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German Pages [297] Year 2019
Max Deeg / Oliver Freiberger / Christoph Kleine (Hg.)
Religionsbegegnung in der asiatischen Religionsgeschichte Kritische Reflexionen über ein etabliertes Konzept
Critical Studies in Religion/ Religionswissenschaft (CSRRW)
Herausgegeben von Gregor Ahn, Oliver Freiberger, Jürgen Mohn, Michael Stausberg Band 12
Vandenhoeck & Ruprecht
Max Deeg / Oliver Freiberger / Christoph Kleine (Hg.)
Religionsbegegnung in der asiatischen Religionsgeschichte Kritische Reflexionen über ein etabliertes Konzept
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.de abrufbar. 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: „Jesuiten in Japan“. Ausschnitt aus einem japanischen Wandschirm, fr þhes 17. Jahrhundert. San Francisco, de Young Memorial Museum akg-images / Werner Forman. Satz: 3w+p, Rimpar Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-2230 ISBN 978-3-666-57134-3
Inhalt
Max Deeg, Oliver Freiberger, Christoph Kleine Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sven Wortmann Strategien der vedisch-brahmanischen Religion zur Bewältigung religiöser Pluralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Caroline Widmer Religionsbegegnungen im Pa¯li-Kanon: Realhistorische Begegnung oder religiöse Selbstdarstellung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Oliver Freiberger Der Buddha als Avata¯ra Zur Analyse von Grenzen zwischen Religionen
. . . . . . . . . . . . .
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Peter Schalk Religionsbegegnungen im Großreich der Co¯-las
. . . . . . . . . . . . .
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Max Deeg Tı¯rthika¯h hantavya¯h – Zu „häresiologischen“ Diskursen in ˙ ˙ buddhistischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Tilman Frasch Kontakte, Konzile, Kontroversen Begegnungen in der Therava¯da-Kosmopolis, ca. 1000–1300 . . . . . . . 129 Kar8nina Kollmar-Paulenz ,Im Spiegel der Anderen‘ Zur Aushandlung religiöser Identitäten in Tibet und der Mongolei am Vorabend der Dzungarenkriege im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . 153 Christiane Schaefer Sprache in der Religionsbegegnung Zu tocharisch perne/paräm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 ˙
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Inhalt
Christoph Kleine Religionsbegegnung als Katalysator theologischer Rationalisierung Am Beispiel des Konflikts um die Verehrung der Götter im japanischen Buddhismus des 13. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Martin Repp Die Begegnungen der Jesuiten-Missionare mit Buddhisten und Konfuzianern im 16./17. Jh. in Japan und China Eine Untersuchung zu theoretischen Verhältnisbestimmungen und praktischem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Volkhard Krech Nachwort Können sich Religionen begegnen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Max Deeg, Oliver Freiberger, Christoph Kleine
Einleitung
Dass es in der asiatischen Religionsgeschichte Begegnungen von Religionen gegeben hat, kann man heute feststellen, ohne Widerspruch fürchten zu müssen. Niemand würde bezweifeln, dass die Religionen Asiens – Buddhismus, Hinduismus, Daoismus, Konfuzianismus, Shinto¯ und andere – in bestimmten Regionen koexistierten, sich miteinander auseinandersetzten und sich gegenseitig beeinflussten. Manche Religionen, insbesondere der Buddhismus, breiteten sich über den gesamten Kontinent aus und begegneten im Zuge dieser Verbreitung indigenen und anderen Religionen, die sie oft kreativ in das eigene Weltbild integrierten. Dabei übernahm eine Religion nicht selten manche Konzepte oder Praktiken von der anderen und eignete sie sich mit bestimmten Modifikationen an. Wir wissen auch von Religionsgesprächen, die oft von lokalen Herrschern ausgerichtet wurden und in denen die Religionen über philosophische Fragen diskutierten. Ebenso gab es aber auch militärische Auseinandersetzungen und die gewaltsame Verfolgung bestimmter Religionen. All dies ist wohl kaum umstritten, doch die hier imitierte Darstellungsweise, die sich oft in religionswissenschaftlicher – und noch stärker in nichtreligionswissenschaftlicher – Literatur findet, ist analytisch höchst problematisch. Hier wird nämlich von Religionen wie von Personen gesprochen: Sie „interagieren“ und „begegnen sich“, als seien sie klar bestimmbare, homogene Einheiten, die einander deutlich unterscheidbar gegenüberstehen. Ein solches Verständnis von Religionen spiegelt allenfalls eine theologische Innensicht, aber ist sowohl empirisch als auch analytisch irreführend. Empirisch ist festzustellen, dass Akteure, die sich als Vertreter einer Religion verstehen und präsentieren, oft und in vielen Punkten nicht miteinander übereinstimmen. Dieselbe Vielfalt findet sich bei religiösen Praktiken, materieller Kultur und allen anderen Aspekten, die der betreffenden Religion zugeordnet werden. Analytisch ist in Anbetracht dieser empirischen Heterogenität zu fragen, in welchem Sinn genau Begriffe wie „Buddhismus“, „Daoismus“, „Shinto¯“ usw. religionswissenschaftlich verwendet werden. Während sie auf einer MakroEbene als abstrakte Begriffe zur sehr groben Bezeichnung einer religiösen Tradition durchaus nützlich sein können, erscheinen sie für die Analyse konkreter historischer Situationen auf der Mikro-Ebene problematischer. Tatsächlich handelt es sich bei dem, was wir mit Bezeichnungen wie „Buddhismus“, „Daoismus“, „Shinto¯“ usw. etikettieren, nicht um umgrenzte Ein-
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Max Deeg, Oliver Freiberger, Christoph Kleine
heiten, sondern um höchst komplexe sozio-kulturelle Formationen ohne klare Außengrenzen. Sie umfassen Menschen, Architekturen, Artefakte, Texte, Ideen, Normen, Symbole, Mythen, Identitäten und Rituale, die aufeinander bezogen sind und eine Art multi-dimensionales, an den Rändern ausgefranstes Gewebe bilden. Als heuristischer Begriff kann „Religionsbegegnung“ dazu dienen, genau diese Problematik näher zu beleuchten. Was genau ist in einem speziellen historischen Kontext mit Religionsbegegnung gemeint? Wer oder was begegnet sich? Und welche Konsequenzen hat eine genaue Analyse solcher Prozesse für unsere Theoretisierung von religiösen Identitäten und sozialer Dynamik? Diese Fragen werden im vorliegenden Band diskutiert, der auf die siebte Tagung des Arbeitskreises Asiatische Religionsgeschichte (AKAR) der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft zurückgeht, die vom 31. Juli bis 4. August 2013 an der Universität Uppsala, Schweden, stattfand. Das Thema schließt an die Diskussionen der vorangegangenen Tagung des Arbeitskreises an (Leipzig 2010), bei der die Frage diskutiert wurde, ob das Konzept „Religion“ auf vormoderne asiatische Kulturen anwendbar sei, d. h. ob in den entsprechenden Gesellschaften jeweils ein Kultursegment, das wir als „Religion“ bezeichnen würden, identifiziert und taxonomisch von anderen unterschieden wurde. Wie die Teilnehmer jener Tagung anhand vieler Beispiele demonstrierten, ist dies der Fall, und zwar insbesondere in Kontexten der „Religionsbegegnung“, nämlich dort, wo es den Akteuren notwendig erschien, die „eigene“ von der „anderen“ Tradition abzugrenzen und im Zuge dessen beide einer generischen Kategorie zuzuordnen.1 Die Beiträge im vorliegenden Band gehen in ihrer Analyse anhand konkreter Fälle in verschiedenen geographischen Regionen Asiens (Süd-, Südost-, Zentral- und Ostasien) einer Reihe von Fragen nach, die sich aus dem Oberthema ergeben. Zunächst kann untersucht werden, wie „das Andere“ (d. h. eine andere Religion) von den betreffenden Akteuren wahrgenommen wird. Es sind immer bestimmte Aspekte, die das Gegenüber als „anders“ markieren und deshalb thematisiert werden. Daher ist zu fragen, welche Informationen über fremde Vorstellungen und Praktiken die betreffenden Akteure besaßen bzw. besitzen konnten und zu welchem Grad diese Informationen mit der Eigenwahrnehmung des Gegenübers übereinstimmten. Solche Fragen sind oft aufgrund der Quellenlage nicht einfach zu beantworten, aber sie zu stellen kann interessante Erkenntnisse zu Tage fördern. Die Darstellung des Anderen mag das Ergebnis der gewissenhaften Zusammenstellung aller bekannten Daten sein, aber es kann auch auf frei erfundenen Vorstellungen beruhen oder irgendwo dazwischen liegen. Wenn man prüft, ob die Darstellungen sachlich oder polemisch sind, ist es in 1 Die Ergebnisse jener Tagung liegen vor in dem Band Religion in Asien? Studien zur Anwendbarkeit des Religionsbegriffs, Peter Schalk, Max Deeg, Oliver Freiberger, Christoph Kleine und Astrid van Nahl (Hg.) (Uppsala: Uppsala University Press, 2013).
Einleitung
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manchen Fällen möglich zu zeigen, dass manches bewusst falsch oder verzerrt dargestellt wird, um die eigene Position zu stärken, das eigene Profil zu schärfen oder eine kollektive Identität zu schaffen. Wenn die Akteure das Andere in einer bestimmten Weise konstruieren, ziehen sie damit auch eine Grenze zwischen „uns“ und „ihnen“. Die zentrale Frage hierbei ist, welche Interessen die Akteure bei dieser Grenzziehung verfolgen und welche Motive sie antreiben. Während die Geltendmachung religiöser Wahrheit – „Die anderen irren!“ – ein wichtiger Aspekt ist, spielen oft auch politische, ökonomische und andere Motive eine Rolle. Eine genauere Betrachtung dieser Akteure (oft die Verfasser der erhaltenen Texte) kann Aufschluss über ihre Interessen geben. Welche Stellung haben sie in einer religiösen Tradition inne – sowohl in ihrem eigenen sozio-historischen Kontext als auch in der nachfolgenden Rezeption? Wenn sie den Anspruch haben, für „eine Religion“ zu sprechen, sind ihre Darstellungen repräsentativ? Es lohnt sich, in jedem Kontext nach weiteren Stimmen zu suchen, die möglicherweise eine andere Sicht auf „das Andere“ offenbaren. In vielen historischen Situationen existieren Kontroversen über die Wahrnehmung, die Konstruktion, oder den Umgang mit „dem Anderen“. Daneben ist in jeder Situation auch zu beachten, welche Bedeutung die Konstruktion des „Anderen“ für die betreffende religiöse Gemeinschaft insgesamt besitzt und ob andere Menschen in dem konkreten kulturellen Kontext überhaupt ein Interesse am „Anderen“ oder an der Konstruktion eines „Anderen“ haben. Der Umstand, dass es Quellen gibt, die sich mit einer anderen Religion auseinandersetzen, belegt noch nicht, dass diese Auseinandersetzung für die gesamte Gemeinschaft – oder auch nur für eine signifikante Mehrheit – Relevanz besaß. Schließlich kann eine Reflexion über den Vorgang der Grenzziehung zwischen Religionen aufschlussreich sein. Wenn wir davon sprechen, dass zwei (oder mehr) Religionen sich begegnen, müssen diese Religionen klar unterscheidbar sein. Wer trifft diese Unterscheidung? Ist es die Aufgabe der Religionswissenschaft, solche Differenzierungen vorzunehmen und damit etwa festzulegen, dass ein Text, ein Ritual, ein Objekt buddhistisch sei – und nicht hinduistisch? Welche Kriterien hätte man dafür, und worauf beruhten sie? Oder sollte man die Grenzziehung prinzipiell der emischen Ebene zuordnen, d. h. die Bestimmung der Identität den religiösen Akteuren überlassen? Dann muss man allerdings damit rechnen, dass diese Abgrenzungsprozesse auf der Ebene der Akteure extrem dynamisch sind und sich somit die emische Grenzziehung permanent verändern kann. Diese Reflexion impliziert auch die Frage, welche Rolle die Begriffe „religiöse Tradition“ und „religiöse Identität“ bei der religionswissenschaftlichen Analyse des Umgangs mit dem Anderen spielen. Es ist durchaus möglich – und historisch in der Tat oft der Fall –, dass das in einem Kontext konstruierte Andere aus anderer Perspektive als Teil derselben Tradition betrachtet wird. Wenn zum Beispiel zwei Gruppierungen sich gegenseitig als nicht-buddhis-
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Max Deeg, Oliver Freiberger, Christoph Kleine
tisch bezeichnen, kann es religionswissenschaftlich legitim sein, beide dennoch unter dem Begriff Buddhismus zu subsummieren? Was bedeutet diese Reflexion für die religionswissenschaftliche Verwendung der Begriffe „Tradition“ und „Identität“? Schließlich kann in diesem Zusammenhang auch kritisch hinterfragt werden, welchen Erkenntnisgewinn die in der Religionswissenschaft derzeit populäre Pluralisierung abstrakter Begriffe („Buddhismen“ „Hinduismen“, etc.) für die Analyse verspricht. Diese und andere Fragen untersuchen die Autoren dieses Bandes anhand von Fallstudien aus ihren jeweiligen Arbeitsbereichen in Südasien, Südostasien, Zentralasien und Ostasien. Dabei diskutiert Sven Wortmann die in frühen vedisch-brahmanischen Texten gespiegelte interne religiöse Pluralität wie auch den Umgang der Verfasser mit Asketenreligionen wie Buddhisten und Jainas. Er zeigt, dass die frühen Buddhisten und Jainas sich aktiv einer komplexen kompetitiven Strategie (Ablehnung, Unterordnung, Umdeutung und Aneignung) bedienten, um sich im religiösen Feld zu behaupten. Eine ähnliche Strategie wurde in traditionsinternen Konkurrenzsituationen innerhalb der vedisch-brahmanischen Religion bemüht, um neue Lehren und Praktiken zu legitimieren, wobei jedoch in der Regel dogmatische Exklusivität und soziale Ausschlussmechanismen vermieden und stattdessen eine Hierarchisierung von Lehren, Wissen und Lebensformen vorgenommen wurde. Gegenüber den andersreligiösen Asketenorden, die tendenziell das verbindliche Stände- und Ritualsystem in Frage stellten, in das die vedisch-brahmanische Religion eingebettet war, setzten deren Vertreter dagegen auf soziorituelle Ausgrenzung durch Verschweigen. Caroline Widmer zeigt mit einem narratologischen Ansatz, dass Religionsbegegnung in den Suttas des Pa¯likanons ein literarisches Mittel der Selbstvergewisserung und Affirmation der buddhistischen Verfasser ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätten vorgeblich Religionsbegegnungen beschreibende Passagen in den Suttas lediglich im Rahmen eines internen Diskurses als Mittel der Abgrenzung und Abwertung anderer, konkurrierender Gruppen gedient. Sie seien daher nur von beschränktem Wert als historische Quellen, die Informationen über religiöse Gemeinschaften oder Religionsbegegnungen im alten Indien bereitstellen. Stattdessen kommunizieren sie wohl eine rein innerbuddhistisch konzipierte Darstellung der buddhistischen Religion für den internen Gebrauch. Oliver Freiberger untersucht verschiedene Beschreibungen des Buddha als Avata¯ra Visnus in hinduistischer Literatur, entdeckt eine Vielfalt von Be˙ ˙ der Grenze zwischen „Hinduismus“ und „Buddhismus“ und stimmungen kommt zu dem Schluss, dass die Religionswissenschaft die Unterscheidung von Religionen religiösen Akteuren überlassen muss. Erst wenn es religiöse Akteure gibt, die eine Grenze zwischen ihrer eigenen und anderen Traditionen ziehen, kann die Religionswissenschaft eine „Religion“ als distinkte soziokulturelle Formation identifizieren. Dabei können verschiedene Akteure im gleichen historischen Kontext ganz unterschiedliche Grenzziehungen vor-
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nehmen. In der historischen Rekonstruktion kann daher immer nur ein konkreter Grenzziehungsvorgang untersucht und beschrieben werden, dem man nicht leichtfertig den Status einer objektiven Zustandsbeschreibung zuweisen darf. „Religionsbegegnung“, so schließt Freiberger, „liegt im Auge des Betrachters“. Peter Schalk zeichnet die Geschichte des Buddhismus im südindischen Co¯-laReich nach und zeigt, wie die Begegnung mit dem dominanten S´ivaismus sowie auch mit dem Therava¯da-Buddhismus auf Sri Lanka dieser besonderen Form des Buddhismus eine Nischenstellung zuwies. Es habe sich bei der „Begegnung“ zwischen beiden lokalen Formen des Buddhismus um ein planmäßiges Zusammenführen von religiösen Gruppen aus politischen und wirtschaftlichen Interessen im Reich der Co¯-las gehandelt. Insofern sei „Begegnung“ eine verharmlosende Bezeichnung für eine religionspolitische Weisung der Co¯-laherrscher, die gleichsam künstlich ein religiöses Gefüge konstruierte, in dem der Co¯-lappauttam (Buddhismus im Co¯-la-Reich) und der ¯Ilacco¯-lappauttam (Buddhismus unter den Co¯-las in Lanka¯) jeweils lediglich eine Nische innerhalb einer Machthierarchie zugewiesen wurde. Beide seien das Resultat einer religionspolitischen Bricolage zu primär wirtschaftichen Zwecken. Max Deeg untersucht die Darstellung von inner- und interreligiösen Debatten in Südasien in frühmittelalterlichen buddhistischen chinesischen Quellen mit Blick auf deren rhetorische Funktion und fragt insbesondere nach der postulierten Rolle des Herrschers im Zusammenhang mit diesen Debatten. Während manche Quellen dem Herrscher eine eindeutige Parteinahme zugunsten der eigenen Religion unterstellen, zeichnen andere ein differenzierteres und relativierendes Bild. Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass tatsächlich Religionsdebatten unter fürstlicher Ägide stattgefunden haben, doch die häufig drastischen Schilderungen der Ausgänge und insbesondere der Reaktionen der Herrscher seien hinsichtlich ihrer postulierten Historizität mit größter Vorsicht zu genießen. Deeg zeigt, dass die simple Alternative zwischen Toleranz und Gewalt gegenüber dem Anderen für die Analyse der komplexen religiösen Realität ungenügend ist und schlägt daher ein dynamischeres Modell vor. Tilman Frasch legt unter besonderer Berücksichtigung der überregional relevanten Konzile und Ordens-Reformen innerhalb des Therava¯da-Buddhismus dar, wie auch innerhalb einer Religion – bzw. einer Tradition innerhalb einer Religion, d. h. dem Therava¯da-Buddhismus Südostasiens im 11. bis 13. Jahrhundert – Begegnungen stattfinden, aus denen sich partikulare Identitätsbildungen und regionale Traditionen ebenso wie transregionale Bindungen ergeben. Was letztere betrifft, habe gerade in Krisenzeiten wie dem 15. Jahrhundert, in dem nach einem spezifischen Modell buddhistischer Zeitrechnung der Niedergang des Dharma einsetzen sollte, und dem durch interkulturelle Begegnungen unter ungleichen Machtverhältnissen geprägten 19. Jahrhundert die Idee einer buddhistischen Ökumene in diesem Gebiet eine hohe Attraktivität gehabt.
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Max Deeg, Oliver Freiberger, Christoph Kleine
Kar8nina Kollmar-Paulenz untersucht sowohl die Vorstellungen, die tibetische Buddhisten im 16. bis 18. Jahrhundert von der Religion der Mongolen hatten, welche sie zum Buddhismus bekehren wollten, als auch die mongolische Eigenwahrnehmung sowie die Binnendiskurse in beiden Gruppen. Sie problematisiert dabei die dem Begriff „Religionsbegegnung“ inhärente Vorannahme, man könne die jeweiligen Wissensordnungen, als deren Träger die an der Begegnung beteiligten Menschen konzeptualisiert werden, eben jenen Subjekten beziehungsweise deren Gemeinschaften in ihrer Gesamtheit zuordnen. Am Beispiel der tibeto-mongolischen religiösen Identitäts- und Alteritätspolitiken zeigt sie, dass religiöse Identitäten multidimensionale, mitunter widersprüchliche, prozessuale und durch soziale Machtstrukturen legitimierte Konstruktionen sind, die durch sich wechselseitig konstituierende Eigen- und Fremdwahrnehmungen erzeugt und in symbolischen Repräsentationen, Narrativen, visuellen Darstellungen usw. affirmiert werden, bis sie als natürlich gegeben erscheinen und ihren Konstruktionscharakter und ihre Kontingenz verlieren. Die Religionsgeschichte dürfe daher nicht nur nach Repräsentationen fragen, sondern müsse auch das konkrete Handeln der Menschen in den Blick nehmen, um der Fluidität, Dynamik, Situativität, „Kurzlebigkeit“ und Widersprüchlichkeit historischer Identitäts- und Alteritätskonstruktionen Rechnung zu tragen. Christiane Schaefer zeigt in ihrer Studie, wie philologisch-historische Detailforschung – in ihrem Falle – Einblicke in mögliche Religionsbegegnungen ermöglicht, die wegen fehlender Quellen ansonsten nur generell zu vermuten sind. Schaefer untersucht den Begriff perne/paräm im Tocharischen, einer indogermanischen Sprache an der nördlichen Seidenstrasse, wo verschiedene Religionen Mittel-, Süd-, Zentral- und Ostasiens im Kontext von Fernhandel aufeinandertrafen. Die Untersuchung zeigt im Einzelnen auf, wie das ursprünglich iranische, wahrscheinlich zunächst zoroastrisch konnotierte Lehnwort perne/paräm sich in seiner tocharisch-buddhistischen Verwendung völlig neue semantische Bereiche erschließt. An diesem Beispiel wird deutlich, wie das Zusammentreffen von Religionen Spuren semantischer Ausformung hinterlassen können, die auf das komplexe Zusammenwirken von transreligiös ideologischen, religiösen, allgemein kulturellen und linguistischen Bedeutungsfeldern in bestimmten kultur- und religionsgeschichtlichen Konstellationen verweisen. Christoph Kleine untersucht die Folgen des Aufeinandertreffens von Buddhisten und mehr oder weniger indigenen, nicht-buddhistischen Kulten in Japan. Die Auseinandersetzung der Buddhisten mit außerbuddhistischen Kulten und Mythen habe zwei widerstreitende Diskurse der Rationalisierung ausgelöst. Am Beispiel des buddhistischen Umgangs mit den einheimischen Gottheiten (kami) zeigt Kleine, wie die Unterschiedlichkeit der eingeschlagenen Rationalisierungspfade zu innerbuddhistischen Konflikten führte, die in Nonkonformismus-Vorwürfen gegen die Schule des Reinen Landes von Seiten des Mainstreams mündeten und zugleich eine Rationalisierungs-Dy-
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namik in Gang setzten, an deren Ende eine neue Religion entstand, der Shinto¯. So könnten die durch interreligiöse Begegnung bzw. das Aufeinandertreffen heterogener Religionselemente stimulierten „theologischen“ Rationalisierungsprozesse am Ende religionsproduktiv wirken. Martin Repp untersucht in komparativer Weise die Strategien der JesuitenMissionare im 16. und 17. Jahrhundert in Japan und China in ihrer Begegnung mit Buddhisten und Konfuzianern und zeigt, wie Unterschiede in den Missions- oder Religionstheologien (kosmologische vs. soteriologische Ansätze) einen jeweils unterschiedlichen Umgang mit dem Anderen hervorbringen. Während eine von der Soteriologie ausgehende Mission aufgrund ihres Heilsexklusivismus zwangsläufig zu Konflikten führt, könne über einen inklusivismusfähigen schöpfungstheologischen bzw. kosmologischen Ansatz eine mehr oder minder friedliche Koexistenz mit einheimischen religiösen Traditionen erreicht werden. Volkhard Krech schließlich bietet in einem Nachwort eine Theoretisierung des Themas auf der Grundlage der vorangehenden Studien und diskutiert relevante Begriffe und Konzepte wie Synkretismus, Hybridität, Identität, Akteure, Agency, Grenzziehung, Verzeitlichung, Verräumlichung und Kommunikation. Er kommt zu dem Schluss, dass sich, wenn man beides gründlich konzeptualisiert, „Religionen“ durchaus „begegnen“ können. Die Beiträge in diesem Band bieten reichhaltige historische Studien zu konkreten Varianten dessen, was normalerweise als Religionsbegegnung bezeichnet wird. Ihre Materialfülle erlaubt differenzierte Diskussionen über verschiedene Aspekte des Themas. Die Untersuchungen zeigen, dass eine Reflexion über das Konzept Religionsbegegnung Kernprobleme religionswissenschaftlicher Theoriebildung berührt: Emische und etische Konstruktionen religiöser Identität, Verflechtungen von religiösen, politischen, wirtschaftlichen und anderen Sphären und Diskursen, Spannungsfelder von Repräsentationsansprüchen und dem Streben nach der Definitionsmacht, Dialektiken von rhetorischer Norm und sozialer Realität, und vieles mehr. Die Forderung, den Begriff Religionsbegegnung nicht mehr zu verwenden, weil er zu einer Reifizierung von Religionen verleitet, hätte sicher wenig Aussicht auf Erfolg. Stattdessen kann Religionsbegegnung, wie die Beiträge in diesem Band zeigen, als heuristischer Begriff produktive Reflexionen anstoßen, die zu neuen historischen Einsichten und theoretischen Erkenntnissen führen.
Sven Wortmann
Strategien der vedisch-brahmanischen Religion zur Bewältigung religiöser Pluralität
In diesem Beitrag soll untersucht werden, wie die vedisch-brahmanische Religion interne und auch externe religiöse Pluralität, d. h. andere Religionen wie den frühen Buddhismus und Jainismus dargestellt und bewertet hat. Diese Fragestellung impliziert einige Voraussetzungen, die vorab geklärt werden müssen. Unter religiöser Pluralität verstehe ich Religionsbegegnung, d. h. echte soziale Begegnung verschiedener religiöser Spezialisten und/oder auch deren literarische Darstellung. Aber selbst ohne direkte soziale Interaktion impliziert religiöse Pluralität feldtheoretisch bereits strukturelle Konkurrenz und in diesem Sinne Begegnung. Dass für den indischen Subkontinent in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends v. u. Z. ein klar differenziertes Feld religiöser Spezialisten auszumachen ist, ist bereits gut dargestellt worden und aus Quellen aller Traditionen objektsprachlich im Begriff „Brahmanen und Asketen“ auf den Punkt gebracht.1 Darunter fallen: Brahmanische Priester, brahmanische Asketen sowie nichtbrahmanische Asketen (u. a. Buddhisten und Jainas). Ebenso klar ist, dass die religiöse Zugehörigkeit von Nichtspezialisten, d. h. die der sog. Laienanhängern oder „Hausbewohnern“ hingegen nicht immer eindeutig festgelegt war. Sowohl Könige als auch gewöhnliche Laien praktizierten häufig eine „para-institutionale Religiösität“2. Zunächst muss die wenig beachtete Tatsache auffallen, dass es keine klare Eigenbezeichnung dessen gibt, was wir vedische oder brahmanische Religion, bzw. vedisch-brahmanische Religion nennen.3 Dies deutet entweder auf ein religiös homogenes Feld hin, wo abgrenzende Eigen- und Fremdbeschreibungen unnötig sind oder aber auf Ignorierung religiöser Pluralität. Der Begriff ,vedisch1 Oliver Freiberger, „Religionen und Religion in der Konstruktion des frühen Buddhismus“, in Religion in Asien? Studien zur Anwendbarkeit des Religionsbegriffs, Peter Schalk, Max Deeg, Oliver Freiberger, Christoph Kleine und Astrid van Nahl (Hg.). Acta Universitatis Upsaliensis, Historia Religionum 32 (Uppsala: Uppsala University Press, 2013), 27–37. 2 Oliver Freiberger, „Ein ,Vinaya für Hausbewohner‘?“, in Im Dickicht der Gebote. Studien zur Dialektik von Norm und Praxis in der Buddhismusgeschichte Asiens, Peter Schalk, Max Deeg, Oliver Freiberger, Christoph Kleine und Astrid van Nahl (Hg.). Acta Universitatis Upsaliensis, Historia Religionum 26 (Uppsala: Uppsala University Press, 2005), 245 f. 3 Eine religiöse Eigenbezeichnung, die allerdings nie dominant wird, ist „die Lehre (bzw. Ordnung/ Pflicht) der Lebensstadien und Stände“ (varna¯´sramadharma und Varianten), die sich erstmals im ˙ Gautama-Dharmasu¯tra (im Folgenden GDh) und im Maha¯bha¯rata (beide ca. ab 300 v. u. Z.) findet.
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Sven Wortmann
brahmanische Religion‘4 wird im Folgenden verwendet für die vedische Textund Ritualtradition eines sozialen, nur durch Geburt zu erlangenden Standes (varna), der sich selbst als brahmanisch (bra¯hmana) bezeichnet. Die Brah˙ waren in unabhängigen, regional und ˙nach Veda-Zugehörigkeit manen getrennten Text- und Ritualschulen (s´a¯kha¯, carana) organisiert, die in be˙ stimmten Ritualen auch arbeitsteilig zusammenwirken mussten. Hinweise auf eine zentrale Instanz oder Religionsführer gibt es nicht. Da diese Tradition die (für die Ritualteilnehmer5 kostenpflichtige) rituelle Verehrung von übermenschlich mächtigen Gottesgestalten (deva) unter Vermittlung einer eigens dafür ausgebildeten Expertenschicht (bra¯hmana) zum Zwecke des dies- u. ˙ jenseitigen Wohles der Ritualteilnehmer beinhaltet, ist sie – gemäß aller mir bekannten Religionsdefinitionen – als religiös zu bezeichnen.6 Die semantisch-soziale Dimension des Begriffes ,vedisch-brahmanische Religion‘ deckt sich auch gut mit buddhistischen Beschreibungen der „Drei-Veden-Brahmanen“7, die ihre alten Mantras von den „Sehern“ (r. si) aus der fernen Vergan˙ bezweifelt, ob es im in genheit weitertradiert haben. Es wurde jedoch bereits der Formierungsphase und -region des frühen Buddhismus und Jainismus überhaupt eine vedisch-brahmanische Religion gegeben hat.8 Für die vorliegende Untersuchung ist jedoch nicht von Belang, wann und wo genau, sondern dass sich überhaupt Buddhisten, Jainas und vedische Brahmanen früh als distinkte Akteure in einem umkämpften Feld begegnet sind. Und dies ist deshalb problemlos anzunehmen, da bereits die Inschriften König Asokas (Regierungszeit: 269–232 v. u. Z.) die Anwesenheit von „Brahmanen und Asketen“ überall auf dem indischen Subkontinent voraussetzen,9 deren „Sekten“ (pa¯sanda) er zu gegenseitiger Toleranz auffordert, und da auch ˙ ˙ jainistische Narrative neben andersreligiösen Akteuren buddhistische˙ wie 4 Ähnlich ist Jens Schlieters Definition des „full fledged ,Brahmanic System‘“. Jens Schlieter, „Did the Buddha emerge from a Brahmanic Environment? The early Buddhist Evaluation of ,Noble Brahmins‘ and the ,Ideological System of Brahmanism‘“, in Dynamics in the History of Religions between Asia and Europe. Encounters, Notions, and Comparative Perspectives, Volkhard Krech und Marion Steinicke (Hg.) (Leiden/Boston: Brill, 2012), 143. 5 Legitime Ritualteilnehmer sind Angehörige der oberen drei Stände: Brahmanen, Adel (ksatriya) ˙ und Volk (vais´ya). Der vierte Stand der Diener (s´u¯dra) ist zwar fester Bestandteil der vedischbrahmanisch konzipierten Gesellschaft, aber vom Ritual ausgeschlossen. 6 Vgl. dazu die Kriterien Martin Riesebrodts: Soziale Handlungen bezogen auf übermenschliche Mächte, Spezialisten für diese Handlungen sowie die wechselseitige Bezugnahme konkurrierender Spezialisten, die somit ein semantisch-soziales Feld konstituieren, welches wir religiös nennen. Martin Riesebrodt, „Religion als analytisches Konzept“, in Religion in Asien? Studien zur Anwendbarkeit des Religionsbegriffs, Peter Schalk, Max Deeg, Oliver Freiberger, Christoph Kleine und Astrid van Nahl (Hg.). Acta Universitatis Upsaliensis, Historia Religionum 32 (Uppsala: Uppsala University Press, 2013), 5 f. 7 Z. B. im Tevijja¯sutta, Dı¯ganika¯ya (im Folgenden: DN) 13. Dı¯ghanika¯ya, Vipassana Research Institute (Hg.), http://www.tipitaka.org/. 8 Johannes Bronkhorst, Greater Magadha: Studies in the Culture of Early India. Handbook of Oriental Studies, Sektion 2: India 19 (Leiden/Boston: Brill, 2007), 2. 9 Vor allem die Versionen des 13. Felsenediktes.
Strategien zur Bewältigung religiöser Pluralität
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häufig Brahmanen beinhalten, die als Text- u. Ritualexperten oder Asketen auftreten.10 Diese Narrative sind sehr stereotyp und gipfeln in den allermeisten Fällen in der Konversion andersreligiöser Akteure, weswegen ich sie im doppelten Sinne als Bekehrungsgeschichten bezeichnen möchte. Sie beinhalten nicht nur eine Bekehrungsepisode, in der die Überlegenheit der eigenen Akteure und Lehre aufgezeigt wird, sondern wurden und werden ganz offensichtlich auch für diesen Zweck vorgetragen.11 Ein signifikanter Teil der buddhistischen und jainistischen Narrative besteht aus Bekehrungsgeschichten und dies zeigt meines Erachtens deutlich den kompetitiven Charakter des frühen Buddhismus und Jainismus. Im frappierenden, aber bisher wenig beachtetem Gegensatz dazu finden sich in frühen vedisch-brahmanischen Quellen und auch in den Epen Maha¯bha¯rata und Ra¯ma¯yana, die ja im ˙ explizite, Laufe ihrer Tradierung zumindest ,brahmanisiert‘ wurden, wenig namentliche Nennungen andersreligiöser Gruppen und gar keine Nennung von Buddhisten oder Jainas.12 Trotzdem soll anhand ausgewählter Texte versucht werden, im Vergleich zu den deutlichen Bezugnahmen interner religiöser Pluralität, auch mögliche Strategien zur Bewältigung externer religiöser Pluralität zu finden. Dies soll im Folgenden anhand der Paradigmenwechsel in den frühen Upanisads, der Diskussion der Dharmasu¯tras über asketische ˙ der indirekten Bezugnahmen der Dharmasu¯tras auf Lebensstadien sowie heterodoxe Asketen dargestellt werden. Die frühen Upanisads sowie die frü˙ Texten, die, bei hen Dharmasu¯tras gehören zu den vedisch-brahmanischen aller Unsicherheit der Datierung und Lokalisierung, am ehesten in die Formierungsphase und -region des frühen Buddhismus, d. h. grob gesagt in die letzten Jahrhunderte vor der Zeitenwende in den Norden und Nordosten des indischen Subkontinents fallen könnten.13 10 Einschränkend muss erwähnt werden, dass der Begriff Brahmane auch häufig nur als sozialer Stand (ohne Priesterfunktion) verwendet oder metaphorisch als buddhistische oder jainistische Selbstbezeichnung im Sinne von „wahrer Brahmane“ vereinnahmt wird. 11 Siehe auch in diesem Band Caroline Widmer, „Religionsbegegnungen im Pa¯li-Kanon: Realhistorische Begegnung oder religiöse Selbstdarstellung?“ sowie Peter Flügel, „Worshipping the Ideal King. On the Social Implications of Jaina Conversion Stories“, in Geschichten und Geschichte. Historiographie und Hagiographie in der asiatischen Religionsgeschichte, Peter Schalk, Max Deeg, Oliver Freiberger, Christoph Kleine und Astrid van Nahl (Hg.). Acta Universitatis Upsaliensis, Historia Religionum 30 (Uppsala: Uppsala University Press, 2010), 357–432. 12 Vgl. dazu die Abwesenheit des Islam in der Sanskritliteratur (nicht jedoch in regionalsprachlicher Literatur!). Muslime werden als yavana (Griechen), ´saka (Skythen), bestenfalls als turuska (Türken) bezeichnet. „The logic of Medieval Indian xenology followed the patterns of ˙ doxography and ´sa¯stra generally, applying categories from a millennium earlier to changing sociocultural conditions without concern for their descriptive adequacy“. Andrew J. Nicholson, Unifying Hinduism. Philosophy and Identity in Indian Intellectual History (New York: Columbia University Press, 2010), 192 ff. Analog dazu weist Svevo D’Onofrio (persönliche Mitteilung) darauf hin, dass in der Mogulzeit enorme Textmengen vom Sanskrit ins Persische übersetzt wurden, jedoch möglicherweise kein einziger persischer Text ins Sanskrit. 13 Die Datierung der frühen Upanisads ist sehr problematisch. Nach Olivelle sind sie vermutlich ˙ vorbuddhistisch. Patrick Olivelle, The Early Upanisads: Annotated Text and Translation (Ox˙
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Sven Wortmann
Die These dieses Beitrages ist, dass die vedisch-brahmanische Religion Pluralität innerhalb ihrer sozio-rituellen Grenzen (verschiedene vedischbrahmanische Ritualschulen, brahmanische Asketen) durch inkludierende Hierarchisierungsprozesse bewältigt, Pluralität außerhalb (Buddhismus, Jainismus) jedoch strategisch ignoriert. Sie hat kein Interesse an der expliziten Darstellung des ,Anderen‘, sondern sanktioniert es mit sozialen Ausschlussmechanismen.
1. Hierarchisierung interner religiöser Pluralität in den frühen Upanisads14 ˙ In diesem ersten Abschnitt geht es um die narrative Darstellung wissenssoziologischer Paradigmenwechsel in den frühen Upanisads.15 Das p Verbalnomen upanisad „(naheliegender) Zusammenhang“, von˙ upa-ni- sad, „sich ˙ nahe hinsetzen“, bezeichnet in den Textgattungen der Bra¯hmanas und Upanisads selbst das (machtverleihende und geheime) Wissen um˙ Zusammenhä˙nge, Hierarchien und Identitäten von Elementen im Rahmen des vedischen Rituals und der Kosmologie.16 Der Begriff wurde erst sekundär ein Eigenname für die Textgattung Upanisad. Die Vorschriften der ,Leitfäden der Hausrituale‘ ˙ (gr. hyasu¯tra) über die vedisch-brahmanische Initiation (upanayana) deuten darauf hin, dass u. a. die Upanisads unter besonderen Sicherheitsvorkeh˙ üler und nur unter Einhaltung besonderer rungen, d. h. nur an besondere Sch Observanzen (vrata) gelehrt wurden.17 Bereits diese formalen Aspekte verdeutlichen die hohe Postition der Upanisads innerhalb der Wissenshierarchie ˙ die Upanisads zu den frühesten der vedisch-brahmanischen Religion. Da Texten der vedisch-brahmanischen Literatur gehören,˙ die eine beträchtliche Anzahl von Narrativen enthalten, in denen es um Wissenswettstreit zwischen den Protagonisten geht, sollen diese, im Kontrast zu buddhistischen und
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ford: Oxford University Press, 1996), 12 f. Die frühen Dharmasu¯tras datiert er zwischen 350–150 v. u. Z. Patrick Olivelle, „Explorations in the Early History of the Dharmastras´a¯stra“, in Between the Empires: Society in India 300 BCE to 400 CE, Patrick Olivelle (Hg.) (Oxford: Oxford University Press, 2006), 178. Das vorliegende Kapitel enthält überarbeitete Teile meiner unveröffentlichten Magisterarbeit. Sven Wortmann, Wissen aus dem Abseits: Kontranormative Belehrungsgeschichten in den alten Upanisads (Universität Göttingen, 2009). ˙ ¯ U), Cha¯ndogya- (im Folgenden: ChU) D. h. vor allem die Br. hada¯ranyaka- (im Folgenden: BA ˙ und Kaus¯ıtaki-Upanisad (im Folgenden: KausU). Olivelle, The Early Upanisads. ˙ ˙ ˙ ˙ Siehe Harry Falk, „Vedisch upanis#d“, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft ˙ 136 (1986), 80–97, und Gunilla Gren-Eklund „Causality and the Method of Connecting Concepts in the Upanisads“, Indologica Taurinensia 12 (1984), 107–118. . ˙ Z. B. S´a¯nkha¯yana-Gr. hyasu¯tra II,11.11–12 (im Folgenden: S´GS). Hermann Oldenberg, The Grhya-Su¯tras. Rules of Vedic Domestic Ceremonies. Part II, Sacred Books of the East 29 (Motilal Banarsidass: Delhi, 1886), 78.
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jainistischen Bekehrungsgeschichten, als ,Belehrungsgeschichten‘18 bezeichnet werden. Sie stellen reichhaltiges narratologisches Analysematerial für Diskurse und Strategien innerhalb der vedisch-brahmanischen Religion dar.19 Festzuhalten ist zunächst, dass die Belehrungsgeschichten in ihren erzählenden Teilen die formale und inhaltliche Formelhaftigkeit von Volkserzählungen besitzen.20 Im Gegensatz zu älteren Erzählungen der Bra¯hmana-Texte besitzen ˙ 21 und spielen die meisten Geschichten der Upanisads einen „realistic thrust“ ˙ in einem nichtmythischen Setting. Dies geschieht durch die Darstellung von Alltagssituationen, die Nennung von Orten und Namen, die „Individualisierung der Wissensträger“22 bis hin zur Darstellung biographischer bzw. hagiographischer Sequenzen. Diese Belehrungsgeschichten teilen somit wesentliche Eigenschaften der ,Bekehrungsgeschichten‘ der jainisitischen und buddhistischen Tradition.23 Inhaltlich liegen sowohl wissenssoziologisch als auch wissenstypologisch Ähnlichkeiten vor, da Wissensformen präsentiert werden, welche nicht grundsätzlich von Standes- oder Geschlechtszugehörigkeit abhängig sind. Dieses Wissen besteht oder gipfelt in den meisten Geschichten der Upanisads in einer Lehre über das Selbst (a¯tman), das Brahman, die Atemkräfte (pra¯˙na) oder in einer Kombination von ihnen.24 Als ,Erlö˙ zuweilen, ähnlich wie in jainistischen und buddhistisungswissen‘ dient es schen Lehren, explizit zur Befreiung von Furcht/Angst und/oder führt zur Unsterblichkeit oder Freiheit von Wiedergeburt. Einer der herausragenden 18 So bezeichnet auch Lindquist die Ya¯jÇavalkya-Sektion als „teaching narrative“. Steven E. Lindquist, In Search of a Sage. Ya¯jÇavalkya and Ancient Indian Literary Memory (University of Texas, 2005), 31. 19 Bedeutende narratologische Untersuchungen jüngerer Zeit sind Brian Black, The Character of the Self in Ancient India. Priests, Kings, and Women in the Early Upanisads (New York: State ˙ University of New York Press, 2007), Lindquist, In Search of a Sage und Patrick Olivelle, „Young ´Svetaketu. A Literary Study of an Upanisadic Story“, Journal of the American Oriental Society, ˙ 119.1 (1999), 46–70. 20 Formale Gemeinsamkeiten bestehen in der Übersichtlichkeit, Ökonomie und Einsträngigkeit der Handlung, der szenischen Zweiheit, dem Gegensatz höchstens zweier Protagonisten gleichzeitig und der Wiederholung von Episoden. Siehe Matias Martinez und Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie (München: Beck, 1999), 136. Inhaltlich teilen diese Upanisads ˙ konkrete Motive und Typen wie Mithören, unbekannte Herkunft, Vater-Sohn-Konflikt, Bettler, Schelm, weiser Narr sowie sprechende Tiere. Auch das ,Ksatriya-belehrt-Brahmane’-Motiv hat ˙ eine gewisse Nähe zur (indischen) Volkserzählung. Denn sie „kennzeichnet den Brahmanen meist negativ, als dümmlich, gierig, geizig, tyrannisch u. a.“ Heinz Mode, „Brahmane“, in Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Bd. 2, Rolf Wilhelm Brednich und Hermann Bausinger (Hg.) (Berlin et al.: de Gruyter, 1979), 649. 21 Black, The Character of the Self in Ancient India, 21. 22 Thomas Oberlies, Metamorphosen der Weisheit. Unveröffentlichtes Manuskript für den Sonderforschungsbereich ,Wissen und Weisheit‘ (Göttingen, 2007), 3. 23 Zu den erstaunlichen Parallelen zwischen dem buddhistischen Sa¯maÇÇaphalasutta (DN 2) und ¯ U IV,1–2 siehe Black, The Character of the Self in Ancient dem Ya¯jÇavalkya-Janaka Dialog in BA India, 70–73. 24 Black, The Character of the Self in Ancient India, 7 f.
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inhaltlichen Besonderheiten der Belehrungsgeschichten der Upanisads ist ˙ deren Anstößigkeit bzw. ,kontranormativer‘ Inhalt.25 Im folgenden Textbeispiel geht es um die Belehrung des Brahmanen Ga¯rgya Dr. pta-Ba¯la¯ki durch ¯ U II,1; KausU IV,1–20). Am Anfang des Textes König Aja¯tas´atru von Ka¯´s¯ı (BA ˙¯ la¯ki“) dem König Aja¯tas´atru von bietet Ga¯rgya Dr. pta-Ba¯la¯ki („der stolze Ba Ka¯s´¯ı eine Unterweisung über das brahman an, worauf dieser antwortet: „Für diese Rede geben wir (dir) Tausend (Kühe). ,(Hier ist einer wie) Janaka, Janaka!‘26 so (jubelnd) werden die Leute bestimmt herbeieilen.“ (sa hova¯ca¯ja¯tas´atruh ˙ ¯ U II,1.1) sahasram etasya¯m va¯ci dadmo janako janaka iti vai jana¯ dha¯vantı¯ti, BA ˙
Daraufhin fängt Ga¯rgya Dr. pta-Ba¯la¯ki an zu sagen, was er als brahman verehrt, wird aber nach jeder Aussage vom König unterbrochen und korrigiert:
„Eben der Mann da oben in der Sonne ist es, den ich als brahman verehre.“ Aja¯tas´atru sagte: „Erzähl mir nichts über ihn! Ich verehre ihn nämlich als höchststehenden aller Wesen, als (ihr) Kopf und König.“ Wer diesen so verehrt wird (selbst) das höchststehende aller Wesen, (ihr) Kopf und König. (ya eva¯sa¯v a¯ditye purusa etam eva aham ˙ ˙ brahmopa¯sa iti, sa hova¯ca¯ja¯tas´atruh, ma¯ maitasmin samvadistha¯h, atistha¯h sarve˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ sa¯m bhu¯ta¯na¯m mu¯rdha¯ ra¯jeti va¯ aham etam upa¯sa iti, sa ya etam evam upa¯ste ˙ ˙ ˙ ¯ U II,1.2) atistha¯h sarvesa¯m bhu¯ta¯na¯m mu¯rdha¯ ra¯ja¯ bhavati, BA ˙˙ ˙ ˙ ˙ ˙
Auch nach weiteren Belehrungsversuchen wird Ga¯rgya Dr. pta-Ba¯la¯ki in der gleichen Weise von Aja¯tas´atru unterbrochen und korrigiert. Schließlich schweigt Ga¯rgya Dr. pta-Ba¯la¯ki.
Aja¯tas´atru sagte: „So weit (weißt du) nur?“ „Ja, so weit.“ „Damit ist es aber nicht gewußt.“ Ga¯rgya sagte: „Möge ich zu dir (in die Lehre) gehen!“ Aja¯tas´atru sagte: „Es ist doch abnorm, dass ein Brahmane zu einem Ksatriya (in die Lehre) geht (und ˙ denkt): »Er wird mir das brahman verkünden«. Ich werde es dir (aber) einfach so beibringen.“ (sa hova¯ca¯ja¯tas´atruh, eta¯van nu¯ iti, eta¯vad dhı¯ti, naita¯vata¯ viditam ˙ ˙ bhavatı¯ti, sa hova¯ca ga¯rgyah, upa tva¯ya¯nı¯ti, sa hova¯ca¯ja¯tas´atruh, pratilomam vai tad ˙ ˙ ˙ yad bra¯hmanah ksatriyam upeya¯d brahma me vaksyatı¯ti, vyeva tva¯ jÇapayisya¯mı¯ti, ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ¯ U II,1.14–15) BA
Aja¯tas´atru nimmt ihn darauf bei der Hand und es folgt eine Belehrung über das Selbst (a¯tman), aus dem sich die pra¯nas, die Götter, die Welten und Wesen ˙ ¯ U II,1; KausU IV,20). entfalten (BA ˙ 25 Adheesh Sathaye, „,Higher‘ Learning: A Comparative Study of Counter-Normative Guru-S´isya ˙ Narratives in the Upanisads and the Maha¯bha¯rata“, Indologica Taurinensia 30 (2004), 253–264. ˙ Um Elemente als in ihrem Ursprungskontext als kontranormativ zu erweisen, habe ich vier Indikatoren bemüht: explizite textinterne Indikatoren, explizite oder analoge textexterne Indikatoren (vor Allem aus den Rechtstexten) sowie gezielte Tilgung oder Motivwerdung von Elementen in anderen Versionen und Texten. Wortmann, Wissen aus dem Abseits, 12–16. 26 Es handelt sich hierbei wohl um eine Anspielung auf den bereits aus dem S´atapathabra¯hmana ˙ ¯ U agierenden König Janaka von (im Folgenden: S´B) bekannten und auch später in der BA Videha, der stets als weise, wissbegierig und großzügig dargestellt wird.
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Das erste kontranormative Element dieses Textes besteht im schroffen Verhalten des Königs Aja¯tas´atru: Er schmeichelt dem gelehrten (und nach Kaus¯ıtaki-Upanisad IV, 1 weitgereisten) Brahmanen der Ga¯rgya-Familienli˙ nie27˙ mit hohem Preis und begeistertem Publikum für die Belehrung, womit er Ga¯rgya Dr. pta-Ba¯la¯ki zunächst als Lehrer akzeptiert. Die Unterbrechung und Korrektur durch Aja¯tas´atru bricht jedoch mit dem Verhaltenskodex gegenüber Lehrern bzw. sozial Höhergestellten.28 Das nächste kontranormative Element ist das Ksatriya-belehrt-Brahmane-Motiv.29 Dieses Motiv ist hier ˙ besonders stark ausgepr ägt, da es eine schroffe Niederlage und eine Initiation des Brahmanen durch den König beinhaltet. Verstärkt wird es darüber hinaus noch durch die Prominenz des Brahmanen sowie den Namenszusatz dr. pta („stolz“, „arrogant“).30 Die Version der Kaus¯ıtaki-Upanisad unterstreicht die ˙ ˙ Niederlage noch stärker, wenn Aja¯tas´atru sagt: „Fälschlicherweise, fürwahr, hast Du mich in ein Gespräch verwickelt (mit den Worten): »Ich werde Dir das brahman verkünden«.“ (…mr. sa¯ vai khalu ma¯ sama˙ va¯dayistha¯ brahma te brava¯n¯ıti…, KausU IV,19) ˙˙ ˙ ˙
Darüber hinaus hält Ga¯rgya Dr. pta-Ba¯la¯ki hier bei der Bitte um Initiation Brennholz in der Hand, was die Pflicht des Veda-Schülers symbolisiert, das Hausfeuer zu unterhalten.31 Beide Versionen beinhalten mit dem Nehmen der Hand durch Aja¯tas´atru eine weitere Geste des vedisch-brahmanischen Initiationsrituals (upanayana).32 Den Wunsch nach Initiation bezeichnet der Text in den Worten Aja¯tas´atrus selbst als „abnorm“ (pratiloma)33. Diese Be¯ U siehe Lindquist, In Search 27 Zur Erwähnung der Ga¯rgyas in den Genealogien des S´B und der BA of a Sage, 151–153. 28 Man soll es unterlassen, mit dem Wort das Wort eines Lehrers und Höhergestellten zu unter¯ pastamba-Dharbrechen. (va¯kyena va¯kyasya pratı¯gha¯tam a¯ca¯ryasya varjayet, ´sreyasa¯m ca, A ¯ Dh] II,5.11–12). Patrick Olivelle, Dharmasu¯˙tras: The Law Codes of masu¯tra [im Folgenden: A ¯ pastamba, Gautama, Baudha¯yana and Vasistha. Annotated text and translation (Delhi: MoA ˙˙ tilal Banarsidass, 2003). Zwar werden die Dharmasu¯tras etwas jünger datiert als die Upanisads. ˙ Jedoch ist die Datierung keineswegs zwingend. In jedem Fall konservieren die Dharmasu¯tras weitgehend alte Normen. Ihr Novum ist die Präsentation von Normen im Rahmen eines Dharma-Genres, nicht ihr Inhalt. Olivelle interpretiert dies als Reaktion auf As´okas DharmaPropaganda. Siehe Olivelle, Explorations. 29 Dass die Niederlage eines Brahmanen gegen einen Ksatriya eine Schmach darstellt, macht S´B ˙ XI,6.2.1–10 deutlich, wo vier Brahmanen (unter ihnen Ya¯jÇavalkya) sich nicht trauen, König Janaka von Videha zu einem Rededuell (brahmodya) aufzuforden, aus Angst, als Brahmanen gegen einen König zu verlieren. Siehe Black, The Character of the Self, 109. 30 Die Darstellung von Brahmanen als arrogant aufgrund ihrer Bildung oder ihres Standes findet ¯ U VI,2.3; ChU V,3.4–5; ChU VI,1.2–3; sich explizit noch in der Beschreibung des S´vetaketu (BA KausU I). ˙ ¯ pastamba-Gr. hyasu¯tra (im Folgenden: A ¯ GS) I,22.5; Pa¯raskara31 Vgl. S´B XI,5.4.5; S´GS II,4.5–6; A Gr. hyasu¯tra (im Folgenden: PGS) II,4. ¯ GS I,20.4; PGS II,2.17; BA ¯ U III,2.13. 32 Vgl. S´GS II,2.11; A 33 Der Begriff pratiloma ist das Gegenteil zu anuloma („normal“). Wie dharmahı¯na („außerhalb des Rechts“), dosa („Sünde“) dharmavyatikrama („Rechtsverstoß“) ist er ein terminus technicus ˙ für unrechtmäßige Handlungen, z. B. für das Verheiraten von Frauen in niedere Stände.
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wertung deckt sich mit Vorschriften der Dharmasu¯tras, wonach ein Brahmane nur in Notzeiten von einem Nichtbrahmanen unterrichtet werden darf, und die kurzzeitig verkehrte soziale Hierarchie nach Abschluß des Studiums sofort wiederhergestellt werden muss.34 Das Motiv ,Ksatriya belehrt Brahmane‘ wird ˙ außerdem durch das Motiv ,Osten besiegt Westen‘ verstärkt: Ga¯rgya-Dr. pta35 Ba¯laki stammt vermutlich aus der Region Kuru-PaÇca¯la im zentralen Nordindien, während Aja¯tas´atrus Stadt Ka¯´si im Nordosten Indiens liegt. Die Region Kuru-PaÇca¯la scheint ein prominentes Zentrum vedisch-brahmanischer Gelehrsamkeit gewesen zu sein,36 während es gegenüber dem Osten, d. h. . dem Gebiet östlich der Yamuna¯ und Ganga¯ vielfach Vorbehalte in den vedischbrahmanischen Texten gibt: Der Osten wurde noch nicht vom rituellen Feuer(-Gott) (agni) erreicht und gilt nicht als Teil des Arier-Landes.37 Der hohe Status der Kuru-PaÇca¯la-Brahmanen sowie eine brahmanische RegionalFehde wird auch in S´atapatha-Bra¯hmana XI,4.1,1–16 und Gopatha-Bra¯hmana ˙ wird Gautama Udda¯laka A ˙ ¯ runi, der (im Folgenden: GB) I,3.6 dargestellt. Dort ˙ die Brahmanen des Nordens zu Disputationen herausfordert, von dem lokalen Brahmanen Svaida¯yana besiegt und belehrt. Vorher versetzt er die lokalen Brahmanen jedoch aufgrund seiner bloßen Herkunft in Angst: Da bekamen die Brahmanen aus dem Norden Angst (und sagten sich): „Wahrlich, dieser Udda¯laka kommt. Er ist ein Brahmanensohn, ein Brahmane aus Kuru-PaÇca¯la.“ (tad dhodı¯cya¯n bra¯hmana¯n bhayam vivedodda¯lako ha va¯ ayam a¯ya¯ti kau˙ ˙ rupaÇca¯lo brahma¯ brahmaputrah, GB I,3.6) ˙
Solche Darstellungen des Sieges über Kuru-PaÇca¯la-Brahmanen dürften für die jeweiligen Texte, dessen Protagonisten oder deren Lehre einen Anspruch auf Kompetenz und Legitimität bedeutet haben. Der Schluss der Version in der Kaus¯ıtaki-Upanisad, der dazu noch den Schluss des gesamten Textes darstellt, ˙ ärkeres Gewicht erhält, lehrt, dass Indra mit diesem Wissen und ˙somit noch st die Dämonen besiegt hat, und Oberhoheit (s´raisthya), Souveränität (sva¯ra¯jya) ˙˙ und Herrschaft (adhipatya) über die Götter bekam. Ebenso bekomme man mit diesem Wissen Oberhoheit, Souveränität und Herrschaft über die Wesen (KausU IV,20). Ähnlich wie bei der Lehre vom a¯tman vais´va¯nara („das Selbst aller ˙Menschen“) in Cha¯ndogya-Upanisad V,11.5 wird dadurch ein Kausal˙
34 Es wird überliefert, dass ein Brahmane der Lehrer ist, aber in der Not darf ein Brahmane bei einem Adligen oder einem Vais´ya studieren und hinter ihm hergehen. Danach soll der Brahmane (wieder) der Erste beim Gehen sein. (bra¯hmana a¯ca¯ryah smaryate tu, a¯padi bra¯hmanena ˙ ˙ ˙ ra¯janye vais´ye va¯dhyayanam, anugamanam ca pas´ca¯t, tata u¯rdhvam bra¯hmana eva¯gre gatau ˙ ˙ ˙ ¯ sya¯t, ADh II,4.24–27). Eine Notregel ist die Wissensaneignung eines Brahmanen von einem Nichtbrahmanen, (ebenso) das Hinterhergehen und die Gehorsamkeit. Wenn er fertig ist, ist der Brahmane (wieder) der Höhere (a¯patkalpo bra¯hmanasya¯bra¯hmana¯d vidyopayogah, anuga˙ ˙ ˙ manam ´susru¯sa¯, sama¯pte bra¯hmano guruh, GDh VII,1–3). ˙ ˙ ˙¯ ˙ 35 Im großen Wissenswettstreit in BA U III wird seine Klan-Angehörige Ga¯rgı¯ Va¯caknavı¯, die als Endgegnerin (!) gegen Ya¯jÇavalkya antritt, unter die Kuru-PaÇca¯la-Brahmanen gezählt. 36 Black, The Character of the Self, 13 f. 37 Bronkhorst, Greater Magadha, 1 f.
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zusammenhang zwischen dem Wissen der Ksatriyas und deren weltlicher ˙ der Cha¯ndogya-Upanisad Herrschaft angedeutet. Bei der Fünf-Feuer-Lehre wird dieser Zusammenhang sogar explizit, als König Prava¯hana Jaivali ˙ zu ¯ run¯ı sagt: Udda¯laka A ˙ „So ist vor dir dieses Wissen nie an Brahmanen gelangt. Und daher ging in allen Ländern die Herrschaft nur an den Ksatra.“ (yatheyam na pra¯ktvattah pura¯ vidya¯ ˙ ˙ ˙ bra¯hmana¯n gacchati, tasma¯d u sarvesu lokesu ksatrasyaiva pras´a¯sanam abhu¯d iti, ˙ ˙ ˙ ˙ ChU V,3.7)
Dies scheint jedoch kein brahmanisches Zugeständnis an die Wissenstradition der Ksatriyas zu sein, denn die Fünf-Feuer-Lehre und die a¯tman-Lehre werden in ˙früheren Texten bereits ohne Bezug zur Ksatriya-Tradition prä˙ sentiert.38 Vielmehr könnte dies einen brahmanischen Anspruch auf weltliche Herrschaft darstellen, da die Texte schließlich die brahmanische Übernahme des Ksatriya-Wissens und ihrer Herrschaftskompetenz inszenieren. Da in vielen ˙Geschichten der frühen Upanisads entweder die Wissensträger oder Wissensempfänger und/oder die Art˙ und Weise der Wissensvermittlung kontranormativ sind,39 präsentieren die behandelten Belehrungsgeschichten auch eine kontranormative Wissenssoziologie. Die Präsentation des Mehrwissens geht meist mit einer Unterordnung des herkömmlichen vedischbrahmanischen Wissens, des Textkorpus oder des Rituals einher.40 Auch das häufige Motiv des Zurückhaltens von Wissen durch die Wissensträger und ihre Herkunft aus dem sozialen, oder im Fall des Motivs ,Osten besiegt Westen‘, aus dem territorialen Abseits markieren die Besonderheit des UpanisadWissens. Daher ist es plausibel, auch die Wissenstypologie der Upanisads˙ als ˙ Wiskontranormativ zu bezeichnen. Dies ist auch insofern naheliegend, da senssoziologie und Wissenstypologie in den Geschichten gekoppelt sind: So wie das besondere Wissen das herkömmliche Wissen relativiert, relativieren die Träger oder Empfänger dieses Wissens die herkömmlichen religiösen Spezialisten. Da in den Belehrungsgeschichten der frühen Upanisads der je˙ lediglich weilige Lehrinhalt im Vordergrund steht und die erzählenden Teile zur Präsentation von Lehren dienen, scheint die inhaltliche Funktion sowohl 38 Black, The Character of the Self, 101 f. 39 Weitere kontranormative Elemente in den frühen Upanisads sind die Initiation trotz unklarer ˙ Standeszugehörigkeit (Satyaka¯ma), die Belehrung einer Frau (Maitreyı¯), die Niederlagen von Brahmanen gegen Ksatriyas im Rededuell, grober Umgang (Ya¯jÇavalkya, Raikva, Usasti Ca¯˙ ˙ kra¯yana), die Gelehrtheit von Frauen (Gandharva-besessene Frauen, Ga¯rgı¯ Va¯caknavı¯, Mait˙ reyı¯), die Belehrungen außerhalb der orthodoxen Lehrer-Schüler-Tradition (Satyaka¯ma, Upakosala) sowie körperliche Unreinheit eines Lehrers (Raikva). Wortmann, Wissen aus dem Abseits, 55. 40 Explizit reflektiert wird diese Hierarchisierung erstmals in der Mundaka-Upanisad und zwar in ˙˙ ˙ der Unterscheidung zwischen höherem (para¯) und niederem (apara¯) Wissen. Das höhere ist das Wissen um das Selbst (a¯tman), das niedere besteht aus vedischen Ritualen. Patrick Olivelle, Upanisads. Translated from the Original Sanskrit by Patrick Olivelle (Oxford/ New York: Oxford ˙ University Press, 1996), 266.
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der kontranormativen Wissenssoziologie, als auch der Wissenstypologie in der Darstellung der Überlegenheit bzw. Wirkmacht der präsentierten Lehren zu liegen. Diese Lehren sind de facto neu, werden aber mit dem Argument der Geheimlehre oder der besonderen Quellen als altes Wissen präsentiert. Neben dieser kognitiven, inhaltlichen Funktion ist es angebracht, auch systematischliteraturwissenschaftliche Überlegungen über kontranormative Elemente anzustellen. Aufgrund der bereits angesprochenen Nähe der Belehrungsgeschichten zur Volksliteratur bieten sich dafür Erkenntnisse aus der Volksliteraturforschung bzw. Narratologie über Normverletzung an.41 Von den Gattungen der Volkserzählung kommen die Belehrungsgeschichten der alten Upanisads, zumindest ihre erzählenden Teile, dem Schwank am nächsten.42 ˙ ihm teilen sie formal den schlichten Aufbau, Realitätsbezüge43 sowie Denn mit mindestens einen Wendepunkt. Inhaltliche Parallelen bestehen in der Wettbewerbssituation, der deutlichen Ausmalung von Sieg und Niederlage sowie in überraschenden, teilweise derben oder obszönen Normverletzungen. Diese dienen im Schwank meist, aber nicht nur, der Komik. In den Belehrungsgeschichten der Upanisads kann zwar Komik nicht identifiziert werden. Jedoch ˙ ist ein plausibler Effekt von Normverletzungen, der letztendlich zu Komik führen kann, aber nicht muss, und daher auch den Belehrungsgeschichten zugrunde zu liegen scheint, der Überraschungseffekt. Soziolinguistische und kognitionspsychologische Arbeiten zeigen, dass Überraschung neben Spannung und Neugier zu den essentiellen affektiven Komponenten von Erzählungen gehört um diese zu befriedigenden, erinnerbaren und damit traditionswerten Texten zu machen.44 Dabei ist davon auszugehen, dass die überraschende Normverletzung im Idealfall so dosiert ist, dass sie der Geschichte zwar ein Profil gibt, aber einen gewissen Grad an Anstößigkeit nicht überschreitet. Es ist klar, dass sich die kontranormativen Elemente der behandelten Geschichten oft an dieser Schwelle befinden, da einige Elemente in parallelen oder späteren Versionen getilgt wurden. Somit kann die Funktion der kontranormativen Belehrungsgeschichten auf kognitiver Ebene in der Darstellung der Macht der präsentierten Lehren und Lehrer und auf affektiver Ebene in einem Überraschungseffekt bestehen. Diese Funktionen auf kogni41 Hermann Bausinger, „Norm und Normverletzung“, Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung Bd. 10, Rolf Wilhelm Brednich und Hermann Bausinger (Hg.) (Berlin et al.: de Gruyter, 2002), 85–96 sowie Hermann Bausinger, „Schwank“, Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung Bd. 12, Rolf Wilhelm Brednich und Hermann Bausinger (Hg.) (Berlin et al.: de Gruyter, 2007), 318–332. 42 Vgl. Bausinger, „Schwank“. 43 Unter Realitätsbezug wird narratologisch nicht die Wiedergabe von Realität verstanden, sondern lediglich die Verknüpfung einer Handlung oder eines Textes mit realen Personen, Orten oder Epochen. Siegfried Neumann, „Realitätsbezüge“, Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung Bd. 11, Rolf Wilhelm Brednich und Hermannn Bausinger (Hg.) (Berlin et al.: de Gruyter, 2004), 387–400. 44 Martinez und Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, 151.
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tiver und affektiver Ebene dürften zur Attraktivität der Texte und ihrer Lehren beigetragen haben. Als Zwischenbilanz im Hinblick auf Religionsbegegnungen kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die frühen Upanisads interne religiöse Pluralität, d. h. konkurrierende religiöse Spezialisten ˙und wissenssoziologische Paradigmenwechsel mittels anerkennender Unterordnungen bzw. Überbietungen innerhalb expliziter Belehrungsgeschichten verhandeln.
2. Domestizierung von Vollzeit-Askese in den Dharmasu¯tras p Das Verbalnomen dharma, von dhr. „tragen“, „aufrechterhalten“, kann je nach Tradition und Kontext übersetzt werden mit Ordnung, Pflicht, Recht, Lehre. Die Dharmasu¯tras („dharma-Leitfäden“) bilden ein Genre, welches für Könige und Richter für das Strafrecht verfasst wurde, aber auch Vorschriften darüber hinaus enthält. So lehren sie z. B. auch das System der vier Stände (varna), der Lebenslaufrituale (samska¯ra) und der Lebensstadien (a¯´srama) ˙ und ˙sind somit die wichtigsten Texte für die Rekonstruktion der vedischbrahmanischen Religion. Da der Begriff Dharma in früheren vedisch-brahmanischen Texten sehr marginal ist, interpretiert Patrick Olivelle das Aufkommen der Dharmasu¯tras als brahmanische Reaktion auf die DharmaKonzepte König As´okas und der Buddhisten.45 As´oka versteht unter Dharma eine simple para-institutionale, zivilreligiöse Ethik, während Buddhisten und Jainas unter den Begriff Dharma ihre sehr spezifischen und komplexen Lehren zusammenfassen. Mit dem analytischen Begriff ,Askese‘ bezeichne ich für das religiöse Feld im alten Indien das durch Observanzen (vrata u. a. Begriffe) festgelegte SichEnthalten von normalerweise erlaubten Arten der Lebensführung und den dadurch definierten liminalen sozialen Status des Praktizierenden. Für die vedisch-brahmanische Religion möchte ich zwischen ritueller ,Teilzeit-Askese‘ und lebenslanger ,Vollzeit-Askese‘ unterscheiden. Rituelle Teilzeit-Askese ist das Einhalten von Observanzen im Rahmen des ´srauta- oder gr. hya-Rituals und dies wird für jeden Opferveranstalter und dessen Frau vorgeschrieben. Vollzeit-Askese hingegen ist das (prinzipiell lebenslange) Einhalten von Observanzen, häufig im Rahmen des Eintritts in einen asketischen Orden. Auch die objektsprachliche Unterscheidung ist deutlich: Ein vrataca¯rin („Observanz-Praktizierender“) hält Teilzeitobservanzen ein, während Vollzeitasketen als tapasvin ([Selbst-]„Quäler“), samnya¯sin („Entsager“) oder bhiksu („Bett˙ jedoch beiderseits mit Formen ˙ von Asler“) bezeichnet werden. Dass wir es kese zu tun haben, die auch observanzgeschichtlich miteinander verwandt sind, machen die vielen Überschneidungen zwischen vedisch-brahmanischen 45 Patrick Olivelle, „The Semantic History of Dharma“, Journal of Philosophy 32 (2004), 503 f.
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Ritual- und Asketenobservanzen und den Ordensregeln vedisch-brahmanischer, buddhistischer und jainistischer Asketen deutlich.46 Rituelle TeilzeitAskese gehört seit jeher fest in das vedisch-brahmanische Ritualsystem, jedoch gibt es bereits im R. gveda auch Hinweise auf Vollzeit-Asketen, nämlich nackte bzw. in Lumpen gekleidete, langhaarige Asketen, die gerühmt werden.47 In den Bra¯hmanas gibt es erstmals vereinzelte Polemiken gegen Vollzeit-As˙ darauf hin, dass es bereits früh Vollzeitasketen gab, aber kese.48 Dies deutet auch, dass die vedisch-brahmanische Askesetradition randständig war, noch keine eigene Texttradition entwickelt hatte und die einzigen Textüberlieferer dem nichtasketischen Flügel der vedisch-brahmanischen Religion angehörten. Die Polemik gründet sich auf die Sorge des Mannes um seine Nachtodversorgung durch dessen Sohn bzw. die Vorstellung, der Sohn bilde ein wichtigen Teil des Selbst (a¯tman) des Vaters. Patrick Olivelle fasst die Bedenken gegen Vollzeitaskese in der „theology of debts“49 zusammen, der zufolge jeder Mann seine angeborene Schuld (r. na) gegenüber den Sehern durch ˙ das Veda-Studium, gegenüber den Ahnen durch das Zeugen von Nachkommen, gegenüber den Mitmenschen durch das Gewähren von Schutz und gegenüber den Göttern durch die Opferpraxis zu tilgen hat. Später, auf der Stufe der Dharmasu¯tras, wurde jedoch mit den Lebensstadien des vanaprastha („Waldeinsiedler“) und des samnya¯sin („Entsager“) Vollzeit-Askese bereits ˙ dem obligatorischen Veda-Studium ohne institutionalisiert und sogar nach Familiengründung zur freien Wahl gestellt. Trotzdem findet sich für den Samnya¯sin die Vorschrift, zumindest die Veda-Rezitation nicht zu unterlassen:˙ „Man darf alle Rituale aufgeben, den Veda darf man als Einziges nicht aufgeben. Durch Aufgabe des Veda ist man S´u¯dra; daher darf man den Veda nicht aufgeben.“ (samnyaset sarvakarma¯ni vedam ekam na samnyaset. vedasamnyasana¯c chu¯dras ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ tasma¯d vedam na samnyaset. VDh 10.4) ˙ ˙
Den dreifachen Veda, Keuschheit, Nachkommen, Glauben, Askese, Opfer, Spenden: Welche dies tun, mit denen sind wir zusammen; zu Staub wird und zugrunde geht, wer etwas anderes preist. (trayı¯m vidya¯m brahmacaryam ˙ ˙ praja¯tim ´sraddha¯m tapo yajÇam anuprada¯nam. Ya˙ eta¯ni kurvate tair it saha ˙ ˙ ¯ smo rajo bhu¯tva¯ dhvamsate ‘nyat pras´amsann iti. BDh 2.11.34; ADh 2.24.8). ˙ ˙ Das späteren Rechtstexte (Dharmas´a¯stras bzw. Smr. tis) ,domestizieren‘ das Streben nach Vollzeit-Askese, indem sie die vier Lebensstadien als feste Sukzession vorschreiben (vgl. Manu 6.2) und damit Opferpraxis und Nachkommen im obligatorischen Stadium des gr. hastha sichern. Ohnehin preisen 46 Siehe Thomas Oberlies, „Neuer Wein in alten Schläuchen? Zur Geschichte der buddhistischen Ordensregeln“, Bulletin d’Etudes Indiennes 15 (1997 [erschienen 1999]), 171–204. 47 R. gveda (im Folgenden: RV) 10,136 und 10,154. 48 Das Genre der Bra¯hmanas liegt zeitlich zwischen den Veden und den frühen Upanisads. ¯ ´s˙rama-System. The History and Hermeneutics of a Religious ˙Institution 49 Patrick Olivelle, The A (New York/Oxford: Oxford University Press, 1993), 46–48.
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auch sämtliche ältere Rechtstexte das Stadium des opfernden und Nachkommen zeugenden Haushälters als das höchste. BDh 2.11. 27–34 argumentiert sogar explizit gegen die asketischen Lebensstadien, obwohl er beide als legal betrachtet. Die Strafandrohung bei Ablehnung des Veda durch Asketen, sowie der Versuch, Vollzeit-Askese auf das Lebensende zu verlegen, verdeutlicht die Gefahr nichtvedischer Askese für die vedisch-brahmanische Religion: „Hence the Brahmins thought of canalizing and damming up this current of mysticism by making it into the fourth a¯s´rama“, aber „despite our Brahmins’ efforts, the life of the samnya¯sin escaped their control and went on more or less ˙ 50 outside the orthodox framework“. Bei allem Fehlen von Spuren originär nichtvedisch-brahmanischer Askeseformen lässt sich daher die Entstehung der S´ramana-Traditionen als durch vom vedisch-brahmanischen Kontext abgefallene,˙ sich verselbstständigende Asketen erklären.51 Als Zwischenbilanz dieses Kapitels können wir festhalten, dass Vollzeitaskese als Teil der religiösen Pluralität innerhalb der vedisch-brahmanischen Religion zunächst randständig und teilweise anstößig gewesen zu sein scheint. In den Rechtstexten wird sie aber explizit diskutiert und schließlich von liberalen Brahmanen52 und/oder aufgrund von Konkurrenzdruck von außen legitimiert, allerdings nur unter der Voraussetzung des Einhaltens der Veda-Rezitation. Ähnlich wie in den frühen Upanisads wird in den Dharmasu¯tras die Strategie der expliziten Hierarchisierung ˙bemüht, da asketische Lebensstadien zwar dargestellt und anerkannt, aber dem Hausleben untergeordnet werden.
3. Sozio-rituelle Exklusion in den Dharmasu¯tras Um nun die Haltung der Verfasser vedisch-brahmanischer Texte gegenüber Jainisten und Buddhisten, d. h. religiöse Spezialisten außerhalb der vedischbrahmanischen Religion abzuleiten, soll im Folgenden die sozio-rituelle Organisation der vedisch-brahmanischen Religion genauer dargestellt und die Heterodoxen in diesem System verortet werden. Der analytische Begriff ,sozio-rituelle Organisation‘ soll die grundlegenden Vorschriften der vedischbrahmanisch konzipierten Gesellschaft beschreiben. Darunter fällt die soziale Hierarchie der vier Stände Priester (bra¯hmana), Adel (ksatriya), Volk (vais´ya) ˙ zum vierten ˙ und Diener (s´u¯dra), die deutliche Grenzziehung Stand der S´u¯dras, die Ausschlussmechanismen gegenüber den aus dieser Ordnung „Gefallenen“ (patita) sowie die Grenzziehung gegenüber nichtarischen Landsleuten und 50 Robert Lingat, The Classical Law of India. Translated from the French with additions by J. Duncan M. Derrett (Berkeley et al.: University of California Press, 1973), 51. ¯ ka¯51 Hermann Jacobi, Jaina Su¯tras. Translated from Pra¯krit by Hermann Jacobi. Part 1. The A . ra¯nga-Su¯tra. The Kalpa-Su¯tra. Sacred Books of the East, 22 (Delhi: Motilal Banarsidass, 1994 [Nachdruck d. ersten Aufl. 1884]), XXXII. ¯ ´srama-System, 96. 52 Patrick Olivelle, The A
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Ausländern (ana¯rya und mleccha) innerhalb und außerhalb des Arier-Landes (a¯rya¯varta). Analog dazu steht die rituelle Organisation in verbindliche Lebenslaufrituale und Lebensstadien, von denen der Stand der S´u¯dras allerdings ausgeschlossen ist. In Hinblick auf buddhistische und jainistische Asketen sind vereinzelte Vorschriften über die patanı¯ya¯ni, die „(aus dem Standessystem) zu fall bringende Handlungen“ aufschlussreich: brahmojjham, ¯ Dh 1.21.7), …-na¯stik(a¯h)-… patita¯h, „Vergessen des Brahman/des Veda“ (A ˙ ttih… ity ˙ „Leugner… sind Gefallene“ (GDh 21.1.), yah…na¯stiko na¯stikavr . ˙ ˙ upapa¯taka¯ni, „Wer ein Leugner ist, wer wie ein/von einem Leugner lebt… dieses sind zu Fall bringende Handlungen“ (VDh 1.23). Die älteste Definition von Leugner (na¯stika) liefert das Ma¯nava-Dharmas´a¯stra: „Ein Zweimalgeborener, der aufgrund des Anhängens an der Logiklehre diese beiden Wurzeln (s´ruti und smr. ti) verachtet, ist als Verneiner und Beleidiger des Veda von den Rechtschaffenden auszuschließen.“ (yo ‘vamanyeta te mu¯le hetus´a¯stra¯´sraya¯d dvijah, sa sa¯dhubhir bahiska¯ryo na¯stiko vedanindakah. MDh 2.11.) ˙ ˙ ˙
Der Kommentator Megha¯diti (8. Jahrhundert) erklärt folgendes: „,Es gibt kein Jenseits, es gibt keine Gabe, es gibt kein Opfer‘53, sagt der Leugner.“ na¯sti paraloko na¯sti dattam na¯sti hutam iti na¯stikah.54 An anderer Stelle identifi˙ ˙ Loka¯yatas55 und Jainas. Für ziert Megha¯diti die Leugner mit den Buddhisten, Gefallene, Nachkommen von nicht ins vedische Ritual initiierten Personen und denen, die die rituelle Veda-Rezitation ablehnen, sind eindeutig soziale Ausschlussmechanismen vorgeschrieben: „Mit Gefallenen gibt es keinen ¯ Dh 1.21.5; BDh 2.3.41). Umgang.“ (na patitaih samvyavaha¯ro vidyate. A ˙ ˙ „Diejenigen, deren Vater und Großvater nun nicht initiiert wurden, werden Brahmanenmörder genannt. Zusammenkunft, Essen und Hochzeit mit jenen soll man unterlassen.“ (atha yasya pita¯ pita¯maha ity anupetau sya¯ta¯m te brahmahasam stuta¯h. ˙¯ ˙ ˙ tesa¯m abhya¯gamanam bhojanam viva¯ham iti ca varjayet. A Dh 1.1.32–33) ˙ ˙ ˙ „Er darf alle Rituale aufgeben, den Veda darf er als einzigen nicht aufgeben. Durch die Aufgabe des Veda wird man ein S´u¯dra, deshalb soll er den Veda nicht aufgeben.“ (samnyaset sarvakarma¯ni vedam ekam na samnyaset. vedasamnyasana¯c chu¯dras ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ tasma¯d vedam na samnyaset. VDh 10.4) ˙ ˙
Nach Analyse der sozio-rituellen Grenzen der spätvedischen Religion sind folgende Urteile über jainistische und buddhistische Asketen möglich: Ers-
53 Es wird natürlich nicht die Praxis der Gaben und Opfer geleugnet, sondern die Vorstellung, dass Gaben und Opfer rituelle bzw. karmische Konsequenzen nach sich ziehen. 54 Medha¯tithis Manubha¯sya 2,203. Nicholson, Unifying Hinduism, 168 f. ˙ 55 Der ausschließlich abwertende Begriff loka¯yata ist hochinteressant, da er zweierlei bedeuten kann, je nachdem, ob die Kommentatoren unter loka „Volk“ oder „Welt“ verstehen. Gemeint ist also eine Lehre, die sich „unter dem (gemeinen) Volk erstreckt“, oder eine Lehre, die nur „auf die (sichtbare) Welt bezogen“ ist, d. h. ,Materialismus‘. Siehe Debiprasad Chattopadhyaya, Loka¯yata: A Study in Ancient Indian Materialism (New Delhi: New Age Printing Press, 1973 [Nachdruck d. ersten Aufl. 1959]), 1 f.
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tens die Kategorisierung als Ausländer oder Nicht-Arier aufgrund von regionalen und sprachlichen Kriterien, denn die Asketenorden haben sich im Nordosten Indiens formiert und zunächst mittelindische Dialekte gesprochen. Zweitens als S´u¯dra oder Gefallene, weil sie Asketen sind, die die VedaRezitation aufgegeben haben. Die Kategorisierung als S´u¯dra ist darüber hinaus auch möglich durch den sozialen Kontakt mit S´u¯dras, Nicht-Ariern und Ausländern, die prinzipiell Zugang zu jainistischen und buddhistischen Orden hatten. Drittens als Gefallene, sofern die Asketen leibliche Nachkommen derer sind, die das vedisch-brahmanische Ritualsystem bereits verlassen haben. Die Kategorisierung als S´u¯dra deckt sich mit einem Textbeispiel aus dem buddhistischen AgaÇÇasutta, wo den Brahmanen folgende Worte in den Mund gelegt werden, als sie zwei frisch ordinierte buddhistische Mönche (ebenfalls aus dem Brahmanenstand) kritisieren: „Nur der Brahmane ist der beste Stand, niedrig sind andere Stände. Nur der Brahmane ist der helle Stand, dunkel sind die anderen Stände. Nur Brahmanen reinigen sich, nicht die Nicht-Brahmanen. Nur die Brahmanen sind die Söhne (des Gottes) Brahma¯, aus seinem eigenen Mund geboren, von Brahma¯ geboren, nach Brahma¯s Bild, Brahma¯s Erben. Ihr, ihr habt den besten Stand verlassen und seid zum niedrigen Stand gegangen, d. h. kahlgeschorenen Asketen, Dienern, dunklen Nachkommen aus dem Fuße des Verwandten (Gottes Brahma¯). Das ist nicht gut, das ist nicht recht (…).“ (bra¯hmano va settho vanno, hı¯na¯ aÇÇe vanna¯. bra¯hmano va sukko vanno, ˙ ˙˙ ˙˙ ˙˙ ˙ ˙˙ kanha¯ aÇÇe vanna¯. bra¯hmana¯ va sujjhanti, no abra¯hmana¯. bra¯hmana¯ va brahmuno ˙ ˙˙ ˙ ˙ ˙ putta¯ orasa¯ mukhato ja¯ta¯ brahmaja¯ brahmanimmita¯ brahmada¯ya¯da¯. te tumhe set˙ tham vannam hitva¯ hı¯namattha vannam ajjhupagata¯, yadidam mundake samanake ˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙ ˙˙ ˙ ibbhe kanhe bandhupa¯da¯pacce. tayidam na sa¯dhu, tayidam nappatiru¯pam… DN 27, ˙ ˙ ˙ ˙ 113 DN III 81 [PTS])
Hier wird den Konvertiten vorgeworfen, sich dem Stand angeschlossen zu haben, der aus Brahma¯s Füßen entstanden ist. Da dieser Text auf einer Variante des Purusa-Hymnus des RVanspielt und die Asketen als „Diener“ (ibbha) ˙ bezeichnet werden, muss damit der S´u¯dra-Stand gemeint sein56. Daneben gibt es auch in jainistischen und buddhistischen Strategien Hinweise, die diesen Vorwurf bestätigen. Es sind dies die Strategien der ,Selbst-Brahmanisierung‘ bzw. ,Re-Brahmanisierung‘, die der Einordnung der Jainas und Buddhisten als S´u¯dras oder Gefallene entgegenwirken. Vielfach empfehlen Buddhisten und Jainas sich nämlich als die ,wahren Brahmanen‘, ihre brahmanischen Gegner jedoch als degeneriert und von der asketischen Tradition der Seher abgewi56 Der vorliegende Text enthält eine leicht abgewandelte Variante des Purusa-Hymnus: Der Ur˙ Riese Purusa wird in diesem Fall mit Brahma¯ identifiziert und entlässt die Brahmanen aus dem ˙ Munde. Im RVentstehen sie aus dem Kopf des Purusa. Jens Schlieter sieht darin einen möglichen ˙ Hinweis darauf, dass Nordostindien zur Zeit des Buddha schwach brahmanisiert war. Schlieter, „Did the Buddha emerge from a Brahmanic Environment?“, 145, Anm. 25. Dies ist jedoch keine zwingende Schlussfolgerung, da es auch in vedisch-brahmanischen Texten selbst häufig parallele Versionen bzw. Neuinterpretationen von Mythen und Kosmologien gibt.
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chen.57 Daher stützen sowohl die Analogieschlüsse aus vedisch-brahmanischen Texten, die brahmanischen Aussagen in heterodoxen Texten, als auch die Strategien der Heterodoxen eine soziale Degradierung buddhistischer und jainistischer Asketen als S´u¯dras oder Gefallene.
4. Fazit Die frühen Buddhisten und Jainas, organisiert in asketischen Orden, suchten mittels einer komplexen kompetitiven Strategie (Ablehnung, Unterordnung, Umdeutung und Aneignung) die aktive Auseinandersetzung mit religiösen Konkurrenten und deren Lehren, um sich im religiösen Feld zu platzieren. Diese Strategie deutet m. E. darauf hin, dass sie relativ neue ,Herausforderer‘ waren. Die ersten beiden Abschnitte haben gezeigt, dass die vedisch-brahmanische Religion hinsichtlich interner religiöser Pluralität ebenso explizite und komplexe Strategien bemüht, um neue Lehren und Praktiken zu legitimieren: In den frühen Upanisads wird deutlich auf vedisch-brahmanische Schulen, Regionen und Lehrer˙ Bezug genommen. Dabei gehen die Texte zuweilen so weit, die herkömmliche sozio-rituelle Organisation infrage zu stellen, indem sie die Brahmane-Ksatriya-Hierarchie umkehren oder esoterisches Wissen dem vedischen Ritual ˙überordnen. Ob dies historische soziale Verhältnisse spiegelt oder rhetorisch-narrative ,Spezialeffekte‘ darstellt, sei dahingestellt. Die Dharmasu¯tras diskutieren verschiedene Entwürfe von Lebensstadien. In den meisten Fällen werden jedoch dogmatische Exklusivität und soziale Ausschlussmechanismen vermieden, und es wird versucht, die Auseinandersetzungen in Form einer Hierarchisierung von Lehren, Wissen und Lebensformen zu lösen. Da es keine zentrale brahmanische Lehrinstanz gab und die Priester unter den Brahmanen immerhin im Ritual arbeitsteilig zusammenarbeiten mussten, scheint mir dies die einzig mögliche Strategie gewesen zu sein, eine gewisse Kohäsion in der Vielfalt der vedisch-brahmanischen Religion zu erhalten. Der dritte Abschnitt hat gezeigt, dass die vedisch-brahmanische Religion aufgrund ihrer sozio-rituellen Organisation, d. h. durch das verbindliche Stände- und Ritualsystem, jedoch nicht kompatibel mit andersreligiösen Asketenorden wie dem buddhistischen und jainistischen ist, da diese das System ablehnen bzw. radikal umdeuten. Generelle Vorschriften der Dharmasu¯tras zur sozio-rituellen Ausgrenzung sind leicht auf buddhistische und jainistische Asketen zu beziehen, und diese Vorschriften passen sehr gut zu dem Umstand, dass andersreligiöse Gruppen auch anderswo gar nicht erst genannt oder beschrieben werden. Dies ist m. E. als schweigende Reaktion einer etablierten, 57 Siehe Oliver Freiberger, „Negative Campaigning: Polemics against Brahmins in a Buddhist Sutta“, Religions of South Asia 3.1 (2009), 61–76.
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alteingesessenen Religion zu deuten, die sich (noch) nicht zu einer expliziten Auseinandersetzung mit religiösen Herausforderern gezwungen sieht. Somit ist hier das althergebrachte Bild von den neuen asketischen Reformbewegungen, die einer etablierten vedisch-brahmanischen Religion entgegentreten bestätigt, allerdings mittels anderer Argumente: Haben frühere Forscher stärker dem Inhalt der Narrative geglaubt, habe ich versucht, von den Strategien (kompetitive Rhetorik versus Ignorierung) auf die soziale Position der religiösen Akteure zu schließen.
Caroline Widmer
Religionsbegegnungen im Pa¯li-Kanon: Realhistorische Begegnung oder religiöse Selbstdarstellung?1 1. Einleitung Kaum eine literarische Sammlung, die religionsgeschichtlich so bedeutsam ist, scheint so viele Berichte über Religionsbegegnungen zu beinhalten wie der Pa¯li-Kanon. Zahlreiche Asketen und Brahmanen tauchen als Gesprächspartner des Buddha auf, stellen Fragen, diskutieren mit dem Buddha über verschiedene Aspekte ihrer eigenen Vorstellung oder denen anderer und bekommen die Lehre des Buddha dargelegt. Die Texte berichten auf oftmals sehr lebendige und realistische Weise von nichts anderem als dem Zusammentreffen religiöser Experten, die über religiöse Belange sprechen. Allein im Dı¯gha-Nika¯ya berichten 17 von den insgesamt 34 Suttas von Begegnungen solcher Art, im Majjhima-Nika¯ya sind es von 152 Suttas 40, in denen der Buddha mit Asketen oder Brahmanen spricht.2 Doch nicht nur die quantitativen Gründe können angeführt werden, das Thema Religionsbegegnung im Pa¯li-Kanon zu untersuchen. In seiner 1996 unter dem Titel How Buddhism began veröffentlichten Vortragsreihe schreibt Richard Gombrich solchen Treffen und der Auseinandersetzung mit verschiedenen religiösen Lehren und Lehrern eine zentrale Rolle in der Entwicklung der buddhistischen Lehre zu: „The dharma is the product of argument and debate, the debate going on in the oral culture of renouncers and brahmins (samana-bra¯hmana) […].“3 ˙ ein quasi˙ realhistorisches Eine Religionsbegegnung kann zunächst als Aufeinandertreffen von mindestens zwei historischen Religionen skizziert werden. Versteht man unter einer Religion ein kulturell verankertes Symbolsystem, kann sie jedoch kein eigenständiger Handlungsträger sein: Systeme begegnen sich nicht als solche. Religionsbegegnung muss somit eine Begegnung von mindestens zwei Menschen sein, deren Bezug zu Religion der Aspekt 1 Grundlage der folgenden Ausführungen ist meine Dissertation: Caroline Widmer, Der Buddha und der ,Andere‘: Zur religiösen Differenzreflexion und narrativen Darstellung des ,Andern‘ im Majjhima-Nika¯ya, Critical Studies in Religion/Religionswissenschaft, 9 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015). 2 Tatsächlich ist die Zahl höher (s. u.) und nur 84 Suttas handeln ausschliesslich von Gesprächen zwischen Ordensmitgliedern. 3 Richard F. Gombrich, How Buddhism Began: The Conditioned Genesis of the Early Teachings, Jordan Lectures in Comparative Religion 17, 1994 (London: Athlone, 1996), 13. Hervorhebung im Original.
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ist, der sie in der entsprechenden Begegnung in irgendeiner Weise qualifiziert, so dass sie als deren Vertreter agieren können. Im Idealfall gehören sie unterschiedlichen religiösen Traditionen an, so dass man von einer Begegnung von (verschiedenen) Religionen sprechen kann („Begegnung von Religiösen“). Eine naheliegende Anschlussfrage wäre zum Beispiel, was die begegnenden Menschen als „religiös“ kennzeichnet. So einfach diese Definition auf den ersten Blick scheint, kann das Kompositum Religionsbegegnung jedoch auch anders verstanden werden, indem unterschiedlich auf das Bezugssystem Religion referiert wird. Einerseits kann sich Religion, wie oben dargelegt, auf die Menschen beziehen, die sich begegnen. Andererseits ist Religion auch der Anlass und Inhalt ihrer Begegnung, wenn sie über religiöse Fragen sprechen. Religionsbegegnung ist dann eine „religiöse Begegnung“. Um von einer Religionsbegegnung sprechen zu können, würde es allerdings in jedem Fall genügen, wenn nur einer der Gesprächspartner oder sogar keiner, dafür aber das Gesprächsthema „religiös“ wäre. Die Analyse einer „religiösen Begegnung“ würde weniger auf die persönlichen religiösen Merkmale der Akteure als religionsgeschichtliche Aspekte fokussieren und nach Gesprächsthemen und Inhalten fragen. In Kombination mit der „Begegnung von Religiösen“ handelt es sich bei der Religionsbegegnung oftmals im doppelten Sinn um eine religiöse Begegnung, denn Religion kann auch mehrfach als Bezugssystem auftauchen: Sowohl die Menschen, die sich begegnen, als auch das Setting des Zusammentreffens sind religiös aufgeladen. Und selbst völlig „unreligiöse“ Begegnungen, also wenn weder die beteiligten Personen noch die verhandelten Themen auf den ersten Blick religiös erscheinen, könnten als religiös bezeichnet werden, wenn sie in einem größeren Kontext eine entsprechende, beispielsweise metaphorische Rahmung erhalten und religiös gedeutet würden.4 Als weitere Möglichkeit könnte man Religionsbegegnung aber auch als eine Begegnung einer Einzelperson mit dem „Religiösen“ oder mit „Religion an sich“ verstehen. Mit dieser dritten Art der Begegnung soll die Möglichkeit religionstheoretischer Fragestellungen eröffnet werden. Auch wenn es dabei um Religion als abstraktes Konzept geht, sollen nicht (christliche) eurozentrische oder phänomenologische Vorstellungen evoziert werden. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob sich aus Religionsbegegnungen ein emisches Konzept von Religion oder eine Art von Prototyp des jeweiligen Symbolsystems ableiten lässt. Insofern stellt sich die Frage, um was für eine Art Religionsbegegnung es sich bei den Berichten im Pa¯li-Kanon handelt. Denn je nachdem, für welche der obigen Kompositionsanalysen man sich entscheidet, ist die Auswahl der Texte, die zu untersuchen sind, möglicherweise eine andere. Ein kurzer Blick 4 Im Pa¯li-Kanon werden häufig Gleichnisse erzählt, die vom Buddha entsprechend ausgelegt werden; auch die Ja¯takas, in denen sich nicht selten Tiere begegnen, scheinen auf den ersten Blick „unreligiös“, werden aber durch ihre Rahmung religiös kontextualisiert.
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in die Suttas genügt jedoch, um festzustellen, dass sich für jede dieser Kategorien der Religionsbegegnung Beispiele finden, bzw. man könnte ein und denselben Text gleich mehreren Kategorien zuordnen, da sich keine klare Trennlinie ziehen lässt. Die zuerst aufgeführte Kompositionsanalyse als „Begegnung von (historischen) Religionen“ in Form von Menschen, die diesen Religionen angehören, verbindet beide Zugänge wohl am stärksten. In jedem Fall aber kann die literarische Dimension untersucht werden. Dies führt unvermeidlich zu der Frage, welchem Kommunikationszweck die Berichte von Religionsbegegnungen im Pa¯li-Kanon dienen: Was steht im Mittelpunkt der Darstellung von Religionsbegegnungen? Geht es um die Darstellung des religiösen Umfeldes? Oder um die Darstellung der eigenen Sozialkompetenz? Oder steht vielmehr eine Selbstdarstellung im Zentrum? Diese Fragen nach der literarischen Form stehen im Zentrum der folgenden Ausführungen und zeigen, wie die drei angeführten Verständnisse von Religionsbegegnung in den Pa¯li-Suttas miteinander verknüpft sind.
2. Die literarische und narrative Dimension der Pa¯li-Suttas Verstehen wir den Begriff Religionsbegegnung zunächst als ein Aufeinandertreffen von Vertretern mit verschiedenen religiösen Ansichten, die von ihnen besprochen werden, fällt auf, wie viele Suttas im Pa¯li-Kanon als Gespräche von Brahmanen oder Asketen mit dem Buddha formuliert sind. Dies trifft insbesondere auf das Sutta-Pitaka und das Vinaya-Pitaka zu. Es handelt ˙ buddhistischer sich bei den Texten nicht um rein ˙theoretische Darlegungen Lehrinhalte, sondern um Konversationen, die als Belehrungen von lebendigen Zuhörern dargestellt werden. Diese sind eingebettet in ein Geschehen, das mit einem narrativen setting ausgestattet ist: Nach der obligatorischen Eröffnungsformel „So habe ich gehört“ (evam me suttam) wird berichtet, wie der ˙ Buddha (im Einzelfall auch eines seiner ˙Ordensmitglieder) einen Brahmanen oder einen in die Hauslosigkeit Ausgezogenen trifft. Dabei wird nicht nur beschrieben, wo und wann dieses Zusammentreffen stattfindet, sondern auch unter welchen Umständen. Nach einer mehr oder weniger ausführlichen Begrüßung beginnt das Gespräch oftmals mit einer Frage zu einem religiösen Thema. Diese Frage kann sehr offen oder konkret sein und direkt darauf zielen, die Sicht des Buddha kennenzulernen. Sie kann aber auch aus der Perspektive eines anderen religiösen Deutungshorizontes formuliert sein, die auf dem Hintergrund der buddhistischen Lehre natürlich widerlegt werden muss. Der größte Teil des Suttas nimmt die Antwort auf die Frage im Kontext der buddhistischen Lehre ein, und am Ende des Suttas wird über die Reaktion des Belehrten berichtet. Ein Beispiel einer solchen Begegnung aus dem Sutta-Pitaka ist das ˙
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Aggivacchagotta-Sutta aus dem Majjhima-Nika¯ya (MN 72).5 Dieses Sutta enthält die für die Suttas typische Struktur einer Begegnung zwischen dem Buddha und einem Asketen. Dieser ist auf den ersten Blick als nicht-buddhistischer Hausloser zu erkennen, gehört aber keiner religiösen Bewegung an, die in ihrer Form als feststehendes religiöses System bezeichnet werden könnte oder heute noch in dieser Form besteht. Der Asket Vacchagotta gehört zur vielfältigen und höchst disparaten Gruppe der samana, von denen es gemäß den Pa¯li-Texten zu Lebzeiten des Buddha eine groß˙e Anzahl gegeben haben soll. Das Sutta berichtet, wie der in die Hauslosigkeit ausgezogene Vacchagotta zum Buddha kommt und ihn höflich begrüßt: So habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene in Sa¯vatthı¯, im Jetahain, im Park von Ana¯thapindika. Da begab sich der in die Hauslosigkeit ausgezogene Vacchagotta zum ˙˙ Erhabenen. Nachdem er sich zu ihm begeben hatte, begrüßte er sich mit dem Erhabenen, [und,] nachdem er [auch noch] begrüßende, freundliche Worte mit ihm gewechselt hatte, setzte er sich zur Seite nieder.6
Nachdem sich Vacchagotta gesetzt hat, stellt er dem Buddha eine Reihe von zehn Fragen, beispielsweise, ob er der Meinung sei, dass die Welt ewig sei oder nicht, ob sie endlich sei oder nicht, ob Körper und Selbst (jı¯va) dasselbe seien oder nicht, ob sie verschieden seien oder nicht, ob der tatha¯gata nach dem Tod weiter existiere oder nicht, ob er nicht weiter existiere oder nicht etc. Auf all diese Fragen antwortet der Buddha, dass er nicht dieser Meinung sei. Schließlich fragt Vacchagotta, warum der Buddha all diese Theorien ablehne, und dieser antwortet ihm, dass es sich für einen tatha¯gata nicht gehöre, Theorien solcher Art zu vertreten. Sie seien unnütze Gedankenspielereien, mit Übeln verbunden, zu Verwirrung und Unruhe führend und damit dem nirva¯na und der Erkenntnis nur hinderlich, da diese auf Nicht-Anhaften basiere. So˙sagt der Buddha: Vaccha, Anhängen von Ansichten, dies ist vom tatha¯gata beseitigt.7
Daraufhin fragt Vacchagotta den Buddha nochmals, was nach dem Tod eines Befreiten geschehe, und der Buddha sagt ihm, er stelle die falschen Fragen. Der Asket ist nun vollends verwirrt und teilt dem Buddha dies offen mit, und der Buddha erklärt ihm, dass der dhamma eben schwer zu begreifen sei. Dennoch erläutert er ihm ein Gleichnis, in dem es um die Frage geht, was mit der 5 Sämtliche Übersetzungen aus dem Majjhima-Nika¯ya basieren auf den Ausgaben der Pali Text Society : The Majjhima-Nika¯ya. Vol. I, edited by Vilhelm Trenckner (London: Frowde, 1888) (= MN I); The Majjhima-Nika¯ya. Vol. II., edited by Robert Chalmers (London: Frowde, 1898) (= MN II); The Majjhima-Nika¯ya. Vol. III, edited by Robert Chalmers (London: Frowde, 1899) (= MN III). 6 Atha kho vacchagotto paribba¯jako yena bhagava¯ ten’ upasamkami upasamkamitva¯ bhagavata¯ ˙ ˙ saddhim sammodi sammodanı¯yam katham sa¯ra¯n¯ıyam vı¯tisa¯retva¯ ekamantam nisı¯di (MN I ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ 483,27–484,2). 7 Ditthigatan ti kho vaccha apanı¯tam etam tatha¯gatassa (MN I 486,11). ˙˙ ˙
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Flamme geschieht, nachdem sie erloschen ist. Durch ein Wechselspiel von Fragen und Antworten führt der Buddha ihn zur richtigen Lösung, was Vacchagotta begeistert und dazu motiviert, den Buddha darum zu bitten, ihn als Laienanhänger zu akzeptieren. Da sowohl der Anfang als auch das Ende des Suttas aus standardisierten Formulierungen bestehen, wie man sie fast wortwörtlich auch in anderen Texten wiederfindet, wurden diese Teile des Suttas in der Forschungsgeschichte häufig als narrative Rahmung marginalisiert. Das Hauptgewicht der Quellenarbeit lag stets auf der buddhistischen Lehre, weshalb man die Suttas meist als „Lehrreden des Buddha(s)“, als „teachings“, „discourses“ oder gar „Predigten“ bezeichnete; etwas neutraler, aber mit demselben Fokus ausgestattet, sind Titel wie „Reden“ oder „sayings“.8 Die Konzentration auf die buddhistische Lehre und ihrer Rekonstruktion ist wohl auch dem christlichprotestantisch geprägten Umstand geschuldet, in der Lehre das Zentrum einer Religion zu sehen.9 Es ist jedoch gerade der Einbettung der Lehren als Gespräche in ein narratives setting zu verdanken, dass sie so real erscheinen und den Eindruck erwecken, als seien Religionsbegegnungen mit entsprechenden Debatten zur Zeit des Buddha eher die Regel als die Ausnahme gewesen. Als heutiger Leser gerät man durch die lebensnahe und detaillierte Schilderung der Geschehnisse leicht in Versuchung, die Suttas als historische Dokumentationen einer längst vergangenen oralen Gesprächskultur zu verstehen. Dass es diese tatsächlich gegeben hat, soll im Folgenden nicht bestritten werden. Jedoch müssen die Texte auf dem Hintergrund ihrer Überlieferungsgeschichte in erster Linie als 8 So zu finden in zahlreichen Titeln von Quellensammlungen, wie z. B.: Digha-Nikaya. Die lange Sammlung der Lehrreden. Aus dem Pali uebersetzt und mit Anmerkungen und Erlaeuterungen versehen (Zehlendorf-West: Neu-Buddhistischer Verlag, 1920); The Middle Length Discourses of the Buddha: A New Translation of the Majjhima Nika¯ya, translated by Bhikkhu La¯namoli and ˙ Bhikkhu Bodhi, The Teachings of the Buddha (Boston/Massachusetts: Wisdom Publications, 1995); The Collection of the Middle Length Sayings (Majjhima-Nika¯ya). Vol. I The First Fifty Discourses (Mu¯lapanna¯sa), translated from the Pali by I.B. Horner, Pali Text Society, Translation ˙˙ Series 29 (London: Pali Text Society, 1954); Die Reden Gotamo Buddhos, Aus der längeren Sammlung Dı¯ghanika¯yo des Pa¯li-Kanons übersetzt von Karl Eugen Neumann. Erster Band (München: Piper 1927). Auch literaturgeschichtlich wird das Sutta-Pitaka ausschließlich als ˙ derjenige Teil des Pa¯li-Kanon beschrieben, der die Lehrreden und die inhaltlichen Grundlagen des Buddhismus enthält, vgl. T. W. Rhys Davids, Buddhism: Its History and Literature, (New York: Putnam’s, 1896), 53; Klaus Mylius, Geschichte der altindischen Literatur : Die 3000jährige Entwicklung der religiös-philosophischen, belletristischen und wissenschaftlichen Literatur Indiens von den Veden bis zur Etablierung des Islam (Bern et al.: Scherz, 1988 [erstmals erschienen unter dem Titel Geschichte der Literatur im alten Indien (Leipzig: Reclam, 1983)]), 341–349; Oskar von Hinüber, A Handbook of Pa¯li Literature, Indian Philology and South Asian Studies 2 (Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1996), 23–26. 9 Vgl. ausführlich dazu Gregory Schopen, „Archaeology and Protestant presuppositions in the study of Indian Buddhism,“ History of Religions 31 (1991): 1–23 = in: Gregory Schopen, Bones, Stones, and Buddhist Monks: Collected Papers on the Archaeology, Epigraphy, and Texts of Monastic Buddhism in India (Honolulu: University of Hawai’i Press, 1997), 1–22.
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literarische Werke gesehen werden. Sowohl der Blick in die gesamte indische Literaturgeschichte als auch über das einzelne Sutta hinaus zeigt ein reiches literarisches Erbe: Der wechselseitige Prozess einer Religionsbegegnung ist in den Suttas streng formalisiert und nach einheitlichen literarischen Strukturen verarbeitet. Die Bemühung, bestimmte Inhalte in Form von Debatten festzuhalten, findet sich schon in der vedischen Überlieferung und wird dort als brahmodya bezeichnet. Die Debatten unterliegen bestimmten, ritualisierten Regelungen,10 doch besonders wichtig ist der Ausgang des Disputs, der über den weiteren sozialen Status der Teilnehmer entscheidet: Während das Ansehen des Siegers steigt, muss sich der Verlierer ihm meist als Schüler unterordnen. Auch zahlreiche jainistische Texte sind als Streitgespräche gestaltet,11 so dass sich die Pa¯li-Suttas in ihrer formalen Gestaltung nahtlos in die nahe stehende literarische Tradition einfügen.12 Die Lektüre mehrerer Suttas macht ebenfalls deutlich, dass sich die Darstellungen der Gespräche nach literarischen Gesichtspunkten relativ stark ähneln. Sie folgen immer wieder demselben Muster und generieren damit ein stereotypes Narrativ. Der Vergleich zeigt nicht nur, dass die Suttas häufig als Begegnungen und Gespräche gestaltet sind, sondern auch, dass in ihnen ein immer wiederkehrendes Handlungsmuster entworfen wird. Betrachtet man ein ganzes Sutta als in sich geschlossene Texteinheit und bezieht die narrative Rahmung mit ein, ergibt sich eine bestimmte Grundstruktur : Ein Sutta besteht in der Regel aus einer Einleitung (mit Eröffnungsformel), einer Begegnung, einer Belehrung und einem Schluss (mit der Reaktion des Belehrten). Die Belehrung stellt hier nur mehr ein Handlungselement unter mehreren dar. In der Einleitung wird die Grundlage des Berichts über die Religionsbegegnung gelegt. Es wird dargestellt, wo, wann, mit wem und unter welchen Umständen das nachfolgende Treffen stattgefunden haben soll, d. h. es geht in erster Linie um die Raum- und Zeitgestaltung des berichteten Geschehens. In der Begegnung werden die weiteren Figuren eingeführt, die (meist) dem Buddha als Gesprächspartner dienen. Die Brahmanen oder Asketen werden vorgestellt und ein erstes Mal charakterisiert. Anschließend folgt das eigentliche Gespräch in Form einer Belehrung. Sie kann unterschiedlich gestaltet sein: In manchen Suttas ist sie sehr einfach und besteht nur aus einer Frage 10 Vgl. T. Vetter, The Ideas and Meditative Practices of Early Buddhism (Leiden: Brill, 1988); von Hinüber, Handbook, 28–29; Thomas Oberlies, Die Religion des R. gveda. Erster Teil: Das religiöse System des R. gveda, Publications of the de Nobili Research Library 26 (Wien: Institut für Indologie der Universität Wien, 1998), 399–414. 11 Vgl. Colette Caillat, „The Beating of the Brahmins (Uttara¯dhyayana 12),“ in Festschrift: Klaus Bruhn zur Vollendung des 65. Lebensjahres, Nalini Balbir et al. (Hg.) (Reinbek: Verlag für Orientalische Fachpublikationen, 1994), 255–266 sowie Colette Caillat, „Gleanings from a comparative reading of early canonical Buddhist and Jaina Texts,“ Journal of the International Association of Buddhist Studies 26,1 (2003): 25–47. 12 Michael Witzel, „The case of the shattered head,“ Studien zur Indologie und Iranistik 13/14 (1987): 363–415, 408.
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und einer langen Antwort. Oftmals aber enthält sie drei Teile, in denen zuerst eine nicht-buddhistische Lehrmeinung, Lebensweise o. ä. präsentiert wird, die in einem nächsten Abschnitt vom Buddha dekonstruiert und mit einer ausführlichen Darstellung der buddhistischen Gegenposition abgeschlossen wird. Das Ende des Suttas bildet die Reaktion des Asketen oder Brahmanen auf die Belehrung, d. h. er zeigt sich erfreut, möchte Laienanhänger werden oder gar in den buddhistischen Orden eintreten. Dieses Schema lässt sich grundsätzlich in sämtlichen Suttas des Majjhima-Nika¯ya und des Dı¯gha-Nika¯ya erkennen, in denen von Religionsbegegnungen mit Asketen oder Brahmanen berichtet wird. Erst die konkrete inhaltliche Gestaltung (Namen, Orte, Form der Begegnung, Lehrinhalte, Art der Reaktion etc.) gibt dem einzelnen Sutta seinen individuellen Charakter. In komplexeren Suttas wird das Grundschema einfach vervielfältigt oder durch weitere Elemente angereichert. Diese literarische Strukturanalyse eröffnet neben interessanten Vergleichsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb des Kanons auch eine stärkere Gewichtung der narrativen Elemente der Suttas. Sie stellen nicht mehr nur die Rahmung der Lehrrede dar, sondern erlauben es, die Suttas als einzelne, in sich geschlossene Erzählungen zu betrachten. Eine Erzählung lässt sich definieren als eine von einem Erzähler präsentierte, vergegenwärtigende Darstellung eines Geschehens, das zeitlich und räumlich verankert ist, eine Handlungsstruktur beinhaltet und in dessen Zentrum mindestens eine menschliche (oder zumindest anthropomorphe, d. h. mit menschlichen Eigenschaften oder Fähigkeiten ausgestattete) Figur steht. Ein wichtiges Charakteristikum der Suttas als Erzählungen besteht darin, dass der Erzähler meist sehr stark in den Hintergrund tritt. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, darüber zu informieren, wann und wo die Begegnung stattgefunden hat und wer daran beteiligt war. Daneben berichtet er von Handlungen, die nicht aus Reden der am Gespräch beteiligten Figuren bestehen (z. B. wenn eine Figur wütend wird, den Kopf schüttelt oder aufsteht und weggeht). Der größte Teil des Textes ist jedoch in direkter Figurenrede gehalten, wodurch auch die Belehrung selbst integrativer Bestandteil der erzählten Welt wird. Aus dieser Art der narrativen Gestaltung resultiert eine sehr unmittelbare Darstellungsweise, und indem der Erzähler zusätzlich auf realhistorische Ereignisse und Orte verweist, ergibt sich der für die Suttas typische Protokollcharakter.13 In der Narratologie werden solche Gestaltungselemente als bewusst und beabsichtigt eingesetzte Mittel zur Verschleierung der Fiktionalität bezeichnet. Wichtig ist jedoch, dass der Begriff der Fiktionalität nicht zur Kritik am Wahrheitsgehalt des Erzählten eingesetzt wird, vielmehr gilt: „Erzählen ist 13 Vgl. Konrad Klaus, „Zu der formelhaften Einleitung der buddhistischen Su¯tras,“ in Indica et Tibetica. Festschrift für Michael Hahn. Zum 65. Geburtstag von Freunden und Schülern überreicht, Konrad Klaus und Jens-Uwe Hartmann (Hg.), Wiener Studien zur Tibetologie und Buddhismuskunde 66 (Wien: Arbeitskreis für tibetische und buddhistische Studien, 2007), 309–322.
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grundlegend ,fiktional‘ – jedoch nicht, weil es von ,erfundenen‘ oder fantastischen Dingen handelt, sondern weil es auf Bewusstsein(sdarstellung) basiert.“14 Die Suttas als fiktional anzusehen, heißt somit nicht, sie als unwahr abzuqualifizieren, sondern betont, dass sie als literarische Texte komponiert, gestaltet und aus einer bestimmten Perspektive heraus erarbeitet sind und sie darüber hinaus Einblick in Bereiche des Lebens geben, die dem Leser in seiner normalen Lebenswelt verborgen bleiben würden (z. B. die Gedanken oder Gefühle einer Figur). Als erstes Zwischenfazit lässt sich Folgendes festhalten: Ausgehend von der Religionsbegegnung als Begegnung von mindestens zwei Menschen, die unterschiedlich religiös orientiert sind und dies zum Thema ihrer Begegnung machen, legen es die Betonung der literarischen Dimension der Pa¯li-Suttas, ihre literaturgeschichtliche Kontextualisierung, die Analyse ihrer literarischen Strukturen sowie der Einbezug ihrer narrativen Elemente nahe, die in ihnen berichteten Religionsbegegnungen als fiktionale Erzählungen zu lesen. Sie folgen einem bestimmten Kompositionsmuster, das seinerseits zahlreiche Parallelen in der indischen Literaturgeschichte hat. Die Begegnung des Buddha mit Asketen oder Brahmanen ist ein sehr beliebtes Motiv der Texte, das einerseits äußerst einprägsam und realistisch gestaltet ist, gleichzeitig jedoch stark typisierte Formen aufweist und als narratives Stereotyp verstanden werden muss. Gleichzeitig muss aber in Bezug auf die Definition von Religionsbegegnung mit bedacht werden, dass es sich um fiktionale Figuren und nicht um realhistorische Menschen handelt. Die Wichtigkeit einer solchen, kritischen Lektüre wird im folgenden Abschnitt anhand der genauen Betrachtung der Reaktionen am Ende der Suttas illustriert.
3. Die positive Religionsbegegnung als Strukturmerkmal Die narrative Rahmung der Pa¯li-Suttas wurde in der Buddhismus-Forschung nicht nur als literarische Ausschmückung oder Hilfsmittel zur Memorisierung betrachtet, sondern auch als zentrale Informationsquelle zum historischen Umfeld des frühen Buddhismus und der Überlieferungsgeschichte des Kanons genutzt.15 Die Untersuchung der Rahmengeschichten diente somit oftmals der Sammlung von Angaben über das soziale Umfeld, den geografischen Raum und zeitgenössische religiöse Strömungen. Besonders eindrücklich spiegelt sich diese Vorgehensweise beispielsweise das Werk von Richard Fick über Die sociale Gliederung im nordöstlichen Indien zu Buddha’s Zeit von 1897 14 Monika Fludernik, Einführung in die Erzähltheorie, Einführung Literaturwissenschaft (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006), 73. 15 Vgl. dazu Dictionary of Pali Proper Names (DPPN) als lexikalisch angelegtes Werk von Malalasekera: G. P. Malalasekera, Dictionary of Pali Proper Names (London: Murray, 1937/1938).
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wider.16 Fick stellt in dieser Arbeit eine statistisch anmutende Untersuchung an und zählt auf, in welchen Zusammenhängen und wie oft Brahmanen, Haushälter oder Hauslose erwähnt werden. Aufgrund dieser Erhebungen zieht er Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der damaligen Gesellschaft und ihrer Struktur. Immer wieder thematisiert wurde auch die Frage, welche sozialen Kreise der Buddha mit seiner Lehre ansprechen konnte, indem die Texte daraufhin analysiert wurden, mit welchen Figuren der Buddha in den Texten interagierte und wer sich am Ende der berichteten Belehrungen zum Buddha und seiner Gemeinschaft „bekehrte“. Die folgenden Ausführungen zeigen jedoch, dass eine solche historifizierende Lektüre der Texte nicht unproblematisch ist.17 Tatsächlich schließen fast sämtliche Religionsbegegnungen, wie sie in den Suttas dargestellt werden, mit einer positiven Reaktion des Belehrten: Er ist höchst erfreut über das Gehörte, erklärt sich als Laienanhänger oder bittet um die Aufnahme im Orden. Historisch gesehen sind diese Reaktionen von zentraler Bedeutung für eine neu entstehende religiöse Bewegung. Nur die Gewinnung neuer Anhänger kann ihr Wachstum und Überleben gewährleisten. Wie wichtig dieser Aspekt ist, lässt sich beispielweise mit der Geschichte illustrieren, in der erzählt wird, wie der Buddha erst dazu überredet werden muss, seine Erkenntnis an andere Menschen weiterzugeben.18 Ein weiterer zentraler Punkt findet sich auch in den Hinweisen auf die ersten Anhänger des Buddha. Je nach Überlieferung gewinnt er zunächst die Kaufleute Tapussa und Bhallika als Laienanhänger. Erst später kommt es zur Gründung des Ordens, als die fünf früheren Gefährten des Buddha, die sich zuvor von ihm abgewandt hatten, weil er einen neuen Weg einschlagen wollte, um Ordination bitten.19 Die Berichte von Religionsbegegnungen im Pa¯li-Kanon können damit auch als Dokumentation eines Ausbreitungsprozesses gelesen werden, in der überliefert wird, wie sich die Gemeinschaft vergrößert und verbreitet hat. Wie eine Bitte um die Aufnahme in den Orden konkret aussehen kann, lässt sich 16 Richard Fick, Die sociale Gliederung im nordöstlichen Indien zu Buddha’s Zeit. Mit besonderer Berücksichtigung der Kastenfrage. Vornehmlich auf Grund der Ja¯taka dargestellt (Kiel: C. F. Haeseler, 1897). 17 Zu dieser Problematik s. auch: Gregory Schopen, „If you can’t remember, how to make it up: Some monastic rules for redacting canonical texts,“ in Bauddhavidya¯sudha¯karah. Studies in ˙ honour of Heinz Bechert on the occasion of his 65th birthday, Petra Kieffer-Pülz und Jens-Uwe Hartmann (Hg.), Indica et Tibetica 30 (Swisttal-Odendorf: Indica et Tibetica, 1997), 571–582; Schopen macht anhand der Ortsnamen deutlich, wie willkürlich solche „realhistorischen“ Bezüge in den Suttas ausgetauscht werden konnten. 18 Vgl. Ariyapariyesana¯ Sutta (MN 26) 19 Vgl. Maha¯vagga I 4,2–3; Maha¯vagga I 6,10–11; 32–37; vgl. The Vinayapitakam. One of the ˙ principal Buddhist holy scriptures in the Pa¯li language. Vol. I. Maha¯vagga, edited by Hermann Oldenberg (London: Williams and Norgate, 1879). Gemäss Text geschieht dies, noch bevor der Buddha mit der ersten Lehrrede beginnen kann. Auch werden die fünf Asketen bereits zu diesem Zeitpunkt als bhikkhus, also Ordensmitglieder, bezeichnet, obwohl der Orden eigentlich noch gar nicht gegründet ist. Im Ariyapariyesana¯ Sutta (MN 26) hingegen wendet sich der Buddha direkt an die fünf Asketen, die er auch hier bereits vor der Ordination bhikkhus nennt.
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aus dem bereits als Beispiel angeführten Aggivacchagotta-Sutta (MN 72) herauslesen: Ausgezeichnet, mein guter Gotama! Ausgezeichnet, mein guter Gotama! Als ob Umgestürztes aufgerichtet, Verborgenes aufgedeckt, einem Verirrten der Weg erklärt oder eine Öllampe in die Dunkelheit gebracht würde: Augen-Habende werden die Formen sehen! So ist durch den guten Gotama die Lehre auf vielerlei Arten dargelegt worden. Deshalb nehme ich Zuflucht zum guten Gotama, der Lehre und dem Mönchsorden. Der gute Gotama möge mich von heute an als Laienanhänger gelten lassen, der für sein Leben lang Zuflucht genommen hat.20
Liest man die Suttas auf die positiven Reaktionen am Ende der Erzählungen hin, stellt sich schnell der Eindruck einer äußerst erfolgreichen „Missionsarbeit“ ein. Im ganzen Majjhima-Nika¯ya finden sich nur vier Stellen, in denen Asketen nach der Belehrung über die buddhistische Lehre bei ihren ursprünglichen Standpunkten bleiben, die Brahmanen lassen sich allesamt vom Buddha überzeugen.21 Der große Unterschied zu den positiven Reaktionen besteht aber vor allem darin, dass diese Episoden nicht zur Haupthandlung gehören. Sie sind immer in Nebenhandlungssträngen zu verorten und werden immer im Zusammenhang mit Nebenfiguren berichtet. In allen vier Fällen ist die negative Reaktion (bzw. das Ausbleiben einer positiven Reaktion) in einer Vorgeschichte platziert, die den Anlass für eine ausführliche Belehrung bietet, in einem Fall wird z. B. die „misslungene“ Belehrung von einem jungen Novizen vorgenommen und später vom Buddha berichtigt.22 Somit lässt sich festhalten, dass zumindest im Majjhima-Nika¯ya sämtliche ausführlich berichteten Begegnungen mit Brahmanen oder Asketen damit enden, dass sich diese begeistert zeigen von der Belehrung, die sie durch den Buddha erhalten haben. Von negativen oder ausbleibenden Reaktionen wird zwar erzählt, doch scheinen sie keinen annehmbaren Schluss eines Suttas dargestellt zu haben. Denn anders als die positiven Reaktionen auf die Begegnungen stehen die negativen niemals am Ende und bilden niemals den 20 Abhikkantam bho gotama abhikkantam bho gotama seyyatha¯ pi bho gotama nikujjitam va¯ ˙ ˙ ˙ ukkujjeyya paticchannam va¯ vivareyya mu¯lhassa va¯ maggam a¯cikkheyya andhaka¯re va¯ tela˙ ˙ ˙ ˙ pajjotam dha¯reyya cakkhumanto ru¯pa¯ni dakkhintı¯ ti evam evam bhota¯ gotamena anekapa˙ ˙ riya¯yena dhammo paka¯sito esa¯ham bhavantam gotamam saranam gaccha¯mi dhammaÇ ca . ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ bhikkhusanghaÇ ca upa¯sakam mam bhavam gotamo dha¯retu ajjatagge pa¯nupetam saranagatan ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ti (MN I 488,34–489,5). 21 Cu¯ladukkhakkhandha-Sutta (MN 14), Madhupindika-Sutta (MN 18), Cu¯lasaccaka-Sutta (MN ˙ ˙˙ ˙ 35), Upa¯li-Sutta (MN 56). Vor dem Hintergrund dieses Befundes ist es in erster Linie dramaturgisch zu erklären, dass im Maha¯vagga direkt im Anschluss an die Erleuchtung des Buddha von zwei Religionsbegegnungen berichtet wird, die keine „Bekehrung“ der Gesprächspartner ¯ jı¯vaka bewirkten (Begegnung mit einem Brahmanen Maha¯vagga I 2,2–3; Begegnung mit dem A Upaka Maha¯vagga I 6,7–9). 22 Ebenfalls interessant ist, dass es in drei dieser Suttas Angehörige der jainistischen Tradition sind, die die buddhistische Lehre verschmähen und damit in den Kontext der im MajjhimaNika¯ya starken anti-jainistischen Polemik passen.
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Handlungshöhepunkt der Erzählung. Sie werden immer in einen größeren Handlungskomplex eingebettet und am Schluss durch die positive Reaktion der Hauptfigur aufgefangen. Der Buddha wird in der Überlieferung den Vertretern anderer religiöser Bewegungen eindeutig als weit überlegen dargestellt. Dies kann unterschiedliche Gründe haben, wobei in einer kritischen, fiktional-literarischen Analyse nicht primär davon ausgegangen (aber auch nicht unbedingt bestritten) werden kann, dass der Buddha tatsächlich ein äußerst überzeugender Gesprächspartner war. Einerseits kann die konsequente Darstellung positiver Reaktionen am Schluss durch das Genre bzw. das Gattungsformular begründet sein (ein Sutta mit einer Religionsbegegnung unterliegt der Grundregel, dass die Hauptfigur positiv reagiert). Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Ursachen in der Überlieferungsgeschichte bzw. Redaktionsgeschichte der Texte zu suchen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass alle diese Aspekte einen Einfluss auf das heutige Erscheinungsbild der Suttas hatten. Eine redaktionelle Überarbeitung, Glättung und Auswahl der Suttas ist auch deshalb anzunehmen, weil sie gesamthaft eine sehr einheitliche Struktur aufweisen. Entscheidend ist, dass sich das wiederkehrende Muster im Aufbau mit Einleitung, Begegnung, Belehrung und (positiver) Reaktion nicht nur in Texten wiederfindet, die modellhaft als Religionsbegegnungen bezeichnet werden können, also Begegnungen zwischen dem Buddha und Brahmanen bzw. Asketen. Vielmehr lässt sich die schematische Gliederung auch in Suttas erkennen, in denen davon berichtet wird, wie der Buddha mit Haushältern, Laienanhängern und Ordensmitgliedern zusammenkommt. Auch in diesen Begegnungen enden die Erzählungen mit der Freude der Belehrten. Sowohl strukturell als auch in Bezug auf die Gesprächsthemen sind die Ähnlichkeiten der Suttas so groß, dass es sich diesbezüglich kaum rechtfertigen lässt, Erzählungen von Religionsbegegnungen mit Asketen oder Brahmanen klar von anderen zu trennen. Da bei Haushältern und Laienanhängern im Gegensatz zu Brahmanen und Asketen aufgrund fehlender Zusatzinformationen oftmals keine eindeutige religiöse Identifikation auf der Figurenebene möglich ist, wäre in diesen Begegnungen der Bezug zu Religion vor allem über das Thema des Gesprächs und seinen überlieferungsgeschichtlichen Kontext herzustellen („religiöse Begegnung“). Mit Betonung dieser formalen Aspekte ist die Religionsbegegnung nicht mehr nur eine auf Inhalt, Figur oder Motive referierende Beschreibung, sondern kann im Hinblick auf die Pa¯li-Suttas als gattungsspezifische Bezeichnung verwendet werden.
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4. Religionsbegegnung als Begegnung mit dem Buddha Es stellt sich nun aber die Frage, was es für die Lektüre der Suttas und das Verständnis von Religionsbegegnung bedeutet, Religionsbegegnung quasi als Gattungsbegriff zu verwenden. Bei Erzählungen über Begegnungen mit Asketen und Brahmanen gründet die Bestimmung als Religionsbegegnung in erster Linie auf der Klassifizierung der Figuren und Themen sowie deren Zuordnung zu bestimmten, systemisch definierbaren und uns heute noch zumindest aus der Geschichte bekannten religiösen Strömungen.23 Dies ist verhältnismäßig einfach, weil die Suttas mit relativ konkreten religiös konnotierten Bezeichnungen operieren (bra¯hmana, nigantha u. ä.). Auf der anderen Seite zeugt die Belehrung oftmals von ˙di˙˙ vergierenden religiösen Meinungen, und das letzte Handlungselement beschreibt die Hinwendung einer Figur zum Buddha und seinem Orden – diese beiden Hinweise für religiöse Differenz zwischen den Gesprächspartnern findet sich auch bei Begegnungen des Buddha mit Haushältern, also Figuren, die nicht sofort als Vertreter einer religiösen, nicht-buddhistischen Gemeinschaft erkannt werden können. Bei Brahmanen, Asketen und Haushältern funktioniert die religiöse Grenzziehung binär nach dem Prinzip „in or out“ – buddhistisch oder nicht-buddhistisch. Aus diesem Grund muss man Begegnungen des Buddha mit Haushältern ebenso wie mit Asketen und Brahmanen zu den „Religionsbegegnungen“ zählen. Als Folge erhöht sich im MajjhimaNika¯ya die Zahl der in Betracht kommenden Suttas von 40 auf 65. Bei Begegnungen zwischen dem Buddha und Laienanhängern bzw. Ordensmitgliedern ist diese Grenzziehung eine andere. Um dies zu erläutern, soll zunächst noch einmal auf den narrativen Charakter der Texte eingegangen werden und der narratologischen Analyse der Figurenkonstellation besondere Aufmerksamkeit zukommen. Wie bereits erwähnt, ist in den meisten Suttas der Buddha einer der Gesprächspartner und gleichzeitig derjenige, der die buddhistische Perspektive in der Begegnung vertritt.24 Als „Buddha“ ist er vollständig befreit, hat durch eigenes Bestreben den Weg dahin gefunden und verwirklicht. Er ist der Lehrer mit dem als absolut beschriebenen Wissen und der höchsten Autorität. Der Buddha unterscheidet sich somit sowohl in seiner religiösen als auch sozialen Position von sämtlichen weiteren Figuren, was sich in der Figurenkonstellation der Suttas deutlich widerspiegelt. Seine Position lässt sich im Kontext der gesamten Figurenkonstellation als „Referenzfigur“ beschreiben. Er steht nicht nur als Lehrinstanz im Zentrum der Erzählungen, sondern bestimmt auch das räumliche und zeitliche setting. Alle weiteren 23 Vgl. Zitat oben aus Gombrich, How Buddhism began, 13. 24 Im Majjhima-Nika¯ya gibt es unter den insgesamt 152 Suttas nur drei, in denen der Buddha nicht als handelnde Figur auftritt, weil er, gemäß der Erzählung, vor kurzem verstorben ist: Madhura¯Sutta (MN 84), Ghotamukha-Sutta (MN 94) und Gopakamoggalla¯na-Sutta (MN 108). ˙
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Figuren kreisen wie Satelliten um ihn, und er ist die einzige Figur, die während des gesamten Handlungsverlaufs stabil und unveränderlich bleibt. In Einzelfällen können auch gewisse Ordensmitglieder diese Rolle einnehmen, es wird jedoch stets explizit darauf hingewiesen, dass sie nur als Stellvertreter des Buddha zu verstehen sind.25 Das vierteilige Handlungsschema der Suttas ließe sich prototypisch auch als Begegnung mit dem Buddha bezeichnen. Die Dichotomie der im Pa¯li-Kanon beschriebenen Figuren ist somit besonders im Hinblick auf die Begegnungen mit Laienanhängern und Ordensmitgliedern nicht einfach durch die Kategorien „buddhistisch“ und „nicht-buddhistisch“ zu bestimmen, sondern vor allem durch „Buddha“ und „Nicht-Buddha“. Während es bei der Unterscheidung zwischen „buddhistisch“ und „nichtbuddhistisch“ immer wieder Beispiele gibt, in denen sie sich nicht eindeutig anwenden lässt, ist die Zuordnung zu „Buddha“ und „Nicht-Buddha“ in jedem Fall klar. Sie ist auch absolut und unumstößlich. Eine Figur kann zwar „buddhistisch“ werden, indem sie sich als Laienanhänger erklärt oder in den Orden des Buddha eintritt; beim „Buddha“ ist jedoch nur eine Annäherung möglich. Das Überschreiten dieser Grenze ist aus der Perspektive der Texte nicht vorgesehen. Zwar wird von einigen Figuren berichtet, wie sie arahants werden und damit ebenfalls die Befreiung erlangen, dennoch haben sie nicht denselben Status wie der Buddha. Die genaue Differenzierung bleibt zwar nicht unproblematisch, dennoch gilt in den Texten gewissermaßen das Motto: „To be or not to be the Buddha.“ Mit der qualitativen Absolutheit der Grenze ist auch ein quantitatives Ungleichgewicht zwischen den Figurengruppen verbunden, denn der Buddha Gotama ist, abgesehen von vereinzelten Erwähnungen früherer Buddhas wie dem Buddha Kassapa, im Pa¯li-Kanon der einzige seiner Art. Diese enge Verknüpfung mit der Figur des Buddha und ihre einzigartige Stellung zeigen sich auch im oben zitierten Aggivacchagotta-Sutta (MN 72). Inhaltlich geht der Buddha gar nicht auf die von Vacchagotta vorgetragenen Lehrsätze ein, seine Ablehnung ist grundsätzlicher Art und basiert auf seiner Position als tatha¯gatha. Als solcher bringt er das bereits zitierte Argument vor: Vaccha, Anhängen von Ansichten, dies ist vom tatha¯gata beseitigt.26
Werden auch Zusammentreffen des Buddha mit Laienanhängern und Ordensmitgliedern als Religionsbegegnungen angesehen, kann sich der Begriff und das Konzept von Religionsbegegnung nicht mehr primär an religiösen Systemgrenzen orientieren. Man könnte Religionsbegegnung in diesem Zusammenhang grundsätzlich als „religiöse Begegnung“ verstehen, da sich das berichtete Gespräch einerseits um religiöse Themen dreht und andererseits 25 Im Majjhima-Nika¯ya gibt es sieben solche Suttas: Anuma¯na-Sutta (MN 15), Ma¯ratajjanı¯ya-Sutta (MN 50, Atthakana¯gara-Sutta (MN 52), Madhura¯-Sutta (MN 84), Ghotamukha-Sutta (MN 94), ˙˙ ˙ Gopakamoggalla¯na-Sutta (MN 108) und Bakkula-Sutta (MN 124). 26 Ditthigatan ti kho vaccha apanı¯tam etam tatha¯gatassa (MN I 486,11). ˙˙ ˙
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die Erzählung davon religiös gedeutet wird und darüber hinaus im Kontext einer religiös als bedeutsam erachteten Überlieferung besteht. Die Begegnung mit Laienanhängern und Ordensmitgliedern ist dann eine innerreligiöse Religionsbegegnung und nur als solche von einer transreligiösen zu unterscheiden. Die Gemeinsamkeit aber basiert auf der Struktur der Erzählungen, dem Überlieferungszusammenhang und der Referenzfigur. Insofern ist die prototypische Erzählung einer Religionsbegegnung in den Pa¯li-Suttas immer auch eine Erzählung von der Begegnung mit dem Zentrum der buddhistischen Religion, dem „buddhistisch Religiösen“ an sich. Dieses wird in den Erzählungen durch die Figur des Buddha verkörpert, der nicht nur in der Figurenkonstellation den ausschlaggebenden Dreh- und Angelpunkt darstellt, sondern auch der Prototyp, das höchste Ziel, dem sich seine Lehre widmet: der Befreiung aus dem Leiden, das sich im Kreislauf der Wiedergeburt manifestiert. Religionsbegegnung als „Begegnung mit Religion“ müsste sich demnach inhaltlich nach einem spezifisch (früh-)buddhistischen Verständnis von Religion richten und würde aus religionswissenschaftlich-komparativer Perspektive Vergleiche fordern, die nach den jeweiligen innerreligiös „gefüllten“ Religionsbegriffen fragen.
5. Religionsbegegnung als Mittel der Selbstdarstellung Dass Religionsbegegnung im Pa¯li-Kanon als Begegnung mit der buddhistischen Religion oder mit dem „Buddhistisch-Religiösen“ verstanden werden kann, ist m. E. einer von mehreren Gründen, weshalb die Darstellung der eigenen Lehre eine solch zentrale Rolle in den Suttas spielt. Historisch gesehen liegt die primäre Form der direkten Auseinandersetzung mit divergierenden religiösen Ansichten wahrscheinlich tatsächlich in der realen Begegnung von Menschen, zumindest wenn man von reinen Beobachtungen absieht, die ohne weitere Kontextualisierung vor dem Hintergrund der eigenen Religion gedeutet werden. In Begegnungen findet die Kommunikation unmittelbar statt, und die einzelnen Gesprächsteilnehmer können ihre jeweiligen Standpunkte aus der eigenen Perspektive formulieren. Dies bietet eine äußerst attraktive Gelegenheit zur Selbstdarstellung, denn jeder Gesprächsteilnehmer in einer solchen Situation wird bestrebt sein, den eigenen Standpunkt möglichst überzeugend und stringent zu vermitteln. Dass in den Pa¯li-Suttas der eigenen Lehre besonders viel Raum gewährt wird, hängt mit ihrem literarischen und religionsgeschichtlichen Kontext zusammen. Die Darstellung ist deshalb so einseitig, weil es im Pa¯li-Kanon nicht darum geht, die historische und religiöse Welt der eigenen Entstehungszeit möglichst umfassend und objektiv zu dokumentieren. Vielmehr steht die eigene Entwicklungs- und Erfolgsgeschichte im Zentrum des Interesses. Die Suttas dienen in erster Linie der Selbstdarstellung.
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Auch dies lässt sich am Aggivacchagotta-Sutta (MN 72) eindrücklich illustrieren, weshalb die Argumentationsstruktur dieser Begegnung noch einmal etwas detaillierter betrachtet werden soll: Zunächst fragt Vacchagotta den Buddha, ob er die Lehrmeinung, die er ihm vorträgt, ebenfalls vertrete. Der Buddha antwortet, dass er dies nicht tue und wiederholt dabei die Lehrmeinung: „Wie ist es, mein guter Gotama, hat der gute Gotama die folgende Ansicht: ,Die Welt ist ewig: Dies ist eben wahr, anderes ist töricht.‘?“ – „Nein Vaccha, ich habe nicht die folgende Ansicht: ,Die Welt ist ewig: Dies ist eben wahr, anderes ist töricht.‘“27
Dieses Wechselspiel wird mit allen zehn Lehrmeinungen wiederholt, die Vacchagotta vorstellt. Die einzelnen Lehrmeinungen, die der Asket Vacchagotta präsentiert, werden nicht näher erläutert. Keine von ihnen wird mit weiteren Argumenten oder Belegen ausgeführt, es bleibt einzig bei ihrer Erwähnung. Dann fragt Vacchagotta, worin für den Buddha das Problem bestehe, einer dieser Lehrmeinungen zuzustimmen. Der Buddha antwortet ihm folgendermaßen: Vaccha, diese Art der Ansicht ,Die Welt ist ewig.‘ ist ein Dickicht von Ansichten, eine Wildnis von Ansichten, eine Verdrehung von Ansichten, eine Windung von Ansichten, eine Fessel von Ansichten, sie ist leidvoll, qualvoll, kummervoll, schmerzvoll, sie führt nicht zur Loslösung, nicht zur Auflösung, nicht zur Entwerdung, nicht zur Beruhigung, nicht zur Erkenntnis, nicht zum Erwachen, nicht zum Erlöschen.28
Diese Antwort wird für sämtliche der zehn Lehrmeinungen wiederholt. Dennoch erfahren wir auch in diesem Abschnitt nichts Näheres über die Lehrmeinungen, über ihre Inhalte, über Argumente, die sie bestätigen würden oder über allfällige Figuren, die sie vertreten. Die einzige Information, die man erhält, besteht darin, was der Buddha über sie denkt, und gleich im Anschluss daran wird der Grund dafür angeführt. Im nächsten Abschnitt konzentriert sich das Gespräch auf einen Aspekt in Vacchagottas Fragenkatalog, der nach demselben Schema abgelehnt wird wie zuvor. Dies wird nun allerdings durch den Buddha mit Hilfe einer Metapher erläutert, die Vacchagotta versteht. Die Erwähnung der nicht-buddhistischen Lehrmeinungen dient im Wesentlichen dazu, einen Anlass für die Darlegung der buddhistischen Sichtweise zu bieten. Auch wenn der Ausgangspunkt der Begegnung in Lehrmeinungen liegt, die der Buddha ablehnt, steht im Zentrum der Darstellung eindeutig die buddhistische Lehre, die inhaltlich, argumentativ und metaphorisch dargelegt 27 Kin nu kho bho gotama sassato loko idam eva saccam mogham aÇÇan ti evamditthi bhavam ˙ ˙ ˙˙ ˙ gotamo ti na kho aham vaccha evamditthi sassato loko idam eva saccam mogham aÇÇan ti (MN I ˙ ˙ ˙˙ ˙ 484,5–8). 28 Sassato loko ti kho vaccha ditthigatam etam ditthigahanam ditthikanta¯ram ditthivisu¯kam ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ ditthivipphanditam ditthisamyojanam sadukkham savigha¯tam saupa¯ya¯sam saparila¯ham na ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ nibbida¯ya na vira¯ga¯ya na nirodha¯ya na upasama¯ya na abhiÇÇa¯ya na sambodha¯ya na nibba¯na¯ya samvattati (MN I 485,28–33). ˙
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wird. Dieses Muster findet sich in sämtlichen Suttas wieder. Es gibt zwar Textbeispiele, in denen nicht-buddhistischen Standpunkten mehr Aufmerksamkeit zukommt, doch werden diese immer vor dem Hintergrund einer buddhistischen Perspektive verworfen und ihnen eine noch ausführlichere Darlegung derselben entgegengestellt. Damit dienen die Suttas auch einer dezidierten religiösen Abgrenzung, die im folgenden Abschnitt genauer betrachtet werden soll.
6. Religionsbegegnungen als Mittel der religiösen Abgrenzung Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Suttas durch ihre Formalisierung als Religionsbegegnungen zwar immer wieder auf nicht-buddhistische religiöse Figuren und Themen verweisen, sich im Wesentlichen aber auf die Ausführung der buddhistischen Standpunkte konzentrieren und damit in erster Linie einer Selbstdarstellung dienen. Der Darstellung des Nicht-Buddhistischen kommt damit aber dennoch eine wichtige Rolle zu. Die Konfrontation mit ihm bildet nicht nur den Ausgangspunkt und die Gelegenheit einer Selbstdarstellung, sondern auch eine ideale Reibungsfläche, anhand derer Unterschiede und Besonderheiten aufgezeigt werden können. Vor dem spezifischen Überlieferungshintergrund der Suttas darf jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass das Bild, das dabei von dem religiösen buddhistischen Umfeld entworfen wird, objektive, realhistorische Dokumentationen sind, die man eins zu eins für eine religionsgeschichtliche Analyse übernehmen könnte. Die Darstellung der „Anderen“ ist stark von einem Abgrenzungsbemühen geprägt, das die eigene Position und die damit verbundenen Figuren möglichst positiv erscheinen lassen soll. Besonders deutlich zeigt sich dies in formelhaften und klischeenahen Beschreibungen, die sich an mehreren Stellen im Kanon wortwörtlich wiederholen. Begegnet der Buddha einer Gruppe von Asketen, wird zum Beispiel immer wieder erzählt, wie sie sich untereinander verhalten: Zu dieser Zeit sass der in die Hauslosigkeit ausgezogene Sakuluda¯yi zusammen mit einer grossen Versammlung von in die Hauslosigkeit Ausgezogener, die tumultartig, lärmend, laut verschiedene Geschichten erzählten, wie etwa Geschichten über Könige, Räuber, Minister, Truppen, Gefahren, Kämpfe, Essen, Trinken, Kleider, Betten, Girlanden, Düfte, Verwandte, Fahrzeuge, Dörfer, Ortschaften, Städte, Völker, Frauen, Helden, Strassen, Wasserstellen, Ahnen, Verschiedenes, den Ursprung der Welt, den Ursprung des Ozeans, ob Dinge so oder so sind oder nicht.29 29 Tena kho pana samayena sakuluda¯yi paribba¯jako mahatiya¯ paribba¯jakaparisa¯ya saddhim ˙ nisinno hoti unna¯diniya¯ ucca¯sadda¯ya maha¯sadda¯ya anekavihitam kathentiya¯ seyyathı¯dam ˙ ˙ ra¯jakatham corakatham maha¯mattakatham sena¯katham bhayakatham yuddhakatham anna˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ katham pa¯nakatham vatthakatham sayanakatham ma¯la¯katham gandhakatham Ça¯tikatham ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙
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Als direkter Kontrast wird aber auch erzählt, wie der Anführer der Gruppe seine Anhänger zur Ordnung ruft: Meine Guten, seid leise, macht keinen Lärm, jener Asket Gotama kommt, der Ehrwürdige mag die Stille, lobt die Stille, und wenn er die Versammlung leise [vor]findet, würde er sie für eine halten, zu der man sich begeben soll.30
Die Erzählung schafft eine textinterne, wertende Gegenüberstellung zwischen buddhistischen Idealen und den „Anderen“, die davon abweichen. Da sich diese Textstelle jedoch nicht nur in einem Sutta für eine bestimmte Gruppe von Hauslosen wiederfindet, kann sie nicht charakteristisch und typisch für diese sein, sondern wird als Stereotyp verwendet, um Differenz zu schaffen. Die Darstellung von nicht-buddhistischen Figuren und Lehrmeinungen dient also auch zur Definition von Grenzen. Sie ist gleichfalls Mittel zur Selbstreflexion sowie zur Festlegung und Kommunikation eigener Ideale und Werte – was wiederum der Selbstdarstellung zu Gute kommt. In dieser innerbuddhistischen Differenzreflexion wird die religiöse Andersartigkeit immer an „buddhistischen“ Maßstäben gemessen. Um also festzustellen, ob das Gegenüber „anders“ ist, wird geprüft, inwiefern es mit dem „Eigenen“, sprich dem „Buddhistischen“, übereinstimmt. Wird also die ruhige, freundliche und gemäßigte Unterhaltung unter Ordensmitglieder im ya¯nakatham ga¯makatham nigamakatham nagarakatham janapadakatham itthikatham su¯ra˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ katham visikha¯katham kumbhattha¯nakatham pubbapetakatham na¯nattakatham loka˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙ ˙ kkha¯yikam samuddakkha¯yikam itibhava¯bhavakatham iti va¯ (MN II 29,24–30,8). Franke ver˙ ˙ ˙ weist hier auf die Übersetzungsmöglichkeit „Geschwätz an Strassen“: Rudolf Otto Franke, „Einleitung,“ in Dı¯ghanika¯ya. Das Buch der langen Texte des buddhistischen Kanons, in Auswahl übersetzt von R. Otto Franke, Quellen der Religions-Geschichte 4/8 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht/Leipzig: J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, 1913), XII, Anm. 3. Wegen der parallelen Konstruktion der Komposita wurde wie bei Ramers auch hier im Deutschen eine parallele Übersetzung vorgezogen (Peter Ramers, Die „Drei Kapitel über die Sittlichkeit“ im S´ra¯manyaphala-Su¯tra. Die Fassungen des Dı¯ghanika¯ya und Samghabhedavastu, verglichen mit ˙ ˙ den Tibetischen und Mongolischen. Einführung, Text, Übersetzung, Kommentar, Dissertation Universität Bonn, 1996, 238). Zur Übersetzung von kumbhattha¯nakatham : Auch hier wäre die ˙˙ ˙ Übersetzung „Geschwätz an Wasserstellen“ denkbar. Zur Übersetzung von pubbapetakatham : ˙ Franke verweist hier auf die Übersetzungsmöglichkeit „ghost stories“ (Franke, Dı¯ghanika¯ya, XII, Anm. 5), Ramers entscheidet sich für „Geister früher verstorbener Familienmitglieder“ (Ramers, S´ra¯manyaphala-Su¯tra, 238). Zur Übersetzung von na¯nattakatham : Franke übersetzt ˙ ˙ hier „zusammenhangslose Einzelheiten“, räumt aber ein, dass er in einem anderen Kontext „seichtes unphilosophisches Geschwätz“ wählen würde (Franke, Dı¯ghanika¯ya, XII, Anm. 6). Ramers „die Vielfalt“ (Ramers, S´ra¯manyaphala-Su¯tra, 238). Zur Übersetzung von loka˙ kkha¯yikam : Vgl. Franke, Dı¯ghanika¯ya, XIX, Anm. 3. Diese Textstelle findet sich noch an an˙ deren Stellen im Kanon: Vgl. z. B. Sandaka-Sutta (MN 76); Maha¯sakuluda¯yi-Sutta (MN 77) (ebenfalls auf die Gemeinschaft Sakuluda¯yis bezogen); Samanamandika¯-Sutta (MN 78). Weitere ˙ ˙˙ Zusammenstellungen bei Franke, Dı¯ghanika¯ya, XII, Anm. 2 und Ramers, S´ra¯manyaphala˙ Su¯tra, 242. 30 Appasadda¯ bhonto hontu ma bhonto saddam akattha ayam samano gotamo a¯gacchati appa˙ ˙ saddaka¯mo kho pana so a¯yasma¯ appasaddassa vannava¯dı¯ app’ eva na¯ma appasaddam parisam ˙˙ ˙ ˙ viditva¯ upasamkamitabbam maÇÇeyya¯ ti (MN II 30,10–14). ˙ ˙
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buddhistischen Kontext geschätzt, wird das Gegenteil davon abgelehnt. Andererseits war es aber vielleicht auch erst die Begegnung mit einer unangenehmen asketischen Gruppe, die den Buddha dazu geführt hat, seinerseits das Ideal der ruhigen Versammlung zu schätzen? Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sich unter dieser Perspektive die Darstellung des „Anderen“ als beinahe beliebige Projektionsfläche eignet und in einer engen, wechselseitigen Beziehung mit der Selbstdarstellung steht. Dies zeigt sich auch in der Überlieferung zum Leben des Buddha, wie zum Beispiel im Buddhacarita. Auch wenn dieser Text nicht zum Pa¯li-Kanon gehört, sich einem vollkommen anderen Genre zuordnen lässt und eine ganz andere Überlieferungsgeschichte aufweist, scheint auch hier das Motiv der Religionsbegegnung für den Verlauf der Geschichte(n) von zentraler Bedeutung gewesen zu sein. Da wäre zunächst der Seher namens Asita, der durch seine Weissagung über die Zukunft des neugeborenen Siddha¯rtha großen Einfluss auf dessen Erziehung nimmt. Er sagt dem Vater, dass er einen Sohn bekommen hat, der zum Erwachen geboren wurde. Es freut ihn zwar, dass seinem Sohn eine große Zukunft bevor steht, doch wird er gleichzeitig von Angst überfallen, dass dies das Ende der Herrschaftslinie bedeutet.31 Indem er seinen Sohn gewissermaßen in einen goldenen Käfig steckt, versucht er, das vorausgesagte Schicksal zu ändern.32 Während die Zweifel und die Unzufriedenheit in Siddha¯rtha wachsen, ist es die Begegnung mit einem Bettelmönch, aufgrund derer er sich entscheidet, das väterliche Heim zu verlassen und in die Hauslosigkeit zu ziehen.33 Auch die nachfolgende Suche ist geprägt von Religionsbegegnungen: Die intensive Auseinandersetzung mit verschiedenen Lehren und Praktiken führt den Buddha zu unterschiedlichen Lehrern und Gemeinschaften, jedoch nicht zum gewünschten Ziel. Die Überlieferung stellt klar, dass all diese Wege falsch sind und der Buddha erst eine neue, eigene Methode finden muss, um seinen Wunsch nach Befreiung aus dem Leiden zu verwirklichen. Die Religionsbegegnungen, wie sie im Buddhacarita berichtet werden, waren also ausschlaggebend für den Weg, den man dem Buddha nachsagt. Dies gilt nicht nur für die Tatsache, dass er nach der Begegnung mit einem Bettelmönch überhaupt in die Hauslosigkeit gezogen ist, sondern wesentlich indem deutlich gemacht wird, dass das bereits bestehende religiöse Angebot keine geeigneten Wege für den Buddha darstellten. Das Element der Abgrenzung ist somit auch hier von großer Bedeutung. Dass erzählt wird, welche Praktiken der Buddha ausprobiert hat, wie schnell er sie gemeistert hat und seinen eigenen Lehrern überlegen war, steigert nicht nur die Position des Buddha, sondern hebt insbesondere seine Einzigartigkeit und Überlegenheit und die seiner eigenen Lehre hervor. 31 Buddhacarita I, 57–80; vgl. Life of the Buddha by As´vaghosa, translated by Patrick Olivelle. The ˙ Clay Sanskrit Library (New York: New York University Press/JJC Foundation, 2008). 32 Buddhacarita II. 33 Buddhacarita V.
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Letztlich steht aber auch hier die Befreiung im Zentrum der Abgrenzung, die zunächst diejenigen, die bereits erlöst sind, von denjenigen unterscheidet, die noch nicht erlöst sind. In diese Differenzierung mit eingeschlossen werden in einem nächsten Schritt aber auch solche, die den richtigen, also den „buddhistischen“ Weg zum Ziel eingeschlagen haben. Damit sind sowohl Ordensmitglieder als auch Laienanhänger der Befreiung aus buddhistischer Sicht zumindest graduell näher als Asketen oder Brahmanen, obwohl diese sich selbst als Experten in der Suche nach der Befreiung verstehen. Aus buddhistischer Sicht sind sie aber auf dem falschen Weg. Schlussendlich verkörpert nur der Buddha die Verwirklichung der Lehre in exemplarischer und absoluter Weise und bildet das personale und dogmatische Zentrum der buddhistischen Bewegung. Insofern deckt sich die weiter oben vorgenommene Dichotomisierung Buddha – Nicht-Buddha grundsätzlich mit den Kriterien der buddhistischen Differenzreflexion, wie sie sich in den Suttas anhand von Figuren und Lehrmeinungen wiederfindet. Aus diesem Grund ist ein weiteres Kriterium zur Bestimmung von religiöser Andersartigkeit auch die soziale Nähe zum Buddha und seinem Orden. Dabei werden von den Texten sowohl persönliche, als auch soziale und religiöse Aspekte aufgenommen und miteinander verwoben, z. B. ob eine Figur den Buddha in seiner Position anerkennt und sich an die entsprechenden gesellschaftlich vorgeschriebenen Gepflogenheiten wie einer höflichen Begrüßung o. ä. hält. Der Grad religiöser Übereinstimmung und sozialer Nähe bestimmt letztlich auch die Wertung einer Figur, die damit im Pa¯li-Kanon trotz formelhaften Beschreibungen aus narrativer Sicht niemals pauschal für ganze Figurenkategorien, sondern immer ad personam vorgenommen wird.34
7. Schlussfolgerungen Zum Schluss sollen die Ausführungen noch einmal explizit auf die eingangs formulierte Frage nach dem Kommunikationszweck der Darstellung von Religionsbegegnungen in den Pa¯li-Suttas hin betrachtet und mit den verschiedenen Kompositionsanalysen des Begriffs „Religionsbegegnung“ verknüpft werden. Zunächst wurde anhand des Aggivacchagotta-Suttas (MN 72) die Aufmerksamkeit auf die literarische und narrative Dimension der Quellen gelenkt. Die Suttas wurden literaturgeschichtlich kontextualisiert und struk34 Gombrich verwendet in diesem Zusammenhang den Ausdruck ad hominem, der m. E. aber aus literaturwissenschaftlichen Gründen unpassend ist, da er den Bezug auf realhistorische Menschen suggeriert (vgl. Gombrich, How Buddhism began, 18). Hingegen ist ad personam aus etymologischer Perspektive als „Maske, Rolle, Erscheinung oder Charakter“ im Kontext des antiken Theaters zu verstehen und entspricht damit dem literarischen, narrativen Kontext der deutschen „Figur“.
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turanalytisch betrachtet, so dass sie als formal stereotypisierte Erzählungen gelesen werden können. In Ergänzung zur bisher überwiegenden Lektüre der Suttas als Lehrreden eröffnet diese Perspektive neue Lesarten, Interpretationen und Fragestellungen. Es zeigte sich beispielsweise, dass sich die einheitliche Struktur der Suttas mit Religionsbegegnungen auch in Erzählungen wiederfindet, die von Begegnungen mit Haushältern oder von innerbuddhistischen Begegnungen berichten. Die innerbuddhistischen Religionsbegegnungen mit dem Buddha spiegeln gleichzeitig die Organisation und Struktur des Ordenslebens wieder, in dem der Belehrung der Ordensmitglieder durch den Lehrer eine zentrale Rolle zukommt. Als Beispiel hierfür kann gleich das erste Sutta aus dem Majjhima-Nika¯ya angeführt werden: Mu¯lapariya¯ya-Sutta (MN 1). Das Sutta beginnt mit einem ganz gewöhnlichen und einfachen Einstieg, in dem berichtet wird, wie sich der Buddha an die versammelten Ordensmitglieder wendet:35 So habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene in Ukkattha¯, im Subhagahain, am Fuss ˙˙ eines königlichen Sa¯la-Baums. Da wandte sich der Erhabene an die Mönche: ,Mönche!‘ – ,Verehrter!‘, antworteten die Mönche dem Erhabenen. Da sprach der Erhabene folgendes […]36
Nachdem die Ordensmitglieder dem Buddha ihre Aufmerksamkeit zugesichert haben, erläutert er ihnen den Unterschied zwischen der ungebildeten breiten Masse (assutava¯ puthujjano; wörtl. gewöhnliche Menschen, die [die Lehre] nicht gehört haben), einem fortgeschrittenen Mönch (bhikkhu sekho) und einem tatha¯gata. Auch in diesem Sutta ist der größte Anteil des Textes der Darstellung der buddhistischen Lehre gewidmet. Die Beschreibung der ungebildeten Menschen dient der Kontrastierung und wird aus diesem Vergleich heraus wertend kommentiert. Dem Buddha zu begegnen ist somit religionsgeschichtlich für den Buddhismus, wie er im Pa¯li-Kanon präsentiert wird, sowohl innerreligiös als auch transreligiös die prototypische Form der Vermittlung und Darstellung religiöser Inhalte. Dies ermöglicht es auch, „Religionsbegegnung“ einerseits sowohl in Bezug auf Figuren, Themen und Rahmungen immer gleichzeitig als eine „religiöse Begegnung“, eine „Begegnung von Religiösen“, eine „Begegnung von (historischen) Religionen“ und eine „Begegnung mit der (buddhistischen) Religion“ zu verstehen. Im Zusammenhang mit einer Analyse der Figurenkonstellation konnte aber gezeigt werden, dass sich die Suttas auch 35 Dies ist die häufigste Form des Einstiegs zu Begegnungen zwischen dem Buddha und einer Gruppe von Ordensmitgliedern und findet sich im Majjhima-Nika¯ya beispielsweise 58mal. Nur in drei Suttas beruht der Gesprächsbeginn nicht auf der Initiative des Buddha. Anders ist es in Begegnungen zwischen dem Buddha und einzelnen Ordensmitgliedern: Von 29 solcher Suttas gibt es im Majjhima-Nika¯ya nur vier, in denen der Buddha die Belehrung von sich aus beginnt. 36 Evam me sutam ekam samayam bhagava¯ ukkattha¯yam viharati subhagavane sa¯lara¯jamu¯le tatra ˙ ˙ ˙ ˙ ˙˙ ˙ kho bhagava¯ bhikkhu¯ a¯mantesi bhikkavo ti bhadante ti te bhikkhu¯ bhagavato paccassosum ˙ bhagava¯ etad avoca […] (MN I 1,1–8).
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formal an der Begegnung mit dem Buddha orientieren, die gewissermaßen als Prototyp von Religionsbegegnungen dient und eine klare Unterscheidungslinie zwischen dem Buddha und allen anderen Figuren erkennen lässt. In der Überlieferung wurde die ursprüngliche Vermittlungsform beibehalten und in berichtartige Erzählungen von Religionsbegegnungen umgesetzt, wohl auch um die Texte mit einem vermeintlich realhistorischen setting zu versehen, das fast ausnahmslos in der Lebenszeit des Buddha angesiedelt ist und ihnen damit untrüglich eine bestimmte Autorität verleiht. Die Religionsbegegnung wird damit quasi zum literarischen Urtyp der Suttas. Aus diesem Grund wäre es möglich, den Begriff „Religionsbegegnung“ nicht nur dazu zu verwenden, Inhalte und Figuren zu beschreiben, sondern in Betracht zu ziehen, ihn als Gattungsbezeichnung zu verwenden. In Ergänzung zu Gombrich, der der realen Religionsbegegnung einen wesentlichen Einfluss auf die buddhistischen Lehrinhalte zuschreibt, muss also auch berücksichtigt werden, dass die Religionsbegegnung nicht nur den dharma, sondern vor allem anderen die literarische Form der Überlieferung maßgeblich geprägt hat. Auf der anderen Seite ist gerade die literarische Form der Suttas und ihre Perspektive für unser Bild und unser vermeintliches Wissen über Religionsbegegnungen im frühen Buddhismus ausschlaggebend. Es konnte deutlich gemacht werden, dass Religionsbegegnungen zwar religionsgeschichtlich eine enorm wichtige Rolle im Bestehen und in der Verbreitung eines religiösen Symbolsystems spielen, die Suttas jedoch nicht als Dokumentation eines Missionsprozesses oder gar einer Zeitgeschichte der Lebenswelt des Buddha gelesen werden dürfen. Die fast ausnahmslos zugunsten des Buddha ausfallenden Debatten stellen vielmehr eine intendierte Verschleierung der Fiktion sowie eine ideologisch stark geprägte Überlieferung dar. Die erwähnten Beispiele des Aggivacchagotta-Suttas (MN 72) und des Mu¯lapariya¯ya-Suttas (MN 1) machen ebenso wie die Hinweise auf das Buddhacarita deutlich, wie die Erzählungen von Religionsbegegnungen in erster Linie einer Selbstdarstellung dienen, die nicht selten über eine selbst-konstituierende Abgrenzung verlaufen. Die Kriterien der Abgrenzung werden wie in der Begegnung mit dem Buddha von ihm selbst und seiner Lehre abgeleitet und mit einer entsprechenden Wertung versehen. Unabhängig davon, ob die Begegnung in einem Sutta zwischen dem Buddha und einem Brahmanen oder einem Ordensmitglied stattfindet, der Schwerpunkt der Erzählung liegt auf der Begegnung mit der buddhistischen Lehre, die durch den Buddha verkörpert wird. Dies führt zum Schluss, dass es auch in den Erzählungen von Brahmanen und Asketen im Pa¯li-Kanon nicht um die Darstellung von Religionsbegegnungen oder gar um Informationen über andere Religionen geht. Die Auseinandersetzung mit anderen Religionen in der Religionsbegegnung ist genau wie die Begegnung mit dem Buddha ein literarisches Mittel mit einer rhetorischen Kontrastierung, die der Selbstdarstellung dient. So wie der Buddha des Pa¯li-Kanons kein historischer Buddha ist, sondern eine literarische Figur und ein Träger einer religiösen Botschaft, sind dies auch die Brahmanen und Asketen, von denen
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im Pa¯li-Kanon berichtet wird. Vor dem Hintergrund, dass die Suttas aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem einen innerbuddhistischen Diskurs darstellen, sind die Darstellungen von Religionsbegegnungen allenfalls als Mittel der Abgrenzung und Abwertung anderer, konkurrierender Gruppen zu sehen. Aus diesem Grund scheint mir der Ansatz, im Pa¯li-Kanon nach historischen Informationen über religiöse Gemeinschaften oder Religionsbegegnungen im alten Indien zu suchen, nur bedingt zielführend. Vielleicht ist es sogar, wie im Sutta von Vacchagotta, schlicht die falsche Fragestellung. Auch wenn Religionsbegegnungen sicherlich konstitutiv für die Entwicklung der buddhistischen Gemeinschaft, ihrer Lehre und ihrer Überlieferung waren, ermöglicht die Analyse der Darstellungen von Religionsbegegnungen im kanonischen Kontext vor allem eine Analyse der buddhistischen Selbstdarstellung, für deren Konstitution die Suttas mit ihren vermeintlich protokollarischen Berichten von entscheidender Bedeutung sind. Sie dienen der Selbstvergewisserung und Affirmation und ermöglichen damit dem heutigen Leser in erster Linie keine Begegnung mit Religionsbegegnungen, sondern eine Begegnung mit einer bewusst gewählten, innerbuddhistisch konzipierten Darstellung der buddhistischen Religion.
Oliver Freiberger
Der Buddha als Avata¯ra Zur Analyse von Grenzen zwischen Religionen
Eine sinnvolle Verwendung des Begriffs „Religionsbegegnung“ setzt eine historische Situation voraus, in der sich zwei oder mehr unterscheidbare Religionen begegnen. Wenn es keine Unterschiede gäbe, wären sie identisch, und eine Begegnung könnte nicht stattfinden. So banal dies klingen mag, es wirft die fundamentale Frage auf: Wie kann die Religionswissenschaft Religionen voneinander unterscheiden? Für viele Fragestellungen ist dies kein vordringliches Problem, denn doktrinäre, rituelle und praxisbezogene Traditionsstränge sowie Institutionen erlauben eine pragmatische Zuordnung zu abstrakten Begriffen wie „Buddhismus“, „Hinduismus“, „Islam“ usw. Wenn es aber um Religionsbegegnung in einer konkreten historischen Situation gehen soll, sind wir gezwungen, eine Unterscheidung zwischen den Religionen zu treffen, die sich da begegnen. Wie bestimmt man, ob eine religiöse Praxis, ein bestimmtes Konzept, oder eine andere religiöse Ausdrucksform „buddhistisch“, „hinduistisch“ oder „muslimisch“ ist? Ich möchte die folgende These aufstellen und sie in meinem Beitrag diskutieren. Die Religionswissenschaft besitzt keinen eigenen, objektiven Standard, nach dem sie solche Zuordnungen zu „Religionen“ vornehmen kann. Sie ist vielmehr angewiesen auf die Zuschreibungen religiöser Akteure. Nur wenn in einer historischen Situation Abgrenzungen zwischen Religionen vorgenommen werden, kann auch die Religionswissenschaft über verschiedene Religionen in diesem speziellen Kontext sprechen.1 Allerdings muss sie damit rechnen, so weiter meine These, dass es in einer historischen Situation unterschiedliche und möglicherweise konfligierende Grenzziehungen geben kann. Daneben mögen solche Abgrenzungen auch für manche religiösen Menschen schlicht nicht relevant sein. Nach meiner Auffassung ist daher die Aufgabe der Religionswissenschaft, Grenzziehungen als historische Vorgänge zu beschreiben und zu analysieren. Dadurch wird der Fokus weggelenkt von der Frage, ob eine bestimmte Praxis oder ein Konzept in ihrem Wesen buddhistisch, hinduistisch oder muslimisch „ist“ – eine Frage, die so substanziell gestellt religionswissenschaftlich uninteressant ist –, und stattdessen darauf
1 Das bedeutet nicht umgekehrt, dass jede gezogene Grenze eine Grenze zwischen „Religionen“ ist. Auch innerhalb der Traditionen, die wir gemeinhin als Religionen bezeichnen, gibt es zahllose Abgrenzungen zwischen Schulen, Sekten oder anders gefassten Gruppierungen.
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gerichtet, wie und warum religiöse Akteure solche Zuschreibungen vornehmen. Ich möchte zu Beginn skizzieren, wie eine Analyse von religiösen Grenzziehungen aussehen könnte. Dabei werden sieben Aspekte unterschieden, deren Reihenfolge – bis auf den ersten Punkt – in der Präsentation willkürlich ist und keine analytische Abfolge spiegelt. Anschließend möchte ich die Analyse anhand eines Beispiels aus der indischen Religionsgeschichte verdeutlichen.
1. Sieben Aspekte der Analyse von religiösen Grenzziehungen Der erste Schritt der Analyse ist die Beschreibung des postulierten Grenzverlaufs. Es ist zu untersuchen, in welcher Form und auf welcher Ebene Grenzen gezogen werden, z. B. auf dogmatischer, theologischer oder philosophischer Ebene, bezüglich der Ethik oder sozialer Normen, im Blick auf textliche Autorität, auf religiöse und rituelle Praxis usw. Da solche Grenzen von religiösen Menschen in einer bestimmten historischen Situation gezogen werden, können wir zweitens, wenn die Quellenlage dies zulässt, das Verhältnis von postulierter Differenz und kontextuell belegter Differenz untersuchen. Es ist manchmal möglich zu zeigen, dass Unterschiede viel kleiner erscheinen als von manchen religiösen Menschen oder Texten behauptet, z. B. wenn Differenzen nur in bestimmten Ritualformen bestehen, aber trotzdem ein fundamentaler Unterschied erklärt wird.2 Umgekehrt kann auch empirisch untersucht werden, ob postulierte Übereinstimmungen zwischen Religionen von allen Beteiligten akzeptiert werden, etwa wenn eine Seite erklärt, dass die Gottheiten beider Religionen identisch seien. Drittens muss neben dem genauen Verlauf der postulierten Grenze auch die vorgenommene Deutung der Differenz untersucht werden. Das Spektrum möglicher Deutungen reicht von der totalen Ablehnung des jeweils Anderen über die Ein- oder Unterordnung bis zu seiner vollkommenen Akzeptanz. Letztere ist in der Religionsgeschichte jedoch höchst selten; sie findet sich z. B. in manchen Konzeptionen christlicher pluralistischer Theologie. Manche Religionswissenschaftler klassifizieren Deutungen von Differenz mit den Begriffen Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus. Viertens kann nach dem Umgang mit der Grenze gefragt werden, d. h. konkret nach den Mitteln, mit denen Grenzen ausgedrückt, gedeutet und unter Umständen durchgesetzt werden. Dieser Umgang kann in verschiede2 Siehe dazu die Untersuchungen von Phyllis Granoff in ihren Aufsätzen „Other People’s Rituals: Ritual Eclecticism in Early Medieval Indian Religions“, Journal of Indian Philosophy 28 (2000): 399–424, und „My Rituals and My Gods: Ritual Exclusiveness in Medieval India“, Journal of Indian Philosophy 29 (2001): 109–134.
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nen Bereichen untersucht werden: der Rhetorik in literarischen Produkten wie dogmatischen und apologetischen Traktaten, religiösen Erzählungen und Mythologie, Lehrreden und Hagiographien, Dichtung und Schauspiel und anderen Textformen; dem religiösen Verhalten in Ritualen und Bräuchen; der Kunst und Architektur ; dem religiösem Recht; politischer Unterstützung oder Ablehnung, was sich z. B. in verordneten Religionsgesprächen oder auch in Zwangskonversionen und Krieg ausdrückt. Formen des Umgangs mit postulierten Grenzen werden in der Religionswissenschaft analytisch mit bestimmten Begriffen gefasst, z. B. Synkretismus, Inkulturation, Akkulturation, Verfolgung, Dialog, etc. Warum aber ist es für religiöse Menschen in einer bestimmten historischen Situation überhaupt wichtig, eine Grenze zwischen der eigenen und der anderen Religion festzulegen? Welchen Nutzen ziehen sie daraus, sich und anderen zu versichern, dass sie z. B. Hindus und keine Buddhisten sind? Man kann also, fünftens, nach den Motiven der Abgrenzung fragen. Wenn sie zu ermitteln sind, erscheinen sie oft als ein Geflecht aus religiösen, sozialen, politischen, ökonomischen und anderen Faktoren. Grenzziehungen sind oft eng mit den Interessen bestimmter religiöser Akteure verknüpft. Da durch Abgrenzung zugleich das Eigene definiert wird, kann man sechstens die so konstruierte und affirmierte religiöse Identität untersuchen. Die Bestimmung der religiösen Identität ist manchmal mit der anderer Identitäten verwoben – sozialer, geschlechtlicher, linguistischer, regionaler, nationaler, ethnischer, etc. –, und die Abgrenzung vom jeweils „Anderen“ kann auf mehreren dieser Ebenen stattfinden. Siebtens schließlich muss in der Untersuchung von Abgrenzungssprozessen damit gerechnet werden, einer Pluralität von Grenzbestimmungen zu begegnen, welche im selben Kontext durchaus in Spannung zueinander stehen können. Es ist hier zu fragen, wie sich solche Grenzziehungen historisch entwickeln, wodurch sich Grenzen möglicherweise als instabil erweisen. Anders gesagt, Identitätsbildungen können uneinheitlich und veränderlich sein, und es erscheint lohnenswert, dies im Auge zu behalten.
2. Grenzziehungen im Buddha-Avata¯ra-Konzept In meiner historischen Fallstudie geht es um die Grenze zwischen Hinduismus und Buddhismus im vormodernen Indien. Diese beiden religiösen Traditionen haben eine bewegte gemeinsame Geschichte mit vielerlei Formen gegenseitiger Befruchtung und Abgrenzung.3 Ich möchte mich hier auf ein 3 Siehe dazu die nützlichen Überblicke in Klaus Klostermeier, „Hindu Views of Buddhism“, in: Developments in Buddhist Thought: Canadian Contributions to Buddhist Studies, Roy C. Amore (HG.) (Waterloo, Ont.: Wilfred Laurier Press, 1979), 60–82; Wilhelm Halbfass, „Der Buddha und
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weithin bekanntes Konzept konzentrieren, und zwar die Rolle des Buddha als Avata¯ra des hinduistischen Gottes Visnu.4 Im klassischen Hinduismus gibt es˙ ˙die Vorstellung, dass sich der höchste Gott Visnu in Zeiten der Krise in jeweils unterschiedlicher Gestalt inkarniert ˙ Avata¯ra („Herabkunft“) die Ordnung der Welt wieder herstellt. Die und als ˙ein jeweilige Gestalt, ob in Tier-, Menschen- oder einer anderen Form steht meist in direktem Bezug zur Krise: als Fisch bei einer großen Flut, als Zwerg, um den höchsten Dämon auszutricksen usw. Es sind verschiedene Listen dieser Avata¯ras überliefert, die unterschiedlich lang sind und sich teilweise überschneiden. Meistgenannt und oft als klassisch bezeichnet wird eine Liste von zehn Avata¯ras: Fisch, Schildkröte, Eber, Mann-Löwe, Zwerg, Ra¯ma mit der Axt, Ra¯ma, Kr. sna, Buddha und Kalkin. In der umfangreichen Pura¯na-Lite˙ ˙˙ ratur ist eine reichhaltige narrative Mythologie überliefert, in der die Funktion jedes Avata¯ras beschrieben wird, oft in verschiedenen Versionen. Der Buddha-Avata¯ra hat in den betreffenden Pura¯na-Passagen im wesent˙ sowie die Kritik am lichen zwei Aufgaben: die Irreführung der Dämonen vedischen Tieropfer. Nicht immer werden beide Aufgaben, die, wie zu zeigen ist, durchaus in Spannung zueinander stehen können, zusammen genannt. Als getrennte Beispiele mögen zwei Verse dienen, der eine aus dem Bha¯gavatapura¯na (ca. 8. Jh.)5, der andere aus Jayadevas Gı¯tagovinda (12. Jh.). ˙ Bha¯gavatapura¯na-Vers fasst die eine Funktion dieses Avata¯ra folgenDer ˙ dermaßen zusammen (1.3.24): Wenn das Kali-Zeitalter begonnen hat, wird er unter dem Namen Buddha als Sohn des Jina im Kı¯kata-Volk entstehen, um die Götterfeinde zu verwirren (sammoha).6 ˙ ˙
Dass der Vater des Buddha hier Jina heißt und er unter den Kı¯katas geboren wird, welche im heutigen Gaya¯ lokalisiert werden, kann hier unber˙ücksichtigt bleiben.7 Der Vers nennt sehr klar die erste und für die Pura¯na-Literatur ˙ wichtigste Aufgabe des Buddha-Avata¯ra: die Irreführung der Götterfeinde.
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seine Lehre im Urteil des Hinduismus“, in: Wer ist Buddha? Eine Gestalt und ihre Bedeutung für die Menschheit, Perry Schmidt-Leukel (Hg.) (München: Diederichs, 1998), 176–194; Perry Schmidt-Leukel, „Buddhist-Hindu Relations“, in Buddhist Attitudes to Other Religions, Perry Schmidt-Leukel (Hg.) (St. Ottilien: EOS, 2008), 143–171. Eine nützliche Zusammenstellung von relevanten Stellen bietet Ram Shankar Bhattacarya, „Buddha as Depicted in the Pura¯nas“, Pura¯na 24.2 (1982): 384–404. ˙ ˙ Datierung nach Adalbert Gail, Bhakti im Bha¯gavatapura¯na: Religionsgeschichtliche Studien zur ˙ Idee der Gottesliebe in Kult und Mystik des Visnuismus (Wiesbaden: Harrassowitz, 1969), 9–16; ˙˙ siehe auch unten. Tatah kalau sampravr. tte sammoha¯ya suradvisa¯m j buddho na¯mna¯ jinasutah kı¯katesu bhavisyati ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ ˙ (BhP 1.3.24). The S´rı¯mad-Bhagavata Maha¯pura¯nam (Text with English Translation, Notes and ˙ Index), Manmatha Nath Dutt (ed.) (Delhi: Eastern Book Linkers, 2009), 8. Warum hier, wie auch an anderen Stellen, der Vater des Buddha Jina oder Ajina heißt, müsste noch näher untersucht werden. Möglicherweise ist jinasuta auch im Sinne von „als Buddha geboren“ zu verstehen, was allerdings eine ungewöhnliche Verwendung von suta als zweitem Glied eines Kompositums wäre. Ferner ist jinasuta in Maha¯ya¯na-Texten auch eine Bezeichnung
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Im Gı¯tagovinda wird die andere Aufgabe zusammengefasst. Vers 1.13 sagt: Du, der du mit einem gnädigen Herz erschienen bist, verurteilst die Tiertötung, die leider wegen der Vorschrift zu opfern aus den vedischen Texten entsprungen ist. O Kes´ava, der Du den Körper des Buddha anlegtest, Sieg sei Dir, o Hari, Herr der Welt!8
Hier wird also Visnu in seiner Gestalt als Buddha dafür gepriesen, dass er sich ˙ gegen das blutige˙ Opfer wendete. Ich möchte nun eine Variante des Mythos vom Buddha-Avata¯ra näher betrachten, in der beide Funktionen genannt sind und die noch einige weitere interessante Elemente enthält. Diese Version ist im Visnupura¯na überliefert, ˙˙ ˙ frühe sektaeinem Text, der neben dem Bha¯gavatapura¯na als bedeutendste ˙ rische Schrift der Visnu-Anhänger gilt. Da die Datierung von Pura¯nas im ˙ die ˙˙ allgemeinen eine schwierige Unternehmung ist, überrascht es nicht, dass Datierungen, die Forscher für das Visnupura¯na vorgeschlagen haben, von 700 ˙ ˙ Spanne von über 1700 Jahren.9 v. Chr. bis 1045 n. Chr. reichen – eine Die meisten Forscher datieren das Visnupura¯na in eine frühe Phase der ˙ ˙ erscheint ˙ Pura¯naliteratur. Es ist vergleichsweise kurz, in allen Listen der 18 ˙ Maha¯pura¯nas, weist in nahezu idealtypischer Weise die traditionellen fünf ˙ eines Pura¯na (pura¯napaÇcalaksana) auf und wird in anderen Kennzeichen ˙ oft zitiert. ˙ ˙ 10 Pura¯nas und Kommentaren R.C.˙ Hazra trägt in seiner 1940 er˙ schienenen Arbeit über Bräuche und Riten in den Pura¯nas einige Datie˙ rungshinweise zusammen und diskutiert sie kritisch. Die meisten Argumente beruhen dabei auf der Annahme, dass Texte historisch generell erweitert und inhaltlich verfeinert wurden. Das Visnupura¯na wird inhaltlich mit anderen ˙˙ ˙ dass manche Geschichten in Texten verglichen, und aus der Feststellung, diesen Texten ausführlicher erzählt werden oder dass Lehren ausgefeilter formuliert werden, schließt man, dass das Visnupura¯na älter sei.11 Auch wenn ˙˙ ˙ ist dieses Verfahren viele dieser Argumente generell plausibel erscheinen, nicht verlässlich, da die Grundannahme, dass Texte nur erweitert, nicht aber gekürzt wurden, nicht allgemeingültig ist. Auch ist die Entscheidung, was eine
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für Bodhisattvas („Sohn des Siegers“, d. h. des Buddha), was den Verfassern ebenfalls bekannt gewesen sein könnte. Ich danke meinen Kollegen Joel Brereton, Donald Davis und Patrick Olivelle für eine lebhafte Diskussion über diese Frage, deren Ergebnis war, dass dies eine weitere Untersuchung verdient, die allerdings hier zu weit vom Thema wegführt. Nindasi yajÇavidher ahaha ´srutija¯tam j sadayahr. dayadars´ita pas´ugha¯tam jj kes´ava dhr. tabuddhas´arı¯ra jaya jagadı¯´sa hare (Gı¯tagovinda 1.13). N. S. R. Ayengar, Gı¯tagovindam : Sacred ˙ Profanities: A Study of Jayadeva’s Gitagovinda, Original Sanskrit Text with English Translation (Delhi: Penman, 2000), 172. Ludo Rocher referiert in seinem Überblick zwölf verschiedene Datierungsversuche: The Pura¯nas, A History of Indian Literature II.3 (Wiesbaden: Harrassowitz, 1986), 249. ˙ Siehe Moriz Winternitz, Geschichte der indischen Litteratur, Bd. 1, 2. Ausg. (Leipzig: C.F. Amelangs, 1909), 455–463; Willibald Kirfel, Das Pura¯na PaÇcalaksana: Versuch einer Textge˙ ˙ ˙ schichte (Leiden: Brill, 1927), IX–IL; Rocher, The Pura¯na¯s, 245–249. ˙ R.C. Hazra, Studies in the Pura¯nic Records on Hindu Rites and Customs (Calcutta: Abinas Press, ˙ 1940), 19–26.
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inhaltliche Weiterentwicklung darstellt, oft Erwägungssache – abgesehen von der komplizierten Überlieferungsgeschichte der Pura¯nas, wo oft einzelne Abschnitte eines Pura¯na deutlich älter sind als andere. ˙Die Betrachtung der ˙ bestimmter Motive ist wichtig und interessant, aber inhaltlichen Entwicklung für eine Datierung ganzer Pura¯nas kann sie nur mit Vorbehalt dienen. ˙ konkretere Hinweise auf die Datierung des Es gibt allerdings einige etwas Visnupura¯na. Hazra macht darauf aufmerksam, dass dieses Pura¯na die Nak˙ ˙ ˙ – astrologische ˙ satras Mondhäuser – in einer alten Reihenfolge nennt, welche ˙man gegen Mitte des 6. Jahrhunderts durch eine neue ersetzte, die nachfolgend verwendet wurde.12 Hazra datiert das Visnupura¯na schließlich ans Ende ˙˙ ˙ des dritten oder Anfang des vierten Jahrhunderts. Adalbert Gail stimmt in einer Studie aus dem Jahr 1969 weitgehend mit Hazras Argumenten überein, datiert aber das Bha¯gavatapura¯na, das andere bedeutende sektarische Pura¯na ˙ ätere Zeit, wodurch auch das Visnupura¯n˙ a der Visnu-Anhänger, in eine sp ˙ ˙ ˙ upura¯na ˙ vorrückt. Er nennt außerdem zwei weitere Hinweise aus dem Vis˙ n ˙ ˙ selbst: In einer geographischen und topographischen Beschreibung Indiens werden die Hunnen (hu¯na¯h) erwähnt, welche im 5. Jahrhundert n. Chr. Teile ˙ ˙ (2.3.17). Dadurch ergibt sich ein weiterer termiNordindiens erobert hatten nus post quem – zumindest für diese Liste.13 Zum anderen wird, wie wir gleich sehen werden, in einer Passage zwar beschrieben, wie Visnu in der Gestalt des ˙ ˙ – das Wort avata¯ra Buddha erscheint, aber er wird nicht als Avata¯ra vorgestellt wird nicht genannt, und das Konzept des Buddha-Avata¯ra als neuntem Avata¯ra Visnus fehlt völlig. Die älteste recht sicher datierbare Erwähnung der „klas˙˙ sischen“ zehn Avata¯ras, einschließlich des Buddha, findet sich in einer PallavaInschrift aus dem 8. Jahrhundert.14 Gail schließt daraus, dass das Visnupura¯na ˙˙ ˙ 12 Hazra, Studies in the Pura¯nic Records, 22. Demzufolge erklärt der Astronom und Astrologe ˙ Vara¯hamihira, dass das System während seiner Lebenszeit umgestellt worden sei – von Kr. ttika¯ bis Bharan¯ı ist die alte Liste, von As´vinı¯ bis Revatı¯ die neue. Vara¯hamihira wird ins 6. Jahr˙ hundert datiert. 13 Gail, Bhakti im Bha¯gavatapura¯na, 10. Gail sagt, dass die Hunnen zweimal erwähnt würden und ˙ verweist auf H. H. Wilsons Übersetzung: The Vishnu Purana: A System of Hindu Mythology and Tradition (Calcutta: Punthi Pustak, 1979 [1840]), 143 und 161. Er versäumt zu erwähnen, dass sich die letztere Stelle in einem Textstück befindet, das wörtlich aus dem Maha¯bha¯rata (6.10.64) übernommen wurde, was in Wilsons Übersetzung nicht erkennbar ist. Sowohl die unten verwendete als auch eine andere mir zugängliche Edition (Visnu Pura¯na, mit Hindi-Kommentar ˙˙ ˙ ¯ ca¯rya, Bd. 1 [Bareli: Samskr. ti Samstha von S´rı¯ra¯ma S´arma¯ A ¯na, 1967], 375–380) markieren ˙ diesen Einschub. Dieser Umstand beeinträchtigt sein Argument aber kaum. Siehe zu den Hunnen in Indien den kurzen historischen Abriss bei Romila Thapar, Early India: From the Origins to AD 1300 (Berkeley : University of California Press, 2002), 286 f. 14 Die knappe Liste ähnelt den aus Pura¯nas bekannten Versen, in denen alle zehn Avata¯ras auf˙ gelistet werden. Siehe H. Krishna Sastri, Two Statues of Pallava Kings and Five Pallava Inscriptions in a Rock-Temple at Mahabalipuram, Memoirs of the Archaeological Survey of India 26 (Calcutta: Government of India, Central Publications Branch, 1926), 5 f. Hazra verweist auf diese Arbeit und sagt, dass die Inschrift aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhundert stamme (Hazra, Studies in the Pura¯nic Records, 88). Nachfolgende Forscher wie Gail und Doniger ˙ verweisen ebenfalls auf Krishna Sastri, scheinen aber nur Hazra benutzt zu haben, denn sie
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– oder zumindest der uns hier interessierende Abschnitt – eine Vorstufe zur klassischen Avata¯ra-Lehre darstelle und vor dem 7. Jahrhundert verfasst worden sei. Er datiert das Visnupura¯na in die Mitte des 6. Jahrhunderts.15 ˙ ˙ neuen ˙ Übersetzung des Textes zu einem Peter Schreiner tendiert in seiner früheren Datum (Mitte des 4. Jahrhunderts), mit der Begründung, dass die erscheinenden Vorstellungen der Sa¯mkhya-Philosophie die Kenntnis des Maha¯bha¯rata (Endredaktion um 350 n.˙ Chr.?) vorauszusetzen scheinen, sich aber die stärker systematisierte Form des Sa¯mkhya der Sa¯mkhyaka¯rika¯ (3./ ˙ ˙ Formulierung 4. Jahrhundert?) noch nicht spiegelt. Schreiners vorsichtige 16 deutet an, dass die Datierung weiterhin unsicher ist. Der Mythos, den ich hier diskutieren möchte, findet sich im dritten Buch des Visnupura¯na, in den Kapiteln 17 und 18. Ich gebe eine kurze Paraphrase ˙˙ der Geschichte: Nach einer langen und erbitterten Schlacht wurden die Götter von den Dämonen (hier Asuras oder Daityas genannt) besiegt. Sie flohen zu Visnu und priesen ihn, und ˙˙ als er sich ihnen zeigte, klagten sie ihm ihr Leid. Es sei ihnen unmöglich, die Dämonen zu schlagen, weil diese nach den Regeln ihres jeweiligen Standes lebten (svavarnadharma), dem Pfad des Veda folgten und Askese (tapas) betrieben ˙ (3.17.39). Visnu schuf daraufhin aus sich selbst heraus eine Gestalt, die er den Göttern ˙˙ mit dem Hinweis übergab, dass sie die Dämonen irreführen und vom Veda wegleiten werde, so dass diese geschlagen werden könnten. Denn, so sagte er, wer der Autorität des heiligen Wortes entgegenstehe, ob Devas, Dämonen oder andere Gottheiten, müsse getötet werden (3.17.43). Jene Gestalt, die im Text Ma¯ya¯moha genannt wird (wörtlich ,trügerische Verblendung‘17), traf auf Dämonen, die gerade am Narmada¯-Fluss Askese (tapas) betrieben. Er näherte sich ihnen in Gestalt eines kahlköpfigen (munda) Nacktasketen (digam˙˙ bara), der Pfauenfedern trug, und fragte sie, ob sie sich von der Askese Früchte für das Diesseits oder für eine andere Welt erhofften. Als sie erklärten, dass sie letzteres anstrebten, empfahl er ihnen, seinem Dharma zu folgen, der in den Himmel und sogar zur Befreiung führe. Mit vielen verschiedenen Argumenten und Lehren, die allerdings in sich widersprüchlich waren, führte Ma¯ya¯moha die Dämonen vom thematisieren nicht, dass Krishna Sastri die Inschrift nicht in das 7., sondern das 8. Jahrhundert datiert (S. 6): „The avata¯ra-verse in question in the Vara¯ha-Peruma¯l temple, written in cha˙ racters also of about the 8th century A.D. supports the view that the inclusion of Buddha in the th avata¯ras of Vishnu must have already become familiar in the 8 century.“ Siehe auch die jüngere ˙ Studie von Umakanta Mishra, Vajraya¯na Buddhism: Study in Social Iconography (Delhi: Pratibha Prakashan, 2009), 112: „The first epigraphic and sculptural representation of the Buddha avatar is found in the Pallava and in Osian sun temple (8th–9th century) AD respectively.“ 15 Gail, Bhakti im Bha¯gavatapura¯na, 10 f. und 15 f. ˙ 16 „…würden die intertextuellen Bezüge nicht unplausibel machen, daß das Visnupura¯na aus der ˙˙ ˙ Mitte des 4. Jahrhunderts stammt.“ Peter Schreiner, Visnupura¯na: Althergebrachte Kunde über ˙˙ ˙ Visnu (Berlin: Verlag der Weltreligionen, 2013), 592. ˙˙ 17 Schreiner übersetzt ma¯ya¯moha eleganter als „Trugwirrung“. Schreiner, Visnupura¯na, 288. ˙˙ ˙
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Vedaweg ab, und weil er sie als würdig bezeichnet hatte, wurden sie Arhats genannt. Diese überredeten viele andere, und innerhalb kurzer Zeit hatten sie den Veda größtenteils aufgegeben. Ma¯ya¯moha ging nun zu anderen Dämonen in der Gestalt eines Asketen mit rotem Gewand und erklärte ihnen mit liebreizender Stimme, dass sie das Tieropfer beenden müssten, wenn sie den Himmel oder das Nirva¯na anstrebten. Sie müssten lernen, ˙ dass alles Sein Bewusstsein (vijÇa¯na) sei, so wie es die Vollkommen Erwachten (samyagbuddha¯h) gelehrt hätten. Mit verschiedenen Lehren und Argumenten führte ˙ Ma¯ya¯moha die Dämonen in die Irre, und diese überredeten wieder andere, welche dann ebenfalls den Veda aufgaben. Ma¯ya¯moha brachte mit vielen weiteren Irrlehren (pa¯sandapraka¯ra) die Dämonen ˙ ˙˙ vom Vedapfad ab. Sie verunglimpften die Vedas, die Götter, die Opferriten und die Zweimalgeborenen. Gewalt (himsa¯) sei nicht dharmagemäß und die Vorstellung, dass ˙ eine Opfergabe einen Effekt habe, kindisch. Wenn der große Gott Indra das Holz des Opfers äße, dann gehe es sogar dem Vieh besser, das immerhin Blätter fresse. Wenn ein im Opfer getötetes Tier den Himmel erlange, warum töte der Opferherr dann nicht mit diesem Argument seinen Vater? Wenn die Speise, die bei einem Ahnenritual verzehrt wird, den Ahnen sättigt, warum kann man sie dann nicht einfach zuhause essen? Man solle auf solche Argumente bauen, denn die erlangte Lehre (a¯ptava¯da) falle nicht vom Himmel. Als die Dämonen auf diese Weise ganz vom Veda abgebracht waren, sahen die Götter ihre Chance, griffen an und besiegten sie. Denn, so wird abschließend gesagt, zuvor hatte die Rüstung ihres Dharma die Dämonen geschützt, aber sie zerstörten diese Rüstung selbst und waren nun nackt.18
Ich möchte nun diesen Mythos entlang der genannten sieben Analyseaspekte betrachten (allerdings in etwas anderer Reihenfolge). Zuerst können wir nach dem postulierten Grenzverlauf fragen, d. h. nach der Form und Ebene der Abgrenzung. Vordergründig, auf der narrativen Ebene, werden zunächst Götter und Dämonen (devas und asuras bzw. daityas) deutlich voneinander abgegrenzt. In der Hindu-Mythologie befinden sie sich regelmäßig im Krieg miteinander, und der Sieg der Dämonen ist oft Grund für das Eingreifen der allumfassenden Gottheit (sei es Visnu, S´iva, die Göttin oder andere). Insbe˙ ˙ er dann die natürliche Ordnung wieder sondere von Visnu wird berichtet, wie ˙ ˙ herstellt, in welcher die Götter – und nicht die Dämonen – die Welt beherrschen. Neben der fundamentalen Unterscheidung von Göttern und Dämonen gibt es aber eine wichtige Übereinstimmung: Götter wie Dämonen leben in der vedischen Tradition, verehren den Veda, vollziehen vedische Opfer und praktizieren die vedische Askese. Dieser Umstand ist in unserer Erzählung höchst bedeutend, denn die Dämonen können nur deshalb nicht besiegt 18 Visnupura¯na 3.17–18. Hier verwendete Edition: S´rı¯-S´rı¯-Visnupura¯nam, Munila¯l Gupta (ed.) ˙˙ ˙˙ ˙ (Gorakhpur: Gı¯ta¯ Press, 1967).
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werden, weil sie strikt nach den vedischen Regeln leben, was ihnen eine Macht verleiht, die die Götter nicht brechen können. Es ist also festzuhalten, dass die Differenzierung zwischen Göttern und Dämonen nicht ihre religiöse Identität betrifft. Diese wird erst thematisiert, wenn die aus Visnu emanierte Gestalt, ˙ Ma¯ya¯moha, sein Wirken beginnt. Ma¯ya¯moha hat die˙Aufgabe, die Dämonen mit nicht-vedischen Lehren und Praktiken zu verführen und vom Veda abzubringen. Dies tut er zuerst in der Gestalt eines jinistischen Mönchs, dann in der eines buddhistischen. Beides wird nicht explizit gesagt, aber die Assoziationen, die mit der Beschreibung geweckt werden, sind unmissverständlich: der erste hat einen geschorenen Kopf und wird als digambara („luftbekleidet“) bezeichnet, ein traditioneller Name für jinistische Nacktasketen. Er trägt außerdem das für Jaina-Mönche charakteristische Büschel Pfauenfedern, mit denen sie Kleinstlebewesen wegwischen, um sie nicht zu töten. Und die schließlich konvertierten Dämonen werden Arhats genannt, was ebenfalls ein jinistischer (wie auch buddhistischer) Titel ist. In der zweiten Gestalt trägt Ma¯ya¯moha ein rotes Gewand, das leicht als buddhistische Mönchsrobe identifizierbar ist, und er spricht mit einer weichen, reizenden Stimme. Ob dies eine stereoptype Beschreibung des Buddha oder buddhistischer Mönche im allgemeinen ist, wäre noch zu prüfen. Seine Lehre in dieser Gestalt wird in buddhistischem Vokabular beschrieben, z. B. fallen die Begriffe vijÇa¯na („Bewusstsein“), nirva¯na, upeksa¯ („Gleichmut“), samyagbuddha (normaler˙ ˙ weise samyaksambuddha, „vollkommen Erwachter“), sowie die fast aufdringlich verwendeten Formen des Verbs budh („erwachen, verstehen“), z. B. sagt Ma¯ya¯moha: „Erwacht! Versteht!“ (budhyata, budhyadhvam).19 Besonders im Hinblick auf die spätere, ausgearbeitete Avata¯ra-Lehre ist auffa¯llig, dass nicht nur der Begriff avata¯ra für die Visnu-Inkarnation fehlt, sondern ˙ ˙ um den Buddha und den Jina auch nicht explizit gemacht wird, ob es sich hier (d. h. Maha¯vı¯ra) handelt – es könnte ebenso irgendein buddhistischer und jinistischer Mönch sein. Die Grenzziehung auf theologisch-doktrinärer Ebene ist aber unmissverständlich. Ob jinistisch oder buddhistisch, die von Ma¯ya¯moha verbreiteten Lehren sind anti-vedisch, in sich widersprüchlich und bringen die Dämonen vom richtigen religiösen Weg ab, wodurch diese geschwächt werden. Damit wird auch ersichtlich, wie die Verfasser des Textes die Differenz zwischen ihrer vedischen Tradition einerseits und der jinistischen und buddhistischen andererseits deuten (– ein zweiter Aspekt der Analyse). Die Ma¯ya¯moha-Lehren sind falsch und dienen nur dem Zweck der Irreführung. Zugleich ist Ma¯ya¯moha aber Visnu selbst, der natürlich aus Sicht der Verfasser nur richtig ˙ ˙ positiv bewertet wird.20 Man könnte sagen, dass es sich um handelt und somit 19 Visnupura¯na 3.18.19. ˙˙ ˙ 20 Es wäre interessant zu untersuchen, ob dies vielleicht auch eine subtile Verspottung des buddhistischen Konzepts der „Geschicklichkeit in den Mitteln“ (upa¯ya-kaus´alya) ist, das hier in
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eine originelle Verschränkung von Exklusivismus und Inklusivismus handelt. Während sich die hinduistische Tradition unmissverständlich von buddhistischer und jinistischer Lehre und Praxis abgrenzt, erhebt sie zugleich den Anspruch, eigentlicher Ursprung dieser (falschen) Religionen zu sein. Die religiöse Identität der Visnuiten selbst wird in diesem Kontrast zu den ˙ häretischen Lehren allerdings ˙deutlich hervorgehoben. Leider verraten die mythologischen Quellen, die hier untersucht werden, zuwenig über die soziale Verortung der Verfasser, um das Verhältnis der religösen Identität zu anderen Identitäten zu untersuchen. Dieser Aspekt der Analyse kann mit manch anderen Quellen ausführlicher betrachtet werden. Wie kann man nun, viertens, den Umgang mit der Grenze beschreiben? Es sind im wesentlichen zwei Mittel, mit denen hier die Grenze ausgedrückt und gedeutet wird: erstens das Motiv von der Irreführung der Feinde und zweitens das Avata¯ra-Konzept. Die Methode, Feinde zu schwächen, indem man sie mit falschen Lehren verwirrt und vom Veda abbringt, findet sich als Motiv auch in anderen Mythen der Pura¯na-Literatur, und es kann eine Entwicklung nach˙ gipfelt, dass der Täuscher zum Avata¯ra Visnus gezeichnet werden, die darin ˙ 22 21 erhoben wird. Ein Mythos, der in verschiedenen Varianten überliefert ˙ist, erzählt von König Raji, der in der Schlacht zwischen Göttern und Dämonen auf der Seite der Götter kämpfte, entscheidend für deren Sieg war und dafür zum König der Götter erhoben wurde. Als Raji starb oder abdankte, wollte Indra Rajis Söhnen nicht gestatten, sein Erbe anzutreten, war aber nicht mächtig genug, um sie zu schlagen. Er bat den Götterlehrer Br. haspati um Hilfe, der mit Hilfe eines magischen Opferrituals die Sinne der Rajisöhne verwirrte, welche dadurch zu Brahmanenhassern wurden und sich vom Veda abwandten, woraufhin Indra sie töten konnte. In späteren Varianten wird erklärt, womit genau Br. haspati die Rajisöhne verwirrte und vom Veda abbrachte, nämlich mit atheistischen Lehren (na¯stiva¯da) oder dann ganz konkret mit den Lehren der Jainas (jinadharma). Jinistische und buddhistische Lehren sind dann auch in anderen Mythen beliebte Instrumente zur Irreführung der Feinde, z. B. wenn Visnu in einigen Varianten des s´ivaitischen Mythos vom dämonischen Tripura ˙˙ („Dreistadt“) eingeschaltet wird. Er erschafft dort eine Illusionsgestalt (ma¯yin), die mit solchen Lehren die Veda- und S´iva-Frömmigkeit der Dämonen unterhöhlt. Diese werden dadurch zu Häretikern und können so vernichtet werden.23 Die Irreführung der Feinde durch falsche Lehren und deren sein Gegenteil verkehrt wird. Die Buddha wendet verschiedene Mittel an, nicht um die Dämonen zur Befreiung zu führen, sondern in die Irre. Diesen Hinweis, dem man noch gesondert nachgehen müsste, verdanke ich Max Deeg. 21 Siehe zum folgenden Adalbert Gail, „Buddha als Avata¯ra Visnus im Spiegel der Pura¯nas“, ˙ ˙˙ Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Supplementa I, Teil 3 (1969): 917–923, sowie ausführlicher Wendy Doniger O’Flaherty, The Origins of Evil in Hindu Mythology, (Berkeley : University of California Press, 21980), 174–211, bes. 177–180. 22 Siehe z. B. Visnupura¯na 4.9; Bha¯gavatapura¯na 9.17. ˙˙ ˙ ˙ 23 Siehe Doniger O’Flaherty, The Origins of Evil, 180–187.
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daraus resultierende Schwächung, die in der untersuchten Passage des Vis˙ nupura¯na von zentraler Bedeutung ist, erscheint also in mehreren Varianten in ˙den Pura ˙¯ nas. ˙ spiegelt das Avata¯ra-Konzept den Umgang mit der Grenze. In Zweitens seinem einschlägigen Aufsatz „Zur Entwicklung der Avata¯ralehre“24 zeigt Paul Hacker, wie die Vorstellung, dass Visnu in einer bestimmten Form erscheint, ˙˙ zunächst mit anderen Begriffen beschrieben wird, nämlich ru¯pa („Gestalt“) und pra¯durbha¯va („Erscheinung“). Diese werden erst allmählich durch den Begriff avata¯ra („Herabkunft“) ersetzt, welcher dann nicht nur das Herabsteigen eines Gottes im allgemeinen bezeichnet – auch andere Götter tun dies –, sondern die spezifisch visnuitische Vorstellung transportiert, dass der ˙ ˙ Visnu in jeweils anderer Gestalt herabsteigt, höchste und allumfassende Gott ˙ ˙ und die kosmische Ordnung wiederum die Welt von einer Last zu befreien herzustellen. Als avata¯ra Visnus erscheint zunächst nur Kr. sna-Va¯sudeva, ˙ verwendet bevor der Begriff dann auch ˙f˙ür andere Verkörperungen Visn˙us ˙ ˙ wird. In dieser späteren Phase der Entwicklung verortet Adalbert Gail auch die Integration des Buddha in das Avata¯ra-Konzept. Da in dem gerade referierten Ma¯ya¯moha-Mythos des Visnupura¯na der Begriff avata¯ra nicht erscheint, ˙ ˙ des Buddha ˙ werde hier der Avata¯ra-Rang erst noch vorbereitet.25 Es finden sich dann in den verschiedenen Texten Aufzählungen von Avata¯ras, die unterschiedlich lang und verschieden zusammengesetzt sind,26 bevor die eingangs erwähnte Zehnerliste zu einem verbreiteten Standard wird. In dieser ist der Buddha der neunte Avata¯ra, und er wird verschiedentlich mit dem erwarteten zehnten Avata¯ra, Kalkin, in Zusammenhang gebracht. Beide erscheinen im letzten der vier kosmischen Zeitalter, dem Kaliyuga, und während der Buddha dafür zuständig ist, die Dämonen und Feinde zu Häretikern zu machen, wird Kalkin, der als Krieger zu Pferde erscheint, die Barbaren vernichten, damit dann ein neues goldenes Zeitalter beginnen kann. Es ist vermutet worden, dass dies eine historische Situation in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends n. Chr. spiegelt, in der sich orthodoxe Hindus sowohl durch andere Religionen wie den Buddhismus bedroht sahen als auch durch Eroberungen barbarischer Völker wie Griechen, Skythen, Pahlavas, Kusa¯nas ˙ ˙ und Hunnen.27 Reflektieren wir fünftens die Motive der Grenzziehung, können wir also wohl davon ausgehen, dass die mythologische Erzählung reale Verhältnisse der Zeit ihrer Abfassung spiegelt und sie kreativ verarbeitet. Eine zentrale Botschaft, die hier transportiert wird, ist, dass Buddhismus, Jinismus und 24 Paul Hacker, „Zur Entwicklung der Avata¯ralehre“, Wiener Zeitschrift für die Kunde Süd- und Ostasiens und Archiv für Indische Philosophie 4 (1960): 47–70. 25 Gail, „Buddha als Avata¯ra Visnus“, 923. ˙˙ 26 Zum Beispiel im Bha¯gavatapura¯na, Kapitel 2.7 und 6.8., wo neben vielen anderen Formen ˙ Visnus nicht nur der Buddha (1.3.24; 6.8.19 und vermutlich 2.7.37), sondern auch R. sabha, der . ˙˙ ˙ erste Tı¯rthankara der Jainas genannt wird (2.7.10 und 6.8.18). 27 Siehe dazu Doniger O’Flaherty, The Origins of Evil, 198–204.
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andere nicht-vedische Traditionen allesamt „Häretiker“ (pa¯sanda) sind, d. h. ˙ Asuras ˙˙ falsche Religionen. Dem Mythos zufolge wurden nicht nur die selbst in der mythischen Zeit irregeführt, sondern diese überzeugten auch andere und diese wieder andere, was eine Traditionsbildung andeutet. Die Buddhisten und Jainas der Gegenwart, so kann man leicht schließen, stehen in genau dieser falschen Tradition, die ursprünglich von Visnu selbst initiiert wurde, ˙ ˙ der Asuras diente. Die und verstehen nicht, dass dies nur zur Irreführung Asuras sind aber lange besiegt, womit es völlig unsinnig erscheint, diesen Religionen heute zu folgen. Hinsichtlich des Verhältnisses von postulierter und kontextuell belegter Differenz bzw. Übereinstimmung – dem sechsten Aspekt – kann man sagen, dass Buddhisten und Jainas zwar wohl nicht der Bewertung zugestimmt hätten, dass ihre Lehren und Praktiken falsch seien. Ihre Charakterisierung als nicht-vedisch oder sogar anti-vedisch trifft aber, soweit wir wissen, zu. Weiterhin könnte man auf den ersten Blick vermuten, dass eine Übereinstimmung postuliert wird, nämlich dass diese Religionen ebenfalls auf Visnu zurück˙ ˙ integriert gehen, und somit Buddhismus und Jinismus durch Inklusivismus werden sollen. Bei genauerer Betrachtung kann dies aber hinterfragt werden. Visnu erscheint von Beginn an als Täuscher (Ma¯ya¯moha), und die Asuras ˙˙ erfahren nie, dass Visnu die eigentliche Quelle der Lehren ist, denen sie folgen. ˙ Es handelt sich bei ˙Buddhismus und Jinismus nicht um einen beklagenswerten Abfall von der wahren Lehre, wie manchmal anderswo Unterschiede erklärt werden. Vielmehr ist es eine fundamentale und vollständige Täuschung, die von Visnu selbst zum Zweck der Irreführung initiiert wurde. Es ˙ scheint darin kein ˙Platz für ein positives Verständnis dieser Religionen zu sein.28 Diese klare Abgrenzung von Hinduismus und Buddhismus ist aber keineswegs die einzige Form der Grenzbestimmung, die unter Heranziehung der Ma¯ya¯moha-Gestalt und dem sich aus ihr entwickelnden Buddha-Avata¯ra vorgenommen wird. Und damit komme ich zum letzten und vielleicht interessantesten Punkt der Analyse, nämlich der Frage nach der Pluralität von Grenzbestimmungen und der Instabilität der Grenzen. Wie eingangs gesagt, wird dem Buddha-Avata¯ra auch die Abschaffung des blutigen Opfers zugeschrieben. Die Kritik am Tieropfer ist schon in dem Ma¯ya¯moha-Mythos enthalten, wodurch die Erzählung allerdings in diesem Punkt widersprüchlich erscheint. Der Gedanke von Gewaltlosigkeit (ahimsa¯) und damit auch die ˙ Zeit des Visnupura¯na Ablehnung blutiger Opfer war im Hinduismus zur ˙ schon längst sehr bedeutend, und dass ausgerechnet diese Lehre˙ ˙ zur Irreführung der Dämonen dienen sollte, erscheint merkwürdig und inkonsis28 Zwei etwas jüngere Aufsätze zum Thema seien hier erwähnt, auch wenn sie nicht viel Neues zu unserer Diskussion beitragen: R.N. Dandekar, „Heretical Doctrines in the Pura¯nas“, Pura¯na ˙ ˙ 37.1 (1995): 3–20; Haripriya Rangarajan, „Buddha – The Ninth Incarnation of Visnu“, Journal of ˙˙ the Asiatic Society of Bombay N.S. 73 (1998): 129–133.
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tent.29 Wie Alsdorf gezeigt hat, läßt sich innerhalb der brahmanischen Tradition selbst eine Entwicklung vom Tieropfer zu Vegetarismus nachweisen. Der Gedanke der strikten Gewaltlosigkeit ist schon im 1./2. Jahrhundert n. Chr. im Ma¯navadharmas´a¯stra, dem bedeutenden brahmanischen Rechtstext, niedergelegt – zwar nicht als die alleinige Auffassung, aber wohl als die bevorzugte.30 Aber vielleicht klingt hier die alte buddhistische Kritik am Tieropfer nach, die vermutlich die Integration des Ahimsa¯-Gedankens in die ˙ brahmanische Tradition begünstigt hat. Jayadevas Gı¯tagovinda jedenfalls, wie eingangs zitiert, preist den BuddhaAvata¯ra genau für diese Kritik und lässt die Irreführung der Dämonen völlig unerwa¯hnt. Eine ganz ähnliche Preisung, in der außerdem das Tieropfer explizit negativ bewertet wird,31 findet sich im Devı¯bha¯gavatapura¯na (10.5.13). ˙ 32 und das Das Vara¯hapura¯na (48.22) preist implizit die Schönheit des Buddha, ˙ Matsyapura¯na huldigt außerdem dem „friedvollen Buddha“ (buddha¯ya ´sa¯nta¯ya namo) ˙(54.19).33 Diese Beschreibungen stammen alle aus einer späteren Zeit, was vielleicht auch eine zeitliche Entwicklung hin zu einer positiveren Interpretation des Buddha spiegelt. Hier erscheint er jedenfalls als Reformer des Hinduismus und wird positiv bewertet. Statt einer Grenze zwischen Hinduismus und Buddhismus wird eine Übereinstimmung postuliert. Vermutlich im Hinblick auf diese Interpretation vermutet Helmuth von Glasenapp, dass die Vorstellung vom Buddha-Avata¯ra bezwecken sollte, „die Buddhisten für den Visnuismus zu gewinnen“.34 Es ist aber anzunehmen, dass sich ˙˙ 29 Klaus Klostermeier bemerkt dazu: „It is somewhat strange to find a Vaisnava work finding fault ˙˙ with Buddhist opposition against animal sacrifice.“ Klostermeier, „Hindu Views of Buddhism“, 65, Anm. 20. 30 Ma¯navadharmas´a¯stra 5.27–56. Siehe dazu The Law Code of Manu: A New Translation by Patrick ˙ Olivelle (New York: Oxford University Press, 2004), 87–89 und 253 f. Ludwig Alsdorf, Beiträge zur Geschichte von Vegetarismus und Rinderverehrung in Indien, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Geistes- und Sozialwissenschaftliche Klasse 1961, 6 (Wiesbaden: Steiner, 1961), 573–577; 611–615. 31 DustayajÇavigha¯ta¯ya („zur Beseitigung der falschen Opfer“); zitiert nach Doniger O’Flaherty, ˙˙ The Origins of Evil, 204 f. Sie weist darauf hin, dass dieses Kompositum sowohl bedeuten kann, dass alle Opfer falsch sind oder dass er nur die falschen beseitigt. 32 Wörtlich: „derjenige, der sich Schönheit wünscht, soll dem Buddha opfern.“ (balakrsnau yajed ˙˙ ˙ dhı¯ma¯n putraka¯mo na sam´sayah j Ru¯paka¯mo yajet buddham ´satrugha¯ta¯ya kalkinam). In dieser ˙ ˙ ˙ Aufzählung der Avata¯ras wird der jeweilige Avata¯ra mit der ersehnten Eigenschaft identifiziert: Bala und Kr. sna erscheinen als ideale Söhne, Kalkin wird mit der Vernichtung von Feinden ˙˙ verknüpft und der Buddha mit Schönheit (ru¯pa). 33 Doniger O’Flaherty nennt neben diesen Stellen noch die Beschreibung des Buddha-Avata¯ra im 9. Kapitel von Ksemendras Das´a¯vata¯racarita (11. Jh.), die auf der traditionellen buddhistischen ˙ Lebensbeschreibung des Buddha basiere (The Origins of Evil, 204 f.). Siehe Das´a¯vata¯racarita, MM. Pt. Durga¯prasa¯d und Ka¯s´¯ına¯th Pa¯ndurang Parab (Hg.) (Bombay : Nirnayar Sagar Press, ˙ 1930; reprint: Delhi: Munshiram Manoharlal, 1983), 151–159. 34 Helmuth von Glasenapp, „Der Buddhismus in der Vorstellungswelt der Hindus“, in ders., Von Buddha zu Gandhi: Aufsätze zur Geschichte der Religionen Indiens, Volker Moeller, Wilfried Nölle und Joachim-Friedrich Sprockhoff (Hg.) (Wiesbaden: Harrassowitz, 1962) (Erstveröff. 1954), 111–124, hier: 113.
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auch diese postulierte Übereinstimmung von der historischen Situation unterscheidet. Buddhisten wurden wohl kaum zu Visnu-Verehrern, nur weil ei˙ ˙ beschrieben. Das Motiv nige Hindutexte den Buddha als Hindu-Reformer dieser bewussten Aufhebung der Grenze zwischen Buddhismus und Hinduismus scheint eher in dem Wunsch zu liegen, den Buddha-Avata¯ra in seiner Konzeption den anderen Avata¯ras Visnus anzugleichen, die allesamt positive ˙˙ Gestalten sind. In jedem Fall ist festzustellen, dass hier die Grenze anders gezogen wird als durch die Ma¯ya¯moha-Gestalt. Eine wiederum andere Interpretation gibt sogar der Irreführung der Feinde eine positive Wendung für den Buddha-Avata¯ra. Schon im Bha¯gavatapura¯na, ˙ das Gail ins 8. Jahrhundert datiert und das auch die erwähnte negative Funktion der Irreführung nennt, sowie im späteren Garudapura¯na, erscheint ˙ Verwirrung ˙ der Buddha noch in einer anderen Funktion: „um vor der (prama¯da) durch Scharen von Häretikern (pa¯sandagana/pa¯khandagana)“ zu ˙ ˙˙ ˙ ˙˙ ˙ schützen.35 Gail bemerkt dazu: In einer letzten pura¯nischen Etappe wird die Begründung für Buddhas Avata¯ra-Rang ˙ ad absurdum geführt, der Gedanke der Dämonenverwirrung durch Buddha auf den Kopf gestellt. Der Bock wird zum Gärtner gemacht.36
Doch auch wenn diese Funktion des Buddha-Avata¯ra, vor der Verwirrung durch Häretiker zu schützen, auf den ersten Blick nicht mit seiner Rolle als Dämonentäuscher vereinbar scheint, muss sie doch als eine Interpretation dieses Avata¯ra ernst genommen werden. Dass derjenige, der die Dämonen mit Irrlehren täuscht, auch die Macht hat, vor eben jenen Häresien zu schützen, scheint kein völlig abwegiger Gedanke zu sein. Gail vermutet, dass hier „eine Angleichung Buddhas an die soteriologische Funktion des unmittelbar folgenden Kalkin“ vorliege, der denselben Versen zufolge vor den Unreinheiten des Kali-Zeitalters schützt.37 Warum eine solche „Angleichung“ stattfinden soll, bleibt allerdings unklar, auch wenn der Buddha und Kalkin als die einzigen beiden Avata¯ras im Kaliyuga gelten. Vielleicht kann auch hier vermutet werden, dass man den Buddha-Avata¯ra ebenso positiv fassen wollte wie die anderen neun Avata¯ras, die jeder auf seine Weise die Menschheit schützen und retten. Der hier beschriebene Buddha-Avata¯ra hat aber eine andere Funktion als der, der die Tieropfer kritisiert. Er ist nicht bloß ein Reformer des Hinduismus, sondern erscheint, indem er vor „falschen“ Lehren und Häretikern schützt, als Verfechter hinduistischer Orthodoxie. In dieser dritten Variante der Buddha-Avata¯ra-Deutung wird also implizit erklärt, dass es überhaupt keine Grenze zwischen Hinduismus und Buddhismus gebe. 35 Dvaipa¯yano bhagava¯n aprabodha¯d buddhas tu pa¯khandagana¯t prama¯da¯t j kalkih kaleh ka¯la˙˙ ˙ ˙ ˙ mala¯t prapa¯tu dharma¯vana¯yor ukr. ta¯vata¯rah jj (BhP 6.8.19). Buddhah pa¯sandasamgha¯ta¯tkalkı¯ ˙ ˙ ˙ ˙˙ ˙ raksatu kalmasa¯t j pa¯ya¯nmadhyandine visnuh pra¯tarna¯ra¯yano ’vatu jj (GarudaP 1.196.11). ˙ ˙ ˙˙ ˙ ˙ ˙ 36 Gail, „Buddha als Avata¯ra Visnus“, 922. ˙˙ 37 Gail, „Buddha als Avata¯ra Visnus“, 922 f. Doniger O’Flaherty schließt sich Gail an. The Origins of ˙˙ Evil, 201 f.
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Zusammengefasst kann man feststellen, dass in den Pura¯nas mit Hilfe des ˙ Buddhismus Avata¯ra-Konzepts (mindestens) drei verschiedene Grenzen zum bestimmt werden. Die Tatsache, dass in den jüngeren Texten die positiven Aspekte des Buddha-Avata¯ra zunehmend betont werden, zeigt, dass postulierte Grenzen veränderlich sind, d. h. instabil.
3. Weitere Haltungen zum Buddha und zu Buddhisten Verschiedene Haltungen zum Buddha-Avata¯ra finden sich auch in der religiösen Praxis wieder, soweit diese aus den Quellen nachvollziehbar ist. Zwar hat sich historisch keine separate Kultpraxis um den Buddha-Avata¯ra im Hinduismus durchgesetzt (– was allerdings auch für einige andere der zehn Avata¯ras gilt), aber es gibt Hinweise darauf, dass er vereinzelt durchaus prominent verehrt wurde. Hanumantha Rao berichtet dies z. B. von der Vis˙ nukundi-Dynastie, die im 5.–6. Jahrhundert im heutigen Andhra Pradesh ˙herrschte. ˙ ˙ 38 Sie regierte in S´rı¯ Pa¯rvata, einer Stadt, die man vielleicht eher unter ihrem früheren Namen Na¯ga¯rjunikonda kennt, der Hauptstadt der ˙˙ ¯Iksva¯ku-Dynastie im dritten und vierten Jahrhundert, einem der bedeu˙ tendsten buddhistischen Zentren Südindiens. Die später regierenden Vis˙ nukundins aber waren größtenteils Visnuiten, und sie verehrten den Buddha ˙unter ˙dem ˙ Namen „Herr von S´rı¯ Pa¯rvata“ ˙ ˙ (S´rı¯pa¯rvatasva¯min) als Inkarnation Visnus und betrachteten ihn als ihre Familiengottheit. Die religiöse Identität der˙ ˙Familie war damit aber nicht eindeutig bestimmt. Über die Generationen wechselten sich strenge brahmanische Ritualisten, die eine deutliche Grenze zu den Buddhisten zogen, mit Buddhismusförderern ab, die buddhistische Viha¯ras stifteten. Die Bestimmung der Grenze zwischen Hinduismus und Buddhismus ist hier also selbst innerhalb einer Familiendynastie ständigem Wandel unterworfen. Konstant blieb aber offenbar die Verehrung des Buddha als der dynastischen Familiengottheit, womit zumindest in dieser Hinsicht auf eine bewusste Bestimmung oder Deutung der Grenze völlig verzichtet wurde.39 Solche Fälle der Buddhaverehrung im Visnuismus scheinen historisch ˙ ˙ wurde der Buddha-Avata¯ra selten belegbar zu sein.40 In der indischen Kunst 38 B.S.L. Hanumantha Rao, „The Ninth Incarnation of Vishnu“, in: Vishnu in Art, Thought and Literature, G. Kamalakar und M. Veerender (Hg.) (Hyderabad: Birla Archaeological & Cultural Research Institute, 1993), 29–33, bes. 31 f. 39 Rao verweist auf verschiedene Inschriften, die diesen Kult belegen sollen. Rao, „The Ninth Incarnation“, 31 f. und 33. 40 Einige wenige andere Belege nennt Bhattacarya, „Buddha as Depicted in the Pura¯nas“, 401 f. ˙ Hier erscheint der Name des Buddha in manchen Gelübden (vrata), und es wird gesagt, dass Lichter im Tempel von verschiedenen Gottheiten angezündet werden sollen, darunter Siddha¯rtha Buddha. An einer Stelle in Candes´vara Thakkuras Kr. tyaratna¯kara (14. Jh) ist vom ˙˙ ˙
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offenbar nie separat in einem Kultbild dargestellt, sondern findet sich nur in Abbildungen der zehn Avata¯ras.41 Nur selten kommt ihm dabei eine besondere Rolle zu.42 In der weiteren Entwicklung konnte der Buddha umgekehrt sogar aus der klassischen Zehnerliste gestrichen werden, etwa im Jaganna¯thaTempel in Puri/Orissa (12. Jh.), wo er in der Darstellung der zehn Avata¯ras durch den Gott Jaganna¯tha ersetzt wurde.43 Und es gibt Stimmen, die – im Einklang mit seiner Rolle des Täuschers – die Verehrung des Buddha strikt ablehnen. Schon dem Visnupura¯na zufolge hat ˙ ˙ – wer ˙nur mit ihnen der Umgang mit Häretikern schlimme karmische Folgen spricht, zerstört das religiöse Verdienst eines Tages oder wird sogar in der Hölle wiedergeboren.44 Im Na¯radapura¯na wird gesagt, dass ein Zweimalge˙ ¯ laya) nicht betreten dürfe.45 Nicht borener einen Buddha-Schrein (bauddha einmal einhundert Bußübungen (pra¯yas´citta) könnten dies sühnen. Die Buddhisten würden Häretiker (pa¯sanda) genannt, weil sie den Veda verun˙ ˙˙ glimpften. Daher solle ein Zweimalgeborener sie nicht sehen, denn sie seien vom Dharma ausgeschlossen (dharmabahiskr. ta¯h). Ein Zweimalgeborener ˙ könne wissentlich oder unwissentlich ein Bauddha ¯˙ laya betreten;46 wenn er es wissentlich tue, gebe es keine Möglichkeit, dies zu sühnen, so sei die Sichtweise
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Baden der Buddhastatue und Gaben an Mönche die Rede; an einer anderen von der Verehrung eines goldenen Buddhabildnisses. Kr. tyaratna¯kara: A Treatise on Smr. ti by Candes´vara Thak˙ ˙˙ kura, Kamala Kr. sna Smr. titı¯rtha (Hg.) (Calcutta: Asiatic Society of Bengal, 1925), 159 f.; 247. ˙˙ Außerdem verweist Bhattacarya auf die Verehrung des Bodhibaums in den Pura¯nas. ˙ Siehe Jitendra Nath Banerjea, The Development of Hindu Iconography, (New Delhi: Munshiram 3 Manoharlal, 1974), 424 f. Im Kontext der zehn Avata¯ras erscheine der Buddha fast immer stehend „with his right hand in the assurance pose“, womit Banerjea wohl die abhaya-mudra¯ meint, bei der die Handfläche zum Betrachter gerichtet ist. Siehe auch Jainis kurze Notiz über eine Buddha-Avata¯ra-Darstellung aus dem frühen 11. Jahrhundert in Patan (Gujarat), die diesen vierarmig und mit einer geschlossenen Lotusblüte zeigt. Jaini vermutet, dass diese das Lotussu¯tra symbolisieren soll. Padmanabh S. Jaini, „A Note on the Buddha Image Depicted as the Ninth Avata¯ra of Visnu“, Annual Report of the International Research Institute for Advanced ˙˙ Buddhology 19 (2016): 3–6. Rao berichtet von einer außergewöhnlichen Darstellung der Avata¯ras im Su¯rya-Temple von Alampur (A.P.) aus dem 10. Jh. Dort befindet sich der Buddha im Zentrum mit der „yogamudra“, wie Rao schreibt, während die anderen acht (Kalkin fehlt) um ihn herum angeordnet sind. Rao bemerkt: „The sculpture suggests that the identification between Sakyamuni-Buddha and Mahayogi Narayana is complete. But the sculpture is more Buddhist in spirit than Vaisnavite. It gives the impression that the Buddha is Viratpurusa and the avataras have emanated from him.“ Rao, „The Ninth Incarnation“, 32. Mishra, Vajraya¯na Buddhism, 127. Visnupura¯na 3.18.102–104. Siehe hierzu auch Klostermeier, „Hindu Views of Buddhism“, 66 f. ˙˙ ˙ Siehe zu dieser Stelle Krishna Kanti Gopal, „The Na¯rada-Pura¯na on Bauddha¯laya“, Pura¯na 26.1 ˙ ˙ (1984): 21–32. Abweichend von Gopals Lesung, der „va¯pi“ durch „na¯pi“ ersetzt und übersetzt: „A dvija is not to enter a Buddhist abode knowingly and not even unknowingly“. Siehe Gopal, „The Na¯radaPura¯na“, 1 und Fußnote 1 und 2. Da der Optativ eine Möglichkeit impliziert und der zweite Fall, ˙ das unwissentliche Betreten, im folgenden nicht erklärt wird, scheint es unnötig zu sein, den Text zu ändern.
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der S´a¯stras. Dies ist eine deutliche Grenzziehung, die in weniger scharfer Form auch in der Vr.ddhaha¯rı¯tasmr. ti, einem vermutlich späten Rechtstext, zu finden ¯ laya ist. Dort wird gesagt, dass jemand, der ein Bauddha-, S´aiva- oder Pis´a¯ca-A betreten habe, mit Kleidung ins Wasser steigen und dreihundert Mal den Sa¯vitrı¯-Vers sprechen solle.47 Diese Aussage steht im Kontext von Reinheitsgeboten; Buddhisten und andere Häretiker werden hier also als rituell unrein betrachtet. Immerhin kann man sich hier aber von der Befleckung durch den Kontakt mit dem Anderen reinigen.
4. Der Buddha-Avata¯ra und andere Täuscher Schließlich sei noch erwähnt, dass das Motiv der Irreführung der Feinde nicht nur im Zusammenhang mit dem Buddha-Avata¯ra und der Abgrenzung des Hinduismus vom Buddhismus erscheint.48 Ein Text erklärt, dass der BuddhaAvata¯ra die Menschen zu sehr in die Irre geführt habe und sich daher der Gott . S´iva als der Philosoph S´ankara inkarniert habe, um die Irrlehre zu bekämp. 49 fen. Die s´ivaitischen S´ankara-Anhänger wandten sich scharf gegen den visnuitischen Philosophen Madhva, der seinerseits behauptet hatte, dass ˙ ˙nu den Gott S´iva beauftragt habe, die s´ivaitischen Texte zu verfassen, um Vis ˙˙ Menschen mit falschen Lehren in die Irre zu führen.50 Visnuitische Autoren . ˙ ˙ Witwe geboren wiederum erklären, dass S´ankara als uneheliches Kind einer sei und von den Dämonen verehrt werde. Er habe sich den Buddhisten angeschlossen und buddhistische Lehren verbreitet, sie aber als Veda¯nta-Philosophie getarnt. Daraufhin habe sich der Gott Va¯yu als der Philosoph Madhva inkarniert, um diese Irrlehren zu widerlegen.51 Das Motiv der Irreführung der Feinde dient also auch zur Grenzbestimmung zwischen hinduistischen Richtungen. In Wendy Donigers Formulierung: In this way, sectarian Hindus regarded their own founders as incarnations of the true god, and the founders of rival sects as incarnations of the false god, or of the true god purposely setting out to delude his enemies.52
Diese Pluralität der Grenzbestimmungen ist nicht auf den Hinduismus beschränkt. Auch im Buddhismus wird das Motiv verwendet, wenn auch etwas abgewandelt. In einem kürzlich erschienenen Beitrag verweist Adalbert Gail ¯ nanda¯´srama Sanskrit Series 47 Vr.ddhaha¯rı¯tasmr. ti 9.364; publiziert in: Smr. tı¯na¯m Samuccayah, A ˙ ˙ ¯ nanda¯s´rama, 1905), 320. Bauddhas´aivapis ´a¯ca¯na¯m 48 (Poona: A a¯layam yo ’nugacchati j sacai˙ lam avaga¯hya¯pah sa¯vitrı¯m tris´atam japet jj. ˙ ˙ ˙ 48 Siehe zum folgenden ausführlicher Doniger O’Flaherty, The Origins of Evil, 208–211. . 49 Ma¯dhava, S´ankaradigvijaya, 1.28–43; zitiert nach Doniger O’Flaherty, The Origins of Evil, 209. 50 Madhva, Brahmasu¯trabha¯sya 1.1.1; zitiert nach Doniger O’Flaherty, The Origins of Evil, 209. ˙ 51 ManimaÇjarı¯ 5–8, zitiert nach Doniger O’Flaherty, The Origins of Evil, 209 f. ˙ 52 Doniger O’Flaherty, The Origins of Evil, 211.
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auf die metrische Fassung des Ka¯randavyu¯hasu¯tra, wo der Bodhisattva Ava˙ ˙ hinduistischen Götter emaniert, einlokites´vara als Schöpfer der Welt alle schließlich Visnu und S´iva. Diese Götter fragen, was ihre Aufgabe sei, und Avalokites´vara˙ ˙erklärt, dass sie die Menschen erst mit falschen Lehren verwirrten und dann im Kaliyuga durch die Verkündigung des buddhistischen Dharma zur Befreiung führten.53 Dass Avalokites´vara den aus ihm emanierten Göttern den Auftrag erteilt, die Menschen zu verwirren, erinnert stark an unsere Ma¯ya¯moha-Geschichte, nur hier aus buddhistischer Sicht formuliert. Es geht dann aber anders weiter : Die Götter selbst werden, wie Gail es ausdrückt, „im Kaliyuga zu Erlösungshelfern, zu getarnten Bodhisattvas.“54 Die Grenzziehung funktioniert hier ganz ähnlich wie in der Ma¯ya¯mohaEpisode, als Verschränkung von Inklusivismus und Exklusivismus. Zunächst wird festgestellt, dass alle Gottheiten auf Avalokites´vara zurückgehen, wodurch die Grenze zwischen Hinduismus und Buddhismus aufgehoben wird. Mit der Feststellung, dass die Götter Irrlehren verbreiten, wird sie aber wieder betont. Und wenn die Götter im Kaliyuga schließlich auf die Verbreitung des Buddhadharma einschwenken, verschwindet die Grenze wieder.
5. Schlussbetrachtung Abschließend möchte ich zur Ausgangsfrage zurückkommen: Wenn man nach der Begegnung von Religionen fragt, wie kann die Religionswissenschaft Religionen überhaupt voneinander unterscheiden? Um zu belegen, wie eurozentrisch und irreführend der Gedanke der Abgrenzung zwischen Religionen sei, wird manchmal das moderne Japan angeführt, wo statistisch belegt ist, dass vielen Menschen der Gedanke exklusiver Religionszugehörigkeit fremd ist, und wo man je nach Anliegen zwischen verschiedenen Anbietern auf dem religiösen Markt wählen könne und somit „praktisch religiös“ sei.55 Doch auch in einer solchen Beschreibung sind Differenzierungen verborgen. Wenn man von „verschiedenen Anbietern“ spricht, muss man diese ja unterscheiden können. Und es wäre wohl hier nicht ganz unangebracht zu sagen, dass sich verschiedene Religionen auf dem religiösen Markt „begegnen“. Die Ambivalenz dieses Beispiels ergibt sich aus den unterschiedlichen Perspektiven von „Anbietern“ und „Kunden“. Anbieter, d. h. religiöse Institutionen, müssen ein deutliches Profil haben, um sich von anderen Anbietern abzugrenzen. „Kunden“ können sich an eine Institution binden, müssen es 53 Adalbert Gail, „Metamorphosen: Avalokites´vara als Buddha“, in: From Turfan to Ajanta: Festschrift for Dieter Schlingloff on the Occasion of his Eightieth Birthday, Eli Franco und Monika Zin (Hg.), Bd. 1 (Lumbini: Lumbini International Research Institute, 2010), 329–334. 54 Gail, „Metamorphosen“, 334. 55 Ian Reader, George J. Tanabe Jr., Practically Religious: Worldly Benefits and the Common Religion of Japan (Honolulu: University of Hawai’i Press, 2004).
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aber nicht. In derselben historischen Situation gibt es also sowohl religiöse Menschen bzw. Institutionen, die explizit Grenzen ziehen und religiöse Identitäten etablieren, als auch andere, für die dies kein primäres Anliegen ist. Man kann die Situation des modernen Japan nicht einfach auf die gesamte Religionsgeschichte projizieren, aber sie erinnert uns daran, dass es zu allen Zeiten Menschen gegeben haben mag, denen es nicht sehr wichtig war, über Grenzen zwischen Religionen nachzudenken. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Menschen oft in der Mehrheit waren. Dies bringt mich zurück zu meiner These: Die Religionswissenschaft kann „Religionen“ in einem konkreten historischen Kontext nur dann unterscheiden, wenn es religiöse Akteure gibt, die eine Grenze zwischen ihrer eigenen und anderen Religionen ziehen. Sie muss sich dabei bewusst sein, dass möglicherweise in ein und derselben historischen Situation verschiedene Akteure verschiedene Grenzen ziehen, und dass diese Grenzen deshalb potenziell historisch instabil sind. „Religionsbegegnung“ ist daher ein Szenario, das gänzlich von Grenzziehungen religiöser Akteure abhängig ist und somit nur im Rahmen der jeweiligen Grenzkonzeption stattfinden kann. Akteur (oder Gruppierung oder Text) A zieht eine bestimmte Grenze zwischen der eigenen und der anderen Religion, und daraus ergibt sich, wie und wo sich die beiden Religionen „begegnen“. Akteur B zieht eine andere Grenze, wodurch sich, in dieser Perspektive, die „Religionsbegegnung“ anders darstellt. Akteur C erklärt, dass es überhaupt keine Grenze gebe, weil alles übereinstimme – aus dieser Perspektive begegnen sich gar keine unterschiedlichen Religionen. Akteur D schließlich ist „praktisch religiös“ und an der Frage der Abgrenzung schlicht nicht interessiert. Und so fort. Man könnte auch sagen: Religionsbegegnung liegt im Auge des Betrachters.
Peter Schalk
Religionsbegegnungen im Großreich der Co¯-las
1. Einführung Religionsbegegnung wird hier verstanden als geplantes Zusammenführen von religiösen Gruppen im Interesse der Politik und Wirtschaft im Reich der Co¯-las, das auch Tamil-akam und ¯I-lam umfasste, während der Zeit vom 9. bis 13. Jahrhundert. Die Vertreter der Religionen Caivam (Shivaismus), Vainavam ˙ ei(Vishnuismus), Cain- am (Jainismus) und Pauttam (Buddhismus) waren gentlich verfeindet, weil sie alle um die Schutzherrschaft der Herrscher buhlten, aber diese zwangen sie, zusammenzuwirken im Interesse eines intensiven und expansiven Handels, der mit Eroberung und Kriegführung verbunden war. Diese Zusammenarbeit resultierte manchmal in hybriden Ritualen der Religionen. Zuerst kommt Grundlegendes, das die Terminologie erklärt. Pauttam zur Co¯-lazeit wird skizziert im Verhältnis zu den Religionen Caivam, Vainavam ˙ äten und Cain- am. Die Hofreligion Caivam wird hervorgehoben. Die Rivalit zwischen den Religionen werden identifiziert, zusammen mit dem Versuch der Herrscher, sie zur Zusammenarbeit zu bringen. Pauttam wurde auch zu einer Nischenkultur in Na¯kapattin- am. Buddhistische Werke wie Vı¯raco¯liyam ˙˙ und Kuntalake¯ci werden analysiert. Die Traditition der Pa¯limönche wird ge˙ ˙ schildert in Tamil-akam. Wir kommen dann nach ¯I-lam, wo die Co¯-las herrschten und Spuren in Inschriften hinterließen. Die Vamsatradition in Pa¯li wird auch verwendet als Quelle zur Zeit der Co¯-las. Eine ˙Zusammenfassung und ein Schluss beendet die Darstellung. Im Text werden zwei Chronologien verwendet. Die erste stammt von Wilhelm Geiger in seiner Übersetzung von Cu¯lavamsa, Teil 2, IX–XV. Die zweite ˙ The University of Ceylon, ist von der Peradeniyaschule in History of˙Ceylon, Bd. 1, Teil 2, 843–847.
2. Grundlegendes Nun folgt erst Grundlegendes zusammenfassend zur geschichtlichen Entwicklung der Eroberungs- und Religionspolitik der Co¯-las in Tamil-akam und ¯I-lam. Tamil-akam bedeutet ,Tamil-land‘ und wird hier im vorkolonialen Sinn verwendet als ein Gebiet, das die Reiche der Ce¯ras, Pa¯ntiyas and Co¯-las von ˙˙
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. ¯ ntiram und ¯I-lam ausschliessend. Dies Ve¯nkatam bis Kumari umfasste, also A bedeutet aber nicht, dass keine Auffassung von einer emotionalen Zusammengehörigkeit der Tamilsprechenden in Tamil-akam und ¯I-lam vorhanden war. Es gibt ein vorkoloniales Begriffspaar, nach dem Tamil-akam ta¯yakam ,Mutterland‘ und ¯I-lam ceyakam ,Kindesland‘ ist. In einer spätkolonialen Definition umfasst Tamil-akam auch ¯I-lam, diese Definition ist aber irrelevant hier. Irrelavant ist auch, dass die Co¯-las die ¯ ntiram eroberten. Dies bedeutete nichts für den Umfang südlichen Teile von A der traditionellen Begriffsbildung Mutterland-Kindesland. Auch bedeutet dies nichts für Co¯-lappauttam, denn die von As´oka gegründete buddhistische ¯ ntirams war schon lange verschwunden. Tradition im Süden A ¯I-lam verweist auf die Insel, die heute als Ceylon und Sri Lanka bekannt ist. ¯I-lam ist ein Toponym, das im 2. Jahrhundert zweimal unabhängig voneinander belegt ist1 und dann alternierend mit den etwas späteren Bezeichnungen . auf Tamil-, ilankai und cimkalam verwendet wurde. ¯I-lam ist ein dravidisches . ˙ Wort; ilankai und cimkalam sind vom Typ tar-pavam, hergeleitet aus dem ˙ Sanskrit lamka¯ bzw. simhala. Cimkalam wurde als Toponym verwendet und ˙ ˙wurde als˙ Demonym und später ab dem 8.–9. Jahrcimkalar ,Singhalesen‘ ˙ hundert mit cimkalar als Ethnonym parallelisiert. Dasselbe gilt den Sanskritund Pa¯liformen˙ simhala bzw. sı¯hala. ˙ die Co¯las TaÇja ˙ ¯vu¯r, das das Zentrum der höfischen Um 850 eroberten Kultur wurde, und bauten ein Imperium unter Para¯ntaka I (907–955), das das alte Kernland der Co¯-las im Ka¯veridelta umfasste. Dazu kamen die Städte . Kankaikontacco¯-lapuram, Puka¯r (Ka¯virippu¯mpattin- am, Ka¯kanti), Na¯ka˙ Uraiyu¯r. Die Pa¯ntiyas in Maturai wurden ˙˙ pattin- am ˙und im 10. Jahrhundert ˙ ˙ ˙ ˙ besiegt. ¯I-lam wurde 993 eingenommen, die Co¯-las verloren es aber 1070 wieder durch den Widerstand der buddhistischen Simhalasprechenden. Die Co¯-las ˙ A ¯ ntirams bis zum Kirusna kompensierten sich durch Eroberung des Süden ˙˙ und bis zur Südspitze Indiens inklusive der Gebiete der Pa¯ntiyas und Ce¯ras. ˙ ˙ Die Co¯-las eröffneten eine kriegerische und kommerzielle Verbindung nach S´rı¯ Vijaya (Sumatra) ab 1025 und diplomatische Verbindungen mit China. Im Jahr 1258 kehrten die Pa¯ntiyas als Sieger über die Co¯-las zurück. Damit endet ˙˙ die Co¯-laperiode. Co¯-la verweist hier auf eine Dynastie und ein Territorium, auf die Dynastie der imperialistischen oder späteren Co¯-las, die im südöstlichen Südindien zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert regierten. Sie werden heute als imperialistisch bezeichnet, weil ihr Streben nicht nur war, Südindien zu beherrschen, sondern auch ¯I-lam und Teile Südostasiens, um sie ihrem expandierenden Handel verfügbar zu machen. Eroberungen waren damals noch legitime Quellen der Vermehrung der Staatskasse. Die Co¯-las setzten die Eroberungszüge der vorangehenden Dynastie der Pre-Pallava Periode und der 1 Peter Schalk, ¯ılams\ pa-k-\ turksa¯Çcä\ y(a)mtsa¯t-\ put(i)s´parsim a¯ka¯lyo kulyi mas´kam ta¯kim -\ ˙ wish for the Buddha-worth ˙ „Turksa¯Çc has˙made this päk; may I through˙ the no longer˙ be a woman!“.61 An literarischen Belegen lassen sich aus der Ja¯taka-Literatur z. B. westtocharisch THT 88 b 4 (Aranemi-Ja¯taka) anführen: (vrksa)va¯sike Çäkte wes-˙ ¯ lksa rinsa¯tene „im Wunsche ˙ ˚˙ s-a-m paÇäk-t-a-mÇe pernesse aka nach der Bud˙dhaschaftsw ˙ ˙ ˙ ˙ ürde hat er ihn [den Sohn] hingegeben“ (Schmidt 2001, 318). Entsprechende Belege finden sich auch im osttocharischen Punyavanta-Ja¯ta˙ ka: THT 657 (A 24) b4/5 lyuta¯r memas tampe… tsäm puttis´parnac a¯ka¯l ,der ˙ ˙ Wunsch, unermesslich groß … nach der Buddha-Würde‘, sowie – mehrfach – auch im Maitreyasamiti-Na¯takam, vgl. etwa THT 922 (A 289) puttis´pa(r)nac a¯ka¯l oder das sicher zu ergä˙ nzende THT 964 (A 330) b3 /// (puttis´pa)r(na)c a¯ka¯l yatsi wörtlich ,den Wunsch nach Buddha-paräm machen‘. Nach Sieg dürfte letztgenanntes puttis´parnac a¯ka¯l˙ya¯tsi in THT 964 (A 330) b3 die sinngemäße Wiedergabe von Skt. pranidha¯nam oder pranidhim karoti ˙ ˙yatsi ,tun‘˙ spricht. ˙ sein,62 wofür die Konstruktion mit dem Infinitiv Ursprünglich zum präfigierten Verbum pra-ni-dha¯ ,streben, seinen Sinn (cittam, ˙ 59 60 61 62
Geng/Klimkeit 1988, 104–105. Salomon 2015, 10 mit Fn. 5. Peyrot 2010, 138. Sieg 1944, 29 Fn. 4 mit Hinweis auf Divya¯vada¯na 90.3.
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manas) fest richten auf etwas‘ gehörend, wird pranidha¯nam karoti absolut, ˙ Bedeutung ˙ mit Ellipse des Objekts, konstruiert und erhält die ,einen glühenden Wunsch hegen‘, ,ein Gelübde ablegen‘. Mit Dativ, gelegentlich auch mit Lokativ des Gewünschten bzw. Gelobten konstruiert,63 erhalten bodha-ya bzw. bodhau pranidha¯nam karoti schließlich die technische Bedeutung ,Ge˙ bodhi˙zu streben‘, d. h. in Zukunft ein Buddha zu werden. lübde ablegen, nach In der osttocharischen Phraseologie erscheint hier – eng an das Sanskrit angelehnt – eine Konstruktion mit dem Kasus Allativ des Gewünschten puttis´pa(r)n-ac. Ob TB aka¯lk und TA a¯ka¯l auch in den außerliterarischen Belegen den quasitechnischen Begriff Skt. pranidha¯na-/pranidhi- wiedergeben, ist zweifelhaft; . ˙ ˙ vorstellbar wäre auch eine zugrundeliegende Phrase mit Skt. ka¯nksa¯- oder ˙ abhila¯sa- ,Wunsch‘. Die tocharischen Übersetzer scheinen hier jedenfalls ˙ keine Differenzierung vorzunehmen. Skt. bodhicitta- ,Erleuchtungsgedanke‘ bzw. bodhau cittam utpad- ,den Erleuchtungsgedanken entstehen lassen/hervorrufen‘ werden mit Syntagmen aus TA puttis´paräm bzw. TB paÇäk-t-a-mÇe perne und dem jeweiligen Wort für ˙ ,Gedanken‘ wiedergegeben, vgl. etwa ˙osttocharisches THT 865 A 232 a1 t-a-m surmasi arsant-a-r-\ pa-lts-a-k-\ buddhis´parnacä\ cem - \ ,darum rufen sie in sich den ˙Buddhaschaftsgedanken ˙ hervor‘; ähnlich in dem westtocharischen Pranidhica¯rya-Fragment THT 398 b5: (pudÇä)k-t-a-mÇe pernes´- pals[kw] e(rsatai) ˙ ˙ ‘rufst den Erleuchtungs- (wörtl. Buddhaschafts-)gedanken hervor‘ und THT 184 a 2 [pa]Çäk-t-a-ÇÇe [p]ern[e]s´- palsko [e](riyemtr-a-) ,dürften wir den Erleuchtungs- (wörtl. Buddhaschafts-)gedanken hervorrufen‘. In den Kontext der pranidhica¯rya- gehören schließlich auch paÇaktämÇe perne/puttis´paräm, wenn ˙sie im Zusammenhang mit der Prophezeiung˙des Buddha zur zukü˙nftigen Buddhaschaft (vya¯karana-, TB/TA vya¯karit) zur ˙ Wiedergabe von bodhi gebraucht erscheinen. So beispielweise im osttocharischen Punyavanta-Ja¯taka THT 651 (A18) b3–4 t-m a-s-s- orto cem \ pta¯˙ ´parnacä vy(a¯)karit ynes´ wätka¯lts ypeÇcä ˙˙,[Erst] von- da an ÇäktaÇä\ puttis \ \ -\ - -\ machen die Buddhas klar und bestimmt die Prophezeiung zur Buddhaschaft‘. Aus dem Westtocharischen lässt sich wiederum ein Beleg aus einer Bildüberschrift anführen, die aus dem Bilderzyklus der „Treppenhöhle“ in Kizil stammt. Zu Bild 51 heißt es: [t](a)[n](e) poys´i k-a-ssi priy[a¯]dars´ani ˙ sa[m]a¯nemtse paÇäk-t-a-ÇÇe pernes´-\ vya¯karit-\ yamas-s-a-m ˙„Hier macht der ˙Allwissende, ˙ der Lehrer, dem Mönch Priyadars´ana˙˙die˙ Prophezeiung zur Buddhaschaft“.64 Bislang undiskutiert blieb die Form des Vordergliedes im Osttocharischen, putti-. Dieses stellt formal Adaptation eines Skt. buddhi- ,Weisheit‘ dar, mit einer für das Tocharische charakteristischen Entwicklung stimmhafter zu 63 Vgl. Edgerton, BHS Dictionary p. 359 ff. „to strive, to fix one’s mind (cittam, manas) firmly on sth.“ Zur pranidhicarya¯ vgl. Lüders 1940. ˙ 64 Schmidt 2010, 859.
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stimmlosen Konsonanten. In den osttocharischen Fragmenten ist mehrfach auch buddhis´paräm belegt. Komposita mit buddhi- im Vorderglied sind ansonsten allerdings˙ selten, und gelegenlich steht neben den Formen mit iStamm buddhi- eine mit a-Stamm buddha- als Kompositionsanfangsglied. So findet sich zum Beispiel neben Sanskrit buddhivisaya-, das in THT 541, einer ˙ parisatsu¯tra, mit airpacce sanskrit-westtocharischen Stichwortliste zum Catus -˙ Buddhaweisheit‘ ˙ paÇäk-t-a-ÇÇe ai[s´amÇe] ,die (vollkommen) unberührte glossiert wird, die Pali-Entsprechung buddhavisaya- ,sphere (of wonder), range, scope or power of a Buddha‘, cf. PED 490. Auch der in Klosterrechnungen belegte westtocharische Mönchsnamen Puttisene, der Skt. Buddhasenawiedergeben dürfte,65 scheint einen solchen Wechsel zwischen a- und i-Stamm aufzuweisen. Im Osttocharischen ist im Übrigen auch a¯rantis´paräm ,Arhant˙ buddhiparäm‘ mit i–Vokal belegt. Wie die Kontamination von buddha- und ˙ (oder auch bodhi-?) zustandekommt, ist unklar. Könnte eine sonst nicht belegte abgeleitete Form *buddhiya- zugrundeliegen? Für TA a¯rantis´paräm wäre ˙ ämauch eine Analogiebildung nach dem Vorbild von (reanalysierten) in-St men in Skt. srota¯patti-, sakr.da¯gami- und ana¯gami-phala- denkbar. Wie oben erwähnt, sind TA paräm und TB perne aus dem Iranischen entlehnt, und zwar, wie die Lautform ˙nahelegt, früh und jedenfalls schon vorbuddhistisch. Die Frage stellt sich nun, warum tocharische Übersetzer paräm/ ˙ perne, das wohl ursprünglich mit den zoroastrisch konnotierten Denotationen ,Königswürde, (göttlicher) Herrscherglanz, Charisma‘ ins Tocharische gekommen war, für buddhistisch-religiös konnotierte Begriffe einsetzen. Zum zweiten stellt sich die Frage, warum paräm/perne als Übersetzungsäquivalente ˙ Buddha (Skt. bodhi-) als auch im sowohl im Kontext mit der Erleuchtung des Zusammenhang mit den vier ,Früchten‘ (Skt. X-phalam pra¯p-) verwendet wird. Vielleicht spielt hier das in Avada¯natexten belegte Klischee eine Rolle, in dem das Erlangen der „vier Früchte“ direkt neben dem Enstehen der verschiedenen Arten von bodhi genannt wird, vgl. die oben erwähnte Passage aus dem Avada¯nas´ataka 1,11: ya¯m [des´ana¯m] ´srutva¯ anekair na¯vikaih ˙ srota¯pattiphala¯ni pra¯pta¯ni, kais´˙cit sakrda¯ga¯miphala¯ni kais´cid ana¯ga¯miphala¯ni, kais´cit pravrajya sarvakles´apraha¯˚na¯d arhatvam sa¯ksa¯tkrtam* kais´cic ˙ ˙ kais ˚ ´cid anutchra¯vakabodhau citta¯ny utpa¯dita¯ni, kais´˙cit pratyekabodhau, tara¯ya¯m samyaksambodhau ,nachdem sie diese [des´ana¯m ,Lehre‘] gehört ˙ hatten,˙erreichten zahlreiche Seeleute die Früchte des In den Strom Eintretens, einige die Früchte des Einmal Wiederkehrenden, einige die des Nicht mehr Wiederkehrenden … einigen entstand der Gedanke an die S´ra¯vaka-bodhi, einigen an die Pratyeka-bodhi, einigen an die höchste, vollkommene bodhi‘. Dass die tocharischen Übersetzer die Termini paräm bzw. perne bewusst wählen, ergibt sich m. E. aus der Tatsache, dass sie, wie ˙oben bereits erwähnt, Skt. phala- in nicht-technischen Kontexten mit TA/TB oko ,Frucht‘ wiedergeben, und dass phala- im Zusammenhang mit der Erlangung der 65 Vgl. CEToM http://www.univie.ac.at/tocharian/?puttisene.
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Mönchs„würde“, Skt. ´sra¯manyaphala-, mit TB sama¯ÇÇe phal[ys]a, also nicht ˙ Peyrot 2016: …˙ kuse kca patne˙ ykuwermem mit perne, übersetzt wird, vgl. ˙ [a¯]… sama¯ÇÇe phal[ys]a ´spa¯l[m]em „Whoever has gone into this stu¯pa … the ˙ ˙ ˙ excellent … of the fruit of monkhood …“ (= Skt. ´sra¯manyaphalala¯bhı¯ ca ˙ stu¯pam kr. (t)v(a¯) pradaksinam „Having made a circumambulation of a stu¯pa, ˙ ˙ ˙ ˙ 66 one attains … the fruit of monkhood“). Auch im osttocharischen Maitreyasamiti-Na¯takam ist diese Ausdrucksweise belegt, vgl. YQ 1.13 b4 cam essäm ˙ äkna¯ sa¯maÇy oko „to this one he gives as a reward the four kinds ˙˙ torim ´stwar w ˙ ˙ 67 of fruit of monkhood“. Ein Blick in die (mittel)iranischen Sprachen des Buddhismus Zentralasiens zeigt, dass Skt. X-phalam pra¯p- im Zusammenhang mit den vier „Früchten“ des Heilsweges auch im Khotansakischen durch eine Konstruktion mit pha¯rrä (< *farnah-) wiedergegeben wird, vgl. tcohora pha-rre ,the four stages (of the Buddhist carreer)‘, tcahaurrva¯ pha¯rrva¯ byauda ,attained the four stages‘, pada ˙ pha¯rrä ,first stage‘ sowie arahamdauÇä byaudä ,having attained arhant-sta˙ 68 tus‘. Von diesem technischen Gebrauch abgesehen, ist pha¯rrä im Khotansakischen im Sinne von ,Glück‘, einmal auch im Sinne von ,Strahlglanz‘ belegt.69 Nach Bailey70 steht auch buddhistisch-sogdisch prn (< *farnah-) im Zusammenhang mit den vier Stufen des Heilsweges. Ein genauerer Blick auf die von Bailey angeführten Beispiele zeigt jedoch, dass es hier weniger um die vier „Früchte“, sondern vielmehr um das Erreichen der „Buddhawürde“ oder „Buddhaschaft“ (auch der Pratyekabuddhaschaft) geht. Im Sogdischen wird dabei – ähnlich wie im Westtocharischen – Skt. bodhi- mit einer Nominalphrase pwty’kh prn /butiyak farn/ ,buddhaschaftliche prn’ wiedergegeben.71 Interessanterweise unterscheidet sich hier der sogdische Sprachgebrauch von dem des Khotansakischen: im Letzteren wird zur Wiedergabe für bodhikonsequent balysu¯sti (< *balsya-busti ,the enlightenment of a Buddha‘ (= Skt. buddha-bodhi-)72 verwendet, pha¯rrä taucht in diesem Zusammenhang im Khotansakischen nicht auf. Sogdisch prn weist im Übrigen ein weites Spektrum sowohl religiöser als auch nicht-religiöser Bedeutungen und Gebrauchsweisen auf.73 Hierzu gehören neben den „traditionellen iranischen“ Denotationen des (königlichen) Glücks- oder Strahlglanzes und Glücks auch technisch-buddhistische und 66 Peyrot 2016, 129 mit Fußnoten 5, 6 und 7. 67 Wie eng die uigurischen Maitrisimit der tocharischen folgt wird darin deutlich, dass auch in der uigurischen Version (I.II.7b) nicht mit qut- übersetzt ist. 68 Bailey 1979, 261. 69 Emmerick in Emmerick/Skjærvø 1997, 103 f., mit dem Hinweis, dass *farnah- als ”cultural wanderwort” aufzufassen sei. 70 Bailey 1943, 54 ff.; ebenso Provasi 2003, 307. 71 Bailey 1943, 54: „pwty’kh prn *butiyak farn ,the position of a Buddha‘, that is, the state of bodhi ,enlightenment‘“; vgl. auch Sims-Williams 1990, 38 und Provasi 2003, 308 ff. 72 Emmerick/Skjærvø 1987, 102. 73 Siehe dazu die ausführliche Darstellung in Provasi 2003.
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-manichäische, sowie schließlich semantisch entleerte Gebrauchsweisen in Titeln und Grußformeln.74 In seinen spezifisch buddhistischen Denotationen dient prn neben dem Begriff der Buddhawürde oder Buddhaschaft u. a. zur Wiedergabe der chinesischen Entsprechungen für Sanskrit laksana- (auch im ˙ ˙¯ - (tong ), Sinne der 32 laksana des Buddha, Chin. xiang ), sowie abhijÇa ˙ ˙ 75 76 ). prabha¯va- (wei ), ´srı¯- (de ) und ¯ırya¯patha- (weiyi Der Sprachgebrauch des Tocharischen deckt sich nur teilweise mit dem jeweiligen des Khotansakischen bzw. Sogdischen; wieweit dies von Zufällen der Textüberlieferung abhängig ist, muss vorläufig offen bleiben. Zwar stimmt das Tocharische in seiner Übertragung der Sanskrit-Phrase X-phalam pra¯pmit dem Khotansakischen überein, doch wäre bei stärkerem khotanischen Einfluss zu erwarten, dass die Tocharer – wie die Saken selbst – für den Zentralbegriff bodhi ein eigenes Lexem wählen. Auch ist das Sakische mit seiner assimilierten Form pharrä- weiter vom Tocharischen entfernt, will man nicht von sehr frühem Einfluss (vor Eintritt der Assimilation) ausgehen. In der Phraseologie stimmt vor allem das Westtocharische eher mit dem Sogdischen überein (pwty’kh prn /butiyak farn/ & TB paÇäk-t-a-mÇe perne), und im breiten ˙ Spektrum der Bedeutungen, die prn im Sogdischen hat, finden sich auch diejenigen des Tocharischen wieder. Wie die sogdisch-tocharischen Sprachund Religionskontakte ausgesehen haben ist bislang allerdings nur unzureichend untersucht. Die sogdisch-buddhistischen Texte, im Wesentlichen aus dem Chinesischen, nicht aus dem Sanskrit übersetzt,77 sind jünger als die tocharischen, dazu kommt, dass einige wenige Fragmente sogar aus dem Tocharischen selbst übertragen sind.78 Sogdischer Einfluss auf den religiösen Sprachgebrauch des Tocharischen ist daher eher unwahrscheinlich. Vermittlung durch Sprecher anderer mitteliranischer Sprachen (Baktrisch?, Parthisch?) ist nicht auszuschließen, doch lässt sich hierzu bei der gegenwärtigen Überlieferungs- und Forschungslage leider nichts Näheres sagen. Trotz dieser Unsicherheiten kann man wohl davon ausgehen, dass der tocharische Sprachgebrauch durch iranische Vermittlung zu erklären ist, und so stellt sich natürlich die Frage, wie das zoroastrisch konnotierte Konzept *farnah- in den iranischen Buddhismus kommt. Hier wäre etwa an die Begegnung und den Kontakt des Buddhismus mit dem iranischen Zoroastrismus in Gandhara und/oder Baktrien zu denken. In seinem 74 Zu prn in Titeln und Grußformeln vgl. Provasi, 2003, 305; ähnlich auch der Gebrauch in turkosogdischen Grußformeln: Sims-Williams/Hamilton 1990, 37–38; 54 (mit Hinweis auf Henning 1945, 475, fn. 1). 75 Vgl. MacKenzie 1976. 76 Provasi 2003, 310–312. 77 S. dazu Yoshida 2015: „… the bulk of of the Sogdian texts are based on the Chinese prototypes, including some apocryphal texts. Their dependence on the contemporary Chinese Buddhism may also be reflected by a few Chinese texts phonetically transcribed in Sogdian script (see below).“ 78 S. dazu Yoshida 2008, 338–339 und Yoshida 2015 sowie Yoshida 2015a, 175.
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Artikel „The Iranian face of Buddhism“ greift Scott79 Beobachtungen Helmut Humbachs und Gikyo¯ Ito¯s auf, die zeigen, wie sich die Begegnung von Buddhismus und Zoroastrismus schon in frühester Zeit in den nordwestlichen, nicht indo-arischen As´oka-Inschriften sprachlich niederschlagen. In den aramäischen Versionen der Inschriften von Taxila und Kandahar werden demnach nicht nur im Zoroastrismus negativ konnotierte Begriffe vermieden, sondern umgekehrt auch Übersetzungsäquivalente geschaffen, die zoroastrisch positiv konnotiert sind: So wird zwar As´okas Selbstbezeichnung Priyadars´in- in den Inschriften beibehalten, doch verzichtet man auf sein in anderen Inschriften übliches Epithet deva¯nam priya- ,den Göttern lieb‘, und ersetzt es durch neutrales mr’n ,Herr‘. Nach Humbach bzw. Scott geschieht dies, um negative Assoziationen mit dem – etymologisch deva- entsprechenden – iranisch-zoroastrischen daeuua- ,Dämon‘ zu vermeiden. Skt. deva wird auch später in sogdischen und khotansakischen Texten vermieden und konsequent durch khot. gyasta bzw. sogd. bag ,Gott‘ ersetzt,80 auch wenn ansonsten Wörter des Sanskrit- bzw. Ga¯ndha¯rı¯wortschatzes durchaus als globale Kopien übernommen werden. Umgekehrt wird das Sanskrit-Simplex dharma- durch eine Zusammensetzung mit Präfix hu- ,gut‘ hu-nistavan- ,gute Ordnung‘ wiedergegeben. Dies geschieht einerseits, um die positiven Konnotationen des Begriffs hervorzuheben, und zugleich um dharma- sprachlich an zoroastrisch positiv konnotierte Begriffe anzubinden, die durch Kompositia mit hu- ausgedrückt sind,81 etwa hu¯xtay- ,gutes Sprechen‘, hujı¯tay- ,gutes Leben‘, die wiederkehrende Triade humata-, huuarsˇta- und huxta- ,wohlgetan, wohlgedacht, wohlgesprochen‘ und schließlich Bahuvrihis wie humanah- ,dessen Denken gut ist‘ oder hudae¯na- ,dessen religiöse Anschauung gut ist‘. Wie im Vorgehenden gezeigt, wird in den Missionierungsbestrebungen sowohl sprachlich als auch stilistisch an zoroastrische Konzepte und Vorstellungen angeknüpft. Nach Scott lassen sich solche Anknüpfungen auch erahnen, wenn in den an ein iranisches Publikum gerichteten aramäischen Versionen der bilingualen Inschriften von Kandahar die Situation nach As´okas Hinwendung zum dharma- mit einer typisch zoroastrischen ZweierVerbindung das „Gedeihen des Guten“ mit dem „Schwinden des Schlechten“ („Since that time evil decreased for all men and he made disappear the quarrelsome“82) zusammengestellt wird, währdend in den griechischen bzw. indischen Versionen lediglich von „guten Verhältnissen“ die Rede ist.83 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum buddhistische Mönche ein so prominentes und ausgeprägt iranisch-zoroastrisches Konzept wie 79 Scott 1990, 46, mit Hinweis auf Humbach 1978 und Ito 1979. 80 Scott 1990, 48, nach Bailey 1979, 109 und Scott 1990, 49, nach Bailey 1982, 50 bzw. Sims-Williams 1983. Nicht so im Baktrischen, wo z. B. ddgboqafo PN ,Deva-ra¯ja‘ belegt ist, vgl. Sims-Williams 2002, 230. 81 Scott 1990, 46. 82 Harmatta 1994, 398. 83 Scott 2009, 47.
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*farnah- wählen, um die besonderen Qualitäten des Buddha bzw. der bodhibesonders hervorzuheben.84 Wie weit hier die luminösen Aspekte des *farnahin die Übertragung als bodhi ,Erleuchtung (!)‘ oder eher die royalen – Buddha als cakravartin-? – hineinspielten, muss zunächst offen bleiben. Dies gilt auch auch für die verlockende Verknüpfung von *farnah- als bodhi- mit dem Aufkommen des Nimbus in der Buddha-Ikonographie der Skulpturen Gandharas, auf baktrischen Münzen und später auch in den Höhlenmalereien Zentralasiens. Gegen letztere wurden sowohl von archäologischer als auch von kunsthistorischer Seite Einwände vorgetragen,85 doch verdient sie meines Erachtens durchaus eine erneute – fachübergreifende – Diskussion. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Bedeutung ,Herscherglanz/Charisma‘ für perne/paräm im Tocharischen zwar belegt ist, diese je˙ doch deutlich hinter die technisch-buddhistischen Verwendungsweisen zurücktritt, was im Zusammenhang mit der Beleglage und Natur der tocharischen Texte nicht weiter verwundert. Die tocharischen Adjektivbildungen mit ihren Glanz- und Strahlkonnotationen sprechen für eine zumindest ursprüngliche Anknüpfung an die luminösen Aspekte des *farnah-, doch zeigen Textstellen wie YQ 1.24 a7 und b4 etc. puttis´parsina¯p cakravarttis la¯nt\ ˙ THT 650 sne lyuta¯r „for the Cakravartin king with the rank of Buddha“ und -\ ktsets-\ puttis´par-a-m cakravarti la¯ntune k-a-lpe „die unübertreffliche, perfekte (?) Buddhaschaft,˙ das universelle Königtum habe ich erlangt“86 die enge Verknüpfung von Buddhaschaft und Königtum. Die Frage, warum sowohl West- als auch Osttocharer die Termini perne/ paräm zum Ausdruck zweier im Indischen sprachlich und konzeptuell deut˙ lich unterschiedener Begriffe benutzen, lässt sich nicht endgültig beantworten, solange nicht mehr Einzelheiten über Missionierung, Textüberlieferung und religiöse Vorstellungswelt der Tocharer bekannt sind. Möglicherweise lassen sich aber Rückschlüsse auf den Übersetzungsvorgang selbst ziehen: Die technische Verwendung des Begriffes perne/paräm einerseits zur Wiedergabe ˙ für Sanskrit phala- ,Frucht‘ (Stufe im Erleuchtungsweg) und andererseits als Buddha-bodhi lässt sich am ehesten aus einem ursprünglich mündlichen Setting mit mehreren Beteiligten erklären, in dem neben einem (Sanskrit-)text-rezitierenden Mönch ein weiterer (iranischsprachiger) die Texte kommentierend erklärte, und dabei auf die schon vorbuddhistisch ins Tocharische gekommene und in Zentralasien sowohl bei den Iranern selbst als auch bei den Uiguren87 verbreitete Vorstellung des Herrscherglanzes bzw. 84 Auch Scott 2009, 48 f. geht – unter Berufung auf Bailey – darauf ein, doch unter der Annahme der Begriff bedeutet im Iranischen in erster Linie ,fortune‘ und im Tocharischen ,position‘. 85 Einen Forschungsüberblick gibt Gnoli 1999. Einwände gegen die Deutung des Nimbus als ikonographische Darstellung des xvar« nah- erhebt vor allem Tanabe 1984. 86 Sieg 1944, 20 Fn. 12. 87 Jens Peter Laut machte mich freundlicherweise (mündlich) darauf aufmerksam, dass auch das alttürkische qut u. a. in den im Tocharischen belegten buddhistisch-technischen Bedeutungen vorkommt. S. dazu Clauson 1972, Bombaci 1965 und 1966 sowie Klimkeit 1998.
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Charismas zurückgriff, um die besonderen Qualitäten des Buddha und der in den Stufenweg eingetretenen Personen hervorzuheben.
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Religionsbegegnung als Katalysator theologischer Rationalisierung Am Beispiel des Konflikts um die Verehrung der Götter im japanischen Buddhismus des 13. Jahrhunderts 1. Theoretische Vorannahmen und erkenntnisleitende Hypothesen 1.1 Macht und die soziale Konstruktion subjektiver Wirklichkeiten Inspiriert durch die Religionssoziologie Max Webers sieht Pierre Bourdieu eine Hauptfunktion von Religion in der „Wahrung sozialer Ordnung“ und der „,Legitimierung‘ der Macht der ,Herrschenden‘“.1 Ähnlich wie das Recht stelle Religion „ein Machtinstrument“ dar, „das als Instrument der Erkenntnis wirkt“.2 Diese Funktion wird dadurch erfüllt, so Bourdieu, dass das „Produktionssystem der religiösen Ideologie“ eine „Verklärung der gesellschaftlichen Verhältnisse in übernatürliche also in der Natur der Dinge verankerte und somit gerechtfertigte Verhältnisse vollzieht“.3 Wissenssoziologisch gesprochen erfolgt die Legitimierung des gesellschaftlichen Status Quo und vor allem der Machtverhältnisse vermittels der Schaffung subjektiver Wirklichkeiten, die qua Externalisierung und Objektivation den Status natürlicher Gegenstände erhalten. Allerdings genügt es nicht, Wirklichkeit zu konstruieren; die subjektive Wirklichkeit muss zunächst von den Individuen internalisiert, institutionalisiert und durch Schaffung von Plausibilitätsstrukturen4 aufrechterhalten werden. Die Erfolgsaussichten dieses Vorhabens steigen zweifellos mit der Kohärenz der Wirklichkeitskonstruktion, die für das Individuum plausibel, sinnstiftend und handlungsorientierend, für die Gesellschaft normbegründend sein soll. Daher lautet die Ausgangshypothese dieses Beitrags: Das Religionssystem5 strebt permanent nach komplexitätsreduzierender Kohärenz, um kognitive 1 2 3 4
Pierre Bourdieu, Religion (Berlin: Suhrkamp, 2011), 37. Ebd., 36. Vgl. ebd., 14–15; 37–38. Zum Konzept der „Plausibilitätsstrukturen“ siehe Peter L. Berger et al., Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit: Eine Theorie der Wissenssoziologie (Frankfurt am Main: FischerTaschenbuch-Verl., 2009), 165–174. 5 Den Begriff ,Religionssystem‘ verwende ich durchaus in bewusster Anlehnung an die funktionale Systemtheorie Niklas Luhmanns. Siehe z. B. Niklas Luhmann, Funktion der Religion. Theorie (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1977); ders. und Andr8 Kieserling, Die Religion der Gesellschaft (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002 [2000]).
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Dissonanzen6 individueller und kollektiver Akteure zu minimieren und damit die Durchsetzung der religiös konstruierten Wirklichkeit, mithin: kognitiver und normativer Orientierungen (Seiwert) zu erleichtern. Die Notwendigkeit zu einer umfassenden Rationalisierung der so genannten Universalreligionen ergibt sich also einerseits aus der „höchst eigenwillige[n] Eigengesetzlichkeit des Religiösen“7, andererseits aber – und das ist in diesem Zusammenhang entscheidend – aus ihrer politischen Funktion im Zuge der Herausbildung früher ,Hochkulturen‘. Der Übergang von vorrangig segmentär zu stratifikatorisch differenzierten, hierarchisch gegliederten Hochkulturen erfordert die Schaffung einer herrschaftslegitimierenden und -sichernden Einheitskultur. Universalreligionen stellen regelmäßig einen semantischen Apparat zur Verfügung, der die Integration der Kultur unter einer einheitlichen Zentralperspektive ermöglicht und so die zentrifugalen Kräfte der Gesellschaft eindämmt. Alois Hahn spricht in diesem Zusammenhang und im Anschluss an Tenbruck von einem typischen Kanonisierungsbedürfnis der Hochkulturen.8 Die heterogenen, an bestimmte soziale Verbände gebundenen Kulturelemente müssen zu einem systematischen Ganzen zusammengeführt und hierarchisiert werden. Eine der wesentlichen Herausforderungen für die religiösen Virtuosen ist es in diesem Zusammenhang, die Gesamtheit aller zunächst weitgehend unverbunden nebeneinander bestehenden Kulte und Mythen in ein kohärentes System zu bringen und eine plausible Erklärung für die Priorität der Riten und Mythen des herrschenden sozialen Verbandes (i. d. R. eine Sippe oder ein Clan) zu liefern. Auch diesen Vorgang möchte ich hier als ,Rationalisierung‘ bezeichnen. In der japanischen Geschichte stehen zwei Werke exemplarisch für den Versuch der Rationalisierung und Kanonisierung des Kult- und Mythenbestandes zu einer Einheitskultur : die beiden Reichschroniken Kojiki (712) und v. a. Nihon shoki (720), die im kaiserlichen Auftrag zu Beginn des 8. Jahrhunderts fertiggestellt wurden.9 Die esoterisch-buddhisti6 Zur Theorie der ,kognitiven Dissonanz‘ siehe Leon Festinger, Martin Irle und Volker Möntmann, Theorie der kognitiven Dissonanz (Bern: H. Huber, 1978). 7 Max Weber und Johannes Winckelmann, Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie (Tübingen: Mohr, 1980), 264. 8 Vgl. hierzu im Anschluss an Tenbruck Alois Hahn, „Kanonisierungsstile“, in Kanon und Zensur: Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation, Aleida Assmann und Jan Assmann (Hg.), 28–37 (München: Fink, 1987). Diese Übergänge vollziehen sich in einem allmählichen, nie vollkommen abgeschlossenen Prozess. In der gesellschaftlichen Entwicklung kommt es immer zu Anachronismen, Asynchronitäten und Atavismen. Das Fortbestehen segmentärer Differenzierung in primär stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften führt regelmäßig zu tendenziell destabilisierenden Spannungen. 9 Besonders im Nihongi wurden die Einzelmythen der verschiedenen Clans in eine pseudo-historiographische, annalistische Form gebracht und hierarchisch auf den Mythos des herrschenden Clans des ,Sonnengeschlechts‘ bezogen. Siehe hierzu Nelly Naumann, Die Mythen des alten Japan (München: Beck, 1996). Darüber hinaus fungierte der Buddhismus als Garant einer Einheitskultur, die ihren rituell-performativen Ausdruck in den zentralen Staatsriten, ihren archi-
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sche Neuinterpretation dieses systematisch rationalisierten Mythenbestandes )10 zielte im 12./13. Jahrhundert (z. B. im Nakatomi harae kunge schließlich auf eine vollständige und kohärente Integration der Mythen in Weltbild und Ritual des tantrischen Buddhismus ab; d. h. wir haben es hier mit einem weiteren Rationalisierungsschub zu tun, dem allerdings nicht alle Buddhisten folgen wollten, wie wir am Beispiel Ho¯nens (1133–1212) und Shinrans (1173–1263) sehen werden.
1.2 Sinnkrisen und Kohärenzkrisen Einmal im Zuge der Hochkulturbildung erfolgreich etablierte kollektiv verbindliche, subjektive Wirklichkeitskonstruktionen sind krisenanfällig, die „Inhalte der subjektiven Wirklichkeit immer gefährdet“.11 Der Gefährdungsgrad der subjektiven Wirklichkeit ist aber nicht gleichbleibend hoch. Es gibt biographische (für das Individuum) und historische (für die Gesellschaft) Phasen, in denen die „Wirklichkeitsabsicherung“ besonderer Anstrengungen bedarf. So können Irritationen aus der Systemumwelt (z. B. Politik, Wirtschaft, Recht, Wissenschaft) ,Sinnkrisen‘ auslösen, d. h. die bisher im System präferierten Selektionen erscheinen nun fragwürdig. Zum einen wird das Religionssystem durch Irritationen aus der Systemumwelt – in vormodernen Gesellschaften insbesondere aus dem System der Politik – zur ständigen Anpassung und Neukonfiguration durch Reorganisation seiner Einzelelemente gezwungen. Da, wie ich mit Bourdieu meine, Religion nicht zuletzt die politische Funktion einer ,Soziodizee‘ hat und damit der Legitimation von Herrschaft und gesellschaftlichem Status Quo als etwas vermeintlich ,Naturbzw. Gottgegebenes‘,12 reagiert das Religionssystem besonders heftig auf Herrschaftswechsel oder Krisen der Herrschaftslegitimation. Um ihrer Funktion gerecht zu werden, muss die Religion die sich verändernde Welt immer wieder neu als etwas sinnhaft Ganzes beschreiben. Zudem manifestieren sich Irritationen durch die Systemumwelt in Form von spezifischen Interessen bestimmter sozialer Trägerschichten. Diese Interessen bestimmen in nicht unerheblichem Maße die Richtung der Rationalisierung des Religionssystems. Insofern religiöse Teilsysteme sich sowohl in der Konkurrenz gegen andere religiöse Teilsysteme als auch gegenüber der Systemumwelt bewähren müssen, tektonischen in der Errichtung des To¯daiji in der Hauptstadt Nara fand. Auf der institutionellen und administrativen Ebene diente die Übernahme der chinesischen Verwaltung im Ritsuryo¯System dem Zweck der einheitskulturellen Zentralisierung und Hierarchisierung. ¯ sumi Kazuo 10 Ediert in O (Hg.), Chu¯sei Shinto¯ ron ; Nihon shiso¯ taikei ; 19 (To¯kyo¯ : Iwanami Shoten, 1977); für eine Übersetzung und Analyse dieses hochinteressanten Textes siehe Mark J. Teeuwen und Hendrik van der Veere, Nakatomi Harae Kunge: Purification and Enlightenment in Late-Heian Japan (München: Iudicium, 1998). 11 Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 157. 12 Vgl. hierzu Bourdieu, Religion, 14–15; 37–38; 56–57; 67.
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kann man in Bezug auf die Einwirkung exogener, d. h. [teil]system-fremder Einflussfaktoren von einem Selbstbehauptungs-Postulat sprechen. Andererseits kann das Religionssystem nur gemäß seiner ,Eigengesetzlichkeit‘ und einzelne Religionen nur im Rahmen einer begrenzten Zahl theologischer Optionen13 Irritationen aus der Systemumwelt verarbeiten und sich durch Reorganisation seiner Einzelelemente neu konfigurieren. Zur Eigengesetzlichkeit oder Eigenlogik14 des Religionssystems gehört nach Luhmann zunächst einmal, dass sich religiöse Kommunikation stets irgendwie an der Leitunterscheidung Transzendenz/Immanenz orientiert. Dabei ist historisch häufig eine Entwicklung hin zu einer zunehmenden Betonung des Gegensatzes zwischen Transzendenz/Immanenz und einer Verabsolutierung der Transzendenz zu beobachten15 – was, wie wir sehen werden, wiederum in letzter Konsequenz zur vollkommenen Aufhebung des Gegensatzes führen kann. Bei der konkreten Ausgestaltung des Transzendenzkonzepts gibt es gleichwohl diverse Möglichkeiten – in dem hier zu verhandelnden historischen Fallbeispiel werden von den Akteuren diesbezüglich zwei radikal unterschiedliche Wege eingeschlagen.16 Weiterhin gehört zur Eigengesetzlichkeit des Religiösen das Kohärenzpostulat. Die Elemente des Systems müssen sich möglichst widerspruchsfrei zu 13 Joachim Wach spricht in diesem Zusammenhang von dem „jeweiligen Mittelpunkt“ einer Religion und betrachtet die Entwicklung der Religionen als „Entfaltung des in ihnen liegenden Prinzips“. Joachim Wach und Christoffer H. Grundmann, Religionswissenschaft: Prolegomena zu ihrer wissenschaftstheoretischen Grundlegung (Waltrop: Spenner, 2001), 79; 84. 14 Ich orientiere mich hier an Luhmann, der Religion und andere soziale Systeme als ,autopoietische‘, kognitiv offene, aber operativ geschlossene Systeme definiert. Bereits Weber hatte eine „höchst eigentümliche Eigengesetzlichkeit des Religiösen“ konstatiert (Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 264), aber auch anderen ,Lebensordnungen‘ eine Eigengesetzlichkeit zugestanden und die Konfliktträchtigkeit des Nebeneinanders verschiedener Lebensordnungen und Wertsphären betont. Siehe Max und Marianne Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I (Tübingen: J.C.B. Mohr, 1988 [1920]), 537. Zur Eigengesetzlichkeit des Religiösen schreibt Weber: „… die Rationalisierung des Religiösen hat durchaus ihre Eigengesetzlichkeit, auf welche ökonomische Bedingungen nur als ,Entwicklungswege‘ wirken, und ist vor allem an die Entfaltung einer spezifisch priesterlichen Bildung geknüpft“. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 704. Vgl. Bourdieu, Religion, 41. 15 Diese Tendenz scheint allerdings nicht zwangsläufig und auch nicht irreversibel zu sein. Es bleibt abzuwarten, ob ,postmoderne‘ Entwicklungen wie die ,Auflösung des religiösen Feldes‘ (Bourdieu), ,Entgrenzung der Religion‘ (Knoblauch), religiöser Fundamentalismus usw. nicht gleichermaßen eine Auflösung der Systemgrenzen der Religion und zugleich eine Verwässerung des Gegensatzes von Transzendenz und Immanenz befördern. 16 Bei genauem Hinsehen ist z. B. in Bezug auf den Buddhismus leicht zu erkennen, dass alle Diskurse letztlich um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Transzendenz (lokottara: nirva¯na [Verlöschen], bodhi [Erwachen], moksa [Befreiung], jo¯do [Reines Land], Bud˙ ˙ dha…) und Immanenz (laukika: samsa¯ra [Umherwandern (im Kreislauf von Geburt und Tod)], ˙ moha [Unwissen], edo , pr. thag-jana [Durchschnittsmensch]) kreisen, in unserem Beispiel eben um die Beziehung von Ur-Gründen (honji =Buddhas etc.) zu herabgelassenen Spuren (suijaku =Kami etc.), Ordnung des Buddha (buppo¯ ) zur Ordnung des Herrschers (o¯bo¯ ) usw.
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einem kohärenten Ganzen verbinden. Auch wenn vormoderne Kulturen häufig eine gewisse Ambiguitätstoleranz aufweisen, müssen allzu radikale Brüche vermieden und stattdessen Kontinuität suggeriert werden. Je stärker eine Religion, z. B. durch Kanonbildung, dogmatisch fixiert ist, desto geringer ist die Anzahl der Wahlmöglichkeiten bei der Reorganisation der Elemente. Dennoch sind selbst stark kanonisierte Religionen flexibel genug, verschiedene, nicht selten vollkommen gegensätzlich erscheinende Entwicklungsoptionen bereit zu halten, je nachdem, welche dogmatische Position konsequent weitergedacht wird. Hieraus ergeben sich nicht unerhebliche Zentrifugalkräfte, die sogar ein Auseinanderbrechen des Religionssystems bzw. seine segmentären Differenzierung etwa durch Schisma oder Sektenbildung bewirken können. Der Bedarf an Reorganisation der Einzelelemente ist historisch stark schwankend. Wie schon gesagt, steigern politische und gesellschaftliche Umbrüche den Reorganisationsbedarf. Von mindestens ebenso großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Aufeinandertreffen heterogener Elemente durch Diffusion, etwa durch Kultur- und Religionskontakt. Die meist unter dem Schlagwort ,Synkretismus‘ beschriebene Assimilation exogener Religionselemente etwa im Zuge der Inkulturation einer Religion in eine neue Umgebung zwingt in extremem Maße zu einer Neukonfiguration durch Reorganisation der Elemente. Religionsbegegnungen (z. B. in Form von religiöser Diffusion) gefährden tendenziell die innere Kohärenz des Sinnsystems und die Funktion der Plausibilitätsstrukturen. Ich möchte in diesem Zusammenhang von ,Kohärenzkrisen‘ sprechen.17 Durch endogene Faktoren, d. h. durch systeminterne Vorgänge ausgelöste Kohärenzkrisen (so eine zentrale These dieses Beitrags) wirken – ähnlich wie durch exogene Faktoren, d. h. durch Irritationen aus der Systemumwelt bewirkte ,Sinnkrisen‘ – als Katalysatoren theologischer Rationalisierung. Religionen sind wie gesagt – meist entgegen ihrem Selbstverständnis – extrem komplexe und flexible Systeme, in 17 Die Unterscheidung zwischen ,Kohärenzkrisen‘ als Resultat innerreligiöser Neuformationen und ,Sinnkrisen‘ als Resultat extrinsischer Irritationen soll verdeutlichen, dass aus der Systemumwelt keine neuen Elemente in das Religionssystem eingespeist werden, die dann im Zuge einer Rationalisierung in eine neue Ordnung gebracht werden müssen. Vielmehr – so eine zu prüfenden These – führt die extrinsische Irritation in eine Krise bezüglich der Frage, ob die bisher im System präferierten Selektionen noch die richtigen sind. In meinem Fallbeispiel haben wir es mit beidem zu tun: politische, rechtliche, ökonomische Veränderungen (Bildung eines Einheitsstaates, Einführung chinesischer Institutionen und Rechtsnormen [6. Jh. ff]; Machtwechsel zugunsten des Kriegeradels, Durchsetzung feudalistischer Strukturen etc. [12/13. Jh.]) irritieren das Religionssystem und schaffen Rationalisierungs- bzw. Anpassungsbedarf. Die Erweiterung des innerreligiösen Elementbestandes durch Religionsbegegnung (6. Jh.) löst einen Rationalisierungsschub aus, und die hierdurch bedingten Konflikte zwischen divergierenden Rationalisierungspfaden (12./13. Jh.) gefährden erneut die Kohärenz des Religionssystems, wodurch neuer Rationalisierungsbedarf entsteht. Im Ergebnis wirken Sinnkrisen also ebenso rationalisierungsfördernd wie Kohärenzkrisen. Sie wirken aber – wie gesagt – auf andere Weise.
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denen die Zahl der anschlussfähigen Operationen zwar begrenzt, aber doch groß genug ist, dass unterschiedliche ,Rationalisierungspfade‘ möglich bleiben. Die Vielfalt möglicher Rationalisierungspfade steigert die Komplexität des Systems und birgt dadurch in sich wiederum die Gefahr, Kohärenzkrisen auszulösen, die sich in innerreligiösen Konflikten manifestieren. Diese enden i. d. R. damit, dass ein Rationalisierungspfad als ,nonkonformistisch‘ delegitimiert wird. Innerreligiöse Pluralität schlägt dann in eine Konstellation um, in der eine Seite für sich das „Monopol der legitimen Ausübung religiöser Gewalt“18 beanspruchen kann, während die andere Seite als ,heterodox‘ stigmatisiert und negativ sanktioniert wird. Diese Konfliktsituation wirkt ihrerseits als Katalysator theologischer Rationalisierung, da beide Seiten herausgefordert sind, auf den Konflikt zu reagieren und sich in ihm, d. h. im umkämpften religiösen Feld, irgendwie zu behaupten. Das Aufeinandertreffen heterogener religiöser Elemente – Vorstellungen, Praktiken, Symbole, Institutionen, Diskurse etc. – löst also einen Dynamisierungsschub aus, da sowohl der Bedarf an Rationalisierung i. S. der Neukonfiguration der Elemente als auch der Konkurrenzdruck zwischen den ,Lieferanten‘ bzw. sozialen Trägern der heterogenen religiösen Elemente steigen. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen um Selbstbehauptung und Macht im religiösen Feld kann es (1) zur Verhärtung und Fixierung (der Prozess wird ,eingefroren‘) der divergierenden Positionen (z. B. in Form von Kanonisierung als „Stillstellung des Traditionsstroms“19), (2) zur Zuspitzung der strittigen Positionen oder (3) zu einseitigen oder wechselseitigen Anpassungsprozessen kommen. In seltenen Fällen kann die durch den Konflikt angeregte theologische Rationalisierung zur Bildung neuer Religionen führen, wie dies – so meine These – im spätmittelalterlichen Japan geschehen ist, als sich ein zunächst buddhistischer Diskurs über die Kami , die ,einheimischen Götter‘, verselbstständigte und so die Religion des Shinto¯ entstand.
1.3 Zwischenfazit: Religionsgeschichte als infiniter Rationalisierungsprozess Aus dem oben Gesagten folgt, dass man Religionsgeschichte als einen Prozess ständiger Neukonfigurationen des Religionssystems beschreiben kann. Da diese Neukonfigurationen nicht willkürlich geschehen, sondern mit bestimmten Zielen und aus bestimmten Interessen heraus sowie mit einer gewissen methodischen Folgerichtigkeit, bezeichne ich diesen Prozess als ,Rationalisierung‘. Für den dynamischen Prozess der beständigen Neukonfiguration der Elemente des Religionssystems sind exogene wie endogene Einflussfaktoren verantwortlich. Versuche der Reorganisation des Religionssystems sind durch die Postulate der Kohärenz und der Konsequenz bestimmt. 18 Ebd., 19. 19 Jan Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis: Zehn Studien (München: Beck, 2000), 144.
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Kognitive Dissonanzen werden einerseits dadurch vermieden, dass sich die Elemente widerspruchsfrei in ein kohärentes Gesamtsystem einfügen – nur so lassen sich überzeugende Wirklichkeiten konstruieren und mithilfe etablierter Plausibilitätsstrukturen kollektiv durchsetzen und tradieren. Andererseits muss die Reorganisation als konsequente Fortführung traditionell akzeptierter Lehrauffassungen präsentiert werden und damit Kontinuität, also gleichsam Kohärenz in diachroner Perspektive suggerieren. Nicht jede ,theologische Operation‘ ist anschlussfähig. Auch aus diesem Grund möchte ich die unter dem Kohärenz- und Konsequenz-Postulat stehenden Reorganisationsprozesse als ,[theologische] Rationalisierung‘ beschreiben, wobei ich unter ,Theologie‘ hier im Anschluss an Niklas Luhmann ganz schlicht die ,Reflexion des Religionssystems‘ verstehe.
1.4 Religionsbegegnung als Katalysator theologischer Rationalisierung 1.4.1 Was begegnet sich und was folgt daraus? Synkretismus und die Essenzialisierungsfalle: Wenn wir von ,Religionsbegegnung‘ sprechen, erhebt sich unmittelbar die Frage nach den sich begegnenden Einheiten. Wer oder was begegnet sich? In den Bereich der Folgenbeschreibung religiöser Begegnung fallen offenkundig alle SynkretismusTheorien. Das Konzept des Synkretismus als Modell zur Beschreibung und Analyse der Folgen religiöser Begegnung hat in bestimmten Erklärungszusammenhängen zweifellos einen heuristischen Wert. Es birgt aber auch ein nicht unerhebliches Potenzial für Missverständnisse. Auf ein Problem ist immer wieder hingewiesen worden: Der Begriff des Synkretismus suggeriert, dass es ,sortenreine‘ Religionen geben könne und enthält damit eine implizit normative Komponente. Darüber möchte ich hier nichts weiter sagen. Im Kontext des Tagungsthemas halte ich ein anderes Problem für gravierender : Die Rede vom Synkretismus birgt die Gefahr der Essenzialisierung, d. h. Religionen werden hier zu fixen Einheiten reifiziert, die durch Begegnung mit anderen Einheiten gleichsam hybridisiert werden. Dieses Modell ist mir für den aktuellen Kontext zu essenzialistisch und zu statisch. Ich möchte das Problem mit Blick auf mein Thema und am Beispiel der immerhin dynamischen Synkretismus-Theorie Michael Pyes erläutern. Pye definiert Synkretismus als „the temporary ambiguous coexistence of elements form diverse religions and other contexts within a coherent religious pattern“.20 Aus der Ambiguität der Bedeutungen der religiösen Elemente innerhalb des synkretistischen Komplexes ergibt sich ein Spannungszustand, dessen Dynamik religionsgeschichtlich in drei verschiedene Formen münden kann, 20 Michael Pye, „Syncretism and Ambiguity,“ Numen 18, Nr. 2 (1971): 83–93.
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nämlich (1) Synthese, (2) Assimilation und (3) Auflösung.21 Praktischerweise erläutert Michael Pye sein Synkretismus-Modell genau an meinem Fallbeispiel: Im 6. Jahrhundert sei der chinesische Buddhismus aus Korea kommend auf den einheimischen Shinto¯ getroffen. Letzterer sei vom Buddhismus nach und nach assimiliert worden, wobei jedoch eine Spannung bzw. ,Ambivalenz‘ der verschiedenen Elemente des synkretistischen Komplexes bestehen blieb und diese je nach Perspektive einen unterschiedlichen Sinn haben konnten. Diese Spannung löste sich auf, als im 19. Jahrhundert Shinto¯ und Buddhismus zwangsweise wieder voneinander getrennt wurden.22 Ich habe schon an anderer Stelle betont, dass mir dieses Modell bezogen auf die japanische Religionsgeschichte nicht vollständig einleuchtet.23 Die beiden Probleme dieses Modells sind schnell benannt: (1) Pye suggeriert, es habe im 6. Jahrhundert eine mehr oder weniger distinkte Religion mit der Bezeichnung ,Shinto¯‘ gegeben. (2) Er suggeriert, Elemente dieses Shinto¯ seien mehr oder weniger unverändert über die Jahrhunderte überliefert worden und hätten dann im 19. Jahrhundert eine zwar veränderte, aber doch mit dem vor-buddhistischen Shinto¯ identifizierbare Religion ergeben, nachdem sie von buddhistischen Elementen ,gereinigt‘ worden seien. Dieses historische Narrativ halte ich für problematisch und letztlich für ein Produkt nativistischer und nationalistischer Diskurse im Japan der frühen Neuzeit und der Moderne.
1.4.2 Alternative Betrachtungsweisen: Akteursperspektive vs. Systemtheorie Es gibt meines Erachtens zwei naheliegende Alternativen zum klassischen Synkretismus-Konzept bei der Betrachtung religiöser Begegnung, die jeweils auf diametral entgegengesetzte Weise die Essenzialisierungsfalle umgehen. Erstens kann man eine strikt akteurszentrierte Perspektive einnehmen. Religionen werden dann nicht als geschlossene Einheiten betrachtet, die sich irgendwie begegnen; vielmehr sind es konkrete Menschen, die in Kontakt mit anderen kommen, bestimmte Ideen aufgreifen und verarbeiten. Diese Perspektive hat ihre Vorzüge, aber auch erhebliche Nachteile, auf die ich hier aus 21 Michael Pye, „Synkretismus“, in Metzler Lexikon Religion: Gegenwart – Alltag – Medien, Christoph Auffarth et al. (Hg.) (Stuttgart: Metzler, 2005), Bd. 3; vgl. ders., „Syncretism versus Synthesis,“ Method & Theory in the Study of Religion 6, Nr. 3 (1994): 217–229. Für eine kritische Auseinandersetzung mit Pyes Synkretismuskonzept siehe Luther H. Martin, „Syncretism, Historicism, and Cognition: A Response to Michael Pye,“ Method & Theory in the Study of Religion 8, Nr. 2 (1996): 215–224. Für eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Kritik siehe Einar Thomasson, „Musings on Syncretism,“ in Unterwegs: Neue Pfade in der Religionswissenschaft. Festschrift für Michael Pye zum 65. Geburtstag, Christoph Kleine, Monika Schrimpf und Katja Triplett (Hg.), 137–147 (München: Biblion, 2004). 22 Pye, „Syncretism and Ambiguity“; ders., „Synkretismus“. 23 Unveröffentlichter Vortrag auf der Jahrestagung der DVRW 2009 in Bochum mit dem Titel: „Buddhismus und Shinto¯ : Zwischen asymmetrischem Religionskontakt und intrareligiöser Ausdifferenzierung“.
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Platzgründen nicht näher eingehen kann. Eine offenkundige Schwäche der individualisierenden und konkretisierenden Akteursperspektive ist methodischer Natur: wie soll man die Einstellungen, Motive und Absichten historischer Akteure untersuchen? Wir können i. d. R. die Einstellungen der Akteure nur anhand ihrer Teilnahme an Diskursen ermitteln. Sie sind für uns also zunächst einmal Diskursteilnehmer bzw. -produzenten. Für die Religionsgeschichte ist aber der Diskurs das eigentlich Interessante, weniger die am Diskurs beteiligten Personen, auf die wir methodisch kaum Zugriff haben. Eine weitere Alternative besteht darin, den Begegnungsvorgang aus systemtheoretischer Sicht zu betrachten. Der Vorteil der systembezogenen, verallgemeinernden und abstrahierenden Perspektive liegt darin, dass sich Systeme durch Kommunikation bilden und reproduzieren und diese Vorgänge anhand von Diskursen (also: Kommunikationen) vergleichsweise gut rekonstruieren lassen. Die durch Diskursanalyse zu realisierende systemtheoretische Perspektive steht oberflächlich betrachtet am anderen Pol des Spektrums der Betrachtungsmöglichkeiten. Sie kümmert sich kaum um Akteure und reifiziert Religionen trotzdem nicht. Auch diese Perspektive hat zweifellos Schwächen, aber auch viele Stärken, weswegen ich ihr hier den Vorzug gebe, ohne allerdings den Anspruch orthodoxer Luhmann-Exegese erheben zu wollen. Mein Blick auf den Gegenstand ist gleichermaßen von Max Weber und Pierre Bourdieu wie von Niklas Luhmann geprägt, wobei ich mir die Freiheit nehme, deren Theorien auf undogmatische Weise als Erkenntnismittel zu instrumentalisieren – und vielleicht an manchen Punkten sogar zu erweitern. 1.5 Hinführung an den Gegenstand Das empirische Fallbeispiel dieses Artikels liefert der Konflikt zwischen dem religiösen Establishment – dem so genannten ,exo-esoterischen System‘ (kenmitsu taisei )24 und der nonkonformistischen Bewegung des Reinen Landes (jo¯do ) in der frühen Kamakura-Zeit (1185–1333). Aus der Perspektive der Religionstheorien Webers und Bourdieus erscheint dieser Konflikt als eine typische Auseinandersetzung zwischen einer Amtspriesterschaft, die über die Gewährung und Verweigerung von Heilsgütern im Dienste einer Gnadenanstalt wacht, und charismatisch begabten Propheten, deren kritischer Diskurs, „unter Berufung auf die charismatische Inspiration […] die Autorität der Instanzen“ bestreitet, „die das Monopol über die legitime Ausübung der symbolischen Macht innehaben“.25 Aus dieser Konfliktkon24 Ein von dem japanischen Historiker Kuroda Toshio eingeführter Begriff zur Beschreibung der Gesamtheit der als orthodox anerkannten klösterlichen Institutionen, Tempel und Schreine des mittelalterlichen Japan, „which provided a cohesive ideological structure for its social and political order“. Kuroda Toshio, „The Development of the Kenmitsu System as Japan’s Medieval Orthodoxy,“ Japanese Journal of Religious Studies 23, 3–4 (1996): 233–269. 25 Bourdieu, Religion, 23.
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stellation folgt für Bourdieu zwingend, „dass das bürokratische Heilsunternehmen der bedingungsloseste Feind allen ,persönlichen‘, also prophetischen, mystischen, ekstatischen Charismas ist“.26 Eine Unterdrückung und Verfolgung der charismatischen ,Propheten‘ und ihrer Anhängerschaft wäre demnach erwartbar. Bei genauem Hinsehen erweist sich diese Deutung jedoch als unterkomplex. Sie suggeriert zumindest, dass eine im Dienst einer Gnadenanstalt stehende Amtspriesterschaft27 genuin konservativ und lediglich an der Wahrung des Status Quo interessiert, während die Haltung der charismatischen Propheten spezifisch revolutionär sei.28 In meinem Fallbeispiel ist es jedoch so, dass zwar die mit persönlichem Charisma begabten Nonkonformisten des Reinen Landes in der Tat unerhörte Positionen vertraten, die das Potenzial zur Gefährdung des religiös-politischen Status Quo hatten. Ihr Aufbegehren richtete sich jedoch nicht primär gegen eine konservative Stagnation, sondern gegen ihrerseits recht innovative Entwicklungen oder : Rationalisierungsprozesse innerhalb des Religionssystems. Auch erreichte das „charismatische Handeln“ der beiden bekanntesten Protagonisten der Bewegung, Ho¯nen und Shinran,29 „seine Wirkung“ nicht „mittels der prophetischen, außeralltäglichen und diskontinuierlichen Rede, während das priesterliche Handeln einer ,religiösen Methode rationalen Typs‘“ gefolgt wäre, „deren wichtigstes Cha26 Ebd., 25–26. 27 Taira Masayuki hat an Kurodas Theorie vom exo-esoterischen System eben gerade kritisiert, dass diese eine Einheit des religiösen Systems suggeriere, wo es in Wirklichkeit nur eine Mehrzahl von konkurrierenden Institutionen gegeben habe. Taira Masayuki, „Kuroda Toshio and the Kenmitsu Taisei Theory,“ Japanese Journal of Religious Studies 23, 3–4 (1996): 427–447. Tatsächlich war man im mittelalterlichen Japan weit von der Existenz einer ,universalen Gnadenanstalt‘ i. S. etwa der Römisch Katholischen Kirche entfernt. Dennoch ist Kuroda zuzustimmen, dass die staatlich anerkannten, untereinander konkurrierenden religiösen Institutionen an einem Strang zogen, wenn es um die Unterdrückung von ,Heterodoxien‘ und die Legitimierung des gesellschaftlichen Status Quo ging. 28 Max Weber betont den revolutionären Charakter der ,charismatischen Herrschaft‘ in seiner Herrschaftssoziologie. Insofern der Prophet bei Weber der idealtypisch konstruierte charismatische Herrscher im religiösen Bereich ist, wohnt ihm ein revolutionäres Potenzial inne. Charismatische Herrschaft sei sowohl „revolutionär“ als auch „irrational“. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 141; Weber und Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, 269. Dass diese Zuschreibungen für Ho¯nen und Shinran nicht ganz zutreffend sind, wird nachfolgend hoffentlich deutlich werden. 29 Wenn ich hier und im Folgenden Ho¯nen und Shinran gleichsam im Doppelpack präsentiere, möchte ich damit nicht die Unterschiede zwischen beider Lehre verwischen. Eine genauere Auseinandersetzung mit den Lehrunterschieden der beiden würde den Rahmen dieses Aufsatzes jedoch ersichtlich sprengen. Kurz gesagt ist Shinrans Lehre ihrerseits ein Versuch, Ho¯nens Lehre mit den gängigen Denkmustern des Mainstream-Buddhismus zu harmonisieren. Seine Rationalisierung des Buddhismus des Reinen Landes fällt so gesehen an manchen Stellen einerseits zurück in die monistischen Mainstream-Diskurse, führt andererseits aber Ho¯nens Gedanken konsequent weiter, wodurch bestimmte Ideen von Shinrans Meister klarer und konsistenter werden. Es ist offensichtlich, dass Ho¯nen in seiner radikalen Fokussierung auf die Soteriologie keine Ambitionen hatte, eine konsistente Philosophie zu entwickeln.
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rakteristikum darin besteht, dass sie kontinuierlich und alltäglich erfolgt“.30 Die Diskursstrategien Ho¯nens und Shinrans folgen formal unzweifelhaft der „religiösen Methode rationalen Typs“. Revolutionär und nonkonformistisch ist lediglich der Inhalt ihrer Lehren, nicht ihr Habitus. Gerade Ho¯nen galt hinsichtlich seines Habitus aus ordensrechtlicher und moralischer Sicht als absolut vorbildlich. Immerhin betrachtet auch Bourdieu mit Weber Propheten und Klerus als die „zwei Protagonisten der Systematisierung und Rationalisierung“31, und er gesteht der Priesterschaft „ein Interesse an der Rationalisierung der Religion“ zu, insoweit ihre „Legitimität […] einer zum Dogma erhobenen Theologie, dessen Geltung und Fortbestand sie wiederum garantiert“, entspringe.32 Dessen ungeachtet herrscht allgemein die Sichtweise vor, dass Priester und Propheten nicht nur in einem gegensätzlichen Handlungs-Modus oder Habitus agieren, sondern sie werden auch dem Gegensatzpaar konservativ/revolutionär zugeordnet. In meinem Fallbeispiel funktioniert dieser Gegensatz jedoch nicht. In gewisser Hinsicht sind die Nonkonformisten wesentlich konservativer als der Mainstream. Kurz: es handelt sich um einen Streit um die durch Sinn- und Kohärenzkrisen ausgelöste Frage, welche Richtung die weitere Systematisierung und Rationalisierung der Religion einschlagen sollte. Dazu werde ich weiter unten mehr sagen.
2. Das religionshistorische Fallbeispiel 2.1 Das Standard-Narrativ Das oben genannte Narrativ zur japanischen Religionsgeschichte, das in den letzten Jahren von Fachgelehrten zunehmend in Frage gestellt wird,33 lautete 30 Bourdieu, Religion, 18. 31 Hier zeigt sich einmal mehr die – Weber wohl bewusste – „Vielseitigkeit“ der Begriffe „Rationalisierung“ und „rational“, wenn er einerseits feststellt, dass „Prophetie und Priestertum […] die beiden Träger der Systematisierung und Rationalisierung der religiösen Ethik“ seien (Wirtschaft und Gesellschaft, 268), andererseits Prophetie als „irrational“ und „revolutionär“ charakterisiert. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, 269. So gesteht er in Antwort auf Brentano ein, dass für den Irreligiösen die religiös motivierte Disziplinierung zu einer methodischen Lebensführung gewissermaßen als eine „,Rationalisierung‘ zu einer ,irrationalen Lebensführung‘“ betrachtet werden könne. Sein Aufsatz (die „Protestantische Ethik“) solle „dazu beitragen, den nur scheinbar eindeutigen Begriff des ,Rationalen‘ in seiner Vielseitigkeit aufzudecken“. Ebd., 35. 32 Bourdieu, Religion, 44. 33 In den letzten Jahren sind nicht zuletzt in englisch-sprachigen Publikationen hervorragende Studien zum ,Shinto¯‘ und zum ,Shinto¯-Buddhistischen-Synkretismus‘ erschienen. Siehe v. a. Mark Teeuwen und Fabio Rambelli (Hg.), Buddhas and Kami in Japan: Honji Suijaku as a Combinatory Paradigm (London, New York: RoutledgeCurzon, 2003); Bernard Faure, Michael I.
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grob gesagt wie folgt: Im 6. Jahrhundert gelangte der chinesische Buddhismus über Korea offiziell nach Japan und traf dort auf die einheimische Religion des Shinto¯. Im Verlauf der Jahrhunderte vermochte es der Buddhismus, den Shinto¯ zu assimilieren, so dass sich ein synkretistischer Religionskomplex entwickelte, der erst im 19. Jahrhundert durch die Meiji-Regierung wieder in seine zwei Hauptbestandteile – Buddhismus und Shinto¯ – aufgespalten wurde.34 Dieses Narrativ ist – wie gesagt – irreführend. Man sollte sich zunächst vor Augen führen, wie die Inkulturation des Buddhismus inner- wie außerhalb Indiens in der Regel vonstatten ging. Ich werde mich dabei im Folgenden auf den Umgang mit vor- oder außerbuddhistischen ,relativen Transzendenzen‘35 konzentrieren, zu denen offenkundig auch die japanischen Kami zu zählen sind. Denn die Frage nach Status, Wesen und Funktion der Kami war eines der entscheidenden Konfliktfelder in den religiösen Auseinandersetzungen des 13. Jahrhunderts in Japan.
2.2 Die Inkulturation des Buddhismus und der Umgang mit relativer Transzendenz Für vormoderne Buddhisten stand die Existenz von Göttern, Geistern und Dämonen gewöhnlich außer Frage. Einige dieser ,überempirischen‘36 Wesen waren überregional aktiv – das gilt insbesondere für die indischen, die von Anfang an in den Buddhismus integriert waren –, andere waren lokal gebunden, so z. B. die japanischen Kami . Vier der sechs Gattungen im ,Kreislauf der Wiedergeburten‘ (samsa¯ra) sind ˙ aus buddhistischer Sicht ,überempirisch‘ – nämlich devas (,Götter‘), asuras Como und Nobumi Iyanaga (Hg.), Rethinking Medieval Shinto¯ / Repenser le shinto¯ m8di8val. Cahiers d’ExtrÞme-Asie: Revue bilingue de l’Ecole FranÅaise d’ExtrÞme-Orient, Section de Kyo¯to; 16 (Kyoto: EFEO Diffusion, 2010). Siehe auch das Sonderheft „Shinbutsu shu¯go¯ to modanitei “ des Journal of Religious Studies 81, Nr. 2 (2007). 34 Man kann hier wiederum zwei ,Sub-Narrative‘ differenzieren: (1) die Erzählung, der zufolge der Buddhismus den Shinto¯ assimiliert habe und (2) die Erzählung, der zufolge der Buddhismus durch Aufnahme shinto¯istischer Elemente japanisiert wurde. Vgl. hierzu Mark Teeuwen und Fabio Rambelli, „Introduction: Combinatory Religion and the Honji Suijaku Paradigm in PreModern Japan,“ in Buddhas and Kami in Japan: Honji Suijaku as a Combinatory Paradigm, Mark Teeuwen und Fabio Rambelli (Hg.), 1–53 (London, New York: RoutledgeCurzon, 2003), 42. 35 Hierzu Christoph Kleine, „Religion and the Secular in Premodern Japan from the Viewpoint of Systems Theory,“ Journal of Religion in Japan 2, Nr. 1 (2013): 1–34; ders., „Zur Universalität der Unterscheidung religiös/säkular : Eine systemtheoretische Betrachtung,“ in Religionswissenschaft: Ein Studienbuch, Michael Stausberg (Hg.), 65–80 (Berlin: de Gruyter, 2012); ders., „Religion als begriffliches Konzept und soziales System im vormodernen Japan: Polythetische Klassen, semantische und funktionale Äquivalente und strukturelle Analogien,“ in Religion in Asien? Studien zur Anwendbarkeit des Religionsbegriffs, Peter Schalk et al. (Hg.), 225–292 (Uppsala: Uppsala Universitet, 2013). 36 Damit ist keine prinzipielle empirische Unzugänglichkeit gemeint, sondern lediglich eine empirische Unverfügbarkeit unter Alltagsbedingungen.
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(,Dämonen‘), pretas (,Hungergeister‘) und Höllenbewohner. Trotz ihrer Unverfügbarkeit für die Alltagswahrnehmung sind sie durchaus ,innerweltlich‘, d. h. laukika (Jap. seken ). Auseinandersetzungen zwischen Buddhisten und Anhängern indigener Kulte wurden i. d. R. nicht über die Existenz oder Nicht-Existenz der in den indigenen Kulten verehrten Götter, sondern über die soteriologische Effizienz dieser Kulte und deren Inklusion oder Exklusion aus einem hierarchisch geordneten Kultsystem geführt. Nach buddhistischer Weltsicht sind auch Götter prinzipiell erlösungsbedürftig und soteriologisch weitgehend impotent. Sie treten bestenfalls als bekehrte (in manchen Gegenden der ,buddhistischen Welt‘) und gezähmte Schutzgottheiten des Buddhismus auf, schlimmstenfalls als Unruhestifter, die es erst noch zu zähmen gilt und zwar durch buddhistische Rituale.37 Problematisch wurde es für Buddhisten erst dann, wenn der Kult der außerbuddhistischen Götter ein kohärentes religiöses Subsystem mit Institutionen und Virtuosen bildete, die einen eigenständigen theologischen Diskurs organisierten sowie kognitive und normative Orientierung bereitstellten – kurz: wenn die Kulte eine diskursive und institutionelle Konkurrenz im Kampf um die legitime Ausübung religiöser Macht darstellten.38 Das war in Japan zur Zeit der Einführung des Buddhismus ersichtlich nicht der Fall. Es gab schlicht und ergreifend kein kohärentes System von Vorstellungen und Praktiken, die sich auf die einheimischen Götter bezogen. Es gab im Allgemeinen nicht einmal feste Gebäude oder eine hauptberufliche Priesterschaft. Erst die Buddhisten sorgten dafür, dass für die zu befriedenden und zu befreienden Kami Schreine errichtet wurden: ab dem 6. Jahrhundert, also bereits ab dem Jahrhundert, in dem der Buddhismus offiziell in Japan eingeführt wurde, errichteten Buddhisten so genannte ,Tempelschreine‘ (jingu¯ji ), wo buddhistische Su¯tras zum Wohl der Kami rezitiert wurden; ab dem 9. Jahrhundert entstanden ,Schrein-Tempel‘ (miyadera ), die von buddhistischen ,Schrein-Mönchen‘ (shaso¯ ) geleitet wurden.39 Es gab also lediglich weitgehend unverbundene Einzelkulte um die Ahnengötter der führenden Sippen, um Naturgottheiten usw., aber nichts, was die reifizierende Rede von der ,Urreligion des Shinto¯‘ auch nur annähernd rechtfertigen würde. Seit den 1980er Jahren hat sich dementsprechend unter kritischen und ge37 Zu den Phasen der buddhistischen Deutung der Kami siehe z. B. Mark Teeuwen, „The Kami in Esoteric Buddhist Thought and Practice,“ in Shinto in History : Ways of the Kami, John Breen und Mark Teeuwen (Hg.), 95–116 (Richmond: Curzon, 2000). 38 Das passierte im 16. Jahrhundert, als das Christentum nach Japan kam. Eine mögliche Konkurrenz durch den Daoismus wussten buddhistische Priester abzuwehren, indem sie die Entsendung von Dao-Priestern aus Tang-China nach Japan verhinderten. Vgl. Tim Barrett, „Shinto and Daoism in Early Japan,“ in Shinto in History : Ways of the Kami, John Breen und Mark Teeuwen (Hg.), 13–31 (Richmond: Curzon, 2000), 16–18. 39 Sato¯ Makoto, „Shinto and Buddhism,“ in Encyclopedia of Shinto, Kokugakuin (Hg.); InternetAusgabe: http://eos.kokugakuin.ac.jp/modules/xwords/entry.php?entryID=826 (letzter Zugriff: 20. März 2014).
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schichtsbewussten Forschern die Haltung durchgesetzt, dass eine irgendwie identifizierbare Religion des ,Shinto¯‘ nicht vor dem 15. oder 16. Jahrhundert langsam Gestalt annahm40 und das Endprodukt keineswegs ausschließlich aus genuin japanischen Kulturelementen bestand.41 Für die Entstehung dieses Shinto¯ – so eine zentrale These meines Beitrags – waren die Auseinandersetzungen zwischen buddhistischem Mainstream und den Nonkonformisten der Bewegung des Reinen Landes im 13. Jahrhundert maßgeblich mitverantwortlich. Kurz: Der Buddhismus – oder besser : die Buddhisten – begegneten in Japan nicht einer anderen Religion namens Shinto¯. Gegenteilige Theorien basieren auf einer m. E. anachronistischen Interpretation zweier Textstellen in der 720 fertiggestellten Reichschronik Nihon shoki. Die hier scheinbar in Abgrenzung gegen buppo¯ (Buddha-Dharma) verwendete Zeichenkombination aus kami + michi – heute ,Shinto¯‘ gelesen, wurde damals mit großer Wahrscheinlichkeit schlicht im buddhistischen Sinne von ,Götter‘ gebraucht, d. h. als Äquivalent zum Sanskrit-Begriff devagati (,Existenzform der Götter‘, ,Gott‘).42 40 Besonders deutlich bringt Neil McMullin den Sachverhalt auf den Punkt: „it is important to recognize that until the late medieval period there was no such a thing as Shinto in the sense of a structured, self-conscious tradition existing over and apart from Buddhism,“ Neil McMullin, „Historical and Historiographical Issues in the Study of Pre-Modern Japanese Religions,“ Japanese Journal of Religious Studies 16, Nr. 1 (1989): 4. In der Sache sehr ähnlich argumentieren Kuroda Toshio („Shinto in the History of Japanese Religion,“ Journal of Japanese Studies 7, Nr. 1 [1981]: 1–21); Allan G. Grapard („Japan’s Ignored Cultural Revolution: The Separation of Shinto and Buddhist Divinities in Meiji [„Shimbutsu Bunri“] and a Case Study : Tonomine,“ History of Religions 23, Nr. 3 [1984]: 240–265); Helen Hardacre (“Creating State Shinto¯ : The Great Promulgation Campaign and the New Religions,“ The Journal of Japanese Studies 12, Nr. 1 [1986]: 29–63); Sato¯ Hiroo („Wrathful Deities and Saving Deities,“ in Buddhas and Kami in Japan: Honji Suijaku as a Combinatory Paradigm, Mark Teeuwen und Fabio Rambelli (Hg.), 95–114 [London, New York: RoutledgeCurzon, 2003]). 41 John Whitney Hall (Hg.), The Cambridge history of Japan (Cambridge et al.: Cambridge University Press, 1988–1999), 329. Für weitere Informationen zum ,Shinto¯-Problem‘ siehe den ausgezeichneten Band von Faure, Como und Iyanaga, Rethinking Medieval Shinto¯ / Repenser le shinto¯ m8di8val, hierin v. a. Iyanaga Nobumi, „Medieval Shinto¯ as a Form of ,Japanese Hinduism‘: An Attempt at Understanding Early Medieval Shinto¯“, 263–303; für die Frage nach der Entwicklung eines außerbuddhistischen Shinto¯-Diskurses v. a. Fabio Rambelli, „Re-positioning the Gods: ,Medieval Shinto¯‘ and the origins of Non-Buddist Discourses on the Kami“, 305–325. (1162–1238) Shikichi jo¯do ron (publ. 42 Vgl. z. B. folgende Passage in Bencho¯s 1237): „Wie z. B. der Schlangenkönig Anavatapta und der Schlangenkönig Sa¯gara innerhalb der Geburtssphäre der Geister und Götter die Bodhisattvaschaft erlangten …“ [ ] (JZ 10, 591, a16–17). Vgl. auch die fast gleichlautende Passage in Sho¯geis (1341–1420) Denzu¯ki nyu¯sho¯ (JZ 3, 430a17). Das heißt, dass sogar noch in der Muromachi-Zeit (1336–1573) die Bezeichnung jindo¯ (&shinto¯) für Skt. devagati üblich war. Wäre dieser Begriff bereits für eine distinkte Religion gebräuchlich gewesen, hätte er die buddhistische Gebrauchsweise wohl verdrängt. Erst in der Edo-Zeit setzt sich auch in Jo¯do-Kreisen die Bezeichnung ,Shinto¯‘ für eine spezifisch japanische Weltanschauung durch, analog zur buddhistischen für Indien und zur konfuzianischen in China. So lesen wir im Enko¯ Daishi gyo¯jo¯ ezu yokusan von Enchi
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Nun gab es also zwar kein konkurrierendes religiöses Subsystem, mit dem sich die Buddhisten in Japan hätten auseinandersetzen müssen, aber es galt dennoch, die für lokale Gemeinschaften oder einzelne, oft einflussreiche Clans wichtigen Götter und ihre Kulte in das religiöse Gesamtsystem einzubinden. Um diese Götter herum hatte sich keine theologische Reflexion entwickelt. Es gab lediglich lokale und an die Clans und mächtige Adelsgeschlechter gebundene, diverse Privilegien begründende Mythen über sie, die man vor allem in der Reichschronik Nihon shoki zu integrieren, zu harmonisieren und zu systematisieren suchte.43 Die hierarchisierende Harmonisierung der Göttermythen stand ganz im Dienst der Zentralisierung Japans unter der Herrschaft des so genannten ,Sonnengeschlechts‘ (tenson ), das für ewige Zeiten den , stellen sollte. Es oblag den Buddhisten, ,Himmelsherrscher‘, den Tenno¯ eine Kami-Theologie zu entwickeln und deren Stellung in der Welt sowie zu den Menschen zu definieren.
2.3 „Die ich rief, die Geister …“ – das Honji-Suijaku-Paradigma44 In dem Versuch, Wesen und Funktion der Kami zu bestimmen, waren japanische Buddhisten durchaus kreativ. Zunächst betrachtete man sie als erlösungsbedürftige und potenziell gefährliche Wesen innerhalb des karmisch (?–?) und Gizan (1648–1717): „Im Buddhismus wird das indische Magadha als ,Reich der Mitte‘ angesehen und das Reich der Großen Tang[-Dynastie] sowie unser Land werden als periphere Reiche bezeichnet. Im Konfuzianismus wird das Gebiet der Tang als ,Reich der Mitte‘ bezeichnet. Im Shinto¯ wiederum werden [die Menschen im] Gebiet der Tang sowie [in] Indien als Barbaren der Grenzgebiete bezeichnet und unser Land wird in einer historischen Anmerkung [von Kommentatoren zur Geschichtsschreibung?] als ,Reich der Mitte‘ bezeichnet“ (JZ 16, 183b2–4). Es ist zu beachten, dass chinesische Buddhisten mitunter ihrerseits unter einem „borderland complex“ litten, da China aus buddhistischer Sicht eben nicht das Reich der Mitte (zhongguo , zhonghua oder zhongbang ) war, sondern an der Peripherie der buddhistischen Welt lag. Max Deeg, „,Borderland Complex‘ Reloaded: Coming to Terms With India in Chinese Buddhism,“ unveröffentlichtes Manuskript eines Vortrags, gehalten auf der Tagung „Conceptualizing India-China Connections“ am International Center for Studies of Chinese Civilization, Fudan University, 4./5. November 2013. 43 Naumann, Die Mythen des alten Japan, 7–8. 44 Zu diesem theologischen Konzept siehe Alicia Matsunaga, The Buddhist Philosophy of Assimilation: The Historical Development of the Honji-suijaku Theory (Tokyo: Sophia University, , Honji suijaku (Tokyo: Yoshikawa Ko¯bunkan, 1969); Murayama Shu¯ichi 1974); Ito¯ Satoshi, „The Medieval Period: The Kami Merge with Buddhism,“ in Shinto – A Short History, Inoue Nobutaka und Mark Teeuwen (Hg.), 63–107 (London: RoutledgeCurzon, 2003); Susan Tyler, „Honji Suijaku Faith,“ Japanese Journal of Religious Studies 16, 2–3 (1989): 227–250; Teeuwen und Rambelli, Buddhas and Kami in Japan; Ito¯ Satoshi, „Shinbutsu shu¯go¯ riron no henyo¯ : Chu¯sei kara kinsei e : : [Changes in the Theory of Syncretic Faith in Japan: From the Middle Ages to Early Modern Times],“ Journal of Religious Studies 81, Nr. 2 (2007): 385–409.
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bedingten ,Kreislaufs der Wiedergeburten‘.45 Es galt, sie durch buddhistische Rituale zu befrieden und zu befreien. Bald ging man davon aus, dass die Befriedung gelungen sei, und betrachtete viele Kami nun als ,Gute, den ). Ab dem 9. Jahrhundert Dharma Schützende Götter‘ (goho¯ zenjin ging man allmählich dazu über, die Kami nicht mehr bloß als erlösungsbedürftige, durch buddhistische Rituale gezähmte und den Buddhismus schützende Wesen zu interpretieren, sondern ihnen selbst eine tragende Funktion in der buddhistischen Soteriologie einzuräumen. Sie wurden nun als die ,herabgelassenen Spuren‘ (suijaku ) buddhistischer Heilswesen betrachtet. Diese Heilswesen, meist Buddhas und Bodhisattvas, aber mitunter auch Devas des buddhistischen Pantheon, galten als die ,Urgründe‘ (honji ) der Kamis, d. h. als deren wahres Wesen. Dahinter steht die Idee, dass die rohen und barbarischen Japaner gleichsam nicht reif dafür gewesen seien, das helle Strahlen der Buddhas und Bodhisattvas zu ertragen. Um sich den Japanern dennoch offenbaren und an ihnen ihr Heilswerk vollbringen zu können, hätten die Buddhas und Bodhisattvas sozusagen ihr Licht ,heruntergedimmt‘ und sich in einer für die Japaner vertrauten und erträglichen Form gezeigt, nämlich in Gestalt der Kami. Die Kami wurden auf diese Weise zu Mittlern zwischen der absoluten Transzendenz – d. i. alles was den Kreislauf der Wiedergeburten transzendiert und damit wahrhaft ,außerweltlich‘ (lokottara; Jap. shusseken ) ist – und der Immanenz, d. h. der leidvollen, ) Sphäre des Samsa¯ra, der traditionell innerweltlichen (laukika; Jap. seken ˙ auch die Kami zugeordnet wurden. Besonders deutlich bringt der Mönch und Literat Muju¯ Ichi’en (1227–1312) die zu seiner Zeit schon voll entwickelte Idee von den Urgründen zum Ausund den Herabgelassenen Spuren in seinem Shasekishu¯ druck: In China haben die drei Bodhisattvas Ma¯nava (d. i. S´a¯kyamuni in einem früheren ˙ . Leben als Bodhisattva; CK), Ka¯s´yapa und Dı¯pankara46 als Konfuzius, Laozi und Yan Hui (d. i. der Lieblingsschüler des Konfuzius; CK) mittels der vor- und außer[buddhistischen] Schriften der Menschen Herz besänftigt, um den BuddhaDharma zu verbreiten. Als sich dann später der Buddha-Dharma ausbreitete, haben 45 Für vergleichbare Vorgänge in einer anderen Region Asiens siehe Max Deeg, Miscellanae Nepalicae: Early Chinese Reports on Nepal The Foundation Legend of Nepal in its Trans-Himalayan Context (Lumbini: Lumbini International Research Institute, 2016), darin v. a. 58–78. . 46 Die Bezeichnung Ka¯s´yapas und Dı¯pankaras als Bodhisattvas ist etwas verwirrend. Gemeint sind ´ wohl der ,Vorgänger‘ Sa¯kyamunis, d. h. der Buddha Ka¯´syapa, sowie der erste Buddha dieses . Zeitalters, d. h Dı¯pankara, in ihrer jeweiligen Existenz als Bodhisattvas, also vor Erlangung der Buddhaschaft. Der mythologische Hintergrund dieser Geschichte ist mir leider nicht bekannt. , Nihon chu¯sei Für weitere Einzelheiten und Deutungsversuche siehe Cao Jinghui bungaku ni okeru ju shaku do¯ tenseki no juyo¯ : Shasekishu¯ to Tsurezuregusa : , Nihongaku kenkyu¯ so¯sho 4 (Taipeh: Guoli Taiwan daxue chuban zhongxin , 2012).
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alle Menschen an ihn geglaubt. In unserem Land haben die Götter des abgemilderten Strahlens (wako¯ no shinmei [ ] ) zunächst ihre Spuren herabgelassen (ato wo ), die rauen Herzen der Menschen besänftigt und geschickte Hilfstarete mittel (ho¯ben ) angewendet, um sie an den Buddha-Dharma glauben zu lassen. Wenn wir uns auf die tiefgreifenden Wohltaten der Urgründe (honji ) verlassen und an die naheliegenden geschickten Hilfsmittel des gedämpften Strahlens [der Götter] glauben, dann erfüllt sich in diesem Leben der Wunsch nach Beendigung des Unheils und nach Ruhe und Frieden, und im nächsten wird sich das Erwachen des ) auftun.47 unbedingten permanenten Verweilens (mu’i jo¯ju
Für die buddhistischen Institutionen war die systematisch betriebene Aufdeckung der Urgründe der Kami jedoch nicht nur ein Gebot konsequenter theologischer Rationalisierung, sondern hatte auch eine große ökonomische Bedeutung. In der Kamakura-Zeit (1185–1333) wurde der Landbesitz faktisch privatisiert (,Sho¯en Feudalismus‘)48, und die religiösen Institutionen bemühten sich (erfolgreich), einen erheblichen Anteil am Landbesitz zu gewinnen. Die Strategie war einfach und wirkungsvoll: charismatisch begabte buddhistische Priester suchten die Schreine auf und legten die wahre, d. h. ,buddhistische‘ Natur der dort verehrten Kami offen. Damit fiel der Schrein quasi automatisch den buddhistischen Institutionen zu – die entsprechenden Besitzansprüche wurden in, häufig illustrierten,Tempelgründungslegenden‘ (jisha engi ) literarisch fixiert und durch professionelle ,Bilderklärer‘ ) dem Volk im Auftrag der Tempel im Rahmen von Bildvorträgen (etoki kommuniziert.49 Buddhistische Priester kontrollierten den Schrein und die umliegenden Ländereien und fungierten nach ihrem Selbstverständnis als Verwalter der Kami bzw. ihrer Urgründe. Die Weigerung der dort ansässigen Bevölkerung, Abgaben zu zahlen oder Frondienste zu leisten, erfüllte den Tatbestand der Auflehnung gegen die weltlichen und gegen die höheren Mächte. Insubordination wurde daher nicht nur mit physischen Zwangsmitteln bekämpft, sondern überdies durch die Götter und Buddhas bestraft.50 In einer räumlichen Metapher gesprochen, hatte das Honji-Suijaku-Paradigma eine vertikale und eine horizontale Dimension. In der vertikalen Dimension 47 Watanabe Tsunaya (Hg.), Shasekishu¯ , Nihon koten bungaku taikei ; 85 (Tokyo: Iwanami Shoten, 1976), 61. Vgl. auch die englische Übersetzung von Robert E. Morrell, Sand and Pebbles (Shasekishu¯): The Tales of Muju¯ Ichien, a Voice for Pluralism in Kamakura Buddhism (New York: State University of New York, 1985), 75. ¯ yama Kyo¯hei, „Medieval 48 Zum durchaus komplexen System des ,Sho¯en-Feudalismus‘ siehe O Sho¯en,“ in The Cambridge history of Japan, Vol 3, 89–126. 49 Für ausführliche Informationen siehe Barbara Ruch, „Medieval Jongleurs and the Making of National Literature,“ in Japan in the Muromachi Age, John Whitney Hall und Toyoda Takeshi (Hg.), 294ff (Berkeley, 1977); vgl. auch Ikumi Kaminishi, Explaining pictures: Buddhist propaganda and etoki storytelling in Japan (Honolulu: University of Hawai' Press, 2006). ), der 50 In der Kamakura-Zeit hat sich das Konzept der „Strafe der Götter“ (shinbatsu ,okkulten Strafe‘ (meibatsu ) und der ,Strafe der Buddhas‘ (butsubatsu ) fest etabliert. Siehe hierzu insbesondere Fabio Rambelli, „Buddha’s Wrath: Esoteric Buddhism and the Discourse of Divine Punishment,“ Japanese Religions 27, Nr. 1 (2002): 41–68.
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fungierten die Kami als innerweltliche Manifestationen der Buddhas, die in dieser Gestalt auf die Erde hinabgestiegen waren. In der horizontalen Dimension konstituiert das Honji-Suijaku-Paradigma eine Konfiguration von Zentrum (Buddhas, honji) und Peripherie (Kami, suijaku). Die Schreine waren gleichsam Zweigstellen der Tempel, d. h. der Zentralen.51 Auf der anderen Seite – das soll hier nur am Rande erwähnt werden – waren auch Familien von Schreinpriestern wie die Watarai vom ,Äußeren Schrein‘ (geku¯ ) in Ise daran interessiert, ihre Schreine und deren Götter in den buddhistischen Pantheon zu integrieren; nicht nur weil sie sich selbst privat in der Regel zum Buddhismus bekannten, sondern auch, weil sie ein Interesse an Inklusion in das buddhistische Pilgerwesen hatten. So entstand im 13. Jahrhundert im Umfeld des Äußeren Schreins von Ise eine nach den Maßgaben des tantrischen Buddhismus elaborierte Theologie, die zunächst den Äußeren gegenüber dem prominenteren Inneren Schrein aufwerten sollte. Für die später als ,Watarai-Shinto¯‘ oder als ,Ise-Shinto¯‘52 bekannte Theologie griff man unter anderem auf Theorien zurück – später als ,Ryo¯bu Shinto¯ ‘ (Shinto¯ der Zwei Mandalas) bezeichnet –, in der die ˙ ˙ und Toyouke mit den zwei beiden in Ise verehrten Gottheiten Amaterasu Repräsentationsformen des ,Ur-Buddha‘ Maha¯vairocana (Jap. Dainichi ), d. h. dem Garbhadha¯tu-Mandala und dem Vajradha¯tu-Mandala, identifiziert ˙ ˙ einer systematischen Einbindung ˙˙ wurden.53 Ähnliche Versuche ,nicht-buddhistischer‘ Gottheiten in das buddhistische Pantheon fanden im Kontext des Tendai-Buddhismus statt. Die Rationalisierung des Kultes um die Gottheit des Hie- bzw. Hiyoshi-Schreins am Fuße des Hieizan – Hauptsitz des ,Bergordens‘ der Tendaishu¯ – wurde später unter der anachronistischen Bezeichnung ‘ bekannt.54 ,Sanno¯ Ichijitsu Shinto¯ Doch zurück zum Honji-Suijaku-Paradigma. Die Ausformulierung und Verbreitung dieses Paradigmas hatte ihren Höhepunkt im späten 12. Jahrhundert erreicht, also genau in der Zeit, als der Nonkonformist Ho¯nen seine Lehre vom Reinen Land systematisch ausarbeitete und propagierte.55 Es fällt 51 Vgl. hierzu auch Mark Teeuwen und Fabio Rambelli, „Introduction: Combinatory Religion and the Honji Suijaku Paradigm in Pre-Modern Japan,“ in Buddhas and Kami in Japan, 44. 52 Siehe hierzu Mark Teeuwen, Watarai Shinto: An Intellectual History of the Outer Shrine in Ise (Leiden: CNWS, 1996); ders., „Attaining Union with the Gods. The Secret Books of Watarai Shinto,“ Monumenta Nipponica 48, Nr. 2 (1993): 225; Nakanishi Masayoshi, „Ise Shinto¯,“ in Encyclopedia of Shinto, Kokugakuin (Hg.); Internetausgabe: http://eos.kokugakuin.ac.jp/modu les/xwords/entry.php?entryID=594 (letzter Zugriff: 13. Februar 2014). 53 Siehe hierzu Ito¯ Satoshi, „Ryo¯bu Shinto¯,“ in Encyclopedia of Shinto, Kokugakuin (Hg.). http:// eos.kokugakuin.ac.jp/modules/xwords/entry.php?entryID=591 (letzter Zugriff: 13. Februar 2014). 54 Zum Sanno¯ Ichijitsu Shinto¯ siehe z. B. Sugahara Shinkai, „The Distinctive Features of Sanno¯ Ichijitsu Shinto,“ Japanese Journal of Religious Studies 23, 1–2 (1996): 61–84; Sato¯ Masato, „Sanno¯ Shinto¯,“ in Encyclopedia of Shinto, Kokugakuin (Hg.); Internetausgabe: http://eos.ko kugakuin.ac.jp/modules/xwords/entry.php?entryID=362 (letzter Zugriff: 20. März 2014). 55 In diesem Zusammenhang scheint es mir bemerkenswert, dass auch buddhistische Pilgerreisen
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schwer, hier keinen Zusammenhang zu sehen. Beim Honji-Suijaku-Paradigma handelt es sich offensichtlich um das Ergebnis einer umfassenden ,theologischen Rationalisierung‘. Diese wurde mit dem Ziel verfolgt, ein kohärentes und zugleich herrschaftsstabilisierendes Religionssystem zu konstruieren, was meines Erachtens in der Anfangszeit eng mit dem Projekt der Bildung eines tenno¯zentrischen Einheitsstaates zusammenhing.56 In der frühen Kamakura-Zeit, also im späten 12. und im 13. Jahrhundert führte ein weiterer religiöser Paradigmenwechsel erneut zu einer dramatischen Intensivierung der theologischen Rationalisierung in Bezug auf die Kami. Das Honji-Suijaku-Paradigma wurde damals mit dem heiklen und daher zunächst nur mündlich tradierten ,Hongaku-Paradigma‘ kombiniert, d. h. mit der Idee, alle Gegebenheiten (dharmas) seien Emanation des Dharma-Leibes des Ur-Buddha Maha¯vairocana und aus diesem Grunde ,uranfänglich erwacht‘ (hongaku ). Das Hongaku-Paradigma war seinerseits Resultat einer konsequenten Rationalisierung des Transzendenzkonzepts innerhalb des esoterischen Buddhismus. Die Betrachtung des Honji-SuijakuParadigmas unter der Perspektive des Hongaku-Paradigmas erzeugte indes weiteren Rationalisierungsbedarf. Mark Teeuwen57 hat den erneuten Paradigmenwechsel und die daraus resultierenden Rationalisierungsbemühungen überzeugend am Beispiel zweier Tendai-Texte dargelegt, in denen es unter anderem um die Gottheit des Hie58 Schreins geht. Während der ältere Text, das Yo¯tenki (um 1223;59 anonym), noch die klassische Vorstellung vertritt, die Hauptgottheit dieses Schreins – Sanno¯ , der ,Bergkönig‘ – sei eine ,herabgelassene Spur‘
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zum Großschrein von Ise einen Höhepunkt zwischen 1186 und 1195 erreichten. Teeuwen und van der Veere, Nakatomi Harae Kunge, 7. So konnten die einzelnen Sippen weiterhin ihre Clan-Gottheit, den ujigami, verehren und trotzdem gute Buddhisten sein. Wenn z. B. die Angehörigen der Fujiwara-Sippe ihren ujigami, ) verehrten, verehrten sie im Grunde die Gottheit von Kasuga (Kasuga Daimyo¯jin den Bodhisattva Amoghapa¯s´a Avalokites´vara (Fuku¯kenjaku Kannon ) oder den Buddha S´a¯kyamuni (Shaka) – mitunter auch Maha¯vairocana –; im Konkreten war das Honji-Suijaku-Paradigma also durchaus flexibel! Zu Details zur Realisierung des Honji-Suijaku-Paradigmas am Kasuga-Schrein bzw. am Ko¯fukuji siehe Tyler, „Honji Suijaku Faith“, und Royall Tyler, „Ko¯fuku-ji and Shugendo¯,“ Japanese Journal of Religious Studies 16, 2–3 (1989): 143–180. Mark Teeuwen, „The Kami in Esoteric Buddhist Thought and Practice,“ in Shinto in History : Ways of the Kami. (Hg.), Zoku Gunsho ruiju¯ ; Bd. 2.2: Jingi bu Hanawa Hokinoichi , (To¯kyo¯ : Zoku Gunsho Ruiju¯ Kanseikai, 51941), 581ff; Sato¯ Masato , „Yo¯tenki ,“ in Encyclopedia of Shinto, Kokugakuin (Hg.). http://eos.kokugakuin.ac.jp/modules/ xwords/entry.php?entryID=1435 (letzter Zugriff: 10. Juli 2013). Neuere Forschungen und Textfunde legen den Gedanken nahe, dass der Textabschnitt im Yo¯tenki über Sanno¯ („Sanno¯ koto“) eine spätere Hinzufügung sein könnte. Kokugakuin, „Encyclopedia of Shinto: Medieval and Early Modern Schools: Sanno¯ Shinto¯,“ http://eos.kokuga kuin.ac.jp/modules/xwords/entry.php?entryID=362 (letzter Zugriff: 10. Juli 2013).
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S´a¯kyamunis,60 behauptet Ko¯shu¯ (1276–1350) einige Jahrzehnte später in 61 seinem Keiran ju¯yo¯shu¯ (ca. 1318–1319; oder 1348?) nun, diese Gottheit sei nichts anderes als das ,ursprüngliche Erwachen‘ des Ur-Buddhas Maha¯vairocana.62 Während der Buddha S´a¯kyamuni den (unterlegenen) exoterischen (ken ) Aspekt des Buddhismus und das relative ,erworbene Er; wörtl. etwa: ,Erwachen mit einem Anfang‘) repräwachen‘ (shikaku sentiere, verkörpere die Gottheit von Hie den (überlegenen) esoterischen (mitsu ) Aspekt des Buddhismus und das absolute ,ursprüngliche Erwachen‘ (hongaku ). Unübersehbar ist auch hier die politische Dimension dieses theologischen Diskurses. Japan avanciert in ihm von einer entlegenen Inselgruppe (henshu¯ ; henkoku ) am Rande der buddhistisch-zivilisierten Welt – so die traditionelle, auch von Ho¯nen und Shinran vertretene Haltung – zum ,Land der Götter‘ (shinkoku ).63 Die Götter wiederum werden mit dem höchsten Buddha und dem höchsten Erwachen gleichgesetzt. Die neun Bezirke der Hauptstadt wurden u. a. mit den neun Höfen im Vajradha¯tu-Mandala ˙ ˙ zu Maha¯vairocanas identifiziert,64 der äußere und der innere Schrein von Ise Repräsentationen der beiden Haupt-Mandalas des esoterischen Buddhismus. ˙˙ Japan wird vom „Großreich des Sonnen-Ursprungs“ (dai nihon koku ) zum „Ursprungsland Maha¯vairocanas“ (dainichi no moto no kuni ).65 Im Ergebnis lief der esoterisch-buddhistische ,Shinto¯-Diskurs‘,66 wie er 60 „S´a¯kyamuni hat gesagt: ,Ich werde mich in Japan als die Gottheit Sanno¯ von Hiyoshi offenba.“ Hanawa, Zoku Gunsho ruiju¯ ren‘. ; Bd. 2.2, 602. 61 T76, Nr. 2410. 62 Ferner lesen wir in diesem Text: „Was die drei Tatha¯gatas [d. i. S´a¯kyamuni, Amita¯bha und Bhaisajya-guru] auf diesem Berg [d. i. der Hieizan] angeht, so handelt es sich um drei neu ˙ gewordene Buddhas des Spurentores, weil sie ihr erworbenes Erwachen offenbaren. Was die drei Heiligen Haupt[gottheiten] des [Hie-]Schreins angeht, so handelt es sich bei ihnen um die drei Tatha¯gatas [in ihrem Aspekt] des ungemachten ursprünglichen Erwachens. Aus diesem Grund besteht der Grundgedanke des Ursprungstores darin, dass die drei Heiligen [Gottheiten als Aspekte] des Bergkönigs nichts anderes sind als die drei Buddhas, die das ursprüngliche Erwachen offenbaren“ (T76, Nr. 2410, S. 525b6–9). Bereits das Nakatomi harae kunge, ein früher Text des „esoterisch-buddhistischen Kami-Diskurses“, unterscheidet zwischen drei Arten von ), (2) Kami des ursprüngliKami: (1) Kami des erworbenen Erwachens (shikakushin chen Erwachtseins (hongakushin ) und (3) unerwachte Kami (fukakushin ) (NST 19, 54–55). Für eine Übersetzung der fraglichen Passage siehe Teeuwen und van der Veere, Nakatomi Harae Kunge, 59–60. Vgl. auch Fabio Rambelli, Re-positioning the Gods, 307. 63 Siehe hierzu Kuroda Toshio, „The Discourse on the „Land of Kami“ (Shinkoku) in Medieval Japan: National Consciousness and International Awareness,“ Japanese Journal of Religious Studies 23, 3–4 (1996): 353–385; für den Zusammenhang zwischen der Götterland-Ideologie und der Nenbutsu-Bewegung siehe Kuroda Toshio , Shinkoku shiso¯ to senju nenbutsu (Kyoto: Hozokan, 1995). 64 T76, Nr. 2410, S. 511a24. Vgl. Mark Teeuwen, „The Kami in Esoteric Buddhist Thought and Practice.“ in Shinto in History : Ways of the Kami, 97. 65 Im Keiranshu¯yo¯shu¯ lesen wir: „Eine mündliche Überlieferung besagt, dass ursprünglich das Land des Sonnenursprungs der inneren Bedeutung nach das Ursprungsland des Großen Son-
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sich im Keiran ju¯yo¯shu¯, und schon früher im Nakatomi harae kunge, und anderen Texten manifestierte, also auf eine Inversion des Honji-Suijaku-Paradigmas hinaus. Die Buddhas, einstmals die wahren ,Urgründe‘, wurden zu Repräsentanten des ,erworbenen Erwachens‘ (shikaku), während die Kami, vormals bloß deren ,herabgelassene Spuren‘, mit dem ursprünglichen Erwachen des Ur-Buddhas Maha¯vairocana identifiziert wurden. Die Kombination der zwei prägenden Paradigmen, die aus der tantrisch-esoterischen Rationalisierung des Buddhismus bis zum 13. Jahrhundert hervorgegangen sind – Honji-Suijaku- und Hongaku-Paradigma –, ebneten den Weg für die Entwicklung eines eigenständigen, nicht-buddhistischen Kami-Diskurses67 – z. B. nen[buddhas] ist .“ T76, Nr. 2410, S. 693b19. Vgl. auch folgende Passagen: „Die Haupt-Manifestation (avata¯ra) des Hie-Grundes ist das Haupt des Landes Japan. Es ist dies der Vater Tensho¯ Daijins [d. i. Amaterasu]. Der Avata¯ra des Großschreins [von Ise] ist Tensho¯ Daijin .“ T76, Nr. 2410, S. 528c14–15. Für Einzelheiten zur Weltsicht des Keiran ju¯yo¯shu¯ siehe auch Allan G. Grapard, „Keiranshu¯yo¯shu¯ : A Different Perspective on Mt. Hiei in the Medieval Period,“ in Re-visioning ”Kamakura” Buddhism, Richard K. Payne (Hg.), 55–69 (Honolulu, 1998). Die radikale Aufwertung Japans zum „Land der Götter“ – shinkoku – und dann zum „Ursprungsland Maha¯vairocanas“ – dainichi no hongoku – hängt aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit der durch die ,Götterwinde‘ (kamikaze) erfolgreich abgewendeten Bedrohung durch die Mongolen im Jahr 1274 zusammen. Infolge dieser Ereignisse besann sich Japan stärker und selbstbewusster auf sich selbst und distanzierte sich von China, das von den mongolischen ,Barbaren‘ unterworfen worden war. In der Kamakuraund Muromachi-Zeit wird dementsprechend auch – nicht zuletzt wiederum in buddhistischen Diskursen – die Besonderheit der japanischen Herrschaftskonzeption gegenüber der chinesischen betont. Eine Überlegenheit Japans wird demzufolge aus der Ewigkeit der Herrschaft durch die göttliche Dynastie gegenüber dem chinesischen Prinzip des (entziehbaren) ,Himmelsmandats‘ (tenmei) abgeleitet, welches in China zu ständigen Dynastiewechseln geführt ¯ mikami bzw. Tensho¯ habe. Die Identifikation Maha¯vairocanas/Dainichis mit Amaterasu O Daijin lag schon deshalb nahe, weil ,Große Sonne‘ (Dainichi) und ,Himmelsstrahlen‘ (Amate¯ hirasu) dem gleichen semantischen Feld zugehören. Hinzu kommt, dass Amaterasu auch O (~ „Große Sonnenseele“) genannt wurde, also mit den beiden Zeichen rume denotiert wurde. Teeuwen und van der Veere, Nakatomi Harae Kunge: Purification and Enlightenment in Late-Heian Japan, 87. 66 Den „early medieval Shinto¯“ charakterisiert Iyanaga Nobumi zutreffend als „specifically Japanese (or ,Japanized‘?) interpretation of (Japanese) Tantric Buddhism“ und damit als „a form of Japanese Hinduism“. Iyanaga Nobumi, „Medieval Shinto¯ as a Form of ,Japanese Hinduism‘,“ in Rethinking Medieval Shinto¯, 298. 67 Man könnte sagen, dass es die beiden äußeren Pole der sich im tantrischen Buddhismus herausbildenden dreistufigen Kami-Typologie waren, die sich aus dem Buddhismus ,herausstahlen‘ und die Systemgrenzen des Buddhismus damit sprengten. Die ,unerwachten‘ (fukaku ), ,üblen‘ (jaaku ) oder ,echten‘ (jitsu ) Götter waren gleichsam Fremdkörper. Sie waren „keine Herabgelassenen Spuren eines Tatha¯gata“. Laut Zonkaku (1290–1373), einem Nachkommen Shinrans in der 4. Generation, gab es Götter, die der Gattung der Menschen ), und welche, die der Gattung der Tiere (chikurui ) angehören. Diese könnten (jinrui Flüche hervorbringen und Leid verursachen, weswegen man sie wie Götter verehrt, um sie zu besänftigen. Zonkaku , „Shoshin hongai shu¯ ,“ in Chu¯sei Shinto¯ ron, 190. Demgegenüber wandelten sich im tantrischen Shinto¯-Diskurs die ,Kami des ursprünglichen Erwachtseins‘, d. h. die Götter des Inneren (Amaterasu) und des Äußeren (Toyouke) Schreins
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68 in Form des Yoshida-Shinto¯ – und schließlich für die „emergence of a non-Buddhist, self-sufficient religion named Shinto“.69 Dabei ist zu beachten, dass selbst das ,inverse Honji-Suijaku-Paradigma‘ und der ,GötterlandNationalismus‘ zunächst keineswegs un-buddhistisch oder gar anti-buddhistisch waren.70 Sie waren letztlich immer noch Teil des Diskurses, den man in Japan anachronistisch auch als ,Shinto¯ der Buddhisten‘ (bukka shinto¯ ) bezeichnet. Etwas plakativ gesagt, führte die Esoterisierung des buddhistischen Diskurses zugleich zu einer Nationalisierung oder ,Glokalisierung‘ und Shinto¯isierung des japanischen Buddhismus. Gegen diesen Trend stellten sich Ho¯nen und seine Schüler – auch wenn einige unter diesen sogleich in die monistischen Denkmuster v. a. der Tendai-Esoterik zurückfielen.71 Insbe-
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von Ise ihrerseits von Manifestationen Maha¯vairocanas (repräsentiert durch die beiden Man˙ dalas des Vajra-dha¯tu und des Garbha-kos´a-dha¯tu) zu „Göttern des Uranfangs und Ursprungs ˙ der Ahnenreihe“ (genpon so¯gen no shinto¯ ; so bei Yoshida no Kanetomo). Damit bestand die Gefahr, dass einerseits die eng mit dem Kaiserhaus verbundenen Gottheiten von Ise, insbesondere Amaterasu, sich aus dem buddhistisch dominierten Religionssystem herauslösten, andererseits große Teile der Volksreligiosität, die sich um die ,echten Gottheiten‘ formierte, dem Buddhismus entzogen wurden. Vgl. hierzu auch Rambelli, Re-positioning the Gods. Hierzu: Allan G. Grapard, „The Shinto of Yoshida Kanetomo,“ Monumenta Nipponica 47, Nr. 1 (1992): 27–58; Bernhard Scheid, Der eine und einzige Weg der Götter : Yoshida Kanetomo und die Erfindung des Shinto. Beiträge zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens; 38 (Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften, 2001); ders., „Land of the Kami and Way of the Kami in Yoshida Shinto¯,“ in Religion and national identity in the Japanese context, Klaus Antoni (Hg.), 193–215 (Münster : Lit, 2002). Mark Teeuwen, „The Kami in Esoteric Buddhist Thought and Practice,“ in Shinto in History, 112. Sato¯ Hiroo, „Wrathful Deities and Saving Deities,“ in Buddhas and Kami in Japan, 113. Bemerkenswerterweise wurde das Konzept einer Differenzierung von hongaku/shikaku in Kombination mit dem Honji-Suijaku-Paradigma auch innerhalb des radikalen Flügels der )“ der Jo¯doshu¯ nach „falschen Lehre vom einmaligen Nen[butsu] (ichinen jagi (1163–1247) zwischen Ho¯nen aufgegriffen. So unterscheidet Jo¯kaku-bo¯ Ko¯sai einem „[A]mida des Urtores“ (honmon no Mida ) und einem „[A]mida des Spurentores“ (jakumon no Mida ), wobei ersterer den „wahren Amida“ das ursprüngliche Erwachtseins repräsentiert, letzterer als „Spuren-Amida“ das erworbene Erwachtsein. Vgl. Fabio Rambelli, „Just Behave as You Like; Prohibitions and Impurities Are Not a Problem: Radical Amida Cults and Popular Religiosity in Premodern Japan,“ in Approaching the Land of Bliss: Religious Praxis in the Cult of Amita¯bha, Richard K. Payne und Kenneth K. Tanaka (Hg.), 169–201 (Honolulu: University of Hawaii Press, 2004), 179–180; Nakasato Kaizan , Ho¯nen gyo¯den . Aozora Bunko , 2011 (1971), Kap. 29, keine Seitenangaben. Hier zeigt sich eine Tendenz, die wir auch bei Shinran feststellen: Im Versuch, die Lehren Ho¯nens konsequent weiterzudenken und philosophisch zu rationalisieren, fallen gerade auch die ,radikaleren‘ Anhänger der Bewegung in die Diskursstrategien des Mainstreams zurück, insbesondere in dessen monistische Tendenzen. Das sahen offenbar auch die sekten(1162–1238), der zu Jo¯kaku-bo¯ Ko¯sai in internen Kritiker wie Ho¯nens Schüler Bencho¯ seinem Nenbutsu myo¯gi shu¯ (JZ 10, 383b1–5) schreibt: „Während der sechsjährigen Weltflucht des Erhabenen [d. i. Ho¯nen; CK] trat ein Mann namens Jo¯kaku-bo¯ in das Tor des Reinen Landes ein, der unter Rückgriff auf die Tendai-Tradition [die Unterscheidung von] dem [A]mida des Spurentores und dem [A]mida des Urtores einführte und behauptete, das
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sondere für das Denksystem Ho¯nens selbst war aber die Unterscheidung ) bzw. zwischen ,Außerweltlichem‘ (Skt. lokottara; Jap. shusseken Transzendenz und ,Innerweltlichem‘ (Skt. laukika; Jap. seken ) bzw. Immanenz konstitutiv. Der in der Kamakura-Zeit zunehmend dominierende esoterische Diskurs leugnete diese Unterscheidung.72 Alles in dieser Welt ist Emanation des Dharmaka¯ya Maha¯vairocanas und damit ,uranfänglich erwacht‘. In der absoluten Transzendenz ist der Gegensatz zwischen Transzendenz und Immanenz, Erwachtsein und Illusion, wahr und falsch, gut und böse etc. aufgehoben. Im tantrischen Ritual des kaji (Skt. adhistha¯na) kann ˙˙ der Mensch die Einheit mit Maha¯vairocana oder einer seiner Manifestationen und damit sein eigenes uranfängliches Erwachtsein in diesem Leben realisieren.73 Die stark monistische Tendenz des tantrischen Buddhismus – wie gesagt das Ergebnis einer konsequenten Rationalisierung des Transzendenzkonzepts – stimulierte offensichtlich anti-dualistische Ressentiments gegen die dualistischen Grundaxiome der traditionellen buddhistischen Soteriologie mit ihren Dichotomien von Nirva¯na und Samsa¯ra, lokottara und laukika, Heil˙ samem (Skt. kus´ala; Jap. zen )˙ und Unheilsamem (Skt. akus´ala; Jap. fuzen ), Verblendung (Skt. vimoha; Jap. mei ) und Erwachen (Skt. bodhi; Jap. bzw. go/satori ) usw. Im Mittelalter wurde dadurch ein protokaku shinto¯istischer Diskurs angestoßen, der ontologisch-metaphysische und kosmogonische Spekulationen hervorbrachte, die auf eine undifferenzierte Ureinheit vor der Entstehung der Welt – und damit natürlich auch vor dem Auftauchen aller Buddhas rekurrierten. Diese Spekulationen, in denen die schon in das Nihon shoki eingeflossenen abstrakten Konzepte der chinesischen Kosmogonie mit den japanischen Kami identifiziert wurden,74 konstituierten erstmals in der japanischen Geschichte einen religiösen Diskurs, der nicht auf buddhistischen Konzepten basierte. Ein Großteil dieser Diskurse wahre Erwachen, [das Amida] vor zehn Äonen [erlangt hat,] repräsentiere den [A]mida des Spurentores (d. h. den Buddha Amida, der nur aus pädagogischen vorgibt, er habe zu einem bestimmten Zeitpunkt die Buddhaschaft erlangt; CK); der [A]mida des Urtores (d. h. der wahre Buddha, der schon immer erwacht war; CK) sei der Tatha¯gata des anfangslosen ursprünglichen Erwachens. Aus diesem Grund gebe es nicht den geringsten Unterschied zwischen [A]mida und uns.“ Vgl. auch E’ons (?–1714) Shoka nenbutsu shu¯ (JZ 15, 787b12–16). 72 Natürlich wird die Unterscheidung zwischen laukika und lokottara, samsa¯ra und nirva¯na etc. ˙ ˙ auch schon in der frühen Maha¯ya¯na-Philosophie, z. B. von Na¯ga¯rjuna, als letztlich illusionär betrachtet. Auf der Ebene der weltlichen Wahrheit ist sie jedoch hinzunehmen und handlungsleitend. Erst mit Erreichen des vollkommenen Erwachens und vom Standpunkt der höchsten Wahrheit aus kann die Dichotomie überwunden werden. In der Immanenz hat man sich mit den (illusorischen) Gegensätzen zu arrangieren. 73 Teeuwen, The Kami in Esoteric Buddhist Thought and Practice, 97. (1583–1657) im Rekurs auf das berühmte kos74 So identifizierte z. B. Hayashi Razan mogonische Diagramm des Neo-Konfuzianers Zhou Dunyi (1017–1073) Yin und Yang mit den japanischen Schöpfergottheiten Izanami und Izanagi, die Fünf Wandlungsphasen mit weiteren fünf Göttern der so genannten ,Sieben Generationen der Götterzeit‘.
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entstand wohl kaum zufällig im Umfeld des Großschreins von Ise. Damit war die Voraussetzung für die Entstehung eines außerbuddhistischen und schließlich anti-buddhistischen Kami-Diskurses bzw. ,Shinto¯‘ geschaffen.75 Die Geister, die der Buddhismus in Form der radikal um- und aufgewerteten Kami gerufen hatte, wurde er nun nicht mehr los – sie wandten sich gegen ihn. Angesichts dieses hier nur grob nachgezeichneten Prozesses der ,Shinto¯isierung‘ des Buddhismus erhebt sich die Frage: Ist die von Bellah und anderen immer wieder betonte ,weltbejahende‘, diesseitsorientierte Gesinnung der Japaner wirklich der „ground bass“76 der japanischen Kultur seit Urzeiten,77 gegen den sich die ursprünglich ,weltabgewandte‘, transzendenzorientierte Haltung des ,achsenzeitlichen‘ Buddhismus nicht durchzusetzen vermochte, oder ist diese nicht vielmehr das Ergebnis einer konsequenten Rationalisierung des Buddhismus unter den ideologischen Prämissen des Tantrismus? Sollte letzteres zutreffen, wovon ich aus oben genannten Gründen ausgehe, dann ging es in der Kamakura-Zeit nicht darum, dass Ho¯nen oder Shinran sich als Buddhisten gegen eine übermächtige weltbejahende japanische ,Volksmentalität‘ stellten, sondern es ging um eine Richtungsentscheidung innerhalb des buddhistischen Diskurses, letztlich zwischen dessen exoterischer (Ho¯nen, Shinran) und dessen esoterischer (Mainstream) Seite. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Auseinandersetzung zwischen den zwei Lagern den Prozess der ,Shinto¯isierung‘ des Buddhismus eher noch befördert hat: Nonkonformisten fordern die Orthodoxie heraus, zwingen sie zur Zuspitzung, Verhärtung und Rationalisierung ihrer Positionen. Nun sind Prozesse theologischer Rationalisierung, wie gesagt, nie alternativlos und selten unumstritten. Das gilt auch für die hier skizzierte Rationalisierung, die jenen vielfältigen und heterogenen Religionskomplex des ,exo-esoterischen Systems‘ hervorgebracht hat. Die buddhistische Reformbewegung des Reinen Landes im 13. Jahrhundert kann durchaus als Kritik und Gegenentwurf zum Verlauf der theologischen Rationalisierung des ja75 Vgl. Rambelli, Re-positioning the Gods, 309–313. 76 Robert N. Bellah, „Japan: Values and Social Change in Modern Japan,“ in Beyond belief: Essays on religion in a post-traditional world, Robert N. Bellah (Hg.), 114–45 (Berkeley : University of California Press, 1991 [1970]), 119. Vielleicht könnte man hier in der Terminologie Rueggs von einem „religious substratum“ sprechen. Vgl. Hierzu David Seyfort Ruegg, „A Note on the Relationship between Buddhist and Hindu Divinities in Buddhist Literature and Iconology : The Laukika/Lokottara Contrast and the Notion of an Indian Religious Substratum?“ in Le parole e i marmi: Studi in onore di Raniero Gnoli nel suo 70. compleanno, Raniero Gnoli, Raffaele Torella und Claudio Cicuzza (Hg.), 735–742 (Roma: Istituto italiano per l’Africa e l’Oriente; Distributed by Herder International Book Centre, 2001). 77 Trotz seines Interesses an religiöser Evolution scheint mir Bellah hier auto-orientalistischen ,Japaner-Diskursen‘ der Moderne aufzusitzen, wodurch er nicht hinreichend erkennt oder deutlich macht, dass ,Weltbejahung‘ ein Merkmal wohl aller ,archaischer‘ Religion ist und auch in den ,hochkulturellen Erlösungsreligionen‘ unterschwellig immer wirksam bleibt. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es jemals Zeiten und Gegenden gegeben habe, in denen die Mehrheit der Menschen tatsächlich mehr an jenseitiger Erlösung denn an der Lösung diesseitiger Probleme interessiert gewesen wären.
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panischen Buddhismus im frühen Mittelalter gelesen werden.78 Das gilt insbesondere für die so genannten ,Schulen des Reinen Landes‘ in der Nachfolge Ho¯nens und Shinrans, die den religiösen Status Quo am radikalsten in Frage stellten. Umgekehrt, so argumentiert Kuroda, ist die eng mit dem HonjiSuijaku-Paradigma verknüpfte ,Götterland-Ideologie‘ als eine Reaktion des Establishments auf die Nonkonformisten des Reinen Landes und ihre Ablehnung des Götterkultes zu verstehen.79
2.4 Der Nonkonformismus des Reinen Landes und der Disput um die Götter Es ist bemerkenswert wenn auch nicht verwunderlich, dass einerseits Darstellungen der Lehren Ho¯nens und seiner Nachfolger das Problem des Götterkultes meist ausblenden, obwohl deren Abwendung vom Kami-Kult in den Angriffen gegen die Bewegung des Reinen Landes eine absolut zentrale Rolle spielt. Die Betonung der Vernachlässigung des Götterkultes durch die Kritiker kann daher wohl nur mit der überragenden Bedeutung des Honji-SuijakuParadigmas für das gesamte Religionssystem und letztlich für das gesamte politische System erklärt werden.80 Wie wir gesehen haben, war das Honji-
78 Tatsächlich sind die Schulen des Reinen Landes die einzigen unter den Schulen des so genannten ,Neuen Kamakura-Buddhismus‘, die sich – jedenfalls anfangs – dem Honji-Suijaku-Paradigma verweigerten. Nichiren (1222–1282) etwa hält nicht nur an diesem Konzept fest, sondern übernimmt auch die ,Götterland-Ideologie‘ und verknüpft sie explizit mit dem Honji-SuijakuKonzept, wenn er 1264 im Gassui gosho schreibt: „Allerdings ist das japanische Reich ein Land der Götter. In diesem Land ist es Brauch, dass die Buddhas und Bodhisattvas ihre Spuren [als Kami] herablassen. Man kann zahlreiche Beispiele aus Su¯tras und Abhandlungen anführen, die auf wundersame Weise einvernehmlich bestätigen, dass es augenblickliche Strafe (Hg.), Nichiren nach sich zieht, wenn man sich von ihnen abwendet.“ Hori Nikko¯ Daisho¯nin gosho zenshu¯ (Tokyo: So¯ka Gakkai, 1984), 1202. Man könnte Nichiren in der Tat als einen radikalen ,Gegenreformator‘ bezeichnen. Zu Nichirens Kami-Auffassung siehe Lucia Dolce, „Hokke Shinto: Kami in the Nichiren Tradition,“ in Buddhas and Kami in Japan, Mark Teeuwen und Fabio Rambelli (Hg.), 222–254 (London, New York: RoutledgeCurzon, 2003). 79 Kuroda, The Discourse, 377. Für eine Kritik an Kurodas Sichtweise siehe Mark Teeuwen und Fabio Rambelli, „Introduction: Combinatory Religion and the Honji Suijaku Paradigm in PreModern Japan,“ in Buddhas and Kami in Japan, 43–44. 80 Das religiöse und das politische System waren zwar konzeptuell klar voneinander unterschieden, wurden aber als wechselseitig voneinander abhängig betrachtet. Für Einzelheiten siehe Christoph Kleine, „Autonomie und Interdependenz: Zu den politischen Voraussetzungen für staatliche Säkularität und religiöse Pluralität im vormodernen Japan,“ Religion – Staat – Gesellschaft 13, Nr. 1 (2012): 13–34; ders., „Religion and the Secular in Premodern Japan from the Viewpoint of Systems Theory“; ders., „Säkulare Identitäten im »Zaubergarten« des vormodernen Japan? Theoretische Überlegungen auf historischer Basis,“ in Säkularität in religionswissenschaftlicher Perspektive, Peter Antes und Steffen Führding (Hg.), 109–130 (Göttingen: V&R unipress, 2013).
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Suijaku-Paradigma ein hervorragendes Mittel zur Domestikation der Massen und zur Legitimation der herrschenden Ordnung.81 Der Vorwurf der Abwendung von den Göttern durch das buddhistische Establishment ist in zwei Petitionen gegen die Nenbutsu-Bewegung unmissverständlich formuliert. Es handelt sich dabei um eine Petition, die der (1155–1213) im Jahr hochangesehene Mönch Gedatsu-bo¯ Jo¯kei 1205 im Auftrag des Klerus des mächtigen Tempels Ko¯fukuji von Nara verfasst hat (Ko¯fukuji so¯jo¯ )82 und eine Petition der Priester des Enryakuji aus dem Jahr 1224 (Sanmon so¯jo¯ bzw. Enryakuji so¯jo¯ )83. Beide Texte betonen im Ergebnis auf der Grundlage des Honji-Suijaku-Paradigmas die Notwendigkeit der Götterverehrung für das Wohlergehen des Landes. Götterverehrung ist Staatsbürgerpflicht! so die Priester des Enryakuji. Missachtung der Götter ist im Umkehrschluss „ein Kapitalverbrechen an den Gesetzen des Götterlandes (shinkoku no ho¯ ).“ Im „Land der Götter“ (shinkoku ) bringe man „den Gottheiten im Dienst des Staates Verehrung entgegen“. Wer dies nicht tue, müsse nicht nur die Strafe der Götter gewärtigen, sondern schade unmittelbar der Nation, da „die machtvollen ) die Dämonen (kihaku ) im Zaum halten Gottheiten (sei no jingi und bezwingen.“ Die im 13. Jahrhundert auftretenden Unruhen werden entsprechend als „Strafe der Götter“ (kami no togame ) für ihre Missachtung durch die Nenbutsu-Anhänger gedeutet.84 81 Rambelli und Teeuwen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass das Honji-Suijaku-Paradigma im Machtspiel des mittelalterlichen Japan eine sehr komplexe Rolle spielte und sich nicht einfach auf ein Mittel der Herrschenden zur Beherrschung des Volkes reduzieren lässt, wenngleich dieser Aspekt vielleicht der wichtigste war. Sie schreiben: „As part of the dominant discourse, including elements of cosmology, epistemology, soteriology, social order, economics, etc., honji suijaku was an important ideological tool of the medieval and early modem Japanese ‘ruling blocs.‘ Yet, it could also be appropriated by subalterns for oppositional purposes. The long history of popular revolts (ikki), whose leaders were often deified by the rebels, is perhaps an indication of the constant dimension of struggle and antagonism that has continuously pervaded Japanese culture.“ Teeuwen/Rambelli, Introduction, 46. 82 Siehe Robert E. Morrell, „Jo¯kei and the Ko¯fukuji Petition,“ Japanese Journal of Religious Studies 10, Nr. 1 (1983): 6–38; ders. Early Kamakura Buddhism: A Minority Report (Berkeley : Asian Humanities Press, 1987). Der Text ist enthalten in: Kamata Shigeo und Tanaka Hisao (Hg.), Kamakura kyu¯bukkyo¯ (Tokyo: Iwanami Shoten, 1995 [1971]) und in Takeuchi Rizo¯ , Kamakura ibun : CD-ROM-Ausgabe (To¯kyo¯ : To¯kyo¯do¯ Shuppan, 2008), Bd. 3. 83 Für eine Inhaltszusammenfassung und Analyse siehe Christoph Kleine, „Pluralismus und Pluralität in der japanischen Religionsgeschichte: Am Beispiel nonkonformer buddhistischer Bewegungen des 13. Jahrhunderts,“ in Mauss, Buddhismus, Devianz: Festschrift für Heinz Mürmel zum 65. Geburtstag, Thomas Hase et al. (Hg.) (Marburg: Diagonal-Verl., 2009), 189–216; eine Übersetzung des für dieses Thema relevanten Abschnitts siehe ders., „Praktischer Atheismus als religiöser Nonkonformismus: Überlegungen zur Nenbutsu-Bewegung des japanischen Mittelalters“, in Devianz und Dynamik – Festschrift für Hubert Seiwert zum 65. Geburtstag, Edith Franke, Christoph Kleine und Heinz Mürmel (Hg.) (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014). Der Originaltext ist enthalten in Takeuchi, Kamakura ibun, Bd. 5. 84 Takeuchi, Kamakura ibun, Bd. 5, 271–272.
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Dass die Vorwürfe der Tendai-Priester zumindest bezüglich der Missachtung der Götter durch die Nenbutsu-Anhänger zutreffend waren, wird hoffentlich in Kürze deutlich werden. Wie bereits erwähnt, möchte ich hier die Lehren Ho¯nens und Shinrans als alternative Rationalisierungsversuche in den Blick nehmen, die insofern nonkonformistisch waren, als sie die geltende religiöse Ordnung in Frage stellten. Wesen und Funktion der Kami spielen bei Ho¯nen und Shinran zwar – wie gesagt – auf den ersten Blick keine große Rolle, doch gerade die Missachtung der Götter und des damals so wichtigen HonjiSuijaku-Paradigmas in ihrem Lehrsystem ist vielsagend und m. E. bislang in ihrer Tragweite nicht angemessen gewürdigt worden. Aus Zeit- und Platzgründen kann ich die Haltung Ho¯nens und Shinrans zum Kami-Kult hier nur kurz zusammenfassen.85
2.4.1 Ho¯nens Haltung zu den Kami Auf den ersten Blick scheint Ho¯nen sich kaum für die Kami zu interessieren. Sie kommen in seinen dogmatischen Schriften praktisch nicht vor. Gemäß den autoritativen Schriften geht Ho¯nen davon aus, dass gute Buddhisten, mithin auch die Praktizierenden des Nenbutsu, automatisch unter dem Schutz der Götter stehen. […] es heißt, dass alle Götter-Könige (jin’o¯ ) und die Geistwesen (kijin ), zahlreich wie die Sandkörner im Ganges, eine Person, die ihre Zuflucht nimmt zum . Buddha, ihre Zuflucht nimmt zum Dharma und ihre Zuflucht nimmt zum Sangha, als einen der ihren betrachtet und sie ständig beschützt. Dementsprechend umkreisen und beschützen die Buddhas und Götter sie. Und weil die Buddhas und Kami anwesend sind, gibt es nichts, über das Du Dir Sorgen machen müsstest und das Dich behinderte.86
Damit scheint für Ho¯nen das Thema erledigt. Einer besonderen Hinwendung zu den Göttern von Seiten der Gläubigen bedarf es nicht, um sich ihr Wohlwollen und ihre Unterstützung zu sichern. Dennoch äußert sich Ho¯nen vereinzelt auf Nachfrage seiner Anhänger zu dem Thema Götterverehrung. Die Verehrung der Götter scheint für ihn tolerabel zu sein, sofern sie lediglich zum Zwecke der Erlangung diesseitiger Heilsgüter erfolgt. Für die Erlangung des außerweltlichen Heilsgutes der Hingeburt in Amidas Reines Land (o¯jo¯ ) sind die Götter irrelevant. Nur das Nenbutsu, d. h. das Aussprechen des Namens Amidas in der Formel „Namu Amida Butsu“ ermöglicht 85 Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Thema siehe Kleine, Praktischer Atheismus. 86 Wago to¯roku (JZ 9, S. 529b3–b13); vgl. Ishii, Ho¯nen Sho¯nin zenshu¯, 604; cf. Ama Toshimaro , Ho¯nen no sho¯geki: Nihon bukkyo¯ no radikaru – (Kyo¯to: Jinbun Sho’in, 1989), 116.
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Geburt im Reinen Land. Von diesem Ziel und von der zum Ziel führenden Praxis sollte man sich keinesfalls ablenken lassen. Was innerweltliche Gebete (kono yo no inori ) angeht, muss man sich über Gebete an die Buddhas und Götter (kami ) keine Sorgen machen. Für die Hingeburt in die nächste Welt (gose no o¯jo¯ ) ist jedenfalls keine andere Praxis zu üben außer dem Nenbutsu. Wenn man es für innerweltliche Zwecke ( ) tut und nicht zum Zwecke der Hingeburt, dann muss man sich über Gebete an Buddhas und Götter keine Sorgen machen.87
Ho¯nen leugnet also nicht die Existenz der Kami, aber er spricht ihnen jede soteriologische Funktion ab. Selbst deren Fähigkeit, innerweltliche Heilsgüter zu spenden, scheint Ho¯nen an der Stelle zu bestreiten, die unmittelbar auf die oben zitierte über den Schutz durch Buddhas und Götter folgt. Außerdem gibt es Beschränkungen infolge akkumulierten Karmas (jukugo¯ ), und wenn man [aufgrund dessen] krank wird, dann mag man wohl zu allen möglichen Buddhas und Göttern beten, aber hiervon hängt [die Gesundung] nicht ab. Wenn aufgrund des Betens Krankheiten geheilt oder das Leben verlängert würden, warum ist dann auch nur ein Mensch krank und warum sterben die Menschen?88
Die Radikalität dieser Aussage ist vor dem Hintergrund des damals dominierenden Weltbildes kaum hoch genug einzuschätzen. 2.4.2 Shinrans Haltung zum Götterkult Nach Ho¯nens Tod begann ein weiterer Rationalisierungsprozess. Die Nachfolger Ho¯nens entwickelten einzelne Elemente der Lehre ihres Meisters wiederum konsequent weiter. Wohl am weitreichendsten war die Rationalisierung, die Shinran vornahm, indem er Ho¯nens Konzept von der allein heilbringenden ,Anderen Kraft‘ (tariki ) Amidas systematisch weiterentwickelte.89 Allerdings beschäftigt auch Shinran sich mit den Göttern oder Kami nur am 87 Ishii, Ho¯nen Sho¯nin zenshu¯, 504. 88 Ebd, 604–605. ‘ (d. i. der größte 89 Relativ dicht an Ho¯nens Lehren blieb die so genannte ,Chinzeiha ) innerhalb der Nachfolgeschaft Ho¯nens, Flügel der Schule des Reinen Landes, Jo¯doshu¯ auch wenn diese einige Tendai-Elemente wieder aufgreift. In den Schriften Bencho¯s und anderer Repräsentanten dieses Flügels bleiben die Rationalisierungsansätze verhalten. Viele Nachfolger Ho¯nens interpretierten die Lehren ihres Meisters jedoch durch die Brille der Tendai-Lehre, wodurch einerseits eine Reintegration eines Teils der Gemeinde in die Tendai-Orthodoxie möglich wurde, anderseits aber zentrale ,nonkonformistische‘ Positionen Ho¯nens verraten oder verwässert wurden. Vgl. hierzu auch Ishida Mitsuyuki, „Tendai Elements in the Doctrinal Systems of Ho¯nen’s Disciples,“ Indogaku Bukkyo¯gaku kenkyu¯ 11, Nr. 2 (1963): 798–803; Christoph Kleine, Ho¯nens Buddhismus des Reinen Landes: Reform, Reformation oder Häresie? (Frankfurt/Main. et al.: Peter Lang, 1996), 284–308.
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Rande. Ihm gilt es wie Ho¯nen als selbstverständlich, dass ein wahrer Buddhist unter dem speziellen Schutz der Götter steht, so wie es in den Su¯tras überliefert ist. Es verbietet sich daher, die Götter zu schmähen. Umgekehrt ist es aber auch vollkommen überflüssig, sie in besonderer Weise zu verehren. Deutlicher noch als Ho¯nen kritisiert Shinran alle Ritualhandlungen, die sich an die Götter richten oder dem Erwerb innerweltlicher Heilsgüter dienen, als verwerflich weil: unbuddhistisch! Traurig, traurig, dass Priester wie Laien günstige Zeiten und glückliche Tage wählen, ) und die Erdgeister (chigi ) verehren, Wahrsadie Himmelsgötter (tenjin gerei (bokusen ) und religiöse Feste (saishi ) ausüben.90
Shinran erweitert den Vorwurf unbuddhistischen Verhaltens explizit auf den Götterkult als solchen. Er schreibt weiter : Als Leute, die sich wie Nicht-Buddhisten, Brahmanen oder Anhänger Nirgranthas ˙˙ [d. i. der Gründer des Jainismus; CK] benehmen, tragen sie die Dharma-Roben des Tatha¯gata und verehren doch sämtliche Geister und Götter (issai kishin ).91 Traurig, traurig, dass dieser Tage die Priester und Laien des Reichs Yamato [d. i. Japan; CK] allesamt, das Zeremoniell des Buddhismus [äußerlich?; CK] in den Mittelpunkt stellend, die Geister und Götter des Himmels und der Erde (tenchi no kishin ) verehren.92
Shinran geht in seiner Auflistung von Textstellen, die die wahre Lehre, Praxis und Verwirklichung des Reinen Landes offenbaren,93 jedoch noch weiter. Er ,dämonisiert‘ die Hinwendung an relative Transzendenzen und warnt vor deren Folgen. Er zitiert diesbezüglich zunächst das Su¯tra der Gelübde des Buddhas Medizinmeister, in dem es heißt: „Gute Söhne und gute Töchter reinen Glaubens verehren ihr Leben lang keine anderen Götter.“94 Dort heiße es ferner : Those who believe the deluded teachings of evil maras, nonbuddhists, or sorcerers foretelling calamity or fortune may be stricken by fear ; their minds will become unsound. Engaging in divination, they will foretell misfortune and will come to kill various sentient beings. They may make prayers to gods or invoke spirits to beg for ; Shinshu¯ seiten hensan iinkai 90 Sho¯ zo¯ matsu wasan (Hg.), Shinshu¯ seiten (Kyoto: Higashi Honganji shuppanbu, 1992), 509; vgl. Shinran und Dennis Hirota, The Collected Works of Shinran: Volume I: The Writings (Kyoto: Jo¯do Shinshu¯ Hongwanji-ha, 1997), 422. 91 Shinshu¯ seiten hensan iinkai, Shinshu¯ seiten, 509; vgl. Shinran und Hirota, The Collected Works, 422. 92 Shinshu¯ seiten hensan iinkai, Shinshu¯ seiten, 509; vgl. Shinran und Hirota, The Collected Works, 423. ; kurz: Kyo¯gyo¯shinsho¯. 93 Kenjo¯do shinjitsu kyo¯gyo¯sho¯ monrui 94 Original: (Yaoshi liuliguang rulai benyuan gongde jing , T14, Nr. 450, S. 407, a7–8).
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good fortune and wish for long life, but in the end these will not be obtained. Being foolish and ignorant, they will believe in false teachings and fall into inverted views and, finally bringing an untimely death on themselves, will enter hell with no prospect of emergence… Eighth, undergoing misfortune, they will suffer from poison, prayers to evil gods, curses, and the spirits that emerge from corpses.95 The Sutra of the Bodhisattva Precepts states: The rule of the person who renounces worldly life is not to pay homage to the king, not to pay homage to one’s parents, not to serve the six kinds of blood-relatives, and ).96 not to worship spirits (kijin
Diese Passagen sind in der Tat bemerkenswert, insofern sie konkrete Argumente für die Meidung der Götterverehrung und ähnlicher Praktiken durch ordinierte Buddhisten angeben. Diese Praktiken seien nicht nur weltlich und einem Mönch unangemessen, sondern auch unwirksam und gefährlich. Diese Haltung erinnert in der Tat an die Dämonisierung aller ,magischen‘ Praktiken durch die Puritaner. Wenn nun also von Ho¯nen, deutlicher noch von Shinran, eine Abkehr von jeder ,Werkheiligkeit‘ und eine Ablehnung ,magischen‘ Handelns gefordert werden, kann man wohl davon sprechen, dass ihre Lehre auf eine ,Entzauberung‘ der Welt im Sinne Webers hinausläuft.
2.5 Die Ablehnung des Götterkultes als entzaubernde Rationalisierung97 Der Buddhismus des Reinen Landes, wie er von Ho¯nen und Shinran entwickelt wurde, ist aus meiner Sicht ein fast schon idealtypisches Beispiel einer religiösen Rationalisierung. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle noch einmal erklären, was genau ich mit Rationalisierung meine. Ich folge bei der Verwendung des Begriffs weitestgehend Max Weber, der den Begriff allerdings nicht immer einheitlich gebraucht. Mir geht es in diesem Zusammenhang v. a. um „Rationalisierung der Heilsmethodik“98 i. S. eines methodischen und systematischen Ausrichtens des Handelns an bestimmten religiösen Zwecken und/ oder Werten. Diese praktische Rationalisierung setzt zunächst ein „systema95 Shinshu¯ seiten hensan iinkai, Shinshu¯ seiten, 386–387; Englisch: Shinran und Hirota, The Collected Works, 273–274. Original: T14, Nr. 450, S. 408, a6–15. 96 Shinshu¯ seiten hensan iinkai, Shinshu¯ seiten, 387; English: Shinran und Hirota, The Collected Works, 274. Original: Fanwang jing (T24, Nr. 1484, S. 1008, c4–6). 97 Eine eingehende Auseinandersetzung mit den entzaubernden Tendenzen der Lehren Ho¯nens und Shinrans aus Weberianischer Perspektive ist zu finden in: Christoph Kleine, „Disenchanting Medieval Japan: Ho¯nen and Shinran in a Weberian Perspective.“ In Ho¯nen bukkyo¯ no shoso¯ , Fujimoto Kiyohiko Sensei koki kinen ronbunshu¯ kanko¯kai (Hg.), 101–125 ( Kyo¯to: Ho¯zo¯kan, 2014). 98 Weber und Winckelmann, Wirtschaft und Gesellschaft, 327.
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tisches Denken über die religiöse Praxis“99 voraus. Diese Reflexionsarbeit bezeichne ich als ,theologische Rationalisierung‘.100 Als typisches, wenn auch nicht notwendiges Resultat der Rationalisierung des religiösen Denkens hat Weber in seiner Abhandlung über Die Entstehung der Religionen die Irrationalisierung von Sinn und Ziel „des religiösen Sichverhaltens“ ausgemacht. „Denn“, so Weber, der »Sinn« des spezifisch religiösen Sichverhaltens wird, parallel mit jener Rationalisierung des Denkens, zunehmend weniger in rein äußeren Vorteilen des ökonomischen Alltags gesucht und insofern also das Ziel des religiösen Sichverhaltens »irrationalisiert«, bis schließlich diese »außerweltlichen«, d. h. zunächst: außerökonomischen Ziele als das dem religiösen Sichverhalten Spezifische gelten.101
Vereinfacht gesagt geht es Weber hier um die Beschreibung eines Prozesses von ,magisch‘ orientierter Religiosität hin zu einer ,echten‘ Erlösungsreligion. Wie wohl keine anderen buddhistischen Denker vor und nach ihnen haben Ho¯nen und Shinran den Buddhismus genau in diesem Sinne radikal rationalisiert. Vor allem Ho¯nen reduziert buddhistisches Denken und Handeln ausschließlich auf soteriologische Fragen. Was nicht zur Erlangung des ,außerweltlichen‘, ,außerökonomischen‘ und in diesem Sinne nach Weber ,irrationalen‘ Ziels der Geburt im Reinen Land führt, ist irrelevant und zu meiden. Gerade Ho¯nens religiöses Denken ist von einer extremen rationalen Konsequenz, dessen Argumentationsschritte wie folgt differenziert werden können: • Aufgabe und Ziel aller Buddhas war und ist es, möglichst alle leidenden Wesen zur Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten zu führen; • Zu diesem Zweck haben sie geschickte Heilsmittel erdacht; • Das einfachste und wirksamste aller Heilsmittel ist das Nenbutsu, das es selbst den schlimmsten Sündern ermöglicht, ins Reine Land zu gelangen; • Es ist daher irrational und gegen die Intention der Buddhas etwas anderes als das Nenbutsu zu üben. Es handelt sich bei dieser scheinbar so schlichten Lehre in gewisser Hinsicht um eine radikale und konsequente Rückführung des Buddhismus auf seinen soteriologischen Kern – und um eine Kampfansage an Tradition und Konvention.102 Ho¯nens und Shinrans Rationalisierung des Buddhismus lief genau in die entgegengesetzte Richtung wie die des buddhistischen Mainstreams. Diesem war es darum gegangen, alle Vorstellungen und Praktiken, die im Buddhismus überliefert und in Japan üblich waren, in ein kohärentes Gesamtsystem zu bringen. Ho¯nen und Shinran ging es darum, alles soteriolo99 100 101 102
Ebd., 250. Ebd., 259. Ebd. Immer wieder wendet sich Ho¯nen gegen die Einhaltung konventionell-religiöser Meidungsund Reinheitsgebote als ,unbuddhistisch‘.
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gisch Irrelevante aus dem Buddhismus auszuscheiden. In den Augen Robert N. Bellahs und Shmuel N. Eisenstadts103 führten Ho¯nen und Shinran den Buddhismus auf diese Weise wieder auf seine durch Transzendenzbezug charakterisierten ,achsenzeitlichen‘ Ursprünge zurück,104 was rein geistesgeschichtlich betrachtet durchaus eine gewisse Berechtigung hat. Eine offensichtliche Folge der theologischen Rationalisierungsbemühungen Ho¯nens und Shinrans war also wie gesagt eine radikale ,Entzauberung‘ des Buddhismus.105 Für Weber bedeutet ,Entzauberung‘ zunächst einfach „die Ausschaltung der Magie als Heilsmittel“ und die radikale „Entwertung aller Sakramente106 als Heilsmittel“,107 wie sie nur „in der puritanischen (und vor ihr nur in der jüdischen) Religiosität konsequent durchgeführt worden“ sei.108 Für ein angemessenes Verständnis von Webers Begriff der Entzauberung ist es wichtig, dass diese „nicht etwa die Freiheit von dem, was wir heute als »Aberglauben« zu werten pflegen“, impliziert. Das heißt: ,Entzauberung‘ bedeutet keinesfalls die Befreiung vom Glauben an außerempirische Wesen oder die Wirksamkeit ,magischen‘ Handelns an sich. Nur ist im asketischen Protestantismus, der am radikalsten entzauberten Religion, „alles Magische teuflisch geworden“.109 ,Entzauberung‘ bedeutet also nicht eine materialistische oder wissenschaftliche Weltsicht. Das ist ein entscheidender Punkt, der häufig übersehen wird. Wie wir gesehen haben, sind gerade bei Shinran Tendenzen zur ,Verteufelung‘ der Magie deutlich spürbar, was bedeutet, dass er die im magischen Akt adressierten ,relativen Transzendenzen‘ durchaus ernst nimmt. Fassen wir zusammen: Entzauberung bedeutet für Weber also die Ablehnung von „Magie“ und „Sakramenten“ als Heilsmittel, wobei „Magie“ als „mindestens relativ rationales Handeln“ definiert wird, das darauf abzielt, ,relativ transzendenten‘110 Wesen durch rituelle Manipulation meist diesseitige111 Heilsgüter (i. S. von genze riyaku ) abzuzwingen – i. S. eines Gotteszwanges nach Weber. 103 Shmuel N. Eisenstadt, „Japan: Paradoxien einer nicht-axialen Modernisierung aus weberianischer Sicht,“ in Max Weber und das moderne Japan, Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker (hg.), 67–107 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1999). 104 Robert N. Bellah, „Japan: Values and Social Change in Modern Japan,“ in Beyond belief: Essays on religion in a post-traditional world, ders. (Hg.), 114–145 (Berkeley : University of California Press, 1991 [1970]), 118. 105 Siehe hierzu auch Kleine, „Disenchanting Medieval Japan“. 106 „Sakramente“ sind für Weber schlicht „magische Handlungen, welche Heilsgüter verbürgen.“ Weber und Winckelmann, Wirtschaft und Gesellschaft, 272. 107 Weber und Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, 155–156. 108 Ebd., 114. 109 Ebd., 513. Weber weist an dieser Stelle darauf hin, dass auch im puritanischen Neuengland die Hexenprozesse geblüht haben, trotz oder gerade wegen der Entzauberung. 110 Zu diesem Konzept siehe Kleine, „Zur Universalität“, 70–71; ders., „Religion and the Secular“; ders., „Religion als begriffliches Konzept“, 241–245. 111 Weber und Winckelmann, Wirtschaft und Gesellschaft, 245.
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3. Zusammenfassung der zwei Rationalisierungspfade Ich habe nun also anhand der Kontroverse um die Kami zu zeigen versucht, dass der innerbuddhistische Konflikt zwischen der Orthodoxie des ,exoesoterischen-Systems‘ und der nonkonformistischen Bewegung des Reinen Landes im 13. Jahrhundert als das Ergebnis eines seit dem 6. Jahrhundert sich entfaltenden Prozesses divergierender Rationalisierung zu interpretieren ist, der zumindest teilweise durch die Begegnung des Buddhismus mit den indigenen Kulten Japans ausgelöst wurde. Was die Frage der Kami betrifft, ging es dabei um die Systematisierung des Transzendenzkonzepts unter dem Eindruck neu hinzugekommener, heterogener Elemente, nämlich der als ,relative Transzendenzen‘ zu bezeichnenden Kami. Im Folgenden möchte ich abschließend im Sinne einer auf die Bildung von Idealtypen abstellenden Vorgehensweise zeigen, welcher Logik die divergierenden Rationalisierungspfade folgen, bzw. welche buddhistischen Grundpositionen jeweils konsequent weitergedacht wurden.
3.1 Der Rationalisierungspfad der Orthodoxie des ,exo-esoterischen-Systems‘ Der Rationalisierungspfad der Orthodoxie des ,exo-esoterischen-Systems‘ ist als eine konsequente Weiterentwicklung des Transzendenzkonzepts aus primär ontologisch-metaphysischer Perspektive zu verstehen. Die Leitfrage war : wie interpretiere ich die Welt und wie Natur und Funktion der in ihr vorhandenen Wesen?112 Man reagierte damit nicht zuletzt auf eine ,Kohärenzkrise‘ infolge des Aufeinandertreffens heterogener religiöser Elemente bei der Einführung des Buddhismus nach Japan. Auf der Grundlage des machtvollen, bereits in China entwickelten ,subitistisch-monistischen Imperativs‘ wurden die heterogenen Elemente der indigenen Kulte und Mythen in das sich immer weiter durchsetzende tantrische Weltbild113 integriert. Aus dem subitistischmonistischen Imperativ (seinerseits eine Rationalisierung von Madhya¯makaund Yoga¯ca¯ra-Philosophie, Tatha¯gatagarbha-Theorie usw.) resultierte geradezu zwingend eine radikale Rationalisierung des Transzendenzbegriffs hin zu einer Verabsolutierung der Transzendenz. Wahre, absolute Transzendenz, 112 Hierbei ist natürlich zu beachten, dass die Gegenüberstellung von ,ontologischer‘ und ,soteriologischer‘ Perspektive den Charakter einer idealtypischen Kontrastierung hat. Die ,ontologischen Spekulationen‘ des esoterischen Buddhismus waren nach dessen Selbstverständnis natürlich soteriologisch höchst relevant. Wissen über die geheimen Zusammenhänge im Universum ist nötig für die erfolgreiche Praxis tantrischer Rituale. 113 Es würde hier zu weit führen, die einzelnen Elemente zu benennen, die zum Kenmitsu-System rationalisiert wurden. Es seien hier nur andeutungsweise einige wenige, interdependente und weiter zu differenzierende Elemente genannt: Buddha-Natur, Subitismus, Monismus, Tantrismus usw.
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wie sie idealtypisch vom Dharmaka¯ya des Ur-Buddhas Maha¯vairocana repräsentiert wurde, musste die Differenz von Transzendenz und Immanenz transzendieren. Transzendenz und Immanenz waren im Grunde also eins, und die Welt, wie sie war, befand sich im Zustand uranfänglichen Erwachtseins. Wenn jedes Element der Immanenz Emanation der absoluten Transzendenz ist, kann es auch als Tor zur Befreiung dienen. Das galt natürlich auch und besonders für die Kami, die ursprünglich dem Bereich der Immanenz zugeordnet waren; sie waren laukika, innerweltlich wie die Menschen. Infolge einer Rationalisierung des Kami-Glaubens mit dem Ziel, sie widerspruchslos in das buddhistische Weltbild einzufügen, hatten sie bereits den Status von ,herabgelassenen Spuren‘ oder ,sichtbaren Manifestationen‘ (gongen ) transzendenter buddhistischer Heilswesen in der Immanenz (aus etischer Perspektive: in der relativen Transzendenz) erlangt. Sie hatten in diesem Stadium der Rationalisierung – repräsentiert durch das Honji-Suijaku-Paradigma – im Grunde den Charakter ,geschickter Hilfsmittel‘ (Skt. upa¯ya; Jap. ho¯ben ) der Buddhas. Der tantrische Monismus ließ eine Unterscheidung von ,Urgrund‘ und ,herabgelassener Spur‘, Transzendenz und Immanenz etc. jedoch nicht dauerhaft zu. So konnten Kami wie Amaterasu als ,uranfängliches Erwachtsein‘ Maha¯vairocanas interpretiert und mit den – letztlich hinfälligen – Hierarchien innerhalb der Transzendenz experimentiert werden. Auf diese Weise wurde schließlich die Möglichkeit eröffnet, die Kami über die Buddhas zu stellen und ihren Kult aus dem Buddhismus herauszulösen – die Entstehung des unabhängigen Shinto¯ kann also durchaus als Produkt einer weiteren Rationalisierung des tantrischen Buddhismus interpretiert werden. Dass sich dieser Rationalisierungspfad durchsetzte, hängt wohl auch damit zusammen, dass die Veränderungen im ökonomisch-politischen System seit dem späten 12. Jahrhundert eine Art ,Sinnkrise‘ im oben definierten Sinne ausgelöst hatten, auf die durch eine Reorganisation der religiösen Elemente (hier insbesondere der Kami) reagiert wurde. Zweifellos wurde der Rationalisierungsprozess aber auch durch die Nonkonformisten des Reinen Landes stimuliert, da sie eine alternative normative und kognitive Orientierung propagierten, die das Establishment zur Schärfung und Durchsetzung ihrer Wirklichkeitskonstruktion zwang. In der Konsequenz hat der Rationalisierungspfad, den der tantrisch dominierte exo-esoterische Mainstream eingeschlagen hat, eine religiöse Haltung der Weltbejahung hervorgebracht, die m. E. von Bellah voreilig als Durchsetzung eines vorbuddhistischen Kulturerbes interpretiert wurde.114 114 Es ist hier zu beachten, dass auch der vom Mainstream eingeschlagene Rationalisierungsweg hinsichtlich seiner sozialen Folgen nicht unproblematisch war, weswegen die neuen Paradigmen (insbesondere das Hongaku-Paradigma) zunächst eher im Geheimen kursierten und mündlich weitergegeben (kuden ) wurden. Zur Problematik des Hongaku-Paradigmas: Jacqueline Stone, Original Enlightenment and the Transformation of Medieval Japanese Buddhism (Honolulu: University of Hawaii Press, 1999); dieselbe, „Medieval Tendai Hongaku Thought and the New Kamakura Buddhism,“ Japanese Journal of Religious Studies 22, 1–2
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3.2 Der Rationalisierungspfad der Nonkonformisten des Reinen Landes Der Rationalisierungspfad der Nonkonformisten des Reinen Landes kann demgegenüber als konsequente Weiterentwicklung des Transzendenzkonzepts aus soteriologischer Perspektive gelesen werden. Die Leitfrage war hier nicht die Deutung der Welt, sondern: wie überwinde ich die Welt? Die doktrinäre Grundlage insbesondere Ho¯nens bildete eine geradezu ,ur-buddhistische‘ gradualistisch-dualistische Soteriologie.115 Ontologisch-metaphysische, kosmologische, kosmogonische und metaphysische Spekulationen verbaten sich angesichts der Dringlichkeit der soteriologischen Frage nach Weltüberwindung. Die heterogenen Religionselemente der indigenen Kulte und Mythen wurden auf traditionalistische Weise integriert: Kami hatten den gleichen Status wie die meisten Devas, d. h. sie waren unerlöst und soteriologisch irrelevant. Sie beschützten den guten Buddhisten und konnten ansonsten bestenfalls – und selbst das war umstritten – flüchtige innerweltliche Heilsgüter spenden, um die sich ein wahrhaft nach Erlösung Strebender nicht weiter kümmern sollte. Da der Buddhismus des Reinen Landes als echte Erlösungsreligion alles auf das außerweltliche Heilsgut der Hingeburt ins Reine Land setzte, konnten die Kami getrost ignoriert werden. Wer das Nenbutsu übt, wird in dieser Welt automatisch von ihnen geschützt. Ein besonderer Kami-Kult ist unnötig. Die Rationalisierung des Transzendenzkonzepts führte hier zu einer Zuspitzung der Differenz von Immanenz und Transzendenz. Die Verderbtheit der Immanenz ist vollkommen und die ebenso grundsätzliche Sündhaftigkeit des in der Immanenz des Samsa¯ra gefangenen Menschen ˙ (jiriki verbietet jedes Sichverlassen auf die Eigene Kraft ). Wahre Transzendenz ist von der Immanenz aus nicht zu erreichen und nicht zu begreifen. So gilt es, den Worten des ,ursprünglichen Lehrers‘ (honshi ) S´a¯kyamuni zu folgen und alles Vertrauen auf Amidas Gnade bzw. dessen Andere Kraft ) zu setzen. (tariki Shinran hat die von Ho¯nen propagierte Transzendenz Amidas sowie das Konzept der Anderen Kraft weiter rationalisiert und betont, dass Glaube und Praxis gleichermaßen Gnadengeschenke Amidas seien und sich angesichts der Unbegreiflichkeit des Buddha und seiner Absichten jede Kalkulation (hakarai) der eigenen Heilsaussichten verbiete. Er formulierte damit eine radikale Lehre von der ,doppelten Prädestination‘, die der des Calvinismus nicht unähnlich ist, sich von dieser aber insofern radikal unterscheidet, als ein (1995): 17–48; Tamura Yoshiro¯, „Japanese culture and the Tendai concept of original enlightenment,“ Japanese Journal of Religious Studies 14, 2–3 (1987): 203–210; ders., „Critique of Original Awakening Thought in Sho¯shin and Do¯gen,“ Japanese Journal of Religious Studies 11, 2–3 (1984): 243–266; Bernhard Scheid und Mark Teeuwen (Hg.), The culture of secrecy in Japanese religion (London: Routledge, 2006). 115 Es ist allerdings zu beachten, dass schon bei Shinran monistische (Verabsolutierung Amidas) und subitistische („horizontales Überschreiten“; o¯cho¯ ) Ansätze wiederbelebt werden.
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Buddha stets das Wohl des Menschen im Sinn hat, während die Absichten des absolut souveränen protestantischen Gottes unergründlich sind.116 Das Ergebnis dieser Rationalisierung war eine Haltung der weltzugewandten Weltverneinung; weltzugewandt, weil jede religiös motivierte Abwendung von der Welt, z. B. ,außerweltliche Askese‘ als ,Werkheiligkeit‘ bzw. als Handeln aus eigener Kraft und Kalkulation des eigenen ,Gnadenstandes‘ hätte verstanden werden können.117 Der Gläubige agiert stattdessen unauffällig und an die ) ,Ordnung des Herrschers‘ (o¯bo¯ )118 angepasst in ,weltliche‘ (seken der Immanenz, aber in ständiger, zuversichtlicher Erwartung des außerweltlichen Heils.
4. Schluss In meinem Beitrag habe ich zu zeigen versucht, dass die Begegnung von Religionen bzw. das Aufeinandertreffen heterogener Religionselemente theologische Rationalisierungsprozesse stimuliert. Das Streben nach Plausibilität, Kohärenz und Konsequenz als notwendige Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Durchsetzungsfähigkeit religiöser Wirklichkeitskon116 Zu diesem Unterschied: Kleine, „Disenchanting Medieval Japan“. 117 In gewisser Weise lässt sich ein Großteil der Maha¯ya¯na-Philosophie – v. a. in China – als Versuch einer Rationalisierung lesen, die auf einen Abbau der Spannung zwischen einer monistischen Ontologie (d. h. Rückführung aller Existenz auf einen Urgrund oder ein Urprinzip wie Buddha-Geist usw.) und einer dualistischen Soteriologie (d. h. strikte Trennung zwischen Leid und Befreiung, Illusion und Erwachen usw.) abzielte. Während der frühe Buddhismus (soweit unsere Rekonstruktion solche Aussagen zulässt) diese Spannung gar nicht erst aufkommen ließ, indem er ontologische, metaphysische, kosmogonische u. ä. Spekulationen als soteriologisch irrelevant ablehnte, wird dieses Problem im Maha¯ya¯na schon durch die Philosophie eines Na¯ga¯rjuna angestoßen. 118 Das duale Herrschaftskonzept von der ,Interdependenz der Ordnung des Herrschers und der ) geht auf ein offensichtlich mit dem Ordnung des Buddha‘ (o¯bo¯ buppo¯ so¯’i Buddhismus eingeführtes indisches religio-politisches Ideal zurück. Vgl. für Indien J. D. M. Derrett, „Rajadharma,“ The Journal of Asian Studies 35, Nr. 4 (1976): 597–609. In religiopolitischen Diskursen des japanischen Mittelalters spielt die Vorstellung von der Befriedung der Gesellschaft durch die auch mithilfe physischen Zwangs durchzusetzenden weltlichen Gesetze, Regeln und Normen des Herrschers (o¯bo¯ ; von Skt. ra¯ja-dharma) auf der einen und die eher durch Belehrung zu verbreitenden überweltlichen Normen des Buddhismus ; von Skt. buddha-dharma) eine prominente Rolle. Siehe Kuroda Toshio (buppo¯ ¯ bo¯ to buppo¯ : Chu¯seishi no ko¯zu .O : (Kyoto: Ho¯zo¯kan, 1983); Christoph Kleine, „Religion als begriffliches Konzept und soziales System im vormodernen Japan: Polythetische Klassen, semantische und funktionale Äquivalente und strukturelle Analogien,“ In Religion in Asien? Studien zur Anwendbarkeit des Religionsbegriffs, Peter Schalk et al. (Hg.), 225–92 (Uppsala: Uppsala Universitet, 2013; ders. „Religion and the Secular in Premodern Japan from the Viewpoint of Systems Theory,“ Journal of Religion in Japan 2, Nr. 1 (2013): 1–34; ders. „Säkulare Identitäten im »Zaubergarten« des vormodernen Japan? Theoretische Überlegungen auf historischer Basis,“ In Säkularität in religionswissenschaftlicher Perspektive, Peter Antes und Steffen Führding (Hg.), 109–30 (Göttingen: V&R unipress, 2013).
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struktionen bzw. kognitiver und normativer Orientierungen zwingt jede Religion zur beständigen Rationalisierung des eigenen Traditionsbestandes, wobei bestimmte historische Situationen einen besonderen Bedarf an forcierter Rationalisierung erzeugen. Es kommt zu Rationalisierungsschüben. Veränderungen in der Systemumwelt der Religion wie der Wechsel von Herrschafts- und Gesellschaftsformen wirken ebenso als Katalysatoren der Rationalisierung im Sinne einer Anpassung durch Neukonfiguration der Religionselemente wie kulturelle und religiöse Austauschprozesse. In meinem Fallbeispiel war es das mit einer Veränderung der Herrschafts- und Gesellschaftsform hin zu einem hierarchisch stratifizierten Zentralstaat einhergehende Aufeinandertreffen des ,importierten‘ Buddhismus mit den nichtbuddhistischen, teilweise indigenen Mythen und Kulten Japans im 6. Jahrhundert, welches eine Rationalisierung des Religionssystems erforderlich machte. Es dürfte kein Zufall sein, dass in Japan viel mehr als in China der esoterisch-tantrische Buddhismus ab dem frühen 9. Jahrhundert den buddhistischen Mainstream bildete. Dieser erwies sich als besonders offen für die Aufnahme nicht-buddhistischer Kulte. Dabei ist zu beachten, dass der tantrische Buddhismus selbst das Ergebnis eines Jahrhunderte dauernden Rationalisierungsprozesses ist. Ein wichtiger Rationalisierungsschub war wohl die Entwicklung einer maha¯ya¯nistischen Philosophie, die um Themen wie die Leerheit (s´u¯nyata¯) als Grundeigenschaft aller [provisorischen] Existenz, die daraus folgende Nicht-Dualität, die Soheit, die Buddha-Natur usw. kreiste. In dem Moment, in dem Denker wie Na¯ga¯rjuna, Vasubandhu und andere die frühbuddhistische Abneigung gegen formallogische Denkspiele, ontologische und metaphysische Spekulationen aufgaben, war ein Rationalisierungspfad vorgegeben, der im Ergebnis fast zwangsläufig zu einem radikalen Monismus führen musste, in den alles und jedes mehr oder weniger willkürlich integriert werden konnte. Es wurden jedoch auch alternative Rationalisierungspfade beschritten, die sich – ohne die philosophische Korrektheit des entwickelten Maha¯ya¯na prinzipiell zu bestreiten – ganz auf die Soteriologie konzentrierten und nach Manier frühbuddhistischer Diskurse (die keineswegs die tatsächliche religiöse Praxis wiederspiegeln müssen!) alle nicht direkt heilsdienlichen ontologischen und metaphysischen Spekulationen als irrelevant verwarfen. In der Tradition dieses Rationalisierungspfades standen die japanischen Vordenker des Kultes um das Reine Land des Buddhas Amida im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert. Sie reagierten mit größter Skepsis auf die durch weitere soziale, ökonomische und politische Veränderungen forcierten Rationalisierungsprozesse auf Seiten des buddhistischen Mainstream, die durch Schlagworte wie ,Honji-Suijaku-Synkretismus‘ und ,Hongaku-Monismus‘ charakterisiert werden können. Gerade die Ablehnung des zum konstitutiven Element des Mainstream-Buddhismus und zum Herrschaftsinstrument des Sho¯en-Feudalismus gewordenen Kami-Kultes durch Ho¯nen und Shinran ließ diese als gefährliche Nonkonformisten erscheinen. Ihre erfolgreiche Propaganda für einen alternativen, exoterischen, dualistischen, jenseitsorientierten
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und streng soteriologischen Rationalisierungspfad bewirkte im Gegenzug beim ,exo-esoterischen System‘ des Mainstream-Buddhismus scharfe Gegenreaktionen im Sinne einer Verhärtung und Radikalisierung der eigenen Position. Dieser Rationalisierungsschub innerhalb des Mainstream-Buddhismus, so meine These, führte in den folgenden Jahrhunderten zur Neubildung eines außerbuddhistischen Kami-Diskurses und -kultes, den wir heute als eigenständige Religion namens ,Shinto¯‘ kennen. Es war also strenggenommen nicht das Aufeinandertreffen von Buddhismus und Shinto¯ im 6. Jahrhundert, welches eine genuin japanische, durch ,Synkretismus‘ und ,Weltbejahung‘ gekennzeichnete Form des Buddhismus entstehen ließ. Vielmehr ist der Shinto¯ das Endprodukt eines theologischen Rationalisierungsprozesses, der einerseits durch das Aufeinandertreffen heterogener Religionselemente im 6. Jahrhundert, andererseits aber auch durch soziale, ökonomische und politische Veränderungen immer wieder stimuliert und in eine bestimmte Richtung gelenkt wurde.
5. Abkürzungen JZ = Jo¯doshu¯ kaishu¯ happyakunen kinen keisan junbikyoku (Hg.). Jo¯doshu¯ zensho (unveränderte Neuauflage der Originalausgabe von 1911–1914). 20 Bände. Tokyo: Sankibo¯busshorin, 1970–1972. und Watanabe Kaikyoku , (Hg.). Taisho¯ T = Takakusu Junjiro¯ shinshu¯ daizo¯kyo¯ . 100 Bände. Tokyo: Taisho¯ Issaikyo¯ Kanko¯kai, 1924–1934.
Martin Repp
Die Begegnungen der Jesuiten-Missionare mit Buddhisten und Konfuzianern im 16./17. Jh. in Japan und China Eine Untersuchung zu theoretischen Verhältnisbestimmungen und praktischem Verhalten In dieser Untersuchung soll den beiden Fragen nachgegangen werden, welches die theologischen Prinzipien sind, die die Begegnung des Christentums mit anderen Religionen bestimmen, und welches die praktischen Formen sind, in denen sich solche Begegnungen ereignen. Beide Sachverhalte hängen ja meist aufs engste miteinander zusammen. Im Folgenden soll diesen Fragen nachgegangen werden anhand der Japan- und China-Mission der Jesuiten im 16. und 17. Jh., denn hier lassen sich grundlegende Modelle der Religionstheologie, d. h. der theologischen Verhältnisbestimmungen des Christentums zu anderen Religionen, herausarbeiten. Seit der Entdeckung unbekannter Kontinente im 15. Jh. stellte sich den Theologen in Europa die wichtige Frage, wie es um das Seelenheil dieser Menschen bestellt sein könne, die bisher nichts von der christlichen Lehre gehört hatten. Zunächst einmal gab es das bekannte Dogma, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gäbe (extra ecclesiam nulla salus), das mitunter auch recht liberal aufgefasst wurde.1 Dann gab es auch explizit konziliante Lösungen, wie etwa die Lehre, die Heiden besäßen eine natürliche Kenntnis Gottes (cognitio Dei naturalis) und sie befolgten ein Moral-Gesetz. Beides reiche aus für das Erlangen des Heils. Schließlich gab es die Vorstellung, dass die Heiden einen „impliziten Glauben“ (fides infusa) besäßen. (Criveller 1997, 21–22) Die Vorstellung von der Kenntnis Gottes bei den Heiden und dem Moral-Gesetz in ihrem Gewissen stammt von Paulus und wird uns später noch beschäftigen. Die Entdeckung der neuen Kontinente rief in der Katholischen Kirche eine Welle der Missionierung hervor. In der Regel ist das Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen durch „Mission“ bestimmt. Es gibt verschiedene Formen der Missionspraxis und Missionstheologie, wie wir anhand des Vergleichs der Japan- und China-Mission sehen werden. Die jeweilige Praxis und Theologie hat natürlich gravierende Folgen für das Verhältnis zu anderen Religionen. Beide entscheiden zu einem erheblichen Teil darüber, ob die Begegnung zwischen Angehörigen des Christentums und anderer Religionen 1 Diese exklusiv klingende Formel lässt in der katholischen Theologie auch ein inklusives Verständnis zu, wonach ein Mensch, der kein Kirchenmitglied ist, potentiell das Heil erlangen kann. Umgekehrt ist die aktuelle Kirchenmitgliedschaft kein Garant für das Erlangen des Heils. (Ohm 1927, 322–326)
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friedlich oder gewaltsam verläuft. Daneben spielen natürlich auch andere Faktoren eine wichtige Rolle, wie beispielsweise der Kontext, in dem Mission geschieht, wie friedlicher Handel, Kolonialisierung oder militärische Invasion.
1. Die Mission der Jesuiten im Japan des 16. Jahrhunderts Als Ignatius von Loyola (1491–1556) den Jesuiten-Orden 1534 gründete, bestimmte er als eine seiner Aufgaben die Bekämpfung der Reformation und die Mission in fremden Ländern, vor allem als Kompensation für die Verluste der katholischen Kirche durch die Reformation in Europa. In der ungewöhnlich kurzen Zeit von nur 15 Jahren erreichten die ersten Jesuiten Japan, das von Europa gesehen entfernteste Land Asiens. Dies zeigt, welch enorme Energie und Dynamik dieser junge Orden hatte. P. Francisco de Xavier (1506–1552), einer der Ordensgründer, kam zusammen mit einem weiteren Priester und einem Laien-Bruder 1549 in Kagoshima an. Sie waren in Begleitung von drei Japanern, welche sich in Malakka hatten taufen lassen und den Jesuiten über Japan berichtet hatten. Einen Eindruck von den Strapazen der langen und gefährlichen Schiffsreisen vermittelt das Zitat eines Reisegefährten Matteo Riccis (s. u.) nur wenige Jahrzehnte später : „Those desirous of travelling to India should not be too tied to life but ever ready to die, having great faith in Our Lord and a great desire for suffering […].“ (Spence 1985, 68) Dementprechend weckte der Ruf „Terra, terra“ eine unglaubliche Freude unter den Reisenden, vergleichbar mit nichts weniger als der Freude „we feel when our souls reach heaven.“ (Spence 1985, 80) Nach der Ankunft der sechs Männer in Japan nahmen die buddhistischen Priester sie zu Beginn sehr freundlich auf, da sie dachten, die aus Indien (tenjiku ) angereisten Missionare hätten neue Lehren Buddhas mitgebracht.2 In ihrer Geschichte hatten sich Japaner immer wieder darum bemüht, bisher unbekannte buddhistische Texte vom Kontinent aus einzuführen. Da die Missionare nicht Japanisch sprechen konnten, predigten sie zuerst auf Portugiesisch, und der getaufte Japaner Anjiro¯ übersetzte. Er übertrug auch den christlichen Gottesnamen Deus mit Dainichi Nyorai (Vairocana).3 Ebenso verwandten die Missionare buddhistische Worte, um die christliche Botschaft mitzuteilen.4 Als Xavier 1551 jedoch entdeckte, dass die „Bonzen“ (buddhistische Mönche und Priester) weder eine Christologie noch die Trinität kannten, so heißt es in den Berichten, untersagte er die Predigt vom Dainichi 2 Frois 1926, 9 f. Sievernich 2006, 319. 3 Dainichi Nyorai gilt im buddhistischen „Pantheon“ als der höchste, absolute und transzendente Buddha. Higashibaba (2001, 10) erklärt die involvierten Übersetzungsprozesse. 4 Siehe hierzu Schurhammer 1928, 66–90.
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Nyorai5 und ließ hinfort nur das lateinische Wort für Gott, Deus, verwenden. Zugleich erklärten die Missionare die „japanischen Sekten“ für ein „falsches und betrügerisches Gesetz“. (Frois 1926, 15) Demgegenüber sei das „Gesetz des Deos die Religion des Weges der Wahrheit.“6 Die entsprechende Gegenreaktion erfolgte rasch: die Buddhisten wandten sich von den Missionaren ab und begannen damit, „Haß gegen die Dinge Gottes zu nähren“.7 Bekehrungen zum Christentum bedeutete für die buddhistischen Tempel natürlich Verlust von Unterstützern. Die Missionare begannen außerdem noch, „Götzenbilder“ zu zerstören, und in Gegenden, in denen sich Fürsten zum Christentum bekehrt und / oder massive Handelsinteressen hatten, veranlassten sie die Zerstörung von kami-Schreinen und Buddha-Tempeln. (Frois 1926, 59 f; 159 f) Mit ihrem Konfrontationskurs verschärften die Missionare zunehmend die Konflikte mit den Buddhisten. In einigen Fürstentümern wurden daher Missionare vertrieben und japanische Christen gewaltsam unterdrückt.8 Im Folgenden sollen einige wichtige Aspekte der Begegnung der Jesuiten mit den Buddhisten vorgestellt werden. Zuerst werde ich die Frage der interkulturellen Kommunikation behandeln, die einer interreligiösen Kommunikation oft zugrunde liegt; dann werde ich die Religionsgespräche beschreiben, und schließlich die Religionstheologie charakterisieren, welche eine Missionspraxis bestimmt.
1.1 Interkulturelle Kommunikation: Praktische Probleme Wenn religiöse Menschen unterschiedlicher Kulturen aufeinander treffen, bestimmen Probleme der verschiedenen Sprachen und kulturellen Konventionen den Diskurs. In diesem Fall bildet die interkulturelle Kommunikation also die Basis für die interreligiöse Kommunikation. Lu&s Frjis (1532–1597), langjähriger Missionar und Historiograph der Mission in Japan, hält in seiner Geschichte [der Mission] Japans (Historia do Jap¼o) die Erinnerungen eines später bekehrten Adligen an die ersten Begegnungen, also die einheimische Wahrnehmung der Fremden, folgendermaßen fest: [Gott] schickt uns nach Miyako [Kyoto] einen fremden Pater, dessen Sprache, Kleidung, Tracht und Sitten in unseren Augen so lächerlich waren, daß er uns, als wir ihn in jenen ersten Anfängen sahen, zu nichts weiterem diente, als daß er uns Stoff gab, ihn zu verlachen, zu verspotten und zu verhöhnen. (Frois 1926, 338) 5 6 7 8
Frois 1926, 15; Schurhammer 1928, 26 ff. Schurhammer 1928, 47; Frois 1926, 90. Cf. Repp 2003, 73–85. Frois 1926, 15; cf. Sievernich 2006, 350, 352. Frois 1926, 26; Schurhammer 1928, 33; Schurhammer 1929, 84 f.
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Entsprechend dubios waren natürlich auch ihre Lehren, (wie es weiter heißt) als sie „uns unseren Ohren so fremde und unseren Begriffen so fernstehende Dinge glauben zu machen“ suchten. (Frois 1926, 338; cf. 426) Neben dem Erlernen der Sprache mussten sich die Missionare zugleich auch die nonverbale Kommunikation in Etikette, Sitten und Bräuche aneignen. Besonders abschreckend war für die buddhistisch sozialisierten Japaner die europäische Schlachtküche voller Blut und Fettgestank in den JesuitenResidenzen. Der Missions-Visitator Alessandro Valignano (1539–1606) sorgte schließlich dafür, dass sie dann durch ein japanisches Tee-Zimmer ersetzt wurde. Wenn die Jesuiten dann die fremde Sprache einmal erlernt hatten, so mussten sie sich auch mit buddhistischer Fachterminologie und Primärquellen vertraut machen (s. u.).
1.2 Interreligiöse Kommunikation: Religionsgespräche Die Religionsgespräche spielten in der Jesuiten-Mission in Japan eine zentrale Rolle. In seiner Geschichte Japans erwähnt Frois auffallend häufig solche Disputationen mit buddhistischen Mönchen als ein Missionsmittel neben der Predigt. Ihr Zweck bestand für die Jesuiten darin, wie Frois (1926, 38) schreibt, den Unterschied aufzuzeigen „zwischen der Wahrheit unseres heiligen katholischen Glaubens und der Lüge und Falschheit ihrer Sekten“. Die Jesuiten hatten während ihres Studiums das Disputieren eintrainiert, wie es an europäischen Universitäten üblich war.9 Die buddhistischen Mönche hatten in Japan ihre eigenen Übungssysteme für Lehr-Disputationen.10 Die Formen und Regeln unterschieden sich freilich im Einzelnen, aber grundsätzlich waren Buddhisten und Christen mit dem Disputieren als einer kultivierten Kommunikationsform vertraut.11 So wurden die Disputationen, die bisher meist der intrareligiösen Auseinandersetzung und Ausbildung diente, in der neuartigen Situation der Religionsbegegnung von beiden Seiten auf die interreligiöse Auseinandersetzung angewandt. Die Missionare mussten also gute Rhetoriker sein. Dies war eines der wichtigen Kriterien, wonach sie in Europa 9 Schurhammer 1929, 12, 16; Sievernich 2006, 362–363 Anm. 6; Laures 1954, 113, 130; Spence 1985, 134–135 f. 10 Die Ausbildung der indischen Mönche an den Kloster-Universitäten in Naalandaa und anderen Orten bestand im Wesentlichen aus Lernen durch Disputieren. Auch im chinesischen, tibetischen und japanischen Buddhismus spielen Disputationen in der Ausbildung und in Lehrauseinandersetzungen eine wichtige Rolle. Siehe hierzu Reppu und Inoue 2011, 5–148. 11 In einem Brief der Jesuiten von 1575 heißt es: „It would take too long to recount the disputes, arguments and questions of the heathens here. Anybody fond of arguing has plenty of material here, although the form of their arguments and their way of proceeding in them are very different from what we learn in our studies. As many of them, especially the bonzes, are most eloquent in their speech, anybody who did not know about the basic principles on which their religions are founded, might often well think that both we and they are preaching the same thing. ….“ (Cooper 1965, 373)
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ausgewählt wurden, wie aus einem Brief Xaviers an den Ordensgeneral Ignatius von Loyola hervorgeht: […] wissenschaftliche Ausbildung [ist] erforderlich, vor allem gute Artisten.12 Und Sophisten müssen sie gleich bei offenkundigem Widerspruch fassen. Diese Bonzen werden sehr kleinlaut, wenn man sie bei einem Widerspruch fasst oder wenn sie nicht zu antworten wissen. (Sievernich 2006, 362; cf. 365–366 und 401)
Welche Regeln der Argumentation galten für solche interreligiösen Disputationen? In Disputationen innerhalb einer Religion dient ein Text als gemeinsame Autorität, auf den sich beide Parteien in ihrer Argumentation jeweils berufen können. In Lehrauseinandersetzungen innerhalb des Christentums etwa berufen sich die Kontrahenten auf die Bibel. Innerhalb des Buddhismus fungieren Sutren in gleicher Weise. Wenn Vertreter unterschiedlicher Religionen miteinander diskutieren, dann stellt sich jedoch die Frage, auf welche gemeinsame Autorität sie sich berufen können, um für das Gegenüber überzeugend argumentieren zu können. In den Berichten von den Religionsgesprächen mit Buddhisten betonten die Jesuiten immer wieder, dass dies die allgemein menschliche Vernunft sei. Diesen Sachverhalt hatten sie von Thomas von Aquin übernommen, der in seiner Summa Contra Gentiles (I.2) darauf hinweist, dass Christen in Disputationen mit „Mohammedanern und Heiden“ auf die „natürliche Vernunft“ (ratio naturalis) als gemeinsamer „Autorität“ (auctoritas) zurückgreifen müssten, während sie sich in der Auseinandersetzung mit Juden auf das Alte Testament und mit „Häretikern“ auf das Neue Testament berufen können.13 Dies betonten auch die Jesuiten-Missionare später in China. In dem Bericht einer Disputation zwischen einem Pater und einem gelehrten Bonzen, die von Mittag bis Mitternacht andauerte, heißt es: Aber zu guter Letzt wurde er selbst besiegt, indem er gestand, die Lehre von Gott verdiene Hochschätzung, da sie der Vernunft gemäß und ihr angepaßt sei, der die Menschen nicht entfliehen könnten. (Frois 1926, 91; cf. 6)
Nachdem sich die Jesuiten genügend Sprachkenntnisse angeeignet hatten und mit Buddhisten disputieren konnten, erfuhren die Missionare, dass ihre europäische Theologie und Philosophie nicht ausreichte, dass sie eine „neue Wissenschaft“ zu erlernen hatten. Frois (1926, 273) schreibt: Da jene Stadt [Kyoto] die Metropole Japans war, und der Ort, wo die Wissenschaften und Götzendienereien blühten, so mußten die Patres, die dort wohnten, von neuem eine neue Art von Wissenschaften lernen und studieren, nämlich das Wesentliche ihrer Sekten, um gegen jene zu disputieren, die ihnen folgten, […] Denn wenn man 12 D. h. Philosophen, die in Dialektik geschult sind. (Sievernich 2006, 363) 13 Thomas von Aquin 1974, 7. Die Summa war wohl als Handreichung für die Mission gedacht.
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sie nicht kannte und nicht zu widerlegen noch auf die Texte ihrer Schriften zu verweisen wußte, dann verachteten sie den, der mit ihnen sprach […].
Aus diesem Grunde stellten die Padres einen Bonzen an, der das Kloster verlassen und geheiratet hatte, damit er ihnen das Lotus Sutra erklärte. Frois (1926, 452) schreibt, dies tat er, „obwohl er wußte, daß er damit den Christen und der Kirche Licht und Waffen gab, damit sie leichter die Dinge Shaka’s [S´a¯kyamunis] […] widerlegen konnten.“ Dieser Unterricht wurde täglich zwei Stunden lang abgehalten und dauerte ein Jahr lang.
1.3 Die Religionstheologie der Jesuiten in Japan In den Religionsgesprächen spielt die jeweilige Religionstheologie eine wichtige Rolle; der praktischen interreligiösen Kommunikation liegt in der Regel eine theoretische Verhältnisbestimmung zu anderen Religionen zugrunde. Dies war auch bei der Jesuiten-Mission in Japan der Fall, wie der folgende Satz von Frois zu Beginn seiner Geschichte Japans belegt: Da Gott unser Herr das strahlende Licht seiner Güte und den wunderbaren Glanz seiner Erbarmungen in den dunklen Finsternissen und Götzendienereien leuchten lassen wollte, in denen die Japaner eine so lange Reihe von Jahren gelebt hatten, nicht weniger weit und entlegen in ihren Ländern, wie entfernt von der Kenntnis und Erkenntnis ihres Schöpfers, so fügte er es, damit in ihnen diese hohe Wohltat seiner Erlösung verwirklicht werde, daß P. M. Francisco [Xavier] im Jahre 1548 [in Malakka] […] einen vornehmen heidnischen Japaner namens Hanjiro¯ (Anjirj) traf … (Frois 1926, 1; kursiv von Verf.)
Man überliest diesen Satz schnell, wenn man den dahinter liegenden theologischen Diskurs nicht kennt. Frois verwendet die Metapher der geographischen Distanz, um auszudrücken, dass die Japaner keine Kenntnis eines Schöpfergottes hätten. Diese Überzeugung hatte auch Xavier in Briefen geäußert,14 und vermutlich dachten die meisten Japan-Missionare in dieser Weise. Wie zuvor erwähnt stammt die Vorstellung, dass Nichtchristen eine Kenntnis Gottes besäßen, von Paulus. Thomas von Aquin hatte diesen Gedanken übernommen und den Begriff der „natürlichen Gotteskenntnis“ (cognitio Dei naturalis) geprägt. Diesem Ausdruck setzte er nun den Begriff der übernatürlichen Gotteserkenntnis (cognitio supernaturalis), oder der Gotteserkenntnis aus Gnade (cognitio gratiae), gegenüber. Die natürliche Gotteskenntnis (sowie das Befolgen der mit dem Gewissen gegebenen moralischen Gebote) ist bei Thomas das erste wichtige (bereits erreichte) Stadium der Erlösung des Menschen, das durch die Gnade der übernatürlichen Offenbarung (wegen der Sünde des Menschen) nur noch vervollkommnet wird. 14 Cf. Sievernich 2006, 326; 328; 345; 347; 350; 354.
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Sein Prinzip ist ja: gratia perficit naturam (Die Gnade vervollkommnet die Natur).15 Während die Jesuiten der mittelalterlichen Theologie des Thomas von Aquin folgten, vertraten sie in Human- und Naturwissenschaften den damals modernen Humanismus. Die Grundsätze des Aquinaten kamen in der Missionstheologie bzw. Religionstheologie dann zur praktischen Anwendung. Während nun Xavier und Frois behaupteten, die Japaner besäßen keine natürliche Gotteskenntnis, suchten Missionare wie Matteo Ricci etwas später gerade nachzuweisen, die Chinesen hätten in den konfuzianischen Klassikern durchaus eine natürliche Gotteserkenntnis. Inwiefern sind solche theologischen Positionen für die Begegnung mit einer anderen Religion relevant? Hier wird im Grundsatz entschieden, ob die Missionare einen Anknüpfungspunkt in einer einheimischen Religion wahrnehmen und anerkennen, oder ob sie jegliche gemeinsame Basis für eine interreligiöse Kommunikation (und dazu gehört auch Mission) bestreiten, ob sie einen Weg der Konfrontation oder der Akkommodation einschlagen, ob sie erklären, die christliche Religion sei Vollendung oder Zerstörung einer anderen religiösen Kultur. Die zuvor zitierte Ablehnung einer natürlichen Gotteserkenntnis bei den Japanern gleich zu Beginn von Frois’ Geschichte Japans stellt also einen programmatischen Satz dar, der sich auch sonst in seinem Werk wie in anderen zeitgenössischen Quellen findet.16 Als Xavier nach gut zwei Jahren Japan verließ, resümierte er in einem Brief an seine Brüder in Rom: Die Japaner haben in den Lehren ihrer Sekten keine Kenntnis […] von der Schöpfung der Welt […] Es schien ihnen, da man in der Lehre ihrer Heiligen keine Erwähnung eines Schöpfers getan hat, dass es keinen Schöpfer aller Dinge geben könne […] Wenn alle Dinge der Welt einen Ursprung gehabt hätten, dann hätten die Leute Chinas das gewusst, von denen ihre Gesetze gekommen sind, die sie haben. Sie sind überzeugt, dass die Chinesen sehr kundig sind, sowohl in den Dingen der anderen Welt [des Jenseits] wie in der Leitung eines Staatswesens. (Sievernich 2006, 350)
Diese Frage der Japaner, warum sie von den Chinesen keine Kunde dieser neuen Religion erhalten hatten, obwohl bisher doch Lehren und Praktiken von Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus vom Kontinent eingeführt worden waren, stellte eine große Herausforderung für die Missionare dar. Das hatte Xavier rasch erkannt, und darum bemühte er sich, möglichst schnell mit der Mission in China zu beginnen.17 Wenn die Chinesen bekehrt würden, so würde deren Autorität für die Japaner ausreichen, dass auch sie sich dem 15 Protestantische Theologen machen dann später aus diesem komplementären Verhältnis von Natur und Gnade einen Gegensatz. 16 Frois 1926, 79; 241. 17 In einem Brief nach seiner Abfahrt aus Japan schreibt er 1552: „Denn wenn die Japaner erfahren, dass die Chinesen das Gesetz Gottes annehmen, werden sie rascher den Glauben verlieren, den sie an ihre Sekten haben.“ (Sievernich 2006, 363; cf. 358)
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Christentum zuwenden würden. Xavier entwarf eine grandiose Missionsstrategie. Xavier sollte China nicht mehr erreichen. Auf dem Wege dorthin starb er recht einsam 1552 auf der Insel Shangchuan (Guangzhou) vor dem Kontinent, welche den Portugiesen als Umschlagplatz für ihren Handel mit Japan diente. Erst 1583 erhielten Jesuiten-Missionare die Erlaubnis, von Macao aus nach China einzureisen. Auch sie sollten nun von den selbstbewussten Chinesen mit der Frage konfrontiert werden, wie sich ihre neu eingeführte Religion in einem Land mit uralten Traditionen überhaupt autorisieren ließe. Die JesuitenMissionare begegneten also der Frage der geschichtlichen Präzedenz ihrer Religion in Japan wie in China, welche von Einheimischen als ein Kriterium für die Legitimität und Autorität einer importierten Religion angesehen wurde. 1.4 Konkrete Folgen der Religionstheologie Die konfrontative Missionsmethode der Jesuiten provozierte natürlich entsprechend heftige Gegenreaktionen der Japaner. (Frois 1926, 27; 92) Darüber hinaus ergab sich für die Herrschenden des Landes das Problem, dass wenn Samurai und Daimyo¯ (regionale Fürsten) sich zum Christentum bekehrten, sie unter bestimmten Umständen Loyalität gegenüber den Portugiesen zeigen würden anstelle ihnen gegenüber.18 Die Regierenden in Japan wussten bereits aus Berichten von Mexiko und den Philippinen genau, dass christliche Mission und europäischer Kolonialismus meist Hand in Hand gingen. Daher begannen die Tokugawa Shogune schließlich, ab 1612 die Mission konsequent zu verbieten und das Christentum radikal zu unterdrücken. Es folgte eine Zeit blutiger Christen-Verfolgung in Japan, und das Verbot der christlichen Religion galt bis zum Ende des 19. Jhs. Ein wichtiger Grund für das Scheitern der Mission und die grausame Verfolgung, wenn auch nicht der einzige, scheint mir in der Religionstheologie der Jesuiten zu liegen. George Elison (1988, 153) schreibt: „There was no meeting of minds. Herein lay the tragedy of the confrontation between Christianity and Early Modern Japan.“ Das sollte in der China-Mission der Jesuiten wenigstens für eine gewisse Zeit und in bestimmten Hinsichten etwas anders werden. Bevor nun die Jesuitenmission in China behandelt wird, empfiehlt es sich, kurz den locus classicus christlicher Religionstheologie im Römerbrief des Paulus zu zitieren und zu erläutern, damit die unterschiedlichen Verhaltens18 Dies wird besonders deutlich am Schicksal des christlichen Fürsten Takayama Ukon, der mehrmals vor die Wahl gestellt wurde, seine Herrschaft zu behalten oder seinen Glauben zu bewahren. (Laures 1954) Das Problem der Loyalität stellte sich bereits für japanische Konvertiten aus dem Volk allgemein (Elison 1988, 131; 169; 281 f), besonders intensiv aber auch für japanische Mitglieder des Jesuiten-Ordens. Alessandro Valignano, Visitator der Jesuiten-Mission in Asien, beobachtete, „that the native Brothers often felt that their loyalties towards their religion and towards their native province were at variance.“ (Cooper 1974, 93; cf. 178; 209)
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weisen der Jesuiten dem Buddhismus und dem Konfuzianismus gegenüber verständlich werden.
2. Intermezzo: Die Religionstheologie des Paulus Paulus argumentiert zu Beginn seines Briefs an die Römer von der Position der Schöpfungstheologie aus folgendermaßen: Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen [den Heiden] offenbar; Gott hat es ihnen offenbart. Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen seit der Schöpfung der Welt und wahrgenommen an seinen Werken, […]. Sie […] haben verwandelt die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und kriechenden Tiere. […] sie, die Gottes Wahrheit verwandelt haben in Lüge und haben geehrt und gedient dem Geschöpf statt dem Schöpfer, […]. (Röm. 1, 19–25) Denn vor Gott sind nicht die, die das Gesetz hören, gerecht, sondern die das Gesetz tun, werden gerecht sein. Denn wenn die Heiden, die das Gesetz [sc. die Thora] nicht haben, doch von Natur tun des Gesetzes Werk, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz; denn sie beweisen, des Gesetzes Werk sei geschrieben in ihren Herzen, da ja ihr Gewissen es ihnen bezeugt, […]. (Röm. 2, 13–15)
An der unterschiedlichen Interpretation dieses Textes von Paulus scheiden sich christliche Religionstheologien. Wenn man von der paulinischen Schöpfungstheologie ausgeht, dann muss man den Nichtchristen eine natürliche Kenntnis Gottes sowie eine natürliche Moral qua Schöpfung zuerkennen. Damit wird zugleich ein Brückenschlag zwischen Christentum und anderen Religionen möglich. Wenn man jedoch von der Soteriologie ausgeht, die auf die Erlösung durch Jesus Christus fokussiert ist, wird man nur Differenzen zu anderen Religionen wahrnehmen können und dadurch schnell zu Polarisierungen gelangen. Dies taten die Jesuiten in Japan, als sie die Buddhisten heftig kritisierten, dass sie keine Christologie und Trinitätslehre kennen würden. Demgegenüber beschritten die Jesuiten in China den Weg, im Konfuzianismus eine natürliche Kenntnis Gottes sowie eine natürliche Moral qua Schöpfung anzuerkennen.
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3. Die Jesuiten-Mission im China des 17. Jahrhunderts 3.1 Ein Überblick Dreißig Jahre nach Xaviers Tod gelang es den ersten Jesuiten-Missionaren, nach China einzureisen. Nach einer Reihe von vergeblichen Versuchen (cf. Semedo 1655, 172) schafften es die beiden Italiener Michele Ruggieri (1543–1607) und Matteo Ricci (1552–1610) endlich im Jahr 1583, von Macao aus einzureisen. Macao diente damals den portugiesischen Händlern als Umschlagplatz ihrer Waren für die chinesischen Großhändler wie auch für den Handel mit Japan. Da die Japan-Mission auf Buddhisten fokussiert war, richteten sich auch Ruggieri und Ricci in China zuerst an Buddhisten. Sie nannten sich selbst „Bonzen von Indien“, denn sie kamen ja via Goa (Lancashire und Hu 1985, 12 f), und sie zogen buddhistische Gewänder an. Ruggieri verfasste den ersten chinesischen Katechismus auch für Buddhisten. Ricci begann jedoch, konfuzianische Schriften zu studieren und seit 1592 auch zu übersetzen. Zu dieser Zeit geschah eine entscheidende Weichenstellung in der China-Mission, als Ricci sich dafür entschied, die buddhistische Mönchskutte mit dem Seidengewand der konfuzianischen Gelehrten auszutauschen.19 Er erklärte: Da die buddhistischen Mönche wie die Ausländer kein hohes soziales Ansehen genießen, diente es der Mission nicht, wenn die Missionare deren Kleidung trügen. Daher bedürfe es solcher Mittel wie die Kleidung der angesehenen Literati und das Reisen in Sänften. (Spence 1985, 115) Dieser Wechsel in Kleidung und ’Klasse’ ermöglichte den Missionaren den direkten Umgang mit Literati und „Männern von Qualität“, und jetzt konnten sie sich die „Literati von Europa“ nennen lassen. (Cf. Semedo 1655, 175) Der möglichen Kritik aus Kirchenkreisen in Europa, sie würden sich nicht bescheiden aufführen, entgegnete der Missionar Nicolas Trigault SJ (1577–1628), die Chinesen hätten ohnehin „keine Vorstellung von christlicher Demut.“20
19 Semedo (1655, 175) nennt das Jahr 1594, während Trigault (Gallagher 1953, 258 f; cf. 260; Spence 1985, 115) vom Jahr 1595 ausgeht. Trigault (Gallagher 1953, 337) kommentiert, die neue Bekleidung „was something unusual for a foreigner, but it had the approval of the literary class.“ In einem Brief vom 29. Aug. 1595 schrieb Ricci: „We have let our beards grow and our hair down to our ears; at the same time we have adopted the special dress that the literati wear on their social visits (as opposed to that of the bonzes that we used to have).“ (Spence 1985, 115) Semedo (1655, 175) erklärt den Wechsel von Kleidung und Stand damit, dass die Bonzi in China „in very mean esteem“ stünden. „But now they [the fathers] were better acquainted with the state of things there [in China], it seemed to them to be more advantageous for the credit of our religion, as also for the preachers thereof, that they should take a habit different from the Bonzi. “ (Ibid.) 20 Cf. Gallagher 1953, 178; cf. 258–260). Der Titel von Gallaghers Übersetzung China in the Sixteenth Century – The Journals of Matthew Ricci 1583–1610 verbirgt die Tatsache, dass Nicolas Trigault auf seiner Reise nach Europa die Aufzeichnungen Riccis redigiert hatte für den prak-
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1601 gelang es Ricci schließlich, nach Peking zu reisen und sich hier nieder zu lassen. Wie in Japan schon bestand die Strategie der Jesuiten auch in China darin, von der Hauptstadt aus Mission zu betreiben, und von den obersten Gesellschaftsschichten die unteren zu erreichen. Es handelt sich um die „Mission von oben“.21 In Peking verfasste Ricci 1603 sein wichtiges Werk (Die wahre Bedeutung des Herrn des Himmels). Dies Tianzhu shiyi ist kein Katechismus im strengen Sinn, sondern eine Einführung in den christlichen Glauben kombiniert mit apologetischen Auseinandersetzungen mit Daoismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Es ist in Form einer Konversation zwischen einem chinesischen und einem europäischen Gelehrten geschrieben und reflektiert in gewisser Weise auch die aktuell geführten Religionsgespräche mit den Literati. Wie in Japan waren die Missionare auch in China dem Buddhismus gegenüber feindlich eingestellt. Das äußerte sich etwa in ihren Schriften wie auch in der Praxis, dass sie nach der Bekehrung von Chinesen etwa deren BuddhaFiguren zerstören ließen. Von Seiten der buddhistischen Tempel aus bedeutete die Bekehrung ihrer Gläubigen zum Christentum den Verlust von Patronen, insbesondere wenn es sich um reiche und einflussreiche Familien handelte.22 Dies rief heftige Gegenreaktionen hervor, und so kam es 1616 zur ersten lokalen Verfolgung der Christen in Nanjing.23 Im folgenden Jahr erließ der Kaiser ein Edikt, welches das Christentum landesweit verbot. Die Kirchen wurden geschlossen und die Mission zeitweise eingestellt. Die Missionare galten insbesondere auch als Agenten der Kolonialmächte. Die Vorgänge auf den Philippinen und in Mexiko waren den Chinesen ebenso bekannt wie den Japanern.24 Da die Verfolgung zeitlich und lokal begrenzt war, konnten die Jesuiten ihre Mission nach Beruhigung der Lage wieder fortsetzen. 1692 erließ Kaiser Kangxi (1654–1722) schließlich ein Toleranz-Edikt für das Christentum. Aber die eigentliche Gefahr für die China-Mission lag nicht bei politischen Mächten, sondern in der Kirche selbst. Gleich im folgenden Jahr begann nämlich der sogenannte Ritenstreit, d. h. die Kontroversen um konfuzianische Riten und chinesischen Gottesbegriff, zwischen den Jesuiten in China und anderen Orden sowie dem Vatikan in Rom.25 Diese innerkirchliche Auseinandersetzung war es schließlich, die zum Verbot der Mission und des Christentums in Japan führte.
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tischen Zweck, organisatorische Unterstützung der China-Mission von der Katholischen Kirche zu erhalten, insbesondere in finanzieller und personeller Hinsicht. Schatz 2000, 55; Young 1983, 13. Semedo 1655, 204; Kern 1992, 9–10. Siehe hierzu Kelly 1971 und Young 1983, 59–76. Gallagher 1953, 299–300; 314; 319–320; 343; Young 1983, 61–63; 74–75. Zum Ritenstreit siehe etwa den von Mungello (1994) herausgegebenen Sammelband.
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3.2 Probleme interkultureller Kommunikation Die Vertreibung der Missionare aus ihrer Residenz in ihrer Anfangszeit in Süd-China erklärte später Nicolas Trigault aus der Rückschau folgendermaßen: „Offensichtlich waren unsere Väter noch nicht zureichend mit den Gesetzen der Chinesischen Republik [sic] vertraut und beurteilten Sachverhalte nach europäischer Sitte.“ (Gallagher 1953, 182; Übers. vom Verf.) Selbst wenn man dann in China lebte, brauchte es viel Zeit und Erfahrung, um mit den „Gesetzen“ des fremden Landes vertraut zu werden, den bisherigen europäischen Denkrahmen zu revidieren und das Handeln auf die neue Situation einzustellen. Die frühen Missionsberichte betonten immer wieder, dass interkulturelle Kommunikation nur praktisch erlernbar sei durch „Erfahrung“; man könne sie sich nicht theoretisch aneignen etwa durch die Lektüre von Büchern.26 Der oben genannte Kleider-Wechsel von der Mönchsrobe zum Gewand der Literati, der zugleich ein grundlegender Kurswechsel in der Missionsstrategie war, resultierte genau aus diesen Erfahrungen der interkulturellen Kommunikation. Auf der anderen Seite dieser interkulturellen Begegnung erschienen die Europäer in den Augen der Chinesen als äußerst fremdartige Gestalten, ähnlich wie dies die Japaner bereits empfunden hatten.27 Daher wurden die Ausländer „Barbaren“ genannt oder „fremde Teufel“. (Gallagher 1953, 161) In einer Beschreibung der Portugiesen notierte der Ming-Gelehrte Zhang (Zheng) Xie (1693–1765), sie seien über 2 m groß, hätten Augen wie Katzen, einen Schnabel wie eine Goldamsel und ihre Gesichtsfarbe sei wie weiße Asche. (Spence 1985, 193) Solche kulturbedingten Faktoren auf der unbewussten und non-verbalen Ebene spielten auf beiden Seiten ebenso eine grundlegende Rolle für das Gelingen bzw. Misslingen interreligiöser Kommunikation wie die Sprachkenntnisse der Missionare.
3.3 Interreligiöse Kommunikation: Religionsgespräche In den Kreisen der Literati gab es die Sitte, während oder nach gemeinsamen Abendessen über bestimmte Themen zu disputieren. So luden auch Ricci und andere Missionare oft Literati zum Essen und Diskutieren ein, und umgekehrt wurden sie auch von den Gelehrten eingeladen.28 Daneben wurden auch öf26 Siehe Gallagher 1953, 249; 478. 27 Gleich zu Beginn des Kirishitan Monogatari (Kirishitan Story) heisst es von den Gestalten, die aus dem ersten portugiesischen Schiff gleich nach der Landung in Japan herauskamen: „From this ship for the first time emerged an unnamable creature, somewhat similar in shape to a human being, but looking rather more like a long-nosed goblin or the giant demon Mikoshi Nyu¯do¯.“ (Elison 1988, 321; cf. Abbildung 323) 28 Schatz 2000, 54; Brancaccio 2007, 108–110; D’Elia 1942–1949 Vol. II Nos. 558 und 559.
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fentliche Religionsgespräche abgehalten.29 Wie in Japan wurden diese Religionsgespräche ebenso in China ein wichtiges Missionsmittel, daher legten die Jesuiten sowohl in der Ausbildung wie in der Auswahl der Missionare auf die Kunst der Disputation großen Wert.30 Ricci und andere Missionare waren versierte Rhetoriker, wie etwa aus der Anerkennung von buddhistischen Kritikern hervorgeht. Einer von ihnen schrieb: „Sein Scharfsinn ist durchdringend und hell, und seine Rede ist geschickt in der Diskussion.“ (Kern 1992, 60; cf. 208; 235) Es gab auch „heiße Debatten“, lesen wir, und hierbei kam es mitunter auch zu Tumulten. Nach den Missionarsberichten sollten solche Disputationen sowohl eine Diskreditierung des Buddhismus als auch Hinwendung zum Christentum bewirken.31 Ein Missionarsbericht über solch ein Religionsgespräch gibt einen wichtigen inhaltlichen Hinweis. Zuerst diskutierte Ricci über das „erste Prinzip von Himmel und Erde und den Schöpfer aller Dinge“.32 Er begann also mit kosmologischen bzw. schöpfungstheologischen Fragen. Dann führte Ricci das Problem der „menschlichen Natur“ ein, d. h. die Frage ob der Mensch grundsätzlich gut oder schlecht sei. Unter der Voraussetzung dieser Fragestellung wurde es ihm möglich, vom „Fall der menschlichen Natur“ und vom Wirken der „göttlichen Gnade“ zu reden, wovon die chinesischen Gelehrten „natürlich absolut nichts wussten“ (Gallagher 1953, 341). Riccis Argumentationsgang bewegt sich also von der Schöpfungstheologie zur Soteriologie. Darauf kommen wir zum Schluss nochmals zurück. Die Jesuiten hielten sich an die Regeln einer Disputation mit Andersgläubigen, wie sie Thomas von Aquin aufgestellt hatte. Als sich ein buddhistischer Gesprächspartner in seiner Argumentation auf Schriften der eigenen Tradition berufen wollte, wandte Ricci ein: Unsere Argumente müssen vom Verstand (ratio) her abgeleitet werden, nicht von Autoritäten [d. h. von Texten]. Da wir in der Lehre nicht übereinstimmen und keiner von uns die Gültigkeit der Bücher des anderen anerkennt, und da ich auch eine beliebige Anzahl von Beispielen aus meinen Büchern anführen könnte, muss unsere Argumentation jetzt gelöst werden durch den Verstand, der uns beiden gemeinsam ist. (Gallagher 1953, 342; Übers. vom Verf.)
Umgekehrt kritisierte der Beamte und Laien-Buddhist Yu Shunxi (gest. 1621), Ricci habe Buddhas „Schriften noch nicht studiert und seine Gedanken noch nicht verstanden.“ (Kern 1992, 64) Er argumentierte weiter : 29 Semedo 1655, 179; cf. 180. Wenn man die Berichte von Religionsgesprächen etwa in Indien, China und Japan insgesamt betrachtet, trägt in der Regel diejenige Partei den Sieg davon, zu der der Berichterstatter gehört. 30 Zur Ausbildung der Jesuiten in Rhetorik siehe Spence 1985, 100–101; Anm. 16, 288. Zum Kriterium der Auswahl der Missionare siehe Sievernich 2006, 362; cf. 365366; 401. 31 Semedo 1655, 179; 187; 203–204; Gallagher 1953, 337–343; 465. 32 Gallagher 1953, 339. Cf. Ricci in D’Elia 1952–1949 Vol. II, Nos. 558–559.
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Wenn man aber, ohne seine [Buddhas] Geheimnisse zu durchblicken, die Waffen gegen ihn erhebt, wird man dann die Festung von Sravasti33 erstürmen können? […] Nie und nirgends konnte man mit dem Zweifel eines Menschen den Glauben von tausend anfechten. (Kern 1992, 65–66)
Die größte Kritik der Jesuiten an den Buddhisten richtete sich gegen deren, wie sie es nannten, „Götzenverehrung“.34 Damit wandten sie die Kritik des Paulus auf die Buddhisten an, wie sie es zuvor schon in Japan getan hatten. Nicolas Trigault notiert: Ricci and his companions had come to preach a new law, which claimed to be the one and only true faith, free from the contamination of sects. It was particularly opposed to the sect of idol worshippers in the doctrine it preached […]. (Gallagher 1953, 399; Kursiv vom Verf.)
In diesem Zitat klingt auch die Kritik der Jesuiten an dem kombinatorischen ) von Daoismus, Konfuzianismus und System der „Drei Lehren“ (sanjiao Buddhismus an, wie es in China zu dieser Zeit weit verbreitet praktiziert wurde. Dem setzten die Missionare ihren exklusiven Anspruch auf Unbedingtheit entgegen.35 Hier trafen unterschiedliche religiöse Welten aufeinander, die sich offenbar schwer miteinander versöhnen ließen: Der christliche Anspruch auf Exklusivität einer religiösen Anbindung stand im krassen Gegensatz zum alternativen Modell einer Komplementarität von mehreren religiösen Bindungen und Funktionen in China. So setzten sich die Jesuiten dezidiert von Buddhismus, Daoismus und NeoKonfuzianismus ab, aber gegenüber dem älteren Konfuzianismus nahmen sie 33 Das ist die Hauptstadt von Kosala und das Zentrum von Buddhas Lehrtätigkeit. 34 Die Schwierigkeit für die Missionare formuliert Trigault (Gallagher 1953, 416) folgendermaßen: „Easy as it was to teach the Chinese that they should worship the one God of Heaven as the supreme deity, it was equally difficult to persuade them to take down all their idols from their majestic thrones, as being wholly unworthy of any attention. They could not rid themselves of the idea that the idols could be considered as ministers of the true God and honored with the same veneration as the Christian saints.“ Wenn die Missionare buddhistische Lehren studiert hätten, wären sie sicher einer differenzierteren Auffassung von religiösen Statuen begegnet. Abgesehen von dogmatischen Erörterungen dieser Frage gab es aber auch eine pragmatische Behandlung, wie aus folgender Ausführung eines Abtes in Antwort auf Riccis Kritik hervorgeht: „idols as such were not worthy of any honor, but the wise men of the past, realizing that religion could not be preserved among the ordinary people without some kind of images, invented these figures for that very purpose.“ (Gallagher 1953, 225) Das umgekehrte Problem, dass die Christen das „Abbild des gekreuzigten Christus“ und die Madonnen-Bilder verehrten, wird in den Jesuiten-Berichen m. W. nicht erörtert. (Gallagher 1953, 457–458) 35 Ricci schrieb: „A family can have only one head; it is wrong to have two. A nation can have only one sovereign, it is wrong to have two. The Universe too is controlled by one lord. Is it not the most heinous crime in the universe to say there are two? Confucians wished to rid China of the two religions [jiao ] of Buddhism and Taoism, yet now we see them building Buddhist and Taoist temples and worshipping idols. This is like wanting noxious trees to wither and die whilst at the same time doing everything possible to nourish their roots. “ (Lancashire and Hu 1985, 391)
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eine völlig andere Haltung ein. Dies hängt mit der zuvor genannten Änderung in der Missionsstrategie zusammen. Einer der einflussreichen Literati, die sich vom Buddhismus zum Christentum bekehrt hatten, Xu Guangqi (1562–1633, auch „Dr. Paul“ genannt), prägte den Ausdruck, das Christentum „ergänze den Konfuzianismus und ersetze den Buddhismus“ (buru yifo ). (Criveller 1997, 353) Damit ist die grundlegende Haltung der frühen China-Missionare zu den unterschiedlichen religiösen Traditionen Chinas charakterisiert. Wie die veränderte Haltung dem frühen Konfuzianismus gegenüber theologisch begründet ist, werden wir uns nach einem kurzen Exkurs zu Legitimierungsverfahren zum Schluss noch vor Augen führen. Die zuvor erwähnte Berufung auf einen allgemeinen menschlichen „Verstand“ reichte jedoch nicht aus, um die Chinesen von der Autorität des christlichen Glaubens zu überzeugen. Die Missionare mussten daher das Christentum auch noch historisch und geographisch zu legitimieren versuchen.
3.4 Historische und geographische Legitimierungsversuche: Auf der Suche nach Präzedens des Christentums in China Die Frage der Japaner nach der Autorisierung des Christentums aus China hatte zuerst Xavier und dann den Missions-Visitator Alessandro Valignano dazu gebracht, sich um die Etablierung der Mission im Reich der Mitte zu bemühen. Diese missionsstrategische Überlegung bildete den Hintergrund für die China-Mission der Jesuiten. Dieselbe Frage nach der Legitimierung des Christentums stellte sich natürlich auch wiederum in China. Ricci formuliert dieses Problem in seinem Buch Tianzhu shiyi so: „Wenn das Höchste Unbedingte (taiji ) der Herrscher der Höhe (shangdi ) und der Ahne (Urheber, zu ) aller Dinge ist, warum sprachen die Heiligen der alten Zeiten nicht davon?“ (Lancashire und Hu 1985, 107; Übers. vom Verf.) Ricci und andere Jesuiten-Missionare stellten sich dieser Herausforderung und gelangten neben einer theologischen hauptsächlich zu einer geographischen und einer historischen Lösung. Zuerst einmal zu dem geographischen Lösungsversuch. Aufgrund der Lektüre von Marco Polos Reiseberichten wussten Xavier und andere Missionare zwar, dass es Christen in einem Land namens Cathay in Ostasien gegeben haben musste (Sievernich 2006: 181), aber es war noch nicht klar war, ob Cathay dasselbe Land war wie China. Daher schickten die Jesuiten 1602 von Indien aus eine Expedition durch Zentral-Asien nach China. (Semedo 1655, 154) Der Portugiese Bento de Gjis (1562–1607), ein Laien-Buder und früherer Soldat, der Persisch sprach, wurde mit dieser gewagten und teuren Aufgabe beauftragt.36 An diesem Unternehmen sieht man, welch „global players“ die 36 Gallagher 1953, 499–521; D’Elia 1942–1949 Vol. II: 434–438; Spence 1985, 125–126; eine Karte der Reise findet sich in D’Elia 1942–1949 Vol. II, 396.
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Jesuiten zu ihrer Zeit bereits waren. 1607 schließlich gelangte de Gjis zur Chinesischen Mauer, wo er gerade noch einem aus China angereisten JesuitenMissionar Bericht erstatten konnte, bevor er dort starb. Aufgrund dieses Berichtes schrieb Ricci, dass es nun für den Vize-König von Indien und für die Jesuiten ein für alle Mal geklärt sei, dass es kein anderes Cathay gäbe als China. (Spence 1985, 126) Mit anderen Worten, im Reich der Mitte musste es das Christentum als Präzedenz gegeben haben. Der eigentliche historische Nachweis der früheren Existenz des Christentums in China ereignete sich im Jahr 1625, als den Jesuiten der glückliche Zufall zu Hilfe kam, dass in Xi’an, der früheren Hauptstadt Chang’an, eine „Nestorianer“-Stele aus dem Jahr 781 entdeckt wurde. Auf ihr stand geschrieben, dass die „Nestorianer“ im 7. Jh. entlang der Seidenstraße nach China gelangt waren und hier Anerkennung durch den Kaiser erhalten hatten.37 Li Zhizhao (1565–1630, genannt Dr. Leo), einer der führenden chinesischen Christen dieser Zeit, erfuhr zuerst von dieser Stele. Er erklärte ihre Bedeutung so, dass das Christentum nicht „neu“ sei und darum nicht angezweifelt werden dürfe. (Cf. Criveller 1997, 165) Als er den Missionaren in Hangzhou eine Steinabreibung schickte, jubelten sie, denn nun hatten sie den sicheren Beweis für die Existenz des Christentums in China, wonach sie so lange gesucht hatten.38 Damit meinten sie, den Beleg für die Glaubwürdigkeit des Christentums in der Hand zu haben.39 Die „Nestorianer“-Stele diente nun zur historischen Legitimierung in China in dem Sinne, dass das Christentums keine „barbarische“ Religion sei, sondern eine „chinesische“.
3.5 Die Religionstheologie der Jesuiten in China: Ricci und der „alte Konfuzianismus“ Auf welche Weise war es Ricci möglich, das Christentum theologisch mit dem älteren Konfuzianismus kompatibel zu machen? Im Wesentlichen setzte er zwei hermeneutische Strategien ein, außerdem wandte er noch eine religionstheologische Prämisse an. Erstens identifizierte Ricci bestimmte religiöse Vorstellungen und Begriffe des älteren Konfuzianismus mit vergleichbaren oder analogen Sachverhalten im Christentum. Das heisst, er interpretierte konfuzianische Schriften mit christlichen Vorstellungen. Das bekannteste Beispiel ist der Gottesbegriff. In 37 Im 9. Jh. wurde die nestorianische Kirche jedoch genauso wie der Buddhismus unterdrückt, denn beide galten als fremde Religionen. 38 Semedo 1655, 157. Semedo (1655, 154–165) widmete dem Fund ein eigenes Kapitel mit der Überschrift „Of the Christian Religion planted many ages since in China: and of a very Ancient stone lately discovered there, which is an admirable Testimonie thereof.“ 39 Criveller 1997, 152; cf. 165. In seiner Untersuchung zu Akkommodations-Strategien marginaler Religionen in China nennt Zürcher (1994, 36) auch die Neigung, die Existenz der ausländischen Religion auf eine historische Präzedenz zu basieren.
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den konfuzianischen Klassikern, erklärte Ricci, sei „es ganz klar, dass der Herrscher in der Höhe und der Herr des Himmels sich nur im Namen unterscheiden.“40 Andere konfuzianische Vorstellungen, wie etwa die „Einheit Gottes“ oder die „Unsterblichkeit der Seele“, seien ebenso mit dem Christentum vereinbar.41 In Bezug auf den kaiserlichen Tempel in Peking schreibt Riccis Ordensbruder Trigault: The Chinese „say that the God who is worshipped in the temple is the creator of all that is outside of the temple and that these things are not to be worshipped as deities.“ (Gallagher 1953, 337; kursiv vom Verf.) Die zweite Strategie Riccis und seiner Ordensgenossen bestand darin, den Konfuzianismus nicht-religiös zu verstehen, d. h. die konfuzianische Moral betrachteten sie als allgemein menschliche und die konfuzianischen Riten als rein zivile Praxis. (Cf. Gallagher 1953, 30 (33) Trigault etwa betonte, die konfuzianischen Gebote „entsprechen dem Licht des Gewissens und der christlichen Wahrheit“. (Gallagher 1953, 97) Hier finde sich ebenso die Goldene Regel wie in der Bibel. (Gallagher 1953, 97) Mit solchen Interpretationen gaben sich die Jesuiten alle Mühe, ihre Akkommodationsstrategie den Vertretern der Katholischen Kirche in Europa plausibel zu machen. Trigault schreibt etwa: The leaders of the literary class observe a solemn day of sacrifice in honour of Confucius, if sacrifice is the proper word. The Chinese honour the great philosopher as a Master, and not as a deity, and they are accustomed to use the word sacrifice in a broad and indefinite sense. (Gallagher 1953, 335; kursiv vom Verf.)
Dieser so verstandene Konfuzianismus sollte nun nicht nur mit dem Christentum harmonisiert werden, sondern auch durch dasselbe perfektioniert werden, wie wir zuvor gehört hatten.42 Drittens spielte die religionstheologische Voraussetzung Riccis und seiner Brüder ebenso eine zentrale Rolle in diesem religiösen Adaptionsprozess. Sie wird aus folgender Passage von Riccis Hauptwerk deutlich, welche die Frage des fiktiven chinesischen Gelehrten nach dem „Herrn des Himmels“ und der „Schöpfung“ behandelt. Der westliche Gelehrte sagt: This doctrine about the Lord of Heaven is not the doctrine of one man, one household, or one state. All the great nations from the West to the East are versed in it and uphold it. That which had been taught by sages and worthies has been handed down, 40 Daher „it is quite clear to me that the Sovereign on High and the Lord of Heaven are different only in name.“ (Lancashire und Hu 1985, 125) Daher sollten die Menschen „serve Him reverently with the utmost sincerity. How can we abandon this Lord, who is the Supreme Source of all creation, and serve instead created things which have been provided for our use?“ (Lancashire und Hu 1985, 129) 41 Lancashire und Hu 1985: 14. Die Autoren geben an, der Brief sei vom 4. November datiert und finde sich in D’Elia 1942–1949 Vol. I, 295, was ich allerdings nicht verifizieren konnte. 42 Siehe hierzu auch Criveller 1997, 353; cf. Gallagher 1953, 98; Kelly 1971, 306.
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from creation of heaven and earth, men and all things by the Lord of Heaven, through the present times through canonical writings and in such a manner as to leave not room for doubt. (Lancashire und Hu 1985, 67)
Es handelt sich also um eine „universale Lehre“ (gong jiao und Hu 1985, 68–69). Ricci schreibt des Weiteren:
) (Lancashire
Now (men) of all nations under heaven possess, each of them, a natural capacity by which, without any communication between them, all venerate One who is regarded as worthy of supreme honor. Those in distress call upon Him for pity and look to Him for salvation as to a compassionate father and mother. (Lancashire und Hu 1985, 73)
Trigault erklärt den besonderen Charakter von Ricci’s Hauptwerk und damit zugleich seine Missionsmethode im Verhältnis zu Konfuzianismus und den anderen religiösen Traditionen in sehr klarer Weise folgendermaßen: Riccis Compendium of Christian Doctrine (wie er es nannte) war chiefly adapted for the use by the pagans. It was thought that the neophytes would receive sufficient religious instruction from the catechism lessons they attended as catechumens … after their conversion. And so this new work consisted entirely of arguments drawn from the natural light of reason, rather than such as are based upon the authority of Holy Scripture. In this way the road was levelled and made clear for the acceptance of the mysteries dependent upon faith and upon the knowledge of divine revelation. The book also contained citations serving its purpose and taken from the ancient Chinese writers; passages which were not merely ornamental, but served to promote the acceptance of this work by the inquiring readers of other Chinese books. It also provided a refutation of all the Chinese religious sects, excepting the one founded on the natural law, as developed by their Prince of Philosophers, Confucius, and adopted by the sect of the literati. Their particular philosophy as developed by the ancients, contains but little that is justly reprehensible. (Gallagher 1953: 448; kursiv vom Verf.)
4. Schluss Der Vergleich der Jesuiten-Mission in Japan und in China hat gezeigt, dass unterschiedliche Missions- oder Religionstheologien ein entscheidender Faktor dafür bilden, ob das Christentum sich in friedlicher Weise mit einheimischen religiösen Traditionen arrangieren kann, oder in gewaltsame Konflikte mit ihnen gerät. Wenn man von der Soteriologie ausgeht, dann kommt es zum Anspruch auf einen ausschließlichen Heilsweg und damit quasi zwangsmäßig zu Konflikten. Wenn Missionare dagegen von einem schöpfungstheologischen Ansatz ausgehen, der den Nichtchristen auch religiös gültige Einsichten und Praxis zuschreibt, kann es zu mehr oder minder friedlicher Koexistenz kommen. Die Missionsmethode des Francisco de Xavier in Japan steht für das erste Modell, während diejenige Matteo Riccis in
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China das zweite Modell repräsentiert. Freilich hatte Ricci den schöpfungstheologischen Ansatz nur auf den „alten Konfuzianismus“ angewandt, während er Buddhismus, Daoismus und Neo-Konfuzianismus ebenso von einer Heilsmöglichkeit ausschloss. Da die Soteriologie immer spezifisch auf bestimmte Lehren und Praktiken, wie auf den einen Namen Jesu Christi, ausgerichtet ist, taucht die Unterscheidung bzw. Abgrenzung gegenüber anderen Religionen schnell auf. Demgegenüber ist eine Kosmologie oder Schöpfungstheologie immer allgemein und umfassend und kann von daher auch andere Religionen mit einschließen. Meines Erachtens ist es möglich, diesen Sachverhalt auch auf die jeweiligen Verhältnisbestimmungen des Buddhismus zu anderen Religionen anzuwenden. Wenn Buddhisten in der Mission von einem kosmologischen Ansatz ausgingen, wie etwa der allgemeinen „Buddha-Natur“ oder dem Modell von „Urgrund und herabgelassenen Spuren“ (honji suijaku ),43 dann konnten sie eine mehr oder minder friedliche Koexistenz mit einheimischen religiösen Traditionen erreichen. Dies war für letztere zwar nicht immer befriedigend, vor allem langfristig, da sie meist vereinnahmt und ihre Gottheiten als Inkarnationen Buddhas untergeordnet wurden, aber zumindest für einige Zeit funktionierte dieses Modell, wenigstens so lange, bis die neue Religion des Buddhismus fest etabliert war. Wenn Buddhisten jedoch betont von einem soteriologischen Ansatz ausgingen, dann kam es zur Konfrontation mit einheimischen Religionen.44 Da Religionen wie das Christentum und der Buddhismus gewöhnlich aus den beiden Komponenten von Kosmologie und Soteriologie bestehen, ist es wichtig, dass die Spannung zwischen beiden nicht aufgelöst wird, sondern in der einen oder anderen Weise bewahrt bleibt. Die modernen Modelle christlicher Religionstheologien, wie Pluralismus, Inklusivismus und Exklusivismus, funktionieren nur unter der Voraussetzung der Auflösung dieser Spannungen. Wenn ihre Vertreter fundiertere religionswissenschaftliche und theologische Kenntnisse hätten, würden sie nicht in solche Scheinlösungen für die Begegnung und Auseinandersetzung der Religionen heute verfallen.
5. Literatur Brancaccio, Lavinia. 2007. China accommodata – Chinakonstruktionen in jesuitischen Schriften der Frühen Neuzeit. Berlin: Frank & Timme. 43 Vgl. hierzu auch Christoph Kleines Beitrag in diesem Band. 44 Die vorliegende Untersuchung sowie Repp (2014) sind Vorarbeiten zu einem größeren Forschungsprojekt zu dieser Thematik.
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Volkhard Krech
Nachwort Können sich Religionen begegnen?
Die im vorliegenden Sammelband vereinten Beiträge widmen sich dem Thema des Religionskontakts. Die Einleitung stellt heraus, dass es sich beim Terminus Religionsbegegnung um einen heuristischen Begriff handelt (S. 5, 11). Der Verweis auf Heuristik signalisiert zumeist hermeneutische Distanz und dient dazu, einen verwendeten Begriff innerhalb von wissenschaftlichen Suchbewegungen vorsichtig zu verwenden. Im Grunde teilt der Begriff diese Charakterisierung mit den meisten wissenschaftlich verwendeten Begriffen. Begriffe dienen in guter Wissenschaft, die ihre eigene, ordnende und systematisierende Perspektive mit dem Blick auf die Empirie balanciert, stets heuristischen Zwecken. Ob man – etwa mit Max Weber auf kantischer und fichtescher Linie – die sozio-kulturelle Wirklichkeit für ungeordnet hält und der Wissenschaft qua Begriffen (bei Weber : Idealtypen) eine epistemologischordnende Funktion zuschreibt oder – etwa mit Charles Sanders Peirce eher auf hegelscher Linie – eine qua Reflexion bestehende Beziehung zwischen Wissenschaft und ihren Gegenständen annimmt: Immer geht es darum, Wirklichkeit mittels Begriffen zu erschließen. Begriffe und Empirie sind wechselseitig aufeinander verwiesen. In loser Anlehnung an Immanuel Kant formuliert: Begriffe ohne Empirie sind leer, Empirie ohne Begriffe ist blind.1 Durch wissenschaftliche Begriffe wird die Phänomenalität der Wirklichkeit in Empirie übersetzt und mit systematischen Gesichtspunkten in Beziehung gesetzt. Begriffe sind – zumindest in den Sozial- und Kulturwissenschaften – komprimierte Fragestellungen und darin historisch bedingt. Das bedeutet zweierlei. Zum einen gibt es keine zeitlosen Begriffe. Zum zweiten stellen Begriffe Reduktionen dar, die in bestimmter Hinsicht erfolgen und entsprechende Erkenntnis ermöglichen. In den Sozial- und Kulturwissenschaften gebrauchte Begriffe sind notwendige Reduktionen von in der sozio-kulturellen Empirie erfolgenden Reduktionen, die Praxis ermöglichen und regulieren. In der Wissenschaft kommt es auf die Wahl der angemessenen Begriffe an. Angemessen – oder, um einen musikologischen Ausdruck zu verwenden, 1 Das Original lautet: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“; Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. Unveränderter Neudruck der von Raymund Schmidt besorgten Ausgabe nach der zweiten durchgesehenen Auflage von 1930, Philosophische Bibliothek 37a (Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1956), 95.
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stimmig – sind Begriffe dann, wenn sie Empirie im Sinne einer bestimmten Fragestellung aufschließen. Die mit dem Begriff der Religionsbegegnung – zumeist implizit und weniger audrücklich – verbundene Fragestellung ist, von heute aus gesehen, diejenige nach den Wurzeln der Globalisierung und der Emergenz der Weltgesellschaft sowie nach Bedingungen, Modi und Folgen zunehmender Vernetzung und Rekombination von einzelnen religiösen Elementen. Es gibt gute Gründe dafür, den Begriff der Globalisierung und die Herausbildung der Weltgesellschaft für Prozesse zu reservieren, die seit dem 19. Jahrhundert begonnen haben und bis heute andauern. Die Zäsur machen insbesondere einschneidende Entwicklungen in der Mobilitäts- und Informationstechnologie seit dieser Zeit aus. Während der Transport von physischen Briefen, Büchern und Zeitungen auf die Mobilität von Personen (Postbote, Fahrzeugführer, etc.) und entsprechender Objekte angewiesen ist, koppelt sich Kommunikation zunehmend von physischen Bedingungen dieser Art ab.2 Die aus diesen mobilititäts- und informationstechnischen Entwicklungen resultierende Erweiterung und Überlappung verschiedener Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte3 ist auch für die Religionsgeschichte von Bedeutung. Folglich ist von religiöser Globalisierung sinnvollerweise ebenfalls erst seit dem 19. Jahrhundert zu sprechen.4 Konzepte wie entangled history, Transfergeschichte, histoire crois8e und connected history sind von der Erfahrung der Globalisierung und ihrer Reflexion ausgehend zu verstehen. Sie sind Ausdruck des Bemühens, historische – auch teils sehr weit zurückreichende – Entstehungsbedingungen und -faktoren heutiger Globalisierung zu verstehen und zu erklären; denn, um Zäsuren zu erkennen und zu verstehen, ist der Blick auf das, was auf sie zuläuft, im Vergleich zu ihren Folgen vonnöten.5 Darin liegt, mit Max Weber gesprochen, die Kulturbedeutung der angeführten Konzepte. Zudem werden sie angewendet, um Essentialisierungen und Reifikationen der sozial- und kulturwissenschaftlichen Gegenstände zu vermeiden. Die Frage nach Voraussetzungen, Modi und Konsequenzen des Religionskontaktes lässt sich in diesem Zusammenhang verorten. Der vorliegende Sammelband zeigt in verschiedenen Fallstudien Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten auf, die mit der Behandlung des Themas Religionskontakt verbunden sind. Einerseits sollen Essentialisierungen vermieden und ,unscharfe Grenzen‘ zwischen einzelnen religiösen Traditionen 2 Vgl. Rudolf Stichweh, „Das Konzept der Weltgesellschaft: Genese und Strukturbildung eines globalen Gesellschaftssystems,“ Rechtstheorie 39 (2008): 329–355, hier : 345–346. 3 Reinhart Koselleck. „,Erfahrungsraum‘ und ,Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien.“ in Vergangene Zukunft: Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, 349–375, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 757 (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1989). 4 Vgl. Volkhard Krech, „Religionswissenschaft im Zeitalter der Globalisierung,“ in Die Bedeutung der Religionswissenschaft und ihrer Subdisziplinen als Bezugswissenschaften für die Theologie, Rauf Ceylan und Cos¸kun Sag˘lam (Hg.) (Frankfurt a.M. et al.: Peter Lang, 2016): 349–374. 5 Siehe Christopher K. Chase-Dunn und Bruce Lerro, Social Change: Globalization from the Stone Age to the Present (London, New York: Routledge, 2016).
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berücksichtigt werden. Andererseits stellt sich die Frage, um welche Entitäten es sich handelt, die sich in Kontakt befinden und transferiert werden, die ,verwickelt‘, ,gekreuzt‘ und ,verbunden‘ sind. Im Folgenden gehe ich auf einige der Konzepte ein, mit denen Religionskontakt in den Fallstudien, aber auch darüber hinaus innerhalb der Religionsgeschichtsschreibung beschrieben wird. Es versteht sich, dass ich dabei der jeweiligen Fülle der einzelnen Beiträge des vorliegenden Sammelbandes auch nicht ansatzweise gerecht werden kann. Es kann nur darum gehen, einige grobe Linien zu zeichnen, um generische Aspekte des Themas Religionskontakt zu skizzieren.6
1. Synkretismus und Hybridität Das Thema Religionskontakt wird häufig mit den Begriffen Synkretismus und Hybridität in Verbindung gebracht. Mit diesen Begriffen ist angezeigt, dass ein Religionsgebilde im Religionskontakt Elemente eines anderen aufnimmt, oder dass im Religionskontakt stehende Religionsgebilde sogar miteinander verschmelzen. So beziehen sich auch einige Beiträge des vorliegenden Sammelbandes – positiv, verhalten oder negativ – auf den Begriff Synkretismus oder auf das Attribut synkretistisch: Oliver Freiberger auf S. 53, Max Deeg auf S. 125 und Christoph Kleine auf den Seiten 208, 210–212, 216, 244. Der Begriff gehört zu den Anfängen der wissenschaftlichen Erforschung von Religion im modernen Sinne. Es waren insbesondere die Mitglieder die Religionsgeschichtlichen Schule, die einzelne religiöse Motive sowie Motivkomplexe ausmachten und ihren Transfer sowie ihre variierenden Kombinationen rekonstruierten.7 Der evangelische Kirchenhistoriker Adolf von Harnack gehörte zwar nicht dem engeren Kreis der Religionsgeschichtlichen Schule an, machte aber ebenfalls vom Synkretismusbegriff ausführlich Gebrauch. Gegen einen religionsphänomenologischen Essentialismus beschreibt er die „volle Ausgestaltung des Christentums als synkretistische Religion“8. Der Begriff Synkretismus ging zwar – abgesehen von seinen theologisch-normativen Konnotationen und Implikationen – insofern von falschen Voraussetzungen 6 Ich tue das vor dem Hintegrund von Erfahrungen, die ich durch die Leitung des Bochumer Käte Hamburger Kollegs „Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa“ sammeln durfte. Das Kolleg, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung größzügig finanziert wird, widmet sich seit seiner Gründung in 2008 dem Thema Religionskontakt in vergleichender Absicht. 7 Gerd Lüdemann, Die ,Religionsgeschichtliche Schule‘: Facetten eines theologischen Umbruchs, Studien und Texte zur religionsgeschichtlichen Schule 1 (Frankfurt a.M., New York: Peter Lang, 1996). 8 Adolf von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten: Erster Band: Die Mission in Wort und Tat, (Leipzig: J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, 2 1906), 261.
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aus, als er die Homogenität dessen unterstellt, was verknüpft wird.9 Christoph Kleine schreibt in seinem Beitrag zu Recht, der Begriff des Synkretismus suggeriere, „dass es ,sortenreine‘ Religionen geben könne“ (S. 211). Allerdings weist die Forschung der Religionsgeschichtlichen Schule in die richtige Richtung. Die Bildung von religiösen Systemen ist stets mit der Amalgamierung und verschiedenen Kombinationen von Elementen unterschiedlicher Herkunft verbunden. Dieser Vorgang ist der Normalfall, Purifizierung und Homogenisierung sind abgeleitete Phänomene. Diese Sichtweise wird in der jüngeren Religionsgeschichtsschreibung mehr und mehr eingenommen.10 Ähnlich steht es mit dem Begriff der Hybridität, der vor allem in den und durch die postcolonial studies Karriere gemacht hat. Auf diesen Begriff beziehungsweise auf das Attribut hybrid beziehen sich ebenfalls einige Beiträge, wenn auch insgesamt nur acht mal. Das Problem der ,Sortenreinheit‘ besteht auch hier. Beispielsweise ist die Clementine nur deshalb eine hybride Frucht, weil sie eine Kreuzung aus den klar bestimmten Früchten Orange und Mandarine ist. Auch mit dem Begriff der Hybridität ist demnach das Problem verbunden, dass die Entitäten, die sich wechselseitig oder zu einem Dritten zusammenfinden, als distinkt vorausgesetzt werden. Allerdings birgt der Begriff der Hybridität (möglicherweise gegenüber dem des Synkretismus) insofern Vorteile, als er im Zusammenhang des von Homi K. Bhabha und Edward Soja eingeführten Konzepts des Third Space auf ein Drittes verweist, das jenseits distinkter sozio-kultureller Entitäten besteht.11 Der Religionskontakt lässt sich gleichsam als ein solcher hybrider, dritter Raum verstehen, der ein Erstes und Zweites konstitutiert und zugleich überbrückt.12
9 Zur Begriffs- und Problemgeschichte des Synkretismus-Begriffs vgl. Ulrich Berner, Untersuchungen zur Verwendung des Synkretismus-Begriffes, Göttinger Orientforschungen. Reihe Grundlagen und Ergebnisse 2 (Wiesbaden: Harrassowitz, 1982). 10 Vgl. den in dieser Hinsicht wegweisenden Artikel von Wilfred Cantwell Smith, „Traditions in Contact and Change: Towards a History of Religion in the Singular,“ in Traditions in Contact and Change: Selected Proceedings of the XIVth Congress of the International Association for the History of Religions, Peter Slater und Donald Wiebe (Hg.) (Waterloo, Ontario: Laurier, 1983): 1–23. Siehe auch jüngstens Peter Antes, „Am Anfang war die Vielfalt: Anmerkungen zu Vielfalt und Devianz,“ in Devianz und Dynamik: Festschrift für Hubert Seiwert zum 65. Geburtstag, Christoph Kleine, Heinz Mürmel und Edith Franke (Hg.) (Göttingen: Vandenhoeck Ruprecht, 2014): 24–31. 11 Homi K. Bhabha, The Location of Culture. With a new preface by the author, Routledge Classics (London, New York: Routledge, 2004). Edward W. Soja, Thirdspace: Journeys to Los Angeles and Other Real-and-Imagined Places (Cambridge, MA: Blackwell, 1996). 12 Beispielsweise beschreibt Laura Niesen de AbruÇa im Anschluss an autobiographische Andeutungen Homi K. Bhabhas die in Indien lebenden Parsen als einen dritten Raum zwischen Hindus und Muslimen: „As practitioners of Zoroastrianism, the Parsis lived in a cultural space that negotiated the political, social, and economic boundaries between the competing claims of Hindu and Muslim communities“; Laura Niesen de AbruÇa, „Homi Bhabha as Public Intellectual at the Turn of the Millennium,“ Modern Language Studies 33 (2003): 90–93, hier: 91.
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2. Identität Die Frage nach dem Verhältnis von Differenz und Gemeinsamkeit führt über kurz oder lang auf das Thema Identität, sei es personale, sei es kollektive Identität. So thematisieren auch mehrer Beiträge das Thema der religiösen Identität (insbesondere diejenigen von Sven Wortmann und Kar8nina KollmarPaulenz). Dabei wird – ebenso wie in der Einleitung – auf den konstruierten Charakter religiöser Identität sowie auf ihre affirmierende Vergewisserung hingewiesen. Mit dem Verweis auf den konstruierten Charakter ist die Konnotation verbunden, dass Identität nicht per se gegeben ist und nicht wesenhaft besteht, sondern das Ergebnis von sozialen Fremd- und Selbstzuschreibungen ist. Darin ist sie aber nicht minder wirkungsmächtig. Bei entsprechenden Dekonstruktionen ist darauf zu achten, dass nicht nur der soziale Konstruktionscharakter im Gegenüber zu Wesenbeschreibungen herausgestellt wird, sondern auch die Wirkungsmacht und Funktionsweise der sozialen Fremd- und Selbstzuschreibungen zu analysieren ist. Dabei ist es üblich geworden, von Aushandlungsprozessen zu sprechen, wie das auch beim Beitrag von Kar8nina Kollmar-Paulenz der Fall ist. Die wirtschaftlicher Sprache entnommene Metapher des Aushandelns setzt Akteure als gegebene Instanzen voraus, die sich auf etwas einigen. Darin liegt aber zumindest die Gefahr, Akteure samt ihren Motiven und Interessen zu reifizieren. Die Perspektive, dass Akteure als Zurechnungsinstanz sozialer Prozesse selbst eine Form der sozialen Konstruktion unter anderen sind, kommt dabei nicht in den Blick. Hinzu tritt das von Christoph Kleine genannte methodische Problem, auf Interessenlagen immer indirekt schließen zu müssen (S. 212). Kaum eine in religiösen – und selbst in politischen – Diskursen adressierte Person würde zustimmen, dass es ihr – gar ausschließlich – um Machtinteressen oder wirtschaftlichen Vorteil gehe. Die Person würde vielmehr betonen, dass sie ,der Sache‘ verpflichtet sei. Dekonstruktion ist schwerlich mit emischen Selbstbeschreibungen (d. h. Konstruktionen) im empirischen Material in Einklang zu bringen. Nicht selten besteht daher die Gefahr, dass Dekonstrutionen an die Stelle überkommener Ideologiekritik treten und darin mit ihr äquivalent sind. Dieser Gefahr scheint der Beitrag von Peter Schalk zu unterliegen, wenn er den Kontakt zwischen verschiedenen lokalen Formen des Buddhismus als ein planmäßiges Zusammenführen von religiösen Gruppen aus politischen und wirtschaftlichen Interessen im Reich der Co¯las beschreibt. In dieser Beschreibung handelt es sich dann nicht um den Gegenstand des Religionskontaktes, sondern um die politische Regulierung religiöser Vielfalt; ein interessantes und wichtiges Thema in Geschichte und Gegenwart, das mögliche Bedingungen des Religionskontakts benennt, aber nicht den Gegenstand des Religionskontaktes selbst in den Vordergrund rückt. S´ivaismus und Therava¯da-Buddhismus werden hier nicht als Religionen mit eigener Agency behandelt, sondern als Gegenstand politischer und wirtschaftlicher Prozesse analysiert.
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Die Frage ist, unter welchen Umständen Identität thematisch wird. Im Zusammenhang dieser Frage halte ich den folgenden Unterschied für überaus wichtig. Personen als kommunikative Adressierungsinstanz – zum Beispiel als Diskursteilnehmer oder als Gegenstand der Kommunikation – müssen keine eindeutige und exklusive religiöse Identität haben, und sie muss ihnen nicht zwangsläufig zugerechnet werden. Religiöse Traditionen hingegen müssen als Tradition, die sich auf bestimmte religiöse Quellen (häufig, aber nicht unbedingt kanonisierte Texte, Bilder und andere Artefakte) berufen, mindestens der Tendenz nach eine bestimmte religiöse Identität reklamieren, so umstritten diese Identität und ihre Quellen auch intern oder/und extern sein mag. Beispielsweise konnten Katholiken und Protestanten im Europa der frühen Neuzeit Gebetsstätten teilen, denn: „religious experience in the early modern period was filtered in crucial ways through the priorities of daily life“13, und das Alltagsleben braucht häufig keine klar abgegrenzten Identitäten, sondern nur das Wissen darum, was zu tun ist. Dennoch waren die europäischen Gesellschaften der frühen Neuzeit in vielerlei Hinsicht – innerreligiös, politisch, künstlerisch, pädagogisch, rechtlich und teils wirtschaftlich – entlang konfessioneller Grenzen strukturiert, weshalb in der Geschichtsschreibung auch vom „konfessionellen Zeitalter“ die Rede ist.14 Wie im Abschnitt über Synkretismus und Hybridität angedeutet, handelt es sich bei konkreten Ereignissen in der sozio-kulturellen Wirklichkeit zumeist um eine Kreuzung verschiedener Rationalitäten. Die Konstruktion von Identität in sozialen Fremd- und Selbstzuschreibungen vereindeutigt diese Überlagerung, indem sie sie auf eine bestimmte Hinsicht reduziert. Beispielsweise wird innerhalb eines Bankgeschäftes die Identität der an ihm Beteiligten auf die Motivlage reduziert, Gewinn machen zu wollen. Macht währenddessen einer oder eine der Beteiligten einer oder einem anderen Beteiligten eine Liebeserklärung, so löste das mindestens Irritation aus; möglicherweise kann es sukkzessiv auch zu rechtsförmigen Folgen in Gestalt des Stalking-Vorwurfs kommen. Dann aber handelt es sich – trotz Beteiligung derselben, aber dann anders adressierten Personen – nicht mehr um ein wirtschaftliches, sondern um ein juristisches Geschehen. Die Soziologie hält zum Verständnis solcher Sachverhalte etwa das Konzept der Rolle bereit. Die im Beitrag von Kar8nina Kollmar-Paulenz zu lesende Redeweise, „dass religiöse Identitäten multidimensionale […] soziale Konstruktionen sind“ 13 Kaspar von Greyerz, Religion and Culture in Early Modern Europe, 1500–1800. Translated by Thomas Dunlap (New York, Oxford: Oxford University Press, 2008), 125. 14 Harm Klueting, Das konfessionelle Zeitalter: Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und allgemeine Geschichte (Darmstadt: Primus-Verlag, 2007). Selbst Begriffe wie Interkonfessionalität, Transkonfessionalität und binnenkonfessionelle Pluralität sind nolens volens auf den Bezug zum Begriff der Konfessionalität angewiesen; vgl. Kaspar von Greyerz, Manfred Jakubowski-Tiessen, Thomas Kaufmann und Hartmut Lehmann (Hg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität: Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2003).
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(S. 178), bringt den Sachverhalt in eine Schieflage. Nicht religiöse Identitäten – wie auch Identitäten insgesamt – sind multidmensional, sondern Ereignisse in der sozio-kulturellen Wirklichkeit, an denen verschiedene, aber bestimmte Identitätszuschreibungen beteiligt sind; und davon unterschiedene Personen sind es nur dann, wenn sie auf Integrität, die das konkrete Ereignis übersteigt und überdauert, zugerechnet werden. Der Vorgang der Reduktion auf eine je bestimmte Identität in multidimensionalen Kontexten hat wichtige Folgen für das Thema Religionskontakt. Sven Wortmann, der sich in seinem Beitrag dem Kontakt zwischen vedischbrahmanischen, buddhistischen und jainistischen Positionen widmet, schreibt: „Die Bestimmung der religiösen Identität ist manchmal mit der anderer Identitäten verwoben – sozialer, geschlechtlicher, linguistischer, regionaler, nationaler, ethnischer, etc. –, und die Abgrenzung vom jeweils ,Anderen‘ kann auf mehreren dieser Ebenen stattfinden“ (S. 55). Abgesehen davon, dass in der Perspektive einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Religionsforschung Religion nichts anderes als ein sozialer Sachverhalt und somit eine religiöse Identität eine Unterform sozialer Identität ist, zeigt die Analyse von Sven Wortmann den Unterschied zwischen Binnen- und Außengrenzen des Religionskontaktes auf.15 Wenn Identität mit Blick auf Differenzen wie die genannten thematisch wird, handelt es sich nicht um Religionskontakt im engeren Sinne, sondern um Interaktionen in anderer Hinsicht; zum Beispiel innerhalb stratifikatorischer Gesellschaftsstruktur, in der etwa auf geschlechtliche, ethnische und andere Zugehörigkeit zugerechnet wird. Zu Religionskontakt wird eine Interaktion erst dann, wenn nicht-religiöse Weisen der Zurechnung in religiöse Sinnbildung eingefaltet, d. h., Fremd- und Selbstzuschreibungen sowie sozialstrukturelle Inklusion und Exklusion primär über Religion reguliert werden. Das ist unter den Bedingungen stratifikatorischer Gesellschaftsstruktur häufig, aber nicht immer und ausschließlich der Fall. Bei der Interaktion zwischen Laienanhängern und Ordensmitgliedern, wie sie Sven Wortmann beschreibt, kann es sich um eine „innerreligiöse Religionsbegegnung“ (S. 43) handeln; aber nur dann, wenn sich die interne Differenzierung des Buddhismus nach sozialstrukturellen Gesichtspunkten rekonstruieren lässt, was ich jedoch, ohne ein Buddhismus-Experte zu sein, bezweifele.
15 Zur Systematik der Unterscheidung zwischen religiösen Binnen- und Außengrenzen vgl. Volkhard Krech, „From Religious Contact to Scientific Comparison and Back: Some Methodological Considerations on Comparative Perspectives in the Science of Religion,“ in Dynamics of Transculturality : Concepts and Institutions in Motion, Antje Flüchter und Jivanta Schöttli (Hg.) (Heidelberg, New York, Dordrecht, London: Springer, 2015): 39–73.
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3. Akteure und die Agency von Religion Aufgrund der Konjunktur handlungstheoretisch ausgerichteter Ansätze in den Sozialwissenschaften hat sich auch in den Philologien und Kulturwissenschaften im Allgemeinen ebenso wie in der Religionsforschung im Besonderen durchgesetzt, Akteure und Akteurinnen mit ihren Interessenlagen, Motivationen und Intentionen in den Mittelpunkt der Analysen zu rücken. Die Frage ist allerdings, wer und was als Akteur gilt und unter welchen Umständen welches Ereignis auf wen oder was sozial zugerechnet wird. Wenn man, wie ich es vorschlage, primär von Kommunikationen als Ereignissen ausgeht, die auf kommunikative Anschlüsse aus sind, ist es keinesfalls selbstverständlich, dass die soziale Zurechnung des Akteursstatus ausschließlich auf einzelne Personen oder Personenkollektive erfolgt. Michel Serres sowie Bruno Latour und andere in deren Gefolge machen zu Recht darauf aufmerksam, dass in der Kommunikation Konzepte und Objekte ,Quasi-Akteure‘ sein können. Dementsprechend können auch umgekehrt individuelle und kollektive Akteure ,Quasi-Objekte‘ im Sinne von Michel Serres16 und Bruno Latour17 sein. Im Übrigen gilt: „Nicht Motive erklären gesellschaftliche Differenzierung, sondern gesellschaftliche Differenzierung erklärt Motive. Auch und gerade für den Fall von religiös qualifizierten Motiven gilt nichts anderes.“18 Akteurinnen und Akteure in den Vordergrund der Analyse zu rücken, trifft – zum überwiegenden Teil – auch auf das Thema Religionskontakt zu. Dafür stehen etwa besonders exemplarisch die Beiträge von Oliver Freiberger und Kar8nina Kollmar-Paulenz. Letztere schreibt zu Beginn ihres Aufsatzes: „Wenn von ,Religionsbegegnungen‘ gesprochen wird, ist in der Regel die Begegnung von Menschen oder Gruppen von Menschen gemeint, die als Träger sozialer Praktiken und der mit ihnen verbundenen Wissensordnungen in den Blick genommen werden“ (S. 154). In diesem Sinne ist in der Einleitung zum vorliegenden Sammelband zu lesen: „Zunächst kann untersucht werden, wie ,das Andere‘ (d. h. eine andere Religion) von den betreffenden Akteuren wahrgenommen wird. Es sind immer bestimmte Aspekte, die das Gegenüber als ,anders‘ markieren und deshalb thematisiert werden. Daher ist zu fragen, welche Informationen über fremde Vorstellungen und Praktiken die betreffenden Akteure besaßen bzw. besitzen konnten und zu welchem Grad diese Informationen mit der Eigenwahrnehmung des Gegenübers übereinstimmten. […] Wenn die Akteure das Andere in einer bestimmten Weise konstruieren, ziehen sie damit auch eine Grenze zwischen ,uns‘ und ,ihnen‘. Die 16 Michel Serres, GenHse (Paris: B. Grasset, 1982). 17 Bruno Latour, Das Parlament der Dinge: Für eine politische Ökologie, Edition Zweite Moderne (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2001). 18 Niklas Luhmann. „Die Ausdifferenzierung der Religion.“ in Gesellschaftsstruktur und Semantik: Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, 259–357 (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1989), 344.
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zentrale Frage hierbei ist, welche Interessen die Akteure bei dieser Grenzziehung verfolgen und welche Motive sie antreiben. Während die Geltendmachung religiöser Wahrheit – ,Die anderen irren!‘ – ein wichtiger Aspekt ist, spielen oft auch politische, ökonomische und andere Motive eine Rolle.“ (S. 5 f.). Christoph Kleine charakterisiert in seinem Beitrag eine akteurszentrierte Perspektive auf Religionskontakt folgendermaßen: In ihr werden „Religionen […] nicht als geschlossene Einheiten betrachtet, die sich irgendwie begegnen; vielmehr sind es konkrete Menschen, die in Kontakt mit anderen kommen, bestimmte Ideen aufgreifen und verarbeiten“ (S. 212). Zugleich weist er auf eine der mit dieser Perspektive verbundenen Schwierigkeiten unter vielen hin: „Eine offenkundige Schwäche der individualisierenden und konkretisierenden Akteursperspektive ist methodischer Natur : wie soll man die Einstellungen, Motive und Absichten historischer Akteure untersuchen? Wir können i. d. R. die Einstellungen der Akteure nur anhand ihrer Teilnahme an Diskursen ermitteln. Sie sind für uns also zunächst einmal Diskursteilnehmer bzw. -produzenten. Für die Religionsgeschichte ist aber der Diskurs das eigentlich Interessante, weniger die am Diskurs beteiligten Personen, auf die wir methodisch kaum Zugriff haben“ (ebd.). Über das genannte methodische Problem hinaus handelt es sich bei der Perspektive auf Akteure um eine problematische – jedenfalls mit Blick auf empirisches Material begründungspflichtige – analytische Reduktion. In der Einleitung ist zu lesen: „Eine genauere Betrachtung dieser Akteure (oft die Verfasser der erhaltenen Texte) kann Aufschluss über ihre Interessen geben“ (S. 6). Das halte ich für ebenso richtig wie aber auch für eine analytisch einseitige Vorfestlegung. Max Weber hat die sozio-kulturelle Wirklichkeit bekanntlich als stetes Zusammenspiel von Ideen und Interessen beschrieben.19 Das Begriffspaar lässt sich in die Nähe dessen bringen, was Michel Foucault mit dem Begriff des Dispositivs als Zusammenhang von Wissen und Macht fasst. Wenn man Ideen und Wissen nicht als gegebene Größe sozialer Interaktion begreifen will, bietet sich die Unterscheidung von Semantik und Sozialstruktur an. Diese Unterscheidung kann in der deutschen Sprache gut an folgender syntaktisch-semantischer Verschiebung verdeutlicht werden: „Etwas behaupten“ (Ideen, Wissen, Semantik) und „sich behaupten“ (Interesse, Macht, Sozialstruktur). In sozialwissenschaftlicher Hinsicht sind beide Glieder der Unterscheidung als sozial konstituiert zu begreifen, und man kann im Einzelfall untersuchen, was jeweils was in welcher Hinsicht empirisch zugerechnet wird und in analytisch-rekonstruktiver Hinsicht disponiert – und 19 Vgl. etwa nur die folgende, berühmte Stelle: „Interessen (materielle und ideelle), nicht: Ideen, beherrschen unmittelbar das Handeln der Menschen. Aber : die ,Weltbilder‘, welche durch ,Ideen‘ geschaffen wurden, haben sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt, in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte“; Max Weber, Gesammelte Aufsa¨ tze zur Religionssoziologie: Bd. 1: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (Tübingen: J.C.B. Mohr [Paul Siebeck], 1920), 252.
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eventuell sogar kausal bedingt.20 So hält man sich den analytischen Blick offen für die ,Eigengesetzlichkeit‘ der Ideen – beziehungsweise Wissensinhalte oder Semantiken – in der Religionsgeschichte, auf die es Max Weber ankam, was wiederum Stephen Kalberg sehr schön rekonstruiert.21 Während Max Weber nur an den Folgen religiöser Ideen für soziales Handeln interessiert war, ist es religionswissenschaftlich von besonderem Interesse, auch ihrer Emergenz als einem sozio-kulturellen Vorgang auf die Spur zu kommen. Um das Wechselspiel zwischen Semantik und Sozialstruktur zu verstehen, ist nicht primär auf Handeln zu rekurrieren, das begrifflich und analytisch den Rückgriff auf Interessen, Motive und Intentionen braucht, sondern auf Kommunikation, die Handeln als eine Zurechnungsform unter anderen konstituiert. Semantik und Sozialstruktur werden qua Kommunikation zugleich konstituiert und vermittelt. Die Kommunikation ist also das Dritte, mit dem zu beginnen ist. Das gilt gerade auch für die Analyse von Formen des Religionskontaktes. Ein konkretes Kommunikationsereignis in der sozio-kulturellen Wirklichkeit stellt einen selbständigen Wirkungszusammenhang her und eröffnet einen Handlungsspielraum im Sinne der Möglichkeit, Ereignisse oder Teile von ihnen als Handlungen von Aktanten kommunikativ zu adressieren. Aktanten sind folglich nicht der Ausgangspunkt für Ereignisse, sondern ein kommunikatives Produkt. Darauf weist das metasprachliche Konzept der Agency hin – verstanden als „temporally embedded process of social engagement, informed by the past (in its ,iterational‘ or habitual aspect) but also oriented toward the future (as a ,projective‘ capacity to imagine alternative possibilities) and toward the present (as a ,practical-evaluative‘ capacity to contextualize past habits and future projects within the contingencies of the moment)“.22 Kommunikation als einen eigenständigen Wirkungszusammenhang zu verstehen, bedeutet, dass sie nicht – gemäß dem alten SenderEmpfänger-Modell – in der bloßen aufeinanderfolgenden Aggregation einzelner, aufeinander Bezug nehmender Äußerungen von Akteuren aufgeht. Eine moderne wirtschaftliche Transaktion etwa besteht aus einem gewährten Gut oder einer Dienstleistung, einer Rechnung sowie deren Begleichung. Etwaige Unstimmigkeiten, welche die Transaktion gefährden, werden dabei nicht unbedingt und stets qua Adressierung auf den einen oder anderen – sei es kollektiven oder individuellen – Akteur thematisiert, sondern mindestens auch beispielsweise in Gestalt von Hinweisen auf Rechenfehler, Wucher, Qualität des Gutes oder der Dienstleistung usw., also in sachlicher Hinsicht. 20 Zur Diskussion des Verhältnisses von Semantik und Sozialstruktur siehe Rudolf Stichweh, „Semantik und Sozialstruktur: Zur Logik einer systemtheoretischen Unterscheidung,“ in Neue Perspektiven der Wissenssoziologie, Dirk Tänzler, Hubert Knoblauch und Hans-Georg Soeffner (Hg.) (Konstanz: UVK, 2006): 157–171. 21 Stephen Kalberg, „Ideen und Interessen: Max Weber über den Ursprung außerweltlicher Erlösungsreligionen,“ Zeitschrift für Religionswissenschaft 8 (2000): 45–70. 22 Mustafa Emirbayer und Ann Mische, „What Is Agency?,“ American Journal of Sociology 103 (1998): 962–1023, hier : 962.
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Was in der Sachdimension als relevante Entitäten gilt, ist eine Frage des sozialen, und das heißt: kommunikativen Prozesses selbst und nicht zwangsläufig, sondern nur als möglicher Unterfall, des ,Aushandelns‘ und der ,Einigung‘ unter Akteuren als kommunikativer Zuschreibung. Im Falle von bleibenden Unstimmigkeiten werden personale Akteure als kommunikative Zurechnungsinstanz, wenn auch nicht nur, aber doch zumeist in rechtlicher und moralischer Hinsicht relevant. „Kommunikationen bilden, wenn autopoietisch durch Rekursionen reproduziert, eine emergente Realität sui generis. Nicht der Mensch kann kommunizieren, nur die Kommunikation kann kommunizieren. Ebenso wie Kommunikationssysteme sind auch Bewußtseinssysteme (und auf deren anderer Seite Gehirne, Zellen usw. …) operativ geschlossene Systeme, die keinen Kontakt zueinander unterhalten können. Es gibt keine nicht sozial vermittelte Kommunikation von Bewußtsein zu Bewußtsein, und es gibt keine Kommunikation zwischen Individuum und Gesellschaft.“23 Das gilt auch für Religion im Allgemeinen und für den Religionskontakt im Besonderen: „Was in den Köpfen der zahllosen Einzelmenschen stattfindet, könnte niemals zu ,Religion‘ zusammenfinden – es sei denn durch Kommunikation.“24 Diese Sichtweise ist nicht nur, aber insbesondere für die Religionsforschung relevant, weil in religiöser Kommunikation sehr häufig etwas geschieht, was in der Selbstbeschreibung gerade nicht oder wenigstens nicht primär und allein ,menschlichen Akteuren‘ zugeschrieben wird. Dort handeln zumindest auch und in der Regel zuvorderst ,spirituelle Kräfte‘ (,spiritual forces‘) sowie ,Mittler- und übermenschliche Wesen‘ (,superhuman beings‘) und nicht zuletzt Göttinnen bzw. Götter oder ein einziger Gott. Das schließt die Berücksichtigung menschlicher Akteure als Adressaten und Zurechnungsinstanzen nicht aus, reduziert die Vorgänge aber nicht auf sie. Geht man von einer organisch-psychisch-sozialen Einheit namens Mensch aus, gerät Kommunikation in ihrer Eigenständigkeit aus dem Blick, indem evolutionär ausgebildete Systemgrenzen zwischen psychischen, organischen und sozialen Prozessen verwischt werden. Zudem reproduziert der Blick auf ,Aushandlungsprozesse‘ von Interessen einzelner Akteure allzu häufig nur objektsprachliche Semantiken außerhalb des Religiösen und verhindert somit analytische Möglichkeiten.25 Das atomistische Paradigma von Sozialität erfreut sich nicht zuletzt in der Religionsforschung großer Beliebtheit, birgt aber allem voran erkenntnistheoretische Aporien. Denn was semantisch und so23 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1997), 105. 24 Niklas Luhmann, „Religion als Kommunikation,“ in Religion als Kommunikation, Hartmann Tyrell, Volkhard Krech und Hubert Knoblauch (Hg.) (Würzburg: Ergon, 1998): 135–145, hier: 137. 25 Es ist freilich nicht ausgeschlossen, dass in religiöser Kommunikation etwas ,ausgehandelt‘ wird; z. B. versucht Abraham in Gen 18, 16–33 angesichts von Gottes Absicht, Sodom und Gomorra zu vernichten, mit ihm zu handeln. Aber das ist Bestandteil einer religiösen Erzählung und keine analytische Aussage.
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zialstrukturell als ,Mensch‘ adressiert wird, variiert kontextuell, historisch und im Kulturvergleich beträchtlich. Daher ist fraglich, was mit ,menschlichen Akteuren‘ gemeint ist, und folglich können sie nicht zum Ausgangspunkt wissenschaftlicher Analyse gemacht werden.26 Überdies, und das ist insbesondere für die Religionswissenschaft von Bedeutung, lässt das atomistische Paradigma von Sozialität für die Agency von Religion selbst keinen Raum; Religion muss in dieser Perspektive als bloße ,Vorstellung‘ von Akteuren oder als ,anthropologische Konstante‘ konzipiert werden.27 Gegebenenfalls handelt es sich nicht um Religionswissenschaft, sondern um ,Menschenwissenschaft‘.28 Wenn in wissenschaftlicher Beschreibung zuvorderst oder gar aus26 Was Kurt Röttgers, Das Soziale als kommunikativer Text: Eine postanthropologische Sozialphilosophie, Sozialphilosophische Studien 6 (Bielefeld: transcript, 2012), 16 f., über anthropologisch fundierte Sozialphilosophien schreibt, gilt für jede Wissenschaft, die meint, ,den Menschen‘ zu ihrem Gegenstand machen zu können: „Sozialphilosophien, die versuchen, vom Menschen auszugehen, halsen sich mehrere Probleme auf. Sie müßten zunächst klären, was dieser ,Mensch‘ ist. Ist er Objekt oder gar Subjekt eines praktischen Humanismus, d. h. eine Zurechnungseinheit, und wer ist dann auf welcher Grundlage berechtigt, eine solche Zurechnung vorzunehmen, die heute allein noch mögliche, aber zirkuläre Antwort lautet: das ist der Mensch; oder ist der Mensch das, wofür die Humanmediziner oder gar die Biopolitiker zuständig erklärt worden sind, letztlich also der Mensch als ein durch einen bestimmten Genpool definierter Organismus, oder wollen wir unter einem Menschen das verstehen, was die philosophische Anthropologie vor 200 Jahren erfunden hat, sei er nun mit Gehlen als Mängelwesen, sei er mit Plessner als Exzentriker verstanden. Aber selbst angenommen, es gelänge in überzeugender Weise, die anthropologischen und humanistischen Vorannahmen zu klären, und selbst die moralische, ob der Mensch von seiner ersten oder zweiten Natur aus gut oder böse oder gemischt wie ein Schachbrett sei, bleibt doch immer noch unklar, wie aus einem so konstruierten Menschen (den so konstruierten Menschenbildern) Soziales oder gar eine ganze Gesellschaft hergeleitet werden kann.“ 27 Etwa im Sinne eines religiösen Apriori – wie beispielsweise bei Rudolf Otto, Das Heilige: Über das Irrationale in der Idee des Go¨ ttlichen und sein Verha¨ ltnis zum Rationalen, (Breslau: Trewendt und Granier, 41920), 205–208, und Ernst Troeltsch. „Zur Frage des religiösen Apriori.“ in Zur religio¨ sen Lage, Religionsphilosophie und Ethik, 754–768, Gesammelte Schriften 2 (Tübingen: J.C.B. Mohr [Paul Siebeck], 1913) – oder als eine genetische Veranlagung; vgl. Bjørn Grinde, „The Biology of Religion: A Darwinian Gospel,“ Journal of Social and Evolutionary Systems 21 (1998): 19–28. Eine genetische Veranlagung lässt sich jedoch im Vergleich mit soziokulturellen Umweltfaktoren nicht eindeutig nachweisen. Gene können einen moderaten Einfluss auf individuelle Religiosität haben, der aber keinesfalls höher ist als sozio-kulturelle Einflüsse; vgl. als Überblick und mit einer eigenen Studie Gary J. Lewis und Timothy C. Bates, „Common Genetic Influences Underpin Religiosity, Community Integration, and Existential Uncertainty,“ Journal of Research in Personality 47 (2013): 398–405. 28 Vgl. statt vieler Robert Ford Campany, „On the Very Idea of Religions (in the Modern West and in Early Medieval China),“ History of Religions 42 (2003): 287–319, hier: 319: „Religions do not exist, at least not in the same way that people and their textual and visual artifacts and performances do. And when religions are metaphorically imagined as doing things, it becomes harder to see the agents who really and nonmetaphorically do things: people.“ Dementsprechend spricht Steffen Steffen Führding, Jenseits von Religion? Zur sozio-rhetorischen ,Wende‘ in der Religionswissenschaft (Bielefeld: transcript, 2015), 12 f., u. a. mit Bezug auf Peter Antes, „Religionswissenschaft als humanwissenschaftliche Disziplin,“ Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 63 (1979): 275–282, und Manfred Hutter, „Religionswissenschaft im Kontext der Humanwissenschaften,“ Zeitschrift für Missionswissenschaft und Reli-
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schließlich auf ,menschliche Akteure‘ zugerechnet wird, können Differenzierungsprozesse und Relationen nicht in den Blick kommen; weder diejenigen zwischen sozio-kultureller Wirklichkeit und externalisierter Natur noch solche zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen mit unterschiedlichen Systemrationalitäten noch die Heilsfragen, die Gegenstand des Religionskontaktes sind. Ein ,Mensch‘ ist in wissenschaftlicher Hinsicht stets ein Amalgam aus zahlreichen verschiedenen systemischen Prozessen – aus physischen, chemischen, organischen und psychischen Abläufen als gesellschaftlichen Umwelten.29 In sozialer Hinsicht sind Personen Zurechnungsinstanzen in der jeweiligen Perspektive gesellschaftlicher Teilsysteme und Sozialformen. gionswissenschaft 87 (2003): 3–20, von „einem weitgehenden Konsens darüber […], dass es sich bei der postphänomenologischen Religionswissenschaft um eine empirische und humanwissenschaftliche Disziplin handelt.“ Empiriebezug sollte selbstverständlich sein, aber was was ein „humanwissenschaftlicher“ Ausgangspunkt und was an „people“ „real“ und „nicht-metaphorisch“ (oder metonymisch) sein soll, erschließt sich mir nicht. Hingegen teile ich die von Wolfgang Gantke, „Die Diskussion um das Heilige vor dem Hintergrund der Krise des Naturalismus,“ in Das Heilige als Problem der gegenwärtigen Religionswissenschaft, Wolfgang Gantke und Vladislav Serikov (Hg.) (Frankfurt a.M. et al.: Peter Lang, 2015): 33–40, hier: 39, geäußerte Vermutung: „Vielleicht ist eine neue Offenheit für das Phänomen des Heiligen nur dann erreichbar, wenn zuvor die heute noch vorherrschende ,humanegoistische Anthropozentrik‘ überwunden wird.“ Diese Auffassung muss und sollte jedoch nicht eine Revitalisierung der Religionsphänomenologie zur Folge haben, wie das in Gantkes Argumentation der Fall ist. In einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Religionsforschung ist ,das Heilige‘ das Resultat einer kommunikativen Zuschreibung und somit ein genuin sozio-kultureller Sachverhalt; vgl. Magnus Schlette, „Das Heilige in der Modeme,“ in Religiöse Erfahrung in der Moderne. William James und die Folgen, Christian Thies (Hg.) (Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2009): 109–132. 29 Man muss „von verschiedenen emergenten Ebenen des Ordnungsaufbaus der Realität ausgehen […], die den Menschen sozusagen durchschneiden“; Niklas Luhmann. „Die Soziologie und der Mensch.“ in Soziologische Aufklärung 6: Die Soziologie und der Mensch, 265–274 (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1995), 271. Daher „bleibt nur die Möglichkeit, den Menschen voll und ganz, mit Leib und Seele, als Teil der Umwelt des Gesellschaftssystems anzusehen“; Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1997), 30. In diesem Sinne schreibt Peter Fuchs, Die Erreichbarkeit der Gesellschaft: Zur Konstruktion und Imagination gesellschaftlicher Einheit (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1992), 12: „So ist es auf Grund noch klärungsbedürftiger Voraussetzungen möglich, daß ein Mensch in der Umwelt von Religion, Wirtschaft, Politik, Kunst, Erziehung, Familie etc. operiert und nacheinander als dergleiche Mensch, vom Gottesdienst kommend, Panzer verkauft, das Geschäft abschließend, sich im Ortsverein der Partei für die Förderung von Ausländerkindern einsetzt, dies vollzogen habend, eine Galerie aufsucht, und dann, seelisch erfrischt mit dem pädagogisch passionierten Lehrer seiner Tochter über die Probleme ihrer hohen Begabung am Telephon diskutiert, und schließlich diesen Tagesverlauf mit seiner Frau im Code der Intimität bespricht. Aber nicht möglich ist: daß er einen höheren Preis für die Panzer erzielt unter Hinweis darauf, daß er gläubig ist, daß er die Ausländerförderung rechtlich verankern kann unter Hinweis darauf, daß er Panzer verkauft, daß ihm in der Galerie ein Bild aufgrund der Tatsache überlassen wird, daß er Familienvater ist oder daß der Lehrer die Tochter eine Klasse überspringen läßt, weil der Vater ein guter Ehemann ist.“ Zur Exklusion der Perspektive auf Menschen in der Systemtheorie Luhmannscher Provenienz vgl. Hans-Georg Moeller, Luhmann Explained: From Souls to Systems, Ideas Explained Series 3 (Chicago: Open Court, 2006); Hans-Georg Moeller, The Radical Luhmann (New York: Columbia University Press, 2012)..
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Menschen gehören in die Umwelt der Gesellschaft; falls sozial adressiert, sind sie jeweils lediglich ein Bündel von Rollendifferenzierungen, und eine einzelne Rolle wird nur unter bestimmten Aspekten thematisch. Das hat wichtige Folgen für die Beschreibung von Religion. Die Eigenlogik des Religiösen ist nicht kongruent mit den Interessen von politischer Macht, mit schichtbezogenem Status (wie Alter, Geschlecht, ökonomischer Lage, ethnischer und kultureller Zugehörigkeit, etc.), wirtschaftlichem Gewinn, technischer Bewältigung alltagspraktischer Belange usw. Sie weist nicht einmal Schnittmengen mit den genannten Sachverhalten auf – es sei denn, die genannten Merkmale werden zu Bestandteilen religiöser Kommunikation. Und nicht zuletzt ist in der Religionsgeschichte keinesfalls immer eindeutig, wer oder was Subjekt und Objekt des Geschehens ist.30 Diese Sichtweise ist auch und insbesondere für das Thema des Religionskontaktes von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Wenn man nicht dem überkommenen Kommunikationsmodell von Sender-Übertragung-Empfänger folgt, sondern die Kommunikation selbst in den Mittelpunkt der Analyse rückt, wird klar : Der Religionskontakt als ein kommunikatives Ereignis ist nicht das Resultat des Vorgangs, dass zwei oder mehrere Religionsgebilde 30 Das scheint aber Gerardus van der Leeuw zu wissen, wenn er im ersten Teil seiner Phänomenologie „das Objekt der Religion“ und im zweiten Teil „das Subjekt der Religion“ behandelt, bevor er sich im dritten Teil „Objekt und Subjekt in ihrer Wirkung aufeinander“ zuwendet; Gerardus van der Leeuw, Pha¨ nomenologie der Religion, (Tübingen: J.C.B. Mohr [Paul Siebeck], 2 1956). Hingegen ist Peirce zufolge Religion weder subjektiv noch objektiv ; vgl. Alessandro Topa, Die Genese der Peirce’schen Semiotik. Band 1: Das Kategorienproblem (1857–1865) (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2007), 335. Stefano Cochetti schreibt mit Bezug auf die Opfertheorie von Georges Bataille: „,Transzendenz‘ und ,Immanenz‘ implizieren keinerlei Rangordnung: ein Mensch transzendiert einen Tisch ebenso wie ein Tisch einen Menschen transzendiert“; in Georges Bataille: Vorreden zur Überschreitung, Andreas Hetzel und Peter Wiechens (Hg.) (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1999), hier: 244–245 Vgl. auch Niklas Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, Bd. 1581, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2002), 13: „Mit dem Schema des Bewußtseins (Subjekt/Objekt, Beobachter/Gegenstand) läßt sich Religion nicht zureichend begreifen, weil sie auf beiden Seiten dieser Differenz angesiedelt ist.“ Denn: „Die Religion hat […] nicht zuletzt darin ihr Problem, daß sie auch nach dem Sinn dieser Subjekt/Objekt-Unterscheidung noch fragen kann – und letztlich muß“; Niklas Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, Bd. 1581, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2002), 39. In linguistischer Hinsicht und in Analogie zwischen einer elementen Aussage und einem Schauspiel schreibt Algirdas Julien Greimas, Strukturale Semantik: Methodologische Untersuchungen, Wissenschaftstheorie, Wissenschaft und Philosophie 4 (Braunschweig: Vieweg, 1971), 158: „Das Schauspiel hat indes die Eigentümlichkeit, daß es permanent ist: der Inhalt der Aktionen ändert sich die ganze Zeit hindurch, die Akteure wechseln, das Äußerungs-Schauspiel jedoch bleibt immer das gleiche, denn seine Permanenz wird durch die festliegende Distribution der Rollen gewährleistet.“ Dementsprechend ersetzt er die einfache Opposition zwischen Subjekt und Objekt durch „zwei aktantielle Kategorien in Form der Oppositionen: Subjekt vs. Objekt, / Adressant vs. Adressat“ (ebd.). Anhand von Analysen narrativen Materials zeigt Greimas: „Die vier Aktanten sind – symmetrisch und umgekehrt – vorhanden“; Algirdas Julien Greimas, Strukturale Semantik: Methodologische Untersuchungen, Wissenschaftstheorie, Wissenschaft und Philosophie 4 (Braunschweig: Vieweg, 1971), 162.
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miteinander in Kontakt treten. Vielmehr sind umgekehrt zwei oder mehrere unterschiedene Religionsgebilde das Produkt des Religionskontaktes als eines kommunikativen Ereignisses, und der Religionskontakt stellt deren Einheit her und dar. Von hier aus lassen sich dann auch Figurationen des Religionskontaktes anhand von komparativen Fallstudien oder dem Vergleich einzelner Fallstudien ermitteln: Etwa differenzierte Formen des Verhältnisses von Toleranz und gewaltsamer Unterdrückung (was beispielsweise das Thema des Beitrags von Max Deeg ist) oder Formen der Selbstvergewisserung und Affirmation der einen Position im Verhältnis zu einer oder mehreren anderen (was unter anderem Gegenstand des Beitrags von Caroline Widmer ist). Ein Vorbild für eine auszuarbeitende Typologie des Religionskontaktes sehe ich in Gerd Baumanns Analyse verschiedener Grammatiken von kommunikativen Prozessen des „Selfing/Othering“, namentlich Orientalisierung mit Spiegelungseffekt, Segmentierung und Einschließung: “Orientalizing creates self and other as negative mirror images of each other ; segmentation defines self and other according to a sliding scale of inclusions/exclusions; encompassment defines the other by an act of hierarchical subsumption.“31
4. Grenzziehungen Wenn, wie oben beschrieben, Identität mit der Reduktion multidimensionaler Ereignisse zu tun hat, dann kommt über kurz oder lang auch die Frage nach der Grenzziehung zwischen innen und außen auf. Dementsprechend führt das Thema Religionskontakt mehr oder minder zwangsläufig auf diese Thematik. So kommen das Nomen „Grenze“, das Verb „grenzen“ (mit verschiedenen Präfixen) und daraus abgeleitete Partizipien wie etwa „abgegrenzt“ oder „umgrenzt“ an zahlreichen Stellen des vorliegenden Sammelbandes vor. Seit einigen Jahren ist insbesondere in den Kulturwissenschaften häufig von blurring oder blurred boundaries die Rede. Auch die Einleitung spricht etwa mit Blick auf Bezeichnungen wie Buddhismus, Daoismus und Shinto¯ von „höchst komplexe[n] sozio-kulturelle[n] Formationen ohne klare Außengrenzen. Sie umfassen Menschen, Architekturen, Artefakte, Texte, Ideen, Normen, Symbole, Mythen, Identitäten und Rituale, die aufeinander bezogen sind und eine Art multidimensionales, an den Rändern ausgefranstes Gewebe 31 Gerd Baumann, „Grammars of Identity/Alterity : A Structural Approach,“ in Grammars of Identity/Alterity : A Structural Approach, Gerd Baumann und Andr8 Gingrich (Hg.) (New York: Berghahn Books, 2004): 18–50, hier : 47. Vgl. auch – religionsbezogen – die Beiträge in Hans Martin Krämer, Jenny Oesterle und Ulrike Vordermark (Hg.), Labeling the Religious Self and Others: Reciprocal Perceptions of Christians, Muslims, Hindus, Buddhists and Confucians in Medieval and Early Modern Times. Special Edition of Comparativ – Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung, 20/4 (Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2010).
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bilden“ (S. 5). Ich hege Zweifel daran, dass Religionsgebilde wie die genannten – und Gesellschaft sowie mit ihr Religion überhaupt – unter anderem Menschen umfassen und habe die Zweifel im vorhergehenden Abschnitt ansatzweise begründet. Nur wenn man die angeführten Sachverhalte als kommunikative Konstrukte versteht, auf die in religiöser Kommunikation zugerechnet werden kann, können Menschen Teil von Religion sein; etwa als Rollenträger usw. oder auch in einem emphatischen Begriff von Menschen im Sinne einer integralen Einheit psychischer, organischer und physischen Einheit als Umwelt von Religion. Hinzu kommt, dass Elemente wie etwa die genannten Architekturen, Artefakte und Texte – ebenso wie etwa Orte und Zeiten – nie zur Gänze durch ein einziges Attribut gekennzeichnet sind – weder durch das Attribut ,religiös‘ noch durch Attribute, die ein einzelnes Religionsgebilde bezeichnen. Zu spezifisch religiösen Entitäten und Aktanten im Sinne der agency of objects32 werden die genannten Sachverhalte erst innerhalb religiöser Kommunikation, in der alles, was thematisiert wird, auf religiöse Gesichtspunkte zugerechnet und reduziert wird. Beispielsweise sind eine Kirche, eine Moschee, eine Synagoge und ein Tempel nicht per se religiöse Architekturen. Sie sind in jeweils bestimmten Kontexten beispielsweise ebenso ein Wirtschaftsgut wie ein Gegenstand rechtlicher, pädagogischer, künstlerischer oder kunstgeschichtlicher Kommunikation. Religiös werden die genannten Gebäudarten empirisch erst im Zusammenhang religiöser Kommunikation. Handelt es sich etwa um christlich bestimmte religiöse Kommunikation oder um Kommunikation, die christliche Religion zum Gegenstand hat, kann ein Kirchenbau zu einem christlich-religiösen Gebäude werden. Kommunikationen überlagern sich und bilden jeweils einen semantischen Raum. Folglich muss es sich bei einem konkreten Religionsgebilde nicht zwangsläufig um ein „multidimensionales […] Gewebe“ handeln (S. 5). Es ist vielmehr eine bestimmte Gesellschaft – und in der Tendenz die Weltgesellschaft –, die aus der Überlagerung verschiedener und sozial unterschiedlich strukturierter semantischer Räume besteht. Texte, Artefakte, Architekturen, Bilder, Rollen, Handlungen, Sozialformen und Motive sowie Motivkomplexe kreuzen sich in jeweils konkretem Geschehen auf vielfältige Weise (und Texte oder Bilder etwa sind nicht selten selbst ein Ausdruck von Kreuzungen). Das ist auch unter heutigen Bedingungen einer funktional differenzierten Gesellschaft der Fall; zum Beispiel in der Universität, in der – manche mögen das bedauern – nicht nur wissenschaftliche Forschung geschieht, sondern auch Pädagogik in der Lehre sowie Finanzabläufe und Rechtsakte in der Verwaltung geschehen; und zum Beispiel innerhalb einer Kirchenorganisation, in der nicht nur gebetet und gepredigt wird sowie Rituale geschehen, sondern ebenfalls Finanzströme reguliert und Rechtsakte durchgeführt werden sowie bisweilen auch Erziehung und Kunst erfolgt. Aber 32 Vgl. statt vieler nur Chris Gosden, „What do Objects Want?,“ Journal of Archaeological Method and Theory 12 (2005): 193–211.
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das bedeutet in der Regel und jedenfalls im Sinne des jeweils zugrunde liegenden Organisationsprogramms nicht, dass wissenschaftliche Erkenntnisse bürokratisch erzielt oder durch Geld erkauft werden können (wenngleich de facto durch Geld ermöglicht oder durch Geldmangel verhindert werden) oder Heil in der Kirchenverwaltung gefunden wird. Ein Universitätsbau ist somit ebenso wenig per se ein wissenschaftliches Gebäude wie ein Kirchenbau per se ein religiöses Gebäude ist. Und auch Gegenstände in diesen Gebäuden – schon gar Menschen als zugerechnete physisch-organisch-psychische Einheiten, die sich in diesen Gebäuden bewegen – sind nicht per se wissenschaftlich beziehungsweise religiös.33 Das gilt es an die Adresse derjenigen zu sagen, die vom homo religiosus sprechen. Das ist in den vorliegenden Artikeln nicht der Fall, aber in der Religionsforschung gelegentlich noch anzutreffen. Konkrete Orte samt der sich in ihnen befindenden Bauten und Gegenstände sind in der Religionsgeschichte häufig von verschiedenen Religionen geteilte Orte; das ist ein interessantes Thema im Zusammenhang des Religionskontakts.34 Handelte es sich nicht um verschiedene Religionen, müssten die Orte nicht geteilt werden. Das deutsche Wort ,teilen‘ zeigt in der doppelten Bedeutung von ,dividieren‘ und ,gemeinsam haben‘ sehr schön, wie generische Gemeinsamkeit und konkrete Differenz zusammenhängen. Beispielsweise kann ein Essen geteilt (niemand der Beteiligten isst das, was eine andere am Essen beteiligte Person isst) und gerade dadurch Gemeinsamkeit in Gestalt der Essgemeinschaft hergestellt werden. Das gemeinsame Essen konstituiert eine Gemeinschaft und die Teilnehmenden als gemeinsam Essende. Dasselbe gilt für den Religionskontakt: Er konstituiert die teilnehmenden Entitäten (Texte, Objekte, personale Akteure, Institutionen, etc.) als religiös bestimmte Entitäten. In dieser Sichtweise steckt eine gewisse Zirkularität. Aber konstitutionstheoretisch gesehen, lautet die Frage – ,alteuropäisch‘ (nämlich etwa seit Aristoteles) formuliert –, ob man mit den Teilen (hier : Positionen, die sich im Religionskontakt wechselseitig in religiöser [bzw. semantisch äquivalenter] Hinsicht labeln) oder mit dem Ganzen (hier : Religionskontakt, der das Labeln und die Fremd- und Selbstidentifikation ermöglicht) anfangen soll. Manche halten das für eine Henne-oder-Ei-Frage. Ich vermute jedoch einen höheren Analyseertrag, wenn man mit dem Ganzen, oder eher : mit dem Generischen (hier : Religion als begriffliches Kondensat einer bestimmten Art von Kommunikation) anfängt und von dort auf konkrete Konstellationen schaut, und vermute, dass das auch empirisch – allen Narrativen, in denen dieser und jene etwas mit diesen oder jenen Absichten und Folgen tut, zum Trotz – so, nämlich von den Wirkungen her, läuft. Das ist meines Erachtens der Sinn von Re33 Für Personen, die sich ausschließlich auf Wissenschaft zurechnen oder so adressiert werden, wäre das Leben traurig und für Personen, die sich einzig auf Religion zurechnen oder so adressiert werden, nicht lebbar. 34 Für den Fall des medtierranen Raums siehe die Fallstudien in Dionigi Albera und Maria Couroucli (Hg.), Sharing Sacred Spaces in the Mediterranean: Christians, Muslims, and Jews at Shrines and Sanctuaries (Bloomington, Indiana: Indiana University Press, 2012).
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Konstruktion. „Konsequent zu Ende gedacht, sind damit auch die Einheiten des Vergleichs selber nicht länger den Beziehungen vorgeordnet, sondern lassen sich nur als ein Produkt von Austausch und Transfer, als stets vorläufige Ergebnisse einer anhaltenden Verhandlung um Grenzen, ihren Verlauf und ihren mehr oder minder durchlässigen Charakter verstehen.“35 Der Blick auf konkrete Konstellationen kann dann auch Akteure einschließen, aber eben, vom Generischen her gesehen, nicht nur sie. Wie stark in konkreten Konstellationen auf Akteure zugerechnet wird, ist dann eine empirische, fallstudienbezogene und keine theoretische Frage. Von hier aus ist unter anderem zu erforschen, wie religiöse Positionen im Religionskontakt geteilt werden können: in der Differenz einzelner religiöser Positionen und im gemeinsamen Bezug auf religiöse Fragen. Im Sinne eines praxeologischen Primats scheint es leichter zu sein, Rituale und die für sie notwendigen Utensilien zu teilen – im Sinne von ,gemeinsam haben‘ – als religiöse Dogmatiken. Dass rationalisierende Reflexion hingegen zur stärkeren Betonung der Differenzen führt, zeigt der Beitrag von Christoph Kleine sehr schön. Und er zeigt ebenfalls deutlich, dass es nicht hilfreich ist, zwischen popularreligiöser Praxis und hochreligiöser theologischer Reflexion eine Alternative für die Forschung zu sehen. Beide sozialstrukturell differenzierte Arten religiöser Kommunikation bedingen sich wechselseitig. Allerdings scheint der explizite Religionskontakt eher die theologische Reflexion zu stimulieren (und vice versa), während etwa die rituelle Religionspraxis das Moment des auf Differenz setzenden Kontakts tendenziell ausblendet. Oliver Freiberger analysiert in seinem Beitrag unterschiedliche Beschreibungen des Buddha als Avata¯ra Visnus in hinduistischer Literatur und macht ˙˙ eine Vielzahl und Vielfalt von Grenzbestimmungen zwischen Hinduismus und Buddhismus aus. Daraus zieht er die Konsequenz, dass die Religionswissenschaft die Unterscheidung von einzelnen Religionsgebilden religiösen Akteuren überlassen muss. Die Vielfalt der Grenzbestimmungen ist ein empirisches Datum, aber die daraus gezogene Konsequenz leuchtet mir aus oben genannten Gründen nicht ein. Die in der Einleitung (S. 6) aufgeworfene Frage, wer zwischen Religionen unterscheidet – d. h., Grenzen zieht, ist selbstverständlich eine empirische Angelegenheit. Aber in der Empirie müssen es nicht unbedingt und nur personale Akteure sein, die zwischen einzelnen Religionsgebilden unterscheiden. Ebenso steht es mit der Unterscheidung zwischen innerreligiös und interreligiös, die im Sammelband an verschiedenen Stellen zur Sprache kommt (etwa in den Beiträgen von Sven Wortmann, Max Deeg und Tilman Frasch). Es ist zunächst der Vorgang des Religionskontakts selbst, in dessen Verlauf Akteure adressiert werden können, es aber nicht unter allen Umständen müssen. Begegnung – oder neutraler – Interaktion konstituiert 35 Monica Juneja und Margrit Pernau. „Einleitung.“ in Religion und Grenzen in Indien und Deutschland: Auf dem Weg zu einer transnationalen Historiographie, 9–51 (Göttingen: V&R Unipress, 2008), 12.
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die in bestimmter Weise interagierenden Entitäten. Interaktion setzt also Differenz voraus. In diesem Sinne fragt Michel Serres: „Sollte es sein, daß Getrenntes sich eher verknoten läßt als Untrennbares?“36 Grenzen müssen immer überschritten werden, um als Grenze wahrnehmbar and als solche fungieren zu können. Wenn Grenzen nicht überschritten werden, exisitieren sie nicht. Allerdings bedeutet das gerade nicht, dass die Grenzen mit der Überschreitung unscharf werden; im Gegenteil! In diesem Sinne schreibt der Ethnologe Frederik Barth: „Examples of stable and persisting ethnic boundaries that are crossed by a flow of personnel are clearly far more common than the ethnographic literature would lead us to believe.“37 Der Autor zeigt anhand von ethnologischem Material, „how individual boundary crossing, i. e. change of identity, takes place where the person’s performance is poor and alternative identities are within reach, leaving the ethnic organization unchanged“.38
5. Verzeitlichung und Verräumlichung Generell gilt, dass sich die empirischen Daten, auf die sich Fallstudien beziehen, stets in konkreter Zeit und konkretem Raum bewegen. Ein Fall birgt, wenn es sich um eine Fallstudie handelt, ein Doppeltes. Zum einen ist er – zumindest in der Geschichtswissenschaft sowie in den Sozial- und Kulturwissenschaften – etwas Singuläres, etwas, dass sich historisch in seiner Eigenart nicht wiederholt. Zum zweiten ist ein Fall jedoch stets ein Fall von etwas, das einen generischen, den konkreten Raum und die konkrete Zeit übergreifenden und überdauernden Status hat.39 Jede der in diesem Sammelband vereinten Fallstudien behandelt folglich neben individuellem Material generische Fragen im Zusammenhang des Religionskontakts. Aber auch das empirische Material selbst stellt je einen Fall des Religionskontakts dar und stellt somit Generik selbst her. Der Zusammenhang von Individualität und Generik des empirischen Materials lässt sich über Verzeitlichung und Verräumlichung verstehen. Elemente von einzelnen Religionsgebilden finden 36 Michel Serres, Die fünf Sinne: Eine Philosophie der Gemenge und Gemische, (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 21994), 99. 37 Fredrik Barth, „Introduction,“ in Ethnic Groups and Boundaries: The Social Organization of Culture Difference, Fredrik Barth (Hg.) (Prospect Heights, IL: Waveland Press, 1998), hier: 21. 38 Fredrik Barth, „Pathan Identity and Its Maintenance,“ in Ethnic Groups and Boundaries: The Social Organization of Culture Difference, Fredrik Barth (Hg.) (Prospect Heights, IL: Waveland Press, 1998): 117–134, hier: 132. 39 Vgl. dazu Ruben Hackler und Katherina Kinzel (Hg.), Paradigmatische Fälle: Konstruktion, Narration und Verallgemeinerung von Fall-Wissen in den Geistes- und Sozialwissenschaften (Basel: Schwabe Basel, 2016); Susanne Düwell und Nicolas Pethes (Hg.), Fall – Fallgeschichte – Fallstudie: Theorie und Geschichte einer Wissensform (Frankfurt a.M., New York: Campus, 2014); Charles C. Ragin und Howard Saul Becker (Hg.), What is a Case? Exploring the Foundations of Social Inquiry (Cambridge, UK, New York, NY: Cambridge University Press, 1992).
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stets zeitlich und räumlich in verschiedenen Konstellationen zusammen. Dazu gehören die in der Einleitung genannten „Architekturen, Artefakte, Texte, Ideen, Normen, Symbole, Mythen, Identitäten und Rituale“ (S. 5) und mehr. Einige Arbeiten auf der Grundlage des Synkretismus-Konzepts, etwa die der genannten Religionsgeschichtlichen Schule, lassen sich – ad bonam partem – in diesem Sinne verstehen. Einzelne religiöse Traditionen entstehen und festigen sich stets aufs Neue durch Rekursivität und Iteration der Konstellation solcher Elemente, variieren aber auch qua Re- und Neukombination und verändern sich somit. Veränderungen von Religionsgebilden entstehen nicht nur, aber insbesondere durch räumliche Diffusion. Das lässt sich beispielsweise an der Europäisierung des Christentums oder Christianisierung Europas40 und an der Sinisierung des Buddhismus oder Buddhisierung Chinas41 besonders gut studieren. In diesem Zusammenhang ist das Konzept der ,Entortung‘ und ,Verortung‘ besonders hilfreich, wie einige Studien zeigen.42 Während der Verortung in einer neuen Region passen sich Religionsgebilde teilweise der neuen Umwelt an und nehmen Elemente aus in der neuen Region bereits existierenden Religionsgebilden auf. Das scheint ein sehr häufiger und regulärer Fall des Religionskontakts zu sein. Dann hat man es mit dem Aufeinandertreffen von einer oder mehreren in der Region neuen Religionen mit indigenen Religionen zu tun. Beispiele dafür sind Christoph Kleines Fallstudie, die die Folgen des Aufeinandertreffens von Buddhisten und mehr oder weniger indigenen, nicht-buddhistischen Kulten in Japan untersucht, sowie der Beitrag von Martin Repp, der die Strategien der Jesuiten-Missionare im 16. und 17. Jahrhundert in Japan und China in ihrer Begegnung mit Buddhisten und Konfuzianern behandelt. In diesen Zusammenhang gehören auch Konzepte der In- oder Akkulturation, die Oliver Freiberger anführt, ebenso wie transregionale Begegnungen, denen sich Tilman Frasch in seinem Beitrag zum Religionskontakt in der Therava¯da-Kosmopolis widmet. Seine Fallstudie zeigt sehr schön das Zusammenspiel von regionalen Traditionen und transregionalen Bindungen im Versuch, innerreligiöse Pluralität mit dem generischen Programm eines Religionsgebildes anhand überregional relevanter Konzile und Ordens-Reformen zu vermitteln. 40 Vgl. etwa Arnold Angenendt, Das Frühmittelalter : Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, (Stuttgart: Kohlhammer, 32001), 420–31. 41 Vgl. etwa Erik Zürcher, The Buddhist Conquest of China: The Spread and Adaptation of Buddhism in Early Medieval China. With a foreword by Stephen F. Teiser, Sinica Leidensia 11, (Leiden: Brill, 32007). 42 Vgl. Reinhold Glei und Nikolas Jaspert (Hg.), Locating Religions: Contact, Diversity, and Translocality (Leiden: Brill, 2016). Zu systematischen Gesichtspunkten von ,Enortung‘ und ,Verortung‘ sie insbesondere die dort enthaltene Einleitung: Reinhold Glei und Nikolas Jaspert, „Tenns, Turns and Traps: Some Introductory Remarks,“ in Locating Religions: Contact, Diversity, and Translocality, Reinhold Glei und Nikolas Jaspert (Hg.) (Leiden: Brill, 2016): 1–15. Vgl. ferner Carmen Meinert (Hg.), Transfer of Buddhism across Central Asian Networks (7th to 13th Centuries) (Leiden, New York: Brill, 2015).
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Selbstverständlich hat man mit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zu rechnen – nicht nur, aber auch unter den Bedingungen auseinanderliegender Räume, in denen sich eine religiöse Tradition bewegt. In diesem Zusammenhang kann auch die Begriffspluralisierung, auf die in der Einleitung (S. 7) verwiesen wird, religionswissenschaftlich hilfreich sein, also etwa von Buddhismen, Christentümern usw. zu sprechen, um Differenzen zu markieren. Dennoch braucht der Plural epistemisch den Singular, um Variationen eines Religionsgebildes bezeichnen und auf gleich/ungleich hin vergleichen zu können.43 Und evolutionstheoretisch gesehen, setzt Variation Stabilisierung voraus, nämlich etwas, was variiert. Im Übrigen wird sich in empirischer Hinsicht eine bestimmte, in einem konkreten Religionskontakt eingenommene Position kaum als Ausdruck etwa von Hinduismen, Islamismen, Buddhismen usw. verstehen lassen. Diese Art pluraler Bezeichnungen lassen sich nur treffen, wenn eine Vielzahl und Vielfalt an Ereignissen – in der Regel von außerhalb einer religiösen Tradition, also etwa religionswissenschaftlich – in Betracht gezogen wird.
6. Religionskontakt als kommunikatives Ereignis Das Substantiv ,Bezeichnung‘ – sei es als ,Eigenbezeichnung‘, sei es als ,Fremdbezeichnung‘ sowie das Verb ,bezeichnen‘ kommen an zahlreichen Stellen (genauer gesagt: an 120 Stellen) des Sammelbandes vor. Der Vorgang der Bezeichnung verweist auf Kommunikation, in der etwas oder jemand als etwas oder jemand in dieser oder jener Hinsicht bezeichnet wird. Das Wort Kommunikation oder das Verb kommunizieren taucht in den Beiträgen jedoch sehr viel weniger auf, nämlich 28 mal. Deutlich mehr ist das mit 85 Belegen beim Terminus ,Diskurs‘ beziehungsweise beim Attribut ,diskursiv‘ der Fall. Es lohnt, dem Vorgang des Bezeichnens gerade beim Thema Religionskontakt in kommunikationstheoretischer Hinsicht nachzugehen – sowohl, was die empirischen Sachverhalte angeht, als auch mit Blick auf die wissenschaftliche Analyse der empirischen Daten. Die meisten der in den Beiträgen behandelten Daten (wörtlich: Gegebenes) sind kommunikativer Art, nämlich textlich konstituiert (mit der Unterteilung in Gattungen wie etwa historische [oder Historizität beanspruchende] Berichte, Narrative [so bei Caroline Widmer], Dialoge und theologische Reflexionen), und sämtliche Daten sind kommunikativ konstituiert, nämlich durch wissenschaftliche Beobachtung in Fakten (wörtlich: Hergestelltes) transformiert. In dieser Perspektive sind 43 Das trifft auch auf die Verwendung des Plurals ,Religionen‘ im Allgemeinen zu; vgl. als Überblick Johann Figl, „Einleitung: Religionswissenschaft – Historische Aspekte, heutiges Fachverständnis,“ in Handbuch Religionswissenschaft: Religionen und ihre zentralen Themen, Johann Figl (Hg.) (Innsbruck, Wien: Tyrolia-Verlag, 2003): 18–80.
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nicht nur Dialoge und Disputation, sondern jede Form der Interaktion (Fremdbeschreibung, Selbstbeschreibung mit Blick auf andere Religionsgebilde, Zitate, explizite oder implizite Übernahmen von Formen und Inhalten, Demarkation, Exklusion, Inklusion, gemeinsam durchgeführte Praktiken, etc.) Formen des Religionskontaktes als eines kommunikativen Vorgangs. Kommunikation – unter Einschluss von religiöser Kommunikation und Religionskontakt – ist keine feste Entität, sondern ein prozedurales Geschehen, dass sich aus der Differenz zwischen Information, Mitteilung und Verstehen sowie den daraus resultierenden Selektionen zusammensetzt.44 Was den Gegenstand des Religionskontaktes angeht, gilt es zu berücksichtigen, dass nicht Kommunikationsbeteiligte Kommunikation hervorbringen, wie das in älteren Kommunikationsmodellen mit Sender und Empfänger oder in Dialogmodellen der (womöglich auf Konsens abzielenden) Verständigung der Fall ist. Vielmehr gilt, wie bereits mehrfach notiert, umgekehrt: Kommunikation bringt Teilnehmerinnen und Teilnehmer hervor, indem sie in der Kommunikation als solche und, mit Blick auf Themen, in bestimmter Weise adressiert werden. „Die Kommunikationspartner können, unter dem Aspekt der Kommunikation gesehen, nicht als vorab existierende selbständige Wesenheiten oder Dinge begriffen werden, die sich dann entschlössen, eine zuvor bloß gemeinte Botschaft zu versprachlichen, um sie dann so zu kommunizieren. Auf diese Weise würden sie angeblich den Abgrund, der sie metaphysisch trennt wie die zwei Königskinder, durch eine Art Fernwirkung überwinden. Tatsächlich aber bestehen Kommunikationspartner nur insoweit in diesem sozialen Prozeß als sie sprechend miteinander sind […]. Als Besondere sind sie allerdings durch einen Abstand (durch eine Differenz, die ihre Parallelität begründet) voneinander getrennt, aber im sozialen Prozeß des kommunikativen Textes sind sie doch auch zugleich miteinander verbunden, vielleicht darf man sogar sagen: vereint (vereint wie zwei Parallelen sich auf einer Darstellungsebene vereint geben).“45 In religionswissenschaftlicher Perspektive ist daher das Kommunikationsgeschehen des Religionskontaks selbst in den Vordergrund zu rücken. Von dort aus kann die Frage gestellt werden, ob und gegebenenfalls wie Teilnehmende thematisch werden, und wie das im Verhältnis zur Sachdimension, d. h. zu den infrage stehenden religiösen Themen geschieht. Wer nur auf Motive und Interessen schaut, verliert die Themen aus dem Blick. Wie aber religiöse Themen als sozio-kulturelle Konstrukte verstanden und in nicht-theologischer Weise analysiert werden
44 Näheres bei Niklas Luhmann, Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 666 (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1984), 191–241, und religionsbezogen bei Volkhard Krech, „Communication,“ in Oxford Handbook of the Study of Religion, Michael Stausberg und Steven Engler (Hg.) (London, New York: Oxford University Press, 2016): 257–270. 45 Kurt Röttgers, Das Soziale als kommunikativer Text: Eine postanthropologische Sozialphilosophie, Sozialphilosophische Studien 6 (Bielefeld: transcript, 2012), 22 f.
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können, gehört zu den großen epistemologischen Fragen der Religionswissenschaft.
7. Schluss Können sich Religionen begegnen? Die Antwort lautet meines Erachtens: Ja. Und zwar ist die Interaktion eines Religionsgebildes mit seiner innerreligiösen wie außerreligiösen Umwelt die Voraussetzung seiner Konstitution und Selbstidentifikation sowie der Möglichkeit, es von außen – etwa religionswissenschaftlich – auszumachen. Systemtheoretisch gesehen, existiert Religion im Allgemeinen und ein konkretes Religionsgebilde im Besonderen ausschließlich mit einem Bezug zur jeweiligen Umwelt; der Umweltbezug ist konstitutiv für jede Systembildung.46 Religionsgebilde – als Bestandteil gesellschaftlicher Kommunikation – gibt es im gleichen Maß wie es Menschen – als Umwelt gesellschaftlicher und somit auch religiöser Kommunikation – gibt. Beides sind soziale Konstruktionen und darin Reduktionen, zeitigen aber als Zurechnungsinstanz sozio-kulturelle Folgen. Und beide Zurechnungsinstanzen nehmen wechselseitig aufeinander Bezug. Religiöse Kommunikation schließt häufig, aber nicht immer (in der Regel nicht in religiös-ritueller Kommunikation) Personen als Zurechnungsinstanz ein, adressiert sie aber in sehr verschiedenen Weisen; etwa als Un- oder Falschgläubige, Sünder usw.47 Von daher sind Personen nicht der Ausgangspunkt, sondern eine unter vielen Zurechnungsweisen religiöser Kommunikation. Umgekehrt kann, wenn es primär um die Adressierug von Personen geht, Religion ein – zum Beispiel identifikatorischer – Bezugspunkt sein. Was jeweils – inklusive Überlagerungen – der Fall ist, ist eine empirische Frage. In der wissenschaftlichen Rekonstruktion grundsätzlich von Akteuren auszugehen, verstellt den Blick auf die angedeutete empirische Gemengelage. Das gilt ebenso für die Analyse von Voraussetzungen, Modi und Folgen des Religionskontakts. Selbstverständlich kann Religion auch in religionswissenschaftlicher Perspektive in Weisen analysiert werden, in der sie innerhalb der Empirie selbst zum Gegenstand gemacht werden – etwa innerhalb politischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Prozesse. Wenn aber selbst die Religionswissenschaft Religion in außerreligiöse Sachverhalte auflöst und somit wegerklärt, bleibt die Agency allein Sache der Theologien. Das ist – wissenschaftlich gesehen – unbefriedigend. Daher sollte ein – vielleicht spezifisch – religionswissenschaftlicher Ausweg jenseits der Alternative von religiöser Paraphrase oder Wegerklären 46 „Die Systemtheorie geht von der Einheit der Differenz von System und Umwelt aus. Die Umwelt ist konstitutives Moment dieser Differenz, ist also für das System nicht weniger wichtig als das System selbst“; Niklas Luhmann, Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 666 (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1984), 289. 47 Vgl. etwa Hans G. Kippenberg, Yme B. Kuiper und Andy F. Sanders (Hg.), Concepts of Person in Religion and Thought (Berlin, New York: Mouton de Gruyter, 1990).
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gesucht werden. In einer sozialwissenschaftlich orientierten Religionsforschung lässt sich Religion als Herausdifferenzierung aus allgemeinen gesellschaftlichen Prozessen verstehen, ohne zu etwas Anderem als zu einem soziokulturellen Sachverhalt zu werden. Und das geschieht nicht nur, aber insbesondere im Religionskontakt, in dem sich religiöse Entitäten wechselseitig als religiös wahrnehmen und zurechnen, darin möglicherweise Gemeinsamkeiten, aber nicht selten ihre Verschiedenheit entdecken und sich als different konstituieren. Während Relationen zwischen Religion und anderen gesellschaftlichen Bereichen wie etwa Politik, Wirtschaft, Recht, Gesundheit, Erziehung und Kunst die Außengrenzen eines religösen Feldes konstituieren, setzen Religionskontakte die Binnengrenzen.48 Religionskontakte sind nicht auf Disputationen und ähnliche Dialogveranstaltungen zu reduzieren, sondern umfassen jegliche Form der Fremdbeschreibung und Selbstbeschreibung mit Blick auf andere Religionen sowie explizite oder implizite Übernahmen von Formen und Inhalten – zum Beispiel auch in Gestalt von kenntlich gemachten oder indirekten Zitaten. Die Figurationen des Religionskontakts sind zahlreich. Sie reichen von wechsel- oder einseitiger Identifikation über die Aufnahme von einzelnen Elementen einer anderen Religion und Demarkation bis zur vollständigen Auslöschung.49 Hier ist aber noch viel, vor allem vergleichende Forschung vonnöten. Bei religiösen Traditionen handelt es sich um die Konkretion des Sachverhaltes, dass sich sozio-kulturelle Entitäten stets nur durch ein Gegenüber, durch etwas, was sie in einer bestimmten Hinsicht nicht zu sein beanspruchen, konstituieren. Othering-Prozesse sind für die Selbstidentifikation konstitutiv, das gilt auch für die Religionsgeschichte. Selbstverständlich darf die wissenschaftliche Beschreibung diesen Selbst- und Fremdbeschreibungen nicht ,auf den Leim gehen‘. Zum einen bleibt auch die Selbstidentifikation im Gegenüber zu Fremdbeobachtungen immer einer konkreten Zeit und einem konkreten Raum verhaftet. Nicht selten macht ein nächster Moment und eine minimale räumliche Verschiebung eine große Differenz aus. Zum anderen können Fremdbeschreibungen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu Mechanismen und Dynamiken von Othering-Prozessen sein. Deren Inhalte dürfen aber nicht ,für bare Münze‘ genommen werden und als Grundlage zur wissenschaftlichen Beschreibung der in der Fremdbeschreibung – nicht selten polemisch – charakterisierten Entitäten dienen. Aber man kann gerade an den Vorgängen des Labelings innerhalb von Religionskontakten über Binnen- und
48 Siehe Volkhard Krech, „From Religious Contact to Scientific Comparison and Back: Some Methodological Considerations on Comparative Perspectives in the Science of Religion,“ in Dynamics of Transculturality: Concepts and Institutions in Motion, Antje Flüchter und Jivanta Schöttli (Hg.) (Heidelberg, New York, Dordrecht, London: Springer, 2015): 39–73. 49 Volkhard Krech, „Religious Contacts in Past and Present Times,“. Aspects of a Research Programme Religion 42 (2012): 191–213.
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Außengrenzen religionswissenschaftlich ungemein viel lernen50, wie nicht zuletzt auch die Beiträge im vorliegenden Sammelband zeigen. Die Einheit der Religionsgeschichte besteht in der Umstrittenheit dessen, was als Religion in ihrer symbolischen Ausgestaltung zu gelten hat. In einigen Beiträgen wird der Terminus Feld verwendet, und das gibt Anlass für folgenden Hinweis auf die Feldtheorie Pierre Bourdieus: Das Verbindende zwischen reklamierter Orthodoxie und zumeist von einer Mehrheit zugerechneten Heterodoxie ist die – freilich nie konkret bestimmte und bestimmbare – doxa.51 Sie besteht in „a set of fundamental beliefs which does not even need to be asserted in the form of an explicit, self-conscious dogma“52. Dieses Set an fundamentalen Annahmen wird immer wieder kommunikativ adressiert, wird aber nur in der jeweils einen oder anderen Position in der Praxis bestimmt und ist nur auf diese Weise in der Empirie wissenschaftlich zu identifizieren. Die Religionsgeschichte ist sehr häufig essentialistisch in dem Sinne, dass in ihr Positionen anzutreffen sind, die genau wissen, was etwa ,das Christentum‘, ,der Islam‘ oder ,der Buddhismus‘ oder gar ,Religion überhaupt‘ substanziell ist oder nicht ist. Das gilt für Religion im Allgemeinen wie für bestimmte religiöse Traditionen im Besonderen. Religionswissenschaft hingegen darf, will sie der empirischen Vielfalt genüge tun, nicht essenzialistisch oder reifizierend verfahren. Die aus divergierenden Perspektiven zwischen religiösen Positionen innerhalb der Empirie und wissenschaftlicher Analyse resultierenden Schwierigkeiten führt der vorliegende Sammelband deutlich vor Augen. Aber ebenso deutlich vor Augen führen die in ihm vereinten Fallstudien, dass gerade mit dem Blick auf Religionskontakt diese epistemologischen Schwierigkeiten in wissenschaftliche Erkenntnis umgeformt werden können: Die Entstehung und Weiterentwicklung (als Intensivierung oder Diffusion) religiöser Traditionen können vielleicht nicht nur, aber besonders gut im Kontakt miteinander analysiert werden, ohne sie zu essenzialiseren. Religionskontakt ist religionsproduktiv, und deshalb lohnt es, ihn religionswissenschaftlich zu studieren.
50 Hans Martin Krämer, Jenny Oesterle und Ulrike Vordermark (Hg.), Labeling the Religious Self and Others: Reciprocal Perceptions of Christians, Muslims, Hindus, Buddhists and Confucians in Medieval and Early Modern Times. Special Edition of Comparativ – Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung, 20/4 (Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2010). 51 Pierre F8lix Bourdieu, Outline of a Theory of Practice. Translated by Richard Nice, Cambridge Studies in Social Anthropology 16 (Cambridge: Cambridge University Press, 1977), 159–71. 52 Pierre F8lix Bourdieu, Pascalian Meditations (Stanford, CA: Stanford University Press, 2000), 15.
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Nachwort
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Autorinnen und Autoren
Max Deeg ist Professor für Buddhismuskunde und Religionswissenschaft an der Cardiff University in Wales, UK. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Buddhismus in Süd- und Ostasien, die Rezeptionsgeschichte des Buddhismus und andere Bereiche der asiatischen Religionsgeschichte. Ausgewählte Veröffentlichungen: Die Strahlende Lehre – Die Stele von Xi’an (Übersetzung und Kommentar) (Wien, Berlin: LIT Verlag, 2018); Miscellanae Nepalicae: Early Chinese Reports on Nepal – The Foundation Legend of Nepal in its Trans-Himalayan Context (Lumbinı¯: Lumbinı¯ International Research Institute, 2016); (ed. with Bernhard Scheid) Religions in China. Major Concepts and Minority Positions (Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2015); (ed. with Christoph Cueppers) Dharmaya¯tra – Buddhist Pilgrimage in Time and Space (Lumbinı¯: Lumbinı¯ International Research Institute, 2014). Tilman Frasch ist Reader in Asian History an der Manchester Metropolitan University. Sein Forschungsfeld umfasst die frühe süd- und südostasiatische (Kultur-)Geschichte mit Schwerpunkt auf Birma/Myanmar, die Buddhismuskunde und die Stadtgeschichte. Veröffentlichungen zuletzt: „The Theravada Buddhist Ecumene in the 15th Century : Intellectual Foundations and Material Representations“, in: Buddhism across Asia: Networks of Material, Intellectual and Cultural Exchange, Tansen Sen (Hg.), Bd. 1 (Singapore/Delhi: ISEAS/Manohar, 2014), 347–367; „Gebaut für eine Ewigkeit: Die buddhistische Architektur von Bagan“, in: Archäologie im Schatten von Angkor : Fundamente der Hochkulturen Südostasiens, Mai Lin Tjoa-Bonatz und Andreas Reinwald (Hg.) (Mainz: Zabern, 2015), 77–86. „Buddhismus in Birma“, in: Der Buddhismus II: TheravadaBuddhismus und Tibetischer Buddhismus, Manfred Hutter (Hg.) (Stuttgart: Kohlhammer, 2016), 61–98 (= Religionen der Menschheit 24,2). Oliver Freiberger ist Associate Professsor für Asian Studies und Religious Studies an der University of Texas at Austin, USA. Forschungsinteressen: Indischer Buddhismus, Religionsbegegnung, Askese, Methodologie des Vergleichs in der Religionswissenschaft. Ausgewählte Veröffentlichungen: „Modes of Comparison: Towards Creating a Methodological Framework for Comparative Studies“, in: Interreligious
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Autorinnen und Autoren
Comparisons in Religious Studies and Theology : Comparison Revisited, Perry Schmidt-Leukel und Andreas Nehring (Hg.) (London: Bloomsbury, 2016), 53–71; „Askese als Begriff: Substanzielle, funktionale und diskursive Perspektiven“, Berliner Theologische Zeitschrift 32.1 (2015): 11–33; Buddhismus: Handbuch und kritische Einführung (mit Christoph Kleine), (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 22015). Christoph Kleine ist Professor für Religionsgeschichte mit dem Schwerpunkt Buddhismus am Religionswissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig und Co-Sprecher der Kolleg-Forschergruppe „Multiple Secularities – Beyond the West, Beyond Modernities“ ebenda. Forschungsinteressen: Buddhismus in Ostasien, japanische Religionsgeschichte, Theorie und Methodologie der Religionswissenschaft, Möglichkeiten und Konzepte von Säkularität im vormodernen Ostasien. Ausgewählte Veröffentlichungen: Der Buddhismus in Japan: Geschichte, Lehre, Praxis (Tübingen: Mohr Siebeck, 2011); Buddhismus: Handbuch und kritische Einführung (mit Oliver Freiberger) (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 22015); „Religion and the Secular in Premodern Japan from the Viewpoint of Systems Theory,“ Journal of Religion in Japan 2.1 (2013): 1–34. Kar8nina Kollmar-Paulenz ist ordentliche Professorin für Religionswissenschaft und Zentralasienwissenschaft an der Universität Bern, Schweiz. Forschungsinteressen: Religions- und Kulturgeschichte Tibets und der Mongolei, Geschichte aussereuropäischer Wissensordnungen, Globale Religionsgeschichte, Kanonforschung, Politik und Religion. Ausgewählte Veröffentlichungen: Religion and Ethnicity in Mongolian Societies: Historical and Contemporary Perspectives, (hg. mit Tatjana D. Skrynnikova und Seline Reinhardt) (Wiesbaden: Otto Harrassowitz, 2014); „Systematically Ordering the World: The Encounter of Buriyad-Mongolian, Tibetan and Russian Knowledge Cultures in the 19th Century“, in: „L’orientalisme des marges: 8clairages / partir de l’Inde et de la Russie“, Philippe Bornet und Svetlana Gorshenina (Hg.), Etudes de Lettres 2–3 (2014): 123–146; „Of Yellow Teaching and Black Faith: Entangled Knowledge Cultures and the Creation of Religious Traditions“, in: Dynamics of Religion: Past and Present, Christoph Bochinger und Jörg Rüpke (Hg.) (Berlin/Boston: De Gruyter, 2016), 231–250. Volkhard Krech ist Professor für Religionswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und Direktor des dortigen Centrums für Religionswissenschaftliche Studien. Forschungsinteressen: Religionstheorie, Theorie der Religionsgeschichte, Evolution der Religion, religiöse Globalisierung, Sakralisierungsprozesse, Religion und Kunst. Ausgewählte Veröffentlichungen: „Dimensionen des Religiösen“, in: Hand˙ buch Religionssoziologie, Detlef Pollack, Volkhard Krech, Olaf Müller und Markus
Autorinnen und Autoren
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Hero (Hg.) (Wiesbaden: Springer VS 2018), 51–94; „Theory and Empiricism of Religious Evolution (THERE): Foundation of a Research Program. Part 1“, Zeitschrift für Religionswissenschaft 26. 1 (2018): 1–51; „Communication“, in: Oxford Handbook of the Study of Religion, Michael Stausberg und Steven Engler (Hg.) (London, New York: Oxford University Press, 2016), 257–270. Martin Repp ist Referent für Dialog mit Asiatischen Religionen der Protestantischen Kirche in Frankfurt. Forschunsginteressen: Buddhismus des Reinen Landes, insbesondere Honen; Aum Shinri-kyo; Formen der intra- und interreligiösen Kommunikation; Ökologie und Öko-Ethik in den Religionen. Ausgewählte Veröffentlichungen: Das religiöse Denken Ho¯nens: Eine Untersuchung zu Strukturen religiöser Erneuerung (Wiesbaden: Harrassowitz, 2005); Mondo¯ to ronso¯ no bukkyo¯ (Didaktische Konversationen und Disputationen im Buddhismus), hg. zusammen mit Yoshiyuki Inoue (Kyoto: Ho¯zo¯kan, 2011); Hg. & Einl., Muto¯ Kazuo, Christianity and the Notion of Nothingness (Leiden: Brill, 2012). Peter Schalk ist Professor Emeritus für Religionsgeschichte an der Universität Uppsala. Forschungsinteressen: Buddhismus/Hinduismus und religiöse Äußerungen sozialer und wirtschaftlicher Konflikte in Südasien. Ausgewählte Veröffentlichungen: Buddhism among Tamils in Pre-Colonial Tamil-akam and ¯I-lam. Part 1: Prologue. The Pre-Pallava and the Pallava period, Peter Schalk (Hg.), Acta Universitatis Upsaliensis, Historia Religionum 19 (Uppsala: AUU, 2002); Buddhism among Tamils in Pre-Colonial Tamil-akam and ¯I-lam. Part 2: The Period of the Imperial Co¯-lar. Tamil-akam and ¯I-lam, Peter Schalk (Hg.), Acta Universitatis Upsaliensis, Historia Religionum 20 (Uppsala: AUU, 2002); „Die Lehre des heutigen tamilischen Widerstandes in ¯I-lam /Lamka¯ vom Freitod als Martyrium,“ Zeitschrift für Religionswissenschaft 17.1˙ (2009): 71–100; „Tamilische Begriffe für Religion“, in: Religion in Asien? Studien zur Anwendbarkeit des Religionsbegriffs, Peter Schalk u. a. (Hg.), Acta Universitatis Upsaliensis, Historia Religionum 32 (Uppsala: AUU, 2013), 80–124; „Ela¯ra and ˙ ¯Ilam. Dutthaga¯man¯ı – Again“, in: Buddhism among Tamils in Tamilakam and ˙ Part˙˙ 3: Extension and Conclusions, Peter Schalk (Hg.), Acta Universitatis Upsaliensis, Historia Religionum 33 (Uppsala: AUU, 2013), 131–160. Christiane Schaefer ist Associate Professor für Indologie an der Universität Uppsala, Schweden. Forschungsinteressen: Sprach- und Kulturkontakte der Seidenstraße, Buddhismus in Zentralasien, Tocharische Philologie, Vedische Texte und Literatur. Ausgewählte Veröffentlichungen: „Das ,Gallenbeben‘ des Königs Aranemi: Sprach- und Kulturkontakt im Spiegel tocharischer Handschriften“, in: ˙Wege zum geistigen Erbe der Menschheit: Die Katalogisierung orientalischer
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Autorinnen und Autoren
Handschriften in Deutschland, Tilman Nagel (Hg.) (Göttingen: Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, 2013); „Zur Katalogisierung der tocharischen Handschriften der Berliner Turfansammlung“, in: Die Erforschung des Tocharischen und die alttürkische Maitrisimit, Akten des Symposiums 3.–4. April 2008, Berlin, Yukiyo Kasai, Abdurishid Yakub, und Desmond Durkin-Meisterenst (Hg.), Silk Road Studies XVII (Turnhout: Brepols, 2013); „Multilingualism and Language Contact in Urban Centres along the Silk Road during the First Millenium AD“, in: The Urban Mind: Cultural and Environmental Dynamics, Paul J. J. Sinclair, Gullög Nordquist, Frands Herschend und Christian Isendahl (Hg.), Studies in Global Archeology 15 (Uppsala: Uppsala Universitet, 2010). Caroline Widmer ist Dozentin an der Universität Zürich, Kuratorin für Indische Malerei/Assistenzkuratorin Indien und Leiterin eines Kunstvermittlungsprojekts am Museum Rietberg Zürich. Forschungsinteressen: Pali-Buddhismus, Indische Kunst, Narration und Religion in Text und Bild, Religionsbegegnung, Religion und Museum. Ausgewählte Veröffentlichungen: Der Buddha und der ,Andere‘: Zur religiösen Differenzreflexion und narrativen Darstellung des ,Anderen‘ im Majjhima-Nika¯ya, Critical Studies in Religion/Religionswissenschaft (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015); „,…und dann wurde er einer der Arahants…‘: Erzählungen über den Werdegang zu Lebzeiten Erlöster im Majjhima-Nika¯ya“, in Release from Life – Release in Life: Indian Perspectives on Individual Liberation, Andreas Bigger u. a. (Hg.), Worlds of South and Inner Asia 1 (Bern: Peter Lang, 2010), 303–325; „Mahamoggallana (5. Jahrhundert v. u. Z.): Überwindung von Raum und Zeit“, in: Mystik: Sehnsucht nach dem Absoluten, Albert Lutz (Hg.) (Zürich: Museum Rietberg Zürich/ Scheidegger & Spiess, 2011), 222–225. Sven Wortmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Südasienund Südostasien-Studien (SASOA) der Universität zu Köln. Forschungsinteressen: Fremdsprachendidaktik für Tamil und Sanskrit, Religionsbegegnung, indische Religionsgeschichte. Ausgewählte Veröffentlichungen: „Revisiting Sanskrit Teaching in the Light of Modern Language Pedagogy“ (mit Ann-Kathrin Wolf), in: Pushpika: Tracing Ancient India through Texts and Traditions. Contributions to Current Research in Indology, Bd. 3, Robert Leach (Hg.) (Oxford/Philadelphia: Oxbow Books, 2015), 161–170; „Krishna: Held, Gott und Liebhaber“ (mit Lisa Wevelsiep und Ann-Kathrin Wolf), in: Von Thanka bis Manga: Bild-Erzählungen aus Asien, Iris Poßegger und Sven Bretfeld (Hg.) (Leipzig: E. A. Seemann Verlag, 2012), 102–106; „Krishna: Indische Miniaturen und Palmblätter“ (mit Madlen Krüger, Lisa Wevelsiep und Ann-Kathrin Wolf), in: Von Thanka bis Manga: Bild-Erzählungen aus Asien, Iris Poßegger und Sven Bretfeld (Hg.) (Leipzig: E. A. Seemann Verlag, 2012), 107–143.