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German Pages 592 [603] Year 2015
 Collegium Metaphysicum Herausgeber / Editors
Thomas Buchheim (München) · Friedrich Hermanni (Tübingen) Axel Hutter (München) · Christoph Schwöbel (Tübingen) Beirat / Advisory Board
Johannes Brachtendorf (Tübingen) · Jens Halfwassen (Heidelberg) Johannes Hübner (Halle) · Anton Friedrich Koch (Heidelberg) Douglas Hedley (Cambridge) · Friedrike Schick (Tübingen) Rolf Schönberger (Regensburg) · Eleonore Stump (St. Louis)
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Religion und Religionen im Deutschen Idealismus Schleiermacher – Hegel – Schelling herausgegeben von
Friedrich Hermanni, Burkhard Nonnenmacher und Friedrike Schick
Mohr Siebeck
Friedrich Hermanni, geboren 1958, Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen Burkhard Nonnenmacher, geboren 1976, Akademischer Rat an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen Friedrike Schick, geboren 1960, apl. Professorin am Philosophischen Seminar der Universität Tübingen
e -ISBN PDF 978-3-16-154221-3 ISBN 978-3-16-154167-4 ISSN 2191-6683 (Collegium Metaphysicum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http: / /dnb. dnb.de abrufbar.
© 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Stempel Garamond gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Der vorliegende Band enthält die überarbeiteten und erweiterten Vorträge eines internationalen Kongresses, der vom 7. bis 10. Oktober 2014 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen und im Evangelischen Stift Tübingen stattfand. Der Kongress und der vorliegende Band stehen im Zusammenhang des Forschungsprojekts „Pluralität und Wahrheitsansprüche der Religionen bei Schleiermacher, Hegel und Schelling“, angesiedelt am Lehrstuhl für Systematische Theologie III der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen und gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der darum der erste Dank der Herausgeber gilt. Der Fritz Thyssen Stiftung, dem Universitätsbund Tübingen und der Stiftung Evangelisches Stift gebührt Dank für die großzügige Finanzierung des Kongresses. Allen Autoren, die ihre Beiträge für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt haben, sei an dieser Stelle noch einmal gedankt. Für ihren engagierten Einsatz bei der Organisation des Kongresses und bei der Vorbereitung des Bandes danken die Herausgeber der Sekretärin des Lehrstuhls, Frau Gerda Scheytt, und den studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Herrn Felix M. Granderath, Herrn Jonathan Henken, Herrn Jonas Hodel, Frau Julia Meister, Herrn Robert Stenzel, Herrn Per Tüchsen und Herrn Daniel Zimmermann. Tübingen, im Juni 2015
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Die Herausgeber Das Profil idealistischer Religionsphilosophie – eine Einleitung . . . . . . 1
I. Schleiermacher Richard Crouter Living Unity amid Multiplicity: Schleiermacher on Religious Pluralism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Christian König Schleiermachers inklusivistische Religionstheologie der Reden . . . . . . . 37 Wilhelm Gräb Religion „ist nicht anders möglich als in einer unendlichen Menge verschiedener Formen“. Schleiermacher und die Vielfalt der Formen des Religiösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Eilert Herms Religion und Wahrheit bei Schleiermacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
II. Hegel Ulrich Schlösser Hegels Begriff des Geisteszwischen Theorie der Interpersonalität und Philosophie der Religion. Bemerkungen zu Hegels Genese der Religion in seiner Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Burkhard Nonnenmacher Hegels Begriff des Absoluten und die Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
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Inhaltsverzeichnis
Friedrich Hermanni Arbeit am Göttlichen. Hegel über die Evolution des religiösen Bewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . 155 Martin Wendte Der kritische Inklusivismus und die opake Identität von Denken und Sein. Überlegungen zum Umgang mit dem Religionspluralismus in Auseinandersetzung mit Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Thomas A. Lewis Hegel’s Determinate Religion Today: Foreign yet Not So Far Away . . . 211 Roberto Vinco Philosophie ist Gottesdienst. Zum liturgischen Charakter des hegelschen Philosophierens . . . . . . . . . 233 Stephen Houlgate Glaube, Liebe, Verzeihung: Hegel und die Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
III. Schelling Paul Ziche „Gefühl der unbeschreiblichen Realität jener höheren Vorstellungen“ – Realismus und Religionsphilosophie um 1800 . . . . . . 275 Jan Rohls Religion und Religionen beim frühen Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Wilhelm G. Jacobs Der theogonische Prozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Stefan Gerlach „Ursprünglich mit dem Gott gleichsam verwachsen“. Zu Status, Herkunft und Inhalt des religiösen Bewusstseins bei Schelling . . . . . . . 351 Jens Halfwassen Metaphysik im Mythos. Zu Schellings Philosophie der Mythologie . . . 383
Inhaltsverzeichnis
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Amit Kravitz Eine Religion in der Schwebe – Schellings Deutung des Judentums . . . . 397 Thomas Buchheim Was heißt ‚philosophische Religion‘? Acht Thesen zur Zielsetzung von Schellings unvollendetem System . . . 425
IV. Wirkungsgeschichtliche und systematische Verbindungen Christoph Schwöbel Die Idee der Religion und die Wirklichkeit der Religionen. Friedrich Brunstäds Rezeption des deutschen Idealismus und die Religionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Friedrike Schick Philosophie der Religionen statt Vernunfttheologie? . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Henning Tegtmeyer Wahrheit in den Religionen. Systematische Überlegungen im Anschluss an Schleiermacher, Hegel und Schelling . . . . . . . . . . . . . . . 501
V. Bibliographien Zur Religionsphilosophie Schleiermachers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 Zur Religionsphilosophie des späten Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 Zur Religionsphilosophie des späten Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 Übergreifende und vergleichende Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
Zu den Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587
Das Profil idealistischer Religionsphilosophie – eine Einleitung Die Herausgeber Die religionsphilosophischen Werke Schleiermachers, Hegels und Schellings sind im Zeitraum eines halben Jahrhunderts entstanden und gehören verschiedensten literarischen Gattungen an – von der apologetischen Rede über die Prolegomena einer Glaubenslehre bis zu philosophischer Abhandlung und Vorlesung. Zwischen den Religionstheorien, die in ihnen entwickelt werden, bestehen zudem gravierende inhaltliche und methodische Unterschiede, von denen schon die wechselseitige Kritik der drei Klassiker Zeugnis ablegt. Diese Theorien zum gemeinsamen Thema eines Bandes zu machen, mag deshalb auf den ersten Blick überraschen. Sind sich Schleiermacher und Hegel nicht bereits im Ansatz der Religionsphilosophie uneinig, wenn der eine die Religion primär als Sache von Anschauung und Gefühl versteht, der andere primär als Sache des Denkens? Und hat der späte Schelling Hegels System nicht als Karikatur einer negativen Philosophie verworfen, die sich zur positiven aufspreizt und deshalb verkennt, dass das menschliche Bewusstsein in einem realen Verhältnis zu Gott steht? Ist es aus diesen Gründen nicht aussichtslos, die Religionsphilosophien der drei Klassiker als Beiträge zu einem gemeinsamen Unternehmen zu betrachten? Gewiss, jeder Versuch, die bestehenden Unterschiede abzuschwächen oder einzuebnen, muss Schiffbruch erleiden und liegt deshalb nicht im Interesse des vorliegenden Bandes. Freilich setzen aber auch gravierende Differenzen substantielle Gemeinsamkeiten voraus; denn konkurrieren können Theorien offenbar nur dann, wenn sie an der Klärung derselben Sache oder der Lösung vergleichbarer Probleme interessiert sind. Welche unterschiedlichen Wege Schleiermacher, Hegel und Schelling auf dem Boden ihrer Gemeinsamkeit einschlagen, ist das Thema der Beiträge des vorliegenden Bandes und soll einleitend nicht vorweggenommen werden. Vielmehr dient die Einleitung dem Zweck, die gemeinsamen inhaltlichen und methodischen Grundeinsichten zu skizzieren, die den Kontroversen der drei Klassiker vorausliegen. Eben diese Einsichten aber eröffnen die Aussicht, für die Religionsphiloso-
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phie selbst etwas zu gewinnen, wenn die Konzeptionen von Schleiermacher, Hegel und Schelling zusammen behandelt werden. Vier gemeinsame Grundzüge, die für ihre Religionsphilosophie charakteristisch sind, verdienen in dieser einleitenden Skizze genannt zu werden. Die beiden ersten Züge betreffen die Auffassung von Religionsphilosophie überhaupt. Erstens verstehen die drei Klassiker unter Religionsphilosophie eine Disziplin, die sich mit Religion und nichts anderem befasst. Inwiefern diese Gegenstandsbestimmung alles andere als trivial ist, sondern die nachkantische Religionsphilosophie vielmehr vom vorkantischen Programm einer philosophischen oder natürlichen Theologie abgrenzt, wird gleich zu erläutern sein. Zweitens ist der Entschluss, Religion zum Gegenstand gerade der Philosophie zu machen, bei allen drei Klassikern untrennbar mit der Annahme verknüpft, dass Religion konstitutiv zum menschlichen Bewusstsein gehört. Auch in dieser Hinsicht hat der Name „Philosophie der Religion“ Konnotationen, die keineswegs selbstverständlich sind. An die beiden ersten Grundzüge schließen sich zwei weitere an, welche die Architektur und den (relativen) Abschluss der Religionsphilosophie betreffen. Der dritte Grundzug berührt die Pluralität der Religionen und besteht in der Annahme, dass die Differenzierung der Religion in verschiedene Religionstypen und einzelne Religionen wesentlich damit zusammenhängt, was Religion im Allgemeinen ist. Die Vielfalt der Religionen ist deshalb bei Schleiermacher, Hegel und Schelling kein akzidenteller, sondern ein genuiner Gegenstand der Religionsphilosophie. Der vierte Grundzug schließlich liegt darin, dass die drei Klassiker die Wahrheitsansprüche der Religionen an dem messen, was Religion an sich ist, und anhand dieses Maßstabs eine Vollendungsgestalt von Religion namhaft machen. 1. Dass sich die Philosophie der Religion mit religiösen Anschauungen, Gefühlen, Vorstellungen und Praktiken befasst, also wesentlich damit zu tun hat, wie sich das Göttliche im und für das menschliche Bewusstsein darstellt, ist einerseits selbstverständlich. Wo immer das Bewusstsein von einem Gegenstand seinerseits zum Gegenstand der Untersuchung wird, unterscheidet sich die Untersuchung des Bewusstseins von der Untersuchung des Gegenstands jenes Bewusstseins. Diese allgemeine Regel gilt auch für die Religionsphilosophie: Wie sich das religiöse Bewusstsein von seinem göttlichen Gegenstand unterscheidet, so unterscheidet sich die Philosophie der Religion von der Philosophie des göttlichen Wesens oder dem theologischen Zweig der Metaphysica specialis. Mit dieser Unterscheidung ist freilich bei Schleiermacher, Hegel und Schelling eine neue Bestimmung des Verhältnisses zwischen Philosophie und Religion verbunden. Das zeigt sich im Vergleich mit dem Programm
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der natürlichen Theologie, das in der Aufklärung vertreten wurde. Diesem Programm zufolge erkundet die Philosophie zunächst auf eigene Rechnung, ausgerüstet mit dem natürlichen Licht der Vernunft, was bewiesenermaßen von jenem Göttlichen gesagt werden kann, das die Religionen schon zu kennen glauben. Im zweiten Schritt des Programms lassen sich Religionen dann an dem Kriterium messen und ordnen, wie nahe sie den zuvor bewiesenen Wahrheiten gekommen oder wie fern sie ihnen geblieben sind. Auf diese Weise ergibt sich für eine Philosophie der Religionen im Gefolge natürlicher Theologie eine Scheidung zwischen dem bloß Positiven einer historischen Religion (einschließlich der Motive, die ihren Wahrheitskern entstellen) und dem womöglich vernünftig Allgemeinen in ihr, das in allen Religionen dasselbe sein muss. Im Unterschied zu einer derart konzipierten Religionsphilosophie versteht sich die Religionsphilosophie Schleiermachers, Hegels und Schellings nicht als ein mit der Religion konkurrierendes Unternehmen, das mit eigenen und überlegenen Mitteln und Verfahren das erreicht, worauf Religionen nur in verworrener und unklarer Weise abzielen. Wenn die drei Klassiker die Religion thematisieren, dann nicht in der Weise des vergleichenden Messens mit einem anderwärts bereits erreichten Resultat. In ihren Theorien legt Religionsphilosophie vielmehr den Anspruch ab, sie müsse selbst zunächst die bessere Religion sein, um über wirkliche Religionen begründete philosophische Aussagen treffen zu können. Dies bedeutet nicht, eine genuin philosophische Theorie des göttlichen Wesens zu verabschieden, und ebenso wenig, die wesentliche Identität von Philosophie und Religion zu bestreiten. Dass Schellings Spätphilosophie zwei Teile umfasst, deren erster die negative Philosophie ist, sollte vor derartigen Fehlschlüssen genauso warnen wie Hegels Auffassung, Philosophie und Religion seien demselben Ziel gewidmet, wenngleich auf formal unterschiedliche Weise.1 Es bedeutet aber sehr wohl, dass der Versuch, Religion philosophisch zu begreifen, etwas anderes ist als der Versuch, Religion zu ersetzen. Freilich muss ergänzt werden, dass der Unterschied zwischen Religionsphilosophie und philosophischer Theologie für Schleiermacher, Hegel und Schelling kein gleichgültiger Unterschied, keine bloße Verschiedenheit ist. Sie diagnostizieren nämlich einen Zusammenhang zwischen den strukturel1 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), § 1, in: ders., Werke in zwanzig Bänden, Redaktion Eva Moldenhauer / Karl Markus Michel, Bd. 8, Frankfurt a. M. 1970, 41; ders., Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 3–5: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1–3, hrsg. von Walter Jaeschke, Hamburg 1983–1985 (= VPR 3–5), hier: VPR 3, 63.
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len Mängeln einer philosophischen Theologie vorkantischen Typs und ihrer Selbstisolation vom religiösen Bewusstsein. Zwar bestimmen sie diesen Zusammenhang auf unterschiedliche Weise2, aber sie sind sich einig, dass eine philosophische Theologie sich selbst nicht genügt, wenn sie vom religiösen Bewusstsein absieht. Denn zwischen dem Gegenstand philosophischer Theologie und seiner Präsenz im religiösen Bewusstsein besteht für alle drei Autoren eine wesentliche immanente Beziehung. 2. Diese Beziehung besteht für die drei Klassiker auch in umgekehrter Richtung. Sie legen nämlich allesamt Argumente für die Annahme vor, dass es dem Bewusstsein wesentlich ist, auf das Göttliche bezogen zu sein. Die vorgelegten Argumente, ihr systematischer Ort und daher auch die nähere Bestimmung dieser Beziehung fallen allerdings erneut unterschiedlich aus. Wiederum bildet die Gemeinsamkeit zwischen den Autoren sowohl die verbindende Klammer als auch den Ausgangspunkt für Divergenzen. Dass Religion aber nicht nur de facto allgemein verbreitet ist, sondern auch konstitutiv zum menschlichen Bewusstsein gehört, ist eine von allen drei Klassikern geteilte Ansicht. Sie findet sich beispielsweise in Schellings Eingangsbetrachtung seiner Historisch-kritischen Einleitung in die Philosophie der 2
Ein kurzer Vergleich zwischen dem jungen Schleiermacher und dem reifen Hegel mag die unterschiedliche Weise illustrieren, in der dieser Zusammenhang bestimmt wird. In der Erstausgabe seiner Reden über die Religion identifiziert Schleiermacher den Mangel an religiöser Anschauung und religiösem Gefühl als unmittelbaren Grund für die abstrakte Formalität und Willkür, die er in der Metaphysica specialis am Werk sieht. Hegel dagegen vertritt in seinen Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Religion die These, dass die strukturellen Mängel metaphysischer Theologie mit einer Bestimmung des göttlichen Wesens zusammenhängen, die keine Erklärung erlaubt, warum und auf welche Weise sich dieses Wesen dem menschlichen Geist zeigt. Diese These bildet das epistemologische Korrelat zu der ontologischen These, das Absolute sei als Geist zu begreifen – eine These, die Hegel mit Schelling teilt. Die entsprechenden Passagen bei Schleiermacher und Hegel lauten: „Warum hat Euch die Spekulazion so lange statt eines Systems Blendwerke, und statt der Gedanken Worte gegeben? Warum war sie nichts als ein leeres Spiel mit Formeln, die immer anders wiederkamen, und denen nie etwas entsprechen wollte? Weil es an Religion gebrach, weil das Gefühl des Unendlichen sie nicht beseelte, und die Sehnsucht nach ihm, und die Ehrfurcht vor ihm ihre feinen luftigen Gedanken nicht nöthigte, eine festere Konsistenz anzunehmen, um sich gegen diesen gewaltigen Druk zu erhalten.“ (Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [1799], hrsg. von Günter Meckenstock, Berlin / New York 2001 [= Reden], 81). „Wir haben es hier [in der Religionsphilosophie, d.V.] also nicht mit Gott als solchem, als Gegenstand zu tun, sondern zugleich mit Gott, wie er in seiner Gemeinde ist; es wird sich zeigen, daß er nur wahrhaft begriffen werden kann, wie er als Geist ist und so sich selbst das Gegenbild einer Gemeinde und die Tätigkeit einer Gemeinde in Beziehung auf ihn macht, und daß die Lehre von Gott nur als Lehre von der Religion zu fassen und vorzutragen ist.“ (G. W. F. Hegel, VPR 3, 33).
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Mythologie. Dort macht er darauf aufmerksam, wie wenig selbstverständlich es ist, die Mythologie, d. h. die polytheistische Phase der Religionsgeschichte, zum Gegenstand gerade der Philosophie zu machen. Das zu tun, setzt nämlich für Schelling nicht anders als für Hegel und Schleiermacher bereits die begründungsbedürftige Annahme voraus, dass dieser Gegenstand mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft nicht erschöpfend erklärt werden kann. Ein legitimer Gegenstand der Philosophie ist Religion nur dann, so der Gedanke, wenn sie sich als notwendige Form des Bewusstseins erweist.3 Damit zeigt sich erneut, dass die Unterscheidung der Philosophie der Religion von einer Philosophie des göttlichen Wesens bei Schelling so wenig wie bei Schleiermacher und Hegel mit einem Rückzug von der Frage nach der Wahrheit in der Religion zu verwechseln ist. Auf solche Weise konnte freilich die Wendung von der Befassung mit dem Göttlichen zur Befassung mit der Religion auch verstanden werden – nach der Devise: Die Wege zur vernünftigen Erkenntnis des Göttlichen mögen durch Kants Kritik der Theologia naturalis ein für alle Mal verbaut sein, aber es bleibt das Faktum der Religion, die Tatsache, dass das Göttliche im Glauben und in der Meinung, in intentionaler Klammer also, vorkommt. Ideengeschichtlich ist diese Konsequenz aus der Kritik natürlicher Theologie der Türöffner für funktionalistische Religionstheorien gewesen, die das Wesen der Religion durch die Rolle definieren, die sie für andere individuelle oder gesellschaftliche Belange spielt. Nun haben Schleiermacher, Hegel und Schelling keineswegs bestritten oder übersehen, dass Religion mit anderen Bereichen menschlichen Lebens verknüpft ist. Aber sie bestehen darauf, dass funktionalistische Betrachtungen der Religion nicht das letzte Wort der Religionsphilosophie sein können. Dafür machen sie Variationen des folgenden Arguments geltend: Zweifellos hat der intentionale Gegenstand des religiösen Bewusstseins die Stellung eines Endzwecks. Nach Auffassung rein funktionalistischer Theorien hingegen findet das religiöse Bewusstsein seine Wahrheit und Erklärung darin, Mittel für anderweitige Zwecke zu sein. Daher entsteht ein Konflikt zwischen den Wahrheitsansprüchen, die in der Innenperspektive des religiösen Bewusstseins und in der Außenperspektive rein funktionalistischer Theorien erhoben werden.4 Um diesen Konflikt Vgl. Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Historisch-kritische Einleitung in die Philosophie der Mythologie (= HKE), in: ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart 1856–1861 (= SW), Bd. XI, 4 f. 4 Zum Versuch, Religion über ihren Nutzen für die Belange der Sittlichkeit zu bestimmen, schreibt Schleiermacher am Schluss seiner ersten Rede: „Ein schöner Ruhm für die Himmlische, wenn sie nun die irdischen Angelegenheiten der Menschen so leidlich versehen könnte! Viel Ehre für die Freie und Sorglose, wenn sie nun etwas wachsamer 3
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zugunsten der einen oder anderen Seite zu lösen, kann sich die Religionsphilosophie nicht auf eine funktionale Betrachtung der Religion beschränken, sondern muss sie vielmehr überschreiten. 3. Schleiermacher, Hegel und Schelling verstehen die Pluralität der Religionen als intrinsischen Zug dessen, was Religion ihrem Wesen nach ist. Die Differenzierung der Religion in verschiedene Religionstypen und einzelne Religionen ist in ihren Augen deshalb keine bloße Funktion der wechselnden äußeren Umstände, unter denen Religion auftritt. Auch diese gemeinsame Annahme wird von den drei Klassikern in unterschiedlicher Weise entwickelt. Nehmen wir die einschlägigen Überlegungen Hegels und Schellings als Beispiel. Nach Hegel ist Religion nichts anderes als das Bewusstsein, das der göttliche Geist durch Vermittlung des endlichen Geistes von sich selbst hat. Nun widerspricht es aber der „Natur“ des Geistes, von Natur aus, unmittelbar, gleichsam auf einen Schlag ein vollkommenes Bewusstsein von sich zu haben. Im Unterschied zu natürlichen Dingen ist der Geist nicht von Haus aus am Ziel; denn die Natur des Geistes ist Freiheit, er ist nur das, „wozu er sich macht.“5 Um sich vollkommen zu erkennen, muss der Geist daher einen Prozess zunehmender Selbsterkenntnis durchlaufen, dessen Stufen die unterschiedlichen Religionen sind. Aus dem Begriff der Religion folgt demnach, dass sich Religion nicht im Singular einer einzigen, sondern nur im Plural unterschiedlicher Religionen verwirklichen kann. In vergleichbarer Weise erklärt auch der späte Schelling die Pluralität der Religionen. Er unterscheidet allerdings zwischen zwei Erklärungsfaktoren6, die in Hegels Religionsbegriff miteinander verwoben sind: zwischen dem Wesen des menschlichen Bewusstseins und dem Akt, in dem das Bewusstsein auf sich selbst reflektiert. Seinem Wesen nach ist das menschliche Bewusstsein nach Schelling nichts anderes als unmittelbares, blindes, vorreflexives und treibender wäre als das Gewißen! Für so etwas steigt sie Euch noch nicht vom Himmel herab. Was nur um eines außer ihm liegenden Vortheils willen geliebt und geschäzt wird, das mag wohl Noth thun, aber es ist nicht in sich nothwendig, es kann immer ein frommer Wunsch bleiben, der nie zur Existenz kommt, und ein vernünftiger Mensch legt keinen außerordentlichen Werth darauf, sondern nur den Preis, der jener Sache angemeßen ist.“ (Reden, 72). Entsprechend bemerkt Hegel in der Einleitung seines religionsphilosophischen Kollegs von 1827: „Der Gegenstand der Religion ist schlechthin durch sich selbst und für sich selbst, der absolute Endzweck an und für sich, das absolut Freie. Die Beschäftigung mit dem Endzweck kann also keinen anderen Endzweck haben als diesen Gegenstand selbst. Alle anderen Zwecke erfahren ihre Erledigung nur in ihm.“ (VPR 3, 61). 5 G. W. F. Hegel, VPR 3, 90. 6 Vgl. F. W. J. Schelling, HKE, SW XI, 185–191.
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Bewusstsein von Gott in der Einheit seiner Momente oder Potenzen. Indem das Bewusstsein aber auf sich selbst reflektiert, widerspricht es seinem eigenen Wesen und tritt aus seinem Versenkt-Sein in die göttliche Einheit heraus. Deshalb wird es nunmehr von den getrennten göttlichen Potenzen erfüllt, die sich in ihrer Herrschaft über das Bewusstsein gegenseitig ablösen, in verschiedene Konstellationen zueinander treten und dadurch die Vielfalt der religiösen Vorstellungen erzeugen. Die Trennung der Potenzen und die sukzessive Überwindung der Trennung, in der sich das Wesen des Bewusstseins zunehmend Geltung verschafft, sind indes erforderlich, damit das unmittelbare Gottesverhältnis des Bewusstseins in ein freies und gewusstes verwandelt wird. 4. Alle drei Klassiker argumentieren für eine Vollendungsgestalt der Religion und finden sie im Christentum oder in einer christlichen Konfession. In den reifen religionsphilosophischen Werken Hegels und Schellings macht sich dieser Zug schon in der Gliederung bemerkbar. Die Vorlesungen über die Philosophie der Religion, die Hegel in seiner Berliner Zeit mehrfach gehalten hat, sind stets in drei Teile gegliedert, in den Begriff der Religion, die bestimmte Religion und die vollendete Religion, die mit der christlichen identisch ist. Der späte Schelling gliedert seine Religionsphilosophie hingegen in zwei Teile, in die Philosophie der Mythologie, die sich mit den außerchristlichen Religionen oder – in Hegels Terminologie – mit der bestimmten Religion befasst, und die Philosophie der Offenbarung, deren Gegenstand wiederum mit dem Christentum zusammenfällt. Der Sache nach liegt der Fall bei Schleiermacher nicht anders, und zwar nicht erst in der späten Glaubenslehre7, sondern schon in den frühen Reden über die Religion. Den Reden zufolge unterscheiden sich die positiven Religionen durch die jeweilige Anschauung des Unendlichen im Endlichen, die sie zur Zentral‑ oder Grundanschauung erheben und auf die sie alle weiteren Anschauungen beziehen. Nun kann aber jede Anschauung des Unendlichen im Endlichen mit demselben Recht zur religiösen Grundanschauung erhoben werden.8 Folglich sind alle Religionen gleichermaßen gültig. Dennoch erhält das Christentum am Schluss der Reden eine Sonder Vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2 Bde., hrsg. von Martin Redeker, Berlin 7. Auflage 1960, hier: Bd. 1, §§ 8–9 (S. 51–64), insbesondere § 8, 4 (S. 55 f.). 8 Schleiermacher schreibt: „Daß ichs kurz sage: ein Individuum der Religion, wie wir es suchen, kann nicht anders zu Stande gebracht werden, als dadurch, daß irgend eine einzelne Anschauung des Universums aus freier Willkühr – denn anders kann es nicht geschehen, weil eine jede gleiche Ansprüche darauf hätte – zum Centralpunkt der ganzen Religion gemacht, und Alles darin auf sie bezogen wird.“ (Reden, 171). 7
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stellung. Der Grund ist folgender: Das, was Religion ihrem Wesen nach ist und was deshalb in jeder positiven Religion erscheint, wird in der christlichen Religion zum Inhalt der religiösen Grundanschauung. Das Endliche, in dem das Unendliche primär angeschaut wird, ist demnach im Christentum nicht irgendein beliebiges, sondern die Religion selbst. Diese Deutung des Christentums als „Religion der Religionen“9, als Religion also, in der das Wesen der Religionen bewusst ist, hat Hegel später in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion aufgenommen, modifiziert und ebenfalls für die Auszeichnung des Christentums ins Feld geführt. Auch für Hegel ist das Christentum deshalb die vollendete Religion, weil im Christentum der Begriff der Religion, der jeder positiven Religion zugrunde liegt, den Gegenstand der religiösen Vorstellung bildet. Schon diese Andeutungen sollten vor dem Fehlschluss warnen, auch nur einen der drei Klassiker als christlichen Religionsphilosophen zu verbuchen, der die Absolutheit des Christentums als unbefragten Rahmen der Theoriebildung voraussetzen würde. Als Philosophen wissen sich Schleiermacher, Hegel und Schelling vielmehr einer Philosophie ohne einschränkende Attribute verpflichtet, nicht der Selbstauslegung eines besonderen Standpunkts. Dieser Anspruch gilt für ihre Arbeit als Religionsphilosophen nicht weniger als für ihre Arbeit als Philosophen der Logik, der Natur und der Ethik. Die hervorgehobene Stellung des Christentums kann für die drei Klassiker deshalb nie und nimmer die Prämisse, sondern allenfalls das Resultat von philosophischen Untersuchungen über das Wesen der Religion und seiner Erscheinung in den Religionen bilden. In der religionstheoretischen Debatte der Gegenwart werden üblicherweise vier mögliche Antworten auf die Frage unterschieden, wie die Wahrheitsansprüche der Religionen und ihr Verhältnis einzuschätzen sind: der Naturalismus, Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus. Bezogen auf diese Einteilung vertreten Schleiermacher, Hegel und Schelling zweifellos eine Form des Inklusivismus, der im Unterschied zum Naturalismus und Exklusivismus in vielen oder allen Religionen Momente der Wahrheit findet, im Unterschied zum Pluralismus aber nur in einer Religion die volle Wahrheit. Ihr Inklusivismus ist dabei nicht Ergebnis des zweifelhaften Verfahrens, das die Wahrheit einer Religion voraussetzt und zum Maßstab für die Bewertung der anderen erhebt. Vielmehr werden alle Religionen an ihrem eigenen Maßstab gemessen, an dem Kriterium nämlich, inwieweit sie dem Wesen der Religion gerecht werden, das in ihnen erscheint.
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F. Schleiermacher, Reden, 193.
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Diese einleitenden Überlegungen eröffnen eine Reihe von Fragen, die geeignet sind, das Themenfeld des vorliegenden Bandes zu strukturieren: 1. Worin besteht für jeden der drei Klassiker die genuine Aufgabe einer Philosophie der Religion? 2. Wie bestimmen sie jeweils das Wesen oder den allgemeinen Begriff von Religion? 3. Welche Gründe machen sie jeweils für die Einteilung der religiösen Sphäre in bestimmte Religionstypen und einzelne Religionen geltend, und wie hängen diese Gründe mit ihrem allgemeinen Religionsbegriff genau zusammen? 4. In welchem Sinn verknüpfen sie die Einteilung der religiösen Sphäre jeweils mit der Annahme einer gerichteten Entwicklung, deren immanentes Ziel Wahrheit heißt? Im Rahmen dieser Fragen ist jedem der drei Klassiker eine eigene Sektion von Beiträgen gewidmet. Das spezifische Profil der Religionsphilosophie Schleiermachers, Hegels und Schellings je für sich zu bestimmen und dabei unterschiedliche, auch kontroverse Interpretationen zu berücksichtigen, ist nämlich auf dem gegenwärtigen Stand der Forschung eine unabdingbare Voraussetzung seriöser Vergleiche. Vergleichende Betrachtungen finden sich teils schon in den drei ersten, autorenspezifischen Sektionen, teils in der vierten Sektion, die zugleich Ausblicke auf wirkungsgeschichtliche und systematische Verbindungen mit der Religionsphilosophie des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart bietet. Der Band schließt mit ausführlichen Bibliographien zur Religionsphilosophie Schleiermachers, des späten Hegel und des späten Schelling.
I. Schleiermacher
Living Unity amid Multiplicity: Schleiermacher on Religious Pluralism Richard Crouter I would like to begin with some remarks about why the task of addressing the teaching of Friedrich Schleiermacher on the topic of this conference, “Der Begriff der Religion und die Vielfalt der Religionen bei Schleiermacher, Hegel und Schelling” is both daunting and yet full of promise. Given the task at hand, a perception of incommensurability comes readily to mind. I especially have in mind the fact that Schleiermacher is so often marginalized within the rise of post-Kantian, classical German philosophy, despite his significant contributions to philosophical inquiry.1 In his masterful survey of Schleiermacher interpretation from 1974, Hans-Joachim Birkner criticized “die vorausgesetzte Deutealternative” of either philosophy or theology that caused so much mischief in early twentieth-century Schleiermacher studies.2 Today we may, or we may not, be more aware of the intellectual hubris that is evident within academic confines, the presumption that disciplinary boundaries are appropriately established and agreed upon by the professoriate. The academy, for all its liberality, has never been free from hardened battle lines. The disciplinary ambiguity and anachronistic habits of mind that continue to hover over Schleiermacher interpretation are not unrelated to his “double life” as Protestant Christian theologian and as philosophical translator, 1 Walter Jaeschke / Andreas Arndt, Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant: Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785–1845, München 2012, 254–305 on Schleiermacher; Terry Pinkard, German Philosophy 1760–1860: The Legacy of Idealism, Cambridge 2002, treats Schleiermacher with Hölderlin, Novalis, and Schlegel in ch. 6; Peter Grove, Deutungen des Subjekts: Schleiermachers Philosophie der Religion, Berlin 2004, focuses on Schleiermacher’s contributions to philosophy of religion. 2 Hans-Joachim Birkner, “Theologie und Philosophie. Einführung in Probleme der Schleiermacher-Interpretation”, in: id., Schleiermacher-Studien, Berlin 1996, 157–192. “Verhältnisbestimmung und Kompetenzabgrenzung von Theologie und Philosophie liegt gänzlich abseits vom Interesse der Reden. Ihr Kennzeichen in dieser Hinsicht ist gerade die Gleichgültigkeit gegenüber hergebrachten Verhältnisbestimmungen, denen sie sich entnommen wissen.”, 174.
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historian of ancient philosophy, and intellectual theorist on behalf of his own projects. Today we are more than ever aware of the breadth of mind and imagination that informs and stands behind his many projects. As if that were not enough, in the case of the Reden Schleiermacher’s rhetorical stance and satirical tone – writing about religion from within religion, while veiling his voice as clergyman and religious practitioner – further befuddle his interpreters. If we turn to the Reden über die Religion – as I have chosen to do in this paper – this expansive cast of mind is much in evidence. On my view the Reden can be seen as a paradigmatic project, important aspects of which fed the work that Schleiermacher took on in subsequent years, including his ethics, hermeneutics, dogmatics, and dialectics.3 Even if we see the book as a first impulse, compared to the published and unpublished projects undertaken later, it has the advantage of being a self-contained, lifelong companion. The 1799 Reden and its subsequent editions directly speak to the issue of developing a concept of religion and its implications for religious pluralism.4 That is why I am placing this book at the center of my inquiry. In what follows I hold that the Reden accomplishes its objectives with high intellectual competence, despite the fact that some, if not most, of its teachings can be subjected to further debate. Classic texts obtain their status both by having an assured meaning and by raising questions that elicit further inquiry. As a piece of quasi-academic writing On Religion combines literary flair with wide-ranging considerations regarding the status and meaning of religion. The features that make this text an outlier in philosophy of religion have also made it attractive to many post-Enlightenment readers. The book teaches us that developing an adequate theory of religion requires us to theorize about much else at the same time. By avoiding academic formality the Reden approximates other books, then and now, in which a troubled and sensitive but rigorous mind attempts to make sense of religion’s perils and its prospects in a particular time and place.5 3 By putting matters this way I do not wish to suggest that the radicality of the Reden melts away through further reflection, so much as the view that its motifs and themes receive intellectual defense and refinement. 4 Though it was significantly revised in 1806 and further updated upon publication of his 1821/22 Glaubenslehre, the changes do not substantively alter the teaching of the original book. As his work evolved Schleiermacher chose to elaborate and revise rather than to recant or renounce his youthful book. 5 Elsewhere I have maintained that Schleiermacher is an independent-minded figure within early Romanticism, who borrowed and freely adapted teachings of his day, including impulses from Kant, the Romantics, and the Spinoza revival. Richard Crouter, “Friedrich Schleiermacher as Heir and Critic of Aufklärungstheologie”, forthcoming
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The Reden as an Outlier within Philosophy of Religion Although the 1799 Reden has stimulated debate for more than two hundred years, its rhetorical way of arguing resists easy restatement and theoretical reformulation.6 The work’s genre is a form of modern Christian apologetics in the Greek sense of a defense, here framed more as a work of rhetorical persuasion than of strict Wissenschaft. Like Origenes and Justin Martyr in antiquity, Schleiermacher makes it his business to convince doubting contemporaries of the truth and cultural cogency of Christianity, in this instance, of the Protestant Christian religion. I have stated elsewhere that I consider Schleiermacher’s early encounters with Kant and with the early Romantic circle in Berlin to constitute the philosophical and literary bookends of his early work.7 It will suffice for the moment to say that I view him as being significantly indebted and yet relatively independent-minded with respect to both. Schleiermacher assumed an impressionable yet slightly quizzical stance among the Romantics. His origins in pietism and interest in theology, including ethics and aesthetics, differed from the literary-artistic ambitions of this circle of friends. Behind the teaching of the Reden we can glimpse Schleiermacher’s continuing struggles with Kant, in which the transcendental philosophy of Fichte stands in the foreground. Schleiermacher accepted the strictures of Kant’s first critique against 18th-century rationalist metaphysics.8 In accepting the dictum that knowledge must come with but not from experience, he is Kant’s heir. Yet he was troubled by Kant’s practical philosophy, especially its strict division between the noumenal and phenomenal realms. Kant’s account of human in: Albrecht Beutel (ed.), Proceedings of the First International Congress on the Study of Enlightenment Theology: Religion and Enlightement (Erster internationaler Kongress zur Erforschung der Aufklärungstheologie: Religion und Aufklärung, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Evangelisch Theologische Fakultät, Münster March 30– April 2 2014). 6 Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. (2.–)4. Auflage, in: ders., Kritische Gesamtausgabe (= KGA) I.12, ed. Günter Meckenstock, Berlin 1995, 130–131; Friedrich Schleiermacher, On Religion: Speeches to its Cultured Despisers, ed. John Oman, New York 4. Aufl. 1958, 103, for the 1821 “explanation 2” of the second address on the rhetorical nature of the book (= OR [Oman]). 7 Richard Crouter, “Friedrich Schleiermacher as Heir and Critic of Aufklärungstheologie”. 8 His acceptance of this critique of metaphysics would eventually cause Schleiermacher to draw from Spinoza via Jacobi as well as his studies of Plato to develop a system of thought that retains a sense of the universe and cosmos, while coming to assert this reality on different grounds and presuppositions.
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nature did not persuade the young theologian, who maintains that we live amid the nexus of both realms, the blurry borderland where the rational will coexists with further complexity that renders its autonomy suspect.9 Rather than debate Kantian anthropology directly in the Reden, Schleiermacher shifts the terms of debate by depicting human nature as consisting of “two opposing forces”, the one “drawing into itself everything that surrounds it”, while the other longs “to extend its own inner self ever further.”10 But an examination of the meaning and implications of this premise must be momentarily deferred. The American philosopher, Hilary Putnam, put his finger on the problem posed by literary philosophical texts when he wrote in Realism with a Human Face (1990) that, “[t]here is a difference between a philosophical text and a literary one; but not a total difference.”11 What is the same, Putnam thinks, is that both forms of expression make claims that deserve our attention. Hegel appears to have been wrestling with a similar question about literary philosophical texts when he expressed an awareness of the Reden’s systematic shortcomings in the 1801 Differenzschrift, but held that the book and its reception point to the need for nature to be reconciled with reason in ways that are more promising than what he saw in the philosophies of Kant or Fichte.12 9 Friedrich Schleiermacher, “Anthropologie von Immanuel Kant”, in: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel (1798–1800), ed. B. Sorg, Dortmund 1989, Teil 2, 684–690, exemplifies his early criticism of Kantian anthropology. Schleiermacher’s early philosophical papers, “On the Highest Good”, “On Freedom”, and “On the Value of Life” (1789–93) show that Schleiermacher was disturbed by Kant’s notion of the human as autonomous and free, as if the rational dictates of the moral law necessarily exclude other considerations, thus positing an unrealistic understanding of human agency amid radically contingent choices. Versions of Schleiermacher’s ethics may shift over the years, but they invariably appeal to the complexity with which we come to moral judgments and practice moral agency, whether in the 1803 “Grundlinien”, the philosophical ethics, or the “Christliche Sittenlehre” as companion to his dogmatics. 10 Friedrich Schleiermacher, On Religion: Speeches to its Cultured Despisers, ed. Richard Crouter, Cambridge 2nd ed. 1996, 5 (= OR [Crouter]); Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in: KGA I.2, ed. Günter Meckenstock, Berlin 1984, 187–326, citing 191. 11 Hilary Putnam, Realism with a Human Face, Cambridge (MA) 1990, 212. Much of Putnam’s work seeks to expose the lack of full certitude and finality that is often concealed by philosophers by refining ever more narrowly the categories and definitions under discussion. 12 G. W. F. Hegel, Sämtliche Werke, Stuttgart 1927, vol. I, 37: “Wenn Erscheinungen, wie die Reden über die Religion, – das speculative Bedürfniß nicht unmittelbar angehen, so deuten sie und ihre Aufnahme […] auf das Bedürfniß nach einer Philosophie hin, von
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At the time, Schleiermacher’s suspicion of systematic theorizing about religion was scarcely concealed. In his stark words from 1799: “Da sie [die Religion; R. C.] sich ihrem Wesen nach von allem Systematischen eben so weit entfernt, als die Philosophie sich von Natur dazu hinneigt.”13 The words were further embellished, but the idea survived in subsequent editions. The sharp distinction between religion and philosophy in this antisystematic assertion can be understood in at least three ways: (a) as polemic against the dead letter of rationalist metaphysics or Schulphilosophie, (b) as embodying a romanticist inclination to be opposed to all forms of systematic reflection, and (c) as underscoring the fact – pertinent to the theme of this conference – that whatever religion is must be more than a philosophical argument.14
Taking the Measure of a Book So far I have stressed the oddity of Schleiermacher’s Reden as a piece of philosophizing. The book is no less vexing if we consider it as theology. The Reden takes much less for granted than did the moralizing Aufklärungstheologie of his predecessors. Its prolix expression, apparent contradictions, and implied audiences easily confound its readers, not to mention its translators. Understanding the book requires us to grasp its literary stratagems. Irony, sarcasm, and rhetorical questions are intended to unlock the minds of its readers, while leading them to ponder the essence of religion, the need for self-formation in religion, the nature of true religious community, and the discovery of authentic religion in positive historical religions. As a name that depicts his audience, “cultured despisers of religion” has a double edge. Among enlightened minds it includes those who have been burned by clerical power and church authority and want nothing more to do with religion and those who cling to a moralizing version of religion. It also includes the artistic circle close to Schleiermacher who seek to supplant the scriptural heritage altogether in the name of a religious aestheticism of poetry and the welcher die Natur für die Mißhandlungen, die sie in den Kantischen und Fichteschen Systeme leidet, versöhnt, und die Vernunft selbst in eine Uebereinstimmung mit der Natur gesetzt wird.” 13 KGA I.2, 201; OR (Crouter), 14: “It [religion] is just as far removed from all that is systematic as philosophy is by its nature inclined toward it.” 14 KGA I.12, 303 et seq.; OR (Oman), 258, “Explanation 9” for the fifth address gives an 1821 justification for systematic theology as needed to develop and map the entire domain of religion.
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arts and can’t imagine that these pursuits have anything in common with historic Christianity. Thus far I have contended that the Reden’s literary packaging is not extraneous to Schleiermacher’s substantive teachings, even if it compounds the difficulty of analyzing what he says. In fact, it is possible to orient oneself within this book by seeing it as embodying a familiar philosophical theme. If I were asked to name the single motif that informs his treatment of religion I would name “the one and the many”, Schleiermacher’s lifelong preoccupation with the age-old philosophical art of discerning multiplicity within unity. The dialectical tension in this process of debating and depiction echoes the classical task that is attributed to Socrates in the Phaedrus.15 It is not incidental that Socrates receives two places of honor in the 1806 revision of the 1799 second address, augmented by two more laudatory mentions in the 1821 explanations to the fourth and the fifth speeches.16 Humanity is one, but it consists of countless interdependent individuals, some more gifted than others, but each grounded in a cultural location; conversely our heightened individuality – for some, the hallmark of Schleiermacher’s teaching – only finds its home in Geselligkeit and shared cultural and religious community.17 Like humanity and also like the system of nature, religion is also presented as one and as many. That particular point reappears closer to the end of this paper. Each part of the Reden can only be grasped in light of a larger literary and substantive context; and the totality is never fully discerned from within just one of its parts. But we need more than a single theme in order to grasp how the parts of the book are arranged and deployed. Inquiry into the degree to which the Reden conveys a set of substantive teachings on religion, and how those teachings relate to one another, can now be pursued more directly. In the remainder of this paper I wish to examine his more formal sets of ideas under the following headings: (1) Human Selfhood, Cosmos, and Community, (2) Naturalism and the Turn to History, (3) Religion as Intuition and Feeling, and (4) The One Ideal Religion and the Less Ideal Religions. As I hope you will see, the four rubrics help us to concentrate on junctures that lend credibility to the overall argument. The first and second subheads establish the critical framework and set of prem15
Friedrich Schleiermacher, “Über den Werth des Sokrates als Philosophen”, Akademievortrag 1815, in: KGA I.11, ed. Martin Rössler, 214. 16 Friedrich Schleiermacher, Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Synoptische Studienausgabe der Textfassungen von 1799, 1806 und 1821, ed. Niklaus Peter / Frank Bestebreurtje/Anna Büsching, Zürich 2012 (= ÜR [Peter]), 41, 47, 189, 258; OR (Oman), 31, 38, 184 and 262. 17 KGA I.2, 267; OR (Crouter), 73.
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ises that shape his overall theory of religion and its multiplicity. Under the third and fourth of these headings what I have to say speaks directly to the themes of this conference. None of these topics was restricted to Schleiermacher’s early years alone.18
(1) Human Selfhood, Cosmos, and Community As a reader of the Reden it has only gradually dawned on me how much the material taken up in the first, third, and fourth of his addresses is preoccupied with our individual and collective human nature. As such, these three speeches are hardly incidental, despite Rudolf Otto’s claim in his Hundertjahr-Gedächtnis edition from 1899 that: “Der eigentliche Körper des Werkes sind Rede II und V.”19 The three speeches in question take up the culturalanthropological matrix in which we find ourselves espousing, denying, or being indifferent to the claims of religion.20 But they also make clear the cosmic setting of this anthropology. No logical deductions are made as a necessary starting point for further reflection. But it is a mistake to miss seeing that Schleiermacher has a foundational first premise that stands behind the entire work. Simply put, this is the idea that humanity, like the universe itself, encompasses “zwei entgegengesezte Kräfte”, spontaneity and receptivity, elements that are centripetal as well as centrifugal, in diverse combinations of never-ending oscillation. Of the two impulses, he writes: “Der Eine ist das Bestreben alles was sie umgiebt an sich zu ziehen, in ihr eignes Leben zu verstricken, und wo möglich in ihr innerstes Wesen ganz einzusaugen. Der andere ist die Sehnsucht ihr eigenes inneres Selbst von innen heraus immer weiter auszudehnen, alles damit zu durchdringen, allen davon mitzutheilen, und selbst nie erschöpft zu werden.”21
I published the first English translation of the 1799 On Religion (initially 1988, re-issued in 1996) I saw its overall trajectory as moving from the most abstract claims about humanity (Speech I) to the most concrete Christian religious affirmations (Speech IV). Yet concrete individual humanity is present at the outset, and in the end an explicit confession of Christian faith unites with the broadest of philosophical and theological vistas. 19 Rudolf Otto, “Zur Einführung”, in: Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, ed. R. Otto, Göttingen 2nd ed. 1906, xvii. 20 The speeches in question, which introduce, follow up and consolidate the central definition of religion of the second address treat the nature and makeup of the individual self and how that self may discover its capacity for religion, even as it seeks to share this religious awareness with others in a like-minded community. 21 KGA I.2, 191; OR (Crouter), 5. 18 When
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Schleiermacher’s idea is not original.22 But he gives it his own twist. If oscillation can be considered a form of grounding – and I suspect this is a problem that remains in Schleiermacher’s subsequent work – the “two opposing forces” ground our experience. The corporeal world is likewise energized and activated by deity (Gottheit) in the form of “eternally prolonged play of opposing forces.” Schleiermacher’s account begins not with traditional metaphysics, a proof of deity, or with a version of the mind-body problem but with what is for him self-evident: the universe and we ourselves consist of an ever-present duality of oscillating forces. Much of what follows in the book can be related to this initial proposition about “two opposing forces”: the place and operations of humanity in the cosmos, how our individual and collective life – and thus our modes of being religious – are most true to their nature when they strive to be free and unfettered. We must be unshackled from definitions of religion that fail to recognize our individual subjectivity, from explanatory paradigms that minimize our spontaneity, and from the power of the state or religious institutions to ride roughshod over our inner sensibilities. Making the case for humanity in multiple forms parallels the case for the complexity and mystery of the universe. We are rational beings, but our talents differ radically and our energies take us to different places, ranging from the empirical investigations of natural science, to poetry and religious virtuosity. Schleiermacher’s teaching on human individuality goes further than Enlightenment respect for individuals by insisting on the non-eliminable character of the human subject and the centrality of self-consciousness in our interactions with the world, with religion, and with deity, while doing all this in a necessarily social world.23 Emphasizing the complex modalities of human selfhood was the young theologian’s response to Kant’s autonomous rational self, to some extent popularized in the moral tomes of his aufklärungstheologischen predecessors. Schleiermacher’s third and fourth speeches on Über die Bildung zur Religion and Über das Gesellige in der Religion further elaborate the second 22
The two-forces idea was common in the era. Goethe (Diastole / Systole), Schiller (Formtrieb / Stofftrieb) and Humboldt (Selbsttätigkeit / Empfänglichkeit), among other contemporaries, held similar ideas. The fact that human experience consists of receptivity and spontaneity also lies at the heart of Kant’s first critique. See Kant, The Critique of Pure Reason, A838 et seq./B866 et seq., cited by James Conant in his Introduction to Hilary Putnam, Realism with a Human Face, xxiv–xxv. 23 Manfred Frank, “Einleitung”, in: Friedrich Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, Frankfurt 1977, 1–67; Manfred Frank, Die Unhintergehbarkeit von Individualität. Reflexionen über Subjekt, Person und Individuum aus Anlaß ihrer “postmodernen” Toterklärung, Frankfurt am Main 1986.
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speech on the nature of religion. Each in its own way also extends the discussion of the human capacity for religion. The third address asks how, after all, humans can become religious in the first place, especially in a world that is increasingly seduced by materialist and empirical explanations. As an immediate consciousness of the universe religion cannot be taught straightforwardly, it requires certain conditions to move from possibility to actuality. Following the Swiss educational reformer Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827), children appear to have an advantage. Their realm of imagination is greater, as yet unconstrained by practical concerns of the world. But playfulness of mind can also turn the heads of adults towards religion – or so the text seems to suggest. Schleiermacher attacks a large circle of his late Enlightenment rationalist contemporaries as “men of understanding” (Menschen des Verstandes). Drawing from his sense of the depth of human inwardness and the immeasurability of the Good, he takes sharp issue with the rising instrumentalism of his day, which was more goal-oriented and calculating than neutral and contemplative. Quarrels about religion’s usefulness that shaped late Enlightenment theology were now entwined in debates regarding the utilitarianism unleashed by Jeremy Bentham in 1798. If the organicism of Pestalozzi’s thought was favored, what Schleiermacher most disliked was the effort undertaken by Johann Bernhard Basedow (1724–1790) and the Philanthropin movement to lift up humanity on the model of an explanatory, proto-behaviorist psychology.24 The third speech offers a sharp critique of utilitarian philosophy’s similar efforts to guide moral agency through quantitative judgments. But the local target of this attack was the prominent physician, Christoph Wilhelm Hufeland (1762– 1836), whose 1796 book, Die Kunst das Leben zu verlängern, went through eight editions.25 As Schleiermacher puts it in his critique, if our highest striving is for “greater vision and stronger limbs”26 we will fail to engage the true value and gift of life. If readers often find the fourth address Über das Gesellige in der Religion, oder über Kirche und Priesterthum to be less novel, that impression arises because its main assertion that we are by nature social-political individuals was already given in the proposition that humanity, like the natural world,
KGA I.2, 257; OR (Crouter), 64. KGA I.2, 256; OR (Crouter), 63. The only living contemporary of Schleiermacher to be named in the first edition of the Reden, Hufeland, became chief of medicine at the Charité hospital in 1802. 26 KGA I.2, 246: “streben höchstens nach weiteren Augen und beßeren Gliedmaßen”; OR (Crouter), 54. 24 25
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diversely exhibits the two-opposing forces.27 “Ist die Religion einmal, so muß sie nothwendig auch gesellig sein: es liegt in der Natur des Menschen nicht nur, sondern auch ganz vorzüglich in der ihrigen.”28 It is impossible that we should not wish to share with others that which we value most highly. Here Schleiermacher has to convince his readers that the thing they most despise, institutional forms of religion with their enforced rituals, trappings, and superstitions, are corruptions of true religious community that arise when like-minded seekers are free to share their lives and aspirations with one another. The fact that “religion never appears in its purity” gives no license for the state to meddle in and control religious affairs.29 Over against the corrupting ties between “throne and altar” the fourth address develops the notion that independent religious communities are the most sublime form of possible human community.
(2) Naturalism and the Turn to History If the “two opposing forces” theme that leads to a rich understanding of human nature and culture propels the book forward, this is also the case for the adroit juxtaposition of nature with history, which occurs in the second speech and is reprised in the fifth. In this paper I can only acknowledge in passing Schleiermacher’s partial embrace of Spinoza30, which brought him difficulty from his church superior F. S. G. Sack31 over the ways that a naturalizing impulse, even if it may stop short of pantheism, relativizes traditional anthropomorphic representations of God32. Schleiermacher shared a deep appreciation of natural processes with his post-Kantian contemporaries, including the rise of Newtonian physics and the even newer field of chemistry. Yet in his appropriations from Spinoza 27 Peter L. Berger, The Heretical Imperative: Contemporary Possibilities of Religious Affirmation, New York 1979, 132, sees the fourth address as “essentially a sort of precocious treatise in the sociology of religion”. 28 KGA I.2, 267; OR (Crouter), 73. 29 The independence of church and state that represents Schleiermacher’s ideal has large implications for his views of manifest or positive historic religions. 30 Brian Gerrish, “The Secret Religion of Germany. Christian Piety and the Pantheism Controversy”, in: Continuing the Reformation: Essays on Modern Religious Thought, Chicago 1993, 109–126; Julia A. Lamm, The Living God. Schleiermacher’s Theological Appropriation of Spinoza, University Park (PA) 1996; OR (Crouter), 24: “Respectfully offer up with me a lock of hair to the manes of the holy rejected Spinoza.”; KGA I.2, 213. 31 Letter from F. S. G. Sack in: KGA V.3, ed. Andreas Arndt / Wolfgang Virmond, 276– 278. 32 KGA I.2, 245; OR (Crouter), 53.
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Schleiermacher resists equating nature pure and simple with deity.33 Instead, in the Reden nature stands before him as ambivalent. Its processes are unending, never final.34 Because of this lack of finality the sentiments of fear and joy that arise in our encounters with nature are not religion.35 As a result, for Schleiermacher nature is the “outermost forecourt” not the “innermost sanctuary of religion.”36 There may well be a mystical element in Schleiermacher, which I believe to be the case, but his is not a nature mysticism that draws religious pleasure from landscapes, mountains, or sunsets. The disruptions of nature fascinate him more than its lawful processes. That is presumably why, to our surprise, infinite chaos is “the most suitable and highest symbol of religion.”37 He further maintains that: “dieselben mittäglichen Stralen, deren Blendung Ihr nicht ertragt, denen gegen Osten schon als die flimmernde Abendröthe erscheint […] so werdet Ihr finden, daß diese Erscheinungen, so stark sie Euch auch rühren, zu Anschauungen der Welt doch nicht geeignet sind.”38
Both one’s garden and the sun that illumines it belong to the still larger system of nature, the processes of which are hidden. This is what it means to celebrate nature, but with epistemological modesty to focus on its ambiguity and our lack of final knowledge about it. For all of Schleiermacher’s fascination with the order of nature, it is only the vestibule or forecourt of religion.39 As we shall observe, relativity of nature of the second address returns to play a decisive, though also a limiting, role in the fifth address. 33 The
nuances and independence of Schleiermacher’s Spinoza appropriation are thoroughly examined in Lamm, The Living God. 34 This parallels the mood expressed in Novalis, “Blüthenstaub”, in: Athenaeum, Teil I, 84: “Wir suchen überall das Unbedingte, und finden nur Dinge.” 35 KGA I.2, 223: “Es mag sein, daß beides Furcht und freudiger Genuß die roheren Söhne der Erde zuerst auf Religion vorbereitete, aber diese Empfindungen selbst sind nicht Religion.”; OR (Crouter), 33. 36 KGA I.2, 223: “äußerste[r] Vorhof” not “innerste[s] Heiligthum der Religion”. 37 KGA I.2, 216: “Dieses unendliche Chaos, wo freilich jeder Punkt eine Welt vorstellt, ist eben als solches in der That das schiklichste und höchste Sinnbild der Religion […].”; OR (Crouter), 27. 38 KGA I.2, 224; OR (Crouter), 34. 39 For related reasons the proposal of Andrew C. Dole in Schleiermacher on Religion and the Natural Order, Oxford 2010, that we should view Schleiermacher as a “religious naturalist” strikes me as misleading. Dole seeks to counter criticism of Schleiermacher as obscurantist in his theory of religion, which is widely taken as “the standard view” in American philosophical and religious studies circles. Yet to explain and use the epithet “religious naturalism” yields relatively little, since “naturalism” is so well established as a materialist explanatory paradigm that excludes theism.
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Without wishing to denigrate nature or its processes, Schleiermacher maintains that history, more than the natural world, is the proper repository of humanity and thus also of religion. “Geschichte im eigentlichsten Sinn ist der höchste Gegenstand der Religion, mit ihr hebt sie an und endigt mit ihr […] und alle wahre Geschichte hat überall zuerst einen religiösen Zweck gehabt und ist von religiösen Ideen ausgegangen.”40
He continues in the next sentence: “In ihrem Gebiet liegen dann auch die höchsten und erhabensten Anschauungen der Religion.” His 1806 addition to this passage (italicized) makes the link between religion and history even more explicit: “[A]lle wahre Geschichte hat überall zuerst einen religiösen Zweck gehabt und ist von religiösen Ideen ausgegangen; wie denn auch das Feinste und Zarteste in ihr nie wissenschaftlich sondern nur im Gefühl von einem religiösen Gemüt kann aufgefasst werden.”41
Although phrases like “nature becoming conscious of itself” do not occur in the book, Schleiermacher is concerned to see that history represents the realm of meaning, as it were, the natural self-conscious human milieu.42 To approach the past merely analytically or wissenschaftlich is not the same as when historical development and milestones are grasped in feeling by a religious mind. In advance of the final address the turn to history provides an avenue for extending historical understanding, in principle, to all the cultures of the world beyond European Christianity. Schleiermacher’s celebration of the ebb and flow of historical contingencies has more in common with Herder than it does with Kant’s philosophical reflections on universal history. For him the unexpected and unearned contingencies, the Wunder of history, provide a means for reinterpreting Christian doctrine. Schleiermacher shares the task of redefining magical religion and supernaturalism with his predecessors among the Aufklärungstheologen, but it is significant that his own appeal to reason is couched more in the wonder of history than in the regularity of nature.
40 KGA I.2, 232 et seq.; OR (Crouter), 42: “History, in the most proper sense, is the highest object of religion.” 41 ÜR (Peter), 90. 42 Though he appears to have the idea in mind, Schleiermacher refrains from speaking about history as nature conscious of itself in the manner of his idealist contemporaries. Wilhelm Pauck, “Schleiermacher’s Conception of History and Church History”, in: Marion Pauck (ed.), From Luther to Tillich: The Reformers and Their Heirs, San Francisco 1984, 66–79.
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(3) Religion as Intuition and Feeling In the history of post-Enlightenment theology and philosophy much ink has been spilt regarding Schleiermacher’s view of religion as arising from an intuition of the universe in a manner that contrasts with the pursuits of metaphysics and morals, or thinking and action.43 As he famously puts it in 1799, religion as an “intuition and feeling” is neither equated with metaphysics or with morals: “Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüssen will sie sich in kindlicher Passivität ergreifen und erfüllen lassen.”44
As a terse formulation, the 1799 words present the bare bones, so to speak, of a theory of religion. In giving us its nature or essence as lodged in a temperament of passivity, Schleiermacher relates what religion is like, where it stands in respect to other high endeavors that we treasure, and how reality can be grasped by devoutly overhearing the immediate influences of the universe with child-like passivity. Interpreters of the 1799 formula that depicts religion as consisting of intuition and feeling typically see Anschauung as the more objective pole, something other that is given to us in feeling, while Gefühl designates the subjective appropriation of this totality.45 I am not prepared to resolve the dispute as to whether it was an impetus coming from Fichte or Schelling, or a combination of influences, including that of his publisher Georg Andreas Reimer, that nudged Schleiermacher to reformulate this theory in 1806.46 That he did so, however, resulted in Anschauung no longer being a quasi-technical term for the relatively more objective moment that is then appropriated in feeling.47 The term “intuition” is not wholly removed, but 43 In
what follows here I seek to chart a course that takes enough of a stand on his teaching to suggest a way of treating his idea of religion in the speeches that can then be further analyzed within his subsequent teaching. What I say about the much-discussed 1806 revisions of this speech bears particularly on the fifth address. 44 KGA I.2, 211; OR (Crouter), 22. 45 “Alles Anschauen gehet aus von einem Einfluß des Angeschauten auf den Anschauenden, von einem ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren, welches dann von dem lezteren seiner Natur gemäß aufgenommen, zusammengefaßt und begriffen wird.”, KGA I.2, 213 et seq.; OR (Crouter), 24 et seq. 46 Letter to Reimer, 18 March 1806, in: Wilhelm Dilthey (ed.), Aus Schleiermachers Leben. In Briefen, vol. IV, Berlin 1863, 125. 47 Though they are much less used, the terms Universum and Anschauung are not fully suppressed in the rewritten 1806 edition of the speeches.
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by itself Anschauung no longer does significant philosophical work. Instead, in 1806 the mode of experiencing religion is more strictly set forth within human consciousness “in der unmittelbaren Einheit der Anschauung und des Gefühls […] mit dem Universum.”48 Continuing the long passage that substitutes for what I have just cited from 1799, Schleiermacher in 1806 further distinguishes Betrachtung as reflection or contemplation from Erkennen as an act of knowing. The contemplation in question is characterized as an act of piety. He writes: “Ja der Fromme gesteht es Euch gern und willig zu, auch wenn Ihr etwas stolz auf ihn herabseht, dass er das wissen nicht so in sich habe wie Ihr”, and further asserts: “Ich will Euch sogar mit klaren Worten dolmetschen, wie die meisten von ihnen nur ahnen aber nicht von sich zu geben wissen, dass wenn Ihr Gott an die Spitze Eurer Wissenschaft stellt als den Grund alles Erkennens, sie dieses zwar loben und ehren, dies aber nicht dasselbige ist wie ihre Art Gott zu haben und um ihn zu wissen.”
A stance of “praising and honoring God” is different from positing God as the ground or apex of all knowledge. Instead of such purported knowing, we are informed that the requisite form of contemplation or Betrachtung: “ist nur die unmittelbare Wahrnehmung von dem allgemeinen Sein alles Endlichen im Unendlichen und durch das Unendliche, alles Zeitlichen im Ewigen und durch das Ewige. Dieses Suchen und Finden in allem was lebt und sich regt, in allem Werden und Wechsel, in allem Tun und Leiden und das Leben selbst nur haben und kennen im unmittelbaren Gefühl als dieses Sein, das ist Religion.”49
This “unmittelbare Wahrnehmung” consists of “having an immediate sense of the universal being of everything finite in and through the infinite.” As we shall see, emphasis on the interplay of finite and infinite, seen in this passage, is consistent with but lacks the specific formulation of ideal religion, i. e., Christianity, given in the fifth speech. In the literature Schleiermacher’s presentation of religious consciousness as nonconceptual often stands as the crux interpretum of the Reden, since any way of defending an awareness of nonconceptuality seems to require concepts. Defenders of the Reden on this point are concerned to identify and ferret out the indirect analogies and mental operations that lie behind and provide a warrant for his views, while admitting that there are problems in the implied philosophy of consciousness that Schleiermacher may not
48 49
ÜR (Peter), 49; OR (Oman), 40. ÜR (Peter), 45; OR (Oman), 36.
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adequately resolve, at least in On Religion.50 Since twenty-first century philosophizing about consciousness continues to be unfinished and lacking finality, I am in sympathy with Schleiermacher.51 To identify a totality that lies behind our experience draws not only from our minds but from emotions, interpretations, and capacities for symbolizing. In referring to the “Duplizität von Erleben und Deuten”, this interwoven quality of experience and interpretation, Ulrich Barth concludes that our “immediacy of experience is always only relative immediacy.”52 In a related manner Jörg Dierken defends symbolic articulation as the language of religion and reminds us that “symbolizing is indirect presentation – more precisely: direct presentation of the impossibility of a direct presentation” of religion.53 Exactly that is to my mind accomplished in reflection on “the Werden and Wechsel of being” passage that I have just cited. Here the sometimes terse formulae, allusions, and metaphors of 1799 are partly transformed into a meditation on the mystery of consciousness in a manner that identifies religion with this depth of selfawareness, thus constituting what is deepest and holiest in human existence, whether with or without a personal deity.54 It is possible that Schleiermacher’s proposal that piety and reverence are legitimate ways for the human self to contemplate the ground of its being may instructively be viewed alongside Kant’s famous utterance that begins the conclusion of his Kritik der praktischen Vernunft:
50 Wayne Proudfoot has modified the characterization of the Reden as emotivist and subjectivist in Religious Experience, Berkeley 1985; see “Immediacy and Intentionality in the Feeling of Absolute Dependence”, in: Brent Sockness/ Wilhelm Gräb (eds.), Schleiermacher, the Study of Religion, and the Future of Theology, Berlin 2010, 27–37. 51 See, for example, David J. Chalmers, The Character of Consciousness, Oxford 2010. 52 In writing about the “Duplizität von Erleben und Deuten”, Ulrich Barth calls our attention to the ambiguous interweaving of emotion and reflection as we make claims both about the world and about ourselves, “Was heißt ‘Vernunft der Religion’? Subjektsphilosophische, kulturtheoretische und religionswissenschaftliche Erwägungen im Anschluss an Schleiermacher”, in: Jörg Lauster/Bernd Oberdorfer (eds.), Der Gott der Vernunft. Protestantismus und vernünftiger Gottesgedanke, Tübingen 2009, 202 et seq. Since the two poles are distinguishable but not wholly separable, the immediacy of experience is always only relative immediacy. 53 Jörg Dierken, “Vernunft, Religion und der Gottesgedanke bei Kant”, in: Der Gott der Vernunft, 175. 54 In the formulation of Friedrich Wilhelm Graf: “Der Prozeßcharakter seiner Theoriebildung – der sich auch in Hinblick auf die Ethik‑ und Dialektik-Entwürfe zeigen läßt – hat somit nicht nur biographisch-zufällige Motive, sondern einen sachlich-objektiven Grund.”, “Ursprüngliches Gefühl unmittelbarer Koinzidenz des Differenten”, Zeitschrift für Theologie und Kirche 75/2 (1978), 147–186, here 185.
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“Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.”55
What follows in Kant makes clear to his readers that the experience is not a matter of conjecture; neither is it concealed in darkness nor does it lie in a transcendent realm beyond human view.56 In words that approximate the language of the young Berliner, we read of the two objects of wonder: “Ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz.”57 Yet Schleiermacher’s acknowledgment of the mystery of the universe as mirrored in our consciousness exceeds Kant’s starry heavens, which are governed by Newtonian scientific law. By way of contrast the 1799 Reden comments on the starry heavens by noting the cultural and perceptual relativity, i. e., the inadequacy, of the Greek myths that attach to the heavenly constellations.58 The relativity of what we observe comes home to an English-speaker who realizes that Schleiermacher’s illustration of “der Wagen”, must be translated as “the Big Dipper”, a large kitchen saucepan. Combined with his preference for “infinite chaos” as the most proper symbol of the universe, such reflections re-enforce the impossibility of directly depicting religion as the divine source of life and reality that stands behind the vast systems of nature.
(4) The One Ideal Religion and the Less Ideal Religions I began this paper by noting Hans-Joachim Birkner’s admonition against pre-judging the Reden to be a work of either philosophy or theology. It is not by chance that excerpts from the second address repeatedly turn up in English-language anthologies that treat modern philosophy of religion. To my knowledge, the same has not happened for the fifth and last speech. In 55 Kritik der praktischen Vernunft, in: Kants Werke. Akademie-Textausgabe, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1902 ff., vol. V (1908/13), 161 (= KpV). 56 “Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder im Überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz. Das erste fängt von dem Platze an, den ich in der äußern Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins unabsehlich-Große mit Welten über Welten und Systemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer.”, KpV 161 f. 57 KpV, 162. 58 KGA I.2, 215 et seq.; OR (Crouter), 26 et seq.
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the end, Hans-Joachim Birkner placed the Reden in the category of philosophical theology, which is another way of saying that what we see today as an intellectual hybrid arose from a conscious effort to define such work in contrast to historical and practical theology.59 As if confident of his overall argument, Schleiermacher began the last speech with the strong assertion: “daß der Mensch in der Anschauung des Universums begriffen ein Gegenstand der Achtung und der Ehrfurcht für Euch Alle sein muß.”60 But his appeal to the rhetorical technique of “false denial” – asserting that he will not even inquire about whether he has been successful even as he lifts up this concern – lets readers know that more work remains to be done. Today novice readers sometimes react in disbelief that Schleiermacher felt compelled to insist that religious consciousness – so lofty and precious, yet accessible within individual and collective humanity – arises within the messy world of positive, historically manifest, religions. Among students I have heard it said that a Buddhist or some other meditation master must have crept into Berlin – at least through the four preceding speeches. But a fresh dimension of his task of religious theorizing is undertaken in the fifth address. Schleiermacher begins by first defending the view that, even if religion by its very nature assumes multiple forms, the church should nonetheless be one. This ought not to surprise us. He has dwelt at length on the harmony and unity of mutual seekers that constitutes the ideal religious community of the fourth speech. If I am not mistaken, a large degree of self-reflective like-mindedness is required for his ideal religious community to exist. The same point prepares us for the idea that religions that appear in history originate from distinctive sorts of intuitions and experiences that emerge from the religious virtuosity of founding figures as mediators that was set forth in the first address. Schleiermacher’s restless, argumentative voice reintroduces the turn from conceiving of religion in nature to doing so in history of the second address. If the earlier speech had relativized nature as the “forecourt” of religion, the criticism is now developed further to heap scorn upon the relative emptiness of 18th-century “natural religion” with its limited precepts of God and immortality that were championed by Deists and critically examined by David 59 Hans-Joachim Birkner, “Theologie und Philosophie: Einführung in Probleme der Schleiermacher-Interpretation”, in: Schleiermacher-Studien, 174. 60 KGA I.2, 296 et seq.; OR (Crouter), 95; ÜR (Peter), 207: “Anschauung” is parsed in 1806 as “unmittelbarste[n] Gemeinschaft mit dem Universum”, and in 1821 as “unmittelbarste[n] Gemeinschaft mit dem Höchsten”.
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Hume.61 No effort to depict religion as popular moralism or elevate it to academic philosophy, no Aufhebung der Religion, is acceptable to Schleiermacher. Of course, we may raise an eyebrow when he tries to convince us that religion-in-general is no religion at all, since we may think that Schleiermacher has himself given us a similarly lofty, highly refined form of elitist universal religion. Yet for him the problem with 18th-century Deism was not the universality of its theory, but its popular and superficial understanding of nature. As we’ve been taught in the second speech, the vast components of nature, for all their impressiveness, remain relative and do not account for their own ground. In addition, a definition of ideal religion that can be celebrated with child-like passivity cannot be elitist, even if it contains the principles of evaluating real religions in the nitty-gritty of the world. Natural religion directs attention away from the lived specifics of religion, the quirks and foibles of religious practice within positive or historically manifest religions. In his words: “Die sogenannte natürliche Religion ist gewöhnlich so abgeschliffen, und hat so philosophische und moralische Manieren, daß sie wenig von dem eigenthümlichen Charakter der Religion durchschimmern läßt.” By contrast, in his words: “[J]ede positive Religion [hat] gar starke Züge und eine sehr markirte Physiognomie.”62 The argument made against natural religion has at least two components: (a) positive, historical religion has a distinctive character in which ritual practices and symbols of song, confession, and creed re-enforce pious contemplation, and (b) once we come to recognize that a high capacity for religion lies within human consciousness, we must not hesitate to look upon it in the actual forms where it has appeared.63 Schleiermacher’s point seems to be that to despise specific religious practices is to despise humanity generally, since from time immemorial humans, some of whom have an awareness of true religion, have chosen to pursue them. Schleiermacher’s interest in religious typology and taxonomies was, to say the least, rudimentary and limited, consisting of patterns of chaos, unity, and unity within multiplicity, or seen as moving between pantheism and personalism, or, if we consider the Glaubenslehre, categorized as teleologi61 David Hume, Dialogues Concerning Natural Religion, ed. Norman Kemp Smith, Indianapolis 1947. 62 KGA I.2, 296 et seq.; OR (Crouter), 98. 63 KGA I.2, 311; OR (Crouter), 110 et seq.: “Remember what the poets say about a state of souls before birth, if a soul wanted forcefully to resist coming into the world because it would not like to be this person or that, but a human being generally; this polemic against life is the polemic of natural religion against positive religion, and this is the permanent condition of its adherents.”
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cal, moral, or aesthetic. But such categories are relatively underdeveloped in his typology. The range of actual religions within his purview was decidedly narrow, even for his day.64 However we end up judging its value, Hegel’s philosophy of religion encompasses the full range of world religions as known in the early nineteenth century. It is, I think, possible that a theory of religion may have merit, even if its exemplifications are underdeveloped or rest upon mistaken judgments. The problem, however, is that mistaken judgments about something so vast and elusive can be politically and morally disastrous, as contemporary history today deeply attests. In fact the Reden only touches upon three positive religions: the polytheistic religion of Greek antiquity, which he leaves largely to the judgment of his literary friends, the religion of Jewish Orthodoxy, which he views as incompatible with modernity and, for practical purposes, dead or superseded, and his own version of Protestant Christianity.65 He grants the point that Greek religion and Judaism were both based on fundamental, characteristic intuitions of the universe; hence as a matter of principle they fall within his religious schematic. For Greek religion this consisted of a polytheistic religion clothed in beautiful mythology and for Judaism it was the prominence of the theme of divine retribution and the dominance of the dialog and great conversation between humanity and the divine.66 When Schleiermacher turns to describe “the more glorious original intuition of Christianity” we learn that: “Sie ist keine andere, als die des allgemeinen Entgegenstrebens alles Endlichen gegen die Einheit des Ganzen, und der Art wie die Gottheit dieses Entgegenstreben behandelt.”67 This 1799 formulation was unaltered in subsequent editions. The specifically Christian intuition consists of a “universal striving of everything finite against the unity of the whole and the manner in which deity treats this striving”, in theological language, presumably by forgiving and starting afresh. The framing idea of an immediate awareness of the finite in and through the infinite of the second speech remains intact, but emphasis is now placed on the op64 Interest in the history of religions remained relatively undeveloped throughout Schleiermacher’s later work. 65 On the thorny topic of Schleiermacher and Judaism see Richard Crouter / Julie Klassen (eds.), A Debate on Jewish Emancipation and Christian Theology in Old Berlin: David Friedländer, Friedrich Schleiermacher, Wilhelm Abraham Teller, Indianapolis 2004. 66 KGA I.2, 314–316; OR (Crouter), 113–115. In the 20th century the Dutch theorist Gerardus van der Leeuw developed a full-scale phenomenology of religion that, in believing that “religion actually exists only in religions” drew inspiration from Schleiermacher’s Reden. See his Religion in Essence and Manifestation: A Study in Phenomenology, Band 1 und 2, ed. J. E. Turner, New York 1963. 67 KGA I.2, 316.
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positional striving between the finite and the infinite that is symbolized by the Cross. The fundamental definition of religion as arising in an immediate awareness of the interplay of finitude with the infinite thus takes on new, more somber coloration. This especially glorious intuition – the saying Yes in the garden of Gethsemane – is heightened by the fact that an intuition of the universe is given an even deeper twist in which being aware of a crucified saviour who symbolizes the Entgegenstreben is accompanied by the feeling of heilige Wehmut, which is described both as a Gefühl and a Grundton.68 Thus a form of melancholy as holy or sacred wistfulness emerges in the last speech. A wishing that things were otherwise but recognizing that this is not so signifies the feeling of creaturely incompletion that accompanies the Christian intuition and brokenness of the Cross.69 Not pure joy in the natural universe or in one’s own existence, but a wistful sense of incompletion or Sehnsucht arises from Schleiermacher’s recognition that human finitude must yield to the ultimate mystery that governs both nature and history.70 The more I ponder such passages, the more I am convinced that the Christian intuition of the fifth speech is more than a mere subset of the religious consciousness. The struggle between the finite and infinite, symbolized here, does more than round out the theory of religion of the second address. It transforms the former, relatively more philosophical formulation, into a theory of religion that is deeply informed by its author’s Christian conviction. Being aware not of the harmony but of the dissonance between finitude and the infinite of the fifth address is the insight that distinguishes ideal from less than ideal positive religions. The original fifth address was scarcely changed in subsequent renderings. It describes Protestant Christianity is the “religion raised to a higher power” and “the religion of religions”, the symbolic embodiment of his newly refined principle of religion that the infinite can never be encompassed by the finite, for which the Cross of Jesus Christ is the dominant emblem. The formulations of the “essence of religion” of 68 KGA I.2, 320: “Nicht bisweilen ergreift sie den Christen, sondern sie ist der herrschende Ton aller seiner religiösen Gefühle, diese heilige Wehmuth – denn das ist der einzige Name, den die Sprache mir darbietet – jede Freude und jeder Schmerz, jede Liebe und jede Furcht begleitet sie; ja in seinem Stolz wie in seiner Demuth ist sie der Grundton auf den sich Alles bezieht.”; OR (Crouter), 119. 69 Not incidentally the symbol of incompletion echoes the romantics’ longing for greater completion, such as we see in Novalis’ Blüthenstaubfragment: “Wir suchen überall das Unbedingte, und finden nur Dinge.”, cited above (fn. 34) from the Athenaeum. 70 The contrast with Schleiermacher’s mentors and contemporaries within late Enlightenment theology, e. g., Johann Joachim Spalding, is striking, just as is the contrast with philosophical claims to have absolute knowledge in such matters.
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the second speech, whether from 1799 or later, are compatible with but less explicit than the Protestant interpretation of the Cross that is based upon the Christ of the fourth Gospel.71
Concluding Remarks As I conclude this discussion of the Reden I am more appreciative than ever of the ways that its fifth speech is the work’s theoretical telos. Its portrayal of infinite holiness as the goal of Christianity, as the form of ideal religion, was stated in 1799 and relatively untouched by revisions.72 Like Hans-Joachim Birkner I have tried to avoid a pre-determined choice between philosophy or theology as a framework for interpreting the work. But I am also aware that the theological intentionality of the book deepened with Schleiermacher’s passage of years, both in its editorial iterations and in the 1821 Erläuterungen that link each address to his other projects, including his dogmatics. Yet this should not surprise us. The author’s voice of pious engagement was proclaimed at the outset when he informed us that he was forced to speak “von einer innern und unwiderstehlichen Nothwendigkeit, die mich göttlich beherrscht.”73 However it may appear alongside Hegel and Schelling, Schleiermacher’s differentiated theory of religious plurality amid the living unity of its ground in consciousness is, in its breadth and complexity, superior to the relativistic assault on inclusivism and exclusivism launched in 1980 in the Englishspeaking world by the late John Hick.74 As a theory of religion the Reden über die Religion (a) offers a principled endorsement of religious pluralism, (b) develops a theory about how all religions, not just his own, arise through a fundamental intuition that shapes their worldview, (c) rejects the postulate that all religions that arise this way are equally worthy of respect, and (d) provides a principle for judging between ideal or true religion and less ideal forms of religion. Lastly, there is a profound side-benefit in Schleiermacher’s theory of religion and religions. A stance that appreciates human lives as historical frag71
Schleiermacher’s theory of religion gives no attention to Greek or Russian Orthodoxy or to Roman Catholicism. 72 ÜR (Peter), 242; OR (Crouter), 117. 73 KGA I.2, 190; OR (Crouter), 4. 74 John Hick, God Has Many Names, Philadelphia 1982; and John Hick, A Christian Theology of Religions: The Rainbow of Faiths, Louisville (KY) 1995, among his main works.
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ments within a larger cosmic setting evokes an attitude of toleration. “Ihr wißt, was Religion sprechen heißt, kann nie stolz sein; denn sie ist immer voll Demuth.”75 A sense of religious toleration is anchored in Schleiermacher’s worldview and counts as a touchstone with his Enlightenment predecessors. Here I am unable to address the vexing point regarding his portrayal of Judaism, which he knew only in its orthodox form. But we can note that his fictive letters on the emancipation of Prussia’s Jews argues for citizenship on the basis of natural rights, even as that work expresses heavy reservations about bringing Jewish legalism into the Christian church.76 If he can be protected from hubris in proposing Christianity as the “religion of religions”, this is because the same principle leads him to be resoundingly critical of institutional or positive forms of the Christian church, where, as in other faiths, religion “never appears in its purity.” In the end, the genial liberality that informs Schleiermacher’s work and intellectual choices still stands before us as exemplary in a field of inquiry that will very likely never be complete. However rudimentary it may be in some respects and profound in others, Schleiermacher’s teaching on these matters continues to deserve our respect.
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Schleiermachers inklusivistische Religionstheologie der Reden Christian König Thema dieses Aufsatzes ist Schleiermachers inklusivistische Religionstheologie der Erstauflage der Reden. Der Aufsatz gliedert sich in drei Abschnitte. Als erstes wird Schleiermachers kritischer Religionsbegriff präsentiert (I.). Als zweites wird gezeigt, dass und inwiefern dieser kritische Religionsbegriff die Vielfalt der Religionen beinhaltet (II.). Als drittes wird die Dynamik und das Ziel der Religionsgeschichte nach Schleiermacher dargestellt und ein Fazit der Ergebnisse gezogen (III.).
I. Der kritische Religionsbegriff Schleiermacher geht es in seinen Reden um die immanente Darstellung der Religion im Bewusstseinsleben des Menschen. Demgemäß entwickelt er in seiner zweiten Rede einen in zweifacher Hinsicht kritischen Religionsbegriff, den er erstens gemütstheoretisch1 und zweitens bewusstseinstheoretisch2 entfaltet. These 1: Religion ist eine wesentliche Gemütskraft, die ihren spezifischen Charakter aus ihrer passiven Konstitution gewinnt. Ihr spezifischer Bewusstseinsinhalt ist die unmittelbare Gewissheit von dem allgemeinen Sein alles Endlichen im Unendlichen und durch das Unendliche. Erstens zeigt Schleiermacher kritisch nach außen, gegen die gebildeten Religionsverächter gewandt, auf, dass die Religion ein sachnotwendiges Gemütsvermögen des Menschen darstellt. Sie besitzt eine spezifische Funktion für das menschliche Leben und ordnet sich harmonisch in das Ensemble der menschlichen Lebensvollzüge ein. Im Hintergrund dieser Darstellung steht 1 Vgl. hierzu zentral Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe, Berlin / New York 1980 ff. (= KGA), I/2, 208,30–213,33. 2 Vgl. zentral KGA I/2, 213,34–223,19.
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sein Verständnis der menschlichen Subjektivität als qualifiziert vermittelter Einheit ihrer Gemütsvermögen und dem unverzichtbaren Beitrag der Religion in dieser Einheit.3 Sie ist nämlich einerseits den anderen oberen Gemütsvermögen des Menschen, dem Denken und Handeln, vermögenstheoretisch koordiniert und bildet deren sachnotwendiges Ergänzungsstück.4 Weil ihr Ursprung nicht wie bei dem vermittelten Bewusstsein des Denkens oder Handelns in einer selbsttätigen Bezugnahme auf das Universum, sondern in dem unmittelbaren Bewusstsein der passiven Ergriffenheit durch das Universum liegt, strebt Religion nicht nach der vollendeten „Wissenschaft“ der Spekulation oder der vollendeten „Kunst“ der Praxis. Sie ist vielmehr darauf aus, den vom Universum in ihr aufgeregten „Sinn und Geschmak fürs Unendliche“ selbst zu kultivieren.5 Vereinfacht ausgedrückt könnte man somit sagen: Während das spekulative Denken und das moralische Handeln durch das Zusammenfassen und Gestalten der einzelnen endlichen Dinge zum Universum hinaufsteigen, so steigt das Universum in der Religion selbst zum Menschen hinab.6 Schleiermacher stellt auf diese Weise Denken, Handeln und Religion als je autonom einander koordinierte Lebensvollzüge des Menschen dar. Ihre eigenständige Ausbildung garantiert „das Gleichgewicht und die Harmo3 Meine
These steht somit eindeutig gegen die Ansicht, dass Schleiermacher sich in den Reden eine sogenannte Provinzialisierung des menschlichen Gemüts zu Schulden kommen lässt bzw. es zu einer Verselbständigung der Gemütsvermögen kommt (vgl. dazu exemplarisch Günter Meckenstock, „Schleiermachers Auseinandersetzung mit Fichte“, in: Sergio Sorrentino (Hg.), Schleiermacher’s Philosophy and Philosophical Tradition, Lewiston 1992, 27–46, hier: 35 und Joachim Ringleben, „Die Reden über die Religion“, in: Dietz Lange (Hg.), Friedrich Schleiermacher 1768–1834. Theologe – Philosoph – Pädagoge, Göttingen 1985, 236–258, hier: 240 [= Reden]). Schleiermacher zufolge stehen sich vielmehr Metaphysik, Moral und Religion nicht als strikt voneinander getrennte Gemütsvermögen gegenüber, sondern sie besitzen als spezifische Funktionen des einen und ungeteilten menschlichen Subjekts interne Bezugnahmen aufeinander. Dieser Sachverhalt ist von Schleiermacher bereits in seinem Gedankenheft von 1798 klar festgehalten worden: „Im Ich bildet sich alles organisch und alles hat seine Stelle.“ (KGA I/2, 109,1 f.). 4 KGA I/2, 212,15–20: „So behauptet sie [die Religion, C. K.] ihr eigenes Gebiet und ihren eigenen Charakter nur dadurch, daß sie aus dem der Spekulazion sowohl als aus dem der Praxis gänzlich herausgeht, und indem sie sich neben beide hinstellt, wird erst das gemeinschaftliche Feld vollkommen ausgefüllt, und die menschliche Natur von dieser Seite vollendet.“ 5 KGA I/2, 212,29 f. 6 Vgl. auch anschaulich Eugen Huber, Die Entwicklungen des Religionsbegriffs bei Schleiermacher, Leipzig 1901, 25.
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nie“ des menschlichen Wesens und bewahrt die Gemütsvermögen vor einer gegenseitigen inhaltlichen Übergriffigkeit.7 Zugleich ist die Religion nach Schleiermacher jedoch den anderen Gemütsvermögen funktionstheoretisch superordiniert. Sie ist nämlich nicht allein ein Ergänzungsstück, sondern auch ein sachlich notwendiges Gegengewicht im menschlichen Leben.8 Ihr kommt die kritische Funktion zu, die Leistungsbereiche des menschlichen Denkens und Handelns formal abzustecken. Dies soll diese vor dem konzeptionellen Irrtum bewahren, ihre eigenen Erzeugnisse an die Stelle des Universums selbst zu setzen, wie dies nach Schleiermacher im subjektiven Idealismus Fichtescher Prägung9 oder etwa in Kants Ethik10 der Fall ist. Die Religion generiert nach Schleiermacher also nicht etwa inhaltlich die Leistungsbereiche der Metaphysik und Moral, sondern sie konstatiert vielmehr bloß deren formale Vorgegebenheit durch das Universum. Religion in diesem zweifachen Sinne aufgefasst, vermögenstheoretisch koordiniert und funktionstheoretisch superordiniert, fügt sich folglich spezifisch in das Gemütsensemble der menschlichen Subjektivität ein. Sie ist keineswegs selbst der Einheitsgrund der menschlichen Subjektivität, oder etwa eine Instanz der theoretischen oder praktischen Letztbegründung. Etwa in dem Sinne, dass Moral und Metaphysik für sich genommen grundlos wären und ihre Legitimation erst durch eine inhaltliche Bezugnahme auf die Religion gewönnen.11 Solch einen Standpunkt weist Schleiermacher bereits in der ersten Rede12 und zu Beginn der zweiten Rede ausdrücklich 7 KGA
I/2, 239,17–23. KGA I/2, 212,20 ff.: „Sie [die Religion, C. K.] zeigt sich euch als das nothwendige und unentbehrliche Dritte zu jenen beiden [Metaphysik und Moral, C. K.], als ihr natürliches Gegenstük, nicht geringer an Würde und Herrlichkeit, als welches von ihnen Ihr wollt.“ 9 Vgl. KGA I/2, 213,20–33. 10 Vgl. KGA I/2, 212,35–213,9. 11 Gegen Christian Albrecht, „Die Ermöglichung von Korrelativität: Religion als ‚Anschauung und Gefühl‘ in Schleiermachers zweiter Rede“, in: „Welche unendliche Fülle offenbart sich da …“. Die Wirkungsgeschichte von Schleiermachers „Reden über die Religion“, Papers read at the symposium of the Theological Faculty Tilburg, Tilburg 15 April 1999, hrsg. von Nico F. M. Schreurs (Studies in Theology and Religion 7), Assen 2003, 45–60, hier: 55 (kursiv, C. K.): „Das Wesen der Religion besteht darin, dass die für alles Wissen und Wollen fundamentalen Kategorien der Objektivität und der Subjektivität im religiösen Akt begründet und im religiösen Leben beansprucht werden.“ 12 Vgl. KGA I/2, 204,2–7: „Auch herrschen möchte sie [die Religion, C. K.] nicht in einem fremden Reiche; denn sie ist nicht so eroberungssüchtig das ihrige vergrößern zu wollen. Die Gewalt, die ihr gebührt, und die sie sich in jedem Augenblik aufs neue verdient, genügt ihr, und ihr, die alles heilig hält, ist noch vielmehr das heilig, was mit ihr gleichen Rang in der menschlichen Natur behauptet.“ 8
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von sich.13 Sie ist vielmehr das Bewusstsein von diesem dem menschlichen Subjekt vorgegebenen Einheitsgrund und damit präzise der Garant des adäquaten Gebrauchs aller Gemütsvermögen. Zweitens ergänzt und vertieft Schleiermacher seine gemütstheoretischen Überlegungen, indem er es in der Beschreibung des sogenannten „geheimnisvollen Augenblicks“14 kritisch nach innen unternimmt, die spezifische Bedeutung der Religion im menschlichen Subjekt bewusstseinstheoretisch zu begründen. Im Hintergrund steht hier Schleiermachers Verständnis des menschlichen Subjekts als qualifizierter Einheit seines sinnlichen und religiösen Wirklichkeitsbewusstseins. Schleiermacher zufolge liegt, in Anlehnung an Jacobi,15 am Grunde jedes menschlichen Bewusstseinsaktes die Erfahrung eines unmittelbaren Einsseins von menschlichem Sinn und seinem Gegenstand: „Es ist ein geheimnisvoller Augenblick, in welchem der Sinn und sein Gegenstand gleichsam ineinander gefloßen und Eins geworden sind“.16 Der Clou seiner Überlegungen besteht nun darin, dass dieser geheimnisvolle Augenblick, der jedem Bewusstseinsakt zugrunde‑ und vorausliegt, sich im menschlichen Bewusstsein ereignet. Dem menschlichen Bewusstsein ist folglich eine ursprüngliche Reflexivität inne, wodurch es sich nicht allein auf äußere Gegenstände bezieht, sondern sich auch einer Dimension der ursprünglichen Bezogenheit von sich selbst und seinem Gegenstand unmittelbar gewiss ist. Im geheimnisvollen Augenblick im Bewusstsein ist dem menschlichen Geist unmittelbar seine eigene intelligible Struktur präsent. Aus diesem Grunde kann der geheimnisvolle Augenblick im Bewusstsein auch präziser als unmittelbares Selbstbewusstsein des menschlichen Geistes bezeichnet werden. Ein unmittelbares Selbstbewusstsein aufzuweisen oder über ein evidentes Wirklichkeitsbewusstsein zu verfügen, sind nach Schleiermacher somit Wechselausdrücke. Die Pointe von Schleiermachers bewusstseinstheoretischen Überlegungen der Reden besteht darin, dass ihm zufolge dieses unmittelbare Selbstbewusstsein des Menschen zweier unterschiedlicher Bestimmungen fähig ist. D. h. bei seiner grundsätzlichen Einheitlichkeit ist das menschliche Bewusstseinsleben intern differenziert. Seine beiden Dimensionen sind das unmittelbare sinnliche und das unmittelbare religiöse Selbstbewusstsein. Als zwei 13
KGA I/2, 210,7–13. Siehe im ganzen Zusammenhang KGA I/2, 220,29–223,19. 15 Vgl. hierzu einschlägig Eilert Herms, Herkunft, Entfaltung und erste Gestalt des Systems der Wissenschaften bei Schleiermacher, Gütersloh 1974, 119–164 (= Herkunft). 16 KGA I/2, 221,20–23. 14
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Dimensionen des einen Bewusstseinslebens beziehen sie sich folglich auf die gleiche Wirklichkeit, aber in unterschiedlicher Hinsicht.17 Der bestimmte Inhalt des unmittelbaren sinnlichen Selbstbewusstseins ist das „Sein-in-der-Wechselwirkung“. Die Evidenz, dass ein endliches Selbst und sein endlicher Gegenstand in einer symmetrischen und reziproken Bezogenheit bzw. in relativer Abhängigkeit zueinander stehen.18 Der Inhalt des unmittelbaren religiösen Selbstbewusstseins ist hingegen die Selbstoffenbarung des Universums im Endlichen.19 Das endliche Selbst und das unendliche Universum verhalten sich zwangsläufig asymmetrisch zueinander.20 Das Universum bildet ja keinen Gegenstand wie die einzelnen sinnlichen Dinge. Es wird als die umfassende intelligible Struktur des Seins schlechthin erfahren. Indem nach Schleiermacher nämlich die Möglichkeit und Wirklichkeit der religiösen Universumserfahrung allein durch die Selbsterschließung des Universum geschaffen werden,21 gibt sich das Univer17 Vgl. KGA I/2, 221,20–26: „Jener erste geheimnißvolle Augenblik, der bei jeder sinnlichen Wahrnehmung vorkommt […] ich wollte aber Ihr könntet ihn festhalten und auch in der höheren und göttlichen religiösen Thätigkeit des Gemüths ihn wieder erkennen.“ 18 KGA I/2, 220,35–221,10. 19 KGA I/2, 221,20–222,9. 20 Hartlieb verkehrt exemplarisch dieses asymmetrische bzw. radikale Abhängigkeitsverhältnis des Menschen gegenüber dem Universum in sein genaues Gegenteil, indem sie Schleiermachers allgemeine Beschreibung der religiösen Bewusstseinskonstitution in der sogenannten „Liebesszene“ (KGA I/2, 221,20–222,12) als Gefühl der (männlich konnotierten) Macht und Herrschaft des religiösen Subjekts gegenüber dem (weiblich konnotierten) ohnmächtigen Universum bestimmt (vgl. Elisabeth Hartlieb, Geschlechterdifferenz im Denken Friedrich Schleiermachers, Berlin 2006, 262 f.). Durch diese Interpretation wird aber auf augenfällige Weise die Möglichkeitsbedingung des religiösen Bewusstseins überhaupt verkannt. Nämlich die Selbsterschließung des souveränen Universums als souveränes Universum für den Menschen bzw. die Offenbarung des lebendigen Weltgeistes, von dem (KGA I/2, 251,43–252,1; 296,17 f.; 306,12–34) und in dem jeder Mensch „lebt, webt und ist“ (KGA I/2, 318,17). 21 Vgl. KGA I/2, 251,32–36: „Nicht als ob ich Euch oder Andre bilden wolte zur Religion, oder Euch lehren wie Ihr Euch selbst absichtlich oder kunstgemäß dazu bilden müßt: ich will nicht aus dem Gebiet der Religion herausgehen, was ich somit thun würde […]. Das Universum bildet sich selbst seine Betrachter und Bewunderer“. Weitere einschlägige Stellen sind z. B. KGA I/2, 214,9 f.; 218,35 ff.; 241,26 ff.; 259,30–37 sowie in späteren Auflagen der Reden zentral KGA I/12, 134,16–20. Diesen Sachverhalt haben bereits in der Frühzeit der Schleiermacherforschung deutlich herausgestellt Willy Schuster, Die Bedeutung der intuitiven Gewißheit für die Grundlegung der Anschauungen von Religion bei dem jungen Schleiermacher, Leipzig 1924, 20; 110, sowie Georg Wehrung, Schleiermacher in der Zeit seines Werdens, Gütersloh 1927, 127: „Darum eignet der religiösen Anschauung Unmittelbarkeit und Unwillkürlichkeit, weil sie eben rein vom Universum frei geweckt und gewirkt wird. Schleiermacher stellt sich in den religiösen Akt hinein und hebt den ihn hervorrufenden Grund hervor.“ Ergänzend und
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sum im menschlichen Bewusstsein als die Alles bestimmende Wirklichkeit bzw. das wahre Unendliche zu erkennen.22 Anders ausgedrückt: Das Universum wird Schleiermacher zufolge als wahres Unendliches erfahren, weil es sich dem menschlichen Bewusstsein in der Religion als die in sich selbst differenzierte Einheit seiner selbst und des Endlichen offenbart. Strukturell vertritt Schleiermacher somit in den Reden zweifelsfrei keinen Pantheismus, mit dessen Gleichsetzung von Welt und Gott bzw. Universum, sondern vielmehr eindeutig einen religiösen Panentheismus, indem er die Immanenz der Welt im Universum bei gleichzeitiger Transzendenz des Universums gegenüber der Welt behauptet.23 präzisierend weist Beisser darauf hin, dass der Unterschied zwischen den endlichen Sachverhalten und dem Universum „eine wahrhaft ontologische Differenz“ darstellt. Dies ist ihm zufolge auch „die Ursache für das Übergewicht, welches das Universum über die Welt hat. Das Universum ist […] nicht ein Anhängsel des Seienden, nicht dessen dienender Seinsspender, es ist vielmehr der begründende Grund alles Seienden.“ (Friedrich Beisser, Schleiermachers Lehre von Gott dargestellt nach seinen Reden und seiner Glaubenslehre, Göttingen 1970, 43). Vgl. auch Herms, Herkunft, 213,18 ff. und Christian Albrecht, Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit. Ihr wissenschaftlicher Ort und ihr systematischer Gehalt in den Reden, in der Glaubenslehre und in der Dialektik, Berlin / New York 1994, 132; 177 f. 22 Gegen Ringleben, der Schleiermachers Universumsverständnis hegelisch gesprochen als eine bloß „schlechte Unendlichkeit“ bestimmt (vgl. Joachim Ringleben, „Schleiermachers Reden ‚Über die Religion‘ und Hegels ‚Theologische Jugendschriften‘. Einige Beobachtungen zu ihrem Verhältnis“, in: Ulrich Barth/ Claus-Dieter Osthövener (Hgg.), 200 Jahre ‚Reden über die Religion‘, Berlin, New York 2000, 416–443, hier: 443). 23 Eine Ahnung von der Bestimmung des Universums als des wahren Unendlichen in der Erstauflage der Reden findet sich bereits bei Wilhelm Dilthey, Leben Schleiermachers, Bd. 1.1–2, hrsg. von Martin Redeker, Göttingen 31970, 325. Vgl. auch Joachim Ringleben, Reden, 244 und besonders luzide Christof Ellsiepen, Anschauung des Universums und Scientia Intuitiva. Die spinozistischen Grundlagen von Schleiermachers früher Religionstheologie, Berlin 2006, 364 f. Meines Erachtens besteht die Stärke von Schleiermachers Universumsbeschreibung als des wahren Unendlichen in der Erstauflage der Reden somit gerade darin, dass in der religiösen Universumserfahrung Welt und Weltgrund in Einem bzw. in ihrer untrennbaren Bezogenheit aufeinander erfahren werden. Sie sind die beiden zusammengehörigen und untrennbaren Momente der einen religiösen Universumserfahrung. Schleiermacher macht es ganz deutlich: Ihm zufolge können gemäß seinem Universumsverständnis weder der Weltgrund außerhalb der Welt (KGA I/2, 252,41 ff.) noch die Welt ohne den Weltgrund (KGA I/2, 261,17–22) adäquat erfasst werden. Vgl. im Unterschied hierzu einerseits Herms, der hierin nicht die Stärke, sondern die Schwäche der Reden sieht (Herms, Herkunft., 211 f.) und andererseits exemplarisch sowohl Paul Seifert, Die Theologie des jungen Schleiermachers, Gütersloh 1960, 77 f. als auch Michael Eckert, „Das Verhältnis von Unendlichem und Endlichem in Friedrich Schleiermachers Reden über die Religion“, Archiv für Religionsphilosophie 16 (1983), 22–56, hier: 51; 56. Nach ihren Interpretationen treten in den Reden zwei Schichten bzw. Dimensionen
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Das Universum ist als wahres Unendliches sowohl die Totalität allen Seins, das heißt das Ganze, dem alles endliche Sein als Teil und Darstellung inhäriert. Weil es jedoch kein statisches Gebilde ist, sondern der „ewige und Alles bildende Weltgeist“24, ist das Universum zugleich der Grund allen Seins. Es ist die dynamisch-schöpferische Ursprungskraft, die alles endliche Sein allererst erzeugt. Die Lebendigkeit des Universums ist nach Schleiermacher somit geradezu das Charaktermerkmal seiner Unendlichkeit. Deswegen hält er auch explizit fest, dass in der Religion der Mensch zum Bewusstsein des Universums als des „ursprünglichen Unendlichen und Lebendigen“25 kommt. In der Religion werden daher auch nicht wie in dem sinnlichen Selbstbewusstsein die endlichen Sachverhalte in ihrem beziehungsweisen Gegensatz zueinander erfahren. Sie treten vielmehr in ihrer gegensatzlosen Bezogenheit auf das Universum und damit ihrer radikalen Dependenz von demselben ins Bewusstsein. Religion ist nach Schleiermacher damit präzise als das Selbstbewusstsein des endlichen Geistes bestimmt.26 Dementsprechend wird die inhaltliche Bestimmung des unmittelbaren religiösen im Vergleich zum unmittelbaren sinnlichen Selbstbewusstsein von Schleiermacher zugleich als eine Bewusstseinserweiterung und Bewusstseinserhebung bestimmt: Die religiöse Bewusstseinserweiterung hat zum Inhalt, dass alle endlichen Sachverhalte in dem Zusammenspiel von Rezeptivität und Spontaneität aufeinander bezogen sind. Demzufolge ist jedes einzelne Endliche in einen allgemeinen Wechselwirkungszusammenhang hineingestellt. In der religiösen Bewusstseinserhebung ist sich der Mensch bewusst, dass dieser beschriebene allgemeine Wechselwirkungszusammenhang seinerseits nicht in sich selbst gegründet ist. Sein Bestehen ist vielmehr erst durch das Universum gesetzt. Es handelt sich somit in der Religion insgesamt um das „unmittelbare Bewusstsein von dem allgemeinen Sein alles Endlichen im Unendlichen und durch das Unendliche“.27 von Schleiermachers Universumsbegriff ungewollt auseinander, einerseits die sogenannte „Universum-Gott“ und andererseits die sogenannte „Universum-Welt“ Dimension. 24 KGA I/2, 294,7. Vgl. zum Ausdruck „Weltgeist“ bei Schleiermacher einschlägig KGA I/12, 140,12–29. 25 KGA I/2, 262,28 (kursiv, C. K.). 26 KGA I/2, 212, 12–15 (kursiv, C. K.): „[…] die Religion athmet da, wo die Freiheit selbst schon wieder Natur geworden ist, jenseits des Spiels seiner besondern Kräfte und seiner Personalität faßt sie den Menschen, und sieht ihn aus dem Gesichtspunkte, wo er sein muß was er ist, er wolle oder wolle nicht.“ 27 KGA I/12, 53,12 f. (kursiv, C. K.).
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These 2: Religion steht in einem notwendigen Bezug auf das sinnliche Bewusstsein. Sie gewinnt ihre bestimmte Gestalt als Anschauung und Gefühl des Universums. Deren Inhalte sind wahre Individualität und teleologische Prozessualität. Die Höchstform des menschlichen Bewusstseinslebens besteht nach Schleiermacher darin, in jedem Moment des sinnlichen Bewusstseinslebens zugleich durch das religiöse Bewusstsein qualifizierend bestimmt zu sein und umgekehrt.28 Denn auch die Entstehung des religiösen Bewusstseins ist prinzipiell auf einen phänomenalen Impuls angewiesen.29 Religion erkennt das Universum ja ausschließlich nach Maßgabe seiner erfahrenen Präsenz im Phänomenalen. Weil Religion nach Schleiermacher prinzipiell phänomenales Transphänomenalbewusstsein ist, kann es nur in Bezug auf das sinnliche Bewusstsein bestehen. Daher wird es auch stets nur in bestimmten religiösen Anschauungen und Gefühlen vom Universum wirklich. Religiöse Bewusstseinserweiterung und ‑erhebung werden in der religiösen Anschauung als zwei Bildaspekte des einen religiösen Bewusstseinsbildes festgehalten: Einerseits wird die Beschreibung der Bewusstseinserweiterung präzisiert in der Darstellung des horizontal-symmetrischen Bildaspekts mit seinem Kern: dem Prinzip der wahren Individualität. Dass in der Religion alles Endliche als Teil und Darstellung des Ganzen angeschaut wird,30 bedeutet nach Schleiermacher exakt, dass alles Endliche als wahre Individualität wahrgenommen wird. Diese steht nach außen in einem konstitutiven Bezug auf alle anderen Individuen.31 Zugleich erweist sie sich nach innen als ein Kompendium aller Individuen.32 Die Religion schaut die endlichen Phä Vgl. KGA I/2, 219,22 ff. (kursiv, C. K.): Die Religion soll nach Schleiermacher „wie eine heilige Musik alles Thun des Menschen begleiten; er soll alles mit Religion thun, nichts aus Religion.“ 29 Vgl. KGA I/2, 227,29–33 (kursiv, C. K.): „Darum ist es auch das Gemüth eigentlich worauf die Religion hinsieht, und woher sie Anschauungen der Welt nimmt; im Innern Leben bildet sich das Universum ab, und nur durch das innere wird erst das äußere verständlich. Aber auch das Gemüth muß, wenn es Religion erzeugen und nähren soll, in einer Welt angeschaut werden.“ 30 KGA I/2, 214,14 f. 31 Das gilt nach Schleiermacher sowohl für die religiöse Naturanschauung (siehe KGA I/2 227,5–14) als auch für die religiöse Menschheitsanschauung (siehe KGA I/2, 231,10– 18). 32 Vgl. KGA I/2, 232,9–24: „In Euch selbst findet Ihr […] nicht nur die Grundzüge zu dem Schönsten und Niedrigsten, zu dem Edelsten und Verächtlichsten, was Ihr als einzelne Seiten der Menschheit an andern wahr genommen habt. In Euch entdekt Ihr nicht nur zu verschiedenen Zeiten alle die mannichfaltigen Grade menschlicher Kräfte, 28
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nomene als wahre Individuen an, d. h. als in notwendigem Zusammenhang stehende, bestimmte Modifikation des Ganzen. Andererseits wird die religiöse Bewusstseinserhebung präzisiert in der Darstellung des vertikal-asymmetrischen Bildaspekts mit seinem Kern: der Geschichtlichkeit oder präziser der teleologischen Prozessualität alles Endlichen. In diesem zweiten Bildaspekt findet die qualitative Differenz des Unendlichen vom Endlichen seinen Ausdruck. Der bislang statische Bildaspekt der wahren Individualität wird damit grundsätzlich dynamisiert. Indem das Universum als lebendiger Organismus und Urgrund in den Blick kommt, werden die beschriebenen Anschauungsbilder um eine Ursprungs‑ und Zieldimension ergänzt.33 Nach Schleiermacher bedeutet also über ein religiöses Bewusstsein zu verfügen, jedes Endliche einerseits als wahres Individuum anzuschauen, welches ein „notwendiges Ergänzungsstück zur vollkommenen Anschauung der Menschheit“34 bildet. Und andererseits jedes dieser wahren Individuen in einem teleologischen Prozess eingespannt wahrzunehmen, den die Menschheit „fortschreitend durchläuft“ und „durch ihre inneren Veränderungen zum Höheren und Vollkommenen fortgebildet“35 wird.
II. Die prinzipielle Vielfalt der Religionen Das Besondere von Schleiermachers inklusivistischer Religionstheologie liegt meines Erachtens darin, dass er aus dem soeben dargestellten Begriff der Religion sowohl die notwendige Vielfalt der positiven Religionen ableitet als auch Kriterien zu deren Einteilung in ein allgemeines religionstheologisches Schema entwickelt. Grundsätzlich geht es Schleiermacher um eine Beschreibung und Beurteilung der Religion aus einer explizit religiösen Perspektive: „[I]ch will euch die Religion zeigen, wie sie sich ihrer Unendlichkeit ent-
sondern alle die unzähligen Mischungen verschiedener Anlagen, die Ihr in den Charakteren anderer angeschaut habt, erscheinen Euch nur als festgehaltene Momente Eures eigenen Lebens. […] Ihr selbst seid ein Compendium der Menschheit, Eure Persönlichkeit umfaßt in einem gewißen Sinn die ganze menschliche Natur und diese ist in allen ihren Darstellungen nichts als Euer eigenes vervielfältigtes, deutlicher ausgezeichnetes und in allen seinen Veränderungen verewigtes Ich.“ 33 Für die religiöse Naturanschauung siehe hier zentral KGA I/2, 226,23–38 und für die religiöse Menschheitsanschauung KGA I/2, 232,29–234,32. 34 KGA I/2, 230,31 f. 35 KGA I/2, 232,30 ff.
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äußert hat, und in oft dürftiger Gestalt unter den Menschen erschienen ist; in den Religionen sollt ihr die Religion entdeken.“36 Wenn Schleiermacher also die gebildeten Verächter auffordert, die Religionen mit Religion anzuschauen, so verlangt er, die beiden Anschauungen der wahren Individualität und der teleologischen Prozessualität religionstheologisch ins Programm zu setzen. These 3: Religion kann ihrem Begriff nach nur in einer Vielfalt wahrer Religionsindividuen existieren. Für diese ist es wesensgemäß, in einem konstitutiven Zusammenhang der gegenseitigen Verwandtschaft und der teleologischen Prozessualität miteinander zu stehen. In zwei Schritten soll diese These begründet und entfaltet werden: Zunächst zeigt Schleiermacher auf, dass es für den Religionsbegriff notwendig aber auch möglich ist, sich in einer Vielzahl von individuellen Religionen zu manifestieren. Daraufhin weist er nach, dass diese religiöse Pluralität keineswegs einer evolutionären Hierarchisierung der Religionen widerspricht, sondern vielmehr auf diese hingeordnet ist. Die Religion ist nach Schleiermacher pluralistisch aus Prinzip. Seine zwei Grundprämissen lauten dabei: Einerseits manifestiert sich die Religion in Form von religiösen Anschauungen (und religiösen Gefühlen) im menschlichen Bewusstsein. Andererseits existiert die ganze Religion nur als Inbegriff bzw. Totalität aller religiösen Anschauungen (und religiösen Gefühle).37 Wenn nun aber gilt, dass die religiösen Anschauungen ihrem Wesen nach unendlich sind, dann folgt daraus, dass die ganze Religion nur auf unendlich unterschiedene Weise existieren kann. Genau dies ist Schleiermacher zufolge nun der Fall: Die Religion ist pluralistisch aus Prinzip, weil die Menge der religiösen Anschauungen ihrem Wesen nach unendlich ist. Sie werden von Schleiermacher ja als bestimmte Anschauungen des Unendlichen im Endlichen beschrieben. Da aber das bestimmte Endliche notwendigerweise für sich das Unendliche nicht vollständig erfassen kann, muss es unendlich viele religiöse Anschauungen des Unendlichen geben. Oder wie Schleiermacher es lakonisch formuliert: „[D]er Mensch ist endlich und die Religion ist unendlich“.38
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KGA I/2, 294,15–18. Weil die religiösen Gefühle in Schleiermachers Begründung der Religionsvielfalt in der Erstauflage der Reden keine essentielle Rolle spielen, fokussiere ich mich im Folgenden auf die religiösen Anschauungen. 38 KGA I/2, 295,18. 37
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Verstärkt wird diese These noch durch Schleiermachers Feststellung, dass keine religiöse Anschauung an sich existiert, sondern jede erscheint jeweils unterschiedlich nach Maßgabe der jeweils verschiedenen Ansichten von ihr.39 Beim religiösen Bewusstsein handelt es sich folglich präzise um geformte religiöse Ansichten. Die ganze Religion existiert also nur vollständig, wenn alle geformten Ansichten jeder religiösen Anschauung wirklich gegeben sind. Das ist aufgrund seiner Standpunktgebundenheit keinem Menschen allein möglich. Daher ist die Religion mit Notwendigkeit plural verfasst. Die reale Möglichkeit der religiösen Pluralität ergibt sich daraus, wie Schleiermacher diese geformten religiösen Ansichten näher bestimmt. Der Kernpunkt besteht darin, dass er sie als wahre Religionsindividuen charakterisiert: Nach Schleiermacher wird die ganze Religion individualisiert, indem aus der unendlichen Menge der religiösen Anschauungen eine bestimmte zur Zentralanschauung avanciert. Aus deren Perspektive werden nun alle anderen Anschauungen betrachtet und geordnet. Hierdurch wird die, prinzipiell unendlicher Variationen fähige, religiöse Ansicht auf das Universum in eine bestimmte Form gebracht und erhält allererst im eigentlichen Sinne einen unverwechselbaren und stetigen Charakter. Die religiöse Zentralanschauung verhält sich bildlich gesprochen wie ein Gravitationszentrum, welches an sich gleichwertige religiöse Anschauungen durch ihre Anziehungskraft in eine bestimmte Ordnung bringt.40 Die religiöse Zentralanschauung stellt somit das principium individuationis der Religion dar. Sie gibt zugleich das interne Bestimmungskriterium als auch das externe Unterscheidungskriterium jeder positiven Religion ab. Die Notwendigkeit der religiösen Pluralität wird also nach Schleiermacher in Form der positiven Religionen real möglich. Die ganze Religion manifestiert sich nach Schleiermacher folglich in der Totalität der positiven Religionen. Hieraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen für Schleiermachers Verständnis der religiösen Pluralität: Erstens: Schleiermacher zufolge stellt die Religionsvielfalt nicht allein einen faktischen, sondern vielmehr einen notwendigen Sachverhalt dar. Weil 39 Das gilt nach Schleiermacher sowohl für ein religiöses Subjekt in seinem Bezug auf andere Menschen: „Dicht hinter Euch, dicht neben Euch mag jemand stehen, und alles kann ihm anders erscheinen.“ (KGA I/2, 215,18 f.) Es gilt ihm zufolge aber auch in Bezug auf ein einzelnes religiöses Subjekt selbst: „[…] von einem entgegengesezten Punkte aus würdet Ihr nicht nur in neuen Gegenden neue Anschauungen erhalten, auch in dem alten wohlbekannten Raume würden sich die ersten Elemente in andere Gestalten vereinigen und alles würde anders sein.“ (KGA I/2,216,27–31). 40 KGA I/2, 303,23–304,15.
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alle Einzelreligionen als wahre Religionsindividuen nur Teile der ganzen Religion sind, kann folglich auch keine Einzelreligion für sich genommen die ganze Religion bilden. Anders als im religionstheologischen Exklusivismus besitzt nach Schleiermacher keine Religion einen Alleingeltungsanspruch.41 Es besteht vielmehr ein Gesamtgeltungsanspruch der positiven Religionen. Mit diesem Neologismus wird hervorgehoben, dass es nach Schleiermacher zum Wesen jeder wahren Einzelreligion gehört, in einem konstitutiven Bezug auf alle anderen wahren Einzelreligionen zu stehen. Zweitens: Jede Einzelreligion ist nach Schleiermacher aber nicht allein Teil, sondern auch spezifische Darstellung der ganzen Religion. Daraus folgt nun, dass in jeder Einzelreligion alles, was in den anderen Religionen enthalten ist, in bestimmt modifizierter Hinsicht auch enthalten ist. Hierin ist nach Schleiermacher auch die Möglichkeit angelegt, dass die unterschiedlichen Religionsindividuen sich nicht allein gegenseitig überhaupt als Religionen erkennen können, sondern darüber hinaus auch in ihrer jeweiligen Bestimmtheit aufzufassen vermögen. Klare religiöse Positionierung schließt also nicht aus, sondern beinhaltet vielmehr notwendig die würdigende Anerkennung divergierender Standpunkte. Folglich muss unter den Religionen das höchste Ziel in einer gegenseitigen Anerkennung in dem umfassenden Verwandtschaftsbewusstsein eines „Bund[es] von Brüdern“42 bzw. Schwestern, bestehen.43 41 Die im Folgenden aufgeführten religionstheologischen Optionen richten sich nach dem religionstheologischen Standardmodell, das sich aus der vollständigen logischen Disjunktion auf die prinzipielle Frage ergibt: „[W]ie die Geltungsansprüche der Religionen und ihr Verhältnis zu beurteilen sind“ (Friedrich Hermanni, „Der unbekannte Gott. Plädoyer für eine inklusivistische Religionstheologie“ in: Christian Danz/Friedrich Hermanni (Hgg.), Wahrheitsansprüche der Weltreligionen. Konturen gegenwärtiger Religionstheologie, Neukirchen-Vluyn 2006, 149–169, hier: 150). Vgl. auch Perry SchmidtLeukel, Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh 2005, 34 ff.). Das hieraus sich ergebende Standardmodell gliedert sich erstens in den religionstheologischen Exklusivismus, welcher die Annahme vertritt, dass die Geltungsansprüche nur einer einzigen Religion berechtigt sind. Zweitens den religionstheologischen Inklusivismus, welcher der Ansicht ist, dass die Geltungsansprüche von mehr als einer Religion berechtigt sind, jedoch im höchsten Maße nur in einer einzigen alle anderen überbietenden Weise. Drittens den religionstheologischen Pluralismus, demzufolge die Geltungsansprüche von mehr als einer Religion im höchsten Maße berechtigt sind. Die vierte Option ist der religionstheologische Naturalismus, welcher der Ansicht ist, dass keine Religion überhaupt berechtigte Geltungsansprüche besitzt. 42 KGA I/2, 291,30. 43 Vgl. auch einschlägig KGA I/2, 313,30–34 (kursiv, C. K.): „Vergeßt also nie, daß die Grundanschauung einer Religion nichts sein kann, als irgend eine Anschauung des Unendlichen im Endlichen, irgend ein allgemeines Element der Religion; welches in allen
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Drittens: Positive Religionen sind als Teile und Darstellung aber keineswegs nur unselbständige Bruchstücke, die erst durch ihre Zusammensetzung zur wahren Religion würden. Gegen solche geschichtslosen Gebilde einer allgemeinen Vernunftreligion betont Schleiermacher, dass in jeder positiven Religion die Religion auf modifizierte Weise wahrhaftig existiert.44 Anders jedoch als im religionstheologischen Pluralismus, sind die Religionen nach Schleiermacher dennoch nicht gleichwertig. Der religiöse Wert bemisst sich daran, in welcher Klarheit und Deutlichkeit in ihnen die religiöse Bewusstseinserweiterung und Bewusstseinserhebung entwickelt sind. Die religiöse Pluralität steht also in keinem Widerspruch zu einer Hierarchisierung der Religionen. Er vertritt in den Reden keineswegs eine religiöse Individualisation um jeden Preis, sondern diese ist seinem Religionsbegriff gemäß auf eine teleologische Prozessualität hingeordnet. Thematisch wird dies von Schleiermacher in seinem religionstheologischen Einteilungsschema behandelt: Demnach lassen sich die positiven Religionen hierarchisch in über‑ bzw. untergeordnete Bildungs‑ oder Entwicklungsstufen einteilen.45 Als Kriterium dieser Stufung gilt Schleiermacher die Fähigkeit einer Religion, ein klares Bewusstsein vom Verhältnis zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen auszubilden. Dies beinhaltet sowohl die qualitative Unterscheidung zwischen beiden Bereichen als auch die Gesetzmäßigkeit ihrer Bezogenheit aufeinander. In der Entwicklungsstufe werden also die religiöse Bewusstseinserweiterung und ‑erhebung im Rahmen ihrer bestimmten Klarheit und Deutlichkeit aktualisiert. Die Reden bringen diese Stufung in der Weise zum Ausdruck, dass sie die Religionen danach hierarchisieren, ob in ihnen das Universum als verworrene Einheit, als bestimmte Vielheit oder als systematische Allheit angeschaut wird. Auf der letzten Stufe wird das Universum klar und deutlich als wahres Unendliches aufgefasst, welches als Alles bestimmende Wirklichkeit den Grund und die Totalität alles Endlichen bildet.46 Darüber hinaus lassen sich die so eingeteilten Stufen Schleiermacher zufolge wiederum nach Arten spezifizieren, wodurch die Religionen einer beandern aber auch vorkommen darf, und wenn sie vollständig sein sollten, vorkommen müßte, nur daß es in ihnen nicht in den Mittelpunkt gestellt ist.“ 44 Vgl. KGA I/2, 308,33–311,23. 45 Vgl. im ganzen Zusammenhang KGA I/2, 244,18–246,8. Gegen Schröder, nach dessen Ansicht Schleiermacher in der Reden im Unterschied zur Glaubenslehre (KGA I/13.1– 2) „noch nicht ein Stufungsverhältnis […] von Religion“ behauptet (Markus Schröder, „Das ‚unendliche Chaos‘ der Religion. Die Pluralität der Religionen in Schleiermachers ‚Reden‘“, in: Ulrich Barth/Claus-Dieter Osthövener (Hgg.), 200 Jahre ‚Reden über die Religion‘, Berlin / New York 2000, 585–608, hier: 600 [= Das ‚unendliche Chaos‘]). 46 Vgl. KGA I/2, 244,18–245,7.
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stimmten gemeinsamen Stufe nun einander koordiniert werden können. Das Kriterium zur Arteinteilung der Religionen ergibt sich Schleiermacher zufolge daraus, auf welche Weise mittels der religiösen Fantasie das lebendige Universum selbst vorgestellt wird: Entweder als beseelt, dann stellt sich die Religionsgemeinschaft einen Gott vor und ist personalistisch oder aber als unbeseelt, dann stellt sie sich das Universum im Sinne einer natura naturans vor und gehört der pantheistischen Art an.47 Schleiermachers religionstheologisches Einteilungsschema verbindet also eine dreifache Querschnittseinteilung der aufsteigenden religiösen Entwicklungsstufen mit einer zweifachen Längsschnitteinteilung der religiösen Arten. In dieses Sechsfächer-Schema können alle positiven Religionen nach Maßgabe ihrer religiösen Anschauungen eingeordnet und mittels ihrer individuellen Zentralanschauung voneinander unterschieden werden.
III. Die Dynamik und das Ziel der Religionsgeschichte These 4: Positive Religionen stehen in keiner direkten historischen Abhängigkeit voneinander, sondern die Religionsgeschichte ist natürlich-supranatural verfasst. Sie vollzieht sich einerseits natürlich entlang der religiösen Selbstbewusstseinsgeschichte, deren Motor andererseits nicht die Rationalität menschlicher Subjekte, sondern der supranaturale Plan des Unendlichen ist. Im Folgenden werden die zentralen Ansichten Schleiermachers zur Religionsgeschichte präsentiert, wie er sie in den Reden anhand seiner Darstellung und Auseinandersetzung mit dem Judentum generiert. Vorweg sei deutlich betont: Schleiermachers Beschreibung und Beurteilung des Judentums ist defizitär und theologisch sicherlich untragbar. Daher dienen die folgenden Ausführungen mehr zur Darstellung seiner eigenen Auffassung von Religionsgeschichte keineswegs zur objektiv-adäquaten Beschreibung jüdischen Glaubens.48 Die jüdische Zentralanschauung bestimmt Schleiermacher als die „Idee […] von einer allgemeinen unmittelbaren Vergeltung, von einer eigenen Reaktion des Unendlichen gegen Jedes einzelne Endliche, das aus der Willkür 47
KGA I/2, 245,11–30. Zur Kritik an Schleiermachers Beschreibung und Beurteilung des Judentums vgl. auch Matthias Blum, Ich wäre ein Judenfeind? Zum Antijudaismus in Friedrich Schleiermachers Theologie und Pädagogik, Köln/Weimar/Wien 2010, hier einschlägig: 16–30. Siehe auch Richard E. Crouter, Friedrich Schleiermacher: Between Enlightenment and Romanticism, Cambridge 2008, 123 ff. 48
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hervorgeht, durch ein anderes Endliches, das nicht als aus der Willkür hervorgehend angesehen wird.“49 Es handelt sich dieser Beschreibung zufolge im Judentum nach Schleiermacher erstens um eine Religion der höchsten Entwicklungsstufe, d. h. um eine sogenannte systematische Religion. Denn einerseits ist in ihr die religiöse Bewusstseinserhebung mit ihrer Unterscheidung von Unendlichem und Endlichem fortgeschritten entwickelt und andererseits schließt die religiöse Bewusstseinserweiterung dem eigenen Anspruch nach das Endliche universal ein. Zweitens ist das Judentum der Art nach eine personalistisch-geschichtliche Religion, deren Zentralanschauung drittens ein göttliches Vergeltungshandeln vorstellt. Dessen Gesetzmäßigkeit bewegt sich Schleiermacher zufolge präzise im Rahmen einer göttlichen Pädagogik mit ihrer Konzeption eines innerweltlichen Tun-Ergehen-Zusammenhangs:50 Die Befolgung des göttlichen Willens wird durch irdisches Wohlergehen belohnt und die Nichtbefolgung dementsprechend durch irdisches Übelergehen bestraft.51 Nach Schleiermacher besitzt nun jede Religion einen bestimmten Stoff oder vorzüglichen Gegenstandsbereich ihrer religiösen Betrachtung und
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KGA I/2, 315,10–14. In der Beschreibung des Verhältnisses zwischen Gottheit und Menschheit als einer göttlichen Pädagogik, die sich im Judentum in Form eines umfassenden Tun-Ergehen-Zusammenhangs zeigt, der als kindlich beschrieben wird, ähnelt Schleiermachers Darstellung sehr derjenigen seines theologischen Vorgängers Lessing. Siehe hierzu einschlägig Gotthold Ephraim Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780), hrsg. von Joseph Kiermeier-Debre, München 1997, insbesondere § 16 (= Erziehung) (kursiv, C. K.): „Ein Volk aber, das so roh, so ungeschickt zu abgezognen Gedanken war, noch so völlig in seiner Kindheit war, was war es für einer moralischen Erziehung fähig? Keiner andern, als die dem Alter der Kindheit entspricht. Der Erziehung durch unmittelbare sinnliche Strafen und Belohnungen.“ Vgl. zum modernen Verständnis des Tun-Ergehen-Zusammenhangs einschlägig Klaus Koch, „Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?“, in: ders., Spuren des hebräischen Denkens. Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, Bernd Janowski/Martin Krause (Hgg.), Neukirchen-Vluyn 1991, 107– 127; Bernd Janowski, „Die Tat kehrt zum Täter zurück. Offene Fragen im Umkreis des ‚Tun-Ergehen-Zusammenhangs‘“, in: ders., Die rettende Gerechtigkeit, NeukirchenVluyn 1999, 167–192 und mit direktem Bezug auf Schleiermacher Rudolf Smend, „Die Kritik am Alten Testament“, in: Dietz Lange (Hg.), Friedrich Schleiermacher 1768–1834. Theologe – Philosoph – Pädagoge, 106–128. 51 Schleiermacher blieb von der Angemessenheit dieser Beschreibung der jüdischen Religion bis zuletzt überzeugt, wie sich auch an ihrer Übereinstimmung mit Formulierungen aus seiner späten Leben-Jesu-Vorlesung zeigt (vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Das Leben Jesu. Vorlesungen zu Berlin im Jahr 1832. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse und Nachschriften seiner Zuhörer, in: ders., Sämtliche Werke, hrsg. von Karl August Rütenik, Berlin 1864, I/6, 21–26 [= Leben Jesu]). 50
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eine bestimmte Form, welche die Art und Weise der Betrachtung auf den jeweiligen religiösen Gegenstandsbereich festlegt. Schleiermacher zufolge wird im Judentum die Welt‑ und Individualgeschichte als durchgängig persönlicher Dialog zwischen Gott und Mensch aufgefasst. Der religiöse Stoff ist daher die eigene Tradition, welche den „Zusammenhang dieses großen Gesprächs“52 fixiert.53 Die Tradition ermöglicht den Einblick in die spezifische Gesetzmäßigkeit des innerweltlichen TunErgehen-Zusammenhangs. Die religiöse Form des Judentums bildet nach Schleiermacher die Weissagung, sie ermöglicht Einblick in die spezifische Gültigkeit des innerweltlichen Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Ursprünglich ist die Zentralanschauung des Judentums nach Schleiermacher nur auf einen „kleinen Schauplatz ohne Verwicklung“54 bezogen gewesen. Als das Judentum jedoch dieses „einfache Ganze“55 der „patriarchalischen Zeit“56 verließ und „auf den Schauplaz der Welt“57 geriet, wurde es aufgrund der nun eintretenden Komplexität der Handlungszusammenhänge und Widersprüchlichkeiten der Handlungsfolgen zunehmend schwieriger, den innerweltlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang für einzelne Taten zu erfassen. In dieser Situation versuchte das Judentum seine religiöse Zentralanschauung zu retten, indem es nicht mehr das unmittelbare geschichtliche Ergehen der handelnden Personen für die Vergeltung Gottes ansah, sondern die göttliche Reaktion nun unter Zuhilfenahme seiner weissagenden Fantasie antizipierte und den Geschichtsverlauf in diesem Sinne gedanklich „vorwegnahm“.58 Den religionstheologischen Wendepunkt der jüdischen Religion stellt laut Schleiermacher nun der religiöse Messianismus dar:59 52
KGA I/2, 315,31 f. Osthövener beschreibt dieses Verhältnis formal sachgerecht als „unendlich iterierte Oszillation von Wirkung und Gegenwirkung“, Claus-Dieter Östhövener, „Das Christentum als Erlösungsreligion“, in: Ulrich Barth/Claus-Dieter Osthövener (Hgg.), 200 Jahre ‚Reden über die Religion‘, Berlin/New York 2000, 685–697, hier: 691 (= Erlösungsreligion). 54 KGA I/2, 315,39. 55 KGA I/2, 315,40. 56 KGA I/12, 284,28. 57 KGA I/2, 316,2. 58 KGA I/2, 316,5. 59 KGA I/2, 316,9 f. Diese Interpretation des Messiasglaubens als des einschneidenden religionstheologischen Wendepunkts der jüdischen Religion widerspricht somit der in der Forschung einflussreichen Einschätzung Beckmanns, demzufolge Schleiermacher den Messiasglauben vornehmlich politisch auffasse und ihn aus diesem Grunde durchgehend abwertend beurteile (vgl. Klaus Beckmann, Die fremde Wurzel. Altes Testament 53
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Zum einen ist er das höchste Erzeugnis des Judentums, weil in ihm eine ultimative und unüberbietbare Reaktion Gottes geweissagt wird. Die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Welt soll durch den göttlichen Messias wieder rückgängig gemacht werden: „Durch die Unterwerfung der Völker unter das alte Gesetz sollte jener einfache Gang wieder allgemein werden in den Begebenheiten der Welt“.60 Zum anderen ist der Messianismus zugleich die letzte Anstrengung der jüdischen Religion, da in ihm der immanente Selbstwiderspruch zu Tage tritt: An einer ultimativen religiösen Weissagung festzuhalten, weil alle religiösen Weissagungen gescheitert sind.61 Das Bewusstsein vom Ende und Scheitern und Judentum in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2002, 43; 46). Ganz im Gegenteil kann man festhalten, dass es sich nach Schleiermacher bei dem Messiasglauben des Judentums zum einen um ein originär religiöses Phänomen handelt (siehe hierzu auch Schleiermachers eindeutige Ausführungen aus seiner Leben-Jesu-Vorlesung (Schleiermacher, Leben Jesu, SW I/6, 263,25 ff.)). Seine hohe religionstheologische Bedeutsamkeit kommt dem Messianismus nach Schleiermacher zum anderen zu, weil er als höchstes und letztes Erzeugnis der jüdischen Religion den immanenten Selbstwiderspruch des Judentums offenbart und somit die unbewusst gärende Erlösungsbedürftigkeit des Judentums und seine Sehnsucht nach religiöser Erneuerung herausstellt (vgl. hierzu auch einschlägig KGA I/12, 303,8 ff.; 306,27–33). Im Gegensatz zu Beckmanns Interpretation kann daher Schleiermachers Messianismusverständnis vielmehr im Lessingschen Sinne als ein religionstheologischer Fingerzeig in Richtung auf das Christentum aufgefasst werden. Denn, so heißt es treffend in der Erziehung des Menschengeschlechts in § 46: „Einen Fingerzeig nenne ich, was schon irgendeinen Keim enthält, aus welchem sich die noch zurükgehaltene Wahrheit entwikeln läßt.“ (Lessing, Erziehung, § 46) In seiner hohen Wertschätzung des jüdischen Messiasglaubens trifft sich Schleiermacher daher mit den Ansichten Novalis’, demzufolge der im Exil sich bildende „Messiasglaube […] das Wesen des Judentums bis in seine eigene Zeit hinein ausmacht.“ (Andreas Kubik, Die Symboltheorie bei Novalis. Eine ideengeschichtliche Studie in ästhetischer und theologischer Absicht, Tübingen 2006, 323). 60 KGA I/2, 316,13 ff. (kursiv, C. K.). 61 Diese These richtet sich auch gegen von Scheliha demzufolge durch den jüdischen Messiasglauben „die Vergeltungsidee transzendiert und die apokalyptische Wiederherstellung der religiösen Grundidee imaginiert“ wird (Arnulf von Scheliha, „Schleiermachers Deutung von Judentum und Christentum in der fünften Rede ‚Über die Religion‘ und ihre Rezeption bei Abraham Geiger“, in: Roderich Barth /Ulrich Barth / Claus-Dieter Osthövener (Hgg.), Schleiermacher und das Judentum. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Halle 2009, Berlin / New York 2012, 210–224, hier: 217 f.). Nach Schleiermacher wird durch den Messiasglauben die Idee der göttlichen Vergeltung im Judentum keineswegs transzendiert. Dies ist Schleiermacher zufolge auch gar nicht möglich, da die Idee der göttlichen Vergeltung ja die jüdische Zentralanschauung darstellt, die allen sonstigen Anschauungen im Judentum als geistiger Mittelpunkt dient. Folglich kann auch das Judentum als Judentum nur mit seiner religiösen Zentralanschauung der göttlichen Vergeltung existieren. Anders ausgedrückt: Wäre es dem Judentum möglich, seine religiöse Zentralanschauung der göttlichen Vergeltung zu transzendieren,
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aller Weissagung ist laut Schleiermacher also nicht die Folge, sondern paradoxerweise der eigentliche Grund der Messiasweissagung. Dieser immanente religiöse Selbstwiderspruch geht nach Schleiermacher zurück auf einen eklatanten Realitätsverlusts der jüdischen Zentralanschauung selbst. Der im religiösen Bewusstsein angenommene Tun-Ergehen-Zusammenhang lässt sich in einer komplexen Welt nicht mehr im sinnlichen Bewusstseinsleben verifizieren.62 Religiöses und sinnliches Wirklichkeitsbewusstsein treten zueinander in einen Gegensatz. Diesem fundamentalen Widerstreit im menschlichen Bewusstseinsleben wird im Messianismus mit der Hoffnung auf eine radikale Wandlung ausschließlich in der sinnlichen Wirklichkeit begegnet. Statt einer Sehnsucht nach Optimierung des religiösen Bewusstseins, wird vielmehr ein regressiver Weltzustand erhofft.63 Das offenbart Schleiermacher zufolge jedoch im Umkehrschluss, dass die jüdische Zentralanschauung keine universale, sondern lediglich eingeschränkt-partikulare Gültigkeit besitzt. Die jüdische Vorstellung von einem innerweltlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang beruht nach Schleiermacher folglich darauf, dass ewige und endliche Ursachen, d. h. göttliches und menschliches Handeln, im Judentum noch nicht adäquat voneinander unterschieden, sondern vielmehr noch miteinander verworren vorgestellt werden. Dies ist letztlich auch der entscheidende Grund, weshalb Schleiermacher das Judentum, so wäre es ihm folglich gegeben, durch die selbsttätige Änderung der eigenen religiösen Zentralanschauung, sich selbst religiös zu optimieren. Schleiermachers gesamte Argumentation der fünften Rede läuft jedoch auf das genaue Gegenteil hinaus. Gerade weil jede Religionsgemeinschaft auf einem eigentümlichen Erschließungsgeschehen des Universums beruht, kann prinzipiell keine Religionsgemeinschaft ihre Zentralanschauung selbsttätig ändern. Demzufolge transzendiert das Judentum im Messianismus nicht etwa die Idee der göttlichen Vergeltung, sondern, und das ist gerade das Prekäre nach Schleiermachers Darstellung, es tritt mit seiner Vorstellung des Messianismus in einen Widerspruch zu seinen sonstigen Weissagungen, ja zum Prinzip der Weissagung selbst und infolgedessen auch in einen Widerspruch zu seiner eigenen religiösen Zentralanschauung, ohne, dass es zur Behebung dieses Widerspruchs aus sich selbst befähigt wäre. (Vgl. einschlägig KGA I/12, 306,27ff: „Auch die messianischen Hoffnungen der Juden waren keine solche Sehnsucht nach etwas über das Judenthum Hinausgehendem, wenngleich sie hernach durch die weit über dasselbe hinausgehende Erscheinung Christi erfüllt wurden.“) 62 Vgl. auch Joseph W. Pickle, „Schleiermacher on Judaism“, Journal of Religion 60/2 (1980), 115–137, hier: 120 f.: „And there’s the rub. The extension of this idea beyond its originally small stage leads to legalistic casuistry and to a noble, but anachronistically conceived, messianism. The narrow, limited conception of divine-human interaction, though extended by analogy and parallelism, proved static and inflexible in the wider contact between peoples. What is left is a fossil – political association and mechanical, external activities.“ 63 KGA I/2, 318,10–14.
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übrigens explizit nicht alleine das Judentum,64 als kindische Religion65 bzw. als „kindlich“66 charakterisiert.67 Aus Schleiermachers Beschreibung des Judentums lassen sich zwei allgemeine religionstheologische Folgen ziehen: Erstens: Zwar ist nach Schleiermacher jede religiöse Anschauung an sich ewig und wahr, „weil sie ein ergänzender Theil des unendlichen Ganzen ist, in dem Alles ewig sein muß“68. Daraus folgt aber nicht, dass sämtliche religiöse Zentralanschauungen wahr und ewig sind. Religiöse Zentralanschauungen besitzen ihm zufolge eine bestimmte religiöse Halbwertszeit. Ihnen kommt nur so lange Gültigkeit zu, wie sie einem bestimmten Zustand der menschlichen Bildung zu entsprechen vermögen. Geraten in einer Religion religiöses und sinnliches Wirklichkeitsbewusstsein in einen Widerspruch zueinander, dann haben sie sich religionstheologisch überlebt.69 Zweitens: Die Entstehung neuer Religionen ist von anderen Religionen weder historisch direkt abhängig noch wird sie sachlich durch die Widersprüchlichkeit anderer Religionen provoziert.70 Es kann nach Schleiermacher „in keiner positiven Religion eine Sehnsucht“ nach „neuen Offenbarungen außerhalb des Umkreises der gegebenen Religion“ geben, weil „auch die Sehnsucht eines jeden natürlich seine eigenthümliche Art und Form an sich tragen muß.“71 Nach Schleiermacher bilden sich Religionen also nicht aufgrund rationaler Optimierungsbestrebungen der menschlichen Subjekte, sondern aufgrund ursprünglicher Offenbarungen nach dem Plan des Universums. Weil sich die Religionsgeschichte nach Schleiermacher einerseits als religiöse Selbstbewusstseinsgeschichte vollzieht,72 sich jedoch andererseits die Übergangspunkte dieser Entwicklung einem supranaturalen Impuls verdanken, kann man sein Verständnis der Religionsgeschichte als natürlichsupranatural näher charakterisieren.
64 KGA
I/2, 324,11 f. Ebd. (kursiv, C. K.). 66 KGA I/2, 314,43; 315,38 f. 67 Vgl. KGA I/2, 252,28–253,3. 68 KGA I/2, 323,40–324,2. 69 KGA I/2, 324,3–7. 70 Vgl. KGA I/2, 314,39–43 (kursiv, C. K.): „Auch rede ich nicht deswegen von ihm [dem von Schleiermacher sogenannten „Judaismus“, C. K.], weil er etwa der Vorläufer des Christenthums wäre: ich haße in der Religion diese Art von historischen Beziehungen, ihre Nothwendigkeit ist eine weit höhere und ewige, und jedes Anfangen in ihr ist ursprünglich“. 71 KGA I/12, 306,23–29. 72 Vgl. hierzu im vorliegenden Band den Aufsatz von Wilhelm Gräb. 65
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These 5: Die Religionsgeschichte ist auf das Christentum hingeordnet, in dem sie sich vollendet. Das Christentum ist die höchste Religion, weil es das Selbstbewusstsein der Religion darstellt und ihre umfassende Verwirklichung anstrebt. Seine Höchstgeltung beinhaltet keinen exklusiven Alleingeltungsanspruch, sondern allein seine ausschließende Vortrefflichkeit. Die christliche Zentralanschauung ist Schleiermacher zufolge die „Idee eines allgemeinen Entgegenstrebens alles Endlichen gegen die Einheit des Ganzen, und der Art wie die Gottheit dieses Entgegenstreben behandelt, wie sie Feindschaft gegen sich vermittelt, und der größer werdenden Entfernung Grenzen sezt durch einzelne Punkte über das Ganze ausgestreut, welche zugleich Endliches und Unendliches, zugleich Menschliches und Göttliches sind.“73 Nach Schleiermacher handelt es sich beim Christentum, um eine systematische Religion der geschichtlich-personalistischen Art, wobei sie anders als das Judentum das Verhältnis zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen in Form eines universal-versöhnenden Erlösungshandelns Gottes darstellt. Das Erlösungsgeschehen ist laut Schleiermacher universal, da es sich auf die Überwindung eines irreligiösen Prinzips im Endlichen selbst bezieht. Die endlichen Sachverhalte, alle Menschen eingeschlossen, streben Schleiermacher zufolge von Natur aus danach, ihre scheinbare Eigenständigkeit gegenüber dem „Zusammenhang des Ganzen“74 zu behaupten und zu erweitern. Ihr Widerstreben gegen das sie erzeugende und erhaltende Universum ist keineswegs bloß Produkt eines willkürlichen Fehlverhaltens, sondern Ausdruck eines notwendigen Verblendungszusammenhangs.75 Im egozentrischen Streben blind für den wahren Grund und das Ziel ihres Daseins und von sich aus „unfähig etwas hervorzubringen worin der Geist des Universums wirklich lebte“76 ist dieser Verblendungszusammenhang absolut. Diese Ansicht von der prinzipiellen Erlösungsfähigkeit der Menschheit bei gleichzeitig radikaler Erlösungsbedürftigkeit durch das Unendliche, bildet dem Christentum zufolge den Ursprung der gesamten Religionsgeschichte. In 73
KGA I/2, 316,29–34. KGA I/2, 317,3. 75 Schleiermachers Ausdruck „Entgegenstreben“ meint hierbei nicht etwa wie Nowak annimmt ein „Hinstreben“ zum Universum (Kurt Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik. Eine literaturgeschichtliche Studie zum romantischen Religionsverständnis und Menschenbild am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland, Weimar / Göttingen 1986, 203), sondern es bezeichnet gerade die konträre Bewegung des „gegen etwas Strebens“ im Sinne von „sich einer Sache zu widersetzen“. Vgl. dazu auch Osthövener, Erlösungsreligion, 691, Anm. 20). 76 KGA I/2, 317,5 f. 74
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der christlichen Zentralanschauung ist sich das religiöse Bewusstsein somit der ontologischen Möglichkeitsbedingungen von Religion überhaupt gewiss. Den zweiten zentralen Gegenstand der christlichen Anschauung bildet laut Schleiermacher das Eingreifen des göttlichen Erlösers in die Religionsgeschichte. Hierbei ist entscheidend, dass Erlösung keine Umschaffung oder gänzliche Neuschaffung der Menschheit bedeutet. Ihre Erlösungsbedürftigkeit basiert ja nur auf einer natürlichen Täuschung, wodurch die Menschen zwar des Bewusstseins ihrer ursprünglichen Bezogenheit auf das Unendliche beraubt sind, diese Bezogenheit selbst jedoch nicht zerstört ist.77 Folglich ist religiöse Erlösung möglich, und zwar aufgrund des Zusammenspiels von gnadenhafter Selbsterschließung des Unendlichen einerseits und der potenziellen Empfänglichkeit des Endlichen für diese Einwirkung andererseits. Erlösung kann sich in der gesamten Religionsgeschichte somit nur vollziehen, indem die Menschheit vollständig mit Gott durch Gott versöhnt wird. Im Christentum besteht also das Bewusstsein von den epistemologischen Möglichkeitsbedingungen der Religion überhaupt. Der dritte zentrale Gegenstand des Christentums ist nach Schleiermacher der evolutionäre Vollzug des göttlichen Erlösungsgeschehens. Das Unendliche muss seine Wirkmächtigkeit dem Endlichen im Endlichen selbst zeigen, da das Endliche von sich aus ausschließlich zu einer bewussten Beziehung auf den endlichen Wirklichkeitsbereich befähigt ist. Folglich kann die Art und Weise des Erlösungsgeschehens nach Schleiermacher nur über religiöse Mittler fungieren, da diese „zugleich Endliches und Unendliches, zugleich Menschliches und Göttliches sind“.78 Gottes universal-versöhnendes Erlösungshandeln erfolgt nach christlicher Auffassung allerdings nicht mit einem Schlag, sondern teleologisch in Form von stetig perfektionierten Mittlergestalten.79 Auf diese Weise wird nach Schleiermacher der im Judentum hauptsächlich symmetrisch aufgefasste sittliche Dialog zwischen Gott und der gesamten Menschheit im Christentum zu dem Verständnis eines asymmetrisch verfassten erlösenden Bildungsprozesses bzw. durch „das immer 77 KGA I/2, 252,9–15: „Der Mensch wird mit der religiösen Anlage geboren wie mit jeder andern, und wenn nur sein Sinn nicht gewaltsam unterdrükt, wenn nur nicht jede Gemeinschaft zwischen ihm und dem Universum gesperret und verrammelt wird […] so müßte sie sich auch in Jedem unfehlbar auf seine eigne Art entwikeln; aber das ist es eben was leider von der ersten Kindheit an in so reichem Maaße geschieht zu unserer Zeit.“ 78 KGA I/2, 316,33 f. 79 KGA I/2, 317,26–31: „[…] immer neue Veranstaltungen trift die Gottheit, immer herrlichere Offenbarungen gehen durch ihre Kraft allein aus dem Schooße der alten hervor, immer erhabenere Mittler stellt sie auf zwischen sich und den Menschen, immer inniger vereinigt sie in jedem späteren Gesandten die Gottheit mit der Menschheit, damit durch sie und von ihnen die Menschen lernen mögen das ewige Wesen erkennen“.
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fortgehende Erlösungswerk der ewigen Liebe“80 vertieft. Im Christentum besteht somit das Bewusstsein von der geschichtlichen Vollzugsweise der Religion überhaupt. Wie soeben gezeigt, wird sich die Religion nach Schleiermacher im Christentum umfassend ihres eigenen Wesens, d. h. ihres Ursprungs, ihrer Entwicklungsgeschichte und ihres Zieles, bewusst. Seine ausschließliche Vortrefflichkeit gründet darin, dass es „die Religion selbst als Stoff für die Religion verarbeitet“.81 Während die anderen positiven Religionen auf einer bestimmten Anschauung des Unendlichen im Endlichen beruhen, so thematisiert das Christentum die grundlegende Voraussetzung jeder religiösen Anschauung, welche die anderen positiven Religionen bloß unbesehen in Anspruch nehmen. Weil sich im Christentum diese unmittelbare Reflexivität der Religion auf ihr eigenes Wesen ereignet, bezeichnet Schleiermacher sie auch als die „höhere Potenz“82 der Religion und damit als „Religion der Religionen“.83 Denn: So wie das religiöse Bewusstsein das Selbstbewusstsein des endlichen Geistes darstellt, so bildet das Christentum das Selbstbewusstsein der Religion.84 Dies ist meines Erachtens jedoch nach Schleiermacher nicht der einzige Grund für die religionstheologische Höchstgeltung des Christentums. Er ergänzt nämlich seine bisherige Beschreibung des christlichen Stoffs durch die Charakterisierung der christlichen Form, welche sich auf die spezifische Art und Weise der Beteiligung des Menschen am göttlichen Erlösungsgeschehen bezieht. Grundsätzlich versteht er die Beziehung zwischen dem Stoff und der Form des Christentums ganz analog zum Verhältnis zwischen der gläubigen Wiedergeburt und dem hierauf anhebenden Heiligungsprozess. In dem christlichen Bewusstsein des Erlöstseins bzw. der Wiedergeburt ist Schleiermacher zufolge zwar die Macht des irreligiösen Prinzips über die Menschheit grundsätzlich gebrochen. Dennoch ist die tatsächliche Wirksamkeit des irreligiösen Prinzips in den einzelnen Menschen noch keineswegs restlos getilgt. Sie muss durch das selbständige und kritische Wirken jedes 80
KGA I/2, 234,31 f. KGA I/2, 317,35 f. 82 KGA I/2, 317,36. 83 KGA I/2, 325,15 f. 84 Vgl. auch Jan Rohls, „Das Christentum – Die Religion der Religionen?“, in: Andreas Arndt / Ulrich Barth/Wilhelm Gräb (Hgg.), Christentum – Staat – Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, März 2006, Berlin / Halle 2007, 41–89, hier: 73: „Das Wesen der Religion, die Vermittlung des Endlichen mit dem Unendlichen, wird im Christentum selbst zur Zentralanschauung, weshalb [es, C. K.] als Religion der Religionen bezeichnet werden kann.“ 81
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einzelnen Menschen approximativ bekämpft werden.85 Der Mensch ist nach Schleiermacher durch das Erlösungsgeschehen zur Freiheit befreit.86 Das asymmetrische Verhältnis zwischen dem Erlöser und der erlösten Menschheit konkretisiert sich im freiheitskonzeptionellen Heiligungsgeschehen der cooperatio dei et hominum. Weil das Heiligungsgeschehen präzise einen Freiheitsvollzug aufgrund der göttlichen Erlösung darstellt, zielt es polemisch als reinigendes Läuterungsgeschehen und erweiterndes Stetigkeitsbestreben nach außen87 und nach innen88 auf ein religiöses Bewusstsein ohne irreligiöse Beimischung oder Unterbrechung.89 Das Christentum strebt damit nach der umfassenden Verwirklichung des religiösen Bewusstseins, indem es klar und deutlich alle Lebensbereiche des Menschen stetig begleitet. Die Heiligung führt die Wiedergeburt fort und vollendet sie. Das Bewusstsein von der Unendlichkeit dieser Aufgabe zeigt sich im Christentum im „Gefühl heiliger Wehmut“.90 Schleiermacher zufolge erweist sich das Christentum als Selbstbewusstsein und angestrebte Selbstverwirklichung der Religion somit nicht allein als die faktisch höchste, sondern aus begrifflichen Gründen als die höchstmögliche Religion überhaupt.91
85 KGA I/2, 318,30–36 (kursiv, C. K.): „Nirgends ist die Religion so vollkommen idealisiert, als im Christenthum und durch die ursprüngliche Voraussezung deßelben; und eben damit zugleich ist immerwährendes Polemisieren gegen Alles Wirkliche in der Religion als eine Aufgabe hingestellt, der nie völlig Genüge geleistet werden kann. Eben weil überall das irreligiöse Princip ist und wirkt, und weil alles Wirkliche zugleich als unheilig erscheint, ist eine unendliche Heiligkeit das Ziel des Christenthums.“ 86 Genau hierauf bezieht sich Schleiermachers Ausdruck der religiösen „Virtuosität im Christentum“ (KGA I/2, 320,9 (kursiv, C. K.)). Vgl. auch KGA I/2, 322,38–323,1.12 und allgemein KGA I/2, 218,4–10: „Wer nur systematisch denken und nach Grundsatz und Absicht handeln, und dies und jenes ausrichten will in der Welt, der umgränzt unvermeidlich sich selbst […]. Nur der Trieb anzuschauen, wenn er aufs Unendliche gerichtet ist, sezt das Gemüth in unbeschränkte Freiheit, nur die Religion rettet es von den schimpflichsten Feßeln“. 87 KGA I/2, 318,2–27. 88 KGA I/2, 318,27–320,9. 89 KGA I/2, 319,37–320,6 (kursiv, C. K.): „So hat das Christenthum zuerst und wesentlich die Forderung gemacht, daß die Religiosität ein Continuum sein soll im Menschen […]. Nie soll sie ruhen, und nichts soll ihr schlechthin entgegengesezt sein daß es nicht mit ihr bestehen könne; von allem Endlichen sollen wir aufs Unendliche sehen“. 90 KGA I/2, 320,19. 91 Dies richtet sich vor allem gegen die in der Forschung bis heute überaus einflussreiche Einschätzung von Hermann Süskind, Christentum und Geschichte bei Schleiermacher. Die geschichtsphilosophischen Grundlagen der Schleiermacherschen Theologie, Tübingen 1911, insbesondere: 25–30.
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Ein faktischer Untergang der christlichen Zentralanschauung ist folglich nach Schleiermacher innergeschichtlich unmöglich. Denn ihm zufolge kann in der Geschichte niemals das irreligiöse Prinzip, gegen welches sich die christliche Religion richtet, vollkommen aus der menschlichen Natur entfernt werden.92 Ein möglicher Untergang der christlichen Zentralanschauung wäre laut Schleiermacher, nicht wie bei anderen Religionen, die notwendige Folge ihrer inhärenten Begrenztheit, sondern vielmehr das Ergebnis ihrer umfassenden geschichtlichen Vollendung. Der Untergang des Christentums als Selbstbewusstsein und Selbstverwirklichung der Religion wäre eben das Ende der Religion selbst, welches mit der vollständigen Manifestation des Reiches Gottes auf Erden zusammenfällt. Hieran zeigt sich, dass das Christentum nach Schleiermacher in den Reden als die vollendete systematische Religion aufgefasst wird. Nach Schleiermacher läuft die Höchstgeltung des Christentums jedoch keineswegs auf ein Streben nach religiöser Einförmigkeit hinaus, sondern beinhaltet und fordert vielmehr die Vielfalt real existierender unterschiedlicher positiver Religionen neben dem Christentum. Denn die ausschließende Vortrefflichkeit des Christentums beinhaltet nicht den Anspruch auf exklusive Wahrheit, der zufolge die Geltungsansprüche der anderen positiven Religion vom Christentum absolut verneint würden.93 Vielmehr besitzen Schleiermacher zufolge sämtliche Religionen, weil sie jeweils eine eigentümliche Manifestation des Wesens der Religion darstellen, Anteil an der religiösen Wahrheit, die bei ihnen allerdings noch mit Irrtum vermischt auftritt.94 Das Christentum ist zudem nicht darauf aus, die anderen positiven Religionen durch die eigene Verbreitung zu zerstören, sondern es strebt vielmehr danach, sie als wesentlichen Ausdruck der Religion in modifizierter Gestalt in sich zu integrieren.95 Dies geschieht, indem die vormals in den andern po92 KGA I/2, 324,15–325,2. Aus diesem Grunde stellt nach Schleiermacher jede „Epoche der Menschheit […] die Palingenesie des Christenthums [dar, C. K.], und erwekt seinen Geist in einer neuen und schöneren Gestalt.“ (KGA I/2, 325,1 f. (kursiv, C. K.)). 93 Vgl. hierzu KGA I/2, 325,3–8: „Wenn es nun aber immer Christen geben wird, soll deswegen das Christenthum auch seiner allgemeinen Verbreitung unendlich und als einzige Gestalt der Religion in der Menschheit allein herrschend sein? Es verschmäht diesen Despotismus, es ehrt jedes seiner eignen Elemente genug um es gern auch als den Mittelpunkt eines eignen Ganzen anzuschauen“. 94 Vgl. KGA I/2, 325,15–19 (kursiv, C. K.): „Die Religion der Religionen [das Christentum, C. K.] kann nicht Stoff genug sammeln für die eigenste Seite ihrer innersten Anschauung, und so wie nichts irreligiöser ist als Einförmigkeit zu fordern in der Menschheit überhaupt, so ist nichts unchristlicher als Einförmigkeit zu suchen in der Religion.“ 95 Vgl. hierzu KGA I/2, 322,28–34: „Schüler Johannis, der doch die Grundanschauung Christi nur sehr unvollkommen theilte, sahen sie [die ersten Christen, C. K.] ohne wei-
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sitiven Religionen als Zentralanschauung fungierenden Ansichten des Universums nunmehr als einfache Anschauungen in das Leben der christlichen Zentralanschauung eingeordnet werden. Die äußere Divergenz zwischen dem Christentum und den anderen Religionen wird auf diese Weise als interne Differenzierung des Christentums selbst aufgehoben. Hiermit gelingt es Schleiermacher meines Erachtens bereits das Grundanliegen moderner komparativ-pluralistischer Ansätze der Religionstheologie in seinen kritischen Inklusivismus als Moment zu integrieren.96 In diesem Sinne entspricht nach Schleiermacher somit der Höchstform des Christentums zugleich sein Höchstmaß an religiöser Integrationsfähigkeit. Schleiermacher ergänzend müsste man allerdings noch festhalten, dass die im Christentum mündende religiöse Entwicklungsgeschichte offenbar nicht in einer einförmigen Universalgeschichte erfolgt, sondern sich in einer Vielzahl von Partikulargeschichten vollzieht.97 Zusammenfassend kann man statuieren: Bei Schleiermachers Religionstheologie handelt es sich um eine inklusivistische Religionstheologie.98 Das Besondere dieses Inklusivismus besteht darin, dass er sich nicht als dogmatischer, sondern vielmehr als kritischer Inklusivismus präsentiert. D. h. er setzt die Wahrheit der christlichen Position nicht einfach voraus und bemisst die Wertigkeit der anderen Religionen an der Nähe zu dieser, sondern er beurteilt die Religionen danach, inwiefern sie dem für alle Religionen gültigen allgemeinen Religionsbegriff gerecht zu werden vermögen.
teres als Christen an, und nahmen sie unter die aktiven Mitglieder der Gemeine auf. Und auch jetzt sollte es so sein: wer dieselbe Anschauung in seiner Religion zum Grunde legt, ist ein Christ“. In den späteren Auflagen verdeutlicht Schleiermacher diesen Standpunkt noch. Vgl. hierzu zentral KGA I/12, 136,10–137,16, demzufolge nach Schleiermacher „alle anderen Religionen […] auf geschichtliche Weise im Christenthum zu schauen“ (a. a. O., 137,3 f.) sind. Die Verbreitung des Christentums hätte nach Schleiermacher somit die konservierend-integrierende Folge, dass sich alle anderen Religionen „geschichtlich in ihm selbst spiegelten“ (a.a.o., 137,12). 96 Vgl. zu diesem Grundanliegen der komparativ-pluralistischen Religionstheologie einschlägig, Perry Schmidt-Leukel, Transformation by Integration. How Inter-faith Encounter Changes Christianity, London 2009. Zu der Bedeutung Schleiermachers für eine komparative Theologie heute siehe auch Keith Ward, „Programm, Perspektiven und Ziele komparativer Theologie“, in: Reinhold Bernhardt/Klaus von Stoch (Hgg.), Komparative Theologie. Interreligiöse Vergleiche als Weg der Religionstheologie, Zürich 2009, 55–68. 97 Vgl. den Hinweis darauf in KGA I/2, 325,20–326,3. 98 Gegen exemplarisch Markus Schröder, Das ‚unendliche Chaos‘, 604 und Friedrich Huber, „Die eine Religion und die Vielfalt der Religionen“, in: ders. (Hg.), Reden über die Religion – 200 Jahre nach Schleiermacher. Eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Schleiermachers Religionskritik, Wuppertal 2000, 164–182, hier insbesondere: 176 f.
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Im Unterschied zu Hegel und Schelling zeigt sich Schleiermacher in den Reden, aber auch in der Glaubenslehre, nicht an dem detaillierten Ablauf der religiösen Entwicklungsgeschichte interessiert. Religion ist nicht wie bei Hegel das „Wissen des göttlichen Geistes von sich durch Vermittlung des endlichen Geistes“99, sondern das Selbstbewusstsein des endlichen Geistes. Schleiermachers Religionstheologie kommt bescheidener daher. Sie zielt nicht darauf ab, wie Schelling mit seiner Potenzenlehre oder Hegel mit seinem Begriff des absoluten Geistes eine theory of everything zu präsentieren, sondern will adäquate Beschreibung des konkreten religiösen Bewusstseins im Rahmen der conditio humana sein. Schleiermachers Rückbindung an evidente Religionserfahrungen, die im persönlichen Bewusstsein überprüfbar sein müssen, markiert eine theoretische Beschränkung gegenüber dem weiten Raum des mit Vernunft Denkbaren.100 Diese theoretische Bescheidenheit ist zweifellos Schleiermachers Grenze. Meines Erachtens ist es eine redliche Bescheidenheit.
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99 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 3–5: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1–3. Hrsg. von Walter Jaeschke, Hamburg 1983–1985, Bd. 3, 222 Fußnote. 100 „Alle Begebenheiten in der Welt als Handlungen eines Gottes vorstellen, das ist Religion, es drükt ihre Beziehung auf ein unendlichen Ganzes aus, aber über das Sein dieses Gottes vor der Welt und außer der Welt grübeln, mag in der Metaphysik gut und nöthig sein, in der Religion wird auch das nur leere Mythologie“ (KGA I/2, 214,36–215,1, kursiv, C. K.).
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Religion „ist nicht anders möglich als in einer unendlichen Menge verschiedener Formen“ Schleiermacher und die Vielfalt der Formen des Religiösen Wilhelm Gräb Schleiermacher hat einen allgemeinen Begriff der Religion entworfen. Religion gehört zu den konstitutiven Faktoren geschichtlichen Menschseins. Das bis heute Interessante an diesem Religionsbegriff ist, dass er prinzipiell pluralistisch verfasst ist. Die Religion wird an die je individuelle religiöse Erfahrung gebunden und kommt in der geschichtlichen Welt der Menschen nur in einer unendlichen Vielfalt von Formen vor. So läuft Schleiermachers Religionsphilosophie darauf hinaus, dass ein verträglicher, auf gegenseitiges Verstehen ausgehender Umgang der verschiedenen Religionen miteinander ein der religiösen Einstellung im Grunde selbst zugehörendes Verlangen ist. Diese Pluralismusoffenheit im allgemeinen Religionsverständnis ging für Schleiermacher bruchlos damit zusammen, dass jedes Verstehen von Religion, somit auch das ihrer geschichtlichen Vielfalt, bereits eine je eigene religiöse Überzeugung voraussetzt. Diese vom christlichen Standpunkt aus zu entfalten, sah er als die Aufgabe der Religionstheologie an. Wie sich die mit dem Allgemeinbegriff der Religion arbeitende, pluralismusoffene Religionsphilosophie und die sich auf die Positivität des christlichen Glaubens stellende und von dessen Wahrheitsgewissheit ausgehende Religionstheologie zueinander verhalten, will ich mit meinem Beitrag zeigen. Ich gehe so vor, dass ich 1. auf Schleiermachers Begriff der Religion und sein Konzept einer individuellen Vielfalt religiöser Erfahrung eingehe; 2. seine religionsphilosophischen Differenzierungen im Begriff einer religionsgeschichtlichen Entwicklung aufnehme; 3. den Möglichkeiten und Grenzen seiner religionsphilosophischen Geschichtskonstruktion folge; 4. seine christlich-religiöse Deutung der Religionsgeschichte kurz beschreibe und abschließend 5. zum Verhältnis von philosophischer und theologischer Deutung der Religionsgeschichte in Schleiermachers Denken Stellung nehme.
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1. Der Begriff der Religion und die individuelle Vielfalt religiöser Erfahrung Schleiermacher hat in seiner frühen Schrift, den Reden über die Religion1, ein Verständnis vom Wesen der Religion entwickelt, das von den bestimmten, geschichtlichen Religionen, auch den religiösen Traditionen des Christentums, Judentums und Islams, gänzlich absieht. Sein Bestreben war es, einen allgemeinen Begriff der Religion zu beschreiben, der es erlaubt, Religion als eine anthropologische Größe auszuweisen, die konstitutiv zur Welt der Menschen gehört. Schleiermacher spricht in den Reden vom „Anschauen des Universum“2 bzw. dem „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“.3 Diese Formeln sagen aus, was Religion an sich selbst ist, unabhängig davon, wie sie in der geschichtlichen Welt mit den vielen bestimmten Religionen vorkommt. Woran der Begriff der Religion, damit die Rede von der ‚Religion‘ im Singular, denken lassen sollen, ist eine bestimmte Haltung des Menschen der Welt gegenüber. Wer Religion hat, der sieht alles Einzelne in ihr zu einem unendlichen Ganzen gehörig, obwohl dieses Ganze an sich selbst unfassbar ist und letztlich unverfügbar bleibt. Wer religiös ist, versteht sich selbst als ein solcher, der in dieses unendliche, ihm letztlich unverfügbare, gleichwohl aber ihm sich erschließende Universum einbezogen ist. Religion, so verstanden, betreibt keine Verehrung heiliger Dinge, sie überhöht nicht endliche Erfahrungen und Gegenstände ins Göttliche. Sie stellt vielmehr eine von unendlichem Vertrauen getragene Haltung maximaler Offenheit der Welt gegenüber her. Sie ist, wie Schleiermacher in der zweiten Rede differenziert ausführt, eine aus der Anschauung des Universums resultierte Rückbetroffenheit des humanen Gefühlsbewusstseins. Sie bringt dem einzelnen, seiner Endlichkeit bewusst werdenden Menschen sein Einbezogensein in das unendliche Ganze der Wirklichkeit zur Erfahrung.4 Der einzelne Mensch wird in elementaren Daseinserfahrungen, wie dem Geborenwerden und Sterben, der Unverfügbarkeit seiner endlichen Existenz unweigerlich ansichtig.5 Die Welt, in die er sich gestellt sieht, in der er sein 1 Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in ihrer ursprünglichen Gestalt, neu hg. v. Rudolf Otto, Göttingen, 6. Aufl. 1967 (= Reden). 2 Reden, Originalpaginierung (= OP) 54. 3 Reden, OP 52. 4 Vgl. Reden, OP 67–69. 5 „Geborenwerden und sterben sind solche Punkte, bei deren Wahrnehmung es uns nicht entgehen kann, wie unser eigenes Ich überall vom Unendlichen umgeben ist, und die allemal eine stille Sehnsucht und eine heilige Ehrfurcht erregen“ (Reden, OP 154).
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Leben zu führen hat und ohne die er zu einem Bewusstsein seiner selbst gar nicht gelangen könnte, entzieht sich in ihrer Ganzheit seinem Begreifen. Dennoch kann er immer wieder die Erfahrung machen, dass er sich auf gehaltvolle, sinnerschließende Weise in diese im Ganzen ihm unverfügbare Welt einbezogen findet. Wem diese Erfahrung zu einer ihn in seinem Selbstgefühl bestimmenden Erfahrung wird, der, so Schleiermacher, wird auch Religion haben. Denn Religion ist in Gestalt des religiösen Bewusstseins eine das individuelle Selbstgefühl vertrauensvoll im Unendlichen geborgen wissende Anschauung des Unendlichen im Endlichen. Der Verweisungszusammenhang von Gefühl und Anschauung ist für Schleiermachers Religionsbegriff konstitutiv. Die Anschauung ist die der Unendlichkeit der Welt, die in allen einzelnen gemacht werden kann. Aber nur diejenige ist religiös, die die Rückbetroffenheit im Gefühlsbewusstsein des die Anschauung vollziehenden Menschen zur Folge hat. Nur wenn wir von uns selbst ausgehen und unser eigenes Einbezogensein ins unendliche Ganze einer uns in ihrer Unbegreiflichkeit doch zugänglichen Welt wahrnehmen, nehmen wir sie religiös wahr. Es ist mit der Religion gerade nicht so, dass mit ihr ein individueller Standpunkt, eine bestimmte Weltanschauung, etwas endlich und gegenständlich Gegebenes, oder gar alles Endliche ins Unendliche und Unbedingte überhöht würden. Man kommt mit ihr auch nicht zu einer universalen Welterklärung oder Geschichtsdeutung. Nicht einmal in allem Endlichen schaut sie das Unendliche an, sondern nur in dem, das im Anschauenden diese gefühlsbewusste Rückbetroffenheit zur Folge hat, die ihn mit seiner eigenen endlichen Weltstellung seiner Chancen und Möglichkeit im Wissen und Handeln bewusst macht. Religion führt nicht zum Pantheismus, der eben diese vergleichgültigende Überhöhung alles Endlichen ins Unendliche wäre. Religion produziert auch kein absolutes Wissen, erlaubt keine Welt‑ und keine Geschichtsformel. Sie ist keine Ideologie, keine in einer Lehre formulierbare Weltanschauung. Das religiöse Bewusstsein ist dadurch qualifiziert, dass es den Menschen auf eine seinem Wissen und Handeln offen stehende Welt zugehen lässt, ihn zugleich aber dahin bringt, eben diese ihm erschlossene Welt in ihrer Unendlichkeit, Unverfügbarkeit und Kontingenz anzuerkennen. Das ist gemeint, wenn Schleiermacher die Religion als jene mentale Einstellung des Menschen ausmacht, die er als den „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ bezeichnet. Wer die Welt religiös ansieht, nimmt sie in ihrer Unendlichkeit und Unverfügbarkeit wahr, aber so, dass er sich in ihr aufgehoben weiß, sie seinem Wissen und Handeln sich öffnet, ihm somit das tröstliche Gefühl aufkommt, in dieser Welt, ihrer Unendlichkeit zum Trotz, auf keinen Fall verlorenzugehen. Aus einem abgrundtiefen Welt-
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vertrauen heraus, das der religiöse Glaube stiftet, macht er Menschen zur Anerkennung auch noch der Unverfügbarkeitsdimension ihrer Erfahrungen, ja, ihres ganzen eigenen Daseins fähig. Dieser allgemeine Begriff der Religion ist nun bei Schleiermacher zugleich prinzipiell pluralistisch verfasst. Religion kann nur „in einer unendlichen Menge verschiedener Formen“6 wirklich werden. Religion ist immer das Gefühlsbewusstsein von einzelnen Menschen, die das unendliche Ganze einer Welt in endlichen Gegebenheiten und Erfahrungen anschauen. So viele menschliche Individuen mit ihrem je eigenen Gefühlsbewusstsein es gibt, so viele Formen der Anschauung des Unendlichen im Endlichen sind denkbar. Jedes Individuum, so könnte man auch sagen, das sich, zusammen mit der Welt, auf je eigene Weise in das unendliche Ganze der Welt einbezogen und in seinem Gefühlsbewusstsein bestimmt findet, entwickelt auch seine eigene Religion. Diese erst macht mit der Bestimmung, die sie ins individuelle Gefühlsbewusstsein einbringt, einen Menschen dann auf je eigene Weise der aus dieser Welt ihm zukommenden Sinnbestimmung gewiss. Religion ist für Schleiermacher immer individuell, erfahrungsbezogen, perspektivisch. Das heißt aber nicht, dass sie nicht mit dem Anspruch auf allgemeine Wahrheit auftreten würde. Im Gegenteil, für Schleiermacher war mit der Individualität der Religion zugleich ihr Bestreben nach universaler Mitteilung verbunden. Wenn Religion das individuelle, gefühlsbestimmte Bewusstsein einer individuellen Anschauung des Unendlichen im Endlichen ist, dann muss das religiöse Bewusstsein selbst die Einsicht realisieren, dass es so, wie es am Ort des Individuums vorkommt, immer nur eine beschränkte, partikulare, standpunktbezogene, perspektivische Ansicht vom individuellen Einbezogensein ins Ganze einer dem menschlichen Wissen und Handeln zugänglichen, letztlich aber doch unverfügbaren Welt darstellt. Jede religiöse, das Ganze der Welt perspektivisch erfassende Weltsicht weiß sich auf die Ergänzung durch die ihrerseits perspektivisch auf den Sinn des Ganzen ausgreifenden Selbst‑ und Weltdeutungen anderer angewiesen. 6 „Weil nämlich jede Anschauung des Unendlichen völlig für sich besteht, von keiner andern abhängig ist und auch keine andere notwendig zur Folge hat; weil ihrer unendlich viele sind und in ihnen selbst gar kein Grund liegt, warum sie so und nicht anders eine auf die andere bezogen werden sollten, und dennoch jede ganz anders erscheint, wenn sie von einem andern Punkt aus gesehen oder auf eine andere bezogen wird, so kann die ganze Religion unmöglich anders existieren, als wenn alle diese verschiedenen Ansichten jeder Anschauung, die auf solche Art entstehen können, wirklich gegeben werden, und dies ist nicht anders möglich als in einer unendlichen Menge verschiedener Formen, deren jede durch das verschiedene Prinzip der Beziehung in ihr durchaus bestimmt und in deren jeder derselbe Gegenstand ganz anders modifiziert ist, das heißt, welche sämtlich wahre Individuen sind“ (Reden, OP 249).
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Weil das religiöse Bewusstsein für sich selbst pluralistisch verfasst ist, kennt es, sofern es sich nur recht versteht, daher auch keine Unduldsamkeit anderen religiösen Positionen gegenüber. Es behauptet nicht, die Wahrheit allein auf seiner Seite zu haben. Es erhebt keine Absolutheitsansprüche. Die Wahrheit liegt dem religiösen Bewusstsein im Vorgang der unendlichen Ergänzung und fortgesetzten Anschlussfähigkeit einer je individuell bestimmten religiösen Weltsicht durch und an andere. Nur die selbst ins unendliche Ganze sich erstreckende Religion ist die wahre Religion. Wahr ist sie nur in der unendlichen Fülle individueller Anschauungen des Unendlichen im Endlichen. Die Wahrheit der Religion ist eine Wahrheit im Werden. Das Werden der wahren Religion aber geschieht auf dem Wege der Mitteilung. Individuelle Religion drängt auf kommunikativen Austausch, damit immer auch auf die Bildung religiöser Gemeinschaft. Auf der Basis dieses Gedankens ebnet Schleiermacher den Weg von der unendlichen Vielfalt der Formen gelebter Religion hin zu den auf geschichtlichen Überlieferungen aufbauenden und sie weitertragenden Religionsgemeinschaften. Energisch abgewehrt wird von ihm hingegen der Versuch der rationalistischen Aufklärungstheologie, auf der Basis eines allgemeinen Begriffs der Religion die Existenz einer allgemeinen, natürlichen Religion schlussfolgern zu wollen.7 Religion, so verlangt es Schleiermachers Begriff von der Religion, ist immer individuelles und damit kontingent geschichtlich vorkommendes religiöses Gefühls‑ und Erfahrungsbewusstsein. Das Moment des historisch-empirisch Faktischen ist der wirklichen Religion ebenso unumgänglich wie ihre Individualität. Die Faktizität individuell gelebter Religion folgt geradezu aus ihrer begrifflich erschlossenen Unendlichkeitsdimension. Gelebte Religion vollzieht sich als begrifflich letztlich uneinholbare individuelle religiöse Erfahrung und individuelle religiöse Praxis. Um von der prinzipiellen Unendlichkeit individueller religiöser Erfahrungstatsachen zu den geschichtlich manifesten Religionsindividuen zu kommen, braucht Schleiermacher freilich, außer der kommunikativen Verfasstheit des individuellen religiösen Bewusstseins, auch noch die formatierende Kraft einer die religiöse Individualität prägenden religiösen Grunderfahrung bzw. „Zentralanschauung“8. Um eine geschichtliche Religion auf den Weg zu bringen, sind religiöse Stifterpersönlichkeiten, religiöse Virtuosen und Heroen nötig, die die Kraft haben, auf der Basis ihrer religiösen
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Vgl. Reden, OP 242–250. Reden, OP 260.
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Grundanschauung, Offenbarung genannt, eine religiöse Tradition und die auf ihr fußende religiöse Gemeinschaft zu formen.9 Auch die auf die Offenbarung einer Stifterpersönlichkeit sich zurückführenden geschichtlichen Religionen basieren jedoch auf der anthropologischen Allgemeinheit der Religion. Dass der Mensch ein religiöses Bewusstsein entwickelt, liegt nach Schleiermachers Auffassung in der conditio humana. „Der Mensch wird mit der religiösen Anlage geboren wie mit jeder andern“10, kann er in den Reden sagen. Dass der Mensch ein religiöses Bewusstsein entwickelt, also einen Sinn für die Unendlichkeitsdimension der Wirklichkeit ausbildet, folgt aus dem anthropologisch begründeten Begriff der Religion. Die Form lediglich, die das religiöse Bewusstsein annimmt, ist geschichtlich kontingent. Aber eben, die individuell gelebte Religion ist immer eine positiv geschichtlich sich realisierende Religion. Aus dem Allgemeinbegriff der Religion folgt lediglich, dass Religion zum geschichtlichen Sein des Menschen gehört und aufgrund ihrer Bindung an die je individuelle Praxis gefühlsbewussten Lebens immer in einer unendlichen Vielfalt von Formen geschichtlich existieren wird. Wie die Religion sich in der unendlichen Vielfalt ihrer Formen zeigt, wie sie sich tatsächlich ausgebildet hat und ausbildet, kann nur historisch und empirisch ermittelt und beantwortet werden. Das ist Sache der historisch und empirisch verfahrenden Religionsgeschichte. Am Leitfaden des allgemeinen Religionsbegriffs muss die empirisch verfahrende Religionsgeschichte dann allerdings von vornherein mit einer unendlichen Vielfalt der geschichtlich existierenden Formationen des religiösen Bewusstseins rechnen. Eine Einschränkung auf die großen, durch ausgeprägte Symbol‑ und Ritualkulturen gekennzeichneten Religionen ergibt sich für Schleiermacher erst aus der Struktur der Mitteilung religiösen Gefühlsbewusstseins. Nicht alle Menschen sind gleichermaßen mitteilsame und damit andere prägende religiöse Akteure. Eine geformte religiöse Gemeinschaft bildet sich nur, wie schon zu erwähnen war, auf der Basis der wirkmächtigen religiösen Grundanschauung einer religiösen Stifterpersönlichkeit. Die historisch gegebenen, positiven Religionen, seien sie groß oder klein, hoch oder tief, können jedenfalls nicht auf der Basis des allgemeinen Begriffs der Religion erschlossen werden. Sie müssen in ihrer Vielfalt empirisch wahrgenommen und unter kritischer Bezugnahme auf den Begriff der Religion nach den sie spezifisch kennzeichnenden Differenzen beschrieben werden.
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Vgl. Reden, OP 268–271. Reden, OP 144.
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Schleiermachers Allgemeinbegriff der Religion zielt somit auf möglichst große empirisch-geschichtliche Wahrnehmungsoffenheit. Religion muss in ihrem wirklichen Vorkommen empirisch wahrgenommen und hermeneutisch erschlossen werden. Die individuell gelebte Religion ist keine Angelegenheit begrifflicher Konstruktion. Will sie in ihrem wirklichen Vorkommen wahrgenommen und verstanden werden, so sind historisch-hermeneutische Verfahren in Anwendung zu bringen, die freilich ihrerseits wiederum vom allgemeinen Begriff der Religion Gebrauch machen müssen, um bestimmte kulturelle Phänomene überhaupt als religiöse identifizieren zu können. Im Blick auf die Praxis der gelebten Religion war Schleiermacher dabei die religiöse Toleranzbereitschaft wichtig. Der tolerante Umgang der Religionen untereinander, so seine Meinung, ist der individuell gelebten Religion inhärent. Wer wahrhaft religiös ist und eine eigene religiöse Identität ausgebildet hat, der erkennt in der religiösen Weltsicht anderer, wenn sie nur ihrerseits eine individuelle Anschauung des Unendlichen im Endlichen zum Ausdruck bringen, eine Ergänzung der eigenen religiösen Individualität. Das gilt dann ebenso für das Verhältnis der großen geschichtlichen Religionen zueinander. Wie sehr auch immer eine bestimmte Religionsform gemeinschaftlich verfasst und aus langen Überlieferungen gewachsen sein mag, so stellt sie doch nur positionell und perspektivisch eine individuelle Anschauung des Unendlichen im Endlichen dar. Jede besondere Form religiösen Lebens, die ihre eigene Symbolsprache und Ritualpraxis entwickelt, praktiziert einen individuellen Umgang mit dem Verhältnis von Endlichem und Unendlichem und ist insofern darauf angewiesen, mit möglichst vielen anderen individuellen Formen des Religiösen bekannt zu werden. Das tut ihrem Anspruch auf universale Geltung und allgemeine Wahrheit keinen Abbruch. Im Gegenteil, diesen Anspruch, den eine jede Religion notwendigerweise erheben muss, sofern es in ihr doch um den Sinn individuellen, endlichen Menschenlebens im Ganzen einer zugänglichen und im Letzten dennoch unverfügbaren Welt geht, kann sie nur in offenen und herrschaftsfreien Kommunikationsverhältnissen einlösen.
2. Religionsphilosophische Differenzierungen im Begriff religionsgeschichtlicher Entwicklung Wer die gelebte Religion verstehen will, so Schleiermachers religionsphilosophischer Ausgangspunkt, muss sie in ihrer Individualität und geschichtlichen Positivität verstehen. Aus dem Begriff der Religion lassen sich ihre geschichtlichen Erscheinungen nicht ableiten. Diese These müsste uns jetzt
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zurückführen auf Schleiermachers Erkenntnistheorie, wie er sie in seiner Dialektik11 entwickelt hat. Aber auch in den Reden kommt er darauf zu sprechen, dass man von allgemeinen Begriffen herabsteigend immer nur zu weniger allgemeinen Begriffen, nie aber zu den geschichtlichen Individuen gelangt.12 Das setzt allen begrifflichen Operationen, sofern sie auf den Versuch ausgehen, gelebte, geschichtlich vorfindliche Religionen zu verstehen, eine Grenze. Sehen wir die religiösen Gemeinschaften als religiöse Individualitäten an, dann kommt man ihnen mit allgemeinen Begriffen immer nur näherungsweise auf die Spur. Dennoch spielt Schleiermacher auch schon in der fünften Rede, in der es um die Frage des Verhältnisses zwischen dem Allgemeinbegriff der Religion und dem Verstehen der Religion in der Vielfalt ihres geschichtlichen Vorkommens geht, auf Einteilungsgründe an, die der Begriff der Religion in der Wahrnehmung des geschichtlich Vielfältigen bereitstellt.13 Diese Frage spielt später in der Einleitung in die Glaubenslehre dann eine noch sehr viel zentralere Rolle.14 Es geht darum, dass der Allgemeinbegriff der Religion es erlaubt, verschiedene Entwicklungsstufen und Arten des religiösen Bewusstseins zu unterscheiden. Er nennt dabei in der fünften Rede, als verschiedene religionsgeschichtliche Entwicklungsstufen, den Fetischismus, den Polytheismus und den Monotheismus und, als Arten in der Ausbildung der religiösen Vorstellungswelt, den Naturalismus, Pantheismus und Deismus.15 Viel wichtiger als auf diese Entwicklungsstufen und Arten des religiösen Bewusstsein zu verweisen, ist dem Schleiermacher der fünften Rede aber, hervorzuheben, dass das alles abstrakte Begriffsoperationen bleiben und man so gerade keine gelebten Formen des Religiösen zur Darstellung bringen kann. Unendlich viele Religionsindividualitäten, so betont er, können jeder dieser Entwicklungsstufen und allen diesen verschiedenen religiösen Vorstellungsarten zugeordnet werden.16 In der Einleitung in die Glaubenslehre ist dann jedoch unübersehbar, wie wichtig es Schleiermacher wird, eine wertende Stufung der geschichtlichen 11 Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Vorlesungen über die Dialektik, 2 Teil bde., hg. v. Andreas Arndt, Kritische Gesamtausgabe (= KGA), II. Abt., Bd. 10 /1–2, Berlin / New York 2002. 12 Vgl. Reden, OP 255. 13 Vgl. Reden, OP 250–259. 14 Vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, auf Grund der zweiten Auflage und kritischer Prüfung des Textes neu hg. v. Martin Redeker, Bd. I und II, Berlin 1960 (= GL), hier: Glaubenslehre I, Lehnsätze aus der Religionsphilosophie, § 7–§ 10, 47–74. 15 Vgl. Reden, OP 250–259. 16 Vgl. Reden, OP 255.
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Religionen vorzunehmen und auch die verschiedenen Religionsarten mit wertbezogenen Unterscheidungsgesichtspunkten zu versehen. Theorietechnisch betrachtet entsteht ihm die Möglichkeit wertender Unterscheidungen in der geschichtlichen Vielfalt der Formen des Religiösen daraus, dass ihm sowohl der Begriff der religiösen Anschauung wie der des religiösen Gefühlsbewusstseins bestimmte Teilungsgründe anzugeben erlauben. Werden endliche Dinge in unbestimmter Vielheit mit unendlicher Bedeutung aufgeladen, so kann man von Fetischismus sprechen. Ist es eine bedeutsam geordnete Vielheit, wobei in dem Vielen gleichermaßen das Unendliche gesehen wird, so weist dies auf den Polytheismus hin. Wird schließlich in dieser Vielheit doch die unendliche Einheit des Ganzen angeschaut, so kann vom Monotheismus gesprochen werden. So sein Vorgehen in der fünften Rede.17 In der Einleitung in die Glaubenslehre führt Schleiermacher die Stufung einer gerichteten religionsgeschichtlichen Entwicklung auf Differenzierungen in der Zuordnung von sinnlichem Selbstbewusstsein einerseits und unmittelbarem, die transzendentale Synthesis repräsentierendem Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit andererseits zurück. Auch dort macht er eine Höherentwicklung aus, die von einer verworrenen Anheftung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls an unbestimmte endliche Positivitäten (Fetischismus) hin zu seiner Bindung an bedeutsam ausgezeichnete Weltdinge (Polytheismus) führt und schließlich dahin gelangt, dass es das Subjekt mit dem Ganzen seiner Welt in dem die Einheit der Welt und die Einbeziehung des Menschen in sie ermöglichenden Göttlichen zu gründen vermag (Monotheismus).18 Schleiermacher hat jedoch auch in der Einleitung in die Glaubenslehre, in den ‚Lehnsätzen aus der Religionsphilosophie‘, nicht den Anspruch erhoben, aus solchen begrifflichen Einteilungen und Zuordnungen die Erkenntnis einer inneren Logik des Verlaufs der Religionsgeschichte gewinnen zu können. Die Religionsphilosophie kann, wie auch die Geschichtsphilosophie, immer nur die begrifflich-kategorialen, hermeneutischen Bedingungen des Verstehens der empirisch-historischen Wirklichkeit von Religion und Geschichte bereitstellen. Die Operationen auf der begrifflich-kategorialen Ebene bleiben auf die Erfahrung angewiesen. Begriffsbestimmung und Erfahrungsurteil, so Schleiermachers in der Dialektik entwickelte Erkenntnistheorie, sind die beiden aufeinander zu beziehenden, aber nicht ineinander überführbaren Faktoren der Wirklichkeitserkenntnis. Sache der Philosophie ist es, die Begriffe zu klären und Orientierung im Denken zu schaffen. Die 17
Reden, OP 255. GL I, § 8, 51–56.
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empirischen Wissenschaften gewinnen der so begrenzten Philosophie gegenüber ihr eigenes Recht als Natur-, Geschichts‑ und Religionswissenschaft. Eine materiale Geschichtsphilosophie hat Schleiermacher bekanntlich nicht ausgeführt. Sie gehörte auch nicht zu seinem Vorlesungsprogramm. Stattdessen machte er die Philosophische Ethik19 zur Lehre von den Prinzipien des geschichtlichen Werdens und die Dialektik zusammen mit der Hermeneutik zur Lehre von der Methode des Erkennens der geschichtlichen Wirklichkeit. Die Ethik, konnte Schleiermacher sagen, ist das „Formelbuch der Geschichtskunde“20. Sie entwickelt die Kategorien, die ein Verstehen von Geschichte auch nach der Seite ihres zeitlichen und zielbestimmten Werdens ermöglichen. Sie braucht die Verbindung mit der empirisch verfahrenden Geschichtskunde bzw. Geschichtswissenschaft. Um Begriff und Erfahrung aufeinander zu beziehen, entwickelte Schleiermacher mit den kritischen Disziplinen, zu denen die Hermeneutik ebenso wie die in der Einleitung in die Glaubenslehre angezogene Religionsphilosophie gehören, das entsprechende Verfahren. Schleiermachers Philosophische Ethik stellt die Geschichte der Menschheit als den Prozess einer fortschreitenden Herrschaft des Geistes über die Natur dar. Geschichte ist Sitten‑ bzw. Kulturgeschichte und das in normativ-praktischer Absicht. Vom Menschen als einem vernunftbegabten Naturwesen nimmt sie ihren Ausgang. Dabei beschreibt sie die Struktur des Prozesses, in dem und durch den die menschliche Gattung die Natur fortschreitend einerseits zum Organ, andererseits zum Symbol der Vernunft gestaltet. Wann und wo immer der Mensch seiner Vernunft entsprechend handelt, so Schleiermachers Auffassung, nimmt er teil an dem geschichtlichen Prozess, mit dem die Natur immer mehr zum technischen Organ der Vernunft gebildet wird und die Vernunft in ihren Hervorbringungen immer mehr ihrer Leistungen auf zeichenhaft-symbolische Weise ansichtig wird. Schleiermachers ethische Geschichtsphilosophie, die somit eine Lehre von den Formen des zeitlichen und zielgerichteten Werdens einer ideal bestimmten geschichtlichen Wirklichkeit darstellt, wird anthropologisch begründet und handlungstheoretisch entfaltet. Eine Geschichtsphilosophie in dem Sinne, in dem vor allem Hegel diesen Begriff geprägt hat, ist Schleiermachers in seiner Philosophischen Ethik explizierte ethische Geschichtssicht nicht. Schleiermacher kennt zwar auch ein auf die zeitliche Verwirklichung des Ideals zustrebendes Werden des Geistes bzw. der menschlichen Vernunft. Vgl. Friedrich Schleiermacher, Entwürfe zu einem System der Sittenlehre, in: Schleier machers Werke, Auswahl in vier Bänden, hg. v. Otto Braun/Johannes Bauer, Bd. 2, Neudr. der 2. Aufl. Leipzig 1927, Aalen 1967 (= PhE). 20 PhE, 549. 19
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Ebenso muss man wohl die Stufung, auf die die großen Religionsindividualitäten gestellt werden, im Sinne einer Höherentwicklung des im Selbst‑ und Weltverhältnis sich vermittelnden schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls lesen. Aber die der menschlichen Natur eignende, im Göttlichen gründende Vernunft unterliegt bei Schleiermacher keinem Werden, ganz im Gegenteil, ihr fortschreitendes Einswerden mit der Natur ist die Entfaltung bzw. Auswicklung derjenigen Einheit von Vernunft und Natur, die im Menschen mit dessen unmittelbarem Selbstbewusstsein immer schon vorauszusetzen ist und mit ihm in den weltgeschichtlichen Prozess, dann auch der Religionsgeschichte eintritt. Alle werdende Einigung von Vernunft und Natur ist lediglich eine ins Weltganze ausstrahlende Realisierung derjenigen Einheit von Vernunft und Natur, die mit dem Menschen in dem Natur‑ und Vernunftgeschichte umfassenden Weltprozess ursprünglich aufkommt und die in der Geschichte der Religionen zu einer fortschreitenden, alle Weltgegensätze durchdringenden und in sich aufhebenden Durchsichtigkeit für sich selbst findet. Im Selbstbewusstsein des Menschen, in den unterschiedlichen Weisen des Aufeinanderbezogenseins von unmittelbarem und sinnlichem Selbstbewusstsein, können deshalb die Strukturgesetze des vernünftigen menschlichen Handelns ebenso gefunden werden wie die begrifflichen Differenzierungen, die eine gestufte Ordnung in die individuelle Vielfalt der Welt der Religionen einbringen. Die im religiös begründeten Selbstbewusstsein des Menschen als eines vernunftbegabten Naturwesens zur Selbsterkenntnis findende Vernunft ist die endliche Menschenvernunft. Sie kann als solche die selbstgesetzten Normen erkennen, nach denen sie handelt bzw. handeln soll, somit auch die Strukturen der Geschichte, die sie selbst hervorbringt. Aber als endliche Menschenvernunft kann sie keinen höheren Standpunkt gewinnen, von dem aus sie ihrer eigenen Genese bzw. dem Werden zu sich zuzuschauen in der Lage wäre. Diesen absoluten Standpunkt kann die Philosophie nach Schleiermacher überhaupt nicht einnehmen. Sie kann insofern auch keine göttliche Beobachterperspektive auf die Geschichte werfen.
3. Möglichkeiten und Grenzen religionsphilosophischer Geschichtskonstruktion Jede Geschichtserzählung ist standpunktbezogen, hat selbst ihren geschichtlichen Ort, auch die von einer religionsgeschichtlichen Entwicklung, wie sie Schleiermacher bereits in der fünften der Reden über die Religion andeutet. Es gibt die religionsgeschichtliche Entwicklung, die in Stufen der Höherent-
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wicklung verläuft, überhaupt nur im Modus einer Deutung, die die empirisch gegebenen Daten in die Erzählung einer Geschichte einfügt. Darüber war sich Schleiermacher vollkommen im Klaren, weshalb er es vermieden hat, aus begrifflichen Unterscheidungen, die von differenten Entwicklungsstufen und differenten Arten religiöser Selbst‑ und Weltdeutung reden lassen, auf den tatsächlichen Gang der Religionsgeschichte zu schließen. Der pluralismusoffene Religionsbegriff, den Schleiermacher in der zweiten Rede über die Religion konzipiert hat, lässt sich zwar unter der Prämisse eines Gesetzes religiöser Höherentwicklung oder wertbezogenen religiösen Artdifferenzen betrachten. Was Religionen voneinander verschieden sein lässt, wird zugleich aber auch als Chance einer auf wechselseitige Anerkennung ausgehenden interreligiösen Kommunikation aufgefasst. Unterschiedliche religiöse Selbst‑ und Weltdeutungen können sich gegenseitig bereichern. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, der Unendlichkeitsdimension endlichen, selbstbewussten Menschenlebens ansichtig zu werden. Das Universum der Religionen, der positionellen Auffassungen vom Sinn des Ganzen, wie er einem individuellen Menschen erschlossen ist, ist selbst unendlich. Es wäre dabei der unhintergehbaren Individualität religiöser Selbst‑ und Weltsicht auch nicht angemessen, wollte man eine Position aus einer anderen ableiten, historische Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Religionen feststellen und Entwicklungszusammenhänge annehmen.21 Insofern könnte man auch sagen, dass das der Religion gegenüber allein angemessene Verhalten die Praxis der Anerkennung ihrer je individuellen Geschichten ist, nicht die Konstruktion wertender Unterscheidungen und Stufungen in der einen universalen Religionsgeschichte – obwohl Schleiermacher sie auch in den Reden schon vornimmt. Wenn Schleiermacher, trotz der Anerkennung einer jeden religiösen Position als einer kontingent gegebenen, dennoch dazu übergegangen ist, begriffliche Differenzierungen am allgemeinen Begriff der Religion vorzunehmen, dann nicht mit dem Anspruch, so etwas wie eine rein objektive, vom eigenen religiösen Standpunkt absehende Theorie der religionsgeschichtlichen Ent21
„Anschauung ist und bleibt immer etwas Einzelnes, Abgesondertes, die unmittelbare Wahrnehmung, weiter nichts; sie zu verbinden und in ein Ganzes zusammenzustellen, ist schon wieder nicht das Geschäft des Sinnes, sondern des abstrakten Denkens. So die Religion; bei den unmittelbaren Erfahrungen vom Dasein und Handeln des Universums, bei den einzelnen Anschauungen und Gefühlen bleibt sie stehen; jede derselben ist ein für sich bestehendes Werk ohne Zusammenhang mit andern oder Abhängigkeit von ihnen; von Ableitung und Anknüpfung weiß sie nichts, es ist unter allem, was ihr begegnen kann, das, dem ihre Natur am meisten widerstrebt. Nicht nur eine einzelne Tatsache oder Handlung, die man ihre ursprüngliche und ernst nennen könnte, sondern alles ist in ihr unmittelbar und für sich wahr“ (Reden, OP 58).
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wicklung zu geben. Er will vielmehr auf dem Wege der Konstruktion einer religionsgeschichtlichen Entwicklung zu dem „Gott, der Fleisch geworden ist, hinführen“22. Schleiermacher hat schließlich in der ‚Einleitung in die Glaubenslehre‘, den ‚Lehnsätzen aus der Religionsphilosophie‘, noch einen sehr viel größeren Aufwand als in den Reden betrieben, um die Vorrangstellung des Christentums in der Welt der Religionen zu begründen.23 Er sieht dort die Aufgabe einer Religionsphilosophie darin, begriffliche Gesichtspunkte bereitzustellen, um zu einem wertbezogenen Urteil über die geschichtlichen Religionen zu kommen und eine Rangfolge, was ihren Geltungsanspruch anbelangt, herzustellen. Sehr viel pointierter noch als in der fünften Rede insistiert Schleiermacher in der ‚Einleitung in die Glaubenslehre‘ darauf, dass es ihm um eine Plausibilisierung der Wahrheitsüberzeugung des Christentums geht. Diese aber kann die Religionsphilosophie allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt erbringen. Sie kann im Ausgang vom allgemeinen Begriff der Religion Gründe dafür einsichtig machen, warum das Christentum als eine monotheistische Religion auf die höchste Stufe der religionsgeschichtlichen Entwicklung gehört, zusammen mit zwei anderen Religionen, die wir als monotheistische in der Religionsgeschichte auffinden, dem Judentum und dem Islam. Die Unterscheidung von ästhetischem und teleologischem Monotheismus liefert zudem zwei verschiedene Arten monotheistischer Religionen, wobei sich ebenfalls wieder Gesichtspunkte bereitstellen lassen dafür, dass den der teleologischen Richtung zugehörenden Religionen, dem Judentum und Christentum, der ästhetischen Religion des Islam gegenüber eine gewisse Vorzüglichkeit bescheinigt werden kann. Ja, Schleiermacher geht sogar so weit, zu sagen, dass dem Christentum aufgrund des von ihm ins Zentrum der religiösen Vorstellungswelt gerückten Gedankens der durch Christus vollbrachten Erlösung (d. h. der Realisierung der Präsenz des Göttlichen in dem das die gesamte menschliche Weltgestaltung 22 Reden,
OP 237. Dass er dabei längst nicht weit genug gegangen sei, haben bereits Ernst Troeltsch und vor allem sein Schüler Hermann Süskind beklagt. Sie weisen darauf hin, dass Schleiermacher nicht nur von Schellings geschichtsphilosophischem Denken beeinflusst war, er vielmehr durchaus von dessen idealistischen Vorgaben einer Einordnung der historischen Emergenz des Christentums in die Vernunftgeschichte ansatzweise Gebrauch gemacht habe, ohne dabei wirklich konsequent vorgegangen zu sein. Statt die Wahrheit des historischen Christentums geschichtsphilosophisch zu begründen, was Schellings Intention war, habe Schleiermacher – obwohl in den Reden und auch in der Einleitung zur Glaubenslehre noch auf Schellings Spuren – in der Glaubenslehre selbst die Wahrheit des christlichen Glaubens schließlich doch unkritisch als gegeben vorausgesetzt. Vgl. Hermann Süskind, Der Einfluss Schellings auf die Entwicklung von Schleiermachers System, Tübingen 1909 und ders., Christentum und Geschichte bei Schleiermacher, Tübingen 1911. 23
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tragenden Selbstgefühl) eine Überlegenheit gegenüber allen anderen zukommt.24 „So wäre“, stellt er fest, „das Christentum als eine eigentümliche Glaubensform sichergestellt, und in gewissem Sinne konstruiert“.25 Genau dies stellt er freilich nur fest, um dann fortzufahren: „Indes würde selbst dieses kein Beweis des Christentums zu nennen sein, indem auch die Religionsphilosophie keine Nötigung aufstellen könnte, weder eine bestimmte Tatsache als erlösend anzuerkennen noch auch einem Moment, das ein zentrales sein kann, diese Stellung in dem eigenen Bewußtsein wirklich einzuräumen.“26
Damit ist der religionsphilosophischen Konstruktion eine Grenze gesetzt. Sie ist mit der prinzipiellen Faktizität religiöser – d. h. jede Wahrheitsbehauptung tragender – Überzeugungsgewissheit gegeben. Denn mit dieser geht einher, dass begriffliche Operationen nur zum besseren Verständnis religiöser Positionen beitragen und Beziehungen zwischen ihnen erkennbar machen, nicht aber ihr Entstehen erklären können. Religiösen Positionen bleiben – wie dem Religiösen überhaupt – eine begriffliche Uneinholbarkeit und damit letztlich auch hermeneutische Opakheit eigen. Schleiermacher kommt denn auch sowohl in den Reden wie in den „Lehnsätzen aus der Religionsphilosophie“ zu dem Ergebnis, dass die religionsphilosophische Konstruktion der Religionsgeschichte nicht nur keinen Beweis für die Wahrheit des Christentums liefert, sondern die christlich-religiöse Wahrheitsgewissheit selbst bereits zur Voraussetzung hat. Die Anerkennung der unhintergehbaren Faktizität der Bestimmtheit einer religiösen Selbst‑ und Weltdeutung öffnete Schleiermacher den Blick für die pluralen Formen des Religiösen. Sie führte ihn ebenso zu dem klarsichtigen Eingeständnis, dass dort, wo die Religionsgeschichte als eine stufenförmige Höherentwicklung verstanden wird, bei der dann das Christentum auf der höchsten Stufe zu stehen kommt, lediglich die persönliche Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Christentums zum Ausdruck kommt. Zum Aufbau einer solchen auf der Basis des religiösen, dann des christlich-religiösen Bewusstseins möglichen Sicht der Religions-, ja sogar der Weltgeschichte ist Schleiermacher schließlich aber auch übergegangen.
4. Die christlich-religiöse Deutung der Religionsgeschichte Schleiermacher gibt in den Reden klar zu verstehen, dass eine Deutung der Geschichte, die von einer Leitung der Geschichte spricht und somit das 24
Vgl. GL I, § 11, 82. GL I, § 11, 82. 26 GL I, § 11, 82 f. 25
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Ganze der Geschichte auf ein Ziel hin interpretiert, eine, ja die zentrale Angelegenheit der Religion ist. Die Erfahrung und Gestaltung von Geschichte ist für eine religiöse Deutung nicht nur offen, sie verlangt geradezu danach, von einer solchen Deutung gestützt zu werden. Diese kann sie jedoch nicht aus sich heraus generieren. Sie muss sie sich mit der bereits geschichtlich gelebten Religion voraussetzen. Nur wer die Welt religiös anschaut, sieht sie als Ganze in Gottes Handeln begründet und somit auch in ihrem geschichtlichen Werden von Gott getragen. So sehr die Geschichte zu Recht nur von denjenigen als ein ethischer Prozess aufgefasst werden kann, die sich selbst mit ihrem ethischen Handeln verantwortlich in ihn einbringen, so sehr überzeugt und stärkt die religiöse Deutung des Verlaufs der Geschichte auch nur solche Menschen, die einen religiösen Glauben teilen. Mit der spezifischen Selbstdeutung des christlichreligiösen Bewusstseins verbindet sich für Schleiermacher denn auch eine bestimmte Deutung sowohl des Verlaufs der Religionsgeschichte wie des Verlaufs der Weltgeschichte. „Religiöse Menschen sind durchaus historisch“27, kann Schleiermacher sagen. Sie sind „historisch“, so wird diese Aussage von Schleiermacher in den Reden näher entfaltet, weil sie ihre religiöse Selbst‑ und Weltdeutung auf eine reale Gotteserfahrung zurückführen, auf eine „unmittelbare Einwirkung der Gottheit“.28 Historisch bedeutet hier so viel wie empirisch, meint jedenfalls den von außen kommenden, durch Geschichtserfahrungen provozierten Anstoß. Das religiöse Bewusstsein versteht seine Deutungsleistungen nicht als durch sich selbst hervorgebracht, sondern in einer geschichtlich realen Gottesoffenbarung gründend. Die Deutungspraxis einer Religion wird sowohl durch geschichtliche Erfahrung angestoßen wie sie sich auch im Wesentlichen als Deutung von Geschichte vollzieht. In den Reden beschreibt Schleiermacher die „Grundanschauung“ der christlichen Religion als eine solche, die „das Universum in der Religion und ihrer Geschichte anschaut“.29 Das heißt, dass das Christentum sich nicht nur wie alle Religionen auf eine bestimmte Offenbarung der Gottheit in der Geschichte beruft, sondern es die Offenbarung sich als Geschichte vollziehen sieht. Aus christlicher Perspektive betrachtet, so Schleiermachers verwegene Hoffnung, setzt sich die christliche Religion und damit das erlösende Bewusstsein der Bergung des die Welt erkennenden
27
Reden, OP 282. Reden, OP 282. 29 Reden, OP 294. 28
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und gestaltenden Menschen im unendlichen Ganzen einer ihm letztlich unverfügbaren Welt in der Geschichte der Menschheit mehr und mehr durch. Die christliche Religion ist für Schleiermacher gewissermaßen in ihrem Kern religiöse Geschichtsdeutung. Sie deutet die Geschichte als Fortschritt in der Durchsetzung eines stetigen, alle Lebens‑ und Weltgestaltungsvollzüge begleitenden Gottesbewusstseins. In den Reden sind es dabei immer wieder neue göttliche Mittlergestalten, die das Bewusstsein der zum eigenen Handeln ermutigenden Gottespräsenz vorantreiben. In der Glaubenslehre und in Schleiermachers Predigten bleibt demgegenüber die Person Jesu als die einzige Mittlergestalt übrig, über die hinaus es im christlichen Verständnis vom endzeitlichen Verlauf der Geschichte keiner weiteren mehr bedarf. In der Person Jesu schaut das christliche Bewusstsein sich selbst als ein solches an, das sich in seinem ethischen Weltgestaltungswillen von Gott getragen weiß und deshalb auch das heilvolle Bewusstsein entwickelt, dass sich die Gottespräsenz in der geschichtlichen Wirklichkeit fortschreitend zur Durchsetzung bringen wird. Weil das christliche Selbstbewusstsein sich Jesus als denjenigen vorstellt, dem es seine eigene Wirklichkeit verdankt, gewinnt es durch die Anhänglichkeit an ihn auch eine gesteigerte Gewissheit göttlicher Lebenskraft. Mit dem Blick auf Christus, den in der vollkommenen Einheit von Gottes‑ und Selbstbewusstsein manifesten Erlöser, können Christen eine eschatologische Gewissheit vom Erfolg ihres Handelns in all seinen praktischen und theoretischen Bezügen mobilisieren. Jesus hat gezeigt, dass ein alle Lebensvollzüge begleitendes und tragendes Bewusstsein der Gottespräsenz nicht nur prinzipiell möglich, sondern in der geschichtlichen Weltwirklichkeit realisierbar ist. In der Orientierung an ihm erwächst deshalb auch der unerschöpfliche Mut, die Geschichte der Realisierung des höchsten Gutes, die zugleich die Vollendung von Gottes Reich ist, entgegen zu führen. Die christliche Religion versteht sich selbst historisch fundiert und zugleich teleologisch auf das Gottesreich als den Endzweck der Geschichte ausgerichtet. Zu den teleologischen, auf die Realisierung des Reiches Gottes ausgerichteten Religionen gehört zwar auch das Judentum.30 Aber die entscheidende Differenz des Christentums zum Judentum liegt darin, dass dem christlichen Bewusstsein in der Person Jesu die Gottespräsenz selbst gegenständlich wird. Der christliche Glaube gewinnt die Gewissheit seiner universalen geschichtlichen Durchsetzungskraft daraus, dass Jesus das Bewusstsein der Gottespräsenz in dem die Weltgestaltung tragenden individuellen Selbstgefühl bereits vollkommen gelebt hat und eine weltgeschichtliche Religions30
Vgl. GL I, § 11 und § 12, 74–86.
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bewegung initiierte, in die Eingang zu finden, die Bestimmung der ganzen Menschheit ist. Diese Geschichtsdeutung ist diejenige, die die Theologie auf der Basis des christlichen Glaubens entwickelt. Es ist eine religiöse, des näheren christlichreligiöse Geschichtsdeutung. Mit ihr rekonstruiert das christliche Bewusstsein gewissermaßen seine eigene Genese und sein eigenes, christliches Selbstverständnis. In Schleiermachers Manuskripten zum Kirchengeschichtskolleg 1821/2231, aufgesetzt also zur Zeit der Veröffentlichung der Erstauflage seiner Glaubenslehre, bekennt sich Schleiermacher einleitend explizit zu seinem christlichen Glauben. Er macht dabei zugleich deutlich, dass es im Selbstverständnis des christlichen Glaubens liegt, im Auftreten der Person Jesu einen geschichtlichen Ursprung zu haben, der sich zugleich göttlicher Offenbarung verdankt. „Mein Glaubensbekenntnis ist: dass das Christenthum mit Christo anfängt; keine Fortsezung des Judenthums, kein gleichstehendes mit heidnischen Anfängen. Daraus folgt, dass eine neue Offenbarung also göttliches in Christo war.“32 Die Geschichtsdeutung, die Schleiermacher in seinen theologischen Texten skizziert, entspricht durchgängig dieser konfessorischen Selbstdeutung des auf Christus sich beziehenden und von ihm her sich verstehenden christlichen Glaubens. In der Glaubenslehre, der Christlichen Sittenlehre, den Vorlesungen zur Kirchengeschichte und nicht zuletzt in seinen Predigten führt Schleiermacher in immer wieder neuen Varianten diese Deutung des Verlaufs der Religionsgeschichte aus. Sie wird auf dem Standpunkt und in der Perspektive der christlichen Religion vorgenommen, stellt insofern einen Akt theologischer Selbstverständigung über die geschichtliche Dimension des christlichen Glaubens dar. Sie gehört deshalb auch, worauf Schleiermacher ausdrücklich Wert legt, nicht in die Religionsphilosophie, sondern in die von dogmatischen Voraussetzungen ausgehende Religionstheologie. Sie ist ein Gegenstand der Glaubenslehre und noch stärker dann sogar der Glaubenspredigt. In einer Weihnachtspredigt, in der Schleiermacher von der „Veränderung, welche seit der Erscheinung des Erlösers auf der Erde begonnen hat“33, spricht, macht er diese Veränderung an einer entscheidenden historischen Wende in der Formung des religiösen Verhältnisses des Menschen fest. Schleiermacher zieht den Vergleich zum Judentum und zum Griechentum. 31 Vgl. Friedrich Schleiermacher, Vorlesungen über die Kirchengeschichte, in: ders., Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Hermann Fischer u. a., Bd. II/2, hg. v. Simon Gerber, Berlin / New York 2006 (= Kirchengeschichte). 32 Kirchengeschichte, KGA II, 6, 22. 33 Friedrich Schleiermacher, Dogmatische Predigten der Reifezeit, ausgewählt und erläutert von Emanuel Hirsch, Berlin 1969, 190–204.
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Die Beschränkungen, denen das Gottesverhältnis im Judentum und im Griechentum unterworfen geblieben war, sind durch Christus überwunden. Das Judentum setzte auf eine unaufhebbare Differenz des Menschen zu einem gebieterischen Gott. Die Griechen wiederum blieben an den sinnlichen Erscheinungen des Absoluten hängen, indem sie das Absolute nicht von seinen Erscheinungen zu unterscheiden gewusst hätten. Erst durch Jesus, der das Bewusstsein von Gottes Liebe und Weisheit, seiner Nähe zu den Menschen und seiner vernünftigen Weltleitung verbreitete, wurde Gottes immanente Transzendenz, mit der er zugleich den im Erkennen und Handeln der Menschen sich gestaltenden Weltprozess ermöglicht und fundiert, erkannt. Mit dem Auftreten Christi, so kann Schleiermacher in dieser Predigt sagen, war die höchste Stufe in der Geschichte der Religion erreicht. Er kann sogar von einer vollkommenen Entsprechung zwischen dem Begriff der Religion und dessen Realisierung in einem geschichtlichen Individuum sprechen. Hat Schleiermacher es in den Reden noch offen gelassen, ob eine Entwicklung in der Religionsgeschichte über die Mittlerschaft Jesu hinaus möglich ist, so hat er in seinen späteren theologischen Schriften darauf insistiert, dass der christliche Standpunkt die Behauptung der Unüberbietbarkeit der Gottesoffenbarung in Christus verlangt. Dass über Jesus Christus hinaus eine Höherentwicklung des religiösen Selbstbewusstseins nicht mehr gedacht werden kann, wird von Schleiermacher in vielen seiner Predigten immer wieder ausgeführt. Immer ist die von Jesus Christus und seinem religiösen Selbstbewusstsein ausgehende Geschichte eine Ausfaltung und Verbreitung ihres Anfangs, ein zeitliches und zielgerichtetes auf die Durchsetzung seiner ursprünglichen Gottesoffenbarung ausgehendes Werden, ein Werden dessen, was in Christus ursprünglich bereits zur exemplarischen bzw. urbildlichen Verwirklichung gekommen ist. Die christliche Geschichtsdeutung ist die Erzählung von einer auf Christus zulaufenden wie dann wiederum von ihm ausgehenden Religionsgeschichte. Christus ist der große Wendepunkt in der Religionsgeschichte. Mit seinem geschichtlichen Auftreten wurde das Bewusstsein der Gottespräsenz in allen Vollzügen des Lebens vollkommen realisiert. Mit dem Christentum und seiner Kirche wurde zugleich aber auch eine geschichtliche Bewegung in Gang gesetzt, mit der sich die durch Jesus Christus herausgeführte Einheit von Gottes‑ und Selbst‑ und Weltbewusstsein in der ganzen Menschheit durchsetzen wird. In diese Erzählung von der Religionsgeschichte des Christentums treten somit weitere Gesichtspunkte ein, die sie gewissermaßen in eine Erzählung von der „Weltgeschichte des Christentums“ (Kurt Nowak) überführen. Denn das Niveau, das die religionsgeschichtliche Entwicklung
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mit dem Christentum erreicht, ist nach Schleiermacher nicht nur für die Religionsgeschichte relevant. Wie die Religion überhaupt ein Integral der menschlichen Vernunftkultur darstellt, so kann die Befreiung der Religion zu sich selbst für die übrigen gesellschaftlichen Lebensbereiche nicht folgenlos bleiben. Im Gegenteil, die sich in der Weltgeschichte des Christentums vollendende Religionsgeschichte kann als die weltgeschichtliche Durchsetzung der religiös fundierten Vernunft‑ und Humanitätskultur angesehen werden.
5. Zum Verhältnis von philosophischer und theologischer Deutung der Religionsgeschichte Schleiermachers Konstruktion eines allgemeinen, man kann auch sagen philosophischen Begriffs der Religion kommt zu der Einsicht, dass ein Verstehen der Religion auf deren prinzipielle Pluralität wie auch Faktizität führt. Wo Religion wirklich wird, ist sie der faktische Vollzug eines individuellen religiösen Bewusstseins, in dem freilich der Mensch des ihn in seiner Weltgestaltung tragenden göttlichen Lebensgrundes ansichtig wird. Mit der Faktizität der immer welt‑ und geschichtsbezogenen Positionalität des individuellen religiösen Bewusstseins ist dessen begriffliche Unableitbarkeit verbunden. Auch wenn sich Religion als konstitutiv zur menschlichen Weltstellung gehörig verständlich machen lässt, wovon Schleiermacher überzeugt war, bleibt die Religion in ihrem wirklichen Vorkommen geschichtlich kontingent. Große religiöse Gemeinschaften gehen zudem auf die prägende Individualität einer jeweils starken religiösen Individualität zurück. Der allgemeine Begriff der Religion lenkt die Aufmerksamkeit sowohl auf die Individualität wie die Pluralität der gelebten Religion. Die begriffliche Unableitbarkeit der ebenso individuellen wie pluralen Religionswelt verlangt nach deren historisch-empirischer Wahrnehmung. Diese geschieht jedoch selbst wiederum auf der Basis einer je bestimmten Religion, da es ja gar kein geschichtliches Menschsein ohne eine zumindest rudimentäre Entwicklung der religiösen Anlage gibt. Jede Deutung der Religion in der geschichtlichen Vielfalt ihrer Formen ist letztlich selbst von religiösen Voraussetzungen getragen. Weiter wird die religionsphilosophische Sicht auf die Religion und die Religionen von Schleiermacher nicht verfolgt. Sie dient ihm im Wesentlichen zur Rechtfertigung des Tatbestandes, dass eine Deutung des Christentums und seiner Stellung in der Welt der Religionen, den christlichen Standpunkt zu Recht in Anspruch nimmt und somit letztlich zu einer christlichen Deutung der Religionsgeschichte führt.
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Dieser christlichen Geschichtsdeutung Schleiermachers werden wir Heutigen nur mit Vorsicht zu folgen bereit sein. Zu sehr ist sie uns von religionsimperialen oder zumindest forciert inklusivistischen Ansprüchen des Christentums bestimmt. Was uns an Schleiermachers Sicht auf die Religion in der Vielfalt der Religionen aber immer noch einleuchten müsste, ist der Ausblick auf eine Verträglichkeit zwischen einem pluralismusoffenen und einem positionellen Verständnis von Religion. Denn das ließe darauf hoffen, dass ein auf die Verständigung mit anderen Religionen ausgehendes Religionsgespräch der je eigenen religiösen Wahrheitsüberzeugung nicht nur keinen Abbruch tun muss. Ein solches interreligiöses Religionsgespräch kann sich nach Schleiermacher vielmehr mit der Erwartung verbinden, zum einen, dass alle Menschen, sofern sie nur einiger Selbstachtung fähig sind, sich als religiös zu verstehen Veranlassung haben, und zum anderen, dass die eigene religiöse Überzeugung durch die Begegnung mit dem Anderssein anderer religiöser Überzeugungen größere Klarheit über sich selbst und eine sie bereichernde Einsicht in andere religiöse Erfahrungs‑ und Deutungswelten gewinnt. In diesem Religionsgespräch wird es insofern dann allerdings nicht darum gehen, Wahrheits‑ und Geltungsansprüche zu verteidigen. Es zieht seine gewinnende Kraft daraus, dass Menschen von der Lebensgewissheit Auskunft geben, die sie als die je eigene empfinden.
Literaturverzeichnis Schleiermacher, Friedrich, Der christliche Glaube, nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, auf Grund der zweiten Auflage und kritischer Prüfung des Textes neu hg. v. Martin Redeker, Bd. I und II, Berlin 1960 (= GL). –, Dogmatische Predigten der Reifezeit, ausgewählt und erläutert von Emanuel Hirsch, Berlin 1969, 190–204. –, Entwürfe zu einem System der Sittenlehre, in: Schleiermachers Werke, Auswahl in vier Bänden, hg. v. Otto Braun/Johannes Bauer, Bd. 2, Neudr. der 2. Aufl. Leipzig 1927, Aalen 1967 (= PhE). –, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in ihrer ursprünglichen Gestalt, neu hg. v. Rudolf Otto, Göttingen, 6. Aufl. 1967 (= Reden). –, Vorlesungen über die Dialektik, 2 Teilbde., hg. v. Andreas Arndt, Kritische Gesamtausgabe (= KGA), II. Abt., Bd. 10 /1–2, Berlin/New York 2002. –, Vorlesungen über die Kirchengeschichte, in: ders., Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Hermann Fischer u. a., Bd. II/2, hg. v. Simon Gerber, Berlin /New York 2006 (= Kirchengeschichte). Süskind, Hermann, Christentum und Geschichte bei Schleiermacher, Tübingen 1911. –, Der Einfluss Schellings auf die Entwicklung von Schleiermachers System, Tübingen 1909.
Religion und Wahrheit bei Schleiermacher Eilert Herms Schleiermachers Existenz als Theologe und Philosoph1 beginnt mit einem grundstürzenden Zweifel an der Wahrheit und damit an der Glaubwürdigkeit des christlichen Dogmas und dessen Entfaltung in der kirchlichen Lehre2, und sie endet damit, dass er in seiner Dogmatik, also Glaubenslehre3 und christlicher Sittenlehre4, den Sinn und Wahrheitscharakter dieses Aussageganzen detailliert zur Darstellung bringt. Nach dem Verlust der Einsicht in den Wahrheitscharakter des christlichen Dogmas ist es Schleiermacher also gelungen, eben diese Einsicht zurückzugewinnen. Dies geschah dadurch, dass er den Gegenstandsbezug des Dogmas zu klären vermochte, und dies, indem er die christliche Lehre als Zusammenhang von Aussagen des Selbstbewußtseins von Menschen über die geschichtliche – eben christliche – Bildungsgestalt ihrer „Frömmigkeit“ bzw. „Religion“ durchsichtig machen konnte – wobei mit diesen beiden Ausdrücken der Sache nach jeweils eine geschichtliche Bildungsgestalt5 von menschlicher Selbst-, Welt‑ und Gottes„gewißheit“6 gemeint ist. 1 Schleiermacher konnte nur Theologe bleiben, indem er sich denkend, also philosophierend, in der christlichen Frömmigkeit orientierte. Siehe die folgende Anmerkung. 2 Zur Glaubenskrise von 1786/87 vgl. Schleiermachers Brief an seinen Vater vom 21. 1. 1787 und des letzteren Brief an den Sohn vom 8.2. desselben Jahres: F. D. E. Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe, hg. v. G. Meckenstock/H. Fischer / H.-J. Birkner, Berlin 1984 ff. (= KGA), V/1, 49–56. 3 F. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 1. Aufl. 1821 (KGA I,7), 2. Aufl. 1830 (KGA I,13). Ich zitiere nach der Ausgabe durch M. Redeker (Berlin 1960); Sigel: CG (mit Seiten‑ und Zeilenzahl). 4 Die immer noch maßgebliche Ausgabe ist die durch L. Jonas: Die christliche Sitte nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche, in: F. Schleiermacher’s sämmtliche Werke, 1. Abtheilung, Bd. 12, Berlin 1843. – Zur Zusammengehörigkeit von Glaubenslehre und Sittenlehre als den beiden Teilen der Dogmatik vgl. F. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, 21830, §§ 223–231. 5 Dass die christliche Religiosität für Schleiermacher nur als das Resultat einer Bildungsgeschichte – der Menschheit und jedes Menschen – real ist, geht eindeutig aus seiner fundamentalanthropologischen Sicht der Bedingungen hervor, aufgrund deren es möglich,
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Die Rede von „Gewißheit“ bezeichnet bei Schleiermacher nun ihrerseits immer einen Zustand, also eine Bestimmtheit, menschlichen Selbstbewußtseins, und zwar genau den Zustand (bzw. die Bestimmtheit) des Inneseins von Wahrheit7 – will sagen: der Entsprechung8 des „Denkens“ (in einer weiten, Imagination und Vorstellen einschließenden Bedeutung des Wortes) zum „Sein“9, was meint: zu dem „Gegenstand“10 menschlichen Vorstellens und Denkens in dessen dem Denken vorgegebener Eigenart, oder eben: die Entsprechung des im Denken gedachten „Etwas“ zu dessen Eigenbestimmtheit als Etwas, das dem Denken zu-denken vorgegeben ist.11 Das aber heißt: Indem Schleiermacher die Realität von Frömmigkeit bzw. Religion im Allgemeinen und von christlicher Frömmigkeit bzw. Religion im Besonderen als die Realität eines geschichtlich gebildeten Gewißheitszustands zum Gegenstand hat, präsentiert sich ihm beides – die Realität von Frömmigkeit und Religion im Allgemeinen und der christlichen Frömmigkeit im Besonderen – als eine Manifestation von gebildetem menschlichem Wahrheitsbewußtsein. Die Sachintention von Schleiermachers Religions‑ und Christentumstheoaber auch unvermeidlich ist, dass das unmittelbare Selbstbewußtsein immer nur schrittweise zu seiner monotheistischen Bestimmtheit als unmittelbares Bewußtsein (Gefühl) schlechthinniger Abhängigkeit befördert werden kann und befördert wird (dargelegt in CG § 5), sowie in der Spät‑ und Spitzenstellung, die der christlichen Frömmigkeit unter den monotheistischen Gestalten der Frömmigkeit zukommt. 6 Mit Religion („Frömmigkeit“) ist für Schleiermacher stets, und daher auch mit der christlichen Religion („Frömmigkeit“), eine grundlegende Art von „Gewißheit“ Thema: CG 20,29 ff. 7 Von Schleiermacher in der Dial (das Sigel bezeichnet immer die Dialektik in der Version von 1822 in der Ausgabe: F. Schleiermacher, Friedrich Schleiermachers Dialektik, hg. v. R. Odebrecht, Leipzig 1942 [anastatischer Neudruck 1976]; zitiert werden Seiten‑ und Zeilenzahl) angesprochen als „Überzeugung“: 130,18 (auch 132,33; 325 ff.). 8 Dial 138,11.25. Schleiermacher spricht gleichbedeutend von „Übereinstimmung des Denkens mit dem Sein“: 135–138. 9 Dial 135,22–24. 10 Dial 127,18–22; 130,4.6.23; 135,9 ff.; 142 f. 11 Dial 127,10 ff.; 129,31 ff. – Eine knappe und pointierte Gesamtbeschreibung seiner Sicht dieses komplexen Sachverhaltes bietet Schleiermacher im Zusammenhang der Betrachtungen der Möglichkeitsbedingungen allen Wissens in der zweiten Ethikeinleitung (Ausgabe: F. D. E. Schleiermacher, Werke. Auswahl in vier Bänden, dort Bd. II, hg. v. O. Braun: Entwürfe zu einem System der Sittenlehre, Leipzig 1913) aus dem Jahre 1816 (Sigel: E 1816,1 und 1816,2 mit Ziffer), dort Ziffer 23 Erläuterung: „Niemand wird sagen, er wisse, was nicht ist; und wenn wir ein Sein annehmen, worauf sich unser [Kursivierung E. H.] Wissen gar nicht bezieht, so sind wir genöthiget mit demselben zugleich ein anderes Wissen zu denken, welches sich darauf bezieht. Es kann nur gefordert werden, dass jeder sich dieses Satzes bewußt werde. Wer die Nothwendigkeit desselben läugnen wollte … (der) stände auch überhaupt nicht auf dem Punkte, wo es eine Wahrheit für ihn giebt, sondern nur ein vorläufiges Läugnen aller Wahrheit, auf dem Punkt des allgemeinen Zweifels“.
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rie wird also im Ansatz verfehlt, wo sie nicht nachgezeichnet wird innerhalb seiner Theorie über die geschichtliche Konstitution des menschlichen Wahrheitsbewußtseins überhaupt. Oder kurz: Schleiermachers Theorie von Frömmigkeit und christlicher Frömmigkeit ist selbst ein wesentliches Moment seiner Theorie der geschichtlichen Konstitution menschlichen Wahrheitsbewußtseins. Damit stellen sich drei Fragen: Wo finden wir die einschlägige Theorie Schleiermachers über die geschichtliche Konstitution menschlichen Wahrheitsbewußtseins in seinem Gesamtwerk (1)? Welche Bedeutung hat die Konstitution derjenigen Gewißheit, also desjenigen Wahrheitsbewußtseins, das als „Frömmigkeit“ oder „Religion“ angesprochen wird, für die Konstitution von menschlichem Wahrheitsbewußtsein überhaupt (2)? Wird die Einheit des menschlichen Wahrheitsbewußtseins und seiner Konstitution gesprengt oder gewahrt durch die dem religiösen Wahrheitsbewußtsein zugesprochene konstitutive Rolle (3)? Ich schließe mit ein paar Bemerkungen zu Stärke und Konkretisierungsbedarf der Schleiermacherschen Sicht (4).
1. Die Theorie der geschichtlichen Konstitution menschlichen Wahrheitsbewußtseins im Gesamtwerk Man vermutet naheliegenderweise, Schleiermachers Theorie der geschichtlichen Konstitution des menschlichen Wahrheitsbewußtseins in denjenigen Teilen seines Oeuvres zu finden, deren Gegenstand und Thema das Denken ist, das danach strebt, Wissen zu werden, also nach Entsprechung gegenüber dem Sein. Tatsächlich bietet auch die diesem Thema gewidmete Disziplin, Schleiermacher nennt sie „Dialektik“, den Kern der einschlägigen Theorie der Konstitution des menschlichen Wahrheitsbewußtseins.12 Allerdings wird hier hervorgehoben, dass Denken selbst eine Weise des Wollens13, und zwar des wirksamen Wollens ist, das seine Ziele auch erreicht, und dass sich somit das nach Wissen strebende Denken als erfolgreiches Wissenwollen14 voll12 Dial 48,14 ff.: Die Dialektik ist „die Kunst, durch die Führung eines Gesprächs Vorstellungen zu erregen, die nur auf Wahrheit gegründet sind und durch diese auch ihren gehörigen Erfolg haben werden.“ 13 Dial 277,3–10: „Sind wir im Denken begriffen als in einem fortwährenden Zustand, der sich in bestimmte Momente und Aktionen sondert, wobei ein Moment aufhört, ein neuer beginnt und eine Verknüpfung notwendig ist, so ist jedes bewußte Beginnen eines neuen Momentes ein Wollen und jedes Verknüpfen im Denken nur ein besonderer Fall des Wollens.“ 14 Dial 23,12.
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zieht. Wollen in seinem ganzen Umfang ist jedoch Gegenstand der Ethik, so dass der Gegenstand der Dialektik sich damit als hineingehörig in den Gegenstandsbereich der Ethik erweist – ein Sachverhalt, dem Schleiermacher in dieser Werkabteilung, eben der Ethik, auch explizit Rechnung trägt.15 Die einschlägigen (das Wissen und seine Möglichkeitsbedingungen behandelnden) Texte der Dialektik und Ethik müssen somit als sich ergänzende Beiträge zu Schleiermachers Theorie der Konstitution des menschlichen Wahrheitsbewußtseins gelesen werden. Die faktische Identität des Gegenstandes von Dialektik und Ethik zeigt sich auch daran, dass es um die Entsprechung zum Sein nicht nur im wirksamen Wissenwollen, sondern in allem wirksamen Wollen geht, weil eben die Wirksamkeit des Wollens damit steht und fällt, dass es auf reale Ziele gerichtet ist, d. h. auf solche, deren Erreichbarkeit in dem Sein begründet ist, welches dem Wollen vorgegeben ist und auf dessen Boden und in dessen Spielraum es sich bewegt.16 Ebenso wie es im Wissenwollen darum geht, dass das Ideale dem Realen entspricht, geht es in schlechthin allem wirksamen Wollen um eine solche Entsprechung des Idealen zum Realen.17 Nun bezeichnen die Ausdrücke „das Reale“ und „das Ideale“ für Schleiermacher nur die beiden Seiten des Werdens18, innerhalb dessen wir uns vorfinden: Das Reale sind die Prozesse, die wir erleiden und die als von uns erlittene zugleich der Boden unseres auf-sie-Reagierens, unseres Umgehens mit ihnen sind; das Ideale sind die Prozesse, deren Fundament die Spontaneität unseres wirksamen Wollens ist (das als solches nicht nur von uns selbst gewählte Ziele verfolgt, sondern auch realisiert). Dieses Umgehen der Menschen mit dem, was sie erleiden, die Einwirkung also des Idealen auf das Reale, ist der Gegenstand der Ethik19, während der umgekehrte 15
Das habe ich bereits früher gezeigt: E. Herms, „Die Ethik des Wissens beim späten Schleiermacher“, in: ders., Menschsein im Werden. Studien zu Schleiermacher, Tübingen 2003, 1–48. 16 Dial 280,7 ff.: „Soll es ein Wollen geben, so ist es nötig, dass das Wollen […] zusammenstimme mit dem Gegenstande unseres Wollens. In jedem Handelnden ist das Wollende das Tätige, der Gegenstand des Wollens, das Bestimmte in der Allgemeinheit des Seins, das Leidende. Könnte dieses nun nicht so leiden, wie jenes tätig ist, so wäre der ganze Prozeß unmöglich und das Wollen könnte nie realisiert werden.“ – Auch hier wird das Sein des Wollenden selber als dasjenige angesprochen, in welchem Sein und Wollen ebenso eins sind, wie Denken und Sein im Sein des Denkenden (Dial 274,2–7). 17 Dial 280,16 f. 18 E 1816,1 Ziffer 72, 97. 19 Vgl. hierzu die beiden Ethikeinleitungen aus dem Jahre 1816 (1816,1 Ziffer 46 ff.; 1816,2 Ziffer 75 ff.) – Das unhintergehbare und unüberholbare Fundament, auf dem beide sich bewegen, ist das für-uns-Sein der unauflöslichen Bezogenheit von Sein und Wissen aufeinander (1816,1 Ziffer 22; 1816,2 Ziffer 23); dabei ist, wie es in 1816,2 erläuternd heißt,
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Prozeß: das Einwirken dessen, was wir erleiden, auf unser wirksames Wollen, also die Einwirkung des Realen auf das Ideale, Gegenstand der das Sein „das Gewußte“, das Wissen dasjenige, welches „um das Gewußte weiß“ (Ziffer 23 und 46). Der Sachverhalt, den Schleiermacher hier anspricht, ist also die Relation, in der eine Relation – nämlich die zwischen Wissen und Sein – zu uns steht. (Der Sachverhalt wäre also unzutreffend beschrieben, wenn man ihn als dreistellige Relation – zwischen Sein, Wissen [Denken] und „uns“ – beschreibt; denn eine solche Beschreibung würde unterschlagen, dass diese drei Instanzen nicht auf einer Ebene stehen; sie würde unterschlagen, dass Sein und Denken nur in ihrer Bezogenheit-aufeinander für uns sind. Und eben damit wäre die Eigenart der Relation zwischen dem, was für uns ist, und uns, für die es ist, unterschlagen – die Eigenart dieser Relation, die darin besteht, dass das eine ihrer Relate selbst relationalen Charakter hat, indem es eben das unlösliche Aufeinanderbezogensein von Sein und Denken ist. Die Beachtung dieser Eigenart ist erforderlich, weil allein aus ihr durchsichtig wird, welche Möglichkeiten für die inhaltliche und die formale Bestimmtheit des Wissens in diesem für-uns-Sein-der-Aufeinanderbezogenheitvon-Sein-und-Denken enthalten sind, also auf welche Weisen des für uns Wissbaren sich das Wissen richten kann und welche Formen des Wissens dieses für uns Wissbaren das Wissen annehmen kann; beides ist nämlich in dem für uns Wissbaren [dem Ineinander von Sein und Denken] begründet). Die Weise des für-uns-Seins jenes Ineinanders von Sein und Denken spricht Schleiermacher an als das „uns-Vorschweben“ (1816,1 Ziffer 40; 1816,2 Ziffer 46) dieses Ineinanders. Offenbar erfaßt Schleiermacher, dass wir uns nicht selbst in dieses uns-Vorschweben versetzt haben, sondern dass wir uns in ihm immer schon finden, denn er sagt, das uns vorschwebende Ineinander sei „uns gesetzt“ (ebendort), und zwar einerseits unter der Dominanz des Realen (dann als „Natur“) und zugleich auch unter der Dominanz des Idealen (dann als „Vernunft“: ebendort). Dabei hat dieses uns immer schon vorschwebende Ineinander von Sein und Denken (in 1816,1 Ziffer 40: des Realen und des Idealen) für Schleiermacher immer schon den Charakter eines irgendwie Gewußtseins des einen durch das andere, denn im uns vorschwebenden Ineinander von Sein und Wissen ist das erste (das Sein) das Gewußte, das zweite (das Wissen) das, was „um das Seiende weiß“ (1816,2 Ziffer 23). Diesen – von Schleiermacher gesichteten und zur Sprache gebrachten – Gewußtheitscharakter dessen, was uns immer schon vorschwebt, muß man im Auge behalten. Denn nur dann kann man erfassen, was Schleiermacher meint, wenn er das sich auf dem Boden und im Rahmen dieses uns-Vorschwebens bewegende Wissen (dieses ist in 1816,1 Ziffer 42 ff. und in 1816,2 Ziffer 24 ff. gemeint), das dem ihm vorschwebenden Etwas entspricht, mit ihm übereinstimmt oder ihm „gleich“ ist (1812,1 Ziffer 22 Anm.), den „Ausdruck“ des in ihm Gewußten nennt (1816,1 Ziffer 46; 1816,2 Ziffer 25). Es ist „Ausdruck“ seines ihm vorschwebenden Etwas, sofern – also unter der Bedingung, dass – es mit dem ihm vorschwebenden, und darin zu-wissen gegebenen, Etwas übereinstimmt (denn in diesem vorschwebenden Etwas ist in der Tat die Ideale Seite unmittelbarer Ausdruck der Realen [nämlich dessen eigenes unmittelbares für-das-Ideale-Da-Sein]). Aber diese Bedingung ist keineswegs stets und immer erfüllt, wie eben der Übergang von strittigem und zweifelhaftem Wissen zur unangefochtenen Überzeugung, zum Innesein der Wahrheit zeigt, der seit 1822 das Thema der jetzt als Kunstlehre des Übergehens vom strittigen ins unstrittige Wissen konzipierten Dialektik ist, aber in den Betrachtungen über die universalen Möglichkeitsbedingungen des Wissens der Ethikeinleitungen von 1816 (und in den früheren Gestalten der Dialektik) noch nicht eigens thematisiert wird.
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Physik ist.20 Somit haben aber auch Ethik und Physik denselben Gegenstand, den sie nur unter seinen beiden irreduziblen Seiten betrachten. Dieser gemeinsame Gegenstand ist das konkrete Ganze des im-Werden-Seins, in dem alle Menschen sich finden.21 Dieses Werden im asymmetrischen Zusammenspiel von Realem und Idealem ist die eine universale Bedingung, unter der alle Menschen, also die Menschheit, leben, und eben diese universale Bedingung des Menschseins ist der eine allbefassende Gegenstand, dem die Reflexionsarbeit Schleiermachers seit seiner Studienzeit gilt.22 Ethik und Physik (letztere hat Schleiermacher nicht selbst bearbeitet) thematisieren nur wesentliche Momente des einen allbefassenden Gegenstandes des Schleiermacherschen Nachdenkens, und die Dialektik de facto wiederum nur ein wesentliches Teilmoment des Gegenstands der Ethik, eben des Wollens. Der Gesamtgegenstand als solcher, also Menschheit im Werden, ist in Schleiermachers erster Veröffentlichung, den Reden über die Religion (1799), explizit thematisiert. Und auch in späterer Zeit hat er ihn wieder explizit aufgegriffen – nämlich in der „Psychologie“23, freilich auch hier wiederum nur in aspektbezogener Beschränkung, nämlich auf die Geistseite des menschlichen Lebens24 – unter ausdrücklicher Anerkennung ihres Bedingtseins durch unbewußte Prozesse, deren Insgesamt Gegenstand der von Schleiermacher so genannten „Physiologie“25 ist. Wie die Psychologie die im Menschsein liegenden Möglichkeitsbedingungen für das
20 E
1816,1 Ziffer 46; 1816,2 Ziffer 55. deutlich ausgesagt in E 1816,2 Ziffer 46–60. 22 Bekanntlich ist „Menschheit“ das direkte Thema schon der Reden über die Religion von 1799 und sie wird es dann wieder in der Psychologie seit 1818, nachdem die Fundamentalstellung der Anthropologie durch die Betrachtungen über die Möglichkeitsbedingungen des Wissens in den Einleitungen zur Ethik von 1816 sichtbar geworden war. Vgl. 1816,1 Ziffer 40, 1816,2 Ziffer 49 und 84. 23 Immer noch maßgebliche Ausgabe durch L. George: F. Schleiermacher’s sämmtliche Werke, 3. Abtheilung: Zur Philosophie, Bd. 6, Berlin 1862 (Sigel: Ps mit Seiten‑ und ggf. Zeilenzahl). – Der Gebrauch dieser Disziplinenbezeichnung steht in der Tradition der rationalen Psychologie der Leibniz-Wolff-Schule und der Rede von „Psyche“ und „Psychologie“ der antiken Philosophie. – Zur Stellung der Psychologie in Schleiermachers Gesamtsystem vgl. E. Herms, „Die Bedeutung der ‚Psychologie‘ für die Konzeption des Wissenschaftssystems beim späten Schleiermacher“ (1991), in: ders., Menschsein im Werden. Studien zu Schleiermacher, Tübingen 2003, 173–199. – Wertvolle Interpretationen zu Schleiermachers Psychologie bietet: K. Huxel, Ontologie des seelischen Lebens. Ein Beitrag zur theologischen Anthropologie im Anschluß an Hume, Kant, Schleiermacher und Dilthey, Tübingen 2004. 24 Ps 25,19 ff. 25 Ps 23,20. 21 Besonders
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gesamte Spektrum des wirksamen Wollens zum Gegenstand hat26, so die Physiologie die im Menschsein liegenden Möglichkeitsbedingungen desjenigen Werdens, welches in der Physik untersucht und beschrieben wird. In allen ausdifferenzierten Einzeldisziplinen werden also nur Wesensmomente des einen Gesamtgegenstandes, „Menschheit“, thematisiert und untersucht. Das heißt dann natürlich auch umgekehrt, dass alle ausgegliederten Teildisziplinen de facto Beiträge zur Erfassung dieses einen Gesamtgegenstandes sind. Beispielsweise sind die Untersuchungen der Dialektik Beiträge zur Ethik, aber auch zur Psychologie. Im Bereich dieses Gesamtgegenstandes seiner Theorie der „menschlichen Natur“27 bewegt sich auch Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit bzw. Religion – schon in den Reden, dann wieder in der Glaubenslehre. Und zwar versiert die Letztere, wie die Einleitung klar macht, direkt im Gegenstandsbereich der Ethik28 und damit auch in dem Gegenstandsbereich der Psychologie, der den der Ethik begründet und umfaßt.29 Auf deren Gegenstand, das menschliche Bewußtseinsleben, ist die Theorie der Frömmigkeit im Allgemeinen und der christlichen im Besonderen gerichtet, die in der Einleitung zur Glaubenslehre geboten wird.30 Hier wird das menschliche Bewußtseinsleben genau unter demjenigen Aspekt in den Blick gefaßt, der den speziellen Gegenstandsbereich der aus der Ethik ausgegliederten Dialektik ausmacht: unter dem Aspekt des Zustandekommens des menschlichen Wahrheitsbewußtseins.31 Folglich werden wir uns für die Beantwortung unserer beiden Leitfragen – erstens nach der Bedeutung des religiösen Wahrheits26 Auf
die Psychologie als Theorie über die Möglichkeitsbedingungen des ethischen Prozesses (des Handelns der „Vernunft“ auf die „Natur“) führten schon die Ethikeinleitungen von 1816 (1816,1 Ziffer 40; 1816,2 Ziffer 45 und 84). Dasselbe zeigt sich auch bei der Bestimmung des Gegenstandes der Psychologie selbst: Ps 25,26 ff. – Genauer gilt: Die Psychologie hat die in der leibhaften Individualität des Menschseins, also in der Verfassung jedes menschlichen Individuums, liegenden Möglichkeitsbedingungen für das Zusammenleben der Menschen als individueller Personen im Blick, während die Ethik eben dieses Zusammenleben – seine Werke, die dafür erforderliche Tüchtigkeit und die dabei zu befolgende Regel – zum Gegenstand hat. 27 Vgl. etwa CG 41,19 (§ 6 Leitsatz). 28 CG §§ 3–6 sind „Lehnsätze aus der Ethik“ (CG 14,26). 29 Das Fundiertsein der ethischen Betrachtungen in psychologischen kommt zu explizitem Ausdruck in CG 18,7 ff. Dort wird – nota bene innerhalb der Lehnsätze aus der Ethik – das Folgende als Lehnsätze aus der „Seelenlehre“ benannt. 30 Was sich auch darin manifestiert, dass auch die Psychologie explizite Beschreibungen des religiösen Bewußtseins bietet. 31 Die Erläuterungen zu den §§ 3 und 4 werden in CG als „Entlehntes“ aus der Psychologie vorgetragen (CG 18,10), haben aber eben die Vorgänge im Blick, die Gegenstand des transzendentalen Teils der Dialektik sind – woraus sich ergibt, dass für Schleiermacher
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bewußtseins für die Konstitution des menschlichen Wahrheitsbewußtseins überhaupt und zweitens nach der Einheit der Konstitution des menschlichen Wahrheitsbewußtseins – an diese beiden gegenstandsidentischen Textkomplexe halten: an die Dialektik von 1822 (näherhin deren Einleitung und transzendentalen Teil) und an die Einleitung zur Glaubenslehre von 1830.
2. Die Bedeutung von „Frömmigkeit“ bzw. „Religion“ für die Konstitution von menschlichem Wahrheitsbewußtsein überhaupt Betrachtet wird in der Dialektik die Gesprächsführung – sei es zwischen verschiedenen Personen oder auch im Inneren einer Person –, und zwar die Gesprächsführung als der Weg, der zu „Vorstellungen“ führt, die „nur auf Wahrheit gegründet sind und durch diese auch ihren gehörigen Erfolg haben werden“32; wobei die „Wahrheit“ der Vorstellung darin besteht, dass sie ihrem Gegenstand „entspricht“33 (oder: mit ihm „übereinstimmt“).34 Ausgangspunkt dieses Weges sind Wahrheit beanspruchende Vorstellungen über denselben Gegenstand, die irgendwie35 nicht übereinstimmen und hinsichtlich deren nicht entschieden ist, welche von ihnen dem gemeinsamen Gegenstand entspricht, und auch nicht, ob überhaupt eine von beiden mit dem Gegenstand übereinstimmt oder erst eine weitere, im Bewußtsein noch gar nicht präsente Vorstellung. Solange diese Unentschiedenheit der konkurrierenden Wahrheitsansprüche dauert, sind alle Beteiligten in einem Zustand, in dem sie nicht der Wahrheit irgendeiner Vorstellung inne sind. Sie befinden sich nicht im Zustand des Wahrheitsbewußtseins, der Gewißheit, sondern der Ungewißheit. Indem die Gesprächsführung die Unentschiedenheit der konkurrierenden Wahrheitsansprüche beseitigt, versetzt sie jeden Beteiligten in den Zustand des Bewußtseins von der Wahrheit entweder einer der konkurrierenden Vorstellungen oder einer dritten, also jedenfalls in den Zustand des Überzeugtseins davon, dass die Vorstellung ihrem Gegenstand entspricht, also in den Zustand der Gewißheit (der „ruhigen Überzeugung“36).
der Gegenstand der Dialektik zum Gegenstand der Psychologie gehört (wie soeben behauptet). 32 Dial 48,15f; 94,21 ff. 33 Siehe oben Anm. 11. 34 Dial 138,13. Zum Gesamtkomplex Dial 135–138. 35 Also konträr oder kontradiktorisch aufeinander bezogen sind. 36 Dial 130,12–29.
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Dieser Weg von Ungewißheit zu Gewißheit kann ausschließlich durch die Gesprächsführung zurückgelegt werden.37 Und zwar führt die Gesprächsführung zum Bewußtsein der Wahrheit von Vorstellungen über alle möglichen Gegenstände menschlichen Wissens, zu denen auch die Prinzipien allen Wissens selbst gehören und der Zusammenhang allen Wissens. Ja, nur indem die Gesprächsführung zur Gewißheit über die Prinzipien des Wissens und über den Zusammenhang allen Wissens führt, führt sie auch zum Bewußtsein der Wahrheit von Vorstellungen über einzelne Gegenstände, also zu einem Wissen über sie.38 Weil nun aber Gesprächsführung der einzige Weg zu allem Wissen ist, sind auch die Prinzipien allen Wissens keine anderen als eben die Prinzipien der Gesprächsführung. Und diese Prinzipien aller Gesprächsführung, die jede Gesprächsführung erst möglich machen, sind zwei: erstens eine Entsprechung von Vorstellung zum Gegenstand, von Denken zum Sein, die de facto für keinen Beteiligten strittig ist und von der aus man zu jeder möglichen strittigen Vorstellung gelangen kann,39 als der gemeinsame „Grund“40 des Gesprächs, auf den man von strittigen Vorstellungen zurückgehen kann, um von ihm aus dann zu gemeinsamen Vorstellungen vom Realen voranzuschreiten41; zweitens „gemeinsame, anerkannte Regeln über das Verfahren des Fortschreitens von einer Vorstellung zur anderen“.42 Nach der ersten dieser beiden Möglichkeitsbedingungen für die Erreichung eines Wahrheitsbewußtseins durch Gesprächsführung fragt der „transzendentale Teil“43 der Dialektik, nach der zweiten ihr „technischer oder formaler Teil“.44 Die im transzendentalen Teil der Dialektik gesuchte erste Möglichkeitsbedingung für die Erreichung eines Wahrheitsbewußtseins durch wissenwollende Gesprächsführung ist also: dasjenige Bewußtsein der Übereinstimmung eines Denkens mit dem zu-denkenden Sein (also dasjenige Bewußtsein von Wahrheit oder diejenige Gewißheit), welches sich nicht erst aus dem Denken, also aus dem wissenwollenden Gesprächführen, ergibt, sondern diesem schon als der Grund seiner Möglichkeit zugrundeliegt. Gesucht wird ein Bewußtsein von Wahrheit (Übereinstimmung des Denkens mit 37 Zum Ganzen Dial 48,12–24; 54,38–40; 58,13–59,13; 59,4–40; 78,5–10; 82,39–83,7; 94,21–25. 38 Dial 60–64. 39 Dial 94; 96; 114. 40 Dial 91,25 f. 41 Dial 98,4–15. 42 Dial 94; 114. 43 Dial 123–314. 44 Dial 315–464.
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dem Sein), von welchem zweierlei gilt: Erstens ist es – weil schon allem Wissenwollen durch Streit überwindende Gesprächsführung vorangehend und diese ermöglichend – für alle Seiten unstrittig; zweitens ist es als solches auch das Bewußtsein des einheitlichen Grundes der Übereinstimmung von Denken und Sein.45 Weil der transzendentale Teil der Dialektik nach diesem Bewußtsein fragt, kann er sich gar nicht anders vollziehen als eine de facto psychologische Reflexion auf das menschliche Geistes‑ bzw. „Gemüts“leben, die im Gesamtzusammenhang von dessen Bewußtseinsformen diejenige auszumachen sucht, welche das vor allem Streit lebendige Bewußtsein der Übereinstimmung von Denken und Sein und des Grundes dieser Übereinstimmung ist. Dieser psychologischen Reflexion46 präsentieren sich – wie schon in den Reden und der Vorlesung über „Psychologie“ – drei Bewußtseinsformen und ihr Zusammenspiel als wesentlich für das menschliche Geistesleben47: Denken, Wollen und Gefühl.48 Die beiden ersten sind näherhin zwei irreduzibel verschiedene Weisen des Wollens, nämlich ein Vorstellenwollen mit unterschiedlichen Zielen (nämlich Wissen und Phantasieren) auf der einen und ein Handelnwollen auf der anderen Seite, die sich in asymmetrischer Weise gegenseitig bedingen und ineinander übergehen. Das Medium aber, in dem dieser Übergang möglich ist und sich vollzieht, ist das „Gefühl“. Dieses umgreift also beide, das Wissenwollen und das Handelnwollen, und ist somit nicht durch deren Vollzüge vermittelt, sondern ihnen gegenüber reines „unmittelbares Selbstbewußtsein“.49 Als solches ist es der Möglichkeitsgrund einer jeden Gestalt von reflektiertem Selbstbewußtsein und von diesen allen unterschieden, also auch vom „Ich“50, dem Gegenstand des durch Reflexion vermittelten Selbstbewußtseins (des reflektierten Selbstbewußtseins). Nun ist die psychologische Reflexion selbst eine Weise des Wissenwollens, sie strebt nach Wissen über das menschliche Gemütsleben, faßt also dieses als einen in sich „beharrlichen und konstanten“ Gegenstand für alle möglichen Wissenden.51 Sie thematisiert somit auch die Gemütsfunktionen des Wissenwollens, Handelnwollens und des Gefühls sowie deren Zusammenspiel als 45 Bestimmung dieser Aufgabe des transzendentalen Teils der Dialektik: Dial 96,39– 98,38; 114,32–115,14; 118,17–28; 119,28–32; 145,14–146,4; 184,39–185,7; 186,21–23; 267, 22–25; 273,36–275,31. 46 Auch sie eine Weise des Denkens (Wissenwollens): Dial 130,10–30. 47 Für die „Vollständigkeit des Bewußtseins“: Dial 275,28. 48 Dial 126–128,7. 49 Dial 287,7 f. 50 Dial 288,1 ff. 51 Dial 136,30 ff.
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solche, die zum einheitlichen Wesen des menschlichen Gemütslebens in allen seinen möglichen individuellen Variationen gehören. Alle Gesprächsführung vollzieht sich auf dem Boden und im Raum des menschlichen Geisteslebens, sodass also auch dieses als Ganzes im Zusammenspiel aller seiner wesentlichen Momente der gemeinsame Boden und Horizont für die Erreichung von Wahrheitsbewußtsein durch Gesprächsführung ist. In diesem Ganzen des menschlichen Geisteslebens muß also nach dem Ort gesucht werden, an dem das allseits unstrittige Bewußtsein von Übereinstimmung des Denkens und Seins und des Grundes dieser Übereinstimmung existiert, welches die Möglichkeitsbedingung für die Streit überwindende Gewinnung von Wahrheitsbewußtsein durch Gesprächsführung ist. Schleiermacher beginnt mit der Untersuchung des wissenwollenden Denkens.52 Ihr Ergebnis: Das wissenwollende Denken erreicht nicht das allseits unstrittige Bewußtsein der Übereinstimmung von Denken und Sein und des tranzendenten Grundes dieser Übereinstimmung. Erklärung dieser Schranke: Gesucht wird dasjenige Bewußtsein der Übereinstimmung von Denken und Sein, welches allem wissenwollenden Denken vorangeht; gefunden wurde aber nur die für das wissenwollende Denken wesentliche Entsprechung des Idealen gegenüber dem Realen „im Denken“ und des Realen gegenüber dem Idealen „im Denken“53, also eine Entsprechung, die, weil sie „im Denken“ besteht, damit auch ipso facto nicht das dem wissenwollenden Denken vorangehende, allseits und immer unstrittige Bewußtsein der Übereinstimmung ist, kraft dessen dann auch das wissenwollende Denken durch Streit überwindende Gesprächsführung ein dadurch vermitteltes Wahrheitsbewußtsein erreichen kann.54 Zwar richtet sich auch das wissenwollende Denken auf den Grund der Übereinstimmung von Denken und Sein, erfaßt diesen aber immer nur einseitig (und damit einer inneren Duplizität unterliegend) als entweder auf der gedachten – und zwar entweder unter der Form des Begriffs55 oder des Urteils56 gedachten – Seite des Idealen (die Gottheit im Gegensatz zur Materie; die Idee der Vorsehung und der Freiheit) oder des Realen (natura naturans; die Idee des Schicksals oder der Notwendigkeit) liegend.57 Wenn sich also das allseits unstrittige Bewußtsein der Übereinstimmung des Idealen mit dem Realen und des transzendenten Grundes dieser Über52
Dial 127,11–273,25. Dial 184,27–29. 54 Dial 184,39–185,7; 186,19–22. 55 Dial 230,11–249,3. 56 Dial 249,4–265,4. 57 Dial 265,6–273,35. 53
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einstimmung nicht im wissenwollenden Denken findet, findet es sich dann etwa im Handelnwollen? Auch das ist, wie Schleiermacher sieht, nicht der Fall, und zwar deshalb nicht, weil das Handelnwollen das Wissenwollen einschließt und von ihm abhängt, also auch nur wie dieses ein durch wissenwollende Gesprächsführung vermitteltes Bewußtsein von der Übereinstimmung seiner Zweckbegriffe mit der Realität erreicht. So gelangt es ebenfalls nicht über das durch ein Wissenwollen vermittelte, einseitige und in unangemessenen Gegensätzen befangene Bewußtsein des Grundes der Übereinstimmung hinaus.58 Allein im unmittelbaren – also durch das Wissenwollen nicht vermittelten, sondern dieses insgesamt im Wechsel aller seiner Modifikationen umgreifenden – Selbstbewußtsein, dem Gefühl, findet sich das allseits jedem Streit enthobene Bewußtsein der Übereinstimmung von Denken und Sein und des transzendenten Grundes dieser Übereinstimmung: Denn in diesem Selbstbewußtsein sind wir unserer selbst unmittelbar inne, fühlen wir uns selbst, nicht „bloß“ als „Denken, sondern als denkendes Sein und seiendes Denken“.59 Das schließt ein, dass in der unmittelbaren Selbstgewißheit eingeschlossen ist die Gewißheit unserer selbst als wissen‑ und handelnwollend60, also unsere Spontaneität auch „affiziert“ von den erlittenen Herausforderungen durch die organische Seite unseres Seins.61 Anders gesagt: Im unmittelbaren Selbstbewußtsein fühlt sich jeder Mensch als in unmittelbarer, also nicht durch sein Wissen‑ und Handelnwollen vermittelter Weise, in der Sphäre seines Wissen‑ und Handelnwollens und in der unmittelbaren Gewißheit des Bezogenseins „auf dasjenige, was allem wirklichen (Selbst)Sein und allen (seinen) Affektionen zugrundeliegt“.62 Das unmittelbare, unstrittige Bewußtsein der Entsprechung von Denken und Sein
58 Dial
275,32–286,22. 274,5 f. 60 Dial 292,2–11: „Wie aber verhält sich das Zeitlose zum Zeitlichen und zum unmittelbaren Selbstbewußtsein? Dieses ist uns nie als ein die Zeit Erfüllendes, sondern immer nur in der Identität der entgegengesetzten Funktionen gegeben. Es ist ein in der Zeit Mitgesetztwerden. Kein Mensch kann die Forderung erfüllen, er solle sein mittelbares Bewußtsein ganz auslöschen, so daß nichts bleibe als das [sc. unmittelbare: E. H.] Selbstbewußtsein. Der Mensch ist sich seiner nur als eines tätigen oder leidenden bewußt; sonst müßte das Leben ausgelöscht werden“. Ebd. Z . 20–24: Wir „leugnen […] nicht, daß das unmittelbare Selbstbewußtsein in der Zeit gegeben ist, nur nicht für sich allein, sondern mit einem andern. Eben deshalb können wir seine Zeitlosigkeit an und für sich nicht leugnen.“ 61 Dial 292,13–24. 62 Dial 292,17 ff. 59 Dial
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ist als das unbezweifelbare sich selbst Fühlen, sich selbst Haben63 als seiendes Denken und denkendes Sein zugleich unmittelbares Weltbewußtsein und unmittelbares „religiöses Bewußtsein“64, also Gottesbewußtsein. Ebenso unmittelbar wie wir uns im unstrittigen Selbstgefühl selbst gegeben sind und haben, ist uns in ihm auch Welt gegeben, haben wir sie, und ist uns in ihm auch der transzendente Grund unserer Selbst‑ und Welthabe gegeben.65 „Diese beiden Seiten liegen immer im (unmittelbaren) Selbstbewußtsein, und es gibt keinen Moment, wo die religiöse Seite ganz fehlte […] aber nie wird auch das religiöse Gefühl ganz allein dominieren“66; ebensowenig wie das Selbstgefühl seine Bestimmtheit als Gottesgefühl verliert, verliert es je seine Bestimmtheit als Weltgefühl. Das unmittelbare Selbstbewußtsein verbleibt lediglich im Schwanken der Dominanz der einen oder anderen Seite. Mit der Dauer des unmittelbaren Selbstgefühls, das alle Veränderungen des Wollens übergreift, dauert auch das Aufeinanderbezogensein des Welt‑ und Gottesgefühls, das in unserem unmittelbaren Selbstgefühl eingeschlossen ist. Dieses Aufeinanderbezogensein ist asymmetrisch: Des transzendenten Grundes sind wir unmittelbar inne als des terminus a quo67 unseres denkenden Seins und seienden Denkens, der Welt sind wir unmittelbar inne als seines terminus ad quem.68 Beide termini sind für unser Wissen‑ und Handelnwollen „transzendent“, die Welt ebenso wie Gott, aber in radikal verschiedener Weise69: Während sich unser Wissen‑ und Handelnwollen der Erledigung der Aufgabe, die Welt als den Spielraum unseres Wissen‑ und Handelnwollens immer mehr auszufüllen, annähert, bleibt Gott unserem Wissen‑ und Handelnwollen entzogen.70 Gleichwohl gibt es kein Wissen‑ und kein Handelnwollen, dem nicht als sein Möglichkeitsgrund unser unmittelbares, durch unser Wissen‑ und Handelnwollen unvermitteltes und daher auch unmöglich strittiges Selbstbewußtsein als die Einheit des Aufeinanderbezogenseins von Weltgefühl und religiösem Gefühl zugrundeläge:
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Dial 288,7. Dial 292,16. 65 Dial 293,3 ff.: „Unser (unmittelbares) Selbstbewußtsein ist immer von der äußeren Mannigfaltigkeit affiziert, zugleich aber auch vom transzendenten Grunde an sich“. Dial 298,7–9: „Der transzendente Grund spiegelt sich im religiösen Gehalt des (unmittelbaren) Selbstbewußtseins unmittelbar ab“. Schleiermacher kann sogar von einem „Besitz des transzendenten Grundes im unmittelbaren Selbstbewußtsein“ sprechen: Dial 300,4 f. 66 Dial 293,7–14. 67 Dial 307,19. 68 Dial 306,11.38. 69 Dial 305,8 f.: „Wir können die Idee der Welt und die Idee Gottes nicht identifizieren“. 70 Dial 305,16 ff.; 307,6 ff. 64
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Die Art, wie die Idee des transzendenten Grundes entstanden ist, verbietet, sie ohne die Idee der Welt zu denken; aber die Idee der Welt verbietet uns, sie zu denken ohne Bezug auf den transzendenten Grund; denn wir bedürfen des transzendenten Grundes als Voraussetzung für jeden Akt unseres Denkens, das ein Wissen werden will, und für jede Art des Wollens, das sittliche Tat werden will.71 „Es gibt kein Streben nach dem Wissen, dem nicht die Idee der Einheit des transzendenten Grundes zur Basis diente; und jeder muß hierauf zurückkommen, um das Wissen zu gestalten.“72
Damit ist die Bedeutung des religiösen Bewußtseins in der Konstitution unseres Bewußtseins von Wahrheit präzise bestimmt: Unser gesprächführendes Wissenwollen vermag zum Bewußtsein von Wahrheit vorzudringen ausschließlich auf dem Boden und im Horizont unseres unstrittigen uns selbst Fühlens und Habens als denkendes (wissen‑ und handelnwollendes) Sein und seiendes Denken (Wissen‑ und Handelnwollen). Darin ist uns zugleich der Grund dieses unseres wissen‑ und handelnwollenden in-der-Welt-Seins gegeben als transzendenter, also als solcher, der weder mit unserem eigenen Sein noch mit der Welt identifiziert werden kann. Der acht Jahre jüngere gegenstandsidentische Text in der Einleitung zur Glaubenslehre (zweite Auflage) vertieft die Beschreibung von 1822 in fünf Hinsichten: a) Die Dialektik unterscheidet zwischen einem durch wissenwollende Gesprächsführung vermittelten Wahrheitsbewußtsein und dem dadurch nicht vermittelten, immer unstrittigen Wahrheitsbewußtsein des Selbstgefühls (unmittelbaren Selbstbewußtseins). Dabei unterstellt sie, dass das Letztere das Erstgenannte ermöglicht, beschreibt also das unmittelbare Selbstbewußtsein; aber die Beschreibung fällt nicht so genau aus, dass ersichtlich würde, wodurch es diese Funktion zu erfüllen vermag. Diese Lakune füllt der Text von 1830 aus: Seine Beschreibung des unmittelbaren Selbstbewußtseins (des unmittelbaren Selbst-, Welt‑ und Ursprungsgefühls) läßt erkennen, dass diesem selber schon diejenige unmittelbare Reflexivität eignet, kraft deren es uns – samt unserem Bezogensein auf Welt in der Nichtidentität mit dem Grund von beidem – uns selbst so gegenwärtig und gewiß73 macht, dass wir auf 71
Dial 302,13–20. Dial 312,16–19. 73 CG 20,34–21,3: Nur weil das unmittelbare Selbstbewußtsein die unmittelbare „Gewißheit“ unseres wissenwollenden Seins und unseres seienden Wissenwollens ist (also das unmittelbare Innesein der Entsprechung zwischen Sein und Bewußtsein [Realem und Idealem], Bewußtsein und Sein [Idealem und Realem]), nur deshalb kann und muß es ein Gegenstand eines von uns gewollten und gemachten Wissens werden. 72
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dem Boden und im Horizont dieser unmittelbaren Selbstbezogenheit uns in eigener Reflexionstätigkeit richten können auf uns-in-unserer-Welt und auf den mit beidem nicht identischen Grund von beidem. Aufgrund dieses unmittelbaren uns-vorgestellt-Seins von dem allen können wir so zu eigenen Vorstellungen von ihm gelangen, die durch unsere eigene Reflexionstätigkeit vermittelt, daher auch immer von Unangemessenheit bedroht sind und somit zwar nicht immer faktisch unangemessen, wohl aber immer strittig.74 b) Abstrakt bleibt 1822 auch die Beschreibung der Relation zwischen dem transzendenten Grund des innerweltlichen Selbstseins und diesem. Ausgesagt wird nur die Nichtidentität des Letztgenannten mit dem Erstgenannten. Darüber hinaus findet sich nur die Abwehr solcher Auffassungen dieser Relation, die nach dem Vorbild innerweltlicher Relationen gebildet sind.75 In der Einleitung zur Glaubenslehre wird dann jedoch die Relation zwischen transzendentem Grund und dem durch ihn Begründeten prägnanter als das Verhältnis „schlechthinniger Abhängigkeit“ des Begründeten vom transzendenten Grund angesprochen. In den Blick gerückt wird damit die Relation als eine radikal asymmetrische Wirkbeziehung, die nicht unter den Bedingungen des innerweltlichen Wirkens von Menschen steht. c) Schon 1822 wird festgehalten, dass unser unmittelbares Selbstbewußtsein nur an unserem organisch affizierten Wissen‑ und Handelnwollen real ist. Das impliziert, dass unser unmittelbares Selbstbewußtsein unbeschadet seines Nichtkonstituiertseins durch unser Wollen und die Welt dennoch nur in der Welt real ist. Das wird 1830 unmißverständlich ausgesprochen.76 d) Darin aber ist ein Sachverhalt begründet, der in der Dialektik allenfalls beiläufig77, in der Einleitung zur Glaubenslehre aber ausführlich an74 Explizit wird dies für das unmittelbare Selbstgefühl als Abhängigkeitsgefühl klargestellt, und zwar in einer Weise, die klar macht, dass dies für das unmittelbare Selbstbewußtsein in seiner Einheit und für das Ganze seiner Wesensaspekte gilt (CG 29,34–30,24): Der Ausdruck „Gott“ bezeichnet nichts anderes als den nicht mit unserem relativen frei-wollend-Sein in der Welt und mit dieser identischen Grund von beidem, also nichts anderes als den „terminus a quo“, das „Woher“, unseres frei-wollend-Seins in der Welt. Die dieser sprachlichen Bezeichnung zugrundeliegende Vorstellung ist eine nicht durch uns erzeugte, sondern die „ursprünglichste“. Die Entfaltung ihres Gehaltes ist dann erst durch unsere eigene Reflexionstätigkeit möglich und von dieser abhängig. 75 So etwa in der Dial 300,8–302,11 vorgetragenen Kritik des Schöpfungsbegriffs. 76 CG 26,23 ff.: „Demnach ist unser [unmittelbares: Hinzufügung E. H.] Selbstbewußtsein als Bewußtsein unseres Seins in der Welt oder unseres Zusammenseins mit der Welt, eine Reihe von geteiltem Freiheitsgefühl und Abhängigkeitsgefühl“. 77 Der explizite Hervortritt des unmittelbaren Selbstbewußtseins erfolgt im religiösen Bewußtsein: „Es muß also möglich sein, daß wir die zeitlose Begleitung des transzendenten Grundes auf irgendeine Art erhalten. Dies geschieht nun im religiösen Bewußtsein. Hier ist das unmittelbare Selbstbewußtsein auf dasjenige, was allem wirklichen Sein und
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gesprochen wird: nämlich die Differenz zwischen dem Realsein des Selbstgefühls als unmittelbarem, unstrittigem Wahrheitsbewußtsein (Innesein der Entsprechung des Realen zum Idealen und des Idealen zum Realen) und seinem expliziten Hervortreten für das Selbst in der Verschiedenheit seiner wesentlichen Momente: Nicht etwa, dass das unmittelbare, nicht strittige Selbstgefühl der Menschen erst im Verlauf ihres sich-selbst-in-Welt-Erlebens entstünde, wohl aber tritt es erst in dessen Verlauf explizit in seiner Differenz zu aller willensvermittelten Gewißheit und in der Differenz seiner wesentlichen Momente für den Menschen hervor. Paragraph 5 der Einleitung in die Glaubenslehre beschreibt als die beiden entscheidenden Stadien dieser Geschichte: das Auseinandertreten von Selbst‑ und Umweltgefühl und dann das Hervortreten der alles umfassenden Einheit von Welt‑ und Gottesgefühl. Mit Letzterem wird das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl nicht erst real, wohl aber wird nun sein Relat nicht mehr in der Welt gesucht – wie in den Irrformen des religiösen Bewußtseins: Fetischismus und Polytheismus –, sondern die Welt in ihm gefunden. Auch in dem auf diese Weise gebildeten explizit monotheistischen Selbst-, Welt‑ und Gottesgefühl bleibt dann das gefühlte Verhältnis zwischen Welt‑ und Gottesgefühl unterschiedlicher Bestimmungen fähig und diese werden ebenfalls nur durch das sich-selbstin-Welt-Erleben des Menschen und in seinem Verlauf erreicht. Weil das Selbstgefühl überhaupt nur in der Welt real ist und daher immer nur in Abhängigkeit vom sich-selbst-in-Welt-Erleben des Menschen für ihn explizit hervortritt, kommt auch die religiöse Seite des menschlichen Selbstgefühls (sein Charakter als Gefühl des transzendenten Grundes) immer nur in irgendeiner solchen innergeschichtlichen Bildungsgestalt vor. Eine davon ist das durch ein spezifisches sich-in-Welt-Erleben gebildete christliche Transzendenzgefühl. In den Augen Schleiermachers ist es das durch innerweltliche Unüberbietbarkeit ausgezeichnete Exemplar des geschichtlich gebildeten Selbstgefühls als des Gefühls des asymmetrischen Verhältnisses Welt / transzendenter Grund. e) Die Dialektik spricht das unmittelbare Selbstbewußtsein als den Grund und das Medium, auf dem alle Modifikationen des Wissen‑ und Handelnwollens sich bewegen und in dem sie ineinander übergehen, in einer Weise an, die es offen läßt, ob das Selbst-, Welt‑ und Gottesgefühl in seiner jeweiligen Bildungsgestalt irgendeinen Einfluß auf die Weise – das Was und Wie – allen Affektionen zugrunde liegt, gerichtet. Wir mögen uns diese Modifikation des unmittelbaren Selbstbewußtseins erklären wie wir wollen, sei es als Fiktion oder Täuschung, so ist doch das Bestreben des Menschen darin ausgedrückt, das Transzendente zu ergreifen. Es ist etwas darin, was weder das Denken noch seine Beziehung auf das Sein ausdrückt; alles das bleibt hinter jenem zurück“ (Dial 292,24–35).
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des Wissen‑ und Handelnwollens hätte. Die Einleitung der Glaubenslehre stellt hingegen klar, dass ein solcher Einfluß besteht: Indem das unmittelbare Selbstbewußtsein das Medium des Übergangs von einer zu anderen Weise des Wissen‑ und Handelnwollens ist, beeinflußt es auch dessen Was und Wie.78 Manifest wird das in Schleiermachers Sicht des menschlichen Zusammenlebens: Die „philosophische“ Ethik vermag lediglich die formalen Bedingungen zu beschreiben, unter denen alles mögliche Zusammenleben von Menschen in der Geschichte steht. Das reale Zusammenleben der Menschen und seine Grundsätze, die reale Sittlichkeit hingegen ist jeweils fundiert in der geschichtlichen Bildungsgestalt des Selbst-, Welt‑ und Gottesgefühls der Menschen. Dafür ist wiederum die „christliche Sitte“ das ausgezeichnete Exemplar. So viel zur Bedeutung – und zwar, wie Schleiermacher zeigt, zur fundierenden Bedeutung – des menschlichen Selbstgefühls, das stets irgendein Welt‑ und Gottesgefühl einschließt, in seiner Eigenschaft als unmittelbares, unstrittiges Bewußtsein von Wahrheit (also Entsprechung des Idealen und Realen) für jedes mögliche Bewußtsein von Wahrheit, das durch unser wissenwollendes Gesprächführen vermittelt ist.
3. Die Einheit des Wahrheitsbewußtseins in der Differenz von unmittelbarem und vermitteltem Wahrheitsbewußtsein Schleiermachers Einsicht, dass das unmittelbare Wahrheitsbewußtsein des Selbst-, Welt‑ und Gottesgefühls den Gesamtbestand des durch wissenwollende Gesprächsführung vermittelten Wahrheitsbewußtseins fundiert, sprengt nicht, sondern wahrt die Einheit des menschlichen Wahrheitsbewußtseins. Denn: beide Seiten stehen Schleiermachers Einsicht zufolge in einem einheitlichen wechselseitigen, freilich asymmetrischen Bedingungsverhältnis. Das zeigt ein Blick auf das unmittelbare Wahrheitsbewußtsein des Selbstgefühls auf der einen und auf das vermittelte Wahrheitsbewußtsein des durch Diskurs erreichten Wissens auf der anderen Seite. Erstens: Das Wahrheitsbewußtsein des Selbst-, Welt‑ und Gottesgefühls, das als unmittelbares und daher allseits nicht strittiges der wissenwollenden Gesprächsführung immer schon zugrundeliegt, ist zwar seinerseits nicht durch dieses gesprächführende Wissenwollen konstituiert, sehr wohl aber auch seinerseits einer wissenwollenden Gesprächsführung zugänglich. Grund: Das Selbstgefühl des Menschen macht diesen ihm selbst so gegen78
CG § 3, 4 (19,5–25).
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wärtig, stellt ihn unmittelbar ihm selbst so vor, dass er diese ihm gewährte unmittelbare Vorstellung seiner selbst in eigenen Vorstellungen zu erfassen, diese sprachlich zu kommunizieren und dann durch wissenwollende Gesprächsführung zu einem dadurch vermittelten Bewußtsein der Wahrheit seiner eigenen Vorstellung zu gelangen hat. Das gilt auch für die verschiedenen konstitutiven Aspekte des Selbstgefühls, also auch für das in ihm eingeschlossene Gefühl des transzendenten Grundes.79 Schleiermacher hebt immer wieder hervor, dass dieses wissenwollende Gesprächführen – sei es über das menschliche Gemütsleben insgesamt, sei es über einzelne seiner Momente – sehr verschiedene Ziele verfolgen kann. Die dadurch begründeten Diskursunterschiede – etwa zwischen Theologie und Philosophie – heben die Einheit der Bedingungen für die Erreichung von Wissen keineswegs auf. Darüber hinaus sieht Schleiermacher, dass das unmittelbare Wahrheitsbewußtsein des Selbstgefühls nicht nur zum Gegenstand eines gesprächführenden Wissenwollens werden kann, sondern dass es auch selbst durch das Gesprächführen beeinflußt werden kann. Grund: Das Selbstgefühl und sein unmittelbares Wahrheitsbewußtsein existiert innerweltlich und tritt als Ganzes und mit seinen verschiedenen Wesensmomenten für den Menschen erst im Zuge seines sich-selbst-in-der-Welt-Erlebens explizit hervor. Dieses sich selbst-in-der-Welt-Erleben schafft zwar nicht Selbstgefühl und sein unmittelbares Wahrheitsbewußtsein, nimmt aber Einfluß auf das, was dem Menschen als Inhalt des unmittelbaren Wahrheitsbewußtseins seines Selbstgefühls explizit präsent ist. Nun geht auch das wissenwollende Gesprächführen in das sich-selbst-in-der-Welt-Erleben des Menschen ein und partizipiert somit an dessen Kraft, das Selbstgefühl und sein unmittelbares Wahrheitsbewußtsein zu bilden. Insofern gilt: Es gibt überhaupt keine innerweltliche Bildungsgestalt des unmittelbaren menschlichen Selbstgefühls und seiner Wahrheitsgewißheit, die nicht auch durch wissenwollendes Gesprächführen bedingt wäre. Aber dieses Gebildetwerden des Selbstgefühls und seines unmittelbaren Wahrheitsbewußtseins setzt Letzteres als das dem Prozeß seines Bestimmtwerdens (seines Gebildetwerdens) Unterliegende immer schon voraus und schafft es keineswegs. Zweitens: Ebensowenig zerreißt die Unterscheidung des durch wissenwollende Gesprächsführung zu erreichenden vermittelten Wahrheitsbewußtseins von dem unmittelbaren Wahrheitsbewußtsein des Selbstgefühls die Einheit der Bedingungen für das Zustandekommen menschlichen Wahrheitsbewußtseins. Eine solche Zerreißung läge nur vor, wenn die wissen79
CG 29, 24–30, 24.
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wollende Gesprächsführung von sich aus ein eigenes Wahrheitsbewußtsein schaffen würde, das als durch das wissenwollende Gesprächführen geschaffenes und begründetes von völlig anderer Art wäre als das unmittelbare Wahrheitsbewußtsein des Selbstgefühls. Eben dies leistet aber, wie Schleiermacher sieht, die wissenwollende Gesprächsführung gerade nicht: Sie hat immer schon das unmittelbare Wahrheitsbewußtsein des Selbstgefühls als ihren Boden und Horizont zugrundeliegen, schafft diesen nicht, sondern bedingt nur das Wachstum seines expliziten Gehaltes – also das Wachstum des Gehalts des Selbstgefühls, das immer zugleich ein Welt‑ und Transzendenzgefühl ist. Also: Das unmittelbare Wahrheitsbewußtsein des Selbst-, Welt‑ und Gottesgefühls gewinnt nicht formale und inhaltliche Bestimmtheit ohne und abseits der wissenwollenden Gesprächsführung, und die wissenwollende Gesprächsführung existiert nur auf dem Boden und im Horizont des unmittelbaren und insoweit unstrittigen Wahrheitsbewußtseins des Selbst-, Welt‑ und Gottesgefühls. Das ist die Formel für Schleiermachers Sicht der einheitlichen Konstitution des menschlichen Wahrheitsbewußtseins durch das asymmetrische Aufeinanderbezogensein der unmittelbaren Existenz des Wahrheitsbewußtseins des Selbst-, Welt‑ und Gottesgefühls und der durch wissenwollende Gesprächsführung vermittelten inhaltlichen Bestimmtheit unseres Wahrheitsbewußtseins.
4. Stärke und Konkretisierungsbedarf Die Stärke der Schleiermacherschen Position liegt in ihrer Pointe, die Schleiermacher in der Dialektik selbst ausgesprochen hat, indem er seine Position mit der Kantischen vergleicht: Kant meinte, nur das wirksame Handelnwollen sei nicht anders möglich als so, dass es sich als auf die Bedingung seiner Möglichkeit auf den transzendenten Grund für die Übereinstimmung des Idealen mit dem Realen verläßt. Demgegenüber sieht Schleiermacher, dass schon das Wissenwollen nicht anders möglich ist als im faktischen sich Verlassen auf den transzendenten Grund für die Übereinstimmung des Idealen mit dem Realen. Und Kant meinte, dieser transzendente Grund müsse „postuliert“ werden.80 Demgegenüber sieht Schleiermacher, dass der transzendente Grund im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegeben ist, nämlich als der transzendente Grund der Entsprechung von Realem und Idealem, deren wir unmittelbar und unstrittig inne sind, indem wir uns unmittelbar als sei I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788, 223–237.
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endes Denken und denkendes Sein fühlen. Schleiermacher sieht, dass dieses Bewußtsein von Wahrheit (eben der Übereinstimmung von Realem und Idealem) in unserem Selbstgefühl allem wissenwollenden Gesprächführen zugrundeliegt und es begleitet, also nicht durch wissenwollende Gesprächsführung begründet ist; insofern hat es den Charakter einer „Offenbarung“.81 Und zwar einer „Offenbarung“, die es zum religiösen Bewußtsein, zum Gefühl der Transzendenz des Grundes der Entsprechung des Idealen und Realen, macht.82 Denn dieses Gefühl eröffnet den terminus ad quem, die Welt als den Spielraum von allem Wissenwollen, das auf dem Boden und im Horizont dieser seiner ihm gewährten und nicht durch es erzeugten Möglichkeitsbedingungen steht, indem es diesen Spielraum als solchen vom terminus a quo des Gegebenseins dieses Spielraums unterscheidet. Das schließt im Blick auf alles mögliche Wissen‑ und Handelnwollen ein: a) dass es sich von dieser seiner Offenbarungsbasis nie emanzipieren kann, b) dass es auf diese Offenbarungsbasis und deren Ursprung nicht in derselben Weise bezogen ist wie auf alles, was es durch sich selbst zu realisieren vermag, c) dass sich das Wissenwollen kraft dieser seiner Offenbarungsbasis nicht nur auf Innerweltliches, sondern auch auf Welt, ihren Grund und die Einheit des Verhältnisses zwischen beiden erstreckt – auf ihr Verschiedensein und ihr untrennbares Aufeinanderbezogensein83 sowie d) dass aufgrund der Einsicht in dieses Verhältnis die Anlässe des neuzeitlichen Atheismus, soweit sie auf einer irrigen Erfassung dieses Verhältnisses beruhen, diagnostiziert und überwunden werden können. – Soweit die Stärke der Position. Freilich ist eben das, was die Stärken der Position begründet, die Einsicht in das Offenbarungsfundament von allem wirksamen Wissen‑ und Handelnwollen des Menschen, auch konkretisierungsbedürftig. Die Frage, der weiter nachzugehen ist, lautet: Wenn im Offenbarungsfundament allen wirksamen menschlichen Wissen‑ und Handelnwollens das Verhältnis zwischen der Welt und ihrem Grund als das Verhältnis zwischen dem Begründeten und seinem Grund offenbar ist, ist dann nicht damit auch offenbar bzw. kann dann nicht aufgrund dessen auch offenbar werden, a) welcher Art dieses radikal asymmetrische, also nicht wechselseitig asymmetrische Begründungs-
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Das unstrittige „ursprüngliche Wissen“ (Dial 97,25 ff.) oder „Urwissen“ (Dial 115,8 ff.) ist als nicht durch Gesprächsführung vermitteltes eine „unmittelbare Offenbarung“ (Dial 119,30). 82 CG 30,17 ff. 83 Nicht nur Innerweltliches ist Gegenstand des Wissenwollens, sondern auch die Prinzipien des Wollens, also Welt selbst. Während für Kant der Status der Transzendental philosophie unklar blieb, ist sie für Schleiermacher Wissenschaft.
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verhältnis ist und b) was durch das Begründete, also durch die Welt, und innerhalb ihrer über den Grund offenbar ist? Das ist in meinen Augen einerseits eine Frage an die philosophische Offenbarungstheorie Schleiermachers: Was ist durch das Offenbarungsfundament der Welt des Menschen über den transzendenten Grund der Welt des Menschen offenbar und was kann im Rahmen dieses Fundamentes über ihn offenbar werden? Es ist aber vor allem eine Frage an seine theologische Beschreibung des christlichen Offenbarungsgeschehens: Erfaßt diese Beschreibung alles, was durch das Christusgeschehen über den transzendenten Grund von Welt offenbar geworden ist? Es gehört zur Größe Schleiermachers, dass er selbst die Vorläufigkeit der von ihm gegebenen Beschreibung eingesehen hat, nämlich in der Einsicht, dass auf dem Boden einer das Wirken Christi und seine Voraussetzungen angemessen erfassenden ökonomischen Trinitätslehre die immanente neu zu fassen wäre.84
Literaturverzeichnis Herms, Eilert, „Die Ethik des Wissens beim späten Schleiermacher“, in: ders., Menschsein im Werden. Studien zu Schleiermacher, Tübingen 2003, 1–48. –, „Die Bedeutung der ‚Psychologie‘ für die Konzeption des Wissenschaftssystems beim späten Schleiermacher“ (1991), in: ders., Menschsein im Werden. Studien zu Schleiermacher, Tübingen 2003, 173–199. –, „Schleiermachers Umgang mit der Trinitätslehre“, in: Michael Welker / Miroslav Volf (Hgg.), Der lebendige Gott als Trinität, Jürgen Moltmann zum 80. Geburtstag, Gütersloh 2006. Huxel, Kirsten, Ontologie des seelischen Lebens. Ein Beitrag zur theologischen Anthropologie im Anschluß an Hume, Kant, Schleiermacher und Dilthey, Tübingen 2004. Kant, Immanuel, Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Günter Meckenstock / Hermann Fischer/Hans-Joachim Birkner, Berlin 1984 ff. (= KGA), V/1. –, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, hg. v. Martin Redeker, Berlin 1960 (= CG). –, Die christliche Sitte nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche, hg. v. Ludwig Jonas, in: Friedrich Schleiermacher’s sämmtliche Werke, 1. Abtheilung, Bd. 12, Berlin 1843.
84 Dazu vgl. E. Herms, „Schleiermachers Umgang mit der Trinitätslehre“, in: M. Welker / M. Volf (Hgg.), Der lebendige Gott als Trinität, Jürgen Moltmann zum 80. Geburtstag, Gütersloh 2006, 123–154. – Schleiermacher ist, soweit ich sehe, der Erste, der gesehen hat, was dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreitete Einsicht wurde, dass nämlich die immanente Trinitätslehre nur im Ausgang von der ökonomischen angemessen entwickelt werden kann.
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–, Psychologie, in: F. Schleiermacher’s literarischer Nachlaß. Zur Philosophie, hg. v. Leopold George, in: Friedrich Schleiermachers sämmtliche Werke, 3. Abtheilung, Bd. 6, Berlin 1862 (= Ps). –, Kurze Darstellung des theologischen Studiums, Berlin 21830. –, Friedrich Schleiermachers Dialektik, hg. v. Rudolf Odebrecht, Leipzig 1942 (anastatischer Neudruck 1976) (= Dial). –, Werke. Auswahl in vier Bänden, Bd. II, hg. v. Otto Braun: Entwürfe zu einem System der Sittenlehre, Leipzig 1913 (= E 1816,1 und 1816,2).
II. Hegel
Hegels Begriff des Geisteszwischen Theorie der Interpersonalität und Philosophie der Religion Bemerkungen zu Hegels Genese der Religion in seiner Phänomenologie Ulrich Schlösser 1. Hegels Konzeption der Religion kann nur unter Berücksichtigung des Begriffs des Geistes expliziert werden. In diesem Begriff ist aber eine Zweideutigkeit angelegt. Denn erstens wird man unter dem Leitbegriff des Geistes eine Behandlung der kognitiven, voluntativen und evaluativen Leistungen und Praktiken von Subjekten erwarten. Hegel spielt auf die entsprechende Traditionslinie an, wenn er den Begriff in der lateinischen Übersetzung des Titels seiner Phänomenologie des Geistes als „mens“ wiedergibt.1 Gegenüber diesem Vorverständnis enthält Hegels Gebrauch des Begriffes Geist eine sehr spezifische Form der Ausdifferenzierung und Zuspitzung: Anders als dies bei der Betrachtung der Subjekte unter den Blickpunkten des Bewusstseins, Selbstbewusstseins oder der Vernunft der Fall ist, zeichnet sich der Geist dadurch aus, dass er auf einem interpersonalen Verhältnis beruht, in dem symmetrische Anerkennungsbeziehungen wirksam sind. Dem Geist kommt hierbei die grundlegendste Rolle zu: Nur der Geist ist wirklich; die anderen Betrachtungsweisen für sich genommen lassen sich unter Voraussetzung des Geistes retrospektiv als bloße theoretische Abstraktionen ausweisen. Wegen der Betonung der fundamentalen Rolle der qualifizierten Anerkennungsbeziehung zwischen den Subjekten ist der Begriff des Geistes in diesem Sinn primär eine sozialphilosophische Kategorie. 1 Vgl. hierzu Hegels Vorlesungsankündigungen im WiSe 1806/1807 und für das SoSe 1807. Letztere lautet: „Logicam et Metaphysicam, praemissa Phaenomenologia Mentis ex libro suo: System der Wissenschaft, erster Theil …“. Vgl. hierzu den editorischen Bericht zu: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: ders., Gesammelte Werke Bd. 9, hg. von Wolfgang Bonsiepen/Reinhard Heede, Hamburg 1980, 457 (= Hegel, Phänomenologie).
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Zweitens verweist der Begriff des Geistes aber auf das dritte Moment in der trinitarischen Struktur Gottes. In der religiösen Sprache des Christentums korrespondiert diesem Bedeutungsaspekt der lateinische Terminus ‚spiritus‘. Auch in diesem Verständnis kann der Geist unter endlichen Subjekten gegenwärtig sein: Er manifestiert sich in dem Aspekt der Einheit in ihrem Verhältnis untereinander. Darauf spielt Hegel an, wenn er von dem „versöhnende[n] Ja, worin beyde Ich von ihrem entgegengesetzten Daseyn ablassen“, sagt, „es ist der erscheinende Gott mitten unter ihnen“.2 Die Religion, die im Kern ihrer Praktiken für die Gegenwart Gottes in der Beziehung zwischen Menschen steht, ist in diesem Sinn ebenfalls ein Verhältnis des Geistes. Es kann nun nicht die Aufgabe des Interpreten sein, bei der Rekonstruktion von Hegels Theoremen zwischen einem sozialphilosophischen und einem theologischen Vorverständnis des Begriffes zu wählen. Denn Hegel ist sich in seiner Phänomenologie des Geistes der Differenz der beiden Bedeutungsaspekte sehr wohl bewusst: Sein Ziel ist es, sie in ein kontrolliertes Verhältnis zu bringen. Verhältnisse dieser Art müssen sich im Aufbau der Phänomenologie in besonderer Weise in den Übergängen zwischen Theorieansätzen und Themen manifestieren, deren Sequenz die Phänomenologie ausmacht. Betrachtet man die Phänomenologie daraufhin genauer, tritt eine zweite Doppelung in den Blick, denn es sind zwei verschiedene Übergänge einschlägig. Der erste Übergang führt von einer Konstellation des Geistes, die in einer interpersonalen Versöhnung resultiert, voran zur Religion.3 Der Versöhnung unmittelbar voraus geht die Idee des Handelns aus dem Gewissen und der Konflikt darüber, ob es als Handeln aus einem gemeinsam akzeptierten Grund von anderen anerkannt werden kann. Dieser Schritt zur Religion ist aber selbst nur der letzte in einer langen Kette von Übergängen. Im Ganzen führt sie vom Bewusstsein über das Selbstbewusstsein und die Vernunft zum Geist und zur Religion. Hegel geht auf das Verhältnis der soeben genannten Momente zur Entstehung der Religion ausdrücklich ein. So schreibt er: „[D]er Geist als solcher enthält die bisherigen Gestaltungen in seinen allgemeinen Bestimmungen, den soeben genannten Momenten. Die Religion setzt den ganzen Ablauf derselben voraus, und ist die einfache Totalität oder das Selbst derselben.“4 An anderer Stelle sagt er: „Das Werden der Religion überhaupt ist in der Bewegung der allgemeinen Momente Hegel, Phänomenologie, 362. Vgl. Matth.18,20: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ 3 Hegel, Phänomenologie, 360 ff. 4 Hegel, Phänomenologie, 365. 2
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enthalten.“5 Wie sind Hegels Selbstauskünfte über den Weg zur Religion zu verstehen? Prima facie ergeben sich wiederum zwei Deutungen. Zieht man die methodische Strategie der Phänomenologie heran, liegt folgende Deutung nahe: Wir beginnen zunächst unter dem Terminus Bewusstsein bei unserer Weltbeziehung in einer minimalistischen Beschreibung. Von dort gehen wir in einem transzendentalen Raisonnement zu den Voraussetzungen über, ohne deren Erfüllung die ursprüngliche Beschreibung nicht möglich wäre. Nach Hegel sind diese Voraussetzungen aber reichhaltiger und revidieren damit die anfängliche Beschreibung stets partiell.6 Steht die Religion gegen Ende dieses Fortgangs und fasst sie die Voraussetzungen in ihrer inneren Einheit zusammen, so kann man sagen, dass der vorhergehende Argumentationsgang einschließlich seines letzten Überganges einen rationalen Kern in der religiösen Beziehung zur Wirklichkeit rechtfertigt. Ohne dass man die Grundstruktur der Religion akzeptiert, lassen sich nicht einmal relativ einfache Formen der Weltbeziehung ausweisen. Es ist aber auch eine Deutung mit einer anderen Akzentuierung möglich: Vollzieht sich der Übergang zur Religion oder „das Werden der Religion“ ohne Sprünge, so erscheint es möglich, dass die Religion auf der Basis der vorangegangenen Strukturmomente und aus ihrem Verhältnis erklärt werden kann. Wird die Religion dann aber nicht auf diese Momente (darunter im letzten Schritt den Geist in seiner sozialphilosophischen Bedeutung) geradezu zurückgeführt?7 Es gibt aber noch einen zweiten Übergang, der für unsere Themenstellung einschlägig ist: Im Anschluss an die Darstellung der Religion (und hier zuletzt der christlichen Religion) nimmt Hegel die Struktur interpersonaler Versöhnung erneut auf, die in dem Abschnitt vor der Religion schon Gegen Hegel, Phänomenologie, 366. Auch im Kontext dieser Stelle bestimmt Hegel die Momente als Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Vernunft und Geist. Werden sie für sich genommen, führt ihr Ablauf zur Religion. Betrachtet man sie als Momente der resultierenden Religion selbst, so Hegel, lassen sie sich zur Strukturierung ihrer internen Entwicklung nutzen. 6 In verwandter Weise rekonstruiert Rolf-Peter Horstmann Hegels methodischen Ansatz in „Hegels Phänomenologie des Geistes als Argument für eine monistische Ontologie“, in: Wolfgang Welsch/Klaus Vieweg (Hgg.), Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, Frankfurt am Main 2008 (= Welsch / Vieweg, Hegels Phänomenologie des Geistes), 58–78, besonders 68 f. 7 Einer Interpretationstendenz, die die Religion auf das Soziale reduziert, folgt der Kommentar von Stekeler-Weithofer. So schreibt er: „Das Verhältnis von Ich zu Gott steht, wie wir jetzt aufgrund der logischen Analyse sehen, metaphorisch für die Spannung zwischen Ich und Wir.“ Ferner nimmt er an, „dass die Rede von einem personalen Gott die Form des Gemeinschaftlichen thematisiert“. Pirmin Stekeler-Weithofer, Hegels Phänomenologie des Geistes, Bd. 2, Hamburg 2014, 727. 5
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stand war.8 Dem Inhalt der Religion – der objektiv vorgestellten Vermittlung zwischen dem Unendlichen, Gott, und den endlichen Subjekten, die im Begriff des Geistes in seiner spirituellen Bedeutung ihren Abschluss findet – stellt Hegel die Versöhnung zwischen selbstbewussten Akteuren als notwendiges Komplement gegenüber. Die Frage, in welcher Absicht er dies tut, kann erneut in zweierlei Weise beantwortet werden: Bei der ersten Lesart ist zu beachten, dass wir es, anders als bei dem Fortgang von dem Bewusstsein, dem Selbstbewusstsein und der Vernunft und auch bei dem Übergang zur Religion, innerhalb derselben nicht mehr nur mit einer theoretisch argumentierenden Fortentwicklung zu tun haben. Jetzt geht es zugleich um historische Prozesse. Deshalb ergibt sich als erste Lesart die folgende These: Nur unter Voraussetzung der Religion – und zwar insbesondere des Christentums, der systematisch letzten Gestalt der Religion – kann die interpersonale Versöhnung als historisch verfügbare Option wirklich werden. Es gibt aber wiederum noch eine andere Deutung, inwiefern die interpersonale Versöhnung ein Komplement zur Religion ist. Ihr zufolge haben wir an dem, was wir in unserer interpersonalen Beziehung wissen, und an den Kategorien, die sie uns bereitstellt, im Gegenzug das Kriterium dafür, was wir von dem Gehalt der Religion überhaupt begreifen können und was der in sinnlichen Bildern vorstellenden Imagination der Gläubigen überlassen werden muss. In diesem Fall läge in der doppelten Setzung der Vermittlungs‑ und Versöhnungsstruktur nicht die Zuschreibung einer Fundierungsleistung zur Religion, sondern ein aufklärerischer Impuls gegen das religiöse Bewusstsein.9
Phänomenologie, 424 ff. wie auch Stekeler-Weithofer betonen stark die Rolle einer Rahmenerzählung der Hegelschen Darstellung, die auf die historisch-soziale Praxis der Menschen abhebt: Es geht also nicht primär um die Gegenwart des Absoluten unter den Menschen, sondern darum, was innerhalb einer Praxis de facto als heilig, d.i. nicht verfügbar, anerkannt wird, bzw. wem durch die Praxis ein solcher Status zugeschrieben wird. Wenn man die Rolle der Praxis als stets vorausgesetzten, letzten Rahmen betont, erhält auch die symmetrische Anerkennung zwischen Subjekten ein neues Gewicht in der theoretischen Konstellation. Aber durch diesen Schritt alleine wird das Problem der mangelnden Entsprechung zwischen den zwei strukturell verschiedenen Versöhnungen, das ich im Folgenden herausarbeiten möchte, nicht gelöst; es wird nur in ein internes Problem zwischen den Überzeugungsgehalten der an der Praxis beteiligten Individuen transformiert. Vgl. Terry Pinkard, Hegel’s Phenomenology. The Sociality of Reason. Cambridge 1994, z. B. 220 ff., 262 und Stekeler-Weithofer (a. a. O., z. B. 862). 8 Hegel,
9 Pinkard
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2. Mein Ziel ist es, im Folgenden das Verhältnis der Religion zu dem doppeldeutigen Begriff des Geistes zu bestimmen. Dabei gehe ich so vor, dass ich auf die genannten Übergänge zurückgreife und in einem trial-and-errorVerfahren versuche, sie in mehreren Anläufen zu rekonstruieren. Bei der Charakterisierung der Inhalte, zwischen denen übergegangen werden soll, mache ich von folgender Differenzierung zweier kategorialer Verhältnisse Gebrauch: Das erste kategoriale Verhältnis ist das der Anerkennung, das auch Hegels Beschreibung der Versöhnung unmittelbar der Religion zuvor zugrunde liegt. Diese Struktur beginnt mit einem Ausgriff von dem Selbst her: Ich erkenne mich in einem anderen; das heißt: das Merkmal der Subjektivität, das mir nur aus meinem eigenen Fall vertraut ist, liegt zugleich bei einem anderen vor. Die Andersheit des anderen geht aber ebenfalls in die Struktur ein. Diese Doppelung ist Ausgangspunkt einer komplexen Bewegung, in deren Ergebnis ich den anderen als anderen auch wieder mir gegenüber frei sein lasse.10 Nach Hegel liegt dieser Zusammenhang der Tatsache zugrunde, dass wir überhaupt etwas als anderes Subjekt erfassen. Zugleich gilt Hegel zufolge aber auch: Ein Selbst kann nicht für sich genommen stabil sein; es hängt seinerseits davon ab, dass sich ein identifizierender Blick von außen auf es richtet. Bei dieser kategorialen Struktur treten drei Aspekte hervor: Erstens beginnt sie mit einem identifizierenden Ausgriff auf das jeweils andere. Zweitens handelt es sich um ein symmetrisches Verhältnis. Drittens ist der Schlüsselbegriff derjenige der Identität (bzw. als Komplementärbegriff der der Andersheit). Die zweite, von der ersten verschiedene kategoriale Struktur möchte ich anhand der Beziehung des Unendlichen zum Endlichen erläutern. Die Beziehung setzt bei der Selbstzurücknahme des Endlichen in Anbetracht des Unendlichen an. Die Zurücknahme gründet in der Selbsterkenntnis des Ersteren als nur endlich. Hier steht also gerade nicht der Ausgriff auf das Andere am Anfang – und durch die Zurücknahme wird auch nicht eine Identität mit ihm in Anspruch genommen11, sondern gerade eine fundamentale Differenz affirmiert. Nun entwickelt sich dieses Verhältnis kraft des Ausgangsaktes weiter: Insofern das Endliche nicht auf sich selbst und seiner Selbstständigkeit beharrt, ist in ihm auch das Unendliche gegenwärtig. Dabei ist zu beachten, dass auch durch diesen Schritt weder ein Identitäts Vgl. Hegel, Phänomenologie, 109 f. Dies wäre bei der zur interpersonalen Versöhnung fortentwickelten Anerkennung der Fall. 10 11
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verhältnis zwischen den beiden Momenten erreicht noch der asymmetrische Charakter der Beziehung aufgehoben wird. Denn man kann auf dieser Basis nur sagen, dass das Endliche am Unendlichen teilhat oder – wie Spinoza es ausdrückt – es ein Modus desselben ist.12 Es ist in dem Einen Unendlichen, jenes ragt aber stets über es hinaus.13 Wiewohl auch hier in einer eher äußerlichen Weise die Hegelsche Formel vom Anderen seiner selbst angewendet werden kann – im Endlichen ist seiner eigenen Natur nach zugleich das Unendliche – so sind Begriffe wie der einer konstitutiven Anerkennung oder einer gleichberechtigten Versöhnung nicht naheliegend. Ist der fundamental asymmetrische Charakter der Beziehung gegeben, so folgt, dass sich das Endliche auch nicht mit dem Unendlichen, insofern es in ihm enthalten ist, identifizieren kann. Wird die Selbstzurücknahme des Endlichen nicht zugunsten des Unendlichen, sondern im Interesse des jeweils anderen Endlichen vollzogen und weiter gesagt, dass gerade darin das Unendliche anwesend ist, ändert dies nichts Grundsätzliches an der Relation; es wäre lediglich gesagt, dass die Beziehung des Unendlichen zum Endlichen mit jener anderen zwischen den Endlichen koinzidiert. Aus dieser Beschreibung folgt unmittelbar, dass eine kategoriale Struktur der ersten Art nicht von sich aus auf eine der zweiten Art führt. Man kann dies auch so formulieren, dass eine autonome Sozialphilosophie der Interpersonalität möglich ist. Umgekehrt kann man den zuletzt geäußerten Gedanken in einer Weise entwickeln, die zeigt, dass die zweite Struktur die erste wiederum impliziert.
3. Wenden wir uns vor diesem Hintergrund dem ersten der zwei angesprochenen Übergänge zu. Dabei gehe ich in meinem ersten Anlauf so vor, dass ich die Aufmerksamkeit nur auf das der Religion unmittelbar vorangehende Kapitel und, von dort aus, auf den Schritt zur Religion fokussiere. Ich werde 12 Vgl. hierzu den ersten Teil von Spinozas Ethik, insbesondere I, Def. 5 und I, LS. 25 Zusatz. 13 Dieter Henrich unterscheidet zwischen dem Absoluten als Resultat eines Prozesses, in dem es über das Endliche hinausgeht, und dessen Präsenz in dem Prozess der sich aufhebenden Endlichen („Andersheit und Absolutheit des Geistes“, in: ders., Selbstverhältnisse, Stuttgart 1982, 166). Entgegen der vorliegenden Interpretation wird die soeben genannte zweite Bestimmung des Verhältnisses, der zufolge das Endliche dem Absoluten nicht gegenübersteht, aber stets im starken Sinn als Identität gelesen (vgl. etwa 168). Diese These ist aber aus der Konstellation nicht einzulösen.
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also versuchen, den Denkweg in dem Kapitel „Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeyhung“14 unter dem Blickpunkt der Frage nachzuvollziehen: In welcher Hinsicht führt er zur Religion? Anders als in der Antike, wo nach Hegel die Akteure allein von der substantiellen Macht der gegebenen sittlichen Ordnung bestimmt waren, ist unserem Kapitel das, was den handelnden Subjekten die wesentliche Orientierung gibt, ganz in das Innere hinübergetreten: Sie handeln aus dem Gewissen. Das Gewissen soll für das jeweilige Subjekt und bezogen auf die gegebene Situation das, was doch auch schlechthin richtig sein soll, anzeigen. Als solches geht es in die Handlung ein. Gerade weil die Handlung beansprucht, Ausdruck des schlechthin Richtigen zu sein, muss sie sich aber in den Kontext der Anerkennung durch andere stellen. Damit ist das zentrale Problem aufgegeben. Denn die anderen können sich davon, dass eine Handlung tatsächlich aus dem Gewissen vollzogen wurde und nicht verdeckt aus anderen Motiven, besonders schwer überzeugen. Eine von Hegel diskutierte mögliche Reaktion besteht darin, sich ganz auf die Seite des Inneren zu stützen, sich in dasselbe zurückzuziehen und zuletzt des Handelns zu enthalten. Hegels Modell hierfür ist die aus der Literatur bekannte Gestalt der „schönen Seele“.15 Nun kann nach Hegel ein Subjekt, das sich nicht auf das Handeln einlassen will, nicht stabil sein. So bleibt nichts anderes, als zu handeln und sich der Reaktion der anderen auszusetzen. Hier muss man aber damit rechnen, dass die anderen sich selbst und das ihnen richtig Erscheinende im Tun des Handelnden gerade nicht erkennen und ihn entsprechend verurteilen; es ist zu erwarten, dass sie in der Handlung nur das Partikulare sehen. Um das negative Urteil fällen zu können, muss das die Handlung beurteilende Subjekt sich aber selbst ebenfalls auf einen nur partikularen Blickpunkt stützen. Wie sonst sollte der Urteilende sich gegen die mutmaßliche Partikularität des Akteurs stellen können? Daraufhin erkennt sich das handelnde Subjekt in einem Ausgriff auf den anderen im Urteilenden wieder und bekennt gerade auf dieser Basis seine eigene Beschränktheit. Der andere verweigert sich in Hegels Darstellung zunächst dem mit der Identifikation gegebenen Ansinnen, dasselbe zu tun. Hegel nennt diese Gestalt das „harte Herz“16. Folgt man Hegel, kann sich aber ein in der bloßen Verweigerung verharrendes Bewusstsein ebenfalls nicht stabilisieren. So realisieren der Handelnde wie der Urteilende in einer nächsten Stufe gemeinsam die vorher analysierte An Hegel, Phänomenologie, 340 ff. Vgl. 355. Hegels Vorbilder sind vermutlich Goethes „Bekenntnisse einer schönen Seele“ im sechsten Buch des dritten Bandes von Wilhelm Meisters Lehrjahre, Berlin 1795, und Jacobis Woldemar, Königsberg 2. Aufl. 1796. 16 Hegel, Phänomenologie, 359. 14 15
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erkennungsstruktur. Mit einer Anspielung auf Paulus sagt Hegel hier: „Das Wort der Versöhnung ist der daseyende Geist.“17 Wenn er dann, wie oben angeführt18, als Nächstes von dem erscheinenden Gott mitten unter ihnen spricht, ist er schon zur Religion übergegangen. Welche Entwicklung auf der kategorial-strukturellen Ebene liegt aber diesem Schritt zugrunde? Die Anspielungen auf die religiösen Konnotationen der Gewissensstimme in der sich der Handlung enthaltenden schönen Seele reichen für sich genommen sicher nicht hin, um diesen Übergang zu tragen.19 Betrachten wir den Text genauer, gibt Hegel eine zweifache Auskunft. Die erste ergibt sich daraus, wie er das soeben angeführte Zitat fortführt: „Das Wort der Versöhnung ist der daseyende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen Wesens in seinem Gegentheile, in dem reinen Wissen seiner selbst als der absolut in sich seyenden Einzelnheit anschaut.“20 Die Einzelnheit steht hier für die fortdauernde, individuelle Partikularität des Subjekts. Diese liegt nicht entweder bei dem handelnden, an die Umstände gebundenen Bewusstsein oder bei dem auf seinem Urteil beharrenden Bewusstsein, sondern bei beiden. In der Versöhnung haben jeweils beide den unvermeidlichen Fortbestand der Partikularität komplementär und in einheitlicher Weise akzeptiert. Für uns gewichtiger ist aber die Frage, worin das angesprochene Allgemeine besteht und inwiefern es in dem Einzelnen erfasst werden kann. Für den Übergang zur Religion und zu dem spirituellen Begriff des Geistes wäre ein Allgemeines gesucht, das ein auf sich selbst beruhendes Drittes ist – bezogen auf das gegebene Verhältnis wäre es eine gleichsam verabsolutierte Relation –, an dem die Einzelnen als Modifikationen auftreten. Für diese Deutung gibt es aber in dem unmittelbar vorausgegangenen Verlauf des Gedankenganges, so, wie wir ihn bisher betrachtet haben, keine Basis. Als Alternative bleibt, dass die von den Subjekten ausgehende Struktur der Anerkennung die alleinige Grundlage für Hegels These in dem Zitat ist. Ein einheitliches Subjekt des Geistes, von dem die Rede ist, wäre dann insofern gegeben, als eine Identität zwischen den Subjekten vorliegt. Als Allgemeines in den Einzelnen könnte es sich wissen, sofern es doch über 17 Hegel, Phänomenologie, 361.Vgl. das „Wort der Versöhnung“ (λόγον τῆς καταλλαγῆς) in 2. Kor. 5, 19. 18 Vgl. den ersten Abschnitt dieses Aufsatzes und Hegel, Phänomenologie, 362. 19 Erst mit dem in nächsten Abschnitt unternommenen zweiten Anlauf zur Interpretation des Überganges werden diese Anspielungen auf der grundlegenden Ebene lesbar, denn im zweiten Anlauf wird versucht, auch schon die dem Kapitel vorhergehenden Spuren des Unendlichen durchweg auf der kategorialen Ebene zu interpretieren. 20 Hegel, Phänomenologie, 361.
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eine Zweiheit vermittelt ist, deren beide Elemente wiederum nicht nur durch Abgrenzung, sondern auch durch den Identitätssinn geprägt sind. Der zuvor erwähnte Fortbestand der verbleibenden Partikularität, die doch zugleich als unwesentlich durchschaut ist, bildet den dritten Aspekt im Hintergrund. Ist die wechselseitige, von den Subjekten ausgehende Anerkennung aber die alleinige Grundlage von Hegels Ausführungen, wie der Fortgang: „ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist“21, nahe legt, so muss man die im zweiten Abschnitt angeführte Differenz zwischen den zwei kategorialen Strukturen im Blick behalten. Dort haben wir gesehen: Von der ersten Struktur für sich genommen – der der Anerkennung – führt kein direkter Weg zu der zweiten, die der Religion zugrunde liegt. Finden wir bei Hegel keine weitere Information, ist der Übergang gescheitert. Die angekündigte zweite Auskunft beschreibt den thematischen kategorialen Strukturzusammenhang noch in einer anderen Begrifflichkeit; sie bedient sich der Differenzierung zwischen Bewusstsein als einer Beziehung auf anderes und Selbstbewusstsein.22 Dies wird so dargestellt, dass in dem vorangegangenen (sechsten) Abschnitt der Phänomenologie der Geist unter dem Blickpunkt des Bewusstseins betrachtet worden ist, während er im Verlauf des referierten ‚Gewissensabschnittes‘ mit dem Schritt der Versöhnung und dem damit erreichten Verhältnis von Ich=Ich in das Selbstbewusstsein eingetreten ist.23 Weil wir es hier mit einer Rückführung des Bewusstseins auf das Selbstbewusstsein zu tun haben, läge in der resultierenden Struktur noch in einem weiteren Sinn etwas Absolutes: Es geht nicht nur um eine Einheit der beiden Subjekte, sondern diese wäre auch als eine umfassende, letztendlich die Realität fundierende Struktur verstanden. Der von Hegel hier wie an anderen Orten verwendeten Rhetorik von einer Aufhebung des Bewusstseins in das Selbstbewusstsein ist aber zu misstrauen. Die Ausdifferenzierung dieser zwei verschiedenen Bezugsweisen ist und bleibt durchaus sinnvoll. Man kann sogar dafür argumentieren, dass beide nur zusammen als Komplementärverhältnis möglich sind.24 Weiter gilt: Wenn eine kategoriale 21
Ebd. Die Parallele zwischen dem Übergang zur Religion und dem vom Bewusstsein zum Selbstbewusstsein wird betont in: Rob Devos, „The Significance of Manifest Religion in the Phenomenology“, in: André Wylleman (Hg.), Hegel on the Ethical Life, Religion and Philosophy, Dordrecht 1989, 195–230, 204. 23 Vgl. Hegel, Phänomenologie, 362, 364. 24 Mit Bezug auf Hegel argumentiert Konrad Cramer, dass Bewusstsein stets Selbstbewusstsein impliziere („Bemerkungen zu Hegels Begriff vom Bewußtsein in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes“, in: Ute Guzzoni / Bernhard Rang / Ludwig Siep (Hgg.), Der Idealismus und seine Gegenwart, Hamburg 1975, 75–100, 89 und 91) und umgekehrt, dass ein Selbstbewusstsein ohne eine komplementäres Bewusstsein als 22
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Struktur – hier die der Anerkennung – nicht das geeignete Fundament für einen Übergang darstellt, so hilft es auch nicht, sie zu verabsolutieren.
4. Wir müssen also einen weiteren Anlauf zu einem Verständnis des in Frage stehenden Überganges machen. Der Übergang müsste so rekonstruiert werden, dass nicht wieder der Eindruck entsteht, dass allein von einer kategorialen Struktur der ersten Art zu einer der zweiten Art direkt fortgegangen werden soll. Das heißt auch, dass wir die Aufmerksamkeit nicht alleine auf die Argumentation in dem unmittelbar der Religion voranliegenden Abschnitt fokussieren dürfen. Wir müssen einen weiteren Bogen in der Entwicklung der Phänomenologie in den Blick nehmen. Da es jetzt darauf ankommt, Bauelemente der zweiten kategorialen Struktur in der der Religion vorangegangenen Entwicklung zu finden, kann man auch sagen: Wir müssen das aufnehmen, was Hegel in der Vorrede als Weg von der Substanz zu dem Subjekt charakterisiert hat25; liegt in der Rede von der Substanz, vermittels der spinozanischen Konnotation, doch das, was oben als ‚Unendlichkeit‘ bezeichnet wurde.26 Und tatsächlich finden sich der Begriff ‚Substanz‘ sowie Beziehung auf anderes leer und tautologisch wäre („Bewusstsein und Selbstbewusstsein“, in: Dieter Henrich (Hg.), Hegels philosophische Psychologie, Bonn 1979, 220, 224). Für meine These müsste man argumentieren, dass diese Komplementarität von Bewusstsein und Selbstbewusstsein trotz Hegels in den hinteren Teilen der Phänomenologie vorgenommenen Vermittlungsversuchen der Sache nach aufrechtzuerhalten ist. 25 Hegel, Phänomenologie, 18 ff. 26 Gegen die Betrachtung eines solchen langen Bogens in der Entwicklung der Phänomenologie des Geistes kann vorgebracht werden, dass zentrale Phasen gerade im Geistkapitel doch durch den dramatischen Verlust alles Göttlichen gekennzeichnet sind. Man erinnere sich z. B. an das Ergebnis der Aufklärung: Das Reich des Glaubens – so Hegels Worte – ist ausgeplündert, der Geist in ein dumpfes, bewusstloses Weben in sich selbst zusammengesunken (vgl. Hegel, Phänomenologie, 310). Kann es eine Kontinuität über solche Einbrüche hinweg geben? Nach Hegel, ja. Wiewohl er es mit dem Wandel von Theoriepositionen zu tun hat, bleibt er doch an dem Modell einer organischen Entwicklung orientiert. Entsprechend geht nichts vollständig verloren. Was verloren zu gehen scheint, bleibt auch und gerade in der Ausgrenzung ex negativo in der Tiefenstruktur einer Position gegenwärtig. Umgekehrt entsteht aber auch nichts, was nicht schon kategorial vorbereitet wäre. Im Sinne der letzten Feststellung geht es also jetzt darum, zunächst in Auszügen zu zeigen, wie Modelle eines auf sich beruhenden Substantiellen und Unendlichen auf verschiedenen Theoriestufen schon gegenwärtig sind, die wahre Struktur des Substantiellen und Unendlichen aber auch verfehlen und somit Modifikationen benötigen, die ihrerseits wiederum zur Religion führen.
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das Zuschreiben einer absoluten Rolle zu ihr schon zu Beginn des der Religion vorangehenden Kapitels über den Geist. Es hat die Entwicklung der Sittlichkeit und des Moralbewusstseins zum Gegenstand. Von der Substanz sagt Hegel, dass sie „das allgemeine, sich selbstgleiche, bleibende Wesen“27 sei. Sie wird als solche gerade nicht hinterfragt und damit in ihrer faktischen Macht in der Position eines letzten Fundaments anerkannt.28 Im Übergang zu dem Kapitel über den Geist führt Hegel als Bezugspunkt das „ungeschriebene[/ ] und untrügliche[/] Recht“29 der Götter bei Sophokles an, das eben schlechthin gilt, ohne dass man sagen könnte, wann es eingesetzt wurde. Mit diesem Hinweis ist schon zu Beginn des Geistkapitels zumindest auch ein Bezug auf das Göttliche gegeben.30 Zu beachten ist aber, wie Hegel die Substanz im Folgenden weiter bestimmt: Sie ist „das sich aufopfernde gütige Wesen, an dem Jeder sein eignes Werk vollbringt, das allgemeine Seyn zerreißt und sich seinen Theil davon nimmt“.31 Die Substanz verendlicht sich, ist gegenwärtig in den bestimmten Verhältnissen der Individuen. Sie erlaubt, dass die Individuen auf sie ausgreifen und sich ihre individuelle Lebensmöglichkeit nehmen. Dabei ist an eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher gesellschaftlicher Rollen zu denken. Durch die Ausübung der unvermeidlich begrenzten Lebensmöglichkeit wird nun paradoxerweise die Substanz und ihre Gegenwart nicht untergraben, sondern als die allgemeine Basis getragen. Dass Hegel dies als das Leben des Geistes bezeichnet, verweist auf eine andere, für unsere Betrachtung einschlägige Kategorie, die sich zu Beginn des noch weiter zurückliegenden Selbstbewusstseinskapitels befindet: das Leben. Die Beschreibung derselben beginnt bei den Einzelnen – darin ist das Verhältnis der eingangs skizzierten zweiten kategorialen Struktur ähnlicher.32 Diese Einzelnen treten zunächst als Selbstständige gegenüber dem, was sich als ihre Substanz erweisen wird, auf. Letztere wird in ihrer ursprünglichen Rolle als die flüssige, d. h. gerade nicht auf das Heruntergebrochensein in einPhänomenologie, 239. Die Haltung, etwas in dieser Weise unhinterfragt in seiner absoluten Position anzuerkennen, ist ihrerseits durch den vorausgehenden Argumentationsgang plausibilisiert. Insofern widerspricht das unhinterfragte Ansetzen der Substanz nicht dem kontinuierlichen Fortgang der Phänomenologie. 29 Hegel, Phänomenologie, 236. 30 Bekanntlich differenziert Hegel innerhalb des Geistkapitels (Hegel, Phänomenologie, 241) die Substanz unter den Bedingungen des bewussten Bezugs auf sie weiter in ein göttliches Gesetz im engeren Sinn und ein menschliches Gesetz aus. Vgl. dazu: Ulrich Schlösser, „Handlung, Sprache, Geist“, in: Welsch/Vieweg, Hegels Phänomenologie des Geistes, 439–455. 31 Hegel, Phänomenologie, 239. 32 Vgl. Hegel, Phänomenologie, 106, oben. 27 Hegel, 28
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zelne Gestalten reduzierte, Kontinuität des Lebens bezeichnet. Nun scheinen die Einzelnen in ihrer Selbstständigkeit den zugrunde liegenden Lebensstoff aufzuzehren. Hier ist aber wieder die doppelseitige Natur des Unendlichen wirksam: Das Leben als solches steht dem Lebendigen nicht nur gegenüber; das Leben macht zugleich dessen eigenes Wesen aus. Indem es das Leben aufzehrt, wendet sich das Einzelne zugleich gegen sich selbst und hebt sich auf. Damit trägt es zu der Kehrseite des Vorganges, dem Neusetzen eines Einzelnen im Prozess von Werden und Vergehen, bei. Kraft dieses Prozesses erweist sich das Leben als das, was sich in Wahrheit durch die Verhältnisse des Lebendigen hindurchzieht und über jedes Einzelne hinausreicht. Selbst den noch sehr viel weiter zurückliegenden Anfang der Phänomenologie verknüpft Hegel mit einem Bezug auf das Unendliche – trotz der minimalistischen Konzeption eines sinnlichen Weltbezugs, die er dort thematisiert. Denn von der sinnlichen Gewissheit aus spielt Hegel auf die Mysterien von Ceres und Bacchus an, die er im Religionskapitel aufnimmt; so ist die Religion selbst mit dem Anfang der Phänomenologie verflochten. Auch jene Götter sind von den menschlichen Verhältnissen nicht nur getrennt, sondern manifestieren sich in den Früchten des Feldes und im Wein. Indem ihre Anhänger sich diese einverleiben, ist deren Geist zugleich in ihnen und ihrem Kultus gegenwärtig. Die Tiere, so spottet Hegel über die sinnliche Gewissheit, „erweisen sich am Tiefsten in sie [diese Weisheit] eingeweiht zu seyn, denn sie bleiben nicht vor den sinnlichen Dingen als an sich seyenden stehen“, sie „langen ohne Weiteres zu, und zehren sie auf“.33 Nun darf man nicht übersehen, dass die hier angesprochenen kategorialen Strukturen trotz ihrer Ähnlichkeit nicht nur voneinander distinkt sind. Die angemessene Beschreibung der Struktur der Religion muss trotz der Nähe zu ihnen auch erst gegen sie herausgearbeitet werden. So ist bei dem Geist von dem Ausgriff auf die absolute Substanz, von der man sich seinen Teil nimmt, die Rede. Genau so beschreibt Hegel auch das Verhalten der ‚eingeweihten‘ Tiere. Bei dem wahren Verständnis der Religion muss demgegenüber aber gerade nicht der Ausgriff, sondern die Selbstzurücknahme des Endlichen im Mittelpunkt stehen. Diesem Aspekt kam die Selbstaufhebung des Endlichen im Lebensprozess am deutlichsten nahe. Dort vollzieht sich die Zurücknahme aber nur mit dem Tod. In ihm erlischt das Leben. Die Zurücknahme ist auf diese Weise nichts, was im Bewusstsein und für das betroffene Bewusstsein selbst gegeben sein könnte. Dies verlangt aber die Religion. Es müsste sich die Zurücknahme des Endlichen in ihr in einer nur symbolischen Form vollziehen, so, dass sie gerade mit der Fortdauer 33
Hegel, Phänomenologie, 69.
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des Endlichen in seiner Gemeinschaft kompatibel ist. Im Lebensprozess war der Zusammenhang weiterhin wie folgt aufgebaut: Insofern das unendliche Leben dem sich vereinzelnden Lebendigen nicht nur gegenübersteht, sondern in ihm gegenwärtig ist, hebt sich Letzteres auf. Im religiösen Zusammenhang hingegen ist die bewusst vollzogene und nicht nur natürliche Selbstzurücknahme allererst Bedingung dafür, dass das Unendliche in den Verhältnissen der Endlichen ist – und zwar wiederum für dieselben. Die Gegenwart des Unendlichen für das Bewusstsein, die Tatsache, dass es für die Beteiligten erscheint – dies ist der eigentlich entscheidende Schritt, auf den Hegel abhebt, wenn er im Übergang zur Religion von dem erscheinenden Gott mitten unter ihnen spricht.34 An dieser Stelle kann man hinzufügen: Zur Religion wären wir mit diesem Schritt erst gelangt, wenn in der Motivation, die die Zurücknahme als bewusste Handlung voraussetzt, zugleich das Bewusstsein des Unendlichen schon enthalten wäre. Es müsste genauer schon in seinem Doppelcharakter bewusst sein, einerseits gegen das Endliche bestimmt zu sein, sich andererseits in es hineinzugeben, wie es bei Ceres und Bacchus in den Feldfrüchten und dem Wein der Fall ist. Denn nur dann würde die Handlung zu einem Nachvollzug des Unendlichen. Es ist aber fraglich, ob dieses Bewusstsein im Handeln der beiden Kontrahenten im Gewissensabschnitt, so wie er sich für sich genommen präsentiert hat, schon gegenwärtig ist. Dieses Bewusstsein wäre aber dadurch möglich, dass der ganze hier thematische Entwicklungsgang aus der Perspektive der an ihm Beteiligten eingeholt wird. Betrachtet man den Übergang zur Religion, muss noch etwas Weiteres bedacht werden. Es geht nicht nur darum, dass die Gegenwart des Unendlichen in den Anerkennungsbeziehungen der Menschen bewusst wird: Das Unendliche selbst und seine Beziehung zu den Menschen wird auf diese Weise auch transformiert; es geht zuletzt ganz in diese Beziehungen ein. Wie schon eingangs gesagt, kann eine kategoriale Struktur der zweiten Art auf eine solche der ersten Art führen. Gerade deshalb konnte bei der isolierten Betrachtung des Gewissenskapitels der Eindruck entstehen, wir hätten es nur mit einer Anerkennungsbeziehung zu tun.
5. Wir haben im vorangegangenen Schritt gesehen, wie das Verhältnis des Unendlichen zum Endlichen, das für die Religion kennzeichnend ist, in der 34
Hegel, Phänomenologie, 362.
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Phänomenologie zuvor schon vorbereitet wurde. Jetzt müssen wir aber noch ein Weiteres beachten: Im Vorfeld der Religion ist die Entwicklung ganz auf dem Standpunkt des Subjekts angelangt. Hegel kann also nicht einfach auf die Substanz oder das Unendliche in seiner ursprünglichen Rolle zurückgreifen. Vielmehr steht er vor der Aufgabe, die Substanz oder das Unendliche von dem Standpunkt des Subjekts aus zu rehabilitieren. Dies ist ein Problem, das sich nach Hegel in verschiedener Gestalt und an verschiedenen systematischen Orten stellt.35 Denn genau dasselbe geschieht ihm zufolge historisch dort, wo sich die griechische göttliche Ordnung auf das Selbst, verstanden als die Geltung der Rechtsperson im römischen Reich, reduziert hat – flankiert von den selbstbezüglichen Gestalten des Skeptizismus und des Stoizismus.36 Denn von dort aus sollen sich die Entstehung und der Aufstieg des Christentums vollziehen. Hegel spricht in Bezug auf diesen Übergang von einer „Umkehrung […], welche das Selbst zum Prädicate herunterstimmt, und die Substanz zum Subjecte [d.i. dem logischen Subjekt – U. S.] erhebt.“ Dies soll so geschehen, „daß die Umkehrung für und durch das Selbstbewußtseyn selbst zu Stande gebracht wird. Indem dieses sich mit Bewußtseyn aufgibt, so wird es in seiner Entäusserung erhalten, und bleibt das Subject der Substanz.“37 Solange die Substanz nur von dem Subjekt als unabhängig und zugrunde liegend gesetzt wird, besteht aber umgekehrt die Gefahr, dass das Subjekt ihr und damit auch der Realität nur seinen eigenen Geist einbildet. Hegel ist sich dieser Gefahr bewusst. Er benennt sie unter dem Titel der „Schwärmerei“.38 Demgegenüber hat sich die von Hegel stets in den Blick genommene Balance zwischen idealistischen und realistischen Tendenzen herzustellen: Die Substanz muss ihre Selbstständigkeit beweisen. Dies kann sie gerade dadurch 35 Der Zwischenschritt, der über die Darstellung der vorchristlichen Religionen die Subjektivierung der Religion thematisiert, kann im vorliegenden, begrenzten Rahmen nicht eingeholt werden. Er stellt das Komplement zu der Setzung der Substanz durch das Subjekt dar und bereitet den Schritt, dass die Substanz im Christentum ein wirkliches Subjekt, ein einzelner Mensch, wird, vor. 36 Vgl. Hegel, Phänomenologie, 403. 37 Hegel, Phänomenologie, 400. 38 Hegel, Phänomenologie, 404. „Insofern das Selbstbewusstseyn einseitig nur seine eigne Entäusserung erfaßt, wenn ihm schon sein Gegenstand also ebensowohl Seyn als Selbst ist und es alles Daseyn als geistiges Wesen weiß, so ist dadurch dennoch noch nicht für es der wahre Geist geworden, insofern nämlich das Seyn überhaupt oder die Substanz nicht an sich ebenso ihrerseits sich ihrer selbst entäusserte und zum Selbstbewustseyn werde. Denn alsdann ist alles Daseyn nur vom Standpunkte des Bewußtseyns aus geistiges Wesen, nicht an sich selbst. Der Geist ist auf diese Weise dem Daseyn nur eingebildet; dieses Einbilden ist Schwärmerey.“ Hegel, Phänomenologie, 403 f.
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tun, dass sie von sich aus wieder auf das Subjekt führt.39 In der Geschichte der Religion ist dies aber gerade im Christentum der Fall – und zwar in der Menschwerdung Gottes in der Person Christi.
6. Damit sind wir schon direkt bei der christlichen Religion angelangt. Ihre Darstellung steht im Mittelpunkt der phänomenologischen Religionsphilosophie. Uns interessiert dabei die Frage: Wie analysiert Hegel sie unter dem Blickpunkt ihrer kategorialen Struktur?40 Geht er über die zuvor entwickelten Strukturmodelle in einer Weise hinaus, die zu sagen erlaubt: Der auf dem Unendlichen beruhende Strukturzusammenhang ist nun so entwickelt, dass er tatsächlich der Anerkennungsbewegung zwischen den zwei selbstbewussten Subjekten als seinem subjektiven Pendant entspricht? Letzteres würde auch Hegels zweiten zentralen Übergang – den im ‚absoluten Wissen‘ – vorbereiten. Nach dem ersten Eindruck scheint dies der Fall zu sein: Charakterisiert Hegel doch eine Struktur mit zwei Seiten – einer göttlichen und einer natürlich-endlichen –, von denen beiden für sich genommen gelten soll, dass sie eine einander korrespondierende Bewegung vollziehen; und zwar so, dass sie die Bewegung nicht nur von sich aus vornehmen, sondern dies auch primär aus einer Selbstbeziehung heraus geschieht.41 Man wird dadurch zu der Annahme geführt, man habe es jetzt mit einem symmetrischen Verhältnis beider Seiten zu tun – genauso, wie bei der Anerkennungsbeziehung. Wie füllt Hegel diese Vorgaben aus? Zunächst einmal gehört es Gott selbst an, dass er nicht nur eine beschränkte Natur freisetzt, sondern vor allem in dieser Sphäre selbst Mensch wird; denn in der Differenz zu dieser Sphäre wendet er sich kraft seiner Natur nicht eigentlich gegen das Endliche, sondern gegen sich selbst als Abgrenzendes. Gott kann nicht beiseite stehen, sondern muss sich der Welt erbarmen, indem er sich in sie hineinbegibt und damit ein Zeichen für die Verbindung von Endlichem und 39 Man kann dies erkenntnistheoretisch auch so formulieren: Das eigentlich Objektive erweist sich als solches gerade darin, dass es von sich aus auf das Subjekt führt. 40 Über einen anderen zentralen Aspekt, nämlich das Offenbaren in der „offenbaren Religion“ informiert Francesca Menegoni, „Die offenbare Religion“, in: Welsch / Vieweg, Hegels Phänomenologie des Geistes, 562–580, 562 ff. 41 „Die Auflösung dieses Gegensatzes geschieht nicht sowohl durch den Kampf der beyden, die als getrennte und selbstständige Wesen vorgestellt sind. In ihrer Selbstständigkeit liegt es, daß an sich, durch seinen Begriff, jedes an ihm selbst sich auflösen muss.“ Hegel, Phänomenologie, 414.
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Unendlichem setzt. Die gegenüberliegende Seite des Natürlich-Endlichen, die Hegel in Anlehnung an die Rede von der Sünde auch als das „Böse“ im metaphysischen Sinn des Wortes bezeichnet, wird durch das „Insichsein“ gekennzeichnet – ein sich Abgrenzen gegen das Göttliche. Auch hier erfolgt in Hegels Darstellung die Wende durch eine Selbstbeziehung. Denn das Insichsein des Insichsichseins – die reflektierende Einkehr, zu der das sich Abgrenzende tendiert – verschärft nicht dessen Zustand, sondern wiederholt ihn im Bewusstsein. Das führt aber gerade zu einer Abkehr vom Aufsich-Beharrenwollen.42 Dies weist schon voraus auf Phänomene wie das gemeinsamen Bekenntnis der Schuld als Teil des gottesdienstlichen Rituals. Dass Hegel in diesem Zusammenhang ein Verhältnis einer Identität in der Differenz explizit hervorhebt43, erleichtert es ihm, das Identische, das sich durch die Bewegung beider Seiten herstellt, herauszuarbeiten. Dies erlaubt wiederum, auch das zweite der beiden Verhältnisse als Geist in dem auf Gott bezogenen theologischen Sinn zu klassifizieren. Ergibt sich in dieser Beziehung zwischen dem Göttlichen und dem Endlichen nicht doch eine Versöhnung genau der Art, wie wir sie oben in dem symmetrischen Verhältnis der Subjekte gesehen haben? Bei genauerer Betrachtung ergeben sich erneut Vorbehalte; denn eine Asymmetrie in dem Verhältnis der beiden soeben thematisierten Seiten bleibt doch erhalten. Schließlich ist auch nach Hegel die Selbstdistanzierung der Endlichen in der Gemeinde nur aufgrund der Vorstellung der Entäußerung Gottes und d. h. nur unter der ‚Vorleistung‘ der Menschwerdung wirklich. Weiterhin schreibt sich die grundlegendere Asymmetrie zwischen unendlich und endlich doch fort – trotz Hegels Rückgriff auf die Terminologie von Identität und Differenz. Nimmt man die Terminologie auf, lässt sich die Schwierigkeit wie folgt formulieren: Die Differenz zwischen dem Göttlichen und dem endlichen, ‚sündigen‘ Einzelnen ist der unproblematische Aspekt. Wir müssen die Aufmerksamkeit auf die mutmaßliche Identität richten. Hier gilt erneut: Indem sich ein Einzelnes zurücknimmt, so tut es das in Anbetracht eines anderen eben solchen. Darin ist zugleich das Eine Unendliche gegenwärtig. Aber das heißt doch wieder nur, dass das Endliche in seinem Akt an der Unendlichkeit teilhat. Denn dies Unendliche reicht „Wenn also in dem vorstellenden Bewusstseyn das Innerlichwerden des natürlichen Selbstbewusstseyns, das daseyende Böse war, so ist das Innerlichwerden im Elemente des Selbstbewußtseyns das Wissen von dem Bösen als einem solchen, das ansich im Daseyn ist. Diß Wissen ist allerdings ein Bösewerden, aber nur Werden des Gedanken des Bösen, und ist darum als das erste Moment der Versöhnung anerkannt.“ Hegel, Phänomenologie, 417 f. 43 Vgl. Hegel, Phänomenologie, 417. 42
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nicht nur, insofern es dem Endlichen gegenübersteht, sondern auch, sofern Letzteres ‚in ihm ist‘, stets über dieses und seine Akte hinaus.
7. Durch diese Betrachtung ist die Interpretation des Abschnittes über das ‚absolute Wissen‘ und die dortige Wiederaufnahme der Versöhnung nach der offenbaren Religion von vornherein mit einer Hypothek belastet. Denn in diesem Abschnitt versucht Hegel nun tatsächlich die soeben skizzierte, kosmisch-theologische Versöhnung durch die von den selbstbewussten Subjekten im Anerkennen handelnd vollzogene Versöhnung als ihrem subjektiven Gegenstück zu ergänzen.44 Zu der ersten, kosmisch-theologischen Versöhnung gehört es, dass sie sich so, wie sie dem religiösen Bewusstsein gegenwärtig ist, als rein objektiver Prozess präsentiert. Das Bewusstsein bezieht sich also auf sie, als wäre sie ein ihm gegenüber liegendes Anderes. Das Defizitäre dieses Modus’ des Bezuges hebt Hegel hervor, wenn er sagt, dass die Religion dem Vorstellen verhaftet bleibt: Sie erfasst den an sich wahren, inneren Zusammenhang der kosmisch-theologischen Versöhnung nach dem Modell eines sinnlich-wahrnehmbaren Geschehens. Daher die auf der Einbildungskraft beruhende religiöse Rede von Gott, der Schöpfung, Vater, Sohn usf. In der von dem selbstbewussten Subjekt ausgehenden Versöhnung soll sich dem gegenüber eine Evidenz der Art realisieren, wie wir sie traditionell mit dem Ich-Bewusstsein verbinden. Man sieht hier deutlich Hegels Intention: Die in ihrem Inhalt wahre kosmisch-theologische Ver44 Eine der seltenen interessanten und produktiven Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis der zwei Versöhnungen findet sich bei Yasuhiro Kumamoto („Einheitliche Struktur der vertikalen und horizontalen Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes“, in: Wolfgang Schild (Hg.), Anerkennung. Interdisziplinäre Dimensionen eines Begriffs, Würzburg 2000, 25–36). Kumamoto geht (anders als der Verf.) zunächst davon aus, dass auch die Vermittlung zwischen dem Unendlichen und Endlichen unter den Begriff der Anerkennung zu subsumieren ist, erst mit der Vermittlung beider die Entwicklung der Anerkennung also zu Ende ist. Dann weist er darauf hin, dass wir nur unter der Bedingung der interpersonalen Versöhnung das Göttliche nicht nur in Jesus sehen, sondern in diesem auch unser Vorbild erblicken. Das setzt voraus, dass wir um unser Vermögen zur Versöhnung wissen. Hier ist also nicht die kosmisch-theologische Vermittlung Bedingung der interpersonalen, sondern umgekehrt. Das impliziert, dass die kosmisch-theologische Vermittlung für sich genommen nicht vollständig sein könnte. Wir hätten es also nicht mit zwei komplementären, aber für sich vollständigen Strukturen zu tun. Zudem könnte das Leben Jesu nicht schon von sich aus eine ethische Dimension für uns haben, sondern würde nur unter der Voraussetzung einer ethischen Praxis entsprechend interpretiert (was die Gefahr in sich birgt, dass die Interpretation wieder einen projektiven Charakter hätte).
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söhnung soll in den epistemischen Modus des Wissens von sich im anderen (d.i. der Anerkennung) herübergeholt werden.45 Für dieses Vorgehen gibt es einen weiteren Hintergrund, der uns zuvor schon begegnet ist: So wie oben beim Übergang zur Religion nicht einfach von einer absoluten Substanz ausgegangen wurde, sondern diese vielmehr von dem Subjekt gesetzt, was umgekehrt wiederum verlangte, dass die Substanz von sich aus zu einem einzelnen Subjekt werde, so geht es auch jetzt darum, einen realistischen Zug mit einem vom Subjekt ausgehenden Idealismus, den unsere Form des Wissens nahelegt, auszubalancieren – im jetzigen Fall so, dass das nur Objektive der kosmischen Versöhnung in einer letzten Wendung das unvermeidliche Gegengewicht erhält. Der Erfolg dieser Strategie, die unterstellt, dass sich der religiöse Inhalt tatsächlich in die Form des Wissens vom Selbst übersetzen lasse, hängt nun davon ab, dass sich beide in ihrer kategorialen Struktur entsprechen.46 Wie wir gesehen haben, hat Hegel diesen Gedanken in seiner Phänomenologie aber nicht angemessen vorbereitet.47 Man kann sich die problematische Entsprechung beider Versöhnungen übrigens auch auf der konkret-inhaltlichen Ebene vor Augen führen, indem Hegel, Phänomenologie, 426–428. Ludwig Siep sieht (anders als der vorliegende Ansatz) den Unterschied der beiden Versöhnungen nicht in der Struktur, sondern in ihrer inhaltlichen Reichweite: Während die soziale Versöhnung nicht über den Gehalt der Moralität hinausreiche, führe die kosmologische zu einer Versöhnung von Natur und Geist. Aber geht es wirklich um das Verhältnis von Natur und Geist und nicht eher um das von unendlich zu endlich? Vgl. Ludwig Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, Freiburg 1979, 118. 47 Pinkard (a. a. O., 220, vgl. auch 259 ff.) vertritt die These, dass sich vermittels des Christentums und des Schrittes von der Menschwerdung Gottes zum Geist in der Gemeinde die religiöse Gemeinschaft selbst säkularisiert und damit in die Moderne führt. Dieser Schritt wird von den Christen selbst aber noch nicht ganz verstanden, sofern sie im bildlichen Vorstellen befangen bleiben. Man könnte dieser Interpretation zufolge trotzdem sagen: Das religiöse Bewusstsein selbst vollzieht den Schritt von der kosmischtheologischen Versöhnung zu der nunmehr interpersonalen Versöhnung schon selbst. Das absolute Wissen würde dann nur an diesen Vorgang erinnern und müsste keine eigene Beweislast tragen. Damit übersieht Pinkard aber die Struktur des Geistes im theologischen Sinn: Das Absolute ist in der Gemeinschaft nur, insofern darin die Subjekte auch zu Modifikationen von ihm werden. Zugleich ist unterstellt, dass das Absolute in diesem Sinn nur in der Gemeinde ist, wenn es zuvor auch andere Rollen einnahm. Das ist nicht deckungsgleich mit einer allein von den Subjekten ausgehenden interpersonellen Versöhnung als Relationsstruktur – einer Struktur, in der die Subjekte wechselseitig ihren Wert beglaubigen. Damit unterstellt Pinkard schon den Schritt von der ersten Versöhnung zur zweiten, der hier allererst untersucht werden soll – oder er glaubt, dass eine einseitige Reduzierung der ersten Versöhnung auf die zweite durch eine nur historisch erfasste Entmythologisierungsbewegung hinreichend abgedeckt ist. 45 46
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man an ausgewählte Elemente von beiden erinnert. So fragt sich: Was soll z. B. der Menschwerdung Gottes, der Tatsache, dass er der Welt nicht nur gegenübersteht, entsprechen? Etwa, dass die in sich selbst zurückgezogene, ‚inspirierte‘ schöne Seele sich doch zum Handeln herablässt?48 Und wo liegt umgekehrt in der religiösen Versöhnung das Moment des sich wechselseitig in dem anderen Erkennens? Man kann sagen, dass Gott, weil er zugleich Christus ist, sich im Dasein der endlich-natürlichen Welt erfasst. Aber wie sieht es mit der umgekehrten Relation aus? Man darf auch hier vermuten, dass die von den Menschen ausgehende Identifikationsbewegung über Christus vermittelt sein soll. Die Menschen dürfen sich auf ihn aber natürlich nicht nur als Mensch beziehen, denn dann würde sich durch diesen Bezug die Gegenwart des Geistes im theologischen Sinn des Wortes nicht herstellen lassen. Würden sie sich auf ihn aber als Mensch gewordener Gott beziehen, so könnten sie sich in ihm nur dann erkennen, wenn nicht nur das Mysterium seiner Gott-Natur, sondern auch das unserer Teilhabe durch den Nachvollzug über das Ritual von Brot und Wein schon vorausgesetzt wären. Dann könnten sie aber nicht wieder durch spekulative Begriffsoperationen erklärt werden. So kann man also sagen, dass die Versöhnung als Form der Anerkennung zwischen den Menschen im weitesten Sinn zwar ‚im christlichen Geist‘ ist – insbesondere im Vergleich zu der Betonung eines rigiden Sittengesetzes, die die idealistische Tradition in ihrem Anfang bestimmt hat. Die interpersonale Versöhnung entspricht damit aber noch nicht der Struktur des Heilsgeschehens als religiösen Inhalts. Vor diesem Hintergrund hat die Rückbindung der religiösen Inhalte an das Modell der Anerkennung und deren Form des Sich-selbst-Wissens im anderen zuletzt doch einen reduktiven Charakter. Das entspricht meiner einleitenden Beobachtung, dass die zweite kategoriale Struktur, die auf den Begriff der Unendlichkeit sich gründet, nicht auf eine der ersten Art, die sich an der Gleichsetzung Ich=Ich orientiert, zurückgeführt werden kann. Umgekehrt wurde gesagt, dass sich von der zweiten zur ersten übergehen lasse. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass sich natürlich auch gegen diese Seite des Vorgehens Bedenken vorbringen lassen. Unser Interesse an der Anerkennung oder der Versöhnung liegt darin begründet, dass sie Aus48 So etwa Ludwig Siep: Er versucht, in Hegels Sinn affirmativ darzustellen, dass was im Christentum Trinität, Schöpfung und Heilsgeschehen sind, eine Entsprechung in dem Schritt der ‚schönen Seele‘ von der Heiligkeit zur Entzweiung findet. Dabei sieht er, dass eine solche Interpretation erfordert, dass die ‚schöne Seele‘, entgegen Hegels ursprünglicher Darstellung, jetzt überraschend eine positive Deutung erfahren muss. Vgl. Ludwig Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main 2000, 246.
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druck einer moralischen Einstellung des Respekts vor dem anderen sind. In der jetzt betrachteten zweiten, von der Unendlichkeit auf die Anerkennung ausgerichteten Perspektive Hegels wird die Anerkennung aber in ganz anderer Weise analysiert: Sie ist eher Gegenstand einer ontologisch-kategorialen Theorie; sie wird damit zum Ausdruck eines unter Voraussetzung des wahren Unendlichen metaphysisch notwendigen Prozesses. Damit wird das Verständnis ihrer Normativität aber nicht erleichtert, sondern erschwert. Und dies ist nicht alles: Hegel geht in seiner Darstellung der interpersonellen Versöhnung ja so vor, dass sich das handelnde Bewusstsein in dem es beurteilenden Bewusstsein wiedererkennt: Auch dieses ist in der Spannung, nur allgemein agieren zu wollen und doch auch an die partikulare Bestimmtheit seiner selbst und der Situation gebunden zu sein, festgehalten.49 Was ist aber von der moralischen Qualität einer Versöhnung zu halten, die im Wesentlichen auf der Einsicht beruht, dass der andere auch nicht besser ist als man selbst?50 Sucht man also den Bezug auf das Unendliche mit der Normativität des Ethischen und der richtigen Motivationskraft, die uns zu praktischem Handeln bewegt, zu verbinden, so wird man sich andere Theorieangebote als das von Hegels Phänomenologie des Geistes suchen müssen – und vermutlich auch andere als die, die in der Konferenz, aus der der vorliegende Sammelband hervorgeht, Thema waren. Ein durch die Bezugnahme auf das Ich und seine Selbstbestimmung geprägter Ansatz der gesuchten Art wäre derjenige des späten Fichte. Ein von dem Du ausgehender der von Levinas.
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Vgl. Hegel, Phänomenologie, 359. In einer ähnlichen Richtung argumentiert Wildt, wenn er schreibt, dass wir es „mit einer Erfahrung der Gleichheit in einer wesentlich negativen Hinsicht“ zu tun haben und ergänzt: „Wie diese Erfahrung positive sittliche Entäußerung motivieren kann, bleibt dunkel.“ Andreas Wildt, Autonomie und Anerkennung, Stuttgart 1982, 369. 49 50
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Hegels Begriff des Absoluten und die Religionen Burkhard Nonnenmacher Im Manuskript von 1821 heißt es zu Beginn der bestimmten Religion: „Daß der Begriff nicht von Anfang für sich herausgebildet ist, nicht unmittelbar, ist Natur des Begriffs […]“1. Entsprechend ist die zweite Abteilung der Vorlesungen über die Philosophie der Religion, i. e. „Die bestimmte Religion“, der „Weg zum Begriff [der Religion]“2, ohne den der Begriff nicht ist, was er ist. Nur hierüber wird der „erfüllte Begriff der Religion“3 gewonnen, wie Hegel zu Beginn der bestimmten Religion in der Vorlesung von 1827 sagt, und hinzufügt: „In der bestimmten Religion ist es erst, daß Bestimmungen in jenes allgemeine Wesen hineinkommen; hier erst fängt das Erkennen von Gott an; durch die Bestimmung hindurch wird der Gedanke von Gott erst zum Begriff.“4 Die folgenden Überlegungen setzen sich mit der Frage auseinander, wie Hegels Begriff des Absoluten, sein Begriff der Religion und sein Begriff der Vielfalt der Religionen vor diesem Hintergrund miteinander verknüpft sind. Nachgegangen werden soll dieser Frage in drei Schritten: Ein erster Schritt vergegenwärtigt das in der Wissenschaft der Logik aus der Dialektik von Endlichem und Unendlichem gewonnene Programm Hegels, das Absolute ungetrennt von seinem Erscheinen in besonderer Bestimmtheit zu denken, das in der freien Selbstbestimmung des Begriffs mündet. Ein zweiter Schritt setzt Hegels Begriff der Religion zu diesem Programm in Beziehung. Ein ausführlicherer dritter Schritt reflektiert, welcher Anspruch der bestimmten Religion in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion hierin enthalten ist und wie Hegel diesem Anspruch gerecht zu werden versucht.
Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion werden im Folgenden zitiert nach: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bde. 3–5: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1–3, hrsg. von Walter Jaeschke, Hamburg 1983–1985 (= VPR 3–5). Vgl. hier Hegel, VPR 4, 2. 2 Vgl. ebd. 3 Hegel, VPR 4, 412. 4 Hegel, VPR 4, 412 f. 1
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Gezeigt werden soll in den folgenden Überlegungen erstens, dass die bestimmte Religion nur unmittelbar betrachtet der bloße Anfang der für sich werdenden Religion ist, an deren Ende die vollendete Religion steht. An‑ und für-sich betrachtet ist die bestimmte Religion für Hegel dagegen der durch den Begriff der Religion selbst um seiner selbst willen beschlossene Anfang seiner Selbstrealisierung, weil er als „erfüllter“ Begriff nach Hegel erst dann gedacht ist, wenn er als die Rückkehr aus jenen Bestimmungen erfasst ist, bzw. wenn jene Bestimmungen als seine Bestimmungen gedacht sind und er als deren Wahrheit gedacht ist. Zweitens reflektieren die folgenden Überlegungen, was das für den Stellenwert der bestimmten Religion in einer Theorie des Absoluten bedeutet, die a) lehrt, dass das Endliche dem Unendlichen nicht abstrakt entgegengesetzt werden kann, deshalb b) verlangt, das Endliche als im Unendlichen enthalten zu denken, und c) den Versuch unternimmt, das Endliche darüber im Unendlichen enthalten zu denken, dass sie das wahrhaft Unendliche und Absolute als sich selbstbestimmenden Begriff entwickelt, der sich allererst in der Rückkehr aus seinen Bestimmungen realisiert und erfüllt. Stark machen möchten die folgenden Überlegungen mit Hegel den Gedanken, dass letztlich keine bestimmte Religion vom Begriff des Absoluten ausgeschlossen werden kann, weil sie ansonsten dem Absoluten als Endliches entgegengesetzt bliebe, was einer Verendlichung des Absoluten gleichkäme. Ist dies richtig, dann nimmt diejenige Position, die Hegels Philosophie der bestimmten Religionen nicht als Selbstbesonderung des Begriffs ernst nimmt, letztlich Hegels Kernargument gegen eine abstrakte Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem selbst nicht ernst, – vorausgesetzt freilich, man folgt Hegels These, dass die sich in der Dialektik von Endlichem und Unendlichem stellende Aufgabe, das „wahrhaft Unendliche“ zu denken, letztlich allein begriffslogisch, i. e. in der freien Selbstbestimmung des Begriffs umgesetzt werden kann, woraus sich dann das Programm von Hegels Philosophie der bestimmten Religion zwingend ergibt.
I. Der Begriff des Absoluten In der Wissenschaft der Logik, in der „Lehre vom Seyn“, entwickelt Hegel, dass das Unendliche dem Endlichen nicht entgegengesetzt werden kann. Denn wird das Unendliche dem Endlichen entgegengesetzt, hat das Unendliche am Endlichen eine „Grenze“5 und ist damit selbst ein „Etwas“, 5
Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, in Verbindung mit der
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das durch „Anderes“6 bestimmt ist. Damit ist genau nicht das gedacht, was mit ihm gedacht sein soll, nämlich dasjenige, was nicht durch anderes begrenzt ist und hierin Unendliches ist. Für Hegels Begriff des Absoluten ist dieser Gedanke von zentraler Bedeutung.7 In der Logik der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse von 1830 heißt es in der Anmerkung zu § 95 entsprechend: „Es kommt allein darauf an, nicht das für das Unendliche zu nehmen, was in seiner Bestimmung selbst sogleich zu einem Besonderen und Endlichen gemacht wird.“8 Zwei Bemerkungen folgen: Erstens die Aussage, dass von diesem „Unterschied“ der „Grundbegriff der Philosophie, das wahrhafte Unendliche, [ab]hängt“, sowie zweitens die Aussage, dass sich dieser „Unterschied erledigt […] durch die ganz einfachen, darum vielleicht unscheinbaren, aber unwiderleglichen Reflexionen“, die eben wiedergegeben wurden.9 Freilich ist hiermit erst der Ausgangspunkt von Hegels Begriff des Absoluten gewonnen. Er besteht in der Reflexion: „Der Dualismus, welcher den Gegensatz von Endlichem und Unendlichem unüberwindlich macht, macht die einfache Betrachtung nicht, daß auf solche Weise sogleich das Unendliche nur das Eine der Beiden ist, daß es hiermit zu einem nur Besondern gemacht wird, wozu das Endliche das andere Besondere ist. Ein solches Unendliches, welches nur ein Besonderes ist, neben dem Endlichen ist, an diesem eben damit seine Schranke, Gränze hat, ist nicht das, was es seyn soll, nicht das Unendliche, sondern ist nur endlich.“10
Eine ungleich größere Aufgabe besteht darin, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie das Absolute als wahrhaft Unendliches gedacht werden kann.11 Hegels erste Antwort auf diese Frage lautet, dass das Unendliche das Endliche nicht außer sich haben kann, sondern alles in sich enthalten muss, wenn es nicht selbst nur ein Endliches sein soll. Weder soll damit aber nur alles Endliche im Absoluten aufgelöst werden, weil damit das Absolute nur noch die Nacht wäre, in der „alle Kühe schwarz sind“12, noch darf andererseits Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, Hamburg 1968 ff. (= GW), 21, 131. 6 Vgl. hierzu bereits in Hegel, GW 21, 126–130 das Kapitel „b. Wechselbestimmung des Endlichen und Unendlichen“. 7 Vgl. hierzu auch Friedrich Hermanni, Metaphysik. Versuche über letzte Fragen, Tübingen 2011, 204 ff. 8 Hegel, GW 20, 133. 9 Ebd. 10 Hegel, GW 20, 131. 11 Vgl. ausführlicher hierzu Burkhard Nonnenmacher, Hegels Philosophie des Absoluten. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ und reifem System, Tübingen 2013. 12 Vgl. Hegel, GW 9, 17.
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das Endliche selbst zum Unendlichen erklärt werden. Denn damit wäre die Differenz zwischen Endlichem und Unendlichem ebenso aufgehoben, nur mit dem Unterschied, dass hier das Absolute noch nicht einmal mehr als die bloße Nacht „erschiene“, sondern schlichtweg nicht mehr vorhanden wäre. Es bliebe dann nur ein zu einem bloßen Positivismus verkommener Pantheismus, der einer Verabsolutierung des Endlichen gleichkäme. Die schwierige Aufgabe, die es für Hegel zu lösen gilt, ist deshalb, ein Modell zu entwickeln, in dem das Absolute dem Endlichen weder nur abstrakt entgegengesetzt ist noch trivial mit diesem identifiziert wird. Gewonnen wird der Ansatz zur Lösung dieser Aufgabe von Hegel bereits ebenfalls in der Dialektik von Endlichem und Unendlichem in der Seinslogik, nämlich in einer filigranen Analyse dieser Dialektik im Unterkapitel „c. Die affirmative Unendlichkeit“13 des Kapitels „C. Die Unendlichkeit“14, das das dritte Kapitel des „Daseyns“15 der „Lehre vom Seyn“ in der großen Logik bildet. Das Kernargument dieser Analyse in der Seinslogik von 1832 kann wie folgt wiedergegeben werden: Wenn das Unendliche dem Endlichen entgegengesetzt ist, hat es an dem ihm gegenüberstehenden Endlichen „seine Grenze“16. So sind prima facie „nur zwey Endliche vorhanden“17. Damit ist das Endliche in der Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem sich selbst entgegengesetzt, bzw. in seinem Anderen auf sich bezogen, d. h. „Beziehung auf sich“18. Genau das liefert aber bereits den Anfangsgedanken der wahren Unendlichkeit. Denn hiermit wird das Endliche zu eben jener „Selbstständigkeit und Affirmation seiner, welche das Unendliche seyn soll“19. Das heißt mitnichten, dass nun doch noch eine unendliche Endlichkeit zum Absoluten erklärt wird. Aber das heißt, dass das wahrhaft Unendliche sich selbst sein Anderes entgegensetzen muss, um sich in diesem Sich-selbst-Entgegengesetztsein selbst zu finden, indem es erkennt, dass im Gedanken des Nichtanderen das Andere wohl enthalten ist, aber nur als Moment. Entsprechend formuliert die Seinslogik im genannten Kapitel bereits ebenfalls: „Wie also das Unendliche in der That vorhanden ist, ist der Proceß zu seyn, in welchem es sich herabsetzt, nur eine seiner Bestimmungen, dem Endlichen gegenüber und damit Hegel, GW 21, 130–137. Hegel, GW 21, 124–143. 15 Hegel, GW 21, 96–143. 16 Hegel, GW 21, 131. 17 Ebd. 18 Ebd. 19 Ebd. 13 14
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selbst nur eines der Endlichen zu seyn, und diesen Unterschied seiner von sich selbst zur Affirmation seiner aufzuheben und durch diese Vermittlung als wahrhaft Unendliches zu seyn.“20
So ist das wahre Unendliche nur als „In-sich-Zurückgekehrtseyn“, nur als diejenige „Beziehung seiner auf sich selbst“21, die sich darin gewinnt, dass sich das Unendliche selbst als Endliches setzt und sich hierin als sich selbst Entgegengesetztes reflektiert. Das wahre Unendliche wird damit zur einzigen Realität, die alle endlichen Momente aus sich erschafft, – und das „Wesen“, der „Begriff“, sowie die sich in die Realphilosophie entlassende „Idee“ werden von Hegel deshalb als Weiterbestimmungen von exakt diesem Gedanken bezeichnet.22 Wir müssen es hier bei einer groben Skizze dieses weiteren Weges belassen. Die Wesenslogik überführt die in der Seinslogik entwickelte Aufgabe in das Programm, das Absolute mit seinem Erscheinen in besonderer Bestimmtheit identisch zu denken, und verfolgt damit die Strategie, dass es unter der Idee eines von seiner Erscheinung nicht zu trennenden Absoluten gelingen soll, die zuvor in der Dialektik von Endlichem und Unendlichem ins Auge gefasste Antwort genauer zu explizieren. Das Absolute, an dem einerseits momenthaft Erscheinendes und Erscheinung unterschieden sind und an dem andererseits dieser Unterschied aber „ebensosehr“ als aufgehoben gesetzt ist, wird damit zur Wahrheit des Unendlichen, das sich darin gewinnt, dass es sich als das Andere seiner selbst setzt, um hierin für sich zu werden. Die Begriffslogik zeigt schließlich, dass dieses wesenslogische Programm aber erst dann umgesetzt werden kann, wenn das Absolute nicht mehr nur als blinde Notwendigkeit, sondern als freie Selbstbestimmung entfaltet wird, das sich als Allgemeines in freier Selbstbesonderung diejenigen Bestimmungen erzeugt, aus denen zurückkehrend es allererst der „erfüllte Begriff“23 ist. Wir werden hierauf im dritten Teil unserer Überlegungen noch wesentlich ausführlicher eingehen und herausstellen, dass es genau dieser Gedanke ist, von dem sowohl Hegels Bestimmung des Begriffs der Religion als auch sein Begriff der Vielfalt der Religionen anheben. Zuvor gilt es jedoch im Blick auf Hegels Begriff des Absoluten noch zu ergänzen, dass auch die Selbstbestimmung des Begriffs dann noch nicht zu einem Ende gelangt ist, wenn sich der Begriff zur „absoluten Idee“ am Ende der Logik entwickelt hat. Denn auch die absolute Idee ist noch nicht der ganze Begriff des Absoluten, sondern Hegel, GW 21, 135 f. Hegel, GW 21, 136. 22 Ebd. 23 Vgl. Hegel, VPR 4, 412. 20 21
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das ist allererst die „absolute Idee“, die sich im „Entschluß“24 zur „Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes“25 als „System der Totalität“26 realisiert und damit das spätestens ab der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes formulierte Programm vollendet, dass „das Wahre […] das Ganze“27 sein muss und „nur als System wirklich“28 sein kann.
II. Der Begriff der Religion Zu Hegels „Begriff der Religion“, i. e. der ersten Abteilung seiner Vorlesungen über die Philosophie der Religion29, sollen hier im zweiten Teil nur wenige Bemerkungen gemacht werden. Der Grund dafür ist, dass wir im dritten Teil, in der Auseinandersetzung mit der „bestimmten Religion“, i. e. der zweiten Abteilung der Vorlesungen über die Philosophie der Religion30, noch ausführlicher auf den Begriff der Religion, der sich in der Vielfalt der Religionen realisiert, zu sprechen kommen. Seine Verknüpfung mit Hegels Begriff des Absoluten wird ebenfalls erst dort in konkreter Gestalt deutlich werden. Zunächst ist zu sagen, dass in Hegels System die „Religion“ nach der „Kunst“ die zweite Stufe des absoluten Geistes ausmacht, dessen dritte und höchste Stufe die „Philosophie“ ist.31 Daran anschließen ließen sich Erläuterungen zum Verhältnis von Vorstellung und Begriff bei Hegel und zu den in dieser Verhältnisbestimmung investierten Prämissen.32 Ebenso ließe sich darauf verweisen, dass die Frage nach dem Verhältnis von Idee und Geist, die letztlich eine Frage nach dem Verhältnis von Logik und Realphilosophie ist, auch die Frage nach dem Begriff der Religion betrifft. Wir können in diesem Rahmen nicht ausführlicher auf diese Punkte eingehen. Im Folgenden wird jedoch deutlich werden, dass der Ernst, den es Hegels bestimmter Religion Hegel, GW 12, 253. Vgl. Hegel, GW 21, 34. 26 Vgl. Hegel, GW 12, 250. 27 Vgl. Hegel, GW 9, 19. 28 Vgl. Hegel, GW 9, 22. 29 Vgl. Hegel, VPR 3. 30 Vgl. Hegel, VPR 4. 31 Vgl. Hegel, GW 20, 542–571. 32 Zur Kritik Schellings an Hegels Verhältnisbestimmung von Vorstellung und Begriff vgl. Christian Danz, „Von der Vernunftreligion zur spekulativen Religionsgeschichte. Anmerkungen zu Schellings später Religionsphilosophie im Kontext der Hegel-Schule“, in: ders. (Hg.), Schelling und die historische Theologie des 19. Jahrhunderts, Tübingen 2013, 233–253, hier: 239–242. 24 Vgl. 25
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entgegenzubringen gilt, der Sache nach direkt mit diesen Fragen verknüpft ist. Hier, im zweiten Teil unserer Überlegungen, soll zunächst nur an einer Stelle gezeigt werden, wie Hegel selbst im Rahmen seiner Vorlesungen über die Philosophie der Religion die Philosophie des Absoluten mit seiner Religionsphilosophie verknüpft sieht. In der Einleitung in die Vorlesung von 1827 heißt es: „Der Gegenstand der Religion wie der Philosophie ist die ewige Wahrheit, Gott und nichts als Gott und die Explikation Gottes. Die Philosophie expliziert nur sich, indem sie die Religion expliziert, und indem sie sich expliziert, expliziert sie die Religion.“33
Hierin sind zwei Implikationen enthalten. Wenn die Philosophie nur sich expliziert, indem sie die Religion expliziert, dann gehört erstens die Philosophie der Religion notwendig zur Philosophie des Absoluten, d. h. zur Philosophie desjenigen Gegenstandes, der dem Zitat zufolge der einzige Gegenstand der Philosophie ist.34 Entsprechend hat die Religion als zweite Stufe des absoluten Geistes im qua „System der Philosophie“ entfalteten Absoluten ihren Platz. Nun zur zweiten Implikation, die direkt in den dritten Teil überleitet, zuvor jedoch einer etwas ausführlicheren Erläuterung bedarf: „Indem die Philosophie sich expliziert, expliziert sie die Religion.“ Das heißt, dass die Entfaltung des Begriffs des Absoluten, die Hegels Philosophie des Absoluten in toto vornimmt, zugleich als Explikation der Religion verstanden werden muss. Doch was bedeutet das? Im ersten Teil wurde das „wahrhafte Unendliche“ als der „Grundbegriff der Philosophie“ entwickelt, der „abhängt“ von der in der Dialektik von Endlichem und Unendlichem gewonnenen Aufgabe, „nicht das für das Unendliche zu nehmen, was in seiner Bestimmung selbst sogleich zu einem Besonderen und Endlichen gemacht wird“35. Zweitens wurde herausgestellt, dass Hegels Philosophie des Absoluten jener Aufgabe darin Rechnung zu tragen versucht, dass sie das wahre Unendliche als dasjenige denkt, das sich als das Andere seiner selbst setzt, um hierin für sich zu werden. Drittens wurde referiert, dass das mit Hegel gelingend jedoch erst als die freie Selbstbestimmung des Begriffs gedacht werden kann, in der sich der Begriff als Allgemeines seine Besonderungen bestimmt, aus denen zurückkehrend er für sich als der realisierte Begriff ist. 33 Hegel, VPR 3, 63. Zur ausführlicheren Auseinandersetzung mit diesem Diktum Hegels vgl. Axel Hutter, „Die Verwandtschaft von Philosophie und Religion. Erinnerung an ein verdrängtes Sachproblem“, in: NZSTh 52 (2010), 113–131. 34 Vgl. zu dieser Aufgabenbestimmung der Philosophie ebenso Hegel, GW 4, 16; GW 9, 53; GW 21, 34; GW 20, §§ 1, 384. 35 Vgl. abermals Hegel, GW 20, 133.
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Hiermit sind wir aber auch bereits beim Ausgangspunkt von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion angelangt. Denn wenn a) vorausgesetzt ist, dass das Absolute dem Endlichen nicht abstrakt entgegensetzt werden kann, sondern das Endliche in sich enthalten muss, und b) vorausgesetzt ist, dass genau das zureichend nur im als sich in freier Selbstbestimmung selbstbesondernden Begriff gedacht werden können soll, dann kann freilich c) die Selbstbesonderung des Begriffs in Hegels Religionsphilosophie nicht einfach nur noch einmal reflektiert werden, sondern vielmehr muss sie dann selbst die Form und den Inhalt der in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion verhandelten Religionen bestimmen und liefern.36 Der Ausgangspunkt des dritten Teils unserer Überlegungen wird deshalb die Frage sein, wie genau der Gedanke der Selbstbesonderung des Begriffs in Hegels Philosophie der bestimmten Religion aufgegriffen wird. Unterteilt ist unser dritter Teil in zwei Abschnitte. Ein erster fragt nach dem Anspruch von Hegels bestimmter Religion, ein zweiter nach Hegels Konzept der Einlösung dieses Anspruchs. Gezeigt werden soll dabei Folgendes: Die „bestimmte Religion“ als Selbstbestimmung des „Begriffs der Religion“ ernst zu nehmen, bedeutet, in ihr diejenige Wirklichkeit zu denken, als die Hegel das Absolute überhaupt begreift, nämlich als Selbstbesonderung des Begriffs, bzw. als freie Selbstbestimmung des „sich wissenden Begriffs“, d. h. der „Idee“,37 die in der „Religionsphilosophie“ als Selbstvermittlung des absoluten Geistes entfaltet wird.38 Nimmt man dies ernst, dann bedeutet das, dass sich jede Position, die sich Hegels zweiter Abteilung seiner Vorlesungen über die Philosophie der Religion skeptisch gegenüber stellt, fragen lassen muss, ob sie nun eigentlich nur an der Anwendbarkeit logischer Kategorien auf bestimmte Religionen zu zweifeln glaubt, bzw. an der Zwingendheit von in diesem Zuge unter36 Das schließt natürlich nicht aus, dass begriffslogische Verhältnisse zunächst als wesenslogische oder seinslogische Verhältnisse erscheinen, bzw. gerade hierin Bestimmtheit erlangen. Denn ebenso wie in der Wissenschaft der Logik der Begriff die Wahrheit von Sein und Wesen ist, können hier bestimmte seinslogische und wesenslogische Bestimmungen als werdender, bzw. selbstbestimmter Begriff entfaltet werden. 37 Vgl. Hegel, GW 12, 238. 38 Vgl. hierzu die Einleitung zur Vorlesung von 1824: „In der Religionsphilosophie betrachten wir die Idee nicht bloß, wie sie als Idee des reinen Gedankens bestimmt ist, auch nicht in ihrer endlichen Weise der Erscheinung, sondern als das Absolute, als die logische Idee; aber auch zugleich, wie diese Idee erscheint, sich manifestiert, aber in der unendlichen Erscheinung als Geist.“ (VPR 3, 37). Zum Verhältnis von Hegels Religionsphilosophie und dem Begriff der Idee am Ende der Wissenschaft der Logik vgl. Jan Rohls, Gott, Trinität und Geist. Ideen des Christentums Band III/2, Tübingen 2014, 721–741, bes. 734.
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nommenen Zuschreibungen,39 oder ob sie nicht vielleicht mehr noch an der Überzeugungskraft des Kerns von Hegels Philosophie des Absoluten zweifelt, i. e. der Fähigkeit des Begriffs, sich selbst zu besondern und sich allererst in der Rückkehr aus seiner freien Selbstbestimmung zu „erfüllen“.40 Als der eigentliche Anspruch von Hegels Begriff der Religion und der Vielfalt der Religionen soll im Folgenden deshalb herausgestellt werden, dass Hegel in der bestimmten Religion seinen Begriff des Absoluten nicht nur in allem Möglichen reflektiert sehen möchte, sondern vielmehr zu denken versucht, dass prinzipiell alle Formen der bestimmten Religion aus dem Begriff generierbar sind, eben weil es im Begriff des Absoluten enthalten ist, dass dieser seinen endlichen Erscheinungsformen nicht entgegengesetzt werden kann, da er ansonsten selbst ein Endliches wird. Genau das ist u.E. der tiefere Gedanke in der zweiten, dann freilich zugleich auf die erste zurückverweisenden Implikation in Hegels Satz: „Die Philosophie expliziert nur sich, indem sie die Religion expliziert, und indem sie sich expliziert, expliziert sie die Religion.“41 D. h. dieser Satz verweist direkt auf die bislang entwickelten Grundlagen von Hegels Philosophie des Absoluten zurück, nämlich a) auf Hegels Argumentation dafür, dass das Endliche dem Unendlichen nicht abstrakt entgegengesetzt werden kann, und b) auf Hegels Argumentation dafür, dass die Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem letztlich allein begriffslogisch aufgehoben werden kann, – wobei freilich zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass Hegel in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion diesen Zusammengang zwischen der Dialektik von Endlichem und Unendlichem einerseits und der Selbstbestimmung des Begriffs andererseits nicht zuletzt darin artikuliert, dass er stets aufs Neue betont, dass es die Religion mit Gott nicht nur mit einem Gegenstand zu tun hat, sondern mit Gott, wie er als Geist in seiner Gemeinde ist, d. h. mit Gott, der untrennbar verbunden ist mit den endlichen Formen seines Fürsichseins in den Formen der bestimmten Religion. Ein gegen Wolff und die vorkantische Rationale Theologie gerichtetes Zitat aus der Einleitung in die Vorlesung von 1824, mit dem wir den zweiten Teil unserer Ausführungen schließen wollen, bringt genau diesen Punkt zur Sprache. Hegel sagt dort: „[So] hat sich ihr [der theologia rationalis; B. N.] Begriff von Gott auf das dürre Resultat eines abstrakten Verstandeswesens beschränkt, und sofern Gott als Verstandeswesen gefaßt wird, so wird er nicht als Geist gefaßt; sofern er aber als Geist gefaßt wird, so schließt 39
Zur prinzipiellen Reflexion dieser Zuschreibungsdiskussionen vgl. den sehr klaren Beitrag von Thomas A. Lewis im vorliegenden Band. 40 Hegel, VPR 4, 412. 41 Hegel, VPR 3, 63.
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dieser Begriff die subjektive Seite in sich, die in der Bestimmung der Religion zu diesem Inhalt hinzukommt. Wir haben es hier also nicht mit Gott als solchem, als Gegenstand zu tun, sondern zugleich mit Gott, wie er in seiner Gemeinde ist; es wird sich zeigen, daß er nur wahrhaft begriffen werden kann, wie er als Geist ist und so sich selbst das Gegenbild einer Gemeinde und die Tätigkeit einer Gemeinde in Beziehung auf ihn macht […].“42
Freilich deutet dieses Zitat mit seiner Betonung des Begriffs der Gemeinde bereits darauf hin, dass erst das Christentum die „vollendete Religion“ sein soll, die Hegel als die dritte und letzte Abteilung seiner Vorlesungen über die Philosophie der Religion verhandelt, in der das hier noch nur über die Religion Gesagte für die Religion selbst wird.43 Dennoch beschränkt sich die hier genannte Gemeinde aber nicht nur auf das Christentum. Denn genau genommen sagt Hegel mit dem Zitierten, dass der Begriff der Gemeinde gerade nicht nur die christliche Religion, sondern alle bestimmten, deshalb aus dem Begriff des Absoluten zu entwickelnden Religionen als dessen Gemeinde einschließt, eben weil keine „subjektive Seite“ der Religion, i. e. keine „bestimmte Religion“ vom Begriff des Absoluten ausgeschlossen werden kann, weil sie ansonsten dem Absoluten als Endliches entgegengesetzt bliebe, was einer Verendlichung des Unendlichen gleichkäme.44 Was ist hieraus die Konsequenz? Natürlich soll das Entwickelte nach Hegel keinesfalls in einen bloßen Religionspluralismus führen, in dem jede Religion ebenso wahr oder unwahr ist wie die andere und in dem nun doch noch die Nacht aufzöge, in der alle Kühe schwarz sind. Vielmehr vertritt Hegel, wie Friedrich Hermanni gezeigt hat, einen kritischen Inklusivismus45, der unter der mit Luther geteilten Voraussetzung, dass Gott alles in allem wirkt (1 Kor 12,6)46, zwar keine bestimmte Form der Religion ausschließt, 42 Hegel, VPR 3, 33. Vgl. zudem in diesem Zusammenhang die besonders ausführliche Auseinandersetzung mit dem „Verhältnis von Endlichem und Unendlichem“ im „Begriff der Religion“ der Vorlesung von 1824 (Hegel, VPR 3, 193–214). 43 Vgl. Hegel, VPR 5. Vgl. hierzu auch Gunther Wenz, „Erhebung des Endlichen zum Unendlichen“, in: ders., Religion. Aspekte ihres Begriffs und ihrer Theorie in der Neuzeit (Studium Systematische Theologie Bd. 1), Göttingen 2005, 197–212, bes. 207. 44 Dieses Argument trifft u.E. auch Walter Jaeschkes Einschätzung: „Wenn der Begriff der ,vollendeten Religion‘ durch den ,Begriff der Religion‘ definiert ist, muß er nicht mehr durch das vollständige Durchschreiten der Religionsgeschichte garantiert werden.“ Vgl. Walter Jaeschke, „Einleitung“, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Die bestimmte Religion, Hamburg 1994 (= Einleitung), XIX. In der Tat bezieht Jaeschke hiermit nicht nur einen skeptischen Standpunkt gegenüber der Durchführbarkeit von Hegels Programm der bestimmten Religion, sondern stellt darüber hinaus in Frage, ob Hegels Programm selbst zwingend ist. 45 Vgl. Friedrich Hermanni, „Kritischer Inklusivismus. Hegels Begriff der Religion und seine Theorie der Religionen“, in: NZSTh 55 (2013), 136–160. 46 Vgl. Martin Luther, De servo arbitrio, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Ge-
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wohl aber argumentativ fundiert entscheiden kann, welcher Inhalt des Glaubens, aus welchem Grund heraus, als wahr und welcher als vorläufige Wahrheit zu gelten hat.
III. Die bestimmte Religion a) Begriff und Anspruch der bestimmten Religion Wir kehren zum bereits am Anfang unserer Überlegungen Gesagten zurück. Zu Beginn der bestimmten Religion des Manuskripts heißt es: „Daß der Begriff nicht von Anfang für sich herausgebildet ist, nicht unmittelbar, ist Natur des Begriffs“47. Die bestimmte Religion ist deshalb der „Weg zum Begriff [der Religion]“48, ohne den der Begriff nicht ist, was er ist. Nur hierüber wird der „erfüllte Begriff der Religion“49 gewonnen, wie die Vorlesung von 1827 sagt. Die bestimmte Religion ist also die Realisierung des Begriffs der Religion. Betrachtet werden kann sie aus zwei Perspektiven: Erstens ist sie Selbstbestimmung des Begriffs der Religion, d. h. „Entwicklung der Bestimmtheiten, in die er sich setzt“50, wie Hegel im Manuskript sagt. So betrachtet ist die bestimmte Religion Selbstbestimmung Gottes als absoluter Geist, in der Sphäre der Religion. Andererseits ist sie „das Werden des Begriffs“51, wie das Manuskript ebenfalls sagt, in der der „Geist“ allererst „seine wahrhaft unendliche Bestimmtheit“ erlangt, nämlich in „bestimmte[n] Stufen des Bewußtseins, des Wissens vom Geiste“52, wie es in der Vorlesung von 1827 heißt. Wie verhalten sich beide Perspektiven zueinander? Das Manuskript sagt hierzu, dass die „Auflösung“ der Bestimmtheiten des Begriffs und die „Rückkehr“ aus ihnen „eben der Begriff selbst [ist]“53. Das bedeutet, dass jene Erfüllung des Begriffs, gerade darin Erfüllung ist, dass sich der Begriff als Rückkehr aus jenen Bestimmtheiten begreift, in die er sich selbst setzt. Unmittelbar ist die Natur des Begriffs damit deshalb nicht, weil er gerade darin samtausgabe (Weimarer Ausgabe), Abt. 1, Bd. 18, Weimar 1908, 614. Zum Verhältnis von Luther und Hegel vgl. auch den Beitrag von Stephen Houlgate im vorliegenden Band. 47 Hegel, VPR 4, 2. 48 Ebd. 49 Hegel, VPR 4, 412. 50 Hegel, VPR 4, 1. 51 Hegel, VPR 4, 2. 52 Hegel, VPR 4, 414 f. 53 Hegel, VPR 4, 2.
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besteht, sich als Wahrheit jener Bestimmtheiten seiner selbst zu setzen. D. h. der Begriff setzt sich also deshalb in diese, weil er sich nicht unmittelbar als jene aus der Negation seiner Negationen gewonnene Identität denken kann. Was lässt sich damit für das Verhältnis der beiden Perspektiven konstatieren? Unmittelbar betrachtet ist die bestimmte Religion nur die Erhebung zur absoluten Religion, i. e. der Anfang von deren Werden. In Wahrheit betrachtet ist die bestimmte Religion für Hegel dagegen der durch den Begriff der Religion beschlossene Anfang seiner Selbstrealisierung, eben weil er als „erfüllter“ Begriff erst dann wirklich ist, wenn er sich dazu bestimmt, die Rückkehr aus bestimmten Bestimmungen zu sein, bzw. wenn jene Bestimmungen als seine Bestimmungen gedacht sind und er als deren Wahrheit gedacht ist. Nimmt man diesen Gedanken ernst, lassen sich bereits jetzt zwei wichtige Konsequenzen für Hegels Begriff der Vielfalt der Religionen festhalten: Erstens kommt sein Begriff der Vielfalt der Religionen einer Wertschätzung jeder einzelnen Bestimmtheit gleich, ohne dass sich sein Begriff von Religion deshalb im Ungefähren verliert und jede Religion gleich gut wie die andere ist. Zweitens nimmt diejenige Interpretation der bestimmten Religion Hegel selbst nicht ernst, die in der bestimmten Religion lediglich erkünstelte Anwendungen desjenigen Begriffs der Religion sieht, den Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion jeweils als erste Abteilung ihrer zweiten und dritten Abteilung voranstellen. Was heißt es nun aber konkret, die besonderen Gestalten der Religion ernst zu nehmen? Der Begriff ist nur dann „erfüllt“, indem er aus seinen Bestimmungen zurückkehrt, wenn diese Bestimmungen etwas an sich haben, was der abstrakte Begriff nicht bereits selbst an sich hat. Eine bestimmte Religion als bestimmter Begriff der Religion kann damit nicht nur darin bestimmt sein, dass an ihr bestimmt wird, was sie noch nicht für sich auf den Begriff gebracht hat, sondern ihre Bestimmtheit muss darüber hinaus darin bestehen, dass sie gerade in ihrer Defizienz etwas von dem zeigt, dessen Unerfülltsein sie ist. – Auf diesen Gedanken kommt sehr viel an. – Denn die einzelnen Gestalten der Religion bekommen damit darin Sinn, dass sie diejenigen bestimmten Formen des Begriffs der Religion erzeugen, als dessen Wahrheit der Begriff der Religion sich begreift und als deren Wahrheit er selbst erst bestimmt ist. Gelingen kann das jedoch freilich nur, wenn jene Bestimmtheiten zunächst einmal selbst gerade nicht als Bestimmtheiten für sich sind, sondern sich selbst als absolute Religion begreifen, hierin scheitern und eben hierin Bestimmungen erzeugen, aus deren Rückkehr der Begriff der Religion dadurch seine Erfüllung und seine Konkretheit gewinnt, dass er sich als deren Wahrheit begreift.
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Wie geht hiermit nun aber der Gedanke zusammen, dass es der Begriff der Religion selbst ist, der sich in seine Bestimmtheiten setzt, bzw., wie das Straußexzerpt von 1831 zu Beginn der bestimmten Religion betont, dass die „Arten“ der Religion „nicht empirisch aufgenommen“ werden dürfen, sondern „aus dem Allgemeinen hergeleitet werden“54 müssen? Wir werden auf diese Frage gleich ausführlicher eingehen. – Zunächst einmal sei aber festgehalten, dass sich bereits mit dem bislang Entwickelten zeigt, dass zwei elementare Probleme, in deren Auseinandersetzung sich Hegels Philosophie des Absoluten entwickelt, auch in der Philosophie der Religion virulent sind: Ebenso wie das Absolute erstens nicht nur die Nacht sein kann, in der alle Kühe schwarz sind, weil es nur darin gedacht ist, dass es die Wahrheit des in ihm aufgehobenen Endlichen ist, genau so soll der Begriff der Religion nicht nur die für sich selbst fertige Wahrheit sein, die in der bestimmten Religion allenfalls noch illustriert wird. Und ebenso wie das Absolute zweitens nicht nur das Resultat sein darf, das sich in der Aufhebung alles Endlichen in es hinein ergibt, sondern zudem die Genese jener in es aufgehobenen Bestimmungen erzeugen muss, genau so darf der Begriff der Religion auch nicht einfach nur Arten der Religion empirisch aufsammeln und sich diesen aufdrücken, sondern vielmehr muss auch der Begriff der Religion „aus dem Allgemeinem“ seine Besonderungen erhalten und für sich erzeugen. Das ist der Anspruch der „bestimmten Religion“ als zweiter Abteilung der Vorlesungen über die Philosophie der Religion.
b) Die Einlösung des Anspruchs der bestimmten Religion Wie wird dieser Anspruch von Hegel eingelöst? Das Straußexzerpt von 1831sagt es mit einem Satz: „Die Religion hat ihre Realität im Bewußtsein.“55 Das bedeutet, dass der Begriff der Religion sich darin in seine Bestimmtheiten setzt, dass es überhaupt Formen und Stufen des Bewusstseins gibt, in denen der Geist qua Religion zunehmend für sich wird. Die Genese des Bewusstseins überhaupt leistet die Philosophie der Religion freilich nicht aus sich, sondern das hängt letztlich am mit Hegels Philosophie des Absoluten entwickelten Verhältnis von Geist und Idee.56 Was die Religionsphilosophie aber leistet, bzw. ihrem Anspruch nach leisten will, ist, jene Formen und Stufen des Bewusstseins zu bestimmen, in denen sich der Begriff der Reli Hegel, VPR 4, 611. Ebd. 56 Vgl. Burkhard Nonnenmacher, Hegels Philosophie des Absoluten. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ und reifem System, Tübingen 2013, bes. 87 f. 54 55
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gion realisiert, und zwar das als bestimmende Urteilskraft und nicht nur als reflektierende Urteilskraft. Welchem Prinzip folgt sie dabei? Dieser Frage sei im Folgenden etwas ausführlicher nachgegangen. Der einfache Begriff der Religion besteht, wie die Vorlesung von 1824 im „Begriff der Religion“ ausführt, darin, dass sie „Selbstbewußtsein des absoluten Geistes“ ist.57 Diese Aussage unterscheidet zwischen dem Gegenstand der Religion und demjenigen, für den er Gegenstand ist und setzt diesen Unterschied als aufgehobenen Unterschied. Das Manuskript sagt deshalb: „Der Begriff Gottes ist seine Idee, sich selbst objektiv zu werden und zu machen. Dies ist in Gott als Geist enthalten.“58 Denn als Geist ist Gott für-sich-seiender Gott, weil Geist „nur Geist“ ist, „sofern er für den Geist ist“, wie es in der Vorlesung von 1827 im Begriff der Religion heißt.59 Das kann der Geist aber nur sein, indem er sich selbst als Wissenden und Gewussten unterscheidet, um hierin für sich zu setzen, dass er weder nur Gewusstes noch nur Wissendes ist. Wie entwickelt Hegel hieraus die bestimmte Religion? Wenn Gott Geist ist, dann sind an‑ und für-sich betrachtet, wie bereits das Manuskript deutlich macht, „der Gegenstand IN der Religion“ und das „Bewußtsein“, das sich „zu ihm verhält“60, nicht von einander zu trennen. Denn wenn Gott Geist ist, als Geist für den Geist sein muss und als absoluter Geist nur für sich sein kann, dann sind an ihm „die objektive und subjektive Seite“ nur als „Momente“ zu unterscheiden, niemals aber „getrennt“61. Die bestimmte Religion besteht nun darin, dass dieser Begriff der Religion, dass Gott Geist ist und sie Selbstbewusstsein des absoluten Geistes, „sich selbst konkret macht“62, indem er sich als die Rückkehr aus seinen Bestimmtheiten begreift. Was aber sind diese Bestimmtheiten? Beginnt die bestimmte Religion dort, wo das Moment des Wissens vom Moment des Gewussten getrennt wird? Besteht das Prinzip der Selbstbestimmung des Begriffs der Religion damit darin, dass die „objektive und subjektive Seite getrennt“ gesetzt werden?63 Und wenn ja, besteht der Anfang der bestimmten Religion damit darin, dass
Hegel, VPR 3, 227. Hegel, VPR 3, 96. 59 Hegel, VPR 3, 279. Vgl. entsprechend § 564 der Enzyklopädie von 1830: „der Geist ist nur Geist, insofern er für den Geist ist“ (Hegel, GW 20, 549). 60 Hegel, VPR 3, 95. 61 Ebd. 62 Hegel, VPR 3, 227. 63 Vgl. Hegel, VPR 3, 95. 57 58
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entweder für den Gegenstand der Religion das Wissen von ihm unwesentlich wird, oder dass umkehrt das Wissen von Gott selbst verabsolutiert wird? Die erste Abstraktion macht Hegel im Manuskript der „theologia naturalis“ zum Vorwurf 64, die zweite seinem „Zeitalter“65, das alle Aufhebung einer Trennung des endlichen Wissens von Gott im Bekenntnis zu einem zum Dogmatismus erhobenen Skeptizismus für unmöglich erklärt und hierin allen „Kultus vernichtet“.66 Allerdings ist das Setzen dieser Trennungen für Hegel bereits eine Errungenschaft. Dennoch gilt für Hegel aber in der Tat, dass der Anfang der Religion dieses Trennen von Gott und Bewusstsein ist, sodass „der Geist ganz in seiner unbestimmten Allgemeinheit, für den durchaus kein Unterschied ist“ noch nicht Religion ist, weshalb gilt: „erst mit dem Unterschied fängt Religion als solche an.“67 Der Anfang der bestimmten Religion, bzw. des realisierten Begriffs der Religion besteht der Vorlesung von 1827 zufolge deshalb darin, dass „[d]er Begriff urteilt, d. h. der Begriff, das Allgemeine, geht in Urteil, Diremtion, Scheidung über. […] Hier erst haben wir zwei, Gott und das Bewußtsein, für das er ist.“68 Am Ende des „Begriffs der Religion“ in der Vorlesung von 1827 sagt Hegel zudem: Dieses „Urteil“ des „an und für sich Allgemeinen“ ist „die Erschaffung, ist das Sichbesondern, dies Unterscheiden des besonderen Geistes gegen den absoluten Geist.“69 Was ist damit für die Frage nach dem Anfang und dem Prinzip der bestimmten Religion gewonnen? Die Scheidung von objektivem und subjektivem Moment denkt Hegel begriffslogisch als Selbstbesonderung des Allgemeinen. Indem ein besonderer Geist erschaffen ist, ist das endliche Bewusstsein als die subjektive Seite erschaffen, die dem objektiven Moment gegenübergestellt ist, das ihm das Allgemeine ist. Das ist der Ausgangspunkt der bestimmten Religion und ihre Entwicklung ist eine Geschichte des SichHegel, VPR 3, 95 f.; 99 f. hierzu im Manuskript: „Dies ist vornehmlich die Stellung und Betrachtungsweise unserer Zeiten“ (Hegel, VPR 3, 100). 66 Hegel, VPR 3, 101. In der Vorlesung von 1824 heißt es, wie bereits oben zitiert, entsprechend: „[So] hat sich ihr [der theologia rationalis; B. N.] Begriff von Gott auf das dürre Resultat eines abstrakten Verstandeswesens beschränkt, und sofern Gott als Verstandeswesen gefaßt wird, so wird er nicht als Geist gefaßt; sofern er aber als Geist gefaßt wird, so schließt dieser Begriff die subjektive Seite in sich, die in der Bestimmung der Religion zu diesem Inhalt hinzukommt“ (Hegel, VPR 3, 33). 67 Hegel, VPR 3, 277. Zur Frage, inwiefern Hegel dennoch sagen kann, dass die unbestimmte Allgemeinheit als „substantielle Einheit“ (vgl. Hegel, VPR 3, 87) das erste Moment im Begriff der Religion ist, s. u. 68 Hegel, VPR 3, 278. 69 Hegel, VPR 3, 336 f. 64 Vgl. 65 Vgl.
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bestimmens dieses Verhältnisses. Doch was ist der Anfang dieser Geschichte, i. e. die erste, unmittelbarste Form dieses Unterschieds und wie entwickelt sie sich? Hegels Beantwortung dieser Frage erfolgt – äußerlich und vorläufig betrachtet – auf zwei weiteren großen Ebenen, die im Folgenden an der Vorlesung von 1827 orientiert dargestellt werden sollen. Die erste Ebene besteht in der Vorlesung von 1827 in folgender dreigliedrigen Unterteilung der bestimmten Religion: „A. Die unmittelbare Religion oder Naturreligion“70, „B. Die Religion der Schönheit und Erhabenheit“71 und „C. Die Religion der Zweckmäßigkeit. Die Religion der Römer“72 (im Folgenden = A, B, C). Die zweite Ebene ist die Unterscheidung der drei Momente des Begriffs der Religion auf der Ebene der bestimmten Religion selbst. Entscheidend ist nun die Frage, wie sich beide Ebenen zueinander verhalten. Die Vorlesung von 1827 benennt die Elemente des Begriffs der Religion a) als „substantielle Einheit“73 des Allgemeinen, i. e. das Allgemeine, das sich noch nicht unterschieden hat, b) als „das Auseinandertreten dieser Einheit“74 in die Entgegensetzung von Allgemeinem und Besonderem und c) als „die Aufhebung dieses Gegensatzes des Subjektiven und Gottes“75. Das dritte Moment wird dabei als „das praktische Verhältnis“76 des besonderen Geistes zu Gott verstanden, in dem der besondere Geist seine Entgegensetzung zum absoluten Geist im „Kultus“77 aufhebt, weil er begreift: „Ich habe nicht nur den Gegenstand zu wissen, erfüllt zu sein, sondern mich als erfüllt von diesem Gegenstand zu wissen, ihn als in mir und ebenso mich als in diesem Gegenstand, der die Wahrheit ist, und also mich in der Wahrheit zu wissen.“78
Dem voraus geht das zweite Moment der Entgegensetzung als „theoretisches Verhältnis“79 des besonderen Geistes zu Gott, in dem sich der besondere Geist als Ich vom Gegenstand unterscheidet, auch wenn er begreift, dass jene „Erhebung des Menschen zu Gott“, d. h. „das Bewußtsein, das sich Gottes, des Geistes, bewußt ist“, zugleich gedacht werden muss als „der Geist, der sich im Bewußtsein realisiert“.80 Hegel, VPR 4, 419–532. Hegel, VPR 4, 532–579. 72 Hegel, VPR 4, 579–591. 73 Hegel, VPR 3, 87. 74 Ebd. 75 Hegel, VPR 3, 88. 76 Hegel, VPR 3, 330. 77 Hegel, VPR 3, 88. 78 Hegel, VPR 3, 330. 79 Ebd. 80 Hegel, VPR 3, 87. 70 71
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Wie sieht es aber mit dem ersten Moment aus? Kann es dieses Moment überhaupt in der bestimmten Religion geben, wenn doch gelten soll, dass sie erst mit dem Unterschied anfängt, wie die Vorlesung von 1827 ausdrücklich sagt, wie oben herausgestellt?81 Sehr klärend ist in diesem Zusammenhang eine Stelle aus der Vorlesung von 1824, an der Hegel denselben Inhalt erläuternd sagt: „In das Unterscheiden fallen, wie gesagt, beide Momente, die substantielle Einheit und das Unterscheiden. Jene substantielle Einheit ist demnach eine Seite des Verhältnisses, denn Gott ist nur als Geist; er ist wesentlich für ein Anderes und seinem Anderen zu erscheinen.“82
Die Entgegensetzung ist damit der Anfang. Nur kann sie eben in unterschiedlicher Bestimmtheit und Deutlichkeit auftreten.83 Die Gliederung der Ebenen A, B, C orientiert sich, wie unschwer zu erkennen ist, an diesem Gedanken. Die reflektierte Entgegensetzung ist dabei bereits eine Errungenschaft. Zu Beginn der unmittelbaren Religion der Vorlesung von 1827 sagt Hegel deshalb schon auf die den Naturreligionen folgenden Religionen hinausblickend: „Der Mensch ist wesentlich Geist, und der Geist ist wesentlich dies, für sich zu sein, frei zu sein, das Natürliche sich gegenüberzustellen, sich aus dem Versenktsein in die Natur herauszuziehen, sich mit ihr zu entzweien und erst durch und aus dieser Entzweiung sich erst mit der Natur zu versöhnen, und nicht nur mit der Natur, sondern ebenso mit seinem Wesen, mit seiner Wahrheit, auch diese sich gegenständlich zu machen, sie sich gegenüberzustellen, sich mit ihr zu entzweien und dadurch zu versöhnen. Diese durch die Entzweiung hervorgebrachte Einigkeit ist erst die geistige, wahre Einigkeit, die aus der Versöhnung hervorkommt; das ist nicht die Einheit der Natur. Der Stein, die Pflanze ist unmittelbar in dieser Einheit, aber in einer Einigkeit, die keine des Geistes würdige Einheit, nicht Einigkeit des Geistes ist. Die geistige Einheit kommt aus dem Entzweitsein hervor.“84 81 Vgl. hierzu abermals die Aussage Hegels auf VPR 3, 277, dass „der Geist ganz in seiner unbestimmten Allgemeinheit, für den durchaus kein Unterschied ist“ noch nicht Religion ist, sondern nur „[d]as erste in dem Begriff der Religion“, während im Blick auf die Religion selbst gilt: „erst mit dem Unterschied fängt Religion als solche an.“ 82 Hegel, VPR 3, 229 f. 83 Dem entspricht, dass der Begriff des wahrhaft Unendlichen mit der Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem beginnt. Freilich kann diese Entgegensetzung dergestalt unmittelbar sein, dass die mit ihr virulente Problematik noch gar nicht gesetzt ist, weil am „Schlecht-Unendliche[n]“ noch gar nicht gesetzt ist, dass hiermit prima facie zwei Endliche gesetzt sind (vgl. Hegel, GW 21, 127). Entsprechend spricht die Wesenslogik von der „abstracte[n] Identität“, die noch nicht als aufgehobener, auf sich selbst bezogener Unterschied reflektiert ist (vgl. Hegel, GW 11, 260), bzw. die Begriffslogik vom dem Besonderen entgegengesetzten, hierin selbst zum Besonderen werdenden Allgemeinen, das sie als das „Abstract-Allgemeine“ bezeichnet (vgl. Hegel, GW 12, 39 f.). 84 Hegel, VPR 4, 423.
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Wir zitieren diese Aussage deshalb so ausführlich, weil sie auch deutlich macht, dass die Entgegensetzung von absolutem Geist und besonderem Geist in der bestimmten Religion nicht unmittelbar gewonnen wird, sondern darin, dass sich der in die Natur versenkte Geist der Natur als Geist entgegensetzt und immer präziser entgegenzusetzen lernt. Die „allgemeine Bestimmung“ der „Religion der Schönheit und Erhabenheit“ besteht der Vorlesung von 1827 zufolge deshalb darin, „daß jetzt das Subjekt Geist ist“ und „daß das Natürliche, Endliche nur Zeichen des Geistes sei, nur dienend seiner Manifestation“.85 Sowohl die Religion der Schönheit als auch die Religion der Erhabenheit, in denen Hegel die „griechische Religion“ und die „jüdische Religion“ auf den Begriff gebracht sieht, denken dieses Verhältnis. Bereits in der Religion der Schönheit wird „das Natürliche nur Zeichen, Moment des Geistigen“86. Gleichwohl ist die Religion der Erhabenheit hierzu noch eine Steigerung. Der Grund dafür ist, dass nach Hegel erst die Erhabenheit diejenige Religion ist, „in der das Andere nur [noch] ein Ideelles ist“, wohingegen die Schönheit noch „behaftet und getrübt von dem Äußerlichen“87 ist, weil in ihr das Endliche als Zeichen des Unendlichen noch „nicht gereinigt von der Äußerlichkeit, Sinnlichkeit“88 ist. Ein kurzer Verweis auf Kants Begriff des Erhabenen in der Kritik der Urteilskraft, an die Hegels Einteilung der bestimmten Religion in B und C erinnert, muss hier zur Erläuterung dieser Unterscheidung genügen. Kant denkt das Erhabene im Unterschied zum Schönen als indirekte Darstellung. Hier wird nicht das Allgemeine im Besonderen angeschaut. Vielmehr wird hier etwas dadurch dargestellt, dass die Vergegenwärtigung seiner Nichtdarstellbarkeit selbst als Darstellung verstanden wird. In der „Analytik des Erhabenen“ sagt Kant deshalb: „[D]enn das eigentliche Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft: welche, obgleich keine ihnen angemessene Darstellung möglich ist, eben durch diese Unangemessenheit, welche sich sinnlich darstellen läßt, rege gemacht und ins Gemüth gerufen werden.“89
Hegel scheint uns in den zuletzt zitierten Stellen exakt diesen Punkt aufzugreifen, nämlich das in dem Gedanken, dass der Zeichencharakter der Natur dann noch einmal gesteigert wird, wenn das Zeichen nicht mehr selbst noch etwas von dem an sich hat, was durch es bezeichnet wird, sondern nur Hegel, VPR 4, 533. Hegel, VPR 4, 534. 87 Ebd. 88 Ebd. 89 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1902 ff., Bd. 5, 245. 85 86
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noch darin Zeichen ist, dass es selbst in seiner Insuffizienz, i. e. als bloßes Moment, reflektiert wird. Eben deshalb sagt Hegel, dass die Religion der Erhabenheit, diejenige „Form“ ist, „die dem Inhalt angemessener ist als das Sinnliche“.90 Auf die Frage, worin dann die Defizienz der Religion der Erhabenheit besteht, kann hier ebenso wenig eingegangen werden wie auf die Frage, inwiefern die „Religion der Zweckmäßigkeit“, unter der Hegel die „römische Religion“ auf den Begriff gebracht sieht, als „Vereinigung der Religionen der Schönheit und der Erhabenheit“91 zu verstehen ist. Denn mit dem zuletzt Gesagten ging es zunächst einmal nur darum, herauszustellen, dass Hegel das Moment der Entgegensetzung bereits auf der ersten Unterscheidungsebene, also der Unterscheidung von A, B, C zum Prinzip seiner Unterscheidungen macht, – nämlich das erstens, indem er innerhalb von B die Religion der Schönheit und der Erhabenheit darin unterscheidet, wie in ihnen die Entgegensetzung als Entgegensetzung von Natur und Geist gesetzt ist, und das zweitens, indem er B von A dadurch abgrenzt, dass erst in B die Natur als bloße Manifestation des Geistes bestimmt ist und ihm hierin, aber auch nur hierin, entgegengesetzt wird. Ein wichtiger weiterer Punkt besteht nun darin, dass Hegel aber auch die Naturreligionen bereits dadurch unterscheidet, wie Natur und Geist in ihnen entgegensetzt sind, bzw. wie in ihnen jene Entgegensetzung noch nicht als aufzuhebender Unterschied für sich ist. Zu Beginn von „A. Die unmittelbare Religion oder Naturreligion“ sagt Hegel das in aller Deutlichkeit: „Auch in der schlechtesten Religion ist dem Menschen als Menschen das Geistige doch immer höher als das Natürliche; die Sonne ist ihnen nicht höher als ein Geistiges. Naturreligion ist also nicht Religion, in der äußerliche, physische Gegenstände für Gott gehalten und als Gott verehrt werden, sondern dies, daß dem Menschen das Geistige wohl das Höchste ist, aber das Geistige zunächst in seiner unmittelbaren, natürlichen Weise.“92
Hiermit ist deutlich, dass das Verhältnis von Natur und Geist, in dessen Reflexion Hegel das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem, auf das die gesamte Religionsphilosophie hinausläuft, beginnen lässt, je schon virulent ist und keinesfalls erst auf der Hauptebene A, B, C im Übergang von A zu B virulent wird. Mehr noch: Auf jeder der Ebenen ist schon eine Trennung von Allgemeinem und Besonderem als aufgehoben gesetzt, sodass jede Religion letztlich darin bestimmt ist, welche Entgegensetzung von Allgemeinem und Besonderem sie als aufgehobenen, bzw. aufzuhebenden Unterschied setzt, ohne dass das freilich ausschließt, dass hierin komplexere Formen der Ent Hegel, VPR 4, 534. Hegel, VPR 4, 579. 92 Hegel, VPR 4, 428 f. 90 91
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zweiung noch nicht präsent sind und folglich auch nicht der Gedanke der Aufhebung der entsprechenden komplexeren Aufhebung jener Entzweiungen, durch die hindurch dann allererst diejenige „Einigkeit“93 entfaltet wird, die den „erfüllten“ Begriff der Religion ausmacht. Dieser Punkt scheint uns sehr wichtig zu sein, gerade auch im Blick auf Hegels allgemeine Bestimmung der „Formen der Naturreligionen“94 zu Beginn von „A. Die unmittelbare Religion oder Naturreligion“. Freilich sagt Hegel hier erst über die „vierte Form“, dass sie „die beginnende Trennung von dem unmittelbaren Individuum [ist], die beginnende Entzweiung, Objektivierung dessen, was als das Höchste gewußt wird.“95 Das darf aber nicht vergessen machen, dass Hegels Aussage „Die erste, natürliche Weise ist der Mensch, dieser existierende Mensch.“96 direkt auf die oben zitierte Aussage folgt, dass dem Menschen „[a]uch in der schlechtesten Religion […] das Geistige doch immer höher als das Natürliche [ist]“97. Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass jene erste Form notwendig für sich als eine aufgehoben gesetzte Entgegensetzung von Allgemeinem und Besonderem präsent sein muss. Wohl ist ihr aber deshalb dennoch nicht das Natürliche als Natürliches das Geistige und Höchste. Auch jene erste Form denkt damit also weder ausschließlich Natürliches noch ausschließlich Geistiges. Nämlich Ersteres aufgrund der von Hegel gemachten Voraussetzung, dass Religion nie nur Natürliches verehrt; und Letzteres, weil sie in ihrem existierenden Menschen schlicht nicht nur Geistiges hat. Halten wir vor diesem Hintergrund Folgendes fest: Mit dem zuletzt Skizzierten ist deutlich, dass Hegel die Unterscheidung der drei Momente des Begriffs der Religion nicht nur auf Ebene A, B, C in Anschlag bringt, sondern auch schon zum Bestimmungsprinzip innerhalb von A macht. Hieraus ergibt sich die wichtige Frage, wie das Verhältnis der oben prima facie unterschiedenen ersten und zweiten Ebene zu bestimmen ist, also z. B. das Verhältnis von (A, B, C) zu (A a, b, c, d)? Bringt Hegel nur innerhalb der Naturreligion (= A) Elemente der Hauptebene (= A, B, C) wiederholend in Anschlag, oder gewinnt er vielmehr aus der Anwendung der Momente des Begriffs sowohl die Bestimmtheiten innerhalb von A, B und C als auch deren generelle Differenz? Freilich soll Letzteres der Fall sein. Das wird schon daraus deutlich, dass Stufe B in der Entwicklung von Stufe A genetisiert werden soll, i. e. in den Hegel, VPR 4, 423. Hegel, VPR 4, 428–433. 95 Hegel, VPR 4, 432. 96 Hegel, VPR 4, 429. 97 Hegel, VPR 4, 428. 93 94
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„Religionen des Übergangs“98 von A zu B. Zu fragen ist jedoch freilich, ob Hegel diesen Anspruch tatsächlich einlösen kann, d. h. ob der „Begriff“ tatsächlich jene in der bestimmten Religion verhandelten Religionen aus sich heraus bestimmen kann, oder ob er nicht diese lediglich aufgreift, um dann ausschließlich zu reflektieren, inwieweit sie den Begriff der Religion durchdringen. Friedrich Hermanni99 und Friedrike Schick100 haben hierzu wegweisende, Walter Jaeschkes Position101 argumentativ untergrabende Vorschläge unterbreitet. Ziel dieses Beitrags ist es nicht, einen weiteren Beitrag zu dieser Debatte zu leisten. Stattdessen sollte hier nur auf einen Punkt aufmerksam gemacht werden, nämlich darauf, wie viel für Hegels Begriff des Absoluten von der Frage abhängt, ob sich der Begriff der Religion selbst bestimmen kann oder nicht. Unter der Voraussetzung, dass Gott „nicht neidisch“ ist und sich dem Menschen als das, was er ist, zu erkennen gibt,102 kommt diese Frage der Frage gleich, ob Hegels Position Gott, oder einen bloßen Demiurgen entfaltet, der lediglich die bereits existierende Materie ordnet. Wirklich ernst kann es dann nicht mehr mit dem Gedanken sein, dass sich der Begriff tatsächlich erst in der Rückkehr aus seiner Selbstbestimmung erfüllt. Denn wenn das Absolute seine Selbstbestimmung im von Hegel behaupteten Sinne noch nicht einmal mehr selbst leisten kann, dann gibt es notwendig ein Endliches, das ihm entgegengesetzt bleibt. Welchen Sinn hat es dann aber noch darüber nachzudenken, inwiefern das Eingeschlossensein des Endlichen im Unendlichen gerade darin gedacht werden kann, dass der Begriff allererst als die Rückkehr aus seiner freien Selbstbestimmung erfüllt wird? Freilich sollen Zweifel an Hegels Position hiermit nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden. Hegel theologisch und philosophisch ernst zu nehmen, bedeutet jedoch, dass die zuvor verhandelten Konsequenzen, die sich aus Hegels Philosophie des Absoluten für seine Philosophie der Religion zwingend ergeben, nicht unberücksichtigt bleiben können, wenn man Zweifel an seiner Philosophie der Religion anzumelden versucht. Denn im zuvor Entwickelten hat sich gezeigt: Wer weder bezweifeln möchte, dass Vgl. Hegel, VPR 4, 504–532. Vgl. Friedrich Hermanni, „Kritischer Inklusivismus. Hegels Begriff der Religion und seine Theorie der Religionen“, in: NZSTh 55 (2013), 136–160. Vgl. zudem den Beitrag von Friedrich Hermanni im vorliegenden Band. 100 Vgl. Friedrike Schick, „Zur Logik der Formen bestimmter Religion in Hegels Manuskript zur Religionsphilosophie von 1821“, in: NZSTh 55 (2013), 407–436. 101 Vgl. Fußnote 44. 102 Vgl. bes. Hegel, GW 20, 549. 98 99
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Gott alles in allem wirkt,103 noch ignorieren will, dass laut Hegel die Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem letztlich allein begriffslogisch aufgehoben werden können soll, der muss auch Hegels Begriff des Absoluten diskutieren, wenn er die Reichweite von Hegels Philosophie der bestimmten Religion diskutieren will.104 Auch das macht Hegels Philosophie der Religion zu einer bleibenden Herausforderung.
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2. Literatur Danz, Christian, „Von der Vernunftreligion zur spekulativen Religionsgeschichte. Anmerkungen zu Schellings später Religionsphilosophie im Kontext der Hegel-Schule“, in: ders. (Hg.), Schelling und die historische Theologie des 19. Jahrhunderts, Tübingen 2013, 233–253.
103
Vgl. hierzu auch Friedrich Hermanni, „Luther oder Erasmus?“, in: ders. / Peter Koslowski (Hgg.), Der freie und der unfreie Wille. Philosophische und theologische Perspektiven, München 2004, 165–187. 104 Vgl. hierzu auch den in genau diesem Sinne absolut konsequenten Beitrag von Martin Wendte im vorliegenden Band. Ausführlicher zu diskutieren wäre allerdings noch, wie genau gezeigt werden können soll, dass – entgegen Hegels Argumentation – der Begriff nicht die Wahrheit des Wesens sein kann.
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Hermanni, Friedrich, „Luther oder Erasmus?“, in: ders. / Peter Koslowski (Hgg.), Der freie und der unfreie Wille. Philosophische und theologische Perspektiven, München 2004, 165–187. Hermanni, Friedrich, Metaphysik. Versuche über letzte Fragen, Tübingen 2011. Hermanni, Friedrich, „Kritischer Inklusivismus. Hegels Begriff der Religion und seine Theorie der Religionen“, in: NZSTh 55 (2013), 136–160. Hutter, Axel, „Die Verwandtschaft von Philosophie und Religion. Erinnerung an ein verdrängtes Sachproblem“, in: NZSTh 52 (2010), 113–131. Jaeschke, Walter, „Einleitung“, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Die bestimmte Religion, Hamburg 1994, XI–XXXV. Nonnenmacher, Burkhard, Hegels Philosophie des Absoluten. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ und reifem System, Tübingen 2013. Rohls, Jan, Gott, Trinität und Geist. Ideen des Christentums Band III/1–2, Tübingen 2014. Schick, Friedrike, „Zur Logik der Formen bestimmter Religion in Hegels Manuskript zur Religionsphilosophie von 1821“, in: NZSTh 55 (2013), 407–436. Wenz, Gunther, Religion. Aspekte ihres Begriffs und ihrer Theorie in der Neuzeit (Studium Systematische Theologie Bd. 1), Göttingen 2005.
Arbeit am Göttlichen Hegel über die Evolution des religiösen Bewusstseins Friedrich Hermanni Lessings Erziehung des Menschengeschlechts ist die Geburt der Religionsphilosophie aus dem Geiste der Theodizee. In den positiven Religionen möchte Lessing lieber den Weg sehen, auf dem sich der menschliche Geist entwickelte, als über die Religionen zu „lächeln“ oder zu „zürnen“. „Diesen unsern Hohn“, schreibt er, „diesen unsern Unwillen, verdiente in der besten Welt nichts: und nur die Religionen sollten ihn verdienen? Gott hätte seine Hand bei allem im Spiele: nur bei unsern Irrtümern nicht?“1 Für Lessing ist seine Erziehungsschrift freilich nur ein „Fingerzeig“2, d. h. ein „Keim […], aus welchem sich die noch zurückgehaltne Wahrheit entwickeln läßt.“3 Als Entwicklung dieses Keims dürfen Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion gelten, die sich auch selbst in die Linie der Erziehungsschrift Lessings stellen.4 In ihnen entfaltet Hegel eine umfassende Philosophie der positiven Religionen und ihrer Geschichte, die darauf zielt, „den Sinn, das POSITIVE, Wahre und Zusammenhang mit Wahrem – kurz, das Vernünftige darin zu erkennen“ und sich zugleich mit dem Irrigen und Unvernünftigen zu „versöhnen“.5 Hegel bezeichnet diese Philosophie deshalb programmatisch als „Theodizee“.6
1 Gotthold Ephraim Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, in: ders., Werke und Briefe in zwölf Bänden, hrsg. von Wilfried Barner, Bd. 10: Werke 1778–1781, hrsg. von Arno Schilson/Axel Schmitt, Frankfurt/M 2001, 73–99, hier: 74 (Vorbericht des Herausgebers). 2 Ebd., 74. 3 Ebd., 87 (§ 46). 4 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 3–5: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1–3, hrsg. von Walter Jaeschke, Hamburg 1983–1985 (= VPR 3–5), hier: VPR 3, 60, 91 Fußnote; VPR 4, 1 Fußnote, 143. 5 VPR 3, 107 f. 6 VPR 3, 60.
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Die folgenden Überlegungen beschränken sich dabei auf Hegels Philosophie der bestimmten, d. h. der außerchristlichen Religionen und gehen in zwei Schritten vor. Während der erste Schritt den Zusammenhang rekonstruiert, der nach Hegel zwischen dem Begriff der Religion und den bestimmten Religionen besteht, befasst sich der zweite Schritt mit den allgemeinen Formen der bestimmten Religionen und einigen ihrer Gestalten.
I. Der Begriff der Religion und die bestimmten Religionen 1. Das Enthalten-Sein der Religionen im Begriff Nach Hegel steht der Begriff der Religion zu den besonderen Religionen in einem Verhältnis, das sich von dem vertrauten Verhältnis zwischen Begriffen und ihren Realisierungen unterscheidet. In der Regel enthalten Begriffe das Besondere, auf das sie zutreffen, nicht in sich, sondern bloß unter sich. Im Fall des Begriffs der Religion dagegen, den Hegel im ersten Teil seiner Vorlesungen über die Philosophie der Religion entwickelt, verhält es sich umgekehrt: Die besonderen Religionen sind ihm nicht untergeordnet, sondern auf bestimmte Weise in ihm enthalten.7 Dieser Begriff gehört deshalb nicht zu jenem Typ von Begriffen, den Kant offenbar für den einzig möglichen hielt. Denn ansonsten hätte er nicht schließen dürfen, dass Raum und Zeit, weil sie die besonderen Räume und Zeiten nicht unter sich, sondern als Teile und Ausschnitte in sich enthalten, nur Anschauungen, keine Begriffe sein können.8 Hegels Begriff der Religion ist kein abstrakter Begriff, der von den spezifischen Differenzen zwischen den Religionen absieht, nur ihre gemeinsame Grundstruktur heraushebt und zu dem diese Religionen deshalb in einem bloßen Subsumtionsverhältnis stehen. Vielmehr ist er ein konkreter Begriff, weil er die besonderen Religionen in sich schließt – wenn auch nicht als Teile oder Ausschnitte – und sie aus sich heraussetzt. Der Status, der dem Begriff der Religion innerhalb der Philosophie zukommt, unterscheidet sich deshalb nach Hegel von dem Status allgemeiner Begriffe in den Einzelwissenschaften.9 Begriffe wie Natur oder Recht, die 7
Vgl. VPR 3, 83 f. Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, neu hrsg. von Raymund Schmidt, Hamburg 1976, B 40, B 47 f.; an späterer Stelle entdeckt Kant freilich mit der omnitudo realitatis einen Begriff anderen Typs. Denn die „Vorstellung des Inbegriffs aller Realität“ ist nach Kant „nicht bloß ein Begriff, der alle Prädikate ihrem transzendentalen Inhalte nach unter sich, sondern der sie in sich begreift […].“, ebd., B 605. 9 Vgl. VPR 3, 83 f.; VPR 4, 411 Fußnote, 611. 8
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den entsprechenden Einzelwissenschaften vorangeschickt werden, grenzen zwar den Gegenstandsbereich dieser Wissenschaften ab, sie haben aber auf ihren besonderen Inhalt keinen weiteren Einfluss. Aus dem Begriff der Religion hingegen, mit dem die Religionsphilosophie beginnt, folgen nach Hegel auf eine näher zu bestimmende Weise die besonderen Religionen. In der Einleitung seiner Vorlesung von 1827 vergleicht Hegel den Begriff der Religion deshalb mit einem „Keim, aus dem sich der ganze Baum entfaltet. In dem Keim sind alle Bestimmungen enthalten, die ganze Natur des Baumes, die Art seiner Säfte, Verzweigung usf., aber nicht präformiert, so daß, wenn man ein Mikroskop nimmt, man die Zweige, Blätter im kleinen sähe, sondern eingehüllt auf geistige Weise.“10
2. Der Begriff der Religion Worin besteht nun der Begriff der Religion, der die besonderen Religionen in sich enthalten und aus sich heraussetzen soll? Dieser Begriff lässt sich aus einem vorläufigen, vergleichsweise unproblematischen Religionsbegriff gewinnen, der Religion als endliches Bewusstsein des Unendlichen bestimmt. Die beiden Seiten dieses Vorbegriffs, das endliche Bewusstsein und das Unendliche als Bewusstseinsinhalt, stehen offenbar in einem doppelten Verhältnis. Einerseits bezieht sich das Bewusstsein auf etwas, so dass ein Unterschied zwischen ihm selbst und seinem Inhalt besteht. Andererseits aber wird durch das Unendliche als Bewusstseinsinhalt gerade ausgeschlossen, dass ihm das Bewusstsein als Anderes gegenübersteht. Denn anderenfalls hätte das Unendliche am endlichen Bewusstsein seine Grenze und wäre in Wahrheit gar nicht unendlich, sondern ebenso endlich wie das Bewusstsein von ihm. Erstaunlicherweise ist das Unendliche demnach vom endlichen Bewusstsein des Unendlichen sowohl unterschieden als auch nicht unterschieden. Auf welche Weise ist beides gleichermaßen möglich? Wie muss das Unendliche gedacht werden, das dieses doppelte, scheinbar paradoxe Verhältnis zum endlichen Bewusstsein von ihm unterhält? Nach Hegel lässt sich diese Frage nur dadurch beantworten, dass das Unendliche als absoluter Geist bestimmt wird. Denn weil der absolute Geist nur Geist ist, wenn er von sich weiß, erfüllt er die beiden Anforderungen, die an ein Verhältnis zwischen dem Unendlichen und dem endlichen Bewusstsein von ihm zu stellen sind. Als Wissen setzt er nämlich einerseits den Unterschied zwischen sich als Bewusstsein und sich als Gegenstand des Bewusstseins, und als Sich-Wissen hebt er diesen Unterschied andererseits auf. Das 10
VPR 3, 83 f.
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endliche Bewusstsein, das sich auf den absoluten Geist bezieht, ist zugleich der Ort, an dem sich der absolute Geist auf sich selbst bezieht. Religion ist nach Hegel deshalb nichts anderes als das „Wissen des göttlichen Geistes von sich durch Vermittlung des endlichen Geistes.“11 Dieser Begriff der Religion umfasst drei Momente, die das Verhältnis zwischen dem absoluten und dem endlichen Geist jeweils in einseitiger Weise bestimmen und ihm deshalb nur gemeinsam gerecht werden.12 Durch das erste Moment wird das Verhältnis zwischen dem absoluten Geist und dem Bewusstsein von ihm als „substantielle Einheit“13 bestimmt, die dem Unterschied zwischen beiden vorausliegt. Der Inhalt des ersten Moments ist deshalb „der Geist ganz in seiner unbestimmten Allgemeinheit, für den durchaus kein Unterschied ist.“14 Diese Bestimmung sieht davon ab, dass der Geist nur Geist ist, wenn er sich zum Gegenstand des Bewusstseins macht. Wird davon aber abstrahiert, dann ist der absolute Geist nichts anderes als die „absolute Substanz“15, die kein von ihr Unterschiedenes zulässt. Bei der ersten Bestimmung des absoluten Geistes kann daher nicht stehengeblieben werden. Denn als Geist setzt er den Unterschied zwischen sich und dem Bewusstsein von ihm, der das zweite Moment des Religionsbegriffs bildet. Dieser Unterschied hat in der Religion im engeren Sinne die Form der Vorstellung, die ihren Inhalt als einen von sich getrennten Gegenstand fixiert.16 Damit isoliert die Vorstellung das zweite Moment des Religionsbegriffs vom dritten und wird deshalb ihrem eigenen Inhalt nicht gerecht. Denn der absolute Geist setzt nicht nur den Unterschied zwischen sich selbst und dem Bewusstsein von ihm, sondern hebt den Unterschied auch auf. Diese Aufhebung vollzieht sich auf der praktischen Seite der Religion, im Kultus nämlich, der das dritte Moment des Religionsbegriffs bildet. Durch den Kultus legt das religiöse Subjekt seine endliche Besonderheit ab und macht sich jene Versöhnung mit Gott zu eigen, die an sich bereits besteht. Hegels Begriff 11 VPR
3, 222 Fußnote. Diese Momente werden zwar schon in den Vorlesungen von 1821 und 1824 genannt (vgl. VPR 3, 55, 103–105, 228–230), dienen aber erst seit der Vorlesung von 1827 zur systematischen Entwicklung des Religionsbegriffs. Die folgende Darstellung orientiert sich deshalb an der Vorlesung von 1827. 13 VPR 3, 87. 14 VPR 3, 277. 15 VPR 3, 269. 16 Zur Religion im weiteren Sinne gehört nach Hegel bekanntlich die Religion im engeren Sinne, die Kunst und die Philosophie. In ihnen nimmt das Sich-Wissen des Geistes als einzig wahre Wirklichkeit unterschiedliche Formen an, nämlich die Form der Anschauung (Kunst), der Vorstellung (Religion im engeren Sinne) und des Denkens (Philosophie), vgl. z. B. VPR 3, 55, 143. 12
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der Religion ist demnach die Verbindung der drei genannten Momente und lautet zusammengefasst wie folgt: Religion im engeren Sinne ist der absolute Geist, der sich in der Vorstellung zum Gegenstand des Bewusstseins macht und diesen Unterschied zwischen sich und dem Bewusstsein von ihm im Kultus zugleich aufhebt.
3. Die Ableitung der Religionen aus dem Begriff Auf der Basis des entwickelten Begriffs der Religion kann sein Verhältnis zu den besonderen Religionen und ihren allgemeinen Formen nun genauer bestimmt werden. Aus dem Religionsbegriff folgt nach Hegel erstens, dass Religion nicht im Singular einer einzigen, sondern nur im Plural vieler Religionen existieren kann und existiert. Dieser notwendige Zusammenhang zwischen dem Begriff und der Pluralität seiner Realisierungen, durch den sich der Religionsbegriff von abstrakten Begriffen unterscheidet, ist folgender: An sich und für das begreifende Denken ist Religion der absolute Geist, der durch Vermittlung des endlichen Geistes von sich weiß. Nun widerspricht es aber der Natur des Geistes, von Natur aus, gleichsam auf einen Schlag ein vollkommenes Bewusstsein von sich zu haben.17 Im Unterschied zu natürlichen Dingen ist der Geist nicht von Haus aus am Ziel; denn die Natur des Geistes ist Freiheit, er ist nur das, „wozu er sich macht.“18 Um das, was er an sich ist, auch vollkommen für sich zu sein, muss der absolute Geist daher einen Prozess zunehmender Selbsterkenntnis durchlaufen, dessen Stufen die unterschiedlichen Religionen sind. Religion muss sich also aus begrifflichen Gründen in einer Vielheit von Religionen realisieren, deren Vorstellungen vom absoluten Geist und seinem Verhältnis zum endlichen Geist sich schrittweise der Wahrheit nähern. Zweitens ergeben sich nach Hegel aus dem Religionsbegriff die unterschiedlichen Formen der Religionen, durch die ihre Vielheit geordnet ist. Auch darin unterscheidet sich der Begriff der Religion von einem abstrakten Begriff, dessen Realisierungsformen nur empirisch erkannt werden können, weil sie im Begriff nicht enthalten sind. So folgen die geschichtlichen Formen des Rechts, etwa das römische oder das deutsche, nach Hegel, wie gesagt, nicht aus dem Rechtsbegriff, sondern „sind aus der Erfahrung zu nehmen.“19 Dem Begriff der Religion hingegen sind die unterschiedlichen 17
Vgl. VPR 4, 423 Fußnote. Ebd. sowie VPR 3, 90; vgl. auch VPR 3, 56 f., 85. 19 VPR 3, 84. Zur Kritik an Hegels Annahme, dass der objektive Geist ein anderes Verhältnis zu seiner Geschichte hat als der absolute Geist, vgl. Walter Jaeschke, HegelHandbuch. Leben – Werk – Schule, Stuttgart/Weimar 2003, 376. 18
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Formen der Religionen nicht äußerlich, sondern gehen vielmehr auf eine innere Unterschiedenheit des Begriffs zurück. Nun ist dieser Begriff aber, wie wir sahen, die Verbindung von drei unterschiedlichen Momenten. Folglich können die unterschiedlichen Religionsformen, wenn sie aus dem Begriff der Religion folgen, nichts anderes als die Realisierungen unterschiedlicher Begriffsmomente sein. In der Einleitung zur Vorlesung von 1827 heißt es entsprechend: „Es ist also der Begriff überhaupt nur das erste; das zweite ist seine Tätigkeit, sich zu bestimmen, in Existenz zu treten, für anderes zu sein, seine Momente in Unterschied zu bringen und sich auszulegen. Diese Unterschiede sind keine anderen Bestimmungen als die der Begriff selbst in sich enthält. In Ansehung des Begriffs der Religion, der Tätigkeit des religiösen Geistes, ergibt dies die bestimmten […] Religionen. Die verschiedenen Formen, Bestimmungen der Religion sind einerseits, als Momente des Begriffs, Momente der Religion überhaupt oder der vollendeten Religion […]. Aber zweitens haben sie die Gestalt, daß sie für sich in der Zeit und geschichtlich sich entwickeln.“20
Die verschiedenen Formen der bestimmten Religionen ergeben sich demnach aus dem Religionsbegriff, indem die im Begriff verknüpften Momente voneinander unterschieden werden und „selbständig erscheinen.“21 In jeder Form der bestimmten Religion dominiert jeweils ein bestimmtes Moment des Religionsbegriffs und dadurch unterscheidet sie sich von den anderen Formen. Zusammen bilden sie eine Reihe von Religionsformen, die der absolute Geist zu durchlaufen hat, um jenes vollkommene Bewusstsein über sich selbst zu gewinnen, das er in unmittelbarer Weise nicht besitzen kann. Aus der Zuordnung der Religionsformen zu den Momenten des Religionsbegriffs scheint sich freilich eine Schwierigkeit zu ergeben, die ausgeräumt werden muss. Abgesehen von der vollendeten Religion realisieren die besonderen Religionen und die Formen, zu denen sie gehören, in dominanter Weise jeweils nur ein Moment des Religionsbegriffs, also nur eine einseitige Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem absoluten und dem endlichen Geist. Daher entsprechen sie nicht dem Begriff der Religion, sondern bleiben vielmehr hinter ihm zurück. Aus der mangelnden Entsprechung scheint aber zu folgen, dass sie in Wahrheit gar keine vollständigen Religionen und Religionsformen sind, sondern allenfalls Religionsfragmente, gleichsam Mosaiksteine, die erst durch Zusammensetzung eine Religion bzw. eine Religionsform bilden. Dies ist freilich nicht der Fall. In einem bestimmten Sinne entspricht nach Hegel vielmehr nicht nur die vollendete Religion, sondern jede Religion und Religionsform dem Begriff der Religion und ist insofern vollständig. Denn jede Religion ist eine Gestalt des absoluten Geistes, der 20 21
VPR 3, 90 f.; vgl. die entsprechende Stelle VPR 3, 352. VPR 3, 86 Fußnote.
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durch Vermittlung des endlichen Geistes von sich weiß. Daher realisiert sie in bestimmtem Sinne alle Momente des Begriffs: die substantielle Einheit zwischen absolutem und endlichem Geist, ihre Unterscheidung in der Vorstellung und ihre Versöhnung im Kultus. In der Binnenstruktur jeder Religion verwirklicht sich also die dreigliedrige Binnenstruktur des Religionsbegriffs.22 Nach Hegel kann man „von allen Religionen sagen, sie seien Religionen […] und entsprechen dem Begriff der Religion, zu gleicher Zeit aber, indem sie noch beschränkt sind, entsprechen sie […] dem Begriff nicht […].“23 Wie passt beides zusammen? Wie können Religionen und Religionsformen einerseits dem Begriff der Religion entsprechen, indem sie die drei Momente des Begriffs verwirklichen, und andererseits zugleich nicht entsprechen, weil nur eines seiner Momente in ihnen dominiert? Diese Frage ist durch die Unterscheidung zwischen zwei Ebenen zu beantworten, nämlich zwischen dem, was eine Religion an sich und für das begreifende Denken ist, und dem, was sie für sich selbst ist, was also den Inhalt ihres vorstellenden Bewusstseins ausmacht. Auf der ersten Ebene verwirklicht jede Religion die drei Momente, die im Begriff der Religion verbunden sind, und ist daher an sich das Wissen, das der absolute Geist durch Vermittlung des endlichen Geistes von sich hat. Anders verhält es sich dagegen auf der zweiten Ebene. Abgesehen von der vollendeten Religion ist im vorstellenden Bewusstsein von Religionen stets nur ein Moment des Religionsbegriffs dominant, und zwar im Bewusstsein der unterschiedlichen Religionsformen und der zugehörigen Religionen jeweils ein anderes. Wenn man die bisherigen Überlegungen zusammenführt und die drei Momente des Religionsbegriffs mit den Buchstaben A, B und C bezeichnet, dann ergibt sich folgendes Schema für die Formen der bestimmten Religionen und damit für den zweiten Teil der Hegelschen Religionsphilosophie:24 Erste Religionsform: Zweite Religionsform: Dritte Religionsform: 22
A(A+B+C) B(A+B+C) C
(A+B+C)
Vgl. z. B. VPR 3, 55 mit VPR 3, 57 f. VPR 4, 411 f. Fußnote. 24 Die Vorlesung von 1824 bildet eine Ausnahme, weil ihr zweiter Teil im Unterschied zu den Vorlesungen von 1821, 1827 und 1831 nur in zwei Religionsformen gegliedert ist, obgleich Hegel zu Beginn eine Einteilung in drei Formen ankündigt (vgl. VPR 4, 142). Der Unterschied beruht auf einem doppelten Verhältnis der römischen Religion zu den vorhergehenden Religionen. Sie ist nämlich zugleich die Vereinigung der griechischen und jüdischen Religion, die zur zweiten Religionsform gehören, und die Vereinigung der ersten und zweiten Religionsform. Wegen des ersten Aspekts wird die römische Religion 1824 als dritte Gestalt der zweiten Religionsform betrachtet. 23
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Der Inhalt der Klammer, die Basis, ist stets identisch, weil alle Religionsformen und die ihnen zugehörigen Religionen an sich und für das begreifende Denken die drei Momente des Religionsbegriffs realisieren. Denn anderenfalls wären sie keine vollständigen Religionsformen und Religionen, sondern lediglich Religionsfragmente. Die Religionsformen unterscheiden sich durch die unterschiedlichen Exponenten ihrer gemeinsamen Basis. Der Exponent steht für dasjenige Moment des Religionsbegriffs, das den dominierenden Inhalt im vorstellenden Bewusstsein einer Religionsform ausmacht und die spezifische Differenz gegenüber den anderen Formen bildet. In den Religionen der ersten Form beispielsweise ist das religiöse Bewusstsein durch das erste Moment des Religionsbegriffs dominiert und interpretiert das Verhältnis zwischen dem absoluten Geist und sich selbst daher in einseitiger Weise als substantielle Einheit. Die erste Religionsform bleibt deshalb hinter dem zurück, was sie an sich ist. Denn auf der Ebene ihrer Basis verwirklicht sie das komplexe dreigliedrige Verhältnis zwischen dem absoluten und dem endlichen Geist. In der Abfolge der drei Religionsformen werden die drei Momente des Begriffs, die in jeder Form an sich verwirklicht sind, sukzessiv auch zum Inhalt des religiösen Bewusstseins. Auf diese Weise erwirbt der Geist auf vermittelte Weise das Bewusstsein von sich selbst, das er nicht unmittelbar besitzen kann. Am Ende der Entwicklung schließlich, in der vollendeten Religion, hat der Geist „nicht mehr einzelne Formen, Bestimmungen seiner vor sich […], sondern er hat jene Beschränkungen überwunden und ist für sich, was er an sich ist.“25
4. Abgrenzungen Nach der vorgeschlagenen Rekonstruktion hat Hegel aus dem Religionsbegriff und seinen Momenten erstens die Vielheit der bestimmten Religionen abgeleitet, zweitens ihre gleichbleibende innere Struktur und drittens die Unterscheidung und die gedankliche Ordnung der Religionsformen, zu denen sie gehören. In der Sekundärliteratur hingegen wird der erste Ableitungszusammenhang zuweilen und der dritte in aller Regel übersehen oder sogar bestritten. Üblicherweise unterscheidet die Hegel-Literatur zwischen zwei Sets von Prinzipien, die Hegels Philosophie der bestimmten Religionen beherrschen. Das erste Set enthält die drei Momente des Religionsbegriffs und bestimmt die innere Struktur jeder einzelnen Religion und Religionsform, also den gleichbleibenden Inhalt der Klammern im obigen Schema. Das zweite Set dagegen ist für die Exponenten des obigen Schemas zu25
VPR 3, 91.
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ständig, hat mithin die Aufgabe, die Religionsformen zu unterscheiden und ihre gedankliche Ordnung zu bestimmen. Dieses Set ist der Standarddeutung zufolge mit dem ersten Set nicht identisch.26 Die Prinzipien des zweiten Sets „lassen sich“ nach der Meinung von Walter Jaeschke „aus dem bloßen Begriff der Religion nicht hinreichend ableiten […]. Hegel sieht sich deshalb genötigt, derartige Ordnungsprinzipien außerhalb der Religionsphilosophie aufzusuchen.“27 Im Manuskript der Vorlesung von 1821 zum Beispiel strukturiert Hegel die Religionsformen durch das der Logik entstammende Schema Sein – Wesen – Begriff, das er in den späteren Vorlesungen wieder aufgibt. Ist daraus zu schließen, dass die Formen der bestimmten Religionen und ihre Ordnung zum Begriff der Religion und seinen Momenten in einem äußerlichen und zufälligen Verhältnis stehen, statt aus ihm zu folgen? Keineswegs! Vielmehr spricht eine überwältigende Zahl von Texten für den immanenten und notwendigen Zusammenhang zwischen dem Religionsbegriff und den Formen der bestimmten Religionen.28 Selbst im Manuskript der Vorlesung von 1821, auf das sich Vertreter der Standarddeutung gerne berufen, ist die Sachlage eindeutig. Zu Beginn des zweiten Teils der Vorlesung notiert Hegel im Manuskript: „Nunmehr anfangen, die Entwicklung des Begriffs zu betrachten, d. h. die Bestimmtheiten, in die er sich setzt, die er durchläuft. Sie sind nichts anderes als die allgemeinen Momente, Formen des Begriffs selbst, in denen sich das Ganze des Begriffs stellt, dies Ganze in dieser Bestimmtheit, Beschränktheit erscheint.“29
Die Bestimmtheiten, von denen hier die Rede ist, sind die drei Religionsformen, die der Begriff durchläuft. Jede Religionsform ist der ganze Begriff, d. h. Vgl. z. B. Reinhard Heede, Die göttliche Idee und ihre Erscheinung in der Religion. Untersuchungen zum Verhältnis von Logik und Religionsphilosophie bei Hegel, Diss. Münster / Westfalen 1972, 155 f.; Dale M. Schlitt, Divine Subjectivity. Understanding Hegel’s Philosophy of Religion, London/Toronto 1990, 74; Peter C. Hodgson, Hegel and Christian Theology. A Reading of the „Lectures on the Philosophy of Religion“, Oxford 2007, 208. 27 Walter Jaeschke, „Einleitung“, in: G. W. F. Hegel, Die bestimmte Religion, neu hrsg. von W. Jaeschke, Hamburg 1994, XI–XXXV, hier: XXIV; ebenso auch: W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, 463. An beiden Stellen bestreitet Jaeschke zudem den ersten Ableitungszusammenhang: „Aus diesem Begriff allein […] läßt sich ohne Zusatzannahmen ja nicht einmal das Faktum der Vielheit der Religionen plausibel machen.“ Dagegen räumt Peter C. Hodgson, Hegel and Christian Theology, 212, 218, 282 den ersten Ableitungszusammenhang ein, bestreitet aber wie Jaeschke den dritten. 28 Vgl. z. B. VPR 3, 28, 83 f., 86 Fußnote, 90 f., 352; VPR 4, 139 Fußnote, 143, 411 Fußnote, 611. 29 VPR 4, 1. 26
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der Begriff in seinen drei Momenten, der sich durch eines seiner Momente spezifiziert. Genau dies aber besagt obiges Schema: In ihrer Verbundenheit zum Ganzen des Begriffs bilden die Momente den Inhalt der Klammer, also das genus proximum, wodurch die Formen eben Formen von Religion sind. In ihrer Unterschiedenheit dagegen fungieren die Momente als Exponenten, nämlich als differentiae specificae, durch die sich die Religionsformen voneinander unterscheiden. Erst nach diesen Klarstellungen differenziert Hegel auf den folgenden Seiten des Manuskripts von 1821 zwischen der „Religion in der Bestimmtheit […] des SEINS“, „in der Bestimmtheit des Wesens“ und „in der Bestimmtheit des Begriffs“.30 Folglich sind Sein, Wesen und Begriff keine dem Begriff der Religion äußerlichen, bloß aus der Logik importierten Bestimmungen, sondern dienen vielmehr als Bezeichnungen für die immanenten, in Unterschied gesetzten Momente des Religionsbegriffs selbst, durch die er sich zu den besonderen Religionsformen fortbestimmt.31 Diese Annahme des inneren Zusammenhangs zwischen dem Begriff der Religion und den Formen der Religionen bildet den entscheidenden Unterschied zwischen Hegels und Schleiermachers Theorie der Religionen, die ansonsten manches verbindet. Beide wenden sich gegen das Aufklärungskonstrukt einer natürlichen Religion, beide würdigen die geschichtliche Vielfalt der Religionen und beide bewerten Religionen am Kriterium ihrer Entsprechung zum Religionsbegriff. Im Gegensatz zu Hegels ambitioniertem Programm aber gewinnt Schleiermacher seine Unterscheidungen zwischen verschiedenen Entwicklungsstufen und Arten von Religionen nicht aus seinem Religionsbegriff, sondern aus begriffsexternen Faktoren.32 Ausdrücklich räumt er ein, dass „das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl für 30
VPR 4, 2 f. Der brillante Aufsatz von Friedrike Schick, „Zur Logik der Formen bestimmter Religion in Hegels Manuskript zur Religionsphilosophie von 1821“, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 55 (2013), 407–436, kommt auf anderem Wege zu demselben Ergebnis. Nach Schick ist die Unterscheidung der Religionsformen durch die der Logik entnommenen Bestimmungen Sein, Wesen, Begriff dem Religionsbegriff deshalb nicht äußerlich, weil der Gegenstand der Religionsphilosophie dem der Logik „affin“ ist, „ohne mit ihm zusammenzufallen.“ (Ebd., 420). 32 Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Entwicklungsstufen von Religion (Fetischismus, Polytheismus und Monotheismus) führt Schleiermacher nicht auf das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit selbst zurück, sondern auf die verschiedenen, empirisch auffindbaren Grade an Klarheit, in dem sich dieses Gefühl vom sinnlichen Selbstbewusstsein unterscheidet, vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube, nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2 Bde., hrsg. von Martin Redeker, Berlin 7. Auflage 1960, §§ 7, 1 und 8, 2 (Bd. 1, 48, 53 f.). Auch die Unterscheidung zwischen zwei Arten von Religion, der teleologischen und der ästhetischen Frömmigkeit, ist dem Religionsbegriff äußerlich und erfolgt dadurch, dass im Gefühl schlechthinniger 31
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sich betrachtet ganz einfach ist, und der Begriff desselben keinen Grund zur Verschiedenheit darbietet […].“33 Selbst die Vielheit der Religionen ist bei Schleiermacher keine notwendige Konsequenz des Religionsbegriffs, sondern verdankt sich individuellen, sozialen und kulturellen Differenzen.34 Der Grund für diese Unterschiede zu Hegel ist leicht zu erraten: Schleiermachers Religionsbegriff ist kein konkreter Begriff, der die Religionen und ihre Formen in sich enthielte, sondern bloß ein abstrakter, der sie bestenfalls unter sich enthält. Dass Hegel über diesen Religionsbegriff vieles, aber nicht viel Liebenswürdiges zu sagen weiß, muss hier ausgespart bleiben.
II. Die Formen der bestimmten Religionen Die folgenden Überlegungen nehmen die Religionsformen, die Hegel aus seinem Religionsbegriff abgeleitet, und einige Religionen, die er den Formen zugeordnet hat, genauer in den Blick. Diese Überlegungen sind dabei in zweifacher Hinsicht begrenzt. Erstens konzentrieren sie sich auf die Philosophie der bestimmten Religionen in der Fassung von 1827, die verglichen mit den früheren Fassungen gedanklich reifer und anders als die Fassung von 1831 durch ausführliche Nachschriften erhalten ist. Die Unterschiede zwischen den Fassungen und ihre Tragweite werden daher zunächst nicht berücksichtigt und erst im letzten Abschnitt zum Thema. Zweitens beschränken sich die Überlegungen auf das religionsphilosophisch entscheidende, in der Literatur aber vernachlässigte Problem, in welchem genauen Verhältnis die Religionsformen, ihre Abfolge und die ihnen zugeordneten Religionen zum Begriff der Religion und seinen Momenten stehen. Dagegen bleiben die Fragen, welche Quellen Hegel nutzte, wie er sie ausgewertet hat und wie seine Deutung einzelner Religionen aus der Sicht heutiger Religionswissenschaft zu beurteilen ist, außer Betracht. Die doppelte Einschränkung ist durch das Bestreben motiviert, die systematische Leistung Hegels in den Vordergrund zu rücken, die bei der Bearbeitung der philosophiegeschichtlichen und religionswissenschaftlichen Einzelfragen zumeist in den Hintergrund gerät. Auch darauf ließe sich das Bonmot aus der Phänomenologie anwenden, dass es für Kammerdiener keine Helden gibt.35 Abhängigkeit entweder das Natürliche dem Sittlichen oder das Sittliche dem Natürlichen kontingenterweise untergeordnet wird, vgl. ebd. § 9, 1 (Bd. 1, 59–62). 33 Ebd. § 9, 1 (Bd. 1, 59). 34 Vgl. ebd. § 6, 3 und 4 (Bd. 1, 43–45). 35 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, hrsg. von Wolfgang Bonsiepen /Reinhard Heede, in: ders., Gesammelte Werke, in Verbindung mit der
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1. Die erste Religionsform Die erste Form bestimmter Religion ist nach Hegel die „unmittelbare Religion oder Naturreligion“36, freilich nicht im zeitgenössisch üblichen Sinne. Gemeint ist also weder die sogenannte Vernunftreligion, die in der Aufklärung, noch die geschichtlich erste und zugleich vollkommene Religion, die in der Romantik als Naturreligion bezeichnet wurde. Beide sind nach Hegel bloße Trugbilder. Unter Naturreligion oder unmittelbarer Religion versteht er vielmehr die allgemeine Form derjenigen Religionen, die das Absolute noch nicht vom unmittelbaren menschlichen Subjekt oder von der natürlichen Welt unterscheiden.37 In der Vorlesung von 1827 sind der Buddhismus und Hinduismus die paradigmatischen Gestalten dieser ersten Religionsform und deshalb für unseren Zweck, die begrifflichen Züge dieser Form herauszuarbeiten, besser geeignet als die anderen Gestalten. Denn die vorausliegende Zauberei ist nach Hegel noch keine Religion im strikten Sinne38 und die nachfolgende persische und ägyptische Religion gelten ihm bereits als Übergangsgestalten zur zweiten Religionsform.39 Nach dem oben entwickelten Schema rücken in der ersten Religionsform die drei Momente des Religionsbegriffs unter den Exponenten seines ersten Moments. Als paradigmatische Gestalten der ersten Religionsform sollten der Buddhismus und Hinduismus deshalb durch die formale Struktur A(A+B+C) bestimmt sein. Die genaue Lektüre des Buddhismus‑ und Hinduismus-Kapitels bestätigt, dass Hegels Deutung genau darauf hinausläuft. In beiden Religionen erhebt sich das religiöse Bewusstsein über alles Besondere und Bestimmte zu einem Absoluten, das als unbestimmte Substanz vorgestellt wird. Diese absolute Substanz, im Buddhismus als Nichts oder Leeres40, im Hinduismus als Brahm bezeichnet, gilt als allein wahre Wirklichkeit, „an der alles andere, das Bestimmte, Besondere, das Subjekt nur ein Akzidentelles ist […].“41 Nun ist aber die absolute Substanz nichts anderes als der absolute Geist, der auf sein erstes Moment beschränkt, mit-
Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 9, Hamburg 1980, 358. 36 VPR 4, 419. 37 Vgl. VPR 4, 415–429. 38 Vgl. VPR 4, 429, 433, 435 sowie die entsprechenden Bemerkungen in der Vorlesung von 1824: VPR 4, 177, 182, 209. 39 Vgl. VPR 4, 504. 40 Vgl. z. B. VPR 4, 464 f. 41 Vgl. VPR 4, 475 f.; vgl. die entsprechende Verhältnisbestimmung im BuddhismusKapitel: VPR 4, 461.
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hin von seinen beiden anderen Momenten isoliert ist.42 Bereits im ersten Teil seiner Vorlesung bemerkt Hegel, „daß die Substantialität, die Einheit der absoluten Wirklichkeit mit sich selbst, nur Grundlage, nur ein Moment in der Bestimmung Gottes als Geistes ist.“43 Wenn der absolute Geist aber wie im Buddhismus und Hinduismus nur seiner Grundlage nach Gegenstand des religiösen Bewusstseins ist, dann bleibt unberücksichtigt, dass er als Geist wesentlich zwischen sich selbst und dem Bewusstsein von ihm unterscheidet. Das Verhältnis zwischen dem absoluten und dem endlichen Geist kann daher zunächst nur als substantielle Einheit vorgestellt werden. Folglich bestimmt diese substantielle Einheit zwischen beiden, die das erste Moment des Religionsbegriffs ausmacht, in der Tat das religiöse Bewusstsein im Buddhismus und Hinduismus und fungiert damit als Exponent, unter dem der ganze Begriff steht. Dies ist freilich erst die halbe Wahrheit. Ließe sich über den Buddhismus und Hinduismus im Wesentlichen nur sagen, dass sie das Absolute als unbestimmte Substanz und den endlichen Geist als dessen Akzidenz verstehen, dann wären sie keine Religionen, sondern weiter nichts als orientalische Varianten des Spinozismus. Als Religionen sind sie aber über den Spinozismus hinaus, und zwar paradoxerweise durch eine Vorstellung, die selbstwidersprüchlich ist und deshalb prima facie als absurder Rückschritt erscheint. Gemeint ist die Vorstellung, dass die absolute Substanz, das bestimmungslose Wesen aller Dinge, als bestimmter endlicher Mensch existiert, als Buddha und Dalai Lama, als Brahmane und Yogi.44 „Diese Vereinbarung kann uns“, bemerkt Hegel und kennzeichnet damit sein hermeneutisches Programm, „als das Widerwärtigste, Empörendste, Unglaublichste erscheinen, daß ein Mensch mit allen seinen Bedürfnissen von den Menschen als Gott angesehen werden könne […]. Diese Vorstellung ist verstehen zu lernen, und indem wir sie verstehen, rechtfertigen wir sie. Wir zeigen, wie sie ihren Grund hat, ihr Vernünftiges, eine Stelle in der Vernunft. Aber es gehört auch dazu, daß wir das Mangelhafte daran, das Absurde, einsehen. Leicht ist es, zu sagen, eine solche Religion sei bloß Sinnloses, Unvernünftiges. Das Schwere ist eben, die Notwendigkeit solcher Religionsformen zu erkennen, die Wahrheit zu erkennen, wie es mit der Vernunft zusammenhängt, und das ist schwerer als etwas für sinnlos zu erklären.“45 42
Vgl. oben S. 158. VPR 3, 269. 44 Vgl. z. B. VPR 4, 460, 473 f., 490–493. Übrigens schien, wenn diese scherzhafte Nebenbemerkung erlaubt ist, nach der gewonnenen WM im vergangenen Jahr halb Deutschland zum Hinduismus konvertiert zu sein. Denn auch hierzulande wurde ein Yogi, um mit Herbert Zimmermann und Bruno Labbadia zu sprechen, zum Fußballgott hochsterilisiert. 45 VPR 4, 467; vgl. die entsprechenden Bemerkungen im Manuskript von 1821: VPR 3, 107 f. 43
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Worin dieses unvernünftig Vernünftige besteht, zeigt sich erneut im Blick auf das, was Religionen eigentlich sind. Sie sind an sich Gestalten des absoluten Geistes, weil sie in ihrer gleichbleibenden Binnenstruktur (A+B+C) die drei Momente des Begriffs oder des absoluten Geistes realisieren.46 Freilich ist der absolute Geist wesentlich bestrebt, das, was er an sich ist, durch die religiösen Vorstellungen auch für sich zu sein. Daher sind die Vorstellungen vom Absoluten, die in den Religionen entwickelt werden, stets als Versuche gemeint, das Absolute als Geist zu verstehen.47 Nun wird das Absolute im Buddhismus und Hinduismus aber als unbestimmte Substanz vorgestellt und damit durch eine Bestimmung, die hinter dem zurückbleibt, was beide Religionen an sich sind. Denn der absolute Geist ist zwar auch Substanz, aber Substanz ist nicht per se der absolute Geist, sondern nur dessen erstes Moment.48 Die Vorstellung findet sich demnach in einer misslichen Lage, weil das, was vorgestellt wird, nicht dem entspricht, worauf die Vorstellung zielt. Aus dieser Lage kann sich das religiöse Bewusstsein des Buddhismus und Hinduismus nicht befreien, indem es die Substanz zum ersten Moment des absoluten Geistes depotenziert. Denn die differentia specifica beider Religionen besteht darin, das erste Moment des absoluten Geistes von seinen anderen Momenten zu isolieren und zur Definition des Absoluten zu erheben, mithin in der Struktur A(A+B+C). Also muss sich das Bewusstsein auf andere Weise behelfen, um der Geistigkeit des Absoluten notdürftig Rechnung zu tragen. Wie aber ist das innerhalb des bestehenden Rahmens möglich? Wenn das Absolute nicht als Geist, sondern lediglich als Substanz gilt, dann kann umgekehrt der Geist nur als endlicher, nicht als absoluter Geist verstanden werden. Konsequenterweise entwickelt das religiöse Bewusstsein deshalb die inkonsequente Vorstellung, dass die unbestimmte Substanz als bestimmter Mensch existiert. Im Buddhismus-Kapitel der Vorlesung von 1827 heißt es entsprechend: „Diese abstrakte Substanz, das letzte in der Philosophie Spinozas […] kann nicht Inhalt einer Volksreligion, nicht der Glaube eines konkreten Geistes sein. Der konkrete Geist suppliert den Mangel, und der Mangel ist, daß die Subjektivität fehlt, d. h. die Geistigkeit. Aber hier auf der Stufe der Naturreligion […] ist die Geistigkeit noch nicht als solche, noch nicht gedachte, allgemeine Geistigkeit, sondern sinnliche, unmittelbare. Da ist es ein Mensch, als sinnliche, äußerliche, unmittelbare Geistigkeit: ein Mensch.“49 46 Offenkundig sind die Momente des Religionsbegriffs Momente des absoluten Geistes. In VPR 3, 85 heißt es deshalb: „Der Begriff, den wir hier vor uns haben, ist nun ohnehin der Geist selbst […].“ 47 Vgl. VPR 4, 428, 435 f., 502 sowie die aufschlussreiche Stelle VPR 4, 155 in der Vorlesung von 1824. 48 Vgl. VPR 3, 269; VPR 4, 469–471. 49 VPR 4, 471; vgl. die prägnanten Parallelstellen im Straußexzerpt der Vorlesung von 1831: VPR 4, 615, 617.
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Die Vorstellung, dass die abstrakte Substanz als konkreter Mensch existiert, ist eine zugleich vernünftige und unvernünftige „Hilfskonstruktion“ (Fontane): vernünftig, weil keine andere Möglichkeit besteht, auf der Geistigkeit des Absoluten zu beharren, solange das Absolute als unbestimmte Substanz verstanden wird; unvernünftig, weil der endliche Geist der unbestimmten Substanz äußerlich und ihre vorgestellte Identität deshalb widersprüchlich ist. Die Bestimmung des Absoluten als unbestimmte Substanz führt aber nicht nur in der religiösen Vorstellung, sondern auch im philosophischen Denken zum Widerspruch. Denn das Unbestimmte ist, weil es von aller Bestimmtheit unterschieden sein soll, paradoxerweise selbst ein Bestimmtes. Durch diese beiden Widersprüche wird in der Evolution des religiösen Bewusstseins und in ihrer philosophischen Rekonstruktion der Übergang von der ersten zur zweiten Religionsform erforderlich.
2. Die zweite Religionsform In der zweiten Form bestimmter Religion, zu der die Vorlesung von 1827 die griechische und jüdische Religion rechnet, wird der Unterschied zwischen dem Absoluten und dem Endlichen, sei es natürlich oder geistig, zum dominierenden Inhalt des religiösen Bewusstseins. Nun ist dieser Unterschied aber das zweite Moment im Begriff der Religion. Also fungiert das zweite Moment jetzt als Exponent, unter den der ganze Begriff rückt, mithin als spezifische Differenz, durch die sich die zweite Religionsform von den anderen unterscheidet. Ihr formaler Ausdruck lautet demnach: B(A+B+C). Dominierender Inhalt des religiösen Bewusstseins kann der Unterschied zwischen dem Absoluten und dem Endlichen allerdings nur sein, wenn das Absolute nicht länger als unbestimmte Substanz verstanden wird. Denn zu dieser Substanz steht das natürliche und geistige Endliche, weil es nur Akzidenz an der Substanz ist, im Verhältnis substantieller Einheit. Statt als unbestimmte Substanz muss das Absolute nach Hegel vielmehr als in sich bestimmtes Subjekt verstanden werden, damit das Moment des Unterschieds die religiöse Vorstellung beherrschen kann.50 Dieser von Hegel angenommene Zusammenhang mag auf den ersten Blick überraschen. Warum sollte die Vorstellung des Unterschieds zwischen dem Absoluten und dem endlichen Subjekt gerade darauf beruhen, dass das Absolute seinerseits als Subjekt vorgestellt wird? Bei näherem Hinsehen ist der Zusammenhang freilich einsichtig. Religiöse Vorstellungen vom Absoluten sind, wie wir sahen, stets darauf aus, das Absolute als Subjektivität zu ver50
Vgl. VPR 4, 500 f.
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stehen. Weil der Buddhismus und der Hinduismus dieses Ziel aber verfehlen, kompensieren sie den Mangel durch die paradoxe Identifizierung der unbestimmten Substanz mit einem endlichen Subjekt. Um nun die Paradoxie zu vermeiden und das Absolute vielmehr umgekehrt vom endlichen Subjekt zu unterscheiden, ist deshalb die Vorstellung nötig, dass das Absolute in sich selbst Subjekt ist. Dieser Fortschritt von der extrinsischen zur intrinsischen Subjektivität, durch den die Objektivität des Absoluten bedingt ist, wird nach Hegel bereits in der persischen und ägyptischen Religion erzielt. Dennoch gehören beide Religionen in der Vorlesung von 1827 noch zur ersten Religionsform, auch wenn sie die Übergangsgestalten zur zweiten bilden. Denn in ihnen wird das Absolute zwar vom endlichen Subjekt, aber noch nicht (persische Religion), zumindest nicht konsequent (ägyptische Religion), von der endlichen Welt überhaupt unterschieden.51 Damit auch dieser Unterschied zum Inhalt der religiösen Vorstellung und dadurch die Grenze zur zweiten Religionsform definitiv überschritten wird, ist wiederum eine Fortbestimmung des Absoluten nötig, ähnlich derjenigen, auf der seine Unterscheidung vom endlichen Subjekt beruht. Der Grund ist folgender: Mit dem Versuch, das Absolute als Geist zu verstehen, zielen religiöse Vorstellungen auf ein konkretes, bestimmtes, selbständig existierendes Subjekt. Nun ist dieses Subjekt, solange es noch abstrakt verstanden wird, für seine Bestimmtheit und selbständige Existenz auf die endliche Welt angewiesen und mithin noch nicht von ihr unterschieden. Der typische Fall ist nach Hegel die persische Religion, der Zoroastrismus: Weil er die Subjektivität des Absoluten als abstrakt Gutes, d. h. als reine Gleichheit mit sich selbst bestimmt, muss er zugleich die Vorstellung bilden, das Gute habe seine selbständige Existenz in der Natur, nämlich als Licht.52 Folglich kann die religiöse Vorstellung das Absolute nur dann von der endlichen Welt unterscheiden, wenn das Absolute die erforderliche Bestimmtheit nicht extern aus der endlichen Welt bezieht, sondern in sich selbst enthält. Diese intrinsische Bestimmtheit des Absoluten darf freilich nicht von der Art sein, dass sie die Bestimmtheit der endlichen Welt einfach verdoppelt. Denn in diesem Fall wäre das Absolute aufgrund des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren gerade nicht von der endlichen Welt unterschieden. Vielmehr müssen die Bestimmtheiten, die in der Welt auseinanderliegen und selbständig bestehen, auf einfache, ideelle Weise im Absoluten enthalten sein, so dass sie „einerseits als Unselbständige, aber andererseits ebenso aufbewahrt
51 52
Vgl. VPR 4, 432, 508, 511 Fußnote, 523. Vgl. VPR 4, 508–510.
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[sind].“53 In der Einleitung seiner Vorlesung von 1827 erläutert Hegel, wie wir sahen, dieses „geistige“ Enthaltensein am Beispiel eines Keims, der die Zweige, Blätter und Säfte des Baumes enthält, ohne sie im kleineren Maßstab zu präformieren.54 Durch die vorangehenden Überlegungen kann das unterschiedliche Verhältnis genauer bestimmt werden, in dem die erste und zweite Religionsform zu den Momenten des Religionsbegriffs stehen, die zugleich Momente des absoluten Geistes sind. In der Naturreligion wird das erste Moment des absoluten Geistes vom zweiten (und vom dritten) Moment isoliert und das Absolute deshalb auf die unbestimmte Substanz beschränkt, mit der das Endliche substantiell eins ist. Die zweite Religionsform hingegen löst das zweite Moment des absoluten Geistes nicht etwa umgekehrt vom ersten. Gewiss, das zweite Moment, also der Unterschied zwischen dem Absoluten und dem Endlichen, wird zum Exponenten und damit zur spezifischen Differenz, durch die sich die zweite Religionsform von den anderen unterscheidet. Zum Exponenten kann das zweite Moment aber nur deshalb werden, weil das erste Moment des absoluten Geistes nicht länger als unbestimmte Substanz, sondern als in sich bestimmtes Subjekt verstanden wird. Denn anders als die absolute Substanz setzt das absolute Subjekt aus den genannten Gründen den Unterschied zwischen sich selbst und dem Endlichen. Folglich ist das zum Exponenten gewordene zweite Moment vom ersten nicht isoliert, sondern die Fortbestimmung des ersten, das sich nunmehr als Subjekt erschlossen hat. Nach der Vorlesung von 1827 existiert die zweite Religionsform in doppelter Gestalt, nämlich als griechische und jüdische Religion. Beide Religionen bestimmen das Göttliche als Subjekt, das die Bestimmungen des Endlichen auf ideelle Weise enthält und sich gerade deshalb vom Endlichen unterscheidet.55 (1) Innerhalb dieser gemeinsamen Form versteht die griechische Religion das Göttliche näherhin als unmittelbare Sittlichkeit, die Hegel in zweifacher Weise charakterisiert: Wenn die Sittlichkeit eine unmittelbare ist, dann sind zwar einerseits die sittlichen Gehalte bewusst, welche die wesentlichen Bestimmungen der natürlichen und geistigen Welt bilden; andererseits aber ist nicht bewusst, dass diese Gehalte aus der Freiheit des Subjekts hervorgehen und darin ihre Einheit haben.56 Für die griechische Vorstellung vom 53
VPR 4, 501; vgl. VPR 4, 499 Fußnote. Vgl. VPR 3, 83; vgl. auch die Erläuterung am Beispiel des subjektiven Geistes in VPR 3, 91 f. 55 Vgl. VPR 4, 532 f. 56 Vgl. VPR 4, 535, 559 f. 54
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Göttlichen ergeben sich daraus zwei gravierende Konsequenzen. Erstens fallen die sittlichen Gehalte, weil ihre einheitliche Quelle nicht bewusst ist, auseinander und erscheinen in der Vorstellung deshalb als unvermittelte Vielheit sittlicher Götter.57 Die Einheit des Absoluten steht deshalb über den Göttern, als Schicksal oder Fatum nämlich, das unbestimmt und unbegreiflich ist, weil die Götterwelt bereits alle Bestimmtheit erschöpft.58 Zweitens haben die olympischen Götter, obgleich sie die Titanen besiegt und sich über die Natur erhoben haben, wesentlich eine natürliche Seite und erscheinen deshalb in Naturphänomenen, in Blitz und Donner oder im Rauschen der Blätter zu Dodona.59 Denn weil die sittlichen Gehalte noch nicht als Bestimmungen der Freiheit bewusst sind, gelten sie als unmittelbar Gegebenes und Natürliches. Die olympischen Götter sind demnach doppeldeutig: Einerseits enthalten sie auf ideelle Weise die Bestimmungen eines endlichen Bezirks und sind deshalb von diesem Bezirk wie das Wesen von seiner Erscheinung unterschieden. Pallas Athene beispielsweise ist nach Hegel „der lebendige, wirkliche Geist des Volks nach seiner Wesentlichkeit vorgestellt […].“60 Andererseits sind die olympischen Götter durch ihre Vielheit und ihre natürliche Seite ihrerseits endlich bestimmt.61 Sie sind gleichsam Endlichkeiten zweiter Ordnung oder kleine Transzendenzen. Gewiss, in der griechischen Religion wird der Unterschied zwischen Göttlichem und Endlichem bewusst, durch die eigentümliche Endlichkeit der Götter aber nur auf mangelhafte Weise. Derselbe Mangel zeigt sich, wenn das Schicksal in Betracht gezogen wird, das über den Göttern schwebt und nichts anderes als die Kehrseite ihrer Endlichkeit ist. Denn aus den genannten Gründen kann das religiöse Bewusstsein zwischen Göttlichem und Endlichem erst unterscheiden, wenn das Göttliche intern bestimmt ist. Eben diese innere Bestimmtheit aber fehlt dem Schicksal ebenso wie der absoluten Substanz des Hinduismus und Buddhismus. Auch zum dritten Moment des Religionsbegriffs, der Versöhnung zwischen Göttlichem und Endlichem, steht die griechische Religion in einer ambivalenten Beziehung. Einerseits hat der Mensch „das Bewußtsein seines affirmativen Verhältnisses, seiner Einheit mit den Göttern […].“62 Denn die Götter, die er von sich unterscheidet und verehrt, „sind zugleich […] die sittlichen Bestimmungen des Menschen, seine vorhandenen und gel57
Vgl. VPR 4, 536, 560. Vgl. VPR 4, 543 f. 59 Vgl. VPR 4, 538–540, 547–549. 60 VPR 4, 555. 61 Vgl. z. B. VPR 4, 551 Fußnote, 636. 62 VPR 4, 555. 58
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tenden Rechte, sein eigener Geist, nicht eine äußerliche Substantialität und Wesentlichkeit.“63 Diese Versöhnung mit den Göttern ist freilich nur eine Versöhnung im kleinen Maßstab, weil die Götter nur kleine Transzendenzen sind. Andererseits kann sich der Mensch mit der unbestimmten Einheit des Göttlichen, dem Schicksal, nicht versöhnt wissen. Denn von Versöhnung zwischen Göttlichem und Endlichem kann nur die Rede sein, wenn die Bestimmtheiten des Endlichen auf ideelle Weise im Göttlichen enthalten sind. Im blinden, unbestimmten Schicksal aber sind sie nicht bewahrt, sondern ausgelöscht. In das Schicksal, mit dem Versöhnung nicht möglich ist, kann sich der Mensch deshalb allenfalls fügen, indem er seine besonderen Zwecke und Interessen freiwillig aufgibt.64 Die trostlose Seligkeit, die diese Fügung gewährt, ist die Seligkeit derer, die nicht enttäuscht werden, weil sie nichts erwarten. In der griechischen Religion fällt das Göttliche in eine Vielheit sittlich bestimmter Mächte auseinander, deren Einheit als unbestimmtes Schicksal über ihnen steht. Über diese Trennung der inhaltlichen Bestimmtheit des Göttlichen von seiner Einheit weist die griechische Religion freilich in der Tragödie selbst noch hinaus.65 Denn dort geraten die entzweiten sittlichen Mächte in Konflikt, in Sophokles’ Antigone zum Beispiel kollidiert die Familienliebe, verkörpert durch Antigone, mit dem Recht des Staates, das Kreon vertritt. Dieser Konflikt wird überwunden, indem die sittlichen Mächte die einseitigen Ansprüche aufgeben, die sie in ihrer Entzweiung erheben, und zu einem gerechten Ausgleich kommen. Die Trennung zwischen der Einheit des Göttlichen und seiner inhaltlichen Bestimmtheit beginnt sich deshalb in der Tragödie aufzulösen. Nun gründet aber die mangelhafte Weise, auf die der Unterschied zwischen Göttlichem und Endlichem in der griechischen Religion bewusst wird, gerade darin, dass die Bestimmtheit des Göttlichen in eine Vielheit zerfällt und seine Einheit unbestimmt bleibt. Folglich weist die griechische Religion in der Tragödie über sich selbst hinaus, nämlich auf den strikten Unterschied zwischen Göttlichem und Endlichem, der in der jüdischen Religion ins Bewusstsein tritt. (2) Auch die jüdische Religion versteht das Göttliche als in sich bestimmtes Subjekt, im Unterschied zur griechischen Religion aber als „geistige Einheit“66, die nach Hegel erstmals den Namen Gott verdient.67 Das Göttliche zerfällt daher nicht länger in eine Vielheit von Göttern, die mit einer 63
VPR 4, 554 f. Vgl. VPR 4, 543 f. 65 Vgl. VPR 4, 556–558. 66 VPR 4, 561. 67 Vgl. ebd. und VPR 5, 193. 64
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natürlichen Seite behaftet und dem unbegreiflichen Schicksal unterworfen sind. Die Hindernisse, die der konsequenten Unterscheidung zwischen Gott und dem Endlichen bisher im Wege standen, sind somit ausgeräumt. Daher ist die jüdische Religion die paradigmatische Gestalt der zweiten Religionsform, in der das zweite Moment des absoluten Geistes den dominierenden Inhalt des religiösen Bewusstseins bildet. Gott, dem Schöpfer, ist kein „sinnliches Bild“68 angemessen, und die geschaffene Welt ist daher umgekehrt „prosaisch“, „entgöttert“, eine bloße „Sammlung von Dingen“.69 Durch diese strikte Unterscheidung zwischen Göttlichem und Endlichem ändert sich die Weise, in der das Göttliche am Endlichen erscheint. Die griechischen Götter erscheinen in der Form der Schönheit, weil die endliche Gestalt, an der sie erschienen, mit ihrem göttlichen Gehalt übereinstimmt. Der jüdische Gott hingegen manifestiert sich auf erhabene Weise; denn in der endlichen Gestalt, an der er erscheint, zeigt er sich gerade als derjenige, dem die Gestalt nicht entspricht.70 Die jüdische Religion unterscheidet das Göttliche demnach zwar konsequent vom Endlichen, isoliert dieses zweite Moment des Religionsbegriffs aber vom dritten Moment, also von der Versöhnung zwischen beiden. Der Grund ist folgender: Wie wir sahen, unterscheidet die religiöse Vorstellung das Göttliche vom endlichen Subjekt und der natürlichen Welt, sobald sie das Göttliche seinerseits als Subjekt versteht, das die Bestimmungen des Endlichen auf ideelle Weise enthält. Wenn diese Idealisierung vollständig ist, dann sind Göttliches und Endliches nicht nur unterschieden, sondern zugleich auch versöhnt: versöhnt, weil beide Seiten dann dieselben Bestimmungen besitzen, unterschieden aber, weil die Bestimmungen im Endlichen auseinanderliegen, während sie in Gott auf einfache, ideelle Weise gesetzt sind. Nun ist der jüdische Gott nach Hegel zwar Weisheit, aber „diese Weisheit ist zunächst noch abstrakt […].“71 Gott wird zwar als in sich bestimmtes Subjekt verstanden, das aber nicht die Totalität des Endlichen auf ideelle Weise in sich enthält. Seine Weisheit und ihre beiden Momente, die Güte und Gerechtigkeit, schließen vielmehr nur magere, abstrakte Be68
VPR 4, 562 f. VPR 4, 567. 70 Vgl. VPR 4, 569 f. In den Kollegien von 1821 und 1824 hat Hegel die Manifestationsform der Erhabenheit durch eine Reihe von alttestamentlichen Beispielen illustriert, vgl. VPR 4, 42, 332 f. 71 VPR 4, 563. Auf derselben Seite fährt Hegel fort: „Wäre die Weisheit konkret, so wäre Gott das Selbstbestimmen seiner so, daß Gott sich in sich selbst schafft und das Erschaffene in sich erhält, so daß es gewußt wird als in ihm selbst erhalten bleibend als sein Sohn […].“ 69
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stimmungen der endlichen Welt ein. Dass die endlichen Dinge sind, obgleich sie auf Sein keinen Anspruch haben, liegt in der Güte Gottes beschlossen, und dass sie vergehen, in der göttlichen Gerechtigkeit, die jedem das Seine gibt.72 Die Fülle der inhaltlichen Besonderheiten hingegen, die der endlichen Welt über ihr Sein und Vergehen hinaus zukommen, sind in der abstrakten Weisheit nicht einbegriffen. Folglich ist in der jüdischen Religion zwar der Unterschied zwischen Göttlichem und Endlichem bewusst, nicht aber die Versöhnung beider. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist indes zu ergänzen, dass die Versöhnung im kultischen Vollzug der jüdischen wie aller anderen vorangehenden Religionen verwirklicht wird, auch wenn sie kein Inhalt des vorstellenden Bewusstseins ist.
3. Die dritte Religionsform In der dritten Form bestimmter Religion wird die Versöhnung zwischen Gott und der endlichen Welt, also das dritte Moment des absoluten Geistes, in isolierter Weise zum dominierenden Inhalt des religiösen Bewusstseins. Das dritte Moment fungiert mithin als spezifische Differenz, durch die sich die dritte Form von den anderen unterscheidet. Ihr formaler Ausdruck lautet demnach C(A+B+C). Als historische Gestalt dieser dritten Religionsform identifiziert Hegel in der Vorlesung von 1827 die römische Religion, und zwar aus folgendem Grund: Wie wir sahen, ist die endliche Welt mit Gott versöhnt, wenn der ganze Umfang ihrer Besonderheit auf ideelle Weise in die Einheit Gottes, genauer: in den einen göttlichen Zweck aufgenommen ist.73 Nun hat Gott nach römischer Vorstellung den Zweck, dass alle Völker und Götter von Rom und seinem Hauptgott, dem Jupiter capitolinus, beherrscht werden.74 Sobald dieser Zweck verwirklicht ist, besitzen die Völker und ihre Götter daher dieselbe Bestimmung in realer Form, die im göttlichen Zweck ideell enthalten ist, die Bestimmung nämlich, von Rom und seinem Gott beherrscht zu sein. Folglich ist im Falle der durchgesetzten politisch-religiösen Weltherrschaft Roms die endliche Welt mit Gott versöhnt. Erstaunlicherweise ist die Versöhnung der Welt mit Gott nach römischer Vorstellung ausschließlich das Resultat politisch-militärischer Praxis; denn sie wird allein durch Eroberung und Unterwerfung der Völker und ihrer Götter vollbracht.75 Dieser exklusiv praktische Charakter der Versöhnung 72
Vgl. VPR 4, 566 f. Vgl. z. B. VPR 4, 579 f. 74 Vgl. VPR 4, 582, 584, 586 f. 75 Vgl. VPR 4, 582. 73
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beruht auf ihrer Isolation von den anderen Momenten des absoluten Geistes. Zwar ist die Versöhnung im Kultus in der Tat das praktische Moment der Religion, aber in seiner Verbindung mit den anderen Momenten bringt der Kultus die Versöhnung keineswegs hervor, sondern eignet sich „die an und für sich vollbracht[e]“76 Versöhnung lediglich an. In der römischen Religion hingegen wird das Moment der Versöhnung verselbständigt und dadurch zum Programm eines imperialistischen Pelagianismus. In der römischen Religion wird das Bewusstsein vom dritten Moment bestimmt, während das zweite, die Unterscheidung zwischen Göttlichem und Endlichem, nicht (hinreichend) bewusst ist. Dieses mangelnde Bewusstsein der Differenz liegt in der Bestimmung des Zwecks, der dem römischen Hauptgott zugeschrieben wird: Die politisch-religiöse Weltherrschaft der Römer, die er bezweckt, ist zwar formal ein allgemeiner, alle Besonderheit umfassender Zweck, inhaltlich betrachtet aber ein besonderer, weil er mit anderen Zwecken konkurriert. Er kann daher nicht der wahrhaft göttliche Zweck, sondern nur ein Zweck endlicher Subjekte sein.77 Wenn die römische Religion diesen Zweck dennoch zum Zweck Gottes erhebt, dann vergöttlicht sie die endliche und verendlicht die göttliche Subjektivität.78 Damit aber fällt sie hinter die Unterscheidung zwischen beiden zurück, die in der zweiten Form bestimmter Religion, insbesondere in ihrer jüdischen Gestalt, ausgebildet wurde. Aus der Gleichsetzung des göttlichen Zwecks mit der Weltherrschaft der Römer folgt, dass die römische Religion den göttlichen Zweck ebenso wenig von anderen besonderen Zwecken unterscheiden kann, dem zweiten Moment des Religionsbegriffs also auch insofern nicht gerecht wird. Der Zusammenhang ist folgender: Wie wir sahen, ist das religiöse Bewusstsein nur dann in der Lage, zwischen Göttlichem und Endlichem zu unterscheiden, wenn die Bestimmungen, die im Endlichen auseinanderliegen, auf einfache, ideelle Weise im Göttlichen enthalten sind. Denn andernfalls würde sich das Göttliche im Endlichen auflösen, weil es für seine Bestimmtheit auf das Endliche angewiesen wäre, und zugleich das Endliche im Göttlichen, weil das Göttliche aufgrund seiner Allgemeinheit kein Endliches neben sich zuließe. Nun ist für das religiöse Bewusstsein der Römer zwar die „mannigfache Besonderheit“79 im göttlichen Zweck römischer Weltherrschaft ideell enthalten, aber nicht ihrem konkreten Inhalt nach, sondern nur in ihrer ab strakten Bestimmung, von Rom beherrscht zu werden. Folglich ist für die 76
VPR 3, 332. Vgl. VPR 4, 580, 590. 78 Vgl. z. B. die prägnante Stelle VPR 4, 409 in der Vorlesung von 1824. 79 VPR 4, 580. 77
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Unterscheidung zwischen dem göttlichen Zweck und den besonderen Zwecken endlicher Individuen in der römischen Religion kein Platz. Vielmehr löst sich dieser Unterschied zugunsten der einen oder der anderen Seite auf. Einerseits wird der göttliche Zweck im Interesse seiner Bestimmtheit mit den vielfältigen menschlichen Zwecken gleichgesetzt. Das Göttliche zerfällt daher in viele besondere Götter, die für die Verwirklichung dieser Zwecke zuständig sind. Die „partikulären Zwecke“ der Individuen erscheinen „als Götter, weil die Erfüllung des Gottes das Menschliche ist.“80 Andererseits lässt der göttliche Zweck römischer Weltherrschaft aufgrund seiner abstrakten Allgemeinheit keine individuellen Zwecke neben sich bestehen, sondern erdrückt sie vielmehr und zehrt sie schließlich auf.81 Diesen Untergang des Individuums und seiner Zwecke im allgemeinen Herrschaftszweck haben sich die Römer in ihren religiösen Spielen sinnfällig gemacht. „Hunderte und Tausende mußten sich gegenseitig morden. Dies kalte Morden diente ihnen zu Augenweide, worin sie die Nichtigkeit der menschlichen Individualität, und weil diese keine Sittlichkeit in sich hat, die Wertlosigkeit des Individuums angeschaut haben […].“82 Entsprechend sind die besonderen Götter, die spezifisch römischen wie die Götter der anderen Völker, dem einen Jupiter capitolinus unterworfen.83 Der göttliche Herrschaftszweck und die besonderen Zwecke der Individuen werden in der römischen Religion also zugleich auf entgegengesetzte Weise gleichgeschaltet, durch Auflösung des göttlichen Zwecks in die besonderen Zwecke und umgekehrt. „Diese Extreme und ihr Widerspruch ist es“, bemerkt Hegel, „worin sich das römische Leben herumwirft.“84 Trotz dieser kritischen Diagnose ist freilich auch die römische Religion nach Hegel ein Fortschritt in der Evolution des religiösen Bewusstseins, weil das dritte Moment des Religionsbegriffs, die Versöhnung zwischen Göttlichem und Endlichem, nun erstmals zum bestimmenden Bewusstseinsinhalt wird.85 Das Bewusstsein einer Versöhnung allerdings, die ohne konsequente Unterscheidung zwischen beiden erfolgt, ist zugleich eine Regression auf die Stufe der Naturreligion. Mit der römischen Religion schließt sich daher 80
VPR 4, 586; vgl. VPR 4, 585 Fußnote, 586–589 sowie in der Vorlesung von 1824 VPR 4, 402 f. 81 Vgl. VPR 4, 585 Fußnote, 588–590. 82 VPR 4, 589. 83 Vgl. VPR 4, 587 f. und in der Vorlesung von 1824 VPR 4, 404 f. 84 VPR 4, 589. 85 Hans Joachim Schoeps ist deshalb zu Unrecht erstaunt, „wieso die römische Religion bei dieser negativen Bewertung eine höhere Stufe als die griechische oder die jüdische abgeben soll.“ (Hans Joachim Schoeps, „Die ausserchristlichen Religionen bei Hegel“, Zeitschrift für Religions‑ und Geistesgeschichte 7 [1955], 1–34, hier: 26).
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der Kreis der bestimmten Religion, die an ihrem Ende in ihren Anfang zurückkehrt.
4. Konzeptionelle Veränderungen und ihre Tragweite Die bisherigen Überlegungen konzentrierten sich auf die Philosophie der außerchristlichen Religionen, die Hegel im Kolleg von 1827 vorgetragen hat. Nun soll das Gesichtsfeld erweitert und untersucht werden, wie sich dieser mittlere Teil der Hegelschen Religionsphilosophie im Verlauf der vier Kollegien verändert hat und welche Tragweite die Veränderungen besitzen. In seiner Berliner Zeit hat Hegel durch ausgedehnte Lektüre der damals verfügbaren Quellen und der einschlägigen Sekundärliteratur86 sein Wissen von den außerchristlichen Religionen, zumal den orientalischen, erweitert und vertieft. Abgesehen vom späten Schelling findet sich niemand, der seinerzeit auf dem Feld der Religionsgeschichte ähnlich umfassend gebildet war. Hegels weit ausgreifende Studien hatten zur Folge, dass er seine Philosophie der außerchristlichen Religionen in den Vorlesungen von 1821 bis 1831 kontinuierlich fortentwickelt hat, und zwar in vierfacher Hinsicht.87 (1) In jedem neuen Kolleg steigt die Anzahl der Religionen, die als selbständige Gestalten gewertet und eigens untersucht werden. Während das Manuskript von 1821 die erste Religionsform (unmittelbare oder natürliche Religion) noch nicht historisch differenziert, unterscheidet die Vorlesung von 1824 zwischen vier Gestalten dieser ersten Form, der Religion der Zauberei sowie der indischen, persischen und ägyptischen Religion, die jeweils detailliert erörtert werden. Der Seitenumfang, den die Darlegung der ersten Religionsform einnimmt, steigt damit im Vergleich zum Manuskript von 1821 um mehr als das Fünffache. In den Kollegien von 1827 und 1831 kommen außerdem der Buddhismus (1827) und die chinesische Religion (1831), die früher beide als Varianten der Zauberei galten88, sowie die syrische Religion (1831)89 als selbständige Gestalten hinzu. Die Vorlesung von 1831 widmet damit zehn außerchristlichen Religionen einen eigenen Ab86
Vgl. dazu die „Bibliographie der Quellen zur Religionsphilosophie“ (VPR 4, 835–858) und die hilfreichen Anmerkungen, in denen W. Jaeschke Hegels Zitate und Bezugnahmen auf Quellen und Sekundärliteratur nachweist (ebd., 653–817), sowie die Untersuchung von Reinhard Leuze, Die außerchristlichen Religionen bei Hegel, Göttingen 1975. 87 Vgl. zum Folgenden das Inhaltsverzeichnis (VPR 4, VII–IX) und die Gliederung im Straußexzerpt der Vorlesung von 1831 (VPR 4, 611–642). 88 Der Buddhismus gilt noch 1824 als Zauberei (vgl. VPR 4, 211–218) und die chinesische Religion sogar noch 1827 (vgl. VPR 4, 445–458). 89 Auf die syrische Religion geht Hegel 1827 gar nicht und 1824 nur en passant im Zusammenhang der ägyptischen Religion ein, vgl. VPR 4, 269.
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schnitt, während sich das Manuskript von 1821 noch auf drei Religionen, die jüdische, griechische und römische, beschränkt hatte. (2) Aufgrund intensiven Quellenstudiums und kritischer Aneignung der Ergebnisse zeitgenössischer Forschung hat Hegel zwischen 1821 und 1831 zudem seine Deutung einzelner außerchristlicher Religionen umgearbeitet und vertieft. Neben der chinesischen Religion bildet die jüdische das wichtigste Beispiel dieses Wandels. Das Manuskript von 1821 knüpft noch an die kritische Bewertung des Judentums in den theologischen Jugendschriften an. Die Vorlesungen von 1824 und 1827 hingegen würdigen zunehmend die Bedeutung der jüdischen Religion für den Fortschritt des religiösen Bewusstseins.90 Dieses vertiefte Verständnis des Judentums und anderer außerchristlicher Religionen führte zu weiteren Veränderungen, die das Verhältnis der Religionen zueinander und zu den allgemeinen Formen „bestimmter Religion“ betreffen. (3) Das hierarchische Verhältnis, in das Hegel die außerchristlichen Religionen setzt, und damit die Reihenfolge, in der er sie untersucht, verändert sich im Verlaufe der Kollegien in zwei Fällen. Im ersten Fall kehrt Hegel die frühere Rangordnung zwischen Hinduismus und Buddhismus um, weil sich sein Kenntnisstand inzwischen erweitert hatte. Während er 1824 und 1827 den Hinduismus noch über den Buddhismus stellt, erhält der Buddhismus 1831 den höheren Rang. Der zweite Fall betrifft das hierarchische Verhältnis zwischen jüdischer und griechischer Religion, das sich gleich zweimal ins Gegenteil verkehrt. 1821 und 1824 steht die jüdische Religion in der Rangordnung unter der griechischen, 1827 hingegen über ihr. Im Kolleg von 1831 invertiert Hegel die Hierarchie erneut, indem er die jüdische Religion zwar erstmals der dritten Religionsform zuordnet, sie aber weit unter der griechischen platziert. Diese wechselnde Rangordnung beruht auf dem Wechsel der Kriterien, die Hegel bei der Verhältnisbestimmung von jüdischer und griechischer Religion anlegt. Gemessen an der Frage, in welchem Maße das zweite Moment des Religionsbegriffs, der Unterschied zwischen Göttlichem und Endlichem, Inhalt des religiösen Bewusstseins ist, steht die jüdische Religion über der griechischen.91 Die umgekehrte Rangordnung ergibt sich hingegen, wenn die Frage zugrunde liegt, inwieweit das dritte Moment des Religionsbegriffs, die Versöhnung zwischen Göttlichem und Endlichem den beiden Religionen bewusst ist. Wie wir sahen, ist allerdings das Göttliche, mit dem sich das endliche Subjekt in der griechischen Religion versöhnt 90
Vgl. Peter C. Hodgson, „The Metamorphosis of Judaism in Hegel’s Philosophy of Religion“, The Owl of Minerva 19/1 (1987), 41–52; ders., Hegel and Christian Theology, 228–237. 91 Vgl. oben S. 172–174.
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weiß, seinerseits nur ein Endliches zweiter Ordnung. Daher ist der Höherstellung der jüdischen Religion gegenüber der griechischen der Vorzug zu geben. (4) Aus Hegels fortschreitendem Verständnis der außerchristlichen Religionen ergibt sich im Kolleg von 1831 eine veränderte Zuordnung zu den allgemeinen Formen oder Stufen bestimmter Religion. Abgesehen von der Zauberei und der römischen Religion werden dabei, verglichen mit den früheren Kollegien, alle Religionen einer höheren Stufe zugeordnet.92 Diese Höherstufung betrifft erstens die drei orientalischen Religionen, die chinesische, buddhistische und hinduistische, die in den Vorlesungen von 1824 und 1827 zur ersten Religionsform gehören. 1831 hingegen werden sie der zweiten Religionsform zugeschlagen, um ihrem Bewusstsein des Unterschieds zwischen Göttlichem und Endlichem Rechnung zu tragen. Die erste Religionsform fällt daher 1831 mit der Zauberei zusammen. Neben den orientalischen Religionen werden zweitens die vier Religionen, die ihnen 1824 und 1827 folgen, im Kolleg von 1831 höhergestuft: Die beiden früheren Kollegien hatten die persische und die ägyptische Religion der ersten und die griechische und jüdische Religion der zweiten Religionsform zugeordnet. 1831 dagegen gelten sie sämtlich, wenngleich in veränderter Reihenfolge, als Gestalten der dritten Form, der „Religion der Freiheit“.93 Damit sind die vier Hinsichten dargelegt, in denen Hegel den mittleren Teil seiner Religionsphilosophie im Verlauf der Kollegien weiterentwickelt hat. Um die religionsphilosophische Bedeutung dieser Umbildungen zu bestimmen, müssen zwei Aufgaben unterschieden werden, die Hegels Philosophie der Religionen zu erfüllen hat, die begriffliche und die historisch-hermeneutische Aufgabe. In begrifflicher Hinsicht hat sie die Aufgabe, aus dem Religionsbegriff die allgemeinen Formen abzuleiten, in denen Religionen auftreten können. Ihre historisch-hermeneutische Aufgabe hingegen besteht darin, die positiven Religionen auf den Religionsbegriff zu beziehen, das gedankliche Verhältnis zwischen den Religionen zu bestimmen und sie den allgemeinen Formen von Religion fallgerecht zuzuordnen.94 Wie wir sahen, 92
Verglichen mit der Vorlesung 1824 wird selbst die römische Religion höhergestuft. Denn aus den genannten Gründen (vgl. oben S. 161, Anm. 24) unterscheidet Hegel 1824 nur zwei Formen bestimmter Religion und ordnet deshalb die römische Religion, die in den anderen Kollegien zur dritten Form gehört, der zweiten Form zu. 93 VPR 4, 623. 94 Vgl. die ähnlich gelagerte Unterscheidung zwischen „Religionsphilosophie“ und „Kritik des Bewusstseins“, die Bruno Bauer in seiner Hegel-Interpretation vorgeschlagen hat. Während die Religionsphilosophie aus dem Begriff der Religion die Formen entwickelt, in denen der Begriff erscheint, hat die „Kritik […] den Begriff im Historischen nachzuweisen und überhaupt das Verhältnis desselben zur Geschichte im Einzelnen aus-
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ist die begriffliche Aufgabe bereits im Manuskript von 1821 abgeschlossen. Schon dort gewinnt Hegel die allgemeinen Formen der außerchristlichen Religionen aus den Momenten des Religionsbegriffs, greift also keineswegs auf „Ordnungsprinzipien außerhalb der Religionsphilosophie“95 zurück. Daran ändert sich in den späteren Kollegien nicht das Geringste96, auch wenn Hegel terminologische Korrekturen vornimmt, z. B. auf die Bezeichnung der Religionsformen durch die Bestimmungen Sein-Wesen-Begriff verzichtet. Gewiss, Hegels Philosophie der außerchristlichen Religion wandelt sich im Verlauf der Kollegien in vierfacher Hinsicht. Aber diese Veränderungen betreffen nicht die begriffliche, sondern ausschließlich die historisch-hermeneutische Aufgabe, die Hegel aus verständlichen Gründen nicht abschließen konnte. Denn die Erweiterung und Vertiefung religionsgeschichtlicher und religionswissenschaftlicher Erkenntnis hat Konsequenzen für die Art, in der das Verhältnis der positiven Religionen zum Begriff und den Formen von Religion sowie ihr Verhältnis untereinander bestimmt wird. In historischhermeneutischer Hinsicht kann deshalb auch das Kolleg von 1831 nicht als Abschluss gelten. Lessings Erziehung des Menschengeschlechts legte den gedanklichen Keim zu einer Theodizee der positiven Religionen, den Hegels Religionsphilosophie entfaltet hat. Die Irrungen und Wirrungen der Religionsgeschichte werfen nach Lessing keinen Schatten auf Gott, weil sie der einzige Weg zur Wahrheit sind. Dass die Wahrheit nur schrittweise erreicht werden kann, ist für Lessing allerdings nicht im Begriff der Sache selbst beschlossen, sondern beruht auf der Schwäche menschlicher Vernunft, sie unmittelbar zu begreifen.97 Unter den Voraussetzungen Lessings ist deshalb eine Welt mit klügeren Vernunftwesen möglich, die sich nicht zur Wahrheit hinaufirren müssen. Wenn aber eine bessere Welt als die wirkliche möglich ist, warum wurde sie nicht anstelle der wirklichen geschaffen? Im Unterschied zu Lessing kann Hegel dieses Theodizeeproblem zweiter Ordnung vermeiden. Denn aus dem Begriff der Religion selbst leitet er die Sequenz der Religionsformen ab, die durchlaufen werden muss, um die Wahrheit vollkommen zu erkennen. Damit ist die begriffliche Aufgabe einer Theodizee der Religionen abge-
einanderzusetzen […].“ (Bruno Bauer, Rezension der „Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der gegenwärtigen Theologie von Dr. D. F. Strauss“, Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik Nr. 101–103 [1838], 817–838, hier: 830, 834). 95 Walter Jaeschke, Hegel-Handbuch, 463. 96 Vgl. die oben S. 163, Anm. 28 angeführten Belege. 97 Vgl. G. E. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, § 6 (a. a. O., Bd. 10, 76).
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schlossen, auf die Lessings Erziehungsschrift nur einen „Fingerzeig“98 gab. Durch die religionsgeschichtliche und religionswissenschaftliche Forschung hat sich freilich seit Hegels Zeiten das Verständnis der positiven Religion erheblich verändert. Bezogen auf die historisch-hermeneutische Aufgabe ist Hegels Philosophie der Religionen deshalb trotz der Fülle von Einsichten, die sie auch in dieser Hinsicht enthält, ihrerseits kaum mehr als ein Fingerzeig.
Literaturverzeichnis Bauer, Bruno, Rezension der „Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der gegenwärtigen Theologie von Dr. D. F. Strauss“, Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik Nr. 101–103 (1838), 817–838. Heede, Reinhard, Die göttliche Idee und ihre Erscheinung in der Religion. Untersuchungen zum Verhältnis von Logik und Religionsphilosophie bei Hegel, Diss. Münster / Westfalen 1972. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Phänomenologie des Geistes, hrsg. von Wolfgang Bonsiepen / Reinhard Heede, in: ders., Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 9. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 3–5: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1–3, hrsg. von Walter Jaeschke, Hamburg 1983–1985 (= VPR 3–5). Hodgson, Peter C., „The Metamorphosis of Judaism in Hegel’s Philosophy of Religion“, The Owl of Minerva 19/1 (1987), 41–52. Hodgson, Peter C., Hegel and Christian Theology. A Reading of the „Lectures on the Philosophy of Religion“, Oxford 2007. Jaeschke, Walter, „Einleitung“, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 2: Die bestimmte Religion, neu hrsg. von W. Jaeschke, Hamburg 1994, XI–XXXV. Jaeschke, Walter, Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule, Stuttgart / Weimar 2003. Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft, neu hrsg. von Raymund Schmidt, Hamburg 1976. Lessing, Gotthold Ephraim, Die Erziehung des Menschengeschlechts, in: ders., Werke und Briefe in zwölf Bänden, hrsg. von Wilfried Barner, Bd. 10: Werke 1778–1781, hrsg. von Arno Schilson /Axel Schmitt, Frankfurt/M 2001, 73–99. Leuze, Reinhard, Die außerchristlichen Religionen bei Hegel, Göttingen 1975. Schick, Friedrike, „Zur Logik der Formen bestimmter Religion in Hegels Manuskript zur Religionsphilosophie von 1821“, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 55 (2013), 407–436.
98 G. E. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, Vorbericht des Herausgebers und § 46 (a. a. O., Bd. 10, 74 und 87).
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Schleiermacher, Friedrich, Der christliche Glaube, nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2 Bde., hrsg. von Martin Redeker, Berlin 7. Auflage 1960. Schlitt, Dale M., Divine Subjectivity. Understanding Hegel’s Philosophy of Religion, London / Toronto 1990. Schoeps, Hans Joachim, „Die ausserchristlichen Religionen bei Hegel“, Zeitschrift für Religions‑ und Geistesgeschichte 7 (1955), 1–34.
Der kritische Inklusivismus und die opake Identität von Denken und Sein Überlegungen zum Umgang mit dem Religionspluralismus in Auseinandersetzung mit Hegel Martin Wendte Was Hegel nur gleichsam mit dem Fernrohr sah oder in der Form schriftlicher Quellen, sehen wir, wenn wir aus unseren Fenstern schauen, oder wir sehen es bereits in unseren eigenen Wohnungen: „Die Religion“ gibt es nur in der Form einer Vielzahl von Religionen. Stärker noch als zu Hegels Zeiten begegnen sich heutzutage die Vielzahl der Religionen an gemeinsamen Orten, so dass die ganze Welt und auch Deutschland durch religiös-weltanschaulichen Pluralismus gekennzeichnet sind. Neben Kirche und Synagoge gehört die Moschee ebenso selbstverständlich zu Deutschland wie das buddhistische Meditationszentrum. Das Zusammenleben ihrer Anhänger an gemeinsamen Orten ist sowohl durch Kooperation wie durch Konkurrenz geprägt. Umso drängender stellt sich die Frage, wie dieser Pluralismus denkerisch einzuordnen ist. Um an die bekannte Einordnung zu erinnern: Wenn nicht alle Religionen gleichermaßen unwahr sind, wie der Naturalismus meint1 – ist dann nur eine Religion die wahre, vernünftige etc., wie der Exklusivismus meint, so dass alle anderen Religionen unwahr sind, Götzendienst, Teufelswerk? Dagegen erhebt sich der Einwand, dass die (zumindest auf den ersten Blick) ungeschützte Positionalität dieses Ansatzes und ihre Abwertung der anderen Religionen religionsphilosophisch nicht zu überzeugen vermag und für das Leben im religiös-weltanschaulichen Pluralismus kaum von Hilfe sein kann. Zumindest sollten zuerst andere Optionen geprüft werden, die der Vernunft einen größeren Grad an Allgemeinheit zutrauen und die anderen Religionen nicht sogleich abwerten, ehe diese Option vertreten wird. – Sind daher vielleicht alle Religionen gleichermaßen wahr (oder gleichermaßen unwahr), nämlich Annäherungen an die eine, unaussprechliche Wahrheit, 1
Zum Naturalismus vgl. auch Fußnote 42.
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die ihnen allen zugrunde liegt und sie zugleich alle übersteigt, ohne sich in einer von ihnen vollumfänglich zu realisieren, wie der religiöse Pluralismus meint? Dagegen erhebt sich der Einwand, dass diese Relativierung aller Religionen kaum zu überzeugen vermag. Denn sie geht gegen die Binnenperspektive der einzelnen Religionen, die die Differenzen zwischen sich durchaus als wesentlich ansehen; um diese Relativierung zu vollziehen, setzt die pluralistische Religionstheorie zudem selbst Maßstäbe von wahr und falsch an, anhand derer sie die geschichtlich gegebenen Religionen misst, ohne diese Maßstäbe ausreichend auszuweisen oder zu begründen; und sie ruht auf einem opaken Wahrheitsbegriffs, der letztlich eher eine Form des Monismus propagiert als die eines Pluralismus. – Realisieren sich dann nicht vielmehr in allen Religionen Teilwahrheiten der einen Wahrheit – der einen wahren Religion –, die sich in ihrer Vollgestalt in einer bestimmten Religion realisiert, wie der Inklusivismus meint? Um den Inklusivismus genauer zu prüfen, sei mit Friedrich Hermanni darauf hingewiesen, dass der Inklusivismus in zwei Spielarten auftritt, in einer dogmatischen und in einer kritischen.2 Die dogmatische Spielart erklärt aus der Binnenperspektive einer Religion die eigene Religion zur absoluten Religion und sieht die anderen Religionen als Realisierungsgestalten von Teilwahrheiten oder Momenten der eigenen Wahrheit. Dieser dogmatische Inklusivismus kann als der wohlerzogene (gleichsam politisch korrekte und damit zeitgemäße) kleine Bruder des Exklusivismus gelten. Er erbt aber dessen begründungstheoretische Schwäche. Der kritische Inklusivismus hingegen misst alle Religionen an einem Begriff der Religion, der nicht aus einer religiösen Binnenperspektive gewonnen wurde, sondern aus der externen Perspektive der philosophischen Vernunft, welche mit einem größeren Allgemeinheitsanspruch auftritt. Diejenige Religion, in der sich der philosophisch gegründete Religionsbegriff vollumfänglich realisiert, ist dann die vollendete Religion, und die anderen Religionen sind ihr entsprechend unter‑ und zugeordnet. In dem mit Abstand längsten ersten Teil dieses Aufsatzes werde ich eine Rekonstruktion der (m. E.) entscheidenden Konstruktionsprinzipien von Hegels Inklusivismus präsentieren. Es wird gezeigt, dass Hegel der denkbar stärkste Vertreter eines kritischen Inklusivismus ist. Denn er entwickelt seinen Begriff des absoluten Geistes und der Religion, an dem er alle Religionen misst, im Rahmen seines letztbegründeten Gesamtsystems. Im Gesamtsystem sind Sein und Begriff, Wirklichkeit und Vernunft etc. letztlich voll2 Friedrich Hermanni, „Kritischer Inklusivismus. Hegels Begriff der Religion und seine Theorie der Religionen“, in: NZSTh, Bd. 55 (2013), 138 (= Kritischer Inklusivismus).
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ständig miteinander vermittelt. Die Perspektive seines Systems präsentiert somit keine Perspektive unter anderen, sondern ist perspektiven‑ oder standpunkttranszendent und in diesem Sinne theoretische Wissenschaft.3 Dabei tritt diese erreichte Letztposition bei Hegel nicht selbst wiederum als eine eigene materiale Position oder als eine bestimmte Metaphysik auf. Vielmehr ist sie die prozessuale Vermittlung aller bestimmten Metaphysiken und damit die prozessuale Vermittlung von Denken und Sein selbst, und zwar in vollendeter Durchgeklärtheit: Hegels perspektiventranszendente Letztperspektive ist die dialektische „Methode“ selbst.4 Da Hegels Geist‑ und Religionsbegriff von der letztbegründeten dialektischen Methode geprägt ist und auch von ihr abgeleitet wird, ist keine begründungsstärkere Gesamttheorie denkbar, von der aus die uns lebensweltlich so nahe Vielfalt der Religionen geordnet werden kann, als die Hegels. Um das darzulegen, wird zuerst Hegels Begriff des absoluten Geistes und der Religion rekonstruiert (I.1.), sodann dessen Darstellung der Religionsgeschichte als die Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes (I.2.), und schließlich die Aufgabe des Religionsphilosophen, in dessen Begreifen sich die Religionsgeschichte als die einheitliche Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes vollzieht, da er die Religionsgeschichte mit dem Gesamtsystem vermittelt. Dabei kommt der absolute Geist weiter zu sich, er konstituiert sich dabei also weiter (I.3.). Nach einer Rekonstruktion Hegels in dieser Stoßrichtung wird im deutlich kürzeren zweiten Teil eine Kritik an Hegel zu Wort kommen, die besagt, dass diese Gesamttheorie Hegels aus internen Gründen nicht haltbar ist und mit ihr auch nicht ihre perspektiventranszendierende Perspektive. In schlichtester Weise zusammengefasst besagt diese Kritik, dass die Anwendungsbedingungen von Logik selbst nicht mehr durch Logik zu sichern sind. Um Ordnungssysteme für eigenes Handeln anwenden zu können – um Ordnungssysteme als Momente des eigenen Orientierungswissens zu gebrauchen –, bedarf es raumzeitlich verorteter Subjekte, und diese Verortungsleistung ist nicht selbst aus den Ordnungssystemen abzuleiten. Vernunft ist immer Vernunft für jemanden bestimmtes und damit eingebettete Vernunft. Anders gesagt: Die wesentliche Vermittlung von Denken und Sein ist damit so zusammenzudenken, dass die Identität beider opak bleibt. Dieser Aspekt der Verborgenheit oder Unmittelbarkeit und Unvermittelbarkeit tritt epistemologisch als Perspektivität des Erkennens auf und realphilosophisch u. a. als unaufhebbare Freiheit und Kontingenz, welche – anders 3 Siehe Anton Friedrich Koch, Die Evolution des logischen Raumes. Aufsätze zu Hegels Nichtstandard-Metaphysik, Tübingen 2014, 8 f. (= Evolution). 4 Siehe dazu unten, I.1.
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als bei Hegel – nicht vollständig mit der Notwendigkeit vermittelbar sind. Der Aufsatz endet mit einigen skizzenhaften Überlegungen dazu sowie zu einem von daher entwickelten Begriff der Religion und des absoluten Geistes, welcher eine andere Ordnung der Religionen als von Hegel vorgeschlagen ergibt: anders in der materialen Verfasstheit und anders in der von ihr angesetzten Reichweite und Bestimmungsstärke (II.). – Doch zuerst zur Rekonstruktion Hegels als meinem längeren ersten Teil.
I. Hegels Rekonstruktion des Religionspluralismus: Die Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes als Durchführung des letztbegründeten kritischen Inklusivismus I.1. Die Religionsgeschichte als Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes, der sich in der Form der Vorstellung hat Laut Hegel ist die Religion eine Realisationsform des absoluten Geistes. Ihn definiert Hegel wie folgt: „Der absolute Geist ist ebenso ewig in sich seiende als in sich zurückkehrende und zurückgekehrte Identität; die Eine und allgemeine Substanz als geistige, das Urteil in sich und in ein Wissen, für welches sie als solche ist“.5 Dieser Satz sei wie folgt näher erläutert: Er präsentiert eine „ewige“ Bestimmung des absoluten Geistes – also keine überzeitliche, sondern die gültige, da begriffsgemäße, dialektische. Der Geist vollzieht sich in der Dynamik dessen, dass er zuerst bei sich ist und dann dergestalt bei sich bleibt, dass er sich mit seinem Anderen vermittelt – mit materialen, endlichen Wirklichkeiten. Von dort ist der Geist „zurückkehrend und zurückgekehrt“, weil er erkennt, dass diese materialen, endlichen Wirklichkeiten selbst begrifflich verfasst und erfassbar sind: letztlich Geist von seinem Geist, nur in der Form des Andersseins. Diese Vermittlungsdynamik ist die „Identität“ des Geistes. In ihr zeigt sich die Substanz des Geistes, und es zeigt sich, dass die Substanz aller Realität Geist ist, der Geist als „allein wahrhafte Wirklichkeit“. Es zeigt sich im Prozess, dass Begriff und Sein wesentlich miteinander vermittelt sind. Mit diesen Explikationen wird bereits in Anspruch genommen, was später noch ausführlicher darzustellen sein wird (I.2.): Der Geist ist geprägt von denjenigen Grundmomenten und Grundvollzügen, die in der Wissenschaft der Logik an ihnen selbst dargestellt und im Schlusskapitel der Wissenschaft 5
Enz., § 554.
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der Logik, der „absoluten Idee“, als Methode des Gesamtsystems namhaft gemacht werden. Ihr methodisches Zentrum besteht in dem dialektischen Drei-Schritt einer anfänglichen, unmittelbaren Allgemeinheit, die zu ihrem Anderen wird, dem Besonderen, ehe sich beide Momente als vermittelt erweisen und so zu einer neuen Synthese gelangen, der Einzelheit.6 Diese Bewegung ist dadurch näher zu charakterisieren, dass drei Aspekte an ihr namhaft gemacht werden können. Erstens werden in diesem Vollzug anfangs vorhandene Aspekte von Unmittelbarkeit abgebaut, oder, mit einem berühmten Slogan Hegels gesprochen: Es muss „das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt“ aufgefasst werden.7 Zweitens vollzieht sich dies in einer Bewegung, die von erster Unmittelbarkeit zu dann folgender Entzweiung weiterschreitet, ehe sie in darauf folgender Vermittlung endet. Drittens ereignet sich die Bewegung wie folgt: Es wird jeweils ein Moment des Begriffes eigens gesetzt (zuerst das Allgemeine, dann das Besondere), ehe deutlich wird, dass dieses Moment zugleich weitere, bisher nicht explizit gemachte Momente in Anspruch nimmt. Um nicht bei diesem Widerspruch stehen zu bleiben, wird das bisher nicht explizit gemachte Moment eigens gesetzt (und so weiter), ehe alle Momente eigens gesetzt sind (so in der Einzelheit). – Diese drei Aspekte der Begriffsentwicklung werden sich zugleich als die drei Strukturmomente der Entwicklung der Religionsgeschichte herausstellen, oder, wie Hegel auch sagen kann, als ihre „inneren Bildner“8; siehe dazu unten, I.2. Der absolute Geist vollzieht diese Vermittlungsbewegung in der in der Religion erreichten Sphäre im Medium des Wissens. Im Unterschied zum subjektiven und objektiven Geist vollzieht sich diese Vermittlungsbewegung in der Religion im Medium des absoluten Wissens und damit desjenigen Wissens, das um sich selbst weiß. Dies geschieht dergestalt, dass der unendliche Geist von sich im Wissen des Menschen weiß. Mit dem obigen Zitat gesprochen: Der Geist vollzieht es „in einem Wissen, für welches die Identität als solche ist.“ Um das mit einem Enzyklopädie-Zitat zu vertiefen: „Gott ist nur Gott, insofern er sich selbst weiß; sein Sich-wissen ist ferner sein Selbstbewusstsein im Menschen und das Wissen des Menschen von Gott,
Zu einer ausführlichen Analyse der „absoluten Idee“ siehe Martin Wendte, Gottmenschliche Einheit bei Hegel. Eine logische und ontologische Untersuchung, Berlin 2007, 68–154 (= Gottmenschliche Einheit). 7 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, PhB 414, Hamburg 1987, 14. 8 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik: Die Lehre vom Begriff, PhB 377, Hamburg 2003, 23 (= WL 3). 6
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das fortgeht zum Sich-Wissen des Menschen in Gott.“9 Der absolute Geist oder Gott weiß dergestalt von sich, dass er sich im Wissen des Menschen von Gott vollzieht. Er erreicht sein Vermittlungsziel darin, dass der Mensch sich weiß als in Gott seiend. Gegenüber Kunst und Philosophie als den anderen Formen des absoluten Geistes ist das Wissen in der Religion dadurch gekennzeichnet, dass der unendliche Geist sich im endlichen in der Form der Vorstellung weiß, nicht in der der Anschauung oder des Begriffs.10 Die Vorstellung negiert die sinnliche Unmittelbarkeit der Anschauung, ist aber in anderer Weise durch noch nicht erreichte Vermittlung gekennzeichnet, durch ein doppeltes Auseinander. Zum einen stellt sie sich ihre Inhalte als voneinander getrennte vor. So stellt sie sich etwa im Christentum den absoluten Geist im anfänglichen Ansichsein vor als immanente Trinität, und dabei dergestalt, dass es sich bei den Momenten der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit um drei voneinander unterschiedene, ja sogar gewissermaßen voneinander getrennte Personen handelt: Sie entwickelt die Vorstellung von einem Vater, einem Sohn und einem Geist. Zum anderen präsentiert die Vorstellung ihre (selbst voneinander getrennten) Vorstellungsinhalte als vom Vorstellenden getrennt: dergestalt, dass die immanente Trinität irgendwie „da oben“ zu verorten ist, im Himmel (und das heißt für die Vorstellung: sky), weit weg vom Vorstellenden. Verbunden wissen sich unendlicher und endlicher Geist jedoch im religiösen Vollzug, im Kult, und in solchen Vorstellungsinhalten, die der Form der Vorstellung zu widersprechen beginnen: in Jesus Christus und dann in der Vorstellung des Pfingstgeistes. Diese macht deutlich, dass der absolute Geist als Gemeinde existiert, am Ort des Bewusstseins der Gemeindeglieder und als deren Vorstellung von ihrer Vermittlung mit Gott. Allerdings vollzieht sich der absolute Geist nicht sogleich im Christentum, sondern muss zuerst durch die anderen Religionen hindurchgehen. Denn die eingangs erwähnte Dynamik des absoluten Geistes prägt auch seine Vollzugsweise im Raum der Religionen: Der absolute Geist hat seine „Identität“ dadurch, dass er sich mit allen scheinbar Anderen vermittelt und dann von diesen „zurückkehrt“. Er besitzt seine wahre Identität nicht am Anfang, sondern als Resultat eines Prozesses der Vermittlung mit seinem Anderen. Denn die Natur des Geistes besteht darin, Freiheit zu sein, die erst zu sich werden muss:11 „Der Geist muss wie in allem, so in der Religion seine Bahn durchlaufen“, denn „er ist nicht am Ziel, ohne seinen Weg durchlaufen 9
Enz., § 564, Anm., 447. Siehe dazu ausführlicher Wendte, Gottmenschliche Einheit, 165 ff. 11 Siehe auch Hermanni, Kritischer Inklusivismus, 152. 10
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zu haben.“12 Entsprechend durchläuft der absolute Geist einen Weg von den ersten Naturreligionen hin zum Christentum. Die Religionsgeschichte ist damit die Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes hin zu seiner vollentwickelten Identität und erlangt dadurch ihren inneren Zusammenhang und ihre charakteristische Prägung. Doch wie sieht diese aus?
I.2. Die Religionsgeschichte als die Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes ist durch drei „innere Bildner“ geprägt: Die Substanz wird Subjekt, der Weg geht von Unmittelbarkeit über Entzweiung zu neuer Vermittlung, und einzelne Momente des Geistes‑ und Religionsbegriffs werden gesetzt. Bekanntlich hat Hegel in den verschiedenen Vorlesungen zur Religionsgeschichte verschiedene Versuche vorgelegt, wie er die Vielfalt der Religionen in die Einheit einer Entwicklungsgeschichte einpasst.13 Mir scheint, dass Hegels Rekonstruktion der Religionsgeschichte in den Vorlesungskollegs von 1827 und 1831 eine begriffsgemäße Form gefunden hat. Sie ist durch drei Strukturmomente oder „innere Bildner“ geprägt, die im letzten Abschnitt (I.1.) auch bereits als Strukturmomente des absoluten Geistes 12 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Der Begriff der Religion, PhB 459, Hamburg 1993, 91 und 90 (= VPR 3). 13 Die verschiedenen Kollegs scheinen – mit Jaeschke gesprochen – ein einziges „Experimentierfeld“ zu sein, auf dem Hegel seine zunehmenden Kenntnisse der Religionsgeschichte ausprobiert, siehe Walter Jaeschke, Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels, Stuttgart 1986, 288 (= Vernunft). Alles scheint sich zu verändern: Erstens werden die verschiedenen Religionen in den jeweiligen Kollegs unterschiedlich dargestellt; hier ist vor allem auf die zunehmende Ausdifferenzierung der Naturreligionen zu verweisen, siehe etwa die Differenzen in der Darstellung des Buddhismus und der chinesischen Religion in den Kollegs von 1821 und 1827. Zweitens werden unterschiedliche Einteilungen angewandt, so dass Hegel in dem Kolleg von 1824 mit einer Zweiteilung der Religionen in die „Unmittelbare Religion“ und die „Religionen der geistigen Individualität“ arbeitet, ansonsten aber mit einer Dreiteilung. Hinzu kommt, dass den jeweiligen Unterteilungen der Dreiteilungen in den verschiedenen Kollegs auch noch verschiedene Funktionen und unterschiedliche Religionen zugeschrieben werden. So werden der zweiten Stufe der Dreiteilung 1821 die Religionen der Erhabenheit und der Schönheit zugeordnet und somit die Juden und die Griechen, während der zweiten Stufe 1831 die Entzweiung und somit die Chinesen, Inder und Buddhisten zukommen. Zudem verändern sich, drittens, die begriffliche Grundlegung oder die „inneren Bildner“ der Einteilungen und der Einzelreligionen ganz erheblich, auch wenn der begriffliche Kern doch wohl erhalten bleibt: das Kolleg von 1821 wird durch die Einteilung von Sein, Wesen und Begriff strukturiert, das Kolleg von 1824 durch die Gottesbeweise, das Kolleg von 1827 gar nicht, und das Kolleg von 1831 durch den Dreischritt von Unmittelbarkeit, Entzweiung und Versöhnung.
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und des ihm zugrundeliegenden Begriffes oder der absoluten Idee namhaft gemacht wurden: dass die Substanz Subjekt wird, dass der Weg von erster Unmittelbarkeit über Entzweiung zu neuer Vermittlung führt, und dass dabei jeweils ein Moment des Begriffs eigens gesetzt wird. Damit gilt: Die Religionsgeschichte ist Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes und als solche von dessen Strukturmomenten geprägt, welche wiederum Strukturmomente des Begriffes (und damit auch des Begriffes der Religion) sind. Die Religionsgeschichte wird somit nicht durch ihr externe (gleichsam bloß aufgeraffte) Strukturmomente charakterisiert, sondern durch ihr interne: nämlich durch solche, die Momente ihres eigenen Begriffes sind.14 Dass diese der Sache nach wesentlich miteinander vermittelten Momente des Begriffs (und damit des Begriffs der Religion) im Folgenden als drei „innere Bildner“ vorgeführt werden und somit der Eindruck entstehen könnte, dass es sich um drei voneinander trennbare Bildner handelt, ist allein ein darstellungstechnisches Problem. Es ist der Tatsache geschuldet, dass die begrifflich wesentlich zusammengehörigen Momente nacheinander vorgeführt werden müssen, um überhaupt expliziert werden zu können. Der erste „innere Bildner“ prägt alle Vorlesungs-Kollegs und beschreibt die Entwicklung des absoluten Geistes von der Substanz zum Subjekt. Nach einer Phase der allerersten Einheit der Zauberreligionen ergibt sich eine zunehmende Vergeistigung des Gottesgedankens.15 Denn die ersten Religionen in der Religionsgeschichte sind noch wesentlich durch substanzhafte Züge geprägt.16 Der weitere Verlauf ist als die Subjektivierung 14 Siehe
dazu auch den Beitrag von Friedrich Hermanni in diesem Band, der sich m. E. ganz zu Recht gegen Walter Jaeschke, Einleitung, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Die bestimmte Religion, PhB 460, Hamburg 1994, XXIX–XXX, (= VPR 4) wendet, welcher die Religionsgeschichte als durch ihr externe Strukturmomente geordnet sieht. 15 Siehe etwa die programmatischen, auf die zeitgenössische Debatte eingehende Darlegungen in VPR 4, 469–472 oder die Charakterisierung in VPR 4, 282 f. Auch Jaeschke, Vernunft, 283, und Reinhard Leuze, Die ausserchristlichen Religionen bei Hegel, Göttingen 1975, zusammenfassend 241, sehen dieses Schema als eines an, das Hegel selbst gemäß ist. Herbert Huber, Idealismus und Trinität, Pantheon und Götterdämmerung. Grundlagen und Grundzüge der Lehre von Gott nach dem Manuskript Hegels zur Religionsphilosophie, Weinheim 1984, 113 (= Idealismus), benennt den materialen Aspekt dieser Entwicklung, wenn er feststellt, dass die „als Götter verehrten Entitäten sozusagen immer geistiger werden“. 16 Die Unmittelbarkeit der Gott-Mensch-Verbindung zu Beginn der Religionsgeschich te führt allerdings auch dazu, dass diese Religionen laut Hegel kaum schon verdienen, Religionen genannt zu werden (siehe VPR 4, 433). Dennoch verwundert es, dass Leuze, Die ausserchristlichen Religionen, als die einzige vorliegende monographische Abhandlung zu Hegels Religionsgeschichte die Naturreligionen kommentarlos ausspart.
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der Substanz zu begreifen, ehe im Christentum die Substanz ebensosehr Subjekt geworden ist.17 Wie eben angedeutet und bereits aus der „absoluten Idee“ bekannt, verfährt diese Subjektivierung auch in der Religionsgeschichte nach einem Entwicklungsschema, das als der zweite „innere Bildner“ zu verstehen ist: dem Schema erster Unmittelbarkeit, dann folgender Entzweiung und darauf folgender Vermittlung; oder, wie Hegel bereits 1821 festhält, nach dem Schema der Seins-, der Wesens‑ und der Begriffslogik.18 Material etwas breiter ausgeführt: Zu Beginn der Religionsgeschichte in den Naturreligionen der Afrikaner als einer Art religionsgeschichtlichem Vorspiel liegt eine unmittelbare, quasi-substantiale oder seinslogische Einheit von Gott, Welt und Mensch vor. Denn der Zauberer als der religiös ausgezeichnete Mensch wirkt unmittelbar auf Mensch und Welt ein. Im Buddhismus wird Gott eigens als Substanz gedacht – als Leere, Nirvana. Die Subjektivierung bedeutet sodann eine zunehmende Entzweiung Gottes von seiner unmittelbaren Bindung an substantiale Größen. So entwickelt sich eine Stufe der Entzweiung, auf der zwei Entitäten in wesenslogischer Art vermittelt sind, ohne eine umfassend neue Identität zu erlangen. Diese Entzweiung findet sich etwa in der persischen Religion der Parsen; Hegel verortet sie im Kolleg von 1827 gemäß 17 Tatsächlich wird die aus der Auslegung der absoluten Idee vertraute, aber ursprünglich aus der Vorrede der Phänomenologie des Geistes, 14, stammende, programmatische Formulierung von der Substanz, die ebenso sehr Subjekt werden muss, in VPR 4, 471, auf das Christentum angewendet. 18 Das Schema wird in dem Kolleg von 1827 zuerst kurz erwähnt und daraufhin anhand des dem Kolleg programmatisch vorangestellten Mythos von Genesis 3 in erzählender Form präsentiert, siehe dazu VPR 4, 423–428 und auch 502. Da Hegel den Mythos von Genesis 3 in dem Kolleg von 1827 und auch schon in dem Kolleg von 1824 seiner Darstellung der Religionsgeschichte voranstellt, zielt die darin dargestellte Entwicklung sicher nicht nur eine auf onto-, sondern ebenso auf eine phylogenetische Ebene. Damit wäre dem Buch Joachim Ringlebens, Hegels Theorie der Sünde. Die subjektivitäts-logische Konstruktion eines theologischen Begriffs, Berlin 1977, eine einseitige Konzentration auf die ontogenetische Seite der im Mythos dargestellten Entwicklung vorzuwerfen. Anders gesagt: Die, wie es im Untertitel heißt, „subjektivitäts-logische Konstruktion“ bedarf einer Einbettung in die allgemeinen Strukturen von Geschichte und Gemeinschaft. Gerade eine Subjektivitätstheorie, die das Ich als den Zusammenfall von Allgemeinem und Besonderem denkt, muss die Vermittlung von Onto‑ und Phylogenese besonders betonen. – 1831 wird es dann begrifflich dargelegt; siehe dazu VPR 4, 612. Unsere Analyse des Textes wird zeigen, dass dieses Dreier-Schema bereits 1827 den inhaltlichen Ausführungen entspricht und damit keineswegs „einem fremden Inhalt übergestülpt [war] und daher mehr zur Konfusion als zur Erkenntnis beitrug“, wie Jaeschke, Vernunft, 282, meint. – Dieses Schema ist somit eine Umformulierung des „inneren Bildners“ des Kollegs von 1821 als „Sein, Wesen, Begriff“ und übernimmt zugleich die in den drei Teilen der Logiken vorherrschenden verschiedenen Formen der Dialektik, siehe VPR 4, 2–4.
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der Rationalität des ersten „inneren Bildners“ auf der Stufe des „Übergangs“ von denjenigen Religionen, bei denen das Geistige vom Natürlichen bestimmt wird, hin zu denjenigen Religionen, bei denen das Natürliche vom Geistigen bestimmt wird.19 In der persischen Religion wird Gott als Licht gesehen, dem allerdings das Dunkel in dualistischer, unvermittelter Weise entgegensteht. Aus der hier erreichten Entzweiung entwickelt sich die Religionsgeschichte hin zu neuen Vermittlungsformen, so dass sich die Subjektivierung als eine zunehmend konkretere Einheit des absoluten Geistes nach Art der Begriffslogik vollzieht: Dies beginnt sich in der griechischen Religion und im Judentum als den Religionen geistiger Individualität zu ereignen, in der Gott und Mensch als geistige Entitäten und im Judentum in der Form des Monotheismus eigens in den Blick kommen. Die römische Religion stellt noch eine unvollendete Form von Vermittlung dar. Im Christentum entwickelt sich schließlich diejenige Einheit von Gott, Welt und Mensch, die die realphilosophische Verwirklichung absoluter Vermittlung ist. Somit gleicht Jesus Christus dem am Anfang der Religionsgeschichte auftretenden Zauberer der Naturreligionen, da beide die gottmenschliche Einheit repräsentieren und beide Macht über alle Welt haben. Der Unterschied zwischen ihnen besteht allerdings darin, dass der Zauberer in so unvermittelter Weise Gott repräsentiert und die Welt beherrscht, dass, Recht verstanden, von Gott und der Welt noch gar keine Rede sein kann. In Jesus Christus hingegen „bezaubert“ Gott alle Welt.20 Der zweite Adam ist der erste in seiner wahren Vermittlung – weil er die vollendete Realisierung des Begriffs selbst in der Form der Vorstellung darstellt.21 Die einzelnen Religionen als Schritte auf dem Weg vom ersten zum zweiten Adam sind durch den dritten „inneren Bildner“ charakterisiert: dadurch nämlich, dass jeweils ein Moment des Begriffs der Religion eigens gesetzt wird.22 Einerseits gilt: Um überhaupt Religion zu sein, kommen allen Religionen alle Momente des Begriffes zu. Damit schaut etwa das Christentum auch in der fremdesten Naturreligion ihm Vergleichbares – Geist von seinem Geist, nämlich: Religion – an; es erkennt sich selbst im Anderen seiner selbst. Andererseits gilt: Bei den vorchristlichen Religionen sind noch nicht alle Momente gleichermaßen gesetzt, d. h., es sind den Anhängern der Religion noch nicht alle Momente der Religion als explizite Vorstellungsinhalte gegenwärtig (auch wenn sie die nicht-explizit gemachten Vorstellungsinhalte doch Siehe VPR 4, 532 f. Zu dem Vergleich beider siehe VPR 4, 13 f. 21 So wie die absolute Idee das wahre Sein ist und die Einzelheit die wahre Allgemeinheit, siehe WL 3, 284 und 299. 22 Siehe dazu VPR 3, 90 f., 28, 57, und Huber, Idealismus, 111 f. 19 20
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in Anspruch nehmen).23 Vielmehr wird im Verlauf der Religionsgeschichte mit einer neuen Religion je ein Moment des Begriffes gesetzt, das dann die Religion als Ganze prägt. Genauer: Das je neue Moment der Religion wird so gesetzt, dass es verschiedene Religionen oder verschiedene Entwicklungsstufen einer Religion prägen kann. So realisiert sich etwa die Religion der Zauberei als die erste Stufe der Religionsgeschichte, in der das Moment der Unmittelbarkeit prägend ist, sowohl in der Religion der Eskimos wie in der Afrikas.24 Hegels damit erreichte Flexibilität bietet für unsere gegenwärtige Situation des Religionspluralismus eine große Chance; dieser Punkt kann hier nur angedeutet werden und wird unter II.2. nochmals kurz aufgenommen, würde aber eine vertiefte Betrachtung verdienen. Denn die erreichte Flexibilität ermöglicht es weit jenseits wenig überzeugender Essentialisierungen (in der Form von: „DER Buddhismus entspricht dieser oder jener Stufe der Entwicklung des absoluten Geistes“), bestimmte geschichtliche Realisationsformen einer Religion in den Blick zu nehmen und auf die in ihr wohnende Vernünftigkeit hin durchsichtig zu machen. Zudem – für die Gegenwart besonders interessant – vermag sie es auch, bestimmte hybride, synkretistische Neuformationen religiösen Lebens unter den Bedingungen globalisierter Bastel-Religionen zu begreifen.25 Denn Religionen entwickeln sich gegenwärtig häufig im „Dritten Raum“, wie wir von Homi Bhabha lernen:26 als Euro-Islam, als Christentum mit Yoga-Elementen etc. Hegel kann auch deshalb Vernunft in diesen Neuformationen finden, da Hegel letztlich weniger auf spezifische Inhalte abzielt, die eine Religion bestimmen, sondern auf den Vermittlungsprozess des Geistes selbst: Dies könnte sich als innerer Bildner je neuer Hybridisierungen erweisen. Die verschiedenen Religionen, so sahen wir, haben jeweils ein Moment des Religionsbegriffs als eigenen Vorstellungsinhalt. Da aber die anderen Momente der Religion in dieser Religion auch vorhanden sind, ergibt sich zugleich ein Widerspruch zwischen dem gesetzten Vorstellungsinhalt dieser Religion und ihrer tatsächlichen Verfasstheit. Um das anhand der Natur‑ oder Zauberreligionen weiter zu erläutern: Der in ihnen dominanten Unmittelbarkeit wird durch den Tod widersprochen als der realphilosophischen Entsprechend heißt es in VPR 3, 276: „Die ganze Philosophie ist nichts anderes als ein Studium der Bestimmung von Einheit; ebenso ist die Religionsphilosophie nur eine Reihenfolge von Einheiten, wo immer die Einheit, aber diese Einheit immer weiter bestimmt wird“. 24 Vgl. VPR 4, 439. 25 Siehe zu diesem Punkt auch den Beitrag von Thomas A. Lewis in diesem Band. 26 Siehe grundlegend Homi Bhabha, The Location of Culture, Routledge 2004. 23
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Verwirklichung von Negation oder Vermittlung, ohne dass dieser Widerspruch selbst in die Naturreligion ausreichend integriert wird. Widersprechendes aber kann nicht bestehen. Dieser Widerspruch führt dazu, dass die jeweilige Religion verlassen wird und eine neue Religion in den Blick gerät, in der ein neues Moment gesetzt wird. Auf diese Weise entwickelt sich der Geist, und es schreitet die Religionsgeschichte voran. Sie vollendet sich im Christentum, das alle wesentlichen Momente des Geistes und der Religion als ihre eigenen Vorstellungsmomente eigens gesetzt hat: nämlich die Struktur des absoluten Geistes in der Vorstellung der Trinität, die dann auch das Menschen‑ und Weltbild prägt. Damit erweist sich das Christentum als vollendete, absolute Religion. Um es zusammenzufassen: Ich schlage vor, Hegels Rekonstruktion der Entwicklung der Religionsgeschichte als die Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes zu fassen, der in dieser Entwicklungsgeschichte zu sich wird. In ihr realisieren sich drei Entwicklungsmomente oder „innere Bildner“, welche Strukturmomente des absoluten Geistes und damit des Begriffs der Religion und des Begriffs selbst sind und die in der Wissenschaft der Logik an ihnen selbst begriffen werden: Der absolute Geist entwickelt sich – erstens – von substanz-haften Vorstellungen zu subjekt-haften, indem er – zweitens – von einer ersten Phase der Unmittelbarkeit über die der Entzweiung zu neuer Vermittlung gelangt, wobei – drittens – jeweils ein Moment des Geist‑ und Religionsbegriffs in einer Religion eigens gesetzt wird und aus den daraus resultierenden Widersprüchen die nächste Religion entsteht.
I.3. Der absolute Geist und der Religionsphilosoph: Vermittlungen der Religionsgeschichte mit dem Gesamtsystem; weiteres Zu-Sich-Kommen des Geistes In welchem Bewusstsein – oder: in welchen Bewusstseinen – vollzieht sich diese Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes nun? Und was sind die Aufgaben, Leistungen und Voraussetzungen, die ihnen jeweils zukommen? Die Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes vollzieht sich zum einen im religiösen Bewusstsein der jeweiligen Anhänger einer Religion, zum anderen in dem nach-denkenden Bewusstsein des Religionsphilosophen. Beiden kommen spezifische Leistungen zu. So realisiert sich die Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes zum einen im religiösen Bewusstsein der jeweiligen Anhänger einer Religion, nämlich als deren Vorstellungsformen. Er realisiert sich als das Bewusstsein des Zauberers der Naturreligion, alle Wirklichkeit zu sein, etc.: in dieser Form vermittelt sich der unendliche Geist mit seinem anderen, dem
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endlichen, zum absoluten in der Form der Vorstellung. Zugleich realisiert sich der absolute Geist ja nicht nur in einer Religion, sondern in vielen Religionen. In dieser Hinsicht realisiert sich der absolute Geist auch als Religionsgeschichte, indem er sich in den verschiedenen Vorstellungsformen des religiösen Bewusstseins der Religionsanhänger realisiert. Allerdings realisiert er sich dabei als Religionsgeschichte nur in nichtbegriffener, in unbewusster Weise. Denn das jeweilige religiöse Bewusstsein weiß ja nicht um den allgemeinen Begriff des Geistes und der Religion. Damit weiß es auch nicht davon, dass es nur einen Moment dieses Begriffs als Vorstellungsinhalt hat und dass es daher nur ein Durchgangsmoment der übergreifenden Entwicklungsgeschichte des Geistes ist. Es denkt vielmehr, dass es selbst die Vollendungsgestalt der Religion realisiert und vertritt damit die Position des Exklusivismus oder des dogmatischen Inklusivismus. Erst der Religionsphilosoph weiß um den philosophischen Begriff des absoluten Geistes und den allgemeinen Religionsbegriff. Erst er überblickt die vielen Religionen, begreift die Einheit der Religionsgeschichte und vertritt einen kritischen Inklusivismus. Somit realisiert sich der absolute Geist erst im philosophischen Bewusstsein als ein solcher, der in begriffener Weise die Religionsgeschichte als Religionsgeschichte durchlaufen hat. Damit aber konstituiert sich der Geist weiter im und durch das Denken des Religionsphilosophen hindurch: Er wird dadurch weiter zu sich. Genauer gesagt, vollzieht der Religionsphilosoph gegenüber dem religiösen Bewusstsein drei Aufgaben. Zum einen hat die Religionsphilosophie „zu ihrem Endzweck, die Religion, die IST, zu erkennen und zu begreifen“.27 Die Religionsphilosophie betrachtet die Religion unter dem Blickwinkel der Philosophie, der es darum zu tun ist zu begreifen, was ist, also den Begriff in der Wirklichkeit zu eruieren.28 Sie nimmt dafür die empirisch erhebbare Religion, also die Berichte über die Vorstellungsgehalte der verschiedenen Religionen, und macht sie auf ihre begrifflich ausweisbaren Inhalte hin durchsichtig.29 In dem Maße, in dem Vernunft in der jeweiligen Religion eruiert 27
VPR 3, 10. Es sei an das berühmte Zitat aus der Vorrede der Grundlinien der Philosophie des Rechts, PhB 483, Hamburg, 5. Aufl. 1995, 16, erinnert, in der Hegel schreibt, dass „das was ist zu begreifen, die Aufgabe der Philosophie ist“. 29 Hegel zielt nicht darauf, hinter die Gemeindeberichte etwa auf den „historischen Jesus“ zurückzugehen. Zum einen ist dieses Vorgehen allzu ungesichert, zum anderen wäre dieser Rückgang auch von geringem Wert. Denn die philosophisch entscheidenden Aussagen über Jesus Christus wie etwa die der gottmenschlichen Einheit sind auch bei einem evtl. möglichen Rückgang nicht historisch zu verifizieren. Selbst wenn es möglich wäre, sie so zu sichern, wäre diese Sicherung philosophisch von geringem Wert, da Philosophie sich nicht durch Fakten beglaubigen lassen kann, sondern die Fakten allein durch 28
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wird, ist die jeweilige Religion gerechtfertigt. Zweitens: Zugleich erkennt der Religionsphilosoph auch die Widersprüche, die zwischen dem eigens gesetzten Moment in der jeweiligen Religion und ihren mitlaufenden, aber nicht eigens gesetzten, zu integrierten Vorstellungsmomenten erhobenen anderen Momenten bestehen. Er erkennt somit auch, warum die jeweilige Religion nicht bestehen bleiben kann, und warum es zur jeweils nächsten Religion kommt. Der religionsphilosophische Blick auf die Religionen begreift somit auch die Aufhebung der jeweiligen Religion und setzt diese in Geltung. Er ist immer die Einheit von Darstellung und Kritik.30 (Letztlich betrifft diese Einheit von Darstellung und Kritik auch die Religion als Religion, die sich dann in die Philosophie aufhebt, aber dieser Schritt ist nicht Thema dieses Aufsatzes). Drittens begreift damit allererst der Religionsphilosoph die Religionsgeschichte als Religionsgeschichte – also als einheitliche, begriffsgemäße Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes. Nun kann darüber gestritten werden, ob die Religionsgeschichte erst dadurch sie selbst wird, dass sie als einheitliche Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes begriffen wird: Ist sie erst dadurch sie selbst, dass sie vom religionsphilosophischen Bewusstsein begriffen wird? Oder ist sie sie selbst bereits als solche – an sich, gleichsam unbewusst im Medium des religiösen Bewusstseins? Die Bestimmung des absoluten Geistes, der er selbst ist im Medium reflexiven Wissens, scheint mir dafür zu sprechen, dass die Religionsgeschichte zwar bereits im Medium des religiösen Bewusstseins an sich sie selbst ist. An und für sich sie selbst – also: einheitliche Religionsgeschichte – aber wird sie erst durch das religionsphilosophische Bewusstsein und seine reflexive Arbeit. Doch wie dem auch sei, unstrittig ist: als begriffene (als die eine Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes) gibt es die Religionsgeschichte nur im religionsphilosophischen Bewusstsein. Als Realisationsform des kritischen Inklusivismus – als begriffene, als gerechtfertigte – gibt es die Religionsgeschichte nur in der und durch die Religionsphilosophie. Und dadurch wird der Geist weiter zu sich, da er ja er selbst
die Philosophie zu beglaubigen sind. Daher geht Hegel den oben angedeuteten Weg: Er nimmt die Berichte der Gemeinde auf, die etwa von der gottmenschlichen Einheit erzählen, und beglaubigt sie, indem er die Vernunft in ihnen zu erweisen sucht. Das aber geschieht, indem er die Übereinstimmung der Berichte mit der Struktur der absoluten Idee aufzeigt. Siehe zu dem Problemfeld der Zuordnung von Hegels Philosophiebegriff zu dem historisch-kritischen Bewusstseinseiner Zeit umfassend Jaeschke, Vernunft, 331–335. 30 Vgl. Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt 1980, 13–19.
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wird durch je vollständigere Kohärenz, durch je begriffsgemäßeres Begreifen dessen, was ist.31 Damit hat der kritische Inklusivismus Hegels neben dem religionsgeschichtlichen Material weitere Voraussetzungen: Indem er mit einem philosophischen Geist‑ und Religionsbegriff operiert, dependiert er auch von den philosophischen Grundeinsichten der Hegelschen Religionsphilosophie. Diese wiederum dependiert von den Grundeinsichten des Hegelschen Gesamtsystems, die sich letztlich als dynamische Totalvermittlung von Begriff und Sein sowie von Moment und Ganzem darstellt. Anders gesagt: Die Totalvermittlung von Moment und Ganzem ist die Methode Hegels und vermittelt damit auch die Verfasstheit des Gesamtsystems mit der Rekonstruktion der Vielfalt der Religionen in der Gestalt des kritischen Inklusivismus. Diese formale Beobachtung wurde eingangs dieses Abschnittes bereits in materialer Hinsicht in Anspruch genommen: Der absolute Geist ist gerade dadurch definiert, dass er die Grundmomente des Gesamtsystems realisiert, die in der Wissenschaft der Logik an ihnen selbst entwickelt werden. Diese Verbindung sei etwas genauer dargestellt: Der Religionsphilosoph des kritischen Inklusivismus trägt seinen in seiner Philosophie entwickelten Begriff des absoluten Geistes und der Religion an das religionsgeschichtliche Material heran, um das Material kritisch zu prüfen. Damit ist sein Vorgehen in formaler Hinsicht mit einer Voraussetzung belastet. Allerdings wird diese Voraussetzung im Hegelschen System in doppelter Hinsicht abgebaut.32 Zum einen erweist es sich in der Auseinandersetzung mit dem Material, dass die dialektische Methode des absoluten Geistes dem Material selbst gemäß ist – weil es selbst davon geprägt ist. Im Vollzug erweist sich die Methode somit als eine, die nicht abstrakt und äußerlich auf das bestehende Material aufgedrückt wird. Vielmehr bringt sie den Gang der Sache selbst auf den Begriff (eben weil dieser Gang der Sache selbst begriffsgemäß ist). Es vollzieht sich somit der Abbau von Voraussetzungshaftigkeit durch Bewährung am Material. Anders gesagt: Es bewährt sich im Prozess des Durcharbeitens des Materials und damit in der Vermittlung des Begriffs (Geist) mit dem Sein (Material), dass Begriff und Sein prozessual miteinander vermittelt sind. Mit dieser letzten Formulierung ist bereits auf die zweite, umfassendere Begründung verwiesen, warum die formale Voraussetzungshaftigkeit des 31 Dieser Punkt, der von Hegel m. E. nicht explizit verhandelt wird, ergibt sich aus den grundlegenden Aufbaumomenten seines Systems; siehe zu dieser Frage auch Hermanni, Kritischer Inklusivismus, 156, der den oben angedeuteten letzten Schritt aber nicht eigens entwickelt. 32 Siehe zu dieser Strategie Hegels auch Koch, Evolution, 133.
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kritischen Inklusivismus bei Hegel nicht mit einem abstrakten Positionalismus einhergeht. Denn Hegel lässt seinen Begriff des absoluten Geistes und der Religion geprägt sein von der „absoluten Idee“ als dem Ziel und Ende der Wissenschaft der Logik, welche sich als letztbegründet begreift. Die Wissenschaft der Logik ist eine theoretische Wissenschaft, also eine solche, die eine standpunkt‑ oder perspektiventranszendente Perspektive einnimmt.33 Indexwörter gebraucht sie nur im uneigentlichen Sinne. Sie widmet sich dem logischen Raum, mithin der Gesamtheit dessen, was der Fall ist und was gedacht werden kann. Sie beginnt quasi voraussetzungslos. Sie beginnt lediglich mit der Minimalinvestition des reinen Seins, also dessen, dass überhaupt logischer Raum ist, sowie der Negation, wobei beide Minimalinvestitionen im Verlauf der Entwicklung noch eigens gesetzt werden. Nach dem „logischen Urknall“ von Sein, Nichts und Werden werden ab dem Dasein in der Logik verschiedene Metaphysiken vorgeführt und auf ihre interne Kohärenz geprüft. Sie erweisen sich jeweils als intern inkonsistent – als widersprüchlich, so dass eine neue Metaphysik entsteht, die selbst wiederum an interner Inkonsistenz leidet, und so weiter. Die Wissenschaft der Logik präsentiert somit nicht bloß eine von vielen möglichen Metaphysiken, sondern alle metaphysischen Grundoptionen in ihrer Entwicklung auseinander und ihre Aufhebung ineinander. Die Logik stellt, mit Anton Friedrich Koch gesprochen, die Evolution des logischen Raumes dar. Wichtig ist nun, dass die absolute Idee als die Abschlussgestalt der Logik nicht selbst eine weitere, so oder so verfasste materiale Metaphysik ist. Vielmehr ist die absolute Idee die vollständige Durchklärung des gesamten Weges, den die Evolution des logischen Raumes und die Selbstaufhebung der Metaphysiken gingen. Das Resultat des Weges ist der Weg zum Resultat, aber als gesetzter, als begriffener. Hegel vertritt somit letztlich keine eigene metaphysische Position. Vielmehr begreift er den Prozess der Vermittlung aller Metaphysiken. Zentral ist: Er begreift dabei, dass sich in und durch alle Metaphysiken hindurch die totale Vermittlung von Begriff und Sein ergibt. Noch genauer: Er begreift, dass sich im Prozess des Begreifens des Prozesses der Vermittlung aller Metaphysik die Totalvermittlung von Begriff und Sein vollzieht. Im Denken der „absoluten Idee“ sind Begriff und Sein absolut miteinander vermittelt. In dieser Prozessualität vollzieht sich vollständige Transparenz – absolute Vermittlung, allumfassende Kohärenz und damit auch unüberbietbare Letztbegründung. Damit endet Hegels Wissenschaft der Logik, welche 33 Siehe zum Folgenden Koch, Evolution, 133–147; 304–307, und Wendte, Gottmenschliche Einheit, 55–154.
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theoretische Wissenschaft ist, gleichsam in der prozessualisierten Theorie der Theorie, in der prozessualisierten Meta-Theorie der theoretischen Wissenschaft. Von hier aus wird auch nochmals deutlich, dass Hegels kritischer Inklusivismus mit seinem aus der Logik entlehnten Geist‑ und Religionsbegriff nicht abstrakt ein Schema oder eine Position an das religionsgeschichtliche Material heranträgt. Vielmehr trägt er die vollendete prozessuale Vermittlung von Begriff und Sein an das Material heran, die sich dann im Prozess des Begreifens des Materials selbst bewahrheitet und somit weiter stärkt. Und doch gilt: Auch wenn sich diese „Voraussetzung“ im Verlauf aufhebt, wird sie an das Material herangetragen und ist wesentlich, damit die Vielfalt der Religionen und die Religionsgeschichte als einheitliche Entwicklungsgeschichte des absoluten Geistes angesehen werden kann. Die Zuspitzung auf diesen Punkt ist mir wichtig: Die Gültigkeit des Kritischen Inklusivismus Hegels für unsere Gegenwart entscheidet sich wesentlich an dieser Vermittlung mit seinem Gesamtsystem. Sie entscheidet sich somit nicht an anderen Fragen wie der, dass es eine neue, vitale Religion wie den Islam gibt, den Hegel kaum beachtete: denn diese ließe sich sicherlich einordnen in die von ihm entwickelte Systematik. Sie entscheidet sich auch nicht an der Frage, dass weder in temporaler noch in geographischer, sondern allein in spekulativer Hinsicht eine Einheit der Religionsgeschichte festzustellen ist – als Bewusstseinsgeschichte, die sich geographisch multipel und historisch mit Vor‑ und Rückschritten realisiert (auch wenn sich dann die Frage stellen ließe, in welcher Hinsicht noch von „Geschichte“ gesprochen werden kann, wenn die Entwicklung in temporaler Hinsicht nicht als einheitliche feststellbar ist).34 Alle diese Fragen können von der begreifenden Sicht der Hegelschen Religionsphilosophen gut bearbeitet werden. Die Gültigkeit hängt von dem Grundansatz Hegels ab: Ist die vollständige Vermittlung von Begriff und Sein im Denken des Religionsphilosophen prozessual erreichbar oder nicht? Wenn ja – dann ist für den kritischen Inklusivismus zu optieren, auch für heute: Dann ist die Religionsvielfalt vor unseren Fenstern und in unseren Wohnungen in Hegelscher Manier zu ordnen, so politisch unkorrekt das auch sein mag. Wenn nicht – dann sind andere Modelle zu entwickeln. Soviel zu meiner Exegese des Kritischen Inklusivismus von Hegel. Im Folgenden will ich ganz skizzenhaft den von mir namhaft gemachten, entscheidenden Punkt prüfen und erwägen, welche Schlussfolgerungen zu ziehen sind, wenn der kritische Einwand berechtigt wäre. Zu diesen Fragen siehe Hermanni, Kritischer Inklusivismus, 157–160.
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II. Totale Transparenz oder verborgene Identität von Begriff und Sein? Kritiken an Hegel und Konsequenzen für die Rekonstruktion der Vielfalt der Religionen II.1. Schellings und Kochs Kritik an Hegel: Denken und Sein sind wesentlich miteinander vermittelt, aber ihre Identität bleibt opak Mir scheint es notwendig zu sein, das Hegelsche Verfahren interner Kritik gegen Hegel selbst zu wenden. Denn Hegels Position scheint mir von Voraussetzungen abhängig zu sein, die er nicht eigens explizit machte, so dass er selbst auf von ihm nicht erkannte Weise intern inkonsistent ist. In schlichtester Weise zusammengefasst besagt diese Kritik, dass die Anwendungsbedingungen von Logik selbst nicht mehr durch Logik zu sichern sind. Um Ordnungssysteme für eigenes Handeln anwenden zu können – um Ordnungssysteme als Momente des eigenen Orientierungswissens zu gebrauchen –, bedarf es raumzeitlich verorteter Subjekte, und diese Verortungsleistung ist nicht selbst aus den Ordnungssystemen abzuleiten. Vernunft ist immer Vernunft für jemanden bestimmtes und damit eingebettete Vernunft. Damit sind die Voraussetzungen und die Leistungsfähigkeit des Religionsphilosophen andere als von Hegel in Anschlag gebracht. Um diese äußerst schlicht formulierte Kritik zumindest ein wenig zu substantiieren, sei an zwei Kritiker Hegels erinnert, die mit unterschiedlich weitreichenden Argumenten im Modus interner Kritik zu operieren suchen, an Schelling und an Koch. Bekanntermaßen liegt der locus classicus dieser Art der Kritik in dem Einwand des späten Schellings gegen Hegel vor.35 Extrem verkürzt besagt diese Kritik, dass die Logik von einem unvordenklichen Sein abhängt, das die Logik allererst ermöglicht, ohne von ihr vollständig begriffen werden zu können. Diese Grundeinsicht lässt sich in mindestens zwei Arten weiter explizieren. Erstens: Damit der absolute Geist sich am Ende der Selbstvermittlung mit seinem Anderen als er selbst erkennen kann, muss er sich je schon voraussetzen. Damit, zweitens: Die Vernunft nimmt sich auch in ihrem eigenen Vollzug (ihr eigenes „Dass“) jeweils schon in Anspruch, ohne dieses denkerisch vollständig mit sich vermitteln zu können. Dia35
Siehe zur folgenden Rekonstruktion des späten Schellings und damit vor allem des Schellings der Urfassung der Philosophie der Offenbarung Martin Wendte, Die Gabe und das Gestell. Luthers Metaphysik des Abendmahls im technischen Zeitalter, Tübingen 2013, 244–260. Diese Darstellung verdankt viele wichtige Einsichten der Schelling-Lesart von Malte Krüger, Göttliche Freiheit. Die Trinitätslehre in Schellings Spätphilosophie, Tübingen 2008, und Thomas Buchheim, Eins von Allem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie, Hamburg 1992.
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lektik ist gerade darin dialektisch, von ihrem Anderen zu dependieren, das sie nicht vollständig einholen kann; das Absolute geht dem Wissen je auch voraus. Entsprechend operiert Schellings eigene Spätphilosophie mit dem Bruch zwischen negativer und positiver Philosophie: Das, was ist, lässt sich durch die Dialektik der Potenzen begreifen (negative Philosophie); ob aber etwas ist, lässt sich allein a posteriori feststellen (positive Philosophie). Die Vernunft, die in der negativen Philosophie die kategorialen Zusammenhänge der Wirklichkeit entwirft, muss sich, um wirklichkeitsbezogen und ‑haltig zu werden, auf die unvordenkliche Wirklichkeit hin verlassen, die sie dann zu begreifen sucht (positive Philosophie). Dabei vollzieht sie sich wesentlich im Modus der Diagnose dessen, was ist, unter der Voraussetzung, dass etwas ist und sich zeigt, und zielt so nicht auf Letztbegründung. Die Diagnose – die aposteriorische Arbeit der Vernunft an der Wirklichkeit – erfolgt mithilfe der apriorisch gewonnenen Kategorien der negativen Philosophie (der Potenzen). Zugleich aber schreibt sie sich ihre eigene Beschränkung gegenüber der Wirklichkeit – oder: die Freiheit der Wirklichkeit – in die Potenzen und ihre Zuordnung ein, so dass dann Gott, Welt und Mensch in je eigener Weise auch durch Freiheit und Kontingenz bestimmt sind. Ich möchte noch probeweise auf eine andere, weitergehende Kritik verweisen, die unter Rekurs auf gegenwärtige philosophische Debatten entwickelt wurde. Anton Friedrich Koch hat eine eigene Spielart dieser Strategie vorgelegt, im Modus interner Kritik an Hegel für die Abhängigkeit der Logik von ihrem Anderen zu argumentieren. Verkürzt auf einige wesentlichen Schritte argumentiert er wie folgt:36 Es sind Problemwelten denkbar, also Welten, die in der Zeit unendliche Wiederholungen nach zwei Seiten oder im Raum universale Symmetrien und somit Duplikationsszenarien aufweisen.37 Somit wäre ein Universum eine Problemwelt, in der es nichts gibt als zwei vollkommen identische, schwarze Billardkugeln. Das Problem an einer Problemwelt ist, dass keine Gründe dafür angebbar sind, die Dinge in ihnen voneinander zu unterscheiden: In einem Universum, in dem es nur zwei schwarze Billardkugeln gibt, können beide nicht durch Deskription voneinander unterschieden werden, obwohl sie doch numerisch verschieden sind (wenn denn der Raum nicht selbst diese Unterscheidung leisten kann, und das kann er nicht).
Siehe etwa Anton Friedrich Koch, Versuch über Wahrheit und Zeit, Paderborn 2006, 120 ff. (= Versuch). 37 Siehe Koch, Versuch, 313, und Anton Friedrich Koch, Wahrheit, Zeit und Freiheit. Einführung in eine philosophische Theorie, Paderborn 2006, 119 (= Wahrheit). 36
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Damit aber ist gegen das „Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren“38 verstoßen. Es ist ein allgemeingültiger Satz der Logik zweiter Stufe39 und besagt, dass es grundlose Verschiedenheit nicht geben kann. Anders ausgedrückt: Numerisch verschiedene Entitäten müssen sich in irgendeiner qualitativen Hinsicht voneinander unterscheiden, um als verschiedene Entitäten gelten zu können. Wäre das nicht der Fall, so würden die Begriffe der Identität, der Verschiedenheit und der Zahl bedeutungslos werden und damit unser gesamter Begriffsgebrauch zusammenbrechen.40 Unterscheidbar werden diese qualitativ identischen, aber numerisch verschiedenen Entitäten allein durch Bezug auf ein leiblich verkörpertes Subjekt in Zeit und Raum: Ich selbst vermag von meiner Perspektive aus die eine schwarze Billardkugel von der anderen zu unterscheiden. Damit aber sind leiblich verortete Subjekte in Zeit und Raum nötig, damit die Logik funktioniert. Der Gebrauch von Indexwörtern ist notwendig, Perspektivität ist notwendig, damit die angeblich perspektiventranszendente theoretische Wissenschaft funktioniert. Die theoretische Wissenschaft ist in Hermeneutik eingebettet und damit gerade nicht mehr die Grundlagenwissenschaft. Unabhängig davon, ob man die (bei aller Differenz in Reichweite und Begründungsstrategie in ihren Stoßrichtungen an dem uns interessierenden Punkt doch vergleichbaren) Kritiken Schellings oder Kochs für vielversprechender hält, könnte man das Ergebnis beider in gegenwärtiger Terminologie als die Position des internen Realismus fassen, in der Terminologie Hegels aber folgendermaßen auf den Punkt bringen: Denken und Sein sind nicht nach der Art der Begriffslogik in vollständiger Transparenz miteinander vermittelt. Vielmehr sind sie als Wechselverhältnisse nach Art der Wesenslogik zu fassen: Sie sind wesentlich aufeinander bezogen, aber der Kern ihrer Identität ist prinzipiell verborgen, er ist prinzipiell nicht vollständig aufhellbar.41 Und der Bezug aufeinander dependiert von je neuem SichZeigen von Wirklichkeit. Anders gesagt: Der Wahrheitsbegriff ist nicht wie bei Hegel allein über einen umgreifenden Kohärentismus zu entwickeln, um Korrespondenzen zu sichern, sondern bedarf auch des Aspekts der Aletheia, Koch, Versuch, 314, und siehe Koch, Wahrheit, 120. Siehe Koch, Versuch, 314. 40 Denn gäbe es numerisch verschiedene, die ohne angebbare qualitative Bestimmung – gleichsam nur, weil sie numerisch verschieden sind – voneinander divergieren würden, so wüsste ich nie, ob nicht die Entität, mit der ich es gerade zu tun habe, in Wahrheit 12 oder 245 Entitäten sind: evtl. sitze ich gerade nicht auf einem, sondern auf 16 Stühlen und schreibe auf 86 Tastaturen (mit wie vielen Fingern?). Die Begriffe der Identität, der Verschiedenheit und der Zahl würden bedeutungslos werden und mit ihnen unser ganzes Begriffssystem (oder: unsere 34 Begriffssysteme). 41 Siehe auch Koch, Evolution, 296–302; 314 ff. 38 39
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der Un-Verborgenheit oder Offenbarung (und damit auch der damit einhergehenden Verborgenheit), um Begriff und Sein jeweils neu für Menschen miteinander in Beziehung zu setzen. Denken und Sein sind wesentlich aufeinander bezogen, aber ihre Identität ist grundsätzlich verborgen, und Bezug auf den jeweiligen Bezug von Denken und Sein haben wir nur mittels der Perspektivität endlicher, leiblicher Subjekte und aufgrund des neuen SichZeigens von Wirklichkeit. Einmal angenommen, dass Denken und Sein eher nach Weise der Wesens‑ als der Begriffslogik miteinander verbunden sind, so würden damit selbstredend auch in materialer Hinsicht weitergehende Umbaumaßnahmen gegenüber den Bestimmungen Hegels einhergehen. Um nur einige anzudeuten und damit etwas weiter auszuführen, was in Bezug auf Schelling oben skizziert wurde: Das Unvordenkliche – die opake Identität von Denken und Sein – schreibt sich in das Denken und in das Sein selbst mit ein. In das Denken schreibt es sich dergestalt ein, dass unsere Erkenntnis dann, wenn sie welthaltig und handlungsorientierend sein will, perspektivisch und damit begrenzt ist, also prinzipiell nicht vollständig (auch wenn nie im vorhinein bestimmbar ist, was denn nun nicht erkannt wird).42 Und in das Sein schreibt sie sich auch in der Form unaufhebbarer Freiheit und Kontingenz mit ein. Gott ist durch die Freiheit (des Vaters) bestimmt, die dem Potenzengefüge vorausgeht, so dass Gott in Freiheit er selbst ist: frei zu schaffen oder nicht zu schaffen. Gerade dadurch vermag er in Freiheit eine Schöpfung zu schaffen, die selbst wiederum durch Freiheitsaspekte gekennzeichnet ist, welche sich vornehmlich im Menschen realisieren. Damit einher geht die Aufwertung von Kontingenz, vom Willen etc. und der Versuch, Geschichte in der ihr eigenen Zuordnung von Singularität und Bestimmtheit zu fassen, indem geschichtliche – nicht: logische – Notwendigkeiten eruiert werden.43 Dialektik also zielt nicht auf vollständige Aufhellung dessen, was ist, und vollzieht sich an Gegenständen oder Formationen, deren Kontingenz für sie selbst bleibend wesentlich ist (was für die Hegelsche Dialektik wohl nicht gilt). Negativ gewendet: Im Denken wie im Sein bleibt ein beständiger dunkler Rest, auch wenn der nicht selbst wieder reifiziert werden oder im vorhinein benannt werden kann. Positiv gewendet: Für uns leiblich verortete Subjekte gibt es Neues, unvorhersehbar-Überraschendes: Freiheit, welche nicht vollständig mit Notwendigkeit vermittelt werden kann und von der her und auf die hin gedacht und gelebt wird. 42 Dies ist ein starkes Argument gegen den Naturalismus; siehe dazu auch Koch, Versuch, 25 f. u. ö. 43 Siehe zu diesem Punkt auch den Beitrag von Thomas Buchheim in diesem Band.
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II.2. Folgerungen für die denkerische Einordnung der Vielfalt der Religionen Was würde folgen, wenn man diese Überlegungen nun auf die Religionsphilosophie anwenden würde – auf die Fähigkeiten und Grenzen des begreifenden Religionsphilosophen angesichts der Vielfalt der Religionen vor unseren Fenstern und in unseren Wohnungen? Zuerst einmal seien im Rahmen dieses Aufsatzes grundlegende Strategien Hegels übernommen, so dass nicht etwa ein ganz anderer Religionsbegriff eingeführt wird (ohne dass im Rahmen dieses Aufsatzes für diese Strategie argumentiert werden kann). Vielmehr sei festgehalten, dass sich die Religion nicht in den Bereich bloßen Fühlens oder schlichter Irrationalität verabschiedet, da Denken und Sein auch auf wesenslogischer Stufe wesentlich miteinander vermittelt sind. Damit bleibt Religion eine wesentliche Realisationsform des absoluten Geistes, welcher sich dialektisch vollzieht und damit zugänglich ist für religionsphilosophische Überlegungen. Die Religionen sollen also weiterhin (ähnlich wie bei Hegel) daraufhin untersucht werden, in welcher Form sich in ihnen der absolute Geist realisiert, welcher selbst durch den Begriff (als der Vermittlung von Denken und Sein) bestimmt ist – auch wenn Freiheit und Kontingenz eine ganz andere Rolle spielen als von Hegel zugestanden. Diese religionsphilosophischen Überlegungen vollziehen sich auf dem Boden situierter Vernunft, und das bedeutet zweierlei. Einerseits vollzieht sie sich unter Einsicht dessen, dass sie davon abhängig sind, dass Wirklichkeit (der Religion) ist und sich zeigt; sie ist also je eingebunden in Praxisvollzüge. Andererseits aber kann sie dann durchaus den Anspruch erheben, von dort aus vernünftige Aussagen zu treffen und damit (religions‑) philosophischer Natur zu sein. Dabei zielt sie – ähnlich wie bei Hegel – nicht auf eine einlinig essentialistisch verstandene Religion, sondern kann durchaus auch bestimmte geschichtliche Abschnitte einer Religion oder bestimmte Strömungen innerhalb einer Religion bzw. hybride Neubildungen in den Blick nehmen; zudem lässt sich dieser Blick auch auf Weltanschauungen (oder Teilaspekte von ihnen) ausweiten. Die hier anvisierte Religionsphilosophie des absoluten Geistes nach Art der Wesenslogik kann nun gegenüber ganzen Religionen wie gegenüber einzelnen Strömungen innerhalb einer Religion oder gegenüber hybriden Neubildungen bzw. einzelnen Weltanschauungen folgendes festhalten: Die Religionen verpassen den Begriff des absoluten Geistes – anders formuliert: sie widersprechen in ihren Vorstellungsformen dem zugrundeliegenden Begriff (der damit zugleich den Begriff der Religion und des Geistes prägt) –, wenn sie diesen (in grober Übertragung) nach Art der Seins‑ oder nach Art
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der Begriffslogik entwerfen. Religionen (sowie Strömungen innerhalb einer Religion etc.) nach Art der Seinslogik sind solche, die Immanenz und Transzendenz allzu unbefragt aufeinander beziehen und die Endliches vergötzen oder Fetischwesen betreiben. Dies kann Vertreter von Religionen ebenso treffen wie gegenwärtige Vertreter von Weltanschauungen, die Endliches verabsolutieren (in Konsum oder Konsumverzicht etc.). Religionen oder Strömungen innerhalb einer Religion nach Art der Begriffslogik sind solche, die ihre eigene Abhängigkeit von ihrer Situiertheit in einer unvordenklichen, sich zeigenden Wirklichkeit ignorieren und zudem die Ambivalenzen und positiven wie negativen Kontingenzerfahrungen in den Erfahrungen ihrer Mitglieder, im Weltenlauf oder im Verhältnis zu anderen Religionen überspielen; sie präsentieren sich dann einlinig als vollständig durchklärte Vollendung der Welt‑ oder Religionsgeschichte. Dies mag nicht nur bestimmte Religionen oder Strömungen innerhalb einer Religion treffen (etwa ein einseitig-pentecostales und das will sagen: triumphalistisches Christentum), sondern vor allem auch Weltanschauungen wie den szientistischen Naturalismus. Begriffsgemäß hingegen scheinen Religionen oder Strömungen innerhalb einer Religion, die Gott als absoluten Geist in der Vollheit seiner Momente dergestalt als Vorstellungsgehalt haben, dass sie Immanenz und Transzendenz weder ineins setzen noch abstrakt trennen. Vielmehr kommt ein Begriff des absoluten Geistes in den Blick, der von der freien Vermittlung Gottes mit der Welt weiß. Es kommen Perspektiven auf die Welt und die Menschen in den Blick, die dabei auch nicht die eigenen Kontingenzen und Ambivalenzen überspielen. Begriffsgemäß wären somit Religionen, die freiheits-, ambivalenz‑ und kontingenzsensibel sind und als solche offen für negationsdialektische Überlegungen. In einer Form, die dem so entwickelten Begriff in ausgezeichneter Weise gemäß ist, mag dann doch wiederum das Christentum in Anschlag gebracht werden, wenn es seine kreuzestheologische Dimension nicht verrät; andere Religionen oder Strömungen innerhalb einer Religion aber könnten dem auch entsprechen. Die skizzierte wesenslogische Version des Begreifens (und Ordnens) der jeweiligen Religionen unterscheidet sich jedoch nicht nur in den angedeuteten materialen und formalen Hinsichten in Bezug auf jede einzelne Religion, sondern auch in Bezug auf das Gesamtbild der Religionsgeschichte gegenüber dem Ansatz Hegels. Denn für Hegel vollzieht sich in der und durch die Religionsgeschichte hindurch ebenso wie in dem und durch das Begreifen des Religionsphilosophen hindurch die Selbstwerdung des absoluten Geistes, welche zugleich die Einheit der Religionsgeschichte darstellt und ist. Die hier vorgeschlagene wesenslogische Umstellung nimmt
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diese umgreifende Perspektive nicht ein, aus zwei Gründen. Erstens und in Bezug auf Gott gilt, dass die Identität seiner Offenbarung vorgängig in Freiheit gewahrt ist – so dass er sich in Freiheit offenbart, er sich aber nicht in der Religionsgeschichte konstituiert und (in dialektischer Wechselseitigkeit) durch menschliches Denken konstituiert wird. Zweitens und in Bezug auf die Menschen gilt, dass sie davon abhängig sind, dass sich jeweils ein Gott offenbart: in überraschender, weder vorgängig noch nachgängig denkerisch ganz einzuholender Freiheit (als der positiven Ausdrucksgestalt der bleibenden Opakheit von Denken und Sein). Auch wenn es möglich ist, aus der jeweiligen Praxissituation heraus die anderen Religionen in der angedeuteten Weise zu begreifen und zu ordnen, ist die Vielfalt der Religionen somit nicht als die eine, einheitliche Religionsgeschichte zu begreifen, welche die Entwicklungs-Geschichte des Geistes ist. Für leiblich verortete Wesen wie uns ist dieses Wissen vielleicht nicht wenig – für den Hegelschen Blick der Perspektiventranszendenz hingegen ist es fast nichts. Dennoch scheint es mir im Interesse eines sachgemäßen Umgangs mit der Vielfalt der Religionen vor unseren Fenstern und in unseren Wohnungen unabdingbar zu sein, auch solche kritischen Fragen an die Konzeption Hegels zu stellen und auf ihre Konsequenzen hin zu bedenken wie im zweiten Teil vorgetragen: zumal der veränderte Freiheits‑ und Kontingenzbegriff in denkerischer und existentieller Hinsicht ein Gewinn zu sein verspricht.
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Hegel’s Determinate Religion Today: Foreign yet Not So Far Away1 Thomas A. Lewis Amidst the expanses of Hegel’s lectures on the philosophy of religion, his treatment of Determinate Religion is simultaneously the most voluminous and the least discussed.2 Hegel’s analyses of religions other than Christianity are regularly treated summarily within accounts of his philosophy of religion as a whole. If his treatments are sometimes excused as relics of early encounters with the other – at a time when the information available to Europeans about other traditions was in no way comparable to today – perhaps more often they are viewed not simply as based on obsolete information but as glaring instances of ethically problematic and politically dangerous ethnocentrism. For those of us who think Hegel still has much to teach us and are bothered by the way that European scholars’ accounts of others have often gone hand in hand with European colonialism and other forms of domination, Hegel’s Determinate Religion presents a challenge. As we grapple with Hegel’s treatments of Determinate Religion, from each of the four series of lectures on the philosophy of religion that he delivered in Berlin from 1821 to 1831, the most appropriate response, I want to suggest, is neither to downplay and ignore his claims nor simply to castigate him. Rather, we need to heighten the challenge that this aspect of Hegel’s project poses. That is, in engaging this material, in which Hegel discusses religious teachings and practices from around the world, I think we need to avoid two easy responses. One response is to treat Hegel’s portrayals of African 1 An earlier version of this paper was presented at “Der Begriff der Religion und die Vielfalt der Religionen bei Schleiermacher, Hegel und Schelling” at Eberhard Karls Universität Tübingen in October 2014. This version has benefited greatly from comments by conference participants, particularly Friedrich Hermanni, Richard Crouter, Stephen Houlgate, Burkhard Nonnenmacher, Friedrike Schick, Christoph Schwöbel, Christian König, and Martin Wendte. 2 I use Determinate Religion, capitalized, to refer to part II of Hegel’s lectures on the philosophy of religion. Even though it refers to the title of a section of the text, using quotation marks at each mention would be unwieldy.
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religious practices, of Judaism, of early Confucian thought, and so forth as – lamentably – reflecting the rudimentary state of Europeans’ knowledge of other religious traditions but as marginal to his own intellectual project and therefore of limited significance for our understanding and judgment of Hegel’s thought more broadly. In this case, we can briefly acknowledge its existence but largely ignore it and move swiftly on from his analysis of the concept of religion to the consummate religion.3 A second response appears to be the opposite: Rather than dismissing Hegel’s treatment of other religions as a regrettable but marginal incident, this approach suggests Hegel’s entire project is compromised by a narrow-minded closedness toward and denigrating judgment of others that is deeply implicated in justifying European colonialism. Accordingly, we cannot simply ignore his treatment of Determinate Religion but must see it as symptomatic of a deeper, fatal problem with the Hegelian project.4 What these approaches share is a failure to allow Hegel to challenge us. Each disapproves of Hegel’s treatment but locates it, for the most part, comfortably far away from us. Whether the errors are viewed as excusable or culpable, monumental or minor, they are viewed as his errors and not ours. While there are many respects in which Hegel’s handling of the religious practices of others is far from our own, I am concerned about the way that the resulting neglect of Hegel’s account of Determinate Religion enables 3 Whether
the claim is made explicit or left implicit, this response is widespread in treatments of Hegel’s philosophy of religion. Note, for instance, the way that prominent booklength treatments of Hegel’s philosophy of religion that are relatively comprehensive in their handlings of parts I and III skip over part II: Emil L. Fackenheim, The Religious Dimension in Hegel’s Thought (Bloomington: Indiana University Press, 1967); Cyril O’Regan, The Heterodox Hegel (Albany: State University of New York Press, 1994); and William Desmond, Hegel’s God: A Counterfeit Double? (Aldershot, England: Ashgate, 2003). Even when it is discussed, it is often treated briefly and judged too deeply flawed to present a contemporary challenge; see, for instance, Walter Jaeschke, Reason in Religion: The Foundations of Hegel’s Philosophy of Religion, trans. J. Michael Stewart and Peter C. Hodgson (Berkeley and Los Angeles: University of California Press, 1990), 263–83. 4 Robert Bernasconi comes close to this claim, though he is attentive to the question of how this early modern background continues to be relevant in contemporary philosophy; see Robert Bernasconi, “Hegel at the Court of Ashanti,” in Hegel After Derrida, ed. Stuart Barnett (London: Routledge, 1998), 41–63 (= Court of Ashanti). See also Michael H. Hoffheimer, “Race and Law in Hegel’s Philosophy of Religion,” in Race and Racism in Modern Philosophy, ed. Andrew Valls (Ithaca and London: Cornell University Press, 2005), 194–216. Many versions of this claim have been developed in relation to other elements of Hegel’s corpus. For two classic examples, see Emmanuel Lévinas, Totality and Infinity: An Essay on Exteriority, trans. Alphonso Lingis (Pittsburgh: Duquesne University Press, 1969), and Enrique D. Dussel, Método para una filosofía de la liberación: Superación analéctica de la dialéctica hegeliana (Salamanca: Ediciones Sígueme, 1974).
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us to avoid realizing that there are important aspects of his approach that we have not – and perhaps ultimately should not – leave behind. I make this point with trepidation because I do think there are other aspects of his treatment that we should not merely disavow but should stridently criticize. Given this complex situation, Hegel’s treatment of Determinate Religion merits far more attention and closer scrutiny than it has generally received.5 In order to properly appreciate what Hegel is and is not doing in his treatment of other religions, i. e., religions other than Christianity, in his Berlin lectures on the philosophy of religion, we will need to attend carefully to the conception and task that he articulates for the second of the three parts of these lectures. Following the setting out of The Concept of Religion in part I, part II of the lectures, Determinate Religion (die bestimmte Religion), contains Hegel’s account of religions other than Christianity, which is treated in the final part of the lectures, The Consummate Religion.6 Even though part II contains Hegel’s treatments of religions other than Christianity, it is important that we not frame this section in those terms. Rather, I will argue, Determinate Religion must be understood as the unfolding of the finite moments of the concept of religion treated in part I. Hegel maintains that these moments take actual form and exist concretely in the world. They can therefore be found manifest in specific “religions”. Nonetheless, 5 For some of the most important treatments, see, in addition to Jaeschke, Reason in Religion, 263–83, Martin Wendte, Gottmenschliche Einheit bei Hegel: Eine logische und theologische Untersuchung (Berlin and New York: Walter de Gruyter, 2007), 186–220; Friedrich Hermanni, “Kritischer Inklusivismus,” Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosphie 55, no. 2 (2013): 136–60 (= Kritischer Inklusivismus); Peter C. Hodgson, Hegel and Christian Theology: A Reading of the Lectures on the Philosophy of Religion (Oxford: Oxford University Press, 2005), 205–43; Bart Labuschagne / Timo Slootweg, eds., Hegel’s Philosophy of the Historical Religions (Leiden: Brill, 2012) (= Historical Religions); and Reinhard Leuze, Die ausserchristlichen Religionen bei Hegel (Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1975). I have treated Hegel’s Determinate Religion in Thomas A. Lewis, Religion, Modernity, and Politics in Hegel (Oxford: Oxford University Press, 2011), 179–202; the present treatment makes important modifications to that discussion of Determinate Religion and brings it into closer accord with my treatment in that book of Part III, The Consummate Religion. 6 See G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, ed. Walter Jaeschke, Vorlesungen, vols. 3–5 (Hamburg: Felix Meiner, 1983–85). These have been translated as Lectures on the Philosophy of Religion, trans. R. F. Brown, P. C. Hodgson, and J. M. Stewart, 3 vols. (Berkeley and Los Angeles: University of California Press, 1984–87). References to the lectures will be made parenthetically as VPR 3–5, referring to the volume and page number of the German edition. These pages numbers are also found in the margins of the English translation. The German text is provided in the footnotes. I have made use of Hodgson’s translation but have modified it in a number of instances. Except in cases of particular significance, I have not noted the alterations.
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the moments of the determination of the concept of religion should not be identified with these religions. Thus, what Hegel calls “die indische Religion [Indian religion],” for instance, is not itself a moment of the determination of the concept but rather a manifestation or example of this moment. The distinction might appear trivial, but I will argue that the consequences for understanding Determinate Religion and ultimately Hegel’s treatment of religions other than Christianity is profound. To develop this case in detail, we will need to consider both the introductory material for part II, where Hegel briefly (too briefly, I would say) articulates the conception of Determinate Religion, as well as points in the body of Determinate Religion that illuminate this conception with particular clarity. With this understanding of the project in hand, we will then be in a position to grasp why central aspects of the project should not be ignored: ultimately, Hegel’s account of Determinate Religion can be seen as articulating the distinct elements or moments of a more comprehensive and complete view, as well as taking others seriously by articulating both their contributions to the topic at hand and what one takes to be the shortcomings of that view which justify one’s own view as more adequate than this alternative. Identifying these elements of Hegel’s Determinate Religion will enable us to appreciate better how it challenges our own self-understanding even if we reject some elements of his account.
I. Before turning to the texts themselves, however, I want to put in place what I take to be one of the reasons that Hegel’s account of Determinate Religion is so easy for us to misconstrue and misinterpret today. I will set this point out initially here and return to it in filling out the interpretation of Hegel’s lectures. In brief, contemporary discussions of Hegel’s Determinate Religion are frequently distorted by our projection of a notion of “world religions” back onto Hegel’s view. We are often unaware of doing so precisely because we have come to take for granted as natural, self-evident entities so-called great world religions that we refer to under rubrics such as Christianity, Judaism, Islam, Buddhism, and Hinduism. To more fully appreciate the strength and the challenge of Hegel’s Determinate Religion, we need to question what have now come to appear as self-evident assumptions. Over roughly the past twenty-five years, an important body of scholarship has interrogated the history of the study of religion in the modern West. Jonathan Z. Smith, Talal Asad, Tomoko Masuzawa, Daniel Dubuis-
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son, and Hans Kippenberg are some of the more prominent figures in this development; but it has come to encompass many and it certainly cannot be summed up in terms of a single body of claims.7 Far more than writing a simple history of a particular academic discipline, these scholars have argued that the conceptualization and study of religion in the modern West has been intimately interwoven with the social, economic, and political transformations that have defined global modernity. For this reason in particular, we must appreciate the way that conceptualizing religion in a particular manner went hand in hand with developing and justifying particular social, economic, and political models. Defining religion – or religions – is more than a merely academic affair. It continues to have vast consequences. This goes just as much for the mutual implication of notions of religion, property, and civil authority in John Locke’s Letter Concerning Toleration as it does for the administration of the British Empire in South Asia or for the European Court of Human Rights today. In the present context, however, I want to draw our attention to the implications of different taxonomies of religion for European and North American understandings of religion in Asia. The formation – what Tomoko Masuzawa calls the “invention” – of world religions is perhaps most clearly illustrated with respect to Hinduism and Buddhism. Masuzawa and Richard King have each analyzed the way that various texts, practices, communities, and ideas were amalgamated into the grand entities subsequently known as Hinduism and Buddhism.8 The point is not that the individual texts, practices, communities, and ideas did not previously exist, but that they were not conceived as collectively constituting a cohesive larger entity, whether that of Buddhism or of Hinduism. According to Masuzawa, for instance, prior to crucial developments in the 7 See, for example, Jonathan Z. Smith, Imagining Religion: From Babylon to Jonestown (Chicago: University of Chicago Press, 1982); Jonathan Z. Smith, “Religion, Religions, Religious,” in Critical Terms for Religious Studies, ed. Mark C. Taylor (Chicago: University of Chicago Press, 1998), 269–84; Talal Asad, Genealogies of Religion: Discipline and Reasons of Power in Christianity and Islam (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1993); Tomoko Masuzawa, The Invention of World Religions, Or, How European Universalism Was Preserved in the Language of Pluralism (Chicago: University of Chicago Press, 2005) (= The Invention of World Religions); Daniel Dubuisson, The Western Construction of Religion: Myths, Knowledge, and Ideology, trans. William Sayers (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2003); and Hans G. Kippenberg, Die Entdeckung der Religionsgeschichte: Religionswissenschaft und Moderne (Munich: C. H. Beck, 1997). 8 Richard King, Orientalism and Religion: Postcolonial Theory, India and “the Mystic East” (London : Routledge, 1999) (= Orientalism and Religion), and Masuzawa, The Invention of World Religions.
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nineteenth century, “neither European observers nor, for the most part, native ‘practitioners’ of those various devotional, contemplative, divinatory, funereal, and other ordinary and extraordinary cults that are now roundly called Buddhist had thought of those divergent rites and widely scattered institutions as constituting a single religion.”9 King makes similar claims regarding Buddhism and a comparable one for Hinduism.10 Diverse, sometimes overlapping and sometimes profoundly different materials came to be conceived principally as different instantiations of a cohesive religion or tradition; comparable processes occurred for both Hinduism and Buddhism. European missionaries, colonial administrators, and scholars, on one hand, and South Asian elites, on the other, contributed to this process of synthesizing a broad array of writings and practices into a single religion. One aspect of the process consisted in European scholars such as Anquetil-Duperron and Charles Wilkins translating particular South Asian texts and presenting these as a canon that could be seen as of a kind with Christian scripture, even if it was often viewed as an inferior instance of the type.11 Another facet of this development consisted of Indian scholars such as Vivekānanda forging and championing a Hinduism that could stand alongside other “great religions.”12 Both colonizers and colonized played vital roles in positing these larger entities of Hinduism and Buddhism as coherent entities that, in each case, bring together a great diversity of texts, practices, and communities around purportedly shared canonical texts. In both cases, King, Masuzawa, and a number of other recent scholars argue, entities such as Hinduism and Buddhism were constructed on the model of Protestantism, even if these were conceived as lesser instantiations of the broader type, religion. A body of texts were taken to constitute the authoritative bases or core of the religions, and there were frequent narratives of the tradition’s decline into corruption and superstition, often mapping anti-Catholic polemics. While there is important room for debate on the specifics of these histories and whether some of these developments on the part of South Asian elites predated colonial encounters, those questions do not challenge the basic point I want to emphasize here: As much as it seems obvious today that the terms Hinduism and Buddhism refer to discrete, broadly cohesive entities consisting of texts, practices, ideas, and social groupings expressing a common view, we should not take that for granted. Masuzawa, The Invention of World Religions, 122. King, Orientalism and Religion, especially 96–160. 11 King, Orientalism and Religion, 119–21. 12 King, Orientalism and Religion,135–42. 9
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These conceptions developed to a substantial degree through colonial encounters, particularly the work of nineteenth‑ and early twentieth-century European scholars and bureaucrats as well as South Asian elites. The result was a relatively small number of “great” or world religions that could be stood beside each other and compared as different species of the same genus, religion. Hegel’s relationship to these developments is fascinating and complex; I cannot fully explore it here. Hegel contributed to the emergence of these notions of world religions, and the precise nature of his contribution deserves much more attention than it has received. Yet this notion of world religions was far from fully developed in Hegel’s lifetime or in Hegel’s writings and lectures. Thinking of the contrast between the basic categories of religion that Schleiermacher offers in the fifth speech of the 1799 Reden über die Religion and Hegel’s accounts in Determinate Religion from the 1820s places in glaring relief how quickly taxonomies of religion were transforming during this epoch. To take only one example, Masuzawa emphasizes the importance of the transition from early modern taxonomies of religion that were defined in terms of particular people or nations to later conceptions of world religions.13 Hegel stands in the middle of this development, referring far more often to “Indian religion” than to Hinduism – a point to which I will return. Most studies of Hegel’s Determinate Religion, however, presuppose this more recent model of world religions, which was not entirely operative in his lectures. We easily cover over this difference when we take his discussion of the “Religion der Fo oder Buddha” as simply an archaic synonym for Buddhism coming from its presence in China. (As I’ll mention below, the issues are arguably graver in the English translations.) The difference is in some respects subtle, but the implications are significant. Attending to this difference and resisting the tendency to project a model of world religions back onto Hegel sheds new light both on what Hegel said and, perhaps more importantly, on what Hegel could have said – or even on what we might want to say today. That is, approaching Determinate Religion without a world-religions model in mind shows that Hegel’s task in this section of the philosophy of religion should challenge us to a far greater degree than we often appreciate. I turn now to examining Hegel’s Determinate Religion in this light.
13
Masuzawa, The Invention of World Religions, 61.
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II. Despite the very significant differences among the 1821, 24, 27, and 31 versions of Determinate Religion, Hegel consistently conceives of Determinate Religion most fundamentally in terms of the determination of the concept of religion. That is, Determinate Religion traces the moments of the actualization of the concept of religion itself.14 Although the point may seem obvious – particularly given the title of this section of the lectures – this point’s priority and proper significance have often been lost sight of in interpretations of Hegel’s philosophy of religion. In the 1821 manuscript version of the introduction to the lectures as a whole – arguably Hegel’s earliest articulation of the conception of Determinate Religion, this point is clear: “[T]he entire treatment – indeed, even of immediate religion – is nothing other than the development of the concept, and that [in turn] is nothing other than the positing of what is contained in the concept. This positing constitutes the reality of the concept […]. Furthermore, this positing, insofar as it is at the same time the simple determinateness of the concept, is the further progressive determining of the concept, and the entire treatment [is] nothing other than the consummation of the determinations of the concept.”15
In this framing, Determinate Religion is conceived entirely in terms of the development of the concept – both the concept as such and its appearance in the concept of religion. This conception concerns both the understanding of the topic or content of this part of the lectures as well as of the structure of the section – how it proceeds. The fundamental structure of the section must be determined by the concept, not empirically through historical study. The stages of determinate religion are thus moments in which particular moments of the concept of religion – and thus stages of the consciousness of spirit in representational form – take the shape of existing religions. They consider what it would look like for a particular moment of the aspect of religion that is integrated into the consummate religion to appear as the dominant one in a particular religion. More specifically, each determinate religion involves a particular moment of the concept of religion being taken 14 Hermanni, Kritischer Inklusivismus is excellent in its emphasis on this point; see especially 150–60. 15 “[D]ie ganze Abhandlung selbst auch der unmittelbaren Religion ist nichts anderes als die Entwicklung des Begriffs, und diese nichts anderes, als Setzen, was in demselben enthalten ist, und dies Setzen macht die Realität des Begriffs aus […]. Dies Setzen ist ferner, insofern es zugleich einfache Begriffsbestimmtheit ist, die weitere Fortbestimmung des Begriffs, und die ganze Abhandlung nichts anderes, als die Vollendung der Bestimmungen des Begriffs” (VPR 3:28). See also VPR 4:1.
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for the absolute.16 As the moments of Determinate Religion, however, they are still conceptual determinations rather than empirically existing, actual religions. The latter (actual, historically existing religions) are instantiations of the former but are to be distinguished from them. Given Hegel’s repeated use of “nothing other [nichts anderes],” one might go so far as to contrast this conception of Determinate Religion (focused on the determination of the concept) with what appears to be a double-faceted conception in 1824 and 1827. Yet I think that is to misread the development from 1821; Hegel never abandons this conception of the determination of the concept of religion as the core of the conception of Determinate Religion. In the case of the 1827 lectures – the last for which we possess extant transcriptions – Hegel contends in the introduction to the lectures as a whole that “The different forms or determinations of religion are, on the one hand, as moments of the concept, moments of religion in general or of the consummate religion. They are states or determinations of content in the sensation and the consciousness of the latter. On the other hand, however, they have the shape that they develop for themselves in time and historically.”17
Both in this passage and in the introduction within part II of the 1827 lectures, Hegel stresses the historical aspect of Determinate Religion significantly more than in the introduction to the 1821 manuscript. Nonetheless, here as well Hegel clearly presents Determinate Religion as the actualization of the concept of religion that has been set out in part I. Even more tellingly, in every version of the lectures, the body of part II is structured in terms of conceptual determinations, not actual, historical religions themselves. Even if this point will require some qualification below, its significance cannot be overestimated. To conceive of Determinate Religion fundamentally in terms of the development of the concept entails that as much as existing or positive “religions” can be located within these moments, the moments themselves are not fundamentally defined by these religions. Rather, the unfolding of the concept provides the conceptual cues for the interpretation of religious materials (teachings, practices, texts, and so forth) encountered in the world. Thus, I want to argue that the moments of Determinate Religion – such as “imme On this point I have learned much from Hermanni’s Kritischer Inklusivismus. “Die verschiedenen Formen, Bestimmungen der Religion sind einerseits, als Momente des Begriffs, Momente der Religion überhaupt oder der vollendeten Religion – Zustände, Inhaltsbestimmungen in der Empfindung und dem Bewußtsein dieser. Aber zweitens haben sie die Gestalt, daß sie für sich in der Zeit und geschichtlich sich entwickeln” (VPR 3:91). 16 17
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diate religion,” “the religion of beauty and sublimity,” and “the religion of expediency” – should not be identified with the religions that Hegel presents as their principal examples. To be sure, Hegel often gives the impression that these are to be identified. For instance, “the religion of beauty” appears to be synonymous with Greek religion (VPR 4: 534), and Hegel offers it as the only instance of the religion of beauty. Parallel claims could be made with regard to Judaism as the religion of sublimity – though Hegel occasionally includes references to Islam here as well.18 And “Indian religion” (though not Hinduism) and Egyptian religion both appear as if they were moments of the concept in the structuring of the 1827 lectures. Nonetheless, both careful consideration of the conceptualization of Determinate Religion and more detailed attention to the texts of the lectures themselves present a different picture of the relation between the moments of the concept of religion, which constitute the core and backbone of Determinate Religion, and the actual, historical religions that instantiate these moments. While I take the material from the introductions to substantiate this point, the most powerful evidence lies in his treatment of the actual moments of Determinate Religion within the body of the lectures. In the 1827 lectures, for instance, the first moment of Determinate Religion is what Hegel labels “natural religion.” His treatment begins with an overview of the conception of natural religion (contrasting it with the way “natural religion” had come to be used by some of his contemporaries, particularly in Enlightenment discussions). When he turns to the first form of natural religion, the religion of magic, he spends more time (several pages in the transcriptions) setting out the general conception. Only then does he turn to particular, specific religious practices: “Now we are going to cite more detailed descriptions of how these types of magic have developed in human societies. The religion of magic is still found today among wholly crude and wild peoples such as the Eskimos.”19 He then refers to the reports of John Ross and William Edward Parry regarding the people and practices they encountered on their journeys. Hegel then turns to a very different part of the world: “We still find this form widespread in Africa, and it is developed more fully among the Mongols and the Chinese.”20 There is much to be said – and to be concerned about – with 18
For references to Islam, or at least “Mohammedanismus,” in the context of the religion of sublimity, see VPR 4:62, 64, 337, and 577n. 19 “Nun wollen wir nähere Beschreibungen anführen, wie sich diese Zaubereien bei den Menschen entwickelt haben. Die Religion der Zauberei findet sich noch jetzt bei ganz rohen, wilden Völkern, wie bei Eskimos” (VPR 4:439). 20 “In Afrika finden wir diese Form noch am allgemeinsten; bei den Mongolen, Chinesen, ist das weiter ausgebildet” (VPR 4:439).
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respect to these passages; I think here of the political stakes of treatments of religions, perhaps especially other people’s religions. Rather than pursuing that issue, however, I draw attention to these passages to make a very specific point: the first form or moment of Determinate Religion, the religion of magic, has taken concrete form – achieved actual existence – in a variety of times and places. This form or moment of determinate religion cannot be identified with any one of its instantiations. In addition to the examples Hegel mentions, we can assume that others may have existed in the past and that others unknown to Hegel may exist today. In the 1824 lectures, for instance, Hegel states that among the Mongolians and Chinese, “the completely raw, first shape of magic is no longer present.”21 The implication is that the most basic form of magic once existed there, but their religion has changed such that it presents a slightly different moment of Determinate Religion. It is thus reasonable to expect that religions of magic have existed in many other places as well. In light of this understanding of the relationship between the conceptual moment and the historical instances, we can be more precise about the stakes of the accuracy of Hegel’s treatment of historical religions. Revisions to our understanding of the religious practices of particular people of Africa or of the Inuit, for instance, might indeed require revisions to his account – perhaps require a particular instance of religion to be associated with a different moment or perhaps even challenging the manner in which Hegel has articulated the moments (a point to which I return below). But the conceptual structure of Determinate Religion does not depend directly on the adequacy of Hegel’s treatment of these religions or even on our being able to identify the existence of these particular instantiations. Hegel’s treatment of later forms of Determinate Religion may appear to more closely identify its moments with particular, historical religions. Perhaps most significantly, in the cases of the religions of sublimity and of beauty, for instance, Hegel focuses closely on Judaism and Greek religion, respectively. I take part of the reason for this to be that Hegel is here developing a more specific historical narrative about the genesis of the consciousness of spirit expressed in the consummate religion, Christianity. But I take the more fundamental point to be simply that – with the exception of Islam in some of his treatments – Hegel knows of no other religions that manifest these moments in the development of the concept of religion. Here as well, Hegel introduces the section in terms of the general characteristics of this level: “This is the stage where the spiritual elevates itself above the natural to 21
“[D]ie ganze rohe erste Gestalt der Zauberei [ist] nicht mehr vorhanden” (VPR 4:179).
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a freedom that is partly beyond natural life, and partly within it, so that the [simple] blending of the spiritual and the natural ceases.”22 The conception of these moments of determinate religion is thus again prior to their association with Jewish and Greek religion. Even if these were to turn out to be historically unique as instantiations of these moments, however, there is no reason to believe that in principle these moments could not also be instantiated elsewhere. They may be empirically and historically unique, but that is not to say that they are conceptually unique. To make this account of the larger conception of Determinate Religion convincing, however, also requires attending to those passages in which Hegel emphasizes the connection to historical existence. In other words, what about those other passages where Hegel seems to make stronger claims about historical religions as necessary conditions for the emergence of the consummate religion? One might suspect that I am passing over them with inadequate attention, so let me turn to them now. Hegel’s claim that these moments of the concept are manifest in actual historical religions must be understood in light of this more fundamental conception of Determinate Religion. This emphasis on their existence in concrete historical forms was present in the passage from the 1827 introduction quoted above. It also emerges at a number of other points in the 1824 and 1827 lectures. In one of the more developed passages, he argues, “These determinate religions are determinate stages of the consciousness and knowledge of spirit. They are necessary conditions for the emergence of the true religion, for the true consciousness of spirit. For this reason, they are also extant historically, and I will also draw attention to the historical manner in which they have existed: we come to know them in these particular forms as historical religions […]. Thus these shapes of religion have also existed successively in time and side by side in space.”23
In this and similar passages, Hegel makes a robust claim that the moments of Determinate Religion must exist in the world: they are more than abstract conceptions precisely because consciousness of absolute spirit requires development. Humanity does not begin with a fully developed consciousness 22
“Dies ist die Stufe, wo das Geistige sich über das Natürliche erhebt zur Freiheit teils über die Natürlichkeit, teils in der Natürlichkeit, so daß die Vermischung von Geistigem und Natürlichem aufhört” (VPR 4:532). 23 “Diese bestimmten Religionen sind bestimmte Stufen des Bewußtseins, des Wissens vom Geiste. Sie sind notwendige Bedingungen für das Hervorgehen der wahrhaften Religion, für das wahrhafte Bewußtsein des Geistes. Sie sind deswegen auch geschichtlich vorhanden, und ich werde auch an die geschichtliche Weise erinnern, wie sie existiert haben: Wir lernen sie in diesen besonderen Formen als geschichtliche Religionen kennen […]. So haben auch diese Gestalten der Religion nacheinander in der Zeit und nebeneinander im Raume existiert” (VPR 4:415). See also VPR 3:59.
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of spirit, and this development takes place in history. Earlier stages are in this sense “necessary conditions [notwendige Bedingungen].” Even these strong claims, however, do not entail a singular line of historical development. Rather, as we have already seen in Hegel’s discussion of religions of magic, the same moment of Determinate Religion may be actualized in a variety of religions at different times and places. Moreover, some instantiations may have vanished virtually without a trace. Hegel’s account of Determinate Religion need not be seen as actually treating all religions that have ever existed (though, insofar as they are considered religions, it must have a place in which they could be located if they were to be treated). There may be some instantiations of which we have no knowledge whatsoever but whose existence we might posit. In this picture, each of these religions exist in time and space, and they follow one another in the sense of not all co-existing. Yet this conception does not entail or require that all religions can be assembled into a monolinear trajectory of temporal historical development. The introductory materials do not claim this, and the body of Hegel’s treatment of determinate religions – perhaps most emphatically his casual references to a variety of religions of magic – provides obvious counterexamples to such a model. One can make this point while also acknowledging that at certain points in Determinate Religion Hegel is treating specific religions that had actual influences on the emergence of other forms of religion – as in the case of Jewish and Greek contributions to the formation of Christianity. In these cases, there are real, “historical” connections between the religions, but this does not entail a unilinear development. After all, Hegel repeatedly changed the ordering of his treatments of Judaism and Greek religion – presumably without shifting his thinking about the dating of particular materials. Thus, even if in some cases we see historical connections and influences, that should not be confused with a conception of Determinate Religion as tracing a temporally linear history. It is a history in the sense of a plurality of religions that have existed in time and space, but not in the sense of a chronologically ordered, unilinear trajectory. It is unified in the sense of being brought together into a single structure but not in the sense that each moment of Determinate Religion corresponds to one historical religion.
III. While these points alone already provide powerful evidence against interpreting Determinate Religion as first and foremost a linear succession of
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regional and/or “world religions” succeeding each other through time, this point is further buttressed by recent scholarship on the history of the conceptualization of religion in the West. Central to the implications that I wanted to draw from the work of King and Masuzawa is that as self-evident as notions such as Hinduism and Buddhism may appear today, the notion of these as referring to cohesive bodies of beliefs and practices was substantially a product of colonial encounters and European scholarship. Of course, particular claims about superhuman beings, practices of piety, and so forth were not simply fabricated out of whole cloth (or at least when that happened it was the exception). But conglomerations of these texts, beliefs, practices, etc. were reified into entities that are now widely talked about with terms such as Hinduism and Buddhism, to take the two most obvious examples. Hegel is no outsider to this process. I am by no means claiming that no such conceptions are operative in his work. Yet the reifications that are so often taken for granted today were still in formation in Hegel’s day and in his lectures. He assumes less cohesive wholes than we often project back onto him. Fully exploring and developing this point justifies an extended study. In the present context, however, I want to focus on two examples. In the 1827 lectures, following the initial treatment of religions of magic discussed above, Hegel turns to what he calls “the state religion of the Chinese empire.” Hegel distinguishes this religion from “a religion of Fo or Buddha,” as well as from the “ancient Chinese religion of the Dao.”24 Drawing on the reports of Jesuit missionaries, Hegel recounts the transformations in this state religion in the process of the transition to the Zhou dynasty. Hegel’s treatment portrays the way that the new emperor secured his own legitimacy and authority by drawing on, while also transforming, the notion of Shen, or spirits. Whatever questions contemporary scholars might raise about Hegel’s account – and I do not want to discount the importance of such questions – what stands out for our purposes is that this Chinese state religion is neither static nor reified into the cohesive entities we often associate with discrete “religions” today. This so-called Chinese state religion transforms with the transition to a new dynasty. And while some might be tempted to associate it with what is labeled Confucianism today, Hegel does not use that label and focuses his attention on very different events and ideas than those foregrounded in contemporary treatments of Confucianism. Hegel’s treatment of Indian religion raises comparable issues. The distance between Hegel’s perspective and that of many today is powerfully expressed 24 These are “Die Staatsreligion des chinesischen Reiches,” “eine Religion des Fo oder Buddha,” and “alte chinesische Religion des Dao” (VPR 4:445).
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in the rarity of Hegel’s use of the terms “Hindu” and “Hinduism.” I note two uses of the term “Hindu” in the 1824 lectures and a handful more that appeared in the 1832 and 1840 editions of Hegel’s lectures, which were based largely on lecture transcriptions that are no longer extant. Instead, Hegel for the most part uses terms such as “Indian religion” or “the religion of the Indians.” Some might take the distinction to be trivial, to indicate nothing more than a difference between older and newer nomenclature for the same object. We see this assumption do powerful work in the English translation of the lectures: Peter Hodgson and his collaborators render Hegel’s “die indische Religion” as “the Hindu religion.”25 Similarly, Hegel’s Philosophy of Historical Religions, an edited volume from 2012, is structured largely in terms of familiar “world religions” and the main treatment of Hegel’s discussion of Indian religion is found in Paul Cruysberghs’ chapter, “Hinduism: A Religion of Fantasy.”26 My point is not to single out Hodgson and Cruysberghs as more guilty than others but to point to them as concrete examples of what I take to be a widespread set of assumptions. Hegel is clearly discussing many of the same texts, beliefs, and practices that are commonly packaged together to constitute a single religion known as Hinduism – and Hegel is even drawing on some of the same scholars, such as Henry Thomas Colebrooke and William Jones, whom King and Masuzawa identify as central to the Western conceptualization of Hinduism.27 Nonetheless, it matters that Hegel does not generally frame these materials in terms of a religion of Hinduism. To be sure, Hegel conceives of the religious narratives, practices, and ideas of a particular group of people as exemplifying a particular moment of Determinate Religion. And doing so does involve a degree of reification and generalization, grouping a tremendous diversity of religious narratives, practices, texts, and ideas under this label, “Indian religion.” There is much to criticize here. But it is a distortion of Hegel’s claims to project onto him a discussion or treatment of “Hinduism.” To do so attributes to him a more reified conception of particular religions than he has. To argue that Hegel’s treatment of determinate religions should not be confused with a treatment of a series of world religions as these have been 25 See the tables of contents as well as the repeated discussions throughout the body of the text. 26 See Labuschagne/Slootweg, eds., Historical Religions, and Paul Cruysberghs, “Hinduism: A Religion of Fantasy,” in Historical Religions, 31–50. 27 On Hegel’s use of these authors, see the editors’ bibliographies of Hegel’s sources found at the end of both the German and English editions of Determinate Religion. In King and Masuzawa, see King, Orientalism and Religion, 119–33, and Masuzawa, The Invention of World Religions, 149–57.
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conceived since sometime in the late nineteenth century is to further undermine an understanding of Determinate Religion as fundamentally a treatment of major religious traditions of the world. It further enables us to appreciate part II of Hegel’s lectures as something other than an account of the world religions as moments of the concept of religion. It thus pushes us further and further from the identification of moments of Determinate Religion with these purported entities, the so-called great world religions. More interestingly, it suggests the ways that we might argue that particular texts or particular communities that we might label Buddhist express one moment of Determinate Religion, while another text or community that is also frequently labeled Buddhist expresses a very different moment. My point is not simply that the underlying conception of Determinate Religion is compatible with such a revision to the execution of the project. It is that Hegel’s own lectures are closer to this than they are usually taken to be. His treatment of various instances of religion in China is perhaps the best example. Here we get a sense of Hegel assigning different materials arising out of the same time and place to different moments of the concept. Moreover, as we think about the potential of a Hegelian notion of determinate religion today, we have reason to build on this insight – perhaps underdeveloped but certainly already present in Hegel’s own lectures.
IV. In the remaining pages, I want to briefly explore what I take some of the implications of this interpretation to be. My goal is to raise questions as much as to answer them. We have seen that Hegel’s conception of Determinate Religion does require that these moments find expression in actual religious phenomena but that his conception does not require that these moments be identified with those entities we have come to think of as particular religions. To the contrary, Hegel provides grounds – more than he realizes – for identifying different materials that are often grouped together as constituting a single religion as distinct, precisely because they express different moments of the concept of religion. Despite playing a role in reifying particular religious traditions, Hegel provides tools for resisting this movement. While these points may seem to be minor adjustments in the framing of Hegel’s project, they have significant implications. A classic worry about Hegel’s system more generally is that empirical evidence encountered in the world is distorted in order to be fit into the categories his system provides. To emphasize that the guiding thread of Determinate Religion lies in
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determinations of the concept rather than in empirical treatments of religions might seem to intensify this concern. To the contrary, however, if we dislodge the notion that individual moments are to be identified with easily named, discrete religions, we can see Determinate Religion as responsive to far finer grained treatments of religious materials. To suggest that we might think about Determinate Religions in a way that does not identify moments in the development with what we have come to think of as major religions of the world opens the way to think about one moment of Determinate Religion being manifest in one religious community that might sometimes be labeled Buddhist and another, perhaps very different, moment being manifest in another religious community that is also labeled Buddhist. We might also be led to associate certain self-identified Christian communities with specific moments of Determinate Religion. Further, to understand Determinate Religion in this manner places in relief questions about how one might judge the adequacy of Hegel’s treatments of particular religions. That is, Hegel has been widely criticized for his portrayals of other religions (of course, he has been widely criticized for his portrayal of Christianity as well, but that is a distinct point). Robert Bernasconi, for instance, argues strongly that Hegel misused the materials he had at his disposal for his treatment of African religions.28 More broadly, it is easy today to dismiss Hegel’s treatments of Indian or Chinese religious materials with the understanding that the materials he had available were far inferior to what we possess today. As a result, Hegel easily mischaracterized religion in India and so forth. I do not want to deny either of these claims: Hegel may well have “misused” materials, and many scholars today do have access to far better information today than Hegel did. Those points are significant. Nonetheless, if we conceive of the project of Determinate Religion in the way I am suggesting, we should be led to revise our questions about the adequacy of Hegel’s portrayals. For perhaps the most interesting and significant questions are not “whether Hegel understood Hinduism” or “got Hinduism right.” If we take Hegel to be making claims about the entities that have been fashioned as “Hinduism,” “Buddhism,” and “Judaism,” we may not be asking the right questions – and we are certainly not learning as much as we could from Determinate Religion. We can and should ask about how Hegel handles certain texts, about the adequacy of the translations with which he is working, and about the reliability of the reports with which he is working. We can also ask whether Hegel takes those particular materials to be representative of more than they are – such as of the religious practices 28
See Robert Bernasconi, Court of Ashanti.
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and ideas of the people in an entire region rather than of particular communities. But I think we miss the challenge of his project if we simply seek to judge all the places where he misunderstood or had only a partial view of religious practices in India. The more significant question, I want to suggest is whether we should follow Hegel in seeking to articulate moments or elements of the concept of religion as a way to interpret the many alternative religious views that we encounter. I have not answered this, but I hope I have gone some way toward illuminating the question. To downplay questions about whether Hegel interpreted particular religious materials appropriately emphatically does not mean that Hegel’s portrayals are judged right by fiat – that they are true of some part of what we call Buddhism, for instance, even if not of all of Buddhism. Hegel himself recognized this point, as is clear from the steady and extensive revisions to part II of his lectures on religion each time he delivered them. Whereas the other two sections of the lectures on the philosophy of religion achieved a relatively stable form, Hegel continued to make significant changes to Determinate Religion, not only from one cycle of lectures to the next but also within the delivery: the subdivisions foretold in the introductions, for instance, were sometimes revised in the process of delivering that section of the lectures.29 These revisions do more than demonstrate that Hegel was not as dogmatic as he was accused of being. They provide further evidence that this section is not fundamentally a chronological history; Hegel’s revisions do not reflect new dating of materials. Moreover, these revisions include changes not only to Hegel’s treatments of particular religious groups (such as Indian religion) but also to his portrayals of moments of the concept as such; and the revisions seem to correspond to new information. Consequently, they raise questions about the way that Hegel’s understanding of the determination of the concept is perhaps itself informed by empirical findings. I view Hegel as responsive to new empirical information – but not because he conceives of the core of Determinate Religion as an empirical project. The questions raised here, however, are not unique to Hegel’s Determinate Religion. They apply as well not only to his philosophy of religion more broadly but also to the philosophies of nature and of spirit, and I will not attempt to settle them here. Finally, if this interpretation of Determinate Religion removes some of the grounds for judging this section of the lectures to be a distant relic, it leaves in place – and perhaps even highlights – one of the elements that many today find most problematic in Hegel’s position. This reading very much leaves in place Hegel’s ordering of religions into a hierarchy with Hegel’s own position 29
On these revisions, see Lewis, Religion, Modernity, and Politics in Hegel, 183–84.
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occupying the highest rung. Even if the objects ordered are not conceived in terms of “all of Judaism” or “all Hindus,” there is a powerful hierarchy at work. Particularly given the way such judgments of the religious, cultural, and intellectual inferiority of others played a role in justifying colonial endeavors, we have reason to pause at such claims. One could say much the same regarding judgments of Islam today. Precisely here, however, I think we see a further fruit of framing Determinate Religion as I have sought to do. If we conceive of Hegel’s Determinate Religion as merely a treatment of other religions as historical stepping stones along the path toward Christianity, we will find the project to collapse under the weight of empirical inadequacy. However, if we view Hegel as articulating the facets or elements of his own view – moments of the concept that is fully manifest in the consummate or vollendete religion – we see more clearly a crucial respect in which Hegel is not far from us at all. Sympathetically read, Hegel is here articulating why he takes his own position to account for what is valid in competing conceptions while also overcoming their weaknesses. He takes a great number of others seriously, in a way that few before him did. While we might chide him for a failure to grasp that that task is greater than can be fully accomplished, we should not fault him insofar as he tries to take others seriously by treating them as candidates for truth with which he ought to contend. Perhaps more importantly, to claim that one position does justice to what is valid in the alternatives while overcoming their shortcomings seems to be what we do whenever we consider ourselves to hold a given view. Insofar as we hold a view reflectively, we do so because we consider it superior to all alternatives of which we are aware; and this superiority consists, at a minimum, in holding that this view accounts for what is valid in and overcomes shortcomings of the alternatives. As much as Hegel may seem relatively quick to make grand claims, we seem to commit ourselves to a comparable move every time we commit ourselves to one view over others. Thus, even as we have reason to be cautious and hesitant in our judgments of others – particularly others with less power than we have – precisely here what appears to be one of the most foreign elements of Hegel’s project may, when properly grasped, come to be seen as close to us, and perhaps inescapably so.
Literaturverzeichnis 1. Quellen Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, ed. Walter Jaeschke, Vorlesungen, vols. 3–5 (Hamburg: Felix Meiner, 1983–85).
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Hegel’s Determinate Religion Today
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Philosophie ist Gottesdienst Zum liturgischen Charakter des hegelschen Philosophierens Roberto Vinco In der Einleitung zu seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion schreibt Hegel: „Er [Gott; R. V.] ist der eine und einzige Gegenstand der Philosophie; mit ihm sich zu beschäftigen, in ihm alles zu erkennen, auf ihn alles zurückzuführen, sowie aus ihm alles Besondere abzuleiten und alles allein zu rechtfertigen, insofern es aus ihm entspringt, sich in seinem Zusammenhang mit ihm erhält, von seinem Strahl lebt und seine Seele hat. Die Philosophie ist daher Theologie, und die Beschäftigung mit ihr oder vielmehr in ihr ist für sich Gottesdienst.“1
In diesem Zitat hebt Hegel nicht nur die theologische Thematik der Philosophie hervor, er akzentuiert auch die religiöse Dimension der philosophischen Tätigkeit. Diese Äußerungen sind aber erklärungsbedürftig, denn was bedeutet dieses „In-Sein“ in der Philosophie? Und, vor allem, was heißt es zu sagen, dass dieses „In-Sein“ Gottesdienst ist?2 Es wäre zu einfach, diese Aussagen als eine übertriebene metaphorische Formulierung zu interpretieren, zumal ähnliche Bemerkungen an anderen Stellen des hegelschen Werkes geäußert werden.3 Die These, die ich vertreten möchte, ist deshalb, dass diese hegelschen Sätze wortwörtlich zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1–3, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 3–5, hg. von Walter Jaeschke, Hamburg 1983–1985 (= VPR 3–5), hier: VPR 3, 3 f. 2 Zu dieser hegelschen These der Philosophie als Gottesdienst vgl. unter anderem: Karl Albert, „Hegel über Philosophie als Gottesdienst“, in: ders., Vom Kult zum Logos, Hamburg 1982, 84–97; Gudrun von Düffel, „Philosophie als Gottesdienst. Hegels Paradigmenwechsel vom formalen zum absoluten Wissen“, in: Andreas Arndt / Karol Bal / Henning Ottmann (Hgg.), Glauben und Wissen. Erster Teil, Hegel-Jahrbuch 2003, Berlin 2003, 161–165; Friedrich Hermanni, „Kritischer Inklusivismus: Hegels Begriff der Religion und seine Theorie der Religionen“, NZSTH 55 (2013), 136–160, insbesondere 146–150; Thomas A. Lewis, Religion, Modernity, and Politics in Hegel, Oxford 2011, insbesondere 179. 3 Vgl. z. B. VPR 3, 63 f. 1
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interpretieren sind. Anders formuliert: Die Dynamik der hegelschen Philosophie hat einen liturgischen Charakter. Damit wird aber unser Problem nur verschoben: Was heißt es nämlich zu sagen, dass die hegelsche Philosophie liturgisch ist? Ich werde meinen Aufsatz, und damit meine Antwort, folgendermaßen gliedern: Zunächst (1) werde ich explizieren, was ich unter dem Terminus „Liturgie“ verstehe. Anschließend (2) werde ich zeigen, wie sich diese liturgische Dimension in der hegelschen Auffassung der Philosophie widerspiegelt. Abschließen (3) werde ich meinen Beitrag mit der Hervorhebung einiger Unterschiede zwischen der von mir skizzierten (und christlich geprägten) Liturgieauffassung und der hegelschen (philosophischen) Konzeption.
1. Liturgie als Opus Dei Was ist hier nun mit dem Terminus „Liturgie“ gemeint? Es geht im Folgenden selbstverständlich nicht darum, eine ausführliche und präzise Darstellung der Liturgie zu vermitteln. Ich möchte aber dennoch eine Dynamik skizzieren, die man „liturgisch“ nennen und die für das Verständnis der hegelschen Konzeption hilfreich sein kann. Um diese Dynamik darzustellen, werde ich mich hauptsächlich an den Analysen orientieren, die Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. entfaltet hat.4 werde mich hier hauptsächlich auf das Buch Der Geist der Liturgie konzentrieren (Joseph Ratzinger, Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg/Basel/Wien 2. Auflage 2007). Eine integrative und erklärende Funktion erfüllt auch ein für die Entwicklung der ratzingerschen Liturgieauffassung wichtiges Buch, das von Romano Guardini verfasst wurde und den Titel Vom Geist der Liturgie trägt. Die Verwendung liturgischer Gedanken Ratzingers und Guardinis zur Interpretation von philosophischen Texten ist nicht neu. Michael Wladika z. B. hat sie benutzt, um Fichte zu interpretieren. Vgl. Michael Wladika, Moralische Weltordnung, Selbstvernichtung und Bildwerden, seliges Leben, Würzburg 2008, 164–173. Zur liturgischen Konzeption Ratzingers und zu seinem Denken im Allgemeinen vgl. unter anderem: Mariusz Biliniewicz, The Liturgical Vision of Pope Benedict XVI: A Theological Inquiry, Oxford/Bern/Berlin/Frankfurt am Main / Wien 2013; Heiko Nüllmann, Logos Gottes und Logos des Menschen: Der Vernunftbegriff Joseph Ratzingers und seine Implikationen für Glaubensverantwortung, Moralbegründung und interreligiösen Dialog, Würzburg 2012; Henning Tegtmeyer, Gott, Geist, Vernunft: Prinzipien und Probleme der Natürlichen Theologie, Tübingen 2013; Hansjürgen Verweyen, Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.: Die Entwicklung seines Denkens, Darmstadt 2010; Rudolf Voderholzer (Hg.), Der Logos-gemäße Gottesdienst. Theologie der Liturgie bei Joseph Ratzinger, Regensburg 2009. 4 Ich
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Die erste unmittelbare Antwort auf die gestellte Frage könnte so lauten: Liturgie ist der Komplex und die Ordnung der offiziellen Riten und Zeremonien einer bestimmten Religion. Das ist aber eine Quasi-Nominaldefinition, die eine rein formelle Beschreibung liefert. Die Frage soll deshalb präzisiert werden: Was ist die Natur, oder besser, der „Geist“ der Liturgie? Meine erste unmittelbare Antwort ist, dass Liturgie opus Dei (Werk Gottes)5 im objektiven und subjektiven Sinne des Genitivs ist. Mit anderen Worten: Sie ist ein Werk über Gott und ein göttliches Werk. Diese Antwort soll nun expliziert und erläutert werden.
1.1 Theozentrismus Konzentrieren wir uns zunächst auf die erste, objektive Dimension. Die Liturgie ist Werk Gottes, weil sie „theozentrisch“ ist. Das bedeutet, dass die liturgische Dynamik zunächst ein Gewahr-Werden des Göttlichen, seiner Heiligkeit und damit seiner Transzendenz voraussetzt. Liturgie ist somit eine Begegnung mit dem Sakralen.6 Diese erste Dimension zeigt, dass die Liturgie auf einem Kern beruht, der absolut und objektiv ist. Die liturgische Dynamik ist somit an ein Faktum Zum hegelschen Charakter des Denkens Ratzingers vgl. unter anderem: Michael Schulz, „Grenzgänge des Denkens. Ratzinger im Disput mit Hegel“, IkaZ 38 (2009), 261–274. 5 Der von der monastischen Tradition geprägte Terminus „Opus Dei“ spielt, auch wenn er nicht oft verwendet wird, für die liturgische Konzeption Ratzingers eine zentrale Rolle. Interessant ist außerdem die Tatsache, dass dieser Terminus gerade an einer Stelle ins Spiel gebracht wird, in der die Relevanz der liturgischen Konzeption Guardinis hervorgehoben wird. So schreibt Ratzinger: „Und nur wenn es die [Gleichzeitigkeit Jesu Christi mit uns; R. V.] gibt, gibt es wirkliche Liturgie, die nicht bloß Erinnern des Ostergeheimnisses, sondern seine wahre Gegenwart ist. Und wiederum nur wenn dies der Fall ist, ist Liturgie Teilhabe am trinitarischen Dialog zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist; nur so ist sie nicht unser ‚Machen‘, sondern Opus Dei – Handeln Gottes an uns und mit uns. Deswegen hat Guardini mit Nachdruck betont, in der Liturgie komme es nicht darauf an, etwas zu tun, sondern zu sein.“, „Theologie der Kirchenmusik“, in: Joseph Ratzinger, Theologie der Liturgie. Die sakramentale Begründung christlicher Existenz, Freiburg 2008, 535 (= JRGS 11). 6 „Bei allem Bemühen um die Liturgie muß der Blick auf Gott maßgebend sein. Wir stehen vor Gott – er spricht mit uns, wir mit ihm. Wo immer man bei liturgischen Besinnungen nur darüber nachdenkt, wie man Liturgie attraktiv, interessant, schön machen kann, ist Liturgie schon verfallen. Entweder ist sie opus Dei mit Gott als dem eigentlichen Subjekt oder sie ist nicht.“ Ansprache von Benedikt XVI. beim Besuch der Abtei Heiligkreuz, Sonntag, 9. September 2007, http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/s peeches/2007/september/documents/hf_ben-xvi_spe_20070909_heiligenkreuz_ge.html (Aufrufdatum: 6. 11. 2014).
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gebunden, über das sie nicht wirklich verfügt und das sie nicht manipulieren kann, ohne dabei ihr Wesen zu verlieren. Das hat eine weitere Folge: Indem die liturgische Dynamik diese unantastbare göttliche Basis besitzt, lässt sie auch gleichzeitig alles andere in seiner Relativität und Abhängigkeit erscheinen. Die liturgische Dynamik geht somit von einer Art Scheidung zwischen dem, was absolut ist (Gott), und dem, was eine abgeleitete Existenz hat (dem Außergöttlichen), zwischen dem Sakralen und dem Profanen, aus. Das bedeutet auch, dass sich in der liturgischen Dynamik eine Umkehrung des alltäglichen, profanen und verkehrten Blicks, der von dem Vorrang und der Selbstsubsistenz der weltlichen Dinge und menschlichen Angelegenheiten ausgeht, vollzieht. Die liturgische Dynamik setzt eine gewisse conversio ad Deum (Umkehr zu Gott) voraus.
1.2 Liturgie als göttliche Handlung Bisher haben wir uns mit der „objektiven“ Dimension der Liturgie befasst. Es gibt aber auch eine „subjektive“ Dimension. Liturgie ist nämlich Praxis. Um was für eine Praxis geht es aber dabei? Zunächst muss man sagen, dass es nicht um etwas Willkürliches geht, sondern um etwas Ritualisiertes. Die liturgische Praxis (man denke z. B. an eine katholische Messe) hat eine Struktur, eine interne Kohärenz und ist außerdem etwas Öffentliches. Das impliziert, dass sie an bestimmte Normen gebunden ist. Die Liturgie ist somit normierte Praxis.7 Woher stammt nun die bindende Kraft der Normen? Man könnte zunächst sagen, dass sie aus der inneren Kohärenz eines Kultus oder aus dem Konsensus einer religiösen Gemeinde entsteht. Es wäre aber ein Fehler, wenn man diese bindende Kraft bloß auf diese Elemente reduzieren würde. Ein Hinweis darauf kann darin gesehen werden, dass die Veränderung von bestimmten Grundelementen eines Ritus (z. B. Worten und Handlungen der Konsekration bei einer katholischen Messe) deshalb verboten wird, weil sie das sind, was Gott will und befiehlt und wodurch Er sich offenbart. Das heißt aber, dass die bindende Kraft der Normen, die sich in der Struktur eines bestimmten Ritus widerspiegelt, auf einer gottmanifestierenden Funktion beruht. Kurzum: Die liturgische Praxis hat einen theophanischen Charakter.8 7
Ein Paradebeispiel ist in diesem Sinne der Kanon der Messe. Das ist ein zentrales Anliegen der ratzingerschen Liturgieauffassung. Liturgie ist nämlich nicht etwas, das man einfach willkürlich und nach Gusto verändern und frei gestalten darf. Um diese These zu untermauern, verweist Ratzinger in seinem Buch zum Geist der Liturgie auf die Tatsache, dass Moses, der von Gott den Auftrag erhielt, in die Wüste zu 8
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Um diese Dimension der liturgischen Praxis zusammenzufassen und zu präzisieren, werde ich in Anlehnung an Ratzinger auf eine Aussage des heiligen Irenäus rekurrieren. Sie lautet: „Die Herrlichkeit Gottes ist der lebende Mensch, das Leben des Menschen aber ist es, Gott zu sehen.“ (Adv. haer. IV 20,7)
Ratzinger kommentiert: „Letztlich ist das Leben des Menschen selbst, der recht lebende Mensch die wahre Anbetung Gottes, aber das Leben wird zu wirklichem Leben nur, wenn es seine Form aus dem Blick auf Gott hin empfängt. Der Kult ist dazu da, diesen Blick zu vermitteln und so Leben zu geben, das Ehre wird für Gott.“9 Anders formuliert: Das (wohlgeordnete) Leben des Menschen und damit jegliche (wohlgeordnete) menschliche Praxis hat im Grunde eine gottoffenbarende Funktion (sie macht, mit anderen Worten, die Anwesenheit Gottes in der Welt und im Menschen explizit) und ist somit liturgisch. Dieser theologische Sinn der menschlichen Praxis wird aber von jener reinen Lebensform getragen, die per se gottoffenbarend ist und die den Kern der liturgischen Praxis ausmacht. Ratzinger formuliert es so: Die Liturgie „muss als das ‚opus Dei‘ der Ort sein, wo alle opera hominum enden und überschritten werden“10. Mit einem aristotelischen und hegelschen Vokabular könnte man sagen, dass sich in der liturgischen Dynamik der bios politikos in den bios theoretikos aufhebt. Die menschliche Praxis wird in die Dynamik der göttlichen Manifestation miteinbezogen. Liturgie ist somit in ihrem Kern keine äußerliche und damit eingegrenzte Form der göttlichen Manifestation, sondern eine wirkliche göttliche Selbstmanifestation. Im Vollzug der Liturgie treten wir in die Dynamik der allumfassenden göttlichen Offenbarung hinein.11 Mit anderen Worten: Der menschliche Vollzug in der Liturgie erweist sich als ein (göttlicher) Selbstvollzug. Hier wird auch der Selbstzweck‑ und der damit verbundene Spielcharakter12 der Liturgie deutlich: Die Liturgie ist, wiederum aristotelisch formuliert, energeia, wahrer (göttlicher) Selbstvollzug. ziehen, um ihm dort zu dienen, jegliches Angebot des Pharaos zur Kultgestaltung ablehnt, das nur partiell mit dem göttlichen Auftrag übereinstimmt. Vgl. Ratzinger, „Der Geist der Liturgie“, in: JRGS 11, 32–39. 9 Ratzinger, „Der Geist der Liturgie“, in: JRGS 11, 36. 10 Ratzinger, „Die Feier der Eucharistie – Quelle und Höhepunkt christlichen Lebens“, in: JRGS 11, 256 f. 11 „Sie [die Liturgie; R. V.] ist das Hineintreten in die immer schon geschehende Liturgie des Himmels.“ Ratzinger, „Theologie der Kirchenmusik“, in: JRGS 11, 551. 12 Das ist eine Dimension der Liturgie, die vor allem von Romano Guardini hervorgehoben wurde. Vgl. Romano Guardini, Vom Geist der Liturgie, Freiburg im Breisgau 1983, 86–105.
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Dieses „Hineintreten“ in die göttliche Manifestationsdynamik spielt sich aber nicht nur zwischen Gott und dem anbetenden Menschen ab, sondern bezieht die ganze Welt mit ein. Die Manifestationsdynamik hat mit anderen Worten einen allumfassenden, kosmischen Charakter.13 Diese Dynamik wird von Ratzinger anhand des Hochgebets der Messe plastisch dargestellt: Hier spricht einerseits der Priester mit dem Ich des Herrn – „das ist mein Leib“, „das ist mein Blut“ – „in dem Wissen, daß er nun nicht mehr aus Eigenem redet, sondern kraft des Sakraments, das er empfangen hat, Stimme des anderen wird, der nun redet, handelt“14. Der Priester tritt somit in dieses göttliche Geschehen ein. Diese göttliche Aktion ist aber auch etwas, das die ganze Schöpfung miteinbezieht: „Die Elemente der Erde werden um-substanziiert, sozusagen aus ihrer kreatürlichen Verankerung herausgerissen, im tiefsten Grund ihres Seins erfasst und umgewandelt in Leib und Blut des Herrn. Der neue Himmel und die neue Erde werden antizipiert. Die eigentliche ‚Aktion‘ in der Liturgie, an der wir alle teilhaben sollen, ist Handeln Gottes selbst.“15
Zusammenfassend lässt sich sagen: Das liturgische Geschehen erweist sich als göttliche allumfassende Tätigkeit und damit als Werk Gottes auch im subjektiven Sinne des Wortes.
13 Laut
Ratzinger ist die liturgische Dynamik im Schöpfungsgeschehen verankert und verweist auf den Vollzug der Schöpfung, der wiederum in der „Rückkehr“ des geschaffenen Universums zu Gott besteht. Dazu schreibt er: „Das Ziel des Kultes und das Ziel der Schöpfung im Ganzen ist dasselbe – Vergöttlichung, eine Welt der Freiheit und der Liebe.“, Ratzinger, „Der Geist der Liturgie“, in: JRGS 11, 44. Aus dieser Dynamik lässt sich auch ein wesentliches Moment der liturgischen Handlung erläutern: das Opfer. Dieses darf nicht als eine Vernichtung des Außergöttlichen interpretiert werden, das wiederum als Ergebnis einer verfallenen Dynamik zu verstehen wäre. Die durch das Opfer vollzogene Rückkehr ist hingegen Bewahrung und Vervollständigung der Positivität des Außergöttlichen. Das, was dabei getilgt wird, ist nur seine scheinbare Autonomie (sein „Neben-Gott-Sein“), die die göttliche Manifestation nicht ganz durchscheinen lässt. Mit den Worten Ratzingers: „Gottzugehörigkeit hat nichts mit Zerstörung und Nichtsein zu tun, wohl aber mit einer Weise des Seins: Sie bedeutet das Heraustreten aus dem Status der Trennung, der scheinbaren Autonomie, des Seins nur für sich selber und in sich selber. Sie bedeutet jenes Sich-Verlieren, das die einzige mögliche Weise des Sich-Findens ist (vgl. Mk 8,35; Mt 10,39). Deswegen konnte Augustinus sagen, das wahre „Opfer“ sei die civitas Dei, das heißt die zur Liebe gewordene Menschheit, die die Schöpfung vergöttlicht und die Übereignung des Alls an Gott ist: Gott alles in allem (1 Kor 15,28) – das ist das Ziel der Welt, das ist das Wesen von ‚Opfer und Kult‘.“, Ratzinger, „Der Geist der Liturgie“, in: JRGS 11, 43 f. 14 Ratzinger, „Der Geist der Liturgie“, in: JRGS 11, 148. 15 Ebd.
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1.3 Der logische Charakter der christlichen Liturgie Diese Übereinstimmung von objektivem und subjektivem Charakter bringt den Kern der liturgischen Dynamik hervor. Liturgie im vollkommenen Sinne des Wortes ergibt sich folglich dort, wo sie sich als „theoretische Spitze“ der Praxis erweist oder, mit den Worten Guardinis, wo der Logos den Primat über das Ethos hat. Ratzinger formuliert es so: Die vollkommene liturgische Dynamik (der Kult, den Gott will) gibt es nur dort, wo der Gottesdienst Logos-gemäß ist. Dieser Logos-gemäße Gottesdienst drückt sich laut Ratzinger am vollkommensten im christlichen Kultus aus: Dieser entbehrt nämlich jeglichen dinghaften Charakters. Er ist geistiger Kultus. Damit ist nicht einfach eine Intellektualisierung des Kultes gemeint, die eine gnostische Ablehnung des materiellen Außergöttlichen impliziert. Diese Vergeistigung ist hingegen der Ausdruck der Tatsache, dass Gott inkarniert ist und dass der Logos damit die raumzeitliche Realität durchdringt und trägt. Es geht hier also um eine einheitliche Bewegung der Fleischwerdung des Wortes und der Wort-Werdung des Fleisches.16 Kurzum: Der logische Kultus ist eine Antwort auf jenes göttliche Wort, das sich qua inkarniertes Wort überall manifestieren will. Im geistigen Kultus „treffen der Logos der Schöpfung, der Logos im Menschen und der wahre, menschgewordene ewige Logos – der Sohn – aufeinander.“17 Durch diese Hervorhebung der logischen Dimension wird die Nähe der liturgischen Dynamik zum Wahrheitsfaktum zum Ausdruck gebracht.18 Ich werde am Ende des ersten Teils versuchen, diese Parallelität ein wenig zu präzisieren. Das soll auch einen Übergang zur Betrachtung der Auffassung Hegels schaffen. Man kann den Begriff der Wahrheit in mehrere Aspekte gliedern19: einen realistischen und einen kognitiven, der sich wiederum in einen pragmatischen und einen phänomenalen einteilen lässt. Der erste Aspekt bringt die Vgl. Ratzinger, „Theologie der Kirchenmusik“, in: JRGS 11, 538–540. Ratzinger, „Der Geist der Liturgie“, in: JRGS 11, 60. 18 Dieser Aspekt wird sowohl von Ratzinger als auch von Guardini hervorgehoben. Vgl. dazu Gunda Brüske, „Spiel oder Anbetung? Romano Guardini und Joseph Ratzinger über den Sinn der Liturgie“, in: Rudolf Voderholzer (Hg.), Der Logos-gemäße Gottesdienst. Theologie der Liturgie bei Joseph Ratzinger, 91–110. 19 Diese Konzeption übernehme ich von Anton Friedrich Koch, Versuch über Wahrheit und Zeit, Paderborn 2006. Martin Wendte hat als erster die kochsche Lehre zur Auslegung theologischer Themen systematisch verwendet. Vgl. Martin Wendte, Die Gabe und das Gestell. Luthers Metaphysik des Abendmahls im technischen Zeitalter, Tübingen 2013. 16 17
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Objektivitätsdimension der Wahrheit zum Ausdruck. Wenn ich Wahrheitsansprüche erhebe, setze ich voraus, dass das, was der Fall ist, unabhängig von meiner Aussage besteht. Diese Unabhängigkeit des Realen verweist aber auf die Fehlbarkeit unserer Meinungen. Was wir erheben, sind Ansprüche auf Wahrheit, und das bedeutet, dass sie wahr sein sollen, aber falsch sein können. Wir sollen uns deshalb an bestimmte Begründungsnormen halten, um die mögliche Falschheit unserer Meinungen auszuschließen. Hier zeigt sich der zweite, pragmatische Aspekt der Wahrheit. Diese begründende Tätigkeit ist aber nicht einfach selbstbegründend: Ein Meinungssystem kann z. B. absolut kohärent und trotzdem falsch sein. Die Begründungstätigkeit kann deshalb funktionieren, weil es zwischen dem Diskurs und dem Realen eine Schnittstelle gibt. Das bedeutet einerseits, dass unsere Rede apophantisch (manifestierend) ist, und andererseits, dass das Reale offenbar und epistemisch zugänglich ist. Wahrheit impliziert somit auch eine phänomenale Seite. Alle genannten Charakteristika sind nun konstitutive Momente der bisher beschriebenen liturgischen Dynamik: Die Liturgie ist zunächst auf die Absolutheit Gottes (auf seine unverrückbare Objektivität) bezogen (hier kommt der realistische Aspekt zum Ausdruck). Die Liturgie ist dann auch Praxis. Es geht aber um eine Praxis, die publik und normiert ist (hier kommt der pragmatische Aspekt zum Ausdruck). Diese normierte Praxis ist aber nicht selbstbegründend: Sie hat deshalb einen normierten Charakter, weil sie das Absolute offenbart (hier kommt der phänomenale Aspekt zum Ausdruck). Die Liturgie ist aber mehr als eine äußerliche Darstellung. Sie ist, wie schon erwähnt, ein Hineintreten in die göttliche Manifestationsdynamik und somit im Grunde eine Art Selbstmanifestation des Absoluten (Werk Gottes im objektiven und subjektiven Sinne des Wortes). Die liturgische Dynamik erweist sich somit als der fokale Punkt, der die intrinsische Zusammengehörigkeit20 dieser drei Wahrheitsaspekte (realistisch, pragmatisch und apophantisch) zum Ausdruck bringt. Diese Zusammengehörigkeit kommt im logischen Kultus vollkommen zum Ausdruck. Es geht nun darum zu zeigen, dass die hier beschriebene liturgische Dynamik dem Charakter des hegelschen Philosophierens entspricht.
20 Laut der kochschen Auffassung stehen die drei Wahrheitsaspekte in einem Wechselverhältnis, oder, hegelsch formuliert, sie scheinen ineinander.
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2. Der liturgische Charakter des hegelschen Philosophierens 2.1 Philosophischer Theozentrismus Zunächst soll hervorgehoben werden, dass die hegelsche Auffassung der Philosophie, genauso wie die liturgische Dynamik, theozentrisch ist. Der hegelsche „philosophische Theozentrismus“ ist zunächst allgemein zu verstehen. Dieser bezieht sich nämlich auf jene formale Zäsur, die zwischen der Grundeinstellung des natürlichen Bewusstseins und derjenigen des philosophischen Bewusstseins besteht: Das natürliche Bewusstsein geht von der Subsistenz unseres manifesten Weltbildes aus, das aus einer Vielheit von konkreten und sich verändernden Einzeldingen besteht. Das philosophische Bewusstsein geht hingegen von der Subsistenz des einen Absoluten aus. Kurzum: Die alltägliche Auffassung hat die Pluralität der sich verändernden Dinge (die Welt) vor Augen und lässt die absolute Einheit (Gott) unthematisiert. Die philosophische Auffassung bringt hingegen diese wirklich subsistierende Einheit (Gott) in den Vordergrund. Aus diesem Grund kann Hegel bezüglich des Beginns der Philosophie bzw. des thaletischen Satzes („Das Wasser ist das Absolute bzw. das Prinzip“) Folgendes schreiben: „Es ist philosophisch; die Philosophie beginnt mit diesen Aussprüchen, weil es damit zum Bewußtsein kommt, daß Eins das Wesen, das Wahrhafte, das allein an und für sich Seiende ist. Es tritt hier eine Abscheidung ein von dem, was in unserer sinnlichen Wahrnehmung ist; von diesem unmittelbar Seienden, – ein Zurücktreten davon.“21
Das bedeutet aber (wie in der liturgischen Dynamik), dass unser manifestes Weltbild dem philosophischen Bewusstsein als relativ oder, um die hegelsche Formulierung zu verwenden, ideell erscheint. Hegel behauptet deshalb, dass jede Philosophie Idealismus ist. Denn: „der Idealismus der Philosophie besteht in nichts anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anzuerkennen. Jede Philosophie ist wesentlich Idealismus oder hat denselben wenigstens zu ihrem Prinzip, und die Frage ist dann nur, inwiefern dasselbe wirklich durchgeführt ist.“22
Idealismus ist somit nicht mit einer repräsentationalistischen These zu verwechseln. Im hegelschen Idealismusverständnis geht es um die korrekte me21 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Griechische Philosophie I, in: ders., Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 7, hg. von Pierre Garniron/Walter Jaeschke, Hamburg 1989, 17. 22 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 21, hg. von Friedrich Hogemann / Walter Jaeschke, Hamburg 1985, 142.
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thodologische Perspektive, die jegliche wirkliche Philosophie auszeichnet. So betrachtet, ist eine „realistische“ Philosophie, die, wie das natürliche Bewusstsein, die Vielheit der weltlichen Dinge als ein unhintergehbares Datum annimmt, ein Selbstwiderspruch. Das Interessante dabei ist die Tatsache, dass Hegel diese Grunddimension der Philosophie explizit mit der Religion in Verbindung setzt23: Auch das religiöse Bewusstsein (im Gegensatz zum „säkularen“) geht von der Relativität der weltlichen Dinge aus. Mit den Worten Hegels: „Die Philosophie ist es sosehr als die Religion [Idealismus; R. V.]; denn die Religion anerkennt die Endlichkeit ebensowenig als ein wahrhaftes Sein, als ein Letztes, Absolutes, oder als ein Nicht-Gesetztes, Unerschaffenes, Ewiges.“24
Philosophie ist somit, qua Idealismus, der wahre Realismus, weil sie von der korrekten Selbstsubsistenz des einen Absoluten, das wiederum von Hegel mit dem Wahren selbst identifiziert wird, ausgeht. Sie ist folglich, wie die liturgische Dynamik, opus Dei im objektiven Sinne des Wortes.
2.2 Der kultische Charakter der Philosophie Nach der Hervorhebung der objektiven Übereinstimmung zwischen Philosophie und liturgischer Dynamik kommen wir zur Übereinstimmung bezüglich der subjektiven Dimension. Hier geht es darum zu zeigen, dass auch die philosophische Form (das Philosophieren) liturgisch ist. Konkreter heißt dies, den kultischen Charakter der Philosophie hervorzuheben. Ich beginne mit einem Zitat aus den Vorlesungen über die Philosophie der Religion aus dem Jahrgang 1827: „[I]n dem Wissen von Gott, habe ich Gott zum Gegenstand, bin darein vertieft; der Gegenstand ist allein vor mir, er ist mir das Gewisse, und insofern allein weiß ich von Ihm. Wohl weiß ich auch von dem Endlichen, von dem ich ausgehe; aber ich bin von seiner Negation zum Wissen der Wahrheit, zum Wissen von Gott übergegangen. Ich habe mich in diese geistige Sphäre gehoben, in diesen geistigen Boden gesetzt, der Gott, das Göttliche ist. Dies Verhältnis ist so theoretisch; es fehlt noch das Praktische und dies kommt im Kultus zur Sprache.“25
Das Zitat bezieht sich auf den sogenannten „Begriff der Religion“, in dem Hegel die vorzeitliche Entfaltung der Religionsmomente beschreibt. Der Begriff der Religion besteht aus einer dreifachen Einteilung: dem Begriff 23
Diese Dimension der Philosophie wird von Karl Albert besonders deutlich hervorgehoben. Vgl. Karl Albert, „Hegel über Philosophie als Gottesdienst“, 89 f. 24 Hegel, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), 142. 25 VPR 3, 330.
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Gottes, dem Wissen von Gott und dem Kultus. Der erste Teil hebt die These hervor, dass Gott das absolut Wahre ist. Es wird somit jene vorher erläuterte theozentrische Dimension der Religion und der Philosophie thematisiert, die ich mit dem realistischen Aspekt der Wahrheit in Verbindung gebracht habe. Da sich aber das Absolute durch die Negation des Endlichen ergibt, erweist es sich als etwas, das sich vom Außergöttlichen unterscheidet. Dieses Außer-Gott-Sein wird nun aber nicht als ein schieres Neben-Gott-Sein interpretiert. Das Außergöttliche wird als das verstanden, was von Gott durchdrungen und getragen wird und wodurch sich Gott manifestiert. Kurzum: Gott erweist sich als Grund des Außergöttlichen: „Daraus geht hervor, dass Gott gewusst, erkannt werden kann; denn Gott ist dies, sich zu offenbaren, offenbar zu sein.“26 Man kann folglich behaupten, dass dieses zweite Moment des Wissens die epistemische Zugänglichkeit Gottes und des Realen überhaupt zum Ausdruck bringt und somit (da Gott das Wahre selbst ist) den phänomenalen Aspekt der Wahrheit. Es muss außerdem bemerkt werden, dass auch unter diesem Aspekt Religion und Philosophie übereinstimmen. Das durch das Denken erfasste Absolute ist nämlich, laut Hegel, das reine Sein des Parmenides, das sich durch die Negation des endlichen Seienden ergibt. Dieses reine Sein erweist sich als eine abstrakte universelle Einheit, die die Vielheit negiert. Reines Sein und scheinhafte Vielheit dürfen nun aber nicht einfach nebeneinander gestellt werden: Das Sein muss als das verstanden werden, was Vielheit und Phänomenalität integriert, und somit als ein erscheinendes Sein bzw. ein konkretes Sein. Diese Konzeption Gottes als Grund des Realen bleibt aber zum Teil noch „dinghaft“. Mit anderen Worten: Der allumfassende und alltragende Charakter Gottes hat noch einen objektiven Aspekt und ist folglich nicht für mich (für das religiöse Bewusstsein). Die praktische Dimension des Kultus kommt nun hier ins Spiel, und zwar, um diese noch verbleibende Äußerlichkeit aufzuheben. Im Kultus findet somit eine bewusste Zusammenschließung zwischen mir und Gott statt. Hegel fasst es so zusammen: „Wir haben angefangen mit dem Boden der Religion, mit dieser Substantialität. Es ist darin enthalten, daß Gott allein die Wahrheit ist, in näherer Form, daß er gütig ist, den Menschen erschaffen hat usf. Es ist diese Voraussetzung, daß Gott allein die wahrhafte Wirklichkeit ist – daß ich, sofern ich Wirklichkeit habe, sie nur in Gott habe; weil Gott allein die Wirklichkeit ist, soll ich in Gott meine Wahrheit, Wirklichkeit haben. Das ist die Grundlage des Kultus.“27 26 27
VPR 3, 278. VPR 3, 332.
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Dieses Explizit-Werden der Meinigkeit des Absoluten (diese quasi „Entnaturalisierung“ a parte objecti) durch die kultische Praxis hat aber auch eine subjektive Seite. Denn durch den Kultus hebt sich der unmittelbare und meinungsartige Charakter der theoretischen Gottesbeziehung auf. Mit einem Wort: Der unvermittelte Glaube an Gott wird durch den Kultus publik und durch Normen reglementiert.28 Nun stimmt auch unter diesem Aspekt die Philosophie mit der Religion überein, und Hegel kann folglich die Philosophie als „beständigen Kultus“ definieren. Die Philosophie hat nämlich „zu ihrem Gegenstand das Wahre, und das Wahre in seiner höchsten Gestalt, als absoluten Geist, als Gott, und sie ist dies, dieses Wahre nicht nur in der einfachen Form als Gott zu wissen, sondern auch in seinen Werken als von Gott hervorgebrachten und mit Vernunft begabten das Vernünftige zu wissen.“29 Kurzum: Durch die philosophische Tätigkeit wird der Manifestationscharakter Gottes expliziert. Die Explizierung der allumfassenden göttlichen Wahrheit bedeutet aber auch, „dass man sich seiner Subjektivität entschlage, der subjektiven Einfälle der einzelnen Eitelkeit, und sich mit dem Wahren beschäftige rein im Denken und nur nach dem objektiven Denken sich verhalte. Diese Negation der partikularen Subjektivität ist ein wesentliches, notwendiges Moment.“30 Wenn nun durch den Begriff Gottes und das Wissen von Gott der realistische und phänomenale Aspekt der Wahrheit zum Ausdruck kommt, wird durch die kultische Dimension der Philosophie der pragmatische Charakter der Wahrheit hervorgehoben. Philosophie ist qua Kultus Aneignung der allumfassenden göttlichen Wahrheit, und diese Aneignung erfolgt in der Form einer normierten und entsubjektivierenden Praxis (im Spiel des Forderns und Gebens von Gründen). Die kultische Tätigkeit hat aber ein weiteres Merkmal: Dieses Zusammenschließen zwischen mir und Gott (zwischen dem Absoluten und dem religiösen Bewusstsein) impliziert ein Hineingehen (ein „Eintauchen“) in die göttliche Selbstmanifestationsdynamik, oder, mit den Worten Hegels, ein Sich-Wissen „in der Wahrheit“31. Diese zwei Seiten des Kultus, die Aufhebung des noch verbleibenden Objektivitätscharakters Gottes und des noch verbleibenden subjektiven Charakters des Gottesbezuges, tendieren deshalb im Laufe der Entfaltung 28 Zu dieser Thematik vgl. Günther Dellbrügger, Gemeinschaft Gottes mit den Menschen: Hegels Theorie des Kultus, Würzburg 1998; Thomas A. Lewis, Religion, Modernity, and Politics in Hegel, 169–178. 29 VPR 3, 334 f. 30 Ebd. 31 VPR 3, 332 (Hervorhebung R. V.).
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der Religionsgeschichte dazu, sich zu vereinigen. Mit anderen Worten: Je entwickelter die Religion ist und je näher sie somit der Philosophie kommt, desto klarer wird, dass der Kultus mit der Selbstexplikation des Absoluten koinzidiert. Der philosophische Kultus erweist sich folglich als göttlicher Kultus und somit als opus Dei im subjektiven Sinne des Wortes. Diese Dynamik von Verinnerlichung und Vergeistigung des Kultus lässt sich anhand einer kursorischen Beobachtung der Entfaltung der Religionen festhalten. Hegel selbst hebt hervor, dass es ein gewisses Wechselverhältnis zwischen der Gottesvorstellung einer bestimmten Religion und ihrer kultischen Praxis gibt. Das heißt: Je primitiver eine Religion ist, desto „dinghafter“ ist ihre Gottesvorstellung und desto äußerlicher ist ihre kultische Praxis. Zur Erläuterung dieser These wähle ich jene noch relativ unentfaltete Religionsgestalt, die Hegel mit dem Hinduismus identifiziert.32 Die Gottesvorstellung dieser Religion besteht aus einer substanziellen Einheit (Brahma), aus der zwar Bestimmungen hervorgehen, welche aber einen grundsätzlichen Äußerlichkeitscharakter behalten: „Die Substanz ist sozusagen ein allgemeiner Raum, der das, womit er erfüllt ist, die Besonderung, die aus ihm hervorgegangen ist, noch nicht organisiert, idealisiert, sich unterworfen hat.“33 Der allumfassende Charakter Gottes ist mithin noch dinghaft. Der Kultus behält nun diese Dinghaftigkeit und Äußerlichkeit: Die Vereinigung des Bewusstseins mit Gott (des Brahmas „in uns“ und „außer uns“) besteht nämlich in einer Ausleerung des Menschlichen, in einem Ausgestorben-Sein für die Welt. Diese Praxis, die in eine Art leeres Anschauen münden soll, impliziert aber eine Vertiefung des Menschen in sich und hat als Konsequenz eine Absonderung des Subjektes. Diese minimale Form des Kultus spielt sich deshalb zum größten Teil außerhalb jeglicher normierten Praxis und intersubjektiver Relation ab und kann folglich keine tiefe Aufhebung der Natürlichkeit des Subjektes bewirken. Kurzum: Das sich durch den Kultus abspielende Wechselverhältnis zwischen Gott und Selbstbewusstsein bleibt an der Oberfläche und erfolgt auf eine unmittelbare Art und Weise. Die Selbstmanifestation Gottes und das menschliche Selbstbewusstsein behalten somit noch eine gewisse Äußerlichkeit und der Kultus ist keine interne Explikation der göttlichen Selbstmanifestation. Das bedeutet aber 32 Zur Erläuterung dieser Religionsgestalt vgl. Hermanni, Kritischer Inklusivismus, 155 f. 33 VPR 4a, 481.
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gleichzeitig, dass diese religiöse Position noch mangelhaft und unversöhnt ist. Durch den Kultus, der diese religiöse Position setzt, tritt somit auch die prekäre Lage dieser Religionsgestalt in Erscheinung und es entsteht ein Drang nach Versöhnung in einer vollkommeneren Religionsform (hier die Religion des Lichts), die eine subjektivere Gottesvorstellung hat und in der der Kultus immanenter ist. Die vollendete Religion (das Christentum) ist nun deshalb die vollendete, weil der Kultus, im Kontext der Religion, am immanentesten ist. Der Vorstellungscharakter ist somit aufs Minimum reduziert und die kultische Praxis zeigt sich als etwas Geistiges (Werk Gottes auch im subjektiven Sinne des Wortes). Diese Idee wird von Hegel in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion aus dem Jahr 1824 auf eine prägnante Art und Weise zum Ausdruck gebracht: „Zu bemerken ist, daß ich nicht wie früher (in den vorchristlichen Religionen; R. V.) die Unterschiede gemacht habe von Begriff, Gestalt und Kultus; in der Abhandlung selbst wird sich das Verhältnis in den Kultus eingreifend zeigen. Im allgemeinen kann bemerkt werden: Das Element, in dem wir sind, ist der Geist; der Geist ist schlechthin sich manifestieren, ist schlechthin für sich; also wie er gefaßt ist, ist er nie allein, sondern immer mit der Bestimmung, schlechthin offenbar zu sein oder für Anderes zu sein, für sein Anderes, d. h. für die Seite, die der endliche Geist ist, und der Kultus ist das Verhältnis des endlichen Geistes zum absoluten Geist; deshalb haben wir die Seite des Kultus in jedem dieser Elemente sogleich vor uns.“34
3. Christliche versus philosophische Liturgie Trotz dieser Nähe zwischen Christentum und Philosophie ist und bleibt das erste immer noch eine Religion. Der christliche Kultus ist folglich nicht ganz mit dem philosophischen zu identifizieren, und das bedeutet, dass auch der christliche Kultus keine absolut reine und immanente Explikation des allumfassenden Absoluten darstellt und dass noch gewisse Reste an Äußerlichkeit verbleiben, die mit dem Vorstellungscharakter der Religion verbunden sind. Das lässt sich anhand einer kurzen Betrachtung der wichtigsten christlichen kultischen Form nachweisen: der Eucharistie. Die christliche Religion ist die Religion der Selbstoffenbarung Gottes und somit jene Religion, in der göttliches und menschliches Selbstbewusstsein zu einer stabilen Einheit kommen. Diese Einheit, die sich durch die Mensch-
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VPR 5, 122.
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werdung Gottes in einem bestimmten Menschen zeigt, wird durch die Entstehung der christlichen Gemeinde verallgemeinert und vergeistigt. In diesem Kontext findet auch die spezifische Behandlung der christlichen Kultus-Praxis statt. Durch den christlichen Kultus vollzieht sich die Aufnahme des Gläubigen innerhalb der Gemeinde, die wiederum als der Ort der göttlichen Gegenwart (Einheit von endlichem und unendlichem Selbstbewusstsein) erfahren wird.35 Hier spielt die Eucharistie eine besondere Rolle, weil durch diese die Gegenwart des (göttlichen) Geistes der Gemeinde, der wirklich jedes einzelne Individuum trägt und durchdringt, am stärksten erfahren wird. Bezüglich dieser geistigen Gegenwart stellt nun laut Hegel das luthersche Abendmahl die angemessenste Position dar, weil es sowohl die Verdinglichung der katholischen Messe als auch die Verflüchtigung des reformierten Gottesdienstes vermeidet.36 Trotz dieser Überlegenheit ist auch das luthersche Abendmahl noch nicht der vollkommenste und expliziteste Ausdruck der Gegenwart Gottes, und diese Unvollkommenheit spiegelt sich darin wider, dass der Genuss Gottes nicht wirklich ganz gegenwärtig ist: „Das Jetzt des Genusses zerrinnt in der Vorstellung teils in ein Jenseits, in einen jenseitigen Himmel, teils in Vergangenheit, teils in Zukunft. Der Geist aber ist sich schlechthin gegenwärtig und fordert eine erfüllte Gegenwart; er fordert mehr als nur trübe Vorstellungen, er fordert, daß der Inhalt selbst gegenwärtig sei […].“37
Diese eschatologische Dimension (dieses Noch-Nicht) ist für Hegel also ein Zeichen der Mangelhaftigkeit des religiösen Modus der Erfahrung der Anwesenheit Gottes. Die Religion aber verweist auf einen zukünftigen Zustand, weil sie sich noch im Bereich der Vorstellung bewegt, die die Erfahrung der Anwesenheit Gottes (zumindest partiell) verdinglicht.38 Diese Vorstellungsdimension soll aber im Übergang zum Begriff (in der Philosophie) getilgt werden. Kurzum: Die noch verbleibende Trennung zwischen irdischem und himmlischem Jerusalem, zwischen menschlicher und göttlicher Liturgie, ist ein Zeichen einer noch verdinglichten Auffassung des Absoluten, die es durch die Philosophie aufzuheben gilt. Das Philosophieren wird mithin zur wahren Erfahrung der Anwesenheit Gottes und zum vollkommen immanenten Ausdruck der göttlichen Selbstmanifestation. 35
VPR 5, 88. VPR 5, 166. Vgl. dazu Martin Wendte, Gottmenschliche Einheit bei Hegel, Berlin/ New York 2007, 279. 37 VPR 5, 167. 38 Zu dieser Thematik vgl. Wendte, Gottmenschliche Einheit bei Hegel, 279–288. 36
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Wie könnte nun die am Anfang entfaltete religiöse (und vor allem christliche) Auffassung auf eine solche kritische Position reagieren? Sie würde zunächst mit Hegel durchaus anerkennen, dass der religiöse Zustand (letztendlich der Zustand des homo viator) mangelhaft ist und dass sich diese Mangelhaftigkeit darin widerspiegelt, dass die liturgische Dynamik nur eine antizipierte Parusie darstellt. Sie würde aber die These einer vollkommenen philosophischen Parusie ablehnen. Mit anderen Worten: Sie würde die Idee einer „patria philosophica“ zurückweisen. Dies lässt sich anhand eines Beispiels darstellen, das Ratzinger in seinem Liturgiebuch angeführt hat, um eine verkehrte Konzeption der Liturgie zu erläutern. Das Beispiel betrifft die Geschichte des goldenen Kalbes. Dieses sei, so Ratzinger, nicht da gewesen, um als heidnischer Götze angebetet zu werden. Die Apostasie, die sich durch diesen Kult hervortue, beruhe nicht auf einem falschen Ritual, sondern auf zwei unscheinbaren und miteinander verbundenen Elementen: „Zum einen der Verstoß gegen das Bilderverbot: Man hält es bei dem unsichtbaren, dem fernen und geheimnisvollen Gott nicht aus. Man holt Ihn zu sich herab, ins Eigene, ins Anschauliche und Verständliche. So ist Kult nicht mehr ein Hinaufsteigen zu Ihm, sondern ein Herunterziehen Gottes ins Eigene: Er muss da sein, wenn er gebraucht wird, und muss so sein, wie er gebraucht wird. Der Mensch gebraucht Gott und stellt sich so, auch wenn das äußerlich nicht erkennbar ist, in Wirklichkeit über Ihn. Damit ist das zweite schon angedeutet: Es ist Kult aus eigener Vollmacht. Wenn Mose zu lange wegbleibt und damit Gott selbst unzugänglich wird, dann holt man Ihn eben herbei. Dieser Kult wird so zum Fest, das die Gemeinde sich selber gibt; sie bestätigt darin sich selbst. Aus Anbetung Gottes wird ein Kreisen um sich selber: Essen, Trinken, Vergnügen. Der Tanz um das goldene Kalb ist das Bild dieses sich selbst suchenden Kultes, der zu einer Art von banaler Selbstbefriedigung wird.“39
Dieser Grundgedanke lässt sich, so scheint mir, auch auf die hegelsche philosophische Liturgie beziehen: Der philosophische Kultus ist nämlich das Zusammenspiel einer Gemeinde, die sich als vollkommene, unverrückbare Selbstmanifestation Gottes versteht. Hier liegt aber das Problem, denn der kultische Charakter selbst (auch der Philosophie) kann ohne diese antizipatorische Dimension nicht bestehen. Mit anderen Worten: Der philosophische Kultus ist wirklich Kultus, wenn er ein Spiel bleibt, das, qua Spiel, das wahre Leben nur nachahmen kann und somit strukturell auf Transzendenz verweist.40 Ratzinger, „Der Geist der Liturgie“, in: JRGS 11, 39 f. Ratzinger, „Der Geist der Liturgie“, in: JRGS 11, 38. Mit einem liturgischen Vokabular kann man sagen, dass das irdische liturgische Geschehen eine Teilnahme an der himmlischen Liturgie ist. Die Liturgiekonstitution Sacrosanctum concilium bringt diese Dimension so zum Ausdruck: „In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend 39 40
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Dieser Verweis ist aber in diesem Kontext nicht räumlich und dinghaft zu verstehen. Der zukünftige Zustand (und dadurch unterscheidet sich das liturgische Spiel von den gewöhnlichen Spielen) ist nicht (im Sinne der schlechten Unendlichkeit) ein unerreichbarer zukünftiger Zustand in der Zeit, sondern eine außerzeitliche Dimension, die als Vollendung der Zeit zu verstehen ist und die sich in der liturgischen Dynamik in der Form eines Abbildes manifestiert. Die Zeit ist somit in der Liturgie zwar aufgehoben, aber in der Form des Abbildes der Ewigkeit.41 Mit einem Wort: Der menschliche Logos selbst und das damit verbundene Wahrheitsspiel sind auch in der Philosophie, aufgrund ihres liturgischen Charakters, zwar Selbstmanifestation Gottes, aber immer nur in der Form des Abbildes, als Zeichen des göttlichen Logos.
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an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind, wo Christus sitzt zur Rechten Gottes, der Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes.“, Zweites Vatikanisches Konzil, Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“, Nr. 8, http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19631204_sacrosanctum-concilium_ge.html (Aufrufdatum: 10. 11. 2014). 41 Zur Thematik „Zeit“ im Kontext der Eucharistie schreibt Robert Sokolowski: „The succession of things and events, which in the natural order is the ultimate setting for whatever is, now becomes an image. Time becomes a moving image of eternity. Succession, which seemed to lie under everything that happens and seemed to be the “last thing” there is, now seems itself to rest against a life or an event that has no before and after, the eternal life of God, and this life is directly involved and invoked in the Eucharist. […] The Eucharist takes time when it is celebrated, but it also overcomes time as it reenacts an event that took place at another time. In doing this, the Eucharist calls time into question. It claims to go beyond time and thereby indicates that time and its succession are not ultimate. It makes time to be an image; it makes succession to be a representation. Thus the Eucharist, in its reenactment of the past and anticipation of the future, also enacts for us the context that encloses past, future and present: it enacts the eternal life of the God who could be all that he is, in undiminished goodness and greatness, even if the world and time were not. The Eucharist engages, and perpetually reminds us of, the Christian distinction between the world and God.“, Robert Sokolowski, Eucharistic Presence: A Study in the Theology of Disclosure, Washington D. C. 1994, 106 f.
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Glaube, Liebe, Verzeihung Hegel und die Religion Stephen Houlgate Die Religion ist noch für Millionen von Menschen das Wichtigste in ihrem Leben. Doch wird sie ständig im Namen der Aufklärung oder, wie neulich bei Richard Dawkins in seinem Buch The God Delusion, im Namen der Naturwissenschaft angegriffen.1 Für viele sind also Vernunft und Religion schlechthin unvereinbar. Hegel jedoch hat auf die vernünftige Grundlage der Religion, insbesondere des Christentums, hingewiesen, und in diesem Aufsatz möchte ich versuchen darzulegen, in welchem Sinne Hegel Vernunft in der christlichen Religion erblickt.
1. Glaube, Vorstellung und Gefühl Aus philosophischer Perspektive ist die Wahrheit Hegel zufolge so zu verstehen: Das Sein, womit die Philosophie anzufangen hat, erweist sich zuerst als Idee oder absolute Vernunft. Die Idee wiederum gebiert die Natur, die als die „Idee in ihrem Andersseyn“ oder als verkörperte Vernunft zu begreifen ist.2 Diese Vernunft erlangt dann im Menschen das Selbstbewusstsein und wird dadurch Geist. Die Idee oder die absolute Vernunft ist auf diese Weise als Prozess des Zusichkommens aufzufassen, worin sie sich selber zum Geist entwickelt. So, in aller Kürze, die Wahrheit, wie sie in der Philosophie dargestellt wird.3 Richard Dawkins, The God Delusion, London 2006. Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), unter Mitarbeit von Udo Rameil hg. v. Wolfgang Bonsiepen / Hans-Christian Lucas, in: ders., Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 20, Hamburg 1992 (= GW 20), § 18. 3 GW 20, § 577: „Das Sich-Urtheilen der Idee in die beyden Erscheinungen“ – Natur und Geist – „bestimmt dieselben als ihre (der sich wissenden Vernunft) Manifestationen, und es vereinigt sich in ihr, daß die Natur der Sache, der Begriff, es ist, die sich fortbewegt 1 Vgl.
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Dieselbe Wahrheit wird laut Hegel auch von der Religion, vor allem der vollendeten Religion, dem Christentum, zum Ausdruck gebracht.4 Die Form, in welcher diese Wahrheit in der Religion artikuliert wird, unterscheidet sich aber von der Form der Philosophie. Die Philosophie bewegt sich im Element des abstrakten Begriffs und legt die logische Notwendigkeit auseinander, wodurch das Sein bzw. die Idee sich zum Geist entwickelt.5 Sie ist daher nur für diejenigen geeignet, die die Zeit und die Disziplin haben, die „Anstrengung des Begriffs“ auf sich zu nehmen.6 Die Religion hingegen ist „das Bewußtsein der absoluten Wahrheit […], so, wie diese für alle Menschen ist.“7 Das Element, in dem sich die Religion bewegt, ist daher die weniger anstrengende Form der Vorstellung (und, wie wir unten sehen werden, des Gefühls).8 (Es spricht übrigens nach Hegels Verständnis nichts gegen die Möglichkeit, dass ein und derselbe Inhalt in zwei verschiedenen Formen ausgedrückt werden kann. In der „Lehre vom Wesen“ in der Wissenschaft der Logik weist Hegel nach, dass es keinen Inhalt ohne Form geben kann, aber auch dass „die Identität des Inhalts mit sich selbst“ eine „gegen die Form gleichgültige Identität“ ist.9 Ein formierter Inhalt kann daher eine andere Form annehmen, ohne dabei ein ganz neuer Inhalt zu werden.) Während die Philosophie die notwendigen, dialektischen Beziehungen zwischen Idee, Natur und Geist zum Bewusstsein bringt, verleiht die religiöse Vorstellung diesen Momenten eine „Selbständigkeit“, wodurch jedes Moment sich nur auf sich selbst bezieht.10 Die in sich komplexe Idee oder absolute Vernunft wird – zunächst mindestens – auf ganz einfache Weise als und entwickelt und diese Bewegung ebensosehr die Thätigkeit des Erkennens ist, die ewige an und für sich seyende Idee sich ewig als absoluter Geist bethätigt, erzeugt und genießt.“ 4 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1. Einleitung. Der Begriff der Religion, hg. v. Walter Jaeschke, in: ders., Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 3, Hamburg 1983 (= VPR 3), 292. 5 Vgl. VPR 3, 301. 6 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, hg. v. Wolfgang Bonsiepen /Reinhard Heede, in: ders., Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 9, Hamburg 1980 (= GW 9), 41. 7 VPR 3, 292; s. auch 88. 8 Vgl. VPR 3, 87, 159, 291–298. 9 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik (1812/13), hg. v. Friedrich Hogemann/Walter Jaeschke, in: ders., Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 11, Hamburg 1978, 301 (Hervorhebung von mir). 10 Vgl. VPR 3, 296. – Vgl. außerdem GW 20, § 20 Anmerkung.
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„Gott“ vorgestellt und dadurch von der Natur oder „Welt“ klar unterschieden. Obwohl Gott, Welt und Heiliger Geist zunächst in ihrer einfachen Selbständigkeit vorgestellt werden, bringt die Religion auch die Beziehungen dieser Wesen aufeinander zum Bewusstsein. Im Gegensatz zur Philosophie jedoch, die die logischen Beziehungen zwischen Idee, Natur und Geist begreiflich macht, fasst die religiöse Vorstellung die Beziehungen zwischen ihnen auf raum-zeitliche Weise auf. Die verschiedenen Stufen der Geschichte Gottes werden als „in der Zeit nacheinander, dann im Raum nebeneinander“ folgend vorgestellt.11 Laut Hegel aber weiß das religiöse Bewusstsein, dass diese Versinnlichung der Geschichte Gottes nicht naiv im wörtlichen Sinne zu nehmen ist. Solches Bewusstsein weiß, dass es zu Bildern und Analogien greift, um die Geschichte Gottes zu verdeutlichen. „So sind in der Religion viele Formen“, sagt Hegel, „von denen wir wissen, daß sie nur Metaphern sind. Z. B. wenn wir sagen, daß Gott einen Sohn erzeugt habe, so wissen wir wohl, daß das nur ein Bild ist“, dass es „ein anderes Verhältnis bedeuten soll, das ungefähr diesem gleicht.“12 Gleiches gilt für die Vorstellung, dass Gott die Empfindungen der Reue oder Rache verspürt. Nach Hegel also sind wahre religiöse Gläubige keine einfachen Fundamentalisten, denn sie wissen, dass die raum-zeitlichen Vorstellungen der Religion über sich hinaus auf tiefe geistige Wahrheiten über die Natur Gottes und des Menschen hindeuten. Auch wenn es sich in der Religion nicht um Metaphern, sondern um wirkliche Geschichte handelt, wie bei der Geschichte Jesu, wissen wahre Gläubige wohl, dass sie nicht bloß bei den sinnlichen Einzelheiten dieser Geschichte stehenbleiben, sondern deren innere, geistige Bedeutung vernehmen sollten. Das ist eben der Zweck der vier Evangelisten: zu zeigen, dass durch die Geschichte Jesu und in seinem Leben und Tod die Natur Gottes selbst geoffenbart wird.13 Hegel meint, dass die Religion „ewige Wahrheiten“ über die Natur Gottes und des Geistes in raum-zeitlicher Hülle enthält.14 Die Philosophie legt dann diese ewigen Wahrheiten auf vollkommene Weise dar. Die Philosophie sieht daher in den theologischen Lehren der Kirche den Ausdruck spekulativer Wahrheiten, aber sie streift diesen Wahrheiten die Form der Vorstellung ab: 11 VPR 3, 295. – Vgl. außerdem VPR 3, 296: „Die Verbindungsweisen der Vorstellungen sind ‚und‘ und ‚auch‘.“ Vgl. auch: Walter Jaeschke, Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule, Stuttgart 2003, 455. 12 VPR 3, 293; s. auch 157. 13 Vgl. VPR 3, 294 f. 14 Vgl. VPR 3, 241.
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Vorstellungen werden in Begriffe verwandelt.15 Es entsteht also die Frage, ob bei dieser Verwandlung die Religion durch die Philosophie zerstört wird.16 Einige meinen, die Antwort auf diese Frage sei ja.17 Hegel ist anderer Meinung.18 Wenn der religiöse Glaube die naiv fundamentalistische Form, die zum Beispiel Dawkins ihm zuschreibt, annimmt, dann wird allerdings die Religion durch die spekulative Philosophie zerstört. Wir können nicht einerseits Gott auf quasi-spinozistische Weise als absolute Vernunft auffassen und zugleich behaupten, dass Er Affekten wie Reue und Rachegefühl unterliegt.19 Die Philosophie, wie Hegel sie versteht, ist mit religiösem Fundamentalismus unvereinbar. Wenn es aber dem religiösen Bewusstsein nicht um die buchstäbliche Wahrheit seiner Vorstellungen geht, dann können Philosophie und Religion ohne weiteres zusammen existieren. Die Religion spricht von der „Weisheit Gottes“ und weiß wohl, dass dies ein Bild ist, während die Philosophie versteht, dass solche „Weisheit“ in Wahrheit die „ewige Vernunft“ selber ist.20 Hegel zufolge ist es möglich, dass Religion und Philosophie nicht nur überhaupt, sondern auch in einem Individuum zusammenbestehen; und bekanntlich hat er in einem Brief an Friedrich August Tholuck beteuert, dass er selber „ein Lutheraner und durch Philosophie ebenso ganz im Luthertum befestigt“ sei.21 In seinen Vorlesungen ist Hegel auch bereit, philosophische Ideen „in der theologischen Sprache“ auszudrücken, ohne Bedenken zu haben, dass dabei die grundlegenden Wahrheiten verdeckt werden.22 Der Philosoph, der sich am religiösen Leben beteiligt, weiß wohl, dass religiöse Vorstellungen und Ausdrücke nicht wörtlich zu nehmen sind. Gleiches gilt aber auch für das religiöse Bewusstsein, das nichts mit der Philosophie zu tun hat: „Wenn vom Zorn Gottes gesprochen wird“, erklärt Hegel, „so wissen wir bald, daß dies nicht im eigentlichen Sinn genommen, daß es nur Ähnlichkeit, Gleichnis, Bild ist“.23 Die explizite Reflexion, dass dies der Fall sei, bleibt jedoch in der Religion zumeist aus: Ob er Philosoph Vgl. VPR 3, 292. Vgl. VPR 3, 64, 66, 292 f. 17 Vgl. z. B. Robert C. Solomon, In the Spirit of Hegel. A Study of G. W. F. Hegel’s Phenomenology of Spirit, Oxford 1983, 627. 18 Vgl. VPR 3, 159. 19 Vgl. VPR 3, 53, 79, 293. 20 Vgl. VPR 3, 92. 21 Johannes Hoffmeister (Hg.), Briefe von und an Hegel, Bd. IV, hg. v. Rolf Fleschig, Hamburg 1961, 29. 22 Vgl. VPR 3, 74, 88. 23 VPR 3, 293. 15 16
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ist oder nicht, der Gläubige braucht nicht ständig in Erinnerung zu halten, dass die Rede vom Zorn Gottes bildlich ist, weil die buchstäbliche Wahrheit der Vorstellungen im religiösen Leben normalerweise gar nicht erst in Frage kommt. Hegel zufolge geht es dem religiösen Bewusstsein hauptsächlich um die geistigen Wahrheiten in solchen Vorstellungen. Überdies ist das zu diesen Vorstellungen gehörige religiöse Verhalten ohnehin nicht die selbstbewusste Reflexion, sondern das Gefühl. Nach Hegel ist das religiöse Gefühl nicht ein unbestimmtes Gefühl des Unendlichen, sondern es hat einen objektiven Inhalt an den Vorstellungen und Lehren der Kirche.24 In diesen Vorstellungen und Lehren aber fühlt der Gläubige die geistige Wahrheit, die darin enthalten ist: Er hat ein „dunkles Anerkennen“ von ihr.25 Vorstellung und Gefühl sind also hier nicht auseinanderzuhalten: „der Gott ist wesentlich ein Vorgestelltes“, sagt Hegel, und ist zugleich „im Gefühl der Verehrung, Dankbarkeit usf.“26 Dies ist ein wichtiger Punkt. Die Vorstellungen der Religion enthalten Gedanken und sind durch das Denken in klar artikulierte Lehren durch die Kirchenväter und Konzilien verwandelt worden. Diese Vorstellungen und Lehren werden aber nicht vor allem durch das Denken und die Reflexion der Gläubigen, sondern eher im Gefühl der darin enthaltenen geistigen Wahrheit aufgenommen. Ja, erst im Gefühl der Verehrung und der Dankbarkeit ist der vorgestellte Gott wirklich für den Gläubigen. Dabei tritt die Frage, ob dieser Gott im buchstäblichen Sinne ein „gütiges“ oder „zorniges“ Wesen sei, gar nicht ins Bewusstsein. Wenn darauf reflektiert wird, dann gesteht der Gläubige schon, dass Vorstellungen wie die „Güte“ oder der „Zorn“ Gottes Bilder sind, die eine tiefere Wahrheit enthalten. Diese Reflexion gehört aber nicht wesentlich zum Gefühl dieser Wahrheit selbst. Die Frage, ob Philosophie und Religion miteinander zu vereinbaren sind, führt daher auf eine andere Frage zurück: Kann der Philosoph, der ein begriffliches Verständnis der Wahrheit hat, sich auch ohne Vorbehalt einem gefühlsmäßigen Verständnis eben dieser Wahrheit hingeben? Hegels Antwort ist eindeutig: „aller Inhalt kann im Gefühl sein wie im Denken überhaupt.“27 Ja, es ist nicht nur möglich, sondern auch notwendig, dass wir das, was wir durch das Denken begreifen, auch im Gefühl – im Herzen und Gemüt – haben.
Vgl. VPR 3, 180 f., 291, 298. VPR 3, 295. 26 VPR 3, 96. 27 VPR 3, 286; s. auch 179, 290. 24 25
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„Man verlangt, daß wir von Gott, Recht, usf. nicht nur wissen, Bewußtsein haben, überzeugt seien, sondern daß dies auch in unserem Gefühl, in unserem Herzen sei. Das ist eine richtige Forderung; sie bedeutet, daß diese Interessen wesentlich die unseren sein […].“28
Der Philosoph muss sich daher die spekulative Wahrheit zu Herzen nehmen; diese Wahrheit, als Gegenstand des Gefühls, muss selber ein Konkretes, ein Vorgestelltes sein; der Philosoph muss daher auch zugleich ein religiöses Leben führen.29 Viele werden wohl an dieser Stelle Hegels Argument widerstehen wollen. Aber ich sehe hier keinen Ausweg. Laut Hegel kann der Mensch vom Begriff allein nicht leben, sondern er hat auch nötig, die Wahrheit in der Religion durch Gefühl und Vorstellung wie auch in der Kunst durch die Anschauung aufzunehmen. Dem könnte man vielleicht zustimmen und dennoch fragen: Warum ist nach Hegel gerade die christliche Religion, ja sogar die lutherische Konfession, für den spekulativen Philosophen notwendig? Die Antwort lautet, dass das Wesen des religiösen Gefühls und Glaubens selbst dies notwendig macht. Der wahrhafte Glaube ist notwendig der Glaube an die Liebe Gottes und die Vergebung der Sünden. Nur so wird der Glaube die Vernunft, die Gegenstand der Philosophie ist, zum Inhalt und zur Form haben.
2. Glaube und die Form der Vernunft Der Glaube ist Hegel zufolge vor allem Glaube an Gott, und zwar das Wissen, „daß Gott ist.“30 Dieses Wissen ist aber kein reflexives, verständiges Wissen, sondern nimmt die Form des Gefühls an: Der Glaube ist laut Hegel „die Gewißheit, sofern sie Gefühl und im Gefühl ist“.31 Er ist die gefühlsmäßige Gewissheit, dass wir in der Gegenwart Gottes sind – eine Gewissheit, die der Einsicht der Philosophie entspricht, dass die Welt und das Leben ihren Grund in der absoluten Vernunft haben. Der Glaube ist auch die gefühlsmäßige Gewissheit, dass in der vorgestellten Geschichte Gottes die Wahrheit über den menschlichen Geist geoffenbart VPR 3, 286; s. auch 179, 298. Vgl. Quentin Lauer, Hegel’s Concept of God, Albany 1982, 36: „There is no question in Hegel’s mind that religious Vorstellungen […] can and do contain truth. Only, however, when they have been adequately ‘thought out’ can they satisfy the educated mind, which is not to say that the ‘educated mind’ can then discard them“ (Hervorhebung von mir); auch 288: „philosophical knowing neither swallows up nor dispenses with faith.“ 30 VPR 3, 283. 31 VPR 3, 282; s. auch 297. 28 29
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wird. Das heißt, der Glaube ist „das Zeugnis des Geistes“, dass der Inhalt der Religion „der Natur meines Geistes gemäß sei, die Bedürfnisse meines Geistes befriedige.“32 Der Glaube ist also nicht nur die Gewissheit, dass Gott ist, sondern er zeugt auch davon, dass die ewige Natur Gottes, die vor allem in der Liebe besteht, auch die wahre Natur des Menschen sei. Dieser Glaube hat seinen Grund nicht in äußerlichen Ereignissen, Zeichen oder Wundern, sondern im dunklen Anerkennen durch den menschlichen Geist selbst von seiner Wahrheit.33 Der Glaube hat aber nicht nur die Vernunft – Gott selbst – zum Inhalt, sondern er weist auch die Form der Vernunft auf. Um verständig zu denken, müssen wir unsere eigene Urteilsfähigkeit und Kraft des Schließens bei einem bestimmten Problem anwenden; das heißt, wir müssen bei dem Problem aktiv Gründe erwägen, Schlüsse ziehen usw.34 Um aber vernünftig zu denken, müssen wir uns der Sache gegenüber eher passiv verhalten. Mit anderen Worten, wie Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie schreibt, muss unsere Aktivität oder „Anstrengung“ darin bestehen, uns in den Inhalt zu versenken, diesen Inhalt selber „sich bewegen zu lassen“, und uns „des eignen Einfallens in den immanenten Rhythmus der Begriffe [zu] entschlagen“. Diese „Enthaltsamkeit“ ist ja, so Hegel, „ein wesentliches Moment der Aufmerksamkeit auf den Begriff.“35 Auf diese Weise lassen wir die Vernunft selber in uns wirken, und unser Denken bleibt nicht bloß unser Denken, sondern wird eben das Denken der Vernunft selber, sowohl im objektiven als auch im subjektiven Sinn. Laut Hegel ist die Vernunft „das Göttliche im Menschen“.36 Indem wir die Vernunft in uns wirken oder „walten“ lassen, lassen wir daher, in theo VPR 3, 285. Vgl. VPR 3, 238, 295. – Der christliche Glaube beruht daher nicht einfach auf dem geschichtlichen Leben und Tod Christi, sondern der Glaube selbst ist es, der dieses Leben und diesen Tod als göttliches Ereignis interpretiert. Die „Betrachtung des Glaubens“ ist, so Hegel, „daß in Christus geoffenbart sei die göttliche Natur“, und damit ist der Glaube „die rechte Exegese“ sowohl der Aussprüche als auch des Todes Christi. S. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3. Die vollendete Religion, hg. v. Walter Jaeschke, in: ders., Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 5, Hamburg 1984 (= VPR 5), 285 f. Vgl. Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 31978, 119–120. 34 Vgl. GW 20, § 467. 35 GW 9, 41 f. – Vgl. Stephen Houlgate: The Opening of Hegel’s Logic. From Being to Infinity, West Lafayette, Indiana 2006, 60–66. 36 VPR 3, 46, 53. – Siehe Karl Barth: Die Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Hamburg 31975, 330. Barth ist der Ansicht, dass Hegels Identifizierung Gottes mit der Vernunft und insbesondere „mit der dialektischen 32 33
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logischer Sprache ausgedrückt, Gott in uns wirken, und unser Denken wird eben das Denken Gottes in uns. Genau dasselbe kann man vom wahrhaften Glauben behaupten, und in dieser Hinsicht weist der Glaube auch die Form der Vernunft auf (auch wenn er offenbar nicht die explizit begriffliche Form der spekulativen Vernunft teilt). Der Glaube ist zwar das Zeugnis meines Geistes von der Wahrheit in der Geschichte Gottes. Dieses Zeugnis ist aber nicht als mein Urteil zu verstehen, wofür ich in meiner endlichen Einzelheit verantwortlich bin. Das einzelne Selbstbewusstsein zeugt von der Wahrheit nur insofern „dies sich abtut seiner Einzelheit und zu einem solchen Zeugenden wird.“37 Der Mensch in seinem Glauben, in seinem Zeugnis vom Geist, ist sich also bewusst, dass dieser Glaube eben nicht sein eigenes Verdienst ist, sondern „ein von Gott gewirkter Glaube“38, eine Wirkung der göttlichen Gnade in uns.39 Dem Aufklärer Dawkins zufolge fehlt dem Glauben jede objektive Begründung, jeder objektive Maßstab, und er ist rein subjektiv. Der Glaube dient daher dazu, die Vorurteile des Menschen gegen rationale Betrachtung abzuschirmen, und führt immer das Risiko des Fanatismus mit sich.40 Nach Hegel hingegen fängt der wahre Glaube beim Sichabtun der eigenen Einzelheit an und besteht darin, die objektive Natur Gottes, das heißt, die Liebe Gottes, in sich wirken zu lassen. Solcher Glaube hat mit dem Fanatismus nichts zu tun, sondern ist das von der Vernunft durchdrungene Gefühl – was Hegel auch „denkendes Herz und denkendes Gefühl“ nennt.41 Hegels Auffassung des Glaubens ist offenbar der lutherischen ähnlich.42 Bei Luther in der „Vorrede auf die Epistel S. Pauli an die Römer“ (1522) heißt es: „Glaube ist nicht der menschliche Wahn und Traum, den etliche für Glauben halten.“ Er ist nicht ein Gedanke, den man sich „aus eigenen Methode“ Gott seiner Freiheit beraubt (349 f.). Für eine Kritik dieser Kritik an Hegel s. aber: Stephen Houlgate, An Introduction to Hegel. Freedom, Truth and History, Oxford 2 2005, 252 f. 37 VPR 3, 248. 38 VPR 5, 85. 39 In diesem Sinne ist die Religion für Hegel, wie Jaeschke deutlich macht, „nicht Bewußtsein eines Gottes, sondern Selbstbewußtsein des Geistes“, d. h. das Selbstbewußtsein des göttlichen Geistes im Menschen (Jaeschke, Hegel-Handbuch, 454). 40 Dawkins, The God Delusion, 55, 326, 346. 41 VPR 5, 184. 42 Vgl. VPR 3, 152. – Zur Beziehung zwischen Hegel und Luther s. u. a.: Ulrich Asendorf, Luther und Hegel. Untersuchungen zur Grundlegung einer neuen systematischen Theologie, Wiesbaden 1982; Walter Jaeschke, Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels, Stuttgart 1986, 336–342; Cyril O’Regan, The Heterodox Hegel, Albany 1994, 209–234.
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Kräften“ macht, sondern „Glaube ist ein göttlich Werk in uns, das uns wandelt und neu gebiert aus Gott.“43 Nach Luther ist zwar der Glaube, „dass Christus unser Heil ist“, „das Hauptstück […] an welchem sich alle Vernunft und Weisheit stößet.“44 Aus Hegels Perspektive aber hat Luther hier nicht die wahre, göttliche Vernunft im Blick, sondern die weltliche, endliche Vernunft oder den Verstand, der nur etwas als vernünftig ansieht, wenn es durch Gründe und Evidenz unterstützt wird. Aus der Perspektive der wahren Vernunft, die gar nicht unser eigenes Verdienst sein kann, sondern die wir nur in uns wirken lassen können, hat der Glaube, wie ihn Luther versteht, die Form dieser Vernunft selbst, wenn auch in der Weise des Gefühls, nicht des logischen Begriffs.45 Der religiöse Glaube ist Hegel zufolge nichts Unvernünftiges; im Gegenteil ist er das gefühlsmäßige Bewusstsein der absoluten Vernunft selbst, das die Form der Vernunft dadurch aufweist, dass es sich als das „Wirken Gottes“ im Menschen anerkennt. Ferner ist es nicht nur möglich, sondern auch notwendig, dass ein Philosoph, wie andere Menschen, dieses gefühlsmäßige Verhältnis zur Wahrheit genießt. Ein Mensch kann nicht nur vom Begriff leben, sondern er muss auch die Wahrheit in seinem Gemüt, Gefühl, d. h. in seinem Glauben haben. Er muss nicht nur die absolute Vernunft 43 Heinrich Bornkamm (Hg.), Luthers Vorreden zur Bibel, Frankfurt a. M. 1983, 182. Vgl. auch Asendorf, Luther und Hegel, 1. 44 Luthers Vorreden zur Bibel, 196. 45 Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zwischen Hegel und Luther, den man nicht übersehen darf. Laut Hegel gibt es letztendlich nur eine Vernunft und einen Geist (vgl. VPR 5, 146). Die unendliche, „göttliche“ Vernunft, für die wir uns im Glauben offenhalten, kommt also nicht von außen an uns heran, sondern ist die uns schon immanente Vernunft (die wir aber nicht beherrschen, sondern nur in uns wirken lassen können). Der Gedanke, dass Gott das Andere des Menschen sei, ist der Vorstellung zuzuschreiben, und verdreht die wahre Sachlage (obwohl er auch ganz richtig darauf hindeutet, dass die Vernunft eben nicht unter unserer Kontrolle steht) (VPR 3, 307: „daß Religion, Recht, Sittlichkeit, alles Geistige im Menschen nur erregt wird“; VPR 5, 89: „als ob es ein anderer vollbracht“). Vgl. u. a. Barth, Die Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 328, 330, 348; Thomas A. Lewis, Religion, Modernity, and Politics in Hegel, Oxford 2011, 161, 165, 168. Luther hingegen bewahrt den klaren Unterschied zwischen Gott und Christus einerseits und dem Menschen andererseits, auch wenn wir „durch den Geist des Glaubens eins mit ihm [Christus]“ werden. (Martin Luther, Kommentar zum Galaterbrief, 1519, hg. v. Wolfgang Metzger, Gütersloh 31984, 114.) Vgl. Asendorf, Luther und Hegel, 3: „Darum ist der Christus in nobis von dem Christus extra nobis her zu begreifen, denn nur die fremde Gerechtigkeit ermöglicht die eigene“; auch 11: „die von außen, nämlich von Christus kommende Gerechtigkeit ist nicht die eigene. Sie kommt vom Himmel, nicht von der Erde. Sie kommt von außen.“ Hegel scheint diesen Unterschied zwischen Luther und ihm anzuerkennen, indem er einräumt, dass die lutherische Auffassung der Gnade „ohne Zweifel die geistreichste, jedoch nicht spekulative“ ist (VPR 5, 93).
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erkennen, sondern auch Gott danken und sein Vertrauen in Gottes Liebe setzen können, wenn er ein vollständig menschliches Verhältnis zur Wahrheit haben will. Nun gut, aber wir wissen immer noch nicht, warum dieser Glaube an die Liebe Gottes ein spezifisch christlicher Glaube sein muss? Wo ist in der Rede von Reue, Buße und Vergebung der Sünden durch Christus die Vernunft zu finden? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns Hegels Analyse des Kultus zuwenden.
3. Glaube und Kultus Der Glaube ist laut Hegel nicht bloß ein gefühlsmäßiges Verhältnis zu Gott, worin ich Ihm gegenüberstehe, sondern die Gewissheit der Gegenwärtigkeit Gottes im Gefühl selbst.46 Jedes Gefühl ist seiner Natur nach der Genuss unserer „Erfüllung mit der Sache.“47 Das Gefühl in der Form des Glaubens muss also auch die Gewissheit sein, von Gott selbst „angefüllt“ zu sein.48 Der Glaube ist nicht die bare Gewissheit, dass Gott irgendwo im Jenseits existiert, sondern die Gewissheit, „daß Gott präsent ist.“49 Die Religion umfasst aber nicht nur das Gefühl meiner Einheit mit Gott, sondern auch das Bewusstsein des Unterschiedes zwischen Gott und mir. Um im vollen Bewusstsein dieses Unterschiedes diesen Unterschied selbst aufzuheben und meine Einheit mit Gott zu genießen, bedarf es nicht nur des Glaubens, sondern auch eines praktischen Verhältnisses, worin ich diese Einheit hervorbringe. „Diese Einheit hervorzubringen“, sagt Hegel, „ist das Tun oder die Seite des Kultus“, der sowohl die Andacht als auch die unio mystica im Heiligen Abendmahl umfasst.50 Laut Hegel gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem Kultus und dem Glauben, denn der Kultus gipfelt im Glauben. Das Höchste und Innerste des Kultus ist nach Hegel nicht bloß die Erinnerung an Gott, sondern „das Bewußtsein der Vereinigung, Versöhnung meiner mit Gott“.51 Kern des Kultus ist, mit anderen Worten, der Genuss – in der unio mystica – der Gewissheit, dass Gott in mir lebendig ist, und zwar „im Geist und im Glauben“
Vgl. VPR 5, 246. – S. Jaeschke, Hegel-Handbuch, 454. VPR 3, 286. 48 VPR 3, 330. 49 VPR 5, 246. 50 VPR 3, 330, 333 f.; VPR 5, 260. 51 VPR 3, 333. 46 47
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selbst.52 Im Kultus also wird der Glaube, der in sich ein Wissen von Gott ist, in eine gemeinschaftliche Praxis eingebettet. Doch nicht nur gipfelt der Kultus im Glauben, sondern er setzt auch den Glauben voraus. Um die „Vereinigung, Versöhnung meiner mit Gott“ hervorzubringen, oder eher: zustandekommen zu lassen, muss ich das Vertrauen haben, dass Gott den Menschen überhaupt mit sich versöhnt hat, dass Er sich schon im Menschen in der Geschichte verkörpert und geoffenbart hat.53 Die unio mystica, worin das Subjekt die Gegenwart Gottes im Glauben selbst genießt, setzt also den Glauben an die Menschwerdung Gottes voraus, weil die Vorstellung, dass Gott menschliche Form angenommen hat, die Möglichkeit darstellt, dass Er eins mit mir werden kann.54 Der Glaube an die Menschwerdung Gottes ist aber nicht nur die notwendige Voraussetzung des Kultus; er ist auch durch die Natur des Glaubens selbst notwendig gemacht. Laut Hegel, wie wir gesehen haben, ist der wahre Glaube die gefühlsmäßige Gewissheit, dass Gott ist. Er ist auch das Gefühl, dass Gott im Glauben selbst gegenwärtig ist, weil das Gefühl, seiner Natur nach, den Genuss unserer Erfüllung mit der Sache mit sich bringt.55 Der Glaube als Gefühl ist also notwendig die Gewissheit der Gegenwart Gottes im Menschen; das ist das Wesen, der Begriff des Glaubens selbst. Da die Religion nicht nur Sache des Gefühls, sondern auch der Vorstellung ist,56 muss sich der Glaube auf die Vorstellung dieser Einheit Gottes mit dem Menschen beziehen. Der wahre Glaube muss daher den Glauben an die Menschwerdung Gottes enthalten. Das Christentum, worin die Menschwerdung Gottes im Mittelpunkt steht, zeichnet sich also deswegen aus, weil in ihm der Glaube seine vollendete Form erreicht.
4. Glaube und Verzeihung Wie oben erwähnt, ist der Kultus durch ein Bewusstsein des Unterschiedes zwischen Gott und dem Menschen geprägt. Dank diesem Moment der Entzweiung bin ich mir bewusst, dass mir in meiner bloßen Endlichkeit die Liebe Gottes fehlt, dass „Ich als natürlicher Mensch unangemessen bin dem, was das Wahrhafte ist“.57 Theologisch ausgedrückt, bin ich mir bewusst, dass VPR 5, 261. VPR 3, 332 f. 54 S. Römer 8,17 und Galater 3,26. 55 Vgl. VPR 3, 286. 56 Vgl. VPR 3, 297. 57 VPR 5, 230. 52 53
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ich, im Gegensatz zu Gott, böse, der Sünde verfallen bin.58 Wie wir aber gerade gesehen haben, setzt der Kultus, wodurch das Bewusstsein der Versöhnung Gottes mit mir hervorgebracht werden sollte, den Glauben an die Menschwerdung Gottes voraus. In dieser Menschwerdung Gottes sehen wir, dass „die Endlichkeit, die Schwäche, die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur keinen Eintrag tun solle jener göttlichen Einheit, die das Substantielle der Versöhnung ist“, ja dass „das Menschliche, Endliche, Gebrechliche, die Schwäche, das Negative göttliches Moment selbst sind“.59 Das heißt, wir sehen, dass trotz unserer Sündhaftigkeit, trotz der Entzweiung, die uns von Gott entfernt hält, wir dennoch Gott in unserem menschlichen Herzen haben können, mit Gott vereint und der göttlichen Liebe fähig sein können. Mit anderen Worten gönnt uns der Glaube an die Menschwerdung Gottes das Vertrauen, dass uns unsere Sünden „vergeben“ sind und wir trotz allem „bei Gott in Gnaden“ bleiben.60 Der Glaube an die Gnade Gottes und die Vergebung der Sünden gehört also mit dem Glauben an die Menschwerdung Gottes notwendig zum wahren Glauben selbst. Die praktische Tätigkeit, die zum Kultus gehört, besteht darin, „dieser Versöhnung, die an und für sich vollbracht ist, teilhaft“ zu werden;61 das heißt, sie besteht darin, dem eigenen Herzen einzuprägen, dass unsere Sünden in der Tat vergeben sind und uns nicht davon abhalten, mit Gott vereint zu sein. Laut Hegel ist im Kultus sonst nichts von uns verlangt. Vor allem ist von uns keine moralische Tätigkeit erfordert, wodurch wir das Böse in uns bekämpfen und uns der Gnade Gottes, mit Kant zu sprechen, „würdig“ machen.62 Der moralische Standpunkt geht Hegel zufolge davon aus, dass es uns zufällt, uns selbst und die Welt zum Guten zu bringen: „da soll das Gute innen erst hervorgebracht werden, realisiert werden“, und zwar durch unsere eigene Anstrengung.63 Im Gegenteil hat der wahre Gläubige im Kultus nichts durch seine eigene Tätigkeit zustandezubringen. Er braucht sich nicht moralisch zu bessern, damit er die Vergebung der Sünden und die Gnade Gottes verdiene; er hat sich nur die Gewissheit, dass er schon ohne sein Zutun und ohne sein Verdienst Gegenstand der göttlichen Gnade ist, einzuverleiben. Die Praxis im Kultus erfordert daher keine „praktische Vgl. VPR 5, 220, 223 ff. VPR 5, 235, 249. 60 VPR 3, 88, 333; VPR 5, 165 f., 262. 61 VPR 3, 332. 62 S. VPR 5, 260: „Der Kampf ist vorbei“, und Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften u. a., Berlin 1900 ff., Bd. 6, 44. 63 VPR 3, 250. 58 59
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Tätigkeit“ im gewöhnlichen Sinne. Deswegen wird gesagt, so Hegel, „das Subjekt gelange nicht aus sich, d. h. aus sich als diesem Subjekt durch seine Tätigkeit, sein Verhalten, zur Versöhnung“.64 Die „praktische Tätigkeit“ der Gläubigen in der unio mystica besteht nur darin, die unverdiente, freie Gnade und Vergebung der Sünden anzunehmen und sie sich anzueignen.65 Dennoch sind wir im Kultus nicht ganz untätig, denn wir müssen uns der Gnade Gottes zuwenden und uns für diese Gnade offenhalten. Hierbei haben sowohl Reue als auch Buße eine Rolle zu spielen. Aus Hegelscher Sicht aber bestehen Reue und Buße nicht in der Anstrengung, mich aus eigenen Kräften moralisch zu bessern; sie sind eher Ausdruck meiner „Empfindung der Nichtigkeit“ oder Ohnmacht.66 Die Bedingung dieser Empfindung ist ja, dass ich mich zuerst bemüht habe, das Gute zu tun und dem Bösen abzuschwören, und in diesem Bemühen gescheitert bin. Indem ich dann Reue empfinde und Buße tue, erkenne ich meine eigene Schwäche und Nichtigkeit an und opfere mein Herz Gott im Glauben, dass ich durch ihn zum Guten und zur Wahrheit gebracht werde.67 Dabei verzichte ich grundsätzlich auf meine eigene Besonderheit und halte mich offen für die Gnade Gottes und die Vergebung der Sünden, die mir trotz meiner Sündhaftigkeit angeboten werden.68 In der Phänomenologie treten wir in die Religion ein, wenn der sich selbst gewisse Geist „dem Bösen verzeiht und darin zugleich von seiner eignen Einfachheit und harten Unwandelbarkeit ablässt“.69 Das wahrhaft reuige Subjekt, das sein Herz Gott opfert, muss auch von seinem negativen Urteil über sich selbst ablassen, wenn es die Verzeihung durch Gott, die göttliche Vergebung der Sünden, anerkennen und aufnehmen soll. Es muss bereit sein, sich von Gott verzeihen zu lassen. Wenn es aber auf sein negatives Urteil über sich beharrt und jegliche Verzeihung zurückweist, wird ihm eben dadurch diese Verzeihung vorenthalten. Die Bedingung, und zwar die einzige Bedingung der göttlichen Verzeihung ist also das Sich-in-wahrer-Reue-offenhalten für diese Verzeihung. Die einzige Sünde, die nicht verziehen und vergeben werden kann, ist dementsprechend das Ablehnen der Verzeihung selbst, das Verweigern, sich verzeihen zu lassen, weil man an der Sünde, VPR 5, 234. Vgl. VPR 3, 260. – Zur unverdienten Gnade bei Luther, siehe Asendorf, Luther und Hegel, 81 f. 66 VPR 3, 334. 67 Vgl. VPR 5, 259. 68 Vgl. Lewis, Religion, Modernity, and Politics in Hegel, 176. Lewis deutet darauf hin, dass, abgesehen von „the renunciation of one’s particularity“, Hegel den Kultus auch mit anderen Tätigkeiten ritualistischer Art verbindet, nämlich „prayer, confession, church ceremonies, and so forth“ (172 f., 222 f.). 69 GW 9, 420; auch 360 f. 64 65
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der Entzweiung von Gott – in der Form der eigenen Selbstsucht oder des eigenen moralischen Urteils darüber – festhält. Mit anderen, theologischen, Worten: Die einzige Sünde, die nicht vergeben werden kann, ist „die Sünde gegen den heiligen Geist“ – „das Leugnen des Geistes selbst“, der ja eben der Geist der Verzeihung ist.70 Hegel zufolge besteht die Verzeihung oder die „Vergebung der Sünden“ in der Macht, „das Geschehene“, d. h. das Böse, „ungeschehen“ zu machen. „Die Handlung bleibt wohl in der Erinnerung, aber der Geist streift sie ab“: Sie wird mir nicht mehr imputiert, angerechnet.71 Anders gesagt, werde ich nicht mit meiner bösen Tat schlechthin identifiziert oder auf meine Tat reduziert, sondern mir wird die Möglichkeit zuerkannt, trotz meiner Sünden die Liebe Gottes empfangen und verkörpern zu können. Nach Hegel ist für den wahrhaften Glauben diese Möglichkeit, mit Gott vereint zu sein, jedem Menschen in der Vorstellung der Menschwerdung Gottes angeboten, da in dieser Vorstellung „die ansichseiende Einheit der göttlichen und menschlichen Natur“ zum Bewusstsein kommt.72 Diese Möglichkeit – dass unsere Sünden uns nicht davon abhalten, die Liebe Gottes zu verkörpern, und uns in diesem Sinne „vergeben“ sind – braucht nur vom Glauben in wahrer Reue und Buße aufgenommen zu werden, um in uns Wirklichkeit zu werden. Sonst ist von uns nichts verlangt. Das heißt wiederum, dass dem wahrhaft reuigen Gläubigen Verzeihung angeboten wird, was auch immer er sonst getan hat; das Einzige, das uns von solcher Verzeihung fernhalten kann, ist unsere eigene Ablehnung. Nach Hegel ist der christliche Glaube also der Glaube an die radikale, universale Verzeihung. Dies ist ein schwieriger Gedanke, denn es heißt, dass nicht nur alltägliche Sünder, sondern auch Mörder ihrer teilhaftig sein können. Niemandem ist es verweigert, ein von göttlicher Liebe geprägtes – und das heißt, ein wahrhaft menschliches – Leben zu führen, es sei denn, man zieht sich in sich selbst zurück und setzt sich selbst außerhalb dieser Liebe. Die Eitelkeit eines solchen trockenen Ichs ist aber „eine Befriedigung, welche sich selbst überlassen werden muß“.73
5. Tod und Ewiges Leben In diesem Aufsatz habe ich drei Hauptthesen vertreten. Erstens: Hegel zeigt, wie Glaube und Vernunft miteinander zu versöhnen sind. Die Philosophie VPR 5, 165; auch 77. – S. Matthäus 12,31 und Markus 3,28 f. VPR 5, 248; auch 56, 259, 287. 72 VPR 5, 235 ff. (Hervorhebung von mir). 73 GW 9, 58. 70 71
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ist zwar mit der buchstäblichen Wahrheit der religiösen Vorstellungen unvereinbar; aber beim wahren Glauben taucht die Frage nach ihrer buchstäblichen Wahrheit gar nicht erst auf, weil er das gefühlsmäßige Zeugnis von der geistigen Wahrheit in diesen Vorstellungen ist. Hegel meint, dass ein philosophisches Bewusstsein der Wahrheit mit der gefühlsmäßigen Gewissheit dieser Wahrheit, d. h. mit der Religion, nicht nur zusammenbestehen kann, sondern zusammenbestehen muss, weil wir die Wahrheit sowohl im Gemüt als auch im Denken haben müssen. Zweitens: Laut Hegel hängt der wahre Glaube nicht bloß zufällig, sondern notwendig mit der Verzeihung und der Liebe zusammen. Der Glaube ist die Gewissheit, dass Gott gegenwärtig ist, und zwar im Glauben selbst – die Gewissheit, dass der Glaube selbst das Werk Gottes in uns ist. Demzufolge ist der Glaube an sich schon der Glaube an die Einheit von Gott und dem Menschen. Diese Einheit wird in der Menschwerdung Gottes vorgestellt. Die Vorstellung der Menschwerdung Gottes wiederum gibt uns die Gewissheit, dass wir trotz unserer menschlichen Gebrechlichkeit und „Sünde“ der göttlichen Liebe fähig bleiben. Diese Gewissheit wird im Glauben so ausgedrückt, dass unsere Sünden von Gott vergeben sind und wir nichts zu tun haben, als uns von Gott verzeihen zu lassen, um die Liebe Gottes in uns wirken zu lassen. Der Glaube vollendet sich also im christlichen Glauben an die Vergebung der Sünden. Drittens: Dieser Glaube empfängt seine Rechtfertigung von der Philosophie, weil letztere darauf hinweist, dass der wahre, christliche Glaube die Vernunft zum Inhalt und zur Form hat. Nach Dawkins besteht die Vernünftigkeit darin, dass eine These durch Gründe unterstützt wird, die öffentlich überprüft und beurteilt werden können. Dem Glauben mangeln solche Gründe, und er ist deswegen als unvernünftig zu verwerfen.74 Nach Hegel hingegen besteht die Vernünftigkeit darin, dass man sich eine gewisse Enthaltsamkeit auferlegt und das Wahre, die Vernunft selber, das Göttliche, in sich wirken lässt.75 Wie es in der Vorlesung von 1827 heißt: „Das Wahre zu wissen, dazu gehört, dass man sich seiner Subjektivität entschlage, der subjektiven Einfälle der einzelnen Eitelkeit, und sich mit dem Wahren beschäftige rein im Denken und nur nach dem objektiven Denken sich verhalte. Diese Negation der partikularen Subjektivität ist ein wesentliches, notwendiges Moment“.76
74 Dawkins, The God Delusion, 74: „It is in the nature of faith that one is capable […] of holding a belief without adequate reason to do so“; auch 346: „religious faith is an especially potent silencer of rational calculation“. 75 Vgl. GW 9, 42. 76 VPR 3, 335.
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Genau dieselbe Negation der partikularen Subjektivität kennzeichnet den Glauben und den Kultus, und in diesem Sinne weisen beide die Form der Vernunft auf. Ja, Hegel behauptet sogar, dass die Philosophie selbst „ein beständiger Kultus“ sei.77 Im philosophischen wie im religiösen Kultus gilt es, sich für das Wahre offenzuhalten, das Göttliche in seinem Bewusstsein walten zu lassen, statt aktiv Gründe zu überprüfen und Urteile über sie zu fällen.78 Dieselbe Vernunft ist in der Verzeihung zu erblicken, denn die Verzeihung ist auch die Verzichtleistung auf sich, das Ablassen von der harten Unwandelbarkeit des eigenen Urteils,79 ein Ablassen von sich, das die Versöhnung und damit die göttliche Liebe unter den Menschen aufkommen lässt. Das alles hat wenig mit naturwissenschaftlichem Verstand, um den es Dawkins geht, zu tun, aber es ist dennoch der Ausdruck der Vernunft in der Religion. Aus dieser Perspektive gesehen, hat der wahrhafte religiöse Glaube nichts mit hartherzigem Moralisieren, intolerantem Ausschließen von Andersdenkenden oder selbstgefälligem Fanatismus zu tun. Der Glaube und die Religion zielen darauf ab, uns die ewigen Wahrheiten über den Geist aufzuschließen und uns mit dem Geist der göttlichen Liebe und der radikalen Verzeihung, worauf die Sittlichkeit beruht, zu erfüllen. Hegel scheint aber auch einzusehen, dass die Religion nicht nur mit der Aneignung der Wahrheit und der Gegenwart Gottes im Herzen des Menschen zu tun hat, sondern auch mit der Hoffnung und Vorbereitung auf die Zukunft: „das Jetzt des Genusses“, sagt er 1824, „zerrinnt in der Vorstellung teils in ein Jenseits, in einen jenseitigen Himmel, teils in Vergangenheit, teils in Zukunft.“80 Diese Orientierung zur Zukunft verdankt sich aber der Form der Vorstellung, nicht der Wahrheit, die im Glauben enthalten ist. Insofern die Religion eine „Sache der Erziehung, Übung, Bildung“ in dieser Welt ist,81 existiert zwischen den Orientierungen zur Zukunft und zur Gegenwart allerdings kein Widerspruch: Die Religion ist nämlich der diesseitige Prozess, wodurch die „Wahrheit mit dem Selbst, dem Willen des Menschen immer identischer“ wird, „diese Wahrheit sein Wollen, sein Gegenstand, sein Geist“ wird.82 Insofern aber die Vereinigung Gottes mit dem 77 VPR 3, 334. – S. auch VPR 3, 63–64: „Die Philosophie ist in der Tat selbst Gottesdienst, wie die Religion.“ 78 Sowohl die Philosophie als auch die Religion sind daher ein Ausdruck der „wahren Demut“, die darin besteht, „den Geist in die Wahrheit zu versenken, in das Innerste, den Gegenstand allein nur an sich zu haben“ (VPR 5, 276). 79 Vgl. GW 9, 361, 420, 427. 80 VPR 5, 167; auch 74, 121 f. 81 VPR 5, 259. 82 VPR 5, 260.
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Menschen in ein Leben „nach dem Tode“ verlegt wird, besteht das Risiko, dass das religionsphilosophische Verständnis des Glaubens dem religiösen Verständnis selbst widerspricht. Im Johannesevangelium heißt es: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast.“83 Dieser Gedanke wird von Hegel direkt aufgenommen: „Die Sache nun ist überhaupt diese, daß der Mensch unsterblich ist nur durch das Erkennen“.84 Hegel weiß wohl, dass bei der Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele „die Fortdauer in der Zeit darin die hervorstechende Bestimmung“ ist;85 aber er besteht zugleich darauf, dass man sich nicht einbilden sollte, die Unsterblichkeit würde erst späterhin, nach dem Ableben, in Wirklichkeit treten: „es ist gegenwärtige Qualität“.86 Der Widerspruch zwischen der Vorstellung und dem Gedanken des ewigen Lebens verschwindet jedoch, wenn die geistige Wahrheit in dieser Vorstellung im Auge behalten wird. „Die Lehrer der christlichen Kirche geben an“, sagt Hegel, „daß durch das Aufgeben dieser Natürlichkeit – […] durch den natürlichen Tod – der Mensch mit Gott vereinigt werden kann.“87 Die geistige Wahrheit darin ist, dass der Mensch durch seine Offenheit zum Tode – und zwar zum endgültigen Tode – mit Gott vereinigt wird. Warum? Weil gerade diese Offenheit – die Bereitschaft, den Tod, dem nicht auszuweichen ist, anzunehmen – der höchste Ausdruck des Verzichtleistens-auf-sich, worin die göttliche Liebe besteht, ist. Die Vernunft nimmt den Tod ernst, und der Glaube, der ja das gefühlsmäßige Bewusstsein der Vernunft ist, nimmt den Tod genauso ernst. Ja, er sieht in der Offenheit und Bereitschaft zum Tode gerade die vollkommenste Verkörperung der sich seiner Selbstsucht entschlagenden göttlichen Liebe. Diese Liebe wird uns im Leben und vor allem im Tode Jesu Christi geoffenbart, und im Glauben an ihn werden wir auch ihrer teilhaftig.88 83 Johannes
17,3; auch 3,36; 5,24. 5, 227; auch 139. 85 VPR 3, 105. 86 VPR 5, 140. (Hervorhebung von mir); vgl. auch 154. 87 VPR 3, 247. 88 S. VPR 5, 60: „Tod Christi Anschauung dieser Liebe selbst“, 150: „Der Tod ist die Liebe selbst; es wird darin die absolute Liebe angeschaut“. Vgl. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 31978, 499: „Im Tode Jesu war die Liebe selber am Werk und offenbarte Gott als den, der Liebe ist“. – Die Tatsache, dass sich Gott im Tode Jesu als sich hingebende Liebe offenbart, bedeutet, dass nicht nur Jesus, sondern auch „die Abstraction des göttlichen Wesens“ in diesem Tod stirbt. Dieser Tod ist also der Tod Gottes und Christi zusammen, worin Gott seine abstrakte Reinheit aufgibt und sich als die konkrete, sich hingebende Liebe des endlichen Menschen erweist. S. GW 9, 419 und VPR 5, 84 VPR
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Laut Hegel also ist das ewige Leben „nach“ dem Tode ein geistiges Leben diesseits des Todes, das durch die Offenheit zum Tode erquickt wird.89 Die Auferstehung Jesu ist auch nicht, wie Eberhard Jüngel es ausdrückt, als die „Rückgängigmachung seines Todes“90, sondern als sein geistiges Auferstehen, nach seinem endgültigen Tode, in den Herzen der an ihn Glaubenden zu begreifen. In Hegels Worten, „die Auferstehung gehört ebenso wesentlich dem Glauben an: Christus ist nach seiner Auferstehung nur seinen Freunden erschienen; dies ist nicht äußerliche Geschichte für den Unglauben, sondern nur für den Glauben ist diese Erscheinung.“91 Widerspricht nun diese Interpretation vom „ewigen Leben“ der christlichen? Nur wenn die religiöse Vorstellung einer Fortdauer des Lebens nach dem Tode für buchstäblich wahr gehalten wird. Wenn aber die Frage ihrer buchstäblichen Wahrheit gar nicht erst auftritt und wir darin die tiefste Wahrheit über den Geist und die göttliche Liebe gefühlsmäßig zur Kenntnis nehmen, dann gibt es keinen Widerspruch zwischen der religionsphilosophischen und der religiösen Auffassung des ewigen Lebens. Ja, Eberhard Jüngel zufolge ist es gerade der Glaube an die buchstäbliche Wahrheit des Lebens nach dem Tode, der in der Tat dem Geist des Christentums widerspricht. Man darf sich, so Jüngel, „von der christlichen Hoffnung auf Auferstehung nicht den Blick für die zeitliche Begrenztheit des menschlichen Lebens verstellen lassen. So kann diese Hoffnung, auch wenn sie immer wieder dahingehend missverstanden worden ist, nicht gemeint sein: als ginge es um die Erwartung einer Aufhebung der zeitlichen Begrenztheit menschlichen Lebens. […] Das endliche Leben wird als endliches verewigt. Aber eben nicht durch unendliche Verlängerung: eine Unsterblichkeit der Seele gibt es nicht. Sondern durch Teilhabe an Gottes eigenem Leben.“92 150, 247. Vgl. Houlgate, An Introduction to Hegel, 267 f.; O’Regan, The Heterodox Hegel, 205 f.; Martin Wendte, Gottmenschliche Einheit bei Hegel. Eine logische und theologische Untersuchung, Berlin 2007, 271 f. 89 Vgl. Eberhard Jüngel, Tod, Gütersloh 1971, 151 f.: „Erlösung kann dann doch nichts anderes heißen, als daß dieses gelebte Leben erlöst wird, nicht aber, daß aus diesem Leben erlöst wird. Erlösung wäre Rettung des gelebten Lebens durch Gott, wäre Teilhabe des irdischen, begrenzten Lebens an Gottes Leben, Teilhabe befristeter Lebenszeit an Gottes Ewigkeit, Teilhabe schuldig gewordener Existenz an Gottes Ehre“; auch, 154, 160. 90 Jüngel, Tod, 123, 152. 91 VPR 5, 247; s. auch GW 9, 407 f., 418. S. außerdem Houlgate, An Introduction to Hegel, 97 f., 266 ff.; Lewis, Religion, Modernity, and Politics in Hegel, 221 f. Laut Hegel also fallen Ostern und Pfingsten zusammen und machen ein einziges Ereignis aus. Siehe John W. Burbidge, Hegel on Logic and Religion. The Reasonableness of Christianity, Albany 1992, 149; Houlgate, An Introduction to Hegel, 97; Wendte, Gottmenschliche Einheit bei Hegel, 283. 92 Jüngel, Tod, 150 ff. Laut Jüngel heißt dies aber nicht, dass der Mensch selber göttlich wird. Für Jüngel, im Gegensatz zu Hegel, sind „Gott und Mensch für immer definitiv zu unterscheiden“ (Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 124 f.).
Glaube, Liebe, Verzeihung
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Für einige, wie er sie nennt, „fromme Leute“93 stellt Hegels Deutung der Religion, und vor allem des Christentums, eine schwer zu verarbeitende Herausforderung dar. Wahre Religion nach Hegel hat nichts mit jenseitigem Trost, der uns für die Plagen des diesseitigen Lebens entschädigen sollte, sondern mit der Erquickung des hiesigen Lebens durch das tiefgehende Verzichtleisten auf sich und das Sich-für-Andere-Offenhalten zu tun. Uns wird kein Weiterleben nach dem Tode versprochen, wohl aber eine geistige Erneuerung durch die Bereitschaft, die eigene Besonderheit ersterben zu lassen, wenn nötig bis zum Tode selbst. Hegel zufolge bleibt diese Auffassung der Religion dem Wesen der Religion und der Vernunft treu (auch wenn sie für manche einen Stein des Anstoßes darstellt).94 Hegels Deutung der Religion bedeutet auch eine schwierige Herausforderung für spekulative Philosophen, die dem Hegelschen Denken geneigt sind, aber sich weigern oder sich nicht getrauen, am religiösen Leben teilzunehmen. Denn, laut Hegel, ist der Glaube – das gefühlsmäßige Bewusstsein der ewigen Wahrheiten des Geistes – für Philosophen wie für Nichtphilosophen unentbehrlich. Nach Hegel schließt das philosophische Wissen um die religiöse Rede von der Vergebung der Sünden gar nicht aus, dass man sich in dieser religiösen Rede, im Gefühl und im Glauben, frei bewegen kann. Man muss nur durch das Zeugnis des Geistes beglaubigen können, dass in den Vorstellungen der Religion dieselbe Wahrheit enthalten ist wie in den Sätzen und Begriffen der Philosophie. Hegel zeigt, wie Philosophie und Religion miteinander zu versöhnen sind. Diese Versöhnung bedeutet jedoch eine wichtige Herausforderung für Philosophen und für gewisse „fromme“ Gläubige – eine Herausforderung, deren Konsequenzen wir immer noch nicht vollständig zur Kenntnis genommen haben.
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Dawkins, Richard, The God Delusion, London 2006. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik (1812/13), hg. v. Friedrich Hogemann/Walter Jaeschke, in: ders., Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 11, Hamburg 1978. –, Phänomenologie des Geistes, hg. v. Wolfgang Bonsiepen/Reinhard Heede, in: ders., Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 9, Hamburg 1980 (= GW 9). –, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1. Einleitung. Der Begriff der Religion, hg. v. Walter Jaeschke, in: ders., Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 3, Hamburg 1983 (= VPR 3). –, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3. Die vollendete Religion, hg. v. Walter Jaeschke, in: ders., Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 5, Hamburg 1984 (= VPR 5). –, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), unter Mitarbeit von Udo Rameil hg. v. Wolfgang Bonsiepen/Hans-Christian Lucas, in: ders., Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 20, Hamburg 1992 (= GW 20). Hoffmeister, Johannes (Hg.), Briefe von und an Hegel, Bd. 4, hg. v. Rolf Fleschig, Hamburg 1961. Houlgate, Stephen, An Introduction to Hegel. Freedom, Truth and History, Oxford 22005. –, The Opening of Hegel’s Logic. From Being to Infinity, West Lafayette, Indiana 2006. Jaeschke, Walter, Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels, Stuttgart 1986. –, Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule, Stuttgart 2003. Jüngel, Eberhard, Tod, Gütersloh 1971. –, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 31978. Kant, Immanuel, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften u. a., Berlin 1900 ff., Bd. 6. Lauer, Quentin, Hegel’s Concept of God, Albany 1982. Lewis, Thomas A., Religion, Modernity, and Politics in Hegel, Oxford 2011. Luther, Martin, Kommentar zum Galaterbrief, 1519, hg. v. Wolfgang Metzger, Gütersloh 31984. O’Regan, Cyril, The Heterodox Hegel, Albany 1994. Solomon, Robert C., In the Spirit of Hegel. A Study of G. W. F. Hegel’s Phenomenology of Spirit, Oxford 1983. Wendte, Martin, Gottmenschliche Einheit bei Hegel. Eine logische und theologische Untersuchung, Berlin 2007.
III. Schelling
„Gefühl der unbeschreiblichen Realität jener höheren Vorstellungen“1 – Realismus und Religionsphilosophie um 1800 Paul Ziche I. Einleitung: „Entschiedener“ und „höherer“ Realismus „Wir Realisten“ – mit dieser Gruppenbezeichnung positioniert Friedrich Heinrich Jacobi sich selbst und seine ungenannten Mitstreiter gegenüber Idealisten wie Kant und Fichte. Während sich die entsprechende Passage in der Beilage Vom transscendentalen Idealismus zu seinem Gespräch David Hume über den Glauben durch den Vorwurf an die Idealisten motiviert, diese würden die Wirklichkeit der Gegenstände leugnen2, geht Jacobi im Text des Gesprächs selbst auf eine notwendige Beziehung zwischen dem vorstellungsunabhängigen Bestehen von Gegenständen und religiösen Sachverhalten ein. In der Charakterisierung der „Wahrnehmung der Dinge außer uns“ bedienten wir uns Jacobi zufolge immer wieder der Rede von einer Offenbarung, und Jacobi erklärt diesen Sprachgebrauch – in Reaktion auf eine kritische Rückfrage seines Gesprächspartners – als wohlbegründet: „Wir sagen ja gewöhnlich im Deutschen, daß die Gegenstände sich uns durch die Sinne offenbaren“.3 An genau dieser Stelle bekennt Jacobi sich zu einer Form realistischen Denkens, die er genauer qualifiziert als einen „entschiedenen“ Realismus. Der „entschiedene Realist“ könne angesichts der Gewißheit, die ihn durch das „Zeugniß seiner Sinne äußere Dinge unbezweifelt“ annehmen
1 Schellings Werke werden mit der Sigle SW unter Angabe von Band und Seite zitiert nach der Ausgabe der Sämmtlichen Werke, hg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart / Augsburg 1856–1861 (= SW); hier SW I, 8, 203. – Dieser Text entstand im Rahmen eines von NWO – der „Netherlands Organisation for Scientific Research“ – geförderten Forschungsprojekts; für diese Unterstützung meinen besten Dank. 2 Friedrich Heinrich Jacobi, David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, in: Friedrich Roth/Friedrich Köppen (Hgg.), Friedrich Heinrich Jacobi. Werke, Bd. 2. Leipzig 1815, 1–310, 299 (= Hume). 3 Jacobi, Hume, 165.
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lässt4, nicht umhin hier von „Offenbarung“ zu sprechen: „Er hat nichts, worauf sein Urtheil sich stützen könnte, als die Sache selbst; nichts als das Factum, daß die Dinge wirklich vor ihm stehen“5 – und eben dieses drücke das Wort Offenbarung aus. Realismus wird hiermit positioniert als die Grundlage einer religionsphilosophisch unterbauten Kritik an Erscheinungsformen des nachkantischen Idealismus, wobei sich diese Kritik im Anspruch auf der Höhe der Kantischen Errungenschaften bewegt. Jacobis Behandlung des Begriffs „Offenbarung“ weist dabei signifikante Parallelen auf zur Rolle, die der „Glauben“ in seinem David Hume erhält: In beiden Fällen wird ein Begriff sowohl als eine epistemische Form der Gewißheitsvergewisserung als auch als religionsphilosophisches Fundamentalkonzept behandelt. Die Suche nach einem in neuartiger Weise zu qualifizierenden Realismus, der epistemologische und religionsphilosophische Ideen zusammenführt, ist in den Debatten um Kant und den Idealismus um 1800 schulenübergreifend verbreitet: Schelling entwickelt eine Form eines „höheren“ oder „lebendigen“ Realismus, und alle genannten Motive und Begriffe werden in Schleiermachers Reden Über die Religion ebenso kompakt wie komplex verarbeitet. Dabei werden nicht nur die Grenzen zwischen philosophischen Schulrichtungen sowie in der Gewichtung von Religion und Philosophie verhandelt, sondern entsteht auch ein emphatisches Konzept von Realismus, das sich in auffallender Weise von heutigen Begrifflichkeiten unterscheidet. Im Folgenden wird einer der wichtigsten und überraschendsten Aspekte des Realismusdiskurses um 1800 benannt6, wobei, sehr selektiv, an Hand einschlägiger Passagen von Schelling und Schleiermacher das epistemische Profil eines solchen Realismus genauer umrissen werden soll: eines Realismus, der in besonderer Weise das Vermögen des Gefühls einsetzt, um die typisch realistische Doppelheit von Wirklichkeitsvergewisserung und Transzendenz der Wirklichkeit einzuholen.
4
Ebd. Jacobi, Hume, 165 f. 6 Vgl. hierzu ausführlicher Paul Ziche, „Romantik, Realismus und Idealismus um 1800“, erscheint in: Helmut Hühn/Joachim Schiedermair (Hgg.), Europäische Romantik: Interdisziplinäre Perspektiven der Forschung, Berlin / New York 2015 (= Romantik, Realismus, Idealismus). – Manfred Frank hat mit Nachdruck hingewiesen auf realistische Denkoptionen im Rahmen der romantischen Programmatik; vgl. hierzu den Überblicks artikel Manfred Frank, „‚Der schwere Schritt in die Wirklichkeit‘. Über das Werden eines frühromantischen Realismus“, Athenäum. Jahrbuch für Romantik 17 (2007), 13–31. 5
Realismus und Religionsphilosophie um 1800
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II. Wirklichkeit als hintergründige Einheit aus dem Gefühl Wesentlich ist in Jacobis Idealismuskritik die Kritik an der Suche nach „Beweisen“, an einem Vergewissern in Schlussketten.7 Auch hierin wird ein kritischer Anspruch erhoben, der epistemische und ontologische Aspekte verbindet: Höchste Gewissheit und ultimative Realität entziehen sich beide dem Beweis; das Wunder8 ist der Offenbarung, die Dasein enthüllt, immanent. Letztliche Wirklichkeit kann nur garantiert werden, wenn man das in Frage stehende Wirkliche nicht vollständig begreifen und jedenfalls nicht aus gänzlich dem Verstand eigenen Prinzipien ableiten kann, andernfalls könnten die idealistischen Präsumtionen – in der realistischen Kritik und einem der bevorzugten polemisch-kritischen Bilder dieser Kritik: die Annahme, man könne die Wirklichkeit vollständig aus dem menschlichen Geist herausspinnen – Gültigkeit besitzen. Die Alternative ist schnell benannt: Gegen das deduktive Ableiten wird immer wieder das direkte Erfassen von Wirklichkeit durch das Gefühl in Anschlag gebracht, wie es das Titelzitat aus Schellings Weltaltern formuliert. Alle Autoren, die sich als Realisten bezeichnen oder eine (unter Umständen, wie bei Schelling oder Schleiermacher, in signifikanter Weise modifizierte) Form von Realismus in Anspruch nehmen, proklamieren eine Aufwertung des Gefühls und allgemeiner von Formen des direkten Erfassens, wozu auch die Offenbarung gerechnet wird. Jacobis und Herders Umdeutung der Vernunft zu einem vernehmenden Vermögen kann exemplarisch für diese Umdeutungen stehen.9 Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, verstünde man die von den Realisten aufgebaute Opposition lediglich als die Ersetzung des aktiv produzierenden Verstandes durch das rezeptive Gefühl. Mit dieser epistemisch-vermögenstheoretischen Revision geht eine andere Umorientierung gepaart, die für die religionsphilosophische Motivation eines realistischen Denkens noch wichtiger ist: eine Umorientierung hinsichtlich des Paradigmas der als wirklich anzusetzenden Gegenstände. Realismus um 1800 geht dabei – bei allen Protagonisten – von einem Paradigma des Wirklichen aus, das sich von modernem Realismus deutlich unterscheidet. Modell des Wirklichen ist in keinem Fall das Einzelding, das Z. B. Jacobi, Hume, 167. Ebd. 9 Vgl. die Diskussion – mit interessanten Hinweisen zu Unterschieden in Herders und Jacobis Verwendung des Terminus „Vernehmen“ – in: Walter Jaeschke, „Eine Vernunft, welche nicht Vernunft ist. Jacobis Kritik der Aufklärung“, in: Walter Jaeschke / Birgit Sandkaulen (Hgg.), Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, Hamburg 2004, 199–216. 7 8
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materielle Objekt. Das Wirkliche wird durchgehend als ein umfassendes Ganzes aufgefasst: Die Schöpfung oder Gott sind das Modell des Wirklichen. Die Leugnung des Existierens eines einzelnen Dinges wird zwar in der Polemik seitens der Realisten den Idealisten zum Vorwurf gemacht, aber letztlich ist dies nicht, was zur Debatte steht.10 Ein besonders schönes Beispiel gibt Friedrich Schlegel – dessen Position zwischen Idealismus und Realismus ausgesprochen komplex ist und hier nicht eingehend erörtert werden kann – in seinem Gespräch über die Poesie, in dem er fordert, dass sich „aus seinem [des Idealismus] Schooß ein neuer und ebenso gränzenloser Realismus erheben“ müsse.11 Schlegel umschreibt dabei die Rolle des Gefühls und der Phantasie (der er interessanterweise die Funktion zuschreibt, die Philosophie Spinozas integrativ zusammenzufassen) als eine Stiftung eines allgemeinen Zusammenhangs, eines „allgemeinen Grund[es] und Boden[s]“, der sich der Sichtbarkeit und Beschreibbarkeit entzieht und nur andeutend als ein „Anklang“ oder ein „Duft“ umschrieben werden kann, der in typisch Schlegelscher Gegensatzdiktion „unsichtbar sichtbar“ anwesend ist und gleichzeitig unendliche Sehnsucht und ruhige Erfüllung bezeichnet.12 Zwei Aspekte dieser Passage aus Schlegels Gespräch verdienen eigens benannt zu werden. Zum einen werden auch hier wieder Metaphern eingesetzt, die zugleich einen Gegenstand und eine epistemische Qualität benennen. „Duft“ und „Anklang“ bezeichnen einerseits eine ungreifbare Atmosphärik, die einem Ganzen (man kann zur Illustration an romantische Landschaftsmalerei denken) seine Eigenheit gibt, andererseits wird deutlich gemacht, dass man sich dieser Grundlegungsfunktion nur im Modus des Ahnens oder, genauer im Bild des Atmosphärischen gesprochen, des Eintauchens vergewissern kann. Hiermit ist bereits der zweite entscheidende Aspekt eingeführt: Der Zusammenhang, der durch die genannten Metaphern zwischen dem „Grund und Boden“ einerseits und den Einzeldingen andererseits gestiftet wird, ist, genau wie für eine realistische Programmatik in Anspruch genommen, nicht einer der Ableitung aus ersten Prinzipien, sondern trägt deutliche Merkmale eines eher hermeneutischen Zugangs, in dem das nichtdeduktive Einbetten in größere Kontexte die zentrale methodische Funktion erhält. Das Prädikat der Wirklichkeit wird eben mit dieser Horizonteinbettung verbunden, wobei „das Ganze“ selbst die ultimative Instanz von Wirklichkeit wird und sich der Diskurs von der Frage nach dem Bestehen Ausführlich hierzu vgl. Ziche, Romantik, Realismus, Idealismus. Friedrich Schlegel, „Gespräch über die Poesie“, Athenäum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, Bd. 3, Stück 1 (1800), Reprint Darmstadt 1992, 58–128, 99 (= Gespräch). 12 Schlegel, Gespräch, 100 f. 10
11
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einzelner Dinge verschiebt zu einer Analyse des epistemischen Status dieses Horizonts. Die polemischen Karikaturen zur idealistischen Leugnung der Wirklichkeit einzelner Dinge sind mithin bestenfalls Zugabe zu einer umfassenderen realistischen Fragestellung: Wie kann man das Bestehen eines solchen umfassenden Kontextes oder einer umfassenden Wahrheit, jenseits der Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Begreifens, einsichtig machen und welche Art von epistemischer Haltung können wir angesichts eines solchen Ganzen gewinnen? Diese Fragestellung deckt in der Tat auch den „lebendigen“ oder „höheren“ Realismus ab, den Schelling in der Freiheitsschrift einfordert. Eine idealistische Philosophie kann für Schelling lediglich die weihende Vorbereitung für denjenigen Realismus sein, der im Moment des Abfassens der Freiheitsschrift möglich geworden sei.13 Schelling übernimmt hierbei den idealismuskritischen Diskurs realistischer Autoren, wenn er Gott ausdrücklich als etwas „Realeres“ bezeichnet als durch die „dürftige Subtilität abstrakter Idealisten“ zugestanden würde.14 Im Verhältnis zwischen Idealismus und Realismus scheint zunächst der Idealismus einen Vorrang zu erhalten, wenn er als die „Seele“ der gesamten Philosophie umschrieben wird, während der Realismus deren Leib abgäbe. Wenn Schelling allerdings den Realismus ausdrücklich als einen „lebendigen“ benennt, der zwar nicht das „Princip“ abgebe, wohl aber als „Grund und Mittel“ diene, „worin jener [der Idealismus also] sich verwirklicht“15, wird hier in Schellingscher Diktion derselbe Gedanke ausgesprochen, den auch Schlegels Passage mit der Begrifflichkeit des „Anklangs“ und „Hauchs“ formulierte; das realistische Prinzip ist nicht ein Ausgangspunkt, der in einem diskursiven Gang verlassen werden müsste, sondern die „versöhnende und vermittelnde Basis“, die anwesend verfügbar bleibt und den Idealismus vor der Selbstzerfleischung rettet. In einem späteren Text, der Abhandlung über die Quelle der ewigen Wahrheiten, beschreibt Schelling den Erkenntnisvorgang ausdrücklich als ein Eintragen des Individuellen in das umfassende Allgemeine, hier in der Metapher des Bekleidens: „Zu sagen ist vielmehr: daß das Individuelle, und zwar am meisten das es im höchsten Sinne ist, daß das Individuelle sich realisirt, d. h. sich intelligibel macht, in den Kreis der Vernunft und des Erkennens eintritt, indem es sich generalisirt, d. h. indem es das allgemeine, das alles begreifende Wesen zu Sich macht, sich mit ihm bekleidet.“16
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SW I,7, 351. SW I,7, 356. 15 Ebd. 16 SW II, 1, 588. 14
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Zu einem Wirklichen wird das Individuelle mithin erst, wenn es sich das Allgemeine antut. Dieser Akt des Bekleidens ist in doppelrichtiger Weise aktiv formuliert: Das Individuelle bekleidet sich selbst mit dem Allgemeinen, andererseits ist dieses wiederum immanent umfassendes Begreifen. Es ist auffällig, wie präzise Schleiermachers Reden Über die Religion alle genannten Begrifflichkeiten und Argumentationsschemata aufgreifen. Die programmatische Formulierung zu Anfang der zweiten Rede, der Rede „Über das Wesen der Religion“, der zufolge Religion ebenso wie Metaphysik und Moral „das Universum und das Verhältniß des Menschen zu ihm“17 zum Gegenstand habe, zielt zwar in erster Linie ab auf die Gegenstandsgleichheit zwischen Metaphysik, Moral und Religion, trifft dabei aber zugleich eine entschiedene Aussage über die Art dieses Gegenstandes. Entscheidend hierbei ist, dass dieser Gegenstand nicht in einem deduktiven, klassifizierenden oder abteilenden Zugriff erfasst werden kann. Genau dies versucht zu haben, wirft Schleiermacher der Transzendentalphilosophie vor: „sie klaßifizirt das Universum und theilt es ab in solche Wesen und solche, sie geht den Gründen deßen was da ist nach und deducirt die Nothwendigkeit des Wirklichen, sie entspinnet aus sich selbst die Realität der Welt und ihre Geseze“18. In dieser Passage gebraucht Schleiermacher bis in die Details der Terminologie hinein eine ganze Reihe idealismuskritischer Realismusmotive. Diese Kritik an einem transzendentalphilosophisch fundierten Idealismus setzt Schleiermacher in drastischen Begriffen fort. Ohne einen „höhern Realismus“19 führe die – im Übrigen berechtigte – idealistische Zurückweisung einer untergeordneten Form des Realismus zu einer Vernichtung des Universums: „Er wird das Universum vernichten, indem er es zu bilden scheint, er wird es herabwürdigen zu einer bloßen Allegorie, zu einem nichtigen Schattenbilde unserer eignen Beschränktheit.“20 Der höhere Realismus kann dann konsequenterweise auch nicht abgezwungen werden; die Religion lässt diesen „ahnden“, aber legt nicht auf diesen fest.21 Die Schlüsselbegriffe von Schleiermachers Reden wie das „Anschauen des Universums“22 oder die Kennzeichnung von Religion als „Sinn und Geschmack für das Unend Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in: ders, Kritische Gesamtausgabe, hg. von Hans-Joachim Birkner u. a., Bd. I/2, Berlin / New York 1984, 185–326, 207 (= Religion). 18 Schleiermacher, Religion, 208. 19 Vgl. hierzu Dietrich Korsch, „‚Höherer Realismus‘. Schleiermachers Erkenntnistheorie der Religion in der Zweiten Rede“, in: Ulrich Barth /Claus-Dieter Osthövener (Hg.), 200 Jahre „Reden über die Religion“, Berlin/New York 2000, 609–628. 20 Schleiermacher, Religion, 213. 21 Ebd. 22 Schleiermacher, Religion, z. B. 213, 211, 200. 17
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liche“23 erweisen sich hiermit als direkte Umsetzung einer realistischen, auf einen „höhern Realismus“ zielenden Programmatik. Schleiermacher operiert mit einer Vielzahl von Charakterisierungen für die hierbei relevanten Vermögen. Auch hier wird der Ganzheitscharakter wesentlich, der auch das Universum als Gegenstand von Philosophie, Metaphysik und Moral kennzeichnete: „alle Funktionen der menschlichen Seele“ müssen „vermischt“ werden, „alle Thätigkeit in ein staunendes Anschauen des Unendlichen“ aufgelöst werden.24 Schleiermacher legt sich auch in der Terminologie nicht auf einen Begriff oder ein leitendes Vermögen fest; „Anschauen“, „Gefühl“ – unmittelbar mit dem Anschauen verbunden25 –, „Sinn“, aber auch das andächtige Belauschen26 können zur Kennzeichnung derjenigen Haltung verwendet werden, die Schleiermacher für ein Erfassen des Universums für notwendig hält. Ihnen allen ist gemeinsam, dass ein Ergreifen von „unmittelbaren Einflüßen“ in „kindlicher Paßivität“ als eine Form des Erfüllen-Lassens zu erfolgen hat. Zugleich aber ist diese Passivität als eine „ursprüngliche Schöpfung“ aufzufassen.27 Anhand des „Sinnes“ lässt sich aufzeigen, welches epistemische Profil diese Vermögen teilen. „Sinn“ ist bereits im Begriff von der bloßen Sinnlichkeit unterschieden und verweist auf Kontexte der hermeneutischen Sinnstiftung. „Sinn“ und „Anschauen“ bleiben für Schleiermacher Formen des unmittelbaren Erkennens. Sie widersetzen sich insbesondere dem Systematisieren: „Anschauung ist und bleibt immer etwas einzelnes, abgesondertes, die unmittelbare Wahrnehmung, weiter nichts; sie zu verbinden und in ein Ganzes zusammenzustellen, ist schon wieder nicht das Geschäft des Sinnes, sondern des abstrakten Denkens“.28 Auch hier wird ein deduzierendes Denken oder Ableiten abgewiesen; man wird das gerade angeführte Zitat so lesen müssen, dass die unmittelbare Wahrnehmung nicht in einem atomisierenden Sinn vereinzelt ist, sondern eher so, dass eine unmittelbare Wahrnehmung in sich bereits eine Vollständigkeit besitzt, die durch das Zusammenstellen in ein System nicht gewinnt, sondern hierdurch gerade verlieren muss: „Der Sinn strebt den ungetheilten Eindruck von etwas Ganzem zu faßen“.29 Ein „höherer Realismus“ wird also Ganzheiten in einer nicht-systematischen Weise erfassen. Aus diesem Grund kann die realistische Erkenntnisweise Schleiermacher, Religion, 212. Schleiermacher, Religion, 200. 25 Schleiermacher, Religion, 211. 26 Ebd. 27 Schleiermacher, Religion, 210. 28 Schleiermacher, Religion, 215. 29 Schleiermacher, Religion, 254. 23 24
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durch „Sinn“, „Anschauen“ oder „Gefühl“ auch mit dem Terminus der „Ahndung“ bezeichnet werden. Eine „dunkle Ahndung des Universums“ ist notwendige Vorbedingung dafür, sich dem Unendlichen in „Sehnsucht“ zuzuwenden.30 Ein ahnendes Erkennen geht nicht von feststehenden Prinzipien aus und führt auch nicht auf feststellbare und damit hinter sich zu lassende Resultate; es ermöglicht vielmehr ein offenes Suchen innerhalb des Universums: „er [der Geist] darf sich suchen in diesem Widerschein ohne sich zu verlieren oder aus sich heraus zu gehn, er kann sich nie erschöpfen im Anschauen seiner selbst, denn Alles liegt in ihm“31, allerdings nicht in der transzendental-idealistischen Form des Herausspinnens der Wirklichkeit aus dem Subjekt. Der höhere Realismus ist ein Realismus des Ahndens.32
III. Realismus und ‚bewegte Gefühle‘ bei Schelling Das Feld wird unübersichtlich. Jacobi, Schlegel, Schleiermacher, Schelling setzen alle an bei der Notwendigkeit, Modi dessen, was traditionell als direktes Erfassen vorgestellt wird, zu mobilisieren, um sich einer Wirklichkeit zu vergewissern, die jenseits der verstandesgemäßen Ableitbarkeit liegt. Man kann zunächst in Zweifel ziehen, dass die philosophische Epoche um 1800 in der Tat durch eine Opposition von Realismus und Idealismus geprägt war: Kant will, in verschiedener Hinsicht, sowohl Realist als auch Idealist sein, Fichte kreiert für sich das Label eines Ideal-Realismus, Schelling und Schleiermacher plädieren für einen „höheren Realismus“. Dennoch bleibt unbestreitbar, dass die philosophische Diskussionslandschaft dieser Zeit von einer massiven Polemik durchzogen war, die genau entlang der Demarkationslinie zwischen Idealismus und Realismus geführt wurde. Wenn Jacobi von „Wir Realisten“ spricht, greift er genau diese Gegenstellung auf, und in der Tat lässt sich eine ganze Gruppe realistischer Autoren ausmachen, die in vielfältigen Querverweisen und gemeinsamen Publikationsformen als solche auftritt; man wird neben Jacobi zumindest Herder und Jean Paul als prominente Vertreter dieser Gruppe zu nennen haben. Die genannten Merkmale realistischen Denkens – Abweisen des deduktiven Beweisens und Systematisierens, das Hinzuziehen unterschiedlicher Erkenntnisvermögen, der Fokus auf ein Wirklichkeitsmodell, das nicht das Einzelding, sondern den sinnstiftenden Zusammenhang als Paradigma des Wirklichen Schleiermacher, Religion, 261. Schleiermacher, Religion, 264. 32 Vgl. hierzu Korsch, „Höherer Realismus“, 622, der den „divinatorische[n] Akt“ betont, der für Schleiermachers Realismus kennzeichnend ist. 30 31
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begreift – können dabei interessanterweise von Vertretern beider Gruppen, sowohl von massiv anti-idealistischen Realisten als auch von Autoren wie Schelling oder Schleiermacher (dessen Zuordnung zu den philosophischen Strömungen sich ähnlich komplex gestaltet wie für Friedrich Schlegel) getragen werden. Auch Schelling gebraucht wiederholt die Formulierung vom „Gefühl der Wahrheit“33 und verbindet dieses Gefühl direkt mit der „Ahnung“. Auch die Freiheitsschrift eröffnet mit einem „Gefühl“, das mit einer ganz bestimmten Tatsache, der Tatsache der Freiheit, verbunden wird. Diese Verbindung des Gefühls, also des klassischerweise als subjektiv klassifizierten Vermögens, mit der Enthüllung von Tatsächlichkeit kennzeichnet, wie bereits ausgeführt, auch die realistischen Programme. In einer einigermaßen überraschenden philosophiehistorischen Analyse der „Realphilosophie“, in der Bacon neben Descartes zu stehen kommt, sieht Schelling es als Aufgabe der Philosophie, „Thatsachen“ zu studieren, wobei er „Thatsachen“ erläutert als die „Sache“ „selbst“, wie sie sich „in der Erfahrung“ präsentiert.34 In seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesungen, aber bereits sehr viel eher in der Propädeutik zu seinem sogenannten Würzburger System, arbeitet Schelling diesen Gedanken weiter aus und bezeichnet letztlich alle modernen Philosophen vor ihm, also insbesondere auch Kant und Fichte, in kritischer Absicht als Dualisten und Empiristen.35 Damit stellt sich die Frage: Wie muss demgegenüber eine tatsachenbezogene und erfahrungsaffine Philosophie aufgebaut werden, die nicht der Kritik verfällt, die Schelling gegen alle Formen empiristischen Philosophierens vorbringt? Schellings Diskussion der Philosophie Jacobis in seinen Münchner Vorlesungen zur Philosophiegeschichte ermöglicht die Rekonstruktion einer Theorie des Gefühls, die genau auf diese Frage eine Antwort bieten möchte. Schelling unterscheidet hier zwei mögliche Rollen für das Gefühl. Das Gefühl kann philosophisch bedeutsam werden zum einen als ein Gegenargument gegen einseitig rationalistische Formen der Philosophie, indem das Gefühl als subjektiv aufgefasst und auf den Anspruch auf Wissensbegründung verzichtet wird.36 Daneben kann das Gefühl jedoch auch eine zweite Funktion übernehmen; es kann „sich als Wissenschaft geltend“ ma-
Z. B. SW I, 1, 67 und I, 3, 362. SW I, 10, 30. 35 Vgl. hierzu ausführlich Paul Ziche, „Empiricism, Aposteriori Kantianism, and ‚Abfall‘: Historiography of Philosophy in the Propaedeutics of Schelling’s Würzburger System“, Schelling-Studien 2 (2014), 83–102. 36 SW I, 10, 166. 33 34
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chen.37 Jacobis philosophischer Ansatz wird von Schelling zwischen diesen beiden Behandlungsarten des Gefühls angesiedelt. Schelling sieht sehr genau, dass das Gefühl bei Jacobi eine zentrale Bedeutung erhält; „Gefühl“ und „Vernunft“ werden bei Jacobi als austauschbare Konzepte gebraucht.38 Allerdings bleibe diese gefühlsbasierte Wissenschaft bei Jacobi auf einem noch viel zu wenig entwickelten Niveau, da Jacobi das Gefühl zu stark aus der Unmittelbarkeit denke. Wenn man Gefühle als unmittelbar, als eine Form des direkten Zugangs zum im Gefühl Erfassten versteht, erhält man eine lediglich untergeordnete Form des Wissens. Dies führt zu einer erkenntnistheoretischen Tragik in Jacobis Philosophie. Hatte dieser das Gefühl und die unmittelbare Erkenntnis gerade eingeführt, um gegen die von ihm als rationalistisch und distanzierend aufgefassten Systeme des Idealismus den Zugang zu einem persönlichen Gott möglich zu machen, so ist es, Schelling zufolge, gerade die Unmittelbarkeit, die Gott verfehlen muss: „das unmittelbare Wissen kann nur das blinde seyn, das nicht wissende = das nicht durch Bewegung weiß (denn in jeder Bewegung ist Vermittlung), sondern nur weiß, indem es sich nicht bewegt“39. Es ist deutlich, worauf Schelling hiermit abzielen muss: auf ein bewegtes Gefühl, auf eine Auffassung von Gefühl also, die wesentlich eingebunden ist in einen Prozess des Erkenntniserwerbs. Hiermit fällt bereits ein wesentlicher Unterschied zwischen dem diskursiven Verstand und dem rezeptiven Gefühl weg. „Bloße Gefühle“ sind unzureichend als ein Ausgangspunkt für Philosophie und Wissenschaft. Ein sensualistischer Ansatz genügt nicht. Das Argument ist ein gedoppeltes. Zum ersten bleibt ein unbewegtes Gefühl blind, da es sich nicht kritisch zu seinem Gegenstand verhalten kann. Ein zweiter Grund liegt, wie bereits gegen Jacobi vorgebracht, in der Natur dessen, was in der Philosophie erfasst werden soll. Eine Welt, die wesentlich als Prozessualität begriffen werden muss und Resultat einer freien Schöpfung ist, kann im statischen Zugriff des unmittelbaren Gefühls nicht erfasst werden – aber genau das, also ein Verständnis dieser Welt als des ultimativen Faktums, ist erfordert, wenn Philosophie zu einer „Erfahrungswissenschaft“ werden soll.40 Schelling nimmt zwei wesentliche Schritte, um Gefühle bewegen zu lassen. In einem ersten Schritt kann man ausgehen von der Veränderung, die Schelling am Begriff der Tatsache vornimmt. Tatsachen stehen nicht am Anfang des Erkenntnisprozesses, etwa im Sinne einer Sinnesdatentheorie. Vielmehr wird, wie Schelling beispielsweise in seiner Darstellung des philo37
Ebd. SW I, 10, 172. 39 SW I, 10, 175. 40 SW I, 10, 198 f. 38
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sophischen Empirismus ausführt, erst am Ende eines langen und komplexen Prozesses des „Ausmittelns“ bekannt, was die zu betrachtende Tatsache eigentlich ist.41 Wenn Gefühle den Zugriff auf Tatsachen ermöglichen sollen, wird man ebenso zu fordern haben, dass für Schelling Gefühle nicht am Anfang von Philosophie und Wissenschaft als unhinterfragter Beginn (wie in Humes „all sentiment is right“) stehen können, sondern vielmehr das Ende des philosophischen Prozesses darstellen. In derselben Argumentationsform unterscheidet Schelling zwischen der „wahren“ Religion und den „falschen“ Religionen: Auch die wahre Religion ist erst am Ende bekannt.42 Zum zweiten sind für Schelling, genau wie oben für Schleiermacher ausgeführt, Gefühle bei aller Direktheit zugleich immanent komplex; sie richten sich nicht auf einzelne Sachverhalte, sondern auf komplexe Zusammenhänge. Der umfassende Horizont-Charakter des Gefühls wird beispielsweise im sogenannten „Psychologischen Schema“ in Schellings Stuttgarter Privatvorlesungen ausdrücklich betont.43 Das Gefühl wird hier verbunden zum einen mit dem „Reale[n] des Menschen“, auf der anderen Seite wird ganz klar ausgesprochen, dass dieser Bezug auf eine Realität nicht den Ausgangspunkt eines Prozesses, sondern eher die Beschreibung eines noch zu vollziehenden Projektes darstellt: „Das Gemüth [dem das Gefühl zugeordnet ist] ist eigentlich das Reale des Menschen, mit und in welchem er alles auswirken soll“44. Interessanterweise wird das „Gefühl“ hier nicht mehr als unmittelbar, sondern als das Medium, der Ort, aber auch das Werkzeug umschrieben, mit dem der Mensch aktiv werden und produzieren kann. Diese Charakterisierung des Gefühls erinnert deutlich an eine Terminologie, die Schelling schon früher entwickelt hatte, ebenfalls am Schnittpunkt zwischen Methodenbegriffen und Vermögen: nämlich seine Diskussion der „Konstruktion“ als des umfassenden „Womit“, des umfassenden Kontextes, in dem sich Erkenntnisproduktion vollzieht.45 Diese Erkenntnismethode ist kein Verfahren, das auf von außen angelieferte Daten angewandt werden könnte. Die epistemische Qualität des Gefühls, kritisch unhinterfragbar zu SW I, 10, 227; vgl. bereits SW I, 7, 99. SW II, 3, 182. 43 Vgl. dazu Vicki Müller-Lüneschloss, Über das Verhältnis von Natur und Geisterwelt. Ihre Trennung, ihre Versöhnung, Gott und den Menschen. Eine Studie zu F. W. J. Schellings „Stuttgarter Privatvorlesungen“ (1810) nebst des Briefwechsels Wangenheim – Niederer – Schelling der Jahre 1809/1810, Stuttgart-Bad Cannstatt 2012. 44 SW I, 7, 466. 45 Zu Schellings Begriff der Konstruktion vgl. Paul Ziche, „Das System als Medium. Mediales Aufweisen und deduktives Ableiten bei Schelling“, in: Christian Danz / Jürgen Stolzenberg (Hgg.), System und Systemkritik um 1800, Hamburg 2011, 147–168. 41 42
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sein, wird nicht mehr in seiner Direktheit, sondern in seiner Umfassendheit verortet. Schellings Analyse des Gefühls erfordert eine durchgreifende Revision der Rolle der Aktivität bzw. der Passivität. Gefühle sind nicht länger unmittelbare und passive Reaktionen auf Eindrücke, sie werden eingebettet in komplexe Handlungskontexte. Umgekehrt: im Fundament aller Wissenschaften wird die Passivität installiert. Das grundlegende Argument ist einfach: Wenn wir Tatsachen erfassen wollen, müssen wir vor allem dafür sorgen, dass die Tatsachen nicht entstellt werden, indem ein subjektiver Eingriff sich den Tatsachen überlagert. Wir müssen passiv sein in dem Sinne, dass der Wissenschaftler offenstehen muss für die Dinge, wie sie an sich selbst sind, oder, anders formuliert, wie sie sich uns offenbaren.46 Während für Kant die Synthesis die höchstrangige Aktivität innerhalb der Erkenntniskonstitution war und entsprechend auch am meisten Begründungsbedarf erzeugte, ist für Schelling die Individuation eines komplexen Erfahrungsfeldes der problematischste Schritt.47 Auf der anderen Seite darf Schellings Plädoyer für die Passivität nicht bedeuten, dass wir alle Formen von Aktivität aufgeben müssen und lediglich abwarten müssen, bis sich die Tatsachen offenbaren. Das Gegenteil ist der Fall: Schelling sieht sehr genau, wie viel und wie komplexe Tätigkeit erforderlich ist, um passiv sein und Offenbarungen aufnehmen zu können. Entdeckungen können, wie Schelling wiederholt betont, nicht zufällig gemacht werden.48 Genau diese „Zufälligkeit“ verbindet er wiederholt mit einem Vertrauen auf „bloße Gefühle“; was er fordert, ist mithin eine Form ‚höherer Gefühle‘, die dem Gefühl einen Charakter der Notwendigkeit – oder, anders formuliert, Anteil am traditionell dem Begriff vorbehaltenen Begründungsdiskurs – gibt. Solche Gefühle müssen Resultat einer umfassenden Vermittlung sein. Für Schelling sind Wissen und „Glauben“ engstens verbunden, aber nur dann, 46 Auch
hier bietet sich ein Vergleich mit aktuellen Debatten an: John McDowell charakterisiert einen „minimal empiricism“ durch eine „openness to the world“, die nur erzielt werden kann, indem Rezeptivität und Spontaneität integriert werden (John McDowell, Mind and World. With a New Introduction, Cambridge / London 1994). Es wäre lohnend, Schellings Argumentationen im Detail mit denen von McDowell zu vergleichen. 47 Vgl. Paul Ziche, „‚Höherer Empirismus‘. Passive Wissenschaft, letzte Tatsachen und experimentelle Philosophie bei F. W. J. Schelling“, Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus / International Yearbook of German Idealism 8 (2010), 165–184 (= Höherer Empirismus). 48 Mehr Detail hierzu in Paul Ziche, „Passive Wissenschaft. Schellings Wissenschaftsphilosophie in der Zeit der Stuttgarter Privatvorlesungen“, in: Lore Hühn / Philipp Schwab (Hgg.), System, Natur und Anthropologie. Zum 200. Jubiläum von Schellings Stuttgarter Privatvorlesungen, Freiburg/München 2014, 121–139.
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wenn das Wissen gerade nicht als unmittelbar aufgefasst wird; hierin liegt letztlich seine Kritik an Jacobi: „wo mittelbares Wissen ist, ist nothwendig auch Glauben […], und Glauben [zeigt sich] eben vorzüglich im mittelbaren Wissen“49. Anhand eines historischen Verweises gibt Schelling, in einer linguistic-turn-artigen Formulierung, ein Beispiel für die Zuschreibung eines Glaubens, die nur als Resultat von Handlungen, also als Produkt von Vermittlungen zu begreifen ist: „Könnten wir sagen: Columbus habe an diesen Welttheil geglaubt, wenn er die spanische Küste nie verlassen hätte?“50 Ein Glaube bewahrheitet sich im Vollzug, nicht als erster Ausgangspunkt. Eine andere Illustration kommt aus dem Bereich der Kunst: Ein Bildhauer muss die Zuversicht, auf einem Glauben basierend, haben, dass das noch zu produzierende Monument im Marmorblock enthalten ist, obwohl der Künstler dieses nicht direkt wahrnehmen kann.51 Dieses Beispiel ist von besonderem Interesse, zeigt es doch, dass die Zuversicht des Bildhauers lediglich als Resultat langer Erfahrung zu rechtfertigen ist und dass das Objekt dieser Zuversicht eben als eingebettet in komplexe Handlungsketten verstanden wird. Das Standbild ist nicht einfach da, dennoch kann seine Anwesenheit – unter der Voraussetzung hinreichender Erfahrung – mit großer epistemischer Sicherheit ausgesprochen werden. Obwohl nicht sinnlich wahrnehmbar, ist es bereits Produkt von Erfahrung, aber nicht im Sinne des idealismuskritisch angeprangerten „Herausspinnens“, sondern im Sinne einer harten Realität, die dennoch nicht unabhängig von der kreativen Tätigkeit des Künstlers existiert. In genau denselben Begrifflichkeiten analysiert Schelling auch das wissenschaftliche Experiment. Schelling verbindet immer wieder die epistemische Tugend der „Zuversicht“ mit dem Glauben.52 Das Beispiel des Bildhauers gibt diese epistemische Haltung genau wieder: Es geht hier nicht um die bloße Feststellung, dass die Skulptur im Marmorblock enthalten sei; „Zuversicht“ konnotiert auch einen auf die Zukunft gerichteten Prozess, in dem der Gegenstand der Zuversicht auch real gemacht werden kann, ohne dass hiermit allerdings absolute Gewissheit einherginge. Schelling beschreibt in seiner späten und spätesten Philosophie zwei Prozesse der Wirklichkeitsvergewisserung im Zusammenspiel von Denken und unmittelbaren Erkenntnisformen. In beiden Fällen zielt er darauf ab, den Unterschied zwischen Diskursivität und Unmittelbarkeit zu überwinden, wie bereits in den Beispielen des Entdeckungsreisenden Columbus und des zuversichtlichen Bildhauers. In der Darstellung des philosophischen Empi SW I, 10, 183. Eine ausführliche Analyse in Ziche, Höherer Empirismus. SW I, 10, 183. 51 Ebd. 52 Siehe z. B. SW I, 19, 183; I, 6, 559; I, 8, 185. 49 50
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rismus müssen Tatsachen ausgemittelt werden in einem Prozess, in dem „das für sich schrankenlose Seyn“ durch Zutun des Subjekts individuiert wird.53 Die Darstellung der reinrationalen Philosophie argumentiert anders: „Die Dinge in ihrer Wahrheit erkennen wir nur, wenn es uns möglich geworden, sie bis in den durch das reine Denken gesetzten Zusammenhang zu verfolgen, ihnen dort ihre Stelle anzuweisen.“54 In beiden Fällen werden die subjektive Erkenntnishandlung und ein umfassender Kontext des Erkennens wie des zu Erkennenden miteinander verbunden. Das Zitat aus der Darstellung der reinrationalen Philosophie ist dabei insofern überraschend, als hier das reine Denken an demjenigen systematischen Ort zu stehen kommt, der – um zu Schleiermacher zurückzukehren – eher mit dem Vermögen des Anschauens in Verbindung gebracht wird; hier ist es das Denken, das hier durch den Zusatz „rein“ als subjektübersteigend gekennzeichnet wird, das einen umfassenden Horizont setzt. Hieraus folgt, dass dieser Unterschied als lediglich scheinbar zu erweisen sein wird. Denken und Anschauen werden, wie alle Erkenntnisvermögen des Menschen, funktional zu bestimmen sein und nur in ihrer Interaktion – die, was auch hier niemals aufgegeben wird, nicht deduzierender Art sein darf – zum Verständnis von Erkenntnis und Wirklichkeit hinreichen. Auch wo Schelling in der Darstellung der reinrationalen Philosophie einen Gegensatz zwischen „Gefühl“ und „feinerem Sinn“ einerseits, dem Bewusstsein andererseits anzunehmen scheint, bleibt deutlich, dass das Bewusstsein nicht der deduzierende Ausgangspunkt diskursiven Erkennens sein kann: „was Gefühl und feinerer Sinn aus unmittelbarer Wirklichkeit zu schöpfen weiß“, ist nur solange von Bedeutung, als nicht „ein erhöhtes und erweitertes Bewußtseyn wieder ein Verhältniß zu den großen Kräften und Mächten gewonnen hat“,55 wie es im Altertum bereits und noch vorlag. Die Philosophie der Offenbarung gibt Begrifflichkeiten an die Hand, um diese Überlegungen direkt in religions‑ (und auch religionen‑)philosophische Kontexte zu übertragen. Zur Erklärung des Seins muss man über das Sein hinausgehen. Schelling findet in den einleitenden methodologischen Vorlesungen der Philosophie der Offenbarung eine Formulierung für dasjenige, was in dieser Weise dem Sein vorausliegt, und verbindet dieses einerseits mit typischen Erkenntnisvermögen, zum anderen mit dem Eintauchen in einen größeren Kontext: „Die Vernunft äußert sich im Gefühl der allgemeinen Temperatur, in die die Dinge gesetzt sind – sie ist das Gefühl einer 53
SW I, 10, 246. SW II, 1, 363. 55 SW II, 1, 240. 54
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allgemeinen Spannung. Man sieht wohl, daß die Vernunft eine Temperatur sei, die sich über alles erstreckt, und sich nur im menschlichen Bewußtsein ausdrückt.“56 Das „reine Denken“ der Darstellung der reinrationalen Philosophie und das Anschauen und Ahnden kommen hier zusammen; das reine Denken wird in Schutz genommen gegen den Vorwurf, inhaltsleer zu sein; im Gegenteil, es wird – genau wie in der Darstellung gefordert – „das Allerbestimmteste“, das „Wirklichste“57, im Modus der Wirklichkeit, wie er dem Realismusdiskurs zugrunde lag. Auch der Gegensatz zwischen reinem Denken und Bestimmungen des Gefühls verfällt. Schelling möchte, programmatisch formuliert, Bestimmtwerden, Bestimmbarsein und Bestimmen in einer plausiblen Phänomenologie verbinden.58 Auf diese Weise kann dann auch, wieder in einer Formulierung der Philosophie der Offenbarung, ein „ursprünglich reales Verhältnis zu Gott“ gedacht werden.59 Realismus bedeutet: dem Gefühl vertrauen zu können, und Schelling sucht – genau wie Schleiermacher – nach der epistemischen Unterbauung für eine solche Haltung.
IV. Realismus und Religionsphilosophie um 1800 Ein Begriff wie „Realismus“ liegt um 1800 noch nicht als eine etablierte Beschreibungskategorie für Formen von Philosophie vor; in den Diskussionen um den Idealismus etabliert sich ein solcher Begriff allererst in einer Weise, die dann zu großskaligen Unterteilungen und Abgrenzungen von Weisen des Philosophierens führt. In den hier skizzierten Debatten lassen sich einige, aus heutiger Sicht, überraschende Wendungen konstatieren. Schellings Behandlung des Gefühls macht die im Titelzitat benannte Unbeschreiblichkeit der Wirklichkeit zu einer Errungenschaft, nicht zu einem Defizit. Gerade die Wahl seiner illustrierenden Beispiele zeigt deutlich, dass die epistemische Haltung des Glaubens, von Schelling spezifiziert zur „Zuversicht“, die Grundlage unserer besten Verfahren zum Kenntniserwerb in den Wissenschaften und in den großen Entdeckungen bildet und zugleich Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Urfassung der Philosophie der Offenbarung, hg. von Walter E. Ehrhardt, Teilband 1, Hamburg 1992, 20 f. – Vgl. hierzu Malte D. Krüger, „Verborgene Verborgenheit. Zur trinitarischen Theorie des Absoluten beim späten Schelling“, Ars disputandi Supplement Series 2 (2005), 125–159, v. a. 129. Es verdient angemerkt zu werden, dass „Temperatur“ – im Sinne von ‚richtiger Mischung‘ und ‚musikalischer Stimmung‘ – nach dem Ausweis des Grimmschen Wörterbuchs ein bereits erstaunlich lange etablierter Terminus der Deutschen Sprache ist. 57 SW II, 1, 361. 58 Vgl. SW II, 3, 185. 59 SW II, 3, 191. 56
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der künstlerischen Produktivität zugrunde liegt. Hierzu werden Gefühl und Verstand ineinander überführt, ohne jedoch, in welcher Richtung auch immer, aufeinander reduziert zu werden: Ein „höherer Realismus“ ist, bei Schelling wie bei Schleiermacher, auf der Suche nach neuartigen Kennzeichnungen der menschlichen Erkenntnisvermögen. Der Begriff der „epistemischen Tugend“, intensiv diskutiert in den aktuellen Gebieten der virtue epistemology und der science studies, ist in besonderer Weise geeignet, den Status der Diskussionen zum Realismus um 1800 zu klären. Gegenüber traditionellen Analysen der Erkenntnisformen werden dem „Glauben“ oder der „Zuversicht“ in der Tat Aspekte von Tugenden zuerkannt, während diese Tugenden zugleich als methodische Grundlage von Wissenschaft fungieren und darüber hinaus die Brücke zur Religion zu schlagen beanspruchen. Wahrheiten der Religion werden in diesen Operationen einerseits das Paradigma einer subjekttranszendenten Wirklichkeit, andererseits bleiben sie verbunden mit epistemischen Haltungen.60 Eine Aufwertung des Gefühls muss in diesem Kontext nicht einem Sentimentalismus oder Sensualismus das Wort reden, sondern kann wissenschaftsbegründend und religionsversichernd auftreten.
Literaturverzeichnis Frank, Manfred, „‚Der schwere Schritt in die Wirklichkeit‘. Über das Werden eines frühromantischen Realismus“, Athenäum. Jahrbuch für Romantik 17 (2007), 13–31. Jacobi, Friedrich Heinrich, David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, in: ders., Werke, Bd. 2, hg. von Friedrich Roth / Friedrich Köppen, Leipzig 1815, 1–310 (= Hume). Jaeschke, Walter, „Eine Vernunft, welche nicht Vernunft ist. Jacobis Kritik der Aufklärung“, in: Walter Jaeschke/Birgit Sandkaulen (Hgg.), Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, Hamburg 2004, 199–216. Korsch, Dietrich, „‚Höherer Realismus‘. Schleiermachers Erkenntnistheorie der Religion in der Zweiten Rede“, in: Ulrich Barth/Claus-Dieter Osthövener (Hgg.), 200 Jahre „Reden über die Religion“, Berlin/New York 2000, 609–628. Krüger, Malte D., „Verborgene Verborgenheit. Zur trinitarischen Theorie des Absoluten beim späten Schelling“, Ars Disputandi Supplement Series 2 (2005), 125–159. McDowell, John, Mind and World. With a New Introduction, Cambridge / London 1994. 60 Innerhalb dieses Rahmens bleibt ausreichend Spielraum, um unterschiedliche Formen von Realismus voneinander abzugrenzen und die Polemik beispielsweise von Jacobi gegen Schelling zu verorten. Zugleich stellt sich eine Vielzahl weiterführender Fragen, die hier nicht weiter verfolgt werden können: Auf welcher Grundlage können die unterschiedlichen Realismuskonzeptionen auseinandergehalten werden? Wie muss man die Veränderungen im Übergang zu späteren Konzeptionen von Realismus umschreiben?
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Müller-Lüneschloss, Vicki, Über das Verhältnis von Natur und Geisterwelt. Ihre Trennung, ihre Versöhnung, Gott und den Menschen. Eine Studie zu F. W. J. Schellings „Stuttgarter Privatvorlesungen“ (1810) nebst des Briefwechsels Wangenheim – Niederer – Schelling der Jahre 1809/1810, Stuttgart-Bad Cannstatt 2012. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Sämmtliche Werke, hg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart/Augsburg 1856–1861 (= SW). Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Urfassung der Philosophie der Offenbarung, hg. von Walter E. Ehrhardt, Teilband 1, Hamburg 1992. Schlegel, Friedrich, „Gespräch über die Poesie“, in: Athenäum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, Bd. 3, Stück 1 (1800), Reprint Darmstadt 1992, 58–128 (= Gespräch). Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in: ders., Kritische Gesamtausgabe, hg. von Hans-Joachim Birkner u. a., Bd. I/2, Berlin/New York 1984, 185–326 (= Religion). Ziche, Paul, „‚Höherer Empirismus‘. Passive Wissenschaft, letzte Tatsachen und experimentelle Philosophie bei F. W. J. Schelling“, Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus / International Yearbook of German Idealism 8 (2010), 165–184 (= Höherer Empirismus). Ziche, Paul, „Das System als Medium. Mediales Aufweisen und deduktives Ableiten bei Schelling“, in: Christian Danz/Jürgen Stolzenberg (Hgg.), System und Systemkritik um 1800, Hamburg 2011, 147–168. Ziche, Paul, „Empiricism, Aposteriori Kantianism, and ‚Abfall‘: Historiography of Philosophy in the Propaedeutics of Schelling’s Würzburger System“, Schelling-Studien 2 (2014), 83–102. Ziche, Paul, „Passive Wissenschaft. Schellings Wissenschaftsphilosophie in der Zeit der Stuttgarter Privatvorlesungen“, in: Lore Hühn/Philipp Schwab (Hgg.), System, Natur und Anthropologie. Zum 200. Jubiläum von Schellings Stuttgarter Privatvorlesungen, Freiburg /München 2014, 121–139. Ziche, Paul, „Romantik, Realismus und Idealismus um 1800“, erscheint in: Helmut Hühn / Joachim Schiedermair (Hgg.), Europäische Romantik: Interdisziplinäre Perspektiven der Forschung, Berlin/New York 2015 (= Romantik, Realismus, Idealismus).
Religion und Religionen beim frühen Schelling Jan Rohls Der frühe Schelling arbeitet seine eigene Religionsphilosophie in Reaktion auf jene Konzeption der Religion aus, die Schleiermacher in seinen 1799 anonym erschienenen Reden Über die Religion. An die Gebildeten unter ihren Verächtern entwickelt. Seine Kritik an Schleiermacher ist insofern wegweisend, als sie die Grundlage abgibt für die Kritik, die der objektive Idealismus, allen voran Hegel, allgemein an dem reformierten Theologen übt. Zu Schellings Kritik an Schleiermachers allgemeiner Bestimmung der Religion mit ihrer strikten Unterscheidung von Religion und Spekulation tritt eine abweichende Behandlung der verschiedenen Religionen, auch wenn Schelling das Spektrum der in den Blick genommenen Religionen gegenüber Schleiermacher, der allein Judentum und Christentum miteinander vergleicht, nur um die griechische Religion bereichert. Ich werde im Folgenden zunächst auf Schellings Kritik an der Religionstheorie der Reden und Schleiermachers Reaktion darauf eingehen, um mich schließlich dem Verhältnis von Religion, Mythologie und Kunst bei Schelling zuzuwenden.
1. Schellings Schleiermacherkritik In einem Brief, in dem er ihm 1799 von dem Frühromantikertreffen in Jena berichtet, setzt Friedrich Schlegel den befreundeten Schleiermacher von Schellings Reaktion auf dessen Reden Über die Religion in Kenntnis. Angesichts der begeisterten Reaktion von Novalis habe Schelling „einen neuen Anfall von seinem alten Enthusiasmus für die Irreligion bekommen“, woraufhin er „ein epikureisch Glaubensbekenntnis in Hans Sachs Goethes Manier entworfen“ habe1. Sowohl der romantischen Frömmigkeit Hardenbergs wie auch der Aufwertung der als Anschauung und Gefühl des Universums bestimmten Religion bei Schleiermacher steht Schelling zu diesem Zeitpunkt ablehnend gegenüber. 1 Manfred Frank/Gerhard Kurz (Hgg.), Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen, Frankfurt a. M. 1975, 185 (= Materialien).
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„Weiß nicht wie sie’s können treiben,/ Von Religion reden und schreiben; / Mag über solchem Zeug nicht brüten,/ Will denn unter sie hineinwüten / Und mir nicht von den hohen Geistern/ Lassen Verstand und Sinn verkleistern, / Sondern behaupte zu dieser Frist,/ Daß nur das wirklich und wahrhaft ist,/ Was man kann mit den Händen betasten,/ Was zu begreifen nicht Not tut fasten.“2
Die Religionsbegeisterten redeten zwar viel, bewiesen aber nichts. „Füllen mit großen Worten die Ohren,/ Ist weder gesotten noch gegoren,/ Sieht aus wie Phantasie und Dichtung,/ Ist aller Poesie Vernichtung./ Könnens nicht anders von sich geben und sagen,/ Als wie sie’s in sich fühlen und tragen.“3 Daher sieht sich Schelling ermutigt, ein ebenso subjektives Bekenntnis abzulegen wie die begeisterten Apologeten der Religion. Epikureisch ist dieses Bekenntnis, weil er die Materie als das einzig Wahre gelten lässt. Es ist daher ein Bekenntnis zur Sinnlichkeit, die sich nicht nur auf den Bereich des Erotischen erstreckt: „Mein einzig Religion ist die / Daß ich liebe ein schönes Knie“4. Vielmehr bestimmt sie auch sein Verhältnis zu den positiven Religionen, unter denen für ihn, wenngleich er ohne eine solche auskomme, nur der alte sinnenfreudige Katholizismus in Frage käme. Doch inzwischen sei selbst der Katholizismus infiziert durch aufgeklärte Vernunft und Sittlichkeit. „Drum hab‘ ich aller Religion entsagt,/ Keine mir jetzt mehr behagt,/ Geh weder zur Kirch noch Predigt,/ Bin alles Glaubens rein erledigt“.5 Die einzige Religion also, die Schelling für sich gelten lässt, ist die epikureische Verehrung der Natur, die sein Herz rührt und ihn zur Dichtung beflügelt. Darum wäre nur eine solche positive Religion die rechte, die sich in Hieroglyphen in der Natur, in Steinen, Moosgeflechten, Blumen, Metallen und ähnlichem offenbaren würde. Eine solche positive Religion gibt es aber Schelling zufolge nicht, und schon gar nicht lässt sich das Christentum auf eine derartige Naturoffenbarung zurückführen. „Wollte gern vor dem Kreuz mich neigen,/ Wenn ihr mir einen Berg könnt zeigen, / Darin dem Christen zum Exempel/ War von Natur erbaut ein Tempel“.6 Da ein solcher Berg aber nicht existiere, wolle er sich „nicht lassen narren,/ Sondern in Gottlosigkeit verharren“.7 Von der Ewigkeit der Welt überzeugt, sei er daher auch aller Furcht vor dem jüngsten Tag samt Endgericht ledig und könne, statt sich ins Universum zu verlieren, sich unbekümmert der Geliebten zuwenden.
Frank / Kurz (Hgg.), Materialien, 145. Frank / Kurz (Hgg.), Materialien, 146. 4 Frank / Kurz (Hgg.), Materialien, 147. 5 Frank / Kurz (Hgg.), Materialien, 148. 6 Ebd. 7 Frank / Kurz (Hgg.), Materialien, 149. 2 3
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Das in Knittelversen abgefasste Credo, ein Bekenntnis zur materiellen Natur und Sinnlichkeit, blieb wohl, um seinen Verfasser nicht auch noch in den damals tobenden Atheismusstreit hineinzuziehen, zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht. Nur einen unverfänglichen Teil des Gedichts publizierte Schelling selbst unter dem Titel Noch etwas über das Verhältnis der Naturphilosophie zum Idealismus anonym 1800 in der Zeitschrift für spekulative Physik. Zeitlich fällt das Gedicht zusammen mit der Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. Unter der Naturphilosophie versteht Schelling eine spekulative Physik, die anders als die empirische Physik nicht mechanisch und atomistisch verfährt, sondern von der Identität zwischen dem Geist in uns und der Natur außer uns ausgeht. „Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn.“8 Das setzt voraus, dass der Geist auf doppelte Art existiert und wirkt, nämlich „entweder blind und bewußtlos, oder frei und mit Bewußtsein produktiv“, bewusstlos in der Natur, mit Bewusstsein hingegen im Erschaffen der ideellen Welt.9 Die Natur wird als ein sich selbst strukturierendes und organisierendes, daher immanent zweckmäßig, teleologisch verfasstes Ganzes verstanden und so als bestimmt durch einen in ihr bewusstlos wirkenden Geist. Schelling beruft sich in seiner Einleitung zu den Ideen zu einer Philosophie der Natur von 1797 auf die platonische Vorstellung von der Weltseele und die von Leibniz vertretene These der Allbeseelung. So „wurde der menschliche Geist frühzeitig auf die Idee einer sich selbst organisirenden Materie geführt und, weil Organisation nur in Bezug auf einen Geist vorstellbar ist, auf eine ursprüngliche Vereinigung des Geistes und der Materie in diesen Dingen“.10 Die Philosophie hebe den Gegensatz von Natur und Geist auf, insofern sie die bewusstlose oder reelle Tätigkeit der Natur als ursprünglich identisch mit der bewussten oder ideellen setze. Daher kann Schelling sagen, „daß es eine bewußtlose, aber der bewußten ursprünglich verwandte Produktivität ist, deren bloßen Reflex wir in der Natur sehen, und die auf dem Standpunkt der natürlichen Ansicht als ein und derselbe blinde Trieb erscheinen muß, der von der Krystallisation an bis herauf zum Gipfel organischer Bildung (wo er auf der einen Seite durch den Kunsttrieb wieder zur bloßen Krystallisation zurückkehrt) nur auf verschiedenen Stufen wirksam ist.“11
Es ist diese für seine Naturphilosophie grundlegende Auffassung, dass der Geist in der anorganischen Natur ebenso wirksam ist wie im Menschen, in dem er zu sich selbst kommt, die Schelling auch in dem von ihm publizierten 8 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1985, 294 (= Ausgewählte Schriften). 9 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 339. 10 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 284. 11 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 340.
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Teil seines epikureischen Glaubensbekenntnisses vertritt. Von der Natur heißt es dort: „Steckt zwar ein Riesengeist darinnen, / Ist aber versteinert mit seinen Sinnen“.12 Von diesem bewusstlosen Geist heißt es: „In toten und lebend’gen Dingen/ Tut nach Bewußtsein mächtig ringen“.13 Dieses Ringen gelangt erst im Menschen an sein Ziel. „In einen Zwergen eingeschlossen/ Von schöner Gestalt und graden Sprossen,/ Heißt in der Sprache Menschenkind,/ Der Riesengeist sich selber find’t./ Vom eisernen Schlaf, vom langen Traum/ Erwacht, sich selber erkennet kaum, / Über sich gar sehr verwundert ist,/ Mit großen Augen sich grüßt und mißt“.14 Der in der Natur bewusstlos wirkende Geist, den Schelling auch als Gott bezeichnen kann, wird sich somit im Menschen seiner selbst bewusst. Aufgrund dieser Identität des Geistes in der Natur und im Menschen wehrt er sich auch gegen die Abwertung der Natur von Seiten der Religion. Denen, die sich durch die Religion von der Begeisterung von der Natur abbringen lassen, rät er in Anspielung auf Friedrich Schlegels soeben erschienenen erotischen Roman, auf einem „Sofa mit einem schönen Kinde/ Zu explizieren die Lucinde“15. Schelling beließ es allerdings nicht bei dieser satirischen Reaktion auf Schleiermachers Reden. Vielmehr finden sich bei ihm schon bald Spuren einer Schleiermacherrezeption, die allerdings einhergeht mit einer sachlichen Kritik. Zu den Spuren der Rezeption gehört die Übernahme und häufige Verwendung des Begriffs der Anschauung des Universums, der für Schellings Identitätssystem zentral wird. Schleiermacher hatte diesen Begriff ja gewählt, um gegenüber dem subjektiven Idealismus Fichtes einen – wie er sagte – höheren Realismus zu propagieren. Wenn er die als Anschauung und Gefühl des Universums bestimmte Religion von der Metaphysik abgrenzt, dann meint er mit der Metaphysik die Transzendentalphilosophie in ihrer durch Fichte radikalisierten Form. Denn von ihr heißt es in der zweiten Rede: sie „deduziert die Notwendigkeit des Wirklichen, sie entspinnet aus sich selbst die Realität der Welt und ihre Gesetze“.16 Die Religion habe aber gerade nicht die Tendenz, Wesen zu setzen und begehre nicht, das Universum seiner Natur nach zu bestimmen. „Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüssen will sie sich in kindlicher Passivi Frank / Kurz (Hgg.), Materialien, 149. Frank / Kurz (Hgg.), Materialien, 150. 14 Ebd. 15 Frank / Kurz (Hgg.), Materialien, 152. 16 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Stuttgart 1969, 42 (die Seitenangaben beziehen sich auf die Erstausgabe von 1799) (= Reden). 12 13
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tät ergreifen und erfüllen lassen.“17 Gegenüber dem subjektiven Idealismus, für den das Universum eine Setzung des Ich ist, geht der höhere Realismus Schleiermachers von einem Handeln, einem Einfluss des Universums auf den Anschauenden aus.18 Denn „das Universum ist in einer ununterbrochenen Tätigkeit und offenbart sich uns jeden Augenblick“.19 Mit der Anschauung des Universums ist dabei eine Anschauung gemeint, die weder als sinnliche auf einzelne Gegenstände in Raum und Zeit noch als intellektuelle auf das Ich, sondern auf das als Universum bezeichnete eine unendliche Ganze, das All-Eine gerichtet ist. Schleiermacher beruft sich dafür ausdrücklich auf Spinoza, den er gerade wegen seines Ausgangs vom Universum vor dem Vorwurf des Atheismus rettet und für heilig erklärt. Die Stoßrichtung gegen den subjektiven Idealismus Fichtes teilt Schelling mit Schleiermacher ebenso wie dessen Verehrung für Spinoza. Seine Übernahme von Schleiermachers Begriff der Anschauung des Universums fällt in jene Zeit, als er das Nebeneinander von Transzendentalphilosophie und Naturphilosophie zugunsten der Ausarbeitung seines Identitätssystems preisgibt, das von einer totalen Indifferenz des Subjektiven und Objektiven ausgeht, als die Schelling die absolute Vernunft fasst. „Ich nenne Vernunft die absolute Vernunft, oder die Vernunft, insofern sie als totale Indifferenz des Subjektiven und Objektiven gedacht wird.“20 Um sie als absolut zu denken, muss vom Denkenden abstrahiert werden, so dass sie weder etwas Subjektives noch etwas Objektives, sondern absolute Identität des Subjektiven und Objektiven ist. Wird sie aber absolut gedacht, so kann außer ihr nichts und muss alles in ihr sein. Die Vernunft ist somit das Absolute und damit zugleich die absolute Totalität. „Denn sie ist alles, was ist, selbst, oder: sie kann von allem, was ist, nicht getrennt gedacht werden […] Sie ist also nur als alles, d. h. sie ist absolute Totalität. […] Universum nenne ich die absolute Totalität.“21 Wie Schleiermacher denkt Schelling das Absolute spinozistisch als identisch mit dem Universum. Denn es bestehe „die wahre Philosophie in dem Beweis, daß die absolute Identität (das Unendliche) nicht aus sich selbst herausgetreten, und alles, was ist, insofern es ist, die Unendlichkeit selbst sey, ein Satz, welchen von allen bisherigen Philosophen nur Spinoza erkannt hat“.22 Allerdings Schleiermacher, Reden, 50. Vgl. Schleiermacher, Reden, 55. 19 Schleiermacher, Reden, 56. 20 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, „Darstellung meines Systems der Philosophie“, in: F. W. J. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, hrsg. von Manfred Frank, Frankfurt a. M. 1985, 47 (= Darstellung). 21 Schelling, Darstellung, 57. 22 Schelling, Darstellung, 52. 17 18
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besteht zwischen Schleiermacher und Schelling ein gravierender Unterschied im Verständnis dessen, was beide Anschauung des Universums nennen. Schelling verleiht dem von ihm schon früher gebrauchten Anschauungsbegriff in den 1802 erschienenen Ferneren Darstellungen aus dem System der Philosophie eine neue Bedeutung, wenn er erklärt: „Die intellektuelle Anschauung […] als unveränderliches Organ, ist die Bedingung des wissenschaftlichen Geistes überhaupt und in allen Theilen des Wissens. Denn sie ist das Vermögen überhaupt, das Allgemeine im Besonderen, das Unendliche im Endlichen, beide zur lebendigen Einheit vereinigt zu sehen.“23
Anders als Schleiermacher spricht Schelling von der intellektuellen Anschauung, und er verleiht diesem Begriff eine neue, von Fichte abweichende Bedeutung, die an Spinozas intuitive Vernunft als der höchsten Form der Erkenntnis erinnert, die alles Endliche im Absoluten erkennt. Dementsprechend heißt es bei Schelling: „Nur für die Vernunft ist ein Universum, und etwas vernünftig begreifen heißt: es zunächst als organisches Glied des absoluten Ganzen, im nothwendigen Zusammenhang mit demselben, und dadurch als einen Reflex der absoluten Einheit begreifen“.24 Die Identitätsphilosophie führt somit zu einer Neuinterpretation des Begriffs der intellektuellen Anschauung, die dazu führt, dass Schelling von einer intellektuellen Anschauung des Universums sprechen kann. Von dieser neu gewonnenen Position aus nimmt er dann in den Jenaer Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums vom Sommer 1802 auf Schleiermachers Position in der Erstauflage der Reden Bezug, allerdings ohne den Autor namentlich zu nennen. Er spricht dort von einem äußeren Gegensatz, den die Philosophie in der Religion gefunden habe. „Nicht in dem Sinn, in welchem zu anderer Zeit Vernunft und Glauben im Widerstreit vorgestellt wurden, sondern in einem, neueren Ursprungs, nach welchem Religion als reine Anschauung des Unendlichen, und Philosophie, welche als Wissenschaft notwendig aus der Identität derselben herausgeht, entgegengesetzt werden.“25
Damit zeigt sich, dass Schelling, auch wenn er von einer Anschauung des Universums spricht, diese als intellektuelle Anschauung und damit in einer völlig anderen Weise als Schleiermacher versteht. Würde man Schleiermacher folgen, so 23 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling , „Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie“, in: F. W. J. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, hrsg. von Manfred Frank, Frankfurt a. M. 1985, 106 (= Fernere Darstellung). 24 Schelling, Fernere Darstellung, 134. 25 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, hrsg. von Walter E. Ehrhardt, Hamburg 1974, 71 f. (= Vorlesungen).
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„würde der höchste Zustand des Geistes in bezug auf das Absolute ein so viel möglich bewußtloses Brüten oder ein Stand der gänzlichen Unschuld sein müssen, in welchem jenes Anschauen sich sogar selbst nicht als Religion begriffe, weil damit schon Reflexion und ein Herausgehen aus der Identität gesetzt wäre.“26
Es ist somit der Vorwurf des Subjektivismus, den Schelling gegen Schleiermachers Bestimmung der Religion als Anschauung des Universums vorbringt. Er stellt es so dar, als sei diese Subjektivierung der Anschauung des Absoluten eine Reaktion auf die Philosophie, was zwar so nicht stimmt, aber grundsätzlich durchaus zutreffend ist. „Nachdem also die Philosophie die Idee des Absoluten hergestellt, von der Beschränkung der Subjektivität befreit und in objektiven Formen, soweit ihr dies verstattet ist, darzustellen versucht hat, ist jenes als ein neues und gleichsam das letzte Mittel der Subjektivierung ergriffen worden, die Wissenschaft zu verachten, weil diese allgemeingültig, der Formlosigkeit entgegengesetzt, und mit Einem Wort, weil sie Wissenschaft ist.“27
Schelling hält es für ein Zeichen des zeitgenössischen Diletantismus, dass man das Absolute, da es für die Philosophie unerkennbar sei, in den Bereich der Religion abdränge. Er spielt auf Schleiermachers Reden an, wenn er emphatisch ausruft: „Preis denen, die das Wesen der Religion neu verkündet, mit Leben und Energie dargestellt und ihre Unabhängigkeit von Moral und Philosophie behauptet haben!“28 Doch das Lob ist ironisch gemeint, denn er selbst hält die Trennung von Philosophie und Religion für verfehlt, da er die Erkenntnis im Sinne der intellektuellen Anschauung des Absoluten gerade als höchste Aufgabe der Philosophie ansieht. Alles, was die Religion als rein subjektives Vermögen zu erreichen vermöge, sei „jene Harmonie mit sich selbst, die zur innern Schönheit wird“29. Doch „diese auch objektiv, es sei in Wissenschaft oder Kunst, darzustellen, ist eine von jener bloß subjektiven Genialität sehr verschiedene Aufgabe“.30 Schelling lehnt somit Schleiermachers Bestimmung der Religion als je individueller Anschauung des Unendlichen im Endlichen und damit auch seine Verwendung des Anschauungsbegriffs als subjektivistisch ab und sieht es statt dessen als Aufgabe der Identitätsphilosophie an, in intellektueller Anschauung das Unendliche im Endlichen zu erkennen. Die Philosophie als Wissenschaft allen Wissens ist mit ihrem Gegenstand identische unmittelbare Vernunftanschauung oder intellektuelle Anschauung. Diese ist die „schlechthin und in jeder Beziehung absolute Erkenntnisart […], welche das Urwissen unmittelbar und an sich Schelling, Vorlesungen, 72. Ebd. 28 Ebd. 29 Schelling, Vorlesungen, 73. 30 Ebd. 26 27
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selbst zum Grund und Gegenstand“ hat.31 „Ohne intellektuelle Anschauung keine Philosophie!“32, bemerkt Schelling resümierend. Die Philosophie ist für Schelling die oberste Wissenschaft. In ihr „ist alles eins und ursprünglich verknüpft, Natur und Gott, Wissenschaft und Kunst, Religion und Poesie“.33 Sie ist die „unmittelbare Darstellung und Wissenschaft des Urwissens selbst, aber sie ist es nur ideal, nicht real. Könnte die Intelligenz, in Einem Akt des Wissens, das absolute Ganze, als ein in allen Teilen vollendetes System real begreifen, so hörte sie eben damit auf endlich zu sein, sie begriffe Alles wirklich als Eines, aber sie begriffe eben deswegen Nichts als Bestimmtes.“34
Die reale Darstellung des Urwissens unterscheidet sich von der Philosophie durch das Element des Konkreten und kann gleichfalls niemals in einem einzelnen Menschen, sondern nur in der Menschheit als Gattung realiter eins werden. Das wirkliche Wissen ist daher die sukzessive Offenbarung des Urwissens. In diesem als Urwissen gefassten Absoluten sind das Subjektive und das Objektive identisch. „Wird nun das Absolute als dasjenige aufgefasst, was an sich reine Identität, aber als diese zugleich das notwendige Wesen der beiden Einheiten ist, so haben wir damit den absoluten Indifferenzpunkt der Form und des Wesens aufgefasst, denjenigen, von dem alle Wissenschaft und Erkenntnis ausfließt.“35 Das Absolute erscheint aber auf zweifache Weise, nämlich erstens als Einbildung der ewigen Einheit in die Vielheit, der Unendlichkeit in die Endlichkeit, das heißt als Natur, und zweitens als Einbildung der Vielheit in die ewige Einheit, der Endlichkeit in die Unendlichkeit, das heißt als geistige Welt. Die Philosophie betrachtet die Natur und die geistige Welt nur in der Absolutheit und also nur in ihrer idealen, nicht in ihrer realen Entgegensetzung. Aber der innere Organismus des Absoluten und damit auch der Philosophie als der idealen Darstellung des als Urwissen gefassten Absoluten muss sich auch in dem äußeren Organismus oder System der Wissenschaften ausdrücken. Denn „der äußere Schematismus ihrer Trennung und ihrer Vereinigung muss doch wieder nach dem Bild des innern Typus der Philosophie entworfen sein“.36 Im inneren Organismus der Philosophie müssen jedoch drei Momente unterschieden werden. Erstens handelt es sich um den absoluten Indifferenzpunkt, in dem reale und ideale Welt als identisch erblickt werden, zweitens um die ideal ent Schelling, Vorlesungen, 48. Schelling, Vorlesungen, 49. 33 Schelling, Vorlesungen, 73. 34 Schelling, Vorlesungen, 74. 35 Schelling, Vorlesungen, 75. 36 Schelling, Vorlesungen, 77. 31 32
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gegengesetzten Ausdrucksweisen des Absoluten zum einen als natürliche, reale und zum andern als geistige, ideale Welt. „Es wird also auch der äußere Organismus des Wissens vorzüglich auf drei voneinander geschiedenen und doch äußerlich verbundenen Wissenschaften beruhen.“37 Auf diese Weise leitet Schelling die Wissenschaften der drei oberen Fakultäten der Universität aus dem Organismus der Philosophie ab. Während nämlich die Wissenschaft der Natur in Gestalt der Wissenschaft des Organismus, also die Medizin, der realen und die Wissenschaft der Geschichte in Gestalt der Wissenschaft des Rechts, also die Jurisprudenz, der idealen Seite der Philosophie entspricht, ist die Theologie „die unmittelbare Wissenschaft des absoluten und göttlichen Wesens“, „welche den absoluten Indifferenzpunkt objektiv darstellt“.38 Die Theologie verobjektiviert somit das Innerste der Philosophie und ist daher die oberste Wissenschaft innerhalb der drei Fakultäten. Für Schelling ist die Theologie die höchste Synthese des philosophischen und des historischen Wissens, wobei sie eine zu ihrem Wesen gehörende und nur ihr eigentümliche Beziehung zur Geschichte hat. Diese Beziehung wird deutlich, wenn man das Christentum mit der paganen griechischen Religion vergleicht. Dabei übernimmt Schelling den Universums‑ und Anschauungsbegriff aus Schleiermachers Reden, wenn er erklärt, „dass in dem Christentum das Universum überhaupt als Geschichte, als moralisches Reich, angeschaut wird, und dass diese allgemeine Anschauung den Grundcharakter desselben ausmacht“39. Verglichen damit ist die griechische Mythologie „eine geschlossene Welt von Symbolen der Ideen, welche real nur als Götter angeschaut werden können“40. Das bedeutet, dass in der griechischen Religion das Unendliche nur im Endlichen, in der begrenzten Göttergestalt angeschaut wird. Umgekehrt ist es in der christlichen Religion, „die auf das Unendliche unmittelbar an sich selbst geht, in welcher das Endliche nicht als Symbol des Unendlichen, zugleich um seiner selbst willen, sondern nur als Allegorie des ersten und in der gänzlichen Unterordnung unter dasselbe gedacht wird“41. In diesem Fall ist dasjenige, worin die Ideen des Christentums objektiv werden, selbst eine unendliche Welt und die Gestalten sind anders als die griechischen Götter keine ewigen Naturwesen, sondern historische Gestalten, in denen sich das Göttliche nur vorübergehend offenbart. Daher schaut das Christentum das Universum als Geschichte an. Der Übergang 37
Ebd. Ebd. 39 Schelling, Vorlesungen, 81. 40 Schelling, Vorlesungen, 81 f. 41 Schelling, Vorlesungen, 82. 38
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von der griechischen zur christlichen Religion kommt aber zustande durch Christus als menschgewordenen Gott. „Auch er verendlicht in sich das Göttliche […] und steht als eine von Ewigkeit zwar beschlossene, aber in der Zeit vergängliche Erscheinung da, als Grenze der beiden Welten; er selbst geht zurück ins Unsichtbare, aber er verheißt statt seiner nicht das ins Endliche kommende, im Endlichen bleibende Prinzip, sondern den Geist, das ideale Prinzip, welches vielmehr das Endliche zum Unendlichen zurückführt.“42
Aus der Tatsache, dass das Christentum das Universum derart als Geschichte anschaut, leitet Schelling die Notwendigkeit einer historischen Konstruktion des Christentums ab. „Eine solche Konstruktion ist schon an sich selbst nur der höhern Erkenntnisart möglich, welche sich über die empirische Verkettung der Dinge erhebt; sie ist also nicht ohne Philosophie, welche das wahre Organ der Theologie als Wissenschaft ist, worin die höchsten Ideen von dem göttlichen Wesen, der Natur als dem Werkzeug und der Geschichte als der Offenbarung Gottes objektiv werden.“43
Schelling ist also einerseits der Meinung, dass die Theologie als Wissenschaft der Philosophie bedürfe, und er vertritt andererseits die Auffassung, dass nur mit deren Hilfe, also auf spekulativem Weg eine historische Konstruktion des Christentums möglich sei. Diese Konstruktion des Christentums bezeichnet er zudem als die wahre Vernunftreligion und grenzt sie von der kantischen Vernunftreligion ab, die zugunsten der Moral gerade das Historische aus dem Christentum entferne. „Die wahre Vernunftreligion ist, einzusehen, dass nur zwei Erscheinungen der Religion überhaupt sind, die wirkliche Naturreligion, welche notwendig Polytheismus im Sinn der Griechen ist, und die, welche, ganz sittlich, Gott in der Geschichte anschaut.“44 Schelling beschließt seine neunte Vorlesung, die dem Studium der Theologie gewidmet ist, mit der Aussage, dass die Philosophie „mit dem wahrhaft spekulativen Standpunkt auch den der Religion wieder errungen“ habe.45
2. Schleiermachers Reaktion Schelling gelangt somit in Abgrenzung von Schleiermachers Reden zu einer völlig anders gearteten Auffassung der Religion. Zwar übernimmt er von Schleiermacher die Charakterisierung der Religion als Anschauung des Uni Schelling, Vorlesungen, 86. Schelling, Vorlesungen, 93. 44 Ebd. 45 Schelling, Vorlesungen, 99. 42 43
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versums. Aber um die Objektivität der religiösen Anschauung zu sichern, verbindet er die Religion mit der Philosophie zu dem, was er als wahre Vernunftreligion bezeichnet. Bei Schleiermacher diagnostiziert er hingegen das Absinken der Religion in die reine Subjektivität. Das ist letztlich dieselbe Beurteilung der Schleiermacherschen Religionstheorie, wie sie sich fast zeitgleich in Hegels Abhandlung Glauben und Wissen findet, die 1803 in dem von Schelling herausgegebenen Kritischen Journal der Philosophie erschien. Dort interpretiert Hegel Schleiermachers Bestimmung der Religion als höchste Potenzierung der Subjektivitätsphilosophie Jacobis. Zwar erkennt er es bei Schleiermacher als positiv an, dass der kantische Dualismus von Subjekt und Objekt, Erscheinung und Ding an sich, in der Anschauung des Universums grundsätzlich überwunden sei. Es sei „die Scheidewand zwischen dem Subjekt oder dem Erkennen und dem absoluten unerreichbaren Objekte niedergerissen, der Schmerz im Genuss versöhnt, das endlose Streben aber im Schauen befriedigt“.46 Aber – und darin besteht Hegel zufolge Schleiermachers Fehler – es „soll diese Subjekt-Objektivität der Anschauung des Universums doch wieder ein Besonderes und Subjektives bleiben“47. Es soll die subjektive Eigenheit der Anschauung des Universums statt vertilgt vielmehr festgehalten werden. Hegel stimmt also in dem gegen Schleiermacher gerichteten Subjektivitätsvorwurf, den er zu diesem Zeitpunkt am Anschauungsbegriff der Reden festmacht, mit Schelling völlig überein. Schleiermacher selbst bezieht zwar, ohne dessen Namen zu erwähnen, am Schluss seiner Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre 1803 grundsätzlich Stellung gegen Schelling, indem er die Einseitigkeit von dessen Naturphilosophie kritisiert. Aber zu einer näheren Auseinandersetzung mit dem Philosophen kommt es erst, als er 1804 in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung Schellings Methodenschrift rezensiert. Dabei ist es gerade Schellings Bestimmung der Funktion der Theologie, die er vehement ablehnt, weil in seinen Augen das als absolute Identität gefasste Absolute, der Indifferenzpunkt, selbst nicht Gegenstand einer realen Wissenschaft sein könne. Reales Wissen ist für ihn charakterisiert durch „Trennung und Absonderung“, die aber in der Wissenschaft vom absoluten göttlichen Wesen keinen Platz habe. Daher könne das Absolute sich auch nicht – wie Schelling annimmt – „sukzessiv an sich offenbaren“, da es in der Sphäre der Nicht-Absolutheit „nur getrennt unter der Gestalt der beiden relativ entgegensetzten“ erscheinen könne. Aus diesem Grund zerfalle bei Schelling
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Glauben und Wissen, Hamburg 1962, 89. Ebd.
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„die Religion notwendig in Christentum und Mythologie, von denen jenes eine Anschauung Gottes sei der Geschichte als dem Idealen, diese in der Natur als dem Realen. So dass durch keine von beiden der Indifferenzpunkt, die Als-Eins-Erblickung des Idealen und Realen objektiviert werden kann, sondern dieses nur durch ein anderes Wissen geschehen konnte, welches jene beiden Religionen als Eins erblickte. Dieses Wissen kommt zwar hier auch gelegentlich vor, und heißt auch Religion, nämlich reine Vernunftreligion, aber doch nicht Anschauung, wie sonst die Religion hier durchgängig charakterisiert wird, sondern Einsicht, und möchte überhaupt wohl seiner Natur nach reinphilosophisch sein, und nichts historisches an sich haben.“48
Schleiermacher wendet gegen Schelling also nicht nur ein, dass das Absolute als absolute Indifferenz nicht Gegenstand einer realen Wissenschaft sein könne, da Wissen sich immer in Differenzen bewege. Sondern er wirft ihm auch vor, den Religionsbegriff zweideutig zu fassen, nämlich einmal im Sinn der Reden als Anschauung des Universums und zum andern im Sinn einer reinen Vernunftreligion, das heißt aber letztlich im Sinne von philosophischer Einsicht. Damit identifiziere Schelling aber die Religion mit der Theologie als Wissen. Da dies seinem eigenen Religionsbegriff widerspricht, muss Schleiermacher das Konzept einer philosophischen Vernunftreligion ablehnen. Und da das Absolute als absolute Indifferenz für ihn kein Gegenstand einer realen Wissenschaft ist, muss er die Aufgabe der Theologie anders bestimmen als Schelling. So erklärt er denn auch, „daß die Theologie nicht in dem Sinne, wie die andern beiden eine reale Wissenschaft sein kann, ein ihnen gleichartiges, nur durch seinen Gegenstand verschiedenes Wissen, auch nicht sich zu ihnen verhalten, wie die Objektivierung des Indifferenzpunktes zur Objektivierung der differentierten Seiten; sondern vielmehr hat sie den Gegenstand mit ihnen gemein, zeigt sich aber als eine ganz verschiedene Behandlung desselben.“49
Das bedeutet, dass in diesem Fall zwar auch ein Bezug zum Absoluten oder Urwissen vorliegt, der aber nicht als Wissen charakterisiert werden kann. Sondern „reale Wissenschaften sind nur die Darstellungen der beiden Relationen für sich […] also die historische Konstruktion der geistigen Welt, und die historische Konstruktion der Natur, welche beide zusammen, eben insofern sie als real Eins angesehen werden können […] auch die reale Darstellung des Urwissens ausmachen. Und zwar die ganze und die einzige, weil die sukzessive Offenbarung des Urwissens in der realen und idealen Welt die absolute Form des Absoluten erschöpfte.“50
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Schriften, hrsg. von Andreas Arndt, Frankfurt a. M. 1996, 281 f. (= Schriften). 49 Schleiermacher, Schriften, 282. 50 Schleiermacher, Schriften, 283. 48
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Die Natur‑ und die Geschichtswissenschaft sind somit die einzigen realen Wissenschaften. Die Kunst und die Religion ergänzen hingegen Schleiermacher zufolge diese beiden Gestalten des realen Wissens, „um auch in dem einzelnen relativen die Trennung vom Absoluten aufzuheben, und so unmittelbar den Zentralpunkt herzustellen“.51 Bei der Kunst handelt es sich um „die Darstellung des Absoluten auch im einzelnen relativen durch Ineinsbildung des Idealen und Realen auch in bestimmten Erscheinungen“, bei der Religion hingegen um die „Darstellung auch des einzelnen relativen im Absoluten, indem nämlich das einzelne Endliche, sei es nun ideal oder real, unmittelbar im Unendlichen geschauet wird, in welchem von selbst und immer das Ideale und Reale als Eins und Dasselbe erblickt werden muß“.52 Schleiermacher sieht es demgegenüber als den entscheidenden Fehler Schellings an, die Religion als „Anschauung des Unendlichen im Endlichen oder umgekehrt“ mit der „Theologie als Wissenschaft des absoluten göttlichen Wesens“ zu identifizieren.53 Diese Identifikation kommt jedoch dadurch zustande, dass Schelling den Begriff der Anschauung anders als Schleiermacher, nämlich im Sinne der intellektuellen Anschauung, gebraucht. Für Schleiermacher resultiert die Selbständigkeit der Religion hingegen daraus, dass er die Anschauung des Universums, als die er sie definiert, von der metaphysischen Erkenntnis unterscheidet. Der Vorwurf gegen Schelling lautet daher, dass er die Selbständigkeit der als Anschauung gefassten Religion gegenüber der philosophischen Erkenntnis aufhebe. Schleiermacher lehnt somit Schellings Konzeption einer auf intellektueller Anschauung des Absoluten beruhenden philosophischen Grundlagenwissenschaft ab. Zwar bestreitet er nicht die Notwendigkeit einer philosophischen Grundlagenwissenschaft, die die Wissenschaft der Natur und Geschichte, Physik und Ethik, fundiert. Aber sie kann nicht in der intellektuellen Anschauung des Absoluten bestehen und so philosophische Theologie sein. Bis Schleiermacher zur Ausarbeitung einer eigenen Grundlagenwissenschaft gelangt, die er dann im Anschluss an Platon, den er ab 1804 übersetzt, als „Dialektik“ bezeichnet, sollte zwar noch ein halbes Jahrzehnt vergehen. Erste Ideen über die Fundierung von Physik und Ethik als den beiden Realwissenschaften finden sich aber bereits in seiner Neuauflage der Reden, die 1806 erscheint und in der er seine ursprüngliche Religionstheorie einer Revision unterzieht. Dieser Revision fällt die Bestimmung der Religion als Anschauung des Universums zum Opfer, weil der Anschauungsbegriff 51
Ebd. Schleiermacher, Schriften, 283 f. 53 Schleiermacher, Schriften, 284. 52
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es nicht länger erlaubt, die Eigenständigkeit der Religion gegenüber dem philosophischen Erkennen herauszustellen, wird er doch von Schelling zur Bezeichnung der philosophischen Erkenntnis des Absoluten verwendet. Statt die Religion weiterhin als Anschauung des Universums zu bestimmen, definiert Schleiermacher sie nunmehr ausschließlich als Gefühl, während der Gefühlsbegriff in der ersten Auflage der Reden nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. Das Sein alles Endlichen im Unendlichen „suchen und finden in allem was lebt und sich regt, in allem Werden und Wechsel, in allem Thun und Leiden und das Leben selbst nur haben und kennen im unmittelbaren Gefühl als dieses Sein, das ist Religion“.54 Die als Gefühl bestimmte Religion wird von der Beschreibung des Gefühls durch Begriffe und der Reflexion über das Gefühl unterschieden, weil dies „die wissenschaftliche Behandlung der Religion ist, das Wissen um sie, nicht sie selbst, und […] die Beschreibung für die Frömmigkeit unmöglich in gleichem Range stehen kann mit dem beschriebenen Gefühle selbst“.55 Religion zu haben heißt vielmehr, „Alles im Gefühl uns Bewegende in seiner höchsten Einheit als Eins und dasselbe zu fühlen, und alles Einzelne und Besondere nur hiedurch vermittelt, also unser Sein als ein Sein in Gott, und als ein Leben in Gott unser Leben“ zu fühlen56. Wird der Gefühlsbegriff somit für die Religion reserviert, so der Anschauungsbegriff für die Wissenschaft. In der ersten Auflage der Reden hatte Schleiermacher noch wie folgt zwischen Moral, Metaphysik und Religion unterschieden: „Praxis ist Kunst, Spekulation ist Wissenschaft, Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche“.57 Dagegen heißt es in der zweiten Auflage: „Wahre Wissenschaft ist vollendete Anschauung; wahre Praxis ist selbsterzeugte Bildung und Kunst; wahre Religion ist Empfindung und Geschmakk für das Unendliche“.58 Auch wenn Schleiermacher keine intellektuelle Anschauung des Absoluten kennt, kommt er Schelling doch zumindest insoweit entgegen, als er nunmehr das Wissen durch den Anschauungsbegriff bestimmt. Die Momente, „worin die Dinge ihr Dasein in Euch hervorbringen als Anschauung, diese gewiß nennt Ihr […] Euer wissenschaftliches Leben“.59 Grundsätzlich verfolgt Schleiermacher mit der zweiten Rede in der zweiten Auflage denselben Zweck wie in der ersten. Er möchte, dass auch die Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Über die Religion, 2. Aufl., Berlin 1806, 60. Vgl. 77. (= Religion) 55 Schleiermacher, Religion, 2. Aufl., 79. 56 Schleiermacher, Religion, 2. Aufl., 84. 57 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Über die Religion, 1. Aufl., Berlin 1799, 52 f. 58 Schleiermacher, Religion, 2. Aufl., 65. 59 Schleiermacher, Religion, 2. Aufl., 76. 54
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Gebildeten unter den Verächtern der Religion sich „über ihre Bedeutung einigen, und ihre höhere Natur anerkennen“.60 Dazu möchte er ihnen die Religion „in ihrer ursprünglichen eigenthümlichen Gestalt“ zeigen.61 Allerdings grenzt er sie jetzt terminologisch zunächst nicht ab von Metaphysik und Moral, sondern er wendet sich dagegen, die Religion zu betrachten als „Denkungsart“ oder „Handlungsweise“, als etwas „Theoretisches“ oder „Praktisches“.62 Das Handeln unterteilt er in Leben und Kunst. Das Leben gilt als bestimmt durch die Pflicht gegenüber dem Sittengesetz, während in der Kunst Phantasie und Genie herrschen. Die Religion ist aber weder identisch mit dem moralischen noch mit dem künstlerischen Handeln. Das Denken unterteilt Schleiermacher in zwei Wissenschaften, nämlich erstens in Physik oder Metaphysik, die die Natur der Dinge oder die Vorstellungen des Menschen von den Dingen beschreibt, und zweitens in Ethik, Pflichtenlehre oder praktische Philosophie, die lehrt, was der Mensch in der Welt tun soll. Doch die Religion ist auch mit keiner dieser beiden Wissenschaften identisch. Auch wenn die Religion faktisch niemals rein vorkommt, muss man sie, um ihr eigentümliches Wesen zu bestimmen, von diesen beiden Wissenschaften unterscheiden, das heißt aber von – wie Schleiermacher erst jetzt in Übereinstimmung mit der ersten Auflage sagt – Metaphysik und Moral. Da er aber Metaphysik gleichsetzt mit Physik und Moral mit Ethik, heißt dies, dass die Religion eine eigene Größe darstellt gegenüber Physik und Ethik als den beiden Formen von Wissenschaft. Selbst wenn man die Physik nicht nur als deskriptive Erfassung der Gesetze der Natur bestimmt, sondern sie aufsteigen lässt „zu dem höchsten und allgemeinen Ordner, in welchem die Einheit zu Allem ist“, also zu Gott, hat die Religion es mit diesem Wissen gar nicht zu tun.63 Denn „die Betrachtung des Frommen ist nur das unmittelbare Bewußtsein von dem allgemeinen Sein alles Endlichen im Unendlichen und durch das Unendliche, alles Zeitlichen im Ewigen und durch das Ewige. Dieses suchen und finden in allem, was lebt und sich regt, in allem Werden und Wechsel, in allem Thun und Leiden und das Leben selbst im unmittelbaren Gefühl nur haben und kennen als dieses Sein, das ist Religion.“64
Die Religion ist ein „Leben in der unendlichen Natur des Ganzen, im Einen und Allen, in Gott, habend und besizend Alles in Gott und Gott in Allem“.65 Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe, Berlin/New York 1980 ff. (= KGA), I/12,
60
42. 61
Ebd. KGA I/12, 43. 63 KGA I/12, 52. 64 KGA I/12, 53. 65 Ebd. 62
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Als dieses Leben im unmittelbaren Bewusstsein und Gefühl ist die Religion vom Wissen und Erkennen sowohl der Welt als auch Gottes unterschieden. Allerdings erkennt die Religion – wie Schleiermacher hinzufügt – dieses Wissen und Erkennen gleichwohl auch als Offenbarung des Unendlichen im Endlichen durchaus an. Ebenso wenig wie mit der Metaphysik oder Physik als der Wissenschaft von der Natur ist die Religion aber identisch mit der Ethik oder Sittenlehre, der Wissenschaft vom Handeln. Denn der religiöse Mensch betrachtet zwar „das menschliche Handeln, aber seine Betrachtung ist gar nicht die, aus welcher jenes System entsteht, sondern er sucht und spürt in Allem dasselbige, nämlich das Handeln aus Gott, die Wirksamkeit Gottes in den Menschen“.66 Wohl wird der Religiöse kein anderes Handeln als göttlich ansehen als dasjenige, das im wahren Moralsystem als sittlich qualifiziert wird, doch er bildet als Religiöser selbst kein Moralsystem aus, da dies Sache der Wissenschaft ist. Was schließlich das Handeln im Unterschied zum Wissen, also das Praktische im Unterschied zum Theoretischen angeht, so grenzt Schleiermacher auch hier die Religion sowohl von der Kunst als auch von der Sittlichkeit ab. Denn anders als Kunst und Sittlichkeit hat die Religion oder Frömmigkeit auch eine leidende Seite; „sie erscheint auch als ein Hingeben, ein sich Bewegenlassen von dem Ganzen, welchem der Mensch gegenübersteht“.67 Aus dieser doppelten Abgrenzung gegenüber dem Theoretischen wie dem Praktischen ergibt sich, dass die Religion weder eine „Denkungsart“ noch eine „Handlungsweise“ ist. „So behauptet sie denn ihr eigenes Gebiet und ihren eigenen Charakter nur dadurch, daß sie aus dem der Wissenschaft sowol als aus dem der Praxis gänzlich herausgeht, und indem sie sich neben beide hinstellt, wird erst das gemeinschaftliche Feld vollkommen ausgefüllt und die menschliche Natur von dieser Seite vollendet. Sie zeigt sich Euch als das nothwendige und unentbehrliche Dritte zu jenen beiden, als ihr natürliches Gegenstük, nicht geringer an Würde und Herrlichkeit.“68
Schleiermacher glaubt hiermit die Selbständigkeit der Religion, was ihr Wesen angeht, hinreichend begründet zu haben. Abgesehen von der Ausführlichkeit der Begründung unterscheidet sich in dieser Hinsicht die zweite Auflage der Reden nicht von der ersten. Gerade der letzte Satz ist direkt aus der ersten Auflage übernommen. In der ersten Auflage schließt sich daran der Satz an, dass es verwegener Übermut sei, Spekulation und Praxis haben zu wollen ohne Religion. In der zweiten Auflage wird auch dies ausführ66
Ebd. KGA I/12, 54. 68 KGA I/12, 54 f. 67
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licher begründet. Schleiermacher bestreitet hier erstens, „es könnte etwa Einer Religion haben und fromm sein, dabei aber unsittlich“, zweitens, „daß Einer sittlich sein kann ohne Religion“ und drittens, dass „Einer wahrhaft wissenschaftlich sein kann ohne fromm“.69 Viertens aber behauptet er, es könne „der Fromme zwar wol unwissend sein, aber nie falsch wissend“.70 Wer religiös ist, ist demnach immer auch sittlich, so wie umgekehrt derjenige, der sittlich ist, immer auch religiös ist. Ebenso ist derjenige, der wissend ist, auch immer religiös, während umgekehrt nur gilt, dass derjenige, der religiös ist, zwar nicht immer auch wissend, wohl aber niemals falsch wissend ist. Dass der Religiöse auch unwissend sein kann, wird hingegen nicht als Nachteil angesehen. Vielmehr schützt Schleiermacher zufolge die sokratische Einsicht in das Nichtwissen vor dem Scheinwissen, so dass Frömmigkeit und Nichtwissen sich nicht widersprechen. Schleiermacher vertritt in der zweiten Auflage die Auffassung, dass Handeln und Wissen ihre Einheit in der Religion haben. An dieser Stelle findet sich der bereits zitierte und gegenüber der Erstauflage abgewandelte Satz: „Wahre Wissenschaft ist vollendete Anschauung; wahre Praxis ist selbsterzeugte Bildung und Kunst; wahre Religion ist Empfindung und Geschmakk für das Unendliche. Eine von jenen haben zu wollen ohne diese, oder sich dünken lassen man habe sie so, das ist eine verwegene übermüthige Täuschung, ein frevelnder Irrthum.“71
Damit ist Schleiermacher bei der für die Zweitauflage der Reden entscheidenden These angelangt. Sowohl Wissenschaft als auch Handeln, das heißt aber sowohl Theorie als auch Praxis, setzen Religion als Einheitsgrund voraus. Denn die Wissenschaft ist das Sein der Dinge im Menschen, das Handeln das Sein des Menschen in den Dingen. Die Theorie ist das Sein der Natur in der Vernunft, die Praxis das Sein der Vernunft in der Natur. Beides setzt aber voraus „die ewige Einheit der Vernunft und Natur“.72 Diese Einheit bezeichnet Schleiermacher auch als „das allgemeine Sein alles Endlichen im Unendlichen“.73 Und von diesem Sein wiederum heißt es, dass es unmittelbar im Menschen lebt. „Darum werdet Ihr jeden wahrhaft Wissenden auch andächtig finden und fromm, und wo Ihr Wissenschaft seht ohne Religion, da glaubt sicher, sie ist entweder nur übertragen und angelernt, oder sie ist krankhaft in sich, wenn sie nicht gar jenem leeren Schein selbst zugehört.“74 Gemeint ist dabei mit der Wissenschaft nicht nur die Physik, sondern auch 69
KGA I/12, 55. Ebd. 71 KGA I/12, 56. 72 KGA I/12, 57. 73 Ebd. 74 Ebd. 70
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die Ethik. Beide setzen, um wahre Wissenschaft zu sein, Religion voraus. Religion haben bedeutet aber, dass die ewige Einheit von Vernunft und Natur unmittelbar im Menschen lebt. Oder – wie Schleiermacher es so nur in der Zweitauflage formuliert –: „Wenn der Mensch nicht in der unmittelbaren Einheit der Anschauung und des Gefühls Eins wird mit dem Ewigen, bleibt er in der abgeleiteten des Bewußtseins ewig getrennt von ihm.“75 Die Religion als Einheitsgrund von Theorie in Gestalt von Physik und Ethik und Praxis in Gestalt von Sittlichkeit und Kunst ist somit das Einswerden mit der ewigen Einheit von Vernunft und Natur in der unmittelbaren Einheit von Anschauung und Gefühl. Wie in der Erstauflage erblickt er für diese Verankerung der Theorie in der Religion in Spinoza das Vorbild, das er dem transzendentalen Idealismus Fichtescher Provenienz gegenüberstellt. Ergänzend erinnert er, was die entsprechende Verankerung der Praxis, in diesem Fall speziell der Kunst, in der Religion angeht, an den kurz zuvor verstorbenen Novalis. Um die Einheit wie die Verschiedenheit von Theorie, Praxis und Religion oder – wie es heißt – Wissenschaft, Kunst und Religion zu begreifen, verweist Schleiermacher auf das, was er „das innerste Heiligtum des Lebens“ nennt, in dem sich „das ursprüngliche Verhältniß des Gefühls und der Anschauung“ finde.76 Jedes Gegenstandsbewusstsein setzt danach einen Moment des Bewusstseins voraus, in dem das Ich und der Gegenstand derart eins sind, dass zwischen der Anschauung des Gegenstands und dem Gefühl des Ich nicht unterschieden werden kann. Es handelt sich um ein „Ineinandergeflossen‑ und Einsgewordensein von Sinn und Gegenstand, ehe noch jedes an seinen Ort zurükkehrt“.77 Ab der dritten Auflage fügt Schleiermacher hinzu: „und der Gegenstand wieder losgerissen vom Sinn Euch zur Anschauung wird und Ihr selbst wieder losgerissen vom Gegenstand Euch zum Gefühl werdet“.78 Dem Begriff des Gegenstandes korrespondiert somit der Anschauungs-, dem des Sinns der Gefühlsbegriff. Theorie und Praxis, Wissen und Handeln setzen die ursprüngliche Einheit von Anschauung und Gefühl voraus. Sowohl das Wissen als auch das Handeln zielen auf das Einswerden mit dem Universum durch einen Gegenstand. Das Wissen oder Erkennen kommt zustande, indem der Gegenstand durch Anschauung und Gefühl in den Menschen eintritt, das Handeln, indem der durch Anschauung und Gefühl auf bestimmte Weise geprägte Mensch auf den Gegenstand einwirkt, wobei das Leben im Wechsel von Wissen und Handeln besteht. Für das Zustandekommen des Wissens oder Erkennens ist dabei die Anschauung 75
Ebd. KGA I/12, 58. 77 KGA I/12, 60. 78 Ebd. 76
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des Gegenstandes entscheidend, die Schleiermacher daher auch als „wissenschaftliches Leben“79 bezeichnen kann. Das Gefühl ordnet er hingegen der Religion zu, die er auf diese Weise vom Erkennen und Handeln, von Theorie und Praxis abgrenzt. Während Schleiermacher in der Erstauflage die Religion durch die Begriffe Gefühl und Anschauung definiert, ist die Sachlage in der Zweitauflage komplexer. Da er hier einerseits präziser begründen will, warum es Wissenschaft und Handeln in Wirklichkeit nicht ohne Religion gibt, nimmt er die Religion als einen Einheitsgrund von Wissenschaft und Handeln an, in dem Anschauung und Gefühl, ohne die er das Zustandekommen weder von Wissen noch von Handeln erklären kann, ursprünglich eins sind. Da er aber andererseits den Anschauungsbegriff der Wissenschaft zuordnet, bleibt für die Bestimmung des Wesens der Religion nur noch der Gefühlsbegriff übrig. „Euer Gefühl insofern es Euer und des Universum gemeinschaftliches Sein und Leben auf die beschriebene Weise ausdrükt, insofern Ihr die einzelnen Momente desselben habt als Wirken Gottes in Euch durch das Universum, dies ist Eure Frömmigkeit, und was einzeln als in diese Reihe gehörig hervortritt, das sind nicht Eure Werke und Handlungen oder die verschiedenen Gebiete Eures Handelns, sondern lediglich Eure Empfindungen sind es, und die Einwirkungen oder Handlungsweisen des Universum denen sie entsprechen. Dies sind ausschließend die Elemente der Religion.“80
Zwar kann man sich als Fühlender auch selbst Gegenstand der Betrachtung werden und so zur Bildung religiöser Begriffe und Grundsätze gelangen. Aber diese „wissenschaftliche Behandlung der Religion“ als Beschreibung der Frömmigkeit ist nicht das Gefühl selbst.81 Sobald die wissenschaftliche Behandlung der Religion über eine Beschreibung der religiösen Gefühle hinausgeht und in die Natur oder Substanz der Dinge einzudringen versucht, wird sie hingegen zur leeren Mythologie oder verderbliche Mystik. Es ist zwar das Wesen der Religion, „alles im Gefühl uns Bewegende in seiner höchsten Einheit als Eins und dasselbe zu fühlen, und alles Einzelne und Besondere nur hiedurch vermittelt, also als ein Sein in Gott, und als ein Leben in Gott unser Leben. Aber die Gottheit dann wieder als ein Abgesondertes und einzelnes hinzustellen, das ist schon nur eine Bezeichnung. Manchen eine unentbehrliche, Vielen eine willkommene, wiewol immer unvollkommen von der nur die gemeine Sprache vielleicht nie loskommen kann. Diese nun aber gar als eine Erkenntniß zu behandeln, und so das abgesonderte Sein Gottes vor der Welt und außer der Welt, aber für die Welt als Wissenschaft durch die Religion oder in der Religion auszubilden und darzustellen, das vorzüglich ist gewiß in der Religion nur leere Mythologie.“82 79
KGA I/12, 63. KGA I/12, 63 f. 81 KGA I/12, 65. 82 KGA I/12, 68 f. 80
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Um die wesensmäßige Selbständigkeit der Religion gegenüber Wissen und Handeln zu sichern, bestimmt er sie also gegenüber der Erstauflage ausschließlich als Gefühl. Um ihre Funktion als Einheitsgrund von Wissen und Handeln herauszustellen, greift er hingegen auf die Bestimmung der Erstauflage zurück und charakterisiert sie als ursprüngliche Einheit von Anschauung und Gefühl. In dem ursprünglichen Moment des Bewusstseins, das Schleiermacher als religiös charakterisiert, sind Anschauung und Gefühl noch nicht voneinander geschieden, so dass auf dieser Ebene auch noch nicht von Wissen oder Erkenntnis gesprochen werden kann. Sobald sich aber gegenständliches Wissen oder Erkennen in der Zeit ausbildet, wird die ursprüngliche Einheit von Anschauung und Gefühl aufgehoben. Die Anschauung macht dann das Wesen der Wissenschaft aus, während das Wesen des Religion auf das Gefühl beschränkt wird. Gegenüber der Erstauflage bedeutet dies in der Tat einen Neuansatz. Denn nicht nur wird jetzt die Religion wesensmäßig als Gefühl bestimmt, sondern die ursprüngliche Einheit von Anschauung und Gefühl, die in der Erstauflage für den ersten geheimnisvollen Augenblick als Geburtsstunde alles Lebendigen in der Religion angenommen wurde, wird in der Zweitauflage zwar auch der Religion zugerechnet, aber zugleich als Grundlage allen Wissens und Handelns angesehen. Wenn Schleiermacher sich in der Zweitauflage des Anschauungsbegriffs bedient, um das Wissen zu charakterisieren, so hat das seinen Grund darin, dass Schelling das höchste philosophische Wissen als intellektuelle Anschauung bezeichnet hatte und der Anschauungsbegriff somit anders als der Gefühlsbegriff nicht mehr dazu taugt, die Religion vom Wissen abzugrenzen, zumal Schelling darüber hinaus die religiöse Anschauung noch mit der Vernunftreligion identifiziert. Die Tatsache, dass Schleiermacher in der Zweitauflage der Reden das Wissen durch den Anschauungsbegriff definiert, darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass er damit keineswegs Schellings Konzeption einer auf intellektueller Anschauung basierenden obersten Philosophie übernimmt. Vielmehr geht er nach wie vor aus von dem in seinen Augen in Physik und Ethik vollständig vorhandenen realen Wissen, das allerdings eine erste Philosophie als Grundlage voraussetzt. In seiner 1807/08 in Berlin gehaltenen Ethik-Vorlesung spricht er von einer ersten oder reinen Philosophie als „der Erkenntnis, von der alle andern abhängen, in einer solchen Form, daß alle wissenschaftlichen Formen in ihr als ihrem letzten Grunde beruhen“.83 In seinen Gelegentlichen Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn von 1808 gliedert Schleiermacher dann die „ganze natürliche Organisation der Wissenschaft“ in „die reine 83
KGA II/10,1, XIV.
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transcendentale Philosophie und die ganze naturwissenschaftliche und geschichtliche Seite“.84 Allerdings soll die Form der jetzt als Transzendentalphilosophie bezeichneten obersten Philosophie – wie es nun gegen Schelling gewendet heißt – „nicht die leere Form der Speculation“ sein, sondern diese Philosophie soll die Einsicht entwickeln „in die Nothwendigkeit und den Umfang alles realen Wissens, damit von Anfang an der vermeinte Gegensaz zwischen Vernunft und Erfahrung, zwischen Speculation und Empirie vernichtet, und so das wahre Wissen nicht nur möglich gemacht, sondern seinem Wesen nach wenigstens eingehüllt gleich mit hervorgebracht werde.“85
Diese oberste Philosophie bezeichnet Schleiermacher seit 1810 als Dialektik. Die Aufgabe der Dialektik ist es also, die Möglichkeit und die Bedingungen des in Physik und Ethik gegebenen realen Wissens aufzuzeigen. Sie kann daher nicht von dem realen Wissen losgelöst werden und als Wissen des Absoluten und damit als absolutes Wissen gefasst werden. Zwar übernimmt Schleiermacher Schellings Begriff des Absoluten als Identität von Subjekt und Objekt, Denken und Sein. Aber was er, darin Erbe der kantischen Selbstaufklärung der Vernunft, bestreitet, ist die Erkennbarkeit des Absoluten, das vom realen Wissen allerdings als transzendenter Grund vorausgesetzt werden muss. Das bedeutet, dass das Absolute niemals gewusst werden und so das Wissen niemals absolut, sondern immer nur endlich sein kann. Die zweite Auflage der Reden markiert mit ihrer Neuformulierung des Religionsbegriffs einen Zwischenschritt auf dem Weg zur Dialektik. Denn einerseits wird gegenüber Schelling an der Selbständigkeit der Religion und ihrer Nichtaufhebbarkeit in eine Vernunftreligion und spekulative Theologie festgehalten. Die Selbständigkeit der Religion wird aber zum Ausdruck gebracht, indem ihr Wesen nicht mehr durch den bei Schelling auch dem Wissen zugeordneten Anschauungs-, sondern nur noch durch den Gefühlsbegriff bestimmt wird. Andererseits sieht sich Schleiermacher aber genötigt, Physik und Ethik als Wissenschaften im Unterschied zu Schelling auf etwas anderes zurückzuführen als auf eine intellektuelle Anschauung des Absoluten. An deren Stelle tritt bei ihm die Religion, die diese Begründungsfunktion aber nur übernehmen kann, wenn sie ursprünglich eine Einheit von Gefühl und Anschauung ist, da die Wissenschaften selbst durch den Anschauungsbegriff definiert sind. Noch in der ersten Fassung der Dialektik von 1811 taucht bei der Grundlegung des Wissens und Denkens die Doppelheit von Anschauung und Gefühl auf. Die These, dass das Absolute zwar nicht gewusst werden und es daher auch kein absolutes Wissen geben könne, es aber gleichwohl 84
KGA I/6, 54. KGA I/6, 6.
85
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die Grundlage allen realen Wissens sei, findet hier ihren Ausdruck in der Bemerkung: „Es giebt keine isolirte Anschauung der Gottheit, sondern wir schauen sie nur an im und mit dem gesamten System der Anschauung. Die Gottheit ist eben so gewiß unbegreiflich als ihre Erkenntniß die Basis aller Erkenntniß ist. Es ist auch eben so auf der Seite des Gefühls“.86 Da aber der transzendente Grund nicht nur vom Denken, sondern auch vom Wollen vorausgesetzt wird, ohne selbst Gegenstand des Denkens oder des Wollens sein zu können, kann Schleiermacher in der zweiten Ausarbeitung zur Dialektik von 1814/15 erklären, dass wir den transzendenten Grund „nur in der relativen Identität des Denkens und Wollens nemlich im Gefühl“ haben.87 Denn da er der transzendente Grund sowohl des Denkens als auch des Wollens ist, „muß er auch als beides zugleich gesezt sein; wir haben aber keine andre Identität von beidem als das Gefühl welches im Wechsel als das lezte Ende des Denkens auch das erste des Wollens ist“.88 Damit verschwindet der Anschauungsbegriff wie in der Zweitauflage der Reden aus der Wesensbestimmung der Religion schließlich auch aus der Begründung des Wissens und Wollens und wird durch den Gefühlsbegriff ersetzt, der ihm seit seinen frühen Studien zu Spinoza und Jacobi bestens vertraut ist.
3. Religion, Mythologie und Kunst bei Schelling Schelling grenzt hingegen seine eigene Konzeption der Religion von derjenigen der Reden ab, der er vorwirft, subjektivistisch zu sein, während er selbst die Religion in einem absoluten Wissen begründen möchte. Dabei geht er davon aus, dass die bewusstlose Tätigkeit der Natur ursprünglich identisch ist mit der bewussten des Menschen. Diese Identität meint er zweifach nachweisen zu können, nämlich zum einen „mittelbar, außer dem Bewußtseyn in den Naturprodukten, insofern in ihnen allen die vollkommenste Verschmelzung des Ideellen mit dem Reellen wahrgenommen wird“.89 Zum andern aber „unmittelbar […] in einer entschieden zugleich bewußten und bewußtlosen Thätigkeit, welche in den Produktionen des Genies sich äußert“.90 Der Begriff des Genies hat seinen Ort in der Philosophie der Kunst. Auf die Kunst kommt Schelling erstmals 1800 in seinem System des transzendentalen Idealismus zu sprechen, und zwar bilden die 86
KGA II/10,1, 37. KGA II/10,1, 142. 88 KGA II/10,1, 143. 89 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1,339. 90 Ebd. 87
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Bemerkungen zur Kunst den Abschluss des ganzen Systems. Dabei räumt Schelling jetzt nicht nur der Religion einen eigenen Platz in ihm ein, sondern er konstruiert auch einen engen Zusammenhang von Religion und Kunst. Die Religion behandelt er im Rahmen seiner Deduktion des Begriffs der Geschichte. Der Hauptcharakter der Geschichte besteht für Schelling darin, dass sie Freiheit und Notwendigkeit in Vereinigung darstellen soll. „Freiheit soll Nothwendigkeit, Nothwendigkeit soll Freiheit seyn. Nun ist aber Nothwendigkeit im Gegensatz gegen Freiheit nichts anderes als das Bewußtlose. Was bewußtlos in mir ist, ist unwillkürlich; was mit Bewußtseyn, ist durch mein Wollen in mir.“91 Soll daher in der Freiheit Notwendigkeit sein, so heißt das also, dass durch die bewusste Tätigkeit ohne mein Zutun, das heißt bewusstlos etwas entsteht, was von mir nicht beabsichtigt war. Was paradox zu sein scheint, bringt Schelling zufolge nur jene verborgene Notwendigkeit zum Ausdruck, die als Schicksal oder als Vorsehung bezeichnet wird. Wenn alle meine Handlungen letztlich auf etwas zielen sollen, was nicht allein durch mich, sondern nur durch die ganze Menschheitsgattung realisierbar ist, dann hängt der Erfolg meiner Handlungen nicht allein von mir, sondern auch von dem aller anderen Menschen ab. Aber „nur dann, wenn in dem willkürlichen, d. h. völlig gesetzlosen, Handeln der Menschen wieder eine bewußtlose Gesetzmäßigkeit herrscht, kann ich an eine endliche Vereinigung aller Handlungen zu einem gemeinschaftlichen Zweck denken.“92 Es muss daher in allem freien Handeln als dem Subjektiven etwas Gemeinschaftliches als das Objektive sein, durch das alle Handlungen der Menschen zu dem einen harmonischen Ziel gelenkt werden. Dieses Objektive bezeichnet Schelling als die Intelligenz an sich oder als die absolute Synthesis, in der alle Widersprüche im Voraus aufgehoben sind und durch die die objektive Gesetzmäßigkeit der Geschichte prädeterminiert ist. Doch die „prästabilierte Harmonie des Objektiven, (Gesetzmäßigen) und des Bestimmenden, (Freien) ist allein denkbar durch etwas Höheres, was über beiden ist, was also weder Intelligenz, noch frei, sondern gemeinschaftliche Quelle des Intelligenten zugleich und des Freien ist.“93 Dieses Höhere als der Grund der Harmonie zwischen dem Subjektiven, Bewussten und dem Objektiven, Bewusstlosen kann selbst weder Subjekt noch Objekt, sondern muss die absolute Identität ohne jede Duplizität sein, die zwar im Handeln immer vorausgesetzt und somit geglaubt, aber niemals gewusst wird, da das Wissen sie zum Objekt machen würde. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 662. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 665. 93 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 668. 91 92
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Wenn sich nun unsere Reflexion ausschließlich auf das Objektive, Bewusstlose in allem Handeln richtet, so denkt sie die ganze Geschichte als durch eine völlig blinde Vorherbestimmung, das Schicksal prädeterminiert. Diesem System des Fatalismus stellt Schelling das System der Irreligion oder des Atheismus gegenüber, das entsteht, wenn die Reflexion sich nur auf das Subjektive, Bewusste in allem Handeln richtet, so dass in ihm keine Gesetzmäßigkeit erkennbar ist. „Erhebt sich aber die Reflexion bis zu jenem Absoluten, was der gemeinschaftliche Grund der Harmonie zwischen der Freiheit und dem Intelligenten ist, so entsteht uns das System der Vorsehung, d. h. Religion in der einzig wahren Bedeutung des Worts.“94 Die Religion bezieht sich also auf das Absolute, wie es sich in der Geschichte offenbart. Dabei schließt Schelling um der Wahrung der Freiheit willen aus, dass es sich zu einem Zeitpunkt in der Geschichte jemals vollständig offenbart. Vielmehr behauptet er: „Die Geschichte als Ganzes ist eine fortgehende, allmählich sich enthüllende Offenbarung des Absoluten. Also man kann in der Geschichte nie die einzelne Stelle bezeichnen, wo die Spur der Vorsehung oder Gott selbst gleichsam sichtbar ist.“95 Wenn daher unter dem Sein das zu verstehen ist, was sich in der objektiven Welt darstellt, dann kann man von Gott nicht sagen, dass er ist, sondern nur, dass er sich in der Geschichte offenbart, nämlich im freien Handeln der Menschen. Deshalb kann Schelling sagen: „Der Mensch führt durch seine Geschichte einen fortgehenden Beweis von dem Dasein Gottes, einen Beweis, der aber nur durch die ganze Geschichte vollendet sein kann.“96 Nur die noch unabgeschlossene Geschichte als ganze kann als Offenbarung Gottes gefasst werden. Schelling vergleicht die Geschichte mit einem Schauspiel, dessen Dichter sich durch uns als seine Schauspieler, also durch das Spiel unserer Freiheit offenbart und selbst ohne unsere Freiheit nicht wäre. Dabei unterscheidet Schelling drei Perioden der Offenbarung und somit auch der Geschichte. Die erste Periode ist die tragische des Schicksals, der der Glanz und Untergang der alten Welt der Antike zugerechnet werden. Das herrschende Prinzip erscheint hier als völlig blinde Macht, während es sich in der zweiten Periode als Natur offenbart, die die Freiheit zwingt, einem Plan zu dienen, um schließlich im Imperium Romanum einen Universalstaat herbeizuführen. In der dritten Periode wird dann das, was zuvor als Schicksal und Natur erschien, sich als Vorsehung offenbaren, so „daß selbst das, was bloßes Werk des Schicksals oder der Natur zu seyn schien, schon der Anfang einer auf unvollkommene Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 669. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 671. 96 Ebd. 94 95
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Weise sich offenbarenden Vorsehung war“97. In dieser zukünftigen Periode wird demnach die gesamte Geschichte als Offenbarung der göttlichen Vorsehung erkannt. Nun ist Schelling ja der Auffassung, dass man sich der ursprünglichen Harmonie oder Identität von Subjektivem, Bewusstem und Objektivem, Bewusstlosem mittelbar bewusst werde an der Natur, die zweckmäßig ist, ohne zweckmäßig hervorgebracht worden zu sein. Aber unmittelbar werde man sich jener Identität in den Produktionen nicht der Natur, sondern des Genies, das heißt in den Kunstwerken bewusst. Das Kunstprodukt teilt mit dem Freiheitsprodukt dies, dass es mit Bewusstsein hervorgebracht ist, und mit dem Naturprodukt, dass es ein bewusstlos Hervorgebrachtes ist. Das künstlerische Ich „muß mit Bewußtseyn (subjektiv) anfangen, und im Bewußtlosen oder objektiv enden, das Ich ist hier bewußt der Produktion nach, bewußtlos in Ansehung des Produkts“.98 Die Produktion ist am Anfang frei, während das Produkt als absolute Identität der freien mit der notwendigen Tätigkeit erscheint. Diese Vereinigung der beiden Tätigkeiten kann nicht wiederum der Freiheit zugeschrieben werden, sondern man fühlt sich durch sie überrascht und beglückt und sieht sie als freiwillige Gunst einer höheren Natur an. „Dieses Unbekannte aber, was hier die objektive und die bewußte Thätigkeit in unerwartete Harmonie setzt, ist nichts anderes als jenes Absolute, welches den allgemeinen Grund der prästabilirten Harmonie zwischen dem Bewußtsein und dem Bewußtlosen enthält.“99 Aus dem Produkt widerstrahlend erscheint es dem Produzenten als etwas, das zu dem, was mit Bewusstsein begonnen war, das Bewusstlose, zum Subjektiven das Objektive, zum Stückwerk der Freiheit das Vollendete hinzubringt. Wie nun das Unbegreifliche, das durch unser freies Handeln nicht beabsichtigte Zwecke realisiert, Schicksal genannt wird, so wird dasjenige Unbegreifliche, das ohne Zutun der Freiheit im Produkt zum Bewussten und Beabsichtigten das Objektive hinzubringt, als Genie bezeichnet. „Das postulirte Produkt ist kein anderes als das Genieprodukt, oder, da das Genie nur durch Kunst möglich ist, das Kunstprodukt.“100 Da im Kunstwerk die absolute Identität von Freiheit und Notwendigkeit erscheint, „ist die Kunst die einzige und ewige Offenbarung, die es gibt, und das Wunder, das, wenn es auch nur einmal existirt hätte, uns von der absoluten Realität jenes Höchsten überzeugen müßte“101. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 672. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 681. 99 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 683. 100 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 684. 101 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 686. 97 98
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Am Schluss seines Systems des transzendentalen Idealismus fragt Schelling nach dem Verhältnis, in dem die Philosophie der Kunst zum ganzen System der Philosophie steht. Die Philosophie als ganze geht aus von der absoluten Identität als dem obersten Prinzip, also dem Absoluten, das als etwas Nichtobjektives selbst nicht Objekt eines Begreifens sein kann, sondern nur in einer unmittelbaren intellektuellen Anschauung präsent ist. Aber die „allgemein anerkannte und auf keine Weise hinwegzuleugnende Objektivität der intellektuellen Anschauung ist die Kunst selbst. Denn die ästhetische Anschauung eben ist die objektiv gewordene intellektuelle.“102 Durch das Kunstwerk wird mir zweifelsfrei gewiss, dass die intellektuelle Anschauung der absoluten Identität keine subjektive Täuschung, sondern selbst objektiv ist. Daraus resultiert der unüberbietbare Rang, den Schelling der Kunst zuspricht. Von ihr heißt es, dass sie „das einzige wahre und ewige Organon zugleich und Document der Philosophie sey, welches immer und fortwährend aufs neue beurkundet, was die Philosophie äußerlich nicht darstellen kann, nämlich das Bewußtlose im Handeln und Produciren und seine ursprüngliche Identität mit dem Bewußten“.103 Daher sei die Kunst für den Philosophen das Höchste, da sie ihm das Allerheiligste öffne und das Absolute objektiv anschaulich werden lasse. Dieser enge Zusammenhang zwischen Kunst und Philosophie ist nun nicht etwas Neues, sondern er ist auch in der Antike gegeben, insofern die Philosophie ursprünglich der Poesie entstammt. Schelling denkt hier an die Geburt der Philosophie aus der durch den Mythos vermittelten Poesie Homers und verbindet dies mit der Erwartung, dass sie dereinst in den Ozean der Poesie zurückfließen werde, wobei auch hier die Mythologie ein Mittelglied bilden werde. Um in die Poesie übergehen zu können, bedürfte die Philosophie also einer neuen Mythologie. Und Schelling schließt seine Abhandlung mit den Worten, die bereits auf seine Kunstphilosophie vorausweisen: „Wie aber eine neue Mythologie, welche nicht Erfindung des einzelnen Dichters, sondern eines neuen, nur Einen Dichter gleichsam vorstellenden Geschlechts seyn kann, selbst entstehen könne, dieß ist ein Problem, dessen Auflösung allein von den künftige Schicksalen der Welt und dem weiteren Verlauf der Geschichte zu erwarten ist.“104
Schelling sieht somit einen engen Zusammenhang zwischen der Philosophie und der Kunst, insofern beide zu einer Anschauung des Absoluten führen. Zudem nimmt er, weil er Kunst mit Mythologie verbindet, eine ebenso enge Beziehung zwischen Kunst und Religion an. Nähere Aufschlüsse über das Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 693. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 695 f. 104 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, 697.
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Verhältnis von Philosophie, Religion und Kunst zueinander bieten außer den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums die erst aus dem Nachlass edierten Vorlesungen zur Philosophie der Kunst, vorgetragen im letzten Wintersemester 1802/03 in Jena und wiederholt im Wintersemester 1804/05 in Würzburg. Bevor er im ersten, allgemeinen Teil bei der Behandlung der Konstruktion des Stoffs der Kunst auf den Gegensatz der antiken und modernen Poesie in Bezug auf die Mythologie und die religionsphilosophische Entwicklung zu sprechen kommt, geht er hier einleitend auf die Möglichkeit einer Philosophie der Kunst ein. Die Philosophie geht aus von der Identität aller Dinge, so dass es an sich nur Ein Absolutes gibt, das unter verschiedenen ideellen Bestimmungen oder Potenzen gesetzt wird. In der näheren Bestimmung der Philosophie greift Schelling wiederum auf Schleiermachers Begriff des Universums zurück. Denn die Philosophie soll ein getreues Bild des Universums, das heißt des Absoluten, dargestellt in der Totalität aller ideellen Bestimmungen, sein. „Gott und Universum sind eins oder nur verschiedene Ansichten Eines und desselben. Gott ist das Universum von der Seite der Identität betrachtet, er ist Alles, weil er das allein Reale, außer ihm also nichts ist, das Universum ist Gott von seiten der Totalität aufgefaßt.“105 Die Philosophie der Kunst ist dann die Wissenschaft des Universums in der Potenz der Kunst. Das setzt ein bestimmtes Verständnis von Kunst voraus, wonach die Kunst wie die Philosophie das Unendliche oder Absolute in sich darstellt. Wie die Philosophie schaut auch die Kunst das Absolute in den Ideen in besonderen Formen an, von denen jede für sich absolut und göttlich ist. „Die Ideen also, sofern sie als real angeschaut werden, sind der Stoff und gleichsam die allgemeine und absolute Materie der Kunst, aus welcher alle besonderen Kunstwerke als vollendete Gewächse erst hervorgehen. Diese realen, lebendigen und existirenden Ideen sind die Götter; die allgemeine Symbolik oder die allgemeine Darstellung der Ideen als realer ist demnach in der Mythologie gegeben.“106
Die Götter der Mythologie sind also die objektiv, real angeschauten Ideen der Philosophie, und jede Idee ist ein besonderer Gott. Da das Ganze der Götterdichtungen die Mythologie ist, ist die Mythologie die notwendige Bedingung und der erste Stoff der Kunst.107 Der entscheidende Paragraph 42, in dem Schelling den Unterschied von Antike und Moderne in Bezug auf die Kunst rekonstruiert, beginnt mit dem Leitsatz: „Die Mythologie kann weder das Werk des einzelnen Menschen noch des Geschlechts oder der Gattung Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 194. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 198. 107 Vgl. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 233. 105 106
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sein (sofern diese nur eine Zusammensetzung der Individuen), sondern allein des Geschlechts, sofern es selbst Individuum und einem einzelnen Menschen gleich ist.“108 So kann Schelling sagen, dass die griechische Mythologie und Homer eins seien. „Die Alten selbst bezeichnen die Mythologie und, da diese ihnen mit dem Homer in eins zusammenfällt, die homerischen Dichtungen als die gemeinsame Wurzel der Poesie, der Geschichte und Philosophie. Für die Poesie ist sie der Urstoff, aus dem alles hervorging, der Ocean, um ein Bild der Alten zu gebrauchen, aus dem alle Ströme ausfließen, wie sie alle in ihn zurückkehren.“109
Was nun den Gegensatz zwischen der antiken und der modernen Poesie in Bezug auf die Mythologie betrifft, so betrifft er die Darstellung der Vereinigung von Allgemeinem und Besonderem, Unendlichem und Endlichem. Denn das Verhältnis von beiden kann grundsätzlich verschieden aufgefasst werden. Ging die Richtung der griechischen Phantasie vom Unendlichen zum Endlichen, so die der orientalischen Phantasie, wie sie bei den Persern und Indern begegnet, vom Endlichen zum Unendlichen. Die erste Richtung bezeichnet Schelling als die realistische, die zweite als die idealistische. „Wir mögen soweit zurückgehen in der Geschichte menschlicher Bildung als wir können, so finden wir schon zwei getrennte Ströme von Poesie, Philosophie und Religion, und der allgemeine Weltgeist offenbart sich auch auf diese Weise unter den zwei entgegengesetzten Attributen, des Idealen und Realen“.110 Damit ist Schelling aber auch beim Gegensatz zwischen griechischer Mythologie und Christentum angelangt. Denn wie die realistische Mythologie ihre Blüte bei den Griechen erlangt habe, so sei die idealistische ganz im Christentum aufgegangen. Dabei wird das Christentum von Schelling als die erste Manifestation eines allgemeinen Zeitgeistes verstanden, der sich die Welt erobern sollte. Das frühe Christentum in seiner ersten Entwicklungsepoche sieht er durch zwei entgegengesetzte Momente charakterisiert. Zum einen handelt es sich um den Einfluss der jüdischen Mutterreligion, deren Horizont auch Jesus nicht überschritten habe. Die jüdische Mythologie aber war ursprünglich ganz realistisch, und nur durch den Einfluss fremder Kulturen seit dem Exil bildeten sich in ihr höhere Vorstellungen einschließlich des Monotheismus aus. „In diesen rohen Stoff senkte Christus den Keim einer höheren Sittlichkeit, es sey nun, daß er diesen aus sich ganz unabhängig geschöpft habe
Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 242. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 244. 110 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 252. 108 109
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oder nicht“.111 Denn Schelling rechnet auch mit der Möglichkeit einer Wirkung der Sekte der Essener auf die Verkündigung Jesu. Die entscheidende Wirkung Jesu ging jedoch nicht von seiner Verkündigung aus, sondern von seinem Kreuzestod und dessen Überwindung durch die Auferstehung, die Schelling als historisches Ereignis und nicht etwa als Allegorie deutet. „Von diesem Augenblick an war Christus der Heros einer neuen Welt, das Niedrigste ward zum Höchsten, das Kreuz, das Zeichen der tiefsten Schmach, ward zum Zeichen der Welteroberung.“112 Es ist angesichts der Kritik, mit der er noch 1799 nicht nur auf Schleiermachers Reden, sondern auch über Hardenbergs Christentumsbegeisterung reagiert hatte, allerdings erstaunlich zu sehen, wie Schelling nunmehr zu einer positiven Einschätzung der welthistorischen Bedeutung des Christentums gelangt. Bereits in den ersten schriftlichen Zeugnissen des frühen Christentums entdeckt er den Gegensatz von Realismus und Idealismus. Der Johannesprolog dient ihm als Beispiel für den Idealismus, während die synoptischen Evangelien mit ihrem unhistorischen Weissagungsbeweis noch durch den realistischen jüdischen Geist geprägt seien. Das Festhalten am Realismus erwies sich für das Christentum gerade gegenüber der elitären Gnosis als notwendig, um nicht wie die anderen orientalischen Religionen in Philosophie aufgelöst zu werden. Der erste entscheidende Schritt zur Bildung des Christentums war die Heidenmission des Paulus, der die orientalischen Ideen in den okzidentalen Boden verpflanzte und damit nicht nur den Grundstein für die universalhistorische Ausbreitung des Christentums legte, sondern auch die Voraussetzung dafür schuf, dass der christliche Stoff zur Mythologie fortentwickelt werden konnte. Damit gelangt Schelling zur Unterscheidung der paganen griechischen und der christlichen Mythologie. „Der Stoff der griechischen Mythologie war die Natur, die allgemeine Anschauung des Universums als Natur, der Stoff der christlichen die allgemeine Anschauung des Universums als Geschichte, als einer Welt der Vorsehung. Dieß ist der eigentliche Wendepunkt der antiken und modernen Religion und Poesie.“113
Der Siegeszug des Christentums setzt Schelling zufolge den Untergang der schönen Welt der Griechen, das Sichlosreißen des Menschen von der Natur und die Übersättigung des machthungrigen Roms voraus. „Das allgemeine Gefühl, daß eine neue Welt kommen müßte, da die alte nicht weiter fortschreiten konnte, lag gleich einer schwülen Luft, die eine große Bewegung der Natur vo Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 253. Ebd. 113 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 255; vgl. ders., Vorlesungen, 81 f. 111 112
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raus verkündet, auf der ganzen damaligen Welt, und eine allgemeine Ahndung schien alle Gedanken nach dem Orient hinzuziehen, als ob dorther der Retter kommen würde.“114
Mit dem Untergang der Weltherrschaft Roms verband sich die Völkerwanderung, und beides führt zu einer Vermischung der Völker, einer Aufhebung des Besonderen ins Allgemeine, während zuvor jeweils ein besonderes Volk wie etwa die Griechen herrschend war. Mit der Weltherrschaft Roms beginnt daher auch erst die Universalhistorie. Schelling geht ja davon aus, dass die Geschichte nicht nur durch freie Tätigkeit, sondern ebenso durch Notwendigkeit bestimmt ist, und diese Notwendigkeit offenbart sich nach dem Abfall von der Natur als Schicksal, dem man sich entzieht, indem man sich in die Arme der Vorsehung wirft. Denn als das Schicksal die antike Welt ereilte, „verloren die alten Götter ihre Kraft, die Orakel schwiegen, die Feste verstummten und ein bodenloser Abgrund voll wilder Vermischung aller Elemente der gewesenen Welt schien sich vor dem menschlichen Geschlecht zu öffnen. Ueber diesem finstern Abgrund erschien als das einzige Zeichen des Friedens und des Gleichgewichts der Kräfte das Kreuz.“115
Erst mit dem Eintritt des Christentums in den universalgeschichtlichen Kontext kommt es dann zur Ausbildung der spezifisch christlichen Mythologie, die der griechischen entgegengesetzt ist, insofern in ihr das Universum ja nicht als Natur, sondern als Geschichte, das heißt als moralische Welt angeschaut wird. Natur und Geschichte unterscheiden sich aber dadurch, dass der Charakter der Natur die Einheit des Unendlichen mit dem Endlichen unter der Herrschaft des Endlichen ist, während der Charakter der Geschichte die Entgegensetzung des Endlichen und Unendlichen mit der Forderung der Aufhebung des Endlichen ins Unendliche ist. Daraus erklärt sich auch der Gegensatz der griechischen und christlichen Mythologie. „Wenn also die in der griechischen Mythologie erfüllte Forderung Darstellung des Unendlichen als solchen im Endlichen, demnach Symbolik des Unendlichen war, so liegt dem Christenthum die entgegengesetzte zu Grunde, das Endliche ins Unendliche aufzunehmen, d. h. es zur Allegorie des Unendlichen zu machen.“116
In der christlichen Mythologie gilt das Endliche nichts für sich, sondern bedeutet nur das Unendliche, dem das Endliche untergeordnet ist. Damit hängt für Schelling zugleich der Unterschied zwischen Schönheit und Erhabenheit zusammen. Während bei den Griechen das in sich selbst unendliche Endliche in Gestalt von Heroen sich sogar gegen das Unendliche erheben kann – das Prinzip der Erhabenheit –, ist die unbedingte Hingabe des Endlichen an das Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 255 f. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 257. 116 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 258. 114 115
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Unendliche in Gestalt der Liebe im Christentum das Prinzip der Schönheit. Schelling kann Griechentum und Christentum auch dadurch unterscheiden, dass dort die Religion auf die Mythologie, hier die Mythologie auf die Religion gegründet ist. Denn das „Endliche wird im Unendlichen angeschaut durch Religion, wodurch mir erst auch das Endliche zum Reflex des Unendlichen wird, das Unendliche im Endlichen dagegen symbolisch, und insofern mythologisch“117. Die griechische Mythologie war an sich Poesie und nicht Religion, und sie wurde erst Religion durch das Verhältnis, das der Mensch sich in religiösen Akten zu den Göttern als dem Unendlichen gab. Im Christentum ist hingegen das Verhältnis zum Unendlichen das Primäre und jede Symbolik und Mythologie davon abhängig. Schelling geht es um die Darstellung der Totalität des mythischen Stoffs des Christentums, wobei er mit dem Gottesbegriff einsetzt und die Dreieinigkeit vom Polytheismus dadurch abgrenzt, dass er die drei Einheiten in der göttlichen Natur als Ideen betrachtet, deren Gehalt sich philosophisch explizieren lässt. Danach ist die ewige Gottheit „der Vater aller Dinge, der nie aus seiner Ewigkeit herausgeht, aber sich von Ewigkeit in zwei mit ihm gleich ewige Formen gebiert, das Endliche, welches der an sich absolute, in der Erscheinung aber leidende und menschwerdende Sohn Gottes ist, dann der ewige Geist, das Unendliche, in dem alle Dinge eins sind.“118
Schelling reduziert die Menschwerdung des Sohnes nicht auf die einzelne Person Christi, sondern spricht von einer ewigen Menschwerdung Gottes im Endlichen, deren Gipfel allerdings Christus ist. Die zentrale Vorstellung des Christentums ist die der Versöhnung des Endlichen mit dem Unendlichen, die den Inhalt der Idee der Dreieinigkeit ausmacht. Schelling knüpft dabei an die spekulative Deutung der Trinitätslehre an, die Lessing in der Erziehung des Menschengeschlechts gegeben hatte. Allerdings fehle „seiner Ansicht noch an der Beziehung dieser Idee auf die Geschichte der Welt, welche darin liegt, daß der ewige, aus dem Wesen des Vaters der Dinge geborene Sohn Gottes das Endliche selbst ist, wie es in der ewigen Anschauung Gottes ist, und welches als ein leidender und den Verhängnissen der Zeit untergeordneter Gott erscheint, der in dem Gipfel seiner Erscheinung, in Christo, die Welt der Endlichkeit schließt und die der Unendlichkeit oder der Herrschaft des Geistes eröffnet.“119
Die christliche Menschwerdung unterscheidet er scharf von der Verendlichung des Göttlichen in der griechischen Mythologie.
Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 282. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 259. 119 Schelling, Vorlesungen, 88. 117 118
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Es ist im Christentum nicht um das Endliche zu thun; Christus kommt in die Menschheit in ihrer Niedrigkeit und zieht Knechtsgestalt an, um zu leiden und das Endliche in seinem Beispiel zu vernichten. Hier ist keine Vergötterung der Menschheit, wie in der griechischen Mythologie; es ist eine Menschwerdung Gottes in der Absicht, das von Gott abgefallene Endliche durch die Vernichtung in seiner Person mit Gott zu versöhnen.120 Das Endliche wird daher bei den Christen anders als bei den Griechen nicht zum Symbol, sondern nur zur Allegorie des Unendlichen. An die Stelle der Christologie tritt – orientiert am Johannesevangelium – die Pneumatologie. „Christus geht in die übersinnliche Welt zurück, und verheißt statt seiner den Geist – nicht das ins Endliche kommende, im Endlichen bleibende Princip, sondern das ideale Princip, welches vielmehr das Endliche ins Unendliche und zum Unendlichen führen soll. Es ist, als ob Christus als das in die Endlichkeit gekommene und sie in seiner menschlichen Gestalt Gott opfernde Unendliche den Schluß der alten Zeit machte; er ist bloß da, um die Grenze zu machen – der letzte Gott. Nach ihm kommt der Geist, das ideelle Princip, die herrschende Seele der neuen Welt.“121
Die alten Götter Griechenlands waren zwar auch das Unendliche im Endlichen, aber der wahre Gott als das wahre Unendliche wurde endlich, um an sich selbst, nämlich durch den Tod Christi und die Sendung des Geistes, die Vernichtung des Endlichen, seine Aufhebung in das Unendliche zu zeigen. „Insofern war Christus zugleich der Gipfel und das Ende der alten Götterwelt.“122 Der Übergang vom Griechentum zum Christentum bedeutet den Übergang vom Realismus zum Idealismus, von der Natur zur Geschichte. Das ist auch der Grund dafür, dass es im Christentum keine vollendeten Symbole, sondern nur symbolische Handlungen gibt. Das Unendliche ist nicht mehr dem Endlichen immanent, sondern das Endliche geht umgekehrt durch das Handeln in das Unendliche über, und die Einheit des Endlichen und Unendlichen zeigt sich in symbolischen Handlungen wie der Taufe und dem Abendmahl. Der gesamte Kultus der Kirche ist ein lebendiges Kunstwerk und geistliches Drama, an dem jedes Glied partizipiert. Wenn im Christentum aber das Universum nicht als Natur, sondern als Geschichte angeschaut wird, die Grundanschauung des Christentums also historisch ist, dann muss das Christentum auch eine mythologische Weltgeschichte enthalten. Da Geschichte nur dort ist, wo es viele Handelnde gibt, muss die göttliche Welt selbst eine Vielheit enthalten. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 259 f. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 260; vgl. ders., Vorlesungen, 86. 122 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 260. 120 121
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„Sie kann aber dem Geist des Christenthums nach nicht als polytheistisch gedacht werden, also nur durch die Hülfe von Mittelwesen, welche in dem unmittelbaren Anschauen der Gottheit und die ersten Geschöpfe, die ersten Hervorbringungen der göttlichen Substanz sind. Solche Wesen sind im Christenthum die Engel.“123
Doch trotz des Gebrauchs, den neuere christliche Dichter wie Milton und Klopstock von diesen Mittelwesen machen, sind sie anders als die griechischen Götter so unsinnlich und unabgegrenzt, dass sie ihre Verfassung erst in der kirchlichen Hierarchie als Abbild des himmlischen Reichs erlangen. Die einzige Ausnahme bildet die Empörung und Verstoßung des Luzifer, die eine mythologische Erklärung der Welt mit ihrer Mischung von Gutem und Bösem ist. Der einzige wirklich mythologische Stoff des Christentums ist für Schelling das Wunderbare in der historischen Beziehung. „Es verbreitet sich von der Geschichte Christi und der Apostel aus herab durch die Legende, die Märtyrer‑ und Heiligengeschichte bis zum romantischen Wunderbaren, welches sich durch die Berührung des Christenthums mit der Tapferkeit entzündet.“124 Denn anders als die griechische verbreitet sich die christliche Religion nur durch den Einfluss einzelner Personen, die als Propheten, Seher und gottbegeisterte Menschen vom Unendlichen erfüllt sind. Daher ist das Christentum als historische zugleich eine geoffenbarte Religion, und mit dem Begriff der Offenbarung ist der des Wunders untrennbar verbunden. Die historische Mythologie des Christentums beruht dabei ursprünglich auf der Anschauung des Universums als des Reiches Gottes und seiner Geschichte, wie das in den Werken Dantes, Ariosts oder Calderons deutlich wird. Doch zwischen diese Kunstwelt des Katholizismus und die moderne Welt, für die alles Endliche vergänglich und das Absolute unendlich fern ist, kommt der Protestantismus zu stehen, dessen Folgen von Schelling negativ eingeschätzt werden. Zwar betrachtet er ihn als eine historisch notwendige Erscheinung und begrüßt die Freiheit des Denkens als fruchtbares Prinzip. Aber als negative Folgeerscheinungen nennt er die mit dem Schriftglauben verbundene Buchstabensklaverei und die Zersplitterung des Protestantismus in eine Vielzahl von Sekten. Zudem führte die Emanzipation des Geistes in der Aufklärung dazu, dass sich der gemeine Menschenverstand ein Urteil über die geistlichen Angelegenheiten anmaßte und damit letztlich Religion und Poesie zerstörte. Selbst Milton und Klopstock ist es Schelling zufolge nicht gelungen, ein den antiken Epen vergleichbares protestantisches Epos zu schaffen. Vielmehr sieht er sich zu der Feststellung genötigt, dass „die moderne Welt kein 123 124
Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 264. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 267.
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wahres Epos hat, und, weil mit einem solchen erst Mythologie sich fixirt, auch keine geschlossene Mythologie“125. Damit stellt sich für Schelling die Frage, wie es denn in der modernen Welt zu einem Epos und zu einer Mythologie kommen könne. Für ihn gehört es zum Wesen des Christentums, seine bisherigen Gestaltungen selbst als beschränkt anzusehen und zu erkennen, „daß auch die Mythologie des Christenthums in den Gedanken des Weltgeistes immer nur ein Theil des größeren Ganzen sey, das er ohne Zweifel vorbereitet“126. Für die moderne im Unterschied zur antiken Welt sei es zudem charakteristisch, dass in ihr das Besondere nicht das Allgemeine ist, sondern es nur bedeutet, und „eben darum ist, weil in ihr das Allgemeine herrscht, die moderne Welt die der Individuen, des Zerfallens“127. Das Endliche ist hier nur, um das Unendliche zu bedeuten, und daher ist die moderne Welt die Welt des Wandels. Deshalb ist in der Moderne die Mythologie erst noch im Werden, und jeder große Dichter hat seinen individuellen Beitrag zu ihr zu leisten. „Wir können, dieß vorausgesetzt, behaupten, daß bis zu dem in noch unbestimmbarer Ferne liegenden Punkt, wo der Weltgeist das große Gedicht, auf das er sinnt, selbst vollendet haben, und das Nacheinander der modernen Welt sich in ein Zumal verwandelt haben wird, jeder große Dichter berufen sey, von dieser noch im Werden begriffenen (mythologischen) Welt, von der ihm seine Zeit nur einen Theil offenbaren kann, – von dieser Welt, sage ich, diesen ihm offenbaren Theil zu einem Ganzen zu bilden und aus dem Stoff derselben sich seine Mythologie zu schaffen.“128
So haben sich Dante, Shakespeare, Cervantes und Goethe, weil das Grundgesetz der modernen Poesie Originalität ist, jeweils aus ihrer Zeit ihre eigene Mythologie geschaffen. „Soweit man Goethes Faust aus dem Fragment, das davon vorhanden ist, beurteilen kann, so ist dieses Gedicht nichts anderes als die innerste, reinste Essenz unseres Zeitalters“129. Für Schelling ist das Christentum in seinem Gegensatz zum paganen Griechentum ohnehin nur ein Übergangsphänomen und bloß die eine Seite der modernen Welt. Denn so wie die realistische Mythologie der Griechen es nicht ausschloss, dass ihre Götter, die Naturgötter waren, im Epos historische Personen wurden, so schließt es die idealistische Mythologie der christlichen Moderne nicht aus, dass ihre Götter, die ursprünglich Geschichtsgötter sind, nur lebendig und poetisch werden können, wenn sie von der Natur Besitz ergreifen. „Man muß der christlichen Bildung nicht die realistische Mythologie der Griechen Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 270. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 270. 127 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 272. 128 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 273. 129 Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 274. 125 126
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aufdringen wollen, man muß vielmehr umgekehrt ihre idealistischen Gottheiten in die Natur pflanzen, wie die Griechen ihre realistischen in die Geschichten. Dies scheint mir die letzte Bestimmung der modernen Poesie zu seyn.“130 Schelling meint, dass sich gerade in seiner eigenen Naturphilosophie oder spekulativen Physik die Möglichkeit einer solchen künftigen Mythologie und Symbolik eröffne. Insofern nun die „wechselseitige Durchdringung der beiden Einheiten – der Natur mit der Geschichte und der Geschichte mit der Natur – in dem Epos geschieht, insofern wird das Epos, der Homeros (nach dem wörtlichen Sinn der Einigende, die Identität), welcher dort das Erste ist, hier das Letzte seyn und die ganze Bestimmung der neuen Kunst erfüllen.“131
Literaturverzeichnis Frank, Manfred / Kurz, Gerhard (Hgg.), Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen, Frankfurt a. M. 1975. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Glauben und Wissen, Hamburg 1962. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Ausgewählte Schriften, Frankfurt a. M. 1985. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, hrsg. von Walter E. Ehrhardt, Hamburg 1974. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Kritische Gesamtausgabe, Berlin / New York 1980 ff. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Schriften, hrsg. von Andreas Arndt, Frankfurt a. M. 1996. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Über die Religion, 1. Aufl., Berlin 1799. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Über die Religion, 2. Aufl., Berlin 1806. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Stuttgart 1969.
130 131
Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 277. Schelling, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, 285.
Der theogonische Prozeß Wilhelm G. Jacobs Der Ausdruck theogonischer Prozeß ist ein eigentümlicher Terminus der Schellingschen Philosophie. Er erinnert an die Bezeichnung eines Werkes des Dichters Hesiod, die Theogonie, und scheint daher zu signalisieren, daß mit ihm ein genuin philosophischer Gehalt gar nicht gemeint ist. Der Schein trügt. Der Begriff theogonischer Prozeß ist ein sorgfältig konstruierter Begriff Schellings, der die ganze Mythologie und Offenbarung philosophisch begreifen soll. Zu seinem Verständnis möchte ich einen Beitrag leisten, den ich aus Zeitgründen auf die Funktion dieses Begriffs für die Mythologie beschränke. Dieser Begriff soll also einer sein, durch den etwas begriffen wird, hier die Mythologie und dann auch die Offenbarung. Das, was begriffen werden soll, muß also dem Begreifen gegeben sein. Es geht nicht aus dem Begriff hervor. Mythologie und Offenbarung sind also gegeben, damit sie durch den theogonischen Prozeß begriffen werden können. Entsprechend betont Schelling zu Beginn des zweiten Buches der Philosophie der Mythologie, das schlicht Die Mythologie überschrieben ist, bei jeder Erklärung sei es „das Erste, daß sie dem zu Erklärenden Gerechtigkeit widerfahren lasse“.1 Ein Phänomen dürfe nicht gewendet werden, um erklärbar zu sein, vielmehr müßten „unsere Gedanken sich erweitern, um mit dem Phänomen in Verhältniß zu stehen.“2 Das bisherige Hindernis des Verständnisses der Mythen sieht Schelling in einem starren, ungeschichtlichen Bild des Bewußtseins, in welchem man den gegenwärtigen Zustand desselben „als allgemeinen und alleingültigen Maßstab voraussetzte, diesen Zustand als einen nothwendigen, im logischen Sinn ewigen ansah“.3 Solange also das Bewußtsein sich in seinem gegenwärtigen Zustand als durch alle Zeit hindurch ohne jede Entwicklung fix und fertig ansah, es somit seine eigene Geschichtlichkeit nicht begriff, konnte es seine Anfänge nicht erfassen. Diese Einsicht war dem Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sämtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart 1856 ff. (= SW), XII, 137. 2 SW XII, 137. 3 SW XII, 140. 1
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jungen Schelling schon beim Studium der Exegese aufgegangen. Es gilt also, das Phänomen Mythos als ein geschichtliches zu verstehen, und zwar so, daß es als solches, unverstellt durch späteres Bewußtsein, in Erscheinung tritt. Dieses Vorhaben hat Schelling im ersten Buch der Einleitung in die Philosophie der Mythologie, der Historisch-kritischen Einleitung in die Philosophie der Mythologie durchgeführt. Darüber berichte ich in einem ersten Kapitel. Das als solches vor Augen gebrachte Phänomen soll in einer Philosophie der Mythologie begriffen werden. Mythen berichten von Göttern und sind somit polytheistisch. Nun ist Polytheismus der Gegenbegriff zu Monotheismus, welcher Begriff zugleich zum Grundverständnis der Offenbarung gehört. Die Götter treten in Mythen zumeist als eine Götterfamilie, also als Manifestation der einen Gottheit, auf. Da sich die eine Gottheit vielfältig manifestiert, kann man von einem „potentielle[n]“ oder „natürlichen Monotheismus“4 sprechen. „Auf diesen Begriff (dem des Monotheismus überhaupt [,wie er auch dem Polytheismus zu Grunde liegt, schreibt Schelling]) hat sich nun also die nächste Untersuchung zu richten“.5 Die Reflexion setzt beim Monotheismus an, um von dort aus den Polytheismus zu verstehen. Daher ist das erste Buch der Philosophie der Mythologie überschrieben Der Monotheismus; hier wird der grundlegende Begriff zum Verständnis der Religionen, sowohl der polytheistischen wie der monotheistischen entwickelt. Es ist der Begriff, den ich als Thema meines Vortrags in den Titel gesetzt habe: der theogonische Prozeß. Diesem gilt mein zweites Kapitel.
1) Das Phänomen Mythos Schelling erörtert das Phänomen im ersten Buch seiner Philosophie der Mythologie, der Historisch-kritischen Einleitung in die Philosophie der Mythologie. Er will zu einer zureichenden Sicht des Phänomens Mythos kommen, indem er die verschiedenen Ansichten dieses Phänomens durchgeht und alle als „unmöglich“ dartut, bis diejenige als „die einzig mögliche“ sich herausstellt, die „wir […] für begründet erachten dürfen.“6 Diese Argumentationen können in der gegebenen Zeit nicht ausführlich vorgebracht werden; ich bemühe mich, die für den Fortgang wesentlichen Gedanken darzustellen. Damit keine Ansicht übergangen wird, beginnt Schellings Durchgang bei der simpelsten Ansicht, weist diese und die weiteren, jeweils höheren Ansichten 4
SW XII, 8. Ebd. 6 SW XI, 5. 5
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zurück und kommt damit zu einer, welche als „die nothwendig wahre erscheint.“7 Es wird hier nicht nach der Existenz von Mythen gefragt – diese ist gegeben –, sondern „nach dem Wesen der Mythologie,“8 natürlich nach dem Wesen dieser existierenden Mythologie, mit welcher Frage man schon in der Philosophie ist. Die Untersuchung vollzieht sich in mehreren Schritten. Diesen entsprechend teilt sich mein erstes Kapitel in sechs Abschnitte.
1.1) Die Macht im Bewußtsein Der Ausgangspunkt der kritischen Suche nach dem Wesen kann „natürlich vorerst nur ein äußerer und bloß nomineller seyn.“9 Wie also, so ist zu fragen, wird von Mythos geredet? Eine solche Frage betrachtet natürlich nicht die einzelnen Mythen, sondern diese „als ein Ganzes“.10 Als deren Kern stellt sich eine Götterlehre dar. Die Götter sind „in gewissen natürlichen und geschichtlichen Beziehungen zu einander gedacht.“ Die Götter erscheinen als Familie und – hier besonders hervorzuheben – als Generationenfolge. Daher ist die Mythologie „Göttergeschichte, oder […] Theogonie.“11 Nach der „ursprünglichen“ Bedeutung dieser Theogonie ist zu fragen; darauf folgt die Erklärung, nämlich der „Entstehung“.12 Schelling geht entsprechend seiner Ankündigung eine Reihe von Ansichten durch, welche alle das Gemeinsame haben, daß sie die Mythologie von Menschen, etwa von Dichtern, Philosophen, Priestern, erfunden sein lassen. Die Mythen erscheinen dann als phantastische unglaubwürdige Geschichten. Vorgestellte und erfundene Götter erklären aber ganz und gar nicht, „daß die Völker des Alterthums jenen religiösen Vorstellungen, die uns als durchaus widersinnig und vernunftwidrig erscheinen, nicht nur Glauben schenkten, sondern ihnen die ernstesten, zum Theil schmerzlichen Opfer bringen konnten.“13 Diese Argumentation ist in der Tat sehr gewichtig. Für Erzeugnisse der eigenen Phantasie bringt man keine schmerzlichen Opfer. Aus diesem harten Argument zieht Schelling den Schluß, daß „die Mythologie nicht ein künstlich, sondern ein natürlich, ja […] mit Nothwendig-
7
SW XI, 5. SW XI, 7. 9 SW XI, 6. 10 Ebd. 11 SW XI, 7. 12 SW XI, 8. 13 SW XI, 195. 8
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keit Entstandenes ist“.14 Nun existieren die Götter nicht als wahrnehmbare Dinge, sondern „bloß in Vorstellungen“.15 Wenn sie also nicht erfunden, nicht mit Bewußtsein und Wille hervorgebracht, andererseits aber etwas rein im Bewußtsein sind, so sind sie nur zu verstehen als Mächte, die im Bewußtsein sind und dieses bestimmen oder deutlicher: beherrschen. Bewußtsein und Wille vermögen über diese mythischen Vorstellungen gar nichts, im Gegenteil: diese beherrschen das Bewußtsein. Man könnte etwa sagen: So wie wir die Kategorien als notwendig in unserem Bewußtsein haben, wie wir nicht über sie verfügen können, sondern gemäß ihnen vorstellen müssen, so hat mythisches Bewußtsein die Göttervorstellung in sich. Wir können uns nicht denken, daß wir ohne Kategorien denken können, auch nicht, daß früheste Menschen ohne diese denken konnten. Der Unterschied zwischen Kategorien und Mythen liegt darin, daß die mythischen Menschen die Vorstellung einer Götterwelt notwendig im Bewußtsein haben, wir dagegen nicht; ja wir halten eine solche Vorstellung sogar für unwahr, jene aber für wahr. Kategorien gehören dagegen a priori zum Wesen des Bewußtseins. So wie diese kann das mythische Bewußtsein nicht verstanden werden. Die Notwendigkeit der mythischen Vorstellungen gilt temporär, sie muß entstanden sein und de facto hört sie auch auf. Die Apriorität der Kategorien kommt der Götterwelt nicht zu. Hier ist somit eine Geschichte des Bewußtseins, insbesondere des religiösen, anzunehmen. Mit diesen Überlegungen sieht sich Schelling vor die Aufgabe gestellt, zu erklären, wie diese über das Bewußtsein mächtige Götterwelt sowohl entsteht, wie auch vergeht.
1.2) Die Götter als Manifestationen des einen Gottes Schelling setzt damit an, daß neueres Bewußtsein, auch er selbst, die mythischen Religionen als falsche einschätzt. Jedoch sagt er: Die „falsche Religion ist […] nicht Irreligion, wie der Irrthum […] nicht vollkommener Mangel an Wahrheit, sondern nur die verkehrte Wahrheit selbst“.16 Gilt dies, so folgert Schelling: „Eigentliche Götter können nur heißen, denen […] auf irgend eine Weise, Gott zu Grunde liegt.“17 Schellings Wort von der Wahrheit aufgreifend, kann man sagen: Die Götter sind nicht Nicht-Gott, sondern der verkehrte Gott. Die Götter erscheinen in der Geschichte als diejenigen verschiedener Völker, die sich durch ihre jeweilige Sprache unterscheiden. Diese „ist […] 14
Ebd. SW XI, 125. 16 SW XI, 74. 17 Ebd. 15
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etwas Geistiges.“18 Daß die Menschen sich in Völker, damit in verschiedene Sprachen unterschieden haben, muß demnach ein geistiger Vorgang gewesen sein. Dem äußeren Auseinandergehen mußte „im Innern der Menschen eine geistige Krisis vorausgehen“.19 Diese „mußte das Bewußtseyn in seinem Princip, in seinem Grund […] in eben dem erschüttern, was bisher das Gemeinsame war“.20 Dieses Gemeinsame, das die Menschen zusammenhielt, ist, wenn die Trennung als geistige zu verstehen ist, selbst als geistige Macht zu denken. Diese Macht ist so zu denken, daß sie keinem anderen Prinzip, das eine Teilung ermöglicht hätte, Raum gegeben hatte. Dieses Prinzip ist daher ein Einheitsprinzip. Ein „solches Prinzip […] konnte selbst nur ein unendliches, nur ein Gott seyn, ein Gott, der das Bewußtseyn ganz erfüllte, der der ganzen Menschheit gemeinschaftlich war, ein Gott, der sie gleichsam in seine eigene Einheit hineinzog“.21 An dieser Stelle führt Schelling keinen Grund für die Krisis an, weist aber darauf hin, daß deren Folge die Trennung der Menschen in die Zugehörigen und die Anderen, die Volksgenossen und die Ausländer ist. Die faktische Vielfalt der Völker ist dadurch nicht ohne Einheit, daß diese alle Sprachen und Götter, bzw. Mythen haben. Schellings Argumentation beruht auf diesem Faktum, weshalb er die Einleitung, die meinen Ausführungen zu Grunde liegt, die „historische“ nennt. Er kann folgern, daß der Trennung eine ursprüngliche Einheit, die sich im – wenn auch unterschiedlichen – Sprechen und im Götterglauben erhalten hat, vorausgegangen sein muß. Schelling argumentiert so: „Wenn die Menschheit in Völker sich trennte, sowie in dem bis dahin einigen Bewußtseyn verschiedene Götter hervortraten: so konnte die der Trennung vorausgegangene Einheit des Menschengeschlechts, die wir uns ebensowenig ohne eine positive Ursache denken können, durch nichts so entschieden erhalten werden, als durch das Bewußtseyn Eines allgemeinen und der ganzen Menschheit gemeinschaftlichen Gottes.“22
1.3) Die Wirklichkeit der Theogonie Zur genaueren Bestimmung dieses Gottes unterscheidet Schelling einen simultanen und einen sukzessiven Polytheismus. Im ersten stehen die Götter gleichgeordnet neben einander, während im zweiten nicht nur oberste Göt18
SW XI, 101. Ebd. 20 SW XI, 103. 21 SW XI, 104. 22 SW XI, 119. 19
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ter, sondern diese in einer Folge gedacht werden, wie etwa im alten Hellas Uranos, Kronos und Zeus. Der zweite Fall verlangt eine Erklärung der Folge, anders der Theogonie. Die in erhaltenen Mythen erzählte Theogonie ist als Resultat einer wirklichen Folge von Göttern zu denken. Schelling beruft sich auf die Griechen, deren oberster Gott in uns bekannter Zeit Zeus ist. Sie erkennen aber im obersten Gott der Phönikier ihren Kronos und nennen ihn auch so. Die Unterschiede beider Göttergestalten werden nach Schelling vollkommen dadurch erklärt, „daß in der phönikischen Mythologie Kronos noch der allein herrschende, in der hellenischen der verdrängte und von einem spätern Gott überwundene ist, Kronos in jener der gegenwärtige, in dieser nur noch der vergangene ist.“23 Es folgt unmittelbar die rhetorische Frage: „Wie konnten aber die Hellenen in dem phönikischen ihren Gott erkennen, wenn nicht sie selbst ihres Kronos als einer wirklichen, nicht bloß vorgestellten und fingirten Vergangenheit sich bewußt waren?“24 Eine Fiktionstheorie ist zu schwach, das reale Bewußtsein des überwundenen Gottes zu erklären. Kronos muß also wirklich einmal bei den Griechen als oberster Gott verehrt worden sein. Daraus erklärt sich auch „jene religiöse Scheu und Ehrfurcht […], mit der wir nicht nur in der griechischen Mythologie, sondern selbst in der griechischen Poesie und Kunst, den Kronos umgeben finden.“25 Schelling verallgemeinert: „Was nie Realität für uns hatte, kann uns nicht zur Stufe, nicht zum Moment werden“.26 Der jüngere Gott überwindet den älteren und durch diese Überwindung, diesen Kampf bleibt der ältere im Gedächtnis; er ist nicht schlechthin aufgehoben, sondern in die Vergangenheit gesetzt. Mythen haben ihre Realität als Vorstellungen im Bewußtsein. Die „Succession von Vorstellungen selbst […] muß wirklich stattgehabt“27 haben. Schelling betont, er spreche „die reine Thatsache“ aus; sie liege im successiven Polytheismus selbst vor. Schelling fragt nicht nach Gründen für diese Tatsache, er legt an dieser Stelle nur Wert auf ihre Tatsächlichkeit. Wenn einerseits Vorstellungen von der Überwindung des einen Gottes durch den anderen im Bewußtsein, andererseits Mythen aber nichts Fingiertes sind, so muß diese Überwindung „im Bewußtsein der Menschheit […] wirklich stattgefunden“28 haben. Die Mythologie „konnte sich nur im Leben selbst
23
SW XI, 123. Ebd. 25 SW XI, 124. 26 Ebd. 27 SW XI, 124. 28 SW XI, 125. 24
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erzeugen, sie mußte etwas Erlebtes und Erfahrenes seyn.“29 Die Götterfolge, alias die Theogonie, ist wirklich.
1.4) Der Hervorgang des Polytheismus aus relativem Monotheismus Schelling hat bisher Zweierlei gewonnen, den Einen Gott und die Theogonie als Tatsache. Aus dem Einen ist das Andere zu erklären. Zu erinnern ist, daß das Bewußtsein, das den Einen Gott hat, selbst durch diesen Eines ist. Es reflektiert nicht, denkt also keine Möglichkeiten. Daher ist dem Bewußtsein dieser Gott der, welcher der einzige faktisch ist, nicht aber der, „welcher auch nicht die Möglichkeit anderer Götter außer sich zuläßt“.30 Das Prinzip der Einheit ist somit kein absolutes, daher eines, „dem ein anderes folgen konnte,“31 das also den Übergang zu einem sukzessiven Polytheismus nicht ausschloß. Der ursprüngliche Monotheismus ist somit kein absoluter, sondern ein relativer. Ist die ursprüngliche Einheit aber einmal verlassen, so folgt eine konsequente Bewegung, die das Gottesbild von Gestalt zu Gestalt entsprechend den in Gott liegenden Möglichkeiten verändert. Dieser Prozeß bleibt nicht nur in einem Volk, sondern geht auch von Volk zu Volk. Da diese konsequente Bewegung ihre Ordnung hat, ist zu begreifen, daß Völker auf schon erreichter höherer Stufe die vorhergegangenen Stufen als vergangene im Bewußtsein haben. Wenn sich nun der sukzessive Polytheismus wirklich ereignet hat, so muß für den Anfang der Menschheit der relative Monotheismus gedacht werden. Da neben ihm kein zweiter Gott erscheint, ist er „wirklich noch der unbedingt-Eine“, der „über die Welt den Frieden und die Ruhe einer ungetheilten und unwidersprochenen Herrschaft verbreitet.“32 Man nennt diese Zeit das „goldene Weltalter“.33 Mit dem Polytheismus, wenn auch nur mit einem zweiten Gott, konnte der Friede nicht weiter bestehen, vielmehr waren jetzt „Verwirrung und Zerstreuung unvermeidlich gesetzt.“34 Eine solche Friedenszeit ist „also nur in der schlechthin vorgeschichtlichen Zeit zu suchen“.35 Vom relativen Gott aus kann der theogonische Prozeß anheben. Insofern ist auch er ein potentieller mythischer Gott; er wird dies, sobald der theogonische Prozeß, bzw. der Polytheismus anhebt. 29
Ebd. SW XI, 127. 31 SW XI, 130. 32 SW XI, 136. 33 SW XI, 175. 34 SW XI, 136. 35 SW XI, 137. 30
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Dessen Anfang wurde bisher schon als Krisis, Unterscheidung bezeichnet. Schelling hebt aber nun darauf ab, daß Krisis auch Gericht heißt. Ein solches kann aber nur ergehen „über das Relativ-wahre und das Einseitige, das für allseitig genommen wird.“36 Von dieser Art ist der relative Monotheismus, der also zerstört werden muß. Der Polytheismus ist dann zu verstehen als „Uebergang zum Bessern, zur Befreiung der Menschheit von einer an sich wohltätigen, aber ihre Freiheit erdrückenden, alle Entwicklung und damit die höchste Erkenntniß niederhaltenden Gewalt.“37 Der ursprüngliche Mensch ist zwar „an sich schon Bewußtseyn von Gott“38, aber unreflektiert und unbegriffen. „Der Gott der Vorzeit ist ein wirklicher realer Gott, und in dem auch der wahre Ist, aber nicht als solcher gewußt.“39 Damit er wirklich sein kann, was er sein soll, muß er sich aus dieser Unwissenheit befreien; denn der „wahre Gott, der Gott als solcher, kann nur im Wissen seyn,“40 weil das Verhältnis zu ihm nur als gewußtes ein freies sein kann. Damit hat Schelling das Ziel des Prozesses genannt: das freie Verhältnis der Menschen zu Gott.
1.5) Transzendentale Begründung Wenn Schelling diesen Gott der Vorzeit erreicht hat, kann er sowohl die These, der Anfang des Gottesbewußtseins sei Polytheismus, wie auch diejenige, er sei Offenbarung als überwunden ansehen. Damit ist jede konkurrierende Erklärung des Mythos ausgeschlossen und das Ziel der bisherigen Reflexionen, nämlich die Darstellung der Mythologie kategorisch zu behaupten, erreicht. Schellings Reflexion hat ihren Grund in dem realen Gott der Vorzeit. Dieser ist als der Eine, neben dem kein weiteres Prinzip auftreten kann, zu denken. Der Einheit dieses Gottes entspricht die Einheit des Bewußtseins. Dieses ist schlechthin eines, es bewegt und verändert sich nicht, weil es als Eines gar nichts Anderes hat, auf welches hin es sich bewegen könnte. Dieses Bewußtsein hat keine Geschichte; wie der Gott einer ist, so auch die Zeit. Diese Zeit ist die „schlechthin vorgeschichtliche“41, „die Zeit der vollkommenen geschichtlichen Unbeweglichkeit.“42 Da aber dieses Gottesbewußtsein, in dem der Polytheismus in seiner Möglichkeit liegt und aus dem er 36
SW XI, 139. Ebd. 38 SW XI, 141. 39 SW XI, 176. 40 Ebd. 41 SW XI, 181. 42 SW XI, 234. 37
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hervorgeht, ungeschichtlich ist, hat der Polytheismus keinen geschichtlichen Anfang. Dieses unbewegte, ungeschichtliche Gottesbewußtsein kann nicht selbst geschichtlich geworden sein. „Der Vorgang, durch den jenes Bewußtseyn geworden, das wir schon in der absolut vorgeschichtlichen Zeit finden, kann also nur ein übergeschichtlicher seyn.“43 Dieser Vorgang ist auch nicht mehr von der Menschheit zu denken, sondern nur vom „ursprünglichen Menschen selbst“.44 Dieses Vokabular meint den Menschen, wie er ursprünglich zu denken ist, und zwar über oder durch alle Geschichte hindurch. Dies wird deutlich, wenn Schelling betont, das ungeschichtliche Gottesbewußtsein verdanke sich keiner Reflexion, keinem besonderen Akt, der zum Bewußtsein hinzukomme, gewissermaßen einem Akzidenz des Bewußtseins, sondern es gehöre schlechterdings zum „Bewußtseyn in seiner reinen Substanz vor allem wirklichen Bewußtseyn,“45 auch vor dem Selbstbewußtsein, das ja aus einem Akt hervorgeht, also zum Bewußtsein hinzukommt. Daher ist der ursprüngliche Mensch „nicht actu, er ist natura sua das Gott Setzende“.46 Der „Mensch in seinem ursprünglichen Wesen“ ist „nicht die für sich selbst seyende, sondern die Gott zugewandte, in Gott gleichsam verzückte Natur“.47 Wer verzückt ist, macht zwischen sich und dem, wovon er verzückt ist, keinen Unterschied; er reflektiert nicht auf sich selbst, sondern ist mit ihm eins. Was das Bewußtsein in seiner Substanz ist, kann es nicht verlieren oder verändern, der Mensch ist Gottesbewußtsein „gerade nur im Nichtactus, in der Nichtbewegung ist er das den wahren Gott Setzende.“48 Wenn das so ist, kommt der Mensch nicht zu Gott, sondern er ist ursprünglich bei ihm, und wenn er sich bewegt, dann von ihm weg (was böse sein kann, aber nicht muß). Dieses ursprüngliche Bewußtsein muß als eines ohne Selbstreflexion, damit erst recht ohne Selbstsucht gedacht werden. Diesem muß nicht geboten werden, dem Allgemeinwillen zu folgen. Wir können es verstehen als das vor jedem Gebot Liegende, dasjenige um dessen willen geboten werden muß, falls die ursprüngliche Einheit aufgegeben ist. Im Ausgang von diesem Bewußtsein, in der Krisis, entsteht der Polytheismus; mit ihm beginnt die „relativ-vorgeschichtliche“49 Zeit, in welcher die
43
SW XI, 184. Ebd. 45 SW XI, 185. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 SW XI, 187. 49 SW XI, 235. 44
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Mythen und die Völker entstehen. Die geschichtliche Zeit ist dann die der schon entstandenen Völker. Schellings Denken hat nun eine deutliche Wendung genommen. „Die Grenze möglicher geschichtlicher Erklärungen war mit dem vorgeschichtlichen Bewußtseyn der Menschheit erreicht, und es blieb nur der Weg ins Uebergeschichtliche übrig.“50 Nachdem nämlich Schelling das Faktum des theogonischen Prozesses als Movens der Religions‑ und damit der Bewußtseinsentwicklung dargestellt hat, geht er nun auf die Bedingung der Möglichkeit desselben zurück. Dieser Entwicklung liegt nicht das Selbstbewußtsein des „ich denke“ zu Grunde, sondern die Verzückung, die Liebe – worin man verzückt ist, liebt man – die aber zur Liebe in Freiheit erst werden muß. Was Schelling hier anspricht, ist das letzte Sinnmoment, das dem Leben überhaupt Sinn verleiht und ein sittliches Gebot überhaupt erst rechtfertigt. Von Freiheit kann aber in diesem Zustand noch keine Rede sein, weshalb Gott hier auch „als Gott der Macht, der Stärke“51 erscheint. Freiheit aber soll sein; daher kann der Mensch nicht in diesem Urzustand verharren. Wenn er aber aus diesem heraustritt, hat er die Möglichkeit, sich Gott zu-, oder sich von ihm abzuwenden. Im letzten Fall entsteht die Mythologie „durch einen (in Ansehung des Bewußtseyns) nothwendigen Proceß, dessen Ursprung ins Uebergeschichtliche sich verliert und ihm selbst sich verbirgt“.52 Die Menschen sind diesem Prozeß, dem theogonischen, ausgeliefert, da die Vorstellungen des Mythos in ihnen sind. Da „wirkliche Götter nur die sind, denen Gott zu Grunde liegt, so ist der letzte Inhalt der Göttergeschichte die Erzeugung, ein wirkliches Werden Gottes im Bewußtseyn, zu dem sich die Götter nur als die einzelnen erzeugenden Momente verhalten.“53
1.6) Die objektive Bedeutung des Prozesses Schelling resümiert, die Mythologie entstehe durch den theogonischen Prozeß, in welchen das „Bewußtseyn durch sein Wesen festgehalten“54 sei. Damit sei die subjektive Bedeutung des Prozesses für die in ihm befindliche Menschheit dargestellt, die weitere Frage sei jetzt, welche objektive Bedeutung er darüber hinaus habe, könnten doch die mythischen Vorstellungen 50
SW XI, 191. SW XI, 189. 52 SW XI, 193. 53 SW XI, 198. 54 SW XI, 204. 51
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dem Bewußtsein zwar notwendig, aber dennoch „falsche und zufällige“55 sein. Die Notwendigkeit des Prozesses darf keine faktische sein, sie muß also ebenso wie die in ihr verborgene Wahrheit begriffen werden. Die bisher gefundene Erklärung leitet den Prozeß von dem ursprünglichen Gottesbewußtsein her. Von dort her muß er, und zwar als Entfaltung der in diesem Bewußtsein liegenden Kräfte oder Potenzen, verstanden werden. In dem ursprünglichen Bewußtsein ist nur Einheit zu denken. Wenn der Mensch aus diesem Ursprung – schuldhaft oder nicht – heraustritt, treten die in der Einheit vereinten Möglichkeiten oder Potenzen auseinander und erzeugen den Prozeß, d.i. Vorstellungen im Bewußtsein. Aber „die Ursachen, und also auch die Gegenstände dieser Vorstellungen sind die wirklich und an sich theogonischen Mächte“.56 Dann kann dieser Prozeß nicht als ein falscher und zufälliger verstanden werden: Sein Inhalt „sind nicht bloß vorgestellte Potenzen, sondern die Potenzen selbst – die das Bewußtseyn, und da das Bewußtseyn nur das Ende der Natur ist, die die Natur erschaffen, und daher auch wirkliche Mächte sind.“57 Die in den Mythen wirksamen Kräfte sind Momente der Schöpfung selbst. Die Prinzipien des theogonischen Prozesses sind nur zu denken „als die Principien alles Seyns und alles Werdens“58; denn er geht „nach demselben Gesetz durch dieselben Stufen hindurch […], durch welche ursprünglich die Natur hindurchgegangen ist.“59 Hier wird, wie Schelling betont, die Erklärung „ganz objectiv“.60 Die Potenzen sind die in ihrer Einheit ursprünglich Gott setzenden. Dessen Einzigkeit aber zeigte sich als die faktische, nicht aber die begriffene, und insofern die falsche. Als solche kann sie nicht bestehen und insofern stellt sich der theogonische Prozeß als die Herstellung der wahren Einzigkeit dar. „Der Sinn des Processes ist daher nicht ein Auseinander-, sondern vielmehr ein Zusammengehen der die Einheit setzenden Momente“.61 Insofern ist der Prozeß nicht falsch; falsch war der Ausgangspunkt, die falsche Einzigkeit Gottes. Wahrheit ist nicht in den einzelnen Momenten des Prozesses, der Prozeß als ganzer ist derjenige „der sich wiederherstellenden und dadurch verwirklichenden Wahrheit“.62 In diesem Prozeß wird „das Bild des wahren
55
SW XI, 205. SW XI, 207. 57 Ebd. 58 SW XI, 216. 59 Ebd. 60 SW XI, 207. 61 SW XI, 209. 62 Ebd. 56
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Gottes hergestellt,“ nicht aber „das Verhältniß […] zu dem wahren Gott selbst,“63 zu welchem erst das Christentum führt. Der mythologische Prozeß hat ein Ziel, das Begreifen des wahren Gottes und damit die Freiheit des Begreifenden. Für Schelling ist er „der allgemeine, der absolute Proceß“.64 Daher kann er nur philosophisch zureichend begriffen werden und Schelling behauptet: „die wahre Wissenschaft der Mythologie ist Philosophie der Mythologie.“65 Diese folgt dem aufklärerischen Anspruch, in der „scheinbaren Unvernunft Vernunft, in dem sinnlos Scheinenden Sinn zu entdecken“.66
2) Der Begriff des theogonischen Prozesses Schelling schließt im ersten Buch der Philosophie der Mythologie, das den Titel Der Monotheismus trägt, an das Ergebnis der Historischen Einleitung, nämlich der Tatsächlichkeit des theogonischen Prozesses, an. Aber der Begriff dieses Prozesses „ist selbst ein bloß durch Schlüsse, unverwerflicher zwar – aber er ist nicht ein von sich selbst, von seinen eigenen Prämissen aus gefundener und erkannter.“67 Den Begriff gefunden zu haben ist viel, aber nicht genug; er muß aus sich selbst verständlich gemacht werden, damit er als wahr und notwendig einleuchtet. Das ist jetzt zu leisten. Schelling geht mit seinen Hörern auf „unsern früheren (analytischen) Weg zurück, indem wir das zuletzt gefundene Resultat wieder in seine Voraussetzungen verfolgen.“68 Die erste Voraussetzung ist „der mit dem Wesen des Menschen gesetzte potentielle Monotheismus.“69 In diesem – so Schelling, anschließend an die Historische Einleitung – „muß der Grund der theogonischen Bewegung des Bewußtseyns liegen.“70 Damit ist der Begriff des Monotheismus der Schlüsselbegriff für den theogonischen Prozeß. Schelling will daher jetzt den Begriff Monotheismus „als eine Thatsache behandeln, und nur fragen, […] was sein eigentlicher Inhalt sey“.71 Wir reden von Monotheismus, kann man sagen, was ist darunter eigentlich zu verstehen? Zu diesem Zweck 63
SW XI, 212. SW XI, 217. 65 Ebd. 66 SW XI, 220. 67 SW XII, 7. 68 SW XII, 8. 69 Ebd. 70 SW XII, 8. 71 Ebd. 64
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entwickelt Schelling zuerst den Begriff des Einen Gottes in drei Potenzen, worüber ich sogleich referiere. Dann stellt sich die Frage, wie dieser Gott als lebendig und als wirkend zu begreifen sei; darüber spreche ich in einem zweiten und dritten Abschnitt.
2.1) Der monotheistische Gottesbegriff Die faktische Einzigkeit Gottes, so hat es Schelling schon ausgeführt, ergibt keinen zureichenden Begriff des Monotheismus. Es muß gezeigt werden, daß neben Gott keiner möglich ist, bzw. gedacht werden kann. Dann ist Gott zu verstehen als das, „was seines Gleichen […] nicht haben kann.“72 Strikt gedacht, bedeutet dies, daß Gott nicht einmal das Sein mit einem anderen gemeinsam haben kann. Folglich ist er zu verstehen als „das Seyende selbst“.73 Mit diesem Gedanken ist der „nothwendige Vorbegriff Gottes“74 gewonnen, Vorbegriff deshalb, weil mit Sein gar keine Bestimmung, also auch keine Gottheit gedacht ist. Schelling geht hier vor wie in der Historisch-kritischen Einleitung, indem er bei tradierten Begriffen ansetzt und sie auf ihre Voraussetzungen hin unterscheidet. Der Vorbegriff muß also weiter bestimmt werden; er ist, logisch gesehen, die Materie weiterer Bestimmung. Mit diesem Vorbegriff ist gedacht, daß außer dem Seienden selbst nichts sein kann. Man denkt auf diese Weise „Gott nicht speciell als den einzigen Gott, sondern nur als den überhaupt Einzigen, nicht als den seiner Gottheit nach, sondern als den bloß substantiell […] einzigen“.75 Die hier gedachte Substanz, bzw. Grundlage, ist Sein. Außer Sein ist nichts; es ist insofern einzig und, weil prinzipiell jedem zukommend, allgemein. Es ist hier „absolute Einzigkeit“ gedacht. Es kann kein Gott außer ihm sein, „weil überhaupt nichts außer ihm seyn kann, weil überhaupt […] keine Möglichkeit des Seyns außer ihm, weil Er das allgemeine Wesen ist.“76 Die bisher entwickelte absolute Einzigkeit ist aber für die Behauptung eines Monotheismus noch unzureichend. Der nächste Schritt ist es, von dieser absoluten Einzigkeit aus die „Einzigkeit Gottes als solchen zu finden.“77 Gott war begriffen als das Seiende selbst. Dieses aber war unbestimmt gedacht, also als Möglichkeit weiterer Bestimmung. Im Seienden selbst ist daher „die bloße allgemeine Möglichkeit
72
SW XII, 24. SW XII, 25. 74 Ebd. 75 SW XII, 29. 76 Ebd. 77 Ebd. 73
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zu dem Sein“78 gedacht. Mit der Möglichkeit ist das, zu dem es die Möglichkeit, die Potenz ist, nicht wirklich, darum aber doch nicht überhaupt nichts, wenn es denn die Möglichkeit zu etwas Wirklichem sein soll. Wenn das Sein die Potenz für Gott ist, besteht für ihn keine Notwendigkeit zu sein, er ist im Gegensatz zu allem Geschöpf frei vom Sein. Gott ist „frei gegen das Seyn, d. h. eine lautere Freiheit zu seyn oder nicht zu seyn,“ oder anders „Herr des Seyns.“79 Das Sein ist aus dieser Perspektive „ein Hinzukommendes dessen, was Ist.“80 Der Herr des Seins muß nicht sein. Das, was Ist, oder das Seiende selbst, kann sich zu dem Sein unmittelbar nur so verhalten, daß es „das unmittelbar und von sich selbst aus […] seyn Könnende ist,“81 daß es durch sein Wollen und nur durch sein Wollen sein kann. Schelling erläutert seinen Gedanken in Abgrenzung vom Pantheismus. Da in Schellings Überlegung das Sein, und zwar alles Sein, als das Sein Gottes bestimmt ist, besteht in dieser Behauptung Übereinstimmung mit dem Pantheismus. Die Differenz liegt darin, daß in diesem Gott nicht frei gegenüber dem Sein gedacht wird. Der Pantheismus setzt den Begriff des Sein-Könnens absolut. Genauer ist ein solches Können als ruhender, sich actu nicht vollziehender Wille zu denken. Schelling argumentiert: Die Natur des Willens, auch des ruhenden, aber ist wollen. Da dieser hier zu denkende Wille nichts außer sich hat, kann er nur überhaupt wollen, er „kann nur Wollen seyn“.82 Schelling verweist auf unsere Erfahrung, daß ein Wille, der in uns entsteht, ein Sein ist, das zuvor nicht da war und in nichts weiter als eben im Wollen besteht. Indem der ruhende Wille als Wille zu denken ist, muß er seiner Natur nach als wollend gedacht werden. Da hier Wille des Seins und nicht etwa des Geistes gedacht wird, vollzieht sich dieser Wille natürlich, nämlich als Prozeß, als Übergang von Potenz in Akt. Schelling schließt nun, „daß die auf solche Art, durch unmittelbare Erhebung ex potentia in actum seyend gewordene Potenz nicht mehr Potenz, also auch nicht mehr Wille, sondern das nun willenlos und in diesem Sinn nothwendig Seyende seyn würde;“83 die Substanz Spinozas, „ein außer sich gesetztes, sich selbst nicht mehr besitzendes, besinnungsloses, und in diesem Sinn nothwendig, nämlich blindlings Seyendes“.84 „Besinnungslos“ und „blindlings“ vollzieht sich dieser Wille, der hier vielleicht besser nur noch Kraft zu nennen wäre, der „die Natur in 78
SW XII, 30. SW XII, 33. 80 SW XII, 34. 81 Ebd. 82 SW XII, 37. 83 SW XII, 37. 84 SW XII, 38. 79
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Gott“85, das, was ihn befähigt Gott zu sein, und das wahre, in seiner Ausschließlichkeit freilich falsche Prinzip im Pantheismus ist. Dieses Prinzip aber ist besinnungslos und blind, kurz: ungeistig. So ist Gott nicht zu denken. Dieses Prinzip, „die unmittelbare Macht sich in das Seyn zu erheben […] ist von Gott nicht auszuschließen,“86 aber er hat sie in sich, nicht insofern er das Sein ist, sondern insofern er Gott ist. Als solcher ist er Geist und negiert „sich als den Ungeist“ und gelangt „durch diese Negation eben dazu sich als Geist zu setzen“.87 Im „als“ liegt, daß Gott sich seiner Geistigkeit bewußt ist. So kann er gerade durch seine Negation des „pantheistischen“ Prinzips gedacht werden. Der „wahre Begriff Gottes“ – und Schelling betont nachdrücklich, daß „von der Wirklichkeit […] noch nicht die Rede“ ist – „der wahre Begriff Gottes ist: das nur durch Negation des gegentheiligen Seyns als Wesen, als Geist seyn könnendes Wesen zu seyn.“88 Das blinde Sein wird somit zum Grund oder Anfang, im Sinne von ewiger αρχη. Dieses blinde Sein ist im hier gedachten apriorischen Begriff Gottes89 als negiertes gesetzt. „Der Begriff Gottes bringt es also mit sich, daß er sich in jenem Seyn als nicht seyend setze, aber er kann sich nicht in diesem als nicht seyend setzen, ohne sich in einem andern als seyend zu setzen, und zwar in diesem nun als rein seyend, d. h. als seyend ohne Uebergang a potentia ad actum.“90 Die Negation des Einen ist nur möglich, wenn in dem Anderen ein sachlicher Unterschied zu dem Einen liegt; falls das Eine ein Übergang von der Potenz in den Akt ist, muß das Zweite als reiner Akt gedacht werden. In diesem Gedankengang liegt aber auch, „daß Gott nur einzig – als Gott oder seiner Gottheit nach, also in anderer Hinsicht, oder von seiner Gottheit abgesehen, nicht einzig, sondern […] Mehrere ist.“91 Monotheismus heißt nach Schellings Einsicht: „Gott ist nur als Gott Einer, d. h. nicht Mehrere, […] dies verhindert nicht, […] daß er in anderer Hinsicht, d. h. sofern er nicht Gott ist, Mehrere sey.“92 Anders gesagt: Gott ist „nicht sowohl einzig, als übereinzig: mehr als nur Einer“.93
85
SW XII, 43. SW XII, 40. 87 SW XII, 41. 88 SW XII, 42. 89 Vgl. SW XII, 44. 90 SW XII, 44. 91 SW XII, 46. 92 SW XII, 47. 93 SW XII, 46. 86
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Diese Mehreren bestimmt Schelling als „das göttliche Seyn möglich machende Momente“94 oder Potenzen. Die Überlegung hat bisher zwei sich gegenseitig ausschließende Potenzen ergeben. Sie verhalten sich zueinander als potentia pura und actus purus. Die erste Potenz war schon erläutert als ruhender Wille, der, würde er actu wollen, sich nur auf sich selbst beziehen kann. Die zweite Potenz dagegen ist der „unselbstische Wille“, „das an sich Selbstlose“.95 Beide ergänzen sich gegenseitig; in ihnen ist Gott als Mehreres zu denken. Die erste Potenz, die Möglichkeit oder Macht zu sein, kann sich als Möglichkeit öffnen oder verschließen. Die zweite Potenz, als reiner Akt gedacht, kann sich nicht versagen. Die erste ist „das absolut Centrische“, wie die zweite „das ganz Excentrische“.96 Beide Potenzen, abstrakt gedacht, können sich verlieren, die erste im Selbstbezug, die zweite außer sich. Als Eines können sie aber nur sein, wenn statt des sich Verlierens ein Bei-sichSein gedacht werden kann, weshalb zu einer dritten Potenz, die dieses leistet, fortgegangen werden muß. „Bei-sich-seyn heißt im außer-sich-Seyn an sich (in seinem Wesen) bleiben und bestehen, sein An-sich, sein Wesen, sein Selbst nicht verlieren im außer-sich-Seyn.“ Selbstbesitz aber ist Geist. Damit wird auch erst voll verständlich, daß Gott Herr des Seins, nämlich frei von ihm ist. Mit der bisherigen Erörterung hat Schelling den „Begriff des göttlichen Seyns a priori“97 entwickelt. Davon, „daß er Ist, davon ist jetzt noch nicht die Rede.“98 Mit dem Begriff Gottes ist aber zugleich auch der des Monotheismus „in seiner Vollständigkeit“99 gewonnen. Indem die drei Potenzen „eine in sich beschlossene Mehrheit,“ man möchte sagen: sein System darstellen, Schelling sagt „ein wahres All“100, so ist Gott der All-Eine, und „der nur all-einig seyn Könnende, dies ist nun auch der einzige wahre Inhalt des Begriffs Monotheismus.“101 In einer kurzen Bemerkung, deren Quintessenz ich in einer theologischen Fakultät nicht unterschlagen darf, geht Schelling auf die christliche Trinitätslehre ein. Er schreibt: „Die christliche Dreieinigkeitslehre enthält materiell dasselbe, was unser Begriff des Monotheismus enthält, aber sie enthält es in
94
SW XII, 50. SW XII, 51. 96 SW XII, 57. 97 SW XII, 58. 98 Ebd. 99 SW XII, 59. 100 SW XII, 60. 101 SW XII, 61. 95
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einer Steigerung, bis zu welcher wir jetzt nicht fortgehen können.“102 Das werden wir auch nicht tun.
2.2) Das Leben Gottes oder der theogonische Prozeß Der bisher gewonnene Begriff ist ein Begriffsgefüge, ein System, mit Heidegger: ein Gestell. Ein solches ist unlebendig und reicht nicht aus, Lebendes zu verstehen. Nun ist aber durch Kant schon für den Idealismus der Prototyp des Systems der Organismus. Analog läßt sich sagen: Wie die Kenntnis der Anatomie zwar notwendig ist, Lebendes zu begreifen, so ist sie doch dazu nicht hinreichend. Das bedeutet: Der bislang erreichte Begriff muß weiter entwickelt werden; er sagt, was Gott ist. Insofern ist die Grundlage der weiteren Überlegung Schellings Begriff des Monotheismus: Gott ist in drei Potenzen der Eine. Die nächste Frage ist, wie dieser Eine Gott als wirklich seiend, als „ein mit Actus verbundenes Seyn“103 zu verstehen ist. Ein Begriffsgefüge ruht; wenn aber ein Akt gedacht wird, so sind in seiner Bewegung Anfang bzw. Ursprung, Mittel und Ende bzw. Ziel unterschieden. Diese Unterscheidung also ist zu denken, wenn Gott als wirklich, als wirkend gedacht wird. Der Anfang einer Bewegung ist dort zu denken, wo sich eine Potenz in den Akt erhebt. Das ist bei der ersten Potenz, die als potentia pura oder ruhender Wille in den Akt übergehen kann, zu denken möglich. Sie wird „durch göttlichen Willen, durch göttliche That als seyend gesetzt“104, und zwar damit sie durch die zweite Potenz, den actus purus, als nicht seiend gesetzt wird. Schelling denkt dies so: Indem die erste Potenz sich erhebt, bezieht sie sich auf sich selbst und unterscheidet sich in der Einheit Gottes. Damit ist aber auch die zweite ebenso auf sich bezogen und unterschieden von den anderen und setzt, da sie die Potenz nicht mehr in der ersten außer sich hat, eine Potenz in sich selbst, was ihrem Wesen widerstrebt. Sie wird von der ersten Potenz als actus purus negiert. Diese Negation aber muß die zweite Potenz ihrem Wesen als actus purus nach ihrerseits negieren und sich als das, was sie ist, als actus purus wiederherstellen. Wie man sich hier gar nicht anders ausdrücken kann, zeigt sich hier ein Prozeß, eine Bewegung, ein Leben. Die Potenzen sind gedacht als Wille; der Prozeß ist also einer des Willens, in dem der Wille der zweiten Potenz den der ersten überwindet, indem er ihn besänftigt, d. h. zu sich selbst zurückbringt, damit er „um uns gleich in 102
SW XII, 79. SW XII, 80. 104 SW XII, 84. 103
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mythologischer Sprache auszudrücken, zum Sitz und Thron jenes Höchsten werde, dem allein gebührt zu seyn, und das, weil ihm das actuelle Seyn durch zwei Potenzen vermittelt ist, […] das Seynkönnende der dritten Ordnung, […] der als solcher seyende, der sich selbst besitzende Geist […] ist.“105 Schelling betont, der Geist sei eine der drei Potenzen in Gott, Gott aber sei über den Potenzen. „Denn Gott ist nur in den drei Potenzen, als der alles in allem wirkende, aber eben darum über sie erhabene, und obgleich in ihnen wirkend, doch von ihnen durch das Unauflösliche seiner Einheit oder AllEinheit unterschiedene.“106 Gott ist hier gedacht als der sich in den Potenzen vollziehende, als die Freiheit, welche in den Potenzen lebt. Durch die hier gedachte Bewegung schließen sich die Potenzen gegenseitig aus, sie gewinnen Eigencharakter. „Die Potenzen in dieser Stellung sind insofern das heraus‑ oder umgekehrte Eine […] Universum […] das gleichsam umgewendete Eine.“107 Es sind hier nur die reinen Potenzen gedacht, „eine rein geistige Welt“108, noch keine Schöpfung. Schelling betont, diese universio sei „das reine Werk des göttlichen Wollens und der göttlichen Freiheit.“109 Die Spannung der Potenzen wird deshalb zu denken notwendig, weil das göttliche Sein nur auf diese Weise „wirklich, actu zu setzen“110 ist. Ist diese Gedankenfolge durchgeführt, resümiert Schelling: „Dieser ganze Proceß ist nur Proceß der Erzeugung des göttlichen Seyns – der theogonische Proceß, dessen allgemeinster und höchster Begriff also nun gefunden, dessen Begriff als ein höchst reeller dargethan ist.“ Der theogonische Prozeß ist also nicht zureichend als religionsgeschichtlicher Prozeß zu begreifen, sondern als innergöttliche Konstitution und Leben. Schelling fährt nach dem letzten Zitat fort: „Und so ist denn nun durch dieses Wunder der Umstellung oder Umkehrung der Potenzen das Geheimniß des göttlichen Seyns und Lebens selbst erklärt.“111
2.3) Der theogonische Prozeß in der Schöpfung Mit dieser Erklärung jedoch ist nicht erklärt, in welcher Beziehung dieser innergöttliche Prozeß zum menschlichen Bewußtsein, in welchem die Historische Einleitung ihn doch nachgewiesen hat, steht. Ein Prozeß muß als 105
SW XII, 88 f. SW XII, 89. 107 SW XII, 90. 108 SW XII, 91. 109 Ebd. 110 Ebd. 111 Ebd. 106
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zielgerichtet verstanden werden. Gott ist als Herr des Seins gesetzt, er muß sich nicht verwirklichen. Das Ziel des Prozesses kann nicht er selbst sein, es muß praeter ipsum (im Gegensatz zu extra ipsum) gesucht werden. Dazu bleibt nichts als die Schöpfung. Es ist zu zeigen, daß die Potenzen „Ursachen eines möglichen Entstehens zuvor nicht vorhandener Dinge“112 sind. Die Potenzen verhalten sich daher als Ursachen, und zwar als reingeistige Ursachen, die erste als causa materialis oder als απειρον, die zweite als causa efficiens oder als πέρας, die dritte als causa finalis oder als sich selbst bestimmende, d.i. als Geist. Die Potenzen sind deshalb Ursachen, „weil sie sich als solche wirklich verhalten – im göttlichen Vorbegriff als die Möglichkeiten des noch künftigen, von Gott verschiedenen Seyns – im wirklichen Proceß […] als Potenzen des göttlichen, gottgleichen Seyns, das durch sie hervorgebracht werden soll.“113 Schelling legt Wert darauf, daß sein Potenzenbegriff richtig verstanden wird und führt aus: „Die Potenzen […] sind reale, wirkende, insofern wirkliche Mächte, sie stehen zwischen dem Concreten und den bloß abstrakten Begriffen insofern in der Mitte, als sie nicht weniger wie diese, nur in einem höhern Sinn, wahre Universalia sind, die doch zugleich Wirklichkeiten sind, nicht wie abstrakte Begriffe Unwirklichkeiten.“114 Abstrakte Begriffe wirken nicht, die Potenzen sind also Mächte, aber solche, die universal, in allem wirkend zu denken sind. Als ein Beispiel in der Natur nennt Schelling die Schwere. Die Schöpfung ist somit aus den Potenzen, bzw. dem theogonischen Prozeß zu begreifen. Dieser Prozeß ist als solcher einer der stufenweisen Entwicklung, an dessen Ende menschliches Bewußtsein steht. In diesem Prozeß erzeugen sich „Bildungen, die alle mehr oder weniger Abbildungen jener höchsten Einheit sind, Bildungen, die darum, weil sie alle Potenzen in sich darstellen, auch in sich selbst vollendet, abgeschlossen, d. h. eigentliche Dinge seyn werden.“115 Die Dinge sind aus den drei Potenzen in unterschiedlicher Weise zusammengewachsen, konkret: Der theogonische Prozeß ist zugleich der der Schöpfung. Damit setzt er aber auch das menschliche Bewußtsein, in welchem die Potenzen wieder in ihrer Einheit sind. Schellings Gedanke geht von dem aus, was zur ersten Potenz erbracht ist. Diese erhebt sich von der Potenz in den Akt, um in die Potenz zurückgebracht zu werden. Im Vorbegriff hat sich diese Potenz als „Grund der ganzen Gottheit, als das Gott setzende gezeigt;“116 im Schöpfungsprozeß zeigt es sich als das Gott durch einen Pro112
SW XII, 109. SW XII, 114. 114 SW XII, 115. 115 SW XII, 117. 116 SW XII, 118. 113
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zeß, eben den theogonischen Setzende. Im Bewußtsein ist die Erhebung der ersten Potenz in den Akt wieder zur Potenz zurückgebracht und ist damit die „Gott setzende.“117 Dies ist genau zu verstehen: Es ist dies nur, falls „es in dieser seiner reinen Innerlichkeit beharrt, nicht wieder heraustritt und zu einem neuen Seyn sich erhebt.“118 Das Bewußtsein ist seiner Substanz nach „vor allem Actus […] nicht actu, nicht mit Wissen und Wollen“119 das Gott setzende. Schelling sieht sich hier zurückgeführt auf „jene Substanz des Bewußtseyns, die sich […] früher als […] Ausgangspunkt jener die Mythologie erklärenden Entwicklung dargestellt hatte.“120 Es ist die erste Potenz, die als sich erhebende wieder in sich zurückgebracht, zu sich gekommen, also Bewußtsein ist. Genau diese Rückwendung aber ist das Gott Setzende, und zwar nicht actu. „Das menschliche Bewußtseyn […] hat den Gott an sich, nicht als Gegenstand vor sich.“121 Da es bei Gott ist, kann es sich nur von ihm entfernen, wenn es sich bewegt. Das aber steht in der Freiheit des Bewußtseins, weil dieses auf der Zurückwendung der ersten Potenz aus dem Akt in die Potenz beruht, indem diese ihm ermöglicht, zwischen beiden zu stehen und damit von beiden frei zu sein. Damit wiederum ist ihm die Möglichkeit gegeben, den zur Ruhe gebrachten Akt wieder durch eigene Tat in sich zu erheben. Diese Erhebung ist geistig und verursacht einen neuen Prozeß, den mythischen oder theogonischen, dem das Bewußtsein in der „Erzeugung von Vorstellungen“122 unterworfen ist. Im innergöttlichen Prozeß schließt Gott nichts aus, da er der All-Eine ist. Menschliches Bewußtsein steht zwischen den Möglichkeiten der ersten Potenz, nämlich Akt oder Potenz zu sein. Entscheidet es sich, so scheidet es sich und schließt aus. Als ausschließendes ist es aber außer dem All-Einen. Der ausschließende Wille ist damit außergöttlich und „soll ein außergöttlicher bleiben und in dieser Außergöttlichkeit wieder ein göttlicher seyn“.123 Der außergöttliche Wille hat die zum Akt erhobene erste Potenz als Potenz, die er – frei, wie er ist – erheben kann, in sich. Da aber die Potenz die Potenz Gottes ist, ist das Bewußtsein mit diesem so „verwachsen, daß es sich nicht bewegen kann, ohne daß sich ihm der Gott selbst bewegt.“124 Seine Gottesvorstellung wandelt sich entsprechend den 117
SW XII, 119. Ebd. 119 Ebd. 120 Ebd. 121 SW XII, 120. 122 SW XII, 123. 123 SW XII, 124. 124 SW XII, 125. 118
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Potenzen. Ziel des Prozesses ist das volle Bewußtsein dessen, was es als ursprünglich Gott natura sua setzendes war. „Man kann daher den ganzen folgenden Proceß ansehen als Uebergang von jenem bloß wesentlichen, in das Wesen des Menschen gleichsam eingewachsenen Monotheismus zum frei erkannten Monotheismus“.125 Der Übergang ist eine Tat des Menschen, die ihn letztendlich frei macht. Insofern soll sie sein. Ob sie in anderer Hinsicht nicht sein soll, ob sie also, wie Schelling es an anderer Stelle tut, als Fall zu qualifizieren ist, darüber spricht Schelling hier nicht. Hier kommt es ihm darauf an, den theogonischen Prozeß, wie er in der Historischen Einleitung dargestellt ist, begriffen und so die Überlegung an ihren Anfang zurückgebracht zu haben. Schelling hat den Begriff des theogonischen Prozesses, und zwar, wie er öfter betont hat, nur den Begriff, entwickelt. Die Existenz Gottes läßt sich, wie Schelling mit Kant festhält, nicht beweisen. Kant hatte Gott als denknotwendige Idee, bzw. als Postulat behauptet, jeden Gottesbeweis aber für unmöglich erklärt. Indem Gott dadurch zur letzten Bedingung der Möglichkeit uns zu denken wurde, erschien er weit von den irdischen Dingen entrückt. Mochte er existieren oder nicht, wir müssen hier zurecht kommen. Die jüngeren Philosophen Schopenhauer, Feuerbach, Marx und wenig später Nietzsche, denken so. Schelling scheint mir die Gefahr zu sehen, daß das Gottesbewußtsein gleichgültig wird. Er entwirft daher eine Konstruktion, durch die ein enger Zusammenhang zwischen Mensch, Welt und Gott denkbar ist. Er liefert keinen Gottesbeweis, aber er eröffnet eine Denkmöglichkeit, wohl gar, wenn seine Konstruktion sich bewährt, eine Denknotwendigkeit. Die Existenz Gottes ist damit nicht bewiesen – das ist unmöglich –, sie muß sich erweisen, worüber heute nicht zu reden war. Dem, der einem solchen Erweis traut, bietet Schelling eine Theorie, die sein Vertrauen vor der Vernunft rechtfertigt.
Literaturverzeichnis Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Einleitung in die Philosophie der Mythologie, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sämmtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Bd. XI, Stuttgart 1856. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Philosophie der Mythologie, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sämmtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Bd. XII, Stuttgart 1857. 125
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„Ursprünglich mit dem Gott gleichsam verwachsen“ Zu Status, Herkunft und Inhalt des religiösen Bewusstseins bei Schelling Stefan Gerlach Dass Menschen aller Orte und Zeiten religiöse Vorstellungen gehabt haben und immer noch haben und dass solche Vorstellungen imstande sind, Weltanschauung und Praxis fundamental zu prägen, bedarf keiner Erläuterung. Aber worin bestehen solche Vorstellungen? Was zeichnet religiöses Bewusstsein grundsätzlich aus? Und weshalb haben Menschen überhaupt religiöses Bewusstsein? Ist dies in der „Materie“ des Bewusstseins gleichsam enthalten oder wird es im Laufe des Lebens erworben? Und haben alle Menschen notwendig ein solches, oder ist die Religiosität ein kontingentes Faktum, das bei dem einen zutrifft und dem anderen nicht? Eine anspruchsvolle Theorie des religiösen Bewusstseins sollte diese Fragen im Wesentlichen beantworten können. Schellings Auffassung vom religiösen Bewusstsein, wie er sie von seiner ersten Münchner Zeit an zu entwickeln beginnt, ist eine solche anspruchsvolle Theorie. Sie in ihren Grundzügen zu rekonstruieren, ist die Aufgabe dieser Untersuchung. Schellings Theorie wird dabei in fünf Schritten entfaltet: Der anhand von Schellings Potenzentheorie in der Konstitution des absoluten Geistes Gottes zu beantwortenden Frage nach der prinzipiellen Form von Bewusstsein (I.) folgt die Frage nach der Ebenbildlichkeit des Menschen in der Schöpfung in Hinsicht auf ein solches Bewusstsein (II.). Der Charakter des spezifisch religiösen Bewusstseins des Menschen wird dann über die Konstitutionsstufen eines prähumanen Urbewusstseins (III.), des Bewusstseins des Menschen vor dem Sündenfall (IV.) schließlich zum Bewusstsein des wirklichen, geschichtlichen Menschen (V.) hin entwickelt.
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I. Die Konstitution des Geistes als reflexives Bewusstsein a) Der absolute Geist als Einheit der Potenzen In seiner Spätphilosophie1 entwickelt Schelling eine Theorie des Bewusstseins innerhalb einer Prinzipienontologie2 des absoluten Geistes Gottes. Das heißt, zur Rekonstruktion seiner Theorie des religiösen Bewusstseins ist zunächst nachzuzeichnen, wie göttliches Bewusstsein entsteht und was es beinhaltet, um von dort aus das menschliche Bewusstsein als religiöses zu verstehen. Demnach müssen zunächst die Aufgabe und das Programm gefasst werden, das sich Schelling insbesondere in der ‚positiven Philosophie‘ vorgesetzt hat, wo er die zum religiösen Bewusstsein führende Prinzipienontologie am Ausführlichsten dargestellt hat. Schelling geht es in seiner Spätphilosophie um eine Erklärung der Art und Existenz des Seienden im Ganzen. Die Erklärung ihrer Art (ihres Was-Seins) ist dabei die Aufgabe, die sich die traditionelle Metaphysik seit der Antike gestellt hat; Schelling nennt dies die negative Philosophie, die im bloß Begrifflichen verbleibt. Die Erklärung der Existenz der Welt (ihres Dass-Seins) hingegen ist die Aufgabe der positiven Philosophie, welche Schelling seinem eigenen Anspruch nach zuerst entdeckt und entwickelt hat. Ihr geht es um die Beantwortung der Frage „Warum ist überhaupt etwas, warum ist nicht nichts?“ (XIII, 242).3 Um diese Frage zu beantworten, muss Schelling hinter das Sein zurückfragen in die Voraussetzungen seiner Existenz. Als dessen Bedingungen müssen sich Möglichkeiten des Seins erweisen, die „vor dem Seyn“ (XIII, 204) sind; Schelling nennt sie „Potenzen des Seyns“ (XIII, 246), als „Principe […], deren innerstes Wesen bloße Möglichkeit ist“ (XI, 387). Als solche müssen sie die Bedingung erfüllen, dass aus ihnen überhaupt Sein entstehen 1 Mit
‚Spätphilosophie‘ wird zumeist die Zeit ab Schellings Rückkehr nach München 1827 bezeichnet. Allerdings werde ich zudem auf die Epoche der Freiheitsschrift und Weltalter 1809–15 zurückgreifen, in der zentrale Ansätze der Spätphilosophie schon konzeptionell angelegt waren. 2 Vgl. Albert Franz, Philosophische Religion. Eine Auseinandersetzung mit den Grundlegungsproblemen der Spätphilosophie F. W. J. Schellings, Amsterdam 1992 (= Religion), der Schellings Spätphilosophie als „ontologische Prinzipienwissenschaft“ bezeichnet, vgl. 78, wenngleich Schelling den Terminus „Ontologie“ selbst nicht gebrauche. Als „Wissenschaft vom Seienden“ (XIII, 76) kennzeichne Schelling jedoch die Philosophie im Kern als Ontologie. 3 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sämmtliche Werke, XIV Bde., hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart / Augsburg 1856–61 (mit römischer Angabe des Bandes und arabischer der Seite im Fließtext).
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kann – das heißt, dass sie überhaupt ins Sein übergehen können. Demnach nennt Schelling in der Philosophie der Offenbarung die erste Potenz „das unmittelbar seyn Könnende“ (XIII, 204).4 Ihr Charakteristikum ist der Grundzug des Übergangs ins Sein überhaupt. Damit erweist sie sich als expansives, transitives Element.5 Dieser ersten Potenz muss eine zweite, begrenzende gegenüberstehen, damit die erste „nicht immer schon übergegangen“ (XIII, 208) ist, d. h. sich nicht in unendlicher Transitivität verliert. Dieses begrenzende, festhaltende Element nennt Schelling „das rein Seyende“ (XIII, 210).6 Beide Potenzen dürfen aber nicht wie physikalische Kräfte verstanden werden, bei welchen sich das hinausdrängende oder zurückhaltende Element zuletzt als das Stärkere erweisen könnte. Denn dann wäre die Welt entweder durch Zurückhaltung gar nicht entstanden, oder sie verbliebe in einem starren Gleichgewicht, oder sie würde doch zuletzt über alle Grenzen hinaus ins Sein übergehen, d. h. sich im Sein verlieren. Daher müssen die beiden Potenzen eine dynamische Einheit bilden, in der sie sich weder wechselseitig neutralisieren noch einseitig aufheben. Diese Einheit wiederum stellt so selbst eine Seinsvoraussetzung dar. Sie ist die dritte Potenz, die Schelling „das als solches seyende Seynkönnende“ (XIII, 236) nennt, und die als die Einheit von unmittelbar Seinkönnendem und rein Seiendem ins Sein übergehen kann, aber nicht muss. Sie ist daher das „wirklich zu seyn und nicht zu seyn Freie“ (XIII, 238), das „seiner selbst Mächtige, sich selbst Besitzende“ (XI, 391).7 4 Schelling hat die Potenzendeduktion in seiner Spätphilosophie vielfach, und unter variierenden Bezeichnungen, dargestellt. Ich folge hier der begrifflichen Fassung der Philosophie der Offenbarung; vgl. hierzu auch ausführlicher: V f., „Die Schöpfung als Handlung in Schellings ‚Philosophie der Offenbarung‘, in: NZSTh 55 (2013), 284–313. Und zur Potenzenlehre generell sehr erhellend: Damir Barbarić, „Schellings Potenzenlehre in seiner Philosophie der Mythologie“, in: Friedrich Hermanni/Dietmar Koch/Julia Peterson (Hgg.), „Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist – Freiheit!“ Schellings Philosophie in der Sicht neuerer Forschung, Tübingen 2012, 309–330. 5 Schelling charakterisiert die erste Potenz an anderer Stelle auch als „Urseyn“ und „Wollen“ (VII, 350 und XI, 388), als „Ur‑ und Grundwollen, [bzw.] Grund und die Basis aller Wesenheit“ (VII, 385), als Subjekt der anderen Potenzen (XII, 124), als das „Grenz‑ und Bestimmungslose, […] gleich dem […] platonischen Unendlichen (Apeiron)“ (XI, 388) oder als „causa materialis“ (Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vorlesung WS 1832/33 und SS 1833, hrsg. von Horst Fuhrmans , Turin 1972 (= GPP), 297). 6 Die zweite Potenz wird auch charakterisiert als „die Grenze (peras)“ (X, 393), als Prinzip der Ordnung (ebd.), als causa efficiens (XII, 112), als Objekt (XIII, 78), als Licht und Verstand (VII, 360) oder als Existierendes (VII, 395). 7 Auch hier finden sich vielfältige weitere Charakterisierungen: Die dritte Potenz ist causa finalis (XIII, 279), das Subjekt-Objekt (XIII, 78) oder die absolute Existenz als Geist (VII, 395).
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Mit der Freiheit der dritten Potenz ist nun jedoch bereits ein zentrales Merkmal gegeben, das geistige Wesen auszeichnet. Ein Wesen, das die Freiheit besitzt, die Existenz des Seins insgesamt zu veranlassen oder zurückzuhalten, kann Schelling demnach als den absoluten Geist in der Form des freien Schöpfergottes identifizieren. Gott ist allerdings nicht mit der dritten, einheitsstiftenden Potenz identisch, sondern die Einheit der drei Potenzen – damit die Einheit ihrer Einheit und Differenz.8 Dies verbürgt, dass Gott als Absolutes unabhängig bleiben kann von der Konstellation der Potenzen in ihm – dass er sie beherrschen und frei über sie verfügen kann – und dass er zugleich aus sich, d. h. den Potenzen in ihm, den Prozess der Wirklichkeit in Gang setzen kann, ohne dabei seinen Status als Absolutes zu verlieren und selbst Potenz zu werden. Damit ist die wesentliche Aufgabe der positiven Philosophie geleistet, mit der Freiheit Gottes in der Schöpfung ein Erklärungsprinzip für die Existenz der Welt zu finden. Schelling fasst deren Programm und Ergebnis in der Philosophie der Mythologie folgendermaßen zusammen: Die positive Philosophie „geht von der Existenz aus, von der Existenz […] des in der ersten Wissenschaft als nothwendig existirend im Begriff […] Gefundenen. Dieses hat sie zuerst nur als reines Daß […], von welchem zum Begriff, dem Was (dem Seyenden) fortgegangen wird, um das so Existirende bis an den Punkt zu führen, wo es sich als wirklichen (existenten) Herrn GPP, 298: „Als drei Ursachen verhalten sich die drei Principien im Process. Da aber dieser selbst nur Tatsache ist, so ist die Ursache, die ausser und über dem Process bleibt als die den Process setzende und daher unabhängig von ihm seiende, erst die wahre Ursache: das zuerst und ursprünglich allein Existierende“. Vgl. hierzu auch Albert Franz, Religion, 227 f. Ebenso bezeichnet Schelling in der Urfassung den Menschen als einen, der „zwischen [den] drei Potenzen als ein Viertes zu stehen kommt, frei von jeder einzelnen Potenz“ (Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Urfassung der Philosophie der Offenbarung, hrsg. von Walter E. Erhardt, Hamburg 1992, 217). Allerdings kann man diese Position nicht in jeder Schrift Schellings zur Potenzenlehre belegen. Sondern es gibt ebensosehr Texte, bei denen er die Einheit der drei Potenzen (wovon die dritte selbst die Einheitsstiftende ist) schon als Gott (bzw. absoluten Geist) bezeichnet – z. B. in VII, 395: „Gott [ist] durch die Verbindung des idealen Princips in ihm mit dem (relativ auf dieses) unabhängigen Grunde, da Basis und Existierendes in ihm sich notwendig zu Einer absoluten Existenz vereinigen“. Die uneinheitliche Konzeption wird auch daran sichtbar, dass Schelling die aristotelische vier-Ursachen-Lehre unterschiedlich der Potenzenlehre zuordnet: In der GPP, 297 ordnet er die causae materialis, efficiens und finalis den drei Potenzen und die causa formalis als vierte zugleich Gott als übergeordneter Ursache zu; in der Philosophie der Mythologie hingegen lediglich die causae materialis, efficiens und finalis als die drei Potenzen, wobei die causa finalis explizit Gott gleichgesetzt wird (XII, 112) und dann in der Philosophie der Offenbarung die causae materialis, formalis und finalis in dieser Reihenfolge entsprechend der trinitarischen Ordnung von Vater, Sohn und Geist (XIII, 342). 8 Vgl.
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des Seyns (der Welt), als persönlichen, wirklichen Gott erweist, womit zugleich auch alles andere Seyn, als von jenem ersten Daß abgeleitet, in seiner Existenz erklärt, und also ein positives, d. h. die Wirklichkeit erklärendes System hergestellt wird.“ (XI, 561 f.).
Für die gegebene Frage nach Art und Herkunft des religiösen Bewusstseins des Menschen ist hierdurch bereits zweierlei gewonnen: es ist erstens prinzipiendeduktiv gesichert, dass es überhaupt einen Gott in der Form eines freien Schöpfers gibt. Und es haben sich zweitens durch die Fügung der Potenzen zur Einheit des absoluten Geistes die Elementarbeziehungen von Bewusstsein gezeigt.
b) Die innere Struktur des absoluten Geistes Von der prinzipienontologischen Deduktion des absoluten Geistes aus gilt es zu sehen, wie ein als ein solcher Geist verstandenes Bewusstsein strukturell aufgebaut ist. Das heißt, die Fügung der Prinzipien im Geist Gottes muss sich erweisen lassen als etwas, das sich phänomengerecht ,Bewusstsein‘ in einer mit dem menschlichen Bewusstsein vergleichbaren Form nennen lässt, wenn von hier aus die Grundlage einer Theorie des religiösen Bewusstseins gewonnen werden soll. Betrachtet man die Wechselbezüglichkeit der Potenzen in der Einheit ihrer hinausdrängend-zurückdrängend-begrenzenden Struktur als Geist, so erweist sich dieser des Näheren als reflexives Selbstbewusstsein. Wie dies? Schelling nennt die transitive Form der ersten Potenz den „an sich seyende[n] Geist“ (XIII, 251), oder, da diese bloße Potentialität und somit Grund für alles weitere ist: das Subjekt (XII, 124). Die bei-sich bleibende Form der zweiten Potenz, insofern sie die erste Potenz in ihrer hinausgehenden Bewegung zurückhält und auf sich selbst rückbezieht, nennt Schelling: den „für sich selbst seyende[n] Geist“ (XIII, 252) oder das Objekt (XIII, 78). Hierdurch wird die Wechseldurchdringung der beiden ersten Potenzen deutlich, insofern der für sich seiende Geist eben für den an-sich seienden ist und umgekehrt dessen an-sich darin besteht, Bezugspunkt des für-sich seienden zu sein. Bewusstsein ist nichts, das lediglich in seinen objektiven Gehalten in sich ruht, und nichts, das umgekehrt in bloßer Gegenstandsbezüglichkeit sich verliert. Subjekt und Objekt können nicht isoliert bestehen, sondern sind relationale Wechselbegriffe. Es gibt nicht etwas, das bloß Objekt ist, ohne für ein Subjekt zu sein, und nichts, das bloß Subjekt ist, ohne ein Objekt zu haben. Die Momente des an-sich und des für-sich seienden Geistes müssen demnach als eine Einheit verstanden werden, wodurch sich als dritte Stufe die volle Elementarstruktur des Bewusstseins zeigt, die gleichermaßen für Gott wie für den Menschen gilt:
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„Der vollkommene Geist ist also 3) der im an sich oder Subjekt-Seyn für sich seyende, der als Subjekt sich selbst Objekt seyende, so daß er […] in einer und derselben Gestalt, also unzertrennlicher Weise, ohne wirklich zwei sein zu können, Subjekt und Objekt ist, wie der menschliche Geist, indem er sich selbstbewußt ist und sich selbst hat.“ (XIII, 253 f.).9
Die hierdurch zutage tretende Reflexionsstruktur ist fundamentaler Art: Bewusstsein ist zum einen Bewusstsein von etwas. Es ist nie leer. Subjekt und Objekt kommen darin zusammen; seit Brentano wird dies mit ‚Intentionalität‘ bezeichnet. Aber es ist dabei zugleich Bewusstsein seiner selbst; das heißt, insofern jemandem etwas (außer ihm) bewusst ist, ist ihm zugleich auch immer bewusst, dass er (in sich) Bewusstsein von etwas außer ihm hat. Bewusstsein ist demnach immer ein Selbstverhältnis, ein: sich-zu-sich-verhalten.10 Das heißt auch, dass sich das Bewusstsein im Selbstbewusstsein in sich selbst verwirklicht. Entsprechend entsteht erst durch die Einheit der Potenzen der absolute Geist als Selbstverhältnis. Gott wird durch die Vorstellung seiner selbst in sich wirklich. Als Vorstellung (Vorgestelltes) seiner selbst ist er sich zunächst als Objekt gegeben, als Selbstvorstellung ist dieses Objekt das selbst objektivierte Subjekt. Das heißt, erst in der Vorstellung seiner selbst als Gegenüber wird aus einer unhintergehbaren und bis dato bloß abstrakten, bewusstlosen Subjektivität Bewusstsein=Selbstbewusstsein in der vollen Subjekt-Objekt-Struktur. Damit sind die Voraussetzungen für einen wichtigen zweiten Schritt gegeben: indem Selbstbewusstsein sich auf etwas anderes als sich selbst und auf sich selbst beziehen kann, kann es sich auch auf sich selbst als auf etwas
Schelling greift hier auch auf den Ausdruck des Subjekt-Objekts zurück, den er ab ca. 1800 als Bezeichnung des Ichs bzw. des Bewusstseins gebraucht. Vgl. XIII, 235: „wenn wir das Seynkönnende als Subjekt, das rein Seyende als Objekt bestimmen, so ist das Dritte das, was weder bloß dieses, noch bloß jenes, sondern das unzertrennliche Subjekt-Objekt ist, […] kurz das als solches seyende Seynkönnende.“ (Vgl. auch III, 452 und IV, 86). 10 Bekanntlich hat Kierkegaard unter Schellings Einfluss eben dies zu seiner Definition des Selbst übernommen, nach welcher es gerade die Selbstbezüglichkeit des Verhältnisses ist, welche den Geist oder das Selbst ausmacht: „Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das an dem Verhältnisse, dass es sich zu sich selbst verhält“ (Sören Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, hrsg. von Lieselotte Richter, Frankfurt/ Main 1984, 13). – Vgl. hierzu: Annemarie Pieper, „Zum Problem der Herkunft des Bösen I: Die Wurzel des Bösen im Selbst“ (364–382), in: Otfried Höffe / Annemarie Pieper, F. W. J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit (Klassiker Auslegen Bd. 3), Berlin 1995, 91–110. Das sich-zu-sich-Verhalten wurde dann auch im 20. Jahrhundert weiter als Kernkriterium des Bewusstseins diskutiert, prominent z. B. bei Ernst Tugendhat, Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung, Frankfurt 1979. 9
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anderes beziehen; d. h. es kann sich als einen anderen anschauen. Im Fall des absoluten Geistes Gottes vor der Schöpfung heißt dies: Gott kann sich auf die mögliche Schöpfung als etwas anderes beziehen und er kann sich selbst als Gott betrachten. Aber darüber hinaus kann er in der Kombination dieser beiden Elemente auch sich selbst, Gott, als einen anderen, in oder außer sich betrachten. In der Freiheitsschrift beschreibt Schelling diesen Vorgang so, dass mit dem entstehenden Reflexionsbewusstsein notwendig ein Selbstbild Gottes entstehe: „[Es] erzeugt sich in Gott selbst eine innere reflexive Vorstellung, durch welche, da sie keinen andern Gegenstand haben kann als Gott, Gott sich selbst in einem Ebenbilde erblickt. Diese Vorstellung ist das Erste, worin Gott, absolut betrachtet, verwirklicht ist, obgleich nur in ihm selbst, sie ist im Anfange bei Gott, und der in Gott gezeugte Gott selbst.“ (VII, 360 f.).
Diese biblisch anspielungsreiche Passage ist hochbedeutsam: Zum einen legt sie deduktiv überzeugend dar, dass ein absoluter Geist als streng genommen erstes und einziges Sein zwar dank intentionalem Objektbezug sich auf ein anderes beziehen kann, dass dieses andere aber mangels existierendem anderen Sein nur wieder er selbst sein kann, und zwar er selbst als ein anderer: ein Gott in Gott. Dass Schelling diese Art des Entstehens Zeugung nennt, zeigt, dass er mit dem ‚Gott in Gott‘ Jesus als den vom Vater gezeugten Sohn meint – dass er von einem Ebenbild seiner selbst spricht, zeigt, dass er damit zugleich sowohl gemäß 2. Kor. 4,4 Jesus als Ebenbild Gottes als auch gemäß Gen. 1, 26 f. den Menschen als Bild (und Gleichnis) Gottes meint. Dies ist insofern auch nicht widersprüchlich, als Jesus bekanntlich der Gott in Menschengestalt ist, der Gottessohn, der zugleich Menschensohn (Mk. 9,12) genannt wird. Als Gottessohn betrachtet Gott ihn als Ebenbild in sich, als Menschensohn ebenso wie den Menschen selbst als Ebenbild außer sich. Dass zuletzt diese Vorstellung im Anfang bei Gott ist, zeigt in Anspielung auf den Johannesprolog (Joh. 1,1), dass sie gleichursprünglich mit dem Wort ist, das Schelling dementsprechend als den „ewige[n] Geist“ (VII, 361) interpretiert, wodurch sich in Gott das trinitarische Gefüge vollendet. Für die gegebene Fragestellung festzuhalten ist, dass zu Gott als absolutem Geist von Anfang an das Bewusstsein von einem anderen ihm gleichen Bewusstsein gehört, das als sein Ebenbild bezeichnet wird und worin im Aspekt von Christus als Menschen eben der Mensch erscheinen kann.
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c) der Geist als Person Das reflexive Selbstbewusstsein ist als das Bewusstsein von Personen aufzufassen, wobei unter einer Person mit Schelling ein individuelles, geistiges, d. h. eben mit Selbstbewusstsein ausgestattetes Wesen zu verstehen ist.11 Auf dieser Basis kann Schelling die interne Selbstbewusstseinsstruktur als ein personales Innenverhältnis, das zugleich ein Verhältnis zwischen identischen Personen ist, deuten. Das heißt, dass Bewusstsein automatisch mit mindestens einer Verdoppelung der personalen Bezugspunkte verbunden ist: Personsein, lässt sich mit Schelling sagen, besteht daraus, dass jemand sich selbst als Objekt haben, d. h. ein Ebenbild seiner selbst erblicken kann. Dieses Ebenbild ist jedoch nicht schlechthin identisch mit demjenigen, der dieses Ebenbild erblickt. Sondern in seiner Objektivierung fasst sich jemand als eine bestimmte Person auf. Dieses fundamentale Selbstbild, das Personen entwickeln und in dessen Licht sie sich sehen, ist wiederum Teil ihrer Persönlichkeit selbst. Im Falle Gottes ist Jesus als Ebenbild Gottes Gott als ein anderer – als eine besondere Möglichkeit seiner selbst. Erst indem sich in Gott das Bild des Sohnes erzeugt, kann er sich selbst als Vater auffassen. Darin liegt aber eine weitere personale Ebene begründet: Insofern jemand sich als jemand versteht, ist diese Person zuletzt diejenige Einheit, die diese beiden personalen Momente umgreift. Hierbei kommt eine grundsätzliche drei-Personen-Dialektik zustande: Wenn x sich als y versteht, so ist er nicht mehr bloß x, sondern z als der sich als y verstehende x. Deshalb kann Schelling die Dreieinheitsstruktur nicht bloß als ein Spezifikum des christlichen Gottes, sondern als allgemeinen Charakter des personalen Bewusstseins überhaupt auffassen. Die Idee der
Freiheitsschrift: „Der Mensch ist Geist als ein selbstisches, besonderes […] Wesen, welche Verbindung eben die Persönlichkeit ausmacht“ (VII, 364). Nach Friedrich Hermanni ist demnach Persönlichkeit durch die Verknüpfung der Selbstheit mit dem als Verstand zu verstehenden Geist ausgezeichnet; Thomas Buchheim bezieht in der Interpretation derselben Stelle noch explizit den dunklen Grund der Natur ein (der in etwa der ersten Potenz der Spätphilosophie entspricht), so dass mit dem Schelling der Freiheitsschrift als Persönlichkeit „eine individuell gehaltene (‚selbstische‘) Natur, die denkt oder Bewusstsein von sich hat“ zu verstehen ist. Vgl. Friedrich Hermanni, „Der Grund der Persönlichkeit Gottes“, in: Thomas Buchheim/Friedrich Hermanni, „Alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde“. Schellings Philosophie der Personalität, Berlin 2004 (= Persönlichkeit), 165–178; hier: 172; vgl. auch die Diskussion zum Vortrag 264. Vgl. zudem Thomas Buchheim, „Grundlinien von Schellings Personbegriff“, in: Buchheim / Hermanni, Persönlichkeit, 11–34; hier: 24. 11 Vgl.
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Dreieinigkeit ist qua Bewusstseinsbinnenstruktur „eine allgemein menschliche, mit dem menschlichen Bewußtseyn selbst verwachsene“ (XIII, 314).12 Das heißt, Bewusstsein genügt sich nicht in seiner Selbstbezüglichkeit. Indem es in sich einen anderen erblickt, ist es immer schon auf ein alter ego bezogen, das es benötigt, um sich selbst zu erkennen. Daher bedürfen Personen anderer Personen in und außer sich. Darin, dass „das Ich […] als selbst Persönliches Persönlichkeit verlangt, eine Person fordert“ (VII, 434), liegt der Ursprung der Intersubjektivität. Zur Idee von Personalität gehört demnach mit Schelling immer die Idee einer Pluralität (oder zumindest Dualität) von Personen und ihr interpersonaler Bezug.13 Hinzu kommt der Aspekt der Handlungsfähigkeit: Im Sohn, in welchem Gott sich erblickt, stellt „sich ihm die Möglichkeit eines Seyns außer ihm“ (XIII, 320) dar. Diese Möglichkeit ist vom Standpunkt der Konstruktion des absoluten Geistes vor der Schöpfung zukünftig. Diese Zukünftigkeit hat zwei Seiten: Zum einen ist wegen der Momentaneität der Schöpfung, in der „alles in Einem magischen Schlage zugleich geschieht“ (VII, 387) und wegen der Gleichewigkeit des Sohnes mit dem Vater, die Künftigkeit dieser Möglichkeit als Möglichkeit nicht zeitlich, sondern als eine ontologische Prinzipiennachordnung zu verstehen. Als geschichtliche Wirklichkeit hingegen, in der die Menschwerdung Jesu sich vollzieht, ist der Sohn vom Standpunkt des Anfangs der Schöpfung für eine sukzessive Weltalterabfolge auch in einem echten zeitlichen Sinn zukünftig. Das heißt, dass die zweite Person des Bewusstseins als eine erscheint, in der das Bewusstsein sich selbst als zukünftiges außer sich verwirklichen kann. Etwas, das Personen in sich haben, zukünftig außer sich zu verwirklichen, ist jedoch die Grundgegebenheit von Handeln – auf Personen bezogen gar von sozialem Handeln. Daher ist die Schöpfung bei Schelling auch explizit „Handlung und That“ (VII, 395). Wir dürfen also mit Schelling die Handlungsfähigkeit als grundsätzliches Kriterium der Personalität hinzufügen.
12 Entsprechend kann Schelling sagen, die Idee der Dreieinigkeit sei „älter als das Christentum“; dieses sei nur „eine Folge dieses ursprünglichen Verhältnisses“ (XIII, 313). 13 Vgl. Dieter Sturma, „,Person sucht Person‘. Schellings personalitätstheoretischer Sonderweg“, in: Buchheim/Hermanni, Persönlichkeit, 55–70. Sturma hebt hervor, dass die vom Standpunkt des Menschlichen aus gesuchte göttliche Person gerade keine sein kann, die als Selbsterzeugte gilt, da eine als selbsterzeugt geltende Ewigkeit die Erwartung an sie trüben würde (vgl. XI, 567). Denn „die endliche Person strebe danach, sich rückhaltlos einer anderen Person anzuvertrauen“ (69).
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II. Die Gottesebenbildlichkeit und die Schöpfung a) Die Ebenbildlichkeit Im Falle des Schöpfergottes konnte das Bewusstsein eines internen Gegenüber Gottes menschliche Züge tragen – weil im Menschen wie in Gott das Dreieinigkeitsverhältnis wach ist. Dies ist der innere systematische Grund, der rechtfertigt, den Menschen als Ebenbild Gottes aufzufassen. Demnach müssen wir im Hinblick auf die Frage nach dem Zustandekommen des religiösen (Gott beinhaltenden) Bewusstseins im Menschen zunächst festhalten, dass es in Gott ein humanes, d. h. in der Gestalt des Sohnes notwendig auf den Menschen bezogenes Bewusstsein gibt. Die in der Genesis ausgesprochene Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott wird von Schellings mittlerer Philosophie an zu einem bestimmenden Motiv: „In dem menschlichen Wesen ist Gott praeter se in einem ihm vollkommen gleichen Abbild verwirklicht“ (GPP, 357). Die Redeweise von Schellings ‚Anthropomorphismus‘ ist gängig und zutreffend.14 Dabei geht Schelling methodisch zunächst den umgekehrten Weg der Schöpfung: er entwirft Gott als Geist entsprechend menschlicher Strukturen des Bewusstseins. Dies hat ihm den Vorwurf des Anthropomorphismus im abwertenden Sinn eingebracht, nämlich dass er Gott vermenschliche und ihn dadurch seiner besonderen Stellung und Würde weit über dem Menschlichen beraube. Gegen diesen Vorwurf hat sich Schelling mehrfach mit Vehemenz gewehrt: ein Gott, der in einer ungreifbaren Erhabenheit schwebe und kein menschliches Maß habe, sei keiner, zu welchem wir eine persönliche (und nicht bloß abstrakte) Beziehung haben könnten.15 Vom Standpunkt des aus der Perspektive des Menschlichen entwickelten Gottes kann Schelling dann umgekehrt über das Argument der Gottesebenbildlichkeit die Grundverfassung des menschlichen Bewusstseins darlegen: Gott wird menschlich 14 Vgl. VIII, 167: „Entweder überall keinen Anthropomorphismus, und dann auch keine Vorstellung von einem persönlichen, mit Bewußtseyn und Absicht handelnden Gott (welches ihn ja schon ganz menschlich macht), oder einen unbeschränkten Anthropomorphismus, eine durchgängige und […] totale Vermenschlichung Gottes.“ Zu Schellings Anthropomorphismus auch instruktiv: Oliver Florig, Schellings Theorie menschlicher Selbstformierung. Personale Entwicklung in Schellings mittlerer Philosophie, Freiburg 2010, 57–63. 15 Vgl. VII, 432: „[J]e mehr wir diesen Begriff von Gott hinaufschrauben, desto mehr verliert Gott für uns an Lebendigkeit, desto weniger ist er als ein wirkliches, persönliches, im eigentlichen Sinn, wie wir, lebendes Wesen zu begreifen. Verlangen wir einen Gott, den wir als ein ganz lebendiges, persönliches Wesen ansehen können, dann müssen wir ihn eben auch ganz menschlich ansehen.“
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(und dadurch auch ein Gott für die Menschen) und umgekehrt wird der Mensch göttlich – einer, der eine göttliche, Gott zugewandte Seite in sich trägt. Insofern der Mensch Gottes Bild ist, ist Gott auch Bild des Menschen. Dieses Verfahren, Gott über die Ebenbildlichkeit zum Menschen und den Menschen über die Ebenbildlichkeit zu Gott zu beschreiben, ist nicht zirkulär. Denn zum einen bedeutet Ebenbildlichkeit nicht Identität: es gibt sowohl für Gott als auch für den Menschen zusätzliche Eigenschaften, die ihnen jeweils singulär zukommen. Der Mensch hat zu Gott den „Unterschied des Gewordenseyns“ (XIII, 349). In diesem Gewordensein liegt, dass der Mensch unter der Bedingung von Zeitlichkeit und Endlichkeit steht. Die Fügung der Potenzen ist in ihm nicht unwandelbar, sondern zertrennlich (VII, 364). Und er hat im Gegensatz zu Gott die Möglichkeit zum Bösen. Zudem ist das Verfahren methodisch deswegen korrekt, weil das göttliche und menschliche Bewusstsein nicht lediglich aus sich selbst erklärt werden: der absolute Geist Gottes muss den Anforderungen einer Prinzipiendeduktion des Seinsursprungs genügen und das menschliche Bewusstsein muss phänomengerecht dem uns introspektiv bekannten entsprechen. Von hier aus ist nun zu sehen, wie der ebenbildliche Mensch durch den absoluten Geist in der Schöpfung tatsächlich zustande kommt.
b) Die Schöpfung Für die gesamte Spätphilosophie spielt die Schöpfungstat Gottes, der sich der Mensch und die Welt verdanken, eine entscheidende Rolle. Sie begründet den Übergang von einem ewig in sich ruhenden absoluten Geist Gottes zur realen Welt, in der natürliche Ereignisse verlaufen und in der sich der Mensch geschichtlich entwickelt. Dabei betont Schelling vielfach, dass es sich bei der Schöpfung um eine freie Handlung Gottes handelt, die dieser ebenso gut hätte unterlassen können.16 Gott wird dabei, wie gesehen, als handlungsfähiges personales Wesen verstanden, das auch in dieser Hinsicht von gleicher Art wie der Mensch ist. Hierzu gehört auch, dass Gott Mensch 16
Für Horst Fuhrmans ist die Freiheit Gottes in der Schöpfung gar das zentrale Merkmal der positiven Philosophie, welche das Sein nicht aus einem Absoluten logisch ableite, sondern es begreife „als ein in souveräner Freiheit gesetztes Sein“; daher sei die positive Philosophie wesentlich ein System der Freiheit (Horst Fuhrmans, „Einleitung“ zu F. W. J. Schelling, Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vorlesungen WS 1832/33 und SS 1833, hrsg. von Horst Fuhrmans, Turin 1972, 11–63; hier: 19). Wesentlich ist hierbei auch, dass Gott durch die Freiheit der Schöpfung nicht zu einer bloßen Bedingung der Welt wird, sondern seinen Status als Unbedingtes, Absolutes behält (vgl. Malte Krüger, „Absolut göttlich. Zu Metaphysik und Religion in Schellings Spätphilosophie“, in: NZSTh 49 (2007), 104–113; hier: 108).
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und Welt als Handlungsmöglichkeiten vor der Schöpfung bekannt waren; d. h., dass er genau wusste, was sein Tun beinhaltete und was für Folgen es zeitigen würde.17 Da Gott all dies bereits als Möglichkeit bekannt war, empfand er keinen Mangel, der eine Schöpfung hätte begründen können, und es fragt sich daher, weshalb er sie nicht unterließ. Schelling nennt als sein einziges Verlangen, „als das, was er ist, auch erkannt zu werden, […] weshalb er ein Anderes von sich zu setzen, und es in das Erkennende von sich zu verwandeln“ (XIII, 304) veranlasst wurde. Damit ist das Motiv für die Schöpfung genannt und zugleich nicht weniger gesagt als dies, dass vom Standpunkt der Offenbarung aus der Aspekt des religiösen Bewusstseins des Menschen der entscheidende für die Veranlassung der gesamten Schöpfung war. Dies lässt sich auch unmittelbar einsichtig machen: bedeutet ‚Offenbarung‘ ein nach-außen-Treten und sichtbar-Werden des Wesens Gottes, so würde die Erschaffung der ganzen Welt inklusive des Menschen dieses Ziel verfehlen, wenn der Mensch kein Bewusstsein von Gott hätte, da es dann kein Bewusstsein davon geben könnte, dass Gott sich durch die Erschaffung der Welt und dem Menschen in ihr geoffenbart hätte. Nur Gott alleine hätte dann Bewusstsein von sich und seiner Tat, wodurch die Schöpfung als Offenbarung seines Wesens grundsätzlich misslungen wäre, da Gott ja ohnehin schon vor der Schöpfung vollständige Kenntnis von sich und allen seinen Seinsmöglichkeiten hatte. Gott offenbarte sich demnach, „nicht damit das Außergöttliche, Gott Negirende sey, sondern damit es als das wirklich Hervorgetretene offenbarer und sichtbarer, […] und in das Gottsetzende, Gottbewußte verwandelt werde“ (XIII, 304). Wenn die Existenz eines gottsetzenden Bewusstseins die Motivation zur Erschaffung des Menschen als eigentlichem Ziel der Schöpfung war, dann bedeutet dies, dass umgekehrt Gott zum elementaren Kernbestand des menschlichen Bewusstseins gehören muss. Schelling sagt ganz ausdrücklich: Im „erste[n] wirkliche[n] Bewußtsein der Menschheit […] ist Gott“ (XI, 189). Daher ist die Aufgabe nun, den Weg von der ersten Entstehung des religiösen Bewusstseins des Menschen in der Schöpfung bis zum religiösen Bewusstsein des wirklichen Menschen nachzuzeichnen. Dieser führt mit Schelling über drei Konstitutionsstufen: von einem prähumanen religiösen Urbewusstsein (III.), über das humane Bewusstsein eines ‚Urmenschen‘ in der Schöpfung (IV.) zum Bewusstsein des wirklichen geschichtlichen Menschen (V.).
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Vgl. VII, 396.
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III. Das prähumane religiöse Urbewusstsein Noch vor der Entstehung des ersten wirklichen menschlichen Bewusstseins in der vorgeschichtlichen Zeit, die sich in der positiven Philosophie prinzipienontologisch darstellen ließ, findet sich das ahistorische Urbewusstsein des Menschen.18 Dieses menschliche Präbewusstsein „jenseits des ersten wirklichen Bewußtseyns […] ist das Bewußtseyn in seiner reinen Substanz“ (XI, 189). In dieser Substanz des Bewusstseins ist nicht mehr enthalten als dasjenige, das aus dem Motiv zu seiner Existenz unmittelbar folgt. Da es Gottes Wille war, es möge ein Bewusstsein seiner selbst außer ihm sein, ist das menschliche Bewusstsein in seiner Substanz lediglich und ausschließlich Bewusstsein von Gott. Es ist „seiner Natur nach, wesentlich, und so, dass es nichts anderes, nichts außer dem ist […] das Gott-setzende“ (XI, 189). Das Wesen des menschlichen Bewusstseins besteht demnach für Schelling fundamental und vor allem anderen darin, gottbewusst, d. h. religiös zu sein. Dieses erste religiöse Bewusstsein lässt sich nun hinsichtlich seiner Ursprünglichkeit näher charakterisieren. Es ist 1) zeitlich ursprünglich in dem Sinn, dass es das Bewusstsein des Menschen im Anfang der Schöpfung ist. Das bedeutet, dass es nicht nur noch nicht Eingang in die geschichtliche, sukzessive Zeit erlangt hat, sondern dass es den Zustand vor dem Sündenfall darstellt. Es ist 2) genetisch ursprünglich in dem Sinn, dass es sich unmittelbar Gott als seinem Ursprung verdankt. Dies bedeutet auch, dass in diesem ursprünglichen Bewusstsein noch nichts liegt, das der Mensch selbst an ihm gemacht hat; das Setzen Gottes ist kein aktives, kein gewolltes oder auch nur gewusstes, sondern ein lediglich hingenommenes, „ohne eigenes Zuthun, ohne eigene Bewegung“ (XII, 126). Damit ist auch gesagt, dass die Religiosität nichts ist, das das menschliche Bewusstsein sich erst im Lauf der Zeit zugezogen hätte – weder individuell durch Erziehung, Erfahrung, Reflexion oder kulturelle Prägung, noch kollektiv durch Offenbarung, kultisches Handeln, Tradierung usw. –, sondern dass mit der Entstehung des menschlichen Bewusstseins die Religiosität bereits gegeben war. Es gibt demnach für Schelling keinen ursprünglichen Atheismus des Menschen, welcher dann erst durch die Erwerbung religiöser Begriffe (sei es durch eigene Tätigkeit, sei es durch Offenbarung) in einen Theismus umgewandelt würde. 18 Vgl. Markus Gabriel, Der Mensch im Mythos. Untersuchungen über Ontotheologie, Anthropologie und Selbstbewusstseinsgeschichte in Schellings ‚Philosophie der Mythologie‘, Berlin / New York 2006 (= Mythos), 35, der zurecht nachdrücklich auf den für die gesamte Fragestellung der positiven Philosophie wesentlichen Umstand hinweist, dass bei Schelling das Bewusstsein als Fall des Seins aufgefasst werden muss und nicht umgekehrt.
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3) Gott ist darin ursprünglich in dem Sinn gegeben, dass der Bezug des Bewusstseins auf ihn unmittelbar (und nicht etwa diskursiv) ist. Ja, das fundamentale Verhältnis des menschlichen Bewusstseins zu Gott ist im Grunde gar keine Beziehung, bei der auf der einen Seite der Mensch, auf der anderen Gott stünde. Gott ist im menschlichen Bewusstsein durch dessen Konstitution bereits enthalten. „Das menschliche Bewußtseyn ist […] ursprünglich mit dem Gott gleichsam verwachsen“ (XII, 120). Religiöses Bewusstsein ist demnach an seiner ursprünglichsten Stelle kein Wissen von Gott und kein Wollen Gottes (XII, 120) und auch kein religiöses Gefühl (VII, 392); Gott ist keine Vorstellung und kein Begriff (XII, 126).19 Sondern: „das menschliche [Bewusstsein] hat den Gott an sich, nicht als Gegenstand vor sich“ (XII, 120). Es ist „schon durch seine Natur, durch die Substanz seines Bewußtseyns selbst ist es das […] Gott setzende Princip“ (XII, 119). Die Religiosität ist dem menschlichen Bewusstsein nach Schelling in seine tiefsten Konstitutionsschichten eingeschrieben. Es ist gewissermaßen von Grund auf religiös, vor allem anderen. 4) Das bedeutet auch, dass dieses Bewusstsein ursprünglich in dem Sinn ist, dass es nur auf Gott als seinen Ursprung bezogen ist; es hat Gott in dem strengen Sinn als einziges Objekt, dass es bis dahin noch nicht einmal sich selbst als Objekt hat. Es ist kein reflexives, sondern sich selbst nicht kennendes Bewusstsein; ein ausschließlich auf Gott bezogener (oder eher: in Gott aufgehender) Bewusstseinspol. Schelling charakterisiert dies treffend als „Versenktsein in Gott“ (XI, 189). Sein einziger nicht-diskursiver ‚Wissens‘-Gehalt ist Gott, und zwar so, dass es in diesem Wissen von Gott weder von sich selbst noch von seinem Gott-Wissen weiß. Dieses Wissen hat keinen Bezug auf Gott intentio recta, sondern man muss es sich eher in der Art einer inneren Selbstgefühlsqualität denken. Dieses erste Bewusstsein ist „das Gott Wissende – aber so, daß es auch ganz nur dieses ist, gleichsam ganz hingerissen und, daß ich so sage, völlig verzückt in Gott (durchaus nichts für sich selbst), insofern also nicht das wissend-Wissende, sondern eben auch nur das unbeweglich, substantiell Wissende Gottes.“ (X, 264).
Die Dimension, in der Schelling hier das religiöse Bewusstsein verankert, lässt sich verdeutlichen, wenn man diese ursprüngliche Konstitution des Bewusstseins mit der fichteschen vergleicht, der Schelling in seiner Früh-
19 Vgl. VI, 392, polemisch: „Wir verstehen [unter Religiosität] nicht, was ein krankhaftes Zeitalter so nennt, müßiges Brüten, andächtelndes Ahnden, oder Fühlen-Wollen des Göttlichen“. Hierzu auch XII, 119 und XI, 142.
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philosophie gefolgt war. Nach Fichte ist das ursprüngliche Verhältnis des menschlichen Bewusstseins das sich selbst Setzen des Ich.20 Doch dieses wird nun fundamental unterboten durch eine zuallererst Gott-setzende Substanz, welche erst in einem zweiten Schritt zur Entfaltung der bekannten menschlichen Bewusstseinsstruktur auch sich selbst „setzt“, d. h. ein reflexives Selbstverhältnis eingeht. 5) ist das menschliche Bewusstsein ein notwendig Gott-setzendes (vgl. XI, 189). Das heißt nicht nur, dass menschlichem Bewusstsein mit faktischer Notwendigkeit Gott durch seine Genese anhängt, sondern dass Gott mit Seinsnotwendigkeit in jedes menschliche Bewusstsein als dessen reale Ermöglichungsbedingung eingeschlossen ist.21 Bewusstsein könnte mit Schelling ohne diesen ursprünglichen Gottesbezug überhaupt nicht sein. 6) ist das religiöse Präbewusstsein zuletzt ursprünglich in dem Sinn, dass darin der Ursprung des wirklichen menschlichen Bewusstseins liegt. Sofern wir das menschliche Bewusstsein mit gutem Recht als Selbstbewusstsein charakterisieren und erst darin auch seine Gottesebenbildlichkeit gründet, lässt sich die Substanz des Bewusstseins des ursprünglichen Menschen in der Schöpfung in seiner frühesten Entwicklungsstufe auch als dessen „Urbewusstsein“ (XI, 187) bezeichnen. Daher gilt: „Der Mensch (versteht sich immer der ursprüngliche wesentliche) ist an und gleichsam vor sich selbst, d. h. ehe er sich selbst hat, ehe er also etwas anders geworden ist – denn ein anderes ist er schon, wenn er auf sich selbst zurückgehend, sich selbst Object geworden ist – der Mensch, sowie er nur eben Ist und noch nichts geworden ist, ist er Bewußtseyn Gottes, er hat dieses Bewußtseyn nicht, er ist es, und gerade nur im Nichtactus, in der Nichtbewegung ist er das den wahren Gott Setzende.“ (XI, 186 f.).
Johann Gottlieb Fichte, Gesamtausgabe, hrsg. von Reinhard Lauth und Hans Jacob, Bd. I,2, Stuttgart 1965, 259: „Das Ich setzt sich selbst und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst“. Vgl. bei Schelling z. B. I, 97: „Denn das Ich ist schlechthin gesetzt, sein Gesetztseyn ist durch nichts außer ihm bestimmt, es setzt sich selbst.“ 21 Es liegt nahe, das Gott-Setzen „gleichsam transzendentalphilosophisch [als] die Bedingung der Möglichkeit jedes erdenklichen Gottesbewusstseins“ zu deuten (Johann Reikerstorfer, „Gottes Zeitlichkeit. Die Potenzen-Lehre in der Spätphilosophie Schellings als trinitätstheologische Herausforderung“, in: Christian Danz / Rudolf Langthaler (Hgg.), Kritische und absolute Transzendenz. Religionsphilosophie und philosophische Theologie bei Kant und Schelling, Freiburg/München 2006, 217–242; hier: 233) – aber dies wäre eine Kategorie, die der negativen Philosophie angehörte, welche zuletzt zum Vernunftgott führt. Schellings Gott ist reale Seinsbedingung, nicht Denkbedingung, weswegen auch das Gottsetzen Seinsbedingung des religiösen Bewusstseins ist. 20 Vgl.
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IV. Das religiöse Bewusstsein des Ur-Menschen und der Sündenfall Vom religiösen Urbewusstsein zum wirklichen religiösen Bewusstsein des Menschen bedarf es zweier Schritte: (a) Den Schritt vom Urbewusstsein zu demjenigen Bewusstsein, das als schon menschliches noch der vorgeschichtlichen (prälapsarischen) Zeit in der Schöpfung angehört. Und (b) den Schritt des Sündenfalls, der die Transformation dieses Bewusstseins zu dem des wirklichen postlapsarischen Menschen bedeutet.
a) Der prälapsarische Urmensch Die bloße Substanz des Bewusstseins, deren Wesen sich in der Gottbehaftetheit zeigte, ist als solche noch kein menschliches Bewusstsein. Aber es ist dessen zentrale ontologische Voraussetzung. Zu einem tatsächlichen menschlichen (wie göttlichen) Bewusstsein gehört Bewusstsein seiner selbst. Als bloß gottbezügliches Bewusstsein ist das Präbewusstsein außer sich, in einem ekstatischen Verhältnis, in dem es nicht verbleiben kann, da es sich als bloß transitives sonst in Gott verlieren und verströmen würde. Ein solches ekstatisches Urbewusstsein muss demnach auf sich zurückkommen, um bleibendes Bewusstsein sein zu können. Hierdurch verwandelt sich das Urbewusstsein in ein eigentlich menschliches, und das heißt ein „sich selbst Bewußte[s]“ (XII, 118), das „sich selbst Objekt geworden ist“ (XI, 187). Zugleich verwandelt sich sein Verhältnis zu Gott, aus der ursprünglichen Versenkung zurückgenommen, „in ein freies Verhältnis“ (XI, 189). Hierin bleiben die Potenzen, welche das Sein Gottes formten, erhalten: das menschliche Selbstbewusstsein lässt sich von diesen her beschreiben als das in sich zurückgekehrte Außersich-Seiende, d. h. „das zu sich selbst wiedergebrachte“ (XII, 120). Es ist darin nicht nur frei gegenüber Gott, indem der einseitige und unwillkürliche Gottesbezug des Urbewusstseins überwunden ist, sondern es ist auch frei gegenüber den Einseitigkeiten der beiden Potenzen, insofern diese in ihm ineinander aufgegangen sind. Der „Ur-Mensch“ (XIII, 348), wie ihn Schelling treffend nennt, ist so vollkommenes Spiegelbild Gottes: Er ist, „was Gott ursprünglich ist, [er] ist der wahrhaft gewordene Gott, [er] ist wie Gott, [er] ist also auch in der Freiheit wie Gott, denn [er] ist […] ein Gleichgewicht zwischen den beiden Potenzen, ein zwischen beiden [Potenzen] Schwebendes und frei Bewegliches“ (XIII, 347). In diesem ersten menschlichen Zustand, der vom ursprünglichen Gottbezug des Ur-Bewusstseins in das Selbstverhältnis eines menschlichen Bewusstseins transformiert wurde, bleibt der substanzielle Gottbezug jedoch bestehen; das Urverhältnis zu Gott ist unauf-
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hebbar. Es bleibt Substanz und Zentrum des ur-menschlichen Bewusstseins. Allerdings ist der Mensch auf der nun erreichten Ebene des Selbstbewusstseins sich dessen nicht mehr unmittelbar bewusst. Weshalb? Im Zustand des Bewusstseins in der Schöpfung vor dem Fall, im Zustand der Gottgleichheit bewegt der Mensch sich in vollkommener innerer Harmonie, da die selbstbewusste Einheit der Potenzen in ihm derjenigen gleich ist, die den absoluten Geist Gottes ausmacht und er demnach auf der Stufe der Bewusstheit im Einklang mit seiner unbewusst-substanziellen Grundausrichtung auf Gott bleibt. Oder anders ausgedrückt: der Mensch, der von seiner Konstitution her streng wie Gott ist, kann den Gott, den er an sich hat, nicht als solchen erkennen, da er von ihm ununterscheidbar ist. Er muss den göttlichen Bezugspol in seiner eigenen Substanz für etwas halten, das er selbst ist. Hierdurch erhält die Gottesebenbildlichkeit zwei zusätzliche Dimensionen. Der Mensch ist nicht nur in der Hinsicht Spiegel Gottes, dass sich die drei göttlichen Potenzen im ‚Bauplan‘ des Menschen wiederfinden und dass der Urmensch in denselben Potenzenkonstellationen lebt wie Gott, sondern Gott spiegelt sich auch im Menschen selbst, indem der selbstbewusste Mensch Gott als seine eigene Substanz findet. Andererseits findet sich Gott auch als Komponente im Selbstbewusstseinsverhältnis des Menschen. Denn der Ur-Mensch ist gegenüber den sein eigenes Bewusstsein prägenden Potenzen in Freiheit gesetzt. Schelling führt aus, dass sein Bewusstsein „frei [ist] von den Potenzen wie Gott, und in demselben Verhältnis zu ihnen wie Gott“ (XIII, 357), d. h., dass er „zwischen den 3 Potenzen als ein freisich-bewegen-Könnendes in der Mitte“ (GPP, 475) ist. Wenn aber Selbstbewusstsein aus der Einheit der drei Potenzen gefügt ist, dann muss man ein Bewusstsein, das dem gegenüber frei ist, als ein Reflexionsbewusstsein höherer Stufe auffassen, nämlich als eines, das sich als Selbstbewusstsein präsent ist. Da dieses Selbstbewusstsein zweiter Stufe ein Verhältnis zu der Potenzentotalität als Geist ist, ist es zugleich ein bewusstes Verhältnis zu Gott, der als absoluter Geist ja in eben dieser Potenzentotalität bestand. Indem der Mensch das gottgleiche Verhältnis in sich ansieht, ist er auch hierin gottgleich, da auch Gott als reflexives Selbstbewusstsein sich selbst im inneren Spiegel ansehen kann. In dieser distanzierten Eigenperspektive entsteht nun im Gegensatz zum direkten und unreflektierten Urbewusstsein ein erstes ‚Wissen‘ um Gott und sich selbst, das notwendig mit einem sich distanzierenden Herausnehmen aus der ursprünglichen Gottesbeziehung einhergeht.22 Und zwar ein Wissen, das sich und Gott noch gar nicht unter22 Markus Gabriel, Mythos, 305 nimmt an, dass Schelling bereits in der „Selbstkonstitution der Subjektivität“ wegen der damit verbundenen Rückwendung auf sich selbst
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scheiden kann, sondern wegen der vielfältigen Ebenbildlichkeitsrelationen sich selbst wie Gott sieht. Dabei ist klar: So wie sich in Gott ein Bild seiner selbst als Mensch erzeugt, muss sich im Menschen als Ebenbild Gottes dank derselben reflexiven Selbstbewusstseinsverhältnisse, die in Gott wach sind, ebenfalls ein Bild seiner selbst erzeugen, und zwar als Ebenbild Gottes. Indem der Mensch sich selbst als Ebenbild Gottes in sich erblickt, erblickt er Gott als Objekt in sich.
b) Der Sündenfall Auch der Mensch kann also qua Selbstbewusstsein sich als einen anderen ansehen. So wie Gott in Jesus sich als Mensch ansehen kann, ist der Mensch sich in einem reflexiven Ebenbild gegeben, in welchem er sich umgekehrt als Gott ansehen kann. Damit sind die Voraussetzungen des Sündenfalls gegeben: indem der Mensch sich als Gott ansieht, kann er auch als Gott sein und wie Gott handeln wollen. Kurz: Der Mensch, der vor der Sünde ganz ist wie Gott, möchte als Gott handeln, worin eben die Versuchung besteht.23 Hierbei kommt es zu der verhängnisvollen Täuschung, dass der Mensch sich gegenüber den Potenzen nicht nur in der Position dessen wähnt, der diese erkennt und bewahrt und sich in ein freies Selbstverhältnis zu ihnen (so wie sie sind) setzen kann, sondern dass er annimmt, sie auch zu beherrschen und frei gestalten zu können. „Er möchte eben das thun, was Gott gethan hat, nämlich die Potenzen auseinanderthun, […] um mit ihnen als Herr und als Schöpfer zu walten und zu wirken“ (XIII, 349). Hierdurch übergeht er in seiner Gottgleichheit die entscheidende Differenz zu Gott, nämlich sein Geworden-Sein.
(Egoität) und Abwendung von Gott „eine Diagnose des Sündenfalls“ gesehen hätte. Demgegenüber wäre einzuwenden, dass der Mensch bereits ein bewusstes Verhältnis zu Gott haben musste, das sich in einer distanzierten Position zu den Potenzen äußerte, um sich von Gott abwenden und die Potenzen in Spannung versetzen zu können. Auch wäre die kollektive Zurechnung des Sündenfalls problematisch, da diese Personalität und Selbstbewusstsein bereits voraussetzt und nicht bloß zur Folge haben kann. Daher muss der Übergang vom Urbewusstsein zum postlapsarischen Menschen mit einer doppelten Abwendung von Gott einhergehen: der unwissentlichen (und schuldlosen) vom bloß Gott-setzenden Urbewusstsein zum Selbstbewusstsein des Urmenschen (d. h. zum Sein wie Gott) und der wissenden und schuldhaften des Sein‑ und Handelnwollens als Gott. 23 Vgl. XIII, 357. Und treffend Markus Gabriel, Mythos, 294: „Als Gott kann er [der Mensch] aber nicht sein, da er nicht selbst das Ganze ist, sofern es sich zu sich verhält. Während Gott sich als Ganzes zu sich verhält, verhält sich der Mensch zum Ganzen, indem er sich zu sich verhält, wobei das Ganze von ihm unterschieden ist.“
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Denn nur Gott, als Schöpfer, kann sein eigenes Wesen aus sich hinauswenden (und eben dies heißt: sich offenbaren) und dennoch zugleich er selbst bleiben. Dem Menschen als bereits Geschaffenem ist dies nicht möglich. Daher schlägt der Versuch, an sein eigenes Wesen Hand zu legen, beim Menschen gegen ihn dahingehend um, dass das Potenzengefüge seines Bewusstseins, das er selbst in Spannung zu setzen versuchte, sich ihm nun als ein Zertrennliches zeigt, als eines, das hierdurch die ursprüngliche (paradiesische) Einheit für ihn verliert. Denn dem Menschen gelingt es zwar, in der Position der Freiheit die Potenzen in Spannung zu setzen und so ihre inneren Verhältnisse zu verschieben, nicht aber sie zu beherrschen. Indem die Potenzen ihre göttliche Konfiguration verlieren, werden sie von nun an bloß noch kosmische Potenzen sein, in denen Gott nicht mehr ist, und als solche wirken und sich des Menschen bemächtigen.24 Der Sündenfall als Abkehr von Gott ist demnach die erste eigentliche Aktivität, die erste selbstständige Bewegung, die das menschliche Bewusstsein in seiner Konstitutionsgeschichte ausführt. Daher ist des Menschen „erste Bewegung nicht eine Bewegung, durch die es den Gott sucht, sondern eine Bewegung, durch die es sich von ihm entfernt“ (XII, 120). Er entfernt sich deswegen von Gott, weil er sein Bewusstsein aus der ursprünglich göttlichen Potenzenharmonie gebracht hat. Diesen Vorgang versteht Schelling in unmittelbarer Interpretation des Sündenfalls in Gen. 3 zugleich als Erwachen der Erkenntnis des Unterschieds von Gut und Böse. Die Potenzen „bemächtigen sich […] des Menschen und seines Bewußtseyns; […] für ihn – und für ihn zuerst – ist der Gegensatz der Potenzen ein Unterschied von Gut und Bös“ (XIII, 350). Der Sündenfall wird so auch zur Beschreibung der systematischen Stelle des Urspungs des moralischen Bewusstseins des Menschen als einer Entfernung des Menschen von Gott. Hierdurch erhält die naheliegende Frage, weshalb das Erwachen der Erkenntnis des Guten und des Bösen in sich etwas Böses (und nicht etwas Gutes) sein soll (da hierdurch der Mensch erst zu einem moralischen Wesen wird), eine Antwort: die Erkenntnis des Guten und Bösen geschieht erst durch die Ausrichtung des Menschen vom (unbewusst) Guten zum nun im Kontrast hierzu sichtbar Bösen. Erst der Gegensatz lässt die Dinge erkennbar werden (vgl. VII, 373). Das Gute bestand in Gott ontologisch zuvor; sichtbar als Gutes im Gegensatz zum Bösen wurde es erst mit der ersten
24 Vgl. hierzu: Peter Koslowski, Philosophien der Offenbarung. Antiker Gnostizismus, Franz von Baader, Schelling, Paderborn 2001, 628.
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bösen Tat im Sündenfall.25 Deshalb muss der Sündenfall böse sein. Wäre er gut, gäbe es keine gut-böse-Differenz und kein moralisches Bewusstsein. Das religiöse Bewusstsein auch des wirklichen Menschen erweist sich so als grundsätzlich moralisch-religiöses. Erst durch die Übertretung des göttlichen Gebots kommt dem Menschen zu Bewusstsein, Böses getan zu haben. Und dieses Bewusstsein bleibt dem postlapsarischen Menschen von da an kollektiv.26 Mit dem Entstehen moralischer Vorstellungen wird der Mensch in einem zweiten Schritt auch individuell vor die Frage gestellt, auf welche der beiden Seiten des Guten und des Bösen er seine Existenz ausrichten will. Diese Frage nach der Herkunft des Bösen, das in individuellen menschlichen Handlungen wirksam ist, ist eine der zentralen Fragen der Freiheitsschrift. Hier werden die beiden Potenzen, in deren Einheit das Bewusstsein besteht, auch als zwei Grundrichtungen des Wollens interpretiert, welche zusammen die voluntative Seite des Bewusstseins ausmachen. Diese bestehen in einem auf sich selbst zentrierten Eigenwillen und einem hinausdrängenden, auf das Ganze gehenden Universalwillen (VII, 363). Beide Willensrichtungen sind nicht an sich gut oder böse, sondern das Gute oder Böse entsteht dadurch, dass sich deren inneres Gefüge durch einen Akt der Freiheit zu Gunsten der einen oder anderen Seite verschiebt, d. h., dass eine oder andere Seite 25 Die Kontrastierung von Gut und Böse wird durch die zweite Offenbarung in der Person Christi nochmals verschärft. Jetzt tritt das Gute in persönlicher (und nicht mehr bloß abstrakter wie in der Gesetzesreligion) Gestalt hervor und kommt erst dadurch für Personen zum vollen Bewusstsein. (Vgl. Wilhelm G. Jacobs, Gottesbegriff und Geschichtsphilosophie in der Sicht Schellings, Stuttgart 1993, 262 f.). 26 Es gibt eine alte, von Irenäus herrührende theologische Unterscheidung zwischen zwei Aspekten der Ebenbildlichkeit: der Gleichheit mit Gott (similitudo dei), welche durch den Sündenfall verloren geht und des Bildes Gottes (imago dei), das von diesem unberührt bleibt. (Vgl. hierzu: Friedrich Hermanni, Die letzte Entlastung. Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojekts in Schellings Philosophie, Wien 1994 (= Entlastung), 205 f. und Rochus Leonhardt, Grundinformation Dogmatik, Göttingen 2009, 264 ff.). Diese Unterscheidung scheint systematisch sinnvoll: denn wäre die Ebenbildlichkeit vollständig resistent gegen den Sündenfall, dann würde sich im Menschen in Hinsicht auf Gott durch die Sünde nichts ändern. Würde die Ebenbildlichkeit aber vollständig durch die Sünde des Menschen erlöschen, so wäre der postlapsarische Mensch wegen seiner totalen Differenz zu Gott als Adressat der Offenbarung möglicherweise nicht mehr zugänglich – Luther jedenfalls hat letzteres vertreten, weswegen der Mensch bei ihm auch keinen Eigenbeitrag zur Gnade leisten kann. Bei Schelling lassen sich mittels dieser terminologischen Differenzierung zwei Aspekte der Ebenbildlichkeit unterscheiden. Der Mensch ist imago dei hinsichtlich seiner Geist-Art als trinitarisch konzipiertes Selbstbewusstsein und der darin enthaltenen Interpersonalität. Seine ursprünglich gottgleiche Potenzenharmonie in sich war jedoch hinsichtlich ihres Status als aktuellem Bewusstsein bloß similitudo dei.
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die Dominanz im Gesamtwillen des Menschen übernimmt.27 Dominiert der Universalwille, so ist das Prinzip des Guten gegeben. Dann werden das Allgemeine zum Zweck des Willens und der Eigenwille zu dessen Mittel. Dominiert der Eigenwille, so gilt das Umgekehrte. Der Mensch wird dann böse, indem er das Allgemeine für seine egoistischen Interessen benutzt. Ob der einzelne Mensch nun nach dem guten oder bösen Prinzip handelt, dafür legt er sich gemäß der Freiheitsschrift in einer freien Urentscheidung, die zeitlich-systematisch bis in die Schöpfung zurückreicht, einmalig fest. Damit wird verständlich, dass man sich die Entstehung des konkreten moralisch-religiösen Bewusstseins des Individuums als ein dreifaches Schöpfungs‑ (d. h.: Ewigkeits‑) geschehen vorstellen muss: als passive Entstehung des mit Gott behafteten Urbewusstseins, als aktive Entstehung des (kollektiven) Ur-Menschen im Sündenfall und als Entstehung des moralischen Ur-Individuums.
V. Das religiöse Bewusstsein des wirklichen geschichtlichen Menschen Betrachten wir von hier aus den geschichtlichen Menschen in seiner uns bekannten Form, so zeigt sich, dass das rekonstruierte Schöpfungsgeschehen in zweifacher Hinsicht in ihm wirksam ist: Es zeigt sich in ahistorisch-moralischer Perspektive als das dauerhafte Konstitutionsgefüge des religiösen Bewusstseins. Und es zeigt sich in Hinsicht auf seine tatsächliche Entwicklung in historischer Perspektive.
a) Die ahistorische Perspektive Unter ahistorischer Perspektive bestimmt die Schöpfung die dauerhaften Bedingungen des menschlichen Bewusstseins: dieses ist immerwährend so, wie es der Schöpfungsmythos der Genesis und die Prinzipienrekonstruktion der positiven Philosophie sukzessive dargestellt haben.28 Denn die Ewigkeit der Schöpfung ist keine bloß vorzeitige, sondern eine immerwährende. Das Geschehen der Schöpfung ist niemals vergangen. Sie ist creatio perpetua, in einer Ewigkeit, die weder Vorzeitigkeit noch unendliche Zeit der Ereignisse Vgl. hierzu instruktiv: Friedrich Hermanni, Entlastung, 127 ff. Vgl. VII, 387, wo Schelling ausführt, dass „in der Schöpfung der höchste Zusammenklang und nichts so getrennt und nacheinander ist, wie wir es darstellen müssen, sondern im Früheren auch schon das Spätere mitwirkt.“ 27 28
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bedeutet, sondern die aller sukzessiven geschichtlichen Zeit zugrunde liegt: die Zeit der Schöpfung ist immer, sie geht „durch die Zeit (unergriffen von ihr) hindurch“ (VII, 385 f.). Dies bedeutet, dass die als sukzessive Entwicklungsstufen des menschlichen Bewusstseins in der Schöpfung beschriebenen Ebenen tatsächlich dessen dauerhafte Bewusstseinsschichten in hierarchisch-systematischer Bildung bleiben. Demnach hat der Mensch im Kern immer Gott an sich; sein Bewusstsein ist getragen von einem ewigen Grundzug zu Gott hin, ohne sich dessen allerdings explizit bewusst zu sein. Zugleich trägt er das verlorene Paradies in sich. Die ‚Erinnerung‘ an jenen Zustand seines Bewusstseins, der in der Harmonie mit Gott vor dem Sündenfall bestand, ist zugleich die Tiefenschicht des Gewissens in uns. Es fungiert als Aufruf zu einer moralischen Umkehr, die zugleich Rückkehr in den prälapsarischen Zustand und in die innere Harmonie mit der eigenen Substanz bedeuten würde. Das Gewissen ist „die innere Stimme seines [des Menschen] eignen, in Bezug auf ihn, wie er jetzt ist, besseren Wesens, [die] nie aufhört, ihn [zu der Umwandlung ins Gute] aufzufordern“ (VII, 389). Es ist „der potentielle Gott, [der den Menschen] vom sich selbst Wollen abzieht“ (XI, 556), um seinen Egoismus dem universellen Willen unterzuordnen. Folgt er dem Gewissen, tritt er „auf Gottes Seite hinüber: ohne von Gott zu wissen, sucht es [das Gewissen] ein göttliches Leben in dieser ungöttlichen Welt“ (ebd.). Demnach ist das Gewissen zugleich moralisch und religiös. Es ist phänomenal eine Erinnerung an ein ursprünglich Gutes, an das Sein Gottes in uns; eine Erinnerung, die sich weniger auf die ferne Vergangenheit der Weltschöpfung lange vor unserer Geburt bezieht, sondern vielmehr eine immerwährende Gegenwartsvergegenwärtigung der beständigen Ewigkeit in uns ist. Das religiöse Gewissen präsentiert uns mit dem ursprünglichen Sein in Gott (in uns) auch unsere wesentliche, reale Bindung an Gott – welche ontologisch die Substanz unseres Bewusstseins bildet. „Religiosität bedeutet schon dem Ursprung nach ein Gebundenseyn“ (VI, 558, vgl. VII, 392). Dieses Gebundensein ist doppelt: es bindet den Menschen an Gott und es bindet ihn (da Gott seiner Substanz anhaftet) an sich selbst. Und von dieser doppelten Bindung her lässt sich schließlich auch die epistemische und ontologische Herkunft des religiös-moralischen Bewusstseins bestimmen, des präskriptiven Bewusstseins, das durch diese doppelte Bindung den Menschen zu bestimmtem Handeln auffordert29: 29 Malte Dominik Krüger, Göttliche Freiheit: die Trinitätslehre in Schellings Spätphilo sophie, Tübingen 2008, 284 nennt das Bewusstsein des Ur-Menschen „supralapsarisch“,
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(i) In der Selbstbindung liegt der phänomenale Ursprung der Moralität, welche als Gebot, sich selbst gemäß zu handeln, sich äußert. Demnach ist „Gewissenhaftigkeit, […] dass man handle, wie man weiß und nicht dem Licht der Erkenntnis in seinem Tun widerspreche“ (VII, 392), einem Licht, das Schelling an derselben Stelle eben mit Gott identifiziert. Also ist das ursprünglich gottgleiche Bewusstsein in uns durch den Sündenfall nicht vollständig verloren gegangen, sondern geblieben als Sediment des Gewissens, das den, dessen Potenzenverhältnisse in der Verkehrung der Sünde verblieben sind, zur Umkehr gemäß den göttlichen Verhältnissen, die in ihm verborgen sind, auffordert. (ii) In der Gottesbindung liegt hingegen der ontologische Ursprung der Moralität. „Ursprünglich“, führt Schelling aus, „ist alle Verpflichtung nur Verpflichtung gegen Gott, und alle formelle Verpflichtung schreibt sich, […] von jener […] Verpflichtung her. […] Durch dieses Princip [der ursprünglichen Gott-Setzung] ist allein der Mensch eigentlich, ursprünglich und zwar dem Gott verpflichtet. Diese Urverpflichtung kann nun nicht und nie aufgehoben werden.“ (XII, 524).
Wozu bedarf es aber in Hinsicht auf die Moralbegründung zusätzlich zur phänomenalen (göttlichen) Stimme in uns noch dieser ursprünglichen Verpflichtung? Die Antwort ist darin zu suchen, dass das Gewissen alleine zu einer letzten Rechtfertigung der Moral nicht genügt. Da sich der Mensch durch seine Reflexivität von allen Ebenen seines phänomenalen Bewusstseins distanzieren kann, kann er auch die Frage stellen, weshalb er einer Aufforderung des Gewissens zur Umkehr überhaupt folgen sollte, bzw. wie sich der Anspruch seines Gewissens an ihn rechtfertigen lässt. Im Grunde ist dies gleichbedeutend mit der metaethischen Grundfrage: „Weshalb überhaupt moralisch sein?“30 Zur Überwindung einer solchen skeptischen Haltung den eigenen Bewusstseinsforderungen gegenüber bedarf es eines externen Grundes, dem das Bewusstsein samt Gewissen und Skepsis sich verdankt. Dieser Grund ist mit der Substanz des Bewusstseins, dem präbewussten Gott-Setzen (als einem realen, wenngleich unbewussten Verhältnis zu Gott) d. h. unabhängig vom folgenden Sündenfall. Dem ist nur insofern zuzustimmen, als es in sich erhalten bleibt; es ändert allerdings seine Stellung vom vollen Bewusstsein zur Schicht des Gewissens innerhalb des postlapsarischen Bewusstseins deutlich. 30 Vgl. Nico Scarano, „Metaethik – ein systematischer Überblick“, in: Marcus Düwell / Christoph Hübenthal/Micha H. Werner (Hgg.), Handbuch Ethik, Stuttgart 2006, 25–35, insb. 30 f. – Auch bei Kant ist es neben der Frage nach der Herkunft und dem Inhalt der Moral noch einmal eine eigene Frage, „woher das moralische Gesetz verbinde“ (vgl. Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1909 ff., Bd. 4, 450).
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gegeben. Aus der Einsicht darein, dass das Gewissen sich unmittelbar dieser ursprünglichen Gott-Bindung verdankt, die Skepsis als selbsterzeugte Haltung jedoch nicht, lässt sich die verpflichtende Erkenntnis gewinnen, dass das Gewissen auch dem Inhalt nach kein Selbsterzeugtes ist, sondern in ihm die Stimme des realen Gottes zur Gegebenheit kommt, dessen ontologische Priorität im ursprünglichen Gott-Setzen bereits ‚anerkannt‘ wurde.
b) Die historische Perspektive Unter historischer Perspektive bildet die Konstellation derselben Prinzipien, die immerwährend das Sein des Menschen ausmachen, zugleich dessen sukzessive Epochen in der kollektiven Geschichte seines Bewusstseins. Im ersten Weltalterentwurf legt Schelling diesen Gedanken, der hier nur skizziert werden kann, und der die gesamte historische Philosophie der Mythologie und Offenbarung prägt, im Kern dar: „Dieselben Kräfte, deren Zumalseyn und Zusammenwirken das innere Leben [des Geistes] ausmacht, sind es auch, welche nach einander hervortretend als die Principien des äußerlich sich entwickelnden Lebens und seiner auf einander folgenden Perioden erscheinen. Dieselben Stufen, die sich in der Simultaneität als Potenzen des Seyns betrachten lassen, erscheinen in der Succession als die Perioden des Werdens und der Entwicklung.“31
Der seinslogische Aufbau des (religiösen) Bewusstseins entfaltet sich so im Nacheinander der Zeit zu den Epochen der tatsächlichen (Religions‑) Geschichte, in denen sich die Grundkonstellationen des kollektiven religiösen Bewusstseins der Menschheit spiegeln. Diese hat zwei Hauptzeitalter: die polytheistische Periode der Mythologie und die monotheistische Periode der Offenbarung. Diese Perioden werden durch das zentrale Ereignis der 31 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813, hrsg. von Manfred Schröder, München 1946, 24 f. Es ist klar, dass ein solches, aus Seinsprinzipien spekulativ entwickeltes Geschichtsbild einer empirischen Tatsachen‑ und Ereignisgeschichte diametral entgegensteht. Vgl. Georg Neugebauer, „Spekulativer Geschichtspositivismus. Überlegungen zur späten Geschichtsphilosophie Friedrich Schellings“, in: Christian Danz (Hg.), Schelling und die historische Theologie des 19. Jahrhunderts, Tübingen 2013, 193–207, der Schelling aber doch darin würdigt, dass er sich bemühe, „ein für eine sinnvolle Deutung geschichtlicher Ereignisse belastbares Kriterium aufzustellen“ (206). W. Jacobs weist zurecht darauf hin, dass Schellings Geschichtsphilosophie den A-priori-Versuch darstellt, die dem Prinzip des Werdens unterstellte Geschichte aus Vernunftprinzipien abzuleiten. Dabei muss er zugleich zeitlose Vernunftprinzipien und ein „Werden der Vernunft“ behaupten, das „vom puren Naturzustand in einen vollendeten Vernunftzustand [übergeht]“ (vgl. Wilhelm G. Jacobs, „Geschichte als Prozess der Vernunft“, in: Hans Michael Baumgartner (Hg.), Schelling. Einführung in seine Philosophie, Freiburg/München 1975, 39–44, hier: 39).
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eigentlichen (zweiten) Offenbarung, der Menschwerdung Gottes in Christus, getrennt, durch welchen die außergöttlichen kosmischen Potenzen, die bewusstseinsprägend den Prozess der Mythologie bestimmten, wieder zur Einheit gebracht werden sollen.32 Die Mythologie ist für Schelling als Epoche in der Geschichte des religiösen Bewusstseins Religion, aber eine bloß „nothwendige, […], blinde, […] unfreie Religion“. Erst mit der (zweiten) Offenbarung tritt der Mensch in „die freie, geistige Religion [ein] – die Religion der freien Einsicht und Erkenntnis“ (XIII, 194). Zugleich werden diese Weltzeitalter von zwei prä‑ und posthistorischen Epochen eingerahmt: dem goldenen Zeitalter vor dem Sündenfall, in welchem das urmenschliche Bewusstsein noch im impliziten Gott-Wissen aufging, und dem Zeitalter der zukünftigen Erfüllung, in welchem dem Menschen in der Rückkehr zu Gott der gesamte historische Prozess zugleich offenbar würde. Demnach gliedern die Tat Gottes als Schöpfung, die Tat des Menschen als Abfall von der Schöpfung und die Tat des menschgewordenen Gottes als Aufhebung der Tat des Menschen gegen die Tat Gottes und als Perspektive auf eine All-Versöhnung die Geschichte grundsätzlich.33 In diesem Gedanken einer Rückkehr zu Gott liegt auch das eschatologische Moment des religiösen Bewusstseins, das zugleich die Perspektive auf Wiederherstellung einer ursprünglich verloren gegangenen Einheit und eine Rückkehr zum eigenen Wesen beinhaltet: „Ist [das Wesen des Menschen] der zurückgebrachte Anfang, so ist [es] wieder das, was im Anfang der Schöpfung war, es ist nicht mehr dem Erschaffenen, sondern es ist wieder der Quelle der Schöpfung gleich – das menschliche Bewußtseyn ist also, indem es das Ende ist, zugleich auch wieder der Anfang der Schöpfung.“ (XI, 85).
Aber eine solche Rückkehr in den Anfang ist keine bloße Wiederholung eines vergangenen Zustands. Sondern die geschichtliche Bewegung geht einher mit einem umfassenden Bildungsprozess, einer fortschreitenden Selbst‑ und Gotteserkenntnis. Indem es die Perioden der Fort‑ und Zurückbewegung zu Gott durchlebt, durchläuft das menschliche Bewusstsein in zunehmender Selbsttransparenz und begrifflicher Durchdringung die Schichten und Potenzenkonstellationen, die sein eigenes je aktuelles Dasein bedingen. Das ursprünglich mit dem Einsetzen der Reflexion ent Vgl. Peter Koslowski, Offenbarung, 625 und 660. Vgl. auch Axel Hutter, Geschichtliche Vernunft. Die Weiterführung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, Frankfurt / Main 1996, der zurecht auf die Bedeutung aufmerksam macht, die hier in der Zäsur, dem durch die Menschwerdung Gottes eintretenden „qualitativen Sprung zwischen Vorher und Nachher“ liegt (307–312, hier: 308). 33 Vgl. Hans Michael Baumgartner/Harald Korten, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, München 1996, 165. 32
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stehende rudimentäre ‚Wissen‘ um Gott wird sukzessive in ein explizites, theoretisches Wissen transformiert, das am Ende des Prozesses eine Philosophische Religion oder ein Wissen des Wissens sein würde: „Soll es [das Gott-Wissende Selbstbewusstsein] das wissend-Wissende Gottes seyn […], so muß es erst ausgehen von Gott, um in der Wiederkunft und Wiederkehr in Gott das ihn aktuell Wissende zu seyn“ (X, 264).34 Bei Vollendung des Prozesses schließlich müsste dem menschlichen Bewusstsein „die ganze Bewegung von Anfang bis zu Ende durchsichtig sein, es wäre eingeborene Wissenschaft, gleichsam von Natur schon, durch eigenes Werden das universell Wissende“ (XI, 85). Diese Parallelität der äußeren Periodisierung der Geschichte des religiösen Bewusstseins (als objektiver Religionsgeschichte) mit dem seinslogischen Aufbau des Bewusstseins überhaupt ist keine bloß äußere Analogie. Sie verdankt sich der dialektischen Entwicklung der durch den Fall des Menschen in Spannung versetzten Potenzen, die gleichermaßen das subjektive Bewusstsein wie die universelle Geschichte als die objektive Seite des Bewusstseins bestimmen. Der im Menschen ausgetragene Kampf der Potenzen erhält in der Geschichte des religiösen Bewusstseins sein objektives Gepräge.35 Die Entwicklungsgeschichte des religiösen Bewusstseins ist so im Ganzen der Prozess eines sukzessiven Offenbarwerdens Gottes. Indem die Menschheit nach und nach ihre eigenen inneren Entwicklungsstufen durchläuft, bringt sie sich diese sukzessive zu Bewusstsein. Darin ist ein Aufstieg des Wissens um Gott enthalten, da dieser nicht nur der Urquell des menschlichen Seins und der erste Bezugspunkt seines Bewusstseins ist, sondern da Gott als Geist die grundsätzlich selben Innenverhältnisse des Bewusstseins hat wie der Mensch.
34 Mit dem erst in den spätesten Schriften gebrauchten Ausdruck ‚Philosophische Religion‘ bezeichnet Schelling eine „Philosophie […], die im Stande wäre, begreiflich zu machen, d. h. als möglich darzuthun, was wir in der Mythologie, und mittelbar auch in der Offenbarung, erkannten – ein reales Verhältniß des menschlichen Bewußtseyns zu Gott“ (XI, 250). Der Ausdruck ist schillernd, da Schelling hier einerseits genau das Projekt der Philosophie der Mythologie und Offenbarung beschreibt, andererseits den Konjunktiv verwendet und an derselben Stelle betont, die Philosophische Religion existiere nicht. M. E. bezeichnet Schelling damit nicht, wie Walter Schulz, Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Pfullingen ²1975 (= Vollendung), 269 meint, den eigenen Standpunkt seiner geschichtlichen Philosophie als „Wissen um das jetzt noch ausstehende Ende“, sondern das erst in der Apokalypse vollendbare Projekt einer wissenden Wiederkehr des Menschen in Gott. 35 Vgl. John E. Wilson, Schellings Mythologie. Zur Auslegung der Philosophie der Mythologie und Offenbarung, Stuttgart 1993 (= Mythologie), 52.
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In der sukzessiven Selbst‑ und Gotterkenntnis des Menschen bleibt schließlich auch der ursprüngliche Schöpfungswille Gottes erhalten: die Offenbarung unter dem Motiv des Erkannt-Werdens Gottes ist erst dann vollendet, wenn der Mensch als das zunächst zwar substanziell, aber unverstanden gottsetzende, gottbewusste Wesen, zu einem gehaltvollen Gottesbewusstsein als geschichtlich reflektiertem Wissen von Gott kommt. In der ursprünglichen Gottesversenkung des Präbewusstseins war kein Wissen um Gott, da weder das religiöse Urbewusstsein des Menschen noch Gott als sein Objekt in ihren je vollen Gehalten gegeben waren. Mit dem Sündenfall jedoch begann eine Entfernungsbewegung des Menschen von Gott, welche erst in der Offenbarung der Menschwerdung Gottes in Christus zur Umkehr kommen konnte. Von dort aus, aus der Distanz, ist dem Menschen die Perspektive gegeben, durch Aufhebung der Ursünde zu Gott zurückzukehren. Hinsichtlich der bewusstseinsprägenden Potenzenkonstellation in ihm bedeutet dies: in der monotheistischen Religion des Christentums ist die Möglichkeit enthalten, durch Hinwendung zu Gott diesen als Prinzip der Liebe und des Allgemeinwillens ins Zentrum des menschlichen Bewusstseins zurückzubringen und dadurch die ursprüngliche Harmonie der Potenzen wiederherzustellen.36
VI. Zusammenfassung Fassen wir die Grundzüge von Schellings Theorie des religiösen Bewusstseins zusammen: 1) Inhalt: Das religiöse Bewusstsein beinhaltet für Schelling wesentlich die Vorstellung eines personalen Gottes.37 Gott ist kein vager Gegenstand einer 36 Walter Schulz macht darauf aufmerksam, dass zwar die grundsätzliche Religiosität des Menschen in der ursprünglichen Bindung des Menschen an Gott gründet, dass aber die reale geschichtliche Religion die Abwendung des Menschen von Gott zur Bedingung hat: „Religion als ausdrückliche [Hervorh. Vf.] Bindung des Menschen an Gott setzt die Aufhebung der Unmittelbarkeit voraus, in der sich der ‚Urmensch‘ […] auf Gott bezieht. […] Erst die Entfremdung gibt die Möglichkeit einer bewussten Zuwendung zu Gott“ (Walter Schulz, Vollendung, 261). 37 Damit hält Schellings Theorie des religiösen Bewusstseins auch modernen Begriffen stand. Nach Thomas M. Schmidt ist der Begriff der Religion religionsphilosophisch überhaupt dem des ‚religiösen Bewusstseins‘ gleichzusetzen und dieses wiederum besteht darin, Bewusstsein von Gott zu sein. (Thomas M. Schmidt, „Religiöses Bewusstsein und philosophischer Gottesbegriff“, in: Ermenegildo Bidese / Alexander Fidora / Paul Renner (Hgg.), Philosophische Gotteslehre heute. Der Dialog der Religionen, Darmstadt 2008, 9–26; insb. 11–18).
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Ahnung, Sehnsucht, eines Gefühls oder einer Intuition. Gott als der Gegenstand des religiösen Bewusstseins ist auch keine Vorstellung einer bloß unbestimmten Transzendenz und es ist keine bloß begriffliche Vorstellung eines all-vollkommenen Wesens. Er ist das persönliche Gegenüber des Menschen. Als Vorstellung von einem Gott ist es auch keine Vorstellung von vielen Göttern wie in der Mythologie. Religiöses Bewusstsein ist für Schelling in der Substanz monotheistisch. Der Polytheismus ist eine bloß historische (und als solche durch die zweite Offenbarung Christi bereits wieder überwundene) Folge hiervon. 2) Herkunft: In der Vorstellung Gottes wird Gott als einer gedacht, dem das Bewusstsein seine Herkunft verdankt, das also die Seinsursache seiner selbst ist. Das heißt für Schelling, dass das Bewusstsein als eine Form des Seins (Gottes) angesehen werden muss (und nicht umgekehrt) und dass es in Gott als ontologischem Prius gründet. Das religiöse Bewusstsein wurde durch die Offenbarungstat Gottes geschaffen und besteht in der fortgesetzten realen Beziehung zu ihm. 3) Status: Auf Grund seiner Herkunft und inneren Konstitution ist jedes personale Bewusstsein notwendig religiös. Diese Religiosität ist weder nachträglich erworben, noch in der Zukunft wieder aus dem Bewusstsein suspendierbar. Sondern sie gehört dem Bewusstsein als seine ontologische Bedingung an, als eine, ohne welche mit Schelling Bewusstsein überhaupt nicht möglich wäre. Herkunft, Status und Inhalte des religiösen Bewusstseins begründen sich mit Schelling als Bedingungen des menschlichen Selbstbewusstseins mit hoher innerer Notwendigkeit wechselseitig. Zentrales systematisches Verbindungsglied ist hierbei die Ebenbildlichkeit, die durch die Schöpfungsmotivation Gottes begründet ist und die dazu führt, dass das menschliche Bewusstsein als reflexives Selbstbewusstsein von drei-einheitlicher interpersonaler Art ist, zu welcher notwendig gehört, dass Gott als personales Gegenüber in ihr erscheinen kann. Unter den Voraussetzungen der positiven Philosophie gilt, dass 1) religiöses Bewusstsein nicht anders sein kann als durch Gott geschaffen, da Bewusstsein überhaupt nicht anders sein kann als durch Gott geschaffen, dass 2) menschliches Bewusstsein nicht anders sein kann als religiös und dass zuletzt 3) die gottesebenbildliche Art des menschlichen Bewusstseins eine notwendige Folge seines durch Gott als religiöses Bewusstsein GeschaffenSeins ist; d. h., dass Gott, wenn er sich zur Erschaffung des Menschen entschieden hatte, auch nicht anders konnte, als diesen als Ebenbild seiner selbst zu erschaffen.
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Metaphysik im Mythos Zu Schellings Philosophie der Mythologie Jens Halfwassen „Metaphysik im Mythos“ – diese Formulierung meines Themas enthält eine Paradoxie, die beabsichtigt ist. Denn der Mythos ist ein vorrationales, befangenes Verhältnis des menschlichen Geistes zur Welt; im Mythos ist der Geist an die welthafte Wirklichkeit gleichsam verloren: Die bestimmenden und bewegenden Mächte der Welt erlebt er in sinnenverhafteter Form als Götter, in deren Gewalt er sich glaubt. Die Metaphysik ist dagegen ihrem eigenen Selbstverständnis nach das höchste Verhältnis der als reines Denken zu sich gekommenen Vernunft zur Wahrheit; sie übersteigt die sinnlich erscheinende Welt auf das hin, was ihr als das eigentlich und wahrhaft Seiende zugrundeliegt. In einem sehr allgemeinen Sinne läßt sich Metaphysik verstehen als die denkende Suche nach dem Absoluten, das als unbedingter, selbst grundloser Urgrund und Ursprung alles Seiende zugleich begründet und transzendiert. Metaphysik in diesem Sinne gibt es historisch erst seit Platon; sie entfaltet sich als Prinzipienphilosophie in sich wandelnden Formen von der Platonischen Akademie bis zum Deutschen Idealismus.1 Ihr geschichtliches Entstehen setzt aber einen mehrhundertjährigen Weg Vom Mythos zum Logos – um einen berühmt gewordenen Buchtitel von Wilhelm Nestle zu zitieren – voraus, einen Weg, auf dem das erwachende philosophische Denken sich stufenweise aus der Befangenheit des Mythos in der sinnlichen Welt befreit.2 Der Mythos ist also der Hintergrund, von dem sich die Philosophie abhebt, als das der Philosophie geschichtlich vorausgehende Weltverhältnis des Menschen. Die Philosophie hat sich darum seit ihrem Beginn mit 1 Vgl. zum Metaphysikbegriff J. Halfwassen, „Metaphysik als Denken des Ganzen und des Einen im antiken Platonismus und im deutschen Idealismus“, Heidelberger Jahrbücher 47 (2003), 263–283. 2 W. Nestle, Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates, Stuttgart 21974. Das Modell eines Übergangs vom Mythos zum Logos hat Hans Blumenberg in seiner einflußreichen Auseinandersetzung mit der Mythosthematik in Frage gestellt, vgl. H. Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt/Main 62001.
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dem Mythos auseinandergesetzt, zuerst kritisch, dann immer stärker auch positiv, indem sie dem Mythos eine eigene Wahrheit zuschrieb. Den philosophisch anspruchsvollsten Versuch, diese Wahrheit des Mythos zu begreifen, unternahm der späte Schelling in seiner Philosophie der Mythologie, in der er die Mythologie als eine universale und notwendige Manifestationsform eines sich geschichtlich selbst offenbarenden Absoluten verstand und damit den Mythos in die Metaphysik selbst einholte; auf diese Einholung des Mythos in die Metaphysik spielt meine Formulierung des Themas an. Ich werde im Folgenden mein Thema in drei Schritten angehen: Zunächst gebe ich in einem ersten Teil eine historisch orientierte Exposition des Problems: Philosophie und Mythos bis zu Schelling (I); darauf lege ich in einem zweiten Teil Schellings selten behandelte Begründung der Wahrheit der Mythologie in seiner Metaphysik des Absoluten dar; dabei werde ich die These vertreten, daß Schellings späte Religionsphilosophie zugleich eine Theorie des geschichtlich zu sich kommenden Selbstbewußtseins ist (II); abschließend skizziere ich in einem dritten Teil Schellings Durchführung seines Programms am Beispiel seiner viel zu wenig beachteten Deutung der ägyptischen Religion (III).
I Die mit dem Vorsokratiker Xenophanes im 6. Jahrhundert vor Christus beginnende und mit Platon vollendete Mythenkritik der antiken Philosophie hebt ganz auf die Unwahrheit der Mythologie ab; sie kritisiert dabei gezielt das Gottesverständnis des Mythos: Unwahr ist (1) der Polytheismus, (2) der Anthropomorphismus der mythischen Götter und (3) die „Amoralität“ der Göttergeschichten.3 Wichtig ist diese scharfe Kritik der griechischen Aufklärung am mythischen Gottesverständnis deshalb, weil sie den Mythos in seinem religiösen Kern trifft; da der ganz in bildhaften Vorstellungen lebende Mythos den Argumenten der philosophischen Vernunft nichts entgegenzusetzen vermag, hat die philosophische Mythenkritik die religiöse Macht des Mythos zerstört, und zwar für alle nachfolgenden Zeiten der
3 Vgl. Xenophanes, in: H. Diels/W. Kranz (Hgg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, Berlin 61951, 21 B 11–16, und Platon, Respublica, ed. by S. R. Slings, Oxford 2003, II 377e–383c. Vgl. zu Xenophanes’ Destruktion des mythischen Gottesbegriffs und seinem philosophischen Monotheismus, den er dagegen setzt, jetzt J. Halfwassen, „Der Gott des Xenophanes. Untersuchungen über Ursprung und Strukur eines philosophischen Monotheismus“, Archiv für Religionsgeschichte 10 (2008), 275–295.
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europäischen Geschichte.4 Diese an der Gottesvorstellung ansetzende Entmächtigung des Mythos beweist aber gerade, daß die Mythologie wirklich in ihrem Wesen Religion ist; nach der Zerstörung ihrer religiösen Substanz, die noch in der klassischen Tragödie eindrucksvoll wirksam ist, wurde die Mythologie im Hellenismus und in der Spätantike zum Bildungsgut und zum Bilderreservoir für Literatur und Kunst, als das sie in der Renaissance wieder auferstehen und bis zum Verfall der humanistischen Bildung in unseren Tagen lebendig bleiben sollte. Für die Philosophie freilich kann es bei dem destruktiv-kritischen Verhältnis der griechischen Aufklärung zum Mythos nicht bleiben; denn damit ist zwar die Macht des Mythos gebrochen, dieser selbst aber noch keineswegs begriffen. Unerklärt bleibt vor allem, wie der Mythos die archaischen Kulturen über die Jahrtausende hin in seiner Gewalt halten und dabei zu Leistungen wie dem Homerischen Epos oder den klassischen griechischen Götterstatuen oder auch den Pyramiden Ägyptens und Mexikos inspirieren konnte. Gerade die offenbar unwiderstehliche Gewalt des Mythos über das archaische Bewußtsein und seine darin sich zeigende Universalität zwingt aber zu einer Modifikation der Annahme, daß der Mythos einfach unwahr sei, daß μυθολογεῖν, wie Platon meinte, ein Erzählen von Märchen sei.5 Dies kann jedoch im Ernst keine Restitution des Mythos bedeuten, wie sie seit dem frühromantischen Programm einer Neuen Mythologie immer wieder gefordert wurde;6 denn die Weltbefangenheit des Mythos ist mit dem Erwachen der Vernunft unwiederbringlich verloren: Deshalb erleben wir keine Götter mehr. Der Mythos kann nicht in dem Sinne wahr sein, in dem Tatsachenerkenntnisse wahr sind, und auch nicht in dem Sinne, in dem metaphysische Einsichten wahr sind. Wenn er trotzdem Wahrheit enthält, so kann diese darum nur eine verhüllte Wahrheit sein. Als Verhüllung metaphysischer Wahrheit wurde der Mythos bereits in der Antike von den Neuplatonikern gedeutet; dies nahm dann 1810 der Heidelberger Gräzist Friedrich Creuzer in seinem berühmten Werk Symbolik und Mythologie der Alten Völker auf, dessen Deutung des Mythos Hegel und Schelling
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Einen guten Überblick über die Philosophie des Mythos in der Antike liefert L. Brisson, Einführung in die Philosophie des Mythos, Bd. 1: Antike, Mittelalter und Renaissance, Darmstadt 1996. 5 Vgl. bspw. Platon, Respublica, 396d6. 6 Vgl. dazu und zur Mythosdeutung in Aufklärung und Romantik das umfassende Werk von M. Frank, Der kommende Gott. Vorlesungen über die Neue Mythologie, Frankfurt / Main 1982.
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maßgeblich beeinflußt hat.7 Die mythologischen Vorstellungen sind danach symbolisch zu verstehen, in ihnen ist die an sich unanschauliche Wahrheit verbildlicht und damit zugleich anschaulich gemacht und verhüllt; und diese Verbildlichung entspricht der Sinnlichkeit des Menschen. Damit ist indes noch nicht erklärt, warum es zu dieser verhüllenden Verbildlichung der Wahrheit überhaupt kommt und warum sie den größeren Teil der Weltgeschichte vor dem Erwachen der Vernunft um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends – in der von Karl Jaspers so genannten Achsenzeit der Weltgeschichte – bestimmt hat.8 Diese Fragen versuchte der späte Schelling in seinen seit 1827 vorgetragenen Vorlesungen über Philosophie der Mythologie zu beantworten. Schelling hat sich Zeit seines Lebens mit der Mythologie beschäftigt; schon eine seiner frühesten Schriften handelt 1793 Über Mythen, historische Sagen und Philosopheme der ältesten Welt.9 Bleibt Schellings Auffassung des Mythos in dieser Frühschrift weithin noch der kritischen Sicht der Aufklärung verhaftet, so konzipierte er wenig später einen ästhetischen Mythologiebegriff und sah in seinen Vorlesungen über Philosophie der Kunst (1802/03) die Mythologie – und zwar speziell die griechische – als eine Art „Gesamtkunstwerk“ an, das die einzelnen großen Kunstwerke der Künstler trägt und sie erst ermöglicht. Erst der späte Schelling betrachtet die Mythologie als Religion in ihrem spezifischen Wahrheitsanspruch.10 Schellings Philosophie der Mythologie ist darin einzigartig, daß sie eine Letztbegründung der Religionsgeschichte in einer Metaphysik des transzendenten Absoluten unternimmt; sie will damit den Mythos als einen Ausdruck der absoluten Wahrheit spekulativ begreifen – allerdings als einen gemessen an der christlichen Offenbarung immer nur vorläufigen Ausdruck der Wahrheit.
7 Vgl. F. Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen, hg. von H. Bausinger/M. Hain/G. Heilfurth/W. Heiske/W.-E. Peuckert/K. Ranke und B. Schier, 5 Bände, Hildesheim/New York 1973. 8 Vgl. K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München 91988. 9 Vgl. F. W. J. Schelling, Historisch-Kritische Ausgabe, Bd. 1, hg. von W. G. Jacobs, J. Jantzen und W. Schieche unter Mitwirkung von K. Kuebart, R. Mokrosch und A. Pieper, Stuttgart 1976, 183–246. 10 Daß die Mythologie als Religion auszulegen ist, ist das Resultat der Historischkritischen Einleitung in die Philosophie der Mythologie (Schelling wird nach der Ausgabe des Sohnes zitiert: Sämmtliche Werke, hg. von K. F. A. Schelling, Bde. I–XIV [urspr. in zwei Abteilungen erschienen: I. Abt., Bd. 1–10 und II. Abt., Bd. 1–4], Stuttgart 1856–1861 [= SW]), SW XI, 3–262. Schellings Argumentation rekonstruiert besonders deutlich K.H. Volkmann-Schluck, Mythos und Logos. Interpretationen zu Schellings Philosophie der Mythologie, Berlin 1969.
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Der späte Schelling versteht den Mythos in seinem ursprünglichen Sinn als Göttergeschichte, und zwar genauer als Erzählung über das Entstehen, das Schicksal und die Abfolge der Götter.11 Die Mythologie ist darum in einem doppelten Sinne polytheistisch: Als System einer Göttervielheit unter einem Höchsten Gott – bekanntestes Beispiel sind die olympischen Götter unter Zeus – ist sie simultaner Polytheismus, als Erzählung über die Aufeinanderfolge mehrerer Hochgötter aber sukzessiver Polytheismus.12 Der sukzessive Polytheismus, der sich z. B. bei Hesiod in der Abfolge von Uranos über Kronos zu Zeus zeigt, ist dabei die schärfere Form des Polytheismus, da er die Weltherrschaft des Höchsten Gottes selbst relativiert. Er kann auch nicht mehr wie der simultane Polytheismus als Depravation eines Ur-Monotheismus erklärt werden, etwa durch Verselbständigung der Kräfte und Eigenschaften des Höchsten Gottes zu eigenen göttlichen Wesen; in dieser Weise hatte noch Creuzer den Polytheismus als einen auseinandergegangenen Monotheismus erklären wollen, ein seit Pater Wilhelm Schmidt überaus einflußreiches Erklärungsmodell.13 Schelling besteht demgegenüber darauf, daß der mythische Polytheismus nicht Depravation, sondern genuine Religion ist: wirkliche Erfahrung von göttlicher Wirklichkeit, Gegenwärtigkeit und Übermacht.14 Aber wie ist das möglich?
II Schelling begründet alle Religion – also auch den Mythos – in einem ursprünglichen und konstitutiven Verhältnis des menschlichen Bewußtseins zum Absoluten; dieser konstitutive Gottesbezug des Bewußtseins ist unverlierbar, aber nicht unwandelbar – seine Wandlungen konstituieren die Religionsgeschichte: Aus ihnen begreift Schelling sowohl die geschichtliche Abfolge der Mythologien als auch deren Ende im Monotheismus der Offenbarungsreligion.15 Um dies zu verstehen, müssen wir uns die prinzipielle 11
SW XI, 7; 15 ff; 67 u. ö. SW XI, 120 f. 13 Vgl. W. Schmidt, Der Ursprung der Gottesidee, 12 Bände, Münster 1912–1955. 14 Eine vergleichbar sensible Interpretation mythischer Gottes‑ und Welterfahrung bietet heute M. Theunissen, Pindar. Menschenlos und Wende der Zeit, München 2000. 15 In diesem Sinne ist der Mensch für Schelling das, wie er sich ausdrückt, „natura sua Gott Setzende“ (SW XI, 185). Das neuplatonische Pendant zu Schellings natura sua gottsetzendem Bewußtsein kann man in Jamblichs ἔμφυτος γνῶσις περὶ θεῶν sehen. Denn ähnlich wie Schelling legt Jamblich den Bezug des Bewußtseins auf das Absolute als ursprünglichen Gottbezug aus. Vgl. Jamblich, De mysteriis, ed. by E. C. Clarke /J. M. Dillon / J. P. Hershbell, Atlanta 2003 (= De myst.), 7, 13–8, 4. 12
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Problemstellung der Schellingschen Spätphilosophie vergegenwärtigen. Diese aber wird in der Forschung durchaus unterschiedlich interpretiert. Während Horst Fuhrmans, der bekannteste Repräsentant der älteren Forschung, in der Spätphilosophie eine religiös motivierte Abkehr Schellings vom Idealismus sah, hat Walter Schulz 1955 in seinem grundlegenden Buch Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings gezeigt, daß auch und gerade die Spätphilosophie aus der Grundproblematik des spekulativen Idealismus erwächst: Es geht in ihr um die Selbsterkenntnis der Vernunft und ihre Begründung in der Selbstvermittlung des Absoluten.16 Eine mittlere Position zwischen Schulz und Fuhrmans nehmen Walter Kasper und vor allem Xavier Tilliette ein, die zwar den von Schulz betonten idealistischen Charakter der Prinzipienphilosophie des späten Schelling akzeptieren, aber ähnlich wie Fuhrmans in der historisch orientierten Religionsphilosophie das eigentliche Anliegen der Spätphilosophie sehen.17 An diesem Punkt setze ich an und möchte zeigen, daß gerade die Religionsphilosophie von der idealistischen Prinzipienphilosophie her als eine Theorie des geschichtlich zu sich kommenden Selbstbewußtseins begriffen werden kann und daß dabei die Mythologie eine zentrale Rolle spielt. Dabei gehe ich in drei Schritten vor: Im ersten Schritt charakterisiere ich Schellings späte Prinzipienphilosophie als eine idealistische Metaphysik der Transzendenz; im zweiten Schritt zeige ich, warum das im Transzendenten gründende Bewußtsein nur durch die Religionsgeschichte zu sich selbst kommt; und im dritten Schritt bestimme ich dann die systematische Funktion der Mythologie für das geschichtlich zu sich kommende Bewußtsein. 1. Aber zunächst zur Prinzipientheorie! Der späte Schelling unterscheidet sich von Hegel und von seinen eigenen früheren Entwürfen durch die kritische Einsicht, daß sich die Vernunft nicht in letzter Instanz aus sich selbst heraus zu begründen vermag; sie vermag zwar ihre Bestimmungen systematisch abzuleiten, muß gerade dazu aber ihre eigene Existenz als schon gegeben hinnehmen und weiß sich darin als begründet in einem Absoluten, das ursprünglicher ist als sie selbst und über das sie nicht mehr begreifend verfügt, sondern das als Transzendenz ihrem Begreifen wesenhaft entzogen 16 H. Fuhrmans, Schellings letzte Philosophie. Die negative und positive Philosophie im Einsatz des Spätidealismus, Berlin 1940; vgl. ders., „Der Ausgangspunkt der Schellingschen Spätphilosophie“, Kant-Studien 48 (1956/57), 302–323; W. Schulz, Die Vollendung des deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Stuttgart / Köln 1955. 17 X. Tilliette, Schelling. Une philosophie en devenir, 2 Bde., Paris 1970; ders., L’absolu et la philosophie. Essais sur Schelling, Paris 1987; W. Kasper, Das Absolute in der Geschichte. Philosophie und Theologie der Geschichte in der Spätphilosophie Schellings, Mainz 1965.
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bleibt.18 Diese Einsicht erzwingt eine kritische Selbstbegrenzung der Vernunft, die aber, wie Schulz gezeigt hat, beim späten Schelling gleichwohl idealistischen Charakter behält; Schelling vollzieht sie in seiner negativen Philosophie, wie er sie nennt. Negativ ist sie deshalb, weil die Vernunft ihren Grund, das Absolute, nicht zu begreifen vermag, ohne es dabei zu verobjektivieren und damit zu einem Bedingten zu machen, also zu verfehlen; während die Vernunft für Schelling zwar das Wassein alles Seienden im reinen Denken a priori erfassen kann, entzieht sich ihr das Absolute, auf das sie als begründendes Denken doch eigentlich gerichtet ist, in die Unbegreiflichkeit seiner Transzendenz. Deshalb kann sie auch die Begründung des Seienden durch das Absolute nicht durch eine begriffliche Notwendigkeit deduzieren: Die Existenz oder das Daßsein ist – wie Schelling sagt – unvordenklich, d. h. es ist in jedem Vernunftbegriff, der immer nur das Wassein erfaßt, schon vorausgesetzt.19 Die Vernunft muß darum sich selbst auf die Transzendenz des Absoluten hin übersteigen; diese Selbsttranszendierung nennt Schelling mit dem Ausdruck Plotins Ekstasis.20 Das transzendente Absolute, auf das hin die Vernunft sich selbst übersteigt, umschreibt Schelling aber nun anders als Plotin nicht in einer konsequent negativen Theologie, die dem Absoluten alle überhaupt denkbaren Bestimmungen abspricht, sondern Schelling konzipiert es genuin idealistisch als reine oder absolute Selbstvermittlung. Um aber das Absolute als reine Selbstvermittlung denken zu können, müssen die Bestimmungen des Denkens – wenn auch modifiziert – auf es anwendbar bleiben, so daß die Negation nicht das letzte Wort behalten darf wie bei Plotin. Die Restriktion der Denkbestimmungen besteht nun nach Schelling darin, daß durch sie nur die Momente der Selbstvermittlung des Absoluten begreifbar sind, nicht aber dieses selbst als die in ihnen wesende reine Tätigkeit der Vermittlung, also nicht die Einigung dieser Momente. Daß aber das Absolute überhaupt als Selbstvermittlung gedacht werden muß, begründet Schelling damit, daß es sich selbst immer schon in der Vernunft und der von ihr begriffenen, also vernünftigen Welt ausgelegt hat. Dies kann jedoch nur a posteriori eingesehen werden, nämlich aufgrund des Faktums, daß über18
Vgl. SW XIII, 169. Vgl. SW XIII, 58. 20 Vgl. SW IX, 230. Vgl. zu Plotins Ekstasis J. Halfwassen, Plotin und der Neuplatonismus, München 2004, 49–58. Zur negativen Theologie und ihrer Begründung durch Platon J. Halfwassen, Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin, Stuttgart 2 2006. Zu Schellings Aufnahme Plotinischer Denkmotive vgl. W. Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, Frankfurt/Main 1972, 22004, 100–144; ders., Identität und Differenz, Frankfurt/ Main 1980, 204–240; ders., Das wahre Selbst. Studien zu Plotins Begriff des Geistes und des Einen, Frankfurt/Main 2001, 182–227. 19
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haupt Seiendes ist; und dieses Faktum ist unvordenklich, seine Setzung ist ein begrifflich unableitbarer Akt der Freiheit des Absoluten, das in seiner Manifestation im Seienden zugleich selber das Überseiende bleibt.21 Gerade in dieser Transzendenz des Absoluten über das Sein erblickt Schelling dessen Freiheit22: das Absolute ist genau darum frei, das Sein zu setzen oder nicht zu setzen, weil es selber vom Sein frei, nämlich über dem Sein ist. Die absolute Freiheit als Grund alles Seienden kann aber nur als reine Tätigkeit gedacht werden, die sich in sich selbst zu sich selbst vermittelt. Die begreifbaren Momente dieser Selbstvermittlung sind nun die von Schelling so genannten Potenzen, die zugleich die konstituierenden Prinzipien alles Seienden und allem anderen voraus der Selbstbeziehung der Vernunft sind. Schelling setzt drei Potenzen im Absoluten an, nämlich ein erstes Prinzip, das überhaupt Realität setzt oder hervorbringt, dann ein zweites Prinzip, das die gesetzte Wirklichkeit in ihrem Wassein bestimmt, und schließlich ein drittes Prinzip, das die setzende und die bestimmende Tätigkeit in sich vereint, also sich selbst bestimmt und darum Geist ist. In Aufnahme des Platonischen Dialogs Philebos identifiziert er das setzende Prinzip, das von sich her völlig unbestimmt ist, mit dem ἄπειρον – dem Unbestimmt-Unbegrenzten – , das bestimmende Prinzip mit dem πέρας – dem Begrenzenden und Bestimmenden – und das beide vereinigende dritte Prinzip mit dem νοῦς, den Schelling in idealistischer Terminologie auch als die Subjekt-ObjektEinheit bezeichnet.23 Das Absolute aber identifiziert er nicht – wie in seiner Frühphilosophie – mit der Subjekt-Objekt-Einheit, sondern es ist die reine Tätigkeit der Vermittlung in allen drei Potenzen, die als ihre vermittelnd-einigende Einheit ursprünglicher als sie und darum über sie erhaben ist. Schelling nennt das die Einheit der Potenzen begründende und über sie erhabene Absolute mit Berufung auf den Neuplatonismus das schlechthin Überschwengliche, das absolut Transzendente24; als reine Selbstvermittlung ist es jedoch für Schel21
SW XII, 58; XIII, 128 u. ö. Vgl. dazu J. Halfwassen, „Freiheit als Transzendenz. Zur Freiheit des Absoluten bei Schelling und Plotin“, in: J. M. Narbonne/A. Reckermann (Hgg.), Pensées de l’“Un” dans l’histoire de la philosophie. Études en hommage au professeur Werner Beierwaltes, Paris 2004, 459–481. 23 SW XII, 133, 577. Schelling bezieht sich bereits in einem frühen Kommentar zu Platons Timaios auf die Prinzipientheorie des Philebos. Vgl. F. W. J. Schelling, ‚Timaeus‘ (1794), hg. von H. Buchner, mit einem Beitrag von H. Krings, Stuttgart / Bad Cannstatt 1994, 27. Vgl. dazu R. Bubner, „Die Entdeckung Platons durch Schelling“, Neue Hefte für Philosophie 35 (1994), 32–55; ders., Innovationen des Idealismus, Göttingen 1985, 9–31. 24 SW XIII, 128, 132, 165, 215, 240, 256. Zu Schellings Beziehung zum Neuplatonismus vgl. die Arbeiten von Werner Beierwaltes (s. o. Anm. 20). 22
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ling anders als für den genuinen Neuplatonismus zugleich der absolute Geist und d. h. Gott als absolute Persönlichkeit.25 2. Nun zum Bewußtsein und seinem Gottesbezug! Gott begründet alles außermenschliche Seiende durch sein Auseinandertreten in die drei genannten Potenzen, kehrt aber im menschlichen Bewußtsein – dem Ziel der Schöpfung – in seine Einheit zurück. Das ursprüngliche Bewußtsein, in dem Gott in seine Einheit zurückkehrt, ist aber noch nicht das reflektierte Selbstbewußtsein der Vernunft; es bleibt vielmehr als ekstatische Schau des Absoluten ganz in der ungeschiedenen Einheit mit Gott.26 Das entwickelte Selbstbewußtsein der Vernunft unterscheidet sich von diesem ursprünglichen Bewußtsein dadurch, daß es mit seinem Inhalt nicht unterschiedslos Eins ist, sondern sich von ihm unterscheidet; erst dadurch weiß es von sich und ist selbständig. Damit es zum vernünftigen Selbstbewußtsein überhaupt kommen kann, muß das Bewußtsein also aus seiner ursprünglichen Einheit mit Gott heraustreten. Das ist aber nach Schelling nur dadurch möglich, daß sich Gott im Bewußtsein in seine verschiedenen Momente auseinanderlegt, die dem Bewußtsein dann in einer gesetzmäßigen Abfolge nacheinander erscheinen; denn Gott ist der einzige Inhalt des ursprünglichen Bewußtseins. Dieses sukzessive Erscheinen der auseinandertretenden Momente Gottes im Bewußtsein konstituiert die Geschichte, deren Kern für Schelling darum die Religionsgeschichte ist; denn die wesentliche Geschichte ist idealistisch gedacht die Geschichte des durch seine Inhalte zu sich selbst kommenden Selbstbewußtseins. Das Begreifen des zu sich kommenden Selbstbewußtseins vollzieht nun die sogenannte positive Philosophie, die nach Schelling die transzendierende Selbstbegrenzung der Vernunft in der negativen Philosophie voraussetzt, und darum die zweite Philosophie ist27; diese zweite Philosophie ist positiv, weil ihr Thema das geschichtliche Erscheinen Gottes im Bewußtsein ist, deshalb hat sie den Charakter einer Religionsphilosophie. Diesen entscheidenden Zusammenhang der Religionsphilosophie mit der idealistischen Selbstbewußtseinstheorie hat die Forschung bisher nicht gesehen: Meine These lautet also, daß die positive Philosophie gerade als Religionsphilosophie zugleich die Gestalt einer idealistischen Konstitutionsgeschichte des Selbstbewußtseins hat, die das Selbstbewußtsein konstitutiv auf den transzendenten Gott bezieht.28 25
SW XII, 85; XIII, 91, 311. SW XI, 185 f. 27 SW XI, 367. 28 Diese These hat inzwischen Markus Gabriel aufgegriffen und in einer umfassenden Monographie ausgeführt, vgl. M. Gabriel, Der Mensch im Mythos. Untersuchungen über 26
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3. Damit komme ich zur Mythologie: Die systematische Funktion der Mythologie innerhalb der positiven Philosophie als einer religionsphilosophischen Geschichte des Selbstbewußtseins besteht darin, daß sie den ursprünglichen Inhalt des Bewußtseins – das Göttliche – in seine verschiedenen Momente auseinanderlegt und diese Momente in geregelter Abfolge nacheinander durchläuft. Das Bewußtsein kann nämlich nur dadurch als vernünftiges Selbstbewußtsein zu sich kommen, daß es sich entwickelt, und hierzu muß es seinen Inhalt entfalten und auseinanderlegen. Der buchstäblich einzige Inhalt des ursprünglichen Bewußtseins ist Schelling zufolge aber Gott.29 Dem Bewußtsein müssen darum die Momente Gottes – die drei genannten Potenzen – zunächst in ihrer Verschiedenheit nacheinander erscheinen und eben dies geschieht in der Mythologie. Erst danach kann sich ihm Gott in der christlichen Offenbarung als der Eine zeigen. Erst indem das Bewußtsein seinen Inhalt – Gott – auch in seiner Einheit begreift, wird es freies, vernünftiges Selbstbewußtsein; denn solange ihm Gott nur in der Verschiedenheit seiner Gestalten erscheint, wird es von diesen verschiedenen Gestalten gleichsam zerrissen und kommt nicht zu sich selbst. Diese Konstitutionsgeschichte des Selbstbewußtseins ist nun zugleich reale Geschichte, nämlich Religionsgeschichte als objektives Bewußtseinsgeschehen, da das Erscheinen der Potenzen im Bewußtsein unabhängig von dessen Willkür nach eigener Gesetzmäßigkeit erfolgt.30 Die hierbei unwillkürlich erzeugten Vorstellungen erlebt das Bewußtsein als Götter, als übermächtige, es ganz und gar beherrschende Wesen, und dies ist eine wirkliche Erfahrung des Göttlichen, weil diese Götter die auseinandergetretenen Momente Gottes sind – das ist die Wahrheit der Mythologie. Die Potenzen sind jedoch nicht Gott, denn Gottes Gottheit liegt gerade in der sie vermittelnden Einheit31; da also der Inhalt der Mythologie nicht Gott in seiner absoluten Einheit ist, ist die Mythologie zugleich Verhüllung der Wahrheit und bleibt hinter deren voller Offenbarung im Christentum zurück. Diese Verhüllung aber ist selber eine notwendige Stufe im Prozeß der geschichtlich zu sich kommenden Wahrheit; denn nur im Durchgang durch das Auseinandertreten der Gottheit in der Mythologie entfaltet und entwickelt das Bewußtsein sich selbst.32
das Verhältnis von Ontotheologie, Anthropologie und Selbstbewußtseinsgeschichte in Schellings „Philosophie der Mythologie“, Berlin 2006. 29 SW XI, 185. 30 Vgl. SW XII, 123, Anm. 31 Vgl. SW XIII, 283 f. 32 Vgl. dazu das erste Buch der Philosophie der Mythologie, wo Schelling zeigt, daß Gott nur vermittelte Alleinheit, nicht aber die Einheit des Gottes des Alten Testaments
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Schelling konstruiert demgemäß eine geschichtliche Abfolge der verschiedenen Mythologien, deren Gesetz das sukzessive Erscheinen der drei Potenzen der Gottheit im Bewußtsein ist.33 Die Mythologie endet in der christlichen Offenbarung des Einen Gottes in der Dreiheit seiner Personen; damit hebt die Offenbarung die Vorläufigkeit der Mythologie auf und bewahrt zugleich deren Wahrheit – die Dreiheit der Potenzen – auf höherer Stufe; die Trinität ist darum für Schelling – ähnlich wie für Hegel – das eigentliche Geheimnis der Religionsgeschichte.
III Damit komme ich zu Schellings Deutung der ägyptischen Religion. Die altägyptische Religion ist für Schelling die älteste vollständig entfaltete Mythologie, in der erstmals das Zusammenwirken aller drei Potenzen erscheint; ihre Deutung ist auch historisch besonders interessant, da Schelling hier die antiken Deutungen von Plutarch und Jamblich aufnimmt und von seinem eigenen Ansatz her spekulativ weiterführt.34 Das älteste mythologische System, eben das ägyptische, steht für Schelling unter dem Vorzeichen des Kampfes35, in dem die höheren Potenzen das Bewußtsein von der Herrschaft des ersten Prinzips befreien.36 Dieses erste Prinzip setzt die Realität, läßt aber auch alle seine Produkte wieder im Unbestimmten verschwinden; es erscheint darum dem mythischen Bewußtsein als ein wilder und furchtbarer Gott, der in den ältesten Religionen verehrt wird. Der Inhalt der ägyptischen Religion ist für Schelling die Überwindung dieses wilden Gottes der Vorzeit. Er erscheint in ihr als Seth oder Typhon; das ihm entgegenwirkende formende Prinzip – Schellings zweite Potenz – erblickt Schelling dagegen in dem Kulturbringer Osiris. Der Kampf zwischen Osiris und Seth spiegelt die Spannung zwischen dem Realitäts‑ und dem Formprinzip. Beide Potenzen sind gleich mächtig; Isis, die sowohl Osiris als auch Seth beweint und als die Schwester-Gemahlin beider Götter erscheint, deutet sein kann. Gott ist nur als Vermittlung der drei Potenzen, deren Auseinandertreten die Mythologie ist. Vgl. SW XII, 3–131. 33 Vgl. X. Tilliette, La mythologie comprise. L’interprétation schellingienne du paganisme, Neapel 1984. 34 Vgl. Plutarchs Schrift De Iside et Osiride, ed. J. G. Griffiths, Cardiff 1970 (= De Is. et Os.) sowie Jamblichs De myst. Vgl. dazu J. Assmann, Weisheit und Mysterium. Das Bild der Griechen von Ägypten, München 2000. 35 SW XII, 375. 36 Zu Schellings Deutung der ägyptischen Mythologie vgl. den ganzen Passus SW XII, 364–430.
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Schelling als das zwischen dem ersten und dem zweiten Gott zerrissene religiöse Bewußtsein.37 Die Entscheidung in diesem Konflikt bringt erst das Erscheinen des dritten Gottes, des Horus, für Schelling der „als Geist wirkliche Gott“.38 Erst mit der Weltherrschaft des Horus, des dritten Prinzips, ist Seth endgültig besiegt und damit treten die beiden ersten Potenzen in die Vergangenheit zurück; Osiris verschmilzt mit Seth und wird zum Gott der Unterwelt, d. h. zum Prinzip der Vergangenheit. Bis hierhin bleibt Schelling Plutarch verpflichtet, so originell er dessen Deutung auch seiner Potenzenlehre anverwandelt. Doch nun folgt eine unerhört kühne Wendung, die für sich in Anspruch nehmen darf, zum ersten Mal nach Jamblich die monotheistische Tendenz der ägyptischen Gottesvorstellung erkannt zu haben.39 Indem nämlich in Horus die dritte und letzte Potenz erscheint, muß Schellings Ansatz zufolge auch das transzendente Eine über den Potenzen ins Bewußtsein treten, das ihr Zusammenwirken und ihre Einheit vermittelt. Schelling schreibt der ägyptischen Religion darum ein Bewußtsein des hinter den Potenzen verborgenen transzendenten Gottes zu: Dieser „verborgene Gott im höchsten Sinne des Wortes“40, wie Schelling formuliert, ist Amun. Amuns gewaltigen Tempel in Karnak beschreibt Schelling – der ihn aus der Description de l’Égypte kennt – staunend als die steingewordene Manifestation des frühesten Erscheinens des wahren Gottes im menschlichen Bewußtsein. Der Eine Gott hinter und über den Potenzen begründet nun das vernünftige Selbstbewußtsein, das Gott als den Einen in und über der Unterschiedenheit seiner Gestalten bewußt begreift. Dieses den Einen Gott als seinen Grund begreifende Bewußtsein symbolisiert Thot, der Gott der Weisheit. Die „höhere Theologie der Ägypter“41, wie Schelling die Amunsreligion im Anschluß an Jamblich nennt, beschreibt darum für ihn die Konstitution des Selbstbewußtseins der Vernunft aus der Selbstvermittlung des Absoluten – also den eigentlichen Inhalt der positiven Philosophie – und ist damit eine wirkliche Metaphysik in Gestalt des Mythos. Das ist es, was ich zeigen wollte. Nun kann man fragen: Ist Schellings Deutung der ägyptischen Religion eine spekulative Vergewaltigung der historischen Gegebenheiten, wie man sie dem Idealismus so gern vorwirft? Ich 37
Vgl. SW XII, 369. Plutarch leitet den Götternamen Isis etymologisierend von ἵεσθαι
μετ’ ἐπιστήμης (Wurzel id) ab. Vgl. De Is. et Os. 375c3–d11 sowie 376b–d. 38
SW XII, 436. Vgl. Jamblich: De myst. 251, 9–265, 10. Besonders deutlich ist folgender Passus: Πρὸ τῶν ὄντως ὄντων καὶ τῶν ὅλων ἀρχῶν ἐστι θεὸς εἷς, πρώτιστος καὶ τοῦ πρώτου θεοῦ καὶ βασιλέως, ἀκίνητος ἐν μονότητι τῆς ἑαυτοῦ ἑνότητος μένων (De myst. 261, 9–11). 40 SW XII, 392. 41 SW XII, 384. 39
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glaube, die Forschungen der neueren Ägyptologie und insbesondere die Deutung der ägytischen Religion, die Jan Assmann vorgelegt hat42, zeigen, daß dies nicht so ist, daß Schellings spekulativer Interpretation der ägyptischen Religion auf ihren monotheistischen Grundzug hin vielmehr auch historisch ein bedeutendes Wahrheitsmoment innewohnt.
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Eine Religion in der Schwebe – Schellings Deutung des Judentums Amit Kravitz Daß man es erst von einem, seis wer es sei, lernen müsse, Gott unsern Vater zu nennen; das ist doch, wird der Jude meinen, das Erste und Selbstverständliche – was braucht es einen Dritten zwischen mir und meinem Vater im Himmel. Das ist keine moderne Apologetenerfindung, sondern der einfache jüdische Instinkt, gemischt aus Unbegreiflichfinden und mitleidiger Verachtung. (Franz Rosenzweig an Eugen Rosenstock)
Dass das Christentum sich nicht ohne das Judentum begreifen lasse, dass das Judentum nämlich der unmittelbarste Nährboden bzw. „die Mutterreligion“1 des Christentums sei, wird von keinem, welcher über das geringste Wissen von dem geschichtlichen Hintergrund des Christentums verfügt, ernsthaft in Abrede gestellt. Dass Christus „allerdings […] in gewissem Sinne mehr für die Heiden als für die Juden [war]“2, wie Schelling ausdrücklich behauptete, und dass „die mythologischen Vorstellungen […] Begriffe [enthalten], deren Wahrheit, deren wahre Gestalt und Wesen erst im N. T. gegeben ist“3, scheint jedoch einer weiteren Erhellung zu bedürfen. Diese von Schelling geschilderte Verwandtschaft zwischen Christentum und Heidentum „empfanden auch die Juden; sie sahen ihn [Christus] als eine Modifikation des heidnischen Prinzips an“ (PN, 670; PO XIV, 150). Angesichts dessen war die Abneigung der Juden gegenüber Christus „in gewissem Sinne“ nachzuvollziehen und zu rechtfertigen: Die tiefe Bedeutung des Auftretens Christi wurde von den Juden nicht ganz und gar verkannt, als sie es 1 Schelling wird nach der Ausgabe des Sohnes zitiert: Sämtliche Werke, hg. v. K. F. A. Schelling, Bde. I–XIV, Stuttgart 1856–1861 (=SW I–XIV), hier: Philosophie der Kunst, SW V, 425. 2 Paulus-Nachschrift (=PN), 670 (diese Paulus-Nachschrift ist zugänglich in: F. W. J. Schelling, Philosophie der Offenbarung 1841/42, hg. u. eingeleitet v. Manfred Frank, Frankfurt a. M. 1977; zitiert wird die Paulus-Nachschrift nach der Originalpaginierung, vgl. die Seiten-Konkordanz in der Ausgabe von M. Frank, 582–584); Philosophie der Offenbarung (=PO), SW XIV, 150. 3 Philosophie der Mythologie (=PM), SW XII, 315–316.
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mit der heidnischen Welt verknüpften. Die Juden schienen mithin nicht diese Verbindung an sich zu verkennen; vielmehr blieb ihnen, so scheint es laut Schelling zu sein, deren gehaltvolle Bedeutung verschlossen. Daraus mag jedoch der Eindruck entstehen, dass das Judentum doch nicht der unmittelbarste Nährboden des Christentums ist und dass infolgedessen die selbstverständliche, naheliegende Verbindung zwischen Christentum und Judentum von Schelling nichtsdestotrotz in gewissem Sinne in Abrede gestellt oder geringstenfalls abgeschwächt wird. Diese markante Abschwächung des Verhältnisses zwischen Christentum und Judentum in Schellings Schriften ist keineswegs neu. In der achten Vorlesung seiner Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums aus dem Jahr 1803, welche mit „Über die historische Konstruktion des Christentums“4 betitelt war, wendet sich Schelling der Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Christentum und seinem mythologischen Hintergrund zu. Die historische Konstruktion des Christentums bezog sich mithin in erster Linie auf seinen Bezug zur mythologischen Welt; merkwürdigerweise scheint die von Schelling dargebotene Bemühung, das Wesen des Christentums aus seinem geschichtlichen Zusammenhang herauszukristallisieren, nahezu nichts mit dem Judentum zu tun zu haben. Es ist, als ob das Judentum seinen Platz als ein unumgängliches Glied in der Kette des geschichtlichen Geschehens, welches schlussendlich zum Auftreten des Christentums führte, eingebüßt hat, und es fungiert nicht einmal als ein Gegenstand der Ablösung. Lässt sich nach Schelling das Christentum auch ohne die Vermittlung des Judentums überhaupt geschichtlich erfassen und verdeutlichen? Weist Schelling im Ernst darauf hin, dass die Einbettung des Judentums in das Gewebe des Christentums kein selbstverständliches Faktum ist, oder zumindest, dass das Judentum keinen wesentlichen, sondern zufälligen Bezug zum Christentum hat? Es scheint unwahrscheinlich zu sein, angesichts der Tatsache, dass laut Schelling die Bewegung von den mythologischen Anfängen des Bewusstseins bis in das Christentum hinein „nicht erfunden sondern gefunden“5 wird, d.i. durch Notwendigkeit, „Schicksal“ oder „Verhängnis“ (HKE, 192) gekennzeichnet ist. Ziel dieses Aufsatzes ist es, auf den Grund der von Schelling abgeschwächten Verbindung zwischen Christentum und Judentum zu kommen.6 Es sei im Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, SW V, 286–295. Historisch-kritische Einleitung in die Philosophie der Mythologie (= HKE), SW XI, 16 (eigene Hervorhebung). 6 Selbst bei Studien, welche einzig der Schellingschen ‚Christologie‘ gewidmet sind, ist kein einziges Kapitel über das Verhältnis zwischen Christentum und Judentum zu finden. Das ist auch kein Zufall: Man sieht leicht, wie die besagte Abschwächung als das Selbst4 5
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Voraus angemerkt, dass die Schellingsche Auseinandersetzung mit der Frage nach der Bedeutung des Judentums sich auffälligerweise durch seine Auslegung der Hebräischen Sprache, vermittelst derer eine Interpretation des Alten Testaments dargeboten wird, charakterisieren lässt. Allerdings ist es irreführend, daraus zu folgern, dass das Schellingsche Argument diesbezüglich einzig und allein auf seine beeindruckenden Hebräischkenntnisse angewiesen ist; denn vielmehr fungiert die Schellingsche Auslegung des Hebräischen als eine Art Bestätigung seiner schon vorher begründeten Grundannahmen. Anders gesagt: Schellings Argument bezüglich des Judentums ist logisch unabhängig von der von ihm dargestellten Auslegung des Hebräischen. Das heißt keineswegs, dass Schelling sich selbst in das Alte Testament hineinliest, also dass er es, vermittels einer sprachlichen Auslegung des Hebräischen, bloß nach Belieben interpretiert. Um „einen Gegenstand zu erkennen“, vermerkt Schelling, „darf […] [man zwar] nie die Absicht haben, etwas in ihn hineinzutragen, sondern nur ihn […] veranlassen, daß er sich selbst zu erkennen gebe“ (HKE, 4). Es verbirgt sich jedoch hinter dieser Formulierung auch die Annahme, dass das Sich-selbst-Zeigen eines Gegenstandes bzw. sein Sich-selbst-erkennen-Lassen veranlasst werden muss. Wenn ich mitunter bei von Schelling dargebotenen bestimmten sprachlichen Auslegungen des Hebräischen verweile, heißt es mithin nicht, dass ich im Begriff bin, die Schellingsche Interpretation irgendwie zu untergraben, sondern vielmehr, dass ich dadurch auf ein tieferes Verständnis derselben abziele. Der Aufsatz gliedert sich folgendermaßen: Zunächst wird (1) der pauschale Ausgangspunkt der Schellingschen Diskussion ans Licht gebracht; anschließend werde ich (2) drei Hauptmomente von Schellings Deutung des Judentums erörtern: (2.1) das Verhältnis zwischen Judentum und Mythologie, (2.2) den Unterscheid zwischen Jehova ( )יְ הוָ הund Elohim (ֹלהים ִ )א ֱ und die darauf bezogene philosophische, sprich: geschichtliche Bedeutung der Aufopferung Isaaks, welche „urbildlich […] für die Ganze Folge alttestamentlicher Offenbarung“ sei (PN, 661; PO XIV, 121). Hiernach werde ich (2.3) Schellings Position, gemäß derer das Judentum eine Religion der Zukunft sei, erörtern. Schließlich (3) werde ich mich erneut der Hauptfrage dieses Aufsatzes zuwenden: Wie lässt sich angesichts dessen, was bei (1) und (2) gefunden wurde, die oben erwähnte Abschwächung des Bezugs des Christentums zum Judentum begreiflich machen?
verständliche in Bezug auf Schellings Einstellung zum Judentum angenommen wird. Vgl. Christian Danz, Die philosophische Christologie F. W. J. Schellings, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1996.
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1. Zum Schellingschen Begriff von Monotheismus Um unserem eigentlichen Thema näher zu kommen, gilt es zunächst, einige von Schellings Grundannahmen bezüglich Monotheismus ans Licht zu bringen. „Der Mensch“, schreibt Schelling, „[hat] in seinem ursprünglichen Wesen keine andere Bedeutung […], als die, die Gott-setzende Natur zu seyn, weil er ursprünglich nur existiert, um dieses Gott-setzende Wesen zu seyn, also nicht die für sich selbst seyende, sondern die Gott zugewandte, in Gott gleichsam verzückte Natur“ (HKE, 185). „Man fragte“, fügt Schelling hinzu, „wie kommt das Bewußtseyn zu Gott? Aber das Bewußtseyn kommt nicht zu Gott; seine erste Bewegung geht, wie wir gesehen, von dem wahren Gott hinweg“ (HKE, 186), und selbst wenn der Mensch „sein Urverhältniß [zu Gott] aufhebt, ist darum nicht sein Verhältniß zu Gott überhaupt aufgehoben, denn es ist ein ewiges, unaufhebliches“ (HKE, 189). Die Gott setzende Natur des Menschen ist mithin keine zufällige Eigenschaft, welche dem Urbewusstsein zukommt, und sie ist auch nicht notwendig in dem Sinne, dass sie ab einem gewissen Zeitpunkt dem Bewusstsein zukommen muss; denn es handelt sich hier nicht um eine auf ein geschichtliches Geschehen bezogene Notwendigkeit, sondern vielmehr um den unbegreiflichen vorgeschichtlichen Ausgangspunkt des Bewusstseins. Kurzum: Das Bewusstsein ist (genauer gesagt, da es um ein Vor‑ bzw. Übergeschichtliches geht: Ist) von Haus aus ein unausrottbares Urverhältnis zu Gott. Es drängt sich allerdings die Frage auf, ob sich dieses Urverhältnis als monotheistisch charakterisieren lässt. Schellings Antwort darauf lässt sich so formulieren: Das Ursprüngliche mag unter Umständen als monotheistisch verstanden werden, allerdings ist es nicht als der wahre Monotheismus zu begreifen: „So wäre also wohl Monotheismus das Ursprüngliche? Aber auch dieser nicht, nämlich nicht nach den Begriffen, welche die Vertheidiger seiner Priorität mit dem Wort verbinden, indem sie damit entweder abstracten meinen, der sein Gegentheil nur ausschließt, aus dem also der Polytheismus nie hätte entstehen können, oder förmlichen, d. h. auf wirklicher Erkenntniß und Unterscheidung beruhenden […]. [Es ist] Monotheismus zwar, aber der es ist und nicht ist; ist, jetzt nämlich und solange das Bewußtseyn sich nicht bewegt, nicht ist, nicht so nämlich ist, daß er nicht Polytheismus werden könnte. Oder in noch bestimmterer Verwahrung gegen Mißverstand: Monotheismus zwar, aber der noch nichts von seinem Gegentheil, also auch sich selbst nicht als Monotheismus weiß, und weder, indem er sein Gegentheil ausschließt, sich bereits zum abstracten gemacht, noch indem er es überwunden und als bewältigt in sich hat, schon wirklicher, sich selbst wissender und besitzender Monotheismus ist.“ (HKE, 188).
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Beachtenswert ist an dieser Stelle, dass der ursprüngliche Monotheismus sein Gegenteil bzw. den Polytheismus keineswegs durch und durch ausklammert (mit Schelling gesprochen, er ist nicht abstrakt); wäre das der Fall, könnte Schelling zufolge die faktische Entstehung des Polytheismus nicht hinreichend aufgeklärt werden. Dementsprechend ist der Polytheismus (wie sich des Weiteren erweist, handelt es sich hier eher um eine Sollizitation zum Polytheismus) in einer Weise bereits bei dem ursprünglichen Monotheismus mit im Spiel, auch wenn er sich bei diesem ursprünglichen Monotheismus nicht als Polytheismus begreifen lässt. Daraus ergibt sich, dass das ursprüngliche Bewusstsein des ersten Menschen und das, was von Schelling ‚das reine Seiende‘ oder ‚die erste Potenz‘ genannt wird, nicht als ein für sich bestehendes Einfaches begriffen werden dürfen.7 Etwas überspitzter heißt es, dass nicht das bloße Sein der gesuchte Ausgangspunkt der Philosophie ist, sondern vielmehr das Seiende, welches eher als Möglichkeit zum Sein zu begreifen ist.8 „Das Princip, das die Menschheit in der Einheit erhielt“, behauptet Schelling, „konnte demnach kein absolutes, es mußte ein solches seyn, dem ein anderes folgen konnte, von dem es bewegt, verwandelt, zuletzt gar bewältigt wurde“ (HKE, 130). Von daher wird dieses Prinzip von Schelling gelegentlich als „relativer Monotheismus“ (HKE, 131) charakterisiert, und das damit übereinstimmende Bild von Gott lässt sich entsprechend durch den Terminus „der relativ Eine Gott“ (PN, 660) bezeichnen. Das zweite Kennzeichen des ursprünglichen Monotheismus besteht nach Schelling darin, dass er von dem ursprünglichen Bewusstsein des ersten Menschen nicht als solcher gewusst wird; denn „eigentlicher, mit Wissen verbundener Monotheismus findet sich selbst geschichtlich nur als Resultat“ (HKE, 190; eigene Hervorhebung). Folglich lässt sich nicht das Begreifen von Gott als Gott dem ursprünglichen Bewusstsein zuschreiben, weshalb es von Schelling mitunter auch als „der blinde Theismus“ (HKE, 191) gekennzeichnet wird. Den Einen Gott als den Einen zu erkennen, nämlich das Gelangen zum vollkommenen, wahren Monotheismus, ist nach Schelling als das Resultat eines verwickelten geschichtlichen Geschehens zu begreifen. In Anbetracht dessen ist der vorgeschichtliche Gott (der des ursprünglichen Bewusstseins) nicht der einzige, denn er war bloß „der einzige bis dahin seyende“ (HKE, 137). Aber nicht allein dies: Selbst Lehren, welche im Gegensatz zum ursprünglichen Bewusstsein des ersten Menschen dazu gelangen, 7 Vgl. hierzu Thomas Buchheim, Eins von Allem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie, Hamburg 1992, 27–28. 8 Vgl. Damir Barbarić, „Schellings Potenzenlehre in seiner Philosophie der Mythologie“, in Friedrich Hermanni/Dietmar Koch/Julia Peterson (Hgg.), „Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist – Freiheit!“, Tübingen 2012, 315–316.
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Einen Gott als Einen Gott zu begreifen, sind nicht notwendigerweise von dem Verdacht befreit, dass sie nicht monotheistisch im wahrsten Sinne des Wortes seien. Denn der absolut Eine Gott ist der, „welcher auch nicht die Möglichkeit anderer Götter außer sich zuläßt“, weshalb „eine Lehre, welche bloß zufällig nur Einen Gott kennt, […] der Sache nach wahrer Polytheismus [ist], weil sie die Möglichkeit anderer Götter nicht aufhebt“ (HKE, 127). Ein wichtiger Schluss, der sich hieraus ziehen lässt, ist der folgende: Des Begriffs ‚Offenbarung‘ bedient sich Schelling beziehungsweise. Auf einen möglichen vorgebrachten Einwand, laut welchem die Offenbarung, wenn sie den relativen Monotheismus nicht setzen könne, „sie ihm zuvorkommen, oder ihm wenigstens gleich, ihn aufhebend, entgegentreten [wird]“ (HKE, 140), erwidert Schelling Folgendes: Man muss im ursprünglichen Menschen einen doppelten Zustand annehmen: vor und nach dem sogenannten Fall. Da er sich vor dem Fall in einem unmittelbaren Verhältnis zu Gott (auch wenn er Gott als den einzigen nicht kennt) befindet, büßt der Begriff ‚Offenbarung‘ jeglichen Sinn ein. Der Begriff ‚Offenbarung‘ ist erst dann ins Spiel gebracht, wenn das Erbarmen Gottes über das bereits gefallene Geschlecht erforderlich wird. Darin liegt die Behauptung beschlossen, dass „die Offenbarung stets nur als ein durch frühere Vorgänge Vermitteltes, nie als etwas Unmittelbares, Erstes, Ursprüngliches betrachtet“ wird (HKE, 141). Von Haus aus wird also der Begriff ‚Offenbarung‘ mit einem zeitlichen Geschehen verknüpft, da sie ein durchweg „(auf einem Actus beruhendes) Verhältnis“ (ebd.) ist. Und ‚Actus‘, fährt Schelling fort, „ist nur wo Widerstand, wo etwas ist, das negiert und aufgehoben werden muß“ (ebd.).9 Sowohl Judentum wie auch Christentum als Religionen der Offenbarung sind folglich auch diesem vorgeschichtlichen Vorgang bzw. dem faktischen Auftreten der Mythologie, welche durch das Aufscheinen eines zweiten Gottes ausgelöst wurde, unterworfen („Es würde daher weit eher Mythologie die Voraussetzung eines wissenschaftlichen Begreifens der Offenbarung seyn, als umgekehrt die Mythologie von einer Offenbarung hergeleitet werden könnte“, HKE, 180). Damit stoßen wir auf eine Frage, welche eine der Keimzellen der Schellingschen Philosophie überhaupt ist und welche zusätzlich unentbehrlich ist, um zu einer richtigen Auffassung der Schellingschen Einstellung zum Judentum gelangen zu können: Wie ist eben dieser Übergang von dem relativen Einen zum Polytheismus (und schlussendlich vom Judentum zum wahren Monotheismus) zu begreifen? 9 Daher schreibt Schelling: „Christlichen Theologen sollte vor allem daran gelegen seyn, die Offenbarung in dieser Abhängigkeit von einem ihr vorauszusetzenden besondern Zustande zu bewahren“ (HKE, 180; eigene Hervorhebung).
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Es ist an dieser Stelle zu beachten, dass der Akt des Übergangs, „durch den der Grund zum Polytheismus gelegt ist10, nicht selbst in das wirkliche Bewußtseyn hineinfällt, sondern außer diesem liegt“ (HKE, 192). Das jedem wirklichen Bewusstsein vorhergehende Unbegreifliche, ein quasi unauflöslicher Rest, welcher nicht völlig aufgehoben werden kann, begleitet also das ganze Geschehen der Offenbarung als deren unausbleiblicher Schatten, und beschert ihr tatsächlich ihren Sinn. Was sich hier jedoch begreifen lässt, außer der Tatsache, dass das ursprüngliche Bewusstsein des Menschen nicht als ein für sich bestehendes Einfaches begriffen werden darf, ist auch der Tatbestand, dass, sobald die Offenbarung in Gang gesetzt wird, sie der Notwendigkeit des geschichtlichen Prozesses, oder, laut Schellings glücklicher Formulierung, „der notwendigen Aufeinanderfolge von Vorstellungen“ (HKE, 192) unterworfen ist.11 In der Tat ist das Setzen der Trennung, welches zum Ablösen von dem Bewusstsein des ersten Menschen führte, das einzige Urgeschehen, welches jenseits von Freiheit und Notwendigkeit gedacht werden kann, weshalb es nicht als ‚notwendig‘ bezeichnet werden darf.12 Aber von dem Augenblick an, in dem die Offenbarung schon da ist, 10 In der Tat weist Schelling auf drei Phasen hin, welche den Fortschritt der Menschheit bestimmen: (1) relativer Monotheismus oder Eingötterei (die vorgeschichtliche und unbegreifliche Phase, welche die Möglichkeit anderer Götter nicht ausschließt, aber in der der zweite Gott noch nicht wirklich gefolgt war); (2) Zweigötterei (Dytheismus), eine Phase, in der das, was Schelling mitunter den „zweiten Gott“ oder den „Gott B“ nennt, ins Spiel kommt; diese zweite Potenz dient in der Tat als der Grund des Polytheismus; (3) entschiedene Vielgötterei (Polytheismus). Die Entstehung des jüdischen Volks, auf dessen Bedeutung Schelling zu kommen strebt, ereignete sich innerhalb dieser dritten Phase und als Reaktion darauf, weshalb ich mich an diese Stelle auf den Unterschied zwischen Judentum und Vielgötterei beschränke. 11 Indes ist an dieser Stelle Acht zu geben, dass es irreführend wäre, daraus zu schließen, dass sich der Menschheit nach der Trennung bzw. der Erscheinung des zweiten Gottes keine Freiheit zuschreiben lässt. „Hier muß man annehmen“, schreibt Schelling, „daß es auch denen, die den Weg des Polytheismus gegangen sind, noch frei stand, sich dem wesentlich-Ewigen, der in dem andern der wahre Gott gewesen ist, also dem wahren Gotte zuzuwenden“ (HKE, 164). Das, was zum Polytheismus führen mag (aber keineswegs muss), nennt Schelling treffend „Sollicitation zum Polytheismus“ (ebd.). Schelling bedient sich des Begriffs der ‚Sollicitation‘ bspw. auch in der Freiheitsschrift, wo er sich mit der Sollizitation zum Bösen auseinandersetzt. Die oben zitierte „notwendige Aufeinanderfolge von Vorstellungen“ heißt infolgedessen eben nicht, dass die Entscheidung des überwiegenden Teils der Menschheit für den Polytheismus notwendig war, auch wenn mit ihr, angesichts der „Sollicitation des Polytheismus“, zu rechnen war. Diese Entscheidung hatte nun die „notwendige Aufeinanderfolge von Vorstellungen“ zwar zur Folge; allein das, was zu ihr führte, war demgegenüber wahrlich in keiner Weise notwendig. 12 Siehe hierzu Ingeborg Schüssler, „La mythologie comme processus de la conscience dans la Philosophie de la mythologie de Schelling“, in: Jean-Francois Courtine / Jean-
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ist ihr Gang auf die Notwendigkeit der Aufeinanderfolge der Vorstellungen angewiesen. Die Tatsache, dass die Offenbarung der notwendigen Aufeinanderfolge der Vorstellungen unterworfen ist, wird von Schelling gelegentlich auch als ‚Verhängnis‘ oder ‚Schicksal‘ bezeichnet. Damit kommt die Unabhängigkeit des Geschehens der Offenbarung von dem Bewusstsein des Menschen von der Offenbarung zur Sprache: Es handelt sich hier im Kern um „eine gegen das Bewußtseyn reale, d. h. jetzt nicht mehr in seiner Gewalt befindliche Macht“ (HKE, 192), weshalb die Mythologie, laut Schellings berühmter Formulierung, „nicht allegorisch“, sondern „tautegorisch“ zu begreifen ist (HKE, 195 f.). Die Offenbarung im Judentum ist also mindestens in dem Sinn wahr, dass ihr ein von dem Bewusstsein unabhängiges Ereignis angeheftet wird. Auch wenn die Offenbarung im Judentum als eine unwahre zu begreifen ist, heißt das laut Schelling eben nicht, dass sie voll und ganz falsch ist.
2. Das Judentum in den Augen Schellings: Drei Hauptaspekte Wir befassen uns nun mit Schellings Einstellung gegenüber dem Judentum im Detail und versuchen, einige ihrer wichtigsten Momente freizulegen.
2.1 Judentum und Mythologie Es ist zu erinnern, dass wir uns nun an dem Punkt befinden, wo „der Übergang von jenem homogenen Seyn zu dem höheren und entwickelteren, wo schon Völker, d. h. Ganze von geistigen Unterschieden“ (HKE, 129), da sind, bereits als etabliertes geschichtliches Faktum angenommen wird. Um allerdings tiefer in die Einstellung Schellings zum Judentum eindringen zu können, ist fürs Erste festzustellen, dass Schelling zufolge das jüdische Volk und die Althebräer (mit Schelling gesprochen: die „Abrahamiden“) sich nicht ganz in einen Topf werfen lassen. Hierin liegt ein von Schelling aufgeworfener beachtlicher Unterschied zwischen ‚Volk‘ zum einen und ‚Geschlecht‘ zum anderen, welchem eine gewisse Rolle in der Schellingschen Deutung des Judentums zukommt. Die Offenbarung des wahren Gottes, welche sich ab der Ablösung von dem ursprünglichen Bewusstsein des ersten Menschen in Gang setzte, finde sich nunmehr Francois Marquet (Hgg.), Le dernier Schelling. Raison et Raison et Positivité, Paris 1994, 138–141.
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„nicht mehr in der Menschheit überhaupt, denn diese ist als solche verschwunden und zertrennt, sie findet sich ebensowenig (ich bitte dieß wohl zu bemerken) bei einem Volk – denn alles was Volk heißt, ist schon dem Polytheismus verfallen – die Kenntniß des wahren Gottes ist bei einem einzigen Geschlecht, das außer den Völkern geblieben ist […]. Die wahre Religion, sowie die Offenbarung, wird sich also weder in der Menschheit noch in einem Volk, sondern in einem Geschlecht finden, das von dem Weg der Völker ferngeblieben und sich noch immer an den Gott der Urzeit gebunden glaubt.“ (HKE, 155–156).
Das Aufbewahren eines ‚Geschlechts‘ innerhalb des Geschichtsprozesses und ungeachtet der Zerteilung der Menschheit in Völker muss folglich als eine der Vorbedingungen der Möglichkeit einer Fortsetzung des Offenbarungsprozesses des wahren Gottes angenommen werden. Das heißt: Wenn die Menschheit nach der Zerteilung in Völker allein aus Völkern bestanden hätte, wäre die Weiterführung des Offenbarungsprozesses Gottes schlichtweg unmöglich geworden.13 Nach der besagten Zerteilung also ist „die Menschheit überhaupt“ durchweg abhandengekommen, und aufgrund dessen könnte sie nimmermehr als eine Art ‚Arena‘ für die Offenbarung dienen; hingegen erblicken nun zwar nach dem Auftreten des zweiten Gottes verschiedene ‚Völker‘ das Licht der Welt, jedoch taugen sie ebenso wenig zu einer Offenbarung des wahren einzigen Gottes (‚Polytheismus‘ und ‚Völker‘ sind Schelling zufolge aufs Engste verbunden; „Polytheismus [ist] das Werkzeug der Völkertrennung“; HKE, 156). Kurzum: Der als Resultat einer geschichtlichen Offenbarung Eine Gott, welcher nicht mit dem ersten relativen Einen bzw. der ersten Potenz zu verwechseln ist, kann 13 Diese These ist stark, allein ich bin der Meinung, dass sie der Absicht Schellings entspricht. Denn die Offenbarung des wahren Gottes ist laut Schelling stets dadurch gekennzeichnet, dass sie immer (d.i. zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Geschichte) über ein gewisses Medium verfügt, welches die Weiterführung derselben ermöglicht und welches, vermittels einer philosophischen Untersuchung, ans Licht gebracht werden kann. Deshalb betont Schelling, dass nach der Zerteilung der Menschheit in Völker die Kenntnis des wahren Gottes weder in der Menschheit überhaupt (welche nicht mehr vorhanden ist) noch bei einem bestimmten Volk, sondern einzig bei einem ‚Geschlecht‘ zu finden ist (HKE, 155); der Bedarf nach einer gewissen Arena, in welcher die Kenntnis des wahren Gottes weitergeführt werden kann (hier: das ‚Geschlecht‘), scheint selbstverständlich zu sein, weshalb er von Schelling ohne weiteres vorausgesetzt wird. Hierin liegt die Pointe der Schellingschen Schilderung der Geschichte bzw. des Offenbarungsprozesses: Es geht immer wieder darum, in jedem Zeitpunkt auf die Spur einer neuen Arena, innerhalb derer sich die wahre Weiterführung des Offenbarungsprozesses ereignet, zu kommen. Die Anwesenheit der jeweils neuen Arena macht mithin eine kohärente Beschreibung der Geschichte möglich, oder anders formuliert: Deren Abwesenheit macht geradezu eine Weiterbeschreibung der Geschichte als Medium der göttlichen Offenbarung sinnlos. Die Existenz einer solchen Arena ist notwendig nicht in einem logischen Sinne, sondern bloß in dem Sinne, dass ohne sie die Offenbarung als ein rationaler Prozess, in welchem eine gewisse Absicht aufzuzeigen ist, unmöglich wird.
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nicht als einer, welcher im Besitz eines bestimmten Volks (oder sogar einiger bestimmter Völker) sei, gedacht werden. Von daher – sprich: um die Möglichkeit der Fortführung des Offenbarungsprozesses bzw. des Auftretens des wahren Gottes bewahren zu können – muss angenommen werden (und das, was angenommen wird, wird sich durch die faktische Geschichte als real erweisen), dass die Menschheit „sich nicht bloß in Völker, sondern in Völker und Nichtvölker zertheilt [hat], wiewohl freilich die letzten auch nicht mehr durchaus sind was die noch völlig homogene Menschheit war, wie wenn Milch gerinnt der nicht gerinnende Theil auch nicht mehr Milch ist. Eben jenes „sich nicht partialisirt haben“, wird ihnen zur Besonderheit, wie der allgemeine Gott an dem sie festhalten nun allerdings zu ihrem Gott geworden ist.“ (HKE, 155; die erste Hervorhebung ist meine).
Es ist an dieser Stelle ein Auge auf das Verhältnis zwischen dem Polytheismus bzw. der in Völker eingeteilten Welt und dem ‚Geschlecht‘ zu werfen: Zwar muss der Polytheismus von Haus aus als der irreführende Weg zu dem als Resultat einer geschichtlichen Offenbarung gedachten Einzigen wahren Gott gesehen werden; jedoch lässt sich daraus nicht folgern, dass der wahre Gott, um der wahre zu werden, ihn ganz und gar ausschließen soll. „Ohne den zweiten Gott“, vermerkt Schelling mit Nachdruck, „ohne die Sollicitation zum Polytheismus würde auch kein Fortgang zum eigentlichen Monotheismus gewesen seyn. Dieselbe Potenz, welche dem einen Theil der Menschheit der Anlaß zur Vielgötterei wird, erhebt ein vorbehaltenes Geschlecht zur wahren Religion“ (HKE, 164). Den Polytheismus als den nicht auszurottenden Grund des Auftretens des wahren Gottes in Abrede stellen zu wollen und infolgedessen ihn bis in die Wurzel aus dem wahren Begriff Gottes ausklammern zu wollen, heißt, wie sich des Weiteren herausstellen wird, schlichtweg, den geschichtlichen bzw. wahren Begriff Gottes gründlich zu verkennen. In Schellings Fassung setzt „jede Offenbarung […] ein verdunkelndes Prinzip voraus“ (PN, 661; PO XIV, 142–143), welches sich nicht vollkommen abschaffen lässt; Schellings Ausdrucksweisen bezüglich des Polytheismus in diesem Zusammenhang rufen ähnliche Stellen der Freiheitsschrift in Erinnerung, in denen etwa der Begriff eines dunklen Grundes (bzw. einer Natur in Gott) als unausbleiblicher Bestandteil der formellen Definition Gottes, welcher als Vorbedingung der Denkbarkeit der Offenbarung dient, von Schelling eingeführt wird. In der Freiheitsschrift heißt es diesbezüglich: „Er [Gott] kann die Bedingung [seinen Grund] nicht aufheben, indem er sonst sich selbst aufheben müßte“.14 14 Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, SW VII, 399.
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Um die Analogie ein wenig weiter zu ziehen: Es handelt sich in Bezug auf den von Schelling erwähnten polytheistischen Grund jeder Offenbarung des wahren Gottes nicht um eine Ausrottung oder Vertilgung dieses Grundes mit Haut und Haaren, was ohnehin unmöglich wäre, sondern vielmehr um eine positive Einbettung desselben in das Gewebe der als Resultat gedachten wahren Religion. Die geschichtliche Lage also, in der sich die Menschheit nach der Zerteilung befindet, nämlich die Lage, in welcher die verschiedenen Völker einerseits und ein Geschlecht anderseits den Begriff der zerteilten Menschheit erschöpfen, wird von Schelling daraufhin genauso geschichtlich verdeutlicht. Das Auftreten des zweiten Gottes, welches den Offenbarungsprozess (und mit ihm als unvermeidliche Konsequenz die Zerteilung der Menschheit in Völker und Geschlecht) in Gang setzt, bedarf also seinerseits einer weiteren zusätzlichen Vervollkommnung, welche Völker und Geschlecht, die sich gegenseitig auszuschließen scheinen, letztendlich aufheben wird. Man sieht leicht, dass hierin Schellings Einstellung zum Judentum bereits angedeutet wird: Das Judentum ist im Begriff, das Heidentum durch und durch auszuschließen. Wie des Weiteren gezeigt wird, liegt hierin laut Schelling ein Doppelfehler von Seiten des Judentums: (a) was die Absicht betrifft: Den Polytheismus durch und durch ausschließen zu wollen, statt ihn in das Gewebe der wahren Religion einzubetten, ist von Grund auf eine Verkehrung und mithin ein Versäumnis des wahren Begriffs der echten Religion; (b) was die Logik der Definition betrifft: Den Polytheismus ausschließen zu wollen, heißt trotz allem, eben durch dieses Verhältnis zum Polytheismus definiert zu werden; diese unumgängliche Spannung hinterlässt laut Schelling Spuren auch im realen Leben des Juden, denn „in der Praxis waren die Juden fast durchaus Polytheisten“ (PN, 668; PO XIV, 143). Im realen Leben der Juden, welches sich von ihrem unumgänglichen polytheistischen Hintergrund nicht vollkommen ablösen kann, spiegelt sich die ideale Sackgasse des Judentums.15 Allerdings muss dieser Ausschließlichkeitszug des Judentums gegenüber dem Polytheismus auch unter Berücksichtigung des oben erwähnten Unterschieds zwischen ‚Geschlecht‘ und ‚Volk‘, welcher sich im Begriff ‚Judentum‘ verbirgt, charakterisiert werden: Zum einen darf man wohl die Juden und das oben erwähnte ‚Geschlecht‘ gleichsetzen; denn die ‚Abrahamiden‘ und ihr Begriff von Gott sind sozusagen der Keim, aus welchem sich das jüdische Volk später entwickeln wird. Zum anderen aber decken sich die Juden und das ‚Geschlecht‘ nicht vollkommen; Israel wird erst 15 Bereits in der Philosophie der Kunst (SW V, 425) heißt es, dass die „jüdische Mythologie […] in ihrem Ursprung und an sich eine ganz realistische Mythologie [war]“.
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später zum (wenn auch außerordentlichen) Volk (HKE, 156). Schon diese spätere Verwandlung des Geschlechts zum Volk deutet also darauf hin, dass im Geschlecht, unbeschadet der Ausschließlichkeit gegenüber dem Polytheismus bzw. anderen Völkern, eine unumgängliche Verwandtschaft zum Polytheismus (oder eine Sollizitation zu Völkern) obwaltet. Das, was die Juden von sich selber zu sein (ein absoluter Unterschied zum Polytheismus) behaupten, und das, was sie regelrecht allmählich werden oder sogar: was sie regelrecht nicht umhinkönnen zu werden, lässt sich also durch die Geschichte zeigen. Oben wurde gezeigt, dass selbst im jüdischen ‚Geschlecht‘ ein ‚Volk‘ (oder mindestens eine Art Sollizitation zum Volk) obwaltet. Das Gegenteil aber ist genauso wahr: In dem jüdischen Volk spiegelt sich sein Ursprung als ‚Geschlecht‘ wieder, weshalb es auch in späteren Phasen seiner Existenz die Anhänger falscher Götter schlichtweg ‚Völker‘ (ammim, )עמיםohne weitere Spezifikation nennt. Für die alten Hebräer also, gleich wie für das daraus später gewordene jüdische Volk, ist sprachlich ‚Heiden‘ schlichtweg mit ‚Völker‘ gleichzusetzen. Dieser Punkt ist laut Schelling ein Indiz dafür, dass die Juden, in welcher Form auch immer, das sie umgebende Heidentum von Grund auf auszuschließen meinten. Dass es nichtsdestotrotz einen Unterschied zwischen dem ‚Geschlecht‘ und dem daraus gewordenen ‚Volk‘ gibt, lässt sich nach Schelling durch das hebräische Wort ‚goi‘ ()גוי, welches schlicht andere Völker bezeichnet, verständlich machen; „die heutigen Juden“, schreibt Schelling diesbezüglich, nennen „alle nichtjüdischen Völker, also besonders auch die christlichen, gojim. Die althebräischen Schriftsteller machen diesen Unterschied nicht, ja sie nennen ihr eigenes Volk (und Israel ist ja später selbst zum Volk geworden) mitunter ebenfalls ein goi“ (HKE, 156).16 Mit anderen Worten: Die tief im Kern des ‚Geschlechts‘ verwurzelte Tendenz, andere Völker, nämlich die Mythologie, ausschließen zu wollen, verstärkte sich im Laufe der Geschichte und zeigte sich immer deutlicher (u. a. durch die Sprache). Paradoxerweise aber fungiert eben diese Verstär16 Schelling hebt diesen Unterschied hervor, ohne sich bei jedem Satz, wo dieses Wort im Alten Testament auftaucht, aufzuhalten. Es ist aber zu bemerken, dass das Wort ‚goi‘ mitunter im besonderen Sinn bereits im Alten Testament auftritt, was den Unterschied zwischen dem ‚Geschlecht‘ und den ‚heutigen Juden‘ etwas verwischen mag. Ich begnüge ִ ּומי ּגֹוי גָ דֹול ֲא ֶשר לֹו ֻח ִקים ִ mich an dieser Stelle damit, zwei Beispiele zu geben: (1) ּומ ְש ָפ ִטים יכם ַהּיֹום ֶ ֵּתֹורה ַהזֹאת ֲא ֶשר ָאנ ִֹכי נ ֵֹתן ִל ְפנ ָ יקם ְככֹל ַה ִ ( ַצ ִד5. Mos. 4, 8) (2) וְ גֹוי,לי ַמ ְמ ֶל ֶכת ּכ ֲֹהנִ ים-יּו ִ וְ ַא ֶּתם ִּת ְה ( ָקדֹוׁש2. Mos. 19, 6). Beim zweiten Zitat zum Beispiel taucht ‚goi‘ mit dem Adjektiv ‚heilig‘ auf (nach der Übersetzung Luthers: „Und ihr sollt mir ein priesterlich Königreich und ein heiliges Volk sein“). Das mag zeigen, dass bereits die Althebräer doch einen gewissen Unterschied diesbezüglich sahen, und von daher kam dem Wort ‚goi‘, wenn es auf Juden angewendet war, von Anfang an eine besondere Bedeutung zu.
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kung der Absetzungstendenz ausgerechnet als Indiz für die Abhängigkeit der Juden von der polytheistischen Welt: Der, welcher das Andere vollkommen auszuschließen beabsichtige, definiere sich selbst eben durch dieses Verhältnis zu dem, was er ausschließen und negieren will. Die ganze exegetische Bemühung Schellings bezüglich des Judentums bewegt sich in diese Richtung, durch welche der Ausschließlichkeitscharakter des Judentums gegenüber der heidnischen Welt ans Licht gebracht wird. Schelling führt in diesem Zusammenhang einige Beispiele an, welche sich in erster Linie auf das Hebräische beziehen, um seine Position zu untermauern. Ich begnüge mich hierbei mit zwei auffallenden Beispielen, welche das Typische der Lesart Schellings in Bezug auf das Hebräische vor Augen führen. Schelling vermerkt: „Sich selbst also betrachteten die Abrahamiden als nicht zu den Völkern gehörig, als Nichtvolk, und eben dieß sagt auch der Name Hebräer. Wo Abraham mit den Königen der Völker streitet, wird er zum erstenmal im Gegensatz mit diesem Haibri (der Ibri) genannt […] Der Name müßte also, scheint es, auch ihren Unterschied von den Völkern ausdrücken. Die Genesis schaltet in das Geschlechtsregister selbst einen Heber ein, von dem sie nachher in der sechsten Generation Abraham abstammen läßt. Heutzutage ist man überzeugt, daß dieser Heber vielmehr seinen Ursprung ebenso den Hebräern verdankt […]. Der Name Hebräer läßt sich nicht auf die zufällige Existenz eines Heber unter ihren Vorvätern zurückführen, denn diese Abstammung drückt so wenig einen Gegensatz zu Völkern aus als das „über den Euphrat Gekommenseyn“. Der Name hat die Form eines Völkernamens; denn nachdem einmal Völker da sind, werden die Abrahamiden auch gleichsam, nämlich beziehungsweise, zu einem Volk, ohne es für sich selbst zu seyn; aber ein dem constanten Gebrauch des Namens im Gegensatz mit Völkern congruenter Begriff entsteht nur, wenn man ihn von dem entsprechenden Verbum ableitet, das nicht bloß übergehen (über einen Fluß), sondern auch einen Ort oder eine Gegend durchziehen, überhaupt vorübergehen bedeutet.“ (HKE, 156–157).
Was mich an dieser Stelle interessiert, ist nicht unbedingt die Frage, ob die von Schelling dargebotene Auslegung sprachlich oder sogar inhaltlich zutrifft oder nicht, sondern vielmehr das, worauf Schelling hinaus will, nämlich das, was ihm vorschwebte, als er seine Interpretation entfaltete. Schelling ist sich des biblischen Ursprungs des Namens ‚Abraham der Ibri‘ ()ע ְב ִרי ִ aus Heber ()ע ֶבר ֵ wohl bewusst. Wenn allerdings =( ִע ְב ִריAbraham) aus =( ֵע ֶברHeber) abstammte (die sprachliche Verbindung fällt auf Anhieb ins Auge), könnte dies das Gefüge der Geschichtsphilosophie Schellings gewissermaßen gefährden, denn es könnte daraus gefolgert werden, dass der Unterschied zwischen den Hebräern und den anderen Völkern bloß als zufällig betrachtet wird. Daher insistiert Schelling darauf, dass „[d]er Name Hebräer […] sich nicht auf die zufällige Existenz eines Heber unter ihren Vorvätern zurückführen (lässt)“. Der Name ִע ְב ִריmuss hingegen nach Schelling viel-
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mehr einen wesentlichen Gegensatz zu andern Völkern ausdrücken.17 „Abraham der Ibri“, schreibt Schelling, „heißt also: Abraham, der zu den Durchziehenden, an keinen festen Wohnsitz Gebundenen, nomadisch Lebenden gehört“ (HKE, 157), und nicht: Abraham, welcher, wie viele im Geschlechtsregister erwähnte andere Völker, von Heber abstammte.18 Daher wäre „eine abergläubische Verehrung des Buchstabens […] übel angebracht“ (ebd.). Ein zweites Beispiel bezieht sich auch auf die nomadische Lebensweise des ‚Geschlechts‘, welche nach dem Übergang von der Menschheit zu Völkern ferner den Unterschied zwischen ‚Volk‘ und ‚Nichtvolk‘ zum Ausdruck bringt: „Die Anhänglichkeit an den Einen allgemeinen Gott wird mit dieser Lebensweise so durchaus in Verbindung gebracht, daß von Jakob im Gegensatz mit Esau, der ein Jäger und ein Ackermann wird, gesagt ist: Er war ein frommer (eigentlich ein ganzer, ungetheilter) Mann (der bei dem Einen blieb) und wohnte in Hütten.“ (HKE, 158).
Schelling verweist an dieser Stelle zumal auf diesen Satz: וַ יִ גְ ְדלּו ַהנְ ָע ִרים וַ יְ ִהי ֵע ָשו „( ִאיׁש י ֵֹד ַע ַציִ ד ִאיׁש ָש ֶדה וְ יַ ֲעקֹב ִאיׁש ָתם י ֵֹשב א ָֹה ִליםUnd als nun die Knaben groß wurden, wurde Esau ein Jäger und streifte auf dem Felde umher, Jakob aber ein gesitteter Mann und blieb bei den Zelten“). Schelling verweilt nicht um17 Es wäre aufschlussreich, an dieser Stelle einen allgemeinen Vergleich zwischen Spinoza und Schelling diesbezüglich zu ziehen. Bekanntlich gilt nach Spinoza, dass die Auserwählung der Juden einzig und allein „den Staat und das leibliche Wohlergehen betrifft (denn nur hierin kann ein Volk sich von einem anderen unterscheiden)“ (Theologisch-politischer Traktat, übersetzt von Wolfgang Bartuschat, Hamburg 2012, 66). Von daher ist es laut Spinoza ausdrücklich nicht auszuschließen, dass „die Juden eines Tages bei gegebener Gelegenheit (die menschlichen Dinge sind ja dem Wandel unterworfen) ihren Staat wieder errichten werden und Gott sie von neuem auserwählen wird“ (Theologisch-politischer Traktat, 65). Das, was die Juden von andern Völkern absondert, ist hier als Zufälliges (und deswegen wesentlich als abwendbar) dargestellt. Für Schelling verhält es sich demgegenüber anders: Dieses Volk (und zwar das jüdische) war am wenigsten fähig, „im Dienste des Weltgeistes Staaten zu gründen“ (PN, 670). Diese Unfähigkeit ist aber wesentlich. 18 Erwähnenswert ist, dass es zwei Geschlechtsregister gibt, in denen (was sich selten im Alten Testament findet) Heber im Alten Testament auftaucht und auf die Schelling abwechselnd verweist. Ein beachtenswerter Unterschied zwischen den zwei Geschlechtsregistern besteht darin, dass bei einem die Bedeutung des Namens einer der Söhne Hebers, welcher Peleg ()ּפ ֶלג ֶ heißt, zusätzlich angegeben wird: In 1. Mos. 10, 25, heißt es: ,ּול ֵע ֶבר יֻ ַּלד ְ יָמיו נִ ְפ ְלגָ ה ָה ָא ֶרץ ָ ִּכי ְב, ֵׁשם ָה ֶא ָחד ֶּפ ֶלג:( ְׁשנֵ י ָבנִ יםlaut der Übersetzung Luthers: „Eber zeugte zwei Söhne. Einer hieß Peleg, darum daß zu seiner Zeit die Welt zerteilt ward“). In ֶּפ ֶלגwird also ( פילוגZerteilung) entdeckt, was in diesem Zusammenhang keine bloße sprachliche Vermutung ist, sondern ein durch den Text ausdrücklich bestätigtes Faktum. Laut jüdischen Auslegern („Genesis Rabba“ 37,7) soll Heber demnach als Prophet angesehen werden, denn die Namensgebung beweist, dass er von der Zerteilung der Menschheit und der Sprachverwirrung bereits im Voraus wusste. Meines Wissens bietet Schelling keine systematische Auslegung der mit seiner Interpretation sehr eng zusammenhängenden Geschichte Pelegs an.
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sonst bei der Beschreibung von Jakob als ( ִאיׁש ָתםein gesitteter Mann). Seiner Ansicht nach heißt das Adjektiv „ ָתםein frommer (eigentlich ein ganzer, ungetheilter) Mann (der bei dem Einen blieb)“. Das Festhalten an dem alten Einen (bzw. dem relativen) Gott wird infolgedessen mithilfe des ָתםans Licht gebracht werden ( ָתםdarf ebenso im Sinne von „lauter“, „ehrlich“, „naiv“, oder in gewissem Sinne „unbedarft“ verstanden werden). Bei dieser Auslegung nun beabsichtigte Schelling wiederum, die Wurzel des Wesens des Judentums aufzudecken. Allerdings darf diesbezüglich nicht vergessen werden, dass derselbe Jakob später ausdrücklich „Israel“ genannt werden wird (1. Mos. 32, 29): ּתּוכל ָ ַֹלהים וְ ִעם ֲאנָ ִשים ו ִ ית ִעם ֱא ָ אמר לֹא יַ ֲעקֹב יֵ ָא ֵמר עֹוד ִש ְמָך ִכי ִאם יִ ְש ָר ֵאל ִכי ָש ִר ֶ ֹ וַ י („Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen“). Die ins Auge fallende Spannung zwischen dem jungen Jakob als ָתםund dem künftigen und auf eine Art reiferen (auch in seinem Bezug zu Gott) Israel wird von Schelling aus verständlichen Gründen außer Acht gelassen; das, was von Schelling dem ‚Geschlecht‘ (und späterhin dem jüdischen Volk) zuzuschreiben ist, und das, was es wesentlich kennzeichnet, muss von Haus aus und trotz der von Schelling nie in Abrede gestellten inneren geschichtlichen Entwicklung des Judentums als etwas Wesentliches begriffen werden; der Wandel der Eigenschaften des reif gewordenen Jakob dürfte also sein Wesen nicht ändern. Bisher wurde pauschal der Ausschließlichkeitszug des Judentums gegenüber der mythologischen Welt in Bezug auf zwei Aspekte geschildert: zum einen in Bezug auf das, was die Lebensweise betrifft (bspw. ohne festen Sitz), zum anderen aber, was die vor allem negative Seite des Begriffs Gottes betrifft (den Polytheismus schlichtweg ausschließen zu wollen). Diese zwei Züge sind aufs Engste zu verknüpfen. Allerdings bedarf der jüdische Begriff Gottes einer weiteren Verdeutlichung, denn in ihm verbergen sich einige feine Aspekte, mithilfe derer sowohl die besondere Ausschließlichkeit gegenüber der heidnischen Welt wie auch der fundamentale Graben zwischen Judentum und Christentum zum einen und die wesentliche Verwandtschaft des Christentums zur mythologischen Welt zum anderen weiter in den Blick genommen werden könnten. Und am klarsten lässt sich laut Schelling das Wesen der Offenbarung im Judentum in ihrer Abgrenzung zum Polytheismus und zum Christentum durch die Geschichte von der Aufopferung Isaaks erblicken.
2.2 Jehovah, Elohim und die darauf bezogene Bedeutung der Aufopferung Isaaks Um der tiefliegenden Bedeutung dieses Ereignisses (der Aufopferung Isaaks), welches Schelling zufolge den Schlüssel zu einer vollständigen Ent-
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zifferung des Wesens der Offenbarung im Judentum anbietet, näherzukommen, gilt es zunächst einen Blick auf die Bedeutung des Unterschieds zwischen den zwei Namen Gottes, d.i. Jehovah ( )יְ הוָ הund Elohim (ֹלהים ִ )א, ֱ zu werfen. Grund dafür ist, dass in der Geschichte Abrahams markanterweise jeweils beide Namen auftauchen. Da die Zweiquellentheorie, gemäß derer die zwei oben erwähnten Namen Gottes auf zwei unterschiedene Quellen des Textes verweisen, von Schelling aus prinzipiellen Gründen durch und durch abgelehnt wird (HKE, 163), obliegt ihm die Aufgabe, den inneren Sinn des jeweiligen Auftretens jedes Namens zu klären bzw. zu zeigen, dass das jeweilige Auftauchen von ֹלהים ִ ֱאund יְ הוָ הnicht als Folge einer zufälligen Vermischung zweier unterschiedlicher Quellen zu verstehen ist, sondern vielmehr als das, was durch eine vorherige und durchdachte Absichtlichkeit bestimmt war. Daher kommt es in erster Linie darauf an, (a) das Wesen dieses Unterschieds pauschal zu erklären und anhand dessen (b) der Geschichte Abrahams so eine Auslegung abzugewinnen, dass durch sie das Wesen dieser Geschichte und somit auch das der Offenbarung im Judentum am klarsten zum Vorschein kommt. Es sei allerdings wiederum daran erinnert, dass die Annahme, wonach im Bewusstsein der ersten Menschen die Erkenntnis Gottes reiner und vollkommener in Erscheinung trat, von Schelling entschieden abgewiesen wird; vielmehr muss man demgegenüber sagen, dass im Bewusstsein des ersten Menschen „noch kein Monotheismus in dem Sinne [war], wo er Erkenntniß des wahren Gottes als solchen und mit Unterscheidung ist; denn diese Unterscheidung war erst möglich, indem der relative aufhörte, der absolute zu seyn, als relativer erklärt wurde.“ (HKE, 145).
Eben dies, fährt Schelling fort, wird durch die mosaischen Schriften durch den Unterschied zwischen ֹלהים ִ ֱאund יְ הוָ הbestätigt. Das heißt: Der verhängnisvolle Übergang von dem im Bewusstsein des ersten Menschen angelegten Gott zum Bewusstsein von Gott als Gott (bzw. von Gott mit Unterscheidung zu etwas) hat Spuren in den mosaischen Schriften hinterlassen; es obliege daher dem Philosophen, sie sorgfältig aus den Schriften herauszulesen und ihren Sinngehalt ans Licht zu bringen. Die Spuren dieses Übergangs lassen sich laut Schelling eben durch die zwei Namen Gottes aufzeigen: „Es ist immer aufgefallen, daß das hebräische Volk für seinen Gott zwei Benennungen hat, einen allgemeinen, Elohim, und dann noch einen besondern, Jehovah. Allein eine vollständige Induction möchte zeigen, daß im Alten Testament und ganz besonders in den mosaischen Schriften der Gott, der der unmittelbare Inhalt des Bewußtseyns ist, Elohim, der Gott, der als der wahre unterschieden wird, Jehovah genannt wird.“ (ebd.).
Der Gott im unmittelbaren Bewusstsein Gottes ist ֹלהים ִ ;א ֱ der, der als Gott zum Ausdruck kommt, weshalb er eher mit der wahren Religion als der
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erste Gott übereinstimmt, „weil es keine Erkenntniß des wahren Gottes ohne Unterscheidung gibt“ (HKE, 165), ist יְ הוָ ה. Auf die Art und Weise, wie von Schelling in Anknüpfung an verschiedene Stellen im Alten Testament das jeweilige Auftreten von ֹלהים ִ ֱאund יְ הוָ הmit dem pauschalen Gefüge seiner Philosophie gleichgesetzt wird, werde ich hier nicht detailliert eingehen; Ausgangspunkt meiner Erörterung der Schellingschen Auslegung der Geschichte Abrahams ist also, dass von Schelling bereits zur Genüge bewiesen war, dass ֹלהים ִ „ ֱאde[n] unmittelbare[n] Inhalt des Bewußtseyns“ bedeutet, während יְ הוָ הdemgegenüber denjenigen Gott bezeichnet, „der als der wahre unterschieden wird“. Eins darf jedoch diesbezüglich nicht aus dem Blick verloren werden: Lediglich in Bezug auf ֹלהים ִ ֱאkennzeichnet יְ הוָ הdie wahre Offenbarung, denn יְ הוָ הist immer noch von ֹלהים ִ ֱאals dem Medium seiner Erscheinung abhängig. Wo nämlich in der Geschichte Abrahams ֹלהים ִ ֱאauftaucht, wird laut Schelling signalisiert, dass die in seinem Auftreten zum Ausdruck gekommene Offenbarung die falsche bzw. die noch nicht vollkommene sei; und wo sich יְ הוָ הmeldet, befinden wir uns zwar schon in einer im Vergleich zu ֹלהים ִ ֱאvorangeschrittenen Phase der Offenbarung, wenn auch keineswegs bereits am Ende der Offenbarung. Es wird zusätzlich nicht außer Acht gelassen, dass das bloße Bedürfnis, Gott beim Namen zu nennen (bald als ֹלהים ִ א, ֱ bald als )יְ הוָ הnicht als ursprünglich zu denken, sondern vielmehr auch geschichtlich zu erhellen ist. Denn „wir rufen einen, der uns zu verschwinden droht“ (HKE, 149).19 Und es ist bisher bereits gezeigt worden, dass der Gott im Bewusstsein des ersten Menschen eben nicht bedroht war, zu verschwinden. Auch ist anzumerken, dass folglich ֹלהים ִ ֱאund יְ הוָ הnicht als absolut unterschiedlich zu begreifen sind; vielmehr muss dieser Unterschied als auf ver19 Vgl. auch HKE, 146: „wer bei einem Namen gerufen wird, wird eben dadurch unterschieden“. ‚Namen‘ und ihrem Identitätssinn im Allgemeinen kommen in Schellings positiver Philosophie eine wichtige Rolle zu. Da das, was Schelling mitunter als „unvordenkliches Sein“ bezeichnet, sozusagen als der ‚ausgesetzte‘ Anfangspunkt des Schellingschen positiven Denkens dient, handelt es sich bei Namen eher um eine ‚Begegnung‘ als um eine durch Begriffe festgenagelte Definition. „Die primäre Antwort des Denkens auf die Anwandlung von Sein“, vermerkt Thomas Buchheim diesbezüglich, „so kann man sagen, ist nun der Name, durch den die Gelegenheit für das Denken vereinzelt, ihre Identität fixiert und rückrufbar wird“ (vgl. Eins von Allem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie, 100). Der Name Gottes (hier: )יְ הוָ הdeckt sich folglich mit dem Begriff Gottes nicht vollkommen; der Zusammenhang einer Offenbarung, welche auf einem unvordenklichen Grund basiert, darf also nicht aus dem Blick geraten. Mit Schelling gesprochen: „Die Verehrer des wahren Gottes sind die, die seinen Namen kennen; die Heiden, die seinen Namen nicht kennen, sie kennen den Gott nicht überall nicht (nämlich auch nicht der Substanz nach), sie kennen nur nicht seinen Namen“ (HKE, 165).
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schiedenen Ebenen desselben Gottes bzw. derselben Offenbarung existierend aufgefasst werden. Das heißt: ֹלהים ִ ֱאals ֹלהים ִ ֱאzu begreifen ist gewissermaßen 20 יְ הוָ ה. In dem Sinn, und unbeschadet des obengenannten Unterschieds, muss in einer Weise der Name ֹלהים ִ א, ֱ welcher angeblich einen vorgeschichtlichen Zustand bezeichnet, ebenfalls als dem geschichtlichen Prozess unterworfen betrachtet werden; denn, streng erfasst, kommt im Bewusstsein des ersten Menschen Gott gerade kein Name zu (selbst nicht ֹלהים ִ ;)א ֱ ֹלהים ִ ֱאund יְ הוָ ה waren mithin und ungeachtet des Unterschieds zwischen den beiden zugleich mitgesetzt.21 Wir wenden uns nun der Aufopferung Isaaks zu als dem, was den Kern der Offenbarung im Judentum enthält; nunmehr muss klar sein, dass die Tatsache, dass bei dieser Geschichte die zwei Namen Gottes abwechselnd auftauchen, ihrerseits einer wesentlichen und keiner bloß zufälligen Erhellung bedarf. Der Gott, „durch den Abraham versucht wird, seinen Sohn nach Weise der Heiden ihm zum Brandopfer zu schlachten“ (HKE, 163), wird durch ֹלהים ִ ֱאrepräsentiert (1. Mos. 22, 1: ֹלהים נִ ָסה ֶאת ַא ְב ָר ָהם ִ ;וְ ָה ֱא1. Mos. 22, 3: וַ יָ ָקם ֹלהים ִ ;)וַ יֵ ֶלְך ֶאל ַה ָמקֹום ֲא ֶשר ָא ַמר לֹו ָה ֱאdemgegenüber war es „der erscheinende Jehovah aber, der ihn von der Vollbringung zurückhält“ (HKE, 164; siehe 1. Mos. 22, 11–12: אמר ִהנֵ נִ י ֶ ֹ אמר ַא ְב ָר ָהם ַא ְב ָר ָהם וַ י ֶ ֹ וַ יִ ְק ָרא ֵא ָליו ַמ ְל ַאְך יְ הוָ ה ִמן ַה ָש ַמיִ ם וַ י ֶ ֹ )וַ י. Von daher erhellt, dass ֹלהים ִ ֱא אּומה ָ אמר ַאל ִת ְש ַלח יָ ְדָך ֶאל ַהנַ ַער וְ ַאל ַת ַעׂש לֹו ְמ sowohl Bräuche, die späterhin abgeschafft werden (bspw. die Beschneidung; HKE, 163; siehe auch PN, 665), wie auch, und was ohne allen Zweifel 20 Typischerweise
behauptet Schelling, dass sich der ins Auge fallende grammatische Unterschied zwischen ֹלהים ִ ֱאund ( יְ הוָ הder grammatischen Form nach ist ֹלהים ִ ֱאein Pluralis) auf einen tieferen Unterschied gründet: Hinter ֹלהים ִ ֱאsteckt von Haus aus wiederum eine „Sollicitation zur Vielheit“ (HKE, 162). Die von Schelling dargestellte Erklärung ist also nach wie vor philosophisch und lässt sich nicht erschöpfend auf formelle Aspekte der Grammatik reduzieren. 21 Es entsteht also ein interessanter Unterschied zwischen dem, was die biblische Geschichte uns ankündigt, und dem Bewusstsein der in ihr erscheinenden Figuren. Adam bspw. (ebd., 163) bedient sich stets des Namens ֹלהים ִ א, ֱ weil er natürlicherweise Gott als Gott (nämlich den )יְ הוָ הnicht kennen kann. Wenn bei der Geschichte des Sündenfalls doch das Wort יְ הוָ הerscheint, ist es lediglich mit dem Erzähler und nicht mit den Figuren selber (dem Weib oder der Schlange) verknüpft. Aufgrund dessen lässt sich annehmen, dass unbeschadet der Tatsache, dass Adam sich des Namens ֹלהים ִ ֱאbedient, er das Wort ֹלהים ִ ֱא nicht kannte; dieses Wort wurde sozusagen von dem Erzähler eingefügt. Wiederum lässt sich an dieser Stelle sehen, wie eine vorher durchdachte Absicht den biblischen Text von vorn bis hinten durchzieht. Ein ähnliches Gefüge ist in Schellings System des transzendentalen Idealismus zu finden, wo der wesentliche Abstand zwischen dem jeweils beschriebenen Bewusstsein und dem Philosophen eine konstituierende Rolle bezüglich der Darstellung des Gedankengangs spielt.
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schlimmer ist, Handlungen, gegen welche „sich das menschliche Gefühl empört“ (PN, 660; PO XIV, 122), gebietet; in dem Sinn kommt durch ֹלהים ִ ֱא und die Götter anderer Völker, welche auch „zu denselben Handlungen“ (ebd.) verleitet wurden, dasselbe (falsche) Prinzip zum Vorschein. Hingegen kommt durch ( יְ הוָ הin der Tat: ständig vermittels eines Engels, )מ ְל ַאְך יְ הוָ ה ַ die wahre Botschaft der Offenbarung zum Ausdruck, weshalb יְ הוָ הder Gott ist, welcher die geplante Schlachtung beendet und letztendlich verbietet. Die Tatsache, dass bei dieser Geschichte יְ הוָ הstets vermittels eines Engels erscheint, spielt für Schelling eine bedeutende Rolle bei seinem Versuch, auf die Spur des Wesens des Judentums zu kommen. Denn durch diese Vermittlung wird signalisiert, dass selbst יְ הוָ ה, welcher letztendlich die Handlung der Aufopferung verbietet, also selbst der Gott, vermittelst dessen die wahre Botschaft geliefert wird, dennoch an das falsche Prinzip geknüpft ist. In Schellings Worten: „der Engel Jehovas ist nichts Substantielles, sondern ein im Bewusstseyn nur Werdendes, nur Erscheinendes. Er ist nicht substantiv, sondern actu da, ist nur Erscheinung des Jehova, und sezt daher immer den Elohim als Substanz, als Medium seiner Erscheinung voraus. Er ist nicht für sich der wirkliche; denn er sezt die Sollicitation und deren Princip selbst als Bedingung seiner Wirksamkeit voraus.“ (PN, 660–661; PO XIV, 123).22
Daraus ergibt sich, dass ungeachtet des Unterschieds zwischen ֹלהים ִ ֱאund יְ הוָ הweder der eine noch der andere als der wahre Gott fungieren kann; denn selbst wenn der wahre Gott im Judentum aufscheint (nämlich als durch Engel vermittelter )יְ הוָ ה, ist sein Auftreten im Wesentlichen mit dem falschen verknüpft, und eben das zeigt laut Schelling „die Schranke des A. T.“ (PN, 661; PO XIV, 120). Damit behauptet Schelling in keiner Weise, dass die wahre Offenbarung überhaupt ohne jeglichen Grund möglich ist, eine Behauptung, welche dem Geist seiner Philosophie widerspricht, sondern einzig: Das spezifische Medium, durch welches sich die Offenbarung im Judentum abspielte, war das falsche.23 In dieser Geschichte treten mithin die schon 22 Das lässt sich auch so formulieren: ַמ ְל ַאְך יְ הוָ הverbietet zwar mit vollem Recht die Aufopferungstat; allein wird von ihm immer noch nicht eine positive Antwort zur Frage gegeben, welche Art von Opfer (wenn überhaupt) gefordert wird. Nur bei den Propheten wird eine Antwort angedeutet, denn hier „weist Jehova selbst [d.i. ohne die Vermittlung eines Engels] die Opfer, als von ihm gewollte, von sich“ (PN, 669; PO XIV, 142). In dem Sinne zielen „alle Opfer […] nur auf das große Opfer des N.T“ (ebd.). Hinwiederum wird gezeigt, dass die Offenbarung im Judentum nicht durch und durch als falsch zu verstehen ist, da die Idee des Opfers an sich keineswegs falsch ist. 23 Eine besondere Stelle in der Geschichte Abrahams mag die Auslegung Schellings ִ יְ ֵרא ֱא- ִּכי,ִּכי ַע ָּתה יָ ַד ְע ִּתי bestätigen. In 1. Mos. 22 sagt der Engel Jehovas: וְ לֹא ָח ַׂש ְכ ָּת,ֹלהים ַא ָּתה ִמ ֶּמּנִ י,יְ ִח ְידָך-ּבנְ ָך ֶאת-ת ִ „( ֶאdenn nun weiß ich, daß du Gott [ֹלהים ִ ]א ֱ fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen“). Interessanterweise wird Abraham
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zuvor erläuterten Eigenschaften des Judentums in Erscheinung: das Festhalten an dem alten Gott, die (falsche) Behauptung, sich von dem heidnischen Grund vollständig befreien zu können (mit Schelling zu sprechen: Die Offenbarung im Judentum ist „nur die durch die Mythologie hindurchbrechende Offenbarung“ [PN, 662; PO XIV, 124]), und die damit verbundene reale Verwandtschaft zwischen Judentum und Heidentum. Angesichts dessen vermerkt Schelling: „Allein Abraham kann nicht etwa, nachdem er den wahren Gott gesehen, sich von seiner Voraussetzung losreißen. Der unmittelbare Inhalt seines Bewußtseyns bleibt ihm der Gott der Urzeit, der ihm nicht geworden, also auch nicht geoffenbart ist, der – wir müssen uns so ausdrücken – sein natürlicher Gott ist. Damit der wahre Gott ihm erscheine, muß der Grund der Erscheinung der erste bleiben, in welchem allein jener beständig ihm werden kann.“ (HKE, 165).
Daraus lässt sich wiederum keineswegs schließen, dass die Offenbarung im Judentum schlechterdings falsch war, da „auch das A. T. vorzugsweise die Periode der göttlichen Offenbarung“ (PN, 662; PO XIV, 124) ist. Obwohl die Offenbarung im Judentum an sich zwar (wie jegliche Offenbarung) wahr (sprich: nicht erdacht oder erfunden, sondern gefunden) ist, wurde sie mit einem falschen Prinzip bzw. Grund verknüpft, weshalb sie noch nicht als das endgültige Ende der Offenbarung zu verstehen ist. Der wahre Gott hat sich mithin den Juden zwar gezeigt, allein sie haben die wahre Bedeutung seines Auftretens verkannt. Da das Auftreten des wahren Gottes im Judentum von Schelling nicht in Abrede gestellt wird, ist das Judentum für ihn im Kern als eine auf die Zukunft verwiesene Religion zu verstehen.
2.3 Religion der Zukunft und die Zukunft der Religion Oben wurde die Doppelsinnigkeit, welche laut Schelling im Namen יְ הוָ ה steckt, zur Klarheit gebracht. Kurzum: יְ הוָ הist zwar der wahre Gott, aber nur beziehungsweise, und zwar erscheint er als ein an ein falsches Prinzip geknüpfter Gott, weshalb er sich gemeinhin durch einen gewissen ַמ ְל ַאְך יְ הוָ ה (Engel) zeigt bzw. stets einer Art Vermittlung bedarf. Es wurde auch gezeigt, dass die Auslegung des Namens ֹלהים ִ ֱאnicht unbedingt buchstäblich auf die Grammatik zu gründen ist: Das, was laut Schelling ein Pluralis zu sein scheint, ist nicht bedingungslos wortwörtlich zu nehmen, sondern zeigt vielmehr das relativ Eine, in dem eine gewisse Sollizitation zur Vielheit obwaltet. von dem Engel Jehovas gelobt, dass er (Abraham) durch seine Bereitwilligkeit, seinen eignen Sohn zu schlachten, seinen Glauben ausgerechnet an Elohim zeigte.
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Demgegenüber beruft sich Schelling bezüglich des Namens יְ הוָ הallerdings explizit auf das, was ihm die Grammatik per se zu sein scheint. Das leuchtet bereits bei der von ihm dargebotenen Interpretation zu der Aufopferung Isaaks ein: „Der wahre Gott ist ihm durch den natürlichen nicht bloß vorübergehend, sondern beständig vermittelt, er ist ihm nie der seyende, sondern beständig nur der werdende, wodurch sich allein schon der Name Jehovah erklären würde, in dem eben der Begriff des Werdens vorzüglich ausgedrückt ist. Abrahams Religion besteht also nicht darin, daß er jenen Gott der Vorzeit aufgibt, ihm untreu wird, das thun vielmehr die Heiden; der wahre Gott ist ihm selbst nur in jenem offenbar geworden, und daher von demselben untrennbar, untrennbar von dem Gott, der von jeher war, dem El olam, wie er genannt wird.“ (HKE, 165).24
Der dem Abraham geoffenbarte Gott ist auch ein werdender Gott, das will sagen: Es handelt sich in keiner Weise um den Gott, welcher in sich das Ende der Offenbarung verkörpert; יְ הוָ ה, selbst von der Grammatik her, verweist also auf eine gewisse vollkommenere (in der Tat: allervollkommenste) Zukunft, er selber also ist nicht der Wahre an sich. An dieser Stelle kommt erneut die Spannung zum Ausdruck, welche sich wie ein roter Faden durch das Judentum hindurch zieht, oder, wenn man so will, die Kluft zwischen dem, was die Juden von ihrem Gott glauben, und dem, was er tatsächlich ist. Denn zum einen bleiben die Juden der heidnischen Umgebung gegenüber ihrem alten Gott treu: Für sie ist er keineswegs als der bloß werdende, der sonst einer Vervollkommnung bedarf, zu begreifen. Zum anderen aber ist dieser Gott in Wahrheit ein werdender, d.i. einer, der in der Zukunft (sprich: mit dem Ende der Offenbarung) in seiner vollkommensten Form auftauchen wird. Allein es ist nach Schelling für die Juden nahezu unmöglich zu erkennen, dass der Gott, an dem sie festhalten, sich nicht mit dem wahren Gott deckt, zumal sie nicht bereit sind, das geschichtliche Moment, welches das Wesen der Gottheit ausmacht, zur Kenntnis zu nehmen. Es ist also wichtig, auf den wesentlichen Unterschied zwischen Heidentum und Judentum zugunsten des Heidentums ein Auge zu haben: Während 24 Auch an dieser Stelle lehnt Schelling die übliche Übersetzung von El Olam (עֹולם ָ )אל ֵ als „der ewige Gott“ ab oder, um es genauer auf den Punkt zu bringen, Schelling interpretiert den Ausdruck so, dass er sich seinen Grundannahmen fügt, um somit seinen wahren Kern freizulegen. עֹולם ָ ֵאלist mithin nach Schelling nicht im Sinne metaphysischer Ewigkeit zu verstehen, sondern im Sinne der Zeit, in der keine Völker waren. Diese ‚Zeit‘ ist also ewig nur im beschränkten Sinn, denn sie umfasst nicht alle Zeiten, sondern bezeichnet lediglich die vorgeschichtliche Zeit. Im Geiste dessen stellt Schelling fest: „Und so ist auch dem Abraham der wahre Gott nicht ewig im metaphysischen Sinn, sondern als der, dem man keinen Anfang weiß“ (HKE, 166).
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„[d]er vollständige Begriff der Mythologie […] daher nicht bloße Götterlehre […], sondern Göttergeschichte“ (HKE, 7), nämlich Theogonie ist, während namentlich das geschichtliche Moment im Gewebe der mythologischen Welt untrennbar verwoben ist, wird eben dieses Moment im Judentum in Abrede gestellt. Es stellt sich daher heraus, dass, wenn die Juden das Heidentum schlichtweg ausschließen, sie damit auch die Vorbedingung des Endes der Offenbarung ausschließen, gerade weil sie die Zeit bzw. die Geschichtlichkeit als das eigentliche Medium der Offenbarung und somit der wahren Gottheit verkennen. Ironischerweise ist die jüdische Religion, in welcher das Moment der Zeit von den Juden heftig verleugnet wird, selbst eine Religion der Zukunft, sie ist nämlich im Kern eine zeitliche Arena. Judentum als Religion der Zukunft heißt folglich eine Religion, in der die Erkenntnis des Moments der Zeitlichkeit überhaupt eingesetzt werden soll.25 „Selbst der Name ‚Jehova‘ (ein archäistes Futurum)“, fügt Schelling dementsprechend hinzu, „bedeutet ‚er wird seyn‘“, und von daher ist „der eigentliche Inhalt des A. T. […] eine Religion der Zukunft“ (PN, 665; PO XIV, 129, 270–271). Ähnlich schreibt Schelling: „Als Moses fragt, unter welchem Namen er den Gott verkündigen soll, der das Volk aus Aegypten führen werde, antwortet dieser: „Ich werde seyn der ich seyn werde“; hier also, wo der Gott in eigener Person spricht, ist der Name aus der dritten in die erste Person übersetzt.“ (HKE, 171).
Schelling richtet an dieser Stelle sein Augenmerk auf den berühmten Satz (2. Mos. 3, 14): ,אמר ִל ְבנֵ י יִ ְׂש ָר ֵאל ַ ֹ ּכֹה ת,אמר ֶ ֹ ֶא ְהיֶ ה ֲא ֶׁשר ֶא ְהיֶ ה; וַ ּי,מ ֶֹׁשה-ֹלהים ֶאל ִ אמר ֱא ֶ ֹ וַ ּי יכם ֶ ְׁש ָל ַחנִ י ֲא ֵל,א ְהיֶ ה. ֶ Und Schelling betont abermals, dass es „ganz unstatthaft wäre […], auch hier den Ausdruck der metaphysischen Ewigkeit oder Unveränderlichkeit Gottes zu suchen“ (HKE, 171). Mit anderen Worten: Die Ewigkeit Gottes bezieht sich keinesfalls auf die vorgeschichtliche Ewigkeit, auf der die Juden beharren bzw. auf die des relativen Einen. Dieser Satz ist demnach im Geiste der Grundannahmen der Schellingschen Philosophie zu interpretieren: Gott ist als Resultat eines geschichtlichen Geschehens aufzufassen, und eben das konstituiert sein Wesen.26 25 Es geht hier in erster Linie um die Erkenntnis dieses Moments als einer im Geflecht des wahren Gottes eingebetteten Komponente. Wie oben erwähnt wurde, lassen sich nach Schelling geschichtliche Momente natürlicherweise auch innerhalb des Judentums erblicken; allein die Juden neigen dazu, das geschichtliche Moment des wahren Gott zu verkennen. 26 Interessanterweise orientiert sich Schelling stark an der Grammatik; es sei angemerkt, dass in ֶא ְהיֶ ה ֲא ֶׁשר ֶא ְהיֶ הauch eine andere mögliche Bedeutung steckt, welche sich nicht unbedingt auf die Zeit bzw. auf die Zukunft bezieht. Das lässt sich bspw. an der berühmten King James Übersetzung erkennen: „I Am That I Am“, und dementsprechend: „Thus
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Im Gegensatz allerdings zu dem Wesen des Judentums als einer Religion der Zukunft, einer Religion, in welcher das Schellingsche Diktum, „das Seyn-sollende ist im Seyn selbst mitgesezt“ (PN, 669), obwaltet, hat das Judentum selbstverständlich auch zufällige Aspekte. Hier muss man allerdings zwischen zwei Bedeutungen des Zufälligen unterscheiden: (a) das Zufällige vor dem Auftreten des Christentums als dem Ende der Offenbarung; (b) das Zufällige nach dem Auftreten des Christentums als dem Ende der Offenbarung. Im ersten Falle lassen sich zufällige Seiten im Judentum, wie grundsätzlich bei jeder Religion, beobachten; demgegenüber muss im zweiten Fall das Weiterexistieren des Judentums an sich und als Ganzes als zufällig betrachtet werden. Um dies nachvollziehen zu können, sei daran erinnert, dass das im Geiste des Christentums verkörperte Ende der Offenbarung27 das Ende der Geschichte nur in beschränktem Sinne ist. Das Ende, um welches es sich handelt, bezieht sich auf das Wesen: Im Wesentlichen hebt das Christentum „in einem Akte“ Judentum und Heidentum auf (PN, 662). Allein, das besagt in keiner Weise, dass die Geschichte an sich als eine Weiterfolge des faktischen Weltgeschehens bereits ihr Ende fand; das faktische Beharren der Juden, selbst nach dem Auftreten Christi nach wie vor an ihrer alten Religion festzuhalten, dient als Indiz dafür. Es bleibt dahingestellt und der Zufälligkeit der Geschichte überlassen, ob die Juden letztendlich in das Reich Gottes bzw. in das Christentum eintreten werden oder nicht; allein von dem Wesen her sollen sie das tun, und in diesem Sinne büßt das Judentum an sich, nach dem Auftreten Christi und unbeschadet des Beharrens auf dem alten Gott, im Gegensatz zu den Juden vor dem Auftreten Christi, welche doch als „Träger der Zukunft“ (PN, 670; PO XIV, 150) dienten, jeglichen wesentlichen bzw. geschichtlichen Sinn ein: „Sie sind vorbehalten dem Reiche Gottes, in das sie zulezt eingehen sollen. Aber der Tag wird erscheinen, da sie in die göttliche Oekonomie werden aufgenommen werden. shalt thou say unto the children of Israel, I Am hath sent me unto you“. Hierin wird eine andere Alternative angedeutet, welche sowohl auf die Gegenwart hinweist als auch auf die inhärente Begrenzung der menschlichen Kenntnis. Denn auf Hebräisch lässt sich ֶא ְהיֶ ה ֲא ֶׁשר ֶא ְהיֶ הauch so auslegen: Keiner kann regelrecht wissen, wer ich bin, und der rätselhaften Formulierung mag gewiss auch eine gegenwärtige Bedeutung zukommen. Das lässt sich auch in der m. E. aufschlussreichen Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig erkennen: „Ich werde dasein, als der ich dasein werde. Und sprach: So sollst du den Söhnen Israels sprechen: ICH BIN DA schickt mich zu euch.“ 27 Es sei angemerkt, dass das Ende der Offenbarung im Geiste des Christentums verkörpert ist; das heißt allerdings nicht unbedingt, dass das Christentum mit dem Ende der Offenbarung durch und durch identisch ist. Was von Schelling gelegentlich ‚die philosophische Religion‘ genannt wird, deckt sich mit dem Christentum nicht vollkommen.
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Inzwischen sollte man ihnen die nothwendigen menschlichen Rechte zugestehen.28 Einstweilen bleibt nur der Wunsch: Auferat Deus omnipotens velamen ab oculis vestris.“ (PN, 671; PO XVI, 151).
3. Folgerungen Die wesentliche Verwandtschaft zwischen Christentum und Heidentum und die Rolle, die dem Judentum in diesem heiklen Gefüge zukommt, wird m. E. am allerdeutlichsten in diesem mit Bedeutungen aufgeladenen aufschlussreichen Satz zum Ausdruck gebracht: „Und das Heidnische gerade, den menschlichen Sohn Gottes wiesen sie [die Juden] von sich“ (PN, 670; PO XIV, 149). Hierin lassen sich alle gewichtigen Motive, welche das verwickelte Verhältnis zwischen Judentum, Christentum und Heidentum in Schellings Spätphilosophie kennzeichnen, erkennen: zunächst die Tatsache, dass die Juden, indem sie den Polytheismus ausschlossen, auch das Christentum ausschlossen; ferner, dass das Christentum und das Heidentum einander verwandter sind als Christentum und Judentum. Zu Beginn des Aufsatzes wurde allgemein vermerkt, dass Schellings Einstellung zum Judentum sich einerseits durch eine auffallende Abschwächung des Verhältnisses zwischen der „Mutterreligion“ und dem Christentum, und andererseits durch eine gewisse Verstärkung des Verhältnisses zwischen dem Christentum und der Mythologie charakterisieren lässt. Wir befinden uns nun in der Lage, die prinzipiellen Gründe dafür klar vor Augen zu führen. Anknüpfend also an das, was bisher erläutert wurde, will ich kurz und bündig die wichtigsten Punkte noch einmal darlegen: a. Die Juden, bald als Geschlecht, bald als Volk, sind von Haus aus stets im Begriff, das Heidentum und die ganze mythologische Welt auszuschlie28 Absichtlich lasse ich mich nicht auf die politische Bedeutung der Schellingschen Position ein; an sich scheint mir diese Diskussion einem anderen Bereich anzugehören. Denn die politischen Schlüsse, welche aus der Schellingschen Haltung zu ziehen sind, hängen von vielerlei zufälligen Verhältnissen ab, und es ist schwer, eine notwendige Verbindung zwischen Schellings prinzipieller Einstellung zum Judentum und den konkreten politischen Schlüssen, welche er daraus zog, zu erkennen. Ob die Juden nämlich zur Zeit Schellings und angesichts seines philosophischen Schlusses doch als Juden auch bürgerliche (und nicht nur „menschliche“) Rechte (in PO XIV, 152 heißt es „notwendige Rechte“) erhalten sollen, bleibt dahingestellt. Bei einem Philosophen wie Fichte ist die Antwort darauf bekannterweise absolut zu verneinen, und es ist tief in den Grundannahmen seiner Philosophie angelegt. Bei Schelling scheint mir allerdings die Angelegenheit, ungeachtet einiger Formulierungen, doch nicht eindeutig zu sein.
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ßen. Demgegenüber entstand mit dem Christentum eine Religion, „die den Polytheismus nicht mehr bloß ausschloß, wie er vom Judentum ausgeschlossen war“ (HKE, 168). b. Das Heidentum auszuschließen, heißt in diesem Zusammenhang: An dem alten Gott (welcher in Wahrheit der relative und keineswegs der absolute Eine ist) festhalten zu wollen. Allein ein unmittelbarer Zugang zu dem alten Gott innerhalb der Geschichte ist nach Schellings Denken schlechterdings abzulehnen. Es entsteht mithin ein markanter Abstand zwischen dem, was die Juden tatsächlich sind, und dem, wofür sie sich (versehentlich) halten. Denn freilich meinen die Juden, dass ihre Religion die ganze mythologische Welt bis ins Kleinste ausklammert; der Monotheismus Abrahams war „kein absoluter unmythologischer, denn er hatte zu seiner Voraussetzung den Gott, der ebensowohl die Voraussetzung des Polytheismus ist“ (HKE, 170). Der allmähliche Übergang vom ‚Geschlecht‘ zum ‚Volk‘ fungiert als eine Art Beweis dafür: Da der Polytheismus von Haus aus aufs Engste mit der Existenz von Völkern verknüpft ist, ist es aufschlussreich, dass das ‚Geschlecht‘ sich schlussendlich zum ‚Volk‘ verwandelte, auch wenn es kein Volk im üblichen Sinn des Wortes ist (denn im ‚Geschlecht‘ obwaltet eine gewisse ‚Sollizitation zum Volk‘, und im jüdischen Volk hingegen besteht immer noch der Zug eines ‚Nichtvolkes‘). c. Zwar sind Judentum und Polytheismus durch einander bestimmt, dessen ungeachtet obwaltet ausgerechnet im Polytheismus das allerbeträchtlichste Moment bezüglich des wahren Begriffs Gottes, welches im Judentum nicht anerkannt ist, nämlich das Geschichtliche. Denn das „Medium“ der mythologischen Welt ist das Geschichtliche, während die Juden darauf beharren, das geschichtliche bzw. werdende Moment von sich ganz und gar abzuweisen. Hierin erhellt die tiefsitzende Verwandtschaft zwischen dem Christentum und der mythologischen Welt (auf Kosten der Verwandtschaft zwischen Christentum und Judentum); so nah befinden sie sich einander, dass geradezu das allerwichtigste Moment im Christentum (die Menschwerdung Gottes) von Schelling auch als ein heidnisches Moment (jedoch im Gewebe der wahren Religion eingebettetes) bezeichnet wird. d. Welche Rolle ist im Entstehen des Christentums bzw. der wahren Religion dem Judentum zuzuschreiben? M.E ist sie bloß als eine negative zu verstehen, d.i. eine, welche inhaltlich nahezu irrelevant sei. Dass die Welt nach der Zerteilung in Völker nicht nur aus Völkern besteht, sondern auch ein ‚Geschlecht‘ enthält, sei, an sich betrachtet, notwendig für die Weiterführung des Offenbarungsprozesses; allein daraus ergibt sich nicht, dass dem
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‚Geschlecht‘ inhaltliche Relevanz in Bezug auf den Offenbarungsinhalt zukommt. Bei ihrer bloßen Existenz gegenüber der heidnischen Welt behielten die Juden die künftige Möglichkeit, über die mythologische Welt hinaus zu der wahren Religion überzugehen; allein an sich waren die Juden in vielerlei Hinsicht irrelevant. Von daher glaube ich, dass die gleichlautend symmetrischen Formulierungen, welche in Schellings Schriften mitunter zu finden sind, gemäß derer das Christentum sowohl das Judentum als auch das Heidentum aufgehoben hatte (PO XIV, 75, 124, 146), nicht wortwörtlich genommen werden sollen: In der Tat obwaltet, Schelling zufolge, aus prinzipiellen Gründen die mythologische Welt im Gewebe des Christentums viel mehr als die jüdische Religion, eine Tatsache, welche jedem, der die Zentralität des geschichtlichen Moments in Schellings Spätphilosophie in Erwägung zieht, freilich nicht überraschen sollte. Es kann also gesagt werden, dass die Hauptaufgabe des Christentums in erster Linie das Einbetten der mythologischen Welt in sich war; das Einbetten des Judentums in die Struktur des Christentums hingegen sei keine zentrale Aufgabe der wahren Religion. In einer m. E. hochinteressanten Formulierung, in welcher der Hauptgedanke Schellings gegenüber dem Judentum zum Ausdruck kommt, bezeichnet Schelling das Judentum folgendermaßen: „Es war immer entweder potentielles Christenthum oder gehemmtes Heidenthum“ (PN, 670; PO XVI, 148–149). Hierin scheint sich der Witz der Schellingschen Position zu befinden: Das Judentum sei, wenn mir solche Ausdrucksweise erlaubt ist, eine Religion in der Schwebe. Das Heidentum zu hemmen ist sicherlich ein Verdienst, denn Heidentum an sich führt in keiner Weise zu der wahren Religion; allerdings ist es lediglich als ein negatives Verdienst zu verstehen. Auf der anderen Seite wusste das Judentum nicht, wie das Heidentum richtig bzw. positiv zu behandeln ist, bzw. es wusste nicht, das Heidentum in sich (in das Judentum) einzubeziehen, statt es von sich fern zu halten. Judentum und Christentum teilen hier offensichtlich einen gemeinsamen Nenner: der mythologischen Welt gegenüber zu stehen. So dargestellt erhellt wiederum die prinzipielle Entfremdung zwischen Judentum und Christentum: Gegenüber der mythologischen Welt setzt das Christentum das Judentum keineswegs fort, sondern schreitet gewissermaßen auf anderen Pfaden. Zu einem gewissen Zeitpunkt verfügten die Juden also über eine bestimmte geschichtliche (wenn auch negative) Funktion: Sie zeigten, dass es möglich war, sich der mythologischen Welt bzw. der Welt der Völker entgegenzusetzen. In dem Sinne hatten die Juden die Möglichkeit eines erhofften zukünftigen Auftretens der wahren Religion behalten. Allein, nach dem
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Auftreten Christi sind sie – als Juden – dem Reich Gottes vorbehalten. Vom Behalten zum Vorbehalten-Sein ist mithin eine treffende Beschreibung des geschichtlichen Wesens des Judentums in den Augen Schellings.
Literaturverzeichnis Barbarić, Damir, „Schellings Potenzenlehre in seiner Philosophie der Mythologie“, in: Friedrich Hermanni/Dietmar Koch/Julia Peterson (Hgg.), „Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist – Freiheit!“, Tübingen 2012. Buchheim, Thomas, Eins von Allem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie, Hamburg 1992. Danz, Christian, Die philosophische Christologie F. W. J. Schellings, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1996. Schelling, F. W. J., Sämtliche Werke, hg. v. K. F. A. Schelling, Bde. I–XIV, Stuttgart 1856– 1861 (=SW I–XIV). Schelling, F. W. J., Philosophie der Offenbarung 1841/42, hg. u. eingeleitet v. Manfred Frank, Frankfurt a. M. 1977 (= PN). Schüssler, Ingeborg, „La mythologie comme processus de la conscience dans la Philosophie de la mythologie de Schelling“, in: Jean-Francois Courtine/Jean-Francois Marquet (Hgg.), Le dernier Schelling. Raison et Raison et Positivité, Paris 1994. Spinoza, B. de, Theologisch-politischer Traktat, übersetzt von Wolfgang Bartuschat, Hamburg 2012.
Was heißt ‚philosophische Religion‘? Acht Thesen zur Zielsetzung von Schellings unvollendetem System Thomas Buchheim Eine der hervorstechendsten Aussagen über die ‚philosophische Religion‘, die der späte Schelling im Zusammenhang mit seinem unvollendet gebliebenen letzten System, bestehend aus ‚Philosophie der Mythologie‘ und ‚Philosophie der Offenbarung‘, fast wie ein Mantra einschärft und wiederholt, lautet: „die philosophische Religion existiert nicht“.1 Trotzdem bildet sie nach Schellings eigenem Bekunden die Zielvorgabe des gesamten Unternehmens der Spätphilosophie, „um die es uns zu thun war“.2 Was läge näher als der Gedanke, dass das philosophische Projekt aus ‚Philosophie der Mythologie‘ und ‚Philosophie der Offenbarung‘ die philosophische Religion von ihrer erklärten Nichtexistenz ausgehend zur Chance einer Existenz erst bringen soll? Es handelt sich, wie gesagt, um eine Kernaussage des unvollendet gebliebenen Spätsystems, dass die philosophische Religion nicht existiert. Man kann das u. a. der Tatsache entnehmen, dass Schelling ausgerechnet sie auch in seiner Nachlassverfügung über die Veröffentlichung seiner Schriften hervorkehrt, wo er hinzufügt: sie „existirt nicht, weil die Philosophie nicht existirt, die sie [sc. „Religion“ überhaupt] begreifen könnte (die positive).“3 F. W. J. Schelling wird nach der Ausgabe des Sohnes zitiert: Sämmtliche Werke, hg. v. K. F. A. Schelling, Bde. I–XIV, Stuttgart 1856–1861 (= I–XIV). Hier: Historisch-kritische Einleitung in die Philosophie der Mythologie (= HKE) XI, 250; Darstellung der reinrationalen Philosophie (= DRP) XI, 255; H. Fuhrmans, „Dokumente zur Schellingforschung IV. Schellings Verfügung über seinen literarischen Nachlaß“, Kantstudien 51 (1959/60), 14–26 (= NLV). Hier: 16; vgl. Philosophie der Mythologie (= PM) XII, 7 f. 2 DRP XI, 386. 3 Das vollständige Zitat lautet folgendermaßen: NLV, 16: „ββ) Den philosophischen Theil der Einleitung. Mit diesem hat es folgende Bewandtniß. In der letzten (X) Vorlesung des vorausgehenden Theils ist die Eintheilung der Religion 1) in natürliche (d. h. mytholog.) 2) geoffenbarte 3) philosophische, welche jene Beiden (reell) zu begreifen hätte, – aber nicht existirt, weil die Philosophie nicht existirt, die sie begreifen könnte (die positive). Davon wird Veranlassung genommen, die ganze bloß rationale oder negative 1
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Warum ist es ihm so wichtig, dass diese Sachen nicht existieren, obwohl Schelling hunderte von Seiten gefüllt hat, in denen sie thematisiert werden? Ich sage „Sachen“, spreche also von mehreren Angelegenheiten, weil die Aussageabsicht des zitierten Satzes aus der Nachlassverfügung unmöglich so verstanden werden kann, dass die philosophische Religion nicht existiere, weil sie eben nicht existiert. D. h. die positive Philosophie, „die sie [sc. Religion überhaupt] begreifen könnte“, ist etwas anderes als die philosophische Religion selbst, die wiederum, wie der vorausgehende Satz sagt, mythologische und geoffenbarte Religion „(reell) zu begreifen hätte“. Sie kann sie aber natürlich auch nicht reell begreifen, solange sie gar nicht existiert. Deshalb spricht dieser Satz im Irrealis. Wir können somit als erste These über das Wesen der philosophischen Religion festhalten, dass sie, wenn sie einmal existieren würde, dann jedenfalls nicht identisch wäre mit Schellings positiver Philosophie.4 Das eine ist eine Art von Philosophie, d. h. von Denken in Allgemeinbegriffen und Ideen. Das andere soll eine Religion sein, d. h. eine Art praktizierter Gottesverehrung.5
Philosophie darzustellen, um zu zeigen, wie sie selbst zuletzt mit der Forderung der positiven Philosophie endet.“ 4 Damit folge ich dezidiert nicht der Hauptthese von Albert Franz in seinem Buch Philosophische Religion. Eine Auseinandersetzung mit den Grundlegungsproblemen der Spätphilosophie F. W. J. Schellings, Amsterdam/Atlanta 1992, 92: „Mit seiner Konzeption der Philosophie als philosophischer Religion hat Schelling einerseits programmatisch die Philosophie als Prinzipienwissenschaft, deren höchster Gegenstand Gott als Inbegriff der Prinzipien ist, entworfen (Negative Philosophie), und er hat andererseits diese Philosophie aus dem sie beengenden Kontext der ‚alten Metaphysik‘ zu befreien versucht, indem er sie in den die Geschichte als Ganze umfassenden Kontext der Religionsgeschichte gestellt hat (Positive Philosophie). Prinzip und Wirklichkeit, Was und Daß, Wesen und Existenz sind so in unvermischter und ungetrennter Einheit Inhalt der Schellingschen Spätphilosophie als ‚philosophischer Religion‘. Die Konstruktion der philosophischen Religion ist also das von Schelling angestrebte Ziel, bzw. die Spätphilosophie ist selbst als Ganze, als die die Religionen begreifende Philosophie, diese philosophische Religion.“ Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang vor allem die Aussage Schellings, dass nicht nur die philosophische Religion nicht existiert, sondern auch „die Philosophie nicht existirt, die sie begreifen könnte (die positive)“. Denn die positive Philosophie ist nicht nur kontingenter Weise unvollendet geblieben, sondern nach Aussage Schellings ein aus systematischen Gründen immer weiter sich hinziehendes Denkunternehmen. 5 Religion ist nach Schelling prinzipiell nicht rein gedanklich zu erledigen, sondern verlangt ein bestimmt gerichtetes Gepräge des handelnden oder „thätigen Lebens“ in seiner Gänze (DRP XI, 560; vgl. „Askese“ DRP XI, 568 Fn. 2); ferner Philosophie der Offenbarung (= PO) XIII, 194: „Wie dort das Christenthum, so sollte hier [im Rationalismus] der uralte Glaube der Völker, für den auch sie einst lebten und starben, in bloße Philosophie aufgelöst werden.“
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Fahndet man nach dem Ausdruck ‚philosophische Religion‘ durch das ganze Werk Schellings, so findet man ihn zuerst immerhin schon 1831 in der Urfassung der Philosophie der Offenbarung einmal als wörtlichen Ausdruck (S. 15) und mehrmals als eine Art Zielvorstellung („Religion einer freien Einsicht“; „freie Religion des Geistes“ etc.), zu der die Philosophie der Offenbarung geführt werden soll: „Nach Entwicklung des Begriffs von wissenschaftlicher und nichtwissenschaftlicher (natürlicher und geoffenbarter) Religion will ich bemerken, daß sie eine zusammenhängende Kette bilden, aus der kein Glied entfernt werden kann. Eine philosophische Religion kann sich nur erzeugen als ein drittes, durch natürliche und geoffenbarte Religion vermitteltes. Die natürliche Religion ist der Anfang; sie ist die notwendige, die blinde Religion, die Religion der Superstition. Die Offenbarung erlöst die Menschheit von der blinden Religion. Zuerst also muß erkannt werden die blinde Befangenheit in natürlicher Religion, dann die Erlösung. Zuletzt kann erst die Religion einer freien Einsicht entstehen.“6
Hier wird zum einen bereits deutlich, was auch der Ausdruck „reell begreifen“ in der Nachlassverfügung bedeuten soll: Die philosophische Religion, wenn sie überhaupt „entsteht“, dann nur so, dass sie an dritter Stelle, d. h. unter Voraussetzung und auf Basis der beiden vorangehenden und schon existierenden Religionen sich errichten ließe. In ihr wären insofern die beiden anderen „reell begriffen“, d. h. bewusst einbezogen. Das motiviert nun schon meine zweite These, nämlich dass philosophische Religion, wann immer sie existiert, im Bewusstsein ihrer Aufrichtung auf und Ebenbürtigkeit mit7 allen anderen Vorgängerreligionen, d. h. allen wirklichen mythologischen und wirklichen Offenbarungsreligionen, praktiziert werden würde.8
6 F. W. J. Schelling, Urfassung der Philosophie der Offenbarung, hg. v. W. E. Ehrhardt, Hamburg 1992, 15. 7 Die philosophische Religion wäre ebenbürtig, d. h. von gleichrangiger Abstammung und gleichem Gehalt wie jede andere wirkliche Religion! Vgl. den „allgemeinen Grundsatz“, den Schelling einschärft: „Dieser ist, daß wirkliche Religion von wirklicher nicht verschieden seyn kann. Sind nun natürliche und geoffenbarte beide wirkliche Religion, so kann dem letzten Inhalt nach zwischen beiden keine Verschiedenheit seyn;“ (HKE XI, 249) – nur wäre die philosophische Religion sich dessen bewusst und könnte offenlegen, warum es so ist. Der Schellingschen Philosophie der Religionen inhäriert somit ein maximales Toleranzprinzip. 8 Weil die philosophische Religion mythologische und Offenbarungsreligion reell in sich begreifen würde, könnte sie nicht ausgeübt werden, ohne diese als wirkliche Religionen und Bedingung der eigenen anzuerkennen. „Die philosophische Religion, weit entfernt durch ihre Stellung zur Aufhebung der vorausgegangenen berechtigt zu seyn, würde also durch eben diese Stellung die Aufgabe und durch ihren Inhalt die Mittel haben, jene von der Vernunft unabhängigen Religionen, und zwar als solche, demnach in ihrer ganzen Wahrheit und Eigentlichkeit, zu begreifen.“ (HKE XI, 250)
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Zum anderen fehlt aber in dem Passus aus der Urfassung noch das emphatische Bekunden der aktuellen Nichtexistenz, so als hätte sie damals noch in gewisser Weise bereits zeitgenössisch ihren Platz an dieser dritten Stelle eingenommen. Zudem ist die Unterteilung der Religionen in dieser früheren Schicht Schellingschen Denkens weniger scharf und entschieden als in der spätesten Zeit: Er spricht einerseits von „wissenschaftlicher“ Religion, andererseits von „nichtwissenschaftlicher“ Religion. Letztere unterteilt er in mythologische und geoffenbarte. Diese bleiben zwar auch in der späteren Unterteilung erhalten, aber die übergeordneten Gattungen nicht gleichermaßen: Damals (1831) meint er, es gebe bereits jetzt eine Form von wissenschaftlicher Religion, nämlich, wie er an mehreren Stellen explizit sagt, die „Vernunftreligion“, von der er indessen in späterer Zeit leugnen wird, dass sie überhaupt eine ‚Religion‘ genannt werden könne.9 Entsprechend vermeidet er es in späterer Zeit, die beiden anderen genannten Religionen, Mythologie und Offenbarungsreligion, in eine Gattung der „nichtwissenschaftlichen“ Religionen zu setzen, so als wäre das Attribut, nichts mit Wissen oder Erkennen zu tun zu haben, ein Wesensmerkmal dieser Religionsgattung. Da im übrigen der von Karl Friedrich August Schelling publizierten Fassung der Philosophie der Offenbarung nur ein von Schelling immer wieder bearbeitetes Manuskript der Urfassung von 1831/32 zugrunde lag, ist auch dort zwar noch eine ähnliche Unterteilung wie in der Urfassung zu finden, obwohl Schelling die Gattung der nichtwissenschaftlichen Religionen dahingehend präzisiert, dass dies diejenigen Religionen meine, die „nicht durch Wissenschaft“ oder „nicht durch Vernunft“ „erzeugt“ sind.10 Die auf der anderen Seite immerhin noch erwähnte ‚Vernunftreligion‘ bekommt hingegen ein „sogenannt“ vorangestellt. Beide vielsagenden Präzisierungen fehlen wiederum in der Urfassung von 1831 völlig. Wir können auf diese Beobachtungen eine dritte These stützen: Dass Schellings spätester Ansicht zufolge keine Religion in Wissenschaft besteht oder durch Vernunft zustande kommt, aber die philosophische Religion doch wesentlich in Verbindung mit einem philosophischen Wissen stehen
Aus dem Wesen der Religion ergibt sich der „allgemeine Grundsatz“ Schellings, dass wirkliche Religion von wirklicher Religion nicht verschieden sein kann: HKE XI, 248 f. „Lassen wir endlich noch einen allgemeinen Grundsatz entscheiden. Dieser ist, daß wirkliche Religion von wirklicher nicht verschieden seyn kann. Sind nun natürliche und geoffenbarte beide wirkliche Religion, so kann dem letzten Inhalt nach zwischen beiden keine Verschiedenheit seyn“. 9 DRP XI, 568 mit Fußnote. 10 PO XIII, 193.
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muss, so dass sie sich durch ihre Gattungsprädikate auch nicht negativ zur Wissenschaftlichkeit überhaupt verhalten darf. Es handelt sich vielmehr um ein diffiziles und raffiniertes Verhältnis zur philosophischen Vernunft und wissenschaftlichen Erkenntnis, das in seiner Komplexität dem Schelling der Urfassung noch nicht genügend klar geworden war. Ich werde mich dem gleich genauer zuwenden, nachdem ich eine nun auf der Hand liegende und ohnehin bekannte vierte These zur philosophischen Religion präsentiert und erklärt habe, nämlich die, dass auch die philosophische Religion qua Religion in dem bestehen muss, was Schelling ein „reales“ und eben nicht ideales „Verhältnis zu Gott“ nennt. Wenn nämlich keine Religion in einem wissenschaftlichen oder durch Vernunft aufgerichteten Verhältnis zu Gott bestehen kann, dann muss jede Religion primär in etwas anderem bestehen als in einem gedanklichen, d. h. durch Ideen oder Vorstellungen errichteten Verhältnis zu Gott oder einem göttlichen Wesen. Dies kann die Kernthese Schellings zum Charakter der Religion überhaupt und damit auch zur philosophischen Religion genannt werden: dass sie „in einem realen Verhältnis zu Gott“ bestehen muss, wenn sie denn wirkliche Religion sein soll. Dieses reale Verhältnis ist allerdings notwendig so zu verstehen, dass eine ideale, d. h. gedanklich und durch Begriffe vermittelte Beziehung dadurch auch nicht ausgeschlossen wird – so wie man ja sagen könnte, wir hätten ein reales, nicht ideales Verhältnis zur Sonnenwärme oder zur Luft, die wir atmen (wüssten wir nicht auf anderen Wegen von dem unsichtbaren Element, das uns umgibt, so wäre dies ein schlechthin nichtideales und nichtphilosophisches Verhältnis, das als solches gar nicht zugänglich für die Vorstellung ist). Deshalb verriet es noch erhebliche Unklarheit auf Seiten Schellings, wenn er ohne die besagte spätere Präzisierung das „nichtwissenschaftlich“-Sein zum Gattungsprädikat derjenigen Religionen erhob, an die sich die philosophische Religion doch anschließen sollte. Die philosophische Religion muss also zwar in einem realen Verhältnis zu Gott bestehen, das aber eine ideale, gedankliche, erkennende Beziehung nicht zugleich negiert und ausschließt. Was ist das für ein reales Verhältnis? Es handelt sich um ein Bewusstseinsverhältnis, das aber von anderer Art ist als ein bewusst gebildeter Gedanke, eine Idee oder eine Vorstellung von Gott. Während diese in jeder Religion eine direkt intentionale und somit ideale Beziehung auf das Göttliche errichten, unterhält Bewusstsein überhaupt und unvermeidlich, aber insbesondere das religiöse Bewusstsein, zusätzlich eine indirekte Beziehung des intendierten Gegenstands (dessen, womit es sich intentional beschäftigt) zum Charakter des je individuellen Lebens im Ganzen. Denn es spielt immer eine gewisse Rolle für mein Dasein
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insgesamt, womit ich mich bewusst und intentional befasse. Im Falle der Religion ist eine solche ‚gewisse Rolle‘ eine insgesamt lebensbestimmende Rolle – „der uralte Glaube der Völker, für den auch sie einst lebten und starben“.11 Dies ist gemeint mit einem „realen“, d. h. menschliches Leben durchgängig prägenden Verhältnis zu eben dem, was es auch intentional durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch in seinen religiösen Vorstellungen beschäftigt, obwohl diese intentionalen Vorstellungen nie die Realität dieser Beziehung ausmachen. Ihre Realität besteht vielmehr in der geschichtlichen Prägung des Daseins, die im Erleben, Erinnern und seinen Erwartungshorizonten wiederum ein geschichtlich sich entwickelndes Bewusstsein über Generationen hinweg zeichnet. Ob es stimmt oder wahr ist, dass eine solche reale Beziehung zu Gott besteht (d. h. modern ausgedrückt, ob das reale Verhältnis des Bewusstseins auch fundiert ist), ist natürlich eine andere Frage, die Schelling, wenn überhaupt, erst mit seiner ganzen positiven Philosophie affirmativ erweisen könnte. Aber in diesem interessanten Konzept einer doppelten Beziehung des Bewusstseins – einmal ideal und zugleich real – sehe ich ganz unabhängig von dem Gelingen oder Misslingen des Erweises die größten Verdienste Schellings in Sachen Religion (und Kultur), die weit in die Philosophie des 20. und unseres Jahrhunderts vorausweisen. Eine Stelle aus der Historisch-kritischen Einleitung scheint mir diese Idee einer doppelten Beziehung des menschlichen Bewusstseins zu Gott besonders eindrücklich zu formulieren: „Man fragte: wie kommt das Bewußtseyn zu Gott? Aber das Bewußtseyn kommt nicht zu Gott; seine erste Bewegung geht, wie wir gesehen, von dem wahren Gott hinweg; im ersten wirklichen Bewußtseyn ist nur noch ein Moment desselben (denn so können wir auch vorläufig schon den relativ-Einen ansehen), nicht mehr Er Selbst; da also das Bewußtseyn, sowie es aus seinem Urstande heraustritt, sowie es sich bewegt [d. h. intentionale Vorstellungen ausbildet], von Gott hinweggeht, so bleibt nichts übrig, als daß ihm dieser ursprünglich angethan sey, oder daß das Bewußtseyn Gott an sich habe, an sich in dem Sinn, wie man von einem Menschen sagt, daß er eine Untugend an sich habe, womit man eben ausdrücken will, daß sie ihm selbst nicht gegenständlich sey, nicht etwas das er wolle, ja nicht einmal etwas um das er wisse.“12
11 PO XIII, 194. – Schelling prägt für dieses Verhältnis zu Gott auch die Kategorie des „Erlebens“: „Sie [sc. Mythologie als theogonischer Prozess] ist 1) ein Proceß überhaupt, den das Bewußtseyn wirklich vollbringt, so nämlich, daß es in den einzelnen Momenten zu verweilen genöthigt ist, und stets im folgenden den vorausgegangenen festhält, also die Bewegung im eigentlichen Sinne erlebt.“ (HKE XI, 198) Das Erleben ist zwar nur die subjektive Seite des Prozesses, die nach Schellings Behauptung aber auch objektiv ein reales Verhältnis des menschlichen Bewusstseins zu Gott ist. 12 HKE XI, 186.
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Obwohl also das menschliche Bewusstsein von Anfang an und wenigstens bis heute immer Gottesvorstellungen produziert, sind es nicht die Inhalte dieser Vorstellungen, die seine generelle Bindung an Gott ausmachen. Denn das menschliche Bewusstsein denkt ja auch an vieles andere und könnte insofern, wenn hier keine Bindung bestünde, auch mal ohne Gottesvorstellungen und religiöse Ideen auskommen. Das tut es aber offenbar nicht und tat es in seiner Geschichte nie. Das bedeutet: Die mannigfaltigen Inhalte und kuriose Vielfalt der Vorstellungen von irgendwelchen Göttern und Gottheiten, die Menschen im Lauf der Geschichte produziert haben, erklären überhaupt nichts in Beziehung auf die darin beständig zum Ausdruck kommende Konstanz der Bindung des menschlichen Bewusstseins an Gott. Dies drückt Schelling dadurch aus, dass er sagt, Gott sei dem menschlichen Bewusstsein offenbar auf andere Weise vindiziert oder „angetan“ als ein Gegenstand, auf den es sich intentional begrifflich oder in bloßen Vorstellungen immer wieder bezieht; vergleichbar wäre vielleicht die Weise, wie sich menschliches Bewusstsein beständig und unausweichlich auf den Unterschied von Tag und Nacht, Wachen und Schlafen bezieht13, ohne dass dieses reale Verhältnis in der Summe aller intentionalen Vorstellungen und Begriffe bestünde, die sich die Menschheit von Tag und Nacht gemacht hätte. Diese Art des Angetan-Seins nennt Schelling das reale Verhältnis des menschlichen Bewusstseins zu Gott, das jedenfalls nicht per se ein ideales oder durch Vorstellungen und Begriffe vermitteltes Verhältnis ist, auch wenn es das nicht ausschließen würde.14 Die Frage der ‚Philosophie der Mythologie‘ (und Offenbarung) ist im Grunde die: Was ist das für eine merkwürdige Obsession des menschlichen Bewusstseins mit Gott und dem Göttlichen? Wie ist sie genauer betrachtet verfasst und woher kommt sie? Ob sie wirklich von Gott kommt, ist natürlich auch für Schelling fraglich und könnte nur dadurch außer Zweifel gerückt werden, dass die Existenz Gottes sich als unzweifelhaft erwiese. Das ist sichtlich ein Thema und erklärte Hauptabsicht von Schellings positiver Philosophie, obwohl dieser Erweis nach eigenem Bekunden heute keineswegs abgeschlossen und entweder affirmativ oder negativ geführt ist. Die Obsession aber und mit ihr das reale Verhältnis – ob fundiert oder nicht – dauern ohne jeden Zweifel an. Das Andauern der Obsession des menschlichen Bewusstseins mit Gott, das weitgehend unabhängig vom Inhalt der intentionalen Vorstellungen ist, die sich die Menschheit im Laufe ihres geschichtlichen Bestehens von Gott 13
Nicht nur intentional, sondern sich ‚daran kehrt‘, sich den Unterschied einverleibt, d. h. ihn in sein Leben einwebt. 14 Schelling drückt es auch so aus: das Bewusstsein sei „mit dem Gott behaftet“ (PM XII, 259).
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gemacht hat, nennt Schelling terminologisch den „theogonischen Process im menschlichen Bewußtseyn“.15 „Der theogonische Prozeß, in den sich die Menschheit mit dem ersten wirklichen Bewußtseyn verwickelt, ist wesentlich ein religiöser Proceß.“16 Streng genommen ist dieser „religiöse Proceß“, dessen letzter und vollkommenster Ausdruck die philosophische Religion wäre, wenn sie denn je existierte, in seinen an die Mythologie anschließenden Stufen nicht mehr ‚theogonisch‘ zu nennen. Denn in den darauf aufbauenden Stufen werden Gottheiten nicht geboren wie im mythologischen Modellfall der ‚Theogonie‘ Hesiods. Wohl aber sind auch alle diese anschließenden Religionsstufen ‚theodesmotisch‘ zu nennen, indem die Einbindung des menschlichen Bewusstseins in ein reales Verhältnis zu Gott auch in höherstufigen Religionen fortbesteht, aber anderen Charakter gewinnt; Schelling formuliert diesen anderen Charakter u. a. als ‚freiheitlichen‘ oder ‚freien‘. Schon in den Offenbarungsreligionen ist das reale Verhältnis des menschlichen Bewusstseins zu Gott ein wesentlich freies. Der religiöse Prozess wird selbst zu einem Prozess der Befreiung und sogar gottautonomen Selbstbefreiung des menschlichen Bewusstseins, während die theodesmotische Grundform eines realen Verhältnisses zu Gott durchaus erhalten bleibt.17 Das kann sich ohne Widerspruch so verhalten, wie Schelling behauptet, weil der theodesmotische Prozess von Anfang an geschichtlich subliminal, d. h. untergründig unter den vom menschlichen Bewusstsein jeweils intentional gebildeten Vorstellungen und Begriffen verläuft. Ihn, den theogonischen oder genauer, theodesmotischen Prozess des menschlichen Bewusstseins versucht das späte philosophische System Schellings, bestehend aus ‚Philosophie der Mythologie‘ und ‚Philosophie der Offenbarung‘, zu analysieren, in Bezug auf seine tieferliegenden ‚Faktoren‘ und ‚Ursachen‘ zu ergründen und insgesamt in seiner Wahrheitsfähigkeit herauszustellen. Ist überhaupt erst die Wahrheitsfähigkeit herausgestellt und anerkannt, erst dann kann es darum gehen, die Wahrheit seines angenommenen Prinzips auch erweisen zu wollen. Insgesamt ein hochrationales Un15
Siehe z. B. HKE XI, 197 f.; 193; PM XII, 4; 7 f.; vgl. 350; 670. HKE XI, 243. 17 Vgl. PM XII, 263: „Von Anfang an ist alles auf die höchste Freiwilligkeit berechnet. Es soll eben nichts mit bloßer Gewalt durchgesetzt werden. Es soll zuletzt alles aus dem Widerstehenden selbst kommen, welches eben darum seinen Willen haben muß bis zur letzten Erschöpfung. Die Umwandlung, die ihm zugedacht ist, soll nicht von außen, gewaltsam, sondern von innen, und so erfolgen, daß es stufenweise dazu gebracht wird sich ihr freiwillig hinzugeben. Nur indem das Bewußtseyn durch alle zwischen Anfang und Ende möglichen Stufen hindurchgeführt wird, kann die letzte Erkenntniß, um die es zu thun ist, ein Erzeugniß vollständiger und durchaus erschöpfter Erfahrung seyn.“ 16
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terfangen, das einen neuen und äußerst sachhaltigen Phänomenbereich einer positiv-philosophischen Analyse zuführen soll, der bislang ungerechtfertigtermaßen gänzlich außerhalb jeder philosophisch begründeten Zugänglichkeit und Methodik lag. Damit komme ich zur fünften These: Die philosophische Religion wäre, wenn sie existiert, notwendig eine Wiederzusammenführung von zwei zur Unabhängigkeit voneinander ausgewachsenen Ästen des theodesmotischen Prozesses im menschlichen Bewusstsein: einerseits Fortbildung des religiösen Astes eines seiner Vermittlung durch alle ihr vorgeordneten Religionsstufen als solches bewusst gewordenen realen Verhältnisses zu Gott und andererseits des philosophischen und zur völligen Gottautonomie entwickelten Selbstbefreiungsastes des menschlichen Bewusstseins in Gestalt der rein rationalen Philosophie. Es ist also höchst wichtig zu erkennen, dass die reinrationale Vernunftphilosophie Schellings, die, wie er schreibt, nur zu dem Resultat kommen kann, „daß man von Gott nichts wisse“18, selbst ein Spross des theodesmotischen Prozesses im menschlichen Bewusstsein ist und als solcher auch beschrieben werden kann: „Aber auch nur vermittelt ist durch das Christenthum die freie Religion [= philosophische Religion], nicht unmittelbar durch dasselbe gesetzt. Das Bewußtseyn muß ebenso wieder von der Offenbarung frei geworden seyn, um zu jener fortzugehen. Auch die Offenbarung wird wieder eine Quelle zunächst unfreiwilliger Erkenntniß. Als Negation des Heidenthums und in diesem Gegensatz wirkt das Christenthum selbst auch als reale, unbegriffene Macht (denn nicht durch ‚vernünftige Reden menschlicher Weisheit‘ wurde das Heidenthum überwunden); […] Es kommt indeß die Zeit, wo nach völliger Ueberwindung des Heidenthums das Christenthum seine Spannung gegen dasselbe verliert, und bis dahin Princip unfreiwilliger Erkenntniß, nun selbst Gegenstand freiwilliger Erkenntniß wird und insoweit nun mit dem Heidenthum auf die gleiche Linie tritt.“19
Schelling schreibt es im Weiteren besonders Descartes zu, dieser emanzipatorischen Linie folgend eine völlige Befreiung der menschlichen Vernunft vom intentionalen Rekurs auf Gott als erster mit aller Radikalität auf die Bahn des menschlichen Denkens gebracht zu haben: „Einem fremden Gesetz unterworfen war die Vernunft in der mythologischen Religion, ebenso ist sie es im Glauben an die Offenbarung als bloß äußere Autorität, worein unleugbar die Reformation zuletzt ausgeartet. […] Philosophie [so wollen wir sagen] sey der angemessene Ausdruck erst für die Stufe nach der Metaphysik, wenn die Autoritäten, auf denen diese beruht, ihr unbedingtes Ansehn zu verlieren anfangen, und der Erste, der diese Wissenschaft in diesem Sinn gesucht, sey Descartes gewesen. Inwiefern sodann dieses Suchen zugleich das Bestreben ist, über alles, was bloß Voraussetzung ist, zu dem durch 18 19
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sich selbst gewissen Anfang zu gelangen, von dem aus erst mit Sicherheit die gesuchte Wissenschaft sich erzeugen lasse, sey Descartes zugleich der, welcher zuerst das Princip in diesem Sinne gesucht. […] Hiemit also ist offenbar ein neuer Schritt zur Verwirklichung der freien Religion geschehen, die wir ja zum voraus auch die philosophische genannt haben.“20
Unsere sechste These muss daher lauten: Befreiung von der Offenbarungsreligion, und d. h. insbesondere von den autoritätsgebundenen Lehren des Christentums, ist innere Bedingung eines möglichen Fortschritts zur jetzt nichtexistenten philosophischen Religion. Diese Befreiung kann nur aus der Entwicklung einer völlig gottautonomen Vernunftphilosophie erwachsen. Sie ist somit eine unentbehrliche Voraussetzung und zugleich essentieller Bestandteil des Projekts von Schellings spätestem System als Wegbereitung zu einer möglichen Existenz philosophischer Religion. Wie aber ist, nachdem einmal die Vernunft völlig gottautonom und selbstbegründet denken gelernt hat, überhaupt noch eine Rückkehr zur Religion und in ein ausdrücklich und frei affirmiert theodesmotisches Verhältnis des Bewusstseins denkbar, ohne der erreichten Befreiung zu widersprechen? Nach Schelling aus dem gleichen Grund wie bei der Aufdeckung des theogonischen Prozesses im menschlichen Bewusstsein: Auch das Bewusstsein des Vernünftigsten und der strengsten und rationalsten Begriffe, die wir denken können, erschöpft sich nie in eben diesen intentionalen Begriffen, sondern muss mit ihnen insgesamt noch leben und sein Auskommen haben. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Schelling entwickelt das, was ein der reinen Vernunft verpflichtetes Bewusstsein sich an Begriffen denkt, Prinzipien setzt und Verhältnissen entwirft, zur völligen Selbsterschöpfung, um es trotz voller Selbstentfaltung seiner Möglichkeiten doch einer systematischen Insuffizienz für das all dies denkende Bewusstsein selbst zu überführen. Auf diesen inneren Unterschied des Bewusstseins legt Schelling immer wieder den Finger, so auch am Ende der Darstellung der reinrationalen Philosophie: „Es hat sich also gezeigt, wie dem Ich das Bedürfniß, Gott außer der Vernunft (Gott nicht bloß im Denken oder in seiner Idee) zu haben, durchaus praktisch entsteht. Dieses Wollen ist kein zufälliges, es ist ein Wollen des Geistes, der vermöge innrer Nothwendigkeit und im Sehnen nach eigner Befreiung, bei dem im Denken eingeschlossenen nicht stehen bleiben kann. Wie diese Forderung vom Denken nicht ausgehen kann, so ist sie auch nicht Postulat der praktischen Vernunft.21 Nicht diese, wie Kant will, sondern nur 20
DRP XI, 266 f. Vgl. NLV, 16: „analog mit Kants Postulat der prakt. Vernunft; aber mit dem Unterschied, daß es nicht die Vernunft, sondern (das praktisch gewordene) Ich ist, das als persönlich selbst Persönlichkeit verlangt“. 21
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das Individuum führt zu Gott. Denn nicht das Allgemeine im Menschen verlangt nach Glückseligkeit, sondern das Individuum.“22
Religion, auch die philosophische, ist nicht eine Sache des Denkens, d. h. des Operierens in Vorstellungen oder Ideen und Allgemeinbegriffen, kurz: nicht eine Sache der intentionalen Fokussierung auf Wesen und Gegenstände allein, sondern immer zugleich eine Sache des Damit-Auskommen-Müssens im individuellen Erleben und Vollbringen des ganzen Daseins, das eben seiner selbst bewusstes Leben ist. Was Schelling „praktisch“ nennt, ist diese Situation des ‚jetzt oder nie‘, in dem sich das menschliche Bewusstsein mit seinem Leben gefangen weiß. Denn im Unterschied zur zeitlosen Vernunft ist das Bewusstsein zeitlich in seiner Einmaligkeit eingeschlossen. Und dies ‚jetzt oder nie‘ ist auf Glückseligkeit aus, die es sich prinzipiell nicht selbst verschaffen kann. Das begründet meine siebte These: Philosophische Religion kann sich, wenn überhaupt, dann nur im Rückstoß des individuellen Bewusstseins aus der in völliger Autonomie zur Selbsterschöpfung gebrachten Vernunft konstituieren. Denn nur so ist eine radikale Befreiung des menschlichen Bewusstseins von einer „Offenbarung als bloß äußere Autorität“ zu bewerkstelligen. Aber dies – der beschriebene ‚Rückstoß‘, der nur im Wege einer vollen Ausschöpfung der reinen Vernunft, ihrer Prinzipien, Begriffe und Verhältnisse zum denkenden Subjekt, erzielt werden kann und nach Schelling das eigentlich zu erbringende Resultat der Darstellung der reinrationalen Philosophie als unentbehrlichen Bestandstücks einer Wegbereitung zur philosophischen Religion ist – macht die Existenz Gottes, an der alles reale Verhältnis zu Gott und damit alle Religion zuletzt hängt, um keinen Deut sicherer oder plausibler. Wohin soll sich das immerhin Glückseligkeit für sich wollende Individuum denn nun wenden, nachdem nicht nur die mythologische Religion in finstere Vergangenheit gesunken, sondern auch die Stütze auf Offenbarung vor seiner eigenen Vernunft nicht länger Bestand hat? Die Antwort ist Schellings „positive“, und d. h. geschichtliche Philosophie. Denn nur wenn schon die mythologische Religion seit Menschengedenken Ausdruck eines weltumspannenden theogonischen Prozesses gewesen wäre, dessen Ursachen tiefer liegen als poetische Einzelphantasien dichterischer Gemüter reichen; und nur wenn darin bereits ein reales Verhältnis zu Gott gewaltet hätte, von dem wir kraft gleichartiger Ursachen durch die Offenbarungsreligionen wiederum befreit worden wären; nur wenn auch das, was die Vernunft aus sich vermag und auf die Beine stellt, letztlich in diesen Schüben des menschlichen Bewusstseins und seinen immer gleichen ursäch22
DRP XI, 569.
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lichen Faktoren gründete, die auf wiederum seine Wurzeln in einem realen Verhältnis zu Gott verwiesen, und nur wenn sich Gründe geltend machen ließen zu denken, dass dies alles nicht nur die verzweifelten Reime eines an seiner Existenz leidenden menschlichen Bewusstseins sind; und nur wenn sich anhand irgendwelcher ansonsten völlig unerklärlich bleibender Indizien erweisen ließe, dass, wie Schelling sagt, tatsächlich Gott, wie ihn Mythologie, Offenbarung und Vernunft tentativ gedacht haben, „Herr des Seins“ ist23 – und nicht ein Zufallsprinzip; nur dann und im Zuge eines solchen ständig wachsenden Erweises „könnte“ philosophische Religion „das letzte Erzeugniß und der höchste Ausdruck der vollendeten Philosophie selbst seyn“.24 „Aber diese philosophische Religion existirt nicht, und wenn sie, wie wohl niemand in Abrede ziehen wird, nur das letzte Erzeugniß und der höchste Ausdruck der vollendeten Philosophie selbst seyn könnte, so dürfen wir wohl fragen, wo die Philosophie sich finde, die im Stande wäre, begreiflich zu machen, d. h. als möglich darzuthun, was wir in der Mythologie, und mittelbar auch in der Offenbarung, erkannten – ein reales Verhältniß des menschlichen Bewußtseyns zu Gott, während die Philosophie nur von Vernunftreligion und nur von /251 einem rationalen Verhältniß zu Gott weiß und alle religiöse Entwickelung nur als eine Entwickelung in der Idee ansieht, wohin auch Hermanns Ausspruch gehört: daß es nur philosophische Religion gebe. Wir geben diese Bemerkung über das Verhältniß unserer Ansicht zu der geltenden Philosophie zu, aber wir können in dieser keinen entscheidenden Einwand gegen die Richtigkeit unserer früheren Entwickelung oder die Wahrheit ihres Resultats erkennen. Denn wir sind bei dieser ganzen Untersuchung von keiner vorgefaßten Ansicht, am wenigsten von einer Philosophie ausgegangen, das Ergebniß ist daher ein unabhängig von aller Philosophie gefundenes und feststehendes.“25 23 Vgl. e. g. Schellings kurze Originalnotiz am Ende der Vernunftwissenschaft im Rahmen einer Darstellung der reinrationalen Philosophie: „Daß es einen Herrn des Seyns gibt, der sich als solchen erkennbar macht, dieß nun in einer andern Wissenschaft. Damit hat die rationale nicht mehr zu thun. Aber sie hat noch die Möglichkeit des sich erkennbarMachens zu zeigen. Das ihre letzte Pflicht.“ (Zitiert von Karl Friedrich August Schelling im Vorwort zu PO XIII, S. VIII, Fn. 1) 24 HKE XI, 250. – Angesichts des hypothetischen und konjunktivischen Charakters von Schellings spätem Denken ist das Missverständnis Karl Jaspers’ nicht anders als irreführend zu nennen, Schelling zum Verkünder, ja Stifter einer neuen – eben der philosophischen Religion stempeln zu wollen. Vgl. ders., Schelling. Größe und Verhängnis, München 1955, z. B. S. 105: „Für die philosophische Religion nimmt Schelling das Außerordentlichste in Anspruch: Sie ist die wahre Religion und Philosophie. ‚Es ist nicht um diese oder jene Philosophie, es ist um die Philosophie selbst zu tun‘ (XIII, 31). Noch existiert die philosophische Religion nicht, aber Schelling ist sich gewiß, sie herbeizuführen.“; ferner S. 255: „Ob er eschatologische Unheilsgedanken ausspricht oder den Anbruch des neuen herrlichen Zeitalters der philosophischen Religion verkündet, er überspringt immer das Gegenwärtige, während er zum Nutzen gegenwärtiger Mächte sich zugleich mißbrauchen läßt.“; ähnlich S. 336: „Schelling will ein neues Zeitalter bewirken, das noch nicht da ist, sondern bevorsteht, das johanneische Zeitalter der philosophischen Religion.“ 25 HKE XI, 250 f.
Was heißt ‚philosophische Religion‘?
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Wir sehen, wie vorsichtig Schelling sich ausdrückt: Die philosophische Religion „könnte“ letztes Erzeugnis und höchster Ausdruck der vollendeten Philosophie selbst sein, vorausgesetzt es finde sich eine Philosophie, die „im Stande wäre, begreiflich zu machen, d. h. als möglich darzuthun“, was in allen bisher existierenden Religionen als ein reales Verhältnis des menschlichen Bewusstseins zu Gott erlebt wurde und als solches aus historischen und von der Philosophie ganz unabhängigen Gründen auch aufgefasst, d. h. historisch erkannt werden kann. Diese hier noch nicht gefundene Philosophie könnte unmöglich eine logisch (heute sagt man: ‚inferentiell‘) durch den Zusammenhang der Begriffe konsistent errichtete Theorie sein. Denn die könnte niemals ein reales, sondern eben nur ideales Verhältnis zwischen Gott, Welt, Seele, Freiheit usw. errichten und unterläge, was ihren Erkenntniswert betrifft, im Übrigen längst der philosophischen Kritik. Und wäre auch die Kritik an einer solchen ihre Begriffe logisch verkettenden Philosophie ihrerseits wieder gegenkritisch anzufechten, so wäre die Verteidigte doch jedenfalls nicht fähig, begreiflich zu machen, wie auf eine geschichtlich (nicht logisch) verknüpfte Weise ein reales Verhältnis der äußeren Welt mit dem Gott bestanden haben könnte, auf den sie sich nur in idealen Begriffen zu beziehen vermag. Der etwas frühere Schelling, wo er erst anfängt, über die Möglichkeit einer wahrhaft geschichtlichen Philosophie nachzudenken, hat ein, wie ich finde, schlagendes Argument dafür entwickelt, und zwar in der durch die Nachschrift von Helmes erhaltenen Grundlegung der positiven Philosophie: „Gleich im Beginn unseres Vortrags wurde bemerkt, dass die Metaphysik oder die eigentliche Philosophie die wesentlichen Teile ihres Gegenstandes: Gott, Welt, menschliche Seele, Freiheit p.p. mit der Religionslehre gemein hat. Es wurde aber zugleich damals schon aufmerksam gemacht auf die große Kluft, welche bis jetzt die philosophischen Systeme von der religiösen Lehre getrennt hat. Jene kennen und wollen bloss einen logischen Zusammenhang zwischen Gott, Welt und Seele. Diese dagegen behauptet einen geschichtlichen. Eine Philosophie, die diesen bloss logischen Charakter nicht überwunden hat, kann also sich von der religiösen Lehre nur durch den Inhalt unterscheiden. Sie kann nicht vorgeben, sie unterscheide sich dadurch von jener, dass sie denselben Inhalt als einen begriffenen enthalte, während ihn jene als einen unbegriffenen enthalte. Dies vorzugeben ist unmöglich, denn wenn der Zusammenhang ein logischer ist, so ist der geschichtliche eine blosse Fiktion. Hieraus erhellt, dass alle bisherige Philosophie den Inhalt der religiösen Lehre eigentlich ganz außer sich gelassen und dass es, gleichviel ob eine bewusste oder unbewusste, Unwahrheit ist, wenn die logische Philosophie vorgibt, jenen Inhalt begriffen zu haben. Eine Möglichkeit, sich den Inhalt der religiösen Lehre als einen begriffenen zuzuschreiben, würde für die Philosophie erst dann entstehen, wenn sie in sich selbst zu einem geschichtlichen Standpunkt gelangt ist.“26 26 F. W. J. Schelling, Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vorlesung WS 1832/33 und SS 1833, hg. u. komm. v. H. Fuhrmans, Turin 1972 (= GPP), 369.
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Wenn der Zusammenhang der metaphysischen Sachen (Gott, Welt, menschliche Seele, Freiheit) ein logischer ist, so ist der von der Religion beanspruchte geschichtliche Zusammenhang eine bloße Fiktion! Ihre geschichtliche Verknüpfung miteinander und eine geschichtliche Zusammenhangsbildung zwischen ihnen ist essentiell verschieden von logischer oder begrifflicher (inferentieller) Zusammenhangsbildung. Wer wollte das bestreiten? Da jedoch die geschichtliche Konnektivität der betrachteten Gegenstände wesentliches Element des Inhalts von Religion ist, deshalb habe sich die Philosophie entgegen allem Anschein bisher noch nie mit dem eigentlichen Lehrgehalt der Religion befasst, sondern lasse ihn in seinem Charakteristischen völlig außen vor. Die einzige Abhilfe, die diese Lage bessern und so zu einer „Versöhnung“ (so der Ausdruck Schellings ebd.) von Philosophie und Religion führen könne, wäre folglich die, dass die Philosophie lerne, eine geschichtliche Konnektivität der Gegenstände im Denken und seinen Termini gleichsam nachzustellen und gedanklich auszuführen. Das wiederum hieße, dass die Philosophie „zu einem geschichtlichen Standpunkt gelangt“. Wie soll das vor sich gehen?27 Das philosophische Denken müsste selbst geschichtsartig fortschreiten, geschichtsartige Anschlüsse, Übergänge, Konfigurationen, Stränge und Tendenzen aufbauen, anknüpfen und phänomenal verdichten, die von den gleichen Gesetzen und Triebkräften gelenkt werden wie die Sachen, die es in Betracht zieht. Die geschichtliche Weise der Verknüpfung und Konnektivität von Handlungen, Strömungen, Tendenzen und Kräften ist mit Schellings Ausdruck gewebeförmig: „das große räthselhafte Gewebe, das wir Geschichte nennen“.28 So muss auch das philosophische Denken eine solche Gewebeform annehmen, und das heißt, vor allem die Elemente darin aufsuchen und beachten, die dem Gewebe Halt, Zugfestigkeit und bestimmte Musterung geben. Das ist es, woran der späte Schelling arbeitet, und man kann nicht sagen, dass es ihm gar nicht gelungen sei; auch nicht, dass dies nicht eine ins 20. Jahrhundert und bis in die heutige Zeit vorausweisende Art des Geschichte und Kulturphänomene erfassenden 27
Einer der wenigen, die Schellings spätes Denken unter der selbstgestellten Aufgabe, in sich als Denken geschichtsartig zu werden, beschrieben haben, ist A. Hutter, Geschichtliche Vernunft. Die Weiterführung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, Frankfurt a. M. 1996; vgl. a. a. O., 306: „Der allgemeine Begriff, dessen Zuständigkeit für die Erkenntnis des geschichtlichen Geschehens […] bestritten wird, will die Entwicklung ‚gleichsam auf einmal‘ erfassen. […] Ihmzufolge ist der allgemeine Begriff sozusagen stets ‚über‘ dem Geschehen, das er zu fassen versucht, wohingegen ein Verständnis der Geschichte, das wirklich verstehen, d. h. die Wirklichkeit des Geschehens verstehen will, sich in das Geschehen selbst hineinbegeben muß.“ 28 HKE XI, 229.
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Denkens sei. Schelling spricht diese Gleichheit des philosophischen Denkens mit dem geschichtlichen Profil der betrachteten metaphysischen Sachverhalte einmal selbst sehr klar aus: „Wer aber seine Philosophie nicht dahin erweitern kann, daß sie dem Gegenstande gleich – auf derselben Höhe mit ihm steht – so daß er im Stande ist eine Theorie aufzustellen, die zugleich ganz wissenschaftlich und ganz geschichtlich, ganz empirisch und ganz philosophisch ist, sollte sich überhaupt bescheiden eine solche aufzustellen. Eine Theorie, welche die mythologischen Vorstellungen nur in ihrer Vereinzelung und nur ohngefähr erklärt, ohne ihren ebenso tiefen, als weitreichenden Zusammenhang zu zeigen, und ohne sie in ihrer Bestimmtheit wiederzugeben, zeigt sich schon dadurch als weder wahrhaft geschichtlich, noch wahrhaft wissenschaftlich. […] Das wahrhaft Geschichtliche besteht darin, daß man den in dem Gegenstand selbst liegenden, also den innern, objektiven Entwicklungsgrund auffindet; sowie aber dieses Princip der Entwicklung im Gegenstand selbst gefunden ist, müssen dann alle vorgreifenden, eignen Gedanken gleichsam verleugnet werden; von nun an muß man bloß dem Gegenstand in seiner Selbstentwicklung folgen.“29
Dies bedeutet aber keinesfalls, dass das philosophische Denken die religiösen Geschichten nur nacherzählt! Das wäre mehr als naiv. Vielmehr erbaut sich Denken immer aus Allgemeinbegriffen, sucht als philosophisch oder wissenschaftlich engagiertes Denken immer nach ursächlicher Erklärung und reduktiver Analyse und muss immer bestrebt sein, gesetzmäßige Zusammenhänge aufzudecken. Aber es muss hier eben geschichtsanalytische Methodik entwickeln, geschichtsspezifische Allgemeinheit erzielen und geschichtsgerechte Gesetzmäßigkeit aufdecken. Die geforderte geschichtsanalytische Methodik führt den späten Schelling dazu, seiner Philosophie einen durchgängigen Experimental‑ und Erkundungscharakter zu geben. Alle Möglichkeiten werden probiert und zur Erschöpfung geführt, um so zu erkennen, was jeweils das Zielführende ist: „Wir sind jetzt weit genug vorgerückt, um auf das zurückzusehen, was uns zu dieser, von Schritt zu Schritt immer weiter verzweigten Untersuchung veranlaßt und bis zu dem Begriff der ersten Wissenschaft geführt hat. Obliegen wird uns nun zu ermitteln, wie diese rein rationale Philosophie (denn als eine solche stellte sie sich uns dar) zu der philosophischen Religion, zu jener Religion des Geistes sich verhalte, um die es uns zu thun war. Allein es wird unmöglich seyn, dieß zu zeigen, ohne zuvor Ausgang, Verlauf und Ende jener Wissenschaft wenigstens in den Hauptumrissen dargestellt zu haben. Denn wir kennen diese Wissenschaft bis jetzt selbst nur gleichsam a priori, nicht durch Erfahrung. Vieles aber zeigt sich erst in der Ausführung, manches enthüllt sich nur dem wirklichen Versuch, wovon voraus kein Begriff zu geben war. Es muß versucht und erfahren werden: gilt auch bei dieser, wenn gleich apriorischen Wissenschaft.“30
29 30
PM XII, 138. DRP XI, 386.
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Der philosophische Weg des Schellingschen Spätsystems hat also durchwegs den geschichtlichen Versuchs‑ und Experimentalcharakter: Von der Historisch-kritischen Einleitung, die uns die philosophische Religion „gleichsam apriori“ bekannt macht, über die Darstellung der reinrationalen Philosophie, welche uns im Zuge ihrer Durchführung auf den Stand der positiven Philosophie hievt (d. h. uns mit den geeigneten philosophischen Mitteln ausstattet, um den theogonischen Prozeß begreiflich zu machen), bis hin zur philosophischen „Verfolgung“ der Vermittlungskette der wirklichen Religionen, durch welche am Ziel und Ende die philosophische Religion als ein mehrfach vermitteltes Drittes zur Existenz kommen soll – ein einziges Experiment, d. h. versuchen und „erleben“ und „vollbringen“ aufgrund der immer gleichen und universalen Potenzen/Faktoren des Geistes zugleich in den Sachen und im Denken der Sachen. Die Allgemeinheit geschichtlicher Formationen und Zusammenhänge führt Schelling dabei nicht auf die Allgemeinheit der logischen Begriffe, die wir im bloßen Denken einsetzen, zurück31, sondern, wie oben beschrieben, auf die Gleichförmigkeit des menschlichen Bewusstseins, das gar nicht in erster Linie Denktätigkeit ist, sondern sich mitverfolgende Einstellung zum eigenen Leben, seinem Verlauf und seiner Herkunft und den damit verbundenen Erwartungshorizonten, was Schelling als einer der ersten mit dem Wort „erleben“ bezeichnet.32 Weil also das erlebende „Bewusstsein der Menschheit“ hohe Gleichförmigkeit aufweist, besitzen die geschichtlichen Gewebe und Formationen ein hohes Maß an Stabilität und Verbreitung. Die mythologischen Gestaltungen sind wiederum nur ein überlieferter Ausdruck davon. Aber noch mehr: Schelling geht m. E. mit Recht davon aus, dass die im menschlichen Bewusstsein hinreichend universell auftretenden Gestalten und Vorstellungen gewisse tieferliegende „Ursachen“ haben33, die nicht selbst wiederum Vorstellungen und erlebtes Bewusstsein sind, sondern „Mächte“, wie er sie nennt, oder „Gewalten“ und Kräfte („Potenzen“), also „reelle Universalien“34, die von den intentionalen Ausgeburten des 31 Allgemeinbegriffe, sofern sie sachlich triftige und wahre Erkenntnis in einem wissenschaftlichen Gebiet abwerfen sollen, müssen eine reale Basis ihrer Allgemeinheit in dem untersuchten Sachgebiet haben. So hat die Allgemeinheit der naturwissenschaftlichen Erkenntnis ihre Basis in der Kausalität; und die Allgemeinheit der geschichtlichen Erkenntnis ihre Basis in den Bauprinzipien und Verbreitungsmechanismen menschlichen Bewusstseins über personale Verbünde und Generationen hinweg. 32 HKE XI, 198. 33 PM XII, 127; 670. 34 PM XII, 115.
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menschlichen Bewusstsein und seinen Vorstellungen deshalb unabhängig sind, weil sie ihm vielmehr ursächlich zugrunde liegen.35 Es handelt sich um Ursachen oder Faktoren nicht in den intentionalen Vorstellungen, sondern des menschlichen Bewusstseins selbst, das solche und andere Vorstellungen erst hervorbringt. „Wir haben in den früheren Vorträgen gezeigt, daß die Mythologie eine ganz andere Objektivität ist, als irgendein wissenschaftliches oder religiöses System. Wir haben sie für ein in seiner Art ebenso reales, nothwendiges und allgemeines Phänomen erkannt, als die Natur ist. Der theogonische Proceß, in dem sie entsteht, erfolgt nicht nach einem besonderen Gesetz des Bewußtseyns, sondern nach einem allgemeinen, wir können sagen, nach einem Weltgesetz – er hat kosmische Bedeutung; sein Inhalt ist daher ein allgemeiner, seine Momente sind wahrhaft objektive Momente, seine Gestalten drücken nothwendige und in diesem Sinne nicht bloß vorübergehende, sondern immer bleibende Begriffe aus. Der theogonische Proceß ist selbst ein allgemeiner Begriff, d. h. dem auch unabhängig von dem menschlichen Bewußtseyn Bedeutung zukommt.“36
Die Gesetze dieser Ursachen und Gewalten, denen unser menschliches Bewusstsein unterworfen ist, und die es insofern nicht wiederum als seine bloßen Vorstellungen fingiert, versucht Schelling in seinem Unternehmen ‚Philosophie der Mythologie und Offenbarung‘ zu ermitteln und herauszustellen. „Erzeugnisse eines vom Denken und Wollen unabhängigen Processes, waren sie für das ihm unterworfene Bewußtsein von unzweideutiger und unabweislicher Realität.“37 Insgesamt also ein hochreflektiertes, methodisch veranstaltetes Unterfangen, wenn auch keine reinrationale, die Begriffe logisch verknüpfende Philosophie. Also nur eine Philosophie, die in der Lage wäre, all das religiöse Chaos, das die Menschheit durch die Geschichte begleitet, so zu ordnen, zu analysieren und ursächlich zu verknüpfen, dass die Möglichkeit eines realen Verhältnisses zu Gott begreiflich wäre, ohne von Vernunft, Philosophie und Wissenschaft sofort der Unwahrheit überführt zu werden, nur eine solche Philosophie öffnete eine Tür zur philosophischen Religion – wie schon einmal zitiert:
35 PM XII, 127: „Nach allem diesem sind wir nun also berechtigt, die Mythologie zu erklären als Erzeugniß eines Processes, in den das Bewußtseyn des Menschen im ersten Uebergang zur Wirklichkeit verwickelt wird, eines Processes, […] den es in der Schöpfung auf einer früheren Stufe zurückgelegt hatte, daher denn dieser Proceß, gleich seinem Princip, oder seinem Grunde – ebensowohl als seinen Ursachen nach ein realer, objektiver, dennoch nur im Bewußtseyn verläuft, also auch zunächst nur durch Veränderungen dieses Bewußtseyns sich kundgibt, die sich als Vorstellungen verhalten.“ 36 PM XII, 4. 37 HKE XI, 194.
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„[…] so dürfen wir wohl fragen, wo die Philosophie sich finde, die im Stande wäre, begreiflich zu machen, d. h. als möglich darzuthun, was wir in der Mythologie, und mittelbar auch in der Offenbarung, erkannten – ein reales Verhältniß des menschlichen Bewußtseyns zu Gott.“38
Schelling identifiziert diese Philosophie mit seiner „positiven Philosophie“, die er zugleich eine wahrhaft „geschichtliche“ Philosophie nennt. Deren Verknüpfungsart und Weise der Fortentwicklung von Begriffen ist selbst von der Art wie der geschichtliche Zusammenhang, sofern man diesen zuvor nach seinen wahren Faktoren, Gesetzen und Ordnungen analysiert hat. Damit erhellt als achte These die ohnehin bekannte Behauptung Schellings: Nur gestützt auf eine positive Philosophie, die den geschichtlichen Gesamtzusammenhang des theodesmotischen Prozesses des menschlichen Bewusstseins als einen geschichtlichen in einen seiner realen Möglichkeit nach zugleich begreiflichen (und nicht vielmehr unbegreiflichen, erratischen, phantastischen) zu überführen vermag, „könnte“ philosophische Religion als „letztes Erzeugnis und höchster Ausdruck“ von deren Vollendung entstehen.39 Beständig und für die Sache wesentlich bleibt es in diesem Unternehmen bei einer Spannung zwischen dem als geschichtlich zu behauptenden Realzusammenhang mit Gott einerseits und begreiflicher Möglichkeit dieses 38 HKE
XI, 250. muss insofern ein gewisses Misstrauen walten lassen in Bezug auf die Authentizität des Satzes in der 24. Vorlesung der DRP, welche bereits mit dem Beginn der positiven Philosophie ein „entstehen“ der philosophischen Religion „erwartet“: „Mit dem Uebertritt in die positive Philosophie kommen wir erst in das Gebiet der Religion und der Religionen, und können auch jetzt erst erwarten, daß uns die philosophische Religion entsteht, um welche es bei dieser ganzen Darstellung zu thun ist, d. h. die Religion, welche die wirkliche Religionen [sic!], die mythologische und die geoffenbarte, reell zu begreifen hat1, wobei nun auch am besten einzusehen, daß was uns philosophische Religion heißt mit der sogenannten Vernunftreligion nichts gemein hat“ (XI, 568 f.). Abgesehen von einem dem alten Schelling nicht ähnlich sehenden schlechten Satzbau („wobei nun auch“) handelt es sich um eine ziemlich brave, aber gedanklich fehlerhafte Montage von Versatzstücken Schellingscher Originalrede zum Thema, deren anderweitiges Vorkommen durch Nachweis in der Fußnote „1“ auch getreulich belegt wird; dabei unterlief der die komplizierten Verhältnisse simplifizierende Fehler, dass die philosophische Religion schon mit dem „Uebertritt in die positive Philosophie“ erwartbar „entsteht“ (anstatt als höchst möglicher Ausdruck ihrer vorerst nicht zu erzielenden Vollendung zu firmieren – s. HKE XI, 250); zudem ist der zweimalige Plural „Religionen“ verdächtig, weil Schelling zu allermeist Religion im Singular verwendet; drittens wechselt die Autorenrede von ‚ich‘ („Am Ende der negativen Philosophie habe ich nur mögliche Religion, nicht wirkliche“, DRP XI, 568) zu einem den Leser einschließenden ‚wir‘ und gar einem zurückgenommenen ‚uns‘ – denen, durch die vorgelegte positive Philosophie Schellings, nunmehr solche Segnungen zuteil werden können. 39 Man
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Zusammenhangs andererseits. Jedoch ist eine umso größere Ausdehnung der begreiflich machenden Möglichkeit auf alle wirklichen Religionen und alle historische Forschung und allen Fortschritt der Wissenschaften immerhin nicht das schlechteste Argument für die Wahrheit einer Hypothese. „[…] und so sehen wir wohl, daß jener Erweis ein durch die gesammte Wirklichkeit und durch die ganze Zeit des Menschengeschlechts hindurchgehender ist, der insofern nicht ein abgeschlossener, sondern ein immer fortgehender ist, und ebenso in die Zukunft unseres Geschlechts hinausreicht, als in die Vergangenheit desselben zurückgeht. In diesem Sinne vorzüglich auch ist die positive Philosophie geschichtliche Philosophie.“40
Doch damit ist auch klar, dass dieser noch schwebende epistemische Zustand der positiven Philosophie niemals als solcher eine Religion heißen kann. Dies verweist uns zurück auf die erste These, dass positive Philosophie und philosophische Religion unmöglich identisch sein können. Allein das denkende Individuum, allein die Person, die jenen einstweiligen Erweis fortführt, ohne sich der Unbegreiflichkeit eines credo quia absurdum in die Arme werfen zu müssen, könnte nach Schelling ein Anhänger der philosophischen Religion an dritter Stelle sein.
Nachbemerkung Aus den herausgearbeiteten acht Thesen zur Bedeutung der „philosophischen Religion“ beim späten Schelling lässt sich ein neues, bislang noch gar nicht diskutiertes Modell für eine konsistente Vereinbarkeit vieler Religionen bei gleichzeitiger Wahrung der absoluten Geltungsansprüche einer jeden entwickeln. Ein Modell, das weder identisch ist mit einem bloß neutralen ‚Pluralismus‘ der Religionen (bei Stutzung ihrer überzogenen Geltungsansprüche) noch mit dem zu Toleranzeinbußen neigenden ‚Exklusivismus‘ der je eigenen Religion noch auch dem philosophisch beliebten, wenn auch in der Sache von den inkludierten Religionen selbst aus betrachtet notwendig problematisch bleibenden ‚Inklusivismus‘. Vielmehr kombiniert das neue Modell Schellings tatsächlich in einer rational kontrollierten Form alle drei bekannten Modelle miteinander: Pluralistisch ist das von Schelling vorgeschlagene Modell insofern, als es ausdrücklich jeder „wirklichen Religion“ zubilligt, „dem letzten Inhalt“ und damit absoluten Anspruch nach „keine Verschiedenheit“ voneinander zu haben41, sondern in der Menschheitsgeschichte sowohl diachron als auch synchron 40 41
DRP XI, 571. HKE XI, 249.
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mit gleichen Rechten ‚Religion‘ im vollen Sinne des Wortes zu sein. ‚Exklusivistisch‘ ist mithin dasselbe Modell zu nennen, weil jeder Religion als eben Religion ein unüberbietbar absoluter Geltungs‑ und Wahrheitsanspruch zuzuerkennen ist, der sich in Konkurrenz weiß mit allen anderen Religionen, die nicht ebenso wahre Religion sein können wie die eigene.42 ‚Inklusivistisch‘ hingegen verhalten sich alle wirklichen Religionen zur ausdrücklich „nicht existierenden“ philosophischen Religion, die allein auf Basis einer vollendet ausgeführten positiven Philosophie möglich wäre und dabei alle anderen wirklichen Religionen „reell begreifen“ würde, d. h., wie deutlich geworden, auf der Grundlage ihrer bewusst gemachten geschichtlichen Verkettung zu der erst durch sie möglich gewordenen Kulmination in wahrer Gottesverehrung bringen könnte. Da nun ausdrücklich keine der bis dato wirklichen Religionen philosophische Religion in diesem Sinne ist, wird einstweilen keine von irgendeiner anderen Religion inklusivistisch überboten, obwohl positiv philosophisch (d. h. nach rationalen Standards in philosophischen Begriffen und im Wege generell nachvollziehbarer Methodik) daran gearbeitet wird, den einzelnen wirklichen Religionen einen bestimmten Stellenwert, Schelling sagt: eine bestimmte „Bedeutung“43 innerhalb des geschichtlichen Wegs der Menschheit zur Anbetung des wahren Gottes im Vollbewusstsein dessen, was man da tut, auf rechtfertigungsfähige Weise zuzuerkennen. Der rationalen Rechtfertigung fähig ist dieser Stellenwert mit Blick auf die geschichtliche Gestalt einer Religion aber nur unter philosophischen Gesichtspunkten, die einer allgemeinen Diskutierbarkeit unterliegen, nicht etwa unter Gesichtspunkten irgendeines religiösen Standpunktes, der zwar für sich selbst zu Recht Höchstgeltung, aber nicht mit gleicher Legitimität für andere Religionen eine nur geringere oder vorläufigere Geltung beanspruchen würde. Man könnte dieses Schellingsche Modell einer mehrfach fundierten Integration religiös kollidierender Absolutheitsansprüche der Religionen m. E. treffend als ‚virtuellen Kontributionismus‘ aller wirklichen Religionen bezeichnen. Denn alle haben zwar den gleichen absoluten Geltungsanspruch, leisten aber kraft ihrer je eigenen geschichtlichen Artikulation und Selbstausformung unterschiedliche Beiträge oder Marksteine zu einer Wegbereitung in Richtung auf den hinausgerückten und insofern virtuell bleibenden Fokus 42 Da ‚wahre Religion‘ das Wahrheitsprädikat nicht auf den verehrungswürdigen Inhalt der Religion bezieht, sondern auf die Art und Weise seiner Verehrung, kann die Vielfalt wahrer Religionen absolut betrachtet logisch zusammenbestehen mit der von Schelling behaupteten Nichtverschiedenheit ihres letzten Inhaltes, der einer jeden Religion den unüberbietbar absoluten Wahrheitsanspruch sichert. 43 HKE XI, 249.
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der philosophischen Religion. Da dem virtuellen Kontributionismus zufolge keine wirkliche Religion zu Recht die Lizenz besäße, den anderen einen herabgeminderten Platz gegenüber dem eigenen absoluten Geltungsanspruch anzuweisen, empfiehlt sich meiner neunten These nach Schellings Konzept einer maximal toleranten Vereinigung der Vielfalt von Religionen ohne Preisgabe ihres absoluten Geltungsanspruchs als die wirkliche Religion, die sie jeweils ist, für die heutige Debatte der Religionstheologie an vorderster Stelle.
Literaturverzeichnis Franz, A., Philosophische Religion. Eine Auseinandersetzung mit den Grundlegungsproblemen der Spätphilosophie F. W. J. Schellings, Amsterdam / Atlanta 1992. Fuhrmans, H., „Dokumente zur Schellingforschung IV. Schellings Verfügung über seinen literarischen Nachlaß“, Kantstudien 51 (1959/60), 14–26 (= NLV). Hutter, A., Geschichtliche Vernunft. Die Weiterführung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, Frankfurt a. M. 1996. Jaspers, K., Schelling. Größe und Verhängnis, München 1955. Schelling, F. W. J., Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vorlesung WS 1832/33 und SS 1833, hg. u. komm. v. H. Fuhrmans, Turin 1972 (= GPP). Schelling, F. W. J., Sämmtliche Werke, hg. v. K. F. A. Schelling, Bde. I–XIV, Stuttgart 1856– 1861 (= I–XIV). Schelling, F. W. J., Urfassung der Philosophie der Offenbarung, hg. v. W. E. Ehrhardt, Hamburg 1992.
IV. Wirkungsgeschichtliche und systematische Verbindungen
Die Idee der Religion und die Wirklichkeit der Religionen Friedrich Brunstäds Rezeption des deutschen Idealismus und die Religionsgeschichte Christoph Schwöbel Friedrich Brunstäd gehört zu den vergessenen Philosophen und Theologen des 20. Jahrhunderts.1 Seine philosophische und theologische Arbeit, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einige Aufmerksamkeit auf sich zog, ist von Koordinaten bestimmt, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst eine eher periphere Rolle spielten: die kritische und konstruktive Aufnahme der Denktraditionen des deutschen Idealismus und die Herausarbeitung der Konturen eines modernen Luthertums, das die kritische Philosophie als Weiterführung der Impulse der Reformation versteht. In markanter Zuspitzung formuliert: „Der Idealismus in seiner Charakteristik vom Erkenntnisprobleme aus ist erläuterndes Weiterdenken aus reformatorischem Geiste.“2 Für eine an die Traditionen des deutschen Idealismus kritisch anknüpfende religionstheoretische Arbeit ist Brunstäd nicht nur als ein Exponent der theologischen Idealismusrezeption im 20. Jahrhundert ein interessanter Gesprächspartner, sondern vor allem deshalb, weil er die Bemühung um den Religionsbegriff und die Besinnung auf die Religionsgeschichte unter nach-idealistischen Bedingungen mit der philosophischen und theologischen Grundlagenreflexion verknüpft. Die beiden Fragen: „Welches Religionsverständnis kann der geschichtlich dokumentier1 Als solcher ist Brunstäd in dem Band Vergessene Theologen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Studien zur Theologiegeschichte, hrsg. von Eilert Herms und Joachim Ringleben, Göttingen 1984, porträtiert worden. Joachim Ringlebens Studie „Über die Anfänge von Friedrich Brunstäd. Eine theologiegeschichtliche Erinnerung“, a. a. O., 77– 103, ist der ergänzte Wiederabdruck der schon in NZSTh 24/1 (1982), 71–93, unter dem gleichen Titel publizierten Arbeit. 2 Friedrich Brunstäd, „Reformation und Idealismus“ (1925), in: Friedrich Brunstäd, Gesammelte Aufsätze und kleinere Schriften, hrsg. von Eugen Gerstenmaier und Carl Gunther Schweitzer, Berlin 1957 (= GA), 77–97.
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ten und gegenwärtig erfahrenen Vielfalt der Religionen gerecht werden?“ und: „Welche Form philosophischer und theologischer Reflexion erweist sich dem Problem der religiösen Erfahrung gegenüber als angemessen?“ sind für Brunstäd ursprünglich miteinander verbundene Fragen. Auch darin erweist er sich als Erbe der Religionsphilosophie des deutschen Idealismus. Die Frage nach der Religion und ihrer begrifflichen Bestimmung angesichts der Vielfalt der religiösen Erscheinungsformen in Geschichte und Gegenwart ist mit den Fragen nach dem Ganzen der Wirklichkeit, ihres Grundes, ihrer Strukturen und ihrer Zielbestimmung, die sich bei Brunstäd im Gefolge Kants immer zunächst als Fragen nach der Erkenntnis der Wirklichkeit stellen, aufs engste verbunden, weil die Religion dazu nötigt, letzte Fragen nach Grund und Ziel der Wirklichkeit zu stellen. Sie wirft sie auf, indem sie Antworten anbietet. Die Aufgabe der Reflexion darüber, welche Validität diese Antworten haben, ist identisch mit der Aufgabe philosophischer Grundlagenreflexion überhaupt. Die Religion erscheint also nicht als ein Gebiet, dem sich die Philosophie unter anderen widmen kann, sondern ist im Gefüge der Gegenstandsbereiche und Vollzugsformen philosophischer Reflexionen der Bereich, in dem es um die Grundlagen menschlicher Wirklichkeitserkenntnis sowohl hinsichtlich ihres Grundes als auch hinsichtlich ihrer Vollzugsformen geht. Die Zentralität und Brisanz, die die Fragen der Religionsphilosophie für die Philosophie des Idealismus haben, wird in Brunstäds Auseinandersetzungen mit der Idee der Religion weitergeführt.
1. Von der Philosophie zur Theologie In Brunstäds Lebens‑ und Denkweg verlangt sein Übergang von der Philosophie zur Theologie besondere Aufmerksamkeit, ein Weg, der etwa von Heinrich Scholz ungefähr zur selben Zeit in umgekehrter Richtung gegangen wurde. Brunstäd, am 22. 7. 1883 als Sohn eines Möbelfabrikanten in Hannover geboren, studierte nach dem Abitur zunächst von 1901 bis 1902 ein Jahr in Heidelberg, dann von 1902 bis 1907 in Berlin. Der Breite seiner Studien in Philosophie, Theologie, Staatswissenschaften, Romanistik, Anglistik und Germanistik entspricht die Vielzahl seiner akademischen Lehrer, zu denen Kuno Fischer, Adolph Lasson, Wilhelm Dilthey, dessen Nachfolger in Berlin, Alois Riehl, Hans Delbrück und Reinhold Seeberg gehören. In seiner ersten Publikation mit dem Titel Über die Absolutheit des Christentums3 setzte sich Brundstäd mit Ernst Troeltschs Die Absolutheit des Chris3
Friedrich Brunstäd, Über die Absolutheit des Christentums, Leipzig 1905.
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tentums und die Religionsgeschichte von 1901 auseinander. Der Vorwurf, Troeltsch habe Hegel missverstanden und seine Kritik sei deswegen ebenso verfehlt wie seine konstruktiven Alternativvorschläge, steht im Zusammenhang mit einer intensiven Beschäftigung mit Hegels Geschichtsphilosophie, die ihren Niederschlag in der von Brunstäd besorgten Ausgabe von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, mit einer langen Einleitung und Anmerkungen versehen, in Reclams Universalbibliothek findet. 1909 wurde er in Berlin mit einer Arbeit mit dem Titel Untersuchungen zu Hegels Geschichtstheorie I. zum Dr. phil. promoviert. 1911 erfolgte die Habilitation in Erlangen mit der Studie Beiträge zum kritischen Erkenntnisbegriffe. Im Sommersemester 1912 beginnt er seine Vorlesungstätigkeit in Erlangen. 1917 wird er zum außerordentlichen Professor ernannt. Während des Ersten Weltkriegs war Brunstäd, da er wehruntauglich war, Verwalter eines Lazarettzugs des Roten Kreuzes und Delegierter des Roten Kreuzes bei einem Armeestab. In den Anfangsjahren der Weimarer Republik erscheint sein Hauptwerk Die Idee der Religion. Prinzipien der Religionsphilosophie (1922). Ansonsten dominieren politische und staatsphilosophische Themen in seinen publizierten Vorträgen. Diese Arbeiten stehen im Zusammenhang seiner politischen Tätigkeit bei der DNVP, deren Vorstand er zeitweise angehörte, bis er auf Grund des Einflussgewinns Hugenbergs in der DNVP alle Parteiämter niederlegte. Der Haupteinsatz Brunstäds in den Jahren der Weimarer Republik galt der Gründung und Leitung der evangelisch-sozialen Schule des Johannesstifts in Berlin-Spandau (1922–1934), hierin vor allem den evangelischsozialen Zielen Adolph Stoeckers verpflichtet. 1925 wurde Brunstäd als Nachfolger von Paul Althaus auf den Lehrstuhl für systematische Theologie in Rostock berufen. Karl Barth hat das im Zusammenhang mit der Berufung des Göttinger Privatdozenten Erik Peterson auf einen Lehrstuhl für Kirchengeschichte und Neues Testament nach Bonn bissig kommentiert: „Ist Friedrich Brunstäd als evangelischer Theologe nicht unmöglich, dann ist es Erik Peterson auch nicht. Darf man sich, ohne zu erröten zu Schleiermacher bekennen, dann auch zu Thomas von Aquino. Denn von Luther und Calvin liegen beide mindestens gleich weit ab.“4 Brunstäds Publikationen bleiben in den ersten Jahren in Rostock im wesentlichen auf politische und philosophische Themen, vor allem zur Systematik und Rezeption der Philosophie Hegels, konzentriert. Noch 1933 publiziert er 4 Karl Barth in dem Aufsatz „Kirche und Theologie“, ZdZ 4 (1926), 18–40, 20. Barths Urteil verrät seine Unkenntnis der eigentlichen Impulse sowohl Brunstäds als auch seines Göttinger Gesprächspartners Erik Peterson.
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die „Logik“ im Handbuch der Philosophie des R. Oldenbourg Verlags. Zum Antritt seines Rektorats vom 28. 2. 1930 bis zum 28. 2. 1931 an der Universität Rostock stellt sich Brunstäd mit einer eingehenden Erörterung zur „Theologie als Problem“ vor. Nach 1933 wird Brunstäd politisch heimatlos, konzentriert sich in seinen Publikationen zunehmend auf theologische Fragen und engagiert sich in der kirchlichen Arbeit in der Unterstützung des kirchenpolitischen Kurses des Hannoveraner Bischofs Marahrens. Friedrich Brunstäd stirbt nach längerer Krankheit am 2. November 1944 in Willershagen bei Gelbensande, wohin er nach der Zerstörung des Rostocker Hauses bei einem Bombenangriff verzogen war. 1951 erscheint auf Grund von Vorlesungsnachschriften seine Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, 1957 geben seine Schüler Eugen Gerstenmaier und Carl Gunther Schweitzer Gesammelte Aufsätze und kleinere Schriften heraus. Brunstäds Übergang von der Philosophie zur Theologie ist zwar durchaus als Resultat seiner philosophischen Arbeit zu begreifen, in der – wie er meinte, im Gefolge von Einsichten Hegels – die Reflexionsarbeit der Philosophie zur Gestaltungsaufgabe in Kirche und Staat drängt. Jedoch ist dieser Übergang kein Abschied von der Philosophie. Die philosophische Arbeit bleibt als Hintergrund und methodischer Leitfaden seines Engagements, ob in der Theologie oder in der politischen Theorie und Praxis, stets präsent.
2. Brunstäd und der „Neuhegelianismus“ Friedrich Brunstäd hat sich in seinen Schriften vielfältig zu Hegel geäußert. Die Artikel zu „Hegel“, „Hegelianismus“ und „Idealismus“ in der 2. Auflage der RGG entstammen seiner Feder, ebenso eine umfassende Darstellung Hegels in der Neuen Deutschen Biographie. Interessant an diesen unterschiedlichen Darstellungen ist, dass sie – bei aller Verschiedenheit des literarischen Genres – auf dem Verständnis Hegels fußen, das der vierundzwanzigjährige Student Friedrich Brunstäd in seiner Einleitung zur Edition von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte entworfen hatte und dass er in den akademischen Qualifikationsschriften im Blick auf die Hegelforschung (in der Dissertation) und im Blick auf Kant (in der Habilitationsschrift) ausgearbeitet hatte. Aus den Arbeiten zu Hegel tritt eine eigentümliche und eigenständige Form des Hegelverständnisses hervor, das Brunstäds religionsphilosophische Arbeit in der kritischen Anlehnung an Hegel und im konstruktiven Überschreiten dessen, was er als die Grenzen der Hegelschen Philosophie sah, charakterisiert. Brunstäd betont schon in seiner Dissertation, deren Referenten Alois Riehl und Wilhelm Dilthey
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waren, im Rahmen einer ausführlichen Reflexion auf die „Aufgabe und Methode der Hegelforschung“, dass sein Versuch der Hegeldeutung, „nicht auf eine repristinierende Erneuerung des Hegelschen Systems oder von Teilen desselben abgesehen ist, sondern auf eine Loslösung der Hegelschen Intentionen und Theorien aus ihrer zeitgeschichtlichen Fixierung und eine Neugestaltung mit den wissenschaftlichen Mitteln, die eine ganz veränderte geschichtliche Situation darbietet.“5 Entscheidend für diesen Versuch ist das Bemühen, Hegel nicht aus den kritischen Abgrenzungen zu Fichte und Schelling zu verstehen, wie es die philosophiehistorisch popularisierte Abfolge Fichte – Schelling – Hegel nahelegte, sondern Hegels Kritik an beiden als Zurückgehen zu der ursprünglichen Kantischen Problemstellung seines Philosophierens zu interpretieren. Für Brunstäds Interpretation „Hegels im Lichte Kants und Kants im Lichte Hegels“6 ist es charakteristisch, dass er es als „Verhängnis für die Hegelsche Philosophie“ betrachtet, „daß das, was Fichte und Schelling gegenüber der Sache nach ein Wurzeln in Kant und ein Zurückgehen auf Kant war, sich in der Form einer immanenten Kritik Fichtes und Schellings vollzog und sich dadurch in seinen Prämissen mit dem Mißverhältnis Fichtes und Schellings Kant gegenüber belastete“.7 Programmatisch heißt es darum einige Seiten später in der Dissertation: „Unser Hegelianismus ist eigentlich nur eine Spielart von Kantianismus und steht und fällt mit den Fundamentaltheorien der kritischen Transzendentalphilosophie.“8 Brunstäd verweist in diesem Zusammenhang auf die „Einleitung“ zu seiner Ausgabe von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, die er bei Reclam vorgelegt hat.9 Dort vertritt Brunstäd in Bezug auf die Genese von Hegels Philosophie eine Zwei-Quellen-Theorie:
5 Fritz (sic) Brunstäd, Untersuchungen zu Hegels Geschichtstheorie I. (Einleitung: Aufgabe und Methode der Hegelforschung), Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde genehmigt von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin: Universitätsdruckerei von Gustav Schade (Otto Francke), 1909 (= Hegels Geschichtstheorie), 41. 6 So die treffende Formulierung bei Eckhard Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie von Albrecht Ritschl bis zur Gegenwart. Bd. 2: 1918–1945, Göttingen 2004, 65. 7 F. Brunstäd, Hegels Geschichtstheorie, 24. 8 Ebd., 43. 9 Ebd., 43, Anm. 41: „Eine äußerst gedrängte programmatische Skizze des Gedankengangs, der diesen Untersuchungen zur Hegelschen Geschichtstheorie zugrunde liegt, habe ich in Einleitung und Anmerkungen zu meiner Ausgabe von Hegels Geschichtsphilosophie in Reclams Universal-Bibliothek geliefert.“
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„Zwei Dinge sind es gewesen, die dem Hegelschen Denken und System Ursprung gegeben haben: das eine ist die Kantische Philosophie wesentlich als Disziplin der praktischen Vernunft, das andere ist die Betrachtung der geschichtlichen Wirklichkeit, sowohl in ihrer politischen Ausdrucksform als auch besonders in ihrem eigentümlichen Leben, in der Religionsbildung.“10
Die Betrachtung der geschichtlichen Wirklichkeit, die Hegel, nach Brunstäds Sicht der „Theologischen Jugendschriften“, vor allem in der Auseinandersetzung mit den Ergebnissen und Methoden der historischen Theologie zur Aufgabe wurde, führt zu der Frage, welche konstitutiven Elemente von begrifflicher Allgemeingültigkeit der Geschichte zugrunde liegen, die zugleich die „Geltung der historischen Inhalte und Daten der positiven Religion“11 abzuleiten erlauben und eine „systematische Einheitsbeziehung aller Geschichtlichkeit“ erkennen lassen. Im Blick auf diese Frage führt die Betrachtung der Philosophie Kants zu einem kritischen Ergebnis. Zwar teilt Hegel nach Brunstäd den Ansatz der Philosophie Kants in der Frage „Was heißt überhaupt Beziehung auf einen Gegenstand?“ und er stimmt auch der Antwort auf diese Frage im Aufweis der Synthesis a priori zu, er kritisiert aber nach Brunstäds Interpretation einerseits, dass im Bereich der theoretischen Vernunft die Frage und ihre Beantwortung auf das Gebiet der Natur beschränkt bleibe, andererseits im Bereich der praktischen Vernunft die Frage im Aufweis eines formalen Prinzips stecken bleibe, ohne dass ihre Realisierung in bestimmten Inhalten weiter reflektiert worden sei. Nach Brunstäd zeigt sich: „Hegel fordert noch eine andere Art der Art synthetischer Urteile a priori, als Kant von vornherein in Betracht gezogen hatte, und zwar eben auf Grund der allgemeinen Bedingung, an die Kant überhaupt im Verlaufe seiner Kritik die Möglichkeit derartiger Urteile gebunden im Recht knüpfte; er fordert den Nachweis einer gegenständlichen Beziehung der Vernunft, weil sonst die Aufgabe, die dieser im Kantischen System zufällt, nicht gelöst werde.“12
Die Einheitsbeziehung der Form auf ihre Erfüllung, die den Gegenstand konstituiert, muss also über den Naturzusammenhang ausgedehnt werden und erlaubt erst so die Einheitsbeziehung der Vernunft in der Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft angemessen zu erfassen. Diese gegenstandskonstitutive Einheitsbeziehung aufgewiesen zu haben, ist nach Brunstäd das Verdienst Hegels: F. Brunstäd, Vorrede des Herausgebers zu G. F. W. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Leipzig 1907. 11 Ebd., 13. 12 Ebd., 14–15. 10
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„Es ist nun Hegels eigentümliche Leistung, daß er für die praktische Vernunft, deren System nicht in der Form des theoretischen oder Naturzusammenhanges nach Gesetzen und Regeln (die sich auf Anschauungen beziehen müßten) möglich ist, eine besondere Erfüllungsart gefunden hat in den Formen der geschichtlichen Gemeinschaftsbildung und der Einheit, die sich in diesen vollzieht.“13
Die Hegelsche Antwort lautet: „‚Geist‘ ist die mögliche Erfüllung in sich schließende praktische Vernunft“14, und unter diesem Begriff ist die Einbeziehung der praktischen Vernunft und ihrer spezifischen Allgemeingültigkeit in die Formprinzipien der theoretischen Vernunft vollzogen. Damit ist nach Brunstäd das Programm der „Phänomenologie des Geistes“ erreicht. Diese Sicht bestimmt nun für Brunstäd die Gesamtkonstellation des deutschen Idealismus. Während Fichte den Ansatz Kants von der „Subjektseite“ her aufnimmt und weiterdenkt, aber das Problem der „Objektseite“ trotz unterschiedlichster Anläufe nicht lösen kann, setzt Schelling bei der „Objektseite“ an und kommt so bei einem Begriff des indifferenten Absoluten an, der für Hegel wiederum der eigentliche Angriffspunkt wird. So lautet dann Brunstäds Resümée dieser Entwicklung: „Hegel greift gerade dieses Prinzip des indifferenten Absoluten und den Intuitionismus an. Indem er das ‚Absolute‘ als ‚Geist‘, als Subjekt denken will, wird er zwar nicht frei[,] von der metaphysischen Mißdeutung, ein realistisch unterstelltes Absolutes mit Prädikaten der Personhaftigkeit auszustatten; im ganzen aber stößt er auf das Entscheidende der kritischen Wendung vor, er denkt das ganze Verhältnis von Subjekt und Objekt um, nachdem Fichte die Subjekt‑ und Schelling die Objektseite idealistisch verstanden hatte. Gemäß dieser Problematik des Deutschen I[dealismus] wird es darauf ankommen, von Hegel her die phänomenalistischen Verschalungen des Kantischen Gedanken […] aufzulösen und von Kant her die objektiv-idealistische Art Schellings und die objektividealistischen Rückstände Hegels zu sprengen. Hegels Satz, daß die Kantische Erkenntniskritik den eigentlichen Sinn des aristotelischen Wirklichkeitsverständnisses wieder erschlösse, ist in der Tat der Wegweiser, den I[dealismus] aus der Problematik heraus, in der er beim Deutschen I[dealismus] stecken blieb, zu Ende zu denken.“15
Der „Neuhegelianismus“ ist für Brunstäd ein Weiterschreiten auf dem von ihm aufgewiesenen Weg von Kant zu Hegel angesichts des Rückfalls der nachidealistischen Philosophie in Wissenschaftstheorie, Historismus, Psychologismus, Phänomenologie und Vitalismus. Programmatisch formuliert er: „Je mehr wir in dieser Richtung weiter kommen, […] desto mehr wird auch das Systembildende an Hegel erschlossen und erneuert werden, […] nicht in der Weise einer schul13
Ebd., 16–17. Ebd., 17. 15 F. Brunstäd, Art.: „Idealismus II. Philosophie des Deutschen Idealismus“, in: RGG2 III, Tübingen 1929, 51–53, hier: 51–52. 14
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mäßigen Repristination, sondern nach Art einer Gemeinschaft des Problems und der Aufgabe und darum einer geistigen Lebensform, die sich in der Erkenntnis und Bewältigung dieser Aufgabe bildet.“16
Aus dieser Perspektive kann dann auch die Aufgabe der Religionsphilosophie in Kants und Hegels Spuren angegangen werden. Ausgangspunkt sind die beiden Prinzipien der Synthesis a priori und der Apperzeption. Die Synthesis a priori interpretiert Brunstäd dabei in Hegels Sinn als den Begriff „der ursprünglichen Einheit in der Mannigfaltigkeit, und gerade durch den Unterschied und die Mannigfaltigkeit die konkrete (zusammengewachsene) Einheit, die Verbundenheit gegenüber der abstrakten, absoluten Identität, der abgesonderten, losgelöst für sich bestehenden Selbigkeit […] Gegenständliche Beziehung ist Synthesis a priori.“17 Brunstäd interpretiert so den Begriff der Synthesis a priori als Vermittlung von Identität und Differenz, in der Einheit und Mannigfaltigkeit vermittelt gedacht werden. Im Gegenstandsbezug selbst ist also schon die Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem mitgegeben, und das gilt für die theoretische wie für die praktische Vernunft. Dem entspricht der Akzent auf der Apperzeption, der ebenso von Kant aufgenommen, aber im Hegelschen Sinne interpretiert wird. „Der andere idealistische Grundbegriff Kants ist der der Apperzeption (das Hinzu-DurchGreifen), womit die Eigenart der Bewußtheit bezeichnet wird. Apperzeption ist Ganzheit am Teile, von der ergriffen und gestaltet zu sein meine Bewußtheit, meine Ichheit ausmacht. Apperzeption ist Stehen in ursprünglicher unbedingter Einheit. Vernunft ist das ‚Vermögen des Unbedingten‘. Daß wir so im Unbedingten stehen, in unbedingt-synthetischer Einheit, das unterscheidet uns von dem Dinghaften, dem Bedingten; darin sind wir Person.“18
Mit dem Begriff der Personhaftigkeit geht nun Brunstäd über Kant und Hegel hinaus. Ausgangspunkt ist der Primat der praktischen Vernunft, der dann aber sofort auf das erkenntnistheoretische Problem angewendet wird. Erkennen kann so bestimmt werden als „Zusammenfassung der Wirklichkeit durch gesetzlich notwendige Verknüpfung der Teile zu einem lebendigen Ganzen in unbedingter Personhaftigkeit, d. h. Apperzeption ist Erkennen in Synthesis a priori.“19 Die Beziehungen der Teile untereinander werden durch die Kategorien erfasst, die Idee ist die Ganzheitsbeziehung der Teile zu ursprünglicher Einheit. Damit vollzieht sich aber zugleich auch der Übergang von der Erkenntnistheorie zur Metaphysik, bzw. wie Brunstäd, der den Ders., Art.: „Neuhegelianismus“, in: RGG2 IV, Tübingen 1929, 502–503, hier: 503. Ders., Art.: „Idealismus I. Begrifflich“, in: RGG2 III, 46–51 (= Idealismus I. Begrifflich), hier: 49. 18 Ebd. 19 Ebd. 16 17
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Metaphysikbegriff durch eine realistische Erkenntnistheorie kompromittiert sieht, formulieren würde, den Übergang zu einer Philosophie des Glaubens. „Wir haben nicht mehr ein Absolutes als Gegenstand des Erkennens, sondern ein Unbedingtes in Personhaftigkeit als Prinzip und Ursprung des Erkennens, aus dem wir leben, nicht eine tote, beharrende Realität, die wir betrachten, sondern eine personhafte Wirklichkeit, die uns ergreift, die lebendig mit uns handelt, der wir nachfolgend und nachdenkend gehorchen.“20
An dieser Stelle wird schon deutlich, wie Brunstäd am Personbegriff den Zusammenhang zwischen dem Dasein Gottes und dem Dasein der Menschen erfasst. Das Verhältnis zwischen endlichem und göttlichem Geist, zwischen endlicher und göttlicher Freiheit wird so im Begriff der Persönlichkeit oder Personhaftigkeit als „Grundbegriff des kritischen I[dealismus]“21 zusammengeführt. Dieser Begriff ist für Brunstäd der Vermittlungsbegriff zwischen Wissen und Glauben im Gewissen und zugleich der Zugang zu einer neuen Metaphysik als Philosophie des Glaubens, die die klassischen Transzendentalien des Wahren, Guten und Schönen integriert. Programmatisch wird das so formuliert: „Die Personwerdung in unbedingter Verbindlichkeit ist der Glaube, der Vernunftglaube, weil nicht Meinung oder unsicheres Wissen, sondern Vernehmen oder Empfangen unbedingter Personhaftigkeit im Gewissen. Die Metaphysik wird ersetzt durch die Philosophie des Glaubens, welche das Erkennen in das Ganze unseres so begründeten Lebens einordnet und es darin mit unserer Lebendigkeit, mit der Schönheit und der Sittlichkeit zu einem System der Ideen oder Werte verbindet.“22
Die Grundwissenschaft dieses neuen „Vernunftsystems“ ist allerdings nicht die Religionsphilosophie, sondern die Logik „als kritische Gültigkeitsbegründung der Werte in der gläubigen Personwerdung“23. Allerdings ist damit die Religionsphilosophie nicht deplatziert. Vielmehr zeigt sich ihre Aufgabe gerade dort, wo Brunstäd den Idealismus als „Kulturproblem im Gegensatze zur Aufklärung“24 bestimmt: Er ist Neubegründung der kulturellen Wertgebiete in der Ganzheit des Lebens, derer wir inne sind im Glauben aus Gottes schöpferischer Wirklichkeit. Gegen die Aufklärung gerichtet ist die Kritik an der Verabsolutierung der theoretischen Funktionen der Vernunft der zu ihr gehörenden Wertgebiete. In der Absetzung von dieser intellektualistischen Tendenz und ihrer „Diesseitskultur“ erfolgt dann auch die Öffnung für die religiöse Erfahrung der Differenz von Sollen 20
F. Brunstäd, Idealismus I. Begrifflich, 49–50. Ebd. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Ebd. 21
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und Sein und damit zugleich die Ausrichtung auch der Philosophie an der Heilsfrage. Die Überwindung der Dichotomie von Tatsache und Wert leitet insofern über zur Religion und damit auch zur theologischen Reflexion. „Der Widerstreit von Sollen und Sein, der immer vom I[dealismus] tief erfaßt worden ist, der Widerstreit von Wertanforderung und Dasein stellt das Grundproblem der Religion mit den Wirklichkeit des Todes und der Sünde, in denen wir diesen Wertwiderstreit zusammenfassen können. Das Streben nach Überwindung des Wertwiderstreites ist das Heilsuchen. Menschen, die in der Wurzel ihrer Existenz davon wissen und darum ringen, werden für die Gnaden-Offenbarung Gottes geöffnet. Der I[dealismus] ringt, wie Kant schon beim Erkennen und bei der Sittlichkeit begonnen hatte, aus kultureller Not um Neubegründung der Kultur im Glauben aus dem Heilswirken Gottes.“25
3. Das Grundproblem der religiösen Erfahrung und die Typologie der Religionen Brunstäds religionsphilosophisches Hauptwerk Die Idee der Religion. Prin zipien der Religionsphilosophie von 1922 ist ein Fragment aus einem ursprünglich größer geplanten Werk. Eigentlich hatte Brunstäd vor, auf die allgemeine philosophische Problemlage mit einer historischen und systematischen Gesamtdarstellung der Philosophie Hegels zu antworten. Als sich nach dem Weltkrieg dann die Gestaltungsaufgaben in den Vordergrund stellten, plante Brunstäd eine Reihe von Teildarstellungen zur Logik, zur Staats‑ und Rechtsphilosophie sowie zur Sozialphilosophie. Die Idee der Religion ist die teilweise Ausführung dieses Planes. Brundstäd versucht den Religionsbegriff weder als „Abstraktionsbegriff“ aus gemeinsamen Merkmalen zu formulieren, noch einen Normbegriff aus den „ursprünglichen“ Elementen der Religion zu bilden. Er versucht so vorzugehen, dass „in der Gesamtstruktur der Wirklichkeitserfassung […] ein artbildendes Verhalten“ identifiziert wird, das als „religionsbildendes Prinzip“26 verstanden wird. Dieses Verfahren, das er analog zum kritischen Rückgang auf die Bedingungen der Erkenntnis interpretiert, konfrontiert er sofort mit dem Problem der Gültigkeit und Wahrheit der Religion: „Die Religion will ja, wo immer sie auftritt, eine gültige Potenz sein, die wahre Wirklichkeit erschließen, das echte Leben vermitteln, eine unverbrüchliche Willensordnung begründen.“ (Ebd.) Diese in einem einheitlichen Zusam25
F. Brunstäd, Idealismus I. Begrifflich, 50–51. F. Brunstäd, Die Idee der Religion. Prinzipien der Religionsphilosophie, Halle a.d. Saale 1922, 2. Im Folgenden werden die Verweise auf dieses Werk mit Seitenzahlen im Text angegeben. 26
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menhang miteinander verbundenen Kräfte fasst Brunstäd in der „Idee“ der Religion zusammen: „Idee der Religion umfaßt den Allgemeinbegriff der Religion, die wirksamen Mächte der religiösen Vorgänge, der religiösen Entwicklung und Ausprägung, darin das Gültigkeitsproblem der Religion, ihre Stellung und ihren Zusammenhang in einem Ganzen geistigen, kulturellen, geschichtlichen Lebens; das alles zusammengefaßt in der ‚Sicht‘, der ‚Vision‘, die ja der Sinn des Wortes Idee ist und in der sich der Gültigkeits‑ und Wirklichkeitsgrund der Religion offenbart.“ (3)
Die Idee der Religion muss nach Brunstäd nicht von außen an die Geschichte der Religionen herangetragen oder als ursprünglicher Zustand der Religion, aus dem sich die weiteren entwickeln, postuliert werden. Vielmehr ist die Idee der Religion ursprünglich im Grundproblem der religiösen Erfahrung gegeben, in der „Selbstgewißheit“, die mit allem bewussten Leben gegeben ist. Es ist sozusagen ein „Existenzial“ das mit dem Existenzvollzug selbst gegeben ist. Aus diesem „Urphänomen“ (4) erklärt sich die Typologie der Religionsformen und lässt sich die Wahrheitsfrage in der religiösen Erfahrung selbst verankern. Dieser problemgeschichtliche Ansatz gehört für Brunstäd zum Erbe Hegels, dessen philosophische Erfassung der Geschichte als des Erfüllungsortes der Freiheit in der Geschichte der Kunst, der Religion und der Philosophie an den Übergang vom „objektiven“ zum „absoluten Geist“ heranführt.27 Die „immer neue Quelle der Religion“ (6) ist für Brunstäd in dem allgemeinen „Wertwiderstreit“ als dem „Urerlebnis der Menschheit“ (4) zu suchen, das sich als Widerstreit „von Bedürfen und Gewinnen, von Wünschen und Vermögen, von Wollen und Vollbringen, von Sollen und Sein, von Wert und Dasein, von Idee und Realität“ (ebd.) manifestiert. Brunstäd zeichnet diesen Konflikt im Blick auf das Leben, die Wahrheit, das Schöne und das Gute nach. Das Wertstreben ist auf jedem dieser Gebiete mit seiner Negation konfrontiert: das Streben nach erfülltem Leben mit dem Tod, die Ausrichtung auf die Wahrheit mit Verblendung, Irrtum und Falschheit, die Liebe des Schönen mit der Erfahrung der Vergänglichkeit, das Drängen zum Guten mit der Macht der Selbstsucht und des Bösen. Religiöse Erfahrung hat in dieser Zwiespältigkeit dort ihren Ort, wo „in diesem Zwiespalte die überwältigende Stärke, mit der uns das Wertstreben und die Anforderung ergreift, sich zu der Zuversicht und Gewißheit erhebt, daß im tiefsten Grunde dieses Wertstrebens eine letzte Überwindung des Wertwiderstreits gesetzt 27 Vgl. dazu den Beitrag: „Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1770–1831“, in: Willy Andreas/Wilhelm von Scholz (Hgg.), Die Großen Deutschen. Neue deutsche Biographie, Bd. III, Berlin 1936, 151–170, auch in: F. Brunstäd, GA, 31–47, bes. 45–47.
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ist, daß sich darin eine Wertwirklichkeit erschließt, in der aller Zwiespalt positiv aufgehoben ist.“ (6) Die Zuversicht geht so weit, dass sie sogar den Wertwiderstreit selbst aus der Perspektive seiner Überwindung begreifbar macht. Für Brunstäd deutet sich darin nicht eine äußerliche Transzendierung des Widerstreits an, sondern eine innere Überwindung, die in der Einheit der Persönlichkeit gesetzt ist. „Religiöse Erfahrung ist also das Erlebnis der unbedingten Persönlichkeit, in der sich alles Wertstreben begründet, auf die es sich richtet, das Erlebnis der unbedingten Persönlichkeit in und über allem Wertwiderstreit, das Ergriffensein von der Wertwirklichkeit der unbedingten Persönlichkeit. Diese unbedingte Persönlichkeit, die wir an uns als letzten Grund unseres Lebens‑ und Vollendungsdrangs, unseres Wertstrebens in dem Einheitstriebe unserer Ichheit erleben, ist Gott, diese unbedingt persönliche Einheit, auf die wir angelegt sind und die uns an der Wurzel unseres Lebens ergreift.“ (6)
Der im Innersten des Menschseins erlebte Wertwiderstreit manifestiert somit sogleich die Beziehung auf Gott, allerdings nicht als Gegensatz zu dem Ziel des menschlichen Strebens, sondern als dessen Erfüllung, die im „Einheitstriebe unserer Ichheit“ erlebt wird. Religiöse Erfahrung zielt auf personale Erfahrung, diese selbst ist der Ort des „Ergriffenseins“ von der „Wertwirklichkeit der unbedingten Persönlichkeit“. Nun ist diese Beziehung nicht neutral, sondern gleichsam soteriologisch geladen. Es geht bei der Überwindung des Widerstreits um das Heil. Dieses ist aber keine von der Wirklichkeit Gottes unabhängige Größe. Das Heil muss im Heiligen begründet gedacht werden und dieses ist als „Wertverwirklichung der unbedingten Persönlichkeit“ (ebd.) zu verstehen, also als Überwindung des Wertwiderstreites und darin als die letztendliche Wertverwirklichung. Brunstäd charakterisiert in diesem Zusammenhang Religion nicht als ein eigenes Gebiet der Werttätigkeit. Alle Wertverwirklichung ist Kultur. Die Religion steigert die Wertverwirklichung und damit die Erfahrung des Wertwiderstandes im Blick auf dessen endgültige Überwindung im Heiligen. Hier zeigen sich sowohl Berührungen zu Paul Tillichs Verständnis des Verhältnisses von Religion und Kultur, als auch eine kritische Aufnahme und Aneignung von Rudolf Ottos Kategorie des Heiligen. „Die Religion ist kein besonderes Wertgebiet neben diesen Kulturwerten; sie bedeutet die tiefste Begründung des Wertstrebens überhaupt, die Erhebung zum Unbedingten des Wertes, zu dem Grunde der Möglichkeit aller Wertverwirklichung, die Überwindung des Wertwiderstreites.“ (7)
Nun gibt es für Brunstäd zwei konstitutive Momente der religiösen Erfahrung: die Erfahrung der Nichtigkeit im Erlebnis des Wertwiderstreits und, damit zugleich gegeben, die Erfahrung des Ergriffenseins von der unbe-
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dingten Persönlichkeit. Aus dieser Doppelstruktur der religiösen Erfahrung folgen nun zwei „Grundgegebenheiten“ (8), zwei Urdaten der Religion: das „Transzendenzerlebnis“ und die „Personifikation“ (9). Transzendenz wird dort erfahren, wo die Nichtigkeit von allem, was bedingt ist, durch Negativität dieser Erfahrung auf das Unbedingte hinweist, das nur als „Überwelt“ (9) ausgesagt werden kann, als das, was die Summe des Bedingten übersteigt und dann nur in negativer Redeweise ausgesagt werden kann. Diese negative Erfahrung ist aber für Brunstäd stets verbunden mit der positiven Erfahrung der Personifikation, der Annahme eines personalen Wirklichkeits‑ und Heilsgrundes. Je tiefer die Nichtigkeit erfahren wird, desto mehr steigert sich die Erfahrung der Personifikation zur Annahme der unbedingten Persönlichkeit. Diese Wechselwirkung zwischen Transzendenzerfahrung und Personifikation macht erst den Kultus möglich. Diese Wechselwirkung steigert sich dann zu der Einsicht, dass das, was als Überwelt im Transzendenzerlebnis erfahren wird, noch zu klein gedacht ist, wenn es aus dem Gegensatz zur Welt heraus gedacht ist. Die Überwelt muss als das gedacht werden, was nicht im Gegensatz zum Bedingten steht, sondern alles Bedingte von der Einheit der unbedingten Persönlichkeit umgriffen sieht – und das auch am Ort der religiösen Erfahrung selbst. In diesem Sinne muss gelten: „[…] die Überwelt ist in Wahrheit die Innenwelt, das unbedingt-persönliche Leben, das sich im Wertwiderstreite gegen die Hemmungen der Welt, der Außenwelt behauptet und durchsetzt.“ (10) Die Spannungen im Wechselverhältnis dieser beiden Momente sind der Motor der Religionsgeschichte. Sowohl die Steigerung der Innenwelt zur Überwelt als auch die Erfassung der Überwelt als Sein der abstrakten Identität wird als Unseligkeit erfahren, die in der religiösen Erfahrung über sich hinaus treibt. Sowohl die Indifferenz der Negativität als auch das abstrakte Für-sich-Sein der Transzendenz erweisen sich als Momente, die den Kern ihrer Überwindung schon in sich tragen, „die entscheidende Wendung zum Spezifischen der Persönlichkeit, zu der Einheit der Innerlichkeit, von der Überwelt zur Innenwelt, von der Übernatur zum Geist, zu der letzten wahren ‚Personifikation‘, zum Heile der Weltversöhnung an Stelle der Weltverneinung.“ (13) Damit sind, ausgehend vom Grundproblem der religiösen Erfahrung, für Brunstäd alle Momente gewonnen, die als die „problemgeschichtlichen Interpretationsvoraussetzungen für die besonderen historischen Religionen und religiösen Bildungen“ (14) fungieren können. Auf diese Weise kann der Versuch gemacht werden, den im Problem der religiösen Erfahrung grundgelegten Allgemeinbegriff der Religion an der Religionsgeschichte zu bewähren. Damit ist nun nichts Geringes beansprucht. Für Brunstäd ist in diesem problemgeschichtlichen Zugang die Möglichkeit gegeben, die Phänomene der
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Religionsgeschichte in ihrer Mannigfaltigkeit zu verstehen, weil sie ihren einheitlichen Grund in dem erfahrenen Wertwiderstreit und der in der religiösen Erfahrung erlebten Möglichkeit und Wirklichkeit seiner Überwindung haben. Zugleich aber bieten die aufeinander bezogenen konstitutiven Momente der religiösen Erfahrung auch den Zugang zum Verständnis der Dynamik der Religionsgeschichte, des Werdens in der Geschichte der Religionen und in der Geschichte jeder einzelnen Religion. Dabei ist stets zu beachten, dass dieses geschichtliche Werden keinesfalls nur die Dynamik eines besonderen Kulturgebietes ist, sondern, weil das Grundproblem der Religion sich in allen Kultursphären stellt, das Werden der Geschichte überhaupt transparent macht. Alle Kulturgeschichte ist nach diesem Verständnis Religionsgeschichte, und alle Religionsgeschichte ist Geistesgeschichte, die Geschichte der kommunikativen Interaktion Gottes mit dem menschlichen Geist. Brunstäd unterscheidet drei Stufen der Religionsgeschichte: a) die Natur‑ oder Stammesreligion, die anhand der gängigen Theorien der naturmythologisch-naturalistischen Religionserklärung, der animistischen Theorien vom Ursprung der Religion und anhand des „Urheberglaubens“ charakterisiert wird. Für Brunstäd sind diese unterschiedlichen Theorien keine Alternativen. Bezieht man ihre jeweiligen Erklärungsansätze zurück auf die Analyse der religiösen Erfahrung, dann zeigt sich, dass die Theorien der Religionsentstehung jeweils ein Moment der religiösen Erfahrung isolieren und von hier aus die religiösen Phänomene zu erklären versuchen. Brunstäd beansprucht zu zeigen, dass die jeweils weniger stark beleuchteten Momente ebenso präsent sind und sich bei genauerem Zusehen eine Komplementarität der Phänomene ergibt, die die jeweiligen Religionstheorien in den Vordergrund stellen. Die Erklärungen der Entstehung der Religion aus der Magie, aus dem Seelenglauben oder aus dem Urheberglauben betonen jeweils Momente, die nur in ihrem Zusammenhang richtig verstanden werden können. Die „Einheitlichkeit des religiösen Grundproblemes“ erklärt nicht nur die Komplementarität der Erklärungsansätze, sondern vor allem auch die Universalität der Verbreitung. „Die Gleichartigkeit ergibt sich aus der Einheitlichkeit der Anlage in allem Menschlichen. Das religiöse Leben ist eben nicht eine bloße Besonderheit, es ist die ursprüngliche Ganzheit am Menschen, die in ihm, in einem jeden, auch dem armseligsten angelegte Persönlichkeit.“ (28)
Ist damit von Brunstäd ein religiöses Apriori postuliert? Diese Frage lässt sich einerseits bejahen, andererseits verneinen. Bejaht werden muss sie, wenn man sie auf den Wertwiderstreit als universale menschliche Erfahrung und auf die Ahnung einer Überwindung dieses Wertwiderstreits bezieht. Verneint werden muss sie allerdings, wenn dieses Apriori als ein besonderes re-
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ligiöses verstanden würde. Genau genommen ist es gerade die Fähigkeit zur Synthesis a priori überhaupt, die den Menschen zur Persönlichkeit macht. Das religiöse Apriori ist also das in seiner Tiefe verstandene humane Apriori. b) die Lebens‑ oder Nationalitätsreligion. Diese Religionen entwickeln sich parallel zur Kulturentwicklung und zur Bildung von Völkern, die ihre soziale Kohäsion durch ihr gemeinsames Werterleben erfahren. Auch hier ist die Religion „das Spiegelbild des Werterlebens“ (30), das aber nun gegenüber dem auf das Überleben gerichtete Erleben der Stammesreligionen eine positive Spannung erhält, in der das Heroische in den Vordergrund tritt. Auf dieser Stufe entsteht für Brunstäd der Polytheismus als Nebeneinander mehrerer Gottheiten in einem Pantheon, einerseits gleichsam als „Verdichtung“ (32) von Naturmächten, andererseits durch den Zusammenschluss von Lokalkulten unter der Führung der beherrschenden Gottheit. Zum Polytheismus gehört die Herausbildung von Lebensidealen, die das positive Wertstreben manifestieren. Die griechische Religion gehört ebenso wie die indischen Religionen oder die Religionen des amerikanischen Kontinents in diesen Zusammenhang hinein. Sie alle erschließen sich aus dem Zusammenschluss der Elemente der Überweltlichkeit, der Personifikation und der Herausbildung einer Innenwelt. c) die prophetische oder Erlösungsreligion. Der Hintergrund dieser dritten Stufe der Religionsgeschichte ist für Brunstäd die Radikalisierung des Wertwiderstreits, der zu einer neuen Transzendenzerfahrung und zu einer Verinnerlichung und Individualisierung der religiösen Erfahrung führt. Die Propheten sind die Repräsentanten dieser neuen Entwicklung. In ihnen verbindet sich die Kraft der neuen Transzendenzerfahrung mit der Verinnerlichung des Strebens nach Erlösung, in dem die Seele, in Einheit mit dem Urstoff der Welt gedacht, der Welt des Mannigfaltigen, der Veränderung und der Vergänglichkeit entgegentritt: „So wird hier die Religion individualisiert, auf die Erlebniseinheit des Subjekt gestellt, in das Innere des Subjekts verlegt.“ (37) Hier nun bildet sich als der eine Zweig der Erlösungsreligionen die Mystik aus – ebenso ein weltweit verbreitetes Phänomen der Religionsgeschichte – und fasst sich in der These zusammen, „daß die Überwelt in Wahrheit die Innenwelt ist“ (38). „Mystik ist die Begründung dieses Alleinheitsstrebens in der Tiefe der Persönlichkeit.“ (ebd.) Dies vollzieht sich aber so, dass das Absolute als das von aller weltlichen Beziehungshaftigkeit Losgelöste und das Selbst in Spannung treten, die sich als Vergottung oder Selbstverneinung auflösen kann, weil das negierend Identische im Fluchtpunkt der religiösen Praxis steht. Ekstase und Askese als die Vollzugsformen mystischer Religion sind darum nach Brunstäd immer von der „Unseligkeit“ (43) begleitet:
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„Hinter aller Mystik steht noch die schwere neue Unseligkeit […], die Erfahrung, daß die abstrakte Identität wieder nur der selbständige absolute Unterschied, das ‚ganz andere‘ ist, daß wahre Einheit im Absoluten und im Selbst nicht erreicht wird. […] Das ist das letzte religiöse Scheitern der Mystik, immer neu erfahren als der unselige Wechsel von ekstatischer Erhebung und tiefster qualvoller Depression, als das Mühen und Ringen um Abtötung, das doch nie der religiösen Not Genüge tun kann, dieses Selbstschaffen des Heiles, das doch nie zur Ruhe kommt, als dieser oft hervorgehobene Widersinn, daß der Mystiker sein eigenes Verlöschen, sein eigenes Vernichtetsein noch selbst genießen will. In dem allen steckt jene grundsätzliche Unseligkeit der bloß negierenden abstrakten Identität.“ (43)
Als der andere Zweig der dritten Stufe der Typologie tritt die ethische Gesetzesreligion hervor, die Brunstäd am Judentum und am Islam aufzeigt. Auch sie ist Transzendenzreligion. Die negierende Kraft tritt hier aber als die überlegene Macht des einen Gottes hervor, als Gebot, das ein unbedingtes Ethos fordert und „die Entdeckung des Gewissens als der inneren Gottesgemeinschaft des Menschen“ (51) zur Folge hat. Obwohl die Transzendenz Gottes den Menschen von außen in unbedingte Verantwortung nimmt, bleibt das Verbindende mit der Mystik das Verständnis der Transzendenz als negative abstrakte Identität. Dem entspricht auf der Seite des Menschen der Akzent auf der Sünde, als der „sich selbst isolierende Unterschied“, der nur durch die unbedingte Macht Gottes überwunden werden kann. Hier ist nun nach Brunstäd auch das Christentum anzuschließen, das einerseits ganz in den Zusammenhang der allgemeinen Religionsgeschichte hineingehört und andererseits doch darin ein Phänomen sui generis ist. „Das Christentum vollzieht […] den Übergang von der Überwelt zur wahren Innenwelt, von der Übernatur zum Geist, vom Übersinnlichen zur Persönlichkeit, damit von der Weltverneinung zur Weltüberwindung und Weltversöhnung, von der Selbstvernichtung und dem Gesetzesgehorsam zur Sündenvergebung in Gnade und Heilsaneignung im lebendigmachenden Glauben. Es ist der Übergang von der prophetischen Transzendenzreligion zur Offenbarungsreligion, von der Versöhnung zur Erlösung.“ (56)
Weil es zur Religionsgeschichte dazugehört und nicht im Gegensatz zur Geschichte der Religionen bestimmt werden kann, besteht im Christentum nach Brunstäd die permanente Aufgabe „der ständigen und fortschreitenden Einbeziehung und aufsaugenden Überwindung der mystisch-naturreligiösen und ethisch-gesetzesreligiösen Voraussetzungen an Problemstellungen, Lebensformen, Seelenverfassungen, Kulturwirklichkeiten zur wahrhaften Erschließung und echten Gestaltung seiner ursprünglichen Offenbarung als der weckenden und tragenden Innerlichkeit des Kultursystems“ (57). Nach diesem Durchgang durch die Religionsgeschichte kann Brunstäd nun den Allgemeinbegriff der Religion noch einmal neu bestimmen: „Religion ist das Erlebnis der unbedingten Wertwirklichkeit der Persönlichkeit, der unbedingten Persönlichkeit, das Ergriffensein von ihr und ihrer Wertwirklichkeit, in der sich
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alles Wertstreben begründet und die Überwindung des Wertwiderstreites gewährt wird, indem der positive Sinn auch des Wertwiderstreites sich erschließt.“ (57 f.)
Dabei ist für Brunstäd entscheidend, dass die Religion keinem besonderen Seelenvermögen zuzuordnen ist: „Religion ist nicht an ein einzelnes seelisches Moment gebunden, sie ist die Ganzheit aller, die persönliche Erlebniseinheit in ihrer Einheit und Fülle.“ (59) Damit müssen aber auch die unterschiedlichen religiösen Prägungen, die die vier Wertarten, Leben und Schönheit, Wahrheit und Sittlichkeit, begleiten, in ihrer Einheit „als Momente in jedem seelischen Vorgange“ (59) bestimmt werden. Wird die Religion in Korrelation zu den Wertarten als Wille, Gefühl, Denken oder Gemeinschaftsgestaltung bestimmt, ist damit nur eine Ausgangsbeschreibung gegeben, die in die Ganzheit des Bewusstseins einzuordnen ist. Diese Ganzheit wird bei Brunstäd durch den Begriff des Glaubens gefasst, der damit die Funktion des Begriffs der Vernunft bei Kant, des reinen Wissens im Unterschied zur Vorstellung bei Hegel übernimmt. Der Glaube kann also nicht als „unsicheres Fürwahrhalten“ (60) bestimmt werden. Vielmehr gilt: „Glaube ist also die eigentliche Totalität der Persönlichkeit in Fühlen, Denken und Wollen, die Erlebniseinheit überhaupt, die Religion als Glaube die von innen umfassende Funktion des persönlichen Lebens schlechthin.“ (ebd.) Auf der Basis dieses Durchgangs durch die Religionsgeschichte kann nun auch Brunstäds Sicht des Verhältnisses von Religionsbegriff und Religionsgeschichte genauer erfasst werden. Weil Brunstäd den Religionsbegriff aus dem Grundproblem der religiösen Erfahrung, dem Wertwiderstreit bestimmt, und in den drei Momenten von Überwelt, Personifikation und Innenwelt zusammengefasst sieht, ergibt sich folgendes Bild: Die drei konstitutiven Momente jeder religiösen Erfahrung sind die konstellativen Elemente aller weiteren Religionsbildungen. Die Religionsgeschichte ist die Geschichte der Konstellationen der drei Konstitutionsmomente von Religion vor dem Hintergrund des Grundproblems des Wertwiderstreits. In der Religionsgeschichte vollzieht sich deswegen der dauernde Rückgriff auf diese drei Momente, ihre Weiterverarbeitung und Konstellation zueinander, aber auch der Rückfall in frühere Konstellationen dieser drei Momente, die von den allerersten Anfängen die Religion bestimmen. Um die Religionen und die Religionsgeschichte verstehen zu können, ist deswegen ein Standpunkt innerhalb der Religionen notwendig, der deutend und gestaltend an der Religion teilnimmt. In Konsequenz muss auch die Religionsgeschichte als wissenschaftliche Disziplin ihrerseits als Teil der Religionsgeschichte, als Geschichte der Religionen verstanden werden. Zur Beurteilung der Religionen sind folglich keine von außen gewonnenen und von außen anzuwendenden
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Kriterien notwendig. Vielmehr sind alle Kriterien der Urteilsbildung schon in den religiösen Phänomenen und ihrer Geschichte enthalten. Die Methode des Verstehens der Religion ist insofern der analogisierende Glaube, der vom eigenen Glauben Analogien zu den Gestalten fremden Glaubens bildet. Der Glaube ist hier als die Basis der hermeneutischen Analogiebildung anzunehmen, weil er für Brunstäd die Erlebniseinheit zum Ausdruck bringt und sich nicht einem der Wertgebiete (Leben, Schönes, Wahres, Gutes) anschließt. Ein vitalistischer, ästhetizistischer, intellektualistischer oder ethizistischer Religionsbegriff soll auf diese Weise vermieden werden. Die besondere Provinz im Gemüte ist im Blick auf die Religion die Einheit aller Dimensionen des Gemüts, des Seelenlebens oder des Wertstrebens.
4. Die Wahrheit der Religion im Widerstreit zwischen Realismus und kritischem Idealismus Mit der Betrachtung der „Wahrheit oder Gültigkeit der Religion“ kommt Brunstäds Idee der Religion zu ihrem eigentlichen Zentrum. „Weil die religiöse Erfahrung in ihrem innersten Lebensgrunde diesen Anspruch auf unbedingte Wahrheit, Werthaftigkeit und Wirklichkeitsauffassung macht, ist das Wahrheitsproblem der Religion in keiner Betrachtung und Untersuchung des religiösen Lebens außer acht zu lassen.“ (61)
Wer bei der Beschäftigung mit der Religion die Wahrheitsfrage einklammert, der beschäftigt sich nicht mehr mit Religion, sondern nur noch mit den kulturellen Formen der Religion, ohne deren Zusammenhang verstehen zu können. Ist die Auseinandersetzung mit der Wahrheitsfrage beim Studium der Religion unerlässlich, so ergeben sich doch zwei ganz unterschiedliche Weisen der Auseinandersetzung mit der Wahrheitsfrage, von denen die eine von Brunstäd als „metaphysisch-realistische“, die andere als „kritisch-idealistische“ charakterisiert wird. „Die eine will die Wahrheit der Religion dartun oder allgemeiner über die Wahrheit der Religion befinden, indem sie auf wissenschaftlichem Wege die Existenz der Objekte beweist oder untersucht, auf welche die religiöse Erfahrung sich zu richten scheint, auch wohl, wie man sagt, deren Eigenschaften, deren notwendige Bestimmungen auf die gleiche Weise heraussetzen. Die andere will die Wahrheit der Religion in der Art untersuchen, daß sie erkenntniskritisch die Gültigkeit der religiösen Erfahrung als solcher prüft und aufweist, wie religiöse Erfahrung in sich Gültigkeit begründet.“ (62)
Brunstäd führt eine ganze Reihe von Gründen an, an denen sich die Fehlerhaftigkeit der „Metaphysik der religiösen Objekte“ nachweisen lässt und die zum Neuansatz einer „Geistesphilosophie der religiösen Erfahrung“ (ebd.)
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nötigen. So führt der realistisch-metaphysische Ansatz nach Brunstäd dazu, das Verhältnis von Glauben und Wissen so zu interpretieren, dass Glauben als eine mindere Form von Wissen erscheint und so die Eigenart der religiösen Erfahrung bestritten wird. Ebenso kann auch die Theologie nur dann zu einem konstruktiven Verhältnis mit der Religionsphilosophie kommen, wenn diese als „Erkenntniskritik der religiösen Erfahrung“ (68) betrieben wird. Analog gilt das auch für das Verhältnis zu Religionsgeschichte und zu Religionspsychologie, da die realistische Metaphysik an der Außenseite der Religion haften bleibt und den inneren Beweggrund der äußeren religiösen Vollzüge nicht aufschließen kann. Für die Erkenntniskritik der religiösen Erfahrung ist die Religionsgeschichte nicht nur der „eigentliche Gegenstand“: „All das individuelle Leben der Religionsgeschichte sucht sie innerlich zu beziehen auf den Wahrheitsgrund der religiösen Erfahrung, nach eigenen einwohnenden Bedingungen der religiösen Erfahrung zu beurteilen und zu verstehen.“ (70)
Brunstäd führt von Die Idee der Religion an in allen seinen Arbeiten die kritisch-idealistische Erkenntnistheorie durch eine Kritik der realistischen Erkenntnistheorie und ihrer metaphysischen Korrelate ein, die aus einer Geschichte des Substanzbegriffs unterschiedliche Typen der Metaphysik generiert.28 Auf diese Weise soll gezeigt werden, dass die realistische Erkenntnistheorie letztendlich zu einer Selbstdestruktion der Erkenntnistheorie und der Metaphysik führt. In allen Varianten dieses Argumentes ex negativo für die kritische Erkenntnistheorie finden sich folgende Stationen: – Subjekt und Objekt des Erkennen stehen sich wie zwei Dinge gegenüber; – Wahrheit ist die Übereinstimmung von Vorstellung und Begriff; – Werden die Vorstellungen als Wirkungen der Dinge auf uns verstanden und wird dabei eine Mittätigkeit des Subjekts angenommen, führt die realistische Konzeption zum Phänomenalismus: die Realität der Dinge bleibt verborgen; – Der Phänomenalismus liegt einer ganzen Reihe von für Brunstäd fragwürdigen philosophischen Schulen zugrunde: vom „agnostischen Positivismus“ (75) über den „subjektiven Idealismus“ zum „Solipsismus“. Dieser realistischen Erkenntnistheorie sind metaphysische Typen korreliert, die alle die Auffassung, dass die Substanz das im Wechsel seiner Eigenschaf28
Vgl. z. B. F. Brunstäd, Idealismus I. Begrifflich, 46–51, bes. 46–48. Vgl. ebenso, ders., „Reformation und Idealismus“ (1925), in: GA, 77–97, bes. 77–80; ebenso: „Theologie als Problem“ (1930), in: GA, 101–110; ferner: „Christlicher Realismus?“ (o. D.), in: GA, 201–210.
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ten identisch Beharrende ist, in unterschiedlichen metaphysischen Systemen variieren. Dazu gehören nach Brunstäd: – der materialistische Atomismus, der die abstrakte Identität des in der Veränderung Gleichbleibenden als einzige Realität setzt; – der objektive Idealismus, in den Plato die sokratische Entdeckung der Evidenzerfahrung als Objektivität umformt und der nach Brunstäd auch von Aristoteles nicht eigentlich durchbrochen wird, vielmehr gilt: „Der wahre tiefe Sinn des Aristototelismus wird erst durch die kopernikanische Tat Kants aufgeschlossen“ (84); – der Monismus, der eine einheitliche absolute Weltsubstanz annimmt; – der Empirismus, der die atomistische Aufsplitterung der Wirklichkeit wiederholt, indem er die Trägersubstanz auflöst und das Ding als Summe seiner Eigenschaften interpretiert. Es wundert nicht, dass dieser problemgeschichtliche Holzschnitt der Philosophiegeschichte zu einem negativen Ergebnis führt: „Die Metaphysik hebt an dem Ding die abstrakte Identität der absoluten Substanz heraus, der Empirismus die isolierte Selbständigkeit des Elements. Das eine kommt schließlich auf das andere heraus. Es ist dieselbe Grundlage, von der beide ausgehen. Die abschließende Gestalt des Realismus bleibt seine phänomenalistisch-positivistische Erweichung mit mechanisch-materialistischer Wirklichkeitsauffassung auf dem dunklen Hintergrunde des unerkennbaren Ansich, des unerkennbaren Absoluten, des nihilistisch entleerten Platzes oder dunklen Loches des ehemaligen Trägerdinges.“ (86)
Brunstäd ist allerdings der Auffassung, dass mit den drei Haupttypen der Metaphysik als atomistischer Materialismus, objektiver Idealismus und Monismus die Möglichkeiten metaphysischer Standpunkte erschöpft sind. Dualismus, Pluralismus und „Parallelismus“ als Spielart des Monismus sind lediglich Verbindungen dieser drei Haupttypen (vgl. 85). Man mag sich fragen, was der Zweck dieser argumentativen Destruktion der realistischen Erkenntnistheorie und der ihr korrelierten Typen der Metaphysik ist, die bei Brunstäd zwar schematisch, aber doch sehr viel differenzierter entfaltet wird, als es hier nachgezeichnet werden konnte. Der Zweck scheint darin zu liegen, die neue Fragestellung Kants genau auf den Punkt zu beziehen, der nach Brunstäd allen realistisch-metaphysischen Konzeptionen zugrundeliegt, die Frage: „[…] was ist Beziehung auf einen Gegenstand?“ (93) Von dieser Frage ausgehend ergibt sich dann die systematische Kombination von Einsichten Kants und Hegels als Schlüssel für die „Erneuerung des deutschen philosophischen Idealismus aus seinem Ursprunge heraus und für seine Durchsetzung in der gesamten Wirklichkeitserfassung“ (91).29 29
Brunstäd fügt an dieser Stelle kommentierend hinzu: „Was das hier Vorgetragene
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Schaut man genauer hin, zeigt sich, dass Brunstäd mit seiner Kritik der realistisch-metaphysischen Erkenntnistheorie die (Negativ‑)Folie vorbereitet, auf der nun der kritisch-idealistische Ansatz entfaltet werden kann. Mit diesem erhebt Brunstäd aber auch den Anspruch, die Irrtümer und Fehleinstellungen der realistischen Metaphysik einsichtig zu machen. Wir können den positiven Ansatz darum ebenso in Stichworten vortragen. Die Frage: Was ist Beziehung auf einen Gegenstand? erfährt nun in diesem Ansatz die erste Beantwortung: – „Gegenständliche Beziehung ist notwendige gesetzliche Verknüpfung, das Ding, der Gegenstand ist notwendiger gesetzlicher Zusammenhang.“ (93) Ist das Ding die ursprüngliche Form der Erfahrung von gesetzlichem Zusammenhang, dann erklärt sich etwa der erfahrene Widerstand durch den Tastsinn nicht als das Für-sich-Sein eines Gegenstandes, sondern als erste Erfahrung eines gesetzlichen Zusammenhangs. Die Notwendigkeit dieses Zusammenhangs ergibt sich aber nicht aus der Verknüpfung zweier unbezogener Dinge, von „Subjekt“ und „Objekt“, sondern ist gerade die Art und Weise ihres Bezogenseins (vgl. 93 f.). – Dieser notwendige gesetzliche Zusammenhang hat die Form der Synthesis a priori, ist also „ursprüngliche Einheit Unterschiedener als solcher, Einheit in einer Mannigfaltigkeit und durch eine Mannigfaltigkeit hindurch“ (95): „Objekt ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer Anschauung vereinigt ist“ (ebd.), und diese gesetzliche Vereinigung wird vom Verstand fälschlich als abgesondertes Ding betrachtet. – Wird so die Einzelerfahrung mit der allgemeinen Erfahrung in Beziehung gebracht, so erweist sich ihre „Objektivität“ als ihre Einordnung in einen Gesamtzusammenhang, dessen Teil auch wir als Erkennende sind: „Wie für den schwebenden Stein im Gewölbe der tragende Zusammenhang des Ganzen nur im Drucke der Nachbarsteine da ist, spüren wir den Zusammenhang des Wirklichkeitsganzen, weil wir von ihm ein Teil sind, nur an dem Drucke der anderen Teile. Und doch ist es der Zusammenhang des Ganzen, der auch in diesem Drucke wirksam ist.“ (96) – „In der Synthesis a priori sind Relata und Relation als ein Ganzes gesetzt.“ (97) Damit ist die Möglichkeit genommen, Relationen als externe Beziehungen zwischen schon etablierten Dingen zu verstehen: Beziehung und vom historischen Kant unterscheidet, das ist der Versuch, diese phänomenalistischen Reste abzustoßen oder richtiger aufzusaugen. Auf diesen Versuch und auf die Mittel, mit denen er unternommen wird, führt das Studium Hegels. Was hier vorgetragen wird, kann auch ebensosehr als die Erkenntnislehre Hegels angesprochen werden. Nur daß bei Hegel ebensosehr, wie bei Kant der Phänomenalismus, der objektive Idealismus nachwirkt und seinen klaren bestimmten Sinn verdunkelt.“ (90–91)
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Relat sind nur zusammen in einem Zusammenhang gegeben. Die Wirklichkeit ist ein holistischer Relationszusammenhang. – Der so deutlich werdende gesetzliche Zusammenhang ist begründet in der transzendentalen Einheit der Apperzeption, d. h. in der gegenständliche Beziehung begründenden Einheit des Icherlebnisses. „Transzendentale Einheit der Apperzeption ist die gegenständliche Beziehung begründende Erlebniseinheit des Bewußseins, das Icherlebnis.“ (98 f.) Brunstäd ist der Auffassung, hier das „Prinzip des Idealismus“ (99) zu formulieren, das für diesen ebenso grundlegend ist, wie der Dingbegriff für den Realismus: „Das Icherlebnis ist die Grundlage aller Erkenntnis, weil in ihm Synthesis a priori als gewiß begründet ist.“ (99) Hier wie an vielen folgenden Stellen bestimmt Brunstäd die Apperzeption als apperceptio, das „‚Hinzudurchgreifen‘, d. h. das Hereinnehmen aller Unterschiede, aller Mannigfaltigkeit, aller besonderen Inhaltlichkeit in ursprünglicher Einheit“ (ebd.) – Die transzendentale Apperzeption wird nun von Brunstäd weitergeführt in der Einführung des Begriffs des Gewissens als „die unbedingte Ichform in uns, apperceptio, das Ergriffensein nicht als passive Zuständlichkeit, sondern als lebendige Selbsttätigkeit in ursprünglicher Einheit. Aktivität und Spontaneität ist unbedingt gewiß im Erlebnis.“ (102) – Von dieser kantischen Grundlage aus entfaltet Brunstäd seine Wertlehre, die er an die Ichbeziehung anschließt: „Wert schlechthin ist synthetischunbedingte Persönlichkeit, erlebt in der Apperzeption, im Gewissen, als Grund aller Ichbeziehung und Ichgemeinschaft.“ (137) Die systematische Pointe dieser Wertlehre besteht darin, dass Wertwiderstreit sich nur ergibt, wo sich die Werte gegenüber ihrem Grunde in der unbedingten Synthesis verselbständigen. Die Absonderung aus dem ganzheitlich Begründeten führt somit zur Sünde. Brunstäd definiert: „Die Sünde ist also die Behauptung eines Rechtes und Wertes des Endlichen, das oder der ihm allerdings nach dem Grunde der unbedingten Synthesis zukommt, aber gerade ohne Anerkennung dieses Grundes.“ (150 f.) – Die Überwindung des Wertwiderstreits geschieht dort, wo die Wahrheit der Religion als die Grundlage allen Strebens nach Wissen erfasst wird. Der Glaube bewährt sich in der Wissenschaft als Betätigung der dem Glauben schon gewissen Wahrheit in den unterschiedlichen Gebieten des Wissens. Die durch sich selbst gewisse religiöse Erfahrung erweist sich insofern als Einheitsgrundlage der Wissenschaft: „Das Wissen wird eine Funktion des Glaubens in der Durchführung seiner unbedingten Einheit, die das Wissen zu seiner Möglichkeit voraussetzt.“ (155) – Damit ist Brunstäd dann an dem Punkt, wo die Beziehung von religiöser Erfahrung und Offenbarung thematisch wird.
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„Die dem religiösen Erlebnisse einwohnende Wahrheit, die in sich begründete und ruhende Wahrheit der religiösen Erfahrung ist Offenbarung. Religion ist Wahrheit und sie ist Offenbarung, begründet sich in Offenbarung, ist gleichbedeutend, ebenso die wahre Religion und Offenbarungsreligion […] Offenbarung ist die überindividuelle Einheit der unbedingten Persönlichkeit, sofern sie endliche Bewußtheit, endliches persönliches Erleben, Ganzheit am Teil ermöglicht. Offenbarung als synthetische Einheit der unbedingten Persönlichkeit begründet Glauben als Funktion der persönlichen Ganzheit. Offenbarung ist diese Begründung des Allerindividuellsten im Unbedingten, Begründung des persönlichen Lebens in der unbedingten Persönlichkeit, ist unbedingtsynthetische Ichgemeinschaft. Offenbarung ist unbedingte Innerlichkeit. Die religiöse Erfahrung ist Wahrheit, weil sich in ihr diese Innerlichkeit erschließt. Diese umfassende und durchdringende Innerlichkeit ist Geist.“ (155)
– Mit dieser Begründung des Glaubens in der Offenbarung ist für Brunstäd die Reflexion über die Wahrheit und Gültigkeit der Religion auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie, die wir hier nur in groben Zügen andeuten können, abgeschlossen. Daran schließt die Reflexion auf die kulturelle Funktion der Religion in ihrer Beziehung zur Wissenschaft, zur Kunst und zur Sittlichkeit an, die mit einer Reflexion auf „Religion und Kultur überhaupt (Lebensgestaltung)“ schließt. Den Abschluss dieser Überlegungen, die Religion als das „Ziel der Kultur“ profilieren wollen, bildet eine kurze Reflexion auf den Kultus. Hier zieht Brunstäd noch einmal die Linien der bisherigen Argumentation zusammen: „Das religiöse Erlebnis in seiner Totalität ist Glaube, begründet in der Offenbarung, sein Vollzug in aller Wirklichkeit des Lebens, die begründende Zusammenfassung alles Lebens in ihm ist der Kultus. Und darin vollzieht sich zugleich die immer erneute Begründung des Glaubenserlebnisses in der Offenbarung […] Kultus ist also der Vollzug des Glaubenserlebnisses, in dem sich dessen Begründung immer erneuert und vertieft. In diesem Sinne ist Kultus eben lebendige Gottesgemeinschaft überhaupt.“ (211)
– Mit der Beziehung zum Kultus ist der Punkt markiert, an dem die Gestaltung des religiösen Glaubens in den unterschiedlichen Gebieten der Kultur auf ihren Grund bezogen wird und so die Beziehung zwischen den Vollzügen des Kultus und dem in ihnen vollzogenen Glaubenserlebnis deutlich wird – genau das, was die Religionsgeschichte zu erfassen sucht, wenn sie die äußeren Vollzüge der Religion mit den inneren Einstellungen und Haltungen zu verbinden versucht. Allerdings ist nicht der Kultus der Höhepunkt der Religionsphilosophie. Dieser wird vielmehr im letzten Kapitel der Studie als die „Idee der Religion“ entfaltet. Brunstäd rekurriert auf die schon gegebene Explikation des Begriffs der Idee: „Idee ist die Erlebniseinheit, sofern darin Gültigkeit und Evidenz begründet ist.“ (213) Wenn die Idee so als „das Transzendentale am Erlebnisse“ bestimmt wird, trifft dies im besonderen Maße auf die Idee der Religion zu, wenn
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das religiöse Erlebnis als Glaube eine fundierende Funktion für alle Bereiche der Erfahrung hat. Hier nun kommen dann auch die nicht mehr zu überschreitenden Abschlussbestimmungen: „Die Idee der Religion ist die Grundidee überhaupt, die unbedingte Persönlichkeit, Gott. Das Heil und das Heilige, in dem sich das Problem der Religion ausdrückt, begründet und erfüllt sich in der Gottesidee. Die Idee der Religion ist das Innesein des Gültigkeits‑ und Wirklichkeitsgrundes, Gottes, das Ergriffensein in aller Besonderheit durch die unbedingte persönliche Einheit, die Gottesgemeinschaft im Gewissen.“ (213)
– Damit ist der Kulminationspunkt des Werkes erreicht und vollzieht sich eine Umkehrung in der Darstellung. Während die vorangegangenen Kapitel gleichsam zur Gottesidee hin argumentierten, vom Erlebnis zum Glauben und dann schließlich zur Offenbarung, wird nun in diesem Kapitel von der Gottesidee ausgehend über die Offenbarung zur religiösen Erkenntnis argumentiert. Analog setzen die Abschnitte über die Welt und den Menschen schon bei einer Bestimmung von Welt und Mensch aus der Gottesidee an und entfalten diese dann zu den Modi der Welt‑ und Selbsterfahrung. Ging es in den vorangegangenen drei Kapiteln um den Entdeckungszusammenhang der Idee der Religion im Wertwiderstreit als dem Grundproblem der religiösen Erfahrung, um die Erschließung der Wahrheit der Religion aus den Grundvollzüge von Erkenntnis überhaupt und um die Darstellung der kulturellen Funktion der Religion, so wird nun ausgehend von der Gottesidee diese selbst expliziert und das in ihr fundierte Verständnis der Welt und des Menschen entfaltet. Die Gottesidee wird der Begründungszusammenhang für das Verständnis von Welt und Mensch.
5. … und die Wirklichkeit der Religionen Friedrich Brunstäds Religionsphilosophie dokumentiert den beeindruckenden Versuch, unter nachidealistischen Bedingungen in den in vieler Hinsicht bedrängenden Problemlagen der Zeit um den ersten Weltkrieg – die zugrundeliegende Vorlesung wurde zuerst im Sommersemester 1914 gehalten – das Potential des kritischen Idealismus für die religionsphilosophische Reflexion freizulegen. Vieles daran begegnet in einer sprachlichen und denkerischen Form, die deutlich Spuren ihrer Entstehungszeit trägt. Beeindruckend ist allerdings die Geschlossenheit der Gedankenentwicklung, mit der Brunstäd Gedanken zur Interpretation Kants und Hegels, die er zuerst als vierundzwanzigjähriger Student in seiner Vorrede zu der von ihm besorgten Reclam-Ausgabe zu Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte
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entwickelt hatte, in den folgenden Jahrzehnten ausarbeitete. Zwei Fragen bestimmen von Anfang an Brunstäds Auseinandersetzung mit dem kritischen Idealismus. Kann man in der Philosophie Kants die Beschränkung der Erkenntnis der theoretischen Vernunft innerhalb der Grenzen der Sinnlichkeit aufbrechen, die zur Dichotomie von Erscheinung und Ding an sich führt und damit Kant in den Grenzen des Phänomenalismus festzuhalten scheint? Und: Gibt es eine Interpretation Hegels, die die Religion nicht im Bereich der Vorstellungen festhält, die dann durch den philosophischen Begriff transzendiert werden, sondern in der die Religion auch als Einheitsgrund des Denkens und des Wissens zu begründen ist? Interessant an Brunstäds konstruktiven Versuchen ist, dass er Kant mit Hegel weiterzudenken versucht und die Problemstellung der Hegelschen Philosophie nicht aus ihrem Verhältnis zu Fichte und Schelling, sondern in der Nachfolge des Projekts Kants rekonstruiert. Brunstäd hat nicht beansprucht, dass damit der „historische“ Kant und der „historische“ Hegel exakt wiedergegeben sind, sehr wohl aber, dass seine konstruktive Weiterführung sich auf die systematische Struktur und den Geist der Philosophien Kants und Hegels berufen kann. Mehr noch, dass diese die denkerischen Mittel bereitstellen, um sich von den Aporien, in die er die nachidealistischen Philosophien gefangen sah, befreien zu können. Dieses Bemühen, durch eine konstruktive Synthese Kants und Hegels die philosophische Reflexion weiterzubringen, zeigt sich in dem Versuch nachzuweisen, dass die Religionsgeschichte weder als Geschichte der Figurationen der religiösen Subjektivität zu interpretieren ist noch ausgehend von den Objektivationen des Geistes im religionsgeschichtlichen Material zu erfassen ist, sondern beide Dimensionen, die „Subjektseite“ und die „Objektseite“ der Religionsgeschichte durch den Ansatz beim Grundproblem der religiösen Erfahrung miteinander vermittelt werden können. Das entspricht einerseits Brunstäds Versuch, den kritischen Idealismus vom subjektiven Idealismus und vom objektiven Idealismus zu unterscheiden. Andererseits eröffnet der Ansatz bei der Erfahrung des Wertwiderstreits auch einen Zugang zum Verständnis der Religionsgeschichte, insofern die bestimmenden Momente der Religion in den Religionen – von den Frühstadien der Religionen der schriftlosen Völker bis hin zur Gegenwart – in der Religionsgeschichte wirksam sind und auf diese Weise Fortschritte und Rückfälle in der Religionsgeschichte mit unserer Erfahrung verbunden werden können. So kann sich weder die religionsphilosophische Reflexion von der Auseinandersetzung mit der Religionsgeschichte zurückziehen noch kann diese einem gleichsam neutralen Zugang, der sich auf die historischen Materialien als Bestände empirischen Wissens bezieht, überlassen bleiben. Die von den
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Religionen selbst gestellte Wahrheitsfrage gehört unaufgebbar zu jeder Form der philosophischen Beschäftigung mit der Religion und ihrer Geschichte. Die Wirklichkeit der Religionen kann nicht ohne Aufmerksamkeit für ihr Wahrheitsbewusstsein untersucht werden, die Wahrheit der Religion kann nicht ohne Einbeziehung ihrer geschichtlichen Wirklichkeit angemessen reflektiert werden. In dieser doppelten Akzentsetzung erweist sich Friedrich Brunstäd jedenfalls als Hegelianer. Auch hat Brunstäds Versuch zu zeigen, dass die Fragen der Religionsphilosophie nicht Spezialfragen einer Bereichsphilosophie sind, sondern zu den philosophischen Grundfragen gehören, ja, dass die philosophischen Grundfragen nicht erörtert werden können, ohne sich auf die Religion zu beziehen, nichts an aktueller Provokation verloren. Die Beschäftigung mit der Religionsphilosophie Friedrich Brunstäds ist darum nicht nur eine Reminiszenz an einen fast vergessenen Philosophen und Theologen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ein Rückblick auf eine längst historisch gewordene Phase der Rezeptionsgeschichte des deutschen Idealismus, sondern konfrontiert mit Fragestellungen, die auch für die gegenwärtige religionsphilosophische Arbeit Irritations‑ wie auch Inspirationspotential haben.
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Herms, Eilert / Joachim Ringleben (Hgg.), Vergessene Theologen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Studien zur Theologiegeschichte, Göttingen 1984. Lessing, Eckhard, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie von Albrecht Ritschl bis zur Gegenwart. Bd. 2: 1918–1945, Göttingen 2004. Ringleben, Joachim, „Über die Anfänge von Friedrich Brunstäd. Eine theologiegeschichtliche Erinnerung“, in: Eilert Herms/Joachim Ringleben (Hgg.), Vergessene Theologen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Studien zur Theologiegeschichte, Göttingen 1984, 77–103; ebenso in: NZSTh 24/1 (1982), 71–93.
Philosophie der Religionen statt Vernunfttheologie? Friedrike Schick
In der gegenwärtigen Religionsphilosophie gilt unumstritten die nicht zuletzt von Schleiermacher, Hegel und Schelling mit begründete Ansicht, dass zur Religionsphilosophie wesentlich die Verständigung über die Tatsache gehört, dass die Religion historisch im Plural, als Spektrum verschiedener, einander zumindest auf den ersten Blick in ihrem Lehrgehalt teils überlappender, teils ausschließender Religionen ausgebildet ist, und dass eine Philosophie der Religion der jeweiligen Eigenart von Religionen wird gerecht werden müssen. Die Frage, um die es im Folgenden geht, lautet: Kann und muss die Reli gionsphilosophie dieses Desiderat unabhängig von Vernunfttheologie reali sieren? Mit „Vernunfttheologie“ ist dabei das in der Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts prosperierende, aber nicht auf diese Epoche beschränkte Unternehmen gemeint, den Gegenstand der Religion einmal und ein für alle Mal unabhängig von all jenen besonderen Offenbarungen, die die Religionen selbst kennen und deren nur der schon Gläubige so recht teilhaftig werden kann, zu erfassen, d. h. die Natur und das Dasein des Göttlichen, sein Verhältnis und seine Beziehungen zu Mensch und Natur in allgemein fasslichen und nachprüfbaren Denkschritten zu erschließen. In diesem weiten Sinn ist „Vernunfttheologie“ hier austauschbar mit „natürliche Theologie“ verwendet. Der Ausdruck „Vernunft“ ist dabei nicht exklusiv für die „rein rationale“ Variante des Unternehmens reserviert, oder Vernunfttheologie ist in jenem weiter gefassten Sinn verstanden, der sowohl die aposteriorischen Aufstiege vom Endlichen zum Unendlichen als auch die apriorischen Abstiege vom Unendlichen zum Endlichen umfasst. Als Beispiele der Durchführung dieses Programms lassen sich etwa Christian Wolffs Theologia naturalis oder der englische Deismus verstehen – Durchführungen, die sich methodisch und in ihrer Akzentsetzung natürlich sehr voneinander unterscheiden. Was ich vorderhand offen lasse, weil es am Ende des Beitrags eigens Thema werden wird, ist die Frage, ob die vorkantische Aufklärungstheologie die Möglichkeiten vernünftiger theoretischer Erfassung des Gegenstands der Religion erschöpft.
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Aus zwei Gründen scheint die Philosophie der Religion, die der Pluralität der Religionen gerecht werden will, von einer Vernunfttheologie, verstanden als autonomer philosophischer Wissenschaft vom Göttlichen, ganz unabhängig zu sein. Erstens unterscheiden sich die Philosophie der Religion und die Philosophie vom Göttlichen schlicht und einfach in ihrem Gegenstand. Während die Vernunfttheologie denselben Gegenstand hat wie die Religion, aber darin eben nicht die Religion selbst, führt es die Religionsphilosophie schon im Namen, dass die Religion selbst ihr Gegenstand ist. Wie religiöse Gruppen das göttliche Wesen und die Beziehungen zwischen ihm und menschlichen Wesen verstehen, wie sie dieses Verständnis in Kultus und religiöser Moral pflegen, was für Quellen und Kommunikationskanäle religiöser Wahrheit und deren den Zeitläufen angemessene konkretisierende Interpretation sie kennen – kurz: wie sich Menschen mit dem Göttlichen ins Benehmen setzen oder wie es für sie ist – ist angestammtes Thema der Philosophie der Religion, nicht aber der Vernunfttheologie. Bei dieser gehört es ja zumindest im Ausgangspunkt zum Programm, die Aussagen, Vorschriften, Praktiken der historischen Religionen auszuklammern, mit dem erklärten Ziel, die Interpretationsbrille der bestimmten Religion, in deren Tradition man aufgewachsen ist, abzusetzen, um auch in Bezug auf den Inhalt der Religion nicht auf Treu und Glauben anzunehmen, sondern aus Einsicht zu wissen. Das heißt allerdings nicht, dass sich die Vernunfttheologie abschließend gleichgültig zu den Religionen verhielte. Die eine Wahrheit, die die Vernunfttheologie zu Tage fördern bestrebt ist, verhält sich ja nicht neutral gegen die vielen besonderen Wahrheiten der Religionen. Die eine Wahrheit – wenn sie denn zu finden ist – wird sich zu den Religionen als das Scheidemittel verhalten, an dem sich das Haltbare, Bewahrenswerte in Religionen von anderem, was sich dem allgemeinen Wahren als fremdes und entfremdendes Gut angelagert hat, absondert. Es ist nicht auszuschließen, dass damit gerade das, was einer bestimmten Religion das ihr Eigene ist, das, worin sie ihr innerstes Wesen definiert und sich oft auch explizit von anderen Religionen absetzt, dann entwertet, außer Kurs gesetzt wird. Die allgemeine Wahrheit wird Besonderheiten als unwesentlich oder falsch aussortieren, die sich nicht wieder in Ausdrucks‑ oder Vorstellungsvarianten ihrer selbst rückübersetzen lassen. Zeigt sich die Vernunfttheologie so mittelbar durchaus als im Verhältnis zum Inhalt der Religionen und dessen Unterschieden stehend, tritt auch schon ein zweiter Grund zu Tage, der die Philosophie der Religionen von der Vernunfttheologie durch einen Abgrund trennt oder zu trennen scheint: In der Theoriegeschichte seit der Aufklärung ist es gar nicht bis zu dem Stand gekommen, von dem aus die angestrengte Wissenschaft von Gott
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souverän ihre Resultate als immanentes, begründetes Kriterium auf die besonderen Religionen hätte anwenden können. Es gab und gibt kein Resultat vernunfttheologischer Bemühung, das zugleich substanziell gehaltvoll und unumstritten wäre. Stattdessen hat, vor, mit und nach der Kantischen Vernunftkritik, immer mehr der Verdacht Kontur angenommen, das ganze vernunfttheologische Unternehmen könne von einem Missverstand geleitet und die theoretische Vernunft in Wahrheit unzureichend und damit unzuständig sein für die Inhalte der Religion. Eine Religionsphilosophie, die dementsprechend von der Prämisse ausgeht, dass die Vernunft vor den Inhalten der Religion versagt, wird sich dem Verhältnis zwischen der Verschiedenheit von Religionen und der Wahrheitsfrage konsequenter Weise anders stellen als eine Vernunfttheologie, die sich dem Anspruch nach zur Religion wie die Wissenschaft zur vorwissenschaftlichen Vorstellung verhält. Gegensätze zwischen Lehren verschiedener Religionen sind vom Standpunkt dieser Prämisse aus weder dadurch aus der Welt zu schaffen, dass sie durch die eine einsichtige Wahrheit ersetzt noch dadurch, dass sie an ihnen selbst theoretisch gelöst würden. Miteinander unverträgliche religiöse Aussagen erscheinen dann im ersten Schritt nicht mehr als etwas, worüber man in objektstufiger Theorie hinauskommen könnte; und im zweiten Schritt erscheinen sie nicht mehr einmal als etwas, worüber man in objektstufiger Theorie hinauskommen müsste. Unter den gegenwärtigen religionsphilosophischen Theorien dieses Zuschnitts, solchen also, die sich der Pluralität der Religionen in dem Bewusstsein widmen, über die Vernunfttheologie im oben skizzierten Sinn hinaus zu sein, hat sich in den letzten Jahrzehnten besonders die pluralistische Option in der Ausarbeitung von John Hick als aussichtsreicher, wenn auch nicht einziger Kandidat auf die Einlösung des eingangs genannten Desiderats in der religionsphilosophischen Forschungslandschaft etabliert. Gegenüber anderen Theorien desselben allgemeinen Zuschnitts zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie den Befund der Pluralität im Feld der Religion mit der Grundannahme zu vereinbaren sucht, dass sich Religionen überhaupt zur Wahrheitsfrage verhalten, dass sich ferner verschiedene Religionen auf ein und dieselbe Wahrheit beziehen und dass ihnen – wenn auch nicht allen, so doch den Hochreligionen – buchstäblich Wissen um diese Wahrheit zukommt.1 1 In der ersten, allgemeinsten Hinsicht unterscheidet sich der religionsphilosophische Pluralismus damit von nicht-realistischen (und damit eo ipso nicht-kognitivistischen) Positionen; in der zweiten Hinsicht vom Relativismus und in der dritten vom Agnostizismus. Innerhalb des Feldes von Theorien, die Religionen Theoriekerne attestieren, in Bezug auf die von (getroffener oder verfehlter) Wahrheit, Einheit der Wahrheit und Wissen die Rede sein kann und muss, positioniert sich der Pluralismus in selbstbewusster Abgren-
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Im ersten Hauptteil dieses Beitrags wende ich mich der für die pluralistische Option tragenden Unterscheidung zwischen dem als „letzter Realität“ gefassten Wesen und seiner durch unterschiedliche Kulturen diversifizierten Erscheinung in den Religionen zu. Gezeigt werden soll, dass die vorgeschlagene Trennung von Wesen und Erscheinung erstens widersprüchliche Ergebnisse zeitigt und dass die pluralistische Option zweitens nicht so emanzipiert von vernunfttheologischen Einschlüssen ist wie es zunächst scheint. Im zweiten Hauptteil wende ich mich zurück ins Feld der Aufklärungstheologie, nämlich zum Begriff des „allerrealsten Wesens“, um an ihm zu zeigen, dass eine Vernunfttheologie, die auf dieser Basis operiert, wider ihre eigene Intention bei jenem an sich unbestimmten Wesen landet, an dem die moderne pluralistische Theorie ihren selbstbewussten Ausgangspunkt hat.
I. Zur Kritik der subjektivierenden Auffassung von Religion am Beispiel der pluralistischen Hypothese In seinem jüngeren Aufsatz Religious Pluralism, einer systematisch pointierten Zusammenfassung der pluralistischen Option, ihrer Prämissen und der zeitgenössischen Diskussion beider, fasst John Hick das Resultat, die pluralistische Hypothese selbst, so: „[…] the pluralistic hypothesis is that there is a transcendent and immanent Real, or Ultimate Reality, which is universally present to humanity and of which humans are aware, to the extent that they allow themselves to be so, in the various ways made possible by their different conceptual systems and spiritual practices. The practical outcome is that the religions should accept each other as different but equally valid responses to the Ultimate, should engage in mutual dialogue, including tactful criticism of particular practices, and should each gradually modify any elements in its own dogmas which prevent this. It is thus revisionary insofar as it is accepted within each tradition.“2
Die pluralistische Hypothese beruht seiner Darstellung gemäß auf der Kombination von vier Prämissen, zwei epistemologischen und zwei empirischen: zung von den Alternativen des Exklusivismus, des Inklusivismus und des Atheismus. – Zur Übersicht und Charakterisierung der gegenwärtig vertretenen Positionen und Argumente in der Frage nach dem Verhältnis von Religion, religiöser Diversität und Wahrheit vergleiche Peter Byrne, „A Philosophical Approach to Questions about Religious Diversity“, in: The Oxford Handbook of Religious Diversity, hg. v. Chad Meister, Oxford 2011 (= Religious Diversity), 29–41. 2 John Hick, „Religious Pluralism“, in: The Routledge Companion to Philosophy of Religion, hg. v. Chad Meister/Paul Copan, NewYork 2007, 216–225, hier: 222.
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Die erste Prämisse stellt das epistemologische Prinzip des kritischen Realismus dar. Ihr zufolge sind wir in unseren epistemischen Bemühungen wohl auf eine geistunabhängige Realität bezogen, die jedoch nie so erfasst wird, wie sie an ihr selbst ist, sondern immer und notwendig gefiltert und geordnet durch die Kategorien in unseren Köpfen.3 Die zweite, ebenfalls epistemologische Prämisse, besteht im Prinzip des „critical trust“, das besagt: Es ist vernünftig, anzunehmen, etwas sei wirklich so, wie es zu sein scheint, es sei denn, wir haben einen Grund gegen diese Annahme.4 Die dritte Prämisse liefert ein Erfahrungsbefund: Alle großen Weltreligionen glauben an die eine oder andere Form einer „letzten Realität“ („ultimate reality“) – oder kürzer „des Realen“ („the Real“)5 –, wobei sich in all diesen Religionen der Gedanke vertreten findet, diese letzte Realität sei an sich transkategorial, unaussprechlich, ein Jenseits des Geistes, und somit davon zu unterscheiden, wie sie für den Menschen ist. Was die Religion von diesem Realen sagt, ist diesem Gedanken zufolge immer schon die durch menschliche Rezeptions‑ oder Denkweisen geformte Antwort auf eine Affektion durch das Reale. Die vierte Prämisse besteht ebenfalls in einem Erfahrungsbefund, diesmal zu den Früchten der Religion im menschlichen Geist: Soweit man sehen kann, sind die großen Weltreligionen einander in ihrem spirituellen und ihrem moralischen Wert ebenbürtig. Alle scheinen sie gleich wirksame oder unwirksame historische Umfelder zu bilden, in denen Menschen geholfen wird, von natürlicher Selbstzentriertheit zu einer neuen Orientierung mit dem Zentrum im „Realen“ zu finden.6 Jeder der vier Prämissen und ihrem Zusammenhang hat Hick in Monographien7 und Aufsätzen eingehende Diskussionen und Verteidigungen gewidmet, auf die ich im Folgenden nur in einer einzigen thematischen Hinsicht eingehe (womit klar ist, dass der Anspruch keineswegs der einer Gesamtwürdigung des religionsphilosophischen Oeuvres von John Hick sein kann): mich interessiert der Kritische Realismus, für sich (Prämisse 1) und im religiös-theologischen Einsatz (Prämisse 3). Er bildet das Gelenkstück, das zwischen der Annahme des Wahrheitsgehalts religiöser Erfahrung (auf Basis der zweiten Prämisse) und dem Be Vgl. Religious Pluralism, 219 f. Vgl. Religious Pluralism, 220. 5 Vgl. Religious Pluralism, 220 f. 6 Vgl. Religious Pluralism, 221 f. 7 Vgl. beispielsweise John Hick, An Interpretation of Religion, London / New Haven, CT 22004. 3 4
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fund von Verschiedenheit und Gegensatz zwischen religiösen Aussagen, die die jeweilige Erfahrung fixieren, vermitteln soll.8 Die Diversität (bestimmter, nämlich der Hoch‑) Religionen wird so erklärt und gerechtfertigt durch die Unterscheidung zwischen dem einen, an sich unbestimmbaren Gegenstand der Religion und seiner Erscheinung, seinem Für-uns-Sein, das divers ausfallen muss, weil er nur durch die je subjektiven Voraussetzungen, die die Subjekte mitbringen und in denen sie faktisch unterschieden sind, zur Erscheinung kommt. Besondere Formen von Religion beziehen sich alle auf dasselbe, das für sich genommen das unbestimmt Allgemeine des Bezugs bildet und seine Konkretion den unterschiedlichen subjektiven Formen, Rastern und Filtern verdankt, die die Subjekte kraft ihres jeweiligen soziokulturellen Hintergrunds unbewusst investieren und auch investieren müssen, soll der Kontakt mit der letzten Realität zu bestimmtem Bewusstsein kommen. Die Crux der Position liegt, wie ich zeigen möchte, in der Trennung von Ansich und Füruns der vorausgesetzten letzten Realität: Die Beziehung zwischen dem göttlichen Wesen in seinem Ansichsein und den als solchen angenommenen Erscheinungen seiner im Kreis der personal-theistischen wie der apersonalen Hochreligionen lässt sich nicht als eine zwischen Wesen und Erscheinung halten, wenn beide in der angegebenen Weise zugleich getrennt werden sollen. Dass darin ein Widerspruch liegt, zeigt sich in einer ersten Weise, wenn man auf die Konsequenzen achtet, die die Aussage der Trennung für sich Gott und seine vielen Namen führt Hick in folgender Weise zu diesem Vermittlungsschritt hin: Was sind, zunächst, die Gründe für die Annahme der Existenz der letzten Realität? Die traditionellen Gottesbeweise sind, so seine Quintessenz, gescheitert; tatsächlich waren sie auch gar nicht der Grund für die Weltreligionen, sondern sekundäre Verteidigung von etwas, was man schon aus andern Gründen glaubte, Gründen, die er „im Bereich der religiösen Erfahrung“ (Gott und seine vielen Namen, Frankfurt/M. 2001, 26) angesiedelt sieht. Eine solche Erfahrung berechtigt den Menschen, an die Wirklichkeit des so und so erfahrenen Gottes zu glauben und entsprechend zu leben. Dabei muss, was der einen Erfahrung recht ist, der anderen billig sein: Für die religiösen Erfahrungen innerhalb der anderen großen Traditionen ist dieselbe kognitive Wahrheitsvermutung zuzulassen wie für die eigenen. Hier stoßen wir „allerdings auf das Problem, dass in den verschiedenen religiösen Traditionen sehr unterschiedliche und scheinbar widersprüchliche Aussagen über das Göttliche gemacht werden. […] Wenn wir für die religiöse Erfahrung innerhalb der großen Traditionen grundsätzlich einen kognitiven Wahrheitsgehalt voraussetzen wollen, dann müssen wir meines Erachtens folgende Unterscheidung einführen: auf der einen Seite das ‚Ewig Eine‘ an sich, als die unendliche Wirklichkeit, die die Reichweite des menschlichen Denkens, der menschlichen Sprache und Erfahrung übersteigt, und auf der anderen Seite das ‚Ewig Eine‘, wie es von endlichen Menschen erfahren, gedacht und zum Ausdruck gebracht wird.“ (Gott und seine vielen Namen, 27). 8 In
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selbst hat. Wenn alle Auskünfte über die letzte Realität in ihrer Bestimmtheit einem je schon bestimmten kulturellen Kontext verdankt sind – was heißt das für die Aussage, die ebendies statuiert? Es eröffnen sich zwei gleichermaßen in sich widersprechende Antworten: Entweder diese Aussage selbst fällt nicht in den Skopus der subjektiv bedingten Erscheinungen, sondern ist kulturübergreifend zu verstehen: Dann kann es nicht der Fall sein, dass alle Aussagen, die eine Erkenntnis über die letzte Realität beinhalten, in je kulturspezifischer Brechung auftreten. Oder die kulturspezifische Beschränkung gilt auch in Anwendung auf diese Aussage selbst. Dann ist sie, auf ihrer eigenen Ebene, eingeordnet als eine Weise, wie die letzte Realität zur Erscheinung kommt neben direkt mit ihr konkurrierenden Nachbarthesen. Die zweite Option ist dabei nicht irgendwie besser oder günstiger für die pluralistische Option. In jeder der beiden Optionen tritt die fragliche These als Maßstab ihrer selbst auf: Im ersten Fall wird sie als dieser Maßstab betont und damit ihr Inhalt in seiner Allgemeinheit negiert; im zweiten Fall wird sie als unter diesem Maßstab stehend betont und damit als dieser Maßstab zugleich als von sich ausgenommen unterstellt. Nun könnte es der Fall sein, dass dieses Dilemma nur entsteht, wenn man eine Unterscheidung außer Acht lässt, die John Hick gegen einen Einwand Alvin Plantingas geltend gemacht hat: Er unterscheidet für Aussagen zur letzten Realität zwischen substanziellen Prädikaten auf der einen Seite und formellen auf der anderen. Mit dieser Unterscheidung lässt sich nun zunächst dafür plädieren, dass die Aussage des kritischen Realismus in Bezug auf die letzte Realität in formellen Prädikaten über substanzielle Prädikationen spricht. Die religiösen Aussagen, über die sie spricht, könnten substanzieller, also objektstufig ihren Gegenstand bestimmender Art sein, während sie selbst auf der Metastufe angesiedelt bliebe und so gar nicht erst als Fall von Selbstanwendung in Frage käme. An ihr selbst stünde die letzte Realität jenseits aller substanzieller Disjunktionen – weder personal noch apersonal, weder schlecht noch gut, weder eine noch viele … –, aber daneben als Thema formeller nicht-relativer Aussagen weiterhin zur Verfügung. Folgen wir dem so präzisierten Gedanken ein Stück des Wegs: Was ergibt sich, zum einen, für die substanziell prädizierenden religiösen Aussagen, was, zum anderen, für die Trennungsaussage? Wie ist also erstens das vielfältige Für-uns-Sein, die vielfältige Erscheinung gefasst, die die eine letzte Realität in den vielen Religionen hat? Der konkrete Inhalt, den die letzte Realität in einer Religion erhält, erscheint, seiner Besonderheit nach, als Funktion entsprechender besonderer Voraussetzungen, die die Mitglieder dieser Religion schon mitbringen. In diesen Voraussetzungen unterscheiden sich die Subjekte; in ihnen sind sie schon
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unterschieden, ehe sie sich ein Bild von der letzten Realität machen. Unter diesen Vorzeichen scheint sich die Vielfalt der Antworten auf den Anruf der letzten Realität an den folgenden Widersprüchen zu brechen: Wenn die bestimmte Erscheinung, die die letzte Realität in einer bestimmten Religion annimmt, ihre Erscheinung unter den und den Voraussetzungen ist, dann muss sich die darin vertretene Relativität auch am Inhalt der jeweiligen Religion zeigen lassen: dass sie nicht das letzte Wort hat, dass sie eine besondere Art und Weise ist und darin noch nicht die adäquate Fassung ihres Gegenstands, müsste sich an ihr erkennen lassen. Aber der Pluralismus sieht genau diese Möglichkeit der inhaltlichen Erkenntnis eigener Relativität nicht mehr vor. Die besondere Art und Weise ist als solche ebenso abschließend und alternativlos verstanden wie sie als relativ gekennzeichnet ist. Mehr noch: in der Beschreibung des Zusammenspiels zwischen subjektiven Voraussetzungen und letzter Objektivität nimmt sich dieses eigentlich von vornherein als zum Scheitern verurteiltes Unternehmen aus. Die pluralistische Interpretation spricht die Bildung einer Religion nämlich als Betätigung von subjektiven Voraussetzungen aus, die zugleich unabhängig von der Sache an diese herangetragen und substanziell bestimmend für den Inhalt der Ansichten werden, die der religiöse Mensch dann von ihr hat. Darin nimmt sich die pluralistische Interpretation wie eine Projektionstheorie aus – und im Widerspruch dazu als eine Projektionstheorie unter positiven Vorzeichen. Sie spricht als Betätigung von Vorurteilen aus, was sie zugleich als die rechte, weil notwendige und einzig mögliche Weise kennt, sich zu diesem Gegenstand, der letzten Realität, zu stellen. Nach der zweiten Seite lässt sich die Trennungsaussage selbst nicht eindeutig auf der Seite nicht-objektiv, sondern formell gemünzter Aussagen halten. Das zeigt sich direkt an ihr selbst: In der Aussage „Die letzte Realität ist – in dem, was sie ist – unbestimmbar.“ fungiert Unerkennbarkeit oder Unbestimmbarkeit selbst als Bestimmung. Dass das der Fall ist, ist nicht erst daran abzulesen, dass Unbestimmbarkeit in eine Aussageform eingesetzt ist, in der ein Gegenstand mit einer der Form nach positiven Kennzeichnung, einer Charakterisierung, eingeführt ist. Die in Hicks Sinn substanziell prädikative Rolle – der Einsatz von Unbestimmbarkeit als Bestimmung – zeigt sich vielmehr schon am Inhalt des Prädikats selbst. Unbestimmbarkeit unterscheidet sich vom Festhalten der Vorläufigkeit, des Unfertigen eines gegebenen Standes der Erkenntnis. Es ist kein nur epistemisches, einen vorläufigen Erkenntnisstand anzeigendes Prädikat. Über ein solches formelles Prädikat geht es hinaus durch seine modale Entschiedenheit: Dem Gegenstand wird attestiert, nicht bestimmbar zu sein. Der Ausschluss der Möglichkeit von Bestimmung ist nicht mehr davon
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trennbar, dass damit etwas über die Natur der in Rede stehenden Sache angezeigt ist. Es ist ihre Eigenart, nicht bestimmt werden zu können. So lässt sich Unerkennbarkeit oder Unbestimmbarkeit nicht davon abhalten, als objektstufiges substanzielles Prädikat zu fungieren. Das ergibt den Widerspruch eines Gegenstands, der darin bestimmt ist, das Unbestimmbare zu sein. Der Inhalt des Prädikats dieser Aussage widerspricht dessen prädikativer Rolle – einer Rolle, die das Substanzielle, die Bestimmungsfunktion, nicht loswird.9 Dass die Trennungsaussage in prekärer Weise substanziell oder material eingemischt ist in Aussagen über die letzte Realität, zeigt sich auch in einem Argumentationsgang, in dem John Hick von dieser ihrer Seite expliziten Gebrauch macht: Dass die pluralistische Interpretation mit dem Selbstbewusstsein vieler religiöser Standpunkte kollidiert, wird von ihm gewusst und gewürdigt. Religiöse Standpunkte schließen ja oft ein reflektiertes Verhältnis zur Wahrheitsfrage ein, und es ist nicht nur die epistemische Trennungsthese (in Hicks dritter Prämisse), die dabei begegnet: Viele Religionen unterscheiden dezidiert zwischen wahren und falschen Göttern, wahren und falschen Weisen der Gottesverehrung und der Lebensführung. Unter den Religionen, die das dezidiert tun, gibt es wiederum solche, die das Verhältnis der – d. h. ihrer – Wahrheit zur Möglichkeit der Wahrheit in anderen Religionen ventilieren: die Alternative des Exklusivismus und Inklusivismus entstammt ja theologischen Debatten. Dass die pluralistische Hypothese mit solchen Selbstinterpretationen religiöser Standpunkte kollidiert, ist John Hick wohlbekannt und spricht für sich allein noch gar nicht gegen die pluralistische Hypothese. Schließlich haben Selbstverständnisse im Feld der Religion genauso wenig ein absolutes epistemisches Privileg wie im Feld der Kunst, Philosophie und Wissenschaft. Aber die Kollision betrifft nicht nur das Selbstverständnis religiöser Standpunkte im Unterschied zu deren doktrinalen Inhalten, sondern schlägt auf diese durch. Auch dies ist Hick keineswegs entgangen. An einem für die christliche Religion zentralen Lehrinhalt identifiziert er eine solche Kollision und behandelt sie wie folgt:10 Der christlichen Religion, so Hick, ist der Anspruch auf Exklusivität einbeschrieben, insofern sie buchstäblich die Menschwerdung Gottes in 9 Dafür, dass der Begriff der letzten Realität oder das göttliche Wesen in seinem Ansichsein bei Hick in problematischer Weise inhaltlich determiniert ist, argumentieren in alternativen Aspekten Friedrich Hermanni, Metaphysik, Tübingen 2011, 200–203 (= Hermanni, Metaphysik), und Roger Trigg, Religious Diversity, Cambridge 2014, 50–52. 10 Vgl. Gott und seine vielen Namen, 30–32; ausführlich in: John Hick (Hg.), The Myth of God Incarnate, London 1977.
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Jesu vertritt. Weil in Jesu Gott selbst inkarniert ist, führt für die Menschen der Weg zu Wahrheit und Erlösung dann auch nur noch exklusiv über die bewusste Nachfolge Jesu. Das hat zur Folge, dass beträchtliche Teile der Menschheit von religiöser Wahrheit und Erlösung endgültig ausgeschlossen sind, und zwar nur aufgrund des historischen Zufalls, dass diese Menschen von Jesu nichts wissen, weil sie vor seiner Zeit oder an einem anderen Ende der Welt oder sozialisiert in einem anderen Kulturkreis leben. Das ist ein Fall, in dem der Anspruch auf exklusive Geltung direkte Konsequenz eines Kernstücks der inhaltlichen Lehre einer Religion ist. In Kenntnis und angesichts seiner Kritik des innerkirchlichen Umgangs mit dieser Konsequenz sieht Hick für diesen Fall genau eine Lösung, nämlich eine Lösung in Schleiermachers Spuren: Die Lehre von der Inkarnation Gottes und die damit korrespondierende Zwei-Naturen-Lehre für die Person Jesu kann nur metaphorisch oder mythologisch gelesen werden. Das heißt: Jesus war durch und durch Mensch, kein Gott, und zwar ein Mensch, der exemplarisch die Liebe zu Gott und den Menschen gelebt hat. Damit ist der Weg frei, alternative Bahnen zu Wahrheit und Erlösung in anderen Religionen als gleichberechtigt anzuerkennen. Ob diese Lösung im Besonderen stichhaltig begründet ist oder nicht, lasse ich auf sich beruhen. Mir geht es um ein allgemeineres Problem, das sich an der Problemstellung und an der Lösung desselben zeigt. Wenn offenbar Fälle auftreten können, in denen der Inhalt eines religiösen Standpunkts und die pluralistische Option einander ausschließen, stellt sich die Frage, welcher von beiden Standpunkten weichen muss. Wenn es – wofür Hick im Beispielfall votiert – der spezifische religiöse Inhalt ist, der weichen muss, dann zeigt sich der Standpunkt der pluralistischen Hypothese als einer, der selber Religionen nach Wahr und Falsch beurteilt und in diesen materialen Urteilen offenbar nicht wiederum als eine besondere kulturbedingte Aneignungsweise unter anderen genommen sein will. Diese Beobachtung lässt sich ausweiten. In diesem besonderen Fall gehörte der Ausschluss anderer Religionen direkt zum – auch expliziten – Lehrinhalt einer Religion. Wie steht es nun ganz allgemein in solchen Fällen, in denen, ob explizit oder implizit, auf materialer Ebene verschiedene religiöse Lehren miteinander unverträglich sind, sei es im Verhältnis zwischen Religionen, sei es im Binnenverhältnis einer Religion? Der Befund, dass es solche Fälle von Entgegensetzung gibt, gehört ja zum Hintergrund der pluralistischen Hypothese. Gibt es für solche Fälle im Rahmen der Hypothese ein Argument dagegen, die Entgegensetzung selber als Gegensatz zur Verträglichkeitsannahme zu nehmen und, in denselben Bahnen wie im Fall der Menschwerdung Gottes oder der Zwei-Naturen-Lehre, die betreffenden Lehren
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vom Status, treffende, wahre Erscheinung der letzten Realität zu sein, auszuschließen, soweit der Gegensatz reicht? Die Folge wäre eine regelrechte Kernschmelze der Religionen, in der die religiösen Lehren reduziert würden auf den gemeinsamen Nenner der Anerkennung einer an sich unerkennbaren letzten Realität. Es ist klar, dass das der Intention Hicks nicht entspricht – aber es ist nicht abzusehen, wie der Unterschied zwischen bloßem Entgegengesetztsein und explizit ausgesagter Entgegensetzung dafür hinreichen sollte, nur im zweiten Fall inhaltliche Revision zu fordern und im ersten die übergreifende epistemologische Interpretation im Sinn des kritischen Realismus einzusetzen. Kehren wir, den ersten Teil abschließend, noch einmal zur Intention der pluralistischen Hypothese zurück: Dass das Unverträgliche in religiösen Positionen ihre Wahrheit nicht ausschließen muss, soll durch die epistemologische Trennung von Wesen und Erscheinung vermittelt sein. Aber ist sie dadurch vermittelt? Eine Deutung, die im allgemeinen erklärt, auf welche besonderen subjektiven Voraussetzungen die Unterschiede in den Aussagen zurückgehen – wo die Quelle der Verschiedenheit jenseits der Aussage und jenseits der Sache liegt –, überspringt die Ebene, auf der die Aussagen tatsächlich kollidieren, nämlich darin, dass sie demselben Bezugsgegenstand miteinander unverträgliche Bestimmungen beilegen. Es mag durchaus sein, dass von zwei solcher entgegengesetzter Aussagen jede etwas Wahres, eine vereinseitigte Teileinsicht, enthält. Aber das kann sich nur zeigen, wenn die Aussagen nicht gleich zum Niederschlag besonderer faktischer Voraussetzungen auf Seiten der beteiligten Subjekte erklärt, sondern zuallererst in ihrem Wahrheitsanspruch begriffen werden. Die Annahme, dass sich des einen wie des anderen unterschiedliche subjektive Voraussetzungen im Resultat niederschlagen, dass es mit unterschiedlichen Voraussetzungen zusammenhängt, dass der eine die letzte Realität als Person, der andere als erfülltes Nichts sieht, schlängelt sich – selbst wenn sie wahr ist – um die Frage herum, wie sich das eine und das andere Prädikat zu dem als identisch vorausgesetzten Subjekt verhalten. Für den Fall, dass sich Verschiedenheit in der Religion zu Gegensätzen ausbildet, schlägt die pluralistische Hypothese einen Perspektivenwechsel, eine neue Stellung zu den Gegensätzen vor, die als solche unberührt stehen bleiben. Die Crux der pluralistischen Option liegt, zusammenfassend gesagt, in ebendem Moment, das auch ihre Pointe ausmacht: in der Trennung von Ansich und Füruns, von objektivem Wesen und subjektiver Erscheinung. Religion zerfällt in dieser Analyse in ein abstrakt Identisches jenseits der Unterschiede und Gegensätze, das sich von sich her gar nicht zu den Unterschieden seiner Erscheinungen im religiösen Bewusstsein versteht, dem
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die Unterschiede zwischen religiösen Ansichten äußerlich bleiben, auf der einen Seite und die von außen kommenden, die mitgebrachten Formen der Aneignung auf der anderen. Diese Gedankenfigur der notwendigen Willkür und ihres für sich leer allgemeinen Bezugspunkts macht das Problem der pluralistischen Option aus. Nun ist man vielleicht geneigt, aus diesem kritischen Befund den Schluss zu ziehen, von einer Philosophie der Religion, die sich jenseits der natürlichen Theologie ansiedelt, wieder zurückzukehren zum Programm der natürlichen Theologie selbst; in der Gegenwart finden wir ja neben pluralistischen und nonkognitivistischen Religionstheorien durchaus auch solche, die „apologetic investment“11 betreiben. Am Fall des philosophischen Begriffs Gottes als des ens realissimum oder perfectissimum möchte ich im Folgenden zeigen, dass der einfache Weg zurück tatsächlich nicht gangbar ist. Vor allem aber möchte ich wissen, warum das so ist, was also genau in dieser für die philosophische Theologie der Aufklärung zentralen Konzeption Gottes falsch ist. Dabei wird sich zeigen, wie verblüffend nahe hier philosophische Theologie und Pluralismus der Religionen einander stehen.
II. Zur Kritik der natürlichen Theologie am Beispiel des Begriffs des allerrealsten Wesens Die natürliche oder Vernunft-Theologie stellte sich im wesentlichen drei Aufgaben, nämlich erstens die Bestimmung des Wesens Gottes oder die Erarbeitung seiner Realdefinition, zweitens den Beweis seines Daseins und drittens die Ableitung der relationalen Bestimmungen, die Gott im Verhältnis zu jenem Seienden hat, das allgemein zusammengefasst als das Andere zu Gott, das Nicht-Göttliche und von ihm Abhängige firmiert. Kritische Aufmerksamkeit hat vor allem die zweite Aufgabe auf sich gezogen; ob sie in konkreten vorgelegten Beweisversuchen tatsächlich eingelöst ist und ob sie sich überhaupt einlösen lässt, ist spätestens seit Kant ein Dauerthema der Religionsphilosophie. Doch die Probleme beginnen schon früher, bei der ersten Aufgabe der Begriffs‑ oder Wesensbestimmung Gottes.12 Um zu verstehen, ob und wenn ja, warum eine Rückkehr zu Fragen Byrne, Religious Diversity, 31. Schon Kant sieht eine Verbindung zwischen den Problemen der Beweisbarkeit und dem jeweils zugrunde gelegten Begriff Gottes; das gilt nicht minder für Schelling und Hegel. 11 12
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und Vorgehensweisen der vorkantischen natürlichen Theologie tatsächlich keine gangbare Alternative zu Deobjektivierungsstrategien in der Philosophie der Religion sein kann, ist es sinnvoll, sich eine der Lösungen der ersten, der Definitionsaufgabe etwas näher anzuschauen. Eine der elementaren Definitionen Gottes, die die natürliche Theologie liefert, ist bekanntlich die des ens realissimum. Im Folgenden möchte ich zeigen, dass dieses Wesen der letzten Realität bei John Hick mehr als nur dem Namen nach ähnlich ist, dass nämlich auch das ens realissimum den Widerspruch eines an sich unbestimmbaren Wesens, das seine Bestimmungen dann nurmehr auf äußerliche Weise erhält, darstellt. In der dahin führenden Analyse und Kritik greife ich weitgehend auf Hegels Kritik dieser Konzeption zurück, die er anlässlich seiner Behandlung der Elementarbestimmungen der Kategorie der Qualität in der Wissenschaft der Logik entwickelt: Der Begriff des ens realissimum oder perfectissimum13 spielt bekanntlich eine tragende Rolle in Descartes’ ontologischem Gottesbeweis, dessen Stenogramm lautet: Das höchst vollkommene Wesen enthält, per definitionem, alle Vollkommenheiten. Dasein ist eine Vollkommenheit. Also hat das höchst vollkommene Wesen Dasein.14 In der Geschichte der Kritik dieses Beweisversuchs gilt das Hauptaugenmerk der zweiten Prämisse: Dass Dasein kein reales Prädikat sei, gehört zu den in diesem Zusammenhang meistzitierten Aussagen aus Kants Kritik des ontologischen Gottesbeweises.15 Es gibt aber eine zweite Linie der Auseinandersetzung, die, weniger beachtet, ebenso sehr zur Sache dieses Beweises gehört. Diese Linie wird von Descartes selbst eröffnet und von Leibniz entscheidend weitergeführt; sie beginnt an folgendem Punkt: Ehe der Schluss auf das Dasein des höchst vollkommenen Wesens gezogen werden kann, muss zunächst einmal geprüft werden, ob der Begriff des vollkommensten Wesens widerspruchsfrei ist oder nicht. Sollte er es nämlich nicht sein, kommt neben die – von Leibniz nicht angefochtene – Daseinsimplikation die Tatsache der Unmöglichkeit 13 Descartes und Leibniz verwenden den zweiten, Baumgarten und Kant auch den ersten Ausdruck. Der Unterschied geht auf den zwischen einer Realität und einer Vollkommenheit zurück. Mit Leibniz gesprochen, stellt Realität den allgemeineren, Vollkommenheit den spezifischeren Begriff dar. Vollkommenheiten sind Realitäten und zwar einfache. Den für das Folgende entscheidenden Zug des rein Positiven teilen der weitere und der engere Begriff. 14 Vgl. René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen, übersetzt und hg. v. Artur Buchenau, Hamburg 1972, Meditation V. 7–11, S. 55–57. Zur Diskussion des Beweises und des darin zugrunde gelegten Gottesbegriffs vgl. Hermanni, Metaphysik, 50–66. 15 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (1787), Kants Werke, AkademieTextausgabe Bd. III, Berlin 1968, (= KrV) B 626 f.
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desselben Daseins zu stehen. Nun scheint die Sache für den ontologischen Beweis noch einmal glimpflich auszugehen, denn Leibniz selbst bietet einen Beweis der Widerspruchsfreiheit des Begriffs des höchst vollkommenen Wesens an.16 Dieser Beweis lautet: Im Begriff des höchst vollkommenen Wesens sind ausnahmslos Vollkommenheiten („perfectiones“) miteinander verbunden. Vollkommenheiten sind einfache, rein positive Bestimmungen im jeweiligen Höchstgrad ihrer Perfektion.17 Mit diesen Arteigenschaften der Bestimmungen ist ihre Kompossibilität in einem Wesen bereits gegeben. Sind nämlich A und B zwei Vollkommenheiten, so muss die Aussage „A und B sind inkompatibel“ falsch sein. Wäre diese Aussage wahr, so wäre sie auch notwendig wahr. Dazu müsste sie entweder eine identische, selbstevidente Aussage sein oder eine demonstrierbare. Demonstrierbar kann sie nicht sein, da Demonstration über die Analyse der beteiligten Begriffe läuft und sich einfache Begriffe per definitionem nicht analysieren lassen. Eine identische Aussage ist sie ebenso wenig, weil sie dann auf einem Fuß stehen müsste mit den wirklich identischen Aussagen „A ist A“ oder „A ist nicht B“, was hieße, dass in A (oder in B) der Ausschluss von B (bzw. A) ausgedrückt, eines von beiden also das Negative des anderen sein müsste.18 Das aber ist dadurch ausgeschlossen, dass es sich bei beiden nach Voraussetzung um rein positive Bestimmungen handelt. So bleibt nur übrig, dass die Inkompossibilitätsaussage falsch ist, also beliebige zwei (und dann auch: beliebig viele, alle) Vollkommenheiten kompossibel sind, also zusammen in ein und demselben Subjekt bestehen können. An dieser Stelle kommt Hegel ins Spiel. In einer Anmerkung zum Begriff der Realität im Qualitäts-Abschnitt der Seinslogik schreibt er: „Bei dem Ausdruck: Realität ist der sonstige metaphysische Begriff von Gott, der vornehmlich dem sogenannten ontologischen Beweis vom Dasein Gottes zugrunde gelegt wurde, zu erwähnen. Gott wurde als der Inbegriff aller Realitäten bestimmt und von diesem Inbegriff gesagt, daß er keinen Widerspruch in sich enthalte, daß keine der Realitäten die andere aufhebe; denn eine Realität sei nur als eine Vollkommenheit, als ein Affirmatives 16 Vgl. die Texte Nr. 79, 80 und 81 in: Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe, hg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR, 6. Reihe, Philosophische Schriften, hg. von der Leibniz-Forschungsstelle der Universität Münster, Bd. 3 (1672– 1676), Berlin 1980, 571–579 (= Ens perfectissimum). 17 Leibniz definiert: „Perfectionem voco omnem qualitatem simplicem quae positiva est, et absoluta, seu quae quicquid exprimit sine ullis limitibus exprimit.“ (Ens perfectissimum, 577) 18 „Non potest esse identica, nam tunc ubi sit A non posse esse B, idem esset quod A est A, vel A est B, adeoque alterum exprimeret exclusionem alterius, adeoque alterum eorum foret alterius negativum, quod est contra hypothesin, supposuimus enim omnia esse affirmativa.“ (Ens perfectissimum, 572)
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zu nehmen, das keine Negation enthalte. Somit seien die Realitäten sich nicht entgegengesetzt und widersprechen sich nicht. Bei diesem Begriff der Realität wird angenommen, daß sie dann noch bleibe, wenn alle Negation weggedacht werde; damit wird aber alle Bestimmtheit derselben aufgehoben. Die Realität ist Qualität, Dasein; damit enthält sie das Moment des Negativen und ist allein dadurch das Bestimmte, das sie ist. […] Die Realität, wie sie in jener Definition als bestimmte Qualität genommen wird, über ihre Bestimmtheit hinausgeführt, hört auf Realität, [sic] zu sein; sie wird zum abstrakten Sein; Gott als das rein Reale in allem Realen oder als Inbegriff aller Realitäten ist dasselbe Bestimmungs‑ und Gehaltlose, was das leere Absolute, in dem alles eins ist.“ (WdL I, 106 f.)19
Wie man sieht, setzt Hegels Kritik nicht erst bei der Verwandlung des Inbegriffs der Realitäten in ein individuelles Subjekt an, sondern schon bei diesem Inbegriff oder genauer bei dessen angenommenen Bildungselementen selbst. Was er angreift, ist der Gedanke, Realität und Negation seien Arten der Gattung Qualität, derart, dass es auf der einen Seite einen negationsfreien Typ von Qualität gebe (die Realitäten) und auf der anderen Seite den Gegentyp, einen Typ von Qualität, dem Negation einbeschrieben ist (die Negationen)20 – zwei Bestimmungstypen, die diesem Gedanken zufolge freilich nicht auf derselben Stufe stehen, insofern mit Negation behaftete Qualitäten eben die Negation einer Realität sind, die sie also sowohl definitorisch als auch ontologisch voraussetzen. Von dieser kategorientheoretischen Voraussetzung aus scheint es ja zunächst auch einleuchtend, Gott als das allerrealste oder das höchst vollkommene Wesen zu fassen: Gott ist sicher kein irgendwie eingeschränktes und kein sekundäres Wesen – dieses Kriterium bildet sozusagen die aus der allgemeinen Vorstellungswelt aufgenommene Minimalbestimmung seiner. Aber deswegen, könnte man mit der natürlichen Theologie meinen, ist das 19 Hegels Beschreibung muss sich nicht exklusiv oder speziell auf Leibniz beziehen. In der späteren Schulmetaphysik, etwa bei Baumgarten, findet sich eine vereinfachte Version, der Hegels Beschreibung nähersteht. Vgl. Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysik, übersetzt von G. F. Meier, Anmerkungen von J. A. Eberhard, Halle 1783, Reprint Jena 2004 (= Baumgarten, Metaphysik), § 605. 20 Explizit begegnet diese Einteilungsvorstellung wiederum in Baumgartens Metaphysik: „Was durchs Bestimmen in dem Möglichen gesetzt wird, ist eine Bestimmung (determinatio, nota, praedicatum). Eine jedwede Bestimmung ist entweder eine bejahende, oder eine verneinende. […] Eine wahrhaftig bejahende Bestimmung ist eine Realität (realitas), eine aber nur dem Scheine nach bejahende Bestimmung ist eine Scheinrealität (vanitas). Eine wahrhaftig verneinende Bestimmung ist eine Verneinung (negatio); eine aber nur dem Scheine nach verneinende Bestimmung ist eine Scheinverneinung (realitas cryptica).“ (Baumgarten, Metaphysik, § 31) Kant greift diese Einteilung von Bestimmungen in Realitäten und Negationen in seiner Rekonstruktion des transzendentalen Ideals auf; vgl. KrV B 602 f.
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göttliche Wesen nicht nichts und auch nicht unbestimmbar, sondern im Gegenteil das positiv bestimmte Wesen par excellence. Worin eigentlich wird diese Erwartung enttäuscht, oder was spricht dagegen, rein affirmative oder positive, negationsfreie Bestimmungen anzunehmen? Warum hören so gedachte Bestimmungen überhaupt auf, Bestimmungen zu sein? An dieser Stelle gilt es zu fragen, was genau es heißt, für die Bildungselemente des Begriffs des höchst vollkommenen Wesens „alle Negation wegzudenken“. Eines heißt es ja nicht: dass nämlich einer Vollkommenheit jedweder Bezug auf Negation abgesprochen würde. Das ist in zweierlei Hinsicht nicht der Fall: Erstens ist für Vollkommenheiten untereinander das einfache Unterschiedensein vorgesehen. So hält Leibniz explizit „A ist nicht B“ als wahre identische Aussage für zwei beliebige gegebene Vollkommenheiten fest. Nur unterscheidet er den Sachverhalt des Unterschieds zweier Bestimmungen – zu Recht – von dem der Inkompossibilität, des wechselseitigen Ausschlusses zwischen ihnen. Zweitens ist in dieser Konzeption auch die Negation im Sinn des Ausschließens, der Inkompossibilität, nicht einfach vergessen: Negation in diesem Sinn kommt zum Tragen im Verhältnis einer Vollkommenheit zu ihrem negativen Komplement, also derjenigen qualitativen Bestimmung, die durch das Nichtsein, den Mangel, einer Vollkommenheit bestimmt ist. Die Pointe des logischen Arrangements besteht vielmehr darin, diese beiden voneinander unterschiedenen negativen Beziehungen in zwei verschiedenen Rücksichten anzusetzen: Vollkommenheiten schließen einander nicht aus, bleiben aber voneinander unterschieden; und sie schließen Bestimmungen aus, aber nicht ihresgleichen, sondern ihre jeweiligen negativen Gegenstücke – die sich ja, der Gegenklasse der Vollkommenheiten angehörend, kaum als Störenfriede gegen deren Vereinbarkeit gelten machen können. „Weggedacht“ ist Negation in Bezug auf eine Vollkommenheit also genauer in dem Sinn, dass es für eine Vollkommenheit nicht konstitutiv sein soll, auf eine ihr gegenüber vorausgesetzte oder eigenständige Bestimmung bezogen zu sein. Nun ist es ganz konsequent, mit Leibniz zu sagen, dass mit dieser Voraussetzung die Inkompossibilität der Vollkommenheiten ausgeschlossen ist. Aber genauso konsequent ist es zu sagen, dass mit derselben Voraussetzung auch ihre Kompossibilität ausgeschlossen ist. Leibniz‘ Argument gegen die Inkompossibilität lässt sich nämlich ebenso für die Kompossibilitätsaussage für zwei Vollkommenheiten durchführen: „A und B sind im selben Subjekt vereinbar.“ kann nicht demonstriert werden, weil A und B einfache Bestimmungen sind. Sie ist auch keine identische Aussage, weil A und B zwei verschiedene Vollkommenheiten sind, nicht eins die Wiederholung des anderen. Eines von beidem, Demonstrierbarkeit oder Identität, müsste aber
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der Fall sein, da die Aussage, wenn wahr, dann notwendig wahr sein müsste. Also ist die Kompossibilitätsaussage falsch. Dass im selben Rahmen sowohl die Kompossibilität der Vollkommenheiten als auch ihr Gegenteil erschlossen werden können, drückt aus, dass Bestimmungen des angenommenen Typs überhaupt nicht in Verhältnissen zueinander stehen, die sie zu Bestimmungen qualifizierte. Wenn sich gar nicht mehr sagen lässt, ob ein Subjekt, indem es A ist, offen ist für B oder nicht, dann sind mit A und B die Bedingungen des Bestimmens unterschritten. Ebenso lösen sich, nach der zweiten Hinsicht betrachtet, die Bestimmungsverhältnisse zwischen einer rein positiven Bestimmung und ihrem negativen Komplement auf. Im Rahmen der Einteilung qualitativer Bestimmung in Realitäten einerseits und Negationen andererseits sind die letzteren durch die Negation einer rein positiven Bestimmung konstituiert. Damit entsteht aber etwas anderes als ein bestimmtes Gegenstück: Gedacht ist zwar daran, dass in Gestalt der Negationen ein Nicht-Sein eine qualitative Beschaffenheit ausdrückt, auch ein So-und-so-Sein, mit dem etwas über die dadurch bestimmte Sache ausgesagt wäre. Das aber wird nicht erreicht: Wenn die Realitäten schon so gedacht sind, dass, was immer sie ausschließen, nur als die Negation ihrer selbst bestimmt ist, dann sind solche negativen Bestimmungen nicht mehr davon zu unterscheiden, dass sie nicht eigene Bestimmungen, sondern nur die unbestimmte Anzeige von irgendetwas anderem sind. So erläutert und bestätigt sich Hegels Einwand gegen die Voraussetzung der Einteilung der Qualitäten in rein positive und sekundäre, weil negative. Wovon die schieren, negationsfreien Realitäten eingeholt werden, ist der Umstand, dass zum qualitativen Bestimmen das Abgrenzen gehört und zu einer Grenze zwei Seiten. Die Idee, die in der Konzeption der negationsfreien Realität vorschwebt, will das Bestimmen, die Bestimmung als Bestimmung, behalten, aber von den Implikationen des Abgrenzens dispensieren. In diesem Punkt kehrt sich die angenommene spezifische Differenz der rein affirmativen Bestimmungen gegen ihre Gattung. Wo die betrachtete Konzeption Realität und Negation als erste Einteilungsgründe der Sphäre der Qualität vorsieht, stellen sich diese als zusammengehörige Momente des Begriffs der Qualität heraus. Das hat Folgen für die Konzeption des höchst vollkommenen Wesens: Das pur negationsfrei qualitativ bestimmt sein sollende Wesen ist aus dem genannten logischen Grund das leere, das nicht bestimmte Wesen. Nun ist es der natürlichen Theologie nicht fremd, den formalen oder Status-Begriff des höchst vollkommenen Wesens auch inhaltlich zu füllen, d. h. seine Vollkommenheiten oder rein positiven Bestimmungen auch zu erschließen und zu bestimmen. Wenn nun aber der vorausgesetzte Begriff der
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Vollkommenheit Bestimmtheit zugleich verlangt und ausschließt, wird das für den Versuch der inhaltlichen Füllung ebenfalls nicht ohne Folgen bleiben. Hegel erläutert diese Folgen im Kontext seiner Anmerkung am Fall der angenommenen moralischen Eigenschaften des göttlichen Wesens. Das göttliche Wesen ist gemäß der natürlichen Theologie nicht nur sehr mächtig, sehr gütig und sehr gerecht, sondern verkörpert diese Eigenschaften in eminenter oder unendlicher Weise. Hegel kommentiert: „Im sogenannten eminenten Sinne oder als unendliche – in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes –, wie sie [die Realität; d.V.] genommen werden soll, wird sie ins Bestimmungslose erweitert und verliert ihre Bedeutung.“ (WdL I, 106 f.) Wo Macht, Güte und Gerechtigkeit in ihrer gewöhnlichen Bedeutung als Bestimmungen gewusst werden, von denen die eine auch auf Kosten der anderen zum Tragen kommen kann, ist für ihre unendliche, ihre vollkommene Fassung auch ihre vollkommene Einheit gedacht, also die Möglichkeit ihrer Entgegensetzung ausgeschlossen. An sich oder in ihrem Begriff, so der Gedanke, schließen Macht, Güte und Gerechtigkeit einander ein, und die Proben gnadenloser Macht oder launischer Güte, die man aus dem gemeinen Leben so kennt, sind Verletzungen nicht nur der davon lädierten Subjekte, sondern auch des Begriffs der beteiligten Bestimmungen. Nur: Dieser Gedanke lässt sich im Rahmen der skizzierten Unterscheidung zwischen rein positiven und negativen Bestimmungen nicht einholen; denn er impliziert, dass es sich bei den genannten Bestimmungen nicht abschließend und einfach um selbstgenügsam rein affirmative Bestimmungen handelt. Hält man umgekehrt diese Voraussetzung fest, gerät der Ausgriff ins Unendliche notwendig zur unbestimmten Geste, denn nach dieser Voraussetzung sind die Macht, die Gerechtigkeit und die Güte getrennt voneinander als Vollkommenheiten sistiert. Nach der einen Seite betrachtet, verlieren die Bestimmungen damit ihren gewöhnlichen Inhalt, ohne einen bestimmten anderen zu erhalten. Nach der anderen Seite betrachtet, nimmt sich die Aufnahme dieser Bestimmungen im skizzierten Rahmen notorisch wie eine äußerliche, vom Kernbegriff des göttlichen Wesens her nicht gedeckte Einmischung fremden Bestimmungsguts aus.21 21 Die natürliche Theologie selbst trifft auf dieses Problem in Gestalt der Frage nach dem Zusammenhang zwischen den metaphysischen und den moralischen Eigenschaften Gottes. Schleiermacher hält in seinen Reden Über die Religion zu diesem Punkt, kritisch sowohl gegen die ältere natürliche Theologie als auch gegen die kantische Moraltheologie, fest: „Die Theoretiker in der Religion, die aufs Wissen über die Natur des Universums und eines höchsten Wesens, dessen Werk es ist, ausgehen, sind Metaphysiker; aber artig genug, auch etwas Moral nicht zu verschmähen. Die Praktiker, denen der Wille Gottes Hauptsache ist, sind Moralisten; aber ein wenig im Stile der Metaphysik. Die Idee des Guten
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Zusammenfassend ergibt sich für die natürliche Theologie des allerrealsten oder des höchst vollkommenen Wesens: Ihr gerät das göttliche Wesen wider ihre Absicht zum unbestimmten Wesen, das seine Bestimmungen – insbesondere diejenigen, die es in seiner Bedeutung für menschliche Angelegenheiten zeigen – nicht mehr auf logisch nachvollziehbare Weise aus seinem eigenen Wesen, sondern auf fremde Weise aus vorausgesetzten Bedürfnissen des Subjekts der Theorie zugesprochen erhält. In dieser Trennung von Wesen und Sich-Zeigen nimmt die natürliche Theologie genau den Gedanken vorweg, den die pluralistische Religionsphilosophie explizit propagiert.
III. Konvergenzen und Konsequenzen Halten wir die bisherigen Ergebnisse fest, so zeichnet sich für die eingangs aufgespannte Alternative einer Philosophie der Religionen entweder auf der Grundlage natürlicher Theologie oder unabhängig von dieser ein klares Ergebnis ab: Natürliche Theologie und die pluralistische Hypothese konvergieren in einem Grundgedanken und dessen Mangel. Am Beispiel der pluralistischen Option in der Theorie der Religionen ergibt sich erstens, dass auch eine Philosophie der Religionen, die die selbständige Erkenntnis des Gegenstands der Religion hinter sich gelassen haben will, sich zumindest implizit im Feld eben dieser autonom vernünftigen Erkenntnis platziert. Erscheint die pluralistische Option zunächst rein als übergeordnete Theorie der Erklärung religiöser Verschiedenheit auf Basis der Hypothese nehmt Ihr und tragt sie in die Metaphysik als Naturgesetz eines unbeschränkten und unbedürftigen Wesens, und die Idee eines Urwesens nehmt Ihr aus der Metaphysik und tragt sie in die Moral, damit dieses große Werk nicht anonym bleibe, sondern vor einem so herrlichen Kodex das Bild des Gesetzgebers könne gestochen werden. Mengt aber und rührt wie Ihr wollt, dies geht nie zusammen, Ihr treibt ein leeres Spiel mit Materien, die sich einander nicht aneignen, Ihr behaltet immer nur Metaphysik und Moral!“ (Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [1799], hg. v. G. Meckenstock, Berlin/New York 2001, 76 f.) Im gegenwärtigen Kontext interessiert die erste Richtung seiner Kritik. Ausgeführt lautet sie: Wo das erste Wesen für die theoretische Metaphysik seiner Grundbestimmung nach das absolut vollkommene, in jeder Rücksicht selbstgenügsame Wesen ist, da wird unerklärlich, wie dieses selbe Wesen eines sein sollte, das in den moralisch-praktischen Unterschied des Guten und Schlechten selbst praktisch involviert wäre. Wie sollte ein Wesen, das immer schon alles ist, was es sein kann, von dem per definitionem jeder Mangel, nicht oder schlecht verwirklichte Möglichkeit ausgeschlossen ist, sich für irgendetwas interessieren? Güte und Gerechtigkeit, die beiden moralischen Hauptattribute Gottes, setzen ein freies Involviertsein in menschliche Angelegenheiten voraus, das gegen das sich selbst genügende Wesen als ein Fremdkörper in der metaphysischen Theorie erscheint.
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veridischen Gehalts religiöser Erfahrung, zeigt sie sich auf den zweiten Blick selbst als material oder objektstufig eingemischt in die Frage, wie das göttliche Wesen wahrheitsgemäß zu denken sei und wie nicht. Insofern bildet eine Philosophie der Religionen, die sich von der Vernunfttheologie getrennt weiß, keine Alternative zu ihr aus – nicht, weil sie irgendwie schlechter wäre, sondern weil sie selber eine Variante von Vernunfttheologie enthält. Zweitens aber konvergieren die pluralistische Hypothese und die betrachtete natürliche Theologie auch inhaltlich darin, dass für sie der Gegenstand der Religion das unbestimmte Wesen wird. Freilich kommt die Diagnose des unbestimmten Wesens mit unterschiedlicher Bedeutung oder Stoßrichtung ins Spiel: Was der natürlichen oder Vernunfttheologie als negative Kritik begegnet – ausgerechnet in dem Anliegen, Gott in seiner Fülle in Gedanken zu fassen, auf ein leeres Wesen zu stoßen, ist ein ungewolltes und katastrophales Resultat –, gehört für die pluralistische Option zum positiven Kernbestand, zum Mittel ihres Beitrags zur Gegensatzbewältigung. Aber ob gewollt oder ungewollt – im Zentrum beider Aussagen über den Gegenstand der Religionen kommt ein Wesen zu stehen, das an sich so bestimmt ist, dass es nicht bestimmt ist. Die Konvergenz zwischen natürlicher Theologie und deobjektivierender Philosophie der Religion setzt sich fort im Hinblick auf die dann doch wiederum folgende inhaltliche Füllung des leeren Wesens Gottes. Dass es nicht dabei sein Bewenden haben kann, dass wir in der abstrakten Vorstellung von Gott als des allerrealsten Wesens oder der letzten Realität stehen bleiben, teilen beide Theorien. Aus der Kritik des verselbständigten unbestimmten Wesens ergibt sich wiederum im Hinblick auf beide Theorien, dass die inhaltliche Füllung subjektiv imprägniert sein muss, d. h. gegenüber dem Wesen, das darin Bestimmung, Kenntlichkeit, Wiedererkennbarkeit erhält, willkürlich und äußerlich. Angesichts dieser Konvergenzen aber scheinen wir vor einem Dilemma zu stehen: Wenn erstens eine Philosophie der Religionen, die deren Wahrheitsanspruch in ihrer Verschiedenheit und Entgegensetzung vernünftig würdigen will, selber natürliche Theologie einschließt und wenn zweitens natürliche Theologie bei einem unbestimmten Wesen herauskommt, dem besondere Bestimmungen nur gleichsam von außen angestückt werden – wie ist dann überhaupt noch der Anspruch einzulösen, mit Religionen philosophisch vernünftig umzugehen? An dieser Stelle ist es wichtig, sich daran zu erinnern, unter welchen Voraussetzungen dieser Anspruch sich als uneinlösbar darstellt. Er wäre in der Tat nicht einlösbar, wenn das philosophische Nachdenken über den Gegenstand der Religion mit dem Musterexemplar identisch und ausgeschöpft
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wäre, das wir im vorigen betrachtet haben. Doch hat dieses Musterexemplar dabei ein besonderes Profil gezeigt, das gegen eine solche Identifizierung spricht. Dieses Profil lässt sich im Anschluss an die obige Kritik des Begriffs des allerrealsten Wesen als abstrakte Negation der Negation umreißen: Vorausgesetzt wird eine vollständige Klassenscheidung von Entitäten mit unvollkommenen auf der einen und dem vollkommenen Wesen auf der anderen Seite. Die Entitäten beider Seiten sind in negativer Wechselbestimmung begriffen, das Vollkommene ist definiert als einfache Negation des Negativen der Entitäten der ersten Klasse unter Beibehaltung des unterstellten Positiven der ersten. Das Vollkommene ist wie das Unvollkommene abzüglich seines Mangels. Dieses abstraktive Verfahren führt in den Widerspruch des bestimmungslosen Etwas, weil sich die eingesetzten kategorialen Bestimmungen ihrerseits als zusammengehörig erweisen. An diesem Steckbrief des Verfahrens zeigt sich schon, dass es eine falsche Verallgemeinerung wäre, dieses Verfahren mit der Vernunft oder dem Denken zu identifizieren. In der Kritik des Verfahrens selber zeigt sich ein Gefälle zwischen dem, was als Zielbestimmung vorschwebt, und der tatsächlich gegebenen Bestimmung. Insofern lautet die Konsequenz nicht: Wer vernünftig über Gott und die Welt nachdenken will, möge seinen Verstand an der Garderobe abgeben. Vielmehr zeigt sich der Befund der Unbestimmbarkeit bei gleichzeitig geforderter Bestimmtheit als Folge durchaus bestimmter, identifizierbarer, prüfbarer und revidierbarer Voraussetzungen und Verfahrensweisen. Wenn man verstanden hat, dass Realität und Negation zwei Seiten des einen Begriffs der Qualität sind, wird man in diesem Punkt den Begriff des allerrealsten Wesens kritisieren; oder wenn man verstanden hat, dass Vollkommenheit die Unterscheidung zwischen einem Begriff und adäquaten oder inadäquaten Realisierungen seiner impliziert, wird man beides nicht mehr als unmittelbar identisch behandeln. Unmittelbar betrifft dieses Ergebnis die natürliche oder philosophische Theologie; mittelbar wirft es aber auch Licht auf die Frage, was es heißen kann, in einer Philosophie der Religion der Vielfalt der Religionen gerecht zu werden. Es scheint nicht nur nicht konsistent möglich, sondern auch nicht notwendig zu sein, für das Erkennen von Religionen zwischen einem gemeinsamen wahren Wesen und einer je subjektiv bestimmten Erscheinung zu trennen. Insofern Religionen nämlich selbst theoretische und näher metaphysische Kernelemente enthalten, spricht das eben vorgestellte Ergebnis dafür, diese zu identifizieren, zu durchdenken – was auch heißt, sie zu prüfen – und, wo sie einander zuwiderlaufen, sie in ihren jeweiligen Entgegensetzungen zu begreifen. Das heißt freilich nicht, dass eine Philosophie der Religionen sich damit begnügen könnte oder sollte, Religion auf
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Metaphysik oder Metaphysikkritik zurückzuführen. In diesem Punkt lassen sich Schleiermacher, Hegel und Schelling gleichermaßen als Kronzeugen für die Einsicht verstehen, dass sich Religion von Philosophie spezifisch unterscheidet und eine Philosophie der Religion gerade auch diese spezifische Differenz zu begreifen hat. Nur folgt aus dieser Einsicht nicht, dass Religionen getrennt von allen Wahrheitsansprüchen zu betrachten wären. Wo hinter pluralistischen und nicht-realistischen Religionstheorien die Besorgnis steht, Religionsphilosophie würde zum Sprachrohr eigener Vorurteile verkümmern, sobald sie beginnt, sich um die Wahrheitsfrage in den Religionen zu kümmern, so zeichnet sich nach dem Vorigen auch ab, wie der Besorgnis in einer wahrheitsorientierten denkenden Auseinandersetzung mit Religion Rechnung getragen werden kann. Dass sich die Religionsphilosophie für diese Aufgabe ihr Ergebnis nicht von der vorausgesetzten Präferenz für die oder für eine Religion vorgeben lassen kann und auch nicht vorgeben lassen muss, gehört wiederum zu den Einsichten, die wir Schleiermacher, Hegel und Schelling – diesmal aber genauso: der natürlichen Aufklärungstheologie – verdanken.
Literatur Baumgarten, Alexander Gottlieb, Metaphysik (1783), übersetzt v. G. F. Meier, Anmerkungen v. J. A. Eberhard, Einführung, Konkordanz u. Bibliographie v. D. Mirbach, Jena 2004 (= Baumgarten, Metaphysik). Byrne, Peter, „A Philosophical Approach to Questions about Religious Diversity“, in: The Oxford Handbook of Religious Diversity, hg. v. C. Meister, Oxford 2011, 29–41 (= Byrne, Religious Diversity). Descartes, René, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen, übersetzt und hg. von A. Buchenau, Hamburg 1972. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), neu hg. v. H.-J. Gawoll, mit einer Einleitung von F. Hogemann und W. Jaeschke, Hamburg 1990 (= WdL I). Hermanni, Friedrich, Metaphysik. Versuche über letzte Fragen, Tübingen 2011 (= Hermanni, Metaphysik). Hick, John (Hg.), The Myth of God Incarnate, London 1977. Hick, John, Gott und seine vielen Namen (God Has Many Names [1982]), Frankfurt am Main 2001. Hick, John, „Religious pluralism“, in: The Routledge Companion to Philosophy of Religion, hg. v. C. Meister/P. Copan, New York 2007, 216–225. Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft (1787), Kants Werke, Akademie Textausgabe Bd. III, Berlin 1968 (= KrV). Leibniz, Gottfried Wilhelm, „Quod Ens perfectissimum sit possibile“, „Ens perfectissimum existit“, „Quod Ens perfectissimum existit“, in: ders., Sämtliche Schriften und Briefe, hg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR, 6. Reihe, Philosophische
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Schriften, hg. von der Leibniz-Forschungsstelle der Universität Münster, Bd. 3 (1672– 1676), Berlin 1980, 571–579 (= Ens perfectissimum). Meister, Chad (Hg.), The Oxford Handbook of Religious Diversity, Oxford 2011 (= Religious Diversity). Meister, Chad / Copan, Paul (Hgg.), The Routledge Companion to Philosophy of Religion, London / New York 22013 (12007) (= Philosophy of Religion). Schleiermacher, Friedrich, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), hg. v. G. Meckenstock, Berlin/New York 2001 (= Reden). Trigg, Roger, Religious Diversity: Philosophical and Political Dimensions, Cambridge 2014 (= Trigg, Religious Diversity).
Wahrheit in den Religionen Systematische Überlegungen im Anschluss an Schleiermacher, Hegel und Schelling Henning Tegtmeyer Das Phänomen der religiösen Pluralität hat die Philosophie schon immer herausgefordert. Mag auch im praktischen Umgang mit den Angehörigen fremder Religionsgemeinschaften eine weitgehende Toleranz geboten sein, so kann diese Haltung in theoretischer Hinsicht doch nicht die kritische Prüfung und die Auseinandersetzung mit den Wahrheitsansprüchen der fremden Glaubenssysteme sowie mit den Ansprüchen auf Verbindlichkeit ersetzen, die sich an die jeweilige religiöse Praxis knüpfen. Toleranz ist eine praktisch-politische Tugend, kein theoretisches Prinzip. Macht man aber Ernst mit der kritischen Durchdringung der Religionen – eigener wie fremder –, dann scheint folgendes Dilemma zu drohen: Entweder man beurteilt den Wahrheitsanspruch fremder Religionen vor dem Hintergrund der eigenen; dann gibt man den Universalitätsanspruch des philosophischen Denkens preis und verschreibt sich einer religiösen Philosophie, z. B. einer christlichen oder jüdischen Philosophie, also einer durch religiöse Vorannahmen beschränkten Philosophie. Oder man bleibt religiös neutral. Das scheint nur um den Preis einer umfassenden Einklammerung religiöser Wahrheits‑ und Geltungsansprüche, eines vollständigen methodischen Agnostizismus möglich zu sein. Damit wird aber die Möglichkeit einer durchgehenden kritischen Analyse, die ja das Ziel der Unternehmung sein soll, von vornherein ausgeschlossen, weil man schon zuvor beschlossen hat, zu zentralen Geltungsfragen nicht Stellung zu nehmen.1 1
Es heißt manchmal, dass Religionsphilosophie und Religionswissenschaft sich zumindest auf einen methodischen Atheismus verpflichten müssten, um frei von den Vorurteilen einer je partikularen Religion zu bleiben. Dass ein solcher Zugang dem Dilemma nicht entgeht, liegt aber auf der Hand: Der Atheismus beruht auf einer die Analyse von vornherein einengenden Annahme, die im Rahmen der Religionsphilosophie und Religionswissenschaft selbst gar nicht gerechtfertigt werden kann. Das gilt auch für einen ‚bloß methodischen Atheismus‘.
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Aus der Aufklärungsphilosophie sind primär zwei Strategien der Umgehung dieses Dilemmas bekannt. Gemäß der ersten Strategie wird scharf zwischen einem vernunftgemäßen religiösen Glauben und dem Aberglauben unterschieden (mit oder ohne Anerkennung des christlichen oder wenigstens des protestantischen Glaubens)2, wobei der Vernunftglaube sich auf die Gottesbeweise der Natürlichen Theologie oder auf alternative metaphysische Annahmen stützt. Im Extremfall kann das auch ein atheistischer Materialismus sein. Auf diese Weise gerät die Mehrheit der bekannten Religionen, einschließlich des Judentums und des Islam, rasch in die Nähe des Aberglaubens. Gemäß der zweiten Strategie werden die Religionen stärker historisch betrachtet, als Stufen einer allmählichen Entwicklung der Menschheit hin zu einem System von theoretischen und praktischen Überzeugungen, die sich im Prinzip auch ohne ‚religiöse Einkleidung‘ formulieren lassen.3 Diese Strategien sind keineswegs erledigt; im Gegenteil, sie werden immer wieder aktualisiert, wo Religion kritisch thematisiert wird. Der Gegensatz zwischen ihnen spiegelt sich innertheologisch z. B. in heutigen Debatten über exklusivistische und inklusivistische Theorien religiöser Pluralität. Aggressiv atheistische Spielarten der ersten Strategie findet man im so genannten ‚Neuen Atheismus‘ oder ‚Neuen Humanismus‘ unserer Tage, aber auch, mit anderer Stoßrichtung, in Ernst Tugendhats Unterscheidung zwischen Religion und Mystik.4 Die gegenüber den Religionen konziliantere zweite Strategie wird in den neueren Schriften von Jürgen Habermas verfolgt, wenn er sich bemüht, Rationalitäts‑ und Sinnpotentiale der religiösen Traditionen für die säkulare Welt durch philosophische Übersetzungsleistungen neu zu erschließen.5 Beiden Strategien gemeinsam ist ihr Reduktionismus. ‚Aufklärerische‘ Religionskritik kann von vornherein nur das als diskutabel akzeptieren, was ihren eigenen Überzeugungen hinreichend ähnlich ist; alles Übrige wird als Teil eines umfassenden Verblendungszusammenhangs denunziert oder mit 2 Diese Haltung kennzeichnet die ältere Religionsphilosophie des 18. Jahrhunderts, wobei die Trennlinie zwischen Christen wie John Locke und, zumindest in einer wichtigen Phase seines Lebens, Jean-Jacques Rousseau einerseits und Atheisten wie Denis Diderot und Julien Offray de La Mettrie andererseits verläuft, mit Deisten wie Christian Wolff und Voltaire sowie Agnostikern wie Hume in der Mitte. 3 Diesen Gedanken entwickeln Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing in ihren religionsphilosophischen Schriften, aber er beeinflusst auch Kant und später Hegel, wie sich noch zeigen wird. 4 Vgl. Ernst Tugendhat, Egozentrizität und Mystik. Eine anthropologische Studie, München 2003. 5 Vgl. Jürgen Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2005.
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Hilfe von anthropologischen oder kulturphilosophischen Ad-hoc-Hypothesen ‚erklärt‘.6 Streng genommen wird diese Art der Auseinandersetzung mit Religion ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht, philosophisch mit Religion umzugehen: Weder lässt sie sich von religiösem Denken, Sprechen und Handeln zu einer kritischen Prüfung der eigenen Vorannahmen provozieren, noch nimmt sie die religiöse Sphäre in ihrem Eigensinn zur Kenntnis. Doch wer es besser machen will, den konfrontiert die Pluralität der Religionen mit einer Crux: Wie kann man die Vielfalt einander zum großen Teil ausschließender Glaubens‑ und Praxissysteme, wie es die Religionen sind, im philosophischen Sinne analytisch und kritisch durchdringen, ohne entweder schizophren zu werden oder in die zu überwindenden Schemata aufklärerischer Religionskritik zurückzufallen? Wohlmeinende Religionstheoretiker meinen, dass ein Wahrheitspluralismus oder ein relativistischer Kulturalismus oder Konstruktivismus die einzige Form des adäquaten Umgangs mit religiöser Diversität sein kann. Demnach sind Wahrheit und Richtigkeit immer nur relativ zu einer Sprecher‑ und Akteursgemeinschaft fixierbar. Das lässt sich mühelos auf die Sphäre der Religionen übertragen, wo man dann christliche, islamische und jüdische Glaubenswahrheiten zwanglos von buddhistischen oder altindianischen Glaubenswahrheiten unterscheiden kann, während ein religionsübergreifender Vergleich von vornherein ausgeschlossen wird. Religionen wären demnach inkommensurabel, und selbst der tatsächlich ausgetragene Streit, etwa zwischen Christen und Muslimen über den wahren Glauben, erscheint in diesem Licht als gegenstandslos. Doch in der nochmaligen Reflexion zeigt sich, dass der Wahrheitspluralismus und Relativismus das Problem der Pluralität nicht etwa löst, sondern lediglich auf der Theorieebene noch einmal formuliert. Dass es sich so verhält, zeigt eine einfache Überlegung: Wenn Religionen tatsächlich inkommensurable Glaubenssysteme sind, wie kann es für einen Menschen jemals zu einer echten Frage werden, welcher Glaube der wahre und richtige ist? Dass diese Frage für unzählige Menschen existenziell war und ist, zeigt die Erfahrung. Daran blamiert sich der Wahrheitspluralismus, aber ebenso die in der heutigen Religionssoziologie verbreitete Rede von Religionen als ‚Sinnanbietern‘, zwischen denen der moderne Mensch wählen kann wie zwischen Automarken. In der menschlichen Lebenswirklichkeit finden solche Wahlakte nicht statt.
6 Zu denken ist etwa an Tugendhats Annahme, dass sich Religion insgesamt auf Wunsch denken und magische Praktiken zurückführen lässt, womit Menschen die Kontingenz des Weltlaufs aufzuheben und sich von ihrer Angst zu befreien versuchen.
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Vor diesem Hintergrund lohnt der Rückgang auf drei klassische Autoren des Deutschen Idealismus, die auf je eigene Weise radikale Alternativen zur Religionskritik der Aufklärung formuliert und dabei das Phänomen der religiösen Vielfalt ausgesprochen ernst genommen haben. Gemeint sind Hegel, Schleiermacher und Schelling. Sie tun dies zum Teil auf ähnliche, zum Teil auf ganz gegensätzliche Weise, was die vergleichende Reflexion nötig macht. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie Religion als höchste und wichtigste Bewusstseinsform ansehen, was sie in eine gewisse Nähe und Konkurrenz zur Philosophie bringt. Daraus folgt bereits die Grundannahme einer durchgehenden Vernünftigkeit des religiösen Glaubens und Lebens, so unterschiedlich dieser Gedanke bei den in Rede stehenden Denkern auch ausformuliert wird. Religion ist nicht bloß vernunftgemäß; sie ist vielmehr höchster Ausdruck und Vollendungsgestalt wirklicher und tätiger Vernunft, und das selbst für Schleiermacher, der Religion eher der Sphäre von Anschauung und Gefühl zuordnet. Das schließt Religionskritik nicht aus, weil Vernunft – und nur Vernunft – auch Unvernunft hervorbringen kann. Aber unvernünftig kann nur dieses oder jenes Element einer Religion sein, nicht Religion als solche und ganze. Für alle drei Denker bedeutet dies, dass jede Religion im Grundsatz wahr ist und eine fundamentale Wahrheit zum Ausdruck bringt. Nur so lässt sich verstehen, wie sie Autorität für sich beanspruchen und über den Tag hinaus Anhänger gewinnen und halten kann. Die Herausforderung dieses Gedankens besteht darin, ihn nicht in trivialem Wahrheitspluralismus und Wahrheitsrelativismus aufgehen zu lassen. Es wird zu sehen sein, ob und wie das den drei Denkern gelingt, deren Grundgedanken ich folgen werde. Dass ein solcher Vergleich im gegebenen Rahmen etwas grob und thetisch ausfallen muss und keinem der drei großen Philosophen wirklich gerecht werden kann, ist ein Nachteil, der durch einen Gewinn an übersichtlicher Kontrastierung hoffentlich aufgewogen wird.
1. Hegel: Religion als Vorstellung des Absoluten Auf den ersten Blick scheint es, als ginge Hegel von allen drei Denkern am weitesten mit der Unterstellung von Vernunft im Hinblick auf die Religionen. Nicht nur, dass er in der Phänomenologie des Geistes Religion im Allgemeinen und den christlichen Glauben im Besonderen zu einer (Vor‑)Stufe des absoluten Wissens und damit des Standpunkts der wahren Philosophie macht.7 Er versucht obendrein zu zeigen, dass Religion und Philosophie 7
Auf die Entwicklung von Hegels religionsphilosophischem Denken vor Erscheinen
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einander nicht fremd und äußerlich bleiben können, dass sich Formen des philosophischen Denkens auch als Formen religiösen Glaubens zeigen und umgekehrt. In der Phänomenologie führt das zu dem Gedanken, dass sich im religiösen Bewusstsein alle Stufen des menschlichen Bewusstseins überhaupt, von der unmittelbaren sinnlichen Gewissheit bis zum sich seiner selbst gewissen Geist, wiederholen und eine bestimmte Religion ausbilden.8 Aber auch umgekehrt geht er von einer Entsprechung religiöser und philosophischer Denkweisen aus, bis hin zu dem in seiner Philosophie der Religion entwickelten Gedanken, dass den klassischen Gottesbeweisen der Natürlichen Theologie jeweils bestimmte Religionen entsprechen.9 Nach Hegel muss sich der menschliche Geist in der Geschichte entfalten und kann nicht auf einen Schlag voll entwickelt existieren. Das ist der Grund dafür, dass auch Religion sich in der Geschichte entwickelt, entfaltet und wandelt, und letztlich ist die Geschichtlichkeit des Menschen auch der Grund dafür, dass es Religion nur im Plural geben kann. Die Entwicklung des menschlichen Geistes führt nicht nur vom Einfachen zum Komplexen, sondern auch vom Einseitigen zum Umfassenden, von der relativen zur absoluten Wahrheit. Und diesen Entwicklungsgedanken in der Lerngeschichte und Selbsterfahrung des Menschen durchläuft auch das religiöse Bewusstsein. In diesem Gang nimmt es viele Gestalten an, und diese Gestalten sind die bestimmten oder positiven Religionen. Der Gedanke, dass die Geschichte der Religionen als Lerngeschichte begriffen werden kann, ist bei Lessing vorgedacht, von dem Hegel bekanntlich starke Anregungen empfing. Aber anders als Lessing betont Hegel, dass Religionsgeschichte nicht allein geordnet und gesetzmäßig verläuft, sondern dass ihr Entwicklungsgesetz das des Denkens selbst ist, und das Denken ist seiner Natur nach dialektisch. Daher kann religiöser Fortschritt nicht linear gedacht werden, als kontinuierlicher der Phänomenologie kann ich hier nicht eingehen. Eine lesenswerte Übersicht über die Stellung des jungen Hegel innerhalb der Religionsphilosophie des frühen Deutschen Idealismus gibt Walter Jaeschke, „‚Um 1800‘. Religionsphilosophische Sattelzeit der Moderne“, in: Georg Essen/Christian Danz (Hgg.), Philosophisch-theologische Streitsachen. Pantheismusstreit, Atheismusstreit, Theismusstreit, Darmstadt 2012, 7–92. Eine kurze Übersicht über die Entwicklung der Hegelschen Religionsphilosophie insgesamt liefert Frederick Beiser, Hegel, London/New York 2005, II.6: „The religious dimension“. 8 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: ders., Gesammelte Werke (= GW) 9, hg. von Wolfgang Bonsiepen / Reinhard Heede, Hamburg 1980, 363 ff. 9 Vgl. ders., Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Band 1: Der Begriff der Religion, hg. von Walter Jaeschke, Vorlesungen 3, Hamburg 1983, 58. Sowie ders., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), in: GW 20, hg. von Wolfgang Bonsiepen /Hans-Christian Lucas, Hamburg 1992, §§ 569 ff.
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Übergang von geistiger Dunkelheit zu lichtvoller Klarheit des religiösen Bewusstseins. Vielmehr muss die Entwicklung konfliktreich und polemisch ausgetragen werden, wobei die wesentlichen und notwendigen Konflikte der Religionsgeschichte sich dadurch auszeichnen, dass die streitenden Parteien jeweils beide ihre relative Berechtigung haben. Damit ist sicher ein attraktiver Grundzug des hegelianischen Denkens über Religion markiert. So deutet er beispielsweise den Konflikt des Reformationszeitalters als einen Grundkonflikt zwischen der notwendigen Idee einer institutionalisierten, sittlich und rechtlich verfassten Kirche, die das katholische Denken bestimmt, und dem Grundgedanken des Christentums als einer Religion der Freiheit ‚nach dem Gesetz‘, der im Protestantismus als umfassende Glaubens-, Gewissens‑ und Bekenntnisfreiheit interpretiert wird – zu Recht, wie Hegel meint.10 Deswegen bleibt der Protestantismus mit seinem vertieften Freiheitsgedanken aus Hegels Sicht zwar siegreich, muss aber seinerseits dem unterlegenen Prinzip gerecht werden und sich institutionalisieren, also als Kirche sittlich und rechtlich verfassen, ohne das Freiheitsprinzip zu verraten. Hegel schreibt denn auch dem Protestantismus die Einsicht zu, dass Freiheit und Notwendigkeit einander nicht ausschließen, sondern recht verstanden bedingen. Dass dieser Gedanke auch eine katholische Interpretation kennt, muss wohl nicht betont werden. In verschiedenen Phasen der Entwicklung seiner Philosophie rekonstruiert Hegel die logische Genese der bestimmten Religionen auf unterschiedliche Weise, und noch in den verschiedenen Fassungen seiner Philosophie der Religion experimentiert er mit variierenden Deduktionsschemata. Dabei gibt ihm eine Dreiteilung des religiösen Feldes in den Begriff der Religion, die bestimmte Religion und die offenbare bzw. absolute Religion, wobei er im Bereich der bestimmten Religion noch zwischen ihrem jeweiligen Inhalt, der davon herrschenden Vorstellung und dem entsprechenden Kultus unterscheidet, ein flexibles methodisches Instrument zur vergleichenden Analyse religiöser Bewusstseinsformen. Aus Kongruenzen und Diskrepanzen der verschiedenen Aspekte des Religiösen soll hier die geschichtliche Dynamik der Entstehung, Entwicklung, Transformation und Überwindung 10 Und zwar ungeachtet seiner Kritik an einer sich in die reine Innerlichkeit des eigenen Gewissens zurückziehenden schönen Seele in der Phänomenologie. Darin ist unschwer eine bestimmte Gestalt protestantischer, vor allem pietistischer Frömmigkeit wiederzuerkennen, mit der Hegel auf Grund seiner Herkunft besonders gut vertraut war. Man kann in diesem Abschnitt aber auch eine die Phänomenologie leitmotivisch durchziehende allgemeine Kritik moralischer Selbstgerechtigkeit sehen; vgl. Pirmin Stekeler-Weithofer, Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein dialogischer Kommentar, Hamburg 2014, Band 1: Gewissheit und Vernunft, 1095 ff., Band 2: Geist und Religion, 696 f.
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von Religionen nachgezeichnet werden, bis hin zu ihrer Kulmination in der absoluten Religion des Christentums, die nicht mehr durch eine andere Religion überwunden, sondern nur in Philosophie transformiert werden kann.11 In der Phänomenologie dagegen arbeitet Hegel mit einer noch weniger ausgefeilten Dreiteilung aller Religionen in Naturreligionen, Kunstreligionen und offenbare Religion12, verbunden mit der These, dass diese Einteilung zugleich die Religionsgeschichte der Menschheit in ihren wesentlichen Zügen abbildet. Demnach entsprechen die verschiedenen Naturreligionen dem unmittelbaren Welt‑ und Selbstverhältnis des in sinnlicher Gewissheit aufgehenden Menschen. Dabei werden zunächst Licht und Dunkelheit zu Gegenständen religiöser Verehrung und Scheu, später auch die uns umgebende Tier‑ und Pflanzenwelt, die als von Geistern belebt gedacht wird. Auf einer höheren Stufe der Kulturentwicklung werden dann die Gestirne zu Gottheiten, da sie als Ursachen existentiell bedeutsamer Naturprozesse verstanden werden, z. B. der Jahreszeiten als Bedingung des Wachsens und Gedeihens von Nutz‑ und Nährpflanzen. Die philosophische Wahrheit der Naturreligion ist, dass der Mensch als Naturwesen von den natürlichen Bedingungen des Lebens abhängig ist, auch wenn dieser Gedanke dem naturreligiösen Bewusstsein in seiner Bestimmtheit und damit auch Begrenzung nicht verfügbar ist. Unter dem Titel Kunstreligion fasst Hegel eine Stufe des religiösen Bewusstseins, auf der die Naturgötter durch geistige Gottheiten ersetzt werden, die dann zunehmend auch als personale Wesen darstellbar werden, weswegen die Kunst für diese Form von Religion eine zentrale Rolle spielt. Die erste Stufe dieser Bewusstseinsform verhält sich allerdings als bloße Negation der Naturreligion, weswegen hier das Nichtgestalte einer abstrakt geistigen Gottheit betont wird. Dem entspricht eine Kunst der Erhabenheit und abstrakten Symbolik, die Hegel in der altägyptischen Kunst am Werk sieht, wenn auch im beständigen Kampf mit den älteren Tier‑ und Naturgottheiten, aber auch im ‚abstrakten‘ Monotheismus des Judentums und später wieder im Islam.13 Erst nach und nach gestalten sich daraus bestimm11 Vgl. die verschiedenen Fassungen der Entwicklung dieser rationalen Rekonstruktion der Religionsgeschichte in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Band 2: Die bestimmte Religion, hg. von Walter Jaeschke, Vorlesungen 4a, Hamburg 1985. 12 Grundsätzlich bleibt Hegel auch später bei diesem Ordnungsschema, das auch in seiner Kunstphilosophie eine entscheidende, strukturbildende Rolle spielt. 13 Bezeichnenderweise vertauscht Hegel die Darstellungsreihenfolge von Religionen der Schönheit und solchen der Erhabenheit in der Fassung der Vorlesung über Religionsphilosophie von 1827, so dass nun das Judentum nach dem griechischen Polytheismus steht und nicht mehr davor. Hier deutet sich eine Anerkennung der jüdischen Religion
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tere Gottheiten, die schließlich den Figurenreichtum des klassischen, vor allem griechischen Polytheismus ausbilden. Auf dieser Stufe der religiösen Entwicklung, und nur hier, kann nach Hegel auch die Kunst blühen, ja mit Religion zeitweise eins werden. Hegel assoziiert die griechische Religion durchgehend mit Schönheit, Heiterkeit und Ruhe, eine durchaus klassizistische Vorstellung, über deren Berechtigung sich streiten lässt.14 Vielleicht hat Nietzsche mit Hilfe Schopenhauers in diesem Punkt schärfer gesehen. Ungeachtet dessen lässt sich festhalten, dass aus Hegels Sicht die Wahrheit der Kunstreligion in der Einsicht in die Übernatürlichkeit des Geistigen besteht, die von der natürlichen Sphäre abzusetzen dieser Religionsform erstmals gelingt. Allerdings geht auch die polytheistische Kunstreligion an einem inneren Widerspruch zu Grunde: Sie kann das Verhältnis von Göttern und Menschen nicht auf eine bestimmte Weise denken, denn zum einen sind die Götter menschenähnlich und verkehren gar mit den Menschen, zum anderen aber sind sie ganz und gar wesensverschieden, übermenschlich, unsterblich und leidensunfähig. Deswegen weicht die Kunstreligion einer Religion, in der die wesentliche Einheit und Verbundenheit von Gott und Mensch im Begriff des Geistes begriffen und ausgesprochen wird, offenbart in Menschwerdung, Kreuzestod und Auferstehung Gottes in Jesus Christus. Das Christentum spricht die Geistigkeit und Göttlichkeit des Menschen aus, nicht als Natur-, sondern als Geistwesen. Es spricht auch die Bedeutung des Geistes als des Allgemeinen und das Unwesentliche des Einzelnen aus, zugleich aber sein tröstliches Aufgehobensein in der Gemeinde der Mitmenschen und der Geschichte der Menschheit. Weil dies aus Hegels Sicht höchste spekulative Wahrheiten sind, ist im Christentum der höchste Punkt religiösen Bewusstseins erreicht. Jenseits des Christentums kann es wohl noch Philosophie geben, aber keine weitere Religion. Gegen diesen Ansatz einer, wenn man so will, rationalistischen Religionsphilosophie, welche den Formen der tatsächlichen Religionsgeschichte ein gewissermaßen apriorisches Raster auferlegt, lassen sich verschiedene Einund vielleicht auch des Islam als Überwindung des Polytheismus und nicht mehr als dessen primitivere Vorform an. Vgl. a. a. O. 14 Vgl. ders., Vorlesungen über die Ästhetik 1, in: ders., Werke in zwanzig Bänden Bd. 13, Redaktion Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, Frankfurt a. M. 1970, 230 ff. Freilich geht Hegel in der detaillierten Darstellung des griechischen Polytheismus durchaus auf dessen innere Spannungen und Konflikte ein. Ich danke Friedrich Hermanni für den Hinweis auf diesen grundlegenden Zug in Hegels Reflexionen über die altgriechische Religion. Merkwürdig bleibt aber, dass Hegel diese Spannungen nicht auf der Ebene des Begriffs des Polytheismus ansiedelt.
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wände formulieren: 1. Die von Hegel unterschiedenen Stufen des religiösen Denkens entsprechen nicht tatsächlichen Epochen der Religionsgeschichte, wenn es solche Epochen religionsübergreifend überhaupt gibt. Tatsächlich müssen wir eher mit einer Gleichzeitigkeit verschiedener Stufen des Religiösen rechnen, also mit einer Gleichzeitigkeit von Naturreligionen, Polytheismen und Monotheismen verschiedener Art. Das widerspricht zwar nicht unbedingt dem Buchstaben der Hegelschen Schriften, da er durchgehend damit rechnet, dass Vernunftform und Zeitform der Geschichte nicht durchgehend zusammenfallen. Aber es gibt wohl Anlass zu der grundsätzlichen Frage, inwieweit die Vernunftform als solche überhaupt richtig dargestellt ist. 2. Aus Hegels Rekonstruktion der Religionsgeschichte erhellt nicht, warum der Polytheismus notwendig und unvermeidlich sein sollte. Der Gedanke, dass die göttliche Sphäre der menschlichen ähnelt, mag zwar den Gedanken provozieren, dass auch die Götter wie die Menschen in verwandtschaftlichen Beziehungen stehen und deswegen eine Vielheit unterschiedener Personen bilden müssen, aber dieser Gedanke ist keineswegs zwingend. Der Gedanke einer Kunstreligion hilft hier nicht weiter, weil die künstlerische Darstellbarkeit des Olymps oder analoger Heimstätten der Götter nur eine Folge der zu Grunde liegenden Theologie, nicht aber deren Ursache sein kann. 3. Wenn sich die unterscheidenden Momente verschiedener Religionen tatsächlich als Momente der reinen philosophischen Reflexion begreifen lassen, dann ist nicht ohne weiteres zu sehen, warum die Religionsgeschichte überhaupt so viel Zeit beanspruchen muss, wie sie es offenkundig tut, und warum sie nicht über Kulturgrenzen hinweg sehr viel gleichförmiger verläuft, als sie es faktisch tut. Soll man, wie Hegel selbst es gelegentlich tut, von unterschiedlichen Volksgeistern ausgehen, die zu manchen Formen des religiösen Bewusstseins und der philosophischen Reflexion besonders hinneigen und sich gegen andere sperren? Das klingt wie eine wenig plausible Ad-hoc-Annahme, zumal sich gerade die umgekehrte Betrachtung nahelegt: sind es doch wohl eher die religiösen Traditionen, welche starke prägende Kraft auf kollektive Mentalitäten haben. 4. Hegel behandelt Religionen lediglich als objektive Gebilde des religiösen Denkens, bedenkt aber nicht den subjektiven und subjektiv freien Charakter des religiösen Glaubens und Lebens, den er zwar im Grundsatz anerkennt und betont, dann aber lediglich bei Gelegenheit des Nachdenkens über den christlichen Glauben ausarbeitet. Das ist eine Inkonsequenz seines eigenen Nachdenkens über Religion. Die ersten drei Einwände führen hinein in Schellings ganz andere Sicht auf Religionsgeschichte; der vierte Einwand lässt sich aus Schleiermachers Sicht auf Religion und Religionen gewinnen, die ich leicht anachronistisch an zweiter Stelle präsentiere.
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2. Schleiermacher: Religion als persönliche Anschauung des Unendlichen Es mag etwas unfair scheinen, Schleiermachers im Vergleich zu Hegel viel weniger ausgefeilte, aber eben auch wesentlich frühere Auseinandersetzung mit der Vielfalt der Religionen an zweite Stelle zu rücken. Was eine solche Anordnung vielleicht entschuldigt, ist die Tatsache, dass Schleiermacher zumindest implizit bereits den Einwand Kierkegaards gegen den religionsphilosophischen Rationalismus vorwegnimmt, der seitdem immer wieder von existenzialistischen Denkern aufgegriffen wurde: dass nämlich ein objektivistisches bzw. rationalistisches Religionsverständnis wie dasjenige Hegels keinen Raum für die Subjektivität des gläubigen Menschen lässt. Und wenn Religion, wie auch Hegel meint, wesentlich mit der Subjektivität eines denkenden und glaubenden Menschen zu tun hat, dann ist das kein peripherer, sondern ein systematischer und zentraler Einwand. Schleiermacher deutet Religion als Anschauung des Unendlichen im Endlichen und als entsprechendes Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit. Die Termini Anschauung und Gefühl dienen dazu, Religion von vornherein möglichst weit entfernt von rationalistischer Metaphysik und kantischer Ethiko-Theologie zu halten. Religion ist für ihn buchstäblich eine Welt-Anschauung, eine existentielle Grundhaltung zur Welt und zu sich selbst, die dem unmittelbaren Erleben entspringt, und nicht etwa eine theorieförmig aussagbare, systematisch geordnete Dogmatik. Damit wird Schleiermacher zum Pionier von Theorien der religiösen Erfahrung in der modernen Religionsphilosophie. Zugleich etabliert er eine Kluft zwischen Philosophie und Religion, die jeden Gedanken an ein Konkurrenzverhältnis ausschließt. Religion steht für ihn weit über der Philosophie, weil sie existentiell bedeutsam ist, während Philosophie lediglich im Abstrakten und Allgemeinen des logischen Denkens verbleibt, ohne die Lebenswirklichkeit des Menschen zu berühren. Trotz aller wahrhaft immensen philosophischen Arbeit, die Schleiermacher selbst später leisten wird, ändert sich diese Auffassung bei ihm nicht grundsätzlich. Schleiermacher kann selbstverständlich nicht abstreiten, dass es religiöse Dogmatik, religiöse Lehrgebäude und selbst religiöse Philosophie gibt. Aber diese zählt er zum religiösen Inhalt oder Stoff, und der ist seiner radikalen These nach das Unwesentliche an Religion.15 Das Wesentliche sucht er in der Individualität des Selbst‑ und Weltbezugs des einzelnen Gläubigen, in 15 Vgl. F. D. E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, hg. von Hans-Joachim Rothert, Hamburg 1958 (= Reden), Fünfte Rede.
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dessen ganz persönlicher Weltsicht. Und so streitet Schleiermacher ab, dass die so genannten positiven Religionen überhaupt einheitliche Gebilde sind. Streng genommen kann es so viele Religionen geben, wie es Menschen gibt: potentiell unendlich viele. Gerade deswegen postuliert er aber die Einheit der Kirche als ideale Einheit aller Menschen gleich welcher Religion, in kritischer Aneignung einer kantischen Denkfigur. Menschliche Individualität wird als situierbar auf einer potentiell unendlich teilbaren kontinuierlichen Skala möglicher Charaktere gedacht, auf der Schleiermacher bloß die Extreme markiert: den ganz dem rezeptiven Genuss hingegebenen Sinnenmenschen und den ganz auf Tätigkeit und Weltveränderung gerichteten Willens‑ und Tatmenschen.16 In allen übrigen Menschen mischen sich diese Grundtriebe oder Grundvermögen auf je einzigartige Weise. Diese bestimmt letztlich, wie ein Mensch auf die ihn umgebende Welt, maßgeblich auch auf die kulturelle und geschichtliche Situation reagiert, in der er sich vorfindet. Dabei ist damit zu rechnen, dass nicht einmal alle Menschen überhaupt zu einer Sicht auf die Welt als solche gelangen. Den Sinnen‑ und Genussmenschen spricht Schleiermacher die Empfänglichkeit für Weltanschauung und damit für Religion ab, und Gleiches lässt sich wohl auch über ausgesprochene Tatmenschen sagen.17 Dazwischen bewegt sich die Mehrheit der Menschen, und diese bilden notwendig ihre je eigene Weltanschauung aus. Dass es ungeachtet der potentiell unendlichen Vielheit einzigartiger menschlicher Persönlichkeiten dennoch so etwas wie gemeinsames religiöses Leben und religiöse Gemeinschaften gibt, erklärt er aus dem Trieb des Vernunft‑ und Diskurswesens Mensch zu Geselligkeit und Austausch, gerade auch über die Dinge, die uns Menschen lieb und teuer sind. Den religiösen Menschen sind die religiösen Dinge das Liebste und Teuerste, und deswegen können sie nicht umhin, darüber auch zu sprechen. In der Kommunikation über unsere Weltsicht und unser Lebensgefühl geschieht es nun, dass einige Menschen durch die Ausstrahlung ihrer Persönlichkeit und ihrer Begeisterung oder durch große Beredsamkeit zu Leitfiguren werden, denen sich andere Menschen anschließen. Den religiösen Virtuosen, den Gründern und Stiftern religiöser Bewegung attestiert Schleiermacher diese Gaben in hohem Maße. Etwas verwirrend klingt es, wenn er in diesem Zusammenhang sagt, dass Menschen ihre Perspektive auf sich und die Welt aus „freier Willkür“ wählen18, als sei eine Glaubensentscheidung ein arbiträrer Akt. Das ist aber Vgl. Reden, Erste Rede, 4. Reden, 5. 18 Vgl. Reden, Fünfte Rede, 144. 16 17
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offenkundig nicht gemeint. Gemeint ist vielmehr, dass die Willkür insofern frei ist, als sie sich nur von dem leiten lässt, was die größte Anziehungskraft und Plausibilität hat. Für Schleiermacher sind das allerdings zeitgebundene Parameter, und deswegen zählt er religiöse Bewegungen zu den vergänglichen Phänomenen. Dem Christentum schreibt er in dieser Phase seiner geistigen Entwicklung nur insofern eine Sonderrolle zu, als er es als eine Art Meta-Religion ansieht, in der die Gesamtheit aller ernsthaften religiösen Anschauungen Platz hat oder haben soll und die insofern einen überzeitlichen Geltungsanspruch erheben kann. In Schleiermacher erreicht der religiöse Pluralismus wohl ein Maximum. Selbst wenn man die von ihm als auf Fabeln beruhenden naturreligiösen und polytheistischen Religionen ausgrenzt, bleibt ein potentiell unendliches Spektrum möglicher und deshalb legitimer, authentischer religiöser Anschauungen. Gerade deswegen verzichtet er auf jeden Versuch einer Klassifikation von Religionen, ja schließt sogar die Möglichkeit einer solchen Klassifikation und einer entsprechenden theoretischen Ordnung des Feldes aus, übrigens mit einem von Kant geborgten, aber logisch und ontologisch fragwürdigen Argument.19 Stattdessen begnügt er sich mit groben Typisierungen; genannt werden etwa Pantheismus und Personalismus als mögliche Alternativen in der Gottesvorstellung. Man kann Schleiermachers Individualismus überzogen finden und sich fragen, ob sich nicht ungeachtet der unbestreitbaren Individualität des religiösen Anschauens, wie übrigens auch jedes Denkens überhaupt, sehr viel mehr Gemeinsamkeit und Kollektivität in den religiösen Erfahrungen, Haltungen und Handlungen von Menschen findet, als in diesem Ansatz zugestanden werden kann. Gibt es nicht Generationen-, ja Epochenerfahrungen, die von Menschen nicht vereinzelt, sondern in großer Gemeinsamkeit gemacht werden, so dass sich selbst die denkenden Schlussfolgerungen, die Menschen je für sich daraus ziehen, so sehr ähneln, dass sich kollektive Deutungs‑ und Reaktionsmuster erkennen lassen? Ist nicht Schleiermachers so zutiefst vom Pietismus geprägte Religiosität selbst ein markantes Beispiel für dieses Phänomen, für das er theoretisch so wenig Raum zu lassen scheint? Diese Überlegungen finden bereits vor dem Hintergrund von Schellings Sicht auf Religion und Religionen statt, die gerade das Moment der geteilten und gemeinsamen Erfahrung ins Zentrum rückt. 19
Das Argument besagt, dass Taxonomien immer nur Arten und Gattungen enthalten, aber keine Individuen. Unterschlagen ist dabei, dass Taxonomien Individuen klassifizieren müssen, wenn sie nicht leer sein sollen. Unterstellt ist ferner, dass Religionen Individuen sind – was Schleiermacher bloß voraussetzt.
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Ungeachtet dessen behält Schleiermacher das Verdienst, die existentielle Seite des Glaubens als eines persönlichen Akts gesehen und als Quelle religiöser Pluralität betont zu haben. Religionsentwicklung geschieht nicht von selbst und nicht anonym, sondern dadurch, dass Menschen je für sich Glaubensüberzeugungen annehmen oder verwerfen und ihre Lebenshaltung mehr oder weniger umfassend daran ausrichten. Darin kommen die rationale und die existentielle Seite menschlicher Existenz zusammen.
3. Schelling: Religion als Fremdheitserfahrung und Sehnsucht nach dem Ursprung Es ist an dieser Stelle allzu verlockend, Schellings Nachdenken über die Religionen, wie man es in seiner Philosophie der Mythologie und der darauf aufbauenden Philosophie der Offenbarung findet, als eine Synthese der vernunfttheoretischen Explikation bei Hegel und der erfahrungsbezogenen Deutung bei Schleiermacher zu präsentieren, und es ist besser, dieser Versuchung nicht allzu schnell nachzugeben, obwohl sich zeigen wird, dass hier in der Tat Überlegungen zur Vernunftnatur des Menschen mit einem sehr stark aufgeladenen Erfahrungs‑ und Wirklichkeitsbegriff kombiniert werden. Deswegen ist Schellings Spätphilosophie – in ihrem Gegensatz zu Hegel – als Realismus gegen den absoluten Idealismus sowie als Empirismus gegen den Rationalismus Hegels beschrieben worden, nicht zuletzt auch von Schelling selbst. Aber es lässt sich auch ein gegen Schleiermacher gerichteter Aspekt dieser Philosophie ausmachen, die sich nicht mit einem abstrakten Begriff von Erfahrung begnügt, sondern die wirklichen Erfahrungen der Menschheit in ihrer Geschichtlichkeit aufsucht, nämlich so, wie sie sich in den faktischen Dokumenten der Religionsgeschichte niederschlagen, den maßgeblichen Überlieferungen, Berichten, Mythen und Dichtungen der Völker. Gegen heutige Vorstellungen von einer empirischen Religionsgeschichte insistiert Schelling wiederum darauf, dass ein solches Studium philosophisch zu sein hat, weil nur die Philosophie die Geschichte der Religionen begreifen kann – eine These, die prima facie hegelianisch klingt. Das ist sie aber nicht, wie sich zeigen wird. Auf die Frage nach der Philosophie in Schellings Spätphilosophie wird zurückzukommen sein. Auf jeden Fall verdeckt die vereinfachende Rede von einer Synthese den ganz eigentümlichen Charakter Schellingscher Religionsphilosophie wie seiner Philosophie überhaupt in ihrer Kombination von apriorischer und aposteriorischer Methode, von metaphysischer Spekulation und empirischer Analyse. Es scheint mir an dieser Stelle wenig ergiebig, diese Methode in abstracto zu beschreiben.
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Vieles wird deutlicher, wenn man einige bestimmte Aussagen Schellings zu Religion und Religionen ins Verhältnis zu vergleichbaren Aussagen Hegels und Schleiermachers setzt. Schlagend lässt sich der Kontrast zwischen Hegels und Schellings Sicht auf Religion an ihren jeweiligen Aussagen über die Christologie und den historischen Jesus von Nazareth zeigen. Für Hegel ist die Christologie eine wesentliche und notwendige Einsicht in das Verhältnis von Gottheit und Menschheit, die erst dann spekulativ erfasst wird, wenn sie als Spannung zwischen der Einzelheit, Zufälligkeit und Nichtigkeit des Individuums und der Allgemeinheit, Notwendigkeit und Wesentlichkeit des allgemeinen Geistes, der Gemeinschaft der Menschen im Göttlichen, begriffen wird. So gesehen ist die Christologie eine spekulative Vernunftwahrheit, die sich als an sich vernünftig ausweisen lässt. Die Historizität des historischen Jesus ist demgegenüber die empirische Zufälligkeit des Weltlaufs, die dem wesentlichen Gehalt des christologischen Gedankens eigentlich äußerlich ist. Dagegen beharrt Schelling auf der unbedingten Historizität des Jesus Christus, die kein Gedanke der Logik und aus keiner Vernunftwahrheit ableitbar, sondern historisch radikal kontingent ist. Die darin waltende Notwendigkeit ist von gänzlich anderem Typ als eine allgemeine Vernunftwahrheit, und daher ist auch die allgemeine Bedeutsamkeit dieses Ereignisses nicht die Allgemeinheit des Begriffs und der Logik. Das ist Schelling schon früh deutlich, und so betont er bereits in seiner Jenaer und Würzburger Philosophie der Kunst, dass es „historisch wahnsinnig“ wäre, die Historizität des tatsächlichen Lebens, Leidens und Sterbens des Jesus von Nazareth mitsamt seiner tatsächlichen, leiblichen Auferstehung von den Toten abzustreiten, weil erst diese „letzte Katastrophe seines Lebens“ „seiner Sache den höchsten Schwung gab“, den sie ohne diese nicht gehabt hätte.20 Schelling hält es hier ganz mit Paulus: Ohne tatsächliche Auferstehung wäre das Christentum nur eine Torheit, und der faktische Erfolg des christlichen Glaubens wird zu einem Rätsel, während er angesichts einer als Faktum gedeuteten Auferstehung sinnvoll und folgerichtig erscheint. Daran lässt sich bereits ein Grundzug von Schellings Nachdenken über Religion ablesen: Er deutet die Dokumente der religiösen Überlieferung als Ausdruck historischer Erfahrung der Menschheit. Deswegen stellt er sich in scharfen Gegensatz zu einer aufklärerischen Religionsbetrachtung, welche in den überlieferten Texten vor allem Aberglauben oder überschäumende Phantasie am Werk sieht. Diese Sicht vermag nicht zu erklären, inwiefern 20 Vgl. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophie der Kunst, SW I/5, hg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart/Augsburg 1859, Nachdruck Darmstadt 1960, 425.
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z. B. die Götterwelt der Griechen echten Glauben, scheue Verehrung und hingebungsvollen religiösen Kultus erzeugen konnte. Auch Hegels externe Deutung der griechischen Mythologie als Kunstreligion hilft da nicht weiter. Aus Schellings Sicht ist der griechische Polytheismus keine heitere Welt des schönen, beruhigten Scheins – das ist nur eine in später Zeit erzeugte klassizistische Illusion –, sondern eine Welt des Schreckens und der Furcht vor einer als fremd und bedrohlich empfundenen Wirklichkeit, in der Naturmächte und als rätselhaft empfundene geistige Mächte als verschiedenartige Gottheiten miteinander im Kampf liegen. Es kann für ihn kein Zweifel bestehen, dass die Götter Griechenlands als real gedacht und erlebt werden, aber nicht schon im Sinne des feststehenden Götterkosmos, den wir aus der Schule kennen. Die Götterwelt ist in Bewegung, und die Götter ändern Gestalt und Namen, gewinnen oder verlieren an Macht gegenüber anderen Göttern. Besonderes Interesse weckt dabei die Vorstellung einander bekämpfender und ablösender Göttergeschlechter. Wie kann es sein, dass ein Gott oder eine Götterfamilie ihre Macht verliert? Schelling beharrt darauf, dass sich das nur als eine reale Erfahrung der auf diese Götter bezogenen Menschen verstehen lässt, eine tiefgreifende, traumatische kollektive Erfahrung, die im Mythos als Götterkampf figuriert. Ein wichtiges Instrument der Religionsphilosophie Schellings ist die vergleichende Betrachtung der Mythologien verschiedener Völker und Kulturen, aber nicht um wiederkehrende Muster und Formeln zu entdecken wie später der Strukturalismus, sondern um übereinstimmende Themen zu suchen, die auf eine gemeinsame historische Erfahrung hinweisen. Ein solches Muster findet er etwa in der Vorstellung von einer vorzeitlichen großen Flut, die bis auf ein Menschenpaar oder eine Familie alles menschliche Leben ausgetilgt hat und die sich ähnlich in den Überlieferungen der meisten Völker findet. Das ist für Schelling zwar kein Beleg dafür, dass eine solche Flut tatsächlich stattgefunden hat, wohl aber ein Hinweis auf eine menschheitliche Katastrophenerfahrung.21 In seiner Philosophie der Mythologie bezieht Schelling diese Erfahrung auf die Katastrophe des Auseinanderbrechens der Menschheit in Völker und des damit einhergehenden Übergangs von einem ursprünglichen, primitiven Monotheismus zum Polytheismus des mythologischen Zeitalters. Denn die Menschen sondern sich voneinander dadurch ab, dass sie unterschiedlichen Göttern folgen, und die jeweiligen Götter sind die die Völker organisierenden Mächte. Dass die 21 Vgl. ders., Philosophie der Mythologie, Band 1: Einleitung in die Philosophie der Mythologie, SW II/1, hg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart / Augsburg 1856, Nachdruck Darmstadt 1960 (= Einleitung in die Philosophie der Mythologie), 149 ff.
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Götter Mächte sind, heißt nicht, dass sie existieren, wohl aber dass sie als existierend und Macht ausübend geglaubt werden. Offenbar ist diese Macht unwiderstehlich, da der Polytheismus in einer gewissen Phase der Kulturentwicklung in allen Völkern auftritt und selbst dem jüdischen Volk als beständige Versuchung erscheint. Diese Macht polytheistischen Denkens und seiner Schrecken bedarf selbst der Erklärung.22 Diese kann aber erst in der Philosophie der Offenbarung gefunden werden, welche an die Philosophie der Mythologie zeitlich und inhaltlich anschließt. Die mythologische Welt der vielen geheimnisvollen Götter ist die Welt des Menschen nach dem Fall, die Welt der Gottferne und Angst, in der die Welt zu einem rätselhaften und furchteinflößenden Ort geworden ist. Hier kann Schelling auf Grundgedanken seiner Freiheitsschrift zurückgreifen, die ja auch eine Philosophie der Erbsünde enthält. Die Welt des ursprünglichen Monotheismus wird im Vergleich mit diesem gefallenen und unglücklichen Zustand als Paradies oder als Goldenes Zeitalter erinnert, zu dem es keinen Weg zurück gibt. Und doch ist die Erinnerung an den ursprünglich einen, dreieinigen Gott auch im mythologischen Bewusstsein nicht ganz verloren, sondern durchzieht als wiederkehrende, in sich rätselhafte Dreierstruktur die Mythologie, die Schelling insbesondere an der Figur des Dionysos genauer verfolgt.23 Diese menschheitsgeschichtliche Großbetrachtung wird dann aber hingeordnet auf die zweite Selbstoffenbarung Gottes in der Inkarnation, welche diesen Zustand überwindet und die Menschheit zum wahren Gott zurückführt. Die Antwort Gottes auf die freiwillige Abkehr des Menschen von der Schöpfungsordnung und die vielen vergeblichen Versuche, sich wieder mit Gott zu versöhnen, von denen Mythologie und jüdische Überlieferung handeln, besteht in seiner freiwilligen Einswerdung mit der Menschheit in Christus, der Gott mehr gehorcht als den Menschen und deswegen leiden und sterben muss, wodurch allein Erlösung erlebt werden kann, erfahren in seiner Auferstehung. Erst in dieser Perspektive lässt sich die Menschheitsgeschichte als Geschichte ordnen und ist nicht bloß eine chaotische Masse, weswegen Schelling auch sagt, dass nur das Christentum geschichtlich ist, das Christentum einschließlich des Judentums, wie man durchaus mit ihm hinzufügen kann, da es aus Schellings Sicht kein Christentum ohne das Alte Testament geben kann.
Vgl. Einleitung in die Philosophie der Mythologie, 5.–6. Vorlesung. Vgl. ders., Urfassung der Philosophie der Offenbarung (1831–32), hg. von Walter E. Ehrhardt, Hamburg 1992, 42.–44. Vorlesung. 22 23
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Man kann sich nun fragen, ob das nicht christliche Philosophie ist. Schelling verneint dies und betont den überkonfessionellen Charakter der Philosophie. Nicht nur gibt es keine katholische oder protestantische Philosophie, sondern es gibt auch keine christliche, jüdische oder muslimische, auch wenn es protestantische, katholische, jüdische und muslimische Philosophen gibt. Das Christentum ist nicht Voraussetzung, sondern Ergebnis dieser besonderen Art von Geschichtsphilosophie der Religionen. Ist das aber noch Philosophie? Immerhin hat Schellings Spätphilosophie wie schon seine frühe Naturphilosophie eine breite empirische Basis, und er vertieft sich immer wieder in Einzelheiten des überlieferten Materials wie die korrekte Aussprache des Gottesnamens Jahwe oder Jehova oder die Etymologie des Namens Melchisedek. Diese Philosophie ist so sehr gelehrtes Nachdenken, dass Schelling sogar warnt, man solle sich erst um ein breites Fundament historischer Bildung, einschließlich der alten Sprachen, bemühen, ehe man es wagen dürfe, über Themen wie die Religionsgeschichte der Menschheit zu schreiben.24 Offenbar hängt die Antwort auf diese Frage davon ab, was man unter Philosophie versteht und was man als ihre Aufgaben ansieht. Hält man es in dieser Frage mit Kant und Hegel, welche Philosophie als allein mit dem Apriorischen, Allgemeinen und Notwendigen befasst sehen, dann lautet die Antwort: Nein. Schellings Spätphilosophie beschränkt sich nicht auf die Strukturen der Vernunft, wie es die von ihm kritisierte bloß ‚negative Philosophie‘ tut.25 Sie vertieft sich vielmehr in verschiedene Bereiche der empirisch gegebenen Wirklichkeit. Aber sie tut dies mit einem zutiefst philosophischen Augenmerk auf allgemeine Übersichtlichkeit und Zusammenschau, auf Spekulation im ursprünglichen Sinn. Aus meiner Sicht rückt sie das näher an ein vielleicht aristotelisch zu nennendes Verständnis von Philosophie, welchem zu Folge die Wirklichkeit begriffen und gedeutet werden muss, wie sie uns in der Erfahrung gegeben ist. Auch die Suche nach Notwendigkeiten a posteriori, von denen in der analytischen Philosophie seit einiger Zeit wieder die Rede ist, steht diesem Geist näher als der Apriorismus kantischer und hegelscher Provenienz.
Vgl. ders., Einleitung in die Philosophie der Mythologie, 174, Anm. Um Missverständnisse zu vermeiden: Schellings eigene reife Philosophie hat ihren bloß negativen, rein rationalen oder methodischen Teil, ohne den das Ganze seines Denkens nicht Philosophie sein könnte. Er kritisiert aber die neuzeitliche und insbesondere die kantische und nachkantische Philosophie einschließlich der Philosophie Hegels, im bloßen Idealismus reiner Denkimmanenz zu verbleiben. Ich danke Thomas Buchheim und Wilhelm G. Jacobs für ihr Insistieren auf diesem Punkt. 24 25
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4. Konklusion: Drei Formen der vergleichenden Religionsphilosophie Blicken wir noch einmal vergleichend auf diese drei Formen der Religionsphilosophie zurück, so zeigt sich, dass alle drei das Phänomen religiöser Vielfalt ausgesprochen ernst nehmen und den Religionen in ihrer Vielfalt berechtigte Wahrheitsansprüche zugestehen, ohne sich deswegen in die theoretischen Sackgassen eines Wahrheitspluralismus und Wahrheitsrelativismus einerseits, oder einer bloß vereinnahmend nostrifizierenden religiösen Philosophie andererseits zu verlaufen. Jeder dieser Ansätze ist spezifischen Gefährdungen ausgesetzt, Hegels Ansatz der einer logisch-rationalistischen Verkürzung der Religionen ‚im Geist der Aufklärung‘, einschließlich der christlichen, auf eine spekulative Dialektik des Endlichen und Unendlichen26, Schleiermachers Religionsphilosophie der eines bloßen Standpunktrelativismus, Schelling schließlich der des unfreiwilligen Abgleitens in eine dann doch – wenn auch spekulativ ausgedeutete – christliche Philosophie. Hegel wird nicht zu Unrecht vorgeworfen, die Phänomene des Religiösen – gegen seine eigene Maxime – gerade nicht so aufzunehmen, wie er sie vorfindet, sondern in die vorgegebenen Raster seines eigenen philosophischen Systems zu zwängen, und sein Vorwurf an Schelling, kein System zu haben, sondern immer nur in Systemfragmenten zu denken, erschiene dann in einem ganz neuen Licht. Schleiermacher muss sich fragen lassen, inwieweit er den Anfangsgedanken einer genuinen Wahrheit in jeder religiösen Anschauung eigentlich festzuhalten vermag und ob dieser Gedanke der Wahrheit einer subjektiven Anschauung am Ende nicht in den Subjektivismus einer bloßen Wahrhaftigkeit und Authentizität des Bekenntnisses umschlägt. Auf der anderen Seite ist auch Schleiermacher nicht ganz gefeit gegen die Gefahr einer bekenntnisabhängigen christlichen Philosophie, die nur scheinbar einen Ausweg aus dieser Problematik eröffnen kann. Schelling schließlich könnte man vorhalten, dass er bei allem tiefen Interesse an den tatsächlichen religiösen Überlieferungen in ihrer Vielfalt diese dann doch mit zweierlei Maß misst. Denn letztlich gesteht er nur dem biblischen Text eine wenn auch oft schwer verständliche und auslegungsbedürftige Wahrheit zu, während er in anderen Überlieferungen durchgehend mit Verstellungen, mythischen Symbolisierungen und metonymischen Vertauschungen rechnet, ausgehend 26
Zumindest läuft die linkshegelianische Religionsphilosophie auf eine solche Lesart Hegels hinaus, dort allerdings verbunden mit dem Vorwurf, dass Hegel selbst diese These nicht auszusprechen wage, sondern sich hinter Mystifikationen verberge. In diesem Sinn äußert sich bekanntlich Feuerbach über Hegel.
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von dem Gedanken, dass die nichtchristliche Religion, in Teilen selbst die vorchristlich-jüdische, in Bildern und Rätseln spricht, während die Wahrheit erst in Christus offenbar wird. Und doch wird man, bei aller Kritik an jedem dieser drei Ansätze, zugestehen müssen, dass dies drei Weisen sind, das eingangs beschriebene Dilemma zu vermeiden und zu einer echt kritischen vergleichenden Wertschätzung der Religionen zu gelangen. Alle drei tun etwas für Philosophie Unerlässliches, indem sie den nicht zu leugnenden subjektiven Ausgangspunkt jedes Philosophierens denkend transzendieren und in die universale Sphäre des Denkens vorstoßen, den Ausgangspunkt wohlgemerkt, nicht die Subjektivität des Urteilens überhaupt, die sich nicht transzendieren lässt, da jeder Urteilsakt immer subjektiver Akt bleibt. Deswegen handelt es sich bei den hier angesprochenen Texten um philosophische Texte und nicht um Bekenntnisschriften. Wenn ich dennoch eine gewisse Vorliebe für Schellings Ansatz nicht verhehlen kann, dann deswegen, weil mich die Tiefe und Ernsthaftigkeit beeindruckt, mit der er sich tatsächlich in die religiöse Überlieferung und so auch in die fremde Subjektivität fremder Religiosität vertieft und dieser den allergrößten Respekt erweist, indem er ihren Wahrheitsanspruch kritisch prüft, immer mit der Unterstellung authentischer Religiosität. Auch wenn man seine letztlich christozentrische Betrachtung der Religionsgeschichte nicht nachvollziehen mag, bleibt doch ein Grundgedanke, den jede vergleichende Religionsphilosophie beherzigen sollte: Die religiösen Texte und Dokumente lügen nicht, und sie machen keine Erfindungen. Dieses Zugeständnis zu machen verlangt uns viel ab, aber ohne dieses entkommen wir dem Dilemma nicht.
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Zu den Autoren Buchheim, Thomas, Prof. Dr., geboren 1957; Ordinarius für Philosophie mit Schwerpunkt Metaphysik und Ontologie an der Ludwig-MaximiliansUniversität München; Mitglied der Schelling-Kommission und Mitherausgeber der Historisch-kritischen Schellingausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Ausgewählte Veröffentlichungen: Die Sophistik als Avantgarde normalen Lebens, Hamburg 1986; Eins von Allem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie, Hamburg 1992; Die Vorsokratiker. Ein philosophisches Portrait, München 1994; Aristoteles, Freiburg 1999; Unser Verlangen nach Freiheit: Kein Traum, sondern Drama mit Zukunft, Hamburg 2006. Herausgeber: F. W. J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, mit Einleitung und Anmerkungen, Hamburg 2. Aufl. 2011; „Alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde“. Schellings Philosophie der Personalität, Berlin 2004 (mit F. Hermanni); Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft, Tübingen 2012 (mit F. Hermanni, A. Hutter und Chr. Schwöbel). Crouter, Richard, Prof. em. Dr., geboren 1937; John M. and Elizabeth W. Musser Professor of Religious Studies am Department of Religion, Carleton College, Northfield, MN; Gründungsmitglied der SchleiermacherGesellschaft. Ausgewählte Veröffentlichungen: Friedrich Schleiermacher. Between Enlightenment and Romanticism, Cambridge 2005; Reinhold Niebuhr on Politics, Religion, and Christian Faith, Oxford 2010. Herausgeber: Schleiermacher und Kierkegaard. Akten des Schleiermacher-Kierkegaard-Kongresses in Kopenhagen 2003, Berlin/New York 2006 (mit N. Cappelørn, Th. Jørgensen und C.-D. Osthövener). Herausgeber und Übersetzer: Friedrich Schleiermacher, On Religion. Speeches to its Cultured Despisers, Cambridge 1988; David Friedländer, Friedrich Schleiermacher, Wilhelm Abraham Teller. A Debate on Jewish Emancipation and Christian Theology in Old Berlin, Indianapolis 2004 (mit J. Klassen).
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Zu den Autoren
Gerlach, Stefan, Dr., geboren 1968; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Eberhard Karls Universität Tübingen mit DFG-Projekt zur Handlungstheorie in Schellings Spätphilosophie. Ausgewählte Veröffentlichungen: Wie ist Freiheit möglich? Eine Untersuchung über das Lösungspotential zum Determinismusproblem in Kants Kritik der reinen Vernunft, Tübingen 2010; Immanuel Kant, Tübingen 2011; „Wunderkind in Bebenhausen. Ein Beitrag zur frühen intellektuellen Entwicklung Schellings“, in: F. Hermanni/D. Koch/ J. Peterson (Hgg.), „Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist – Freiheit!“ – Schellings Philosophie in der Sicht neuerer Forschung, Tübingen 2012, 402–430; „Die Schöpfungshandlung in Schellings ,Philosophie der Offenbarung‘“, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 55 (2013), 284–313. Gräb, Wilhelm, Prof. em. Dr., geboren 1948; Ordinarius für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin; seit 2011 Extraordinary Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Stellenbosch, Südafrika; Gründungsmitglied und bis 2012 Schatzmeister der SchleiermacherGesellschaft. Ausgewählte Veröffentlichungen: Humanität und Christentumsgeschichte. Eine Untersuchung zum Geschichtsbegriff im Spätwerk Schleiermachers, Göttingen 1980; Sinn fürs Unendliche. Religion in der Mediengesellschaft, Gütersloh 2002; Religion als Deutung des Lebens. Perspektiven einer Praktischen Theologie gelebter Religion, Gütersloh 2006; Sinnfragen. Transformationen des Religiösen in der modernen Kultur, Gütersloh 2006. Herausgeber: Gott im Selbstbewußtsein der Moderne. Zum neuzeitlichen Begriff der Religion, Gütersloh 1993 (mit U. Barth); Religion als Thema der Theologie. Geschichte, Standpunkte und Perspektiven theologischer Religionskritik und Religionsbegründung, Gütersloh 1999; Christentum – Staat – Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft in Berlin, Berlin/New York 2008 (mit A. Arndt und U. Barth); Schleiermacher, the Study of Religion, and the Future of Theology. A Transatlantic Dialog, Berlin/New York 2010 (mit B. Sockness); Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher – Troeltsch – Tillich, Berlin / Boston 2013 (mit U. Barth, Chr. Danz und F. W. Graf). Halfwassen, Jens, Prof. Dr., geboren 1958; Ordinarius für Philosophie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; Mitglied der Hegel-Kommission der Nordrhein-Westfälischen Akademie des Wissenschaften. Ausgewählte Veröffentlichungen: Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin, München/Leipzig (1992) 2. Aufl. 2006; Geist und
Zu den Autoren
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Selbstbewusstsein. Studien zu Plotin und Numenios, Stuttgart 1994; Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung, Bonn 1999, 2. Aufl. Hamburg 2005; Plotin und der Neuplatonismus, München 2004; Auf den Spuren des Einen (erscheint demnächst). Herausgeber: Platonismus im Orient und Okzident. Neuplatonische Denkstrukturen im Judentum, Christentum und Islam, Heidelberg 2005 (mit R. G. Khoury und F. Musall); Kunst, Metaphysik und Mythologie, Heidelberg 2008 (mit M. Gabriel); Philosophie und Religion, Heidelberg 2011 (mit M. Gabriel und St. Zimmermann). Hermanni, Friedrich, Prof. Dr., geboren 1958; Ordinarius für Systematische Theologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen; Mitglied der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Ausgewählte Veröffentlichungen: Die letzte Entlastung. Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojektes in Schellings Philosophie, Wien 1994; Das Böse und die Theodizee. Eine philosophisch-theologische Grundlegung, Gütersloh 2002; Metaphysik. Versuche über letzte Fragen, Tübingen 2011. Herausgeber: „Alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde“ – Schellings Philosophie der Personalität, Berlin 2004 (mit Th. Buchheim); Wahrheitsansprüche der Weltreligionen. Konturen gegenwärtiger Religionstheologie, Neukirchen-Vluyn 2006 (mit Chr. Danz); „Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist – Freiheit!“ – Schellings Philosophie in der Sicht neuerer Forschung, Tübingen 2012 (mit D. Koch und J. Peterson); Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft, Tübingen 2012 (mit Th. Buchheim, A. Hutter und Chr. Schwöbel). Herms, Eilert, Prof. em. Dr., geboren 1940; Ordinarius für Systematische Theologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen und Direktor des Instituts für Ethik. Ausgewählte Veröffentlichungen: Herkunft, Entfaltung und erste Gestalt des Systems der Wissenschaften bei Schleiermacher, Gütersloh 1974; Radical empiricism. Studien zur Psychologie, Metaphysik und Religionstheorie William James‘, Gütersloh 1977; Theologie – eine Erfahrungswissenschaft, München 1978; Theorie für die Praxis. Beiträge zur Theologie, München 1982; Gesellschaft gestalten. Beiträge zur evangelischen Sozialethik, Tübingen 1991; Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen 1992; Menschsein im Werden. Studien zu Schleiermacher, Tübingen 2003; Phänomene des Glaubens. Beiträge zur Fundamentaltheologie, Tübingen 2006; Zusammenleben im Widerstreit der Weltanschauungen. Beiträge
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Zu den Autoren
zur Sozialethik, Tübingen 2007; Politik und Recht im Pluralismus, Tübingen 2008; Kirche – Geschöpf und Werkzeug des Evangeliums, Tübingen 2010; Kirche in der Gesellschaft, Tübingen 2011. Houlgate, Stephen, Prof. Dr., geboren 1954; Professor für Philosophie an der University of Warwick; ehemaliger Präsident und Vizepräsident der Hegel Society of America; gegenwärtiger Präsident der Hegel Society of Great Britain; von 1998 bis 2006 Herausgeber des Bulletin of the Hegel Society of Great Britain. Ausgewählte Veröffentlichungen: Hegel, Nietzsche and the Criticism of Metaphysics, Cambridge 1986; An Introduction to Hegel. Freedom, Truth and History, 2. Auflage Oxford 2005; The Opening of Hegel’s Logic. From Being to Infinity, West Lafayette 2006. Herausgeber: Hegel and the Philosophy of Nature, Albany (NY) 1998; The Hegel Reader, Oxford 1998; Hegel and the Arts, Evanston (IL) 2007; G. W. F. Hegel: Outlines of the Philosophy of Right, Oxford 2008; A Companion to Hegel, Malden (MA) 2011 (mit M. Baur). Jacobs, Wilhelm G., Prof. Dr., geboren 1935; apl. Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München; Mitglied der Schelling-Kommission und Mitherausgeber der Historisch-kritischen Schellingausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 1968–2000 Sekretär der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 1992–1998 Präsident der Internationalen Schelling-Gesellschaft. Ausgewählte Veröffentlichungen: Trieb als sittliches Phänomen. Eine Untersuchung zur Grundlegung der Philosophie nach Kant und Fichte, Bonn 1967; Zwischen Revolution und Orthodoxie? Schelling und seine Freunde im Stift und an der Universität Tübingen. Texte und Untersuchungen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989; Gottesbegriff und Geschichtsphilosophie in der Sicht Schellings, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993; Schelling lesen, StuttgartBad Cannstatt 2004; Johann Gottlieb Fichte. Eine Einführung, Berlin 2014. Herausgeber: Philosophie der Subjektivität. Zur Bestimmung des neuzeitlichen Philosophierens. Akten des 1. Kongresses der Internationalen SchellingGesellschaft 1989, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993 (mit H. M. Baumgartner); Schellings Weg zur Freiheitsschrift. Legende und Wirklichkeit. Akten der Fachtagung der Internationalen Schelling-Gesellschaft 1992, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993 (mit H. M. Baumgartner); Zeit und Freiheit. Schelling – Schopenhauer – Kierkegaard – Heidegger. Akten der Fachtagung der Internationalen Schelling-Gesellschaft, Budapest, 24. bis 27. April 1997, Budapest 1999
Zu den Autoren
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(mit I. M. Feher); Religion und Gott im Denken der Neuzeit, Paderborn / München/Wien /Zürich 2000 (mit A. Franz). König, Christian, geboren 1978; Lehrvikar der Evangelischen Landeskirche in Baden. Veröffentlichung: Unendlich gebildet. Schleiermachers kritischer Religionsbegriff und seine inklusivistische Religionstheologie (eingereichte Dissertation, erscheint demnächst). Kravitz, Amit, Dr., geboren 1978; Leiter der Forschungsstelle Religionsphilosophie zwischen Kant und Schelling an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ausgewählte Veröffentlichungen: Dissertation an der Hebräischen Universität Jerusalem über Kants und Schellings Philosophie der Religion (unveröffentlicht), Schellings Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kritizismus, ins Hebräische übersetzt und kommentiert, Jerusalem 2015; „Absolute Counterpurposive? Kant’s first Argument against Theodicy“ (in: Archiv für Geschichte der Philosophie, erscheint demnächst); „Nature in God, Nature of God: Kant, Fichte and Schelling“, Philosophisches Jahrbuch 122 (2015), 24–44. Lewis, Thomas A., Prof. Dr., geboren 1968; Professor für Religious Studies an der Brown University. Ausgewählte Veröffentlichungen: Freedom and Tradition in Hegel: Reconsidering Anthropology, Ethics, and Religion, Notre Dame 2005; Religion, Modernity, and Politics in Hegel, Oxford 2011; Why Philosophy Matters for the Study of Religion – and Vice Versa, Oxford 2015; „Cultivating Our Intuitions: Hegel on Religion, Politics, and Public Discourse“, Journal of the Society of Christian Ethics 27 (2007), 205–24; „Religion and Demythologization in Hegel’s Phenomenology of Spirit“, in: D. Moyar/M. Quante (Hgg.), Hegel’s Phenomenology of Spirit. A Critical Guide, Cambridge 2008, 192–209; „Religion, Reconciliation, and Modern Society: The Shifting Conclusions of Hegel’s Lectures on the Philosophy of Religion“, Harvard Theological Review 106 (2013), 37–60. Nonnenmacher, Burkhard, Dr., geboren 1976; Akademischer Rat; wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Systematische Theologie III der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Ausgewählte Veröffentlichungen: Hegels Philosophie des Absoluten. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ und reifem System, Tü-
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Zu den Autoren
bingen 2013; „Der Begriff sogenannter Gnadenmittel unter der Idee eines reinen Religionsglaubens“, in: O. Höffe (Hg.), Immanuel Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Berlin 2010, 211–229; „,Vom Fürwahrhalten aus einem Bedürfnisse der reinen Vernunft‘ – Zum Verhältnis von theoretischer und praktischer Vernunft in Kants Postulatenlehre“, in: S. Bacin/A. Ferrarin/C. La Rocca/ M. Ruffing (Hgg.), Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht. Akten des XI. internationalen Kant-Kongresses, Berlin/New York 2013, 905–918. Herausgeber: Relations of the Self, Coimbra 2010 (mit E. Balsemão Pires und S. Büttner-von Stülpnagel). Rohls, Jan, Prof. em. Dr., geboren 1949; Ordinarius für Systematische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ausgewählte Veröffentlichungen: Wilhelm von Auvergne und der mittelalterliche Aristotelismus, München 1980; Theologie reformierter Bekenntnisschriften, Göttingen 1988; Theologie und Metaphysik. Der ontologische Gottesbeweis und seine Kritiker, Gütersloh 1988; Geschichte der Ethik, Tübingen 2. Aufl. 1997; Protestantische Theologie der Neuzeit I, Tübingen 1997; Protestantische Theologie der Neuzeit II, Tübingen 1997; Philosophie und Theologie in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 2002; Offenbarung, Vernunft und Religion. Ideengeschichte des Christentums Bd. I, Tübingen 2012; Schrift, Tradition und Bekenntnis. Ideengeschichte des Christentums Bd. II, Tübingen 2013; Gott, Trinität und Geist. Ideengeschichte des Christentums Bd. III/1–2, Tübingen 2014. Schick, Friedrike, Prof. Dr., geboren 1960; apl. Professorin am Philosophischen Seminar der Eberhard Karls Universität Tübingen. Ausgewählte Veröffentlichungen: Hegels Wissenschaft der Logik – metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, Freiburg / München 1994; Sache und Notwendigkeit. Studien zum Verhältnis von empirischer und begrifflicher Allgemeinheit, Würzburg 2005. Herausgeberin: G. W. F. Hegel. Die Wissenschaft der Logik, Klassiker Auslegen Bd. 27, Berlin 2002 (mit A. F. Koch); Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik, Deutsches Jahrbuch Philosophie Bd. 5, Hamburg 2014 (mit A. F. Koch, K. Vieweg und C. Wirsing). Schlösser, Ulrich, Prof. Dr., geboren 1968; Ordinarius für Philosophie mit Schwerpunkt Kant und Deutscher Idealismus an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Ausgewählte Veröffentlichungen: Das Erfassen des Einleuchtens. Fichtes Wissenschaftslehre 1804, Berlin 2001; Kant über die Mitteilbarkeit mentaler
Zu den Autoren
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Zustände (in Vorbereitung); „Self-Knowledge, Action and the Language of Confession in Hegel’s ,Phenomenology of Spirit‘“, The Bulletin of the Hegel Society of Great Britain 63 (2011), 269–283. Schwöbel, Christoph, Prof. Dr., geboren 1955; Ordinarius für Systematische Theologie und Direktor des Instituts für Hermeneutik und Dialog der Kulturen an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Ausgewählte Veröffentlichungen: Martin Rade. Das Verhältnis von Geschichte, Religion und Moral als Grundproblem seiner Theologie, Gütersloh 1980; God: Action and Revelation, Kampen 1992; Gott in Beziehung. Studien zur Dogmatik, Tübingen 2002; Christlicher Glaube im Pluralismus. Studien zu einer Theologie der Kultur, Tübingen 2003; Die Religion des Zauberers. Theologisches in den großen Romanen Thomas Manns, Tübingen 2008; Gott im Gespräch. Theologische Studien zur Gegenwartsdeutung, Tübingen 2011. Herausgeber: Die religiösen Wurzeln der Toleranz, Freiburg 2002 (mit D. von Tippelskirch); Religion – Toleranz – Bildung, Neukirchen-Vluyn 2007 (mit F. Schweitzer); Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft, Tübingen 2012 (mit Th. Buchheim, F. Hermanni und A. Hutter); Gott – Götter – Götzen: XIV. Europäischer Kongress für Theologie, Leipzig 2013; Christen und Muslime im Gespräch: Eine Verständigung über Kernthemen der Theologie, Gütersloh 2014 (mit S. Heine, Ö. Özsoy und A. Takim). Tegtmeyer, Henning, Prof. Dr., geboren 1968; Associate Professor für Metaphysik und Religionsphilosophie am Institut für Philosophie der Katholischen Universität Leuven. Ausgewählte Veröffentlichungen: Formbezug und Weltbezug. Die Deutungsoffenheit der Kunst, Paderborn 2006; Kunst, Berlin/ New York 2008; Gott, Geist, Vernunft. Prinzipien und Probleme der Natürlichen Theologie, Tübingen 2013. Herausgeber: Metaphysik der Hoffnung. Ernst Bloch als Denker des Humanen, Leipzig 2012 (mit S. Herrmann-Sinai); Sinnkritisches Philosophieren, Berlin/New York 2013 (mit S. Rödl). Vinco, Roberto, Dr., geboren 1977; Akademischer Rat am Philosophischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Ausgewählte Veröffentlichungen: Unterwegs zur ontologischen Wahrheit. Hegelsche Elemente in der Fundamentalontologie Heideggers in Bezug auf das Thema „Wahrheit“, Würzburg 2008; „Zum parmenideischen Charakter des Denkens Meister Eckharts“, Theologie und Philosophie 88 (2013), 161–175; „Die Aporie des Grundes und die hegelsche Lösung“, in:
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Zu den Autoren
M. Schölles/A. Spinelli (Hgg.), Gründender Abgrund. Die Frage nach dem Grund bei Martin Heidegger, Tübingen 2013, 211–227. Wendte, Martin, PD Dr., geboren 1974; Privatdozent an der Evangelischtheologischen Fakultät der Universität Tübingen. Ausgewählte Veröffentlichungen: Gottmenschliche Einheit bei Hegel. Eine logische und theologische Untersuchung, Berlin/ New York 2007; Die Gabe und das Gestell. Luthers Metaphysik des Abendmahls im technischen Zeitalter, Tübingen 2013; „Zu begreifen, was ist. Lage und Aufgabe der Forschung zu Hegels Religionsphilosophie“, Hegel-Studien 42 (2007), 99– 121; „Monarchie des Geistes? Gegen den impliziten Hegelianismus in der gegenwärtigen Theologie“, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 49 (2007), 86–103; „Hegels Gottesbeweis. Die absolute Vermittlung von Denken und Sein im spekulativen Schluss“, Jahrbuch für Religionsphilosophie 10 (2011), 36–70. Herausgeber: Entzogenheit in Gott. Beiträge zur Rede von der Verborgenheit der Trinität, Utrecht 2005 (mit M. Mühling); Hauptwerke der Systematischen Theologie. Ein Studienbuch, Tübingen 2009 (mit R. Klein und Chr. Polke). Ziche, Paul, Prof. Dr., geboren 1967; Professor für Geschichte der Philosophie am Department of Philosophy and Religious Studies der Universität Utrecht. Ausgewählte Veröffentlichungen: Mathematische und naturwissenschaftliche Modelle in der Philosophie Schellings und Hegels, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996; Wissenschaftslandschaften um 1900. Philosophie, die Wissenschaften und der nichtreduktive Szientismus, Zürich 2008; Sygkepleriazein: Schelling und die Kepler-Rezeption im 19. Jahrhundert, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013 (mit P. Rezvykh). Herausgeber: Christoph Friedrich von Pfleiderer, Physik. Naturlehre nach Klügel. Nachschrift einer Tübinger Vorlesung von 1804, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994; Introspektion. Texte zur Selbstwahrnehmung des Ichs, Wien/New York 1999; „Die bessere Richtung der Wissenschaften“. Schellings „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums“ als Wissenschafts‑ und Universitätsprogramm, Stuttgart 2011 (mit G. F. Frigo).
Personenregister Albert, K. 233, 242, 249 Albrecht, C. 39, 42, 62 f. Althaus, P. 451 Andreas, W. 459, 474 Anquetil-Duperron, A. H. 216 Ariost, L. 325 Aristoteles 237, 354, 455, 468, 517 Arndt, A. 13, 22, 35, 58, 64, 72, 84, 233, 250, 304, 327 Asad, T. 214 f., 230 Asendorf, U. 260 f., 265, 271 Assmann, J. 393, 395 Augustinus, A. 238 Bacon, F. 283 Bal, K. 233, 250 Barbarić, D. 353, 379, 401, 423 Barner, W. 155, 182 Barnett, S. 212, 230 Barth, K. 259, 261, 271, 451, 474 Barth, R. 53, 64 Barth, U. 27, 34, 42, 49, 52 f., 58, 64, 280, 290 Bartuschat, W. 410, 423 Basedow, J. B. 21 Bauer, B. 180–182 Bauer, J. 74, 84 Baumgarten, A. G. 489, 491, 498 Baumgartner, H. M. 374 f., 379 f. Bausinger, H. 386, 395 Beckmann, K. 52 f., 63 Beierwaltes, W. 389 f., 395 f. Beiser, F. 505, 519 Beisser, F. 42, 63 Bentham, J. 21 Berger, P. 22, 34 Bernasconi, R. 212, 227, 230 Bernhardt, R. 61, 64 Bestebreurtje, F. 18, 36 Beutel, A. 15, 34 Bhabha, H. 195, 208
Bidese, E. 377, 379 f. Biliniewicz, M. 234, 249 Birkner, H.-J. 13, 28 f., 33–35, 62, 85, 105, 280, 291 Blum, M. 50, 63 Blumenberg, H. 383, 395 Bonsiepen, W. 109, 129, 165, 182, 253 f., 272, 505, 519 Bornkamm, H. 261, 271 Braun, O. 74, 84, 86, 106 Brentano, C. 356 Brisson, L. 385, 395 Brown, R. F. 213, 230 Brunstäd, F. 449–475 Brüske, G. 239, 250 Buber, M. 419 Bubner, R. 390, 395 Buchenau, A. 489, 498 Buchheim, T. 202, 205, 208, 358 f., 379–381, 401, 413, 423, 425–445, 517 Buchner, H. 390, 396 Burbidge, J. W. 270 f. Büsching, A. 18, 36 Byrne, P. 480, 488, 498 Calderón de la Barca, P. 325 Calvin, J. 451 Cervantes, M. 326 Chalmers, D. J. 27, 34 Clarke, E. C. 387, 396 Colebrooke, H. T. 225 Conant, J. 20 Copan, P. 480, 498 f. Courtine, J.-F. 403, 423 Cramer, K. 117, 128 Creuzer, F. 385–387, 395 Crouter, R. 13–36, 50, 63, 211 Cruysberghs, P. 225, 230
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Personenregister
Dante Alighieri 325 f. Danz, C. 48, 63, 136, 152, 285, 291, 365, 374, 379 f., 399, 423, 505, 520 Dawkins, R. 253, 256, 260, 267 f., 272 Delbrück, H. 450 Dellbrügger, G. 244, 250 Derrida, J. 212, 230 Descartes, R. 283, 433 f., 489, 498 Desmond, W. 212, 230 Devos, R. 117, 128 Diderot, D. 502 Diels, H. 384, 395 Dierken, J. 27 Dillon, J. M. 387, 396 Dilthey, W. 25, 35, 42, 63, 90, 105, 450, 452 Dole, A. C. 23, 35 Dubuisson, D. 214 f., 230 Düffel, G.v. 233, 250 Dussel, E. D. 212, 230 Düwell, M. 373, 379 f. Ebeling, G. 62 Eberhard, J. A. 491, 498 Eckert, M. 42, 63 Ehrhardt, W. E. 289, 291, 298, 327, 354, 379, 427, 445, 516, 520 Ellsiepen, C. 42, 63 Essen, G. 505, 520 Fackenheim, E. F. 212, 230 Feuerbach, L. 349, 518 Fichte, J. G. 15 f., 17, 25, 38 f., 64, 128 f., 234, 275, 282 f., 296–298, 310, 364 f., 379, 420, 453, 455, 473 Fidora, A. 377, 379 f. Fischer, H. 62, 81, 84 f., 105 Fischer, K. 450 Fleschig, R. 256, 272 Florig, O. 360, 379 Fontane, T. 169 Francke, O. 453 Frank, M. 20, 35, 276, 290, 293 f., 296–298, 327, 385, 395, 397, 423 Franz, A. 352, 354, 379, 426, 445 Friedländer, D. 31, 34 Fuhrmans, H. 353, 361, 379 f., 388, 395, 425, 437, 445
Gabriel, M. 363, 367 f., 380, 391, 395 Garniron, P. 241, 250 Gawoll, H.-J. 498 Geiger, A. 53, 64 George, L. 90, 106 Gerber, S. 81, 84 Gerlach, S. 351–381 Gerrish, B. 22, 35 Gerstenmaier, E. 449, 452, 474 Glockner, H. 35 Goethe, J. W.v. 20, 115, 293, 326 Gräb, W. 27, 35, 55, 58, 64, 65–84 Graf, F. W. 27, 35 Griffiths, J. G. 393, 396 Grove, P. 13, 35 Guardini, R. 234 f., 237, 239, 250 Guzzoni, U. 117, 128 f. Habermas, J. 502, 519 Hain, M. 386, 395 Halfwassen, J. 383–396 Hardenberg, F.v. siehe Novalis Hartlieb, E. 41, 63 Heede, R. 109, 129, 163, 165, 182, 254, 272, 505, 519 Hegel, G. W. F. 1–9, 13, 16, 31, 33, 35, 42, 62, 64, 74, 107–272, 293, 303, 327, 385, 388, 393, 451–456, 458 f., 465, 468 f., 472–474, 477, 488–491, 493 f., 498, 501 f., 504–510, 513–515, 517–520 Heidegger, M. 345 Heilfurth, G. 386, 395 Heiske, W. 386, 395 Helmes, J. G. C. F. 437 Henrich, D. 114, 118, 128 f. Herder, J. G. 24, 277, 282 Hermann, G. 436 Hermanni, F. 1–9, 48, 63, 133, 140, 151–153, 155–183, 186, 190, 192, 199, 201, 208, 211, 213, 218 f., 231, 233, 245, 250, 353, 358 f., 370 f., 379–381, 401, 423, 485, 489, 498, 508 Herms, E. 40, 42 f., 63, 85–106, 449, 475 Hershbell, J. P. 387, 396 Hesiod 329, 387, 432 Hick, J. 33, 35, 479–487, 489, 498 Hirsch, E. 81, 84
Personenregister
Hodgson, P. C. 163, 179, 182, 212 f., 225, 230 Höffe, O. 356, 380 Hoffheimer, M. H. 212, 231 Hoffmeister, J. 256, 272 Hogemann, F. 241, 250, 254, 272, 498 Hölderlin, F. 13 Homer 318, 320, 383, 385, 396 Horstmann, R.-P. 111, 129 Houlgate, S. 141, 211, 253–272 Hübenthal, C. 373, 379 f. Huber, E. 38 Huber, F. 61, 64 Huber, H. 192, 194, 209 Hufeland, C. W. 21 Hugenberg, A. 451 Hühn, H. 276, 291 Hühn, L. 286, 291 Humboldt, W.v. 20 Hume, D. 29 f., 35, 90, 105, 275–277, 285, 290, 502 Hutter, A. 137, 153, 375, 380, 438, 445 Huxel, K. 90, 105 Irenäus von Lyon 237, 370 Jacob, H. 365, 379 Jacobi, F. H. 15, 40, 115, 275–277, 282–284, 287, 290, 303, 314 Jacobs, W. G. 329–349, 370, 374, 380, 386, 396, 517 Jaeschke, W. 3, 13, 35, 62, 131, 140, 151–153, 155, 159, 163, 178, 181 f., 191–193, 198, 209, 212 f., 229 f., 233, 241, 250, 254 f., 259 f., 262, 272, 277, 290, 498, 505, 507, 519 f. Jamblich 387, 393 f., 396 Janowski, B. 51, 64 Jantzen, J. 386, 396 Jaspers, K. 386, 396, 436, 445 Jesus Christus 32, 51, 53, 62, 77, 80–82, 123, 125, 127, 190, 194, 197, 235, 255, 259, 261 f., 269–271, 302, 320 f., 323–325, 357–359, 368, 370, 377 f., 397, 419, 423, 486, 508, 514, 516, 519 Jonas, L. 85, 105 Jones, W. 225
589
Jüngel, E. 259, 269 f., 272 Justin 15 Kant, I. 2, 4 f., 13–17, 20, 22, 24, 27 f., 35 f., 39, 90, 103–105, 139, 148, 152, 156, 182, 264, 272, 275 f., 282 f., 286, 302 f., 313, 345, 349, 365, 373, 375, 379 f., 388, 395, 425, 434, 438, 445, 450, 452–456, 458, 465, 468–470, 472 f., 477, 479, 488 f., 491, 494, 498, 502, 510–512, 517 Kasper, W. 388, 396 Kierkegaard, S. 356, 379, 510 Kiermeier-Debre, J. 51, 63 Kimmerle, H. 62 King, R. 215 f., 224 f., 230 Kippenberg, H. 215, 230 Klassen, J. 31, 34 f. Klopstock, F. G. 325 Koch, A. F. 187, 199 f., 202–205, 209, 239 f., 250 Koch, D. 353, 379 f., 401, 423 Koch, K. 51, 64 König, C. 37–64, 211 Kopernikus, N. 468 Köppen, F. 275, 290 Korsch, D. 280, 282, 290 Korten, H. 375, 379 Koslowski, P. 152 f., 369, 375, 380 Kranz, W. 384, 395 Krause, M. 51, 64 Kravitz, A. 397–423 Krings, H. 390, 396 Krüger, M. D. 202, 209, 289 f., 361, 372, 380 Kubik, A. 53, 63 Kuebart, K. 386, 396 Kumamoto, Y. 125, 129 Kurz, G. 293 f., 296, 327 La Mettrie, J. O. de 502 Labbadia, B. 167 Labuschagne, B. 213, 225, 230 Lamm, J. A. 22 f., 35 Lange, D. 38, 51, 64 Langthaler, R. 365, 379 f. Lasson, A. 450 Lauer, Q. 258, 272
590
Personenregister
Lauster, J. 27, 34 Lauth, R. 365, 379 Leeuw, G. van der 31, 35 Leibniz, G. W. 90, 295, 489–492, 498 f. Leonhardt, R. 370, 380 Lessing, E. 453, 475 Lessing, G. E. 51, 53, 63, 155, 181 f., 323, 502, 505 Leuze, R. 178, 182, 192, 209, 213, 230 Lévinas, E. 128, 212, 230 Lewis, T. A. 139, 195, 211–231, 233, 244, 250, 261, 265, 270, 272 Lingis, A. 212, 230 Locke, J. 215, 502 Lucas, H.-C. 253, 272, 505, 519 Luther, M. 24, 35, 140 f., 152 f., 202, 209, 239, 247, 250, 258, 260 f., 265, 271 f., 370, 408, 410, 451 f. Marahrens, A. F. K. 452 Marquet, J.-F. 403, 423 Marx, K. 349 Marx, W. 129 Masuzawa, T. 214–217, 224 f., 230 McDowell, J. 286, 290 Meckenstock, G. 4, 15 f., 36, 38, 64, 85, 105, 499 Meier, G. F. 491, 498 Meister, C. 480, 498 f. Mendelssohn, M. 502 Menegoni, F. 123, 129 Metzger, W. 261, 272 Michel, K. M. 3, 508, 520 Milton, J. 325 Mirbach, D. 498 Mokrosch, R. 386, 396 Moldenhauer, E. 3, 508, 520 Moltmann, J. 105 Müller-Lüneschloss, V. 285, 291 Narbonne, J. M. 390, 396 Nestle, W. 383, 396 Neugebauer, G. 374, 380 Newton, I. 22, 28 Niederer, J. 285, 291 Nietzsche, F. W. 349, 508 Nonnenmacher, B. 1–9, 131–153, 211
Novalis (F. v. Hardenberg) 13, 23, 32, 35, 53, 63, 293, 310, 321 Nowak, K. 56, 63, 82 Nüllmann, H. 234, 250 O’Regan, C. 212, 230, 260, 270, 272 Oberdorfer, B. 27, 34 Odebrecht, R. 86, 106 Oman, J. 15, 17 f., 26, 36 Origenes 15 Osthövener, C.-D. 42, 49, 52 f., 56, 64, 280, 290 Ottmann, H. 233, 250 Otto, R. 19, 35, 66, 84, 460 Parmenides 243 Parry, W. E. 220 Pauck, M. 24, 35 Pauck, W. 24, 35 Paul, J. 282 Paulus v. Tarsus 116, 260, 321, 397, 514 Pestalozzi, J. H. 21 Peter, N. 18, 24, 26, 29, 33, 36 Peterson, E. 451 Peterson, J. 353, 379 f., 401, 423 Peuckert, W.-E. 386, 395 Pickle, J. W. 54, 64 Pieper, A. 356, 380, 386, 396 Pindar 387, 396 Pinkard, T. 13, 35, 112, 126, 129 Plantinga, A. 483 Platon 15, 295, 305, 353, 383–385, 389 f., 395 f., 468 Plotin 389 f., 395 f. Plutarch 393 f., 396 Proudfoot, W. 27, 35 Putnam, H. 16, 20, 35 Rameil, U. 253, 272 Rang, B. 117, 128 f. Ranke, K. 386, 395 Ratzinger, J. / Benedikt XVI. 234–239, 248–250 Reckermann, A. 390, 396 Redeker, M. 7, 42, 63, 72, 84 f., 105, 164, 183 Reikerstorfer, J. 365, 380
Personenregister
Reimer, G. A. 25 Renner, P. 377, 379 f. Richter, L. 356, 379 Riehl, A. 450, 452 Ringleben, J. 38, 42, 64, 193, 209, 449, 475 Ritschl, A. 453, 475 Rohls, J. 58, 64, 138, 153, 293–327 Rosenstock, E. 397 Rosenzweig, F. 397, 419 Ross, J. 220 Rössler, M. 18, 36 Roth, F. 275, 290 Rothert, H.-J. 510, 520 Rousseau, J.-J. 502 Rütenik, K. A. 51, 62 Sack, F. S. G. 22 Sandkaulen, B. 277, 290 Sayers, W. 215, 230 Scarano, N. 373, 380 Schade, G. 453 Scheliha, A.v. 53, 64 Schelling, F. W. J. 1–9, 13, 25, 33, 62, 77, 84, 129, 136, 152, 178, 202–205, 208 f., 211, 273–445, 453, 455, 473, 477, 488, 498, 501, 504, 509, 512–520 Schelling, K. F. A. 5, 275, 291, 329, 349, 352, 379, 386, 396 f., 423, 425, 428, 436, 445, 514 f., 520 Schick, F. 1–9, 151, 153, 164, 182, 211, 477–499 Schieche, W. 386, 396 Schiedermair, J. 276, 291 Schier, B. 386, 395 Schild, W. 125, 129 Schiller, F. 20 Schilson, A. 155, 182 Schlegel, A. W. 16, 35 f. Schlegel, F. 13, 16, 35 f., 278 f., 282 f., 291, 293, 296 Schleiermacher, F. D. E. 1–9, 11–106, 164 f., 183, 211, 217, 276 f., 280–283, 285, 288–291, 293, 296–299, 301–314, 319, 321, 327, 451, 477, 486, 494, 498 f., 501, 504, 509–514, 518, 520
591
Schlitt, D. M. 163, 183 Schlösser, U. 109–129 Schmidt, R. 156, 182 Schmidt, Th.M. 377, 380 Schmidt, W. 387, 396 Schmidt-Leukel, P. 48, 61, 63 Schmitt, A. 155, 182 Schoeps, H. J. 177, 183 Scholz, H. 450 Scholz, W.v. 459, 474 Schopenhauer, A. 349, 508 Schreurs, N. F. M. 39, 63 Schröder, Manfred 374, 379 Schröder, Markus 49, 61, 64 Schulz, M. 235, 250 Schulz, W. 376 f., 380, 388 f., 396 Schüssler, I. 403, 423 Schuster, W. 41, 63 Schwab, P. 286, 291 Schweitzer, C. G. 449, 452, 474 Schwöbel, C. 211, 449–475 Seeberg, R. 450 Seifert, P. 42, 63 Selge, K.-V. 62 Shakespeare, W. 326 Siep, L. 117, 126–129 Slings, S. R. 384, 396 Slootweg, T. 213, 225, 230 Smend, R. 51, 64 Smith, J. Z. 214 f., 230 f. Smith, N. K. 30, 35 Sockness, B. 27, 35 Sokolowski, R. 249 f. Sokrates 18, 36, 309, 383, 396, 468 Solomon, R. C. 256, 272 Sophokles 119, 173 Sorg, B. 16, 35 f. Sorrentino, S. 38, 64 Spalding, J. J. 32 Spinoza, B. de 14 f., 22 f., 35, 114, 118, 167 f., 256, 278, 296 f., 310, 314, 342, 409 f., 423 Stekeler-Weithofer, P. 111 f., 129, 506, 520 Stewart, J. M. 212 f., 230 Stoch, K.v. 61, 64 Stoecker, A. 451 Stolzenberg, J. 285, 291
592
Personenregister
Strauss, D. F. 181 f. Sturma, D. 359, 381 Süskind, H. 59, 63, 77, 84
Volf, M. 105 Volkmann-Schluck, K.-H. 386, 396 Voltaire (F.-M. Arouet ) 502
Taylor, M. C. 215, 231 Tegtmeyer, H. 234, 250, 501–520 Teller, W. A. 31, 34 Thales von Milet 241 Theunissen, M. 198, 209, 387, 396 Tholuck, F. A. 256 Thomas v. Aquin 451 Tillich, P. 24, 35, 460 Tilliette, X. 388, 393, 396 Trigg, R. 485, 499 Troeltsch, E. 77, 450 f. Tugendhat, E. 356, 381, 502 f., 520 Turner, J. E. 31, 35
Wangenheim, K. A.v. 285, 291 Ward, K. 61, 64 Wehrung, G. 41, 63 Welker, M. 105 Welsch, W. 111, 119, 123, 129 Wendte, M. 152, 185–209, 211, 213, 230, 239, 247, 250, 270, 272 Wenz, G. 140, 153 Werner, M. H. 373, 379 f. Wildt, A. 128 f. Wilkins, C. 216 Wilson, J. E. 376, 381 Wladika, M. 234, 251 Wolff, C. 90, 139, 477, 502 Wylleman, A. 117, 128 f.
Valls, A. 212, 231 Verweyen, H. 234, 250 Vieweg, K. 111, 119, 123, 129 Vinco, R. 233–251 Virmond, W. 22 Vivekananda, S. 216 Voderholzer, R. 234, 239, 250
Xenophanes 384, 396 Ziche, P. 275–291 Zimmermann, H. 167