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English Pages 154 [161] Year 1964
HANDBUCH DER ORIENTALISTIK ERSTE ABTEILUNG VIII. BAND, r. ABSCHNITT LIEFERUNG
I
HANDBUCH
DER ORIENTALISTIK Herausgegeben
von B. SPULER
unter Mitarbeit H. FRANKE,
J. GoNoA,
H. HAMMnzscH,
von
H. W. HEr.rK,
J. E. VAN LoHUIZEN-DE LEEuw
und F. Vos
ERSTE ABTEILUNG
DER
NAHE
UND
DER
Herausgegeben
MITTLERE
OSTEN
von B. SPULER
ACHTER BAND
RELIGION ERSTER ABSCHNITT
RELIGIONSGESCHICHTE
DES ALTEN ORIENTS
LIEFERUNG
LEIDEN/KÖLN
E. J. BRILL 1964
1
RELIGIONSGESCHICHTE DES ALTEN ORIENTS LIEFERUNG MIT BEITRÄGEN
1
VON
OTTO EISSFELDT JOHANNES HEMPEL • HEINRICH OTTEN EBERHARD OTTO
LEIDEN/KÖLN
E.
J. BRILL 1964
Copyright I964 by E.
J. Brill, Leiden, Netherlands
All rights reserved. No part of this book may be reproduced or translated in any form, by print, photoprint, microfilm or any other means without written permission from the publisher
PRINTED
IN THE NETHERLANDS
INHALTSVERZEICHNIS I
Die Religion der alten Ägypter
(EBERHARD
II
Kanaanäisch-ugaritische
Religion
III
Die Religionen des alten Kleinasien
IV
Die alttestamentliche Religion
ÜTTO)
(OTTO EissFELDT) {HEINRICH
ÜTTEN)
{JOHANNES HEMPEL)
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I .
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DIE RELIGION DER ALTEN ÄGYPTER von EBERHARD OTTO 1.
EINLEITUNG
ZUSAMMENFASSENDE LITERATUR HERMANNKEES, Der Götterglaubeim Alten Ägypten, 2. Aufl., Berlin 1956. HENRY FRANKFORT,Ancient Egyptian Religion, an interpretation, New York 1948. HANS BoNNET, Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, Berlin 1952. SIEGFRIED MoRENZ, Ägyptische Religion, Stuttgart 1960. SAMMLUNGEN VONÜBERSETZUNGEN HERMANNKEES, Ägypten: Religionsgeschichtliches Lesebuch, herausgeg. von A. Bertholet, Heft ro, Tübingen 1928. GÜNTHERRoEDER, Urkunden zur Religi,on des Alten Ägypten, Jena 1923.
Da bereits die frühesten schriftlichen Zeugnisse der ägyptischen Religion die vielgestaltigen und vieldeutigen Gottheiten in bestimmten Systemen Göttergesellschaften, Familien - zusammenwirkend erscheinen lassen und da die in der Frühzeit der Ägyptologie vorzüglich untersuchten religiösen Quellen (nämlich die langen Inschriften der Spätzeittempel) derartige Systeme in einem universellen Sinn aufbauen, setzte die frühere Ägyptologie an den Anfang der ägyptischen Religionsgeschichte das Göttersystem, u.zw. das heliopolitanische (s.u.S. 50), ein künstliches theologisches Gebäude, das die Mächte des Kosmos, des Staates und des menschlichen Lebens, inkorporiert in „Göttern", die teils menschliche, teils tierische, teils dingliche Gestalt haben, zu einem gewaltigen einheitlichen System zusammenschloss. Es blieb bei diesem Versuch des Verstehens ungeklärt, wie eine Zusammenfügung derartig verschieden gestalteter Wesen entstanden sein und woher die Vieldeutigkeit einzelner Götter nach Namen und Gestalt kommen könne. Mit einem Wort mangelte es jener älteren Auffassung an geschichtlichem Sinn, um das Werden dieses allerdings früh auftretenden „Synkretismus" als ein historisches Moment zu verstehen und daraus die Folgerung zu ziehen, dass dieser geschichtlichen Erscheinungsform der Religion ältere Schichten vorausgehen müssen, die
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sozuzagen die Elemente enthalten, aus denen sich der historische „Synkretismus" zusammensetzt. GASTONMASPERO u.a. wiesen auf einen neuen Weg 1 : Ausgangspunkt zum Verständnis dürfe nicht ein Göttersystem sein, sondern die einzelne „Ortsgottheit". Die Auffassung, Ägypten als ein geschichtliches Gebilde habe sich aus einer Vielfalt territorialer Einheiten (,,Gaue") entwickelt, die ihrerseits über kleinere Teilreiche zu zwei Reichen (Ober- und Unterägypten) geworden seien, ist am konsequentesten von KURT SETHEvertreten worden 2 • Nach der religionsgeschichtlichen Seite ergab sich mit ihr eine mosaikartige Zersplitterung der Götterwelt in ursprünglich selbständige Ortsgötter. Allerdings kann diese Auffassung schwer die untereinander nicht gleichwertige Vielgestalt der Ortsgötter erklären (Tiere, Pflanzen, Fetische, menschengestaltige Götter, Übergangsformen der Typen) und vor allem war sie gezwungen, die hinter dem „Synkretismus" stehenden Beweggründe und Kräfte weitgehend politischen Gesichtspunkten unterzuordnen: ,,Religionsgeschichte" lief Gefahr, im Grunde „Religionspolitik" zu werden. Auf den eindringenden Einzeluntersuchungen von KURT SETHEund HERMANNKEES fussend, die das ungeheure Quellenmaterial geordnet und analysiert haben, hat in neuerer Zeit vor allem HENRYFRANKFORT zur Deutung des historischen Gottesbegriffes Wesentliches beigetragen. Seine Formulierung, dass eine ägyptische Gottheit eine „multiplicity of approaches" habe, kennzeichnet das schwer fassbare, fluktuierende Wesen der ägyptischen „Götter" trefflich und definiert damit eine der charakteristischen Seiten der ägyptischen Religion überhaupt. Es scheint, dass aus der schriftlosen Urzeit als religionsgeschichtliches Erbe in die geschichtliche Zeit eine Überlagerung soziologischer und damit auch religiös verschiedener Schichten übernommen worden ist, die sich auf zwei Pole (vereinfachend) zurückführen lassen: Eine nomadisch bestimmte, überlagernde und eine fellachisch bestimmte, unterlegene Schicht 3 • Ersterer sind die Reste totemistischer Gestaltung, die patriarchalischmonarchische Tendenz in der Systembildung zuzurechnen, letzterer die Gestalten der Muttergöttinnen, die Fruchtbarkeitskulte und-mythen u.a.m. Die geschichtliche Religion stellt ein Kompromiss der überkommenen Anschauungen dar, indem nicht eine Schicht die andere verdrängte, sondern weitgehend ein spekulativer Ausgleich des scheinbar Unvereinbaren geschaffen wurde. Spuren eines ursprünglich unversöhnlichen Gegensatzes Vgl. die Bemerkungen bei HERMANN KEES, Götterglaube, S. 1 ff. SETHE, Urgeschichte und älteste Religion der Agypter, Leipzig 1930. 3 EBERHARD ÜTTO, Ein Beitrag zur Deutung der ägyptischen Vor- und Frühgeschichte, in Welt des Orients, Göttingen 1952, S. 431 ff. 1
2 KURT
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finden sich in der Verfemung gewisser Tiere, z.B. des nomadischen Wüstengottes Seth (Wildesel?) einerseits, des bäuerlichen Schweines, der Fische usw. andererseits. Auch grundsätzliche Verschiedenheiten in den Weltschöpfungsmythen (s.u.S. 35) dürften auf die ursprüngliche Zweischichtigkeit zurückzuführen sein. Als Überbleibsel einer jägernomadischen Schicht haben wir noch in der historischen Religion Riten, denen eine später nicht mehr verstandene Begehung aus der Welt der Jäger zugrunde liegt 1 . Auch in den historisch nachweisbaren religiösen Tendenzen lassen sich einander widersprechende Kräfte aufzeigen, die zeitweise einen Ausgleich finden, bisweilen aber auch offen gegeneinander stehen. Hier ist vor allem zu nennen die Spannung zwischen einer ausgeprägten monotheistischen Intention und der tatsächlichen Vielgliedrigkeit der Götterwelt, die in der historischen Religion vielfältig wirkend in Erscheinung tritt. Eine andere Widersprüchlichkeit betrifft die Anschauung vom Wesen der Welt; sie manifestiert sich auf der einen Seite im Sonnenglauben, auf der anderen in der Osirisreligion (s.u.S. 42). Auch diese Spannung zieht sich als wirkendes Moment durch die gesamte Dauer der ägyptischen Religion und hat fallweise recht verschiedenartige Lösungen gefunden. Freilich ist es keineswegs so, dass sich alle diese Erscheinungen des religiösen Lebens auf die einfache Formel „nomadische und bäuerliche Elemente" zurückführen und alle auftretenden Spannungen sich ihr koordinieren Hessen. Wir können nur diesen aus der Vorgeschichte wirksamen Faktor noch eben nachweisen und müssen ihn neben anderen Faktoren in Rechnung stellen. Die Konsolidierung des Reiches in der Thinitenzeit (r. und 2. Dyn.) und seine verwaltungsmässige Gliederung in Gaue, ein Vorgang, der offenbar bis ins Alte Reich hineinreicht, schaffte erst die Voraussetzung und Möglichkeit zur Entstehung von eigentlichen „Ortsgöttern". Sie werden jetzt erst und nicht ohne einen gewissen Schematismus geschaffen, sei es indem ortsgebundene Numina zu „Göttern" eines solchen Verwaltungsbezirkes erhoben werden (Krokodilgötter an Stromschnellen oder im Fayum, Löwengötter an Wadi-Eingängen, Baumgottheiten an verschiedenen Orten), sei es dass ein Numen der nomadisch-königlichen Schicht gleichsam kolonisierend über einen Gau gesetzt wird (die Falkengötter, die sich dem Königsgott Horns angeglichen haben, der Fruchtbarkeitsgott Min von Koptos, der Wüstengott Seth von Ombos als „Herren" dieser Orte und als „Herren von Oberägypten"). Diesen lokalisierten Königsmächten verdanken viele Ortsgottheiten ihre Form: Sie sind wappenartig auf eine An ancient Egyptian hunting ritual, in INES IX, 1950, S. 164 ff. ToRGNY On Egyptian representations of Hippopotamus hunting as a religious motive, in Horae Soederblomianae III, Uppsala 1953. 1 EBERHARD
ÜTTO,
SÄvE-SÖDERBERGH.
RELIGIONSGESCHICHTE
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tragbare Standarte gestellt, wie es anfangs nur den Königsmächten zukommt. Die Bezeichung „Ortsgott" kennen wir bereits in alter Zeit (Pyr. 891). Unter ihm wird die an einem Ort „herrschende" und für alle Belange seiner Bewohner zuständige Gottheit verstanden. Im religiösen Leben des Volkes dürfte daher der Ortsgott eine grössere Rolle gespielt haben, als die offizielle Theologie vermuten lässt, deren Ziel naturgemäss in einer zentralistischen Zusammenfassung und in einer über-lokalen Darstellung zeitgenössischen religiösen Denkens lag. Der Ortsgott ist gemeint, wenn in Konsekrationsformeln der Übeltäter der Rache „seines Gottes" überantwortet wird; ein junger Text drückt diese zweifellos alte Anschauung aus: ,,Der Gott, der in der Stadt ist, ist derjenige, von dem der Tod und das Leben seines Volkes abhängig sind" 1 . Übrigens sei hier grundsätzlich bemerkt, dass unsere Kenntnis der ägyptischen Religion sich vorwiegend auf die offizielle Theologie und die religiösen Zeugnisse einer dünnen Oberschicht erstreckt. Vom Volksglauben, seinem sich wandelnden Gottesbegriff, ja seinen Gottesgestalten wissen wir gerade für die entscheidende ältere Zeit sehr wenig. Neben den dieser wahrscheinlichen religionsgeschichtlichen Entwicklung entstammenden Numina und ihrer in ihr begründeten Geltung stehen eine grosse Anzahl von „Göttern", die ihr Wesen dem Machterlebnis des vorgeschichtlichen Menschen verdanken, ohne dass sie sich auf eine soziologisch bestimmte Schicht oder ein lokal gebundenes Numen zurückführen lassen. In ihnen offenbart sich das vorstellige, nicht abstrakte Denken des vorgeschichtlichen Menschen. Hierher gehören Gottheiten wie die „Wüste", das „Feld", der „Nil", der „Ozean", das „Korn", Begriffe wie „Zauber", „Richtigkeit" (Maat), die man sich zunächst wohl gestaltlos zu denken hat und die erst späterhin, nach der „Vermenschlichung" (s.u.S. 20 ff) der Gottheiten ihre Form als menschengestaltige Wesen mit symbolischen Attributen erhalten haben, gegebenenfalls auch (z.B. Nil) in mann-weiblicher Form mit schwammigem Körper und weiblichen Brüsten dargestellt werden. Diese Gottesmächte haben offenbar wegen ihrer Allgegenwart keine Kultstätte gehabt; beispielsweise können wir Priester des Nil erst seit dem NR nachweisen. Zu diesen „Personifikationen" gehören u.a. auch die Götter der beiden Landeshälften, ebenfalls mann-weiblich dargestellt, die Wesen und Gestalt mit den Nilgöttern verbindet, sodass man nun einen „oberägyptischen" und einen „unterägyptischen Nil" unterscheidet. Wieweit astrale Gottheiten (Sonne, Mond, Gestirne) etwa einem der vorgeschichtlichen soziologischen Kreise zugeordnet werden können, bleibe 1
Pap. Insinger 28,4;
AKSEL
VOLTEN,
Das demotische Weisheitsbuch, Kopenhagen
1941.
DIE RELIGION
DER ALTEN ÄGYPTER
s
dahingestellt. Sie gehören jedenfalls offenbar nicht zu den „Ortsgöttern". Luft und Wind, Regen und Unwetter bedeuten zunächst unmittelbare Offenbarungen selbständiger göttlicher Mächte. Die religiöse Phantasie des Menschen, sein Bestreben, die Gottesmächte vorstellbar und fassbar zu machen, um sich zu ihnen in ein bestimmtes Verhältnis zu setzen, auf sie einwirken und ihr Wirken zu seinen Gunsten regeln zu können, greift schöpferisch gestaltend in die Welt der Mächte ein: Nach dem Erlebnis der Menschengestalt als möglicher Gottesgestalt tritt der Anthropomorphismus als der gegebene Träger all dieser gestaltlosen Gottesmächte ein. Damit sind die Voraussetzungen zur Mythe gegeben (s.u.S. 38 ff). Das hier theoretisch entwickelte Nebeneinander von ursprünglich nomadischen und fellachischen Mächten, von lokalen Numina und „Ortsgöttern", von Naturmächten und „Personifikationen" enthält eine Wurz«;l des geschichtlichen „Synkretismus". Aus ihm resultieren die Beziehungen zwischen Gottheiten verschiedener Typen. Beispielsweise werden lokale Vogelgottheiten (besonders Falken) zu Himmelsgottheiten ermächtigt; Tiere, deren Fruchtbarkeit sie als Träger göttlicher Mächtigkeit erscheinen liess (Stiere, Widder), gehen Verbindungen mit Weltschöpfungsmächten verschiedener Gestalt ein. Andererseits wird die an sich unfassbare Mächtigkeit der „Wüste" in die Gestalt eines Tieres, des Wüstentieres Seth, eingebunden. Der Luftraum (Schu) findet einen festen Platz in der heliopolitanischen Kosmogonie und eine Gestalt in einem dortigen Ortskult usw. Das Herkommen der Gottheiten aus verschiedenen Erlebniskreisen und das Zusammenfügen heterogener Elemte hat der historischen ägyptischen Religion seinen Stempel aufgedrückt. Auch wenn wir Nahtstellen nicht in jedem Einzelfall aufzeigen können, so bleibt fast stets den religiösen Gestaltungen etwa Undeutliches, unsicher Umrissenes, zu Übergängen Geneigtes. Fast möchte man den Begriff „Götter" überhaupt nur bedingt anwenden und von „Götterpersönlichkeiten" mit eindeutigem Charakter und eigentümlichen Schicksalen kann kaum je (am ehesten noch im Osiriskreis) die Rede sein. Die Mächtigkeit, die sich in einem Gottwesen mit bestimmtem Namen und bestimmter Gestalt offenbart, behält ihre Fähigkeit, sich mit einer innerlich verwandten Macht anderer Form zu vermischen. Und andererseits kann die Verwandtschaft der Gestalt innerlich verschiedener Mächte diese einander näher bringen und Übertragung von Wesenszügen von einer zur anderen veranlassen. So kann die der Schöpferkraft verwandte Zeugungskraft, die beispielsweise im Widder erlebt wird, diesen auch zum Träger der Schöpfungskraft und zum Schöpfergott werden lassen. Die Kuhgestalt der Hathor von Dendera, ursprünglich
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wohl einer Wildkuh, deren Kult noch Reste orgiastischer Züge aufweist zieht auf die Göttin auch die Mächtigkeit gestaltverwandter Gottheiten herab, der mütterlichen Kuh, und prägt sie zur Muttergottheit. Im Westgebiet von Theben (Deir el Bahri) wird eine Kuhgöttin, deren ursprünglicher Charakter unbekannt ist, unter dem Einfluss der um ihren Kultort entstehenden Nekropole zur Totengottheit, fügt dem aber den Namen und die Mächtigkeit der gestaltgleichen Hathor von Dendera hinzu. Kontaminationen dieser Art, die im Einzelfall noch sehr viel weiter reichend sein können, bewirken den „synkretistischen" Charakter der ägyptischen Religion, der also in keinem Sinn als ein Produkt der Spätzeit aufgefasst werden darf, sondern als Kennzeichen der Religion schon des AR zu bewerten ist. Aus dieser Beschaffenheit ergibt sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit eine Gliederung für die Darstellung der ägyptischen Religion. Es soll versucht werden, durch einen Überblick über den Reichtum an Gestalten in denen das Göttliche erlebt werden kann, in die Problematik des Gegenstandes einzuführen. Die Darstellung der wichtigsten Göttersysteme und -mythen soll die lebendige Veränderlichkeit und Aktualität des religiösen Denkens veranschaulichen. Und schliesslich soll ein Überblick über die Jenseitsvorstellungen als ein Gebiet, das zwar eine gewisse Eigengesetzlichkeit besitzt, aber zur Kennzeichung des religiösen Lebens unbedingt hinzugehört, das Bild des Gegenstandes abrunden. So, wie nach FRANKFORT's Formulierung ein ägyptischer Gott eine „multiplicity of approaches" besitzt, kann man dem Phänomen „ägyptische Religion" wohl am ehesten ebenfalls durch eine „multiplicity of approaches" sich nähern. II. GESTALTEN DESGöTILICHEN r. Tiergottheiten LITERATUR THEODORHoPFNER, Der Tierkult der alten Ägypter, in Denkschr. Wiener Akademie 1913. AHMEDBADAWI,Der Gott Chuum, Glückstadt 1937. EBERHARDÜTTO,Beiträge zur Geschichteder Stierkulte, in Untersuchungen zur Geschichteund Allertumskunde XIII, Leipzig 1938. Zur Kulttopographie vor allem HERMANNKEES, Götterglaube, S. 4 ff.
Gottheiten in tierischer Gestalt sind zwar zahlreich; sie lassen aber einen gemeinsamen Ursprung in einer totemistischen Welt nirgends erkennen und es wäre falsch, diesen Begriff als entscheidenden Grund auch nur
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dieser Seit€.der ägyptischen Religion in Anspruch zu nehmen 1 . Man wird besser ein Erleben des „Andersartigen" und des Mächtigen in tierischer Lebensform als Ausgangspunkt der Erscheinung ansehen 2 • Die Tatsache, dass Domestikation die göttliche Wertigkeit eines Tieres offenbar im allgemeinen schwächte, ist bemerkenswert. Kulte hundeartiger Tiere (Caniden) z.B. gelten nicht dem Haustier, sondern den wilden Hunde- und Schakalrassen. Die Rinderkulte haben zum Teil die Erinnerung an die Wildrinder gewahrt, zum Teil sind sie als Substrate viehzüchtender Nomadenstämme aufzufassen. Neben der Verehrung von Tieren steht aber auch die Verfemung mancher Tierarten (Esel, teilweise Schweine und Fische). Auch in diesem Fall erlebt der Ägypter im Tier eine religiöse Mächtigkeit; es ist keineswegs wegen seiner Meidung religiös irrelevant. Geschichtlich gesehen ist die Erscheinung bedeutungsvoll, da die Verfemung nicht vollständig ist: Schweine sind nachweisbar gegessen worden (vorgeschichtlich vielleicht nur im unterägyptischen Raum), ebenso Fische, und die Sau gilt als Glückstier. Auch die Haltung bestimmten Fischen gegenüber ist nicht einheitlich. In diesen Erscheinungen wirkt zweifellos die oben angedeutete Überlagerung zweier soziologischer Schichten nach, die nicht zur Vernichtung einer Schicht und ihrer Anschauungen geführt (dann wäre die kultische Verfemung konsequent und ausnahmslos), sondern auf fast allen Lebensgebieten zahlreiche Kompromisslösungen hervorgebracht hat. Die Mächtigkeit des Löwen 3 zeigen ebenso die frühgeschichtlichen Darstellungen (König in Gestalt eines Löwen) wie die historischen Löwen(bzw. Löwinnen-) kulte. Ihre Kultnamen sprechen sie klar aus: Pachet (in Speos Artemidos) ,,die Beisserin", ,,die mit scharfen Augen und spitzen Krallen, die Löwin, die bei Nacht Nahrung erblickt und errafft" 4 ; Sachmet (in Memphis) ,,die Mächtige"; in Leontopolis bei Heliopolis haben wir ein Löwenpärchen, das als Erscheinungsformen der heliopolitanischen Götter Schu und Tefnut gilt (s.u.S. 51). Die Lage der Kultorte erklärt sich häufig ganz natürlich; sie liegen gern dort, wo, besonders an Wadi-Eingängen, Karawanenstrassen das Niltal verlassen, wo also der Mensch am ersten VAN DER LEEUW, Phänomenologie der Religion, Tübingen 1933, S. 57 ff. Vgl. besonders FRANKFORT,Egyptian Religion, S. 12 f. Mit Recht betont er, dass die im Tier empfundene „Andersartigkeit" für den Ägypter unter anderem auch in „their inarticulated wis