundert Jahre seine jetzige Stellung auf geben wird. Freilich wächst die Bedeutung einiger Buntmetalle in geradezu rasantem Tempo, und sie werden in immer stärkerem Maße gewonnen. Gleichzeitig ist aber auch die Menge des produzierten Eisens ständig im Wachsen begriffen. Wenn im Jahre 1880 die Erzeugung von Eisen 95,65 Prozent der metallischen Gesamtproduktion ausmachte, so betrug sein Anteil fast sechzig Jahre später - 1939 -, als die Entwicklung der Elektrotechnik und das Flugwesen schon einen ganz beachtlichen Stand erreicht hatten, 94,06 Prozent. Anderthalb Prozent in einem halben Jahrhundert: das ist alles, was das Eisen bis zur Gegenwart einbüßte. Und es läßt sich schon Voraussagen, daß diese Einbuße im Verlaufe der kommenden fünfzig Jahre kaum größer sein wird.
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1 Das Problem der künftigen Ausbreitung der Kunststoffe, das Akademiemitglied Nesmejanow behandelte, bleibt hier außer Betracht.
Freilich werden auch Aluminium und Mangan und Kupfer und Titan und Zirkonium einen bedeutenden Platz einnehmen. Insbesondere Titan und Zirkonium. Im allgemeinen herrscht die Meinung vor, daß es sich bei dem einen wie bei dem anderen um seltene Metalle handele. Doch ist dies ein Irrtum, wenigstens was das Titan angeht. Dieses Metall macht gewichtsmäßig 0,6 Prozent der Erdrinde aus, es gehört also zu den Elementen mit stärkerem Verbreitungsgrad. Es weist eine hohe Beständigkeit auf (es ist doppelt so beständig wie Eisen), und das bei einem verhältnismäßig geringen spezifischen Gewicht (es ist wesentlich leichter als Eisen). Und noch eine wertvolle Eigenschaft besitzt das Titan. Es zeichnet sich durch eine hohe Korrosionsfestigkeit aus. Man muß bedenken, daß die Korrosion, diese furchtbarste Geißel des Metalls, etwa ein Viertel der gesamten Weltproduktion des Eisens verschlingt. Und dem Titan kann die Korrosion praktisch nichts anhaben. In dieser Beziehung steht es nicht einmal hinter Platin zurück. Den Säuren widersteht es mit der gleichen Beständigkeit wie den Salzen oder Laugen. Auch nachdem es viele Jahre in Seewasser zugebracht hat, bedeckt es sich nicht mit der geringsten Oxydschicht. Gegen
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Königswasser, diese konzentrierte Mischung von Salpetersäure und Salzsäure, sind auch die Edelmetalle Gold und Platin machtlos - beim Titan aber verfehlt selbst Königswasser jede Wirkung. Was seine chemische Stabilität betrifft, so ist es ,edler* als die so gepriesenen Edelmetalle. Titan ist sehr wärmebeständig. Es schmilzt bei 1725 Grad. Die erforderliche Schmelztemperatur liegt also um rund 200 Grad höher als bei Stahl. Diese Eigenschaften machen das Titan zu einem sehr ernstzunehmenden Rivalen des Eisens. Und in der Tat zeigt die Produktion dieses Metalls, die in der Welt erstmalig 1946 auf genommen wurde, ein ans Phantastische grenzendes rapides Anwachsen. Betrug die Gesamtproduktion an Titan im Jahre 1948 10 Tonnen, so stieg sie 1954 auf 7200 Tonnen und näherte sich 1955 bereits 20 000 Tonnen. Das muß dem Eisen doch ein wenig zu denken geben! Wir sagten schon, daß Stahl eine Lebensdauer von 35 Jahren hat. Die Titan- und Zirkoniumerzeugnisse dagegen werden ein ungleich höheres Alter erreichen. Praktisch sind sie überhaupt unverwüstlich, dabei aber wesentlich leichter als die entsprechenden Erzeugnisse aus Eisen. Das Schicksal des Titans erinnert an das Schicksal des Aluminiums, das wir erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit verwenden. Reines Titanoxyd, das heißt, ein weißes kristallenes Pulver, wurde erstmalig im Jahre 1790 gewonnen. Es dauerte aber noch weitere hundertzwanzig Jahre, bis wir die ersten paar Gramm metallisches Titan erhielten, das silbrig glänzte und dem Stahl ähnlich war. Noch ist nur wenig mehr als ein Jahrzehnt vergangen, seitdem die erste industrielle Titanerzeugung in Gang gesetzt wurde, und schon wird es als das Metall der Zukunft bezeichnet. Man sagt ihm eine umfangreiche Verwendung im Flugwesen voraus, und man prophezeit uns, daß es beim Bau von Gasturbinen, von kosmischen Raketen und zahlreichen anderen Neuerungen der Technik noch eine große Rolle spielen wird.
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Ich möchte noch eine andere Frage berühren. Gibt es ein neues Verfahren zur Erhöhung der mechanischen Eigenschaften des Stahls? Die klassischen Methoden bestehen in der Wärmebehandlung (Härten, Glühen, Anlassen), im Oberflächenhärten durch Zementieren oder Nitrieren oder in der Anwendung irgendeines mechanischen Umformungsverfahrens, beispielsweise des Ziehens. Wie die Praxis zeigt, wird hierzu in absehbarer Zeit noch ein weiteres Verfahren treten, das einen grundsätzlich neuen Weg beschreitet: die Bestrahlung durch Neutronen. Hierbei erwirbt der Stahl ganz erstaunliche Eigenschaften, wie man sie sich kaum erträumen würde. Zunächst jedoch besteht die Aufgabe darin, die geeignete Bestrahlungsdosis und -methode zu finden sowie die erforderlichen Apparate zu entwickeln. Wir leben im Atomzeitalter. Der Mensch kennt die festen und doch so labilen Verbindungen, die die Atome miteinander eingehen. Er kennt auch die ungleich wichtigeren und festeren, beständigeren Zusammenhänge, die zwischen den Elementarteilchen des Atomkerns bestehen. Die Erfolge der Atomtechnik werden auch in der Metallurgie eine praktische Verwendung finden. Ich persönlich nehme an, daß der Mensch zunächst dazu übergehen wird, legierte Stähle in der gewünschten Zusammensetzung mit Hilfe von radioaktiver Strahlung zu ,konstruieren4, ohne daß irgendein seltenes und teures Legierungsmittel später noch zugesetzt werden müßte. Vielmehr wird man diese Stähle direkt in der Gießpfanne gewinnen, und zwar aus Eisen- und Kohlenstoffatomen sowie unter Zusatz von Schwefel- und Phosphoratomen - oder der Schmelze wird auch irgendein anderes Element zugesetzt, das uns in reichlichem Maße zur Verfügung steht. Man kann sich die Sache etwa folgendermaßen denken: Die bis zum Rand gefüllte Gießpfanne mit den federnd schwappenden Stahlwellen bewegt sich vorwärts und wird an eine Maschine herangeführt. Dort verweilt sie für mehrere Sekunden. Die Maschine gleicht einem Bestrahlungsgerät, wie es in der Röntgentherapie zur Bekämpfung von bösartigen
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Geschwülsten verwendet wird. Uber der Pfanne senkt sich ein Bleitubus mit der darin befindlichen Bestrahlungsquelle herab. Unter dem Einfluß der Strahlung vollziehen sich im Innern der dickflüssigen Metallschmelze komplizierte Kernumwandlungen. Wenige Minuten später wird der Stahl in die Kokillen vergossen - doch hat sich seine Struktur in der Zwischenzeit schon verändert. Dieser Prozeß wird Tage danach noch andauern, auch wenn der Stahl bereits erstarrt ist. Dann wird sich die chemische Zusammensetzung des Metalls infolge seiner (durch die Einwirkung der Strahlen hervorgerufenen) eigenen Radioaktivität verändern. Diese Strukturveränderung der Atomkerne, diese künstliche Umwandlung der Elemente wird es sicher ermöglichen, auch die Erze der seltenen und sporadisch vorkommenden Elemente herzustellen. Vielleicht wird sogar ein ganz neuer Industriezweig entstehen: die Atommetallurgie. Damit wäre es gelungen, sämtliche chemischen Elemente aus solchen Kernen herzustellen, die in reichlicher Menge vorhanden sind. Freilich: auch wenn man das rasche Tempo des technischen Fortschritts in Rechnung setzt, wird man kaum annehmen können, daß sich die Atommetallurgie zu Beginn des 21. Jahrhunderts schon zu einem selbständigen Industriezweig entwickelt haben wird. Das wird erst in einer späteren Zeit geschehen.“
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Die Zeit der Bergwerke geht ihrem Ende entgegen Bereits im Jahre 1882 schrieb der große russische Gelehrte D. I.Mendelejew eine Bemerkung in sein Notizbuch, die eine neue Ära in der Geschichte der Förderung der Bodenschätze ankündigte. Der geniale Wissenschaftler war seiner Zeit weit voraus. Heute, noch nicht ganz acht Jahrzehnte später, sind wir gerade Zeugen der ersten Maßnahmen zur praktischen Anwendung des von Mendelejew angeregten Verfahrens. Man kann mit bester Überzeugung sagen, daß dieses Verfahren im 21. Jahrhundert zur Hauptmethode werden und alle übrigen Verfahren verdrängen wird. Bei der erwähnten Bemerkung aus dem Notizbuch von Mendelejew handelt es sich um den folgenden Satz: „Die Kohle muß unter der Erde in Brand gesetzt und in Leuchtoder Generator- oder Wassergas verwandelt und durch Rohre abgeleitet werden …“ Wir unterhalten uns mit zwei Männern. Der eine ist der Direktor des wissenschaftlichen Forschungsinstituts 1 „Podsemgas“ , Iwan Semjonowitsdi Garkuscha. Der andere ist sein wissenschaftlicher Stellvertreter Nikolai Ananjewitsch Fjodorow. Sie überreichen sich im Gespräch gleichsam die Stafette - so geschieht und unauffällig wechseln sie einander ab. Wie sich später herausstellt, ist sogar die Stenotypistin nicht in der Lage, die Sprache der beiden Wissenschaftler auseinanderzuhalten. Sich in einer so vollendeten Weise gegenseitig zu ergänzen, den Gedanken des anderen fortzuspinnen, ohne dadurch eine im geringsten peinlich wirkende Situation heraufzubeschwören - das bringen nur Menschen zustande, die durch gemeinsame Arbeit ganz fest miteinander verbunden sind. Sie sind schon
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längst gewöhnt, den anderen bei der leisesten Andeutung zu verstehen. Auf dem Tisch liegen zwei Bücher: Lenin und Mendelejew. Das eine hat Fedorow an der Stelle aufgeschlagen, wo das Lesezeichen liegt. Hieraus hat er uns das schon angeführte Zitat des großen russischen Wissenschaftlers vorgetragen. Das zweite nimmt jetzt Garkuscha in die Hand. „Etwa dreißig Jahre später äußerte der englische Gelehrte William Ramsay den gleichen Gedanken einer unterirdischen Vergasung der Kohle. Auch Wladimir Iljitsch Lenin kannte die Arbeiten Ramsays. Am 21. April 1913 erschien in der ,Prawda4 sein Aufsatz ,Ein großer Sieg der Technik4. Lenin schrieb hier, daß dieser Gedanke eine gigantische technische Revolution bedeute, daß seine Verwirklichung eine gewaltige Umwälzung hervorrufen werde. Dann kamen schwere Jahre. Krieg, Revolution, Intervention. Der Wiederaufbau der am Boden liegenden Volkswirtschaft. 1924 starb Wladimir Iljitsch. Die Idee aber, die er so warm begrüßt hatte, lebte weiter. Weil er sie unterstützt hatte, konnte sie nicht zugrunde gehen. Später ereignete sich folgendes: Angehörige eines Kavallerieregiments studierten die Arbeiten von Wladimir Iljitsch, und sie waren verwundert darüber, daß die Idee einer Untertagevergasung der Kohle von den Wissenschaftlern noch nicht aufgegriffen und verwirklicht worden war. Die Zeitung ,Technik4 brachte ihren Brief, der mit den Worten schloß: „Wir fragen und fordern eine Antwort.44 Dann, im Jahre 1931, wurde damit begonnen, entsprechende Methoden zu entwickeln. Es galt, die Kohlenflöze an Ort und Stelle, direkt an ihrer Lagerstätte, in Brenngase zu verwandeln. Doch muß man gleich eines sagen: Die Flözvergasung stellt die moderne Technik vor ein schwieriges und sehr umfassendes Problem. Viele wissenschaftliche Spezialgebiete spielen hier hinein: der Bergbau, die chemische Technologie, die ^Elektrotechnik, die Mechanik, die Automatik usw. Da war es natürlich unmöglich, das ganze Problem auf einmal zu
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lösen, und man muß es als einen beachtlichen Erfolg werten, daß bei Ausbruch des Großen Vaterländischen Krieges unsere Wissenschaftler bereits so weit waren, um mit Sicherheit sagen zu können, daß die Idee Mendelejews prinzipiell ausführbar ist. Das aber bedeutete doch nichts anderes, als daß eine Zeit kommen wird, wo der Kohlenschacht überflüssig, wo die schwere körperliche Arbeit, die der Bergmann unter Tage zu leisten hat, nicht mehr erforderlich ist. In den Nachkriegsjahren wurden die wissenschaftlichen Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Untertagevergasung weitergeführt, doch ging man jetzt von einer anderen Seite an die Lösung der Aufgabe heran. Bei den Versuchen vor dem Kriege wurde die Kohle nicht sofort in Brand gesteckt. Zunächst trieben die Bergleute in das Kohlenlager eine horizontale Strecke hinein, die durch zwei vertikale Schächte mit der Erdoberfläche verbunden war. Dann erst wurde die Kohle angebrannt. Immerhin blieben dabei noch 5-10 Prozent anstrengender Untertagearbeiten übrig, was den technologischen Prozeß recht schwierig gestaltete. Nach dem Kriege suchte man einen neuen Weg. Die Kohlenflöze sollten nun durch ein schachtloses Verfahren für die Vergasung vorgerichtet werden. Das heißt also, wir hatten beschlossen, auf die Arbeit unter Tage völlig zu verzichten. Wie aber ist es möglich, in das Flöz einen horizontalen Gang zu treiben, ohne daß sich der Bergmann unter die Erdoberfläche begeben muß? Gegenwärtig kennen wir mehrere Verfahren, die hier zum Erfolg führen. Beispielsweise kann man zwei senkrechte Löcher einbohren, die sich in einem bestimmten Abstand voneinander befinden. In das eine dieser beiden Löcher wird Luft gepreßt, die natürlich das Bestreben hat, sich auszudehnen. Sie sucht sich einen Weg durch die Risse im Kohlenflöz. Ein Teil dringt auch in das benachbarte Loch. Wenn man das Flöz dann an der Sohle des Bohrlochs in Brand setzt und Sauerstoff zuführt, so wird sich der Brandherd allmählich in Richtung auf die einströmende Luft verlagern. Durch das Kohlenflöz wird also
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langsam ein Kanal gebrannt, der die Strecke ersetzen kann, die wir früher unter Anwendung der herkömmlichen Methoden des Bergbaus vortreiben mußten. Dieses Verfahren eines schachtlosen Vorrichtens des Kohlenflözes für die Untertagevergasung wurde im Moskauer Kohlenbecken erprobt und wird zur Zeit in der Tulaer Station von ,Podsemgas‘ sehr erfolgreich und ausgiebig praktiziert. Wenn das Kohlenflöz recht kompakt ist, muß man den Druck der eingepreßten Luft entsprechend verstärken. Mitunter macht es sich erforderlich, mit 20, 50, ja sogar 100 Atmosphären Druck zu arbeiten, damit sich die Luft einen Weg durch das andere Bohrloch bahnen kann. Der Nachteil dieses Verfahrens besteht darin, daß ein beträchtlicher Teil der Druckluft sich nach allen Seiten der Lagerstätte ausbreitet und verlorengeht. Doch kann man sich auf Grund des allgemeinen wirtschaftlichen Nutzens, der aus der Untertagevergasung entspringt, mit diesem Schaden aussöhnen. Eine andere Möglichkeit besteht in dem elektrischen Vortrieb verfahren. Wenn wir in die beiden Bohrlöcher die Pole einer Elektrode stecken und Starkstrom zuführen, so verwandelt sich die Kohle bei einer Temperatur von annähernd 1000 Grad in Koks. Natürlich wird dabei nicht das ganze Flöz verkokt. Wie die Praxis zeigt, bilden sich in dem Kohlenmassiv nur kleine Kokskanälchen von der Stärke eines Bleistiftes. Diese kleinen Koksadern haben eine vorzügliche Leitfähigkeit. Bei einer weiteren Zuführung von Strom entsteht eine Art unterirdischer Blitz, der einen horizontalen Kanal aufreißt. Eine weitere Frage: Sollte es nicht auch möglich sein, die Querkanäle auszubohren? Das mag phantastisch klingen, aber wir sind auf dem Schema eines Vortriebs mit Hilfe von Elektrizität Bei der elektrischen Entladung schlug ein starker Funke die erste Strecke in das Kohleflöz 1
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besten Wege, dieses vielversprechende Verfahren zu entwickeln. In unserem Institut verfügen wir bereits über Konstruktionen von Turbobohrmeißeln, die für waagerechte Bohrungen sehr gut geeignet sind. Allerdings gibt es hierbei noch eine große Schwierigkeit zu überwinden. Der Bohrer müßte nämlich sicher durch das Zentrum des Flözes gleiten und dürfte an keiner Stelle über die Grenzen der Kohleschicht hinausgetrieben werden.“ Die beiden Wissenschaftler schlagen eine Mappe auf, in der wir allerhand Zeichnungen, Skizzen und Diagramme sehen. Mit besonderer Aufmerksamkeit betrachten wir ein Blatt, auf dem eine krumme, parabelähnliche Linie dargestellt ist. Der Scheitelpunkt der Kurve berührt die waagerechte Achse einer Koordinate. „Diese Kurve markiert die mengenmäßige Verteilung von freien Elementarteilchen in der Kohleschicht. Hierbei haben wir es mit einer Folgeerscheinung der natürlichen Radioaktivität der benachbarten Gesteinsschichten zu tun. Einige Elementarteilchen dringen von dort in die Kohle ein und werden von dieser leicht aufgenommen. Je weiter wir uns von den Randschichten des Flözes entfernen, um so seltener treffen wir naturgemäß auf freie Elementarteilchen. Die wenigsten finden wir also in der Mitte der Lagerstätte. Diesen Umstand kann man sich zunutze machen. Wir brauchen eine Vorrichtung, die die mengenmäßige Verteilung der Elementarteilchen aufspüren kann, um unseren Turbomeißel zuverlässig durch das Zentrum des Flözes zu geleiten. Augenblicklich arbeiten wir gerade an der Entwicklung eines solchen Gerätes. Doch ist diese mechanische Bohrung keineswegs das beste oder gar das einzige Verfahren, das in Zukunft beim Vortreiben eines horizontalen Kanals Verwendung finden wird. Vielmehr sind auch auf diesem Gebiet revolutionierende Neuerungen zu erwarten. Große Möglichkeiten ergeben sich dabei wahrscheinlich für den Ultraschall und für den Hochfrequenzstrom.
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Doch wollen wir nun vom 21. Jahrhundert plaudern, wo der Mensch sicher nicht mehr in die Erde kriechen wird, um irgendwelche Bodenschätze zu fördern. Nur der auf neue Erfahrungen bedachte Forscher wird dann noch in die tieferen Schichten der Erde Vordringen. Denn er will ja auch im Erdinnern hinter die Geheimnisse der Natur kommen, um ihre Gesetze zu erschließen.“ Die beiden Wissenschaftler sind in Erregung geraten. Man spürt, daß sie an etwas Außergewöhnliches rühren, an etwas Verborgenes, von dem die Menschen nur selten sprechen. Und wir erinnern uns an die Worte des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, die er uns bei unserer ersten Begegnung sagte. Das war damals, als wir ihm unsere Wünsche vortrugen und ihn baten, er möchte die Wissenschaftler veranlassen, uns einen Blick in ihre Zukunftsträume zu gestatten. „Sie haben sich etwas sehr Schwieriges vorgegenommen“, hatte Alexander Nikola jewitsch Nesmejanow gesagt. „Selbstverständlich träumen auch die Wissenschaftler - wie alle Mensehen auf der Welt. Nichts Menschliches ist ihnen fremd. Doch sehen Sie, das ist es eben. Auch ein Mädchen hat seine Träume. Aber wem wird sie sich an vertrauen? Vielleicht nicht einmal der besten Freundin!“ Die eifersüchtige Keuschheit des Gelehrten! Wie oft muß solch ein bescheidener, schweigsamer und nimmermüder Arbeiter seine wissenschaftlichen Entdeckungen überprüfen ! Experiment reiht sich an Experiment, und noch erfährt die Welt kein Sterbenswörtchen ! Bis endlich, endlich alles gesichert, ein Stück fruchtbares Neuland der Wissenschaft und der Menschheit erschlossen ist … Und diese keusche Zurückhaltung deuten die Mitmenschen nicht selten als Hartherzigkeit, Verstocktheit, Gefühlskälte. Sie sprechen den Wissenschaftlern die Fähigkeit zu träumen ab. Doch wir sahen, daß hinter der äußeren Zurückhaltung und Wortkargheit stets ein Feuer der Begeisterung brennt und daß sie sich mit ihren Träumen in ungeahnte Höhen auf schwingen. Diesem Feuer ist es zu verdanken, daß die
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sowjetische Wissenschaft mit der Kühnheit des Gedankenflugs und mit der Größe ihrer Taten den ersten Platz eroberte. „Die im Stratosphärenflugzeug mit ungeheurer Geschwindigkeit dahinrasenden Reisenden des 21. Jahrhunderts werden wahrscheinlich ihren erstaunten Blick auf die gewaltigen Erdhügel richten, die wie ägyptische Pyramiden hoch in die Luft ragen und irgendwie ein Teil der Landschaft zu sein scheinen. Zum Beispiel in der Ebene des Donbaß und in den Steppen des Kusnezker Kohlenbeckens sieht man solche Hügel. Doch auch an anderen Stellen erheben sie sich in großer Zahl. ,Diese Hügel rühren von den Kohlenschächten her. Es sind Denkmäler aus jener historischen Epoche der Technik, da die Menschen noch ins Innere der Erde kriechen mußten, um dort in den niedrigen und engen Abbaustrecken die Kohle zu fördern, wobei sie die Unterstützung großer, sperriger Maschinen genossen4, erklärt ein Ingenieur, der sich zufällig in dem Flugzeug befindet, seinen Reisegefährten. ,Damit der Wind den Staub nicht fortweht, hat man die Hügel in riesige Beete verwandelt und mit Blumen bepflanzt. So schmücken sie nun die Städte und Parks. Denn jetzt sind die Reviere der ehemaligen Kohlengruben dicht besiedelte Gebiete. Eine starke Industrie hat sich hier entwickelt, denn die Bodenschätze sind noch lange nicht erschöpft.4 Unter den Passagieren des Flugzeuges gibt es natürlich auch einige Wissensdurstige, die gern hören möchten, wie in den riesenhaften Kombinaten dort unten gearbeitet wird. Der Ingenieur gibt bereitwillig Auskunft: ,Auch heute noch ist die Kohle eine der kostbarsten Gaben der Natur. Wie vor fünfzig Jahren wird sie noch immer zur Stromerzeugung verwendet, und wie damals liefert sie auch heute den Rohstoff für eine ganze Reihe chemischer Produkte. Aber vor fünfzig Jahren wurde die Kohle aus dem Erdinneren herausgeholt, wurde verladen, mit der Eisenbahn abtransportiert. In jeder TEZ1, in jeder
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größeren Eisenbahnstation und in jedem Kesselraum gab es riesige Kohlenvorräte. Und heute? Wenn wir uns heute ein Stück Steinkohle anschauen wollen, müssen wir schon eine geologische Sammlung besichtigen. Denn sowohl in der Chemie wie auch für die Energieerzeugung verwenden wir heute ja ausschließlich das in der Untertagevergasung gewonnene Gas. Besonders entwickelt wurden in der letzten Zeit die energotechnologischen Kombinate, die das Untertagegas in einer sehr ökonomischen, komplexen Weise verarbeiten. Übrigens - da fällt mir ein, daß ich einen Schmalfilm in der Aktentasche habe. Es wurde in einem dieser Kombinate aufgenommen. Wenn Sie gestatten, werde ich ihn sogleich vorführen.4 Das Licht wird ausgeschaltet, und in der komfortablen Kabine des Stratosphärenflugzeugs, das mit einer geradezu phantastischen Geschwindigkeit durch die dünnen Schichten eilt, beginnt eine improvisierte Kinovorstellung. Schauen wir uns gemeinsam mit den Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts einmal an, was es da zu sehen gibt. 1 „Teploelektrozentral“, das ist ein Kraftwerk, das Elektroenergie, Dampf und Warmwasser liefert. (Anm. d. Ubers.) Auf einem Weg, der zwischen zwei großen Getreidefeldern hindurchführt, bewegen sich ein paar Maschinen. Sie fahren hintereinander, in einer Reihe. An den Seiten funkeln die glattpolierten Ketten. Die Maschinen wirken wuchtig und schwer, und sie werden wunderbarerweise nicht von Menschenhand gesteuert. Trotzdem halten sie an, als sie einen Punkt erreichen, der offenbar vorher bestimmt war. Und nun werden wir Zeuge einiger interessanter Vorgänge. Zwei Maschinen, die sich auf den ersten Blick völlig gleichen, sind in einem Abstand von etwa hundert Metern stehengeblieben. Jetzt entdecken wir darauf die leichten, durchsichtigen Maste, die in diesem Augenblick aufgerichtet werden. Die dritte Maschine hält genau zwischen den beiden anderen. Sie wirft zu beiden Seiten breit ausladende Flügel aus.
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,Was Sie hier sehen, ist eine automatische Anlage für die Untertagevergasung*, erläutert der Ingenieur. ,Der diensthabende Dispatcher des Kombinats erteilte den mit Elektronenanlagen ausgerüsteten Maschinen den Auftrag, bis zu einem bestimmten Punkt vorzudringen und das Flöz von dort aus in Brand zu stecken. Das geschieht genau an der Stelle, die im Abbauplan für die Vergasung vorgesehen ist. Sehen Sie - hier …* Die Spitze des Zeigestocks wird auf die vorn stehende Maschine gerichtet. ,Hier befindet sich die Bohranlage. Von hier aus wird mit Hilfe von Hochfrequenzstrom ein Bohrloch in die Erde getrieben. Ein konzentriertes Strahlenbündel von hochfrequentem Strom verwandelt auch die festesten Schichten in pulvrigen Staub. Preßluft säubert das Bohrloch, und die feinen Teilchen werden oben hinausgeschleudert. In dem Gehäuse, das Sie hier sehen, befindet sich der Kompressor der Druckluftanlage … Und dort…* Der Zeigestock tanzt von einem Teil der Maschine zum anderen. ,Dort finden Sie den Hochfrequenzgenerator.* Auf der Leinwand setzen die Maschinen unterdessen ihre Arbeit fort. Die Bohrlöcher werden immer tiefer in die Erde getrieben. Die Hochfrequenzmeißel müssen nicht ausgewechselt werden, denn sie behalten ihre Schärfe, stumpfen nicht ab, und an die Rohre braucht nichts angestückt zu werden. Bohrmeißel und Druckluftdüse dringen am Ende der biegsamen Schlauchleitung immer weiter ins Innere der Erde ein. Der Schlauch wird von großen Rollen abgewickelt. Auf den Zifferblättern der Steuerungsgeräte kann man die Tiefe des Bohrloches ablesen: 30 … 50 … 70 … schließlich 100 Meter. Die Bohrlöcher reichen jetzt bereits bis in die Kohleschicht hinein. Noch einige Manipulationen, und dann kommt auch in die dritte Maschine Leben. Ihre breiten Flügel hat sie bereits ausgestreckt. Sie bewegt sich in einer geraden Linie zwischen dem vorderen und hinteren Bohrgerät. Nun wird sie ein Strahlenbündel von Hochfrequenzstrom 100 Meter unter der Erdoberfläche konzentrieren, um zwischen den Bohrlöchern die erste Strecke ,hindurchzubrennen4.
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Sie arbeitet nach einem sehr einfachen Prinzip. Wie wir alle wissen, können wir mit einer Linse Sonnenstrahlen auffangen und auf einen Punkt konzentrieren. Auf diese Weise ist es möglich, eine ziemlich hohe Temperatur zu erreichen. Die Schichten der Erde aber können von den Lichtstrahlen leider nicht durchdrungen werden. Ein viel besseres Durchdringungsvermögen weisen dafür einige andere elektromagnetische Wellen auf. Die Maschine leitet das mächtige Strahlenbündel des Hochfrequenzstromes so, daß der Fokus mit seiner hohen Temperatur tief unter der Erde in der Kohleschicht liegt.4 Für uns sind das ganz erstaunliche Dinge44, sagt Garkuscha, „für die Menschen des 21. Jahrhunderts werden es Selbstverständlichkeiten sein. Sie werden mit großer Gelassenheit Zusehen, wie diese Maschinen die kompliziertesten Tätigkeiten ausüben und miteinander koordinieren, wie sie, völlig auf sich selbst gestellt, ohne von einem Menschen bedient zu werden, ihre Arbeit verrichten und die Aufgaben erfüllen, die ihnen erst wenige Stunden zuvor erteilt worden sind. Schließlich fährt hinter den bereits arbeitenden Maschinen noch eine vierte heran. Auf einer Rolle befindet sich ein Stahlrohr, das aus elastischen Metallteilchen zusammengesetzt ist. Es ist sehr fest aufgewickelt, denn es läßt sich zusammenpressen wie ein hänfener Feuerwehrschlauch. Jetzt wird es abgespult, und es blitzt und glänzt dabei in der Sonne. Das Ende steckt in einem Stutzen. Es ist nicht leicht, sich auf diesen flimmernden Bildern zurechtzufinden, obwohl sie scharf und deutlich sind. Also: was geht hier eigentlich vor? Der Ingenieur begleitet die Ereignisse, die vor den Augen der Zuschauer abrollen, mit einigen allgemeinen Bemerkungen. Schließlich teilt er den Reisenden mit, daß die Kohle in Brand gesetzt sei und daß das Gas nunmehr aus der Erde in das Kombinat einströme. Hören wir uns doch einmal an, was er zu berichten weiß ! ,Vor etwa fünfzig Jahren, als die Kohlevergasung noch in den Kinderschuhen steckte, wurde das Gas, das mit einer Temperatur von etwa 600 Grad die Erde verließ, unverzüglich
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durch Wasser gekühlt. Die Wärme, die das Gas im Schoße der Erde angenommen hatte, ging dabei verloren. Heutzutage wollen wir uns eine solche Verschwendung nicht mehr leisten. Natürlich muß das Gas nach wie vor abgekühlt werden, und der Film zeigt uns ja auch einige Vögel, die ganz zutraulich auf jenem Rohr sitzen. Das Metall ist nämlich kaum lauwarm. Aber die Abkühlung erfolgt in speziellen Batterien durch Halbleiterelemente, die auf diese Weise elektrischen Strom erzeugen. Die Wärmeenergie, die bei der unterirdischen Gaserzeugung entsteht, reicht bequem aus, um sämtliche Maschinen und Aggregate des Kombinats in Betrieb zu setzen und darüber hinaus noch Strom für andere Zwecke zu erzeugen. Je nachdem, welche speziellen Produktionsaufgaben das Kombinat zu lösen hat, ist die besondere Form der unterirdisch ablaufenden Prozesse, ist die Zusammensetzung des erzeugten Gases verschieden. Übrigens werden in unseren energotechnologischen Kombinaten sogar solche Elemente gewonnen, die sehr kostbar sind und einen verhältnismäßig seltenen Bestandteil der Steinkohle bilden. Früher wäre das unmöglich gewesen. Die Erzeugnisse unserer energotechnologischen Kombinate umfassen annähernd die halbe Nomenklatur des Periodischen Systems der Elemente. Außerdem werden hier synthetische Farbstoffe hergestellt sowie flüssige Brennstoffe, Alkohol, künstliehe Düngemittel, Sprengstoffe, Plaste und viele, viele andere Produkte. Die einzelnen Fraktionen des unterirdisch gewonnenen Gases liefern das erforderliche Material.* Auf der Leinwand erscheint jetzt ein geräumiger Saal. Das ist das Betriebsmuseum. In Glasbehältern und Reagenzgläsern sind die Fertigerzeugnisse des Kombinats ausgestellt. Welch ein Reichtum! Welch ein Unterschied zum 20. Jahrhundert! Was man hier zu sehen bekommt, stellt in der Mannigfaltigkeit des Sortiments die Produktion eines jeden beliebigen Industriezweiges von damals in den Schatten. In Tankwagen und Eisenbahnwaggons treten die Erzeugnisse des Kombinats die Reise in die Welt an, und
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neben den Energiestationen, wo in den Brennkammern der Gasturbinen die an sich recht minderwertigen Gasrückstände einer nützlichen Bestimmung zugeführt werden, ziehen sich langgestreckte Hochspannungsleitungen dahin. Vor fünfzig Jahren wurde fast ein Drittel der in den Gruben geförderten Kohle von den gefräßigen Feuerungsschlünden der Lokomotiven verschlungen. Jetzt aber jagt die in der Kohle verborgene Energie unsere Eisenbahnzüge mit atemberaubender Geschwindigkeit über die Schienenstränge. Die Lokomotiven von damals kann man jetzt nur noch im Museum besichtigen. Die Elektroenergie ist mächtiger und auch sparsamer als der Dampf. So verlassen die Erzeugnisse die Stätte ihrer Produktion. Ein anderer Teil nimmt seinen Weg durch die Rohrleitungen. Wenn wir diese in Richtung auf das Kombinat weiter verfolgen, gelangen wir sehr wahrscheinlich in die metallurgischen Werkhallen. Die Hochöfen des 21. Jahrhunderts werden nicht mit Koks beschickt, sondern sie arbeiten auf Gasbasis. Dabei erhalten wir ein Metall, das eine ungleich höhere Qualität aufweist als das im alten Verfahren gewonnene Roheisen. Und fast ein Viertel der in der Sowjetunion geförderten Kohle wurde um die Mitte des 20. Jahrhunderts zu Koks verarbeitet, um metallurgischen Zwecken zu dienen …* Das Höhenflugzeug gerät ein wenig ins Schaukeln, die Spitze neigt sich abwärts. Der Pilot setzt zur Landung an. Aber den Passagieren
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Nach wenigen Stunden liefert das Flöz, das unter diesem herbstlichen, gelblich-grün gefärbten Teppich des Getreidefeldes dahinschmilzt, das erste Industriegas entgeht diesvollständig. Auf der transportablen Leinwand sieht man jetzt ein helles, freundliches Gebäude, das hoch über
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das Gebüsch des Parks hinausragte Die Wände scheinen zu drei Vierteln aus Glas zu bestehen. Die funkelnden Rohrleitungen, die teils von dem Gebäude fortstreben, teils hineinführen, zeigen keine Spur von Rost, obwohl sie tagein, tagaus den Witterungseinflüssen ausgesetzt sind. Die Menschen haben also offenbar schon ein Verfahren entwickelt, das Metall gegen Korrosion zu schützen. Überall stehen Hochspannungsmasten. Auf den Schienen rollen offene Güterwagen heran, und automatische Verladevorrichtungen besorgen die Verladearbeiten, schichten Kiste um Kiste fein säuberlich auf- und nebeneinander. So wechseln die Szenen in rascher Folge. Ein Blick ins Innere der Werkhallen verrät uns, daß hier entweder gar keine oder nur noch ganz wenige Menschen tätig sind. ,Dieses automatische energotechnologische Kombinat stellt einen Gipfelpunkt der Technik unseres 21. Jahrhunderts dar4, erklärt der Ingenieur… Der Film ist abgelaufen. Die Leinwand taucht im Dunkel des Raumes unter. Fast gleichzeitig berühren die Räder des Höhenflugzeuges das Betonfeld des Flugplatzes.44 Wir aber kehren damit ins Forschungsinstitut „Podsemgas44 zurück und befinden uns wieder im Arbeitszimmer des Direktors. Unsere Gesprächspartner, die mit uns diesen kleinen Bummel durch ein zukünftiges Zeitalter unternommen haben, sehen uns aus klugen, leicht zusammengekniffenen Augen an. „In der Kohle haben wir einen der wertvollsten Bodenschätze unserer Tage vor uns“, sagt Garkuscha. „In unserer Wärmebilanz nimmt sie den ersten Platz ein. Sie wandert in die Kraftwerke und in die Feuerungen der Lokomotiven. Selbst wenn die Dampflokomotiven einmal von der Bildfläche verschwunden sein werden, bleibt der Transport immer noch einer der Hauptabnehmer der Kohle. Nur daß die Elektroloks ihren Strom natürlich aus den Kohlekraftwerken beziehen. Annähernd ein Viertel der in der Sowjetunion geförderten
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Kohle konsumiert die Metallurgie. Ohne Kohle gäbe es für uns weder Eisen noch Stahl, die wichtigsten Metalle der Gegenwart. Der Bedarf der chemischen Industrie an Kohle ist ständig im Wachsen begriffen. In den Chemiebetrieben wird Kohle in Brennstoff und Medizin verwandelt, in Kunststoffe, Fette, kosmetische Artikel und Farbstoffe. Auch in den kommenden Jahren wird die Steinkohlenförderung weiter ansteigen. Doch dann wird es eines Tages so weit sein, daß an die Stelle der Kohlengrube endgültig die Untertagevergasung der Kohle getreten ist. So wird es möglich, den großen Bedarf an Kohle durch ein Material von noch höherer Qualität zu befriedigen, denn das Gas wird in seiner Zusammensetzung sehr spezifisch sein, je nachdem, für welche Zwecke es gerade gebraucht wird. Es wird sich als außerordentlich vorteilhaft erweisen, dieses im Schoße der Erde erzeugte Gas auch in den Kraftwerken zu verwenden. Die riesigen Kohlenstapel werden dann verschwinden, weil sie überflüssig geworden sind. Für die Hygiene wird das sehr günstig sein, und der praktische Nutzeffekt wird sich vergrößern. Das gleiche läßt sich sinngemäß auch von den Eisenbahnen sagen. Es kommt eben darauf an, den Übergang zur Diesellokomotive überall zu vollziehen. Und die Metallurgen? Ihnen wird eine für Gasbetrieb eingerichtete Neukonstruktion selbstverständlich lieber sein als ein alter, mit festem Brennmaterial arbeitender Hochofen. Und auch die Chemiker werden bestimmt nicht böse sein, wenn sie statt Kohle Gas verwenden dürfen.“ Nikolai Ananjewitsch Fedorow möchte das Gespräch beenden. „Die glänzende Idee Mendelejews, die eine so warmherzige Unterstützung durch Lenin genoß, bildet jedoch nur den Anfang einer langen Kette von klugen Gedanken und sinnvollen Wandlungen. Am Ende dieser Entwicklung wird die Beseitigung der Untertagearbeit des Menschen stehen. Daß es im 21. Jahrhundert keine Kohlengruben mehr geben wird, ist so gut wie sicher. Und obwohl wir mit den Entwicklungsaussichten der übrigen Zweige des Bergbaus etwas weniger vertraut sind, so wagen wir doch zu behaupten,
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daß auch Kupfer-, Eisen- und Salzbergwerke in fünfzig Jahren nicht mehr gebraucht werden. Schwefel zum Beispiel wird schon jetzt ohne Schacht gefördert. Durch Zuführungsgänge preßt man überhitzten Dampf in die Erde, um den Schwefel zu schmelzen und die schwere, gelbe Flüssigkeit dann durch Rohrleitungen nach oben zu pumpen. Auch Kochsalz wird bereits durch ein schachtfreies Verfahren gewonnen. In die Lagerstätten führt man Wasser ein. Danach wird die starke Salzlösung herausgepumpt. Auf ganz ähnliche Weise wird man sicher auch die übrigen Bodenschätze für die Volkswirtschaft erschließen können. Nur wird man in diesen Fällen natürlich kein Wasser, sondern bestimmte Säuren oder Laugen zuführen.“
1 „Podsemgas“ ist eine Verkürzung von „podsemnaja gasifikazija“ und bedeutet „Untertagevergasung“. (Anm. d. Ubers.)
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Erdölbedarf und Erdölförderung im 21. Jahrhundert Was ist Erdöl? Das schwarze Gold der Erde. Das heiße, kochende Blut der Motoren. Eine eigentümliche Flüssigkeit, die, ölig und dunkel glänzend, tief im Innern der Erde durch die Schichten von Kalk- und Sandstein sickert und von der man immer noch nicht genau weiß, wie sie eigentlich entstanden ist. Seit Jahrzehnten schon geht um diese Frage der Streit der Gelehrten. Wurde das Erdöl auf dem Grund der Meere geboren, wo die abgesunkenen und abgelagerten Überreste von Pflanzen und Lebewesen sich mit Schlamm vermengten und einen langsamen Umwandlungsprozeß durchmachten? Oder ist es infolge verschiedener Reaktionen von Metallkarbiden und niederen Kohlenwasserstoffen entstanden, die sich in den Rissen und Brüchen unserer Erdrinde allmählich zu Erdöl umsetzten? Mendelejew vertrat die Theorie der anorganischen Entstehung des Erdöls. Die Experimente, die er durchführte, wiesen überzeugend nach, daß erdölähnliche Flüssigkeiten sehr wohl aus anorganischen Stofien hervorgehen können. Andere Gelehrte erbrachten allerdings den nicht minder schlagkräftigen Beweis, daß auch organische Stoffe in erdölähnliche Produkte übergehen können. Heute genießt die Theorie der Entstehung aus organischer Substanz so ziemlich die uneingeschränkte Anerkennung aller Wissenschaftler. Auf dieser Theorie fußte auch der sowjetische Gelehrte I. M. Gubkin, der ihre Prinzipien seiner gesamten
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Arbeit zugrunde legte und dabei zu einigen sehr praktischen und wertvollen Schlußfolgerungen gelangte. Er erschloß unserer Wirtschaft nämlich völlig neue Erdölgebiete, von deren Existenz vorher niemand gewußt hatte. Versuchsbohrungen, die nach seinen Angaben vorgenommen wurden, verliefen positiv, und so können die erfolgreichen Erdölprognosen des Akademiemitglieds Gubkin als der beste Beweis für die Richtigkeit der Theorie angesehen werden, daß das Erdöl aus organischer Substanz entstanden ist. Aber wie viele Fragen bleiben noch immer strittig! Wie viele Probleme der Erdölentstehung, der Lagerstättenstruktur, der Technologie der Erdölgewinnung, der Destillation und Raffination harren nach wie vor ihrer Lösung! Leider müssen wir feststellen, daß der faktische Nutzeffekt bei der Erdölförderung immer noch sehr niedrig liegt. Das Erdöl, das wir aus einer Lagerstätte herausholen, bildet kaum 50 Prozent der vorhandenen Gesamtmenge. Welche Möglichkeiten müssen hier also noch gesucht und gefunden werden, um die Technik zu verbessern und zu vervollkommnen! Und dann müßte man das Tempo der Bohrungen steigern, und man müßte die Bohrlöcher noch tiefer in das Erdreich treiben und gleichzeitig die aufgewandte Arbeit verringern. 0 doch, in der Wissenschaft vom Erdöl, seiner Förderung und Verarbeitung bleibt noch mancherlei zu tun übrig. Eine ungeheure Fülle von Ideen und Erfindungen ist nötig, eine große und umfangreiche Arbeit, um all die Probleme, die noch offenstehen, in den kommenden Jahren zu lösen. Endlich befinden wir uns im Erdölinstitut der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Wir sitzen zwei bedeutenden Erdölspezialisten gegenüber. Der eine ist Stepan lljitsch Mironow, Akademiemitglied, der andere Matwej Alkunowitsch Kapeljuschnikow, Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Beide haben ein langes Leben hinter sich, das reich war an Arbeit, Forschungen und Erfolgen. Doch nicht zurück in die Vergangenheit schweifen jetzt die Gedanken der beiden Gelehrten. Ihr ganzes Sinnen und Trachten gehört der Zukunft
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ihrer geliebten Wissenschaft. „In den nächsten fünfzig Jahren wird das Erdöl einen triumphaleren Siegeszug antreten als alle übrigen Bodenschätze“, sagt Mironow. „Die Förderung des Erdöls wird alles bisher Dagewesene überbieten. Das hat natürlich verschiedene Gründe. Erstens ist Erdöl ein außerordentlich wertvoller Brennstoff, der einen wesentlich höheren Kaloriengehalt aufweist als Steinkohle. Zweitens wird seine Gewinnung von der Erdoberfläche aus organisiert, mit Hilfe von Bohrlöchern. Es gibt also keine Untertagearbeiten, und wir brauchen infolgedessen keine Bergleute, um den kostbaren Schatz zu bergen. Drittens ist Erdöl ein sehr wichtiger Rohstoff für die chemische Industrie. Wir kennen bereits mehrere tausend Produkte, zu denen es verarbeitet werden kann. Morgen werden es Zehntausende sein. Aus Erdöl stellen wir Polyäthylen und Zellophan her, Packmaterial also, das zum Einwickeln von Butter, Fett und ähnlichen Lebensmitteln verwendet wird. Morgen aber werden wir aus Erdöl vielleicht Fette, Eiweiß, Zucker und andere lebenswichtige Erzeugnisse gewinnen. Dann wird nicht nur die Verpackung, sondern auch der sich darin befindende Inhalt ein Kind der erdölverarbeitenden Industrie sein. Erdöl ist ein Rohstoff für die Plaste. Wie Sie wissen, sind die Plaste drauf und dran, sowohl die Metalle wie auch Holz und Steine zu verdrängen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn für uns Menschen sind die Eigenschaften der Kunststoffe so vielfältig und wertvoll, daß wir darauf gar nicht mehr verzichten können. Und darum steht es wohl so gut wie fest, daß das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Plaste sein wird, so wie unser Jahrhundert ein Jahrhundert der Metalle ist. Das Erdöl wird den Menschen nähren, kleiden, wärmen. Die Produkte des Erdöls werden sich in wachsendem Maße die Fabriken und Wohnungen erobern. Kann man unter diesen Umständen noch daran zweifeln, daß für die Technik der Zukunft - und nicht minder für die Wissenschaft und Industrie — Erdöl wichtiger und wertvoller sein wird als Gold?“
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Auch Kapeljuschnikow schaltet sich nun in das Gespräch ein. Dann greift Mironow den Faden wieder auf. Und so geht das weiter. Wir können schon nicht mehr sagen, wer gerade spricht, wer was erörtert, denn wir folgen nur noch den großen Linien des Gesprächs und konzentrieren uns ganz auf seinen Inhalt. „So werden wir also die Erdölförderung von Jahr zu Jahr steigern, denn die Nachfrage wächst ständig. Erdöl ergibt den für den Transport so wichtigen Brennstoff. Die vielen Maschinen - Diesellokomotiven, Flugzeuge, Kraftfahrzeuge, Traktoren —, was wären sie ohne Erdöl? Und dann, wie gesagt, schreit die gesamte petrochemische Industrie nach dem gleichen Rohstoff. Da erhebt sich natürlich eine bange Frage: Werden bei dieser Beanspruchung die Erdölvorkommen nicht sehr bald erschöpft sein? Mehr noch: Ist damit nicht zugleich auch unsere gesamte Zivilisation, die sich doch in einem so entscheidenden Maße auf die Erzeugnisse des Erdöls gründet, vom Gespenst ihres eigenen Untergangs bedroht? Doch darauf können wir mit bester Überzeugung antworten: Nein! Es ist erst dreißig Jahre her, da entwarfen die Wissenschaftler ein schreckliches Zukunftsbild. Sie meinten, die Vorkommen an Chilesalpeter würden bald erschöpft sein, und Chilesalpeter war doch das wichtigste Düngemittel, denn es enthielt den unentbehrlichen Stickstoff. Heute aber sind wir bereits soweit, daß wir Stickstoffdünger faktisch aus der Luft gewinnen können. Ja, und was das Erdöl betrifft, so fehlte es vor fünfzehn Jahren wirklich nicht an Menschen, die das Versiegen der Erdölquellen voraussagten. Nun, wir haben feststellen dürfen, daß auch diese Prognose danebenging. Wir verfügen über einen riesigen Erdölreichtum. Dabei ist es noch gar nicht lange her, daß wir glaubten, sowjetisches Erdöl gäbe es nur im Kaukasus. Sehen Sie, und heute fördern wir es an vielen anderen Stellen: im Wolgagebiet, in Mittelasien, in der Ukraine. Auch in Belorußland werden zur Zeit Schürfungen durchgeführt. Was aber Sibirien betrifft, so ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Jedenfalls wurden dort bereits sehr interessante
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Gasvorkommen registriert, und wir können wohl kaum noch daran zweifeln, daß wir über kurz oder lang auch hier auf Erdöl stoßen werden. So haben wir allen Grund zu behaupten, daß uns auch in hundert Jahren noch ein Übermaß an Erdöl zufließen wird - allein aus den bereits erschlossenen Lagerstätten, und in welchem Maße kann die Förderung noch gesteigert werden! Das tatsächliche Ausmaß der Erdölreserven können wir jedoch erst dann abschätzen, wenn wir einen Überblick über sämtliche Schichten der Sedimentgesteine besitzen. Gegenwärtig sind die erforderlichen Forschungsarbeiten auf dem Territorium der UdSSR jedoch noch nicht abgeschlossen. Welche Tiefe ist bei den Bohrungen nun erreichbar? In Amerika wurde eine Bohrlochtiefe von über sechseinhalb tausend Meter erzielt. In der Sowjetunion sind wir bis zu fünftausend Meter vorgedrungen. Und in dieser Tiefe stießen wir auf Erdöl! Vielleicht ist es sogar in einer noch größeren Tiefe anzutreffen? Aber, ob nun Erdöl oder irgendwelche anderen Bodenschätze — jedenfalls können wir damit rechnen, daß im 21. Jahrhundert eine Bohrlochtiefe von zehneinhalb tausend Meter erreicht wird. Es ist sehr wahrscheinlich, daß uns der Einsatz von Turbo- und Elektroturbobohrern dabei zustatten kommen wird. Vielleicht verwenden wir auch Bohrer, die auf der Grundlage von völlig neuen Prinzipien arbeiten, die durch Hochfrequenzstrom und Ultraschall betätigt werden. Doch gestatten Sie noch ein Wort darüber, in welchem Umfange wir das Erdöl später einmal gewinnen wollen und können. In den Laboratorien wird gegenwärtig sehr wichtiges Material gesammelt. Auf trockenen Sand gießt man Erdöl, und zwar genau so viel, daß es im Gewicht fünf Prozent der Sandmenge beträgt. Anschließend schüttet man das Gemisch in ein Gefäß und führt stark verdichtetes Gas zu. Das Gas löst das Erdöl, das in einen Unterdruckbehälter geleitet wird, wo es sich niederschlägt. Später wird es sicher möglich werden, noch aktiver auf die erdölhaltige Schicht einzuwirken. Dann werden
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wir nicht nur den darin herrschenden Druck aufrechterhalten können - was wir ja schon heute zustande bringen (durch Einpumpen von Wasser) -, sondern es wird auch möglich sein, den Druck zu variieren. Wir werden ihn erhöhen, damit die flüchtigen Kohlenwasserstoffe in einen flüssigen Zustand übergehen. Oder wir werden ihn senken, um die Kohlenwasserstoffe in Gase zu verwandeln. Sehr wahrscheinlich werden wir auch in der Lage sein, die Temperatur der Erdölschicht zu verändern. Und das wird die Zeit sein, wo wir nicht mehr nur die Hälfte, sondern fünfundneunzig bis siebenundneunzig Prozent des schwarzen Goldes aus dem Schoß der Erde holen. Möglicherweise wird es auch andere, nicht weniger wichtige Probleme zu lösen geben. Noch kennen wir nicht die unterirdischen Wege des Erdöls, obwohl sich die Wissenschaftler zum größten Teil darüber einig sind, daß das Erdöl seinen Platz wechselt. Es ist möglich, daß wir es an einer Stelle antreffen, die Hunderte von Kilometern von der Bildungsstätte entfernt liegt. Ganz gewiß werden wir die Gesetze, nach denen das Erdöl seinen Standortwechsel vornimmt, noch aufdecken, und dann wird der Mensch diese Gesetze für seine Zwecke ausnutzen und die unterirdischen Erdölströmungen nach seinem Willen so regulieren, daß die kostbare Flüssigkeit immer an die Stelle geleitet wird, wo sie am leichtesten gefördert werden kann. Dann wird es keine Versuchsbohrungen mehr geben. Vielmehr wird man, wenn man eine Lagerstätte vermutet, das öl gegebenenfalls unter der Erdoberfläche an bereits vorhandene Bohrlöcher dirigieren. Freilich ist das alles noch ein Wunschtraum. Aber vergessen wir nicht, was die Wissenschaft in den vergangenen fünfzig Jahren vollbracht hat! Denken wir nur an das Radio. Seitdem die ersten Geräte auftauchten, sind nicht einmal drei Viertel eines Jahrhunderts vergangen, und schon ist der uralte Traum von der Überbrückung großer Entfernungen Wirklichkeit geworden - und nicht nur durch die Schaffung des Morseapparats, sondern wir übertragen bereits Laute,
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Nachrichten, Musiksendungen, Bilder. Bei dem heutigen Entwicklungstempo der Wissenschaft bedeuten fünfzig Jahre schon sehr viel. Wie sollen wir uns nun die Erdölförderung im 21. Jahrhundert vorstellen? Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, wie man vielleicht meinen möchte. Vor allem werden die Schürf me tho den so weit entwickelt sein, daß der Geologe die genauen Grenzen einer Lagerstätte auf die Karte auftragen kann. Die vorangehenden Versuchsbohrungen sind überflüssig geworden. Daher wird an der Stelle, wo das Erdöl gefördert werden soll, sofort mit der industriellen Bohrung begonnen. Die Bohrtürme werden sehr wahrscheinlich vollständig automatisiert sein. Ein einziger diensthabender Operateur genügt, um die Tätigkeit auf mehreren Dutzend Türmen zu kontrollieren. Zu diesem Zwecke stehen ihm ein genauer Plan von der Förderanlage sowie Skizzen mit einem Vertikalschnitt durch die Erdschichten zur Verfügung. So vermag der Operateur zu erkennen, welche Tiefe die Bohrmeißel in den einzelnen Löchern erreicht haben und welche Schichten gerade durchbohrt werden. Wenn nötig, korrigiert er die Bohrung, indem er einen entsprechenden ,Auftrag* erteilt und den Bohrer dadurch in die erforderliche Richtung lenkt. Wenn der Zugang zur Lagerstätte hergestellt ist, dringt das Gas hervor. Aber im Winde lodern nicht mehr die riesigen Fackeln, die früher oftmals über den Erdölfeldern standen. Das Gas ist ja ein sehr wertvoller Rohstoff und ein gutes Brennmaterial. Darum darf es nicht sinnlos vergeudet werden. Es wird nun in Spezialvorrichtungen aufgefangen und restlos verwertet. Ein Teil des Gases wird verbrannt, damit man Ruß erhält, der in mehreren Industriezweigen gebraucht wird. Aber auch die bei der Verbrennung entstehende Wärme geht nicht verloren, sondern wird mit Hilfe von Thermoelementen in elektrischen Strom umgewandelt, der für den Eigenbedarf der Förderanlage
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nutzbar gemacht wird. Der andere Teil des Gases wird durch leichte Kunststoffrohre in das allgemeine Gassystem geleitet, das ja, ähnlich wie das elektrische Leitungsnetz, das ganze Land durchzieht. Durch Kunststoffrohre wird auch das Erdöl in die Hauptleitungen gepumpt, die die Produktionsstätten der erdölverarbeitenden Industrie mit dem dunkelglänzenden Rohstoff versorgen. Der diensthabende Ingenieur übt eine außerordentlich verantwortungsvolle Tätigkeit aus. Er reguliert die Vorgänge in einer Tiefe von vielen tausend Metern. Das ist gar nicht so einfach, denn jedes Erdöl hat seine Eigenheiten. Der Operateur muß die chemische Zusammensetzung sowie die besonderen Eigenschaften des Erdöls kennen, das hier gefördert wird. Nur so ist es ihm möglich, den Druck und die Temperatur in der Lagerstätte zu kontrollieren, nur so wird eine maximale Ausbeute erreicht. Kein Tropfen des kostbaren Öles darf ungenutzt in der Tiefe der Erde verbleiben.“ Unser „Pobeda“ saust über den wunderschönen Leninprospekt. Auf der linken Seite dieser breiten Straße leuchtet uns, vom Grün der Parkanlagen halb verdeckt, ein weiß gestrichenes Krankenhaus entgegen, während zu unserer Rechten ein Gebäude emporragt, das nach einem Entwurf von I. W. Sholtowski errichtet wurde. Es hat edle, schlicht aufstrebende Linien und braucht einen Schönheitswettbewerb mit dem gegenüberliegenden Bauwerk nicht zu scheuen. Auf dem spiegelglatten Asphalt beginnen die Reifen unseres Wagens leicht zu summen. Vor wenigen Minuten ist hier ein erfrischender Frühlingsregen niedergegangen. Auch der Asphalt verdankt seine Existenz dem Erdöl, ebenso der Kunstkautschuk, aus dem die Autoreifen gefertigt sind. In den Zylindern verbrennt langsam das Benzin, das wir vor wenigen Minuten tankten. Es ist ein Destillationsprodukt des Rohöls. In den durchsichtigen, kräftig riechenden Tropfen ist die Energie aufgespeichert, die uns mit sanfter Gewalt durch die große Stadt trägt. Die Autofahrt verläuft im 65
wahrsten Sinne des Wortes reibungslos. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst des vorzüglich funktionierenden Schmieröls, das ebenfalls in der Rohöldestillation geboren wurde. Müssen wir noch erwähnen, daß auch das Lenkrad und der an der Leitung angebrachte Isolierstoff entscheidend am Gelingen unserer Fahrt beteiligt sind? Sie haben die gleiche Herkunft wie die Gummimatte zu unseren Füßen, wie die strahlend blaue Farbe, die dem Wagen sein hübsches Äußere verleiht. Glitzernde Sonnenfleckchen vollführen auf der frisch geputzten Karosserie gerade einen munteren Tanz. Ach, es ist schon fast unmöglich, in einem Atemzug aufzuzählen, was da nicht alles seinen Stammbaum auf das Erdöl zurückführen kann. Macht nur die Augen auf und schaut euch recht sorgfältig um ! Dann werdet ihr eine Unmenge naher und entfernterer „Verwandter64 des Erdöls entdecken. Ganz gleich, ob ihr euch in einem Betrieb befindet oder zu Hause, im Klub oder auf der Straße. Und ihr werdet uns zugeben, daß das schwarze Gold der Erde in unserem modernen Alltag eine geradezu phantastische Rolle spielt. Seine volkswirtschaftliche Bedeutung wird jedoch noch wachsen. Unsere Wissenschaftler haben euch ja bereits einen kleinen Ausblick in die Zukunft gewährt.
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Vom Pult des Diensthabenden aus konnte man die Vorgänge im Erdinnern gut beobachten
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Die Quellen der Elektroenergie Auch Alexander Wassitjewitsch Winter ist Akademiemitglied. Sein hageres Gesicht mit dem spitzen Kinnbart und den unter wulstigen Brauen offen hervorblickenden Augen braudien wir nicht erst zu beschreiben. Man kennt es, ist ihm auf zahlreichen Porträts bereits begegnet. Alexander Wassiljewitsch klopft mit dem Füllfederhalter auf die grüne Schreibunterlage. Für einige Sekunden versinkt er in Nachdenken. Wir begreifen, daß er in Erinnerungen sucht. Bilder aus einer alten, längst verflossenen Zeit werden lebendig. „Nach dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution trat die junge Sowjetrepublik ein dürftiges Erbe an. Das gestürzte zaristische Regime hinterließ ihr eine außerordentlich schwach entwickelte Industrie. Besonders düster war die Lage auf dem Gebiet der Stromversorgung. Im zaristischen Rußland wurde kein einziges bedeutendes Wasserkraftwerk errichtet. Dabei besaß das Land die besten Voraussetzungen für eine sehr breite Entfaltung der Energiewirtschaft. Von den ersten Tagen der Sowjetmacht an erkannte Wladimir Iljitsch Lenin die großen Möglichkeiten, die bis dahin ungenutzt geblieben waren. Er erklärte, daß der Sozialismus nur verwirklicht werden könne, wenn die gesamte Industrie und Landwirtschaft sowie der gesamte Transport auf Elektrobasis umgestellt würden. Ich möchte bei dieser Gelegenheit an den klassischen Ausspruch Lenins erinnern: Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes.4
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Bereits im Jahre 1918 begannen wir mit dem Bau des Wolchow- und des Swir-Kraftwerks. Im ersten Falle erzielten wir einen raschen Erfolg. Das Wolchowkraftwerk wurde 1926 in Betrieb genommen. Seine Leistung war für damalige Verhältnisse einfach fabelhaft: 56000 Kilowatt. Die Bauarbeiten am Unterlauf des Swir mußten allerdings fürs erste unterbrochen werden. Sie wurden zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen und zum Abschluß geführt. Im Februar 1920 erfolgte auf Weisung Lenins die Bildung einer Kommission zur Elektrifizierung Rußlands. Diese Kommission ist unter dem Namen ,Goelro41 bekannt. Ihre Aufgabe bestand darin, einen Zehn- bis Fünf zehn jahresplan zur Elektrifizierung und Umgestaltung der gesamten Wirtschaft Sowjetrußlands aufzustellen. Die Kommission schloß ihre Arbeiten noch im gleichen Jahre ab. Im Dezember 1920 wurde der Plan dem VIII. Allrussischen Sowjetkongreß vorgelegt und von diesem gebilligt. Danach ging man unverzüglich an seine Verwirklichung. In dem Goelro-Plan war vorgesehen, in einem Zeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren 30 Elektrizitätswerke zu errichten, 10 Wasserkraftwerke und 20 gewöhnliche Wärmekraftwerke. Die Gesamtleistung der 30 Werke war auf anderthalb Millionen Kilowatt veranschlagt. Darüber hinaus sollten die bereits vorhandenen Kraftwerke so weit modernisiert werden, daß eine Leistung von 250000 Kilowatt erreicht wurde. Man muß dabei bedenken, daß dieser Plan zu einer Zeit entworfen, beraten und angenommen wurde, da die Jahresleistung bei 500000 Kilowattstunden lag! Zehn Jahre später war der Goelro-Plan in sämtlichen Positionen 1
,Goelro‘ ist ein Kurzwort für „Gossudarstwemny plan elektrifikazij Rossij“ und bedeutet „Staatsplan der Elektrifizierung Rußlands“. (Anm. d. Ubers.) realisiert. Nadi weiteren fünf Jahren war er um fast 200 Prozent übererfüllt. Im Februar 1927 faßte die Sowjetregierung den Besdiluß, am Dnjepr, im Gebiet der Insel Chortiza, ein Wasserkraftwerk
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zu errichten. Ein entsprediendes Projekt schuf Professor Alexandrow. Es war vorgesehen, den Damm und das Kraftwerk mit 13 Aggregaten auszustatten, von denen jedes einzelne 30000 Kilowatt liefern sollte, so daß die Gesamtleistung also 390000 Kilowatt betragen hätte. Jedoch wurde der technische Teil des Projektes gleich nach Beginn der Bauarbeiten umgearbeitet. Entgegen dem ursprünglichen Vorhaben sollten nun nur neun Maschinen auf gestellt werden, jede mit einer Leistung von 62 000 Kilowatt. Die Vorzüge gegenüber dem alten Plan lagen auf der Hand. Die ganze Anlage war leistungsfähiger, billiger und kompakter. Die Leistung des Dnjeprkraftwerkes wurde jetzt mit 557000 Kilowatt angegeben. Übrigens wurde das Projekt in einem außergewöhnlich kurzen Zeitraum verwirklicht, innerhalb von fünf Jahren. So entstand das größte Kraftwerk Europas. Diese Spitzenstellung nahm es noch viele Jahre später ein. Erst als das Kuibyschewer Wasserkraftwerk in Betrieb genommen wurde, trat es diesem den ersten Platz ab.“ Draußen, vor den Fenstern, grünen die Bäume. Die Blätter sind noch ganz jung und zart, gerade erst den Knospen entsprungen. Vor uns sitzt ein Mann, der vor vielen Jahren einen ganz anderen Frühling erlebte. Das war 1901, und er war noch Student. Er zählte dreiundzwanzig Jahre, als sie ihn aus dem Hörsaal schleppten und nach einer viermonatigen Kerkerhaft unter Bewachung nach Baku in Marsch setzten. Er war schon damals Revolutionär, im politischen Leben wie in der Wissenschaft. Während seiner Verbannung in Baku war er dabei, als die ersten Dampfturbinen montiert wurden. Die Spannung von 20000 Volt war ihm damals als gigantische Errungenschaft erschienen. Im Jahre 1907 durfte Winter ins Institut zurückkehren. Er galt noch immer als „politisch unzuverlässig“. Nach Abschluß seiner Studien im Jahre 1912 arbeitete er bei der Errichtung des ersten russischen Torfkraftwerkes mit; später wurde er mit der Leitung der Bauarbeiten betraut.
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Dann kam die Oktoberrevolution. Sie eröffnete ungeahnte Horizonte, brachte in greifbare Nähe, wovon man kurze Zeit zuvor kaum zu träumen gewagt hatte. Die sowjetische Energetik rückte auf einen der ersten Plätze. Und Winter stand mit an der Spitze. Er leitete den Bau des Kraftwerkes von Schatura, den Bau von Dnjeprostroi. Und seine wissenschaftlichen Verdienste fanden höchste Anerkennung. Im Jahre 1932 wurde er zum Ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR gewählt. Winter hat vieles gesehen und erlebt. Er verfügt über ein so umfangreiches Wissen, daß wir in dem kurzen Gespräch natürlich nur ein winziges Teilchen davon erjagen können. Fast scheint es, als habe er unsere Gedanken erraten, denn er strafft den ohnehin schon sehr kurz und prägnant gehaltenen Bericht nun noch mehr. Er sagt: „Aber ich möchte hier nicht sämtliche Elektrizitätswerke auf zählen, die wir in den letzten Jahren erbaut haben. Wollen wir doch lieber einen Blick in die Zukunft werfen. In zwanzig oder dreißig Jahren werden wir wohl sämtliche Kraftreserven der Flüsse des europäischen Teils der Sowjetunion für die Stromerzeugung nutzbar gemacht haben. 1960 wollen wir ja schon eine jährliche Gesamtleistung von 320 Milliarden Kilowattstunden erzielen. Das bedeutet, daß wir an einem einzigen Tage doppelt soviel Strom erzeugen werden wie im ganzen Jahre 1920. Aber auch hierbei wird unsere Energetik (und insbesondere die Hydroenergetik) selbstverständlich nicht stehenbleiben. Die größten Wasserressourcen der Sowjetunion befinden sich bekanntlich hinter dem Ural, und es gilt, auch die gewaltigen Kräfte der sibirischen Flüsse in den Dienst der Volkswirtschaft zu stellen. Aber dazu bedarf es natürlich mehr als nur eines Planjahrfünfts. Sicher werden wir diese Aufgabe erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts endgültig gelöst haben. Die Angara, die Lena, der Jenissei, der Amur und die übrigen Flüsse Sibiriens werden dann lange Stauseeketten bilden, die Dämme der Kraftwerke werden
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das Wasser in einzelnen Becken stauen, ähnlich wie wir es heute von der Wolga kennen. Den Anfang haben wir ja schon gemacht. Wie Sie wissen, gibt es an den großen sibirischen Flüssen bereits mehrere Kraftwerke. Allein an der Angara werden wir eine Leistung von 9 Millionen Kilowatt erreichen, das heißt, wir werden dort jährlich mehr als 60 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen. Ähnliches läßt sich vom Jenissei sagen. Mit dem Bau des Krasnojarsker Wasserkraftwerks wurde schon begonnen. Die Leistung des Werkes wird 4 Millionen Kilowatt betragen. Aber am Jenissei soll noch eine zweite Station entstehen, die mit ihren geplanten 6 Millionen Kilowatt zu den bedeutendsten Wasserkraftwerken der Welt zählen wird. Wenn wir aber an den sibirischen Flüssen so gewaltige Energiemengen konzentrieren, deren Erzeugung uns doch sehr billig zu stehen kommt, so dürfte das sicher nicht ohne Einfluß auf die Standortverteilung der übrigen Industrie bleiben. Vielmehr ist anzunehmen, daß sich an Ort und Stelle eine umfangreiche Produktion von Aluminium, Kautschuk, Magnesium, hochwertigen Stählen und anderen energieverbrauchenden Erzeugnissen entwickelt. Der Schwerpunkt unserer industriellen Entwicklung wird sich im Verlaufe von wenigen Jahrzehnten nach Sibirien verlagern. Er wird unmittelbar an die dort vorhandenen reichen Energiequellen und Bodenschätze heranrücken. Doch auch in der ferneren Zukunft wird die Stromerzeugung in der Sowjetunion weiter zunehmen. Die Elektroenergie bildet ja die eigentliche Grundlage für den Reichtum unseres Volkes, und dieser wird unter unseren sozialistischen Verhältnissen ständig wachsen. Ich meine, daß wir 1970 schon mehr als 1000 Milliarden Kilowattstunden erzeugen, und sehr wahrscheinlich werden wir verhältnismäßig rasch auch die USA eingeholt haben, die uns in dieser Hinsicht heute noch voraus sind. Anfang des 21. Jahrhunderts wird die Stromerzeugung der UdSSR sicherlich eine Jahresleistung von 12000 bis 15000 Milliarden Kilowattstunden erreichen.
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Da haben Sie also den Weg, den die Elektrifizierung seit jenen Tagen genommen hat, da unser Iljitsch beim matten Schein eines kleinen Lämpchens in seinem Arbeitszimmer saß und der Goelro-Pian geboren wurde. Gewaltige Energiegiganten versorgen uns heute mit dem .so dringend gebrauchten Strom, und diese Entwicklung wird in der Zukunft zu noch großartigeren Ergebnissen führen. Wenn ich mir an einem Tag wie heute meine Begegnung mit Wladimir Iljitsch ins Gedächtnis rufe, so muß ich immer daran denken, wie stolz er wäre, wenn er sehen könnte, was wir in der Zwischenzeit alles geschaffen haben, wie er sich an den Perspektiven begeistern würde, die wir greifbar nahe vor uns sehen und die im wahrsten Sinne des Wortes phantastisch sind.64
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Die Stromerzeugung im Jahre 2007 Waleri Iwanowitsch Popkow, Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, geht uns bis zur Mitte seines Arbeitszimmers entgegen. Er bleibt während des ganzen Gespräches stehen. Flink und energiegeladen, wie er nun einmal ist, hält es ihn nicht auf einem Stuhl. Seine hochgewachsene Gestalt befindet sich in ständiger Bewegung. Popkow vertritt die jüngere Generation der sowjetischen Wissenschaftler. Im Jahre 1930, als Winter, der Erbauer des größten europäischen Wasserkraftwerks, bereits Weltruhm genoß, absolvierte Popkow erst ein elektrotechnisches Institut in Moskau. Aber er mußte nicht nach Amerika reisen, um sich eine billige Arbeitsstelle zu verschaffen, wie es Bardin ergangen war, und er wurde nicht, wie Winter, der spätere Erbauer des DnjeprkraftWerks, aus dem Studium herausgerissen und in die Verbannung geschickt. Seine schöpferischen Fähigkeiten vermochten »sich unter sozialistischen Verhältnissen frei und ungehindert zu entfalten. Die grundlegenden wissenschaftlichen Arbeiten W. I. Popkows befassen sich mit Fragen der Hochspannungstechnik, der elektrischen Gasentladung bei höheren Drücken, der
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Energieverteilung, der elektrischen Gasreinigung. Ein nüchtern klingendes Register. Weiß man aber, was sich hinter diesen trockenen Worten verbirgt? Hunderte und aber Hunderte von Versuchen, von umfangreichen Berechnungen und Forschungen, die nötig waren, um die Wolgariesen entstehen zu lassen und die in ihrer Länge und in ihrem Leistungsvermögen einzigartig dastehenden Hochspannungsleitungen der Sowjetunion. Und auch bei der weiteren Entwicklung der Energetik werden die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Arbeit eine wertvolle Hilfe sein. „Die Energetik des 21. Jahrhunderts wird sich aller Voraussicht nach in einem noch stärkeren Maße von der Energetik unserer Zeit unterscheiden als unsere Energetik von der des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Jedenfalls vollzieht sich die Entwicklung auf diesem Gebiet in einer steil emporkletternden Kurve. Glücklicherweise - denn wir haben ja alle schon in der Praxis des Alltags erlebt, wie wichtig für uns eine ausreichende Versorgung mit Energie ist. Ich bin felsenfest davon überzeugt, daß wir die von Alexander Wassiljewitsch genannte Jahresleistung von zwölf- bis fünfzehntausend Milliarden Kilowattstunden noch in unserem Jahrhundert erreichen werden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden wir meiner Ansicht nach wohl an die zwanzigtausend Milliarden Kilowattstunden jährlich produzieren. Sie stellen die Frage, aus welchen Quellen sich solche gewaltigen Energiemengen denn schöpfen lassen. Nun, der Anteil der Wärmekraftwerke, die heutzutage noch 85 Prozent der gesamten Energieerzeugung bestreiten, wird auf rund 50 Prozent absinken. Doch wird das Kohlekraftwerk nicht etwa nur vom Wasserkraftwerk verdrängt werden. Ich meine, daß die Wasserkraftwerke, auch wenn hier neue Möglichkeiten erschlossen werden sollten, höchstens zehn bis fünfzehn Prozent der Energiequellen unseres Landes ausmachen können. Ein viel ernster zu nehmender Konkurrent der herkömmlichen Wärmeenergetik wächst dafür in den Atomkraftwerken heran. Um das Jahr 2007 wird unser Bedarf an Elektroenergie mindestens zu vierzig Prozent durch die Atomenergie gedeckt werden.
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Ist damit zu rechnen, daß sich mit unseren Kraftwerken grundlegende Veränderungen vollziehen? Ich glaube, daß die Wasserkraftwerke im großen und ganzen die gleichen bleiben werden wie heute. Ihr 1 Kernkraftwerke, 2 15% Wasserkraftwerke, 3 85% Wärmekraftwerke
3 Gesamtauf kommen: 192 Milliarden Kilowattstunden 2007 1 10% Wasserkraftwerke (und Windkraftwerke) 2 40% Kernkraftwerke, 3 50% W ärmekraf twerke Gesamtaufkommen: 20 000 Milliarden Kilowattstunden Wie sich der Anteil der einzelnen Sektoren an der Energieerzeugung verschieben wird
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Nutzeffekt ist ja ohnehin ziemlich groß. Dagegen müssen in der Struktur der Kohle- und der Atomkraftwerke noch wesentliche Änderungen eintreten. Verweilen wir zunächst ein bißchen bei den Wärmekraftwerken. Vor allem muß man sich darüber klar sein, daß ihr Hauptmangel in der niedrigen potentiellen Ausbeute liegt. Tatsächlich sieht die Sache so aus, daß unsere mit Dampfkesseln, Turbinen und Generatoren ausgestatteten Wärmekraftwerke rund ein Drittel der in der Kohle vorhandenen Energie verwerten. Eine reale Möglichkeit zur Verbesserung dieser ungünstigen Situation besteht in der Erhöhung des Dampfdrucks und der Dampftemperatur. Natürlich versuchen wir bereits, diese Tatsache weitgehend zu nutzen, um den Energieverlust zu verringern. In einer Dampfturbine, die eine Leistung von 150000 Kilowatt zustande bringt, arbeitet der Dampf mit 170 Atmosphären Druck und mit einer Temperatur von 550 Grad. Stellen Sie sich das bitte vor: 550 Grad! Dabei wird Metall rotglühend. Die moderne Wärmetechnik ist bestrebt, die Erkenntnisse der Metallurgie für sich auszunutzen, um dadurch einerseits einen Leistungszuwachs bei den einzelnen Aggregaten (dem Kessel, der Turbine und dem Generator) auf 300000 bis 500000 Kilowatt zu erreichen und um dabei gleichzeitig den Dampfdruck auf 300 Atmosphären zu steigern (bei einer Temperatur von 650 Grad), wodurch es möglich wird, den Wirkungsgrad auf rund 40 Prozent zu erhöhen. Aber um das zu erreichen, müßten wir zuerst die Methoden der Energieumwandlung verändern. Vor allem wäre es nötig, aus der langen Transformationskette die Wärmeenergiephase, die durch eine ungestüme und ungeordnete Bewegung der Moleküle gekennzeichnet ist, auszuschalten. Die Kraftwerke der Zukunft werden die umständlichen Umwandlungsprozesse der Energie von einer Form in die andere sicher überwunden haben. Bedenken wir doch, was es bedeutet, wenn wir heutzutage noch gezwungen sind, die chemische Energie der Kohle zunächst in Wärmeenergie umzuwandeln, die dann
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ihrerseits in kinetische Energie übergeht: zunächst in einen durch die Rohrleitung fließenden Dampfstrom, der später seine Bewegungsenergie auf das Rad überträgt. Und erst diese mechanische Energie wird schließlich in elektrische Energie umgewandelt. Welch ein langer Umweg ist also nötig, bevor wir an Stelle der chemischen Energie der Kohle endlich die gewünschte Elektroenergie erhalten. Nun zu den Atomkraftwerken. Unsere heutigen Atomkraftwerke arbeiten im wesentlichen nach den gleichen Prinzipien wie die Kohlekraftwerke, nur daß der Dampfkessel hier durch den Atomreaktor ersetzt ist. Zusammen mit dem arbeitstechiiischen Grundschema übernahmen die Atomkraftwerke leider auch den niedrigen Wirkungsgrad der Kohlekraftwerke. Bei dem ersten Atomkraftwerk der Welt beträgt er nicht einmal 17 Prozent. Jedoch glaube ich, daß uns die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Energetik zwei revolutionäre Neuerungen bescheren wird. In diesem Zeitabschnitt werden wir gangbare Wege finden, um erstens die chemische Energie des Brennstoffs und zweitens die Kernenergie der Atome direkt in elektrische Energie umzuwandeln. So werden wir einfacher, billiger und besser arbeiten. Eine solche unmittelbare Energieumwandlung ist durchaus denkbar. Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, daß wir bereits -wenn auch zunächst nur in den Laboratorien über Halbleiterelemente verfügen, die es gestatten, Kernenergie auf direktem Wege in elektrischen Strom umzuwandeln. Ebenso kann auch die in gewöhnlichen Brennstoffen enthaltene chemische Energie unmittelbar in elektrische Energie umgewandelt werden, ohne daß der oben beschriebene Umweg über das Wärmeenergiestadium prinzipiell dazwischengeschaltet werden müßte. Eine solche Vereinfachung wäre letzten Endes nichts anderes als eine Analogie zu den Vorgängen, die sich in einer gewöhnlichen Taschenlampenbatterie abspielen. Allerdings liegt zwischen der bloßen Feststellung einer Tatsache und ihrer
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praktischen Verwertung noch ein langer, beschwerlicher und dabei doch reizvoller und interessanter Weg des Forschens und Suchens. Ich kann mir vorstellen, daß das Wärmekraftwerk oder auch das Atomkraftwerk der Zukunft auf die zahlreichen Abteilungen verzichten kann, die heute zur Unterbringung der verschiedenen Maschinen vorhanden sein müssen. Sehr wahrscheinlich wird die Anlage aus einem Reaktor bestehen, der einerseits den „Brennstoff“ aufnimmt, während andererseits aus dem gleichen Gerät ein beständiger elektrischer Strom in die Kupferleiter fließt, um zum Verbraucher geleitet zu werden. Der Wirkungsgrad wird in solchen Elektrizitätswerken nicht niedriger liegen als in unseren heutigen Wasserkraftwerken.“ Der Gelehrte tritt an die Karte heran, die die ganze Fläche einer Wand ausfüllt. Die Spitze des Zeigestabs gleitet über die grünen und braunen Flecke, die Markierungen der Höhenzüge und Niederungen. \ „Ich möchte nur noch kurz auf ein weiteres technisches Problem eingehen. Was würden Sie sagen, wenn wir schon ein einheitliches Hochspannungsnetz besäßen, in das sämtliche Kraftwerke ihren Strom abgäben und aus dem sämtliche Verbraucher ihren Energiebedarf decken könnten? Solch geschlossenes Leitungsnetz wird es eines Tages geben. Es wird das ganze Territorium der Sowjetunion überziehen. Im Osten wird es zu gemeinsamem Nutzen mit dem Energienetz Chinas verbunden sein, im Westen mit den Netzen der volksdemokratischen Länder. Heutzutage freilich beträgt die maximale Länge einer Stromleitung nicht mehr als 1000 Kilometer. Durch dieses gemeinsame Netz kann der Strom in viel, viel größere Entfernungen geleitet werden als gegenwärtig. Das setzt natürlich voraus, daß die Netzspannung erhöht wird. Nun ja, heute finden wir es schon sehr beachtlich, daß auf der Linie Kuibyschew-Moskau Wechselstrom mit einer Spannung von 400000 Volt die beiden Städte miteinander verbindet. Später aber, vielleicht zu Beginn des 80
21. Jahrhunderts, wird ein Gleichstrom mit einer Spannung von 1,5 bis
Thermoelement Die direkte Umwandlung von Wärmeenergie in Elektroenergie ist den Gelehrten bereits heute bekannt…
… genauso wie die Umwandlung von Kernenergie in Elektroenergie. Nur ist der Wirkungsgrad hier noch zu gering 1 Kernchen einer radioaktiven Substanz, 2 Elektronen 2 Millionen Volt wahrscheinlich keine Seltenheit sein. Die Fernleitungen werden jedoch mit einer noch größeren Spannung arbeiten. Sie möchten gern wissen, wie diese Hochspannungsleitungen aussehen werden? Nun, da läßt sich zumindest so viel sagen, daß Fragen der Isolierung eine wichtige Rolle spielen und den Menschen vor neue Aufgaben stellen werden, denn es geht dann ja darum, das verwendete Material, vor allem auch die Luftschicht um die elektrische
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Anlage und das Leitungsnetz, auf eine so hohe Spannung abzustimmen. Für die Fernübertragung des Stromes werden außer den Freileitungen selbstverständlich auch in der Erde verlegte Kabel in Betracht kommen, und neben Wechselstrom wird es auch Gleichstrom geben. Die mit der Hochspannung zusammenhängende Problematik liegt mir natürlich besonders am Herzen, denn das ist ja mein engeres und eigentliches wissenschaftliches Forschungsgebiet. Freilich muß ich zugeben, daß eine Spannung von mehreren Millionen für mich eine völlig Terra incognita darstellt. Für meine Kollegen aus dem 21. Jahrhundert aber, die doch tagtäglich mit solchen Kategorien rechnen und umgehen, werden meine Forschungsergebnisse nichts anderes als das Produkt einer längst überwundenen Etappe sein. In den Laboratorien wird man sich dann mit der Erzeugung und Erforschung einer Spannung von zwanzig bis dreißig Millionen Volt befassen.“
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Der Mensch wird Berge versetzen Ihr kennt doch das orientalische Zaubermärdien von dem Volkshelden Farchad und der schönen Schirin? Sie liebten einander so wahr und so innig. Aber ein unseliges Schicksal stellte sich ihrer Liebe in den Weg. Durch ein hohes, felsiges Gebirge mußte sich Farchad einen Weg bahnen, bis er sich endlich, nach langen Jahren mühevoller Arbeit, mit dem geliebten Mädchen vereinen konnte. Aber sein Herz war von einem hohen Streben besessen, und er schonte weder seine Jugend noch seine große, unermeßliche Kraft, ja, er scheute sich nicht, sein Leben hinzugeben, um das heißersehnte Ziel zu erreichen. Und so überwand er die Schwierigkeiten, die doch unüberwindlich schienen. Farchard ist unsterblich. Er ist die Menschheit, das Volk, das sich durch riesige Berge hindurch an sein Ziel heranarbeitet. Und die schöne Schirin, das ist ein lichtes Sinnbild des Sozialismus, einer Welt des Friedens, des Glücks, der schöpferischen Kraft. Welch ein tiefer Sinn und wieviel Poesie liegen doch in diesem Märchen ! Wir sind diesmal bei Professor Georgi Iosifowitsch Pokrowski zu Gast. Ihr hattet doch nicht etwa angenommen, er sei Philologe und Folklorist? 0 nein! Er ist einer unserer bedeutendsten Spezialisten auf dem Gebiet der Sprengstoffe. Zu Beginn des Gesprächs ruft er uns dieses herrliche alte Märchen ins Gedächtnis, und er erzählt es so lebendig, mit so viel schönem Schwung, daß er manch einen unserer Poeten beschämen könnte. Apropos! Es ist uns zu Ohren gekommen, daß der Professor tatsächlich Verse macht. Worüber? Natürlich über die Romantik der Wissenschaft und der Arbeit. Für so manchen Aufsatz, den er 83
schreibt, verfertigt er auch selbst die Textillustrationen. Er malt Landschaften in öl, und wenn die Familie in glücklicher Runde beisammensitzt, spielt er eigene Kompositionen. Man möchte es kaum glauben, daß dieser lebensfrohe Mensch, der sich für alles Edle und Schöne auf der Welt begeistert, mit Stoffen zu tun hat, in denen eine furchtbare, zerstörende Kraft verborgen liegt. Ich glaube, er errät unsere Gedanken, denn er sagt plötzlich: „Jahrhundertelang waren die Explosionen Mittel der Zerstörung. Früher lief das Bestreben der Wissenschaftler darauf hinaus, die Wirkung der Detonation zu vergrößern. Im 20. Jahrhundert erreichte die wissenschaftliche Forschung jedoch eine so hohe Entwicklungsstufe, daß wir nunmehr faktisch jede beliebige Sprengwirkung erzielen können. Für die Möglichkeiten der Zerstörung gibt es keine objektive Grenze mehr. Die Wissenschaftler erklären heute geradeheraus, daß die Verwendung von Atom- oder Wasserstoffbomben für militärische Zwecke nicht nur einzelne Städte und Länder bedrohen, sondern die Existenz der gesamten Menschheit und des ganzen Erdballs aufs Spiel setzen würde. Die Kriegstechnik hat auf diesem Gebiet ihren Höhepunkt erreicht. Sie hat sich gleichsam dem roten Strich genähert, den ein Mensch mit gesunden Sinnen nicht mehr zu überschreiten wagt. Und ich hoffe sehr, daß sich nicht eines Tages ein paar Wahnsinnige finden werden, die diese Grenze mißachten … Deshalb können wir uns heute selbstverständlich nur noch darüber den Kopf zerbrechen, welche Möglichkeiten es gibt, die ungezügelten Kräfte der Natur in den Dienst des Menschen zu stellen. Gestatten Sie, daß wir einen Blick nach vorn tun. Die Zeit ist nicht mehr fern, wo Sibirien mit einem Netz von Eisenbahnlinien und Landstraßen durchzogen sein wird. Diese zahlreichen Verbindungswege werden vor allem von Westen nach Osten verlaufen, in Richtung der Breitengrade. Die kürzeste Strecke von Westeuropa nach Peking wird in einer direkten, geraden Linie durch das sowjetische Mittelasien und Kasachstan führen. Die
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erstarkenden freundschaftlichen Beziehungen zu den Völkern Asiens wie die Erfordernisse des wachsenden Handels stellen die Menschen unserer Hemisphäre schon in den nächsten Jahrzehnten vor die Aufgabe, den Himalaja und den ganzen Gebirgsgürtel zu durchstoßen, der Nord- und Südasien voneinander scheidet. Mit der Zeit werden die Menschen begreifen, daß die Straßen in Nord-Süd-Richtung für die Weltwirtschaft der Zukunft noch bedeutungsvoller sind als die heutigen Ost-West-Verbindungen, und sie werden ein Mittel suchen und finden, die Gebirgswand, die heute noch eine Scheide zwischen Süd und Nord errichtet, durch Sprengungen zu beseitigen. Ein Beispiel aus der Volksrepublik China. Man hatte den Bau einer neuen Eisenbahnstrecke begonnen: von Baotsin nach Tschendu. Da stellte sich der gewundene Lauf eines Flusses in den Weg. Die chinesischen Fachleute und einige sowjetische Spezialisten spalteten den Berg durch eine Reihe von Sprengungen in zwei Teile. Daraufhin strömte nun der Fluß in sein neues Bett ein, das säuberlich durch den Berg getrieben war. Dann folgte eine weitere Serie von Sprengungen, die noch einen tiefen Einschnitt in den Berg rissen. Den Fluß entlang aber zogen sich jetzt zwei wunderschöne Eisenbahndämme. Verlauf, Höhe und Form der Dämme waren schon im voraus bestimmt gewesen. Wozu die Märchenhelden noch ein halbes Menschenleben brauchten, das vollbringen unsere Werktätigen in wenigen Tagen. Am 31. Dezember 1956 entstand - gleichfalls in China, nördlich von Lantschou -ein neues Bergwerk. An einem Tage! Reichlich fünfhundert Waggons voll Ammonsalpetersprengstoff, das waren 9200 Tonnen, legten in einer gewaltigen Explosion die Oberfläche eines Erzlagers frei. Die darüber lagernde dicke Erdschicht wurde in die Luft gesprengt. Ein volles Jahr Arbeit war eingespart. Diese Sprengung war allerdings der Rekord in der ganzen bisherigen Menschheitsgeschichte, und sie war so kompliziert, verlangte so viel feinnerviges Verständnis und war dabei zugleich eine so großartige Tat, daß in den kapitalistischen Ländern bislang
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gar nicht einmal der Versuch unternommen wird, eine ähnliche Leistung zu vollbringen. Sprengstoffe werden aus der gleichen Substanz hergestellt wie künstlicher Dünger. Bedeutet das aber nicht, daß sich die Entwicklung der Sprengtechnik auf Kosten der künstlichen Bodendüngung vollzieht? Kann man es denn wirklich wagen, Tausende Waggons Sprengstoff alljährlich in die Luft zu jagen, ohne Gefahr zu laufen, den Pflanzen in der Landwirtschaft ihre wichtigste Ernährungsgrundlage zu entziehen? Die Sache wird jedoch einen etwas anderen Verlauf nehmen. Stellen Sie sich ein Bohrloch vor, in das man einen Zylinder von etwa zwanzig Zentimeter Durchmesser einführt. Dieser Zylinder enthält einen thermonuklearen Sprengstoff. Durch die nukleare Explosion werden Zehntausende, ja Hunderttausende Tonnen eines gewöhnlichen Sprengstoffes eingespart, ganz abgesehen davon, daß man bei der herkömmlichen Sprengung zunächst einmal einen Raum freilegen müßte, der etwa dem Umfang von zwanzig achtstöckigen Häusern erjtspräche. Man kann sich leicht ausrechnen, in welchem Ausmaß die Vorbereitungsarbeiten durch die Verwendung des thermonuklearen Sprengstoffs beschleunigt und vereinfacht werden. Doch wenn man sich das Schema einer solchen unterirdischen Thermonuklearbombe einmal näher betrachtet, so wird man sehr erstaunt sein. Vergeblich sucht man daran die übliche Atombombe, die bei einer Wasserstoffbombe sonst die Rolle des Zünders übernimmt. Statt dessen finden wir eine seltsame elektrische Vorrichtung, einen Entlader, der nach dem Kumulationsprinzip arbeitet. Für einen Augenblick konzentriert er auf einen winzigen Raum eine so gewaltige Temperatur, daß diese ausreicht, um eine thermonukleare Reaktion zu bewirken. Es ist ja kein Zufall, daß das Akademiemitglied Arzimowitsch, der die ersten Versuche mit einem elektrischen Zünder unternahm, sich gerade auf das Kumulationsprinzip stützte. Selbst die kühnsten Phantasten vermochten früher nicht zu ahnen, welche frappierenden Ergebnisse die Wissenschaftler damit erzielen können. Ein konkaver Spiegel
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vereint die aufgefangenen Sonnenstrahlen in einem Punkt, im Fokus. Diese Erscheinung bezeichnen wir als Kumulation. Im Brennpunkt wird eine Temperatur entwickelt, die ausreicht, um Holz in Brand zu setzen und Metall zum Schmelzen zu bringen. Fertigt man einen Hohlspiegel aus Metall an, so ist es möglich, auf der konkaven Seite eine urgewaltige Kraft zu kumulieren, deren Wirkung ungeheuer ist. Zur Zeit des Vaterländischen Krieges wurde das Hohlladungsprinzip für militärische Zwecke ausgenutzt. Durch die Konzentration des Explosionsdrucks auf einen Punkt war es möglich, bei Verwendung von ganz gewöhnlichem Sprengstoff einen schweren Tank zu durchschlagen, dessen Panzerung manchmal doppelt und dreimal so stark war wie das Geschoß. Bei der Auslösung einer konzentrierten elektrischen Entladung wird eine noch ungleich intensivere Energieballung erreicht. Nach diesem Prinzip funktioniert der Zünder unserer Wasserstoffbombe, die wir in den Dienst der Aneignung der Natur stellen.“ So legen die Gelehrten von heute mit ihren Versuchen den Grundstein für die neuen technischen Erfolge von morgen. Was aber spielt sich eigentlich in dem Zylinder ab? Welche Vorgänge sind dort zu beobachten, wenn die Entladung ausgelöst wird? Diese Fragen richten wir jetzt an unseren Gesprächspartner. „Sehen Sie…“ Georgi Iosifowitsch nimmt einen dicken runden Bleistift vom Tisch. „Nehmen wir einmal an, dieser Bleistift bestände aus Sprengstoff. Die Wirkung der Explosion würde sich nicht nur nach außen richten, sondern — auf Grund der Kumulationsgesetze — auch nach innen, gegen die Achse des Zylinders, wo sich in unserem Bleistift die Mine befindet. Der Druck in der Längsachse würde augenblicklich eine kolossale Stärke erreichen. Wie aus einem Rohr würden zu beiden Seiten, unten und oben, die Gase ausströmen. Wenn man die ganze Ladung, den ganzen Sprengstoffzylinder gleichzeitig zur Explosion bringt, so
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gewinnen die beiden Gasströme die erstaunliche Geschwindigkeit von 90 Kilometern in der Sekunde, das heißt, daß die dritte kosmische Geschwindigkeit übertroffen wird. Die Gase bewegen sich dreimal so schnell wie unsere Erdkugel durch den Weltraum fliegt, und achtmal so schnell wie die Rakete, die später einmal von der Erde aus zu ihrer interplanetaren Reise startet. Ich bin mir sicher, daß der Mensch sich auch solcher hohen Geschwindigkeiten für seine Zwecke zu bedienen weiß, noch bevor das 20. Jahrhundert zu Ende geht.“ Wir begeben uns nun in ein Laboratorium. „Ich wette, Sie werden nicht erraten, in welchem Verfahren jene Röhre dort hergestellt wurde“, sagt der Professor, und er bittet uns, an den Tisch heranzutreten, auf dem wir ein stählernes Rohr entdecken, das uns an den Lauf einer kleinkalibrigen Pistole erinnert. In der Mitte sehen wir eine enge Öffnung, die sich in Längsrichtung durch das ganze Stück zieht. Eine Feile gleitet von dem Metall glatt ab: es ist Martensit, ein außerordentlich harter Stahl mit hohem Kohlenstoffgehalt. „Früher war das einmal reines, weiches Eisen“, bemerkt Georgi Iosifowitsch. Der Professor ist bestrebt, unsere Neugier soweit wie möglich zu befriedigen. Er spricht von Dingen, die uns immer wieder aufs neue verblüffen. Wir versetzen uns in das metallverarbeitende Werk ,Sechzig Jahre Oktober4. Es ist sehr schwierig, Wolfram, Molybdän und andere hochschmelzende Metalle zu bearbeiten. Natürlich lassen sie sich auch nur schlecht walzen. So ist es beispielsweise unmöglich, auf herkömmliche Weise ein Rohr daraus anzufertigen. Leider kommen wir aber ohne dieses Einzelteil nicht aus. Wir brauchen es sowohl für die bei hohen Temperaturen arbeitenden Atomkraftwerke wie für die leichten Atommotoren der Flugzeuge, und da ist es eine großartige Leistung, wenn das Werk ,Sechzig Jahre Oktober4 die Produktion solcher Rohre aufgenommen hat. Sie werden in einer besonderen Werkhalle hergestellt, unter
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Anwendung eines Spezialverfahrens. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Explosion. Wenn man diese Halle betritt, spürt man, daß die Anlage in einem bestimmten Rhythmus arbeitet. In gleichmäßigen Abständen wird die ganze Halle erschüttert. Zunächst fällt uns ein Transportband auf, das ein Rohr aus Sprengstoff befördert. Das Innere des Rohres ist mit einer gleichmäßigen Schicht von feinem Wolframpuder bedeckt. Es wandert in eine Betonkammer, die sogleich fest verschlossen wird. Der Dispatcher drückt auf einen Knopf, er ,sprengt*. Fast gleichzeitig erfolgt die Explosion. In diesem Augenblick wird der Wolframpuder durch den Explosionsdruck gegen die Achse des Rohres geschleudert. Es backt zusammen und erhält die Form einer Stange. Infolge des Beharrungsvermögens wird die Stange zunächst zusammengepreßt. Dann schnellt sie wie eine Sprungfeder auseinander. Im Innern entsteht dabei ein Hohlraum, ähnlich wie in unserem Bleistift von vorhin, aus dem wir die Mine entfernt haben. In dieser Gestalt werden die Wolframrohre abgekühlt. Die Bedienung der mächtigen ,Presse*, deren ,Einzelteile* aus Gasströmen bestehen, besorgt ein Jüngling mit dem Abzeichen des Kommunistischen Jugendverbandes auf der Brust. Wir beobachten, daß die Ladung manchmal kleiner, manchmal größer ist. Diese Unterschiede sind wichtig für die Festlegung des Durchmessers. Der Komsomolze produziert nämlich Wolframrohr mit unterschiedlichen Maßen, ganz wie es in den jeweiligen Aufträgen vorgesehen ist. Die Rohre sind noch nicht ausgekühlt, strahlen noch starke Hitze aus, da wandern sie auf dem Band schon weiter zur Fertigproduktion. -„Das waren nur einige Beispiele**, sagt der Professor, „sie sollten einen kleinen Einblick in die Sprengstofftechnik der Zukunft gewähren. Wir sind uns ja darüber klar, daß der Mensch, je mehr seine Kräfte wachsen, sich um so stärker der heute noch wenig erforschten und dabei doch wunderbaren Sprengverfahren zuwenden wird. Er wird lernen, sich der Möglichkeit einer sprunghaften
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Energieverwandlung bei den vielfältigsten Gelegenheiten zu bedienen. Das Mittel dazu gibt ihm die Explosion in die Hand.“ î I I I t / [ I
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Im Flammenschein und unter dem Krachen der gebändigten Explosion wurden die Maschinenteile geboren, die man in keinem anderen Verfahren hätte herstellen können r \
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Im Namen des Lebens DIE BIOLOGIE WISSENSCHAFT
WIRD
ZUR
EXAKTEN
DIE GESCHICHTE EINER UNBLUTIGEN CHIRURGIE DAS GOLDENE ZEITALTER LIEGT NOCH VOR UNS AN EINEM TISCH MIT POSEIDON KONSTRUKTEURE DER BELEBTEN NATUR \ Bei einem unserer gemeinsamen Gespräche brachte A.N.Nesmejanow folgenden Gedanken zum Ausdruck: „Man müßte auch mit den Ärzten sprechen. Oder interessiert es etwa nicht, welche Entwicklungsaussichten das 21. Jahrhundert für die Medizin in petto hält? Meiner Ansicht nach werden dann schon alle Krankheiten, die uns gegenwärtig noch in Furcht und Schrecken versetzen,
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vollkommen bezwungen sein. Gerade in der Medizin schreitet die Entwicklung neuerdings mit Riesenschritten voran. Es ist noch nicht lange her, da war die Lungenentzündung eine langwierige und schwere Krankheit, die nicht selten zum Tode führte. Jetzt aber sind wir schon so weit, daß ein paar Injektionen mit Penicillin genügen, um den Patienten völlig wiederherzustellen. Bei der Tuberkulose liegen die Dinge nicht wesentlich ungünstiger. Die Frage einer hundertprozentigen Überwindung der Tuberkulose steht bereits auf der Tagesordnung. Wenn wir das Fazit ziehen, so können wir sagen, daß es nur ganz wenige Krankheiten gibt, mit denen wir immer noch nicht fertig werden. Das sind der Krebs, die Geisteskrankheiten und gewisse Erkrankungen des Herzens und des Gefäßsystems. Im 21. Jahrhundert werden sie für die Menschen genauso harmlos sein wie heutzutage eine Lungenentzündung. Nun ja - werden Sie sicher fragen -, und was machen denn dann die Ärzte? Sollen sie sich vielleicht nur mit Hygiene und Prophylaxe abgeben und ansonsten in den Sanatorien sitzen und sich langweilen? Wir wollen aber nicht vergessen, daß die Ärzte eine neue und außerordentlich bedeutsame Aufgabe vor sich sehen, die sie wohl nie und nimmer restlos lösen können. Das ist die Vervollkommnung und unbedingte Gesunderhaltung des menschlichen Organismus. In gewissem Umfange wenden wir unser Interesse dem wichtigen Problem der Korperertüchtigung freilich schon zu. Der Sport zum Beispiel verfolgt ja keinen anderen Zweck, als den Organismus zu entwickeln und zu kräftigen. Was aber ist natürlicher, als daß diese Aufgabe immer stärker in den Vordergrund tritt, daß sie schließlich zur medizinischen Hauptaufgabe wird, um unaufhörlich neue Bereiche zu erfassen und neue Resultate zu erzielen, die, wenn man sie von unserer heutigen Warte aus betrachtet, einfach verblüffend anmuten? Meine persönliche Meinung ist die: Es kommt letzten Endes gar nicht so sehr darauf an, daß jemand zwei oder zweieinhalb
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Zentner stemmen kann, als darauf, daß sein allgemeiner Gesundheitszustand in Ordnung ist und daß er über einen allseitig und gut entwickelten Körper verfügt. Wenn einmal zehn Zentner transportiert werden müssen, ist es ja immerhin möglich, zu diesem Zwecke einen Kran einzusetzen. Unsere Aufgabe kann daher unmöglich darin bestehen, nur die Muskulatur zu entwickeln, um dann fabelhafte physische Kraftleistungen zu vollbringen. Vielmehr geht es gerade darum, daß wir unseren gesamten Organismus qualitativ aufbessern und, wenn nötig, auch entlasten, um unsere geistige Leistungsfähigkeit weiter steigern zu können. Und hier sind unsere Möglichkeiten doch oftmals noch sehr beschränkt. Scheint es Ihnen nicht auch, daß man beispielsweise für die Lektüre der Schönen Literatur ein bißchen viel Zeit aufwenden muß? Mindestens doch wohl eine Minute pro Seite. Nehmen wir einmal den „Klim Samgin“. Ohne Zweifel ist das ein ganz prachtvoller Roman. Aber leider braucht man mehr als vierundzwanzig Stunden, um ihn zu verarbeiten! Wir machen Exzerpte, hören Vorträge, legen Karteien an; denn wir haben so unsere Erfahrungen. Im Umgang mit wissenschaftlicher Literatur zeigt es sich immer wieder, daß es zumindest riskant ist, sich nur auf das Gedächtnis zu verlassen. Sehen Sie, und so raubt uns das alles viel kostbare Zeit, die wir nötig brauchen können, um auf unserem Gebiet schöpferisch tätig zu sein. Darum besteht eines der wichtigsten Anliegen der Medizin der Zukunft darin, die Tätigkeit des höheren Nervensystems des Menschen bis zur höchstmöglichen Vollkommenheit zu entwickeln. Und deshalb errichten wir jedem ein Denkmal, der uns diesem Ziele einen Schritt näher bringt. Ein Mensch allein wäre allerdings zu schwach, die ganze Aufgabe zu lösen.“ Er sagte das alles mit heiterer Miene, lächelnd und ohne viel Pathos. Um so mehr war sein Lächeln für uns ein Ansporn, die Erörterung mehrerer biologischer und medizinischer Probleme mit größerem Ernst zu erwägen, als wir ursprünglich geplant hatten.
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Riesig ist das noch unerforschte Gebiet, auf das wir unablässig weiter vorstoßen, wahrscheinlich ohne es jemals ganz in Besitz zu nehmen. Aber dennoch führen wir den Kampf an der vordersten Linie mit dem Einsatz aller Kräfte und nach allen Regeln der Kriegskunst. So befinden wir uns in einem ständigen Angriff, errichten Brückenkopf um Brückenkopf und dringen langsam, langsam vor. wobei sich die Linien der attackierenden Armeen der Wissenschaft bisweilen kreuzen und vereinen. Und zwischendurch gibt es einen Sturmangriff und noch einen … Und wir stoßen auf den hartnäckigsten Widerstand des Gegners, auf seine befestigten Linien, die er jahre- und jahrzehntelang gegen alle Angriffe hält. Dann ein Stoßunternehmen - irgendeine kühne Hypothese ist plötzlich da - weit ins Unbekannte vorgetragen, es scheint schon Boden zu gewinnen und ein Stüde feindliches Gebiet zu bezwingen … Und wird zerschlagen, bleibt im schweren Artilleriefeuer liegen. Neue Tatsachen. Fakten, die stärker sind, weil noch unerklärlich, machen alles wieder zunichte. Das bedeutet Rückzug. Aber solche Rückzüge sind schon nicht mehr typisch. Unaufhaltsam rückt die Front der Wissenschaften vorwärts, trotz gelegentlicher Rückschläge und wenn auch nicht in gleichem Tempo auf der ganzen Linie. Es ist tatsächlich wie ein Krieg. Die Front des Feindes erzittert unter den Schlägen unserer Armeen, gerät bald hier, bald dort ins Wanken. Aber wo einmal ein Durchbruch erzielt wurde, werden Stoßbrigaden eingesetzt, um den Vormarsch fortzusetzen, um den Sieg zu vollenden. Die Operationen der benachbarten Einheiten sind koordiniert. Wenn an einem Frontabschnitt ein Durchbruch gelingt, bedeutet das mitunter einen Sieg auch für die Verbände zur Linken und Rechten. Jedenfalls: an der vordersten Front der Wissenschaft zu stehen, das heißt, vor allem dort zu sein, wo am heißesten gekämpft wird, wo die Stoßtrupps der Wissenschaftler unermüdlich die feindlichen Linien angreifen und durchbrechen. In den letzten Jahrzehnten waren die Erfolge sehr beachtlich. Vor allem befand sich die Kernphysik auf einem
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zügigen Vormarsch, schuf einen breiten Brückenkopf, von wo aus die gleichzeitigen Vorwärtsbewegungen an den anderen Abschnitten der gemeinsamen Front gedeckt und gesichert werden konnten. Da war die Biologie, die unter Ausnutzung der Errungenschaften der Kernphysik unser Wissen von den pflanzlichen Stoffwechselvorgängen beachtlich erweiterte. Da war die Medizin, die mit Hilfe von radioaktiven Isotopen etwas tiefer in die Geheimnisse gewisser bösartiger Geschwülste eindrang. Da war die Geschichtswissenschaft, der es die Isotope gestatteten, das Alter der ägyptischen Pharaonenwagen oder der Wikingerschiffe genau zu bestimmen. Doch ist es einfach unmöglich, hier im einzelnen aufzuzählen, was dieser Durchbruch der Atomphysik für die übrigen Wissenschaften bedeutete. Unsere Kernphysiker setzen selbstverständlich die Befestigung des Brückenkopfes fort. Sie gewinnen dadurch immer tiefergreifende Einblicke in die Struktur und in das Wesen der Materie. Gleichzeitig erweitern sie das eroberte Gebiet in der Breite, entdecken neue Anwendungsmöglichkeiten für die bereits erschlossenen Gesetzmäßigkeiten und gelangen zu neuen Erkenntnissen. Ein zweiter Vorstoß von ähnlich großer Bedeutung gelang der Chemie durch die Herstellung der künstlichen Werkstoffe. Im Maschinenbau treten die Plaste bereits als Konkurrenten des Metalls auf, und im Baugewerbe wetteifern sie mit Ziegel und Holz. Sie dringen in sämtliche Zweige der Volkswirtschaft ein und gewinnen für alle Gebiete des täglichen Lebens eine stets wachsende Bedeutung. Die Halbleiter sind das Ergebnis eines weiteren großen Sieges an der Front der Wissenschaften. Der bedeutsamste Vorstoß aber war vielleicht der Start der Sputniks, der ersten künstlichen Erdtrabanten und Himmelskörper, die der Mensch mit seinen Händen geschaffen hat. Es ist noch gar nicht abzusehen, welche Konsequenzen die Erforschung der Marsflora für die Biologie und vielleicht auch für die Landwirtschaft nach sich ziehen wird oder welche praktische Bedeutung eine genaue Analyse der Gesteinsarten auf dem Mond und auf dem Merkur für die Geologie und
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Metallurgie haben kann. Sicher ist jedoch, daß der Vorstoß ins All das Entwicklungstempo und den Entwicklungsgang auf einem breiten wissenschaftlichen Felde in maßgeblicher Weise beeinflussen wird. Eine große und zugleich schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe besteht auch darin, die Frontabschnitte herauszufinden und im voraus zu bestimmen, wo wahrscheinlich ein neuer Durchbruch erfolgen wird. Das ist wichtig, damit die erforderlichen Befehle erteilt und die Stoßrichtungen der angreifenden Verbände auf bestimmte Punkte konzentriert werden können. Die Lösung dieser Aufgabe fällt in den Arbeitsbereich der Akademie der Wissenschaften und ihres Präsidiums. Wir haben mit vielen Wissenschaftlern gesprochen und bemerkt, daß sie übereinstimmend die Ansicht vertraten, die Biologie werde schon in absehbarer Zeit eine ganze Reihe grandioser und sehr aussichtsreicher Vorstöße in wissenschaftliches Neuland unternehmen. Und wirklich: wie groß und unermeßlich sind die Geheimnisse der belebten Natur, die noch ihrer Enthüllung harren. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts stand im Zeichen der glanzvollen Siege der Physiker, war gekennzeichnet vor allem durch den erfolgreichen Sturm auf den Atomkern. Die zweite Hälfte unseres ruhmreichen Jahrhunderts bringt uns sehr wahrscheinlich die restlose Erkundung der Zelle, besonders des Zellkerns. Wie es den Physikern bereits gelingt, ein chemisches Element in ein anderes umzuwandeln, so werden die Biologen lernen, künstliche Eiweißmoleküle zu erzeugen und damit zu Schöpfern der belebten Materie zu werden. Aber die Angriffe auf die Geheimnisse der Lebewesen werden nicht etwa nur von den Biologen unternommen. Eine Vielzahl verschiedener Fachgelehrter, die teilweise weit von der Biologie entfernt zu sein scheinen, nimmt an dieser Offensive teil. Während die Biologen bemüht sind, durch Analyse hinter die Geheimnisse des Zellkerns, der Gene und des belebten Eiweiß zu kommen, arbeitet die organische Chemie mit der 97
Synthese, produziert immer kompliziertere Moleküle und nähert sich den gleichen Zielen von einer anderen Seite. Während die Psychologen das ganze System der bedingten und unbedingten Reflexe untersuchen und bemüht sind, den Ablauf des Denkmechanismus zu erforschen, konstruieren Spezialisten der Automation ein nach den Gesetzen der Logik funktionierendes, mit einem künstlichen „Gedächtnis“ ausgestattetes Elektronenhirn. Elektronenmaschinen, die in der Lage sind, gehorsam nach den Befehlen des Menschen zu handeln, grad so, als wären sie mit einem Schema von bedingten und unbedingten Reflexen ausgestattet, sind das Ergebnis dieser Arbeit. Die Biologie profitiert von den übrigen Wissenschaften und beschleunigt gleichermaßen auch deren Entwicklungstempo, alles zu gegenseitigem Nutzen und Vorteil. Aber es steht so gut wie fest, daß die Biologie im weiteren Sinne des Wortes gerade denjenigen Frontabschnitt besetzt hält, von dem sie in den kommenden fünfzig Jahren einen gewaltigen Sprung nach vorn tun kann, um eine Kette neuer grandioser Siege zu erringen. In dem folgenden Kapitel berichten wir über unsere Gespräche, die wir mit maßgeblichen Initiatoren des bevorstehenden Großangriffes führen durften. \
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Die Biologie wird zur exakten Wissenschaft In der Menschheitsgeschichte war es seit jeher so, daß auf den verschiedenen Entwicklungsetappen immer ein spezielles wissenschaftliches Gebiet eine ganz besondere Spitzenstellung einnahm. So wurde beispielsweise das Zeitalter des Dampfes vom Zeitalter der Elektrizität abgelöst, und so waren wir selber unmittelbare Augenzeugen des rasdien Aufschwungs, den die Entwicklung der Chemie nahm. Wir sahen, wie die Kernphysik in Siebenmeilenstiefeln schnell voranschritt. „Welches Gebiet der Wissenschaften wird nun im 21. Jahrhundert die Führung übernehmen?“ fragen wir Wladimir Alexandrowüsch Engelhardt. Er ist Akademiemitglied und steht an der Spitze der Abteilung Biologie an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. „Meiner Uberzeugungnach“,erwidertunsWladimir Alexandrowitsch, „Verden das die Biophysik und die Biochemie sein, die sich zu einem neuen Zweig vereinigen. Es gibt keinen einzigen Stoff, den der Chemiker nicht mit Hilfe der Analyse restlos enträtseln könnte. Andererseits bereichert die Chemie das Angebot der Natur, indem sie auf synthetischem Wege völlig neuartige Verbindungen aufbaut, deren Eigenschaften von vornherein bestimmt, sozusagen ,in Auftrag gegeben4 werden können. Gleichzeitig gewinnen wir wertvolle physikalische Erkenntnisse durch die Kernphysik. Durch die Ergebnisse der Kernforschung erschloß die Physik dem Menschen eine einzigartige und unerschöpfliche Energiequelle.
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In diesem zügig voranschreitenden Entwicklungsgang richteten die Vertreter der exakten Wissenschaften ihr Augenmerk hauptsächlich auf die unbelebte Natur. Doch vor uns vollzieht sich gegenwärtig eine andere recht bedeutungsvolle Entwicklung: Auch die Biologie, also die Lehre von der belebten Natur, ist auf dem besten Wege, gleichfalls eine exakte Wissenschaft zu werden. Diese bemerkenswerte Tatsache ist darauf zurückzuführen, daß die Biologie sich in immer stärkerem Maße der Forschungsmethoden der exakten Wissenschaften - der Physik, der Chemie und der Mathematik — bedient und diese bei der Untersuchung belebter Objekte erfolgreich anwendet. Einmal recht alt zu werden … dieser uralte Menschheitstraum geht allmählich in Erfüllung - zwar nicht so schnell, wie man sich es wünschen könnte, aber wir rücken dem ersehnten Ziele doch unaufhaltsam näher. Das durchschnittliche Lebensalter wurde im Verlaufe von nur einer Generation um mindestens zwanzig Jahre verlängert. Dies ist das schöne Ergebnis der Tatsache, daß wir die gefährlichsten Infektionskrankheiten heute fast völlig unter Kontrolle haben. Das gilt für Pneumonie wie für Tuberkulose, für Typhus wie für Malaria. Ein großartiger Sieg, den wir von der Wissenschaft mit Recht schon sehr bald erwarten, wird mit der endgültigen Erforschung der Krebsgeschwülste errungen sein. Sobald wir in Erfahrung gebracht haben, welche besonderen chemischen Prozesse in der Geschwulst ablaufen, was also letzten Endes den Unterschied zwischen den Krebszellen und den Zellen des gesunden Gewebes ausmacht, werden wir auch daran denken können, ein wirksames Bekämpfungsmittel dieser schrecklichen Geißel der Menschheit zu entwickeln. Die Wissenschaftler schätzen schon ab, wieviel Zeit sie noch brauchen werden, um auch hier einen entscheidenden Sieg zu erkämpfen, und da ist es doch sehr ermutigend zu hören, daß selbst die vorsichtigsten Spezialisten eine Zeitspanne von höchstens zwei Jahrzehnten nennen. Wenn diese Prognose in Erfüllung geht, würde das bedeuten, daß der Mensch noch vor Ablauf unseres Jahrhunderts das Schreckgespenst Krebs vergessen hat - so wie er heute nicht
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mehr an die einst so gefürchteten Pocken denkt oder an die Tollwut. Natürlich ist schwer zu sagen, wer in diesem Ringen größere Aussicht auf Erfolg hat, die Chemiker mit ihren Medikamenten oder die Physiker mit ihrer Strahlentherapie. Möglicherweise, oder sogar sehr wahrscheinlich, wird der Sieg das Ergebnis des Zusammenwirkens beider Richtungen sein. Stellen wir uns einmal vor, die Chemiker hätten bereits ein Mittel erfunden, das von dem Gewebe der Geschwulst aufgenommen und festgehalten wird. Die Krebsgeschwulst würde man dann mit Neutronen bestrahlen, die für das gesunde Gewebe unschädlich sind. Der in der Geschwulst aufgespeicherte Stoff würde dadurch jedoch radioaktiv werden. Die nunmehr einsetzende Bestrahlung von innen würde die Geschwulst zerstören, ohne den Organismus des Menschen zu gefährden. Man kann jedenfalls sagen, daß die mittlere Lebenserwartung durch die Bezwingung der schweren Krankheiten sehr günstig beeinflußt wird. Jedoch haben wir noch eine andere Möglichkeit, das Leben des Menschen zu verlängern. Ein Drittel unseres Daseins verbringen wir im Schlaf, verlieren dadurch kostbare Zeit, die wir für uns und für die Gesellschaft sehr gut anderweitig nutzen könnten. Während wir schlafen, ruht das zentrale Nervensystem aus, werden neue Stoffwechselreserven aufgebaut. Gewisse aus der Lebensfunktion der Nervenzellen herrührende Stoffe, die man mit Vorbehalt als ,Ermüdungstoxine4 bezeichnen könnte, werden neutralisiert. In den Kriegsjahren stellten wir Benzedrin, Pervitin und andere Präparate her, die geeignet waren, die Ermüdung der Nerven vorübergehend zu beheben, und die es dem Menschen gestatteten, den Wachzustand bei einer erhöhten Erregbarkeit des Zentralnervensystems auf das Zwei- bis Dreifache auszudehnen. Allerdings wurde der ,eingesparte* Schlaf später wieder »verausgabt*, weil der Betreffende das Versäumte nachholen und bedeutend länger als gewöhnlich schlafen mußte. 101
Wenn die Chemiker die Natur und Entstehungsgeschichte der erwähnten ,Ermüdungsstoffe* erst genau kennen, finden sie sicher auch Mittel und Wege, um diese Stoffe entweder durch Fermente unwirksam zu machen oder sie mit Hilfe von unschädlichen Präparaten chemisch zu binden. Aber man kann sich auch andere Möglichkeiten zur Beseitigung der Ermüdungserscheinungen vorstellen. Beispielsweise ist es doch denkbar, daß man solche elektrischen Schwingungen ausfindig macht, die durch kleine an den Kopf gelegte Elektroden dem Gehirn zugeführt werden und die darin ablaufenden Restaurierungsvorgänge beschleunigen. Die Ermüdungsstoffe, die gewöhnlich erst nach einem achtstündigen Schlaf neutralisiert werden, könnten so bereits nach einer oder nach zwei Stunden unschädlich gemacht sein, ohne daß dadurch dem Organismus irgendein Nachteil erwüchse. Wenn man die Schlafdauer in dieser Weise reduziert, indem man die vorhandenen inneren Reserven ausnutzt, verlängert man das Leben des Menschen um zwanzig bis dreißig Jahre. So dringen die Physik und die Chemie auf viele biologische Teilbezirke vor. Auch in die Genetik mischen sie sich ein, und gerade hier erwarten wir schon in wenigen Jahren einige besonders bedeutsame, wenn nicht umwälzende Ergebnisse dieser glücklichen Vereinigung. Das brennendste Problem für die moderne Biologie besteht wohl in der Lösung des Vererbungsrätsels. Kurz gesagt läuft die Geschichte auf folgende Frage hinaus: Wie ist es möglich, daß in einer mikroskopisch kleinen Zelle die ganze Vielzahl der strukturellen und funktionellen Einzelheiten für sämtliche Organe und Gewebe des späteren Individuums bereits vorgezeichnet sind? Wodurch wird die Auswahl von väterlichen und mütterlichen Vererbungsmerkmalen, die in dem späteren Organismus zutage treten, bestimmt? Wie erfolgt die Ubertragung von gattungsspezifischen und individuellen Besonderheiten auf die Nachkommenschaft? Die naiven Vorstellungen der Vitalisten, daß all diese Vorgänge auf das Wirken bestimmter geheimnisvoller und
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nicht erkennbarer Lebenskräfte in den Organismen zurückzuführen seien, werden heute ja nicht mehr ernstgenommen. Im bisherigen Verlauf unseres Jahrhunderts gelang es den Biologen, die allgemeinen Vererbungsgesetze zu erkennen. Nunmehr nähern wir uns mit Macht dem Zeitpunkt, wo wir die chemische Beschaffenheit jener Stoffe zu bestimmen imstande sind, die für die Vererbung verantwortlich zeichnen. Eine direkte Aufgabe der Biochemie der Zukunft besteht darin, die Sprache der atomaren und molekularen Verbindungen zu dechiffrieren, die dem chemischen und physikalischen Code zugrunde liegt. Natürlich wird es nicht gerade leichtfallen, diese Aufgabe zufriedenstellend zu lösen. Aber man braucht kein übermäßig großer Optimist zu sein, um anzunehmen, daß der ,biologische Code4 in fünfzig Jahren entschlüsselt sein wird, daß die chemische Chiffre dann gelesen werden kann. Von diesem Augenblick an ist der Mensch uneingeschränkter Herrscher über die belebte Welt. Wenn er die Vererbungsträger, die Chromosomen, willkürlich verändern kann, hat er ja die Möglichkeit, den Pflanzen und Tieren jene Eigenschaften zu verleihen, die sie nach seinem Willen besitzen und weitervererben sollen. Etwas Ähnliches gelingt uns jetzt schon bei den einfachsten Organismen. ich kann mir vorstellen, daß wir später einmal durch genetische Mittel viele krankheitserregende Mikroben vernichten oder, wenn Sie wollen, ,umerziehen4 werden. Die Biologen werden sie mit Hilfe einer künstlichen Mutation in harmlose kleine Lebewesen verwandeln. Die Beispiele, die ich Ihnen bei dieser Gelegenheit genannt habe, sind keine leeren Phantastereien, sondern stützen sich ausnahmslos auf unseren heutigen Wissens- und Erkenntnisstand. Das Entwicklungstempo pflegt in den Wissenschaften plötzlich lawinenartig anzuwachsen, und es ist wohl möglich, daß ein Wissenschaftler, der im Jahre zweitausendsieben irgendwo in einer Bibliothek auf dieses Buch stößt, sagt: ,Ach - wie zurückhaltend waren sie doch damals in ihren Träumen!4 Sicherlich wird das eine oder
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das andere von dem, was ich Ihnen heute erzählte, noch zu meinen Lebzeiten in Erfüllung gehen. Ja, ich bin sogar davon überzeugt, daß so mancher Leser dieses Buches, der vielleicht jünger ist als ich, nicht nur ein passiver Zuschauer der prächtigen Zukunftstaten sein wird, die uns zur Zeit noch halb phantastisch anmuten, sondern daß er bei ihrer Verwirklichung auch selber aktiv mit Hand anlegen wird.“
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Die Geschichte einer unblutigen Chirurgie Das war eine erstaunlich interessante Klinik, und über den Tag, den wir darin verbrachten, könnte man ein ganzes Buch schreiben. Michail Gerassimowitsch Ananjew ist der Direktor des Instituts für experimentelle Chirurgie. Er führt uns persönlich. Wir sehen neuartige Apparate und Instrumente, mit denen hier versuchsweise gearbeitet wird. Wir wissen: In späteren Jahren wird eine Klinik wie diese nichts Außergewöhnliches mehr sein. Auf Zehenspitzen schreitet er auf ein Krankenzimmer zu und öffnet die Tür. Der Patient bedeutet uns durch Kopfnicken einzutreten. Wir folgen seiner Einladung. Mit gewohnter Bewegung tastet die Hand nach dem Tischchen, das neben dem Krankenlager steht. Das Radio verstummt. Ein zweiter Druck auf einen Knopf, und das Kopfende des Bettes richtet sich empor. In dieser Stellung, halb liegend, halb sitzend, bereitet die Unterhaltung dem Patienten weniger Schwierigkeiten. Wir sehen uns alles genau an. Vom Bett aus kann man die Vorhänge am Fenster bedienen, die elektrische Beleuchtung, die Ventilation. Auch die Konstruktion des Bettes ist ungewöhnlich. Im nächsten Zimmer sitzt eine Frau. Sie hat einen weißen Kittel an. Vor ihr auf dem Tisch erkennen wir zwei Dutzend Fernsehschirme. Der Direktor Ananjew bemerkt unser Erstaunen. Er erklärt: „Dies ist der diensthabende Arzt. Von hier aus beobachtet er die Schwerkranken. Er ist immer auf dem Sprung zu helfen, jederzeit bereit, einen Arzt oder eine Schwester in eines der Zimmer zu entsenden. Elektrische Thermometer und elektrische Pulsmeßgeräte registrieren unablässig Körpertemperatur und Pulsschlag der Kranken.“ Doch diese interessante Apparatur wirkt beinah
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simpel im Vergleich diagnostischen Kabinett.
zu
unseren
Entdeckungen
im
Auch dort liegt ein Patient. „Ein Stethoskop …“ Der Professor weist mit den Augen auf die Leitung, die von der entblößten Brust des Kranken zu dem Lautsprecher auf dem Tisch führt. Wir suchen das bekannte Instrument mit den schwarzen Gummiknöpfen, die vor einer Untersuchung in den Gehörgängen des Arztes verschwinden. „Ein Radiostethoskop!“ erklärt uns Michail Gerassimowitsch. Aus dem Lautsprecher dringen seltsam glucksende Laute. Das ist das Herz, die lebenswichtige Pumpstation für das Blut. Der Arzt achtet gespannt auf jede Bewegung der Herzmuskulatur, lauscht wie ein Musiker auf die Schläge des Taktmessers. Wir schauen uns um. Auf einem vitrinenähnlichen Gerät an der Wand leuchtet ein Wort: „Diagnose.“ Michail Gerassimowitsch bittet den diagnostizierenden Arzt: „Schalten Sie doch bitte einmal das Elektronengerät ein.“ Der Angesprochene legt den Kranken auf den Behandlungstisch, wo sich eine für den Körper vorgesehene Vertiefung befindet. Rasch schließt er die Bänder und Spangen an Arme, Beine, Hals. Die Indikatorlämpchen beginnen aufzuglimmen. In der Relaismaschine knackt es. Der Automat „prüft“ den Pulsschlag des Kranken, den Blutdruck, die Atmung, das vorher in die Maschine gegebene Ergebnis der Blutuntersuchung sowie viele andere Faktoren, die selbst ein geübter und erfahrener Arzt nicht so schnell zu einer Diagnose zusammenfügen konnte. Das Resultat ist verblüffend. Die Maschine nennt die gelehrt klingenden lateinischen Bezeichnungen für drei verschiedene Krankheiten, als wollte sie sagen: „Tausende Möglichkeiten habe ich erwogen und verworfen. Drei aber sind übriggeblieben: Krankheiten mit
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den gleichen Symptomen. Weiter bin ich allerdings machtlos. Welche von den genannten Diagnosen in diesem Falle zutrifft, das müßt ihr nun schon selber entscheiden.64 „Vielleicht schalten Sie das Radargerät ein?66 rät unser Führer dem Arzt. Auf dem Schirm erscheinen die Umrisse des Herzens, der Leber, des Magens, der Därme. Auf den Millimeter genau zeigt das Gerät jede Abweichung von der normalen Größe und Lage der Organe. Diese „Durchleuchtung66 mit Hilfe eines Radargeräts ist deshalb möglich, weil die einzelnen Organe eine unterschiedliche Dichte aufweisen. Es vergehen nur etwa zehn Minuten, bis die Ärzte völlige Klarheit darüber besitzen, was dem Patienten fehlt. Er leidet an einer recht ausgefallenen Krankheit, und früher hätte man sehr viel Zeit darauf verwenden müssen, sie zu ermitteln. Aber eine Diagnose stellen und den Menschen wieder gesund machen, das sind schon zwei verschiedene Dinge. Wir bitten den Professor, auch einen Blick in den Operationssaal tun zu dürfen. Er geleitet uns in den angrenzenden Raum. „Aber Michail Gerassimowitsch, Sie haben uns wohl nicht ganz richtig verstanden. Wir hätten gern einen Operationssaal besichtigt. Das hier ist ja doch ein gewöhnliches Behandlungszimmer, wie wir es schon kennen.66 Aus dem Rahmen des Üblichen fällt in diesem Zimmer höchstens eine elektrische Apparatur. Nicht einmal einen Operationstisch können wir erblicken. Wir sehen einen Patienten, über dem das weiche Summen eines Ultraschallgerätes ertönt. Keine Spur von einem Chirurgen, weit und breit kein blutgetränkter Wattebausch, kein Stückchen Mull. Der Direktor beginnt zu sprechen, wobei er uns hin und wieder einen verschmitzten Blick zuwirft. Er weiß natürlich, daß seine ruhigen, sachlich gewählten Worte einen gewaltigen Eindruck auf uns machen. „Was Sie hier sehen, ist eine Leberoperation. Schauen Sie, jetzt werden aus dem Organ gerade einige Steine entfernt.64
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Wir reißen die Augen auf, soweit es nur geht, und als wir nichts entdecken, was auf eine Operation schließen lassen könnte, blinzeln wir uns verständnisvoll zu. Das heißt, daß wir auf den Scherz des Professors eingehen wollen. „Unerhört, Michail Gerassimowitsch ! So die Steine aus der Leber zu entfernen, ohne den Patienten mit dem Messer oder auch nur der Hand zu berühren___Man muß sich einmal überlegen, was das heißt. Das ist Technik in ihrer höchsten Vollendung.66 „Allerdings66, fährt der Professor fort. „Es dauert zwanzig Minuten, bis die Steine durch Ultraschall zu winzigen Staubkörnchen zertrümmert sind. Nach wenigen Tagen verlassen diese pulverisierten Steine den Organismus selbständig über den Verdauungsweg und 66 werden ausgeschieden. „Wie bitte …?“ entfährt es uns da unwillkürlich. Doch dann verstummen wir. Wir hätten beinah gefragt, ob das feine Gewebe der Leber bei der Ultraschallbehandlung denn nicht selber in Mitleidenschaft gezogen werde. Aber wir besinnen uns noch rechtzeitig darauf, daß weiches, elastisches Gewebe durch die Ultraschallwellen nur leicht hin- und hergestoßen und erwärmt wird, während sich eine feste Substanz, beispielsweise Stein, auch wenn sie tiefer im Körper sitzt, bei der hochfrequenten Ultraschallbehandlung zertrümmern läßt. Ja, das ist wahrhaftig Technik in ihrer höchsten Vollendung! „Wie Sie sehen, vermag die Chirurgie einen Menschen zu heilen, ohne daß der Körper mit einem Messer zerschnitten und geöffnet zu werden braucht. So muß das bei einer idealen Operation sein. Wir arbeiten schon sehr viel mit Ultraschall. Ich will Ihnen nachher noch zeigen, wie wir bei uns in der Klinik Zähne ausbohren. Wir haben dafür einen Ultraschallbohrer, ein sehr nützliches Gerät, das besonders bei
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der Knochenbehandlung Verwendung findet. Immerhin ist die Ultraschalltechnik in der Medizin ja nicht mehr ganz jung. Wir
Der Bleistift des Gelehrten warf das Grundschema der unblutigen „Operation“ aufs Papier, die es ermöglichte, die Steine ohne Messer zu entfernen 1 Ultraschallgerät, 2 Steine in der Leber begegnen ihr bereits um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, wenn sie damals auch noch nicht den breiten Eingang in die Therapeutik gefunden hatte wie heute. Doch nun wollen wir uns mal einen anderen Operationssaal anschauen.“ Michail Gerassimowitsch bittet uns, die Straßenschuhe gegen sterile Gummischuhe zu vertauschen. Nachdem wir das Schuhwerk gewechselt haben, binden wir uns Masken aus Mull vor die Nase. Dann betreten wir den Saal. Wir sind schon sehr gespannt. Da befinden wir uns nun also in dem üblichen Operationsmilieu. Wir kennen es bereits. Nur der Operationstisch ist irgendwie verändert, die Handhabung scheint bequemer zu sein als sonst. Er wird nicht mehr manuell mittels Hebelgriffen bedient. Man braucht nur einige Knöpfe zu drücken, und schon senkt er sich nach unten. Auch sind die Lampen etwas anders als gewöhnlich. Es sind bakterizide Lampen. Sie spenden nicht nur Licht, sondern töten mit ihren Strahlen zugleich die Bakterien. Im übrigen ist alles, wie wir es schon kennen. Der ganze Raum atmet Sauberkeit. Die Luft ist gut konditioniert. Nur verstehen wir nicht, welche Bewandtnis es mit dem Fernsehschirm über dem Operationstisch hat. 109
„Das ist kein gewöhnliches Fernsehgerät“, sagt der Professor, ohne unsere Frage abzuwarten, „sondern eine mit einem Röntgenapparat gekoppelte Spezialanlage. Ein Röntgenbild wird nur in der Dunkelheit sichtbar. Bei uns aber erscheint es auf dem hellen Fernsehschirm. Sehen Sie, da … ein scharfer Haken im Magen des Kindes. Der Kleine hat ihn beim Spiel verschluckt. Aber es kommt natürlich noch einmal alles in Ordnung. Der Chirurg kann gleich zielstrebig auf das Objekt lossteuern. Während der Operation sieht er auf dem Schirm seine Hände und die Entfernung, die das Skalpell noch zurücklegen muß, um ans Ziel zu gelangen. Übrigens ist das Messer schon so gut wie überflüssig.“ Wir sind sprachlos. Wie kann man einen Schnitt ausführen ohne Messer? „Doch, doch. Ich sagte Ihnen ja bereits, daß wir von vielen alten Formen des chirurgischen Eingriffs abgekommen sind. Aber pst… still jetzt!“ Der Chirurg, der die Operation auszuführen hat, schüttelt nämlich schon mißbilligend den Kopf, als er uns flüstern hört. „Narkose!“ Sacht beginnt der elektrische Narkoseapparat zu summen. Der pulsierende Strom lullt den Knaben ein, und nach wenigen Minuten verkündet der Chirurg: „So, bitte, jetzt können Sie sich laut unterhalten. Solange der Apparat läuft, wacht der Patient nicht auf. Eine wunderbare Erfindung, und ohne jede unangenehme Begleiterscheinung. Keine Schmerzempfindung. Erinnern Sie sich noch, wie man die Kranken früher mit Chloroform quälte? Freilich schliefen sie auch damals ein. Aber nach der Operation fühlten sie sich entsetzlich elend. Daneben arbeiteten wir auch mit örtlicher Betäubung, wobei die schmerzleitenden Nerven ausgeschaltet und lediglich die für die Operation vorgesehenen Gebiete lokal unempfindlich gemacht wurden. Was jedoch die Elektronarkose angeht, so ist sie aus der elektrischen Schlaftherapie hervorgegangen, von der schon Pawlow träumte.“
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„Wir fangen an!“ Der Chirurg nickt der Oberschwester zu. Die Studenten, die sich die Operation ansehen wollen, begeben sich in den nebenan liegenden Hörsaal. Sie werden Gelegenheit haben, die Operation in ihren einzelnen Phasen auf einem besonders großen Schirm zu verfolgen. Der Schirm befindet sich auf einer gekachelten Wand. In diesem Auditorium werden die Studenten gleichzeitig eine Vorlesung hören. Das Wichtigste ist, daß sie nicht an dem Chirurgen „kleben“, daß sie ihm nicht über die Schulter sehen müssen. Außerdem sind sie nicht dem schädlichen Einfluß der Röntgenstrahlen ausgesetzt. Der Chirurg ergreift jetzt einen Gegenstand, der einem langen, scharf gespitzten Bleistift ähnelt. In dem stumpfen Ende des „Bleistiftes“ verschwindet eine elektrische Leitungsschnur, die sich der Chirurg über die Schulter gelegt hat. Wenn wir das nicht alles mit eigenen Augen sähen, könnte uns niemand veranlassen, an solche Wunder zu glauben. Während der „Bleistift“ gemächlich über die Haut des kleinen Patienten gleitet, entsteht an dieser Stelle ein feiner rötlicher Strich. Schon ist das Innere des Körpers freigelegt, ohne daß auch nur ein einziger Tropfen Blut über die Ränder der Wunde gesickert wäre. Das Ultraschallmesser vollführte, von der Hand des Chirurgen sicher geleitet, eine unblutige Operation. Wie wir sehen, gelingt der modernen Chirurgie mit Hilfe von Ultraschall eine wahre Meisterleistung. Während das Instrument in das Gewebe eindringt, wird gleichzeitig das Blut zum Gerinnen gebracht. „Hinzu kommt, daß dieses Messer vor dem Zertrennen des Gewebes die Nervenenden gleichsam einschläfert, so daß die Operation schmerzlos verläuft. Das ist besonders in denjenigen Fällen von Bedeutung, wo wir keine allgemeine Narkose geben können. Das Wichtigste aber ist die Tatsache, daß das Messer stets steril bleibt und durch den Ultraschall die Mikroben in der Wunde abgetötet werden.“
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Mit Andacht und Ehrfurcht verfolgen wir die Bewegungen des Arztes, der mit seinem elektrischen Zauberstab das Wunder einer unblutigen, schmerz- und keimfreien Operation vollbringt. Der Magen ist geöffnet. Der Haken, der sich mit seiner scharfen Spitze an einer Stelle in die Schleimhaut gebohrt hat, wird entfernt. Nun warten wir auf Nadel und Seide, denn wir meinen, daß der Arzt die Wunde nähen wird. Aber es kommt ganz anders. „Kleben!“ befiehlt plötzlich die Stimme des Chirurgen. Die beiden Schnittflächen des Magens liegen genau nebeneinander. Von unten wurde ein Pilz herangeführt, der wie das Gerät aussieht, das man früher beim Strümpfestopfen benutzte. Auf die Wunde wird ein klebriges, durchsichtiges, filmähnliches Material aufgetragen. Der Magen ist geklebt! „Denken Sie aber bitte nicht, daß das Nähen der Wunden etwa vollständig durch das Kleben ersetzt werden könnte“, bemerkt der Arzt. „Für den Bedarfsfall haben wir auch einen feinen Metallfaden aus Tantal, der den Organismus in keiner Weise schädigen kann, und außerdem stehen uns aus Fibrin und Serum hergestellte Fäden zur Verfügung, ein Nahtmaterial, das in seiner Zusammensetzung dem menschlichen Organismus selbstverständlich sehr nahesteht. Diese Fäden halten die Naht wenigstens so lange zusammen, bis die Wunde geheilt ist. Dann lösen sich die organischen Stoffe auf und verschwinden, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen. Bei einem Schulterbein- oder Oberschenkelbruch kann man den Knochen bekanntlich mit einem Nagel aus nichtrostendem Stahl zusammenfügen. Die genagelte Bruchstelle heilt rasch, und der Knochen wächst sauber zusammen. Den darin verbliebenen Nagel kann man nur noch mit Hilfe eines Röntgengerätes feststellen. Ein aus Fibrin oder Serum hergestellter ,Nagel4 aber verschwindet in dem Moment spurlos im Organismus, wo der Heilprozeß seinen
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Abschluß gefunden hat, das heißt also spätestens nach sechs Monaten. Wir haben gesehen, wie zuverlässig der chirurgische Klebstoff ist. Dieses wunderbare, wirksame Mittel wird gegen Ende des 20. Jahrhunderts die ganze Chirurgie beherrschen. Zunächst begannen die Chemiker damit, daß sie Metalle klebten und Glas und Porzellan. Wir aber möchten nun dazu übergehen, das Gewebe des Körpers zu kleben, die Nerven und Gefäße, die Haut, die Knochen. Im Jahre zweitausend wird auch dieses Problem gelöst sein. Eine besondere Schwierigkeit dürften uns dabei allerdings die feinen und zarten Gewebe bereiten.“ In dem Zimmer, das wir soeben betreten haben, befindet sich nur ein einziger Patient. Wir haben den Eindruck, daß er mit ganz besonderer Sorgfalt und Umsicht umhegt und umpflegt wird. „Eine schwere Vergiftung“, sagt der Professor. „Er wäre uns wahrscheinlich schon gestorben, wenn wir nicht im Besitz einer künstlichen Niere wären. Schade nur, daß diese Niere ein wenig groß geraten ist.“ Der Gegenstand, auf den sich die Bemerkung des Professors bezieht, gleicht einem gläsernen Gärballon. Er steht dicht neben dem Bett. Kleine Schläuche verbinden den Behälter mit dem Körper des Kranken. Das Blut läuft durch chemische Filter, wo es von den Stoffwechselschlacken befreit wird und lebenswichtige Stoffe aufnimmt. Der Patient merkt nichts von all dem. Er ahnt nicht einmal, daß seine eigenen Nieren lahmgelegt sind. Wie uns der Gelehrte mitteilt, ist es auf diese Weise möglich, die Nieren von einer schweren Erkrankung zu heilen und den Menschen vor einer Eigenvergiftung mit Urin zu bewahren. Eine zweite Behandlungsart besteht darin, daß man die gesunden Nieren eines Toten transplantiert. Um uns her geschehen lauter ungewöhnliche Dinge.
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„Gehen wir“, fordert uns der Professor auf, „ich möchte Ihnen noch ein künstliches Herz zeigen. Schauen Sie einmal dort hinüber …“ Michail Gerassimowitsch weist durch die geöffnete Tür. In dem Zimmer sehen wir einen Schrank von der Größe eines Bücherrücks. Der Schrank befindet sich in Tätigkeit. Er arbeitet rhythmisch nach einem festgelegten Schema und sorgt für die Einhaltung bestimmter Normen: drei Liter Blut in der Minute, achtzig Schläge; der Druck beträgt einhundertzwanzig Einheiten. Sollte der Druck im Organismus nachlassen, würde der Apparat eine größere Blutmenge abgeben. Die Stille nebenan wird plötzlich durch die Stimme des Chirurgen unterbrochen: „Schwester, stoppen Sie das Herz ! Schneller… schneller … es stört bei der Arbeit.“ Wir verspüren ein Frösteln. Wieviel Kummer und Leid bereitet es immer den Angehörigen, wenn irgendwo auf der Welt ein Herz aufhört zu schlagen. Wieviel Energie verwenden sonst die Ärzte darauf, gerade dieses Schlimmste zu verhüten ! Hier aber… Ruhig, überlegt läßt der Chirurg aus dem Herzen, das nun stillsteht, das Blut ab, und er beginnt mit der Operation. Das Herz ist aus dem Organismus ausgeschaltet und regt sich nicht mehr. Dafür schlägt jetzt, ohne daß eine Unterbrechung eingetreten wäre, das mechanische Ersatzherz und drückt durch die Schläuche das Blut in die Aorta. Wie schwer ist es doch, in einem pulsierenden Herzen einen Nadelstich auszuführen, und doch muß die Wunde genäht werden. Wenn sich die Operation ihrem Ende nähert, ist der Arzt jedesmal gründlich erschöpft. Seine Hände sind müde von der Anstrengung. Die automatischen und halbautomatischen Geräte zum Nähen der Gefäße und des Gewebes bilden daher für den Chirurgen eine unschätzbare Hilfe. Der Operateur bedient eine Maschine, in die er die Enden der Blutgefäße einfügt. Ein kleiner Druck mit der Hand, und schon ist ein Gefäß genäht. Früher brauchte man hierfür dreißig bis vierzig Minuten. An das Herz wird nun ein zweiter „Nähapparat“ geführt. Noch eine Sekunde, dann ist die Wunde 114
geschlossen. Der Chirurg richtet sich auf. Er erteilt die letzte Anweisung: „Herz freigeben!“ Das „reparierte“ Herz füllt sich wieder. Doch dieses Blut ist mit Adrenalin angereichert. Das Adrenalin regt die Muskeltätigkeit des Herzens an und veranlaßt es, den ersten Schlag zu tun. Die Schläge werden immer schneller. Bald erreichen sie eine gefährlich rasche Aufeinanderfolge, so daß der Chirurg, der schon dabei war, den Handschuh von der linken Hand zu streifen, besorgt innehält. Er gewahrt das leichte Vibrieren in den Schlägen, die man schon kaum nodi auseinanderhalten kann, so rasch folgen die Kontraktionen des Herzens. Der Puls wird gezählt: 200 … 300. Nur noch ein Zittern ist das jetzt. Dieser Zustand wird von den Ärzten sehr gefürchtet. Er ist stets ein Vorläufer des vollständigen Erlahmens der Herztätigkeit, des faktischen Todes. Ohne auf eine Anweisung zu warten, reicht die Schwester dem Arzt ein Instrument, das einem Stempel mit Handgriff gleicht. Dieses elektrische Gerät soll eine Gegenwirkung hervorrufen. In dem Augenblick, wo es den Körper des Patienten berührt, dreht der Chirurg an einem Schalter. Es erfolgt eine kleine elektrische Entladung. Ein winziger Blitz schlägt durch den Brustkorb und durch das Herz, das sich dabei zusammenzieht. Im nächsten Augenblick dehnt es sich kraftvoll aus und klopft nun ruhig und schwer. Ein anderer elektrischer Apparat tritt jetzt in Tätigkeit. Er hat die Aufgabe, den gleichmäßigen Rhythmus der Herztätigkeit sowie die Arbeit der Lungen zu überwachen und zu regulieren. Die Operation hat keine Stunde in Anspruch genommen, wie wir anfangs vermuteten, sondern nur fünfzehn Minuten. Wir erfahren, daß das künstliche Herz schon vielen Menschen dazu verholfen hat, aus dem Zustand des klinischen Todes zum Leben zurückzukehren. Für andere war es in schweren Minuten, als das Herz versagen wollte, eine entscheidende Stütze.
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Doch kehren wir zu den Operationen zurück. Einem Patienten ist es durchaus nicht einerlei, ob er fünf Minuten oder eine halbe Stunde auf dem Tisch zubringen muß. Die Mechanisierung der schwierigen Handgriffe beschleunigt die Arbeit des Chirurgen. Sie ist außerdem zuverlässiger, sicherer. Der Automat arbeitet in der Hand eines durchschnittlichen Chirurgen nicht schlechter als in der Hand eines erfahrenen Spezialisten, der sein Fach virtuos beherrscht. Professor Ananjew spricht etwas ausführlicher über diese Automaten, die um die Mitte des 20. Jahrhunderts erfunden wurden. Dabei stellt sich heraus, daß es schon seit längerer Zeit Nähapparate für die einzelnen Gefäße gibt. Spezialautomaten dienen zum raschen Verbinden von Blutgefäßen, Lungen, Bronchien. Dadurch wird die Dauer der Operation rund um das Fünffache verkürzt. Für die verschiedenen Gewebearten — Rippenfell, Bauchfell, Haut, Magen und so weiter - gibt es jeweils einen besonderen Nähautomaten. So versteht es der Mensch heute, Nerven, Gefäße, Knochen und andere Gewebe automatisch zu verbinden. Das bedeutet doch aber, daß es möglich ist, auch ein abgetrenntes Bein oder eine Hand zu neuem Leben zu erwecken? „Freilich“, bestätigen die Mediziner, „dafür gibt es kein Hindernis mehr. Bringen Sie uns einen einzelnen Arm oder ein Bein, und wir geben sie dem Eigentümer unverzüglich zurück. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden solche Operationen zur Regel. Die Wiederherstellung wurde zur eigentlichen Aufgabe der Chirurgie. Angenommen, ein Kniegelenk ist beschädigt. Wir werden es entfernen und durch ein künstliches Gelenk aus Plast ersetzen, dem wir natürlich die entsprechende Gestalt verleihen. Im Falle eines Traumas, bei Tuberkulose oder wenn ein Gelenk zerstört ist und Schmerzen verursacht, haben wir die Möglichkeit, es gegen eine Prothese auszutauschen. ,Der liebe Gott gibt dem Menschen keine Ersatzteile für seine Gliedmaßen mit; darum schone deine Extremitäten4,
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pflegte man im 19. Jahrhundert scherzhaft zu sagen. Wir Ärzte aber haben solche ,Ersatzteile4 geschaffen.44 Es kommt vor, daß ein Gefäß auf einem 10 bis 15 Zentimeter langen Abschnitt ernstlich beschädigt ist. Das betreffende Stück wird dann herausgenommen und durch ein Röhrchen ersetzt. Das ist eine Nylon-, Kapron- oder Perlonprothese. Daneben gibt es noch eine zweite Möglichkeit: Man legt die Venenteile eines Verstorbenen zur Konservierung in das eigene Blut des Betreffenden. In einem Kühlraum bleiben solche „Ersatzteile44 lange Zeit frisch. In einem Vakuumballon, bei einer Temperatur von minus sechzig Grad, sind sie praktisch unbegrenzt haltbar. Diese Verfahren finden in den Kliniken und Instituten schon seit längerem Anwendung. Allerdings handelt es sich bei dieser Form von Gefäßersatz nicht um Prothesierung, sondern um Gefäßübertragung. Uber Transplantationen könnte man endlos lange sprechen. Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde ein recht interessanter Versuch unternommen. Einem Hund wurden die Nieren herausoperiert, und die eine davon wurde dann an einer anderen Stelle, am Hals, eingesetzt. Der Harnleiter wurde nach außen verlegt. Und der Hund blieb gesund, als wäre ihm nichts geschehen. „Jede Transplantation verläuft erfolgreich“, erklärt uns der Professor, „solange es sich um die Übertragung von Organen oder Gewebe des gleichen Individuums handelt, solange also eine sogenannte Autotransplantation vorliegt. Das Bild ändert sich jedoch bei der Homotransplantation, wobei ein Organ auf einen fremden Organismus überpflanzt wird.“ Gegen Ende der vierziger Jahre setzten sowjetische Ärzte einem Hunde das Herz eines seiner Artgenossen ein. Es stellte sich heraus, daß ein Tier mit fremdem Herzen nur acht bis zehn Tage lebensfähig bleibt. Dann geht es plötzlich ein. Weshalb? Diese Frage quälte die Biologen und Mediziner. Unsere Technik ist schon so weit gediehen, daß der Chirurg Demichow im Jahre 1956 zum ersten Male das Wagnis
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unternehmen konnte, einen Hundekopf auf einen fremden Körper zu transplantieren. Sechs bis sieben Tage lang lebte der Kopf auf dem Hals des Empfängertieres weiter. Er vermochte alles zu sehen, zu hören, zu riechen, neigte sich zum Futternapf hinunter und leckte Milch auf. Plötzlich starb er. Weshalb bleiben überpflanzte Nieren, Lungen und andere Organe nicht länger am Leben? „Bis zum Jahre 1957 hatten wir alle technischen Fragen der Transplantation gelöst“, sagt uns Ananjew, „bis auf eine: die Frage der biologischen Vereinbarkeit von Organismen und Gewebe. Ein Mensch stirbt, wenn man seinem Gefäßsystem Blut einer anderen Gruppe zuführt. Bei einer Transfusion von Blut der gleichen Gruppe bleibt er am Leben. Bekanntlich gibt es vier verschiedene Blutgruppen. Die Ärzte kennen sämtliche Regeln, die es zu beachten gilt, um eine gefahrlose Blutübertragung zu garantieren. Sie wissen, daß sich nicht jede Gruppe mit jeder mischen läßt. Die analogen biologischen Gesetzmäßigkeiten bei den übrigen Geweben und Organen zu entdecken, ist bislang allerdings noch nicht gelungen. Jemand hat sich eine Verbrühung zugezogen. Man pflanzt ihm fremde Haut auf. Aber glauben Sie, daß sie sich für die Dauer auf dem neuen Körper hält? Sie dient lediglich als Stütze für die Erneuerung der körpereigenen Haut. Sobald sich diese gebildet hat, stirbt das transplantierte Gewebe ab. Es wird abgestoßen. Bis jetzt gelingt es noch nicht, Organe zwischen Brüdern und Schwestern oder zwischen Eltern und Kindern auszutauschen. Nur ein einziges Mal ist bisher eine Nierentransplantation zwischen Verwandten geglückt. Dieser alleinstehende Fall wurde natürlich mit peinlicher Gründlichkeit untersucht. Neue Versuche wurden angestellt, und nach und nach erschlossen sich dem Menschen wichtige biologische Gesetzmäßigkeiten, die bei der Überpflanzung von Organen und Geweben berücksichtigt werden müssen. Denken Sie an die berühmten Experimente, die Professor Filatow mit
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der Transplantation von Hornhaut unternahm. Die vom Auge eines Toten losgetrennte Hornhaut mußte nur etwas länger bei einer niedrigen Temperatur lagern, damit die Operation gelang. Frische Hornhaut kann man ja bekanntlich nicht auf ein anderes Auge verpflanzen. So stehen wir also am Vorabend einer völligen Klärung des Problems. Sobald wir über all diese biologischen Gesetzmäßigkeiten erst restlose Klarheit besitzen, werden wir auch das gesamte uns zur Verfügung stehende technische Arsenal mobilisieren, um im Bedarfsfälle jeden beliebigen Körperteil eines Toten auf den Körper eines Lebenden umzupflanzen. Wenn nicht durch Unfall oder ähnliche Ursachen ein Trauma eintritt, kann jedes Organ dem menschlichen Körper doppelt solange dienen, wie das Leben eines Individuums währt. Irgendwo im Institut für Erste Hilfe, das den Namen Sklifosowskis trägt, wird sich uns folgendes Bild bieten: In einem Spezialkühlraum liegen die Körper der Verstorbenen. Das sind sozusagen gebende Leichname4, denn ein künstlicher Blutkreislauf erhält die Körperzellen am Leben. Der Arzt ist jederzeit in der Lage, diesem menschlichen ,Ersatzteillager4 ein beliebiges Organ zu entnehmen, um es auf einen bedürftigen Patienten zu transplantieren. Meiner Ansicht nach wird es am ehesten gelingen, Arme und Beine zu überpflanzen. So helfen die Toten den Lebenden… aber, um Himmels willen, Fräulein, was haben Sie denn?44 unterbricht sich Professor Ananjew plötzlich. Er ist aufgesprungen und bemüht sich um die noch sehr jugendliche Tatjana, die für uns stenografiert. Sie wurde auf einmal ganz blaß, schloß die Augen, und ihr Kopf sank auf die Tischplatte. Eine regelrechte Ohnmacht. Wir waren selber so stark durch die Worte des Professors gepackt worden, daß wir nicht mehr an das Mädchen dachten, das sicherlich noch nie im Leben
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einen Operationssaal betreten und noch kein Blut gesehen hat, geschweige denn einen Toten. Von unserem Ausflug in die Zukunft kehren wir schnell zur Gegenwart zurück. Wir versuchen, Tatjana wieder zum Leben zu erwecken. Bald geht es ihr besser, in die Wangen kehrt das Blut zurück, aber wir verzichten darauf, das „gefährliche44 Gesprächsthema wieder aufzunehmen. Statt dessen spricht Professor Ananjew jetzt über das hohe, humane Anliegen der ärztlichen Kunst. Er vergleicht den Arzt mit dem Dirigenten eines großen Orchesters, das viele Instrumente umfaßt und ein herrliches, aber schwieriges musikalisches Werk intoniert. Es ist selbstverständlich undenkbar, daß die Leitung des Konzertes von irgendeinem Automaten übernommen wird. Nur ein Mensch ist in der Lage, den komplizierten Klangkörper klug zu beherrschen. Dies ist Ananjews Antwort auf unsere Frage, ob es wohl nicht möglich sei, den gesamten Vorgang der Operation zu automatisieren. „Natürlich ist das nur ein Vergleich“, fährt er fort. „Faktisch aber ist jeder Arzt ein Dirigent, und er wird, wenn er mit der verzwickten Technik auf unserem Gebiet in Berührung kommt, gleichzeitig zum Ingenieur. Freilich zeichnen sich hier gerade erst die Anfänge eines neuen, speziellen Fachgebietes ab, von dem man noch nicht allzuviel spricht, das sich aber ohne Zweifel weiterentwickeln wird. Es wird die Zeit kommen, da der medizinische Ingenieur zu den hervorragendsten Helfern der Menschheit zählt.“ Wir sagen dem Direktor des Institutes Dank für die Mühe, die er sich gemacht hat. Er drückt uns die Hand und wendet sich noch einmal dem Mädchen zu: „Ich glaube, Sie sollten sich mit der Medizin einmal etwas näher vertrautmachen. Gegenüber dem menschlichen Leid zeigen Sie eine so mitfühlende Aufgeschlossenheit, daß eines Tages ein guter Chirurg aus Ihnen werden könnte.“
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Das goldene Zeitalter liegt noch vor uns „Würden Sie uns verraten, wieviel Menschen auf unserem Planeten maximal ernährt werden könnten?46 Diese Frage richten wir an Semjon Isaakowitsch Wolfkowitsch. „Oder gibt es in dieser Beziehung für eine weitere Zunahme der Erdbevölkerung etwa gar keine Schranke?44 „Vollkommen richtig. Eine Grenze kann es da überhaupt nicht geben44, erklärt das Akademiemitglied Wolfkowitsch mit Überzeugung und ohne lange zu überlegen. Offenbar ist ihm diese Frage nicht mehr ganz neu. Demnach wäre also eine unbegrenzte Steigerung der Bodenerträge möglich? „Denken Sie doch nur daran44, fährt Wolfkowitsch fort, „was Dmitri Iwanowitsch Mendelejew zum Ausdruck brachte. Er rechnete schon zu seiner Zeit damit, daß die Erde weit über zehn Milliarden Menschen ernähren könne. Natürlich würde eine so erhebliche Steigerung der Nahrungsmittelproduktion nicht nur das Ergebnis einer stärkeren physischen Arbeitsleistung sein, sondern sie müßte vor allem aus den Erfolgen einer unermüdlichen Forschungstätigkeit hervorgehen. Übrigens: die erwähnten Worte Mendelejews wurden zu Beginn unseres Jahrhunderts ausgesprochen, als die Bevölkerung der Erde 1,6 Milliarden Köpfe zählte. In der Zwischenzeit hat sich die Gesamtzahl der Erdbevölkerung um fast eine ganze Milliarde erhöht. Woher sollen wir die Nahrungsmittel für die zahlenmäßig in einem stetigen Wachstum begriffene Menschheit nehmen?
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Für den Stoffwechselprozeß der Pflanze sind sowohl das Sonnenlicht wie die im Bodenwasser gelösten Nährstoffe von Bedeutung. Eine wichtige Rolle spielt deshalb die Düngung. In der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges litten weite Gebiete in Mittelasien Mangel an Stickstoff- und Phosphordünger. Die Folge davon war, daß die Baumwollproduktion innerhalb von drei Jahren auf die Hälfte des Vorkriegsstandes zurückging. Gegenwärtig ernten wir auf diesen Feldern an Stelle von 10 Tonnen, die wir während der Kriegsjahre einbringen konnten, jedoch wieder 20 bis 24 Tonnen pro Hektar, und sogar darüber hinaus, f So wirft die moderne Chemie die Malthustheorie endgültig über den Haufen. Als nicht minder haltlos erwies sich die Befürchtung, daß die Fruchtbarkeit des Bodens unweigerlich absinken werde. Es ist noch gar nicht lange her, da galt diese pessimistische Theorie als ein Gesetz. Wie die Praxis der Bodenbestellung in einer ganzen Reihe Länder zeigt, wird der Zuwachs des Ernteertrages etwa zur Hälfte durch die Düngung bestimmt, zu einem Viertel durch die mechanische Bodenbearbeitung und zu einem weiteren Viertel durch die Qualität des Samens. Sehen Sie, auf den ersten Blick scheint die Arithmetik eine recht zuverlässige Disziplin zu sein. Einige Wissenschaftler, wie Timirjasew, Prjanischnikow und andere, meinten, die Produktion der sowjetischen Landwirtschaft sei durch sachgemäße Verwendung von organischen und mineralischen Düngemitteln um das Sechsbis Siebenfache zu steigern, durch entsprechende Vergrößerung der Anbaufläche jedoch um das Zwölf- bis Vierzehnfache. Prjanisdmikow stützte sich auf eine Analyse des Bevölkerungszuwachses und der Entwicklungsaussichten in der Landwirtschaft, als er 1925 die Gewißheit aussprach, Rußland brauche in den nächsten hundertfünfzig Jahren keinerlei Verknappung der Lebensmittel zu befürchten, auch wenn sich die Bevölkerung des Landes alle fünfzig Jahre jeweils verdoppeln sollte.
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Die vortreffliche Prognose eines Gelehrten, der seinen Blick bis weit ins 21. Jahrhundert vorausschweifen ließ, spricht von der großen Kraft der Wissenschaft und Technik, die die Menschheit bisher immer noch nicht völlig ausschöpft. Inzwischen sind etliche Jahrzehnte ins Land gegangen, und Biologie und Chemie taten in diesem Zeitabschnitt einige wuchtige Schritte nach vorn. Wenn wir den sozialen Fortschritt als einen sehr wesentlichen Faktor mit berücksichtigen und uns auf die letzten uns zur Verfügung stehenden Daten stützen, so dürfen wir die in der Prognose Mendelejews angegebene Zahl getrost verdoppeln, wenn nicht verdreifachen. Das würde also bedeuten, daß wir bei einer gründlichen Auswertung der Erfolge von Wissenschaft und Technik die Ernährung von zwanzig bis dreißig Milliarden Erdenbürgern garantieren könnten. Indes…“ Wolfkowitsch unterbricht sich für ein paar Sekunden. Dann fährt er fort: „Man kann sich ja leicht vorstellen, welchen Wohlstand sämtliche Länder unserer Erde erreichen werden, wenn die ganze Arbeitskraft der Menschen nicht mehr im Wettrüsten vergeudet, sondern ausschließlich auf die Lösung friedlicher Aufgaben gerichtet wird. Ich gehöre zu denen, die fest daran glauben, daß das ,goldene Zeitalter4 der Menschheit nicht hinter, sondern vor uns liegt. Es beginnt, sobald die Wissenschaften ausschließlich im Dienst friedlicher Ziele stehen und das gesamte wirtschaftliche und kulturelle Leben durchdringen und in maßgeblicher Weise verändern werden. Einen breiten Raum wird in Zukunft die Chemie einnehmen. Unter der Vielzahl der Erfolge, die die Chemiker in der letzten Zeit errangen, bedeutet die Gewinnung von Stickstoff aus der Luft, die Herstellung von synthetischem Stickstoffdünger, einen besonders triumphalen Sieg. Um diese Großtat zu vollbringen, bedurfte es einer langjährigen harten Arbeit an der Front der physikalischen Chemie. Aber auch Ingenieure waren hierbei nicht unbeteiligt, und die Industrie mußte gewaltige Anstrengungen unternehmen, um aus Spezialstählen die 124
erforderlichen Maschinen zu produzieren. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind auch die zahlreichen neuen Präpa-/ Irate, die dem Schutz der Pflanzen gegen Insekten, Nagetiere und ^andere Schädlinge dienen, die sie vor Krankheit bewahren, die das Unkraut vernichten und das Wachstum sowie die Fruchtbarkeit der Pflanzen und Tiere beschleunigen und regulieren. DDT-Wirkstoff, Hexachloräthan und andere Schutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel sind hundertmal wirksamer und besser und für den Menschen weit ungefährlicher als die früher in der Landwirtschaft üblichen Fluor-, Arsen- und Schwefelgiftstoffe. Der Gebrauch von künstlichem Dünger und chemischen Pflanzenschutzmitteln hat heute ein so breites Ausmaß erreicht, daß uns schon gar nicht mehr bewußt wird, wie jung diese Stoffe in der Landwirtschaft doch eigentlich sind. Mit dem Einsatz von Phosphordüngemitteln wurde immerhin erst vor hundert Jahren begonnen. Kalidünger verwenden wir seit etwa achtzig Jahren und synthetischen Stickstoffdünger seit einem halben Jahrhundert. Die Aufgabe, eine starke Düngemittelproduktion zu entwickeln, ist in unserem Jahrhundert gelöst worden. Gegenwärtig wächst auch die Anzahl der künstlichen Düngemittel. Einem gründlichen Studium werden die ? Spurenelemente unterzogen, die in der Landwirtschaft unentbehrlich sind und für die Pflanzenzucht etwa die gleiche Bedeutung besitzen ? wie die Vitamine und Hormone für den menschlichen Organismus. Gleichzeitig sind einige Spurenelemente wirksame Schutzmittel gegen Pflanzenkrankheiten. Bor zum Beispiel schützt die Runkelrübe vor Fäulnis, den Flachs vor anderen bakteriellen Erkrankungen. Dem Futter des Viehs beigegeben, vernichten die Spurenelemente einige Krankheitserreger. Zu diesem Zwecke verwenden wir Kupfer, Kobalt und andere Elemente, die wir in nur geringen Mengen zuzusetzen brauchen, um einen erfolgreichen Kampf gegen Rückenmarksdarre und gegen eine Reibe weiterer Krankheiten zu führen.
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Wir können die beruhigende Voraussage machen, daß es durch die Beigabe von Spurenelementen zum Futter und durch sanitäre Maßnahmen gelingen wird, die Tiere von ihren Krankheiten und Parasiten in dem gleichen Maße zu befreien, wie das beim Menschen bereits gelungen ist. Um einen Blick in die Zukunft zu werfen, muß man nicht unbedingt Phantasiegebäude errichten. Bei einem Bummel durch Moskau kann man beobachten, wie in den Straßen hohe, nicht mehr ganz junge f Bäume gepflanzt werden. Früher bereitete das häufig Schwierigkeiten. Die Bäume kränkelten lange Zeit herum. Jetzt gedeihen sie auch unter den neuen Lebensbedingungen besser und schneller. Ihre Wurzeln wurden nämlich mit besonderen Mitteln behandelt, die das Wachstum beschleunigen. Ein Gramm dieses organischen Stoffes genügt, um die Wurzeln der Pflanze zu einer raschen Entfaltung zu bringen. Solche Wachstumsstimulatoren verwenden wir bei Tomatenstauden sowie bei Apfel- und Birnbäumen. Sie fördern die Heilung von Wunden und besei-/ ftigen die Wachstumsgrenze. Sie ermöglichen zwei Kartoffelernten im Jahr, lassen Kohlbiätter zu einem Durchmesser von über einem Meter an wachsen und verleihen der ausgewachsenen Mohrrübe eine Länge von rund einem Meter. Noch arbeiten wir freilich nur mit wenigen Wachstumsstimulatoren. Bald werden es jedoch Dutzende, ja Hunderte sein. Für die verschiedenen Pflanzenarten werden die Wissenschaftler die entsprechenden wachstumsbeschleunigenden, wachstumshemmenden und ähnliche Stoffe entwickeln, mit deren Hilfe die Gesamtheit der pflanzlichen Lebensprozesse zweckentsprechend geregelt werden kann. Manche Wachstumsstimulatoren weisen eine erstaunliche Eigenschaft auf. Wenn man die Dosis des betreffenden wachstumsfördernden Stoffes zu groß wählt, tritt plötzlich eine Verzögerung ein. Das bedeutet, daß die Kartoffel, wenn sie im Keller lagert,
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lange Zeit nicht keimt, daß von den Bäumen im Sommer nicht die unreifen Früchte hinunterfallen, daß die duftige Rose, zur Freude aller Blumenfreunde, nicht nur wenige Tage, sondern ganze Wochen hindurch in Blüte steht. Und nun blenden wir vielleicht ein paar Zukunftsbilder ein. Es ist Herbst. Unter den Tragflächen des Flugzeugs dehnt sich die viele tausend Hektar große Fläche eines reifenden Weizenfeldes. In der Mitte befindet sich ein rechtwinklig angelegter bunter Teppich: die in Blumengärten buchstäblich ertrinkende Sowchossiedlung. Eine Oase inmitten einer Halbwüste. Wie kommt es, daß hier, wo einstmals nur eine spärliche Vegetation auf dem kümmerlichen Boden wuchs, jetzt Weizen steht und Apfelbäume und Eichen ihre Äste hoch in die Luft recken? Chemische Mittel verleihen dem Boden die nötige Fruchtbarkeit und verbessern seine Struktur, verursachen Regenfälle, entsalzen das Wasser der Seen und Meere. Dann beginnt es zu frieren. Die Wintersaat wartet darauf, endlich eine weiße Schneedecke zu bekommen. Aber es gibt keinen Schnee. Auf den Pfützen liegt eine feine, durchsichtige Eisschicht. Am Himmel ziehen tiefhängende Wolken einher. Der Pilot lenkt die Maschine in eine der dichten, schweren Wolken und setzt den Zerstäuber in Tätigkeit. Kohlensäurekristalle versetzen der Wolke einen ,Stoß4, und sie zerschmilzt. Flaumiger Schnee sinkt auf den Acker. Die Aufzeichnungen des Agronomen besagten: ,Es ist mit starkem Frost zu rechnen. Das Winterkorn ist mit einer Schneeschicht zu bedecken.4 Und der Flieger wartete, bis diese Wolke über die Felder gezogen kam oder von den Meteorologen an die richtige Stelle getrieben wurde. Als es soweit war, löste er den Schneefall aus. Wie man im Winter einen Schneefall und im Sommer einen Regenguß zustande bringt, das werden im 21. Jahrhundert sogar die kleinen Kinder wissen. Es wird ihnen bekannt sein, daß das Pulver, das
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von dem Flugzeug aus in die Wolke gestreut wird, verdampft und dabei viel Wärme absorbiert. Der Nebel oder der Wasserdampf in der Wolke kühlen rasch ab, werden verdichtet und schlagen sich als Wassertropfen oder Schneekristalle nieder. Einmal, in einer Sommernacht, setzte plötzlich Frost ein. Die ganze Ernte war in Gefahr, denn die Sowchosfelder sind ja so riesig groß, daß man sie nicht mit Feuer erwärmen kann, und bis man Rauchkörper herangefahren hat, ist es zu spät. Deshalb nahmen die Hubschrauber des Sowchos den Kampf mit der Kälte auf. Eine große Transportmaschine war an der Aktion beteiligt, und dann waren da noch mehrere kleinere Verkehrsflugzeuge eingesetzt, die sonst als Lufttaxis für die Personenbeförderung dienten. Sie warfen Nebelkörper auf die Felder, und der sich über der Erde ausbreitende Rauch rettete die Ernte. Natürlich passen sich die Bäume nur schwer den Bedingungen der Wüste an. Im Sand finden sie nur wenig Nahrung, und die Feuchtigkeit hält sich nicht. Aus diesem Grunde wird der Boden, wenn er die für die Pflanzenzucht erforderliche Struktur nicht aufweist, von den Chemikern entsprechend bearbeitet, das heißt, es werden ihm diejenigen strukturverändernden Präparate zugesetzt, die er braucht. Das sind Stoffe mit sehr hochtrabenden Namen. Hergestellt werden sie aus Braunkohle, Holzfaser, Tang und den Kohlenwasserstoffen des Erdöls. Diese Präparate werden dem Boden nur in geringen Mengen beigegeben. Aber sie steigern die Bodenfeuchtigkeit um ein Vielfaches, und sie halten die wichtigen Nährstoffe an der Oberfläche. Gegenwärtig haben wir bereits mehrere Dutzend solcher organischen Präparate erprobt. Ihre Wirksamkeit ist erfreulich groß. Unter ihrem Einfluß wird die Bodenstruktur entscheidend verbessert. Der Boden nimmt Feuchtigkeit und Nährsalze auf, und er gibt beides nur schwer wieder ab. Der bekannte Bodenspezialist I. W. Tjurin, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, ist der Ansicht, daß die endgültige Lösung der Aufgabe, die
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verschiedenen landwirtschaftlichen Kulturen herstellbaren und billigen strukturverändernden
mit
leicht
Stoffen zu versorgen, ein historisches Ereignis von gleichem Rang und gleicher Bedeutung sein wird wie das erste Auftauchen von Mineraldünger in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Doch wollen wir uns darüber im klaren sein, daß die Steigerung der Bodenfruchtbarkeit und der Ernteerträge noch keine absolute Lösung des Problems bedeutet. Nicht minder wichtig ist es, die Vegetation vor ihren Schädlingen und vor allen möglichen Krankheiten zu schützen, denn es kommt ja darauf an, den maximalen Ernteertrag auch zu sichern. Die Chemiker haben bereits einige zehntausend Gifte synthetisiert, von denen ein paar hundert für die Landwirtschaft tauglich sind. Aber auch diese können nicht immer und unter allen Umständen verwendet werden.“ Nach einer kurzen Pause fragt uns Wolfkowitsch: „Ist Ihnen bekannt, daß wir in einigen Werken, die sich mit der Herstellung von DDT befassen, eine starke Vermehrung der Fliegenplage zu verzeichnen haben? Nanu, werden Sie sagen, wo ausgerechnet DDT ein wichtiges Berührungsgift für die Insektenbekämpfung sein will? Wie sich herausstellt, haben die Fliegen die Fähigkeit, sich an DDT anzupassen. Aus diesem Grunde macht es sich natürlich erforderlich, an die Schaffung neuer Bekämpfungsmittel zu denken. Aus Natur, Medizin und Landwirtschaft kennen wir viele Fälle, wo sich ein Organismus an veränderte Umweltbedingungen, an Gifte und so weiter anpaßt. Dann ist es an den Chemikern und Biologen, als Ersatz für die alten Giftstoffe neue zu entwickeln. Sie sind ständig auf der Suche nach universell wirkenden Mitteln.“ An dieser Stelle beginnt Wolfkowitsch zu lächeln. „Die Menschen des 21. Jahrhunderts werden es verstehen, ihre Felder, Gärten und Wälder mit chemischen Mitteln gegen alle Schädlinge und Krankheiten zu verteidigen. Sie werden sogar
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Mittel und Wege finden, das Altern der Bäume hinauszuschieben. Die chemischen Universalmittel der Zukunft werden Kombinationen von künstlichem Dünger, wachstumsfördernden und strukturverändernden Stoffen, Schädlingsbekämpfungsmitteln und krankheitsverhütenden Wirkstoffen bilden. Bis dahin freilich müssen die Chemiker im Verein mit den Biologen und Agronomen noch ein gutes Stück schöpferischer Arbeit leisten. Bedauerlich ist nur, daß es uns nicht vergönnt war, einen Blick auch in die Treibhäuser des Sowchos zu tun. Aber es wird gar nicht mehr lange dauern, da werden wir, besonders in den nördlichen Gebieten, bei jedem Kraftwerk und bei jeder Fabrik in einem Umkreis von vielen Kilometern die gläsernen Korridore der Gewächshäuser glänzen sehen. Die große Wärmemenge und die viele Kohlensäure, die den Öfen der Betriebe entströmen, bilden die Grundlage für eine breite Entfaltung der Treibhauskulturen. Das ganze Jahr hindurch werden die Glashäuser in Betrieb bleiben. Die gasförmige Kohlensäure wird als Düngemittel eine außerordentlich nützliche Verwendung finden. Daß dies möglich ist, hat die Praxis bereits bewiesen. Diese industrielle Beheizung der Gewächshäuser ist zurZeit noch wenig bekannt, aber eine sehr aussichtsreiche Zukunft steht ihr bevor. Die komplexe Erzeugung von Elektroenergie und Wärme findet in den Kraftwerken der Sowjetunion eine ständig wachsende Verbreitung. Leider ist es so, daß ein gewöhnliches Kraftwerk lediglich elektrischen Strom erzeugt, das heißt nutzbar macht, während aus den Kondensatoren eine ungeheure Wärmemenge zusammen mit dem Kühlwasser in die Fluten des vorüberfließenden Flusses abgegeben und sinnlos vergeudet wird. Es kommt vor, daß solch ein Fluß ein gutes Dutzend Kilometer unterhalb des Kraftwerkes auch bei der strengsten Kälte nicht zufriert. Dabei beträgt der effektive Wirkungsgrad des Werkes ganze 15 bis 20 Prozent! Die sowjetische TEZ1 erzeugt eine etwas geringere Menge Elektroenergie, liefert dafür aber große Wärmemengen als 130
Heißwasser oder Wasserdampf. Diese Produkte der Zentrale werden sowohl an die Industrie als auch an die Haushalte abgegeben. Im ersten Falle dienen sie technischen Zwecken, im zweiten der Beheizung von Wohnungen, der privaten Heißwasserversorgung und so weiter. Leider gibt es bei der Sache noch einen Haken. Während der Bedarf an Wärmeenergie im Winter außerordentlich groß ist, weiß man in den Sommermonaten nicht wohin damit. Jedoch kann man hier einen gewissen Ausgleich schaffen, indem man die Landwirtschaft als einen wichtigen Hauptabnehmer einschaltet. Die Erfahrung lehrt nämlich, daß eine wesentliche Beschleunigung des pflanzlichen Reifungsprozesses durch eine unterirdische Berieselung mit Warmwasser erreicht werden kann. In die oberen Erdschichten, wo sich die Wurzeln befinden, werden tönerne Rohrleitungen verlegt. Durch die kleinen Löcher der Rohrwandungen tritt das Wasser in den Boden. So verschafft uns die im Sommer überschüssige, aber in den Kraftwerken vorhandene Wärme den Genuß eines besonders saftigen Radieschens, einer aromatischen und fleischigen Tomate, einer mehligen Kartoffel. Die Wissenschaft verhilft uns zu einer solchen Steigerung der Ernteerträge und infolgedessen auch der tierischen Produkte, daß es die Menschheit im Verlaufe des 21. Jahrhunderts wohl kaum nötig haben wird, zu einer Ernährungsweise auf der Basis von synthetisch hergestellten Lebensmitteln überzugehen. Die Landwirtschaft verfügt noch über gewaltige Reserven, die es zu nutzen gilt. Hinzu kommt, daß viele Nahrungsmittel, die in der chemischen Industrie als Rohstoffe verwendet werden, durch Erdöl, Erdgas, Sägespäne und anderweitig aus reichlich vorhandenen und billigen Quellen zu ersetzen sind. Dank dieser Tatsache kann bereits heute eine große Menge Nahrungsmittel zusätzlich für die Volksernährung gewonnen werden. Mit großer Energie gehen die Chemiker daran, die Geheimnisse der Photosynthese zu ergründen. Die Pflanze ist in der Lage,
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aus rein anorganischen Stoffen - aus Kohlensäure, Luft und Wasser - Kohlehydrate und Eiweiß aufzubauen. Dieser Vorgang, die Photosynthese, vollzieht sich in der Natur ohne Einsatz all der komplizierten und kostspieligen Errungenschaften der modernen Technik. Wie wir sehen, haben wir hier eine wichtige Aufgabe zu lösen, um die unerschöpfliche Quelle der Sonnenenergie für unsere Nahrungsmittelproduktion auszunutzen. Außerdem sind Chemiker wie Biologen bemüht, das Wesen des natürlichen Prozesses zu erforschen, bei dem der Luftstickstoff von den Bakterien angeeignet wird, ohne daß ein hoher Druck, eine hohe Temperatur und bestimmte Katalysatoren - wie bei der industriellen Bindung des atmosphärischen Stickstoffs durch Ammoniaksynthese vorhanden sein müßten. Wenn es gelingt, den Mechanismus dieses Prozesses aufzudecken, kann man die Erzeugung von Dünger aus Luftstickstoff selbstverständlich viel rationeller und ökonomischer gestalten. Und noch eines: Bereits Mendelejew schrieb, daß die Menschheit dereinst die urgewaltigen Wassermassen der Meere ausnützen werde, um auf diese Weise, durch Verwertung der niederen Organismen, gewaltige Mengen von Lebens- und Futtermitteln zu get winnen. Den Vorhang zur Lebenspraxis des 21. Jahrhunderts haben wir nur erst ein klein wenig gelüftet. Was die Chemiker bisher geschaffen haben, bildet lediglich das Fundament für die großartigen wissen- t schaftlichen Leistungen der Zukunft. Doch können wir nicht daran zweifeln, daß die Menschheit ihr ,goldenes Zeitalter4, wo sie stark und gesund sein und wo sie im Überfluß leben wird, noch vor sich hat.“
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1 Kraftwerk für Elektro- und Wärmeenergie. (Anm. d. Ubers.)
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An einem Tisch mit Poseidon Da ist also die Biologische Fakultät der Moskauer Universität auf den Leninbergen. Wir suchen Lew Alexandroivitsch Senkewitsch. Aber inmitten all der Laboratorien und Übungsräume das Arbeitszimmer des bekannten Zoologen ausfindig zu machen, ist gar nicht so leicht. Senkewitsch ist Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und Leiter eines Lehrstuhls. Sein Spezialgebiet sind wirbellose Tiere. Ein Blick auf die vielen Türaufschriften läßt uns vermuten, daß die Biologie in unserer Zeit zu einer sehr umfangreichen und weitverzweigten Wissenschaft angewachsen ist. Nichts, keine einzige Erscheinung der belebten Natur, scheint ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein. In die mit hellem Holz verkleideten Wände der Korridore haben die Architekten eine große Anzahl Schränke eingearbeitet. Wir kommen uns vor wie in einem riesigen Museum. Die außerordentlich vielfältigen Sammlungen und Herbarien, die hier untergebracht sind, gehen in die Tausende. Wenn man das alles sieht, meint man unwillkürlich, der Tag sei nicht mehr fern, an dem die Biologen einen allgemeinen Zensus unter den belebten Organismen veranstalten können. Vielleicht aber ist die Erfassung aller Erscheinungsformen der belebten Materie auch schon abgeschlossen, und der jungen Generation bleibt nichts anderes mehr übrig, als die „Alten“ des 19. und des 20. Jahrhunderts um das Privileg zu beneiden, im ausgedehnten Reich der Tiere und Pflanzen die ersten gewesen zu sein und es restlos erforscht zu haben. Lew Alexandrowitsch lächelt, als er uns so reden hört. Sicherlich stellen ihm auch die Studenten in den Vorlesungen ganz ähnliche Fragen
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„Was würden Sie denn sagen, wenn die Geographen plötzlich behaupteten, sie hätten einen neuen Erdteil entdeckt, von dessen Existenz bisher niemand eine Ahnung hatte? Sie würden so etwas wahrscheinlich nicht für möglich halten. Und doch hat es in der Zoologie vor gar nicht langer Zeit ein ähnliches Ereignis gegeben. Das war, als sowjetische Wissenschaftler vom Grund des Stillen Ozeans mehrere Formen eines völlig unbekannten Tiertyps an Bord des Forschungsschiffes ,Witjas‘ beförderten. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei diesen Tieren, die den Namen ,Pogonophoren‘ erhielten, um entfernte Verwandte von uns. Die Pogonophoren stecken in einer dünnwandigen Panzerung von etwa einem halben Meter Länge und gehören einem Typus an, der den Wirbeltieren sehr nahesteht. Sie sind Vertreter einer alten, hochentwickelten Tiergruppe und haben sich in einer Tiefe von drei- bis viertausend Metern erhalten. Aber sie kommen auch an den tiefsten Stellen des Ozeans vor. Zu den acht bekannten Typen der lebenden Organismen gesellte sich somit ein neunter. Die Entdeckung eines in der ,Rangordnung4 niedriger stehenden Tieres machten kürzlich die Dänen, gleichfalls im Stillen Ozean. Aus einer Tiefe von viertausend Metern förderten sie Vertreter einer bis dahin unbekannten Art von Weichtieren ans Tageslicht. Äußerlich unterscheiden sich diese Lebewesen nur wenig von den gewöhnlichen 1 Mollusken. Doch kann man bei näherer Betrachtung feststellen, daß ihre Struktur primitiver ist, was die Biologen zu der Vermutung führte, die Weichtiere seien aus den Ringelwürmern hervorgegangen. Sie werden fragen, was denn daran eigentlich interessant sei. Nun, diese Tiere gehören zu denjenigen Formen der Tiefseefauna, die die primitiven Züge der alten Meeresbewohner bewahrt haben. In den geringeren Wassertiefen sind diese Arten schon ausgestorben. Jedoch das Gleichmaß und die Beständigkeit der Lebensbedingungen in den tieferen Schichten des Ozeans verlangsamten und bremsten gleichsam den Entwicklungsprozeß. Aus diesem Grunde konnten wir mit Tierformen Bekanntschaft schließen,
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die sich als wichtige, aufschlußreiche Glieder gut in die bereits erforschten Teile der Evolutionskette einfügen lassen, und wie Sie wissen, sind die Biologen ja bestrebt, eine lückenlose Stufenfolge des tierischen Entwicklungsganges zu erschließen; denn nur so können sie sich eine genaue Vorstellung von der Entstehung der einzelnen Tiergruppen machen. Vielleicht haben Sie recht, wenn Sie vermuten, daß es auf der biologischen Weltkarte im 21. Jahrhundert keine ,weißen4 Flecke mehr geben werde. Jedenfalls steht dann auch der gesamte Evolutionsprozeß deutlicher, faßbarer vor den Augen des Biologen. In das vergangene Jahrzehnt fallen einige wichtige Ereignisse auf dem Gebiet der Tiefseeforschung. Wie seltsam es auch klingen mag -die tieferen Schichten des Meeres wurden erst jetzt einer allseitigen Erforschung zugänglich gemacht. Wenn wir bis vor kurzem nur vier-, höchstens fünftausend Meter Vordringen konnten, so sind wir jetzt dabei, auch die Geheimnisse der tiefsten Stellen zu ergründen. Nebenbei bemerkt, erreichten die Messungen der ,Witjas* eine Tiefe von 10990 Metern. Im Jahre 1948 erschien das Buch ,Die Geheimnisse des Meeresgrundes* von Hans Pettersson, dem bekannten schwedischen Ozeanologen und Leiter der Expedition des Forschungsschiffes ,Albatros*. In dem Buche wird die Vermutung ausgesprochen, daß es in einer größeren Tiefe als sechseinhalbtausend Meter keinerlei Leben mehr
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In den äußersten Tiefen des Ozeans stießen die Gelehrten auf eine ganze Welt origineller Lebewesen geben könne. Pettersson stützt sich hierbei auf die Angaben des französischen Physiologen Fontaine, der auf der Grundlage von experimentellen Untersuchungen zu der Feststellung gelangte, daß bei einem Druck von 650 Atmosphären keine Lebewesen, nicht einmal Bakterien, mehr existieren könnten. Vor zehn Jahren glaubte man noch, daß der ganze Meeresboden unterhalb dieser Grenze von 6,5 Kilometern und das sind insgesamt sieben Millionen Quadratkilometer ,tot‘ sei. Erst in den Jahren 1949 bis 1952 wurde durch die Forschungsergebnisse der sowjetischen ,Witjas‘-Expeditionen und - 1951/1952 - durch die dänischen Expeditionen der ,Galatea* der Nachweis erbracht, daß auch in den äußersten Tiefen ein vielfältiges und formenreiches Leben vorhanden ist und daß es auf dem Meeresgrund keine »tote* Zone gibt. Doch sind Sie ja wohl mehr an der Zukunft interessiert als an der Vergangenheit.“
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Der Wissenschaftler, der so lebhaft und mit so viel innerer Anteilnahme gesprochen hat, verwandelt sich unvermittelt in einen nachdenklich gestimmten, ruhigen Menschen. „Der Ozean …“ sagt er gedehnt, als sähe er die ganze Wasserfläche unseres Planeten vor sich, „umfaßt drei Fünftel der Erdoberfläche und ist noch immer nur ungenügend erforscht. Die neuen Entdeckungen, die wir im Weltmeer machen, sind für die Wissenschaften von großer Bedeutung. Deshalb haben wir hier noch eine wichtige und sehr dringliche Aufgabe zu erfüllen: die geologische Vergangenheit der Erde und ihr tatsächliches Alter zu erschließen, indem wir in die tieferen Schichten Vordringen und besonders den Meeresboden und die Ablagerungen, die sich hier im Laufe von Milliarden Jahren angesammelt haben, einem gründlichen Studium unterziehen. Auf viele Fragen, die die Wissenschaftler schon seit langem bewegen, werden wir auf dem Meeresgrund eine Antwort finden. Wie alt ist die Erde? Wie veränderte sich das Klima? Wie wandelten sich Relief und Spiegel der Meere und die Gestalt der Küsten und Kontinente? Die Geologen untersuchten immer und immer wieder die Schichten des Festlandes, um all diese Fragen beantworten zu können. Aber leider ist es so, daß die verschiedenen Sedimentgesteine an der Erdoberfläche infolge von Verwitterung und vielen anderen Vorgängen, die sich in und auf der Erdrinde abspielten, teilweise zerstört, teilweise stark miteinander vermischt wurden. So wird die Herausarbeitung eines präzisen Vergangenheitsbildes der Erde durch mancherlei Faktoren beeinträchtigt und erschwert. Die ,Uranuhr4, die das Alter der Erde nach der vorhandenen Menge von radioaktiven Stoffen abschätzen möchte, kann den Biologen natürlich nicht befriedigen. Für uns gibt es einen weit verläßlicheren »Chronometer4. Das sind die einzelligen Tiere und Pflanzen der ozeanischen Oberflächengebiete. Sie starben ab, und Miriaden von ihnen sanken auf den Grund, wo sie abgelagert wurden. Da das Wasser der Barentssee vor hundert Millionen Jahren wärmer war als heute, finden wir auf 138
dem Meeresgrund in entsprechender Tiefe die Überreste von Tieren, die unter anderen klimatischen Verhältnissen lebten und eben nur in wärmerem Wasser zu Hause waren. Der Boden des Meeres ist sozusagen ein riesiges Museum mit vielen, im Verlaufe von Millionen Jahren entstandenen biologischen ,Archiven4, die von niemandem und durch nichts gestört werden und die bei der dort unten herrschenden gleichmäßigen Temperatur unversehrt erhalten bleiben. So kann man besser und genauer als durch irgendein anderes Verfahren die klimatischen Veränderungen auf unserer Erde ermitteln. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: im Bereich der Barentssee gab es sowohl vor als auch nach der Eiszeit Perioden eines wärmeren Klimas. Die , Uranuhr4 zeigt auf ein Erdalter von zwei bis drei Milliarden Jahren. Die ,biologische Uhr4 aber sagt etwas ganz anderes aus. Wenn wir uns in die ferne Vergangenheit unserer Erde versenken, sagen wir einmal: siebenhundert bis achthundert Millionen Jahre zurückgehen, ins beginnende Paläozoikum hinein, so begegnen wir schon Tieren, die zu den Arten und Typen unserer Tage gehören. Bereits damals, vor siebenhundert bis achthundert Millionen Jahren, hatte sich die heutige Tierwelt in ihren wesentlichen Zügen herausgebildet. Nahezu eine Milliarde Jahre sind inzwischen über die Erde gegangen. Wie sollte man sich da vorstellen, daß das Leben auf unserem Planeten erst eine Milliarde Jahre vor dem Paläozoikum begonnen und in diesem Zeitraum nahezu seine gesamte Entwicklung durchlaufen habe, wo doch die evolutionären Fortschritte während der letzten achthundert Millionen Jahre nur verhältnismäßig gering waren? Nein, nicht einmal eine Spanne von vier oder fünf Milliarden Jahren dürfte für die Entwicklungsgeschichte des Lebens auf der Erde ganz ausreichend sein. Freilich könnte man einwenden, daß auf den Anfangsstufen möglicherweise ein schnelleres Entwicklungstempo geherrscht habe. Aber das wäre völlig aus der Luft gegriffen. Für eine solche Annahme gibt
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es nicht die geringsten Anhaltspunkte. Eher ist es umgekehrt gewesen, und die Entwicklung hat sich gerade am Anfang nur sehr langsam vollzogen, während sich mit fortschreitender Evolution auch das Entwicklungstempo beschleunigte. So kommen wir also zu dem Schluß, daß die Erde mindestens zehn Milliarden Jahre alt sein mußte, bis das Leben seine heutige Entwicklungshöhe erreichen konnte. Diese Zahl von etwas über zehn Milliarden Jahren wird auch von dem Mitglied der Akademie der Wissenschaften O. J. Schmidt angegeben, der für die Entstehung der Erde und anderer Planeten eine neue Hypothese aufstellte. Aus diesem Beispiel ersehen wir, wie sich die Biologie und Ozeanologie in mancherlei Punkten mit der Astronomie und mit der Astrophysik berühren, wie sich verschiedene Wissenschaften, die an sich weit voneinander entfernt sind, gegenseitig bereichern können. In den nächsten zwanzig bis dreißig Jahren nun werden die ozeanischen Ablagerungsschichten Gegenstand einer detaillierten Untersuchung sein. Gegenwärtig sind wir nicht einmal imstande zu sagen, wie sich der Salzgehalt der Meere im Laufe der Jahrmillionen verändert hat. Im Jahre 1949 unternahm das Forschungsschiff ,Witjas‘ eine Expedition durch das Schwarze Meer. Nebenbei gesagt, entstand eine direkte Verbindung zum Mittelmeer erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit: vor wenigen Jahrtausenden. Salz finden wir selbstverständlich auch auf dem Meeresboden, und als die Mitglieder der Expedition mit ihren Geräten vier bis fünf Meter tief in den Grund eindrangen, um eine Probe zu entnehmen, stellten sie fest, daß der Salzgehalt hier sehr niedrig war. Die geologischen Rohre waren bis in jene Schichten vorgestoßen, die sich in einer Zeit gebildet hatten, wo das Schwarze Meer vom Mittelmeer getrennt war. Durch ein genaues Studium der tierischen Überreste und des Salzgehaltes des Meeresbodens in seinen verschiedenen Schichtungen kann man verfolgen, wann und wie sich im Beringmeer, im Ochotskischen Meer, der Barentssee und anderswo die Tierwelt veränderte, wann sich diese Meere vom
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Ozean absonderten, wann sie sich wieder mit ihm vereinigten und wie sich ihr Salzgehalt veränderte. Wenn wir vierunddreißig Meter in den Meeresboden eindringen, begeben wir uns in ein Milieu, das vor vielen Millionen Jahren entstand und Zeuge eines längst vergangenen Zeitalters ist. Wie ist das aber möglich? Hier nun die technische Seite der Sache: Vom Schiff aus wird ein Rohr, das mit einem hydropneumatischen Mechanismus versehen ist, bis auf den Meeresgrund versenkt. Das Ganze ist eine Art Kolbenpumpe. Wenn man eine Fahrradpumpe mit Luft füllt, sie in einen Behälter mit Wasser taucht und die runde Öffnung am unteren Ende zuhält, so preßt die in der Pumpe eingeschlossene Luft den Kolben nach oben. Je tiefer man die Pumpe hält, desto stärker wird der Druck des Wassers. Bei den Forschungsarbeiten im Meer macht man sich diese Tatsache zunutze. Das Rohr sinkt tiefer und tiefer, während der Kolben in einer ,gespannten4 Stellung gehalten wird. Schließlich drückt das Wasser schon mit
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% » % Der Druck des Wassers trieb das Rohr tief in den weichen Schlamm des Meeresbodens, wo die Probe entnommen werden sollte 500 bis 600 Atmosphären auf den Kolben, an dem ein feines Röhrchen angebracht ist, ähnlich der Hohlnadel einer Injektionsspritze. Sobald man nun den Hahn öffnet, strömt Wasser ein, wird die ,Spitze4 am Kolben mit einem Schlag in den Meeresboden getrieben, wo sie eine Probe in sich aufnimmt. Die für die Bedienung dieser Unterwasserkanone erforderliche Energie liefert also das Meer selbst. Gegenwärtig ist man dabei, Rohre zu konstruieren, die bis zu 100 Metern in den Grund getrieben werden können, um die vo.r 10 bis 15 Millionen Jahren entstandenen Schichten zu erreichen. Die Ablagerungen aus der Eiszeit werden dabei durchstoßen, denn das Rohr soll in die Tertiärschichten eindringen. Die ,Witjas4 arbeitet bereits mit Fünfzig-Meter-Rohren, die mit ihrer vollen Länge im Meeresboden verschwinden können. An einem Seil werden sie vom Schiff aus ins Wasser gelassen, und nachdem sie sich mit der Spitze in den Grund gebohrt haben, wird der Kolben, der sich in dem Rohr befindet, an einem Seil nach oben gezogen. In dem Bestreben, das sich bildende Vakuum zu füllen, bohrt sich das Rohr langsam weiter in den Meeresboden ein. Das ist unser neues, verbessertes Verfahren zur Entnahme von Proben aus der Tiefe der Ozeane. Allerdings wird es gar nicht lange dauern, bis unsere Ozeanologen ihre Geräte noch weiter vervollkommnet haben. Ich glaube, es ist noch nicht abzusehen, welche gewaltigen Möglichkeiten die moderne Technik für die Forscher bereithält. Wir werden über Instrumente verfügen, mit deren Hilfe ein praktisch unbegrenztes Tiefbohren auf dem Meeresgrund möglich ist. Und auch eine UnterwasserHochseeflotte dürfte bei den Forschungsarbeiten noch ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Die Franzosen
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verwenden in großer Tiefe kleine, mit Akkumulatoren ausgestattete Unterseeboote. Aber die Forschungsarbeit, die hiermit geleistet werden kann, läßt noch einiges zu wünschen übrig, da sie stets nur auf ein kleines Gebiet beschränkt bleibt. Was wir brauchen, sind widerstandsfähige Boote mit Atomantrieb, die sich unter Wasser schnell fortbewegen können. Ob das wohl überhaupt möglich sei, wird man manchmal gefragt. Nun, wenn wir hören, daß die Fische mit einer Geschwindigkeit von sechzig bis achtzig Kilometern in der Stunde zu schwimmen vermögen, überrascht uns das im allgemeinen nicht. Sollte es da nicht auch möglich sein, Unter Wasserfahrzeuge mit solchen Formen und Motoren zu entwickeln, daß sie den starken frontalen Widerstand glatt überwinden und den Ozean in einer Tiefe von, sagen wir, einhundert Metern durchschnei den können, wo ihre Fahrt durch keinen Sturm beeinträchtigt wird? Der Mensch hat es fertiggebracht, sich hoch in die Lüfte zu erheben und schneller zu fliegen als der schnellste Vogel. Er hat es fertiggebracht, eine Höhe zu erreichen, wo ihm Wind und Wetter nichts mehr anhaben können. Wie sollte er da nicht auch die Leistungen der Fische übertreffen? Nun zu einem anderen Punkt. Unter der Fülle von technischen Möglichkeiten, über die wir gegenwärtig verfügen, nehmen die Ultraschallgeräte einen besonderen Stand ein. Wir beobachten ihre rasche Entwicklung und Vervollkommnung. Mit Hilfe von Ultraschall lokalisieren wir Wale und Fischschwärme. Je fester ein Körper ist, desto schneller leitet er den Schall. Durch die Luft pflanzt er sich daher nur langsam fort, durch das Wasser weit schneller, auf festem Boden oder auf dem Grunde des Meeres noch schneller. Mit unseren modernen Geräten können wir von der Küste aus den Standort eines Schiffes auf eine Entfernung von annähernd tausend Kilometern bestimmen. Wenn Sie in zwanzig oder dreißig Jahren einmal Gelegenheit haben, in der Nähe der Meeresküste zu reisen, so werden Sie ganz gewiß auf
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die Ultraschalleuchttürme aufmerksam werden. Eigentlich sind das aber gar keine Leuchttürme mehr, denn sie senden keine Lichtstrahlen aus, vielmehr arbeiten sie als Sende- und Empfangsstationen von Ultraschallsignalen. Stürme, Taifune, die Bewegungen von Schiffen und Eisbergen, kurz alles, was sich auf dem Meere abspielt, wird von diesen Stationen aus unablässig kontrolliert. Auch unser heutiger Peildienst arbeitet schon mit großer Exaktheit. Eine moderne Ultraschallstation kann das Zentrum eines fern im Meere tobenden Wirbelsturmes bis auf ein paar Dutzend Meter genau ermitteln. Nehmen wir einmal an, irgendwo auf offener See, weit von der Küste entfernt, habe sich ein Erdbeben ereignet. Die gewaltige Welle, die von dem Erdbeben ausgeht, pflanzt sich durch den Ozean fort, erfaßt und ,verschlingt4 auf ihrem Wege ganze Inseln und bricht sich schließlich an der Küste, schießt in einer schwärzlich blauen Wand zehn bis zwölf Meter hoch in die Luft, überschwemmt den Küstenstreifen. Innerhalb weniger Sekunden sind ganze Städte vernichtet, und viele tausend Menschen, die von dem herannahenden Unheil nichts ahnten, werden ein Opfer dieser furchtbaren Katastrophe. Der Ultraschall-Warndienst aber vermag das Schlimmste zu verhüten. Schon wenige Sekunden nach dem Beben stellen die Geräte Stärke und Richtung der heranrollenden Woge fest. Wenn Gefahr droht, löst eine automatische Signalanlage die Sirenen aus und stellt Kontakt zu den Sendestationen des Rundfunks her. In die Sendungen schalten sich automatische , Ansager4 ein, unterbrechen das Programm und rufen die Küstenbewohner der gefährdeten Gebiete auf, in der verbleibenden Zeit die Stadt zu verlassen, die Kutter aufzusuchen und so weit wie möglich aufs Meer hinauszufahren, oder in die Berge zu flüchten, bis zu einer Höhe, die von den über das Ufer stürzenden Wassermassen nicht mehr erreicht werden kann. Die Zahl der Todesopfer, die solche Naturkatastrophen fordern, wird dann wesentlich sinken.
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Doch wie Sie sehen, sind wir da von der »reinen4 Biologie ein wenig abgekommen. Anders kann das auch gar nicht sein. Ein weiteres Thema. Die moderne Technik gestattet uns, die Möglichkeit einer weitgehenden Aneignung der Schätze des Meeres ins Auge zu fassen, wenn Sie wollen, an eine industrielle Gewinnung und Nutzbarmachung seiner Reichtümer zu denken. In den Meeren können wir ein wesentlich konzentrierteres Vorkommen von wichtigen organischen und anorganischen Stoffen feststellen als auf dem Festlande. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn wir dem Meereswasser das gesamte Gold entreißen könnten, das darin vorhanden ist, so würde dies den Goldpreis gewaltig herabsetzen. Gold
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Mächtige Maschinenarme nahmen das Neuland auf dem Meeresgrund in Besitz F
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i f
S
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wäre dann nicht teurer als Kupfer. So bedeutend sind die Vorkommen dieses Edelmetalls im Meerwasser. Natürlich haben auch schon einige Wissenschaftler denVersuch unternommen, das Problem einer Goldförderung aus dem Meer technisch zu lösen. Leider aber kommt uns das ,Meeresgold* zur Zeit immer noch um ein Mehrfaches teurer als das auf dem Festland gewonnene Gold. Es ist aber durchaus möglich, rentable Methoden zu entwickeln, um nicht nur Gold, sondern auch andere wertvolle und seltene Metalle, wie Nickel, Kobalt, Vanadium und so weiter, aus dem Meere zu ziehen. ïm Augenblick freilich gewinnen wir selbst Jod nicht direkt aus Meereswasser, sondern aus Seetang, wo es in besonders starker Konzentration vorkommt. Übrigens gewinnen es die Chemiker seit einiger Zeit auch aus Erdöl. Was also drängt die Wissenschaftler eigentlich in die Tiefe der Meere, was veranlaßt sie, sich mit so vielen und
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komplizierten Problemen herumzuschlagen? Ist es denn nicht viel bequemer, die Algen einfach in Ruhe zu lassen und sich bei der Jodgewinnung beispielsweise mit dem Lieferanten Erdöl zu begnügen? Vielleicht ist der ganze Reichtum des Meeres nur ein Phantom, eine unerreichbare Fata Morgana wie die Gewinnung des im Wasser der Ozeane gelösten Goldes? Nie und nimmer! Und auf keinen Fall können wir auf die anderen Schätze der Meere verzichten. Allerdings fällt uns nichts in den Schoß. Nehmen Sie das Fischereigewerbe. Trotz eines recht hohen technischen Niveaus können wir da noch nicht von einer regelrechten Fischereiwirtschaft sprechen. Wenn wir aus dem — trotz aller Fortschritte — doch verhältnismäßig primitiven Fischer- oder Jägerstadium hinauskommen wollen, dürfen wir die Fische nicht einfach nur fangen, die Wale harpunieren und die als Nahrungsmittel in Betracht kommenden wirbellosen Tiere, wie Hummern und Austern, nur auflesen und einsammeln. Vielmehr gilt es, die begehrten Meeresbewohner in ihrer Gesamtheit den Ernährungswünschen des Menschen zugänglich zu machen. Ganz sicher wird die Menschheit im 21. Jahrhundert über eine riesige und gut organisierte Meerwirtschaft verfügen. Und genauso, wie sich die Landwirtschaft in verschiedene Gebiete untergliedert -in Gemüsebau, Forstwirtschaft, Schafzucht und so weiter -, wird auch die Meerwirtschaft mehrere Zweige haben. Greifen wir ein Beispiel heraus: den Wal. Angenommen, es werden am heutigen Tage zwei Wale geboren. Wann werden sie beginnen sich zu vermehren?“ Senkewitsdi hat diese Frage an uns persönlich gerichtet. Er wirft uns einen fragenden Blick zu. In fieberhafter Eile tasten wir unser Gedächtnis ab. Wir erinnern uns gehört zu haben, daß der Wal eine Länge von zwanzig oder dreißig Metern erreichen und zehn bis fünfzehn Tonnen wiegen kann. Aber wir sind ja keine Biologen und haben nicht die geringste Vorstellung davon, wie lange das Tier braucht, um heranzuwachsen. Vielleicht so an die zehn bis zwölf Jahre? „Nun ja“, beruhigt uns der Gelehrte, „Sie sind nicht die ersten, denen ein solcher Irrtum unterläuft. Es ist doch
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eigentümlich, daß jedermann weiß, wie lange das größte Landtier, der Elefant, braucht, bis er erwachsen ist, und daß er sich erst mit 35 bis 40 Jahren fortpflanzen kann - während nur wenig Menschen eine Ahnung davon haben, daß der Wal, der ,Elefant der Meere*, bereits im zweiten bis dritten Jahre erwachsen und zeugungsfähig wird. Dieses einzigartige Wachstumstempo der Wale ist für viele ein komplettes Rätsel. Biologisch ist die Sache aber leicht zu erklären. Der Ozean liefert ein unvergleichlich reicheres Angebot an Nährstoffen und Vitaminen, als der Elefant in seinem Milieu jemals finden kann. Auch in der Flora sind die Lebensbedingungen unterschiedlich. Auf dem Festlande muß die Pflanze einen starken Sproß haben, um dem Wind zu widerstehen und die Blätter in eine günstige Stellung zum Licht zu bringen. Sie muß über ein zuverlässiges Wurzelsystem verfügen, das für eine solide Befestigung im Boden sorgt und stark verzweigt ist, um genügend Bodenwasser aufzunehmen und eine ausreichende Ernährung der Pflanze zu sichern. Die Pflanze des Festlandes muß 9idi gegen Dürre, gegen überstarke Hitze wie gegen Kälte gleichermaßen schützen. Wieviel Energie muß sie aufwenden, um die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen4 zu ergreifen. Und wie wenig für die menschliche Ernährung verwertbare Stoffe liefert sie dabei ! Im Meere aber herrschen andere Gesetze. Hier brauchen die Pflanzen keine besonderen Schutzelemente. Sie bestehen fast ausschließlich aus den gleichen Zellen und organischen Stoffen wie die Blätter der Erdpflanzen. Mit anderen Worten: der ,biologische Wirkungsgrad4 beträgt bei den Pflanzen des Meeres annähernd 100 Prozent. Demgegenüber stehen 5 bis 6 Prozent bei den hölzernen Stämmen und Halmen der Landpflanzen. Die Ursache für dieses eigenartige Verhältnis bilden die im Meer gegebenen Lebensbedingungen, die sowohl für die Ernährung der Pflanze wie auch in jeder anderen Hinsicht geradezu ideal sind. Es gibt nur geringfügige Temperaturschwankungen, die Pflanze befindet sich stets in einer Art schwebendem Zustand, und es ist ja kein Zufall, daß
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das Leben auf der Erde ausgerechnet in den Lagunen der Meere entstanden ist, die von den lebenspendenden Strahlen der Sonne reichlich durchwärmt werden.
Bäume braudien mehrere Jahrzehnte, um aufzuwachsen i— Algen nur Monate oder Jahre
Im Wachstumstempo bricht der Wal sogar die Rekordzeit des Hausschweines 151
Jedoch handelt es sich nicht nur um die Nährstoffe, aus denen sich die Pflanzen der Meere zusammensetzen und die sie darum auch in überreichem Maße für uns bereithalten. Vielmehr darf man, wenn man die Organismen des Meeres vom Standpunkt ihrer Nützlichkeit für die menschliche Ernährung untersucht, auch eine andere Tatsache nicht übersehen. Sie sind nämlich viel reicher an Vitaminen als die Pflanzen des Festlandes. Besonders nahrhaft und vitaminreich ist das sogenannte Plankton. Das sind freischwebende pflanzliche und tierische Kleinlebewesen, die vor allem in den Oberflächenschichten des Wassers Vorkommen. Interessant ist die Tatsache, daß das Plankton in seinem Nährwert den besten Heusorten sehr nahesteht. Unwillkürlich fragt man sich, wie es denn kommt, daß wir jene niederen Pflanzen- und Tierarten, von denen es im Wasser der Meere nur so wimmelt, einfach sich selbst überlassen, während wir doch bei der Heumahd sorgsam darauf achten, daß kein Halm verlorengeht. Freilich, Algen, Mollusken, Krebstiere werden der Ernährung zugänglich gemacht — aber in welch geringem Maße! Auch hier nutzen wir nur einen verschwindend geringen Teil dessen, was in ungeheurer Fülle vorhanden ist. Wissen Sie, was unsere tschechischen Kollegen schreiben?“ Senkewitsch blättert in einer Zeitschrift mit farbigen Drucken. „Schauen Sie! In kurzer Zeit wollen sie dazu übergehen, die grünen Süßwasseralgen industriell zu verwerten.“ Er liest uns ein paar Zeilen vor: „In den Algen finden wir eine wertvolle Futterbasis für die Viehhaltung sowie eine wichtige Rohstoffquelle für die Industrie. Sie liefern den Rohstoff für Dünger, Alkohol, Benzin und verschiedene Medikamente. Aus einem Wasserbecken von einem Hektar Größe kann man in Jahresfrist rund zwanzigmal soviel Futtermittel gewinnen wie von einer ebenso großen Wiesenfläche, die mit den ergiebigsten Grassorten bewachsen ist. Dabei betragen die Kosten nur ein Minimum der für die Aussaat des Grases erforderlichen Mittel…“
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Worin bestehen die Vorzüge der Meer Wirtschaft? Senkewitsch fährt in seinen Betrachtungen fort. „Nehmen Sie einmal an, in einem Waldstück würde man sämtliche Bäume fällen und dafür junge Setzlinge anpflanzen. Die Bäume entwickeln sich in ähnlich langsamem Tempo wie verzeihen Sie diesen Vergleich - der Elefant. Eine Schonung braucht vierzig Jahre, um ein Wald zu werden. Im Ozean jedoch - und die Organismen der Meere stellen die Hauptmasse der Vegetation unserer Erdkugel dar - gibt es in einem einzigen Jahre fünfzig Generationen! Nun werden Sie verstehen, weshalb die Wale keine vierzig Jahre brauchen, um heranzuwachsen, sondern nur zwei. Sie haben gelernt, aus dem Meer eine überreiche Kost zu schöpfen. Und der Wal bildet in diesem Sinne keine Ausnahme, sondern nur ein treffendes Beispiel. Man könnte genausogut tausend andere Fälle anführen, wo es ganz ähnlich aussieht. Manchmal gerät man unwillkürlich in Erstaunen, und man begreift, wie wichtig es ist, daß wir die Gesetze der Natur, die vor unseren Augen solche Wunder vollbringt, gründlich studieren, um daraus zu lernen. Haben Sie sich nicht auch schon gefragt, weshalb ausgerechnet die größten Tiere der Erde sich bescheiden mit einer Speisekarte von sehr kleinen tierischen oder pflanzlichen Organismen begnügen? Dabei wären doch wohl der Wal wie der Elefant bestimmt kräftig genug, um recht erfolgreiche Raubtiere abzugeben. Aber gerade darin, daß sie keine Räuber wurden, äußert sich ein wichtiges Lebens- und Naturgesetz. In der tropischen Heimat des Elefanten wie in den Meeren, wo der Wal zu Hause ist, sorgt die Natur für so außergewöhnlich günstige Lebensbedingungen, daß ein Pflanzenfresser oder ein Tier, das sich von kleinen Organismen nährt, größere »Privilegien4 genießt als die Raubtiere, denen es immer schwerer fällt, die erforderliche Nahrung zu erlangen. Es ist, als raune ihnen die Natur zu: ,Wenn du dich weiterentwickeln willst, wenn du größer, stärker und lebenstüchtiger werden willst - und das ist wichtig, damit du im Kampf ums Dasein bestehen kannst -, so stelle dich auf eine andere Ernährungsweise um. Sicher ist
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diese neue Nahrung nicht so ergiebig wie das Fleisch deiner Opfer, aber dafür findest du sie ringsum in Hülle und Fülle. Du brauchst deine Kräfte nicht mehr bei der Jagd und Verfolgung oder im Kampf zu verschwenden.4 Ja, das ist es eben: man muß sich auf eine neue Nahrung umstellen. Und wie Sie wissen, befolgten einige der großen Raubtiere diesen Rat. Sie sicherten sich damit eine solide Grundlage für ihre Existenz. Welches ist der größte Fisch der Welt? Der Hai. Aber nicht etwa der Blauhai, der auch auf Menschen Jagd macht. Nein, der größte aller Haie hörte auf, ein Räuber zu sein. Er nährt sich harmlos von Plankton, saugt Wasser ein und filtriert es - ähnlich wie der Wal. Seine Vorfahren waren noch Raubfische. Aber keiner von ihnen erreichte seine stattliche Körpergröße. Der Riesenhai,weidet4 friedlich auf den ,Wiesen4 der Ozeane und wird dabei sechzehn Meter lang. Dies also sind die Kräfte und Wege der Natur, die der Mensch kennen und nutzen muß, um selber ein Wundertäter zu werden. Aber das ist eben nicht immer leicht. Was für eine simple Einrichtung sind doch die Walfischbarten. Und die Menschen verstehen es immer noch nicht, einen so billigen und zuverlässigen Filter für das Plankton selber herzustellen. Schiffe mit Spezialpumpen wurden gebaut, mit gigantischen Zentrifugen ausgestattet, um das Plankton vom Meereswasser zu trennen. Aber all das blieb bisher unrentabel. Es wird wohl noch ein Jahrzehnt dahingehen, ehe wir das Plankton aus dem Meere schöpfen können, um es in ein Futtermittel zu verwandeln und -eventuell - sogar für die menschliche Ernährung zu verwenden. Auch die Algen werden im 21. Jahrhundert auf breiter Ebene verwertet werden. Natürlich hat bisher noch niemand eine Bestandsaufnahme durchgeführt, aber ich glaube, man darf die Weltvorräte an Algen wohl auf mehrere Milliarden Tonnen schätzen. Zur Zeit nutzen wir davon allerdings nicht viel mehr als hunderttausend Tonnen. So um das Jahr 2000 wird sicherlich die Geburt einer neuen Wissenschaft verkündet werden: der Meeresagronomie (und 154
vielleicht auch der Meeresgenetik). Die zahlreichen Buchten der Barentssee, des Asowschen Meeres, des nordwestlichen Teiles des Schwarzen Meeres werden Arbeitsbereiche von Staatsgütern sein. In einer Tiefe bis zu hundert Metern, wo es viel Sonnenlicht gibt und das Wasser warm ist, werden Agronomen und Mechaniker im Taucheranzug arbeiten. Mit ihren flinken, behenden Fahrzeugen können sie schnell überallhin gelangen, um die Zucht von Pflanzen und Tieren und die Herausbildung neuer Sorten und Rassen zu organisieren. Nur in der Finsternis der größeren Tiefen, wo eine Temperatur von 1 bis 2 Grad herrscht und die Entwicklung des Lebens nur zaudernd vor sich geht, wird es keine unterseeischen Fluren und Gemüsefelder geben. Wenn es Frühling wird, verschwinden aus dem Meereswasser plötzlich Phosphor und Stickstoff. Sie werden von den Algen gebraucht, die sich um diese Zeit stürmisch entfalten. Für die Pflanzenwelt bedeutet dies den Ausbruch einer Hungersnot. Da es von diesen Elementen nur eine ungenügende Menge gibt, muß man die Algen zusätzlich mit Dünger versorgen. Sie werden es mit einer um so reicheren Ernte danken. Je mehr Stickstoff und Phosphor dem Wasser der Lagunen zugesetzt werden, desto besser. Aber hierbei bedarf es des geschulten Blicks eines Agronomen oder — richtiger gesagt - eines Meeresspezialisten, eines Kenners der maritimen Flora. Es kommt nämlich darauf an, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, genauso wie wir ja auch in der Landwirtschaft die Düngung beispielsweise nicht im Winter durchführen. Man muß genau darüber Bescheid wissen, wann welche Düngemittel gebraucht werden. So wird die Meerwirtschaft also nicht gerade eine einfache Sache sein. Aber auch die maritime Viehzucht wird rasch in Schwung kommen. Natürlich würde es schwerhalten, eine an feste Stätten gebundene Walfischzucht zu betreiben. Aber warum sollte man nicht die Meere der Erde in gemeinsame Zuchtplätze verwandeln? Die Wale brauchen viel freien Raum. In der Antarktis leben sie nur während der Sommermonate. Wenn es Winter wird, wandern sie Tausende Kilometer weit in
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subtropisches Gebiet. Und niemand weiß genau, wo sie sich eigentlich paaren, niemand kennt ihre Route. Vor allem ist auch diese Frage noch völlig ungeklärt: Handelt es sich bei den Walen, die sich in den Wassern der südlichen und der nördlichen Hemisphäre tummeln, um die gleichen Tiere oder nicht? Die Walfischzucht muß gut geregelt und organisiert sein. Kürzlich wurden die ersten Maßnahmen zum Schutze der Wale ergriffen, die, wenn sie konsequent durchgeführt werden, nicht nur die Erhaltung des gegenwärtigen Bestandes, sondern auch eine Vermehrung der Tiere garantieren.“ Der Professor schweigt einen Augenblick. Wir verstehen, daß er, angeregt durch die Unterhaltung, noch mancherlei Interessantes berichten könnte. Aber: „Sie werden entschuldigen“, sagt er statt dessen, „ich muß nun Prüfungen abnehmen.“ Er begibt sich an die Glastür, öffnet sie und ruft dem Studenten, der draußen auf dem Flur geduldig gewartet hat, ein einladendes „Bitte, junger Mann, treten Sie näher!“ zu. I
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In der Sowjetunion ist es üblich, daß die Studenten während der Vorlesung Zettel mit Fragen nach vom geben, auf die der Dozent am Schluß der Lehrstunde eingeht.
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Konstrukteure der belebten Natur „Ach - wenn Sie wüßten, wie schön es ist, in unserer Zeit als Biologe zu arbeiten. Das bedeutet doch, mit einer Wissenschaft umzugehen, die eine geradezu blendende Zukunft vor sich hat. Das 20. Jahr- -hundert wurde oftmals als Jahrhundert der Physik und Biologie bezeichnet. Damit will man sagen, daß die ersten fünfzig Jahre stark im Zeichen der Entdeckungen auf dem Gebiet der Kernphysik standen, während die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts bedeutende Fortschritte in der Biologie zeitigen wird. Mit dieser Ansicht muß man sich vorbehaltlos einverstanden erklären“, meint Professor Anton Romanowitsch Sherbrak, ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der Belorussischen Sowjetrepublik. „Jedoch - wenn man ganz gerecht sein will, so muß man zugeben, daß die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wie auch die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts wichtige biologische Entdeckungen brachten. Als die drei entscheidenden Entdeckungen des 19. Jahrhunderts bezeichne te Engels die der Zelle, die Verwandlung der Energie und die nach Darwin benannte Entwicklungstheorie1. Im 20. Jahrhundert wurden Methoden zur Veränderung des Zellkerns gefunden. Ein neuer revolutionärer Einbruch in die Geheimnisse des Lebens war damit erzielt. Seit Jahrtausenden bemüht sich der Mensch um die Züchtung neuer Tier- und Pflanzenformen, und er mußte sich immer mit dem begnügen, was die Natur für ihn schuf, auf deren ,Gnade4 er somit angewiesen war. Selbst der Gelehrte 158
mußte sich mit den spärlichen Krumen der naturgegebenen Zufälligkeiten begnügen, mußte immer und immer wieder sorgsam ausgewählte Pflanzen kreuzen, um endlich neue Sorten und Rassen mit den gewünschten Eigenschaften heranzuzüchten. Erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit gelang es, diese Begrenztheit zu überwinden. Eine wichtige Rolle hierbei spielte die Hybridisation, das heißt die Kreuzung von einander fernstehenden Verwandten. In welchem Maße die Zuchtmöglichkeiten durch die Einführung dieser Methode gewachsen sind, davon legen beredtes Zeugnis die Arbeiten Mitschurins ab, der durch die Aufzucht von Hybridensämlingen zum Schöpfer vieler bis dahin unbekannter Pflanzensorten wurde. Freilich arbeiten die Biologen auch heute noch mit der Hybridisation, wenn sie eine Erbänderung herbeiführen wollen, aber es sind gerade in den letzten Jahrzehnten andere, völlig neuartige Methoden hinzugetreten, über die ich nachher noch eingehender sprechen werde. Wir leben jetzt in einer Zeit, wo jeder Schuljunge weiß, wie ein Atom aufgebaut ist, wie sich die ,Bausteine* des Weltalls zusammensetzen. Fragen Sie irgendeinen beliebigen Schüler der oberen Klassen. Er wird Ihnen erklären, daß ein Atomkern das Zentrum bildet, um das sich die kreisenden Elektronen der Atomhülle gruppieren. 1 Friedrich Engels: „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“, Verlag JHW Dietz, 1946, S. 23 und 39. (Anm. d. übers.) Er weiß, daß fast die gesamte Masse des Atoms in dem Kern konzentriert ist, der eine komplizierte Struktur aufweist und aus vielen Elementarteilchen besteht. Nun, und der Aufbau des Atoms erinnert stark an das Schema einer belebten Zelle, wo es gleichfalls ein kompliziert strukturiertes Zentrum gibt, den Zellkern, der von einem festflüssigen Substanzgemisch, dem Protoplasma, umgeben ist. Auf diesen Vergleich komme ich nicht zufällig. Selbstverständlich sind ein Atom und eine Zelle zwei verschiedene Dinge. Aber in dem gleichen Maße, wie der Biologe in die Geheimnisse des 159
Zellkerns eindringt und diesen verändern lernt, bietet sich ihm ein ähnlich phantastisches Betätigungsfeld wie dem Physiker in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, als die Erforschung und Zertrümmerung des Atomkerns eine regelrechte Revolution in der Physik hervorrief. Eine analoge Umwälzung können wir gegenwärtig in der Biologie verfolgen, seitdem die Biologen ihren Blick vor allem auf den Zellkern richten. In den letzten Jahren wurde eine Fülle von Material zusammengetragen, aus dem hervorgeht, daß der Träger der Erbanlage nicht im Protoplasma, sondern im Zellkern zu suchen ist. Wenn man Kern und Plasma zweier verschiedener Rassen miteinander vereinigt, so gehört das Tier, das aus dieser Zelle hervorgeht, stets der Rasse an, von der der Zellkern stammt. Versuche auf diesem Gebiet führte beispielsweise der sowjetische Wissenschaftler B. L. Astaurow durch. Er benutzte hierfür Zellbastarde aus Kern und Plasma verschiedener Seidenspinnerrassen. Überhaupt muß man sagen, daß sowohl in der Sowjetunion wie auch in anderen Ländern ziemlich viel experimentiert wurde, daß die (Jelehrten aber immer und überall zu dem gleichen Schluß gelangten: Wenn die Verantwortung für die Erbvorgänge vor allem der Zellkern trägt, so kann man eine Veränderung der Erbanlage folglich nur durch Veränderung des Kernes erreichen. Die ersten einschlägigen Versuche wurden von dem Moskauer Professor 1.1. Gerassimow gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts durchgeführt. In den botanischen Laboratorien der Moskauer Universität gelang Gerassimow die Züchtung von Zellen ohne Kern und von Zellen mit zwei Kernen. Die kernlosen Zellen teilten sich nicht weiter und blieben nur für kurze Zeit lebensfähig, wohingegen die zweikernigen Zellen größer waren und eine ungleich intensivere Lebenstätigkeit entfalteten. Eine solche Veränderung der Strukturelemente des Zellkerns nach dem Willen des Menschen bezeichnete man später als willkürliche Polyploidie. Einige Worte muß man auch über die Grundelemente des Zellkerns, die Chromosomen, sagen. Aus diesen kleinen
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Körperchen setzt sich faktisch der ganze Zellkern zusammen. Sie bestehen überwiegend aus Eiweiß und einer verhältnismäßig einfachen chemischen Verbindung. Die Funktion der Chromosomen kann man mit der Arbeit des Gehirns vergleichen. Ähnlich wie gewisse Bezirke des Gehirns die Tätigkeit der Körperorgane regeln, so lenken einzelne Teile eines Chromosoms die Entwicklung des Organismus und sorgen für die Herausbildung seiner Merkmale und Eigenschaften. Solche Chromosombezirke heißen Gene. Der Zellkern eines jeden Tieres und jeder Pflanze hat seine feststehende Anzahl von Chromosomen. Auch die Form der Chromosomen ist verhältnismäßig konstant und erfährt im Verlaufe vieler Generationen keine nennenswerte Veränderung. Die bemerkenswerteste Eigenschaft der Chromosomen besteht jedoch darin, daß sie stets paarweise angeordnet sind. Unabhängig davon, wie viele Chromosomenpaare in einem Zellkern enthalten sind: stets ist eines von der Mutter vererbt, während sein ,Partner* vom Vater stammt, und sie sind ganz so angelegt, als befänden sie sich alle auf einem magnetischen Feld. Wenn wir unseren Vergleich mit dem Atomkern weiterführen wollen, so können wir die Chromosomen in gewissem Sinne mit den Neutronen gleichsetzen. Das Neutron kann man ja sozusagen als Vereinigung zweier Elementarteilchen mit entgegengesetzter Ladung auffassen: des negativ geladenen Elektrons und des positiv geladenen Protons. Neben den Diploiden, die die doppelte Zahl von Chromosomen besitzen, finden wir in der Pflanzenwelt auch nicht gar so selten Zellen mit vierfach angelegten Chromosomen, die sogenannten Tetraploiden. Besonders häufig sind Polyploide - das heißt Zellkerne mit vervielfachten Chromosomensätzen - in der Arktis, in der Wüste und im Hochland anzutreffen. So beträgt ihr Anteil unter der Flora des Pamirplateaus fünfundachtzig Prozent, und sie machen achtzig Prozent der Samenpflanzen von Spitzbergen aus. Aber wir kennen auch Organismen mit einfachen und dreifachen
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Chromosomensätzen. Wissen Sie, weshalb ich das Gespräch auf die Polyploidie gebracht habe? Die Erfahrung lehrt, daß polyploide Pflanzen im allgemeinen wesentlich größer werden als die diploiden Entsprechungen, daß sie schneller wachsen, mehr Fettsäuren, Zucker, Eiweiß und andere Stoffe entwickeln, die die Anpassungsfähigkeit der Pflanze an schwierige Lebensbedingungen erhöhen. Außerdem sind ihre Zellen größer. Das sind aber genau diejenigen pflanzlichen Eigenschaften, die auch den Menschen in starkem Maße interessieren. Unter den Kulturpflanzen - viele davon sind auf natürliche Weise entstandene Polyploide - finden Sie mit sechsfachen Chromosomensätzen versehenen Weizen und langfaserige Baumwollsorten, die die Grundlage für die sowjetische Baumwollwirtschaft abgeben. Polyploiden mit hohen Chromosomensätzen begegnen wir auch bei den Apfel- und Birnbäumen, bei den Weinstöcken, Himbeersträuchern, Bananen und Blumen. Es zeigt sich immer wieder, daß die hochchromosomigen Pflanzenkulturen in mancherlei Hinsicht eine größere Vollkommenheit erreichen als die diploiden. Es gibt Weizen mit 14, 28 und 42 Chromosomensätzen. Die winterfestesten Weizensorten gehören zu den zuletzt genannten. Sie nehmen daher auch auf der Anbaufläche eine Favoritenstellung ein. Etwa neunzig Prozent der gesamten Weizenernte wird von 42chromosomigen Pflanzen bestritten. Wie aber erzielen wir willkürliche Polyploidie? Bei der gewöhnlichen Zellteilung wird die Chromosomenzahl durch Längsspaltung verdoppelt, wobei aus jeder Ausgangszeile also zwei Tochterzellen entstehen. Wenn man nun die Anzahl der Chromosomen in einem Zellkern verzweifachcn will (beispielsweise um aus einer diploiden Pflanze eine tetraploide zu züchten), so muß man nach erfolgter Chromosomenteilung die Reduktionsteilung der Zelle verhindern. Zu diesem Zweck wird die Zelle im richtigen Augenblick unter niedrige Temperatur gesetzt oder der Einwirkung eines Betäubungsmittels unterworfen. Das hat zur Folge, daß die
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Chromosomen, deren Zahl sich bereits verdoppelt hat, nicht nach den Polen auseinanderrücken können. Dieses Verfahren entwickelte 1.1. Gerassimow, indem er experimentell, erstmalig auf künstlichem Wege, polyploide Algen züchtete. Zur Zeit befriedigt die Menschheit ihr Nahrungsbedürfnis hauptsächlich auf der Grundlage jener wertvollen Naturprodukte, die in einem jahrhundertelangen Prozeß von natürlicher Auslese und künstlicher Zuchtwahl entstanden sind. Aber schon ist die Zeit greifbar nahe, wo wir neue Getreidesorten durch Anwendung ganz anderer Methoden schaffen werden. Kürzlich ist es gelungen, unter Ausnutzung der Erfahrungen der experimentellen Genetik Weizen mit 56 und 70 Chromosomen zu entwickeln. Theoretisch ist es aber möglich, eine bedeutend höhere Zahl von Kernschleifen zu erreichen: 84, 98, 112, 126 und 140, was wir natürlich auch anstreben. Sicher wird es noch in unserem Jahrhundert gelingen, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen und Weizen mit 140 Kernschleifen zu entwickeln. Um die nächste Jahrhundertwende wird man auf den Feldern nur aufrechtstehende Getreidehalme sehen können. Die Mechanisierung der landwirtschaftlichen Produktion erfordert ein Stroh, das sich nicht umlegt. Freilich verfügen wir im Augenblick nur bei ganz wenig Kulturen über solche Strohsorten, doch wird es uns mit Hilfe neuer Methoden glücken, sie allgemein einzuführen. Desgleichen werden wir die biochemischen Besonderheiten des Kornes und damit zugleich seine Qualität verändern.“ Hat der Professor nicht allen Grund, eine so optimistische Voraussage zu machen? Übrigens ist es völlig ausgeschlossen, diesem überzeugten Enthusiasten etwa keinen Glauben zu schenken. Er hat es ja bereits fertiggebracht, Weizen mit so ungewöhnlich hohen Chromosomensätzen wie 56 und sogar 70 zu züchten und ein Korn von doppeltem Gewicht — und das alles auf einem Halm, der stolz und aufrecht auf dem Acker steht und eine große Widerstandsfähigkeit gegen alle möglichen Krankheiten beweist. Es ist schon so, daß der 163
Weizen gegenwärtig auf „Herz und Nieren“ geprüft wird, weil man seine Qualitäten noch weiter verbessern möchte. „Aber, sagen Sie…“, wenden wir uns an den Professor, „ist es denn möglich, die Chromosomensätze beliebig zu erweitern? Oder gibt es da eine Höchststufe, die nicht mehr überschritten werden kann?“ Der Professor antwortet uns sogleich. „Im Prinzip kann man die Chromosomensätze ohne jede Einschränkung weiter erhöhen. Nur darf man dabei natürlich die Bedeutung der Befruchtung nicht vergessen. Ich meine damit, daß mindestens zwei Pflanzen jeweils den gleichen Chromosomensatz aufweisen müssen. Eine andere Frage, die Sie sicher interessieren wird, ist die Ergiebigkeit der Pflanzen, ihr Ertragreichtum. Die Hauptenergiequelle für die Entwicklung aller organischen Stoffe auf der Erde ist die Sonne. Nun nehmen die Pflanzen auf unseren Feldern nur etwa drei Prozent der Sonnenenergie auf, die aus dem Weltraum zu uns dringt. Die restlichen 97 Prozent bleiben noch ungenutzt. Sie sind sozusagen unsere große Reserve. Um diese Quelle in einem höheren Grade ausschöpfen zu können, brauchen wir Pflanzen mit breiteren Blättern. Aber sie zu entwickeln, ist eine schwierige und langwierige Aufgabe. Allerdings hängt die Höhe des Ernteertrages nicht nur von der Sonne ab, sondern auch von einer ganzen Reihe anderer Faktoren. Gerade auf dem Gebiet der Wasserversorgung hat die Menschheit allerhand geleistet, und die Chemiker versprechen, den Pflanzen in der Zukunft eine reichhaltige und vielseitige Nahrung in Form von künstlichem Dünger zu verabreichen. Bereits jetzt könnten wir die Hektarerträge bei Getreide auf fünfzig bis sechzig Zentner erhöhen. Auf den bei Moskau gelegenen Feldern könnten wir sogar mit einer Einbringung von siebzig Zentnern rechnen. Aber wenn wir diese Ziffern erreichen wollen, dürfte bei der Ernte nicht ein Halm verlorengehen. Wie wir sehen, ist es nicht damit getan, die Pflanze ausreichend zu ernähren und mit Sonnenenergie zu speisen. Man muß auch dafür sorgen, daß sie auf kräftigen 164
,Beinen* steht, damit sie nicht unter der Last der Ähre zusammenbricht. So finden wir in der Lösung dieses Problems einen wichtigen Schlüssel zur Erhöhung der Hektarerträge. Der Biologe des 21. Jahrhunderts wird eine Art Konstrukteur der Pflanzenwelt sein. Schon heute ist es so, daß wir bei der Aufzucht neuer Pflanzensorten ein strenges Augenmerk auf die Erbfaktoren wenden müssen und daß wir auch eine Reihe anderer Dinge zu beachten haben - ähnlich wie der Konstrukteur nicht blindlings darauflos konstruiert, sondern die Beschaffenheit des Materials berücksichtigt, seine Größe, Form und Haltbarkeit in Rechnung setzt. Der Vergleich des Biologen mit einem Konstrukteur ist natürlich nur metaphorisch gemeint. In Wirklichkeit ist die Tätigkeit eines Biologen ungleich komplizierter, denn der Mensch beherrscht die Natur nun einmal nicht in dem Maße wie der Mechaniker eine Maschine. Unsere Macht gründet sich auf ein sorgfältiges Studium der Natur und die sachkundige Anwendung ihrer Gesetze. Sie haben vorhin den Vorschlag gemacht, wir möchten doch langlebige Getreidesorten entwickeln, die nur einmal gesät zu werden brauchen und alljährlich eine Ernte ab werfen. Wissen Sie aber, daß auch ein Apfelbaum, der ja fünfzig oder sechzig Jahre, mitunter auch hundert Jahre alt wird, die ganze Zeit über nicht weniger Pflege braucht als eine Einjahrespflanze, wenn seine Fruchtbarkeit nicht erlöschen soll? So läßt sich also noch nicht sagen, ob eine Getreidesorte mit langer Lebensdauer überhaupt von Vorteil wäre. Die biologische Konstruktion* erfordert schwierige Berechnungen und Überlegungen sowie eine Unmenge Versuche. Sie meinen: Pfropfen Sie doch eine Erbse auf eine Akazie! Sie sind ja beide »miteinander verwandt*. Vielleicht verlängern wir dadurch die Lebensdauer der Erbse. Andererseits kann dabei natürlich ein Bastard entstehen, der weder mit einer Erbse noch mit einer Akazie etwas gemein hat. Sie erinnern sich, daß eine Dame einmal an Bernard Shaw ein gewisses Anliegen stellte und bemerkte: ,Wäre es nicht wunderbar, wenn sich meine Schönheit mit Ihrem Verstand 165
vereinte?* Shaw war kein Biologe, aber er erwiderte ganz sachkundig: ,Und wer garantiert mir, daß sich nicht meine Schönheit mit Ihrem Verstand vereint?* Oder Sie schlagen vor, den Halm zu verkürzen, damit die Nährstoffe aus dem Boden auf kürzerem Wege ins Korn gelangen können. Aber je kürzer der Halm, desto weniger Blätter gibt es darauf, und mit Hilfe der Blätter ernährt sich die Pflanze aus der Luft. Sie sehen, in welch schwieriger Lage sich der Biologe befindet, der die belebte Natur verändern will. Dennoch strebt die biologische Wissenschaft vorwärts und überwindet alle Schwierigkeiten. Doch kehren wir nun zur Polyploidie zurück. Diese schöne und fortschrittliche Methode bringt es mit sich, daß das Betreten der Obstgärten nicht ganz ungefährlich wird. Beispielsweise in Schweden ist das bereits jetzt mit einer gewissen Gefahr verbunden. Ganz ohne Scherz! Lassen Sie sich einmal einen kilogrammschweren Apfel auf den Kopf fallen! Sie werden dann ohne Zweifel von der Güte der biologischen Hypothesen überzeugt sein. Solche Äpfel gibt es also schon. Und auch die kernlose Melone ist kein bloßes Phantasiegebilde mehr. In Japan und in einigen anderen Ländern werden Zuckermelonen ohne Kerne gezüchtet. Ich möchte diese Frucht in gewissem Sinne mit einem Maultier vergleichen. Sie brauchen nicht zu lachen, das ist ein richtiges »Gemüsemuli*. Ein Maultier ist aus einer Kreuzung von Pferd und Esel hervorgegangen und selber unfruchtbar. Die kernlose Melone ist das Produkt einer Kreuzung zwischen diploiden und tetraploiden Melonen, und auch sie ist unfruchtbar. Dafür besteht sie ganz aus Fruchtfleisch, wodurch sich der eßbare Teil um 30 bis 40 Prozent erhöht. Die Pflanze braucht die Nährstoffe nicht für die Entwicklung der Melonenkerne zu verausgaben, sondern kann ihre Kraft weitgehend in das Fruchtfleisch hineingeben. In wenigen Jahren werden sich die Menschen an kernlosen Kirschen, Pflaumen und ähnlichen Früchten gütlich tun. Im Verlaufe eines halben Jahrhunderts wird sich die Größe der Früchte etwa verdoppeln. Um sich eine rechte Vorstellung 166
davon zu machen, was das heißt, muß man sich einmal vor Augen führen, daß der Mensch 50000 Jahre brauchte, um das Weizenkorn auf die doppelte Größe zu bringen. Sie sehen es immer wieder: In der Biologie vollzieht sich gegenwärtig eine gewaltige Revolution. Die Polyploidie liefert ein glänzendes Beispiel dafür, wie quantitative Veränderungen in qualitative Umschlagen können. Eine Anhäufung von Zellmaterial, also von Chromosomen, führt auf einer bestimmten Stufe ganz gesetzmäßig zu einer Änderung der Erbanlagen. So gelingt es dem Menschen mit Hilfe der Polyploidie, auch solche Formen zu schaffen, die in der Natur sonst nicht vorhanden sind. Doch stellt die Polyploidie nur eine der Selektionsmöglichkeiten der modernen Biologie dar, denn man kann auch anderweitig auf den Zellkern einwirken, um eine Abwandlung der erblichen Eigenschaften zu erreichen. Eine dieser Möglichkeiten ist in der radioaktiven Bestrahlung gegeben. Um die Chromosomenstruktur des Zellkerns zu verändern, setzt man entweder die Samen oder die Pflanze selbst dem Einfluß von Strahlen aus. Auf dem Feld wird ein Gerät mit radioaktivem Kobalt aufgestellt. Zur Bestrahlung der Knospen kann man auch kleine Vorrichtungen mit radioaktivem Kobalt an den Zweigen anbringen. Dies tut man zum Beispiel bei Apfel- und anderen Obstbäumen. Unter der Einwirkung der Alpha- und Betakorpuskeln sowie der Gammastrahlen, die von den radioaktiven Stoffen ausgesandt werden, verändert sich die Struktur der Chromosomen. Sie teilen sich zunächst in winzige Partikelchen, die sich dann wieder vereinigen und zusammenwachsen — aber nicht immer in der gleichen Ordnung wie vorher. Es kommt dabei vor, daß ein Chromosomteilchen seine Lage ändert und mit einem anderen Chromosom verwächst, was natürlich nicht ohne Einfluß auf die Erbanlage bleibt. Das gleiche trifft zu, wenn sich in irgendeinem Bezirk des Chromosoms die Struktur der Atomgruppierungen verändert. Die infolge der Bestrahlung eintretenden Erbänderungen sind außerordentlich zahlreich.
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Für den Menschen von Nutzen sind dabei vielleicht nur zwei oder nur eine von tausend. So bleibt den mit der Aufzucht beschäftigten Biologen auch für die Zukunft noch ein gut Teil Arbeit zu leisten übrig. Die Atomenergie hat uns schon zu einigen Gerstesorten verholfen, die fünfzehn Prozent mehr Korn liefern als die gewöhnlichen Pflanzen, und wir konnten (gleichfalls mit Hilfe von Kernenergie) einige recht ertragreiche Senf-, Weizen-, Flachs- und Reissorten sowie andere günstige Pflanzentypen entwickeln. Eine große Bedeutung in Wissenschaft und Landwirtschaft werden künftig die Methoden einer künstlichen Geschlechtsregulierung erlangen. Das heißt also, daß es möglich sein wird, je nach Bedarf entweder nur männliche oder nur weibliche Tiere ,in die Welt zu setzen*. Selbstverständlich ist die Entwicklung solcher Methoden gleichbedeutend mit einer raschen Vermehrung des Viehbestandes. Sowohl in der Rinderzucht wie auch auf den Geflügelfarmen und in den übrigen Viehhaltungen werden wir einen steilen Anstieg der Stückzahl erleben. Das Sperma wird mit elektrischem Strom behandelt, wobei die Samentierchen, die ein Lebewesen männlichen Geschlechts zeugen können, auf die eine Seite wandern, während die zur Zeugung der weiblichen Nachkommenschaft bestimmten Spermatozoen einen anderen Platz einnehmen. Nachdem man so die Samenflüssigkeit getrennt hat und die Spermatozoen an die verschiedenen Elektroden gewandert sind, kann man zur künstlichen Befruchtung schreiten.“ Im allgemeinen entsteht die neue Zelle, aus der sich ein selbständiger Organismus entwickelt, durch Verschmelzung einer männlichen und einer weiblichen Geschlechtszelle. Die neue Zelle vereinigt die Erbmasse beider an der Befruchtung beteiligter Gameten. Darüber hinaus jedoch kennen wir auch eine (experimentell bereits erprobte) Vereinigung zweier männlicher Zellkerne, aus der dann stets ein männliches Tier entspringt. Durch ein anderes Verfahren ist es auch möglich, nur Weibchen zu erzeugen. Dieses Resultat erzielte Professor
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Astaurow dadurch, daß er unbefruchtete Geschlechtszellen von Seidenspinnerweibchen mit heißem Wasser oder mit Salzsäure behandelte. Außerdem muß man sagen, daß die Biologen es jetzt verstehen, eine sehr frühzeitige Trennung der Nachkommenschaft nach Geschlechtern vorzunehmen. In der Geflügelzucht beispielsweise sortiert man die einen Tag alten Küken bereits in die späteren Hähne und Hühner. In der Seidenzucht hat man sogar eine Methode gefunden, die es ermöglicht, schon am Ei das Geschlecht der werdenden Raupe zu erkennen. Auf die Lösung dieses Problems verwandte ein japanischer Genetiker zwölf arbeitsreiche Jahre. Er setzte die Schmetterlinge dem Einfluß von Röntgenstrahlen aus, wodurch er erreichte, daß das für die Färbung des Eies verantwortliche Gen des einen Chromosoms mit einem anderen Chromosom verschmolz, von dem die Entstehung eines weiblichen Tieres bestimmt wurde. Allerdings wurde durch dieses „Anhängsel“ die Lebensfähigkeit der Raupe herabgesetzt. Deshalb mußte noch ein „chirurgischer Eingriff“ vorgenommen werden. Die überflüssigen Stücke wurden mittels Röntgenstrahlen abgetrennt. So wurde schließlich ein Schmetterling „geschaffen“, der Eier von zweierlei Farbe ablegte: die üblichen grauen (aus denen sich nunmehr aber ausschließlich weibliche Tiere entwickelten) und daneben auch weiße Eier (aus denen die männlichen Tiere hervorgingen). Mit Hilfe von Photoelementen lassen sich die Eier leicht sortieren. Wofür das alles gut ist? Die Sache ist die, daß bei gleicher Ernährung die männlichen Tiere dreißig Prozent mehr Seide produzieren als die weiblichen. Wenn man die Seidenraupenzucht auf eine rein männliche Basis umstellt, kann man den Rohertrag somit um fünfzehn Prozent steigern. Ähnliche Seidenspinner wurden 1956 auch auf sowjetischem Territorium gezüchtet, und zwar in Mittelasien. Dies also ist der Gang der Dinge. Mit der Hypothese von gestern und den exakten wissenschaftlichen Kenntnissen von heute gehen die Biologen in das Morgen. Was heute noch ein Wunder zu sein scheint, wird dann zur alltäglichen Erscheinung. Aber die Taten der vielen Biologen,
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die in unserem Jahrhundert an der Entfaltung dieser Revolution Anteil hatten, werden unvergessen bleiben. ! 5 t: ? j I ï I i I: ?’ f I I I fDas Zeitalter des Radio EIN NEUER ABSCHNITT IN DER GESCHICHTE DES RADIOS BEGINNT DIE REVOLUTION DER KOPFARBEIT UNTER DEN STRAHLEN EINER KÜNSTLICHEN SONNE EIN BLICK INS ALL J\ bergläubisches Staunen, fast ehrfurchtsvolle Bewunderung empfanden die alten Völker vor den Eigenschaften des Magneteisensteins, der metallische Gegenstände anzog, und vor dem Bernstein, dem, wenn man
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ihn an einem Stück Tuch rieb, Papierschnitzel und kleine Härchen zustrebten, um daran haftenzubleiben, als würden sie durch einen unsichtbaren Klebstoff festgehalten. Die Menschen brauchten Jahrtausende, um die Zusammenhänge zwischen dem elektrischen Strom und dem Magnetfeld aufzudecken. Dazu bedurfte es des Genius eines Faraday. Heinrich Hertz stieß die Tür zum Reich der elektromagnetischen Wellen auf, und Alexander Popow fand und bewies die große Bedeutung, die dieses wissenschaftliche Neuland für den Menschen hat. Wahrhaftig, die Wissenschaft von den elektromagnetischen Schwingungen und Wellen ist nicht viel älter als ein halbes Jahrhundert und fand in dieser Zeit doch schon eine bestrickende Fülle praktischer Anwendungsmöglichkeiten. Schon daß zwei Freunde, die mehrere tausend Kilometer voneinander entfernt sind und auf verschiedenen Kontinenten leben, eine Unterhaltung pflegen können, ist eine Leistung, die den Menschen vor nicht allzulanger Zeit noch als Zauberei erschienen wäre. Wenn wir es einmal in Ruhe bedenken, so sind wir in unserem alltäglichen Leben von vielen Dingen umgeben, die man doch kürzlich noch als große Wunder empfunden hätte. Und ist es nicht eigentlich auch wunderbar, daß wir in stockfinsterer Nacht, wo weder Mond noch Sterne am Himmel sichtbar werden und man nicht die Hand vor Augen sehen kann, die Möglichkeit haben, die Welt in helles Licht zu tauchen? Oder daß wir in der Lage sind, Bilder mitsamt verzwickten Bewegungsabläufen über eine Entfernung von gut hundert Kilometern zu übertragen, ohne daß sie die Schärfe ihrer Konturen einbüßten und ihren Farbenreichtum verlören? Oder daß es uns gelingt, ein Stück schwer schmelzbaren Metalls bis zur Weißglut zu erhitzen und sogar zu schmelzen, ohne es zu berühren? So, da haben wir nun einige dieser „Wunderdinge“ aufgezählt, die kürzlich noch völlig undenkbar gewesen wären und erst dank der Entdeckung und Erforschung der elektromagnetischen Wellen zu einer ganz alltäglichen Realität geworden sind. Und wenn wir hinter jedes der unendlich 171
vielen Dinge, die man bei dieser Gelegenheit nennen könnte, das „Geburtsdatum“ setzen wollten, so würden wir deutlich sehen, daß der Mensch solche erstaunlichen Taten in einem stets wachsenden Tempo und Umfang vollbringt. Als die Geschichte der elektromagnetischen Wellen begann, gab es nur ein neues Wunder im Laufe eines Jahrzehnts, dann steigerten sich die Entdeckungen und Erfindungen bis zu einer jährlich, dann bis zu mehreren im Jahr. So erleben wir es in unserer unmittelbaren Gegenwart, so ist es schon beinah zur Norm geworden: Mehrere neue Anwendungsmöglichkeiten jährlich, und auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft und Technik! Welche Menge Ideen harrt aber noch ihrer Verwirklichung! Dies sind gleichsam jene Gebiete des neu entdeckten, noch halb unbekannten Landes, die von den in Besitz genommenen Höhenzügen aus bereits durch das Fernglas zu erblichen sind, auf die der Mensch jedoch noch nicht den Fuß gesetzt hat. Wir sehen prächtige Maschinen beim Straßenbau. Von einer grauen Rauchwolke umgeben, kriechen sie über das Gelände, und sie hinterlassen eine fertige Chaussee, die wunderbar ebenmäßig ist und glatt wie eine Spiegelfläche glänzt. Wir sehen Automobile und andere Transportmaschinen, die weder einen Benzintank noch irgendeine Leitung für die Brennstoffzuführung haben, nichts außer einer parabolisch gekrümmten Antenne: dem Empfänger der Strahlenenergie. Wir sehen hier auch neuartige Flugzeuge. Sie fliegen Tausende Kilometer und haben keinen Tropfen Kraftstoff an Bord. Wir sehen eine künstliche Sonne, die Tag und Nacht über einer der wichtigsten Weltstädte scheint. Und Maschinen, die uns in Erstaunen versetzen, die die fernen Planeten erforschen und die Resultate ihrer Arbeit zur Erde senden. Von diesen noch unbekannten Gebieten des Landes erzählten uns die Gelehrten. In dem folgenden Kapitel haben einige ihrer Berichte Aufnahme gefunden.
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Ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Radios beginnt Auch Wladimir Alexandrowitsch Kotelnikow ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Sein Arbeitszimmer ist im alten Universitätsgebäude in der Mochowaja Uliza untergebracht. Hier, wo einstmals Puschkin und Lermontow weilten, Lebedew und Shukowski, Timirjasew und Stoletow, erzählt uns der sowjetische Gelehrte und Experte für Radiotechnik von der zukünftigen Entwicklung seiner Wissenschaft. „Das Radio kam verhältnismäßig spät zur Welt. Es ist erst reichlich sechzig Jahre alt. Seine Lebensgeschichte begann im Mai jenes Jahres, da der russische Gelehrte A. S. Popow in der Russischen Physikalisch-chemischen Gesellschaft4 mit seinen Ausführungen über das Verhältnis der Metallpulver zu den elektrischen Wellen auftrat. Hinter seinen trockenen Worten verbarg sich eine großartige Entdeckung, deren Folgen wir heute noch nicht in ihrer ganzen Tragweite ermessen können. Fünfzig Jahre Entwicklungsgeschichte des Radios vorauszunehmen ist keine leichte Sache. Jedenfalls kann man sich hierbei zu sehr in Einzelheiten verlieren, und das wäre genauso gewagt, als hätte jemand zur Zeit der ersten Funkversuche schon von unseren modernen Fernseh- und Funkgeräten berichten wollen. Hätte man den Betreffenden nicht einen Phantasten genannt? Immerhin wird meiner Überzeugung nach das zweite Halbjahrhundert der Radiotechnik an wichtigen Entdeckungen
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und Neuentwicklungen nicht minder reich sein als es die ersten fünfzig Jahre waren, und da ist es wohl verständlich, daß beim besten Willen nicht schon alles vorausgeahnt werden kann. Wir wollen uns deshalb auf das beschränken, was in seinen Ansätzen bereits sichtbar ist. Die allgemeine Entwicklungstendenz der Radiotechnik lief in der letzten Zeit darauf hinaus, daß in immer stärkerem Maße die Kurzwellen nutzbar gemacht wurden. Innerhalb eines Jahrfünfts verkürzte sich die Wellenlänge, mit der wir arbeiten konnten, jeweils etwa fünfmal. Natürlich stellt diese Zahl einen Durchschnittswert dar, denn der Prozeß vollzog sich sprunghaft, mit Unterbrechungen. Zunächst möchte ich sagen, daß die gleiche Tendenz auch in Zukunft noch für einige Zeit wirksam bleiben wird. Wenn wir heute gewöhnt sind, mit Zentimetern zu operieren, so werden wir sehr bald dazu übergehen, mit solchen Wellenlängen zu arbeiten, die nur Bruchteile von Millimetern umfassen. Auf den ersten Blick scheint dieser Prozeß, der zur Meisterung immer kürzerer Wellen führte und führt, einen nur quantitativen Charakter zu tragen. Tatsächlich aber können diese quantitativen Veränderungen die Ursache für eine ganze Reihe revolutionärer, qualitativer Umbrüche sein. Wir alle kennen wahrscheinlich aus Beschreibungen in utopischwissenschaftlichen Zukunftsromanen die kleinen Taschenradios, die in einem Apparat Sender und Empfänger vereinen und mit deren Hilfe sich die Erdenbürger zu jeder xbeliebigen Stunde miteinander verständigen können. Millionen von Sendestationen würden sich also gleichzeitig in Tätigkeit befinden. Wie sollen sie alle in den ohnehin schon restlos besetzten Wellenbereichen arbeiten können? Gegenwärtig ist es doch so, daß nur ein paar Dutzend Fernsehsender gleichzeitig operieren dürfen. Nur durch die Meisterung noch kleinerer und kleinster Wellen werden wir den Äther vollständig erobern, werden wir die Möglichkeit erhalten, eine praktisch unbegrenzte Menge von Funk- und Fernsehgeräten zu betätigen.“ Während der Wissenschaftler erzählt, werden in uns tatsächlich einige Bilder wach, von 175
denen man annehmen könnte, aus wissenschaftlich-utopischen Romanen.
sie
stammten
„Es ist früher Morgen. Sie haben einen freien Tag. Plötzlich fällt Ihnen ein, daß Sie gestern abend vergessen haben, mit Ihrem Freund einen Autoausflug zu vereinbaren. Sie strecken also die Hand nach dem kleinen Apparat aus, der auf dem Nachtschränkchen neben Ihrem Bett steht und kaum größer ist als ein Zigarettenetui. Dies ist natürlich ein kombinierter Fernsehsender und -empfänger für den persönlichen Gebrauch, wie er ausnahmslos von sämtlichen Bewohnern unseres Planeten benutzt wird. Sie ,wählen* die ,Rufnummer* Ihres Freundes und drücken einen Knopf, das heißt, Sie stellen den Apparat auf,Anruf* ein. Zitternde, flimmernde Streifchen gleiten über den grünlichen Bildschirm des Empfängers. Das bedeutet, daß der angerufene Apparat besetzt ist und Ihr Freund gerade spricht. Doch zum Glück sind die Geräte so konstruiert, daß Ihr Freund trotzdem von Ihrem Anruf Kenntnis erhält, so daß es nun von ihm abhängt, ob er Sie in sein Gespräch mit einschaltet oder ob er Sie warten läßt, bis er wieder frei ist. Wie sich herausstellt, ist sein Gespräch jedoch nicht vertraulich, und so können Sie bemerken, wie der Schirm auf Ihrem Apparat ganz hell wird und das Gesicht Ihres Freundes darauf auftaucht. Der Elektronenstrahl,zeichnet* das Bild so sorgfältig und scharf, daß Sie trotz des kleinen Formats die einzelnen Härchen der Augenwimpern und jede kleine Sommersprosse erkennen können. Gleichzeitig hören Sie seine Stimme und stellen fest, daß sich das Gespräch um genau das gleiche Thema dreht, das auch Sie zur Sprache bringen wollten: um den Ausflug ins Grüne. Kaum hat Ihr Freund seinen letzten Satz beendet, erscheint auf Ihrem Schirm das Gesicht seines bisherigen Gesprächspartners. Sie halten es jetzt für richtig, sich in das Gespräch einzuschalten. In diesem Augenblick sehen Sie die beiden Gesichter und verfolgen die wechselhafte Mimik. ,Wie ist es nur möglich4, denken Sie, ,daß die Menschen im 20. Jahrhundert ohne private Fernsehstation auskamen, daß sie
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statt dessen ein Telefon benutzten und darauf verzichten mußten, das Bild ihres Gesprächspartners vor sich zu sehen? Wo das doch für das ganze Gespräch so wesentlich ist!4 Der Reiseweg wird festgelegt, und da gehen die Meinungen auseinander. Welches ist die günstigste Strecke? Man müßte einen Blick auf die Karte werfen. Aber wie scharf und exakt der Apparat auch arbeitet - eine Karte vom Moskauer Gebiet, die nicht größer ist als eine Ansichtskarte, genügt für die Festlegung der Autoroute denn doch nicht ganz. Deshalb schalten Sie das Zimmergerät ein, dessen Schirm die ganze Fläche einer Wand einnimmt. Und nun sehen Sie die Karte, die sich im Zelt Ihres Freundes befindet - er verbringt nämlich gerade seinen Urlaub, hundert Kilometer von Moskau entfernt -, ganz deutlich vor sich. So legen Sie die Reiseroute fest, als ständen Sie alle drei an einem Tisch, über die Karte gebeugt. -Der Ausflug war ein schönes Erlebnis. Schade nur, daß man nicht gleichzeitig im LeninZentralstadion sein konnte, um das mit Spannung erwartete Fußballspiel zu erleben. Glücklicherweise hatten Sie Ihren persönlichen Taschenapparat bei sich, und mit dessen Hilfe waren Sie Zeuge des dramatischen Fußballkampfes, während Sie, am steilen Ufer eines Wolgasees sitzend, die würzige Waldluft und die vielfältigen Düfte dieses prächtigen Frühlingstages genossen. Es ist ganz sicher44, erklärt uns Wladimir Alexandrowitsch Kotelnikow, „daß es sowohl solche kleinen Fernsehgeräte geben wird, die die Menschen in der Westentasche tragen können, wie auch größere Apparate mit einer Bildschirmfläche von mehreren Quadratmetern. Das geradezu riesenhafte Format des Schirmes läßt jedoch noch keine Rückschlüsse auf die Ausmaße des ganzen Gerätes zu. Der Fernsehapparat wird eine bildähnliche Gestalt haben und sehr flach sein, so daß der Schirm nicht etwa weit ins Zimmer hineinragt. Insbesondere durch die Verwendung einer Halbleiterapparatur wird es möglich werden, die Größe der Fernsehgeräte wie der Radiogeräte überhaupt wesentlich zu verringern.
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Eine noch verblüffendere Veränderung des Althergebrachten, einen noch stärkeren revolutionären Umschwung wird die Benutzung sehr kleiner Wellen auf dem Gebiet der Chemie in die Wege leiten. Stellen wir uns ein Molekül einmal etwas vereinfacht vor, vielleicht als eine mechanische Vorrichtung mit mehreren voneinander isolierten Teilen. Die Eigenschwingungen dieser Teile fallen mit der Frequenz gewisser Wellen zusammen. Dann herrscht Resonanz. Durch Bestrahlung des Stoffes mit Wellen von entsprechender Länge kann man die einzelnen Molekularteile abspalten und zerstören, die Moleküle zerreißen, ihre Struktur verändern - mit anderen Worten, die chemischen Verbindungen umgestalten. Auch ist es durch Bestrahlung möglich, den Ablauf der chemischen Reaktionen viel stärker zu beschleunigen als durch Verwendung der wirksamsten Katalysatoren, und es wird gelingen, dadurch solche Prozesse hervorzurufen, die uns heute noch erhebliche Schwierigkeiten bereiten oder praktisch nicht realisierbar sind. Freilich ist das alles noch bloße Idee, lebt nur in der Vorstellung, und es werden noch viele Jahre vergehen und eine Menge Arbeit wird noch zu leisten sein, bevor wir Mittel und Wege finden, diese Gedanken in die Praxis umzusetzen. Das Wechselverhältnis zwischen den Substanzen und Wellen muß vor allem erst einmal gründlich erforscht sein. Trotzdem jedoch bin ich davon überzeugt, daß wir den Geburtstag dieser neuen Wissenschaft, der Wellenchemie, bald feiern können und daß sich dann eine Reifungsperiode und eine große Phase voller mächtiger schöpferischer Taten anschließen werden. Und nun möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf ein anderes interessantes Teilgebiet der Technik lenken, das sich mit frappierender Geschwindigkeit entwickelt und dabei ganz von den Fortschritten der Elektronik abhängig ist. Ich meine die sogenannten Großrechenautomaten und die anderen mit einem ,Denkmechanismus4 ausgerüsteten Elektronenmaschinen. Beispielsweise kann ich mir
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vorstellen, daß Sie im kommenden Jahrhundert folgende Maschine zu Gesicht kriegen könnten: Sie steht auf der linken Seite der Schreibtischplatte und beansprucht nicht mehr Platz als eine gewöhnliche Schreibmaschine aus unserer Zeit. Wie Sie sehen, kriechen weiße Papierbogen daraus hervor. Aber wo sind denn all die zahlreichen Tasten und Typen, ohne die man sich nun einmal keine Schreibmaschine denken kann? Lediglich vorn sind sechs oder sieben kleine Knöpfchen angebracht. Wenn man die Maschine in Betrieb nehmen will, muß einer dieser Knöpfe gedrückt werden. Aber lassen Sie uns vielleicht noch zwei 1
Wie wir sehen, vermag die Resonanz nicht nur Brücken zu zerstören, sondern auch Moleküle, wobei ein anderer Stoff entsteht oder drei weitere Knöpfe probieren. Sicher möchten Sie gern in Erfahrung bringen, welche Bewandtnis es damit hat? So und jetzt wollen wir über irgendein beliebiges Thema sprechen … vielleicht über die Technik des 22. Jahrhunderts. Und an
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diesen stummen Apparat wollen wir nun nicht mehr denken erst später wieder! Wir unterhalten uns etwa zehn Minuten lang. Unser Gespräch strotzt nur so von erstaunten Zwischenrufen und begonnenen, halbfertigen Sätzen, die wir nicht zu Ende sprechen. Aber nun machen wir Schluß und drücken abermals auf einen Knopf. Da springen aus der Maschine ein paar hauchdünne Papierbogen heraus, die mit gut lesbaren typographischen Zeichen versehen sind. Auf dem einen Bogen können wir den getreuen Wortlaut des Gespräches lesen - doch nein: keinen wortgetreuen, sondern einen bereits überarbeiteten, redigierten Text haben wir da vor uns. Die Maschine korrigierte alle gröberen Unebenheiten, verbesserte schlecht konstruierte Sätze, ergänzte fehlende Stellen, präzisierte die teilweise nicht gerade treffsicheren Formulierungen der Gedanken. Freilich klingen einige Sätze etwas merkwürdig, andere sind im Ausdruck sogar recht ungeschickt gestaltet, nehmen sich roh und ungefüge aus -aber grammatisch ist alles in Ordnung, was man ja von unserem originalen Gespräch nicht behaupten könnte. Doch nun wollen wir auch noch einen Blick auf die anderen Blätter werfen. Wie Sie sehen, handelt es sich um Übersetzungen ins Lateinische und Englische. Die Übertragung unseres Gespräches in diese beiden Sprachen haben wir ,in Auftrag gegeben4, als wir vorhin aufs Geratewohl zwei Knöpfe drückten. Solch ein Automat, der die Arbeiten einer Stenotypistin und eines Dolmetschers übernimmt, ist durchaus kein irreales Phantasiegebilde mehr, auch wenn man nur den gegenwärtigen technischen Entwicklungsstand zugrunde legt. Maschinen, die eine Übersetzung in eine andere Sprache vornehmen können, besitzen wir bereits. Zwar sind sie noch ziemlich groß und sperrig, und ihr Wortschatz ist verhältnismäßig beschränkt, aber für die Übertragung wissenschaftlicher
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Texte sind sie ganz gut geeignet. Und auch eine Korrekturmaschine können wir ohne weiteres konstruieren, denn der Satzbau einer jeden Sprache unterliegt ja bestimmten, feststehenden Gesetzmäßigkeiten, die eine Elektronenmaschine natürlich beachten und einhalten kann, wenn sie einen entsprechenden Auftrag bekommt. Noch ist es nicht möglich, das gesprochene Wort unmittelbar aufzufangen und zu verarbeiten. Daher benutzt man ein Textband mit speziellen Zeichen. Aber auch die hier noch vorhandenen Schwierigkeiten werden wir überwinden, und ohne Zweifel wird es im Laufe der Zeit dazu kommen, daß eine Vielzahl von Maschinen eingesetzt wird, die alle Befehle ausführen, die aus Menschenmund vorgebracht werden. Nun lassen Sie mich bitte kurz auf ein anderes Thema zu sprechen kommen: auf die leitungslose Energieverteilung. Selbstverständlich sind damit nicht jene geringfügigen Energiemengen gemeint, die jeder Rundfunkempfänger mit der Antenne aufnimmt. Hier geht es vielmehr um so bedeutende Quanten, die beispielsweise ausreichen, den Propeller eines Flugzeuges in Bewegung zu setzen. Ohne Frage wird auch diese Aufgabe ihren Meister finden. Das in die Luft aufgestiegene Flugzeug empfängt die erforderliche Energie von der Erde aus, und zwar in Form eines Bündels von gelenkten Hochfrequenzstrahlen, das man etwa mit der Lichtsäule eines Scheinwerfers vergleichen könnte. Stellen wir uns die Strecke Moskau-Sotschi vor, die mit solchen Energiestationen versehen ist. Auf der ganzen Trasse wird es, sagen wir, vier oder fünf Stationen geben. Das Flugzeug, das keinen Tropfen Kraftstoff an Bord hat, kann gut die doppelte Last oder die doppelte Zahl Passagiere aufnehmen und fliegt erheblich schneller als unsere jetzigen Maschinen. Beim Start wird es mit einer Energiesäule aus Moskau gespeist. Später übernehmen dieTulaer, Orlowsker, Charkower oder eine andere Station die Versorgung mit Energie. Das ist ein ganz eigenartiges Luftfahrzeug, fast ein Obus, aber ohne Oberleitung.
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Ein Energiestrahl bildet die helle Straße, auf der das Flugzeug, das eine weite Reise angetreten hat, in die Ionosphäre gelangt 1 Strahler, 2 Hochfrequenzgeneratoren, 3 Gleichrichter, 4 Kraftwerk Ob solche Strahlen dem Flugzeug nicht gefährlich werden könnten? Wohl kaum. Von der glatten Oberfläche des Flugzeugrumpfes werden sie leicht reflektiert. Das ist ganz ähnlich wie bei einem Spiegel, der die Sonnenstrahlen zurückwirft. Das Flugzeug selber kann der Energiestrom also nicht in Gefahr bringen, wohl aber vermag er die kosmische Wegstrecke von Meteoren zu säubern. Schwierig wird es allerdings sein, das Fahrzeug zu manövrieren, das mit einer Geschwindigkeit von mehreren Dutzend Kilometern pro Sekunde durch den Raum fliegt. Ein Zusammenstoß mit einem Meteor würde sich verhängnisvoll auswirken, denn selbst wenn es nur ein kleiner Körper wäre,
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der da durch den Weltraum jagt, so wäre bei seiner großen Geschwindigkeit ein Zusammenprall gleichbedeutend mit einer Katastrophe. Der Meteor würde das Flugzeug oder das Weltraumschiff zerschlagen wie ein Panzergeschoß einen Luftballon. Wissen Sie, wie ich mir den Kampf der Astronauten gegen die Meteoriten vorstellen könnte? Das kosmische Fahrzeug wird den Raum um sich her beständig mit den Wellen eines Radargerätes abtasten. Wird in gefährlicher Nähe ein Meteor ermittelt, so tritt die Elektronenapparatur in Tätigkeit, die berechnet, ob das Fahrzeug von einem Zusammenstoß bedroht wird. Wenn ja, wird ein mächtiger Energiestrom in die betreffende Richtung geschickt. Meteorsteine mit einer die Strahlen reflektierenden Oberfläche wird es im Kosmos schwerlich geben. Unter der Einwirkung des Energiestromes erhitzt sich der Meteorit und zerfällt in kleine Teile, die in einen gasförmigen Aggregatzustand übergehen. So rast das Weltraumschiff also nur durch eine Wolke leichten Dampfes, statt auf den Meteoriten zu stoßen. Die Verwandlung des kosmischen ,Geschosses* in diese harmlose Wolke hat nur Bruchteile einer Sekunde in Anspruch genommen.“ ( 1 Hochfrequenzgenerator, 2 Strahler, 3 in der Umbildung begriffener Stoff
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9.000,000 1 s 9 64,400,‘l»5 S 15,400
Die Revolution der Kopfarbeit Vor anderthalb Jahrhunderten gab es weder Großrechenautomaten noch eine Elektronik, jene Wissenschaft, aus der die Elektronenmaschinen hervorgegangen sind. Lediglich der Wunsch war vorhanden, einen Mechanismus zu schaffen, der geeignet wäre, das menschliche Gehirn, diesen einzigartigen und wunderbarsten
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aller Mechanismen, zu ersetzen. Dieser Wunsch zeitigte mitunter einige unverhoffte Ergebnisse. Wie man hört, pflegte der französische Kaiser Napoleon Bonaparte mit einem etwas ungewöhnlichen Partner Schach zu spielen. Sein Gegner war ein mechanischer Spieler. Der Schöpfer dieses raffinierten und verblüffenden Mechanismus hatte ein Gewirr von Rädern, Hebeln und Zahnrädern in das Metallgehäuse hineingebaut. Es wird behauptet, daß der große Heerführer trotz aller Anstrengungen und obwohl er keine Mühe scheute, auch auf diesem Gebiet ähnliche glanzvolle Siege zu erfechten wie auf dem Schlachtfeld, am Schachbrett stets mit Pauken und Trompeten geschlagen wurde. Übrigens wurde das Geheimnis des mechanischen Schachspielers sehr bald gelüftet. Unter den Einzelteilen des Mechanismus war ein Mensch von sehr kleinem Wuchs verborgen. Er war kein ungewandter Spie-1er. Einmal jedoch, als in dem Raum, wo das Spiel stattfand, Feuer ausbrach, sah er sich gezwungen, sein gewohntes Versteck fluchtartig zu verlassen. In unserer Zeit nun gibt es tatsächlich Schachautomaten. Einer davon lieferte sogar dem Großmeister Reschewski ein Unentschieden. Aufgabe der Elektronenmaschinen ist es ja eben, die Verstandesarbeit des Menschen zu mechanisieren, so wie eine Mechanisierung der physischen Arbeitsleistungen mit Hilfe von Traktoren, Mähdreschern, Baggern und Bloomings bereits auf breiter Ebene verwirklicht wurde. Da wir gern etwas über die Zukunftsaussichten dieser Wundermaschinen in Erfahrung bringen möchten, begeben wir uns zu Sergej Alexe jewitsch Lebedew, der zu den ersten Spezialisten auf diesem Gebiet zählt. Lebedew ist Akademiemitglied und Leiter des Instituts für Feinmechanik un 1 Elektronentechnik bei der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. „Uber die zukünftige Entwicklung unseres Zweiges zu sprechen ist nahezu unmöglich“, erklärt uns der Gelehrte. „Die
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Wissenschaftler können schon heute kaum alles erfassen und verwerten, was ihnen durch die Praxis an interessanten Anregungen und Möglichkeiten vermittelt wird. Die Verwendungsbereiche der Elektronenmaschinen sind dermaßen zahlreich, daß es schwerhält zu sagen, was für den Leser am interessantesten wäre. Der erste Großrechenautomat wurde 1945 gebaut. Seitdem haben die Mathematiker gelernt, das Leistungsvermögen der Elektronenmaschinen richtig auszuwerten und mit ihrer Hilfe unvorstellbar schwierige Aufgaben zu lösen. Wie soll man das an einem einfachen Beispiel erläutern? Ein Schüler weiß, daß man etwa zwei bis drei Minuten braucht, um zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten durchzurechnen. Auf die Lösung eines Systems von zweihundert Gleichungen müßte man eine Million Mal soviel Zeit verwenden. Das bedeutet, daß ein einzelner Mensch, der eine solche Leistung vollbringen wollte, zwölf Jahre brauchte und Tag für Tag mit Bleistift und Papier angestrengt zu arbeiten hätte. Die Elektronenrechenmaschine aber löst diese Aufgabe in weniger als einer Stunde. In einer Stunde stellt sie eine Logarithmentafel zusammen, für die die Mathematiker in früheren Zeiten viele Jahre brauchten. Nun urteilen Sie selbst…“ Aber auch diese Geschwindigkeit genügt dem Mathematiker oder Physiker bei der Kernforschung schon nicht mehr. Daher bewältigen die modernen Maschinen auch die schwierigste Differentialrechnung. Immer häufiger jedoch sehen sich die Wissenschaftler vor Probleme gestellt, die sie nur mit Hilfe einer noch weiter verbesserten Arbeit der Rechenmaschinen zu lösen vermögen. „Anfangs“, sagt uns Sergej Alexe je witsch, „reichte das Rechentempo kaum bis zu tausend Operationen pro Sekunde. Jetzt stehen dem nicht weniger als zehntausend gegenüber. Und sehr bald werden wir über Maschinen verfügen, die Hunderttausende und sogar Millionen Operationen in der Sekunde ausführen können. Denken Sie an die großen Bauunternehmen. Wie sollte man ermitteln, welche 186
Form die Ufer der Kanäle haben mußten und wie steil sie zu sein hatten, um allen Anforderungen zu genügen? Berechnungen wurden angestellt, aber nach einigen hundert Metern stieß man plötzlich auf anderen Boden, und die Angaben stimmten nicht mehr. Eine Neuberechnung konnte nicht so schnell vorgenommen werden. Wegen einer Kleinigkeit, wegen einer geringfügigen mathematischen Unstimmigkeit mußten wir Riesensummen für die Erdarbeiten buchstäblich vergeuden. Die Rechenmaschinen sorgen dafür, daß solche Mittel in Zukunft dem Volk erhalten bleiben. Die Wettervoraussagen der Meteorologen sind wesentlich genauer geworden, seitdem auch hier Elektronenmaschinen eingesetzt werden. Diese Maschinen gestatten es, innerhalb einer Stunde eine Wettervorhersage für das ganze Gebiet der Sowjetunion zu treffen. Die Elektronenmaschinen der Mathematiker machen es möglich, die vielen Varianten einer Aufgabe in kurzer Zeit durchzuprobieren und die beste Lösung auszuwählen. Auf diese Weise wird beispielsweise die günstigste Form eines Flugzeugflügels oder eines Düsentriebwerkes oder eines Turbinenteiles ermittelt. Viele Elektronenmasdiinen arbeiten bereits, und es gibt eine ganze Reihe von sogenannten ,Rechenzentren4. Im Sieben jahrplan der Sowjetunion ist ein weitgehender Einsatz von Elektronenmaschinen vorgesehen. Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Produktion, und wir rechnen damit, daß die Leitung einzelner Aggregate und vielleicht sogar ganzer Betriebe von solchen Automaten übernommen wird. Sie werden bei der Organisierung komplizierter technologischer Prozesse eine große Hilfe sein, und man wird sie besonders dort gebrauchen, wo die Arbeit durch verschiedene Faktoren erschwert wird und dennoch eine rasche Entscheidung getroffen werden muß. Oder nehmen wir ein ganz anderes Gebiet. Ein Chemiker möchte einen neuen Stoff mit ganz bestimmten Eigenschaften synthetisieren. Aus welchen Komponenten müßte sich dieser zusammensetzen? Auch auf diese Frage erteilt uns die 187
Maschine eine Antwort. Sie analysiert die Eigenschaften vieler hunderte Stoffe, vergleicht sie mit ihrem Auftrag, den sie erhalten hat, und stellt fest, welche Stoffe der Neuentwicklung zugrunde gelegt werden können. Selbst der befähigtste und strebsamste Lehrling vermag nicht, die Bewegungen eines geübten, erfahrenen Meisters ganz genau zu imitieren. Natürlich — denn der Ältere hat sich sein Fingerspitzengefühl für die Metallbearbeitung in einer langjährigen Praxis erworben. Aber wir können jeden seiner Handgriffe haargenau kopieren und einem Elektronenautomaten als ,Programm4 übermitteln. Der Automat steuert dementsprechend die Arbeit der Werkzeugmaschine, als würde sie von dem alten Meister selbst bedient. Solche Werkzeugautomaten, die selbständig, ohne Beihilfe eines Menschen, und nach einem festgelegten Programm arbeiten, sind bereits vorhanden. Jedes Einzelteil, auch das komplizierteste, kann mathematisch beschrieben werden. Nach diesen Angaben richtet sich der leitende Elektronenautomat, der für eine exakte Fertigung des Einzelteils auf der Werkzeugmaschine Sorge trägt. Was würden die Statistiker sagen, wenn ihnen nicht die Rechenautomaten zu Hilfe geeilt wären? Die Automatisierung der technischen Seite der Statistik befreit viele Angestellte von ihrer ermüdenden Rechenarbeit. Die Industrie soll, sagen wir, zehn Millionen Fernseh- und Rundfunkgeräte im Jahr produzieren. In jedem Apparat gibt es jedoch eine Menge Teile, an deren Herstellung viele Werke beteiligt sind. Kein Problem - denn innerhalb ganz kurzer Zeit hat die Maschine für jeden Betrieb den Produktionsplan aufgestellt.“ Akademiemitglied Lebedew geizt mit den Worten, aber alles, was er sagt, hat Gewicht. Jeder Gedanke, den er äußert, ruft in der Phantasie eine deutliche Vorstellung hervor. „Irgendwo in der Nähe der Karpaten, genau im Zentrum eines schmucken ukrainischen Dörfchens, kann man an einem Hause ein Schild erblicken: ,Buchübertragung6. Junge
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Burschen und Mädchen gehen in dieses Haus hinein, offensichtlich Schüler der oberen Klassen und Studenten der Technika, die in dem Dorf errichtet wurden. Jeder einzelne ist pünktlich, genau zu der angegebenen Zeit, erschienen. Ein Zuspätkommen ist schon deshalb ausgeschlossen, weil in den Kabinen bereits die bläulichen Fernsehschirme aufleuchten. Einige Schüler -Verehrer des großen ukrainischen Volksdichters Taras Schewtschenko - lesen aufmerksam die über den Schirm ziehenden Originaldokumente aus der Biographie des ,Kobsar