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German Pages 792 Year 2021
Helmut Peitsch Reisen nach Auschwitz und Anthologien Letzter Briefe, 1945 – 1975
Helmut Peitsch
Reisen nach Auschwitz und Anthologien Letzter Briefe, 1945 – 1975 Eine literarische Beziehungsgeschichte von Antifaschismus in BRD und DDR
ISBN 978-3-05-006467-3 e-ISBN (PDF) 978-3-05-009585-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038011-8 Library of Congress Control Number: 2020949535 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Bildnachweis: © Martin Blume. Crossmedia-Projekt Auschwitz heute – dzisiaj – today. Auf dem Bild ist der Weg von der Rampe in Birkenau zu den Gaskammern zu sehen. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Gewidmet meiner Tochter Franziska, die am letzten Tag der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geboren wurde, und ihren drei jüngeren Geschwistern
Inhalt Abkürzungsverzeichnis Einleitung I II
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Opfer des Faschismus: Wir klagen an! (1945). Auschwitz und der letzte 5 Brief eines hingerichteten Widerstandskämpfers Initiative des Hauptausschusses der Opfer des Faschismus zur Samm10 lung letzter Briefe hingerichteter WiderstandskämpferInnen Ricarda Huch: Bilder der Märtyrer 14 24 Reinhold Schneider: Das christliche Deutschland Annedore Leber: Den toten immer lebendigen Freunden. Eine Erinnerung zum 20. Juli 28 „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ Die Anthologie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes 32 38 Harald Poelchau: Die letzten Stunden 40 „Brief einer unbekannten Jüdin“ Lilli Vetter: Briefe aus jener Zeit 49 50 Bruno Kaiser: Das Wort der Verfolgten Weltkongress der Intellektuellen für den Frieden in Wroclaw (1948) und 63 Hellmut von Gerlach-Gesellschaften im Osten und im Westen Hans Mayer: Auschwitz 67 73 Stephan Hermlin: Auschwitz ist unvergessen 78 „Blick nach Polen“ 82 Kurt Barthel mit Tadeusz Borowski in Auschwitz „Unser Porträt ‚Die Tat‘“: VVN-Organe in Frankfurt am Main und Berlin/DDR 88 VVN-Sammlungen von Porträts und Übersetzungen einer französischen und einer tschechoslowakischen Anthologie letzter Briefe hingerichteter WiderstandskämpferInnen 91 „Siegbert Rotholz Hingerichtet am 4. März 1943“ 99 in Berlins „Die Tat“ „Wir werden ein neues Auschwitz verhindern!“ in Frankfurts „Die Tat“ 107 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Kongress für kul113 turelle Freiheit und Internationales Auschwitz-Komitee 1952 Willi Bredels Zeitschrift „Heute und Morgen“ 119 „Letzte Briefe aus Stalingrad“ 127
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Inhalt
„Den Unvergessenen“ von den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, ‚moralische Wiedergutmachung‘ vom Kongress für kulturelle Freiheit 136 Armin Müller: Auschwitz 144 146 Peter Nell: Sind das unsere Deutschen, Mama? 154 Günther Weisenborn: Der lautlose Aufstand Annedore Leber: Das Gewissen steht auf 162 Helmut Gollwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider: Du hast mich 167 heimgesucht bei Nacht Reisen nach Auschwitz zu 10. Jahrestagen (1955), Alain Resnais’ „Nacht und Nebel“ und „Letzte Briefe europäischer Widerstandskämpfer“ von Piero Malvezzi und Giovanni Pirelli (1956) 178 Wilhelm Detlefsen: Nie wieder Auschwitz! 178 180 Rudolf Genschel: Ein Besuch in Auschwitz Peter Edel: Aus der Aschenerde – Blühen 182 188 Hermann Pörzgen: Auschwitz, wie es heute ist Paul Celan, Jean Cayrol, Alain Resnais: Nacht und Nebel 194 Piero Malvezzi, Giovanni Pirelli: Und die Flamme soll Euch 209 nicht verbrennen Opfer des Faschismus-Gedenktag, Anne-Frank-Pilgerfahrt nach BergenBelsen (1957) und Gründung von Aktion Sühnezeichen (1958) 224 Albrecht Goes und Heinrich Grüber über „Das Tagebuch 226 der Anne Frank“ Kurt Barthels „Spaziergang auf den Ettersberg“ 232 Vasek Kanas Vorwort zu Ota Kraus, Erich Kulka: 235 Die Todesfabrik Vorbereitung von Veranstaltungen zum Gedenktag der Opfer 240 des Faschismus (1957) „Erkämpft das Menschenrecht“ 251 Walter A. Schmidt: Damit Deutschland lebe 260 264 „An die Lebenden“ Arnold Zweigs Vorwort zu „Im Feuer vergangen“ 269 275 Ernst Schnabel: Anne Frank. Spur eines Kindes Joachim Hellwig, Günther Deicke: Ein Tagebuch 278 für Anne Frank 283 Lothar Kreyssigs Initiative „Aktion Versöhnungszeichen“ ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ und ‚Kampf dem Atomtod‘ Hans-Joachim Iwand und Martin Riesenburger über die ‚Reichskristallnacht‘ 287
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Inhalt
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Entgegensetzung von ‚unbewältigter Vergangenheit‘ und 289 ‚Vergangenheitsbewältigung‘ Erzieherkonferenz der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Konferenz „Die Widerstandsbewegung und die junge Generation“ der Internationalen Föderation der Widerstands292 kämpfer (FIR) in Florenz im November 1959 Manfred Wetzel: Wir fuhren nach Auschwitz 296 299 Ulrich Blank: Wallfahrtsort des Todes Volker Henkel, Gerhard Zahmel: Berliner Falken fahren 304 nach Auschwitz Reisen nach Polen, die nicht nach Auschwitz führten: Carlo Schmid 306 und Heinrich Böll Gerhard Schoenberner: Der gelbe Stern 312 Klara Maria Faßbinder: Polen. Bericht über eine Reise 317 Peter Edel: Tagebuch-Notizen aus Polen, über „Das Tagebuch des Dawid Rubinowicz“ in der Kulturellen Gesellschaft jüdischer 321 Bürger Warschaus Friedrich Karl Kauls Rezension von „Der gelbe Stern“ und Robert Neu324 mann: Ausflüchte unseres Gewissens 337 Hans Werner Richter: Zwischen Nacht und Morgenrot Alexander Mitscherlich: „daß der Antikommunismus in der Bundesrepublik heute weitgehend die Funktion des Antisemitismus übernommen hat“ 341 Ansgar Skriver: Sozialistische Jugend besuchte Auschwitz 346 Franz Josef Strauß’ Geleitwort zu „Kriegsbriefen gefallener deutscher Juden“ 352 Hans-Walter Bähr: Die Stimme des Menschen 356 Michael Mauke: „jede stadt heißt heute AUSCHWITZ“ 363 Christian Geißler: Auschwitz, Hiroshima und die Hoffnungen 368 des Menschen Albert Kroh: Faschismus und Widerstand 373 Clara Harnacks Vorwort zu „An die Lebenden“ 379 Bücher und Zeitschriftenartikel über Polen bis zum Beginn des Frank387 furter Auschwitz-Prozesses Westberliner Falken, Bielefelder Jugendverbände, Internationaler Versöhnungsbund und Paul Hirschauer von den „Werkheften katholischer 388 Laien“ (1962) in Auschwitz August Scholtis und Hans Joachim Orth aus der BRD in Auschwitz, 394 aus der DDR Ben Budar (1962) Valeska von Roques: „daß […] Wandel nur durch Annäherung zustande kommen kann. Also hinfahren“ 402 Arnulf Baring: Gedanken in Auschwitz 404
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Inhalt
Pfingsten-„Pilger- und Bußwallfahrt“ von Pax Christi (1964) 406 Klaus von Bismarcks Reise durch ‚die dunklen Tore von Auschwitz‘ in die alte pommersche Heimat 412 Hansjakob Stehle: Deutschlands Osten – Polens Westen? 416 419 Mit der Delegation des Frankfurter Schwurgerichts in Auschwitz Sichtbarkeit von Unvorstellbarem: Todesfabrik, Dimension, Gesamteindruck 422 Eugen Kogon und „Auschwitz. Bilder und Dokumente“ 436 in Frankfurt am Main Das erste Nürnberger Gespräch „Was hat Auschwitz mit dem ‚Deut444 schen Menschen‘ zu tun?“ Hans-Joachim Lieber und „Auschwitz. Bilder und Dokumente“ 458 in Westberlin 470 Bernd Naumann: Keine Spur mehr von Millionen Füßen Peter Weiss: Meine Ortschaft 476 Aktion Sühnezeichen aus der DDR (1965) und aus der BRD (1967) in 493 Auschwitz 502 Horst Krüger: Von Breslau bis Danzig: polnisch Günther Anders: Besuch im Hades 506 517 Schalom Ben-Chorin: „Auschwitz ohne Juden?“ Rudolf Dohrmann: Versöhnung hat politische Gestalt 527 Gustav Heinemann zitiert Fiete Schulze, „auf dessen Namen die DDR 529 übrigens eines ihrer Schiffe getauft hat“ Albrecht Goes’ Nachwort „Wir gehn dahin“ zu Briefen Deportierter aus 536 dem Distrikt Lublin 1940 – 1943 ‚KZ-Tourismus‘ oder ‚Geschichtsbewußtsein‘ als Antifaschismus 547 549 Erich Kuby: Das KZ hat im Reiseführer zwei Sterne Anna Morawska: Eine zukunftsweisende Deutung von Auschwitz, über das „Auschwitz-Seminar“ von Pax Christi und Znak 552 556 Reiseführer von Adam Bajcar, Werner Kolmar und Fritz Gancz Volker von Törne: „Vermittlung konkreter Einsichten in die bis heute fortwirkenden Schuldzusammenhänge der deutsch-polnischen Geschichte“ 563 566 „Begegnung – Berichte aus Polen“ „Versöhnungsengagement“ (und seine Kritik als 572 ‚Instrumentalisierung‘) Friedenssicherung und Demokratisierung 580 Reinhard Lettau „Täglicher Faschismus“ 584 Der Kongress „Friede mit Polen“ 1971 in Frankfurt am Main
588
Inhalt
Heinz-Joachim Heydorn: „gemeinsam eine Kraft bilden […], die die Ge596 sellschaft zu ihrer Demokratisierung zwingt“ 599 Ausstellungen des Studienkreises Deutscher Widerstand „Deutsche Widerstandskämpfer 1933 – 1945. Biographien und Briefe“ des Instituts für Marxismus-Leninismus und „Der deutsche antifaschistische Widerstand 1933 – 1945. In Bildern und Dokumenten“ der VVN 604 618 Westberliner Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße Günter Albrecht „Vier Antifaschisten“ 629 635 „Ehrenbuch der Opfer von Plötzensee“ der VVN-Westberlin
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638 ‚Wiedervereinigungsgebot‘ oder Entspannung Luise Rinser: Grenzübergänge 640 Rolf Schneider: Dein aschenes Haar, Sulamith 649 Detlef Garbe: Auschwitz – vier Millionen Tote – was hat das mit uns zu tun? 660 664 Erich Fried: Meine Puppe in Auschwitz
Schluss
672
Literaturverzeichnis Register
760
681
Abkürzungsverzeichnis AdK ASF BA BDM BGH BR BVN DAG DEFA DFU DGB DSV EKD EVA FAZ FDGB FDJ FES FR GCJZ HA HR IAK IfZ IML IMT IJGD JWC KAW KDSE KIK LDPD MWD ND NDPD NDR NDL NKFD NWDR NZZ OdF RB RIAS SAP SDR SDS
Akademie der Künste, Berlin Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste Bundesarchiv Bund Deutscher Mädchen Bundesgerichtshof Bayerischer Rundfunk Bund der Verfolgten des Naziregimes Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Deutsche Film AG Deutsche Friedens-Union Deutscher Gewerkschaftsbund Deutscher Schriftstellerverband Evangelische Kirche in Deutschland Europäische Verlagsanstalt Frankfurter Allgemeine Zeitung Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Friedrich-Ebert-Stiftung Frankfurter Rundschau Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hauptausschuss der Opfer des Faschismus Hessischer Rundfunk Internationales Auschwitz-Komitee Institut für Zeitgeschichte Institut für Marxismus-Leninismus International Military Tribunal Internationaler Jugendgemeinschaftsdienst Jewish World Congress Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer Katholische Deutsche Studentenverbindung Einigung (polnischer) Klub der katholischen Intelligenz Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (sowjetisches) Ministerium für innere Angelegenheiten Neues Deutschland National-Demokratische Partei Deutschlands Norddeutscher Rundfunk Neue Deutsche Literatur Nationalkomitee Freies Deutschland Nordwestdeutscher Rundfunk Neue Zürcher Zeitung Opfer des Faschismus Radio Bremen Rundfunk im amerikanischen Sektor Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands Süddeutscher Rundfunk Sozialistischer Deutscher Studentenbund
https://doi.org/10.1515/9783050095851-001
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SEW SFB SLB SMAD Sopade SZ SWF UPI VDS VGH VVN WDR Znak
Abkürzungsverzeichnis
Sozialistische Einheitspartei Westberlins Sender Freies Berlin Stadt- und Landesbibliothek Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sozialdemokratische Partei Deutschlands Süddeutsche Zeitung Südwestfunk United Press International Verband Deutscher Studentenschaften Volksgerichtshof Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Westdeutscher Rundfunk (polnisch) Zeichen, katholische Organisation und Zeitschrift
Einleitung „[…] die empirische Vermessung des weiten Felds der Erinnerungskultur in Deutschland lässt durchaus zu wünschen übrig“, hat Thomas Hertfelder (2017, 393) festgestellt, sechzehn Jahre nachdem Reinhard Rürup seine Besprechung der Bücher von Peter Novick „The Holocaust in American Life“ (1999) und von Norman G. Finkelstein „The Holocaust Industry“ (2000) mit dem „Wunsch“ beendet hatte, „in nicht zu ferner Zukunft auch für die deutsche Geschichte seit 1945 eine aus den Quellen gearbeitete zusammenfassende Darstellung des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Holocaust zu haben“ (Rürup 2001). Eine solche ‚zusammenfassende Darstellung‘ beansprucht die vorliegende Untersuchung nicht zu sein, wohl aber die „eine[r] Geschichte […], die sich weder reibungslos in vorherrschende Narrative (west)deutscher ‚Vergangenheitsbewältigung‘ noch in gängige kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien fügt“ (Siebeck 2010), die also auf einem begrenzten Feld von vorherrschenden kulturwissenschaftlichen Konzepten ausgeblendete sozialgeschichtliche Fragen stellt. Es geht deshalb nicht nur um eine literaturwissenschaftliche Untersuchung von ‚Gattungsgeschichten‘, von Reisebeschreibungen über das Gedenkstätte gewordene Auschwitz und Anthologien letzter Briefe hingerichteter WiderstandskämpferInnen, sondern in die Geschichte von zwei bisher von der Forschung vernachlässigten Genres als Texten werden als Kontexte die gesellschaftlichen Bedingungen der Möglichkeit ihrer Publikation einbezogen, also werden nicht nur AutorInnen der Paratexte von Anthologien letzter Briefe und VerfasserInnen von Reisebeschreibungen über die Gedenkstätte Auschwitz, sondern auch andere Akteure in den Literaturverhältnissen wie Verlage und Zeitschriften untersucht, die wiederum in Beziehungen zu staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Organisationen wirkten. Sie sind von Bedeutung nicht nur für die Reichweite der herangezogenen Publikationen, sondern auch das Gewicht der Äußerungen der AutorInnen im Hinblick auf ihre Rezeption. Aus der Schwierigkeit der Ermittlung der empirischen Rezeption erklärt sich, auch quantitativ, der Akzent, den die Untersuchung setzt auf ein ‚close reading‘ sowohl der Vor- und Nachworte von Anthologien letzter Briefe¹ als auch der Beschreibungen von Reisen nach Auschwitz.² In den Analysen beider Sorten von Texten geht es um den Nachweis der von den VerfasserInnen intendierten Wirkung auf LeserInnen.
Zum Forschungsstand vgl. den Sammelband einer Konferenz „Letzte Briefe“ in Halberstadt von Arnd Beise, Ute Pott und Jochen Strobel (2015) und das von Strobel mitherausgegebene „Handbuch Brief“ (Matthews-Schlinzig 2020). Vgl. die Fragen des Tourismusforschers Thomas P. Thurnell-Reid zur Auswertung seiner Interviews junger Auschwitz-Reisender nach: „motivational factors“, „manner in which individuals seek to actively engage with the site“, „imaginative devices […] to feel a greater connection to the site“, „how […] historical, pedagogical and cinematic accounts of the Holocaust […] interact with individuals’ experience of visiting the camp in reality“, „meanings which individuals ascribe to their experiences“ (Thurnell-Reid 2009, 26). https://doi.org/10.1515/9783050095851-002
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Einleitung
Bestärkt in dieser methodischen Orientierung haben den Verfasser insbesondere neuere Arbeiten zu Verfolgtenorganisationen und Gedenkstätten wie Henning Fischers Ravensbrücker „Überlebende als Akteurinnen“ (2018), Jörg Skriebeleits „Erinnerungsort Flossenbürg“ (2009) und Philipp Neumann-Theins „Das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos“ (2014); in ihnen wird die Kontextualisierung fokussiert auf „die Beziehung der Überlebenden zu ihrem unmittelbaren Wirkungskreis der historischen Situation“ (Fischer 2018, 30), wodurch gesellschaftliche Organisationen in den Blick geraten, die auch in dieser Untersuchung eine Rolle spielen werden, wenn Fischer ein „‚Frauenfriedenstreffen‘“ im September 1949 als „erste Rückkehr vieler Überlebender nach Ravensbrück“ (Fischer 2018, 149/150) darstellt oder das dort im Juni 1968 von Kurt Hirschs Münchener Netzwerk Demokratische Aktion organisierte „Europa-Treffen gegen Neonazismus und Faschismus“ (387). Oder wenn Skriebeleit von Flossenbürgs DGB-Jugend 1958 berichtet, dass sie am 9. November die erste Gedenkfeier veranstaltete (Skriebeleit 2009, 251), was, vom DGB organisiert, auch in Form von Kundgebungen 1967 und 1970 geschah, sowie im Jahre 1967 von den ersten Besuchen von Gruppen ehemaliger sowjetischer und jüdischer Häftlinge (275/276) und für den 30. Jahrestag der Befreiung des KZs erstmals die VVN erwähnt (305): „ab Mitte der 1970er Jahre [war] ein verstetigtes Interesse an der Geschichte derjenigen entstanden, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hatten“ (439/440). Oder schließlich wenn Neumann-Thein die auf eine französische Initiative zurückgehende ‚Europäische Pilgerfahrt‘ nach Buchenwald im Juni 1956 (Neumann-Thein 2014, 210 – 218) darstellt und in seinem Vergleich von Frankreich mit der BRD in den 1970ern (368 – 371) auf ein „Gespräch“ des Bundespräsidenten Gustav Heinemann mit VVN-Vertretern am 19. Februar 1970 (371) verweist. Die zitierten Belege stimmen nicht nur hinsichtlich sozialer Träger öffentlicher Erinnerung mit der methodischen Orientierung dieser Untersuchung überein, sondern auch in ihrem ‚beziehungsgeschichtlichen‘ Charakter im Sinne des von Christoph Kleßmann geprägten Bilds der „asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte“ (Kleßmann 2005, 34). Sie untersucht, wie der Verfasser zusammen mit sieben DoktorandInnen in „Nachkriegsliteratur als öffentliche Erinnerung. Deutsche Vergangenheit im europäischen Kontext“ formuliert hat, „Peter Burkes Unterscheidung der Sphären offizieller, öffentlicher und privat-alltäglicher Erinnerung und der Herausarbeitung von ‚Erinnerungsträgern‘ und ‚Gruppenerinnerungen‘ (1991, 291) folgend, die Rolle von Erinnerungstexten in der Öffentlichkeit im Verhältnis zur offiziellen Erinnerung, zu öffentlich konkurrierender Erinnerung, zur privat-alltäglichen Erinnerung von Adressaten und im Austausch zwischen den Öffentlichkeiten“ (Peitsch u. a. 2019, 10). Sowohl mit dem Konzept öffentlicher Erinnerung als auch dem der ‚Beziehungsgeschichte‘ unterscheidet sich die Untersuchung von zwei anregenden älteren Monographien, die als ‚Gattungsgeschichten‘ anderer als literarischer Genres wie Reisebeschreibung und Briefanthologie betrachtet werden können: der Geschichtsschreibung und der Fotografie. Aber in „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker“ begründet Nicolas Berg die Ausklammerung der DDR mit nur einem Satz in
Einleitung
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einer Fußnote: „Die Entwicklung der Vergangenheitsbewältigung in Westdeutschland verlief ‚erheblich komplexer‘ im Vergleich zur ‚systemspezifischen Vergangenheitsbewältigung‘ in der DDR“ (Berg 2003, 15), obwohl er zwei Seiten zuvor Peter Burke über die „Zusammengehörigkeit von ‚Erinnerungskonflikten‘ und ‚Konflikterinnerungen‘“ zitiert und folgendermaßen paraphrasiert hat: „Wer Erinnerung von wem einfordert, mit welchen Gründen dieser Appell versehen wird, was an Erinnerungen warum bedeutungsvoll eingeschätzt und für gedächtniswürdig erachtet wird und – nicht zuletzt – wessen ‚Vergangenheitsversion‘ auf Kosten welcher konkurrierenden aufgezeichnet wird – all das manifestiert sich auch in den Auseinandersetzungen von Historikern und bildet das Zentrum der vorliegenden Studie.“ (13) Dennoch, oder vielleicht: deshalb, kann Berg die „Vorgeschichte“ der „Debatten“ über den „nationalsozialistischen Genozid […] i[n] […] dem vereinigten Deutschland nach 1989/90“ (14/15) schreiben, ohne mit einem Satz mehr als dem zitierten die DDR zu behandeln. Während Berg sich für seine Begründung der Ausklammerung der DDR auf Jeffrey Herfs „Zweierlei Erinnerung“ (1998) beruft (Berg 2003, 15), weist Habbo Knoch in „Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur“ gerade Herfs Darstellung als „beschränkt“ zurück, weil „der Aspekt des erinnerungskulturellen Transfers und der ‚Competition‘ weitgehend unberücksichtigt bleibt“ (Knoch 2001, 27). Weil Knoch den „Bildraum“ der BRD der 1950er durch „Antikommunismus“ und der 1960er durch Anti-„Totalitarismus“ ‚gefiltert‘ auffasst, bezieht er auf spezifizierende Weise die DDR in seine Geschichte der Fotografien des ‚Holocaust‘ in der Bundesrepublik ein: „Um die spezifischen Muster des westdeutschen Bildraums zu erkennen, werden […] diejenigen konkurrierenden und korrespondierenden Erinnerungskulturen – die DDR und Israel vor allem anhand ihrer zentralen Ausstellungen – mit im Blick behalten. Über besondere Erinnerungsmilieus wie das antifaschistische und das jüdische waren sie zum Teil selbst in der westdeutschen Öffentlichkeit präsent.“ (27) Indem Knoch das ‚Erinnerungsmilieu‘ – sein Äquivalent zu Burkes ‚Erinnerungsgruppe‘ –, das er ‚antifaschistisch‘ nennt, als ‚Präsenz‘ der ‚DDR selbst‘ in der Bundesrepublik bezeichnet, formuliert er auf seine Weise, was Ernst Nolte in der – noch im Untersuchungszeitraum: 1974, erschienenen – Studie „Deutschland und der Kalte Krieg“ „die ‚Partei der DDR‘ in der Bundesrepublik“ (Nolte 1981, 106) genannt hat. Anders als Knoch differenzierte Nolte allerdings innerhalb des von Knoch antifaschistisch genannten Milieus: „Im engsten und eigentlichen Sinne war nur die (seit 1956 illegale) KPD die Partei der DDR, da die DDR als solche und im ganzen [sic] für sie das Vorbild war; für Teile des SDS und der Randgruppen der SPD war die DDR nur in ihren Grundlagen, d. h. in der Enteignung der privaten Produktionsmittelbesitzer, vorbildlich, nicht in ihrer konkreten Realität; für nicht wenige Intellektuelle war die DDR insofern vorbildlich, als sie im Gegensatz zur Bundesrepublik eine radikale Säuberung vorgenommen hatte; für die Entspannungspartei schließlich war die DDR weder als solche noch in ihren Grundlagen vorbildlich, doch schien ihr im Interesse des Abbaus des Kalten Krieges die Anerkennung der DDR geboten.“ (106) Knochs bedingte Einbeziehung der asymmetrischen Verflechtung in der Abgrenzung von offizieller Erinnerung zwischen Bundesrepublik und DDR führt zur Einschränkung von
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Einleitung
Konsequenzen einer Prämisse, die er mit Berg teilt: einen auf die Ermordung der europäischen Juden als singulär zentrierten Begriff von Holocaust, der im Untersuchungszeitraum der vorliegenden Studie noch nicht in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik existierte³ und auf den Berg seine zitierte Paraphrase von Burkes „‚Konflikterinnerung‘“ (Berg 2003, 13) zuspitzt: „Wie wurden aus den Erinnerungskonflikten zwischen Deutschen und Juden, Tätern und Opfern […] jene Konflikterinnerungen, die auch heute noch in den wissenschaftlichen Debatten und Kontroversen zum Thema fortwirken?“ (26/27) Aleida Assmanns heutiger „Holocaust-Erinnerung“ als „Erinnerungsvertrag […] zwischen nichtjüdischen Deutschen als Nachfahren der Täter und Juden als Überlebenden und Nachfahren der Opfer“, die „eine historisch absolut neuartige Antwort auf diese in ihrem Ausmaß an destruktiver Gewalt präzedenzlose Last der Vergangenheit“ sei (Assmann 2007), entspricht auch Knochs „Visiographie der Verbrechen“, die „kommunizierbar [macht], was in der Tiefenerinnerung unsagbar eingeschlossen ist: der Zivilisationsbruch als Trauma der Tätergesellschaft etwa oder das Unaussprechliche der Verfolgungserfahrung auf seiten der Überlebenden“ (Knoch 2001, 20). Ganz unmittelbar angeregt wurde die Forschung, die zur vorliegenden Untersuchung geführt hat, durch Angehörige der Universität Potsdam, denen der Verfasser zu danken hat: einer Bibliothekarin, die ihm in seinem ersten Semester im Keller eines Studentenwohnheims Bücher zeigte, die sie aus dem Bestand der Pädagogischen Hochschule Karl Liebknecht vor der – wegen des Druckorts in der SBZ/DDR im Zuge der Neugründung der bundesrepublikanischen Universität Potsdam angeordneten – Makulierung gerettet hatte, darunter die Erstausgaben von Nelly Sachs’ „In den Wohnungen des Todes“ und Grete Weils „Ans Ende der Welt“, aber vor allem auch sehr viele Titel aus dem Verlag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, und – im Verein Zeitpfeil in der politischen Jugendbildungsarbeit engagierten – Studierenden, die mir für das Sommersemester 2005 ein Hauptseminar in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz vorschlugen: „Auschwitz in der Nachkriegsliteratur“.
Vgl. Norbert Frei, der in einem Interview daran erinnert hat, dass er „schon vor 15 Jahren für eine ‚vergleichende Bewältigungsforschung‘ plädiert“ habe: „es fehlt noch an der Synthese in Gestalt einer neueren Gesamtdarstellung“ (2008, 27), aber dann einerseits einräumt, dass der „Holocaust“ „erst im Laufe der Zeit stärker ins Bewusstsein gerückt“ sei (25), andererseits der offiziellen DDR-„Faschismusinterpretation“ vorwirft, „es im Grunde genommen gar nicht erlaubt“ zu haben, „den rassistischen Kern des Nationalsozialismus so sehr in den Vordergrund zu stellen“: Damit, dass er „in irgendeinen kapitalismuslogischen Zusammenhang zu stellen“ gewesen sei, „wurde aber das Entscheidende des nationalsozialistischen Rassismus völlig verfehlt“ (25).
I Opfer des Faschismus: Wir klagen an! (1945). Auschwitz und der letzte Brief eines hingerichteten Widerstandskämpfers In das Museum des Martyriums der Völker gewordene ehemalige Konzentrationslager Auschwitz konnte 1947 noch aus keiner der vier Besatzungszonen Deutschlands gereist werden, aber es war – anders als oft behauptet – seit Mai 1945 öffentlich von Auschwitz die Rede, nicht nur in den Presseberichten über den Nürnberger Prozess. Ausgehend von dem Vorläufer der 1947 für alle Zonen gegründeten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), den OdF-Ausschüssen in der SBZ, werden auch Initiativen zur Veröffentlichung von letzten Briefen hingerichteter Widerstandskämpfer untersucht, die die Frage der ‚Mitschuld des deutschen Volkes‘ anders beantworteten als der „Aufruf des Zentralkomitees der KPD vom 11. Juni 1945“.
„Die schwersten Verbrechen gegen die Humanität begingen die Nazis an den Juden“ (Wir klagen an 1945, 31), erklärte bei der „Öffentliche[n] Anklage des Hauptausschusses ‚Opfer des Faschismus‘“, die unter dem Titel „Wir klagen an!“ am 16. Dezember 1945 in der Staatsoper Berlin stattfand, dessen Vorsitzender Ottomar Geschke, der wie alle RednerInnen mit den Zeiten ihrer Haft in Zuchthäusern und Konzentrationslagern vorgestellt worden war: „Angesichts des gesamten deutschen Volkes vollzogen sich die alle Pogrome der Weltgeschichte übertreffenden Verfolgungen der Juden.“ (34) OdF war eine Organisation, die sich seit dem Mai 1945 in Städten und Ländern der sowjetischen Besatzungszone bildete, in engster Verbindung zur kommunalen und Provinzverwaltung, für die Betreuung der aus KZs und Gefängnissen Befreiten (Reuter/Hansel 1997, 97), aber auch für die „Aufklärung über die Verbrechen der Nazis“; am 18. Juli 1945 hatte ein Aufruf alle ehemaligen Häftlinge „aufgefordert, […] Berichte ihrer Erlebnisse zu schreiben und abzugeben. Wir brauchen dringend noch Berichte über die Lager Esterwegen, Dachau, Buchenwald, Auschwitz, Lublin, Flossenbürg, Mauthausen, Maidanek und über all die kleinen weniger bekannten Lager“ (An alle Opfer 1945). Geschkes Vorrednerin in der Staatsoper, die Mitbegründerin der CDU der SBZ Hildegard Staehle, hatte Strafanstalten und Konzentrationslager wie das von ihr selbst erlebte Ravensbrück von der gegen Juden gerichteten „Systematik der Vernichtung“ im ‚Osten‘ (Wir klagen an 1945, 23) unterschieden: „Dieser Osten hieß aber in Wahrheit Auschwitz oder Birkenau.“ (24) Geschke gehörte zu den Unterzeichnern des Aufrufs des ZK der KPD vom 11. Juni 1945, in dem nicht nur die „Schuld“ der „Anhänger und Helfer der Nazipartei“, der „Träger des reaktionären Militarismus“ und der „imperialistischen Auftraggeber der Nazipartei“ „am Krieg“ (Berthold/Diehl 1967, 191) betont wurde: „An den Händen der Hitlerdeutschen klebt das Blut von vielen, vielen Millionen [in fremden Ländern] gemordeter Kinder, Frauen und Greise. In den Todeslagern wurde die Menschenvernichtung Tag für Tag in Gaskammern und Verbrennungsöfen betrieben. Bei lebendigem Leibe verbrannt, bei lebendigem Leibe verscharrt, bei lebendigem Leibe in Stücke geteilt – so haben die Nazibanden gehaust!“ (192), sondern auch, dass „in jedem deutschen Menschen das https://doi.org/10.1515/9783050095851-003
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Bewußtsein und die Scham brennen [muß], daß das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen trägt“ (195). Als Schuld wurde das „widerstandslos[e]“ ‚Zusehen‘ bei der ‚Zerschlagung‘ „alle[r] demokratischen Organisationen“, das ‚beseligte‘ Mit-‚Marschieren‘ und das ‚Verfallen‘ an „das Gift der tierischen Rassenlehre, des ‚Kampfes um Lebensraum‘“ (195) gefasst: „So wurde das deutsche Volk zum Werkzeug Hitlers und seiner imperialistischen Auftraggeber.“ (194) Daraus folgte, dass sich die KPD in die Mitschuld des deutschen Volkes einschloss und erklärte, „daß auch wir uns schuldig fühlen, indem wir es trotz der Blutopfer unserer besten Kämpfer infolge einer Reihe unserer Fehler nicht vermocht haben, […] im werktätigen Volk die Kräfte für den Sturz Hitlers zu sammeln […] und jene Lage zu vermeiden, in der das deutsche Volk geschichtlich versagte“ (194). Entsprechend hebt Geschke in seiner Öffentlichen Anklage Auschwitz hervor, wenn er für die okkupierten Länder betont, dass die Wehrmacht nicht von den Konzentrationslagern getrennt werden könne (Wir klagen an 1945, 31), bevor er mit einer Wendung zur Schuldfrage schließt: „Es ist eine allzu durchsichtige Unwahrheit, wenn heute große Teile des deutschen Volkes behaupten, sie hätten von diesen Schreckensexzessen nichts gewußt. […] Ihre heutigen Beteuerungen beweisen, daß sie die Schläge ihres Gewissens verspüren, daß sie sich ihrer Schuld bewußt sind, 12 Jahre lang die abscheulichsten Verbrechen geduldet zu haben. Das beweist uns aber auch, daß dieses Volk noch ein Gewissen hat und wir an dieses Gewissen appellieren müssen, um die Schuld, unser aller Schuld, wieder gutzumachen. Durch ein bedingungsloses Bekenntnis zur Vernichtung aller nationalsozialistischen Reste […] versucht das deutsche Volk seine antifaschistische Gesinnung zu beweisen […], die von den Nazis in seinem Namen begangenen Verbrechen wieder gutzumachen […]. Dann werden wir das Vermächtnis erfüllen, zu dem uns die letzten, angesichts des Schafotts geschriebenen Worte eines hingerichteten Antifaschisten verpflichten: ‚Nicht an unseren Gräbern zu weinen seid ihr da, sondern von unseren Gräbern sollt ihr den Glauben und die Stärke für das Große und Gerechte unserer Sache mit heimtragen für eine bessere und schönere Zukunft.‘“ (34/35)¹ Ganz andere letzte Worte waren im November 1945 im letzten Heft, auch für Dezember, der bis dahin in Moskau erschienenen Zeitschrift „Internationale Literatur“ veröffentlicht worden, und zwar als „Vierzehn von Millionen“ von Erich Weinert, dem Präsidenten des Nationalkomitees Freies Deutschland, der im Januar 1946 aus Moskau nach Berlin zurückkehrte und stellvertretender Präsident der Deutschen Zentralver-
Zitiert wird der letzte Brief von Paul Gesche, einem Mitglied der kommunistischen Berliner Widerstandsgruppe um Robert Uhrig; 1948 wurde er in „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ (1948, 107) abgedruckt, später auch in: Malvezzi/Pirelli 1956, 158, Schumann/Werner 1959, 95, Institut für Marxismus-Leninismus 1970, I, 311. 1976 wurde nach ihm eine Straße im Bezirk Lichtenberg benannt, vgl. Blumenstein 1980, 78/79. Vgl. auch die „Unvollendete Säule KZ-Gedenkstätte“, auf der über dem Zitat steht : „Brief aus der Todeszelle 21. August 1944“, https://www.hgb-leipzig.de/kunstorte/sf eh saeule. html. Vgl. Jesaja 45,24: „Mir sollen sich alle Kniee beugen und alle Zungen schwören und sagen: Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke.“
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waltung für Volksbildung der SBZ wurde. Noch in Moskau schrieb Weinert: „Einer unserer Frontmitarbeiter, der bei der Besetzung des Vernichtungslagers Majdanek durch die Rote Armee zugegen war, hatte von einem Haufen Briefe, den die Mörder bei ihrer Flucht in der Registratur des Lagers zurückgelassen hatten, wahllos ein Päckchen eingesteckt und mir bei seiner Rückkehr nach Moskau mitgebracht. Es sind vierzehn kleine Briefchen. Aber aus diesen vierzehn Briefen schreit das Leid eines ganzen geschundenen Kontinents. Kein Dichter, kein Ankläger wird mit seiner Sprache mich je mehr erschüttern können, wie diese armseligen Briefe von Müttern, Liebsten und Kindern aus Polen, aus Frankreich, aus Holland, von Juden, von Zigeunern und auch von Deutschen. Die Briefe sind an Angehörige gerichtet, die die Absender noch in den Konzentrationslagern Sachsenhausen-Oranienburg oder Buchenwald-Weimar wähnten, die aber schon lange keine Nachricht mehr gegeben hatten, da sie inzwischen in die Vernichtungshölle nach Lublin abgeschleppt worden waren, von wo es keine Rückkehr gab. Auf jedem Umschlag befindet sich der Blaustiftvermerk des Lagerzensors oder der Lagerpoststelle: ‚16/3 44 Lublin‘ oder nur ‚Lublin‘ oder ‚Transp.: Lublin 16.3.44‘. Als die Briefe in Lublin ankamen, waren die Empfänger schon vergast oder verbrannt. Die Briefe bedürfen keines Kommentars. Ich gebe sie hier wieder Wort für Wort den Originalen getreu, mit all ihrer hilflosen Orthographie. Möge der deutsche Leser sie nicht nur einmal und von Zeit zu Zeit wieder lesen. Sie gehören zu den Dingen, die nie vergessen werden dürfen.“ (Weinert 1945, 108)² Letzte Briefe an Adressaten in deutschen Konzentrationslagern, die schon in einem Vernichtungslager ermordet worden waren, als die Briefe zugestellt wurden. „Maidanek“ und „Auschwitz (Oswiecm)“ hießen zwei Dokumentarfilme, die 1945 von der Sowjetischen Militäradministration in ihrer Zone gezeigt wurden, die nach Konstantin Simonows Reportage „Ich sah das Vernichtungslager“ über Maidanek³ mit Wassilij Grossmans „Die Hölle von Treblinka“ 1946 noch ein drittes Vernichtungslager in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte. Simonow fasste seine Begegnungen mit gefangen genommenen Wachmannschaften zusammen: „So schließt sich die Kette, die ganz Deutschland umfaßt. Am einen Ende dieser Kette steht der Henker Theodor Schollen, der den Menschen die Goldzähne ausriß und sie dann in die Gaskammer stieß, und am andern Ende steht Edith Schostek, die lediglich für ihre Arbeit die Sachen der Ermordeten erhielt. Sie stehen an verschiedenen Enden der Kette, aber die Kette ist dieselbe. Die einen werden mehr verantworten, die anderen weniger, aber verantworten werden sie alle. Es hat wenig Wert, daß einer die Schuld auf den andern schiebt. Mögen sie ein für allemal wissen, daß sie sich alle zu verantworten haben.“ (Simonow 1946, 76) Grossman unterschied die Juden von anderen Opfern faschistischer Verfolgung: „In den besetzten Gebieten strafen und morden die Deutschen Vgl. Akademie der Künste, Berlin (im Folgenden: AdK), Bestand Erich Weinert, 854, Manuskript „Vierzehn von Millionen“. Vgl. auch W. M.: Die Schuhe von Maidanek. In: Tägliche Rundschau, 15.6.1945, und das unter einem Zitat aus dem offiziellen Bericht über das „SS-Lager Maidanek bei Lublin“ gedruckte Gedicht von Johannes R. Becher: Die Kinderschuhe aus Lublin. In: Tägliche Rundschau, 20.7.1945.
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schon für das kleinste Vergehen – […] für ein vorlautes Wort […], für die Weigerung, nach Deutschland zur Zwangsarbeit zu fahren, für einen Schluck Wasser, den man einem Partisanen gegeben hat […]. Aber die Juden vernichteten die Deutschen allein deshalb, weil sie Juden waren. Also haben die Deutschen alle Juden in der Ukraine ermordet. Und so haben sie die Juden in vielen anderen Ländern Europas ermordet. […] Seit Bestehen der Menschheit hat es kein solch unerhörtes Massaker, keine solche organisierte Massenausrottung vollkommen unschuldiger, schutzloser Menschen gegeben.“ (Grossman 1946, 199). In dem vom Filmtrupp der Ersten Ukrainischen Front vom 27. Januar bis zum 28. Februar 1945 (Weckel 2012, 100) im befreiten Lager gedrehten Film „Auschwitz (Oswiecm)“ heißt es einleitend: „Buchenwald, Belsen, Dachau, Maidanek oder Treblinka – mehr als fünf Jahre lang war Europa ein einziges Konzentrationslager. Das schrecklichste von allen war Auschwitz.“ (575)⁴ Der Kommentar fährt fort mit einer von Lageplan und Luftaufnahmen belegten Begründung: „Hier schuf der Faschismus sich ein Versuchslaboratorium, eine raffiniert ausgerüstete Todesfabrik von gigantischem Ausmaß, geradezu eine Industrie für Massenvernichtung!“ (575) Die einzige Sequenz, die in westalliierten Filmen verwendet wurde,⁵ war, wie sie im Kommentar heißt, „Über dem Tor des Lagers die höhnische Losung: ‚Arbeit macht frei‘. […] Hinter dem Stacheldraht aber gibt es nur Tote und Todgeweihte.“ (576) Letztere werden „am ausführlichsten“ (100) gezeigt: „Überlebende[…] blicken ernst und eindringlich in die Kamera, der Betrachter fühlt sich gemustert“ (101). Ausgehend von den gefundenen „Lichtbildern der nach Auschwitz verbrachten Personen“: „So kamen sie an, aus allen Ecken Europas! Polen, Tschechen, Ungarn, Juden, Franzosen, Serben, Rumänen,
Vgl. diese Ortsnamen auch in dem 1946 in Palästina von Louis Fürnberg geschriebenen Artikel über die Entstehung und Wirkung der 1944 in Tel Aviv gezeigten Mappe Lea Grundigs „Im Tal des Grauens“, die 1947 in Dresden gedruckt wurde als „Im Tal des Todes“ (Liebmann 1947, vgl. eine Abbildung in Peitsch 2009a, 66; zu den einzelnen Blättern vgl. die Analyse von Kathrin Hoffmann-Curtius 2014, 45 – 49, die auch die Rezeption einbezieht): „Und langsam sickerten die Nachrichten aus Europa über den Wall, der Europa von der Welt abschloß. Und die Nachrichten waren Blut, das Blut von den Deutschen geschlachteter Millionen Frauen und Kinder, Judentransporte und Gaskammern. Oswieczim [sic] und Majdanek und alle die unsagbaren Greuel und Bestialitäten, und täglich mehr und täglich neue. Und dann kam Warschau, der Kampf um das Ghetto, das große jüdische Heldenlied. […] Flüchtlinge, Todeswaggons, Bluthunde, Treblinka, Tagesbefehl der Deutschen in Polen, alle Kinder von ein bis zwölf Jahren auszuliefern. Die Mütter, gellende Klage und Schweigen des Irrsinns, zuckende Kinderleiber in der bluttriefenden Faust. Hoffnungslosigkeit und Aufbegehren und Racheheulen, der Beginn des Widerstands, die Revolte im Ghetto, Untergrundschreiber, der Thoraschreiber, der die geweihte Feder hingelegt hat und mit der Waffe das heiligste Buch des Lebens schreibt, die Partisanen, die Rächer, die Sieger von morgen. […] Und die Leute strömten hin. […] sahen und sahen durch die Bilder hindurch […], und wenn sie gingen, dann hatten ihre Gesichter einen anderen Zug, den Zug, den die Partisanen um den Mund haben auf Lea Grundigs Bild.“ (Fürnberg 1971, 168/169) Vgl. auch in: Aufbau, New York, 1.8.1947, S. 20, die Abbildung einer aus einem „Satz“ polnischer Postkarten, „die die Erinnerung an die deutschen Verbrechen in Auschwitz wachrufen“: „Sie zeigen […] Bilder des Lagers. Auf der von uns abgebildeten Postkarte ist das Eingangstor zu sehen, über dem die Deutschen zynischer Weise die Worte ‚Arbeit macht frei‘ montiert hatten.“
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Belgier“ (576), werden die „für medizinische Experimente“ bestimmten Zwillinge gezeigt, die „alle gleichzeitig ihre Ärmel hochgeschoben haben, um ihre Häftlingsnummer zu zeigen“ (102): „Sie wissen nicht, wie sie heißen“, lautet der Kommentar: „Nur Nummern haben sie eingebrannt, ein Brandmal auf Kinderärmchen. Jetzt gehen sie zurück ins Leben.“ (577) Aber die Kamera geht auch den „Mordspuren“ nach, die im Lager, das „leer“ ist, „doch noch“ „blieben“: „Hinter dieser hermetisch verschlossenen Tür mit dem Guckloch befand sich die Todeskammer mit Zyklongas. Ein Gift zur Erstickung. […] Hier befand sich ein besonderer Folterblock. Im Hof stand ein von deutschem Erfindergeist raffiniert eingerichteter Galgen.“ (577) Die Bilder von „[i]n 35 Lagerhallen“ „aufgestapelt[em]“ „Leichengut“ werden eingeleitet mit dem Satz: „Der hier gehandhabte Todesapparat arbeitete ohne Abfall.“ (577) Gewicht von Haar, Knochen und Goldplomben, Anzahl von Wäsche, Kleidung, Gebetschals, Brillen, Rasierpinseln und Bürsten⁶ wird umgerechnet in die Hundertausende ermordeter Menschen, deren Koffern „Etiketten aus aller Herren Länder“ abgelesen werden: „aus Polen, Ungarn, Frankreich, Tschechoslowakei, Holland, Griechenland, Belgien“ (578). Das am Schluss eingeblendete Zitat der Regierungschefs der „drei Vereinten Nationen“ über das ‚Finden‘ der „Schuldigen […] selbst am Rande der Welt […], um sie der verdienten Strafe zuzuführen“ (579), wird vorbereitet mit zwei Sequenzen über Begräbnisse, eines nach jüdischem, eines nach katholischem Ritual, zu denen es heißt: „Wohl hatten die Deutschen viel gesprengt, verbrannt und verbracht, aber hier in Auschwitz klagt sie jede Handbreit Erde an. Die Toten wie die Lebenden von Auschwitz fordern Rechenschaft für vier Millionen gemordeter Menschenleben. Den Opfern des Faschismus wird die letzte Ehre erwiesen. Schwer fallen die Erdschollen auf die Särge der zu Tode Gequälten, als wollten sie die Herzen der Völker aufrütteln: ‚Denkt immer daran!‘“ (578) „Die Überlebenden haben als Instrumente der Toten die sehr konkrete Verpflichtung, Denkmäler für die Dahingegangenen in die Gegenwart zu setzen. Sie haben die Verpflichtung, ihre Taten unserem deutschen Volk und besonders seiner Jugend bekanntzumachen“ (Töteberg 1984, 8), schrieb Günther Weisenborn im März 1946 im Programmheft zur Aufführung seines Stücks „Die Illegalen“ durch das Berliner Hebbel-Theater. Weisenborn war im zweiten Heft der vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands seit September 1945 herausgegebenen Monatsschrift „Aufbau“ zusammen mit Adam Kuckhoff und Dietrich Bonhoeffer unter der Überschrift „Vernichtete und Verfolgte“ durch Texte aus der Haft vorgestellt worden; die Zwischenüberschriften zu dem „auf dem Schafott gestorben[en]“ „illegal[en]“ Kämpfer Kuckhoff und dem „ein Opfer der Henker Himmlers im Kreise der Männer des 20. Juli“ gewordenen Bonhoeffer betonten „Die Stimme“ beider, die als „Dichter“ bezeichnet wurden, im Falle Weisenborns, dass er „Ein Überlebender“ war
Vgl. gegen Weckels Annahme, dass „diese für den Judenmord äußerst sinnfälligen Aufnahmen komplett in Vergessenheit geraten“ (Weckel 2012, 104) seien, die Reisebeschreibung von Kurt Barthel 1950.
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(Vernichtete 1945,175, 177, 179). Nur zu einem der zwölf Texte wurde angemerkt, dass er „in Plötzensee unmittelbar vor dem Gang zur Richtstätte geschrieben“ (177) wurde.
1 Initiative des Hauptausschusses der Opfer des Faschismus zur Sammlung letzter Briefe hingerichteter WiderstandskämpferInnen Im Auftrag des Hauptausschusses Opfer des Faschismus trug Weisenborn, zusammen mit drei anderen Überlebenden der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe zu einem „Sammelbericht der Überlebenden – Schulze-Boysen/Harnack –“ bei.⁷ Dieser „Sammelbericht“ wurde unterzeichnet von Greta Kuckhoff, Marta Husemann, Werner Krauss und Weisenborn als Autoren; er existiert im Archiv der Akademie der Künste Berlin in drei Versionen, abgesehen von einem durch Weisenborn ausdrücklich als „Eigener Text“ gekennzeichneten und abweichend betitelten: „‚Rote Kapelle‘. Vorläufiger Kollektivbericht“. Der Hauptunterschied zwischen diesem Typoskript und der zweiten Version des „Sammelberichts“, die in Handschrift Weisenborns Anspruch auf Autorschaft trägt, auf der einen Seite, und den ersten und dritten Versionen, auf der anderen Seite, liegt darin, dass nur Weisenborns Texte letzte Briefe in voller Länge zitieren. Seine zweite Version endet mit zwei „Abschiedsbrief[en]“, von Hilde Coppi und, mit besonderer Betonung: „Und zum Abschluss“, Horst Heilmann. Weisenborns ‚Eigener Text‘ ersetzt Coppis Brief durch den von Arvid Harnack. Eine seiner MitautorInnen jedoch, Greta Kuckhoff, nahm in einem Brief an Weisenborn negativ Stellung zur Veröffentlichung der letzten Briefe hingerichteter Widerstandskämpfer, um stattdessen ein anderes Zentrum öffentlicher Aktivität der Organisation OdF vorzuschlagen: „von ausländischen Kreisen, wird immer wieder die Frage an mich gestellt, warum wir nicht statt der Toten unsere Taten aufweisen. Diese Frage ist berechtigt. Wenn der Ausschuss O.d.F. einen Sinn hat, so kann es nicht der sein, […] würdige Totenfeiern für die Toten zu veranstalten – sondern der: alles zu tun, um nach zu weisen [sic], dass eine echte Widerstandsbewegung geführt von den klarsten Köpfen in Deutschland bestanden hat, d[ie…] nur zum Versagen verurteilt war, weil ein mit brutaler Präzision arbeitender Überwachungsapparat stärker war als die dagegen angesetzten Kräfte.“⁸ Statt der falschen Orientierung an „Gestaltung in dichterischer Form“, um die Toten zu ehren,⁹ forderte Kuckhoff die Publikation von „Berichte[n], denen Fotokopien oder Vervielfältigungen illegaler Schriften und Aufrufe als klares Beweismaterial beiliegen sollten“.¹⁰ Ausdrücklich wies Kuckhoff das Konzept des Märtyrers zurück, als sie die „heute“ „vordringlich[e]“ „Aufgabe“ bestimmte: „endlich
AdK, Bestand Weisenborn, 366 V, dort auch die folgenden Zitate. AdK, Bestand Weisenborn, Brief Greta Kuckhoffs an Weisenborn vom 4. 2.1946, S. 1. Ebd., S. 2 Ebd., S. 1.
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einmal mit aller Klarheit nachzuweisen, dass wir in Deutschland nicht Idealisten und Märtyrer hatten (selbst grossformatige Tote sind auf dem Weltmarkt nicht gefragt) sondern politisch Mündige.“¹¹ Auf der Konferenz der Ausschüsse OdF in Leipzig am 27./28.10.1945, die „den Kreis der Anerkennung bedeutend weiter [zu] ziehen“ beschloss,¹² indem rassistisch und religiös Verfolgte ausdrücklich hervorgehoben wurden, definierte Ottomar Geschke im Hauptreferat den Begriff des OdF auf eine Weise, die erklärt, weshalb Karl Raddatz die Bestimmung der Aufgaben des Zentralarchivs auf die Sammlung letzter Briefe zuspitzen konnte. Geschke nannte „die eigentlichen Opfer“„Märtyrer“, denn in diesem Begriff fielen „Opfer und Kämpfer“ zusammen:¹³ „Wir haben Hundertausende und Millionen von Toten geopfert.Wir aber sind die Lebenden, die als Märtyrer herausgegangen. […] da wir den Kampf weitergeführt haben, sind wir Opfer und Kämpfer und Märtyrer des Faschismus.“¹⁴ Ähnlich betonte Raddatz im Schlusswort die „vielen Spielarten“ von OdF, die alle Opfer seien – „mit einer einzigen Einschränkung, dass der Kämpfer eine besondere Auszeichnung erhält“.¹⁵ Heinz Brandt, der über „Unsere Stellung zu den Opfern der Nürnberger Gesetzgebung“ referierte, machte die Implikation von Gemeinsamkeit (als Opfer) und hierarchisierender Unterscheidung (des Kämpfers vom „passive[n] Opfer“) im Märtyrerbegriff deutlich: „Die Opfer, die Kämpfer gegen den Faschismus, die Märtyrer des Faschismus marschieren an der Spitze der Opfer des Faschismus. Sie sind die Führer der Opfer des Faschismus, das Rückgrat der Opfer des Faschismus, der Motor, der um sich alle schart, die auf Grund der Verfolgung ins KZ. gekommen sind, dort die KZ.-Erlebnisse ewig eingebrannt erhielten, nicht nur wie in Auschwitz in den Armen, sondern auch in ihren Hirnen, die auf Grund […] des Erlebnisses der Schrecken […] um uns geschart werden müssen […] im Kampf um den Wiederaufbau Deutschlands.“¹⁶ In der Beschreibung der Sammlungstätigkeit des Zentralarchivs hob Raddatz deshalb die Dokumente hervor, „die Kunde geben von dem heldenhaften Verhalten dieser unbekannten Kämpfer“, und kündigte eine baldige Veröffentlichung an, die in zweierlei Hinsicht politisch bedeutsam sei: „ein umfassendes Bild von der illegalen Arbeit aller Gruppen des Widerstandes“ sei notwendig, da sie „heute noch nicht bekannt ist […], weil sich diese Prozesse wohlweisslich [sic] hinter verschlossenen Türen unter Ausschluss der Oeffentlichkeit abgespielt haben“; die zweite Begründung war nicht weniger bemerkenswert: „Wenn man von der Schuld des deutschen Volkes redet, dann sind hier die Dokumente beieinander [im Zentralarchiv],
Ebd., S. 2. Vgl. Sayner 2013, 29, über Kuckhoffs „uneasy heart“ bei der Publikation letzter Briefe ihres Mannes. Bundesarchiv (im Folgenden: BA), DY54/V 277/1/1, Opfer des Faschismus. Konferenz der Ausschüsse ‚OdF‘ am Sonnabend, 27. Oktober und Sonntag, den 28. Oktober 1945 im Walter-Albrecht-Haus in Leipzig, S. 214. Dies wird von Groehler 1992, Danyel 1992 und Reuter/Hansel 1997 eingeräumt. Opfer des Faschismus. Konferenz 1945, S. 23. Ebd., S. 23/24. Ebd., S. 187/188. Ebd., S. 81.
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die für die Unschuld der Opfer des Faschismus am Krieg und am Faschismus ein gewaltiges Heldenlied bedeuten.“¹⁷ In diesem doppelten Sinne bat Raddatz seine ZuhörerInnen „um Ueberlassung“ von Material, wobei die Fortsetzung deutlich macht, dass an letzte Briefe gedacht war: „wenn es wertvolle Stücke sind, die Sie gern selbst behalten wollen, begnügen wir uns mit Abschriften“.¹⁸ Im Schlusswort formulierte Raddatz einen Anspruch an die geplante Publikation, der in Verbindung mit dem geforderten umfassenden Bild des Widerstands zu Problemen führen musste: „jede Publikation muss vollendet sein“.¹⁹ Zwar gelang es dem Berliner Hauptausschuss einzulösen, was in Leipzig verlangt worden war: „wir müssen auch namhafte Vertreter des 20. Juli als Mitglieder in den Ausschüssen haben. Man hat mitunter den Eindruck, dass es sich […] um eine Organisation handelt, die ausschliesslich von Kommunisten und Sozialdemokraten bestimmt wird.“²⁰ So wurden u. a. Annedore Leber, Gräfin Yorck von Wartenburg und Harald Poelchau zur aktiven Mitarbeit gewonnen (die erst zwischen Dezember 1947 und Januar 1949 austraten).²¹ Aber auf der Interzonen-Besprechung im Juli 1946 in Frankfurt/M. erklärte Raddatz für die Verfolgtenorganisationen der SBZ, dass das bisher gesammelte Material, „literarisch noch nicht jenen Wert besitzt, wie wir es wünschen“,²² und auf der Delegiertentagung der OdF Groß-Berlins sagte ein halbes Jahr später Harald Poelchau: „Es ist ungeheuer viel versäumt worden in diesem letzten Jahr an Sammlungen und Publikationen.“²³ Die Verzögerung ist insofern bemerkenswert, als einzelne letzte Briefe schon in den ersten Publikationen der OdF gedruckt worden waren, nämlich in den Broschüren zu den drei Berliner Großkundgebungen, von denen zwei im September 1945 und 1946 den Gedenktag der OdF institutionalisiert hatten und eine, im Dezember 1945, den Nürnberger Prozess unterstützt hatte. Die Titel der Broschüren entsprachen dem Programm der Briefsammlung: „Die Toten den Lebenden“, „Wir klagen an“ und „Das heimliche Deutschland“, ebenso wie insbesondere eins der drei Plakate zum Gedenktag 1946: „Den Toten zu Ehren Den Lebenden zur Pflicht“.²⁴ Im Text eines der beiden Beiträge der Kino-Wochenschau der DEFA „Der Augenzeuge“ zum Gedenktag 1946 hieß es über die Berliner Veranstaltung; „Die letzten Überlebenden von Auschwitz und Theresienstadt, die Reste der jüdischen Gemeinde, die Spanienkämpfer der Internationalen Brigade gedenken ihrer toten Kameraden.“ (Schieber 2016, 148) Unter dem „Banner: Den Toten zu Ehren/ Den Lebenden zur Pflicht“ waren auch Flaggen mit
Ebd., S. 72. Ebd., S. 72. Ebd., S. 209. Ebd., S. 214. Vgl. BA, DY 54/V 277/1/45 Protokolle des HA vom 27.1.1948, 20.1.1949. BA, DY54/V 277/1/45, Bericht über die Interzonen-Besprechung am 20./22. Juli 1946 in Frankfurt a. M., S. 4. BA, DY54/V 277/1/45, Delegiertentagung der OdF Groß-Berlins 23.11.1946, S. 3. BA, DY54/V 277/1/45, Brief Helmut Bocks an Margarete Jung vom 18.12.1946.
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dem Davidstern zu sehen; in dem anderen Beitrag, über Demonstrationen in anderen Städten der sowjetischen Besatzungszone, war ein Spruchband „Was unsere Toten erstrebten, müssen wir vollenden“ zu sehen und der Text zu hören: „Die Toten rufen den Lebenden zu, ihr habt es nicht gewusst, was uns geschehen, so hoch war der Lagerzaun, so stumm das Sterben nicht, dass unser Hilfeflehen im Knall der Schüsse musste untergehen. Ihr habt es nicht gewusst? Warum? Warum? Die Zukunft aber liegt in euren Händen. An euch ist’s unser Leid zu wenden.Wir spenden beides: Segen oder Fluch.“ (149)²⁵ Mit einer Rezitation begann am 15. Dezember 1945 eine Kundgebung der Leipziger Kommunalabteilung OdF, die auf die Aktivierung „ehemaliger Konzentrationäre“ zielte; Bruno Apitz redete die „tote[n] Kameraden“ an:²⁶ „Euch der Lorbeer! Unser die Pflicht!“, als er zu den lebenden sagte: „Dieses Blut kittet uns Opfer des Faschismus aller Nationen an alle Nationen. So stossen die Toten die Tore auf für die Lebenden, die wirklichen und wahren Deutschen.“²⁷ Die Vorstellung, nur eine literarisch wertvolle oder vollendete Veröffentlichung (also keine Broschüre) werde den Toten gerecht, findet sich auch bei Walter Hammer, der Ende September 1945 dem HA über „Unsere publizistischen Aufgaben“ programmatisch mitteilte: „Würdig müssen wir auch literarisch die Opfer der Hitlertyrannei ehren. Deshalb können die Buchveröffentlichungen zu Ehren unserer Opfer nur in einem großem [sic] Rahmen erscheinen“, den er mit seinem eigenen, wieder zu lizenzierenden Fackelträger-Verlag schaffen wollte; dessen „besondere Aufgabe“ sollte es sein, „ein neues Heldenideal in die Seele der jungen Generation zu pflanzen“.²⁸ Noch in einem Brief an Eva Lippold vom 5. September 1946 hieß es: „Sie sollten die Ihnen schon druckfertig vorliegenden Werke – ich denke namentlich an die letzten Briefe – von vornherein in bewährte Hände eines Mannes von der Zunft legen, der zugleich ihr Leidensgenosse war“.²⁹ In dem von Hammer im Zuchthaus Brandenburg als Teil des Landesarchivs aufgebauten Forschungsinstitut bildeten die letzten Briefe die erste Gruppe des gesammelten „Material[s] an Dokumenten“ (vor Anklageschriften und Urteilsbegründungen, insgesamt 186)³⁰ und zusammen mit den „112 Portraits von politischen und religiösen Opfern der braunen Mordjustiz“ „kommt eine Totenehrung
In seiner Rede auf der Feierstunde des 2. Parlaments der FDJ in Meißen am 26. Mai 1947„zu Ehren der Opfer des Faschismus“ erklärte Paul Verner deren Titel „Zu Tode geführt und siehe sie leben“ als „Worte“, „die weithin über das märkische Land hinausleuchten, wo die zum Tode Gerichteten des Brandenburger Zuchthauses ruhen“ (Verner o. J., 8), und zitierte Walter Dehmel: „Sie sind mit einem Ruf von uns gegangen,/ Den keines Henkers taubes Ohr vernahm/ Wir haben ihn gehört und aufgefangen,/ Der als geheime Kundschaft zu uns kam.“ (22) Vgl. zu der Gedenkstätte Ernst 2018, 124. BA, DY54/V 277/2/42, Konzentrationär! Kommunalabteilung Opfer des Faschismus, Leipzig [1945], S. 2. Ebd., S. 3. BA, DY 55/V 278/2/164, Walter Hammer: Unsere publizistischen Aufgaben, Ende September 1945. BA, DY 55/V 278/2/164. BA, DY 55/V 278/2/164, Brief an Minister Rücker vom 27.10.1948, S. 1.
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zustande, auf die das Land Brandenburg noch auf viele Jahrzehnte hinaus stolz sein kann“.³¹
2 Ricarda Huch: Bilder der Märtyrer Die Verzögerung der Publikation wurde im HA als alarmierend wahrgenommen, als sich in der internationalen Öffentlichkeit Stimmen vernehmbar machten, die entweder bestritten, dass es überhaupt eine deutsche Widerstandsbewegung gegeben habe, oder diese auf den 20. Juli beschränkten.³² In einem Rundschreiben des HA, das erstmals Eva Lippold als federführend nennt, fehlt der Hinweis auf den kurz zuvor veröffentlichten Aufruf von Ricarda Huch. „Bilder der Märtyrer. Ein Aufruf“ erschien in der britischen Hamburger Tageszeitung „Die Welt“ am 31. Mai 1946; Huch richtete an die Hinterbliebenen von Widerstandskämpfern die Bitte, ihr letzte Briefe zur Verfügung zu stellen, um aus ihnen „Lebensskizzen“ zu formen: „Es soll nicht immer nur von unsern Verbrechen, es soll auch von unserm Heldentum die Rede sein.“³³ Angeregt war ihre Initiative von dem Redakteur des Konstanzer „Südkurier“ Johannes Weyl, der im November 1945 den Hilfsfonds für die Hinterbliebenen der Männer des 20. Juli gegründet hatte, dessen Leitung seit Anfang 1946 bei Annedore Leber lag (Huch 1997, 55). Die noch (bis Oktober 1947) in der SBZ lebende Huch hatte Weyl Porträts der ihr persönlich bekannten „Märtyrer“ Elisabeth von Thadden und Ernst von Harnack geschickt, worauf Weyl mit dem „Vorschlag“ antwortete, „eine ganze Serie“ (32) zu gestalten, und einen Kontakt zum Historiker Gerhard Ritter sowie zum Vater der Geschwister Scholl herstellte (57). Zweierlei Voraussetzungen machte Huch in ihren Briefen ganz klar, nämlich erstens: „nur von denen sprechen, die aktiv auf den Sturz Hitlers hingearbeitet haben“ (59, Brief vom 21. Juni.1946), „was […] für diejenigen zutrifft, deren Tätigkeit im Attentat vom 20. Juli gipfelte“ (59, Brief vom 30. Juni 1946); zweitens setzte sie voraus, dass die auf den 20. Juli beschränkte Widerstandsbewegung „eine religiöse Bewegung“ (32, Brief vom 28. Juli 1946), gewesen sei: „Der führende Gedanke ist, daß es sich in dem Kampf gegen Hitler um eine religiöse Bewegung handelte, um den Kampf gegen das Böse, und daß es darum möglich war, daß sich Menschen der verschiedensten Traditionen und aus verschiedenen Ständen vereinigten. Dieser Charakter, der ziemlich durchgehend nachgewiesen werden kann, gibt diesen Ereignissen das Großartige.“ (32) In den erhaltenen Antwortbriefen auf Huchs Aufruf fällt deshalb auf, wie durchgängig der Begriff des Märtyrers aufgegriffen wird, gerade von den Hinterbliebenen der Widerstandskämpfer, die weder dem 20. Juli zuzuordnen waren noch einer
Ebd., S. 2. BA, DY 54/V 277/1/1, Rundschreiben HA OdF 21.6.1946, S. 1. Brief Ricarda Huchs an Marie Baum vom 4. 3.1946, Huch 1997, 33.
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christlichen Konfession, z. B. von Clara Harnack, die Huch dafür dankt, den „Märtyrern“ ein „Denkmal“ errichten zu wollen,³⁴ oder Eva Rittmeister, die über ihren Mann an Huch schreibt: „Wenn er als Märtyrer in den Tod gegangen ist, dann als Kämpfer für Wahrheit und Gerechtigkeit, obwohl er im eigentlichen Sinne kein kämpferischer Mensch und Aktivist war.“³⁵ Heinz Strelows Mutter Meta³⁶ ‚zeichnete‘ nach „Angaben des Pfarrers Wolff“ ‚auf‘, was ihr Sohn diesem „zwei Minuten vor seinem Ende“ „gesagt hatte: ‚Ich bin Märtyrer für die Idee der Freiheit, ich hasse die Knechtschaft!‘“³⁷ Ricarda Huch wurde durch das starke Echo ihres Aufrufs unter den Hinterbliebenen von Widerstandskämpfern, die nicht zum 20. Juli gehörten, zwar in ihrer ursprünglichen Einschränkung des Widerstands auf diesen erschüttert, so dass sie in der weiteren Arbeit die Weiße Rose und die Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe einbezog;³⁸ kurz vor ihrem Tod schrieb sie über das „Buch […], an dem ich jetzt arbeite; es sollte 3 Teile umfassen, die Geschwister Scholl, die Rote Kapelle, der 20. Juli.“ (Huch 1997, 235)³⁹ Aber sie hielt an ihrem Begriff des Märtyrers fest, wenn sie der Mutter Harro Schulze-Boysens zustimmte, dass ihre Schwiegertochter Libertas nicht „als Heldin und Märtyrerin herausgestellt“ werden dürfe (232, Brief Marie Schulzes an Huch vom 24. Februar 1947): „Sicherlich gehört sie nicht in die Reihe der Kämpfer gegen Hitler“ (234, Brief Huchs an Marie Schulze vom 1. Mai 1947). Noch bevor Ricarda Huch nach einer Begegnung auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress im Oktober 1947 ihr Material zur Schulze-Boysen/HarnackGruppe an Günther Weisenborn übergab, hatte dieser zweimal mit großer öffentlicher Resonanz gegen die Leugnung eines deutschen Widerstands protestiert; beide Male bezog er sich auf die Sammlung letzter Briefe, zu deren Vermehrung er mit dem in Zeitungen und Zeitschriften mehrfach gedruckten Protest beitragen wollte. In seiner „Rede über die deutsche Widerstandsbewegung, gehalten im Berliner Hebbel-Theater vor den politischen Häftlingen des Konzentrationslagers Sachsenhausen anläßlich der einjährigen Wiederkehr ihres Befreiungstages“ zitierte er die letzten Briefe von Harro Schulze-Boysen und Kurt Schumacher, um die Frage nach dem deutschen Widerstand zu beantworten: „Ihr, die Ihr hier versammelt sitzt, Ihr wisst es, und für die Welt draussen verlese ich statt einer Antwort den herrlichen Brief Harro SchulzeBoysens, […] in dem der bitterdunkle Satz vorkommt: ‚In Europa ist es nun einmal üblich, dass geistig gesät wird mit Blut‘, den er mit der Fassung des Vollendeten
AdK, Bestand Weisenborn, 366 IV, Brief vom 15. 5.1946, S. 1. AdK, Bestand Weisenborn, 366 VII, Brief vom 12.9.1946. AdK, Bestand Weisenborn, 366 VII, Brief an Huch vom 16.10.1946. AdK, Bestand Weisenborn, 366 VII, Aufgezeichnet von Meta Strelow nach Angaben des Pfarrers Wolff; vgl. aber den letzten Brief bei Gollwitzer 1954, 100/101. Vgl. Weisenborns Typoskript „Die ungehörten Stimmen“, AdK, Bestand Weisenborn, 419. Brief an Günther Weisenborn vom 15.10.1947; sie begründet die Einbeziehung der ‚Roten Kapelle‘ damit, dass „die Zahl der hingerichteten Personen weit größer [sei], als ich anfangs dachte.“
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niederschrieb.“⁴⁰ Weisenborn benutzte die beiden Zitate aus den letzten Briefen, um das Motiv zu verallgemeinern: „Ich denke diese beiden letzten Worte zweier Menschen, die in die Ewigkeit eingingen, beantworten der Welt draussen die Frage am besten. Der illegale Kampf wurde aus den edelsten und reinsten Entschlüssen herausgeführt [sic], deren Menschen überhaupt fähig sind: Opferung des eigenen Ichs um die Welt zu verändern. Die deutsche illegale Widerstandsbewegung wird in der Geschichte des deutschen Geistes […] eine besondere Rolle spielen, da noch niemals in der Welt […] das Todesrisiko, der Sterbekoeffizient so fürchterlich waren.“⁴¹ Gegen die Behauptung Gabriele Streckers, der Leiterin des Frauenfunks des USamerikanischen Radio Frankfurt seit 1946,⁴² in der „New York Times“ vom 15. Oktober 1946: „Es gab keine Widerstandsbewegung in Deutschland. Das ist eine Tatsache“, setzte Weisenborn u. a. in der US-amerikanischen „Neuen Zeitung“ am 9. Dezember 1946 nicht nur Zahlen von Inhaftierten und Hingerichteten, wobei er ausdrücklich „die 20. Juli-Gruppe nicht besonders erwähnt, da sie allgemein bekannt ist“ (Weisenborn 1946), sondern er versuchte auch, die Unkenntnis, nicht nur Streckers, zu erklären, z. B. mit dem Fehlen letzter Briefe: „Ein Brief der Familie eines hingerichteten Arztes fragt bei mir an, wann, wo und weshalb dieser Familienvater getötet worden sei. Viele Prozesse liefen unter ‚Geheim‘. Wer darüber sprach, verfiel der Anklage ‚der Feindbegünstigung‘, die automatisch die Todesstrafe zur Folge hatte. Auf diese Weise erreichte die Schreckensjustiz, daß die Prozesse tatsächlich geheim blieben, daß die Familien, daß das eigene Volk und daß die ganze Welt sogar noch heute in absoluter Unkenntnis darüber sind, daß es eine mächtige Widerstandsbewegung in Deutschland gab. […] Noch liegt der Hitlernebel über der Widerstandsbewegung, aber er weicht bereits.“ (Weisenborn 1946) Auf die zahlreichen Zuschriften, die Weisenborn auf den zweiten Artikel erhielt, antwortete er in den Fällen, wo ihm „Material“ angekündigt wurde, mit dem Hinweis auf eine „Kommission“ zur „Sammlung und Verarbeitung von Widerstandsberichten“, der „unter anderen angehören Gräfin York von Wachtenburg [sic], Annedore Leber, Prof. Robert Havemann, Greta Kuckhoff, Ernst Niekisch, Eva Lippold und der Unterzeichnete“.⁴³ Weisenborn erhielt allerdings auch Briefe, in denen Gabriele Streckers Bestreiten jeden Widerstands zugestimmt wurde. Hans Peter Berglar-Schröer, ein Mitarbeiter der „Frankfurter Hefte“, die Weisenborns Artikel im Juni 1947 nachgedruckt hatten, bezog sich auf seine eigene Münchener Studentenzeit, um zu bestreiten, dass die Flugblätter der Weißen Rose Widerstand gewesen wären: „Allen Erneuerungsversuchen der Deutschen fehlt der Untergrund, solange die Einsicht in die
AdK, Bestand Weisenborn, 366 VII, Ihr, die Ihr hier versammelt, S. 1 Ebd., S. 2; vgl. die wörtliche Wiederholung des letzten Satzes in dem zweiten Artikel: Weisenborn 1946b. Vgl. ihr „Gespräch mit der politischen Schriftstellerin Margarete Buber-Neumann anlässlich des Erscheinens ihres Buches ‚Als Gefangene bei Stalin und Hitler‘“ 1949 für den WDR (Kresing-Wulf 1997, 18). AdK, Bestand Weisenborn, 366, III, Brief Weisenborns an Fritz Bauer vom 13.1.1947.
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Schuld jedes einzelnen vor Gott nicht Allgemeingut ist.“⁴⁴ Das ‚Manschen‘ „in Antifaschismus“ trage dazu bei, „unserem Volk den Weg der Reue, der Buße und der Bekehrung überflüssig erscheinen zu lassen“;⁴⁵ dem Antifaschismus setzte BerglarSchröer sein Schuldbekenntnis entgegen: „Täglich, ja stündlich fühle ich die Last der sechs Millionen ermordeter Juden, der vielen Hunderttausende von Opfern ganz persönlich auf mir ruhen, fühle sie mich mahnen zur größeren Güte, Liebe und Duldsamkeit.“⁴⁶ Weisenborn entschied sich gegen eine von Berglar-Schröer vorgeschlagene antwortende Veröffentlichung, denn diese Wendung der Schuldfrage in einen Opfer-Begriff, der alle von Kriegsfolgen Betroffenen einschloss: „Genau so, wie wir alle Schuld tragen, […] genauso gehören […] alle zu den Opfern“,⁴⁷ war schon programmatisch auf der Leipziger OdF-Konferenz zurückgewiesen worden,⁴⁸ auf der Geschke betont hatte, dass den „Vernichtungsfeldzug gegenüber den Juden“ die „gesamte deutsche Bevölkerung gesehen […] und nicht einmal vor Scham das Gesicht weggewendet“ habe,⁴⁹ und Raddatz, dass Juden „am meisten gelitten und […] am brutalsten behandelt worden [waren]. Das steckt auch im Bewusstsein des Volkes drin.“⁵⁰ Deshalb hob Geschke hervor, „dass die Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber den KZ’lern eine andere werden muss“.⁵¹ Weisenborns Hinweis auf die ‚Kommission zur Sammlung und Verarbeitung von Widerstandsberichten‘ in den Briefen an diejenigen, die ihm zustimmten, reflektiert einen Wechsel in seiner eigenen Sammlungstätigkeit. Nachdem im Oktober 1946 dem HA die Korrekturabzüge einer „Letzte Briefe“ betitelten Publikation vorgelegen hatten und hierfür die „Herstellung der Reproduktion von Bildern Ermordeter und Hingerichteter“ beschlossen worden war,⁵² reagierte die Delegiertentagung der OdF GroßBerlins am 23.11.1946 ausdrücklich auf Streckers Interview mit dem Beschluß, „so schnell wie möglich ein dokumentarisches Werk über den deutschen Widerstandskampf“ zu erstellen,⁵³ das also nicht mit den vorliegenden „Letzten Briefen“ identisch sein konnte. In Weisenborns Nachlaß befindet sich eine relativ ungeordnete (weil manche Texte mehrfach und auch später zu datierendes Material des Autors enthaltende)
AdK, Bestand Weisenborn, 366 IV, Brief Hans Peter Berglar-Schröers an Weisenborn vom 5.6.1948, S. 5. Ebd., S. 6. S. 7; vgl. seine Rezension von Theodor Plieviers „Stalingrad“: „So haben wir das Empfinden, daß es nicht nur die Sechste Armee ist, die da ihren bitteren Todesgang geht, sondern in ihr das ganze deutsche Volk, ja die ganze Welt, die klaftertief im Irrtum gefangen liegt.“ Frankfurter Hefte 3 (1948) S. 376. BA, DY54/V 277/2/42, Manuskript Weißbach: Liebe Coswiger. BA, DY54/V 277/1/1, S. 80 und DY54/V 277/2/42, S. 35. DY54/V 277/1/1, S. 21. DY54/V 277/1/1, S. 56. DY54/V 277/1/1, S. 19. BA, DY54/V 277/1/45 Bericht HA Oktober 1946, S. 5. DY54/V 277/1/45, S. 18.
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Mappe dieses Titels, in der Fotokopien und Abschriften von letzten Briefen Hingerichteter zusammen mit einem Vorwort aufbewahrt sind, das, handschriftlich, einen alternativen Titel trägt: „24 Helden“ –⁵⁴ alle bis auf Anton Saefkow sind Mitglieder der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe. Ein Foto zum letzten Brief gibt es nur von Heinz Strelow, aber die Mappe enthält eine Fotografie, die keinen letzten Brief begleitet, die aber dem Auftrag des HA besonders entspricht: Sie zeigt die Totenmaske von Etkar André, mit dem Datum der Enthauptung auf der Rückseite: „4. Nov. 1936“, gestempelt vom Komitee ehemaliger politischer Gefangener Hamburg. Dem Auftrag, den letzten Brief und den Hingerichten zu einem Bild zu machen, entsprach Weisenborns Vorwort, das handschriftlich eine Leseranrede als Titel trägt: „Seid leise, Freunde…“ Mit dieser Annäherung zwischen Vorwortschreiber und Lesern führt Weisenborn nicht nur das Konzept des Märtyrers ein, sondern vor allem das seines Weiterlebens: „Bedenkt dass in diesem geheimnisvollen Dokument der Herzschlag der Toten nicht aufhören wird zu schlagen, solange der Mensch lebt, denn hier schlägt das Herz eines Volkes in seinen Opfern. Hier schlägt das Herz der schweigsamsten aller Helden, die ihr eigenes Leben dahingaben, um die Menschen in ihrem Vaterland zu verändern. Dies ist das kostbarste Buch unserer Zeit.“ Im Folgenden differenziert sich die Adressierung der Publikation, einerseits an die deutsche, andererseits an eine internationale Öffentlichkeit; damit anonymisiert sich die zunächst direkte, freundschaftliche Anrede: „Möge dieses Buch […] jeder Mensch in Deutschland, der trotzig glaubt, er sei nicht schuld, in heiliger Ergriffenheit lesen und möge es ihn verändern.[…] die Tore des Trotzes, der Engherzigkeit, der Verhärtung in ihm öffnen“. In der anderen Richtung der Adressierung tritt jedoch zur Anklage auf Mitschuld eine Verteidigung, nämlich des Vaterlands, dessen „einziger Botschafter in die Welt“ der weiterlebende Märtyrer sei. Wie in seinem Artikel gegen Strecker argumentiert Weisenborn für die „Bewunderung“ der Widerstandskämpfer: „Das Ansehen unseres Vaterlandes in der Welt wird sich danach richten, was die Welt über den Kampf der Deutschen gegen die Nazidiktatur erfährt.“ (Weisenborn 1946) Die doppelte Adressierung der Publikation letzter Briefe entsprach damit den beiden Rollen, die Ottomar Geschke den OdF im September 1946 auf einer Gästekonferenz (die Gäste kamen aus der Schweiz, der CSR und Dänemark) zugeschrieben hatte: Die OdF hätten „[a]uf[zu]treten als öffentliche Ankläger“ und als „die ersten deutschen Diplomaten“.⁵⁵ In Leipzig hatte Apitz vom Blut der vom Faschismus Ermordeten – von dem auf der Konferenz auch als „ungeheure“⁵⁶ oder „unerhörte Blutopfer“⁵⁷ oder „Vermächtnis – mit Blut geschrieben“⁵⁸ die Rede war – als dem ‚Kitt‘ „aller Nationen an alle Na-
AdK, Bestand Weisenborn, 366 VII; dort auch die folgenden Zitate. BA, DY54/V 277/1/45 Bericht von der Gästekonferenz der ‚OdF‘ im Kino Puhlmann am 23. September 1946, S. 1 DY54/V 277/2/42, S. 31. DY54/V 277/1/1, S. 56 DY55/V 278/5/63
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tionen“⁵⁹ gesprochen, Raddatz aber davon, eine „Wiedergewinnung unseres nationalen Ansehens zu erreichen“,⁶⁰ und der rassistisch und politisch verfolgte Julius Löwenstein hatte erklärt: „vor allen Dingen bin ich Deutscher, ich erhebe Anspruch darauf, dass dieses Mutterland mich als Sohn anerkennt“.⁶¹ Die Gründung der VVN und insbesondere im Mai 1947 ihrer Zentralen Forschungsstelle mit regionalen Arbeitsgruppen (Danyel 1994, 614/615) sowie im Oktober 1947 ihres Verlags (Reuter/Hansel 1997, 137/139) verstärkte die Orientierung, unter den Mitgliedern „Berichte über ihre Teilnahme am illegalen antifaschistischen Kampf“ zu sammeln, wie Karl Raddatz auf der 1. Interzonalen Länderkonferenz der VVN in Frankfurt/M. forderte (1. Interzonale Länderkonferenz 1977, 19), aber seine Begründung für das Forschungsprogramm lautete: „Wir dürfen […] nicht verkennen, daß […] viele deutsche Menschen nach dieser gewaltigen politischen und moralischen Erschütterung, die der Zusammenbruch des faschistischen Staates gebracht hat, neue idealistische Grundlagen suchen. Die Geschichte der deutschen Widerstandsbewegung ist die Geschichte eines furchtlosen und opferreichen Kampfes der besten Männer und Frauen unseres Volkes. An uns liegt es, zwischen unserem Volk und diesem wahrhaft heroischen Kampf innerliche Beziehungen herzustellen. Eine geeignete Literatur und Kundgebungen sind die besten Mittel, diese Ziele zu verwirklichen.“ (19) Mit der Erwartung des Buchs, „das diesseits und jenseits der Grenzen das Antlitz des anderen Deutschlands offenbaren und ein Standardwerk der Umerziehung kommender deutscher Generationen sein wird“ (Norden 1947, 560), schloss im Juli 1947 Albert Norden eine polemische Besprechung von Allan W. Dulles’ „Germany’s Underground“; die Auflistung von kommunistischen, sozialdemokratischen, christlichen Widerstandsaktivitäten gipfelte in der Erwartung des letzten Bildes: „Wer unternimmt es, […] das Bild jener Männer und Frauen nachzuzeichnen, die den grauenhaftesten Folterungen widerstanden und das Wissen über ihre Organisation und die Namen ihrer Mitkämpfer in das ewige Schweigen eines schrecklichen Todes mitnahmen? Das ist das Buch, dessen Lektüre die Stirnen unserer Jungen und Mädchen röten und ihre Herzen weiten wird. Das ist das Buch, das unserem Volke helfen wird, die echten von den falschen Helden zu scheiden und denen nachzueifern, die kämpfend untergingen, als sie den Weg Deutschlands in den Abgrund mit ihren Leibern versperren wollten.“ (560) In der ersten Nummer der VVN-Zeitschrift „Unser Appell“ zog Hans Mayer eine „Bilanz der Widerstands- und KZ-Literatur“, die aus dieser Kategorie ausdrücklich die „Abschiedsbriefe“ ausklammerte: als einziger Verfasser solcher „erschütternden Dokumente“ wurde Adam Kuckhoff genannt (Mayer 1947a, 7). Aber als Mayer am Gedenktag im September in Frankfurt eine Rede hielt, sagte er über die letzten Briefe:
DY54/V 277/2/42, S. 3. DY54/V 277/1/45, S. 7. DY54/V 277/1/1, S. 184.
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„das wollen wir der Welt immer wieder zeigen: unsere Toten sind würdig gestorben! Ihre Abschiedsbriefe vor dem Fallbeil sind höchstes Menschentum – und noch ihr stummer, brechender Blick war ein Sieg des Geistes über die Lüge.“ (Mayer 1947b, 6) Während Mayer in Richtung der internationalen Öffentlichkeit an der Wirksamkeit der letzten Briefe festhielt, stellte er sie im Blick auf das Deutschland von heute nicht nur in Frage, sondern meinte: „Euer Leid war vergeblich.“ (6) Er wechselte von der Anrede der toten zu der der lebenden Widerstandskämpfer: „[…] das Opfer unserer Toten galt der guten Sache, das wußten sie alle in der Nacht vor dem Strang und dem fallenden Messer. Aber […] sie sind für eine erfolglose Sache gestorben. Das ist unsere Bitterkeit und Wahrhaftigkeit.“ (6) Aber nicht nur in der Sicht des hessischen VVN-Vorsitzenden erhalten die letzten Briefe im Laufe der Jahre 1947/48 in der Zeitschrift „Unser Appell“ steigende Bedeutung; einer der häufigsten Beiträger war Harald Poelchau, der fast in jedem seiner Texte auf die letzten Briefe einging, z. B. wenn er in seiner Rede zur Einweihung der Gedenkstätte Zuchthaus Brandenburg über seine eigene Rolle als Gefängnisgeistlicher sagte: „ich konnte […] dafür sorgen, daß wenigstens für die Abschiedsbriefe innere Ruhe und Zeit blieb. Aus manchen dieser Briefe werdet ihr gespürt haben, wieviel Gefaßtheit aus ihnen spricht“ (Poelchau 1947, 6). Aus dieser Qualität der Briefe leitete Poelchau die aktuelle Bedeutung des Widerstands ab: „Wenn wir nun diese Männer als Vorbild empfinden, so sollen wir in erster Linie die menschliche charakterliche Leistung ihres Todes festhalten.“ (6) Über die Toten, die um ihres „Gewissens“ und ihrer „Überzeugung willen den Kampf gegen das System der Gewalt und Ausbeutung führten“, verallgemeinerte er wertend-appellierend: „Sie waren keine Opportunisten. Wenn wir wie sie ohne Furcht, ohne persönliche Gefahr und Nachteile zu achten, […] entscheiden, werden wir auch in unseren politischen Beziehungen zueinander weiter kommen.“ (6) Religiöses und Politisches verband Poelchau, wenn er das „der gesellschaftlichen Notwendigkeit entsprechende“ Handeln als eins „vom Grunde der Verantwortlichkeit her“ (6) bestimmte. Während in einem Porträt Adam Kuckhoffs das Konzept des Märtyrers mit dem des Künstlers so verbunden wurde, dass seinem letzten Brief, „[s]ein[em] letzte[n] stolze[n] Satz“, das „künstlerische[…] Talent“ abgelesen wurde, „das ihm [sic] in den Stunden der letzten Bewährung über das Martyrium, über sich selbst hinaushebt“ (Schroeder 1947, 10), wiederholte seine Witwe Greta in einem Artikel über „Frauen im Widerstandskampf“ ihren Vorbehalt gegen das Opfer als Helden, allerdings auf eine widersprüchliche Weise, die es ihr erlaubte, die letzten Briefe gerade als Abschwächung der Heroisierung, als Annäherung an die LeserInnen aufzufassen: „Sie unterschieden sich nur wenig von den Frauen und Mädchen und Müttern sonst: Wieviel Zärtlichkeit spricht noch aus den knapp gehaltenen Briefen an die Eltern, die Kinder draußen.“ (Kuckhoff 1948b, 17) Aber diese Nähe wurde letztlich entgegen der Absage an Heroisierung doch zu Distanz: „Man soll unsere Kameradinnen nicht in eine Sphäre des Heldischen entrücken, in die die meisten Menschen nun einmal doch nicht gelangen können. Sie waren menschlich mit den gleichen Sorgen und Freuden wie wir alle. Wenn sie Übermenschliches leisteten und erlitten, dann nur für das eine Ziel: an
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den Grundmauern mitzubauen, auf denen die Gerechtigkeit und die Wahrheit und der Friede errichtet werden können.“ (17)⁶² In derselben Nummer, die über „eine interzonale Tagung der Mitarbeiter der VVNForschungsstellen“ (Unser Appell 2 (1948) Nr. 4, S. 7) im Januar 1948 in Herford berichtete, forderte der Liberaldemokrat Kurt Schatter (vgl. Reuter/Hansel 1997, 355) eine Verstärkung der Arbeit unter der Jugend; sein erster Vorschlag war bezeichnenderweise: „Die neue Schule braucht […] Auszüge aus Briefen und Aussprüche der Helden des Widerstandskampfes.“ (Schatter 1948, 4) Karl Schirdewan bestimmte auf der Tagung das Ziel der Forschungsarbeit als ‚Rekonstruktion‘ des „Gesamtbild[s] der deutschen Widerstandsbewegung“ (Schirdewan 1994, 75): „Die Entwicklung eines Geschichtsbildes der deutschen Widerstandsbewegung gehört zu den Grundlagen der Neubildung unseres Volkes.“ (76) Er stellte deshalb die Wirkungslosigkeit bisheriger „Berichte und Darstellungen“ heraus, „wobei […] das Leiden den Haupteindruck hervorrufen soll“ (75), und verlangte stattdessen solche, die geeignet seien, „das Volk zu überzeugen und die Autorität und Achtung der deutschen Widerstandsbewegung groß zu machen“: „Das einzige Aktivum des deutschen Volkes aus seiner jüngsten Vergangenheit bleibt die deutsche Widerstandsbewegung.“ (77) Deshalb erschienen 1948 im VVN-Verlag sowohl die lange verzögerte Anthologie letzter Briefe als auch die ersten beiden Titel einer Reihe „Widerstand im Dritten Reich. Männer und Frauen des illegalen antifaschistischen Kampfes. Herausgegeben von der Zentralen Forschungsstelle der VVN“. Klaus Lehmanns Darstellung der „Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack“ und Max Zimmerings der „Widerstandsgruppe ‚Vereinigte Kletter-Abteilung‘“ waren zwar „als Pilotvorhaben für eine umfassendere Gesamtdarstellung angelegt“ (Danyel 1992, 616), fanden aber nur einen Fortsetzungsband im folgenden Jahr, 1949 erschien bereits ohne jeden Hinweis auf die Reihe Kurt Kühns „Die letzte Runde. Widerstandsgruppe NKFD“. Die drei nicht fortgeführten Vorarbeiten zu einem nicht auf das Leiden, sondern auf den Kampf setzenden ‚Gesamtbild‘ zeigen eine unterschiedlich starke Abhängigkeit vom Genre des letzten Briefs. Am stärksten ist sie in Lehmanns ‚Gruppenporträt‘ der Schulze-Boysen/ Harnack-Gruppe, denn drei Viertel des Texts bestehen aus letzten Briefen; außer diesen zwölf Porträts von Hingerichteten, die letzten Brief und Foto verbinden, bringt die Darstellung aber auch in denjenigen Fällen, wo kein letzter Brief abgedruckt wird, wenigstens ein Foto zur Ergänzung der Kurzbiographie. Lehmann begründet sein Verfahren: „Die Toten haben uns nur wenige Zeugen ihres Wirkens hinterlassen. […] Nicht einmal von allen ist ein Bild vorhanden. Aber aus den wenigen Abschiedsbriefen, Äußerungen und Berichten ihrer engsten Freunde formt sich ein Bild […] wie eine leuchtende Fackel […]. Und jetzt haben sie das Wort: […]“ (Lehmann 1948, 27). Auch Zimmering, der nur einen, nicht ausdrücklich als solchen bezeichneten Abschiedsbrief druckt, von Fritz Schulze (Zimmering 1948, 38/39), der aber gleichfalls
Vgl. die Wiederholung als Leitartikel mit Foto Cato Bontjes van Beeks zum Frauentag in: Die Tat 1 (1949) Nr. 4, S. 1.
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Fotos und Kurzbiographien verbindet in einem auf den Bericht folgenden Teil „Den Toten zum Gedenken“ (23/24), thematisiert das Quellenproblem, wenn er die Leser um Zusendung von Berichten bittet: „Da […] das meiste aus dem Gedächtnis rekonstruiert werden mußte, sind Lücken und kleine Irrtümer unvermeidlich. […] Die Geschichte der deutschen antifaschistischen Widerstandsbewegung kann nur mit Hilfe aller Kameraden geschrieben werden.“ (hinterer Umschlag, innen) Kühns Darstellung der Schumann-Engert-Kresse-Gruppe enthält, anders als die beiden früheren Bände, ein Dokument aus der Illegalität, das den Verfasser aber wegen der darin enthaltenen Einschätzung der kommenden Nachkriegssituation zur Kritik veranlasst: „Das einzige bisher aufgefundene illegale Schriftstück“ zeige, dass die Genossen sich „etwas geirrt“ hätten, denn sie „glaubten an eine Wiederkehr der Situation von 1918“ (Kühn 1949, 15). Deshalb gipfelt auch der letzte Band der VVNReihe im Abdruck von sechs letzten Briefen: „die führenden Genossen des NKFD […] hinterließen uns in ihren Briefen an die Angehörigen, von denen nachfolgend einige im vollen Wortlaut veröffentlicht sind, ein heiliges Vermächtnis. Es gipfelt in der Mahnung: Setzt unser Werk fort! Und so sprachen unsere Besten durch ihre letzten Zeilen noch einmal zu uns: […]“. (40) Wenn die drei Bände der Reihe „Widerstand im Dritten Reich“ den Erwartungen weder Greta Kuckhoffs von dokumentierter Illegalität noch Karl Schirdewans von kämpferischem Gesamtbild entsprechen konnten, muss um so mehr auffallen, wie stark alle drei Verfasser nicht nur die Isolation der Widerstandskämpfer von der Mehrheit der Bevölkerung betonen, sondern diese auch ausdrücklich kritisieren. Drei Beispiele mögen für die Schärfe des Tons sprechen, in dem jeweils ausführliche Passagen zu diesem Thema gehalten sind; bei Kühn heißt es: „Das Vorhaben der tapferen Einzelkämpfer und der von ihnen geführten Gruppen gelang nicht. Es kam nicht zu einer Volksbewegung, zu einer wirklichen Widerstandsbewegung gegen die Hitlerdiktatur […]. Schuld trägt der fehlende Widerstandswille der Masse unseres Volkes!“. (Kühn 1949, 2, 5) „So konnten sich die Illegalen“, schreibt Zimmering, „nicht auf eine breite, tief im Volke verwurzelte Bewegung stützen. […] daß das deutsche Volk dem Kampf seiner Besten verständnislos, apathisch oder sogar feindselig gegenüberstand, ist eine der Hauptursachen für den politischen, geistigen und materiellen Absturz, den es erleben mußte.“ (Zimmering 1948, 23/24) Wenn Lehmann am zurückhaltendsten formuliert, dann bezieht er sich in widersprüchlicher, aber bezeichnender Weise auf die letzten Briefe: Er behauptet, dass noch während der Hinrichtungen der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe „bereits die ersten Abschiedsbriefe, diese erschütternden Dokumente von Freiheitsliebe und menschlicher Größe vervielfältigt und verbreitet wurden … [sic] Doch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung erfuhr nichts von diesem Heldenkampf.“ (Lehmann 1948, 86) Als ein von Eva Lippold bearbeitetes Buch namens „Letzte Briefe“ zitierte Harald Poelchau in seinen Erinnerungen „Die letzten Stunden“ (Poelchau 1949, 63/64) die von der VVN als Organisation im Vorwort autorisierte Anthologie; damit machte der als Mitglied des Redaktionskollegiums aufgeführte Poelchau klar, dass das Buch „‚…besonders jetzt tu Deine Pflicht!‘ Briefe von Antifaschisten geschrieben vor ihrer Hin-
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richtung“ auf das OdF-Projekt letzter Briefe zurückging, in dem Vertreter des 20. Juli, der Kirche, der jüdischen Gemeinde, der SPD und der KPD/SED mit Weisenborn zusammengearbeitet hatten. In seinen 1964 publizierten Memoiren nimmt Weisenborn für seinen Versuch, das OdF-Projekt mit Ricarda Huchs zusammenzubringen, die Unterstützung durch Verleger sowohl in der britischen und amerikanischen als auch in der sowjetischen Besatzungszone (Rowohlt, Desch, Aufbau) für eine Initiative im Schutzverband deutscher Schriftsteller in Anspruch und beschuldigt die „lange[n] Verhandlungen“ mit der „zuständige[n] ODF-Stelle in Ostberlin, die viele dieser Briefe gesammelt hatte“ (Weisenborn 1982, 280), für das Fehlschlagen einer „respektvollen Ausgabe“ (279). Statt dieser sei 1948 nur in der Sowjetzone eine Anthologie erschienen, die Weisenborn, im Rückblick, scharf kritisiert als „eine häßliche Broschüre, die vorwiegend Abschiedsbriefe hingerichteter Kommunisten enthielt, […] die kaum bekannt wurde und wenig Echo fand“ (280).⁶³ Doch mit „…besonders jetzt tu Deine
Der nachträglichen ästhetischen Aburteilung der VVN-Publikation als ‚hässlich‘ entspricht eine eigene Veröffentlichung Weisenborns aus dem Erscheinungsjahr 1948, deren Titel schon auf die Verbindung von Text, Foto und fotokopiertem letzten Brief hinweist: „Über ein Gesicht und eine Gruppe. Schulze-Boysen/Harnack“. Der Aufsatz erschien im „Illustrierten Sonntagsblatt des Tagesspiegels“ in Westberlin und schließt mit dem Sinologen Philipp Schaeffer, einem Studienfreund von Anna Seghers, der wegen ‚Nichtanzeige‘ von Widerstandskämpfern hingerichtet wurde: „Sein letztes Wort sei nie vergessen. […‚] Meine Herren, ich bin kein Handlanger der Polizei!‘“ (Weisenborn 1948) Darüber heißt es in Weisenborns eigenem „Memorial“, das 1948 zugleich im Aufbau- und im Desch-Verlag sowie als RoRoRo-Heft, somit in allen vier Besatzungszonen erschien: „Ich aber saß neben ihm und hörte sein herrliches letztes Wort.“ (Weisenborn 1982, 103/104) Zu Philipp Schaeffer vgl. die von Anna Seghers 1975 in der „Neuen Berliner Illustrierten“ veröffentlichten „Erinnerungen an Philipp Schaeffer“ (Seghers 1979, 129 – 132) und Bock 2012. Für Seghers’ Nähe zu Schaeffer spricht sowohl das aus der Vergangenheit Berichtete: „Da man in unruhigen Zeiten manchmal nicht weiß, ob ein Zusammensein das letzte ist, nahm ich keinen Abschied von Schaeffer“ (Seghers 1979, 131), als auch das in der Schreibgegenwart Reflektierte: „Ich weiß nicht, ob ihm etwas von dem, was ich hier geschrieben habe, durch den Kopf ging in seinen Zuchthauszellen.“ (132) Mit Härte setzt sie im vorvorletzten Absatz, der in der dritten Zeile die „Enthauptung“ berichtet, „enthauptet“ als letztes Wort und dazwischen: „Professor [Heinrich] Scheel […] erzählte mir, daß Schaeffer völlig ruhig und gelassen geblieben ist.“ (133) Schaeffers letzter Brief war nicht in „…besonders“ 1948 enthalten, aber in der ersten Darstellung der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe von Lehmann 1948, 75, und dann in der von Biernat/Kraushaar 1970, 139 – 141. In der Form eines Briefes „Statt eines Vorwortes. Liebe Melpo Axioti“ (AdK, Berlin, Bestand Seghers, 523) schrieb Anna Seghers 1949 das Vorwort zu dem Roman „Tränen und Marmor“ der griechischen Autorin, der fast zur Gänze (Axioti 1949, 21– 177) als der letzte Brief einer Widerstandskämpferin von dieser selbst erzählt wird, von deren Tod die auktoriale Erzählinstanz am Anfang berichtet hat und am Schluss nochmals berichten wird: „Ihre Erinnerungen“ rissen sie „über sie selbst hinaus. Sie wurde zum Zeugen einer fremden Geschichte. Es war ein broschiertes Buch, ihr Leben, das mit dieser Nacht enden würde: das Leben einer gewissen Polyxena, die morgen nicht mehr sein würde.“ (21). Seghers setzt einen anderen Akzent: „Die scheinbar zufaelligen und sonderbaren Begebenheiten sind in der Erinnerung nicht mehr zufaellig und nicht mehr sonderbar. Die Zufallsbegegnungen sind notwendige Bindeglieder geworden, die sie mit dem Schicksal des Volkes verketten.“ (AdK, Bestand Seghers, 523) Der Rahmenerzähler von Stephan Hermlins im selben Jahr wie Axiotis Roman erschienener Erzählung „Die Zeit der Gemeinsamkeit“ ist der Empfänger eines letzten Briefes, worauf Norbert Otto Eke (2006, 95) aufmerksam gemacht und was er mit einer Flaschenpost verglichen
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Pflicht!“ war die erste Publikation letzter Briefe aus konfligierender Zusammenarbeit ost- und westdeutscher Vertreter von Verfolgtengruppen hervorgegangen; (fast) alle späteren Publikationen bezogen sich auf diese erste zurück.
3 Reinhold Schneider: Das christliche Deutschland In den Jahren ihrer Entstehung erschien unter dem Namen „Das christliche Deutschland 1933 – 1945“, herausgegeben von „einer Arbeitsgemeinschaft katholischer und evangelischer Christen“ im katholischen Herder- und im evangelischen Furche-Verlag, eine Reihe „Dokumente und Zeugnisse“, deren „Anliegen“ Reinhold Schneider im „Geleitwort für die Sammlung“, das in jedem ihrer Hefte abgedruckt wurde, es nannte, „daran zu erinnern“, dass „[d]ie Stimme der Wahrheit, des Gewissens, der Verantwortung, der dem Menschen einwohnenden unabdingbaren Freiheit“ „auch in den Jahren schwerster Verfolgung in Deutschland nicht geschwiegen hat“ (Schneider 1946a, 7). Die Publikation z. B. von „Sieger in Fesseln. Christuszeugnisse aus Lagern und Gefängnissen“ (Schneider 1947b), wo letzte Briefe von Dietrich und Klaus Bonhoeffer, Alfons Wachsmann und Max Josef Metzger abgedruckt wurden, bedeutete für Schneider nicht nur eine Ehrung der „Martyrer“ (Schneider 1946a, 9), sondern auch einen Einspruch gegen die „Anklage“ der „Welt“: „Diese unhörbaren Stimmen und Zeugnisse, den Mut und das Leiden, die hinter ihnen stehen, möchten wir vor allen Dingen ehren, indem wir die noch greifbaren Zeugnisse vorlesen. Um der geschichtlichen Wahrheit willen glauben wir ein Recht darauf zu haben, daß im Bewußtsein der Welt die Anklage den geleisteten Einspruch nicht völlig überdeckt.“ (8) Allerdings betonte Schneider: „Diese Dokumente sind nicht nur zu unserem Schutze da; sie fordern uns auch“, nämlich „die uneingeschränkte Hingabe des hat. Während in der Zeitschrift „Der Bibliothekar“ die Rezension von Axiotis Roman auf dessen Erzählweise nicht eingeht: „Eine junge Frau hält in der Nacht vor ihrer Hinrichtung durch die Faschisten Rückschau über ihr vergangenes Leben“ (Der Bibliothekar 5 (1950) H.4, S. 264), wird die Erzählweise der Erzählung Hermlins von ihrem Rezensenten Joachim Günther im Hinblick auf die Rezeption reflektiert: „Manche Leser werden fragen: Schon wieder ein Beitrag zur KZ- und Widerstandsliteratur? Darauf ist zu erwidern, daß Hermlins Buch […] zu den wenigen gehört, die dieses Thema wirklich dichterisch gestalten. Das hebt es aus der Fülle der bisher erschienenen Berichte und Reportagen heraus. Mancher Leser wird diese mutige Auseinandersetzung mit Ereignissen der jüngsten Vergangenheit als niederdrückend empfinden, aber darf sich jemand vor der Wahrheit, mag sie auch bitter sein, verschließen? Zum Vorlesen sind […] die Eintragungen unter dem 27. April und dem 5. Mai aus der Titelerzählung [Hermlin 1949, 143 – 160: über die Flucht aus dem brennenden Ghetto in den Tod, H.P.] besonders geeignet.“ (Günther 1950, 210) Die „erschütternd[e]“ Wirkung der Titelerzählung des Bandes begründet Günther so: „In ihr findet auch der Wandel innerhalb des Judentums seinen Ausdruck: junge Vertreter des jüdischen Volkes vollzogen den Wandel vom stillen Leiden und Erdulden, das sich durch die Jahrtausende zog, zu aktivem Handeln, zum Bemühen, die Welt zu verändern.“ (210) Zu Melpo Axioti vgl. Püllmann 2015, zu dem griechisch unter dem Titel „Das zwanzigste Jahrhundert“ erschienenen Roman, S. 215 – 217.
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deutschen Volkes […] an Christus, seinen eigentlichen Herrn“ (9). Aus „dieser Unterwerfung ohne Rückhalt“ leitete Schneider eine Umkehrung der ‚Anklage‘ ab, eine „Sendung der Stunde“: „das deutsche Volk hat der Welt ein Wort zu sagen von der Macht und Heiligkeit des fleischgewordenen Wortes“ (9). Abschließend nannte Schneider ein „gelebte[s] Bekenntnis zu Jesus Christus“ nicht nur „die eigentliche Ehre der Deutschen“, sondern auch „Sühne und Antwort auf den Ruf der Martyrer und Bekenner“ (10). Konkreter ging Schneider auf die ‚Antwort‘ der von der ‚Welt‘ angeklagten Leser der letzten Briefe der ‚Martyrer‘ in zwei 1946 und 1947 gehaltenen Reden ein. Sein „Gedenkwort zum 20. Juli“ verband die ‚Martyrer‘ mit dem Adressaten der Publikation: „Aber wie viele unter den Verschwörern, eh [sic] sie sich zum Letzten entschlossen, eine Bekehrung, eine Wandlung erfahren hatten, so kann auch ein Volk sich wandeln.“ (Schneider 1946b, 21). Schneider fasste das „Leiden dieser Männer“ als „ein […] zur Wirkung berufenes Vermächtnis“ (18), denn: „Die Tat ward von unserem Volke genommen; das Leiden trat an ihre Stelle. Wir stehen in seinem Zeichen.“ (18) Indem die ‚Verschwörer‘ „sühnten, was sie als eigene Schuld empfanden oder als Schuld anderer, in die sie verstrickt waren“, seien sie „in ihrer Zelle“ „Gerechte“ geworden, „das heißt Männer, die aufblickten zu Gott und zum ewigen Recht“ (19). Auf den Satz: „Gott […] war vielen in der Zelle so nahe, wie er ihnen wohl niemals zuvor gewesen, näher, als wir zu ahnen vermögen“ (19), folgt der entsühnende Schluss von der Schande auf die Ehre: „Und wenn die Untat derer, die ein Volk im geschichtlichen Leben vertreten, sich ausbreitet über das Volk, so breitet sich auch die Ehre derer über das Volk aus, die sich für das Ganze geopfert haben. Von den Zellen und Richtstätten strahlt die wahre Ehre aus, derer würdig zu werden, wir fortan trachten müssen“ (19/20). Angesichts von Adressaten, die „keine Schuld tragen“ (Schneider 1947b, 30), spricht Schneiders Rede „Von der Sendung der Jugend“ in der persönlichen Anredeform aus, dass der Redner „Euch ein Einziges [zu] sagen“ habe: „‚seid stolz‘“ (6). Die Begründung bezieht sich nur ein Mal kurz auf „die Schuld, das Versagen der vorausgegangenen Geschlechter“ (10), um zu betonen: „Es ist eine große Gnade, daß alle Schleier zerrissen sind, so viele Täuschungen, deren Opfer vorausgegangene Geschlechter geworden sind, nicht mehr halten“ (31), und um den „ohne Eure Schuld […] in die Tiefe der Not, des Verfalls geschleudert[en]“ Adressaten zu versichern: „Mit Euch kann die Menschheit sich wieder erheben im Glauben an sich selbst. […] Opfert Euch einem neuen, wahrhaftigen, herzensmächtigen Geschlechte entgegen!“ (17) Als Vorbilder für den „Einsatz für das Heilige im Menschen, für reines Menschentum“ (31), treten in der 1947, ein Jahr nach dem „Gedenkwort zum 20. Juli“, gehaltenen Rede an die Stelle der ‚Männer des 20. Juli‘ „die großen Geister der letzten Jahrtausende“, von „Griechen, Lateiner[n]“ über Dante und Shakespeare zu den „großen deutschen Dichter[n]“ (18). Schneiders ausschließlich auf die ‚Männer des 20. Juli‘ und eine religiöse Motivation eingeschränkter Begriff von Widerstand steht in starkem Kontrast zu dem Bild, das die Jahreskundgebung der Opfer des Faschismus am 22. September 1946 im Lustgarten Berlin zeigte, wenn Karl Raddatz einleitend einräumte, dass der „Hel-
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denmut […] aller politischen Richtungen […] und ihr Opfergang […] noch einer umfassenden Schilderung“ „harren“ (Bock 1946, 4), aber schon unterschieden hatte zwischen Widerstand – zuerst und ununterbrochen (vgl. auch 8) – aus der Arbeiterbewegung, aus dem Bürgertum – seit 1939, gipfelnd im 20. Juli, wozu auch der im Umkreis der Geschwister Scholl zähle, und von Christen. Entsprechend gab es Reden über den „antifaschistischen Kampf der Jugend“ (16), die „Männer[…] des 20. Juli (22/ 23) und den „heimliche[n] Kampf der Kirche“ (20) neben zwei Reden, die einer Widerstandsgruppe „besonderes Verdienst“ zuschrieben, so Karl Raddatz über die des Kommunisten Anton Saefkow, allerdings ohne das anderer „schmälern“ zu wollen (15), und über die Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe so Hans Seigewasser, dass er sie „Deutsche Partisanen“ nannte: „Der Charakter ihrer Aktivität stellte sie in die Spitzengruppe aller deutschen Antifaschisten.“ (27) Die Redakteurin des Organs der CDU der sowjetischen Besatzungszone Elfriede Nebgen bezog sich in ihrem Beitrag über den 20. Juli auf die Fotos von Carl Friedrich Goerdeler, Wilhelm Leuschner und Joseph Wirmer im Volksgerichtshof, wie sie „in aufrechter Haltung vor ihren Mördern stehen“ (22); auch Propst Heinrich Grüber sprach über den 20. Juli, wenn er die Beteiligung von Männern der Kirche (Hans-Bernd von Haeften, Dietrich Bonhoeffer, Friedrich-Justus Perels) am Versuch der „Beseitigung“ als dritte Form des „heimliche[n] Kampf[s] der Kirche (20) behandelt – nach dem öffentlich „Stimme [E]rh[e]ben gegen Mißachtung göttliche[r] Gesetze“ durch Kardinal Clemens August Graf von Galens und Bischof Theophil Wurms Protest gegen die sogenannte Euthanasie und der geheimen Rolle als „Helfer“ für „Rasseverfolgte“; zu den am 20. Juli Beteiligten betonte Grüber: „Gerade diese Männer […] fühlten schmerzhaft ihr Versagen und ihre Mitschuld als Glieder ihres Volkes“ (20). Im folgenden Jahr 1947 erläuterte Geschke, inzwischen Vorsitzender der VVN in der sowjetischen Besatzungszone, auf der Berliner Veranstaltung zum Gedenktag Opfer des Faschismus das „Motto“ „Der Kampf geht weiter“: „Die Befreiung vom Faschismus erfolgte nicht aus eigener Kraft, sondern durch fremdes Militär. Aber das Gift in unserem Körper muss erst durch eigene Wachsamkeit, durch eigene Kur oder eigene Operation entfernt werden.“ (Schieber 2016, 154) Hierfür hob Geschke hervor: „Der Kampf gegen den Antisemitismus ist nicht ein Kampf der Juden, er muss ein Kampf aller anständigen Menschen in der ganzen Welt sein.“ Die Wochenschau „Der Augenzeuge“ ließ in ihrem Bericht über die Ehrung der „11 Millionen Toten […], die der Faschismus, diese entsetzliche, verbrecherische Idee der Ausrottung, mordete“, den Ausschnitten aus Geschkes Rede das „Lied vom Strick“ folgen, wobei das Gesicht der Sängerin Käte Kühl mit Bildern aus dem sowjetischen Film „Auschwitz/Oswiecim“ unterlegt war (155), denn in dem aus Sachsenhausen stammenden „Lied“ wird „Arbeit macht frei“ (154) zitiert. Bilder aus Auschwitz hatte „Der Augenzeuge“ schon im Februar 1947 gezeigt, als er von der Ankunft eines 10-jährigen berichtete, der „das einzige Kind der Berliner Jüdischen Gemeinde [sei], das die Hitlerzeit [in Auschwitz] überlebt hat“ (150). Der damalige Chefredakteur des „Augenzeugen“ war Kurt Maetzig, dessen Spielfilm „Ehe im Schatten“, der im Oktober 1947 anlief, als erster in der sowjetischen Besatzungszone die Judenverfolgung thematisierte und mit einem letzten
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Brief schloss, wenngleich der Script-Autor Hans Schweikart nicht dem Wortlaut eines der überlieferten authentischen Abschiedsbriefe folgte,⁶⁴ sondern auf den „Liebe Maurers“ („…besonders“ 1948, 41) adressierten rekurrierte, der 1948 von der VVNAnthologie zu den „Briefen von Antifaschisten geschrieben vor ihrer Hinrichtung“ gerechnet wurde. Eingeführt wird er mit der Kurzbiographie des Schreibers: „Joachim Gottschalk, Berlin/ Schauspieler/ war mit einer jüdischen Schauspielerin verheiratet. Vom Propagandaministerium wurde ihm nahegelegt, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, die für die Deportation vorgesehen war. Er schied gemeinsam mit ihr aus dem Leben/ am 6. Dezember 1941 im Alter von 37 Jahren.“ (40) Maetzigs Film erreichte in den Nachkriegsjahren „ca. 12 Millionen Besucher“ und war damit einer der „meist gesehenen DEFA-Filme“ (Schieber 2014, 41). Über die Rezeption hieß es in der „Weltbühne“: „Als der Vorhang fiel, gingen die Menschen schweigend und beschämt nach Hause.“ (Geßner 1947, 1021). Die Besprechung im „Neuen Deutschland“ war überschrieben „Das beschämendste Kapitel. Ein Film aus Deutschlands schlimmster Zeit“, fragte aber einleitend, ob die „Zustimmung“ durch „fast nichtendenwollende[n] [sic] Beifall“ „auch dem Film als Ganzem“ gegolten habe, „der das beschämendste Kapitel der Nazigeschichte aufschlägt, den Rassenwahn“, um zu antworten: „Nehmen wir die Zustimmung als Bestätigung tiefsten Abscheus“ (Melis 1947). In der „Täglichen Rundschau“ deutete Hans-Ulrich Eylau den „herzliche[n], ehrliche[n] Beifall“, der sich „löste“, nachdem das „Publikum“ „lange in schweigender Ergriffenheit“ „verharrt“ hatte, als Hinweis, „wieweit aus dem Ergriffensein eine heilsame, reinigende Erschütterung entsteht“ (Eylau 1947). In der „Berliner Zeitung“ ging der spätere Feuilleton-Chef des Westberliner „Tagesspiegels“ Walter Lennig davon aus, dass „bei diesem Film ganz unzweifelhaft der Stoff […] eine nachhaltige Erschütterung hervorruft“: „Dieser Film packt die Deutschen […] bei den verdrängten Erinnerungen, sein unzweifelhaftes Verdienst ist es, daß er nicht mit dem billigen und falschen Eindruck entläßt: daran sind nur die bösen Nazis schuldig! Diese Distanzierung wird verhindert, und deshalb liegt dieser Film richtig“ (Lennig 1947). Entsprechend beendete Lennig seine Besprechung: „Man hört wieder sein eigenes Herzklopfen. Es war erfreulich, daß es gelang, bei der Uraufführung der ‚Ehe im Schatten‘ die Sektorengrenzen einmal niederzulegen.[⁶⁵] Es gibt eine Einigkeit des Bekenntnisses zur Verantwortlichkeit, das uns viel mehr Sympathie in der Welt verschaffen kann als Beschönigung und Leugnung. Dieser Film aktiviert die Bereitschaft dazu, und deshalb ist er wichtig.“ (Lennig 1947) In der „Weltbühne“ nannte Herbert Geßner, der 1944 aus einer Strafkompanie desertiert war, an der Freiheitsaktion Bayern teilgenommen hatte und bis November 1946 Politischer Kommentator bei Radio München gewesen war, aber seit Februar 1947 beim Berliner Rundfunk, Kurt Maetzigs Film sowohl Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ als auch Helmut Käutners „In jenen Tagen“ Vgl. Schweikart 2014, 67: „Abschiedsbrief“, allerdings mit der Namensgebung „Maurer“ (109, Anm. 2). Zur Massenauflage der Quelle vgl. Schiller 1995, 396. Vgl. auch den Schluss im „Neuen Deutschland“: Es sei „sehr erfreulich“, dass „dieser Film“ der „erste“ sei, der „in allen Berliner Sektoren gleichzeitig läuft“ (Melis 1947).
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„turmhoch“ überlegen: „Denn im Inhalt, in der Anklage – und er ist eine Anklage – und in der Wirkung ist er vollendet.“ (Geßner 1947, 1018) Zunächst beschreibt Geßner verallgemeinernd mögliche Wirkungen: „Viele […] mögen sich angesichts dieses Films ihrer Gleichgültigkeit, ihrer Schwäche, ihres ‚Nichtwissenwollens‘ zur Zeit des wirklichen Geschehens erinnert haben […].Vielleicht ist sich wenigstens ein Teil von ihnen bewußt geworden, warum auch Passivität zu jener Zeit Mitschuld war. […] Sie werden und müssen empfunden und begriffen haben, daß Antisemitismus, jede Form des Rassenhasses oder der Verachtung einer anderen Rasse unmenschlich ist“ (1020). Dann beschreibt Geßner die Wirkung des Films auf ihn selbst, wiederum verallgemeinernd: „In der Brust eines Antifaschisten, der mitten unter vielen Besuchern diesen Film erlebte, rangen zwei Empfindungen miteinander. Da war die eine: Warum hast du, und du, und du damals nicht dagegen gekämpft, warum glaubtest du, dein Gewissen beschwichtigen zu können, indem du dich abseits stelltest oder das, was damals vor sich ging, einfach nicht sehen wolltest“ (1020/1021). Seine zweite Empfindung nennt Geßner eine „ermutigend[e]“ „Stimme“, der er nach dem Blick auf die „schweigend und beschämt nach Hause“ gehenden Besucher das Wort gibt: „Ja, das war es: Sie schämten sich – und eben das war eine große Ermutigung. Es war, zumindest bei einem großen Teil des Publikums, jene wirkliche und echte Scham, die nichts mit jener aufdringlich lauten und gerade deshalb unglaubwürdigen, geheuchelten Scham zu tun hat. Sie schien mir, zumindest bei vielen, echt – und auch das hat mich in dem Glauben und in der Überzeugung bestärkt, daß unser Volk, so angefressen es zum Teil noch vom Gift des Nazismus sein mag, auf keinen Fall in seiner Gesamtheit verloren oder verdorben ist.“ (1021) Der „Antifaschist“, der nur an dieser Stelle, wo es um seine Einstellung zur deutschen Bevölkerung geht, in der 1. Person Singular schreibt, schließt mit einer Bekräftigung der Ermutigung im Ringen mit der Anklage dadurch, „daß Hunderttausende erschüttert werden, daß viele sich wieder schämen gelernt haben“ (1021).
4 Annedore Leber: Den toten immer lebendigen Freunden. Eine Erinnerung zum 20. Juli In der Zeit der Entstehung der VVN-Anthologie trat außer Reinhold Schneider noch ein weiterer Herausgeber einer der späteren Anthologien an die Öffentlichkeit, die Witwe des sozialdemokratischen Gewerkschaftsführers Julius Leber, die seit Anfang 1946 den Hilfsfonds für die Hinterbliebenen der Männer des 20. Juli leitete (Huch 1997, 55). Annedore Lebers zuerst in der Westberliner SPD-Zeitung „Telegraf“ am 20. Juli 1946, dann als Broschüre erschienener Text „Den toten immer lebendigen Freunden. Eine Erinnerung zum 20. Juli“ scheint in der Vorbemerkung eine private Perspektive anzukündigen: „Über die Zusammenhänge vom 20. Juli 1944 große politische Erklärungen abzugeben, liegt mir fern. Dieser Bericht ist nur der Versuch, aus der Anteilnahme an einem politischen Leben das zu schildern, was sich allmählich vor meinem Auge entwickelte. Deshalb ist der Ausgangspunkt meiner Betrachtungen der Mann,
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den ich auf seinem Weg begleitete.“ (Leber 1946, 1) Bevor sie zum Schluss appelliert: „Möge es Deutschland nicht vergessen!“ (14), resümiert sie zutreffend die von ihr stets nach demselben Muster gezeichneten Porträts in einer Formel: „Vor meinem Auge stehen die acht Getreuen, die aus ihrer Lebensauffassung heraus übereinstimmend nach der Ethik und Moral der frei verantwortlichen Persönlichkeit, die sich selbst ihr Gesetz gibt, zur Tat und Entscheidung drängten. […] Schon ihre Wesensart bezeugt ihre Gegnerschaft gegen das Schema der nationalsozialistischen Schablonisierung.“ (13/14) Die Selbstverpflichtung auf Freiheit, Wahrheit und Recht steht jedesmal im Mittelpunkt der kaum mehr als eine halbe bis eine dreiviertel Seite einnehmenden Porträts, die Reihungen von Eigenschaften und Werten bzw. diesen folgender politischer Entscheidungen sind. Außer Leber charakterisiert seine Frau so Gustav Dahrendorf, Ludwig Schwamb, Wilhelm Leuschner, Carlo Mierendorff, Theo Haubach und Adolf Reichwein. Der moralischen Charakterisierung werden also ausnahmslos nur Sozialdemokraten gewürdigt, obwohl der Titel des Textes an den 20. Juli erinnern will. Trotz der Einschränkung, die sie anlässlich der Mitglieder des Kreisauer Kreises als „parteiungebundener Kreis“ (9) macht, reflektiert sie den darin liegenden Widerspruch. Er entspringt nämlich ihrer Intention, die besonders deutlich wird in der Abwertung der Militärs und der Gruppe um Goerdeler. Ihre Darstellungsmethode vollzieht nach und legitimiert sich im Hinweis auf die „politische […] Konzeption“ Julius Lebers: „Denn seiner Meinung nach war es vor allem wichtig, in absoluter Eindeutigkeit die Parteilinie der Sozialdemokratie einzuhalten, um durch einen geschlossenen Block der Linken den entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung der Zukunft zu erhalten.“ (11) Annedore Lebers Erinnerung an den 20. Juli zieht nicht nur den Trennungsstrich zu den Bürgerlichen, sondern auch zu den Kommunisten, indem sie den Verrat des Treffens mit drei Kommunisten durch einen Spitzel auch einem der beiden anderen Teilnehmer, Anton Saefkow oder Franz Jacob, anlastet, der durch den Bruch der ‚Verabredung‘, keine Namen zu nennen, den Verrat erst möglich gemacht habe. Sie behauptet auch, Leber habe weitere Kontakte abgelehnt. Gerade die beiläufige Beschuldigung der Kommunisten,Verräter zu sein, mündet in die moralische Stilisierung der Sozialdemokraten zum durch Widerstand legitimierten Träger der Zukunftsgestaltung.⁶⁶ Sie entspricht der vom Parteivorsitzenden Kurt Schumacher in der SPD
Zu Annedore Lebers Erzählung 1946 vom Verrat vgl. Steinbach 1998, 36, der zur DDR-Rezeption betont: „Geradezu mythisch wird in diesem Zusammenhang immer das Treffen zwischen Leber, Reichwein und Saefkow gedeutet“, nämlich durch „diejenigen, die Geschichte nur aus politischem Blickwinkel sehen oder dieses Treffen in die Vorgeschichte der Zwangsvereinigung rücken“ (39), während Steinbach seiner Variante der Erzählung den politischen, in seinem Sinne mythischen Charakter abzustreiten scheint: „Auch die kommunistischen Widerstandskämpfer Uhrig, Knöchel, Bästlein, Saefkow und andere […] entwickelten das starke Gefühl einer inneren Unabhängigkeit und begriffen sich als unabhängige, das heißt nicht von Moskau – das hieß von Ulbricht und Pieck – gesteuerte Kommunisten. So entwickelten sie eine eigenständige politische Identität als deutsche Kommunisten.“ (36/37)
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durchgesetzten Beantwortung der Schuldfrage: „Das Versagen des Bürgertums und jenes Teiles der Arbeiterbewegung, der den klassenpolitischen Wert der Demokratie nicht erkannt hatte, bildete den historischen Schuldanteil des deutschen Volkes“ (Stammen 1965, 120), lauteten die „Politischen Leitsätze der SPD“ vom Mai 1946. So ergab sich, dass einzig die SPD die „Probe vor dem Richterstuhl der Geschichte bestanden“ (Freyberg 1975, 264/265) habe. In seinem im Mai 1946 gehaltenen Referat auf dem 1. Parteitag der SPD der Westzonen in Hannover wurde die – schon in Schumachers „Programmatischen Erklärungen“ auf der Parteikonferenz von Wennigsen vom 5. Oktober 1945 geforderte – ‚Übernahme des Liberalismus‘, der als moralische Ideale begriffen wurde, zum entscheidenden Abgrenzungskriterium von den Kommunisten. Während Schumacher diesen Vorstellungen zuschrieb, „die nicht auf deutschem Boden entstanden sind“, nahm er für die SPD letztlich einen um die „Geistesfreiheit“ bzw. „Freiheit“ organisierten europäischen oder gar deutschen Sozialismus in Anspruch, wenn er die Vorstellung zurückwies, ein Land „mit der geistigen Tradition Deutschlands […] müsse sich in Sachen des Sozialismus hinten anstellen. Dieses Land muß vorn sein, und wenn es zertrümmert ist und noch so wenig hat, dieses Land von Marx und Engels, von Lassalle und Bebel hat ein Anrecht darauf, in der sozialistischen Gestaltung der Menschheit in vorderster Linie zu stehen!“ (Huster 1972, 368) Annedore Lebers exklusiv sozialdemokratische Eingrenzung des Widerstands auf den 20. Juli beantwortete die Schuldfrage, wie es den – von der Parteihistorikerin Susanne Miller beschriebenen – „Richtlinien“ (Miller 1986, 409) entsprach: Schumacher habe nie Widerstand konkret thematisiert und keine Ehrung von Widerstandskämpfern gefordert (411), erstens aus der „Hemmung […] den Kreis derer abzustecken“, die als solche anzuerkennen seien, und zwar vor allem um zu vermeiden, „die Opfer der Kommunisten im Widerstand“ anzuerkennen, statt „in der Schuldfrage entschieden von ihnen distanziert“ (411) aufzutreten, zweitens – das „wahrscheinlich wichtigste Motiv“ (411) – die schon im Juli 1945 formulierte Orientierung auf die jungen Soldaten und HJ-Mitglieder (412), drittens die Beschränkung des Verweises auf Widerstand auf außenpolitische Zusammenhänge (412). So erklärt Annedore Leber die „auf wenige beschränkte“ „Zahl der Freunde“ ihres Mannes aus dem „Notstand“, der „zu einer besonderen Vorsicht verpflichtete“: „Aber ihre Tat wird der ewige Beweis für die Gesinnung und Haltung weiter Kreise der deutschen Arbeiterschaft unter dem nationalsozialistischen Regime sein. Aus dem Glauben an die Treue unzähliger deutscher Arbeiter zu ihrem Ideal, aus dem Wissen, wie sehr sie den Tag der Befreiung ersehnten, versuchten aufrechte Männer in ihrem Sinne und Auftrag das drohende Schicksal abzuwenden.“ (Leber 1946, 4) Sowohl gegen die Eingrenzung des Widerstands auf den 20. Juli als auch gegen dessen Ausweitung auf die Mehrheit der deutschen Bevölkerung wandten sich 1947 SED- und VVN-Mitglieder in Beiträgen zur Widerstandsforschung, die darin übereinstimmten, dass sie gegen Allen Dulles’ im selben Jahr erschienenes Buch „Germany’s Underground“ polemisierten, aber auch in der scharfen Betonung der Isolation des Widerstands von der Bevölkerungsmehrheit. Albert Norden schrieb, „daß die
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Tragik der deutschen Entwicklung nicht etwa in der Nichtexistenz dieses Untergrundes lag, sondern darin, daß er im Unterschied zur Widerstandsbewegung anderer Länder vom eigenen Volk getrennt war“ (Norden 1947, 559), Anton Ackermann, dass die Opposition „von Volksmassen isoliert [war], die in erschreckendem Ausmaß vom Gift der Nazipropaganda befallen waren“ (Ackermann 1947, 1173), und Greta Kuckhoff: „Aus dem Widerstandskampf vieler Deutscher ist trotz der als richtig erwiesenen Zielsetzung keine deutsche Widerstandsbewegung geworden.“ (Kuckhoff 1948a, 63) Trotz dieser Gemeinsamkeit unterscheiden sich die Stoßrichtungen der ihnen grundsätzlich gemeinsamen Kritik an Dulles auf eine im Hinblick auf die für künftige Forschung gemachten Voraussetzungen bezeichnende Weise: Ackermann wendet sich gegen Dulles’ Ausgrenzung aller anderen Widerstandsgruppen zugunsten des 20. Juli: „Eine offensichtliche Verfälschung der Tatsachen liegt bei dem Versuch vor, die aufrührerische Militärgruppe als die einzige ernsthafte innerdeutsche Opposition gegen Hitler zu bezeichnen.“ (Ackermann 1947, 1172) Kuckhoff wirft Dulles vor, nur Gestapound Gerichtsakten als „Dokumente“ (Kuckhoff 1947, 1169) benutzt zu haben: „Da ist keiner der Überlebenden gehört worden“, sondern nur die „Mörder der Widerstandskämpfer“ (1170); Dulles wiederhole die „Schmähungen“ der „Henker“ (1171). Norden, der ausführlich auf die Person des Geheimdienstmitarbeiters eingeht, konzentriert sich auf Dulles’ Verallgemeinerung des Überlaufens von Kommunisten zu den Nazis, die auf den ‚russischen‘ ‚Verrat‘ der ‚Roten Kapelle‘ und den Spitzel beim Treffen Lebers (Norden 1947, 558/559) gestützt werde, und die entsprechende positive Wertung einer, wie Norden formuliert: „– es muß gesagt werden – eine[r] sozialdemokratische[n] Gruppe“ im 20. Juli, die jedes Handeln vor einer Landung der Westalliierten abgelehnt habe (556/557). Was die drei Dulles-Kritiker für künftige Forschung voraussetzen, ist entsprechend unterschiedlich: Ackermann weist mit seiner politischen Kritik am 20. Juli den Versuch zurück, um ihn „heute den Strahlenkranz leuchtenden Heldentum zu legen“ (Ackermann 1947, 1181). Der politische Vorwurf, „der Nazihydra den Kopf ab[…]hacken“ gewollt zu haben, „ohne sie zu töten“ (1179), führt zu der Unterscheidung, „daß die aufrührerischen Generale und hohen Offiziere nur in ihrem Sterben groß waren, während ihnen […] jede Entschlossenheit im Kampfe fehlte“ (1181), wodurch die Anerkennung als politisch Verfolgte, als Opfer nicht aufgehoben wird. Kuckhoff dagegen wendet sich – über den 20. Juli hinausgehend – grundsätzlich dagegen, dass „eine Märtyrerkrone um ein stetig verblassendes Leidensantlitz gelegt“ (Kuckhoff 1948a, 59) werde. Sie kritisiert nicht nur die „Auswertung“ (Kuckhoff 1948b, 1172) von offiziellen Dokumenten, sondern auch von Erlebnisberichten, die jeweils nur „Andeutungen um Stückchen genaueres Wissen ranken“ (1168). Dennoch besteht sie darauf, dass sich „nur dann ein echtes Geschichtsbild des Widerstandskampfes ergibt, wenn die Beteiligten selbst die Möglichkeit haben, dazu Stellung im einzelnen zu nehmen“ (1172); zugleich bringt sie die Beziehung auf Adressaten ins Spiel: „Welchen Schichten kann und soll das deutsche Volk beim Aufbau eines demokratischen Deutschlands besonderes Vertrauen entgegenbringen?“ (1168) Wenn sie deshalb die Aktualität eine der Hauptschwierigkeiten der Erforschung des Widerstands nennt
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(1168), gewinnt ihre Ablehnung des Bilds von Märtyrern einen Sinn, für den sie sich allerdings speziell auf die Mitglieder der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe beruft: „Nichts könnte weniger nach ihrem Sinn sein. Aber es ist nun einmal leichter, die opfervolle Hingabebereitschaft dieser Menschen zu ehren, statt die Richtigkeit der von ihnen vertretenen Politik anzuerkennen und sich zur Überprüfung der eigenen Haltung verpflichtet zu fühlen.“ (Kuckhoff 1948a, 59) Norden fasst die Adressatenbeziehung der Forschung als „Umerziehung kommender deutscher Generationen“ (Norden 1947, 560). So auffällig wie die prinzipielle Beschränkung auf „die Jugend“ (559) ist die Erwartung eines Werks als Ergebnis der Forschung: „ein Standardwerk der Umerziehung“ (560). Die Adressierung an die zu erziehende Jugend impliziert die Mitschuld der Mehrheit der Eltern: „Wir wollen ein neues Geschlecht erziehen, das anders fühlt und anders handelt als diejenigen, die Hitler erlaubten, Deutschland ins Verderben zu stürzen.Wir wollen die Jugend, die zur Anbetung falscher Götzen erzogen wurde, mit jenen tausenden wahrer deutscher Helden bekanntmachen, die um eines besseren Deutschlands willen Härteres ertrugen und Schwereres erduldeten als je ein Geschlecht zuvor und die freiwillig ein Kreuz auf sich nahmen, das von Stufe zu Stufe des Leidens schwerer wurde.“ (559) An die Stelle des hier sich letztlich durchsetzenden christlichen Bilds der Passion tritt ein ganz anderes, wenn Norden „das Buch“ in seiner Wirkungsweise beschreibt, das an die Stelle der bisher veröffentlichten „[n]icht wenige[n] Bruchstücke“ (559) von auch namentlich genannten Kommunisten, Sozialdemokraten, Katholiken treten soll: „Aber wann endlich werden die tausend Mosaikstücke gesammelt zu dem großen Bild, dessen Farben Millionen in Bann schlagen werden?“ (559) Nach drei vorangegangenen fährt die vierte auf die Frage, wer „das Antlitz des anderen Deutschlands offenbaren“ (560) werde, antwortende Anapher fort: „Das ist das Buch, das zur Erschütterung unserer Jugend, zur Lehre der ganzen Nation mit der sachlichen Präzision eines Zola und der Leidenschaft eines Victor Hugo die unvergängliche Geschichte der Treue und der Standhaftigkeit der deutschen Soldaten des Krieges gegen Hitler aufzeichnen und mit ihrem Mut und ihren Idealen Millionen beseelen wird.“ (560)
5 „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ Die Anthologie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Nordens und Ackermanns Aufsätze nahm das Hamburger VVN-Vorstandsmitglied Franz Ahrens in seine – zeitgleich mit dem Beschluss des SPD-Vorstands über die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in der SPD mit der in der VVN erschienene – Bibliographie „Widerstandsliteratur“ unter der Rubrik 20. Juli auf;⁶⁷ von Greta Kuckhoff nannte er nur den von ihr herausgegeben Band „Adam Kuckhoff zum Gedenken“, im
Vgl. zu dieser Bibliographie Peitsch 2014 sowie im Vergleich mit „Bibliographien und Buchausstellungen zum ‚Dritten Reich‘ in den ersten Nachkriegsjahren“ Peitsch 2019.
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dritten Teil über Widerstandsliteratur als ‚künstlerische Gestaltung‘. Mit den Begriffen von Leidenschaft, Sachlichkeit und Mosaik zeigt sich Ahrens’ Bibliographie in Übereinstimmung mit Norden, aber er folgte weder Kuckhoffs Infragestellung des Bilds von Martyrium noch Nordens Wendung ins Militärische. Aber auf Ackermanns Zurückweisung eines ‚Strahlenkranzes für leuchtende Helden‘ könnte Ahrens’ Absage an die „Glorie des geheimen Einverständnisses […] des ganzen deutschen Volkes“ (Ahrens 1948, 7) mit den Widerstandskämpfern verweisen. Das von der VVN als Organisation autorisierte Vorwort der Anthologie „‚…besonders jetzt tu Deine Pflicht!‘ Briefe von Antifaschisten geschrieben vor ihrer Hinrichtung“, die die erste Buchpublikation letzter Briefe war und auf das OdF-Projekt „Letzte Briefe“ zurückging, in dem Vertreter des 20. Juli, der evangelischen Kirche, der jüdischen Gemeinde, der SPD und der KPD/SED mit Günther Weisenborn konfligierend zusammengearbeitet hatten, ist im Buch durch eine Abbildung vom ersten letzten Brief getrennt. Sie zeigt das Plakat, auf dem am 1. Juli 1941 der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof die Hinrichtung des „wegen landesverräterischer Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt[en]“ Heinz Kapelle („…besonders“ 1948, 9) in Berlin bekannt machte. An solche Plakate erinnert schon vorher der Text des Vorworts, mit dem ersten Satz: „Vom Beginn der faschistischen Dikatur bis zu ihrem Zusammenbruch waren die Mauern und Anschlagsäulen unserer Städte immer wieder und wieder mit den blutigroten Bekanntmachungen bedeckt, die mitteilten, daß in der Morgenfrühe eine Hinrichtung stattgefunden habe. Das erstemal am 1. August 1933. […] Die Männer und Frauen unseres Landes gingen daran vorüber. Einige mit wehem und empörtem Herzen, die meisten, ohne sich Gedanken darüber zu machen, daß hier das wertvollste deutsche Blut vergossen wurde.“ (5) Der „lakonischen Sprache der Plakate“, hinter der das Vorwort auf den „Vernichtungswille[n] der Kriegsbrandstifter“ verweist (5), werden die letzten Briefe, die die Verurteilten „[k]urz vor ihrem letzten Gang […] an ihre Angehörigen schreiben“ „durften“, als „Dokumente von einer ergreifenden Schönheit und Menschlichkeit“ (6) entgegengesetzt. Einem Adressaten, der sich über die Hinrichtungsplakate keine Gedanken gemacht habe, wird eine Erklärung angeboten, um die den Hinrichtungen entgegengesetzte Menschlichkeit der Briefe zu bestimmen: „Die Faschisten versuchten, unserem Volke einzureden, daß ihre Gegner Untermenschen waren, die vertilgt werden müßten. Aber aus ihren Briefen spricht die Sprache der selbstlosen und liebeerfüllten Menschen, die nie ihr eigenes Glück als den Mittelpunkt ihres Daseins betrachteten, sondern an das Glück und den Frieden des ganzen Volkes dachten und danach handelten.“ (6) Ausgehend von den Bedingungen, unter denen Verurteilte letzte Briefe schrieben: „Ihre Wächter standen hinter ihnen“(6), unterscheidet das Vorwort vier Arten ihrer Zustellung an Angehörige: das Passieren der Zensur, die Beschlagnahme, die sie „[e]rst nach dem Zusammenbruch […] aufgefunden w[e]rden“ ließ, den „illegalen Weg“ über Angehörige, „menschlich denkende Gefängnisbeamte und Anstaltspfarrer“ und das Verstecken „in den Dielenritzen ihrer Zellen“ bis nach dem „Ende der Herrschaft der Gestapo“ (7). Trotz dieser Unterscheidung betont das Vorwort eine
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Gemeinsamkeit – die mit vier Zitaten belegt wird – gerade auch für die durch die Zensur hindurch gegangenen letzten Briefe: „Manche der Briefe, aus der Qual heraus entstanden, nicht sagen zu dürfen, was das ganze Herz erfüllte, sind darum kurz. Sie sagen nur weniges Private. Aber auch in ihnen klingt der Bekennermut des zu seiner Überzeugung Stehenden.“ (6) Wenn hier die auf ‚weniges Private‘ beschränkte Äußerung im letzten Brief als Möglichkeit zur Andeutung eines ‚Bekenntnisses‘ der ‚Überzeugung‘ gedeutet wurde, ergab sich kein Widerspruch zur Schlussanmerkung, die diejenigen ‚privaten‘ Passagen ausschloss, die nach dem Urteil der Angehörigen keine solche Möglichkeit boten: „Dem Wunsch der Angehörigen entsprechend wurden Sätze privaten Inhalts fortgelassen.“ (199) Doch der Hinweis auf die Verbindung des Privaten und des Politischen in der Publikation von letzten Briefen wird im Vorwort im Hinblick auf den Adressaten nochmals aufgenommen, nachdem einzelne Sätze aus den letzten Briefen von Arvid Harnack, Wilhelm Thews und von Matthias Thesen der dem Buch den Titel gebende „Besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ (7) zitiert worden sind. Der Satz: „Sie waren keine Ausnahmemenschen“ (8), leitet eine private Charakterisierung der Hingerichteten ein, die als Ähnlichkeit mit den Adressaten der Anthologie auf eine Annäherung an das zielt, worin sich die Hingerichteten von diesen unterschieden haben: „Sie waren, wie jeder andere Mensch, erfüllt von der Freude am Leben. Wie jeder andere Mensch liebten sie ihre Familie, ihre Kinder. Aber sie unterschieden sich von den anderen durch ihre handelnde, tatkräftige Liebe zu ihrem Volk, dem sie Krieg und Vernichtung und die fürchterlichen Folgen, die unvermeidlich jeden Krieg begleiten, durch ihren Kampf ersparen wollten.“ (8) Entsprechend ist an der ersten Stelle des Vorworts, die die Wirkung der Anthologie auf Adressaten begrifflich fasst, von den letzten Briefen der Antifaschisten gesagt worden: „In ihnen spricht das stolze Bekenntnis zu ihrem Handeln, die Mahnung an die Überlebenden, den Befreiungskampf weiterzuführen.“ (7) Jetzt wird die Wendung des Bekenntnisses in eine Mahnung an die Überlebenden mit einem inklusiven Wir als Erschütterung beschrieben: „Wenn wir erschüttert ihre letzten Worte lesen, so soll ihr Wille, ihr Vermächtnis uns tief ins Bewußtsein dringen. Ihr heißes Bedauern, am Bau einer neuen, besseren Welt nicht mehr mitarbeiten zu können, wird uns Verpflichtung werden, das zu vollbringen, an dessen Vollendung sie nicht mehr mithelfen durften“ (8). Der Brief, den der 21-jährige Student Hanno Günther am 3. Dezember 1942 seiner Mutter schrieb, wurde später aus der VVN-Publikation übernommen sowohl – in der BRD – in den Anhang „Zeugnisse der letzten Stunde“ 1953 von Günther Weisenborns „Der lautlose Aufstand“ (1974, 382) und 1954 Helmut Gollwitzers, Käthe Kuhns und Reinhold Schneiders „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“ (1956, 102) als auch – in der DDR – in „Kämpfende Jugend. Aufzeichnungen junger Menschen, die im Kampf gegen die faschistische Barbarei ihr Leben ließen“ (1950, 7), Piero Malvezzis und Giovanni Pirellis „Und die Flamme soll Euch nicht verbrennen“ (1956, 139) und Heinz Schumanns und Gerda Werners „An die Lebenden“ (1959, 106). Er lautet: „Liebe Mutter! Wenn du diesen Brief erhältst, lebe ich nicht mehr. Ich hoffe und wünsche von ganzem Herzen, daß du diese Nachricht ebenso ruhig und gefaßt aufnimmst, wie ich
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heute mittag die Mitteilung von meiner heute abend zu vollziehenden Hinrichtung entgegennahm. Sei überzeugt, daß ich bis zum letzten Augenblick mich in der Gewalt haben werde, und ich erwarte fest, daß auch Du nicht und niemals verzweifeln wirst, was auch kommen mag. Du schriebst einmal, wir zwei bilden eigentlich eine Einheit, und dies ist auch mein unverbrüchlicher Glaube. Diese Verbundenheit kann nun auf ewig nicht mehr getrennt werden. […] Mit unserem Tode vereinigen wir uns wieder mit dem Ursprung, der eine früher, der andere später. So sind auch wir von nun ab wieder unzertrennbar vereint. Wir haben alle hier auf Erden eine Aufgabe zu erfüllen und meine Aufgabe ist nun erfüllt. Ich komme zu Dir zurück. Dir aber wünsche ich, daß Dir noch in einem recht langen Leben viel Gutes und Schönes beschert werde, daß Du Dir Deinen Lebensmut und Deine Lebensfreude nie rauben läßt und daß Du dereinst genau so ruhig und zuversichtlich den unvermeidlichen Gestaltwechsel vollbringst, wie ich ihn zu vollbringen hoffe. Herzlichste Grüße an Dich auf immer von Deinem Hanno.“ (…besonders“ 1948, 39) Hanno Günthers Brief enthält eine Reihe der Elemente, die in den letzten Briefen eine auffällige Festigkeit besitzen, ohne dass der Schluss zwingend scheint, den Anke Bennholdt-Thomsen und Ursula Heukenkamp gezogen haben, dass die „durch Tradition und Erziehung überkommene[n]“ „Bildwelten und Leitideen“ „Zeichen von Sprachlosigkeit in Todesnähe und Ohnmacht gegenüber der sinnzerstörenden Gewalt“ seien (1993, 235). Der Verweis auf die Tradition (die „Trias vom ‚Wahren, Guten, Schönen‘“ und die „Topik vom Naturzusammenhang“, 235) lässt strukturelle Elemente unbeachtet, die für die Publikation dieses und anderer privater letzter Briefe bedeutsam sind: erstens wird in der privaten Adressierung die Differenz von Schreiben und Lesen des Briefs als eine von Leben und Tod thematisiert; zweitens erfolgt die Mitteilung über die bevorstehende Hinrichtung als Bekundung der eigenen Haltung des Briefschreibers; drittens wird diese zum Appell an den weiterlebenden Adressaten, die Haltung des toten Schreibers zu übernehmen; viertens wird diese Bekräftigung der Vorgeschichte der Hinrichtung zum Ausblick auf eine Zukunft. Textlinguistisch hat Britt-Marie Schuster diese vier Elemente als „[s]pezifische Merkmale“ (2017, 207) der „Textsortenvariante“ Abschiedsbrief bestimmt als „Anrede“ (207) des Adressaten, „Mitteilung des endgültigen Kommunikationsabbruchs“ (208), „Mitteilung des eigenen Befindens“ (210) des Briefschreibers, „Steuern des zukünftigen Verhaltens“ (212) des Adressaten. Arnd Beise, Ute Pott und Jochen Strobel (2015, 18 – 19) haben darauf hingewiesen, dass diese Bestimmung der von Olaf Briese an Abschiedsbriefen von 1848 – 1849er Revolutionären eher kulturgeschichtlich „ermittelt[en…] Grammatik“ „ähnlich“ sei; Briese beschreibt das „Grundmuster“ der „Abschiedsbriefe zum Tode verurteilter Revolutionäre“ als Abfolge von einleitender „Mitteilung des Briefanlasses“ (Briese 2015, 159), „Sorge um die Angehörigen“ sowie „Begründung der eigenen Taten“ im Hauptteil und „Berufung auf das Schicksal und zukünftigen Fortschritt“ als „dramatische[…] Coda“, die „eine Zukunft installiert, die es für die Briefschreiber nicht geben wird“ (162). Als Text, dessen Verfasser zum Zeitpunkt der Veröffentlichung tot ist, bedarf ein letzter Brief nicht nur eines Herausgebers, sondern auch eines Paratextes, der die
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Veränderung der Adressierung begründet, die in der Veröffentlichung eines privaten Briefs liegt. So könnte der Adressat des Briefs, hier Hanno Günthers Mutter, zum Adressanten eines Paratextes werden, der im Vor-, Nach- oder Geleitwort bzw. in einer Einleitung begründet, weshalb wer auf welche Weise den ursprünglich an den Verfasser des Paratextes gerichteten privaten Brief lesen soll. Aus der Einmaligkeit des letzten Briefs eines Hingerichteten folgt aber, dass die Veröffentlichungsform, die den Adressaten des privaten letzten Briefs zum Adressanten der Brief-Veröffentlichung macht, relativ selten ist – weil eine Buchpublikation in der Regel die Veröffentlichung von weiteren Briefen desselben verstorbenen Verfassers, die dem letzten vorangegangen sind, erfordert: der letzte Brief wird zum (untergeordneten) Teil einer Briefedition, während er in einer Anthologie seine Besonderheit behält. Greta Kuckhoff schrieb eine „Einleitung“ zu dem von ihr herausgegebenen Band „Adam Kuckhoff zum Gedenken. Novellen. Gedichte. Briefe“, um dann vor dem Abschnitt (1946, 89 – 103) „Briefe an Greta“ anzumerken: „Ich habe mich – nicht leichten Herzens – zum Abdruck dieser Briefe entschlossen. Aber es blieb so wenig aus den letzten Jahren: sie sind Zeugnis seiner warmen, an allem teilnehmenden Menschlichkeit bis zum letzten Tage. GK.“ (89) Es heißt nicht umsonst „Einleitung“, denn es handelt sich um ein „aktoriale[s]“ ‚Vorwort‘ im Sinne Gérard Genettes, „wo der ‚Dritte‘ zwischen Autor und Leser eine der realen Gestalten des referentiellen Textes ist“ (Genette 1992, 263). Solche Vorworte zu letzten Briefen sind in den ersten Nachkriegsjahren nicht nur relativ selten, sondern auffällig ist geradezu die Anonymisierung von aktorialen Vorworten. Obwohl der Paratext deutlich macht, dass der Adressat des letzten Briefes den Text des Vorworts geschrieben hat, wird der Name nicht genannt, so bei Hellmuth James Graf von Moltke und Julius Leber. „Um ihn zu verstehen, mußte man ihn in Kreisau erleben“ (Moltke 1951, 7), heißt es in dem ungezeichneten, titellosen Paratext, der den Briefen des Grafen an seine Frau Freya vorangestellt ist, und Annedore Leber verschwindet unter der Angabe „Briefe. Herausgegeben von seinen Freunden“ (Leber 1952). Demgegenüber wertet der Herausgeber von Dietrich Bonhoeffers letzten Briefen und Aufzeichnungen die ersteren, an die Familie adressierten, von Zensur „mitbeeinflußt[en]“, gegenüber den letzteren ab, einem „Zettelverkehr“ mit Freunden, „u. a. mit dem Herausgeber“: „Hier redet Dietrich Bonhoeffer unbeobachtet und ohne fremde Rücksichten von dem, was er erlebt, was er denkt und fühlt.“ (Bonhoeffer 1965, 7) Unmittelbar auf Arvid Harnacks und Harro Schulze-Boysens letzte Briefe folgt der Horst Heilmanns in dem 1948 von dem VVN-Verlag unter der Redaktion von Eva Lippold und der Beratung Harald Poelchaus herausgebrachten Band „‚…besonders jetzt tu Deine Pflicht!‘“ Denn die Anthologie ordnet die Briefe chronologisch, so dass sieben Briefe von Angehörigen der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe mit mehr als einem Zehntel der Seiten des Buchs die Jahreswende 1942/43 deutlich markieren. Während die chronologische Anordnung letzter Briefe in späteren Anthologien im Osten wie im Westen meist durch eine alphabetische oder thematische, nach Widerstandsgruppen oder Motiven, ersetzt wurde, erwies sich die Zuordnung einer kurzen Biographie zum Brief als vorbildlich für fast alle folgenden. Das in „…besonders jetzt tu
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Deine Pflicht!“ gegebene biographische Formular wurde in den DDR-Anthologien von 1958/1959, 1961, 1970 nur detaillierter ausgefüllt: „Der begabte 17-jährige Student entschied sich trotz seiner Zugehörigkeit zur Hitlerjugend für den antifaschistischen Kampf. 1939 lernte er auf einer Studienreise in Paris durch französische Freunde sozialistisches Gedankengut kennen. Nach Berlin zurückgekehrt wird er Hörer von Harro Schulze-Boysen und bald sein enger Mitarbeiter. Er übersetzte ausländische Berichte, hörte Funksendungen ab und erwies sich bei aller Jugend von großer Umsicht und Disziplin. Vor der Gestapo zeigte er eine mutige unbeugsame Haltung. So tapfer und aufrecht wie seine gereiften und älteren Freunde nahm er das Todesurteil auf sich und wurde am 22. Dezember 1942 im Alter von 19 Jahren hingerichtet.“ (…besonders“ 1948, 46) „Meine lieben Eltern!“ sind der Adressat des Briefs, den Horst Heilmann am 22.12. 1942 in Plötzensee schrieb: „Noch einen Abschiedsbrief in der letzten Stunde. Seit kurzer Zeit weiß ich, daß ich den Abend nicht überleben werde. Die letzten Zeilen und die allerletzten Gedanken und Wünsche gelten Euch. Ich habe ganz und gar abgeschlossen und bin nur noch in Sorge um den Schmerz, den ich Euch gerade vor Weihnachten bereiten muß. Wenn ich wüßte, daß Ihr mir verzeihen könnt und vielleicht sogar ein wenig stolz auf mich seid, würde ich vollkommen glücklich sterben.“ (47) Nach zwei Absätzen über sein Leben und die Bestattung seiner Leiche schließt Heilmann wieder in der Anrede: „Für alles Liebe und Gute bin ich Euch so dankbar. Behaltet mich in der Erinnerung lieb, so lieb, wie ich Euch immer gehabt habe. Ich sterbe stark und sicher. In Liebe Euer Horst.“ (47) Der private Charakter des Briefs des Sohns, der den Eltern Liebe und Dankbarkeit versichert, schließt nicht aus, dass die Beunruhigung durch die politischen Meinungsverschiedenheiten zur Sprache kommt: die Beschuldigung durch Eltern, die keineswegs stolz auf das politische Handeln ihres Kindes sind. Im Mittelteil des Briefs bietet Heilmann den Eltern eine Deutung seines Lebens an, die um nachträgliches Einverständnis wirbt, aber nur, um ihnen dann einen Wunsch: „ich möchte gern mit meinen Freunden bestattet werden“, mitzuteilen, der ihn in größerer Nähe zu seinen Freunden als zu den Eltern zeigt: „Ich sehe nichts Tragisches in meinem Ende. Die ganze Entwicklung ist so schicksalhaft verlaufen, sie hing so völlig an Zufälligkeiten und Kleinigkeiten, daß ich sie gar nicht anders als naturhaft über Euch und mich verhängt ansehen kann. Ich habe den erhabenen Trost, daß es nicht schlecht enden kann, weil wir den Zusammenhang des Ganzen nicht kennen. Mein Leben ist so schön gewesen, daß ich die Einheit der göttlichen Harmonie auch durch meinen Tod hindurchklingen höre. Ich habe den Antrag gestellt, meine Leiche auszuliefern, und ich möchte gern mit meinen Freunden bestattet werden.“ (47) Die Muster, mit denen Heilmann den Eltern seinen Tod als ‚nichts Tragisches‘ deutet, kollidieren miteinander: der unbekannte Zusammenhang und die hörbare Harmonie, der Zufall und das Schicksal, die Entwicklung und das Verhängnis, die Kleinigkeiten und das Ganze. Denn der Briefschreiber versucht, seinen eigenen Trost, dass sein Tod kein ‚schlechtes Ende‘ sei, auf die Eltern zu übertragen.
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6 Harald Poelchau: Die letzten Stunden An einer Stelle der von Alexander Graf Stenbock-Fermor für die Volk und Welt-Veröffentlichung aufgezeichneten Erinnerungen des evangelischen Gefängnisgeistlichen Harald Poelchau,⁶⁸ dessen ostdeutsche Publikation „Die letzten Stunden“ von 1949 später durchgreifende westdeutsche Bearbeitungen erfuhr, 1963 bzw. 1982 als „Pfarrer am Schafott der Nazis“, nennt er sich „subjektiv befangen, da ich selbst zum Kreisauer Kreis gehörte“ (Poelchau 1949, 99).⁶⁹ Aber das Kapitel „Die Rote Kapelle“ macht mehr
Als „Epilog“ zu Stenbock-Fermors 1973 im Verlag der Nation erschienenen Memoiren „Der rote Graf“ hat der damalige Cheflektor von Volk und Welt Joachim Barckhausen weniger über StenbockFermors Rolle in der Entstehungsgeschichte des Berichts von Poelchau, der „wußte, daß er kein Schriftsteller war“, und deshalb „um einen Mitautor“ (475) gebeten hatte, als über die Publikationsbedingungen erzählt, wenn auch auf sich selbst widersprechende Weise: „In Deutschland wurde damals sehr viel vom Widerstand geschrieben und gesprochen. Die Masse des Volks, der ja bis zum Kriegsende das ganze Ausmaß des Terrors verborgen geblieben war, reagierte mit ungläubigem Entsetzen, mit Skepsis, zum Teil sogar mit instinktiver Ablehnung. Nur ein sachlicher Bericht vermochte es, die Mauer des Mißtrauens zu überwinden. […] Unsere innere Einstellung zum Widerstand war merkwürdig gebrochen und komplex. Wir bewunderten die Helden der ‚Roten Kapelle‘ und jene Männer des 20. Juli, die um ihrer Überzeugung willen in Hitlers Mordmaschine geraten waren. Aber wir wußten auch: Menschen, die viel weniger als wir getan hatten, waren hingerichtet oder in den Konzentrationslagern zu Tode gefoltert worden. Von den sechs Millionen Juden gar nicht zu reden. […] Wir selber, die glücklich Davongekommenen, kamen uns vor wie Reiter über den Bodensee und schämten uns ein wenig. Nichts lag uns ferner, als aus den Deutschen nun plötzlich ein Volk von Widerstandskämpfern zu machen, und auch über unsere eigenen Aktionen zu sprechen, scheuten wir uns.“ (Stenbock-Fermor 1973, 475/476) Dies könnte die Schärfe der Kontroverse in der Rezeption von Poelchaus „Die letzten Stunden“ in zwei Zeitschriften des Kulturbunds erklären: Der „Sonntag“ druckte einen scharfen Verriss, der allerdings nur implizit dem Buch vorwarf, ein Beitrag zur Kanonisierung des 20. Juli zu sein, die Rezension im „Aufbau“ betonte dagegen hinsichtlich des „Wichtigste[n]“ des Buchs, nämlich zu zeigen, dass der „weitaus größte Teil […] in bewunderungswürdiger Haltung in den Tod [ging], in der unbeugsamen Sicherheit, recht getan zu haben und für das Rechte ihr Leben hinzugeben“: „Das gilt auch für die Verschwörer des 20. Juli, die die Haltung und Entschlossenheit, die ihnen im Kampf fehlte, im Sterben bewiesen.“ (Voigtländer 1949, 1049) Der Rezensent des „Sonntag“ formulierte seinen „Haupteinwand“ als einen, „den wir gegen dieses Buch zu erheben haben“, ohne Klartext zu sprechen: „Der Leser, der sich auf Grund dieser Aufzeichnungen ein Bild von der sozialen Herkunft und den ideologischen Motiven der Antifaschisten machen würde, erhielte einen verzerrten und unrichtigen Eindruck.“ (‐o. 1949) Pauschal setzt er den in Poelchaus Buch dargestellten WiderstandskämpferInnen als „nur eine verschwindende Ausnahme“ entgegen die „hunderttausenden“ antifaschistischen Arbeiter, um rhetorisch zu fragen: „Wo erheben sich aber aus dem Chor der sicher erschütternden Stimmen in diesem Buch jene Stimmen der namenlos gebliebenen antifaschistischen Arbeiter?“ (‐o. 1949) „Das andere“, was der „Sonntag“-Rezensent „kritisch zu sagen“ hatte, betrifft die „nüchterne“, mit „nicht mehr als konventionellen Sätzen blaß und oberflächlich […] zeichne[nde]“ Darstellung der WiderstandskämpferInnen, die zur Folge habe, dass „kaum eine von den todgezeichneten Gestalten uns menschlich nahe kommt, es sei denn durch die abgedruckten Briefe selbst“ (‐o. 1949). Bei der Bewertung der Darstellungsweise fiel das Urteil der „Aufbau“-Rezensentin entgegengesetzt aus: „Die sachliche und unsentimentale Sprache […] macht den Inhalt um so [sic] erregender.“ (Voigtländer 1949, 1050) Denn was „in den Schicksalen, die Harald Poelchau und Alexander Stenbock-Fermor uns
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als ein Fünftel des Berichts aus. Auch wenn die Hinrichtungen vom 22. Dezember 1942 nur auf einer halben Seite dargestellt und nur Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack namentlich genannt werden, erhält ihre Gruppe in Poelchaus Buch dadurch erhebliches Gewicht, dass die letzten Briefe von sechs Mitgliedern der Gruppe zitiert werden, mehr als von jeder anderen Richtung des Widerstands, ob vom 20. Juli oder aus den Kirchen: Kurt Schumacher, Arvid Harnack, Harro Schulze-Boysen, Walter Husemann, John Rittmeister, Adam Kuckhoff. Bis auf Rittmeister ist in allen Fällen mit dem letzten Brief ein Foto des Schreibers abgedruckt, in Schumachers und Harnacks Fall auch ein Foto der Adressatin, der Ehefrauen Elisabeth und Mildred. Heilmann ist nicht erwähnt, obwohl Poelchau am Tage seiner Hinrichtung Dienst hatte. Als Teil seines Dienstes beschreibt er in einem der nicht nach Widerstandsgruppen oder Zeitangaben, sondern nach Arbeitsgebieten gebildeten Kapitel, „Die Todeszelle“, den letzten Brief: „Was geschah in den langen Stunden der letzten Nacht? Ich mußte mich vor allem um die Abschiedsbriefe kümmern. Primitive Menschen konnten sich oft in ihrer starken Aufregung nicht mehr geistig konzentrieren. Ich mußte daher häufig die Briefe diktieren. Selbstverständlich bemühte ich mich, das auszudrücken, was der Schreiber noch sagen wollte, aber nicht sagen konnte. […] die mehr geistigen Menschen […] waren dankbar, wenn es mir gelang, die Beamten zu entfernen, um die letzte Nacht mit ihnen allein zu verbringen. Es gab Menschen, die kaum ein Wort sprachen und in tiefe Gedanken versanken. Es gab andere, die mir ihre persönlichsten Geheimnisse anvertrauten. […] Hier lag meine wahre Aufgabe. Denn kaum jemand wird mit gleicher Verschwiegenheit und Offenheit die Beichte eines Menschen entgegennehmen wie ein Seelsorger. Mancher Gefangene fand in solchen Nachtstunden die Gelassenheit für den letzten Gang… […] Und wenn der Morgen in die Todeszelle graute, kam die Krise für den Gefangenen. Niemand wurde von ihr verschont […] Es galt nun, in den letzten zwei Stunden alle Kräfte zusammenzunehmen. […] Die Abschiedsbriefe mußten um diese Zeit fertig sein. Der Gefangene hatte nicht mehr die Nerven dazu.“ (47– 49)
nahebringen“ (1049), sich zeige, sei ein „Gegengewicht“ gegen das falsche Heldentum derer, die nichts gelernt haben, in einer „Zeit“, in der die „Gewissen vieler Menschen schon wieder beginnen stumpf zu werden“: Mut und innere Freiheit (1049). Ähnlich wie Voigtländer, die Arbeiter, Intellektuelle und Ausländer unter den Porträtierten nannte, betonte in der „Weltbühne“ Richard Drews, dass „[e]infache Arbeiter“ und „Intellektuelle aus allen Lagern“, wobei er die ‚Rote Kapelle‘ und den Kreisauer Kreis hervorhob, „gefaßt“ „für ihre Überzeugung“ und „Gewißheit“ in den Tod gegangen seien (Drews 1949, 1308). Insofern „höchsten dokumentarischen Wert“ sprach Drews Poelchaus Buch zu, als es über bisher Publiziertes hinausgehende Information u. a. zu Erwin von Witzleben und Beppo Römer enthalte, die nicht in der VVN-Publikation vertreten gewesen waren, aber auch für ihn waren wie für -o. entscheidend die letzten Briefe, „[e]rschütternde persönliche Bekenntnisse“ als „Vermächtnisse an die nächsten Angehörigen,Worte, die wie aus einer anderen Welt herüberhallen in unsere Welt, von der wir nicht sagen können, daß sie schon sei, was mancher von den Hinübergegangenen sich erträumt hat“ , denn sie „zeigen der Generation der heute Lebenden […] das ruhige Vertrauen zu einer besseren Menschheitszukunft“ (1308).
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Poelchaus Auffassung des Diensts als Hilfe zur ‚Gelassenheit‘ durch ‚Straffung‘ der „geistige[n…] Haltung des Verurteilten“ (48) bestimmt in den späteren westdeutschen, bearbeiteten Teilnachdrucken seines Berichts von 1949 deutlich die Bewertung von letzten Briefen: „Der Tod entband von aller politischen Verantwortung. Ich habe bei vielen, auch bei Kommunisten, besonders bei Angehörigen der Roten Kapelle, […] Leute angetroffen, die nach Gott fragten und ihn suchten […] und, daß die Hinwendung zur Innerlichkeit, die Hinwendung zu Gott […] doch den entscheidenden Abschied vom Leben darstellte.“ (Maser/Poelchau 1982, 62) Schon in der Version von 1963 enthält Poelchaus Bericht deshalb nur noch Hinweise auf letzte Briefe, und zwar nur von Angehörigen des 20. Juli, einem Juristen, einem katholischen und einem evangelischen Geistlichen (Poelchau 1963a, 72, 78: Moltke, Delp, Bonhoeffer), aber kein einziges Zitat aus irgendeinem letzten Brief.⁷⁰
7 „Brief einer unbekannten Jüdin“ Besonders bemerkenswert ist der einzige letzte Brief der Anthologie der VVN, der keinen Verfassernamen trägt, sondern der am 7. und 26. April in Tarnopol geschriebene, an „Meine Teuren!“ gerichtete Text trägt die Überschrift „Brief einer unbekannten Jüdin“ und die biographische Notiz ist ersetzt durch folgende Einführung: „Hier sprach ein Mensch für Millionen seiner unglücklichen Leidensgefährten, die aus allen Ländern Europas in die Ghettos Polens und Rumäniens getrieben und dort vernichtet wurden. Das letzte erschütternde Lebenszeichen einer jüdischen Frau, die wenige Tage später, Ende April 1943 vernichtet wurde.“ („…besonders“ 1948, 72)⁷¹
Vgl. aber den Abdruck von Auszügen in der „FAZ“, deren redaktionelle Vorbemerkung zwar die ‚Rote Kapelle‘ fokussiert: „Die Tätigkeit dieser Gruppe gehört freilich zu einem Komplex, der […] ein unheimliches Kapitel der Spionagegeschichte darstellt“, doch die Auszüge enthalten Poelchaus bemerkenswert aktuelle Einschätzung: „Ich bin überzeugt, daß diese Gruppe sich mit den Männern des 20. Juli zusammengefunden hätte, trotz ihrer östlichen Orientierung, wenn sie nicht in ihrem Entstehen schon vernichtet worden wäre. Das hätte seine Konsequenzen für diejenigen gehabt, die heute von der Spaltung Deutschlands in Rot und Schwarz leben.“ (Poelchau 1963b) Vgl. dagegen Karin Hartewigs Bezeichnung des „Briefs einer unbekannten Jüdin“ als „eine Ausnahme“, die ohne Analyse des Textes und der Paratexte so begründet wird: „Die Briefe sind ein sperriges Selbstzeugnis, weil aus ihm kein ideologisch verwertbarer Sinn abgeleitet werden konnte.“ (Hartewig 2000, 462) Der Verzicht ergibt sich aus ihrer politisch-moralischen Prämisse, die Legitimität der – so deutet sie den Antifaschismus in die SBZ/DDR remigrierter deutscher Juden – „Option einer linken Assimilation“ (12) auf „Gegenthese[n] zur sonst vorherrschenden ökonomistischen Faschismusanalyse“ (473) einzuschränken, die „die Vernichtung der Juden als Nebenschauplatz der nationalsozialistischen Verfolgungspraxis betrachtet“ (474) habe. Daraus folgt eine Darstellungsweise für die Literaturverhältnisse, die eingeräumte Fakten rhetorisch verschwinden lässt: „Man kann nicht behaupten, daß in der literarischen Verarbeitung, in der dokumentarischen Literatur und in der historiographischen Auseinandersetzung der frühen Jahre die Erfahrung der Juden fehlte. Aber sie wurde in den Publikationen bald marginalisiert und in den Mythos des kommunistischen Widerstands eingepaßt“ (466), oder: „Mit einigen ausländischen Publikationen, die in der DDR – früher als in der
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Auf die Anrede der Angehörigen: „Bevor ich von dieser Welt gehe, will ich Euch, meine Liebsten, einige Zeilen hinterlassen“, folgt ein Wechsel vom Ich zu einem verallgemeinernden jüdischen Wir: „Wenn Euch einmal dieses Schreiben erreichen wird, sind ich und wir alle nicht mehr da. Man spürt es, man weiß es.Wir sind alle, genau so, wie die schon hingerichteten unschuldigen, wehrlosen Juden zum Tode verurteilt. Der kleine Rest, der vom Massenmorden noch zurückgeblieben ist, kommt in der allernächsten Zeit an die Reihe. Es gibt für uns keinen Ausweg, diesem grauenvollen fürchterlichen Tode zu entrinnen.“ (73) Diese Verbindung von Rückblick auf die bisherige Verfolgung und Vorausdeutung auf die kommende Vernichtung bestimmt den Aufbau des Briefes; im ersten, am 7. April 1943 geschriebenen Teil berichtet die Schreiberin von Mord-„Aktion[en] „[g]leich am Anfang (im Juni 1941)“, am „31. August“ (73) 1941, deren Opfer ihr Mann und ihre Mutter wurden, und am „5. November“ (74) 1942; im zweiten Teil vom 26. April 1943 schließt sie von dem, was inzwischen im April „geschehen ist“, auf das Bevorstehende: „Also es heißt, daß alle jetzt an die Reihe kommen. Galizien soll vollständig judenfrei gemacht werden. Vor allem soll das Ghetto bis zum 1. Mai liquidiert sein.“ (75) Die Briefschreiberin berichtet nicht nur jeweils die Zahl der Ermordeten, wobei sie die Rolle der „Polizei“ und „unsere[r] eigene[n] jüdischen Ordnungsmänner“ erwähnt, wenn galt: „Man brauchte 3000 Opfer“ (73), sondern vor allem ihre damaligen Gefühle, die für das Schreiben zum Problem werden. So heißt es über den Tod ihres Mannes: „Nach sechs Wochen habe ich nach fünf Tagen langen Herumsuchens unter den Leichen (die vor der Ziegelei umgebracht und von dort nach dem Friedhof geschafft wurden) auch seine gefunden. […] Müde vom vielen Leichensuchen, war man ‚froh‘, auch seine gefunden zu haben, kann man diese Qualen in Worte kleiden?“ (73) Der Bericht über die Deportation ihrer Mutter wird eingeleitet mit der Anrede der Angehörigen: „Ach, wie soll ich Euch das schildern? Nachmittags erfuhr ich, daß Mama und Papa auf dem Platz gesehen wurden. Ich mußte weiterarbeiten, konnte nicht helfen. Da habe ich geglaubt, verrückt zu werden. Aber man wird nicht verrückt. Dann hörte ich, daß man nicht-arbeitende Frauen – also bloß Hausfrauen – nicht herausbekommen konnte. Sollte ich nun trauern und weinen, daß ich meine Mutter verloren, oder mich freuen, daß ich noch den geretteten Vater hatte? Ich wußte es nicht. Kann man das noch begreifen? Kann man das noch verstehen? Sollten nicht normalerweise Hirn und Herz platzen?“ (74) Die Wendung der Fragen vom Ich zu inklusiv gestellten rhetorischen Fragen mit ‚man‘ wird im letzten Absatz des ersten Teils im Bericht über die dritte Mord-‚Aktion‘ fortgeführt; vorbereitet ist sie im Rückgriff auf die Zeit im Ghetto bis zum 5. November
Bundesrepublik – in deutscher Übersetzung erscheinen konnte, wurde in den 50er Jahren ein gewisses Gegengewicht zur internen Zensurpolitik geschaffen. Übersetzungen waren geeignet, im kollektiven Gedächtnis der DDR die Vernichtung der europäischen Juden wachzuhalten. Insofern war der von der SED kontrollierte Buchmarkt zum Nationalsozialismus, zur Shoah und zum Widerstand arbeitsteilig organisiert“ (471/472), oder: „Man kann den Eindruck gewinnen, daß […] die Ermordung der Juden in den 50er Jahren eher durch Übersetzungen […] in die Öffentlichkeit gebracht wurde“ (473).
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als eine der „alltäglichen Sorgen und de[s] weitere[n] schwere[n] Kampf[s] ums blöde, uns sinnlos gewordene Dasein“ (74): „Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Verhältnisse. Man wird so abgestumpft. […] Man weinte nicht, man war kein Mensch mehr, ganz aus Stein, ganz ohne Gefühl.“ (74) Aber diese Verallgemeinerung stellt die Briefschreiberin im Briefteil vom 26. April in Frage, indem sie, bevor sie ihre Fragen nunmehr direkt an die in der 2. Person Plural angeredeten Angehörigen in der WirForm richtet, zunächst für einen zusammenfassenden Bericht über die Erschießung von „Tausende[n]“ aus Tarnopol abtransportierter „Menschenopfer“ ins Präsens wechselt: „In Petrikow schaut es so aus: Vor dem Grabe wird man ganz nackt entkleidet, muß niederknien und wartet auf den Schuß. Angestellt stehen die Opfer und warten, bis sie dran sind. Dabei müssen sie die ersten, die Erschossenen, in den Gräbern sortieren, damit der Platz gut ausgenutzt und Ordnung ist. Die ganze Prozedur dauert nicht lange. In einer halben Stunde sind die Kleider der Erschossenen wieder im Lager. Nach den Aktionen hat der Judenrat eine Rechnung von 30000 Zloty für verbrauchte Kugeln bekommen, die zu bezahlen waren…“ (75) Die erste Frage der Briefschreiberin: „Warum können wir nicht schreien, warum können wir uns nicht wehren?“, wird dahingehend beantwortet, dass Nicht-Schreien nicht mit Einverständnis gleichzusetzen sei. Was zunächst als Gewissheit der bevorstehenden eigenen Ermordung formuliert wird: „Wie kann man so viel unschuldiges Blut fließen sehen und sagt nichts, tut nichts und wartet selber auf den gleichen Tod. So elend, so erbarmungslos müssen wir zugrunde gehen“, wird zum Appell an die Adressaten: „Glaubt Ihr, wir wollen so enden, so sterben? Nein! Nein! Wir wollen nicht!“ (75) Der Schlussabsatz des Briefes ist durch eine variierte Form der Anrede, als „Meine Lieben!“, markiert. Die Briefschreiberin gibt an, wo ihr Mann David „begraben“, „auf dem jüdischen Friedhof“, und wohin ihre Mutter „verschleppt“ worden sei; aber mit der Ungewissheit des Orts ihrer eigenen Beerdigung verbindet sie einen Auftrag, dessen Formulierung der den Brief eröffnenden entspricht. So wie der Brief als ‚Hinterlassenschaft‘ nach dem Tod der Schreiberin die Empfänger erreichen werde, sollen die Empfänger den Ort aufsuchen, an dem die Tote anwesend bleibe: „Wo ich begraben sein werde, weiß ich nicht. Wenn ihr vielleicht nach dem Kriege hinkommt, dann werdet Ihr bei Bekannten erfahren, wo die Transporte aus dem Lager hingebracht wurden. Es ist nicht leicht, Abschied für immer zu nehmen. Lebt wohl, lebt wohl…“ (75) Die nächsten Verwandten als Verpflichtung zur Ehrung der Toten der Familie ‚hinterlassenen Zeilen‘ der unbekannten Jüdin aus Tarnopol wurden durch die Aufnahme in die Anthologie der VVN eingefügt in das im Vorwort entworfene Wirkungsmodell für veröffentlichte letzte Briefe von Antifaschisten. Die Wendung von privatem Bekenntnis in öffentliche Verpflichtung des Adressaten des Buchs auf das ‚Vermächtnis‘ der Toten bestätigen sowohl die Besprechung von „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ durch Bruno Kaiser im VVN-Organ „Unser Appell“ als auch die von Alfred Kantorowicz in seiner Zeitschrift „Ost und West“. Für Kantorowicz sind die Schreiber letzter Briefe zu „ehrwürdigen Vorbildern“ geworden, „die uns in ihren
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letzten Worten die Verpflichtung vermachten, in ihrem Sinne zu handeln“ (Kantorowicz 1949, 86). Aber während Kaiser bekennt, dass „man sich“ von einer ‚Rezension‘ zu sprechen „scheut“ (Kaiser 1948a), wenn es um Erschütterung vor einem Monument gehe, verwies schon in Kantorowicz’ Überschrift „Die echten Märtyrer“ das Adjektiv ‚echt‘ darauf, dass umstritten war, wer die ‚echten‘ und wer die ‚falschen‘ Märtyrer waren, und dass er sich in diesem Streit entscheiden wollte. Kantorowicz bescheinigt der von der VVN getroffenen Auswahl, dass sie „der großen, alle Stände umfassenden Gemeinschaft der Widerstandskämpfer entspricht“ (Kantorowicz 1949, 84), die „ihr Leben für ein besseres, freieres und friedlicheres Deutschland hingegeben“ (85) haben, indem er vor allem aus den letzten Briefen von drei Kommunisten und zwei Katholiken zitiert. Den Geistlichen Max Josef Metzger, der „während des Krieges unerschrocken für den Frieden nicht nur insgeheim betete, sondern öffentlich, unter Einsatz seiner Person wirkte“ und „als ein echter Christ sein Leben hingab für den Frieden“ (85), und Karl Lindemann, der „seine Weltanschauung als christlicher Arbeiter für unvereinbar mit dem Faschismus“ „hielt“: „Er hörte die ausländischen Sendungen und diskutierte die Nachrichten mit seinen Arbeitskollegen“ (194), setzt Kantorowicz in Gegensatz zu Kirchenfürsten, die zum Kreuzzug gegen die Sowjetunion aufriefen und nie die „Stimme [erhoben] für die unzähligen wahren Christen, die zu Hitlers Opfern wurden, weil sie die Gebote der Nächstenliebe und der Friedfertigkeit befolgten“ (85). Den Adressaten im inklusiven Wir einschließend, heißt es: „Wir wenden uns mit Abscheu“ (85) von Schändern des Namens Jesu (86) „und wenden uns unseren ehrwürdigen Vorbildern zu, die uns in ihren letzten Worten die Verpflichtung vermachten, in ihrem Sinne zu handeln: für den Frieden und für die Einsicht in die Notwendigkeit.“ (86) Im Hinblick auf das Letztere stellt Kantorowicz bei den drei Kommunisten, dem als einer der ersten hingerichteten Hamburger Arbeiterführer Fiete Schulze, dem in Sachsenhausen erschossenen Reichstagsabgeordneten Matthias Thesen und Hermann Danz, dem Mitglied der Gruppe um Anton Saefkow, eine enge Verbindung zwischen ihren letzten Briefen her. „[D]as letzte Wort“ von Thesen, seine „Mahnung“, sei „als Titel des Sammelbandes gewählt“ worden und könne als Resümee des letzten Briefs von Fiete Schulze gelten: „Voll erfüllt [… mein Sterben] seinen Zweck, wenn Ihr es ganz verstehen lernt. Darin kann sich all Eure Liebe und Achtung zu mir zeigen: im Verstehen und Bemühen, gleich mir zu denken und zu handeln.“ (84) Der Verallgemeinerung dieser Leseanleitung für die Adressaten dient die Präsentation auch des „Abschiedsbrief“ von Danz als ein Resümee: Er „faßt“ „den Bewußtseinsinhalt so vieler unsterblicher Vorkämpfer der sich nun anbahnenden neuen Epoche der Menschheitsgeschichte […] zusammen“ (86). Was zuvor ‚Einsicht in die Notwendigkeit‘ genannt worden ist, wird von Kantorowicz mit den Worten von Danz’ Brief in ein religiöses Bild gebracht, das des Moses nämlich, zu dem Gott spricht: „du wirst nicht über diesen Jordan gehen“ in ‚das gute Land‘, „das du sehen wirst“ von der Höhe des Berges Pisga (5. Mose 3, 25 – 28). Danz’ Abschiedsbrief wirft an der „Schwelle der Zeitenwende […] kurz vor meinem Tode einen Blick hinüber […] in die eben beginnende neue Zeit“ (Kantorowicz 1949, 86): „Wer aber sein Leben hingibt für die Sache,
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[die Zukunft, das Glück der Menschheit], macht sein Sterben [als natürlich-kreatürliche Erscheinung] zur Tat! Ein solches Sterben ist schön … weil es nicht nutzlos ist.“ (86) Die bündigste Formulierung des Wirkungsmodells der VVN-Veröffentlichung letzter Briefe von Antifaschisten am Schluss der Rezension ist nicht nur wiederum religiös getönt, als Verhältnis von Verheißung und Erfüllung, sondern auch sozial spezifiziert, wenn eine Bevölkerungsgruppe hervorgehoben wird; Kantorowicz schreibt von den „Märtyrern des deutschen Freiheitskampfes unserer Tage“ (84): „Durch ihr Opfer sind sie zu Wegbereitern der Zukunft geworden, des besseren und friedlichen Lebens von morgen, dessen Vorkämpfer sie einst waren, dessen Erfüllung, ihrem großen Beispiel folgend, die deutsche Jugend sein wird“ (86). Auch der Rezensent Bruno Kaiser, dessen Ausgangspunkt Erschütterung ist, endet mit dem Appell, das „Vermächtnis“ der hingerichteten Antifaschisten zu „bewahren“ (Kaiser 1948a). Aber zwischen ursprüngliche Erschütterung und schließliche Aufrüttelung stellt er im Rezeptionsprozess des Adressaten den Stolz, ohne sich näher hierzu zu äußern. Vielleicht erklärt sich diese Zurückhaltung aus Kaisers Auseinandersetzung mit der Scham in seiner im Erscheinungsjahr von „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ herausgekommenen Anthologie „Das Wort der Verfolgten“. Opfer der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden wurden in „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ nicht exklusiv von der unbekannten Briefschreiberin, sondern auch noch von zwei mit Namen genannten Briefschreibern repräsentiert, dem bereits zitierten Schauspieler Joachim Gottschalk, der „gemeinsam“ mit seiner „für die Deportation vorgesehen[en]“ Ehefrau Selbstmord beging und sich in seinem letzten Brief bei den „in dieser Stunde“ erstmals geduzten Freunden bedankt, um ihnen nahezulegen: „Lest die letzten Briefe von Kleist, dann wißt Ihr, wie uns ums Herz ist“ („…besonders“ 1948, 41), und dem Berliner Kaufmann Joachim Werber, dessen biographische Notiz ihn beim Vornamen nennt: „Joachim war Jude und sollte deportiert werden. Um der brutalen Vernichtung durch die faschistischen Mordkommandos in Polen zu entgehen, wählte er den Freitod.“ (64) Auch Werbers Abschiedsbrief, dessen Anredeform deutlich macht, dass er einer von mehreren ist, überbringt den Adressaten zunächst Dank, an den sich eine an sie gerichtete Bitte, wie in dem der unbekannten Jüdin aus Tarnopol, und ein Wunsch für sie anschließen: „Ich möchte Ihnen dafür danken, daß sie mir in so vielem behilflich waren. Wenn ich auf dem großen jüdischen Friedhof liegen werde, besuchen Sie mich. Kein Grabstein wird mich legitimieren, aber trotzdem war mein Leben Mühe und Arbeit. Ich gehe nun auf Hitlers Wunsch, aber einmal wird auch er ein ‚Hier ruht‘ sein. Sie werden es hoffentlich noch erleben. […] Ich wünsche, daß es einmal anders gehen wird, als es sich diese Hitlerburschen denken.“ (65) Keiner dieser drei vor der Deportation in den Tod geschriebenen letzten Briefe wurde aus der VVN-Anthologie übernommen in die für den Gebrauch in Schulen 1949 in 200.000 Exemplaren vom Verlag Volk und Wissen gedruckte Broschüre „Der letzte Brief. Deutsche Opfer des politischen Kampfes 1933 – 1945 vor ihrer Hinrichtung“ und zwanzig Jahre später in die zwei Bände von „Deutsche Widerstandskämpfer. Biogra-
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phien und Briefe“, die vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED 1970 herausgegeben wurden. Aber die Briefe Gottschalks und der Unbekannten waren 1958 aufgenommen worden in die ebenfalls vom Institut für Marxismus-Leninismus herausgegebene Sammlung „Erkämpft das Menschenrecht. Lebensberichte und letzte Briefe antifaschistischer Widerstandskämpfer“ und die auf dieser beruhende, von denselben Bearbeitern, Heinz Schumann und Gerda Werner, zusammengestellte Anthologie „An die Lebenden. Letzte Briefe deutscher Widerstandskämpfer“ (1959, 34, 99), die der Leipziger Reclam-Verlag 1959 in zwei Auflagen von 5.000 Exemplaren herausbrachte (Braun/Kretschmar 1969, 175). Nur der Brief der unbekannten Jüdin wurde in der DDR auch in Anthologien nachgedruckt, die andere Genres als letzte Briefe fokussierten: 1957 in „Eine Dokumentation über die Verbrechen der SS“, unter dem Titel „SS im Einsatz“ herausgegeben vom Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer, 1968 in eine thematische Lyrikanthologie des Lektors im Verlag der Nation, dem Parteiverlag der National-Demokratischen Partei Deutschlands, Heinz Seydel, „Welch Wort, in die Kälte gerufen. Die Judenverfolgung des Dritten Reiches im deutschen Gedicht“, und 1972 in demselben Verlag, aber von dem Lektor eines anderen Verlags, Günter Albrecht von Volk und Wissen, in den zweiten Teil „Vom Untergang der Weimarer Republik bis zur Befreiung vom Faschismus“ einer Anthologie autobiographischer Texte über das 20. Jahrhundert „Erlebte Geschichte. Von Zeitgenossen gesehen und geschildert“. In der „Dokumentation“ des KAW stand der Brief der Unbekannten aus Tarnopol im III. Teil „Dokumente und Berichte über die Verfolgung und Vernichtung jüdischer Menschen (KAW 1957, 87– 142), der auf den I. Teil mit dem Nürnberger Urteil und den II. mit „Dokumente[n] und Berichte[n] über Verbrechen am deutschen Volk“ (25 – 86: an Kommunisten (25 – 49), Sozialdemokraten (50 – 57), Gewerkschaftern u. a. demokratischen Kräften (58 – 84) wie Theodor Lessing (62) und Erich Mühsam (64)) folgte und der mit dem II. von ungefähr gleicher Länge war. Der „Brief einer unbekannten Jüdin“ schloss den III. Teil ab (140 – 142). Er wurde in der Besprechung von „SS im Einsatz“ im Organ der Volksbibliothekare besonders hervorgehoben: „Erschütternd ist der letzte Brief einer unbekannten Jüdin (S. 140 ff.).“ (Peter 1957, 1048), denn der Rezensent Heinz Peter fasst diesen III. Teil zunächst zusammen, um dann zweierlei zu betonen: „Schon vor dem Krieg wurden in zunehmendem Maße jüdische Menschen in die Konzentrationslager eingeliefert. Das vorliegende dokumentarische Material veranschaulicht einige Etappen des Weges, den die deutschen Faschisten bei ihren Verbrechen gegen diese Menschen einschlugen. Er führte vom Erlaß der sogenannten Nürnberger Gesetze über Boykott- und Ausplünderungsmaßnahmen bis zur planmäßigen Vernichtung von fast sechs Millionen Menschen. Bis ins kleinste ausgearbeitet wurden die Pläne zur ‚Endlösung der Judenfrage‘“ (1046). Peter betont dann zweierlei, einerseits: das Buch „enthält ein so erdrückendes Beweismaterial, daß es für den ehrlichen Leser kein Ausweichen vor den Tatsachen mehr geben kann. Die Herausgeber haben auf jeden Kommentar verzichtet, das Buch enthält ausschließlich Dokumente und Berichte“ (1046; fast wörtlich zitiert er die „Nachbemerkung“: „Auf Erklärungen und Kommentare wurde verzichtet.“ KAW 1957, 626), andererseits, dass
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„viele Dokumente […] Einzelpersonen betreffen […]. So wird deutlich, was hinter den Zahlen der Totenlisten steht, welche Auswirkungen faschistische Anschauungen und Gesetze hatten.“ (Peter 1957, 1048) Damit begründet Peter seine Empfehlung des Buchs an Funktionäre und Lehrer für ihre „Überzeugungsarbeit“, weil es „ja sogar dem Voreingenommenen […] eine Vorstellung von dem ganzen Ausmaß der Verbrechen geben“ (1048) könne, ob deren Opfer „nun Antifaschisten waren oder das Unglück gehabt hatten, als Polen, Juden oder Russen geboren zu sein“: „Die Massenmorde der SS waren die entsetzliche, aber logische Folge der faschistischen Ideologie. Die vorliegende Sammlung ist geeignet, diesen Zusammenhang jedem klarzumachen, der ihn noch nicht begriffen hat“ (1047). Wenn Peter in die ersten Nachkriegsjahre zurückgreift, zeichnet sich ab, was er unter der wiederholt „erschütternd“ (1048) genannten Wirkung der Lektüre gerade auch des letzten Briefes der Unbekannten versteht: „Als nach dem Krieg die ersten Berichte über die faschistischen Konzentrationslager veröffentlicht wurden, wollten viele den Tatsachen keinen Glauben schenken. ‚Wie konnten deutsche Menschen‘, so fragten sie, ‚solche Grausamkeiten verüben?‘ Mit dieser Frage müssen wir uns auch heute noch oft auseinandersetzen.“ (1047) Peter besprach „SS im Einsatz“ im Rahmen einer Sammelrezension „Zu einigen aufschlußreichen Büchern über den faschistischen Terror“, in der aber das Buch des KAW klar als „die wichtigste Publikation“ bezeichnet wurde (1045); auf ähnliche Weise deutlich wertete Peter in einer anderen Gruppe von Büchern als der Sammlungen von Dokumenten: „Unsere Leser sollen nicht nur das Grauen der faschistischen Konzentrationslager kennenlernen, sondern auch mit denen vertraut werden, die unter den unmenschlichsten Bedingungen noch Menschen blieben, die ihrer Sache die Treue hielten und den Kampf nicht aufgaben. Dazu können die verschiedenen Sammlungen der letzten Briefe ermordeter Widerstandskämpfer viel beitragen. Unter ihnen wäre an erster Stelle zu nennen: ‚Und die Flamme soll euch nicht verbrennen‘.“ (1050) Piero Malvezzis und Giovanni Pirellis Anthologie „Und die Flamme soll Euch nicht verbrennen. Letzte Briefe europäischer Widerstandskämpfer“ war ein Jahr vor „SS im Einsatz“ 1956 im Verlag Volk und Welt erschienen. Die italienischen Herausgeber hatten den Brief der unbekannten Jüdin aus „…besonders jetzt tu Deine Pflicht“ in ihre Sammlung aufgenommen, aber zur Quelle etwas angemerkt, was nicht in dem Buch von 1948 gestanden hatte: „(Das in deutscher Sprache geschriebene Original befindet sich in Berlin im Archiv der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands)“ (Malvezzi/Pirelli 1956, 528). In der nach Ländern angeordneten Anthologie ist die „Unbekannte Jüdin“ (632) im Abschnitt „Polen“ eine von fünf anonymen VerfasserInnen, aber die einzige als jüdisch bezeichnete. Die Wirkung der Lektüre wurde in der Besprechung, die in der Beilage „Buchbesprechung“ zum Organ der Volksbibliothekare erschien, wie im „Bibliothekar“ ein Jahr später bei „SS im Einsatz“, auf den Begriff Erschütterung gebracht, die auf zweierlei in den letzten Briefen zurückgeführt wurde: „Erschütterung ergreift den Leser“ angesichts dessen, was Menschen ihrer „Überzeugung oder der bloßen Zugehörigkeit zu einer Menschengruppe wegen erlit-
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ten“, und angesichts „menschlicher und heldischer Größe“ (Müller-Muck 1956, 723). In eine gewisse Spannung zu solcher auf Leiden und Kampf sich beziehenden ‚Erschütterung‘ setzt Helmut Müller-Muck ein anderes Gefühl, wenn er fortfährt: „Der deutsche Leser wird aber zugleich Scham empfinden, daß es Deutsche waren, die das Blut Millionen Unschuldiger, für die diese Briefe Zeugnis ablegen, vergossen, nicht minder auch darüber, daß jene, die eine große Mitschuld an den Morden tragen, in einem Teil unseres Vaterlandes zu neuer Macht kommen.“ (723) In der Bundesrepublik griff auch Gerhard Schoenberner, der 1960 den ersten FotoText-Band zum Thema „Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945“ bei Rütten und Loening herausgebracht hatte, als er 1962 den Nachfolgeband „Wir haben es gesehen“ erscheinen ließ, auf „… besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ zurück, um den „Brief einer unbekannten Jüdin“ zum ersten Mal etwas weniger gekürzt in Westdeutschland zu veröffentlichen (Schoenberner o. J. [1962], 139/140). Denn Günther Weisenborn hatte 1953 für den „Anhang II – Zeugnisse der letzten Stunde. Tagebücher, Verse, letzte Briefe“ seines „Bericht[s] über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933 – 1945“ nur den zweiten, auf den 26. April 1943 datierten Teil des Briefs aus Tarnopol ausgewählt (Weisenborn 1974, 395), allerdings hatte er aus „… besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ auch Joachim Gottschalks Abschiedsbrief aufgenommen. Die VVN-Anthologie war eins von fünf Büchern aus der DDR (vgl. Schoenberner o. J. [1962], 425 – 428) über Judenverfolgung und -vernichtung, aus denen Schoenberner Quellen nachdruckte (darunter auch „SS im Einsatz“) (266 – 268, 426), abgesehen von ungedruckten Quellen aus der Wiener Library London und Yad Vashem, stammten die schon einmal gedruckten, übersetzten Texte aus Frankreich und der Volksrepublik Polen. 1968 zitiert Heinz Seydel, der Herausgeber der Anthologie über „Die Judenverfolgung des Dritten Reiches im deutschen Gedicht“, in seinem „Reflexionen“ überschriebenen Vorwort aus „ein[em] Brief, der im Mantel eines unbekannten ermordeten Juden in Tarnopol gefunden wurde“ (Seydel 1968, 20). Es sind vier Zeilen aus dem zweiten Teil des „Brief[s] einer unbekannten Jüdin“ aus der VVN-Anthologie, die allerdings die Information über die Weise der Auffindung nicht enthielt und deren Wortlaut Seydel insofern verändert, als er nach der Antwort auf die beiden Fragen nach dem Nicht-Schreien und Nichts-Tun: „So elend, so erbarmungslos müssen wir zugrunde gehen“ mit drei Punkten schließt (20) und eben nicht nach einem Punkt zu zitieren fortfährt: „Glaubt Ihr, wir wollen so enden, so sterben? Nein! Nein!“ („… besonders“ 1948, 75) Seydel markiert einen Absatz, um sich mit einer Verallgemeinerung des Zitats den Adressaten seiner Anthologie in der Wir-Form zuzuwenden: „Da ist es wieder: das Einzelschicksal. Die Katastrophe des Menschen, die sich sechsmillionenmal in ähnlicher Form wiederholte. Wir aber wollen, bevor wir“, wie Seydel dann mit Beispielen die Fortsetzung von Alltagsgegenwart illustriert, „heute abend ins Kino gehen oder bevor wir die Einkäufe für den Sonntag erledigen oder bevor wir das Fenster öffnen, um die Amsel zu hören, noch einmal daran denken: Es waren Deutsche, die das taten.“ (Seydel 1968, 20) In den beiden folgenden Absätzen differenziert er zunächst innerhalb des deutschen Volkes, dann spezifiziert er quantitativ die
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Einschränkung: „Fast das gesamte deutsche Volk hat es geduldet.“ (20) Sie steht am Ende der Differenzierung, die beginnt mit der Verneinung: „Es war nicht allein das Werk einiger SS-Henker“, um die Mengenangaben zu steigern: von „Unzählige haben mitgeholfen“ über „Millionen haben es gewußt“ schließlich zu dem „Fast das gesamte deutsche Volk hat es geduldet“, das er im nächsten Absatz mit den Zahlen spezifiziert derjenigen, die „wegen ihres Widerstandes gegen Hitler umgebracht“ wurden („etwa 230 000“), vor Kriegsbeginn im KZ waren („rund eine Million“) oder „von ordentlichen Gericht zu […] Freiheitsstrafe verurteilt wurden („225 000“) (20). Seydel macht der Spezifizierung des ‚Fast‘ auf 1,5 Millionen, die die Verbrechen nicht nur „geduldet“ haben, einen Einwand, der zu einer Pointierung der Schuldfrage führt: „Und doch: der Schrecken begann hier, auf deutschem Boden, auf dem wir stehen. Es war ein deutscher Schrecken, und er wird stets mit diesem Attribut verbunden bleiben.“ (20) Die Bezugnahme auf das Territorium begrenzt die Differenzierung von Schuld, die sich insbesondere zeigt in der als „[e]ine“ Form von „Wiedergutmachung“ bezeichneten „Ausschaltung der Kräfte, die so etwas möglich machten“, und die Seydel kategorisch in der Wir-Form erklären lässt: „eine Kollektivschuld verneinen wir.“ (20) Seine eigene Pointierung der Schuldfrage lautet also: „Die Helden des Widerstandes sprechen uns nicht frei. Ja, sie selbst sprechen sich nicht frei. […] Eine Mitverantwortung tragen wir.“ (20). Gegen Schluss seiner „Reflexionen“ geht Seydel in einer Weise auf den Entstehungsprozess seiner Anthologie ein, die erklären mag, warum er so auf der Unterscheidung von Mitverantwortung und Kollektivschuld insistiert. Nahegelegt wird dem Adressaten des Buchs die „Übereinstimmung“ des „selbstgestellte[n], persönliche[n] Auftrag[s]“ des Herausgebers „mit den Auffassungen der Umwelt“, aber zugleich nennt er es „vielleicht […] notwendig zu sagen“: „Es entstand […] nicht auf Grund einer Weisung, eines Beschlusses, eines Auftrages“, sondern „in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation aus dem eigenen Bewußtsein“ (22). Weil deshalb für Seydel der „persönliche Auftrag zugleich ein öffentlicher“ ist, nennt er die Tatsache, „daß der Vorschlag für dieses Buch vom ersten Verlag, dem er unterbreitet wurde, akzeptiert worden“, zwar eine „Selbstverständlichkeit“, aber eine, die „den Dank nicht aus[schließt]“ (22). Nicht nur in das Vorwort der Lyrik-Anthologie und in die Dokumentensammlung zur Judenverfolgung und -vernichtung wurde der „Brief einer unbekannten Jüdin“ aufgenommen, sondern 1972 auch in Günter Albrechts Sammlung autobiographischer Texte über die Jahre des Faschismus als „Erlebte Geschichte. Von Zeitgenossen gesehen und geschildert“.Von der Jüdin aus Tarnopol ist einer von nur vier letzten Briefen, die unter der Überschrift „Vier Antifaschisten“ präsentiert werden (Albrecht 1972, 202– 205). Diese Exklusivität kennzeichnet auch die Auswahl der drei nicht-jüdischen Männer; der Bildhauer Kurt Schumacher, der Luftwaffen-Offizier Harro Schulze-Boysen und der Hamburger Arbeiterführer Anton Saefkow waren in den Kurzbiographien der VVN-Anthologie 1948 durch ihre illegalen „Verbindung[en]“ prominent herausgestellt worden: Schumacher als „Mitglied des Kopfes der Widerstandsgruppe Schulze-Boysen“ („… besonders“ 1948, 52), Schulze-Boysen als derjenige, nach des-
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sen „gemeinschaftlicher Arbeit“ „[m]it Arvid Harnack“ „die „Widerstandsgruppe“ „benannt“ wurde (44), und Saefkow als derjenige, der die „größte Widerstandsorganisation der letzten Kriegsjahre“ „auf[baute], die in den Betrieben von Berlin, Sachsen, Thüringen, Magdeburg und Hamburg arbeitete“, und der „[m]it den linken Kräften der Männer des 20. Juli […] vorbereitende Aussprachen“ führte (121).
8 Lilli Vetter: Briefe aus jener Zeit Im selben Jahr wie die VVN-Anthologie vor der Hinrichtung geschriebener Briefe von Antifaschisten erschien in Westberlin 1948 die Anthologie „Briefe aus jener Zeit“, in der Lilli Vetter neben Abschiedsbriefen von WiderstandskämpferInnen auch Soldatenu. a. Briefe druckte, eingeteilt in Künstler-, Haft-, Mütter-, Soldaten- und Kinderbriefe, die für alle Geschlechter, gesellschaftlichen Schichten, Lebensalter und Berufe stehen sollten. Der Schluss vom Privaten aufs Nationale wurde nahegelegt: „Der Schreiber dieser Briefe ist sozusagen ‚das andere Deutschland‘ selbst.“ (Vetter 1948, Klappe) Obwohl eingeräumt wurde, dass nicht für alle Briefschreiber galt: „Manche […] haben ihre Überzeugungstreue mit dem Galgen bezahlen müssen“, wurde deren ‚Anders‘Sein über den privaten Charakter der Briefe auf alle Schreiber verallgemeinert: „Alle diese Briefe sind für ein bestimmtes Du geschrieben, keiner ihrer Schreiber hat an eine Veröffentlichung gedacht, keiner hat ein Publikum vor Augen gehabt. Das gibt ihnen ihren besonderen Reiz.“ (Klappe) Die Privatheit der Briefe wurde mit Widerstand gleichgesetzt: Jeder abgedruckte Brief zwischen Menschen, die „versuchten, ein geistiges Leben zu führen“, sei „ein Zeugnis des Lebens und der Wahrheitsliebe inmitten der tödlichen Umgarnung durch die Herrschaft der Lüge“: „ihr Leben war täglicher Widerstand“ (7), denn es „blieb nur der enge menschliche Zusammenschluß, der kleine private Kreis, innerhalb dessen Worte des Geistes […] ausgetauscht wurden. Dies geschah […] im Brief.“ (8) Mit einer polemischen Wendung gegen prominente Exilierte wurde betont: „Es muß beachtet werden, daß jeder Brief ein großes Risiko bedeutete, daß jede Zeile, ja daß ein einziges Wort den Tod bringen konnte. Besonders das Ausland möge dies bei der Lektüre berücksichtigen. […] die Dagebliebenen sollen hier reden, die ohne an sich zu denken für den geistigen Bestand der Nation kämpften.“ (8/9) Jedoch gibt es einen bemerkenswerten Unterschied zwischem dem Klappentext des Verlags und dem Vorwort der Herausgeberin. Trotz der Selbstdarstellung Lilli Vetters als Innere Emigrantin weicht ihre Leseanleitung ab von der des Klappentexts, „inne [zu] werden, mit welch unzulänglichen Maßstäben wir alle, die Schreiber der Briefe und wir, ihre Leser, jenes Geschehen gemessen haben“ (1948, hintere Klappe). Während das inklusive Wir des Klappentexts ausdrücklich „alle[…] gesellschaftlichen Schichten“ (vordere Klappe) umfasst, schreibt die Herausgeberin den SchreiberInnen letzter Briefe vor der Hinrichtung ausgerechnet in der Begründung der Kürzung der anderen Briefe um Privates eine besondere Autorität zu: „Die hier erstmalig veröffentlichten Briefe sind mit der Bitte übergeben worden, persönliche Äußerungen, die kein Allgemeininteresse haben,
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auszulassen. Die Haltung und Entwicklung der Unglücklichen, die durch die Faust Hitlers sterben mußten, gibt ihren Worten angesichts des Todes eine Klarheit der Erkenntnis, die von uns fordert, in äußerster Wachsamkeit dieses Erbe zu hüten; unser Tun und Denken sei ihres Opfertodes wert!“ (8)
9 Bruno Kaiser: Das Wort der Verfolgten Gleichfalls 1948 erschien im Verlag Volk und Welt als „Anthologie eines Jahrhunderts“ Bruno Kaisers „Das Wort der Verfolgten“, das er schon 1945 in Basel pseudonym herausgegeben hatte und das nun im Erscheinungsjahr eine zweite Auflage sowie 1950 eine Lizenzausgabe bei der Büchergilde Gutenberg erhielt. Kaiser kannte den Verlagsgründer Michael Tschesno-Hell aus der Schweiz ebenso wie seine Autoren Stephan Hermlin und Hans Mayer. Der so wie diese aus der US-Zone in die sowjetische Besatzungszone übergesiedelte Autor Eduard Claudius erinnerte sich noch 1968, wie sehr der Verleger auf „Organisierung von Widerstandsliteratur“ drängte (Barck/Lokatis 2003, 361). Kaiser kündigte im „Vorwort“ einen zweiten Band an, den er von dem vorliegenden, bei dem es „sich vornehmlich um einen Blick auf den Kampf der deutschen Emigranten um und für Deutschland“ handele (Kaiser 1948b, x), insofern abgrenzte, als er „Deutschlands Märtyrer ehren“ solle, „die Männer, die wie Pfarrer Weidig und Robert Blum, Gustav Landauer und Carl von Ossietzky im Kampf für Freiheit und Recht ihr Leben gaben“: „Die von 1848 haben den Weg geebnet, auf dem die Nachfahren allen Hindernissen zum Trotz fortschreiten, in eine lichtere Zukunft.“ (xi) Gerade die zwischen den beiden Bänden getroffene Unterscheidung von ‚Emigranten‘ und ‚Märtyrern‘ macht es bemerkenswert, welch prominente Rolle das ‚Martyrium‘ und der letzte Brief, das letzte Wort oder die letzte Stunde in den von Kaiser für „Das Wort der Verfolgten“ ausgewählten Texten aus Deutschland Geflüchteter spielen. Mit dem Satz: „Das ist das Wort der Verfolgten von einst und heute, das Wort der Sieger von morgen“, hatte Kaiser „In der Schweiz, im Februar 1945“ (Kaiser 1985, 119) sein „Vorwort“ zur ersten Ausgabe beendet. In August Adolf Ludwig Follens 1823 in Zürich publizierten „Kerkergedanken“ versichert der Sprecher im ersten Vers „Beil, Marter, Kette, Schmach: Ich bin gefasst!“ (Kaiser 1948b, 5), um es in der dritten Strophe zu wiederholen: „Ich bin gefaßt! – des Menschen Götterrechten/ gab CHrist zum Opfer hin sein reines Haupt:/ und ich, ein Sünder sollt ihn nicht verfechten? –“ Auf die rhetorische Frage antwortet der letzte Vers mit der Aufforderung an die Machthaber: „drum, auf und an, winkt euren Folterknechten!“ (5) Johann Georg August Wirth redet 1833 in seiner Verteidigungsrede das Schwurgericht Landau an: „Alles, was Sie tun können, meine Herren, beschränkt sich darauf, uns zu Märtyrern der Wahrheit zu erheben“, und zitiert Jean Paul: „‚dein Tempel, ewige Wahrheit, der jetzt halb unter der Erde steht, ausgehöhlt von den Erbbegräbnissen deiner Märtyrer wird sich endlich über die Erde erheben und eisern mit jedem Pfeiler in einem teuren Grab stehen“ (22). Wilhelm Schulz zitiert in seiner 1843 er-
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schienenen Broschüre „Der Tod des Pfarrers Dr. Friedrich Ludwig Weidig“ die „verdammenden Worte eines sterbenden deutschen Dichters“, Weidigs Mitverschworenen Georg Büchner, „über die Schande der geheimen deutschen Justiz“: „Noch in den letzten Stunden traten ihm die Schauder der Inquisition sichtlich vor Augen, und […] so sprach auch der Sterbende noch in bitter wahren Worten über die […] Grausamkeit [,…] Gegner […] jahrelang hinschmachten und hinsterben‘“ zu lassen (64). In Ferdinand Freiligraths 1851 – auch auf der Titelseite der Baseler „National-Zeitung“ (333) – publiziertem Gedicht „Die Revolution“ spricht die ins Exil getriebene, geschlagene Revolution: „O nein, was sie den Wassern singt, ist nicht der Schmerz und nicht die Schmach –/ Ist Siegeslied, Triumpheslied, Lied von der Zukunft großem Tag!/ Der Zukunft, die nicht fern mehr ist! Sie spricht mit dreistem Prophezein,/ So gut wie weiland euer Gott: Ich war, ich bin – ich werde sein!“ (128)⁷² Zwei der von Kaiser aus dem antifaschistischen Exil ausgewählten Texte gingen auf einzelne Briefe hingerichteter Widerstandskämpfer zurück, die bereits vor 1945 veröffentlicht worden waren. Schon 1935 motivierte die Publikation des letzten Briefs des Hamburger Widerstandskämpfers Fiete Schulze Anna Seghers, die ihn „ein Dokument“ nannte, „das etwa den Liebknecht- und Luxemburg-Briefen ebenbürtig ist“ (Krenzlin/Schiller 2002, 276), zu dem Projekt eines „Totenbuch[s]“, um das sie sich in einem der Korrespondenznetzwerke des Exils bemühte, dem um die in Moskau erscheinende Zeitschrift „Das Wort“.⁷³ Zusammen mit Lion Feuchtwanger schrieb sie am 24. Dezember 1935 aus Paris an Arnold Zweig in Haifa: „Die Staatsanwälte der deutschen Gerichte schließen im Namen Hitlers bei der Urteilsverkündigung die zu Tode Verurteilten aus der Volksgemeinschaft aus. Ihre Namen sollen so für ewig ausgelöscht werden. Um die Namen dieser Männer und Frauen unseren Mitkämpfern in allen Ländern und vor allem unseren Kindern für immer einzuprägen, haben wir beschlossen, ihr Leben und Sterben in einem Gedenkbuch festzuhalten.“ (Feuchtwanger/Zweig 1984, 102/103) Das Projekt scheiterte letztlich an einem (von den Be Vgl. den letzten Vers als Titel einer 1961 als Reclam-Band erschienenen Anthologie von „Gedichten aus dem deutschen Vormärz“: Leber 1961. Zur Tradierung eines frühen Kanons vgl. Otto Grotewohls „Rede zum Gedenken der Opfer des Faschismus“ am 13. September 1953 über „Ernst Thälmann, John Schehr, Edgar André, Fiete Schulze und all die anderen“ (Grotewohl 1954, 559) und zur Tradierung der Verbindung mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vgl. Walter Ulbrichts Rede zur Beisetzung von John Schehr in der Gedenkstätte der Sozialisten, Berlin, am 3. Februar 1954: „Nur einmal öffnete sich sein Mund nach einer Folterung. Er schleuderte seinen Peinigern die stolzen Worte ins Gesicht: ‚[…] Ich bin und bleibe ein Feind des Faschismus.‘ […] Nach dem seit der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs immer wieder angewandten Schema des ‚Erschießens auf der Flucht‘ […wurde er] [a]m Kilometerberg zwischen Wannsee und Potsdam […] aus dem Auto gezerrt und durch Nahschüsse niedergestreckt.“ (Ulbricht 1958, 696) Zur Tradierung von Siegesgewissheit vgl. Erich Weinerts „Fiete Schulze. Dem Bericht seiner Tochter nacherzählt“ 1954 in der „Neuen Deutschen Literatur“ und seine Einleitung 1959 zu der Buchausgabe von Schulzes „Briefen und Aufzeichnungen“, wo sich Weinerts in der Sowjetunion geschriebener Schluss: „Mag kommen, was will! Wir werden die Sieger sein!“ (Schulze 1959, 53) und das im Nachruf der illegalen Zeitschrift „Der Kämpfer“ 1935 zitierte letzte Wort entsprechen: „‚Einer weniger! Aber wir siegen doch!‘“ (139).
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teiligten geteilten) Willen zur Literarisierung, nämlich international bekannte SchriftstellerkollegInnen zum Schreiben von Porträts auf der Grundlage der letzten Briefe zu bewegen wie Martin Andersen-Nexö, Bruno Frank, Heinrich Mann, Romain Rolland oder Upton Sinclair (Zehl Romero 2010, 297). Die beiden Widerstandskämpfer, deren Darstellung einerseits in einem Gedicht, andererseits in einer Anekdote von Kaiser für seine „Anthologie des Jahrhunderts“ der Emigration ausgewählt wurde, finden sich aber auf einer Liste derjenigen, an denen den in Moskau lebenden MitarbeiterInnen des Projekts besonders lag: Fiete Schulze und Edgar (der eigentlich Etkar hieß) André standen an erster Stelle vor Rudolf Schwarz und John Schehr (289); aber die Verfasser des Gedichts über Edgar André und der Anekdote über Fiete Schulze finden sich nicht in Seghers’ Korrespondenz. Erich Weinerts zuerst in der in Prag herausgegebenen „Deutschen Volkszeitung“ der KPD am 4. Oktober 1936 erschienenes (Kaiser 1948b, 361) Gedicht „Edgar André“ und F. C. Weiskopfs in seinen „Die Unbesiegbaren. Berichte/Anekdoten/Legenden 1933 – 1945“ 1945 in New York erschienene Anekdote „Schulze“ (Weiskopf 1960) zitierten keinen letzten Brief.⁷⁴ Weinerts Gedicht wurde einen Monat vor der Hinrichtung Andrés veröffentlicht – als Teil einer durch das Stattfinden seines Prozesses während der Olympischen Sommerspiele international wahrgenommenen Solidaritätsbewegung zu seiner Rettung. Das Gedicht appelliert zur Beteiligung an dieser Solidarität, indem die in der 2.
Auf der anderen Seite finden sich zwar weder in Brechts „Briefen“ (1982) noch in seinem „Arbeitsjournal“ (1974) Hinweise auf das Projekt, obwohl Brecht Mitherausgeber (mit Lion Feuchtwanger und Willi Bredel) der seit 1936 in Moskau erscheinenden „Literarischen Monatsschrift“ „Das Wort“ (Seidel 1975) war, aber die letzte Szene seiner 1938 in Paris zum Teil uraufgeführten „Reihe von (Schreckens‐)Szenen“ (Brecht 1982, I, 361) „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ enthielt einen letzten Brief. Diese „Volksbefragung“ betitelte Szene gehörte aber nicht zu den im „Wort“ vorabgedruckten: „Der Spitzel“ (H.3, 1938), „Rechtsfindung“ (H.6, 1938) „Arbeitsdienst“, „Die Stunde des Arbeiters“, „Die Kiste“ (H.7, 1938). Eine Frau „kann“ am 12. März 1938 in einer kleinen proletarischen Berliner Wohnung beim „Lärm“ des Radios über den ‚Einzug des Führers in Wien‘ „die Abschrift eines Briefes“ „vorlesen“ (Brecht 1967, III, 1185): „Mein lieber Sohn! Morgen werde ich schon nicht mehr sein. Die Hinrichtung ist meistens früh sechs. Ich schreibe aber noch, weil ich will, dass du weisst, dass meine Ansichten sich nicht geändert haben. Ich habe auch kein Gnadengesuch eingereicht, da ich ja nichts verbrochen habe. Ich habe nur meiner Klasse gedient. Wenn es auch aussieht, als ob ich damit nichts erreicht habe, so ist das doch nicht die Wahrheit. Jeder auf seinem Platz, das muss die Parole sein! Unsere Aufgabe ist sehr schwer, aber es ist die grösste, die es gibt, die Menschheit von ihren Unterdrückern zu befreien. Vorher hat das Leben keinen Wert, ausser dafür. Wenn wir uns das nicht immer vor Augen halten, dann versinkt die ganze Menschheit in Barbarei. Du bist noch sehr klein, aber es schadet nichts, wenn du immer daran denkst, auf welche Seite du gehörst. Halte dich zu deiner Klasse, dann wird dein Vater nicht umsonst sein schweres Schicksal erlitten haben, denn es ist nicht leicht. Kümmere dich auch um Mutter und die Geschwister, du bist der Älteste. Du musst klug sein. Es grüsst euch alle dein dich liebender Vater.“ (1185/1186) In der „werkausgabe“ ist der Text des Briefs in Kapitalis gesetzt. Brecht nahm in einem Brief vom Februar/März 1945 über die New Yorker Aufführung von „The Private Life of the Masterrace“ zur Frage deutscher Schuld Stellung: „Die Unschuldigen haben den von Hitler angegriffenen Völkern schließlich weniger geholfen, als die Schuldigen ihnen geschadet haben; sie werden jetzt als Mitschuldige betrachtet, da sie sich selber nicht helfen konnten. […] Proletariate müssen sich selber helfen.“ (Brecht 1982, I, 502)
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Person Plural angesprochenen Adressaten schon mit dem ersten Vers aufgefordert werden, es zu verbreiten. Andere zu veranlassen, sich zu fragen: „Hast du an diesen Mann gedacht, / Und daß sie ihn zum Tod verdammt?“ (Kaiser 1948b, 205), ist der erste Schritt, auf den in der folgenden Strophe der zweite folgt: „Bedenke, wenn du dies vergißt:/ Du wirst an seinem Tod mit schuld!“ (205) Zwei Strophen variieren die Aufforderung: „schlagt Alarm“ (206), bis die letzte zuspitzt: „Wer macht hier feig die Augen zu?/ […] Die Frage […/] hämmere unablässig sich/ In jedes Menschen Herz hinein./ Wer will des Henkers Helfer sein?“ (206) Weiskopfs Anekdote akzentuiert in der Hinführung zu zwei Szenen: der Hinrichtung Fiete Schulzes und dem Auftauchen von Flugblättern im bombardierten Hamburg von 1943, das, was im Leben eines „Arbeiter[s]“ „selbstverständlich war: „für eine bessere Ordnung zu kämpfen“ „in der Gemeinschaft mit […] Gleichgesinnten“ (303). Scharf setzt Weiskopf gegeneinander Schulzes Ausruf unmittelbar vor der Hinrichtung und den Moment, in dem „acht Jahre später […] der Tote seinen Mund wieder“ „öffnete“: „in der von englischen Bomben zertrümmerten Stadt tauchten Flugblätter auf, die den Hamburgern einige von Hitlers Prahlereien über die sichere Vernichtung Londons in Erinnerung brachten und sie zum Sturz der braunen Tyrannei aneiferten. Die Flugblätter waren gezeichnet: ‚Gruppe Fiete Schulze‘.“ (304). In der entgegensetzten Szene war Schulzes Ruf „‚Ein Kämpfer weniger, aber wir werden die Sieger sein!“ (303) unhörbar gemacht worden: „Um die Worte des Verurteilten zu übertönen, begannen die Trommler der SS-Abteilung, die den Richtplatz absperrte, einen Wirbel zu schlagen.“ (303/304) Als Weiskopfs New Yorker Sammelband erweitert in der DDR erschien, hob der Rezensent im Organ der Volksbibliothekare an den Anekdoten, die er „[e]in Bändchen Volksliteratur in des Wortes bester Bedeutung“ nannte, „das weite Verbreitung verdient“, hervor: Sie „erhellen blitzlichtartig das ganze Gefüge der vergangenen faschistischen Epoche, sagen über sie mehr als manches dicke Buch. Die hier erzählten, scheinbar zufälligen Ereignisse sind Realitäten, die zum Weiterdenken zwingen, die sich in den Leser oder Hörer eingraben.“ (Ruhl 1950, 482) Zwei weitere von Kaiser aus der Zeit des Faschismus ausgewählte Texte sind Gedichte, von denen das eine das Motiv des letzten Wortes, das andere das der letzten Stunde benutzt. Johannes R. Bechers Gedicht „Der Jude“ erschien kein halbes Jahr nach dem Novemberpogrom in der Moskauer Zeitschrift „Internationale Literatur“ (9 (1939) H.4, S. 50), Bertolt Brechts Gedicht „An die deutschen Soldaten im Osten“ kein Jahr nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion in Mexico City in der Zeitschrift „Freies Deutschland“ ( 1 (1941/42) Nr. 5, S. 16). Während in Bechers Gedicht das Opfer bis zum letzten Wort denen widersteht, die von ihm verlangen: „Sag: Ich – bin ein – Juden – schwein“ (Kaiser 1948b, 258), und das letzte Wort hat: „‚Ich bin ein Mensch!‘ Es klang ihm wie in Chören/ Die eigne Stimme. Klang im Tod ihm nach.“ (259),⁷⁵ bleibt
Bechers Gedicht ist 1959 der einzige Beitrag eines DDR-Autors zu Siegmund Kaznelsons „Jüdisches Schicksal in deutschen Gedichten. Eine abschließende Anthologie“, in der sich allerdings auch kein
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der Adressat von Brechts Anklage „An die deutschen Soldaten im Osten“ „Unbelehrt, außer durch die letzte Stunde“ (288), seinen Tod: „ich werde sterben in der Mitte der Jahre/ Ungeliebt, unvermißt/ Eines Kriegsgeräts törichter Fahrer.// Unbelehrt, außer durch die letzte Stunde/ Unerprobt, außer beim Morden/ Nicht vermißt/ außer von den Schlächtern.“ (Brecht 1967, 107) Schließlich ist ein letzter von Kaiser aus dem Vormärz ausgewählter Text bemerkenswert, obwohl sich in ihm kein letzter Brief, letztes Wort und keine letzte Stunde finden. Kaiser wählte den ersten Brief aus „Ein Briefwechsel von 1843“ zwischen den beiden Herausgebern der „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ Arnold Ruge und Karl Marx, deren Initialen jeweils den Verfasser des einzelnen Briefes anzeigten, als er 1844 erschien; Kaisers Text ist mit dem der Erstausgabe identisch (Ruge/ Marx 1973, S. 101/102). Kaiser verweist auf die Aufnahme des Textes in die MEGA, macht aber den „Vorbehalt“, dass Engels 1890 geschrieben habe, „daß ‚Ruge ihn zurechtredigiert und allerlei Blödsinn hineingesetzt habe‘“, und zitiert Ruge, dass er „‚einige Briefe nach Originalen von […] Marx und mir‘ geschrieben habe“(Kaiser 1948b, 342) Marx berichtet in dem Brief von seiner auf einer Reise in Holland gefühlten – dem „Nationalstolz“ entgegensetzten – „Nationalscham“: „Der kleinste Holländer ist noch ein Staatsbürger gegen den größten Deutschen. Und die Urteile der Ausländer über die preußische Regierung! […] Der Prunkmantel des Liberalismus ist gefallen und der widerwärtigste Despotismus steht in seiner ganzen Nacktheit vor aller Welt Augen.“ (Kaiser 1948b, 60) Marx deutet dieses Gefühl als „eine umgekehrte“ „Offenbarung“: „eine Wahrheit, die uns zum wenigsten die Hohlheit unseres Patriotismus kennen […] und unser Angesicht verhüllen lehrt“ (60). Den Einwand des „lächelnd[en]“ Adressaten Ruge vorwegnehmend: „Aus Scham macht man keine Revolution“, entgegnet Marx: „die Scham ist schon eine Revolution“ (60). Ohne Marx zu nennen, griff Becher auf diese Marx’sche Bestimmung der Scham in seinem „Deutschen Bekenntnis“ zurück, das im ersten Heft des „Aufbau“ im September 1945 erschien und einen Monat später als Broschüre gedruckt wurde: „Scham ist ein revolutionäres Gefühl, das – tief empfunden – den ganzen Menschen zum Glühen bringt und die Schlacken des verrotteten Alten in uns ausbrennt.“ (Becher 1978, 492) Bechers Beerbung von Marxens Auffassung der Scham als Triebkraft von Veränderung gewann ihre besondere Bedeutung dadurch, dass erstens in das beschämende Alte die Fehler und Schwächen der Antifaschisten eingeschlossen wurden: „Nein, wir treten nicht vor das deutsche Volk hin mit dem anmaßenden Gehaben, daß wir die Auserwählten, daß wir makellos und frei von Schuld seien“, und dass zweitens das Neue, das Ergebnis der Wandlung unter folgenden Begriffen gefasst wurde: „Demokratie […] als Sache einer Lebenshaltung“, von „bewußten Zivilisten“ nämlich, „mit Zivilcourage“ (492). Deshalb bezog Becher Scham nicht nur auf „die Schande und Schmach, die ein Hitler unserem
Gedicht Paul Celans findet. In der „Schuld und Scham“ betitelten Abteilung dominieren Werner Bergengruen, Albrecht Haushofer, Ricarda Huch, Rudolf Alexander Schröder und Ernst Wiechert.
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Volk angetan hat“, sondern auch auf ‚die Schlacken des Alten in uns‘: „Wer Scham empfindet, empfindet Zorn und Empörung auch in sich selbst.“ (492) Die ‚neue Erweckung‘ des „[i]n der Schamlosigkeit des letzten Jahrzehnts“ „verlorengegangen[en]“ „Gefühl[s] der Scham in unserem Volk“ in der „Ergriffenheit“ durch „Zorn, Empörung“ fasste Becher als ‚Ausscheidung‘ „der Reste des Übels in unserem Fühlen und Denken“: „Ein Anderswerden, eine Wandlung hat nur dann einen Sinn, wenn der ganze Mensch von dem neuen Leben ergriffen wird, wenn das Fühlen und Denken gleichermaßen einbezogen wird in das Neue, wenn die Wahrheit nicht nur verstandesmäßig erkannt, sondern auch tief innerlich durchlebt wird.“ (492) Zwei Monate später zitierte 1945 Anna Seghers im mexikanischen Exil in ihrem Artikel „Gotthold Ephraim Lessing“ im November-Heft der Zeitschrift „Freies Deutschland“ Marx’ Bestimmung der Scham im Wortlaut exakt: „Und Marx, der darauf gedrungen hat, daß man die Misere noch schmerzlicher machen muß, indem man sie endlich den Deutschen bewußt macht, hat zu diesem Erbe den Leitsatz gegeben: ‚Scham ist eine Art Zorn, der in sich gekehrte. Und wenn eine ganze Nation sich wirklich schämte, so wäre sie der Löwe, der sich zum Sprung in sich zurückzieht.‘“ (Seghers 1971, 68/69) Seghers zitierte nicht nur, sondern bezog sich sogar auf den engeren Kontext dieser Bestimmung von Scham. Denn unmittelbar vor dem von Seghers zitierten Satz bringt Marx die ihm aufgezwungene Anerkennung der Zurückgebliebenheit Deutschlands hinter den Gesellschaften des Westens auf den Begriff Scham: die Scham „ist wirklich der Sieg der französischen Revolution über den deutschen Patriotismus, durch den sie 1813 besiegt wurde“ (Kaiser 1948b, 60). Im sich schämenden Deutschen ‚siegt‘ die Demokratie über den feudalabsolutistischen Patriotismus, d. h. Scham zwingt zur Distanzierung vom Nationalismus und zur Identifizierung mit der Demokratie, die dem Nationalisten als ausländisch gilt, aber Marx hatte Ruge 1843 eingeräumt: „Ich gebe zu, sogar die Scham ist in Deutschland noch nicht vorhanden; im Gegenteil, die Elenden sind noch Patrioten.“ (60) Schon die Schweizer Erstausgabe von Kaisers „Das Wort der Verfolgten“ war im April 1946 in der Monatsschrift des Kulturbunds besprochen worden, von Arnold Bauer (Bauer 1946), der zum weiteren Kreis um Harro Schulze-Boysen gehörte (Lehmann 1948, 18, 28). Er konnte das Buch noch nicht wie der Rezensent der „Volk und Welt“-Ausgabe 1948 in der „Täglichen Rundschau“, Alfred Kantorowicz, mit inzwischen erschienenen Büchern vergleichen, „die eine erste summarische Bekanntschaft mit den Schriftstellern des Exils vermitteln wollen“ (Kantorowicz 1948). Kantorowicz zog „Die humanistische Front“ Walter A. Berendsohns, die in der Schweiz erschienen „in Deutschland noch nicht zugänglich“ war, und F. C. Weiskopfs vom Dietz-Verlag der SED publiziertes „Unter fremden Himmeln“ zum Vergleich „ihre[r] relativen Unvollständigkeit“ auf Auswahl und Wertung heran. Wenn Kantorowicz Berendsohns Buch für „Hinweise und Quellenangaben“ lobt, „die wir in den anderen […] nicht gefunden haben“, tadelt er Weiskopfs dafür, „diesen oder jenen Schriftsteller, der zufällig in seiner räumlichen oder literarischen Nachbarschaft sich befand, durch häufige Erwähnung über Gebühr zu qualifizieren“: „Der unbestreitbare Beitrag zur deutschen Literatur im Exil von Männern wie Georg Lukacs [sic] und Ernst Bloch verschwindet
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hinter der Aufzählung nahezu aller Schriften und Schriftchen unterhaltsamer Autoren.“ Im Falle von Bruno Kaisers Anthologie formuliert Kantorowicz vorsichtig in Klammern dazu, dass die „Stimmen der deutschen Märtyrer“ „einem zweiten Band vorbehalten bleiben“ „sollen“: „(eine Trennung, gegen die man vielleicht Einwände erheben könnte)“ (Kantorowicz 1948). In seinem eigenen, mit Richard Drews herausgegebenen Buch „verboten und verbrannt. Deutsche Literatur – 12 Jahre unterdrückt“ fanden sich aus Deutschland geflüchtete AutorInnen zusammen mit in Deutschland gebliebenen, unter denen auch hingerichtete Widerstandskämpfer waren wie Erich Knauf (Drews/Kantorowicz 1947, 95) und Adam Kuckhoff (101), aber auch seit 1945 als AutorInnen der Inneren Emigration prominent gewordene wie Rudolf Hagelstange (58), Wilhelm Hausenstein (65), Herman Kasack (83), Elisabeth Langgässer (102), Reinhold Schneider (144), Frank Thieß (158). Kantorowicz hatte als Herausgeber der Zeitschrift „Ost und West“ die von Alexander Abusch als „Begegnung“ von der „innere[n] und äußere[n] Emigration in der deutschen Literatur“ (Abusch 1979, 497) bezeichnete Linie des Kulturbunds für den Ersten Deutschen Schriftstellerkongress unterstützt, und nach dem Kongress machte seine Einleitung „Am 10. Mai 1933 …“ (Drews/Kantorowicz 1947, 6 – 10) zu „verboten und verbrannt!“ im Dezember 1947 nach den heftigen Debatten der ersten Nachkriegsjahre über Exil und Innere Emigration einen Vorschlag zur Güte: „Im allgemeinen waren innere und äußere Emigration durch eiserne Barrieren voneinander getrennt, so sehr sie im Geist miteinander verbunden blieben. Die Erlebnis-Inhalte der beiden Gruppen […] waren voneinander verschieden. Die Not des Exils – diese entsetzliche, hierzulande noch nahezu völlig unbekannte materielle und moralische Not – hat die draußen niemals übersehen machen, daß die Not derer, die hier im Lande blieben, ohne sich durch Kompromisse mit den Widergeistigen zu beflecken, vielleicht noch grausiger und noch tragischer war. Denen, die hierzulande geistig und persönlich unkorrumpiert überlebt haben, gebührt das erste Wort. Ihre Legitimation ist unbestreitbar. Ihre persönlichen Erlebnisse und Erkenntnisse der inneren Entwicklung Deutschlands sind für die, die nun aus der äußeren Emigration zurückkehren und ihren Platz an der Seite ihrer überlebenden deutschen Geistesbrüder wieder einnehmen wollen, unschätzbar. Andererseits haben sich durch rein materielle Bedingtheiten […] die im Lande verbliebenen Schriftsteller nicht über die geistigen und literarischen Entwicklungen der Umwelt auf dem Laufenden halten können. Hier wiederum sind die Erfahrungen derer, die von draußen kommen, von Wichtigkeit. Die beiden Perspektiven derer, die sich hier in Katakomben ihre Integrität gewahrt haben, und die Perspektive derer, die aus der Distance von draußen ins Land schauten, ergänzen sich und benötigen sich wechselseitig. Jene wissen um die charakteristischen Einzelheiten des Alltagslebens unter der Herrschaft der Tollwütigen, diese konnten von ihrem entfernteren Standort aus die großen Zusammenhänge besser überschauen.“ (8/9) Abusch hatte im Oktober 1947 den Akzent etwas anders gesetzt, als er in seinem Vorbereitungsbeitrag im „Aufbau“ auf die „Vernichtungslager“ in einem Zusammenhang, der die Schriftsteller und das Volk betraf, einerseits den Antisemitismus in der Attacke des Schweizer Kritikers Eduard Korrodi auf Thomas Mann und die Exilliteratur betonte (Abusch 1979,
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498), andererseits die Erkenntnis, die exilierte deutsche Autoren gewannen – „isoliert von der Mehrheit des eigenen Volkes“, „umgeben von Flüchtlingen aus allen europäischen Ländern, denen ganze Familien in den Gaskammern Hitlers ausgerottet wurden“: „In der Ferne wurde der Blick geschärft zur Erkenntnis, daß – infolge eines bestimmten Ablaufs unserer nationalen Geschichte, verstärkt durch ein Jahrzehnt Gefolgschaft für Hitler – im deutschen Volkscharakter (das heißt in der traditionell geformten, politischen Grundhaltung unseres Volkes) die reaktionären Züge schärfer und die fortschrittlichen schwächer ausgeprägt waren als bei anderen Völkern.“ (501) Am zweiten Arbeitstag des Kongresses wurde eine „Resolution gegen den Antisemitismus“ einstimmig (Wende-Hohenberger 1988, 69) angenommen. Die drei Sätze der von dem kommunistischen Wissenschaftler und Publizisten Hermann Duncker eingebrachten Resolution sind in ihren Formulierungen auf eine durchaus nicht unproblematische Weise mit zwei Kongressthemen verknüpft, die den Verlauf der Diskussion bestimmten: der Nation und der Rolle der Literatur. In der Absicht, der Welt die Absage an den Antisemitismus zu bekunden, liegt, was den Inhalt der Demonstration angeht, der Akzent auf einer spezifischen Einheit der Literatur. Die – vom anaphorischen „Wir deutschen Schriftsteller“ betonte – Repräsentantenrolle der Autoren für Deutschland wird in den Begriffen von Pflicht national, Wachsamkeit politisch und Wirkung pädagogisch gefaßt; in den Formulierungen der Resolution wird somit explizit die Rolle des Schriftstellers dreifach bestimmt, nämlich die Nation nach außen zu repräsentieren, im Schreiben politische Verantwortung zu übernehmen und auf die Gesellschaft durch Erziehung der Leser zu wirken: „Die auf unserem ersten Kongreß versammelten deutschen Schriftsteller halten es für ihre Pflicht, vor aller Welt einmütig zu bekunden, daß der Antisemitismus eine der furchtbarsten Schandlehren des nazistischen Deutschlands war. Wir deutschen Schriftsteller werden darüber wachen, daß sich in keiner, sei es auch noch so versteckten Form, eine antisemitische Tendenz wieder in die deutsche Literatur hineinwagt. Wir deutschen Schriftsteller werden mit allen Mitteln dafür wirken, unser Volk von der Pest des Antisemitismus zu befreien und die Zeit eines neuen Humanismus herbeizuführen suchen.“ (Reinhold 1997, 496) Antisemitismus fungiert hier als Quintessenz des Gegenteils von jenem Humanismus, der als neu allgemein gelassen wird. Die Bindung des Schriftstellerbildes an das Thema Antisemitismus machte es unangreifbar. Soweit Teilnehmer andere Vorstellungen ihrer Rolle hatten, musste ihnen das Angebot der Erzieherrolle zumindest insofern entgegegenkommen, als sie damit implizit von dem Vorwurf freigesprochen wurden, Träger der Krankheit zu sein. Dieses implizite Gesundheitsattest konnte sich auf die Verurteilung von Rassismus in der offiziellen Öffentlichkeit der Besatzungszonen stützen: Wer sollte gegen das Schriftstellerbild reden, ohne sich dem Vorwurf der Verteidigung des Antisemitismus aussetzen zu müssen? Stephan Braese verschweigt in „Die andere Erinnerung. Jüdische Autoren in der westdeutschen Nachkriegsliteratur“ einfach die Resolution gegen den Antisemitismus, um den Diskussionen über Nation und Literatur eine einzige, antisemitische Bedeutung zu unterstellen: Er deutet den Kongress als „im Zeichen des deutschen Konsenses erfolgte[…] Homogenisierung durch verschiedene Gruppen oder ‚Richtun-
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gen‘ […] im Rahmen dieses Konsenses“ (Braese 2001, 56).⁷⁶ Der projizierten Ausgrenzung des ‚objektiven jüdischen Gegenübers‘ widersprechen nicht nur die Redebeiträge von Abusch (Reinhold 1997, 174), Duncker (219), Lenka von Körber (416), Hans Marchwitza (420), Mayer (415), Hans Schomburgk (176),Wilhelm Unger (428),Weisenborn (109) und Wolf (221), also in der damaligen Terminologie: sechs Exilierten (von denen vier jüdischer Herkunft waren), zwei Inneren Emigranten und einer Jungen. Unger, aus dem Londoner PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, sagte in seinem Schlusswort: „Wenn es die Rote Armee nicht gegeben hätte, könnte ich den süßen Namen Mutter und Vater nicht mehr aussprechen. Als meine Eltern auf dem Abmarsch von Theresienstadt nach Auschwitz waren, wurde das Camp erobert, und so wurden sie gerettet. Wir deutschen Schriftsteller haben die Aufgabe, alle Besatzungsmächte als Aspekte des Lebens zu betrachten, mit denen wir zu ringen haben. Wenn wir an die vier Besatzungsmächte und die Zonen denken, sehen wir nur den Druck, der auf uns lastet. Wir sehen nicht die Möglichkeiten, die in einer solchen Konzentrierung ausländischer Geistesarten innerhalb Deutschlands liegen. Wir sehen nicht die Möglichkeiten, die zu einem neuen Weltbürgertum für uns Deutsche darin liegen, daß wir diese Berührung mit anderen Nationen haben.“ (Reinhold 1997, 428) In den Berliner Diskussionen kurz vor der ersten Tagung der Gruppe 47, von deren künftigen Mitgliedern nicht nur der Mitgründer Walter Kolbenhoff, sondern auch Hans-Jürgen Soehring (seit 1948) und Ernst Schnabel (seit 1951 Mitglied) anwesend waren (Reinhold 1997, 510), wurden zu Schuld und Scham unterschiedliche Positionen bezogen. Dabei zeigt sich in der Behandlung der Schuldfrage zum einen die Unhaltbarkeit der Verallgemeinerung einer bestimmten Legitimationstrategie von ‚Junger Generation‘ zu der ‚einen‘ Nachkriegsliteratur, zum anderen, dass Scham – im Gegensatz zum späteren, von Theodor Heuss 1949 geprägten BRD-offiziellen Sprachgebrauch, der noch die Versuche bestimmt, auf schmaler Quellenbasis, aber unter Rückgriff auf ‚große‘ anthropologische Theorien Scham und Schuld einander entgegenzusetzen und entweder der Nachkriegsdiskussion – so Helmut Lethen (1994, 219) – eine prämoderne Schuldkultur oder – so Aleida Assmann (1999, 112)⁷⁷ – das Nachwirken einer prämodernen Schamkultur vorzuwerfen – nicht in Opposition zu Schuld gebraucht werden musste. Als Susanne Kerckhoff von „eine[r] Schamlosigkeit“ spricht, die darin liege, „wie viele den Anspruch erheben, innere Emigration gewesen zu sein, bloß weil wir feige waren – ich übrigens auch“, verzeichnet das Protokoll nur „[v]ereinzelte[n] Beifall“: „Und ich glaube, wir sind uns doch eigentlich alle im Wesentlichen darüber klar, wie wir leiden darunter, daß wir nicht das Wort gefunden haben, daß wir nicht illegal gekämpft haben […]. Und diese Scham, die so furchtbar ist […], sagt uns, daß wir heute auf jeden Fall
Vgl. ähnlich, aber abgeschwächt bei Agocs 2013. Vgl. die Kritik an Assmanns Schuld-Scham-Opposition von Anna M. Parkinson (2015, 63) in ihrer Studie „The Politics of Emotion in Postwar West German Culture“, die drei ‚Szenen‘ aus drei Jahrzehnten untersucht: Jaspers’ Vorlesung zur Schuld, Ernst von Salomons Kölner Mittwochsgespräch nach dem Erscheinen von „Der Fragebogen“ (auf Ressentiment) und Alexander und Margarete Mitscherlichs „Unfähigkeit zu trauern“.
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wachsam sein müssen, eine Art Widerstandsbewegung […] sein gegen alles Unrecht und furchtbar darauf aufpassen, daß uns das nicht wieder passiert, daß wir uns so schämen müssen.“ (Reinhold 1997, 172) Rudolf Hagelstanges Formulierung schwächt die Selbstkritik mit dem Hinweis auf die Kontinuität seiner literarischen Produktion etwas ab: „Ich fühle mich als Zeuge mitschuldig, wiewohl ich damals schon glaubte, nicht mitzutun sei auch eine Gegenwehr. […] Ich habe geglaubt, aus einer tiefen Überzeugung heraus in den finstersten Tagen denen Mut zuzusprechen, die mit mir mißbraucht wurden […].“ (248, 250) Der „in den Schützenlöchern von Stalingrad“ kriegsverletzte Hans Hoberg erklärt dagegen: „Jede Stunde bin ich mir bewußt, was ich der Vergangenheit zu verdanken habe. Für diese Vergangenheit fühle ich mich allerdings nicht verantwortlich. Von der Generation unserer Väter sind wir als Achtzehnjährige in den Krieg geschickt worden.“ (420) In den Äußerungen von Mitgliedern der Gruppe 47 lässt sich 1947/48 dasselbe Spektrum nachweisen: Wie Susanne Kerckhoff vertrat Kolbenhoff die Auffassung einer differenzierten Kollektivschuld; schon im „Ruf“ räumte er zu Sigrid Undsets Satz, „daß die beispiellose Barbarei des Hitlerismus eine logische Folge de[r…] ‚deutsche[n] Gedankenwelt‘“ sei, zwar ein, „daß die bösen Gefahren mit dem Zerschlagen des Nationalsozialismus keineswegs beseitigt sind. Aber ich sehe gerade in der jetzigen Zeit eine unvergleichliche Chance, die geistige Einstellung eines Teiles unseres Volkes zu ändern.“ (Neunzig 1976, 131/132) Er sah den „besten Teil dieses (deutschen) Volkes“ in seiner „Arbeiterklasse“: „Diese Menschen versuchen jetzt unter unsäglichen Mühen, nach bitteren Enttäuschungen und schmerzenden Schlägen einen neuen Weg zu finden. […]. Sie tragen den Teil ihrer Schuld, und, glauben Sie es mir, sie tragen ihn […] ohne zu murren.“ (133/134) 1948 nahm Wolfdietrich Schnurre, der sich mit Kolbenhoff eine Zeitschriftenkontroverse lieferte, seine – zunächst Hagelstange vergleichbare – „Position im Elfenbeinturm, […] mir im allgemeinen Chaos eine Insel im Innern zu bewahren“ (Schnurre 1948, 44), öffentlich zurück: Seine „Wandlung“ erklärte er daraus, dass er erst 1947/48 zur Erkenntnis des „Kardinalproblems unserer Zeit“, der eigenen „Schuld“ (Schnurre 1964, 18) gekommen sei. Heinz Friedrich ist in seinem Offenen Brief an Hans Habe nicht nur dem Stalingrader Invaliden sehr nahe, sondern auch dem insbesondere von Hans Werner Richter benutzten Konzept von Junge Generation zur Legitimierung eines nationalen Repräsentations- und Führungsanspruchs: „Die Jugend von 1933“, die „weder emigrieren, noch sich aus dem Alltag des politischen Lebens in eine geistige innere Emigration zurückziehen [konnte]“, sei „an den Fronten dieses Krieges zu jener Generation herangereift […], die morgen das Erbe […] übernehmen soll“ (Schwab-Felisch 1962, 84/85). Generation war hier nur jener Geist, der Erneuerung in den Dienst nationaler Kontinuität stellt und deshalb die Führung beansprucht. Das Konzept der Jungen Generation wurde von Richter und Andersch im „Ruf“ als literarische Legitimationsstragie entwickelt; es kann wohl nur mit starkem Vorbehalt als eins von verschiedenen Konzepten gesellschaftlichen Neubeginns verstanden
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werden. Bei Friedrich sind diejenigen „Sprecher“ der Jungen Generation, die „Zeugnis ablegen für all das, was heute in Deutschland noch lebendig ist“ (49). Friedrichs Fundierung der Unschuld wie der Illusionslosigkeit im Kriegserlebnis ist so national umfassend, dass am Anspruch auf Repräsentanz kein Zweifel bleibt: „Im Schützengraben erlebten wir das Leben. […] Alle Illusionen wurden zerschlagen […]. Das ging uns draußen so. Und das ging den Millionen in der Heimat genau so. Das Ende des Nationalsozialismus wäre auch ohne den Zusammenbruch von 1945 besiegelt gewesen. […] wir waren frei. […] Wir hatten genug durchlebt und durchlitten – wir waren von allen Schlacken gereinigt.“ (41) Unschuld und Illusionslosigkeit legitimierten den Anspruch auf die geistige Führungsrolle. Hans Habe hat rückblickend Friedrich typisch für die „Geisteshaltung des jungen intellektuellen Deutschland in jenen Tagen“ genannt: „sie waren frei von Scham“ (Habe 1977, 131/132). Die Schamlosigkeit schloss bei Friedrich auch das Festhalten an antisemitischen Stereotypen ein, wobei das folgende Zitat aus einem Brief an Richter über den „Skorpion“⁷⁸ nicht nur die Verbindung von Antisemitismus und Antikommunismus belegt, sondern auch auf den Kontext des beginnenden Kalten Krieges verweist: Friedrich berichtet von einem Treffen mit Hermlin vor dem Schaufenster einer Buchhandlung, in dem die von Hermlin übersetzten Gedichte Paul Eluards liegen: „résistance Gedichte […]. Der Hass schlägt einem wie lodernder Brand entgegen.“ (Cofalla 1997, 18) Hermlins Kritik am „Ruf“: „Er hat den Ruf eigentlich nicht recht gemocht […]. Die Tendenz sei anti-östlich und pro-deutsch gewesen“, führt Friedrich zu folgenden Gleichsetzungen des „politischkommunistischen Glaubensbekenntniss[es]“, mit Eluards résistance und jüdischem Hass: „Ich schaute auf das Bändchen Eluard. Hier lodert derselbe Hass gegen das Deutsche, nicht gegen Deutschland. Und da fühlte ich mich betroffen – ebenso wie sich
Briegleb (2003, 273/274) zitiert es aus einem Aufsatz von mir (Peitsch 1991) sekundär mit bezeichnenden Kürzungen. Vgl. aber auch zur Position der Zeitschrift nach dem Ausscheiden von Hans Werner Richter und Alfred Andersch den „Briefwechsel“ zwischen Erich Kuby und Hans Lamm, dem späteren Kulturreferenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, in dem Lamm metonymisch von Auschwitz spricht, während Kuby behauptet: „Ja, Auschwitz war lediglich Endglied in einer Entwicklung, die sich in aller Oeffentlichkeit entfaltet hatte! Es ist anzunehmen, daß nicht Herr Müller oder Schmidt wußte, was in Buchenwald, Belsen oder Dachau vor sich ging; Jeder [sic] Deutsche wußte aber seit 1933, daß ein System absoluter Rechtlosigkeit und maßloser Grausamkeit in den immer zahlreich werdenden KZs herrschte.“ (Kuby/Lamm 1947, 3) Jerome Vaillant hat in seiner Monographie über die Zeitschrift Kuby als von Lamm missverstanden verteidigt, der ihn in Gegensatz zu Karl Jaspers und Martin Niemöller setze, weil er eine moralische Gesamtverantwortung der Deutschen leugne, wo er doch für Wiedergutmachung sei, und auch einem späteren Beitrag des „Ruf“ zugestimmt habe (Vaillant 1978, 160), Heinz Wenigers „Das jüdische Weltproblem“, dass eine theologische Kritik von deutschen Juden am Zionismus fehle (Weniger 1947, 5). Vgl. zur Erklärung von „Schuldabwehr“ aus der „frühzeitige[n] Verknüpfung der Erinnerungspolitik mit politisch-kulturellen Interessen im Generationsdiskurs“ Steffen Stadthaus’ leider ungedruckte Londoner Dissertation „‚Deutsche Jugend – wohin?‘ Eine Untersuchung des Generationsdiskurses nach dem 2. Weltkrieg am Beispiel der Zeitschriften der ‚Jungen Generation‘“ (2009, 179) als „Verabsolutierung des eigenen geschichtlichen Erlebnisortes“ (180), wobei Stadthaus Antisemitismus unterscheidet von der Negation von anderen Erinnerungen (186).
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der Jude betroffen fühlte, wenn man gegen das Jüdische vorginge. Solcher Hass greift an die Wurzeln der Existenz – und ich denke, die Wurzeln soll man sich nicht abgraben lassen.“ (19) In Hermlin attackierte Friedrich einen damals noch westdeutschen Autor, der von anderen Zeitschriften für jüngere Leser, die dem spezifischen „Ruf“-Konzept von der ‚Jungen Generation‘ kritisch gegenüberstanden, als Sprecher der jungen Generation – z. B. auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress – präsentiert wurde; so z. B. in dem Westberliner „Horizont“ Günther Birkenfelds, der Andersch und Richter „dem Front- und Grabengeist […] noch zu sehr verhaftet“ nannte und ihre Zeitschrift die „von solchen Deutschen […], die nazistischen Ideologien noch stark verfallen“ seien (Birkenfeld 1947, 10). Hermlin verknüpft in seinen Aufsätzen seit 1945 Schuld und Scham, das „Entsetzen“ der Welt vor den Deutschen mit dem eigenen, „das in uns lebt und den Namen Auschwitz trägt“: „wir werden unsere Städte nie wieder aufrichten können noch unsere Herzen ohne die Übernahme der Schuld in ihrem ganzen Ausmaß.“ (Hermlin 1983, 16) Es lässt sich auf allen Ebenen – von den Verlautbarungen der SMAD über die von KPD und SED bis zum Kulturbund – für die Jahre 1945 bis 1947 nachweisen, dass der Rassismus an erster Stelle in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus stand.Weil die passive Duldung oder aktive Unterstützung der Ermordung der europäische Juden eine entscheidende Begründung für die von allen genannten Instanzen vertretene Konzeption einer „differenzierten Schuld“ (Hermlin/Mayer 1948, 147) aller Deutschen war, lautete auch die gemeinsame Einschätzung, so im Kulturbund-Manifest vom Juni 1945, dass „die deutsche Intelligenz […] die geschichtliche Prüfung nicht bestanden“ (Dietrich 1983, 63) habe: „Rassenwahn, Geschichtsfälschungen, chauvinistische Hetzliteratur […] vergifteten deutsches Fühlen und Denken.“ (62) Die SMAD benutzte in ihren Erklärungen zur ‚Befreiung‘ der Kunstinstitutionen und der Literatur eine aus drei Teilen bestehende Formel: Nazismus, Rassismus und Militarismus (83, 86). Dieselbe Dreiheit, in der bis 1947 fast immer der Rassismus vor dem Militarismus stand, begegnet auch in den programmatischen Erklärungen deutscher Kommunisten. So hieß es in Wilhelm Piecks Rede auf der Kulturkonferenz der KPD im Februar 1946: „Rassenirrwahn, Gewaltanbetung, Chauvinismus und Militarismus wurden zu den beherrschenden Prinzipien des kulturellen Lebens erhoben.“ (103; vgl. 105) Und noch auf dem Ersten Kulturtag der SED bekräftigte Otto Grotewohl im Mai 1948, dass die „Rassentheorie“ der „Mittelpunkt der nazistischen Weltanschauung“ war (221). Grotewohl bezog sich ausdrücklich auf den Antisemitismus als „de[n] gefährliche[n] Mittelpunkt der faschistischen Irrlehre“ (228). Sein Referat verknüpfte die Erinnerung an die „Kinderschuhe von Maidanek und die Gaskammern von Auschwitz“ (230) direkt mit der Feststellung von der „fast völlige[n] und vorbehaltlose[n] Kapitulation unserer bürgerlichen Intelligenz vor der faschistischen Barbarei“ (231). Die Tatsache, dass die KPD, vom Juni-Aufruf 1945 an, einerseits sich nicht aus der „Mitschuld und Mitverantwortung“ (51) ausnahm, andererseits der ‚bürgerlichen Intelligenz‘ ein an Selbstkritik gebundenes Bündnisangebot machte, prägte die For-
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mulierung der „Konsequenzen“, die zu „ziehen“ seien aus den „Tatsachen“, die zu „kennen“ seien, wie es im Leitartikel der „Deutschen Volkszeitung“ am 21. Juni 1945 hieß (60): „Systematische Aufklärung über den barbarischen Charakter der NaziRassentheorie, über die Verlogenheit der ‚Lehre vom Lebensraum‘, über die katastrophalen Konsequenzen für das deutsche Volk.“ (53) In dem Maße, wie die Folgen der rassistischen Politik für das deutsche Volk betont wurden und der Faschismus als „Volksverrat“ (52) erschien (wie es gleichfalls im Juni-Aufruf hieß), wurde es dem Adressaten der Aufrufe und Erklärungen möglich gemacht, sich selbst als Opfer zu verstehen; damit konnte der eigene Anteil an dem „beispiellosen Verbrechen, diese[m] grauenerregenden Massenmorden[…], das von Hitlerdeutschland als System betrieben wurde“ (50), in den Hintergrund treten.
II Weltkongress der Intellektuellen für den Frieden in Wroclaw (1948) und Hellmut von Gerlach-Gesellschaften im Osten und im Westen Der – wie die VVN – noch in allen vier Zonen arbeitende Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, der im September 1947 den Ersten Deutschen Schriftstellerkongress organisiert hatte, der eine Resolution gegen den Antisemitismus verabschiedete, schickte auch den westdeutschen Delegierten Hans Mayer, den Vorsitzenden der hessischen VVN, zum Weltkongress der Intellektuellen für den Frieden im August 1948 nach Wroclaw, der einen Besuch der Gedenkstätte Auschwitz einschloss. Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten arbeiteten von der in Westberlin gelegenen Militärmission der Volksrepublik Polen, deren Kulturattaché der Auschwitz-Überlebende und Schriftsteller Tadeusz Borowski war, betreute Hellmut von Gerlach-Gesellschaften in beiden Gesellschaften für deutsch-polnische Verständigung. Im Jahr der Verschärfung des Kalten Krieges 1950 bildeten sich auch in den nun in Frankfurt/Main und Berlin/DDR getrennt erscheinenden Organen der beiden Vereinigungen der Verfolgten des Naziregimes Unterschiede in der Weise der Thematisierung von Widerstand und Judenverfolgung und -vernichtung heraus.
In den Publikationen der kommunistischen Schriftsteller, die auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress eine Rolle spielten, wurden vor allem die nicht-deutschen Opfer genannt, ohne zwischen Kampf und Leiden zu hierarchisieren. Abusch nannte Juden vor Slawen und Franzosen (1967, 34), Hermlin vor Polen und Russen (1953, 163, 179); Seghers machte auf den Unterschied zwischen der Kriegführung im Westen und im Osten (1971, III, 47) aufmerksam, wie Becher, der davon sprach, dass im Osten „dieser Krieg auf Hitlers Befehl als Ausrottungs- und Vernichtungskrieg gegen die slawische Rasse geführt wurde“ (1979, III, 24). Seghers’ Formulierung des Unterschieds zielte eher gegen eine Hierarchisierung, wenn sie „ein Bündnis der Toten gegen Hitler“ beschwor, „nachdem die Lebenden nicht imstande waren, rechtzeitig dieses Bündnis zu schaffen“: „Zu d[..]en bewußten und freiwilligen Zeugen gesellt sich die Masse der jüdischen Bevölkerung, die Hitler zur systematischen Ausrottung verurteilt hat.“ (Seghers 1979, IV, 30) Die Weise, in der Becher, Seghers, Hermlin u. a. kommunistische Teilnehmer des Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses in den Nachkriegsjahren den Rassismus thematisierten, ergibt ein Bild, das auch mit Publikationen von nicht-kommunistischen Exilierten und der westlichen Alliierten bemerkenswert übereinstimmt. Im Februar 1947 bejahte Abusch die Frage: „Gibt es eine besondere deutsche geistige Krise?“, indem er auf die Gemeinsamkeiten der Alliierten einerseits und den Rassismus des deutschen Faschismus andererseits hinwies: „So sehen wir, daß in diesem Kriege der Antihitler-Koalition, über alle politischen und weltanschaulichen Gegensätze hinweg, sich bestimmte einigende Momente zeigten. Verfechter des Christentums, der bürgerlichen Demokratie und des Sozialismus kämpften in diesem Kriege gemeinsam gegen den Faschismus – und zwar die Christen ausgehend davon, daß sie die Gleichheit aller Menschen vor Gott anerkennen, die Anhänger der bürgerlichen Demokratie, daß sie die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz meinen, und die https://doi.org/10.1515/9783050095851-004
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Sozialisten, daß sie die Gleichheit aller Menschen im wirklichen Leben fordern. Sie alle vereinte besonders ihr Gegensatz zu der imperialistischen menschenfeindlichen Rassenlehre des Nazismus.“ (Abusch 1967, 31)¹ Abuschs Referat, auf das sich Bechers Vorbereitungsartikel zum Schriftstellerkongress im Oktober bekräftigend bezog, sah die Besonderheit der deutschen Geschichte in den Rassismus der Vernichtungslager führen, und er bezog diesen als Negation auf die Werte, die von den Alliierten vertreten wurden. Das „besondere Deutsche“ jedenfalls, so Abusch, „fand“ seine „Auswirkung […] in einer solch furchtbaren Realität wie Gaskammern und Verbrennungsöfen für Millionen Menschen, deren Opfer Juden, Slawen, Franzosen, Belgier und Angehörige anderer Nationen Europas, aber auch Deutsche wurden“ (34). Selbstkritik deutscher Geistigkeit und deutschen alltäglichen Unpolitischseins erlaubte, einerseits die zentrale Bedeutung des Rassismus und insbesondere des Antisemitismus zu erkennen, andererseits die Anti-Hitler-Koalition als fortsetzbar zu wünschen. Äußerst positiv rezensierte Hans Mayer im US-amerikanischen Sender Radio Frankfurt eine Publikation der britischen Besatzungsmacht zum Problem der „Politischen Kultur“, weil er in ihr dieselbe Aufmerksamkeit für in der Intelligenz herrschende Ideologien einerseits, für das Verhalten der Bevölkerung insgesamt bestimmende psychologische Muster andererseits fand: „Immer wieder zeigt Brogan den bezeichnenden Unterschied, daß alle Nachtseiten der französischen, englischen oder amerikanischen Geschichte am schärfsten durch große Franzosen, Engländer und Amerikaner kritisiert und schließlich beseitigt wurden. Das gleiche gilt für das zaristische Rußland, dessen ganze geistig führende Schicht von Puschkin bis Gorki in der Opposition stand. Eine solche erfolgreiche Kritik deutscher Zustände durch Deutsche hat es seit 1848 nie wieder gegeben. Immer mehr machte sich die deutsche Geistigkeit zur willigen Gefolgschaft des preußischen und später nazistischen Machtstaats.“ (Hermlin/Mayer 1948, 66) In demselben Sender griff Stephan Hermlin in seiner im ganzen durchaus wohlwollenden Besprechung von Karl Jaspers’ „Die Schuldfrage“ diejenige Position frontal an, von der aus sowohl Scham als auch Anerkennung von Schuld abgelehnt werden konnten: das vermeintlich gute Gewissen des Wehrmachtssoldaten, von Jaspers ein „unantastbares“ „Selbstbewußtsein“ (Mayer/Hermlin 1948, 151) genannt. Gegen Jaspers’ Behauptung: „das Bewußtsein soldatischer Ehre bleibt unberührt von allen Schulderörterungen“, führte Hermlin nicht nur ein Zitat aus Hannah Arendts in der Zeitschrift „Die Wandlung“ erschienenem Essay „Organisierte Schuld“ (152) an, sondern vor allem verwies er auf eine problematische Kontinuität deutscher Kultur: „Das Phantom einer von der schlechthin menschlichen unterschiedlichen soldatischen Ehre ist nicht allen Völkern gemeinsam, es ist ein deutsches Produkt.“ (151) Gegen Jaspers’ Behauptung, dass die militärische „Bewährung nicht nur keine
Vgl. hierzu Georg Lukács’ Beitrag zum Europäischen Gespräch 1946 in Genf: Jaspers u. a. 1947, Lukács 1984.
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Schuld, sondern […] ein Fundament des Lebenssinnes“ sei, äußerte Hermlin den Verdacht, „daß die ethische Unerbittlichkeit des Philosophen Karl Jaspers hier einem Auditorium nachgegeben hat, das etwas anderes einfach nicht hätte hören können“ (151). Hermlin und Mayer gaben ihre Rundfunkarbeiten noch vor ihrer Übersiedlung in die sowjetische Besatzungszone im Wiesbadener Verlag Limes heraus, der schon 1946 Mayers im Exil entstandenen „Georg Büchner und seine Zeit“ gedruckt hatte, 1947 als „Ansichten über einige neue Bücher und Schriftsteller“, von denen eine im Titel auf das Adjektiv „neue“ verzichtende „erweiterte und bearbeitete Ausgabe“ im selben Jahr im Berliner Verlag Volk und Welt erschien. Hermlin und Mayer blieben nach ihrer Übersiedlung in die sowjetische Besatzungszone Autoren von Volk und Welt. Mayers Differenzen mit der Kulturpolitik der westlichen Allierten beweist der Plan eines „Aufsatz[es] stark polemischen Charakters“, den er einen Tag nach der Währungsreform noch aus Frankfurt am Main Peter Huchel für die in Vorbereitung befindliche Zeitschrift „Sinn und Form“ unterbreitete, nämlich eine Untersuchung der Weise, in der öffentlich in den Westzonen von Jungen, Jugend und junger Generation geredet wurde: „Ich möchte unter dem Titel ‚Die Falschmünzer‘ einmal die ganzen literarisch politischen Hintergründe aufdecken, die mit gewissen deutschen und ausserdeutschen Literaten verbunden sind, so in letzter Zeit als Redner vor der deutschen Jugend auftraten. […] Ich möchte der Reihe nach Reden und Redner einmal nach ihrer angeblichen Botschaft und ihrer persönlichen Berufung zu solcher Botschaft analysieren. […] In den Westzonen besteht keine Möglichkeit, so etwas zu bringen, da ich damit gegen die Propaganda von drei Militärregierungen auftrete.“ (Huchel 2000, 59/60) Schon als Mayer zum hessischen Vorsitzenden der VVN gewählt worden war, hatte er im März 1947 einen dieser Redner kritisiert: „Es ist eine lächerliche Illusion, wenn ein amerikanischer Kontrolloffizier vor kurzem vor der Tagung der jungen Generation behaupten konnte: Glaubt mir, der deutsche Nationalismus und der deutsche Militarismus sind tot.“ (Mayer 1987, 70) Kurz vor seiner Berufung an die Leipziger Universität nahm Mayer am Weltkongress der Intellektuellen für den Frieden in Wroclaw teil und besuchte als das einzige westdeutsche Mitglied der zehnköpfigen, vom Kulturbund² ausgewählten deutschen
Seit 1949 bereiteten die westdeutschen Landesverbände des Kulturbundes eine eigene Bundesorganisation vor, die 1951 in Düsseldorf als Demokratischer Kulturbund Deutschlands mit der Monatszeitschrift „Heute und Morgen“ und dem Progreß-Verlag Johann Fladung gegründet wurde. Zum Mitgliederverlust z. B. des Düsseldorfer Kulturbunds, der im Januar 1948 noch 400 Mitglieder hatte, von denen „rund 10 %“ der KPD angehörten, vgl. 1950 die Begründung seines Austritts durch den Schriftsteller Hans Kierski: „‚Denn genau so überzeugt und konsequent wie ich Anti-Faschist war, bin und bleiben werde, war, bin und bleibe ich Anti-Kommunist!‘“ (Spies 2000, 79) Vgl. aber Sean A. Forners Untersuchung eines in den Kulturbünden entstandenen Netzwerks hauptsächlich in Zeitschriften tätiger Akteure, das zwar durch den „sich entwickelnden Systemkonflikt“ „Brüche erlitt“, dessen „Diskurs“ aber „nach dem Einsetzen des Kalten Krieges fort[lebte]“ (Forner 2007, 251): „Die Wahrnehmung einer gemeinsamen Erfahrung des Antifaschismus führte Liberale, Linkskatholiken und Sozialisten wie Kommunisten unterschiedlicher Prägung zusammen“ (231), zu denen Forner Axel
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Delegation im Rahmen des Kongressprogramms das Gedenkstätte gewordene Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Der vom französischen und vom polnischen Schriftstellerverband für den 25. bis 28. August 1948 nach Wroclaw einberufene Weltkongress der Intellektuellen für den Frieden war der erste Kongress nach 1945 überhaupt, an dem eine offizielle deutsche Delegation teilnahm; im gleichen Jahr war der SPD noch die Teilnahme am Kongress der Sozialistischen Internationale verweigert und die Wiedergründung eines Zentrums des Internationalen PEN innerhalb Deutschlands gerade erst beschlossen worden. Dass der Kongress auf eine französisch-polnische Initiative zurückging,³ entspricht dem – von David Cesarani gegen einen „‚Myth of Silence‘“ betonten – Umstand, dass Warschau und Paris in ersten Nachkriegsjahren die „nodal points“ der frühen Publikation von Erlebnisberichten über die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden (Cesarani 2012, 4) waren, die auch aus dem Jiddischen und z. B. ins Englische übertragen wurden wie 1947 Seweryna Szmaglewskas „Smoke Over Birkenau“, das 1955 vom Warschauer Fremdsprachenverlag „Polonia“ unter dem Titel „Uns vereint heiliger Zorn“ für deutschsprachige Leser gedruckt wurde und aus dem im selben Jahr Auszüge erschienen in der von Adolf Rudnicki im selben Verlag redigierten Anthologie von Erlebnisberichten „Ewiges Gedenken“: „Stockdunkle Nacht“ (Rudnicki 1955, 46 – 68), „Generalappell“ (72), „Bis es dann nachts auf einmal losging“ (85 – 104).⁴ Die in Frankreich und Polen entstandenen frühen Erlebnisberichte, „written in a patriotic or anti-fascist spirit“ (Cesarani 2012, 23), belegen für Cesarani: „Within the anti-fascist paradigm and the glorification of resistance, Jewish memory was acknowledged“ (31), weshalb er bestreitet, dass die Nicht-Hervorhebung einer Exklusivität des Mords an den europäischen Juden als „colluding in its displacement or distorting its singularity“ (20) gedeutet werden müsse, was sein Mitherausgeber ausdrücklich an Dan Diners exklusivem, auf eine gegen die Juden der ganzen Welt als Rasse gerichtete Vernichtungs-Intention gegründetem Holocaust-Begriff kritisiert (Sundquist 2012).
Eggebrecht, Eugen Kogon, Günther Weisenborn, Alfred Kantorowicz und Hans Mayer zählt. Er verweist insbesondere auf Kogons Veröffentlichung von Mayers (1948a) Aufsatz „zu den hoffnungsvollen, aber spannungsreichen Versuchen, durch Schriftstellertagungen ein Forum für die Zusammenarbeit von Intellektuellen aus Ost und West zu schaffen“ (237). Vgl auch Forner 2011 und Forner 2014, wo er „their antifascist convictions and their democratic hopes“ (3) als „democratization of an elitist cultural patrimony“ (11) abgrenzt von einerseits „welfare state“ und „liberal democracy“ und andererseits „ state socialism“ (5) und aus „the pre-Cold War moment of antifascist unity‘“ (11) erklärt. Imke Hansen schweigt in ihrer Geschichte des ersten Jahrzehnts der Gedenkstätte nicht nur von dem Besuch der Delegierten des Kongresses in Auschwitz, sondern auch von seiner Rolle in der Entstehung der Weltfriedensbewegung, die sie ein „von der polnischen Regierung initiierte[s]“ „Instrument antiwestlicher Propaganda und prokommunistischer Mobilisierung“ (Hansen 2015, 192) nennt. Vgl. aber den Beitrag zur Seite der „FAZ“ am 27. Januar 2020 „Keine deutsche Identität ohne Auschwitz. Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar“ von Marta Kijowska (2020) „Der zweite Rauch über Birkenau. Warum ist die in Polen für ihren Lagerbericht berühmte Serewryna Szmaglewska in Deutschland unbekannt?“
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1 Hans Mayer: Auschwitz Von den zehn nach Wroclaw Delegierten des Kulturbunds waren fünf jüdischer Herkunft, Alexander Abusch, Jürgen Kuczynski, Hans Mayer, Anna Seghers und Friedrich Wolf, Hans Marchwitza hatte im Exil die ältere Schwester von Günther Anders geheiratet,⁵ Willi Bredel war nach dem KZ aus Deutschland geflohen, der Maler Max Pechstein hatte zwar 1933 nicht gegen den Ausschluss von Käthe Kollwitz und Heinrich Mann aus der Preußischen Akademie der Künste protestiert, war aber 1937 als ‚entartet‘ zur Schau gestellt worden, und der Bauhaus-Architekt Hans Scharoun hatte im Faschismus nur Einfamilienhäuser gebaut. Mayer hat über die Reise zum Kongress in Wroclaw mehrfach geschrieben, und in allen seinen Texten wird Auschwitz das Zentrum seiner Reise wie des Kongresses genannt. So berichtete Mayer den LeserInnen der „Frankfurter Hefte“ über den Verlauf des Kongresses: „Am Tage darauf die Gaskammern von Auschwitz. Und klarer als jemals auf dieser Reise wurde es mir, warum es notwendig war, zu dieser Tagung nach Breslau zu fahren.“ (Mayer 1948a, 979) Im Tagebuch, das er zuerst in der Wochenzeitung „Sonntag“ des Kulturbunds, dann in einem Informationsmaterial des Kulturbunds für Referenten veröffentlichte, schrieb er über den Vorabend der Reise nach Auschwitz: „Am Abend sieht man den polnischen Film [Wanda Jakubowskas] ‚Letzte Etappe‘. Auschwitz. Auch diese Erinnerung gehört zum zentralen Thema unserer Tagung.“ (Mayer 1948d, 12) Obwohl der Ortsname in Mayers Kongressrede, die von Willi Bredel in der Zeitschrift „Heute und Morgen“ gedruckt wurde, nicht fällt, ist deren Ausgangspunkt – die am Fall des Generalgouverneurs Hans Frank belegte „Kulturfassade“ „vor der Barbarei“ (Mayer 1948b, 569) – derselbe wie in der Beschreibung der Gedenkstätte, die Mayer in der VVN-Zeitschrift „Unser Appell“ publizierte: „Berichte über Massenvernichtungen bleiben nackte Zahlen, solange man nicht reale Dinge sah, die von solcher Vernichtung zeugen“ (Mayer 1948c, 5). In zwei Bildern, die am Anfang und am Ende stehen und metaphorisch auf die Reise der Opfer in den Tod verweisen, verdichtet Mayer die Deutung des in Auschwitz Wahrgenommenen als Gegenwart der faschistischen Gefahr: „Da ist auch ein besonderer Bahnhof, dessen Gleise nach Auschwitz oder in der anderen Richtung nach Birkenau führen. Auschwitz diente gleichzeitig der Zwangsarbeit wie der Vernichtung; Birkenau war bloß noch Vernichtungslager. […] Mich hat dieser Bahnhof erschüttert. Die Szene ist bekannt:[⁶] nächtliche Ankunft der gepreßt vollen Viehwagen mit ‚untauglichem
Marchwitza berichtete auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongress, wie seine Frau von seiner Enkelin beim Lesen von Charles Dickens’ „Oliver Twist“ gefragt wurde: „Tante Hilde, ist das ein Jude? Man kann sich das vorstellen. Ein solches Bild und die Bösartigkeit, mit der man Menschen entwürdigt und entstellt, haben wir mit zu bekämpfen.“ (Zur Tradition III, 577) Vgl. Saryusz-Wolska 2019, 250, über das von Jakubowskas Film geprägte „ikonographische Motiv“ der „nächtliche[n], im Nebel inszenierte[n] Einfahrt des Zuges nach Auschwitz“ „als unmittelbare Quelle für Alain Resnais’ Bild „Nacht und Nebel“, an das Steven Spielberg in „Schindlers Liste“ anknüpfte. „Dieser Film zwingt zur Identifizierung mit den Menschen, die hier leiden“, schrieb Gerhard
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Menschenmaterial‘ aus Deutschland und Österreich, aus Frankreich und Holland, aus Italien und Ungarn und Rumänien. Hier, in diesem Bahnhof landeten die Züge.“ (5) Wie am Anfang die Züge, „die nicht einmal in jenem Bahnhof hielten, sondern gleich durch das Tor von Birkenau weiterfuhren, […] jene von vornherein zur Vernichtung bestimmten Transporte, die mit dem Stichwort ‚Nacht und Nebel‘ avisiert waren“ (5), steht am Ende die verkehrte Natur ⁷ für die Fortdauer der Vergangenheit: „Neben den eingestürzten Kammern sind breite Wassertümpel. Hier standen die Scheiterhaufen. Das Wasser hat die Eigenschaft, nicht zu gefrieren. Die Fermente im Boden geben genügend Hitze her“ (7). Dass Mayer seine Wahrnehmungen in Auschwitz in einer Weise deutet, die seine Entscheidung zur Übersiedlung in die SBZ bestätigen kann, erklärt vielleicht, weshalb er 1982, seit fast zwanzig Jahren in der Bundesrepublik lebend, in seinen Memoiren zu dem 1948 besuchten Lager „kein Bild“ erinnern kann, kein „Empfinden einer Identifikation“, „weder Mitleid noch Furcht, bloß Fremdheit und Befremden“, und nur „Berge“ von „Überresten“ nennt, um festzustellen: „Nichts half der Einbildungskraft, und das war gut so.“ (Mayer 1982, 414). Bredel, der Mayers Rede druckte, erwähnt in seiner eigenen Reisebeschreibung die Fahrt der Kongressteilnehmer nach Auschwitz nicht, sondern er kommt erst in Warschau, beim Besuch des Ghetto-Denkmals, auf „Die Juden“ (Bredel 1948, 635) zu sprechen. Wenn Bredel hier davon ausgeht: „Drei Nachkriegsjahre haben jeden belehrt, daß der Faschismus keine spezifisch deutsche Angelegenheit war, sondern die am meisten brutalste Herrschaftsmethode des Imperialismus“, dann meint er den einen Satz zuvor formulierten Sachverhalt zu erklären: „Wir wurden von niemandem, auch nicht andeutungsweise, verantwortlich gemacht für die Schandtaten, die Hitlerdeutsche in Polen und in der übrigen Welt begangen haben.“ (634) Aber eine Klage und eine Mahnung stehen in Bredels Text in Gegensatz zu der implizierten Vorstellung, mit der Beseitigung der ökonomischen Grundlagen den Faschismus überwunden zu haben; Bredel klagt: „Die Welt ist stumpf und mitleidlos geworden“ (635), und er mahnt, dass „wir durch unser Verhalten das im polnischen Volk nur zu berechtigte Mißtrauen beseitigen“ (637) müssen. Ein anderer Kongressteilnehmer, Max Frisch, den Mayer aus dem Schweizer Exil kannte, schweigt gleichfalls von Auschwitz, aber im „Tagebuch 1945 – 1949“ wird 1950 begründet, weshalb er den Kongress vor dessen Fahrt nach Auschwitz verlässt. Seine Verärgerung über die – ihn empörende – Zumutung (ausgesprochen von Ilja Ehrenburg), Russland zur europäischen Kultur zu zählen (Frisch 1950, 283), hat ein Echo noch in der die Reisebeschreibung abschließenden Reflexion: Frischs Zusammen-
Leo in der Wochenzeitung der westdeutschen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes „Die Tat“ am 15. April 1950 über Jakubowskas Film: „Gleich bei dem ersten Bild vergessen wir Leinwand, Kino und alles, was uns von dem trennt, das hier gezeigt wird […] – wir werden ins berüchtigte KZ-Lager Auschwitz eingeliefert.“ (Leo 1950) Vgl. aber schon das Standbild „Zug an der Rampe“ aus dem sowjetischen Film „Die Befreiung von Auschwitz“, Hoffmann 1998, 9. Vgl. Thomas Jung 2000, 40.
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fassung des „stärkste[n] Eindrucks unserer polnischen Reise“, „daß die Spannung zwischen Ost und West […] eigentlich nicht eine Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen Ordnungen“ (298) sei, sondern ein Gegensatz von Völkern, lastet dem Osten das ‚Grausen‘ der Lager an: „Die planmäßigen Ausrottungen, die schon in Polen, wo das Slawische sich am meisten mit dem Westen verschwistert hat, den Charakter einer regelrechten Industrie angenommen haben, um gegen Osten womöglich noch grausiger zu werden, erweisen sich nicht nur für Deutschland, sondern für Europa als eine katastrophale Hypothek. Ferner der oft wiederkehrende Eindruck, daß die Völker, die den Blutverlust eines nächsten Krieges überleben, keinesfalls die Völker unseres europäischen Westens sind –“ (300/301) Eugen Kogon, der ehemalige Buchenwald-Häftling, druckte zwar Mayers Kongressbericht in den „Frankfurter Heften“ ab, aber er nannte den VVN-Kameraden einen „Freund und Gegner“ (Mayer 1948a), was er ein halbes Jahr später in seinem Aufsatz „Der politische Untergang des europäischen Widerstandes“ erklärte: „Die neue Front hat die alte ganz und gar überlagert, obgleich der Wortschatz und die Symbole vielfach noch die gleichen sind […]. Diese sagen ‚Antifaschismus‘ und zielen auf die ‚herrschende kapitalistisch-imperialistische Reaktion‘; jene sagen ‚totalitäre Diktatur‘ und denken dabei kaum mehr an das nationalsozialistische System, sondern fast ausschließlich an den Kreml. Als Gegner hat in der Vorstellung überall der Feind von heute die Stelle des Feindes von gestern eingenommen.“ (Kogon 1949, 408) Kogon bewies dies dadurch, dass die einzigen „Konzentrationslager“, von denen er selbst sprach, die (sowjetischen) „Internierungslager“ (411) waren. Am Schluss zitierte er gegen Mayer und die „drüben“ „das hübsche Wort […], das ihnen auf dem breslauer Intellektuellenkongreß Aldous Huxley, in Abwandlung des Satzes: ‚Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten‘, spottend hinwarf: ‚The intellectuals have nothing to lose but their brains‘.“ (413)⁸ Hans Mayer bevorzugt in seinem im historischen Präsens erstatteten Bericht über den Gang durch das „Hauptlager“ (Mayer 1948c, 5) und Birkenau das Wir vor dem Ich, so am „Todesblock“: „Wir gehen jene furchtbaren drei Stufen aus dem Block in den Hof, die für Tausende den letzten Schritt im Leben bedeuten sollten“, aber er notiert dort auch die Reaktion einzelner Mitglieder der „erste[n] deutsche[n] Delegation“ wie Anna Seghers’ „abwesenden Ausdruck“ bei der Niederlegung von Blumen an der „Todeswand“, wo Marchwitza „plötzlich fassungslos an[fängt] zu weinen“ (6). Auch nennt Mayer denjenigen, der „uns führt“, mit Namen und charakterisiert ihn: „Der jetzige Leiter des Museums […], einstiger Häftling des Lagers, Franek Targasz, ein
Damit nahm Kogon gewissermaßen die redaktionelle Vorbemerkung zu Mayers Bericht über Wroclaw zurück: „Die breslauer Tagung der Intellektuellen stand im Mittelpunkt heftiger Debatten und mehr oder minder einseitiger Berichterstattung. […] Da im Westen die Stimme des Westens […] genug zu hören war, geben wir hier unserem Freund und Gegner Hans Mayer das Wort.“ (Mayer 1948a, 975) Kogon verwechselte Julian Huxley, der in Wroclaw gewesen war, mit Aldous Huxley. Zu den auf Wroclaw folgenden Kongressen von Intellektuellen in Paris und New York 1949 vgl. Peitsch/Wiemann 2016 über „Transformation of ‚Culture‘: From Anti-Fascism to Anti-Totalitarianism“.
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gütiger, kluger Mensch, der eher zurückhaltend berichtet“ (6), Mayer macht aber das von Targasz „mehrfach“ „gebraucht[e]“ „Wort von der ‚perfiden‘ Sauberkeit“: „Man war ordentlich beim Morden“ (6), zu einem Leitmotiv des Berichts, dessen Stationen aus der Sicht der Delegation als von Targasz bestimmt erscheinen: „Wir müssen alles sehen. Auch die […] Stehbunker. Was kann nach diesem Anblick noch Furchtbareres gezeigt werden?“ (6/7) Wenn Mayer fortfährt: „Furchtbarer ist“, wiederholt sich mit der Steigerung des „[G]rauenvoll[en]‘, was sich jeweils „in anderer Weise“ (5) zeigt, das Leitmotiv: „Furchtbarer ist nebenan die Sammelstelle des ‚Abfalls‘. Man hielt Ordnung in Auschwitz.“ (7) Das am Anfang des Berichts stehende Bild der Züge beendet vor dem Gang durch das Stammlager ein Vergleich mit Birkenau, das „[a]ls Sinnbild menschlichen Jammers“ „im Zustand belassen“ wurde, „wie man es in der Stunde der Befreiung fand“: „Auch Auschwitz, das Hauptlager nebenan ist grauenvoll, in anderer Weise. Hier sollte für die Ewigkeit gebaut werden, denn die bereits vollzogenen Vernichtungen waren nur ein Vorspiel für kommende Zeiten – nach dem ‚Endsieg‘.“ (5/6) Dem mit dem Indefinitpronomen ‚man war‘ formulierten Leitmotiv entspricht gelegentlich ein ‚alles war‘, so im Bericht über das Eintreten ins Stammlager, der die Inschrift des Eingangstors nicht erwähnt:⁹ „Als erstes sieht man an der Eingangsecke einen Pfahl, eine Art von Pranger. Hier hatten […] Angehörige solcher Häftlinge aufrecht und angebunden zu stehen, denen die Flucht aus dem Lager geglückt war. […] Das bedeutete natürlich den sicheren Tod. […] Von jener Ecke hat man den Überblick auf die verschiedenen Blocks. Jeder hatte seine besondere Funktion. Die 28 Gebäude beherbergten 1943 durchschnittlich 27000 Menschen. Die Zahl blieb, die Bestandteile wechselten. In Auschwitz durfte man nicht lange leben. Der Nachschub wartete. Alles war sehr sorgfältig organisiert.“ (6) Bevor der von Mayer beschriebene Gang durch Auschwitz im Schlussabsatz nach Birkenau zurückführt, kommt er auf den Galgen am Eingang zurück – mit „eine[r] Abschrift der Aussage“ „in den Händen“, in der sich der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß im Nürnberger Prozess „schuldig am Tode von mehr als 6 Millionen Menschen“ „bekennt“: „Wir sehen den Pfahl, an dem dieser Mensch sein Leben endete. Er wußte, was er getan hatte“ (7). Auch in Birkenau gibt Mayer als ersten Blick wieder einen Überblick, und zwar von den „vor der Aufgabe des Lagers von der SS gesprengt[en]“ „Gaskammern“: „Wir stehen auf der Anlage, können aber deutlich die Einzelheiten des Todeswegs erkennen: die großen sogenannten Baderäume; die Stellen, wo das Zyklongas einströmte; die Transportschienen, die dann zu den Scheiterhaufen führten, die Tag und Nacht brannten.“ (7) Der Vergleich mit bereits gesehenem Grauenhaften führt zur leitmoti Es eröffnete aber den DEFA-Wochenschau-Film zum Tag der Opfer des Faschismus 1948, bevor sich „[d]er Schatten eines Hakenkreuzes […] über eine europäische Landkarte aus[breitet], Namen von Konzentrationslagern […] eingeblendet“ werden und es im Kommentar heißt: „‚Die Zahl der Lager wuchs in dem Maße, wie die faschistischen Machthaber weitere Herrschaftsgebiete an sich rissen.“ (Schieber 2016, 95) Vgl. zum Tor Rensinghoff 1998.
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visch formulierten Verallgemeinerung: „Nichts war vielleicht grauenhafter bei alledem als die Seife, die man den Opfern für ihr ‚Bad‘ überreichte: sie hatte die Eigenschaft, sich nicht aufzulösen. Man war haushälterisch in Auschwitz. War das Todesbad beendet, so sammelte man die Seife ein – für den nächsten Transport.“ (7) Über die bisher zitierten Verallgemeinerungen, wie ‚man war‘ in Auschwitz beim Morden: ordentlich (6, 7) und haushälterisch (7), wählt Mayer aus einer Reihe von „Stapel[n] über Stapel[n]“ von „Frauenhaar“, „Kinderschuhen und Kinderkleidchen“, „Prothesen“ und „Briefen“ die letzteren für einen verallgemeinernden Kommentar: „Man ließ sie Briefe schreiben, daß es ihnen gut gehe […]. Man hatte ein Interesse daran, möglichst viel Menschenmaterial anzulocken. Das bedeutete Reingewinn an dem Raubzug und wohl auch an Arbeitskräften. Denn gleich Aasgeiern hatten sich rund um die Vernichtungslager die Fabriken niedergelassen: Krupps Unionwerke und die Buna-Produktion der IG Farben neben anderen. Die Lager waren lukrativ.“ (7) Andere Akzente setzten zwei Mitglieder der Kulturbund-Delegation, als sie in noch 1948 veröffentlichten Aufsätzen auf den Intellektuellen-Kongress zurückkamen. Anna Seghers’ Essay „Glauben an Irdisches“, der am 14. November 1948 in der sowjetischen „Täglichen Rundschau“ erschien, war „den polnischen und französischen Freunden gewidmet, die den Wroclawer Kongreß der Intellektuellen für den Frieden einberufen haben“ (Seghers 1971, III, 46). Seghers konzentriert sich auf die Bedeutung der Kunst für die Sicherung einer friedlichen Zukunft der Menschheit: „was Neruda […] in einem Gedicht genannt hat: ‚Wiedererwecken in flüchtigen Seelen den Glauben an das Irdische‘“ (51).¹⁰ Sie nennt allerdings „Maidanek, Auschwitz, Treblinka“, den „Warschauer Aufstand und ein Jahr zuvor de[n] Aufstand des Warschauer Gettos“ ebenso wie „die Kämpfe des Maquis“ (48), doch macht sie einen Unterschied: Hitlers „Soldaten brachten nach Frankreich andere Gebrauchsanweisungen mit als für den Osten. Das eine Volk stand tief unten in der Skala der besetzten Länder, das andere galt als entartet und verfeinert.“ (47) Wie sie aus Paris, wohin sie aus Warschau über Prag gereist war, in der Klage über die Kürze ihres Zusammenseins in Wroclaw Georg Lukács schrieb, dass sie „über ein paar Sätze, die zufällig im Gespräch fielen, noch ausführlicher schreiben [werde…], wenn ich dazu Ruhe habe“ (Seghers 2008, 325), teilte sie Tamara Motyljowa zum Essay mit: „Ich werde vielleicht ueber einen Punkt dieses Artikels noch einmal ausfuehrlicher schreiben: Ueber den Unterschied zwischen den Laendern, die durch die Rote Armee und denen, die durch die Westmaechte ‚befreit‘ wurden.“ (336) Im Essay heißt es: „[…] ganz Polen war ein Musterbeispiel für alles geworden, was der Faschismus aus Menschen und Erde machen kann. […] Auf
Die Rezension in „Die Buchbesprechung“ schloss: „Das Buch sollte in keiner Bibliothek fehlen, es sollte vielfache Verwendung finden und vielen Menschen in die Hand gegeben werden, weil es in besonderer Weise den Gedanken der Erhaltung des Friedens lebendig und wirksam macht.“ (R[ittinghaus] 1955, 180) Die Rezensentin hob den Essay „Glauben an Irdisches“ als „gleichsam kontrapunktisch[e]“ Führung der Stimmen zum „Anwachsen der Friedensbewegung in den Ländern der Welt“ hervor, an dem „[b]esonders deutlich wird“, „auf welche Höhe das künstlerische Ausdrucksvermögen die Publizistik zu heben vermag“ (179).
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seinem Boden hat der Faschismus liquidiert, was ihm zu erhalten unnütz vorkam: die überflüssigen, teures Brot verschluckenden Mäuler in seiner Festung Europa. Maidanek, Auschwitz, Treblinka. Die bloßen Namen machten die Menschen frösteln, für immer – so glaubte man damals.“ (Seghers 1971, III, 47) Friedrich Wolfs Artikel „Der Aufstand des Warschauer Ghettos“ nennt den „Breslauer Kongreß der Kulturschaffenden“ (Wolf 1968, 199) nur einmal, wenn Wolf nämlich zwei Menschen vorstellt, mit denen er als „Wir“ vor dem „Monument der Kämpfer des Ghettos“ steht: „Vorn die knappe Inschrift: Das jüdische Volk seinen Kämpfern und Märtyrern“ (199).Wolf berichtet über den Ghetto-Aufstand als Teil eines „Heldenliedes, das noch geschrieben werden muss und geschrieben werden wird […] nicht das schlechteste Kapitel dieser Epopoe des antifaschistischen Kampfes“ (204). Mayers „Auschwitz“ war die erste Veröffentlichung einer Beschreibung der Reise eines Deutschen zum ‚Museum‘ gewordenen Konzentrations- und Vernichtungslager. Ihr Erscheinen im Organ der seit 1947 alle vier Besatzungszonen umfassenden VVN¹¹ widerlegt nicht nur die Behauptung Aleida Assmanns: „Auschwitz […] ist seit der Öffnung des ‚Eisernen Vorhangs‘ erstmals als konkreter Ort auf der Landkarte erfahrbar geworden“ (Klein 1999, 1), sondern auch die Datierung erstmaliger westdeutscher Erfahrbarkeit durch den „Ortstermin des Frankfurter Schwurgerichts im Auschwitz-Prozess“ (Renz 2008) durch Sibylle Steinbacher auf den Dezember 1964: „In Westdeutschland […] wurde ‚Auschwitz‘ zum ersten Male nach 1945 als ‚realer Ort‘ wahrgenommen.“ (Steinbacher 2001) Zweifelhaft machen Mayers Text und sein Kontext aber auch Nicolas Bergs Behauptung: „Auschwitz war nicht unmittelbar nach Kriegsende Signum einer Epoche oder gar des Jahrhunderts“ (Berg 2003, 48), und für die spätere ‚Chiffre‘ Auschwitz gelte, dass sie, so Michael Zimmermann, „‚den historischen Ort Auschwitz […] kaum berührt‘“ (639). Anders hat Thomas Jung Mayers „Auschwitz“-Text als „im Widerspruch zur Zeit und zum Zeitgeist“ (Jung 2000, 32) interpretiert, dessen Diskurse „eine affektive Annäherung an die Vergangenheit unmöglich machen“ (34), weil „der konkret-historische und lokalisierbare Ortsname Auschwitz ins Abstrakte, ins Universale, in etwas Überhistorisches enthoben“ werde und weil „eindeutige Schuldbenennungen“ „in den Raum des Unsagbaren und Unvorstellbaren“ delegiert würden (35). Als solche „sichere Distanz“ herstellende „Instrumentalisierung“ (35) benennt Jung für den Diskurs des Zeitgeists, der Auschwitz zur „mehrdeutigen Metapher“ mache: „rassen-ideologisch begründete[…] Perversion politischen Verhaltens“, „Verabsolutierung eines bürokratisch-technokratischen Denkens“, „Schuldhaftigkeit“ des Menschen und besonders des Deutschen, „Vergegenständlichung des Bösen und Dämonischen und anderes mehr“ (34/35). Auf Jungs Liste fehlt der Faschismus, zu dessen ‚Chiffre‘ besonders in Seghers’ „Glauben an
Zuletzt wurde die alle vier Sektoren umfassende VVN Groß-Berlins im Januar 1948 gebildet – mit der jüdischen Sozialdemokratin Jeanette Wolff, dem Kommunisten Walter Bartel und Heinz Galinski von der Jüdischen Gemeinde als Vorsitzenden, vgl. den DEFA-Augenzeugen vom 27.1.1948 mit Auszügen aus deren Reden, Schieber 2016, 156.
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Irdisches“ Auschwitz wird und dessen Bekämpfung in Friedrich Wolfs Text das ‚Signum einer Epoche‘ bildet.
2 Stephan Hermlin: Auschwitz ist unvergessen In seinem Vorwort zur deutschen Übersetzung von Jerzy Andrzejewskis „Die Karwoche“ schrieb 1948 Stephan Hermlin: „Das Buch, das der deutsche Leser hier in die Hand bekommt, ist ein furchtbares Buch. Jerzy Andrzejewskis ‚Die Karwoche‘ ist furchtbar nicht nur, weil es die schrecklichste Tragödie unserer Epoche behandelt, die Ausrottung eines Volkes, die Ausrottung der polnischen Juden durch Deutsche mit Wissen und Duldung anderer Deutscher. Furchtbar ist Andrzejewskis Buch vor allem in dem Sinne, daß es ein radikales Buch ist, also ein Werk, das an die Wurzel des behandelten Gegenstandes geht. Der Gegenstand ist der Antisemitismus.“ (Hermlin 1948, 5) Hermlin nannte es „ein polnisches Buch“, um zu vergleichen: „Und diese radikale Ernsthaftigkeit oder moralische Radikalität ist bei uns in Deutschland sehr selten zu finden.“ (5) In Polen seien zwar „allesamt Opfer des Hitlerangriffs“ (5) gewesen, aber Hermlin betonte, dass „Hitler nicht gegen den Obersten Beck Krieg führte“, und: „nichtjüdische und jüdische Antifaschisten stehen für dieselbe Sache“ (6). Auch Hermlin fuhr als Mitglied einer Delegation 1949 nach Polen (Breysach 2005, 158).¹² Er nennt in seiner Reisebeschreibung keine Namen, wenn ein „wir“ im „Wagen“, gelegentlich ins „man“ wechselnd, über die Anreise „aus Schlesien“ „nach Oswiecim“ „zwischen Katowice und Krakow“ (Hermlin 1953, 176) berichtet und die deutsche Landschaftsbezeichnung und die polnischen Ortsnamen mit der nicht rückgängig zu machenden Anwesenheit von „sechs Millionen“ „polnischen Siedler[n]“ in den „westlichen Teilen Polens“ metaphorisch begründet werden: mit dem „Rad“ (nicht der Geschichte, sondern) der „Arbeit“, „das keine Macht der Welt mehr rückwärts drehen wird“ (176). Ein in wechselnder Entfernung von der Straße verlaufendes „Gleis“ führt über die nur scheinbar offene Frage „Woher mag es kommen, wohin gehen…“, die auf Auschwitz vorausdeutet, auf eine andere, deren Antwort die „Begleiter“ geben: „Die Menschen, die heute hier wohnen, wohnten damals nicht hier.“ (176) An Stelle der „ausgesiedelt[en]“ „Polen“ waren es „Deutsche“ (176), die „menschengefüllt[e]“ und „leer[e]“ „Züge“ und „den Feuerschein der Krematorien“ „sahen“ (176/177) sowie „Asche im Mund spür[t]en.“ (177)
Allerdings fuhr er nicht zur „Teilnahme am Zweiten Weltkongress der Kämpfer für den Frieden 1949 in Warschau“ (Breysach 2005, 158), weil dieser erst 1950 stattfand. 1949 fand vom 20. bis 25. April 1949 in Paris und Prag der Erste Weltkongress statt, an dem u. a. Arnold Zweig, Johannes R. Becher und Max Zimmering teilnahmen und dessen Name Anna Seghers die Erweiterung der entstehenden, später so bezeichneten Weltfriedensbewegung über die Intellektuellen hinaus anzeigte (Seghers 1971, III, 52). Im selben Monat gehörte Hermlin zusammen mit drei anderen Autoren jüdischer Herkunft: Kuba, Alexander Abusch und Friedrich Wolf, sowie mit Willi Bredel und Ludwig Renn zur „Erste[n] deutsche[n] Schriftstellerdelegation in der CSR“ (Tschernig 1989, 33).
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Der Gegensatz von ‚damals‘ und ‚heute‘ bestimmt sowohl die knappe Charakterisierung des „Ort[s] Oswiecim“ als der ‚Vorstellung‘ einer „reizlos[en] und durchschnittlich[en]“ Kleinstadt (177) entsprechend: „In diesem Ort ist gar nichts geschehen“, woran sich der Gegensatz anschließt: „außer dem ungeheuerlichsten Mord der Weltgeschichte“ (177), als auch den „erste[n] Eindruck“ vom Stammlager Auschwitz als ‚Gewimmel‘ von „Leuten, Schulklassen, Familien, Gruppen aller Art“, die „gerade aus Lastautos und Viersitzern klettern“ (177).Wie Hermlin den Gegensatz von ‚damals‘ und ‚heute‘ zur Geltung bringt, belegt, dass seine Verwendung des Indefinitpronomens ‚man‘ den Adressaten seines Textes einschließt; die erste (von zwei) direkte(n) Ansprache(n) des Adressaten (in der Höflichkeitsform) lässt ihn in der Fortsetzung dieses Gesprächs auf die 1. Person Singular verzichten, die er sonst gerade dort verwendet, wo er sich mit einem „ich will sagen“ (178) oder „wie ich schon sagte“ (179) auf seinen gewissermaßen entstehenden Text bezieht: „Der erste Eindruck: Museumsbetrieb, mit einem kleinen Zurückschrecken, das man sogleich (‚Natürlich! Sie haben recht!‘) korrigiert. Darüber später noch ein Wort.“ (177) Erst im letzten Absatz des Textes fällt dieses Wort zur Korrektur des ersten Eindrucks, in dem Hermlin das Bild von der verkehrten Natur benutzt, vom Gras, das eben nicht über alles wächst; er beginnt den Schlussabsatz, der mit der Wendung der Feststellung des Titels „Auschwitz ist unvergessen“ in ein wiederholtes Gelöbnis „Wir vergessen nicht!“ (183) endet, mit dem Rückgriff auf den Anfang: „Jetzt weiß ich, wie gut es ist, daß die Menschen hier aus ihren Dörfern und Städten kommen. Es dürfte nicht anders sein. Vergeblich bemüht sich das Gras, die Blocks von Birkenau zu überwachsen.“ (182) Hermlins Bericht vom Gang durch das Stammlager und Birkenau – der „Komplex III des Lagers“ wird „nur“ als „Anzahl kleinerer Lager […] zerstreut um die Todesfabrik[en]“ „erwähn[t]“ (182) – impliziert Erklärungen für die Korrektur des ‚ersten Eindrucks‘ vom ‚Museumsbetrieb‘. Auch wenn Hermlin weiterhin zwischen ‚wir‘ und ‚man‘ wechselnd beschreibt, kann bei der Vorstellung des – wie er mit der in der VVN üblichen Anredeform heißt – „polnische[n] Kamerad[en], der mich begleitet“ (181), als Henryk Porembski der Eindruck entstehen, Hermlin werde allein geführt. Durch „das Tor mit der Aufschrift“, die er zwar zitiert, aber nicht kommentiert, um stattdessen für das Weitere am Tor hervorzuheben, dass es „die einzige Öffnung in der riesigen Drahtmauer [war], die hochgespannter Strom undurchdringlich machte“ (177), führt ihn der Eintritt auf die „Lagerstraße zwischen […] den Blocks“, wo „[m]an“ „anderen Besuchern“ „begegnet“, von denen Hermlin in einer die Mutter eines Opfers vermutet: „Eine alte Frau fragt jemanden nach Block 18 und hinkt eilig von dannen, vielleicht ist ihr Sohn dort geblieben.“ (178) Implizit vergleicht er, bevor er besonders die Blocks 11 und 5 beschreibt, das Stammlager als „nicht besonders groß“ und, weil „[h]ier […] nicht vergast“ worden sei: „man erschlug, erschoß, erhängte, tötete durch Gift“ (178), mit Birkenau. Im ersten der drei Absätze über die beiden Blocks benutzt Hermlin sehr betont die 1. Person Singular des Personalpronomens und wechselt vom sonst durchgängig benutzten Präsens ins Präteritum oder Perfekt: „Ich war im Block 11, dem Todesblock. […] Ich habe den kleinen Gang durchquert, bin die fünf Stufen hinun-
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tergegangen, wo 26000 die letzten Schritte ihres Lebens taten, damals in den Jahren, von denen man nicht gern spricht. […] Im Block 11 habe ich die Zellen der Todeskandidaten gesehen, nicht ganz zwei Meter hoch, etwa zwei Meter breit und drei Meter lang: ich hatte noch nicht gewußt, daß die Nazis durch Hunger und Luftmangel hinrichteten. Mit besonderer Vorliebe töteten sie auf diese Weise Priester.Vierzig Mann wurden in das schmale Verlies gesteckt […,] nach vierzehn Tagen […] die Verhungerten und Erstickten herausgeholt. Man findet noch Inschriften in den Wänden: einen Gekreuzigten in die Mauer eingegraben.“ (178/179). Vom „exotische[n] Namen“ des Blocks 5, Kanada, kommt Hermlin mit einem „übrigens“ auf Birkenau, wo es „ein Mexiko“ gebe: „Nichts weiter als eine stacheldrahtumwickelte Fläche ohne irgendein Gebäude, flach wie die Hand, von MG-Türmen überwacht: das Gelände, auf dem die ungarischen Juden unmittelbar nach dem Transport, völlig nackt, auf die Gaskammer warteten.“ (179) Solche ‚Leere‘ nimmt Hermlin auch in den Blocks wahr, die „jetzt“ keinen „musealen Zwecken dienen“ (178): „Die Blocks sind leer; das heißt, ihre Inneneinrichtung ist unverändert geblieben […]; ich will sagen: sie sind menschenleer, von einer unerträglichen schreienden Leere.“ (178) Denselben unerträglich genannten Schrei vernimmt Hermlin jedoch auch in den anderen Blocks, in denen „zur Besichtigung aufgestellt“ ist, „was bei der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee in den Magazinen vorgefunden wurde“ (179). Dessen Auflistung wird sarkastisch eingeleitet: „in Auschwitz ließen die deutschen Faschisten nichts verlorengehen außer den Menschen. Man hat natürlich nichts mehr von dem gefunden, was sie ordentlich sortierten, packten, verbuchten und ins Reich beförderten“ (179/180). Aber am Ende der Liste von „Frauenhaar“, „Kinderkleidchen“, „Schuhen“ über neun Haushalts- und zwei Hygienegegenstände bis zu „Brillen, Prothesen“ steht die zweite der beiden direkten Adressatenanreden: „Können Sie sich einen ganz hellen, sauberen Raum vorstellen mit nichts als einer Unzahl von orthopädischen Gegenständen inmitten einer bodenlosen Stille? In dieser Stille, aus der alles Menschliche verbannt scheint, reden, schreien die Dinge von ihrer furchtbaren Dauerhaftigkeit“ (180/181). In der zweiten Neubearbeitung des Büchmann, die 1952 mit anderen Herausgebern als im Faschismus erschien, wurde das „Geflügelte Wort“ „Wenn Menschen schweigen, werden Steine schrei’n“ von der Bibel über die Legenda Aurea auf Ludwig Theobul Kosegartens Nacherzählung zurückgeführt, wie Beda Venerabilis einer Menschenmenge predigt und „Das Amen der Steine“ statt der Menschen kommt (Büchmann 1952, 33). Aber auf des Propheten Habakuk (2,11) Wort: „Denn auch die Steine in der Mauer werden schreien“ gegen das Unrecht der Chaldäer, und auf Jesu Wort über seine Jünger bei Lukas: „Wenn diese werden schweigen, so werden die Steine schreien“ (Lukas 19, 40), sowie die Legenda Aurea bezieht sich auch Heinrich Heine in seiner Darstellung eines Gangs mit Ludwig Börne durch das Frankfurter Ghetto: „‚Betrachten Sie diese Gasse‘, sprach er seufzend, ‚und rühmen Sie mir alsdann das Mittelalter! Die Menschen sind tot, die hier gelebt und geweint haben, und können nicht widersprechen, wenn unsere verrückten Poeten und noch verrücktern Historiker, wenn Narren und Schälke von der alten Herrlichkeit ihre Entzückungen
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drucken lassen; aber wo die toten Menschen schweigen, da sprechen desto lauter die lebendigen Steine.‘ In der Tat, die Häuser jener Straße sahen mich an, als wollten sie mir betrübsame Geschichten erzählen, Geschichten, die man wohl weiß, aber nicht wissen will oder lieber vergäße, als daß man sie ins Gedächtnis zurückriefe.“ (Heine 1976, VII, 21/22) In der Mitte von Hermlins Liste der ‚Dinge‘ findet sich ein Kommentar, der auf das ‚Reden‘ der Dinge vorausdeutet: „Man hat diese Dinge mitten in die Baracken gelegt oder in riesigen Vitrinen aufgerichtet. Kein Plakat, keine Inschrift gibt den leisesten Kommentar.“ (180) Hermlin aber weist ausdrücklich auf einen dadurch begründeten Unterschied hin zwischen dieser ‚Aufstellung zur Besichtigung‘ und anderen: „In gewöhnlichen Museen trennt man die Besucher von den ausgestellten Objekten durch samtene Schnüre; hier ziehen sich Miniaturzäune aus Stacheldraht hin, der an winzigen Pfosten mit winzigen Porzellanisolatoren befestigt ist.“ (180)¹³ Der erste Teil der Beschreibung von Birkenau radikalisiert die Motive des Tores und der Gleise, nicht zuletzt durch eine – im Text einmalige – persönliche Erinnerung Hermlins, wenn es zu den „niedrigen Baracken“ des „unendlich lang[en]“ Lagers heißt: „Aus der Ferne sieht man nur das Tor, ein langgestrecktes, mit Tarnfarben bemaltes Gebäude, das mich auf quälende Weise an die Einfahrt zur AVUS in Berlin erinnert. Geleise laufen aus dem Land darauf zu, vereinigen sich vor dem Tor zu einem einzigen Strang. Hochspannungsdrähte, MG Türme auch hier, mehr noch, noch viel mehr. […] Dann kommt ein Prellbock. Wir sind am Ende der Leidensstraße, die vielleicht zweitausend Jahre lang ist, die man vielleicht messen müßte wie Distanzen im Universum. Hier steht ein Prellbock, die Geleise hören auf, links und rechts davon, gleich daneben liegen die Gaskammern und Krematorien. Das Ende der Welt.“ (181)¹⁴ Im zweiten Teil der Beschreibung von Birkenau berichtet Hermlin, dass Henryk Porembski ihm die – damals offizielle –¹⁵ Zahl von „vier Millionen und fünfhunderttausend Menschen“ nennt, die „ermordet“ worden seien, nachdem dieser darauf aufmerksam gemacht hatte, „daß wir auf Asche gehen“: „Es hat keinen Sinn, ausweichen oder stehenbleiben zu wollen, überall tritt man auf die Asche, die unter den
Habbo Knoch schreibt den „für Auschwitz […] typischen Effektenfotografien“ zu, dass sie „die Vorstellung des Massenmordens symbolisch auf[sogen]“, indem die „Effekten“ in der „Regel zusammen mit zentralen symbolischen Elementen des Lagers gezeigt“ worden seien: „Stacheldraht“ und der „Fluchtlinie des Torhauses von Birkenau“ (Knoch 2001, 770). Vgl. dazu das unmittelbar folgende Zitat aus Hermlins Text sowie Menzel 1998. Dasselbe Bild verwendete zusammen mit einer christlichen Metapher am 4. Dezember 1949 die Besprechung von Grete Weils Erzählung „Ans Ende der Welt“ im „Neuen Deutschland“: Die Autorin „fängt den Passionsweg des jüdischen Volkes ein. In Amsterdam […] geschieht, was im nazi-besetzten Europa im Jahre 1943 überall geschah. Die jüdische Bevölkerung wird zur Deportation nach Polen konzentriert. Ereignis und Mensch sind hier ins Typische überhöht, Erkenntnis und Tat ins Allgemeingültige erweitert. […] Annabeth folgt Ben freiwillig, obwohl sich ihr eine Möglichkeit des Entkommens bietet, auf dem Wege ‚Ans Ende der Welt‘, auf dem Wege nach Auschwitz.“ (C.H. 1949) Vgl. zu der Zahl von 4 Millionen in der Ausstellung sowohl von 1950 als auch von 1955 Hansen 2015, 258.
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Sohlen singt“ (182). Mit diesem ‚Gesang‘ parallel ordnet Hermlin seine von der Zahl der Opfer ausgelösten Gedanken an: „Man denkt plötzlich, wie man so oft schon daran gedacht hat, was noch geschehen wäre ohne die Rote Armee.“ (182) Das Gespräch mit Henryk Porembski wird nach der Rückfahrt aus Birkenau im Stammlager fortgesetzt, konstrastiert aber die Rote Armee mit „gewissen amerikanischen Touristen“, von denen der Guide erzählt: „Zwischen den Krematorien stehend, schlagen sie Porembski augenzwinkernd vor, er möge doch zugeben, daß alles Propaganda sei.“ (182) Als Reaktion darauf unterscheidet sich Hermlins einziger im Text als wörtliche Rede gekennzeichneter Satz von Porembskis „resignierte[m] Lächeln“: „‚Goebbels’ Sieg über die USA.‘“ (182) Hermlin spezifiziert seine Stellungnahme im Kalten Krieg – durch metaphorische Subsumtion der USA unter Faschismus – auf seine Stellung zu Polen in der abschließenden, bereits zitierten Korrektur des ‚ersten Eindrucks‘ vom ‚Museumsbetrieb‘. Indem er von Auschwitz als „Schandmal“ (182), als „Ehre“ (183) oder Ehrenmal und als Mal im Sinne von „Makel“ (183) spricht, ordnet er die Schande den „deutschen Faschisten“ zu, die Polen „zu ihrer großen Hinrichtungsstätte bestimmten“ (182), die Ehre „dem Volk Polens“ (182), „das unablässig der Opfer gedenkt, um entschlossener für das Leben zu kämpfen“ (183), und den „Makel sowohl den „deutschen Faschisten“ (182) als „einer Menschengruppe, die der Bestialität verfiel“ (183), als auch „eine[m]“ nicht ausdrücklich kapitalistisch genannten „System, das in allen seinen Formen“ – ungesagt bleibt: nicht nur den faschistischen, sondern auch bürgerlich-demokratischen – „dem sozialistischen Humanismus unweigerlich erliegen muß“ (183).¹⁶ Hermlins Schlusswort: „Auschwitz […] ist zur Ehre der polnischen Nation geworden“ (183), geht über die im ersten Absatz gewissermaßen vorweggenommene Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze hinaus, die aber erst 1950 im von der im Oktober 1949 gegründeten DDR mit der Volksrepublik Polen unterzeichneten Görlitzer Abkommen erfolgen konnte. Hermlins Reisebeschreibung „Auschwitz ist unvergessen“ erschien 1949 im zweiten Heft der Monatsschrift „Blick nach Polen“, die von der Hellmut von Gerlach-Gesellschaft herausgegeben wurde, seit 1950 von der DeutschPolnischen Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft bis zur Einstellung 1953, als sich der westdeutsche Zweig der Gerlach-Gesellschaft, dessen eigener Vorstand in Düsseldorf seit 1950 die Zeitschrift „Jenseits der Oder“ herausgab,¹⁷ in Deutsche Gesellschaft für Kultur- und Wirtschaftsaustausch mit Polen (Lotz 2007, 100/101) umbenannte; die Gründung der Gesellschaft war auf einem Treffen der SED-Führung mit dem Leiter der polnischen Militärmission in Berlin am 23. November 1947 beschlossen worden; ihre Mitgliederzahl stieg bis 1952 auf 110.000 (Wentker 2007, 107). 1948 schrieb der Referent für Lehrerbildung in der Deutschen Zentralverwaltung für Hierüber schweigt Dubrowska 2014, um Hermlins Texte über Auschwitz und das Warschauer Ghetto-Ehrenmal zu einem „Holocaustgedenken als innere[n] Imperativ“ zu erklären gemäß den Vorgaben Emmerichs (2012) und Münklers (1996). Vgl. Swiatlowska 2001, 272; auch zur Bedeutung von Andzrejewskis „Die Karwoche“ und Borowskis „Die steinerne Welt“ (282/283) in der ‚Verständigung‘ Westdeutscher mit Polen.
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Volksbildung, der ehemalige Sozialdemokrat Heinrich Deiters, im Organ des Kulturbunds zu „Deutschland und Polen“: „Wir müssen unsere […] innere Einstellung zu dem polnischen Volk von Grund aus ändern.“ (Deiters 1948, 483)¹⁸
3 „Blick nach Polen“ In derselben Ausgabe von „Blick nach Polen“ wie Hermlins Reisebeschreibung erschien Henryk Keischs Antwort auf die Titelfrage „Breslau oder Wroclaw?“: „Wer an ‚Breslau‘ festhält, der will seinen Anspruch auf die Stadt festhalten, will ihre Zugehörigkeit zu Polen bestreiten, will, hoffend und drohend, auf eine künftige Revanche hinweisen.Wer ‚Wroclaw‘ sagt, anerkennt den Verzicht auf jede neuerliche Expansion, zieht der Verewigung des deutsch-polnischen Gegensatzes die Freundschaft und Zusammenarbeit vor, zu der Polen bereit ist.“ (Keisch 1949) Und ein Heft später bekannte Wolfgang Harich: „Wenn ich meine Heimat, die ich liebte, verloren habe, so verdanke ich das allein der beschämenden Tatsache, daß wir friedliebenden, zu guter Nachbarschaft bereiten Deutschen den Chauvinisten, unserem Feind und Verderber im eigenen Land, nicht rechtzeitig die Kriegsfackel zu entreißen vermochten.“ (Harich 1949) 1957 kam Hermlin in seiner später unter dem Titel „Der PEN-Club in Buchenwald“ gedruckten Rede „Dies ist unsere Sache“ (1957a) auf dem „leer[en]“ „Appellplatz“ des früheren Konzentrationslagers auch auf die Stille von Birkenau zurück, nachdem er daran erinnert hatte, dass Buchenwald „einundfünfzigtausend Tote“ „zählte“: „Aber es gab einige [Konzentrationslager], die Hunderttausende und Millionen von Toten verschlungen haben, Auschwitz an der Spitze.“ (Hermlin 1960, 219) Doch in Weimar „besuchte man das Haus am Frauenplan, sprach man, nicht selten in brauner oder schwarzer Uniform, gern von der faustischen Natur des Deutschen.“ (219) Ohne dass er – so wie Hans Mayer – von einer ‚Kulturfassade‘ spräche, stellte er das Problem der Schriftsteller im PEN, deren „Sache“ „nicht“ „Partei- und Staatspolitik“ sei: „Aber dies hier ist unsere Sache, daß wir hier stehen an diesem Platz, vor diesem ungeheuren Monument aus Leere und Lautlosigkeit. Hier endet die Literatur. Dieser Stille antwortet vielleicht nur eines: der unartikulierte Aufschrei. Er nehme dennoch Form an. Mit Thomas Mann sagen wir – es sind Sätze aus seinem Vorwort zu den ‚Lettere di Condannati a Morte‘ – : ‚Umsonst? Zuschanden geworden ihr Traum und Tod? Es kann so nicht sein. Noch keine Idee, für die reinen Herzens gekämpft, gelitten, gestorben wurde, ist zugrunde gegangen. Noch jede ist verwirklicht worden – und trug dann alle Makel der Wirklichkeit; aber Leben gewann sie.‘“ (222) Keine der genannten und der im Folgenden zu nennenden deutsch-polnischen Gesellschaften der 1950er und 1960er wird auch nur erwähnt in einem Sammelband zu den „Mitte 2004 über 50 in der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband zusammengeschlossene[n] Vereine[n]“, der den „Dialog deutscher und polnischer Bürger“ dann auch im Vorwort erst „seit den siebziger Jahren“ ‚keimen‘ sieht (Riechers u. a. 2005, 9).
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Zum 5. Jahrestag der Gründung „dieser Republik, wo die Verbrechen gesühnt wurden und tiefgreifende ökonomische Veränderungen eine Wiederholung dieser Verbrechen unmöglich machten“, hatte Hermlin im „Neuen Deutschland“ geschrieben: „Es war die Deutsche Demokratische Republik, die ein Wort des jungen Marx zur gesellschaftlichen Realität machte, jenes Wort, dem zufolge ein Volk, das sich zu schämen vermag, dem Löwen gleicht, der sich zum Sprung in sich selbst zurückzieht. Die Deutsche Demokratische Republik hatte den Mut zu dieser kollektiven Scham, sie forderte diese Scham von ihren Bürgern, und aus ihrem Mut wuchs ihr jene Kraft, die sich seither ständig deutlicher manifestiert. Sie begann ihre Existenz nicht nur mit Rechnungen und Plänen, sondern in gleichem Maße mit moralischen Forderungen.“ (Hermlin 1960, 91/92) Im Jahr seiner Reise nach Auschwitz schrieb Hermlin das Nachwort für Jan Petersens im Exil zuerst erschienenen Roman „Unsere Straße“, den er ein „authentische[s] Werk des deutschen Widerstandes“ nennt, ein „Zeugnis […] für die unbekannten Kämpfer und Opfer“ (Hermlin 1950, 346), dessen Lektüre er aber in zwei sehr verschiedene Weisen zu lesen unterscheidet: einerseits als Wiedererkennen, andererseits als Erkennen einer Differenz. Die erste Leseweise präsentiert Hermlin zunächst autobiographisch, um sie dann nur mit einer die Mehrheit der möglichen LeserInnen ausschließenden Einschränkung zu verallgemeinern: „Was Jan Petersen schildert, habe ich selbst, fast noch ein Kind, in anderen Straßen Berlins erlebt. Nirgendwo sonst habe ich diese Berliner Atmosphäre von 1932, 1933, 1934 so wahrheitsgetreu geschildert gefunden wie hier – dieses kühle, graue, gefährliche[¹⁹] Licht in den Straßen des Proletariats, auf Fassaden von grandioser Häßlichkeit, auf den Stirnen von Menschen […]. Jeder von uns, der Menschen wie Richard Hüttig gekannt hat, der sie nicht vergessen kann und nicht vergessen will, […] findet sie hier wieder, so wie sie waren, er nickt ihnen zu und klopft grüßend auf den Tisch, so wie man’s damals tat, wenn man ins Versammlungslokal kam oder später in irgendein Zimmer, wo die heimliche Zusammenkunft stattfand.“ (347/348) Die zweite Leseweise wird als ein Vergleichen von Petersens Roman mit „seit dem Waffenstillstand in Westdeutschland schnellfingrig konstruierten Bücher[n]“ vorgeschlagen, die „vielfach nur den Anschein einer langjährigen Schubladenexistenz erwecken [sollen], während sie doch nur peinliche Erinnerungen an nicht ganz untadelige Autoren wachrufen“ (346), aber Petersens Buch „das einzige Dokument vom illegalen Kampf“ sei, „das in Hitlerdeutschland selbst geschrieben wurde“ (345): „wer dieses Buch gelesen hat, vermag zu ermessen, welche Kluft zwischen dem reinen Wollen und der todesmutigen Tat einfacher deutscher Arbeiter und der feigen Selbstsucht kompromißwütiger Hitlerdiplomaten und -generäle liegt, die aus verletzter Eitelkeit und panischer Furcht vor dem Sozialismus in letzter Stunde lächerliche Komplotte schmiedeten“ (347). Herm-
Vgl. zu diesen „Gefährlichen Zeiten“ Eric Hobsbawms deutsch so betitelte Erinnerungen über seinen damals noch Rudolf Leder heißenden Berliner Mitschüler Hermlin, der „mich für eine kommunistische Organisation anwarb“ (Hobsbawm 2003, 83), den Sozialistischen Schülerbund.
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lins negative Bewertung der am 20. Juli beteiligten Militärs und Diplomaten lässt ihn als Beispiel für die „Kluft“, die Petersens Roman trennt, die „Aufzeichnungen des Herrn von Hassel [sic]“ wählen, „die, neben anderen ähnlichen, im Westen Deutschlands uns als Dokumente des Widerstandes aufgeschwatzt werden sollen“ (347).²⁰ Welche Bedeutung Auschwitz für den Zusammenhang von Schuld und Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze hatte, zeigt sich in zwei in demselben Jahr 1950 in beiden deutschen Staaten erschienenen offiziellen Broschüren, die Reisebeschreibungen über die polnischen Westgebiete enthielten. Sowohl die westdeutsche als auch die ostdeutsche hießen „Hinter Oder und Neiße“. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen veröffentlichte die Beschreibung eines – sich so auch als Verfasser nennenden – Autochthonen, eines Ingenieurs, der seine Sicht als die aller Einwohner behauptet: „Jeder empfindet das Gebiet als ein graues, verelendetes Niemandsland mit unaufhaltsam absinkendem Lebensstandard, der heute ungefähr bei dem deutschen von 1830 angekommen sein dürfte, und wünscht eine Lösung, die diesen unhaltbaren Zustand beendet.“ (Bundesministerium 1950, 19) Juden erscheinen in diesem Niemandsland zum einen als in der Gegenwart von den polnischen Behörden – durch weite Anerkennung auch von „Halb- und Vierteljuden“ (4) – gefördert, zum anderen als eine „von der deutschen Kultur geformt[e]“ „Volksgruppe“ (18). Von anderer als kultureller Vergangenheit ist nicht die Rede, denn der reisende Erzähler beschreibt als Realität „das deutsche Element“: „Mitteleuropa ist […] eine gewachsene Einheit, aus der das Deutschtum nicht auszuschalten ist.“ (18) Mit dieser „‚Metaphysik des Raums‘“, in die der Autochthone die deutsch geprägte Kultur der Juden einschließt, können die Kommunisten, der „dialektische Materialismus seiner rationalen Herkunft nach nicht rechnen“ (19). Während in der offiziellen Bonner Reisebeschreibung nicht nur von Auschwitz, sondern überhaupt von Faschismus und Krieg geschwiegen wird, um einen kulturgeschichtlichen Raum zu beanspruchen, zitiert die vom Verlag der Zeitschrift „Blick nach Polen“ gedruckte Reisebeschreibung des ehemaligen Kriegsgefangenen Werner Land polnische Stimmen – auch über Auschwitz. Jerzy Andrzejewskis Adressierung der Deutschen erscheint wie eine Entlastung von Schuld: „‚Weder Majdanek und Auschwitz, noch die Mauern des Ghettos, noch das Andenken an die Millionen Gemordeter und zu Tode gequälter polnischer Bürger werden zwischen uns stehen, da
Vgl. zu den Leseweisen 1953 in der Beilage des Organs der DDR-BibliothekarInnen die Empfehlung von Hermlins Sammlung von „Aufsätzen und Berichten“ „Die Sache des Friedens“: „Viele der Arbeiten Hermlins sind hervorragend für Lesestunden und andere kulturelle Veranstaltungen geeignet.“ (Beyer 1953, 34) Hervorgehoben wird die „Auschwitz ist unvergessen“ enthaltende dritte, „Memento“ überschriebene von fünf thematischen Gruppen: hier „erweist sich Hermlin als ein Ankläger, der mit der scharfen Waffe des Wortes die Unmenschlichkeit des Faschismus vernichtend trifft, aber gerade diese Beiträge sind auch erfüllt von einem echten Pathos, das den heldenhaften Kämpfern von Leningrad und im Warschauer Getto […] wie den Opfern von Lidice, Auschwitz und Oradour […] ein unvergängliches poetisches Denkmal setzt.“ (33)
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die Last dieser Verbrechen auf die Faschisten, und zwar auf sämtliche Faschisten, fällt. Ihnen überlassen wir die Schmach und die Scham über die endgültige Niederlage.‘“ (Land 1950, 61) Aber Andrzejewskis Adresse ist als Appell zu lesen, mit der faschistischen Vergangenheit zu brechen, deshalb ist sie im Futur gehalten, und die kausale Begründung enthält eine Bedingung. Der ehemalige Kriegsgefangene nimmt diese Voraussetzungen von Andrzejewskis Formulierung durchaus wahr, wenn er ihr keine Entlastung, sondern eine Belastung entnimmt, die ein bestimmtes Verhalten von den Deutschen verlange: „bei vollkommenem Bruch mit einer schändlichen, das deutsche Volk belastenden Vergangenheit, müssen neue Wege der Annäherung gefunden werden“ (65). Die von Land zitierte polnische Stimme über Auschwitz entspricht der von Elizabeta Dzikowska als Grundstruktur der Zeitschrift „Blick nach Polen“ analysierten Figur der ‚ausgestreckten Hand‘ (Dzikowska 1998, 74). Die Anerkennung der deutschen Schuld begründet aber in Lands Reisebeschreibung nicht nur die Anerkennung des Gebietsverlusts, sondern er geht über die Widerlegung der Lüge vom Brachland (Land 1950, 56) und über Feststellungen wie: „Breslau existiert nicht mehr“ (55), hinaus. Die Erinnerung an die Last der Vergangenheit, an Auschwitz als Ort der „systematisch betriebene[n] physische[n] Vernichtung des polnischen Volkes und besonders der polnischen Intelligenz“ (15), dient dem Verfasser als Beweis der Gefährlichkeit der Mauer aus deutscher Arroganz, Dummheit und „sorgfältig gepflegter Unwissenheit“ (10). Daraus folgt für Land, dass Anerkennung der deutschen Schuld auch verlange, sich in die polnischen Opfer hineinzuversetzen (vgl. Dzikowska 1998, 118). Die Reisebeschreibung, die Kurt Barthel 1950 in der „Jungen Welt“, dem Organ der FDJ, veröffentlichte, entspricht in ihrer Darstellung von Auschwitz weder der gegensätzlich-einverständigen Verallgemeinerung über den Wroclawer Weltkongress der Intellektuellen für den Frieden durch Bredel und Kogon, nach der es in der Thematisierung von Faschismus nur um Kapitalismus gehe, noch der von Frisch, nach der Polen zum asiatischen Osten gehöre. Die letzte Folge von Barthels Reisebeschreibung erschien am 1. September 1950, dem – wie eine Vorbemerkung der Redaktion der „Jungen Welt“ auf derselben Seite hervorhob – 11. Jahrestag des „faschistischen Überfall[s] auf Polen“. Für dessen „Mahnung“ benutzte die Redaktion dasselbe inklusive ‚wir‘ wie Barthel in seinem Text: „Die Schuld, die wir gegenüber Polen und der Welt tragen, birgt eine Verpflichtung: nie wieder dürfen wir uns in einen neuen Krieg gegen friedliche Völker, in einen neuen 1. September hetzen lassen.“ (1.9.1950)²¹
Die Vorbemerkung der Redaktion zitierte nicht die auf derselben Seite aus F. C. Weiskopfs Roman „Himmelfahrtskommando“ abgedruckte „erschütternde Beichte“ des Wehrmachtssoldaten „Hans Holler“: „‚Die Wehrmacht, Hitlerdeutschland, jeder einzelne deutsche Soldat hinterließ eine Todesspur.‘“ (Weißkopf [sic] 1950, 3) Vgl. aber die Sammelrezension von Luise Barthel „Vom Widerstand – im tschechischen Volke und in Deutschland“ im theoretischen Organ der SED: „In seinem Nachwort betont Weiskopf, daß er die Kollektivschuld der Deutschen zeigen will, die die Vergewaltigung des tschechischen Volkes möglich machte.“ (Barthel 1948, 286) Vgl. auch zehn Jahre später Stephan Hermlins „Geleitwort“ zu „Himmelfahrtskommando“ in der Werkausgabe Weiskopfs: „‚Himmel-
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4 Kurt Barthel mit Tadeusz Borowski in Auschwitz Über den Weg, aus dem britischen Exil zurück nach Deutschland, des heute nur noch als Gerücht, als Gegenstand Brecht’scher Satire nach dem 17. Juni (Brecht 1967, X, 1009/1010),²² bekannten Kurt Barthel berichtete sein Freund Max Oppenheimer: „Er zweifelte manchmal, ob er ihn gehen sollte. Das Wissen um Auschwitz hatte ihm das kalte Grausen beigebracht. So erfolgte seine Abreise mit einem der letzten Transporte nach Berlin überraschend und plötzlich“.²³ Kuba beschreibt die Gedenkstätte in vier der insgesamt zehn Folgen, die unter dem Titel „Von Düsseldorf nach Warschau“ erschienen. Am Schluss kehrt der reisende Erzähler zum Ausgangspunkt in der britischen Zone zurück – im Text unmittelbar aus Auschwitz, wo er über weiten Strecken des Textes und damit des Wegs durch das Lager die Perspektive, den Ton seines polnischen Begleiters Tadek, einer „beizende[n] und tödliche[n] Ironie“ (Barthel 18. 8.1950) übernommen hat: „Und wenn die falschen Freunde der deutschen Ostflüchtlinge am Bückeberg ein Kreuz errichten und an diesem Kreuz Erde aus den Provinzen des Ostens dazulegen, dann können wir etwas dazulegen: […] Eine Handvoll Asche aus Auschwitz.“ (1.9.1950) 1950 hatte dort der ein Jahr zuvor gegründete Verband der Landsmannschaften, der 1957 zu dem der Vertriebenen wurde, eine Gedenkstätte eingeweiht und in seiner „Charta der Heimatvertriebenen“ gefordert, dass „die Völker der Welt [… ] ihre Mitverantwortung am
fahrtskommando‘ schildert die Naziverbrechen in den besetzten Ländern und zeigt, warum die Niederlage der Mörder nicht zufällig, sondern gesetzmäßig eintritt. Dies ist wahrscheinlich der Grund für das Verbot, das westdeutsche Regierungsstellen 1958 über das Buch verhängten, ohne daß die intellektuellen Vorkämpfer abendländischer Freiheit ein Wort darüber verloren hätten.“ (Hermlin 1960b, 10) Hierauf beschränkt sich Karin Hartewigs Darstellung von Kurt Barthel, die zwar nicht Brechts Gedicht „Die Lösung“, „die Regierung/ Löste das Volk auf und/ Wählte ein anderes“ (Brecht 1967, X, 1010), zitiert, aber eine Prosaversion vorlegt: „Barthel sprach für einen Augenblick aus, was unter linken Intellektuellen, die sich die Rolle der historischen Vorhut anmaßen, eine gewisse Tradition hat: die Enttäuschung über den ‚Verrat‘ der Massen und die Attitüde moralischer Überlegenheit. […] Im elitären Mißtrauen und im Bedürfnis nach Distanzierung zeigte sich ein nahezu unverwüstlicher, vorrationaler Überzeugungskern, der viele ideologische Ernüchterungen überlebt hatte und die Grundlage für viele subjektive Bewertungen des 17. Juni abgab.“ (Hartewig 2000, 410, vgl. 211, 403) AdK, Bestand Kurt Barthel, 671, S. 6/7. Emil Rudolf Greulich behauptet in seinem Buch über „Kuba“, dass „für ihn die Heimkehr nicht problematisch“ gewesen sei: „Die Sowjetarmee hatte uns die Ausgangsbasis geschenkt; aber das Ringen um Deutschlands geistige Wiedergeburt, herauszufinden aus der Nacht des Irrtums und der Verhetzung, das konnte uns niemand abnehmen.“ (Greulich 1953, 17) Von dieser Seite von Kubas Tätigkeit im DSV schweigen die polemischen Eintragungen von Alfred Kantorowicz’ „Tagebuch“, die sich häufig gegen Kuba und Hermlin zugleich richten, wenn z. B. beim ‚Überflügeln‘ Bechers durch „beflissene Reimereien“ (Kantorowicz 1980, II, 111) „der unappetitliche Wirrkopf Kuba“ Hermlin „,auf den Fersen“ ‚bleibe‘ (122) oder der „widrige Unhold“ mit dem „schlauer[en]“ „Karrieristen“ ‚konkurriere‘ (682).
4 Kurt Barthel mit Tadeusz Borowski in Auschwitz
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Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid der Zeit am schwersten Betroffenen“ empfinden (Salzborn 2000, 57).²⁴ Tadek wird erst in der vierten und letzten Folge der Reisebeschreibung dem Adressaten als Tadeusz Borowski bekannt gemacht, der „auf einem Versuchsfeld der SS arbeiten [musste], wo mit […] menschlichen Düngemitteln die Felder gedüngt waren“ (1.9.1950); aber Barthel stellt ihn nicht als Schriftsteller vor,²⁵ der nicht nur das Vorwort zu einer Anthologie polnischer Erzählungen „Auf neuen Wegen“ im DietzVerlag geschrieben hatte, in der er mit einer im „Aufbau“ vorabgedruckten „Das Tanzvergnügen“ vertreten war, sondern von Juni 1949 bis März 1950 als Kulturreferent des polnischen Informationsbüros in Berlin, und zwar in der im US-Sektor gelegenen Polnischen Militärmission, gearbeitet hatte. Aus dieser Zeit erinnerte später ein Autor aus dem „Kreis von jungen Lyrikern, die von Kuba gefördert wurden“ (Scherner 1972, 157), „Tadek Borowski“ auf einem „FDJ-Gruppenabend“ im „Fischerkietz“ „mit einem Haufen abgerissener Jungen und ausgehungerter, verwegener Mädchen“: „Der verstand zu fragen und zuzuhören, von ihm ging eine Woge von Herzlichkeit und Optimismus aus, und darin war er seinem Freunde Kuba vergleichbar“ (Scherner 1974, 131), der ihn begleitete: „Polen und Deutsche würden miteinander leben, brüderlich, einfach so. Wo jetzt Ruinen sind, würden nagelneue Häuser emporwachsen, von uns selber gebaut und für wen wohl?“ (132) Im Juli 1950 schon kehrte er nach Berlin zurück, um am Zweiten Deutschen Schriftstellerkongress teilzunehmen, wo er zusammen mit dem französischen Gast Vladimir Pozner, der später dreizehn der „Zeugnisse über Auschwitz“, die 1946 von der französischen Vereinigung der Deportierten und der Lager in Oberschlesien veröffentlicht worden waren (Pozner 1982, 5, 278 – 280), in der DDR übersetzt und ergänzt durch Gespräche mit noch lebenden ehemaligen Auschwitz-Häftlingen herausgab, zu den Gästen gehörte, die über Auschwitz sprachen (Die Tat, Berlin 4 (1950) Nr. 26). Borowskis Rede „Eine Herausforderung“ wurde vom „Aufbau“ gedruckt (Kuba 1984, 126/127) und im „Neuen Deutschland“ am 1. Juli 1950 zum Aufmacher: „Edelste Aufgabe: für den Frieden schreiben! Konstantin Fedin und
Vgl. die antitotalitaristische Wendung der Schuldfrage schon in einem im November 1945 in der Schweizer „Weltwoche“ publizierten Plädoyer von Robert Jungk, Polen die ehemals deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße ‚wegzunehmen‘, das auf der Erzählung eines Schlesienflüchtlings im Frankfurter Hauptbahnhof basierte, der Jungk „Aus einem Totenland“ berichtet hatte. Jungk sagt über sein Plädoyer auf ‚Wegnahme‘: „Das ist die erste Reaktion eines jeden Menschen, der die Situation im polnisch besetzten Teile Deutschlands sich einer immer furchtbarerern Katastrophe zu entwickeln sieht.“ (Jungk 1990, 246) Zugleich setzt Jungk diese Reaktion aber in Gegensatz zu dem ‚Schweigen der Deutschen‘ zu den ‚Untaten der Nazis‘ bis 1945, wenn er sich fragt: „Verhältst du dich jetzt nicht genau wie die Deutschen, die es einfach nicht wahrhaben wollten, wenn man ihnen die Augen über die Untaten der Nazis öffnen wollte? Mußte ich nicht dies Schweigen aus falscher Solidarität brechen?“ (242) Jungks Artikel fand Verwendung in einer Debatte des britischen Unterhauses. Vgl. dagegen in Bigsbys „Remembering and Imagining the Holocaust“ (2006, 341– 356): Tadeusz Borowski: the world of stone, oder Irmela von der Lühes „Tadeusz Borowski: Bei uns in Auschwitz (1946)“ in Markus Roths und Sascha Feucherts „HolocaustZeugnisLiteratur. 20 Werke wieder gelesen“ (2018, 66 – 78).
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Tadeusz Borowski vor dem Schriftstellerkongreß. Klarheit über gemeinsamen Weg“. Nach Borowskis Selbstmord schrieb Barthel für den „Aufbau“ einen Nachruf, der im nächsten Heft ergänzt wurde durch „Tagebuchaufzeichnungen“ über Borowski von Bodo Uhse und Paul Wiens. Aber im Organ der Volksbibliothekare der DDR berief sich der Literaturkritiker Alfred Antkowiak in seinen „Bemerkungen zu einer Auswahl polnischer Erzählungen“ ausgerechnet auf Borowskis Vorwort, um zu betonen, dass die polnische Literatur „sich aus einer objektivistischen Rückschau löste“, wie sie bisher allein dem deutschen Publikum bekannt sei, z. B. durch das „kritisch-realistische[…] Kunstwerk“ „Die Karwoche“, und dass die deutsche „von der polnischen Literatur lernen“ müsse, „von der abrechnenden, kritischen Rückschau zum neuen Leben zu finden“, denn die deutsche Literatur „hinkt […] noch hinter dem Leben her“ (Antkowiak 1951, 139). Aber Borowskis Name fehlte schon 1950 in einer im „Aufbau“ erschienenen Liste derjenigen „bekannte[n] Schriftsteller und Dichter“, die „während der ersten drei Nach-Kriegsjahre in der polnischen Literatur die Erinnerungen an die Vergangenheit einen großen Raum ein[nehmen]“ ließen, indem sie „das unendliche Leid, das dem polnischen Volk durch die faschistischen Okkupanten widerfahren war“, „[i]n Erzählungen, Novellen, Reportagen und tagebuchähnlichen Aufzeichnungen gestalteten“ (Günter 1950).²⁶ Der „Aufbau“-Rezensent von Maria ZarebinskaBroniewskas „Auschwitzer Erzählungen“ nannte beispielhaft „Jerzy Andrzejewski, Zofia Nalkowska, Adolf Rudnicki, Pruszynski, Stanislaw Dygat und Jerzy Putrament“ – aber er stellte sie nicht in Beziehung zu anderen in der DDR erschienenen Erlebnisberichten und Erzählungen über Auschwitz – Bruno Baums „Bericht der Internationalen Lagerleitung“ „Widerstand in Auschwitz“ 1949 und Rudolf Weinstocks „‚Rolf, Kopf hoch!‘ Ein Erlebnisbericht. Die Geschichte eines jungen Juden“ im Verlag der VVN 1950 sowie Grete Weils „Ans Ende der Welt“ (ohne Genrebezeichnung) bei Volk und Welt 1949. Erich G. Günter schloss die „Aufbau“-LeserInnen ein, wenn er zur Wirkung von drei hervorgehobenen Erzählungen Zarebinska-Broniewskas („Sintflut“, „Entlausung“ und „Konzert“) anmerkte: „Uns erinnern diese schlichten, leisen Berichte wohl unwillkürlich an die Szenerie des mächtigen Films von Wanda Jakubowska, an die Szenerie der ‚letzten Etappe‘ (und umgekehrt lassen uns diese Aufzeichnungen die realistische Treue des Films noch höher schätzen).“ (Günter 1950) Dennoch wurden 1955 auch zwei von Borowskis Erzählungen über Auschwitz den LeserInnen in der DDR zugänglich, als sie einer der sechs von Günter genannten
Als 1962 Marcel Reich-Ranicki „Sechzehn polnische Erzähler“ als rororo-Band herausgab, dessen Auflage 1964 das 38. Tausend erreichte, waren unter ihnen drei (der fünf zum Thema deutsche Okkupation ausgewählten) Erzählungen in der DDR bereits erschienene: Zofia Nalkowska mit „Am Bahndamm“ (Reich-Ranicki 1962, 101– 106), Tadeusz Borowski mit „Die Herrschaften bitte ins Gas…“ (107– 126) und Adolf Rudnicki mit „Himmelfahrt“ (139 – 182). Diese AutorInnen waren auch schon – nur Nalkowska (Hagenau 1961, 17– 21) mit demselben Text – in dem 1961 erschienenen Fischer-Taschenbuch „Polen erzählt“ vertreten gewesen, aber dessen Herausgeberin hatte auch andere in der DDR bereits gedruckte polnische Autoren ausgewählt wie Gustaw Morcinek mit „Pater Kolbe“ (Hagenau 1961, 37– 45) und Stanislaw Dygat mit „Herostrat“ (90 – 92).
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polnischen AutorInnen, Adolf Rudnicki, als Herausgeber eines vom Warschauer Fremdsprachenverlag Polonia deutsch gedruckten Buchs mit dem Titel „Ewiges Gedenken“ in diese Anthologie von Texten fast ausschließlich über Auschwitz aufnahm. Rudnicki gab den ausgewählten Textauschnitten keine eigenen Titel, sondern ließ jeweils den ersten Satz als Titel fungieren; der erste Ausschnitt – aus Borowskis „Ein Tag auf der Hacienda – beginnt: „‚Da kommt ein Transport!‘ sagte einer, und sie erhoben sich alle, dessen Ankunft erwartend.“ (Rudnicki 1955, 76 – 84, hier 76); der zweite – aus Borowskis „Wir aus Auschwitz“ beginnt: „Seit mehreren Tagen haben wir in den Nachmittagsstunden ständig unseren Spass: Aus der Baracke für Deutsche kommt eine Kolonne und marschiert mit dem Lied ‚Morgen in die Heimat‘ mehrere Male durchs Lager.“ (121– 126, hier 121). Kurt Barthels Einführung von Borowski in seine Reisebeschreibung als Tadek etabliert mit der Perspektive des Erzählers, der sich als Reisender mit dem später Begleiter genannten identifiziert, eine kritische Beziehung zum Adressaten: „Nach Kattowice waren wir gekommen, um Oswiecim zu sehen. Auschwitz – jaa… Tadek weiß Bescheid, hat ja hier gewohnt. Ehemalige Gefangene von Auschwitz/Birkenau haben, wenn die Rede auf jene Zeit kommt, alle etwas Gemeinsames in der Art ihres Ausdruckes. Es sind Menschen, die jenseits des Lebens waren, Gestorbene [sic] die von – drüben berichten und diese Berichte sind voller beizender und tödlicher Ironie.“ (18. 8.1950) Barthels Beschreibung wird durchzogen von ironischen Zitaten eines vorausgesetzten Adressatenbewusstseins, das sich in den Werten von Wohlstand, Ordnung und Sauberkeit, von gutem Geschmack und goldenem Humor als deutsch begreift: „Ja, unter den Nazis ging es uns doch besser“ (22. 8.1950), „Ordnung herrschte bei den Nazis“ (22. 8.1950), „so sauber, so deutsch“ (18. 8.1950), der „Geschmack der guten deutschen Stube“ (22. 8.1950), ein „köstliche[r] Humor, nicht wahr, Tante Amalie“ (22. 8.1950) , den „sich die Bürger von Erfurt auch heute noch gefallen lassen“ (29.8.1950). Der Erzähler erweist ironisch den Reisenden als angewiesen auf die Kontrastierung der gegenwärtigen Wahrnehmung – „alles so hübsch“ „so sauber und adrett“ „wie“ Gebäude überall „in Deutschland“ – mit der vergangenen Wirklichkeit durch den ehemaligen Gefangenen: „Wir betreten den Vorplatz des Lagers. Betrachten ein in die Erde versenktes Gebäude. Es hat eine viereckige Feueresse und ist sauber und adrett gemauert. ‚Wohl ein Zentralwaschhaus?‘ ‚Das kleine Krematorium, jaa.‘“ (18.8.1950) Bevor der Erzähler in dieser Weise falsche Deutungen des im Stamm- als „Musterlager“ Wahrnehmbaren entweder durch den Begleiter im Dialog oder durch eigene Ironie zu korrigieren beginnt, hat er aber mit einem Eingangsbild eine Wertungsebene eingeführt, auf die sich alle Enthüllungen zurückbeziehen: „Auschwitz ist ein polnisches Provinzstädtchen, es liegt inmitten sumpfigen Weidelandes und war für einige wenige Jahre der Mittelpunkt Europas. Vom Bahnhof führt ein Schienenstrang nach Birkenau. Dieser Schienenstrang war nicht an die Schienenstränge Europas, sondern alle Schienenstränge Europas waren an diesen angeschlossen.“ (18. 8.1950)
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Dieses Bild wird nach dem Gang durch das Stammlager wiederaufgenommen, nachdem der Schein von „neckische[r], aufgelockerte[r]“ Inschrift am Tor, Turmspitzen, „Limonadenkioske[n]“, „Bäumchen“ und „Schwarzwaldholzhäuschen“ entlarvt ist (18. 8.1950) und auch in den „jetzt [eingerichteten] Museumssäle[n]“ betont worden ist, wie sehr es an dem Begleiter liege, wenn gelte: „Aber einiges sieht man noch“ (18. 8.1950). Tadek nämlich berichtet zu den Bergen schlechter Schuhe und Wäschestücke, was der Erzähler an den Adressaten ironisch weitergibt: „die Schuhe, die etwas taugten, wurden für das deutsche Winterhilfswerk eisenbahnzugweise nach Deutschland geschafft. Ja, unter den Nazis ging es uns doch besser. […] Die guten [Wäschestücke] wurden eisenbahnzugweise, als Liebesgabe der SS, an die armen Leute nach Deutschland geschickt. Nie ist es uns so gut gegangen wie unter Hitler.“ (22. 8.1950) Die Wiederaufnahme des Eingangsbildes beim Gang nach Birkenau endet mit dem Zitat eines Schilds über den Gebrauch eines nicht existierenden Bechers für nicht existierendes Wasser an der Rampe: „da war nur dieses Schild und ist noch dort und spricht zu einer Nachwelt, die das alles nicht begreifen kann“ (29. 8.1950). Die Unbegreifbarkeit des – ironisch auf den Adressaten bezogenen – „goldenen Humors unserer deutschen Jungen in Schwarz“ steht in Spannung zu der Deutung, die dem Bild eingeschrieben ist: „Alle Gleise Europas waren angeschlossen an das Gleis, das nach Himmlerstadt führt. Kerzengerade führt es in die Barackenwelt hinein, drei Ausweichgleise treffen sich wieder in dem einen, noch einige Meter, ein einfacher Prellbock, und der Weg des bürgerlichen Europa ist zu Ende.“ (29. 8.1950)²⁷ Ähnlich deutet Barthel das Scheitern der Versuche, sei es durch Natur, sei es durch Kunst, durch Pappeln das „für lange Sicht gebaut[e]“ Birkenau oder durch Sprengung die Vernichtung zu „verdecken“: „Aber nichts konnten sie verdecken“ (1.9.1950). Anaphorisch reiht Barthel: „Da sind die Treppenstufen!“, „Und das“:, „Und da“, „Und dann“, um zu den in wenigen Jahren ausgetretenen Stufen anzumerken: „Aber Generationen sind darüber gegangen: Vergangene, Gegenwärtige, Zukünftige“, „Menschengenerationen“, denn: „Betonstufen, wenn sie lange begangen worden sind, treten sich nach der Mitte hin aus. Aber das dauert viele Jahre, ehe sich Betonstufen nach der Mitte hin austreten.“ (22. 8.1950) Von den Illustrationen zu den vier Folgen über Auschwitz zeigen drei jeweils einen Häftling im Konzentrations- und Vernichtungslager und die letzte Zeichnung drei Junge Pioniere, zwei Mädchen und einen Jungen in der Gegenwart, die auf das Warnschild „Hochspannung“ am Lagerzaun blicken. Der erste Häftling zieht einen Leichenkarren, der zweite steht vor einer Staffelei und malt am Rauch, der aus dem Schornstein des Krematoriums kommt, der dritte schließt eine Zeichnung ab an der Wand eines schwarz gehaltenen Raumes, auf der – an den Sternen als sowjetisch erkennbar – ein Flugzeug und ein Panzer sowie die Unterschrift „Es lebe die Rote Armee“ zu sehen sind. Barthels beschreibt den Block 11: „Drunten im Keller befinden
Vgl. zur Rampe Wrocklage 1998.
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sich die Bunker. Da gibt es einen Bunker, in dem ließ man polnische Freiheitskämpfer verhungern. Da gibt es einen Bunker, in dessen Wand wurde von einem zum Tode verurteilten Priester ein gekreuzigter Jesus in den Kalk gegraben. Die Türen aber sind voller Inschriften und Zeichnungen und bekunden, daß sich die ganze Sehnsucht der Gefangenen und ihre ganze Hoffnung mit der Roten Armee verknüpfte. Gezeichnete Tanks und die Flügel der Flugzeuge tragen alle den Stern der Roten Armee.“ (29.8.1950) Die Passage von Barthels Reisebeschreibung, die am explizitesten die Offensichtlichkeit seiner Deutung von Auschwitz behauptet, ist zugleich diejenige, die am stärksten seine explizite Deutung in Frage stellt. Die ‚nackte‘ Wahrheit über Auschwitz liest der Reisende den Bildern im Museum ab – sie ist eine über den faschistischen Antisemitismus; in den Reflexionen des Erzählers aber ist Auschwitz primär ein Ort der Vernichtung von Polen, jüdischen, christlichen und kommunistischen. In beiden Fällen benutzt Barthel das satirische Mittel der Verkehrung. In der Anpassung der gefangenen Künstler an den Geschmack der SS-Auftraggeber hebt er die Entlarvung wider Willen hervor. In den Mittelpunkt stellt er zunächst die pornographischen Bilder: So „fallen die Schleier der bürgerlichen Schamhaftigkeit und Wohlanständigkeit, und wie die untergehende bürgerliche deutsche Gesellschaft sich in den Augen der Welt in Auschwitz nackt darstellt, so stellt sich ihre Moral auf diesen für die SS gemalten Bildern nackt dar.“ (22. 8.1950) Dann aber bringt Barthel den „Geschmack“ der „Mäzene“ und der „deutschen guten Stube“ als „identisch“, „nur etwas ausgesprochener“ in einer Leseranrede zusammen: „Da hängt das Original einer bei den Nazis sehr beliebten Karikatur. Ein dicker Jude betrachtet den Schornstein des beschriebenen Krematoriums und sagt zweifelnd: ‚Da soll ich hindurchgehen‘. Einen köstlichen Humor hatten unsere Jungen in schwarz, nicht wahr, Tante Amalie?“ (22. 8.1950) Diese Leseranrede ist die eine von drei Stellen, an denen das Wort Jude benutzt wird; an den anderen betrifft es die „Glasvitrine“ mit Kleidung, darunter „das gestreifte Gebettuch des orthodoxen Juden“, und die ausgestellte „Lieferanforderung“ für Zyklon B, nämlich „zwecks Judenumsiedlung“ (22. 8.1950). Wenn Barthel der ironischen Leseranrede unmittelbar darauffolgend eine Geste pathetischer Identifikation entgegensetzt, wird expliziert, was an anderen Stellen nur eingeschlossen ist in umfassenden, aber vagen Benennungen der Opfer. Über die der Karikatur entgegengesetzten Porträts von Häftlingen im Museum heißt es: „Da blicken aber auch, wunderbar gezeichnet, die Häftlinge von den Wänden herab. Gesichter! Man möchte hingehen und sagen: ‚Genosse‘.“ (22. 8.1950) Die Anrede setzt die erste der drei Benennungen dominant, die Barthel in der Beschreibung der Gefangenen des Stammlagers gibt, wo er aber eine andere, nämlich in die Identifikation einschließende Beziehung zum Adressaten aufbaut: Hier lebten „unsere Genossen und die […], die nie etwas mit Politik zu tun haben wollten und die – die hierhergekommen waren [sic] weil sie Polen oder Franzosen oder einfach Europäer gewesen waren“ (18. 8.1950). Sehr prägnant heißt die vereindeutigende Verkehrung von Absicht und Resultat in der letzten Folge der Reisebeschreibung: „Durch diese Gasöfen sollte die ganze polnische Nation gehen. […] Ganz Polen aber geht durch Auschwitz/Birkenau und be-
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trachtet sich die Stätte, wo eine ganze Nation buchstäblich zu Seife und Düngemitteln verarbeitet werden sollte.“ (1.9.1950) Doch in Barthels Beschreibung der „Krematoriumsanlage von der Firma Topf, Erfurt, deren verachteten Namen sich die Bürger von Erfurt auch heute noch gefallen lassen“, heißt es zu Beginn: „Solch ein Krematorium ist eine ausgetüftelte Anlage. Die Menschen kamen an und wurden ins ‚Bad‘ gebracht. Sie glaubten das auch, insofern sie von weit her kamen, sie glaubten es nicht, sofern sie Polen waren.“ (20. 8.1950) Barthels Formulierung über das ganze durch Auschwitz/Birkenau gehende Polen entspricht der den ganzen Text bestimmenden Anerkennung der Tatsache, dass er als Reisender, als Tourist Auschwitz besucht hat; nach dem letzten Blick auf das „Eingangstor“ mit „Jungen Pionieren“, die die Besichtigung beendet haben, und mit ankommenden „[n]eue[n] Autobusse[n] von Besuchern“ heißt der letzte Satz: „Auschwitz ist ein Fremdenverkehrort ganz besonderer Art geworden.“ (1.9.1950) Die Identität von Autor, Erzähler und Reisendem wird deshalb vor allem an den beiden Stellen des Textes unterstrichen, wo sich Barthel auf eine keineswegs ironische Weise an die – durch Duzen als jugendlich erkennbaren – Adressaten der Reisebeschreibung wendet: Der Autor fordert die Leser der „Jungen Welt“ auf, ihm die Zeugnisse seines Besuchs in Auschwitz abzuverlangen, wenn sie ihm begegnen. Er hat sowohl „ein Stück“ „Anzugsteifleinen“, in das „Haar“ der Ermordeten „eingewebt“ ist (22. 8.1950), mitgenommen als auch „ein bißchen“ Asche (29. 8.1950): „Ich trage […] davon bei mir. Wenn ihr mich trefft, fragt mich“ (22. 8.1950). Barthel beschreibt das Andenken, das er – seine Adressaten im ‚wir‘ einschließend – am Ende der Reisebeschreibung zu dem Kreuz auf dem Bückeberg als „etwas dazulegen“ will, „das all diese falschen Tränen und Sentiments null und nichtig macht“, als „das Teuerste, das Entsetzlichste, das Heiligste, das wir in unserem Besitz haben“ (1.9.1950). Im Bericht, wie er das Andenken sammelt, treten Wahrnehmung und Deutung im Bild der verkehrten Natur, die zum ‚Nachgraben‘ zwingt, auseinander: Als die „produzierte – Asche“ zu viel für den Fluss geworden sei, „legte man einen Sumpf damit trocken. Dort wächst jetzt Klee und allerlei, ich bin trockenen Fußes über den Sumpf gelaufen. Und ich habe mit einem Spaten nachgegraben, Asche und immer wieder Asche, scharfkantige, brüchige, weißlichgraue Menschenschlacke mit vergilbten Zähnen dazwischen. Wenn ihr mich irgendwo trefft, sollt ihr mich danach fragen, ich kann’s euch zeigen. Ich trage immer ein bißchen davon mit mir herum.“ (29. 8.1950)
5 „Unser Porträt ‚Die Tat‘“: VVN-Organe in Frankfurt am Main und Berlin/DDR Am 11. März 1950 meldete „Die Tat“ (S. 6), „[h]erausgegeben von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes im VVN-Verlag Berlin-Potsdam“, den Beginn des Erscheinens einer gleichnamigen Wochenzeitung in Frankfurt am Main, mit dem abweichenden Untertitel „für Einheit, Frieden und Demokratie“. In deren erster Nummer vertraten
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Erklärungen von westdeutschen Kreis-, Landes- und Zonenvorständen ein Editorial, in dem sie gegen den „Versuch, die VVN zu spalten“, den „einmütigen Willen zu unverrückbarer Gemeinschaft in der Gesamtorganisation“ (25. 2.1950, S. 5) bekundeten. Die publizistische Verselbständigung reagierte also nicht erst auf die im August und September von den Länder- und Bundesinnenministerien eingeleiteten Maßnahmen „in gleicher Weise [gegen] links- und rechtsradikale Bestrebungen“ vom 19. September (Kraushaar 1996, 293, 270), wobei die VVN als eine der zehn linksradikalen galt (zum Vergleich: drei rechtsradikale (294) wurden genannt), sondern bereits auf den Aufbau einer bundesrepublikanischen Verfolgtenorganisation, die Kommunisten ausschließen sollte, durch Politiker von CDU und SPD, Peter Lütsches, in Düsseldorf, und Wolfgang Müller, Hannover (Schneider 1997, 37; Schmidt 1981, 350/351). Auf der 1. Interzonalen Länderkonferenz war 1947 die „Schaffung einer zentralen Zeitschrift“ (Referat Hans Schwarz, Länderkonferenz 1977, o.S.) beschlossen worden, und im selben Jahr wurde sie als „Unser Appell“ begründet, mit folgender Erklärung des Titels durch den SBZ-Vorsitzenden Ottomar Geschke: „Wir müssen uns erinnern, weil wir unserer Toten und ihrer Taten gedenken werden. Wie sie kämpften und starben, und wofür sie ihr Leben ließen. So wird ‚Unser Appell‘ unserer Jugend, dem ganzen deutschen Volke Kunde geben von dem schweren, opferreichen Kampf der deutschen Widerstandsbewegung. Und jeder, der in den deutschen KZ oder Zuchthäusern war, wird nicht wie einst willenlos zum Befehlsempfang antreten. ‚Unser Appell‘ braucht freiwillige Mitarbeit zur Aufklärung über das wahre Gesicht des Nazismus und über die Kräfte, die seine Gegner waren und sind.“ (1. 8.1947, S. 1) Auch „Die Tat“, seit 1949, wurde ausschließlich von SBZ/DDR-Mitgliedern redigiert (Reuter/ Hansel 1997, 139). Wenn das Layout der Frankfurter und der Berliner „Tat“ bis zur Verwechselbarkeit gehende Gemeinsamkeiten nahelegt, gibt es doch auffällige Unterschiede. Die Frankfurter Zeitung hat eine feste Rubrik, deren Überschrift durch die (auch graphische) Übereinstimmung mit dem Zeitungsnamen etwas Programmatisches bekommt: „Unser Portrait: Die Tat“ verbindet die Selbstdarstellung der Zeitung mit der Deutung der Tat von Widerstandskämpfern als ihre Selbstdarstellung. In der Berliner „Tat“ findet sich zwar in jeder zweiten Ausgabe das aus Foto und kurzer biographischer Darstellung bestehende, einspaltige Porträt eines Widerstandskämpfers, aber es fehlt eine markante Rubrizierung. Im Vorgängerorgan, der Zweiwochenschrift „Unser Appell“, waren in den Jahren 1947/48 die Porträts als „Blätter der Erinnerung“ (16. 8.1947, S. 9) hervorgehoben worden. Die Auswahl der auf diese Weise herausgestellten Widerstandskämpfer hatte Rudolf Breitscheid, Ernst Thälmann, Claus Schenk von Stauffenberg (16. 8.1947, S. 9/10), Ernst Wiechert (10.9. 1947, S. 9/10), Matthias Thesen (1.10.1947, S. 9; 1.11.1947, S. 9), Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack (1.1.1948, S. 7) umfasst. Auf der Liste der in der Frankfurter „Tat“ 1950 für die Serie „Unser Portrait: Die Tat“ Ausgewählten wiederholen sich einige dieser Namen, vor allem Breitscheid, Thälmann und Harnack, statt Stauffenbergs vertreten auf ihr allerdings Paul von Hase
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und Wilhelm Leuschner den 20. Juli.²⁸ Die wichtigsten Veränderungen aber ergeben sich aus der Aufnahme erstens von Überlebenden, zweitens von Frauen, drittens von Jugendlichen, viertens von Geistlichen. Dieselbe Erweiterung zeigt sich in der Auswahl außerhalb der Serie in der Zeitschrift Porträtierter. Die Überlebenden sind exilierte Intellektuelle jüdischer Herkunft wie Friedrich Wolf und Arnold Zweig (die Toten unter den Künstlern und Journalisten repräsentieren Käthe Kollwitz, Ernst Toller und Carl von Ossietzky) und der Geistliche Harald Poelchau²⁹ (zu dem der hingerichtete Lübecker Pastor Karl Friedrich Stellbrink und der im KZ ermordete Paul Schneider treten). Auf die am Beginn der Serie stehenden Hans und Inge Scholl folgen (in dieser Reihenfolge) Johanna Kirchner, Lilo Herrmann, Oda Schottmüller, Hilde Coppi und Hanno Günther. Fiete Schulze, Anton Saefkow und Bernhard Bästlein sind die einzigen Funktionäre der illegalen KPD, die neben Thälmann unter die 23 Porträtierten aufgenommen wurden. Die 26 Porträts in der Berliner „Tat“ des Jahres 1950 stellten geradezu umgekehrt fast ausschließlich kommunistische Widerstandskämpfer dar; nur zwei Nicht-Kommunisten wurden porträtiert: der evangelische Geistliche jüdischer Herkunft Werner Sylten, der Mitarbeiter in dem so genannten Büro Grüber gewesen war, und Hanno Günther, dessen Porträt (außer dem Lilo Herrmanns) das einzige den beiden Zeitungen 1950 gemeinsame ist.
Vgl. aber die mit einem Vorwort von Wilhelm Pieck 1949 gedruckten Memoiren des ehemaligen Sozialdemokraten Otto Buchwitz „Fünfzig Jahre Funktionär der deutschen Arbeiterbewegung“, deren Darstellung seiner Haft im Zuchthaus Brandenburg einerseits auf Hinrichtungen, andererseits auf letzte Worte von Mitgefangenen zugespitzt ist und so auch das ihm, nach seinem Bericht, von Gustav Dahrendorf erzählte letzte Wort von Wilhelm Leuschner: „Am Tage vor seiner Hinrichtung, erzählte Dahrendorf, habe man Leuschner wieder geholt und am Abend blutüberströmt angebracht. Leuschner habe vor der Zellentür nochmals seinen Freunden zugerufen: ‚Morgen werde ich gehängt, schafft die Einheit!‘“ (Buchwitz 1949, 193) Buchwitz benutzt dieses letzte Wort Leuschners zu einer heftigen Kritik an Gustav Dahrendorf: „Doch Dahrendarf verriet das Vermächtnis des Märtyrers Wilhelm Leuschner, in der Deutschen Demokratischen Republik aber wurde es erfüllt“ (Buchwitz 1949, 193). Annedore Leber brachte 1954 eine andere Version vom letzten Worts Leuschners: „Als er am 29. September zur Hinrichtungsstätte geführt wurde, sagte er seinen Gefährten in Zeichensprache nur noch das eine Wort: Einigkeit!‘“ (Leber 1956, 98) Vgl. die Stellungnahme von Poelchau am 7. Februar 1950 gegen die Initiative zur Gründung einer Verfolgtenorganisation ohne Kommunisten: „Ich bedaure die Nachricht vom Austritt der Kameraden Lüsches und Müller und ihren Versuch, die VVN zu einer kommunistischen Organisation zu stempeln, auf das lebhafteste. Die Brücken, die die beiden Teile Deutschlands verbinden, dürfen nicht zerstört werden. Wir haben alle Ursache, sie zu festigen, wenn wir den Frieden der Welt und den Frieden für Deutschland erhalten wollen. Daß die VVN vor den Gefahren der Remilitarisierung und Faschisierung im eigenen Vaterland zu warnen und über die Entwicklung der politischen Machtverhältnisse zu wachen hat, sollte für alle unter dem Hitlerfaschismus verfolgten Kameraden, ganz gleich wo [sic] sie politisch stehen, eine Selbstverständlichkeit sein. Trotz Lüsches und Müller werden, davon bin ich überzeugt, die Kameraden in ganz Deutschland weiterhin fest zusammenstehen. Pfarrer Dr. Harald Pölchau“ (Demmer 1993, 243).
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6 VVN-Sammlungen von Porträts und Übersetzungen einer französischen und einer tschechoslowakischen Anthologie letzter Briefe hingerichteter WiderstandskämpferInnen Eine Reihe der Porträts erschien auch in Büchern des Berlin-Potsdamer VVN-Verlags: 1950 in „Kämpfende Jugend. Aufzeichnungen junger Menschen, die im Kampf gegen die faschistische Barbarei ihr Leben ließen“, 1952 in „Helden des Widerstandskampfes gegen Faschismus und Krieg“, die zuerst 1951, im Jahr der III.Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die im August in Berlin stattfanden, in vier Heften erschienen waren.³⁰ Aus diesem Anlass publizierte der FDJ-Verlag Neues Leben Stephan Hermlins „Die erste Reihe“, 30 „Lebensläufe“ (Hermlin 1951, 9) aus dem „schrecklichsten, blutigsten, demütigendsten […] Geschichtsabschnitt, den wir alle als Beteiligte erlebt haben“ (7), von „jungen Deutschen“, die „nicht als Helden geboren“ „waren“, sondern „einfache Menschen, die wie alle anderen Menschen ihre Eltern, ihre Frauen und Männer, ihre Kinder, ihre Freunde liebten“: „Aber was sie von anderen Menschen unterscheidet, ist“, betont Hermlin in Bezug auf „ihr Land“, „das Wissen“, und „alles noch unbekannte, zu Erwartende, die Zukunft“, „daß sie das alles um einen Grad heißer, bewußter liebten als diese anderen. Daher […] waren sie imstande für das Leben zu sterben, für jenes Leben, das für andere nur Wirklichkeit werden konnte, wenn sie bereit waren, in den Tod zu gehen.“ (8/9) Der erste Satz von Hermlins „Vorwort“(199) ist ein Zitat aus Friedrich Engels’ „Der deutsche Bauernkrieg“, dessen „Geschichtsabschnitt“ so in Beziehung zu „eine[m] anderen, ganz neuen“ gesetzt werden kann: „‚Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition‘, schrieb Friedrich Engels. Und wenn er fortfährt: ‚Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder zur Seite stellen können‘, so hat zwar Engels den Bauernkrieg im Auge, aber uns drängt sich dieses Zitat ganz natürlich auf“ (7, vgl. Engels 1969, 329). In diesem Sinne charakterisiert Hermlin im Folgenden die 28 ausgewählten jungen, „mehr oder weniger bekannt[en]“ WiderstandskämpferInnen auf zweierlei Weise verallgemeinernd: „Tausende von jungen Deutschen haben in einem Kampf ihr Leben geopfert, den die ganze Menschheit führte und weiter führt, um als Menschheit zu bestehen“ (8). Zu der nationalen Verallgemeinerung tritt eine soziale: „Die in dieser Arbeit geschilderten Jugendlichen stammten aus verschiedenen Schichten des Volkes und gehörten verschiedenen Organisationen an.“ (10) Wiederholt stellt Hermlin heraus, dass der „antifaschistische[…] Kampf“ (7) „nicht die Sache einer einzigen Organisation oder Weltanschauung war“: „Im Kampf gegen Hitler haben Jungen und Mädchen aus der Sozialistischen Arbeiterjugend und aus der Kommunistischen Jugend, aus religiösen Vereinigungen, aus der bündischen und Pfadfinderjugend zusammengestanden.“ (9) Bevor Hermlin dem ZK der SED, dem Zentralrat der FDJ und den Mitarbeitern von deren Verlag „für die Übermittlung von Dokumenten und In vgl. Reuter/Hansel 1997, 166.
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formationen“ (11) dankt, schließt er sein Vorwort mit einer Wiederaufnahme des einleitenden Engels-Zitats über Tradition, indem er die Adressaten seines Buchs zu den Erben eines Erbes aus dem „demütigendsten“ „Geschichtsabschnitt“ (7) erklärt, auf das sie stolz sein könnten, wenn es zunächst über die ermordeten Antifaschisten heißt: „Was sie gewollt und erlitten haben, gehört zu dem teuersten, bittersten, stolzesten Erbe einer Jugend, die sich täglich wandelt und das Antlitz ihres Landes verändert“ (10), und dann über die Adressaten: „Die Erben […] der hingerichteten Illegalen […] sind in ganz Deutschland unter der blauen Fahne im Marsch in eine Zukunft, die endlich, endlich das Leben sein wird…“. (10/11)³¹ Hermlin hat für seine ‚Lebensläufe‘ in „Die erste Reihe“ sowohl die VVN-Anthologie letzter Briefe als auch die VVN-Broschüre „Kämpfende Jugend“ als Material benutzt; von der letzteren ist er an vielen Stellen bis in Formulierungen abhängig, aber er hat weiter recherchiert; von der ersteren übernimmt er vor allem die Privilegierung des letzten Briefes. So schließt der erste Lebenslauf, der eines am 1. August 1933 hingerichteten Hamburger Arbeiters: „Nichts bleibt von Bruno Tesch als ein kleines Stück Erde, das seine Asche bedeckt, überwachsen von Gräsern und wilden Blumen; nichts bleibt als der letzte, verhauchende Satz in seinem letzten Brief: ‚Wir sterben wie wir gekämpft haben. Vergeßt mich nicht! Vergeßt mich nicht!“ (Hermlin 1951, 19) Über Peter Habernoll schreibt Hermlin: „Nichts ist von ihm geblieben als dieser letzte Brief“ (155). Eingeleitet wird der Kommentar mit dem Eingeständnis: „Ich weiß nicht, wer Peter Habernoll war. […] Ich habe nicht erfahren können, woher er kam, wie er dazu gelangte, in seiner Uniform seinen Kameraden hartnäckig beizubringen, daß diese Uniform eine Schande sei und der Krieg, den sie führten, ein Verbrechen. Er wurde standrechtlich erschossen wegen ‚Zersetzung der Wehrkraft‘.“ (155) Ähnlich heißt es über Walter Huseman: „Von Walter Husemann ist kaum mehr geblieben als ein Bild und ein kleines Bündel Briefe aus dem Zuchthaus“ (192), obwohl Hermlin erwähnt, dass in der Nachkriegszeit Ernst Wiechert und Günther Weisenborn über ihn berichtet haben (193). Hermlin aber lässt sein Buch schließen mit dem Zusatz, den Husemann zu „den letzten Zeilen“ machte, „unmittelbar vor der Hinrichtung geschrieben und vom Pfarrer des Zuchthauses den Eltern übermittelt“ (194): „Es ist die Morgendämmerung des 13. Mai 1943. Unter den Brief hat Walter Husemann mit fliegender Hand
Den Absatz, der diesen Satz enthält, sowie einen zweiten, aus dem bereits der „Kampf, den die ganze Menschheit führte“, zitiert worden ist, wählte der „Aufbau“ für die ungezeichnete Vorbemerkung eines Vorabdrucks der Porträts von Wilhelm Thews, Peter Habernoll und Werner Seelenbinder; im zweiten Absatz heißt es: „Was sie gewollt und erlitten haben, gehört zum teuersten, bittersten, stolzesten Erbe einer Jugend, die sich täglich wandelt, und das Antlitz des Landes verändert, am Steuerrad des Traktors und im Hörsaal, auf den Werften der Ostsee und in den Zirkeln der jungen Schriftsteller, in den Gemeindevertretungen der jungen Republik und, ja, auch dort auf den Klippen Helgolands und in den Straßen der Ruhrstädte.“ (Hermlin 1951b, 678). Die dritte Auflage erschien 1975 ohne diese Vorbemerkung, auch in Lizenz in der BRD, dort mit einem Klappentext des WeltkreisVerlags, der betont, der „Kampf gegen die faschistische Diktatur“ „endete nicht 1945“: „Gegen die Restauration der kapitalistischen Besitz- und Machtverhältnisse in der BRD, gegen Wiederaufrüstung und Atombewaffnung erhoben sich Hunderttausende.“ (Hermlin 1975, Klappe/vorn und hinten).
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noch ein paar Worte gesetzt, Ehrenrettung eines ganzen Volkes: ‚Besser für die Sowjetunion zu sterben als für den Faschismus zu leben! Lieber ein Tod in Ehren unter dem Beil des Henkers als ein Leben in Schande unter dem Faschismus! Vergeßt das nie…‘“ (196) Von den 30 AntifaschistInnen in Hermlins „Die erste Reihe“ waren dreizehn schon in „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“, vierzehn in „Kämpfende Jugend“ vertreten gewesen, davon acht, darunter nur Hanno Günther kein Kommunist, in beiden Publikationen: Konrad Blenkle, Hanno Günther, Walter Husemann, Heinz Kapelle, Käthe Niederkirchner, Bruno Tesch, Herbert Tschäpe und Irene Wosikowski, und auch deshalb kann nur in vierzehn von Hermlins 30 ‚Lebensläufen‘ der letzte Brief zitiert werden. In dem ersten der beiden Porträts von Widerstandsgruppen, dem der Weißen Rose vorangestellten „Die Gruppe Baum“, wird kein letzter Brief, sondern die erste und einzige Nummer der von ihr im November 1941 herausgegebenen Zeitschrift „Der Weg zum Sieg“ zitiert, und zwar die Schlusssätze eines Artikels mit dem Titel „‚Was ist zu tun?‘“: „Sei stolz auf Deine revolutionäre Überzeugung und sei tapfer! Verleumdet und immer vom Tode durch die faschistischen Volkshenker bedroht, sind wir Kommunisten in diesem furchtbaren Kampf dennoch die stolzesten, fortschrittlichsten und positivsten Vorkämpfer unseres Jahrhunderts. Das erfordert nicht nur Mut und Charakter, das erfordert eine innere Standhaftigkeit, die nur unsere Weltanschauung vermitteln kann. Wir sind Menschen wie andere auch. Aber […] nie dürfen wir vergessen, daß der Weg zur befreiten Menschheit nur der revolutionäre Sozialismus ist, daß die Wissenschaft des Marxismus-Leninismus uns die Kraft und die Überzeugung gibt, diesen Weg siegreich zu beschreiten.“ (170/171) Während in dem Lebenslauf Olga Benarios als der „Legende einer Heiligen unserer Zeit“ (70) auf die jüdische Herkunft nur indirekt hingewiesen wird, wenn es – fälschlich – zu dessen Ende heißt: „Zu Anfang des Jahres 1942 begannen die Transporte [aus Ravensbrück] in die Vernichtungslager. Mit einem der ersten Transporte mußte Olga Benario gehen“ (75), beginnt das Porträt der Gruppe Baum mit einer Anrede des Adressaten: „Kann man ermessen, was das gewesen ist – die Jugend von etwa hundert jüdischen Jungen und Mädchen im Berlin des Jahres 1942?“ (165), um auf einer Seite die aufeinander folgenden Schritte von Diskriminierung, Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung und deren Wirkung auf Jugendliche aus „dem jüdischen Mittelstand“ (165) darzustellen: „Die jungen Juden, geboren in Berlin von deutschen Eltern, erzogen mitten in dem deutschen Volk, sollten die Welt sehen, wie sie nicht ist: eingeteilt in Juden und Nicht-Juden. Sie sollten sie nicht sehen, wie sie ist: bestehend aus Unterdrückern und Unterdrückten, Ausbeutern und Ausgebeuteten.“ (166) Hermlin hat zwei für die Adressatenbeziehung des Buchs wichtige Motive anderen letzten Briefen zugeordnet als seine Vorlage „Kämpfende Jugend“. Hier heißt es: „Ihr Opfertod hat mit dazu beigetragen, die Ehre des anderen, wahren Deutschlands zu retten“ (Kämpfende Jugend 1950, 24), am Ende der „Herbert Baum“ überschriebenen Darstellung der „mutigen jüdischen Widerstandskämpfer, die die auf Befehl von Goebbels im Berliner Lustgarten aufgestellte lügenstrotzende Hetzausstellung ‚Das Sowjet-Paradies‘ in die Luft gesprengt hatten“ (23). Die Darstellung beginnt damit,
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dass aufgrund der „Bekanntmachtung“ „am 5. März 1943 an den Berliner Anschlagsäulen“ „Berlin“ von der Hinrichtung von 21 Mitgliedern der Gruppe Baum „wußte“ (23), leitet über die anschließende „ungeheuerliche Terrorwelle gegen das Judentum“ (23) zum Schluss mit der Liste der 21 Namen mit Geburtsdaten, an die sich die von acht weiteren anschließt, die „[i]n Konzentrationslagern, Zuchthäusern und in Gefängnissen […] ermordet“ (24) wurden, bevor der bereits zitierte Schlusssatz über die ‚Rettung der Ehre des anderen, wahren Deutschland‘ fällt. Hermlins letztes eigenes Wort zur „Ehrenrettung eines ganzen Volkes“ (Hermlin 1951, 196) gilt der letzten Notiz Walter Husemanns zu seinem letzten Brief. Dadurch wird abschließend dem „‚Tod in Ehren‘“ das „‚Leben in Schande unter dem Faschismus‘“ (196) entgegengesetzt und vermieden, dass – so wie im letzten Brief selbst – eine Mahnung des Sohnes an den Vater das letzte Wort hat: „‚Beweise jetzt, daß Du aus innerstem Herzen Dein Leben lang Klassenkämpfer warst! […] Hart bleiben, Vater, hart! Nicht nachgeben! Denke in jeder schwachen Stunde an diese Forderung Deines Sohnes Walter.‘“ (196) Aber mit der Veränderung des Schlusses nicht nur des letzten Briefes Husemanns, der in „… besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ (1948, 79/80) auch reproduziert abgebildet war (wie der Edgar Andrés (26), Charlotte Garskes (97), Otto Haases (129), Willi Bänschs (157), Otto Engerts (161), Alfred Franks (165)), ohne dass eine nachtäglich hinzugefügte Notiz erkennbar würde, sondern auch des ganzen Buchs, entfällt als Schlusspunkt mit der vom Sohn an den Vater gerichteten Mahnung eine persönliche Adressierung, die markant von der Adressatenbeziehung abweicht, die in der Kommentierung des letzten Briefs von Konrad Blenkle entworfen wird, der von 1927 bis 1933 als Kommunist „der jüngste Abgeordnete“ des Reichstags gewesen war: „In dem an sein Kind gerichteten Abschiedsbrief stehen Worte der Mahnung, die an alle Menschen gerichtet sein könnten.“ (Kämpfende Jugend 1950, 11) Sie lauten nach der Markierung der Situation, der eigenen Haltung und dem Rückblick: „‚Du bist der Mensch, der mir am nächsten steht. Deine Liebe und Verehrung waren für mich das Wertvollste. […] Meine letzte Mahnung an Dich ist: Handle immer nur verantwortungsbewußt, arbeite unablässig an Deiner Vervollkommnung, schone Dich nie, wenn es um Großes geht und Du Dich einsetzen mußt! Lebe wohl und denke immer an Deinen Dich innig liebenden Vater.‘“(11) Die vom Kommentar betonte Allgemeinheit der ‚Mahnung‘ beruht auf der Verallgemeinerung einer Beziehung von Vater und Sohn, in der die Liebe des Sohnes zum Vater auch Verehrung ist, die aus der Erziehung des Vaters Selbsterziehung zum Einsatz für etwas ihnen gemeinsames Großes wird. Auf eine andere Weise allgemein gehalten sind die Ausführungen in der mit Kl. (vermutlich: Klaus Lehmann) gezeichneten Vorbemerkung über die Wirkungsabsichten, die der VVN-Verlag mit der Veröffentlichung des „Büchlein[s]“ verfolgt (2), obwohl sie mit einer detaillierten Aufzählung von Formen der öffentlichen Präsenz vom Faschismus Ermordeter beginnt, und zwar einer Präsenz unter ihren individuellen Namen: „Die Sturmfahnen der Freien Deutschen Jugend, die Wimpel der Jungpioniere, Kinderheime und die Kulturstätten der werktätigen Menschen, Straßen und Plätze in Deutschland, tragen die Namen freiheits- und friedliebender Kameraden, die
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ihren Kampf mit dem Leben bezahlten“ (2). Aber die Wirkung, die der Verlag von der Veröffentlichung erwartet, wird zunächst auf die Entwicklung in Westdeutschland bezogen, dann erst auf die DDR und schließlich auf den übergreifenden „Kampf gegen Faschismus und Krieg“ (2): „Dieses Büchlein soll dazu dienen, das Leben und Sterben dieser Menschen dem deutschen Volke und vor allem unserer Jugend näher zu bringen schon aus der Erwägung heraus, daß im Westen unseres Vaterlandes ähnliche Formen der faschistischen Entwicklung in Erscheinung treten, die bereits einmal unser Volk in die Katastrophe geführt haben.“ (2) Aus der Einschätzung dieser westdeutschen Entwicklung als aggressiv gegen die DDR gerichtet erklärt sich die Wirkungsabsicht: „Mögen diese Aufzeichnungen den Abwehrwillen unseres Volkes zu stärken“, was gleichgesetzt zu werden scheint damit, „zum friedlichen, demokratischen Aufbau unserer Heimat und zum Kampf gegen Faschismus und Krieg bei[zu]tragen“ (2). Der zwei Jahre später erschienene Band des VVN-Verlags „Helden des Widerstandskampfes gegen Faschismus und Krieg“ enthält unter den 55 Darstellungen alle in der Frankfurter „Tat“ erschienenen Porträts von Kommunisten sowie die von Breitscheid, Ossietzky, Pfarrer Schneider und Schulze-Boysen; seine eigene Auswahl an nicht-kommunistischen Widerstandskämpfern ist sehr schmal: neben zwei Mitgliedern der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe (Eva Maria Buch und Adam Kuckhoff) stehen nur Georg Groscurth von der Europäischen Union sowie Propst Bernhard Lichtenberg. Wie schon in „Kämpfende Jugend“ gibt es außer Hanno Günther nur einen nicht-kommunistischen jungen Widerstandskämpfer, nämlich Walter Klingenbeck aus der katholischen Jugendbewegung. Die ungezeichnete Einleitung trägt eine Überschrift aus einem Zitat aus der Rede von Otto Buchwitz, des ehemaligen Sozialdemokraten und zeitweiligen 2. Vorsitzenden der SED, dessen Memoiren „Fünfzig Jahre Funktionär der deutschen Arbeiterbewegung“ 1950 bei Dietz erschienen waren, auf der 2. Parteikonferenz, die den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus beschlossen hatte: „Dafür haben wir gelitten und Opfer gebracht!“ (Helden 1952, 7) Dementsprechend wird in der Einleitung der Sozialismus als Idee aufgefasst, die als Perspektive „im Zuchthaus oder KZ der innere Fundus“ (7) der Häftlinge war und der „[d]ie Besten“, die „an deren Sieg […] glaubten“, das „Opfer ihres Lebens“ (8) brachten, was sie zum „Willensvollstrecker der besseren Zukunft“ (8) machte. Der VVN-Band von 1952 bringt nur in sieben der 55 Porträts Zitate aus letzten Briefen, davon sind sechs von Kommunisten: von Thälmann (15), Niederkirchner (62/ 63), Blenkle (86), Wilhelm Firl (118), Matthias Thesen (175) und Fiete Schulze (187); die Ausnahme ist Adam Kuckhoff (162/163). Zwei der Zitate erhalten besonderes Gewicht, das aus Thesens letztem Brief durch den Hinweis auf „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ und das aus Fiete Schulzes in der Einleitung des „Helden“-Bandes. Zwischen beiden besteht insofern ein Zusammenhang, als bereits in der Anthologie von 1948 das „als Titel des Sammelbandes gewählt[e]“ „letzte Wort“ Thesens, seine „Mahnung“, als Resümee des letzten Briefs von Fiete Schulze galt: „Voll erfüllt [… mein Sterben] seinen Zweck, wenn Ihr es ganz verstehen lernt. Darin kann sich all Eure Liebe und Achtung zu mir zeigen: im Verstehen und Bemühen, gleich mir zu denken
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und zu handeln.“ („…besonders“ 1948, 21) Obwohl der Brief Schulzes auf politische Meinungsverschiedenheiten mit seiner Schwester verweist: „Warum willst Du nicht verstehen, daß ich dafür sterbe, daß viele nicht mehr einen frühen und gewaltsamen Tod sterben brauchen?“ (21),³² verallgemeinert auch der Herausgeber der VVN-Anthologie von 1952 diese familiäre Leseanleitung in eine für die Adressaten der Veröffentlichung. Mit zwei Bildern kehrt die Einleitung das Wort für diejenigen, die dem Sieg der Idee ihr Leben opferten: „Willensvollstrecker der besseren Zukunft“ (Helden 1952, 8) gewissermaßen um, indem die Zukunft ihren Willen vollstreckt. Das erste Bild bezieht sich auf den Adressaten der Veröffentlichung, an den vorwiegend als jung appelliert wird: „Unsere werktätigen Menschen, unsere Jugend […] mögen diese Worte tief in ihre Herzen eingraben!“ (7) Das zweite Bild ist ein militärisches, das im inklusiven Wir formuliert, dass die Aneignung des Erbes, das ‚Eingraben‘ der letzten Worte in die Herzen, bereits stattgefunden habe: „Die Fahne, die ihren Händen entsank, haben wir aufgenommen“ (8). Dementsprechend haben sich 1952 in „Helden des Widerstandskampfes gegen Faschismus und Krieg“ die aktuellen Bezugnahmen auf die Entwicklung in Westdeutschland deutlich vermehrt, z. B. anlässlich Herbert Baums zu Neofaschismus und Antisemitismus (107), Paul Schneiders zum ‚dritten Weltkrieg‘ (158) und Georg Groscurths zu Berufsverboten und politischer Justiz (198) in der Bundesrepublik. Noch stärker ist die Einschränkung der Auswahl letzter Briefe von Hingerichteten in zwei in denselben Jahren wie die VVN-Anthologien in der DDR in Übersetzung erschienenen, einer tschechoslowakischen 1950 und einer französischen 1952. Während die Letztere zwei Vorworte hat, das erste aus dem französischen Original und das zweite von dem aus dem Exil in den USA zurückgekehrten Alfred Kantorowicz, schrieb das einzige zu den tschechoslowakischen letzten Briefen der aus Palästina in die CSR heimgekehrte Louis Fürnberg, die er erst 1954 für die DDR verließ. Fürnberg benutzt die inklusive Wir-Form auf eine exklusive Weise, weil der Vorwortschreiber sowohl sich als auch die SchreiberInnen der letzten Briefe und auch die LeserInnen von deren Veröffentlichung „wir Kommunisten“ (Letzte Briefe 1950, 5) nennt. Fürnberg ist sehr explizit, was die Wirkungsabsicht der Veröffentlichung betrifft, aber auch über die angestrebte Wirkungsweise des Lesens der letzten Briefe. Mit der rhetorischen Frage: „Wer auf Erden liebt das Leben mehr als wir Kommunisten?“ (5) leitet Fürnberg die Formulierung der Wirkungsabsicht ein: „Das ist der Sinn, warum diese Briefe gesammelt wurden: daß sich die Liebe zu den Menschen und zum Leben, die heroisch das schwerste Opfer auf sich nahm, allen mitteile, die die furchtbare Vergangenheit erlebten und überlebten. Daß sich die Herzen, die der Liebe überhaupt fähig sind, rüsten zum entschlossenen Widerstand gegen jene gräßlichen, menschenfeindlichen, viehischen und verbrecherischen Kräfte“, die „noch bestialischere Gedanken sinnen“ und nach „noch elenderen Anschlägen“ „dürsten“ (5). Eine
Vgl. zur Verwendung dieses Zitats in der ersten Rede des Bundespräsidenten Gustav Heinemann S. 529/530.
6 VVN-Sammlungen von Porträts und Übersetzungen
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dehumanisierende Metaphorik gilt der Gefahr einer „Wiederauferstehung der Faschisten“, die zu „verhindern“ sei: „Es darf nie wieder geschehen!“ (6) Wie sich im Lesen der letzten Briefe der Hingerichteten deren der faschistischen Barbarei entgegengesetzte Liebe zum Menschen ‚mitteile‘, fasst Fürnberg als Wirkung der Bemühung, in dem „[i]m Angesicht des Todes“ „[G]eschrieben[en]“ „den furchtbaren Augenblick nachzufühlen“ (5). Von der kommunistischen 1. Person Plural wechselt er kurz zu einer spezifizierten 3., um dann doch zum Wir der Menschenliebe zurückzukehren, als der Liebe zur Kommunistischen Partei: Der Vorwortschreiber legt sein Buch in die „Hände unserer jungen Genossen“: „Möge es ihre Herzen glühen lassen. Wir können die Partei Lenins und Stalins nie genug lieben. Die Partei, die solche Menschen wie die hervorbringt, die dieses Buch mit ihrem Blute schrieben.“ (6) Fürnbergs familiarisierender Umadressierung entspricht, dass er in seinen Anmerkungen zu den abgedruckten letzten Briefen die Nennungen der Parteiführer Stalin (16) und Klement Gottwald (7) hervorhebt, vor allem aber einen Brief: „Mit ‚Unserer großen Familie‘ meint er die Kommunistische Partei.“ (29) Ausdrücklich bezieht sich Kantorowicz mit einem Zitat auf das französische Vorwort von Lucien Scheler, wenn er es das „Leitmotiv aller […] ergreifenden Bekenntnisse“ in den letzten Briefen nennt, dass ihre SchreiberInnen Frankreich durch die Kommunistische Partei lieben gelernt (Es lebe 1952, 12) hätten. Was in Fürnbergs Vorwort die Menschenliebe ist, ist in Schelers und Kantorowicz’ der Patriotismus. Beide Vorworte von „Es lebe Frankreich“ nennen Briefschreiber wie die Adressaten der Veröffentlichung Patrioten und fassen die Beziehung zwischen beiden dementsprechend auf; das erste Zitat aus einem letzten Brief, das Scheler präsentiert lautet: „‚Ich sterbe nicht vergebens, ich bedauere nichts … es lebe Frankreich!‘“ (7) Gegen zweierlei Einwände verteidigt Scheler die letzten Briefe als „Gedanken der Männer, die […] an der Schwelle des Todes […] nichts als berechtigten Stolz und selbstlose Liebe zum Ausdruck zu bringen“ (7), einerseits gegen „irgendeine [mit einer problematischen Metapher als Agenten eines ‚Auslands‘ im Lande so noch einmal vager bezeichnete, H. P.] 5. Kolonne“, die „über die Einförmigkeit der Sätze und Empfindungen spotten“ „[m]ag“ (8), andererseits gegen ferne Freunde, die meinen, dass Frankreich versagt habe, aber mit Recht auf die „Schande über uns wegen Argelès und Gurs“ (9) und den „Anteil“ der französischen Polizei und der Vichy-Regierung „an der Verfolgung“(10) hinweisen können; gegen beide Einwände besteht Scheler darauf: „Aber für die Patrioten müssen der Stolz und die Liebe, die die Partisanen erfüllten, unlösbar mit jenem letzten Gedanken verknüpft bleiben, der gleichzeitig ihr Vertrauen in die Überlebenden zum Ausdruck bringt: ‚Ich sterbe nicht vergebens.‘“ (10) Entsprechend deutet Scheler die letzten Briefe mit einem Bild aus der Großen Französischen Revolution: „Dieses Bruchstück aus dem Roten Buche³³ der Widerstandsbewegung wird Zum Roten Buch der Mainzer Republik von 1792/93 vgl. die Arbeiten des israelischen Historikers Walter Grab (vgl. S. 612), die „in die Zeit des Studentenprotests und der frühen Jahre der sozialliberalen Koalition“ „fielen“, „die in der BRD große Hoffnungen auf einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel mobilisierte“ (Weber 1989, 356).
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für Frankreich zeugen.“ (11) Schon vorher hat er die Widerstandskämpfer mit den Soldaten des Jahres II (1793) verglichen: „diese Sammlung von Briefen, diese blutige Quelle, die die Gründe enthüllen wird, die unsere Toten veranlaßten, zu glauben und zu hoffen, und die später der Geschichtsschreiber wird lesen müssen, um den Geist der Widerstandsbewegung zu erklären.“ (7/8) Kantorowicz knüpft für den Patriotismus insbesondere an Schelers Insistieren darauf an, dass es „während der Besatzung zwei Arten von Ausländern“ (9) gegeben habe, die eine, die gemeinsame Sache mit dem Feind gemacht habe, die andere, die gegen ihn gekämpft habe: „die zweiten […] sind Franzosen“ (9). Kantorowicz zitiert Schelers Wort vom Zeugnis des Roten Buchs für Frankreich: „Jeder, der hier zu Worte kommt, spricht und zeugt stellvertretend für tausend andere“ von „Vaterlandsliebe“ und „Opferbereitschaft“:. „Jeder Leser […] wird […] überzeugt werden“ (15). Hierfür betont er aber gerade die Beteiligung von Widerstandskämpfern anderer Nationalität, darunter auch deutschen: „Arbeiter, Bauern, Handwerker, patriotische Soldaten, Intellektuelle“, die „für die soziale und nationale Befreiung […] aller Völker […] brüderlich“ (16) gekämpft hätten.³⁴ Im Vergleich mit Fürnbergs Vorwort ist Kantorowicz’ offener inklusiv, wenn er abschließend appelliert, die Schreiber der französischen letzten Briefe „unser Vorbild“, „Maß“ und „große[s] Beispiel“ werden zu lassen: „Wir neigen uns ehrerbietig vor ihrem Angedenken. […] Sie alle wußten, wofür sie gekämpft haben, und in ihren letzten Worten nehmen sie nicht wehleidig Abschied, sondern ermahnen die ihnen Nächsten, an die ihre Zeilen gerichtet sind, diesem Beispiel zu folgen. Ihr Vermächtnis ist für uns alle verpflichtend.“ (16) Im Jahr des Erscheinens von Hermlins „Die erste Reihe“ veröffentlichte die Zeitschrift „Der Bibliothekar“ einen ungezeichneten Hinweis auf „Material für Lesestunden“, das LehrerInnen, BetriebsbibliothekarInnen und MitarbeiterInnen von Kulturhäusern Literatur-Empfehlungen für Veranstaltungen zum „Tag der Opfer des faschistischen Terrors“ machte. Neben drei nicht-kommunistischen AutorInnen der Nachkriegszeit: Ricarda Huch, Susanne Kerckhoff und Günther Weisenborn, und drei mit Werken aus dem Exil vertretenen kommunistischen bzw. sympathisierenden: Brecht, Petersen und Seghers, waren gleich stark in Nazi-Deutschland gebliebene AutorInnen mit sehr unterschiedlichen Schicksalen auf der Leseliste vertreten: der ehemalige KZ-Häftling Karl Schnog, der hingerichtete Widerstandskämpfer Walter Husemann und Elfriede Brüning, die im Faschismus Unterhaltungsliteratur publiziert hatte, aber 1949 den sehr erfolgreichen Roman „Damit du weiterlebst“, dessen Plot den Widerstand der Herbert Baum-Gruppe mit dem der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe verknüpfte. Der Letzte-
In dem erst nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik 1959/1961 erschienenen „Deutsches Tagebuch“ steht unter dem Datum von Kantorowicz’ Rückkehr von einem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz, dem 21. August 1953: „Nie zuvor habe ich mich so völlig als Jude gefühlt“ (Kantorowicz 1980, II, 413). Der Eintrag merkt zwar zum in Auschwitz Gesehenen an: „das vergißt sich nie mehr“ (412), aber erinnert dann an namentlich genannte, kurz charakterisierte ermordete Familienangehörige.
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ren hatte Husemann angehört. Sein letzter Brief, der so prominent am Ende von Hermlins „Die erste Reihe“ stand, war jedenfalls der einzige letzte Brief überhaupt, den vorzulesen „Der Bibliothekar“ vorschlug (Material 1950). Dass dieser Hinweis im folgenden Jahr wiederholt wurde, spricht für eine gewisse Festigkeit der Kanonisierung (Tag 1951).
7 „Siegbert Rotholz Hingerichtet am 4. März 1943“ in Berlins „Die Tat“ Wenn der bisher gezeigte Unterschied in der Weite des Spektrums des mit letzten Briefen erinnerten Widerstands der landläufigen Meinung über den DDR-Antifaschismus zu entsprechen scheint, so kann ein exemplarisches Porträt aus der Berliner „Tat“ vor vorschnellen Urteilen warnen. Am 11. März 1950 (S. 6) wurde auf derselben Seite, die die Mitteilung über die Frankfurter „Tat“ brachte, das folgende, mit dem Kürzel St. gezeichnete Porträt gedruckt, unter dem Foto mit der Unterschrift: „SIEGBERT ROTHOLZ Hingerichtet am 4. März 1943“: „Vor mir liegt der Abschiedsbrief von Siegbert Rotholz, geschrieben kurz vor seiner Hinrichtung, in dem er mitteilt, daß er am gleichen Tage um 6.30 Uhr ‚für immer verreise‘. An einer Stelle dieses Abschiedsbriefes ist die Schrift verlaufen – zweifellos sind Tränen darauf gefallen. Nach seiner Hinrichtung gelang es mir, seine Papiere und kleine Andenken in meinen Besitz zu bringen. […] Es war im Sommer 1941. Nach Verbüßung meiner Zuchthausstrafe hatte ich wieder Verbindung mit illegalen antifaschistischen Gruppen erlangt. Bei älteren jüdischen Freunden in Berlin-Charlottenburg fanden regelmäßig Zusammenkünfte statt, auf denen besonders theoretische Fragen des politischen Kampfes gegen das faschistische Regime besprochen wurden. Hierbei lernte ich Siegbert Rotholz mit einigen seiner jungen Freunde kennen. […] In Siegberts Kellerwohnung wurde den jüdischen Jugendlichen das theoretische Rüstzeug vermittelt, das sie befähigte, ihre, durch den faschistischen Terror bedingte Isolierung zu durchbrechen und zu erkennen, daß ihre Lage nicht eine spezifisch jüdische Angelegenheit ist, sondern daß ihre Befreiung von der faschistischen Unterdrückung nur gemeinsam mit den unterdrückten Werktätigen erkämpft werden kann. In dieser Erkenntnis nahmen die jungen Freunde auf ihren Arbeitsstellen bei Siemens, Spindler usw., überall wo sie zu Hungerlöhnen in sogenannten Judenabteilungen Zwangsarbeit verrichten mußten, Verbindung auf mit anderen Leidensgefährten [… ,] der Gruppe ‚Herbert Baum‘ […]. Die [nach dem Attentat auf die Ausstellung ‚Sowjetparadies‘, H.P., …] einsetzende Terrorwelle gegen die jüdische Gemeinschaft ist bekannt. Im Zuge der einsetzenden Verhaftungen wurde auch Siegbert Rotholz und seine kranke Frau Lotte Rotholz festgenommen. […Er] wurde […] zum Tode verurteilt. Seine Frau erhielt acht Jahre Zuchthaus. An allen Berliner Anschlagsäulen befand sich am 5. März 1943 das berüchtigte rote Plakat des Volksgerichtshofes mit der Mitteilung, daß die namentlich aufgeführten Juden und Halbjuden wegen ‚Vorbereitung zum Hochverrat, Landesverrat und Feindbegünstigung‘ zum Tode verurteilt und am 4. März 1943 durch das
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Fallbeil in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurden. Ein junger Kämpfer, […] dessen Familie fast ganz ausgerottet worden war, mußte sein Leben lassen. Er und seine Freunde hatten sich vorgenommen, nicht nur geistigen, sondern praktischen Widerstand zu leisten und zu beweisen, daß auch Juden zu kämpfen verstehen. […] Möge die Erinnerung an Siegbert Rotholz und seine junge Frau, die später noch in Auschwitz vergast wurde, eine Mahnung vor allem für die deutsche Jugend sein“ (11. 3.1950, S. 6). Exemplarisch ist dieser Text in mehrerlei Hinsicht: erstens in der Form, sowohl der Verbindung von Bild und Text als auch in der Verbindung von biographischer Erzählung und letztem Brief, zweitens in der Mahnung, die Bild und Text zugeschrieben wird. Die Inhalte der Aktualisierung stellen eine andere landläufige Meinung über DDR-Antifaschismus in Frage: dass sein „abstraktes formelhaftes Bild“ des Widerstands den Judenmord und die Schuldfrage verdrängt hätte (Danyel 1992, 928).³⁵ Das Porträt von Siegbert Rotholz in der Berliner „Tat“ mit dem bereits zitierten letzten Brief und einem Foto, auf dem er den Betrachter direkt anblickt, entspricht auch inhaltlich einer Aktualisierung, die nicht auf die Gemeinschaft derer hinausläuft, die sich dem Vaterland opfern. Es ist gerade in seiner Thematisierung von Antisemitismus exemplarisch. Geschichtswissenschaftliche Untersuchungen haben sich auf die Parteien, die die Berliner und Frankfurter „Tat“ anleiteten, SED und KPD, bezogen, wenn sie für das Jahr 1950 das Hervortreten eines „strukturellen Antisemitismus“ in der Kampagne der SED gegen den Kosmopolitismus (so Thomas Haury 2002, 386) bzw. eine „Rechtswendung“ (so Dietrich Staritz 1995, 226) der KPD beschreiben. Sie beziehen sich dabei auf Verhaftungen prominenter Funktionäre, die teils jüdischer Herkunft, teils in westlichen Ländern im Exil gewesen waren, im Gefolge der Schauprozesse zunächst gegen Laszlo Rajk in Ungarn, dann gegen Rudolf Slansky in der CSR. Während Haury immerhin Parteidokumente interpretiert, fehlt bei Staritz jeder Bezug auf veröffentlichte Quellen. Joachim Käppner leitet aus „[d]e[m] stalinistische[n] Antisemitismus“ „Die ‚schwarzen Jahre‘ 1949 – 1953“ (1999, 71) ab: „Was die Behandlung der nationalsozialistischen Judenverfolgung betrifft“ (68), so gelte ab Ende 1948: „Eine Epoche war vorüber, kaum daß sie begonnen hatte.“ (69) Käppner stellt die Behauptung auf: „Zwischen 1949 und Stalins Tod im März 1953 erschien kein einziges Sachbuch über die Judenverfolgung und nur wenig Presseartikel.“ (76) Alle diese Darstellungen zitieren als autoritative Quelle einen völlig auf Belege verzichtenden Beitrag Olaf Groehlers zu dem mit Ulrich Herbert 1992 vorgelegten Buch „Zweierlei Bewältigung“, dessen meistzitierte Stelle lautet: „zu Beginn der 50er Jahre unterblieb ein entscheidender […] Schritt: Die innere, moralische Auseinandersetzung jedes einzelnen mit seinem eigenen Verhalten, das nicht strafrechtlich oder verwaltungstechnisch zu bewältigen war, fand nicht statt. Millionen Bürgern der DDR wurde es auf diese Weise erspart, sich mit ihrer eigenen Geschichte im Nazi-Regime aus-
Vgl. dagegen den vorsichtigen Einspruch bei Bramke 1994, 46: „das Problem der Mitschuld“ sei in den vierziger und frühen fünfziger Jahren „meist unterschwellig angesprochen“ worden.
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einandersetzen zu müssen.“ (Groehler 1992, 31)³⁶ Diese starken Verallgemeinerungen werden problematisch, weil das Exemplarische am Porträt von Siegbert Rotholz in zwei Richtungen nachzuweisen ist: erstens die durchgängige Präsenz des Themas Antisemitismus und faschistische Judenverfolgung, zweitens eine spezifische Thematisierungsweise der Schuldfrage. Was die zitierten Verallgemeinerungen der Historiker problematisch macht, ist die Gefahr, die Alon Confino gefasst hat als „a cultural anachronism: the attempt to impose present-day moral expectations of what should have been remembered on what actually had been remembered“ (Confino 2005, 47). Wenn Auschwitz nicht auf die als heute dominierend vorausgesetzte Weise erinnert werde, werde es überhaupt nicht erinnert, oder: verdrängt, verschwiegen, tabuisiert. Die Gleichsetzung von Thema und heutiger Thematisierungsweise erlaubt den kontrafaktischen Rückschluss: Auschwitz sei kein Thema gewesen. Im Bericht der „Frankfurter Rundschau“ von einer Tagung des Fritz-Bauer-Instituts über die „‚Nachgeschichte‘ des Holocaust“ wurde zu Auschwitz und der DDR festgeschrieben: „Die Verdrängung der jüdischen Opfer korrespondierte mit der Kontinuität des Antisemitismus.“ Von Auschwitz sei nur „Ende der fünfziger Jahre […] kurzzeitig die Rede [gewesen], aber nur […] als Ort der kapitalistischen Ausbeutung, die der andere deutsche Staat fortsetzte“ (Speck 2004).³⁷ Das Porträt von Siegbert Rotholz zeigt nicht nur, dass Antisemitismus und Judenverfolgung und -vernichtung zum Thema gemacht werden („Terror[…] gegen die jüdische Gemeinschaft“ „bedingt[…] Isolierung“; seine „Familie [wurde] fast ganz ausgerottet“, seine Frau „in Auschwitz vergast“), sondern auch, wie die Frage der Schuld als eine das Verhalten der Bevölkerung betreffende thematisiert wird: „An
Vgl. die Formel vom ‚Unterbleiben‘ einer „Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit“ auch bei Mertens 1995, 196, über die SED-Politik, oder Leide 2019, 23, über DDR-Strafverfolgung, und allgemeiner bei Bauerkämper 2012, 311, allerdings mit dem Eingeständnis: „Diese vielschichtigen Prozesse sind aber noch kaum erforscht“ (309) (dieses Eingeständnis auch bei Morina 2008, 261: „Zur Rezeption von ‚offizieller Geschichte‘ in der DDR fehlt es bis heute an überzeugender empirischer Forschung“; eine die Bundesrepublik einschließende Feststellung von Thomas Hertfelder (2017, 393) ist in der Einleitung bereits zitiert worden: „die empirische Vermessung des weiten Felds der Erinnerungskultur in Deutschland lässt durchaus zu wünschen übrig“. Bemerkenswert ist der Widerspruch zu Groehler 1994, 58, wo er den „Opferverbände[n]“ vorwirft, die „Mehrheit der Deutschen“ „als verstockt, uneinsichtig, reulos“ behandelt zu haben: „Hier standen sich zwei diametral geprägte Erfahrungswelten gegenüber, […] zwischen denen in der Nachkriegszeit keine Brücken geschlagen werden konnten.“ Noch offener werfen Kessler/Peter 1996, 225, und Kessler/Peter 1995, 619, der VVN vor, mit „eine[r] Art Kollektivschuld-These“ „auf eine Art Erziehungsdiktatur ab[ge]zielt“ (1996, 225) zu haben. Vgl. dagegen Groehler 1994, 296, der betont, dass SED und VVN auch nach 1949 „in der Öffentlichkeit weiterhin den Kampf gegen den Antisemitismus zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit […] machen“, aber diese Öffentlichkeit in Gegensatz stellt zu den von Antisemitismus geprägten „internen Auseinandersetzungen“; zum grundsätzlichen Ansatz an der ‚öffentlichen Meinung‘ zur Bestimmung von „Deutungs- und Verhaltensmustern der Bevölkerungsmehrheit“ vgl. Berghoff 1998, 99, sowie zu den hier bestehenden Forschungslücken: Schildt 1998, 23 – 25; vgl. als Beleg die Lücken in Bergmann 1992.
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allen Berliner Anschlagsäulen befand sich […] das berüchtigte rote Plakat.“ (11. 3.1950, S. 6) In der Berliner „Tat“ erscheint Auschwitz schon 1950³⁸ als festes Metonym für KZ und Vernichtungslager und als feste Metapher für Faschismus wie in der Überschrift „Nie wieder Auschwitz“ (27.1.1951, S. 5) in den unterschiedlichsten Genres der Zeitung, von der Reisebeschreibung über die Gedenkstätte in der VR Polen: „Wir besuchten Auschwitz“ (10. 2.1951, S. 5) bis zu den Kästen auf der ersten Seite mit den vom Vorstand beschlossenen Losungen, sowohl für den „Befreiungstag“ – das Gedenken an die Befreiung der KZ (25. 3.1950, S. 1) – als auch für den 10. September (12.8., S. 4), den OdF-Tag: „Antisemitismus ist Kriegshetze“ stand jeweils relativ weit vorn (an vierzehnter bzw. achter Stelle) auf der Liste. Die Losung diente auch als Zwischenüberschrift in aktuellen Berichten, sei es über antisemitische Ausschreitungen in der BRD (14.10.1950, S. 2), sei es über „Zwei Aufrufe an alle jüdischen Menschen“, vom französischen und vom polnischen Oberrabbiner (4.11.1950, S. 6). Sie bestimmte auch die Wiedergabe der Reden von Leo Löwenkopf (des Vorsitzenden der Dresdener Jüdischen Gemeinde), Julius Meyer (Jüdischen Gemeinden der DDR) und Ottomar Geschke (VVN der DDR) bei der Einweihung der wiederaufgebauten Dresdener Synagoge: „Mit der jüdischen Nationalhymne, in jüdischer Sprache vorgetragen durch den Kreuzchor, und dem gemeinsamen Gesang der Nationalhymne der DDR wurde der feierliche Akt beendet. Anschließend fand die Beisetzung von 20 Urnen unbekannter ermordeter jüdischer Kameraden aus den Ländern der Volksdemokratien statt.“ (8.7.1950, S. 8) „Judenverfolgung – kein politisches Thema?“ (4. 2.1950, S. 10) hieß eine Rezension, in der wie in Besprechungen von Filmen und Bildern Auschwitz thematisiert wurde. Max Zimmering stellte fünf, auch abgebildete, Zeichnungen von Kindern aus Theresienstadt vor, die in Auschwitz ermordet worden waren: „was an diesen letzten Zeugnissen junger Menschen, die vom Hitlerfaschismus kaltblütig vernichtet wurden, am erschütterndsten ist, bleibt gerade die Tatsache, daß nichts ‚Besonderes‘ daran ist, daß es einfache […], geschickte und ungeschickte, talentierte und untalentierte Versuche sind, das bunte, vielfältige und voller Wunder und Rätsel steckende Leben auf Papier festzuhalten. Auch diese Kinderzeichnungen aus Theresienstadt mögen uns an unsere Pflicht erinnern, daß nie wieder Kinder das Schicksal einer Eva Brok, einer Vilma Zunterstein, einer Ilse Lazarus oder eines Pavel Repper erleiden mögen.“ (11. 2.1950, S. 7) Solche „menschliche Anteilnahme“ kritisierte hingegen Heinz Rein, dessen Buch „Die neue Literatur“ (Rein 1950, 107– 140), das den Artikel enthielt, allerdings, wie „Die Tat“ zustimmend berichtete, „aus dem Handel gezogen“ (24.6.1950, S. 5) wurde:³⁹ „Durchforschen wir die neue Literatur, die sich mit den Judenverfolgungen durch die braunen Despoten befaßt und die von Nichtjuden stammt, […] so müssen wir feststellen, daß die politische Einsicht weiter hinter der menschlichen Anteilnahme zurückbleibt, daß viele
Vgl. dagegen Frei 1992, Reichel 2001b, 601, es sei erst seit den 60ern in die Umgangssprache eingegangen. Vgl. hierzu Barck 2003b, 58/59.
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Bücher nicht mehr sind als Kondolenzbriefe und Traueranzeigen, nicht aber Kampf für eine Gesellschaftsordnung, in der Gettos und Pogrome, Judensterne und Gaskammerselektionen ein für allemal unmöglich sind. Diese Bücher sind auf den Ton des reinen Mitleids gestimmt, des menschlichen Bedauerns, des mitfühlenden Schmerzes und der naiven Fassungslosigkeit, sie sind über den Steg des gutbürgerlichen Hauses gespannt, […] die Klage über das verlorene bürgerliche Paradies […], und man wird dabei nicht gewahr, wie sehr man damit die antisemitischen Ressentiments wieder aufwärmt und zugleich nachträglich manches Vorurteil stärkt.“ (4. 2.1950, S. 10) Die Literaturredakteurin Ursula Wiebach vertrat, wie Rein und auch gegen ihn, nachdrücklich die Notwendigkeit einer auch so genannten „Zens[u]r“ „im Sinne einer positiven Umerziehung des deutschen Volkes“ (24.6.1950, S. 5), auch gegen ein ‚Versagen‘ des Kulturellen Beirats als „Berater“; so argumentierte sie z. B. für das Verbot eines Romans, Hannelore Holtz’ „Abrechnung“: „Überhaupt sind fast alle Leute in diesem Roman, außer dem SSMann, dagegen und wenn nicht selbst Juden, so doch jüdisch versippt oder mit Juden befreundet. Wohin die Handlung des Romans auch immer verlegt wird, man stößt auf Juden, Widerstandskämpfer, ehemalige ‚Kazettler‘. Und ihrer aller Gedanken drehen sich um Liebe, Eifersucht und Ruhm. […] 6 Millionen Juden fanden den Tod […] – man brachte die Menschen in Gaskammern zum Schweigen. Der vorliegende Roman […] birgt ein sehr gefährliches Gift für die Leser, die noch immer nicht begriffen haben […]. Sie werden auf das Buch verweisen und sagen: Na, seht doch selbst, so schlimm war es ja gar nicht, manche haben eben Pech gehabt, hätten besser aufpassen müssen.“ (4. 3. 1950, S. 10) Wiebach stellte den „Schriftsteller[n] auf falschen Wegen“ die Autorin Elfriede Brüning entgegen, deren „…damit du weiterlebtst“ gerade als Fortsetzungsroman in der „Tat“ gedruckt wurde: „eine[…] wirkliche[…] Aussage über unseren Widerstandskampf“ (S. 10).⁴⁰ In der Rolle des Zensors schrieb Stefan Heymann, ein Auschwitz-Überlebender, eine vernichtende Besprechung des Erlebnisberichts eines anderen Überlebenden von Auschwitz, Rolf Weinstocks für den VVN-Verlag bearbeiteten, 1948 zuerst in Singen gedruckten „‚Das wahre Gesicht Hitler-Deutschlands‘: Häftling Nr. 59000 erzählt von dem Schicksal der 10000 Juden aus Baden, aus der Pfalz und aus dem Saargebiet in den Höllen von Dachau, Gurs-Drancy, Auschwitz, Jawischowitz, Buchenwald“;⁴¹ unter der Rezension stand: „(Wie uns die Verlagsleitung mitteilt, wurde das Buch bereits zurückgezogen.)“ (9.12.1950, S. 6). Heymann wendete seine Kritik an „Übertreibung und falsche[r] Darstellung“, was im Kern „das völlige Verschweigen der illegalen Arbeit der Antifaschisten in den Konzentrationslagern“ meinte, in eine moralische am Verfasser, der als „ein Einzelgänger […] ohne Bindung zu irgendeiner Gruppe […] es verstand, im Lager durch ‚Geschäfte‘ verschiedenster Art immer wieder über Wasser zu kommen […] als ‚Mülltonnenadler‘“; Heymann behauptete einen ‚Zusammenhang‘: „Er [Weinstock] mußte übertreiben, um seine ziemlich unsauberen
Da der Roman auch in der Frankfurter „Tat“ erschien, deren zweiter Fortsetzungsroman aber nicht in der Berliner, wird später hierauf eingegangen. Vgl. Peitsch 1990, 176/177; zur DDR-Publikationsgeschichte Barck 2003, 48 – 54.
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Machenschaften verzeihlich zu machen.“ (S. 6) Die Schärfe von Heymanns Urteil folgte nicht nur aus dem „Anspruch auf das Deutungsmonopol“ (Barck 2003, 54) für Auschwitz aus der Perspektive des Widerstands (50), sondern aus der dieser Deutungsperspektive zugeschriebenen aktuellen Funktion; Heymann schloss mit einer Verallgemeinerung zur Publikation von „Berichte[n] über die Leidenszeit der Verfolgten“: Gedruckt sollten werden „[v]or allem Berichte der wirklichen Widerstandskämpfer, die den Menschen auch heute noch in ihrem Kampfe helfen können“ (9.12.1950, S. 6). Die Frage, welche Erinnerung ‚heute helfen‘ könne, beantwortete Fanny MützeSpecht ähnlich, indem sie in drei kurzen Erzählungen, eher Anekdoten, „[a]n vergessene[…] Gräber kleiner Helden“ führte; die dritte berichtet von den vier Kindern des polnischen Bauern Weski, die der SS-Scharführer erschießt, als der Vater drei aus dem „Vernichtungslager Auschwitz“ entkommene jüdische Kinder nicht verrät (27.5.1950, S. 6) In einem Artikel „Zum 12. Jahrestag der Kristallnacht“ wurde die besondere Aufgabe der VVN-Kameraden, die ‚Hilfe im heutigen Kampf‘, in der politischen Situation des Jahres 1950 bestimmt, die als eine der unmittelbaren Kriegsgefahr beschrieben wurde: „Unseren Kameraden fällt die […] Aufgabe zu, inmitten der deutschen Friedenskämpfer unermüdliche Aufklärungsarbeit zur Entlarvung des Antisemitismus und der Rassenhetze zu leisten.“ (11.11.1950, S. 4) Die Besonderheit dieser Aufgabe leitete der Artikel aus der zwiespältigen Position der Adressaten der Aufklärung ab, derjenigen in der Nationalen Front und in den Friedenskomitees, die keinen Widerstand gegen den Faschismus geleistet hatten: einerseits seien sie an ihre „moralische Verpflichtung“ zur Wiedergutmachung ihrer Schuld an den „Opfern des Faschismus aller Nationen“ zu erinnern, andererseits seien sie anzusprechen als eingeplante ‚Opfer‘ im „Programm[…] der anglo-amerikanischen Initiatoren eines neuen Völkermordens“ (S. 4). Der Artikel setzte ein mit detaillierter Erinnerung an den 9. November, rhetorisch fragend: „Kann es jemals in Vergessenheit geraten“, oder: „Darf es jemals verschwiegen werden“, um zusammenfassen: „Fast sechs Millionen jüdische Bürger vieler europäischer Länder, die vom Faschismus okkupiert und unterdrückt wurden, sind unter unbeschreiblichen Demütigungen, Qualen und Martern zu Tode gehetzt und bestialisch ermordet worden.“ (S. 4) Zur Gegenwart der Vorbereitung eins „erneute[n] Ueberfall[s] auf die Sowjetunion“ lautete die entsprechende Zusammenfassung: „Die Zerschlagung der imperialistischen Spekulation eines Opferganges des deutschen Volkes für westalliierte Eroberungsabsichten erfordert den geschlossenen nationalen Abwehrwillen aller patriotischen Deutschen. […] Das bedeutet gleichzeitig konsequenten Kampf gegen die Ueberreste des Faschismus und den Neofaschismus mit all seinen Begleiterscheinungen in ganz Deutschland. Diese kämpferische Bereitschaft schließt auch die Vernichtung des Antisemitismus und der Rassenhetze ein. Noch leben diese Ausdrucksformen der Unkultur und Unmenschlichkeit, weil der Faschismus noch nicht vernichtend geschlagen ist. Die Lösung dieser Aufgaben ist nicht nur eine moralische Verpflichtung der deutschen Nation gegenüber allen lebenden und toten Opfern des Faschismus aller Nationen, sondern zugleich der
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Weg zur endgültigen Befreiung des deutschen Volkes und seiner Umwelt von der Gefahr des Terrors, der Unterdrückung und der Ausbeutung.“ (S. 4) Aus der Doppelrolle des Adressaten – der an seine Mitschuld und die Pflicht zur Wiedergutmachung zu erinnern und an dessen Wunsch, nicht in der Zukunft zum Opfer zu werden, anzuknüpfen sei – ergab sich der Appell zum heutigen Kampf, der die Thematisierungsweise der Schuldfrage in der Berliner „Tat“ 1950 prägte. Dass sich Verfolgte in diesen Adressaten einschlossen, vor allem wenn es um die Nachbarn Deutschlands ging, zeigt Tilly Bergners Bericht über den Zweiten Deutschen Schriftstellerkongress, der unter dem Motto „Schreibt für den Frieden“ getagt hatte; sie hob nämlich hervor, „daß jene Mahnung, bei aller Gegenwartsbezogenheit immer wieder zurückzuschauen auf unsere unmittelbare Vergangenheit, in den Diskussionen mehrfach zum Ausdruck kam. Besonders ergreifend war, als ausländische Freunde, wie z. B. Wladimir Pozner oder Tadeusz Borowski, die eigenen Erfahrungen in Konzentrationslagern erwähnten. Die Namen Ouradur [sic], Warschau, Auschwitz und Birkenau treffen einen jeden von uns im Bewußtsein vergangener Schmach.Wenn z. B. der polnische Freund dennoch in deutscher Sprache spricht, jener Sprache, deren Anfangsgründe er in Auschwitz – und aus dem Faust – gelernt hat, so dürfte dies für uns alle zugleich Trost und Ansporn sein für eine Zukunft, in der nicht nur die Atomwaffe zu ächten ist, sondern jegliche menschen- und fortschrittsfeindliche Willkür, wie sie sich in jenen versunkenen Jahren des Grauens ausgetobt hat, unmöglich werden muß.“ (15.7., S. 3) Auch in anderen Artikeln sind es polnische Stimmen über Auschwitz, auf die mit der Anerkennung von Schuld und der Verpflichtung, sie „abzutragen“ (11. 3.1950, S. 10), geantwortet wird. Programmatisch geriet die Dokumentation der Aufführung des Films „Die letzte Etappe“ durch die VVN Ruppin „vor Schulkindern der 7. bis letzten Schulklasse“: „Der Versuch […] hat […] den Beweis erbracht, daß diese Jugend nicht davor zurückschreckt, die Schuld des deutschen Volkes, die es mit seiner stillschweigenden Duldung jener Peiniger bewußt oder unbewußt auf sich geladen hat, anzuerkennen, und daß diese Jugend gewillt ist, sie mit einer ehrlichen Friedensbereitschaft und dem Willen nach Völkerfreundschaft und Verständigung abzutragen.“ (S. 10) Dokumentiert wurden nicht nur die Konflikte innerhalb der Lehrerschaft und mit Eltern, sondern vor allem, durch ausführliche Zitate, die über „eine reine Inhaltsangabe“ hinausgehenden Schüleraufsätze zum Film, in denen zumeist eine Anklage akzeptiert, gängige Ausflüchte („nicht gewußt“, Kl. 10) zurückgewiesen, Schuld („auf das deutsche Volk geladen […], die nie wieder ganz gut zu machen ist“, Kl. 9) angenommen und Scham („da schämte ich mich“, Kl.12) bezeugt wurde. „Aus den […] Gesichtern schauen […] Augen, […] in stummer Anklage […,] über all diesen […] Gesichtern liegt eine unausgesprochene Frage, die uns das Gewissen bedrückt: Und Ihr habt das nicht gewußt?“ (Kl. 10, S. 10) Scham wird auch in dem Bericht eines Remigranten als Verhalten „Vor vier Jahren in Polen“ bezeugt, der schildert, wie 1946 eine „Gruppe von 24 deutschen Widerstandskämpfern“ „[a]uf Grund der großen Verbrechen, die Hitler-Deutschland an dem polnischen Volke begangen hat“, beschließt, „daß während der Durchreise weder im
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Hause noch auf der Straße deutsch gesprochen werden sollte“: „unsere Unterhaltungen wickelten sich teils in dänisch oder schwedisch ab“ (29.7.1950, S. 6). Diesem Einschluss der Verfolgten und Widerstandskämpfer in die Mitschuldigen steht in den Berichten vor allem über die Aufnahme der Wanderausstellung „Das andere Deutschland“ eine strikte Unterscheidung gegenüber: zwischen einer Minderheit und der Mehrheit. Aus dem Schweriner Besucherbuch wird als Schritt zum Lernen aus der Vergangenheit beispielhaft die Eintragung über den Widerstand zitiert: „daß es nur wenige unserer Landsleute waren“, die widerstanden (14.1.1950, S. 10). Die Erinnerung an Mitschuld als Mahnung zur aktiven Verhinderung einer Wiederholung in der Zukunft zu präsentieren, bestimmte auch die Beiträge zweier prominenter Nicht-Kommunisten, des Hamburger Sozialdemokraten Franz Heitgres und des EKD-Beauftragten bei der Regierung der DDR Heinrich Grüber. Heitgres benutzt das Bild des „schweigende[n] Acker[s]“, der ein Massengrab⁴² von Toten der am 3. Mai 1945 bombardierten drei KZ-Schiffe enthielt, bis eine anonyme Anzeige nicht nur das Grab, sondern vor allem das Wissen und die aktive Beteiligung der kleinen Gemeinde an der Neustädter Bucht enthüllte: „Dieser bisher schweigende Acker gleicht ganz Deutschland. Wer schuldig ist oder um Schuld weiß, will nichts mehr von ihr wissen, will sie nicht eingestehen. Dennoch – […] sind es einige wenige in Deutschland, die Wahrheit zu verbreiten versuchen […]. Möge der nun beredt gewordene Acker eine Mahnung an alle sein: Es ist Zeit zu sprechen. Deutschland und die Welt wartet auf das ehrliche Eingeständnis“ (7.1.1950, S. 9). Propst Grübers Beitrag ist schon deshalb besonders bemerkenswert, weil er der einzige in der Berliner „Tat“ zu einem Thema ist, über dessen Frequenz in der BRD Habbo Knoch sagt: „In öffentlichen Stellungnahmen von […] Intellektuellen und Politikern war der kritische Verweis auf die ‚Konzentrationslager im Osten‘ um 1950 notorisch“ (Knoch 2001, 307). Aufgrund eines Besuchs des sowjetischen Internierungslagers Sachsenhausen im Jahre 1949 begründete Grüber in dem ursprünglich im Evangelischen Pressedienst Ost herausgekommenen Artikel: „es ist ein unverzeihliches Unrecht, dieses Lager von heute mit den KZs Hitlers in einem Atemzug zu nennen oder gar zu sagen ‚genau wie bei den Nazis, vielleicht noch schlimmer‘“ (14.1.1950, S. 1). Grüber belegte diese Aussage nicht nur durch den auf eigener Erfahrung beruhenden Vergleich der Lebensbedingungen, sondern bestritt – was entscheidend zur Nichtveröffentlichung im Westen und stattdessen zu einer von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit und dem Kongress für kulturelle Freiheit geführten Kampagne gegen Grüber führte (vgl. Knoch 2001, 311) – das Recht zu Forderungen an die Sowjetunion. „Wir sind ja alle mitschuldig geworden an dem großen Leiden, das über diese Völker gekommen ist. Gerade, als ich in Sachsenhausen an den Baracken 9 und Vgl. das Massengrab in Willi Bredels 1949 zuerst publizierter Erzählung „Das schweigende Dorf“ über dessen Beteiligung an der Ermordung von zweiundsiebzig aus Ravensbrück nach Mecklenburg transportierte „größtenteils Jüdinnen […] aus allen Ländern Europas, überwiegend aus Polen und den einstmals besetzten Teilen Sowjetrußlands“ (Bredel 1962, 218). Vgl. hierzu Bach 2007, die allerdings Bredels Thematisierung von Schuld zu Unrecht isoliert.
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10 vorbeiging, wurde in mir die Erinnerung an die Augusttage 1941 wieder wach, wo in diesen Baracken Tausende von russischen Kriegsgefangenen eingepfercht waren, die dann nachts auf dem Industriehof auf die grausamste Weise ‚umgelegt‘ wurden. Es bleibt dies für mich die dunkelste Stunde und die Sünde meines Lebens, mit der ich bisher noch nicht fertig geworden bin.Wir standen damals alle ohnmächtig und sahen dem Geschehen zu, wir ballten unsere Faust, hinter dem Rücken, manche haben abends die Hände gefaltet für diese armen Menschen, aber keiner von uns Häftlingen hatte den Mut aufzuschreien, so wie Pfarrer Schneider es in Buchenwald bei ähnlicher Gelegenheit getan hat: ‚Das ist Mord, und wir klagen an.‘ Wir wußten, daß ein solcher Aufschrei und ein solches Bekenntnis uns das Leben gekostet hätte und vielleicht auch noch die Wut der Wachmannschaften gesteigert hätte. Aus diesem Grund unterblieb das Zeugnis der Wahrheit, zu dem wir verpflichtet waren. Wir denken auch weiter an die mehr als grausame Behandlung der Juden und Polen, die oft willkürlich aufgegriffen und erschossen wurden. Wir können als Christen nur das sagen, was uns nach Gottes Willen geboten erscheint, aber als Volk und als Glieder des Volkes müssen wir uns bescheiden. Erst recht können keine Menschen in diesen Fragen mitsprechen, die während der Nazizeit geschwiegen haben.“ (S. 1)
8 „Wir werden ein neues Auschwitz verhindern!“ in Frankfurts „Die Tat“ Auch nach der Auflösung der sowjetischen Speziallager blieben bis 1953 die mit den faschistischen KZs gleichgesetzten Internierungslager ein Thema der BRD-Medien, die, wie z. B. „Quick“, „Stern“, „Revue“, aber auch „Der Monat“ und das BVN-Organ „Das freie Wort“, fälschlich behaupteten, sie würden weiterhin existieren (vgl. Knoch 2001, 311– 314). In der Frankfurter „Die Tat“ findet sich im Jahr 1950 kein Artikel, der sich mit der Frage der aufgelösten Speziallager befasst, aber es fällt auf, dass in den programmatischen Erklärungen – sowohl zum Gedenktag im September als auch zum Gedenken an die ‚Kristallnacht‘ – die Losung vom Antisemitismus als Kriegshetze in modifizierter Form erscheint: „Wir haben aus der Vergangenheit gelernt und wissen, daß Antihumanismus, Antisemitismus und Antikommunismus ursächlich zusammenhängen“, heißt es am 9. September (S. 2) in der Erklärung „VVN ist und bleibt überparteilich“, zum 9. November: „Antisowjetismus und Antisemitismus [sind…] untrennbar“. Die Formeln entsprechen in ihrer Defensivität überhaupt dem auffälligen Fehlen von Losungen; statt der in der Berliner „Die Tat“ üblichen Kataloge vor den Gedenktagen druckte die Frankfurter „Tat“ Anleitungen, wie lokale Veranstaltungen zu organisieren seien, mit den Fragen nach möglichen Partnern, dem Ort der Kundgebung, der Anbringung von Gedenktafeln, der Durchführung von Gedenkstunden (in Schulen) und von Ausstellungen (22.7.1950, S. 5). Die Berichte über zustanden gekommene Veranstaltungen stellen die jeweilige „Koalition des Gedenkens“, wie Harald Schmid (2001, 66) die Träger der 9. November-Erinnerung genannt hat, sehr be-
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tont heraus, also die Frage, ob es gelang, den Kordon der Unvereinbarkeitsbeschlüsse, Ministererlasse und Illegalisierungsdrohungen zu durchbrechen und Partner aus CDU/CSU, SPD, den Kirchen, Jüdischen Gemeinden und Gewerkschaften zu gewinnen. Auschwitz war unter den „Namen der berüchtigsten 8 KZ’s“, die durch Urnen auf einem „Mahnmal“ repräsentiert wurden, das ein VVN-Kollektiv im Haupt- und Finanzausschuß von Gelsenkirchen einstimmig durchsetzen konnte (10.6.1950, S. 6). In Dortmund beteiligte sich die Stadt offiziell an den Veranstaltungen des Befreiungstages, den die VVN mit dem Arbeitskreis verfolgter Sozialdemokraten und der Vereinigung der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen organisierte (22.4.1950, S. 3); eine Abteilung der begleitenden Ausstellung „Gegen den Tod – für das Leben“ zeigte „[a]uthentische Photographien und Bildberichte über die Verbrennungsöfen aus Maidanek und Auschwitz, Treblinka und vielen anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern“ (29.4.1950, S. 6), eine weitere „Feuerflammen des Rassenwahns. Synagogen und Wohnhäuser jüdischer Bürger lodern in Flammen“ (S. 6). ‚Feuer‘ war das Motiv auch der anderen Abteilungen: von den Fackeln des 30. Januar, dem brennenden Reichstag und den Scheiterhaufen des 10. Mai über die Kriegs-„Brandstiftung“ zum „Feuer vom Himmel“: „Die Zerstörung unserer Heimat nimmt nie gekannte Ausmaße an.“ (S. 6) Ein Foto vom Kundgebungsplatz wurde erläutert: „Auf dem Hansaplatz mahnen Ernst Thälmann, Pfarrer Schneider, Rudolf Breitscheid und Geschwister Scholl die versammelten [über 10.000] Widerstandskämpfer und fortschrittlichen Menschen zur Einheit.“ (29.4.1950, S. 1) In allen Schulen Dortmunds fanden „Gedenkfeiern zu Ehren der Geschwister Scholl“ (22.4.1950, S. 3) statt, in der Bittermark wurde ein Gedenkstein für die ermordeten „Deportierte[n] und Kriegsgefangenen“ (S. 3) enthüllt, und unter den gezeigten Filmen war „Die letzte Etappe“. Gerhard Leos sehr ausführliche Besprechung des Films ist betitelt: „Es muß ‚Die letzte Etappe‘ bleiben. Gedanken eines Widerstandskämpfers anläßlich der privaten Aufführung des polnischen Spitzenfilms über Auschwitz“ (er wurde von den Kreisverbänden der VVN gezeigt, so dass er z. B. in Schleswig-Holstein 7500 Zuschauer erreichte). Die Rezension zeigt, wie die Wahrnehmung der BRD als sich faschisierende Gesellschaft das Thema Auschwitz aktualisierte und wie diese Aktualisierung die Thematisierungsweise der Schuldfrage beeinflusste: „Wir in Westdeutschland erleben die Auferstehung der Bestien jeden Tag aufs neue. Wir kennen die Schmach der Diffamierung unseres Kampfes und unserer Leiden. Wir kennen auch die Verherrlichung unserer Peiniger, heute in amerikanischen Zeitschriften, morgen vielleicht auf ihren Posten. Gegenwart ist für uns deshalb der Widerstandskampf der Häftlinge im Lager Auschwitz […]. Sie beschämen uns heute, unsere Auschwitzer Kameraden des Widerstandes. Sie nahmen den Kampf auf […]. Und wir, heute, hier in Westdeutschland?“ (15.4.1950, S. 12) Die Besprechung des Films folgt strikt der „Identifizierung“ (S. 12) genannten Gleichsetzung von Vergangenheit und drohender Zukunft, der die Gegenwart einerseits als bereits begonnene Wiederholung der Vergangenheit, andererseits als Möglichkeit, diese Gefahr zu verhindern, zum Feld des Kampfes wird. ‚Beschämend‘ ist nicht die Vergangenheit, sondern der ungenügende Kampf, den zu unterlassen mit-
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schuldig machen würde. Bemerkenswert ist besonders, dass Leo seine Sehweise ausdrücklich auf ihre Verallgemeinerbarkeit über den Kreis der Verfolgten und Widerstandskämpfer hinaus reflektiert; nachdem er von Anfang an in der 1. Person Plural das im Film Sichtbare beschrieben hat, schließt er zusammenfassend: „Ich kann mir nicht denken, daß dieses Miterleben […] nur von uns geteilt wird, die wir selbst im Nazi-KZ waren. Dieser Film zwingt zur Identifizierung mit den Menschen, die hier leiden.“ (S. 12) Auf diese ‚Identifizierung‘ ist die Rezension von Beginn an angelegt: „Gleich bei dem ersten Bild vergessen wir Leinwand, Kino, und alles, was uns von dem trennt, was hier gezeigt wird. Da läuft ein Zug im Morgengrauen auf einem scharf bewachten Bahnhof ein. Posten mit gefällten Gewehren: die Türen der Viehwagen werden aufgerissen und wir selbst sind es, die wie aufgestörte Ameisen aus dem Waggon fallen, heruntergerissen werden, Schüsse knallen, Menschen schreien – wir werden ins berüchtigte KZ-Lager Auschwitz eingeliefert. Wir stehen dann hinter dem elektrisch geladenen Stacheldraht und starren fassungslos auf die fetten, gelben Rauchwolken aus dem Krematorium, in dem unsere Verwandten und Kameraden verbrannt werden, die man gestern von uns trennte und heute früh getötet hat. Wir selbst schwanken in grauer Sträflingskleidung stundenlang in strömendem Regen, die Beine bis zu den Knöcheln im Lagermorast, weil man uns verurteilt hat, ‚zu stehen‘. Wir werden, mit auf dem Rücken gebundenen Armen von Folterknechten hochgehievt und spüren glühende Eisen im Nacken. Wir leiden, hoffen, kämpfen und werden endlich befreit, während siegreich sowjetische Bomber über dem Lagerplatz dröhnen, auf dem noch der letzte Galgen steht.“ (S. 12) Auch wenn der Schlusssatz von Leos Besprechung: „Wir werden ein neues Auschwitz verhindern!“ (S. 12), der Losung der Berliner „Die Tat“ entspricht, dass Antisemitismus Kriegshetze sei, gewinnt seine argumentative Begründung durch die Bindung der Opferperspektive an die Bilder des Films Eindringlichkeit:⁴³ „Das, hier auf der Leinwand, das ist die Fratze des Krieges gegen den Osten, der heute erneut heraufbeschworen wird. Es wird keinen neuen Krieg ohne ein neues Auschwitz geben. ‚Die letzte Etappe‘ ruft zum Widerstand, zum Friedenskampf, damit der Menschheit eine Wiederholung und Vervielfältigung der grauen Bilder erspart bleibe, die uns hier, in diesem Kino, das wir bereits vergessen haben, an der Gurgel packen: Ein Zug läuft im Morgengrauen auf einem scharf bewachten Bahnhof ein.Wir selbst sind es, die wie aufgestörte Ameisen aus dem Viehwagen fallen, heruntergerissen werden…“ (S. 12)⁴⁴ Auf widersprüchliche Weise führt die Ausweitung des Begriffs des Opfer auf alle, an die zu kämpfen appelliert wird, zu einer Abschwächung der Erinnerung: Auf der einen Seite braucht zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht unterschieden zu werden, weil z. B. Adenauers Staatssekretär Hans Globke (23.9.1950) die Wiederkehr Vgl. die Abbildung der Rezension in Peitsch 2019, 94. „Die nächtliche, im Nebel inszenierte Einfahrt des Zuges nach Auschwitz“, so Magdalena SaryuszWolska (2019, 250), wurde „unmittelbare Quelle für Resnais’ Bild ‚Nacht und Nebel‘, an das später Spielberg in ‚Schindlers Liste‘ visuell anknüpfte […]. Als ikonographische Motive eines Spielfilms wurden diese Bilder zum ersten Male bei Jakubowska verwendet.“
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der Vergangenheit ist, wie es in einer Erklärung zum 20. Jahrestag der Nürnberger Gesetze heißt (und in den zahlreichen Protesten gegen die Begnadigung und Freilassung von Kriegsverbrechern, z. B. des schleswig-holsteinischen Auschwitz-Komitees gegen die Freilassung des IG-Farben-Aufsichtsrats Walther Dürrfeldt, 4.11.1950, S. 8); auf der anderen Seite aber wird ausgerechnet in der Erklärung zum 9. November versichert: „deshalb ist es wesentlicher für uns, zu warnen als zu erinnern“ (4.11.1950, S. 6). Entsprechend heißt es über die Warnung, die in der Dortmunder Ausstellung ausgesprochen werde: „Im Vordergrund steht der Nachweis, daß der Faschismus sich nicht nur gegen die bewußten Vorkämpfer für Frieden und Freiheit richtet, sondern daß er das Unglück und das Verderben des gesamten deutschen Volkes bedeutet.“ (22.4.1950, S. 3) Trotz der gerade in den Ankündigungen von Kundgebungen immer wieder betonten Absicht: „Kriegs- und Naziopfer kämpfen gemeinsam“ (1.7.1950, S. 6), wobei insbesondere die „Bombenopfer“ (12. 8.1950, S. 1) hervorgehoben werden, haben die abgedruckten Erinnerungstexte einen deutlich anderen Schwerpunkt. Außer dem Kapitel „Ruth kehrt von Auschwitz heim“ aus Leonhard Franks Roman „Die Jünger Jesu“ (20. 5.1950, S. 5) und einem Ausschnitt aus Stephan Hermlins Erzählung über den Warschauer Ghetto-Aufstand (13. 5.1950, S. 6) wurden vor allem autobiographische Texte und Dokumente zur Judenverfolgung gedruckt, u. a. Auszüge aus dem Stroop-Bericht, in denen durch Fettdruck die Sprengung der Synagoge als Abschluss der geplanten Vernichtung hervorgehoben wurde. „Kein Dichter und kein Schriftsteller, kein Journalist und kein Reporter könnte eine Sprache finden, die eindringlicher, erschütternder – und glaubhafter jene Geschehnisse schildert […] als das zynisch-kalte, brutale, unmenschliche Kommißdeutsch“ (13. 5.1950, S. 6). Auszüge aus gedruckten Erlebnisberichten über kommunistischen Widerstand wurden Wolfgang Langhoffs, Friedrich Schlotterbecks und Nico Rosts⁴⁵ Büchern, aber auch solcher nicht-kommunistischen Autoren wie Harald Poelchau und Ernst Wiechert entnommen. Eigens für die Frankfurter „Tat“ schrieben westdeutsche Kommunistinnen kurze Erlebnisberichte: die Hamburgerin Gertrud Meyer über den frühen Terror, Anna Seghers’ Frankfurter Freundin Lore Wolf über spätere illegale Arbeit im Exil.
Der Pastor Bruno Theek, der 1946 als Broschüre und 1948 in „Heute und Morgen“ (Rösler 2003, 146) einen eigenen „Erlebnisbericht“ (Theek 1946) über 5 Jahre im KZ Dachau veröffentlicht hatte und 1955 für die „CDU-Bibliothek“ zusammen mit zwei anderen evangelischen Geistlichen den Band „Christlicher Widerstand gegen den Faschismus“ ‚erarbeitete‘, erinnerte das Konzentrationslager 1961 in seinem „Lebensbericht eines Zeitgenossen“ als „noch viel schlimmer […], als Bücher und Bilder aufzuzeigen vermögen“: „Wir Verfolgten des Naziregimes sterben allmählich aus und damit verschwindet auch immer mehr die lebendige Erinnerung an die unerhörten Schandtaten, die ein nicht unbeträchtlicher Teil des deutschen Volkes an Millionen Menschen beinahe aller Nationen verübt hat.“ (Theek 1961, 137) In seiner Besprechung von Rosts „Goethe in Dachau“ hatte er 1949 betont: „Alles, was sonst ähnliche Bücher so gleichförmig im Grunde macht, ist weggelassen; das ganze große Lagerleben […] leuchtet nur hier und da blitzartig auf“, aber so „wird auch gerade dem zusammengeballten Furchtbaren gegenüber die Kraft offenbar, die das Nichtswürdige allein überwinden konnte: das Vitamin Z (Zukunft).“ (Theek 1949, 186)
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Von Rudolf Weinstock, den Stefan Heymann so infam rezensiert hatte, publizierte die Frankfurter „Die Tat“ ausdrücklich zum 8. Jahrestag des Beginns der Deportationen aus dem ‚Reich‘ nach „Auschwitz“ ein Kapitel aus seinem „erschütternden“ Buch: „Fahrt ins Vernichtungslager“ (12. 8.1950, S. 6). In seiner Antwort auf Heymanns Kritik betonte er nicht nur: „Ich war vom ersten bis zum letzten Tag meiner Haft ein Häftling wie es Millionen andere auch waren, und aus dieser Perspektive heraus habe ich mein Buch geschrieben“, sondern er wendete Heymanns Vorwurf der Übertreibung gegen ihn zurück, er „sei geeignet, in den Kreisen unseres Volkes den Eindruck hervorzurufen […]: es ist ja alles nicht so schlimm gewesen“ (Barck 2003, 49). Wenn Anna Fischer, die Bearbeiterin von Weinstocks Text für die DDR-Ausgabe, dem Umgang des VVN-Verlags mit Heymanns Rezension vorwarf: „Das ist eine schlechte Methode, um die gesamtdeutsche Arbeit des Rates der VVN zu fördern“ (53), traf sie einen Punkt: Als Vorsitzender des Auschwitz-Komitees der französischen Zone schrieb Weinstock zum Gedenktag im September einen Kommentar, in dem es um die „Hoffnungen“ der aus Auschwitz und den anderen KZs Befreiten und die „Einheit“ ging: „Was würden die Millionen von Toten der KZ-Lager […] sagen, wenn sie dieses Deutschland sehen würden, das sie vom Nazismus befreien wollten und dafür ihr Leben gaben? Was würden sie zu der heutigen Haltung unserer damaligen Befreier sagen? […] schon erhebt sich in Anwesenheit der Besatzungsmächte und der westdeutschen Regierung von neuem der Nazismus und Antisemitismus. In wüstesten Ausschreitungen, der Zerstörung jüdischer Friedhöfe und Ehrenmale der OdF, in Versammlungen, getarnt in der Presse, in den Gerichtssälen, auf der Straße, in den Amtsstuben und in Form von Drohbriefen findet er seinen Niederschlag, während sich von den Gemeindestuben bis zu höchsten Regierungsstellen die ehemaligen kleinen und großen Funktionäre der Nazipartei noch befinden oder wieder eingefunden haben, geschweige von Wirtschaft und Industrie, wo die Geldgeber Hitlers neue Orgien feiern. […] Deutschland muß wieder eine Einheit werden, ohne daß es zu militärischen Auseinandersetzungen unter den Alliierten kommt, Deutschland darf niemals eine Zone des Todes oder ein Waffenarsenal noch der Kriegsschauplatz eines neuen Krieges werden, dessen Folgen das Ende der Zivilisation sein würden.“ (9.9.1950, S. 15) Es lässt sich belegen, dass die Tendenz, den Begriff der Opfer in einer Weise auszuweiten, die die Erinnerung an die Mitschuld hinter der Warnung vor der Gefahr der Wiederholung in der Zukunft zurücktreten lassen konnte, in der Frankfurter „Die Tat“ stärker ausgeprägt war als in der Berliner: Beide Wochenzeitungen druckten Elfriede Brünings (auf nicht unproblematische⁴⁶ Weise) kommunistischen Widerstand und Judenverfolgung verknüpfenden Roman „…damit du weiterlebst“; aber nur in
Vgl. in „Der Bibliothekar“ Erich Sieks Rezension von „… damit du weiterlebst“ nicht nur die Formulierung, dass es „der Gestapo gelingt, die Widerstandsgruppe unschädlich zu machen“, sondern vor allem die Entgegensetzung einer „Pflicht auch ihr Leben zu lassen“ für die nicht-jüdische Mutter und einer zu „überleben“ für die jüdische: „Aus den letzten Briefen der [toten] Mutter“ „spricht“ „Pflichtbewußtsein“, während die überlebende „der künftigen Generation“ das „Vermächtnis derer, die sich geopfert haben“, „übergibt“ (Siek 1950, 96).
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Frankfurt folgte darauf Anna Seghers’ „Das siebte Kreuz“, denn in Berlin meinte nicht nur Greta Kuckhoff, dass in diesem Roman Widerstand „so geschildert“ werde, „als habe dieses heimliche Deutschland in das Leben aller Schichten hineingereicht“ (Kuckhoff 1946, 63). Und nur in der Frankfurter „Die Tat“ setzte 1950 eine massive Rezeption Wolfgang Borcherts ein; schon am Tag des freien Buches wurde die Entfernung von Borcherts Kurzgeschichten aus Schulbüchereien zum Inbegriff der in der BRD aktuellen Gefahr erklärt, zu einer der „Tatsachen“, „die eine drohende kulturelle Versklavung Westdeutschlands am Horizont der Zukunft erscheinen lassen“ (8. 5. 1950, S. 6). In Vorbereitung auf den Gedenktag der OdF im September druckte die Frankfurter „Tat“ 1950 zum ersten, aber keineswegs letzten Mal ohne jeden Kommentar „Aus dem Nachlaß Wolfgang Borcherts“: „Wenn du nicht nein sagst“ (26. 8. 1950, S. 14; vgl. Sondernummer II, Mai 1951, S. 7: „Dann gibt es nur eins: Sag Nein!“).
III Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Kongress für kulturelle Freiheit und Internationales Auschwitz-Komitee 1952 Über die Gründung des Internationalen Auschwitz-Komitee in Auschwitz berichteten 1952 in der DDR Überlebende in „Die Tat“ wie in „Blick nach Polen“, aber mit Delegationen der FDJ und des Deutschen Schriftstellerverbands fuhren auch junge Schriftsteller nach Auschwitz. In der BRD wurde 1950 mit der ohne Angabe eines Herausgebers veröffentlichten Anthologie „Letzter Briefe aus Stalingrad“, die bereits 1943 von einem PK-Berichterstatter im Auftrag des OKW erstellt worden war, die im Kaiserreich begründete und in Weimarer Republik und Faschismus fortgesetzte Tradition der ‚Kriegsbriefe gefallener Studenten‘ wieder aufgenommen. Die auf Anregung noch der US-Militäradministration 1949 gegründeten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der 1950 in Westberlin gegründete Kongress für kulturelle Freiheit fokussierten auf die ‚moralische Wiedergutmachung‘, die Bundeskanzler Konrad Adenauer in einer Regierungserklärung, die im Luxemburger Abkommen zwischen der BRD und Israel vom 10. September 1952 offizielle Geltung gewann, von der ‚materiellen‘ unterschieden und zur ‚wesenhaften Aufgabe der zur Erziehung berufenen Instanzen‘ erklärt hatte, nämlich der ‚Kirchen und Erziehungsverwaltungen der Länder‘. Erst nachdem der 17. Juni 1953 zum ‚nationalen Gedenktag‘ der BRD erklärt worden war, konnten die drei auf Initiativen der ersten Nachkriegsjahre zur Sammlung letzter Briefe hingerichteter Widerstandskämpfer zurückgehenden Bücher Günther Weisenborns, Reinhold Schneiders und Annedore Lebers eine auf die vom Bundespräsidenten Theodor Heuss 1954 konsekrierte Erinnerung an den 20. Juli 1944 gestützte breite Rezeption erfahren.
1952 berichteten sowohl die Berliner als auch die Frankfurter „Die Tat“ über die Gründung des Internationalen Auschwitz-Komitees (IAK) in Oswiecim unter der Überschrift: „Nie wieder Auschwitz! Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ (Nie wieder 1952, vgl. Hans E. 1952):¹ „Ergreifend war es […], wenn die nach Auschwitz gekommenen Eltern hingerichteter Widerstandskämpfer an der Todesstätte von den überlebenden Kameraden die letzten Augenblicke und ihre heldenhafte Standhaftigkeit geschildert bekamen, wie sie heldenmütig zum Galgen gingen oder an die Todeswand mit dem Ruf: ‚Es lebe die Freiheit!‘ oder ihre Nationalhymne singend!“ (Nie wieder 1952) Die Hervorhebung der Begegnung zwischen Überlebenden mit den Familienangehörigen von Ermordeten entspricht der zentralen Rolle, die polnische und französische Opferverbände bei der Gründung des IAK spielten (Neumann-Thein 2014, 119 – 131), zu dessen Aufgaben dann die Organisation von Reisen nach Oswiecim wurde. Katharina Stengel zitiert aus einem Protokoll des IAK, „dass die ‚Vorbereitung von Pilgerfahrten‘ recht weit oben auf der Agenda [stand]. Gemeint waren organisierte Reisen ehemaliger Häftlinge oder ihrer Angehörigen nach Auschwitz, die das IAK und die polnischen Verbände in verstärktem Maße anbieten wollten“ (2012, 169). Für eine
Vgl. dagegen die falsche Datierung auf 1954 und Lokalisierung in Wien bei Hansen 2015, 277, die sie so zum direkten „Vorbote[n] der Internationalisierung“ der Gedenkstätte durch die Feier des 10. Jahrestags der Befreiung macht, vgl. die beiden Fotos „Teilnehmer des Welttreffens der Jugend besuchen das Staatliche Museum in Auschwitz“ (280). https://doi.org/10.1515/9783050095851-005
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solche Reise von Angehörigen französischer Opfer nach Auschwitz hatte die Frankfurter „Die Tat“ schon 1950 den Begriff „Pilgerfahrt“ benutzt (1 (1950) Nr. 19). Die durch das IAK angeregte (vgl. Die Tat 3 (1952) Nr. 6, 9.2., S. 9.) Gründung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos geschah 1952 aufgrund einer unter Überlebenden verbreiteten „Forderung der Wiederaufnahme der Pilgerfahrten“ (Neumann-Thein 2014, 194). Sogar für Flossenbürg, dessen Wandel „von einer katholisch inaugurierten Erinnerungs- und Friedhofslandschaft zu einer Pilgerstätte an den Todesort der Männer des 20. Juli“ Jörg Skriebeleit erst auf 1970 datiert (2009, 281), sind für die frühen 1950er Jahre zumindest „traditionelle Pilgerfahrten westeuropäischer Überlebender“ aus Frankreich und Belgien belegt (Siebeck 2010). Wenn Stengel zu der „sonst nur im Kontext religiöser Praktiken übliche[n] Bezeichnung der Pilgerfahrten“, die „ehemalige Häftlinge, von denen sich sicher viele als Atheisten bezeichnet hätten“, „[v]öllig selbstverständlich verwendeten“, nur anmerkt, dass „Auschwitz damit die Aura einer Weihestätte oder eines Kultorts [bekam], […] wurde offenbar nicht als Problem empfunden“ (2012, 169), entrüstet sich Sybille Steinbacher in ihrer Besprechung der Buchenwald-Studie Neumann-Theins in der „Süddeutschen Zeitung“ (9.12. 2014): „Wer sucht schon, wie die Pilger, Heil ausgerechnet am Ort der einstigen Folter und Erniedrigung? Aber anders als über die Führungsebene lässt sich über die Mitglieder des Buchenwald-Komitees mangels Dokumenten kaum etwas sagen.“ Und Martin Sabrow datiert den Sprachgebrauch auf nach 1989, wenn er „das Verständnis […] des Wegs zu [einer Gedenkstätte …] als ‚Pilgerfahrt‘“ auf eine „seit 1989 inflatorische[…] Rede von der erlösenden Erinnerung“ zurückführt, um im Ersteren „ein[en] Paradigmenwechsel unserer Geschichtskultur“ auszumachen, „der Kritik in Anbetung und Aufklärung in Affirmation zu verwandeln droht“ (Sabrow 2017, 114).² Der Sprachgebrauch der beiden VVN-Organe in Frankfurt und Berlin stimmt 1952 darin überein, dass nicht nur Auschwitz das Ziel von Pilgerfahrten war, über die das westdeutsche häufiger als das ostdeutsche berichtete, sondern auch Buchenwald oder Lidice. Diese „Wallfahrtsort[e]“ wurden als ‚Symbole‘ präsentiert: Lidice als „Symbol“ für das „heldenhafte Martyrium eines stolzen Volkes“ (Die Tat 3 (1952) Nr. 23), Buchenwald als französisches „Symbol des Kampfes und des Sieges“ (Nr. 15). Gepilgert wurde metaphorisch zu Märtyrern des zukünftigen Sieges. Nach zwei Berichten über die Gründung des IAK, dessen erster u. a. Harald Poelchau zu Wort kommen ließ (Auschwitz-Delegierte 1952, Rudolf G. 1952), druckte die Frankfurter „Die Tat“ zum Gedenktag für die Opfer des Faschismus eine Reisebeschreibung des DDR-Schriftstellers Peter Nell: „Die Knochenasche knirscht unter den Füßen. Ein Besuch im heutigen Auschwitz-Birkenau, den Stätten des Gedenkens“ (Nell 1952). Im Jahr zuvor hatte er im Verlag der Zeitschrift „Blick nach Polen“ die Sabrow beruft sich auf einen „taz“-Artikel: „Pilgerfahrt nach Auschwitz. Das Gedenken an den Holocaust ist zu einer Art Religion geworden“ (Hefets 2010).Vgl. auch den Bericht über die von Sabrow und Achim Saupe geleitete Sektion „Geschichte als Gegenwartsreligion?“ des 51. Deutschen Historikertags von Philipp Müller (2016).
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Beschreibung einer Reise „Nachbarland im Frühling“ veröffentlicht, zu deren „Reiseroute“ auch „Oswiecim“ (Nell 1951a, 6) gehörte, das aber kein Kapitel (8) erhielt und auf das er nur im Schlusswort „Hernach“ (94– 96) zurückkam: „die noch in ihrer musealen Bewahrung furchtbaren KZ-Höllen Auschwitz und Birkenau erschütterten uns“ (96). Auch wenn er im Kapitel über Warschau das Denkmal für die GhettoKämpfer mit den Neubauten in Verbindung bringt (28/29) und in dem über Krakau zum Generalgouverneur Hans Frank vermerkt: „Die Spuren sind beseitigt“ (43), wird deutlich, dass Nell den Akzent auf den Aufbau in den ehemals deutschen Gebieten legt, weshalb ein Kapitel „Auf Marchwitzas Spuren“ (58 – 60) heißt und außer dessen Schlesien mit „Renaissance in Wroclaw“ (61– 65) vor allem „Baugerüst[e]“ in „Gdansk“ (76 – 83) beschrieben werden; entsprechend heißt es über die Fahrten über Land: „Es gibt keine unbestellten Äcker“ (91– 93). Ein Jahr später beginnt Nell von der Reise nach Auschwitz zu erzählen mit der Erinnerung an eine Szene auf „irgendeiner der belebten, lichtdurchfluteten, neuen Straßen“ Warschaus, wo ein polnischer Siebenjähriger seiner Mutter, die ihm gesagt hat, dass die von ihm an ihrer anderen Sprache bemerkten „Fremde[n]“ „Deutsche“ seien, die Frage stellt: „‚Sind das die anderen Deutschen, Mama, unsere Deutschen, Mama?‘“ (Nell 1952) Die Autofahrt durch blühende Gärten, fette Äcker und volle Weideplätze endet auf „Wegen“, auf denen „ein grauer, körniger Staub“ „glitzert“, „der merkwürdig knirscht, wenn ein Reifen des Autos ihn berührt“. Am Ende der auf den Gang durch Birkenau beschränkten Beschreibung von Auschwitz „erklärt sich, was uns auf dem Wege hierher aufgefallen war, als das Auto jenen eigenartig glitzernden Staub durchfuhr…“, bevor Nells Reisebeschreibung mit der „Zahl derer, die in Auschwitz das Leben lassen mußten“, endet: „Zuletzt standen wir in einem Raum mit abgedunkelten Fenstern. Die ganze Breite der einen Längswand nimmt ein Leuchttransparent ein. Sonst befindet sich nichts weiter in dem Raum. Auf dem Leuchttransparent befindet sich eine Vier mit sechs Nullen dahinter.“ Nell hat diese Reisebeschreibung drei Jahre später für die Zeitschrift des Schriftstellerverbands „Neue Deutsche Literatur“ neu bearbeitet und für die neue Fassung als Titel die Frage des polnischen Kindes gewählt. Der westdeutsche Druck der ersten Fassung schloss hingegen mit einer ‚Anmerkung‘ der Redaktion zu „[d]iesem Erlebnisbericht von einem Besuch in Auschwitz“ (Nell 1952). Über Michael Vogl, den Sohn einer an den Folgen medizinischer Experimente, „barbarische[r] „Menschenversuche“, in Auschwitz Verstorbenen, sitze zur Zeit Landgerichtsrat Rheinländer zu Gericht, der „ebenfalls Angehörige in den Hitler-Konzentrationslagern verloren“ „hat“: „Michael Vogl demonstrierte am 11. Mai in Essen gegen die Wiederkehr von Krieg und Faschismus.“³ Der von Nell für die DDR-Fassung seiner Auschwitz-Reise gewählte Titel entsprach der polnischen Figur der ‚ausgestreckten Hand‘, auf die der Titel der Zeitschrift und
Vgl. zu der „wesentlich von der FDJ mitgetragenenen ‚Friedenskarawane‘ in Essen“, bei der ein Demonstrant, Philipp Müller, von der Polizei erschossen wurde, Fülberth 1990, 50.
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der Name ihres Verlags „Blick nach Polen“ die von Deutschen zu gebende Antwort sein sollte (Dzikowska 1998, 74). So publizierten in den Jahren 1950 – 52 zwei Autoren, die schon mit dem Weltkongress der Intellektuellen für den Frieden in Auschwitz gewesen waren, in „Blick nach Polen“ die Beschreibung einer späteren Polenreise, die nun aber nicht mehr nach Auschwitz geführt hatte: Hans Marchwitzas „Impressionen in Polen“ (1950) und Friedrich Wolfs „Zwei Völker – ein Ziel“ (1951) bezogen ihre Reisebeobachtungen auf eine als aktuell wahrgenommene Kriegsgefahr; heißt es bei Marchwitza: „In d[…]em von den westlichen Zivilisationsverteidigern beherrschten Deutschland gibt es wieder ungezählte Erzieher, die gleich das Verlangen haben, ‚nach der Pistole zu greifen‘, wenn sie das Wort ‚Sowjetkultur‘ oder ‚polnische Kultur‘ hören“ (Häckel 1952, 344), so bei Wolf: „Wir haben die Schützengräben und Konzentrationslager nicht deshalb durchlitten, damit uns heute Wallstreet aufs Neue in den Tod schickt.“ (Wolf 1951, 4) Ein Schriftsteller, der noch nicht aus dem Exil zurückgekehrt war, als der Wroclawer Weltkongress nach Auschwitz fuhr, war zwar über Auschwitz nach Berlin zurückgekehrt, aber Arnold Zweig schrieb darüber erst 1965 (Zweig 1968), während er in „Blick nach Polen“ das „Resümee“ zweier, 1949 und 1950 als Mitgründer des letztlich auf den Wroclawer Weltkongress zurückgehenden Weltfriedensrats unternommener „Polenreisen“ zog: „Es ist wahr, ganze Gruppen von Menschen, Millionen, hat der Hitlerteufel ausgerottet; ihr Andenken ist nicht vergessen, und der Faschismus und Nazismus, der dies vollbrachte, müsste mit furchtbaren Schlägen zu rechnen haben, wenn er irgendwo wieder aus seiner Höhle kröche und, in wer weiß wessen Dienst, das polnische Volk anfiele.“ (Zweig 1950) Willi Bredel veröffentlichte seinen „Bericht von einer Reise durch das neue Polen“ (Bredel 1948, 631) zum Wroclawer Weltkongress in seiner eigenen Zeitschrift „Heute und Morgen“; zwar schließt er mit einer Gewissheit: „Beide demokratischen Völker werden sich zweifelsohne in allen Fragen verständigen, und als vom Krieg Schwergeprüfte ihre vornehmste Aufgabe darin sehen, den Frieden der Welt zu erhalten“, aber zuvor hat er eine Bedingung für die deutsche Seite formuliert, die aus einer Unterscheidung folgt in jener ‚schweren Prüfung‘, die auch Deutsche gleichermaßen zu Opfern des Krieges zu machen scheint: „Polen [ist…] das vom Krieg meistmißhandelte Land“ (637). Daraus folgert Bredel: „zu diesem neuen Polen gutnachbarliche Beziehungen […] schaffen […] können wir aber nur, wenn wir durch unser Verhalten das im polnischen Volk nur zu berechtigte Mißtrauen beseitigen und unserem östlichen Nachbarn ohne Hintergedanken, ohne geheime Revisionsabsichten gegenübertreten.“ (637) Weniger zuversichtlich als am Schluss formuliert Bredel den Zusammenhang zwischen der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und der deutscher Schuld, wenn er fortfährt: „Das wird nicht leicht sein, denn noch glauben viele Deutsche, nicht wir Deutschen stünden in Polens Schuld, sondern Polen habe uns Unrecht angetan.“ (637) Als Beiträge zu einer ‚Verständigung‘, die bemüht ist, ‚berechtigtes Misstrauen zu beseitigen‘, brachte Bredels Zeitschrift nicht nur Reisebeschreibungen anderer Autoren, sondern auch Vorabdrucke der Vorworte zu Büchern über oder aus Polen. Sowohl Max Zimmerings „Polnische Reisenotizen“ als auch Karl Kleinschmidts „Polonia Re-
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stituta“ fokussieren „das Wiedererstehen Warschaus“ (Zimmering 1952. 53) und überhaupt den „Wiederaufbau der Baudenkmäler in Polen“ (Kleinschmidt 1952, 535); aber vor allem der Schweriner Domprediger Kleinschmidt, der zunächst betont, dass er „doch immer wieder der Sorge begegnet, ob denn das deutsche Volk diese Freundschaft des polnischen Volkes so herzlich erwidere, wie sie ihm entgegengebracht wird“ (536), versichert in seinem letzten Satz zu Polen: „Mein Herz erwidert – beschämt und erhoben zugleich – die herzliche Freundschaft, die das polnische Volk dem unseren und unserer Deutschen Demokratischen Republik entgegenbringt!“ (543) Das Vorwort, das der damals auf den Bühnen der DDR mit seinem – auch von der DEFA verfilmten – Stück „Die Sonnenbrucks“ viel gespielte polnische Dramatiker Leon Kruczkowski (1951) für die Anthologie „Für Polens Freiheit“ schrieb, die Manfred Häckel im Verlag „Blick nach Polen“ 1952 herausgab und in der Bredels, Marchwitzas, Zweigs und Wolfs Reisebeschreibungen erneut gedruckt wurden, „richte[t]“ ein „ehrliche[r] patriotische[r] Internationalist“ „an den deutschen Leser“ (Kruczkowski 1953, 725). Er nennt die von Häckel ausgewählten Texte von Gryphius über Herder, Chamisso und Heine bis zu Becher und Weinert „eine andere Tradition des deutschen Gedankens über Polen und das polnische Volk“, die dem „Strom“ „entgegen“ verlaufen sei (726), aber: „An diese Tradition […] knüpfen wir heute, in der Epoche des sich vollziehenden Durchbruchs in den polnisch-deutschen Beziehungen mit Freude an“ (726). Im Unterschied zu Kleinschmidt sieht Kruczkowski den ‚Durchbruch‘ noch nicht als ‚vollzogen‘ an. Ähnlich betont er im Vorwort zur Nacherzählung des Films „Die Sonnenbrucks“ die noch nicht entschiedene Situation: „Das Problem der ‚Lauheit des Gewissens‘, das Problem, das noch viele anständige Menschen vor der Mitverantwortung des jetzt stattfindenden Ringens zwischen den Kräften des Krieges und den Kräften des Friedens sich drücken läßt, d. h., daß sie infolgedessen das Verbrechen dort unterstützen, […] auch dort, wo es erst vorbereitet wird – dieses Problem muß heute auf Schritt und Tritt, mit großer Klarheit und größter Betonung herausgestellt werden.“ (Kruczkowski 1951, 7) Willi Bredel überschrieb das Vorwort zu Stanisław Wygodzkis „Im Kessel“ (1950) mit „Unsere polnischen Nachbarn“ und nennt das Buch, noch bevor er auf seinen Autor und seinen Inhalt zu sprechen kommt, „ein weiteres Stück an diesem Band kultureller Freundschaft, das heute unsere beiden Nachbarvölker verbindet“ (Bredel 1950, 510). Aber vorangegangen ist ein pointierter historischer Rückblick, aus dem eine Verpflichtung abgeleitet wird. Bredel kontrastiert den „jahrhundertelangen Leidensweg“ des „polnische[n] Volk[s]“, das „unter der Hitlerdespotie […] vor der physischen Ausrottung stand“, mit „wir Deutschen im Osten unseres Vaterlandes, jahrhundertelang ein nur zu williges Objekt der Junkerwillkür, dieser Ausbeuter- und Militärkaste, die unserem Volk den Polenhaß einimpfte als ewigschwärende moralische Kriegsbereitschaft gegen den östlichen Nachbarn“ (510). Daraus folgt über die Absage an „Ressentiments“ hinaus für die ‚Herstellung‘ eines „aufrichtige[n] freundschaftliche[n] Verhältnis[ses]“ die „eigentlich selbstverständliche Pflicht von uns Deutschen, der wiedergutmachende Gebende zu sein“ (510); aber Bredels Bilan-
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zierung der Kulturbeziehungen der Nachkriegsjahre fällt anders aus und begründet eine weitergehende Verpflichtung, weil „wir zugeben [müssen], daß das demokratische Polen uns in den letzten Jahren mehr gegeben hat als wir ihm. Es genügt nicht, gelegentlich feierlich zu erklären, die neue Grenze sei die Friedensgrenze, und zwischen unseren Völkern solle künftig freundschaftliches Einvernehmen bestehen; wir Deutsche müssen dies, soll es Wirklichkeit werden und Bestand haben, auch als geistige und kulturelle Verpflichtung empfinden und wahrmachen.“ (510) Der Autor von „Im Kessel“ wird von Bredel vorgestellt als „einer der wenigen polnischen Juden, die das Massaker der Faschisten überlebt haben“ (510). Dargestellt werde in seinen Novellen der „Opfermut des polnischen Volkes und vor allem der Juden Polens“: „Er heroisiert sie durchaus nicht, […] sondern er zeigt sie vor allem […] in ihrer menschlich stolzen Haltung gegenüber ihren Mördern in Auschwitz und den sogenannten Auffangslagern.“ (510) Auch wenn Elizabieta Dzikowska über die Zeitschrift „Blick nach Polen“ behauptet: „Im ‚Opfer-Dreieck‘: Juden, Russen und Polen wurden Juden als Genozid-Opfer und Russen als Sieger, deren politisches System zu übernehmen war, tabuisiert, somit war ihre Position stabil und unantastbar“ (1998, 75),⁴ scheint Bredels Vorwort eher zu belegen, dass kein ‚Blick nach Polen‘ möglich war, ohne Juden und ‚Russen‘ zu thematisieren. Auf welche Weise dies geschah, lässt sich nicht auf den Begriff Tabu bringen. Bredels Weise ist der aktuellen Situation des ersten Höhepunkts des Kalten Kriegs verpflichtet. Ausgehend von einer allgemeinen Kennzeichnung von Wygodzkys Figurendarstellung aktualisiert er für 1950 konkret: „Weitab von jeder oberflächlichen Vereinfachung scheut er sich nicht, die Juden in Polen und in der übrigen Welt entsprechend ihrer Klasseneinstellung zu charakterisieren. Er verschweigt durchaus nicht, daß viele reiche, mit dem internationalen Finanzkapital versippte Juden zu den Wegbereitern des Faschismus gehörten, wie sie ja auch heute vielfach Spießgesellen des anglo-amerikanischen Imperialismus sind.“ (510) Die ‚Russen‘ erscheinen in Bredels Vorwort in dem abschließenden Rückblick auf demokratische deutsche und polnische sozialistische Tradition als Metapher für Zukunft: „Für unsere beiden Völker hat an der Seite der Sozialistischen Sowjetunion […] ein neuer Tag der Geschichte begonnen.“ (511) Dass der Zeitschriften-Herausgeber Bredel in „Heute und Morgen“ sowohl die jüdische als auch die sowjetische Dimension der ‚Verständigung‘ mit Polen präsent
Vgl. dagegen Christa Morina „Zum Umgang mit dem Krieg gegen die Sowjetunion im geteilten Deutschland“: ihr „erscheint es plausibel, dass die graduelle Anerkennung des einen historischen Großverbrechens des Nationalsozialismus die kontinuierliche Ausblendung des anderen ermöglichte. Die historischen Orte Auschwitz und Stalingrad blieben – wie in der DDR, in der der Holocaust lange marginalisiert wurde – getrennt“ (Morina 2008, 280), unter Berufung auf Wolfram Wette, der 1987 in der „Zeit“ über die Bundesrepublik geschrieben hat: „Auschwitz wurde als ‚unfassbares Verbrechen‘ von allen Deutschen eingestanden (‚Kollektivscham‘) – der Krieg gegen die Sowjetunion dagegen (und die damit verbundene Schuld) wurde deshalb umso rascher und gründlicher verdrängt.“
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hielt, lässt sich an dem kontinuierlichen Abdruck von einschlägigen Beiträgen belegen.⁵
1 Willi Bredels Zeitschrift „Heute und Morgen“ Schon im ersten Jahrgang erschien eine Stellungnahme des noch in Paris lebenden Rudolf Leonhard zu dem Schicksal jüdischer Auswanderer nach Palästina seit 1945, das „vom symbolischen Namen ihres Schiffes her den Namen Exodus-Affäre behalten hat“ (Leonhard 1947, 539): „auch wenn man die zionistische Lösung ganz ablehnt, muß man sich voller Abscheu empören gegen die brutale Mißhandlung dieser armen, immer mißhandelten Menschen, die nichts anderes mehr wünschen als Ruhe, und die leben, aufbauen, arbeiten und schaffen wollen“ (540). Unter dem Titel „Grabstätten klagen an“ kommentierte Kurt Friedländer Berichte über 60 Fälle der Schändung jüdischer Friedhöfe nach 1945 „in allen Ländern und Zonen, besonders aber in der britischen Besatzungszone“, indem er zunächst erinnerte: „Zerstörung von Gotteshäusern und Ruhestätten der Toten […] bildeten [sic] den Auftakt zum organisierten Mord an 6 Millionen Juden in Europa, bildeten die erste Phase zügelloser Verbrechen, denen ganz Europa in einem darauffolgenden Weltbrand zum Opfer fallen mußte.“ (Friedländer 1948, 429) Mit Scham begründete er seinen Vorschlag, „an diesen Stätten Mahnmale zu errichten“, „die notwendigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen“: „Es ist beschämend und kennzeichnend, daß sich auch in Mecklenburg nach […] 1945 noch niemand gefunden hat, der sich ernstlich für das erste Zeichen einer Wiedergutmachung, der Instandsetzung jüdischer Friedhöfe im Lande, eingesetzt hätte.“ (429) Friedländer ging aber noch weiter, denn: „Man muß sich tatsächlich ernsthaft die Frage stellen, ob der Antisemitismus nicht […] der Mentalität weiter Kreise des deutschen Volkes entspricht“ (429). Deshalb schloss er, indem er „aktive[n] Kampf gegen jede Erscheinungsform von Antisemitismus eine ernste und unaufschiebbare Verpflichtung aller […] fortschrittlichen deutschen Menschen“ (429) nannte. Mit einer deutlichen Kritik endet die Rezension der Übersetzung der Biographie der in Auschwitz umgekommenen französischen Widerstandskämpferin Danielle Casanova von Simone Téry „Die Geschichte eines wunderbaren Lebens“, weil es darin keine „besondere Beschreibung“ des Lagers gebe, sondern „nur einige Einzelheiten im Rahmen der Schilderung der letzten Lebenstage“: „Es ist […] bedauerlich, daß gerade diese Beschreibung nicht eingehender sein und dadurch die geringe deutschsprachige Literatur über Auschwitz bereichern kann“ (Dr. U 1953, 55).
Zur Verbreitung der in Mecklenburg erscheinenden Zeitschrift vgl. Rösler 2003, 132: „‚Heute und Morgen‘ war in allen Ländern der SBZ präsent und wurde auch in den westlichen Besatzungszonen gelesen.“
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Die sowjetische Dimension der ‚Verständigung‘ mit Polen präsentierte im zweiten Jahrgang von „Heute und Morgen“ ein „Dem Gedenken deutscher Freiheitskämpfer“ gewidmeter Artikel von Kurt Eichner, der zum Todestag von Hans und Inge Scholl eins ihrer Flugblätter und die Schlacht von Stalingrad in engste Beziehung setzte: sie hätten „sich in einer Zeit, in der angesichts der militärischen Katastrophe im Osten das ganze Ausmaß der Verbrechen wahnwitziger Machtpolitiker offenbar wurde, zum Sprachrohr dessen gemacht, was in schweigender Empörung jeder auch nur einigermaßen einsichtige Deutsche empfand“ (Eichner 1948, 82). Folglich beanspruchte der Verfasser im Namen von „Wir Jungen aber, die wir leben“, „ein großes Erbe zu verwalten“: „Wir fühlen uns verantwortlich. Damit ist bereits alles entschieden.“ (82) Im selben Jahr 1948 druckte die Zeitschrift aus dem mexikanischen „Freien Deutschland“ von 1942 Alexander Abuschs „Brief an einen jungen Deutschen“ nach unter dem – ausdrücklich auf Arnold Zweigs Verdun-Roman anspielenden – Titel „Erziehung vor Moskau“.⁶ Der Adressat ist der Sohn einer mit Abusch bekannten antifaschistischen Frau, die „zu jenen Millionen bedrückten Deutschen gehört, die diesen Hitlerkrieg nicht gewollt haben“ (Abusch 1948, 359), und deren Mann den Sohn nazistisch beeinflusste: „Im Feuer […] erlebst Du vor Moskau ein Gericht für Deine und der ganzen deutschen Jugend Verwirrungen […und] dafür, daß sie sich vom Nationalsozialismus verblenden und ohne Widerstand zur Gefolgschaft bei Hitlers Verbrechen an anderen Völkern verleiten ließ. Wirst Du erkennen, wo Eure Schuld liegt […]? Besinnung und völlige Umkehr sind für Dich noch möglich.“ (359). Wenn der Nachdruck von Abuschs Brief aus dem Jahre 1942 im Nachkriegsjahr 1948 einen Appell zur durch Widerstand zu beweisenden Wandlung vor der Niederlage in Erinnerung brachte, stellte vier Jahre später Franz Fühmann in „Heute und Morgen“ eine nach der Niederlage erfolgte Wandlung als „Tatsache“ dar, ja er formulierte: „Wir erleben die großartige Tatsache mit, daß Millionen Deutsche, die einmal den Fahnen Hitlers gefolgt sind, und gegen das Friedensland der Sowjetunion zogen, in einem sehr komplizierten, reinigenden, zugleich schmerzhaften und beglückenden Prozeß zu leidenschaftlichen Gegnern des Nationalsozialismus, zu Streitern für Deutschlands Glück und zu ehrlichen Freunden des Sowjetvolkes geworden sind.“ (Fühmann 1952, 503) Die einzige Frage, die sich Fühmann stellte, lautete bezeichnenderweise: „Wo aber ist der Film, der Roman, das Schauspiel, die diese Wandlung schildern? Wir haben sie noch nicht, und es ist ein ernster Mangel, daß wir sie noch nicht haben. Wir verlangen den Film von der Wandlung der großen Mehrheit des deutschen Volkes.“ (503)⁷ Nicht eine Wandlung bekannte, sondern vor einer Wiederholung warnte der schon zitierte evangelische Geistliche Kleinschmidt „unter Hinweis auf die furchtba 1952 wurde Abuschs Text in der Anthologie „Sieg der Zukunft. Die Sowjetunion im Werk deutscher Schriftsteller“ erneut gedruckt, zu der Abusch auch das Vorwort schrieb (Abusch 1952, 241– 247). Fühmanns zehn Jahre später veröffentlichte autobiographische Erzählungen „Das Judenauto“ wurden von Tilly Bergner in „Der Bibliothekar“ besprochen als „gelungene[r] Versuch, in sich und für viele, viele andere ein Stück Vergangenheit zu bewältigen“ (Bergner 1963, 388).
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ren Erfahrungen des deutschen Volkes“, als er 1949 über seine „besondere Aufgabe“ auf dem Pariser Weltkongress der Kämpfer für den Frieden berichtete (Kleinschmidt 1949, 260). Er warnte „vor der akuten Bedrohung des Weltfriedens durch den militanten Antibolschewismus“ bei der – gemeinsam „mit delegierten Geistlichen aller Nationen und Konfessionen“ – Ausarbeitung einer „Entschließung“ „gegen die ideologische, politische, wirtschaftliche und militärische Aggression gegen die Sowjetunion“ sowie gegen die ‚Beteiligung‘ der „Christen der Welt“ „an der Vorbereitung eines Kreuzzuges gegen die Sowjetunion“ (269). Im selben Jahr druckte „Heute und Morgen“ die „Beobachtung“ eines „Jugendlichen“, der vorgestellt wurde als jemand, „der als 15-jähriger während der letzten Monate des Krieges noch von den Nazis als ‚Kurier‘ mißbraucht wurde“; zuerst berichtet er von der Vorführung des Films „Nahkampf“ vor „älteren Jahrgängen der Hitlerjugend“, dann Jahre später von einer größtenteils von Jugendlichen besuchten Nachmittagsvorstellung des Films „Professor Mamlock“: „Während sich auf der Leinwand die gräßlichsten Szenen der Nazibarbarei abspielten, Menschen verhaftet und blutig geschlagen oder erschossen wurden, erscholl aus dem Zuschauerraum lautes Gelächter, das seinen Höhepunkt erreichte, als Professor Mamlock zu Tode getroffen zusammenbrach. Es hatte sich also nichts geändert! Das hier Wiedergegebene beweist, wieviel Arbeit noch zu leisten ist, um die Jugend vom Geist der Menschenverachtung zu befreien und sie zur wahren Demokratie, das heißt zu einer Weltanschauung, in deren Vordergrund der Mensch steht, zu erziehen!“ (P. L. 1949) Die Überschrift der Redaktion lautete: „Nichts geändert!“ Ein Ausrufezeichen setzte auch Walther Victor als Rezensent in „Heute und Morgen“ hinter seine Übersetzung des lateinischen Worts im Titel von Erich Weinerts „Frontnotizbuch“ „Memento Stalingrad“, und die Redaktion wählte sie als Überschrift: „Denkt daran!“ (Victor 1952, 591). Victors Besprechung variiert immer wieder dieselbe Bewertung des Buchs als von aktuell „enorm[er]“ „erzieherische[r] Wirkung“, ob er gesperrt drucken lässt: „das ‚Memento‘ des Titels, dieses ‚Denkt daran!‘ anhand des Geschehens noch einmal und immer wieder zu interpretieren“, und fortfährt: „indem man den Untergang der deutschen Heere vor Stalingrad in für die Gegenwart fruchtbare Erinnerung ruft“ (591). Ob er das Buch einen der „lebendigste[n] Beiträge […] zum Gegenwartskampf des deutschen Volkes“ nennt oder rhetorisch fragt: „Gibt es in unseren Tagen ein größeres Geschehnis als den Kampf gegen Faschismus, Imperialismus für Frieden und Freiheit?“ Oder mit Ausrufezeichen versieht, dass das Buch „vor allem eine an Eindringlichkeit nicht zu übertreffende, warnende Mahnung an das ganze deutsche Volk [sei], nie wieder sich in ein Kriegsabenteuer gegen die Sowjetunion hineinmanövrieren zu lassen!“ (591) Obwohl Victor versichert: „Man möchte über dieses Buch eine ganze Zeitungsseite schreiben können“, hält er sich mit Angaben zum Text des ‚Frontnotizbuchs‘ erstaunlich kurz, eigentlich ist es nur ein Satz zu seinem Lektüreeindruck und dieser erklärt sich nicht aus der jeweils einmaligen Nennung von sowjetischen Soldaten und deutschen Antifaschisten; er lautet: „Diese Eintragungen geben einen niederschmetternden Eindruck von jenem Deutschland, das auf Hitlers Befehl vor Stalingrad stand, zumal sie nicht auf Vermutungen, sondern
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auf Dokumenten beruhen“ (591). In sechs, zum Teil mehr als zwei Seiten füllenden Passagen des ‚Frontnotizbuchs‘ werden Briefe von Wehrmachtssoldaten zitiert und kommentiert (Weinert 1951, 20 – 25, 33 – 39,⁸ 86/87, 148, 153 – 155). Aus diesem Material hatte er noch während des Kriegs in der „Internationalen Literatur“, im Mai und Juni 1943, publiziert – wie später, 1945, und bereits vermerkt, die letzten Briefe an vierzehn in Maidanek Ermordete. „Unter den bei Stalingrad erbeuteten Akten und Dokumenten“ (Weinert 1943b) waren Soldatenbriefe, die Weinert „den neuralgischen Punkt“ suchen lassen, „die Lindenblattstelle im Siegfriedpanzer des Nazismus, wo er erlegbar ist“ (Weinert 1951, 49). Im Notizbuch notierte er aber auch seine ‚Traurigkeit‘“ „[b]eim Durchlesen der Beutebriefe“: „Wieviel stupide Schicksalsergebenheit, wieviel Unwissenheit und Unkenntnis anderer Völker, wieviel barbarische oder naiv-grausame Gesinnung, wieviel nationale Überhebung spricht aus diesen Briefen und Tagebüchern! […] Die wichtigsten Stellen muß ich mir notieren; man wird sie beim Gespräch mit Gefangenen brauchen können. Denn bisher hat noch keiner der deutschen Soldaten zugeben wollen, daß nicht nur SS oder andere Mörderformationen Exekutionen vornehmen, sondern in Massen auch ‚einfache‘ Landser.“ (33) Als sich gegenüber Weinert ein österreichischer Wehrmachtssoldat durch das Zitieren eines „alte[n] Gedicht[s] von mir“ als Genosse „legitimiert“ und dies dem sowjetischen Leutnant mitgeteilt wird, notiert sich Weinert über die Situation: „Dem Österreicher war der prüfende Blick des Russen peinlich, das fühlte ich. Die Mörderuniform! Und ich schämte mich mit. Für ganz Deutschland schämte ich mich mit.“ (160) Nicht um Scham und Schuld, sondern um Stolz und Schande geht es im Notat vom 29. Januar 1943: „Ihr [der Rotarmisten] Sieg ist ja auch unser Sieg, und ich fühle mich stolz, an ihrer Seite für die große Sache zu kämpfen. Aber ich bin auch Deutscher, und ich kann über die Schande, die unser Volk über Deutschland gebracht hat, wohl erst hinwegkommen, wenn unser Volk selbst sich gegen das Hitlergesindel erhebt.“ (175) Nach der ausgebliebenen ‚Erhebung unseres Volkes‘ verbindet Weinert 1951 die anhaltende Schande mit dem „Gedenken an das elende Schicksal der bei Stalingrad Hingeopferten“, das „uns heute immer wieder mit Haß und Empörung gegen die Verursacher unseres Leidens und unserer Schande erfüllt“ (Engel 1955, 105), wenn er sein Vorwort zu „Memento Stalingrad“ mit der ‚Hoffnung‘ abschließt, „daß die Lehre daraus gezogen werde, sich für keinen Krieg mehr einspannen zu lassen, damit unserem Lande ein neues, aber weit entsetzlicheres Stalingrad erspart bleibe“ (Weinert 1951, 13). Wie Weinert die Bereitschaft der Adressaten seiner Veröffentlichung einschätzte, diese ‚Lehre zu ziehen‘, geht aus seinen widersprüchlichen Anmerkungen zu den Ausgaben der „Internationale Literatur“-Aufsätze in Buchform in den USA und Großbritannien 1943 und 1944 hervor. So nennt er den Titel „‚Erziehung vor Stalingrad‘“ der New Yorker deutschsprachigen Ausgabe von 1943 „einen etwas anspruchsvollen und irreführenden“ (6), während er den Herausgeber der Londoner Ausgabe von 1944, die
Vgl. Weinert 1951, 37: „dokumentarischer Brief“.
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ihm erst nach Abgabe des satzfertigen Manuskripts zugänglich wurde,⁹ mit den Sätzen zitiert: „Die Umerziehung der Deutschen, die auf den Schlachtfeldern des Ostens begann, wurde fortgesetzt durch die Tätigkeit der deutschen Antifaschisten an der Front und in den Kriegsgefangenenlagern. Heute befinden sich diese Kriegsgefangenen, befreit vom Hitlermythos, im Prozeß, neue Menschen zu werden.‘“ (10) Auf die „Wandlung im Bewußtsein dieser Deutschen“ (12) bezieht sich Weinerts letzte Begründung, dem ‚Drängen‘ von Freunden zur Veröffentlichung nachzugeben: „Aus Briefen und Berichten aus dem Westen geht hervor, daß viele Menschen dort sich heute in einem Seelen- und Geisteszustand befinden, der dem der deutschen Soldaten vor Stalingrad ganz ähnlich ist.“ (11) In diesem Sinne schrieb er dem Verlag Volk und Welt bei der Übersendung des Manuskripts: „Da die Lage im Westen immer gefährlicher und die Neigung vieler Menschen zum Fatalismus immer größer wird, halte ich es für geboten, das Büchlein so bald wie möglich herauszugeben, da es eine politische Mission erfüllen kann.“¹⁰ Walther Victor empfahl in seiner Rezension in „Heute und Morgen“ 1952 der FDJ, Weinerts „Memento Stalingrad“ „in billigster Heftform sofort hunderttausendfach zu verbreiten“ (Victor 1952, 591), aber Volk und Welt druckte nach der ersten Auflage von 10.000 Exemplaren 1953, als auch Auszüge im „Aufbau“ und in der „Neuen Deutschen Literatur“ erschienen, nur eine gleich hohe zweite, auf die 1957 eine Neuausgabe von Willi Bredel in Weinerts „Gesammelten Werken“ folgte, die 1960 eine 2. Auflage erhielt (Jacob 1986, I, 282). Den LeserInnen von „Heute und Morgen“ war Weinert 1948 mit seinem Gedicht „John Schehr und Genossen“ vorgestellt worden, das entstanden war im Zusammenhang des von den Morden an Schehr, Fiete Schulze, Etkar André und Rudolf Schwarz ausgehenden Projekts eines „Buch[s] über die Deutschen Toten“, zu dem Anna Seghers im Herbst 1936 aus Paris an Bredel in Moskau schrieb: „Ich erwarte von Euch Beiträge über die Hamburger über Fiete Schulze über Andree [sic], über Schwarz, über John Schehr“ (Zehl Romero 2010, 289). Die letzte Strophe von Weinerts Gedicht nimmt die Zukunft vorweg, wenn „[z]um General, der den Mord befahl“, ein bewaffnetes Kollektiv zur „Abrechnung“ kommt (Weinert 1948). Vor der Erschießung durch „Nahschüsse im Genick“ der „[v]ier Kommunistenführer, beim Fluchtversuch“, sagt Weinerts Schehr: „So habt ihr es immer gemacht! So habt ihr Karl Liebknecht umgebracht!“ (Weinert 1948). Weinerts „John Schehr und Genossen“ gehörte zu den li-
Vgl. AdK, Berlin, Bestand Erich Weinert, Korr. E) 506 Volk und Welt, Brief Erich Weinerts vom 19.10. 1951 zur „zufällig“ bekommenen englischen Ausgabe: „Daher muß das Vorwort um einige Seiten erweitert werden“. AdK, Berlin, Erich Weinert-Archiv, Korr. E) 506 Volk und Welt, Brief Erich Weinerts vom 22. 8.1951. „Aber die Toten von Stalingrad haben umsonst gerufen“, kommentierte Weinert 1955 die letzten Verse seines Gedichts „Die Toten mahnen“ von 1943, in dem die Toten in Berlin „[m]itten durch Garden und Polizei“ zur „Reichskanzlei“ „ziehen“: „Die Toten sind wieder nach Haus gekommen,/ Von Tobruk, von Moskau, von Stalingrad./ Sie hocken schon auf der Paläste Stufen./ Die Stunde der großen Vergeltung naht!/ Die Toten rufen!“ (Engel 1955, 105)
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terarischen Texten, die im Deutschunterricht der DDR zu behandeln obligatorisch war, und zwar in der 5. Klasse nach der in der 4. vorangegangenen Behandlung vom „Lied der Moorsoldaten“ und Paul Dessaus Vertonung von Friedrich Wolfs „Lilo Herrmann. Die Studentin von Stuttgart. Ein biographisches Poem“ (Plum 2015, 30/31).¹¹ Von Liselotte Herrmann, der ersten Widerstandskämpferin, die hingerichtet wurde, ist kein letzter Brief überliefert, sondern nur „[i]hre letzte Äußerung zu ihrer Umgebung“ (VVN-Westberlin 1974, 19). Wolf überliefert sie: „Zum Geistlichen sagte sie: ‚Ihre Tröstung ist mir versagt. Ich bin ein Opfer, und Opfer müssen gebracht werden!‘“ (Wolf 1951, 23) Im H. Sch. gezeichneten Nachwort zu Wolfs Poem wird weiterhin überliefert: „Wenige Tage später [nach der Hinrichtung am 20. Juni 1938, H. P.] erschienen in Stuttgart und in anderen deutschen Städten Aufrufe gegen den Krieg. Die Aufrufe trugen am Kopf das Bild Lilo Herrmanns.“ (32) Während sie in der VVN-Anthologie von 1948 wegen des fehlenden letzten Briefes nicht vertreten sein konnte, fanden sich 1950 in „Kämpfende Jugend“ (1950, 4), 1951 in „Die erste Reihe“ (Hermlin 1951, 42– 46) und 1952 in „Helden des Widerstandskampfes gegen Faschismus und Krieg“ (1952, 102) Porträts. Rudolf Schwarz ist der einzige der dreißig von Hermlin in „Die erste Reihe“ porträtierten WiderstandskämpferInnen, dessen Leben und Tod in der Besprechung des Buchs in „Heute und Morgen“ dargestellt werden: „Der Jugendverband war seine Familie geworden und die Arbeiterklasse sein Elternhaus.“ (Stahl 1951, 811) Die exklusive Auswahl eines „Schüler[s] Ernst Thälmanns“ und „enge[n] Kampfgefährte[n] John Schehrs“ schließt nicht aus, dass die „verschiedenartigen Volksschichten, […] politischen Parteien und Organisationen, […] religiösen Gemeinden“ angesprochen werden, aus denen Hermlins andere neunundzwanzig WiderstandskämpferInnen kamen, „die aus politischen und religiösen Gründen oder aus dem einfachen Gefühl starker Menschlichkeit“ handelten (810), aber „ideologische Klarheit“ und „organisatorische Kraft“ wird nur dem – in Gegensatz zur „weitverbreiteten Billigung oder Duldung der braunen Diktatur im deutschen Volke“ gesetzten – „Häuflein unbeirrbarer Kämpfer“ zugeschrieben, „das sich um das wegweisende Widerstandszentrum der illegalen Kommunistischen Partei scharte“ (810). Die Rezension in „Heute und Morgen“ beginnt mit dem Erscheinen von Hermlins Buch zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten als dem „angemessenen Augenblick“ (810) dieses ‚Geschenks‘, über das es am Ende heißt: „Unsere Jugend bekommt durch dieses Buch einen Begleiter mit, der ständig mahnt, lehrt und anspornt.“ (811) Der Rezensent verknüpft „Damals“ und „Heute“ als Tod und Leben im Zeichen des Antifaschismus: „Die stürmische Lebensbejahung der Weltjugend in den Augusttagen [1951] und der tragische Henkertod ebenfalls junger Menschen in den Tagen der faschistischen Barbarei sind nicht zwei sich ausschließende Ereignisse, sondern solche, die unter verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen den glei-
Vgl. Krauß 2007, 193 – 197, der die Texte und Lesebücher von der 6. bis 12. Klasse zum Thema der Ermordung der europäischen Juden auflistet.
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chen Anlaß haben: den Kampf gegen Faschismus und Krieg […]. Heute nimmt ‚die millionenfache zweite Reihe‘ dieses [durch Hinrichtung beendete] Leben in ihre starken Arme mit dem heiligen Vermächtnis derer, die nicht mehr leben, jedoch spürbar lebendig sind.“ (810) Ähnlich verglich ‚Damals‘ und ‚Heute‘ Max Zimmering, der 1955 das Nachwort zu einem Weinert-Lesebuch schrieb (Engel 1955), in dem auch Weinerts Nacherzählung des Berichts der Tochter eines der vier Hamburger ermordeten Widerstandskämpfer über ihren Vater, Fiete Schulze, enthalten war (Weinert 1954);¹² in einem Rundfunkbeitrag erinnerte Zimmering 1952 an eine der Quellen von Hermlins „Die erste Reihe“, an die VVN-Anthologie „‚… besonders jetzt tu deine Pflicht!‘“, aus aktuellem Anlass, als er den Zusammenschluss von Verfolgtenverbänden aller vier Besatzungszonen zur VVN vor fünf Jahren kontrastierte mit der „im Bonner Bundesstaat kaum noch verhüllt[en]“ „Refaschisierung“.¹³ Diese nannte Zimmering „eine Wiederholung dessen, was sich bereits einmal auf deutschem Boden abgespielt hat“, mit der folgenden Begründung: „dass die Reaktion mit den gleichen Methoden, die schliesslich zu den KZs, zu den Verbrennungsöfen von Auschwitz und zum Hitlerkrieg geführt haben, gegen die Friedenskämpfer von heute vorgeht“.¹⁴ Dem isolierten Widerstand von ‚Damals‘ setzte Zimmering den der Millionen von ‚Heute‘ entgegen: „Mussten aber die deutschen Antifaschisten in den Jahren der Hitlerherrschaft ihren opferreichen Kampf ohne Unterstützung der breiten Masse des deutschen Volkes durchführen, so stehen sie heute nicht mehr als eine isolierte Gruppe da. Millionen Menschen im Osten und im Westen Deutschlands, die aus den Erfahrungen des vergangenen Krieges gelernt haben […], kämpfen mit ihnen in gemeinsamer Front und erfüllen das Vermächtnis derer, die für Deutschlands Einheit, Freiheit und Frieden ihr Leben gelassen haben. Sie erfüllen das Vermächtnis, das ein von den Hitlerfaschisten zum Tode verurteilter Antifaschist in seinem Abschiedsbrief mit den Worten ausdrückte: ‚Besonders jetzt tu deine Pflicht!’“¹⁵ „Deutsches Vermächtnis“ hieß eine Anthologie von Texten „von den Kämpfern des Vormärz bis zu den Opfern der Hitlerdiktatur“, die von Bruno Kaiser 1952 herausgegeben, in 20.000 Exemplaren gedruckt und ein Jahr später von Bredel in seine bei Aufbau erscheinende „Bibliothek fortschrittlicher deutscher Schriftsteller“ aufgenommen wurde (Jacob 1986, I, 289): „Und welch heldenhaftes Leben spiegelt sich im Wirken unserer großen Märtyrer! Ja, wir sind stolz auf dieses Vermächtnis.“ (Kaiser 1952, VI) Der Klappentext des ersten Verlags, Volk und Welt, bezeichnete das Buch zum einen als ‚Abstattung‘ einer „Dankesschuld“, zum anderen als „ein[en] machtvollen Appell“ (Kaiser 1952, Klappentext vorn und hinten). Als Gemeinsamkeit der in die Vgl. AdK, Berlin, Bestand Erich Weinert, 944. AdK, Berlin, Max Zimmering-Archiv, 68, Manuskript „Besonders jetzt tu deine Pflicht!“, hs. dat. 1952, S. 1. Ebd., S. 2. Ebd., S. 2.
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Anthologie aufgenommenen VerfasserInnen wurde nämlich zunächst „ihr aufrechtes Eintreten für […] den Fortschritt ihres Vaterlandes“, das sie „mit einem gewaltsamen Tode bezahlen mußten“ (Klappentext vorn), herausgestellt, dann aber eine Unterscheidung durch eine weitere Gemeinsamkeit aufgehoben: „Aber ob sie leidende Opfer waren oder Handelnde von äußerster Entschlossenheit – gemeinsam ist ihnen allen […] der Haß gegen barbarische Unmenschlichkeit, die Liebe zu Frieden und Freiheit“ (Klappentext hinten). Einem Adressaten, der Dank ‚schuldete‘, weil er nicht für den ‚Fortschritt‘ eingetreten war, wurde angeboten, sich dem Appell zu öffnen, nicht ‚Opfer‘ eines neuen Krieges zu werden. Der Klappentext betonte, dass die Toten – unter denen auch die „in den Tod“ durch Suizid ‚getriebenen‘ im Vorwort als „Märtyrer“ bezeichnet wurden (VI) wie Walter Benjamin, Walter Hasenclever, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Ernst Weiss und Stefan Zweig – „die Lebenden aufrufen, Sieger zu werden im Kampf um die Ziele, für die sie fielen“ (Klappentext hinten). Kaisers Vorwort hebt unter den „Stimmen“ in der Anthologie als „klar und wegweisend“ (VII) die von kommunistischen PolitikerInnen hervor, die auch „die höchsten Tribute zahlen“ (VI) mussten: „siegesgewiß [klingt] die Stimme Ernst Thälmanns in die Zukunft, zu uns. Das Ziel, für das sie ihr Leben gaben, der Aufbau eines freien, sozialistischen deutschen Vaterlandes beginnt in der Deutschen Demokratischen Republik Wirklichkeit zu werden.“ (VII) Die appellative Gleichsetzung der Zukunft mit dem Adressaten erklärt Zukunft zur Gegenwart. Dies kann erklären, warum ein von Kaiser (1952, 136 – 142) vollständig abgedruckter Text in „Heute und Morgen“ um ein zentrales Bild gekürzt wurde. Der letzte Artikel, den Karl Liebknecht vor seiner Ermordung publiziert hatte, „Trotz alledem!“ (Rote Fahne, 15.1.1919), und aus dem in der kommunistischen Presse der zwanziger Jahre häufig eine Passage zusammen mit dem Foto von Liebknechts Totenmaske gedruckt worden war, wurde 1950 in der 2. Januarnummer der Berliner, aber noch interzonalen VVN-Wochenzeitung „Die Tat“ neben dem Foto von Liebknechts Totenmaske zitiert: „Noch ist der Golgathaweg der deutschen Arbeiterklasse nicht beendet – aber der Tag der Erlösung naht … […] Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird – leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!“ (14.1.1950, S. 6) Der Kommentar lautete: „Von [Liebknechts und Luxemburgs…] Tode bis zum Tode Ernst Thälmanns und Rudolf Breitscheids, des aufrechten Pfarrers Schneider, der Geschwister Scholl und der vielen hunderttausende Märtyrer, die im Kampf gegen Faschismus und Krieg ihr Leben einsetzten, führt ein gerader Weg“ (14.1.1950, S. 6). Das Zitat aus Liebknechts letztem Artikel diente zur Begründung – gewissermaßen als das, was der Totenmaske abgelesen werden konnte als letzter Brief: „In den Zellen der Zuchthäuser und in den Konzentrationslagern […] waren Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg lebendig, und die Worte Liebknechts […] ließen unsere tapferen Gefährten aufrechten Hauptes zum Schafott schreiten“ (S. 6). 1951 stand neben einem Foto des lebenden, den Betrachter prüfend ansehenden Liebknecht sein sich im Erscheinungsmonat des Heftes zum 80. Mal jährender Geburtstag und über einer korrekten Quellenangabe: „Und wenn sie uns in Bande werfen – wir sind da … Und der Sieg wird unser sein … unser Schiff zieht
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seinen geraden Kurs fest und stolz dahin bis zum Ziel … Und ob wir dann noch leben werden … leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!“ (Liebknecht 1951)
2 „Letzte Briefe aus Stalingrad“ 1950 erschienen in der Bundesrepublik „Letzte Briefe aus Stalingrad“, zwei Jahre, nachdem Lilli Vetter die letzten Briefe hingerichteter WiderstandskämpferInnen in die Anthologie „Briefe aus jener Zeit“ eingeordnet hatte, die neben Künstler-, Haft-, Mütter- und Kinderbriefen auch Soldatenbriefe enthielt. Von den soldatischen Briefschreibern war einer in französischer Kriegsgefangenschaft gestorben (Vetter 1948, 131), einer in ‚Russland‘ vermisst (147), einer ‚in Russland gefallen‘ (167) und einer lebte 1948 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft (156/157). Die ohne Angabe eines Herausgebers veröffentlichte Anthologie „Letzter Briefe aus Stalingrad“ war bereits 1943 von einem PK-Berichterstatter im Auftrag des OKW zusammengestellt, aber nicht publiziert worden, weil, wie ihm aus dem Propagandaministerium mitgeteilt wurde, seine Zusammenstellung das Ziel nicht „erreicht“ habe, „eine Aufrichtung der Heimat und Tröstung der Angehörigen [zu] bewirken“ (Wette 1992, 55), und die Feldpostzensur hatte für Briefe aus dem Kessel den Begriff ‚Abschiedsbriefe‘ (vgl. Boberach 1992, 63) verwendet. Mit der Begründung: „Wie im ersten Weltkrieg, so haben auch im zweiten Briefe gefallener Studenten die trotz allen politischen Wirrnissen seelische Unbeirrbarkeit der Jugend bewiesen“, nahm Walter Heynen 1957 (911) einen der 1950 erschienenen „Letzten Briefe aus Stalingrad“ als einzigen Soldatenbrief des Zweiten Weltkriegs (und als die Anthologie abschließend) in „Das Buch deutscher Briefe“ des Insel-Verlags auf, obwohl der Text dieses Briefs den als „Unbekannter Soldat“ bezeichneten Verfasser als Oberleutnant auswies. Heynens Auswahlkriterium zeigt sich beeinflusst von einer zwei Jahre nach den „Letzten Briefen aus Stalingrad“ erschienenen Anthologie „Kriegsbriefe gefallener Studenten 1939 – 1945“, deren Herausgeber Hans W. Bähr allerdings keinen einzigen der 1950 publizierten Stalingrad-Briefe aufgenommen hatte. Dagegen folgten die Herausgeber des Nachfolgebands im Insel-Verlag, Gert Mattenklott, Hannelore und Heinz Schlaffer, 1988 in „Deutsche Briefe 1750 – 1950“ Heynens Kanonisierung des Briefs des Oberleutnants. In ihrem Kommentar legen sie mit dem Abdruck der Ergebnisse der Auswertung des Materials von 1943 durch das OKW dem Adressaten nahe, den Schreiber in die Skala von „Stimmung[en]“ einzuordnen, die das OKW unterschied: „A Positiv zur Kriegführung“ 2,1 %, B Zweifelnd 4,4 %, C Ungläubig, ablehnend 57,1 %, D Oppositionell 3,4 %, E Ohne Stellungnahme, indifferent 33,0 %“ (Mattenklott u. a. 1988, 624). Solche Kommentierung vereindeutigte Werner Fuld 2007, der in seine Anthologie „‚Dies sind nun also die letzten Zeilen …‘ Die letzten Briefe großer Persönlichkeiten“ zwar nicht den Brief des Oberleutnants aufnahm, aber Auszüge aus fünf der „Letzten Briefe aus Stalingrad“, in der Anmer-
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kung, dass „57,1 %“ der Briefschreiber die „Kriegführung […] völlig ablehnten“ (Fuld 2007, 255). In vier Briefen ist explizit vom „letzte]n]“ die Rede (255, 256, 258, 261), im fünften von „Abschied“ (259): „noch einmal, und dann nicht mehr“ (259). Schon am 29. Januar 1949, ein Jahr vor Erscheinen der „Letzten Briefe aus Stalingrad“, brachte „Der Spiegel“ Ausschnitte aus den fünf Briefen und entschied sich an zweiter Stelle für den in Heynens Anthologie von 1957 zu dem deutschen Soldatenbrief des Zweiten Weltkriegs gemachten Brief eines Oberleutnants an seinen Vater, einen Oberst im Generalstab, mit dem der Herausgeber einen effektvollen Schluss setzte, an dem aber Jens Ebert insofern „Fälschung“ (2003, 363) nachgewiesen hat, als das Material einheitlich zu „jugendlich[en]“ (366) „Abschiedsbriefe[n]“ (365) stilisiert wurde. Durch die Auswahl der „Spiegel“-Auszüge nähert sich die Situation der Stalingrader Briefschreiber insofern der Situation von Hinzurichtenden an, als in allen Briefen der Schreiber sich seines bevorstehenden Todes gewiss ist, z. B. die Schreiberlaubnis als Todesurteil deutet, und ihre Zusammenstellung die Verschiedenheit von Haltungen zum Krieg zu belegen scheint: „Wir dürfen heute schreiben, heißt es bei uns. Du bist Oberst, lieber Vater, und Generalstäbler, Du weißt, was das bedeutet, und mir ersparst Du damit Erklärungen, die sentimental klingen könnten. Es ist Schluß. Ich will nicht nach Gründen suchen. Sucht nicht nach Erklärungen bei uns, sondern bei […] dem, der dieses zu verantworten hat.“ (Letzte Briefe 1950, 65; Kursiviertes vom „Spiegel“ gekürzt) Bis auf zwei Briefe an Väter sind die drei anderen an die Ehefrau gerichtet. Gemeinsam ist diesen, dass das private Verhältnis in Ordnung gebracht wird. So betont der erste Briefschreiber, dass er nicht seiner Geliebten, sondern seiner Frau schreibe und deshalb „eigentlich froh“ sei, weil der „diktiert[e] Tod“ „uns dreien entsetzliche Quälerei erspart“ (Die letzten Stalingrad-Briefe 1949). Der dritte Briefschreiber ermahnt seine Frau, Kinder „brauchen einen Vater“, und deutet so seinen eigenen Tod als Steigerung der durch die Zeit des Wartens auf seine Heimkehr eingetretenen „Entfremdung“. Der vierte Briefschreiber versichert seiner Frau, sie werde wissen, dass sie beide „Mann und Frau im rechten und tiefen Sinn zu sein“ verstanden, auch dann, wenn er es ihr nicht mehr wird sagen können. Die Briefe an die Väter unterscheiden sich dadurch von denen an die Ehefrauen, dass die ‚Kriegsführung‘ erwähnt wird, aber im Falle des zweiten Briefschreibers ist es die in der Heimat und nicht an der Front, während sich der fünfte Briefschreiber auf die sowjetische bezieht. In beiden Fällen ergibt sich aus der Stellungnahme eine positive moralische Selbstdarstellung; aber während der zweite Briefschreiber sich militärisch korrekt bei seinem Oberst Vater abmeldet – als „anständig“: „Du kannst Dich darauf verlassen, daß alles anständig zu Ende gehen wird“ (Letzte Briefe 1950, 66), stellt der fünfte Briefschreiber sein Verhalten im Krieg dar, er sei „wie ein Kind“ gewesen, aber die „Gegenseite“ „nicht“: „Von meiner Hand ist kein Mensch gefallen. Ja, ich habe noch nicht einmal mit meiner Pistole scharf geschossen.“ (Die letzten Stalingrad-Briefe 1949) Die Zusammenstellung des „Spiegel“ bringt durch die so endende Auswahl zusammen zum einen die Ablehnung jeder Frage nach den Ursachen der militärischen Katastrophe von Stalingrad, die über eine Beschuldigung Hitlers hinausgeht, zum
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anderen die Behauptung einer dem Wehrmachtssoldaten eigenen, nicht nur im Privaten bewiesenen ‚Anständigkeit‘. Eine solche dem Herausgeber folgende umadressierende Veröffentlichung privater letzter Briefe aus Stalingrad an Ehefrauen und Väter entwarf ein vermeintlich gutes Gewissen des Wehrmachtssoldaten, wie es schon aus Karl Jaspers’ Vorlesungen von 1946 zitiert worden ist: „das Bewußtsein soldatischer Ehre bleibt unberührt von allen Schulderörterungen“, weil die militärische „Bewährung nicht nur keine Schuld, sondern […] ein Fundament des Lebenssinnes“ sei (Jaspers 1963, 70). Im selben Jahr hatte allerdings seine Schülerin Hannah Arendt in der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift „Die Wandlung“ „die Zweiteilung von Privat und Öffentlich“ (Arendt 1976, 43), wie sie Jaspers in der Trennung des „rein Soldatische[n] und zugleich Menschliche[n]“ von „der Sache, für die gekämpft wurde“ (Jaspers 1963, 70), vornahm, in Frage gestellt: Im „von den klassischen Tugenden des öffentlichen Lebens so unberührt geblieben[en]“ Deutschland habe ein „mangels eines besseren Namens noch mit dem alten Wort Spießer“ zu „bezeichnen[der]“ „Typus“ von Menschen „besonders gut“ „[g]edeihen“ können, denen „ihr Gewissen […] durch den Funktionscharakter ihrer Handlungen abgenommen war“ und die sich „nur noch ihrer Familie verantwortlich“ „fühlten“ (Arendt 1976, 42): „Wenn sein Beruf ihn zwingt, Menschen zu morden, so hält er sich nicht für einen Mörder, gerade weil er es nicht aus Neigung, sondern beruflich getan hat.“ (43) Theodor W. Adorno hingegen formulierte – aber publizierte nicht – einen eigenen Beitrag zur Legende von der ‚sauberen Wehrmacht‘¹⁶ als dem Ort des ‚guten Gewissen‘ des Wehrmachtssoldaten, als er 1949 einen Satz aus Georg Lukács’ in „Sinn und Form“ erschienenem „Heidegger redivivus“ zum Gegenstand antitotalitaristischer Sprachkritik machte: „so sagt er von den jungen Deutschen, die an Hitlers Feldzügen teilnehmen, daß sie ‚beiläufig gesagt, …im besten Fall, Zeugen, passive Teilnehmer der Raub- und Mordtaten, der Vergewaltigungen von Frauen und Kindern etc. seitens der Hitlerarmee waren‘ (39).“ (Adorno 1986, 256) Lukács’ Sprache ist von Adorno, das Zitat einführend, bereits als „kaltschnäuzige[…] Nomenklatur von Verwaltungsfunktionären“ bezeichnet worden, um dies nun mit den Belegen „Der ‚beste Fall‘“, „Etc.“ und „seitens“ dahin zu steigern, dass „die Unmenschlichkeit der Rede den Opfern im Begriff nochmals an[tut], was die Faschistenhorden in der Realität verübten“ (256). Was Adorno seinerseits den Opfern des Kriegs gegen die Sowjetunion antut, beschränkt sich auf das scheinbare Offenlassen der Frage nach der ‚Normalität‘ der Kriegführung: „Es steht dahin, ob die Greuel, welche die deutsche Armee beging, übertrafen, was der Militarismus überall anrichtet, solange nicht der letzte Marschall geköpft ist.“ (256) Dagegen erklärt Adorno Lukács’ ‚Reden‘ über die Wehrmacht als dem ‚Verwaltungsfunktionär‘ im Dienst der (klein geschriebenen) „roten Armee“ gestattetes ‚Schweigen‘ über die dem sowjetischen „Sicherheitsdienst“ ‚analoge‘ SS: „es ist bezeichnend, daß die Empörung Lukács’ sich auf die Armee beschränkt, ohne daß von der SS die Rede wäre, welche die grausame Arbeit leistete, und von den Ver-
Vgl. hierzu Frei 2009, 49.
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nichtungslagern. Gegen die Wehrmacht darf er eben noch reden, weil sie der Feind der roten Armee war; der Sicherheitsdienst aber ist tabu, damit man nicht auf subversive Analogien verfällt.“ (256) Adorno hat das Lukács-Zitat aus dem unmittelbaren Kontext gelöst, der die Verwendung des Adverbs ‚beiläufig‘ erklärt, das in Lukács’ Text nach dem von Adorno zitierten nochmals für eine weitere Nebenbemerkung zu folgendem Heidegger-Zitat benutzt wird: „‚Darum haben die jungen Deutschen, die von Hölderlin wußten, angesichts des Todes Anderes gedacht und gelebt als das, was die Öffentlichkeit als deutsche Meinung ausgab‘ (87).“ (Lukács 1951, 163) Lukács’ ‚beiläufige‘ Anmerkungen zu Heideggers Konstruktion eines Gegensatzes zwischen einem ‚Hölderlin‘-‚Wissen‘ ‚junger Deutscher‘ ‚angesichts des Todes‘ und der ‚Öffentlichkeit‘ stellt beide Seiten des Gegensatzes in Frage: auf der Seite der ‚jungen Deutschen‘ den „Gemeinplatz“, dass „nicht alle die Naziideologie teilten“, durch die Infragestellung der Formel ‚angesichts des Todes‘, die Adorno durch drei Pünktchen ersetzt hat: „daß viele der jungen Deutschen, die an Hitlers Feldzügen teilnahmen – aber, beiläufig gesagt, sich nicht nur in einer Situation ‚angesichts des Todes‘ befanden, sondern auch in der, daß sie, im besten Fall, Zeugen, passive Teilnehmer der Raub- und Mordtaten, der Vergewaltigungen von Frauen und Kindern usw. durch die Hitlerarmee waren“ (163). Und auf der Seite der ‚Öffentlichkeit‘ wendet Lukács ein: „Obwohl ebenfalls beiläufig gesagt werden muß, daß die Hitlerzeit nicht nur bei Heidegger eine neue […] Begeisterung für Hölderlin entfachte, sondern auch bei den offiziellen Naziideologen, bei Rosenberg, Bäumler u. a.“ (163). Lukács fasst seine Nebenbemerkungen zu dem als „ein nicht unwesentlicher Satz“ (162/163) eingeführten Heidegger-Zitat dahin zusammen, dass er „gelinde gesagt, etwas verdächtig“ sei (163), und kommt nach der Durchführung seiner Kritik darauf zurück: „Man denke an jene Jünglinge Heideggers, von denen wir eingangs sprachen. Sie haben nach Heidegger ‚angesichts des Todes‘ ein ‚anfängliches Denken‘ realisiert; gemordet, geraubt, geschändet haben sie nur in der unwesentlichen ‚Dimension‘ des Seienden. Und das kann für diese Philosophie keine Bedeutung haben. Dieses erste postfaschistische Werk Heideggers kann also sehr leicht in der reaktionären Entwicklung der Zukunft eine ähnlich prominente Rolle spielen wie ‚Sein und Zeit‘ im Präfaschismus.“ (183) Schon in seiner ersten Veröffentlichung in der sowjetischen Besatzungszone, im September 1945 im ersten Heft des „Aufbau“, zitierte Georg Lukács einen ‚Teilnehmer der Raub- und Mordtaten‘ der ‚Hitlerarmee‘, das Tagebuch eines in der Sowjetunion gefallenen, mit Namen und Feldpostnummer genannten Soldaten, von dem er betont, dass er „selbstverständlich […] vor allem auch über die Untaten der deutschen Armee an der Bevölkerung in den eroberten Gebieten“ (Lukács 1945a, 53) schrieb, um das Zitierte so zu verallgemeinern: „Der äußerste Individualismus im subjektiven Leben, im Inneren, ist bei der deutschen Intelligenz sehr oft mit einer bis zur Servilität gehenden Folgsamkeit den politischen Autoritäten gegenüber verbunden. Diese Intelligenz zeigt, bei allem Verstand, im gesellschaftlichen Leben einen großen Mangel an Zivilcourage und bürgerlicher Entschlossenheit.“ (52) Unter Berufung auf eine Äußerung von Arnold Zweig
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über die intellektuelle Jugend des Ersten Weltkriegs unterscheidet Lukács die im Zweiten ‚neu reproduzierte‘ ‚deutsche Misere‘: „Nunmehr genügte der rein intellektuelle oder künstlerische Protest nicht mehr“, sondern „ein jeder Deutscher [war] zur Tat gezwungen, wollte er nicht – auch als Individuum – moralisch zugrunde gehen“ (56). Der im nächsten Heft des „Aufbaus“, dessen Impressum Lukács bis Ende 1946 als „Ständigen Mitarbeiter“ nannte, folgende Aufsatz „Der Rassenwahn als Feind des menschlichen Fortschritts“ betont die Schuld ‚eines jeden Deutschen‘, denn sie seien „durch die Rassentheorie zu aktiven oder passiven Mitschuldigen an den Greueltaten der Nazis geworden“ (Lukács 1945b, 100), als eine „noch nie“ „in der Geschichte der Menschheit“ „dagewesene“ Lage (101). Auch diejenigen, die dem ‚Rassenwahn‘ als ‚Proklamation‘ der „prinzipielle[n] Ungleichheit der Menschen und Völker“ (105) „nicht oder nur teilweise erlagen, wurden durch die Massensuggestion derart eingeschüchtert und wehrlos gemacht, daß sie die Greueltaten nicht nur ohne Protest geschehen ließen, sondern sich sogar an ihnen beteiligten. Aus dieser einzigartigen Lage ist jene – trotz allem – falsche Auffassung entstanden, die den Nazismus mit dem deutschen Volk gleichsetzt“ (101/102). Obwohl Lukács die Wehrlosigkeit zur Beteiligung verschärft, verhindert seine funktionale Auffassung des Rassismus als Instrument innerer und äußerer Herrschaft (103) die Gleichsetzung des ‚Nazismus mit dem deutschen Volk‘, das er als ein „versklavt[es] und zum willenlosen Werkzeug […] erniedrigt[es]“ (113) auffasst.¹⁷ Erich Weinert ging 1950 noch über Lukács’ Angabe der Feldpostnummer hinaus; sein „Memento Stalingrad“ gibt neben der Feldpostnummer des Soldaten auch den Empfänger an und gegebenenfalls, wenn der beschlagnahmte Brief an den Soldaten in Stalingrad aus der Heimat geschrieben wurde, Namen und Adresse des Absenders. Der DDR-Germanist Dieter Posdzech hat in seiner Weinert-Monographie den Autor dafür kritisiert, gegenüber „Gesprächen mit deutschen Kriegsgefangenen“ die „Auswertung der Briefe und Tagebücher“ bevorzugt zu haben als „die hinlänglichste Methode“ (Posdzech 1973, 398), um – wie er „Memento Stalingrad“ zitiert – „in die deutschen Menschen hineinzuhorchen“: „Die Gespräche […] bringen bei weitem nicht soviel ein. Die Wahrheit sagen sie ja nicht.“ (Weinert 1951, 21) Wenn Posdzech daraus nur folgert, dass „sich heute nicht mehr feststellen“ lasse, „[o]b diese vielen zufällig aufgefundenen Briefe einen umfassenden und repräsentativen Aufschluß […] geben“ (Posdzech 1973, 398), ignoriert er die Bedeutsamkeit von Weinerts Notiz zu folgendem Brief: Es schreibt „Gefreiter Erich Drutzel (Feldpostnummer 27294) an einen Hugo Bernau in Stettin“ (Weinert 1950, 33): „du kannst Dir gar nicht denken, wenn hier
In der „Kulturpolitischen Monatszeitschrift Thüringens“ „Schöpferische Gegenwart“ kritisierte eine Rezension 1949 an Lukács’ „Schicksalswende“ als Sammlung von „Essays aus dem Exil“ „die Begrenzung der Aktualität des Buches“, weil „Lukacz [sic] keine direkten Beiträge bringt, sondern an der äußersten Grenze der Feststellung, daß wir in einer Schicksalswende leben verharrt“, betonte dann doch als „wesentlich“: „Wir müssen uns auch heute, und gerade heute zu jeder Stunde bewußt sein […], daß wir an einer Schwelle stehen. Es ermöglicht uns in Vor- und Rückschau klarer zu sehen und abzuschätzen.“ (Knipping 1948, 181)
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Heckenschützen gefaßt werden, mit welcher Kaltblütigkeit man die am nächsten Tag erschießt. Das sind keine Menschen, nur Bestien. Und da bin ich immer bei denen, die sich freiwillig melden.“ (34) Am 3. Dezember 1942, nach einer Woche Lektüre, notiert Weinert: „Die wichtigsten Stellen muß ich mir notieren; man wird sie beim Gespräch mit Gefangenen brauchen können. Denn bisher hat noch keiner der deutschen Soldaten zugeben wollen, daß nicht nur SS oder andere Mörderformationen Exekutionen vornehmen, sondern in Massen auch ‚einfache‘ Landser.“ (33) Dem Leugnen der aktiven Teilnahme am Völkermord widersprechen aber auch Ermunterungen zur Teilnahme, die kein ‚gutes Gewissen‘ des Soldaten der ‚sauberen Wehrmacht‘ erlauben. So schreibt „Otto Brück aus Siegen in Westfalen, Stöckerstraße 2, […] an seinen Neffen, den Obergefreiten Fritz Brück (Feldpostnummer 07437 C)“ (37/38): „‚Mache Dir nur keine Gewissensbisse, wenn Du mal einen Bolschewik umlegst, immer Kernschüsse anbringen, Kopfschuß hilft am besten. Ich meine, Ihr geht immer noch viel zu gnädig mit diesem Gesindel um. Wir sollten das ganze Gesindel in die Ostsee fahren und dort wie Katzen ersäufen.Wie Du schreibst, macht Ihr von der Gefangennahme auch wenig Gebrauch. Aber die Gefangenen, die bis jetzt gemacht worden sind, sind schon viel zuviel. Was sollen wir mit dem Geschmeiß?‘“ (37/38) Auf die Frage eines sowjetischem Oberstleutnant, dem Weinert den Brief vorgelesen hatte: „‚Können solche Schurken, wie dieser Herr Brück, eine solche Meinung auch an ihrem Biertisch öffentlich ausdrücken, ohne daß einer widerspricht?‘“, berichtet Weinert als eigene Antwort: „‚Es wird niemand widersprechen […]‚ denn diese barbarische Auffassung ist ja die offizielle. Nicht den Herrn Brück würde man zur Rechenschaft ziehen, sondern den menschlichen Protestierer.‘“ (38/39) Während in der Bundesrepublik die Verkaufszahlen der vom PK-Kriegsberichterstatter zusammengestellten „Letzten Briefe aus Stalingrad“ mit dem Verlagswechsel zu Bertelsmann stiegen, wo sie in der Buchgemeinschaftsreihe „Das kleine Buch“ als Bändchen 60 1954 von 20.000 auf 30.000 und bis 1962 dann auf 96.000 Exemplare kamen,¹⁸ erklärte Bundeskanzler Adenauer am 5. April 1951 im Bundestag, dass der „‚Ehre der früheren deutschen Wehrmacht kein Abbruch‘“ geschehen sei, und der NATO-Oberbefehlshaber in Europa und ein Jahr später US-Präsident Dwight D. Eisenhower, dass „‚der deutsche Soldat […] für seine Heimat tapfer und anständig gekämpft‘“ habe (Keil/Kellerhoff 2002, 93/94). Der Herausgeber der seit 1952 monatlich als Organ der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft erscheinenden „Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur“ „Universitas“, Hans W. Bähr, veröffentlichte im selben Jahr „Kriegsbriefe gefallener Studenten 1939 – 1945“. Als „Mitherausgeber“ nennt er seinen 1943 mit 23 Jahren „in Südrußland gefallen[en]“ Bruder Walter (Bähr 1952, 472), denn bereits während des Krieges habe er in Todesanzeigen nach Schreibern von Briefen gesucht, allerdings den Plan erst seit 1949 nach einer „Zeit des Abwägens“ ausgeführt (466). Unter Berufung auf die Familienangehörigen gefallener Soldaten, von denen er seit 1949 über
Vgl. Das kleine Buch. [Prospekt]. Gütersloh: Bertelsmann Mai 1954.
2 „Letzte Briefe aus Stalingrad“
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22.000 Briefe erhalten habe, beschreibt er die von ihm vorgenommene Umadressierung der Privatbriefe zu einem „geistige[n] Vermächtnis“ der „gefallene[n] deutsche[n] Jugend des zweiten Weltkrieges“ (466): „Eine Mutter sprach zu uns von der communio passionis, die uns alle verbinde. Dieses Wort umschließt, was wir in der Begegnung mit vielen Eltern, Frauen und Geschwistern unserer Gefallenen erfahren haben.“ (465) Zugleich berief Bähr sich aber schon mit dem Titel seiner Anthologie auf die 1915 von Philipp Witkop begründete Tradition von „Kriegsbriefe[n] gefallener Studenten“, die 1928 eine Auflagenhöhe von 85.000 und 1940 von 170.000 Exemplaren erreicht hatten, als „Worte[n] von testamentarischer Gewalt“: „Zum zweiten Mal erscheint mit diesem Buche eine Sammlung von Kriegsbriefen gefallener deutscher Studenten, erfüllt von der Unmittelbarkeit eines Geschehens, das eine hoffende Jugend unseres Volkes plötzlich, in der Morgenfrühe ihres Lebens, auf die Schwelle zwischen Zeit und Ewigkeit gerufen hat.“ (466)¹⁹ Für das, „[w]as die gefallene deutsche Jugend des zweiten Weltkrieges als geistiges Vermächtnis hinterlassen hat“ (466), schien Bähr bedeutsam, den Ort seiner Herausgebertätigkeit am Ende des Nachworts seines Buchs zu markieren: „Aus der Stadt Hölderlins und Hegels tritt es nun seinen Weg an, nach Jahren des Wachstums, des inneren Werdens von Brief zu Brief.“ (467) Der Klappentext zitiert Hölderlin, wenn ein wiederum organizistisches Bild von den Briefen als ‚sich weit öffnende‘ „Blüte des Geistes“ der „Schreibenden“ mit den Sparten der Zeitschrift „Universitas“ verknüpft wird: „Was der Mensch ist, wonach die Philosophen fragen, was die Künstler zu deuten versuchen – sie wissen und sagen es in einer Sprache, die, bescheiden und gehoben, die heilig nüchterne Sprache der Manneswürde ist.“ (Klappentext vorn)²⁰ Das dem Zitat zugrundeliegende „‚heilignüchterne Wasser“ in einem Vers von Hölderlins Gedicht „Hälfte des Lebens“ hat ein zeitgenössischer Interpret gedeutet als „ein herznahes, unschuldiges, das Maß hütendes, reinigendes“ „Lebenselement“, während „die Nüchternheit, selber ein positives Lebenselement, […] innerhalb der Lebenseinheit am nächsten jenem Zustand übersteigerter Ichbewußtheit und Isolierung ist, der die Einheit zersetzt oder von ihrer Zersetzung zeugt“ (Strauss 1965, 119) – was Bährs Verbindung von Manneswürde mit einer familiären Leidensgemeinschaft durchaus trifft. Obwohl Bährs Figur des deutschen Jünglings ‚auf der Schwelle zwischen Zeit und Ewigkeit‘ (wie Heideggers mit Hölderlin ‚angesichts des Todes‘) tendenziell jeden studentischen Kriegsbrief zu einem ‚letzten Brief‘ erklären ließe, hob er in Klammern unter der Datumsangabe bei einunddreißig (von insgesamt 118) Briefschreibern hervor, dass es sich um den „letzte[n] Brief“ handelte, so z. B. bei dem Kunststudenten Günther von Scheven „Majaki, 21. März 1942 (Am Todestage)“ (Bähr 1952, 116). Bei zweiundvierzig der 118 Verfasser sind die letzten, die Bähr abdruckt, mehr als einen Vgl. Hettling 2003. Vgl. zu „‚Heilige Nüchternheit‘ als Habitus“ in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgermanistik Gärtner 1997, 57: „Im Oxymoron verdichtet sich der Widerspruch, in dem die Postulate der Sachlichkeit mit dem die Germanistik bis in die sechziger Jahre hinein bestimmenden antiszientifischen Affekt liegen.“
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Monat vor dem Tod geschrieben, so z. B. von Friedrich Andreas von Koch in „Rußland, März 1943“ (241), aber „gefallen“ ist er „am 29. Juli 1943 in Beresow, Rußland“. (238) Beide beispielhaft genannten Briefschreiber schreiben meist dem Vater, seltener der Mutter über ihre eigene ‚würdige‘ „Haltung“ (113): „Was mich stark macht, ist die Einsicht, daß jedes Opfer notwendig ist, weil es mit der Notwendigkeit des Ganzen verknüpft ist.“ (111) So macht Scheven den Tod zum Subjekt seiner Mitteilung von der Front: „Ungeheuerlich ist das Erlebnis des Todes, er ist wie eine neue Taufe. In dem überschnellen Gang der Ereignisse schenkt er uns Augenblicke klaren Überblickes.“ (111) Und einen an die Mutter gerichteten Appell, „die Wende unserer Zeit zu erleben“, beendet er mit einer Gleichsetzung von Familie und Nation: „Ich sehe die ganze Nation in einem Umschmelzungsprozeß, in einem Strom von Leid und Blut, der sie befähigen wird, neue Höhen zu gewinnen.“ (113) „Eure Haltung in der Heimat“ sei „von der gleichen Tragweite wie die unsere an der Front“: „Es geht […] um die Erhaltung der menschlichen Würde, die geläutert ist durch Schmerz und Entsagungen“ (113). Diese „Wandlung“ der „Seele“ entspricht dem, was Scheven den Krieg gegen die Sowjetunion als „ungeheure[…] Weltenwende“ „das Bewußtsein“ von „[u]ns alle[n] durchbeb[en]“ (114) lässt: „Bleiben wir einander treu verbunden.“ (115) Deshalb fasst Scheven den Krieg geistig-moralisch auf: „Wir kämpfen nicht für politische Streitigkeiten, sondern in dem Glauben, daß der Edle und Beste sich neu bewähren muß in dem Ringen mit der grauenhaften Erscheinung des Materialismus.“ (113) Während für Scheven die Sowjetunion den zu besiegenden Materialismus repräsentiert, ist es in den Briefen Kochs Holland, wo „alles zerstört werden wird, um eines Neuen willen“: „Wir Deutschen […] haben innere Voraussetzung, das Neue in der Tiefe zu wollen.“ (241) In seinem letzten Brief aus Russland blickt Koch zurück auf seine Zeit in Holland, um, das Einverständnis des Adressaten voraussetzend, im „westlichen nur den Halbmenschen“ zu erkennen: „den Bürger, den Krämer, den Fabrikanten, den Geschmackvollen, den Geschmacklosen, den Begüterten, den Neureichen, den Pedanten und was Du sonst nennen möchtest an westlichen Menschverdrängungen und Halbheiten“ (241). Die beiden noch in Holland im Abstand von zwei Monaten geschriebenen Briefe behandeln dasselbe Geschehen, von dem Koch schon im ersten dem Vater mitteilt: „ich muß auch jetzt nachträglich gestehen, daß ich dem Ernst des Erlebnisses keineswegs mich würdig, vor allem nicht ausdauernd genug gezeigt habe“ (239). Als Diensthabender eines Wachlokals hatte Koch einen zum Tode verurteilten achtzehnjährigen Deserteur in dessen letzter Nacht zu bewachen. Obwohl er dem Vater berichtet, von Anfang an „stark betroffen“ (238) gewesen zu sein, habe er „die Kraft“, „eine Sattheit zu überwinden, die mich stumpf und träge, unempfindlich und gleichgültig macht“, erst in „Deinen beiden Gedichten“ „schließlich“ gefunden, „darüber ich den Weg zur Teilnahme und zur inneren Sammlung bereitete“ (239), „eine Unruhe verspürend und den Drang, dem Verurteilten zur letzten Stunde noch ein Stück Menschentum mitzugeben“ (239). Erst beim zweiten Versuch, den Gefangenen, mit dem die Nacht über ein Priester ist, in der Zelle aufzusuchen, händigt Koch dem Priester die Gedichte seines Vaters mit der Bitte aus, „er wolle die Gedichte dem
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Verurteilten vorlesen und ihn von mir grüßen“ (240). Über den nächsten Morgen heißt es, als ob Koch dem Verurteilten mit den Gedichten seines Vater gewissermaßen den letzten Brief geschrieben hätte: „Dem Leutnant folgend, schritt der Verurteilte gefesselt an mir vorbei und nickte. Er war ganz fest, ging aufrecht und zeigte nichts Jammerhaftes.“ (240) Zwei Monate später wiederholt Koch das Adverb „fest“, wenn er den neuen Brief beginnt: „Von dem kürzlich Verurteilten hörte ich noch, daß er sehr fest gefallen sei, nachdem er die schonende Augenbinde zurückgewiesen hatte.“ (240) In der Zeitschrift des Herausgebers der Anthologie, Bährs „Universitas“, besprach Hans Egon Holthusen die „Kriegsbriefe gefallener Studenten 1939 – 1945“, indem er das Buch „zu einer Quelle kühner und endgültiger Tröstungen“ „für viele“ (Holthusen 1953, 1262) erklärte. Auch wenn er aus einzelnen Briefen zitiert, behandelt Holthusen die Texte letztlich als eine einzige „menschliche Stimme“, die „jene heimsucherische Endgültigkeit des Tons annimmt, die seit Menschengedenken aus der Stimme der jungen Toten des Schlachtfeldes herausgehört worden ist“ (1260). Holthusen nennt den „Text“ dieser Stimme „‚schön‘“, weil „[e]in Abglanz der unangreifbaren Würde des Todes […] auf das geschriebene Wort zurück[fällt]“ (1260); ‚wahr‘ ist er für ihn, weil die Briefschreiber, „von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Unfug der offiziellen Sprachregelung“ „verschmähen“ (1260), und – ohne dass er ausdrücklich auch das zur Trias gehörige ‚Gute‘, aber etwas später das ‚Sittliche‘ (1261) benennt – sieht Holthusen von „diese[n] Studenten als Soldaten […] die besten Traditionen deutscher und europäischer Humanität bewahrt“ (1260). Die moralische Unangreifbarkeit wird über die Distanzierung von der offiziellen politischen Sprache hinaus begründet: „Für die Mehrheit dieser Briefschreiber ist der Krieg nicht mehr ein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele, sondern zuerst und zuletzt eine Gelegenheit, mit Leib und Seele auf eine ungeheuerliche Weise zu leiden.Wie ist es ihnen möglich, sich zu behaupten? […] durch ihre Tugenden.“ (1260) Folgerichtig behauptet Holthusen: „Die Stimme dieses Kollektivs ist von ergreifender Reinheit. Als wäre hier wirklich einmal – was man sonst vermißt und im Hinblick auf ein ganzes Volk vergeblich erhoffen würde – eine größere Gruppe von Menschen durch eine gemeinsam ertragene Prüfung als Ganzes ‚geläutert‘ worden.“ (1261) Wenn er fortfährt, dass sich in „fast allen Texten […] Subjektives und Privates mit dem Allgemeinen vermischt“ (1261), nimmt er die zuvor geäußerte Vermutung auf, „daß das Kollektiv dieser Briefschreiber stellvertretend für viele andere steht, Tote und Lebende, die aus verschiedenen Gründen nicht zu Wort kommen konnten“ (1261). Zwei ‚Kollektive‘ teilen das ‚Allgemeine‘ mit den von Holthusen als „Auslese der Besten“ charakterisierten Studenten: das Bildungsbürgertum und die Gläubigen der christlichen Kirchen; über die Ersteren heißt es: „Wer hätte nach so vielen Jahren nationalsozialistischer ‚Erziehung‘ dem deutschen Bürgerhause noch so viel bildende Kraft und ungebrochene Überlieferungstreue zugetraut!“ (1261) Und ausgehend von den Briefschreibern, deren „Mehrheit“ „ihre Leiden“ „mit den Kräften des christlichen Glaubens zu bewältigen“ suche, heißt es zu den Kirchen: „es scheint, daß nichts […] dem menschlichen Geiste eine so große Überlegenheit über die Leiden
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des Fleisches und die Finsternis der Geschichte zu geben vermag wie der Glaube an die Botschaft von Jesus Christus.“ (1262)²¹ Allerdings macht die kursivierte Emphase: „Es ist die Situation der absoluten Aporie“ (1263), mit der Holthusen gleich anschließend aus Helmut Pabsts 1953 auch als Buch erschienenem „Der Ruf der äußersten Grenze. Tagebuch eines Frontsoldaten“ zitiert, darauf aufmerksam, dass seine ‚reinen‘, ‚geläuterten‘, ‚unangreifbaren‘ studentischen Wehrmachtssoldaten nicht nur leidende Opfer waren, sondern Täter: „‚Die Lage […] für etwas kämpfen zu müssen, an das man nicht glaubt, dieses Muß nicht als äußeren Zwang, sondern als Konsequenz der Vernunft zu empfinden, die Alternative, auf Deutschland als Machtfaktor oder auf Deutschland als geistigen Raum verzichten zu müssen, in diesem Zwiespalt seine Pflicht nicht oder [Druckfehler statt: nur, H.P.] wohl oder übel, sondern als unantastbare Haltung bis zur letzten Konsequenz zu tun, diese Lage ist die furchtbarste, die denkbar ist.‘ (255)“ (1262/1263) Genau dieses Zitat wird 1960 Ursula von Gersdorff in der Einleitung zu ihrer Bibliographie „Das Erlebnis des Zweiten Weltkrieges in der deutschen Literatur“, die im 32. Jahrgang der „Jahresbibliographie. Bibliothek für Zeitgeschichte. Weltkriegsbücherei“ erschien, „[a]us dem Neben- und Durcheinander der Stimmen“ als die einzige der „Problematik“ des ‚Kriegserlebnisses‘ angemessene zu ‚Gehör‘ bringen (Gersdorff 1960, 412). 1952 allerdings lenkt der Rezensent Holthusen von der „Tat“ für ‚Deutschland als Machtfaktor‘ auf das „höher zu schätzen[de]“ „Wort“ in ‚Deutschland als geistigem Raum‘, wenn er zur ‚Stimme‘ des studentischen ‚Kollektivs‘ fortfährt: „Was Wunder, daß das Problem der Geschichte mehr und mehr verabschiedet wird […]. Was diesen Studenten in der äußersten Todesnot zum Inbegriff des Wirklichen wird, das ist nicht die Tat, sondern das geschriebene Wort: die Bibelstelle, die Dichtung Goethes und Hölderlins, eine Strophe von Rilke, ein Satz von Eichendorff.“ (Holthusen 1952, 1263)
3 „Den Unvergessenen“ von den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, ‚moralische Wiedergutmachung‘ vom Kongress für kulturelle Freiheit Verse aus Psalm 23 an den „Herrn“ als „tröstende[n] Führer“ (Maas u. a. 1952, 9) und aus Psalm 90 über sein „Ergrimmen“ und seine „Gnade“: „Für alle Jahre, da wir das Üble erschauten/ Gib uns Freude“ (10), eröffnen eine „zwanglose[…] Folge“ (V) von
Dem von Holthusen angerufenen Traditionsraum entspricht in demselben Jahr „Ein Trostbuch“, das unter dem Titel „Lasset die Klage“ Otto Heuschele herausgab. Er stellte einem Sonett Albrecht Haushofers, „Nächtliche Botschaft“ (Heuschele 1953, 150), und dem letzten Brief des Chefs der Abteilung Fremde Heere im OKH Alexis Freiherr von Rönne an seine Mutter (161) für den 20. Juli zwei „Kriegsbriefe gefallener Studenten“ voran (147/148). Zu Heuschele vgl. Claudia Albert (1994, 227– 236): „Hölderlin im ‚Totalen Krieg‘“.
3 „Den Unvergessenen“
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Texten „der Erinnerung“, die der Titel des Buchs „Den Unvergessenen“ widmet.²² Der Verleger Lambert Schneider, der 1950 das „Tagebuch der Anne Frank“ veröffentlicht hatte, brachte es 1952 in Heidelberg heraus zusammen mit dem Pfarrer der Heiliggeistkirche Hermann Maas und dem Jura-Professor Gustav Radbruch als Mitherausgebern. Auf den Schutzumschlag war programmatisch der Text des „Vorworts“ gedruckt, allerdings mit der Änderung eines Worts: „geschändet“ durch „geschädigt“ ersetzt, und der Auslasssung einer Unterscheidung unter den „Toten“: „solche, die sich ihrem Heimatlande innerlichst verbunden fühlten, wie jene, die das auserwählte Volk als Nation erneuert wissen wollten“ (Umschlag, vorn): „Das tiefe, scheue Schweigen, das unzählige Gräber umgibt, muß endlich gebrochen werden. Das deutsche Volk muß sich bewußt werden, mit welchem furchtbaren Unrecht sein Name von unmenschlichen Machthabern geschändet worden ist und welche menschlichen und geistigen Verluste es durch dieses Unrecht erlitten hat. Glaubensjuden und Judenchristen, Belastete, deren Abkunft man mit einer menschenunwürdigen Prozentrechnung maß, Träger großer Namen und Unbekannte, die nur in der Liebe ihrer Nächsten fortleben, solche, die sich ihrem Heimatlande innerlichst verbunden fühlten, wie jene, die das auserwählte Volk als Nation erneuert wissen wollten, Auswanderer, die fern der Heimat ihr Grab fanden und jene anderen, die hier festgehalten wurden, um ein grauenhaftes Ende zu finden – sie alle waren zu einer großen Schicksalsgemeinschaft zusammengeballt, ihnen allen soll auch dieses Buch der Erinnerung gewidmet sein. In zwangloser Folge soll es Erinnerungen an die Toten, eigene Äußerungen, Gesamtschilderungen ihrer Kulturarbeit in deutschen Städten umfassen und so einer Wiedergutmachung, die nicht auf wirtschaftliche Verluste beschränkt bleiben darf, nach Kräften dienen.“ (V) Die Herausgeber benutzen für die Bestimmung der Funktion der Brechung des Schweigens über die jüdischen Toten den Begriff Wiedergutmachung, der im Erscheinungsjahr des Buchs nicht zuletzt durch das Luxemburger Abkommen zwischen der BRD und dem Staat Israel vom 10. September 1952 offizielle Geltung gewann. Die Präambel des Abkommens bezog sich auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Adenauer vor dem Bundestag am 27. September 1951 (Ruhl 1985, 342). Hier hatte Adenauer nicht nur von den „materiellen Schadensfolgen“ der „Verbrechen gegen das jüdische Volk“ (342) gesprochen, sondern erklärt: „Im Namen des deutschen Volkes sind […] unsagbare Verbrechen
Vgl. Berg 2003, 200/201, der es als Beleg dafür zitiert, dass „Philosemitismus […] ein schlechter Ratgeber in den ersten Aufarbeitungsbemühungen“ gewesen sei, „nicht allein wegen des heute kaum noch vorstellbaren Pathos“: „Dieses Buch […] vermittelt einen eigentümlichen Eindruck und balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Trauerrede und Rechtfertigungsdruck.“ Zum Titel vgl. den 1946 im Rudolstädter Greifenverlag von Josef K. Witsch und Max Bense herausgegebenen „Almanach der Unvergessenen. Ein Gedenkbüchlein“, das sich auf verfolgte Wissenschaftler und Künstler, nicht nur jüdischer Herkunft, beschränkte, um die „harmonische Übereinstimmung vieler einzelner Stimmen“ (Almanach 1946, VII) in „geistige[r] Freiheit“ (VI) zu zeigen; von den vier einzigen „Politiker[n]“ allerdings waren drei jüdischer Herkunft: Gustav Landauer, Rosa Luxemburg, Walther Rathenau, der vierte, nicht-jüdische Politiker war Karl Liebknecht.
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begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten“ (341). Die moralische Wiedergutmachung bezeichnete Adenauer als „wesenhafte Aufgabe der zur Erziehung berufenen Instanzen“, nämlich der „Kirchen und Erziehungsverwaltungen der Länder“ (340). In seiner Begründung der Pflicht zur moralischen Wiedergutmachung der „[i]m Namen des deutschen Volkes“ begangenen Verbrechen hatte der Bundeskanzler drei Voraussetzungen gemacht: Leid sei „in den besetzten Gebieten“ ausschließlich „über die Juden gebracht“ worden, die „überwiegende Mehrheit“ der Deutschen habe „die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut“ und „sich an ihnen nicht beteiligt“, sondern „viele“ hätten „mit eigener Gefährdung aus religiösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham über die Schändung des deutschen Namens“ „Hilfsbereitschaft gezeigt“ (341). Auf 1952/53, als die 1949 auf Initiative der US-amerikanischen Militärverwaltung gegründeten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die 1952 die erste bundesweite Woche der Brüderlichkeit²³ durchgeführt hatten, „in die öffentliche Förderung des Bundes und der Länder aufgenommen“ wurden, datiert Josef Foschepoth (1993, 202) in seiner Geschichte der Gesellschaften „die Entdeckung der Juden gleichsam als einziger akzeptabler Opfergruppe“ (200). Den im Vorwort benutzten Begriff der „Schicksalsgemeinschaft“ (Maas u. a. 1952, V) der jüdischen Toten nimmt der Mitherausgeber Maas in seinem das Buch wie ein Nachwort abschließenden Beitrag „Vom Schicksal jüdischer Menschen“ wieder auf, wenn er den Adressaten des mit „späte[n] Kränze[n]“ an „bekannten und noch viel mehr unbekannten Gräbern“ verglichenen „Buch[s] des Dankes und der Scham“ bestimmt: „vor allem wollen wir es denen weihen, die vergessen haben und heute noch vergessen. So sollen Schicksale jüdischer Menschen zu nichtjüdischen Menschen reden, zu Verschonten und zu Schuldigen.“ (161) Als Wirkung der ‚Rede‘ der Schicksale jüdischer Menschen auf nicht-jüdische erwartet Maas eine „Besinnung […] über den Eigenwert des jüdischen Menschen“ (161), den er später in dreierlei Hinsicht durch die Verwendung des Adjektiv „außerordentlich“ erläutert: „die außerordentlichen Leiden, die sie betroffen haben und heute noch bedrohen“, „[d]ie außerordentlichen Gaben jüdischer Menschen“ und „ihre außerordentliche Bedeutung im Sein der Menschheit und der Geschichte“ (176). Den drei ‚Außerordentlichkeiten‘ entsprechen drei Aspekte der erwarteten Wirkung ‚Besinnung‘ im nicht-jüdischen Adressaten, nämlich Mitleiden des „Leid[s…], das mitgelitten werden muß (162), Achtung des Stolzes auf „ihre[…] Herkunft aus Israel“ und Anerkennung „des jüdischen Menschen“
Vgl. nach 51 jährlich im März durchgeführten Wochen der Brüderlichkeit Gabriele Kammerers Auswertung von über 300 Zeitungsartikeln, die das Ergebnis als „eine Gebetsmühle für eine bessere Welt“ (Kammerer 2004, 196) bezeichnet, zu deren „Routine“ z. B. gehöre, dass die „Süddeutsche Zeitung“ 1979 ausführlich die Eröffnungsrede des Schirmherrn der Münchener Woche, Franz Josef Strauß, zitiert, aber nicht kommentiert: „‚Ich halte es für äußerst verhängnisvoll, wenn sich deutsches Geschichtsverständnis und -bewusstsein vorrangig oder gar ausschließlich auf die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich und dem Nationalsozialismus begründen.‘ Die Deutschen würden dann nämlich […] ‚auf Generationen hinaus moralisch und politisch erpressbar.‘“ (191/192)
3 „Den Unvergessenen“
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als „ein Besonderer“ (163). Die aus der „wesentliche[n] Schicksalsgemeinschaft“ (169) jüdischer und nicht-jüdischer Deutscher folgende „Dankesschuld“ solle „abgetragen“ werden „in einem wirklichen Gespräch mit den jüdischen Menschen, in einer innerlichen Begegnung“ (170); dafür sei aber ein „erneutes Durchdenken unserer Stellung zum Zionismus“ notwendig, denn für Maas ist entscheidend, dass im Zionismus „hinter dem nationalistischen und wirtschaftlichen Gesicht […] ein ganz anderes“ stehe, ein „eschatologische[s]“: „das Letzte im Angesicht des jüdischen Menschen“ (175) sei „das sakramentale Zeichen der Verheißung“ „des neuen Menschen“ (176). Maas hatte seine religiöse und politische Position schon 1946 in einem Brief an den Frankfurter Rabbiner Ralph Neuhaus als Herausgeber der „Jüdischen Rundschau“ in einem persönlichen Schuldbekenntnis formuliert: „Wie furchtbar groß ist die Last der Schuld, die auf dem nicht jüdischen deutschen Volke liegt, und damit auf jedem Einzelnen, auch auf mir. Wir sind mitschuldig, auch wenn wir Israel so heiß geliebt haben und gegen diese grauenhaften Mächte gekämpft haben, wie ich es versuche. […] Und ich kann diese Schuld nicht bloß vor Gott, dem Hüter Israels, dem Richter, der für sein Volk eintritt, bekennen, ich muss sie auch vor Ihnen bekennen, als einem treuen Hüter und Fürsprecher der jüdischen Gemeinde Deutschlands. Wir können ach so wenig tun. Wir können nur das Haupt in Scham verhüllen und zerbrochen niedersinken und klagen um die Erschlagenen des Volkes Israel. Ich sage Ihnen das aus tiefer Not und bitte um Vergebung. Aber darf’s dafür eine Verzeihung geben? Gibt es dafür – vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte Israels – einzig und allein Sühne und Untergang für den Täter? Ja, wir müssen Sühne leisten. Leidend und handelnd, bekennend und kämpfend gegen allen Hass und Missachtung. Ich sag das, wo mir das Wort gegeben wird in den Gemeinden. Und sage es als einer der stillen ‚Chow wey Zion‘ [Zionismusfreunde, Zionismusliebende] und als Anhänger des Zionismus seit 1903, dem 5. Zionisten-Kongress, vor allem aber als zutiefst Betroffener in diesen Tagen. […] Gott schenke uns immer neue Wege, für Israel einzustehen in Ehrfurcht und Liebe in Gebeten für die Ermordeten und die Überlebenden.“ (Geiger 2016, 336) In „Den Unvergessenen“ ist Maas’ Text einer der wenigen nicht autobiographischen, neben einem Überblick über die „Vernichtung des Judentums in Holland“ einerseits, „Ausschnitte[n] aus der Geschichte des Judentums einer rheinischen Stadt“, Mannheims, sowie einem Gruppenporträt „Vergessene und Unvergessene aus der Stadt Heidelberg“, in denen „[n]icht […] Juden als Verfolgte […] geschildert [werden], sondern wodurch sie sich […] verdient gemacht und ihre Heimat zu Dank verpflichtet haben“ (Maas 1952, 19), andererseits, Porträts einzelner Wissenschaftler und Opfer der Verfolgung, meist von VerfasserInnen, die die Porträtierten persönlich kannten. Der erste Text im Buch ist ein Antwortbrief an Ricarda Huch auf ihren Aufruf von 1946, ihr Material, wie letzte Briefe, für Porträts von Widerstandskämpfern zu schicken. Edith Hirschfeld, die Briefschreiberin, die in der Anrede ihre „Zeilen in begnadete Hände“ legt, „die das gestalten können, was ich nicht vermag“ (11), stellt sich zunächst vor: „Ich bin die Frau eines jüdischen Arztes, den ich nach Kriegsende heiraten konnte, nachdem wir neun Jahre darauf warten mußten. Fast drei Jahre hat mein Mann illegal bei mir gelebt. Mein Freundeskreis setzt sich fast nur aus Juden
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zusammen. Ich weiß und kenne alles, was diese Menschen durchmachen mußten, denn ich habe es mit ihnen zusammen erlebt. Jedes Wort, das ich über Werner Scharff schreibe, ist wahr und kann von mir beeidet werden.“ (11) Auf sieben Druckseiten schildert Hirschfeld, wie der Elektriker im Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde vor Deportationen warnte, falsche Papiere für ein Untertauchen besorgte und dabei half, Lebensmittel und Kleidung beschaffte, bis zu seiner Verhaftung und Ermordung im KZ Sachsenhausen am 16. März 1945. Sie schließt den Brief mit der Beilage eines „Photo[s]“: „Es ist leider nichts Schriftliches sonst gerettet worden“ (18), um dann auf den Aufruf Ricarda Huchs und damit auf den Begriff des Märtyrers zurückzukommen: „Ich habe Ihnen hier, sehr verehrte Frau Huch, in kurzen Worten einen Abriß des Lebens, leider auch des Sterbens eines Menschen zu zeichnen versucht, der nur ein kleiner Mann war. Aber er war, was nicht so häufig vorkam, ein tapferer Mann, und er hatte, was noch seltener war, Zivilcourage. Seine Taten haben das Ende des Nationalsozialismus nicht beschleunigt, keineswegs. Aber von wem kann das überhaupt gesagt werden? Ich weiß nicht einmal, ob er ein Märtyrer war. Aber er war ein Mensch, der sehr vielen anderen geholfen, der ihnen unter Einsatz seines Lebens ihre Leiden zu erleichtern versucht hat. Seine Mittel zur aktiven Bekämpfung des Nationalsozialismus waren unzureichend, es stand keine politische Organisation hinter ihm. Aber im dunklen Drange seines Gefühls, daß endlich und überhaupt etwas geschehen müsse, hat er den Versuch unternommen, der ihm [sic] schließlich das Leben gekostet hat wie Witzleben, die Geschwister Scholl und die vielen anderen, deren Namen im Gegensatz zu seinem der Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Und für mich ist er der Mensch und bleibt es, der uns an das Göttliche im Menschen wieder glauben läßt.“ (18) Unter dem Titel „Gefängnis-Briefe“ schrieb Maria Sello, deren Vater in ‚privilegierter Mischehe‘ in den Bekenntnisgruppen der Kirchengemeinde Schlachtensee einen Hausbibelkreis für ‚nicht-arische Christen‘ geleitet hatte,²⁴ am „Todestag meiner Lieblingsfreundin, die wegen ‚Juden-Hilfe‘ – vom Gericht benannt ‚wegen Verbrechen gegen die Kriegswirtschaft, Volksschädigungs-Verordnung‘ – im August 1943 aus ihrer Arbeit bei der Bekennenden Kirche abgeholt, nach acht Monaten (Gestapo-Haft, Gerichts-Untersuchungshaft mit anschließendem Sondergerichtsverfahren und darauffolgendem Frauengefägnis ‚zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit‘ to[d]krank entlassen wurde und dann fünf Wochen später gestorben ist“ (80), einen Text, der mehr als zur Hälfte besteht aus den wiedergelesenen Auszügen aus sieben Briefen. Der Auszug aus dem zum letzten gewordenen Brief vom 23. April 1944 endet: „‚Karfreitag habe ich zum erstenmal als Arbeitstag erlebt, sehr schmerzlich! Ebenso ist es seit vielen Jahren das erstemal, daß ich Ostern begangen habe, ohne die Matthäus-Passion vorher gehört zu haben. Ob Ihr sie gehört habt oder gibt es das in Berlin heut nicht mehr? Aber es ist schön und tröstlich zu wissen, daß in einer Welt voll Schmutz und Niedrigkeit und Gemeinheit ein solches Werk geschaffen werden konnte und daß man vielleicht eines Tages wieder die Möglichkeit haben wird, es mitanzuhören.‘“ (82)
Vgl. Arthur Sello in: Stolpersteine-Berlin.de.
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Sello charakterisiert die „eltern- und geschwisterlos[e]“ (80), „‚halbarisch[e]“ Freundin, deren jüdischer Vater in seiner Jugend evangelisch geworden war (82), als „die geborene Fürsorgerin“: „In ihrer Freizeit opferte sie sich voll und ganz der heimlichen ‚Nichtarier-Hilfe‘, da sie […] an den unendlichen Nöten ihrer ‚nichtarischen‘ Freunde und deren Freunden und weiteren Freunden nicht vorbeigehen konnte. Sie besuchte diese und jene, stets mit mühseligst angeschafften Lebensmittel- und Kleidergaben. Sie versuchte hier, vom Selbstmord zurückzuhalten und half dort, wo nur noch dieser Ausweg blieb, durch die letzten Lebensstunden hindurch. Sie packte für die kopflos Gewordenen vor den Transporten. Sie kundschaftete heimlich Quartiere aus und brachte die Verfolgten auf versteckten Wegen mit verabredeten Zeichen und sogar mit falschen Reiseausweisen […] in ein liebevolles Haus, wo die Armen leise zu einer Schlafgelegenheit in einem abgelegenen Winkel geführt wurden.“ (83) In keinem der beiden zitierten Porträts von HelferInnen, von dem jüdischen und von der ‚halbarischen‘, fällt der Ortsname Auschwitz; Edith Hirschfeld erwähnt als Ziel von Deportationszügen nur die Ghettos von Lodz und Theresienstadt (11, 13, 15); von Theresienstadt schreibt auch Maria Sello in einem anderen Beitrag, einem Brief an die nach Großbritannien entkommene Tochter eines evangelisch gewordenen Arztehepaars, das vor der Deportation nur gewusst habe, „daß ‚alles in den nächsten Tagen‘ fortkäme. Was unter ‚fort‘ zu verstehen war, ließ sich durch nichts und nichts herausbekommen [sic] bis nach etwa einem Jahr diese schreckliche, formularmäßige Postkarte Ihrer Mutter – aus Theresienstadt, einem der Lager für abtransportierte Juden, kam! Diese hier beigelegte Karte, die, dadurch daß sie kein Wort vom oder über den Vater enthielt, seinen Tod anzeigte“ (62). Nur in einem dritten Beitrag Sellos über ihr Gespräch mit dem nicht-jüdischen Verlobten einer Freundin, der aus dem Krieg heimgekehrt sich nach ihr erkundigt, trägt der letzte Satz wie ein Postscriptum nach: „Sie soll nach den späteren Angaben eines ‚Saaldienst‘-Beamten […] in das ‚Todeslager‘ Auschwitz geschafft worden sein.“ (126) Gerade in den beiden Beiträgen, die zu den Niederlanden (158) und zur Stadt Heidelberg (99) detaillierte Zahlenangaben zu Flucht ins Exil und Deportation sowie zur Rückkehr enthalten, wird Auschwitz nicht genannt. Über die Heidelberger „rein jüdischer Abstammung“, von denen „827 ausgewandert (2 wieder zurückgekehrt)“, 320 „deportiert (33 wieder zurückgekehrt)“ und „7 den Freitod gewählt“ (99), heißt es im Text Maria Baums, einer Freundin und Mitarbeiterin von Ricarda Huch: „der überwiegende Teil hat doch den schrecklich einsamen Tod des ‚unbekannten Juden‘ im Osten gefunden“ (99/100), oder wenig später: in „den Vernichtungsanstalten des Ostens“, die unterschieden werden von „dem relativ besten Lager Theresienstadt“ (100). Über die 140.000 vor Kriegsbeginn in den Niederlanden lebenden Juden heißt es: „110000 wurden deportiert, die übrigen 30000 waren die Partner von Mischehen und die Untertaucher. Von den Deportierten kam nur eine Handvoll zurück.“ (158) Während die in den Niederlanden errichteten KZs im Einzelnen beschrieben werden, wird Auschwitz nur einmal, allerdings auf sehr bezeichnende Weise erwähnt, wenn es darum geht, dass „eine durchgehende Verbindung ‚Westerbork-Auschwitz‘ […] noch
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nicht fertiggestellt war“ (147). Sonst wird das Bestimmungsziel der Deportationszüge unbestimmt gelassen: „Der Zug fuhr ab, nachdem die Türen gut verschlossen waren. Bestimmung: unbekannt. Nie wurde etwas von den Unglücklichen gehört.“ (155) Und beim Nahen des Endes des Kriegs: „Wohl ging mancher Zug nicht mehr nach Polen.“ (158) Der Mitherausgeber Gustav Radbruch erwähnt schon auf der ersten Seite seines Porträts eines nicht so „berühmten“ Kantorowicz, des Professors für Staatsbürgerkunde Ernst Kantorowicz, sein ‚Sterben‘ in Auschwitz (76); auf der letzten Seite berichtet er seinen Weg von Westerbork über Bergen-Belsen und Theresienstadt nach Auschwitz: „Im Herbst 1944 wurde ihm [in Theresienstadt] angesonnen, an der Auswahl der für die Gaskammern bestimmten Juden teilzunehmen. Er lehnte dies schroff ab, wurde selbst sofort in den Transport nach Auschwitz einbegriffen und starb dort im Oktober 1944 einen grauenvollen Tod. Wir dürfen hoffen, daß ihm jenes Bewußtsein, in Gottes Hand zu sein, auch noch in der letzten Not getreu geblieben ist.“ (79) Die Taufpatin (92) der 1935 von Maas unter dem „Tauftext“ „Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel“ getauften Tochter des Heidelberger Wirtschaftsjuristen Max Hachenburg stellt ihr Porträt „Liese Hachenburg“ auf das am Anfang und am Ende stehende Motto ab „Die letzte, vom Menschen her ausgesprochene Wahrheit über den Sinn des Lebens ist das Opfer“ (90, 97). Den Bericht über Liese Hachenburgs Leben, nachdem sie 1939 keine „Erlaubnis“ erhalten hatte, mit Vater und Bruder in die Schweiz auszureisen, beendet Maria Clauss vor dem Zitieren des Mottos: „Sie, die Zarte, die Schwächliche, die den Aufgaben des Alltags nicht gewachsen war, dem großen Opfer war sie gewachsen. Denn sie ist ihren Weg gegangen aus der Freiheit ihrer frommen Seele heraus. Und sollen wir daran zweifeln, daß die große Hand sie festgehalten hat, auf die sie so fest vertraute?“ (96) Das zuletzt Zitierte wird als das bezeichnet, „was […] über sie zu sagen“ bleibe (96), nachdem die Verfasserin zuvor über die Zeit nach dem letzten Besuch bei ihr berichtet hat: „Wenige Tage später kam eine Karte an Frau D., auf der Reise geschrieben. Sie käme in das Arbeitslager Auschwitz. Man habe es dort gut. – Man könne Briefe schreiben und Briefe bekommen. – Als wir diese Karte bekamen, hatte Liese Hachenburg schon in den Gaskammern von Auschwitz den Tod gefunden.“ (96) Der Ortsname Auschwitz wurde aber nicht genannt in einer Broschüre, die 1953 der Deutsche Ausschuß des Kongresses für kulturelle Freiheit herausgab, um das auf dessen Gründungskongress 1950 „begonnen[e]“ „Gespräch“ „über den deutschen Antisemitismus“ zu dokumentieren: „Eliot Cohen, der Herausgeber der größten jüdischen Zeitschrift in Amerika […] lehnte damals den Gedanken der Kollektivschuld ab, warnte aber davor, diese Schuld nunmehr durch ein […] Schweigen erst recht eigentlich entstehen zu lassen“ (Wider den Antisemitismus 1953, Umschlaginnenseite, vorn; auch die folgenden Zitate). Das „erste Wort“ „von deutscher Seite“ sei „zuerst vom Bundespräsidenten, sodann von Erich Lüth“, schließlich am 27. September 1951 im Bundestag „gesprochen worden“. Die Broschüre enthielt die Rede von Heuss 1949 vor den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, von Lüth 1952 auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Gesellschaften und des Kongresses für kultu-
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relle Freiheit im Westberliner Titania-Palast, von der auch die Reden Willy Brandts und Stefan Andres’ abgedruckt wurden, sowie von Rudolf Hagelstange 1952 auf einer Veranstaltung des Kongresses und des AStA der Universität Mainz: „Die Namen […] bürgen dafür, daß im heutigen Deutschland der ernste Wille besteht, das furchtbare Unrecht, das den Juden während der Hitlerjahre angetan wurde, nicht nur materiell, sondern vor allen Dingen auch moralisch wiedergutzumachen.“ Alle Redner folgen der von Heuss formulierten Entgegensetzung einer – als „simple Vereinfachung“ durch „Umdrehung“ der „Art“ der „Nazis“, „die Juden anzusehen“ – abgelehnten „‚Kollektivschuld‘ des deutschen Volkes“ und einer ‚erzwungenen‘ „Kollektivscham“ – als dem „Schlimmste[n], was Hitler uns angetan hat“ –, „mit ihm und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen“ (2), wenn sie „moralische […] Wiedergutmachung“ (18) als „Aussöhnung mit den Juden der Welt“ (13) und „Verständigung mit Israel“ (15) damit begründen, dass, wie Lüth als Initiator des am Schluss der Broschüre stehenden „Aufruf[s] zur Ölbaumspende“ von 3 bis 5 DM für einen in Israel zu pflanzenden Ölbaum von seinen Zuhörern sagte, „die meisten von Ihnen wie ich die schwere Bedrückung der Scham empfunden haben angesichts dessen, was wir mitansehen mußten“ (19). Die Spende dagegen mache als Beweis der „Gesinnung der Wiedergutmachung“ „stolz“ und „entspricht gerade derjenigen Haltung, durch die wir uns von der Vergangenheit lösen wollen, einer Haltung, die das Vertrauen der anderen zu uns rechtfertigt“ (23). Der auch von Günther Weisenborn, Walter Hammer und Gertrud Luckner unterzeichnete „Aufruf zur Ölbaumspende“ benutzte dasselbe Verb, spezifizierte aber das Objekt der Lösung von der Vergangenheit als Erinnerung: „Durch ihren Beitrag zur Ölbaumspende können alle Deutschen, die sich durch Hitlers an den Juden begangene Greueltaten beschämt fühlten, von sich wie von den Verfolgten den Alpdruck der Erinnerung an eine furchtbare Vergangenheit lösen.“ (31) Aber bevor Lüth von der Scham in der Vergangenheit spricht, nennt er „zur Beschämung der Zweifler“ an der „Zahl“ der „6 Millionen Toten“ für acht Länder, mit Polen beginnend, die Zahlen der „ermordet[en]“ „Juden (19) und benutzt auf widersprüchliche Weise ein Bild, das schon aus Beschreibungen von Reisen nach Auschwitz zitiert worden ist, wenn er zur Frage, „wie wir zu handeln verpflichtet sind, um eine echte Wandlung des deutschen Volkes zu beweisen“, anmerkt: „Und doch, meine Freunde, das Leben geht weiter. Das Gras wächst und die Bäume wachsen. Aber das Gras kann nicht überall wachsen, es kann vor allem dort nicht wachsen, wo der Boden verdorrt ist. Und der Boden ist verdorrt, wo man die Asche der Gemordeten ausgestreut hat. Noch fließen die Tränen um die Getöteten. Auch wir müssen also in Ehrfurcht verharren und die Gefühle der Leidtragenden schonen. […] wir müssen die Toten ehren und den Überlebenden beweisen, daß wir ihre unermeßlichen Leiden achten und mitfühlen.“ (20/21)
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4 Armin Müller: Auschwitz Armin Müller, der zu dem Kreis von jungen Lyrikern gehörte, die von Kuba gefördert wurden (Scherner 1972, 157), und 1949 „mit neunzehn Autor eines von der Kritik überbewerteten Gedichtbandes“ war (Müller 1989, 109/110) mit dem Titel „Hallo Bruder aus Krakau!“, veröffentlichte 1953 in Buchform eine Reisebeschreibung über Polen, die den Untertitel trug „Ein junger Schriftsteller erlebt das neue Polen“. Müllers „Sommerliche Reise ins Nachbarland“ enthielt ein Kapitel, das zweite von acht, über „Auschwitz“ (Müller 1953a, 45 – 52), neben sieben anderen über Warschau, Oberschlesien, Krakau und Nowa Huta, „Bei den Bauern“, Wroclaw und „Die schlesischen Berge“. Müllers Beschreibung von Auschwitz stellt sich in die Nachfolge Kubas, indem sie mit zwei Bildern beginnt, die Barthels Text bestimmten: mit den Schienen von Europas Endstation und mit der verkehrten Natur, der Geruchlosigkeit des Ortes – trotz des wachsenden Grases: „Auf diesen Schienen, heute rostig und von Unkraut überwuchert, rollten endlose Transporte mit Menschen aus allen Teilen Europas der Endstation ihrer Fahrt, dem Ende ihres Lebens, Auschwitz, entgegen. Es ist ein glühender, trockener Tag. Von den Beskiden im Süden weht heißer Wind herüber. Er bewegt die welken Grasbüschel und trägt eine Schicht bleichen Staubes auf einsame Akazien. Unwillkürlich vermißt man den Duft von Heu, dieses Gelände ist merkwürdig geruchlos, leer, ausgedorrt, tot.“ (45). Im Unterschied aber zu Kubas Übernahme der Ironie seines Begleiters Borowski bekennt der Erzähler Müllers widersprüchliche, „[u]nnennbar[e]“ „Gefühle, die uns heute bewegen“, und berichtet sie von den in einer gesamtdeutschen FDJ-Delegation Reisenden: „Erst in diesem Lande, erst an diesem Tage wird uns bewußt, welches Vertrauen wir zu rechtfertigen haben.“ (46) So entsprechen sich die Eingangs- und die Schlussszene des Gangs von Birkenau ins Museum des Stammlagers. Durch eigenes Verhalten sollen die Besucher das aufgrund ihrer Mitschuld berechtigte Misstrauen der Polen widerlegen, das vorgeschossene Vertrauen erst praktisch verdienen durch Bruch mit der Vergangenheit.Wie unter dem Blick der polnischen Begleiter nennt Müller seine Mitreisenden mit Namen, bevor er zitiert, was sie ihrem polnischen „Führer“ auf Deutsch nachsprechen, einem der „wenigen Überlebenden dieser Hölle“ (45), der seinen Bericht mit der Verfolgung der deutschen Kommunisten beginnt, „derer Hitler sich zuerst entledigen mußte, um seine mörderischen Pläne zu verwirklichen“: „‚Nidgy wiecej‘ […]. ‚Nie wieder‘, schwören auch wir.“ (46) Ebenso werden erst siebzehn Nationalitäten aufgezählt, von denen sich Eintragungen im Besucherbuch finden, bevor Müllers Gruppe ihre Namen unter das Gelöbnis setzt, „ein neues Auschwitz, einen neuen imperialistischen Krieg zu verhindern“ (50). In der wörtlich zitierten Eintragung wird der Widerspruch der Gefühle, der Müllers Erzählung des Besuchs der Gedenkstätte bestimmt, auf eine Formel gebracht: „‚Wir, die Vertreter der jungen Generation aus allen Teilen Deutschlands, haben erschüttert und beschämt, doch voller Haß und Zorn vor den Zeugen der ungeheuerlichen Verbrechen gestanden, die der deutsche Faschismus an der Menschheit begangen hat.“
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(49/50) In der vorangegangenen Beschreibung allerdings wird der „Eindruck“ (50) des Ortes als „Zeugen“ (49) nur einmal auf den Begriff „Haß“ gebracht, im Museum, wo der „Hohn“ (48) der Inschrift des Stammlagers mit dem Firmennamen Degesch über die zynische Gebrauchsanweisung von Zyklon B verknüpft wird. Die von dem Reisenden und seiner Gruppe gefühlte Scham, Deutsche zu sein, bringt der Erzähler als einen gestischen Vergleich: „Der Genosse […] führt uns einige Schritte zu einem Tümpel mit dickem, grünem Wasser. Er bittet uns, die Erde, auf der wir stehen, zu betrachten. Der Boden unter dem dünnen Gras ist mit kleinen, weißlichen Splittern besät. ‚Menschenknochen.‘ Eine lange Zeit herrscht Schweigen zwischen uns. Es ist, als müßten wir einige Schritte zurückweichen, doch das Feld der Splitter nimmt kein Ende. […] Zwanzig Hektar solcher Stellen gibt es in Auschwitz.“ (47/48) An der „Stätte menschlicher Schande“ (45) bleibt für den Erzähler die Scham über deutsche Schuld primär, nicht aufzuheben durch Stolz auf – den vom polnischen Genossen genannten – Ernst Thälmann oder die Trauer um deutsche Opfer: „Koffer, auf denen die Namen der Toten stehen. Auch deutsche Namen finden wir. ‚Fischer, Thomas, Geboren 1941, Kleinkind.‘ Prothesen, Geschirr, Kinderspielzeug.“ (49) Wenn Müller fortfährt, bleibt er im Bildfeld des Kindes, um die Beschämten als auf die ‚ausgestreckte Hand‘, hier den Arm, angewiesen zu zeigen: „Uschi, das Mädchen aus Schwaben, geht Arm in Arm mit einer jungen Polin […]. Sie schmiegen sich wie Kinder aneinander.“ (49) Am Ende des Kapitels steht ein Gedicht: „Birkenau“, das in den im Erscheinungsjahr der Reisebeschreibung in Müllers vom Verlag der FDJ Neues Leben gedruckten Gedichtband „Seit jenem Mai“ aufgenommen wurde (Müller 1953b, 31/32). Die acht Strophen aus vier am Ende nicht ganz regelmäßigen dreihebig daktylischen, kreuzgereimten Versen sind in drei bezifferten Gruppen angeordnet, deren erste das Motiv des Winds von den Beskiden einführt: „seit je“, bis an „Birken“ und „Au“ „die Öfen“ entstanden, deren zweite über ein lyrisches „wir“ als „Besucher“ der „steinerne[n] Stufe“ „eine Schweigsamkeit“ ‚einbrechen (Müller 1953a, 51) und deren dritte „Nun“ „die Worte sich wieder“ „finden“ lässt: „Träume, im Schmerz unbezwungen/ werden lebendig und wahr.“ (52) Im „Nachwort“ zum Gedichtband gab Müller zu bedenken: „Vom Schönen ist in diesem Büchlein die Rede und vom Hoffnungsvollen, vielleicht ein wenig zu viel davon und zu wenig von der Härte und Unerbittlichkeit, mit der wir dieses Schöne und Hoffnungsvolle in unserem Leben verteidigen müssen.“ (Müller 1953b, 73) Wenngleich in den letzten Strophen die „im Wind einst verklungen[en]“ „Lieder“, die ‚nun‘ „unsere wachsame Schar“ „singt“, auch „zornig“ genannt werden, wird die Gegenwart in der ersten Strophe ‚ein wenig zu schön‘ ins Bild der Winde gebracht: „nun, da die Winde gereinigt/ über der Ebene wehn,/ da unsere Völker geeinigt/ klüger zu leben verstehn“ (Müller 1953a, 52).²⁵
Auch Müllers Hiroshima-Gedicht von 1957„Ich habe den Thunfisch gegessen“ (Müller 1958, 19 – 25) ließe sich der Vorwurf machen, ‚zu schön‘ zu sein.
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Im Organ des Schriftstellerverbands wurde 1954 Müllers Reisebeschreibung sehr scharf kritisiert. Der junge Schriftstellerkollege Horst Beseler benutzte als Maßstab die „Einschätzung“ im Klappentext von „Sommerliche Reise ins Nachbarland“ als „‚künstlerisch gestaltete […] Reportage‘“, um den Kunstcharakter rundweg zu bestreiten: Die „Art der Beschreibung von Bauplätzen, Pionierpalästen oder Produktionsgenossenschaften kennen wir aus Dutzenden von Zeitungsartikeln“ (Beseler 1954, 151). Inwiefern der Vorwurf, dass „der Autor […] einer Unzahl von Tatsachen und Feststellungen Raum [gibt], die uns aus mancher Broschüre bereits bekannt sind“ (152), auch für Müllers Auschwitz-Kapitel gelte, sagt der Kritiker nicht, obwohl „der Besuch von Auschwitz“ zweimal erwähnt (151) wird. Aber mit der Zuspitzung seiner Kritik, dass Müllers publizistische, nicht-künstlerische Darstellungsweise „nicht in den Menschen eingedrungen“, nämlich in „die Kraft der tiefen Zukunftsgewißheit des polnisches Volkes“ (152), ist Beseler dem „platten Optimismus“ nahe, den er Müller vorwirft, auch wenn er ihn an anderer Stelle als Müllers „Bewußtsein der immer vollkommener werdenden Harmonie der deutsch-polnischen Freundschaft“ (151) bezeichnet. Ein Jahr nach Erscheinen dieser grundsätzlichen Kritik an Müllers eben nicht ‚literarischer‘ Reportage widmete die „Neue Deutsche Literatur“ den Schwerpunkt ihres Mai-Hefts „Neue[n] literarische[n] Reportagen“. Die „Sieben auf Reisen“ (1955, 12– 81) waren zwei aus dem Exil Zurückgekehrte (Jan Petersen, Maximilian Scheer), zwei Überlebende von Konzentrationslagern (Werner Eggerath, Klaus Ziergiebel), drei ehemalige Wehrmachtssoldaten (von denen einer, Heinz Klemm, in sowjetischer Kriegsgefangenschaft eine Antifa-Schule besucht hatte), die beiden anderen waren Armin Müller und der seit 1953 amtierende Sekretär des Deutschen Schriftstellerverbandes, dessen Organ die Zeitschrift war, Peter Nell.
5 Peter Nell: Sind das unsere Deutschen, Mama? Die meisten der sieben Reisen führten in die damals als Volksdemokratien bezeichneten Länder Ost- und Südosteuropas (Polen, Rumänien, Albanien) und Asiens (Korea, China), zwei nach Westdeutschland. Schon die Reiseziele in der BRD markieren die beiden Reisen als literarische, nach Annette von Droste-Hülshoffs „Meersburg am Bodensee“ und zu „Lessings Grab“ in Braunschweig. Nell aber überarbeitete seine 1952 in der Frankfurter „Die Tat“ erschienene Beschreibung einer Reise nach Auschwitz, indem er nicht nur den Titel änderte: Aus „Die Knochenasche knirscht unter den Füßen“ wurde „Sind das unsere Deutschen, Mama?“ und damit die Rahmung des Gangs durch Birkenau durch das Warschauer Gespräch mit einer polnischen Mutter über die Frage ihres Kindes nach den „anderen Deutschen“ (Nell 1955, 29) hervorgehoben. 1951, als eine 1936 entstandene „Erzählung“, „Der Weg nach vorn“, „aus der Lade kommt“, die „in Deutschlands dunklen Jahren […] im Freundeskreis heimlich von Hand zu Hand gegangen“ sei (Nell 1951, 209), hatte „Der Autor über sich selbst“ ge-
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schrieben: „Ein schweres dunkles Kapitel war für mich der Krieg – wie für die meisten. In ihm verlor ich das halbe rechte Bein, während das linke nervengelähmt wurde. […] Nach der Nacht der zwölf schweren Jahre, in denen ich nichts veröffentlichte, obwohl ich manches schrieb, das illegal von Hand zu Hand ging (darunter auch die erste Fassung dieses Buches), fing ich wieder an.“ (212/213) Reiner Kunze, der Herausgeber von zwei Auswahlausgaben von Werken des 1957 verstorbenen Autors, hat in der ersten eine „Skizze“ im Nachlass über „mit den anderen Mitgliedern der illegalen Betriebszelle der KPD [unternommene] Aktionen gegen das Hitler-System“ (Nell 1959, 102) angeführt, ohne diese jedoch zu zitieren, und in der zweiten Auswahl für die „illegale kommunistische Betriebszelle Agitationszettel“ (Nell 1962, 11), aber ein anderer Herausgeber,Walther Pollatschek, der die Fortsetzung der fiktionalisierten Form von Nells Lebengeschichte „Der Junge aus dem Hinterhaus“ 1960 als „Heinrich Rothschuh erzählt“ edierte, räumte ein: „Einige Lücken, vor allem die Erlebnisse des Helden bei Kriegsende, ließen sich nur unvollkommen schließen, da wir unserem Bestreben nicht untreu werden wollten, Peter Nell selbst sprechen zu lassen, ohne wesentlich Neues hinzuzufügen.“ (Nell 1960, 278) Doch der Klappentext von „Heinrich Rothschuh erzählt“ bringt ‚illegalen Kampf‘ und ‚Beteiligung am Überfall auf die Sowjetunion‘ in eine „natürlich“ genannte ‚Folgerichtigkeit‘: „[…] ‚der ‚Junge aus dem Hinterhaus‘ […] tritt uns in diesem Buch als erfahrener und gereifter Mensch, als bewußter Antifaschist entgegen. Sein Schicksal gleicht in vielem dem Schicksal der deutschen Arbeiterklasse. Illegaler Kampf unter der ständigen Gefahr, in die Gefängnisse und Konzentrationslager des Dritten Reiches gesperrt zu werden, Rekrutenzeit in der verhaßten Wehrmacht, Beteiligung als ‚Soldat des Führers‘ am Überfall auf Frankreich und die Sowjetunion, das sind die Stationen seines Lebensweges in der dunklen Zeit des Faschismus. Daß man Heinrich Rothschuh als Schwerbeschädigten nach dem endgültigen Zusammenbruch in den ersten Reihen findet, die durch Schutt und Trümmer dem neuen Leben einen Weg bahnen, ist die natürliche und folgerichtige Entwicklung des Berliner Arbeiterjungen.“ (Klappe vorn) Im Text des ohne Genrebezeichnung publizierten Buchs gibt es eine Episode, in der der Held kurz vor seiner Verwundung östlich von Minsk die Bibliothek in der Schule des Dorfes Huty zu „ordnen“ bemüht ist, in der andere Wehrmachtssoldaten „nach Wertgegenständen“ „gewühlt“ und die Bücher „verstreut“ haben: „Ich stellte sie wieder in die Fächer zurück. Zugleich kam mir das Sinnlose meines Tuns zum Bewußtsein. Ringsum Krieg, Brand, Zerstörung, sterbende Menschen, verwüstetes Land, und hier ein Soldat, ein deutscher, ein Mann in der Uniform der Eindringlinge, der Mörder, damit beschäftigt, auf einem winzigen Fleckchen zu ordnen, während die Vielzahl der Männer da draußen in den gleichen Uniformen drauf und dran waren, eine Welt in Wirrnis und Elend zu stoßen, heute hier und gestern und morgen wo anders. Und auch er selbst, der hier stand, konnte sich davon nicht ausnehmen, wenn er auch bloß widerwillig mitmachte, heimlich sich sträubend und zu mildern suchend, wo es nichts zu mildern gab. Er war in die Maschine geraten, und die Handvoll Sand, die er ab und zu heimlich hineinwarf, konnte ihr natürlich nicht schaden… Und doch bückte ich mich wieder und wieder. Ich mußte es einfach tun. Es war nicht der eingeborene Ordnungssinn,
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den man uns Deutschen nachsagt. Es war ein schweigender Protest, die zwingende Folge einer Erkenntnis, ein Winziges gutzumachen, jetzt schon, hier, in diesem Moment, wenn schon Größeres nicht möglich schien… „ (242) Von ‚zwingender Folge einer Erkenntnis‘ ist auch 1951 in der „Das Feuer brennt“ überschriebenen Selbstaussage „Der Autor über sich selbst“ die Rede; sie schließt nach den ‚dunklen Jahren‘: „Ich bin heute 43 Jahre alt und stehe noch am Anfang. Aber das Feuer, das mir in meiner Jugend entfacht wurde, hat kein Terror austreten können, es brennt heller und stetiger denn je. Es ist das Feuer der Erkenntnis, das Feuer der gerechten Sache aller Werktätigen. Ihm will ich dienen. Immer.“ (Nell 1951, 215) Franz Hammer sah in seiner Rezension von „Heinrich Rothschuh erzählt“ die „Bedeutung“ des „Roman[s]“ „nicht nur“ darin, dass er „im Grunde doch eine Autobiographie Peter Nells“ sei, sondern „noch auf einem anderen Gebiet“: „Wir besitzen […] manches Hohelied auf unvergängliches Heldentum […]. Wie aber erging es jenen, die in aller Stille und von Hitlers Häschern unbemerkt, mit scheinbar belanglosem Tun der großen Sache dienten? Wie verhielten sich die vielen Kommunisten oder auch Sozialdemokraten, die Hitlers Feinde blieben, ohne als antifaschistische Kämpfer direkt in Erscheinung zu treten? Auf diese Frage gibt Peter Nell in seinem ‚Heinrich Rothschuh‘ eine schlichte, aber eindrucksvolle Antwort.“ (Hammer 1961, 154) In Nells 1955 publizierter Beschreibung des Besuchs der Gedenkstätte „Auschwitz-Birkenau“ (Nell 1952) neu ist eine zweite Rahmung, nicht nur durch die titelgebende Erinnerung an die Szene auf einer Straße in Warschau, sondern auch durch eine Erinnerung an die Begegnung mit einem Mitglied der VVN in der DDR. Beibehalten werden die in wörtlicher Rede wiedergegebenen Erklärungen des Begleiters der Besuchergruppe, deren Fragen und Reaktionen. Stark vermehrt sind Aussagen des Erzählers über seine Gefühle, aber auch seine Beobachtungen des Gefühlsausdrucks anderer und ihrer Blicke. Neu sind Adressatenanreden in der 2. Person Plural sowie im inklusiven Wir und der entsprechenden Verwendung der 2. Person Singular und des Indefinitpronomens ‚man‘. Aufgehoben wird die Beschränkung der Beschreibung des Gesehenen auf Birkenau. „Plötzlich ist alles anders“, heißt es am Ende der Autofahrt durch eine „Frieden atme[nde]“ Agrarlandschaft: „‚Oswiecim‘ steht auf dem Schild – Auschwitz“ (Nell 1955, 25). Der Erzähler wechselt im Folgenden – „Eine Erinnerung steigt herauf“ – über das Präteritum ins Plusquamperfekt, um zu berichten, wie er „die Bekanntschaft eines mir unvergeßlichen Menschen“ machte (25). Während eines Arbeitsaufenthalts auf dem Lande „[v]or einigen Jahren“ (25) besichtigte er eine Vereinigung der gegenseitigen Bauerhilfe, deren Schule von einem „fast asketische[n] Mann mit riesigem Schädel über dem zerfurchten, gleichsam gegerbten Gesicht und dem roten Dreieck mit den drei Buchstaben VVN am Rockaufschlag“ geleitet wurde: „Der Mann hieß Lill“ (25). Dem Erzähler und „noch einige[n] Gästen“ „hatte“ – der im Text immer nur mit dem Nachnamen genannte – „Lill auf unsere Bitte hin aus seinem Leben erzählt. Wie sich herausstellte, war das ein besonderes Leben, wie es so oder ähnlich Tausende von
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sich zu berichten wußten“ (25). Das Erzählen „eine[s] der Überlebenden von Auschwitz, einem jener riesigen Menschenvernichtungslager, die der Faschismus angelegt hatte“ (26), wird gerafft auf das „Furchtbare jener Jahre“, „[a]ber auch“ den „Kampf, der sie alle verband und gegenseitig stützte, auch heute noch“ (26). Belegt wird diese andauernde Verbindung mit dem Anschreiben des Namens des polnischen Ministerpräsidenten Josef Cyrankiewicz durch den erläuternden und seine Zuhörer „[n]achdenklich“ machenden Lehrer Lill: „‚dieser Freund stand an der Spitze der illegalen kommunistischen Widerstandsorganisation von Auschwitz-Birkenau: Denn es kam darauf an zu überleben. Das aber hieß kämpfen…“ (26) Diese „Erinnerung“ (25) an Karl Lill, der fast ein Jahrzehnt später im Frankfurter Auschwitz-Prozess²⁶ einer der „wichtige[n] Zeugen“ wurde, die „aus der DDR anreisten“, und „auf dessen Aussage [Hermann] Langbein bestanden hatte“ (Stengel 2012, 539), der 1957 aus der KPÖ ausgeschlossene Überlebende, der den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und den Untersuchungsrichter Heinz Düx beriet (492, 495) und dessen Biographin, Katharina Stengel, Lill „ein[en] idealistische[n] und hochmoralische[n] Kommunist[en]“ (301) genannt hat, führt in Nells Text von 1955 nicht nur das Leitmotiv ‚Überleben heißt kämpfen‘ ein, sondern zu einem von Lills Nennung des Doppelnamens ausgehenden Einschub in den Bericht von 1952. Beginnt in diesem der Gang durch Birkenau mit dem „Anblick“ von „Birkenau“ „[v]on welcher Seite […] auch immer“ (Nell 1952), so geht diesem 1955 der des „Eingang[s]“ des Stammlagers voraus, die „in ihrem Zynismus unerreichte Inschrift: ‚Arbeit macht frei‘, steht da zu lesen, und alles ist noch so, wie es war. […] Nein, Oswiecim-Brzczinka, das ist AuschwitzBirkenau, bleibt erhalten.“ (Nell 1955, 26) Bezogen auf die „Bauten“ und die „Ausstellung von Originalzeugnissen“ bezeichnet der Erzähler Auschwitz-Birkenau als „ein Museum mit einem […] die Menschheit warnenden Anschauungsmaterial“, um dann zunächst für „Deutsche“ das „Museum der Barbarei und des Unheils“ (26) zu kommentieren, und dann den Polen vorzustellen, der ein noch nicht näher bestimmtes „uns“ (27) durch Birkenau und das Stammlager führen wird. Der Kommentar zum ‚Museum des Unheils‘ ist die erste Leseranrede in Nells Text, durch die Pluralform des Duzens und das explizite Ich-Sagen des Erzählers im Vergleich zu anderen Weisen der Einbeziehung des Adressaten auch die direkteste, er lautet: „Des Unheils. Deutsche, die ihr diese Zeilen lest oder hört: Ich, ein Deutscher, bin durch dieses Museum gegangen. Lange, bevor ich an diesen Ort des Schweigens und der großen Anklage kam, wußte ich, daß ihn Deutsche angelegt hatten. Als ich den ersten Schritt hinein tat, war dieser Schritt schwer. Und jeder weitere Schritt wurde schwerer, nur noch schwerer, immer schwerer, und gegen Schluß hin wollten die Beine den Dienst schier aufsagen. Jeder, der hier verhungerte, erschlagen, zu Tode gepeitscht oder vergast wurde, jede, die hier nach unvorstellbaren Grausamkeiten endete, hatte eine Mutter. Jeder Mörder aber, jede Mörderin wurden ebenfalls von einer
Vgl. die „Zeugenaussage von Karl Lill 18. Septenber 1964 (91. Verhandlungstag)“ in Wojak 2004, 513/514, und das Foto ebd., 15.
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Mutter zur Welt gebracht. […] Deutsche Mütter.Viele von euch, die ihr jene Mörder und Mörderinnen geboren habt, leben noch. Deutsche Väter, deutsche Mütter, alte Deutsche, junge Deutsche, Deutsche im Westen, Deutsche im Osten, Deutsche überhaupt: Das haben Deutsche getan…“ (Nell 1955, 26/27) Nells Hervorhebung von Müttern und Kindern als Opfern deutschen Mordens kann als metonymisch für ein von Mütterlichkeit begründetes Recht jedes Menschen auf Leben verstanden werden oder auch für nicht an militärischen Handlungen als Soldaten beteiligte stehen: „Dennoch hat die Mörder die Überlegung, das Kind einer Mutter zu töten, ein Leben auszulöschen, das für das Leben aller Mütter und Kinder eintrat, nicht schaudern machen. Ja, diese Überlegung hat sie kaum berührt, sie ist den Mördern gar nicht gekommen.“ (26) Brigitte Reimann hat 1953 einer Freundin im Westen über Peter Nells Lesung auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren des Schriftstellerverbandes in Magdeburg berichtet: „als er eine seiner Reportagen über das KZ Auschwitz vorlas, hatten selbst unsere Männer Tränen in den Augen, und ich habe mich meiner Tränen nicht geschämt“ (Reimann 1995, 160).²⁷ Mit dem Schluss des Kommentars „Das haben Deutsche getan“ kontrastiert die Vorstellung des als „ein wahrer Herkules“ eingeführten Guide: „‚Ich begrüße Sie, meine Freunde!‘“ (27) Während im Text von 1952 „unser Begleiter“ nach dem Zitieren seiner Erklärung der Pritschen in den Baracken von Birkenau einfach „Targosch“ genannt wird, nennt im Text von 1955 dieser seinen – jetzt auch korrekt polnisch geschriebenen – Namen erst, nachdem im Gespräch zwischen Begleiter und „uns“ über „merkwürdig bekannte“ „Einzelheiten“ aus „‚Euer[em] Film, der als erster aus Polen zu uns nach Deutschland kam“ (27) – dessen Titel „Die letzte Etappe“ ohne den Namen der Regisseurin Wanda Jakubowska genannt wird –, der Erzähler gefragt hat: „‚Ich vermute…‘, setze ich stockend an, ‚Sie haben das alles … selbst …?‘“, und auf das Ja den ihm jetzt ‚eingefallenen‘ „Lill“ mit „Namen“ ‚genannt‘ hat: „‚Und ob ich ihn kenne! Lill – einer unserer Besten, mein guter Freund! Mehrere Male war er schon zu Besuch bei uns in Polen. Grüßen Sie ihn bitte von mir, von Franz Targosz.‘“ (28) Hier schließt der Erzähler den zweiten Rahmen mit dem Leitmotiv des Kampfs sowohl an das in Birkenau selbst Gesehene als auch von Lill und Targosz Gehörte an: „Angesichts dieser fürchterlichen Wirklichkeit hier, fürchterlich noch in ihrer Bewahrung, ahnt man erst etwas von der Härte, der Größe und Kraft, die aufgebracht werden mußte, um auch hier, an dieser Stelle den Kampf aufzunehmen. Lill kämpfte so, Targosz, Cyrankiewicz und viele andere. Sie künden ein entsetzliches Wissen. Sie sind Augenzeugen.“ (28)
1964 wird Reimann von Günter Deicke im Nachwort zu einer zum 15. Jahrestag der DDR herausgegebenen Anthologie „Im Licht des Jahrhunderts. Deutsche Erzähler unserer Zeit“ als fünfte VertreterIn einer „neuen Schriftstellergeneration“ (Deicke 1964, 670) genannt, nach Erwin Strittmatter, Franz Fühmann, Bruno Apitz und Dieter Noll, vor Christa Wolf, Jurj Brezan und Erik Neutsch, die von den antifaschistischen ExilschriftstellerInnen gelernt habe: „Während die Vergangenheit in uns noch einmal vorüberzog, historisch begriffen, begannen wir sie gegenwärtig zu durchdenken und, sehr allmählich, mit unterschiedlichen Schwierigkeiten, zu bewältigen.“ (668)
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Die Erklärungen des auch im Weiteren „Begleiter“ (29) oder „[d]er polnische Freund“ (28) genannten Targosz für die Besuchergruppe, aus der nun auch tschechoslowakische und rumänische Reisende erwähnt werden, als Targosz einen „verstohlen[en]“ „Blick“ des Erzählers auf sich „[auf]fängt“und „freundlich“ „nickt“ (30), werden in wörtlicher Rede wiedergegeben, die anaphorisch mit einem „Hier“ (27, 28) beginnt und in deren „sachlich[er], unpathetisch[er]“ Formulierung der Erzähler „glühende Anklage“ (28) hört. „Und hier“, „nimmt“ Targosz die mit „weiße[m] Gesicht und flackernde[n] Augen“ (28) gestellte Frage einer Frau aus der Gruppe auf, die dann trotz seiner „behutsam[en]“ Antwort „wankt“ (29) und „beiseite“ „[ge]führt“ wird: „‚hier wurde vergast und verbrannt.‘“ (28) Die Reaktion der Gruppe auf die Mitteilung der täglichen „‚Kapazität‘“ der Gaskammer: „Sechsunddreißigtausend“, unter Targosz’ „der Reihe nach“ „uns“ „prüfend“ ansehendem Blick: „‚Aber damals konnte so ein Schwanken schon tödlich ausgehen. Denn wer so reagierte, hielt gewöhnlich nicht lange durch‘“, kommentiert der Erzähler: „Es ist ganz still. Keiner sagt etwas. Die fast nüchterne Feststellung läßt nichts anderes zu. Sie hat uns überfallen, trotz aller vorangegangenen warnenden Einzelheiten überfallen.“ (29) Als Targosz die ‚Kapazität‘ der „Verbrennungsöfen“ mitzuteilen zaudert und leiser ausspricht, was „einige mit Gras bewachsene Stellen“ erklärt, „in deren Vertiefungen Wasser steht“: „zusätzlich[e] Scheiterhaufen“, wechselt der Erzähler vom Präsens ins Präteritum, denn Targosz zeigte sie schon, bevor er sprach (29). Der Rückgriff im Präteritum wird fortgesetzt, wenn der Erzähler die Reaktion eines aus der Gruppe kommentiert, indem er sie durch ein inklusives „man“ billigt: „‚Wie Tränen‘, sagte jemand leise, und in diesem Augenblick, hier, an dieser Stelle, empfindet man es wirklich so. Ich atmete tief.“ (29) Ähnlich bewertet der Erzähler eine anschließend berichtete Reaktion der zurückgekehrten, kurz zuvor beiseite geführten Frau, die „sich“ bei Targosz „entschuldigt“ hat: „‚Ich bin schon schwach geworden vom Hören. Sie aber haben das Jahr für Jahr ertragen müssen.‘“ (29) Als dieser erklärt, dass „aus den Fettrückständen der Verbrannten […] jene grünlich-graue Seife mit der Aufschrift ‚RIF‘ hergestellt [wurde], mit der man die Wehrmacht, vielfach auch die zivile Bevölkerung versah“, „such[t]“ der Erzähler „unwillkürlich die Frau: Sie senkt den Kopf. Aber ihr Gesicht ist hart, wie versteinert. Sie schwankt nicht.“ (29) Die Überleitung vom Gang durch Birkenau zu dem durch das Stammlager, „dem Zentrum, zu dem einst achtunddreißig Nebenlager gehörten“ (30), schließt den schon 1952 benutzten Rahmen von Stefaneks Frage nach den ‚anderen Deutschen‘ und macht die über den neuen Rahmen um Karl Lill hergestellte Beziehung zwischen dem Erzähler, der Gruppe der Reisenden und Franz Targosz noch enger. In der letzten Antwort, die der Erzähler auf Stefaneks Frage gibt, werden „die“ – von „Faschisten“ als „schlechte[n] Deutsche[n]“ unterschiedenen – „anderen“ Deutschen ausdrücklich in die Schuld eingeschlossen: „wir, die anderen, denen gegenüber Stefanek Vertrauen empfindet – und nicht nur Stefanek, sondern sein ganzes Volk – wir anderen haben um diese Schande gewußt. Vielleicht nicht so deutlich, nicht in all den furchtbaren Einzelheiten wie nach diesem Besuch an Ort und Stelle, aber doch gewußt. Das
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deutsche Volk duldete die Barbarei. Es schwieg dazu, in seiner großen Mehrheit schwieg es dazu. Dieses Bewußtsein wiegt schwer.“ (30) Der bereits erwähnte Blickwechsel zwischen Erzähler und Targosz führt zu dessen Angebot an den Gehbehinderten: „‚Wollen Sie sich auf meinen Arm stützen?‘“, das „voller Dankbarkeit“ angenommen wird wie die Zigarette des „Prager Reisegefährte[n]“ und des „rumänische[n] Redakteur[s]“ „sacht[es]“ ‚Schulterklopfen‘: „‚Wir wissen doch! Ihr… anders als die Nazis… wie Tag und Nacht…‘“ (30). Indem das „Vertrauen“ dieser „Menschen“ mit „Dennoch und deswegen“ auf die „geduldet[e]“ „Barbarei“ bezogen wird, verwandelt sich dem Erzähler verziehene Schuld in Verantwortung: „Unsere Verantwortung ist riesengroß. Wenn Deutsche noch einmal ähnliches zulassen, wie es hier geschehen ist und wie es sich im Westen unserer Heimat abermals vorbereitet, wird man nicht mehr verzeihen können, wird man nicht mehr verzeihen dürfen. So empfinde ich es hier in Auschwitz, so spricht es Wochen später Walter Ulbricht aus.“ (30) Die Übereinstimmung zwischen Nell und Ulbricht entspricht der zwischen Targosz und Cyrankiewicz; Ulbricht sprach von der „Hauptverantwortung […] der deutschen Arbeiterklasse und des deutschen Volkes selbst“, „zu verhindern“, dass „durch die Pariser Verträge wieder an die Macht gebracht werden […] jene Elemente, die noch vor kurzem die Organisatoren der faschistischen Aggression gegen die Völker West- und Osteuropas waren und die in den Todeslagern Millionen friedlicher Bürger aus allen Ländern Europas umgebracht haben“ (Ulbricht 1964, 176). In „Zur Geschichte der neuesten Zeit. Die Niederlage Hitlerdeutschlands und die Schaffung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung“, die 1955 in 100.000 Exemplaren gedruckt wurde, schrieb Ulbricht über „Depression, Apathie und Demoralisierung“ im Mai 1945: „Auch in die Reihen der Arbeiterklasse war der Ungeist des Militarismus und der Rassentheorie tief eingedrungen. Die geistige Verwirrung und der moralische Verfall, den die zwölfjährige Hitlerzeit in den Köpfen der Menschen hinterlassen hatte, waren schwerer zu beseitigen als die Trümmer in den Städten und auf den Feldern. So froh die Menschen waren, den Krieg überlebt zu haben, so starrten die meisten ungläubig und pessimistisch auf die ersten Befehle und Proklamationen der Sieger. Die Antisowjethetze der Nazizeit saß in den Köpfen und wurde durch Flüsterpropaganda verbreitet. Viele beherrschte die Angst vor der Verantwortung für die furchtbaren Verbrechen, an denen sich breite Kreise des deutschen Volkes durch ihre Teilnahme, ihr Wissen und ihr untätiges Schweigen mitschuldig gemacht hatten. Viele gab es, die von ihrer Mitschuld nichts wissen wollten, die all dem immer noch mit der Frage ‚Was hätten wir tun können?‘ begegneten, sich auf Befehle beriefen und passiv verhielten. Aber trotz der drückenden Depression und Ratlosigkeit spürten viele, daß jetzt etwas Neues kommen mußte; daß die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden durften.“ (Ulbricht 1955, 61) In der Ansprache zur Begrüßung der Regierungsdelegation der Volksrepublik Polen „Freundschaft und Frieden an Oder und Neiße“ sagte Ulbricht am 6. Juli 1955: „Wem ist nicht Auschwitz ein Begriff, dieses Lager des Todes, das am deutlichsten Sinn und Inhalt der Politik der deutschen Imperialisten gegenüber der polnischen Bevölkerung veranschaulichte?“ (Ulbricht 1955 , 437)
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Im Stammlager markiert ein „Und dann plötzlich: Hohe Steinhäuser“, nach dem erwarteten: „Wieder diese Elendsställe von Baracken, wieder der Appellplatz, wieder ein Krematorium“ (30), eine Überraschung, die Targosz erklärt: „‚Damit renommierten die Nazis, wenn Führungen kamen‘“ (31). Aber im inklusiven „Wir gehen“ werden die „Spuren“ des „unverminderte[n] Grauen[s]“, das „auch hier wohnte“, „noch heute in den Mauern“ „nisten[d]“ gefunden (31): die „schmalen Schlitze“ in Block 11 und die „wenige[n] Kugelspuren“ an der Mauer zu Block 10. Aus dem ‚wir gehen‘ wird ein „wieder geht man“ in den „Steinhäuser[n]“, in denen „bereits zahlreiche Erinnerungsgegenstände aufgestellt“ (31) wurden: „Brillen“, „Schuhwerk“, „Prothesen“ („Nirgendwo habe ich so viele Prothesen gesehen wie in jenem Saal des Auschwitzer Museums“), „Koffer“ , „Wäsche“, Kochgefäße und „Eßbesteck […] – endlos, es reißt nicht ab“ (31/32). Bevor der Erzähler vom ‚man geht‘ zu ‚du gehst‘ wechselt und damit von den Dingen zu den Überresten von Menschen, fasst er „die Erinnerungen besonderer Art“ (31) zusammen: „Aus allen Ländern stammen diese Dinge. Sie kamen als Begleiter ihrer Eigentümer, und sie existieren immer noch, während jene längst als Knochenasche auf den Versuchsfeldern blieben. Jeder dieser Gegenstände ist mit einer gräßlichen Geschichte verbunden. Und obwohl Töpfe, Brillen und Schuhe in das Schweigen der Materie gebannt sind, webt um sie die Totenklage ihrer einstigen Besitzer, steigt aus ihnen ein stummer Schrei. Die Dinge sprechen, unüberhörbar.“ (32) Wenn aus dem ‚man‘ das ‚du‘ wird, wird aus dem „gläserne[n] Kasten“ (31) „ein[…] lange[r], gläserne[r] Sarg“ (32): „Und dann gehst du an einem langen, gläsernen Sarg entlang, immer entlang. Du gehst herum und an der anderen Seite wieder zurück, und du siehst: Haar liegt da, ein Meer von Haaren. Langes und kürzeres Haar, strähniges und gelocktes, schwarzes und blondes Haar, braunes und rotes, graues und weißes Haar. Immer aber liegt es schopfweise da, so, wie es vom Schädel abgeschnitten wurde. Der Sarg enthält das Haar von zweiunddreißigtausend Frauen, von Müttern und Mädchen aus Polen und Frankreich, aus Ungarn und Italien, aus Rumänien und Bulgarien, aus der Tschechoslowakei, aus der Sowjetunion und aus Deutschland. Du gehst an diesem Sarg entlang, und das Herz wird dir schwer.“ (32) Nell beendet seine Beschreibung des Stammlagers nicht in dem „abgedunkelten“ „Raum“ mit dem „Leuchttransparent“ von „einer Vier mit sechs Nullen“, die im Text von 1952 am Ende stand, sondern mit dem Aufstehen des „sehr müde[n]“ (32) Erzählers, der hinter der Gruppe zurückgeblieben ist, um „auf dem Mauervorsprung der Treppe von Block sieben“ „ein bißchen‘ ‚auszuruhen‘: „Ringsum ist es still. Nur die Vögel singen. Irgendwo, ziemlich fern, ruft unaufhörlich ein Kuckuck. Das haben auch die Häftlinge gehört, die Todeskandidaten, in ihrer letzten Stunde. Das mag oft letzter Trost gewesen sein, letzte Bitternis.“ (32/33) Der Reisende steht auf, um dem Wagen der Gruppe entgegenzugehen, und der Erzähler wechselt ins inklusive ‚wir‘: „Wir dürfen nicht müde sein, wir, die anderen Deutschen.“ (33)²⁸
1959 haben zwei Rezensenten auf den Wiederabdruck einiger von Nells Texten über Reisen in Polen in dem Sammelband „Die Sonne den Anderen“ (Nell 1959) sehr unterschiedlich reagiert: Während
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6 Günther Weisenborn: Der lautlose Aufstand In den Jahren zwischen Peter Nells erster und seiner zweiten Reisebeschreibung über Auschwitz erschienen in der BRD drei umfangreiche, auffällig gestaltete Bände, in denen letzte Briefe hingerichteter Widerstandskämpfer nachgedruckt wurden: 1953 Günther Weisenborns „Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933 – 1945“ und 1954 Annedore Lebers „Das Gewissen steht auf. 64 Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand 1933 – 1945“ sowie von Helmut Gollwitzer, Käthe Kuhn und Reinhold Schneider „Du hast mich heimgesucht bei Nacht. Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 – 1945“. Nur der letzte Titel ließ eine Anthologie von letzten Briefen erwarten, während das Genre von den beiden anderen, die einen lautlosen oder Gewissensaufstand annoncierten, als Bericht über oder Lebensbilder aus einem Widerstand angegeben wurde, der als ‚deutsch‘ markiert wurde oder sogar als ‚Bewegung des deutschen Volkes‘. Als Günther Weisenborn mit dem Rowohlt-Verlag einen Vertrag unterzeichnete über ein Buch mit dem vorläufigen Titel „Die deutsche Widerstandsbewegung“, das 1952 erscheinen sollte,²⁹ aber dann erst 1953 herauskam mit dem neuen Titel: „Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933 – 45“, arbeitete er für den 1951 noch unter britischer Kontrolle stehenden Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR)³⁰ an einer „Serie über die deutsche Widerstandsbewegung“, unter dem Titel: „Das taten sie für Deutschland“,³¹ die zwischen dem 27. April und dem 15. Juni 1951 gesendet wurde. In der ganzen vierzehnteiligen Serie wird nur drei Mal aus letzten Briefen zitiert, jedes Mal, ohne dass der Name des Schreibers genannt wird: „Wenn ein Mann […] angesichts des Todes dieses sagt, dann gebietet die Ehrfurcht, sich schweigend zu verneigen vor dieser Grösse“.³² Von der ersten bis zur letzten Folge stand der, wie der niedersächsische Bischof Hanns Lilje formulierte, „ethische[…] Zwiespalt zwischen Pflichterfüllung und dem Recht des René Schwachhofer im „Sonntag“ eindeutig „Arbeiten“, in denen Nell „die Kraft der Menschen“ zeige, „die heute im sozialistischen Staate mitverantwortlich sind und mitregieren“, gegenüber solchen bevorzugt, die „noch von der Finsternis der zwölf Hitlerjahre oder der Zeit kurz darnach [sic] handeln“ (Schwachhofer1960), spricht Franz Hammer im „Neuen Deutschland“ nur den „beiden Skizzen“, „die – im Dienste der deutsch-polnischen Freundschaft stehend – den Leser zutiefst erschüttern“, zu, dass sie „gewiß“ „jedem unvergeßlich“ „bleiben“ „werden“ (Hammer 1959). Rowohlt Verlag an Günther Weisenborn 3.9.1951, Veränderung der Bedingungen vom 31.5.1951, AdK, Bestand Weisenborn, 1334, Briefwechsel mit Verlagen West, Mappe R, Rowohlt. „Generaldirektor Grimme sei während der NS-Zeit ‚Mitglied Nr. 3‘ der ‚Roten Kapelle‘ und ‚dieserhalb im Dritten Reich inhaftiert‘ gewesen. Als ‚KZ Zellennachbar‘ seines engen Freundes Günter [sic] Weisenborn fördere er dessen Wirken nach Kräften“, hieß es 1950 in einer CDU-Denkschrift über „Missstände im NWDR“, auf der Basis von Informationen eines im Sender tätigen Agenten der Organisation Gehlen, „dass eine Gruppe leitender Angestellter […] ‚prokommunistische Politik betreibt‘“ (Henke 2018, 474). AdK, Berlin, Bestand Weisenborn, 366/VIII, Das taten sie für Deutschland, Typoskript, NWDR, 27.4.-15.6.1951. Ebd., 11.5., S. 1.
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Widerstandes“,³³ im Zentrum der Sendung, oder in den Worten des hessischen evangelischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller, „die nationale Notwendigkeit von Gehorsam und Widerstand“.³⁴ Die mitwirkenden Christ- und Sozialdemokraten wie die Vertreter beider christlichen Kirchen benutzten die Bilder des Opfergangs der Blutzeugen für eine Versöhnung zwischen denen, die für Deutschland gehorcht, mit denen, die ihren Ungehorsam mit dem Tode gesühnt hatten. Das den Männern des 20. Juli unterstellte Einverständnis mit ihrem gewaltsamen Tod stellte der Berliner Propst Heinrich Grüber als Lösung der „Zerreißprobe“ zweier Verpflichtungen dar: zwischen der „verantwortliche[n] Verbundenheit mit dem, was sie als Angehörige eines Volkes in Schuld und Schicksal erkannten“ (Grüber 1970, 13), und dem Sturz des Unrechtregimes, dessen Beseitigung aber die Gefahr der Vernichtung des Volkes enthielte. Nur das Scheitern und der Tod der Verschwörer mache den 20. Juli zu einem moralischen Sieg, meinte Grüber unter Berufung auf den Bericht über ein „letzte[s] Gespräch mit [Ewald von] Kleist-Schmenzin“: „daß ein echtes Opfer auch dann weiterwirkt und Mitwelt wie Nachwelt gestaltet, wenn die, die das Opfer brachten, vielleicht alle getötet oder vernichtet würden“ (14). Das Einverständnis mit dem Tod ließ diesen als Strafe erscheinen für den Bruch jener nationalen Loyalität, die die Mehrheit der deutschen Bevölkerung mitmachen ließ. In diesem Sinne stand am Ende der NWDR-Sendung 1951 der Satz, dass es „im Grunde keinen anderen echten Widerstand als den aus dem Glauben“ gegeben hätte.³⁵ In Weisenborns Kapitel „Die Wahrheit über die ‚Rote Kapelle‘“, der er selbst angehört hatte, wird kein letzter Brief präsentiert (Weisenborn 1974, 242– 259). Der Autor bevorzugt, aus den Protokollen von Gestapo-Verhören und Volksgerichtshof-Verhandlungen zu zitieren, gelegentlich aus Berichten von Überlebenden und Familienangehörigen, die nach 1945 publiziert worden waren. In dieser Hinsicht entspricht das Kapitel der Anlage des Buchs insgesamt, die Weisenborn in der Einleitung darlegt: „der vorliegende Bericht [ist] im Grunde bereits eine Gemeinschaftsarbeit vieler Menschen. Es handelt sich um ein Panorama von Originalberichten, Zitationen und Eigendarstellungen. Es ist eine Gesamtdarstellung in Selbstzeugnissen. – Mit diesem Bericht hier sollte das gewaltige Relief des gesamten Freiheitskampfes aus der dunklen Mauer der Vergeßlichkeit herausgehauen werden.“ (23) Weisenborns Bilder des Panoramas und des Reliefs betonen den Vorrang des Gesamtbilds. In der Abfolge von „Widerstand aus dem Glauben“ (47– 103), „bürgerliche[r] Opposition“ (104– 138), „militärische[m] Widerstand“ (139 – 169), „Widerstand der Arbeiter“ (170 – 259) und „Rolle der Intellektuellen“ (260 – 285) entwirft der Bericht das Bild ‚der‘ Widerstandsbewegung des deutschen Volkes. Dieses Gesamtbild eines Volks der Widerstandskämpfer erklärt die äußerst positive Rezeption, die das Buch erfuhr: Weisenborns Bericht, schrieben die „Aachener Nachrichten“, hat „das erlösende Wort der
Ebd., 27.4., S. 7. Ebd., 15.6., S. 5. Weisenborn: Das taten sie für Deutschland, 15.6., S. 8.
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Rechtfertigung für uns alle gesprochen“, das „Darmstädter Echo“ nannte ihn die „unzweideutige, endgültige Widerlegung der Kollektivschuldlüge“ und das „Heidelberger Tageblatt“ den Nachweis, wie „viel umfangreicher und ausgedehnter als meist im Ausland angenommen Deutsche der Tyrannei getrotzt“.³⁶ In Weisenborns Buch gibt es zwar einen kleinen „Anhang“: „Zeugnisse der letzten Sunde“ „Tagebücher, Verse, letzte Briefe“, der 18 letzte Briefe enthält. Aber – wie schon in Lilli Vetters Anthologie von 1948 und durch die „Letzten Briefe aus Stalingrad“ von 1950 üblich – die besondere Position des letzten Briefs hingerichteter Widerstandskämpfer ist aufgehoben durch die Gleichsetzung mit dem Brief, den ein Soldat schrieb, ohne zu wissen, dass er sterben würde, bevor er einen nächsten schreiben könnte. Es war nicht nur der Rezensent Arnold Bauer, der in Weisenborns Auswahl letzter Briefe eine „innere Harmonie“ hörte, die ihn auf fürs ‚Vaterland gefallene‘ Soldaten wie auf hingerichtete Widerstandskämpfer Beziehbares vernehmen ließ: „in ihnen ist noch der Herzschlag des Menschen zu spüren, der in der Gewissheit des Todes den Sinn seines Selbstopfers bejaht“ (Bauer 1953); auch der Bundespräsident Theodor Heuss berief sich in seiner Rede, die 1954 den 20. Juli zum Bestandteil der offiziellen Erinnerung der BRD machte, auf die „Abschiedsbriefe“: „Aus den Sammlungen ‚Lautloser Aufstand‘, ‚Aufstand des Gewissens‘ [sic] sprechen sie zur Nachwelt.“ (Heuss 1984, 60) Was sie sprächen, brachte Heuss als Anekdote: „Als ich kürzlich mit einem früheren Berufsoffizier zusammen war, ich kannte ihn vorher nicht, meinte er, ich möge aber doch in der Gedenkrede nicht die anklagen, die nach dem 20. Juli, die bis zur Schlußkatastrophe weiterkämpften. Ich konnte ihn nur bitten, mich nicht für so töricht und ungerecht zu halten. Ich müßte dann ja Freunde und geliebte Verwandte anklagen, die Hitler, die den Nationalsozialismus haßten, aber als sie starben, glauben mochten, glauben durften, daß ihr Kämpfen Deutschland vor dem Äußersten vielleicht doch rette.“ (53) Auf das ‚glauben durften‘ kam es an. Diese Rezeptionsweise schrieb der Klappentext zur dritten, der Taschenbuchauflage von „Der lautlose Auftand“ fest, indem er behauptete: „Der Bericht kann für sich das historische Verdienst beanspruchen, zum ersten Male unwiderlegbar bewiesen zu haben, daß längst nicht alle Deutschen, wie behauptet wurde, für Hitler Partei nahmen. Nachdem er einmal veröffentlicht war, schien es nicht länger möglich, die These von der deutschen Kollektivschuld aufrechtzuerhalten.“ (Weisenborn 1962, 2) Aber darauf beschränkte sich die vom Verfasser der ersten Auflage 1952 beabsichtigte Wirkung keineswegs. In seiner im Dezember 1952 geschriebenen „Einleitung des Herausgebers“ stellt Weisenborn zwischen der Darstellungsweise seines ‚Berichts‘ und der angestrebten Wirkung auf den Adressaten einen Zusammenhang her, wenn er eine ‚Objektivität‘, die er für seine Darstellung aller Gruppen des Widerstands – und nicht nur, wie bis dahin in der BRD, „lediglich“ des 20. Juli und „gelegentlich“ (5) der Weißen Rose – auch dem Adressaten nahelegt: „eine objektive und alle Richtungen
Zit. nach den undatierten Zeitungsausschnitten in: AdK, Bestand Weisenborn, 1410, Mappe 2, mit 95 Rezensionen.
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des deutschen Widerstandes umfassende Darstellung“ (14), „ohne daß irgendeine Richtung mit Vorbehalt oder überhaupt nicht geschildert wird“ (17), „sollte auch die Leser bewegen, die – irgendeiner Parteiung angehörend, sei es einer national, christlich oder sozialistisch betonten – den Bericht über den Opfermut einer anderen weltanschaulichen Gruppe studieren. Jeder lasse – diesen Bericht lesend – seine Vorbehalte zu Hause, seine engen Bedenken […], seine besorgten Vorurteile und bedenke, daß hier der Bericht von Männern ist, die der Stolz jedes anderen Vaterlandes wären. Jeder prüfe nicht die Partei; er prüfe den Mann, die Frau. Er öffne sein Inneres und sei bereit, jeden, auch den Feind, gerecht zu betrachten und unparteiisch.“ (15) Wegen dieses Anspruchs auf Objektivität bestreitet Weisenborn eine aktuelle politische Wirkungsabsicht: „Die vorliegende Arbeit […] berücksichtigt nicht die Entwicklung der Nachkriegsjahre, um die Sachlichkeit der Darstellung durch zeitgebundene Urteile nicht zu gefährden. […] Wer hier eine aktuelle griffige Stellungnahme sucht, ausschlachtbar für jeden politischen temporären Zweck, billig und flink, lege diese Arbeit beiseite. Was der Leser findet, ist ein – in jeder Weise – unabhängiger Bericht, keiner Partei zuliebe und zuleide verfaßt, […] als Unterlage für die spätere Forschung“ (16). Statt aktuell Stellung zu nehmen, beansprucht Weisenborn, „sich in die Psychologie der Hitlerzeit zurückversetzen und alle Wertungen der Nachkriegszeit zu vergessen“: „Niemand konnte wissen, wie die Entwicklung nach 1945 laufen würde […]. Bis zur Kapitulation standen kommunistische und nichtkommunistische Gegner des Hitlerregimes im Kampf nebeneinander, und niemand konnte wissen, daß dieselben Personen sich bald gegeneinander wenden würden, eine Tatsache, die jedoch nicht zum Thema dieses Buches gehört. „ (18) Diese Abstraktion von der Konfrontation des Kalten Kriegs bestimmt aber Weisenborns Interpretation des ‚Nebeneinanders‘ als ein nationales ‚Miteinander‘, wenn er letztlich ein gemeinsames Motiv dominant setzt: „Denn sogar die Parteien waren Schemen zu jener Zeit. Es gab keine Mitgliedsbücher; es gab den gemeinsamen Tod. Der Henker, der den Verurteilten Witzleben tötete, tötete auch den v[sic]erurteilten Saefkow, tötete auch den Verurteilten Delp. Er fragte nicht, ob sie draußen General, Arbeiter oder Ordenspriester seien, Nationalist, Jesuit oder Kommunist, er vernichtete sie. Aber es war deutsches und mutiges Blut, das freiwillig vergossen, um die Abschlachtung Millionen anderer zu verhindern, um den Krieg zu beenden.“ (15) Im Unterschied zur „Einleitung“ vermeidet das undatierte „Nachwort des Herausgebers“ nicht die „aktuelle […] Stellungnahme“, aber sie ist nicht „griffig“ (16), weil sie sich der Stellungnahme für eine der beiden Seiten des Kalten Kriegs entzieht: „heute kreisen bereits die Totenvögel eines neuen Krieges an unserem Himmel. Soll denn kein Friede sein, wenn alle Völker Frieden wollen? Sollen die Toten der Widerstandsbewegung, ihr Kampf, ihr Ziel, ihr Leiden, sollen sie auf immer vergessen sein?“ (231) Prononciert nennt Weisenborn die deutschen Widerstandskämpfer „Friedenskämpfer“ (230), wenn er seinen Bericht zusammenfasst: „Alle Gruppen aller weltanschaulichen Richtungen hatten ein gemeinsames Ziel: den Frieden!“ (228) Weisenborn setzt dem Vergessen seinen Bericht mit der augustinischen Formel für Bekehrung entgegen: „Deutsches Volk, hier findest du [d]ie […] Pioniere der Gegen-
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wart! Hier diese Zeilen geben die Nachricht. Nimm und lies.“ (231)³⁷ Solche Leser setzt Weisenborn ab von Menschen, deren „Blut nicht zu Eis erstarrt“ angesichts von „Haß“, „[i]n allen Windrichtungen der Welt“ „aufgestaut“, der „auf Durchbruch“ „wartet“, und „alle[n] Reden“, die „von edelsten Worten“ „triefen“ (231). An seine Leser appelliert er als ‚die anderen‘: „Die anderen, die von den Tatsachen zutiefst angerührt, die verwandelt wurden, die ein Ende der Drohungen, der Gewaltanwendungen und des Hasses auf beiden Seiten ersehnen, sollten im Gedenken an die Geopferten ihr Haupt beugen.“ (232) Aber der Schlusssatz ist wieder ein nicht ausgewiesenes Zitat, ein modifizierter Vers aus Johannes R. Bechers Gedicht „Die Asche brennt auf meiner Brust“, das im „Volk im Dunkel wandelnd“ überschriebenen zweiten Teil des Bandes „Heimat meine Trauer“ 1948 erschienen war; Weisenborn setzt in den Plural: „Ihre Asche brennt auf unser aller Brust.“ (232) Doch der Plural war in Bechers Gedicht angelegt, dessen lyrisches Ich „davon gewußt“ und „nicht die Hand gerührt“ hat, sondern „das Opfer fahren“ ließ: „nur ab und zu hab ich gespürt,/ Daß wir einst – Menschen waren“ (Becher 1960, 277/278). In der zweiten Strophe lässt die auf der Brust brennende Asche das lyrische Ich zum Himmel flehen, „Mich schuldig zu bekennen“, doch die Nennung des Namens des Opfers brennt ihn so tief ein, dass er „Mein Herz vor Scham verbrennen“ „läßt“ (278). Der Abschluss mit einem Vers des Vorsitzendes des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands hat eine Entsprechung in der Auswahl letzter Briefe, die Weisenborn für den Anhang „Zeugnisse der letzten Stunde“ traf: 13 von den 18 letzten Briefen, die aufgenommen wurden, waren zum ersten Mal in der Anthologie der VVN „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ 1948 erschienen, von denen drei auch in die Auswahlausgaben „Der letzte Brief“ der Zentralverwaltung für Volksbildung 1949 und „Kämpfende Jugend“ der VVN aufgenommen worden waren. Doch in den sehr sparsamen Angaben zu den BriefschreiberInnen vermeidet Weisenborn fast jeden Hinweis auf deren Zugehörigkeit zu einer „Richtung“ (17) des Widerstands, so wie er seine „Ordnung des Stoffes“ (18) als „[n]ebeneinander“ damit begründet, der „Gefahr einer Rangordnung zu entgehen“ (19). Erst die 4. Auflage erhielt 1974 ein Register, das die BriefschreiberInnen in Weisenborns Bericht auffindbar und so dem religiösen, bürgerlichen, militärischen, Arbeiter- oder intellektuellen Widerstand zuordenbar machte, wenn auch nicht alle, z. B. den ‚Wehrkraftzersetzer‘ Peter Habernoll, den Angehörigen der Schulze-Boyen/Harnack-Gruppe Horst Heilmann, den Sozialdemokraten Georg Schröder oder den Kommunisten Wilhelm Thews. Die vier Hingerichteten, von denen Weisenborn nicht den letzten Brief, sondern „Tagebücher, Verse“ als „Zeugnisse der letzten Stunde“ auswählte: Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp, Mildred Harnack und Adam Kuckhoff, entsprechen den in seinem Anhang am stärksten vertretenen Richtungen des Widerstands. Sieben letzte Briefe stammen von – wie Mildred
Vgl. Augustinus: Bekenntnisse. Achtes Buch, 11. Üs. Joseph Bernhart. Nachw. Hans Urs von Balthasar. Frankfurt/M.: Fischer 1955, S. 148/149: „das Buch zu lesen und die Stelle zu lesen, auf die zuerst ich träfe“, die, „zur Mahnung genommen“, „Gewißheit als ein Licht“ gäbe.
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Harnack und Kuckhoff – Mitgliedern der Schulze-Boyen/Harnack-Gruppe, ohne dass dies entweder aus dem Text des Briefes oder aus der Anmerkung des Herausgebers hervorginge. Wie Delp ausdrücklich dem „Widerstand aus dem [katholischen] Glauben“ werden drei Schreiber letzter Briefe zugeordnet, darunter Walter Klingenbeck der „katholischen Jugendbewegung“ (390). Der im „Bericht“ als Verbindungsmann der Bekennenden Kirche zur „obere[n] Linie des militärischen Widerstands“ (156) bezeichnete Bonhoeffer ist in Weisenborns Anhang der einzige evangelische Christ. Umso bemerkenswerter ist, dass drei letzte Briefe für den von Weisenborn dem „Widerstand aus dem Glauben“ zugeordneten „Kampf für die Juden“ stehen, die letzten Briefe von dem Schauspieler Joachim Gottschalk, der Krankenschwester Gertrud Seele, die, wie es in der VVN-Anthologie hieß, hingerichtet wurde, weil sie Juden vor „Deportierung und schließliche[r] Vernichtung“ bewahrte („…besonders“ 1948, 174), und von der Unbekannten Jüdin aus Tarnopol: „Nein! Nein! Wir wollen nicht!“ (Weisenborn 1974, 395)³⁸ Während dem „Widerstand der Arbeiter“ über das spätere Register Hanno Günther zuordenbar wird, das den im „Anhang“ nur als „Soldat“ ausgewiesenen als Mitglied der Widerstandsgruppe von Alfred Schmidt-Sas (Weisenborn 1974, 221/222) identifizierbar macht, erweisen die Texte von drei weiteren letzten Briefen die Schreiber als Sozialdemokraten oder Kommunisten: Peter Habernoll bekennt sich zur „Sache“ der „Befreiung Deutschlands und der Arbeiterklasse“ (381), Georg Schröder zitiert August Bebels „Wissen ist Macht“, um seine „Lieben alle zusammen“ zu ermahnen: „Lernt, lernt, lernt! Wissen ist Macht und bewahrt Euch davor, charakterlose Menschen zu werden.“ (398) Und Wilhelm Thews zitiert aus der dritten Strophe der „Internationale“ die „Sonne ohne Unterlaß“, wenn er über seinen bevorstehenden Tod hinaussieht: „Ich sehe vor mir Eure Zeit, die frei von Haß und voll von Liebe ist, in der die Sonne ohne Unterlaß scheint“ (394), was die adressierten „Ihr“, die „mir so lieb waret“, ergänzen können: „Unser Blut sei nicht mehr der Raben/ und der nächt’gen Geier Fraß!/ Erst wenn wir sie vertrieben haben,/ dann scheint die Sonn’ ohn’ Unterlaß! Völker, hört die Signale!/ Auf zum letzten Gefecht!/ Die Internationale/ erkämpft das Menschenrecht!“ (Lammel 1970, 103) In der „Einleitung“ charakterisierte Weisenborn die fünfjährige Entstehungsgeschichte seines Buchs dahingehend, dass „sich immer stärker das gewaltige Profil der gesamtdeutschen Widerstandsbewegung zeigte“ (16). Dass diese ‚gesamtdeutsche‘
Zwei dieser Briefe wählte die Ost-„Berliner Zeitung“, als sie „einige Auszüge“ aus Weisenborns „Zusammenstellung“ von „Briefe[n] und Aufzeichnungen, die die Dichterin Ricarda Huch von ermordeten Widerstandskämpfern gegen den Faschismus gesammelt hatte“, unter der Überschrift „Sie wußten, wofür die starben. Briefe aus Hitlers Todeszellen und Konzentrationslagern“ druckte: Gottschalks Brief und der „einer unbekannten Jüdin“ waren am 21.11.1954 gerahmt von Peter Habernolls und „Letzte[n] Notizen“ Kurt Schumachers; wenig später erschien dieselbe Auswahl unter demselben Titel, aber in anderer Anordnung und mit einer stärker auf den „Faschisierungsprozeß in Westdeutschland“ bezogenen Einleitung sowohl in der „Sozialistischen Volkszeitung“, Frankfurt/Main (25.11.1954), als auch im „Volks-Echo“, Bielefeld (3.12.1954): Gottschalks Brief und der der Unbekannten Jüdin vor Schumachers Notizen und Habernolls Brief.
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Charakterisierung absah von der zeitgenössisch als Spaltung bezeichneten Gründung zweier Staaten, bewies die Rezeption, in der die Konfrontation des Kalten Krieges am schärfsten ausfiel in den Besprechungen durch das Organ des Kongresses für kulturelle Freiheit, „Der Monat“, auf der einen Seite und durch das Organ des Deutschen Schriftstellerverbands, der seit 1952 nicht mehr Teil des Kulturbunds war, in der DDR, „Neue Deutsche Literatur“, auf der anderen Seite. Hilde Walter, die 1952 als Mitarbeiterin des – von dem US-amerikanischen Hohen Kommissar und dem ehemaligen US-Militärgouverneur Lucius D. Clay gegründeten – American Council on Germany aus dem Exil zurückkehrte, warf Weisenborn die „Vergewaltigung der historischen Wahrheit“ vor, weil er „den völlig falschen, sonst nur von Kommunisten und ihren Mitläufern propagierten“ „Eindruck“ „erweckt“, es habe eine Volksfront gegeben (Walter 1953, 550). Darüber, dass sie dem Buch eine Funktion zuschreibt: sein „Versuch einer Geschichtsklitterung […] mit Hilfe des längst enthüllten Begriffes der antifaschistischen Solidarität“ (550) sei „geeignet“, „den zur Zeit dringendsten Propagandabedürfnissen der sowjetischen Deutschlandpolitik zu dienen“, nämlich „die Neutralitätspropaganda [zu] unterstützen“ (549), geht Walter noch hinaus, wenn sie den Autor persönlich angreift und von „Weisenborns politisch und moralisch gefährlichem Mißbrauch der Widerstandsbewegung“ behauptet, dass dieser „ein äußerst brauchbares Instrument zur Ablenkung wertvoller Kräfte vom geistigen und physischen Widerstand gegen den sowjetischen Terror werden könnte“ (549). Dass mit diesem ‚Widerstand‘ die Aufrüstung der BRD gemeint ist, macht die Zuspitzung von Walters „kritische[n] Hinweisen“ (549) gegen Weisenborns fälschlich „Schlusskapitel“ genanntes „Nachwort“ deutlich, in dem er dem „ständig wiederholten Vorsatz“, „sich auf die Ereignisse bis zum Sturz Hitlers zu beschränken“, „untreu“ werde und „mit emphatischen, sehr allgemein gehaltenen Deklamationen den Widerstand gegen sowjetische Gewaltherrschaft als Kriegshetze“ „diffamiert“ (550): „Wollte man Weisenborns Beschwörungen folgen, so müßte man dem Gedächtnis der Gefallenen des Widerstandes gegen Hitler zu Ehren auf jeden ernstlichen Widerstand gegen sowjetischen Terror verzichten. Ich glaube nicht, daß diese Haltung dem Geist und Willen derer, die wir ehren wollen, entspricht.“ (550) Der Kritikerin, die an einer Stelle von der „selbstverständliche[n] Ehrfurcht vor dem Martyrium der Gefolterten und Ermordeten“ und der „Achtung vor dem Mut aller“ spricht, „die Widerstand leisteten und uns erhalten blieben“ (549), sieht in beidem in erster Linie eine ‚Erschwerung‘ der „dringend notwendige[n] kritische[n] Auseinandersetzung“, deshalb verweigert sie dem Widerstandskämpfer jeden „Respekt“, um in seiner Darstellung einer ‚gesamtdeutschen Widerstandsbewegung‘ zu unterscheiden: „seine gelegentlichen – nur unwesentlichen – Konzessionen an die politische Terminologie und Haltung der freien westlichen Welt entsprechen weder quantitaiv noch qualitativ den sowjetisch gefärbten Mitteilungen an seine Leser“ (549). Auf den ersten Blick scheint Henryk Keischs Kritik an Weisenborns Buch in der „Neuen Deutschen Literatur“ der von Walter zu ähneln: auch Keisch vermisst „historische Wahrheit“ und findet einen falschen „Eindruck“ (Keisch 1954, 156). Aber im Unterschied zu Walters pauschalem Vorwurf spezifiziert Keisch seinen Einwand, dass
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Weisenborns „Appell“, alle Widerstandskämpfer als deutsch und mutige Kämpfer für die Beendigung des Kriegs anzuerkennen, „eine Verschiebung der Proportionen“ leiste, „die im Ergebnis die historische Wahrheit in einer bestimmten Hinsicht entstellt“, nämlich nicht die Kommunisten als diejenigen „Kräfte“ anerkenne, „welche […] mit dem Anspruch auftreten dürfen, schon immer […] das Richtige gewollt und […] getan zu haben“, und deren damit „verbundene[r] moralische[r] Kredit […] eine der Grundlagen ihrer Autorität in der Gegenwart“ sei (156). Stattdessen sei das ‚Ergebnis‘ der ‚Verschiebung der Proportionen‘ „der den geschichtlichen Tatsachen widersprechende Eindruck, als sei die Rolle der deutschen Kommunisten und ihrer Partei im illegalen Widerstand gegen den Hitlerfaschismus recht unbedeutend gewesen“ (156). Weil Keisch von ihrer führenden Rolle ausgeht, weil die KPD „die stärkste, aktivste und kontinuierlichste Kraft“ gewesen sei, die „die weitaus schwersten Blutopfer“ gebracht habe, von der „ausschließlich d[ie] Initiative“ zur „kameradschaftlichen Zusammenarbeit“ mit anderen ausgegangen sei, der sie „nicht nur Ideologie und Programm, sondern auch den wesentlichen Teil […d]es organisatorischen Gefüges und […d]er Kader“ geliefert habe (157), behandelt er Fragen der Ein- als solche der Rangordnung, so wenn er Weisenborn vorhält, den ‚Widerstand aus dem Glauben‘ „kurioserweise an die Spitze […] gestellt“ zu haben, „als habe er zeitlich oder dem Gewicht nach die erste Stelle eingenommen“ (156). Vor allem aber kritisiert Keisch, dass kommunistische Widerstandskämpfer „isoliert und nicht ohne weiteres als Kommunisten erkennbar“ in Weisenborns Text erschienen (157). Für das erste Verfahren bezieht er sich auf den letzten Brief von Wilhelm Thews im Anhang; seine rhetorische Frage: „Gehörte nicht ein Bericht über den Kommunisten Wilhelm Thews in das Kapitel über den Widerstand der Arbeiter?“, hat Keisch mit einer anderen rhetorischen Frage zum Text des letzten Briefs vorbereitet: „Im Kapitel ‚Zeugnisse der letzten Stunde’ liest man den Abschiedsbrief von Wilhelm Thews, ein Vermächtnis, das uns Tränen der Bewegung und der Bewunderung in die Augen treibt. Über seine Familienangehörigen hinweg, an die zu schreiben ihm erlaubt ist, wendet der junge Wilhelm Thews sich im Angesicht des Henkers an die Genossen seines Kampfes, verkündet ihnen den Sieg und ein neues, strahlendes Morgen: ex oriente lux! War es so schwierig, diese Sprache zu verstehen, den lateinischen Hinweis auf das Licht, das im Osten aufgeht, zu deuten?“ (158) Das zweite Verfahren der ‚Herabminderung‘ der Rolle von Kommunisten nennt Keisch „schamhafte Anonymität“, wenn „Funktionäre ihrer Partei“ zu „‚unbeschriebene[n] Blätter[n]‘“ „im Kapitel ‚Bürgerliche Opposition‘, Unterrubrik ‚Jugend‘“ (158) werden. Mit dem „Gegenbeispiel“ überschriebenen zweiten Teil seiner Besprechung, der die Besprechung der russischen Übersetzung von Stephan Hermlins „Die erste Reihe“ durch den ehemaligen Kulturoffizier der SMAD und Germanisten Ilja Fradkin zum Vergleich heranzieht, bittet Keisch Günther Weisenborn, „uns [zu] verzeihen, […] ihm gegenüber nicht nachsichtiger [zu] sein [sic] als der sowjetische Kritiker es dem sowjetischen Verlagsredakteur gegenüber ist“ (160). Aus der Kritik hebt Keisch durch eigene, kursivierte Paraphrasen besonders hervor, dass Fradkin die „Kürzung des Buches hauptsächlich auf Kosten […] der Erzählungen, deren Helden keine Kommu-
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nisten sind“ (159), insbesondere der „politisch so wichtige[n] Erzählung über die Gruppe Scholl, ‚Die weiße Rose‘“ (160), scharf verurteilt ebenso sowie die Weglassung in der über Wilhelm Thews von dessen „‚vorübergehende[r] Mitgliedschaft im „Jungstahlhelm, der seine Mitglieder im Geist der ‚Frontkämpfer‘ erzieht“ (160). Keisch wendet die Fradkin’sche Zusammenfassung seiner Kritik an der Bearbeitung von Hermlins Text wortwörtlich auf „[d]ie nicht zu übersehende Tendenz“ als den „bedauerlichen Schatten“ eines „in mancher anderen Hinsicht verdienstvolle[n], ja tapfere[n] Werk[s]“ Weisenborns an: „‚die Geschichte zu korrigieren‘, zu ‚vereinfachen‘ und ‚auszurichten‘“ (160). Zum „Gegenbeispiel“ hierzu erklärt Keisch mit Fradkins Zustimmung zu Hermlins „Die erste Reihe“, weil „‚der in seiner Arbeit zum Ausdruck kommende verschiedenartige Anteil verschiedener Organisationen und Schichten am Kampf gegen den deutschen Faschismus der historischen Wirklichkeit entspricht‘.“ (159)
7 Annedore Leber: Das Gewissen steht auf Annedore Leber schloss ihr 1954 erschienenes Buch „Das Gewissen steht auf. 64 Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand 1933 – 1945“ mit „Hinweise[n] zum Schrifttum“, einem „zusammenhängenden Überblick über die Literatur, deren Kenntnis für die Gestaltung der Portätsammlung notwenig war“ (Leber 1963, 233); darin nannte sie unter den „Gesamtdarstellungen“ als letzte die Günther Weisenborns, der „in einem materialreichen Querschnitt […] die Aktivität linksradikaler Gruppen besonders ausführlich behandelt“ (234). Alle anderen von ihr angegebenen Titel beziehen sich mit einer Ausnahme auf den 20. Juli (20), den ‚Kirchenkampf‘ (15) und die Weiße Rose (2). Das „Bild“, „das die Widerstandsbewegung schon jetzt im deutschen Schrifttum hinterlassen hat“, ist – ohne dass es als Bedeutung der titelgebenden Metapher ausgesprochen wird – auf den 20. Juli zentriert: „Das Erlebnis der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hat echte Empörung zu entsagungsvoller Widerstandsarbeit werden lassen und schließlich einzelne und Gruppen im Willen zur Rettung Deutschlands durch das Wagnis der Tat zusammengeführt. Daß sie über alle Spannungen, Schwierigkeiten und Verschiedenheiten hinweg einander verbunden sind als Zeugen des Aufstands gegen Unrecht und Gewalt, ist die Konsequenz ihres Bekenntnisses zu der Entscheidung des Gewissens, ihr mahnendes Vermächtnis an das überlebende Deutschland.“ (233) Dass die aktuelle Mahnung von einem moralisch-religiös gedeuteten 20. Juli ausgehe, macht das titellose Vorwort Lebers explizit: „Männer und Frauen, Junge und Alte aus allen Schichten des Volkes und allen Gebieten des Landes fanden sich nicht mit dem Unrecht ab; sie wehrten sich früher oder auch später dagegen. Eine wachsende geistige Rebellion ließ schließlich Menschen der verschiedensten Kreise zueinander finden und wurde ihnen zum Antrieb, nach einer befreienden Tat zu suchen. Zuletzt brach sich in dem Aufstand vom 20. Juli 1944 ihre Gewissensempörung gemeinsam Bahn. Zur Erinnerung an diese Verbundenheit trägt das Buch, 10 Jahre danach, das Erscheinungsdatum 1954.“ (5/6)
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Im März 1952 war Leber eine der Nebenklägerinnen im Prozess des Braunschweiger Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, der als – seit 1956 – hessischer Generalstaatsanwalt dann den Frankfurter Auschwitzprozeß 1963– 65 vorbereitete, gegen den 2. Vorsitzenden der Sozialistischen Reichspartei „Generalmajor a.D.“ Otto Ernst Remer wegen „übler Nachrede in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“ (Kraus 1953, 105); dieser hatte am 3. Mai 1951 auf einer Wahlversammlung über die Männer des 20. Juli gesagt: „‚Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Ausland bezahlt wurden.‘“ (107) Bauer hatte 1952 Erfolg, weil er, bewusst taktisch, „die offizielle Vergangenheitspolitik der Bundesrepublik nicht infragestellte“ (Fröhlich 1999, 117), sondern „Moraltheologische Gutachten“ „nach evangelischer“ und „katholischer Lehre“ erstatten ließ sowie ein „Historisches“ über „Motive der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944“ (Kraus 1953, 5),³⁹ dem das Urteil vor allem folgte: „daß die Widerstandskämpfer […] durchweg aus heißer Vaterlandsliebe und selbstlosem bis zur bedenkenlosen Selbstaufopferung gehendem Verantwortungsbewußtsein gegenüber ihrem Volk die Beseitigung Hitlers und damit des von ihm geführten Regimes erstrebt haben“ (128). Das Historische Gutachten kannte keinerlei andere Widerstandsbewegungen als den 20. Juli: „Im Winter 1942/43 tritt zum ersten Male ein Miteinander der verschiedenen Widerstandsgruppen in Erscheinung, das dann schließlich in die Ereignisse des 20. Juli 1944 ausgelaufen ist.“ (54) Am 3. Juli 1953, keine drei Wochen nach den mit militärischer Gewalt unterdrückten Arbeiterdemonstrationen in der DDR, beschloss der Bundestag den 17. Juni als gesetzlichen Feier-„Tag der deutschen Einheit“, der als ‚antitotalitäre deutsche Revolution‘ mit dem 20. Juli parallelisiert wurde: „Der […] Aufstand des 17. Juni stützte den bis dahin noch in weiten Kreisen negativ beurteilten 20. Juli […] und spielte eine herausragende Rolle für die allmählich wachsende Akzeptanz des Hitler-Attentats.“ (Wolfrum 1999, 79) 1954, nachdem 1952/1953 ein Ehrenhof mit Ehrenmal im Bendler-Block geschaffen worden war, sprach am Gedenktag erstmals ein Bundespolitiker statt eines Westberliners, Bundespräsident Heuss. Als er 1952 in Bergen-Belsen sprach, nahm er seinen 1949 vor den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit geprägten Begriff der Scham wieder auf, um die Judenverfolgung „die tiefste Verderbnis dieser Zeit“ zu nennen: „Und dies ist unsere Scham, daß sich solches im Raum der Volksgeschichte vollzog, aus der Lessing und Kant, Goethe und Schiller in das Weltbewußtsein traten. Diese Scham nimmt uns niemand, niemand ab.“ (Heuss 1964, 42/43) Aber 1954 in Westberlin sagte Heuss über die Männer des Widerstands vom 20. Juli: „Die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt.“ (55) „Der Tagesspiegel“ druckte am 20. Juli 1954 unter der Überschrift „20. Juli 1944. Grenzsituation der sittlichen Entscheidungen. Aus der Rede des Bundespräsidenten in der Berliner Gedenkfeier“ gerade die Passagen über die in Weisenborns und Lebers
Vgl. Fröhlich 1999, 108.
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„Sammlungen“ „zur Nachwelt“ „sprechen[den]“ „Abschiedsbriefe“ zusammen mit drei Fotos, Julius Leber vor Gericht, Claus Schenk von Stauffenberg und Ludwig Beck privat in Uniform (20. Juli 1944 1954). Aus der Frankfurter „Gedenkfeier der EuropaUnion“ zitierte die „Frankfurter Rundschau“ den Oberregierungsrat Friedrich Minssen, Gründungsmitglied der Gruppe 47, des Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und im Beirat der Frankfurter Instituts für Sozialfoschung: er „verglich zwischen dem 20. Juli 1944 und dem 17. Juni 1953 und betonte, ‚wir Deutsche sind Europäer, denn tausende Deutsche haben durch ihren Widerstand gezeigt, daß sie für die Freiheit bereit gewesen sind, Opfer zu bringen.‘“ (20. Juli – Verpflichtung 1954) Die „FAZ“ zitierte den Vertreter des Verbands demokratischer Widerstandskämpfer, dass eine Wiedervereinigung „nie erfolgen werde, wenn das deutsche Volk nicht vom Geist der Männer des 20. Juli beseelt sei“ (Gedenkfeier 1954). Der vordere Klappentext von Lebers Buch aber endet: „In Bild und Text und durch die Veröffentlichung bisher unbekannter Dokumente wird ein schwer erforschbarer Abschnitt jüngster deutscher Geschichte lebendig.“ In zweierlei Hinsicht ist das, was lebendig werde, zuvor bestimmt worden: dass es „Fragen aufwirft“ und sich im „hier“ „heraus[tretenden]“ „einzelne[n] Mensch[en]“ „die Motive von hunderten, ja tausenden Menschen wider[spiegeln]“ (Leber 1963, Klappe vorn). Alle vier Fragen sind so formuliert, dass sie sich nicht nur auf den deutschen Faschismus oder Nationalsozialismus beziehen, sondern auf jede „moderne[…] totale[…] Diktatur“ , jedes „Gewaltregime“, jedes „solche[s] System“ und jeden „Terror“. Eine ähnliche Verallgemeinerbarkeit bestimmt den Schluss vom ‚Heraustreten‘ des Einzelnen „[a]us jener unübersehbaren Zahl aller Gegner und Opfer der Diktatur“ auf die ‚Widerspiegelung‘ der Motive ‚Tausender‘ in seinen. In der schon zitierten titellosen, aber mit ihrer faksimilierten Unterschrift versehenen Einleitung erklärt Leber aus der „Jahre zurück“ (5) führenden Entstehungsgeschichte ihres Buchs, warum es „Bild und Text“ (Klappe vorn) verbinde. Sein Ausgangspunkt waren „[b]ald nach dem Zusammenbruch“ „zugänglich“ gewordene „Fotographien“ aus den Prozessen vor dem Volksgerichtshof: „Schon unter dem ersten Eindruck meinte ich, daß niemals Worte das Geschehen unter der modernen totalen Diktatur eindringlicher vermitteln könnten als diese Bilder.“ (5) Was im Klappentext als Fragen und Heraustreten erschien, formuliert Lebers Einleitung im den Adressaten des Buchs einschließenden ‚wir‘ für die „Bilder“: „Aus ihnen tritt uns der einzelne Mensch in seinem Schicksal entgegen. Er hebt sich damit aus der fernen, unbestimmbaren Zahl aller Opfer – bekannter und unbekannter – heraus und legt sein persönliches Zeugnis ab. Wir sehen uns seinem Mut, seinen Leiden und seiner seelischen Größe gegenübergestellt. Ein Einzelner hält uns fest und fragt uns, ob wir begreifen oder ausweichen wollen.“ (5) Als auf die Entdeckung der Fotos folgenden Schritt berichtet Leber von dem, was für den Klappentext Verallgemeinerbarkeit genannt worden ist: „die Überlegung, für diese Dokumente der jüngsten deutschen Geschichte die Form eines Buches zu finden, das die innere Notwendigkeit eines Aufbegehrens gegen den Gewaltstaat allgemein verständlich macht. Darin sollte – als
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eine Kette des Widerstrebens und Widerstehens – jene tief menschliche Haltung sichtbar werden, die allen grausamen Mitteln des totalitären Staates zum Trotz Bestand behielt.“ (5) Aber Lebers Voraussetzung, dass die vor dem Volksgerichtshof fotografierten Widerstandskämpfer des 20. Juli die Adressaten ihres Buchs fragend ansehen, entspricht keineswegs den Gerichtsfotos, die – und zwar alle 47 von ihr ausgewählten – die stehenden, aber niemals zur Gänze sichtbaren Angeklagten auf ein unsichtbares Gericht blicken lassen: Sie wenden vor einer verschwommenen, teilweise uniformierten Zuschauerschaft den Blick vom Betrachter ab; die Gesichter sind durchweg im Halbprofil, nie frontal, nie im Profil, überdies von einem leicht erhöhten Blickpunkt aufgenommen. Die Fotos liefern Angeklagte dem Urteil eines Betrachters aus, der die Gründe des Gerichtsurteils und die Motive der Angeklagten gegeneinander abwägen kann, um sie womöglich, wie der Vorsitzende des Verbands deutscher Soldaten, zu ‚versöhnen‘, sich selbst als einen, der ‚gehorsam‘ ‚durchgehalten‘ habe, mit dem Verschwörer vom 20. Juli, der die „Treue zu seinem Volk über die Eidespflicht gestellt“ habe, was ein „edles Motiv“ gewesen sei, weshalb jeder „Verständnis für die Handlungsweise des anderen aufbringen muß“ (Reichel 2001a, 99). Dieser Appell bestimmt Lebers Einleitung zu ihrem Kapitel „Bekenntnis der Jugend“, wenn sie unter Berufung auf die Anthologie „Kriegsbriefe gefallener deutscher Studenten 1939 – 1945“ (Bähr 1952) die von der „Staatsführung“ „an den Fronten und unter den Trümmern der Städte“ ‚geopferte‘ (Leber 1963, 9) Jugend an den „echten Werten“ festhalten sieht: „Hier stand der Soldat, der mit gutem Gewissen sein Vaterland zu verteidigen glaubte. Dort stand in nur scheinbarem Gegensatz zu ihm sein Kamerad, der mithelfen wollte, der nationalsozialistischen Herrschaft so bald wie möglich ein Ende zu bereiten. […] die jungen Offiziere des 20. Juli […] waren keine Landesverräter. Sie folgten der Stimme ihres Gewissens. In den ‚Kriegsbriefen‘ ist vom letzten Gang eines ‚Fahnenflüchtigen‘ die Rede: ‚Er war ganz fest, ging aufrecht und zeigte nichts Jammerhaftes…‘ […] Ohne Aussicht auf […] Erfolg boten sich diese jungen Menschen als Opfer an.“ (10)⁴⁰ So wie Lebers Fotoauswahl auf anklagende Präsentation verzichtet, so beschränkt sie dementsprechend das Zitieren letzter Briefe zur abmildernden Versöhnung: Nur zehn der 68 Porträts bieten den Text des letzten Briefs;⁴¹ die Verfasser sind, bis auf zwei Kirchenvertreter und eine Frau aus der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe, ausnahmslos Männer des 20. Juli; nur zwei der Porträtierten sind auch in allen DDRSammlungen vertreten: die Sozialdemokratinnen Johanna Kirchner (96) und Gertrud Seele (80), allerdings mit dem Text ihrer letzten Briefe.
Vgl. den bereits erörterten Brief von Friedrich Andreas von Koch in Bähr 1952, 240. Das Leber-Zitat belegt, dass Steinbach 1994, 65, Unrecht hat, wenn er behauptet: „Es ging nicht um […] Rechtfertigung von Mitläufern und Militärs, die bis 1945 zur Fahne standen, die das Hakenkreuz trug.“ Vgl. dagegen das reiche Material aus der NRW-Presse bei Holler 1994, 104– 119. Vgl. Leber 1963, 50 (Nikolaus Gross), 63 (Walther Arndt), 115 (Maria Terwiel), 132 (Klaus Bonhoeffer), 164 (Peter Yorck von Wartenburg), 176 (Karl Friedrich Stellbrink), 188 (Friedrich Justus Perels), 202 (Helmuth James von Moltke), 222 (Adam von Trott zu Solz).
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Auch wenn die Fotografierten keine Frage stellen, die Autorin unterstellt den von ihr Porträtierten im eigenen Text die Antwort auf die Frage, „ob wir begreifen oder ausweichen wollen“ (5), wenn sie den Adressaten anweist, sich „in eine vergleichbare Lage“ zu versetzen, in der der ‚Widerstreit’ entschieden werden müsse: „Wirkliche Menschen, suchende, hoffende, irrende, kämpfende, leidende Menschen – das wahrlich sind sie gewesen. In ihnen haben die widerstreitendsten Kräfte gerungen, wie in jedem von uns. Sie haben die Probe bestanden, weil ihr Gewissen in einer harten Entscheidungsstunde stark genug war. Auch uns kann ein ungeahntes Geschick in eine vergleichbare Lage bringen, und wir wagen um so weniger vorauszusagen, wie wir uns dann verhalten werden, als uns die komplizierten Gesellschaftsverhältnisse heute vor überaus schwierige Entscheidungen stellen können. Vielleicht werden wir richtig – vielleicht aber falsch reagieren. Doch das Wesentliche ist, daß wir uns immer wieder bewußt machen, wie die rechte Entscheidung und danach auch die unsere sein sollte. Denn das Wissen muß uns bleiben“ (6). In jedem ihrer Porträts macht Lebers Verallgemeinerung über das jeweilige Motiv zum Widerstand „bewußt“ (6) oder lässt den nicht „ausweichen[den]“ Leser „begreifen“ (5), „wie die rechte Entscheidung und danach auch die unsere sein sollte“ (6). Dabei wird aus den ‚in jedem von uns widerstreitenden Kräften‘ die allgemeine Frage, ob Widerstand zu leisten sei oder nicht, ob im Porträt Adolf Reichweins die ‚Ablehnung‘ „aktive[r] politische[r] Arbeit“ mit der „ethischen Forderung zur politischen Aktion“ (62) oder in dem Dietrich Bonhoeffers die „politisch-konspirative[…] Aktion“ mit „den überkommenen Vorstellungen seiner Kirche“ (190) oder in dem Alfred Delps „soziale Neugestaltung“ mit der „‚Erziehung des Menschen zu Gott‘“ (198) streitet. Im Porträt Moltkes zitiert Leber den VGH-Richter Roland Freisler über eine Gemeinsamkeit des Christentums mit dem Nationalsozialismus: „‚wir verlangen den ganzen Menschen‘“ (204), um zu kommentieren: „In diesem Satz liegt die grundsätzliche Frage christlichen Widerstandes überhaupt. Die Forderung des totalitären Staates greift nach dem Menschen bis hinein in seine Seele. Der Anspruch des Staates steht in unlösbarem Konflikt mit dem Anspruch Gottes.“ (202) Leber betont zum Prozess Moltkes: „Irgendwelche tatsächlichen Handlungen gegen den Staat wurden ihm nicht zur Last gelegt“, zitiert Moltkes Satz, dass er „‚als Christ, und als gar nichts anderes‘“ vor Gericht stehe (204), und verallgemeinert die religiöse Wendung von Widerstand in innere Freiheit: „Das Freiheitserlebnis der christlichen Widerstandsbewegung ist immer wieder […] bezeugt worden. Moltke beschreibt es“ (204), wenn er Jesaja 43,2 zitiert, ohne den vorangehenden Vers: „ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Der religiös-moralische Antitotalitarismus von Annedore Lebers Umadressierung einer kleinen Auswahl letzter Briefe von vor allem Männern des 20. Juli wurde ansatzweise bemerkt, als Lebers Mitarbeiter Karl Dietrich Bracher (der zweite 1954 auf dem Titelblatt genannte war Willy Brandt) 1984 „Das Gewissen steht auf“ neu herausgab, das seit 1963, als die 10. Auflage das 107. Tausend erreichte, nicht mehr gedruckt worden war. Ein Geleitwort schrieb Richard von Weizsäcker noch als Regierender Bürgermeister Westberlins, bevor er im selben Jahr Bundespräsident wurde,
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Bracher ein neues Vorwort. Zwar nannte Bracher das Buch eine „Warnung vor allen Diktaturen“ (1984, XII), aber als er betonte, dass für die Bearbeiter des Materials „noch ganz unmittelbar die erlebte Erfahrung gegenwärtig“ gewesen sei, fügte er hinzu: „die Problematik des Widerstands war hautnah, freilich mit einer sich ändernden Frontstellung“ und „gleichzeitig [wurde] das Bedürfnis nach Verdrängung […] moralischer Schuld […] der Anstrengung des Wiederaufbaus inhärent“ (XI). Auch Weizsäcker thematisierte die Schuldfrage, wenn er im Widerstand „schon gar nicht […] eine Entlastung der Deutschen […] im ganzen“ sah: „Historisch gesehen wiegt die Schuld, die wir auf uns geladen oder ererbt haben, stärker als die Läuterung, durch die viele Mitglieder des Widerstandes gegangen sind, wo immer ihr Ausgangspunkt auch war.“ (IX) Während Weizsäcker näher an Lebers ‚Aufstand des Gewissens‘ formuliert: „Was vom damaligen Widerstand fortwirkt, sind nicht historische Zusammenhänge oder politische Berechnungen, sondern Charakter, Gewissen, Worte und Taten der handelnden Menschen“ , und deshalb die allen „gemeinsamen […] Überzeugungen der Humanität“ als „Kraft, aus der Bindung des Gewissens heraus für den anderen einzutreten“ (IX), auffasst, plädiert Bracher für ein „differenziertes Verständnis der unterschiedlichen Gruppen“ des „gesamten deutschen Widerstand [s]“ von den „opfervollen Anfänge[n]“ von Kommunisten bis zum „Umsturzversuch“ von Militärs und dafür, „beides nicht gegeneinander aus[zu]spielen“ (XII); er empfiehlt seinen Lesern einen Besuch in der Gedenkstätte eines Konzentrationslagers: „Man sollte einmal in […] Flossenbürg […] vor der Mauer stehen, wo Oster mit Canaris, Dietrich Bonhoeffer […] gehängt wurde – sie alle nun selbst Opfer des KZ-Grauens, das ihnen bei ihrem Tun in Gedanken […] immer vor Augen stand“ (XII).
8 Helmut Gollwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider: Du hast mich heimgesucht bei Nacht Die Frage von Gemeinsamkeit im ‚Gewissen‘ oder unterschiedlichen politischen ‚Ausgangspunkten‘ stellte sich dreißig Jahre früher ganz anders für den evangelischen Theologen Helmut Gollwitzer, die antisemitische Verfolgung durch Flucht ins Exil überlebende Käthe Kuhn und den Katholiken Reinhold Schneider, die 1954 den bis 1957 in fünf Auflagen mit 52.000 Exemplaren gedruckten Sammelband herausgaben „Du hast mich heimgesucht bei Nacht. Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 – 1945“. Das Vorwort der HerausgeberInnen gibt eine Leseanleitung, die sich ausdrücklich gegen ein historisches Interesse an politischer Kritik des ‚Nationalsozialismus‘ richtet auf die Annahme eines – von den Herausgebern als „Treuhändern“ (Gollwitzer u. a. 1957, 12) der SchreiberInnen „vor allem“ (11) der letzten Briefe vermittelten – religiösen und moralischen Erbes: Im durch die Zensur bedingten Schweigen über Politisches werde der ‚reine Sinn‘ des Widerstands „ausgesprochen“ (14), das Wesentliche sei der Blick auf das Jenseits. „Vergebens wird man in diesen Blättern nach politischen Programmen, kritischen Auseinandersetzungen mit dem totalitären Staatssystem
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oder nach Aussagen über Motive, Ziele und Methoden des Widerstandes suchen. […] Aber kaum irgendwo ist diese Beschränkung der Freiheit als ein Zwang zu spüren. Diese im Kerker verfaßten Briefe […] atmen die Luft der Freiheit. […] Wie überall […hat] die böse Gewalt […] das Gegenteil des Erstrebten erreicht. Sie erlaubte keine politische Kritik und zwang damit ihre Opfer in die ihnen eigene Freiheit – eine Aussprache, die sich nur noch mit dem Wesentlichen beschäftigt: mit Gott und dem eigenen Heil, mit der Liebe zu den nächsten Menschen […]. Aber in diesem Verschweigen des Politischen wird der Sinn des Widerstandes nicht verhüllt, sondern in Reinheit ausgesprochen. Denn um [… die Menschlichkeit des Menschen] zu schützen gegen die politische Organisation des Hasses, haben sich jene Männer und Frauen geopfert.“ (13/14) Der Absolutheit, mit der das, was „aus anderen Quellen“ über politische Einsichten und Motive, Ziele und Methoden von Widerstandskämpfern bekannt werden könnte, ausgegrenzt wird aus dem religiös-moralischen Erbe, weil das ‚Andere‘ „in das Gebiet des Zweifels, der Meinungsverschiedenheit und der Parteiungen“ „gehört“ (14), ermöglicht durch die Abwertung des letzten Briefs gegenüber der Tat, des Textes gegenüber dem Tod, dass im Unterschied zu den meisten westdeutschen Anthologien (mit Ausnahme Weisenborns) „[d]er fromme Protestant und Katholik neben dem philosophischen Zweifler und dem menschheitsgläubigen Kommunisten“ „steht“ (11). Wenn auf diese Angabe zu den BriefschreiberInnen im Vorwort scheinbar nebenbei in Klammern die Anmerkung folgt: „(Ist es doch nicht die Art Gottes, sich nur durch den Mund des sich in Gedanke und Wort zu Ihm Bekennenden kundzutun – die Taten sprechen ihre eigene Sprache.)“ (11), führt die Anmerkung doch ins Zentrum der peritextuellen Rahmung der Texte letzter Briefe von Widerstandskämpfern durch Zitate anderer. Weil z. B. der letzte Brief des Kommunisten Wilhelm Thews, den nicht zu verstehen schon Günther Weisenborn von Henryk Keisch vorgeworfen wurde, keineswegs den Blick auf das Jenseits als das Wesentliche richtet, sondern mit der „Internationale“ auf die diesseitige Zukunft seiner Lieben, wird er durch das Motto des Abschnitts „Gefangene der Freiheit“, der neben drei letzten Briefen von Mitgliedern der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe die der Kommunisten Thews und Fiete Schulze enthält, gerahmt: „Wenn einer denkt, Gott existiere nicht und liebt Ihn doch, dann wird Er Seine Existenz kundtun.“ (323) Das Abschnitts-Motto ist allerdings im Fall eines jeden letzten Briefs in der Anthologie von Gollwitzer, Kuhn und Schneider der dritte und letzte, dem einzelnen Text nächste Rahmen. Denn vom Titel des Buchs an über sein Motto bis hin zu den Motti, manchmal auch der Titel der fünfzehn einzelnen Abschnitte folgen sich Zitate, vielfach aus der Bibel, weniger oft von den Kirchenvätern, aber auch von antiken Dichtern wie Sophokles: „Trauert nicht, seid stolz!“ (381), und Denkern wie Seneca, dass nicht Worte, sondern das Sterben wahre Gesinnungsstärke beweise (124), und späteren. Auf der Rückseite des Titelblatts ist ausdrücklich vermerkt: „Dem Titel des Buches liegt der dritte Vers des 17. Psalmes zugrunde.“ (4) Denn der erste Teil des Gott anredenden Verses ist gekürzt und das Tempus vom auch die Zukunft einschließenden Präsens ins Perfekt gesetzt worden: „Du prüfst mein Herz und suchst es heim bei Nacht.“ (Psalm 17,3) Die Heimsuchung ist
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so eher ein vergangener Schicksalsschlag als eine bevorstehende Bestrafung. Das Motto des Buchs stammt aus einem Kommentar des Erzählers in einem Roman von Jeremias Gotthelf, „Uli der Pächter“ von 1849, und betrifft die, die „das Wort“ als „Knecht Gottes“ „zu führen“ ‚wissen‘: Ihr Wort bleibe „frei“, auch wenn sie „in Banden und Ketten“ „[ge]schlagen“ werden, und „lebendig“, auch wenn ihnen „im Tode der Mund sich schließt“ (5). Der letzte Brief von Wilhelm Thews ist letztlich dreifach durch Motti peritextuell gerahmt: im Titel des Buchs (Gott prüft), in seinem Motto von Gotthelf (erhält im Tod lebendig) und im Motto des Abschnitts von Simone Weil (tut seine Existenz kund). Dass Gott seine Existenz im Tod als Tat der WiderstandskämpferInnen kundtue, wie Weil zitiert wird, geht auch aus der Begründung der Herausgeber hervor: „Um die Zeugnisse williger sprechen zu lassen, glaubten wir, wo es möglich war, durch Beigabe von Lebensbildern und Würdigungen behilflich sein zu sollen“ (13). Sie entwerfen „den Leser, an den sich unser Buch wendet“ (13), indem sie seiner „Einfühlungsgabe“ (13) die Hingerichteten optisch und akustisch präsentieren: „Dem Blick, der mit geduldiger Aufmerksamkeit auf den zunächst nur durch den Namen des Verfassers zusammengehaltenen Schriftstücken ruht, schließen sich Bericht und Wort zu etwas wie einer eigentümlichen Gebärde, dem Ton einer Stimme, dem Ausdruck einer Persönlichkeit zusammen. Ohne es zu wollen, stellen sich die wenig an sich interessierten Schreiber selbst dar. […] Alle Gesichter aber, die der Zarten und der Harten, der Vorbereiteten und der Überraschten, sind geprägt von dem unerbittlichen Gebot der äußersten Probe: ‚Mensch, werde wesentlich!’“ (12/13) Das zitierte Gedicht „Zufall und Wesen“ aus Angelus Silesius’ „Cherubinische[m] Wandersmann“ macht die eschatologische Gleichsetzung von individuellem Tod und Jüngstem Gericht deutlich: „Mensch werde wesentlich: denn wann die Welt vergeht/ So fällt der Zufall weg/ das wesen das besteht.“ (Schöne 1963, 282) In der Wahrnehmungs-Metaphorik, die das Vorwort für die angemessene Rezeption durch „den Leser, an den sich unser Buch wendet“ (13), benutzt, gibt es neben optischen und akustischen Bildern auch haptische, so in der Anleitung, was er „zu spüren“ habe: „ Diese im Kerker verfaßten Briefe, Gedichte, Tagebuchaufzeichnungen atmen die Luft der Freiheit.“ (Gollwitzer u. a. 1957, 13/14) Und auch, was dieser Leser zu schmecken habe, wird bestimmt, wenn die HerausgeberInnen den seit dem „Zusammenbruch“ „zwischen Trümmern umherirren[den]“ „Überlebenden“, die „fragen“, was „zum Wiederaufbau“ geblieben sei, „antworten“: die von ihnen ausgewählten letzten Briefe „‚als ein Lebensbrot, dessen wir zum Wiederaufbau unserer verletzten Gesundheit nicht entraten können‘“ (11). Die Wahl der einzigen Abbildung für das Buch, eines leicht von unten aufgenommenen Fotos von Käthe Kollwitz’ Bronzerelief „Die Klage“ aus dem Jahr 1940, das auf der dem Titelblatt gegenüberliegenden Seite erscheint mit der Unterschrift „Für Ernst Barlach“ (4), kann als Hinweis auf den in der Metaphorik des Vorworts für die angestrebte Beziehung des Adressaten zu den Texten dominierenden Sinn gesehen werden, denn das Foto zeigt ein Ohr und ein Auge eines Gesichts. Die Website des Frankfurter Städel Museums benutzt aber akustische Begriffe, um den „Werkinhalt“
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zu beschreiben: „Es ist die stumme Klage einer Künstlerin, in Bronze verewigt. Schmerz, Trauer und Fassungslosigkeit sprechen aus der Darstellung: Schützend sind die übergroßen, kräftigen Hände über Mund und Auge gelegt, wie um das Schreckliche nicht länger mit ansehen zu müssen und einen Aufschrei zu unterdrücken.“ Auch im Vorwort von Gollwitzer, Kuhn und Schneider ist das akustische Bild von „hier laut werdenden Stimmen“ (11) dominant, denn Gott soll auch aus dem Tod des Atheisten sprechen: „Sie alle, die als Nein-Sager ihr Leben aufs Spiel setzten, sind auf ein heiliges Ja verpflichtet, das in reicher Artikulation aus den folgenden Aufzeichnungen zu uns klingt.“ (12) Das ‚heilige Ja‘, als das Gemeinsame, werde ‚reich‘ ‚artikuliert‘, also verschieden entweder phonetisch ausgesprochen oder musikalisch betont. Für den musikalischen Vergleich spricht, dass das Vorwort damit abgeschlossen wird, dass die Wirkung der Worte der Hingerichteten als Harmonie nicht nur im inklusiven ‚wir‘ für HerausgeberInnen und LeserInnen, sondern im deutschen „Volk“ konzipiert wird: „Weil ihre Worte vereinigen statt zu trennen, enthalten sie ein Vermächtnis nicht für eine Partei, sondern für das Volk, für uns. Seine Nichtübernahme würde eine moralische und religiöse Enterbung bedeuten.“ (15) Aber das zuvor im Nein des Widerstands aufgedeckte Ja zu Gott wird jetzt zu einer auch für die Gegenwart „eine Entscheidung“ ‚erzwingenden‘ Alternative: „Es gab damals, unter dem Regime des Hakenkreuzes, nur ein Für oder Wider, und das gilt auch heute noch. Der Widerstand ist nicht ein vergangenes, sondern ein gegenwärtiges Anliegen. Die Briefe und Zeugnisse aus Lagern und Gefängnissen zwingen uns vor eine Entscheidung. Sie erinnern uns an das warnende Wort der Offenbarung: ‚Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde’ (3,16). In diesem, aber nur in diesem Sinn ist unsere Sammlung auch ein politisches Buch.“ (15) Das nun wieder haptische Bild für das angemessene Lesen entspricht der Emphase des Schlusses des Vorworts insgesamt, aber belässt abstrakt, was eine ‚Übernahme‘ des ‚moralischen und religiösen‘ ‚Erbes‘ des Widerstands gegen den Nationalsozialmus 1954 bedeuten könnte. Einen einzigen konkreten Hinweis geben die HerausgeberInnen, wenn sie begründen, weshalb „einige Dokumente auch des Widerstandes in überfallenen und besetzten Ländern mitaufzunehmen“ (12) gewesen seien. Hier beziehen sie sich nicht nur auf das ‚heilige Ja‘ zu Gott, wenn sie formulieren: „Der Nationalsozialismus war ein deutsches Verhängnis. Aber die verpflichtende Sache, für die im Widerstand gelitten und gekämpft wird, ist größer als das Vaterland. Sie geht alle Menschen und Völker an“, sondern auch auf „unsere Hoffnung auf ein werdendes Europa“, die sich an „kaum verwirklichte“, in den ausgewählten ‚Dokumenten‘ „hier aber bezeugte Kameradschaft heften“ (12) könne. Gegenüber den 25 deutschen Geistlichen beider christlichen Konfessionen und den 35 Männern des 20. Juli sind 7 Nicht-Deutsche unter den insgesamt 110 im Inhaltsverzeichnis erscheinenden Namen relativ wenig. Zwar sind die Texte der letzten Briefe des französischen Studenten Roger Péronneau („Mein Testament ist kurz: ich beschwöre Euch, Euren Glauben zu bewahren. Vor allem: keinen Haß gegen die, die mich erschießen. ‚Liebet Euch untereinander! hat Jesus gesagt“, 91), des griechischen Studenten Eleftherios Kiosses („Es ist ein wunderbarer Morgen. Wir haben die Kom-
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munion empfangen“, 108) und des norwegischen Versicherungsmathematikers Petter Moen, von dem im Abschnitt „Der Kampf mit dem Engel“ zu lesen ist: „Herr, mein Gott, hilf mir! Jesus, erlöse mich“ (349), stärker religiös formuliert als die des – auch im Abschnitt „Die früh Vollendeten“ eingeordneten – dänischen Seemanns Kim MaltheBruun („daß Euer aller Traum, der Jungen und der Alten, sein soll, Verhältnisse zu schaffen, die […] ein rein menschliches Ideal verwirklichen“, 124). Ohne jeden Bezug auf Gott sind die aus in der DDR erschienenen Büchern nachgedruckten letzten Briefe bzw. Aufzeichnungen tschechoslowakischer Widerstandskämpfer, der StudentInnen Jaroslav Ondroussek („es ist schön zu sterben in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Menschheit“, 104) und Marie Kuderikova („Mein ganzes Leben war schön. Brennend, kämpfend und siegend“, 107), als „früh Vollendeten“, sowie des KPTschFunktionärs Julius Fucik, dessen – im Abschnitt „Ernte des Geistes“ zitierter – „letzte[r] vor seinem Tod niedergeschriebene Satz lautet: ‚Menschen, ich hatte euch lieb. Seid wach!‘“ (286; vgl. Fucik 1947, 121: „Seid wachsam!“),⁴² und dessen Aufzeichnungen unter dem Titel „Reportage unter dem Strang geschrieben“ erschienen. Aus ähnlichen Publikationen über einen einzelnen Widerstandskämpfer stammen die meisten Texte, die von den HerausgeberInnen ausgewählt wurden. Wenn sie im Vorwort aber von „teils […] verstreut veröffentlichte[m], teils […] unveröffentlichte[m] Material“ (Gollwitzer u. a. 1954, 12) sprechen, verschwinden die vor der ihren publizierten Sammlungen. Zwar überwiegen im „Quellennachweis“ (483 – 486) die 24 Veröffentlichungen zu Einzelnen, die man allerdings ‚verstreut‘ nennen könnte, die sieben Anthologien, aber bemerkenswert ist der sehr selektive Umgang mit dem in diesen gesammelten Material. Aus keiner Anthologie wählen sie mehr als fünf letzte Briefe, und dieses Maximum erreicht nur die Anthologie der VVN von 1948 mit den letzten Briefen von Walter Klingenbeck, aus der katholischen Jugendbewegung, Hanno Günther, aus der Widerstandsgruppe um Alfred Schmidt-Sas, Hilde Coppi, aus der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe, und von den Kommunisten Wilhelm Thews und Fiete Schulze. Aus den von Schneider 1947 mit herausgegebenen „Christuszeugnissen“ „Sieger in Fesseln“ wählen die HerausgeberInnen zwei, aus Lilli Vetters „Briefe aus jener Zeit“ von 1948 zwei, aus Annedore Lebers „Das Gewissen steht auf“ von 1954 einen ebenso wie aus zwei der drei nicht-deutschen Anthologien, Pierre Seghers’ 1945 in Paris herausgegebenen „Escrivains en Prison“ und den ohne Angabe der Herausgeber Piero Malvezzi und Giovanni Pirelli im „Quellennachweis“ aufgeführten „Lettere di condamnati a morte della resistenza europea“ von 1954 (483/484), die deutsch ein Jahr später in der Schweiz und zwei Jahre später in der DDR erschien, während zwei von den „Letzten Briefen tschechoslowakischer Widerstandskämpfer“ ausgewählt wurden.
Unter dem Titel „Wir lieben unser Volk“ erschien in der DDR außerdem eine Ausgabe ausgewählter Publizistik, bei der von der Kritikerin Hilde Weise-Standfest in der „Buchbesprechung“ (4 (1956) H. 9, S. 523 – 525) scharf zwisch legal und illlegal veröffentlichter unterschieden wurde.
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Malvezzi und Pirellis Anthologie enthielt aus der VVN-Anthologie auch den „Brief der unbekannten Jüdin“ aus Tarnopol, den Gollwitzer, Kuhn und Schneider aber nicht in ihren Sammelband aufnahmen. Stattdessen haben sie zum einen den Abschnitt „Der unbekannte Soldat des Widerstands“ mit 5 bis auf eine männlichen Verfassern, zum anderen den „Opfergang“ betitelten mit 6 bis auf zwei weiblichen Verfasserinnen. Das Motto des ersten Abschnitts zitiert aus Davids vor der ganzen Gemeinde gesprochenem Dank für die Mittel zum Bau des Tempels Salomons eines Vers, der auf die Frage: „Denn was bin ich? Was ist mein Volk, daß wir sollten vermögen, freiwillig so viel zu geben?“ (1.Chronik 29, 14), antwortet: „In Deiner Hand, Herr, steht es, jedermann groß und stark zu machen“ (12) (Gollwitzer u. a. 1954, 367). Das fast eine Seite füllende Motto des zweiten Abschnitts wird am Schluss als Zitat aus einem „Jüdische[n] Gebet aus einem Konzentrationslager“ (397) gekennzeichnet. Es bittet Gott um „eine Vergebung der Schuld“ der „Henker[…] und Angeber[…] und Verräter[… und alle[r] schlechten Menschen“ mit einer doppelten Begründung: „Aller Maßstäbe spotten die Greueltaten, sie stehen jenseits der Grenzen menschlicher Fassungskraft, und der Blutzeugen sind gar zu viele“; als „Lösegeld“ für diese „Schuld“ zur „Auferstehung der Gerechtigkeit“ soll Gott „all das Gute […] zählen“, dass „alle Opfer, […] alle die durchpflügten, gequälten Herzen […] dennoch stark und immer vertrauensvoll blieben, angesichts des Todes und im Tode“ (397). Das Gebet schließt mit der Vorwegnahme der zukünftigen Folgen der göttlichen Vergebung: „für die Erinnerung unserer Feinde sollen wir nicht mehr ihre Opfer sein, nicht mehr ihr Alpdruck und Gespensterschreck, vielmehr ihre Hilfe, daß sie von der Raserei ablassen… Nur das heischt man von ihnen, und daß wir, wenn nun alles vorbei ist, als Menschen unter Menschen leben dürfen und wieder Friede werde auf dieser armen Erde über den Menschen guten Willens, und daß Friede auch über die anderen komme.“ (397) Der Text dieses Gebets war schon vier Jahre vor dem Erscheinen von „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“ in einem vielfach abweichenden Wortlaut, der auf eine anderssprachige und versifizierte, aber gemeinsame Vorlage verweist, und mit einem anderen Titel, nämlich: „Gebet einer Jüdin, die Auschwitz überlebte“, in den „Frankfurter Heften“ erschienen. Deren erstes Heft des Jahrgangs 1950 hatte als Schwerpunktthema Juden in der Bundesrepublik und in Palästina sowie den Antisemitismus, gesetzt unter einen Titel, der das Gebet zitiert: „Aufhören toll zu sein“⁴³ ist die abweichende Entsprechung zu „von der Raserei ablassen (397). Zum Schwerpunkt hieß es in den „Mitteilungen“ der „Schriftleitung“ der „Frankfurter Hefte“: „Die Verfasserin des Gedichts ist uns unbekannt; es wurde uns von M. Roland Gosselin zur Verfügung gestellt und von Walter M. Guggenheimer aus dem Französischen übertragen.“⁴⁴ Zuerst aber wurde betont: „Von den Autoren der Beiträge […] wird Martin Buber, der geistes- und glaubensstarke jüdische Lehrer, der in Heppenheim das ‚Jüdische Lehrhaus‘ leitete, eine Zeitlang mit Viktor v. Weizsäcker und Joseph Wittig die
Frankfurter Hefte 5 (1950) S. 16. Ebd., S. 111.
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Zeitschrift ‚Kreatur‘ herausgab und jetzt in Jerusalem wirkt, vielen Lesern aus solcher Tätigkeit und seinen Schriften bekannt sein.“ ⁴⁵ Dem redaktionellen Hinweis auf das trialogische jüdisch-evangelisch-katholische Gespräch in Bubers „Kreatur“ entsprach – wenn auch kritisch – der Hinweis eines anderen Beiträgers, eines unter Pseudonym schreibenden Rückkehrers aus dem US-amerikanischen Exil, auf die gerade koordinierten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit: „So wenig man mit Polizeiverordnungen ein Erdbeben annullieren kann, so wenig können bloß intellektuelle Vereinigungen mit einer so fundamentalen Frage wie der des ungewandelten Geistes der meisten Deutschen fertig werden.“⁴⁶ Mit Ausnahme von Anne Frank sind die VerfasserInnen der im Abschnitt „Opfergang“ abgedruckten Texte im damaligen Sprachgebrauch der Kirchen ‚Judenchristen‘: die in Minsk (399) ermordete österreichische Schriftstellerin Alma Johanna Koenig, die in Auschwitz (400, 403) ermordeten Ordensschwestern Edith Stein⁴⁷ und Lisamaria Meirowsky sowie Ehefrau und Tochter des Schriftstellers Jochen Klepper, der mit ihnen zusammen „den Freitod“ „wählte“, „um die beiden geliebten Menschen, vor der Deportation zu schützen“ (415). Insbesondere die Texte Koenigs, die „mein Golgatha […] durchleiden“ (399), Steins, die „als Sühneopfer für den wahren Frieden“ (400) sterben, und Meirowskys, die sich „aufopfern für die Bekehrung vieler“ (404) will, formulieren das von den HerausgeberInnen postulierte ‚heilige Ja‘ ausdrücklich, während das von Werner Sylten, dem in Dachau ermordeten Mitarbeiter des Büro Grüber, geschriebene Gebet nicht so sehr, wie Gollwitzer, Kuhn und Schneider behaupten, „Ausdruck“ „seiner Zuversicht“ ist, sondern eine Paraphrase der vier Verse aus Paul Gerhardts Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“: „wenn mir am allerbängsten/ wird um das Herze sein,/ so reiß mich aus den Ängsten/ kraft deiner Angst und Pein.“ (Evangelisch-lutherisches Kirchengesangbuch 1987, 395) Die unter ein Motto, das Vergebung der Schuld an der Ermordung der europäischen Juden und Vergessen programmiert, gesetzten Texte deutscher Juden christlichen Glaubens ersetzen den „Brief der unbekannten Jüdin“, den die HerausgeberInnen aus zwei von ihnen benutzten Anthologien kennen konnten. Nicht weniger
Ebd., S. 111. Ebd., S. 19. Vgl. die explizit christlichen Antijudaismus rechtfertigende Begründung ihrer Verehrung als Heilige, ohne dass Auschwitz erwähnt würde, durch Reinhold Schneider 1949 in der katholischen Wochenzeitung „Der christliche Sonntag“: „Sie betete für ihr Volk – und wohl dürfen wir hoffen, daß sie auch für die betete, die an ihr und ihrem Volk schuldig geworden sind. Sie kannte den letzten Grund der Verfolgung: ‚Das ist die Erfüllung des Fluches, den mein Volk auf sich herabgerufen hat! Kain muß verfolgt werden, aber wehe, wer Kain anrührt. Wehe, wenn die Rache Gottes für das, was heute an den Juden geschieht, über die Stadt und über dieses Land kommt!‘ Und so ist Edith Stein eine große Hoffnung, ja Verheißung für ihr Volk – und für unser Volk, gesetzt, daß diese unvergleichliche Gestalt wirklich in unser Leben tritt, daß uns erleuchtet, was sie erkannt hat und die Größe und das Schreckliche ihres Opfers beide Völker bewegt. Wo Fluch und Schuld sich auf eine entsetzliche Weise vermengten, ist dieses edelste Opfer gefallen: es war der einzige hier noch denkbare Sieg des Gottesreiches.“ (Schneider 1949, 3)
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problematisch ist eine Verschiebung der Kategorie „Unbekannte/r“. Die einzige nicht mit ihrem Namen genannte Verfasserin eines letzten Briefs in „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ war die jüdische Briefschreiberin aus der ukrainischen Stadt; in Gollwitzers, Kuhns und Schneiders Anthologie gibt es „Ein[en] Frontoffizier“ (147), „Ein[en] Bauernsohn aus dem Sudentenland“ (353) und schließlich einen ganzen Abschnitt „Der unbekannte Soldat des Widerstands“ (369), in dem sich aber vier Namen finden, wovon einer im Nachnamen auf das Initial abgekürzt ist, der fünfte jedoch ist anonym: „Ein SS-Mann“ (377), der so zu ‚dem unbekannten Soldaten des Widerstands‘ wird. Der von ihm abgedruckte Text eines Briefs an einen „Herr[n] Pfarrer“ widerspricht in gewisser Weise dem vorangestellten Bericht der HerausgeberInnen: „Die von den SS-Gerichten verurteilten SS-Männer wurden in […] Dachau oder Freimann […] vor versammelter Mannschaft erschossen – ohne vorher geistlichen Zuspruch oder Sakramentsempfang zu erhalten“, denn der Briefschreiber „dank[t] Ihnen für den Trost, den Sie mir in meinen letzten Lebenstagen gegeben haben und scheide[t] mit dem Glauben an ein besseres Leben im Jenseits“ (377). Auf ein vor der Anthologie erschienenes Buch des Mitherausgebers Helmut Gollwitzer bezieht sich der Historiker Martin Greschat in seiner Geschichte des „Protestantismus im Kalten Krieg“, um eine „geistige und geistliche Atmosphäre […] über die kirchlichen Kreise hinaus“ als „gelebte Frömmigkeit“ zu charakterisieren; sie habe „den enormen Erfolg“ von Gollwitzers „…und führen, wohin du nicht willst“ „befördert“ (Greschat 2010, 333), von dem von 1951 bis zur zweiten Taschenbuchausgabe von 1965 270.000 Exemplare verkauft wurden (Gollwitzer 1965, 4). Schon dieser Titel Gollwitzers war ein Bibel-Zitat „Evangelium Johannes 21,18“ (5), und im Text des „Bericht[s] einer Gefangenschaft“ wurde „die gelebte Kraft des Wortes Gottes in extremen Situationen“ „bezeugt“: „Dabei spielten […] neben der Bibel die Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine und nicht zuletzt Gesangbuchverse eine zentrale Rolle.“ (Greschat 2010, 333) Gerade weil Greschat zur „nüchternen Kritik am Kommunismus“ (333/334) in Gollwitzers Bericht anmerkt: „Davon soll jetzt nicht die Rede sein“, um sich auf die „davon“ „[z]iemlich unabhängig[e]“ ‚Nutzung‘ „diese[r] Aufzeichnungen als Brevier“ zu beschränken: „zur Orientierung und Wegweisung im Alltag, als Hilfestellung und Herausforderung, als Mahnung und Trost“ (334), soll im Folgenden die ‚Kritik am Kommunismus‘ auf die Thematisierung von Faschismus, Krieg und Schuld knapp untersucht werden, gerade weil Greschat eingeräumt hat, dass sie „in beiden deutschen Staaten […] in durchaus unterschiedlicher und bisweilen sogar gegensätzlicher Weise diskutiert und interpretiert“ wurde (334), und weil im Vorwort von „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“ das ‚Politische‘ des Buchs: „Widerstand ist […] ein gegenwärtiges Anliegen“ (Gollwitzer 1957, 15), im Allgemeinen belassen wird. Gollwitzer datiert in seinem Kriegsgefangenschaftsbericht auf den 18. Juni 1947 die folgende Verallgemeinerung, die seine eigene Position als eine „zwischen zwei Stühle[n]“ profiliert: „Das Lager ist hart aufgespalten in zwei Flügel, den ‚reaktionären‘ und den ‚antifaschistischen‘. Bei dem letzteren herrschen, wie überall in den Lagern die Opportunisten vor; je marxistischer sich einer gebärdet, desto unaufrich-
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tiger ist er meistens; aber ohne Zweifel meinen es einige ehrlich, und sicher beteiligen sich manche nur aus ehrlicher Abneigung gegen den Nationalsozialismus. Bei dem ersteren trifft man Erscheinungen, die ‚nun erst recht‘ ihrem Führer die Treue halten wollen; sie verwechseln Sturheit mit Charakter. Andere denken nicht viel anders als ich, halten sich aber von den Zirkeln fern, weil sie den Anschein des Opportunismus scheuen; viele sind einfach von der braunen Idee geheilt, ohne sich für die rote erwärmen zu können. Zwischen diesen beiden Flügeln existieren zu wollen, heißt, sich zwischen zwei Stühle zu setzen. Das wird wohl mein Schicksal in diesem Lager sein.“ (Gollwitzer 1965, 97) Als weder opportunistisch noch unbelehrbar erweist Gollwitzers Erlebnisbericht eine antitotalitäre Deutung der Erfahrung der Gefangenschaft, die als ‚einfache Heilung von der braunen Idee‘ und Immunisierung gegen ‚die rote‘ präsentiert wird. Indem Gollwitzer das Kriegsgefangenenlager als „das Muster einer sozialistischen Gesellschaft im Kleinen“ (193) darstellt, betont er die „totalitäre Angleichung“ (124) der Menschen, die persönlich vom Nationalsozialismus zum Sozialismus wechseln (155), als die eines Menschentyps (129) ebenso wie ‚Einigkeit‘ von „Faschismus und Sowjetsystem“ in der Einstellung zu „Geisteskranken“ (163) und im Antisemitismus (210) oder im „Ton“ der Zeitungen: „sie unterschieden sich von den Hitlerschen Zeitungen nur durch die Terminologie und die Namen der Gegner“ (143). In Gollwitzers Gleichsetzung, die er als „die unmittelbare Empfindung, wie wir alle sie hier haben“, von „einer These, die ich mir ausdenke und begründe“ (143), ausdrücklich abgrenzt, überbietet der Sozialismus den Faschismus durch das staatliche Weltanschauungsmonopol: „Gerade, daß die nationalsozialistische ‚Weltanschauung‘ ein so wüstes Gemisch indiskutabler Torheiten war, hat das geistige Leben vor der Versklavung bewahrt, die hier das geschlossene System des Marxismus ausübt.“ (152) Das Kriegsgefangenenlager erweist in Gollwitzers Sicht Nazi-Deutschland als „ein Idyll der Freiheit“ gegenüber einem „System“, „in dem es einen Bereich des Unpolitischen nicht mehr gibt“ (209), obwohl er den „Unterschied zu den deutschen KZs“ betont, dass „ihm der Sadismus, der den SS-Staat so bestialisch machte, gänzlich fehlt“, „das System der völligen Rechtlosigkeit und der Entwürdigung des Menschen“ (82/83). Die in Anführungszeichen gesetzte „‚Schuldfrage‘“ behandelt der Autor nur einmal, als er über die vom Antifa-Aktiv einberufene Lagerversammlung zu einer „Ausstellung“ von „Photokopien der Berichte eines deutschen Polizeibataillons über die von ihm durchgeführten Exekutionen und Liquidationen“ (116) berichtet. Gollwitzer referiert seinen Redebeitrag, der an zwei „Erlebnis[se]“, als ihm vor und nach Kriegsende Augenzeugen von „Judenerschießungen“ berichteten, das infrage Stellen der „Sätze“ knüpft: „Wir haben nichts davon gewußt!“, „Wir haben es nicht gewollt!“, „Wir konnten nichts dagegen tun!“, und letztlich appelliert, die Gegenwart als Strafe zu verstehen: „‚Es gibt einen Gott, und es hat sich gerächt.‘ Totenstille im Saal.“ (117) Indem Gollwitzer die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in den Vordergrund rückt, antwortet er mit dem antitotalitären Deutungsmuster auf die „Zerspaltung“ der Kriegsgefangenen, die er als „unvermeidlich“ bezeichnet, „da wir alle uns ja nicht nur mit dem Kommunismus, sondern auch mit dem Hitlerschen Erbe
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auseinanderzusetzen hatten“ (167); es erlaubt ihm, durchgängig ein inklusives Wir zu bewahren, in das er auch die Gefangenen eines so genannten Regimelagers einschließt: „dort werden die gesammelt, gegen die die MWD irgend etwas auf dem Herzen hat, entweder gegen sie individuell […] oder gegen ihre ehemalige Einheit. So fand man dort vor allem die Angehörigen der SS-Divisionen, der als besonders nazistisch (übrigens zu Unrecht) verdächtigen Divisionen ‚Großdeutschland‘, ‚Feldherrnhalle‘, ‚Brandenburg‘, aber auch namenlose Panzer- und Infanteriedivisionen, die bei den Russen aus irgendeinem Grunde einen schlechten Ruf hatten.“ (185) Die Schlussszene von Gollwitzers Erlebnisbericht verallgemeinert die Wir-Perspektive des Verfassers zur Haltung der kriegsgefangenen ‚Kameraden‘, wenn die Befreiung von der Furcht vor Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen im bayerischen Hof am 30. Dezember 1949 zum „Zeichen des verschwundenen Stacheldrahtes“ erhoben wird: „Der deutsche Lagerleiter begrüßte uns und gab die ersten Anweisungen: wir sollten nun im Lagerbüro unsere Personalien angeben, wohlgemerkt die echten, d. h. wer bis jetzt unter falscher Flagge gefahren sei, habe das nun nicht mehr nötig; ‚denn ihr seid jetzt in einer Welt, in der Recht und Freiheit herrscht!‘ Auf diesen Satz erhob sich unter den Hunderten mit einem Schlag ein Jubelsturm; obwohl jene Ermahnung die wenigsten von uns betraf (einer meiner alten Brigadiere, ein gut bewährter Kamerad von der SS, der neben mir stand, nannte mir allerdings jetzt erst seinen echten Namen, den er jahrelang verschwiegen hatte), war sie allen das Zeichen des verschwundenen Stacheldrahtes, die lange unterdrückte Freude brach durch, wir lagen uns in den Armen“. (247/248) Gollwitzer verallgemeinert seine eigene Rolle als Autor des Erlebnisberichts im Kalten Krieg auf „die Berichte der deutschen Heimkehrer“ insgesamt, die der „kommunistische[n] Propaganda“ „so verderblich geworden sind, daß heute in Deutschland kein Hund mehr ein Stück Brot vom Kommunismus nimmt“ (83). 1950 hatte Gollwitzer seinen Freund aus der Bekennenden Kirche Martin Niemöller nicht nur auf „die Gefahr des politischen Mißbrauchs“ seiner – von der DDRSektion des Weltfriedensrats vermittelten – Reise zum Moskauer Patriarchen hingewiesen, sondern auch auf „die Chance, den Sowjets klar zu machen, dass die Kirche im Westen keineswegs aus Kriegstreibern bestehe“ (Greschat 2010, 87), denn er teilte auch 1952 nicht die im Manifest der vom ebenfalls mit Niemöller befreundeten Gustav Heinemann gegründeten Gesamtdeutschen Volkspartei formulierte Einschätzung der Bundesrepublik: „Man […] mißbraucht das Christentum zu politischen Zwecken, versucht, den Bolschewismus durch einen Kreuzzug zu überwinden […] und ist wieder auf dem Weg, in totalitäre Regierungsformen zurückzufallen“ (88). Während die Bewaffnung der Bundesrepublik von Gollwitzer „[l]ediglich aus pragmatischen Gründen“ für „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ nicht „sinnvoll“ (109) gehalten wurde, erklärte Heinemann, „dass die Adenauersche Innenpolitik faktisch faschistische Züge annimmt“, als seine Gesamtdeutsche Volkspartei mit dem Bund der Deutschen um den ehemaligen Weimarer Reichskanzler Joseph Wirth und die „Deutsche Volkszeitung“ ein Wahlbündnis einging, dessen Mannheimer Erklärung lautete: „Wir dürfen nicht durch ein Ja zur zweigeteilten deutschen Aufrüstung an einem dritten Weltkrieg
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mitschuldig werden. Wir wollen ein von West und Ost gleichermaßen unabhängiges Deutschland, das in Frieden und Verständigung mit seinen Nachbarn im Westen und im Osten lebt.“ (158)⁴⁸
Vgl. zu dem neutralistisch-pazifistischen Netzwerk von 1953 bis 1973 um die „Deutsche Volkszeitung“ die drei Schaubilder (unterteilt zuerst bis 1960, dann bis 1970) in Mellies 2007, 110 – 112, die die „Mehrfachmitgliedschaften“ „alle[r] bedeutenden Figuren des Spektrums“ wie Gustav Heinemanns, Martin Niemöllers und Renate Riemecks (153) zeigen, aber auch die Veränderung der „‚Brückenköpfe‘“ in „Subzentren“ (115) wie zunächst um die DFU und die Ostermarsch-Bewegung, dann um die ADF. Mellies beantwortet die Frage, was „eine Zusammenarbeit von Sozialisten, Linkskatholiken, Nationalneutralisten, Protestanten und Kommunisten ermöglichte“ (155), mit „gemeinsamen Vorstellungen in der Deutschlandpolitik“ und „zum Teil ähnliche[n] soziale[n] Vorstellungen“; wenn er aber erstere als „schnellstmögliche Wiederherstellung der deutschen Einheit“ und letztere als „Ressentiments gegen die westdeutsche Marktwirtschaft“ (139) bestimmt, dann erklärt sich zwar, warum in seiner Ulrich Herbert und Axel Schildt folgenden Auflistung von ‚modernisierenden‘ ‚Wandlungsprozessen‘ zwischen 1957 und 1968 an vorletzter Stelle „der offenere Umgang mit der NS-Vergangenheit“ (159) steht, aber seine Behauptung bleibt unbelegt, dass „die neue Ostpolitik“ der Verträge (1970 – 72) eine der zwei „Veränderungen“ gewesen sei, die „der neutralistisch-pazifistischen Opposition eine Versöhnung mit der Bundesrepublik zu ermöglichen halfen“ (159), neben der Strafrechtsreform.
IV Reisen nach Auschwitz zu 10. Jahrestagen (1955), Alain Resnais’ „Nacht und Nebel“ und „Letzte Briefe europäischer Widerstandskämpfer“ von Piero Malvezzi und Giovanni Pirelli (1956) Als Teilnehmer an Delegationen reisten 1955 der Geistliche Wilhelm Detlefsen, der Pädagoge Rudolf Genschel aus der BRD und ein österreichischer Auschwitz-Überlebender, der Schriftsteller geworden und in die DDR übergesiedelt war, Peter Edel, zu unterschiedlichen Gedenkfeiern nach Auschwitz: zur 10-jährigen Wiederkehr des Tages der Befreiung von Auschwitz und zum zehnten Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima. Für den 1955 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassenen Journalisten Hermann Pörzgen stand die Strafanzeige des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland, Hendrik G. van Dam, gegen einen anderen Heimkehrer aus der Sowjetunion, Carl Clauberg, einen der Ärzte des KZ Auschwitz, am Anfang einer Reihe von Artikeln in der „FAZ“, die schließlich zu der Beschreibung einer Reise nach Auschwitz führten. 1956 veranlasste die Verhinderung der Vorführung von Alain Resnais’ Film über Auschwitz, „Nacht und Nebel“, im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele in Cannes durch die Botschaft der BRD den Westberliner Kongress für kulturelle Freiheit, am Rande der Berlinale eine ‚Sondervorstellung‘ zu organisieren, die vom Präsidenten des Westberliner Abgeordnetenhauses, Willy Brandt, eingeleitet wurde und außer dem Film über Auschwitz auch einen über „Ernst Reuter“ und damit über ‚Widerstand‘ gegen einen mit dem Faschismus gleichgesetzten ‚Totalitarismus‘ zeigte.Widerspruch gegen eine solche Gleichsetzung legte das Vorwort Thomas Manns ein zu der in der Schweiz veröffentlichten, aus dem Italienischen übersetzten Anthologie der letzten Briefe hingerichteter Widerstandskämpfer aus ‚allen europäischen Ländern, die unter die faschistische Tyrannei fielen‘, die 1956 in der DDR in Lizenz erschien und 1962 um mehr als die Hälfte gekürzt in der BRD als Taschenbuch.
Der Geistliche Wilhelm Detlefsen, dessen Beschreibung einer „ungewöhnliche[n] Reise durch Polen“ unter der Überschrift „Nie wieder Auschwitz!“ 1955 im „Evangelisch-lutherischen Gemeindeblatt in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordschleswig“ erschien, nannte diesen „Weg“ „als Glied eines Volkes, das über das polnische Volk bitteres Leid gebracht hat: „Diese Schuld lastet zentnerschwer auf meiner Seele“, nach Polen „eine[n] der schwersten [Wege] meines Lebens“: „Aber ich spürte überall, wohin wir kamen, daß nicht jeder Deutsche für sie ein ‚Hitlerist‘ und ‚Faschist‘ war, sondern daß sie sehr wohl unterscheiden zwischen dem deutschen Volk, das von all den Greueln nur wenig geahnt hat [sic] und denen, die sich zu Mördern an unschuldigen Menschen hatten dingen lassen. Darum konnte über meiner Reise, die ich als Christ durch Polen gemacht habe, nur in meinem Herzen immer wieder die Bitte des Vaterunsers aufklingen: Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern.“ (Detlefsen 1955)
1 Wilhelm Detlefsen: Nie wieder Auschwitz! Detlefsen hat zuvor betont, dass er zu einer der siebzehn nationalen Delegationen gehörte, die „zur 10-jährigen Wiederkehr des Tages der Befreiung“ von Auschwitz https://doi.org/10.1515/9783050095851-006
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eingeladen worden waren: „Die deutsche Delegation setzte sich zur Hälfte aus Westdeutschen und zur Hälfte aus Vertretern der DDR zusammen.“ Auch aus Österreich fuhr eine nationale Delegation zur „Feier des zehnten Befreiungstages von Auschwitz“ (Danimann 1955). Die Zwischenüberschriften des Mittelteils von Detlefsens Reisebeschreibung, in dem nach Warschau und vor Krakau Auschwitz und Birkenau beschrieben werden, lauten „Pilgerfahrt“ und „Denkmalsweihe“; sie entsprechen in Detlefsens Darstellung des „Sonntag[s]“, der für ihn „unvergessen bleiben“ werde, der von den polnischen Veranstaltern angestrebten Profilierung von Auschwitz als „indispensable […] locus of international wartime remembrance“ (Huener 2003, 117) : „Ein endloser Heerhaufen nationaler Pilger, Sonderzüge, Autobusse und Lastwagen brachten hunderttausend Menschen zu der Denkmalsweihe. […] Die Delegationen brachten aus den anderen Konzentrationslagern Urnen mit der Asche und der Erde der Opfer von Neuengamme oder von Dachau oder von Theresienstadt und wie alle Lager heißen mögen. […Sie] wurde […] in den [riesigen] Sarkophag geschüttet und zeigt in eindrucksvoller Weise die Gemeinschaft aller Völker im Leiden und Sterben des furchtbaren Krieges. Gegen uns Deutsche erhob sich keine drohende Faust.“ (Detlefsen 1955) Die Namen von vier weiteren Konzentrationslagern hat Detlefsen in seiner Einleitung erwähnt: Mauthausen, Sachsenhausen, Flossenbürg und Belsen, bevor er über „Auschwitz und Birkenau“ und „Unsere Schuld“ schreibt: „Unter allen Lagern und Gefängnissen waren Auschwitz und Birkenau wohl die entsetzlichsten. Männer, Frauen, Greise und Kinder, mit dem Davidstern gezeichnet, wurden in endlosen Transportzügen in diese grauenhaften Vernichtungslager gebracht, nur weil sie Glieder des jüdischen Volkes waren. Jeder Krieg ist ein grausames Handwerk, aber mit den Juden führten wir keinen Krieg. Sie wurden zu Millionen in die Gaskammern gebracht, weil die damalige Führung unseres Volkes sich das teuflische Ziel gesetzt hatte, dieses von ihnen gehaßte Volk bis auf den letzten Mann auszurotten.“ Auch wenn Detlefsen im Folgenden zwischen den „Mördern […] unschuldige[r] Menschen“ und „dem deutschen Volk, das von all den Greueln nur wenig geahnt hat“, unterscheidet, resultiert die „Schuld“, die auf seiner „Seele“ lastet, aus der ‚Ausrottung‘ der Juden wie dem „über das polnische Volk“ „gebracht[en]“ „Leid“. So hebt er am Schluss des Warschau-Teils seiner Reisebeschreibung über seinen Gang durch „die Trümmer d[…]es riesigen Gebietes“ des „ehemaligen Ghetto[s]“ „das imponierende Denkmal für die Toten und Widerstandskämpfer aus dem jüdischen Volk“ hervor: „Wie in Warschau, erinnern in allen Städten Polens Trümmer und Denkmäler an die vielen Ghettos, die es überall gab.“ Zusätzlich merkt er an: „Es gibt eine ganze Anzahl hervorragender Bücher, auch in deutscher Sprache, die uns vom Untergang des Judentums und vom Aufstand im Ghetto berichten.“ Zwar nennt Detlefsen keine Titel, aber allein im Jahr seiner Reise nach Auschwitz wurden vom Warschauer Fremdsprachenverlag „Polonia“ der von Adolf Rudnicki redigierte Band „Ewiges Gedenken“, der Auszüge aus Tadeusz Borowskis „Ein Tag auf der Hacienda“ (Rudnicki 1955, 76 – 84) und „Wir aus Auschwitz“ (121– 126) enthält, und Seweryna Szmaglewskas „Uns vereint heiliger Zorn“, das zuerst 1947 englisch als „Smoke Over Birkenau“ er-
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schienen war, gedruckt und auch in der DDR vertrieben. Detlefsen fasst zusammen: „Eine Unzahl von Dukumenten [sic], Bildern und Modellen zeichnen den letzten Weg dieser bedauernswerten Menschen.“ (Detlefsen 1955) Aber er beginnt seine Warschau-Beschreibung mit einer Begrüßung „alte[r] Kameraden“ der deutschen Delegation durch Polen, „die bis zu 12 Jahren miteinander das furchtbare Schicksal der Häftlinge geteilt haben“: „Diese Gemeinschaft des Leides, des Durchhaltens und des Widerstandes hat sie zu einer Freundschaft zusammengeschmiedet, die quer durch alle Völker, Rassen und Unterschiede der Religion hindurchgeht.“ Detlefsen lässt seinen „Weg“ durch die „Stätte […] des Grauens“ vom ‚Entsetzlichsten‘, dem „Vernichtungslager von Birkenau“ und seinen „Gaskammern“ und „Schornsteine[n] der vier Krematorien“, die „täglich als Zeichen de[r…] Vernichtung von Menschen“ „qualmten“, zum ‚Furchtbaren‘ des „zu Museen geworden[en]“ „Arbeitslager[s] in Auschwitz“ führen, das sich von der „Ueberschrift über dem Tor“ steigert in dem von Detlefsen zitierten „Plakat“ mit einer „Ansprache“ des Lagerführers Karl Fritzsch, die der spätere polnische Ministerpräsident Jozef Cyrankiewicz auf einem handschriftlichen Kassiber mit „groben Beschreibungen der Henker von Auschwitz“ am 16. September 1944 nach Krakau überlieferte (Rudorff 2018, 468): „Ihr seid hier in keinem Sanatorium, sondern in einem deutschen Konzentrationslager, aus dem es keinen anderen Ausgang gibt als den durch den Schornstein. Wenn das jemand nicht paßt, kann er gleich an den Zaun gehen. Wenn im Transport Juden sind, so haben sie kein Recht, länger als 2 Wochen zu leben. Wenn Geistliche dabei sind, dürfen sie einen Monat leben. Die übrigen 3 Monate.“ (Detlefsen 1955)¹ Der Gang durch die „sechs“ „unversehrt angetroffen[en]“ „Magazine“ von „Wertsachen“ wie „Teppiche[n], deren Besitzer alle den Weg der Vergasung gegangen waren“, endet an einer Teppichstange: „Man möchte beschämt hinwegschauen, wenn einem die eiserne Teppichstange als Galgen gezeigt wird und wenn uns die Räume geöffnet werden, in denen die Häftlinge hausten und langsam zu lebenden Skeletten verkümmerten.“ (Detlefsen 1955)
2 Rudolf Genschel: Ein Besuch in Auschwitz „Ein Besuch in Auschwitz“ stand auch am Ende der vier Folgen, in denen „Die Andere Zeitung. Die kritische Wochenzeitung der Linken“, die seit Mai 1955 in Hamburg vom ehemaligen Chefredakteur des SPD-Organs „Neuer Vorwärts“ Gerhard Gleissberg herausgegeben wurde (Otto 1997, 119), „Eindrücke aus dem heutigen Polen“ druckte. Die redaktionelle Vorbemerkung hob aber ein zweites Thema dieser ‚abschließenden‘ Folge hervor, wenn darauf hingewiesen wurde, dass „der Verfasser […] im Sommer an einer 14tägigen Studienreise westdeutscher Pädagogen und Wissenschaftler teil-
Vgl. die etwas andere Übersetzung bei Rudorff 2018, 470.
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nahm“: „Gespräche zur Frage der Oder-Neiße-Linie“ (Genschel 1955). Während Detlefsen in seiner Reisebeschreibung nur einmal – als Hinweis für den Adressaten – berichtet, wie seine Reise von denen, zu denen er zurückkehrte, aufgenommen wurde: „Ich werde immer wieder gefragt: Wie sieht es im ehemaligen Ghetto aus?“, und sich selbst als Mitglied einer „Delegation“ darstellt (Detlefsen 1955), betont Genschel in der 1. Person Plural, dass seine „westdeutsche Studiengruppe“ aus Individuen bestand: „Wir haben bei allen offiziellen Anlässen immer peinlichst die Bezeichnung ‚Delegation‘ vermieden, denn wir kamen in keinerlei Auftrag als dem der eigenen Verantwortlichkeit, waren uns allerdings stets der Tatsache bewußt, daß vor uns wohl immer nur mehr oder weniger abgestempelte Freunde des kommunistischen Regimes den Vorzug einer solchen Einladung genossen hatten.“ (Genschel 1955) Dem für das ‚peinlichste‘ Bemühen‚ eine ‚Abstempelung‘ zu ‚Freunden des kommistischen Regimes‘ zu vermeiden, geltenden ‚stets ‘ und ‚immer‘ entspricht ein ‚natürlich‘ für die Aufnahme des aus Polen Zurückgekehrten: „Nach der Oder-Neiße-Linie wurde ich natürlich nach meiner Rückkehr oft gefragt.“ Nicht auf Genschels Antwort auf die Frage der Linie und nicht Grenze genannten territorialen Verluste, sondern auf seine Reise nach Polen überhaupt bezieht sich die zweite Reaktion, die er als „natürlich“ bezeichnet: „Natürlich erfährt man bei Berichten im kleineren oder größeren Kreise auch Angriffe. (Zum Glück nur ausnahmsweise, denn es gibt auch Menschen, die zuhören können!)“ Die ‚Ausnahme‘ derjenigen, die den Polen-Reisenden angreifen, stellen für Genschel „Stammtischpolitiker“ dar, „die im Dunkel des Schmollwinkels ihre ganze Tapferkeit fanden“, wenn er ihre „Melodien“ in wörtlicher Rede bringt: „‚Am liebsten gar nicht erst hingehen, mindestens viel stärker eigene Forderungen anmelden!“ Obwohl Genschel einräumt: „Nun, es hat immer Stammtischpolitiker gegeben“, fährt er mit einer gleichfalls „immer“ geltenden Wendung vom den Adressaten einschließenden ‚man‘ zur Anrede der ‚Stammtischpolitiker‘ in der duzenden 2. Person Plural fort: „Man kann ihnen immer nur den Rat geben: Geht selber hin, überzeugt euch an Ort und Stelle, laßt euch erzählen, daß die Geschichte und das Unrecht der Geschichte nicht erst 1945 anfängt, begreift, daß es auch im geschichtlichen Ablauf eine Folgerichtigkeit gibt!“ Mit den beiden Schlusssätzen vollzieht Genschels Reisebeschreibung wiederum eine Wendung in der Adressierung, aber nun vom ‚ihr Stammtischpolitiker‘ zu einem „wir alle“, die „den Frieden“ wünschen: „Wenn ihr euer eigenes Geschichtsbild mit dem des Nachbarn zusammenhaltet, dann könnte wohl so etwas wie eine Wahrheit herauskommen. Und nur Wahrheit und Wahrhaftigkeit können den Frieden im Gefolge haben, den wir alle wünschen.“ Ein Beispiel für ein solches ‚Zusammenhalten‘ des ‚eigenen Geschichtsbilds‘ mit dem eines der polnischen Nachbarn, eines der drei „Begleiter[I]n[nen]“ in Auschwitz, hat Genschel gegeben im Anschluss an die beiden ersten Absätze seines Textes, die den Gang durch die Gedenkstätte darstellen. Genschel gibt ausführlich die Antwort des „promovierte[n] Wissenschaftler[s]“ wieder auf seine „direkte Frage“ nach der „bei uns immer wieder kolportierten Meinung“ über die „ganz bewußt mit Rücksicht auf eine bevorstehende Räumung vernachlässigt[en]“ „schlesischen und pommernschen Gebiete“, um zu schließen mit einer ‚Wahrheit‘, die keine Anerkennung der
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Oder-Neiße-Grenze ist: „Auf meinen Einwand, daß wir doch auch einige Anrechte auf Schlesien, Pommern und Ostpreußen hätten: Ja, dann müssen Sie mit den Russen verhandeln, denn durch russisch-deutsches Abkommen haben wir unsere Ostprovinzen verloren.“ Um die „Anerkennung“ einer anderen „Wahrheit“, gegen die sich eine „verantwortungslose Vogel-Strauß-Politik“ „sträube“, geht es Genschel in der knappen Beschreibung des Gangs durch das „in eine Art von schauerlichem Museum verwandelt[e]“ „Vernichtungslager“. Sie ist knapp, weil Genschel zweiter Satz lautet: „Einzelheiten wiederzugeben, sträubt sich der Geschmack.“ Und das Subjekt ‚Geschmack‘ kehrt im letzten Satz dieses ersten Absatzes wieder: „Mit einem ganz fatalen, bitteren Geschmack auf der Zunge verließen wir die Stätte des Grauens.“ ‚Bitterkeit‘ kennzeichnet auch das Gefühl, mit dem der Reisende hier „die Wahrheit“ „erfährt“ – und im ‚man‘ auch einen Adressaten einschließt, der „es bisher nicht wahrhaben wollte“: „Man durchwandert diese Erinnerungsstätten mit brennender und bitterer Scham, denn wer es bisher nicht wahrhaben wollte, der erfährt es mit grausamer Deutlichkeit: Es ist also Wahrheit, und es nutzt nichts, sich in verantwortungsloser Vogel-Strauß-Politik gegen ihre Anerkennung zu sträuben, daß hier 4 Millionen Menschen, darunter 2 ½ Millionen Juden, hingemordet worden sind, daß man zu diesem Zwecke nicht nur geringwertigste Ernährung und unerhörte physische Arbeitsleistung eingesetzt hat, sondern auch die modernsten Insektenbekämpfungsmittel, daß man sich kaltblütig der extremsten Unbedenklichkeit wie des angeborenen oder gepflegten Sadismus von wirklichen Untermenschen bedient hat.“ (Genschel 1955) Der mit Scham begründeten Zurückhaltung von ‚Einzelheiten‘ entspricht das wiederholte Lob für die Zurückhaltung von Gefühlen durch die BegleiterInnen. Ihre Führung wird „sehr sachlich“genannt: „sie befleißigen sich […] einer starken Zurückhaltung alles Emotionalen, das weiß Gott hier aufbrechen möchte“. Genschel betont für die drei „sehr zurückhaltend[en]“ „Betreuer“, „nur durch direkte Befragung“ erfahren zu haben, dass „gerade sie alle Veranlassung gehabt [hätten], mit ihrem persönlichen Geschick Propaganda zu machen“ (Genschel 1955). Bevor Genschel mit dem Appell an einen Adressaten schließt, der Frieden „im Gefolge“ der Wahrheit wünscht, hat er seine „Eindrücke“ nach der Maxime – „zunächst zur Kenntnis nehmen, dann dazu Stellung beziehen“ – zusammengefasst: „Und die wichtigste Tatsache, die wir m. E. zur Kenntnis nehmen müssen, ist diese: das moderne Polen steht, ob es uns lieb ist oder nicht.“ (Genschel 1955)
3 Peter Edel: Aus der Aschenerde – Blühen „Aus der Aschenerde – Blühen“ ist der Titel der Beschreibung einer Reise nach Auschwitz, die der Auschwitz-Überlebende Peter Edel, der als österreichischer
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Schriftsteller 1953 in die DDR übergesiedelt war, in der „Weltbühne“ veröffentlichte,² mit der Begründung: „Vielleicht, daß meine Worte jene Menschen erreichen, die glauben, man sollte an ‚gewisse Dinge‘ doch lieber nicht rühren, besser um sie herumgehen oder sie gar ganz der Vergessenheit anheimfallen lassen. Solange aber der Faschismus wütet – und er wütet noch –, solange aber die Menschenwürde geschändet wird, die Gefahr der Massenausrottung nicht endgültig gebannt ist, solange junge Japaner – wie beim Einzug im Warschauer Stadion – mit der Mahntafel ‚No more Hiroshima!‘ erinnern, warnen müssen, solange darf auch jenes grausame Wort nicht verklungen sein, das zum Inbegriff der Unmenschlichkeit wurde.“ (Edel 1955, 1134) Es fällt erst am Ende des nächsten Absatzes: „Auschwitz-Birkenau“ (1134), aber der „Kontrast“ zwischen der „frohe[n] Feier“der V. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im Warschauer Stadion und dem „Gedenken“ in Auschwitz, den schon der Titel annonciert für Edels Beschreibung seiner Reise mit Delegierten des Festivals aus 52 Ländern nach Auschwitz am 4. August 1955 (Kraushaar 1996, 1230), dem zehnten Jahrestags des Atombombenabwurfs, bestimmt den Text gerade dadurch, dass sich um die „Verbindung“ (Edel 1955, 1135) zwischen dem Kontrasierten ein Erzähler bemüht, auf dessen „Schreibtisch“ im Schlussabsatz als Souvenir seiner Reise von Warschau nach Auschwitz „Blumen aus der Aschenerde von Birkenau“ (1137) liegen und ihn aus Stephan Hermlins Gedicht „Die Asche von Birkenau“ u. a. die Verse zitieren lassen: „‚Die an die Hoffnung glauben/ Sehen die Birken grün‘“ (1138).³
Vgl. Dietrich 2020, 68: „über die Arbeit an der Zeitschrift fand er zur SED“, seit er 1948 für die „Weltbühne“ aus Nürnberg Prozessberichte geschrieben hatte. Fritz Kleins Darstellung der Jahrgänge 1946 – 49 der „Weltbühne“ erwähnt nur ihr ‚Schweigen‘ zur Beendigung der Entnazifizierung durch die SMAD im Februar 1948, der Gründung der NDPD im Mai 1948 und dem ZK-Beschluss über die Nationale Front des Demokratischen Deutschland im Oktober 1949 (Klein 2002, 564/565), verschweigt aber, was die Zeitschrift zum Antifaschismus ‚sprach‘. In Hermlins Gedichtband „Der Flug der Taube“ von 1952 ist „Die Asche von Birkenau“ eins von zwei Gedichten, die unter der gemeinsamen Überschrift „Die Erinnerung“ stehen, deren erstes „Terzinen“ heißt. Die vierte der acht Terzinen lautet: „Der Regen wäscht aus Tafeln Wort für Wort,/ Rinnt auf MontValérien und Plötzensee,/ Die Schwalben liegen in der Hand des Nord.“ Die beiden letzten Verse bilden keine Terzine: „Der Schwalbensturz allein vergißt sie nie,/ Die langsam treiben unter den Moränen.“ (Hermlin 1952, 5/6) In der zuerst 1962 als Reclam-Band erschienen Auswahl „Gedichte“ umfasst „Die Erinnerung“ sechs weitere Gedichte, die zwischen „Terzinen“ und „Die Asche von Birkenau“ getreten sind, aber die kursive Unterschrift „Auschwitz-Birkenau, Sommer 1949“ ist beibehalten (Hermlin 1971, 117). Das unmittelbar auf dieses folgende Gedicht „Der Tod des Dichters. In memoriam Johannes R. Becher“ kann darauf aufmerksam machen, wie häufig das Motiv des sterbenden Menschen, der zu den ihn Überlebenden als Siegern spricht, in dieser Gedichtauswahl ist: „unsrer Stimme ersterbender Hall/ Sagt euch von der Erwartung der Schatten vom Städtegeschlechte“ (1942) (7), „Name [Hoffnung], den jeder tote Mund noch nennt“ (1947) (64), „Vorm Block, an der Wand/ …Verkünden ihr Ende sie diesen/ Und jenen das Zukunftsland“ (1949) (75), über die erschossene Partisanin Soja Kosmodemjanskaja, die hingerichtete Widerstandskämpferin Lilo Herrmann und das Opfer von Auschwitz Danielle Casanova, die „Beim Ruf der Zukunft zur Stelle/ Waren, die das Leben gewählt“ (1949) (82), und über Bechers Tod: „Was auch ohne ihn blühet/ Preist er künftigen Glücks gewiß.“ (1958) (119). Auf Hermlins Gedicht „Die Asche von Birkenau“ bezogen sich 1953 zwei DDR-Nachwuchsautoren: Armin Müller mit „Birkenau“ in seinem Gedichtband „Seit jenem Mai“ im Verlag der FDJ und Heinar Kipphardt mit „Auschwitz 1953“
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Schon bevor der Erzähler explizit den Einwand zurückweist, es sei „ein Ansinnen, das dem Festival-Gedanken“ „einer besseren Zukunft der kommenden Generationen“ „widerspricht“, „eine Fahrt in grauenvolle Vergangenheit anzutreten“ (1135), benutzt er, ehe er den Ortsnamen nennt, ein ihn deutendes Bild: „gerade darum schweige ich auch nicht über jene Fahrt, die die jungen Festival-Gäste an einen Ort führte, der uns alle mahnt, das große, schöne, einzige Leben zu erhalten, es nie wieder auf die entsetzliche Reise zum Acheron zu schicken. An diesem Ort hören die Eisenbahngleise auf. Jäh brechen sie ab. So jäh wie alles Leben hier erlosch – Auschwitz-Birkenau.“ (1134) Explizit begründet der Erzähler sein „Nein“ zu einem im Namen des „Schönen, Mutgebenden“ erhobenen Einwand gegen die Reise mit ihrer von ihm auf die TeilnehmerInnen verallgemeinerten Wirkung: „Nein, der Ernst der Fahrt nach Oswiecim – an der sich Hunderte beteiligten – machte jedem, der diesen Weg zum ersten Mal in Freiheit ging, gerade durch den Kontrast bewußt, welch tiefgründiger Sinn in der Verbindung von stolzer, froher Feier mit dem Gedenken liegt. Wer den Ort der Vernichtung gesehen, der wird das Bild der Lebenslust und -kraft wie ein Heiligtum bewahren. Denn angesichts der im Morgendämmer liegenden, lastend stillen Todeshalden, wo jeder Stein, jede Erdkrume von unermeßlichem Martyrium zeugt, wurde so manchem der Jungen und Jüngsten erst ganz offenbar, was das eigentlich bedeutet: Faschismus.“ (1135) Edels Spezifizierung seiner Verallgemeinerung über die ‚Tiefe‘ der Wirkung des in Auschwitz-Birkenau Sichtbaren auf die ‚Jungen‘, denen sich die ‚eigentliche Bedeutung‘ von Faschismus erst hier ‚ganz offenbare‘, knüpft an seine Erläuterung des Ortsnamens bei seiner ersten Nennung an, in der nicht nur zum Festival vorausgedeutet, dass „[n]och nie zuvor […] junge Repräsentanten fast aller Nationen in so großer Anzahl diesen Ort besucht“ hätten (1134), sondern auch die von den „polnischen Freunde[n]“ beabsichtigte Wirkung auf das in Auschwitz-Birkenau Sichtbare bezogen wird, sie hätten „seit 1945 aus ernstem Grund ihre Gäste auch immer hierher geführt, und ohne ein Wort aggressiver Bitternis allein aus dem Anblick der Stätten, in denen vier Millionen unschuldige Menschen aus allen Ländern der Erde gequält und ermordet wurden, die ungeheure, stumm beredte Anklage sprechen lassen.“ (1134) Edels Begriff der ‚stumm beredten Anklage‘, die in Gegensatz gesetzt wird zu ‚Worten aggressiver Bitternis‘, trifft, was in dem im Jahr seiner Reise in dem Band „Ewiges Gedenken“ von Stanislaw Stomma, einem Redakteur der liberal katholischen Zeitschrift „Znak“, hinsichtlich der Gedenkstätte und ihres Besuchs „Das Problem Auschwitz“ genannt wurde: „Die Tatsachen sprechen für sich.“ (Stomma 1955, 189). Wenn Stomma nicht nur schreibt: „Der Realismus der Tatsachen spricht für sich selbst“ (184), sondern auch, dass „die „Konzeption der reinen Realität der Tatsachen gewahrt“ werde (188), zeigen Begriffe wie ‚Realismus‘ und ‚Konzeption‘ Probleme der
im vierten Heft des neu gegründeten Organs des DSV „Neue Deutsche Literatur“ (Müller 1953b, Kipphardt 1980, 111).
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Deutung, die Birkenau in seiner Beschreibung von Plänen zur weiteren Gestaltung die zentrale Stellung im Vergleich zu anderen Teilen der Gedenkstätte geben: „Innerhalb des Stammlagers (also im eigentlichen Auschwitz) wird ein grosses Museum angelegt. Teile davon werden mausoleumsartig ausgebaut. Birkenau (Brzezinka) soll quasi ein ‚Lagerreservat‘ bilden, um ein wirklichkeitsgetreues Abbild des einstigen Vernichtungslagers zu schaffen. Das an das Lager Birkenau grenzende Gelände mit den Krematorien (Krematorium 2, 3, 4 und 5) und die sog. Todesgräben, in denen zusätzlich Leichen verbrannt wurden, sollen in einen grossen Friedhofshain umgestaltet werden.“ (184) Aber in Edels Reisebeschreibung spielt die Beschreibung von in Auschwitz-Birkenau Sichtbarem eine wesentlich geringere Rolle als der Bericht über Begegnungen mit anderen Besuchern der Gedenkstätte an diesem 4. August 1955. Nach dem Ende der Gleise in Birkenau werden die „Verladerampe des Auschwitzer Bahnhofs“ (Edel 1955, 1135), das „Gittertor“ des „‚Stammlager[s] Auschwitz‘“ (1136) und dessen „Appellplatz“, „das weite sumpfige Gelände von Birkenau“ (1137) erwähnt mit „dort, wo die Schienen plötzlich enden, […] einst d[em] Krematorium“ (1137), aber zum Stammlager wird ausdrücklich angemerkt: „Ich will hier nicht beschreiben, was jenseits des Gittertores mit der teuflischen Inschrift ‚Arbeit macht frei‘ an entsetzenerregenden Zeugnissen der Barbarei, an niederschmetternden Beweisen, bergehoch in riesige Glassärge eingeschreint, zu sehen ist. Davon ist oft, wenn auch noch immer nicht genug, gesprochen worden.“ (1136) Der Widerspruch in dieser Absage an die Beschreibung der Sichtbaren wird aufgelöst, wenn Edel fortfährt: „Aber gesagt werden muß, daß vor diesem Anblick selbst einige der kalt skeptischen, anscheinend durch nichts mehr zu erschütternden Reporter die zur Schau gestellte kühle Maske verloren, bleich und nachdenklich wurden, als mein polnischer Gefährte und ich ihnen genau Ort um Ort bezeichneten, Steinhaus um Steinhaus, Baracke um Baracke, die Folterzellen und Bunker, in denen wir selbst gepeinigt worden waren, als zu den unwiderlegbaren stummen Zeugen sich auch die Überlebenden gesellten und im Namen derer sprachen, die nach dem Willen ihrer Mörder nie mehr sprechen sollten.“ (1136) Die Verstärkung der Wirkung der sichtbaren ‚stummen Zeugen‘ durch die als Stimme der Ermordeten zu hörenden Überlebenden, durch die ‚beredten Zeugen‘ führt der Text als Steigerung von ‚Nachdenklichkeit‘ durch Anklage vor. Für die Angewiesenheit des Sichtbaren auf das vom Zeugen Hörbare spricht im Falle des ja auch malenden und zeichnenden Autors Edel, dass vom Auschwitz-Häftling Edel eine 1944 entstandene Zeichnung „Selbstporträt“⁴ überliefert ist, auf der in der „teuflischen Inschrift ‚Arbeit macht frei‘“ (1136) etwas unsichtbar gemacht wird, um den Zeugen für den Betrachter hörbar werden zu lassen: „In diesem Selbstporträt kennzeichnet sich Peter Edel mit der Häftlingskleidung und dem Auszug aus dem Schriftzug vom Lagertor als Häftling des Konzentrationslager Auschwitz. Aber nicht nur das. Der
Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, APMO-I-2– 1353. Vgl. die Abbildung bei Rensinghoff 1998, 248.
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Künstler formuliert die Frage nach seiner Identität und gibt sich gleichzeitig die Bestätigung dessen durch das Selbstporträt. Peter Edel zeichnete sich in diesem Bild zweimal: als Häftling und als freien, gesunden Menschen im Hintergrund. Als Häftling kann er nur noch auf sich selbst verweisend die Fragen stellen: ‚Wer ist das?‘ ‚Du!‘ ‚Ich?‘ und nochmals ‚Ich!‘ aber jetzt als Ausruf. Der Ausschnitt des Torbogens ‚MACHT FREI‘ wird zum Hilferuf, zum Appell an den Betrachter.“ (Rensinghoff 1998, 248/249) Der Erzähler der Reisebeschreibung von 1955 stellt die von ihm gewünschte Wirkung seiner Begegnung mit den Journalisten dar, die nun erst als Westdeutsche gekennzeichnet werden, wenn er sie „etwas andere[…] Gefühle“ zu „verspüren“ vermutet: „Die nicht lange mehr Skeptischen aus den Redaktionen des Westens haben dann auch mit etwas anderen Gefühlen, als ihnen wohl verstattet ist, den Worten zugehört, die die Gattin des eingekerkerten Kämpfers Jupp Angenforth auf dem ehemaligen Appellplatz von Auschwitz sprach. Und sie mußten – mögen sie es sich selbst bisher noch nicht eingestanden haben – verspüren, wie tief die Angenforths aller Länder, die sich hier versammelt hatten, von der verpflichtenden Mahnung der Toten durchdrungen sind, wie wahr, wie edel ihr Kampf für die Lebenden ist.“ (Edel 1955, 1137) Wie in dieser zweiten Begegnung mit JournalistInnen aus dem Westen, bezieht sich Edel schon im ersten Bericht über die Wirkung des Besuchs insgesamt auf eine dänische Journalistin, auf ein aktuelles politisches Ereignis in der BRD: Im Juni 1955 hatte der Bundesgerichtshof den Vorsitzenden der bundesrepublikanischen FDJ, Jupp Angenfort, wegen „Hochverrat“ zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt (Kraushaar 1996, II, 1198), im Mai 1955 hatte das Schwurgericht Frankfurt/Main, das den ehemaligen Geschäftsführer der Degesch, die Zyklon B nach Auschwitz geliefert hatte, Gerhard Peters, 1948 wegen Beihilfe zum Totschlag zu einer Strafe von fünf Jahren Zuchthaus verurteilt hatte, die 1953 nach der Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof vom Schwurgericht Wiesbaden wegen Beihilfe zum Mord auf sechs Jahre Zuchthaus erhöht worden war, freigesprochen (Ebbinghaus 1998, 65). Auf diejenigen, „die die feilen Verwender des Mordgases Zyklon B abermals auf die Menschheit losgelassen haben“ (Edel 1955, 1135), bezieht sich Edel, wenn er die Worte der jungen Dänin über ihren „‚furchtbaren Anschauungsunterricht‘“ auch im Hinblick auf „viele ihrer“ „von ähnlichen Gedanken bewegt[en]“ „Kollegen“ kommentiert: „Möchten sie doch auch im gedruckten Wort davon Kenntnis geben und ihre Ergriffenheit und ihre Folgerungen denen übermitteln, die immer noch ‚nicht daran‘ glauben wollen, und nicht hinter dem Berge halten vor denen“ (1135), die den Frankfurter Freispruch zu verantworten haben. Die ‚Folgerung‘ der dänischen Journalistin wird in wörtlicher Rede geboten: „‚Ich werde zwar lange daran zu grübeln haben, ehe ich damit fertig werde. Aber dann, denke ich, dann werde ich die Menschen noch stärker lieben und wie nie zuvor ihre Feinde hassen, ihre Henker verachten.‘“ (1135) Die Entgegensetzung von Liebe und Hass in der Wirkung des Besuchs der Gedenkstätte entspricht der den Text strukturierenden Kontrastierung von ‚Feier‘ und ‚Gedenken‘, Festival der „Liebe und Freundschaft“ in Warschau und „Faschismus“ in Auschwitz-Birkenau (1135).
3 Peter Edel: Aus der Aschenerde – Blühen
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Zu dem Übergewicht der Berichte über Begegnungen in der Gedenkstätte über die Beschreibung des in ihr Sichtbaren führen nicht die bisher zitierten Berichte über westliche JournalistInnen, sondern die über Begegnungen mit zwei Polen, einem älteren und einem Kind, und zwei „junge[n] westdeutsche[n] Arbeitern“ (1137). Nur in diesen Begegnungen bezieht sich Edel im Detail als Überlebender, der zum ersten Mal Auschwitz wiedersieht, auf seine eigenen Erinnerungen. Sie werden erstmals herangezogen in einer Kontrastierung von „Damals“ und „jetzt“ als Faschismus und Freundschaft: „Über ein Jahrzehnt war vergangen, seit ich […] auf eine Verladerampe des Auschwitzer Bahnhofs gestoßen wurde, die ich nun mit zusammengekrampftem Herzen wieder betrat – als freier Mensch. – Damals war die schneeverwehte Rampe besät mit zerfetzten Kleidungsstücken, aufgerissenen Koffern, Spielzeugpuppen, zertretenen Brillen, Schuhen, war die eisige Luft erfüllt vom Wehgeschrei geschlagener Frauen und Kinder und vom zynischen Kommandogebrüll der Scharführer: ‚Schneller, schneller, schneller! Auf geht’s ins Paradies! Der Schornstein wartet!‘ Welch ein Wiedersehen jetzt! Da standen an der nämlichen Rampe die Bewohner des Dörfchens Oswiecim […] mit ihren Kindern, die bunte Sträuße hielten und winkten. Und Polen streckten Deutschen die Hände entgegen, drückten sie fest. Und dort, wo einst den Todgeweihten ein grausiger Empfang geboten wurde, dort empfingen mit herzlichen Worten ehemalige Häftlinge des Lagers die Gäste, die ihre Festivaltücher zum Gruße flattern ließen.“ (1135/1136) Wie sich „die Wiedersehens-Qual“ durch eine „frohe Erschütterung“ in „große Ruhe“ verwandelt habe, berichtet Edel, als er noch auf dem Bahnhof von seinem polnischen Auschwitzer Stubenältesten wiedererkannt worden sei: „‚Du lebst!‘ Innig hatte er den Arm unter meinen geschlungen und ging so mit mir durch das Spalier der Bevölkerung von Oswiecim und rief nach beiden Seiten den Menschen zu: ‚Ein Auschwitzer, ein deutscher Kamerad!‘“ (1136) Wie er auf dem Gang gemeinsam mit dem „polnischen Freund“ und den zwei „westdeutschen Arbeitern“ durch das „Gelände Birkenau“, wo „zwischen dem Schlackengeröll, den geborstenen Steinen einige karge Blumen“ „wachsen“, „lange schweigend gestanden“ habe: „Keines Wortes bedurfte es mehr zwischen den drei Deutschen und dem Polen […] hier, wo so viele auch meiner Verwandten, wo mein Vater und meine junge Frau im Gas erstickten und verbrannt wurden“, berichtet Edel, bevor er „‚Dank, Dank‘ [ge]flüstert“, „viele Minuten […] unverwandt starr geradeaus gesehen habe, von Empfindungen erfüllt, die ich bis dahin nie gekannt habe…“ (1137) Der Dank gilt dem polnischen Kind, das dem Reisenden das Souvenir gibt, das der Erzähler anschließend auf seinem Schreibtisch beschreibt: „Ein kleiner polnischer Junge, der sich zu uns gesellt und mich lange Zeit mit großen Augen aufmerksam angesehen hatte, pflückte plötzlich ein paar von den Blumen, drückte sie mir scheu in die Hand und lief eilends davon.“ (1137) Sechs Jahre später, 1961, wurde Peter Edel dem Staatssekretär im Ministerium für Kultur von einem Mitglied des Ausschusses für den Heinrich-Heine-Preis, Walther Victor, mit Erfolg für den Preis für Essayistik vorgeschlagen, obwohl er nicht zu den auf der Vorschlagsliste vorgesehenen AutorInnen gehört hatte. Victor hatte „den Pu-
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blizisten Peter Edel“ nominiert, weil er ihm die Preiskriterien „erheblich besser zu erfüllen scheint“ als die vorgeschlagenen Kandidaten: „Kaum ein Publizist der DDR hat wie Peter Edel die Sache der rassisch (wie Heine) Verfolgten vertreten. Er hat auch immer wieder über Heine geschrieben und verdient den Preis ohne Zweifel.“⁵ In einer Anlage erweitert Victor diese Begründung: Edel habe „unermüdlich auch in seiner literarischen Berufsarbeit gegen jene Rassenverfolgung, vor allem eben den Judenhaß gekämpft, dem auf deutschem Boden Heinrich Heine und sein Werk in der Nazizeit zum Opfer gefallen sind.“⁶ Er habe „das Beispiel eines aus erlebter Not für eine bessere Welt Kämpfenden gegeben“ durch einen „fortdauernden Aufklärungskampf […] gegen die faschistische Barbarei“: „Erschütternde Berichte hat er über die historischen Stätten der Verfolgung und Marterung, der Ausrottung von Antifaschisten und Juden verfaßt.“⁷ Außer über seinen Besuch in Auschwitz von den Warschauer Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1955 aus hatte Peter Edel bis 1962 in der „Weltbühne“ auch über die in der DDR neu eingeweihten Gedenkstätten Buchenwald (10.9. 1958) und Sachsenhausen (19.4.1961) geschrieben sowie in einer weiteren Reisebeschreibung aus Polen (Edel 1960) über das Gedenken in Stutthof und über eine Filmvorführung zu und Lesung aus „Das Tagebuch des David Rubinowicz“ in der Kulturellen Gesellschaft jüdischer Bürger Warschaus, noch bevor es in der DDR 1961 (Das Tagebuch 1961) in einer von der bundesrepublikanischen abweichenden Übersetzung erschien. Aber Edel hatte in der „Weltbühne“ auch die Schändung der Kölner Synagoge 1959 in „Die Heilige Nacht zu Köln“ (6.1.1960) kommentiert sowie zum Fall des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt Hans Globke (31.8.1960) und zum Eichmann-Prozess (15.6.1960, 12.7.1961) Stellung genommen. Über eine weitere Reise nach Auschwitz wird Edel aber erst wieder schreiben in seiner 1979 erschienenen Autobiographie „Wenn es ans Leben geht“, als es um die Fernseh-Verfilmung seines 1969 erschienenen Romans „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ am Schauplatz des Geschehens in Oswiecim geht. Für das Schreiben der Autobiographie wird er allerdings ein drittes Mal nach Auschwitz reisen.
4 Hermann Pörzgen: Auschwitz, wie es heute ist Wenn für Edels Beschreibung seiner Reise im Jahr 1955 ein Freispruch in Frankfurt/ Main wichtig war, so stand bei einem Mitarbeiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Hermann Pörzgen, die Strafanzeige des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden in Deutschland, Hendrik van Dam, gegen einen „Heimkehrer“, der wie Pörzgen 1955 aus „Rußland“ heimgekehrt war, Carl Clauberg, einen der Ärzte des KZ Auschwitz, am Anfang einer Reihe von Zeitungsartikeln, die eine „energischere Strafver-
AdK, Bestand Walther Victor Mappe 61 (1) Brief an Erich Wendt vom 20.10.1961. Ebd., S. 3. Ebd., S. 3/4.
4 Hermann Pörzgen: Auschwitz, wie es heute ist
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folgung“ forderten und schließlich zu einer Reisebeschreibung führten (Eichmüller 2012, 139).⁸ Ein Kieler Gericht bearbeitete den Fall Carl Clauberg seit 1955, als der ‚Sonderbegnadigte‘ aus der Sowjetunion (wo er noch 18 Jahre Haft zu verbüßen gehabt hätte) zurückgekehrt war und „fortan kein Hehl aus seinen Menschenexperimenten in Auschwitz machte und mit seiner Methode zur Massensterilisation prahlte“ (Steinbacher 2004, 112). Am 8. Dezember 1955 schrieb Pörzgen in der „FAZ“ zum „Fall des Universitätsprofessors Dr. Clauberg“: „Mit seinem Namen sind in der Tat die düstersten Erinnerungen heraufbeschworen, die kein Deutscher ohne tiefste Beschämung in sich wachruft, nämlich an Auschwitz. Wem dieses Odium anhaftet, der darf in einem christlich-humanitären Staat nicht so leicht Vergebung und Verständnis erwarten.“ (Pörzgen 1955)⁹ Hermann Pörzgen, den 1956 eine von zwei Reisen nach Polen in das „ehemalige[…] Konzentrationslager“ führte (Pörzgen 1956), bevor er Ende des Jahres in die Sowjetunion zurückkehrte – als „FAZ“-Korrespondent, nachdem er dort 11 Jahre Kriegsgefangener und 4 Jahre, von 1937 bis 1941, Korrespondent der „Frankfurter Zeitung“ gewesen war (Pörzgen 1958, 4). Auf den 1958 gedruckten 145 Seiten seiner Berichte aus Moskau kommt der Zweite Weltkrieg genau einmal vor – bei der Darstelllung des Gegensatzes zwischen Publikumsreaktion und offizieller Kritik am Film „Wenn die Kraniche ziehen“ (125) – nicht genannt, aber impliziert ist der Krieg an einer anderen Stelle: im Bericht über den Empfang für Josef Cyrankiewicz. Kursiviert sind in einem Zitat aus Nikita Chruschtschows Ansprache die Worte „Oder-NeißeGrenze“: „diese Grenze des Friedens, das ist Ihre und unsere Grenze.“ (29) Trotz eines persönlichen Eindrucks im ersten Satz der Beschreibung „Auschwitz, wie es heute ist“: „Merkwürdig freundlich scheint mir die kleine Bahnstation mit ihren Blumenrabatten voll Stiefmütterchen“ (Pörzgen 1956), kennzeichnet Pörzgens Text die fast vollständige Aussparung des Reisenden; der Erzähler, der an keiner anderen Stelle ‚ich‘ sagt, benutzt das „wir“, um unter den „Ausländer[n]“, die aus dem Schlafwagen ausgestiegen sind, „gewöhnliche Reisende“ von „berühmten“ sowjetischen Soldaten und Menschen in „Zebrakleidung“ zu unterscheiden. Er beschränkt sich im Weiteren auf die Wahrnehmung des Verhaltens, insbesondere der Gespräche anderer. Sie werden fast durchgängig negativ gewertet, als „pietätlos“. Noch bevor dieser Vorwurf gegen sowjetische und polnische Soldaten, französisch sprechende Damen und einen griechischen ehemaligen Häftling erhoben wird, werden Schulkinder dargestellt, polnische Jungen, die auf dem Bahnhof der Stadt Autogramme von
Vgl. z. B. Hermann Pörzgen: Wissenschaft oder Rassenpolitik? Dokumente gegen Professor Clauberg. In: FAZ, 11.1.1956. Als das Internationale Auschwitz-Komitee 1957 in Frankfurt am Main tagte und den Fall Clauberg zum zentralen Thema machte, berichtete die „FAZ“ nicht nur über den Besuch von „35 Delegierten aus europäischen Ländern“ in einer von den Städtischen Bühnen aus Anlass der Tagung auf den Spielplan gesetzten Aufführung von Albert Hacketts und Francis Goodrich-Hacketts Anne Frank-Stück, sondern auch über die juristische Initiative Hendrik van Dams und des späteren Nebenklägers im AuschwitzProzess Henry Ormond (Tagung 1957).
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Ausländern sammeln: „Nun schreiben Sie, prosze Pana, in diese Ecke noch Oswiecim und das Datum hinein!‘ Der Kugelschreiber stockt ein wenig vor diesem Namen. Ein Deutscher und Oswiecim, das in unserer Sprache Auschwitz heißt! Nein, die Kinder denken sich nicht viel dabei. Die Kinder kommen aus Gleiwitz, sie sind auf einem Schulausflug. Aus allen Städten Schlesiens und Galiziens, sogar noch von weiter, kommen Jugendliche mit ihren Lehrern her, um das Museum des einstigen faschistischen Konzentrationslagers zu besichtigen.“ Aber auch die Lehrerin, von der die Kinder im Wartesaal „hören […], was es mit Auschwitz für eine Bewandtnis hat“, wird als gedankenlos dargestellt, wenn die Kinder, während die Lehrerin „sich zur Kasse begibt“, an „dem kleinen Krematorium, das hier vor dem großen Gittertor in eine Art Ehrenmal für die vier Millionen Opfer von Auschwitz verwandelt ist“, „den besonders für diese Anlage konstruierten Wagen zu schieben“ „versuchen“: „Die Lehrerin ruft sie zurück. Sie gibt ihnen keine Erklärungen. Es lohnt sich nicht, über dies kleine Krematorium viele Worte zu verlieren, das ist ja nur die Nummer eins von fünf, die sie noch sehen werden. Hier konnte man höchsten dreihundert Leichen täglich verbrennen.“ Am Ende des ersten der fünf durch Zwischenüberschriften gebildeten Abschnitte, „Am Eingang“, als die Kinder „brav“ „vor der ebenfalls völlig instand gehaltenen dreifachen Umzäunung“ „stehen“, kommentiert der Erzähler nicht, was „über deren Einlaß in schwarzen Lettern auf deutsch [sic] geschrieben steht“, den er erst im nächsten Abschnitt „dieses Tor mit der zynischen Inschrift“ nennt, sondern die „[s]eitlich warnende[n] weiße[n] Tafeln: ‚Vorsicht! Hochspannung! Lebensgefahr!‘ Vor elf Jahren war es nicht ratsam, den damals elektrisch geladenen Stacheldraht anzurühren, der an weißen Isolatoren über die gekrümmten Betonpfeiler läuft“. Ein Foto von der diagonal entgegensetzten Ecke des Stammlagers ist an dieser Stelle in die ersten drei Spalten des Artikels eingesetzt – mit der falschen Bildunterschrift „Einzäunung des Zentrallagers Brzezinka mit dem Blick auf Block 11 (Todesblock)“.¹⁰ Dem gedankenlosen Gedenkstättentourismus im Stammlager setzt der sich in solcher Abgrenzung als sensibel erweisende Erzähler eine „Gruppe katholischer Seminaristen“ entgegen, die in dem „Christus an der Mörtelwand“ überschriebenen zweiten Abschnitt die Zelle von Maximilian Kolbe, „dieses zeitgenössischen Märtyrers“, suchen, nachdem es für sie „nicht leicht“ gewesen sei, in „Korridoren der Gefangenenhäuser“ „unter den vielhundert numerierten ‚Verbrecher‘-Aufnahmen“ von „[K]ahlgeschworen[en]“ in „gestreifte[m] Drillich“ „die Bilder der polnischen Geistli-
Vgl. das Foto „Einzäunung des Lagers und der Block 11“ in der polnischen Broschüre über Auschwitz-Birkenau, das unter den 42 Illustrationen eine (Sehn 1957, 39) der zwei Aufnahmen von Gebäuden im gegenwärtigen Zustand ist; das andere Foto ist „Das Haupteingangstor des Lagers“ (32); es überwiegen historische Aufnahmen vom Zeitpunkt der Befreiung, so „Inneres einer Wohnbaracke im Männerlager in Brzezinka (Pferdestallbaracke Typ 269/9)“ (51) und „Inneres einer Baracke im Frauenlager in Brzezinka“ (53) von 1945, sowie noch stärker Fotos von Akten, darunter ein dreiseitiges „Schreiben von Clauberg“ (91– 93) an Himmler, „daß unter Anwendung einer von ihm in Oswiecim ausprobierten Methode an einem Tage einige hundert oder sogar einige tausend Personen sterilisiert werden können“ (91).
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chen herauszufinden“: „Alle starren aus den Rahmen mit weitaufgerissenen, unterschatteten Augen und hohlen Wangen“ (Pörzgen 1956). Aber in der „Kerkerzelle“ „hören“ „die Besucher“ „[s]chweigend“ „Schilderungen“ an, in denen „[d]ie Verhöhnung und Mißhandlung der […] polnischen Geistlichen […] einen breiten Raum ein[nimmt]“: „Hier ritzte Pfarrer Maximilian Kolbe vor seiner Todesstunde ein Christusbild in die Mörtelwand. Man kann es noch sehr gut erkennen. Er opferte sich für einen anderen, jüngeren, indem er dessen Schuld auf sich nahm.“ Doch der Erzähler schwächt die in der Entgegensetzung von anstarrenden, weitaufgerissenen Augen auf den Fotos und dem letzten Blick auf das Christusbild angelegte religiöse Deutung ab, indem er im inklusiven ‚man‘ kommentiert: „Wie in den mittelalterlichen Folterkammern kann man leicht das Gruseln lernen, angesichts […] der schaudererregenden Marter- und Hinrichtungsinstrumente.“ Das einzige Gebäude, das ausdrücklich als vom Reisenden aufgesucht dargestellt wird, ist der Block 10 – er ist auch auf dem zweiten in den Text eingefügten Foto zu sehen, mit seiner Wand durch das Eingangstor des Hofes links gegenüber dem rechts zu sehenden Block 11 und vor der Erschießungsmauer. Die Vase voll weißer Lilien vor dem Tor widerspricht allerdings dem, was Pörzgen über die Blumen der Priesterseminaristen zuvor geschrieben hat: „Eben deponiert eine Gruppe […], die über dem Priesterrock wie Uniformen Regenmäntel trägt, dort rote Rosen. Sie bedecken wie ein blutiger Schimmer den Platz des Todes.“ (Pörzgen 1956) An dieser Stelle findet sich auch die einzige Verknüpfung im Text zwischen der Gedenkstätte und dem Herkunftsland des Reisenden, für dessen Zeitungsleser die Beschreibung der Reise bestimmt ist. Der Erzähler betont, dass „dieses stark verwahrloste Haus […] völlig in dem Zustand geblieben ist wie im Januar 1945, als die Russen das evakuierte Lager besetzten“: „Das war das dunkle Reich solcher Männer wie Clauberg, gegen den binnen weniger Monate in Kiel ein Prozeß geführt werden soll. In Polen, wo lange behauptet wurde, daß unsere Behörden und Gerichte von Nazis nur so wimmelten, erwartet man mit gereizter Spannung den Urteilsspruch. Es ist allerdings unmöglich, voll zu ermessen, was hier geschah, ohne die Todesatmosphäre zu kennen, in der sich dieses brutale Herumexperimentieren an den empfindlichsten Organen lebender Menschen abgespielt hat. Untersuchungsrichter, Staatsanwalt und Richter täten gut daran, Auschwitz zu sehen, ehe sie ihre Folgerungen ziehen. Wenn auch dieser Bau erst einmal in eine Museumsabteilung verwandelt sein wird, kann er nur zu einem weiteren Denkmal der unauslöschlichen Schande werden. Die deutschen Ärzte […] befaßten sich mit nichts Geringerem als mit der wissenschaftlichen Ausarbeitung einer Ausrottungsmethode für ganze Nationen.“ „Claubergs dunkles Reich“ ist die Zwischenüberschrift dieses dritten Abschnitts der Reisebeschreibung, in dem Pörzgen dem Gericht einen Lokaltermin empfiehlt. Die Voraussetzung ist bemerkenswert, die Pörzgens Empfehlung zugrundeliegt; er begründet den Lokaltermin damit, dass der unveränderte Zustand für sich selbst spreche: „Hier reden die Gegenstände unmißverständlich. Sie sind die stummen Zeugen, gegen die es keine Einwendung gibt.“ (Pörzgen 1956) Diese Voraussetzung einer unmittelbar wahrnehmbaren, einer eindeutigen, einzig von der Justiz zu ermittelnden
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Wahrheit über das Verhalten von einzelnen begründet die im weiteren Gang durch Auschwitz I und II sich steigernde Ablehnung von gedruckten wie von mündlichen Führern. Die Zwischenüberschrift des nächsten Abschnitts zitiert die Begründung des Lokaltermins: „Hier reden die Gegenstände“, aber der Abschnitt beginnt mit dem abgelehnten Gegenteil: „An der Kasse des Museums kann man für wenige Zloty eine Beschreibung des Lagers erstehen, die in allen wichtigen Sprachen, auch auf deutsch, ausliegt. Aber es bedarf dessen gar nicht. Man braucht auch keine Führung, man braucht auch nicht die polnischen Inschriften, welche die Erläuterungen geben.“ Den ‚stummen Zeugen, gegen die es keine Einwendung gibt‘, entsprechen in Pörzgens Bericht über „Berge“ von Frauenhaar, Kindersachen, Prothesen, Koffern, Rasierpinseln, Töpfen und Körben „Besucher“, die „stumm an diesen Schaufenstern des Grauens entlang [schreiten]“ (Pörzgen 1956). Als ‚unveränderter Zustand‘ werden den ‚stummen Zeugen‘ auch zugerechnet „Zahlen“ und „Fotos“, „Originaldokumente“, die „in den Museumsvitrinen [als] ein reiches Aktenmaterial nach[zu]lesen“ seien. Der Erzähler referiert und zitiert kurz aus den ausgestellten Dokumenten zur „‚Aktion Reinhard‘“, und zwar über die „Verwertung d[…]er Gegenstände aus dem Besitz der vergasten Opfer“, und dies ist die einzige Stelle seines Texts, an der von jüdischen Opfern ausdrücklich die Rede ist. Pörzgen zitiert nur zwei Wörter: „Das eingesammelte Zahn-Bruchgold ‚jüdischer Herkunft‘ belaufe sich bereits auf über 50 Kilogramm.“ Auf der einen Seite spricht Pörzgens Setzung eines Schwerpunkts auf die ‚Aktion Reinhardt‘ dafür, dass er den 1955 erhältlichen Führer durch Auschwitz-Birkenau benutzt hat. Andererseits zeigt sich in der Zurückhaltung der Benennung der größten Opfergruppe eine Differenz zum polnischen Führer. In der in einer ersten Bearbeitung 1946 im „Bulletin der Zentralkommission zur Untersuchung der Naziverbrechen in Polen“ und 1955 in einer zweiten als „gesonderte[…] Publikation“ erschienenen Broschüre von Jan Sehn „Konzentrationslager Oswiecim-Brzezinka (Auschwitz-Birkenau). Auf Grund von Dokumenten und Beweisquellen“ (Sehn 1957, 5) wird zum XII. Kapitel „Beraubung der Opfer“ am Schluss angemerkt: „Die oben beschriebene [144– 149] Beraubung der Opfer wurde mit dem Decknamen ‚Aktion Reinhard‘ bezeichnet zum Gedächtnis an den von der tschechoslowakischen Widerstandsbewegung erschossenen Chef des Reichssicherheitshauptamten Reinhard Heydrich.“ (194) Aber im vorangegangenen Kapitel „Lager der Vernichtung“ ist klargestellt worden: „Es bestand ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Behandlung der im Lager befindlichen Juden und der Behandlung der übrigen Lagerinsassen. Anders als die Juden sollten Polen und Angehörige anderer Nationalitäten eines natürlichen Todes sterben (‚entgegen der bei den Juden angewendeten Maßnahmen, Polen eines natürlichen Todes sterben müssen‘). […] Dies betraf in der Regel nicht die Juden. Bei ihnen erfüllte das Lagerkombinat Oswiecim-Brzezinka seine zweite Funktion. Es war für Juden, wie Höß es bezeichnete, eine Vernichtungsanstalt.“ (134/135) Die ausgestellten, „im Archiv erhaltenen akkurat gezeichneten […] Pläne“, die „für den Fall eines Sieges einen noch weiteren Ausbau der Lagereinrichtungen vor[sahen]“, leiten über vom „Stammlager“ zu Birkenau, zur Kontrastierung von „Ziegelbauten“ und „Holzbaracken“ (Pörzgen 1956). Die Baracken geben dem vorletzten
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Abschnitt von Pörzgens Beschreibung auch die Zwischenüberschrift „Die Menschenregale von Birkenau“. Zu diesen zitiert er nun fast wörtlich aus dem IV. Kapitel von Sehns Broschüre: „Wohnungsverhältnisse“. Pörzgens Bezugnahmen werden im folgenden Zitat über die „Holzbaracken von vierzig Meter Länge“ in eckigen Klammern mit Jan Sehns Seitenzahlen [50] nachgewiesen: „Man errichtete sie nach dem Wehrmachts-Muster der Pferdestall-Baracken (Typ 260/9) [50], fensterlos [52], etwa zehn Meter breit [50], mit nur 2,65 Deckenhöhe [52]. Auf jedem Strohsack schliefen 3 bis 5 Häftlinge in dreistöckigen Bretterpritschen [52]. In die für höchstens 300 Menschen vorgesehenen Räume preßte man, wie aus den Listen der Bekleidungskammer ersichtlich, oft 1000 bis 1200 Häftlinge zusammen [52]. Die Lehmfußböden – im Sommer Staub, im Winter Schlamm –, der Mangel an Wasser und Ventilation [54], das Ungeziefer, Läuse, Flöhe und Ratten, begünstigten den Ausbruch epidemischer Krankheiten [54].“ (Pörzgen 1956) Aber Pörzgen geht über das Zitieren der offiziellen Broschüre hinaus und gibt – nach einer verallgemeinernd formulierten Beschreibung der Wirkung der sichtbaren ‚stummen Zeugen‘, der Baracken, auf Besucher – in wörtlicher Rede einem ungenannt bleibenden sprechenden überlebenden Zeugen das Wort, der an die Adressaten der Reisebeschreibung appelliert: „Auch im leeren Zustand, wie sie heute der Besucher sieht, wirken diese primitiv gezimmerten Menschenregale furchterregend. ‚Stellen Sie sich vor, welche Luft hier herrschte, wenn die Sonne auf das Holzdach brannte [sic] oder bei Regen, wenn man seine Kleider nirgendwo trocknen konnte. Jeden Tag lagen hier einige Tote. Jeder drängte soviel wie irgend möglich nach draußen, um wenigstens den Tag an der frischen Luft zu verbringen.‘“ (Pörzgen 1956) Doch gerade im letzten, „Zyklon“ überschriebenen Abschnitt setzt sich der Vorbehalt Pörzgens gegen ein „Besichtigungsprogramm“ durch,¹¹ gegen das, was „[m]an zeigt“: ein „Mahnmal“ „mit Asche oder Erde aus allen Konzentrations-Lagern des Dritten Reiches“, ein „Monument“ „mit Kränzen belegt“ (Pörzgen 1956). Er kontrastiert Vergangenheit und Gegenwart zu Lasten der Besucher der Gedenkstätte mittels eines rahmenden Naturbilds: „Bis hierher, in das Herz der riesige [sic] Barackenstadt, verlaufen heute noch die Gleise, die mittlerweile aber von Gras und Unkraut überwuchert sind. So weit kamen die Transporte, plombierte Viehwagen, vollgestopft mit Menschen aller Nationen. Hier auf der Todesrampe standen die Ankömmlinge noch ahnungslos; denn die Gaskammern und Krematorien liegen, wie man sieht, getarnt hinter Büschen und Pappelbäumen. Die Touristen, die Politiker, die Schulkinder schreiten durch saftiges Grün, wo damals nur kahlgetretener, nackter, aufgeweichter Boden war.“ Was das ‚Grün‘ heute verberge, lässt Pörzgen unausgesprochen. Denn im Schlusssatz, an den „Aschenstätten“ im „Wald“, wendet der Erzähler das Bild des ‚Überwucherns‘ von der Natur auf die Gesellschaft – wiederum mit einer – und zwar der schärfsten – Polemik gegen die Schulkinder als Touristen: „Die Schulkinder heben
Huener 2003, 139, missversteht diesen als Aussage darüber, dass nur wenige Besucher nach Birkenau gingen.
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pietätlos die Knochen auf, die zwischen den Grashalmen noch in Menge zu finden sind. Damals gab es in der Sperrzone, weit um das Lager herum, natürlich kein einziges Haus. Jetzt sind am Rand der riesigen Anlage wieder Siedlungen aufgetaucht.“ (Pörzgen 1956)
5 Paul Celan, Jean Cayrol, Alain Resnais: Nacht und Nebel „Ein eigentümliches Grün bedeckt jetzt die müdegetretene Erde“ (Celan 1983, 77), ist der von Paul Celan übersetzte Kommentar Jean Cayrols zu einer der ersten Einstellungen von Alain Resnais’ Film „Nacht und Nebel“, dessen Gang durch die Gedenkstätte im Oktober 1955 in Farbe aufgenommen wurde,¹² und zur vorletzten Einstellung „Wasser der Sümpfe und Ruinen“ in Birkenau heißt er: „es ist kalt und trübe – wie unser schlechtes Gedächtnis./ Der Krieg schlummert nur./ Auf den Appellplätzen und rings um die Blocks hat sich wieder das Gras angesiedelt.“ (97) Auch einige andere der ‚stummen Zeugen‘, die in Pörzgens Reisebeschreibung hervorgehoben werden, zeigt Resnais’ Film: „nicht mehr elektrisch geladen[e]“ „Drähte“ (77), „Tore“, „Bahnstrecke“ (79), „Blocks, Bettgestelle“ (81), „Wachtürme“, den „Hof von Block elf; die Mauer mit Kugelfang“ (87), „[e]in Krematorium“ und „eine Gaskammer“ (93). Deren Bilder waren 1956 auch in Kinos der Bundesrepublik, noch bevor Pörzgen reiste, zu sehen, obwohl der BRD-Botschafter mit Erfolg im französischen Außenministerium gegen die Nominierung von „Nacht und Nebel“ für den Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele in Cannes interveniert hatte. Die Forderung, den Film aus dem offiziellen Programm zurückzuziehen, war von Vollrath Freiherr von Maltzan damit begründet worden, „daß nach den Statuten des Filmfestivals nur solche Werke zugelassen seien, die das Nationalgefühl eines anderen Volkes nicht verletzen oder das friedliche Zusammenleben der Staaten nicht erschweren“ (Kraushaar 1996, 1357); am 18. Juli 1956 wurde diese regierungsoffizielle Einschätzung von Resnais’ Film im Bundestag von Staatssekretär Hans Ritter von Lex bekräftigt: „Die Aufführung […] hätte den Haß gegen das ganze deutsche Volk erneut schüren können.“ (1357)¹³ Während sich Pörzgen in seiner Reisebeschreibung von Auschwitz auf die öffentliche Diskussion des ‚Falls Clauberg‘ bezieht, thematisiert er nicht die Kritik am Verhalten der Bundesregierung im Falle von „Nacht und Nebel“, die in der Öffentlichkeit von dem zeitlich ersten Protest ausgelöst wurde, der je aus der Gruppe 47 kam.¹⁴
Vgl. zur ‚Gegenläufigkeit‘ des Films zu ‚Touristischem‘ Lindeperg 2010, 115. Zu Lex vgl. Rhein 2019, 77, über seine Zuständigkeit für Verfassungsschutz, politische Bildung durch die Bundeszentrale für Heimatdienst und für den KPD-Verbotsprozess; seine Karriere im Faschismus brachte der KPD-Abgeordnete Walter Fisch, dessen Mutter in Auschwitz ermordet worden war, in einer Bundestagsdebatte 1950 zur Sprache. Vgl. hierzu im Einzelnen Peitsch 2002.
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Die Strafanzeige des Zentalrats der Juden in Deutschland gegen Clauberg „wegen fortgesetzter schwerer Körperverletzung, wobei die Folgen beabsichtigt waren“, wurde von Hendrik van Dam mit der Frage der Wiedergutmachung verbunden: „Die Bundesregierung hat durch Beschluß vom 26. Juni 1951 eine Entschädigung für überlebende Opfer von Menschenversuchen angeordnet. Der deutsche Steuerzahler hat die Schuld verbrecherischer Personen abzutragen. Heute werden wir Zeuge davon, daß der Leiter des Experimentierblocks selbst als Heimkehrer gefeiert wird und vor dem Fernsehschirm eine Ansprache an Hunderttausende von Hörern halten darf. Hier liegt einer der erstaunlichsten Mißgriffe der Nachkriegszeit vor. Während noch Frauen, die durch Clauberg geschädigt sind, ihre Entschädigung nicht erhalten haben, meldet der Urheber unsagbarer Leiden, wiederum auf Kosten des gleichen Steuerzahlers, Anspruch auf DM 6000,– Heimkehrerhilfe an.“ (Dam 1955) Entsprechend grenzte van Dam die geforderte juristische Strafverfolung vom Terminus der Nürnberger Prozese, Crimes against Humanity, ab, um dann aber doch eine über Juristisches hinausgehende Frage zu stellen: „Es handelt sich also nicht nur um Menschlichkeitsverbrechen, sondern um Handlungen, die das geltende deutsche Strafrecht für jedermann mit den schwersten Strafen belegt. Unsere Frage geht dahin: Sollen diese Handlungen durch deutsche Gerichte nicht gesühnt werden, weil die Opfer Jüdinnen waren? Wir glauben, daß nicht nur wir auf Antwort warten.“ Dass nicht nur ein jüdisches ‚Wir‘ auf Antwort wartete, belegt „Die Andere Zeitung“, die 1955 Rudolf Genschels Reise nach Auschwitz veröffentlicht hatte. Sie druckte seit Dezember 1955 unter dem Titel „‚Endlösung der Judenfrage‘“ einen „Bericht“ in drei Folgen, von denen die erste „Erschießungen und Vergasungen“, die zweite „Vernichtungslager Auschwitz“ und die dritte „Bilanz der Judenvernichtung“ hießen (Genschel 1955b; 1955c; 1956). „Inzwischen hat das Bekanntwerden des Falles Clauberg und anderer in der deutschen Öffentlichkeit kritische Stimmen wachgerufen“, lautete die redaktionelle Vorbemerkung zu einem auf derselben Seite wie die erste Folge erschienenen Artikel, kritisch gegenüber „Bestrebungen […], die wegen Kriegsverbrechen Verurteilten in Deutschland als Helden und Märtyrer zu feiern und die Freilassung aller noch in westlichem Gewahrsam befindlichen verurteilten Deutschen zu fordern“ (Kief 1955). Zugleich aber berichtete „Die Andere Zeitung“, dass ihr von der „Zeit“ wegen des Artikels zu Friedland-Heimkehrertransporten „Der Standpunkt der Sieger“ vorgeworfen worden sei, „‚offen ins kommunistische Fahrwasser eingeschwenkt‘“ zu sein (Kief 1955). Dessen Autor, der Theologe Hans-Werner Bartsch, kritisierte nach Abschluss der Artikel-Folge über die „‚Endlösung der Judenfrage‘“ an der im Bundestag gehaltenen Rede des Ratsvorsitzenden der EKD Otto Dibelius zum Volkstrauertag, dass „der Bischof […] nur von denen redet, die ‚durch Feindeinwirkung umgekommen‘ sind, also wieder beim Heldengedenktag alten Stils landet und von denen nicht redet, die unter uns und in fremden Ländern durch Deutsche ihr Leben verloren haben, daß er kein Wort für die 6 Millionen Juden findet“, und dass der Bischof von den ausschließlich ‚deutschen Opfern‘ behauptet: „‚Sie sind alle gestorben mit jener großen Spannung im Herzen – der Spannung zwischen der Verpflich-
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tung, das zu tun, was ihnen geboten war, … und dem Bewußtsein, doch den Grund für das alles nicht bejahen und seinen Sinn nicht begreifen zu können.‘“ (Bartsch 1956) Im Unterschied zur Abwehr der Kritik von seiten der „Zeit“ berief sich die redaktionelle Vorbemerkung zu Helmut Genschels Artikelfolge positiv auf einen Kommentar in der „FAZ“: „Hans Baumgarten schrieb am 17. November 1955 […]: ‚Jetzt beobachtet man bei uns, daß nicht nur sentimentale Erinnerungen, sondern auch schon ganz unbekümmerte Verteidigungen des Nationalismus und des Nationalsozialismus wieder nach vorn drängen. Die Gefahr, die in der Vergeßlichkeit des Menschen liegt, wird dabei deutlich… Die Politiker, die Erzieher, die Wissenschaftler sind verpflichtet, das Gedächtnis der Deutschen zu stärken, das, wie das aller Menschen, nur die schönsten Erinnerungen bewahren möchte. Wir brauchen Schulbücher, Geschichtsbücher, wissenschaftliche Werke von Rang, die dem deutschen Volk von früher Jugend an die Wahrheit darüber sagen, wie es zu seinem entsetzlichen Zusammenbruch kam und welche Fehler und Verbrechen des Nationalsozialismus dieses Ereignis verschuldeten.‘“ (Genschel 1955b) Eine pädagogische Verpflichtung von Politikern, Erziehern und Wissenschaftlern, „an die Ereignisse zu erinnern, die geschehen sind“, wird „unserer hastigen Zeit, die sich bemüht, das Vergangene zu vergessen“ (Genschel 1955b), entgegengehalten, aber in den Widersprüchen der „Bilanz“ auch abgeschwächt: Was „sich hinter der Millionenzahl umgebrachter Juden verbirgt“, „kommt“ aber „in unzähligen Berichten zum Ausdruck“, ist jedoch in seinem „Ausmaß“ von „[k]einem Menschen“ „zu beschreiben“ (Genschel 1955c). Die Unsagbarkeitstopik widerspricht vor allem der am Schluss des letzten Artikels stehenden Forderung, „daß man zunächst einmal zur Kenntnis nimmt, was geschehen ist, und daß man die menschliche und politische Bedeutung dieses Geschehens zu begreifen sucht“ (Genschel 1955c). Aber wie sollte das geschehen, wenn gelten soll: „Keinem Menschen wird es je gelingen, das Ausmaß von Angst und Qual, von Nervenzerrüttung, Verzweiflung, von Wut und Schicksalsergebenheit, Mut und Hoffnungslosigkeit zu beschreiben, das Elend der zerrissenen Familien, der unschuldigen Kinder, Frauen und Männer, das sich hinter der Millionenzahl umgebrachter Juden verbirgt und das in unzähligen Berichten zum Ausdruck kommt.“ (Genschel 1955c) Genschels sich vor allem auf die 42 Bände „Nürnberger Dokumente“ berufende Darstellung von Judenverfolgung und -vernichtung betont sehr stark, dass deren Schritte seit März 1933 „in Schatten gestellt“ worden seien durch „jene große Aktion“: „Im Gegensatz zu den bisherigen Aktionen wurde diese ‚Endlösung‘ – eine Tarnbezeichnung für Massenvernichtung – streng geheim gehalten. Was hier geschehen sollte, war nicht für die Augen der Bevölkerung bestimmt, nicht einmal für die Augen der großen Masse der SS-Männer.“ (Genschel 1955b) Entsprechend wendet er sich an Leser, wenn er zu den „[z]wei Wege[n]“ der „Massenerschießungen in Rußland“ und der „Massenvergasungen in verschiedenen Vernichtungslagern, zumeist in Polen“, ein Ohlendorf-Zitat bringt: „Man muß sich die Bedeutung dieses letzten Satzes Ohlendorfs Wort für Wort klar machen, um eine Ahnung von dem zu bekommen, was sich damals an jenen Panzergräben im russischen Walde abspielte.“ (Genschel 1955b) Und
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er betont: „Diese Vernichtungslager waren völlig getrennt von den ‚normalen‘ KZLagern.“ (Genschel 1955c) So wendet Genschels „Bilanz“ ein Nicht-Sehen des ‚Geheimen‘ in eine Nicht‚Beteiligung‘, um daraus einen Anspruch abzuleiten auf ein ‚Verstehen‘ durch die jüdische ‚Seite‘; das ‚Begreifen‘ der „menschliche[n] und politische[n] Bedeutung“‘ dessen, „was geschehen“ und „zur Kenntnis“ ‚zu nehmen‘ ist, beschränkt sich auf ein „neue[s] deutsch-jüdisches Problem“: „Das deutsche Volk, das sich in seiner Gesamtheit zwar nicht an der Judenvernichtung beteiligt hat, in dessen Namen sie aber vor aller Welt geschehen ist, muß mit der Verantwortung und den Problemen fertig werden, die ihm seine einstigen Machthaber hinterlassen haben. So ist aus der vermeintlichen ‚Endlösung der Judenfrage‘ in Wahrheit der Anfang eines neuen deutschjüdischen Problems geworden, dessen Lösung viel Geduld und Verstehen auf allen Seiten erfordert. Eine Voraussetzung hierzu ist, daß man zunächst einmal zur Kenntnis nimmt. Was geschehen ist, und daß man die menschliche und politische Bedeutung dieses Geschehens zu begreifen sucht. Das hat bis heute nur ein geringer Teil unseres Volkes getan.“ (Genschel 1956) „In einem der Kommentare zu ‚Nacht und Nebel‘ heißt es, man denke nicht daran, ein ganzes Volk mit den KZ.-Verbrechern zu identifizieren“, zitierte der Feuilletonchef der „FAZ“ Karl Korn, noch bevor der Protest aus der Gruppe 47 von Paul Schallück zuerst im WDR gesprochen wurde (Schallück 1956), am 13. April 1956: „ In diesem Satz liegt ein unausgesprochener Appell an uns. Wir sollten endlich ganz entschieden und klar sein!“ (Korn 1956) Der „FAZ“-Festivalberichterstatter fragte: „Warum mußte dieser Film auf deutschen Wunsch vom Festspielprogramm abgesetzt werden?“, und bezog sich auf die Anfangs- und Schlussbilder des Films, „die heute von Gras und Unkraut überwucherten Stationen einer großen Passion, die die zahllosen Opfer dieses Krieges jenseits der Schlachtfelder bis zum Tod oder bis zur Freiheit durchschreiten und durchleiden mußten“: „Die Aussage des Films ‚Nacht und Nebel‘ ist nichts als die reine Wahrheit.“ (Ruppert 1956) Mit einer „Sondervorstellung“ (Stempel 1956) am Rande der Berlinale¹⁵ wurde deutlich, dass es in der bundesrepublikanischen Politik Kräfte gab, die die Intervention der BRD-Botschaft in Cannes nicht als die Position des offiziellen ‚Deutschlands‘ stehen lassen wollten. Demonstrativ nahm der Präsident des Westberliner Abgeordnetenhauses, der Sozialdemokrat Willy Brandt, nicht nur an dieser Vorführung teil, sondern sprach auch „einleitende Worte“: Er „wies darauf hin, daß ‚das deutsche Volk nicht vergessen dürfe, damit die anderen vergessen können‘“ (Freunde 1993, 59). Brandts präskriptive Formel sieht einen Tausch von eigener Erinnerung gegen das Vergessen ‚der anderen‘ vor; sie verweist ausdrücklich auf eine primär außenpolitische Funktion des Erinnerns, so wie die Präsenz des Sozialdemokraten, der das Amt des Regierenden Bürgermeisters der Frontstadt anstrebte, eine direkte,
Vgl. dagegen die irreführende Formulierung „Auf den Internationalen Filmfestspielen […] in Anwesenheit […] Willy Brandt[s]“ von Kraushaar 1996, II, 1407.
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kontrastierende Antwort auf die diplomatische Aktion der Bundesregierung Adenauer gegen das mit der Berlinale konkurrierende Festival von Cannes sein sollte. Im offiziellen „Schlußbericht“ der Festspielleitung der Berlinale wird dann auch festgehalten, dass nicht sie, sondern der Kongress für kulturelle Freiheit der Träger der „Sondervorführung“ am 1. Juli gewesen ist; über deren Publikum sagt der Bericht, dass der Film „vor zahlreichen Vertretern des politischen und kulturellen Lebens sowie zahlreichen ausländischen Gästen gezeigt“ worden sei (59). Für die außenpolitische Funktion des Erinnerns genügte es zunächst, ‚Ausländern‘ zu zeigen, dass Westberliner Prominente den Film Resnais’ ansehen; wenn Brandts erster Auftritt mit „einführenden Worten“ zu „Nacht und Nebel“ vor allem als Versuch zur Begrenzung des diplomatischen Schadens angesehen werden kann, den das Auswärtige Amt durch seine Intervention angerichtet hat, so wendet der zweite Auftritt am 16. November das Angebot von Erinnerung im Tausch gegen Vergessen in eine Forderung.¹⁶ Die aggressive Anmeldung eines Wiedervereinigungsanspruchs, der zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr nur mit der französischen und britischen, sondern auch tendenziell bereits mit der US-amerikanischen Politik kollidiert, legitimiert sich mit der Erinnerung an die faschistischen Verbrechen. Den demonstrativen Charakter der Vorführungen von „Nacht und Nebel“ in der Filmbühne Wien am Kurfürstendamm zwischen dem 16. und 22. November 1956¹⁷ bringt der Kommentator des „Abend“ lapidar zum Ausdruck, wenn er seinen Artikel über die erste Aufführung mit dem Hinweis auf die drei folgenden Veranstaltungen (am Samstag vor, am Sonntag, der Volkstrauertag ist, und am Buß- und Bettag, jeweils als Matinee) mit den Worten schließt: „Lücken im Parkett würden uns zutiefst beschämen.“ (Krüger 1956)
Die Vorführung vom 16. November 1956 fehlt bei Kraushaar 1996, II, 1515; sie wird erwähnt, wenn auch unzureichend dargestellt bei Hebard 1997, 87; Kittel 1993, 332, verschweigt Brandt, um stattdessen – ohne sich in der Datierung um Genauigkeit zu bemühen – den CDU-Bundestagsabgeordneten Paul Bausch zum Förderer des – wesentlich späteren – Einsatzes des Films durch die Bundeszentrale für Heimatdienst zu erklären.Vgl. dagegen die Hinweise von Ewout van der Knaap auf die Verbreitung der 200 Kopien, die seit November 1956 zur Verfügung standen, durch Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (u. a. in Wochen der Brüderlichkeit) (Knaap 2008, 104), Landesbildstellen in Hamburg und NRW (101, 103), den SDS, die Internationale der Kriegsdienstgegener, die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Akademiker (87), die IG Metall (86) und den DGB (98). Ewout van der Knaap zitiert eine Stimme aus dem Westberliner Schülerparlament: „‚Was also in den Schulbüchern verschwiegen wird und wozu offensichtlich auch nicht alle Lehrkräfte den Mut finden, die Jugend verlangt es‘“ (102), und belegt seinen Befund einer Rezeption durch „[b]reite Schichten“ (91) mit einer zweiteiligen Karikatur von H. E. Köhler zu einem Kommentar von W. E. Süskind über „Deutsche Vergeßlichkeit“ (S. 108) in ihrem Buch „Zehn Jahre Bundesrepublik Deutschland“; die linke Hälfte zeigt den Vater mit einer energisch abwehrenden Handbewegung über den Sohn hinwegblickend, die rechte mit einer Armbewegung den Blick des Sohns lenkend; links ist die Bildunterschrift ein Dialog, rechts spricht nur der Vater: „‚Wie war das eigentlich mit den KZ’s,Vati?‘ ‚Ach, lassen wir Vergangenes endlich ruhen.‘“, „‚Hier stand ein deutscher Laternenpfahl! Vergiß es nie, Horst-Adolf, daß ihn einer dieser Ami-Panzer anno 1945 umfuhr!‘“ (Köhler/Süskind 1959, 109). Der Abend, Berlin, 15.11.1956, S. 10: Was das KINO spielt.
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Wenn die Aufführung vom 1. Juli nicht nur organisatorisch am Rande der Berlinale, sondern auch örtlich am entfernten Rande des Westberliner Zentrums stattfand, so unterstreicht das Uraufführungskino des Kudamms im November die zentrale Bedeutung des Ereignisses. Brandts Einleitung der ersten Vorführung wird durch den Vorabdruck in Form eines Interviews breit zugänglich gemacht: „Mut zur Wahrheit!“ (Brandt 1956) Es stellt den entscheidenden Zug dieser erneuten Vorführung heraus: Resnais’ Film wird zusammen mit einem anderen gezeigt, einem Porträt des Westberliner Oberbürgermeisters Ernst Reuter: „Der SS-Staat und die Freiheit. ‚Nacht und Nebel‘ und ‚Ernst Reuter‘“ (Krüger 1956). Damit ist von vornherein die Einbettung des „KZ-Films“ in den Rahmen antitotalitaristischer Deutung gesichert. Aber Brandts Kommentar geht wesentlich darüber hinaus: In Reuter wird „der Deutsche“ – den Resnais’ Film ja als Opfer des Totalitarismus gezeigt haben soll – zum Widerstandskämpfer heroisiert, und der Widerstand wird auf eine Weise idealisiert, dass er als Verteidigung ewiger moralischer und geistiger Werte in einen grundsätzlichen Gegensatz zur Wirklichkeit gesetzt wird. Die Pointe von Brandts Einführung liegt darin, eine Politik für umso idealer zu erklären, je illusionärer sie ist. Brandt bezieht sich zur Begründung dieser Aktualität auf die wenige Tage zurückliegende sowjetische Intervention in Ungarn: „Gerade auf dem Hintergrund schrecklicher Ereignisse, die sich im Osten Europas in diesen Tagen abspielen, scheint mir der Hinweis darauf wichtig zu sein, daß das Leben Ernst Reuters […] den bequemen Satz widerlegt, daß die Politik die Kunst des Möglichen sei. Vielmehr ist Politik die Kunst, das zunächst unmöglich Erscheinende möglich werden zu lassen und zwar, wenn man weiß, was man will, wenn man es ganz will und wenn man sich der tiefen ewigen moralischen und geistigen Kräfte bewußt ist…“ (Brandt 1956) Die von Brandt angeführten „Ereignisse“ hatten am 5. November in Westberlin zu gewaltsamen Aktionen gegen das sowjetische Ehrenmal auf der Straße des 17. Juni und gegen die Sektorengrenze am Brandenburger Tor geführt, Aktionen, in denen Brandt eine zweideutige, aufputschende und besänftigende Rolle gespielt hatte; wenn er zunächst vor dem Schöneberger Rathaus Parolen wie „Das Russendenkmal muß weg“, „Iwans raus“, „Rache für Ungarn“ zum „beste[n] Beweis dafür“ erklärt hatte, „daß die Berliner noch nicht schlafmützig geworden seien“, so hatte er dann später am Kleinen Stern die Ausschreitungen zu beenden versucht, indem er aufforderte, „das Lied ‚Ich hatt einen Kameraden‘ und die dritte Strophe des Deutschlandliedes zu singen“ (Kraushaar 1996, II, 1504). In der Berichterstattung des „Abend“ wiederholt sich die Einbettung der Erinnerung an die faschistischen Konzentrationslager in den durch Ungarn aktualisierten antitotalitaristischen Rahmen; Karl-Heinz Krügers Besprechung der Freitagabendaufführung mit Brandt steht am unteren Rand der Seite 3, die über sechs Siebtel ihrer Länge von dem Dreispalter: „Straßenkampf im Laternenlicht. Heinz Metlitzkys Budapester Tagebuch“ bestimmt wird.¹⁸
Der Abend, Berlin, 17.11.1956, S. 3.
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Brandts Voraberklärung, wie der Film Resnais’ im Zusammenhang mit dem über Ernst Reuter zu verstehen sei, geht auf den Faschismus nur in der universalisierenden Redeweise von „einer bösen totalitären Herrschaft“ ein, die darin liege, „Menschen [zu] mißbrauchen“ und „auszurotten“ (Brandt 1956); wenn Brandt „von jedem etwas Mut“ „zur Wahrheit“ „fordert“, dann verbindet er die – vom Film repräsentierte – Erinnerung an die Verbrechen mit einer expliziten Entlastung von Schuld und mit einer impliziten Rechtfertigung des Vergessens, ohne allerdings auszusprechen, weshalb erinnert werden solle: „Dieser Film klagt nicht unser Volk an, und ich bin froh, daß die schrecklichen Fragen, die er aufwirft, heute weitgehend nicht mehr als eine Frage der Schuld behandelt werden müssen. Es wächst eine neue Generation nach, die aber wissen muß, daß die Therapie des Gras-Wachsen-Lassens nicht allein ausreicht, mit der Vergangenheit fertig zu werden.“ (Brandt 1956) Warum zum Zeitpunkt der Wiederaufführung erinnert werden sollte, machte der Passus über den Reuter-Film im Stichwort einer Politik des ‚zunächst unmöglich Erscheinenden‘ deutlicher. Den Klartext formulieren aber erst die Reden bundesrepublikanischer Politiker, die die Ungarn-Krise dazu nutzten, anlässlich des 10. Jahrestags der Trennung des Westberliner Abgeordnetenhauses vom Gesamtberliner die Wiedervereinigung und vor allem die Hauptstadtrolle Westberlins auf die Tagesordnung zu setzen.¹⁹ Von Bundespräsident Heuss (FDP) über die CDU-Bundesminister Jakob Kaiser und Ernst Lemmer bis zu Brandt war man sich im November 1956 einig mit dem Regierenden Bürgermeister Otto Suhr (CDU): „Berlin muß in Kürze wieder in vollem Umfang die Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschland sein.“²⁰ Die Redner feierten die separate Konstituierung des Abgeordnetenhauses als „erste[…] Äußerung des Widerstandes gegen die Unterdrückung der Freiheit und Selbstbestimmung“, um sie auf die Geschichte Westberlins zu verallgemeinern: „Diese zehn Jahre machten aus Berlin […] eine besondere Stadt: bewundert um Mut und Widerstandswillen ihrer Bevölkerung, geachtet wegen ihres unerschütterlichen Freiheitswillens.“²¹ Die antitotalitaristische Heroisierung begründete die Anmeldung nationalistischer Ansprüche, durch Heuss wie durch Brandt. Heuss erklärte: „Berlin hat durch seinen Freiheitskampf ohne Waffen einen großen Sieg für das deutsche Ansehen in der Welt errungen. Die Stadt hat alle Staatsmänner zur Einsicht gebracht […]. Berlin ist im Bewußtsein aller Deutschen wieder die Hauptstadt. Jetzt muß alles für den Tag der Wiedervereinigung vorbereitet werden.“²² Und Brandt zog aus der Geschichte Westberlins die Lehre, „daß es niemals absolut ausweglose Situationen gebe. ‚Auch ein äußerlich machtloses Volk kann Bedeutendes leisten, wenn es vom rechten Geist erfüllt ist.‘“²³
Vgl. zur journalistischen Unterstützung Dönhoff 1963. Berlins Sieg ohne Waffen. In: Der Abend, Berlin, 27.11.1956, S. 2. Og.: Einig im Willen zur Freiheit. In: Der Abend, Berlin, 26.11.1956, S. 2. Berlins Sieg 1956. Ebd.
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Die Vorführung von Resnais’ Film gerade in der Woche von Volkstrauertag und Buß- und Bettag entspricht dem antitotalitaristisch akzentuierten Wiedervereinigungsnationalismus;²⁴ dieser ließ der Erinnerung an die faschistischen Verbrechen nur außenpolitische Funktionen – in Form der Gleichsetzung zur Unterstützung des antisowjetischen Feindbilds, in Form der Distanzierung zur Förderung der Einbindung in die westliche Allianz. Selbst wenn auf diese Weise die Erinnerung an die Konzentrationslager, die Resnais’ Film repräsentierte, antikommunistisch funktionalisiert wurde, unterschied sie sich aber durch ihre Konkretion sowohl von jener Rhetorik des Antitotalitarismus, die Ernst Reuter benutzt hatte, wenn er primär auf die Fortsetzung des faschistischen Antibolschewismus setzte,²⁵ als auch von dem „Kult um den deutschen Nationalstaat“, der 1954 mit der Einführung des 17. Juni als Nationalfeiertag institutionalisiert und „vor allem von Adenauers deutschlandpolitischen Gegnern initiiert und getragen“ wurde (Wolfrum 1999, 133). Zu berücksichtigen wäre vielleicht auch eine Glaubwürdigkeitskonkurrenz in Sachen Antifaschismus, die sich aus der Konfrontation mit der DDR ergab.²⁶ In der Abgrenzung von Ostberlin konnte das antifaschistische Element des Antitotalitarismus hinter dem antikommunistischen nicht völlig verschwinden. Ex negativo läßt sich diese Konkurrenz um antifaschistische Legitimität aus den Polemiken ablesen, die in der Ostberliner „Weltbühne“ gegen sozialdemokratische Inkonsequenz auf dem Feld der ‚Auseinandersetzung‘ mit der Nazi-Vergangenheit geführt wurden. Die Zeitschrift, die im wesentlichen von „[z]urückkehrende[n] Emigranten oder ehemalige[n] KZ-Häftlinge[n], allesamt Kommunisten“ (Barck 1999, 406) begründet wurde, beschrieb der damalige stellvertretende Leiter des Amts für Literatur und Verlagswesen 1955 in einem Brief an das ZK der SED als „ein vor allem nach Westdeutschland wirkendes Organ“ (Davidis 1995, 119). 1956 durchzieht der Topos vom ‚Severingdeutschen‘ (Nemo 1956a, 1082) die Berichterstattung über die Aktivitäten des Grünwalder Kreises Hans Werner Richters, die bemerkenswert breite Aufmerksamkeit finden und als solche der „Dichter- und Schriftsteller-‚Gruppe 47‘“ präsentiert werden (1074), ohne dass allerdings der Protest gegen die Intervention in Cannes erwähnt würde. Den „Severingdeutschen“ charakterisiert die „Weltbühne“ als jemanden, der glaube, „daß es zwischen rechts und links auf die Dauer eine sichere politische Entwicklungsmöglichkeit gebe“: Er sei „der überzeugte Demokrat der Mitte, der zeit seines Lebens den Lumpenfaschismus verabscheut und bekämpft und der in lichten Momenten wohl auch begriff, daß Hitler kein gesellschaftlich isoliertes Phänomen gewesen sein kann“
Vgl. Goschler 1992, 218. Vgl. Meyer 1987. Dirk van Laak setzt „eine immer stärker aufbrechende deutsch-deutsche Konkurrenz um die historische ‚Meistererzählung’“ (2002, 179) für die frühen 1960er Jahre an, während Detlef Hoffmann die „These“ vertritt, dass „der Westen […] von der Erinnerungstradition der DDR nicht beeinflußt worden ist“ (2004, 167). Nach Wolfgang Hardtwig hätte es „Vergangenheitsbewältigung“ in der Bundesrepublik „nicht gegeben ohne die Intervention des Auslands“ (Hardtwig 2007, 183), wobei er die DDR ausdrücklich ins Ausland einschließt (185).
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(1082). Die Warnung vor der „formaldemokratisch“ genannten „Illusion“ der „Mitte“ wird von der „Weltbühne“ „ausdrücklich“ an Richter sowie Helmut Hammerschmidt adressiert (1082), während das wie dieser gleichfalls für den Bayerischen Rundfunk tätige Mitglied der Gruppe 47 Walter M. Guggenheimer wesentlich positiver eingeschätzt wird: „der linke Sozialist […] ist […] ein ebenso scharfsinniger wie mutiger Mann“ (1078; vgl. Guggenheimer 1955). Schon der durch die berühmten „***“-„Sternchen“ (Barck 1999, 118) als redaktionell ausgewiesene Kommentar zu „Hammerschmidts Liste“ „vermißt“ „die entscheidende Klarheit“ über „Klassenlage“ und „Klassendenken“; ausgerechnet an Hammerschmidts Begriff der „‚bestimmten Geisteshaltung‘“, die dieser, wie eingeräumt wird, „denunziert“, wird „die Schuld der Sozialdemokratie“ festgemacht: Sie liege darin, dass sie „d[…]en von Natur [sic] nicht zum Faschismus neigenden Teil des deutschen Volkes bisher davon abhielt, den Faschismus als typische bourgeoise Klassenkampf-Politik zu erkennen und dann auch ein Gefühl für die deutschnationalen und christlich-konservativen Vorformen des Faschismus zu entwickeln“ (*** 1956, 269). Der theoretische Vorwurf, den Faschismus nicht sozialökonomisch zu begreifen, wird noch verschärft zu dem praktischen, dass eine Kritik am Faschismus als „Geisteshaltung“ „nur ungewollte Beschleunigung“ (269) des Renazifierungsprozesses sei. Hieraus ergibt sich auch das Schweigen der Münchener Mitarbeiterin Anni Huber zum Protest Schallücks in ihrer Darstellung der Nicht-Aufführung von „Nacht und Nebel“ im Wettbewerb in Cannes: „In Bonn […] gehört bekanntlich die Kunst des Vergessenkönnens zu den wichtigsten Grundlagen der Regierungspraxis – wie anders rechtfertigte sich sonst alles, was dort in den letzten Jahren Gesetzeskraft erlangt: von der Wiedereinstellung der 131er über die Wiedergutmachung an ‚Entnazifizierungsgeschädigte‘ bis zum Aufbau einer aggressiv gedachten, neuen Wehrmacht? Und so war es denn im Grunde nichts weiter als logisch, daß man sich mit eiserner Stirn auf seine ‚nationalen Gefühle‘ berief und jenen peinlichen Protest gegen den französischen KZ-Film an die Riviera sandte.“ (Huber 1956a, 601) Bemerkenswert ist aber, dass der sozialökonomisch begründeten These, dass die Mehrheit des deutschen Volkes ‚von Natur‘ – als Arbeiterklasse nämlich – ‚unschuldig‘ am Faschismus sei, in der „Weltbühne“ widersprochen wird; Jan Kaminsky greift eine – auch bei Richter²⁷ oder Schallück (1962, 18) zu findende – Formulierung Hammerschmidts auf: „‚Millionen Unschuldiger, die als sogenannte Parteigenossen oder Volksgenossen dann die ganzen Folgen (!) der nationalsozialistischen Wahnsinnspolitik auszubaden hatten‘“ (Kaminsky 1956, 584). Hiergegen wendet Kaminsky ein: „[…] so unschuldig […] waren sie nicht. Ich weiß, ich rühre hier an einen Nerv, an den man – auch hier im Osten – nicht gern rührt. Aber die Situation ist so ernst, daß jede Banalisierung sich verbietet. […] es ist […] eine glatte Lüge, wenn man das Vgl. seinen Brief an Heinz Schwitzke vom 20.12.1956: „Auch mir widerstrebt dieses Herumschnüffeln in der Vergangenheit eines Schriftstellers. […] Es ist doch keine Schande sich politisch geirrt zu haben.Wir haben es ja irgendwo alle, der eine mit der einen Seite, der andere mit der anderen.“ AdK, Bestand Hans Werner Richter, 72/86/509 Bl.7.
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deutsche Volk oder wenigstens doch die Millionen Parteigenossen als unschuldige Bählämmer hinstellt. Daß sie irregeführt worden sind, ändert nichts an der Tatsache, daß sie sich schuldig gemacht haben.“ (584) In der Zeitschrift wird so sehr ausführlich, d. h. in drei Folgen, Gerald Reitlingers Buch „Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939 – 1945“ unter der Überschrift „Die deutschfaschistische ‚Endlösung‘ der Judenfrage. Ein erster wissenschaftlicher Gesamtbericht“ rezensiert, und zwar von derselben Mitarbeiterin, die über den Fall „Nacht und Nebel“ berichtete: „Wir möchten heute auf eine politisch ganz besonders wichtige Neuerscheinung hinweisen […]; das Werk ist bereits 1953 in London erschienen, und daß jetzt in unseren Tagen, aller Restauration zum Trotz oder vielleicht gerade ihretwegen, ein westdeutscher Verlag die Herausgabe übernommen hat, ist bemerkenswert und hoch anzuerkennen.“ (Huber 1956b, 1336) Eine Rezension erwägt – was im Falle von H. G. Adlers „Theresienstadt 1941– 1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft“ und Reitlingers Buch geschehen war –²⁸ die Möglichkeit, „daß eine bundesrepublikanische Behörde hier der finanzielle Deus ex machina war“: „Auch in solchen Behörden schlägt sich eben die Minderheit der Severing-Deutschen auf sicher verlorenem Posten mit der wieder wachsenden Mehrheit der HindenburgDeutschen.“ (Nemo 1956b, 1571) Sowohl die Anerkennung der Tatsache, dass 1956 bis in die Behörden des offiziellen Westdeutschlands hinein eine ‚Auseinandersetzung‘ über die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen stattfand, als auch das Eingeständnis, dass sich die Frage der Schuld nicht auf Westdeutschland abschieben lasse, können als Ausdruck der Konkurrenz um antifaschistische Legitimation gedeutet werden; sie führt in der „Weltbühne“ zu bemerkenswerten Feststellungen, wenn Huber z. B. ihre Reitlinger-Besprechung schließt: „Es gibt Dinge, über die nie Gras wachsen darf […] und die man nicht vergessen darf. Zu ihnen gehören die nazistischen Judenmorde. Im Westen besteht im Allgemeinen die Tendenz – eine letzten Endes […] selbstmörderische Tendenz –, diese politischen Verbrechen mit dem politischen Irrtum in einen Topf zu werfen. Möge Reitlingers Buch eine möglichst starke Gegenwirkung beschieden sein. So gesehen, ist es auch ein gar nicht unwichtiger Beitrag zur geistigen Wiedervereinigung Deutschlands.“ (Huber 1956b, 1451) Ein anderes Moment solcher ‚Wiedervereinigung‘ im Zeichen der Erinnerung an die Judenverfolgung und -vernichtung zeigt sich in der „Weltbühne“ 1956 in ihrer Berichterstattung über den Zweiten Internationalen Schriftstellerkongreß in Überlingen, oder genauer: über die dortige Konfrontation zwischen dem Exilschriftsteller Hermann Kesten und dem Nazi-Autor Ludwig Friedrich Barthel. Bernd Hardts „Notizen“ aus Überlingen machen sich in der Darstellung der Reaktion der Teilnehmermehrheit die Einschätzung einer Westdeutschen zu eigen, die den späteren Sprachgebrauch antizipiert: „Auf sie alle traf zu, was die junge Hamburger Schriftstellerin Geno Hartlaub in der Diskussion für Hermann Kesten sagte: ‚Die Summe der passiven
Vgl. Atze 1998, 138.
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Schuld ist gewaltig.Warum weigert man sich so beharrlich, Schuld anzuerkennen und zu tragen? Wir sind wegen unserer unbewältigten Vergangenheit unproduktiv, unruhig und ziellos.‘“ (Hardt 1956, 1445) In der „Kultur“, die zum Organ des Grünwalder Kreises zu machen Richter bemüht war,²⁹ wird Kestens Kontroverse kaum weniger Aufmerksamkeit zuteil als in der „Weltbühne“, wo die Solidarisierung des Gruppe 47Mitglieds Wolfgang Weyrauch mit Kesten ausführlich zitiert wird (1445/1446). Die Münchener Zeitschrift druckt aus Kestens Referat die kritischen Passagen zu Gottfried Benn und Hans Carossa, in denen er „dagegen protestiert, daß man moralisch zwielichtige Dichter öffentlich […] als die geistigen Führer der Nation uneingeschränkt rühmt“ (Kesten 1955/56). Kesten konfrontiert die offizielle und öffentliche Rezeption der beiden Autoren in der BRD in Gegensatz zu der Weise, wie sie in ihren autobiographischen Texten der Nachkriegszeit „ihre Irrtümer bereuten“ (Kesten 1955/56). „Ohne Gedächtnis gibt es keine Gewissen“, zitiert die Frankfurter Wochenzeitung „Die Tat“ Kestens eigenen Bericht über die Kontroverse von Überlingen: „Am meisten erstaunte mich […] die brutale Offenheit, mit der soviele [sic] von mir, von allen Schriftstellern und vom Publikum verlangen […], man solle ‚vergeben und vergessen‘.“ (Wahrheit 1956) Die von der VVN herausgegebene „Wochenzeitung der Widerstandskämpfer gegen Faschismus und Militarismus Interessenorgan für die Opfer und Hinterbliebenen des Hitlerterrors“ (so der Kopf z. B. am 7. April 1956) bewegte sich weniger am Rande des Verfassungskonsenses, wie ihn die im Bundestag vertretenen Parteien bestimmten, als dass sie durch dessen antitotalitaristische Grenzziehung bedroht wurde, zumal in dem Jahr, wo die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Antrag der Bundesregierung fiel, die KPD zu verbieten. Der Prozessvertreter der Regierung in Karlsruhe war derselbe Ritter von Lex,³⁰ der im Bundestag die Intervention gegen Resnais’ Film rechtfertigte. Wenn am 18. April 1956, zwei Tage nach der Sendung von Schallücks Protest im WDR, „Die Tat“ bei Hans-Jochen Vogel „um die Anschrift des Grünwalder Kreises und diejenige des Herrn H. W. Richter“ bat,³¹ dann kann darin eine jener vielfältigen Bemühungen gesehen werden, durch die die VVN versuchte, ihren Antifaschismus in der Bundesrepublik zu vernetzen. Aus Richters Nachlass geht nicht hervor, ob er der „Tat“ die gewünschte „Pressekarte“ für die Hamburger Tagung des Grünwalder Kreise ge-
Vgl. seinen Brief vom 21.6.1956 an den Verleger Desch: „Der Grünwalder Kreis gewinnt so schnell Einfluss und wächst so schnell, dass es notwendig wird, an eine Zeitung oder Zeitschrift zu denken, die auf dem Boden dieses Kreises steht. Dies sollte nach meiner Ansicht die ‚Kultur‘ sein.‘ (AdK, Bestand Hans Werner Richter, 72/86/509 Bl.62) Die Übernahme der Zeitschrift gelang Richter jedoch nicht, auch wenn er seit September 1956 in der Redaktion durch Erich Kuby – zuständig für den Aufmacher – unterstützt wurde. Die „Klärung“, die Kuby im Protokoll einer Besprechung mit Verleger und Chefredakteur Hönscheid am 25.10.1956 festhielt, scheiterte an Deschs Festhalten an Hönscheid, so dass Kuby im Februar und Richter im August 1957 aus der Redaktion der „Kultur“ ausschieden (Richter 1997, 237). Vgl. Die Tat, Frankfurt/M., 7.4.1956, S. 2: Prozeß ohne Richter. AdK, Bestand Hans Werner Richter, 72/86/509 Bl.165.
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schickt hat;³² seine brieflichen Warnungen an Hamburger, Kölner oder Berliner Organisatoren vor den „falschen Leute[n] mit Osteinstellung“³³ sprechen ebenso dagegen wie sein zustimmender Kommentar zum Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August in der „Kultur“ (Richter 1955/56b), und in der „Tat“ findet sich kein Bericht über die Hamburger Tagung. In ihrer Berichterstattung über den Fall „Nacht und Nebel“ stellt die Wochenzeitung nicht deutsche, sondern internationale Proteste gegen die Intervention der Bundesregierung ins Zentrum; die von ihr ausgewählten entsprechen allerdings einer Differenzierung, die die erste, redaktionelle Stellungnahme programmatisch vornimmt: „Die deutsche Botschaft protestierte im Namen des … deutschen Volkes. […] Weil sich einige Vertreter unseres Volkes betroffen fühlten, mußte die Ehre unseres schlecht vertretenen Volkes herhalten. Als sei unsere Ehre angegriffen, wenn von den Greueln der SS gesprochen wird!“ (G. D. 1956) Ähnlich argumentiert ein Brief, der von der Generalratstagung der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) in Paris an Außenminister Heinrich von Brentano geschickt wurde und den „Die Tat“ am 12. Mai 1956 druckte: „Der Film ‚Nacht und Nebel‘ ist keineswegs eine Beleidigung des deutschen Volkes, denn Hitler, seine SS-Führer und die Nacht-und-Nebel-Generale waren und sind nicht das deutsche Volk. […] Er ist eine eindrucksvolle Mahnung, nie wieder eine ‚Politik der Stärke‘ zuzulassen.“³⁴ Die im letzten Satz vorgenommene Zuspitzung auf Remilitarisierung und Kalten Krieg fehlt in dem Protest der Straßburger Association National des Anciens Combattants de la Resistance Francaise, den die „Tat“ schon am 28. April 1958 druckte; dieser Protest richtete sich vor allem gegen die Entscheidung der französischen Regierung, „die die Erinnerung an Millionen Deportierte, die in den faschistischen Konzentrationslagern ermordet wurden, befleckt. Das Comite wird alles unternehmen, um diesem Film die weiteste Verbreitung zu sichern. Nie wieder darf es ‚Nacht und Nebel‘ geben.“³⁵ Unmittelbar unter diesem Protest beginnt „Die Tat“ mit dem Nachdruck von Auszügen aus Eleonore Sterlings „Er ist wie du. Aus der Frühgeschichte des Antisemitismus in Deutschland (1815 – 1850)“ (Sterling 1956), die sich vom 28. April bis zum 16. Juni jeweils auf einem Drittel der Seite 6 finden; nachdem schon am 28. Januar Leon Poliakovs und Josef Wulfs Buch „Das Dritte Reich und die Juden. Dokumente und Aufsätze“ besprochen worden ist, wird am 25. August auch Gerald Reitlingers „Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939 – 1945“ behandelt – auf einer ganzen Seite wird Richard Kirns Rezension aus der „Frankfurter Neuen Presse“ nachgedruckt. Die Begründung des Serienabdrucks aus Sterlings „Er ist wie du“ als „Ein Buch, das für uns Deutsche wichtig ist“ macht deutlich, wie ein sozialökonomisches Verständnis des Faschismus auch eine Erklärung und Bekämpfung des Ebd., Bl.165. Brief an Schallück vom 14. 8.1956, AdK, Bestand Hans Werner Richter, 72/86/509 Bl. 687. Gegen „Nacht und Nebel“-Einspruch. In: Die Tat, Frankfurt/M., 12. 5.1956, S. 5. „Nacht und Nebel“. Französische Widerstandskämpfer protestieren. In: Die Tat, Frankfurt/M., 28.4.1956, S. 6.
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Antisemitismus beansprucht: „Letztes Anliegen des Buches, dessen Verfasserin der faschistischen Rassejustiz, der ihre Eltern zum Opfer fielen, dadurch entkam, daß sie als Achtjährige zu ausländischen Verwandten in Pflege gegeben wurde, ist die Versöhnung. Versöhnung nicht durch Duldung des Unmenschlichen, sondern durch Abgraben seiner Wurzeln. War die Judenfrage im modernen Sinne mit dadurch entstanden, daß man die Tendenzen zur Umgestaltung der Gesellschaft in falsche Kanäle abzuleiten wußte, so ist ihre endgültige Lösung ohne eine neue Gesellschaftsstruktur nicht denkbar.“ (Cl. 1956) Bei den Bemühungen der Wochenzeitung der VVN, einen Antifaschismus zu vernetzen, der innenpolitisch auf sozialstrukturelle Veränderung und außenpolitisch auf Entspannung ziele, geraten Sozialdemokraten und Gewerkschaften ins Zentrum; dabei zeigt „Die Tat“, dass es am ehesten in der ‚Auseinandersetzung‘ mit dem Antisemitismus zu Gemeinsamkeit kommen könne. So druckt z. B. die Westberliner SPDTageszeitung „Telegraf“ einen Artikel von Siegfried Einstein, der an der zitierten FIRGeneralratstagung in Paris teilgenommen hat; Einstein schildert die Vorführung von „Nacht und Nebel“ „in einem Pariser Kino vor Widerstandskämpfern aus 18 Nationen“: „Ich war dabei, als diese Männer und Frauen, Menschen aller Weltanschauungen und Klassen, Juden und Christen, […] Gottesfürchtige und Ungläubige […] weinten und stumm einander die Hand drückten. […] Die deutschen Konzentrationslager (vor allem Auschwitz) darf man heute ohne Übertreibung als die größten und bestfunktionierendsten [sic] Todesfabriken aller Zeiten bezeichnen. […] Nur das Versprechen, daß sich Deutschland rückhaltlos dafür einsetzen wird, daß Auschwitz und Dachau, Mauthausen und Bergen-Belsen nie wieder möglich sein werden, […] kann die Franzosen und Belgier, die Norweger und Juden von einem besseren, einem menschlicheren und in Ehrfurcht vor den Opfern des Faschismus sich verneigenden Deutschland überzeugen.“ (Einstein 1956) Zwei Wochen später steht Einstein im Mittelpunkt eines Berichts der „Tat“ über den Vorschlag des DDR-Ausschusses für Deutsche Einheit, ein „gesamtdeutsches Gremium zur Bekämpfung des Antisemitismus“ zu schaffen (‚Es wird Zeit‘ 1956). In der Begründung von Max Seydewitz spielt der – in der „Tat“ wie in der „Kultur“ breit dargestellte – Fall Einstein eine Schlüsselrolle; zu seiner Verallgemeinerung beruft sich Seydewitz u. a. auf die Strafanzeigen des Grünwalder Kreises, um das „Interesse [an] einer innerdeutschen Entspannung und […] der Erhaltung des Friedens“ zu artikulieren: „Der Antisemitismus war nur eines, aber wohl das widerlichste Mittel zur Vorbereitung des zweiten [sic] Weltkrieges […]. Das grauenvolle Geschehen, die Not und das Leid der Menschen im zweiten Weltkrieg mahnen unaufhörlich: Das darf sich nicht noch einmal wiederholen!“ (‚Es wird Zeit‘ 1956) Die Auffassung, dass sich aus der Erinnerung an die Judenverfolgung eine Verpflichtung zur Bekämpfung der Gefahr eines neuen Krieges ableite, die aus der Remilitarisierung folge, bestimmt auch die polemische Schlussbemerkung des Berichts der „Tat“ über die Aufführung von „Nacht und Nebel“ durch den Arbeitskreis sozialdemokratischer Akademiker in München; der Berichterstatter spielt in der Anrede des damaligen Chefs der Vorläuferinstitution für das Bundesverteidigungsministeri-
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um auf einen Bundeswehr-Werbefilm namens „Die ersten Schritte“ an, gegen den es 1956 fast überall, wo er gezeigt wurde, Protestaktionen gab:³⁶ „Wie wäre es, Herr Blank, mit einem neuen Werbefilm von Alain Resnais ‚Die letzten Schritte‘?! Die letzten Schritte eines Systems, das einst im Militarismus sein Heil suchte.“ (Ralle 1956) Sich zu erinnern bedeute, der Gefahr einer Wiederholung Widerstand zu leisten – für diese Funktion der Erinnerung an die faschistischen Verbrechen beruft sich der Aufmacher der „Tat“ am 28. Juli auf einen sozialdemokratischen Juristen: „Generalstaatsanwalt Dr. Bauer: Widerstand hier und heute“. Fritz Bauer, der 1952 als Generalstaatsanwalt in Braunschweig den Prozess gegen den 2. Vorsitzenden der SRP gewonnen hatte, machte 1956 als Hauptredner des 2. Bundesjugendkongresses des DGB deutlich, dass es ihm bei der Legitimierung des Widerstands nicht um die ‚Nation‘ des 20. Juli, sondern um die Demokratie geht:³⁷ Der „‚Widerstandskampf, den die besten Deutschen gegen das Hitler-Regime führten‘“, referiert „Die Tat“ Bauers Rede³⁸ vor „Jugendlichen, die ihm immer wieder begeisterten Beifall zollten“ (Bauer 1956), während Eugen Gerstenmaier „lautstark[en]“ „Unmut“ erregte (Kraushaar 1996, II, 1418), „,ist nicht abgeschlossen. Er wird ausgefochten hier und heute. Widerstand ist höchste Verantwortlichkeit für das Schicksal seiner Mitmenschen.‘ Der Untertanengeist habe damals nach Dachau, Buchenwald und Auschwitz geführt. ‚[…] Viele […] meinen [auch heute], Ruhe sei die erste Bürgerpflicht.“ (Bauer 1956) „Die Tat“ macht sich in ihrem abschließenden Kommentar Bauers Einschätzung zu eigen, „daß die Politik der Remilitarisierung begleitet ist von einer zweiten kalten Machtergreifung durch die Hitler-Faschisten, die bereits wieder in zahllosen staatlichen Positionen bis hinauf in die höchsten Regierungsstellen ihr Unwesen treiben“; auch wenn sie dies als Mahnung zur „Erfüllung […] staatsbürgerliche[r] Pflicht“ (Bauer 1956) darstellt, macht die VVN-Wochenzeitung nicht sehr deutlich, dass Bauers primär historisch-sozialpsychologisches Verständnis des Faschismus³⁹ der Erinnerung an dessen Verbrechen primär eine demokratisierende Funktion zuschreiben läßt. 1954 noch war ein Satz von Bauer als Motto eines Leitartikels vom Herausgeber der sozialdemokratischen „Monatsschrift für Recht, Freiheit und Kultur“ „Geist und Tat“ benutzt worden, der der Erinnerung an den Widerstand primär eine außenpolitische Bedeutung zuschrieb, als Verteidigung gegen den Vorwurf von Kollektivschuld: „‚Was die Widerstandskämpfer vollbracht haben, war das einzige Aktivum, das wir ins Feld führen konnten, als die Kollektivschuld uns ins Gesicht geschleudert wurde.‘“ Der Artikel Willi Eichlers trug den zweideutigen Titel „Die Liquidierung der Vergangenheit“, denn er stellte die „psychologische Befindlichkeit der Nachkriegszeit“ aus der Sicht derjenigen „nach London geflüchteten deutschen Sozialdemokraten und Sozialisten“ dar, die „sich während des Krieges zeitweise von Vertretern der von Vgl. Kraushaar 1996, II, 1388, 1438/1439, 1449, 1468. Vgl. Vgl. Fröhlich 1999, 108/109, zu Bauers Begriff des individuellen Widerstandsrechts, des „‚Widerstandsrecht[s] des kleinen Mannes‘“ (111). Die Rede wird von Kraushaar 1996, II, 1418/1419, verschwiegen. Vgl. hierzu später Bauer 1965.
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Deutschland unterjochten Staaten kritisch […] ausgegrenzt sahen“ (Boll 2002b, 630/ 631). Zum engeren Kreis um Eichler, der seit 1951 ‚Pfingsttagungen‘ einer Philosophisch-Politischen Akademie durchführte und der auf den vom ethischen Sozialismus Leonard Nelsons geprägten Internationalen Sozialistischen Kampfbund zurückging, der sich im Londoner Exil mit Neubeginnen, Sopade und SAP zusammengeschlossen hatte, gehörten der langjährige SDS-Vorsitzende und spätere Pädagoge Heinz-Joachim Heydorn (615), zum weiteren Kreis nicht nur Fritz Bauer, sondern auch der Gründer des Internationalen Schulbuchinstituts in Braunschweig Georg Eckert (621) und der Mitbegründer der Marburger Schule Wolfgang Abendroth, der den in Eichlers engerem Kreis herrschenden Konsens in der Ablehnung des Marxismus als wissenschaftlichen Sozialismus allerdings nicht teilte (620, vgl. Peter 2014, 56 – 75).⁴⁰ In dem Sinn, dass Erinnerung an faschistische Verbrechen primär eine demokratisierende Funktion habe, lässt sich auch ein Absatz in Richard Kirns Rezension von Reitlingers „Die Endlösung“ verstehen, der sich auch auf die frühere Besprechung von Poliakovs und Wulfs „Das Dritte Reich und die Juden“ bezieht: „Wissen es unsere Kinder? Sagt man es ihnen in den Schulen? Wird das Wissen bei uns nicht verdrängt, bewußt verdrängt? Aber alles Verdrängte rächt sich. Ein Volk muß wissen, was in seinem Namen geschah. Es sieht aber so aus, als dringe das Wissen langsam auch in breitere Schichten.“ (Kirn 1956) Einer solchen Einschätzung von der ‚Ausbreitung des Wissens‘ mit dem ‚Widerstand‘ gegen die Remilitarisierung entsprechen die Meldungen der „Tat“ über die Initiativen von Jugendlichen zur Verwandlung der ehemaligen Konzentrationslager in Gedenkstätten, wie z. B. der Nachdruck eines Berichts über eine Fahrt nach Dachau aus der Westberliner Studentenzeitschrift „Colloquium“ als „beispielhaft“ für die „Jugend“: „‚Nur wenn die Auseinandersetzung mit dem vergangenen Unrecht bewußt vollzogen wird, bietet sich die Gewähr, daß sich niemals wieder Aehnliches [sic] ereignet.‘“ (‚Denkmal‘ 1956) „Die Tat“ bemerkt abschließend, der Artikel „stärkt unsere Hoffnung, daß es nie wieder zu einer ‚Machtübernahme‘ kommt“.⁴¹ Auf die Zwiespältigkeit der offiziellen Erinnerung der BRD wirft ein Licht der Beschluss der Freiwilligen Selbstkontrolle, mit dem am 7. November 1956 dem Film „Nacht und Nebel“ nicht nur ein Prädikat „‚wertvoll‘ oder ‚besonders wertvoll‘“ verweigert, sondern auch die Rezeption durch ‚junge Menschen‘ entscheidend eingeschränkt wird; in der Mischung von bekennerischer Pathetik: „Ein filmischer Rückblick in die Hölle der unvergeßlichen Jahre unserer Generation“, und Verhinderung der Konkretion der Distanzierung vom Faschismus ist er ein repräsentatives Zeugnis: „Es wird bedauert, daß dieser Film nicht wenigstens einem interessierten und auf-
Zur von Willi Eichler geschriebenen Einleitung des „Godesberger Programms“ der SPD 1959, „der Artikulation lediglich ‚ethischer‘ Formulierungen, die keinerlei konkreten Inhalt hatten“, merkte Abendroth 1976 im lebensgeschichtlichen Interview an: „Die Einleitung […] gehört denn auch zu den merkwürdigsten politischen Äußerungen, die ich je in meinem Leben gelesen habe“ (Abendroth 1976, 249). Vgl. zu anderen Initiativen: Kraushaar 1996, II, 1528 (Stadelheim); Lux 1956 (Bergen-Belsen).
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geschlossenen Teil der Jugend, etwa ab 14 Jahre, freigegeben werden kann.Von Thema und Bild her muß der Film für die ganze Altersgruppe als ‚nicht jugendgeeignet‘ bezeichnet werden.“ (Freunde 1993, 62).⁴²
6 Piero Malvezzi, Giovanni Pirelli: Und die Flamme soll Euch nicht verbrennen Mit einem Zitat aus dem letzten Brief eines 14-jährigen „jüdischen Knaben“, „dessen einziges ‚Verbrechen‘ darin bestand, daß er jüdischer Herkunft war“, vor seiner „Ermordung in einem deutschen Konzentrationslager“ eröffnete in der Kulturbund-Zeitung „Sonntag“ Wolfgang Hartwig seine Rezension von Piero Malvezzis und Giovanni Pirellis „Und die Flamme soll Euch nicht verbrennen. Letzte Briefe europäischer Widerstandskämpfer“, das zwei Jahre nach der italienischen Erstausgabe und ein Jahr nach der deutschen Übersetzung in der Schweiz 1956 bei Volk und Welt erschien: „Briefe wenden sich ursprünglich nur an einen oder einzelne Leser“ und verhandeln „vertrauensvoll-intime Bereiche […]. Und doch kann ein Brief auch öffentlich wirksam werden, sobald sich sein Inhalt über die private Sphäre erhebt und seine Aussage damit stellvertretend für viele Aussagen gilt.“ (Hartwig 1956) Wofür die von Malvezzi und Pirelli ausgewählten Briefe ‚stellvertretend gelten‘ sollen, formuliert der Rezensent unter Aufnahme von Thomas Manns bereits für die italienische Ausgabe geschriebenem Vorwort, wenn er zum einen betont, die BriefschreiberInnen „aus ganz Europa einte ein Kampf und ein Tod“, zum anderen sei ihnen „ein Glaube gemeinsam“ gewesen, mit Manns Worten „‚rechte Lebensfrömmigkeit und Zuversicht‘“ (Hartwig 1956). So könne die „mustergültige[…] Ausgabe“ als „großes Schmerzensbuch“ den „Zweck“ einer „Mahnung an das Gewissen aller ehrlichen Menschen“ erfüllen, „daß nie mehr geschehe, was geschah!“ (Hartwig 1956) Im Organ der Bibliothekare der DDR wurde die italienische Anthologie zwei Mal besprochen, zuerst in der Beilage „Buchbesprechung“, dann 1957 in einer umfangreichen Sammelrezension „Das war die SS! Zu einigen aufschlußreichen Büchern über den faschistischen Terror“. Diese beurteilt ähnlich wie Hartwig die ‚Mustergültigkeit‘
Vgl. dagegen fünf Jahre später Erich Kästners „Ein Vorwort“ zu dem 1946 bereits holländisch erschienenen Jugendbuch „Sternkinder“ von Clara Asscher-Pinkhof, die ihre niederländischen SchülerInnen nach Bergen-Belsen begleitet hatte, wo sie durch einen Gefangenenaustausch nach Palästina gerettet wurde: „Diese ‚Sternkinder‘ sind so wichtig, so erschütternd und schrecklich wie das ‚Tagebuch der Anne Frank‘. Die Erwachsenen und die Halbwüchsigen müssen es lesen. Da hilft keine Ausrede. […] Und auch die Schulkinder, wenigstens die älteren, sollten erfahren, wie damals Kindern mitgespielt wurde. Sie werden Fragen stellen und von den Eltern und Lehrern Auskunft erwarten. Die Aufgabe ist schwer. Aber sie ist unabwendbar. Den Abgrund der Vergangenheit zu verdecken, hieße den Weg in die Zukunft gefährden. Wer die Schuld aus jenen Jahren unterschlägt, wäre kein Patriot, sondern ein Defraudant. Wer aus der schuldlosen Jugend eine ahnungslose Jugend zu machen versuchte, der fügte neue Schuld zur alten.“ (Kästner 1961, 5/6) Asscher-Pinkhofs „Sternkinder“ erreichten im Erscheinungsjahr 1961 das 24. und bis 1977 das 51. Tausend.
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der Anthologie, dass sie nämlich unter den „verschiedenen Sammlungen der letzten Briefe ermordeter Widerstandskämpfer […] an erster Stelle zu nennen“ (Peter 1957, 1050) sei. Aber in der Beschreibung der Wirkung der Texte der Briefe auf LeserInnen unterscheiden sich die beiden Besprechungen in der auf die Vermittlung an BibliotheksbenutzerInnen orientierten Zeitschrift, obwohl beide – wie die im „Sonntag“ – Widerstand und Verfolgung zusammenschließen. Müller-Muck in der „Buchbesprechung“ geht von der „Erschütterung“ aus, die „den Leser“ ergreift durch das, was die BriefschreiberInnen ihrer „Überzeugung oder der bloßen Zugehörigkeit zu einer Menschengruppe wegen erlitten“, und durch ihre „menschliche[…] und heldische[…] Größe“, fährt dann jedoch mit einer adversativen Konjunktion fort: „Der deutsche Leser wird aber zugleich Scham empfinden, daß es Deutsche waren, die das Blut Millionen Unschuldiger, für die diese Briefe Zeugnis ablegen, vergossen, nicht minder auch darüber, daß jene, die eine große Mitschuld an den Morden tragen, in einem Teil unseres Vaterlandes zu neuer Macht kommen.“ (Müller-Muck 1956, 723) Von einer ‚Scham‘ des vorgestellten Adressaten, in der eine ‚Mitschuld‘, die kleiner als ‚groß‘ sei, nicht ausgeschlossen wird, ist in der Sammelrezension nicht die Rede: „Unsere Leser sollen nicht nur das Grauen der faschistischen Konzentrationslager kennenlernen, sondern auch mit denen vertraut werden, die unter den unmenschlichsten Bedingungen noch Menschen blieben, die ihrer Sache die Treue hielten und den Kampf nicht aufgaben. Dazu können die verschiedenen Sammlungen der letzten Briefe ermordeter Widerstandskämpfer viel beitragen.“ (Peter 1957, 1050) Aber die als ‚Vertraut-Werden‘ vorgestellte Wirkung der Brieftexte auf den Adressaten setzt diesen als bisher nicht mit dem Widerstand ‚vertraut‘ voraus. Mit dem Zitat aus dem letzten Brief des 14-jährigen „Sohn[s] eines polnischen Juden“ beginnt auch der Klappentext des Verlags Volk und Welt: „‚Wenn der Himmel Papier und alle Meere der Welt Tinte wären, könnte ich Euch mein Leid und alles, was ich rings um mich sehe, nicht beschreiben… ich weiß, daß ich nicht lebend von hier fortkomme. Ich grüße Euch alle, liebe Mama, liebe Geschwister, und ich weine…“ (Malvezzi/Pirelli 1956, Klappe vorn).⁴³ Der auf der Klappe folgende Text nimmt sowohl aus der Einleitung der Herausgeber als auch aus dem Vorwort von Thomas Mann etwas auf, das dem Zusammenschließen von Widerstand und Verfolgung bis zur Vernichtung entspricht. So wird zur Verfolgung von „Menschen in allen europäischen Ländern, die unter die faschistische Tyrannei fielen“, betont: „Einigen war es möglich, letzte Botschaften an ihre Eltern, Frauen, Kinder oder Freunde niederzuschreiben.“ (Klappe vorn und hinten) Denn die Herausgeber formulieren als eins der „allgemeine[n] Ergebnisse“ ihrer „Nachforschungen“ „in den verschiedenen Ländern“ (18) „[d]ie Seltenheit letzter Briefe“ (19): „So gut wie niemals ergab sich die Möglichkeit zu einem letzten Schreiben für jene Der aus dem Jiddischen übersetzte Text des Briefes (Malvezzi/Pirelli 1956, 532/533) ist im Zitat auf die drei Anfangs- und die vier Schlusszeilen gekürzt, dazwischen berichtet „Chaim (?)“, „geboren in Sedzszów (Galizien) […] mit Tausenden junger Juden in das Lager Pustków (Galizien) geschafft und ermordet“ (532), über Zwangsarbeit, Mangel an Nahrung und Misshandlung.
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Opfer, die unmittelbar nach der Verhaftung oder nach einem summarischen Verfahren hingerichtet wurden, für die Opfer der Massenmorde in den Gemeinden, die von Repressalien betroffen wurden, und bei den Ausrottungs- und Vernichtungsmaßnahmen in verschiedenen Gebieten, Gefängnissen, Lagern, Gettos und Krankenanstalten sowie bei den Zwangsverschickungen und so weiter. Die Seltenheit letzter Briefe versteht sich von selbst, wenn man sich das Ende dieser Menschen in seiner grausigen Wirklichkeit vergegenwärtigt.“ (19) Aus Thomas Manns Vorwort aber greift der Klappentext auf, dass er „[d]iese[s] Buch […] ein Denkmal“ nennt, um zu korrigieren: „kein starres Monument einer historischen Vergangenheit, sondern ein aktives Vermächtnis, eine lebendige Lehre, ein Testament der Hoffnung und der Liebe – eine Mahnung in einer Zeit, da sich in einem Teil unseres Vaterlandes drohend die Gefahr einer Wiederkehr der Unmenschlichkeit erhebt“ (Klappe hinten). In der DDR erschien Thomas Manns Vorwort ein Jahr vor dem Buch des Volk und Welt-Verlags schon 1955 im Januarheft der Monatszeitschrift des Kulturbunds „Aufbau“ unter einem ‚Vermächtnis‘, ‚Lehre‘, ‚Testament‘ und ‚Mahnung‘ noch direkter fassenden Titel: „Der Auftrag“. Mit diesem Vorabdruck war kein Hinweis auf ein Erscheinen von Malvezzis und Pirellis Anthologie in der DDR verbunden, sondern nur auf das Wiedererscheinen von „Der Auftrag“ „im 11. Band der Gesammelten Werke“ des Autors, „die Aufbau 1955 vorbereitet“ (Mann 1955, 17). Auch in der BRD wurde das Vorwort und zwar in demselben Monat gedruckt, aber unter einem anderen Titel: „Vorwort zu dem Buche ‚Briefe Todgeweihter‘“ hieß der Text im ersten Heft der Hauszeitschrift von Thomas Manns Verlag Fischer, „Die neue Rundschau“, im Jahrgang 1955 (Mann 1990, 962). Das Bild von Leser und Leserin, das das Vorwort Manns und die Einleitung der Herausgeber entwerfen, unterscheidet sich. Malvezzi und Pirelli begründen insbesondere die Anordnung der letzten Briefe nach Ländern und Chronologie der Todesdaten (Malvezzi/Pirelli 1956, 20), um ihre Leseanleitung zu unterstützen, sich historisch für Zeitpunkt, Motive, soziale und regionale Herkunft sowie Alter der Widerstandskämpfer zu interessieren. Sie konnten sich bei der Sammlung der Texte nicht nur für Italien auf eine eigene Publikation stützen: „Lettere di condonnati a morte della Resistenza italiana“ (1952),⁴⁴ sondern für neun der fünfzehn weiteren Länder auf nationale Anthologien zurückgreifen, die – bezeichnenderweise – zwischen 1945 und 1948 erschienen waren, davon die meisten 1947: die belgische Anthologie des Abbé M. Voncken „Nos Fusillés nous parlent“ erschien schon 1945 (Malvezzi und Pirelli 1956, 28), die bulgarische „Ihr letztes Wort“ im Verlag der Arbeiterpartei 1947 (67), die dä-
Thomas Mann las dieses Buch, als ihn die Anfrage des Verlegers Giulio Einaudi erreichte, ob er das Vorwort zur geplanten europäischen Anthologie schreiben wolle; er antwortete positiv, indem er einen unter den „Märtyrer[n] ihrer Überzeugung“ hervorhob: „Merkwürdig vertraut mutete das Citat aus dem Briefe Pintors an seinen Bruder mich an: ‚Ohne den Krieg wäre ich ein an vorwiegend literarische Probleme gebundener Intellektueller geblieben etc.‘“ (Mann 1979, III, 297) Seine Tochter Erika hat 1965 als Herausgeberin der Briefe das „Vorwort“ nicht ins Register der erwähnten Werke ihres Vaters aufgenommen.
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nische „Die letzten Stunden – Abschiedsbriefe hingerichteter dänischer Patrioten“ 1946 (99), die der deutschen VVN 1948 (137), die französische „Lettres de Fusillès“ 1946 (194), die griechische „Unter der Besatzung Hingerichtete“ 1947 (266), die österreichische „Unsterbliche Opfer – Gefallen im Kampf der Kommunistischen Partei für Österreichs Freiheit“ 1946 (478), die polnische „Wie ein Pole stirbt“ 1947 (525) und die tschechoslowakische „Letzte Briefe“ 1946 (571). Zwei dieser nationalen Anthologien waren noch vor Malvezzis und Pirellis europäischer Sammlung Anfang der fünfziger Jahre in Übersetzung in der DDR herausgekommen, „Letzte Briefe tschechoslowakischer Widerstandskämpfer“ 1950 und „Es lebe Frankreich. Partisanenbriefe“ 1952. Malvezzi und Pirelli beanspruchen, „möglichst vielfältige und charakteristische Zeugnisse“ ausgewählt zu haben, die für „Situation und Geist des Widerstands“ des Landes „im ganzen“ „typisch“ seien (Malvezzi/Pirelli 1956, 19), aber sie gehen an keiner Stelle näher auf das ein, was sie als „eine bestimmte Vorahnung von ihrem bevorstehenden Tod“ (17) bezeichnen oder ein ihnen „gemeinsam[es…] Bewußtsein des bevorstehenden […] gewaltsamen Todes“ (18). Stattdessen betonen sie die Bedingungen des gewaltsamen Todes: „Auch der Begriff ‚Verhaftete‘ muß angesichts der komplizierten Wirklichkeit eine Ausdehnung erfahren: Darunter sind nicht nur Gefangene im üblichen Sinne zu verstehen, sondern auch die Millionen Menschen, die sich in Konzentrations- und Vernichtungslagern befanden oder unter ähnlichen Umständen eingesperrt wurden (zum Beispiel die in Gettos eingeschlossenen Juden) und die den sicheren Tod vor Augen hatten.“ (18) Thomas Mann dagegen stellt auf das von Malvezzi und Pirelli vorausgesetzte ‚gemeinsame Bewußtsein des bevorstehenden gewaltsamen Todes‘ ab, indem er es in seinem Vorwort näher ‚bestimmt‘. Als Wirkung der Lektüre der letzten Briefe auf sich selbst setzt Mann seine Erinnerung an Leo Tolstois Erzählung „Göttliches und Menschliches“ als Ausgangspunkt. Weil er „[i]mmer wieder beim Lesen“ an sie „denken“ „mußte“, führt er einen detaillierten Vergleich zwischen sieben von ihm ausgewählten letzten Briefen aus sechs Ländern und Tolstois Erzählung durch, die im Revolutionsjahr 1905 entstand und in den 1870ern spielt. Die ersten beiden Seiten des Vorworts konzentrieren sich auf eine ihrer Figuren, den Studenten „Swetlogub, der, aus Patriotismus und edelmütiger Unvorsichtigkeit in eine politische Verschwörung verwickelt, zum Tode verurteilt wird“ (7). In seinem Kommentar wie in seinen Zitaten aus der Erzählung geht es Mann um die „unvergleichliche[…] Eindringlichkeit“, mit der Tolstois „Sympathie und Seelenkunde“ die „letzten Tage“ schildere: „Wir leben das mit ihm“ – „all das wird uns […] zur eigenen Erfahrung“ (7). Indem Mann die drei anderen in Tolstois Erzählung zum Tode Verurteilten ausklammert, den „alten Sektierer“, dem der Zar der Antichrist ist (Tolstoi 1990, 248), „[e]ine[n] der Führer des revolutionären Terrorismus“ (253) und einen der – nicht so genannten Sozialdemokraten – „Revolutionäre der auf ihn folgenden Generation“ (261), fokussiert er, was von den zunächst vom Nacherzähler gerafften seelischen Zuständen der letzten Tage dann in den breit zitierten letzten Brief an die Mutter eingeht; zunächst also „Unfähigkeit […], an seine Vernichtung zu glauben“, Selbst-„Vorwürfe“ wegen der „Ver-
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zweiflung“ der Mutter, „Stolz“ auf seine in der Weigerung zu verraten „bewahrt[e]“ „Charakterstärke“, „Grübeleien“ über den Tod und, „was nachher sein wird“, „Übelkeit“ vor dem Gerüst (Malvezzi/Pirelli 1956, 7). Mann rahmt seine Ausführung des Vergleichs im Zitieren durch einleitende und abschließende Hervorhebung der Ähnlichkeit, anfangs eine „[e]rstaunen[de]“ (7), schließlich eine „bewunder[nde]“ (9): Das „Erstaunen, wieviel von seinen [Tolstois] Intuitionen sich in den Dokumenten der Wirklichkeit wiederfindet“ (7), wendet sich erst zwei Seiten später, wenn die Ähnlichkeit im Detail belegt ist, in eine ‚Bewunderung‘, die den Leser einschließend formuliert wird: „Man bewundert die Dichtung, weil sie so ganz zu sprechen weiß wie das Leben. Man ist doppelt ergriffen vom Leben, weil es unwissentlich genauso spricht wie die Dichtung.“ (9) Zitiert werden von Mann zuerst die letzten Briefe an die Mütter von Tolstois Swetlogup und des österreichischen Widerstandskämpfers Franz Mittendorfer, in denen sich vier bis ins Wörtliche gehende Entsprechungen finden: „Verzeihe“, dass „Kummer angetan“, und „Verzeihe“, dass „Schmerz bereiten“; „Ein wenig früher, ein wenig später, ist es denn nicht gleich?“; „Ich […] bereue nicht […]. Ich konnte nicht anders“, „Ich konnte nicht anders… Ich bereue es nicht“; „weil ich Dich liebe. Den Tod fürchte ich nicht“, „Mit dem Gedanken an dich werde ich von der Welt Abschied nehmen.“ (8) Die erste und dritte Entsprechung, die Bitte um Verzeihung und das Bekenntnis, nicht zu bereuen, finden sich auch in dem auf Französisch zitierten letzten Brief von Fernande Volral: „Es klingt nicht anders auf französisch“ (9) , während die vierte: „Lebt wohl, möget ihr alle euch meiner würdig zeigen!“ aus dem letzten Brief eines anonymen „ohne Prozeß füsilierte[n] Franzose[n]“ unter Rückgriff auf Tolstois Erzählung von Thomas Mann verstärkt und verallgemeinert wird‚ denn sie „kehrt immer wieder: „so sind in Wirklichkeit alle, […] stolz darauf, […] daß sie die furchtbare Probe bestanden haben und daß man dessen ehrend gedenken wird“ (9). In seiner Kommentierung der Ähnlichkeit von weiteren vier letzten Briefen – aus Belgien, Deutschland, Dänemark und der Tschechoslowakei – mit dem von Tolstois Swetlogup benutzt Thomas Mann ästhetische Wertungen, seit er dem des 19-jährigen Belgiers Guy Jacques eine „leise, tränenvolle Komik“ zuschreibt, die „sich ins Heroische mische, mit der auch Tolstoi seine Märtyrergeschichte hätte färben können“ (10). So führt er ein besonders langes Zitat aus dem letzten Briefs eines der vier 1943 wegen Wehrkraftzersetzung hingerichteten Lübecker Geistlichen folgendermaßen ein: „Und das schönste Zeugnis für die Gabe christlich-katholischen Glaubens legt der deutsche Kaplan Hermann Lange vor seiner Hinrichtung in dem Brief an seine Eltern ab.“ (10) Erst nachträglich werden die zwei Briefschreiber für eine Abfolge von vier Zitaten genannt, die zwar durch drei Punkte getrennt sind, aber nur am Anfang und am Schluss der Folge An- und Abführungszeichen haben, ohne dass eine Zuordnung möglich würde: „Diese Worte stammen von einem jungen Tschechen, die einen, von einem dänischen Partisanen die anderen.“ (11) Eingeleitet aber wird diese Zitat-Folge mit einer ästhetischen Wertung: „Ja, es ist merkwürdig, festzustellen, daß diejenigen, die nicht von Gott und vom Himmel sprechen, für die Idee des Fortlebens den höheren, geistigeren, poesievolleren Ausdruck finden.“ (11) Entsprechend weist Manns
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Kommentar, bevor er den französischen Füsilierten zitiert, auf „folgendes Bild“ hin, das dieser den Worten des Dänen und des Tschechen „hinzu[ge]fügt“ habe und, so der Vorwortschreiber, „das mich besonders ergriffen hat“ (11). In den ästhetischen Wertungen entfaltet der Vorwortschreiber eine Argumentation, die bei der Verallgemeinerung des Ernsten im Komischen ausgeht von Guy Jacques’ Stolz, „als ein wackerer Mann und stolz auf mich selbst“ (10) zu sterben : „Im Grunde ist es ihr Glaube, auf den sie stolz sind, der die Quelle ihrer Standhaftigkeit ist und der nicht religiöser Art im eigentlichen, engeren Sinne zu sein braucht“ (10), über die tendenziell blasphemische Wendung des von Hermann Lange anzitierten letzten Verses des Matthäus-Evangeliums – „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28,20)⁴⁵ – zu: „‚Daß ich allezeit bei Euch sein werde‘: Von diesem Gedanken sind auch diejenigen erfüllt, die sich zur Religion indifferent oder ablehnend verhalten“ (Malvezzi/ Pirelli 1956, 11), bis zum auf die Naturbilder organischen Weiterlebens der dänischen, tschechischen und französischen BriefschreiberInnen gestützten „entschieden[en]“ Einspruch Manns führt gegen den zwei Mal zitierten „Irrtum“ des französischen anonymen Füsilierten: „dieses ‚Comme je n‘pas de réligion‘, es ist ein Irrtum. Denn wo Liebe, Glaube und Hoffnung sind, da ist doch wohl Religion.“ (12)⁴⁶ Mit dieser verkehrenden Verbindung von Paulus- und Goethe-Zitat führt Thomas Mann die letzte, aber gewichtige Bezugnahme auf Tolstois Erzählung ein, denn es sind nicht die Besitzer von Wissenschaft und Kunst, denen Nicht-Besitzer beider entgegengesetzt seien, denen aber Religion zugesprochen wird, und es ist nicht die Liebe das Größte in der Religion, sondern Manns letzte Bezugnahme auf Swetlogup gilt der Hoffnung. „‚Sieg oder Märtyrertum‘, spricht Tolstois Swetlogup zu sich selbst, ‚und wenn Märtyrertum, so ist auch das ein Sieg – Sieg in der Zukunft.‘ An die Zukunft glauben sie alle, diese Sterbenden; sie können nicht anders als glauben, daß ihr Opfertod die Zukunft segensreich befruchten muß, daß sie dafür so jung ins Grab sinken, ‚pour fair du terreau‘.“ (12) Das Gewicht des zum zweiten Mal zitierten Naturbilds des Füsilierten erklärt vielleicht, warum Thomas Mann nicht eine andere Formulierung von Swetlogups Hoffnung aus Tolstois Erzählung zitiert, die allerdings auch mit dem Naturbild vom „Weizenkorn“ verbunden ist: „‚Ich sterbe, allein die Wahrheit stirbt nicht. Sie werden es wissen. Und wie könnten schon jetzt alle, nicht nur ich, sondern sie alle glücklich sein! Sie werden es sein!‘“ (Tolstoi 1990, 245) Abrupt wendet ein Zitat über die Swetlogups entsprechende „‚Hoffnung einer besseren Zukunft für die ganze Menschheit‘“: „Das kehrt immer wieder“, den Vorwortschreiber der Gegenwart der fünfziger Jahre zu: „und das Herz zieht sich zusammen bei dem Gedanken, was aus dem ‚Sieg der Zukunft‘, aus dem Glauben, der Hoffnung dieser Jugend. geworden ist und in welcher Welt wir leben.“ (12) Der auferstandene Jesus erscheint den elf Jüngern, die er beauftragt: „machet zu Jüngern alle Völker: taufet sie. Und […].“ 1.Korinther 19,13: Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen; Goethe: Zahme Xenien IX: Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,/ Hat auch Religion;/ Wer jene beiden nicht besitzt,/ Der habe Religion.
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Thomas Mann hebt für die Gegenwart zwei Gefahren hervor, nicht nur die Gefahr, „die Erde in eine von giftigen Dünsten umhüllte Wüste zu verwandeln“, des „Ausbruch[s] eines dritten [Weltkriegs], der das Ende der Zivilisation bedeuten würde“, sondern insbesondere eine Konsequenz der Ost-West-Konfrontation: „Ein Verhängnis von Weltkonstellation zerrüttet die Demokratie und scheucht sie in die Arme des Faschismus, den sie niederschlug, um ihm, sobald er am Boden lag, wieder auf die Beine zu helfen, die Keime des Besseren zu zertreten, wo immer sie sie fand, und sich mit ehrlosen Bündnissen zu beflecken.“ (12). Im Bild der ‚Keime des Besseren‘ ist angelegt, wie Mann die zweimalige Frage nach dem „Umsonst?“ (13) „des international einmütigen Widerstands […] gegen die Schmach eines Hitlereuropa“ (12), der „sich als Vorkämpfer fühlte einer besseren menschlichen Gesellschaft“ (13), verneinen wird. Er rekurriert auf Begriffe und Bilder von Religion und organischem Leben, bevor er drei Zitate aus den letzten Briefen Hermann Langes, des dänischen und tschechischen Widerstandskämpfers noch einmal als Zusammenfassung des Vorworts an den Adressaten appellieren lässt: „der Trieb, das Menschenleben dem Guten,Vernunftgemäßen, Geistgewollten anzunähern, ist ein Auftrag von oben, dem keine Skepsis die Gültigkeit nimmt, dem kein Quietismus entkommt. Trotz aller Niederlagen, durch sie hindurch, hat er das Leben für sich. In diesen Abschiedsbriefen finden Christen und Atheisten sich in dem Glauben des Fortlebens, der ihre Seele ruhig macht. ‚ Allezeit werde ich bei Euch sein.‘ – ‚Das Leben und das Gefühl, das mich durchdrangen, werden nicht sterben.‘ – ‚Ich werde wachsen und reifen, in euch werde ich leben …‘ „ (13) Auf die rhetorische Frage: „Wer möchte es bezweifeln?“, antwortet Thomas Mann mit der Anweisung, im Lesen die hingerichteten Widerstandskämpfer fortleben zu lassen: „Die Zukunft wird diese geopferten Leben aufnehmen und weiterführen, sie werden ‚wachsen und reifen‘ in ihr.“ (13) Thomas Manns Vorwort stellte auf das Humane als das Gemeinsame der atheistischen und der christlichen Schreiber von letzten Briefen ab, indem er den Grund für den in den letzten Briefen bezeugten Glauben der Hingerichteten, den er im Fall der Atheisten „poesievoller“ nannte (11), in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft fand, auf ein Fortleben. Dieser „Auftrag von oben“ (13) gab dem Vorabdruck des Vorworts in der DDR den Titel – unter Kürzung um ‚von oben‘ (Mann 1955). Der Titel des Vorabdrucks in der BRD ließ aus dem Titel der italienischen Erstausgabe „Lettere di condannati a morte della resistenza europea“ den europäischen Widerstand verschwinden und machte aus ‚zum Tode Verurteilten‘ unspezifizierte „‚Todgeweihte‘“ (Mann 1956). Der Schweizer Verlag Steinberg setzte unter den übersetzten italienischen Obereinen Untertitel aus einem Bibelvers: „Und die Flamme euch nicht versengen“ (Malvezzi/Pirelli 1955). Mit der Wahl eines Bibelworts für den Titel folgte der Verlag dem Beispiel der Anthologie von Gollwitzer, Kuhn und Schneider, die 1954 „[d]em Titel des Buches […] de[n] dritte[n] Vers des 17. Psalmes zugrunde“ gelegt hatten: „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“ (Gollwitzer 1957, 4). Aber in dieser Anthologie findet sich auch der konkrete Vers, den der Verlag für Malvezzis und Pirellis Anthologie wählte: Jesaja 43,2 wird zitiert von Helmuth James Graf von Moltke in dem Brief an seine Frau vom 10. Januar 1945, als er ihr schildert, wie ihm vor dem Volksgerichtshof „war, als ich
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zum Schlußwort aufgerufen wurde“: „der ganze Saal hätte brüllen können wie der Herr Freisler, und sämtliche Wände hätten wackeln können, und es hätte mir gar nichts gemacht; es war wahrlich so wie es in Jesaja 43,2 heißt: Denn so du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du durch Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. – Nämlich Deine Seele.“ (216)⁴⁷ Mit demselben Zitat endet 1954 Annedores Lebers Porträt von Moltke in „Das Gewissen steht auf“, für die es das „immer wieder und vor allem in den Kerkern der Gestapo bezeugt[e]“ „Freiheitserlebnis der christlichen Widerstandsbewegung“ „beschreibt“: „ein Hindurchretten der Seele durch das ‚Chaos‘“ , ein Mensch, der „vor Freisler ‚als ein Christ und als gar nichts anderes‘“ „stand“ (Leber 1963, 204). Mit der Wahl der intensivierten Form des im Bibelvers gleichfalls verwendeten Verbs ‚brennen‘ für den Obertitel der DDR-Ausgabe wurde zumindest ein Verständnis von ‚nicht versengen‘ als „Rettung […] in eine allen irdischen Gewalten unerreichbare Freiheit, in eine ‚absolute Geborgenheit‘“ vermieden und stattdessen mit ‚nicht verbrennen‘ auf das Weiterwirken der Hingerichteten in einer „‚irdischen‘“ Welt (204) geleitet. Dafür dass den DDR-HerausgeberInnen der „Übersetzung […] des SteinbergVerlags“ (Malvezzi/Pirelli 1956, 4) Moltkes briefliches Zitieren von Jesaja 43,2 bekannt war, spricht, dass in die DDR-Ausgabe ein Brief Moltkes aus dem Gefängnis an seine Frau aufgenommen wurde, der das Zitat nicht enthielt, der aber auch in der Schweizer Ausgabe nicht enthalten gewesen war, sondern dessen Abdruck vom Westberliner Henssel Verlag lizenziert wurde (4, 166 – 178). Geändert wurde von Volk und Welt aber auch der Obertitel, indem aus dem ‚europäischen Widerstand‘ ‚europäische Widerstandskämpfer‘ wurden und damit eine Traditionslinie zur auf Westeuropa beschränkten ‚europäischen Einigung‘ vermieden wurde. Im Jahr des Erscheinens der Schweizer Ausgabe benutzte der katholische Professor für philosophische Anthropologie Josef Pieper in einem seiner Beiträge zu „Tradition als Herausforderung“ ein Thomas Manns Bildern nahes, um zu belegen, dass „der Weg zum Herzen der Leser“ auch verschüttet werden könne: „Das Wort von der Samenkraft des Blutes der Märtyrer spricht zwar eine unanzweifelbare Wahrheit aus. Aber es schließt eine Bedingung in sich: daß der Blutzeuge nicht allein gelassen werde, sondern daß der Same sich einsenke in das Erdreich von Gedächtnis und Verehrung.“ (Pieper 1963, 182) Dass das ‚Erdreich‘, in dem Thomas Manns Vorwort ‚Keime des Besseren‘ ‚wachsen und reifen‘ lassen wollte, eins des Kalten Krieges war, belegt schon der Brief, mit dem er auf die Anfrage des Verlegers Giulio Einaudi, ob er das Vorwort zur geplanten europäischen Anthologie schreiben wolle, positiv antwortete. Am 28. Juni Vgl. die leichten Abweichungen von Luthers Übersetzung der Worte Gottes zu Jakob und Israel in Jesaja 43: „1. Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2. Denn so du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.“
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1953 schreibend, sah sich Mann veranlasst, Einaudi sein Verhältnis zum Kommunismus darzulegen, seine Abgrenzung vom ‚Totalitären‘ des Kommunismus, als das er die Nicht-Trennung von Literatur und Politik bestimmt, obwohl er seinen eigenen Wandel vom apolitischen deutschen Kulturbegriff zu einem das Politische einschließenden betont, aber auch seine ‚Weigerung‘, „an der stumpfsinnigen Kommunistenhetze à l’americaine teilzunehmen“ (297): „In dem amerikanisch-russischen Machthader bin ich jedenfalls für europäische Neutralität“ (298). Zwei Tage vorher hatte Mann in seinem Tagebuch die Schlagzeile „‚ehrfurchtsvolle Verneigung des ganzen deutschen Volkes vor den Märtyrern der Freiheit‘“ auf der Titelseite der „Lübecker Nachrichten“ vom 23. Juni 1953 über eine „Trauerkundgebung vor dem Schöneberger Rathaus“ zum 17. Juni kommentiert: „Heuchlerische Trauerkundgebung im Adenauer-Deutschland für die Märtyrer im russischen Sektor. 24 Stunden täglich sind die Menschen dort gelockt und herausgefordert worden. Das ganze lausbübisch bis zum Exzeß.“ (Mann 1995,76) Zuvor war im Juni 1953 der Bischof der Lutherischen Kirche in Lübeck Johannes Pautke „zusammen mit zwei Senatoren nach Hamburg“ gereist, um Thomas Mann „die Einladung zu einem Besuch in seiner Geburtsstadt zu überbringen (realisiert erst 1955)“, aber eben dieser Bischof Pautke wies in den 1950ern „jedes Ansinnen der EKD zurück“, den evangelischen unter den vier hingerichteten Lübecker Geistlichen, Pastor Karl Friedrich Stellbrink, „in die Ehrenlise der evangelischen Blutzeugen aufzunehmen: Dieser Mann sei von einer psychopathologischen Unvorsichtigkeit, ja Torheit gewesen“ (Voswinckel 2005, 284/285). Der letzte Brief des katholischen Lübecker Geistlichen Hermann Lange an seine Eltern vom 10. Novemer 1943 ist vor der DDR-Ausgabe von Malvezzis und Pirellis Anthologie nie ungekürzt, sondern nur in Auszügen (Voswinckel 2005, 289), aber in jedem Fall zumindest ohne den Passus, den Thomas Mann in seinem Vorwort drei Mal zitiert, gedruckt worden: „Seht, die Bande der Liebe, die uns miteinander verbinden, werden mit dem Tode ja nicht durchschnitten. Ihr denkt an mich in Euren Gebeten und daß ich allezeit bei Euch sein werde, für den es jetzt keine zeitliche und räumliche Beschränkung mehr gibt.“ (Malvezzi/Pirelli 1956, 155)⁴⁸ Eine andere „Idee des Fortlebens“ (Malvezzi/Pirelli 1956,11) als die einer „Zukunft“, die „diese geopferten Leben aufnehmen und weiterführen“ (13) werde, entnahm Manns Vorwort der bundesrepublikanische Romancier Wolfgang Koeppen, der es italienisch als „Leitartikel“ der Zeitschrift „Il Mondo“ in Rom las, wohin er mit dem Plan zu einem Buch gereist war: „Der Artikel war sehr klug und handelte von der Freiheit“, deshalb – so Koeppen über die Änderung seines Buchplans – „nahm [ich] mir die Freiheit, auch meinerseits noch einige Gespenster in Rom anzusiedeln“ (Koeppen 1954). Manns Vorwort regte ihn zu dem Roman „Der Tod in Rom“ an, dessen Handlung an den drei Tagen um den Fall der französischen Festung in Indochina Dien Bien Phu spielt und als Treffen einer bundesrepublikanischen bürgerlichen Familie in Rom die
Vgl. Gollwitzer u. a. 1957, 170, wo keinerlei Kennzeichnung der Auslassung im Text.
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Möglichkeit der Rückkehr eines von den Alliierten zum Tode verurteilten SS-Generals in die Bundesrepublik umkreist: „Noch ist die Schlacht fern.“ (Koeppen 1975, 89). Die in Koeppens Roman ‚fortlebenden‘ Toten sind Gespenster des Faschismus. Was von den deutschen antifaschistischen Toten in ihren von Malvezzi und Pirelli ausgewählten letzten Briefen weiterlebenden Angehörigen geschrieben wurde, entspricht vielfach Thomas Manns den LeserInnen im Vorwort entwickelter ‚Idee des Fortlebens‘. Libertas Schulze-Boysen schrieb ihren Geschwistern: „in Euch lebe ich ja weiter“ (Malvezzi/Pirelli 1956, 142), Alfred Schmidt-Sas seiner Frau über das ‚Verschwinden‘ der „Unterschiede zwischen Tod und Leben“: „ganz und ungeteilt in allem: in Natur, Mensch und Kunst“ „zu sein“ (143), und Elli Voigt ihrem Mann und ihren Kindern: „In der Hoffnung für das Leben gehe ich in den Tod. Ich gehe im Glauben an ein besseres Leben für Euch. Stark wollen wir sein.“ (166) Die 28 letzten Briefe deutscher WiderstandskämpferInnen stammten überwiegend aus der VVN-Anthologie von 1948 „… besonders jetzt tu Deine Pflicht!“, aber drei waren zuerst 1954 von Gollwitzer, Kuhn und Schneider gedruckt worden, nämlich der zitierte von Libertas Schulze-Boysen (allerdings ohne ihren Nachnamen, weil ihre Schwiegermutter sie für eine Verräterin hielt),⁴⁹ Hermann Langes und Theo Haubachs; zwei wurden Harald Poelchaus „Die letzten Stunden“ (1949) entnommen, der zitierte von Alfred Schmidt-Sas und der Helmuth James von Moltkes, und aus Annedore Lebers „Das Gewissen steht auf“ (1954) der Ulrich von Hassells. In den Kurzbiographien, die dem Text des letzten Briefes vorangestellt sind, werden acht BriefschreiberInnen der KPD, insbesondere den Gruppen von Anton Saefkow (unter ihnen Elli Voigt) und Robert Uhrig, zugeordnet, sieben der ‚Rote Kapelle‘ genannten Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe (unter ihnen Libertas SchulzeBoysen), drei dem 20. Juli, drei Jugendwiderstandsgruppen, davon zwei katholischen (unter ihnen Hermann Lange), sowie drei anderen eigenen Widerstandsgruppen, wie der ‚Schmidt-Sas-Gruppe‘, der Hanno Günthers und der der Familie Schlotterbeck, zwei werden als Sozialdemokraten dargestellt, von denen sich Theo Haubach „dem Kreisauer Kreis an[schloß]“ (176), und bei zwei BriefschreiberInnen wird das Motiv ihrer mit dem Tode bestraften Taten genannt, Kriegsgegnerschaft bei Josef Hufnagel (156), und über Gertrud Seele heißt es: „Als Gegnerin der Rassenverfolgungen verbarg sie mehrere Juden in ihrem Hause.“ (167) Sechs Jahre nach dem Erscheinen von Malvezzis und Pirellis Anthologie in der DDR kamen bisher nur dort gedruckte letzte Briefe über Italien und die Schweiz in die BRD, als bei dtv eine westdeutsche Taschenbuchversion der Schweizer Ausgabe, ohne deren Obertitel, herauskam: „Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen Widerstand“. Der Deutsche Taschenbuchverlag verzichtete auf mehr als die
Ricarda Huch stimmte der Mutter Harro Schulze-Boysens zu, dass ihre Schwiegertochter Libertas nicht „als Heldin und Märtyrerin herausgestellt“ werden dürfe (Huch 1997, 232, vgl. den bereits zitierten Brief Huchs an Marie Schulze vom 1.5.1947, 234).
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Hälfte der 284 von Malvezzi und Pirelli abgedruckten letzten Briefe, als er 135 druckte (Malvezzi/Pirelli 1962, 5 – 7). Sein Klappentext leitete die LeserInnen der „Sammlung“ hinaus über „Information“ zu „Art, Ausdehnung und Verlauf des Widerstandes“ in sechzehn europäischen Ländern: „In erster Linie jedoch ist sie eines der erschütterndsten Dokumente unserer Zeit, ein Beispiel für die Unzerstörbarkeit der menschlichen Seele.“ (1) Denn die BriefschreiberInnen seien „alle getragen und getröstet durch den Glauben an die Rettung der Menschenwürde.“ (1) Vor der hinteren Klappe zitierte eine Anzeige des Steinberg-Verlags für seine Hardback-Ausgabe aus einer Rezension in dem sozialdemokratischen Westberliner „Telegraf“: „Wir sollten sie alle, diese schmählich Hingerichteten, einbeziehen in unser Gedächtnis und in unsere Teilnahme und durch Tat und Gesinnung dazu beitragen, daß Derartiges sich niemals wiederholt. Jedes Wort dieser Briefe mahnt uns Nachlebende, daß auch wir uns den Bedrohern jedweder Freiheit entgegenstellen, um das Bild des Menschen in seinem inneren Reichtum, seinem lichten Glanz und seiner Berufung nicht zerstören und beeinträchtigen zu lassen.“ (ohne Seitenzahl nach 307) Durch seine „Mitarbeit“ an Gollwitzers, Kuhns und Schneiders „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“ „glaub[t]e“ sich Walter Hammer, der ehemalige Mitarbeiter auch Günther Weisenborns an „Der lautlose Aufstand“, „hinreichend legitimiert“ zu einer „scharfen Verurteilung“ der dtv-Anthologie in einer Rundfunkbesprechung: „Dieses Taschenbuch sollte unverzüglich aus dem Buchhandel zurückgezogen und eingestampft werden, denn es läuft auf eine Verunglimpfung jener Tausend und Abertausend hinaus, die von der Hitlerjustiz zum Tode verurteilt und hingerichtet oder in Hitlers Konzentrationslagern umgekommen sind.“⁵⁰ Weil „bei der Auswahl der Abschiedsbriefe die kommunistische Tendenz unverkennbar ist, während beispielshalber Sozialdemokraten so gut wie ganz unberücksichtigt geblieben sind“, bedeute die Sammlung „eine Verunglimpfung des Andenkens all jener, die nicht Kommunisten waren, aber ganz geflissentlich von dieser Totenehrung ferngehalten worden sind“.⁵¹ Erst nachdem sich Hammer so auf die Auswahl zum tschechoslowakischen und österreichischen Widerstand bezogen hat, heißt es: „Ganz schlimm aber sieht es in dem Deutschland betreffenden Kapitel des Taschenbuches aus. Von den dreizehn Abschiedsbriefen stammt nur ein einziger von einem Sozialdemokraten. Kein Wunder, denn diese Unterlagen wurden geliefert vom ‚Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer‘ in Ostberlin. Dort wurde auch im ‚Verlag Volk und Welt‘ 1956 ‚Mit Unterstützung des Kulturfonds der Deutschen Demokratischen Republik‘ in einer Riesenauflage und im einen Ganzleinenband zum Preise von nur 7.20 DM das Buch der beiden Italiener unter dem Titel ‚Und die Flamme soll Euch nicht verbrennen‘ auf den Büchermarkt gebracht.“⁵² Hammer erweckt den Anschein, als wären alle anderen zwölf letzten Briefe deutscher Widerstandskämpfer Walter Hammer: Kritische Randbemerkungen zu einem Taschenbuch. NWDR, 1.8.1962. AdK, Bestand Günther Weisenborn, 1410/2, S. 1. Ebd. Ebd., S. 1/2.
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im dtv-Band die von Kommunisten, indem er für das, worüber man sich nicht zu ‚wundern‘ habe, auf die DDR verweist. Er macht deshalb keinen Vergleich der Ausgaben, der ihn hätte erkennen lassen, dass die meisten der in der dtv-Ausgabe gestrichenen fünfzehn letzten Briefe die von WiderstandskämpferInnen sind, die von Malvezzi und Pirelli in ihren Kurzbiographien Kommunisten genannt wurden: Hermann Danz (Malvezzi/Pirelli 1956, 180), Paul Gesche (157), Walter Husemann (145), Johann Pierschke (156), Anton Saefkow (160), Matthias Thesen (163) und Elli Voigt (165). Nur ein einziges als solches von den Herausgebern ausgewiesenes KPD-Mitglied, Rudolf Seiffert (Malvezzi/Pirelli 1962, 88), blieb in der Taschenbuchausgabe der Schweizer Ausgabe der Anthologie. Hammers Fixierung auf eine dem Kommunismus entgegengesetzte Sozialdemokratie ließ ihn schweigen über die Zusammensetzung des deutschen Kapitels nach dem nur fast vollständigen Ausschluss der Kommunisten: vier Mitglieder der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe, drei Männer des 20. Juli (Hassell, Moltke, Klaus Bonhoeffer), Hermann Lange als einer der vier Lübecker Geistlichen und ihrer Jugendgruppe,Vertreter eigener Widerstandsgruppen wie Hanno Günther und Alfred Frank sowie der Sozialdemokrat Georg Schröder (der zweite in der DDR-Ausgabe, Theodor Haubach (Malvezzi/Pirelli 1962, 176 – 178), wurde gestrichen). Hammers denunziatorisch gemeinter Hinweis auf die Finanzierung der DDR-Ausgabe als Massenpropaganda gibt den Preis des Buchs falsch an; es kostete 9,80 DM der DDR-Deutschen Notenbank.⁵³ Aber für die mit der finanziellen Förderung durch den Kulturfonds angestrebte breite Rezeption der Anthologie ist die Institution des Kulturfonds insofern symptomatisch, als diese Dienststelle des DDR-Ministeriums für Kultur 1949 vom Bundesvorstand des FDGB, der Bundesleitung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und der Verwaltung für Volksbildung gemeinsam gegründet wurde. Im Erscheinungsjahr der dtv-Ausgabe von Malvezzis und Pirellis Anthologie letzter Briefe von europäischen Widerstandskämpfers bezog sich Walter Höllerer, der 1954 dem „Plan“ seines Mitherausgebers der „Akzente“, Hans Bender, im 2. Jahrgang „ein reines ‚Totenheft‘ herauszugeben“ (Gnosa/Petzer 2009, 44), zugestimmt hatte, weil „Ihr Heft über die Gefallenen des zweiten Krieges ein schönes Heft wird“ (26), in einem Vortrag „Zur Sprache im technischen Zeitalter“, der in Höllerers gleichnamiger Zeitschrift erschien, nachdem er auf einem von der Berlin-Stiftung für Sprache und Literatur des Kulturkreises des Bundesverbands der Deutschen Industrie in Westberlin veranstalteten „Berliner Colloquium Sprache und Sprachwissenschaft in der Gegenwart“ gehalten worden war,⁵⁴ auf die letzten Briefe, aber ausschließlich auf die der Männer des 20. Juli, zur Begründung seiner abschließenden „Behauptung“: „Die der Sprache innewohnende List besteht darin, daß die Sprache mit ihren eigenen Mitteln die epochengebundenen Verfestigungen immer wieder zerstört, aufgliedert und dabei
Vgl. Kassenzettel der Buchhandlung Franz-Mehring-Haus, Universitätsbuchhandlung, Leipzig C 1, Goethestr. 3 – 5, 22.9.[19]56. Im Besitz des Verfassers. Sprache im technischen Zeitalter (1962) Nr. 4, S. 280.
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ihre Mittel elastisch erhält.“ (Höllerer 1962, 294) Für seinen Beleg meint Höllerer sein Fachgebiet zu verlassen, um dann den letzten Briefen ungenannter, also aller im Zusammenhang mit dem 20. Juli Hingerichteten zuzuschreiben, was er zuvor nur für ‚Poeten‘ in Anspruch genommen hat: „Nicht nur die Poeten haben immer wieder versucht, hinter diese List der Sprache zu kommen und sie zu bestärken. Wenn ich mich in diesem letzten Teil wegen der Kürze der Zeit auf literarische Beispiele beschränke, hängt das einfach mit meinem Beruf als Literaturhistoriker zusammen. Ein Beispiel aber außerhalb der Literatur muß ich erwähnen. Wer je die Briefe der nach dem 20. Juli zum Tode Verurteilten gelesen hat, die sie vor ihrer Hinrichtung schrieben, der erkennt, wie die deutsche Sprache durch Einfachheit und Genauigkeit zur Wahrheit zurückfand in einer Zeit, in der sie durch Bombast und Verdrehung korrumpiert worden ist.“ (294) Drei Jahre nach Hammers Forderung der ‚Einstampfung‘ der westdeutschen Taschenbuchausgabe von Malvezzis und Pirellis Anthologie und Höllerers Kanonisierung ausschließlich der letzten Briefe der Männer des 20. Juli erhob der Literaturkritiker Georg Lukács die letzten Briefe der italienischen Anthologie zum kritischen Maßstab der ästhetischen Bewertung der Nachkriegsliteratur. Zum Erscheinen von Peter Weiss’ „Die Ermittlung“ und von Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter“ bemerkte Georg Lukács 1965, dass mit ihnen „die heutige deutsche Literatur zum erstenmal das Niveau des wirklichen Lebens, der letzten Briefe der zum Tode verurteilten Antifaschisten erreichte und wirklich europäisch – im Sinne von [Jorge] Sempruns „[Die g]roße Reise“ – wurde“ (Lukács 1966, 7). Drei Jahre später nannte er weitere Namen, wenn er das Urteil begründete, insgesamt sei die Literatur im Westen „mit ihrer unmittelbaren Vergangenheit lange nicht fertig geworden. Die Diskrepanz zeigt sich deutlich darin, daß noch heute die unmittelbar menschlichen Dokumente des Widerstandes gegen den Faschismus – man denke an die letzten Briefe der hingerichteten Antifaschisten, an die Kerkeraufzeichnungen [Julius] Fuciks – von ihren Gestaltungen nur in seltenen Ausnahmefällen erreicht worden sind. Es gibt natürlich nicht unwichtige Anläufe dazu, so einzelne Novellen von Vercors, so ‚Billard um halb zehn‘ von [Heinrich] Böll, so den ‚Stellvertreter‘ von Hochhuth, so die letzten Dramen von Peter Weiß [sic]. Aber nur Jorge Sempruns ‚[Die g]roße Reise‘ erhebt sich ganz in die Nähe der wirklichen Lebensvorbilder.“ (Lukács 1968,103) „Von uns drang […] kein Gruß mehr nach außen, kein Abschiedswort und kein Vermächtnis von dem, was angesichts des Todes in uns erstand“ (Adelsberger 1956, 139/140), schrieb die Auschwitz-Überlebende Lucie Adelsberger 1956 in ihrem Erlebnisbericht „ Auschwitz“, der mit dem doppelten Untertitel „Ein Tatsachenbericht. Das Vermächtnis der Opfer für uns Juden und für alle Menschen“ im Westberliner evangelischen Lettner-Verlag erschien. Im Schlussabschnitt „Hinterm Draht“ des vierten Teils vergleicht sie das „Drahtgespinst“ (137) um und innerhalb Birkenaus mit der „Abschließung im Kerker“ (138), um zu betonen: „Oft habe ich mit einer Anwandlung von Neid an jenen Bischof im Käfig während der französischen Revolution gedacht. Zum Tode verurteilt, wurde er in einem geräumigen Käfig hoch oben an der Decke des Gerichtssaales aufgehängt. Was er zum Essen und Trinken brauchte, wurde ihm
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hochgeseilt, so reichlich, daß er bei der erzwungenen Unbeweglichkeit unförmig dick wurde. Er benutzte die Zeit in seinem Gefängnis, um ein historisch-philosophisches Werk zu schreiben und hinterließ es seinen Freunden als sein geistiges Erbe.“ (139) Die Unmöglichkeit von letzten Briefen aus Birkenau als ‚Vermächtnis von dem, was angesichts des Todes in uns erstand‘, begründet sie mit der Art der scheinbaren ‚Durchbrechung‘ der ‚Abschließung‘: der „Schreiberlaubnis. Auch in Birkenau durften die ‚Reichsdeutschen‘ und die nicht-jüdischen Häftlinge ein [sic] bis zweimal im Monat schreiben […], und wenn auch diese Briefe, streng zensiert, nur stereotype Phrasen über ein und dasselbe Thema waren, wie gut es dem Häftling in Auschwitz erging, so bedeuteten sie doch ein Lebenszeichen für die Lieben draußen. Für Juden gab es keine Verbindung mit der übrigen Welt. Ob einer krank oder gesund war, ob er noch fest auf den Beinen stand oder der Vernichtung nahe oder ob er schon gegangen: Keine Kunde durchschlüpfte den Draht. Wir waren für die Welt draußen tot und verschollen.“ (138) Der zweite Untertitel von Adelsbergers Erlebnisbericht macht ihren Text zu eben dem, woran die jüdischen Häftlinge von Birkenau gehindert wurden, er wird von ihr, der Überlebenden, im Namen der ermordeten Opfer geschrieben: „Das Vermächtnis der Opfer für uns Juden und für alle Menschen“. Adelsberger widerspricht mit dieser Adressierung einem vier Jahre früher im Verlag der Frankfurter Hefte erschienenen Erlebnisbericht einer Überlebenden, der über die rassistische Verfolgung berichtet, „[w]ie aus einer deutschen Jüdin eine Jüdin in Deutschland wird“ (Venzl 2014). Lotte Paepcke setzt ein jüdisches ‚wir‘ und ein deutsches ‚sie‘ gegenüber, wenn sie ihren Bericht „Unter einem fremden Stern“ mit einem dennoch gemeinsamen Ausblick auf ‚die letzte Stunde‘ schließt: „So mögen wir beide, sie und wir, stark sein, zu tragen, was uns auferlegt ist: einander vor Augen zu sein in der über uns gemeinsam verhängten Zeit bis an das Ende unser aller Tage. Die letzte unserer gemeinsamen Stunden wird ihr rätselvolles Antlitz enthüllen und wird uns beiden, ihnen und uns, den Sinn offenbaren.“ (Paepcke 1952, 123) Umgekehrt begegnet auch bei nicht-jüdischen Verfassern von Reisebeschreibungen über Auschwitz die Frage nach ‚der letzten Stunde‘ der Opfer, wie bereits mit dem Rufen des Kuckucks in Peter Nells Text von 1955 belegt wurde: „Das haben auch die Häftlinge gehört, die Todeskandidaten, in ihrer letzten Stunde“ (Nell 1955, 33), und mit der ‚Schilderung‘ der „letzten Augenblicke“ Ermordeter für „Eltern“, „die nach Auschwitz gekommen“ waren, als das IAK gegründet wurde, durch „überlebende[…] Kameraden“ (Nie wieder 1952). In der fiktionalisierten Reise von Dieter Nolls ebenfalls 1955 erschienener Erzählung „Die Mutter der Tauben“ ist für den Gang der Handlung entscheidend, dass der Protagonist durch das Museum im Stammlager geht: „Er stand vor einem der Glaskästen, die mit Notizbüchern und Taschenkalendern gefüllt waren; auf vergilbten Seiten standen Aufzeichnungen von Häftlingen, letzte Grüße an ferne Verwandte…“ (Noll 1964, 387), und letzte Aufzeichnungen zu lesen beginnt. Der PolenKorrespondent der „New York Times“ A. M. Rosenthal, dessen Reise nach Auschwitz von der westdeutschen Zeitschrift „Die Gegenwart“ 1958 unter den Titel „Aus Auschwitz nichts Neues“ gesetzt wurde, bekundete jedoch sein Ergriffen-Werden von einem anderen Ausstellungsstück im Museum als Hinweis auf ‚die letzte Stunde‘, einer der
6 Piero Malvezzi, Giovanni Pirelli: Und die Flamme soll Euch nicht verbrennen
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„Photographien“: „ein Bild inmitten einer Reihe ergreift das Auge und zerreißt das Herz. Ein Mädchen […]. Es lächelt leise, wie in einer freundlichen, teuren Erinnerung. Was für ein Gedanke bewegte das junge Gemüt und ist jetzt sein Denkmal an der Wand der Toten von Auschwitz.“ (Rosenthal 1958)
V Opfer des Faschismus-Gedenktag, Anne-Frank-Pilgerfahrt nach Bergen-Belsen (1957) und Gründung von Aktion Sühnezeichen (1958) 1957 beginnt mit der Taschenbuchausgabe im Fischer Verlag und der DDR-Erstausgabe im Union Verlag der CDU die breite Rezeption von „Das Tagebuch der Anne Frank“, das 1950 zuerst von Lambert Schneider gedruckt worden war, jetzt aber auch in die Theater und Kinos kommt. Auf der einen Seite hatte die von der Hamburger Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit erstmals 1957 organisierte Pilgerfahrt nach Bergen-Belsen Folgen in Jugendorganisationen der BRD, auf der anderen Seite erschienen 1957 im Nachfolger des Verlags der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, dem Kongreß-Verlag, das von einem späteren Zeugen im Frankfurter Auschwitzprozess, Erich Kulka, mit Ota Kraus verfasste Buch über Auschwitz „Die Todesfabrik“, in dessen Vorwort der tschechoslowakische Schriftsteller Vasek Kana seine Reise nach Auschwitz beschrieb, und 1958 im ‚bei der Zusammenstellung vom Jüdischen Historischen Institut in Warschau beratenen‘ Verlag Rütten und Loening „Im Feuer vergangen. Tagebücher aus dem Ghetto“, die in Lizenz fünf Jahre später – um das der Kommunistin Dorka Goldkorn gekürzt – im evangelischen Verlag Christian Kaiser in München herauskamen. 1958 initiierte der Präses der Evangelischen Kirche der Union in Sachsen Magdeburg Lothar Kreyssig innerhalb der evangelischen Kirche eine gesamtdeutsche Organisation, die seit 1968 in BRD Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste heißt, aber ursprünglich den Namen Aktion Versöhnungszeichen tragen sollte. Ein christliches Verständnis von Schuld und Sühne verband sich sowohl mit einer Betonung des deutschen nationalen Zusammenhalts, einerseits zwischen den Generationen, andererseits zwischen Ost und West, als auch mit einer Voraussetzung der Wechselseitigkeit der Vergebung von Schuld zwischen den Völkern.
Das Foto eines ‚leise lächelnden‘ jüdischen ‚Mädchens‘ war auf der Rückseite des BRD-Taschenbuchs und auf der Vorderseite des Schutzumschlags der DDR-Ausgabe von „Das Tagebuch der Anne Frank“ zu sehen. Während das Fischer Taschenbuch (Frank 1955) den Betrachter von oben auf Anne Franks Kopf mit vor dem Oberkörper verschränkten Armen blicken lässt, wird er auf dem Schutzumschlag der GanzleinenAusgabe des Union Verlags der DDR-CDU (Frank 1957) von oben aus ihren Augen in einem Gesicht, das nur vom Haaransatz bis zur Nasenwurzel zu sehen ist, ‚leise‘ eher im Sinne von ernst angeblickt. „Ein solches Mädchen kennt jetzt die ganze Welt“, schrieb Arnold Zweig (1987, 340) in seiner Besprechung am 21. März 1958 in der „Neuen Zeit“, dem Organ der DDRCDU. In Form einer Anrede der Schreiberin und ihres Tagebuchs leitet er ein Zitat aus einer eigenen früheren Veröffentlichung ein, Hilde Hupperts von ihm bearbeiteter „Fahrt zum Acheron“ (Huppert 1951): „Ihr verschwindet hinter den Todeszäunen von Bergen-Belsen – und was das bedeutet, wirst Du erfahren und nicht lange überleben. Da Du und Deine Kitty aber schweigen müssen, lasse ich das Zeugnis einer anderen jungen Frau reden, die dort wohl zu gleicher Zeit mit Dir gefangen war. Nach ihrer Rettung las sie mir Aufzeichnungen vor“, um dann eine zuvor geäußerte Vermutung über Anne Franks Gedanken der letzten Stunde zu wiederholen: „Vom Journalismus, dem sie sich widmen wollte, wäre sie wahrscheinlich mit voller Klarheit ins politische Leben übergetreten, um tätig das zu verbessern, was ihre Jugend umstürzen durfte: die https://doi.org/10.1515/9783050095851-007
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deutsche politische Unreife.“ (Zweig 1987, 341)¹ Das Gewicht dieses an die letzte Stunde gebundenen Vermächtnisses für Zweig zeigt sich daran, dass auch eine andere Formulierung modifiziert wiederholt wird, zunächst heißt es vor den Ausführungen zu Bergen-Belsen: „Als große Reserveschicht der Geistigkeit und des gesellschaftlichkritischen Denkens stehen die jüdischen Bevölkerungsteile westlich wie östlich der Weichsel als Nummer eins auf der Ausrottungsliste des Tausendjährigen Reiches“ (341), nach dem „Schweigen“ in Belsen: „Das Tagebuch der Anne Frank aber wird für lange Zeit Zeugnis ablegen von der Ausrottung einer in Europas Geistesgeschichte nicht wegzudenkenden Schicht voll intellektueller Klarheit, Ausdrucksfreude, geistiger Tapferkeit. […] Eines wenigstens hast Du erreicht – auch Dein kleiner Fuß hob sich zum Tritt gegen den Schlaf der Welt […],² der nicht hören und sehen will. Du hast Dir ein Denkmal gesetzt“ (342/343). Zweig schließt mit der Einreihung eines „Schattenri[sses]“ von Anne Frank unter die „Bildchen“ seiner „Totengalerie zur ewigen Schande des Dritten Reiches“ (343). Das Bild, das er für Hilde Hupperts Erlebnisbericht als Titel wählte, benutzt er in der Rezension von Anne Franks Tagebuch nicht. Mit einer ‚Fahrt zum Acheron‘ vergleicht aber Rudolf Hagelstange in seinem „Vorwort“ zur Erstausgabe der deutschen Übersetzung von Gerald Reitlingers „Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939 – 1945“, die 1956, drei Jahre nach dem englischen Original, im Westberliner Colloquium Verlag erschien, weder die Reise Deportierter in ein Konzentrations- und Vernichtungslager noch die Reise in ein Gedenkstätte gewordenes ehemaliges Lager, sondern die Lektüre der historischen Darstellung Reitlingers; der mit dem unbestimmten Artikel „Ein Vorwort“ genannte Text fordert den Adressaten auf, zu Ermordeten „seinesgleichen“ zu ‚fahren‘, die „unschuldig“ auf Hitlers Befehl „in unserem Namen“ ermordet worden seien; er appelliert, „sich für einige Stunden dem Soge täglicher Geschäfte zu entziehen und diese düstere Fahrt anzutreten zu den toten Seelen von Millionen seinesgleichen, die unschuldig hingemordet wurden, weil ein Tyrann es befahl, der in unserem Namen zu handeln vorgab“ (Hagelstange 1956, XIII). Was die ‚toten Seelen‘ in der letzten Stunde vor der Überfahrt in den Hades dachten, bleibt in Hagelstanges Verwendung des mythologischen Bildes ungesagt. In den Vorworten zur westdeutschen Taschenbuch- und zur DDR-Ausgabe wird Anne Franks letzte Stunde sehr unterschiedlich gedeutet. Beider Klappentexte bezeichnen das Tagebuch als ein Dokument und betonen seine internationale Verbreitung, der Fischer Verlag, dass es „auf der ganzen Welt als ein erschütterndes menschliches Dokument größtes Aufsehen“ „erregte“ (Frank 1955, Klappe hinten), der Union Verlag, dass das „der Vernichtung entgangen[e]“ „Dokument“ „nach seiner Veröffentlichung zu einem Mahnzeichen der Selbstbesinnung für die europäischen Völker geworden“ (Frank 1959, Klappe vorn) sei. Aber das Vermächtnis, das die Vor-
Vgl. Zweig 1987, 342: „auch politisch denken gelernt und zu den Ursachen durchgekämpft“. Zweig zitiert Johannes R. Bechers Gedicht „Der an den Schlaf der Welt rührt – Lenin“ (Sieg der Zukunft 1952, 52).
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wort-Schreiber aus der letzten Stunde Anne Franks an die Leserinnen vermitteln, unterscheidet sich.
1 Albrecht Goes und Heinrich Grüber über „Das Tagebuch der Anne Frank“ Albrecht Goes hatte für die Erstausgabe von Anne Franks Tagebuch, die 1950 im Verlag Lambert Schneider erschien, noch nicht das Vorwort geschrieben, sondern Marie Baum, die Mitarbeiterin Ricarda Huchs bei der Sammlung letzter Briefe, eine „Einführung“ (Frank 1950). Aber 1951 hatte der schon in den 1930er Jahren Schriftsteller gewordene evangelische Geistliche Goes eine „Besinnung“ unter dem Titel „Unsre letzte Stunde“ veröffentlicht, in der es um die „Wahrheit der letzten Stunde in drei besonderen Fällen“ (Goes 1951, 23) geht. Erörtert werden von Goes „der Selbstmord, die Hinrichtung und die Euthanasie“ (23) an den ‚Fällen‘ Jochen Klepper, der sich mit seiner Frau und Tochter der Deportation der Tochter entzog (24), Helmuth James von Moltke aus dem Kreisauer Kreis des 20. Juli (25) und Hugo Distler (23), der sich der Einberufung zur Wehrmacht entzog. Zur ‚Euthanasie‘ schreibt Goes: „Daß aber Grafeneck und Pirna und alle die andere Schandorte Mördergruben genannt werden müssen wie Auschwitz und Buchenwald, das ist gewiß.“ (26) Ein Satz von Goes über Moltke wurde 1954 zum Klappentext der fünften Auflage von Moltkes „Letzten Briefe aus dem Gefängnis Tegel“, die zuerst 1950 erschienen waren: „So weit – sagt man sich, während man mit angehaltenem Atem diese Briefe liest – soweit also kann im äußersten Fall einmal der Pfeil des Menschen fliegen.“ (Moltke 1954, Klappe vorn) Acht Monate nach Erscheinen (Frank 1957, 4) der Fischer-Taschenbuchausgabe des Tagebuchs von Anne Frank, deren 40.000 verkaufte Exemplare bis Februar 1957 auf 278.000 stiegen (4) und deren Auflage 1961 mit über 750.000 „überhaupt an der Spitze aller Taschenbücher in deutscher Sprache“ lag (Fischer Weltalmanach 1961, 340), hielt Goes am 13. November 1955 „beim Staatsakt der Hessischen Landesregierung in Wiesbaden“ die „Rede zum Volkstrauertag“ „Das dreifache Ja“: „Ein Ja zu unserer Vergangenheit. Ein Ja zu unserer Zukunft. Ein Ja zu unserer Gegenwart.“ (Goes 1956, 9) Bevor Goes jedes der drei Jas spezifiziert, zitiert er aus dem – von Gollwitzer, Kuhn und Schneider abgedruckten – „Abschiedsbrief“ des dänischen Widerstandskämpfers Kim Malthe-Bruun: „‚Ich bin auf einem Weg gewandert, den ich nicht bereue‘“ (5), aus einem eigenen Gespräch in Holland mit einer jüdischen Überlebenden von Ravensbrück: „‚Ich denke oft an unsre Aufseherinnen im Lager von damals […]. Wenn sie weiterleben konnten, hatten sie es doch wohl schwer und haben es immer noch schwer: es muß schwer sein, mit niemandem nachträglich noch sprechen zu können ‘“ (6), und Worte des SPD-Politikers Carlo Schmid in den vor den „FriedlandEreignisse[n] der letzten Wochen“ geführten „jüngsten Moskauer Gespräche[n] […], als er um die Freilassung der Gefangenen bat mit dem Blick auf die Mütter der Welt“: „Solidarität des Schmerzes“ (6).Von dieser behauptet Goes, dass „[s]ie uns“ „über alle
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bitteren Trennungen“ „umschließt“, obwohl es „uns nicht möglich [sei], die Wahrheit zu beurlauben und Opfer gleich Opfer zu setzen“ (6/7). In diesem Sinn geht ein allgemeines Ja den drei Jas voraus: Den Volkstrauertag „richtig, das ist: in uns wahr [zu] begehen“, bedeute, „den Gegebenheiten recht [zu] geben, der Zeit also, die Wunden heilt, und den Aufgaben, die neu uns ins Leben rufen“ (8). Das allgemeine Ja zu ‚den Gegebenheiten‘ setzt in der Berufung auf das – im Büchmann auf ein Fragment Menanders zurückgeführte – „Sprichwort […] Die Zeit heilt Wunden“ (Büchmann 1952, 58) ‚Opfer gleich Opfer‘, was in der Spezifizierung des „Ja zu unserer Vergangenheit“ als „die ruhige Geduld, mit der wir Wege, Umwege und Irrwege unseres Volkes uns vergegenwärtigen: Freude, Dank und Stolz nicht verbergend, Trauer und Scham nicht verleugnend“, zu einer scharfen Absage an „[v]erallgemeinernde Wertungen“ führt, die „von jeher nur eben Verstimmungen gezeitigt“ hätten (Goes 1956, 10). „Zwei herbe Erfahrungen“ nimmt Goes von seiner Regel für das aus, was er jetzt „unsre Selbstbesinnung“ nennt: „Die eine betrifft Israel. Volkstrauertag […] wäre eine widerliche Heuchelei, wenn wir an ihm nicht Leid trügen um das furchtbare Unrecht, das Israel zugefügt worden ist, wenn wir das neu errichtete Ehrenmal von Tobruk nennen wollten, den Obelisk von Bergen-Belsen aber verschwiegen, wenn wir Gedanken der Trauer an Theresienstadt, Auschwitz und Maidanek vorbeidenken wollten, […] und wenn wir nicht einsehen wollten, […] daß schon im Antisemitismus Treitschkes und Stöckers […] eine böse Wurzel unter uns aufgewachsen war“ (10). Für „[d]ie andere Erfahrung […], der wir uns erneut zu stellen haben“, zitiert Goes einen Brief Rilkes von 1923, der die „1918“ „‚im Moment des Zusammenbruchs‘“ (10) „‚ausgebliebene‘“ (11) „‚Umkehr‘“ (10) als Forderung an Deutschland erneuert, „‚sich zu ändern‘“ (11). Obwohl Goes sehr offen hält, „daß sich fragen ließe, wie eigentlich Völker sich ändern“ (11), geht in die Spezifizierung der Jas zu Zukunft und Gegenwart ein, was er aus Rilkes Brief als ‚Nachtragen‘ des „‚verlorengegangene[n] Zug[s]‘“ von „‚Demut‘“ „‚in das seltsam einseitig und einwillig gewordene deutsche Gesicht‘“ (11) zitiert hat: „daß es uns für diese Zukunft um den Frieden zu tun sein muß, weil – nach Hiroshima – ‚Frieden‘ und ‚Zukunft‘ Namen desselben Begriffes sind“ (12), und dass für die Gegenwart „jede Scheu, jedes geistige Zögern, jede Regung von Weltfreundschaft und Brüderlichkeit unser Ja haben soll, und umgekehrt: jeder Schritt […] in die völkische Selbstherrlichkeit hinein […] mir ein dunkler Schritt heißt. Wer das Vaterland liebhat, muß – so mein’ ich – mehr liebhaben als das Vaterland. Und das eben ist mit der ‚Aufmerksamkeit für das Fremde‘ gemeint […], es käme auf die Abkehr von dem unseligen Denken in den Kategorien des Mißtrauens, des Nur-Mißtrauens an, die Abkehr von diesem kalten Präventivkrieg der Seele.“ (13) Im letzten Absatz seiner Rede nimmt Goes diese Bezugnahme auf den Kalten Krieg zurück, indem er der „Pflicht zur Unbefangenheit“ den „Widerstand“ gegen „Träumerlust, die unsere Sache nicht sein kann“ (15), entgegensetzt: „Graf Stauffenberg, Julius Leber, Dietrich Bonhoeffer und – will’s Gott! – kein Ende.“ (15/16) Der Schluss mit einem im Nachkriegsdeutschland nicht beendeten Widerstand, der in der Vergangenheit von Militärs, Sozialdemokraten und Christen des 20. Juli repräsentiert wird, hat eine Entsprechung in Goes’ Vorwort zu Anne Franks Tagebuch
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in der Deutung ihrer letzten Stunde als Vermächtnis: „dieser junge Mensch […] weiß […], welche Antwort von ihm gefordert wird, um der Stunde willen, um des Volkes willen – des Volkes, das für Anne Frank Holland heißt – und Israel.“ (Frank 1955, 6) Der Vorwort-Schreiber Goes betont seine Rolle als Vermittler, wenn er die Gegenwart nicht, wie in der Volkstrauertagsrede, als eine ‚heilender Wunden‘, sondern als eine Fortsetzung von Verfolgung fasst: „Es ist notwendig, in der Welt von 1955, die nicht aufhört, eine Welt der Konzentrationslager und der Verfolgungen zu sein, dieser Stimme Gehör zu verschaffen.“ (7) Im Unterschied zur westdeutschen Taschenbuchausgabe hat die DDR-Ausgabe kein Vorwort, sondern ein Nachwort. Die in Ganzleinen, mit der silbernen Einprägung von Anne Franks gerahmtem Vornamen, flexibel gebundene Dünndruckausgabe des Union Verlags der DDR-CDU, die 7,– Mark kostete, erreichte von 1957 bis zur 3. Auflage 1960 120.000 verkaufte Exemplare. Noch in der zweiten Auflage von 1959 war das Nachwort von Heinrich Grüber enthalten, der 1957 seine Funktion als Vertreter der EKD bei der Regierung der DDR verloren hatte, nachdem die EKD mit der Bundesregierung ein Abkommen über die ‚Militärseelsorge‘ getroffen hatte (Greschat 2010, 208); 1960 wurde Grübers Nachwort durch die für die Erstausgabe des Lambert Schneider Verlags 1950 geschriebene „Einführung“ von Marie Baum ersetzt. Grübers „Nachwort“ schließt mit einer als unmittelbare Wirkung der Lektüre unterstellten Frage der LeserIn, nämlich der nach Anne Franks „letzte[r] Stunde“, um diese zunächst religiös zu beantworten, dann aber die – weiterhin im inklusiven Wir erörterte – Wirkung des Tagebuch-Textes in Gefühlen und Erkenntnissen näher zu bestimmen. Grüber lenkt die Rezeption des Tagebuchs auf das, was in ihm nicht dargestellt ist (und seit den 1990er Jahren zu scharfer Kritik an der Anne Frank-Rezeption der 1950er Jahre geführt hat);³ er behandelt die Frage nach der Vernichtung als selbstverständliche Wirkung der Lektüre, auch wenn er sie religiös stellt und mit einem Bibel-Zitat (1. Mose 42,51) beantwortet: „Wenn wir das Buch ausgelesen haben, dann steht die Frage vor uns: Was geschah in den Zeiten, als es für Anne nicht mehr die Möglichkeit der Aussprache mit ‚Kitty‘ gab? Hat sie in diesen Zeiten und Stunden die größte menschliche Not, nämlich die der Einsamkeit und des Alleinseins durchkosten müssen? Hat die letzte und schwerste Not sie auch zu Gott und zum Gebet geführt? Wir können das grausige Ende Anne Franks in Bergen-Belsen nur ahnen. Aber wir haben den einen Wunsch, daß in ihr das Wort des alten Bundes wahr wurde: ‚Gott hat mich wachsen lassen im Lande meines Elends.‘“ (Frank 1957, 309) Die dem Adressaten in der religiösen Hoffnung nahegelegte Anteilnahme profiliert sich durch den adversativen Satzbau „Aber“ als Gegensatz zwischen der „fröhlichen, kritischen und zuversichtlich in die Welt schauenden“ Tagebuchschreiberin
Vgl. die Zusammenfassung bei Berg 2003, 326, als „vorschnelle Vereinnahmung der Opfersicht, mit der man die Geschichte der Judenvernichtung durch die Überbetonung ihrer Vorgeschichte umging“; er folgt Loewy 1998, Benz 2000, Loewy 2002.
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und der „geschändete[n] Gestalt“ in Bergen-Belsen: „die den letzten schwersten Weg gehen mußte, der nicht aufgezeichnet ist“ (309) Aus diesem Gegensatz leitet Grüber die emotionale Wirkung des Textes ab, um deren Vertiefung vom „unvergeßliche[n] Erlebnis“ zur „aufrüttelnde[n] Mahnung an uns alle“ (309) es ihm geht. Die Absicht der Verallgemeinerung ist erkennbar in dem Wechsel vom inklusiven Wir zu einem Ich, das „noch einmal wiederholen“ müsse, was es schon „oft gesagt habe“ (309). Entsprechend heißt es zunächst über das „Buch“ allgemein: „Wir hoffen, daß es uns die alte Schuld wieder aufs neue ins Gewissen gebrannt hat“, dann konkreter: „Daß wir noch am Leben sind, ist ein Beweis dafür, daß wir nicht ausreichend die Wahrheit bezeugt und uns nicht stark genug für die Gequälten und Verfolgten eingesetzt haben.“ (309) Zur „aufrüttelnde[n] Mahnung“ wird das Tagebuch durch die dem Adressaten vermittelte Einsicht in seine ‚Mitschuld‘; wieder betont ein „Aber“ einen Gegensatz, jetzt den zwischen dem eigenen Verhalten des Adressaten in der Vergangenheit und dem in Zukunft: „Aber je klarer wir die Versäumisse der Vergangenheit erkennen, um so größer erscheint uns auch die Pflicht, nicht nur das Unrecht wiedergutzumachen, sondern zu sorgen und zu wachen, daß wir nicht noch einmal mitschuldig werden an dem Elend so vieler Völker und Menschen.“ (309) ‚Wiedergutmachung‘ und Verhinderung einer Wiederholung werden von Grüber gebunden an die ‚Erkenntnis‘ der ‚Versäumisse der Vergangenheit‘ als eigene ‚Mitschuld‘. Dass der Nachwortschreiber betont, dies selbst schon ‚oft‘ gesagt zu haben, zeigt nicht nur die allgemeine ‚Aufrüttelung‘ als unabgeschlossen an, sondern lässt sich auch konkret auf eine im Vorjahre im selben Verlag wie Anne Franks „Tagebuch“ erschienene Sammlung „Predigten und Aufsätze aus zwanzig Jahren“ beziehen. Sie enthielt vier Predigten Grübers aus dem KZ Dachau (Grüber 1956, 63 – 76), zwei Ansprachen zu Gedenktagen des 9. Novembers 1938 (87– 90, 103 – 105), eine Rede in der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit „Zum 20. Jahrestag des Erlasses der ‚Nürnberger Gesetze‘“ (105 – 110), eine „Zum Gedenken“ an den 20. Juli 1944 (379/380), auf den sich auch die erste der beiden Ansprachen vor der VVN 1947 in Hannover (365 – 368) und 1948 in Halle/S. (369 – 372) bezog. In Grübers „Bußtagsgedanken“ von 1955 findet sich wie im Nachwort zu Anne Franks Tagebuch dieselbe Aufnahme der Stuttgarter Schulderklärung des Rats der EKD vom 19. Oktober 1945: „Wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt […] haben“ (Boyens 1971, 375), verschärft zu „wir Christen“ als „Hauptschuldigen“, weil sie „nicht treuer bezeugt“ hätten (Grüber 1956, 180). Wenn Grüber in seinen „Bußtagsgedanken“ seinen Adressaten „in der Schuld- und Schicksalsverbundenheit mit unserem ganzen Volke vor Gottes Thron“ (180) gestellt sieht, betont er einerseits eine Gemeinsamkeit zwischen Bundesrepublik und DDR, andererseits macht er einen Unterschied: „Unsere große Schuld besteht darin, daß sich unser Volk, besonders im Westen, mit der großen Schuld der Vergangenheit nicht innerlich auseinandergesetzt hat.“ (180) Grübers Adressierung von Anne Franks als letzter Brief gedeutetem Tagebuch als ‚aufrüttelnde Mahnung‘ zu ‚Wiedergutmachung‘ und ‚Wachsamkeit‘ gegen ‚Wiederholung‘ eigenen ‚Mitschuldig‘-Werdens geht nicht auf in einer von Harald Schmid für die DDR verabsolutierten „deutschlandpolitischen Funktionalisierung“ der öffentlichen Erinnerung
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an die Ermordung der europäischen Juden: „So war die öffentliche Vergegenwärtigung der Pogrome von Anfang an ein primäres Medium der Anklage der Bundesrepublik.“ (Schmid 2004, 40) Aber auch Schmids Behauptung: „Die christlichen Kirchen spielten keine Rolle“ (41), wird durch seine eigene Darstellung von Grübers – an der gegenseitigen Nicht-Anerkennung der politischen Instanzen 1956 scheiternde – Initiative widerlegt, Ost- und Westberliner Jugendliche aufzurufen, „die jüdischen Friedhöfe gemeinschaftlich ‚wieder so herzustellen, dass wir uns vor den Verstorbenen und dem Ausland nicht zu schämen brauchen‘. Sie solle ‚damit ein Stück der großen Schuld abtragen helfen, die das deutsche Volk auf sich geladen hat.‘“ (43) Grübers Initiative entsprach dem „Wort zur Judenfrage“, das die EKD-Synode in Berlin-Weißensee am 27. April 1950 beschlossen hatte und dessen siebter von acht Punkten lautete: „Wir bitten die christlichen Gemeinden, jüdische Friedhöfe innerhalb ihres Bereiches, sofern sie unbetreut sind, in ihren Schutz zu nehmen.“ Aber der Entwurf des vierten Punktes: „Wir bekennen uns zu der Schuld der Deutschen am Massenmord an den Juden“, war geändert worden in: „Wir sprechen es aus, daß wir durch Unterlassen und Schweigen vor dem Gott der Barmherzigkeit mitschuldig geworden sind an dem Frevel, der durch Menschen unseres Volkes an den Juden begangen worden ist.“ (Kirchliches Jahrbuch 1951, 5/6) Grübers Fokussierung der ‚innerlichen Auseinandersetzung‘ auf die Schuld der Vergangenheit unterscheidet allerdings sein „Nachwort“ markant von Albrecht Goes’ „Vorwort“ zu Anne Franks Tagebuch ebenso wie die nicht exklusive Stellung der Juden Europas unter „so viele[n] Völker[n]“ (Frank 1957, 309), an denen Deutsche schuldig geworden seien.⁴ Aber trotz des antikommunistischen Schlussakzents von Goes’ „Vorwort“ zu Anne Franks Tagebuch wurden seine Erzählungen „Das Brandopfer“ und „Unruhige Nacht“ in der DDR gedruckt. Schon während in der Wochenzeitung „Die Kirche“ „Das Brandopfer“, „in de[m] die Verfolgung der Juden durch den Faschismus gestaltet wird“, „in Fortsetzungen“ erschien, plädierte der Rezensent der westdeutschen Erstausgabe von „Unruhige Nacht“ in der CDU-Tageszeitung „Neue Zeit“ „[t]rotz mancher
Dies verkennt Kirschnicks (2009, 22) pauschale, auf jeden Beleg verzichtende These vom Antifaschismus als „pauschale[r] Exkulpation“ der Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone. Vgl. dagegen Grübers Herausgeber Günther Wirth, der in einem 1973 in der „Evangelischen Monatsschrift“ „Standpunkt“ erschienenem Artikel „Mit der Zeit? Zum 65. Geburtstag von Albrecht Goes“ eine Predigt von Goes aus den 1960er Jahren zitiert und kommentiert: „‚Ich meine, für unser Volk seien die schweren Jahre 1946, 1947 solche besonderen Gotteszeiten gewesen. Ja, ich würde, wenn ich Staatsbürgerkunde zu lehren hätte, sorgfältige Erinnerung gerade an diese Jahre lehren. Denn damals gab es einige Zeichen von Nicht-Verstockung, von Hörkraft, die es so in späteren Jahren nicht mehr gab. Damals gab es … Schuldige, die ihre Schuld eingestanden. Als sie zehn, fünfzehn Jahre später auf ihre Geständnisse von damals angeredet wurden, da waren ihnen diese eigenen Geständnisse höchst widerwärtig, wiewohl sie mit ihrer bitteren Wahrheit Zeugnis gaben, besseres Zeugnis als das kluge, abgesicherte ‚wenn und aber‘ aus den Jahren der neuen Verstockung.‘ Es ist außerordentlich aufschlußreich, in der Bestimmung des Heute Gottes in einer Predigt der sechziger Jahre in der BRD eine säkulare Norm für christliche zeitgemäße Existenz genannt zu erhalten. In der Tat: 1946, 1947 – diese Jahre sind auch in Westdeutschland Jahre der Hoffnung auf einen Neuanfang“ (Wirth 2009, 10).
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unserer Bedenken“ gegen das, was man „auf die Formel eines leidenden Humanismus bringen“ könne, wegen der vom Erzähler vermittelten emotionalen Spannung, „als ob er diese Novelle nur habe unter einem stark auf ihm lastenden Druck der Erinnerung und des Gewissens schreiben können“, für „die Herausgabe dieser Novelle in der Deutschen Demokratischen Republik“, weil sie „eine nicht zu unterschätzende Bereicherung für die christliche Leserschaft darstellen“ würde (Rubin 1955).⁵ Nach ihrem Erscheinen verglich der Pfarrer Daniel Hoffmann in der „Neuen Zeit“ beide Texte, um mit dem Zitat aus „Unruhige Nacht“: „‚wir sind hineinverstrickt, der Hexensabbat findet uns schuldig, uns alle‘“, sein Ergebnis zu belegen, dass „Unruhige Nacht“ „noch tiefer und härter als das ‚Brandopfer‘“ „ergreift“: „Die Gewissenskonflikte […] deckt der Dichter schonungslos auf. Er weiß selbst um die Unentrinnbarkeit der eigenen Schuld.“ (Hoffmann 1955) Auch in der „Berliner Zeitung“ wurden beide Erzählungen von Goes mehrfach besprochen; F. J. Raddatz beschrieb sie als „eine Art neuerliche Resistenz-Literatur“ für Westdeutschland, die „beunruhigend“ wirke, weil sie „trotz aller christlichen Sicht eine bedrückende Auswegslosigkeit vermittel[e]“ sowie „den Leser in nicht mißzuverstehender Weise in die ersten Jahre nach dem Krieg zurückversetzt“ ([Radda]tz 1956); Friedrich Dieckmann dagegen verglich Goes’ „Das Brandopfer“ mit Dieter Nolls „Mutter der Tauben“ und Franz Fühmanns „Kameraden“, um nur dem westdeutschen Autor zu bescheinigen, dass er „sein Thema in Sprache und Form vorbildlich bewältigte“, während Noll „an der Oberfläche“ bleibe und Fühmanns „Gestalten“ zu wenig „differenziert“ seien; Goes aber „gedenkt hier der unzähligen Opfer der faschistischen Konzentrationslager“, der „jüdische[n] Bevölkerung“ Deutschlands, „jener Menschen, die wissen, daß sie im Wartesaal des Todes sitzen“, durch seine Heldin: „Aus dem Erschrockensein […] entsteht jene Haltung, jenes Tun, das dem Boden religiösen Gefühls und alttestamentarischer Lehre entspringt. Die Erzählung findet zum gesellschaftlichen Handeln zurück.“ (Dieckmann 1955) Vier Jahre, nachdem 1955 die Evangelische Akademie mit einer Tagung zu Goes’ „Das Brandopfer“ ihre deutsch-deutsche Arbeit auf dem Gebiet der Literatur begonnen hatte, berichtete die „Neue Zeit“ über eine literarische Tagung in Berlin-Weißensee mit Goes über „Unruhige Nacht“ (Schwarz 2018, 116 – 120). Der Berichterstatter Gerhard Rostin zitiert, was Goes im Akademie-Gespräch als charakteristisch für „die Haltung eines großen Teils der Menschen in der Bundesrepublik […], die Not und Schuld der Vergangenheit weithin aus ihrem Gedächtnis gestrichen haben und nicht wieder daran gemahnt werden wollen“, aus einer Bonner Diskussion von einem evangelischen Theologiestudenten zitiert hatte zum „Schicksal der geängstigten und verfolgten jüdischen Menschen unter der Herrschaft des Faschismus: das alles sei doch längst passé, das ginge uns heute doch gar nichts mehr an“ (Rostin 1959). Goes habe die Brücke zwischen der Entstehungszeit seines Textes, 1948, und der Gegenwart von 1959 als „eine furchtbare Frage“ geschlagen, „vor die jene Menschen ihn stellen,
Zum Druckgenehmigungsverfahren vgl. Schwarz 2018, 119.
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die 1949 zu der Novelle Ja gesagt haben und die sich nun, 1959, ihrer Betroffenheit schämen und ihre Zustimmung zurücknehmen“ (Rostin 1959). Goes hingegen bekannte sich in der Diskussion in Weißensee zu zwei Sätzen seiner „Unruhigen Nacht“: „‚Unsere Schuld ist, daß wir leben‘“, sowie: „notwendig“ sei die „‚Entzauberung‘ des Krieges“, „jene[n] Sätze[n], in denen klar vorhergesehen ist, was wenige Jahre später in Westdeutschland erschreckend Wirklichkeit wurde“: „‚alle…wissen es für ein paar Jahre‘, dann ‚werden…die Mythen wieder wach‘“ (Rostin 1959).
2 Kurt Barthels „Spaziergang auf den Ettersberg“ Für „die Jahre von 1958“ , dem „‚Buchenwald-Jahr‘“ (Taterka 2000, 319), als die Nationale Mahn- und Gedenkstätte eingeweiht wurde, Bruno Apitz’ Roman „Nackt unter Wölfen“ erschien und Kurt Pauls Kantate „Euer Blut ist nicht umsonst vergossen“ (316), „bis zum Ende der DDR“ (319) behauptet Thomas Taterka „die Durchsetzung eines alle und jede Erfahrung gleichermaßen ausmerzenden ‚korporativen Deutungsmusters‘ (Peter Schötteler [sic]), entstanden als Apologie eines in der DDR sitzenden Grüppchens ‚Buchenwalder‘“, das „zunächst die leibliche Erfahrung Zehntausender Buchenwaldhäftlinge fortgewischt, dann durch die Ausdehnung dieses Deutungsmusters auf das Phänomen der nationalsozialistischen Konzentrationslager insgesamt die Begriffe ‚Antifaschismus‘ und ‚Widerstand‘ bis in die Wurzel hinein überformt“ (329) habe. Auf Taterka berief sich Wolfgang Emmerich, als er in einem Sammelband „Zur Darstellbarkeit von Krieg und Holocaust im literarischen Schaffen in Deutschland und Polen“ formulierte: „Im Doppel-Gründungsmythos Antifaschismus/Sozialismus bot sich ein neuer Glaube, ein neues geschlossenes Weltbild an, welches das alte, jetzt obsolete ersetzte. Das Geschehen des Holocaust freilich passte nicht in dieses neue Sinnkonstrukt. Es blieb einfach draußen.“ (Emmerich 2012, 28) Der Herausgeber des Sammelbands, Jürgen Egyptien, machte sich Emmerichs ‚Erklärung‘ zu eigen, dass „mit dem antifaschistischen Gründungsmythos der DDR und der Umdeutung des Volks zum ‚Sieger der Geschichte‘ […] implizit die Entlastung der Massen von Schuld verbunden war“ (Egyptien 2012, 11). Emmerich beruft sich für seine Zuspitzung: „Bei den Worten ‚Zweiter Weltkrieg‘ ‚Auschwitz‘, und bei ‚Auschwitz‘ das Wörtchen ‚ich‘ mitzudenken: Das waren zwei Dinge, die die SED über drei Jahrzehnte erfolgreich von der Bevölkerung ferngehalten hatte, wobei ihr die veröffentlichte Literatur half“ (Emmerich 2012, 31), auf Stephan Hermlins Kritik an der „seltsame[n] Formel vom ‚Sieger der Geschichte‘“ 1979 im Gespräch mit Klaus Wagenbach, ohne zu berücksichtigen, was Hermlin über die Zeit sagt, bevor die ‚Formel‘ „den Propagandisten bei uns eingefallen“ sei: „Wir haben in den ersten Jahren der Republik ein ziemlich klares, deutliches Urteil über die jüngste deutsche Geschichte gefällt, das von der Mehrheit der Bevölkerung angenommen wurde; das hatte aber wiederum Folgen, denn die Mehrheit der Bevölkerung war sich darüber im klaren, daß sie den Faschismus auf irgendeine Weise unterstützt hatte, und fühlte sich schuldig.“ (Hermlin 1983, 398) Dieser Einschätzung entspricht ein bereits zitierter Artikel, in dem
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Hermlin zum fünften Jahrestag der Gründung der DDR im „Neuen Deutschland“ und im „Aufbau“ erklärt hatte: „Die Republik wurde geprägt von der Abrechnung mit dem Alten. […] Es war die Deutsche Demokratische Republik, die ein Wort des jungen Marx zur gesellschaftlichen Realität machte, jenes Wort, dem zufolge ein Volk, das sich zu schämen vermag, dem Löwen gleicht, der zum Sprung sich in sich selbst zurückzieht. Die Deutsche Demokatische Republik hatte den Mut zu dieser kollektiven Scham, sie forderte diese Scham von ihren Bürgern […]. Sie begann ihre Existenz […] mit moralischen Forderungen..“ (Hermlin 1960, 91/92)⁶
Dass Hermlin mit der offiziellen Position der SED übereinstimmte, belegt Walter Ulbrichts ein Jahr später erschienener, in 100.000 Exemplaren gedruckter Halbband „Zur Geschichte der neuesten Zeit. Die Niederlage Hitlerdeutschlands und die Schaffung einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung“, der „die Notwendigkeit der Umerziehung der Bevölkerung“ betont (Ulbricht 1955, 49), weil bei Kriegsende „nur wenigen“ „zum Bewußtsein“ „kam“, dass „dem deutschen Volk Leben und Freiheit zurückgegeben“ waren (58), sondern „[v]iele […] von ihrer Mitschuld nichts wissen wollten“, obwohl „sich breite Kreise des deutschen Volkes durch ihre Teilnahme, ihr Wissen und ihr untätiges Schweigen mitschuldig gemacht hatten“ (61). Die Losung „Sieger der Geschichte“ kam erst 1963 in Umlauf, z. B. durch ein Buch gleichen Titels, das „unter Beratung durch die Abteilung Propaganda des ZK der SED“ vom Dietz-Verlag herausgegeben wurde. Es wurde von einem Zitat aus Walter Ulbrichts 1962 gehaltenem und publiziertem „Referat zum ‚Grundriß der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung‘“ eröffnet: „Aus der Kenntnis der Geschichte und ihrer opferreichen Kämpfe erwächst der Stolz auf das, was wir bis heute erreicht haben. Auf diesem Boden erwächst Achtung und Ehrfurcht vor den Opfern, die die deutsche Arbeiterklasse und ihre revolutionäre Partei in einem nun schon über ein Jahrhundert währenden Kampf für Frieden, Demokratie und Sozialismus, für die Zukunft der deutsche Nation gebracht haben. Die Kenntnis der Geschichte der deutsche Arbeiterbewegung und das Wissen um die Gesetzmäßigkeit ihrer Entwicklung stärkt unser Siegesbewußtsein und gibt uns Kraft für die Lösung der großen Aufgaben, die noch vor uns stehen.“ (Bachmann u. a. 1963, 3) Dass das ‚ Siegesbewußtsein‘ sich nicht auf 1945 bezieht, sondern auf ‚bis heute Erreichtes‘, macht der in „Sieger der Geschichte“ folgende Text von Ulbricht deutlich, der am 23. November 1962 im „Neuen Deutschland“ den Entwurf eines neuen Programms der SED vorstellte, das der für 1963 angesetzte VI. Parteitag an die Stelle der 1946 auf dem Vereinigungspartei verabschiedeten „Grundsätze und Ziele“ treten lassen sollte: „Das wichtigste Ergebnis […] ist die Erkämpfung der politischen Macht der Arbeiterklasse in der Deutschen Demokratischen Republik, dem ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat der deutschen Geschichte.“ (7) Auch wenn in einem der folgenden Texte die DDR-Staatsgründung als „Wendepunkt in der Geschichte Europas“ „der größte Sieg des Friedens in Europa und die schwerste Niederlage des deutschen Imperialismus und Militarismus nach 1945“ genannt wurde, konnte für sie nicht gelten, dass „die Wurzeln des Krieges sowie die barbarische Ideologie des Rassenhasses, des Revanchismus und Chauvinismus für immer beseitigt“ (83) wären. Im Ergebnis der miteinander verbundenen Diskussionen über das neue Programm und den „Grundriß“ (und damit die achtbändige, von einem Autorenkollektiv des IML unter der Leitung von Walter Ulbricht geschriebene „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“) fielen Programmatik und Geschichtsschreibung im Begriff ‚Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse‘ zusammen; er bezeichnete ‚das bis heute Erreichte‘: „den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse (Periode von 1956 bis 1961)“ (Institut für Marxismus-Leninismus 1966,VIII, 7) „konnte der Parteitag […] konstatieren“ (397): „In der DDR waren die inneren Quellen des Klassenkampfes und einer kapitalistischen Restauration beseitigt“ (398), und das neue Parteiprogramm entsprechend formulieren: „Nach dem Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse ist der umfassende Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik, der die Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus abschließen wird, Hauptinhalt der Tätigkeit der Arbeiterklasse und aller
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Und so redet Kurt Barthel die Leser und Leserinnen eines Bild-Text-Bandes „Nationale Gedenkstätte Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar“ an, der 1956 vom Kuratorium für den Aufbau Nationaler Gedenkstätten in Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück herausgegeben wurde und bei der Einweihung der in Buchenwald in der vierten Auflage vorlag: „Haben Sie von den Greueln des Faschismus gewußt? Verbergen Sie dies Wissen vor anderen? Verbergen Sie es vor sich selber? Sind Sie vom Faschismus befallen? Am Faschismus stirbt man. Sie aber wollen leben! Deshalb bitten wir Sie zu einem kleinen Spaziergang auf den Ettersberg.“ (Nationale Gedenkstätte 1958, 6) Der Adressat wird von Kuba als an Goethe, Schiller und Herder interessierter Weimar-Tourist aus einem Nato- oder einem volksdemokratischen Land oder „Deutschland“ angesprochen: „Sicherlich haben Sie an den Arbeitsstätten und Grüften dieser großen Deutschen stille Einkehr gehalten. Nicht weit von Weimar befindet sich noch eine andere Stätte, die in der Welt bekannt wurde. Begleiten Sie uns auf einem Spaziergang dorthin. Es ist nicht weit“ (4). Von vornherein betont Kubas Führung, dass das KZ Buchenwald „nicht das schrecklichste“ gewesen sei: „Treblinka in Polen war schlimmer. Auschwitz war schlimmer. Viele waren schlimmer …“ (5). Auch in Buchenwald selbst unterscheidet er das ‚Kleine Lager‘ als „Hölle in der Hölle“
Werktätigen.“ (Berthold/Diehl 1967, 256) Vor dem auf 1961 datierten Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse erschienene Bücher mit dem Begriff Sieg im Titel wie 1959 „Des Sieges Gewissheit“ und 1960 „Die DDR ist ihres Sieges gewiß“ machten im Vor- oder Nachwort klar, dass die, wie die Herausgeber I. M. Lange für den DSV und Joachim Schreck für den Aufbau-Verlag zu „Des Sieges Gewissheit“ schrieben, „wesentliche Aufgabe dieses Buches“ sei, „einen Hinweis zu geben, wie es auf dem Wege zum Siege weitergehen soll“ (Lange/Schreck 1959, 818). Sowohl für „Ein Volksbuch vom Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik“ mit Beiträgen von Schriftstellern, die „an den wichtigsten Entwicklungspunkten unserer Republik“ „aus dem […] Alltag die Poesie herauszuläutern“ (13) suchten, als auch für Walter Ulbrichts „Vier Reden und Aufsätze zur Geschichte der DDR“ gilt, dass sie „nicht auf dem Erreichten ausruhen“, sondern „Partei ergreifen für die Zukunft in der Gewißheit des Sieges, dessen Voraussetzung die Sicherung des Friedens auf lange Dauer ist“ (818). Vgl. denselben Sprachgebrauch in der auf den 8. Mai 1960 datierten Vorbemerkung der herausgebenden Kommission zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung in der Kreisorganisation der SED Ilmenau zu Fritz Barths „Familie Zink Opfer des Faschismus. Bericht, Briefe, Dokumente und Erinnerungen“: „In diesen Tagen verkündete die Sowjetunion weitere Maßnahmen, die die Sieghaftigkeit der sozialistischen und kommunistischen Welt erneut beweisen.“ (Barth [1960], 19) 1968 wurde auf den 10. Arbeiterfestspielen in Halle eine Ausstellung „Sieger der Geschichte“ gezeigt, deren Werke bildender Kunst, wie die vom FDGB beauftragten Kuratoren im Bildband schreiben, einen „Überblick“ geben sollten über die „großen gesellschaftlichen Veränderungen […] in den zwei Jahrzehnten unserer Republik“, „wie sich die Arbeiterklasse […] im Prozeß des sozialistischen Aufbaus wandelte und wie wir als Erben des Manifestes zu den Siegern in unserer DDR, dem sozialistischen Staat deutscher Nation wurden“ (Schönemann 1969, 5). Unter den ausgestellten Porträts waren ein anonymer „Widerstandskämpfer in Auschwitz“ (110), Anne Frank (114/115), Bruno Apitz (202) und Greta Kuckhoff (203). Neben dem Begriff ‚Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse‘ wurde in dem 1974 in gewisser Weise Ulbrichts achtbändige Geschichte der Arbeiterbewegung ersetzenden „Grundriß“ „Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik“ der einer „Durchsetzung sozialistischer Produktionsverhältnisse in allen Bereichen der Volkswirtschaft“ (Zentralinstitut 1974, 666) verwendet.
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(32). Obwohl in dem von der Abteilung Gedenkstätten des 1952 gegründeten Museums für Deutsche Geschichte, Berlin, entworfenen Text in der Beschreibung der Ausstellung als „Museum der Widerstandsbewegung“ (13, vgl. 27) sowohl die ‚Selbstbefreiung‘ als auch die ‚Rettung‘ von Stefan Jerzy Zweig eine antifaschistische Deutung des KZ Buchenwald belegen sollen: „Buchenwald zeugt vor allem von der solidarischen Kraft der Kämpfer, die sich über die faschistische Grausamkeit erhoben“ (26), bringt diese weder „den Massenmord an Juden und Polen“ (12, vgl. 16), für den „Auschwitz“ (19) genannt wird und auch die dort ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen (23), zum Verschwinden noch die Schuld der Deutschen. Kuba schließt seine Führung durch die noch nicht eingeweihte Gedenkstätte mit einem Zitat aus Arnold Zweigs Aufsatz „Urteilsspruch“ von 1945: „Ein Volk ist verantwortlich auch für das, was es mit sich anstellen läßt“, deshalb betont er, „daß sich als nationales Unglück maskiert hat, was im Grunde schuldhaft unterlassener Klassenkampf war“ (Zweig 1987, 260). Bill Niven kritisiert die – im Jüdischen Museum, Berlin, vorgenommene – Gegenüberstellung einer westdeutschen Rezeption von Anne Franks und einer DDR-Rezeption von Stefan Jerzy Zweigs Geschichte, „dass Franks Geschichte zumindest aufgrund ihres Ausgangs die Tatsache des Holocausts anerkennt, während Zweigs – in der in der DDR bekannten Fassung – dies nicht tat“ (Niven 2009, 252). Aber das von Kuba für den Gang durch Buchenwald gewählte Zitat Arnold Zweigs über Schuld entspricht nicht ganz Nivens Einwand, dass „das Schicksal der Juden in ostdeutschen Gedenkstätten sehr wohl angesprochen [wurde] – wenn auch innerhalb eines marxistischen Interpretationsrahmens, der die Schuld daran eher dem Kapitalismus als dem Rassismus gab“ (253). In Zweigs von Kuba zitierter Formulierung geht es nicht um ‚die Schuld des Kapitalismus‘, sondern die Schuld derer, die es unterlassen hatten, gegen ihn zu kämpfen. Ein Schuldbewusstsein formuliert auch die Beschreibung von Auschwitz durch das Kollektiv Buchenwald, das vor der Gestaltung von Sachsenhausen im Dezember 1956 verschiedene Gedenkstätten besuchte: „Auschwitz bedeutet eiskalte, berechnende Massenvernichtung von Menschen, bedeutet unfaßbare Quälerei der unschuldigen Opfer vor ihrer Ermordung. Jedem Besucher des ehemaligen Lagers, besonders dem Deutschen wird das in der niederdrückendsten Weise deutlich.“ (Morsch 1996, 169)
3 Vasek Kanas Vorwort zu Ota Kraus, Erich Kulka: Die Todesfabrik Eine Reise nach Auschwitz beschrieb der tschechische Dramatiker und Romancier Vasek Kana in seinem Vorwort zu dem ohne Genrebezeichnung deutsch 1957 erschienenen Bericht der „ehemalige[n] politischen Häftlinge von Auschwitz-Birkenau“ (Kraus/Kulka 1958, 9) Ota Kraus und Erich Kulka „Die Todesfabrik“. Vasek, dessen 1950 vom Deutschen Theater im VEB Bergmann-Borsig (Tschernig 1989, 43) erstaufgeführte „Brigade Karhan“ im Spielplan der Theater der DDR eine „Vorzugsstellung“
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gewann, um „beim Publikum eine Bresche für die sozialistische Zeitdramatik zu schlagen“ (Mittenzwei 1972, I, 234), deren „Brigadestücktypus“ mit „lustspielhafte[n] Züge[n]“ (254), und dessen „Standa. Die Geschichte eines Arbeiterkindes im ersten Weltkrieg und in den Nachkriegsjahren“ 1953 im Verlag des FDGB erschien, betonte zunächst „die nackte Wahrheit, die erlebte, durchlittene und mit den einfachsten Worten aufgezeichnete Wahrheit“ des von den Autoren ‚Niedergeschriebenen‘, dann ihre „warnende Mahnung“ (Kana 1957, 7) politisch. Es gebe in „Die Todesfabrik“ „nicht den leisesten Schatten irgendeines Bemühens, ihre Gedanken […] künstlich oder künstlerisch auszudrücken“ (6/7). An „Millionen“ wende sich ihr Buch: „Da der Mensch vergeßlich und seine Erinnerung kurz zu sein pflegt, […] muß man gerade diese Vergangenheit wieder lebendig machen.“ (7) Die Begründung schreibt dem Buch eine bestimmte emotionale Wirkung auf den Adressaten zu, die von einer anderen ‚Lebendigkeit‘ der Vergangenheit ausgeht: „In unserer Nachbarschaft, in Westdeutschland, lassen die amerikanischen Milliardäre gemeinsam mit den Nazigeneralen und SS-Offizieren den Faschismus auferstehen“, wogegen das Buch sich ‚verpflichtet‘ habe, „im Herzen des Lesers die Glut des gerechten Zorns und Hasses zu entfachen und eine noch größere Begeisterung für den Kampf um die Erhaltung des Friedens in ihm hervorzurufen“ (7). Der zweite, fast gleich lange Teil des Vorworts entspricht zwar dessen erster Akzentsetzung auf Wahrheit, aber nicht der zweiten auf eine Entsprechung von Zorn auf Gehasstes und Begeisterung für Geliebtes. Kana, der den Bericht seines Gang mit einem Begleiter, „ein[em] ehemalige[n] Auschwitzhäftling“ (8), durch die Gedenkstätte einleitend betont: „Ich war kein Auschwitzhäftling, ich habe die Grauen von Birkenau nicht am eigenen Leib erfahren“, fuhr nach Auschwitz „[n]ach dem Krieg“ und „überprüfte“ „die Wahrhaftigkeit der Schilderung […] d[er] Todesfabrik“ (7) von Kraus und Kulka. Deshalb beginnt Kana mit einer ersten Reihung von Wahrnehmungen, die den „im Laufe der verflossenen Jahre halb verblaßten Bilder[n] der Schrecken des Faschismus“, die vom Buch „enthüllt“ werden, etwas entgegensetzt, das der ‚Enthüllung‘ durch das Buch entspricht: „Die Baracken von Auschwitz gähnten vor Leere, in den Hinrichtungszellen roch es nach Kellermoder, der Frauenblock in Birkenau war verlassen, die Krematorien waren eingestürzt. Und doch habe ich mich unschwer einige Jahre zurückversetzen können und alles durchlebt, was die Autoren dieses Buches beschreiben.“ (7/8) Dem „nicht am eigenen Leibe erfahren“ hat der Berichterstatter schon einleitend entgegengesetzt: „Doch ich habe [d]ie [Grauen von Birkenau] mit ganzer Seele und ganzem Herzen erlebt“ (7), als er durch Birkenau und das Stammlager ging. „[A]lles durchlebt“ zu haben, konzentriert Kana zwei Mal in einer Verbindung vom in der Gegenwart Gesehenem mit von Kraus und Kulka Berichtetem, zuerst in Birkenau, dann im Museum im Stammlager: „Am Bahngleis beim Haupttor des Lagers Birkenau habe ich die ‚Selektion‘ gesehen, vor den Krematorien die Scharen von Müttern und Kinden, die sich in die Gaskammern drängen.“ (8) Wenn Kana diese unmittelbare Verbindung von Gesehenem und aus der Lektüre des Buchs Erinnertem fortführt: „Ich habe mich in Millionen Seelen und Herzen jener hineingelebt, die hier als Märtyrer
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starben. Alles habe ich gesehen, als ich hier stumm, die Mütze in der Hand, umherging“ (8), deutet sich ein Spannungsverhältnis zwischen Verallgemeinerung und Vereinzelung an, das – wie die religiöse Bildlichkeit von „Märtyrer[n]“, denen Ehrerbietung durch Abnehmen der Kopfbedeckung entgegengebracht wird – schon auf das Problem der Vermittlung verweist, das von Kanas zweitem „Bild“ aufgeworfen wird, denn dieses sieht der Berichterstatter nicht allein. „Ein Bild ist in meiner Erinnerung besonders haftengeblieben: In einer der Auschwitzer Baracken, der ‚Kanada‘, zeigte man mir einen Raum, angefüllt mit Baby- und Kindersachen. ‚Das ist von den vergasten Kindern übriggeblieben‘, erklärte mir der Begleiter […]. Er sagte das in einem Ton, der allen Fremdenführern eigen ist, und ich spürte Zorn in mir aufsteigen. Ich hätte ihn anschreien mögen, aber ich konnte nicht sprechen. Um seine Stimme nicht zu hören, eilte ich davon.“ (8) Die sprachlos machende Erzürnung durch den ‚Fremdenführer‘-‚Ton‘, der vom Ort des Gesehenen vertreibt, wird vom Berichterstatter erklärt: „Es schien mir, als spräche er allzu selbstverständlich von einer Sache, die den Menschen an die Grenze des Erträglichen zu treiben vermag.“ (8) Was den AuschwitzBesucher an die ‚Grenze des Erträglichen‘ treibt, ist die Identifikation der ‚vergasten Kinder‘ nicht nur mit seinen ‚eigenen‘, sondern mit ‚allen Kindern‘, wobei sich Individualisierung und Verallgemeinerung in der Verwendung von Diminutiven verbinden: „Ich mußte an meine eigenen Kinder, an alle Kinder denken. Ich sah ihre kleinen Fersen, die Knöchelchen, ich sah all die von Müttern geküßten und in Liebe bewunderten Stellen.“ (8) Das mit diesem Bild verbundene Gefühl des Besuchers führt zum Wechsel aus der Rolle des Berichterstatters in die eines Vorwortschreibers, der den Adressaten duzt: „Und ich empfand das schmerzliche, beklemmende Gefühl der Mitschuld. ‚Wie konnten wir nur, wir Menschen, wir Väter und Mütter, dies zulassen?‘ sprach ich zu mir selbst und wiederholte diese Frage tage- und monatelang. Die gleiche Frage wirst auch du dir stellen, Leser, wenn du dieses Buch gelesen haben wirst.“ (8) Mit der Weitergabe der Frage, die sich der Auschwitz-Besucher ‚tage- und monatelang‘ nach seinem Besuch gestellt habe, an den Leser, nimmt der Vorwortschreiber ein Motiv auf, das in beiden Abschnitten des ersten Teils des Vorworts anklang, ob es zunächst allgemein hieß, dass, was „in Worten ausgedrückt“ werde, „das Denken des Menschen umzuwandeln und seinen Lebensweg zu bestimmen“ vermöge (6), oder konkret über Kraus’ und Kulkas „Die Todesfabrik“: „Der Leser wird nach dem Studium dieses Buches bis in die Tiefe der Seele erschüttert sein. Bis an sein Lebensende wird er die Erinnerung an Auschwitz mit sich tragen. Das Bild von Auschwitz und Birkenau wird für immer vor seinen Augen bleiben…“ (7) In seiner Weitergabe der eigenen Frage beim Besuch von Auschwitz an die im Singular geduzten LeserInnen des Buchs gibt der Vorwortschreiber aber auch eine Antwort, von der er „fest überzeugt“ ist, dass „du sie […] zusammen mit den Autoren und mit mir“ (8) geben werdest. Angelegt ist diese Autoren, Vorwortschreiber und Adressaten verbindende Antwort in dem inklusiven „wir Menschen, wir Väter und Mütter“ der Frage nach der „Mitschuld“ an der Ermordung der Kinder in Birkenau durch „[Z]ulassen“ (8). Die zwei Mal formulierte ‚Überzeugung‘ von der Übereinstimmung der Autoren, des vermittelnden Vorwortschreibers und der LeserInnen in
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der Antwort: „‚Wir werden es nie wieder geschehen lassen!‘“, basiert auf einem und appelliert zugleich an „ein menschliches Herz“ und an ‚Väter und Mütter‘ von Kindern: „Ich glaube daran, daß du es tun wirst, sofern du ohne das Gefühl der Scham in die reinen Augen deiner und aller Kinder blicken willst.“ (8) Kana führt den Begriff der Scham als Entsprechung zur Mitschuld nicht mit Bezug auf die Ermordung der Kinder in Birkenau ein, sondern mit Bezug auf die Mitschuld an einer möglichen zukünftigen Wiederholung – vor der er im ersten Teil des Vorworts mahnend gewarnt hat, also eine im Blick der Kinder vermeidbare Scham durch ein Handeln, das auf das „nie wieder“ (8) gerichtet ist. In der am Schluss des Vorworts unter dem Bild des Kindes für die Menschheit als vermeidbar installierten Beschämung des Adressaten, wenn der durch Zulassen schuldig gewordene das Geschehene ‚nie wieder‘ zulässt, ist keine einfache Wiederholung der am Ende des ersten Teils des Vorworts stehenden Entsprechung von Zorn auf Gehasstes und Begeisterung für Geliebtes, selbst wenn der „Kampf um die Erhaltung des Friedens“ (7) als Friedensliebe gedeutet wird, denn es bleibt bei der Mitschuld an der Vergangenheit. Auch wenn mit Kana die Autoren Ota Kraus und Erich Kulka in ihrem „Liebe Freunde in Deutschland!“ überschriebenen, in dem Inhaltsverzeichnis auch so genannten „Vorwort zur deutschen Ausgabe“ (239), das an die Stelle trat des ursprünglich von Hermann Langbein geschriebenen, dem österreichischen kommunistischen Auschwitz-Überlebenden und Generalsekretär des 1952 gegründeten Internationalen Auschwitz-Komitee (Neumann-Thein 2014, 247), das 1957 erstmals in der BRD tagte (Tagung 1957), darin übereinstimmten, dass „die volle Wahrheit über Auschwitz […] eine wirkungsvolle […] Waffe […] gegen alle Anstifter eines neuen Krieges“ (Kraus/Kulka 1957, 6) sei, machten die Autoren unter den deutschen Adressaten ihres Buchs deutliche Unterschiede. Nacheinander werden fünf Gruppen von Deutschen angesprochen, von denen aber zwei von dem Autoren-Wir nicht geduzt werden: Zuerst werden die „ersten Opfer der faschistischen Barbaren“ angeredet, die „Ihr schon zu jener Zeit [in KZs vor dem Zweiten Weltkrieg, H.P.] zum Ausdruck gebracht habt, daß der Nazismus und die SS nicht mit dem ganzen deutschen Volk gleichzusetzen ist“ (5); die zweite Gruppe sind nur mit Vornamen angesprochene „deutsche Auschwitzhäftlinge“, denen an einem Beispiel mit vollem Namen und Beschreibung der Hilfeleistung gedankt wird (5); die dritte Gruppe bildet sich aus „aufrechten Menschen“, nämlich jedem „deutschen Leser, der nach der Lektüre dieses Buches voll gerechten Zornes sich den Kräften anschließen wird, die dagegen kämpfen, daß jemals wieder so etwas geschieht“ (5). Bevor Kraus und Kulka zwei Gruppen in der DDR unterscheiden, eine von ihnen gedutzte und eine andere nicht geduzte, beziehen sie „[d]as deutsche Volk“ unter den Begriffen „furchtbare[r] Tribut“ (5) und ‚Sturz‘ ins „Unglück“ des „Krieges“ (6) in das „furchtbare Leid“ ein, das die „durch ihre imperialistischen Hintermänner an die Macht geschoben[en]“ „Nazis“ „für die Menschen ganz Europas“ (5) gebracht haben. Bilder von Feuer schließen Ursachen und Bewertungen zusammen: „Der Reichstagsbrand, das Verbrennen fortschrittlicher Literatur auf den Straßen und Plätzen deutscher Städte, die berüchtigte ‚Kristallnacht‘ schufen die Voraussetzungen für das Feuer in den Auschwitzer Kre-
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matorien. Aber als die Flammen aus den Auschwitzer Kaminen loderten, brannten auch deutsche Städte. Das deutsche Volk hat einen furchtbaren Tribut zahlen müssen, sowohl für das Jahr 1933 als auch für die Zeit von 1943 – 1945, da in den Krematorien von Birkenau bei Auschwitz Millionen von Menschen vernichtet wurden.“ (5) Von den geduzten „Freunde[n] in der Deutschen demokratischen Republik“, die „Ihr […] Euch vom Tage der Befreiung an getreu Eurem Schwur in den Lagern […] einen neuen Staat geschaffen“ habt, werden sowohl Westdeutsche als auch Deutsche in der DDR als „Eure Brüder[…] und Schwestern“ unterschieden, von denen es aber abhänge, ob der „Kampf um den Frieden in ganz Deutschland und für eine glückliche Zukunft siegreich […zu] beenden“ (6) sei. Mit ihrer Differenzierug deutscher Adressaten von „Die Todesfabrik“ widersprachen Kraus und Kulka jedenfalls nicht Kanas Offenhalten der Frage nach Mitschuld in der Vergangenheit, aber sie entgingen auch einem Einwand, den der Kongreß-Verlag Langbein gegen einen Satz seines Vorwort-Manuskripts mitgeteilt hatte: dass „‚unsere Menschen (…) unter der Führung der Partei der Arbeiterklasse (…) schon seit vielen Jahren den guten Ruf unseres Volkes voll wiederhergestellt‘“ (Stengel 2012, 221) hätten. Langbein hatte aber nicht einmal über Schuld und Scham, sondern nur über Schande und Ehre geschrieben: „‚Die SS hat den Ruf des deutschen Volkes aufs schwerste geschädigt. Die Kenntnis dieser Tatsache ist wohl eine Voraussetzung dafür, daß das deutsche Volk die Kraft findet, seinen guten Ruf wiederherzustellen.‘“ (Barck 2003, 112) Eine andere Übereinstimmung zwischen Vorwortschreiber und Autoren besteht in der Fokussierung eines durch die Lektüre ausgelösten Zorns, der den ‚Anschluss‘ an „Kräfte“ motivieren könne, „die dagegen kämpfen, daß jemals wieder so etwas geschieht“ (Kraus/Kulka 1957, 5), oder die „Begeisterung für den Kampf für die Erhaltung des Friedens“ ‚vergrößern‘ (7). So ließe sich die Aufnahme eines letzten Briefs in „Die Todesfabrik“ im letzten Unterabschnitt vor dem Kapitel „Sklavenmeister, Kerkermeister und Henker“ deuten: „Letzte Grüße“ enthält außer drei Gedichten einer „unbekannte[n] Autorin“ (175), die am 8. März 1944 in Birkenau ermordet wurde, nur den „Abschiedsbrief“ von Elly Kulková, der „Frau des Häftlings Nummer 73043“, an diesen vom 30. Juni 1944 „vor ihrem Weg in die Gaskammer“ (174). Nicht nur als einziger letzter Brief in Kraus’ und Kulkas Buch ragt Kulkovás Brief heraus, sondern auch im Vergleich mit den Texten in der 1950 in der DDR erschienenen Anthologie „Letzte Briefe tschechoslowakischer Widerstandskämpfer“, über deren „Sinn“ Louis Fürnberg im Vorwort schrieb: „daß sich die Liebe zu den Menschen und zum Leben, die heroisch das schwerste Opfer auf sich nahm, allen mitteile, die die furchtbare Vergangenheit erlebten und überlebten. Daß sich die Herzen, die der Liebe überhaupt fähig sind, rüsten zum entschlossenen Widerstand“ gegen eine „Wiederauferstehung der Faschisten“: „Es darf nie wieder geschehen!“ (Letzte Briefe 1950, 5/6) Kulkovás Brief zeigt eine in vielen der in die Anthologie aufgenommenen Briefen betonte Engführung von Familie und politischen Kampf, aber in keinem wird das Vermächtnis als Appell zur Rache formuliert. Sie trägt ihrem Mann für Geschwister und Nichten auf: „Mögen sie tapfer für unsere Freiheit kämpfen und das unschuldig vergossene
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Blut ihrer Lieben rächen“ (Kraus/Kulka 1957, 174). Den Ehemann spricht sie zusammen mit seinen „Kameraden“ an: „Bleibe, was Du bist, ein tapferer, unbeugsamer Held. Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug an Dich denken und für Deine Rettung beten. Allen Deinen Kameraden meine letzten Gedanken und Grüße.“ (175) Das zum Erscheinen der vierten tschechischen Auflage von „Die Todesfabrik“ am 11. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz geschriebene Nachwort beginnt und endet mit einer Empfehlung an den Adressaten, erstens nach Auschwitz zu reisen, zweites das Buch weiterzugeben. Der ersten Empfehlung vorangestellt ist ein Bild der „Überreste der Todesfabrik in Brzezinka“: Sie „befinden sich im Zerfall. Das ehemalige Lager Birkenau ist von üppigem, dichtem und hohem Gras überwuchert. Nirgends in der Welt wächst so ein Gras wie dort… Es wächst aus einer Erde, die gesättigt ist von Menschenblut, aus einer Erde, die genetzt ist von Millionen Tränen und Schweißtropfen.“ (Kraus/Kulka 1957, 235) Die Autoren wenden sich mit ihrer Empfehlung nicht direkt an die LeserInnen, sondern gehen von Bedingungen für eine Reise nach Auschwitz aus, um deren Ergebnis zu formulieren: „Wer die Gelegenheit hat, Polen zu besuchen, wer Interesse, Möglichkeit und Zeit hat, der besucht gewöhnlich auch Auschwitz. Dort kann er im Museum die Beweise für dieses ungeheure Verbrechen mit eigenen Augen betrachten, und er wird wenigstens zum Teil das Ausmaß der Bestialitäten begreifen, verübt von jenen Menschen, die ihre Kleidung mit dem Hakenkreuz, dem Totenschädel und den gekreuzten Knochen schmückten.“ (235) Am Schluss des Nachworts berufen die Autoren sich auf Gespräche der „vergangenen Jahre“ mit Lesern, denen durch ihr Buch „zu Bewußtsein kam, was Faschismus bedeutet und wessen er fähig ist“, um sich direkt an den Adressaten zu wenden: „Deshalb bitten wir den Leser dieses Buches, es nicht in den Bücherschrank zu stellen, wenn er es beendet hat. Möge es ohne Unterbrechung, Tag für Tag von einer möglichst großen Zahl Menschen gelesen werden. Es ist kein angenehmes Lesen, doch es hindert uns, jemals zu vergessen, und es zwingt uns, immer und mit ganzer Kraft gegen den Krieg und für die Erhaltung des Friedens zu kämpfen.“ (236)
4 Vorbereitung von Veranstaltungen zum Gedenktag der Opfer des Faschismus (1957) Kraus’ und Kulkas Buch stand 1957 im Juli-Heft der Zeitschrift „Der Bibliothekar“ (12 (1957) H. 7, S. 733) auf einer zur Vorbereitung von Veranstaltungen zum Gedenktag der Opfer des Faschismus bestimmten Liste „An dokumentarischem Material erschien u. a.“, obwohl es noch nicht im Buchhandel war. Auch in vier der fünf anderen von 1955 bis 1957 herausgekommenen empfohlenen Bücher war Auschwitz zentral: des ehemaligen Militärrichters der britischen Besatzungszone Lord Russell of Liverpool „Geißel der Menschheit. Kurze Geschichte der Nazikriegsverbrechen“ (1955), Bruno Baums „Widerstand in Auschwitz“ (1957), Peter Alfons Steinigers zweibändiger Ausgabe „Der Nürnberger Prozeß“ (1957) und „SS im Einsatz. Eine Dokumentation über die Verbrechen der SS“ (1957), herausgegeben vom Komitee der Antifaschistischen
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Widerstandskämpfer in der DDR. Der fünfte für den Gedenktag empfohlene Titel war die europäische Anthologie letzter Briefe von Widerstandskämpfern von Malvezzi und Pirelli, „Und die Flamme soll euch nicht verbrennen“, die in der bereits zitierten, drei Monate später im „Bibliothekar“ erschienenen Sammelrezension von Heinz Peter „an erster Stelle“ genannt wurde, um „[u]nsere Leser […] nicht nur das Grauen der faschistischen Konzentrationslager kennenlernen, sondern auch mit denen vertraut werden [zu lassen], die […] den Kampf nicht aufgaben (Peter 1957, 1050). Peter bewertet „SS im Einsatz“ als „die wichtigste Publikation“ (1045), weil das Buch „einen erschütternden Gesamtüberblick“ und damit „sogar dem Voreingenommenen […] eine Vorstellung von dem ganzen Ausmaß der Verbrechen“ (1048) gebe. Die Sammelrezension schloss im Unterschied zur Empfehlungsliste für den OdFGedenktag, die nur „dokumentarische“ Titel enthielt (Der Bibliothekar 12 (1957) H. 7, S. 733), auch literarische Texte ein, weil sie „eindringliche Einzelbilder“ (Peter 1957, 1048) bieten. Allerdings fehlen zwei literarische Neuerscheinungen des Jahres 1957 aus Frankreich und Polen, die erst später von der Zeitschrift besprochen wurden: Robert Merles „Der Tod ist mein Beruf“ und Zofia Nalkowskas „Medaillons“. „Es gibt keinen eindringlicheren Aufruf zur Menschlichkeit als dieses Buch, das die Auswirkungen der Unmenschlichkeit mit aller Konsequenz zeigt“, schrieb Anne Gabrisch (1957, 1275) über Nalkowskas „unter dem unmittelbaren Eindruck der faschistischen Judenverfolgung und der Konzentrationslager geschrieben[e]“ (1274), ohne Genrebezeichnung publizierte Erzählungen, deren Titel „Medaillons“ sie mit Worten erklärte, die letzte Briefe und das Vernichtungslager als Friedhof assoziierten: „Grabschilder, letzte Zeugen vergangenen Lebens“ (1274). Deshalb sagte die Rezensentin voraus: „Diese kleinen Prosastücke werden für lange Zeit dichterische Gültigkeit und Aussagekraft haben.“ (1275) Auf andere Weise bezog sich der empfehlende Rezensent von Merles „Der Tod ist mein Beruf“ auf die Zukunft: „Unseren Bibliotheken erwächst die Verpflichtung, für weite Verbreitung zu sorgen.“ (Tschörtner 1958, 267).⁷ Heinz-Dieter Tschörtner nannte das von Merle benutzte „dokumentarische […] Material“, vom Auschwitz-Komman-
Zu demselben Schluss kam Rolf Schneider als Rezensent im „Aufbau“: „Dieses Buch sollte in höchster Auflage erscheinen, und zwar in ganz Deutschland. Denn es ermahnt, daß nie wieder geschehe, was hier geschah.“ (Schneider 1958, 222) Bemerkenswert war Schneiders Begründung hierfür: „Merles Analyse […] fordert auf zur Erinnerung und Selbstprüfung“ (222), denn er fasste den Roman als „Versuch einer Erklärung“ der „organisierten Vernichtung von Millionen, und zwar unabhängig vom Krieg“: „allein sechs Millionen ermordeter Juden gehören zur Bilanz dieser Lager, eine Zahl, deren grauenvolle Bedeutung man kaum zu ermessen vermag“ (220). An Merles ‚Analyse‘ hebt Schneider hervor, dass der Erzähler und Protagonist, dessen „Unmenschlichkeit […] nur Gehorsam“ war, „keine pathologischen Züge [habe], vielmehr handelt es sich um den durchaus normalen Bildungsweg des deutschen Kleinbürgers – und das Kleinbürgertum war die gesellschaftliche Basis der faschistischen Machtentwicklung“ (221). In Schneiders Rezension fehlen die drei Einwände, die René Schwachhofer im „Sonntag“ gegen das Buch erhob: Es sei„kein[..] eigentliche[r] Roman“, liefere „kein universelles Bild des Faschismus und seiner Hintergründe“ und habe „zweifellos ein Manko“, nämlich dass „Gegenkräfte“ „nur ganz verschwommen“ blieben (Schwachhofer 1958, 10).
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danten Rudolf Höß in polnischer Haft geschriebene Aufzeichnungen „Meine Psyche. Werden, Leben und Erleben“ (Höß 1978, 23), „dichterisch bearbeitet“: „In seiner Gestalt sind gewisse weit verbreitete Elemente zu einer schauerlichen Konsequenz geführt.“ (Tschörtner 1958, 267) Wenn der Rezensent betonte, dass „die Hauptelemente der psychischen Struktur des faschistischen Typs klar herausgearbeitet [werden]: die Gefügigkeit ebenso wie die Angst und Aggressivität“, hob er die Bedeutung der „[e]rste[n] Etappe“ seiner Entwicklung hervor, den „Bruch des Rückgrats“: „An Stelle der kritischen Prüfung und des eigenen Urteils tritt der Glaube an den Befehl und an das Dogma, an Stelle menschlicher Kontakte der Mechanismus des Gehorsams mit dem Befehlenwollen als Kehrseite.“ (267) Simone Barck hat Merles Buch mit Kraus’ und Kulkas „Die Todesfabrik“ in Beziehung gesetzt: „Beide Bücher ergänzten sich auf geradezu kongeniale Weise, jedoch kam es wohl kaum zu einer solchen aufklärerischen Lektüre, denn auch dieses Buch geriet in die Zensurmühle.“ (Barck 2003b, 111) Wenn diese im Falle von Kraus und Kulka den Nicht-Abdruck von Hermann Langbeins Vorwort meint, dann im Falle von Merle das Nicht-Erscheinen einer zweiten Auflage bis 1980 (110). Tatsächlich aber sind eine zweite Auflage von „Der Tod ist mein Beruf“ 1963 und eine dritte 1972 erschienen. Überdies gesteht Barck zu, dass die „kritische Rezension“ (110), die der stellvertretende Kulturminister Erich Wendt gewissermaßen zur Rechtfertigung, keine zweite Auflage zu drucken, vom „Neuen Deutschland“ verlangt habe, „erstaunlich moderat“ (112) ausgefallen sei. Denn Hans-Jürgen Geisthardt kritisiert zwar, dass in Merles Roman keine „Antwort […] auf die Frage nach den Wurzeln des Faschismus […] gegeben“, werde, nämlich „daß das deutsche Monopolkapital (und das deutsche nicht allein) im Faschismus den letzten Ausweg sah“, aber er hebt positiv hervor, dass das Buch „ein ethisches Urteil“ sei über einen „Typus des Verhaltens“: Der Protagonist sei ein „exemplarische[r] Vertreter der faschistischen Mordmaschinerie“, der sich durch das „wahnwitzige“ „‚Ehre heißt Treue‘“ „von jeder Verantwortung entbunden“ habe und „‚Soldatsein‘“ und „Privatleben völlig trennen konnte“, aber „was er mit hervorbringt, ist das entsetzliche Symbol KZ und Gaskammer, neben dem maßlosen Raubkrieg die eindeutigste Erscheinungsform des Faschismus“ (Geisthardt 1958). Den vom „ND“-Rezensenten bemängelten „Selbstbericht“, der „von vornherein Einschränkung des Gesichtskreises“ bedeute (Geisthardt 1958), kritisierte die Übersetzerin von Kraus’ und Kulkas „Die Todesfabrik“ Zora Weil-Zimmering wesentlich prinzipieller, als sie beim Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer gegen eine Neuauflage von Merles Buch einen Protest einlegte, den sie formulierte als „‚meine Pflicht meinen geliebten Eltern gegenüber, meinem Bruder und allen meinen Familienangehörigen, die in Auschwitz so furchtbar gelitten haben und dort umgebracht worden sind‘“: „‚der gewöhnliche Leser [bekomme] hier nur die Ansicht des Auschwitzer Lagerkommandanten vorgesetzt‘ […]. Die Sicht der Häftlinge und Opfer fehle völlig.“ (Barck 2003b, 114) Allerdings gibt es auch in dem von Zora Weil-Zimmering übersetzten Buch von Kraus und Kulka einen Hinweis auf Merles Roman und sogar einen Ausschnitt von zweieinhalb Seiten Länge aus den – in der BRD 1958 vom Institut für Zeitgeschichte
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(Höß 1963, 127– 133) herausgegebenen – autobiographischen Aufzeichnungen von Höß, „aus seinem Geständnis“ (Kraus/Kulka 1957, 192). Höß’ Schilderung seiner Beteiligung am „Verlauf der Vernichtungsaktion“ (193) der „ersten Judentransporte aus Oberschlesien“ (192) im Frühjahr 1942 stellen Kraus und Kulka voran: „Rudolf Höß schrieb im Krakauer Gefängnis seine Lebensbeichte nieder. Es ist nur natürlich, daß er vieles verschwieg und falsch darstellte. Aber auch aus diesen Aufzeichnungen können der ungeheuerliche Zynismus und die unbegreifliche Unmenschlichkeit eines Mannes beurteilt werden, der alles mit seinem grenzenlosen Gehorsam zu erklären suchte und sogar zu beweisen suchte, daß er auch ein – Herz besäße!“ (191) Auf diese Stelle bezieht sich die letzte Anmerkung des Buchs: „Das Bekenntnis von Höß diente dem französischen Schriftsteller S. [sic] als thematische Grundlage für den Roman ‚Der Tod ist mein Geschäft‘.“ (238) Auch eine frühere Anmerkung bezieht sich auf aktuelle Öffentlichkeit, nämlich den in die BRD aus sowjetischer Haft heimgekehrten Auschwitz-Arzt Clauberg, der in „Fernseh- und Rundfunkübertragungen als ‚Märtyrer und Held‘“ vorgestellt worden sei: „In einem von der ‚Süddeutschen Zeitung‘ veröffentlichten Interview erklärte er unter anderem: ‚Ich bin überzeugt davon, daß die von mir in Auschwitz angewandten Methoden auch heute noch mit Erfolg verwendet werden können … Ich würde gern einen internationalen Kongreß einberufen, um meine Methoden propagieren zu können…‘ Die Proteste der antifaschistischen und jüdischen Organisationen bewirkten, daß Clauberg am 21. November 1955 in Kiel wieder verhaftet wurde. Auf den 137 Seiten der Anklageschrift beschuldigten ihn mehr als hundert Zeugen aus der ganzen Welt seiner Verbrechen. Er starb am 9. August 1957 in Kiel, noch vor Eröffnung des Prozesses.“ (237) In der vom KAW herausgegebenen „Dokumentation über die Verbrechen der SS“ „SS im Einsatz“ gibt es ein Foto von Clauberg, bei dem nicht, wie es in der Nachbemerkung des Bandes heißt, auf „Kommentare“ „verzichtet“ (KAW 1957, 626) wurde: „erwartet seinen erneuten Einsatz“ (358).⁸ Auf den Abdruck der Gestapo, SD und SS betreffenden Auszüge aus dem Nürnberger Urteil „wegen Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ folgen sechs jeweils „Dokumente und Berichte“ überschriebene Kapitel: „über Verbrechen am deutschen Volk“ (25 – 86), „über die Verfolgung und Vernichtung jüdischer Menschen“ (87– 142), „über die faschistischen Konzentrationslager“ (145 – 290), „über medizinische Experimente an Schutzhaftgefangenen und über die planmäßige Vernichtung von Geisteskranken“ (293 – 401), über die „Ausbeutung der Gefangenen durch deutsche Konzerne“ (405 – 483) und „über Verbrechen in den besetzten Gebieten“ (487– 585). Am Schluss steht ein Kapitel über „Die Rehabilitierung der SS und ihre Eingliederung in die westdeutschen Nato-Streitkräfte“ (589 – 630), dessen letzter Unterabschnitt heißt: „Das deutsche Volk steht vor der Entscheidung, eine neue Katastrophe zu verhindern“ (629). Die beiden ersten Kapitel über politische und rassistische Verfolgung sind ungefähr gleich lang, der Terror gegen die KPD (25 – 49) wird um-
Vgl. auch KAW 1957, 613: „‚Die Nazis drängen zur Kasse‘“.
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fangreicher behandelt als der gegen die SPD (50 – 57), aber ungefähr ebenso breit wie der gegen die „Gewerkschaften und andere demokratische Kräfte“ (58 – 84) wie Theodor Lessing (62), Carl von Ossietzky und Erich Mühsam (64). Das Kapitel über Judenverfolgung und Judenvernichtung beginnt mit Auszügen aus dem Nürnberger Urteil (87– 92), insbesondere über den Zusammenhang von Antisemitismus und Angriffskrieg (88), und endet mit dem „Brief einer unbekannten Jüdin“ (140 – 142) aus der VVN-Anthologie von 1948. In der Dokumentation von Konzentrationslagern, beginnend mit Buchenwald und endend mit Auschwitz, die beide deutlich ausführlicher als andere dokumentiert werden, ist die von Auschwitz mit 31 Seiten die längste (260 – 291). Obwohl das Dokument, das als das erste den Auschwitz-Abschnitt des KZ-Kapitels eröffnet, von Höß stammt, kommt im Ganzen die – von Zora Weil-Zimmering in Merles Roman vermisste – ‚Sicht der Häftlinge und Opfer‘ zur Geltung. Der häufigste Quellennachweis lautet: „Auszug aus den Verhandlungsprotokollen des Internationalen Militärgerichtshofs Nürnberg“ (264, 265, 266, 268, 274, 276, 282, 284, 286). Auch wenn nur in einem Fall der Name des ehemaligen Auschwitz-Häftlings, der in Nürnberg als Zeuge aussagte, sogar wiederholt im Text erscheint, nämlich Marie Claude Vaillant-Couturier, deren „bemerkenswerte[r] Eindruck“ auf „Zuschauer“ überliefert ist (Michaelis 2011, 277),⁹ im Dialog mit einem der Richter (KAW 1957, 266, 271/272, 274– 276, 281), lassen sich die neun Aussagen von ehemaligen Häftlingen von denen sechs ehemaliger Wachen unterscheiden (271,277, 277, 278, 280, 285). Auch der HößText, der für „SS im Einsatz“ ausgewählt wurde, stammt aus dem Nürnberger Prozess: es ist seine am 5. April 1946 dort geschriebene „Eidesstattliche Erklärung des Kommandanten“ (260 – 263). Eine zweibändige Auswahl aus dem Protokoll des Nürnberger Prozesses gehörte 1957 auf der Liste der von der Zeitschrift „Der Bibliothekar“ zum Gedenktag der Opfer des Faschismus empfohlenen Bücher zu den vier Auschwitz ins Zentrum rückenden Publikationen.¹⁰ Peter Alfons Steinigers „Der Nürnberger Prozeß“¹¹ wurde in der
Vgl. auf der anderen Seite die Polemik von Maurice Bardeche „Die Politik der Zerstörung“, die 1950 im Göttinger Plesse-Verlag erschien, wie sie Jerzy Sawicki in seinem Buch über „Die Abkehr von den völkerrechtlichen Prinzipien der Nürnberger Urteile“ in der Öffentlichkeit der BRD zitiert: „‚Was in Auschwitz und Maidanek und in anderen Orten des Ostens geschehen ist, geht einzig und allein die Slawen an.‘“ „‚Nürnberger Dokumente […] lügen‘, weil sie „‚nazistische Gewalttaten‘“ nicht „‚wirklich beweisen‘“, sondern „‚Aussagen‘ von ‚Fremden‘ ‚mit jüdischen oder polnischen Namen‘“ (Sawicki 1958, 49) seien: „‚Ihnen darf man nicht glauben‘ wie auch Vaillant-Couturier nicht, weil deren ‚von ihrer Partei diktiert‘“ seien (50). Mit einer insofern fragwürdigen Begründung warb ein Jahr später eine Anzeige des Kongreß-Verlags in seinem Buch über ein deutsches Massaker in Italien, Renato Giorgis „Marzabotto spricht“, für die 1957 erschienene Neuausgabe von Bruno Baums „Widerstand in Auschwitz“ (1949): „Die in den Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen von den Faschisten verübten Grausamkeiten sind dem deutschen Volk bekannt. Weniger informiert ist die Öffentlichkeit über Auschwitz.“ (Giorgi 1958, 128) Steinigers Dokumentation, die im Erscheinungsjahr eine zweite Auflage erhielt, wird von Alexander Gallus in seiner „Intellektuellengeschichte“, deren Literaturverzeichnis nur den ersten Band
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Zeitschrift „Der Bibliothekar“ (12 (1957, 629) als „bereits viel früher notwendig gewesen“ gelobt, denn das Buch lege den „Schwerpunkt“ auf den „verbrecherischen Charakter des Angriffskrieges“ und seine „Organe und Organisationen“; es erhielt im Erscheinungsjahr eine zweite Auflage. Steinigers (1960 II, 333) Kapitel „Judenverfolgungen“ widerspricht der Auffassung z. B. von Natan Sznaider, der Nürnberger Prozess sei „kein Holocaust-Prozess“ (2008, 79) gewesen, obwohl z. B. Abraham Sutzkever als Zeuge in Nürnberg aufgetreten sei (72). Wenn unter Holocaust ausschließlich die Ermordung der europäischen Juden verstanden wird, kann dem Nürnberger Prozess vorgeworfen werden, keine „‚klare Abtrennung von Kriegsverbrechen‘“ (80) vorgenommen und damit „kein[en] Platz für die ethnische Identität der Opfer“ (81) bleiben gelassen zu haben. Kraus’ und Kulkas auf den Januar 1946 datiertes Nachwort zu „Die Todesfabrik“ endete mit einem anderen Blick auf Ethnizität: „Auch das Lagerleben war vom Gift des Faschismus verpestet – vom Nationalismus. Die fortschrittlich gesinnten Häftlinge aller Nationalitäten leisteten Widerstand, organisierten sich unter der Leitung der Antifaschisten, die selbst unter diesen schweren Bedingungen ihren Willen zum Kampf bewahrt hatten.“ (Kraus/Kulka 1957, 235) Bruno Baums drei Jahre später zuerst im VVN-Verlag erschienener Erlebnisbericht „Widerstand in Auschwitz“ nennt sich schon im Untertitel „Bericht der Internationalen Lagerleitung“, und an diesem Buch schlägt die Sammelrezension von Heinz Peter den Bogen vom „Grauen der faschistischen Konzentrationslager“ zu den „Sammlungen der letzten Briefe ermordeter Widerstandskämpfer“ (Peter 1957, 1050). Baum „weist die ungeheure Schuld deutscher Konzerne an den Verbrechen in Auschwitz nach“ und stellt „Widerstand“ „konzentriert“ auf das Stammlager unter dem Motto „‚Nicht kampflos vergasen lassen!‘“ dar: „Damit wurden auch viele Juden für die Widerstandsarbeit gewonnen.“ (1050) Deshalb sei die „Verbreitung“ des Berichts „wichtig“ (1050). Das gleichfalls für den OdF-Gedenktag 1957 empfohlene Buch des „für alle Kriegsverbrecherprozesse in der britischen Zone zuständig“ (Russell 1955, hintere Klappe) gewesenen ehemaligen Militärrichters Lord Russell of Liverpool „Geißel der
aufführt (Gallus 2012, 404), über vier Mitarbeiter der Weimarer „Weltbühne“ holzschnittartig eingeordnet in das Negativbild des „marxistisch-leninistischen Scholastiker[s]“ (330) als „öffentlicher Funktionärsintellektueller“, der sich „nur wenig“ vom „Expertenintellektuellen unterschied“ (326): „Steiniger nutzte die von ihm herausgegebene und eingeleitete Auswahl von Dokumenten des Nürnberger Prozesses […] für ideologische Zwecke im Kalten Krieg und vor allem gegen die ‚in Bonn regierenden Erben des in Nürnberg abgestraften deutschen Militarismus‘. Wie nicht wenige bundesdeutsche Intellektuelle auch wetterte er gegen ‚Revanchismus‘ und ‚Refaschisierung des westdeutschen Staates‘. Steiniger selbst nahm diese potentiellen Bündnispartner durchaus wahr, wie eine Stellungnahme vom Frühjahr 1963 beweist. Blättern wie der ‚Frankfurter Rundschau‘ und der ‚Westdeutschen Allgemeinen Zeitung‘ könne er nämlich entnehmen, dass in der Bundesrepublik eine ‚bis weit in das Bürgertum und verantwortungsbewusste Kreise der Intelligenz sich erstreckende Opposition gegen die Bonner Politik des kalten Krieges‘ existiere. Ungeachtet vereinzelter Sympathien dürfte die Mehrzahl der westdeutschen Intellektuellen anders als Steiniger mit der Kritik am AdenauerStaat indes kein in hellsten Tönen gemaltes Bild der DDR verbunden haben.“ (314/315)
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Menschheit“ ist, wie der Untertitel verspricht, eine „Kurze Geschichte der Nazikriegsverbrechen“. Es behandelt in den sechs Kapiteln nacheinander die „Nazikriegsverbrechen“ der „Ermordung der Kriegsgefangenen“, „Kriegsverbrechen auf hoher See“, der „Ermordung der Zivilbevölkerung im besetzten Gebiet“, der „Zwangsarbeit“ und der „Konzentrationslager“, bevor es mit „Die ‚Endlösung der Judenfrage‘“ (226 – 250) schließt. Dies letzte Kapitel endet mit den Worten: „Die Ermordung von mehr als fünf Millionen europäischer Juden durch die Nazis ist das größte Verbrechen der Weltgeschichte. Daß nicht die gesamte jüdische Bevölkerung Europas vernichtet wurde, ist einzig und allein der Tatsache zu verdanken, daß die Nazis den Krieg verloren, ehe sie die ‚Endlösung der Judenfrage‘ zum Abschluß bringen konnten.“ (250) Im hierauf folgenden „Epilog“ wird der Autor zum anonymen Besucher eines 1945 „zur allgemeinen Besichtigung freigegeben[en]“ Konzentrationslagers, über die in der 3. Person berichtet wird: „Es war das Konzentrationslager Dachau in der Nähe von München, und wer es besuchte, nahm Erinnerungen mit, die er nie mehr loswerden kann.“ (Russell 1961, 251) Der Gang des Besuchers von den „hellen, bequem eingerichteten Zelle[n]“ mit „Deutsche[n], denen Kriegsverbrechen zur Last gelegt wurden“, „zur anderen Seite des Lagers hinüber“ führt im „Gelände des Krematoriums“ zur sich wiederholenden Gegenüberstellung dessen, was „fort“ und was „geblieben“ war: „Dort befand sich die ganze gut erhaltene Todesmaschinerie, die solange [sic] dazu benutzt worden war, alle zu beseitigen, die sich erkühnten, den Weg des Führers zu kreuzen.“ (251) „Fort waren“ „Leichen, die […] auf die Verbrennung warteten“, und „Menschen, die […] anstanden“ für die „Todeskammer“, „für immer, aber ihre Schatten waren geblieben, und alles atmete die Erinnerung an sie.“ (251) Das erinnernde Atmen steigert sich in der nächsten Gegenüberstellung zur ‚vermeintlichen‘ – „fast“ – ‚Wahrnehmung‘ des „Geruch[s] verwesender Leichen und brennenden Fleisches“ (252) angesichts des „Gucklochs“ der Gaskammer, „durch das der […] Todeskampf der Opfer beobachtet“ wurde, des „elektrischen Ventilators, der die Luft von den tödlichen Düften reinigte“, der „Bahren mit den eisernen Rädern, die die Leichen dem Schlund des Ofens zuführten“, der „Abdrücke“ der „Füße“ der „bis zur Decke gestapelt[en]“ „Leichen“ „an den gekalkten Wänden“ (251), der „Maschine, die die Knochen zu Dünger […] zermahlte“ (251/252). Die vermeintliche Geruchswahrnehmung im „Blick über den Schauplatz so unermeßlicher Leiden und Tragödie“ motiviert das Hinaustreten des Besuchers „in die reine frische Luft“ – auch im übertragenen Sinn, denn er schlägt „die Augen zum Himmel auf […], um die beklemmende Vision des Bösen abzuschütteln“ (252). Aber der Gegensatz von Bösem und Gutem wiederholt sich in dem, was der Besucher erblickt und auf die deutsche „Nation“ verallgemeinert: „was erblickte er da? Ein kleines künstliches Vogelnest, das irgendein schizophrener SS-Mann an einer Stange auf dem Dach des Krematoriums befestigt hatte. Da erst konnte er begreifen, wie es möglich war, daß die Nation, die der Welt Goethe und Beethoven, Schiller und Schumann schenkte, ihr auch Auschwitz und Belsen, Ravensbrück und Dachau bot.“ (252) Russells Wort von der Schizophrenie lässt sich auf das beziehen, was Kraus und Kulka in „Die Todesfabrik“ Höß als jemanden begreifen ließ, „der alles
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mit seinem grenzenlosen Gehorsam zu erklären suchte und sogar zu beweisen suchte, daß er auch ein – Herz besäße!“ (Kraus/Kulka 1957, 191) Russells Buch, das 1955 auch in der BRD im Röderberg-Verlag der VVN erschien, wurde vom Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte als ‚unsachlich‘ verrissen, weil „wir“ darin „eine Untat an die andere gereiht“ „finden“, „die entsetzlichsten Wahrheiten sind bunt vermischt mit offensichtlichsten Halb- und Unwahrheiten und ausgesprochenen Schauergeschichten“ (Berg 2003, 317). Noch zehn Jahre später, im Vorwort zu den Gutachten des IfZ für den Frankfurter Auschwitz-Prozess, warf er denjenigen, für die „sich die Beschäftigung mit dem Dritten Reich auf den Namen Auschwitz“ „reduziert“ und deren „Gedanken […] um die Tatsache [kreisen], daß die Hölle geschichtliche Wirklichkeit geworden ist“, vor, „[d]as geschichtliche Ganze […] aus dem Augen zu verlieren“ (313): „‚Auschwitz verstehen‘ hieße demnach“, formuliert Nicolas Berg Hans Buchheims Gedanken aus, „weder der Sichtweise der KZ-Überlebenden noch der Ansicht der (ehemaligen) Nationalsozialisten zu folgen.“ (314) 1957 gab der am späteren Otto-Suhr-Institut der Westberliner Freien Universität lehrende Schweizer Historiker Walther Hofer unter dem Titel „Der Nationalsozialismus“ eine Auswahl „Dokumente 1933 – 1945“ heraus, für die er Objektivität beanspruchte: „Wer den Gegenstand der Darstellung selbst dokumentarisch in Erscheinung treten oder zu Worte kommen läßt, der ist per definitionem objektiv.“ (Hofer 1960, 7) Hofer, dessen Dokumentensammlung in der Reihe „Bücher des Wissens“ als Fischer Taschenbuch bis 1960 in 300.000 Exemplaren (4) erschien, legte in der „Einleitung“ seinen „ethische[n] und politische[n]“ „Standpunkt“ offen, indem er sich zu „Humanismus“, „Christentum“ und „freiheitlich-abendländische[r] Demokratie“ als „unabdingbare[n] Grundlagen unserer Kultur“ (8) bekannte. Entsprechend wählte er die ‚Gegenstände‘, die er ‚selbst zu Worte kommen‘ lässt, aus: Er druckt vom Institut für Zeitgeschichte veröffentlichte Quellen nach, das seit einer Sitzung am 27. Juli 1953, also nach der Erhebung des 17. Juni zum Gedenktag und Heuss’ Offizialisierung des 20. Juli-Gedenkens, in seiner Zusammenarbeit mit dem Vorläufer der Bundeszentrale für politische Bildung, der noch ‚für Heimatdienst‘ hieß, „die Themen ‚Widerstand‘ und ‚Judenverfolgung‘ […] ausbalanciert“ (Berg 2003, 284) zu halten bemüht war bzw., wie 1955 zur Themenschwerpunktplanung bis 1960 beschlossen wurde, auf ein „‚zu erstrebende[s] thematisch[s] Gleichgewicht‘“ (285) orientierte. Quantitativ, in Seitenzahlen ausgedrückt, kommt es in Hofers Dokumentation aber zu einem 2:1-Verhältnis zwischen ‚Widerstand‘ und ‚Judenverfolgung‘, weil sowohl das Kapitel „Nationalsozialismus und Christentum“, das diese als „unvereinbar“ (Hofer 1957, 120) darstellt, als auch das über „Die Widerstandsbewegung“, deren „Geschichte […] in erheblichem Maße zu einer Vorgeschichte des 20. Juli 1944“ (314) wird, 36 Seiten lang sind, während „Judenverfolgung und Judenausrottung“ nur 31 Seiten erhalten. Der Text eines Täters, Höß’ „Eidesstattliche Erklärung“ aus Nürnberg, ist der einzige, der sowohl in Hofers Dokumentensammlung als auch in der des KAW der DDR steht, allerdings wird von Hofer der Text um die Punkte 5. bis 10. (KAW 1957, 261– 263) gekürzt, damit um Höß’ Definition der ‚Endlösung‘ als „die vollständige Ausrottung der Juden in Europa“, seinen Vergleich von Auschwitz mit „drei weitere[n] Vernich-
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tungslager[n]“ (261), seine zwei „Verbesserung[en], die wir gegenüber Treblinka machten“, seine Ausführungen über „Benzin-Einspritzungen“ für „Sonder-Gefangene“, „medizinische Experimente an weiblichen Insassen“ (262) und „Verhöre dritten Grades“ von „Kriegsgefangene[n], die geflüchtet waren“ (263). Von den 34 Dokumenten, die Hofer in das Kapitel „Judenverfolgung und Judenausrottung“ aufnahm, stammen 19 aus den Akten faschistischer Behörden, der NS-Presse und dem Reichsgesetzblatt, 9 aus dem Nürnberger Prozess, aber weder die nach dessen Protokoll abgedruckten zwei „Augenzeugenberichte über Judenmassaker“ in Rowno und bei Dubno (Hofer 1957, 300 – 303) noch die aus der Zeitschrift des IfZ, den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“, und aus der Beilage zur Wochenzeitung der Bundeszentrale für Heimatdienst, „Aus Politik und Zeitgeschichte“, nachgedruckten „Augenzeugenberichte über Massenvergasungen“ in Belzec und Minsk (307– 312) stammen von überlebenden Verfolgten, sondern von Angehörigen der SS und der Wehrmacht. Auf der Empfehlungsliste der Zeitschrift „Der Bibliothekar“ für den OdF-Gedenktag 1957 stand außer den bisher behandelten Büchern eins, in dem Auschwitz nicht erwähnt wurde, das Otto Winzer, Staatssekretär und Chef der Privatkanzlei des Präsidenten der DDR Wilhelm Pieck als einen „Beitrag zur Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands 1933 bis 1945“ geschrieben hatte: „Zwölf Jahre Kampf gegen Faschismus und Krieg“. Unter den 29 Faksimiles von illegalen Flugblättern, Aufrufen, Zeitungen, Zeitschriften und Broschüren ist auch „Eine Seite aus der ‚Neuköllner Sturm-Fahne‘“ mit Erich Weinerts Gedicht ‚John Schehr und Genossen‘ und einem „Aufruf zur Verteidigung Ernst Thälmanns und aller proletarischen Gefangenen“ (Winzer 1955, 275). Weinerts – bereits im Zusammenhang des ‚Totenbuch‘Projekts kommunistischer Exilschriftsteller erörtertes – Gedicht wendet die letzten Worte des ‚auf der Flucht erschossenen‘ John Schehr: „‚So habt Ihr’s immer gemacht. So habt Ihr Karl Liebknecht umgebracht.‘“ (56), in einen Aufruf zur „‚Abrechnung für John Schehr und Genossen!‘“ (56) Winzer nennt zwar den Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 „eine[…] ehrliche[…] Kritik auch an der Haltung des deutschen Volkes und der deutschen Arbeiterklasse“ und zitiert aus ihm „Schmach und Schande“, aber nicht „Mitschuld“ (269), um dann mit dem „Stolz“ zu schließen auf den „Kampf, in dem unsere besten und treuesten Genossen fielen“ (271), zu dem er allerdings einschränkend anmerkt, es sei „bisher zu wenig getan worden, um diese […] Helden […] zu würdigen“ (198). Auf Winzers Buch bezog sich 1957 die vom Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung der DDR in Zusammenarbeit mit Käthe Haferkorn und Gerhard Nitzsche vom Institut für Marxismus-Leninismus des ZK der SED und mit Hans Otto vom Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer herausgegebene „Auswahl von Materialien, Berichten und Dokumenten“ „Zur Geschichte der deutschen antifaschistischen Widerstandsbewegung 1933 – 1945“ (vgl. 31/32, 60 – 62), die aber weder die „Mitschuld“ in dem Zitat aus dem Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 kürzte noch von der Erklärung der KPD vom November 1938 schwieg „Gegen die Schande der Judenpogrome“, sondern zu ihr eine „Liste zerstörter Synagogen“ und ein „Foto“ „Einlieferung in ein Sammellager“ abbildete (Verlag 1958, 116 – 119). In der ‚Würdi-
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gung‘ der ‚Helden‘ des Widerstands aber setzte die „Vorbemerkung“ des Verlags des DDR-Verteidigungsministeriums einen ähnlichen Akzent auf „die Ehre unserer Nation“ wie Winzer: „In den dunkelsten Tagen deutscher Geschichte retteten die Antifaschisten die Ehre unserer Nation. Ihr Kampf für ein freies Vaterland ist ein Hoheslied wahren Heldentums.“ (5) Die biblische Metapher deutet voraus auf die – nach einem Absatz zu den unterschiedlichen „politischen Ansichten“ und „weltanschaulichen Bekenntnisse[n]“ im Widerstand – erfolgende Explikation der Bedeutsamkeit des Todes der kommunistischen Widerstandskämpfer als Begründung einer Gegenwart gewordenen unsterblichen Zukunft: „Die größten Blutopfer für ein freies Deutschland brachten die Arbeiterklasse und ihr Vortrupp, die Kommunisten. In Deutschlands schwersten Jahren erwiesen sich die Mitglieder der Kommunistischen Partei als die würdigsten Söhne und Töchter unseres Volkes. Ihre Siegesgewißheit, ihr glühender Kampfesmut war allen Antifaschisten Vorbild und begeisterte sie zu unsterblichen Taten. Die Kommunisten erfüllten in Ehren ihre revolutionäre Pflicht gegenüber der deutschen und der internationalen Arbeiterklasse und unserem ganzen Volke. Durch die Schaffung der Deutschen Demokratischen Republik wurde das Vermächtnis der antifaschistischen Helden in einem Teil unserer Heimat verwirklicht.“ (5) Dem „erste[n] deutsche[n] Arbeiter-und-Bauern-Staat“ wird im Folgenden gegenübergestellt der „Bonner Staat“, mit dem sich die „deutschen Imperialisten, Faschisten und Militaristen“ „ein neues Machtinstrument“ „schufen“ (5): „Das deutsche Finanzkapital drängt zur Aggression nach außen und zur Errichtung seiner offenen Diktatur nach innen. Erneut wurde die Kommunistische Partei Deutschlands in die Illegalität getrieben, werden die Organisationen des Proletariats, wird jegliche Opposition gegen den faschistischen Kurs der Bonner Machthaber systematisch verfolgt.“ (5/6) Auf dieser Einschätzung beruht die aktuelle Funktion, die der Verlag seiner Dokumentation zuschreibt: „In dieser Situation, die so viele Parallelen mit der Vergangenheit aufweist, ist es erforderlich, mit Nachdruck die Lehren aus dieser Vergangenheit zu ziehen. Das vorliegende Werk soll ein kleiner Beitrag dazu sein.“ (6) Anaphorisch wird jeweils einem Satz, der die führende Rolle der KPD im (in der DDR siegreichen) Kampf gegen den Faschismus unterschiedlich formuliert, einer zum „Gebot der Stunde“ gegenübergestellt, worunter „Aufhebung des Verbots der Kommunistischen Partei Deutschlands“, „Zusammenschluß aller patriotischen Kräfte Westdeutschlands zum offensiven Kampf gegen die Bonner Atombombenpolitiker“ und „Verständigung mit der Deutschen Demokratischen Republik“ sind (6). Die Begründung des Herausgebers, warum der Band „nicht den Anspruch [erhebt], alle Seiten und Organisationen des antifaschistischen Widerstandskampfes darzustellen“ (6), rekurriert nicht auf die zuvor beschriebene aktuelle Funktion, sondern auf eine Lücke auf dem literarischen Markt: „Der Herausgeber legte […] besonderes Gewicht auf jene Seite des antifaschistischen Widerstandskampfes, über die bisher verhältnismäßig wenig veröffentlicht wurde: das Wirken des Nationalkomitees ‚Freies Deutschland‘ und den bewaffneten Kampf deutscher Patrioten gegen den Faschismus.“ (6/7) Aber mit dem NKFD kommt ein institutionell dem Verlag des Verteidigungsministerim zugeordneter Adressat ins Spiel: „Viele der Kämpfer des National-
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komitees […] wirken heute in verantwortlichen Funktionen in der Nationalen Volksarmee und in anderen bewaffneten Organen unserer Republik.“ (7) Ihr ‚Wirken‘ wird in einer Weise beschrieben, die dann unmittelbar auf das Buch angewendet wird: „Überall, wo sie tätig sind, erziehen sie begeisterte Verfechter unserer guten sozialistischen Sache. Der Charakter des Buches machte die Beschränkung auf nur einige Widerstandsgruppen erforderlich.“ (7) Allerdings schränkt der Verlag die ‚Beschränkung‘ auf kommunistischen bewaffneten Widerstand leicht ein: „Dessenungeachtet hofft der Herausgeber […] sowohl etwas von der Ausdehnung und den Formen des antifaschistischen Widerstandskampfes als auch von dem Geist, der die Kämpfer für das freie Deutschland beseelte, zu vermitteln.“ (7) Dieser ‚Ausdehnung‘ entsprechen in der Auswahl des Verlags nur Heinrich Manns Text „Die deutsche Widerstandsbewegung hat es schwerer gehabt“ (10), der zusammen mit Ernst Thälmanns „Die Geschichte unseres Lebens ist hart“ (8) gewissermaßen als ausführlichere Motti den Band einleitet, und der „Aufruf der Münchner Studenten vom 18. Februar 1943“ (192/192, mit Fotos von Hans und Sophie Scholl). In chronologisch und thematisch angeordneten Kapiteln entfallen von den insgesamt 416 Seiten 128 auf den Kampf der KPD „Für Aktionseinheit der Arbeiterklasse und Volksfront aller Hitlergegner“ vor Beginn des Kriegs (56), 18 Seiten auf den „Um Spaniens Freiheit“ (132), 128 Seiten auf das Nationalkomitee „Freies Deutschland“, 45 Seiten auf die Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe unter dem Kapiteltitel „Das Gewissen der Nation“, 20 Seiten auf „Widerstand hinter Kerkermauern“, in den KZs Sachsenhausen und Buchenwald sowie dem Zuchthaus Brandenburg. Während im ersten Kapitel in Porträts der 1935 und 1936 hingerichteten Kommunisten Fiete Schulze (29) und Etkar André (27) ihre letzten Worte im Prozess und nicht die in der VVN-Anthologie von 1948 erschienenen letzten Briefe an die Schwester bzw. die Mutter zitiert werden, bringt das Kapitel „Das Gewissen der Nation“ aus „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ eine Folge von Kassibern, die Käte Niederkirchner (341/342) aus dem Bunker des KZ Ravensbrück an eine Kameradin in ihrem früheren Block schmuggeln lassen konnte, allerdings unter Tilgung harter Äußerungen über Mitgefangene („…besonders“ 1948, 133), Zitate jeweils einzelner Sätze aus letzten Briefen von drei Mitgliedern der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe, wie sie Klaus Lehmann 1948 (3 – 24, vgl. Verlag 1957, 353) in der im VVN-Verlag erschienenen Broschüre „Widerstandsgruppe SchulzeBoysen/Harnack. Männer und Frauen des illegalen antifaschistischen Kampfes“ zusammengestellt hatte, und wiederum aus der VVN-Anthologie – nun zwar mit Foto, aber ohne Kurzbiographie („…besonders“ 1948, 78) – den letzten Brief des kommunistischen Mitglieds der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe Walter Husemann an seinen sozialdemokratischen Vater: „Hart bleiben, Vater! Hart! Nicht nachgeben! Denke in jeder schwachen Stunde an die letzte Forderung Deines Sohnes Walter“ (Verlag 1957, 342). Aus Lehmanns Gruppenporträt machte der Verlag des Verteidigungsministerium die folgende Montage von Sätzen aus den letzten Briefen Arvid Harnacks, Harro Schulze-Boysens und Horst Heilmanns zu einer Schilderung des Nachmittags des 22. Dezembers 1942: „In den kalten Todeszellen in Plötzensee entstanden in diesen Stunden erschütternde Dokumente menschlicher Größe: die Abschiedsbriefe. ‚Vor
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allem denke ich daran, daß die Menschheit sich im Aufstieg befindet‘, schrieb Harnack. Schulze-Boysen: ‚Wenn wir auch sterben müssen, so wissen wir: Die Saat geht auf!‘ Noch näher waren sich die Schicksalsgefährten gekommen, gegenseitig versuchten sie, wenn auch durch Zellenwände getrennt, sich das Los zu erleichtern. Keine Disharmonie, sondern echte und tiefe Kameradschaft verband diese Widerstandskämpfer. Die letzte Bitte des jungen Horst Heilmann: ‚Ich habe den Antrag gestellt, meine Leiche auszuliefern, ich möchte gern mit meinen Freunden bestattet werden.‘ Um 20 Uhr starben diese wahren Helden am Galgen, weil sie für ein freies Deutschland, für den Frieden und die Völkerverständigung gekämpft hatten. ‚Ich bereue nichts. Ich sterbe als überzeugter Kommunist‘, waren die letzten Worte Arvid Harnacks.“ (353) Zum V. Parteitag der SED gab das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK einen in rotes Leinen gebundenen, auf Hochglanzpapier gedruckten Band in LexikonOktav heraus, dessen Titel in goldener Schrift den letzten, vierten Vers des Refrains der „Internationale“ zitierte: „Erkämpft das Menschenrecht“. Erst das Titelblatt kündigte im Untertitel „Lebensberichte und letzte Briefe antifaschistischer Widerstandskämpfer“ an „Mit einem Vorwort von Wilhelm Pieck“ (Schumann/Werner 1958, 3).
5 „Erkämpft das Menschenrecht“ Der Präsident der DDR begründet in seinem Vorwort, wessen Lebensberichte und letzte Briefe für diese „Sammlung“ ausgewählt worden seien, wenn er sie ausschließlich „den sozialistischen Kämpfern der antifaschistischen Widerstandsbewegung gewidmet“ nennt, die „ihr Leben […] einsetzten“ für „eine friedliche und glückliche Zukunft“ „unsere[s] Volk[s]“ (5). Zur Verknüpfung von Tod in der Vergangenheit und Leben in der Zukunft wählt Pieck die Metapher des „Lebensweg[s]“, mit der er ein Zitat aus dem Artikel Karl Liebknechts in der „Roten Fahne“ vom 15. Januar 1919 einleitet, der am Tag seiner und Rosa Luxemburgs Ermordung erschien, denn der ‚Lebensweg‘ der toten „Helden“ wird von vornherein präsentiert als ‚Widerspiegelung‘ der „ruhmvolle[n] Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ (5). Aber im Liebknecht-Zitat gibt es eine Spannung in der Metaphorik zwischen den „vom Gipfel in die Tiefe“ ‚schleudernden‘ „Wogen der Ereignisse“ auf dem „noch“ „nicht beendet[en] Golgathaweg der deutschen Arbeiterklasse“ und dem „fest und stolz“ gezogenen „geraden Kurs“ „unser[es] Schiff[s]“ in „die Welt der erlösten Menschheit“, die „unser Programm“ „beherrschen“ werde, auch wenn „wir“ „dann“ nicht mehr „leben“ (5). Piecks Liebknecht-Zitat endet mit dessen Zitat des letzten Verses von Ferdinand Freiligraths Gedicht von 1848 „Trotz alledem!“, das in der letzten Strophe die Spannung zwischen vergangenem Tod und zukünftigem Leben in den Versen auflöst: „Wir sind das Volk, die Menschheit wir,/ Sind ewig drum, trotz alledem!“ (Kaiser 1970, 61)¹²
Vgl. die in demselben Jahr von den Literaturarchiven der Deutschen Akademie der Künste her-
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Im Anschluss an das Zitat nennt Piecks Vorwort – wie auch im nächsten Absatz – Rosa Luxemburg als „am selben Tag“ ermordet und zusammen mit Liebknecht in der „Führung“ des Kampfs „gegen den imperialistischen Krieg (Schumann/Werner 1958, 5). Aber er zitiert nicht aus Luxemburgs gleichfalls mit einem Freiligrath-Zitat endenden Artikel „Die Ordnung herrscht in Berlin“ vom 15. Januar in der „Roten Fahne“: „Ich war, ich bin – ich werde sein!“ (Luxemburg 1974, 538). Denn in Freiligraths Gedicht „Die Revolution“ ist es 1851 die geschlagene Revolution, die sich noch blasphemischer als Zukunft der ‚erlösten Menschheit‘ die biblischen Gottesprädikate aneignet: „O nein, was sie den Wassern singt, ist nicht der Schmerz und nicht die Schmach –/ Ist Siegeslied, Triumpheslied, Lied von der Zukunft großem Tag!/ Der Zukunft, die nicht mehr ist fern! Sie spricht mit dreistem Prophezein,/ So gut wie weiland euer Gott: Ich war, ich bin – ich werde sein!“ (Kaiser 1970, 70) Den Namen der KPD-Zeitung wendet Pieck in das mit Liebknecht und Luxemburg identifizierte „rote Freiheitsbanner“, das, wie in den folgenden Absätzen beispielhaft belegt wird, von den späteren kommunistischen Widerstandskämpfern von den 1920er in die 1930er Jahre „weiterhin voran“ (Schumann/Werner 1958, 5) getragen worden sei. Nachdem Pieck zum ersten Mal die Quantität und die Qualität der toten Kommunisten betont hat, stellt er den „Genossen aus der Arbeiterbewegung“ andere Widerstandskämpfer ‚an die Seite‘: „junge Arbeiter, Bauern, Studenten, Künstler, Ärzte und Wissenschaftler, die […] den Weg zur antifaschistischen Widerstandsbewegung fanden“ (5). Aber die wiederholte Bezeichnung der toten kommunistischen Widerstandskämpfer als die „Besten unseres Volkes“ (6) und die wiederholte Angabe ihrer Zahl mit „Zehntausende“ (6) begründet für die Auswahl eine bewertende Deutung: Sie seien die „konsequentesten Gegner der vom Monopolkapital geförderten Nazipartei“ (5) gewesen, weil „sie sich den festen Glauben an die unüberwindliche Kraft der Arbeiterklasse und an den Sieg des Sozialismus“ „bewahrten“ (6). Wofür die „in dem Band abgedruckten Lebensbilder und Briefe zeugen“, wird von Pieck auf die Begriffe „Entschlossenheit und Unbeugsamkeit“ gebracht und in das Bild, „erhobenen Hauptes für unsere große sozialistische Sache in den Tod“ (6) zu gehen. Die Begriffe erscheinen fast wörtlich in dem von Pieck anschließend zitierten Brief Ernst Thälmanns, der aber auch überleitet zu den das Vorwort abschließenden Ausführungen über die gewünschte Wirkung des Sammelbandes: „An die Grenze des Ertragbaren hat uns manchmal das Kerkerschicksal getrieben, angefüllt von Enttäuschungen verschiedenster Art, aber im Gewitter der entfesselten Elemente blieben wir
ausgegebene Anthologie „Stimmen unserer Toten. Beiträge zum 40. Jahrestag der Novemberrevolution“, in der Erich Weinerts Gedicht „Trotz alledem!“ mahnt: „Denkt an das letzte Wort, das Karl geschrieben“ (Stimmen 1958, 36), und das Vorwort von Alexander Abusch am Leben von zehn Autoren belegt, wie sie die „Erkenntnis erlitten“, „daß auf eine halbe Revolution stets eine ganze Konterrevolution folgt“ (8). Hervorgehoben wird von Abusch „der ‚Arbeiterjunge aus dem Hinterhaus‘“ Peter Nell, der „einer der neuen Arbeiterschriftsteller“ sei: „ Sein literarischer Entwicklungsgang ist in vieler Hinsicht charakteristisch für eine ganze Reihe von Schriftstellern, die in unserem Zeitalter direkt aus der Arbeiterklasse hervorgegangen sind.“ (6/7)
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hart, entschlossen und unbezwingbar.“ (6) Wogegen die zu Piecks „Entschlossenheit“ und als ‚Unbezwingbarkeit‘ formulierte „Unbeugsamkeit“ tretende ‚Härte‘ sich richten müsse, fasst Thälmanns Brief als „Enttäuschungen verschiedenster Art“, die „uns Eingekerkerte“ „[a]n die Grenze des Ertragbaren“ (6) trieben, und in dem an Liebknechts „Wogen der Ereignisse“ (5) erinnernden Bild vom „Gewitter der entfesselten Elemente“ (6). Der von Pieck zitierte Brief Thälmanns ist kein letzter Brief, aber er wurde bei seiner ersten Veröffentlichung in der DDR, auf mehr als drei ganzen Seiten des „Neuen Deutschland“ in zwei Folgen am 21. und 22. Oktober 1950, als „eine[r] der letzten Briefe“ bezeichnet, „den er in seiner Gefängniszelle in Bautzen schrieb“, und als ein „Schriftstück[…], das Ernst Thälmann trotz Kerkerhaft als einen unbeugsamen Kämpfer und gleichzeitig auch von einer starken menschlichen Seite zeigt“: „Antwort auf Briefe eines Kerkergenossen in Bautzen, Januar 1944“ (Thälmann 1950a). Den im selben Jahr erst vom ZK der KPdSU dem ZK der SED zugänglich gemachten Brief erhielt der vom III. Parteitag neu gewählte Generalsekretär Walter Ulbricht „‚zur Durchsicht‘“, mit dem Ergebnis: „‚Die Stellen, die meiner Meinung nach ausgelassen werden sollten, habe ich rot angestrichen.‘“ (Grübel 1995, 118/119) Zu diesen Stellen gehörte die folgende: „‚meine jetzige Kerkermission, die ich als menschliche und politische Größe vollauf bestanden habe, war geschichtlich betrachtet notwendig, um die schaffende Menschheit auf dieses Glaubensmartyrium hinzustoßen und aufmerksam zu machen. Als Christus für seinen Glauben sein Höchstes, sein Leben hingab und opferte, folgte ihm nur eine ganz kleine Schar von Glaubenskämpfern. Sein Glauben, sein Leben, sein Märtyrertum und sein Opfertod sind der Grundstock, das Glaubensfundament gewesen für die weltbewegende Lehre des Christentums, die seine wenigen Glaubensgenossen verkündeten, um die im Laufe der Jahrhunderte zu einer riesigen Glaubensbewegung der Menschheit emporwuchs.“ (126/127) Aber Egon Grübel, der auch die „dubiose Adressatenschaft“ (Barck 2003, 200) des im „ND“ 1950 gedruckten Briefs recherchiert hat, die Biographie von Hans Joachim Lehmann, der kein Genosse Thälmanns war, sondern HJ-Mitglied und 1934 als 17-jähriger wegen Beteiligung an einem Mord zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt worden war (Gabelmann 1996, 186 – 211), schließt aus der Streichung der zitierten Stelle, dass „Thälmann in seine[r] Märtyrerrolle“ „nicht mehr ersichtlich werden“ „sollte“, weil dies nicht „[d]er gewünschte Thälmann“ (Grübel 1995, 127) gewesen sei; doch im vom „ND“ gedruckten Brief findet sich an der Stelle folgender Ersatz, den Grübel unterschlägt: „Das Martyrium, das ich auf mich nahm, und das sich für große sozialistische Ideale im zwanzigsten Jahrhundert vollzieht, steht nicht vereinzelt und isoliert, abgeschlossen vom deutschen Volke da, es wird geteilt von vielen, vielen namenlosen Kerkergenossen (zu denen auch Du, teurer Schicksalsgenosse gehörst) und findet Widerhall in einer gewaltigen Millionenbewegung, die […] in vielen Teilen der Welt ihre ideologische und organisatorische Ausbreitung gefunden hat.“ (Thälmann 1950b) Die Verbindung des Bilds des Martyriums mit der Anrede des Adressaten entspricht der auffällig häufigen Thematisierung des Lesens von Briefen in der „ND“-Version des Thälmann-Briefs, deren Titel dessen „Antwort“-Charakter betont und dessen redak-
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tioneller Paratext von der „starken menschlichen Seite“ (Thälmann 1950a) des Schreibers spricht. Thälmann zitiert wörtlich, was Goethe 1805 über Winckelmanns Briefe an Berendis schrieb: „Briefe gehören unter die wichtigsten Denkmäler, die der einzelne Mensch hinterlassen kann.“ (Goethe 1973, 475) Vorher hat er zunächst seinem Adressaten aus einem Gespräch mit dem „mit der Besuchskontrolle beauftragten Gestapobeamten“ berichtet, „daß das nationalsozialistische Regime die ThälmannBriefe fürchtet“, denn dieser hatte zur Beschlagnahme seiner Briefe in der Wohnung seiner Frau erklärt, „daß solche Briefe, wenn sie später einmal der Öffentlichkeit bekannt werden sollten, eine überraschend große Wirkung auf die Leser ausüben könnten“ (Thälmann 1950a). Dann hat er „[d]ieser Schwäche, die [sic] das Hitler-Regime meinen Briefen gegenüber Ausdruck gibt“, seine Briefe an seine Tochter gegenübergestellt: „sie waren politisch geschickt getarnt und mit glühender Kraft niedergeschrieben“: „Insbesondere die vier Geburtstagsbriefe waren wichtig. Mit ihnen erzog ich meine Tochter vom Gefängnis aus. Hier sprach […] der Vater zu seinem Kind.“ Als Ergebnis dieses Gesprächs hält Thälmann später im Brief fest, sie „schämt sich nicht“, sondern sei „stolz auf ihn“ (Thälmann 1950b). Schließlich nimmt er anlässlich seiner „Neujahrsbriefe“ ein Thema wieder auf, das er einleitend im Rückblick auf die bisherige Korrespondenz mit dem Adressaten angeschlagen hat: „in unseren beiderseitigen Erinnerungen wird die Vergangenheit aktiviert, und zwar im Dienste der Zukunft, nicht in beschaulicher Versenkung, die das Vergangene behandelt, als wäre es abgetan. Indem wir in der Gegenwart tapfer dem Schicksal standhalten, behaupten wir uns dadurch, daß wir die Vergangenheit in der Erinnerung zusammenfassen und auf die Zukunft unsere Erwartung bzw. unsere Hoffnung richten. So zwischen Erinnerung und Erwartung spannt sich unser Dasein in der Zeit. Je mehr ein Mensch um sein Woher und Wohin weiß, je mehr er also von Erinnerung und Erwartung erfüllt ist, um so mehr ist er Persönlichkeit.“ (Thälmann 1950a) Wenn in der Einleitung der Akzent auf der Erinnerung liegt: „Unermeßlich sind die Kräfte, die uns aus der Erinnerung an stolze und gehobene Momente unserer Vergangenheit zuströmen“, so liegt er bei der Wiederaufnahme des Themas anlässlich der Neujahrsbriefe auf der Zukunft, mit der Folge, dass von den „sehr langen Neujahrsbriefen, die sich mit dem Rückblick auf das vergangene Jahr […] im Ausblick auf das neue Jahr befaßten, […] fast alle der Zensur zum Opfer fielen“. An dieser Stelle hat das „ND“ ein Schreiben des Untersuchungsrichters des VGH abgebildet über die Nichtgenehmigung der „Absendung“ einer Seite eines Briefs Thälmanns vom 13. Januar 1935 an seine Frau: „Die Ausführungen in diesem Teil des Briefes über die politische Weltlage laufen auf eine Propaganda für den Kommunismus hinaus und können in diesem Sinne von anderen Personen verwendet werden.“ (Thälmann 1950a) Thälmanns Reflexionen über den ‚einzelnen Menschen‘, der als eins seiner ‚wichtigsten Denkmäler‘ Briefe ‚hinterlassen‘ könne, kreisen um den Begriff des Charakters als Einheit von „Empfindungen“, „Gedanken“ und „Willenskraft“ (Thälmann 1950a). Wiederum mit Goethe-Zitaten – aus „Tasso“ und „Wilhelm Meisters Lehrjahren“ – „‚bildet‘“ sich für Thälmann „‚ein Charakter in dem Strom der Welt“ als
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„‚die Geschichte eines Menschen‘“ (Thälmann 1950b). Thälmann betont, dass der Charakter, der „von den Erlebnissen geprägt worden“ sei, zur „Persönlichkeit“ werde, wenn er „in sich etwas Festes“ habe, „auf das wir uns verlassen können“: „Diese geschlossene Einheit des Charakters ist die Vorbedingung für eine fortschrittliche Persönlichkeit“, die „in jedem Augenblick um der Idee willen […ihr] ganzes Dasein einsetzt, um ein höheres zu gewinnen“. Thälmann gebraucht wiederholt den Begriff der Härte sowohl für den Charakter als auch die Bedingungen seines Handelns. So redet er seinen Adressaten an: „Denke daran, daß die Menschen vom Leben zum Kampf gestellt werden, nicht um zu unterliegen, sondern um seiner mächtig zu werden, um seine harte, aber notwendige Sprache zu verstehen, um dann verjüngt aus den Abgründen emporzusteigen zu neuem Leben.“ Deshalb erinnert er einerseits zur „Gefahr“ für die „in der goldenen Freiheit“ „ihre revolutionäre Pflicht erfüllen[den]“ „sozialistischen Mitkämpfer“: „Heute, morgen oder übermorgen […] trifft sie der unerbittliche Schlag. Denn die revolutionäre Geschichte ist hart und unerbittlich im Opferbringen“, andererseits betont er am Ende des Briefes: „Treu und fest, stark im Charakter und siegesbewußt. So und nur so werden wir unser Schicksal meistern und unsere revolutionären Pflichten für die große, historische Mission, die uns auferlegt ist, erfüllen und dem wirklichen Sozialismus zum endgültigen Sieg verhelfen können.“ Inneres und Äußeres entsprechen sich nicht nur im Begriff der Härte: „Die Geschichte unseres Lebens ist hart“, sondern auch im Bild für die „Zuversicht“: „Die Flamme, die uns umgibt, die unsere Herzen durchglüht, die unseren Geist erfüllt, wird uns wie ein Leuchtfeuer auf den Kampfgefilden unseres Lebens begleiten.“ Mit dem Zitat aus Thälmanns Brief vom Januar 1944 wechselt Pieck zum inklusiven Wir für seine das Vorwort abschließenden Ausführungen über die gewünschte Wirkung des Sammelbandes, mit dem „wir alle im antifaschistischen Befreiungskampf gefallenen Helden“ „ehren“ (Schumann/Werner 1958, 6). Wenn er diese „Helden“ „leuchtendes Vorbild“ und „Beispiel“ nennt, fasst er das Lesen ihrer letzten Briefe als Weiterleben der Toten, die die Lesenden „in den Herzen“ „verpflichten“ und ihnen für die Erfüllung der Pflicht „Kraft“ geben (6). Pieck bezieht diese Wirkungsweise sowohl auf „die Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in unserer Republik“ als auch auf „unseren Kampf gegen die Politik des Monopolkapitals und des kriegslüsternen Militarismus, die in Westdeutschland erneut ihr Terrorregime errichten“ (6). Aber nur für die erste Wirkung deutet Pieck konkret eine Benutzbarkeit des Sammelbandes im Alltag an: „Viele unserer volkseigenen Betriebe, Werften und Gruben, Schulen und Jugendgruppen […] tragen heute die verpflichtenden Namen antifaschistischer Widerstandskämpfer“ (6). Organisatoren von Veranstaltungen zu Gedenktagen konnten in „Erkämpft das Menschenrecht“ den Namensgeber ihres Betriebs, ihrer Schule oder ihrer Gruppe finden und seinen letzten Brief oder sein Lebensbild lesen oder vorlesen lassen. Piecks Vorwort geht nicht auf ein drittes Element in der Anlage des Buchs ein: Fotos, die bei mehr als zwei Drittel der in den Sammelband aufgenommenen WiderstandskämpferInnen zu dem Lebensbericht und dem letzten Brief treten. Dass das Foto zur Konzeption des Sammelbandes gehört, geht aus der „Bitte“ des Herausgebers
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hervor, die am Ende der letzten Seite vor dem Inhaltsverzeichnis steht: nämlich „dem Institut für Marxismus-Leninismus weitere Aufzeichnungen, Briefe und Fotos ermordeter Widerstandskämpfer zur Verfügung zu stellen“ (Schumann/Werner 1958, 686). Für 84 der insgesamt 298 mit Lebensbericht und Brief oder Aufzeichnung vertretenen WiderstandskämpferInnen scheint kein Foto zur Verfügung gestanden zu haben; für drei ist das Foto durch eine Zeichnung ersetzt worden (Walter Küchenmeister, 303, Hans Litten, 333, Heinrich Reichel, 417). In der einzigen Rezension, die in den vom Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften herausgegebenen „Bibliographischen Annalen“ nachgewiesen ist (Jacob 1986, 740), wird in der Dreiheit der Elemente das Foto sehr stark betont, um die erwünschte Wirkung des Sammelbandes zu bestimmen. Heinz Kamnitzer, der von 1953 bis 1955, als er zurücktrat und freier Schriftsteller wurde, Professor am Institut für Geschichte der Humboldt-Universität gewesen war (Keßler 2001, 44, 78) und im Vorwort einer Sammlung seiner Aufsätze geschrieben hatte: „Literatur und Geschichte sind so eng verflochten, daß der Historiker auch zum Verständnis der Literatur seinen Beitrag leisten muss“ (Kamnitzer 1954, 6), rezensierte „Erkämpft das Menschenrecht“ in der „Neuen Deutschen Literatur“ als „Selbstzeugnisse“, die „stellvertretend für viele ungenannte und unbekannte Soldaten des Widerstandes“ (Kamnitzer 1958,74) seien: „Ein Lebensabriß, ein Bild, ein Brief spricht für sie und zu uns. Es gibt viele Bücher, die das menschliche Antlitz und letzte Briefe wiedergeben. Sie sollen durch Gesicht und Wort die Würde des Menschen beweisen. In dieser Anthologie ist verzeichnet“, welche „Helden“ „in die Reihe von Spartakus, Müntzer, Liebknecht und Luxemburg gehören“ (74/75). Entgegen Kamnitzers Behauptung gibt es keineswegs viele Bücher, die Antlitz und letzten Brief wiedergeben. Im Gegenteil, Max Picard war nicht der einzige Herausgeber eines Fotobuchs von Totenmasken, der von dem versöhnenden Gesicht des Toten verlangte: „nichts ist in ihm vom Gedanken des letzten Augenblicks“ (Picard 1959, 9), denn der „Augenblick herrlichster Vollendung“ (Benkard 1926, XLIII) sei, so Georg Kolbe, im schweigenden „Lächeln des Erlösten“ (XLIV), und nur in einer Anthologie letzter Briefe wurde ein Vergleich zwischen Totenmaske und letztem Brief gezogen. Friedrich Percyval ReckMalleczewen bestimmte das Genre in einer Weise, die den letzten Brief Hingerichteter ausschloss, so dass sich die Ähnlichkeit mit einer Totenmaske versöhnlicher Gelassenheit ergeben konnte: „beide[…] Dokumente, die [das Sterben…] in unserer Hand beläßt: […] de[r] letzte[…] Brief und […die] Totenmaske […] sind in ihrer Entstehung so abhängig voneinander, daß man den letzten Brief getrost eine ‚geschriebene Totenmaske‘ nennen darf. In beiden Fällen (im Brief gerade auch dort, wo der Briefschreiber nichts von seiner bevorstehenden Auflösung ahnte!) stehn [sic] wir vor der gleichen, fast ironischen Abkehr vom Leben […]. In beiden Fällen kommt, von den Schriftzügen wie von dem gegossenen Abbild des Totenantlitzes, eine marmorne Gelassenheit“ (Reck-Malleczewen 1949, 8/9). Aber wenn Kamnitzer die antifaschistischen WiderstandskämpferInnen in eine durch die drei Gesellschaftsformationen von Sklavenhalter-, Feudal- und kapitalistischer Gesellschaft führende „Reihe“ (Kamnitzer 1958, 75) von Spartakus über Müntzer hinaus zu Liebknecht und Luxemburg einordnet, die
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er wenig später als die „Vorbilder“ der „Märtyrer“ bezeichnet, von denen „[d]ie meisten“ „Kommunisten (76) gewesen seien, wird deutlich, dass er sich auf eine spezifische Tradition bezieht. Denn das von Pieck im Vorwort benutzte Zitat aus Liebknechts letztem Artikel über den ‚noch nicht beendeten Golgathaweg der deutschen Arbeiterklasse‘ war in der kommunistischen Presse der 1920er Jahre häufig zusammen mit dem Foto von Liebknechts Totenmaske gedruckt worden; Kurt Tucholsky besprach 1925, als Thälmann KPD-Parteivorsitzender wurde, für die „Weltbühne“ einen kommunistischen „Abreißkalender“ und wählte das Datum der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg, um die Zusammenstellung von Bild und Text zu illustrieren, in diesem Fall von Liebknechts Bild und Luxemburgs Text: „Auf der Rückseite jedes Blattes gut ausgewählte Stellen aus der politischen Literatur; Abdrucke von Zeitungsausschnitten; Blamagen der Gegner; Mahnungen, Rufe, Erinnerungen – sehr schätzenswerte und notwendige Erinnerungen. Auf der Vorderseite das deutliche Datum, kommunistische Gedenkdaten und eben das, weswegen er hier angezeigt werden soll: auf jedem Blatt ein Bild. […] 15. Januar, Freitag. ‚Karl Liebknecht nach seiner Einlieferung als Unbekannter im Leichenschauhaus.‘ Auf der Holzpritsche liegt der Erschlagene – mit nacktem Oberkörper, die Augen sind schon zugedrückt. […] Eine Fotografie […] mit der erledigenden Unterschrift versehen: ‚Am Grabe der ersten deutschen Revolution.‘ ‚Ruhe und Ordnung herrscht wieder in Berlin‘ – und man sieht sie herrschen.“ (Tucholsky 1975, 83) In der Nachkriegszeit stand das Zitat von Liebknecht 1950 in der 2. Januarnummer der Berliner VVN-Wochenzeitung „Die Tat“ neben dem Foto von Liebknechts Totenmaske, um zu belegen: „Von [Liebknechts und Luxemburgs…] Tode bis zum Tode Ernst Thälmanns und Rudolf Breitscheids, des aufrechten Pfarrers Schneider, der Geschwister Scholl und der vielen hunderttausende Märtyrer, die im Kampf gegen Faschismus und Krieg ihr Leben einsetzten, führt ein gerader Weg“ (Die Tat, Berlin, 14.1.1950, S. 6). In Kamnitzers „NDL“-Rezension spiegelt sich die Festigkeit, mit der das Zitat aus dem letzten Artikel mit dem Bild des Toten verbunden war – wobei etwa in der Berliner „Tat“ das Foto der Totenmaske 1951 durch die Zeichnung von Lovis Corinth oder 1952 durch das Foto der Leiche ersetzt werden konnte –, in der verallgemeinernden Wendung in die Anrede der LeserInnen der Rezension in der 2. Person Singular: „Die deutsche Arbeiterklasse schaut dich an und übergibt dir ihr Vermächtnis.“ (Kamnitzer 1958, 75) Kamnitzer, der wiederholt auch von ihrem „Testament“ (76, 77) spricht, zitiert aus den letzten Briefen von drei Kommunisten (Fiete Schulze, Wilhelm Thews und Walter Husemann) und einem Mitglied der SchulzeBoysen/Harnack-Gruppe (Kurt Schumacher) recht ausführlich (77– 79), betont aber, „was alle dachten, fühlten und wollten. Als gemeinsames Testament legen sie Zeugnis ab, wofür alle lebten und starben“ (77). Als „Symbol dieser Einigkeit“ nennt der Rezensent Thälmann, „de[n] Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid und de[n] Pazifisten Carl von Ossietzky“ (76) und entsprechend verallgemeinert er für die Widerstandskämpfer die Situation des Schreibens und des Empfangs des letzten Briefs durch den ursprünglichen familiären Adressaten: „Schon lange Zeit waren sie wenige, wenn sie zusammenkamen. Jetzt saßen sie allein in der Todeszelle. Allein verkörperten sie
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Millionen, allein waren sie Arbeiterklasse, Partei, Volk, Nation. Erst in den letzten Minuten bekamen sie Papier und Feder oder Bleistift. Wenn ihr Testament den Empfänger erreichte, waren sie nicht mehr. Die Toten spendeten Trost. Ihre letzte Bitte galt den Frauen, den Kindern, den Eltern und den Genossen. Sie bitten, ja sie fordern, standhaft zu sein, wie sie es gewesen, und weiter zu leben.“ (76) Auch wenn Kamnitzers Auswahl der vier zitierten letzten Briefe dem in Thälmann, Breitscheid und Ossietzky personifizierten „Symbol d[…]er Einigkeit“ von als Sozialisten zusammengefassten Kommunisten und Sozialdemokraten mit Pazifisten widerspricht und damit nicht-kommunistische Widerstandskämpfer einem kommunistischen Führungsanspruch unterordnet, belegen Kamnitzers Zitate seine Beschreibung der von den Briefschreibern gewünschten Wirkung ihrer letzten Briefe auf die Empfänger: : „Voll erfüllt […mein Sterben] seinen Zweck‚ wenn Ihr es ganz verstehen lernt. Darin kann sich all Eure Liebe und Achtung zu mir zeigen: im Verstehen und Bemühen, gleich mir zu denken und zu handeln“ (77), heißt es in Fiete Schulzes letztem Brief. Kurt Schumachers schließt: „Wir kämpfen für unsere Sache.“ (77) Wilhelm Thews verweist lateinisch auf das Licht aus der Sowjetunion, dem ‚Osten‘: „Ex oriente eben lux! – In diesem Geist sollt Ihr immer an mich denken. So laßt mir einen Platz in Eurem Herzen, damit ich in Euch weiterlebe! Das ist mein letzter Wille!“ (78)¹³ Walter Husemanns bereits zitierter letzter Brief an seinen Vater richtet die Forderung: „Erweise Dich Deines Sohnes als würdig“, auf die Zukunft: „Der Krieg wird nicht mehr lange dauern – und dann ist Eure Stunde gekommen.“ (78) Kamnitzers Vereinheitlichung des Widerstands unter kommunistische Führung stehen in der Rezension zwei ausdrückliche, scharf formulierte Ausgrenzungen gegenüber, zum einen eines religiös motivierten Widerstands, zum anderen des 20. Juli. Beide Ausgrenzungen erfolgen in der Ausarbeitung des Unterschieds zwischen religiösem und militärischem Widerstand einerseits, kommunistischem andererseits. Im Falle der Religion geht Kamnitzer von „Züge[n]“ (75) im „Antlitz“ (74) der den Adressaten der Anthologie, „dich“, ‚anschauenden‘ „deutsche[n] Arbeiterklasse“ aus: „immer ist man ergriffen von der Güte inmitten der Grausamkeit, von der Menschenliebe inmitten der Barbarei, von dem Idealismus bis zum letzten Atemzuge“ (75). Diese „Moral“ und „Ethik“ setzt Kamnitzer der „Religion“ entgegen, die er später als „armselig[en]“ „Aberglauben an ein Leben im Jenseits“ (79) bezeichnet und denen zuschreibt, die nicht „wußten“, dass, wie er aus der zweiten Strophe der „Internationale“ zitiert, „kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun Erlösung bringen konnte“ (75), wenn er über das ‚Antlitz‘ der „deutsche[n] Arbeiterklasse“ fortfährt: „Ohne Flucht in die Religion, aber mit der Gewißheit, in ihrem Ideal und in ihren Genossen weiterzuleben, scheiden sie aus der Welt. So mancher hätte seinen Kopf retten können. Aber
Vgl. die Schlüsselrolle dieses Zitats in Henryk Keischs (1954, 158) Kritik an Günther Weisenborns „Der lautlose Aufstand“ und seine Rahmung in Helmut Gollwitzers u. a. (1957, 323) Anthologie „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“.
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diese Materialisten hatten eine Moral, diese Atheisten folgten einer Ethik, die selbst den Gefängnispfarrern alle Achtung abrang.“ (75) Im Falle des 20. Juli beginnt Kamnitzer mit anerkennenden Zugeständnissen, um durch sich steigernde Kritik das Endurteil vorzubereiten: „Sie [die Kommunisten] hatten nichts gemein mit den Männern der letzten Stunde, die zur Bombe griffen, als die Niederlage im Felde den Zusammenbruch ankündigte.“ (75) Eingeräumt hat Kamnitzer zuvor „Mut und Stolz“: „Auch die Männer des 20. Juli 1944 starben reuelos und ungebeugt“, aber sie seien, im Unterschied zu den Kommunisten, nicht „seit Jahren, oft Jahrzehnten, einen geraden Weg gegangen“, sondern „Illusionen“ ‚nachgelaufen‘, „Schwankende“ gewesen und hätten nicht „von der ersten Stunde an nicht nur die Knechte, sondern vor allem die Herren der NSDAP bekämpft“, sondern, „als alles verloren war“, „auf einen Staatsstreich zu[ge]steuert“ (75). Für beide Ausgrenzungen modifiziert der Rezensent Begriffe, vor allem religiöse Bilder, die Piecks Vorwort verwendet: Kamnitzer macht aus dem ‚geraden Kurs‘ einen ‚geraden Weg‘ und schreibt ‚Golgatha-Weg‘ mit Bindestrich sowie vom ‚Martyrium‘ mit Anführungszeichen. Diese religiöse Bildlichkeit stützt die am Schluss der Rezension erfolgende Bestimmung der gewünschten Wirkungsweise der Anthologie letzter Briefe als moralisch, wenn Kamnitzer Unterschiede zwischen Lebenswegen im „Gewissen“ aufhebt: „Einige hatten sich früh auf den Golgatha-Weg vorbereitet und ihn nicht gefürchtet. Andere waren, wie Thomas Mann es von sich sagte, nicht zum Martyrium geboren, aber durch ihre geistige Würde dazu berufen. Alle haben eher ihren Atem als ihr Gewissen aufgegeben. Deswegen leben sie im Gedächtnis der Gegenwart fort, deshalb bleiben sie Leitbilder für die Zukunft. Wenn ihre Nachfahren ihre Größe erreichen, brauchen sie nicht wie sie zu sterben.“ (79) Die vom IML, dem Herausgeber des Buchs zum V. Parteitag der SED, getroffene Auswahl von letzten Briefen ist weiter als die des Rezensenten Kamnitzer. Allerdings zeigt ein Vergleich mit der ersten, 1948 erschienenen Anthologie „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“, eine auffallende Verteilung der allerdings wenigen Streichungen. Nur sechs 1948 aufgenommene Widerstandskämpfer fehlen in „Erkämpft das Menschenrecht“: jeweils zwei wegen ‚Wehrkraftzersetzung‘ Hingerichtete, wegen Mitgliedschaft in einer katholischen Jugendgruppe und wegen Beziehungen zum 20. Juli. Die für die sechs 1948 geschriebenen Kurzbiographien zeigen den Abstand zur Konzeption, die Piecks „Vorwort“ entwarf; so hieß es etwa zu beiden im Umkreis des 20. Juli, über Klaus Bonhoeffer: „Direktor der Lufthansa. Claus war einer der fortschrittlichsten Menschen, die den Krieg unter allen Umständen zu einem schnellen Ende führen wollten. Mit Arvid Harnack in Gedankenaustausch stehend, jede Handlung, die den Sturz Hitlers herbeizuführen beabsichtigte, unterstützend, schloß er sich dem Kreis der Männer um den 20. Juli an. Er wurde ohne Urteil am 23. April 1945 von der Gestapo ermordet“ („…besonders“ 1948, 180), und über Max Josef Metzger: „Bei dem Versuch, während des Krieges ein Memorandum nach Schweden zu bringen, das Friedensprobleme und die künftige friedliche Zusammenarbeit der Völker behandelte, wurde er verhaftet und […] hingerichtet.“ (66) Peter Habernoll wurde als „Hitlergegner, der als Soldat in den Reihen seiner Truppe aufklärend arbeitete“ (126), vorgestellt, und
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Josef Hufnagel als „Bauer“: „Er hörte die ausländischen Sendungen, die die wirkliche Lage an den Fronten mitteilten, und sprach mit seinen Freunden über die kommende Niederlage.“ (108) Weniger bei Walter Klingenbeck, dem „Mitglied einer katholischen Jungschar“, die „die Straßen mit Losungen gegen den Krieg“ „beschrieben“ und Flugblätter“ „verteilten“ (86), als bei Karl Lindemann wurde sein katholischer Glaube betont, wenn er „ein Anhänger der katholischen Kirche“ genannt wurde: „Er hielt seine Weltanschauung als christlicher Arbeiter für unvereinbar mit dem Faschismus. Er wußte, daß der Krieg unserem Volke nur Katastrophe und Elend bringen könnte. Er hörte die ausländischen Sendungen und diskutierte die Nachrichten mit Arbeitskollegen. Dafür wurde er zum Tode verurteilt und […] hingerichtet.“ (104)
6 Walter A. Schmidt: Damit Deutschland lebe Im selben Jahr wie „Erkämpft das Menschenrecht“ veröffentlichte der Historiker Walter A. Schmidt „Ein Quellenwerk über den deutschen antifaschistischen Widerstandskampf 1933 – 1945“ in einer „volkstümliche[n] Ausgabe“ (Schmidt 1958, 17) von 759 Seiten, deren Titel „Damit Deutschland lebe“ an einen Roman anklang, „…damit du weiterlebst“, für den Elfriede Brüning 1949 eine Verknüpfung der Widerstandsgruppe jüdischer KommunistInnen um Herbert Baum mit der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe erfunden hatte und der bis 1961 zehn Auflagen erlebte (Jacob 1986, 157). Schmidts „Quellenwerk“ ist keine Anthologie letzter Briefe von Widerstandskämpfern, aber er hat auch letzte Briefe in sein Buch aufgenommen, wenn er auch letzte Worte gegenüber vor allem vollständig abgedruckten letzten Briefen bevorzugt, und in einem lose einliegenden, unpaginierten Hochglanz-Anhang auch Fotos von hingerichteten Widerstandskämpfern: Albert Funk, John Schehr, Ernst Putz (Schmidt 1958, Anhang *2), Fiete Schulze (*8), Edgar André, Hans Beimler (*17), Liselotte Herrmann, Paul Schneider, Walter Stöcker (*24), Arvid Harnack, Harro Schulze-Boysen, Adam Kuckhoff, John Sieg (*25), Tilde Klose, Olga Benario Prestes (*26), Ehrenmal auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee mit 28 Namen von Kämpfern der HerbertBaum-Gruppe (*27), Sophie und Hans Scholl, Konrad Blenkle, Max Maddalena (*29), Georg Schumann, Albert Kuntz, Theodor Neubauer (*41). Von den sechs Widerstandskämpfern, deren letzte Briefe nicht aus der VVN-Anthologie von 1948 in „Erkämpft das Menschenrecht“ übernommen wurden, werden zwei in Schmidts Quellenwerk kurz porträtiert,Walter Klingenbeck (Schmidt 1958, 170) und Peter Habernoll (568/569), aber es werden nicht ihre letzten Briefe vollständig zitiert, sondern jeweils ein einziger Satz zitiert bzw. nur paraphrasiert. Denn in Schmidts Literaturverzeichnis fehlt „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ und er benutzt andere Quellen, im Falle Klingenbecks einen vom OdF-Hauptausschuss 1947 in Berlin unter dem Titel „Der Kampf geht weiter“ herausgegebenen Bericht von Heinz Zantoff u. a. über eine Gruppe von „[v]ier Münchener Jungens“, zu denen Klingenbeck gehörte und die „eine Sendestation zu bauen“ beschlossen, „über die sie zur deutschen Jugend sprechen können“, was aber verraten wurde und zu einem Todes- und
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drei Zuchthausurteilen führte: „Walter Klingenbeck, kaum 19 Jahre alt, muß sterben. ‚Ich weiß, wofür ich mein Leben lasse‘, schrieb er in einem Abschiedsbrief ruhig und gefaßt.“ (170) Über Peter Habernoll druckt Schmidt nur zwei Absätze aus dem Mittelteil von Stephan Hermlins dreiseitigem Porträt in „Die erste Reihe“ (Hermlin 1951, 154– 156, hier 155): „Ich weiß nicht, wer Peter Habernoll war“ (Schmidt 1958, 568), beginnt Hermlin, außer, dass er „eine dieser Entsetzen und Haß verbreitenden Uniformen getragen“ habe, aber „durch die Hand von seinesgleichen“ „starb“ (568). Im zweiten Absatz wird der letzte Brief eingeführt: „Nichts ist von ihm geblieben als sein letzter Brief.“ (509) Ohne dass Hermlin den Brief wörtlich zitierte, fährt er fort: „In dem Brief spricht er von der Befreiung Deutschlands und von der Arbeiterklasse. Woher wußte Peter Habernoll mit seinen neunzehn Jahren (1944), daß es das gab, eine Arbeiterklasse, und daß Deutschland nur frei wird, wenn seine Arbeiter frei würden? Andere haben es ihm gesagt, gewiß… Aber er hat begriffen, was man ihm sagte, so gut begriffen, daß er dafür sterben konnte.“ (569) Hermlins „Die erste Reihe“ gehört zu den Quellen, die Schmidt in „Damit Deutschland lebe“ häufig heranzog. Mit 25 von Schmidt nachgedruckten Textauszügen liegt sie zwar deutlich hinter Günther Weisenborns „Der lautlose Aufstand“ (1953) mit 43 Anführungen, doch vor den VVN-Publikationen wie „Helden des Widerstandskampfes gegen Faschismus und Krieg“ (1952) mit 21 Anführungen und der noch früheren Reihe „Widerstand im Dritten Reich“, aus der Kurt Kühns „Die letzte Runde. Widerstandsgruppe NKFD“ (1949) 6 Mal, Klaus Lehmanns „Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack. Männer und Frauen des illegalen antifaschistischen Kampfes“ (1948) 5 Mal, Max Zimmerings „Widerstandsgruppe ‚Vereinigte Kletter-Abteilung‘ (VKA). Ein Bericht von der Grenzarbeit der Dresdner Arbeiterbergsteiger in der Sächsischen Schweiz und dem östlichen Erzgebirge“ (1949) ein Mal zitiert werden, während Harald Poelchaus „Die letzten Stunden. Erinnerungen eines Gefängnispfarrers aufgezeichnet von Alexander Stenbock-Fermor“ (1949) drei Mal als Quelle nachgewiesen werden. Doch Schmidt verzichtet auch dann, wenn sich in der Quelle der letzte Brief abgedruckt findet, auf dessen vollständige Aufnahme in „Damit Deutschland lebe“. Er verwandelt letzte Briefe in letzte Worte, indem er sogar streicht, wenn er in Hermlins „Die erste Reihe“ bereits gekürzte Briefe vorfindet. Schmidts Porträt von Wilhelm Thews endet: „Wilhelm […] wurde aufgegriffen, nach Deutschland gebracht, vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt … ‚Mein Leben war reich an Höhen und Tiefen, es war schön …‘ Dies … hat er am Tag der Hinrichtung geschrieben, am 8. Februar 1943, im Alter von zweiunddreißig Jahren.“ (Schmidt 1958, 499) Hermlins Text ging weiter: „Hat er noch erfahren, daß wenige Tage zuvor bei Stalingrad die Zukunft der Menschheit über die Vergangenheit triumphiert hatte? ‚Lebt wohl‘, lautete der letzte Satz seines Abschiedsbriefes, ‚und trotz allem laßt uns das Leben und das Lachen nicht verlernen.‘“ (Hermlin 1951, 41) Hermlin hatte den vorletzten Satz des Briefs an die Eltern zum letzten erklärt, indem er den auf ihn folgenden wegließ, der in „Erkämpft das Menschenrecht“ gedruckt wurde: „Ich bleibe mit meinem Geist und meiner Seele bei Euch und unter Euch. Euer tiefdankbarer Sohn
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Wilhelm“ (Erkämpft 1958, 578). Im letzten der – einen Unterabschnitt bildenden – „Lebensbilder führender Kämpfer der Gruppe Schulze-Boysen/Harnack“ übernimmt Schmidt aus Hermlins „Die erste Reihe“ zu Walter Husemann: „Kurz vor der Verkündung des Todesurteils schreibt er seinem Vater … ‚Denkt an alle, die den Weg schon gegangen sind und ihn noch gehen werden – und lernt von den Nazis: jede Schwäche wird mit Hekatomben von Blut bezahlt werden. Deshalb seid unerbittlich! … Bleibe hart …! Lieber ein Tod in Ehren unter dem Beil des Henkers, als ein Leben in Schande unter dem Faschismus.‘“ (Schmidt 1958, 390/391) Der letzte Satz stammt nicht aus dem Text von Walter Husemanns letztem Brief an seinen Vater, sondern aus einem Zusatz von Stephan Hermlin, der nicht in „Erkämpft das Menschenrecht“ übernommen worden ist und dessen Verwendung des Präsens und Perfekts für Fiktionalisierung – mit einer ausdrücklich formulierten Absicht – spricht: „Es ist die Morgendämmerung des 13. Mai 1943. Unter den Brief hat Walter Husemann mit fliegender Hand noch ein paar Worte gesetzt, Ehrenrettung eines ganzen Volkes: ‚Besser für die Sowjetunion zu sterben als für den Faschismus zu leben!“, worauf der von Schmidt zitierte ‚letzte Satz‘ folgt sowie eine von Schmidt gestrichene abschließende Anrede des Adressaten in der 2. Person Plural: „‚Vergeßt das nie…‘“ (Hermlin 1951, 196). Diese Aufforderung ist zugleich der letzte Satz von Hermlins Buch „Die erste Reihe“. Die letzte Seite von Schmidts „Damit Deutschland lebe“ beginnt mit der kursivierten Zwischenüberschrift „Wir neigen unser Haupt vor den ermordeten Helden der KPD und der SPD“ (Schmidt 1958, 738), der ähnliche Lektüreanleitungen zu Zitaten aus letzten Briefen vorangegangen sind: „Und so sprachen unsere Besten durch ihre letzten Zeilen noch einmal zu uns“, heißt es über „letzte Worte ermordeter Kämpfer der Georg-Schumann-Gruppe Setzt unser Werk fort!“ (443) Auf der letzten Seite druckt Schmidt aber keinen Text zur Qualität des Widerstands der KPD, sondern zur Quantität, einen Ausschnitt aus einem Artikel Karl Schirdewans im theoretischen Organ der SED von 1948: „Nach den bisherigen Zahlen, die ermittelt worden sind, kann man rechnen, daß das Gesamtergebnis allein an Toten aus den Reihen der marxistischen Kader zwischen 9000 und 10000 … liegen wird.“ (738) In einer Rezension des „Neuen Deutschland“, die „Erkämpft das Menschenrecht“ und „Damit Deutschland lebe“ verglich, wurde dem „einzelnen Autor“ Schmidt als „der wesentlichste Fehler“ einer vorgeworfen , den „ein Autorenkollektiv […] sicher nicht gemacht“ hätte: die „ungenügende[…] Darstellung der führenden Rolle der KPD im antifaschistischen Widerstandskampf“ (Materna/Herbst 1958). Simone Barck erklärt aus diesem Vorwurf des Fehlens von „‚allgemein gültigen […] Schlußfolgerungen‘“ (Barck 2003, 155) einerseits, dass es nach zwei Auflagen im Erscheinungsjahr mit insgesamt 16.000 Exemplaren zu keiner dritten Auflage kam, andererseits dass Schmidts „Quellenwerk“„eigentlich in der Breite seines Materials keine Nachfolge“ (152) gefunden habe. Aber der Anspruch auf die führende Rolle der KPD im antifaschistischen Widerstand wird in Schmidts Buch massiv in den sehr zahlreichen Auszügen aus Texten von SED-Politikern aus der Nachkriegszeit erhoben. Am häufigsten zitiert wird aus Otto Winzers bereits behandeltem Buch „Zwölf Jahre Kampf gegen Faschismus und Krieg.
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Ein Beitrag zur Geschichte der KPD von 1933 bis 1945“ (1955), gefolgt von Walter Ulbrichts „Zur Geschichte der neuesten Zeit. Die Niederlage Hitlerdeutschlands und die Schaffung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ (1955). Auf die seit 1953 zugänglichen „Reden und Aufsätze“ Ulbrichts aus den Jahren 1933 bis 1946, als zweiter Band von Ulbrichts „Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ erschienen, griff Schmidt sogar noch häufiger als auf die Darstellung der Parteigeschichte aus der Nachkriegszeit zurück. Für die Frage, ob die ‚Breite des Materials‘ zum Widerstand in „Erkämpft das Menschenrecht“ enger ist als in Schmidts „Damit Deutschland lebe“, ist ein Vergleich der IML-Anthologie letzter Briefe von 1958 mit der der VVN von 1948 ergiebig, nicht nur, wie schon geschehen, auf die WiderstandskämpferInnen, deren letzte Briefe nicht wieder gedruckt wurden, sondern auch die, die im Kanon blieben oder neu aufgenommen wurden. In „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ war der „Abschiedsbrief von Siegbert Rotholz, geschrieben kurz vor seiner Hinrichtung [am 4. März 1943], in dem er mitteilt, daß er am gleichen Tage um 6.30 Uhr ‚für immer verreise‘“, nicht enthalten gewesen, denn von ihm wurde erst am 11. März 1950 in der Berliner VVN-Zeitschrift „Die Tat“ (S. 6) berichtet, wie bereits erörtert. In Hermlins ein Jahr später erschienener „Die erste Reihe“ wurde Siegbert Rotholz im einzigen Kapitel, das nicht einen einzelnen, sondern eine Gruppe von WiderstandskämpferInnen darstellt, nämlich „Die Gruppe Baum“ (Hermlin 1951, 165 – 173), namentlich nicht erwähnt. Aber in Schmidts „Damit Deutschland lebe“ wird er zusammen mit seiner Frau Lotte in dem „Bericht“ über „Die jüdischen Widerstandskämpfer in Berlin: Gruppe Herbert Baum“ als Mitglied einer „Gruppe jüdischer Jugendlicher […] bei Siemens“ zuerst genannt, die von „der Gruppe Baum […] zur Mitarbeit herangezogen“ wurde (Schmidt 1958, 376). Verfasst wurde der Bericht von den Gruppenmitgliedern Richard und Charlotte Holzer, die 1949 zum Vorbild für die Figur der Lotte in Brünings Roman „… damit du weiterlebst“ wurde, der 1952 von der Verlagsleiterin der VVN programmatisch zur „wertvollen Widerstandsliteratur“ erklärt wurde, den „über die reine Dokumentation hinausgehende[n], dichterische[n] Gestaltungen des Widerstandsthemas‘“ (Barck 1997, 288), und der bis zum Ende der DDR lieferbar blieb und 150.000mal verkauft wurde (Melchert 2000, 140).¹⁴ Zurück geht der Text in Schmidts Buch auf einen nur von Charlotte Holzer unterschriebenen, aber auch ihrem Mann Richard als „[v]erantwortlich“ zugeschriebenen Text „Die jüdischen Widerstandskämpfer in Berlin: Gruppe Baum“, den Charlotte Holzer 1956/57 an Bertha Cohn übergab, einer Mitarbeiterin der Wiener Library in London (Yad Vashem 01/297). Die letzten Sätze des Berichts über die Gruppe Herbert Baum von 1956/1957 lauten: „Alle Kämpfer dieser Widerstandsgruppe sind, getreu ihrer Überzeugung, stolz und würdig dem faschistischen Gericht gegenübergetreten. Mitgefangene berichten, daß auf ihre letzte Bitte vor ihrer Hinrichtung die Zellentüren geöffnet wurden, so daß sie sich noch
Vgl. zur zeitgenössischen Rezeption Brüning 2008, 14, 32, 40, 49.
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einmal sehen und sie gemeinsam ihre Lieder singen konnten. Sie starben wie Helden.“ (Yad Vashem 01/298, S. 4; Schmidt 1958, 377/378) Im Unterschied zum Artikel in „Die Tat“ von 1950 begleitet das „Lebensbild“ von Siegbert Rotholz in „Erkämpft das Menschenrecht“ kein Porträtfoto, und es nimmt auch keinen Bezug auf den letzten Brief. Vielmehr füllt die größere untere Hälfte der Seite ein Foto des Briefs des Vorstands des Untersuchungsgefängnisses Alt-Moabit an den Oberreichsanwalt beim VGH, der mit dem Satz endet: „Besondere Umstände, die einen Gnadenerweis rechtfertigen könnten sind nicht bekannt geworden.“ (Schumann/Werner 1958, 431) Die vorangehende Begründung ist fast so umfangreich wie die auf die „Herstellung und Verbreitung antifaschistischer Flugschriften“ fokussierte Kurzbiographie: „Rotholz […] hat sich […] gut geführt und auch zur Zufriedenheit gearbeitet. Rotholz gehörte einer kommunistischen Gruppe an und fühlt sich auch heute noch als Kommunist. Es war ihm offenbar nicht möglich, sich zu der Erkenntnis durchzuringen, dass die von ihm begangene Tat ein Verbrechen ist und deshalb zu verurteilen sei. Das über ihn verhängte Todesurteil hat ihn nicht zu erschüttern vermocht, ja, er war sogar noch in der Lage, hierüber ein Lächeln aufzubringen.“ (431) Die Seite über Siegbert Rotholz belegt, was die Rezensenten des „ND“ an der Anthologie des IML kritisierten, in verbindlichem Ton, aber deutlich: „Häufig fehlen noch Fotos und Briefe der ermordeten Widerstandskämpfer“ (Materna/Herbst 1958). Sie beriefen sich auf die vom Herausgeber ans Ende des Buchs gestellte Bitte an LeserInnen, durch Zusendung von „Briefe[n] und Fotos“ (Schumann/Werner 1958, 686) die „Lücken […] zu schließen“ (Materna/Herbst 1958).
7 „An die Lebenden“ Ein Jahr nach „Erkämpft das Menschenrecht“ erschien als Reclam-Band unter dem Titel „An die Lebenden“ eine Teilausgabe, die 1959 mit der 2. Auflage 10.000 Exemplare erreichte (Braun/Kretschmar 1969, 175) und deren Untertitel „Letzte Briefe deutscher Widerstandskämpfer“ (Schumann/Werner 1959, 1) schon auf die im DietzUntertitel stehenden „Lebensberichte“ verzichtete, gegen die Materna und Herbst eingewandt hatten, dass sie „[v]ielfach […] wegen der schwierigen Materiallage kurze Skizzen bleiben“ (Materna/Herbst 1958). Allerdings enthielt der Reclam-Band auch keine Fotos. Aber ein Vergleich der beiden Ausgaben auf die nicht in die Taschenbuchausgabe (mit 176 von 298) übernommenen WiderstandskämperInnen ergibt keine Einengung der ‚Weite‘ des politischen Spektrums, denn die meisten von Streichung aus der Auswahl betroffenen waren KommunistInnen, darunter auch prominente wie Georg Benjamin (Schumann/Werner 1958, 56) oder Liselotte Herrmann (229), von denen kein letzter Brief in „Erkämpft das Menschenrecht“ abgedruckt worden war; dasselbe Kriterium traf auch sechs Sozialdemokraten: Paul von Essen, Reinhold Hermann, Stefan Meier, Hans Schiftan, Johann Schmaus und Ernst Wille. Der Begriff des letzten Briefes wurde auch insofern strikter angewandt, als lange vor der Hinrichtung geschriebene Briefe nicht aufgenommen wurden, so z. B. der zwei Jahre vor
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seiner Ermordung aus dem Zuchthaus geschriebene Brief des Kommunisten Herbert Balzer (34) oder der Brief von Hans Heck, einem aus der sozialistischen Jugend kommenden Mitglied der Lechleiter-Gruppe, dessen Brief vom 15. März 1942 keinen Bezug zu seinem nicht datierten „Freitod“ (214) nach der Folterung hat. Weder das Kriterium, dass kein Brief vorlag, noch das, kein unmittelbar vor dem gewaltsamen Tod geschriebener, erklärt, weshalb der schon in der VVN-Anthologie 1948 gedruckte und mit modifizierter Kurzvita in „Erkämpft das Menschenrecht“ übernommene Brief von „Joachim Werber, Berlin, Kaufmann“ („…besonders“ 1948, 64) aus dem Januar 1942 nicht in der Reclam-Auswahl enthalten war. Die Modifikation der Kurzvita hatte die Berufsbezeichnung getilgt und „Joachim war Jude“ (64) ersetzt durch „wegen seiner jüdischen Herkunft ständigen Repressalien ausgesetzt“ (Schumann/Werner 1958, 620). Damit wurde die Verfolgung bis zur Deportation einbezogen, deren Ziel in der Korrektur von „faschistischen Mordkommandos in Polen“ („…besonders“ 1948, 64) in „faschistische[…] Vernichtungslager“ (Schumann/Werner 1958, 620) anders bezeichnet wurde: „Um seiner drohenden Deportation in die faschistischen Vernichtungslager zu entgehen, wählte er im Januar 1942 den Freitod.“ (620) Joachim Werber spricht den Adressaten als einen von „allen“ ihm „lieben Menschen“ an, dem er für Hilfe dankt und dem er für die Zukunft Hitlers Ende wünscht und, „daß es einmal anders gehen wird, als es sich die Hitlerburschen denken“; er bittet den Adressaten, ihn zu „besuchen“, „[w]enn ich auf dem großen jüdischen Friedhof liegen werde“, und versichert ihm, „ganz ruhig“ zu sein, wenn er ihm „nochmals die Hand“ „drück[t]“ (620). Für die Frage nach der Begründung der Streichung dieses letzten Briefes ist festzuhalten, dass ein vergleichbarer vor dem Selbstmord an Freunde geschriebener Abschiedsbrief für den Reclam-Band ausgewählt wurde, nämlich der des Schauspielers Joachim Gottschalk (Schumann/Werner 1958, 182; 1959, 99), der mit der VVNAnthologie von 1948 bereits behandelt wurde ebenso wie der schon im alphabetischen Inhaltsverzeichnis von „Erkämpft das Menschenrecht“ als auch in dem von „An die Lebenden“ als „Brief einer unbekannten Jüdin“ auffällige letzte Brief aus Tarnopol (Schumann/Werner 1958, 80; 1959, 34– 38). Die Vorbemerkung zur Verfasserin war in beiden Ausgaben dieselbe wie in „… besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ (1948, 72); als Foto steht in „Erkämpft das Menschenrecht“ dem Briefanfang gegenüber die Titelseite der „Sonderausgabe“ von „Die Rote Fahne“ aus dem November 1938 mit einer Erklärung des ZK der KPD „Gegen die Schmach der Judenpogrome!“, die appelliert: „Helft unseren gequälten jüdischen Mitbürgern mit allen Mitteln! Isoliert mit einem Wall der eisigen Verachtung das Pogromistengesindel von unserem Volke! Klärt die Rückständigen und Irregeführten, besonders die missbrauchten Jugendlichen, die durch die nationalsozialistischen Methoden zur Bestialität erzogen werden sollen, über den wahren Sinn der Judenhetze auf! Die deutsche Arbeiterklasse steht an erster Stelle im Kampf gegen die Judenverfolgungen.“ (Schumann/Werner 1958, 81) In den beiden Ausgaben der vom IML herausgegebenen Anthologie letzter Briefe hingerichteter Widerstandskämpfer blieben Opfer antisemitischer Verfolgung als Antifaschisten, als Widerstandskämpfer präsent, aber in Walter A. Schmidts „der
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Nationalen Front des demokratischen Deutschland“ „[g]ewidmet[em]“ (Schmidt 1958, 5) „Quellenwerk über den deutschen antifaschistischen Widerstandskampf“ wird die ZK-Erklärung vom November 1938 nicht einmal erwähnt. Zwar eröffnet Schmidt das Kapitel „Der Widerstand in den faschistischen Konzentrationslagern und Zuchthäusern“ mit dem Unterabschnitt „Der Widerstand in der Massenvernichtungsstätte Auschwitz“ (235 – 243), der Auszüge aus den in den ersten Nachkriegsjahren publizierten Erlebnisberichten Bruno Baums, Erich Hoffmanns und Fritz Kleins bietet, aber seine in der „Einleitung“ programmatisch formulierte Deutung, „daß […] große Teile unseres werktätigen Volkes im stärksten Gegensatz zum Hitlerregime standen“, auch wenn er einschränkt, dass „die antifaschistische Haltung“ sich „nur auf passiven Widerstand“ „[b]eschränkte“ (13), oder, dass „Tatsache bleibt, daß im Verhältnis zur großen Masse des deutschen Volkes die Zahl der aktiven deutschen Gegner der Naziherrschaft relativ klein war“ (16), zu einer Weise der Thematisierung der Schuldfrage führt, die sich vor allem in Kürzungen von Dokumenten der KPD und SED zeigt. Erhellend sind insbesondere Schmidts Eingriffe in den Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945. Sein „Auszug“ beginnt mit dem Hinweis, dass der „Aufruf“ „im einleitenden Teil die Kriegsschuld Hitlers und seiner Hintermänner“ „behandelt“, und fährt dann fort: „Nicht nur Hitler ist schuld an den Verbrechen, die an der Menschheit begangen wurden … Schuld waren auch die … Millionen Deutsche, die 1932 bei freien Wahlen für Hitler stimmten, obwohl wir Kommunisten warnten: ‚Wer Hitler wählt, der wählt den Krieg!‘ [ohne die … für eine Kürzung, H.P.] Schuld tragen alle jenen deutschen Männer und Frauen, die willenlos und widerstandslos zusahen, wie Hitler die Macht an sich riß…“ (735) Mit diesem Einsatz des Auszugs sind außer der Kürzung der „[e]indeutig“ „Schuld und Verantwortung [T]ragen[den]“ von vier namentlich genannten NaziFührern sowie den „aktiven Anhänger[n] und Helfer der Nazipartei“ auf Hitler und von zwei namentlich genannten „Träger[n] des reaktionären Militarismus“ sowie vier namentlich genannten „Herren der Großbanken und Konzerne“ als „imperialistischen Auftraggeber[n]“ (Berthold/Diehl 1967, 191) auf ‚Hintermänner‘ folgende Feststellungen zu Schuld entfallen: „Das Hitlerregime hat […] durch seine Politik der Aggression und der Gewalt, des Raubes und des Krieges, der Völkervernichtung […] unser eigenes Volk […] vor der gesamten Menschheit mit schwerer Schuld und Verantwortung beladen.“ (192) In der Aufzählung der „Verbrechen“, die in „fremden Ländern begangen“ (192) wurden, werden als „beispiellos“ die des „grauenerregenden Massenmordens“ bezeichnet, „das von Hitlerdeutschland als System betrieben wurde“ (193): an „Millionen Kriegsgefangene[n] und nach Deutschland verschlepte[n] ausländische[n] Arbeiter[n]“ und an „vielen, vielen Millionen gemordeter Kinder, Frauen und Greise“: „In den Todeslagern wurde die Menschenvernichtung Tag für Tag fabrikmäßig in Gaskammern und Verbrennungsöfen betrieben. […] Die Welt ist erschüttert“ (192). Unmittelbar, bevor der von Schmidt ausgewählte, oben zitierte Auszug beginnt, heißt die von ihm weggelassene Schlussfolgerung zur Schuld: „Um so mehr muß in jedem deutschen Menschen das Bewußtsein und die Scham brennen, daß das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen trägt.“ (193) Schmidt vermeidet nicht nur die Verwendung des Begriffs Mit-
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schuld, für den es im „Aufruf“ auch „[i]hr Teil Schuld“ (193) heißen kann, sondern beschränkt sie auf die Wähler der NSDAP von 1932, ohne dass ihre Zahl von zehn Millionen genannt würde, und auf die 1933 der Errichtung der Diktatur keinen Widerstand Leistenden. In der Lücke im ‚Auszug‘ zwischen diesem bearbeiteten Zitat und dem nächsten, dessen Beginn mit „Schmach und Schande“ (Schmidt 1958, 735) das unmittelbar Vorangegangene zusammenfasst, finden sich im „Aufruf“ drei Formen von einer Mitschuld, die „das deutsche Volk zum Werkzeug Hitlers und seiner imperialistischen Auftraggeber“ (Berthold/Diehl 1967, 194) gemacht habe, wobei zwischen den Trägern der jeweiligen Mitschuld unterschieden wird: „alle jene Deutschen, die in der Aufrüstung die ‚Größe Deutschlands‘ sahen und im wilden Militarismus, im Marschieren und Exerzieren das alleinseligmachende Heil der Nation erblickten“, „Millionen und aber Millionen Deutsche“, die „der Nazidemagogie verfielen“, dem „Gift der tierischen Rassenlehre, des ‚Kampfes um Lebensraum‘“, und „breite Bevölkerungsschichten“, die „das elementare Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verloren und Hitler folgten, als er ihnen einen gutgedeckten Mittags- und Abendbrottisch auf Kosten anderer Völker durch Krieg und Raub versprach“ (193/194). Aus dieser breiten Auffassung der Mitschuld folgte, was in diametralem Gegensatz steht zu Schmidts Eingrenzung von Mitschuld auf WählerInnen von 1932 und diejenigen, die 1933 nicht widerstanden, der Einschluss der Kommunisten. Erst nach Weglassung des folgenden Absatzes aus dem „Aufruf“ beginnt Schmidt die Forderungen und Aufgaben für die Nachkriegszeit nachzudrucken: „Wir deutschen Kommunisten erklären, daß auch wir uns schuldig fühlen, indem wir es trotz der Blutopfer unserer besten Kämpfer infolge einer Reihe unserer Fehler nicht vermocht haben, die antifaschistische Einheit der Arbeiter, Bauern und Intelligenz entgegen allen Widersachern zu schmieden, im werktätigen Volk die Kräfte für den Sturz Hitlers zu sammeln, in den erfolgreichen Kampf zu führen und jene Lage zu vermeiden, in der das deutsche Volk geschichtlich versagte.“ (194) Doch alle Bezugnahmen auf dieses schuldhafte Versagen entfernt Schmidts Auszug auch aus den Forderungen und Aufgabenbestimmungen des „Aufrufs“ für die Nachkriegszeit, selbst wenn damit nicht nur die Begründung des antifaschistischdemokratischen Charakters der „Erneuerung Deutschlands“ gestrichen, sondern der Text unsinnig wird;¹⁵ so heißt es bei Schmidt: „Jetzt gilt es gründlich und für immer die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Ein ganz neuer Weg muß beschritten werden … Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage einen anderen Weg vorschreiben … den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen demokratischen Regimes“ (Schmidt 1958, 735). Der Unsinn, dass der von Interessen und Lage vorgeschriebene ein anderer als der ganz neue Weg sei, ergibt sich aus folgender Kürzung von Feststellungen zum In dem 1966 erschienenen Bd.6 der unter Ulbrichts Leitung entstandenen „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ wird der „Aufruf“ vom 11. Juni 1945 zwar zu den „bedeutungsvollsten Dokumenten der deutschen Arbeiterbewegung“ gezählt (Ulbricht 1966, 27), aber nicht in den „Dokumente“-„Anhang“ (6) aufgenommen.
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Zusammenhang von Schuld und Demokratisierung: „Werde sich jeder Deutsche bewußt, daß der Weg, den unser Volk bisher ging, ein falscher, ein Irrweg war, der in Schuld und Schande, Krieg und Verderben führte. Nicht nur der Schutt der zerstörten Städte, auch der reaktionäre Schutt der Vergangenheit muß gründlich hinweggeräumt werden. Möge der Neubau Deutschlands auf solider Grundlage erfolgen, damit eine dritte Wiederholung der imperialistischen Katastrophenpolitik unmöglich wird. Mit der Vernichtung des Hitlerismus gilt es gleichzeitig die Sache der Demokratisierung Deutschlands, die Sache der bürgerlich-demokratischen Umbildung, die 1848 begonnen wurde, zu Ende zu führen, die feudalen Überreste völlig zu beseitigen und den reaktionären altpreußischen Militarismus mit allen seinen ökonomischen und politischen Ablegern zu vernichten. Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland.“ (Berthold/Diehl 1967, 195/ 196) Auch wenn sich Schmidt bei der Wiedergabe der zehn wichtigsten Aufgaben in allen Punkten sehr kurz fasst, hat er zwar „10. Anerkennung der Pflicht zur Wiedergutmachung für die durch die Hitleraggression den anderen Völkern zugefügten Schäden“ (Schmidt 1958, 736) aufgenommen, aber nicht unter 3. hervorgehoben „Systematische Aufklärung über den barbarischen Charakter der Nazi-Rassentheorie, über die Verlogenheit der ‚Lehre vom Lebensraum‘“ (Berthold/Diehl 1967, 197). Der vom Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschland, in der seit der Gründung der DDR die nach 1945 gegründeten Parteien des Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien zusammengeschlossen waren, angeleitete Kongreß-Verlag nannte in einem eigenen „Vorwort“ Schmidts „Darstellung der Taten und des Heldentums“, seine „Überlieferung der Kampfeserfahrungen der Kommunistischen Partei Deutschlands“ „im gegenwärtigen Kampf um ein einheitliches demokratisches Deutschland besonders aktuell“: „Möge das Buch eine gute Hilfe in diesem Kampf sein und einen breiten Widerhall in der Bevölkerung ganz Deutschlands finden.“ (Schmidt 1958, 10) Auf diesen Kampf bezog sich 1958 konkreter der letzte Satz „Eine[r] ergänzende[n] Dokumentation über das faschistische Konzentrationslager Auschwitz“, die der Zentralvorstand der IG Bau-Holz im FDGB-Verlag Tribüne unter dem Titel „Tarnbezeichnung OE Breslau 3/0 Ch Kattowitz 2004“ herausgab: „Der machtvoll entbrannte Volkskampf gegen Atomtod ist ein bedeutender Schritt auf diesem Weg, den die Arbeiterklasse ganz Deutschlands gemeinsam geht“ (Braun 1958, 24). Die mit Lageplänen, Korrespondenz und drei Fotos, darunter einem der „jüdischen Kinder Maxel und Ruth Urbach, geboren in Leisnig/Sa.“ (19), illustrierte Dokumentation zielt auf einen „Einblick“, „wie“ die „Stätte des perfektionierten Massenmords an über 4000000 Häftlingen“ „geplant und aufgebaut“ wurde (5), obwohl sie fast als Reisebeschreibung beginnt: „Nach heutigen Begriffen eine halbe Flugstunde südwestlich von Warschau entfernt liegt ein kleines Städtchen, das mit seinen 12000 Einwohnern vor dem Kriege eine nicht größere und nicht kleinere Rolle spielte als jede andere Stadt dieser Größe irgendwo auf dem Erdball.“ (5) Aber belegt wird, wie „Wissenschaftler[…], Architekten und Ingenieure“ (6) ihre „wissenschaftlichen Kenntnisse in den Dienst der Hitler-
8 Arnold Zweigs Vorwort zu „Im Feuer vergangen“
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schen Ausrottungspläne stellen“ (7), des „Massenmord[s] der besten Söhne und Töchter der Völker Europas“, der „Vergasung unzähliger Juden, Frauen, Kinder, Greise…“ (8), der Ermordung von „Antifaschisten, Juden und Kriegsgefangene[n]“ (10). Fokussiert wird anfangs „Dipl.-Ing. Bley aus Naumburg/Saale“ (6), zu dem am Schluss angemerkt wird, dass er „nicht mehr Bürger unserer Republik“ sei: „es scheint kein Zufall zu sein, daß […in Mannheim] seine neue Wirkungsstätte vis-à-vis vom IGFarbenkonzern liegt…“ (24) Entsprechend richtet sich der Appell „an das Gewissen“, mit dem das Vorwort des Zentralvorstands der IG Bau-Holz schließt, an einen bundesrepublikanischen Adressaten: „an alle Bauschaffenden und insbesondere an die Architekten, Bauingenieure und Techniker der Bundesrepublik mit der Mahnung, sich nie wieder für die menschenfeindlichen Pläne der Imperialisten und Militaristen mißbrauchen zu lassen“ und „keinen Handschlag für die atomare Aufrüstung und für die Kriegsvorbereitung zu tun.“ (4) Die darauf folgenden Parolen zeigen, dass als Massenvernichtung Auschwitz und Atomkrieg verbunden wurden: „Nie wieder Krieg, Auschwitz und Massenvernichtung! Nieder mit den Atomkriegern und Militaristen für die Existenz und das Glück der friedliebenden Menschen!“ (4)
8 Arnold Zweigs Vorwort zu „Im Feuer vergangen“ Ein bundesrepublikanischer Adressat wird 1958 auch im Klappentext der Ausgabe von fünf „Tagebücher[n] aus dem Ghetto“ anvisiert, deren Zusammenstellung vom Jüdischen Historischen Institut in Warschau beraten worden war (Im Feuer vergangen 1958, 4), die bis 1962 sechs weitere Auflagen bei Rütten und Loening unter dem Titel „Im Feuer vergangen“ erhielt, 1961 in Reclams Universalbibliothek als „Tagebücher aus dem Ghetto“ (Tagebücher 1961) und mit einem Vorwort von Arnold Zweig erschien: „Man müßte das Werk jedem jungen Arbeiter in der Bundesrepublik, jedem Oberschüler und jedem Studenten in die Hand drücken“ (hintere Klappe), wird das in Hamburg erscheinende Organ von linken Sozialdemokraten „Die Andere Zeitung“ zitiert. Auch Arnold Zweig verbindet Auschwitz und Atomkrieg, aber auf eine Weise, die seine Adressierung des Buchs nicht auf Westdeutsche beschränkt,¹⁶ wenn er zum Titel erklärt, dass „[d]ie Menschen, von denen dieses Buch handelt“, „aus der schrecklichsten Feuersbrunst vor dem Einbruch der Atombombe in unsere Welt hervorgegangen“ seien: „sie und ihre Schilderungen verdienen den Ehrennamen ‚Korinthisches Erz‘“, „eine Legierung aus Gold, Silber und Erz“ (Im Feuer vergangen 1958, 7). Denn zuvor schon hat Zweig den möglichen „Wunsch […] nicht weiterzulesen“ darauf zurückgeführt, dass die „Herren“ der „Hölle, die sie in sich trugen und […] über die Reichsgrenzen verbreiteten“, „von deutschen Eltern erzogen“ waren (6/7): „Und
Vgl. aber die von Zweig in seinem 1955 geschriebenen „Lebensabriß“ in der BRD wahrgenommene Gefahr, „aus den Trümmern des zweiten Weltkrieges mit Hilfe eines dritten, atombedienten, herauszukommen“ (Zweig 1956, 161).
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gerade weil wir in diesen fünf Dokumenten immer wieder auf die Entschlossenheit zum Widerstand treffen […], dürfen wir uns nicht von der Erkenntnis abwenden, die der Lateiner in die Worte faßte: tua res agitur – deine Angelegenheit wird hier abgehandelt. Als deutscher Schriftsteller jüdischer Abkunft bin ich auf beiden Ebenen daheim, der großartigen des unbrechbaren Mutes wie auf der mit blinder Pflichterfüllung rasender Uralstürmerei. Und ich glaube, jeder Leser dieser Blätter, nichtjüdischer oder jüdischer Herkunft, muß irgendwie dies Gefühl teilen. Jeder Mitlebende fühlt sich auf unbestimmte Art mitschuldig an diesem Untergang aller Menschlichkeit, jeder Art von Gesittung, jeden Respekts vor dem als Kind wie er Geborenen. Und gleichzeitig Sozialist und Kämpfer gegen die Möglichkeit der Wiederkunft solchen Grauens, atmet er tief auf, weil offenbar der Sieg den schöpferischen Kräften des menschlichen Durchschnitts gehört, gleichgültig welcher Hautfarbe oder Muttersprache.“ (7) Zweig verallgemeinert seine Lektüre der Tagebücher als ‚Daheim‘-Sein sowohl auf der jüdischen Seite ‚unbrechbaren Mutes‘ zum Widerstands als auch auf der deutschen ‚blinder Pflichterfüllung‘ zu einem ‚Gefühl‘ der ‚Mitschuld‘, das er bei allen Lesern anzunehmen bereit ist als Motiv, gegen ‚die Möglichkeit der Wiederkunft solchen Grauens‘ zu kämpfen. Wenn Zweig an dieser Stelle noch formuliert, als ob dieser Kampf siegreich bereits beendet sei, so wird etwas später sein Andauern, seine Unabgeschlossenheit als „Aufgabe“ betont, wenn er auf eine ‚Schwierigkeit‘ für „das Zusammenleben von Menschen verschiedener Abkunft“ „überall auf der Erde“ (9) zu sprechen kommt, nämlich einen von ihm so genannten „Differenzaffekt“, den er mit „Dynamit“ vergleicht, „das sich zusammenbraut aus ökonomischen Bestandteilen der Gesellschaft und psychischen der menschlichen Natur“: „jede Tyrannei kann sich auf diese Spannungen stützen und sie bis zum Mord steigern.“ (9)¹⁷ Vorangegangen ist Zweigs ökonomische, auf Ausbeutung und Unterdrückung durch die polnische und deutsche „Oberschicht“ (9) rekurrierende, und psychologische ‚Erklärung‘ des „Sachverhalts“ (8), dass „Ukrainer“ „sich zunächst einmal an den Juden rächten, als die deutsche Okkupation sie dazu anregte und mit Brotkarten belohnte“ (8/9); so belegt er, dass eine „echte sozialistische völkerverbindende Gesinnung“ noch nicht existiere, besteht aber auf der „Überzeugung“, „daß ein Rücksturz wie der faschistische uns wachzurütteln hat für die Aufgabe, an dieser Natur und dieser Gesellschaft aufs intensivste weiterzuformen.“ (9) Als ein solches ‚Wachrütteln‘ kann Zweigs Empfehlung gedeutet werden, die fünf Ghetto-Tagebücher mit einem ‚Gefühl der Mitschuld‘ zu lesen, das das ‚Dynamit‘ des ‚Differenzaffekts‘ gewissermaßen ‚entschärft‘ in einer ‚Menschlichkeit‘ als ‚Respekt‘ des Adressaten ‚vor dem als Kind wie er Geborenen‘. Wenn ‚Weiterformung‘ sich so auf die ‚psychische‘ ‚menschliche Natur‘ richtet, lenkt Zweigs Begriff ‚Tyrannis‘ (die sich auf die ‚Spannungen‘ des ‚Differenzaffekts‘ stütze) die Bedeutung von Weiterformung der Gesellschaft weniger auf deren ‚ökonomische Bestandteile‘ als auf politische. In der Rezeption von „Im Feuer vergangen“ wurde Zweigs ‚Daheim‘-Sein auf der jüdischen Seite des Widerstands und der
Zu Zweigs Eintreten für Freud in der DDR vgl. Peitsch 2009b.
8 Arnold Zweigs Vorwort zu „Im Feuer vergangen“
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deutschen ‚blinder Pflichterfüllung‘ unterschiedlich aufgenommen; Victor Klemperer kritisierte nicht nur Zweigs Hissen (Klemperer 1959, 251) der bei der Einweihung der Gedenkstätte Buchenwald fehlenden „Fahne mit dem uralten Emblem des Davidsterns, welches die Opfer des faschistischen Terrors vertreten hätte“ (Im Feuer vergangen 1958, 9), im letzten Satz seines Vorworts, sondern auch das „spezifisch national-jüdisch gerichtet[e]“ Selbstverständnis der Tagebuch-SchreiberInnen, weil es „ein wenig von manchen Lesern distanziert“ (Klemperer 1959, 250), während die ungezeichnete, also redaktionelle Rezension in „Der Bibliothekar“ das Buch als „Zeugnis[…] von der Gewalt des Unrechts gegen das jüdische Volk“ im doppelten Sinne wie Zweig charakterisierte: „ein Gesamtbild des Leidensweges der polnischen Juden, ihres heldenhaften Widerstandskampfes und ihrer mit deutscher Gründlichkeit vorbereiteten und durchgeführten Vernichtung“ (Im Feuer 1959, 1001); hervorgehoben wurden Dorka Goldkorns „Erinnerungen an den Aufstand im Warschauer Ghetto“, weil sie „das Gefühl des Lesers am stärksten zu beeindrucken“ „vermögen“ (1003). Auf ein anderes Interesse von Bibliotheksbenutzern bezog sich ein halbes Jahr früher die Empfehlung eines autobiographischen Buch von Klemperers Freundin Lea Grundig, die über jüdisches Elternhaus, zionistischen Jugendbund und Flucht vor politischer und rassistischer Verfolgung berichtete, als „jedem Roman unserer sozialistischen Gegenwartsliteratur ebenbürtig“: „Das Zeitbild der düsteren Epoche des Faschismus bezieht den fernen Schauplatz Israel und das Schicksal der in dieses Land emigrierten Juden in die Darstellung mit ein. Dieser weit gespannte Rahmen des Geschehens wird viele männliche Leser ansprechen, die vom Titel her kaum zu dieser Biographie greifen würden, aber dem Thema ‚Israel‘, zu dem andere Publikationen kaum zur Verfügung stehen, Interesse entgegenbringen.“ (Lea Grundig 1959, 650)¹⁸ Unter den „vielfältige[n] Anknüpfungspunkte[n]“ (650), für die die Rezension den BibliothekarInnen Grundigs „Gesichte und Geschichte“ empfahl, waren auch die autobiographischen „Arabesken. Aufzeichnungen aus bewegter Zeit“ von einer anderen Freundin Klemperers, Auguste Lazar, die wie Grundig eine Haltung herausfordert, die nichts gewusst haben und nichts wissen will: „Wollte er nichts hören und nichts sehen?“ formuliert Lazar die offene – dem Adressaten in seiner Rezeption überlassene – „Frage […] nach dem Wissen oder Nichtwissen des Durchschnittsdeutschen um die Konzentrationslager und Gaskammern der Nazis – eine schwerwiegende Frage, mit der ich mich oft herumquäle und auf die ich keine Antwort finde“ (Lazar 1957, 37). Grundig berichtet, wie sie „nach Jahren nach Auschwitz kam, dorthin, wo die Hölle organisiert worden war, maschinell und wirtschaftlich“: „da sah ich auf dem hartgetretenen Boden, auf den zerstampften Grasnarben die Füße laufen, rennen, stocken, sich schleppen. Ich hörte und sah sie, die Tausende, Hunderttausende. Ihre Leiden, ihre Schreie, ihre Tränen und ihr Stöhnen können nie vergehen, wie nichts auf der Erde vergeht. Jene aber, die nichts hören, deren Ohren nur Lärm aufnehmen,
Im Erscheinungsjahr von Lea Grundigs Buch erschienen zwei weitere Auflagen, 1978 erreichte es die neunte.
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Schall oder Töne – sie hörten auch damals nicht, sie hören heute nicht, sie sind die Helfershelfer der Verbrechen: sie, die Gleichgültigen.“ (Grundig 1960, 261) Nach Hellmut Becker, dem juristischen und politischen Berater des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (Albrecht 2000, 162) und 1963 Mitgründer des MaxPlanck-Instituts für Bildungsforschung in Westberlin, der die „Autobiographischen Aufzeichnungen“ von Rudolf Höß, die Martin Broszat vom Institut für Zeitgeschichte unter dem Titel „Kommandant in Auschwitz“ herausgegeben hatte, im Dezember 1958 im „Merkur“ besprach, „kann man täglich beobachten, wie sehr die deutsche Öffentlichkeit das Wissen um die Judenvernichtung, soweit sie es überhaupt hat, verdrängt“ (Becker 1958, 1203). Beckers Vorhersage: „Dieses Buch wird für die Bewältigung der unbewältigten Vergangenheit in Deutschland eine entscheidende Rolle spielen“ (1202), beruht zum einen auf einer negativen Einschätzung des bisher Veröffentlichten, das die Vergangenheit unbewältigt gelassen habe, zum anderen auf einer positiven Bestimmung dessen, was Bewältigung der Vergangenheit sein müsse. Von den „viele[n] Veröffentlichungen“, trotz derer „das öffentliche Bewußtsein bei uns noch nicht realisiert“ habe, „was wirklich geschehen ist“, nennt er nur das „Tagebuch der Anne Frank“, das – wie er auch den Text und nicht nur seine Rezeption kritisiert – „sentimental und nicht real verstanden werden“ „konnte“ (1203). Was Becker mit ‚real‘ meint, geht aus seiner Bestimmung dessen hervor, was nur von Höß’ autobiographischem Text den LeserInnen vermittelt werde, weil „bisher noch keine Veröffentlichung vor[liegt], aus der die Tatsachen so unmißverständlich hervorgehen und in der gleichzeitig die Persönlichkeit des Täters so klar in Erscheinung tritt“ (1203). Entsprechend hat Becker zuvor „die sorgfältige Schilderung des Massenmordes“ „das Kernstück des Buches“ genannt, denn die ‚Sorgfalt‘ bezieht sich auf die ‚Tatsachen‘ wie auf die ‚Psychologie‘: „In eigentümlicher Weise mischt sich die persönliche Idyllik des freundlichen Familienvaters mit der sorgfältigen Perfektionierung des Mordes.“ (1202/1203) Aber schon vor dieser Stelle hat Becker die erst aus Höß’ Text ‚unmißverständlich hervorgehenden Tatsachen‘ und die ‚klar in Erscheinung tretende‘ ‚Psychologie‘ auf einen Begriff gebracht, der in einem bestimmten „Typ“ von Menschen die Ursache von „jederzeit wieder fürchterliche[n] Wirkungen“ bezeichnen soll; diese hat Becker, noch bevor er „Horkheimer und Adorno“ vor dem Begriff „‚autoritarian [sic] personality‘“ nennt, schon als „autoritätsgläubige[n]“, „in […] Autoritätsabhängigkeit fixierte[n] Kleinbürger“ (1202) bezeichnet: „Sentimentalität und rationalistischer Perfektionismus sowie ein spürbare Unfähigkeit zur eigenen Lebensgestaltung verbinden sich in seiner Persönlichkeit.“ (1203)¹⁹ Erst nachdem Becker das Zusammenfallen der Darstellung von ‚Tatsachen‘ des Massenmords mit ihrer – vom Rezensenten den LeserInnen empfohlenen – Erklärung aus einer sozial spezifischen Psychologie des Täters zur Einzigartigkeit von Höß’
Vgl. die Nähe zu der Rezension des Feuilletonchefs der „FAZ“ Karl Korn, der allerdings zu einer ‚Kriegs- oder Bürgerkriegslage‘, in der ‚Inferiorität von Kleinformaten mit gewaltiger Technik‘ ausgestattet sei, erklärt: „dann ist Auschwitz jederzeit wieder möglich“ (Korn 1958).
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„Aufzeichnungen“ erhoben hat, schließt er mit einer Begründung seiner Vorhersage einer gesellschaftlichen Wende zur Bewältigung der Vergangenheit in Form einer Forderung: „Niemand, der junge Menschen oder Erwachsene zu erziehen oder zu unterrichten hat, niemand, der für sein eigenes Tun sich über die Vergangenheit unseres Volkes Rechenschaft geben will, darf an diesem Buch vorbeigehen.“ (1203) Auffällig ist sowohl die Adressierung der Erzieher als auch die Verallgemeinerung des Sich-Rechenschaft-Gebens auf die ‚Vergangenheit unseres Volkes‘ (nicht die eigene), dessen praktische Bedeutung aber individualisiert wird: ‚für eigenes Tun‘. Becker führte seit 1956 im Hessischen Rundfunk Gespräche mit Theodor W. Adorno, die durchschnittlich 280.000 bis 400.000 Hörer (Albrecht 2000, 239) hatten und in denen „die Vergangenheitsbewältigung als zentrale pädagogische Aufgabe fixiert“ wurde, wenn auch noch nicht im ersten Gespräch „Kann Aufklärung helfen?“ (234), das deshalb auch nicht in den nach Adornos Tod zusammengestellten Sammelband aufgenommen wurde, der das Ziel der pädagogischen Vergangenheitsbewältigung auf den Gegenbegriff zum autoritären Charakter brachte: „ Erziehung zur Mündigkeit“, und dessen „Folge pädagogischer Disputationen“ „begann“ (Adorno 1970, 9) mit Adornos Vortrag auf der Erzieherkonferenz des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?“ Adorno leitet seinen Vortrag ein mit der für die Rede von Aufarbeitung und Bewältigung gleichermaßen getroffenen Unterscheidung zwischen „das Vergangene im Ernst verarbeite[n], seinen Bann breche[n]“, und einem „Schlußstrich“: „aus der Erinnerung wegwischen“ (Adorno 1963, 125/126). Den ‚Bann des Vergangenen‘ sieht Adorno darin, „daß die objektiven gesellschaftlichen Voraussetzungen fortbestehen, die den Faschismus zeitigten. Er kann nicht wesentlich aus subjektiven Dispositionen abgeleitet werden.“ (139) Gerade weil er betont: „Die Gefahr [der Wiederholung] ist objektiv, nicht primär in den Menschen gelegen“ (140), folgt aus der Nicht-Veränderbarkeit der sozialökonomischen Verhältnisse: „Aufarbeitung der Vergangenheit als Aufklärung ist wesentlich […] Wendung aufs Subjekt, Verstärkung von dessen Selbstbewußtsein und damit auch von dessen Selbst.“ (144)²⁰
Vgl. als frühe Aufnahme des Begriffs einen zuerst vom WDR am 6. Oktober 1963 gesendeten Beitrag des Historikers Wilhelm Alff, der vier Monate später in der „FAZ“ (22. 2.1964) erschien und noch im selben Jahr in einem Essayband bei Lambert Schneider: „Wir sprechen, anders als noch vor wenigen Jahren, jetzt eher von der Aufarbeitung als von der Bewältigung der Vergangenheit.“ (Alff 1964, 109) Aufarbeitung „verändert uns selber“ (109): „Denn Reue und Scham muß der Mensch empfinden, der auf seine eigene Vergangenheit zurückblickend erfährt, daß er seine wahre Bestimmung verfehlt hat […], indem er im Kollektiv der Nation aufging“ (110). In einem weiteren „FAZ“-Beitrag hob er am 18. Juli 1964 „Zur Interpretation des Zwanzigsten Juli“ die Relevanz der „Texte […] der Kreisauer, Bonhoeffers, Moltkes, der Sozialisten Mierendorff, Haubach, Reichwein, Leber und Harnack“ (Alff 1971, 122/123) für ‚Selbstveränderung‘ hervor: „Der bedeutsame Tag der Aktion vermag auch heute noch für viele Deutsche die Brücke zu sein, über die sie ihr Ancien Régime verlassen könnten. Er gehört zu den Daten, die unserer Nation die Revolution zu ersetzen haben.“ (123) Vgl. aber auch die gleichzeitige vom AStA der Münchener Universität veranstaltete Diskussion über den 20. Juli als „Tabuthema“: „Ein jüngerer Teilnehmer äußerte allerdings die Vermutung, das ‚Tabu liege wohl dort begraben‘, wo die gesell-
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Obwohl Adorno aufgrund seiner sozialpsychologischen Ableitung der Ich-Schwäche der Massen, der ‚Anfälligkeit‘ der „autoritätsgebundenen Charaktere“ „[f]ür beide totalitäre Formen“ (132), aus den gesellschaftlichen Verhältnissen einräumt, dass von Aufklärung „meist nur die“ „erreicht“ werden, „welche offen dafür und eben darum für Faschismus kaum anfällig sind“ (144), macht er einer „demokratische[n] Pädagogik“ (141) zwei Vorschläge für eine breitere Aufklärung, einmal die „Schutzimpfung“ (144) gegen Propagandatricks, zum anderen den „Verweis“ auf die „unmittelbaren“ „Interessen“ (145): „Erinnert man die Menschen an das Allereinfachste: daß offene und verkappte faschistische Erneuerungen Krieg, Leiden und Mangel […] zeitigen […]. So vergessen […] sind Stalingrad und die Bombennächte trotz aller Verdrängung nicht, daß man den Zusammenhang zwischen einer Wiederbelebung der Politik, die es dahin brachte, und der Aussicht auf einen dritten Punischen Krieg nicht allen verständlich machen könnte.“ (145/146) Im letzten Satz seines Vortrags fasst Adorno noch einmal das sozialökonomische und das sozialpsychologische „Nachleben des Nationalsozialismus“ (126) in der Gegenwart der Bundesrepublik zusammen: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen.“ (146) Deshalb hat er im Vortrag das Ziel einer demokratischen Pädagogik als Vergangenheitsbewältigung ex negativo beschrieben: „Aber Demokratie hat nicht derart sich eingebürgert, daß sich die Menschen als Subjekte der politischen Prozesse wissen. Sie wird als ein System unter anderen empfunden […]; nicht aber als identisch mit dem Volk selber, als Ausdruck seiner Mündigkeit.“ (130) Bevor Adorno das Wort erhielt, gab ein Vertreter des Erzieherausschusses des Koordinierungsrates eine Einschätzung der „augenblickliche[n] geistige[n] Situation“ und der bisher von der pädagogischen Arbeit der Gesellschaften bevorzugten Mittel: Die Situation 1959 sei „dadurch gekennzeichnet, daß nach einer langen Zeit des Schweigens die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in breiten Dimensionen sich vollzieht“ (Koordinierungsrat o. J., 8). Bisher sei ein „Grundgedanke“ gewesen, „von der Anonymität der Zahl zum lebendigen Einzelschicksal zu gelangen“ (8); weiterhin wurden „Berichte über beispielhaftes, positives Verhalten in der Verfolgungszeit“ für „[b]esonders geeignet“ gehalten“; schließlich seien „Quellensammlung[en]“ wie die von Walther Hofer im Fischer-Taschenbuch sowie – ohne dass die Namen genannt wurden: von Josef Wulf „Vom Leben, Kampf und Tod im Warschauer Ghetto“ (1958) und H. G. Adler „Der Kampf gegen die Endlösung der Judenfrage“ (1958) – in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst und der Film „Nacht und Nebel“ (1958) (9) zugänglich geworden: „Und wenn wir das Programm christlich-jüdischer Zusammenarbeit aufstellten, so bedeutet das wahrlich nicht, daß wir nur eine Art Wach- und Schließgesellschaft sein wollen, sondern wir wollen zusammen mit unseren jüdischen Mitbürgern aus dem grauenvollen Geschehen der
schaftlichen Vorstellungen der Widerstandskämpfer mit denen der heute staatstragenden Kräfte in keiner Weise übereinstimmten.“ (Schütze 1964)
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jüngsten Vergangenheit heraus in Deutschland das Klima schaffen, in dem die Demokratie, in dem die Zukunft eine Chance hat.“ (11) Adornos Vortrag übte an mehr als einer der pädagogischen Strategien als propagandistischen Kritik: „Hinweise etwa auf die großen Leistungen von Juden in der Vergangenheit“ ‚schmeckten‘ nicht nur „nach Propaganda“, sondern es gelte: „Lobreden auf die Juden, welche diese als Gruppe absondern, geben selber dem Antisemitismus allzu viel vor.“ (22) Adornos Vortrag wird von Kritikern der Anne Frank-Rezeption der 1950er Jahre häufiger heranzogen, weil er aus einem Bericht über die Frau, die nach der Theateraufführung bemerkt hätte: „ja, aber das Mädchen hätte man doch wenigstens leben lassen sollen“, die Lehre zieht: „der individuelle Fall, der aufklärend für das furchtbare Ganze einstehen soll, wurde gleichzeitig durch seine eigene Individuation zum Alibi des Ganzen, das jene Frau darüber vergaß“ (143), wobei in der Sekundärliteratur regelmäßig unterschlagen wird, dass Adorno einräumt: „Sicherlich war selbst das gut, als erster Schritt zur Einsicht.“ (143)²¹ Dagegen wird der Rezeption des Tagebuchs seit den 90er Jahren vorgeworfen, dass „die spezifisch jüdische Opfererfahrung ausgeblendet wurde“ (Fischer/Lorenz 2007, 107), mit doppelter Begründung, dass erstens die auf den Umschlag gesetzte Schlusswendung des Tagebuchs (wie der Bühnenfassung und des Films): „Trotz allem glaube ich noch an das Gute im Menschen“, eine „Universalisierung“ Anne Franks sei, die – so Hanno Loewy (1997) – „die Vollendung ihrer Vernichtung“ sei, zweitens „dass Annes Tod nicht dargestellt wurde“ (Fischer/ Lorenz 2007, 108). Aber die Rezeption des Tagebuchs führte sowohl in der BRD als auch in der DDR zu Reisen nach Bergen-Belsen, die auch Auschwitz in den Blick rückten.
9 Ernst Schnabel: Anne Frank. Spur eines Kindes Ernst Schnabel, der ehemalige Intendant des NWDR Hamburg und Mitglied der Gruppe 47, schrieb 1958 gewissermaßen eine Rundfunkversion zu der von der Hamburger Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit erstmals 1957 in der Woche der Brüderlichkeit am 17. März organisierten „Pilgerfahrt nach Bergen-Belsen“ (Kraushaar 1996, 1597) oder „Wallfahrt“ (1598) zu Anne Frank,²² an der 2.000 Jugendliche teilnahmen und die am 27. April 1958 unter dem Motto „Blumen für Anne Frank“ mit 3.000 jugendlichen Teilnehmern erneut stattfand (1862). Schnabels Feature „Anne Frank. Spur eines Kindes“, die „von Deutschland nach Deutschland“ „führt“, endet mit dem Bericht des Erzählers über seine Suche nach „Zeugen“ in Vgl. Fischer/Lorenz 2007, 108. Auf diesen „Zug der Jugend nach Bergen-Belsen“ nahm Stephan Hermlin „staunend“ Bezug, als er eine im FDJ-Organ „Junge Welt“ als Aufmacher abgedruckte Rede „Nur zwölf Jahre ist es her!“ hielt, an „[j]unge Menschen aus Ost und West“ „auf dem blutgetränkten Boden des ehemaligen faschistischen Todeslagers Buchenwald“ (Hermlin 1957b).
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Belsen, nachdem neununddreißig, die „Anne gekannt und ein Stück weit begleitet oder ähnliche Wege gehabt oder den ihren gekreuzt hatten“ (Schnabel 1958, 7), bereits zu Wort gekommen sind: „Ich bin dann von Amsterdam nach Belsen gefahren und war mit einem Freund zusammen einen Tag in der Heide. Frühmorgens telefonierten wir mit einem Mann in Celle. Wir baten ihn, uns Leute zu nennen, die vielleicht noch etwas wüßten aus dieser Zeit, und der Mann gab uns Adressen, aber er sagte dazu: Zweck hat es nicht. Sie stoßen auf eine Mauer, und Sie werden sehen, daß niemand etwas weiß… Der Mann hat nicht recht behalten. Die Leute schweigen, und das Schweigen liegt wie eine Emaille-Schicht über der Gegend. Aber es ist leicht, diese Schicht zu durchbrechen, […] und ich glaube jetzt, daß dieses Schweigen gebrochen werden muß […]. Wir haben mit drei Menschen gesprochen an diesem Tag […] – und nur einer von ihnen hat geschwiegen. Von dreien einer. […] Und als wir uns am Abend von ihnen verabschiedeten, sagte mein Freund: Wir haben doch noch eine Chance. Denn zwei von dreien hatten gesprochen, und beim Abschied war ihnen anzusehen, daß sie froh waren, oder doch wenigstens wie befreit.“ (148/149) Schnabels Bericht erschien in einer Auflage von 75.000 Exemplaren als Originalausgabe in der Fischer Bücherei, in der seit 1955 die Taschenbuchausgabe von Anne Franks Tagebuch 430.000 Mal verkauft worden war. 1958, als Schnabels Feature erschien, wurden täglich 2.000 Exemplare gekauft (Kraushaar 1996, 1656), was auch zurückzuführen war auf die im Winter 1956/57 einsetzende Wirkung der Dramatisierung des „Tagebuchs der Anne Frank“ von Albert Hackett und Francis GoodrichHackett und nochmals verstärkt wurde durch die Verfilmung von George Stevens. Der Umschlag von Schnabels „Spur eines Kindes“ trug folgenden Hinweis: „Die Einnahmen aus diesem Buch fließen dem vom S. Fischer Verlag […] und den deutschen Rundfunkanstalten gegründeten Anne-Frank-Stipendium zu, das jungen israelischen Studenten, jungen Wissenschaftlern und Künstlern Studienaufenthalte in Europa ermöglichen soll.“ (Schnabel 1958, Rückseite) Schnabels Feature klammert keineswegs aus, was Anne Frank nach der Verhaftung, die das Tagebuchschreiben beendete, erleben musste: die Stationen der Deportation von Westerbork über Auschwitz bis Bergen-Belsen werden von den Zeugen ebenso erinnert wie das Leben in Frankfurt/Main vor der Flucht in die Niederlande. Unter den in Frankfurt Befragten ist der Mann von Kati St., der Hausangestellten der Franks (13), über den der Autor-Erzähler später sagt, dass er das Dritte Reich (22) im Zuchthaus erlebt habe, weil er zu einer umstürzlerischen Arbeitergruppe gehört habe; er sagt: „In einem hat Anne nicht recht gehabt mit ihrem Tagebuch. Die Menschen sind nicht gut, und man kann nicht an sie glauben.“ (21) In Amsterdam ergänzt Frau de Wiek, die mit den Franks nach Auschwitz deportiert wurde, ihren Bericht über „das erste, was wir von Auschwitz sahen“: „Heute wissen alle Leute, was Auschwitz war. Aber kaum einer weiß, wo es lag, und daß es den Ort und das Lager noch gibt. Alle tun, als wäre es auf dem Mond oder jedenfalls nicht auf der Welt.“ (130) Aber die der „Tagebuch“-Rezeption von ihren Kritikern seit 1990 zugeschriebene „Imagination von dem Vergebung gewährenden Opfer“ (Fischer/Lorenz 2007, 108) lässt sich an der sehr breiten Rezeption des Features in den Feuilletons nicht durch-
9 Ernst Schnabel: Anne Frank. Spur eines Kindes
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weg nachweisen, im Gegenteil, sie ist vielmehr durch drei Gegensätze gekennzeichnet: Entweder wird das Individuum Anne Frank zur Legende erklärt oder gerade nicht individualisiert, sondern als eine von Millionen wahrgenommen; entweder ist formelhaft von Scham und Schande die Rede oder das Feature wird als Aufforderung zur Selbstbefragung angesehen; entweder wird ‚Wiedergutmachung‘ dem Staat überlassen oder es wird betont, dass sie gerade nicht ausschließlich dem Staat überlassen werden dürfe. Wie die Oldenburger „Nordwest-Zeitung“, für die Anne Frank „zu einer moderner ‚Heiligen‘, einem konfessionslosen religiösen Genie“ (wm. 1958) geworden war, schrieb die Programmzeitschrift des Springer-Konzerns „Hör zu“ ihr zu: „Dieses Kind …weiß mitten in der Hölle: Der Mensch ist nicht verloren. …[Es] strahlt uns Kraft zu, biete[t] den jungen Menschen einer neuen Generation die Hand und zuverlässiges Geleit.“ (Anne Frank 1958) Im Gegensatz dazu betonte die Rezension des „Mannheimer Morgen“: In den „Spiegel der Vergangenheit zu blicken“ mache zwei Stationen der Hölle für ungezählte Opfer nicht als Legende oder Mythos sichtbar, sondern als Chronik des „größten und bestorganisierten Massenmord[s] aller Zeiten“ (E. P. 1958), ähnlich wie Clara Mencks „Die Zahnräder der Nacht“ betitelte Besprechung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: Das Feature könne „klarmachen, wie die Welt beschaffen war, in der dieses Schicksal als eines von Hunderttausenden ablief“ (Menck 1958). Wenn Menck „ein paar Sätze über den Befehl“ „das einzige“ nennt, „was direkt zur Frage der Zahnräder gesagt wurde“ (Menck 1958), so entspricht dem, was Klaus Colberg in der „Süddeutschen Zeitung“ zu der vom Feature nahegelegten Selbstbefragung des Adressaten schreibt: Die Darstellung von „Handlangern aus kleinbürgerlichem Gehorsam“ sei „eine mittelbare Frage an uns alle, wie wir denn wohl an seiner Stelle gehandelt hätten!“ (Colberg 1958) Dagegen fanden sich die Formeln von Scham und Schande häufig in den Besprechungen, die den Schlusssatz des Features zitierten (der zwei Zeugenaussagen über das Auffinden des Tagebuchs nach dem Ende der deutschen Besatzung folgt): „So blieb diese Stimme bewahrt…überdauerte das Geschrei der Mörder und überflügelte die Stimmen der Zeit“ (Schnabel 1958, 157). Die Rezension in der „Deutschen Zeitung“ setzt das Zitat direkt fort: „die Stimme, die unerbittlich an die Herzen der Lauschenden pocht. Und da ist die Scham darüber, daß es geschehen konnte.“ (Hg. 1958) In der „Legende Anne Frank“ überschriebenen Besprechung des neuen Chefredakteurs von „Die Zeit“, Josef Müller-Marein, heißt die Fortsetzung des Zitats: „zur ewigen Schande des deutschen, unseres deutschen Namens“ (Müller-Marein 1958). Von Schuld war nur in einer der – vierzehn vorliegenden – Rezensionen die Rede: Der anonyme Rezensent der Zeitung der Westberliner CDU „Der Tag“ ging auf die funkischen Mittel von Schnabels Feature ein, das Glockenspiel als „einzige akustische Kulisse“ und die leisen Stimmen, die in Gegensatz zu einem Lärm gesetzt wurden, der die Ohren zuhalten lasse: „Die Szenerie des Grauens, an der ein ganzes Volk, wiewohl im einzelnen vielleicht schuldlos, beteiligt war, wurde dadurch nur unausweichlicher.“ (Anne Frank – Die Spur 1958) Zu den leisen Stimmen hieß es: „Gerade, da sie
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nicht anklagten, führten sie zur Besinnung.“ Die den Vorwurf von Schuld, die Anklage, abweisende Formulierung der Rezension schloss im ‚vielleicht‘ die Möglichkeit ein, dass das Feature zu einer ‚Besinnung‘ seines Adressaten führen könne, als ‚einzelner‘ ‚vielleicht‘ nicht ‚schuldlos‘ zu sein. Die Programmzeitschrift „Funk und Familie“ folgerte aus der Sendung, dass Wiedergutmachung „nicht allein staatlicher Initiative überlassen“ bleiben dürfe, und überschrieb ihre Rezension entsprechend: „Der Rundfunk im Dienst der Menschlichkeit“ (Der Rundfunk 1958). Das Gegenteil schrieb Müller-Marein in „Die Zeit“: Dass wir „diese Art betonter prononcierter ‚Brüderlichkeit‘ nicht mehr brauchen“, sei die Lehre aus der Sendung (Müller-Marein 1958). Gegen die Macht der Legende, die er politisch kritisierte: „Das Martyrium eines einzelnen Geschöpfes, das wir beklagen, hebt uns aus der Verantwortung für den Tod von Millionen heraus“, insistierte MüllerMarein auf der Begrenzung der Wiedergutmachung auf Politik der Bundesregierung gegenüber Israel, mit der durch dreimalige Wiederholung nicht plausibler werdenden Begründung, auch die Israelis „verstehen nicht“ (Müller-Marein 1958), warum sich Millionen wie die Schafe zur Schlachtbank hätten führen lassen.
10 Joachim Hellwig, Günther Deicke: Ein Tagebuch für Anne Frank Zwei Absätze aus der Rede, die „der westdeutsche Bundespräsident Theodor Heuß“ „am Grab der Anne Frank, bei der Einweihung des Mahnmals in Bergen-Belsen“, hielt, stehen im Zentrum des abschließenden Kommentars von Joachim Hellwigs und Günther Deickes „Ein Tagebuch für Anne Frank“, das 1959 als DEFA-Dokumentarfilm und als Bild-Text-Band im Verlag der Nation herauskam, von dem mit einer zweiten Auflage im selben Jahr und einer dritten 1960 insgesamt 24.000 Exemplare verkauft wurden (Zwanzig Jahre 1968, 86). Heuss’ Sätze „‚Wer hier als Deutscher spricht, muß sich die innere Freiheit zutrauen, die volle Grausamkeit der Verbrechen, die hier von Deutschen begangen wurden, zu erkennen. […] Dieses Belsen und dieses Mal sind stellvertretend für ein Geschichtsschicksal…‘“ (Hellwig/Deicke 1959, unpag., viertletzte Seite), werden als „Ausrede“ kommentiert: „Das verdammt die Verbrechen und läßt die Verbrecher frei“, und „nur […] Dekor“ für das Verschweigen „der vollen“ (drittletzte Seite), der „ganze[n] Wahrheit“ (vorletzte Seite) werden „die Scham mühsam unterdrückter Tränen/ und die Reue wohltönender Reden“ (drittletzte Seite) genannt. Während im Film die den Kommentar abschließende Anrede Anne Franks lautet: „Du warst ihr Opfer, Anne Frank, aber Deine Mörder sind im westdeutschen Teil unserer Heimat wieder da“ (Schieber 2016, 61), stehen sich im Buch ein Foto der Schauspielerin und eine Sequenz von vier Aufnahmen Anne Franks gegenüber, auf denen drei ihr Lächeln zum Lachen werden lassen, das auf der vierten von Nachdenklichkeit abgelöst ist: „Wo du Schicksal sagtest, Anne Frank,/ da können wir er-
10 Joachim Hellwig, Günther Deicke: Ein Tagebuch für Anne Frank
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klären.“ (Hellwig/Deicke 1959, vorletzte Seite)²³ Das am Ende stehende „Bekenntnis“ (vorletzte Seite) der Schauspielerin und Sprecherin, die Zuschauer des Films wie Leser
Deickes Unterscheidung zwischen ‚Schicksal sagen‘ und ‚erklären‘ hat eine gewisse bundesrepublikanische Entsprechung in Gerhard Schoenberners „Skepsis“ „gegenüber der Anne Frank-Hochkonjunktur“ (Schoenberner 1959, 913) anlässlich der Rezeption des Films als „Jungmädchentagebuch“, von dem „sich das Publikum gern rühren“ lasse, das „aber vom System der Gaskammern […] nichts wissen“ (915) wolle. Anknüpfend an: „Wo du Schicksal sagtest, Anne Frank, da können wir erklären.“ (Hellwig/Deicke 1959, vorletzte Seite), arbeitete Wolfgang Johos „Das Vermächtnis der Anne Frank“ überschriebene Rezension in der „Neuen Deutschen Literatur“ zwei darin liegende Bezugnahmen auf Gedichte Brechts heraus. Joho nennt den Erfolg des Films, der – nach Buch und Theaterstück – als „eine neue Welle starker menschlich Erschütterung“, die „um die Welt“ gehe, eine „gute und nützliche Wirkung“ (Joho 1959, 146), um dann einzuschränken, dass diese „für uns Deutsche in der Deutschen Demokratischen Republik, die Brechts Wort beherzigen: ‚Besser als gerührt sein ist: sich rühren‘‚ nicht genug sein“ könne: „Wahrhaft tief und dauerhaft konnte die Wirkung jener rührenden Mädchenstimme an der Schwelle des Martertodes nur sein, wenn man Ursachen, Zusammenhänge und Folgen aufdeckte, die Konsequenzen zog und die Erschütterten und Gerührten zwang, selbst die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen, sich zu rühren.“ (146) Der Vers Brechts ist der erste der fünften, letzten Strophe seines „Aufbaulieds“, das er 1949 schrieb und das später auch als „Aufbaulied der FDJ“ überliefert wurde, der folgende Vers begründet, weshalb sich rühren besser als gerührt sein sei: „Denn kein Führer führt aus dem Salat.“ (Brecht 1967, X, 956) Für die Abweisung der ‚gerührten‘ Rede vom ‚Schicksal‘ zieht Joho ein zweites ‚Brecht-Wort‘ heran, allerdings ohne dass er darauf hinweist. Er bringt den Unterschied zwischen dem US-amerikanischem Film und Hellwigs und Deickes Film wie Buch auf den zwischen Epitaph und Anklage: „Das Epitaph […] ist gleichsam nur der Prolog für die Anklage. Dann heißt es: ‚Das Schicksal muß ergründbar sein. Es muß Namen haben und Adressen … Es muß Ursachen geben.‘“ (Hellwig/Deicke 1959, 147) Die letzten drei Sätze paraphrasieren drei Verse aus dem Epigramm 22 von Brechts „Kriegsfibel“: „[…] das Schicksal, Frau, beschuldige nicht!/ Die dunklen Mächte, Frau, die dich da schinden/ Sie haben Name, Anschrift und Gesicht.“ (Brecht 1967, X, 1038) Unter Bezugnahme auf die Fotos bzw. Filmaufnahmen von ‚konkreten‘ Einzelnen vor ihren Wohnungen begründet Joho schließlich ein ästhetisches Urteil über das Buch, das in der Beschreibung der Wirkung auffälligerweise erneut das Verb ‚zwingen‘ benutzt, aber auch auf das Zitat aus Brechts „Aufbaulied“ zurückkommt: „Ein Tagebuch für Anne Frank“ „erfüllt, was wir vom Kunstwerk fordern: Typisches am konkreten Beispiel zu zeigen. Es ist gut und richtig, weil es die Gerührten zwingt, sich zu rühren.“ (Joho 1959, 147) Das ‚Konkrete‘ und das ‚System‘ verbindet Joho folgendermaßen: „Man sieht sie, als uniformierte Mörder von einst, gut gekleidete Biedermänner von heute, in ihren Autos,vor ihren Villen. […] Und beim Leser, beim Betrachter verwandelt sich Rührung in Zorn, passives Mitleid in aktive Bereitschaft, gegen die überlebenden Mörder zu kämpfen. Und so wie konkretes Schicksal mehr ergreifen kann als anonymes Massenleid, so wird auch der Haß erst konkret, wenn Namen, Adressen und Funktionen deutscher Faschisten genannt werden, wenn man sie kennt. Sie werden Ausgangspunkt für eine allgemeine Anklage des Systems, das sie hervorbrachte und sie heute noch und wieder pflegt.“ (147) Vgl. zu Brechts Verwendung von Fotos die von der Bauchbinde als „Erste vollständige Ausgabe“ annoncierte Neuausgabe der „Kriegsfibel“ Brechts von 1994 , die als 5. erweiterte Auflage des 1955 erstmals im Eulenspiegel Verlag erschienenen Buchs nun in der Eulenspiegel Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft herauskam; das Foto über dem (ohne die Nummer 22, weiß auf schwarzem Grund gedruckten) Epigramm, dessen bisher nicht zitierter erster Vers und Anfang des zweiten lauten: „Such nicht mehr, Frau: du wirst sie nicht mehr finden! Doch auch das Schicksal, Frau, beschuldige nicht!“ (Brecht 2008, 23), hat eine unten links ins Bild gesetzte dänische Unterschrift, deren deutsche Übersetzung schwarz auf der gegenüberliegenden weißen Seite steht: „‚BRITISCHE BOMBER ÜBER BERLIN. Im Spätsommer unternahm die Royal Air Force mehrere Angriffe auf Hamburg, Bremen und andere
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des Buchs „nach Auschwitz, nach Bergen-Belsen“ auf dem Weg „von Sehen zum Erkennen und Parteinehmen“ (Schirmer 1959, 1005) „begleite[t]“ haben (Kai 1959), ist eins sowohl zu Anne Frank als auch zur ‚ganzen Wahrheit‘: „Denn die ganze Wahrheit muß bekannt werden/ über dich, Anne Frank./ Die ganze Wahrheit muß bekannt werden/ über deine Mörder. […]/ Wer am Krieg verdient,/ der hat Interesse am Krieg./ Und wer Interesse hat am Krieg,/ der bricht ihn vom Zaun. […]/ Für dich war das Grauen namenlos,/ wir kennen die Namen./ Und wir sagen sie weiter/ und ich schreibe sie auf.// Das ist mein Bekenntnis zu dir,/ das ist mein Tagebuch für dich, Anne Frank.“ (Hellwig/Deicke 1959, vorletzte Seite) Dem abschließenden Kommentar vorangegangen ist eine Doppelseite, auf der links ein Foto eines Bergs von Schuhen und rechts die Fotokopie des Brief des IGFarben-Vorstandsmitglieds Otto Ambros an zwei Direktoren vom 12. April 1941 über die „sich“ „sehr segensreich“ ‚auswirkende‘ „Freundschaft mit der SS“ bei der „Einschaltung des wirklich hervorragenden Betriebes des KZ-Lagers zugunsten der BunaWerke“ (fünftletzte Seite). Über dem gegenüber abgebildeten Schuhberg steht „und gehn – und gehn – und gehen –“, der letzte Vers eines Gedichts, das auf drei vorangegangenen Doppelseiten jiddisch und deutsch abgedruckt ist: Mojsche Schulsteins 1945 in Majdanek geschriebenes „Ein Berg Schuhe“. Sein Sprecher ist ein „Wir […] Schuh von Enkeln und von Ahnen/ Aus Prag, Paris und Amsterdam“, das sich in den letzten Strophen als „Schuh-Armee“ aufmacht: „So gehen wir ohne Ruh und klappen, klappen./ Es konnte uns nicht fangen und nicht schnappen/ Der Räuber für den Räubersack. –/ Jetzt gehn wir zu ihm, jeder soll uns hören/ Als Strom von Tränen, wenn wir uns empören,/ Gericht zu sein am Urteilstag.// Nun hört, nun hört! Und wer nicht will, wir gellen/ mit unsern Schritten noch durch Totenschwellen,/ stadtaus, stadtein sollt ihr uns sehn,/ wir gehen, tote Reste, einst voll Leben –/ Und niemals werden wir euch Ruhe geben/ Und gehn – und gehn – und gehn“ (siebtletzte Seite).²⁴ In der Rezension von Hellwig und Deickes Bild-Text-Band, der 1959/1960 zwei neue Auflagen erhielt, für die Zeitschrift „Der Bibliothekar“ wurde besonders hervorgehoben, dass eine als Darstellerin Anne Franks in der Bühnenfassung des Tagebuchs bekannte Schauspielerin sich auf eine eigene Reise nach Bergen-Belsen begeben habe, aber zugleich verallgemeinert: „Sie spricht stellvertretend für die junge Generation, die den Faschismus nicht mehr aus eigener Anschauung kennengelernt hat und sich nicht mit der Tatsache vergangener Verbrechen abfindet, die nach dem Woher und Wohin fragt“ (Schirmer 1959, 1005). „Das Besondere“ des Buchs sah Sophie Schirmer „in der Darstellung der engen Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, in der Aufdeckung der Zusammenhänge zwischen Krieg und Geschäft“
größere deutsche Städte von industrieller und militärischer Bedeutung. Auf Berlin warfen die Briten am 10./11. September zum ersten Male Bomben in einem Nachtangriff. Das Bild zeigt ein Haus in Berlin, das einem britischen Bombenangriff ausgesetzt war.‘“ Vgl. das aus Lea Grundigs 1956 erschienenen „Gesichte und Geschichte“ bereits zitierte Bild vom Besuch in Auschwitz, wo „auf den zerstampften Grasnarben die Füße laufen“ (Grundig 1960, 261), aber auch das Paul Gerhardt zitierende ‚Gehen‘ bei Albrecht Goes (1968, 148).
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(1006). Zwar erwähnte auch die Besprechung im „Neuen Deutschland“ die ‚forschende Schauspielerin‘, die „wir“ Leser „nach Auschwitz, nach Bergen-Belsen“ „begleiten“, aber stärker betont wurde von Norbert Kai, dass Anne Frank „mit Millionen nicht“ „überlebte“: „sie starb, weil sie Jüdin war“; hervorgehoben wurde im Buch das „jüdische[…] Gedicht“ von den „jüdischen Schuhen in Maidanek‘ (Kai 1959). Ein ganz anderes Bild von einer ‚jungen Generation, die den Faschismus nicht mehr aus eigener Anschauung kennengelernt‘ habe, als die DDR-Zeitschrift für Bibliothekare entwarf am 6. Januar 1959 die Tagung der seit 1956 für jüdische, evangelische und katholische Schüler und Studenten tätigen Arbeitsgemeinschaft Drei Ringe, deren Vorträge unter dem Titel „Männer des Glaubens im deutschen Widerstand“ im Verlag Ter-Namid (Ewiges Licht in der Synagoge) veröffentlich wurden. Es ging darum, was der „Jugend“ und „ihrem skeptisch und kritisch fragenden Blick in Bezug auf die ‚unbewältigte Vergangenheit‘ […] entgegen[zu]halten“ (Geis u. a. 1959, 32) sei, wenn versichert wurde: „Die Generation unserer Söhne und Töchter hat ein Anrecht darauf, so objektiv wie möglich zu erfahren, was wir Väter im Dritten Reich verschuldet, versäumt oder vergeblich versucht haben.“ (26) Die drei Vorträge des Rabbiners Robert Rafael Geis, des evangelischen Religionspädagogen Oskar Hammelsbeck und des Jesuiten Oskar Simmel sind Biographien, die im Vorwort als „beispielhafter Ausdruck“ des „Wesens und Zieles“ der angestrebten „Gemeinschaft von jüdischen und christlichen Jugendlichen“ bezeichnet werden und deren Protagonisten „beispielhafte[…] Konsequenz“ (10) zugeschrieben wird. Das Exemplarische der drei ausgewählten Lebensläufe folgt aus der von den Organisatoren der Arbeitsgemeinschaft Drei Ringe der pädagogischen Vergangenheitsbewältigung gestellten „vordringliche[n] Aufgabe“: der „christlich-jüdischen Verständigung“ durch „Beschäftigung mit der theologischen Problematik und dem Antisemitismus“ (9). Die Porträts des Rabbiners Leo Baeck, der Theresienstadt überlebte, sowie des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer und des katholischen Ordensmanns Alfred Delp, die beide nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurden, haben durch die Beigabe von „Handschriftprobe[n]“ (16, 32, 48) als „Illustrationen“ (7) einen gemeinsamen Zug mit Veröffentlichungen von letzten Briefen, auch wenn nur im Falle Bonhoeffers ein „letzte[r] Brief“ zitiert wird (34), aber doch Baecks „Abschiedsbrief“ (17) vor der Deportation an seine Tochter in London und Delps ‚Frage‘, „‚wie es einmal von unserem Ende, von unserer letzten Stunde her aussehen wird‘“ (52). Entscheidend für die von den drei Porträts hergestellte Gemeinsamkeit ist der Begriff des Martyriums. Für Geis liegt Baecks „Harmonie […] seiner deutsch-jüdischen Symbiose“ (12) darin, dass er „ständig vom Martyrium schrieb“ (16), in dem „Judentum und Christentum sich wirklich begegnen können“ (18). Für Hammelsbeck, der unter Widerstand ausschließlich den 20. Juli versteht, „ist […] das Martyrium der Widerstandsbewegung, der einzige Grund, warum wir uns noch Deutsche nennen und unser Vaterland lieben dürfen, warum wir sog. Christen uns überhaupt noch unter Juden blicken lassen dürfen, warum wir Ehre und Achtung unter Franzosen, Belgiern und Holländern, Tschechen, Polen und Russen zurückgewinnen dürfen“, aber auch,
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„warum wir anderen, die dazugehörten, aber nicht dem Martyrium ausgeliefert wurden, das Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 sprechen und nachsprechen dürfen“ (26). Wenn Hammelsbeck den Tod als „Buße“ der „Schuld“ der ‚Tat‘ des 20. Juli sehr betont (32), weil erst der Tod Bonhoeffers Leben „rundet“ „zu einer unerhört eindeutigen Gestalt und Folgerichtigkeit, zu einem überlieferungsfähigen Auftrag an die Nachlebenden“, einem „Vermächtnis“ (27), so nennt Simmel Delp zwar den „letzte[n], der das deutsche Volk in seiner Gesamtheit von Schuld freigesprochen hätte“ (57), betont aber sehr, dass sich Delp nach Moltkes Verhaftung von den Mitgliedern des Kreisauer Kreises getrennt habe, die den Weg zum 20. Juli einschlugen (57/58). Mit einem Zitat von Freisler bekräftigt Simmel, dass Delp für seine Religion gestorben sei, als Zeuge für „‚die Unvereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus‘“ (69): „Schon an seinem Bild vor dem Volksgerichtshof sieht man es rein äußerlich: er ist ein anderer Mensch geworden.“ (64) Der Hamburger Professor für evangelische Theologie Hans-Rudolf MüllerSchwefe, der vorher die Evangelische Akademie Hofgeismar geleitet hatte, veröffentlichte 1958 in der Reihe „Das Gespräch“ des evangelischen Wuppertal-Barmener Jugenddienst-Verlag eine Broschüre mit der Titel „Unbewältigte Vergangenheit. Vom Gestern im Heute“, die mit einer 2. Auflage im Erscheinungsjahr das 8. Tausend erreichte. Sie stellte kirchlicher Jugendarbeit nicht primär die Aufgabe ‚christlich-jüdischer Verständigung‘, sondern setzte einen anderen Akzent: „Es wäre notwendig, daß wir der Jugend ein nüchternes Bild unserer Liebe und unseres Leidens und unserer Schuld übermittelten. Vor allem wäre es notwendig, daß wir bei ihr für Liebe zu unserem Vaterland werben. Aber diese Zuneigung kann nicht an dem Leiden, an der Schuld vorbei. […] beim Vaterland geht es um das Ja zur Geschichte, zum Handeln des Volkes, geht es darum, daß wir in den Zusammenhang von Schuld und Sühne eintreten.“ (Müller-Schwefe 1958, 23) Müller-Schwefes Ausgangspunkt ist „die Art und Weise, wie wir von der Zeit vor 1945 sprechen“: „Viele haben die Parolen der Widerstandskämpfer übernommen und längst vergessen, verdrängt, wie sie damals selbst gedacht und gehandelt haben. Andere, vielleicht wenige, beharren beim alten Standpunkt und trauern über den Sturz. Aber viel zu wenige halten dem Gericht stand, das sich im Zusammenbruch über ihre eigene Position vollzogen hat. Wir brauchen uns mit den Männern vom 20. Juli nicht zu identifizieren. Aber wir müssen erkennen, daß sie stellvertretend für uns versucht haben, die Ehre der Nation wiederherzustellen.“ (22) Für eine ‚Beschreibung‘, die „nie nur diesseitig“ (30) sein könne, der „Aufgabe“, „unsere Herkunft aus den Händen der Vergangenheit [zu] übernehmen“, die „nur in der Gemeinschaft der Generationen […] gelöst werden“ könne (29), rekurriert Müller-Schwefe auf „Gott selbst“, der „uns ermöglichen“ wolle, „die Vergangenheit aufzuarbeiten“: „Zukunft entsteht aus bewältigter, nie aus unbewältigter Vergangenheit.“ (30)
11 Lothar Kreyssigs Initiative „Aktion Versöhnungszeichen“
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11 Lothar Kreyssigs Initiative „Aktion Versöhnungszeichen“ Um den ‚Zusammenhang von Schuld und Sühne‘ ging es 1958 auch, als der Präses der Evangelischen Kirche der Union in Sachsen Lothar Kreyssig innerhalb der evangelischen Kirche eine gesamtdeutsche Organisation initiierte, die seit 1968 in BRD Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (Staffa 2003, 154) heißt, aber ursprünglich den Namen „Aktion Versöhnungszeichen“ (Skriver 1962, 13) tragen sollte – unter Berufung auf das „Wort“ des Frankfurter Kirchentags von 1956: „‚Unser Friede heißt Jesus Christus. Versöhnung in seinem Namen ist bewältigte Vergangenheit, Freiheit zu neuem, besserem Gehorsam.‘“ (Staffa 2003, 145) Die Veränderung des Namens in „Sühnezeichen“ ging auf die Intervention des Direktors der Evangelischen Akademie Berlin, Erich Müller-Gangloff,²⁵ zurück (145). Ein christliches Verständnis von Schuld und Sühne²⁶ verband sich sowohl mit einer Betonung des deutschen nationalen Zusammenhalts, einerseits zwischen den Generationen, andererseits zwischen Ost und West, als auch mit einer Voraussetzung der Wechselseitigkeit der Vergebung von Schuld zwischen den Völkern. Ein Westberliner Mitarbeiter grenzte in einer Selbstdarstellung der Organisation 1962 die Reisen der Aktion Sühnezeichen von Tourismus ab: „Wir entfliehen der Verantwortung als Söhne und Töchter und als Glieder unseres Volkes nicht, und wir wollen endlich aus dem Teufelskreis der Vergeltung und der Rache ausbrechen […]. Junge Deutsche sind also nicht als Touristen über die Grenze gegangen, […] sondern sie haben bewußt versucht, dort anzuknüpfen, wo der von Hitler, und das heißt letztlich von denen, die Hitler am Tag der Machtergreifung zujubelten, zur Eroberung eines Weltreichs getriebene deutsche Soldat am Ende des Krieges rauchende Trümmer und gebrochene Herzen hinterlassen hatte.“ (Skriver 1962, 147) Die ‚Einsicht‘, die bei den ‚jungen‘ Reisenden ‚durchbreche‘, beschrieb der Vorsitzende des Rats der (damals noch nicht geteilten) Evangelischen Kirche in Deutschland, Kurt Scharf: „‚Wir gehören in die Solidarität, in die Einheit des Volkes, das dieses Ungeheuerliche verbrach. Wir
Vgl. zu Müller-Gangloffs besonderer Position unter den Leitern Evangelischer Akademien: „er sah seine Aufgabe nicht in der Rechristianisierung der bundesdeutschen Gesellschaft, sondern legte die Schwerpunkte der Arbeit […] auf die Bewältigung der Nazi-Vergangenheit und auf die Kommunikation zwischen Ost und West. […] Einen weiteren wichtigen Arbeitsschwerpunkt bildete das jüdischchristliche Verhältnis“ (Mittmann 2011, 39). Von September 1960 bis Juli 1961 wurden von der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg die folgenden Tagungen durchgeführt: „Judenhaß – ein psychologisches Problem“, „Schuldbekenntnis und aktive Buße“, „Israel – Knecht Gottes – Gemeinde“, „Frieden als Gabe, Gebot und Tat in der Geschichte der Kirche“ und „Aktion ‚Sühnezeichen Jerusalem‘“, auf der Müller-Gangloff das Referat „Una Sancta im Sühnezeichen“ hielt, sowie eine Kundgebung der Aktion Sühnezeichen in der Kongresshalle, auf der Heinrich Vogel sprach über „Eichmann in uns“ (Kommunität 1961, Jahresinhaltsverzeichnis). Zur Bedeutung der Schüler, Nachfolger und Nachkommen der von Robert Rafael Geis, Oskar Hammelsbeck, Oskar Simmel hervorgehobenen Kreisauer Theologen und Männer des 20. Juli im durch die Bekennende Kirche bestimmten Netzwerk in der Aktion Sühnezeichen vgl. Legerer 2011, 108 – 112.
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gehören unter seine metaphysische einmalige Schuld. […] Hier kann ein neuer Anfang werden nur durch Vergebung…“ (30) Diese Erwartung, durch Zeichen der Sühne von den Völkern, an denen Deutsche schuldig geworden seien, Vergebung zu erhalten und so zur Versöhnung beizutragen, erlaubte sehr unterschiedliche Akzente in der Bestimmung der Rolle der Aktion Sühnezeichen in den deutschen Nachkriegsgesellschaften. Der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer betonte zwar die nationale Einbindung der Jugend in die „Gemeinschaft von Schicksal und Schuld“, „die mit dem Zusammenhang der Generationen in einem Volk gegeben ist“, aber er stellte auch die Rückwirkung der Reisen auf die Gesellschaft heraus: „Nicht nur die äußeren Folgen lasten noch auf uns, sondern auch die Gesinnung und die Ansichten, aus denen die Greueltaten entstanden, sind noch keineswegs überwunden; auch viele der Jüngeren werden noch von ihnen angesteckt.“ (5) Demgegenüber beschrieb einer der offiziellen Unterstützer, der Westberliner DGB-Vorsitzende Walter Sickert (SPD), die Funktion der Reisen als Ersatz für Militärdienst: „Berlin, wo Aug um Aug gerungen wird, aber auch in Gelassenheit althergebrachten echten Grenzertums[²⁷] um das deutsche Schicksal härter gerungen wird als irgendwoanders auf der Welt, ist mit Recht die Vaterstadt von Sühnezeichen.“ (26) Sickert sah „junge Arbeiter“, die „als [West‐]Berliner ausgespart vom Dienst mit der Waffe“ seien, „das schöne Vorrecht der Versöhnung und nachbarlicher Gesinnung über die Grenzen hinaustragen“ (26).
Vgl. die Antwort, die Robert Rafael Geis auf der ersten Seite seines Porträts von Leo Baeck gibt auf die Frage: „Wer war der Mann, der vielleicht als einziger unter den Juden Deutschlands bis in die allerdunkelsten Tage Kontakt zu den Männern des Widerstandes, vor allem den [sic] Adel hatte? Leo Baeck hat 1935 in einem kurzen Aufsatz [Almanach des Schocken-Verlags (1935/36) S. 53 – 63] sehr Wesentliches über die Gestalt des deutschen Judentums gesagt und in seinen Formulierungen ein Stück Selbstinterpretation gegeben. Er spricht da von dem Judentum der östlichen Provinzen Deutschlands und legt dar, wie dort nicht nur der Jude, sondern auch der Christ, der aus dem alten Deutschland als Kolonist gekommen war, in einem Volk lebte, von dem er sich abgesondert fühlte. Christen und Juden waren im deutschen Osten gleicherweise Fremde, eine ‚Besonderheit und Besonderheiten‘.“ (Geis u. a. 1959, 11/12)
VI ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ und ‚Kampf dem Atomtod‘ In der von der SPD im März 1958 eröffneten Kampagne „Kampf dem Atomtod“ waren es die ihr verbundenen Jugendorganisationen, die sich im Laufe des folgenden Jahres, als die Partei sich aus der entstandenen Bewegung zurückzog, nicht nur gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr, sondern auch für ‚eine weltweite Politik der Abrüstung, Entspannung und der Beseitigung der Kalten Krieges‘ einzusetzen begannen: die Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken, die Naturfreundejugend, die Jungsozialisten in der SPD und der Sozialistische Deutsche Studentenbund sowie die Gewerkschaftsjugend. Der langjährige stellvertretende Bundesvorsitzende und Chefredakteur des SDS-Bundesorgans „Standpunkt“ Gerhard Schoenberner, der schon 1957 auf Einladung der polnischen Studentenzeitschrift „Pro Postu“ in Auschwitz-Birkenau gewesen, veröffentlichte 1960 den ersten BildText-Band über die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden in der BRD: „Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 – 1945“; der nicht aus dem britischen Exil zurückgekehrte österreichisch-jüdische Schriftsteller Robert Neumann erarbeitete für die niedersächsische Landeszentrale für Heimatdienst eine Rundfunksendung: „Ausflüchte unseres Gewissens. Dokumente zu Hitlers ‚Endlösung der Judenfrage‘ mit Kommentar und Bilanz der politischen Situation“. Die im Untertitel genannte ‚Situation‘ war die durch die antisemitischen Schmierereien und Schändungen gezeichnete vom Jahresende 1959. Seit dem ersten Ostermarsch der Atomwaffengegner am Karfreitag 1960 wurde die – auch nach dem Bau der Mauer in Berlin 1961 – stetig wachsende Ostermarsch-Bewegung organisatorisch getragen von einem Netzwerk von Zeitschriften, zu dem „Das Argument“ gehörte, das unmittelbar aus dem Studentenkongress gegen Atomrüstung im Januar 1959 in Westberlin hervorging, dessen Forderung einer Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und von Verhandlungen mit der DDR das SPD-Parteipräsidium zur Trennung vom SDS veranlasste. Zwar vermied die Ostermarsch-Bewegung 1961 eine offizielle Empfehlung, die Deutsche Friedensunion (DFU) zu wählen, die von Klara Maria Faßbinder, die seit 1951 die Westdeutsche Frauen-Friedensbewegung leitete, und der 1960 zur Aufgabe ihres Amts veranlassten Pädagogikprofessorin Renate Riemeck 1961 gegründet wurde, aber Albert Schweitzer genehmigte, dass sein Foto auf deren Wahlplakaten verwendet wurde. Auf den Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer berief sich 1961 Hans-Walter Bähr, als er seiner eigenen Wiederaufnahme der Tradition mit „Kriegsbriefe gefallener Studenten 1939 – 1945“ von 1952 im Jahre 1961 ein radikales Gegenbild entgegenstellte: „Die Stimme des Menschen. Briefe und Aufzeichnungen aus der ganzen Welt“. Ein Gegenbild in einem anderen Sinn ließ der nach Atomwaffen strebende Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß von ungenannten Mitarbeitern seines Ministeriums herausgeben: „Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden“, die schon 1935 in Hans-Joachim Schoeps’ VortruppVerlag vom Reichsbund jüdischer Frontsoldaten herausgebracht worden waren.
In der von der SPD im März 1958 eröffneten Kampagne „Kampf dem Atomtod“ waren es die ihr verbundenen Jugendorganisationen, die sich im Laufe auch des folgenden Jahres, als die Partei sich aus der entstandenen Antiatom-Bewegung zurückzog,¹ nicht nur „gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr“, sondern auch „für eine weltweite Politik der Abrüstung, Entspannung und der Beseitigung der Kalten Krieges“ einzusetzen begannen: „Die Gewerkschaftjugend, die Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken […], die Naturfreundejugend, die Jungsozialisten in der SPD und der Sozialistische Studentenbund Deutschlands“ (Hochmuth 1959, 94), wie
Vgl. Peitsch 1999. https://doi.org/10.1515/9783050095851-008
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VI ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ und ‚Kampf dem Atomtod‘
das Hamburger VVN-Mitglied Ursel Hochmuth, „Tochter eines ermordeten Widerstandskämpfers“ (Internationale Hefte 2 (1960 S. 6), im November 1959 in Florenz einer Konferenz der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer zum Thema „Die Widerstandsbewegung und die junge Generation“ berichtete.² In der Diskussion sagte Wilhelm Herzog, ein „früherer Lehrer“ (6) aus Dortmund (Internationale Hefte 4 (1960) S. 124), zwar einerseits, dass „zur Zeit in der Bundesrepublik mehr über die Bewältigung der Vergangenheit geschrieben und gesprochen als dafür getan“ werde (76), betonte aber andererseits als „das Echo in der Jugendbewegung, das ‚Anne Frank‘ gefunden hat“, dass „die jüngste [Generation], die heute auf den Bänken der Volks-, Berufs-, Mittel- und höheren Schulen sitzt, die in Gewerkschaften und Jugendvereinigungen organisiert ist“, „die Initiative ergreift, um die Schmach ihrer Väter zu tilgen, Pilgerfahrten zu den Märtyrerstätten zu organisieren, wie es z. B. die Gewerkschaftsjugend getan hat in Bergen Belsen […] oder die Gesellschaft für jüdischchristliche [sic] Zusammenarbeit“ (74). Die mehrheitlich jugendliche Teilnahme 1958 an der Gedenkfeier für die am Karfreitag 1945 im Dortmunder Rombergpark ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen kontrastierte mit der „geringe[n] Resonanz“ (Meyer 2015, 213) des Aufrufs der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten, die Kristina Meyer aus dem „etabliert[en…] Widerstandsnarrativ“ des Parteivorstands erklärt mit seiner „totalitarismustheoretisch inspirierte[n] Verbindungslinie zum 17. Juni 1953“ (214). Als exemplarisch zitiert sie die Rede eines Parteivorstandsmitglied „Sie haben stellvertretend für uns gehandelt“ zum 20. Juli 1958: „Carlo Schmid bezeichnete die Verschwörer […] als ‚Kreuzritter in einem heiligen Krieg‘, verglich ihre Tat mit der des heiligen Georg, der ‚auszog, den Drachen zu töten‘; er sprach von der Gewaltherrschaft des ‚Unmenschen‘, dem das deutsche Volk als Werkzeug habe dienen müssen, vom Verdienst der Widerstandskämpfer, das Volk von dieser Schande befreit und ihm die gestohlene Ehre wiedergegeben zu haben.“ (214) Dagegen war auf den Schleifen des Kranzes, den der Hamburger Landesverband der Falken im Mai 1958 in Bergen-Belsen am Ende der Pilgerfahrt zu Anne Frank niederlegen ließ, zu lesen: „Die Toten verpflichten die Lebenden“ und „Kein neues Bergen-Belsen, kein neues Hiroshima“ (Schieber 2016, 169). Die Deutung einer mit der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr drohenden Gefahr einer Massenvernichtung – Konzentrationslager und Krieg parallelisierend – als Gefahr einer Wiederholung der In ihrer in der DDR geschriebenen und unter dem Pseudonym Ursula Puls publizierten Dissertation über „Die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe“ bezog Ursel Hochmuth den zur Schulze-Boysen/HarnackGruppe gehörenden Wilhem Guddorf ein, wie sie betonte, nicht auf der Basis von Dokumenten, sondern „Konsultationen einer großen Anzahl ehemaliger Kämpfer der Hamburger Widerstandsgruppen“ (Hochmuth 1959, 6). Insbesondere Guddorfs Aufzeichnungen zu seiner Lektüre von Faulkner und Joyce, aber auch von Belinskis „Brief an Gogol“ nannte sie „von unerhörter Aktualität“ (190), denn: „Der heroische Kampf der besten Söhne und Töchter unseres Volkes in den zwölf Jahren der Hitlerdiktatur übergibt […] allen demokratischen und fortschrittlichen deutschen Menschen das Vermächtnis, durch gemeinsames Handeln rechtzeitig zu verhindern, daß die militaristisch-klerikalen und neofaschistischen Kräfte in Westdeutschland unser Volk und andere Völker […] in den Abgrund eines dritten Weltkrieges stürzen können.“ (6)
1 Hans-Joachim Iwand und Martin Riesenburger über die ‚Reichskristallnacht‘
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Vergangenheit ist nicht Bestandteil einer Resolution, die zur Trennung der SPD von ihrem Studentenverband führte. Auf dem Berliner Studentenkongress gegen Atomrüstung am 1.–3. Januar 1959 (Rupp 1980, 250) wurde eine Resolution angenommen, „in der die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie und Verhandlungen mit der DDR gefordert wurden“ (Gremliza 1987, 27) und die von einer nach der seit 1957 existierenden Hamburger zunächst Studentenzeitschrift „Konkret“ oder nach dem damaligen SDSBundesvorsitzenden Oswald Hüller (Kritidis 2008, 483) benannten Fraktion eingebracht worden war. Am Kongress teilgenommen hatten aber außer prominenten Sozialdemokraten wie Helmut Schmidt auch evangelische Theologen wie Heinrich Grüber, Erich Müller-Gangloff und Helmut Gollwitzer. Gollwitzer publizierte mit KollegInnen vor allem der Freien Universität im „Tagesspiegel“ am 11. Januar 1959 eine Zurückweisung der „Mißdeutungen in der Öffentlichkeit“ (Kraushaar 1996, 2078), dass die Resolution „von der SED ‚ferngesteuert‘“ (Rexin 1984, 71/72) sei: „‚Nicht der Kongreß, sondern seine Diffamierung ist ein alarmierendes Zeichen dafür, wie sehr die Selbständigkeit politischen Denkens heute gefährdet ist, zu der wir seit langem der studentischen Jugend Mut machen und weiter Mut machen werden.‘“ (Kraushaar 1996, 2078)
1 Hans-Joachim Iwand und Martin Riesenburger über die ‚Reichskristallnacht‘ Der evangelische Theologe Hans-Joachim Iwand, der im März 1958 zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs eines vom SPD-Parteivorstand initiierten Arbeitsausschusses „Kampf dem Atomtod“ gehört hatte (Rexin 1984, 66), hielt auf der Konferenz der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung zum 20. Jahrestag des 9. November 1938 den Hauptvortrag, der in dem Konferenzband erschien: „Die Reichskristallnacht. Der Antisemitismus in der deutschen Geschichte“ (1959). Iwand war, wie bereits erörtert, 1952 einer der moraltheologischen Gutachter im Braunschweiger Remer-Prozess zum 20. Juli gewesen, hatte 1950 im Deutsch-Französischen Bruderrat aus der Bekennenden Kirche die von „Franzosen“ gewünschte „Bereitschaft Westdeutschlands, einen Verteidigungsbeitrag zu leisten“, entschieden zurückgewiesen, „weil dadurch der deutsche Nationalismus gefördert würde, bis zur Bereitschaft zum Krieg für die Rückgewinnung der verlorenen Ostgebiete“, und „auf die Öffnung Europas gegenüber dem Osten“ ‚gedrängt‘ (Greschat 2010, 370). 1951 deutete Iwand „die breite Ablehnung der Wiederbewaffnung in Deutschland als Ausdruck einer ‚tiefen Umkehr‘ des deutschen Volkes“ (109) und 1957 begründete er seine Ablehnung des Vertrags mit der Bundesregierung über Militärseelsorge in der Bundeswehr damit, „‚dass die Evangelische Kirche heute die Heimat der noch nicht miteinander völlig zerfallenen Deutschen ist – ein wesentlicher Faktor für die, die noch wissen, dass es ein Deutschland gibt‘“ (267). Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung sprach Iwand 1958 über den Beitrag der Literatur und der Geschichtswissenschaft zu einer Vergangenheitsbewältigung, die er in reli-
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VI ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ und ‚Kampf dem Atomtod‘
giösen Begriffen von Umkehr als Wiedergeburt (Friedrich-Ebert-Stiftung 1959, 38) moralisch verstand. Auch wenn er die Bedeutung der Edition von Dokumenten, wie dem von der Bundeszentrale für Heimatdienst herausgegebenen ‚Gerstein-Bericht‘, und z. B. von Gerald Reitlingers „Darstellung“ der ‚Endlösung‘ anerkannte, um den „Kampf gegen das Judentum als innerste Devise des Nazitums“ (35) zu erkennen, behauptete er eine Überlegenheit der Literatur über die Geschichtswissenschaft, weil nur das Lesen von „Einzelschicksale[n]“ zu Umkehr und Wiedergeburt führen könne: Der Leser werde „von dem Geschehen […] so erfaßt, daß neue Realitäten einbrechen und neue Maßstäbe der Bewältigung sichtbar werden“ (38). Diese bestimmte er so, dass die „Sprache der Schuld […] in der Innerlichkeit unseres Selbst angenommen“ (38) werde, weil sie in der Literatur nicht „öffentliches Gerede“ (37) sei, in dem es um ‚Juristisches‘ und ‚Statistisches‘ gehe, sondern von „Einzelschicksale[n]“ (38) ausgehe. Als literarische Werke, die auf diese Weise wirkten, nannte Iwand „Das Tagebuch der Anne Frank“, H. G. Adlers – auch von der Bundeszentrale für Heimatdienst 1958 herausgegebene Broschüre – „Der Kampf gegen die Endlösung der Judenfrage“, John Herseys „Der Wall“ über den Aufstand des Warschauer Ghettos, dessen deutsche Übersetzung ein Jahr nach Erscheinen 1951 herauskam und 1956 als rororo-Taschenbuch wiederaufgelegt wurde, während seine 1946 englisch erschienene Reportage „Hiroshima: 6. August 1945, 8 Uhr 15“ erst 1982 in der BRD gedruckt wurde, Albrecht Goes’ „Das Brandopfer“ und Alfred Anderschs „Sansibar oder der letzte Grund“. Indem Iwand die spezifische, vom ‚öffentlichen Gerede‘ abgegrenzte Fähigkeit der Literatur betonte, den individuellen Leser eines jüdischen Einzelschicksals (religiös‐) moralisch zu verändern, hatte er teil an der Veränderung der Verwendung des Begriffs bewältigen/Bewältigung, die sich seit 1958 in der öffentlichen Rede von Vergangenheitsbewältigung in der BRD vollzog, zur Bewältigung bisher unbewältigter Vergangenheit, ohne dass er jedoch vor der Friedrich-Ebert-Stiftung Stellung nahm zu der in der evangelischen Kirche heftig umstrittenen „Parallelisierung der Situation der Bekennenden Kirche mit der gegenwärtigen Lage: Handelte es sich bei der Atomfrage nicht prinzipiell um dieselbe Herausforderung, wie damals bei der ‚Judenfrage‘?“ (Greschat 2010, 280) Als „Mahnung an manche Christen, die Vorurteile gegen ihre jüdischen Mitbürger noch nicht völlig überwunden haben“ (Riesenburger 1958, 5), veröffentlichte der Verlag der DDR-CDU 1958 Predigten, die der Berliner Rabbiner Martin Riesenburger im DDR-Rundfunk von 1949 bis 1958 gehalten hatte, unter dem Titel: „Also spricht dein Bruder“. Darunter waren zwei „Gedenkpredigt[en] zum Jahrestag der Kristallnacht“, „Besinnen wir uns“ (80 – 83) als erste, „Ich reiche euch die Hand“ als zweite, zum 19. Jahrestag des Pogroms (96 – 98); auch die dritte „Gedenkpredigt“ – „Warum? Gedenkpredigt für die Opfer des Faschismus“ (43/44) – endet mit dem Wort „Völkerfrieden“ (44, vgl.82, 98), in dem Riesenburger „jüdischen Glauben“ (43) und „Sittlichkeit“ der „gesamten Menschheit“ (44) zusammenfasst: „diese Kristallnacht war das Fanal für den Beginn der dunkelsten Tage und Jahre der ganzen Weltgeschichte. – Lasset uns nicht nur immer gedenken, sondern ernsthaft nachdenken. Lasset uns
2 ‚unbewältigte Vergangenheit‘ und ‚Vergangenheitsbewältigung‘
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gemeinsam Stein für Stein zusammentragen zum höchsten Gebäude der Sittlichkeit, dieses soll den heiligen Namen tragen: Völkerfrieden!“ (82) Während die katholischen Bischöfe die atomare Aufrüstung der Bundeswehr unterstützten, hatten die „bekanntesten Persönlichkeiten“ des bundesrepublikanischen Linkskatholizismus wie Heinrich Böll und die Herausgeber der „Frankfurter Hefte“ Eugen Kogon und Walter Dirks den SPD-Aufruf „Kampf dem Atomtod“ vom 10. März 1958 unterzeichnet (Rupp 1980, 135).³ In der auch durch diesen Gegensatz motivierten ersten kirchenkritischen Buchpublikation im bundesrepublikanischen Katholizismus, „Christ und Bürger. Heute und Morgen“, zu der Böll, Dirks und Gerd Hirschauer, verantwortlicher Redakteur der „Werkhefte katholischer Laien“, beitrugen, meinte für den Herausgeber Alfred Horné „Buße unserer Schuld: die Vergangenheit zu bewältigen“ (Horné 1958, 249). Dirks verband 1960 in den „Frankfurter Heften“ in der religiösen Rede von ‚bewältigen‘ „moralische[…] Gewissenserforschung“ und politische Analyse unter dem Titel „Unbewältigte Vergangenheit – demokratische Zukunft“ (Dirks 1960, 157). ‚Unbewältigte Vergangenheit‘ kennzeichnete für Dirks die „geistig-moralische Verfassung der Nation“ der bundesrepublikanischen Gegenwart, Vergangenheitsbewältigung zielte auf eine demokratische Zukunft. Hierfür schlug Dirks vor, „ruhig“ das „Schema“ der „katholischen Beichtpraxis“ zu „säkularisieren“: „die Anrufung des Heiligen Geistes, die Gewissenserforschung, die Reue, das Bekenntnis, der gute Vorsatz, die Wiedergutmachung“ (157).
2 Entgegensetzung von ‚unbewältigter Vergangenheit‘ und ‚Vergangenheitsbewältigung‘ 1958 hatten die „Frankfurter Hefte“ „Zum dreizehnten Jahrestag der Befreiung von Auschwitz“ den Text der Auschwitz-Überlebenden Lucie Begov gedruckt „Erinnert
Im Folgenden wird weder Daniel Gersters noch Frank Biess’ These gefolgt zur Angst in der BRDGesellschaft im Übergang von den 50er zu den 60er Jahren; Gerster behauptet, dass „die große Angst vor dem Kalten Krieg mit dem Ende des Koreakonflikts 1953 bereits abgeflaut war“ (Gerster 2014, 254) und deshalb sowohl die von den offiziellen katholischen theologischen Befürwortern der atomaren Bewaffnung benutzte „moralisierende Endzeitrhetorik“ als auch der „Rückgriff katholischer Atomwaffengegner auf Massenmordsemantik“ (254) von „Judenvernichtung und Völkermord“ (248) „nur begrenzt“ Erfolg gehabt haben, wobei Gerster deutlich wertet, indem er den „im Wesentlichen um die beiden Zeitschriften ‚Frankfurter Hefte‘ und ‚Werkhefte‘“ „gruppierten“ Gegnern (246) vorwirft, dass sie „in ihrer Kritik an der nuklearen Bewaffnung den semantisch nüchternen Grund katholischer Debatten bisweilen verließen“ (247). Biess dagegen schließt die „Protestbewegung gegen die Nuklearbewaffnung der Bundeswehr“ als „bereits in den Blick genommen“ (Biess 2019, 133: von Nehring 2013) von seiner Untersuchung aus, um stattdessen an der „Rezeption der offiziellen Zivilschutzkampagnen“ deren allerdings durchs Fortbestehen „nie ganz beseitigte[r] Zweifel an de[…]m Sicherheitsversprechen“ begrenzten ‚Erfolg‘ (133) zu zeigen: „Adenauers politische Strategie im Kalten Krieg bestand in der Übertragung der Angst von einem Objekt (Atomkrieg) auf ein anderes (Kommunismus).“ (132)
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euch!“, der auf die „Lagerperspektive“ des „Grauen[s]“ und den „Freudenschrei des wiedergewonnenen Lebens“ am „Tag der Tage“ (Begov 1958, 273) eine Zeit folgen lässt, wo „langsam“ „die leuchtenden Farben verblaßten“, um mit dem Satz zu schließen: „Geht wirklich und wahrhaftig keine Kraft von der Erinnerung an jene Jahre aus, in denen Auschwitz gewiß das Schlimmste, für noch so vieles andere Grauen, aber auch für so viel heiße, gute Hoffnung stand?“ (274) Der von der Bundeszentrale für Heimatdienst im selben Jahr herausgegebene Erlebnisbericht einer anderen Auschwitz-Überlebenden, Grete Salus’ „Eine Frau erzählt“, schließt: „Was die Welt nach dem Kriege zu sehen bekam, das waren nicht gerade Repräsentanten eines heroischen Schicksals. Das waren arme, verstörte Menschen, mit nur einem Wunsche ihres gemarterten Menschentums, alle KZ-Merkmale abzuschütteln und endlich normale Menschen zu werden unter normalen Lebensbedingungen. […] Es gab stilles Heldentum in diesen tausenderlei verschiedenen Menschenschicksalen, aber dies zu schildern, da es sich ohne jedwede besondere Effekte vollzog und in der heutigen Atmosphäre auch nicht als solche gewertet würde – ein müßiges Beginnen.“ (Salus 1958, 94) Die einzige sprachwissenschaftliche Untersuchung, die vorliegt, Thorsten Eitz’ und Georg Stötzels „Wörterbuch der ‚Vergangenheitsbewältigung‘. Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch“, kommt zu dem Ergebnis, „dass sich (erst […] 1965) die heute dominierende Vokabel ‚Vergangenheitsbewältigung‘ als Konkurrenzvokabel zu den bis dahin üblichen Ausdrücken ‚Bewältigung der Vergangenheit‘, ‚Vergangenheit bewältigen‘, ‚unbewältige Vergangenheit ‘ und ‚Auseinandersetzung mit‘ bzw. ‚Aufarbeitung der Vergangenheit‘ etablierte.“ (Eitz/Stötzel 2007, 608) Obwohl die Linguisten mit Recht den (sehr wenigen) Historikern, die Skizzen zur Begriffsgeschichte vorgelegt haben (Klingenstein 1988, Dudek 1992, Kohlstruck 1997), vorwerfen, „zwischen den unterschiedlichen Kollokationen und […] dem Kompositum nicht [zu] differenzieren (Eitz/Stötzel 2007, 603), haben sie selbst sowohl darauf verzichtet, den Kollokationen des Verbs ‚bewältigen‘ nachzugehen, die mit Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit in den 1950er Jahren in Gebrauch kamen, als auch die Entgegensetzung von ‚unbewältigter Vergangenheit‘ und ‚Vergangenheitsbewältigung‘ zu datieren. Von ‚bewältigen‘ wurde literaturkritisch, geschichtswissenschaftlich und theologisch im Bezug auf die NS-Vergangenheit gesprochen, nämlich als literarisch „gültig gestalte[n]“ (Winckler 1952, 375), wissenschaftlich „Geschichte und Gegenwart“ (Heimpel 1951/1954, 30) „geistig“ (Hermann Mau 1950 zit. in Berg 2003, 537) „[v]ersöhn[en]“ (Heimpel 1951/1954, 30) und religiös „in den Zusammenhang von Schuld und Sühne eintreten“ (Müller-Schwefe 1958, 23).⁴ Im Feld der katholischen Publizistik lassen sich alle drei Verwendungsweisen um 1959 belegen.
Vgl. die partiell abweichende Erklärung der neuen Begriffsverwendung aus dreierlei „Herkunft“: der Theologie, der Geschichtswissenschaft und der Medizin/Psychoanalyse, Hardtwig 2007, 176.
2 ‚unbewältigte Vergangenheit‘ und ‚Vergangenheitsbewältigung‘
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In den „Frankfurter Heften“ rezensierte der WDR-Redakteur Roland H. Wiegenstein Paul Schallücks Roman „Engelbert Reinecke“, die Geschichte der Rückkehr eines jungen Lehrers an die Schule, in der sein – im KZ umgebrachter – Vater von Kollegen denunziert worden war; Wiegenstein betont: „Paul Schallück hat für seinen Roman keine leicht zu bewältigende Form gewählt.“ (Wiegenstein 1959, 453) Im „Hochland“, das neben den „Stimmen der Zeit“ das „wichtige[…] Forum“ der offiziellen „Teilnahme der Katholiken am Zeitgespräch“ (Hummel 2002, 292) war, benutzte dessen Literaturkritiker Wolfgang Grözinger „bewältigt“ durchgängig für die „als gelungen angesehene[…] Durchdringung […] eines Stoffes, von dem aus das Werk nicht beurteilt werden durfte“ (Rotermund/Ehrke-Rotermund 2004, 38); er lehnte allerdings nicht von vornherein „viele jüngere Autoren“ ab, die „dem Primat der Realität“ „huldigen“ und „weitgehend auf Erdachtes“ „verzichten“: „Sie huldigen einem moralischen Realismus, der die Flucht vor einer unbewältigten Wirklichkeit in die Literatur ablehnt“ (289), hieß es 1960 dann in einer Sammelrezension. Die katholische Studentenverbindung Einigung publizierte in ihrer gleichnamigen Zeitschrift im November 1959 die Programme einer an dreizehn Universitäten und Hochschulen von ihr im Wintersemester 1959/60 in den katholischen Studentengemeinden veranstalteten Vortragsreihe mit dem Titel „Bewältigung der Vergangenheit“. Die angekündigten Redner waren katholische Mitarbeiter des Münchener Instituts für Zeitgeschichte. Die Titel der Vorträge variierten, aber die Themen hielten sich an ein einheitliches Schema: jeweils ein Vortrag war vorgesehen zum antireligiösen Wesen des Nationalsozialismus, zur Innen- und zur Außenpolitik, zur Machtergreifung und zur „totalitäre[n] Struktur des Nationalsozialismus – Parallelerscheinungen heute“ (Bewältigung 1959, 4). Am häufigsten angekündigt wurde Hans Buchheim, der im selben Monat auch den Hauptvortrag in einer Sendung des WDR hielt, „Der Führer ins Nichts. Eine Diagnose Adolf Hitlers“. Die Veröffentlichung in Buchform – auch „[f]ür den zeitgeschichtlichen und gegenwartskundlichen Unterricht an Schulen und sonstigen Bildungsstätten […] in einer Schulausgabe“ – sollte „nachholen, was an Aufklärungsarbeit versäumt worden ist“ (Buchheim 1960, 3), weil „die auf Hitlers Schuldkonto gehende Zeit der Leiden und Opfer, der Vernichtungsläger, des GestapoTerrors und der Bombennächte, ja sogar die durch ihn verursachte, in ihren Auswirkungen noch weit in die Zukunft nachspürbare Zerstörung des Deutschen Reiches schneller vergessen wurden, als dies im Interesse einer echten geistigen Bewältigung der Vergangenheit lag“ (2). Die Delegierung von Schuld allein an Hitler ermöglicht ‚echte geistige Bewältigung‘ im schon in den frühen 1950er Jahren geprägten Sinn von ‚Versöhnung‘ von ‚Geschichte und Gegenwart‘.
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VI ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ und ‚Kampf dem Atomtod‘
3 Erzieherkonferenz der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Konferenz „Die Widerstandsbewegung und die junge Generation“ der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) in Florenz im November 1959 Die Gefahr eines atomaren Krieges wurde auf den beiden Konferenzen, die im November 1959 „die Vergangenheitsbewältigung als zentrale pädagogische Aufgabe fixiert[en]“ (Albrecht 2000, 239), auf unterschiedliche Weise thematisiert. Auf der „Erzieherkonferenz“ der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?“ in Wiesbaden schlug Adorno, wie bereits zitiert, einer „demokratische[n] Pädagogik“ (Adorno 1963, 141) vor, gegen „offene und verkappte faschistische Erneuerungen“ auf die „unmittelbaren“ „Interessen“ (145) zu verweisen: „Erinnert man die Menschen an das Allereinfachste: daß Krieg Leiden und Mangel […] zeitigen […]. So vergessen […] sind Stalingrad und die Bombennächte trotz aller Verdrängung nicht, daß man den Zusammenhang zwischen einer Wiederbelebung der Politik, die es dahin brachte, und der Aussicht auf einen dritten Punischen Krieg nicht allen verständlich machen könnte.“ (145/146) Mit dem ‚dritten punischen Krieg‘ griff Adorno auf ein Bild zurück, das Bertolt Brecht 1951 in seinem „Offenen Brief an die deutschen Schriftsteller und Künstler“ geprägt hatte: „Das große Carthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.“ (Brecht 1967, 496). Auf der auch im November 1959 durchgeführten Konferenz der FIR in Florenz „Die Widerstandsbewegung und die junge Generation“ stand der größte Teil des von Roberto Battaglia erstatteten „Einführungsbericht[s]“ unter der Überschrift „VI. Die junge Generation und ihre demokratische Erziehung“ (Battaglia 1960, 31– 36). Battaglia ging von folgender Einschätzung aus: „Wer kann heute mit gutem Gewissen behaupten, daß es in irgendeinem Land noch eine Jugend gibt, für die der Krieg, nach der Definition der Faschisten, ‚die höchste Läuterung der Welt‘ bedeutet, […] die glaubt, daß man durch den Mord an seinesgleichen ‚zu einem vollkommenen Menschen‘ wird? Es steht im Gegenteil außer Zweifel, daß die junge Generation überall den festen Willen zum Frieden hat.“ (33) Er wiederholt etwas später diese Einschätzung, verbunden mit einer Erklärung: „heute tritt in ganz Europa die in der unmittelbaren Nachkriegszeit geborene Generation ins Leben ein, die vom Krieg nur entfernte, wenn auch unauslöschliche Erinnerungen hat und zwar solche aus der ersten Kindheit, die bei so vielen jungen Menschen heute weiterwirken und den ‚Abscheu vor dem Krieg‘ hervorgerufen haben, den ich schon als gemeinsamen Zug der jungen Generation aufgezeigt habe.“ (35) Aber deren „Vakuum“ an eigener „Erinnerung“ könne „zu einem furchtbaren Abgrund werden, wenn nicht zwischen Vergangenheit und Zukunft die[…] Brücke der Geschichtskenntnis […] geschlagen“ (35) werde. Dies sei „die Aufgabe“ der FIR: „neue[…] Beziehungen, die zwischen der Widerstandsbewegung und der heutigen Jugend hergestellt werden müssen“ (36). Er wirft jedoch das Problem
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noch eines anderen ‚Vakuums‘ auf, wenn er rhetorisch fragt: „Aber wissen die jungen Deutschen, und nicht nur die jungen Deutschen, sondern die jungen Menschen ganz Europas, wie ihre Väter diese tragischen Ereignisse wirklich durchlebt haben, die heute für so viele von ihnen zu einer unbekannten Vergangenheit geworden sind?“ (36) Battaglia beantwortet die Frage mit dem Zitat von „Ausschnitten“ aus einem noch aus Stalingrad ausgeflogenen, von der Zensur beschlagnahmten Soldatenbrief: „‚Die Zeit wird kommen, wo jeder vernünftige Mensch in Deutschland diesen Krieg verfluchen wird und du wirst verstehen, wie unsinnig es war, von der Fahne zu sprechen, unter der ich siegen sollte.‘“ (36) Durch den Vergleich des „mit dem letzten Flugzeug“ aus Stalingrad beförderten Briefs mit letzten Briefen europäischer Widerstandskämpfer leitet Battaglia zum letzten Abschnitt seines ‚Einführungsberichts‘ über, zu „VII. Die pädagogischen Prinzipien der Widerstandsbewegung“ (37– 39); er interpretiert das Zitat: „Hier liegt das bedeutendste Zeugnis vor, das wir heute über die seelische Verfassung der ‚anderen Seite‘ besitzen und das – auf Grund der Stärke der Gefühle, der schmerzlichen Klarheit dessen, der den Tod erwartet, der Vorahnungen der Zukunft, die es enthält – mit den Briefen der zum Tode Verurteilten der europäischen Widerstandsbewegung verglichen werden kann. Gerade dort, wo […] der entscheidende Schock des Zweiten Weltkrieges erfolgte – dort […] hat der Feind die Grundlagen einer gemeinsamen Humanität wiedergefunden.“ (36) Auf diese als einen „universellen Sinn“ bezieht sich dann auch Battaglias Präsentation seiner ‚pädagogischen Prinzipien‘ – in Abgrenzung von „zu enge[n]“ „Feiern des Heldenkults“ – als eines möglichen Beitrags zur „Lösung des wesentlichen Problems der zeitgenössischen Kultur, nämlich des Problems, trotz der verschiedenen Gesellschaftssysteme und Ideologien, eine gemeinsame Sprache zu finden“ (37). Einer ‚Zusammenfassung‘ der ‚pädagogischen Prinzipien‘ stellt Battaglia ein – der Gefahr des atomaren Krieges in einer in Westen und Osten geteilten Welt entgegengesetztes – Bild des Ziels einer Pädagogik der Widerstandsbewegung voran: „Ein nach diesen Grundsätzen erzogener junger Mensch ist nicht mehr ein junger Bürger der zweigeteilten Welt, des Ostens oder des Westens, sondern ein Typus von jungen Menschen, in den wir unsere Hoffnung, unser Vertrauen, [sic] und unsere Gewißheit in den endgültigen Sieg der Kultur setzen können.“ (37) Die ‚Grundsätze‘ selbst aber belegt Battaglia mit neun Zitaten aus den letzten Briefen hingerichteter europäischer Widerstandskämpfer, die bis auf einen, den Italiener Teresio Olivelli (38), auch in der deutschsprachigen Ausgabe von Piero Malvezzis und Giovanni Pirellis Anthologie „Und die Flamme soll Euch nicht verbrennen“ vertreten waren: die Österreicher Franz Mittendorfer (37; Malvezzi/Pirelli 1956, 479 – 481) und Rudolf Fischer (485/487; Battaglia 1960, 39), die Griechin Dimitra Tsatsu (38; Malvezzi/Pirelli 1956, 278/279), die Jugoslawin (irrtümlich als Griechin bezeichnet von Battaglia 1960, 38) Aleksandra Ljubic (Malvezzi/Pirelli 1956, 391/392), die sowjetische Partisanin Ljuba Schewzowa (564), der Däne Kim Malthe-Bruun (121– 123), der Deutsche Rudolf Seiffert (178 – 180) und der Franzose Daniel Decourdemanche (209 – 211). Battalgias Zusammenfassung der Zitate als „Grundsätze“ interpretiert die letzten Briefe als – von den SchreiberInnen aus gesehen – Übernahme der Verantwortung für
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eine Entscheidung und – von dem Adressaten aus gesehen – Aufnahme der Fähigkeit hierzu. Er formuliert deshalb appellativ, zuletzt ins inklusive Wir wechselnd: „Die Fähigkeit zu verstehen, daß die erste Handlung, die im Leben vollbracht werden muß, eine Wahl ist, eine Wahl zwischen all dem, was sich dem Fortschritt widersetzt [sic] und all dem, was ihn verkörpert, wie es ja gerade auch diese unabweislichste und ernsteste aller Entscheidungen war, die von den Patrioten und jungen Menschen seinerzeit zu treffen war. […] Die Fähigkeit, die Folgen auf sich zu nehmen, die Gefahren und Opfer, die diese Wahl mit sich bringt, sobald sie einmal getroffen worden ist, wenn es wahr ist, daß die Welt überall vorwärtsschreitet, wenn wir nur unseren Idealen treu zu bleiben verstehen und hartnäckig handeln“ (Battaglia 1960, 37) Zwar zitiert Battalgia nur einen der auch von Thomas Mann im Vorwort zur Anthologie von Malvezzi und Pirelli zitierten Widerstandskämpfer, Franz Mittendorfer, aber am Schluss seines ‚Einführungsberichts‘ benutzt er für das Weiterleben der Hingerichteten dieselbe Metaphorik organischen Lebens wie Thomas Mann, allerdings zugespitzt auf den „Gedanken[…] der Solidarität und Brüderlichkeit der Menschen“ (38): „Das ist der Samen, den die Widerstandsbewegung gesät hat und der im Herzen jedes jungen Menschen unserer Zeit zu einer kräftigen Pflanze heranwachsen soll. Wir aber haben sorgfältig und bewegt über die Entfaltung der Blüten und das Reifen der Früchte zu wachen.“ (39) In der Diskussion über Battaglias ‚Einführungsbericht‘ bezog sich ein italienischer Teilnehmer direkt auf Thomas Manns Vorwort; Raffaello Ramat berief sich auf Thomas Mann, um zu fordern, „daß wir […] den religiösen Wert der Widerstandsbewegung beleuchten müssen“ (Internationale Hefte 2 (1960) 128). Ein österreichischer Teilnehmer machte sechs Vorschläge für konkrete Aktivitäten der FIR, zwei davon betrafen ‚Pilgerfahrten‘ von Jugendlichen: „2. Jährlich sollen zwei Tage besonders dazu verwendet werden, um möglichst viele Jugendliche zu Pilgerfahrten in die KZs zu bewegen, wo wir der Jugend an Ort und Stelle das richtige Wissen über den Nazismus und den Widerstand vermitteln können. […] 6. Stiftung von jährlich zu vergebenden Preisen für die besten Arbeiten Jugendlicher über die Geschichte der Widerstandsbewegung, über Eindrücke bei Besuchen von KZs.“ (72) Daran schlossen drei der Teilnehmer aus der BRD an. So berichtete der im Präsidium der Konferenz sitzende ehemalige Kaplan Joseph Rossaint über Veränderungen in Geschichtsbüchern am Beispiel von Westermanns „Der Mensch im Wandel der Zeiten“ für die 5. und 6. Klasse: „über die Widerstandsbewegung, Ausgabe 1949: 8 Seiten in lebensvollen, packenden Einzelschilderungen/ 1951: 6 Seiten und einen Bericht über die Geschwister Scholl/ 1952: 3 Seiten Bericht über Inge Scholl und/ 1958: kein einziges Wort mehr über die Widerstandsbewegung und die Geschwister Scholl. Über die Konzentrationslager 1949 fünf Seiten – 1958 kein einziges Wort mehr. Über die Judenverfolgungen 1949 drei Seiten – 1958 14 Zeilen.“ (Internationale Hefte 2 (1960) 45) Aber Rossaint wies auch auf „Gegenwirkungen“ hin: „Seit einigen Jahren und in zunehmendem Umfange veranstalten Jugendorganisationen Gedenkfeiern an den Märtyrerstätten der Opfer des Nationalsozialismus wie Dachau, Bergen-Belsen usw.“ (45) Über die „Pilgerfahrten zu den Märtyrerstätten“ (74) wie Bergen-Belsen ist Wilhelm Herzog schon zitiert worden.
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Besonders ausführlich aber berichtete Ursel Hochmuth über die von Jugendorganisationen vertretene „Stimmung unter der Jugend“, als deren „Ausdruck“ sie einen Beschluss der 21. Vollversammlung des Bundesjugendrings im Oktober 1959 bezeichnete, „daß über die Vergangenheit kein Gras wachsen dürfe, sondern im Gegenteil gegen alle Bestrebungen aufgetreten werden müsse, die da verlangen, ‚die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen‘“ (Hochmuth 1960a, 97).⁵ Ein Jahr später gab Hochmuth unter dem Titel „Wächst Gras darüber?“ eine Bibliographie heraus, die „400 Literaturhinweise zum Thema Unbewältigte Vergangenheit“ enthielt und in dem auf politische Jugendarbeit spezialisierten Weltkreis-Verlag im Erscheinungsjahr eine zweite Auflage erfuhr (Hochmuth 1960b). In der zweiten Auflage von Hochmuths „Wächst Gras darüber?“ druckte der Verlag Auszüge aus Briefen von LeserInnen der ersten ab, u. a. von Sarah Schner-Neschamith, die als Direktorin des Museums der ermordeten Kämpfer des Ghettos, Lohamei Haghettaoh, eine von zwei israelischen TeilnehmerInnen (Internationale Hefte 2 (1960) 6) der FIR-Konferenz in Florenz gewesen war und nun schrieb: „Ich möchte Ihnen meine Anerkennung für die vortreffliche Arbeit ausdrücken, die Sie geleistet haben. Ich nehme mir jedoch die Freiheit, noch einige Bücher zu nennen, die es wert wären, in die Liste aufgenommen zu werden: 1. Im Feuer vergangen. Tagebücher aus dem Ghetto, Berlin 1958. Ich möchte speziell dieses Buch empfehlen. Es wäre sehr ratsam, daß gerade junge Deutsche dieses Buch lesen. 2. SS im Einsatz. Eine Dokumentation über die Verbrechen der SS, Berlin 1957. Dieses Buch ist sowohl seriös als auch wichtig.“ (Hochmuth 1960b, 11) Auf der Konferenz in Florenz gab Hochmuth über Bergen-Belsen und Dachau hinaus weitere Beispiele für „Pilgerfahrten“ (Hochmuth 1960a, 98), nämlich nach Flossenbürg und Mauthausen (99).Wörtlich zitierte sie aber eine Erklärung der Falken zu ihrer bevorstehenden „Fahrt in das ehemalige KZ Auschwitz“, nachdem „[e]ine Studiengruppe der Naturfreundejugend und eine Studentendelegation der Universität Göttingen“ bereits „durch ihren Besuch“ „der Ermordeten dieses Massenvernichtungslagers“ „gedacht“ hatten (98). Wegen der formulierten „Beweggründe ihrer Fahrt“ brachte Hochmuth den „Wortlaut“ „der Konferenz zu Gehör“: „‚Am 28. und 29. November 1959 wird die Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken – in Auschwitz ein Bekenntnis zu den Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen ablegen. Diese Fahrt soll gerade dem polnischen Volk zeigen, daß die deutsche Jugend aus den Ein „tiefverwurzelte[r] Antitotalitarismus“, der in den 1950er Jahren „eine starke einigende Kraft“ (Deutscher Bundesjugendring 2003, 51) im Bundesjugendring bildete, der die westdeutsche FDJ schon am 20. April 1950 ausschließen ließ mit der „Begründung“: „‚Insbesondere die Aufforderung zur Teilnahme an dem Pfingsttreffen in Berlin steht eindeutig im Widerspruch zu den Aufgaben und Zielen des BJR‘“ (48; vgl. hierzu Kössler 2005, 168), wich, seit 1959 eines der ein- bis zweijähig durchgeführten „Grundsatzgespräche“ „Kontakte zur Jugend der Ostblock-Staaten“ diskutiert hatte (Deutscher Bundesjugendring 2003, 57), der Bereitschaft, Delegationen des DBJR 1965 auf „Gedenkstättenfahrten“ (68) nach Theresienstadt und Lidice (66) und 1966 nach Stutthof fahren und 1968 an den Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Sofia teilnehmen zu lassen (66). Aber eine 1964 verabschiedete Erklärung, „Kontakte zu Staatsjugendorganisationen grundsätzlich ab[zulehnen]“ (315), blieb bis zur Ratifizierung der Ostverträge verbindlich.
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Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und bereit ist, jeder Wiedererstehung des Faschismus entgegenzutreten. Mit dieser Demonstration führen die Falken einen Beschluß ihres Verbandsvorstandes aus, von der Hauptstadt Deutschlands – Berlin – aus, junge Menschen aus allen Gebieten Westdeutschlands und Berlins zu einer großen Aktion der moralischen und politischen Wiedergutmachung aufzurufen.‘“ (98/99)
4 Manfred Wetzel: Wir fuhren nach Auschwitz Vorangegangen war dieser Reise der Falken nach Auschwitz im März 1958 eine „erste Annäherung junger Menschen unseres Verbandes und junger Menschen des polnischen Jugendverbandes“, als deren „Ergebnis“ ein „Schlußkommuniqué“ nicht nur weitere „Kontakte durch gegenseitige Besuche her[zu]stellen“ beschlossen hatte, sondern auch „ihre Haltung zu verschiedenen Problemen als übereinstimmend erkannt: 1. Hauptaufgabe ist die Erhaltung des Friedens in Europa und der Welt […]. 2. […] Beide Verbände wenden sich […] gegen die Aufstellung von Raketenbasen auf dem Gebiet Deutschlands und gegen die jetzt vom Bundestag beschlossene atomare Bewaffnung der Bundesrepublik. 3. […] Sie begrüßen den Kampf der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und anderer demokratischer Kräfte gegen die Politik der Atombewaffnung und des Atomtodes der Regierung Adenauer.“ (Wegener 1958)⁶ Auch der Bericht von Heinz Wegener in „junge gemeinschaft. Zeitung für die Sozialistische Jugend Deutschlands“ stellt „[d]as Gemeinsame in den Mittelpunkt“, nachdem er zunächst fünf Eindrücke von Warschau und bevor er nichts über „die Stationen“ „Posen, Breslau, Krakau“ mitteilt, sondern mit der Wirkung des „ehemaligen Gettos im Innern Warschaus“ und des „ehemaligen KZ Auschwitz“ (Wegener 1958) auf die Reisenden schließt. Vor dem ‚das Gemeinsame‘ belegenden Zitat des Kommuniqués, das mehr als die Hälfte des Artikels einnimmt, hält Wegener zur „offene[n], ehrliche[n] Diskussion ohne Ressentiments“ fest: „Als wir unsere Meinung über das System und die sattsam bekannten Methoden der DDR und Ulbricht offen und schonungslos vortrugen, gab es die ersten scharfen Auseinandersetzungen. Diese Frage wurde ebenso wie die Frage der Oder-Neiße-Grenze aus den folgenden Diskussionen ausgeklammert.“ Aber als Wirkung der Besuche von Ghetto-Mahnmal und Konzentrationslager-Museum beschreibt Wegener, Volksschullehrer und seit 1957 SPD-Bundestagsabgeordneter: „die Brücke ist geschlagen“, die „junge Menschen aus Polen und Deutschland zu Freunden gemacht“ habe, durch ‚Erschütterung‘ und ‚Aufwühlung des Innersten‘. Wegener hebt das namentliche Kennen von Ermordeten und das persönliche Kennenlernen von Überlebenden in Warschau wie in Auschwitz hervor, auch Vgl. Michael Schmidt 1987, 100/101. Schmidts (98) Darstellung der Reise der Delegation des Bundesvorstands der Falken im März 1958 erwähnt die Station Auschwitz in einem Halbsatz, während bei Jonathan Huener (2001, 517) „their first trip to the Auschwitz memorial site“ der vom November 1959 ist.
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wenn er Kazimierz Smolen nicht nennt und das Buch, das ihn mit im Ghetto Gestorbenen befreundete: „Erschütternd […] ist es die weite, völlig dem Erdboden gleichgemachte, trostlose Ebene des ehemaligen Gettos im Innern Warschaus zu sehen. In stillem Gedenken auch an manchen Freund, der im Getto mit untergegangen ist, legten wir einen Kranz am Mahnmal nieder. Und noch mehr, bis ins Innerste aufgewühlt, nahmen wir nach dem Besuch des ehemaligen KZ Auschwitz Abschied von dem Leiter des dort jetzt entstandenen Museums – von dem Leiter, der einmal selbst ein ‚Kumpel‘, ein Insasse von Auschwitz war.“ Wenn die Zeitung der Falken den Bericht über ihre erste Reise nach Auschwitz neutral „Zu Besuch in Polen“ überschrieben hatte, dann entsprachen der Titel „Wir fuhren nach Auschwitz“ und Untertitel „Lehren der Vergangenheit: Laßt die Jugend miteinander sprechen!“ des Artikels von Manfred Wetzel (1959), dem Berliner Landessekretär, der „die gesamte Fahrt organisatorisch vorbereitet hatte“ (Schmidt 1987, 97), über die zweite stärker der bereits zitierten Vorankündigung einer ‚demonstrativen‘ ‚Aktion der moralischen und politischen Wiedergutmachung‘ durch eine ‚Jugend‘, die aus ‚der Vergangenheit gelernt‘ habe. Den Artikel in der Dezembernummer des Verbandsorgans „junge Gemeinschaft“ illustrierte ein Foto, auf dem vier der über 500 TeilnehmerInnen mit einem Kranz vor der Frontscheibe eines der sechzehn Autobusse stehen, unter der ein Transparent in polnischer Sprache angebracht ist: „‚Die Sozialistische Jugend Deutschlands grüßt das polnische Volk.‘“ (Wetzel 1959) Was außerdem auch an den PKWs der „Kolonne“ zu lesen war, berichtet Wetzel in der Einleitung über die Abfahrt: „‚Wir fahren nach Auschwitz!‘ … So konnte man es an den mit Falkenwimpeln geschmückten Fahrzeugen lesen“, um dann die Reise nach Auschwitz von einer „Vergnügungsreise“ doppelt abzugrenzen, zum einen sei sie „ungewöhnlich für ein Wirtschaftswunderland, in dem man das Geldverdienen und das Vergnügen so groß schreibt, aber nur zu gern vergißt, was nie vergessen werden darf“, zum anderen sei sie nicht nur „eine Reise in die Vergangenheit“, sondern in die Vergangenheit, „die uns allen gegenwärtig bleiben muß“, nicht nur für „Besinnung und Erkennen“, sondern „für uns gilt es zugleich, praktische Schlußfolgerungen zu ziehen“. Dies ist bereits im Untertitel von Wetzels Reisebeschreibung angekündigt worden und steht auch im letzten Absatz des Artikels als Resümee, insbesondere der „oftmals hart“, „aber“ in „freundlich[er]“ „Atmosphäre“ geführten Gespräche mit „eine[r] junge[n] Generation, die aufgeschlossen und wißbegierig ist“ und „die politische Entwicklung in der Bundesrepublik sehr genau verfolgt und kritisch ist“: „Für uns sollte es angesichts unserer Erlebnisse und Erfahrungen einen Leitgedanken geben: Laßt die Jugend miteinander sprechen!“ Wetzels Reisebeschreibung konzentriert sich, abgesehen von zwei Sätzen zu Nowa Huta, auf zwei „Höhepunkte“: „Auschwitz-Birkenau“ am ersten Tag und am zweiten „eine kulturelle Feier- und Gedenkveranstaltung für die Opfer des Faschismus“ in Krakau. Andere Schwerpunkte setzte die Beschreibung der Reise durch einen anderen Teilnehmer der Reise nach Auschwitz, die in zwei nicht als Teile einer Reisebeschreibung markierten Artikeln desselben Hefts des vom Westberliner Landesju-
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gendring herausgegebenen „Blickpunkt. Die junge Zeitschrift“ erschienen. Im ersten Artikel berichtete Volker Henkel zusammen mit Gerhard Zahmel, so der Titel, „Berliner Falken fahren nach Auschwitz“, im zweiten Henkel allein über „Ein Wochenende in Polen“, als dessen drei Stationen „Schlesien“, „Kattowitz“ und „Krakau“ (Henkel 1960, 32) von Zwischenüberschriften ausgewiesen werden. Aber verschwiegen wird nur Auschwitz, nicht, dass die Reise „nach Kattowitz“ „nachts an der Grenze“ begann, aber, dass sie nach dem „Frühstück“ „weiter“ „ging“, „direkt nach Auschwitz-Birkenau“ (Wetzel 1959). Die nächtliche Reise hindert den Erzähler nicht, „Niederschlesien“ als „ein totes Gebiet“ darzustellen, auf dem ihn „häufig verfallen[e]“ „Gehöfte“ und „oft weite steppengleiche Felder, über die wohl seit Vertreibung der Deutschen kein Pflug mehr gezogen worden war“, „trostlos“ ‚anmuten‘ und „beim besten Willen nicht zu glauben“ ‚vermögen‘ lassen, „daß seit Kriegsende bereits vierzehn Jahre verstrichen sind“, so dass von der Fassung des antipolnischen Stereotyps als rhetorischer Frage aus der territoriale Anspruch als seine auf Polen projizierte Anerkennung formuliert werden kann: „Warum wurde das Land nicht bestellt? Scheute man sich noch vor einer gründlichen Neubesiedlung? Schlesien wirkt wie ein Provisorium. Der Eindruck des Vorläufigen wird noch verstärkt durch den Gegensatz zu den Gebieten, die auch vor dem Krieg polnisch waren.“ (Henkel 1960, 32) Entsprechend sammeln sich um den Reisenden „[i]mmer mehr Leute […], vornehmlich Deutsche“, die „einen Verwandten oder Bekannten in Westdeutschland“ „hatten“, dem sie „bei dem herzlichen Abschied viele Grüße […] auf den Weg gegeben haben“ (32). Nur die angesichts des „Treiben[s] im Studentenwohnheim“ mittags in Krakau, das „sich kaum von dem Bild eines Studentenheims in Frankreich“ „unterschied“, gegebene Antwort auf die Frage: „Worin bestand nun der Unterschied zwischen uns und dieser polnischen Jugend? Groß konnte er jedenfalls nicht sein“ (33), könnte ein Grund für die der Reisebeschreibung über ein „verwüstete[s]“ ‚Gebiet‘ mit „apathischen grauen Leuten“ widersprechende Hoffnung sein, mit der Henkel schließt: „Die freundlichen Gesichter und lebhaft winkenden Hände gaben uns die Hoffnung, daß unser kurzer Besuch ein wenig zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Polen und Deutschen beigetragen hat.“ (34) Schon vor Volker Henkel hat ein sozialdemokratischer Polen-Reisender zwei Reisebeschreibungen veröffentlicht, von denen die eine über Auschwitz schweigt und die andere ausschließlich Auschwitz zum Thema hat. Am 13. März 1959 hieß es in der Vorbemerkung der „Sozialdemokratischen Wochenzeitung“ „Vorwärts“, die seit 1955 nicht mehr „Zentralorgan der SPD“ war: „Aus Anlaß der Woche der Brüderlichkeit, [sic] veröffentlicht der ‚Vorwärts‘ einen Bericht seines Redaktionsmitgliedes Ulrich Blank über eine Fahrt zum ehemaligen Massenvernichtungs-Lager Auschwitz“ (Blank 1959).
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5 Ulrich Blank: Wallfahrtsort des Todes Im Vorjahr hatte Ulrich Blank eine Reisebeschreibung über Polen unter dem Titel „Zwischen Breslau und Danzig. Deutsche Heimat im Osten“ im Hannoveraner Fackelträger-Verlag von Gustav Schmidt-Küster veröffentlicht, der Vorsitzender der Gruppe Sozialistischer Verleger, Buchhändler, Autoren und Bibliothekare war (Schmidt-Küster 1972), und mit einem Vorwort des sozialdemokratischen niedersächsischen Ministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte Albert Höft, der Mitglied des Bundesvorstands der Pommerschen Landsmannschaft und stellvertretender Kreisvorsitzender des Bundes der Vertriebenen in Braunschweig war. Er berief sich in der Wir-Form auf die „im Gedenken an das hinter uns liegende unendliche Leid“ (5) beschlossene Charta der Heimatvertriebenen vom 5. August 1950, um Blanks Buch zu „wünsche[n]“, „daß es zu einem Wegbereiter d[…]er Erkenntnis wird“, „daß Unrecht durch anderes Unrecht nicht gutgemacht werden kann“ (Blank 1958, 6). Dem Adressaten „diese[s] so aller Ressentiments entkleideten Reisebericht[s]“ versprach der Minister, er werde auf „all diese Fragen nur ein eindeutiges Nein finden können“, nämlich ob das Land „die Wunden“ des Kriegs „[ü]berwand“ und ob „meist unter Zwang“ zu Bewohnern ihm ‚Angewiesene‘ „dort glücklich geworden sind“ (5). Auch der Verfasser bestreitet, dass er „das Oder-Neiße-Problem aus Gefühlen der Rache, der nationalen Überlegenheit und der Ressentiments betrachtet“, wenn er dem Adressaten ein negatives Polen-Bild ankündigt: „Wenn wir sagen, wir waren so unvoreingenommen wie möglich, so müssen wir zugleich bedauern, daß wir kein besseres Bild dieses Landes zu entwerfen vermochten.“ (7) Die am Ende der Reisebeschreibung formulierte Lehre der Reise, „unnachgiebig unsere Forderungen [zu] vertreten“ (108), wie sie der Vorsitzende der SPD Erich Ollenhauer 1956 auf dem Münchener Parteitag als „Wiederherstellung eines freien, friedlichen, demokratischen Deutschlands in den Grenzen von 1937“ (Schmidt 1987, 96) gefasst hatte, bestimmt vom ersten Kapitel an zwei – den Fragen des ministeriellen Vorworts entsprechende – Strategien der Darstellung des auf der Reise Wahrgenommenen. Der frühen Vorausdeutung, dass „Verwahrlosung […] uns nicht mehr von der Seite weichen“ (Blank 1958, 27) werde, folgen Bilder, die „[n]ur der Fotoapparat […] ohne Erschütterung aufnehmen“ (102) könne, während der Erzähler sie „trostlos“ (11) nennt, weil sie den Reisenden „kein Zeichen eines Neuaufbaues“ (13) sehen lassen: Bilder von „verstepptem Land“ (102) und Gebäuden, die „verwahrlost, ausgebrannt, zerstört“ (95) sind und, wenn eines wie Gerhart Hauptmanns Haus in Agnetendorf als Kinderheim „recht gut erhalten, aber mit einem ungepflegten Garten“ (96). Weil alles neu Gesehene das schon Gewusste bestätigen muss, kann es heißen: „Fern vom Rhythmus des Lebens dämmert auch Landsberg dahin“ (71). Aber dann benutzt der Erzähler ein Märchenmotiv, das der stehengebliebenen Zeit, um eine Metaphorisierung vorzunehmen, die in ähnlicher Weise auch in seiner unabhängig vom Buch im folgenden Jahr veröffentlichten ‚Fahrt nach Auschwitz‘ begegnen wird: „Es war, als sei die Zeit hier zwölf Jahre stehengeblieben, als habe sich der Krieg in dieser Stadt ein Denkmal erhalten wollen.“ (71) Die Personifizierung des Krieges zu
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jemandem, der sich selbst in der zerstörten Stadt ein Denkmal setzt, ist nicht weniger ungewöhnlich als die Personifizierung des Todes zu jemandem, der sich selbst einen Wallfahrtsort stiftet, wenn es 1959 bei Ulrich Blank heißt, Auschwitz sei „in aller Welt zum Begriff für den schrecklichsten Wallfahrtsort geworden, den sich der Tod ausgesucht hat“ (Blank 1959). In beiden Metaphorisierungen verschwinden die historischen Akteure in personifizierten Abstrakta: Krieg und Tod. Trotz der entsprechenden Versicherung des Erzählers: „Ganze Gebiete […] sind noch immer menschenleer“ (77), kann er Polens Einwohner nicht ganz ignorieren, auch wenn sich die Gespräche, die er berichtet, auf solche mit Deutsch sprechenden beschränken. Auf der einen Seite schreibt er über seine aus Galizien stammenden Gesprächspartner: „diese Menschen, die sich ein untrügliches Gefühl für Recht und Unrecht bewahrt haben, rechnen nur mit Jahren. ‚Eines Tages sind die Deutschen doch wieder da‘.“ (28) Auf der anderen Seite hebt er einen „hohe[n] Anteil an zweifelhaften Personen“ an der ‚ersten Welle‘ der Umsiedlung hervor, die „hauptsächlich aus Spekulanten und Plünderern“ bestanden habe, aber auch von ihnen versichert er: „Sie möchten zumeist zurück in ihre alte Heimat.“ (77) Wenn er von dem einen Angehörigen der deutschen Minderheit in Kattowitz über die Vergangenheit zitiert: „‚Ohne uns […] wäre hier der Betrieb überhaupt nicht in Gang gekommen‘“ (90), dann von dem anderen über die Zukunft: „‚Aber was es hier noch alles zu tun gibt eines Tages…‘“ (104) Nur ein Mal berichtet der Erzähler: „In Reichenbach kommen wir mit einigen Juden ins Gespräch“, das dann als eins „über die Auswanderung nach Israel“ dargestellt wird: „20 000 von ihnen seien im letzten Jahr aus den San-Bug-Gebieten nach Polen und in die deutschen Ostgebiete gekommen, erzählen sie uns, aber sie wollen dort zumeist nicht bleiben. Sie möchten endlich einmal Ruhe haben und Frieden. Antisemitismus? ‚Das gibt es auch wieder‘, sagen sie. Und ganz besonders in einer Stadt wie Reichenbach, in der die Juden, in einem Lager zusammengepfercht, ihres Schicksals harren.“ (96) Ein ähnliches Gespräch gab es ein Jahr vor dem Erscheinen von Blanks Buch in einer 1957 und 1958 in zwei Auflagen vom Bertelsmann Lesering für dessen Mitglieder herausgebrachten Reisebeschreibung „Unter polnischer Verwaltung“, die der kanadische Journalist österreichisch-jüdischer Herkunft Charles Wassermann als „Tagebuch 1957“ schrieb und die 1959 in einer Lizenzausgabe des Hamburger BlücherVerlages auch in den Buchhandel kam. Der Autor versucht durchgängig nachzuweisen, dass „dahier deutsches Gebiet war, ist und immer sein wird“ (Wassermann 1957, 235). Unhinterfragt positiv fungiert solche Kontinuität als eine der Kultur bei Wassermann, um 1945 als Bruch erscheinen zu lassen, der das ‚deutsche Land‘ in einer „grüne[n] Wüste“ (224) verschwinden zu lassen drohe; mehr als einmal heißt es: „Die Straße wird wahrscheinlich zuwachsen.“ (225) Auschwitz wird weder besucht noch erwähnt, aber Wassermann zitiert in Zagan einen Gesprächspartner mit einem Absatz, der KZ, Verhaftung durch die ‚Russen‘ als Kapitalist und wachsenden polnischen Antisemitismus zusammenbringt, um den Juden sich selbst zum Beleg „für das Unsichere“ der Gegenwartsverhältnisse erklären zu lassen und ihn damit zum Zeugen für die Dauerhaftigkeit des deutschen ‚kulturellen‘ Anspruchs zu machen: „Wie gekom-
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men sind die Deutschen, haben sie mich eingesperrt in ein Konzentrationslager. Das habe ich überstanden. Dann sind gekommen die Russen, und sie haben gesagt: ‚Du bist Kapitalist!’ und sie haben mich eingesperrt. Das habe ich wieder überstanden. Jetzt bin ich hier, und die Polen fangen an zu singen ein Lied, das schon meine Vorfahren gehört haben: ‚Du bist ein Jud’, schau, daß du wegkommst‘. Sie sehen, es ist alles nicht auf lang – das eine nicht, das andere nicht. So ist es auch hier mit allem heute.“ (221) Blanks Polenreisebeschreibung endet mit einer Szene auf der „Grenzbrücke“ über der Oder. „‚Kommen Sie bald wieder‘, hat der polnische Grenzbeamte mit routinemäßiger Höflichkeit gesagt, ‚wir hatten Sie gern bei uns zu Gast.‘ Wir sagen auf Wiedersehen und denken nur: ‚Zu Gast?‘“ (Blank 1958, 110) Die implizite Drohung mit einem Wiedersehen nicht als Gast, sondern Hausherr in der ‚deutschen Heimat im Osten‘ ist die finale Nicht-Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, und diese Zurückweisung des Abschiedsgrußes ist das zweite Textelement des Buchs „Zwischen Breslau und Danzig“, das eine Entsprechung hat in Blanks „Vorwärts“-Artikel über den „Wallfahrtsort des Todes“. Blank benutzt für seine Beschreibung von Auschwitz dasselbe ‚Wir‘ wie im Buch, nämlich eines, aus dem niemals ein Ich hervortritt und dessen andere Angehörige niemals individualisiert werden, aber auch nicht als Gruppe identifiziert. Die beiden letzten Sätze des Artikels, der den Besuch im Präsens berichtet und nur in zwei Absätzen mit historischen Daten und Zahlenangaben zu den „zwei Funktionen“, „Lager der Sklavenarbeit“ und „Kombinat zur Vernichtung von Menschen“, ins Präteritum wechselt, beginnen mit einem Zitat der wörtlichen Rede des durchgängig als „unser Führer“ bezeichneten ehemaligen Häftlings: „‚Wir haben ein Besucherbuch, wollen Sie sich vielleicht eintragen?‘ fragt der Mann sehr freundlich. Wir möchten nicht.“ (Blank 1959) Die Ablehnung ist nicht als Wiedergabe wörtlicher Rede markiert, so dass die Verweigerung eine doppelte, sowohl der Eintragung als auch überhaupt einer Antwort auf die ‚sehr freundliche‘ Frage sein kann. Die Anreise durch „[m]enschenleer[es] und scheinbar verlassen[es]“ „Land“ lässt sich an „verfallenen Gebäuden“ vorbei und „über ausgefahrene Feldwege“ „verfahren“: „nirgendwo ist ein Mensch zu sehen, der Auskunft erteilen könnte“, bis „plötzlich aus dem Dunst ein zerfallener Wachtturm mit spitzem, quadratischem Dach auf[taucht], verwitterte Schilder in deutscher Sprache ‚Achtung – Hochspannung – Lebensgefahr‘ und ‚Wer weiter geht, wird ohne Anruf erschossen‘ und ‚Konzentrationslager Auschwitz II-Birkenau‘.“ Das Foto eines solchen Schilds mit Blick auf Block 11 und 10 des Stammlagers steht ohne Bildunterschrift in der Mitte der vierspaltigen Zeitungsseite. In der Baracke neben dem „kleinen Ehrenmal, das man 1945 […] errichtet hat und das jetzt, 14 Jahre nach dem Kriege, schon wieder verfallen und grau geworden ist“, beantwortet sich die einer alten Frau gestellte Frage: „Ob wir durch das Lager geführt werden können?“, szenisch: „Sie greift zum Telefonhörer, aber der Mann am anderen Ende der Leitung scheint wenig Lust zu haben. Es sei schon zu spät heute, meint die Alte. Aber dann sagt sie auf polnisch [sic] in den Draht: ‚Es sind Deutsche!‘ Fünf
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Minuten später ist der Mann da“ (Blank 1959). Der Erzähler beansprucht hier zum ersten Mal ein Art von Innensicht in den namenlos bleibenden „vielleicht 35 Jahre alt[en]“ Überlebenden eines, wie erst im viertletzten Absatz berichtet, „Sonderkommando[s]“ von Auschwitz-Birkenau, wenn anschließend auch das Zeigen der Häftlingsnummer „zur Begrüßung“ folgendermaßen motiviert wird: „als wolle er sich für seine guten Kenntnisse von Auschwitz entschuldigen“. Während der Erzähler sowohl die „freundlich[en]“ ‚Fragen‘ als auch die „umständlich[en]“ ‚Entschuldigungen‘ des Führers auf den folgenden Stationen des Gangs „durch das Tor zum Stammlager, über dem noch immer in rostigen Eisenbuchstaben ‚Arbeit macht frei‘ zu lesen steht“, „an der Hauptwache“ vorbei „über den Appellplatz“ zum „Gefangenenblock“ mit dem „kleine[n] Museum“ in wörtlicher Rede präsentiert, werden weder Antworten noch andere verbale Reaktionen der ‚geführten‘ Besucher mitgeteilt. Deren ‚Wir‘ wird fast ausschließlich mit Verben der Bewegung dargestellt: stolpern, gehen, einen Augenblick stehenbleiben, durchtreten, emporsteigen, weitertasten, auf etwas stoßen, vorübergehen. Eine nicht-verbale Reaktion aber berichtet der Erzähler nach der ‚Entschuldigung‘ des Führers: „‚Lassen sie [sic] uns weiter gehen […‚] ich bin sonst abends nie im Lager, und diese Stille ist nicht auszuhalten“, nämlich: „und wir sind so betroffen, daß wir nichts darauf zu erwidern vermögen“. Ohne eine solche Erklärung wird die Nichtbeantwortung der zweiten Frage des Führers selbst in eine Frage gewendet, der zuerst gefragt hatte: „‚und wie geht es heute in Deutschland?‘“, und dann: „‚Warum sind sie [sic] eigentlich hierher gekommen? […] Ich verstehe die Deutschen nicht. Die einen sind gekommen, um das aufzubauen [sic] und die anderen kommen, um jetzt hier Tränen zu vergießen.‘“ Statt einer Antwort fragt der Erzähler: „Was sollen wir darauf antworten?“ Die letzte Frage des Führers inszeniert der Erzähler als einen Kontrast, der ihn erstmals über Gedanken des ‚Wir‘ berichten lässt: „Und dann fragt er uns, als wir fassungslos auf diesen furchtbaren Berg, auf die flachsgelben und braunen Kinderzöpfe mit roten und grünen Schleifen darin, starren, was denn in Deutschland ein Motorrad kostet. Er ist einfach nicht mehr normal, schießt es uns durch den Kopf.“ Die mit der bereits zitierten ‚Betroffenheit‘ vergleichbare ‚Fassungslosigkeit‘ des ‚Wir‘ wird im Folgenden unterschieden von der ‚Gewöhnung‘ des Führers an „[d]as Grauen“ und seinem Wunsch, „den Deutschen, die bei ihm zu Besuch sind, nicht allzu weh [zu] tun“. Letzterer erklärt dem Erzähler auch den vorher schon monierten „Ton[…] eines Fremdenführers“, der ihn von den ‚Deutschen‘ von ‚damals‘ „in einem Tone“ sprechen lasse, „als könne es auch heißen: Leute vom Mars waren das damals, keine irdischen Wesen“. Diesem Vergleich widerspricht dann aber Blanks Fortführung des Tourismus-Vergleichs, der den Verzicht auf Vorwürfe, Anklage und Jammern erklären soll: „er zeigt nur, daß es auf dieser Welt“ – und eben nicht: außerirdisch – „auch so etwas geben kann“, gerade auch mit dem Zynismus: „und er nimmt hinterher nicht einmal Geld dafür“. Für die Möglichkeit der touristischen Gewöhnung des Führers an ‚das Grauen‘ rekurriert Blank auf dessen letzte Zeit im Sonderkommando, für die er das mehr als fragwürdige Bild benutzt: „Er hat mit dem Tod Brüderschaft geschlossen“. Dem Bild des mit dem Tod Befreundeten entspricht das kontrastierende Resümee: „Eine Schreckenskammer ist dieses Museum in
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Auschwitz. Der Verstand sträubt sich, zu glauben, was dort ausgestellt ist: die Dokumente und Karteikarten der Vernichtungsmaschinerie, die unverhüllten Befehle und Anweisungen in schlechtestem Amtsdeutsch, aber auch die verschlagenen Aufforderungen zur Tarnung und Vertuschung des Verbrechens.“ Der ‚sich sträubende Verstand‘ schließt an die ‚Betroffenheit‘ und die ‚Fassungslosigkeit‘ des ‚Wir‘ an, bevor der Ablehnung der Eintragung ins Besucherbuch ein Blick vorausgeht, der dem „Lichtkegel eine[s] der alten Scheinwerfer“ folgt, der von „[d]raußen auf einem der Wachtürme“ „über den Strafblock 11, den Hinrichtungshof, auf dem auch die Prügelstrafe vollzogen wurde“, „tastet“ und „den Block 10, in dem Prof. Clauberg seine tödlichen Sterelisierungsexperimente [sic] an jüdischen Frauen durchführte. Es ist totenstill in Auschwitz.“ Die von Blank beschriebene Führung durch das Stammlager passiert fast alle die „Stationen des Schreckens“, deren „museale[…]“ Rekonstruktion“ Habbo Knoch in seinem Kapitel „Auschwitz: Der dramatische Schrecken des Ortes“ auf das „Prinzip“ zurückgeführt hat, „durch eine unverstellte Anschauung authentisch erhaltener Objekte und Dokumente den Schrecken des Lagers zu vermitteln“ (Knoch 2001,777): Lagertor mit Inschrift, Doppeldraht mit Stromwarnung, Galgen auf Appellplatz, Todeswand und Todeszelle. Aber gerade weil Blank im Titel seines Artikels Auschwitz als „Wallfahrtsort“ annonciert, muss auffallen, dass sein ‚Wir‘ nichts wahrnimmt, was nach Knoch in der „nationalpolnischen“ Deutung des „auf das Stammlager beschränkte[n] Gedenken[s]“ „in vielfältiger Form an katholische Gedächtnisformen an[knüpfte]“ (774): weder „Negativreliquien, mit denen die Gefahr einer Wiederkehr des Schreckens und die latente Bedrohung Polens symbolisiert wurden“ (774), ausgehend von „der apokalyptischen Imagination einer von den NS-Besatzern intendierten Totalauslöschung der polnischen Bevölkerung“ (775), noch Fotos an „Stelle von Heiligenbildern“ wie eine „Heldengalerie“ (775).⁷ Habbo Knoch (2001, 986) datiert den vom IAK herausgegebenen Bildband „KL Auschwitz“ anders als Katharina Stengel (2012, 476/477) nicht auf 1963, sondern auf 1966; seine Periodisierung ist insofern widersprüchlich, als er einerseits eine „Marginalisierung“ der „Vernichtungsstätte“ Birkenau durch die internationalisierende „Konzeption der ‚Nationenausstellungen‘ im Stammlager“ seit den 1960ern behauptet (Knoch 2001, 774), andererseits für die 1950er ein „auf das Stammlager beschränktes Gedenken“, das „an katholische Gedenkformen an[knüpfte]“ (774). Auffällig ist, dass er einräumt, dass „Aufnahmen des Lagers Birkenau in polnischen Publikationen der fünfziger und sechziger Jahre bereits [sic] mindestens die Hälfte der Bilder aus[machten]“ (776). Jedenfalls entspricht die Sequenz der im Fotoband der IAK abgedruckten Bilder keinem der beiden ‚Narrative‘ Knochs, weder dem des Martyriums (772), die den 1950ern, noch dem der Apokalyse (776), die den 1960er zugeschrieben wird. Der Bildband, der fast keine historischen, sondern Fotos aus der Gedenkstätte bringt, führt die zum Zeitpunkt des Erscheinens schon bestehenden nationalen Ausstellungen auf: die der CSSR, Ungarns, der DDR und der UdSSR (Comité o.J, 94). Es folgen aufeinander Wachturm und Stacheldraht im Stammlager (7), Block im Stammlager und Baracke in Birkenau (10), Fabrik in Monowitz (20), Betten im Krankenbau (22), Block 10 (26), Zellen in Block 11 (30), Bock (31), Pfahl (32), Block 11 und Todeswand (33), Inschrift des Tors des Stammlagers (35), Firmenschild eines Krematoriums (38), Block 11 (39), Tor von Birkenau (41), Einwurfluke einer Gaskammer (61), Beobachtungsloch (62), Krematorium (64, 65), Koffer (70), Gebisse (71), Haar (72), Kleidungsstücke, Schuhe (73), Baum in Birkenau vor Himmel (75),
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VI ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ und ‚Kampf dem Atomtod‘
6 Volker Henkel, Gerhard Zahmel: Berliner Falken fahren nach Auschwitz Im Vergleich von Blanks „Wallfahrtsort des Todes“ mit „Berliner Falken fahren nach Auschwitz“, das Volker Henkel, dessen Auschwitz aussparende Beschreibung derselben Polenreise schon besprochen worden ist, zusammen mit Gerhard Zahmel schrieb, erweisen sich der Fokus⁸ auf den polnischen „Begleiter“ (Henkel/Zahmel 1960, 31) durch Auschwitz und Birkenau und die Gefühle des als Westberliner Falken schon im Titel identifizierten ‚Wir‘ als markante Unterschiede. Dabei benutzen die Autoren die 1. Person Plural zum ersten Mal nur im vorletzten Absatz und dann im letzten noch ein Mal, zuerst ist von Scham die Rede, dann von Schuld, zwei Begriffe, die in Blanks Text nicht vorkommen. In den ersten vier Absätzen ist das Subjekt der Wahrnehmung ‚der Besucher‘ oder das indefinite Personalpronomen ‚man‘, wenn nicht das Wahrgenommene ‚zu besichtigen ist‘, ‚sich erkennen lässt‘ oder ‚zeigt‘. Programmatisch schließt der erste Absatz mit dem, was einen Besuch in Auschwitz von lexikalischem Wissen unterscheide: „Daß im KZ Auschwitz, zu dem 39 Nebenlager gehörten, annähernd vier Millionen Menschen getötet wurden, steht in jedem Konversationslexikon. Die grauenhafte Bedeutung wird dem Besucher bewußt.“ (29)⁹ Das Grauen wird von Henkel und Zahmel nicht als dem Verstand unfassbare Betroffenheit, sondern als bewusst zu machen aufgefasst. Sie greifen den Begriff mit einem Synonym wieder auf, wenn sie das sowohl im Stammlager als auch in Birkenau Gesehene zusammenfassen: „Unweit“ von den Ruinen der Gaskammern und Verbrennungsöfen „liegt in einem Wiesenstück ein Tümpel. Sein Ufer schimmert weiß:
Trümmer eines Krematoriums (77, 81), Wachturm und Stacheldraht in Birkenau (89), Blumen in Gitter (93). Vgl. zu einem solchen Fokus den in demselben Jahr polnisch zuerst veröffentlichten Text von Tadeusz Rózewicz (1976, 79 – 89) „Ausflug ins Museum“, der erst 1971 deutsch erschien, aber seitdem nur in der DDR, niemals in der BRD gedruckt wurde. Ein unpersönlicher Erzähler beobachtet, wie sich ‚Ausflügler‘ und Museumspersonal verhalten, primär im Dialog angesichts der Objekte ihrer unterschiedlichen Aufmerksamkeit. Als Leitmotive erweisen sich einerseits das Verhältnis von ‚Sehen, Erzählen und Erklären‘ (81, 89), andererseits das Verhältnis des im Museum Sichtbaren zu dem aus anderen Medien – Lektüre (79, 88), Fotos (79, 85) und Film (80) – Bekannten.Wenn Rózewicz’ Text auch die Rede, etwas sei „nur ein Symbol“ (81), problematisiert, verzichtet er doch nicht auf ein abschließendes Bild: „Auf dem Nachbargleis rollte ein Güterzug vorbei“ (89), um seinen Adressaten „Unruhe“ über die „Frage“ zu vermitteln, „wie Auschwitz den Nachgeborenen […] vermittelt werden solle“ (Olschowsky 1976, 204) Blanks niedrigere Zahl von „mindestens 2,5 Millionen Menschen“ (Blank 1959) entsprach dem „Großen Herder“ (1952, 756), und von „wahrscheinlich aber drei bis vier Millionen Menschen“ (Blank 1959) „Knaurs Lexikon A-Z“ (1955, 97), das die „Zahlen nach Kogon, ‚Der SS-Staat‘“ auswies. In späteren bundesrepublikanischen Lexika verschwanden die Totenzahlen aus den Auschwitz-Lemmata, z. B. „Duden-Lexikon“ (1961, 156): „Während des 2. Wkes befand sich hier ein berüchtigtes *Konzentrations- u. Vernichtungslager der Nationalsozialisten.“ Oder „Der Neue Brockhaus“ (1964, Bd. 1, S. 151): „Im 2. Weltkrieg berüchtigtes Konzentrationslager der Nationalsozialisten.“
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Knochensplitter von verbrannten Leichen. […] Scharrt man leicht mit dem Fuß auf der Grasnarbe, stößt man ebenfalls auf Knochen. Diese Entdeckung und der riesige Berg von Haaren der Getöteten sowie eine unüberschaubare Menge von Zahnbürsten, Kinderschuhen, Brillen und Prothesen verdeutlichen vollends das Ausmaß der Vernichtung.“ (29) Es ist die deutliche Vorstellung von Massenvernichtung, die das Grauen bewusst machen lässt, wenn die Verfasser nun in der 1. Person Plural und im Präteritum fortfahren, um ein Gefühl zu formulieren, das sie im Blick ihres polnischen Begleiters haben: „Wir schauderten, und jeder schämte sich wohl bei solchem Anblick, Deutscher zu sein.“ (31) Der Moment des Schamgefühls wird in mehrfacher Weise verallgemeinert, in Form einer Vermutung „wohl“ auf alle Mitglieder der Falken-Gruppe, eines Rückblicks „auch“ auf die vorangegangene Führung durch Auschwitz-Birkenau und einer Deutung des ‚Begleiters‘ als eines Repräsentanten Polens: „Die große Freundlichkeit unseres Begleiters jedoch, der selbst hier etliche Jahre lang Häftling gewesen war, und seine objektiven, ressentimentlosen Erläuterungen ließen auch zu diesem Zeitpunkt erkennen, daß ein beträchtlicher Teil des polnischen Volkes bereit ist, all das Leid, das ihm von deutscher Seite widerfahren ist, zu vergeben und freundlichere Beziehungen zu den Deutschen anzuknüpfen.“ (31) Die mit dem Fehlen einer Bekundung von Abneigung in der Kommentierung des Gesehenen verbundene Freundlichkeit des Begleiters wird als Vorwegnahme zukünftiger Beziehungen zwischen den Völkers gedeutet. Allerdings zeigen sowohl die intransitive Wendung vom ‚widerfahrenen Leid‘ als auch die Vermeidung von ‚Schuld‘ als Objekt von ‚Vergebung‘ zugunsten von ‚Leid‘ Schwierigkeiten in der Wechselseitigkeit des Austauschs von deutschem Schuldbekenntnis und Vorsatz der Wiedergutmachung gegen polnische Vergebung. Denn polnische ‚Bereitschaft‘ zu Vergebung und freundlichen Beziehungen erscheint im Schlusssatz des Artikels über die „erschütternde Besichtigung“ als Voraussetzung des deutschen Schuldbekenntnisses, wenn es über den „Sinn“ des Gedenkens heißt: „Diese Bereitschaft zu würdigen, indem wir die gewaltige Schuld der Vergangenheit eingestanden und gelobten, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um eine Wiederholung derartiger Schandtaten für die Zukunft zu verhindern, war der Sinn der kurzen Gedenkstunde im Anschluß an die erschütternde Besichtigung.“ (31) Über dieses ‚Gelöbnis‘, ‚eine Wiederholung‘ von ‚Auschwitz‘ zu ‚verhindern‘, kam es auf der Reise der Falken wegen der Rede des Vertreters des polnischen sozialistischen Jugendverbands, der vor der Todeswand „das sowjetische ‚Berlin-Ultimatum‘ als Friedensvorschlag“ (Schmidt 1987, 108) gelobt hatte, zu einem Konflikt, der in Henkels und Zahmels Bericht im „Blickpunkt“ des Landesjugendrings ebenso wenig erwähnt wurde wie in dem von Manfred Wetzel in der „jungen gemeinschaft“ der Falken. Gelöst wurde der Konflikt (Huener 2001, 519) dadurch, dass der 1. Vorsitzende der Westberliner Falken, Harry Ristock, am nächsten Tag auf der Kulturveranstaltung in Krakau Gelegenheit zu einer Erwiderung erhielt: „Er betonte den Friedenswillen des Verbandes und sein Engagement gegen ‚die Aushöhlung der demokratischen Staatsform in Westdeutschland‘. Dann fuhr er fort: ‚Wir kämpfen aber mit der gleichen, vielleicht sogar gesteigerten Härte gegen den Mißbrauch der Begriffe Demo-
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kratie und Sozialismus in der DDR. Wir kämpfen für ein wirklich demokratisches und sozialistisches Deutschland. Für uns ist die DDR kein Arbeiter- und Bauernstaat. Seit dem Jahre 1956 verfolgen wir mit Aufmerksamkeit und Bewunderung den Kampf des polnischen Volkes für mehr Freiheit und für mehr Brot.‘“ (Schmidt 1987, 108/110)¹⁰
7 Reisen nach Polen, die nicht nach Auschwitz führten: Carlo Schmid und Heinrich Böll Eine solche gegen die Sowjetunion und die DDR gerichtete ‚Aufmerksamkeit und Bewunderung‘ für Polen seit 1956 belegen auch zwei Reisen in den Jahren 1957 und 1958, die noch nicht wie die der Falken nach Auschwitz führten. Aber Carlo Schmid, führendes Mitglied des Parteivorstands der SPD, der zu Gastvorlesungen an den Universitäten von Warschau und Krakau eingeladen worden war, notierte in seinem erst postum veröffentlichten „Tagebuch einer Polenreise“ über eins der ersten Gespräche:¹¹ „Ich habe den Studenten vorgeschlagen, dafür einzutreten, daß jedes Jahr eine Delegation deutscher Studenten nach Auschwitz pilgern sollte.“ (Schmid 1984, 197) In Notizen über „fruchtbar[e]“ Gespäche wiederholt sich: „ Dabei haben alle diese Leute durch die Deutschen Teile ihrer Familien verloren!“ (197), oder: „Fast alle diese Männer haben im KZ gesessen. Keiner hat einen Vorwurf gemacht. Man hat Grund sich beschämt zu fühlen.“ (200) Auch gesehene Überreste der Vergangenheit werden emotional gedeutet: „Wir waren im Ghetto. Ein fürchterlicher Anblick. Eine kahle Stätte des Grauens mit 10.000den [sic] Toten unter dem glattgestampften Trümmerschutt. Das Denkmal der Opfer ist sehr schön. Welche Schande für uns!“ (195) Schmid hält fest, was er als herrschende Meinungen zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr und zur Oder-Neiße-Grenze hört: „Wenn wir [die Bundesrepublik, H.P.] ‚Matadore‘ kauften, […] dann sei es mit weiteren Verhandlungen natürlich aus.“ (199) „‚Nur mit physischer Gewalt könnte man uns [Polen, H.P.] wegnehmen, was wir haben.‘“ (201) Aber weder Scham und Schande noch die aktuellen Gefahren für den Frieden, die Schmid in seinem privaten Tagebuch notiert, erscheinen in der an beiden Universitäten gleichlautend gehaltenen „Einführung“ in seine Vorlesung (203). Der Redner stellt sich in der 3. Person vor als einer, der „in einem Lande spricht, dem von Menschen seines Volkes unendliches Leid zugefügt worden ist, in Verbrechen ohne Zahl“ (203). Nach der Ablehnung von Kollektivschuld als strafrechtlicher Unmöglichkeit unter Einräumung einer Gewissensbelastung jedes redlichen Deutschen, ausdrück-
Kraushaar 1996, 2334, druckt den Text nach Schmidt 1987, der eine Hektographie als Quelle nachweist (226): „Rede des 1.Vorsitzenden des Berliner SJD – die Falken, Harry Ristock, vor polnischen und deutschen Jugendlichen in Krakau, Hektographiert.“ Kraushaar kürzt den Text um die ‚gesteigerte Härte‘. Eine geplante Reise nach Auschwitz sei „wegen Unpassierbarkeit der Straßen“ (Thiesen 1996, 113) ausgefallen.
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lich auch der Widerstandskämpfer, und einer Ablehnung von erstens Aufrechnung mit ungenannten Verbrechen ungenannter anderer und von zweitens Vergessen im Namen der Deutschen begangener Verbrechen lehnt der Redner die Bitte um Vergebung ab, weil Vergebung vom Opfer des Verbrechens frei geschenkt werde, aber im Wechsel zunächst zu ‚Wir‘ und dann zu ‚Ich‘ schlägt er den gemeinsamen Aufbau einer Welt vor, deren Stärke im Guten der nächsten Generation die von der jetzigen erlebte schreckliche Wirklichkeit unbegreifbar machen soll, und interpretiert seine Einladung nach Polen als Schritt zu diesem Ziel, einer Menschlichkeit, deren Gegenteil, ‚die Herrschaft des Unmenschen‘, bekämpft zu haben er behauptet hat. Das Adjektiv ‚großmütig‘, mit seinen Synonymen überlegen, nachsichtig, großzügig, spricht dafür, dass der Redner die Einladung als ‚frei geschenkte‘ Vergebung akzeptiert. Carlo Schmids eigener Text hält die skizzierte Argumentationsstruktur nicht so durchsichtig: „Wenn es eine Kollektivschuld im strafrechtlichen Sinne des Wortes auch hierbei nicht geben kann, so weiß jeder redliche Deutsche, daß die an Polen begangenen Verbrechen auch auf seinem Gewissen lasten – auch auf dem Gewissen dessen, der mehr als ein Jahrzehnt seines Lebens damit zugebracht hat, die Herrschaft des Unmenschen zu bekämpfen. Er weiß auch, daß, was in Ihrem Lande geschehen ist, durch nichts aufgerechnet werden kann. Solche Untaten können nicht vergessen werden, sie dürfen vor allem nicht von denen vergessen werden, in deren Namen sie begangen worden sind. Vielleicht können sie vergeben werden, aber darum darf man nicht einmal bitten. Vergebung ist ein freies Geschenk dessen, der gelitten hat. Aber vielleicht können wir nach dem Schrecklichen versuchen, miteinander am Aufbau einer Welt zu arbeiten, die so stark im Guten ist, daß es unseren Kindern unmöglich sein wird, überhaupt zu begreifen, daß einmal geschehen konnte, was wir als Wirklichkeit erlebten. Ich deute den Umstand, daß Ihre hochberühmte Universität […] mich eingeladen hat, diese Vorlesung zu halten, als einen großmütigen Schritt auf diesem Wege, als ein Zeichen der Menschlichkeit“ (203). Im Unterschied zu Carlo Schmid, den der Grenzübergang von der DDR nach Polen immerhin sich „dabei“ „ertappe[n]“ lässt, „die Krähen auf den weißen Feldern ‚typisch‘ für die DDR [zu] empfinde[n]“: „Wir sind schrecklich befangen“ (Schmid 1984, 191), der aber trotzdem die Angehörigen der DDR-Grenzorgane als „nassforsch“, „schneidig“, „herrenvölkisch“ (191) wahrnimmt, als „Kriegsmänner“, die „ganz ihre Macht“ „genießen“, was er vergleichend verallgemeinert: „ So habe ich selten Leute genießen sehen, was sie für ihre Macht halten“, und ihm die ostdeutschen „russischer‘ […] als die Russen selber“ und „genau so“ wie die „polnische[n]“ am „Ostufer“ (192) aussehen lässt‚ malt Heinrich Böll ungehemmt das antitotalitaristische Stereotyp breit aus, das autobiographisch als eine den ‚rotlackierten Nazis‘ noch bevorstehende ‚Lehre aus Erfahrung‘ präsentiert wird: „Der junge Mann, der in Frankfurt an der Oder an der Rückseite des Zuges entlang patrouillierte, rief historische Assoziationen in mir wach: fast zwanzig Jahre der Erinnerung mußte ich zurückblicken, um die zu finden, denen er so auffallend glich: den Arbeitsdienstführern aus dem Jahre 1938/39: diese so trügerische kernseifige Sauberkeit […], die korrekte Frische, die aufreizend präzise Aussprache, als er mich aufforderte, das Fenster zu schließen. Für mein ‚Warum‘ –
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diesen gängigen Groschen demokratischer Gewohnheit – geb [sic] es in seinem Herzen und in seiner Seele keinen Schlitz. ‚Bitte, schließen Sie das Fenster!‘ Auch die zweite Frage: ‚Was gibt es denn hier so Schlimmes zu sehen?‘ fand keinen Eingang. Er blickte – symbolisch, wie ich annehme – auf seine Pistole, dann mich an: unsere Augen rutschten aneinander aus, und das Wissen, ob der Blick auf die Pistole wirklich nur symbolisch gemeint sei, war mir keinen potentiellen Kopfschuß wert; so schloß ich das Fenster […]. Das Jungengesicht […] war blank und ernst, wie das eines Zwölfjährigen, der einen Pfadfinderschwur leistet. Auch ein Novize, der die Ordensregel aufsagt, könnt so aussehen – und die moralische Rüstung, die hier sichtbar wurde, war fast deprimierender als die militärische, die von den Kollegen an der Rückseite des Zuges repräsentiert wurde. Ideen sind schrecklicher als Pistolen! Welch eine Welt hinter diesem Satz. Eine Welt von Ehrlichkeit, Jungenhaftigkeit, in die eine Jugend ihren Idealismus investiert; eine gewaltige Hypothek auf einem so schwachen Haus. Wer wird die Zinsen zahlen, wer die Hypothek einlösen? Ein Vakuum wird es geben, Inflationen vielfältiger Art, wieder eine ‚enttäuschte Jugend‘, krampfhaft verschlossene Ventile, durch die nur der Eiswind des Zynismus dringen wird. Wie beängstigend ist doch eine gläubige Jugend.“ (Böll 1989, 91/92) Indem der Erzähler den „durch Polen“ Reisenden mit dieser Eingangsszene einführt als einen, der durch ‚Enttäuschung‘ seines ‚gläubigen‘ jugendlichen ‚Idealismus‘ zu „westlicher Trauer, westlicher Skepsis“ (92) gelangt ist, profiliert er ein spezifisches ‚Interesse‘ an dem, was seit 1956 „polnische[s] Wunder“ genannt werde: „Die Bischöfe sollten Pilgerfahrten nach Warschau inszenieren: hier gibt es noch ein katholisches Volk.“ (98) Auch wenn der Reisende gegenüber polnischen Gesprächspartnern, die die Architektur des Wiederaufbaus kritisieren, zu bedenken gibt: „doch darf man nicht vergessen, daß Warschau die stolze Antwort auf die blutige Geschichte der Jahre 1939 bis 1944 ist“ (97), werden als Teil dieser ‚blutigen Geschichte‘ Juden und Auschwitz in der Reisebeschreibung nicht erwähnt, geschweige eine ‚Pilgerfahrt‘ nach Auschwitz. Eine verneinende Antwort auf die Frage einer „‚in Lemberg geboren[en]“ „Dame“ (97): „‚Werden Sie Krieg machen wegen der Oder-Neiße-Grenze?‘“ (96), verweigert der Reisende mit der Begründung, kein „Versprechen zu geben, dessen Einlösung nicht in meiner Macht steht“ (97), nachdem der Erzähler zuvor als „solide Europakarte“ „[a]llen Politikern“ zum „ständige[n] und intensive[n] Studium“ eine mit den Grenzen von 1918 und 1939 „empfohlen“ (96) hat, die er folgendermaßen liest: „Umgeben von Brüderchen Rußland ist Polen, von der strammen CSSR, der noch strammeren DDR, die beide in strammen Leitartikeln ihr politisches DDT rings um die polnische Grenze herum ausstreuen, bemüht, den Aussatz der Freiheit in Quarantäne zu halten.“ (96/97) Wenn Carlo Schmid im März 1958 es als Ziel des Aufbaus einer Welt des Miteinander auffasste, „daß es unseren Kindern unmöglich sein wird, überhaupt zu begreifen, daß einmal geschehen konnte, was wir als Wirklichkeit erlebten“ (Schmid 1984, 203), so scheint in Manfred Wetzels Bericht über die Auschwitz-Reise der Falken im November 1959 dieses Ziel schon erreicht. Während A. M. Rosenthal 1958 über den „Zwang“ geschrieben hatte, „über Auschwitz […] zu berichten“, „der aus dem quä-
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lenden Gefühl erwächst, daß es jenen gegenüber, die dort gestorben sind, der Akt kränkendster Unhöflichkeit wäre, wenn man Auschwitz besucht und dann sich abgewendet hätte, ohne etwas gesagt oder geschrieben zu haben“ (Rosenthal 1958), setzt Wetzel mit der Nicht-Beschreibbarkeit der „Erlebnisse in Auschwitz“ ein, um sie zur Unbegreifbarkeit des in Auschwitz Geschehenen zu steigern: „Die Erlebnisse in Auschwitz selbst überschatteten alles, was wir sonst gesehen und kennengelernt haben. Beschreiben kann man sie nicht. Man versucht zu begreifen, was war. Man versucht zu erklären, wie es möglich war. Aber welche Antworten man auch findet, es bleibt ein unerklärbarer Rest.“ (Wetzel 1959) Wetzel belegt die Unbegreifbarkeit mit einem dreimaligen anaphorischen „Man denkt“, das Bilder assoziieren lässt, wie sie in Jan Sehns deutschsprachigem Führer abgebildet waren, von der Erschießung am Drahtzaun, dem Appell-Stehen und dem „Marsch der Opfer in die Gaskammern“ (Sehn 1957, 158): „Man denkt an jenen deutschen SS-Mann, der seine Mütze wegwarf, um sie von einem Häftling zurückholen zu lassen und ihn dann ‚auf der Flucht‘ erschießt.“ (Wetzel 1959)¹² Mit „Wir wissen heute“ bezieht sich Wetzel auf „vieles vom größenwahnsinnigen Hitler“ und auf „einiges“ über „seine irrsinnige Ideologie“, so dass mit Wahn- und Irrsinn sich die rhetorische Frage selbst beantwortet, ob „man überhaupt irgendeine sinnvolle Antwort auf die Frage finden“ könne, „wie ein menschliches Wesen, wenngleich noch so charakterlos, verbrecherisch und sadistisch, angesichts der Wirklichkeit von Auschwitz-Birkenau, am Haupttor die Losung anbringen kann: ‚Arbeit macht frei!‘?“ (Wetzel 1959) Gerade weil Wetzel in seinem Artikel betont hat, dass aus der „Reise in die Vergangenheit, die uns allen immer gegenwärtig bleiben muß“, „praktische Schlußfolgerungen zu ziehen“ (Wetzel 1959) seien, zeigt sich ein Aspekt der Unbegreifbarkeits-Topik im Schweigen sowohl Wetzels als auch Henkels und Zahmels über etwas, das „ihnen ihre polnischen Gesprächspartner zeigen“: „Mit großer Erschütterung nahmen die ‚Falken‘ die Nachricht auf, daß […] in einem weitverbreiteten Geschichtsbuch aus dem Jahre 1958 für das 5. und 6. Schuljahr mit keinem Wort die Existenz von Konzentrationslagern erwähnt wird. Die erste Auflage des Buches aus dem Jahr 1949 hatte immerhin noch fünf Seiten über KZ-Lager enthalten.“ (Kraushaar 1996, 2334)¹³ 1961 brachte der Verlag dieses ‚weitverbreiteten Geschichtsbuchs‘, Georg Westermann, eine für den Schulgebrauch bestimmte „Zeittafel“ „Ereignisse seit 1945“ heraus, in der unter „1956: Was sonst noch geschah“ stand: „Der französische Dokumentarfilm ‚Nacht und Nebel‘ zeigt Vorgänge aus den Konzentrationslagern des Dritten Reiches.“ (Böge 1961, 85) Dessen Verleih durch die Bundeszentrale für Heimatdienst gehörte zu den von der Bundesregierung ergriffenen „‚Maßnahmen gegen antisemitische Bestrebungen, 18.1.1960‘“ nach der Welle von Hakenkreuzschmierereien seit Heiligabend 1959 (Hentges 2013, 446). Knoch 2001, 777, bezeichnet drei der vier Bilder, die Wetzel ‚denkt‘, als „Leitelement[e]“ der „visuelle[n] Dramatisierung“ des „Museumsgeländes“ in Auschwitz. Vgl. den bereits zitierten Diskussionsbeitrag von Joseph Rossaint auf der auch im November 1959 abgehaltenen Konferenz der FIR in Florenz „ Die Widerstandsbewegung und die junge Generation“.
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VI ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ und ‚Kampf dem Atomtod‘
Auf Resnais’ Film bezogen sich 1960 auch die beiden Initiatoren des ersten öffentlichen Protests aus der Gruppe 47 überhaupt, Paul Schallück und Heinrich Böll (Schallück 1956), in Gesprächen mit dem Kölner Rabbiner Zwi Asaria und dem nach Köln remigrierten Exilschriftsteller Wilhem Unger, die unter dem Titel „Geduldet oder gleichberechtigt“ im selben Jahr in der Schriftenreihe der von den beiden Autoren mit gegründeten Bibliothek „Germania Judaica“ erschienen. Böll und Schallück benutzen im Gespräch mit Asaria und Unger Metaphern für die Rolle derjenigen, die „Bewältigung“ in der Gesellschaft vorantreiben sollen: Böll bevorzugt die des „Propheten“, Schallück die des „Arzt[es]“ (Geduldet 1960, 44). Böll geht es um „Buße, Umkehr“ (33), wofür „Aufklärung“, die Schallück fordert, nicht ausreiche (32).¹⁴ Im Bild der ‚Buße‘ fasst Böll (wie 1960 der schon zitierte „Frankfurter Hefte“Mitherausgeber Walter Dirks) das Nein zur Vergangenheit; Böll bringt aber noch deutlicher die Brisanz dieser ‚Bewältigung‘ auf den Punkt, der in dem Bruch mit nationaler Tradition liegt: „ich fürchte, daß die Traditionen, auf denen unser Staat ruht, unklar sind. Es ist nicht ein deutlicher Bruch mit der Vergangenheit vollzogen worden.“ (Geduldet 1960, 35) Böll spitzt diese – u. a. auf das Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen (1957) sich berufende – Einschätzung später im Gespräch zu: „Die Vergangenheit ist nicht nur nicht bewältigt; wir entfernen uns immer mehr von der Möglichkeit, sie zu bewältigen, wenn wir uns auf die rein administrativen Mittel verlassen. Es bedarf […] einer Erneuerung, die das ganze Denken und Fühlen erfassen müßte.“ (41) Wenn Böll an dieser Stelle vergeblich nach dem „Propheten dieser Erneuerung“ (41) Ausschau hält, dann antwortet ihm Unger mit dem „Auftrag“, der ihn als „ein Jude, der sich als Weltbürger empfindet, […] nach Deutschland [habe] zurückkehren“ lassen: „Ich möchte meinen kleinen Beitrag zur Demokratisierung dieses Landes leisten.“ (47) Schallück¹⁵ begründet sein Bild des Arztes mit einer verglichen mit Bölls anderen Einschätzung des Stands der öffentlichen Erinnerung an den Faschismus in der Bundesrepublik; er deutet 1959/60 als „Krisis“: „Die Krisis bietet zwei Möglichkeiten: zum Guten und zum Schlechten. Ich meine, daß wir augenblicklich für beides Anzeichen vorweisen können. Ich bin sicher, daß sich die Krisis zum Bösen wenden wird, wenn wir die Chancen nicht ergreifen“ (44). Als Beleg für einen „konkret[en]“ „Beginn“, der noch nicht die von Böll geforderte „Erneuerung des Fühlens und Denkens“ sei, aber ein Anfang von „Demokratisierung“, führt Schallück an: „Ich war in den letzten Tagen viel unterwegs zu Lesungen. In einem ganz kleinen Ort habe ich gehört, daß es dort innerhalb des Volksbildungswerkes einen bürgerkundlichen Arbeitskreis gibt, der sich speziell mit unserer Problematik befaßt. Man hat sich den Film ‚Nacht und Nebel‘ […] bestellt.“ (45)
Vgl. aber Bölls Verwendung der Arzt-Metapher im ersten Heft der Schriftenreihe: Zwischen Golgatha und Auschwitz 1959, 40. Zu Ungers Sicht auf Schallück als „Sprecher einer zwar skeptischen, aber dennoch von einem Wiedergutmachungs-Willen beseelten Generation“ (1962), einen von denen, „die gewillt waren, aus den Erfahrungen zu lernen“, und auf „[s]ein Ringen mit der ‚unbewältigten Vergangenheit‘ (kein Schlagwort für ihn)“ (1977) vgl. Unger 1984, 288 – 291.
7 Reisen nach Polen, die nicht nach Auschwitz führten
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In seiner „Ansprache zur Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit 1960 in Berlin“ bezog sich der Vorsitzende der Westberliner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Siegmund Weltlinger, darauf, „wie über 10 000 Jugendliche sich danach drängten, den KZ-Film ‚Nacht und Nebel‘ zu sehen“ (Weltlinger 1960, 5), um die „prachtvolle Reaktion aller Bevölkerungskreise und vor allem unserer Jugend“ auf die antisemitischen ‚Vorfälle‘ zu belegen. Weltlinger bezeichnete diese mit dem Ansehen von „Nacht und Nebel“ exemplifizierte ‚Reaktion‘ als „Früchte“ der „intensive[n] Erziehungssarbeit“ (4), die die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit als „Erziehungs-Anstalt“ durch „Aufklärungsarbeit“ (7) im vergangenen Jahrzehnt geleistet habe. Weltlinger, der seit 1943 bei nicht-jüdischen Freunden untergetaucht die Verfolgung überlebt hatte, 1946 CDU-Mitglied und 1949 einer der Mitgründer der GCJZ geworden war, betonte in seiner Ansprache vor allem die Übereinstimmung der offiziellen politischen Repräsentanten, indem er zu den Kölner Ereignissen Carlo Schmid, Konrad Adenauer,Willy Brandt, David Ben-Gurion und Nahum Goldmann zitierte. Der Titel der Ansprache „Du bist verantwortlich“ ist dem entgegengesetzt, was Weltlinger aus Resnais’ Film mit der Begründung zitiert: „am meisten erschütterte mich der Schluß“, das von SS-Führer, hohem Offizier und Gauleiter wiederholte „‚Ich bin nicht verantwortlich‘“ (6).¹⁶ In einem 1954 von der Frankfurter GCJZ publizierten „Vortrag anläßlich des Tages der nationalsozialistischen Machtergreifung (30. Januar 1933)“ hatte Weltlinger den persönlich angeredeten Adressaten im Titel seines „Erlebnisbericht[s] aus den Tagen der Verfolgung“ gefragt: „Hast du es schon vergessen?“, um mit dem Zitat eines Theologen der evangelischen Kirchlichen Hochschule über „‚Schuld vor Gott und den Menschen‘“ (29) zu appellieren: „Aber man muß um die Zusammenhänge von Schuld und Strafe wissen.“ (30) Weltlinger berichtet über das Schicksal der Berliner Juden in statistischer Form, so dass die Namen der Vernichtungslager im Osten in der Kategorie Opfer der „Deportation“ verschwinden (30). Scheinbar beiläufig kommt er darauf zu sprechen, dass er „bald nach der Befreiung“ für einen schnell bankrott gegangenen Verlag einen ersten Erlebnisbericht geschrieben habe: „Heute freue ich mich, daß dieser Bericht nicht erschienen ist. Ich würde jetzt ganz anders über vieles schreiben und urteilen.“ (28) Über die ‚Art‘ der zwischen 1945 und 1954 erfolgten Veränderung seiner ‚Urteile‘ über welche Erlebnisse schweigt Weltlinger auch 1960. Von Schallücks und Weltlingers Einschätzung der öffentlichen Reaktion auf „Das Menetekel von Köln“ unterschied schon dieser Titel Gerhard Schoenberners Beitrag zu dem erstmals einem Thema – „Die Überwindung des Antisemitismus“ – gewidmeten Heft einer Zeitschrift, die von der aus dem Studentenkongress gegen Atomrüstung hervorgegangenen Studentengruppe gegen Atomrüstung an der Freien Universität Berlin herausgegeben wurde, „[v]erantwortlich: Wolfgang Fritz Haug“ (Das Argument 1 (1959) Nr. 2, S. 1), „Das Argument“, dessen allererstes Heft auf den zweiten Marsch
Vgl. aber den abweichenden Wortlaut bei Celan 1983, 97: „‚Ich bin nicht schuld‘, sagt der Kapo./ ‚Ich bin nicht schuld‘, sagt der Offizier.“
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VI ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ und ‚Kampf dem Atomtod‘
„der britischen Atomrüstungsgegner“ „Karfreitag bis Ostermontag von Aldermaston nach London“ hingewiesen hatte (Nr. 1, S. 1). Schoenberner war als Redakteur des SDS-Organs „Der Standpunkt“ betroffen von der Trennung der SPD von ihrem Studentenverband wegen dessen Forderung von Anerkennung der Oder-Neiße-Linie und Verhandlungen mit der DDR. Zusammen mit drei anderen Redakteuren, Erik Nohara, Hanno Kremer und Ludwig Türmer, hatte Schoenberner „im Frühsommer des Jahres 1957“ (Glienke 2008, 159) „während eines Besuchs des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, der durch die polnische Studentenzeitschrift ‚Pro Postu‘ vermittelt“ (Benicke 2009, 77) wurde,¹⁷ die Idee zu einer Wanderausstellung „Die Vergangenheit mahnt“, die von 1960 bis 1962 verwirklicht wurde, deren Finanzierung durch den Westberliner Senat und die Bundeszentrale für Heimatdienst zwar „das Unterlassen demonstrativer Gegenwartsbezüge“ (Glienke 2008, 164) erzwingbar machte, aber nicht verhindern konnte, dass der Sprecher des offiziellen Trägers der Ausstellung, der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte Hans Reif, in seiner Eröffnungsrede sagte: „Wer es überhaupt noch wage, sich dagegen aufzulehnen, daß ehemals führende Nationalsozialisten auch heute in führenden Positionen sein dürfen, müsse es sich gefallen lassen, dass ihm vorgeworfen werde, er sei vom Osten beeinflusst“, wie Ansgar Skriver im SPD-Organ „Vorwärts“ berichten konnte (166; vgl. Skriver 1960a).
8 Gerhard Schoenberner: Der gelbe Stern Schoenberner arbeitete parallel zur Ausstellung an seinem Foto-Text-Band „Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945“, der 1960 im Bertelsmann gehörenden Verlag Rütten und Loening erschien, auch in einer Ausgabe für die Mitglieder des Leserings. Schoenberner schloss seine Einleitung mit einer vorsichtigen, aber deutlichen Kritik an der offiziellen Erinnerung der BRD: „Die geschwiegen haben,
Ein anderes Ergebnis dieser Reise war die von einer Delegiertenkonferenz des SDS im Oktober 1957 verabschiedete „Polen-Resolution“, die feststellte, „daß Polen ‚im Gegensatz zur DDR […] nicht mehr als ‚totalitärer Staat‘ betrachtet werden könne“ (Albrecht 1994, 292), und deshalb, obwohl SPD-Parteitage (bis 1964) unter einer Karte von Deutschland in den Grenzen von 1937 stattfanden (247), forderte: „‚Herstellung normaler diplomatischer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen‘“ (246). Erst nach der Delegiertenkonferenz erschien verspätet das „fast ganz […] Polen“ ‚gewidmete‘ (293) Heft des Bundesorgans „Der Standpunkt“. Auf eine die Voraussetzung der Anerkennungsforderung begründende „Bilanz des polnischen Oktober“ von Erik Nohara und Gerhard Schoenberner (Nohara/ Schoenberner 1958, 12– 16) folgte ein Bericht von Klaus Meschkat über die Reise (18 – 20). Im ‚PolenHeft‘ von „Der Standpunkt“ stand im April 1958 aber auch ein von den drei Auschwitz-Reisenden Nohara, Schoenberger und Meschkat zusammen mit Michael Mauke als redaktionell gezeichneter Kommentar: „Eine parlamentarisch ‚legitimierte[‘] […] Vertretung des deutschen Volkes hat zum 3. Male innerhalb von 50 Jahren unseren Untergang gewählt.“ (Albrecht 1994, 252) Verglichen wurde der Beschluss zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr mit der Billigung der Kriegskredite am 4. August 1914 und der Zustimmung zum ‚Ermächtigungsgesetz‘ am 23. März 1933.
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als zum Sprechen Zeit war, reden laut von Versöhnung. Selbst Wohlmeinende sprechen allenfalls von Scham. […] Nachträgliche moralische Verdammung und menschliches Bedauern genügen nicht. Es geht darum, die historischen Fakten zur Kenntnis zu nehmen, die gesellschaftlichen Ursachen zu begreifen, die sie möglich machten, und der eigenen Verantwortung für das, was um uns herum geschieht, bewußt zu werden. Wir entrinnen unserer Vergangenheit nicht, indem wir sie aus dem Gedächtnis verdrängen. Nur wenn wir uns mit ihr auseinandersetzen und die Lehren jener Jahre verstehen, können wir uns von der Erbschaft der Hitlerbarbarei befreien. Politik ist kein unabwendbares Schicksal. Sie wird von Menschen gemacht und kann von Menschen verändert werden.“ (Schoenberner 1978, 8) Auf seine eigene, das Ausstellungsprojekt motivierende Reise nach Auschwitz nimmt Schoenberner implizit Bezug in seinem Vorwort zu „Der gelbe Stern“, das statt einer Überschrift als Motto aus Klabunds „Die Ballade des Vergessens“ zitiert: „‚Deutschland, du sollst die Ermordeten nicht und nicht die Mörder vergessen!“ (5), indem er kontrastiert, was Fotos zeigen und was nicht; für Letzteres benutzt er denselben Begriff wie Reimar Lenz in „Die Atomrüstung und der Intellektuelle“ – „das Ausmaß“ der Vernichtung (1958, 42): „Die vorhandenen Bilder geben nur einen unzureichenden Begriff von der viehischen Brutalität und dem ungeheuerlichen Ausmaß dieser Abschlachtung eines ganzen Bevölkerungsteils. […] Die Kamera führt uns auch nur bis an die Schwelle der Gaskammer. […] Der Anblick dieser letzten Station bleibt uns verschlossen und erspart.“ (Schoenberner 1978, 7) Schoenberner wechselt zunächst von dem ihn einschließenden Wir der Betrachter der Fotos zu einer nicht explizt auf ihn als Besucher bezogenen Beschreibung von Birkenau, die über das Bild der „wogenden Wiese“ dann mit der außerhalb ‚Deutschlands‘ „allgemein[en]“ Kenntnis der „Tatsachen“ (8) konfrontiert wird: „Die Jahre vergehen. Die Baracken in Birkenau, die einmal bis zum Dach erfüllt waren von menschlicher Not und Qual, stehen leer und verfallen. Die Gruben, in denen man Menschen verbrannte, haben sich mit Regenwasser gefüllt und sind zu schilfumwachsenen kleinen Tümpeln geworden. Nur die weißgraue Färbung der Erde erinnert noch daran, wessen Asche hier verstreut wurde. Von den gesprengten Gaskammern und Krematorien sind noch einzelne Betonplatten übriggeblieben und verbogene Eisendrähte, die ihre rostigen Finger in die Luft strecken. Zwischen den Hütten wuchern große Sträucher blühender Heckenrosen. Und der von vielen Tausend Holzschuhen festgestampfte Boden, auf dem kein Halm wuchs, ist zu einer wogenden Wiese geworden, die im Sommer gemäht wird.“ (8) Die Beschreibung hebt mit dem ‚natürlichen Verfall‘ der Baracken, der Vertümpelung der Verbrennungsgruben durch Regenwasser, dem Verrosten der Eisenteile von Gaskammern und Krematorien und mit dem ‚Wuchern‘ von Heckenrosen und (dem nicht ausdrücklich genannten) Gras schon auf das sprichwörtliche ‚Gras über etwas wachsen lassen‘ als ‚in Vergessenheit geraten lassen‘ ab, das dann im folgenden Absatz als ‚Rat‘ der ‚Mörder‘, den ‚viele‘ ‚gedankenlos nachsprechen‘, kritisiert wird: „Laßt die Vergangenheit ruhen, verlangen heute jene, die sie zu verbergen haben. Beschmutzt nicht den deutschen Namen, schreien diejenigen, die ihn mit ihren blutigen Händen befleckten. Laßt Gras darüber wachsen, raten uns die Mörder. Und viele
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sprechen es ihnen gedankenlos nach. Sie vergessen, daß man sich außerhalb Deutschlands eine sehr viel schärfere Erinnerung an jene Jahre bewahrt hat und daß die Tatsachen, die bei uns oft noch verstocktem Schweigen oder ungläubigem Erstaunen begegnen, ohnehin allgemein bekannt sind.“ (8) Die Frage „Wächst Gras darüber?“ war im Erscheinungsjahr von Schoenberners „Der gelbe Stern“ der Titel einer Bibliographie, in der Ursel Hochmuth „400 Literaturhinweise zum Thema unbewältigte Vergangenheit“ gab und die der erste Titel einer Reihe des Weltkreis-Verlags war, die „Unbewältigte Vergangenheit“ hieß und in der 1960 auch Klara Maria Faßbinders Beschreibung ihrer Reise nach Polen erschien, die auch nach Auschwitz führte: „Polen. Bericht über eine Reise. Notizen über ein Land“. Faßbinder gehörte im März 1960 zu den 453 „Professor(inn)en und Kulturschaffenden“, denen in einem „Rotbuch“ „Kommunistische Untergrundarbeit“ u. a. in den „Bereichen“ „‚Friedensbewegung‘ und Atomtodkampagne“ vorgeworfen wurde;¹⁸ herausgegeben wurde es von einer Arbeitsgruppe „Kommunistische Infiltration und Machtkampftechnik“ des Komitees Rettet die Freiheit, das die CDU/CSU-Politiker Rainer Barzel und Franz Josef Strauß 1958 gegründet hatten (Hentges 2013, 312).¹⁹ Vgl. zur gleichzeitigen Strafverfolgung von mit dem Weltfriedensbund zusammenarbeitenden Organisationen Kramer 2008, 54, der den Prozess gegen sechs Mitglieder eines 1949 in Bonn gegründeten „Friedenskomitees“ vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Düsseldorf exemplarisch untersucht, der vom November 1959 bis zum April 1960 an 56 Sitzungstagen von der „Anklageschrift“, die „die Weltfriedensbewegung als ein Instrument der sowjetischen Außenpolitik bezeichnet und ihr die groteske Absicht unterstellt [hatte], ‚den Weltfriedensrat ggf. zu einer kommunistischen UNO umzugestalten‘“ (54), trotz der Zeugenaussagen von u. a. Gustav Heinemann, Hans-Joachim Iwand und Martin Niemöller zu dem Urteil kam, „dass das Komitee […] vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich bezeichnete Ziele der KPD verfolge“, und die Angeklagten, unter denen „ein parteiloser Pfarrer und zwei frühere Mitglieder der SPD“ waren „wegen Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung zu Gefängnisstrafen von sechs Wochen bis zu einem Jahr“ verurteilte. Vgl. aber auch zur von BND-Agenten schon seit 1952 betriebenen Beobachtung der Zeugen „Martin Niemöller und Gustav Heinemann“ den so benannten Unterabschnitt des Kapitels „‚Neutralisten‘ und Pazifisten“ in Klaus-Dietmar Henkes Studie zur „politischen Inlandsspionage der Organisation Gehlen 1946 – 1953“ (Henke 2018, insbesondere 579 – 581, 586 – 588): „‚dass hier eine parteipolitisch ungebundene und darum auch sehr schwer einzuschätzende und einzufangende Opposition entsteht‘“, die „eine nicht zu unterschätzende Gefahr‘ dar[stelle]“ (587). Vgl. den Anwalt Heinrich Hannover zu den vergeblichen „Bemühungen der Verteidigung“, der Bundesrepublik „die internationale Blamage einer Kriminalisierung der Friedensbewegung zu ersparen“ durch Nominierung „prominenteste[r]“ Zeugen aus dem Ausland, Geistlichen und Wissenschaftlern aus Großbritannien, Japan und der Tschechoslowakei, die Mitglieder des Weltfriedensrats waren (Hannover 2006, 323). Gegen die Annahme einer „‚antitotalitäre[n] Äquidistanz‘“ der politischen Strafjustiz „gegenüber Rechts- und Linksextremismus“ vgl. Foschepoth 2008, 901: „Die Zahl der Strafverfahren und Urteile gegen Kommunisten in einem Zeitraum von 15 bzw. 17 Jahren ist in etwa gleich groß wie die Zahl der Verfahren und Urteile gegen NS-Täter […] in einem Zeitraum von 50 bis 60 Jahren.“ Der Verband Deutscher Studentenschaften, dem im „Rotbuch“ eine „Steuerung durch die DDR‘“ (Kössler 2005, 362) vorgeworfen worden war, zitierte 1960 in seiner „Stellungnahme zum ‚Rotbuch II‘“ aus den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ die Erklärung des „Rotbuchs“ „zum ‚seit der Judenverfolgung größten deutschen Pogromaufruf‘“ (363). Im Oktober 1961 beschloss der Delegiertenrat des VDS mit 6:4 als „‚Konzept“ für ein künftiges Gespräch über das Auftreten des Verbands „‚im
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Auch Helmut Gollwitzer, Martin Niemöller und Günther Weisenborn waren unter den Intellektuellen, denen „Handlangerdienste für den Kommunismus vorgeworfen“ (312) wurden. Während Renate Riemeck, die mit Faßbinder 1961 die Deutsche FriedensUnion gründete, im Juli 1960 die Prüfungsberechtigung als Pädagogik-Professorin entzogen wurde, weil sie „Lehramtsstudierende nach Marx befragt“ habe (311), und sie das Lehramt verließ, wurde Faßbinder bereits 1953 zunächst suspendiert, dann in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil sie sich als Katholikin friedenspolitisch engagiert hatte, u. a. in der Gesamtdeutschen Volkspartei von Gustav Heinemann, dem Bundesinnenminister im ersten Kabinett Adenauers, und als Herausgeberin der Monatszeitschrift „Frau und Frieden“, des Organs der 1951 gegründeten Westdeutschen Frauen-Friedensbewegung.²⁰ In ihren 1961 erschienenen autobiographischen Aufzeichnungen „Begegnungen und Entscheidungen“ hebt sie mit den verschiedenen Organisationen zugleich die ihr wichtigsten Personen hervor, so im Internationalen Versöhnungsbund Friedrich Siegmund-Schultze (Faßbinder 1961, 171), der 1947 bei Reclam in Stuttgart „Die deutsche Widerstandsbewegung im Spiegel der ausländischen Literatur“ herausgebracht hatte,²¹ im (gesamt‐)Deutschen Kulturtag von 1952 den Theologen Hans-Joachim Iwand und im aus dem Deutschen Kulturtag hervorgegangenen ost- und westdeutsche PädagogInnen umfassenden Schwelmer Kreis Fritz Helling, den „Leiter des Kreises, nach seinem Wohnort Schwelm benannt“ (171), dessen Buch „Der Katastrophenweg der deutschen Geschichte“ 1947 bei Klostermann erschienen war und gegen die Hoffnung auf „Zerwürfnisse im Lager der Siegermächte“ und „einen neuen Weltkrieg“ darauf gesetzt hatte, „daß eine entschlossene Abkehr von den nationalistisch-militaristischen Traditionen der Vergangenheit vollzogen wird“, eine Befreiung des deutschen Volkes „von dem lähmenden und seinen Charakter deformierenden Druck der seit Jahrhunderten siegreichen gegenrevolutionären Mächte“: „Es muß jene Angst vor der Freiheit verlieren, die ihm 1848 und 1918 internationalen Raum‘“: Es „bleibt für die Bundesrepublik Deutschland nur noch die Möglichkeit, auf die deutschen Ostgebiete verzichten, einen möglichen zweiten deutschen Staat auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts anerkennen und ihre Mitgliedschaft in der NATO aufgeben“ (Rohwedder 2012, 185).Vgl. zu Riemecks eigener Stellungnahme gegen die „antisemitischen Ausschreitungen“ ihren Beitrag „Das moralische Unheil“ im Januarheft der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ (Riemeck 1960). Vera Bücker betont in ihrem Porträt Faßbinders nicht nur, dass Verhandlungen mit dem Osten und die Demilitarisierung Deutschlands als Einigungsformel bei der Gründung fungierten, sondern auch, dass ihre Christlichkeit auch von kirchlichen Amtsträgern anerkannt wurde, trotz ihrer Kontakte zum Weltfriedensrat (Bücker 2002). In ihrer früheren Darstellung der Schulddiskussion im deutschen Katholizismus hat sie die „Wiederaufnahme“ der Schulddiskussion in den 1960er Jahren nach der vorangegangen „Verlagerung“ (Bücker 1989, 351) von moralischen, philosophischen und historischen Ursachen zur Kritik an Institutionen aus einem „völlig anderem Zusammenhang“ (353) erklärt, der polnischen Initiative zur Aussöhnung.Vgl. aber auch einen vom Bundesamt für Verfassungsschutz der SPD Niederrhein übergebenen Bericht über eine Tagung der Westdeutschen Frauen-Friedensbewegung in Köln, dass „sich die meisten Rednerinnen explizit von der KPD und der DDR“ „distanzierten“ (Kössler 2005, 367). Vgl. Peitsch 2019.
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zum Verhängnis wurde“ (Helling 1947, 206/207). Auf der Ostertagung des Schwelmer Kreises 1957 in Leipzig formulierte Faßbinder den Antrag gegen Atomrüstung, unterstützt von dem bereits 1955 nach Auschwitz gereisten Rudolf Genschel, nun mit der Losung „‚friedlicher Koexistenz‘“ (Biermann 2017, 497), oder wie Faßbinder wiederholt sagte: „audiatur et altera pars“ (587, 612). Aber ihre Erfahrungen im Wahlkampf für die DFU brachte sie, als der Hamburger Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ihr gegenüber geltend machte, dass es um „Bewältigung der kommunistischen Gegenwart und nicht der Vergangenheit“ gehe (546/547), auf die Formel „‚Tradition der deutschen Untugenden‘“ (609).²² Seit der Einladung zu einer Tagung des Weltfriedensrats 1952 in Ostberlin hatte sie als dessen Beraterin, seit 1955 auch der Weltjugendfestspiele, einerseits „Fäden“ in die DDR in Gestalt des jeweiligen „offizielle[n] Verbindungsmannes zwischen […] Kirche“ und „DDR und der sowjetischen Verwaltung“, des katholischen Bischofs Heinrich Wienken und des evangelischen Propsts Heinrich Grüber (Faßbinder 1961, 172), insbesondere den ersteren „als ein[en] unermüdliche[n] Rufer für eine Verständigung zwischen Ost und West“ (172), andererseits reiste sie nicht nur in andere osteuropäische Länder als Polen zu Friedenskongressen und Weltfestspielen (Jugoslawien 1951, CSR 1954, Sowjetunion 1956 und 1957, Bulgarien 1958), sondern auch in westeuropäische, nicht nur neutrale wie Österreich 1952 (auch 1959), Schweden 1954 (auch 1958), Finnland und die Schweiz 1955 (auch 1956), aber nach Polen reiste Faßbinder am häufigsten: 1955 zu einer „Internationalen Konferenz zur friedlichen Lösung der deutschen Frage“ und einige Monate später zu den Weltjugendfestspielen nach Warschau, 1958 mit der „erste[n] westdeutsche[n] Frauendelegation nach Polen“ (246).
Vgl. die Denunziation von Faßbinder, Helling und Genschel in dem von einem VerfassungsschutzAgenten unter Pseudonym im Verlag Politik und Wirtschaft des Kiepenheuer und Witsch-Verlags publizierten „dokumentarischen Bericht“ „Die trojanische Herde“ (Richter 1959, 195, 206). Ein Vorgängerband war 1952 in der – von der US-amerikanischen Hohen Kommission finanzierten (Möller 2014, 303) – Reihe „Rote Weissbücher“ erschienen, der insbesondere nicht-kommunistische Mitglieder des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschland wie den Schweriner Domprediger Karl Kleinschmidt angriff; in dessen Lebenslauf heißt es über den „Vorsitzende[n] des Thüringischen Landesverbandes der Religiösen Sozialisten“: „1932 erstes Disziplinarverfahren, 1933 verhaftet und wegen prokommunistischer Tätigkeit für 1 1/2 Jahre suspendiert“ (Friedrich 1952, 142). Das Motto des Bandes von 1952 lieferte dem von 1959 den Titel: ein verballhorntes Zitat aus Georgi Dimitroffs Rede auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1935: „‚mit Hilfe des Trojanischen Pferdes in das Innere, in das Herz des Feindes einzudringen‘“ (5). Der Biograph des Verlegers als „Netzwerker im Dienst des Antikommunismus“, Frank Möller, nennt „Die trojanische Herde“ eine der „abstoßende[n] Kampfschriften“ (Möller 2014, 318) des Verlags, in denen mit „menschenverachtendem Rigorismus […] im eigenen Land gegen sogenannte innere Feinde vorgegangen wurde“ (319).
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9 Klara Maria Faßbinder: Polen. Bericht über eine Reise Faßbinder hat über ihren Besuch von Auschwitz zwei Mal geschrieben, zuerst in dem bereits genannten, aber noch nicht zitierten „Bericht über eine Reise“ „Polen. Notizen über ein Land“ von 1960, dann 1961 in den bisher zitierten autobiographischen „Begegnungen und Entscheidungen“. In den als zweites Buch in der Reihe „Unbewältigte Vergangenheit“ des WeltkreisVerlags erschienenen „Notizen“ über Polen heißt es: „Auschwitz, habe ich gesehen und werde den Eindruck nie vergessen. Ich wünschte nur, die Vorstände aller Vertriebenenverbände gingen einmal dorthin.“ (Faßbinder 1960, 31) Faßbinders Beschreibung der Gedenkstätte ist die einzige ‚Abweichung‘ „von der chronologischen Darstellung“ (34) der deutsch-polnischen Geschichte, durch die sie die anfängliche Reisebeschreibung sehr schnell ersetzt: Außer dem Flug von Lissabon nach Warschau – zu einer Friedenskonferenz – wird nur der Besuch von Auschwitz dargestellt. Auf das durch (den einzigen) Fettdruck in der Broschüre hervorgehobene Resümee: „unsere Schuld“ (33), führen alle Details, die Faßbinder aus Auschwitz berichtet, wie z. B. den im Museum ausgestellten Durchschlag über „drei Jahre Zahnersatz für das ganze deutsche Volk“: „Ob man […] unbewußt ein Stück aus dem Munde eines grausam Ermordeten in seinem Munde trägt?“ (32) Faßbinder resümiert: „Man kann es nicht […] leugnen oder verkleinern oder ungesühnt […] vergessen“ – „diese Zeugnisse sind unbestreitbar“ (32), um fortzufahren: „Das Schicksal der Juden, es mischt sich hier mit dem Schicksal der Polen. Sie sind nicht mehr von einander zu trennen“ (33). Sehr lapidar bezugnehmend auf die Curzon-Linie und die alliierten Vereinbarungen zur Wiederherstellung eines entsprechend nach Westen verschobenen polnischen Staates, der „Verschiebungen in der Bevölkerung“, „expulsion“ (36), bedeute, eine Grenze, deren „Endgültigkeit“ offensichtlich sei, appelliert die Verfasserin, „dies sicherlich harte und bittere Geschick auf sich zu nehmen als Sühne für das namenlose Unrecht, das früher und erst recht im Kriege den Polen angetan worden ist“ (37). Während Faßbinder in der Einleitung den „nie [zu] vergessen[den] Eindruck“ eines ‚Sehens‘ von Auschwitz als Vermutung einer möglichen Wirkung auch auf Vertriebenen-Politiker formuliert: „Vielleicht wäre ihnen dann verständlicher, daß die Polen nach dem Krieg von einer namenlosen Wut auf alle Deutschen wie von einem Sturm erfaßt wurden und sie alle mit Leidenschaft vertrieben!“ (31), verallgemeinert sie im fett gedruckten Resümee am Schluss, den Adressaten ihrer Beschreibung – im ‚Man‘ und im ‚Wir‘ – einschließend, das Sehen von Auschwitz zur Bedingung einer Veränderung des eigenen Verhaltens: „Wenn man solche Stätten gesehen hat, dann verlernt man die Anklagen und kann nur an die eigene Brust klopfen und sagen: ‚Unsere Schuld, unsere Schuld, unsere übergroße Schuld!‘“ (33) Sowohl die Geste als auch die gesprochenen Worte entsprechen, allerdings in den Plural gesetzt und gesteigert, dem Schluss des Confiteor oder Schuldbekenntnisses der katholischen Messliturgie: „Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe: ich habe gesündigt in Ge-
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danken, Worten und Werken: durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld.“ Vom ersten Satz an verbindet die Beschreibung Wahrgenommenes mit Gefühlen und Gedanken, die auch in Form von Fragen formuliert werden, aber nicht an die 1. Person Singular, sondern ein verallgemeinerndes ‚man‘ gebunden: „Schon die Inschrift über dem Eingangstor des Konzentrationslagers Auschwitz ‚Arbeit macht frei!‘ läßt einem die Schamröte ins Gesicht steigen.“ (31) Die „Überreste“ der, „als ob man die Spuren des Satanischen, das dort geschah, auslöschen könnte“, „gesprengt[en]“ „Verbrennungsöfen“ und „Vergasungskammern“ lassen drei Fragen stellen: „Was mag in den Seelen all der Menschen vorgegangen sein, […] wenn […] der Tod jäh vor ihnen stand! [sic] Oder wußten sie darum, wenn sie in langen Zügen herbeigeführt wurden, die Juden aus ganz Europa, soweit Hitlers Macht reichte, die Polen, die russischen Kriegsgefangenen? […] Ahnten sie ihr Schicksal, wenn sie bei ihrer Ankunft ihre Sachen abgeben mußten“?“ (31) Von den „nicht mehr vernichte[te]n“ „Berge[n] aus den letzten Tagen“ von „Schmuck“, „Kleider[n]“, „Hausgerät“ und „Koffern mit den aufgemalten Adressen“ (31) sind es Letztere, die Faßbinder die eigene Reaktion mit der anderer verbinden lassen: „Aus Köln sah ich manche mit bekannten Straßennamen. Vielleicht ist man früher diesen Menschen schon einmal begegnet! Eine Bekannte war darunter, die jetzt so oft genannte Edith Stein, eine Schülerin des großen Philosophen Husserl.“ (32) Verallgemeinerte Fragen lassen die zunächst nicht genannten ‚Berge‘ von „Frauenhaar“, „Zahnbrücken und Kronen“ stellen: „Ob man damals vielleicht ein Kleidungsstück gekauft hat, das aus diesem Material bestand?“ „Ob man sich damals [Zahnersatz…] hat machen lassen und unbewußt ein Stück aus dem Munde eines grausam Ermordeten in seinem Munde trägt.“ (32) „Entsetzlich!“ nennt Faßbinder die ausgestellten Dokumente mit Ausrufungszeichen: „Oh diese Blätter, die von den Menschen […] wie von Freimarken oder Warenproben sprechen“, auf denen über „medizinische[…] Experimente[…] an den Wehrlosen“ „peinlich genau buchgeführt“ wird, „wie es der deutschen ‚Gründlichkeit‘ entspricht!“ (32) Faßbinders Beschreibung, die über keinen Gang von Birkenau ins Stammlager berichtet hat, kehrt zum Schluss nach Birkenau zurück, nachdem sie zuvor die im Museum ausgestellten ‚entsetzlichen‘ ‚Blätter‘ ‚deutscher „Gründlichkeit“‘ kommentiert hat: „Und doch muß man beinahe Gott dankbar sein, daß er diese Dokumente, die der Ausgang unserer Rettung sein könnte [sic], uns bewahrte, denn diese Zeugnisse sind unbestreitbar, so gerne man auch die Taten dort leugnen oder verkleinern oder ungesühnt zu vergessen bringen möchte.“ (32) Das auf einen Gedankenstrich Folgende ist gesperrt gedruckt und geht über in die Beschreibung des Gehens in Birkenau: „– Man kann es nicht! Man geht über die Erde, die seltsam weich ist und merkt auf einmal, daß sie mit der Asche der Verbrannten vermischt ist, da man zum Schluß […] bis zu 30.000 Menschen an einem Tag vergasen konnte und vergaste.“ (32) Faßbinder betont in der 1. Person Singular: „Ich muß nicht nur an Edith Stein denken“, ihre eigene Bekannte, die als auch dem Adressaten bekannt schon erwähnt worden ist, sondern sie berichtet, ohne den Namen zu nennen, was die „Ansagerin bei Radio Prag“ (32) ihr vermutlich bei ihrer Teilnahme an dem Friedenskongress in Prag
9 Klara Maria Faßbinder: Polen. Bericht über eine Reise
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im Oktober 1954 berichtet hat über die schließliche Ermordung ihrer dreieinhalb Jahre alten Tochter, die sie in Auschwitz zunächst „mit Hilfe der Mitgefangenen verborgen“ (32) hatte: „Das ist nur eins von den ungezählten Kindern, die vergast wurden“, leitet den Schluss der Beschreibung ein, der mit dem „Berg von Kinderschühchen“ (32) den Anfang wieder aufnimmt, um mit Johannes R. Bechers Gedicht „Kinderschuhe aus Lublin“ zu belegen: „Und Auschwitz ist nicht das einzige Lager, in dem es diese anklagenden Schühchen gibt.“ (33) Faßbinders zweiter, ein Jahr später in den autobiographischen Aufzeichnungen „Begegnungen und Entscheidungen“ erschienener Bericht über ihren Besuch in Auschwitz ist auch gerahmt, aber nicht von einer Darstellung deutsch-polnischer Geschichte, sondern von den „Umständen“, wie sie „im Juni 1952 zur Weltfriedensbewegung gestoßen“ (Faßbinder 1961, 175) sei. In zwei Kapiteln berichtet sie zunächst über ihre „Einladung zu einer außerordentlichen Tagung [des Weltfriedensrates] nach [Ost‐]Berlin“ (175), die Reise, die „Ländervertretungen“, an denen sie das „[Ü]berwiegen“ von „Nichtkommunisten“ (177) und „viele[…] dunkelhäutige[…] Teilnehmer“ (178) hervorhebt, wie von den Referaten die Irène Joliot-Curies und Ilja Ehrenburgs (178), dann im zweiten nur „Gespräche mit Russen“. Das erste, mit dem Metropoliten der russisch-orthodoxen Kirche geführte Gespräch endet mit Faßbinders Frage, ob es ihm „nicht möglich sei, etwas für unsere Kriegsgefangenen zu tun, für die deutschen Frauen, die noch in Rußland seien“ (179), aber ausführlicher zitiert sie aus mit zwei Dolmetschern einzeln geführten Gesprächen, als sie den einen nach dem „Verhalten Frauen und Mädchen gegenüber“ beim „Einmarsch“ (182) in Deutschland fragt und dem anderen, der als Jugendlicher „‚auf eine besondere, schreckliche Art verstümmelt[e]‘“ sowjetische Soldaten bestattet hatte, berichtet, von einem „‚glaubwürdigen‘“ „‚Bonner Kollegen‘“ „‚das gleiche von deutschen Soldaten gehört‘“ zu haben (183). In dem, was Faßbinder als ihre Worte bei der Verabschiedung mit einem „fest[en]“ Händedruck zitiert, deutet sich an, weshalb sie den Bericht von ihrem Eintritt in die Weltfriedensbewegung über ‚Gespräche mit Russen‘ 1952 schließt mit der Beschreibung ihres Besuchs in Auschwitz drei Jahre später, „1955 in Verbindung mit den Weltfestspielen der Jugend in Warschau“ (184): „‚Gibt es nicht nur eins, daß wir aus all dem entnehmen dürfen; wir müssen alle unsere Kraft einsetzen, daß es keinen Krieg mehr gibt? Daß die Menschem nicht mehr über ihre Kraft versucht werden?‘“ (183) Faßbinder wendet sich mit einer den Unterschied zwischen dem für einen Kommunisten gehaltenen sowjetischen Gesprächspartner und sich als Christin aufhebenden Frage an den Adressaten, bevor sie begründet, weshalb sie auf ihren drei Jahre späteren Besuch in Auschwitz zu sprechen kommt: „Spüren meine Leser, wie wesenlos es war in diesem Augenblick, daß mein Gesprächspartner wahrscheinlich ein Bolschewik war und ich mich zum Christentum bekenne? Daß ein Gemeinsames uns verband: die Sorge um den Menschen, der ihm Bruder und Genosse war, mir ein Mitmensch, das Ebenbild Gottes, über den Gott einst von uns Rechenschaft fordern wird. Erst vier Jahre später, beim Wiedersehen in Moskau, erfuhr ich, daß er kein Kommunist ist… Hier möge folgen, was […] dem Bericht des russischen Studenten ein neues, düsteres Relief gab.“ (184). Aber Faßbinder stellt dem, was das Gespräch mit dem Russen „ins
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Licht setzen“ (Liebknecht 1907, 472) soll, allerdings ein ‚düsteres‘, eine weitere, auf einen zweiten Besuch vorausdeutende Begründung ihrer Beschreibung von Auschwitz voran: „Ich darf es nicht verschweigen. Denn es ging mir [1955] wie 1958 unserer Maria Deku,²³ als sie mit uns sieben anderen Frauen aus der Bundesrepublik in der ersten westdeutschen Frauendelegation nach Polen fuhr.“ (184) Der Beschreibung vorangestellt wird über die spätere Mitreisende eine Verallgemeinerung der Wirkung des Besuchs, die zugleich eine der im Text der autobiographischen Aufzeichnungen seltenen Bezugnahmen auf den Untertitel „Blätter aus einem Lebensbuch“ ist: „Der Anblick von Auschwitz, dem Vernichtungslager, übertrifft alles, was man sich in der Phantasie vorstellen kann. Auch bei mir hat dieses Erlebnis ‚ein neues Blatt in meinem Lebensbuch‘ aufgeschlagen. Nie mehr kann ich alles, was mit Nazizeit, Weltkrieg, Geschehen im osteuropäischen Raum zusammenhängt, so ansehen, wie ich es vorher tat.“ (184) Faßbinders Blick geht auf „Asche“ und „Verbrennungsöfen“, „Schriftsätze“ „von den ‚Ausgängen‘, d. h. den Morden“, „Gold“ für „Zahnersatz“ von „uns Ahnungslosen“ oder „Frauenhaare“ zu „Stoffe[n]“ „für uns gewöhnliche Sterbliche auf Bezugsschein hin“, „Koffer […] mit den deutlich aufgemalten Heimatadressen“ und „Geschirr […] für die angeblichen Heime, die auf die unseligen Opfer warteten“ (184). Die asyndetische Reihung von Wahrgenommenem endet in einem Ausruf, den Faßbinder in ein Bild des Lebens wendet: „Noch vieles andere und, oh, die Kinderschuhe! Die Schühlein, vom kleinsten, das man schon dem Säugling zur Probe für die ersten Schrittchen an Mutters Hand anzieht, bis zu denen der Schulkinder, in denen sie die ersten selbständigen Schritte ‚ins Leben‘ tun.“ (184) Auf den von diesem ‚Anblick von Auschwitz‘ bewirkten Bruch mit früheren ‚Ansichten‘ kommt Faßbinder zurück: „Sie alle, die in irgendeiner Weise, als Helfer, als Kommentatoren der entsprechenden Gesetze an dieser Schändung der Schöpfung Gottes beteiligt waren, sie alle wünschte ich mir einmal in diesem Lager. Vielleicht würden sie nicht mehr reden, wie sie es heute tun.“ (184) Doch Faßbinder widerspricht sich, indem sie von den in der 3. Person (des Staatsekretärs Hans Globke, auf den als exemplarisch im Plural angespielt wird) Beschuldigten zur 1. Person Plural wechselt: „Nein, wir dürfen es nicht vergessen, wir Deutschen, noch nicht, bis wir in tiefster Seele bereut und nach Wegen zu einer Sühne, und sei es nur einer symbolhaften, gesucht haben.“ (184) Nach einem Gedankenstrich folgen zwei Fragen, auf die Faßbinder keine ausdrücklich bejahende oder verneinende Antwort gibt: „Haben wir es als Volk getan? Tun wir es in der Erziehung der Jugend? Die Fragen stehen ohne Antwort im deutschen Raum.“ (184) Doch durch einen Vergleich von Auschwitz mit „[a]ndere[n] Konzentrationslager[n]“, die sie „im Laufe der Jahre gesehen“ habe: „Buchenwald, Neuengamme, Mauthausen, Dachau.– Alle entsetzlich, aber Auschwitz bleibt das Grauen für mich, das ‚unauslöschliche Siegel‘, das uns aufgeprägt ist“, wendet sie sich mit der Umdeutung des Titels von Elisabeth Langgässers Roman gegen eine ‚im deutschen Raum‘ ‚stehende‘
1946 – 48 CSU-Abgeordnete in verschiedenen bayerischen Parlamenten.
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‚Auslöschung‘ von Auschwitz „durch Schweres und Schwerstes, was nach dem Kriege deutschen Menschen geschah“ (184).
10 Peter Edel: Tagebuch-Notizen aus Polen, über „Das Tagebuch des Dawid Rubinowicz“ in der Kulturellen Gesellschaft jüdischer Bürger Warschaus Wie Faßbinder veröffentliche 1960 ein anderer Teilnehmer der Reise von den Weltfestspielen 1955 in Warschau nach Auschwitz „Notizen“ über Polen, aber Peter Edel, der bereits 1955 über diese Reise in der „Weltbühne“ geschrieben hatte, schrieb keine historische Broschüre über Polen, sondern „Tagebuch-Notizen aus Polen“, von einer „Vortragsreise“ nach Gdansk, Gdynia, Zopot und Warschau, die vom „warschauer DDR-Zentrum“ (Edel 1960, 394) betreut wurde; sie führte zwar nicht nach Auschwitz, aber Auschwitz bildet einen zentralen Bezugspunkt der Polemik, die Edel durchgängig führt und in dem Motto von Johannes R. Becher ankündigt: „Die auf Vernichtung sannen/ richtet sie!/ Richtet, vernichtet sie! Sprengt sie ins Nichts!“ (394) Polemik richtet sich durchgängig gegen den bereits erwähnten Charles Wassermann, der als „der gar nicht geistesverwandte Sohn eines bedeutenden Dichtervaters“ (394) eingeführt wird, als Verfasser der Reisebeschreibung „Unter polnischer Verwaltung“ und gegen den Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer, gegen den im April, also wenige Wochen nach Erscheinen von Edels „Notizen“ in der DDR ein Prozess eröffnet wurde wegen seiner Rolle als Kommandeur des Bataillons Nachtigall beim Pogrom 1941 in Lwow, des Bataillons Bergmann bei sogenannter ‚Partisanenbekämpfung‘. Schon im ersten Absatz verknüpft Edel beide Richtungen der Polemik: „Mr. Wassermann, der vor Hitler flüchten mußte, war de facto gekommen, um auf den Spuren von Oberländers ‚Eindeutschern‘ die Mülltonnen hinter den Neubauten ausfindig zu machen und allerorten bei der Bevölkerung der Westgebiete ‚orientalische‘ Gesichtszüge‘ zu eruieren“ (394); „der neugebackene Rassist“ habe „in seiner Eile total vergessen“, „daß es Zeiten gegeben haben soll, in denen bestimmte Gesichtszüge ein Todesurteil bedeuteten. Denn in Polen haben die Nazis ja sechs Millionen Juden aus ganz Europa umgebracht.“ (394) Edel betont auch, worin sich seine Reise von Wassermanns unterschied, dass er nämlich anders als Wassermann von Gdansk nach Stutthof fuhr und auch mit Polen sprach. Entsprechend zitiert er, wie er in Gdansk vorgestellt wurde: „als ein[…] Kamerad[…], dem polnische Menschen in Auschwitz das Leben gerettet haben“ (396), und was der Gastgeber über Oberländer sagt: „‚Die Jungen, die heute Hakenkreuze und Davidsterne an die Mauern malen, wurden von denen verdorben, die noch einmal dem Galgen entgangen sind, obwohl sie Millionen Menschen auf dem Gewissen haben.‘“ (396) Edels Gang durch Warschaus Stadtteil Muranow, wo das Ghetto war, wird dargestellt zunächst als ein Gang zu den Toten, der auf den Kanaldeckel gelegte Blumenstrauß als Abstieg in den Acheron, dann als einer zu ihren Angehörigen: zur
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Vorführung eines Films über Oberländer und zur Lesung aus dem „Tagebuch des Dawid Rubinowicz“ in der Kulturellen Gesellschaft jüdischer Bürger Warschaus: „Zu denen, die ihre Angehörigen in Lublin, in Auschwitz und in Maidanek und in Lwow, verloren haben, zu den wenigen, die überlebten, zu denen, die dem Inferno entkamen, zu denen gehe ich nun…“ (397). Edel zitiert namentliche genannte Teilnehmer der Veranstaltung, die in dem Film über Oberländer als „Mörder von Lwow“ auf den Aufnahmen aus „Lemberg-Lwow“ Prominente, Freunde und Verwandte erkennen: „Die Augen der Opfer […] brennen“ (398), leitet über zu Edels Blick auf einen 12-jährigen, den seine Eltern zu der Veranstaltung mitgebracht haben, nachdem Dawid Rubinowicz’ Tagebucheintrag über die Deportation seines Vaters zitiert worden ist: „‚Ich habe ihm nachgeschaut, bis der Lastwagen um die Kurve verschwunden war […]. Wieder zu Hause, war ich furchtbar traurig. […] Das Nachtmahl war fertig, der Tisch gedeckt, es war Feiertag, und wenn ich auf den Platz von Papa schaute, der leer blieb, zog sich mein Herz vor Trauer zusammen.‘“ (399) Dieses Bild nimmt Edel auf, bevor er mit einem Zitat aus einer Publikation des Bundesvertriebenenministers aus dem Faschismus schließt: „‚Die Eindeutschung der Ostgebiete muß in jedem Fall eine restlose sein.‘ Das schrieb der Henker und Judenmörder Oberländer im Jahre 1940, im selben Jahr, da der kleine Dawid Rubinowicz sein Tagebuch zu schreiben begann…“ (399), und das Bild des ‚leeren Platzes‘ zur „leere[n] weiße[n] Schulheftseite“ wird, die von Edel „zu den Anklageakten“ ‚gelegt‘ wird und Oberländer „[d]as Urteil“ ‚spricht: „Ich habe den Jungen während meiner Rede immerfort ansehen müssen und frage mich: ‚Wie viele Plätze am Tisch dieser Familie sind wohl leer? Einer, zwei, drei –?‘ Aber ist vorstellbar ein Saal mit vier Millionen leerer Stühle. Denn so hoch ist allein die Zahl der von den Faschisten umgebrachten jüdischen Bürger Polens.“ (399) 1961, als im April „Das Tagebuch des Dawid Rubinowicz“ auch in der DDR erschien (Tagebuch 1961), in einer anderen Übersetzung als ein Jahr zuvor in der BRD (Tagebuch 1960), wo der Warschau-Korrespondent der „Welt“ noch früher als Edel in der DDR auf „das große literarische Ereignis“ (Zimmerer 1960) des letzten Jahrzehnts in Polen aufmerksam gemacht hatte, schlug, wie bereits zitiert, Walther Victor als Mitglied des Ausschusses für den Heinrich-Heine-Preis für Essayistik dem Staatssekretär im Ministerium für Kultur mit Erfolg Peter Edel vor. „Das Tagebuch des Dawid Rubinowicz“ wurde in der DDR im Organ der BibliothekarInnen von der Schriftstellerin und Übersetzerin Tilly Bergner besprochen, die für den Verlag der VVN 1952 die „Lettres de fusillés“ als „Es lebe Frankreich. Partisanenbriefe“ übersetzt und schon 1949 „[v]om Komitee über Ravensbrück gesammelte Materialien“ unter dem Titel „Aufgesprengt dem helleren Morgen die Tore“ herausgegeben hatte. Bergners Rezension stellt auf die „tiefste Erschütterung“ (Bergner 1961, 949) ab, die Dawid Rubinowicz’ Aufzeichnung von „zwei Jahre[n]“ „Maßnahmen der faschistischen Besatzung Polens zur ‚Endlösung der Judenfrage‘“ (949) auslöse, ein „Erlebnis“, „das uns in der Regel nur das große Kunstwerk zu vermitteln vermag“ (949). Denn dargestellt werde „[e]in Leben von sechs Millionen…“: „Es ist ein Stück der schaudervollsten […] Menschheitsgeschichte. Ein winziger Ausschnitt nur, der aber doch die ganze Wirk-
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lichkeit wie in einem Spiegel von Blut und Tränen einfängt.“ (948) Obwohl sie einen Vergleich mit „Das Tagebuch der Anne Frank“ als „durchaus fehl am Platze“ zurückweist, weil Anne Frank Tagebuch geschrieben habe „in einem Rahmen, der noch als Leben bezeichnet werden kann“, während Dawid Rubinowicz Tagebuch führte in der „Atmosphäre von aussichtslosem Grauen“ (949), vergleicht sie Dawid Rubinowics’ „Tagebuch“ mit anderen Büchern über Judenverfolgung und -vernichtung: „Es gibt viele Bücher, die sich in vielerlei Form mit diesem Stoff auseinandersetzen. Ich kenne keines, das stärker wäre als dieses ohne Gefühlsseligkeit und Selbstbemitleidung, ohne direkte Anklage und ohne die geringste Emphase geschriebene Tagebuch.“ (950) Sie bringt die unvergleichliche ‚Stärke‘ auf den Begriff ‚Sachlichkeit‘ für eine Darstellung der lebensbedrohlichen Verfolgung als einer ‚Angst‘, die kathartisch auf LeserInnen wirken könne: nämlich von Antisemitismus und anderem Rassismus befreien. Für die Untersuchung der Rezeption des „Tagebuchs von Dawid Rubinowicz“ in der DDR hat Anne Boden 2019 Bergners Rezension nicht berücksichtigt, aber sie könnte als Bestätigung ihrer Verallgemeinerung über die in der DDR seit 1961 erschienenen Rezensionen des Historikers Klaus Drobisch, des Schriftstellers Klaus Schlesinger und der Mitarbeiterin der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg Renate Trautmann gelesen werden: „Alle drei […] Rezensenten schreiben aus einem persönlichen Interesse an dem Thema, drücken ihre Empathie für das Opfer aus und erzählen verhältnismäßig offen von seinen Erfahrungen.“ (Boden 2019, 390). Aber wenn Boden den „Wunsch“ der RezensentInnen, „das Besondere an Dawids Tagebuch und seinem Schicksal unabhängig von anderen Zeugnissen [vor allem Anne Franks, H.P.] zu würdigen“, darin „motiviert“ sieht, „ideologisch aufgeheizte Diskussionen zu vermeiden“ (390), folgt sie unter Berufung auf Karin Hartewig und Olaf Groehler einer schematischen Entgegensetzung von „persönlich“ auf der einen Seite und „ideologisch“ als „politisch instrumentalisiert“ (390) auf der anderen,²⁴ statt die z. B. von der Rezensentin Bergner programmierte Wirkungsweise des Textes zur Kenntnis zu nehmen, „in sich und für viele, viele andere ein Stück Vergangenheit zu bewältigen“ (Bergner 1963, 388).²⁵
Vgl. den Wortlaut Boden 2019, 390: „Die ostdeutsche Rezeption des ‚Tagebuchs des Dawid Rubinowicz‘ zeigt, dass es Anfang der 1960er Jahre durchaus möglich war, sich persönlich und ohne ideologische Bezugnahmen zum Thema Judenverfolgung im ‚Dritten Reich‘ zu äußern, auch wenn parallel dazu der Holocaust in der historischen Meistererzählung der DDR politisch instrumentalisiert wurde.“ Hierzu Fn.40: „In der Sekundärliteratur wird oft darauf hingewiesen, dass das Thema Holocaust ab Ende der 1950er Jahre in der DDR-Öffentlichkeit zwar zunehmend thematisiert wurde, jedoch meistens mit dem Zweck, Westdeutschland als Nachfolgestaat von NS-Deutschland zu diffamieren. Siehe dazu Hartewig 2001 und Gröhler 1993.“ So besprach entgegen dem Schema ‚persönlich‘ oder ‚ideologisch‘ eine andere Rezension von Tilly Bergner, gleichfalls in der Zeitschrift „Der Bibliothekar“, 1963 Franz Fühmanns Erzählungen „Das Judenauto“.
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11 Friedrich Karl Kauls Rezension von „Der gelbe Stern“ und Robert Neumann: Ausflüchte unseres Gewissens Auf der zweiten Seite des „Neuen Deutschland“ begann der Jurist Friedrich Karl Kaul seine Rezension von Gerhard Schoenberners „fotographische[r] Dokumentation eines der größten Verbrechen der Weltgeschichte: der Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945“ „Der gelbe Stern“, mit der These: „In Westdeutschland ist dieser Tage ein Buch erschienen, dessen Besprechung man vergebens in den Literaturbeilagen der auflagereichen Konzernblätter suchen wird, obwohl, oder besser gesagt, weil es mit unerbittlichem Zwang die deutsche Vergangenheit der Zeitspanne von 1933 bis 1945 gegenwärtig macht.“ (Kaul 1960) Im ersten Teil der Besprechung „wendet“ Kaul „Blatt um Blatt dieser Fotographien um, die […] über die Einmaligkeit dieses Verbrechens an Menschheit und Menschlichkeit mehr aussagen, als noch so wortreiche Berichte es vermögen“, zum zweiten Teil leitet über: „Schmerzhaft eindringlich vergegenwärtigt dieses Buch die Vergangenheit. Zugleich aber – und das ist vielleicht noch weit bedeutungsvoller – enthüllt es die westdeutsche Gegenwart.“ (Kaul 1960) In keiner der acht pointierten Beschreibungen von Fotos fällt das Wort SS: „Grinsend umstehen Angehörige der Naziwehrmacht einen Polen jüdischen Glaubens, den sie gezwungen haben, Gebetsmantel und rituelle Gebetsriemen anzulegen.“ Oder: „Mit einer Hundepeitsche schlägt ein ‚Landser‘ auf eine alte jüdische Frau ein, die bewegungslos die Arme verschränkt, in unnachahmlicher Würde die schmachvolle Mißhandlung über sich ergehen läßt.“ Ein Foto kommentiert Kaul ausführlicher: „Unauslöschlich bleibt das Gesicht eines russischen Bauern in Erinnerung, um dessen Hals ein Deutscher die Todesschlinge knüpft… dieses in Todesbangen erstarrte Gesicht, den Blick der schreckhaft aufgerissenen Augen in die weite Ferne gerichtet …“ (Kaul 1960) Zur ‚Enthüllung‘ westdeutscher Gegenwart durch die Fotos geht Kaul von einem Zitat aus Schoenberners Vorwort aus: „‚Ihre Mörder, soweit nicht ein besonderes Mißgeschick sie ereilte, sind noch am Leben…‘“, aber Kaul ergänzt: „wieder in Amt und Würden in Westdeutschland“, um für die Täter auf den von ihm ausgewählten Fotos die Frage nach ihrer westdeutschen Gegenwart zu stellen: „Der Richter, der in Flensburg oder Bremen über Recht und Unrecht zu entscheiden hat, kann er nicht der Uniformierte sein, der der alten jüdischen Frau die Reitpeitsche ins Gesicht fetzte? Der Lehrer, dem in Lüneburg und Hannover das Kind zur Ausbildung überlassen wird, ist er nicht derselbe, der als Soldat dem russischen Bauern die Todesschlinge knüpfte?“ (Kaul 1960) Bevor Kaul den Staatssekretär Globke für „all die anderem Urheber und Nutznießer der nazistischen Weltverbrechen“ nennt, „die ihren Platz im westdeutschen Staat und seiner Wirtschaft wieder eingenommen haben“, liefert er eine Erklärung, die einem von der „ND“-Redaktion auf dieselbe Seite gesetzten Kasten entspricht – mit der Überschrift „Atombewaffnung und SPD-Parteitage“: „Kampf der Bonner Atomrüstung“, sowie einem Artikel: „Bundeswehr drängt auf Militärdiktatur“. Kauls Erklärung für die ‚Nazis in Amt und Würden‘ lautet: „Nur einen Grund kann es […] geben, der die Träger des Naziverbrechertums für den Dienst im westdeutschen Staat verwendungsfähig macht. Man kommt offensichtlich ohne diese Menschen und ihren
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Geist in Westdeutschland nicht aus, um die Pläne zu verwirklichen, die man, zur Atommacht aufgerüstet, für die Zukunft hat.“ (Kaul 1960) Ein aktuelles Foto des Gesichts des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt Hans Globke, der seinen Blick breit über Speckfalten grinsend auf den Betrachter richtet, ist in Robert Neumanns „Dokument in Bildern“ „Hitler. Aufstieg und Untergang des Dritten Reiches“ in die rechte untere Ecke eines historischen Fotos von den „ersten der 20.000 in der ‚Kristallnacht‘ Verschleppten“ eingefügt, das von einem erhöhten Standpunkt in der Mitte von Uniformierten eskortierte über zwanzig Männer auf der Straße zeigt, im Vordergrund zentral zwei in die Kamera lachende Frauen und im Hintergrund auf der anderen Straßenseite überwiegend männliche Zuschauer; die Bildunterschrift fährt fort: „und wer von den Zuschauern auf diesem Bilde ist noch unter uns und behauptet, er habe nichts gewußt?“ (Neumann 1961, 125) Auf der Höhe von Globkes Mund wird die Frage im Text unter dem Foto von der Deportation beantwortet: „Globke sagte im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß laut Seite 642 des Bandes XIV der Protokolle aus: Globke: ‚Ich wußte, daß Juden in großer Zahl getötet wurden, und ich war immer der Meinung, daß es Juden gab, die noch in Deutschland lebten oder in Theresienstadt oder anderswo in einer Art von Ghetto.‘ Der Anwalt der Verteidigung: ‚Sie dachten, daß es sich um Hinrichtungen, aber nicht um systematische Ausrottung handelte?‘ Globke: ‚Nein, das möchte ich nicht sagen. Ich bin der Meinung, und ich wußte dies damals, daß die Ausrottung der Juden systematisch betrieben wurde, aber ich wußte nicht, daß dieses sich auf alle Juden erstrecken sollte.“ (125) Auf der Höhe des ersten Teils des letzten Nebensatzes, „‚daß die Ausrottung der Juden systematisch betrieben wurde‘“, steht rechts auf einem unter das Porträt gesetzten Foto der Titelseite des von Oberregierungsrat Globke mit Staatssekretär im Reichs- und Preußischen Ministerium des Inneren Wilhelm Stuckart verfassten Kommentars der ‚Nürnberger Gesetze‘ „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ (125). Ähnlich aktuell polemische „Kontrastierungen“ (Knoch 2001, 632) in Montagen bringt Neumann unter dem Begriff der „Mitschuld“: von Ärzten (Neumann 1961, 235), Richtern (247) und Industriellen (248). Auf der letzten Seite des Foto-Text-Teils vor dem Abdruck von „Dokumente[n]“ (241– 252) sind drei Sätze jeweils mit Überschriften wie Inschriften auf eine – dem über beide Seiten des Einbands laufenden Foto ähnliche – Ziegelsteinmauer mit Einschüssen projiziert, vor der ein Kind sitzt, so alt wie das zwei Seiten zuvor abgebildete – mit der Frage an den Adressaten: „Deutsch? Polnisch? Jude? Christ? Wessen Kind? Dein Kind?“ (238) Die drei Inschriften bringen ein Element der Struktur des Foto-Text-Bandes auf den Punkt, nämlich den periodischen Wechsel von der Dokumentation der Verfolgung zu der von Widerstand. Die Überschriften lauten: „Die ewige Schmach“, „Der ewige Widerstand“ und „Die ewige Gefahr“; zentriert und mit Zeilensprung heißt es unter der ersten: „6 Millionen Juden wurden ermordet./ 7 Millionen russische Zivilisten/ 2,6 Millionen russische Kriegsgefangene/ 4,2 Millionen polnische Zivilisten und/ Hunderttausende aus anderen Völkern/ unter nationalsozialistischer Herrschaft/ verhungerten, starben als Arbeitssklaven/ wurden ermordet, werden vermißt.“ (240) Zum „Widerstand“ heißt es: „130 Tausend/ deutsche Widerstandskämpfer/ wurden
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ermordet.“ (240) Und zur „Gefahr“: „Neue Hakenkreuze 1960, 1961 ..“ (240). Neumann hat seine Auswahl der Fotos aus unterschiedlichen „Quellen“ und deren Anordnung im „Vorwort“ erläutert: „Andenken irgendeines SS-Mannes an die ‚große Zeit‘, in der man keine Bedenken trug, sich knipsen zu lassen, während man einem greisen Juden den Bart anzündet oder einen ukrainischen Bauern hängt.“ (5) Unmittelbar vor dem Abschnitt über Kinder als Opfer stehen die beiden Fotos, die auch in Schoenberners „Der gelbe Stern“ abgebildet waren und von Kaul in seiner „ND“-Rezension kommentiert wurden; Neumanns Text zu dem von Wehrmachtssoldaten verhöhnten Juden mit Gebetstuch und -riemen und dem mit dem Hals in der Schlinge und aufgerissenen Augen unter dem Galgen stehenden Zivilisten beschränkt sich auf die Zwischenüberschrift „Einsamkeit“ und die Ortsangaben „Lemberg und Ukraine“ (232/233). Zu den „Fotoalben in Privatbesitz“ gehört aber auch ein anderes: „Ein Auschwitzer Häftling, der einen winzigen Apparat unter seinen Lumpen geschmuggelt hatte, fotographierte einen Zug nackter Frauen und Kinder auf dem letzten Gang […] – ein Dokument deutscher Schande in alle Ewigkeit.“ (5) Dieser Vorausdeutung auf die Überschrift ‚Schmach‘ in der zusammenfassenden Inschrift folgt die auf die zweite, ‚Widerstand‘, wenn im „Vorwort“ die „organische Gliederung unseres Materials“ (7) erläutert wird: „Am grausigsten: es ergibt sich aus den von uns zusammengetragenen Bildern eine ganze Methodologie des Völkermordes – vom kleinen Anfang mit beamtenhafter Genauigkeit Schritt um Schritt bis zur Organisation einer Massenindustrie. Es ergibt sich aber aus diesen Bildern auch noch etwas anderes, und das ist das einzige Tröstliche. Viel zu klein, sicherlich, und totgeschwiegen und totgeschlagen, aber doch unauslöschlich, gab es tatsächlich vom ersten bis zum letzten Augenblick dieser Tyrannei einen deutschen Widerstand – nicht nur den der Leute vom 20. Juli und den einer heroischen kleinen Münchener Studentengruppe auf verlorenem Posten. Auch dafür findet sich in den Bildern dieses Buches der Beweis.“ (6) Auf den dritten Begriff der Zusammenfassung in Inschriften, ‚Gefahr‘, bezieht sich das „Vorwort“, wenn Neumann betont: „wir weigern uns zu verschweigen, daß Gespenster von gestern Realitäten von heute sind“ (6); so begründet er die Adressierung seines Buchs: „Wir wollen, daß dieser Bildband vor allem den jungen Menschen in die Hände kommt, die morgen die Verantwortung tragen werden. […] Die Lektion, die aus diesen nur mit spärlichen Worten kommentierten Bildern spricht, ist klar. Mögen die Deutschen dieser Generation sie lernen.“ (6/7) Periodisch, für jeden Zeitabschnitt, wiederholt sich eine mehrere Fotos zusammenfassende Zwischenüberschrift: „Aber der deutsche Widerstand lebte“ (51), zuerst gilt sie über den Fotos von drei Männern und zwei Frauen dem Frühjahr 1933, dann 1934 zu den Bildern eines älteren Mannes und eines 16-jährigen: „Aber der deutsche Widerstand lebte immer noch“ (72), und 1936 kontrastiert „Auch unter den Mädchen lebte der Widerstand“ (79) mit BDM- und Frauenschafts-Gruppenbildern, deren Unterschrift lautet: „Wer mitmachte, wurde dekoriert, befördert, vom Propagandaminister empfangen“ (80), auf der gegenüberliegenden Seite ein Foto von Judith Auer mit dem Kommentar: „Diese Mutter machte nicht mit. Am Tag ihrer Hinrichtung schrieb sie an ihre Tochter“ (81). Der letzte Brief Judith Auers ist der einzige letzte Brief, den
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Neumann zusammen mit einem Porträtfoto abgedruckt hat; er fand sich schon in der VVN-Anthologie von 1948 („… besonders“ 1948, 138/139) und auch in der Taschenbuch-Ausgabe der Anthologie des IML (Schumann/Werner 1959, 16 – 18). Aber Neumann hat aus dem Brief, in dem die – wie es in der Kurzbiographie von Schumann und Werner konkreter über die „während der ganzen Zeit der faschistischen Diktatur illegal“ „arbeite[nde“ Judith Auer („…besonders“ 1948, 138) heißt – „Funktionärin“ der „KPD“, die „Kurier zwischen der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe und der NeubauerPoser-Gruppe in Thüringen“ (Schumann/Werner 1959, 16/17) war, ihrer Tochter „einiges besonders ans Herz zu legen“ hatte, einen Rat gestrichen, den die Mutter der vor der Berufswahl stehenden Tochter noch gibt, außer: „denke […] an Deine eigenen Erfahrungen […] und vergiß manchmal, was Du bloß gelernt hast [„bloß“ ersetzt das gestrichene „was Dir beigebracht wurde“ (Schumann/Werner 1959, 17)]. Laß Dich stets von der Liebe leiten“ (Neumann 1961, 81). Gestrichen ist eine Begründung für den Rat, sich über den Tod der Mutter dadurch zu „trösten“, dass sie ihren Kindergartenkindern „Freude […] zukommen zu lassen“ „versuch[e]“ (81): „Die Freude, die man andern bereitet, strahlt stets auf einen selbst zurück. […] ‚Freude, schöner Götterfunken‘ ist Beethovens schönstes Werk. Und doch schrieb er es in einer Zeit, da er sehr elend war. Lies einmal über sein Leben nach.“ (Schumann/Werner 1959, 17) „Aber der deutsche Widerstand lebte immer noch“ heißt es für 1944 erst auf der Doppelseite, die auf eine folgt, die ohne Zwischenüberschrift Fotos von Hitler, Himmler, Mussolini und Göring „auf dem Weg zur Stätte des Attentats“ und von Stauffenberg, Leber, Witzleben und Goerdeler vor dem VGH folgendermaßen kommentiert: „Als im Auftrag patriotischer Offiziere, die den Krieg verloren sahen und in letzter Minute retten wollten, was sich noch retten ließ, Oberst Graf Stauffenberg […] Hitler durch eine Bombe töten wollte, mißlang der schlecht organisierte Plan.“ (204) Dagegen setzt die mit der periodischen Formel zum Leben des Widerstands eingeleitete nächste Doppelseite Fotos von Alfred Delp und Helmuth James Graf von Moltke vor dem VGH, ein Porträtfoto von Edith Stein und ein Gruppenfoto mit den „Geschwister[n] Scholl“ (207). Die Bildunterschriften lauten: „Große Kirchenfürsten hatten zu Anfang mit den Nazis zu paktieren versucht, aber viele Priester und Männer der Kirche standen im Lager des Widerstandes, das Persönlichkeiten aller Schichten und Tendenzen umfaßte […]. Es gärte auch unter den Studenten.“ (206) Der Kommentar auf der unmittelbar folgenden Doppelseite erklärt die vorangegangene Differenzierung sowohl innerhalb des 20. Julis als auch der Kirchen: „Vor allem aber der Widerstand unter den Arbeitern hatte nie aufgehört. Zwei von ihnen, Walter Häbisch [sic] […] und Franz Jacob […] stehen hier für die hundertdreißigtausend von Gestapo und korrupter Justiz im Auftrag Hitlers Geköpften, Gehenkten oder in den Lagern zu Tode Geschundenen. Diese beiden haben dem deutschen Namen mehr Ehre eingebracht als die Siege der Generale eines ganzen Jahrhunderts.“ (208) Mit ‚Ehre‘ fällt hier der Gegenbegriff zu der ‚ewigen Schmach‘ (240) oder der ‚Schande in alle Ewigkeit‘ (5), und die beiden namentlich genannten Arbeiter gehören zu denjenigen, die vom IML, um „alle im antifaschistischen Befreiungskampf gefallenen Helden“ zu „ehren“ (Schumann/Werner 1959, 5), in die Anthologie letzter Briefe „Er-
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kämpft das Menschenrecht“ aufgenommen wurden, Walter Häbich allerdings nicht mit einem letzten Brief, sondern mit einem „Lebensbild“ im Anhang „Leitende Funktionäre der deutschen Arbeiterbewegung, die als Kämpfer gegen Faschismus und Krieg ihr Leben gaben“ (323), denn der Vorsitzende des Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (seit 1928) wurde am 1. Juli 1934 im KZ Dachau ermordet. Neumanns Zahlenangabe geht sowohl über die von Günther Weisenborn 1953 in „Der lautlose Aufstand“ gemachte, der „die Zahl der nach einem Urteil Hingerichteten auf etwa 32500 schätz[te]“ (Weisenborn 1974, 17), als auch die des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck im Vorwort der IML-Anthologie letzter Briefe hinaus, in der sich ausnahmslos auch alle Bilder derjenigen WiderstandskämpferInnen finden, die Neumann in seinem Buch abdruckte und die alle KommunistInnen waren: Irene Wosikowski, Martin Schwantes, Bernhard Bästlein (Neumann 1961, 51),Walter Kube, Alfred Schmid-Sas (72), Marianne Joachim, Elvira Eisenschneider (79), Judith Auer (81), Franz Jacob und Walter Häbich (208): „Zu Zehntausenden wurden die Kämpfer gegen Faschismus und Krieg eingekerkert, gefoltert, erschlagen, erhängt und zum Schafott geschleppt“ (Schumann/Werner 1959,4). „Bildband mit rosa Optik“ nannte in der Zeitschrift des Kongresses für kulturelle Freiheit „Der Monat“ (1961, 82) Neumanns „Dokument in Bildern“ (Neumann 1961) Sabine Brandt, die wie der Rezensent von „Christ und Welt“ Carl Gustav Ströhm kritisierte, dass „der kommunistische Widerstand hervorgehoben, die kriegstreibende Rolle der Sowjetunion ausgeblendet und die Remilitarisierung der Bundesrepublik einseitig und verzerrt dargestellt würde“ (Knoch 2001, 813). Zum zweiten Kritikpunkt lautete Neumanns Text zu Fotos von Hitler mit Henderson und Stalin mit Ribbentrop: „Der Westen erkannte erst 1939, daß Hitler zum Krieg entschlossen war, mißtraute aber den Russen zu sehr, um mit ihnen einen Militärvertrag zu schließen./ Der Osten rettete sich im letzten Augenblick aus der Isolation in einen Nichtangriffspakt mit seinem Todfeind.“ (Neumann 1961, 132/133) Das Viertel des Buchs, das Bilder und Kommentar zur Verfolgung und Vernichtung der Juden einnehmen, wurde auch von Walter Görlitz, dem Rezensenten von „Die Welt“, mit der Begründung ignoriert: „Um die Darstellung der deutschen Konzentrationslager nicht falsch werden zu lassen, müßten auch die sowjetischen Lager und Verbrechen gezeigt werden.“ (Knoch 2001, 813) Brandt redete sich und ihren LeserInnen aus, „von einzelnen Aufnahmen ‚erschüttert‘“ (813) zu werden, indem sie zu einem „Im Osten“ unterschriebenen Foto aus dem Abschnitt „Methodik des Tötens“ (Neumann 1961, 135), auf dem „man Menschen vor einer offenen Grube knien sieht, die Pistolen ihrer Mörder im Genick, auf den Gesichtern entsetzliche Todesangst“, anmerkte: „Genauso haben sicherlich auch die zehntausend polnischen Offiziere ausgesehen, als sie im Wald von Katyn die Mündungen sowjetischer Offiziere im Nacken spürten.“ (Brandt 1961, 82) Neumanns Auswahl und Anordnung von durchgängig historischen, nicht erst in der Gedenkstätte gemachten Fotos von Auschwitz zieht sich durch dreißig Seiten seines Buchs. Den Anfang bilden drei nicht in Auschwitz, sondern auf nicht lokalisierbaren Bahnhöfen aufgenommene Fotos, unter denen aber steht: „Verladung und Abtransport ins Vernichtungslager Auschwitz“ (Neumann 1961, 164). Die nächsten
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beiden Doppelseiten bringen in drei Spalten einen Auszug aus dem „Protokoll“ der 1932 in Tarnow, Polen, geborenen Gisa Landau (vgl. Langbein 1980, 543) über die Ankunft mit ihrer Mutter in Birkenau bis zur Verlegung ins Stammlager, auf der ersten steht zwei Fotos von der Selektion an den Gleisen Birkenaus, einem oben vom Torhaus und einem aus Augenhöhe der Opfer gemachten, das Bild eines der Eckpunkte des elektrischen Zauns gegenüber, der von unten fast senkrecht nach oben fotografiert wurde. Die andere Doppelseite stellt links oben das Foto von Frauen bei der „Ankunft“ in Kontrast zu dem darunter, das unterschrieben ist: „Kahl geschoren in Arbeitskleidung“ (168), auf der rechten Seite das Bild von zwei Kranken dem Brief eines SSObersturmbannführers zur ‚Arbeitsfähigkeit‘ der Häftlinge in Auschwitz (169). Wenn die folgende „Männer im KZ“ überschriebene Doppelseite sie „Auf dem Bahnhof“, „In der Baracke“ und „Bei der Arbeit“ (170/171) zeigt, setzt die nächste dem Foto „Himmler mit Oberingenieur Max Faust von IG Farben in Auschwitz“ (172) auf der linken Seite die „Eidesstattliche Erklärung“ von Rudolf Höß im Nürnberger Prozess rechts gegenüber zur Sklavenarbeit der Häftlinge in den Fabriken der IG Farben, von Siemens und von Krupp (173). Das über zwei Drittel der Höhe und Breite beider Seiten gehende Foto einer nackten männlichen, abgemergelten Leiche auf einer Trage steht unter einem Kommentar, der in der Kontrastierung zweier Zitate besteht: einem anonym belassenen „Deutschen Geschäftsbrief“ und einem Ausschnitt aus Krystyna Zywulskas 1946 erschienenem Erlebnisbericht „Przezylam Oswiecim“, der 1956 vom Warschauer Verlag Polonia auch englisch und französisch publiziert wurde, deutsch aber erst 1979 erschien als „Wo vorher Birken waren. Überlebensbericht einer jungen Frau von Auschwitz-Birkenau“. Die drei am rechten Rand stehenden Fotos zeigen aus (von oben nach unten) immer geringerer Distanz, wie Häftlinge eine Leiche auf „ein[r] einfache[n] metallene[n] Gabel“, wie sie der „Deutsche Geschäftsbrief“ ‚vorschlägt‘ (178), in einen der „Verbrennungsöfen“ (178) der Firma schieben – im „Krematorium Nr. 4“, aus dessen „Schornstein“ Krystyna Zywulska „gleich hinter unserer Baracke Flammen […] speien“ sah, aber auch „diese neue Methode“, in „der Grube, die man […] gleich neben dem Krematorium gegraben hatte“, „zwanzigtausend an einem Tag“ zu verbrennen, bis zu einem „Augenblick“, als „Gebrüll von tausenden von Stimmen herüber[kam]“: „‚Das kommt von der Grube selbst‘, sagte Iren, ‚sie verbrennen sie bei lebendigem Leib…‘“ (179) Ein lebender junger Mann, der eine Brille trägt und an seinem Mantel den Judenstern, steht auf einer halben rechten Seite sechs Fotos von 1945 im Lager vorgefundenen Effekten auf der linken gegenüber: „Links oben: Schuhe, paarweise gebündelt; darunter: Prothesen; darunter: Brillen. Rechts oben: Kleiderberg; darunter: Koffer; darunter: Tonnen mit Frauenhaar.“ (187) Zwischen den Hinterlassenschaften der Ermordeten und dem Lebenden stehen als Kommentar drei Zitate, zwei Beschwerden von mit der Verteilung von Textilien im Rahmen der „‚Betreuung im Winterhilfswerk‘“ Befassten darüber, dass an „den Anzügen“ „die Judensterne noch nicht“, und zwar „restlos“, „entfernt waren“ (187), und das Eingeständnis des SSFührers Odilo Globocnik gegenüber Kurt Gerstein, dass die „‚Spinnstoffsammlung‘“ des Winterhilfswerks nur zur Tarnung der Herkunft der von ihm verteilten Textilien
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gedient habe: „‚In Wirklichkeit ist das Aufkommen unserer [Vernichtungslager‐]Anstalten das 10- bis 20fache der ganzen Spinnstoffsammlung…‘“. (187) Die vier folgenden Doppelseiten, die „Auf dem Weg zur Gaskammer“²⁶ überschrieben sind, bringen keins der seit den späten 1950er Jahren zugänglich gewordenen Fotos (vgl. Knoch 2001, 830/831) aus Birkenau, sondern einen Auszug über das Vernichtungslager Belzec aus dem sogenannten „Gerstein-Bericht“, der als „Niederschrift Kurt Gersteins vom 4. Mai 1945 über Massenvergasungen am 18. August 1942“ zuerst in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“ 1953 erschienen war und dann als „Dokumentation zur Massen-Vergasung“ von der Bundeszentrale für Heimatdienst, von 12 auf 25 Seiten erweitert und von Helmut Krausnick herausgegeben, bis 1956 in drei Auflagen gedruckt wurde. Neumann wählte denselben Ausschnitt, den Walther Hofer 1957 für seine Dokumenten-Sammlung als Fischer-Taschenbuch „Der Nationalsozialismus“ gewählt hatte, aber er ließ den Schluss mit der Wahrheitsbeteuerung weg, um eine, allerdings durch „…“ (Hofer 1957, 311) gekennzeichnete, Kürzung Hofers zu tilgen: „Am anderen Tage – dem 19. August 1942 – fuhren wir mit dem Auto des Hauptmanns Wirth nach Treblinka, 120 km NNO von Warschau. Die Einrichtung war etwa dieselbe, nur viel größer als Belzec. Acht Gaskammern und wahre Gebirge von Koffern, Textilien und Wäsche. Zu unseren Ehren wurde im Gemeinschaftssaal im typisch Himmlerschen altdeutschen Stil ein Bankett gegeben. Das Essen war einfach, aber es stand alles in jeder Menge zur Verfügung. Himmler hatte selbst angeordnet, daß die Männer dieser Kommandos soviel Fleisch, Butter und sonstiges erhielten, insbesondere Alkohol, wie sie wollten.“ (Neumann 1961, 192). Für Neumanns durch Auswahl, Anordnung und kommentierenden Text entstehende „Bildererzählung […] zu Auschwitz“ (Knoch 2001, 831), gilt weder, was Habbo Knoch über „Buchpublikationen und Schulbücher“ verallgemeinert, dass „die Bilder des Auschwitz-Albums meist als Teil eines Gesamtnarrativs zur ‚Endlösung‘ eingestreut [waren], ohne daß Auschwitz gesondert hervorgehoben wurde“ (834), noch trifft sie, was Knoch sehr scharf an Veröffentlichungen kritisiert, die „Auschwitz […] ikonographisch ins Zentrum der Erinnerungsbilder“ (840) setzten, dass sie durch „wenige stereotype Sujets […] ein eigenes Gerüst visueller Imaginationen [spannten], das Auschwitz als Fabrik der Vernichtung vorstellen ließ“ (829); Knoch geht so weit, ihnen vorzuwerfen, Auschwitz zu dem gemacht zu haben, „was es bis heute ist: ein exterritorialisiertes, imaginäres Konstrukt“ (837). Der unterstellten Beliebigkeit einer ‚exterritorialen‘ ‚Konstruktion‘ von Auschwitz als Symbol: „Auschwitz setzte sich ikonographisch ins Zentrum der Erinnerungsbilder, weil es auf eine vielfältige Weise besetzbar war“ (840), widerspricht Knochs beiläufige Anmerkung zur ‚Todesfabrik‘: „Statt zum vergangenen Krieg waren die assoziativen Affinitäten zur Zukunft bürokratisierter Herrschaft und drohender Atomkriege viel stärker.“ (839) Vgl. Knochs (2001, 833/834) Kritik an einer ähnlichen, von ihm nicht nachgewiesenen Bildunterschrift: „Um die Dramatik des vereinzelten, gestauten Moments zu erhöhen, erhielten Bilder, die einzelne Menschen in Bewegung zeigten, Unterschriften wie ‚Auf dem Weg ins Gas‘, in einem Fall gar: ‚Ins Gas!‘“
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Die Frage nach der Zukunft wirft Neumann mit der dritten ‚Inschrift‘ seiner Zusammenfassung „Die ewige Gefahr“ auf, indem er hinter „Neue Hakenkreuze 1960, 1961“ zwei Pünktchen setzt „..“ (Neumann 1961, 240) Auf eine Publikation von Robert Neumann, die schon ein Jahr vor „Hitler. Aufstieg und Untergang des Dritten Reiches“ erschienen war, bezog sich der Historiker Hans Mommsen, als er in einer Sammelrezension für die „Deutsche Rundschau“ zu Rudolf Höß’ Autobiographie anmerkte, „daß ‚die Tatsache des bürokratischen korrekten Massenvernichtens eine Sorge (sei), die nicht mit der Vergangenheit abgetan ist‘“ (Berg 2003, 586). Neumann ging es in „Ausflüchte unseres Gewissens. Dokumente zu Hitlers ‚Endlösung der Judenfrage‘ mit Kommentar und Bilanz der politischen Situation“ darum, „unsere Schlüsse zu ziehen für die gefährdete Gegenwart“ (Neumann 1960, 44). Der Text des „Aufklärungsheft[s]“ (Knoch 2003, 586), das der sozialdemokratische Verlag für Literatur und Zeitgeschehen 1960 herausbrachte, in dem auch Publikationen der niedersächsischen Landeszentrale für Heimatdienst erschienen, war vorher im Januar und Februar vom NDR gesendet worden, bis auf die letzten zehn Seiten, auf denen Neumann die „Lawine von Hörerbriefen […] – die größte seit Bestehen des Hamburger Senders“ (Neumann 1960, 53) – kommentierte; der gesendete Text endete mit einem Appell, etwas zu tun: „Aber wenn all das hier Sie aufrütteln sollte, es Ihren Kindern zu sagen, und den Lehrer zu zwingen, daß er es Ihren Kindern sagt, und die Behörde zu zwingen, daß sie den Lehrer zwingt – und wenn dazu noch das hier Gehörte Sie aufwühlt, so daß Sie damit zu Ihrer Gewerkschaft gehen, oder zu Ihrem Priester – das wäre eine große Sache.“ (52)²⁷ Der am Schluss appellierende Sprecher der Sendung hat sich zu Beginn eingeführt als nicht aus seinem Exilland Großbritannien remigrierter „politischer Flüchtling“ (5), der sich einschließt in einem kollektiven deutschen „Wir“, um „heute gemeinsam eine Forschungsreise an[zu]treten nach jenem dunklen Fleck auf der Landkarte unseres Gewissens, nach dem Kontinent unserer Verdrängungen, unserer triebhaften Wendung, uns bewußt zu machen, wieviel wir wußten, Sie und ich, von den Greueln der Nazizeit, von wieviel wir wegschauten, aus Feigheit, weil es gefährlich war, hinzuschauen, oder einfach aus Trägheit des Herzens, und wieviel wir trotzdem wußten, trotz unseres Wegschauens. Wir sage ich – also nicht die Führungsgruppe der Nazipartei, nicht die Wachmannschaften der Vernichtungslager, nicht die SS und der SD, sondern Sie und ich, der Deutsche im Ausland, der Deutsche im deutschen KZ, der Deutsche im deutschen Hinterland, der Deutsche, der als einfacher Infanterist an der Front stand im Gefühl, sein Vaterland zu verteidigen. Wieviel wußten wir?“ (6) Neumanns Antwort im Kommentar der von ihm ausgewählten Dokumente fokussiert den ‚einfachen Infanteristen‘: „Was sich im Kriege im Osten ereignete – wieviel hat der gewöhnliche Soldat von dem gewußt?“ (8) So zitiert er ausführlich von den „Russen“ noch während des Kriegs ihren Alliierten vorgelegte Briefe und Tagebücher deutscher Soldaten, „die bewiesen, daß nicht einfach der Nazi all jene nun schon bekanntwerdenden [sic] Greueltaten im
Vgl. auch die Wiederholung Neumann 1960, 62.
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Osten beging, sondern offenbar mitunter auch der gewöhnliche deutsche Soldat, und daß die Mitwisserschaft des Hinterlandes hinter dem deutschen Soldaten stand“ (20). Aber er zitiert auch „Manstein, ein[en] General – Mitglied jener Kaste, von der uns heute manche Leute einreden wollen, sie sei die ausschließlich oder doch einzig wirksame Trägerin des deutschen Widerstands gegen Hitler gewesen“ (9); Mansteins Befehl vom 20. November 1941, der ebensowenig wie der etwas frühere, vom 10. Oktober 1941, des Generalfeldmarschalls von Reichenau, den Neumann in der Antwort auf die Hörerpost (57) zitiert, in Hofers Fischer-Dokumentensammlung zu finden war – im Unterschied zu den Berichten der SS-Männer Gerstein (32– 40) und Hermann Friedrich Graebe (9 – 11) –, lautet: „Der deutsche Soldat hat […] nicht allein die Aufgabe, die militärischen Machtmittel des jüdisch-bolschewistischen Systems zu zerschlagen, er tritt auch als Träger einer völkischen Idee und als Rächer auf. Für die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum muß der Soldat Verständnis aufbringen.“ (8) Beide Befehle wurden jedoch von derjenigen „Dokumentensammlung“ (56) gedruckt, die Neumann ausdrücklich Hörern empfiehlt: Léon Poliakovs und Josef Wulfs „Das Dritte Reich und die Juden“ (1955). Aus dieser Sammlung übernimmt Neumann auch, was bis dahin in seiner Dokumentation „[f]ehlt“: „die Stimme des Ermordeten selbst!“ (13) Allerdings sind es – neben dem bereits zitierten „Protokoll“ von Gisa Landau aus dem Krakauer „Archiv der Zentralen Jüdischen Kommission“ vom Überleben in Birkenau – Auszüge aus dem Bericht eines anderen Überlebenden, „Die Stadt des Todes (Im Warschauer Ghetto)“ (Poliakov/Wulf 1955, 159 – 163) von Ludwik Hirszfeld, der als Professor der Bakteriologie von Poliakov und Wulf in das Kapitel „Wissenschaftler sagen aus“ (142) eingeordnet wurde. Die oben zitierte kritische Anmerkung zu Militärs als Widerstandskämpfern ist die einzige Thematisierung von Widerstand in „Ausflüchte unseres Gewissens“, die Neumann abschließt: „Aber das führt uns von unserem Thema ab.“ (Neumann 1960, 9) Wenn in dieser Nicht-Thematisierung von Widerstand ein erster Unterschied liegt zu dem ein Jahr später erschienenen Buch Neumanns „Hitler. Aufstieg und Untergang des Dritten Reiches“, so gibt es zu dessen aktuell-polemischer Montage der Fotos von Staatssekretär Hans Globke und seinem Kommentar der Nürnberger Gesetze keine Entsprechung im Text der „Ausflüchte unseres Gewissens“. Im Gegenteil, sehr ausdrücklich unter Bezug auf die Kampagne des Ausschusses für deutsche Einheit der DDR grenzt sich Neumann von der DDR-offiziellen Deutung personeller Kontinuität im Staatsapparat zwischen faschistischem Deutschland und BRD ab, wie der „in der DDR zusammengestellten Liste vom September 1959 […] der Funktionäre, von denen man drüben glaubt, daß sie noch heute am Leben sind“ (32). Die bereits zitierte Frage der ‚gefährdeten Gegenwart‘ wird von Neumann folgendermaßen aufgegriffen: „Daß diese Schuldigen unter uns leben – wie gefährlich ist das für die Welt, und für uns selbst? Ich selbst glaube – ketzerischerweise –, daß gerade diese Gefahr von dem durch die letzten Ereignisse alarmierten Ausland und natürlich auch von den Deutschen im anderen Teil des Landes, und von ihren Propagandisten, denn doch ein wenig überschätzt wird.“ (48) Erst nachdem er für die „Herren“ „in der Industrie“, die „hier wieder in ihren alten Positionen sitzen“ und für die er Krupp beispielhaft nennt,
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versichert hat: „Auf das Nazi-Pferd setzen die ganz bestimmt nicht mehr“ (49), kommt er auf Globke und Oberländer: „Und das gilt auch für die Beamten, Offiziere und Richter, die ein halsstarriger alter Mann unter dem Banner der Kontinuität in ihren Ämtern hält. Wenn er ausgerechnet den offiziellen Kommentator der Nürnberger Judengesetze heute noch als Staatssekretär haben muß, so ist das eine Frage des guten oder schlechten Geschmacks, und des Eindrucks im Ausland gerade in dieser Zeit – aber auf das Nazi-Pferd, das das Rennen in so peinlicher Weise verloren hat, wird Herr Staatssekretär Globke ebensowenig noch einmal setzen wie jener Krupp, oder wie jener Minister Oberländer, dessen Nazi-Vergangenheit nicht vergessen ist und der sich heute von Hinz und Kunz bestätigen läßt, daß er in Lemberg dabei war, ohne jemals davon zu hören, daß es dort Juden gab.“ (49) Dieser Erklärung der ‚Kontinuität‘ in den ‚Ämtern‘ zur ‚Geschmacksfrage‘ in den „Ausflüchten unseres Gewissens“ entspricht eine ausdrückliche Zurückweisung von Kollektivschuld und Kollektivscham, die keine Entsprechung mehr im zweiten Buch Neumanns hat. Hier liegt ein dritter Unterschied. 1960 antwortet er den Hörern: „Es gibt keine Kollektivschuld. Schuldig oder unschuldig sind wir als einzelne. Das Volk – im Gegensatz zu die Menschheit – ist kein moralisches Kollektiv.“ (55) Und speziell auf Briefe von Jugendlichen antwortet er: „Keiner von euch soll sich schämen. Es gibt keine solidarische Schuld. Es gibt nur eine solidarische Verpflichtung, zu wissen, und ehern entschlossen zu sein, es besser zu machen, wenn ihr an der Reihe seid.“ (62) Hierfür wiederholt er seinen Rat, was zu tun sei: „sprechen Sie mit ihrer Gewerkschaft, oder mit Ihrem Priester“, aber deutlich erweitert: „geben Sie Ihrem Vater doch eine Chance […]. Sprechen Sie mit ihm. Vielleicht wartet er nur darauf, daß Sie sprechen. Und geht es dann wirklich nicht, so versuchen Sie’s mit der Mutter. Mit einem Arzt, einem Freund, einem Lehrer, wenn er ein wirklicher Lehrer ist. Es gibt schon wieder eine ganze Menge wirkliche Lehrer – neben den kompromittierten, neben den Feiglingen.“ (62) Gerade in der Lehrerschaft hatte – im Januar 1960 – in „Gedanken zu den neuen antisemitischen Exzessen und zu Gegenmaßnahmen“ der Leiter des Psychologie-Referats der Bundeszentrale für Heimatdienst, Wolfgang Jacobsen, eine Haltung verortet, die er sozialpsychologisch – u. a. unter Rückgriff auf Theodor W. Adornos u. a. „Der autoritäre Charakter“ – auf „‚noch latent vorhanden[e]‘“ „‚Residuen aus der Nazizeit‘“ (Hentges 2013, 320) zurückführte: „‚Man sträubt sich naturgemäß nicht nur – mit Recht – gegen die „Kollektivschuld-These“, sondern auch darüber hinaus – zu Unrecht – gegen das Postulat von der „,Kollektivscham‘“ (321).²⁸ Von einem ‚Fleck unseres Gewissens‘ wie Neumann sprach 1960 auch ein anderer Exilschriftsteller jüdischer Herkunft, der allerdings aus Palästina in die SBZ remigriert war: Arnold Zweig. Am 28. Juli 1960 wirkte er an der Pressekonferenz des Ausschusses für Deutsche Einheit mit, die das Material gegen Globke der Öffentlichkeit präsentierte, das von Rudolf Hirsch zu der im selben Jahre publizierten Broschüre „Globke
Vgl. Hentges 2013, 321– 325, zu den Folgen von Protesten aus dem Bundesinnenministerium gegen eine Publikation seiner Einschätzung in „Aus Politik und Zeitgeschichte“.
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und die Ausrottung der Juden“ ausgearbeitet wurde. Zweig erklärte zu seiner Rückkehr, dass er „hier arbeite, dafür zu zeugen, daß das deutsche Element auf der Welt seine Flecken aus der Nazizeit wieder losgeworden ist“ (Hirsch 1960, 115). Das Foto Globkes auf dem Titelblatt ähnelte dem von Neumann ein Jahr später verwendeten. Aber schon 1959 hatte Zweig nach antisemitischen Vorfällen in Düsseldorf dem Vorsitzenden des Ausschusses für Deutsche Einheit Albert Norden vorgeschlagen, Zweigs Artikel aus der „Weltbühne“ von 1919 „Die antisemitische Welle“ neu herauszubringen, in denen er Antisemitismus als „Mittelstandsgeistigkeit“ (Zweig 1991, 172) auch psychoanalytisch erklärt hatte; Norden hatte abgelehnt: „Wäre es nicht richtiger, bei der erwiesenen Erklärung zu bleiben, daß der Antisemitismus eine Waffe des imperialistischen Finanzkapitals zur Kanalisierung der Volksleidenschaft in die jenem gewünschte Richtung, daß der Rassismus ein Teil der Herrenrasse-Ideologie war und bleibt? Und daß erst und allein der Sozialismus den Antisemitismus an seiner Wurzel packt und ihn später völlig ausrotten wird, später, weil Reste der antisemitischen Vorstellungen den Kapitalismus eine Zeitlang überleben?“ (Schlenstedt 2019, 172/173) So veröffentlichte Zweig 1961 eine andere – 1934 in Amsterdam zuerst erschienene – Arbeit gegen den Antisemitismus in der BRD, im kürzlich gegründeten Verlag des aus Israel zurückgekehrten Joseph Melzer. Im „Vorwort zum Neudruck 1960“ (Zweig 1961, I) erinnerte der Autor nicht nur „Niederschrift und Veröffentlichung eines durchaus notwendigen Kampfbuches“ (I) 1933, sondern auch seine Rückkehr nach Berlin von Prag über Auschwitz, wenn er die Metapher vom „Fleck“ benutzt: „das war der Anfang. Und dann ward der zweite Weltkrieg entfesselt und mit ihm die ‚Endlösung‘ der Todeslager nebst Gaskammern und Krematorien und den Teichen von Birkenau, in denen der Verfassser noch 1949 Blasen aufsteigen sah von darin verwesenden Menschenleibern. Das alles hatten die Himmler-Leute und Bormänner musterhaft organisiert und so sorgfältig in Fächer eingeteilt, daß unsere siegreiche Antihitler-Front voll Grauen, aber mit Fotoapparaten vor den Beweisen dieser deutschen Tüchtigkeit erstarrte. Das war der Ausklang jener Glanzzeit des braunen Staatswesens, die mit Fanfaren eingeleitet wurde, sich mit den Trauermärschen von Stalingrad schminkte und dem deutschen Namen jenen Fleck einbrannte, den wir in jahrzehntelanger Arbeit für eine neue, friedliche, menschenwürdige Kultur hoffentlich zum Verblassen bringen.“ (II) Aus dem in der DDR ‚losgewordenen Fleck‘ in der Globke-Broschüre ist in dem BRD-Neudruck der „Bilanz der deutschen Judenheit“ ein ‚hoffentlich in jahrzehntelanger Arbeit verblassender‘ geworden. Die Differenz erklärt sich, wenn Zweig den Begriff zur Metapher hinzufügt, den er gleichfalls mit Neumann teilt – Gewissen: „Wir stehen und fallen mit dem Sieg der Abrüstung einer Welt, die heute, im Zeitalter der Atomspaltung, durchaus in der Lage wäre, den Sinn unserer Existenz auf der Erde ebenso auszutilgen wie jene fünfzig Millionen Opfer, welche der Kriegskunst, das heißt dem Erobern fremder Gebiete und dem Ausmorden ihrer Bevölkerungen, bis zur Mitte unseres Jahrhunderts erlagen. Schriftsteller sein heißt, an das Gewissen aller Leser gewandt zu rufen: Gehet hin und tuet nicht mehr desgleichen!“ (IV) Diesen konkreten Appell wendet das „Nachwort“ von Achim von Borries, der – sehr bemerkenswert, weil „[d]er Band erschien, als der kalte Krieg eine seiner
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äußersten Zuspitzungen erfuhr“ (Pätzold 1991, 267) – betont, dass Zweig „Deutscher“, „bewußter Jude“ und „marxistischer Sozialist“ sei, in die allgemeinere Hoffnung, dass die „Neuauflage“ „den von ihr selbst bezeugten Geist wiederzuerwecken helfen [könne], dessen die Nation heute, in West und Ost, weniger entraten kann denn je“ (Zweig 1961, 318). Unter dem Titel „Was geht uns Eichmann an? ‚Ausflüchte unseres Gewissens‘“ (Hübsch/Balzer 1994, 62) begann am 5. Juli 1961 ein von Robert Neumann initiiertes „Ost-West-Gespräch“ (185) über „Antisemitismus eine gesamtdeutsche Schuld“ (186) an der Marburger und der Humboldt-Universität, wo Neumann den überwiegend studentischen TeilnehmerInnen die Tonbandaufnahmen von der Diskussion seines Vortrags auf der jeweils anderen Seite vorspielte. Aufgezeichnet vom NDR, wurden sie nicht von diesem, aber vom WDR 1964 im Dritten Programm gesendet (193). „Im Judenproblem, im gemeinsamen Schuldgefühl, lag […] die Möglichkeit für ein leitartikelfreies Gespräch“ (185), aber an der Humboldt-Universität sagte Neumann am 12. November 1962 etwas über „Menschen […], die d[…]en Kalten Krieg in einem gewissen Wärmezustand erhalten, damit er nicht ganz vergeht“, was er in Marburg so nicht gesagt hatte: „Dazu kommt eine Erkenntnis – und die stammt nicht von mir, sondern vor allem von Professor Mitscherlich, dem Leiter des Psychosomatischen Instituts in Heidelberg –, daß ein wesentlicher Teil des früheren Anti-Semitismus in den Anti-Kommunismus übergegangen ist“ (68).²⁹ Zuvor hatte Neumann aus einer von
Über „Antikommunismus und Antisemitismus“ hat der an der Humboldt-Universität lehrende Philosoph Wolfgang Heise im Juni 1961 auf einer Konferenz, die vom Institut für Geschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften im Museum für deutsche Geschichte anlässlich des zwei Monate zuvor in Jerusalem eröffneten Prozesses gegen Adolf Eichmann veranstaltet wurde, einen Vortrag gehalten, der im selben Jahr in der „Deutschen Zeitschrift für Philosophie“ publiziert wurde, den Vortrag zum Thema der Konferenz hielt der Historiker Jürgen Kuczynski: „Die Barbarei – extremster Ausdruck der Monopolherrschaft in Deutschland“ (Kuczynski 1961). Aber Heise griff die Frage auf, die in der Bundesrepublik gestellt zu werden begann, wenn auch in marxistisch-leninistischer Terminologie: „Ist die These richtig, daß der Antikommunismus innerhalb der imperialistischen Ideologie in Westdeutschland die Rolle des Antisemitismus übernommen, ihn also ersetzt hat?“ (Heise 1961, 1440) Dieter Schlenstedt hat in seiner Analyse von Heises Stellungnahme zum Verhältnis von Antisemitismus und Antikommunismus sein Nein zur zitierten Frage klar formuliert: „Wolfgang Heise hielt […] die Ansicht, dass der Antisemitismus von gestern durch den Antikommunismus heute ersetzt sei, für unzutreffend, weil er diesen als übergreifend ansah und jenen als Methode, ihn durchzusetzen“ (Schlenstedt 2019, 183). In Heises Vortragsfassung hieß es zum Antikommunismus: „Der Antikommunismus erweist sich […] – als Position und Politik – als das eigentlich vereinigende Element der Versklavung und Unterdrückung des eigenen Volkes durch Niederschlagung der revolutionären Arbeiterbewegung, Zerstörung der Demokratie und faschistische Mobilmachung auf der einen, der Aggression gegen die Sowjetunion und der Versklavung der osteuropäischen Völker auf der anderen Seite.“ (Wolfgang Heise: O. T. [Diskussionsbeitrag, Berliner Historiker-Konferenz 1961]. Seminar für Ästhetik der Humboldt-Universität zu Berlin,Wolfgang-Heise-Archiv, Bestand 1.3.3.1.2./2, S. 4) Und zum Antisemitismus sagte Heise: „Der Antisemitismus ist niemals eine selbständige Erscheinung gewesen. Er fungierte in Deutschland als Methode der jeweils herrschenden Klasse, den Klassenkampf zu vertuschen, abzuwiegeln, die Empörung über die Ausbeutung abzulenken und auf progressive Erscheinungen und wehrlose Gruppen zu lenken – über die Entfesselung eines blinden Blut- und Beute-
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Jürgen Neven-du Mont publizierten Schulaufsatzsammlung zitiert, wo ein 15-jähriger auf die Frage nach Hitler geantwortet hatte: „Hitler war einer aus der Ostzone, der die Juden in Westdeutschland umbringen wollte“, um festzustellen: „kürzer kann man’s nicht sagen. Sie haben da den bösen Ostzonen-Hitler, und Sie haben da andererseits: Er hat die Juden gar nicht umgebracht, denn bekanntlich ist es ja doch eine Lüge, daß die Juden umgebracht worden sind. Nicht wahr, er wollte sie nur umbringen.“ (67) Erich Kuby, der auf dem Studentenkongresses gegen Atomrüstung im Januar 1959 die Resolution, die Verhandlungen mit der DDR forderte, weil die „‚weltpolitische Lage‘“ dazu „‚zwinge‘“, zusammen mit zwei SDS-Mitgliedern der ‚Konkret-Fraktion‘ redigiert hatte (Kraushaar 1996, 2077), begann 1960 nicht nur in „Konkret“ zu publizieren, sondern auch in den „Werkheften katholischer Laien“ (Kuby 1990, 211, 216), einer anderen der Zeitschriften eines Netzwerks, das die seit 1960 entstehende „Ostermarsch der Atomwaffengegner“-Bewegung mit trug (Boll 2006, 514); zu ihm gehörten die Westberliner Zeitschriften „alternative“ und „Das Argument“ sowie die protestantischen Zeitschriften „Stimme der Gemeinde“ und „Junge Kirche“. Die Redaktion der „Werkhefte katholischer Laien“ war im Bundestagswahlkampf 1957 erstmals offen für die Wahl der SPD eingetreten (528) und hatte 1958/59 deren Kampagne „Kampf dem Atomtod“ gegen die von der siegreichen CDU/CSU geplante atomare Bewaffnung der Bundeswehr unterstützt. Für Kuby war es fraglich, ob in einer Bundesrepublik, die „über kurz oder lang Atomwaffen“ haben werde, ein „Wiedervereinigungskrieg“ nur „Gerede“ (Kuby 1990, 203) sei. 1960 vereinbarte er nicht nur mit dem „Spiegel“-Herausgeber eine nicht-öffentliche „Zusammenarbeit in der Bekämpfung von Strauß“ (211), des Bundesverteidigungsministers, der auf die atomare Bewaffung besonders drängte, sondern
durstes.“ (Heise: O. T., S. 3). Daraus folgte in der gedruckten Fassung des Konferenzbeitrags für die Gegenwart, „Antisemitismus sei für die Herrschenden nach dem Kriege ‚nicht mehr nötig‘, zumal der Verzicht darauf nicht schwer falle, ‚nachdem die Juden ausgerottet wurden‘, er sei nach den Entsetzen erregenden Bestialitäten des Hitlerfaschismus und um einer formalen Distanz zum Nationalsozialismus willen ‚nicht mehr in der alten Weise möglich und anwendbar‘ und dies zudem, da in der neuen Lage der Westbindung das nationalsozialistische Feindbild, das neben dem Kommunismus auch die Plutokraten zu bekämpfen anwies, unpassend geworden sei“ (Schlenstedt 2019, 183, nach Heise 1961, 1444– 1445). Vgl. aber Axel Schildts Einschätzung des Antikommunismus in der Erinnerung an den Krieg im Osten in der frühen Bundesrepublik: „Auch wenn der Antisemitismus kein Element dieses Antibolschewismus mehr sein durfte – die Texte und mehr noch die Bildsprache waren nicht frei von rassistischen Zuschreibungen, die an die nationalsozialistische Zeit erinnerten“ (Schildt 2017, 146), aber in einer „zeitspezifische[n] Mischung von Antislawismus und Antiasianismus“ (149); doch Schildt räumt ein: „Bis heute fungiert der Schriftsteller [Ilja Ehrenburg], hier wieder der jüdische Bolschewik, als zentrales Hassbild.“ (152) Vgl. die Kopien von Veröffentlichungen der „Deutschen National- und Soldatenzeitung“ und der „Deutschen Wochenzeitung“ aus den Jahren 1962 „Ilja Ehrenburg tötet! tötet tötet alle Deutschen“, 1979 „Der Holocaust an den Deutschen“ und 1991 „‚Tod den deutschen Ratten!‘“ in Jahn 1997, 82.Vgl. aber auch das Zerbrechen eines „integrativen Antikommunismus“ (Schwartz 2014, 176), der auch „Anti-Slawismus“ und „Anti-Orientalismus“ (170) eingeschlossen habe, das Michael Schwartz auf den Wahlsieg Brandts im November 1972 datiert, als viele aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße stammenden WählerInnen nicht mehr den Vertriebenenverbandspolitikern folgten.
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„schloß“ auch „mit dem Rowohlt Verlag, wo F. J. Raddatz auf seine Weise mit der Bücherserie rororo aktuell äußerst produktiv tätig war, […] im September eine Abmachung über ein Buch: Auschwitz und die Deutschen“, das er aber „nach drei Jahren“ als ihm „über den Kopf gewachsen“ ‚aufgab‘ (211). Im Auftaktband der rororo aktuell-Reihe, dem von Martin Walser herausgegebenen Taschenbuch zum Wahlkampf 1961 „Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung?“, ist eins von Kubys „gewichtigsten Argumente[n] gegen eine Fortsetzung des CDU/CSU-Regimes“ (Walser 1961, 150) die Gefahr „einer militant nationalistischen Auseinandersetzung mit den östlichen Nachbarn“ (154): „Niemand kann entgehen, daß die Staatspartei einen Aufbruch nach rechts vorbereitet. Da ist das zunehmende Buhlen um die Vertriebenenverbände mit Wiedergewinnungs-Parolen, die mehr und mehr zu politischen Leitsätzen aufgewertet werden; die Anbiederung bei den Traditionsverbänden der Wehrmacht und der SS, ja auch bei der SS; die schmierige Diskriminierung antifaschistischer Kräfte; die Untermauerung nationalistischer Ziele mit antikommunistischer Propaganda, und schließlich ganz allgemein das finstere Spiel mit einer angeblichen neuen Weltmachtstellung der Bundesrepublik.“ (151) Die „Herausgabe“ des „Taschenbuches“ „noch vor dem Wahlkampf“ war, wie Willy Brandt an Hans Werner Richter bestätigend schrieb, „in Bonn“ „beschlossen“ (Cofalla 1997, 345) worden, wohin er zu „einer Aussprache über die Bedeutung der Wahlentscheidung im Jahre 1961“ (343) am 2. Mai Richter und Erich Kuby eingeladen hatte. Zwar „formulierte“ Kuby „die von ihm und Richter unterschriebene Einladung zur Mitarbeit“, war aber an „Organisation und Redaktion“ der „Alternative“ nicht beteiligt (344); Richter ließ Walser als Herausgeber fungieren, weil er „befürchtete, seine bisherigen politischen Aktivitäten könnten die positive Aufnahme des Bandes beeinträchtigen“ (344), der dann mit drei Nachauflagen im August, dem Monat des Erscheinens, oder 75.000 verkauften Exemplaren, wie Sabine Cofalla den Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt zitiert, „das erfolgreichste Taschenbuch seit Bestehen der rororo-Reihe“ (348) wurde.
12 Hans Werner Richter: Zwischen Nacht und Morgenrot Am 6. und 21. Juli 1961 sendete der NDR ein zweiteiliges Feature von Hans Werner Richter, das unter dem Titel „Zwischen Nacht und Morgenrot“³⁰ Richters zweite Reise in die Volksrepublik Polen beschreibt, die „für den NDR“ (Cofalla 1997, 339) fast fünf Jahre nach der ersten im August 1956 unternommen wurde. Auch diese zweite Reise führte nicht nach Auschwitz, aber der Name des Konzentrationslagers wird genannt Vgl. aber den von Agthe 2011, 185, angegebenen Titel „Eine empfindsame Reise durch Polen“, der im Manuskript nur Untertitel ist: Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Bestand Hans Werner Richter, 1271: Zwischen Nacht und Morgenrot I. Eine empfindsame Reise durch Polen; 1272: Zwischen Nacht und Morgenrot II. Im Folgenden im Text mit Seitenzahl nach römischer Zahl für den Teil des Manuskripts zitiert.
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an der einzigen Stelle des Textes, wo auf weniger als einer von den dreiundfünfzig Seiten des Manuskripts von dem die Rede ist, worauf „man in diesem Land“ „stößt“: „auf die Erinnerungsstätten der deutschen Besetzung“ (II, 3). Der Bericht des Ich„Erzählers“ über einen sonntäglichen Spaziergang mit dem Philosophen Leszek Kolakowski durch Warschau beschränkt sich fast völlig auf Wahrnehmungen von Architektur, deren Bewertung verbunden wird mit – von einem „Zitatsprecher“ dargebotenen – Sätzen aus Schriften Kolakowskis: „Es geht um die Vision einer Welt, in der die am schwersten zu vereinbarenden Elemente menschlichen Handelns miteinander verbunden sind“ (II, 1). Entsprechend lässt der Ich-Erzähler seinen Blick von Kolakowski führen: „Kolakowski macht mich auf das Gemisch von Baustilen aufmerksam, die das neue Bild der Stadt geformt haben. Der kalte Stalinstil… eine Mischung aus kollektivem Wohngefängnis und konditoraler, kleinbürgerlicher Zuckergläubigkeit, und der funktionelle Stil, der in der neu gebauten Siedlung in Praga hinter der Weichsel sichtbar wird.“ (II, 2) Dass der Erzähler die ‚Mischung‘ auf die Nachkriegszeit bezogen als „Wandel“ wahrnimmt und diesen positiv bewertet, veranlasst einen Ausrufesatz: „Welch eine geistige und politische Veränderung drückt sich in diesem Stilwandel aus! Zehn Jahre haben genügt, um diesen Wandel zu vollbringen, zehn Jahre nicht der Revolution, sondern der Evolution.“ (II, 3) Abrupt wechselt der Erzähler auf wiederum als gegensätzlich – Würde und Grauen, Zerstörung und Aufbau, Altes und Neues – Wahrgenommenes: „Ich stehe vor dem Denkmal des Warschauer Ghetto-Aufstandes, Denkmal der menschlichen Würde und Denkmal des menschlichunmenschlichen Grauens. Es ist nicht viel geblieben von dem zerstörten Ghetto. Neue Wohnblocks wurden gebaut. Nur das palastähnliche Gebäude einer ehemaligen Bibliothek steht noch gegenüber dem Denkmal und zeugt mit seinen Löchern, Einschüssen und Beschädigungen von den heftigen Kämpfen.“ (II, 3) Wieder lässt der Erzähler seinen Blick von Kolakowski führen, berichtet aber darüber, was er in dessen Stimme, die das in der Gegenwart Sichtbare mit einem Zusehen in der Vergangenheit verbindet, nicht hört und welches Gefühl sich durch das Gesagte nicht verändert; dabei wird nicht bestimmt, wer das mit dem bestimmten Artikel als bereits bekannt vorausgesetzte „Unbehagen“ verspürt: „Kolakowski zeigt mir die Stelle, von der die Artillerie des SS-Generals Stroop in das Ghetto hineinschoß. ‚Dort stand ich als Junge und sah den Artilleristen zu‘, sagt er. Es ist dabei kein Ressentiment in seiner Stimme und doch bleibt das Unbehagen.“ (II, 3) Im Folgenden kommentiert der Erzähler das dem nicht vernommenen Ressentiment entgegengesetzte Unbehagen unter Vermeidung der 1. Person des Personalpronomens, so dass im ‚man‘ offen bleibt, ob auch Kolakowski, der der SS ‚zugesehen‘ habe, für ein „kollektiv schuldig[es]“ „Volk“ stehe: „Es ist ein seltsames Unbehagen. Ist es das Gefühl, daß ein Volk doch kollektiv schuldig werden kann, oder daß man auch dann noch an der Vergangenheit des eigenen Volkes mithaftet, wenn man nicht unmittelbar beteiligt war, ja, sogar gegen jene Verbrechen stand? Von Auschwitz bis Treblinka stößt man in diesem Land auf die Erinnerungsstätten der deutschen Besetzung. Es sind Stätten der Bestialität, deren Ausstrahlung man sich nicht entziehen kann. Und das Unbehagen wächst, je liebenswürdiger, höflicher und entgegenkommender die Polen sind.“ (II, 3) Die Antwort
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des Erzählers auf die Frage nach der Kollektivschuld eines Volkes verallgemeinert die ‚Erinnerungsstätten‘ in Polen, ohne sich auf die zunächst betonte ‚menschliche Würde‘ des ‚Aufstands‘ zu beziehen, zu ‚Stätten der Bestialität‘ und in einer Weise, die Richters Reisebeschreibung insgesamt widerspricht, die beweist, dass der Autor sich deren ‚Ausstrahlung‘ insofern ‚entziehen‘ konnte, als er sie nicht besuchte. Sowohl von Katowicze (II, 10) als auch von Krakau (II, 15) aus wäre es möglich gewesen, nach Auschwitz zu reisen. Aber was in Polen ‚Ausstrahlung‘ auf den Reisebeschreiber Richter ausübte, annonciert der Titel „Zwischen Nacht und Morgenrot“, der einleitend durch einen Rückblick auf die erste Reise „zwei Monate vor dem polnischen Oktober“ (I, 2) 1956 erklärt wird: „Jetzt, fünf Jahre später, fahre ich wieder nach Warschau? Was ist aus der vorrevolutionären Atmosphäre geworden?“ Diese bringt der Erzähler in zwei Bildern, die der Titel kombiniert: „Das war das Urteil über die Stalinisten in jenen Monaten. Sie lebten vom Morgenlicht des Sozialismus und säten die Finsternis“ (I.5) – „unter der Asche einer Idee glüht der Geist des Aufstands und der Revolution“: „Wird jetzt ein ähnlicher Aufstand [wie 1944] losbrechen gegen die Partei und gegen die Vorherrschaft der Russen?“ (I, 2) Für Richters Reiseprogramm gilt der Grundsatz: „Ich treffe meine Freunde wieder“ (I, 8), und aus den zum Teil in O-Ton gesendeten Gesprächen mit – neben Kolakowski – vor allem den Literaturwissenschaftlern Roman Karst und Andrzej Wirth ergibt sich für den Reisenden: „So ist Polen von heute zu einem Kristallisationspunkt aller kulturellen Bestrebungen des Ostens wie des Westens geworden.“ (I, 8) Wirth war von Richter 1958 zur Tagung der Gruppe 47 in Großholzleute eingeladen worden (Cofalla 1997, 286) und nahm bis 1962 an deren Tagungen als „angagierter [sic] Beobachter“³¹ teil: „Wir wollen […] dafür arbeiten, daß sich hier eine wirkliche Annäherung unserer beiden Literaturen anbahnt.“³² Günter Grass vermittelte dem polnischen Kritiker seinen Luchterhand-Verlag³³ für eine Ausgabe des sog. Stroop-Berichts „‚Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr‘“. Richter selbst schrieb 1961 ein vom NDR, BR und SWF (Cofalla 1997, 333) gesendetes Feature: „Der Gelbe Stern in Polen. Die Zerstörung des Warschauer Ghettos – nach neuen Büchern dargestellt“.³⁴ Sein Text verweist mehrfach nicht nur auf Gerhard Schoenberners Buch als Grundlage für die „in dieser Sendung zitierten Dokumente“, sondern auch auf das „[z]ur gleichen Zeit und gleichsam als Ergänzung“ von Andrzej Wirth herausgegebene.³⁵
Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Bestand Hans Werner Richter, 72/85/517, Bl.150, Brief von Andrzej Wirth an Hans Werner Richter vom 1.10.1962. Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Bestand Hans Werner Richter, 72/85/517 Bl.102, Brief von Andrzej Wirth an Hans Werner Richter vom 16.11.1958. Vgl. den Brief Richters an Horst Krüger im SWF vom 20.12.1960, Cofalla 1997, 333. Archiv der Akamie der Künste, Berlin, Bestand Richter, 1193, Der Gelbe Stern in Polen. Die Zerstörung des Warschauer Ghettos – nach neuen Büchern dargestellt, S. 3. Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Bestand Richter, 1198, Aufstand oder Aussiedlung? Ein Bericht über die Zerstörung des Warschauer Ghettos, S. 26.
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Mit Schoenberner allerdings, den Richter in einem Brief an den SWF als „seit Jahren“ mit ihm „befreundet“ bezeichnete: „Ich bin interessiert daran, daß möglichst alle Sender über dieses Thema und über die beiden Bücher berichten und zwar ausführlich“ (Cofalla 1997, 333), kam es zu einer Meinungsverschiedenheit über den Schluss des Features, an den Richter ein Zitat aus dem gleichfalls 1960 auf Deutsch erschienenen Roman von André Schwarz-Bart „Der Letzte der Gerechten“ gesetzt hatte – durch ein „aber“ kontrastiert mit einem Zitat aus Schoenberners Buch: „Gerhard Schoenberner stellt seinem Buch das Wort des deutschen Dichters Klabund voran: Deutschland, du sollst die Ermordeten nicht und nicht die Mörder vergessen. Der jüdische Schriftsteller André Schwarz-Bart aber […] schließt seinen Roman […] über das Schicksal der Juden in unserer Zeit, mit den Sätzen: […] Als Bach zuerst und schließlich als unaufhaltsamer, majestätischer Strom […] brandete die alte Lieblingsdichtung, die sie mit blutigen Buchstaben auf die harte Rinde der Erde schrieben, durch die Gaskammer, erfüllte sie und siegte über ihr dunkles, abgründiges Hohnesgrinsen: […] Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig. O Herr, […] in deiner Gnade läßt du die Toten wieder auferstehen.“³⁶ Schoenberner, den, wie er der Herausgeberin des Briefwechsels 1996 mitteilte, die „ästhetisierende Verklärung“ „empörte“ (Cofalla 1997, 442), empfahl Richter eine von Eric H. Boehm 1949 in den USA herausgegebene Sammlung von Überlebensberichten, aus der er einen in seinen Nachfolgeband zu „Der gelbe Stern“ „Wir haben es gesehen“ (Schoenberner o. J., 301– 308) aufnahm: „We survived“ sei „deshalb so wirksam, weil da nicht von fernen Lagern die Rede ist, deren Namen dem Leser in Deutschland nur ein schreckliches Gerücht sind, sondern weil unsere Welt, vor allem die Stadt Berlin, Ort der Handlung ist, freilich ein anderes Berlin, gesehen mit den Augen der Menschen ohne Pass und Wohnung, der Verfolgten und der illegalen Kämpfer.“ (Cofalla 1997, 440) Was Schoenberner nicht wissen konnte, war die aus den im Nachlass befindlichen drei Fassungen des Features hervorgehende Tatsache, dass Richter nicht nur den Schluss, sondern auch den Anfang geändert hatte: Die erste Fassung „Der StroopBericht. Eine Dokumentarsendung über die Vernichtung des Warschauer Ghettos“ beginnt mit einem Zitat aus dem „Kommentar zur deutschen Rassegesetzgebung“ des „heutige[n] Staatssekretär[s]“ Hans Globke, um zu fragen, „Wie sahen die Folgen aus“:³⁷ „Die nationalsozialistische Staatsführung hat den unerschütterlichen Glauben, im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln, wenn sie den Versuch macht, die ewigen, ehernen Gesetze des Lebens und der Natur, die das Einzelschicksal wie das [sic] Gesamtheit beherrschen und bestimmen, in der staatlich-völkischen Ordnung zum Ausdruck zu bringen, soweit dies mit den unvollkommenen, Menschen zu Gebote stehenden Mitteln möglich ist.“³⁸ In der zweiten Fassung „Aufstand oder Aussiedlung? Ein Bericht über die Zerstörung des Warschauer Ghettos“ wurde das Der Gelbe Stern in Polen (wie Anm. 34), S. 43. Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Bestand Richter, 1195, Der Stroop-Bericht. Eine Dokumentarsendung über die Vernichtung des Warschauer Ghettos, S. 2. Der Stroop-Bericht (wie Anm. 37), S. 1.
13 Alexander Mitscherlich: „daß der Antikommunismus in der Bundesrepublik…
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Globke-Zitat durch eins von Thomas Mann ersetzt, das Schoenberner als Motto benutzte: „Aber eins tut not für den Anbeginn […] die volle und rückhaltlose Kenntnisnahme entsetzlicher Verbrechen. […] Entsetzen, Scham und Reue ist das Erste, was not tut.“³⁹ Auch in der zweiten Fassung stand wie in der ersten das Klabund-Zitat am Schluss, erst in der dritten wurde das Zitat aus „Der Letzte der Gerechten“ hieran angefügt und die Klabunds Entgegensetzung von Märtyrern und Tätern entsprechende Zusammenfassung getilgt, die den Stroop-Bericht „wie ein Familienalbum“ aufgebaut genannt hatte.⁴⁰ Richter sagte einen Monat nach Erscheinen von „Die Alternative“ eine von der britischen Christian Action organisierte Konferenz über Abrüstung in London ab, weil auch zwei „Vertreter“ der DDR, Heinz Kamnitzer und Heinz Willmann, eingeladen worden seien; er sei nicht bereit zur „Anerkennung eines Systems, das nach meinen eigenen Erfahrungen schlimmer ist als das System Hitlers … oder zumindest genau so schlimm“, schrieb Richter unter Berufung auf die am 13. August errichtete Mauer: „Dies ist tatsächlich die Mauer eines Konzentrationslagers. Ich habe mir sie selbst angesehen und habe das hüben wie drüben miterlebt. […] Gewiß, man kann sagen, dies alles sei die Schuld der Deutschen, Hitlers Krieg, die falsche und verhängnisvolle Politik der Bundesregierung, aber ich glaube nicht an eine Kollektivschuld der Völker“ (Cofalla 1997, 356).
13 Alexander Mitscherlich: „daß der Antikommunismus in der Bundesrepublik heute weitgehend die Funktion des Antisemitismus übernommen hat“ Gerhard Schoenberner, der in „Die Alternative“ als „einer der beiden Autoren der ersten großen Ausstellung über die NS-Judenverfolgung, die unter dem Titel ‚Die Vergangenheit mahnt‘ seit 1960 in der Bundesrepublik gezeigt wird“, und als Autor von „Der gelbe Stern“ (Walser 1961, 158) vorgestellt wurde, formulierte noch schärfer als Erich Kuby: „Wohin die Reise geht, zeigt die Propaganda, die die Politik der Atomsprengstoffe und Notstandsgesetze begleitet. Sie knüpft an erprobte Traditionen an und variiert mit großem Geschick die alte These von der ‚jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung‘, der man – wir sind doch nicht von gestern – das erste Wort kurzerhand wegradierte.“ (141) In Schoenberners Verlag Rütten und Loening, in dem eine rororo aktuell ähnliche Taschenbuchreihe das aktuelle thema erschien, waren 1962 fünf im Ostermarsch Aktive an dem Band „Berlin und keine Illusion“ beteiligt: Ansgar Skriver als Her-
Der Gelbe Stern in Polen (wie Anm. 34), S. 2. Aufstand oder Aussiedlung? (wie Anm. 35), S. 25.
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ausgeber,⁴¹ Dietrich Goldschmidt, Reimar Lenz, Manfred Rexin und Gerhard Schoenberner als Autoren. Schoenberner schloss mit der sarkastisch formulierten negativen Alternative zu dem, was die meisten Beiträger von der Bundesregierung forderten, nämlich „zu versuchen, einen tragbaren Kompromiß für West-Berlin auszuhandeln, die Beziehungen zwischen beiden Teilen Deutschlands zu verstärken, die militärische Entspannung in Europa zu fördern und den Frieden zu erhalten“: „Oder sie kann atomar aufrüsten, Berlin verlieren, die Demokratie in der Bundesrepublik abschaffen und uns auf den Krieg vorbereiten. Das hängt von den Bewohnern der Bundesrepublik ab, das hängt von uns ab.“ (Skriver 1962a, 93) Schoenberner schrieb im „Argument“ den Kommentar sowohl 1960 zu den Kölner Hakenkreuzschmierereien als auch 1961 zur Eröffnung des Eichmann-Prozesses in Jerusalem. In beiden Artikeln begründete er, was Vergangenheitsbewältigung sei: „Die sogenannte ‚unbewältigte Vergangenheit‘ ist in Wirklichkeit eine unbewältigte Gegenwart.“ (Das Argument 2 (1960) Nr. 16 [Reprint 1974, 199]) Denn als Beleg für seine Kritik an „billig[en]“ „demokratische[n] Lippenbekenntnisse[n]“, „[s]olange man sich weigert, die Ursachen der Folgen zu analysieren“ (199), zitierte er Alexander Mitscherlich, der „kürzlich davon gesprochen“ habe, „daß der Antikommunismus in der Bundesrepublik heute weitgehend die Funktion des Antisemitismus übernommen hat“ (200): „Tatsächlich ist Hitlers Formel von der jüdisch-bolschewistischen Verschwörung auch in ihrer demokratisch reduzierten Fassung noch von hohem innenpolitischem Gebrauchswert. Sie erfüllt nicht nur die klassische Funktion des früheren Antisemitismus, alle vermeidbaren wie auch die unvermeidbaren Übel des Daseins mystisch zu erklären und einen allen sichtbaren Prügelknaben dafür verantwortlich zu machen. Mit ihrer Hilfe kann man auch sämtliche der Regierung unerwünschten, oppositionellen Strömungen als vermeintliche Gefahr ausgeben und deren Verfechter
Dieses Buch widerspricht Skrivers 2002 publizierter Selbstdarstellung: „Ich gehörte damals zu denen, die sich dagegen wehrten, daß die studentischen Gegner der atomaren Aufrüstung in aktuelle deutschlandpolitische Auseinandersetzungen zwischen Ost-Berlin und Bonn hineingezogen wurden.“ (Skriver 2002, 403) Gerade weil Skriver den Berliner Studentenkongress gegen Atomrüstung als „Auseinandersetzung[…] des ‚Gespräche‘-Kreises mit der ‚konkret‘-Gruppe“ (387) im SDS darstellt, widerspricht seine heutige Sicht auch in einem weiteren Punkt seiner damaligen: „In meiner Sicht war die wissenschaftlich orientierte Auseinandersetzung über die Probleme des Atomzeitalters dem Kalten Krieg zum Opfer gefallen.“ (403) Wenn er darauf hinweist, dass Reimar Lenz, der „Gespräche“- und SDS-Mitglied war, den Essay „Atomrüstung“ zuerst in „Gespräche“ (392) publizierte, fehlt der Hinweis, dass es Skriver selbst war, der den erweiterten Text als Broschüre „Die Atomrüstung und der Intellektuelle“ in seinem eigenen Verlag herausbrachte. Darin unterschied Lenz den bloßen Wissenschaftler vom Intellektuellen mit Verweis auf Robert Jungk: „Die rationalistische Attitüde genügt nicht. In der Tiefe der Existenz müssen wir durch die Atomdrohung betroffen sein, wenn wir mehr tun wollen, als um die Modalitäten des Untergangs zu feilschen. Jenseits der Weltanschauungen und Theoreme müssen sich die Umkehrbereiten finden. Nicht allein die Einsicht in Argumente ermöglicht den Widerstand, sondern das Gefühl für eine sittliche Existenzfrage, die durch politisches Kalkül allein nicht beantwortet werden kann. Robert Jungk wurde nach dem Besuch der Spitäler Hiroshimas vom wissenschaftlichen Berichterstatter zum prophetischen Warner.Vielleicht müssen wir alle erst nach Japan fahren, um weniger modisch vom ‚Atomtod‘ zu reden?“ (Lenz 1958, 19)
13 Alexander Mitscherlich: „daß der Antikommunismus in der Bundesrepublik…
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öffentlich diffamieren und mundtot machen. Indem man alle denkbaren Auseinandersetzungen auf den Generalnenner des Kampfes gegen den ‚gemeinsamen Feind‘ bringt, verdeckt man die antagonistischen Interessen der Klassen und stellt in einer ‚Volksgemeinschaft‘, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, die ‚Einheit der Nation‘ hinter dem Führer der Regierungspartei her, die sich ihrerseits mit dem Staat gleichsetzt.“ (200/201) Den Eichmann-Prozess deutete Schoenberner als Beweis des ‚Scheiterns‘ einer „Politik des Als-ob“, die versucht habe, „die Vergangenheit zu umgehen, sie zu tabuisieren und aus dem Gedächtnis zu löschen“: „sie mußte scheitern, weil die ‚unbewältigte Vergangenheit‘, hundertmal verleugnet und nur zu gut ‚bewältigt‘, in die Gegenwart mitgeschleppt wurde, weil sie täglich spürbar in unsere Gegenwart hineinwirkt und, solange nicht innerlich und äußerlich wirklich überwunden, selbst Teil dieser Gegenwart ist.“ (Das Argument 3/4 (1960/61) Nr. 20 [Reprint 1974, 204]) Erneut stellte Schoenberner heraus: „es geht bei der Forderung nach Auseinandersetzung garnicht [sic] um eine permanente moralische Selbstverdammung sondern [sic] darum, zu lernen, die Ursachen der Folgen zu erkennen, die Zusammenhänge zu begreifen und die Lehren der Geschichte auf die Praxis unseres gesellschaftlichen Lebens anzuwenden.“ (210) Schoenberners Kommentar zum ‚Menetekel von Köln‘ wurde im „Argument“ zusammen gedruckt mit dem Bericht der Leiter der im Februar 1960 von 160 Westberliner Studierenden und „[z]ahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“ wie Heinrich Grüber, Heinz Galinski, damals stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Adolf Burg, dem Vorsitzenden des Bundes der politisch, rassisch und religiös Verfolgten, besuchten Tagung „Die Überwindung des Antisemitismus“ (Das Argument 2 (1960) Nr. 16 [Reprint 1974, 199]), den die Mitarbeiterin des Philosophischen Instituts Margherita von Brentano⁴² und Manfred Rexin erstatteten, der Tagungsorganisator des Studentenkongresses gegen Atomrüstung gewesen war. Abgeschlossen wurde das Heft mit einer knapp kommentierten „Literaturübersicht“. Unter den in drei Rubriken „Geschichte der Juden in Deutschland“, „Analyse und Kritik des Antisemitismus“ und „Hitlersystem und Judenverfolgung“ geordneten, ausschließlich zwischen 1948 und 1960 erschienenen Titeln war kein einziger aus der DDR, aber immerhin einer, der in Lizenz auch in der DDR herausgekommen war: die Schweizer Ausgabe von Malvezzis und Pirellis Anthologie letzter Briefe „Und die Flamme soll Euch nicht versengen“ stand neben Gollwitzers u. a. „Du
Zum „bahnbrechend[en]“ „Ansatz“ dieser Tagung und zu Magherita Brentano insbesondere vgl. Frey 2020, 386/387, der zwar den „Gegensatz“ zur „von der Totalitarismusforschung“ „geprägt[en]“ „Zeitgeschichtsforschung“ (386) betont, aber nicht zitiert, was Brentano dem Antikommunismus als ‚Überwindung des Antisemitismus‘ entgegensetzt – Demokratisierung: „der rein opportunistische Aufbau eines antikommunistischen Potentials hat den endgültigen Abbau des faschistischen Potentials verzögert, wohl sogar vereitelt. Die Frage der Überwindung von Antisemitismus ist nicht zu stellen ohne die Frage nach den Chancen für eine reale, das heißt materielle Demokratisierung. […] Sie erfordert gleichermaßen Neuorientierung der ökonomischen und mit ihnen der sozialen Verhältnisse und Neuorientierung der individuellen und kollektiven Bewußtseinsstruktur.“ (Brentano 2010, 303)
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hast mich heimgesucht bei Nacht“ in der Unterrubrik „Berichte und Zeugnisse“ zur Verfolgung (217). Aber es fehlten die beiden Titel, die – wie schon zitiert – Sarah Schner-Neschamith, die israelische Direktorin des Museums der ermordeten Kämpfer des Ghettos, Lohamei Haghettaoh, der westdeutschen VVN-Bibliographin Ursel Hochmuth 1960 für die zweite Auflage von „Wächst Gras darüber?“ mit Erfolg als „‚sehr ratsam‘“ für „‚gerade junge Deutsche‘“ und „‚sowohl seriös als auch wichtig‘“ empfohlen hatte: „Im Feuer vergangen“ und „SS im Einsatz“ (Hochmuth 1960b, 11), und der erst nach der Bibliographie erschienene Band des Warschauer Jüdischen Historischen Instituts „Faschismus – Getto – Massenmord. Dokumentation über Ausrottung und Widerstand der Juden in Polen während des zweiten Weltkrieges“ (1960). Der Tagungsorganisator und -leiter von ‚Gegen Atomrüstung‘ und ‚Überwindung des Antisemitismus‘ veröffentlichte im selben Jahr wie Schoenberner „Der gelbe Stern“ zusammen mit Ansgar Skriver ein Buch mit dem Titel „Der Weg zum Massenmord. Hundert Jahre Antisemitismus in Deutschland“ (Rexin/Skriver 1960).⁴³ Manfred Rexins Ko-Autor war der Verleger einer anderen Westberliner Zeitschrift, die sich nach dem Studentenkongress vom 1.-3.1.1959 (Rupp 1980, 250) wie das neu gegründete „Das Argument“ zum Teil des Zeitschriften-Netzwerks der Ostermarsch-Bewegung entwickelte (Boll 2006, 514). Skrivers Herausgeber der in „Alternative. Blätter für Prosa und Lyrik“ umbenannten, ursprünglich „Lyrische Blätter“ heißenden Zeitschrift, Reimar Lenz,⁴⁴ hatte schon vor dem Studentenkongress gegen Atomrüstung einen als Sechs Jahre später wird Manfred Rexin in der VVN-Wochenzeitung „Die Tat“ als Mitwirkender an einem „Beispiel guter Jugendarbeit“ des Westberliner Bezirksamts Zehlendorf gelobt, das der Behinderung des Besuchs der Westberliner Auschwitz-Ausstellung durch Lehrer und Eltern entgegen gesetzt wird und das „Schule machen“ solle: Das Bezirksamt organisierte für die Jugendlichen „Fahrten“ von Zehlendorf zum „Ausstellungsbesuch“ mit anschließendem „Abendessen im ‚Haus Teltow‘, wo Rexin referierte über „Auschwitz – Bewältigung der Gegenwart?“: „Er betonte, daß die Wurzeln des Nazismus heute noch nicht ausgerottet seien. Man müsse deshalb die Frage aufwerfen, ob sich die furchtbaren Naziverbrechen wiederholen können. Dies sei ‚das Problem, mit dem man sich ständig auseinandersetzen müsse‘. Eine Wiederholung von Auschwitz brauche sich nicht unbedingt auf rassistischer Grundlage abzuwickeln. In der Gegenwart gebe es genügend Beispiele dafür, ‚daß sich der mörderische Haß gegen politisch Andersdenkende richten kann‘.“ (Budde 1966b) Eine Woche vorher hatte derselbe Berichterstatter am Begleitprogramm der Ausstellung die Vorführung einess polnischen Dokumentarfilms kritisiert, Janusz Kidawas „Lokaltermin Auschwitz“: „Haben die Staatsanwälte, Geschworenen und Verteidiger […aus Frankfurt] Auschwitz wirklich gesehen, die hier verübten Verbrechen in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit begriffen? Der Regissseur gibt Antwort auf diese Frage, wenn er am Ende des Films einen Staatsanwalt in Großaufnahme zeigt, der bei der Besichtigung des ehemaligen Konzentrationslagers die Augen geschlossen hält. Diese Auslegung entspricht nicht dem tatsächlichen Verhalten der Frankfurter Staatsanwälte. Kidawa zeigt dann, wie Staatsanwälte und Verteidiger mit einem Zentimetermaß im ehemaligen KZ Auschwitz hantierten, um eine Aussage zu beweisen oder zu widerlegen!“ (Budde 1966a) Michael Frey behandelt Skriver, Rexin und Lenz als den „‚Gespräche‘-Kreis“ (2020, 243) im SDS, den er als Teil der von ihm „Achtundfünfzigerbewegung“ (201) genannten „Initialzündung für die Etablierung der Neuen Linken zu würdigen“ (201) vorschlägt; so schätzt er mit (dem von ihm 2003 interviewten) Rexin den Studentenkongress als „‚Anfang vom Ende der Beziehungen zwischen SDS
13 Alexander Mitscherlich: „daß der Antikommunismus in der Bundesrepublik…
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Broschüre gedruckten Essay veröffentlicht, der mit der Verwandlung des Titels „Die Atomrüstung und der Intellektuelle“ in einen Appell schloss: „Klären wir auf über die Gefahren. Es ist nicht wahr, daß diese ins allgemeine Bewußtsein gedrungen wären; die Menschen in der Bundesrepublik sind nicht entfernt so gepackt vom ersten Problem dieser Zeit wie die Japaner (die Gründe dürften naheliegen). Machen wir Angst und Unruhe fruchtbar; verwandeln wir Untergangsträume in ein Ja zum Leben in Frieden; nehmen wir die Gefahr ernst, und helfen wir mit bei dem Versuch, sie abzuwenden.“ (Lenz 1958, 48) In einer Fußnote wies Lenz auf die vierte Weltkonferenz gegen A- und H-Bomben und für Abrüstung vom August 1958 in Tokio hin, um zu belegen, „daß dort eine echte Volksbewegung gegen Atomrüstung existiert“ (53). An diesem Kongress nahm der aus dem US-Exil nach Wien remigrierte Philosoph Günther Anders teil, aus dessen Briefwechsel mit dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly im „Argument“ 1959 (Nr. 6, S. 48 – 48) ein Vorabdruck erschien wie auch eine Besprechung bei Erscheinen seines Konferenzberichts „Der Mann auf der Brücke. Tagebuch aus Hiroshima und Nagasaki“ (Kramm 1959), bevor Anders 1960 mit dem Heft 15 in den Herausgeberkreis eintrat, der in Verbindung mit Haug die Zeitschrift herausgab (Das Argument 2 (1960) Nr. 17 [Reprint 1974, 262]). Im Klappentext der DDR-Ausgabe des Union-Verlags wurde 1965 betont, dass Anders „seit seiner Teilnahme an einem Kongreß zur Ächtung der Atomwaffen in Japan (1958) immer wieder auf die Probleme zurückgekommen ist, die mit der ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ zusammenhängen (‚Off limits für das Gewissen‘ [Off limits 1961], ‚Wir Eichmannsöhne‘ [Anders 1964])“ (Anders 1965, vordere Klappe). 1959 war in Anders’ „Der Mann auf der Brücke“ zu lesen: „Ich weiß von keinem einzigen in das Zentrum einer deutschen Stadt gesetzten Denkmal, das uns täglich die von Hitler Ermordeten ins Gedächtnis zurückriefe.“ (Anders 1959, 134) 1960, als am Karfreitag der erste Ostermarsch der Atomwaffengegner zu der britischen Militärbasis Bergen-Hohne – in der Nähe des noch nicht Gedenkstätte gewordenen ehemaligen KZ Bergen-Belsen (Nehring 2005, 579) – mit zweihundert Teilnehmern stattfand (Burns/van der Will 1988, 91), also bevor es 1961 25.000 (92), 1963 50.000, 1964 100.000 und 1965 130.000 (93), „[z]uletzt“ 150.000 (Wette 2000, 153) wurden, schrieb Wolfgang Fritz Haug im „Argument“,: „Die Antiatom-Bewegung, wenn sie sich auf ihre Ziele besinnt, sollte sich, es klingt banal, zuerst klar darüber werden, wozu sie nein sagt. […] Die Atomrüstung der Bundeswehr wäre, so gesehen, Krönung der (wirtschaftlichen etc.) Restauration im Schatten des Wirtschaftswunders, der (wie bereits vor 15 Jahren der Abwurf der Bombe auf Hiroshima und Nagasaki) posthume Triumph Hitlers.“ (Haug 1960, 255) In demselben Heft schrieb der Westberliner Soziologe Dietrich Goldschmidt, der als ‚Halbjude‘ verfolgt worden war, an den Herausgeber: „Wir sehen uns als Antiatombewegung – wollen wir fortbestehen –
und SPD‘“ (257) ein und damit als Weg zur „Selbstorganisation“ durch ‚Abnabelung‘ von „Sozialdemokratie“ und „Staatskommunismus“ (258): „Eines dieser Projekte war der nur knapp ein Jahr später in der Bundesrepublik erstmals durchgeführte Ostermarsch“ (259).
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vor dem moralischen und politischen Zwang, praktikable humane Alternativen für friedliche Lösungen zu entwickeln. Dies ist unmöglich ohne die oft verlangte und doch stets vernachlässigte grundsätzliche allgemeine politische Besinnung – sei es über deutsche Fragen wie den Nationalsozialismus und den inhumanen Antisemitismus, sei es über den Algerienkrieg und über die großen Probleme zwischen Ost und West sowie der asiatischen und afrikanischen Völker. Daher möchte ich Sie, lieber Herr Haug, darin bestärken, das ‚Argument‘ dieser weit gespannten politischen Erörterung gerade im Dienst der Antiatombewegung noch weiter zu öffnen.“ (Goldschmidt 1960, 260)
14 Ansgar Skriver: Sozialistische Jugend besuchte Auschwitz An demselben Karfreitag 1960, als der erste Ostermarsch stattfand, fuhren „666 Jungen und Mädchen“, „zu einem großen Teil […] aus [West‐]Berlin“, in „neunzehn Bussen“, „an denen große Transparente befestigt sind: ‚Sozialistische Jugend Deutschlands grüßt das polnische Volk‘‚ ‚Wir fahren nach Auschwitz‘“ (Skriver 1960b). Im Verbandsorgan der Falken „junge gemeinschaft“ berichteten über diese Reise acht TeilnehmerInnen auf drei Seiten im Juni, als „Das Argument“ „Die Überwindung des Antisemitismus“ (Das Argument 2 (1960) Nr. 16 [Reprint 1974, 170]) zum Thema machte, gefolgt von „Die atomare Situation“ (218). Ansgar Skrivers Artikel „Sozialistische Jugend besuchte Auschwitz“ war der Aufmacher der ersten Seite der „Zeitung für die sozialistische Jugend“ und trug den Untertitel: „Wir haben die Lehren aus der Vergangenheit gezogen, wir wollen Frieden!“ (Skriver 1960b) Davor stand: „Das polnische Volk und die Welt sollen wissen“, und über der Überschrift: „Eine Demonstration des guten Willens“. Nur in drei der acht Artikel zeichnet sich, wie Fritz Meinicke (1960) schreibt, ein „Rundgang durch das Lager Auschwitz-Birkenau“ ab, auch in Ansgar Skrivers und Jürgen Herters; von den „kleinen Seen“ mit „Knochenreste[n]“ (Zerndt 1960; vgl. Skriver 1960b), über das Krematorium II und die Rampe (Skriver 1960b) in Birkenau, im Stammlager von Wachtürmen, Stacheldraht und dem Tor mit der Inschrift über den Appellplatz (Herter 1960, Meinicke 1960) und das Museum (Skriver 1960b) mit den „Photographien der Schergen des Teufels“ zum Block 11 und der Todeswand (Herter 1960, Meinicke 1960, Skriver 1960b).Von einer Führung ist in keinem Artikel die Rede. Die redaktionelle Vorbemerkung unter dem über die Doppelseite mit sieben Artikeln gehenden Titel „Wir waren in Auschwitz“ lautet: „Teilnehmer an der Fahrt zu dem ehemaligen KZ Auschwitz berichten für die Leser der ‚jungen gemeinschaft‘ […] über ihre Eindrücke an dieser Stätte des Grauens.“ Dem entspricht, dass die meisten AutorInnen eher emotionale und gedankliche Reaktionen nachträglich formulieren, als dass sie Wahrgenommenes beschrieben. Zwei der Teilnehmer, die einen Rundgang andeuten, betonen: „Erschüttert und stumm wanderten wir“, „[s]chweigend“ (Meinicke 1960) oder „[k]aum ein Wort sprechend“ (Herter 1960). Eine in mehreren Artikeln zentrale emotionale Reaktion ist eine Scham, die generationell unterschieden
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wird von der an Schuld gebundenen der Eltern: „Wir hatten Hitler und den Faschismus 1933 nicht an die Macht kommen lassen, wir hatten ihn nicht gewählt. Von uns gehörte keiner zu den SS-Wachmannschaften, zu den Exekutionskommandos, zu den Mördern in Richterroben, zu den Henkern im Ärztekittel. Aber wir schämten uns alle. Auschwitz, geht in die Geschichte ein, als Symbol deutscher Schande.“ (Meinicke 1960) Skriver fragt: „Ob wir die Vorboten der älteren Generation waren, auf deren Schultern die eigentliche Schuld liegt?“, nachdem er das „grauenhafte[…] Bild“ der „Berge von Kinder- und Frauenkleidern“ im Museum kontrastiert hat – wie schon einleitend – mit den angesichts der Transparente an den nach Auschwitz fahrenden Bussen „verständnislosen Gesichter[n] von Menschen“ des „deutsche[n] Wirtschaftswunder[s]“, „die sich nicht erinnern wollen oder können“: „Und zu gleicher Zeit macht man bei uns zu Hause einen ersten Frühlingsbummel, führt die neuen Kleider aus oder wischt sich die Schlagsahne vom Mund ab. Und auf der anderen Seite: Wir, die wir über die blutgetränkte Erde von Birkenau gehen, fröstelnd an einem naßkalten Ostermorgen, sind doch nicht verantwortlich für den rationalisierten Mord, für die Ausbeutung der Gefangenen, die Munition fabrizieren mußten, solange sie arbeitsfähig waren.“ (Skriver 1960b) Ein mit der Scham verbundener ‚Eindruck an dieser Stätte des Grauens‘ ist die an das Sehen des Ortes gebundene „Vorstellung“, die „Greueltaten […] in ihrer ganzen Schrecklichkeit [zu] ermessen“ (Grunner 1960). Ähnlich wie Judith Grunner formuliert Peer Zerndt: „Jeder Deutsche hat wohl schon den Namen Auschwitz gehört, aber die wenigsten können sich, ohne es selbst gesehen zu haben, auch nur annähernd eine Vorstellung machen, in welchem Umfange dort Menschen vernichtet wurden.“ (Zerndt 1960) Aber ein anderer Reiseteilnehmer betont, was die „stumme[n] Zeugen“, die von „Unkraut überwuchert[en]“, „verrostet[en]“ Überreste „nicht“ „zeigen“: „die Menschen, vermitteln nicht die Schreie der Opfer […]. Wir können […] nie die Hoffnungslosigkeit dieser Menschen mitempfinden.“ (Herter 1960) Doch derselbe Autor, Jürgen Herter, fasst seinen ‚Eindruck‘ einleitend zusammen als gedankliche Antwort auf Wachtürme, Stacheldraht und die Inschrift des Tors: „Das System, dann die Untaten einiger, denen man das Menschliche absprechen muß, den SS-Bewachern nämlich, wären in die Worte zu fassen: ‚Der „Werkstoff“ Mensch wird verarbeitet‘.“ (Herter 1960) Auf ähnliche Weise wird in einem ungezeichneten Kasten, der in Grunners Artikel „Klassenreisen in die deutschen KZ“ eingefügt ist, das in Auschwitz-Birkenau ‚Gesehene‘ auf ein mitgebrachtes ‚Wissen‘ bezogen, das Schuld und Ursachen des dort ‚Geschehenen‘ betrifft: „Wir haben die Ueberreste [sic] des Grauens gesehen. Es war furchtbar! Nie werden wir vergessen, was dort geschehen ist. Wir wissen, daß noch mancher Schuldige und am Elend Profitierende in Amt und Würden sitzt! Wir werden jedes System bekämpfen, das solche Verbrechen ermöglicht und [sic] alle Personen, die das Nazi-Regime verteidigen.“ (Wir waren in Auschwitz 1960, 5) In einem zweiten, in den Artikel von Meinicke eingefügten Kasten mit der Überschrift „Hauptsache, der Profit!“ kommt Manfred Feustel zu dem Schluss: „Eine Erkenntnis wurde in Auschwitz bildhaft untermauert: ‚Der Faschismus ist erst dann endgültig überwunden, wenn der Kapitalismus durch den Sozialismus ersetzt worden
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ist.‘“ (Feustel 1960) Ein solches Resümee des Besuchs von Auschwitz-Birkenau wird im Kasten begründet mit der IG Farben Herstellung von Zyklon B und von Buna durch Häftlinge: „Die Gemeinsamkeit der Industriebarone mit den Nazigrößen konnte nicht deutlicher demonstriert werden. Sie verdienten an den vergasten Juden, Zigeunern, Kindern, Frauen und Männern.“ (Feustel 1960) Nur in Meineckes Artikel gibt es, dem Titel entsprechend: „In der Fabrik des Todes“, einen vergleichbaren Satz zu „Wirtschaftsführer[n], die an der Arbeit der Häftlinge reich wurden“: „Dies bleibt wahr, weil es wahr ist.“ (Meinicke 1960) Die ‚Betonung‘ legt Meinicke jedoch auf etwas Anderes: „Aber immer sollten wir betonen: es waren deutsche Männer“, denn es geht ihm nicht – wie Feustel – um eine noch ausstehende ‚endgültige‘ ‚Überwindung‘ des Faschismus, sondern um „Widerstand“ gegen ein „Neuaufleben des Faschismus jeder Prägung“ (Meinicke 1960). Deshalb folgt aus der „Verpflichtung […], daß die Sozialistische Jugend Deutschlands diese Millionen Toten nicht vergessen werde“, für Meinicke vor allem: „Über alles Trennende hinweg wollen wir der polnischen Jugend, dem polnischen Volk die Freundeshand reichen, um wiedergutzumachen.“ (Meinicke 1960). Judith Grunner nennt den „Besuch eines Vernichtungslagers“ „ein[en] nicht zu unterschätzende[n] Akt der Wiedergutmachung“ (Grunner 1960), und Skriver benutzt zwar nicht den Begriff der Wiedergutmachung, aber setzt der „Unverbindlichkeit der Erinnerung“ von „Kaffeefahrt[en] nach Bergen-Belsen“ mit der Begründung: „Mit Polen zu reden, heißt etwas tun“, entgegen: „Dies war vielleicht das Wichtigste, das wir tun konnten: durch unsere Anwesenheit an Ostern in Auschwitz und Birkenau den polnischen Nachbarn zu zeigen, daß wir die Vergangenheit bereinigen wollen, die zwischen uns steht.“ (Skriver 1960) Allerdings stützen auf der Doppelseite sowohl einige der Überschriften als auch einige der Bildunterschriften zu den fünf Fotos die in den zwei Kästen formulierte Frage nach dem „System […], das solche Verbrechen ermöglicht“ (Wir waren in Auschwitz 1960, 5): „‚Der Werkstoff Mensch wird verarbeitet‘“ (4), „In der Fabrik des Todes“, „Hauptsache, der Profit!“ (5); mit Ausnahme des Fotos von der Kranzniederlegung an der Todeswand zeigen alle anderen Fotos Orte im Stammlager und in Birkenau, die nicht in den Texten beschrieben werden: den „unterirdische[n] Verbrennungsofen in unmittelbarer Nähe des Lagereingangs Auschwitz“, der „stillgelegt [wurde], weil ‚seine Kapazität nicht ausreichte‘“ (5), das „Ehrenmal“ in Birkenau „in unmittelbarer Nähe […] des Platzes, an dem man die Arbeitsfähigen von den zu Vergasenden trennte“ (4), „Überreste[…] des Krematoriums III in Birkenau“ (5); ohne Bildunterschrift bleibt das Foto eines schief stehenden Kreuzes vor den Baracken des Frauenlagers in Birkenau (4). Die „Feier“, mit der die Falken „Blumen und Kränze“ (Skriver 1960) an der Todeswand niederlegten, ist von Jonathan Huener gegen einen Vorwurf verteidigt worden: „The SJ’s repeated emphasis on ‚Wiedergutmachung‘ likely strikes today’s reader as perhaps presumptuous, or at best, naive‘“ (Huener 2001, 320), aber seine Formel: „Collective penance and commemorative redemption had converged at Auschwitz in a mutually constitutive manner“ (320), ignoriert die über „their resolve to confront any vestige or re-emergence of fascist tendencies in the political culture of the Federal
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Republic“ (210) hinausgehenden Momente der Kranzniederlegung: Gesungen wurden „Die Moorsoldaten“ und „Unsterbliche Opfer“, gelesen wurde Brechts „An die Kämpfer in den Konzentrationslagern“ und damit an Traditionen eines Antifaschismus angeknüpft, der auch Kommunisten einschloss. Die Grenze solcher Offenheit zeigt sich in mehreren Artikeln der ReiseteilnehmerInnen in der positiven Absetzung Polens von der ‚Ostzone‘ genannten DDR: „Wie anders hätte sich doch wohl ein offizieller Reisebegleiter in der Ostzone uns gegenüber verhalten!“ (Zerndt 1960; vgl. Salomo 1960) Kategorisch formuliert Skriver: „Auschwitz ist kein Teffpunkt für die Sozialistische Jugend Deutschlands und Ulbrichts FDJ.“ (Skriver 1960) Unter Skrivers Artikel stand in einem Kasten eine „Erklärung“ des Bundesausschusses der Falken zu „Verleumdungen und Diffamierungen durch das Komitee ‚Rettet die Freiheit‘“: „Die im ‚Rotbuch‘ angegriffenen Personen und Personenkreise zählen zur demokratischen Repräsentanz der Bundesrepublik“; in antitotalitaristischer Weise verteidigten die Falken diese Demokraten gegen das Komitee als „einen geschickt getarnten Versuch antidemokratischer und reaktionärer Gruppen“ und eines „wohlbezahlte[n] Agent[en] des Ulbrichtschen Staatssicherheitsdienstes“, „die demokratischen Kräfte in Deutschland zu schwächen“.⁴⁵ Während der Westberliner „Telegraf“ am 9. Dezember 1959 über die erste Reise der Falken nach Auschwitz „kurz“ (Schmidt 1987, 110) berichtet hatte, gab es über die zweite keine „Berichterstattung“ (112). Im CDU-Organ „Die politische Meinung“ veröffentlichte Helmut Ibach im Mai 1960 eine „rein sprachlich“ (Ibach 1960, 32) begründete Ablehnung des ‚Schlagworts‘ ‚unbewältigte Vergangenheit‘, die aber aus der „Unbestreitbarkeit“ ihres „[g]ültigen“ (29) „linguistischen Hintergrund[s]“ (32) zum „[H]eraus[…]schälen“ der „Absicht der interessierten In-Umlauf-Setzer“ (29) führt. Ohne irgendeine Bezugnahme auf ein Wörterbuch behauptet Ibach: „Gleichgültig, ob bei der ‚Bewältigung‘ mehr das Physische [Fluten, Sandmassen] oder das Geistige [Stoffmassen] überwog, sie bezog sich immer auf etwas konkret und drohend Vor-liegendes, […] Gegenwärtiges oder Zukünftiges. Demgegenüber ist die Vergangenheit etwas, das man hinter sich hat, unter das man ‚einen Strich zieht‘, etwas […] nur noch Registrierbares […]. Somit ist die ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ […] ein Widerspruch in sich, ein Schlag ins Wasser“ (32).“ Daraus folgert Ibach für die ‚In-Umlauf-Setzer‘, „daß sie also beabsichtigt haben, unsere geistige Kraft von den vordringlichen Entscheidungen der Gegenwart ‚abzulenken‘“ (33). Unter pauschalem Verweis auf den „Gebrauch des Wortes […] in der derzeitigen literarischen Diskussion“ behauptet Ibach zunächst ohne jeden Beleg: „Wo das Wort überhaupt in einem historischen Bezug steht, sollen die Fakten der Vergangenheit zumeist in das Geschichtsschema einer Ideologie – etwa des ‚Historischen Materialismus‘ – hineingezwängt (hinein-vergewaltigt) werden […]. Dies ist vor allem dort der Fall, wo auf eine ‚sozialistische‘, ‚demokratische‘ oder ‚realistische Bewältigung der Vergangenheit‘ gedrängt wird. Das Wort gerät somit in den Sog jener ‚antifaschistischen‘ Bemühungen, alles Kommunistenfeindliche (zum Beispiel die
Junge gemeinschaft. Zeitung für die Sozialistische Jugend 12 (1960) H. 6, S. 1.
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Bundesrepublik) als ‚faschistisch‘ zu verleumden“ (33). Hierfür gibt Ibach in der Fußnote zwei geschichtswissenschaftliche Publikationen an als „Ostberliner“ „‚Bewältigungen‘“ bzw. ohne Anführungszeichen „Geschichtsvergewaltigungen“ (33). Ibach, der zweimal antiintellektuelle Ausfälle Max Webers gegen das „‚Gebaren‘“ des „‚Literatenvolk[s]‘“ zitiert, das „nicht der wirklichen inneren Stellung der Deutschen zu ihrem Kriegsschicksal“ „entspricht“ (37), verwendet die literaturkritische Redeweise von der Bewältigung des Stoffes durch die Form für eine sehr relative Einschränkung der Ablehnung der Begriffsverwendung: „Sehen wir einmal ab von jenen spätpositivistischen Geschichtsforschern ab, die meinen, mit der ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ eine modernere Bezeichnung für die Aufarbeitung historischer Quellenmassen gefunden zu haben“ (34). Umso eindeutiger fällt Ibachs Bejahung der ‚unbewältigten Vergangenheit‘ am Schluss des Artikels aus: „Da das Leben in der Zukunft weitergehen muß, muß jeder einmal den ihm gemäßen Strich unter die Vergangenheit ziehen. […] Ein Volk muß endlich auch einmal die großherzige⁴⁶ Geduld aufbringen, die Zeit heilen zu lassen, die ‚Traumata‘ zu schonen und die Meinungen der Alten zu respektieren, auch wenn diese objektiv überlebt sein sollten. […] Die ‚unbewältigte Vergangenheit‘ ist nicht zuletzt eine Generationsfrage, die sich für sie alle einmal gewaltlos und von selbst löst. Wer trotzdem glaubt, Beschuldigungen erheben zu müssen, sollte freilich nicht vergessen, daß es nach den Erfahrungen mit dem ersten (braunen) Totalitarismus unverzeihlicher ist, dem zweiten (roten) Totalitarismus auf den Leim zu gehen.“ (34/35)⁴⁷
Vgl. Carlo Schmids (1984, 203) ‚großmütig‘. Diese in den frühen 1960er Jahren verbreitete antikommunistisch begründete Ablehnung des „Schlagwort[s] unserer Zeit“ (Rychner 1961) lässt z. B. Max Rychner seinen Benutzern 1961 im „Merkur“ vorwerfen, „wieder einer Faszination durch das Untere, durch Dreck und Bosheit [zu] verfallen“ (Rychner 1960/61, 51), was die Herausgeber der Zeitschrift im Editorial zum 200. Heft zustimmend sich von „dem so peinlichen Wort“ distanzieren lässt („200“ 1964, 902) und worauf Paul Konrad Kurz in „Stimmen der Zeit“ als autoritativ verweist (Kurz 1971, 52): „Unbewältigte Vergangenheit, unbewältigte Gegenwart. Im Verlauf der späten fünfziger Jahre, als die Sache selbst schon historisch geworden war, wurde das sogenannte ‚Bewältigen‘ der Vergangenheit eine mit potenter Selbsttäuschung gehandhabte Vokabel.“ (13). Entsprechend rezensiert Hans Egon Holthusen an Hans Magnus Enzensbergers Essays „Einzelheiten“ den „Sprecher einer Generation, die ihr moralisches Selbstbewußtsein auf die simple biologische Tatsache gründen kann, daß sie während der Hitler-Jahre in den Kinderschuhen steckte und daher in Sachen ‚unbewältigte Vergangenheit‘ wegen erwiesener Unschuld von vornherein freigesprochen ist“, die aber „immer noch weitgehend im Banne einer negativen Faszination von Hitlers Teufelsreich“ stehe: „Sieht es nicht so aus, als ob […] das hochmütige Mißverhältnis der deutschen Intellektuellen zur demokratischen Lebensordnung, sich mit umgekehrten Vorzeichen – ‚links‘ statt ‚rechts‘ – wiederholen sollte?“ (Holthusen 1963) Der spätere Berater des Bundeskanzlers Ludwig Erhard, der Publizist Rüdiger Altmann (vgl. Opitz 1965), stellte zwei Jahre vor Erhard, bereits 1963 fest, dass wir „heute […] mit dem Ende der Nachkriegszeit in eine neue Phase unserer politischen Entwicklung eingetreten“ (Frisé 1966, 51) seien. Altmanns Beitrag „Das Urteil der Zeitgenossen“ erschien 1966 in dem von Adolf Frisé herausgegebenen Sammelband aus der sonntäglichen Reihe kulturpolitischer Betrachtungen im Hessischen Rundfunk „Vom Geist der Zeit“ in der Rubrik „Generationen“ (44), ein zweiter stand in der „Neurotisches“ (140) überschriebenen: „Sehnsucht nach Selbstbewußtsein“. Denn 1965 setzte Altmann dem ‚Dementi‘ der politischen Vergangenheit in deren Bewältigung, die er als „Fortsetzung der sogenannten Entnazifizierung“ bezeichnete (166), ein „Selbstbe-
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wußtsein“ entgegen, das „verlangt, daß wir die innere Einheit der deutschen Geschichte seit dem vorigen Jahrhundert zugeben, und zwar ohne Kollektivscham-Exhibitionismus, so daß die Jungen und unsere Umwelt sie verstehen und mit Vernunft beurteilen können.“ (167) Dagegen hatte schon im Juni 1959 der angehende Lektor des Luchterhand-Verlags Franz Schonauer in einem Seminar in Recklinghausen (Schwarz 2018, 152) zum Thema „Unbewältigte Vergangenheit – demokratische Zukunft“ in seinem Vortrag „Die unbewältigte Vergangenheit und die deutsche Literatur“, den die „Deutsche Zeitung“ abdruckte, betont, „daß die Ablehnung, ja Verurteilung der Nazizeit noch keine Bewältigung ist“: „Die Vergangenheit bewältigen, heißt sie erkennen, heißt einsehen, daß auch die jüngsten Ereignisse mit der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung seit Beginn des 19. Jahrhunderts zusammenhängen.“ (Schonauer 1959) Während Schonauer aus der westdeutschen Literatur nur Alfred Andersch und etwas weniger entschieden Heinrich Böll von der ihrer Tradition wegen „ins Innerliche emigrierten deutschen Literatur“ ausnimmt, die nicht fähig sei, „das Problem Vergangenheit konsequent an[zugehen…,] die gesellschaftlichen, ideologischen und politischen Verhältnisse“, hebt er abschließend hervor, dass Brecht in der BRD zu wirken beginne und Seghers: „die andere Seite der deutschen Literatur, die nicht offizielle, die nicht in Schulen gelehrte“ (Schonauer 1959). Drei Jahre später, im Dezember 1962, hielt Schonauer einen diesem Vortrag ähnlichen auf der Tagung „Schuld vor der Geschichte“ der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg in Weißensee, auf Initiative des literarischen Cheflektors des Union Verlags Johannes Bobrowski, der wie Schonauer Mitglied der Gruppe 47 war und das zweite Referat „Benannte Schuld – gebannte Schuld?“ (Schwarz 2018, 152) hielt. Peter Paul Schwarz’ Bemühen, Bobrowski „eine Distanz zum offiziell-öffentlichen Literaturdiskurs in der DDR“ (153) zu attestieren, geht nicht so weit, in Schonauers Literaturkritik „jene Bausteine“ nicht auszumachen, „mit denen eine Bündnisfähigkeit kritischer westdeutscher Intellektueller begründet wurde“ (155). Hierfür steht Anfang der 1960er Jahre auf dem Gebiet der Literaturpolitik der DDR die Verwendung des ‚Schlagworts‘ Vergangenheitsbewältigung; als Entsprechung und als Gegensatz zur, ob nationalistisch oder explizit antitotalitaristisch begründeten ,Ablehnung des ‚Schlagworts‘ wurde Vergangenheitsbewältigung zur Bezeichnung für eine Gemeinsamkeit zwischen Teilen der westdeutschen und der offiziell noch nicht so benannten DDR-Literatur verwendet. So heißt es im Mai 1961 in der „Entschließung des V. Deutschen Schriftstellerkongresses“, dass „in unserer Literatur der Deutschen Demokratischen Republik alle Schriftsteller, die sich die Bewältigung der faschistischen Vergangenheit zur Aufgabe stellen, […] volle Schaffensfreiheit [haben], […] wobei es erstrebenswert, jedoch nicht Bedingung ist, daß sie sich der Methode des sozialistischen Realismus bedienen“ (V. Deutscher Schriftstellerkongress 1961, 321), und dass „[w]ir“ den „viele[n] westdeutsche[n] Schriftstellern“, die „in ihren Büchern auf die Gefahr hin[weisen], die sich aus der Atomrüstungspolitik für ganz Deutschland und die Menschheit ergibt“, „erklären“, „daß wir […] dafür eintreten werden, daß ihre besten Werke mehr noch als bisher in der Deutschen Demokratischen Republik in hohen Auflagen erscheinen“ (323). Im theoretischen Organ der SED schrieb der aus der BRD, um sich „der abzusehenden inhaftierung wegen fortsetzung der tätigkeit der verbotenen kommunistischen partei deutschlands zu entziehen“ (so sein Freund Ernst Schumacher 2007, 522, über seine eigene Übersiedlung), in die DDR übergesiedelte Oskar Neumann: „sozialistische Nationalliteratur in der DDR“ sei „nicht ein Sich-Entfernen und Davonlaufen vor der Verantwortung für die gesamtnationalen Geschicke der Literatur, sondern das Aufrichten immer hellerer Orientierungszeichen, die es den Menschen in Westdeutschland erleichtern, gleichfalls die Vergangenheit zu bewältigen und Anschluß an Gegenwart und Zukunft zu finden“ (Neumann 1964, 63). Der seit 1963 1. Sekretär und stellvertretende Vorsitzende des Schriftstellerverbands Hans Koch nahm 1965 in einen Sammelband seiner literaturpolitischen Schriften einen Aufsatz aus dem Jahr 1959 auf, in dem er es eine „nationale Verpflichtung“ des Verbands nannte, in der BRD „die beginnende Auseinandersetzung bedeutender Volkskräfte um die ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ mit allen Mitteln zu unterstützen“ (Koch 1965, 343/344). „Dreizehn Erzählungen 1962– 1966“ brachte der Aufbau-Verlag 1968 unter dem Titel „Der Mörderbock“ mit der Vorbemerkung heraus: „Dreizehn deutschsprachige
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15 Franz Josef Strauß’ Geleitwort zu „Kriegsbriefen gefallener deutscher Juden“ Einer der Gründer des Komitees Rettet die Freiheit!, der Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß, „veranlaßt[e]“ 1961 eine „Neuauflage der Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden‘ […] von 1935“‚ wobei „einige Hinzufügungen, aber auch einige Kürzungen vorgenommen“ (Kriegsbriefe 1961, 4/5, vgl. 18) wurden, aber keinerlei Hinweise gegeben auf den Vortrupp-Verlag, in dem die Erstausgabe erschienen war, und dessen Verleger Hans-Joachim Schoeps. In einem „Zum Geleit“ beantwortete Strauß mit „[d]rei Gründe[n]“ die Frage: „Was veranlaßt ausgerechnet den deutschen Verteidigungsminister, dieses Buch herauszugeben?“ (5) Es gehe ihm erstens darum, das „geschändete Bild des jüdischen Mitbürgers“ „wieder in das rechte Licht zu rücken“, nämlich als „Soldaten“ (5), zweitens den „Blick auf einen Ausschnitt der bösen Ereignisse [zu] lenken, der dem menschlichen Begreifen faßbar bleibt“ (9), und drittens um das „Beispiel für Vaterlandsliebe, Leidensfähigkeit und Treue“ (13), das die „ihren Weg“ „such[ende] „Bundeswehr“ „begleiten“ solle (13). Den von Strauß als Herausgeber gewählten ‚dem menschlichen Begreifen faßbaren‘ ‚Ausschnitt‘ nennt er „Undank des Vaterlandes seinen Frontsoldaten gegenüber“ (10): „Himmler ließ seinen Terror auch auf die deutschen jüdischen Frontkämpfer los, jagte sie über die Grenzen, ließ sie in KZ’s, Judenlager, Gettos und Gaskammern werfen, stellte sie kurzerhand an die Wand.“ (8) Wenn Strauß nicht von Himmler oder Hitler spricht, benutzt er für das, was nicht fassbar sei, einen über den Faschismus hinaus verallgemeinernden Begriff, als Substantiv und als Adjektiv: „Die Totalitären“ (6) und die „modernen totalitären Herrschaftsformen“ (13). Ohne dass er Auschwitz oder einen anderen Ortsnamen nennt, erklärt Strauß die Unvorstellbarkeit der „Dimensionen“ (9) totalitärer ‚Verbrechen‘ aus ihrer „Irrationalität“ (11): „Die Ungeheuerlichkeit des Juden- und Völkermordes, die Größenordnungen, in denen sich die Verbrecher austobten, entziehen sich leicht der menschlichen Vorstellungskraft und damit dem Mitleiden. Es gehört zur Methode moderner totalitärer Herrschaftsformen […], ihre tollen Aktionen und Lügen bis zu Dimensionen zu steigern, denen selbst eine entfesselte Phantasie nicht folgen kann. Dem Betrachter verzerren sich dadurch die Perspektiven […, dass] er sich außerstande sieht, das Ver-rückte [sic] in den Kategorien der Totalitären zu begreifen“ (9). Deshalb betont Strauß, dass seit 1933 die „deutschen jüdischen Frontsoldaten“ „wie andere Deutsche“ „den Methoden der totalitären Politik psychologisch unvorbereitet und daher ebenso ahnungs- wie fassungslos gegenüber[standen]“ (10); für sich nimmt Strauß jedoch 1961 in Anspruch, ‚das Ver-rückte‘ zu ‚begreifen‘: „Die offene Zweckwidrigkeit staatlicher Maßnahmen scheint mir geradezu das Symbol totalitärer Herrschaftsformen zu sein. Die Autoren […] sind in diesem Band um eine literarische Bewältigung der Vergangenheit bemüht.“ (Mörderbock 1968, 5) Unter ihnen waren Stefan Andres, Ingeborg Bachmann, Ulrich Becher, Christian Geißler, Albrecht Goes, Marie Luise Kaschnitz, Heinar Kipphardt, Jakov Lind und Wolfgang Weyrauch mit Texten zur Vergangenheitsbewältigung, die in der ersten Hälfte der 1960er Jahre entstanden waren.
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Verfolgungen staatstreuer Menschen, das Löschen der Namen Gefallener an Ehrenmalen, die Weigerung mitten im Krieg, schwerbeschädigten jüdischen Frontkämpfern weiterhin Schwerbeschädigtenausweise auszustellen, die Judentransporte zu einem Zeitpunkt, in dem die Waggons der Reichsbahn nicht ausreichten, die kämpfenden Truppen zu versorgen – dies alles trägt das Signum der Irrationalität und konsequenter Tollheit.“ (10/11) Strauß benutzt ein antisemitisches Zitat aus Hitlers Tischgesprächen⁴⁸ zu einem Vergleich, der die in der Rede von ‚den Totalitären‘ implizierten ‚Fremden‘ des Kalten Krieges auf den Begriff ‚Eroberer‘ bringt: Hitler sei ein „totalitäre[r] Herrscher“, „der – trotz nationaler Phrasen – anational handelt und schließlich – völlig konsequent – die Sondertruppen seines besonderen Geistes im eigenen Land wie fremde Eroberer auftreten läßt“ (11). Entsprechend betont Strauß: „Keiner der gefallenen deutschen Juden […] konnte ahnen, daß eine solche [totalitäre] Herrschaftsform über Deutschland hereinbrechen würde“, als „die Totalitären […] ihr Hauptquartier in Deutschland aufgeschlagen hatten“ (12). Dieser Ausschluss der Träger der ‚totalitären Herrschaftsform‘ als ‚fremden Eroberern‘ aus der ‚Nation‘ steht in einer gewissen Spannung zu dem einzigen Absatz, in dem das Geleitwort auf die Texte der Kriegsbriefe zu sprechen kommt, und zwar befremdet: Strauß nennt die Briefschreiber „ganz Kinder ihrer Zeit“ und ihre Texte „nur aus der Zeit heraus zu verstehen (7). Strauß spricht, die AdressatInnen der Neuausgabe in der 1. Person Plural einschließend, von der „Vaterlandsliebe“ der Briefschreiber als „manchmal für unser Gefühl etwas zu pathetisch, eingenommen vom Stolz und kriegerischen Temperament des Nationalstaats, befeuert von einem Patriotismus, dessen Zielsetzung uns heute seltsam fremd berührt“ (7). Die emotionale Distanzierung von Vergangenem: übersteigertem Pathos, Gefühl, Leidenschaft, steht in Spannung zu der – im letzten Satz – behaupteten Beispielhaftigkeit dieser „Vaterlandsliebe, Leidensfähigkeit und Treue“ (13). Quasi-programmatisch vorangestellt sind der alphabetisch nach den Namen der Briefschreiber (darunter z. B. aus Berlin prominente Familiennamen wie Joel und Simon, vgl. Kotowski 2005) erfolgten Anordnung der Brieftexte „Die Geschichte des Leutnants Julius Holz“ (15 – 20) und „Die Kriegsbriefe“ des einzigen Schriftstellers unter den 54 ausgewählten, von denen, soweit Berufsangaben gemacht sind, zwölf im Justizwesen, acht in Handel und Banken, je vier im Gesundheits- und im Bildungswesen, je zwei als Techniker und Kapellmeister und einer als Rabbiner tätig gewesen waren. Die vorangestellte „Geschichte“ unterscheidet sich nicht schon durch die Ergänzung von drei Texten von Jürgen Holz um einen „Bericht über die letzten Minuten, die Leutnant Holz nach tödlicher Verwundung bei seiner Kompanie verlebte“, der von seinem Nachfolger und einem Unteroffizier unterzeichnet ist und in dem es heißt: „Bevor er von seinen Leuten Ab-
Strauß fährt nach „Tollheit“ fort: „Hitler geht so weit, in seinen Tischgesprächen zu sagen, er werde sich im Falle eines Sieges ‚rigoros auf den Standpunkt stellen, daß er jede Stadt zusammenschlage, wenn nicht die Juden herauskämen…‘“ (11)
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schied nahm, sagte er noch mehrere Male: ‚Ich weiß, daß ich sterben muß. Grüßt mir meine Eltern und schreibt ihnen, ich hätte meine Pflicht als Soldat getan wie jeder andere auch und ich sterbe gern.‘“ (18) Ähnliche Mitteilungen gibt es auch von anderen Kompanieführern (84/85, 99/100, 113/114). Aber Julius Holz’ Tod wird zu einer Geschichte durch einen Brief seines „heute in Holland lebenden Bruders, H. A. Holz, an Bundesverteidigungsminister Strauß“ (18) vom 12. April 1961 mit „einige[n] Originalbriefe[n] über den Heldentod meines im Juni 1918 in Frankreich gefallenen […] Bruders“ (19). Der Bruder bezieht sich nicht nur auf das, was die „FAZ“ (1.4.1961) über Strauß’ Auftrag an das Militärgeschichtliche Forschungsamt berichtet hatte, „das Schicksal der deutschen Soldaten jüdischen Glaubens zu erforschen und darzustellen“ (18), sondern auch auf das Schicksal seiner Mutter, mit der er nach Holland geflüchtet war. Seine Zustimmung zu Strauß’ Projekt ‚deutscher Soldaten jüdischen Glaubens‘ formuliert H. A. Holz: „Da Sie, sehr geehrter Herr Minister, es für nötig halten, ‚das Schicksal deutscher Soldaten jüdischen Glaubens in das Geschichtsbild der Bundeswehr aufzunehmen, weil richtige Tradition auch das Bewußtsein des belastenden Erbes enthalten müsse‘, glaube ich, daß die Aufnahme dieser z.T. herrlichen Briefe oder von Stellen hieraus in die Neuauflage der ‚Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden‘ am Platze wäre. Denn die Briefe zeugen von der Gesinnung damaliger ‚deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens‘. Und gerade durch das Lesen solcher Dokumente kann ‚die Bundeswehr aus der Geschichte lernen‘.“ (19) Aber „auch“ über „das Schicksal der Mutter eines im Krieg 1914 bis 1918 […] glühenden deutschen Patrioten, eines […] im wahren Sinne des Wortes ‚deutschen Staatsbürgers jüdischen Glaubens‘“ im besetzten Holland „glaubte“ der Bruder „kurz berichten zu müssen“: „Im Jahre 1942 hieß es hier, daß Menschen jüdischen Glaubens, deren Söhne sich im Krieg 1914– 1918 verdient gemacht hätten, ein Gesuch an den Reichskommissar des besetzten holländischen Gebietes einreichen könnten, um von der Deportation befreit zu werden. Ein solches Gesuch wurde […] eingereicht. Die Antwort an meine damals 81jährige kranke Mutter lautete: ‚Ihr Antrag auf Freistellung vom ‚Arbeitseinsatz‘ (!) ist abgelehnt‘, und 14 Tage später wurde meine Mutter aus dem jüdischen Krankenhaus in Amsterdam – zusammen mit allen anderen mit ihr im gleichen Saal liegenden Frauen – nachts herausgeschleppt, mit Polizeiwagen zum Bahnhof gebracht, in Güterwagen gepfercht, nach Polen deportiert und bei Ankunft in Auschwitz sofort vergast.“ (20) Die gleichfalls der alphabetischen Anordnung vorangestelle Brief- und Tagebuchnotizenfolge von Walter Heymann unterscheidet sich nicht durch eine Nachgeschichte, über den ‚Undank des Vaterlandes‘, von allen übrigen, sondern durch eine sonst nicht gebotene Darstellung der Veränderung der Haltung des Briefschreibers zum Krieg; von: „Man bangt für jeden Bekannten, auch für sich selber“ (21), über: „Man darf nie leugnen, daß man sich fürchtet. Ich wurde ganz mutig dadurch, daß ich mir meine Furcht eingestand und dann sagte, Leben (auch ein Leid) ist ein unerhörtes Glück“ (23), zu: „Für Hunderte sterben – herrlich!“ (24) Die vom Nachfolger den Eltern von Jürgen Holz überlieferte Mitteilung, gern in Erfüllung der Pflicht zu sterben, ist die weniger pathetisch ausgedrückte „Haltung“,
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die in vielen Briefen der Vortrupp-Anthologie auch so bezeichnet wird (21, 23); einige sprechen von einer religiösen „Verinnerlichung“ (27), andere von „Selbstbesinnung“ (31), wenn sie Familienangehörigen ihre Bereitschaft mitteilen, ein „Opfer für alle“ (22) oder „fürs ganze“ (33) zu bringen, es sei „schön für’s Vaterland zu sterben“ (36, vgl. 129), zumal wenn es „mit den Besten“ (74, vgl. 104) geschehe. Was Strauß im Geleitwort distanzierend ‚kriegerische[s] Temperament‘ nennt, ist in den Briefen der Sammlung eher selten, so im Brief eines Fliegerleutnants: „Die Front erscheint von oben als eine lange, erleuchtete Straße. Dann flogen wir ran, etwa 1000 Meter hoch, die Maschine stark gedrückt und dabei mit großer Fahrt. Es war ein herrliches Flammenschauspiel …“ (29) Durchgängig hingegen ist, was Strauß als eine ,uns heute seltsam fremd berührende‘ ‚Befeuerung‘ durch ‚patriotische‘ ‚Ziele‘ verklausuliert hat: Der „Tod“ „umgibt mich in der Pflicht für mein Vaterland, in dem Kampfe, den uns russische Barbarei und französische Rachegedanken aufgezwungen haben… Wir sind verloren, wenn wir verlieren. Aber wir werden gewinnen. Als wir zum erstenmal im Schrapnellfeuer lagen, da dachte mancher an Weib und Kind, und doch lebt in allen Soldaten der Gedanke: ‚Wir müssen siegen!‘ Und dieser Wille treibt sie vorwärts…“ (107) Alle drei Besprechungen der „Kriegsbriefe“ durch westdeutsche Rundfunksender, aus denen der Seewald Verlag den Klappentext der Neuausgabe zusammenstellte, griffen Formulierungen des Geleitworts auf; der RIAS verstärkte dessen schon zitierten Schlusssatz: „Vaterlandsliebe, Opfermut und die Fähigkeit des jüdischen Volkes, tapfer im Elend zu sein, auch im Schmutz eines Weltkrieges, durchzieht alle Briefe.“ (Klappe vorn) Vom Bayerischen Rundfunk wurde die ‚uns heute seltsam fremd berührende‘ ‚Zielsetzung‘ des ‚nationalstaatlichen Patriotismus‘, „de[r] grimmige[…] und groteske[…] Wille[…], sich gegenseitig zu vernichten“, bildlich als „ein metallischer Klang“ gefasst (Klappe vorn). Der Westdeutsche Rundfunk kommentierte den ‚Undank des Vaterlandes‘ gegenüber den „deutschen jüdischen Soldaten“: „Wir wissen heute, was geschehen ist. Wir wissen auch, wie wir Gegenwart und Zukunft bewältigen müssen und wie wir sie bewältigen können, nämlich in der gegenteiligen Geisteshaltung, wie sie Heinrich Himmler und seine Männer beherrschte.“ (Klappe hinten).Während alle Rezensionen Strauß zitieren, gibt es nur in der des RIAS ein Zitat aus einem der Kriegsbriefe selbst, das aber als beispielhaft für „eine große Hoffnung“ eingeführt wird, die „alle Briefe“ „durchzieht“: „Aber hoffentlich erreichen wir Juden mit diesem Krieg auch endlich die Gleichberechtigung in jeder Weise.“ (Klappe vorn; vgl. 37) Doch diese ‚Hoffnung‘ von Leutnant Berthold Elsaß wird nur noch von zwei anderen der 54 Briefschreiber so klar ausgedrückt, während einer 1917 vom französischen Kriegsschauplatz sogar berichtet: „Ich habe nie etwas von Antisemitismus hier gehört, dazu sind jetzt die Zeiten zu ernst.“ (31) Dem widersprechen alle drei Briefschreiber, die auf Gleichberechtigung nach dem Krieg hoffen; von „Zurücksetzungen und Kränkungen jeder Art“, die er „als Jude“ über sich „habe ergehen lassen müssen“ (74), schreibt der Apothekerlehrling Gotthold Kronheim in seinem „Testament“: „Ich habe trotzdem meine Pflicht dem Vaterlande gegenüber getan und das ist mir ein stolzes Bewußtsein, das mich über all die kleinlichen engherzigen Ansichten
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hinweghebt. Als deutscher Jude habe ich, soweit es in meiner Macht stand, das Vaterland verteidigt, ich wünsche ihm, daß es aus den Schrecknissen und Wirrsalen des Krieges als Sieger hervorgehe und endlich auch dazu übergehe, Manneswert nach Tat und Kraft, nicht nach dem Glauben festzustellen…“ (75). Und der Kaufmann Josef Zürndorfer: „Ich bin als Deutscher ins Feld gezogen, um mein bedrängtes Vaterland zu schützen. Aber auch als Jude, um die volle Gleichberechtigung meiner Glaubensbrüder zu erstreiten.“ (135) Abgeschwächt findet sich Hoffnung auf Gleichberechtigung in den Briefen des Rabbiners Alfred Zweig und des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Ludwig Frank. Letzterer schrieb 1914: „Ich habe den sehnlichen Wunsch, den Krieg zu überleben und dann am Innenbau des Reiches mitzuschaffen. Aber jetzt ist für mich der einzig mögliche Platz in der Linie, in Reih und Glied, und ich gehe wie alle andern freudig und siegessicher.“ (44) Der Rabbiner berichtet über „die Weihnachtsfeier mit meinen Kameraden“ 1914, wo er „nach einigen Liedern als einziger eine kleine Ansprache […] hielt“, die „[b]esonderen Anklang fand“: „Ich führte aus, daß ich als Jude aus zwei Gründen das Recht hätte, diesmal dieses ‚Familienfest‘ hier im Felde mitzufeiern. Einmal habe der Krieg, den wir um Deutschlands Existenz führen, alle Unterschiede politischer und konfessioneller Art aufgehoben. Es gebe im Felde keine Katholiken, keine Protestanten, keine Juden, keine Zentrumsleute und keine Sozialdemokraten, keine Polen und keine Dänen oder Lothringer; sondern Deutsche, wie es unser Kaiser betont hatte; und wolle man durchaus Unterschiede machen, so gebe es bloß gute und schlechte Soldaten, gute und schlechte Menschen. Und zweitens dürfte ich mich deshalb nicht ausschließen, weil die gemeinsam bestandenen Kämpfe uns alle auf das engste miteinander verknüpft hätten, denn auch die feindliche Kugel mache keinen Unterschied zwischen den einzelnen. Also nur als Mensch fühlte und empfände ich diesen Abend“ (133/134).
16 Hans-Walter Bähr: Die Stimme des Menschen „Die Stimme des Menschen“ war 1961 der Titel einer Anthologie „Briefe und Aufzeichnungen aus der ganzen Welt 1939 – 1945“, die Hans-Walter Bähr veröffentlichte, der fast zehn Jahre früher, als er 1952 Herausgeber der Zeitschrift „Universitas“ wurde, „Kriegsbriefe gefallener Studenten 1939 – 1945“ herausgegeben hatte. Nur fünf der 118 deutschen Verfasser der „Kriegsbriefe gefallener Studenten“ übernahm Bähr 1961 in seine neue Anthologie: Harald Henry (Bähr 1961, 113), Wilhelm Rubino (141), Martin Penck (240), Kurt Reuber (281) und Sebastian Mendelssohn-Bartholdy (440); von allen fünf ist es der letzte Brief, den sie vor ihrem Tod schrieben: „nordwestlich Moskau (103), „bei Kiew“ (139), „bei El Alamein“ (236), „in russischer Gefangenschaft in Jelabuga“ (280) und „bei Aachen“ (438). Aufgehoben wurde der Ausschluss anderer Texte als Briefen: „Niederschriften aus 31 Staaten, zumeist Briefe, Tagebuchblätter, Berichte, Aphorismen und Gedichte, Reflexionen zur Lebens- und Welterfahrung, theologische Gedanken und politische Aufsätze, jedoch bildeten für die gesamte Konzeption und die Gestaltung dieses Buches die Briefe den Schwerpunkt“ (589).
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Vor allem aber durch die Aufhebung der sozialen, generationellen und nationalen Begrenzung wurde aus der nationalen „communio passionis“ (Bähr 1952, 465), in der studentische Jugend den zu tradierenden Geist der Nation repräsentieren sollte, 1961 eine „‚Passio humana‘, die auch angesichts neuer Bedrohungen tröstliche Bilder der Kraft und Stärke des Menschen und seiner weltweiten Bruderschaft zu geben vermag“ (Bähr 1961, hintere Klappe).Wenn in Klappentext und Nachwort der „Kriegsbriefe“ die „Bewährung“ verpflichtender nationaler Werte betont worden war: „Über die Schreibenden hatte, als sie den Bleistift ergriffen, schon der Tod die Hand erhoben. Als hätte ihre Seele es gespürt, reifte ihnen das Wort zum Bekenntnis. […] Die meisten von ihnen ruhen in verschollenen Gräbern, in fremder Ferne. Wir können sie in unseren Herzen bergen, wenn wir auf ihr Vermächtnis hören“ (Bähr 1952, vordere Klappe), setzte das Nachwort zu „Die Stimme des Menschen“ einen deutlich anderen Akzent: „Es sind die Toten, die hier aus allen Teilen der Welt die Wirklichkeit der Zeit zwischen 1939 und 1945 beschreiben.“ (Bähr 1961, 585) Die explizit formulierte Absicht des Herausgebers, „die Welterfahrung der Opfer dieses Krieges in einer übergreifenden Gemeinsamkeit zu zeigen, […] rückhaltlos aus persönlichen Dokumenten wissen zu lassen, was Krieg bedeutet“ (585), hatte zur Voraussetzung: „In Not und Schmerz der Einzelnen […] enthüll[t] sich uneingeschränkt die Realität des Krieges“ (586). Entsprechend veränderte sich die angestrebte Wirkungsweise der Briefpublikation in einer Zeit, die „vor der Entscheidung“ stehe, „in […] atomaren Explosionen unsere Geschichte zu enden oder […] ihre Spannungen in einem immer neu zu erringenden Ausgleich zu bewältigen“ (587): „Die persönlichen Niederschriften der Toten des Krieges und der Opfer extremer Inhumanität rufen in dieser Stunde unser Gewissen und unsere Vernunft zur Überprüfung unseres eigenen Willens in der Gegenwart.“ (587)⁴⁹
Vgl. den Unterschied zu der „Einführung“ Christian Ferbers für eine ein Jahr zuvor erschienene Teiledition der „Letzten Briefe aus Stalingrad“ als Sprechplatte. Der Vorleser von fünf dieser Briefe war eine der beiden Hauptfiguren des 1960 auch international sehr erfolgreichen Films von Kurt Hoffmann „Wir Wunderkinder“, Hansjörg Felmy: „Erst das Ende verrät, wie der Film […] zu verstehen ist: als Ermahnung […], indem er auf die Inschrift der Friedhofsmauer, Wir mahnen die Lebenden, zoomt und die Zuschauer mit diesen Worten aus der Vorstellung entlässt.“ (Koch 2013, 631) Doch Ferbers „Einführung“ endet zwar mit einer „Mahnung“, grenzt aber zuvor die den „Schrecken“ ‚überwindende‘ „Kraft“ des „Einzelnen“, „die artikulierte Stimme der Männer“, von der „anonyme[n]“ „Anklage aller Toten“ ab: „Stalingrad […] wurde zum Symbol für die Anklage aller Toten und Vermissten des Völkermords. Neben dieser wortlosen Anklage erhebt sich aber auch die artikulierte Stimme der Männer von Stalingrad. Sie schrieben Briefe […], die die Empfänger nie erhielten, sondern von den Funktionären des Unheils als Stimmungsbarometer der Front genutzt wurden. Ein Bündel aber blieb erhalten und wurde nach dem Krieg veröffentlicht. Hier spricht nun nicht die anonyme, geopferte Armee, hier spricht der Mensch, der Einzelne, im Angesicht des Todes. Der Schrecken wird fassbar, aber auch seine Überwindung: nicht durch Phrasen, nicht durch eine sogenannte Idee, sondern durch die Kraft des Zorns und der Ergebung, Kraft der Seele, Kraft des Geistes. Die sechs letzten Briefe aus Stalingrad, die Hansjörg Felmy mit der gebotenen Sachlichkeit wiedergibt, sind menschliche Zeugnisse des Jahrhunderts: Den Toten zum Gedächtnis, den Lebenden zur Mahnung.“ (Ferber 1960)
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Der Herausgeber betonte deshalb in der Darstellung der Entstehungsgeschichte der Publikation die Rolle von Albert Schweitzer, der ihm im September 1955 „die Bedeutung von Briefen der Opfer des Krieges für das Friedensbewußtsein der Völker dar[legte] und erklärte, in der Verbreitung solcher Niederschriften liege eine Möglichkeit, dem Frieden zu dienen“ (587). Schweitzer war seit dem Erscheinen von „Universitas“ 1946 Mitarbeiter der Zeitschrift und damals vorgestellt worden als „von Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Lebens und dem Willen bestimmt, in Förderung des Lebens Gott zu dienen“ (Schweitzer 1988, 91); 1951 hatte er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 1953 den Friedensnobelpreis und 1954 die Friedensklasse des Pour le Mérite erhalten, aber im Erscheinungsjahr von „Die Stimme des Menschen“ der Spitzenkandidatin der DFU im Bundestagswahlkampf 1961, Renate Riemeck, „die Erlaubnis gegeben, sein Konterfei für die Wahlwerbung zu benutzen“ (Der Spiegel, 23. 8.1961). Nach einer Kampagne u. a. des Komitees Rettet die Freiheit!, die den NRW-Kultusminister veranlasste, der Professorin für Geschichte und politische Bildung 1960 die Prüfungsberechtigung zu entziehen, war Riemeck aus dem „Staatsdienst auf eigenen Wunsch“ (Hentges 2013, 313) ausgeschieden, um die DFU zu gründen. Kuby, der 1961 zur Wahl der SPD aufrief, behandelte den „Fall“, dass „die Schulkinder und die fellow travellers plötzlich dasselbe Idol beanspruchen dürfen“, als „peinlich“ „für diejenigen, die in unserem Land den ganzen Schweitzer-Rummel inszenierten“: „Die Panne läßt allzu deutlich erkennen, warum sie’s getan haben: eben weil er politisch unverbindlich war und ist“ (Kuby 1990, 228). Kubys Polemik: „Wir haben uns Albert Schweitzer wie einen Orden angesteckt, […] damit das Hakenkreuz weniger deutlich in Erscheinung trat, und unsere Gier nach Atomwaffen manierlicher aussieht“ (226), trifft nicht die Herausgeberarbeit von Bähr in „Die Stimme des Menschen“.⁵⁰
Kubys Polemik traf aber auch nicht die Rolle von Schweitzer in der Öffentlichkeit der BRD, die Axel Schildt als „personifizierte[s] Symbol des Gewissensaufstands gegen die atomare Bedrohung“ und „moralische und sachliche Autorität, der kaum etwas argumentativ entgegenzusetzen war“ (Schildt 2009, 9), bestimmt hat, indem er den Zusammenhang beschreibt zwischen der „Göttinger Erklärung“ von 18 Atomwissenschaftlern am 13. April 1957 und Schweitzers zehn Tage später von 150 Rundfunksendern weltweit von Radio Oslo übernommenem „Appell an die Menschheit“, „die Atomrüstung zu beenden“, sowie auf dieselbe Weise ein Jahr später, aber nun ausdrücklich „gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr“ (44); die Verbindung von Wissenschaft und Moral im ‚Gewissensaufstand‘ belegt auch eine Broschüre des Arbeitsausschusses „Kampf dem Atomtod“, der aus der von der SPD mit einem Aufruf von „40 Persönlichkeiten aus Politik, Kirche, Gewerkschaften,Wissenschaft und Kultur“ (45) am 23. März 1958 initiierten Kampagne hervorging. Darin schreibt Karl Bechert über „Deutsche Politik im Schatten der Atomrüstung“: „Der Bundeskanzler hat die Forschheit gehabt, Atomwaffen, wie Atomgranaten, Atomraketen, eine ‚weiterentwickelte Artillerie‘ zu nennen. Nicht jeder weiß, daß dies der letzte Anlaß für die Veröffentlichung der ‚Göttinger Erklärung‘ war. Die Kernphysiker, die die Erklärung unterschrieben haben, haben sich gesagt: diese Irreführung der deutschen Öffentlichkeit dürfen wir nicht weiter mit anhören. […] Es ist vielmehr so, […] daß jede Atomgranate, jede Atomrakete eine Zerstörungswirkung hat, die in etwa der Zerstörungswirkung der Bombe gleichkommt, die auf die japanische Stadt Hiroshima gefallen ist. […] Um also mit dem Herrn Bundeskanzler zu reden, würde es sich bei dieser ‚weiterentwickelten Artillerie‘ um eine Waffenart
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Der Klappentext des Piper-Verlags, der in fünf Jahren drei Auflagen mit insgesamt 34.000 Exemplaren druckte (gefolgt von einer letzten mit 3.000 Exemplaren 1981) und 1963 die Lizenz an zwei Buchgemeinschaften vergab, betonte sehr entschieden das Neue an diesem „Werk des Herausgebers der Zeitschrift ‚Universitas‘“: „Ohne Vorbild im bisherigen Schrifttum führt dieses Buch auf unwiderstehliche Weise zum Mit- und Nachdenken. Man wird von Seite zu Seite ergriffen von einer Spannung, die das Romanhafte weit hinter sich läßt“ (Klappe, hinten). Die Überbietung der Literatur wird begründet aus der Nähe der Schreibenden zu ihren ursprünglichen Adressaten, die in der ‚Vielstimmigkeit‘ der Anthologie ‚Gemeinsamkeit‘ erkennen lasse. Zur Nähe heißt es, dass „bekannte Namen“ sich „ein[reihen] unter die Vielen, die mit ihren schlichten Namen und Lebensdaten nicht aus der Anonymität hervortreten und die uns doch in ihren Aufzeichnungen so nahe sind, wie es ein Mensch dem anderen sein kann.“ (Klappe, hinten) Zum ‚Mit- und Nachdenken‘ gibt der Verlag den Rezipienten vor: „Kein Dichter könnte die ungeahnte Fülle individuellen menschlichen Lebens, die hier dem Leser begegnet, so eindringlich, so vielstimmig, so überzeugend in seiner Gemeinsamkeit über Nationalitäten, Konfessionen und politische Überzeugungen hinweg gestalten. Nicht nationale oder ideologische Rechtfertigung, nicht Tendenz, nicht gezielte Anklage, sondern Zeugnis des Menschlichen in einer Welt, deren alte oder neue Grenzen und Fronten sich im letzten individuellen Schicksal innerlich aufheben.“ (Klappe, vorn/hinten) Als ‚Mit- und Nachdenken‘ kann die Auswahl angesehen werden, die von der zum Ostermarsch-Zeitschriften-Netzwerk gehörenden „alternative“ getroffen wurde, als sie „[d]em Band ‚Die Stimme des Menschen‘, der mit Recht berühmt gewordenen Sammlung von Briefen aus dem zweiten Weltkrieg“, „den Brief der Religionsphilosophin und tätigen Christin Simone Weil“ „entnahm“ (alternative 5 (1962) H. 23, S. 44), den sie am 4. August 1943 an ihre Eltern geschrieben hatte. Die Redaktion setzte ihn an die Spitze des Hefts wie ein Editorial und entschied sich damit gegen die beiden anderen Briefe, einen an den gaullistischen Politiker Maurice Schumann, den Weil um „einen Auftrag bei einer Sabotage-Aktion“ „der Untergrundbewegung“ (Bähr 1961, 360/361) bittet, und einen ohne Adressatenangabe, der den Zweiten Weltkrieg als religiöses „Drama“ deutet, mit „Götzendienst“ – in verschiedenen Formen – und „Glauben“ als Akteuren und Europa als „Mittelpunkt“ (363). Im von der Redaktion der „alternative“ ausgewählten Brief beantwortet Weil die Frage ihrer Mutter an sie, „‚was
handeln, bei der mit dem Schuß einer einzigen Granate eine Großstadt vernichtet wird.“ (Bechert o.J., 9/10) Auf der Innenseite des hinteren Umschlags werden vom Ausschuss sechs Materialien angeboten: ein Film, eine Tonbildfolge, zwei Broschüren und – „Plakate und Flugblätter mit Albert Schweitzer“. Vgl. andererseits die Bildunterschrift zum Foto von Theodor Heuss und Albert Schweitzer in dem vom Verleger Günter Olzog stammenden Band „Zeitgeschichte in Bildern und Daten“, der zusammen mit historischen Darstellungen von Weimarer Republik, Nationalsozialismus (von Helga Grebing) und Nachkriegszeit als Kassette herausgebracht wurde: „Bundespräsident Theodor Heuss, Repräsentant des geistigen Deutschland, und Albert Schweitzer – zwei Freunde der Humanitas“ (Olzog 1960, ohne Seitenzählung, Nr. 116).
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ich zu geben habe‘“, in einem Bericht über eine Aufführung von Shakespeares „King Lear“ am Vorabend und durch einen Vergleich des „unerträglich tragische[n] Charakter[s] d[…]er Narren“ im „Lear“, der ihr zum ersten Mal „in die Augen gesprungen“ sei, mit der „Traurigkeit“ der „Narren des Velasquez“ (361). Weil will die Mutter die „wesenhafte Analogie zwischen mir und diesen Narren“ Shakespeares ‚spüren‘ lassen (362), nämlich die „Bitternis, […] imstande zu sein, die Wahrheit zu sagen, aber von niemandem […] gehört zu werden“ (361/362). Unter den 37 deutschen und österreichischen Verfassern in Bährs Anthologie bilden Soldaten zwar die größte Gruppe, in der wiederum die meisten (nämlich dreizehn) über den Krieg gegen die Sowjetunion schrieben, aber außer politischer und rassistischer Verfolgung (darunter auch ein Opfer der sogenannten Euthanasie, Jakob von Hoddis), die Auschwitz (Edith Stein, „umgebracht […] in einer Gaskammer“, 246), Buchenwald (Rabbiner Max Dienemann, „gestorben nach der Entlassung aus dem Lager […] in Tel Aviv“, 29), Neuengamme (Percy Gothein, „gestorben in Lagerhaft“, 305) und Flossenbürg (Dietrich Bonhoeffer, „hingerichtet am 9. April 1945 in Flossenbürg“, 380) zur Sprache bringen, werden zweimal der Bombenkrieg und häufiger die Kriegsgefangenschaft behandelt. Gerade weil die Publikation, aus der Bähr die relativ meisten Briefe nachdruckte, die von Piero Malvezzi und Giovanni Pirelli herausgegebene, 1955 in deutscher Übersetzung in der Schweiz und 1956 in der DDR erschienene Anthologie war „Und die Flamme soll Euch nicht versengen. Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen Widerstand“, muss auffallen, welche Auswahl Bähr mit den drei deutschen bzw. österreichischen Widerstandskämpfern traf, die er in „Die Stimme des Menschen“ aufnahm. Neben die Kirche und den 20. Juli, vertreten durch Dietrich Bonhoeffer (380 – 388) und Ernst von Harnack (415/416), stellte Bähr den kommunistischen Widerstand, allerdings wählte er keinen deutschen, sondern einen österreichischen „jungen Kommunisten“, der am 19. September 1944 in Wien hingerichtet wurde, und er ließ diesen nicht selbst zu Wort kommen: „Worte des jungen Kommunisten Alfred Rabofsky an seinem letzten Lebenstag hat Pfarrer Hans Rieger, Seelsorger im Wiener Gefängnis, in dem folgenden Bericht aufgezeichnet“ (464). Berichtet wird, wie der Kommunist wieder zu beten lernt, das Abendmahl empfängt und schließlich „einem jener seltsam glücklichen Menschen“ gleicht, „von dem alle Last des Lebens abgefallen war“: „‚Herr Pfarrer‘, rief jetzt Rabofsky, an der berüchtigten schwarzen Eisentüre angelangt, hinter der der Tod auf ihn lauerte, ‚so wie Sie mir in dieser Welt geholfen haben, so werde ich Ihnen drüben helfen!‘“ (467) Während Bähr für den Widerstand in den Niederlanden und Frankreich durchaus letzte Briefe kommunistischer Widerstandskämpfer aus Malvezzis und Pirellis Anthologie übernahm, verzichtete er darauf, auch nur einen der 28 letzten Briefe abzudrucken, die die italienischen Herausgeber aus der 1948 erschienenen Anthologie der VVN „‚…besonders jetzt tu deine Pflicht!‘“ übernommen hatten und die bis auf fünf (Klaus Bonhoeffer, Alfred Schmidt-Sas, Ulrich von Hassell, Helmuth James Graf von Moltke und Theo Haubach) von Kommunisten stammten. In die italienische Anthologie hatten auch die beiden 1950/51 in der DDR in Übersetzung herausgekommenen
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Sammlungen tschechoslowakischer bzw. französischer letzter Briefe Eingang gefunden. So kamen aus der 1951 in der DDR gedruckten Anthologie „Es lebe Frankreich“ ein christlicher und zwei kommunistische Verfasser letzter Briefe durch Bährs Auswahl 1962 zu bundesrepublikanischen Lesern: Henri Fertet (301), Félicien Joly (121) und Misaak Manouchian (437). Malvezzis und Pirellis Anthologie hatte in dem Vorwort von Thomas Mann ein Moment der gegenüber den „Kriegsbriefen“ deutlich veränderten Wirkungsabsicht des Herausgebers von „Die Stimme des Menschen“ gewissermaßen vorweggenommen. Zwar ist der Begriff des Märtyrers zentral in Thomas Manns Vorwort: ein (nicht im engeren Sinn religiöser) Glaube sei die „Quelle ihrer Standhaftigkeit“ (Malvezzi/Pirelli 1956, 10), ihr Tod lege ein „Zeugnis“ ab für die „Gabe“ des „Glaubens“ (10), „daß ihr Opfertod die Zukunft segensreich befruchten muß“ (12); aber mit einem scharfen Blick auf die Gegenwart des Kalten Kriegs stellte Mann nicht nur – wie bereits zitiert – „ [e]in Verhängnis von Weltkonstellation“ fest, das „die Demokratie“ ‚zerrütte‘, weil es sie „in die Arme des Faschismus“ ‚scheuche‘, sondern vor allem die Gefahr des „Ausbruch[s] eines dritten [Weltkriegs]“: „In einer Welt bösartiger Regression, in welcher abergläubischer und verfolgungssüchtiger Haß sich paart mit panischer Angst; einer Welt, deren intellektueller und moralischer Unzulänglichkeit das Schicksal Zerstörungswaffen von scheußlicher Rasanz anvertraut hat, die man aufstapelt unter der schwachsinnigen Drohung, ‚wenn es denn sein muß‘, die Erde in eine von giftigen Dünsten umhüllte Wüste zu verwandeln.“ (12) Weil sich Bähr nicht auf den Abdruck von Briefen, ob Kriegs- oder letzten Briefen, beschränken wollte, konnte er Texte von Sankichi Toge⁵¹ aufnehmen, „geboren 1911, 1945 in Hiroshima in die radioaktive Strahlung geraten, gestorben nach einer Operation 1953“ (578), der als „einer der Mitbegründer“ der in Japan auch so genannten „Atombombenliteratur“ gilt (Berndt 1985, 270). Bährs weites Kriterium „eine[r] Darstellung der Zeitgeschichte aus der Unmittelbarkeit persönlicher Erfahrung“ (Bähr 1961, 622), wie sie „keine Geschichtsschreibung zu umfassen und zu berichten“ ‚vermöge‘ (623), erlaubte ihm auch die Aufnahme von Auszügen aus Texten wie Emanuel Ringelblums „Aufzeichnung über die Lage des Judentums“ (76 – 78) und Noemi SzacWajnkranc’ „Im Feuer vergangen“ (478 – 485); während Ringelblums Text aus dem Bulletin des Historischen Jüdischen Instituts Warschau übersetzt wurde, verweist Bähr für Szac-Waijnkranc’ auf den 1958 bei Rütten und Loening unter ihrem Titel erschienenen „dokumentarischen Sammelband“ (598) von fünf „Tagebücher[n] aus dem Ghetto“ (Im Feuer vergangen 1958). Gegen die Gefahr, „in […] atomaren Explosionen unsere Geschichte zu enden“, formuliert der Herausgeber Bähr die Wirkungsabsicht, die sein Auswahlkriterium bestimmen soll: „Die Weite, in der die großen Lebensprobleme der heutigen Zeit gesehen werden müssen, soll dies Buch jenseits von eng gefaßten Grenzen andeuten, nicht durch allgemeine Thesen, sondern in individuell erhobenen und erlittenen
Vgl. zur von Bährs (Tooge) abweichenden Schreibung des Familiennamens Berndt 1985, 270.
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Worten der Menschheit. Wir setzen Vertrauen auf die Sprache des Einzelnen, auf seine Stimme, die in das Gespräch eintritt, auf das Wort. Wo Zeugnis abgelegt wird von Mensch zu Mensch, von Lebenden oder Toten, unmittelbares, wahrhaftiges Zeugnis, da entsteht eine Dynamik, die Unheil auflöst und neue unerschlossene Möglichkeiten anbahnt.“ (587) Ein ähnlich emphatischer Begriff von Gespräch ließ einen anderen Mitarbeiter von Bährs „Universitas“, der ein Jahr nach Albert Schweitzer den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hatte, Martin Buber, im Jahr der zweiten Auflage von „Die Stimme des Menschen“ im Essay „Umkehr im Angesicht des drohenden Untergangs“, zur Schwierigkeit für „ein echtes Gespräch“ anmerken: „Haben wir uns doch gewöhnt, den Weltzustand, in dem wir seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs leben, nicht einmal mehr als Frieden, sondern als die ‚kalte‘ Phase des in Permanenz erklärten Weltkriegs zu bezeichnen.“ (Buber 1988, 90). Der dritte von Bähr aus dem zuerst 1951, in der endgültigen Fassung 1952 erschienenen Zyklus „Atombomben-Gedichte“⁵² ausgewählte Text des HiroshimaÜberlebenden Sankichi Toge heißt „Landschaft von Hiroshima“ und beginnt: „Wir wohnen in einer Flammenlandschaft, diese Flamme löscht nie aus. Diese Flamme hört nie auf. Und wer auch, wer könnte sagen, er sei nicht Feuer!“ Der Text endet: „Stumme Flammen fließen überall, in London aufbrennendes Hiroshima, in New York explodierendes Hiroshima, in Moskau durchsichtig glühendes Hiroshima, wortloser Tanz von Figuren, über die ganze Welt verbreitet.“ (Bähr 1961, 579) Das Bild eines ‚über die ganze Welt verbreiteten‘ Hiroshimas trug einen anderen Städtenamen in einem Gedicht, das im letzten „Argument“-Heft des Jahres 1961 erschien. Michael Mauke⁵³ setzte unter den Titel „neutronic bomb“ eine übersetzte Meldung der „New York Times“ vom 2. Juli: „‚Zum Unterschied von den heutigen Atomwaffen würde die Neutronenbombe keine Verheerungen anrichten und nicht durch die Wärmestrahlung und die Druckwelle der Explosion töten… Sie wäre eine Wasserstoffbombe ohne eine Spaltungsbombe als Zünder, eigens dazu bestimmt,
Vgl. Bährs zweiten Text Toges mit dem Titel „Noch ist es nicht zu spät“ (Bähr 1961, 579) in anderer Übersetzung und mit dem Titel „Warnung“ als Abschluss von Berndts Anthologie „An jenem Tag. Literarische Zeugnisse über Hiroshima und Nagasaki“ (1985, 263) Mauke hatte schon 1955 in „Der Standpunkt“ mit dem seit 1952 amtierenden 1. Bundesvorsitzenden des SDS Ulrich Lohmar, der als Mitglied des „Gemeinde“-Kreises es als das Ziel bezeichnete, „daß sich […] ‚[Leonard] Nelson und Marx die Hände reichen‘ sollten“, eine Kontroverse ausgetragen, in der Mauke gegen einen ‚ethischen Sozialismus‘ für Leo Koflers gerade erschienene „Geschichte und Dialektik. Zur Methodenlehre der dialektischen Geschichtsbetrachtung“ (1955) als „‚Beitrag zur neuen Verlebendigung der marxschen Methode‘“ plädierte (Albrecht 1994, 273). 1958, als er zu den von Schoenberner, der 1955 2. Bundesvorsitzender und Chefredakteur von „Der Standpunkt“ geworden war, „als ständige[n] Mitarbeiter[n]“ ‚gewonnenen‘ Westberliner SDS-Funktionären gehörte, die „den Ansatzpunkt von Karl Marx für eine theoretische Analyse der Gesellschaftsentwicklung […] weiterhin als gültig ansahen“ (280/281), verteidigte sich Mauke, den Willy Albrecht den nach 1959 „einflußreiche[n] ‚theoretische[n]‘ Kopf des Berliner Landesverbandes“ (332) nennt, gegen Lohmars Vorwurf an die Marxisten, Demokratie nicht als „Eigenwert“, sondern nur als „Stufe“ anzuerkennen (286), in einem „freundschaftliche[n] Brief“ (Mauke 1958).
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menschliche Wesen zu töten, während sie den Gebäuden keinen Schaden zufügen würde.“
17 Michael Mauke: „jede stadt heißt heute AUSCHWITZ“ Maukes Gedicht selbst lautet: „jede stadt/ heißt heute AUSCHWITZ/ eichmanns transporte/ rollen nicht mehr./ geruhsam oder friedlos/ hausen wir/ in hellen, freundlichen räumen/ – den gaskammern von morgen./ ahnungslos wie bienen im walde:/ bevor der sammler kommt/ mit schwefel –/ und des honigs wegen/ alle erstickt./ kühlschränke, polstermöbel,/ kohlenschächte und turbinen/ bleiben unversehrt./ lächelnd kehren die vertilger/ totes ungeziefer/ zum hause hinaus./ alle städte heißen heute/ AUSCHWITZ./ die transporte/ kamen längst an.“ (Mauke 1961/62) Die durch die Variation von „jede“ und „alle“ im ersten und vorletzten Vers unterstrichene Universalisierung des Ortsnamens Auschwitz für die Wirkung der Neutronenbombe als „gaskammern von morgen“ kontrastiert mit Vergangenem, das „nicht mehr“ sei und mit einem Personennamen verbunden wird: Eichmanns Deportationszüge. Schon im Sprecher-Wir kontrastiert ‚geruhsam‘ mit ‚friedlos‘, ‚freundliche Räume‘ mit ‚hausen‘, bevor diese als Gaskammern aufgedeckt werden. Der Tiervergleich Bienen für die – auch nicht im Wir genannten – Bewohner bezieht sich sowohl auf deren Ahnungslosigkeit als auch das Motiv des mit Schwefel erstickenden Sammlers: von Honig. Ein zweiter Tiervergleich macht die Bewohner zu Ungeziefer, das vom Vertilger erstickt wird, der private Konsum- und Produktionsmittel nicht beschädigt. Nach der variierten Wiederholung des ersten Verses erklärt sich, weshalb zunächst etwas als ‚nicht mehr‘, als vergangen erschien: Jeder ist, alle sind zu Hause am Ort seiner, ihrer Vernichtung, insofern sind die Deportationszüge immer schon angekommen. Maukes Gedicht, auf das im „Argument“ keine Resonanz belegt ist, spielt keine Rolle in bisherigen zeithistorischen Untersuchungen zur „Gleichsetzung von Auschwitz und Hiroshima“ (Nehring 2008, 239) in der Ostermarsch- und der beginnenden Studentenbewegung. „Im Zuge dieser Prozesse lasen die Aktivisten die Vergangenheit von Gewalt und Vernichtungskrieg in die Bundesrepublik des Kalten Kriegs hinein“, schreibt Holger Nehring (2007, 121): „Entsprechend erscheinen Nuklearwaffen als die Steigerung der Grausamkeiten, die Menschen als ausführende Organe in der Staatsmaschine vollbracht hatten: Auschwitz war für Aktivisten nur der erste Schritt in Richtung Hiroshima; es war, wie der Theologe Helmut Gollwitzer pointiert formulierte, ‚nicht nur eine Gaskammer, sondern die Hölle‘.“ (128)⁵⁴ Anders betont Ingrid Gilcher-
Vgl. die „im Spätherbst 1945 verfaßte, aber erst 1947 von der amerikanischen Besatzungsbehörde zur Veröffentlichung freigegebene“ (Berndt 1985, 265) Erzählung „Sommerblumen“ von dem Überlebenden des 6. August 1945 in Hiroshima Tamiki Hara: „Da wir […] über die Sumiyoshi-Brücke nach Koi fuhren, konnte ich fast die ganze Brandstätte des Stadtzentrums überblicken. Durch die Weite des silbernen Nichts, das sich gleißend unter der glühenden Sonne ausbreitete, zogen sich Straßen, Flüsse und Brücken. Da und dort lagen, wie künstlich angeordnet, rotverbrannte, aufgequollene Leichen. Das
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Holtey in ihrer internationalen Geschichte „Die 68er Bewegung“ nicht nur für die BRD: „Prägend auf die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wirkte die Vorstellung einer Wiederholbarkeit. Sie trug dazu bei, aus der Vergangenheit ein Mandat zum Engagement in der Gegenwart abzuleiten.“ (Gilcher-Holtey 2001, 56) Sie verweist auf das Gründungsdokument der US-amerikanischen Studentenbewegung, das Port Huron Statement „gegen den Rassismus im Süden der USA und die durch den Kalten Krieg entstandene Gefahr eines Atomkriegs“ vom 11. Juni 1962 (58), in dem die Rede ist von „the horrors of the twentieth century symbolized in the gas ovens and concentration camps and atom bombs“,⁵⁵ ohne sie wiederum in Ortsnamen zu symbolisieren. Der Autor von „neutronic bomb“ widerlegt die von Zeithistorikern wie Wilfried Mausbach und Bernd Rusinek gepflegte Legende, für die in der BRD der 1960er Jahre „nachwachsende Generation“ (Mausbach 2006, 31) sei durch eine „Opfer-Rochade von Juden und Vietnamesen“ (27) die Ermordung der europäischen Juden „‚der bedeutendste blinde Fleck‘“ (30, vgl. Rusinek 2000)⁵⁶ geworden; Mauke hat sich als Rezensent mit den wichtigsten Neuerscheinungen zur Judenverfolgung und -vernichtung in den „Werkheften katholischer Laien“ intensiv auseinandergesetzt. Seine Besprechung von Schoenberners „Der gelbe Stern“ konzentriert sich auf die Wirkungsweise des Buches, Legenden über Nicht-Wissen und Nicht-Beteiligung durch Nachweis des „Anteil[s]“ (Mauke 1961, 163) der Wehrmacht an der ‚Endlösung‘ zu widerlegen. Er zielt auf eine doppelte Einsicht, sowohl in die „Schuld der Unbeteiligten, Überlebenden und der Nachgeborenen“, die „damit begonnen hat, daß sie so unbeteiligt waren, und daß sie heute so weiter existieren, als ob nichts geschehen wäre“ (162), als auch die Erkenntnis, „daß der alle bedrohende Atombrand ebenso wie damals die Todesfabrik von Auschwitz die Konsequenz einer Lebensordnung ist, die den Menschen zur Sache, zum verheizbaren Material reduziert“ (162). Dass Schoenberners „Wir haben es gesehen“ „‚Deutsches Lesebuch‘“ sein sollte (Mauke 1963a, 70) begründete der Rezensent Mauke damit, dass es „nicht eine jüdische, sondern eine deutsche Angelegenheit“ „für die Menschen von heute so unmittelbar lebendig und erfaßbar gemacht“ habe, „daß niemand solcher Konfrontation mithilfe von Verdrängungsmechanismen ausweichen kann und jedermann veranlaßt
war wohl eine neue, durch eine präzise Methode herbeigeführte Hölle. Alles Menschliche war hier ausgemerzt. Die Leichen hatten einen unerklärlichen, modellhaft mechanischen Ausdruck.Von ihnen, die im Augenblick der Qual gekrümmt und steif geworden waren, ging eine Art mystischer Rhythmus aus.“ (34) http://www2.iath.virginia.edu/sixties/HTML_docs/Resources/Primary/Manifestos/SDS_Port_Hu ron.html Vgl. auch Mausbach 2003, der den „change“ (282) im „struggle over the controlling political analogies in the discourse of the Federal Republic“ (286) von der zwischen dem vergangenen ‚Nationalsozialismus‘ und dem gegenwärtigen ‚Kommunismus‘ zu der zwischen „Auschwitz und Vietnam“ (291) folgendermaßen erklärt: „The attitude of West German protesters towards the American war in Vietnam was shaped primarily by their confrontation with their own nation’s past. […] They bestowed the sense of sympathy that they had found lacking in their partents’ attitudes towards the victims of the Holocaust on the Vietnamese liberation movement.“ (296)
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wird, über die Konsequenzen der schrecklichen Begegnung nachzudenken“ (70). Mauke gibt einen Aufriss des Buchs: „Neben den Opfern der Verfolgung und den Helden des Widerstands stehen die Aussagen der großen Herren, der Telefonmörder, für die das Morden Geschäft war, und ihrer kleinen Handlanger“ (72), um eine „Lüge“ für von Schoenberner „zerstört“ und einen „Selbstbetrug“ für von ihm „enthüllt“ zu erklären“, die „Lüge“, „daß die – gewiß in vielem unerfreuliche DDR – ein ‚KZ‘ ist, wie es sogar SPD-Politiker behaupten“, und der „Selbstbetrug ehrenwerter öffentlicher Persönlichkeiten, die gern philosemitische Feierstunden abhalten,Versöhnungsreisen nach Israel unternehmen, aber vor der Konsequenz eisern ausweichen, daß die einzig überzeugende und wirksame ‚Wiedergutmachung‘ allein darin liegen kann, unsere Gesellschaft und unseren Staat so umzuwandeln, daß in diesem Lande nie mehr Menschen gejagt und ausgerottet werden können“ (73).⁵⁷ Der sich in der Kritik an der offiziellen ‚Wiedergutmachung‘ zeigende polemische Ton verschärft sich erheblich in der Rezension der von H. G. Adler, Hermann Langbein und Ella Lingens-Reiner bei der EVA herausgegebenen Anthologie „Auschwitz. Zeugnisse und Berichte“ (Adler u. a. 1962);⁵⁸ sie löste in den „Werkheften“ eine ihrerseits auch heftige Debatte aus. Bevor Mauke mit einer Prosafassung seines Gedichts „neutronic bomb“ schließt: „Heute ist Auschwitz eine Warnung der Vergangenheit und eine Drohung der Zukunft“ (Mauke 1963b, 321/322), ist er zum „Ausgangspunkt unserer Besprechung“ (321) zurückgekehrt, „Konsequenzen der Theorie und Praxis“ (319) zu fordern: „Das Fehlen einer theoretischen, das heißt historisch-ökonomischsoziologisch zusammengefaßten Verarbeitung des Faktums Auschwitz erklärt sich durch ein großes und mächtiges Tabu“ – dies Tabu liege über „eine[r] Wahrheit, die für die Herrschenden und ‚Tonangebenden‘ unerträglich ist, weil sie, einmal erfaßt, zur radikalen Vermenschlichung unserer sozialökonomischen Ordnung zwingen würde“, die aber „zur Zeit des Ahlener Programms der CDU und des Dortmunder Programms der SPD noch verstanden wurde“ (321). Der von Mauke mit diesen Hinweisen auf die ersten Nachkriegsjahre unter ‚Vermenschlichung‘ der Gesellschaft verstandene Sozialismus sollte sichern, dass ‚nie mehr Menschen gejagt und ausgerottet‘ werden können. Mauke verdeutlicht die „Konsequenz“, die aus der „fatalen Tatsache“ der „Identität in der sozialökonomischen Kernstruktur“ vom „Kaiserreich[…] bis heute“ „zu ziehen wäre“ und die „darin bestehen“ „müßte“, „die soziale und wirtschaftliche Demokratie zu festigen oder überhaupt erst zu gründen“, in seinem eigenen Beitrag zum inzwischen ausgebrochenen Streit über seine Rezension: „Daß von SPD und CDU in den ersten Nachkriegsjahren, als die Macht der Konzerne
Achim Roscher zitiert in seiner Rezension in der „NDL“ die entsprechende Stelle aus Schoenberners (o. J., 5) titelloser, aber unter das Motto „Merke, es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst. J. P. Hebel“ gesetzter Einleitung: „Die Gesellschaft, die den Moloch des SS-Staates aus sich hervorgebracht hat, besteht noch, und auch die Menschen, die ihm gedient haben, gibt es noch.“ (12/13), vgl. Roscher 1963, 192. Vgl. zum Folgenden Peitsch 2017.
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am Boden lag, die Fundamentaldemokratisierung nicht durchgeführt wurde, ist ein Verhängnis.“ (Mauke 1964, 155) In der Rezension legt Mauke seine theoretische Position ohne jede Bezugnahme auf die von H. G. Adler, Hermann Langbein und Ella Lingens-Reiner ausgewählten Texte dar, deren 21 bereits gedruckte schon durch die Vielfalt der Herkunftsländer bemerkenswert waren: vier kamen aus Polen, jeweils drei aus Großbritannien und Israel, jeweils zwei aus Frankreich und Italien und jeweils einer aus der BRD, der DDR, den Niederlanden, Österreich, Rumänien, der Schweiz, der Sowjetunion und den USA. Mauke beschreibt die Wirkungsweise der Anthologie einer „schreckliche[n] Erfahrung, mit der wir […] konfrontiert werden“, nicht nur als ‚Appell‘ an „Empörung und Mitgefühl“, sondern als Einforderung von theoretischen und praktischen „Konsequenzen“ von einer „historisch-gesellschaftliche[n] Vernunft“ (Mauke 1963b, 319). Zwar versichert er, dass diese ‚Vernunft‘ „beides enthält“ (319): ‚Empörung und Mitgefühl‘, aber er geht ausnahmslos auf Formen von ‚Mitgefühl‘ ein, die er scharf kritisiert: ein erstes, das die ‚Maschinerie der Verfolgung und Vernichtung‘ „weitgehend bloß mit moralisch garniertem Positivismus betrachtet“ (319), als Einzelheiten, ein zweites, das „im Kämmerlein privat-individueller Moral verharr[t]“, ohne öffentlich zu wirken (319), ein drittes, das „martyrologische Nutzanwendung zieh[t]“ (319), indem es Opfer quasi-religös verehrt, ein viertes, das in den „Ritualreden anläßlich der sogenannten ‚Wochen der Brüderlichkeit‘“ (319) institutionalisiert sei als Rhetorik von „Unfassbarkeit, Ungeheuerlichkeit und Einmaligkeit“, die Auschwitz den „Charakter einer unvorhersehbaren und einzigartigen Katastrophe“ (320) gebe. Allen diesen Formen von Mitgefühl setzt Mauke das in ihnen verschwindende „wirklich Entsetzliche an Auschwitz“, dessen „Ökonomie sozusagen idealtypisch perfekt ausgebildet“ gewesen sei, entgegen: „das Normale“ (320). Die „ausschlaggebende Motivation“ sei „wirtschaftlicher Natur“ (320) gewesen, „das imperialistische Programm Deutschlands“ habe die „Todesstrafe über ganze Völker“ (321) verhängt. Mauke geht in seiner Rezension von „Auschwitz. Zeugnisse und Berichte“ nicht auf die sehr prägnante „Einleitung“ der drei HerausgeberInnen ein, obwohl sie zu einigen der auch für Mauke zentralen Probleme Stellung nehmen: zur Frage von Erkenntnis und Gefühl, Einzelheit und System, der besonderen Bedeutung von Auschwitz. H. G. Adler, Langbein und Lingens-Reiner setzen ein mit einem von ihnen wahrgenommenen Interesse an Erkenntnis: „Die geistige Auseinandersetzung mit den unheimlichen Erscheinung des Nationalsozialismus begegnet neuerdings in vielen Ländern geringeren Widerständen als in den ersten Nachkriegsjahren; namentlich viele jüngere Menschen bemühen sich um Erkenntnisse.“ (Adler u. a. 1962, 5) Die HerausgeberInnen weisen die Adressaten auf den Weg einer Lektüre, die in den gesammelten Texten Auschwitz als Ausdruck des Systems Nationalsozialismus liest: „Ein wirkliches Verständnis des Nationalsozialismus ist nur möglich, wenn man seinen schauervollsten Ausdruck – Konzentrationslager und Vernichtungsstätten – nicht als Auswuchs, sondern als unausweichliche Konsequenz des ganzen Systems versteht.“ (5) Zur Schwierigkeit „eine[r] Vorstellung vom Leiden“, das „anonym in [einer] Summe erscheint“, merken sie an: „Eine einzige Anne Frank, deren Weg auch nach
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Auschwitz führte, beschäftigt das Mitgefühl viel lebhafter als Hunderttausende oder gar Millionen. Trotzdem sollen hier vielstellige trockene Zahlen das Schicksal der Auschwitzer andeuten.“ (9) Deshalb grenzen sie ihre Sammlung als „eine umfassende Gesamtdarstellung“ ab, die „bisher“ „fehlt“, trotz der „über dieses Lager schon“ vorliegenden „manche[n] aufschlußreiche[n] Berichte“ (5).⁵⁹ Durch ihre Zusammenstellung soll „zumindest ein gewisser Überblick aller Aspekte dieses Konzentrationslagers ermöglicht“ (5) werden. Denn diese Darstellungsweise entspreche der Besonderheit von Auschwitz: „Es war in Auschwitz, wo die grausamen Lehren des Nationalsozialismus umfassender als irgendwo anders [Hervorhebung, H. P.] durchexerziert wurden“ (5). Von Auschwitz als dem „größten aller Vernichtungslager“, das „nie ausschließlich Vernichtungslager“ war, gilt: „In keinem anderen Lager wurden so viele Menschen ermordet. Gefühl und Verstand wehren sich zu glauben, was dort geschehen ist“ (6). Maukes Auf-den-Begriff-Bringen wurde von Heinz Kuby in den „Werkheften“ „Simplifizierung und Verharmlosung“ vorgeworfen (Kuby 1964, 97), die „jegliche Perspektive für das böse Wesen des Faschismus verschleiern“ (96); in Auschwitz habe es sich um „Staatswirtschaft“ gehandelt, und auch im „sowjetischen Zwangsarbeitslager“ gebe es Ausbeutung (97). Erich Kitzmüller stimmte Kuby darin zu, dass die „Eigenart“ des „Auschwitz-Systems“ „nicht zureichend gesehen“ werde, „wenn man sie als Epiphänomen kapitalistischer Methoden betrachtet“ (Kitzmüller 1964, 267). Denn das „System massenhafter Entmenschlichung und des Gruppenmordes“ (267) von Auschwitz sei insofern vergleichbar mit dem des Stalinismus, als „Aussonderung nach ideologisch ‚objektiven‘ Merkmalen“ erfolge (268), wenn auch durch eine von ‚Kapitalistischem‘ „radikal verschiedene, totalitäre Ideologie-Organisation“ (271). Dennoch hatte die Redaktion in einer Vorbemerkung Kitzmüllers eine „im Grundzug irenische […] Stellungnahme“ nennen können; er schloss nämlich mit einem Zugeständnis: „Daß der Kapitalismus mit dem NS-System […] harmonisierte, diskreditiert ihn für immer und macht seine Veränderung zu einer unabweisbaren Aufgabe. Wir ziehen daraus die gleiche gesellschaftspolitische Konsequenz wie Mauke: ‚die soziale
Beim Vergleich von „Auschwitz. Zeugnisse und Berichte“ mit früheren Veröffentlichungen betonten die Rezensionen von Inge Deutschkron in „Geist und Tat“ und Günter Konrad in der „Frankfurter Rundschau“ nicht die ‚Gesamtdarstellung‘ des ‚Systemcharakters‘, sondern die ‚Sachlichkeit‘ (Deutschkron 1962); durch sie „überragt diese Dokumentation alle früheren Lager-Berichte bei weitem“, deren Verfasser nur, „was sie persönlich erlebt“ haben, berichtet hätten, während Adler, Langbein und Lingens „alles persönliche [sic] beiseite ließen und lediglich die Begebenheiten darstellten“ (Konrad 1962). Aber Deutschkron begründet im Vorwort ihrer zum Teil auf Texten von Ella Lingens (Deutschkron 1965, 25/26, 40, 99, 124/125) und Hermann Langbein (123, 131) beruhenden Darstellung „… denn ihrer war die Hölle. Kinder in Ghettos und Lagern“, warum bei Aussagen von Zeugen über Kinder in der „Berichterstattung über den Prozeßverlauf […] vor dem Einzelfall das System in Vergessenheit zu geraten drohte“ (8/9). Auf das „System der von Staats wegen industriemäßig begangenen Massenmorde“ (Kaul 1968, Klappentext) rekurrierte der spätere Frankfurter Nebenkläger Friedrich Karl Kaul in seiner Kritik an der „Anlage und Richtung“ (Kaul 1963, 308) des Eichmann-Prozesses, die den „Systemverbrechenskomplex“ (289) verfehlt hätten.
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und wirtschaftliche Demokratie zu festigen oder überhaupt erst zu gründen‘. Aber […] die Abschaffung des Kapitalismus“ könne „nicht die geringste Gewähr geben gegen ein neues Auschwitz.“ (272)
18 Christian Geißler: Auschwitz, Hiroshima und die Hoffnungen des Menschen Zwischen Maukes erster und seiner zweiten Schoenberner-Rezension erschien 1961 in den „Werkheften katholischer Laien“ die erste Rede, die der Schriftsteller Christian Geißler auf einem Ostermarsch hielt. Ihr Titel war: „Auschwitz, Hiroshima und die Hoffnungen des Menschen“. Für diese Verbindung beginnt Geißler schon in seiner „Ersten Rede“ eine Formulierung zu prägen, die als eins seiner Leitmotive alle seine späteren Ostermarsch-Reden⁶⁰ durchzieht: „bisher Falsches künftighin richtiger [zu] machen“ (Geißler 1965a, 167). 1961 ist die Formel noch nicht fest, sondern ergibt sich aus der moralischen Forderung: „Es ist aber in Zukunft dem Menschen unnachgiebig zuzumuten, sich mit allen anderen Menschen zusammen und ohne irgendeine seine Haftbarkeit einschränkende Bedingung verantwortlich zu machen für das, was auf der Erde geschehen ist, was geschieht und was künftig geschehen wird. Dieser simple, aber vorläufig noch so ungeübte Akt gemeinsamen Selbstbewußtseins, dieser Akt der Solidarität auf der Basis unverbrüchlicher Hoffnung, ist die Bedingung für jede künftige Veränderung zu Richtigerem. Wer das leugnet, wer resigniert, verrät die Solidarität, verrät den Menschen.“ (Geißler 1978, 213)⁶¹ Das ‚bisher Falsche‘ wird in der „Ersten Rede“ als „das, was auf der Erde geschehen ist“ (213), mit „der Bombe selbst“ (Geißler 1965a, 167) verbunden und zwar so eingehend wie (schon im Titel) mit Auschwitz, um „sich – zum Zwecke strengster Korrektur unseres moralischen Bewußtseins – das Geschehene vor Augen [zu] halten als die fürchterlich genaue Konsequenz der organisierten Veruntreuung besserer menschlicher Möglichkeiten“ (Geißler 1978, 210), aber nur für Auschwitz gibt Geißler „die Beschreibung von Beispielen solcher Korruption“, „daß Menschen Gaskammern gebaut haben, um andere Menschen darin massenweise zu vergasen“ (210): Fabrikanten, Handwerker, Ärzte, Lokomotivführer, Soldaten, „zur gerechtfertigten Un-
Vgl. zu den weiteren Reden Peitsch 2017, 47, insbesondere zur Veränderung ihrer Titel in der Teilwerkausgabe Geissler 1978. Vgl. Albert Schweitzers am 12. September 1961 nach seinem „Briefwechsel“ mit Walter Ulbricht (Grabs 1968, 27) in Lambarene geschriebenen Gedanken „Menschenzukunft“: „In der Menschheitsgeschichte von heute handelt es darum, ob die Gesinnung der Humanität oder die Inhumanität zur Herrschaft gelangt.Wenn es die Inhumanität ist, die nicht darauf verzichten will, unter Umständen von den grausigen Atomwaffen, die heute zur Verfügung stehen, Gebrauch zu machen, ist die Menschheit verloren. Nur wenn die Humanitätsgesinnung, für die solche Waffen nicht in Betracht kommen, die Gesinnung der Inhumanität verdrängt, dürfen wir hoffend in die Zukunft blicken. Die Gesinnung der Humanität hat heute weltgeschichtliche Bedeutung.“ (28)
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menschlichkeit verderbt einer wie der andere, von der im ganzen korrumpierten Gesellschaft lediglich an diesen oder jenen Platz delegiert“ (210/211). Geißler setzt „die Gaskammern“ und „die Atombombe“ gleich in der „neue[n] Qualität dieser Massenvernichtungsapparaturen“ „zur Vernichtung von ganzen Gemeinschaften lebendiger Menschen“ (207/208). So wie Hiroshima für die USA „den noch immer nicht überwundenen Infekt“ belege, „den die Welt sich zugezogen hat im Kampf gegen den Faschismus“ (207), so in der Gegenwart „alle ideologischen Bemühungen, der Menschheit eine Rettung durch den Sieg einer Seite zu versprechen, durch den Sieg einer ‚westlichen Freiheit‘, durch den Sieg einer ‚östlichen Gerechtigkeit‘“ (209). Der wiederholt betonten „allgemein[en]“ „Korruption“ (212) „unseres moralischen Bewußtseins“ (219) setzt Geißler einen Einzelnen entgegen, den Hiroshima-Bomberpiloten Claude R. Eatherly. Mit ihm wird das ‚künftighin Richtigere‘ auf eine doppelt bezeichnende Weise eingeführt: in Bezug auf Hiroshima, nicht auf Auschwitz, und in Bezug auf sein Verhalten zu seiner persönlichen Vergangenheit. Die Einführung geschieht aber in Form einer starken Verallgemeinerung, deren „schärfste[…] Einseitigkeit“ betont wird, nämlich als die „einzige Feststellung […,] der zu folgen“ sei (211): „Es kommt lediglich darauf an, ob Untaten getan oder zugelassen werden oder ob sie nicht getan oder zugelassen werden. Und dann darauf, ob man sie – gleichgültig auf welcher Seite und zu wessen Gunsten diese Untaten geschehen sind – nachträglich zu rechtfertigen versucht, oder ob man sich ohne irgendeine Rückendeckung der ganzen Wucht dieser Untaten aussetzt um einer Korrektur der Bedingungen willen, auf denen sie wachsen konnten.“ (211) Entsprechend charakterisiert Geißler Eatherly: „Sein moralisches Bewußtsein war so ungewöhnlich intakt, sich für schudlig [sic] zu halten“, und leitet daraus ab, dass er „anderen diese Schuld rückhaltlos mitteilt, um mit ihnen zusammen die Bedingungen des Verbrechens zu prüfen und wenn möglich unwirksam zu machen“ (212). Der Schlussappell von Geißlers „Erster Rede“ konkretisiert nicht die an einer Stelle angedeutete ‚Möglichkeit‘ politisch, ‚die Bedingungen des Verbrechens‘ ‚unwirksam zu machen‘: „Mit der Bombe leben kann […] nur bedeuten, sie als einen äußersten Zwang nutzen, hüben und drüben Gesellschaften zu machen, die nicht durch ihren Antagonismus den Zwang zu einer Anwendung der Atombombe erzeugen“ (209), sondern abstrahiert für den als „der Mensch“ nicht direkt angesprochenen Adressaten auf die moralische Alternative: „Wie der Mensch sich in seiner Unvollkommenheit verhält, ob er sie statisch nimmt und sich verführen läßt, unter Verzicht auf noch offene, ungetane, bessere Möglichkeiten, sich in ihr einzurichten, sich in ihr einzurichten hinter verschlossenen Türen – oder ob er den Raum der Unvollkommenheit offenhält in der vernünftigen, auch risikoreichen Hoffnung, daß viel Falsches richtiger gemacht werden kann vom Menschen –, dieser Unterschied wird demnächst entscheiden.“ (214) Mit der Hervorhebung von Eatherly wird die „Gleichsetzung von Auschwitz und Hiroshima“ (Nehring 2008, 239) eine Unterscheidung, die Hoffnung begründet. Aber Geißler nennt nicht den mit Auschwitz verbundenen „Antipoden“ (Jungk 1961, 121), der schon vor Geißlers Ostermarschrede Günther Anders veranlasst hatte, einen „Offene[n] Brief an Präsident Kennedy über die Affäre Eatherly“ zu schreiben, der im
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März 1961 als Flugblatt-Sonderausgabe Nr. 2 von „Das Argument“ erschien: Adolf Eichmann. Anders hatte gleichzeitig von der amtlichen Erklärung Eatherlys für geisteskrank, weil er bereute, und von Eichmanns eigener Erklärung für unschuldig im Jerusalemer Prozess erfahren: „‚Aber warum sollter [sic] er [Eatherly] denn bereuen, er, der ja nur das ‚fertig los‘-Signal gegeben hat, er, der ja erst nach der Tat etwas von der Entdeckung der Kernspaltung erfahren hat, er, der ja nur Befehlen gehorcht hat und nur verwendet worden ist?‘ Nun, Herr Präsident, diesen Einwand würde ich nicht akzeptieren. Ich bin Jude. Ich habe meine Freunde in Vergasungslagern verloren. Mit dieser Entschuldigung ‚Ich habe ja nur Befehlen gehorcht‘ haben sich alle Liquidationsbeamten reinzuwaschen versucht, diese Worte gleichen auf makabre Weise jenen Worten Eichmanns, die heute durch die Weltpresse gehen, den Worten: ‚In Wahrheit war ich ja nichts als ein kleines Schräubchen in der Maschinerie, die die Weisungen und Befehle des Reiches durchführte. Weder bin ich ein Mörder noch ein Massenmörder.‘ (Life, January 9, 1961)“ (Anders 1961, 81)⁶² Gerade indem Anders betont: „Nein, Eatherly ist nicht der Zwilling von Eichmann, sondern dessen großer und für uns tröstlicher Antipode“ (81), bestimmt er die Aktualität des Vergleichs „in Wochen, die für […] alle, die noch nicht abgestumpft sind, unter dem Zeichen Eichmann stehen“ (Jungk 1961, 140): „Das Furchtbarste an den Erklärungen des Massenmörders […] besteht darin, daß diese identisch sind mit jenen Argumenten, die heute von jedem von uns verwendet werden: Von den Arbeitern, die an den Polaris-Raketen arbeiten, von den Wissenschaftlern, die chemical warfare Mittel testen, von […] Francis Powers, der durch seine Spionageflüge beinahe eine Katastrophe ausgelöst hätte“, so dass Anders seinem Briefpartner Eatherly versichern kann: „Eichmann und Du – ihr zwei seid die beispielhaften Figuren der heutigen Epoche.“ (141) Christian Geißlers Ostermarschrede wurde von der Redaktion der „Werkhefte katholischer Laien“ nicht so sehr auf „ein Miniaturmodell“ „unsere[r] ganze[n] moralische[n] Situation“ (Jungk 1961, 136) zugespitzt, sondern durch zwei Anmerkungen in verschiedene Kontexte gerückt: Der Text sei „ein Teil des Referates, das er bei der […] frankfurter Diskussion über die Möglichkeiten eines deutschen Beitrages zur atomaren Abrüstung […] gehalten hat. Es ist hervorgegangen aus einem Nachwort zu [einem für jugendliche Leser, auch in der Schule bestimmten, H.P. …] ‚Lesewerk zur Geschichte‘, das [demnächst, H.P.…] erscheinen wird.“ (Geißler 1961, 217) Geißler war einer der Unterzeichner der Einladung zu der Frankfurter Konferenz vom 24. Juni 1961, aber mit deren eigentlichem Initiator Arno Klönne der einzige, der teilnahm (Otto 1977, 107), denn alle Prominenten (unter den – überwiegenden – Theologen war der bekannteste Helmut Gollwitzer, der einzige Schriftsteller Erich Vgl. Off limits 1961, 124, ergänzt nach „nicht akzeptieren“ um: „Ich will hier nicht auf die, milde ausgedrückt, Zweideutigkeit eingehen, deren man sich schuldig macht, wenn man einem Mitmenschen eine Handlung zumutet, es diesem Menschen aber nicht erlaubt, etwas von dem Effekt dieser ihm zugemuteten Handlung zu wissen. Ich beschränke mich hier darauf, von dem ‚Nichtwissen‘ als Entschuldigung für ein Verbrechen zu sprechen.“
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Kästner) waren nicht gekommen. Geißler stand dann jedoch nicht als Erstunterzeichner unter der verabschiedeten Resolution (109). Mit ihrer Beschränkung auf die Forderung „Für eine atomwaffenfreie Zone in Europa – […] Verzicht beider deutscher Teilstaaten auf atomare Waffen“ (106) wurde die Festlegung auf eine Empfehlung zugunsten der DFU bei den bevorstehenden Bundestagswahlen vermieden. Geißlers „Das Dritte Reich mit seiner Vorgeschichte 1918 – 1945“ war das eine von zwei ersten „Lesewerken zur Geschichte“, die der Verlag Langewiesche-Brandt 1961 herausbrachte, das andere hieß „Die Französische Revolution“, die „im Geschichtsunterricht unserer Schulen ähnlich vernachlässigt wird wie der Hitler-Faschismus“ (Haufs 1961) – wie es in der Besprechung hieß von Geißlers Buch durch „Die Andere Zeitung. Die kritische Wochenzeitung der Linken“, die seit 1955 von dem ehemaligen Chefredakteur der SPD-Wochenzeitung „Neuer Vorwärts“ Gerhard Gleissberg, der wegen seiner Opposition gegen die Haltung der Parteiführung zur Wiederbewaffnung abgesetzt worden war (Kritidis 2008, 285), herausgegeben wurde und in der „Kommunisten oder deren Vertrauensleute mitwirkten“ (Fülberth 1990, 100). Die Beschränkung der Rezension auf Geißlers Band begründete deren Verfasser Rolf Haufs damit, dass er nicht nur dem anderen „an Aktualität voraus ist, sondern auch in der notwendigen Kommentierung und den sich daraus für unsere Gesellschaft ergebenden Konsequenzen“ (Haufs 1961). Die Redaktion gab der Besprechung den Titel „Die Hoffnung auf den Menschen“ und entsprach damit Geißlers Vorbemerkung, in der er die „Tendenz“ des Buchs als „die […] der Hoffnung auf den Menschen“ so beschreibt: „den Leser darauf aufmerksam zu machen, daß Menschen auch in den Dingen der Gesellschaft und Politik richtiger und besser handeln können, als sie handeln“ (Geißler 1961b, 5). Haufs aber nennt den Auswahl und Kommentierung der Texte leitenden Gesichtspunkt, den „Aspekt der Mit-Verantwortlichkeit für die Verbrechen der Vergangenheit“ ‚hilfreich‘, „die heute vorhandenen Ressentiments freizulegen, die ihrem Wesen nach einem neuen Faschismus in Deutschland eine eklatante Chance bieten“, und er erhebt „Bedenken und Einwände“ gegen die ‚Aussparung‘ der „Rolle der deutschen Großindustriellen und Finanziers“, „der christlichen Kirchen“ und der „Emigranten, vor allem der Intellektuellen“ – weshalb er es letztlich „bedenklich“ nennt, „das Buch einem Jugendlichen in die Hand zu geben“: „Denn es setzt die Kenntnis von Fakten voraus.“ (Haufs 1961) Wesentlich schärfer fiel die Ablehnung des ‚Lesewerks‘ in der DDR-„Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ aus. Der Leiter der AG Junge Historiker des Zentralen Hauses der Jungen Pioniere kritisierte nicht nur, dass in den ausgewählten Texten „sehr fragwürdige […] Grundgedanken wiedergegeben“ (Köpstein 1962, 1698) würden und „viele […] Feststellungen“ des Herausgebers „unzutreffend“ (1700) seien, sondern vor allem, dass „nicht die – immer vorhandene – einzig konsequente Gegenkraft“, die KPD, und „nicht die volle Wahrheit“ dargestellt werde: „besonders dem Jugendlichen gibt er Fragen über Fragen auf, ohne sie zu beantworten“ (1701). ‚Sehr fragwürdige Grundgedanken‘ druckte Geißler vor allem mit Ausschnitten aus Hitlers „Mein Kampf“, Ernst von Salomons „Das Buch vom deutschen Freikorpskämpfer“, Günther Priens „Mein Weg nach Scapa Flow“, Hans-Ulrich Rudels
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„Trotzdem“ und „Durchhalteparolen“ in der Wochenzeitung „Das Reich“ von 1944;⁶³ als ‚Gegenkraft‘ erscheinen in Geißlers Auswahl nur Inge Scholls „Die weiße Rose“ und „Letzte Briefe“ Helmuth James Graf von Moltkes. Aber der Rezensent der FDJ verschweigt, dass Geißlers Kommentierung von Hitlers autobiographischer Darstellung, warum er Politiker geworden sei, die „[d]rei so verschiedene Begriffe wie ‚Marxismus‘, ‚Schurkerei‘ und ‚Judentum‘“ zum „Todfeind“ ‚verschmelze‘ (Geißler 1961b, 8), fortgeführt wird in den Abschnitten zu „Judenverfolgung“ (112 – 123) und „Massenmord, pflichtgemäß“ (194– 202), in denen aus André Schwarz-Barts Roman „Der Letzte der Gerechten“, der – ein Jahr nach dem Erscheinen der deutschen Übersetzung in der BRD – von Volk und Welt 1961 herausgebracht wurde, und aus Höß’ autobiographischen Aufzeichnungen zitiert wird. Während Geißler aus Höß’ Text seine Ausführungen zur „‚Massen-Vernichtung‘“ (200) aus „Pflichtbewußtsein“ (202) ausgewählt hat, geht es im Ausschnitt aus Schwarz-Barts Roman um einen Überfall von HJlern 1937 auf jüdische Kinder auf ihrem Weg in die Synagoge. Von den Flugblättern der Weißen Rose wählt Geißler das zur Judenverfolgung und aus Moltkes „Letzten Briefen“ den, der appelliert, „Niederlage als Befreiung“ (173) zu begreifen, „‚neu zu beginnen‘“ (176). Am Ende 1945 steht ein Auszug aus einem Bericht von drei japanischen Medizinern „über die Atombombenkrankheit“ (238), den beide zitierten Rezensenten nicht erwähnen, dessen Vorbemerkung schon die Einleitung des Nachworts vorwegnimmt, in der Hiroshima und Auschwitz verbunden werden; zunächst heißt es: „Der Einsatz der Atombombe zeigt allen überlebenden Menschen die Bereitschaft zur Massenvernichtung als eine allgemeine Bereitschaft, in dem Sinne: ‚Es ist zwar schrecklich, aber leider nicht zu vermeiden.‘“ (218), dann schreibt Geißler: „Der Einsatz der Atombombe zur Vernichtung von ganzen Gemeinschaften lebendiger Menschen sowie die nach Plan vollzogene Massenvernichtung von Menschen in Giftgaskammern hat allen Überlebenden eine neue Dimension negativer menschlicher Möglichkeiten vor Augen gebracht.“ (227) Aber Geißler betont die „kurze Zeit“, in der diese ‚neue Dimension‘ gesehen worden sei: „Erst die Gaskammern und erst die Atombombe haben – wenigstens für kurze Zeit – wieder redlichen Schrecken vermitteln können“ (228), und gegen ‚Vergessen‘ oder ‚Verdrängen‘ fordert er: „damit aus dem gründlichen Schrecken von 1945 doch noch gründlicher Nutzen gezogen werde, muß die Möglichkeit des Menschen zu ‚gerechtfertigtem Massenmord‘ unermüdlich bekanntgemacht und untersucht werden“ (228). „Sein Buch geht jeden Deutschen an, weil es ihn daran hindert, die Schrecken der Judenvernichtung zu vergessen, und weil es kraft seiner emotionalen Wirkung auch in jene Köpfe einzudringen vermag, die wissenschaftlichen Abhandlungen nicht zugänglich sind“ (Mammel 1962, 172), hieß es in der Rezension der Zeitschrift „Der Bibliothekar“ von Schwarz-Barts Roman und über dessen Protagonisten: „Mit Erni er Vgl. dagegen das Lob gerade dieser Textausschnitte in der Rezension der „Deutschen Zeitung“, die die „facettenreiche Spiegelung geschickt ausgewählt und gescheit kommentiert“ nannte, um allerdings kritisch einzuräumen: „Jede Auswahl hat ihre Einseitigkeit. Hier äußert sich das darin, daß der Widerstand aus liberalem, konservativem oder christlichem Geist zu kurz kommt.“ (E. U. 1962)
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leben wir alle Ängste, Gefahren und Kämpfe, die ein jüdisches Kind in einer nazistischen Schule durchleben mußte.“ (171) Zwar markiert der Rezensent Adolf Mammel, wie der Verfasser des „Nachworts“ der Volk und Welt-Ausgabe Henryk Keisch (Schwarz-Bart 1961, 433), „Grenzen“ in der ‚Erfassung‘ der „gesellschaftlich-politische[n] Funktion des Antisemitismus“ (Mammel 1962, 172), die „aus einer religiös bestimmten Auffassung vom Judentum, aus einem tief gegründeten Ethos des Leidens und der Gerechtigkeit“ folgen, aber er betont: „Daraus erwächst die außerordentliche Intensität der Gestaltung. […] Eindeutig liegt der Wert des Buches in der starken emotionalen Wirkung. Der Roman ist eine außergewöhnlich starke Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus.“ (172) Dass das Buch „in allen Bibliotheken angeschafft und eingesetzt werden“ (172) sollte, begründet der Rezensent mit einem abschließenden Zitat aus Keischs Nachwort über das Ende des Romans mit dem „letzte[n] Gebet“ des Protagonisten im „Erstickungstod“ in der „Gaskammer“: „Dies hier geht über jede Literatur hinaus. Der Mann, der diese Seiten schrieb, hat dem Schmerzensschrei einer entwürdigten, hingeschlachteten Menschheit Stimme verliehen. Man kann den Schrei nicht mehr vergessen.“ (Schwarz-Bart 1961, 435) Wenige Wochen vor dem Erscheinen der Rezension von „Der Letzte der Gerechten“ berichtete in der Zeitschrift „Der Bibliothekar“ Lore Rieck von einer „Diskussion über Werner Holt“, den Protagonisten des Romans von Dieter Noll „Die Abenteuer des Werner Holt“, in ihrer Bibliothek, die von einem Gegensatz zwischen Kollegen der ‚Kriegsgeneration‘, die ‚so war es‘ sagten, und Schülern, die ihnen mit ihrem ‚SchulWissen‘ widersprachen, dass 1943 überall schon Widerstand geleistet worden sei; Rieck verallgemeinerte: „Die Massenerscheinung, daß unter dem Faschismus alles mitgemacht wurde, ohne Überzeugung oder ohne zu fragen warum, ist unserer Jugend nur sehr theoretisch bekannt, und sie ist oftmals auf der Grundlage ihres Wissens und ihrer sozialistischen Erziehung auch gar nicht in der Lage, diese Haltung zu verstehen“, um Nolls Roman nicht nur als Beitrag zu einem ‚Verständnis‘ der ‚Massenerscheinung des Mitmachens unter dem Faschismus‘ zu werten, sondern als Korrektur falscher ‚Proportionen‘ in der DDR-Literatur: „Der Roman schließt eine Lücke in unserer Gegenwartsliteratur, er leistet einen wesentlichen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und stellt zusammen mit der Widerstandsliteratur die richtigen Proportionen her bei der Darstellung der Verhältnisse 1943 bis 1945.“ (Rieck 1961, 886)
19 Albert Kroh: Faschismus und Widerstand Zur selben Zeit erarbeitete eine Gruppe von BibliothekarInnen an der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften „Fritz Heckert“ Bernau unter Leitung von Albert Kroh für die bibliothekarische Arbeit mit Jugendlichen „Eine Literaturauswahl“, die unter dem Titel „Faschismus und Widerstand“ ausschließlich in der DDR erschienene, in deren Bibliotheken den Jugendlichen zugängliche „Belletristik und Sachliteratur über die Zeit des Faschismus und des Widerstandskampfes in Deutschland und den okku-
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pierten Ländern“ in kurzen Kommentaren ‚einsetzbar‘ machte, wie der Fachterminus ja auch in Mammels (1962, 172) Rezension von „Der Letzte der Gerechten“ hieß. Der Kommentar zu Schwarz-Barts Roman ist exemplarisch für das Bewertungsmuster der Bibliographie: „Der Roman ist eine künstlerisch-literarische Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus. Kern der Fabel ist der Bericht über das Leben, Leiden und Sterben unseres Zeitgenossen Erni Levi im Schatten der Naziherrschaft. Schwarz-Bart beschreibt im Schicksal der Familie Levi über Jahrhunderte und Generationen hinweg die Geschichte des Antisemitismus und des Judentums. Den Hauptteil bildet das Leben Ernis und sein Tod in Auschwitz. Allerdings gibt der Autor kein umfassendes Bild vom Judentum. Er zeigt nur das Leiden und Dulden, der Kampf der Juden, ihr Aufbegehren gegen ihre Unterdrückung wird nicht behandelt.“ (Kroh 1963, 159) So ausdrücklich das Leiden der als Juden Verfolgten benannt und als Schuld den Deutschen angerechnet wird, so stark wird der Kampf von Juden hervorgehoben. So heißt es über den 1946 im Verlag der SED erschienenen Roman des im Londoner Exil gebliebenen Ernst Sommer „Revolte der Heiligen“: „Der Stoff dieses Romans ist die Judenverfolgung im 2. Weltkrieg. In einem ‚Arbeitslager‘ in Polen erheben sich Häftlinge – Juden aus ganz Europa – zum bewaffneten Aufstand, obwohl ihnen die Aussichtslosigkeit klar ist. Dieser Roman – zugleich ein unwiderlegliches Dokument – berichtet, welch Unmass an Schrecken der Wahn von der Überlegenheit einer ‚Rasse‘ erzeugt hat.“ (160) Außer Schwarz-Barts Roman werden in „Faschismus und Widerstand“ sechs weitere Bücher als solche über Auschwitz kommentiert, von denen nur eins deutsch geschrieben wurde, während die anderen aus dem Französischen, Polnischen, Tschechischen und Ungarischen übersetzt wurden. Die Charakterisierung von Simone Térys Biographie „Danielle Casanova“ (1952) als „Das Leben der bekannten französischen Widerstandskämpferin, die in Auschwitz für die Befreiung ihrer Heimat starb“ (140), deutet an, was explizit über Seweryna Szmaglewskas „Uns vereint heiliger Zorn“ (1955) gesagt wird, das englisch schon 1947 in New York unter dem Titel „ Smoke Over Birkenau“ erschienen war: Aus „eigene[n] Erlebnisse[n] im Frauen-KZ AuschwitzBirkenau […] werden nur einzelne Episoden herausgegriffen, aber sie zeigen, dass mutige, tapfere Frauen aus allen Nationen im Kampf unter den schwersten Bedingungen nicht aufgegeben haben. Ein erschütterndes Dokument des antifaschistischen Widerstandes und des proletarischen Internationalismus.“ (Kroh 1963, 160)⁶⁴ Das nennt Werner Renz eine Darstellung „de[s] Vernichtungsvorgang[s] in Birkenau, ohne freilich die Opfer beim Namen zu nennen“ (Renz 1994, 46). Zur „[a]usgesprochene[n] Sachliteratur: Dokumente, Berichte, Protokolle“ (Kroh 1963, 212), rechnen die Bi-
Vgl. den Kommentar zu Bernard Marks „Der Aufstand im Warschauer Getto“ (1953), der 1957 und 1959 vom Dietz-Verlag wieder aufgelegt wurde: „Zum ersten Mal wird in diesem Buch von B. Mark der Aufstand des Warschauer Ghettos auf der Grundlage aufgefundener Dokumente und Zeugenaussagen nicht als spontaner, halbromantischer Kampf geschildert, sondern auf historischer Ebene behandelt, als Teil des allgemeinen polnischen Befreiungskampfes und des Kampfes der gesamten fortschrittlichen Menschheit gegen den Faschismus.“ (Kroh 1963, 224)
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bliothekarInnen der FDGB-Hochschule die drei 1957 erschienenen Bücher von Jan Sehn, den Führer durch die Gedenkstätte (230), von Ota Kraus und Erich Kulka „Die Todesfabrik“: „Zwei Überlebende tschechische Häftlinge geben Zeugnis von den faschistischen Verbrechen im KZ Auschwitz-Birkenau“ (123), und von Bruno Baum seine bearbeitete Neuauflage von „Widerstand in Auschwitz“: das „Mitglied der Leitung der Widerstandsorganisation in Auschwitz“ „berichtet sehr sachlich über die faschistischen Folter- und Vernichtungsmethoden“ (153). Dagegen hebt der Kommentar auch im Fall des damals neuesten Romans über Auschwitz, des von Bruno Heilig aus dem Ungarischen übersetzten „Leben auf dem Acker des Todes“ (1962) hervor: Oszkar Betlen „berichtet vom unerschütterlichen Kampf der kommunistischen Häftlinge des KZ Auschwitz“, „durch aufopferungsvollen Einsatz“ „zusammenzuhalten“ (Kroh 1963, 203). Die im Titel der „Literaturauswahl“ stehende Verbindung von „Faschismus und Widerstand“, von Leiden unter Verbrechen und Kampf, bestimmt schon den Kommentar zur frühesten fiktionalen Darstellung der Deportation im „Viehwagen […] nach Osten“, „Ans Ende der Welt“ (Weil 1987, 82), das nicht ausdrücklich Auschwitz genannt wird: „Es waren kahle, flache Felder im harten Licht, dunkle Baracken und Schornsteine, aus denen es feurig glühte. Und es roch nach verbranntem Fleisch.“ (83) Grete Weils 1949 von Volk und Welt veröffentlichte „Erzählung“ wird als „kritisch“ positiv bewertet: „In dieser Erzählung erleben wir die Ausweisung der Juden aus Amsterdam nach Polen mit. Die Autorin erzählt die Geschichte zweier jüdischer Familien. […] Kritisch charakterisiert Grete Weil die Haltung der einzelnen Juden, die zusammenbrechen, ihre Haltung und ihren Mut verlieren oder die standhaft in der illegalen Widerstandsbewegung kämpfen.“ (Kroh 1963, 162) Aber diese Unterscheidung mindert nicht die Bereitschaft der KommentatorInnen, sich durch die Darstellung des Leidens von Juden, das nicht zu Widerstand wird, so wie es an Jerzy Andrzejewskis „Die Karwoche“ (1948) akzentuiert wird als der „erschütternde Leidensweg einer jungen polnischen Jüdin und ihr erbitterter Widerstand während der grauenhaften Vernichtung des Warschauer Ghettos in der Osterwoche 1943 durch die deutschen Faschisten“ (Kroh 1963, 152/153), ‚erschüttern‘ zu lassen und dieses Gefühl den jugendlichen LeserInnen nahezulegen. ‚Erschütternd‘ werden genannt: Maria Zarebinska-Broniewskas „Auschwitzer Erzählungen“ (1949) als „ein erschütterndes Zeugnis nazistischer Unmenschlichkeit“ (Kroh 1963, 162), Zofia Nalkowskas „Medaillons“ (1956) als „[k]urze und prägnante Szenen, die von den unmenschlichen Greueltaten der Faschisten gegen die jüdische Bevölkerung Polens berichten und […] man nicht ohne Erschütterung aus der Hand legt“ (Kroh 1963, 157),⁶⁵ Peter Duhrs
Während der Rezensent des „Aufbau“ den „Medaillons“ zuschrieb, „mit erschütternder Eindringlichkeit ‚Bruchstücke der Ereignisse‘ lebendig“ zu machen, „die grenzenloses Leid und grauenvolles Sterben von Millionen jüdischer Menschen während der faschistischen Okkupation in Polen zur Folge hatten“ (K. P. 1957, 534), betonte Wolfgang Joho im „Sonntag“ an diesen „Dokumente[n] über die Leiden, die polnische Menschen in den Lagern durch faschistische deutsche Barbaren durchgemacht
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„Inferno“ (1956) als „[d]rei kleine Berichte, die uns mit erschütternder Eindringlichkeit das Schicksal eines jüdischen Häftlings in einem faschistischen rumänischen Konzentrationslager in den Jahren 1943/44 schildern“ (Kroh 1963, 163),⁶⁶ und „Das Tagebuch des Dawid Rubinowicz“ (1961) als „[ä]hnlich dem Tagebuch der Anne Frank […] erschütternder Bericht“ vom „Schicksal eines kleinen jüdischen Jungen und seiner Familie während der faschistischen Besetzung Polens“ (Kroh 1963, 158). Die Erschütterung wird von den Kommentatoren in eine politische Mahnung gewendet im Falle des Erlebnisberichts des Berliner Rabbiners Martin Riesenburger „Das Licht verlöschte nicht“ (1960): „Dieser Bericht ist eine erschütternde Dokumentation über den Untergang und den Neuaufbau der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Sie zeigt die Unmenschlichkeit, heimtückische Grausamkeit und den brutalen Vernichtungswillen, die das faschistische System bestimmen. Sie ist zugleich auch Mahnung an alle Überlebenden, neues Leiden und Blutvergießen zu verhindern und für den Frieden zu kämpfen.“ (Kroh 1963, 65) Dass durch die ‚erschütternde‘ Erinnerung an ‚altes Leiden und Blutvergießen‘ ein ‚neues‘, eine Wiederholung verhindert werden solle, ist die Mahnung, die von den KommentatorInnen Riesenburgers Text zugeschrieben wird. Auf die von der Bibliothekarin Rieck in der Zeitschrift „Der Bibiothekar“ (1961) aufgeworfene Frage nach der ‚Massenerscheinung des Mitmachens unter dem Faschismus‘ aber gehen sie selten ein. Zu zwei im Exil entstandenen Kriegsromanen Friedrich Wolfs, die 1951 unter dem gemeinsamen Titel⁶⁷„Die Unverlorenen“ erschienen, „Der Russenpelz“ und „Heimkehr der Söhne“, ist der Kommentar eindeutig: „Schuld und Sühne deutscher Menschen in der Hitlerdiktatur sind das gemeinsame Thema“ (Kroh 1963, 94). Wenn es zu der zuerst 1947 erschienenen, 1960 wieder aufgelegten Erzählung „Die Freunde“ von Ludwig Turek über den „illegalen Kampf der deutschen und ausländischen Arbeiter in einem Triebelwerk in Berlin-Tempelhof im Jahr 1943“ heißt: „Er zeigt die Ausbeutung und Schikane des Obermeisters Tauwetter, auftretenden Rassenhass und Kriecherei einiger Arbeiter“ (Kroh 1963, 79), so wird an Arnim Müllers „Der Pirol und das Mädchen“ (1958) klar unterschieden: er „zeigt sowohl den Sadismus faschistischer deutscher Offiziere und Soldaten wie auch deutscher [sic] Menschen, die durch ihre Erlebnisse zum Nachdenken gebracht werden und sich gegen den Faschismus und seine
haben“, Nalkowskas „doppelt erschütternde Art“: „Sie sagt in ihren acht Erzählungen das Furchtbare leise, wie nebenbei, und gerade darum gellt es zwiefach laut in den Ohren.“ (Joho 1957, 8) Rütten und Loening druckte von „Inferno“ zwei weitere Auflagen, 1958 und 1961; 1958 erschien ein weiteres Buch im Verlag der Nation, „Apage Satana“. Mit dem Zitat von Peter Duhrs Widmung des Buchs: „‚Den namenlosen Opfern, den unbekannten Helden zum Gedenken‘“, beginnt Kurt Baums Rezension im „Sonntag“, die zum „Handlungsort“ „Rumänien und Trans-Nistrien (Ukraine)“ anmerkt: „auch dort hat der Faschismus unter Juden und Kommunisten gewütet“. „‚Apage satana‘ ist eine erschütternde Anklage, eine erregende Lektüre, obwohl kaum klagend, sondern nüchtern geschrieben: nur in den Dialogen zwischen den sich in Not und Leide gegenüberstehenden jüdischen Menschen wird die Aussage leidenschaftlicher.“ (Baum 1959, 10) Max Walter Schulz nimmt ihn 1962 im Untertitel von „Wir sind nicht Staub im Wind“ auf: „Roman einer unverlorenen Generation“.
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Verbrechen zu wehren beginnen“ (123/124). Auffällig ist die Rede von Generationen: In „Das Judenauto“ (1962) „unternimmt“ Franz Fühmann, „Geschichte aus persönlichem Erleben nachzugestalten. Dennoch sind diese Erlebnisse […] die Erlebnisse einer ganzen Generation.“ (Kroh 1963, 23) Etwas abgeschwächt heißt es über Kurt Davids Roman „Die Verführten“ (1956): „Es ist die Geschichte breiter Teile der während des Faschismus aufgewachsenen und zum Kampf gegen die Sowjetunion mißbrauchten Jugend. Der Autor ruft seine Leser zum selbständigen Denken und Handeln auf: Frank Sternberg wird versuchen, durch seine künftige Arbeit seine Schuld […] wieder gutzumachen.“ (Kroh 1963, 168) In mehreren Kommentaren wird aber betont, dass der Zeitpunkt, zu dem das ‚Nachdenken‘ beginnt, in die Kriegsgefangenschaft der Protagonisten fällt: Zum Protagonisten von Walter Gorrishs „Die tönende Spur“ (1958), „der zum Juden- und Kommunistenhass erzogen“ war, heißt es, dass im französischen Lager „sein Weltbild ins Wanken“ gerate und er „zu einem antifaschistischen Widerstandskämpfer“ werde (Kroh 1963, 133). Und schon bei einem frühen Text, Janko Philips’ „Moskau, Postfach 906“ (1947), lautet der Kommentar ähnlich: „Zeigt die langsame Wandlung im Denken deutscher Soldaten, nachdem sie in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten.“ (Kroh 1963, 183) Es ist das Buch einer westdeutschen Autorin, das sie fast zwanzig Jahre, bevor es in BRD zum bis heute erfolgreichen, verfilmten Jugendbuch wurde, unter dem Pseudonym Jo von Tiedemann im Verlag der Nation der NDPD publizierte: Leonie Ossowskis „Stern ohne Himmel“ (1959), das von den FDGB-BibliothekarInnen „[e]in z. Zt. sehr aktuelles Buch“ (Kroh 1963, 78) genannt wird, mit der Begründung, dass „die Auseinandersetzungen der Jugendlichen mit sich selbst […] überzeugend geschildert“ seien. Es handelt sich um vier „Hitlerjungen“, die einen jüdischen „15-jährige[n] Schüler“ kurz vor Kriegsende in seinem Versteck aufspüren, dem nach der Ermordung seiner Eltern „bisher […] Antifaschisten“ „halfen“ (78). Eine Verbindung der Frage nach dem ‚Massenphänomen des Mitmachens unter dem Faschismus‘ mit der Frage nach der ‚jungen Generation‘ der Gegenwart zeigt sich auch in dem nicht ausdrücklich so bezeichneten Vorwort Clara Harnacks, der Mutter Arvid Harnacks, zu einer – von anoynym bleibenden Herausgebern vorgenommen und durch „eigene Forschungen ergänzt[en]“ – „Auswahl letzter Briefe hingerichteter Widerstandskämpfer“ aus „dem Reclam-Band 8587– 90 ‚An die Lebenden‘“ (Harnack 1961, 4). Dessen Herausgeber Heinz Schumann und Gerda Werner (1959) werden ebenso wenig genannt wie die von beiden zuvor als Grundlage erarbeitete Anthologie „Erkämpft das Menschenrecht“ (1958) des IML; der Titel des Reclam-Bandes wird für die westdeutsche Auswahl aus dessen Auswahl aus der IML-Anthologie übernommen, die in Ludwigsburg bei dem gerade erst gegründeten K. J. Schromm Verlag erscheint. Im Unterschied zum Reclam-Band, der keine Fotos enthielt, hat die westdeutsche Anthologie „An die Lebenden“ 18 „Bildbeilagen“ (An die Lebenden 1961, 103) zu den 77 „Lebensbilder[n] und letzte[n] Briefen hingerichteter Widerstandskämpfer“ (1). Aber schon der Unterschied der Seitenzahl zwischen 360 beim Reclam- und 103 beim Schromm-Band weist darauf hin, dass die anonymen Herausgeber nicht nur ‚ergänzt‘, sondern vor allem gekürzt haben. Auf die ‚Signifikanz‘ der ‚Ergänzungen‘ hat Christian
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Ernst (2018, 228) hingewiesen, mit Verweis auf Paul Schneider, Claus Schenk von Stauffenberg und „zentral“ (228) die Weise Rose, aber auch der Kardinal Clemens August Graf von Galen gehört nicht nur zu den ‚ergänzten‘ Widerstandskämpfern, sondern auch zu den wie Sophie Scholl, Paul Schneider und Stauffenberg durch eine ‚Bildbeilage‘ besonders hervorgehobenen. Dass unter den 18 mit einem Foto vorgestellten Widerstandskämpfern vier sind, die für im Reclam-Band nicht vertretene Gruppen des Widerstands stehen, macht darauf aufmerksam, dass sich auch durch die Kürzungen die Proportionen des Gesamtbilds veränderten. Hierzu gehört aber auch die Aufhebung der programmatischen Vorrangstellung des kommunistischen und des sozialdemokratischen Widerstands schon durch die Anordnung, genauer: das Ausnehmen Ernst Thälmanns und Rudolf Breitscheids aus der alphabetischen Ordnung des Abdrucks der letzten Briefe nach den Namen der VerfasserInnen. Thälmann und Breitscheid gehen im Reclam-Band Robert Abshagen voran (Schumann, Werner 1959, 7– 12). Die Reclam-Ausgabe wurde um 61 letzte Briefe und Lebensbilder kommunistischer Widerstandskämpfer gekürzt, so dass sich das Überwiegen der Kommunisten gegenüber den Sozialdemokraten auf 28 zu 6 reduzierte, aber die Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe, deren Repräsentanz nur um John Rittmeister (auf 16) vermindert wurde, blieb auch in der westdeutschen Ausgabe stärker vertreten als der sozialdemokratische Widerstand. Nicht betroffen von Kürzungen waren – mit einer schwer verständlichen Ausnahme – letzte Briefe von Opfern rassistischer Verfolgung und wegen ‚Wehrkraftzersetzung‘ Hingerichteten. Gerade weil der – bereits in der VVN-Anthologie von 1948 gedruckte – letzte Brief des Schauspielers Joachim Gottschalk aus dem Reclam-Band (99) übernommen wurde, fragt man sich, warum der letzte „Brief einer unbekannten Jüdin“ (34)⁶⁸ aus Tarnopol, der auch 1948 zuerst gedruckt worden war, für die Ludwigsburger Ausgabe gestrichen wurde: „Hier sprach ein Mensch für Millionen seiner unglücklichen Leidensgefährten, die aus allen Ländern Europas in die Ghettos Polens und Rumäniens getrieben und dort vernichtet wurden. Das ist das letzte erschütternde Lebenszeichen einer jüdischen Frau, die wenige Tage später, Ende April 1943, vernichtet wurde.“ (34) Die Bildauswahl zeigt die Veränderung der Proportionen im Gesamtbild des Widerstands noch deutlicher als die Auszählung der letzten Briefe: sechs KommunistInnen (darunter zwei Frauen: Liselotte Herrmann, Hertha Lindner), vier Mitglieder der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe (darunter drei Frauen: Erika von Brockdorff, Hilde Coppi, Mildred Harnack), zwei Christen, ein Sozialdemokrat (Rudolf Breitscheid), ein Mann des 20. Juli, eine Frau der Weißen Rose (Sophie Scholl), Georg Groscurth von der Europäischen Union und Joachim Gottschalk. Die einzige Bildbeilage, die kein historisches Porträt-Foto ist, steht am Schluss des Brief-Teils vor der Übersicht „Bedeutende Widerstandsgruppen während des zweiten Weltkrieges“ (95 –
Durch die alphabetische Anordnung unter „Brief einer unbekannten Jüdin“ war er im Reclam-Band eher an den Anfang der Anthologie gerückt, während er sich aufgrund der chronologischen Anordnung in „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ (1948, 72– 75) in der Mitte befand.
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100). Die zweigeteilte Abbildung zeigt im oberen, schräg von der linken Mitte aus angeschnittenen Drittel die in eine Fahne mit dem Hamburger Wappen gestickte Inschrift „Jugendgruppe ‚Geschw. Scholl[‘] Hamburg“ und in dem unteren Teil im Vordergrund Kränze und Blumengebinde, im Zentrum zwei junge Frauen, von denen die rechts knieende, ein Kleinkind umarmt hält, und einen leicht verdeckten männlichen Jugendlichen, die alle drei ihren Blick auf die Blumen richten, die sie niederlegen, während im Hintergrund zwei ältere Frauen, die Blumensträuße vor sich halten und auf die Blumenniederlegung blicken, einen älteren Mann am rechten Rand verdecken, von dem nur ein Teil des Kopfes und die rechte Schulter sichtbar sind, während am linken Rand aus der Gruppe von weiteren Zuschauern nur das Gesicht und die linke Schulter eines zweiten Kleinkinds zu sehen ist, das auf die Kränze und Blumen blickt. Die Bildunterschrift lautet: „Internationales Gedenken für die Opfer des Faschismus“ (94a). Doch das aus einer Perspektive leicht von unten aufgenommene Foto akzentuiert eher Altersunterschied und Geschlecht.
20 Clara Harnacks Vorwort zu „An die Lebenden“ Schon mit dem ersten Satz ihres Vorworts stellt sich Clara Harnack als alt und weiblich: „[f]ast zwanzig Jahre nach dem gewaltsamen Tode meiner geliebten Kinder“ (5), ihren LeserInnen vor, um den Adressaten der Publikation zu bestimmen: „der neuen jungen Generation“, die sie in Beziehung setzt zu den „letzte[n] schriftliche[n] Lebenszeichen deutscher Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus“ als „diejenigen jungen Deutschen […], die zu erfahren wünschen, was die Besten ihres Volkes damals, als Nacht über Deutschland lag, zu sagen hatten“ (5). Im zweiten Absatz bestimmt Clara Harnack ihre Beziehung zum Adressaten der Sammlung letzter Briefe und wird aus der Vorwortschreiberin zur Rednerin, indem sie sich einerseits in die Gruppe „der vielen Mütter“ einschließt, die unter dem Faschismus „das Liebste“ verloren haben, andererseits zu denjenigen zählt, für die „[d]as Vermächtnis der teuren Toten des großen Kampfes gegen Tyrannei und Krieg gilt“ (5). Die ersten, durch Anführungszeichen gekennzeichneten Worte der Rednerin Clara Harnack sind ein Zitat: „In mütterlicher Liebe zur Jugend rufe ich ihr die letzten Worte unserer tapferen Mildred zu: ‚Und ich habe Deutschland so geliebt!‘“ (5) Als Rednerin hatte die Vorwort-Schreiberin schon 1952 auf einer Kundgebung der VVN zum Tag der Opfer des Faschismus in Heidelberg ‚letzte Worte‘ eines Mitglieds der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe öffentlich zitiert, damals aber, wie die VVNZeitschrift „Die Tat“ berichtete, Arvid Harnacks auch an sie gerichteten „Abschiedsbrief“:⁶⁹ „Vor allem aber denke ich daran, daß die Menschheit sich im Aufstieg befindet. Das […ist eine der] Wurzeln meiner Kraft.“ (Schumann/Werner 1959, 112) Dem Unterschied in der Wahl des Zitats – von der ‚aufsteigenden Menschheit‘ zum ‚ge-
Die Tat, Frankfurt/M., 20.9.1952, S. 4.
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liebten Deutschland‘ – entspricht, dass Clara Harnack ihre Rede erst nach einem Kommentar der Vorwortschreiberin fortsetzt: Sie erklärt das ‚Heldentum‘ der WiderstandskämpferInnen aus deren ‚Wissen‘ von der ‚Notwendigkeit‘ des ‚Opfers‘ für ein ‚Wiedererringen‘ von „Freiheit, Frieden und Menschlichkeit“ (Harnack 1961, 5), um fortzufahren mit einer direkten Anrede, die den Adressaten sozial spezifiziert: „‚Ihr jungen Menschen in den Lehrwerkstätten, Schulen und Universitäten denkt daran, daß Deutschlands Schicksal einmal in Eurer Hand liegen wird! Vielleicht findet dieser oder jener der folgenden Abschiedsbriefe Zugang zu Eurem Herzen! Über Jahrzehnte hinweg spricht ein Chor von Stimmen zu Euch, die zur Wahrheit und Liebe mahnen!’“ (5) Der Kommentar greift den zuvor benutzten Begriff des Opfers auf, um die soziale Spezifizierung auf einen trotz der Adjektivform großgeschriebenen Begriff zu bringen: „Arbeiter und Geistesschaffende fanden unter übermenschlichen Opfern den gemeinsamen Weg zur Antifaschistischen Widerstandsbewegung.“ (5) So hält Clara Harnack im Appell an die ‚jungen‘ LeserInnen der Anthologie, sich aus dem ‚Chor von Stimmen‘ eines ‚gemeinsamen‘ Antifaschismus von ‚dieser oder jener‘ im ‚Herzen‘ ansprechen zu lassen, offen, wozu 1961 ‚Freiheit, Frieden und Menschlichkeit‘, ‚Wahrheit und Liebe‘ ‚mahnen‘. Obwohl Clara Harnack in Klara Maria Faßbinders Westdeutscher Frauen-Friedensbewegung aktiv war, gibt es keine auf die Ostermarsch-Bewegung oder die DFU anspielende Aktualisierung. Doch der Klappentext des Verlags bestimmt die Beziehung zwischen den „Stimmen der Ermordeten“, deren „Recht“, „daß sie gehört werden sollen“, sich aus ihrer „politischen, religiösen oder rassischen“ Verfolgung ableite (An die Lebenden 1961, Klappe, vorn), und „[u]nsere[n] jungen Menschen“, „die morgen über Wohl und Wehe unseres Volkes, unserer Heimat zu entscheiden haben“, als ‚Vermittlung‘ eines „Vermächtnis[ses]“: „Als ob sie in ihrer schweren Stunde geahnt hätten, daß Militarismus und Nazismus nach Niederwerfung der Hitlerregierung erneut ihr Haupt erheben würden, beschwören die Toten des Widerstandes die Jugend, zu erkennen, wie nahe schon die Menschheit an jener Wegmarke angelangt ist, hinter der es möglich ist, Krieg und Zerstörung für immer zu bannen.“ (Klappe, hinten) Mit der „Entscheidung“ der „Jugend“ zwischen ‚erneutem Militarismus‘ und ‚für immer gebanntem Krieg‘ kommt ein nicht als ‚Jugend‘, sondern mit der Jahreszahl 1945 bezeichnetes ‚Wir‘ ins Spiel, das über die ungenannten VerfasserInnen des Klappentexts hinausgeht: „Wie diese Entscheidung ausfallen wird, so wird das Urteil über uns, über diejenigen ausfallen, die 1945 das Vermächtnis der toten Kämpfer des deutschen Widerstandes zu verwirklichen, zu vermitteln hatten.“ (Klappe, hinten) Der Verlag charakterisiert seine spezifische Weise der Verwirklichung des ‚Vermächtnisses‘ durch ‚Vermittlung‘ näher, wenn am Ende des Klappentextes für die getroffene „Auswahl“ letzter Briefe die Bevorzugung von Angehörigen der Arbeiterbewegung nachdrücklich, „besonders“ und „vor allem“, betont wird: „Indem […] besonders der Frauen und Männer aus der
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deutschen Arbeiterbewegung gedacht wird, soll deren überragendes Opfer im Kampf gegen Militarismus und Krieg vor allem geehrt werden.“ (Klappe, hinten)⁷⁰ Von den dreizehn nicht aus dem Reclam-Band übernommenen, sondern neu aufgenommenen, „durch eigene Forschungen ergänzt[en]“ (4) letzten Briefen stammen nur vier von KommunistInnen, von denen aber zwei nicht als solche bezeichnet werden: André Hoevel, dessen letztes Wort vor Gericht zitiert wird: „‚Wir wollen dieser Bande bis zum Schluß unsere Haltung zeigen‘“ (38), und Terese Müller, die ihren
Die vor dem Namensverzeichnis stehende Auflistung „Bedeutende antifaschistische Widerstandsgruppen“ enthält keinerlei Hinweis auf Beteiligte am 20. Juli, auch wenn das Eingeständnis, dass „das Hauptaugenmerk“ der Anthologie der „Arbeiterklasse“ gegolten habe, in Form eines Dementis ihn andeutet: „Diese Wertung schließt demnach keineswegs jene verdienstvollen Kreise und Männer aus, die aus anderen Bevölkerungskreisen und von anderen Positionen her das NS-Regime tatsächlich bekämpft haben.“ (An die Lebenden 1960, 96) Einige Monate nach Erscheinen der Anthologie hielt der Bundesaußenminister Heinrich von Brentano eine Rede zur „Enthüllung der Ehrentafel für die Opfer des 20. Juli im Auswärtigen Amt“, auf der unter sieben Zeilen mit elf alphabetisch angeordneten Namen stand: „Sie gaben ihr Leben für die Ehre des deutschen Volkes.“ Brentano berief sich auf Theodor Heuss’ Rede vom 20. Juli 1954, um sich in der 1. Person Plural einzuführen als „Wir“ „überlebende“ „Zeugen“, die „vielleicht schweigen“ „sollten“ (Brentano [1961], ohne Seitenzählung). Entsprechend benutzt der Redner zwei Mal eine Praeteritio, um zu tun, was er zu tun bestreitet: „Ich wage es nicht“, „mit diesem Widerstreit der Gefühle“, der die Männer des 20. Juli „zerriß“, „mich auseinanderzusetzen“, gefolgt von: „Ich will nicht den Versuch unternehmen, […] auszudrücken, was sie bewegte“. Brentano geht über Heuss hinaus, wenn er den inneren Konflikt zwischen Gehorsam und dessen Verweigerung als einen zwischen zweierlei Schuldigwerden darstellt: an Verbrechen an anderen oder am eigenen Volk: „Die Staatsführung […] forderte von den Deutschen blinden Gehorsam. Diese Forderung zu erfüllen, bedeutete nichts anderes als zum Mitschuldigen an Verbrechen und Mord zu werden. Den Gehorsam zu verweigern, konnte bedeuten, das deutsche Volk dem Untergang auszuliefern. Denn die ganze Welt hatte sich zusammengeschlossen, um das deutsche Volk zu bestrafen für das, was unter Mißbrauch seines Namens an Unrecht und Verbrechen geschehen war. Und unter denen, die diese Strafe forderten, waren auch die, denen das sittliche Recht und der politische Auftrag fehlten, diese Aufgabe zu erfüllen.“ Entscheidend für die Veränderung der Heuss’schen Formel ist diese ‚sittliche‘ und ‚politische‘ Rechtfertigung des Kriegs gegen die Sowjetunion. Die zweite Praeteritio hatte er auf die Absage an „eigene[…] unzulängliche[…] Worte“ eingegrenzt: „Ich möchte sie selbst sprechen lassen.“ Aber, was er sie sprechen lässt, hat er selbst schon gesagt: Adam von Trott zu Solz’ Wort über den 20. Juli als „Versuch“, die „Heimat“ „‚gegen den Übergriff fremder Mächte und Gesinnungen zu erhalten‘“, wird durch Alfred Delps Wort über christliche ‚Gesinnung‘ sittlich und politisch: „‚Die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit ist die Stunde der Begegnung mit Gott.‘“ Die Broschüre mit der Rede enthält – außer einem Foto der Ehrentafel – elf jeweils eine Seite einnehmende, wiederum alphabetisch angeordnete Kurzbiographien, denen auf der jeweils gegenüberliegenden Seite ein Porträtfoto entspricht, auf dem in sechs Fällen der Porträtierte den Betrachter ansieht. Zu einem katholischen Antitotalitarismus vgl. den Westberliner Domkapitular und Leiter des „Petrusblattes“ Walter Adolph, der 1963 im Vorwort zum Bildband zur Weihe der „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken Maria Regina Martyrum zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933 – 1945“ unter Verwendung von Zitaten aus den letzten Briefen von Max Josef Metzger, Alfred Delp, Helmuth James Graf von Moltke und Hermann Lange schrieb: „Der ähnliche Kampf, die gleiche Not der Gegenwart bedürfen solcher Vorbilder der nahen Vergangenheit.“ (Adolph 1963, 40). Beim Richtfest der Kirche hatte er sich 1961 auf den Bau der Mauer bezogen: „Geist und Gesinnung unserer Blutzeugen müssen unser Volk beseelen, weil wiederum Verderben droht“ (43).
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jüngeren Sohn in einem Brief an die Ostfront aufgefordert hatte, „sich gegen Hitler zu wenden“ (59).⁷¹ Der kommunistische Funktionär Johann Schultheis versichert Frau und Kindern: „Mein Herz ist ruhig“ (72), und Fritz Rau dankt der Verlobten für „Lesestoff“: „Den Kant habe ich gleich angepackt und lese ihn auch mit Nutzen. Aber mit des alten Hegels Phänomenologie hast Du mich zu besonders hartem Brot verurteilt. Das ist so ungefähr das Schwerste was [sic] es auf dem Gebiet der klassischen Philosophie gibt und es gehört schon besondere Ausdauer und Zähigkeit dazu, da durchzukommen“ (61). Fünf der neu Aufgenommenen werden in ihrem Lebensbild als Christen charakterisiert, vier als Künstler oder Intellektuelle. Während die Aufnahme der Geschwister Scholl dazu führte, dass in die Aufstellung „Bedeutende antifaschistische Widerstandsgrppen während des zweiten Weltkrieges“, die am Ende des Reclam-Bandes stand (An die Lebenden 1959, 351– 357), in der Ludwigsburger Ausgabe „Die Widerstandsgruppe ‚Weiße Rose‘ (1939 bis 1943)‘“ (An die Lebenden 1961, 98) eingefügt wurde, gibt es zwar ein von einer Zeichnung begleitetes Porträt des „strenggläubige[n] Katholik[en]“ (82) Claus Schenk von Stauffenberg, das als „seine letzten Worte: ‚Es lebe das freie Deutschland!‘“ (82) zitiert und als „Angehörige[n] des Kreisauer Kreises“ den „Sozialdemokrat[en] Professor Adolf Reichwein“ (83) erwähnt, aber ‚der 20. Juli‘ wird nicht als Widerstandsgruppe anerkannt: „Der patriotische Offiziersflügel der Verschwörung vom 20. Juli 1944 entstand nach der deutschen Niederlage vor Stalingrad.“ (82). Ähnlich stark betont wird Stalingrad im Portät der Geschwister Scholl und entsprechend als ‚letzter Brief‘ das Stalingrad-Flugblatt der Weißen Rose ausgewählt, in dem es heißt: „‚Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger vernichtet und ein neues geistiges Europa aufrichtet.‘“ (70) Von Gollwitzer war von Sophie Scholl nur ein exklusiv religiöses Bekenntnis „Aus ihrem Tagebuch“ abgedruckt worden: „Ich kann es nicht verstehen, wie heute ‚fromme‘ Leute fürchten um die Existenz Gottes, weil die Menschen seine Spuren mit Schwert und schändlichen Taten verfolgen. Als habe Gott nicht die Macht (ich spüre [sic] wie alles in Seiner Hand liegt), die Macht. Fürchten bloß muß man um die Existenz der Menschen, weil sie sich von ihm abwenden, das ihr Leben ist.“ (Gollwitzer 1957, 84; vgl. Leber 1963, 24). Walter Klingenbeck war als „Mitglied einer katholischen Jungschar“ (44) schon in der VVN-Anthologie von 1948 vertreten gewesen, und den letzten Brief des Lübecker Kaplans Hermann Lange an seine Eltern hatte Gollwitzer 1954 (169/170) gedruckt und Thomas Mann im Vorwort zur europäischen Anthologie Malvezzis und Pirelli „das schönste Zeugnis für die Gabe christlich-katholischen Glaubens“ (1956, 10) genannt; in den 1961 nachgedruckten Notizen des Hamburger Gefängnisgeistlichen werden seine „Seelenqualen“ „eines Helden und Blutzeugen würdig“ (An die Lebenden 1961, 50) genannt. Wie weit die anonymen HerausgeberInnen bei der Aufnahme von christlich motivierten Widerstandskämpfern zu gehen bereit waren, belegen zwei
Vgl. Broszat/Mehringer 1983, 284.
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Fälle von Überlebenden, denn weder der Kardinal Klemens Graf von Galen noch der Schriftsteller Hans von Hülsen wurde ermordet. Galen war allerdings schon von Annedore Leber in „Das Gewissen entscheidet“ aufgenommen worden. Dabei hatte sie ihm als ein letztes Wort zugeschrieben, was er kurz vor seinem Tod im März 1946 einem britischen Journalisten über sein Verhalten im ‚Dritten Reich‘ gesagt habe: „daß er auch damals nie etwas gegen Deutschland gesagt habe“; Leber macht sich zu eigen, wie der Journalist Galens ‚Eintreten‘ „für Gerechtigkeit gegenüber dem deutschen Volk“ in der Nachkriegszeit deutet, nämlich „‚sein zartes Mitgefühl für die Opfer des Krieges […], um die Leiden seines Volkes zu mildern‘“ (Leber 1957, 182). Leber hatte schon in „Das Gewissen steht auf“, dem Vorgängerband von „Das Gewissen entscheidet“, im Falle eines prominenten Widerstandskämpfers, von dem kein letzter Brief überliefert ist, ein ‚letztes Wort‘ konstruiert. „In der Vorausschau“, schreibt Leber über Stauffenberg, „daß er bei seinem letzten Einsatz zugrunde gehen könne, hatte sich Stauffenberg in den Wochen und Tagen zuvor um den Wortlaut eines leicht verständlichen politischen Glaubensbekenntnisses bemüht, das in der Form eines Schwurs ein segensreiches Fortwirken aller längst bewährten und neuerwachten Kräfte sichern sollte. Das Leitmotiv war: ‚Wir wollen eine neue Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt.“ (1963, 231) Lebers Konstruktion eines ‚letzten Worts‘ von Kardinal von Galen im Mitleid mit dem deutschen Volk als dem Opfer des Krieges widerspricht der Protest, der in der Ludwigsburger Version von „An die Lebenden“ aus Predigten des Kardinals zitiert wird, zunächst im Lebensbild, dann in einem Auszug. 1936 protestierte Galen gegen einen „‚Gehorsam, der die Seelen knechtet“, als „roheste Sklaverei“, 1941 gegen Martin Niemöllers Haft im KZ Dachau, indem er den „‚Bekennermut dieses edlen deutschen Mannes‘“ „‚ein christliches, ja ein allgemein menschliches und nationales, religiöses Anliegen‘“ (An die Lebenden 1961, 24) nannte. „Die Tat gilt mehr vor Gott als das Gebet“, der letzte Vers eines Sonetts von Hans von Hülsen, aus einem 1947 veröffentlichten Gedichtband „Gerichtstag. Sonette aus dieser Zeit“, wird als an den Adressaten von „An die Lebenden“ gerichteter Aufruf gedeutet, wobei die HerausgeberInnen sich einschließen: „In einem seiner letzten Sonette ruft er uns zu“, heißt es im Übergang vom Lebensbild zum Gedicht. Entsprechend wird in der Kurzbiographie betont, dass Hülsen ein „Freund Reinhold Schneiders und Ulrich von Hassells“ war und „zu den Kämpfern“ „gehörte“, „die ‚zwischen KZ und Emigration‘ gelebt haben“ (An die Lebenden 1961, 37). Unter auffälliger Vermeidung des Begriffs der Inneren Emigration wird das mit ihm verbundene Bild der Verbreitung von Geschriebenem zugespitzt zum ,im Angesicht des Todes‘ Gesprochenen, wodurch die Lesung gewissermaßen zu einem letzten Brief wird: „So wie Schneiders Gedichte damals immer wieder abgeschrieben, unter den Gegnern des Regimes von Hand zu Hand gingen, so pflegte Hans von Hülsen seine Gedichte mutig – stets den Tod vor Augen – den Menschen vorzulesen.“ (37) Der in Buchenwald ermordete evangelische Pastor Paul Schneider, der im ReclamBand „An die Lebenden“ nicht vertreten war, obwohl er vier Jahre vorher den als
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Band 4 einer „Bibliothek der CDU“ erschienenen Band „Christlicher Widerstand gegen den Faschismus“ eröffnet hatte, vor Dietrich Bonhoeffer platziert (Christlicher Widerstand 1955, 29), wird in der Ludwigsburger Ausgabe nicht auf der Grundlage von Gollwitzers Anthologie (1954, 26 – 38) wie in dem Band des Union-Verlags, sondern in einem Zitat aus dem Erlebnisbericht des Sozialdemokraten Walter Poller „Arztschreiber in Buchenwald“ (1946) porträtiert, der über Schneiders Einlieferung ins Krankenrevier schreibt: „Niemals habe ich die tiefe Tragik des Pilatuswortes ‚Ecce home‘ [sic] erschütternder gefühlt. Das große, edle, fahlgelbe Gesicht mit den hellen, offenen Augen leidzerfurcht, und doch von jener Verklärung, die edelstes Menschentum und entschlossener Wille auf jede Kämpferstirn legt. Der Körper abgemagert zum Skelett, die Arme unförmig geschwollen, an den Handgelenken blaurote, grüne und blutige Einschnürungen und die Beine, es waren Elefantenbeine,Wasser!…‘ Walter Poller berichtet, daß Paul Schneider durch fünf Strophantinspritzen getötet wurde.“ (An die Lebenden 1961, 69) Doch vorher ist die oben von Hülsen zitierte Entgegensetzung von Gebet und Tat aufgehoben worden im Bericht über den ‚Beginn‘ des „Leidensweg[s] dieses mutigen Bekenners“: „Es verschlug den Häftlingen und der SS die Stimme, wenn sie Paul Schneider beim Morgen- und Abendappell in seiner Zelle beten hörten. […] Er wurde sinnlos geschlagen – er predigte; er wurde an das Fensterkreuz gehängt – er predigte; seine Zelle wurde verdunkelt – er predigte; er bekam nichts zu essen – er predigte“ (69). Der Kommentar zum Dankbrief Karlrobert Kreitens an seine Eltern für ihren letzten Besuch stellt auf den Zynismus des Gerichts ab: „Karlrobert Kreiten weilte nicht mehr unter den Lebenden, als seinen Eltern immer noch empfohlen wurde, das ‚Gnadengesuch‘ einzureichen“; aber der Brief selbst belegt die Hoffnung des wegen Wehrkraftzersetzung von einer Kollegin denunzierten und zum Tode verurteilten Musikers, „aus diesen harten Monaten […] sehr viel für mein späteres Fortkommen gelernt zu haben“ (45). Und so deutet der Kommentar auch seinen Widerstand als „Mut“, „seine Mitmenschen über das wahre Wesen des Nationalsozialismus aus der Sicht des begabten genialen Künstlers aufzuklären“ (45). Ein Jahr nach dem Erscheinen der Ludwigsburger Anthologie „An die Lebenden“, die die ‚Stimmen der Ermordeten‘ an die ‚junge Generation‘ adressierte, gab das Präsidium der Vereinigungen der Verfolgten des Naziregime, die in den Ländern Rheinland-Pfalz und Hamburg immer noch seit dem damals bundesweiten Verbot von 1951 verboten waren, „eine dokumentation über rolle und einfluß ehemals führender nationalsozialisten in der bundesrepublik deutschland“ heraus, deren Titel im Vorwort erklärt wurde: „‚Die unbewältigte Gegenwart‘ […] wurde gewählt, um dem Leser deutlich zu machen, daß die furchtbare Vergangenheit des Nationalsozialismus nur überwunden werden kann, wenn Schlußfolgerungen für die Gegenwart gezogen werden. Es wurde bewußt auf Polemik verzichtet. Das Tatsachenmaterial soll sprechen. […] Das Buch ist eine Anklage. […] Vor allem die junge Generation soll durch die Publikation eine Hilfe erhalten, damit ihr auf dem Weg in ein freiheitliches Leben ohne Nazismus und Militarismus die bitteren Erfahrungen der Väter erspart bleiben.“ (Präsidium 1962, 3) Dokumentiert wurde darin auch der Artikel, den Werner Höfer, der
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Moderator der Internationalen Frühschoppens des WDR, zur Hinrichtung des Pianisten Karlrobert Kreiten am 20.9.1943 publiziert hatte; er „forderte, ebenso ‚unnachsichtig‘ mit allen Künstlern zu verfahren, die ‚statt Glauben – Zweifel, statt Zuversicht – Verleumdung und statt Haltung – Verzweiflung stiften‘“ (122). Der Text eines Liedes schließlich, die erste von drei Strophen und der Refrain, vertritt den letzten Brief im Falle des in Auschwitz ermordeten österreichischen Librettisten jüdischer Herkunft Fritz Löhner-Beda. Der 1938 nach Dachau Deportierte, dem, wie sein Lebensbild betont, „seine Leidensgefährten […] halfen, den Tod fürs erste zu besiegen“, schrieb „nach Buchenwald verlegt“ mit Fritz Grünwald das „Buchenwaldlied“ und wurde im Oktober 1942 „nach Auschwitz-Monowitz verlegt“ (52). Das Lebensbild wird für einen Tag im Frühjahr 1943 ausführlicher, um am Schluss zum „Buchenwaldlied“ zurückzukehren: „Beda Löhna“ – so wird in der Ludwigsburger Anthologie „An die Lebenden“ der als Bedrich Löwy geborene Autor genannt – „kann bereits beim Morgenappell nicht erscheinen. Er hatte hohes Fieber. SS holte den Kranken aus der Baracke. Beda Löhna stand da, an die Barackenwand gelehnt. Er konnte nicht mehr sprechen. SS-Angehörige fallen brutal über den alten Mann her, prügeln ihn nieder. Als sich Beda Löhna nicht mehr bewegt, konstatiert der SS-Mann: ‚Tod durch Herz- und Kreislaufstörungen.‘ Es gibt kein Grab, das zu seinem Gedenken geschmückt werden kann. Es blieb das Buchenwaldlied“ (52), dessen Textauszug folgt.⁷² Im Erscheinungsjahr von „An die Lebenden“ in der Bundesrepublik kam auch ein Buch in deutscher Übersetzung heraus, in dem Fritz Löhner-Bedas Tod anders dargestellt wurde, gestützt auf ein Dokument aus dem IG Farben-Prozess des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg, NI-11710: „Affidavit von Dr. Nikolae Nyiszli, 8. Oktober 1947“: „Eines Tages begaben sich zwei Buna-Häftlinge, Dr. Raymond van der Straaten und Dr. Fritz Löhner-Beda an ihre Arbeit, als eine aus I.G. Farben-Größen bestehende Besuchergruppe des Wegs kam. Einer der Direktoren wies auf Dr. LöhnerBeda und sagte zu seinem SS-Begleiter: ‚Diese Judensau könnte auch rascher arbeiten.‘ Darauf bemerkte ein anderer I. G.-Direktor: ‚Wenn die nicht mehr arbeiten können, sollen sie in der Gaskammer verrecken.‘ Nachdem die Inspektion vorbei war, wurde Dr. Löhner-Beda aus dem Arbeitskommando geholt, geschlagen und mit Füßen getreten, daß er als Sterbender zu seinem Lagerfreund zurückkam und sein Leben in der I. G.-Fabrik Auschwitz beendete.“ (Hilberg 1990, 994) Ein anderer Überlebender von Auschwitz III,Viktor Emil Frankl, zitierte im selben Jahr 1947 einen Vers aus Löhner-Bedas „Buchenwaldlied“, als er drei Vorträge, die er in Wien gehalten hatte, als Broschüre unter dem Titel herausbrachte „…trotzdem ja zum Leben sagen“. Mit einem großgeschriebenen Ja wurde 1977 das „Buchenwaldlied“-Zitat zum Titel der erstmaligen Publikation in der Bundesrepublik von Frankls Im Unterschied zu „Die Moorsoldaten“ von Johann Esser, Wolfgang Langhoff und Rudi Goguel und zu dem „Sachsenhausenlied“ von Bernhard Bästlein, Karl Fischer und Karl Wloch wurde LöhnerBedas Text des „Buchenwaldlieds“ nicht aufgenommen in die von Inge Lammel 1970 als Reclam-Band publizierte Anthologie „Das Arbeiterlied“ (Lammel 1970, 200 – 203).
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bereits 1946 in Wien erschienenem Erlebnisbericht über Auschwitz „Ein Psychologe erlebt das KZ“, der 1947 eine zweite Auflage erfahren hatte⁷³ und in englischer Übersetzung in den USA 55 Auflagen mit „über zwei Millionen Exemplaren“ (Frankl 1979, Klappe, vorn). In einem Vorwort erklärte Hans Weigel den „neue[n] Titel“ (9), indem er Löhner-Beda einen „leidenschaftliche[n] Zionisten“ (9) nannte und sein Lied „ein erschütterndes Dokument, dessen populär eingängige Verse im Marschrhythmus zur Haltung aufrufen und den Glauben an die Befreiung predigen“ (10); doch Frankls eigener Text beruft sich für das ‚Ja‘ nicht auf Löhner-Beda, sondern auf Johannes 1,5: „In einem letzten Aufbäumen gegen die Trostlosigkeit eines Todes, der vor dir ist, fühlst du deinen Geist das Grau, das dich umgibt, durchstoßen, und in diesem letzten Aufbäumen fühlst du, wie dein Geist über diese ganze trostlose und sinnlose Welt hinausdringt und auf deine letzten Fragen um einen letzten Sinn zuletzt von irgendwoher dir ein sieghaftes ‚Ja!‘ entgegenjubelt. Und in diesem Augenblick – leuchtet ein Licht auf in einem fernen Fenster eines Bauerngehöfts, das wie eine Kulisse am Horizont steht, inmitten des trostlosen Grau eines dämmernden […] Morgens –, ‚et lux in tenebris lucet‘, und das Licht leuchtet in der Finsternis…“ (70).⁷⁴
Vgl. Goguel 1976, 335. Vgl. auch zu „Sinn“ Frankl 1979, 108 – 110, zu „Entscheidung“ 111 und zur „Einzigartigkeit“ im Kosmos 126.
VII Bücher und Zeitschriftenartikel über Polen bis zum Beginn des Frankfurter Auschwitz-Prozesses 1962/1963 erschienen in der Bundesrepublik und in DDR jeweils zwei Bücher über Polen – in allen spielte Auschwitz eine Rolle, aber nur in den beiden in der DDR erschienenen war der Völkermord ein zentrales Thema. In der Bundesrepublik erschienen Berichte über Gruppenreisen nach Auschwitz nicht mehr nur in den Zeitschriften von Jugendverbänden oder des Netzwerks der Ostermarsch-Bewegung, sondern auch in solchen des offiziellen Dachverbands der Jugendorganisationen der im Bundestag und in den Länderparlamenten vertretenen Parteien, dem „Blickpunkt“ des Westberliner Landesjugendrings, und dem Organ einer solchen Partei, dem „Vorwärts“ der SPD. Der Beginn des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt am Main am 20. Dezember 1963 und das Erscheinen der Dokumentation „Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Geschichte und Gericht“ im evangelischen Kreuz-Verlag waren Voraussetzungen für das erstmalige Erscheinen von Berichten über Reisen nach Auschwitz 1964 in entweder durch intellektuellen Anspruch oder auch durch Auflagenhöhe einflussreichen Zeitschriften wie auf der einen Seite „Merkur“ und „Die Zeit“, auf der anderen in katholischen Wochenzeitungen wie „Der christliche Sonntag“. Auch wenn im 1964 vom Hessischen Rundfunk gesendeten Fernsehfilm „Deutschlands Osten – Polens Westen?“ des Warschau-Korrespondenten der „FAZ“ Hansjakob Stehle nicht nach Auschwitz gereist wurde, sendete ihn das polnische Fernsehen an einem der Tage, als eine Delegation des Frankfurter Gerichts in Oswiecim war.
1962 besuchten drei unterschiedliche Gruppen aus der Bundesrepublik Auschwitz: Westberliner Falken, die nach Palmiry, Warschau und Auschwitz reisten, „43 Jugendleiter[…] aus allen bielefelder Jugendverbänden (auch die Katholische Jugend und die Deutsche Jugend [des] Ost[ens, die Jugendorganisation der Vertriebenenverbände, H.P.] waren dabei)“, die auf „eine[r] 12-tägige[n] Informationsreise durch Polen“ nach „Posen, Breslau, Kattowitz, Auschwitz, Krakau, Warschau und Lodz“ (Hirschauer 1962, 390) kamen, und Mitglieder des deutschen Zweigs des Internationalen Versöhnungsbunds, die Warschau, Krakau und Auschwitz besuchten. Die Reisebeschreibungen erschienen nicht nur im Verbandsorgan, wie im Falle des von der Geschäftsführerin des Westberliner Landesverbands Irmgard Schuchardt verfassten Berichts für „Versöhnung und Friede. Zeitschrift des deutschen Versöhnungsbundes“, sondern über die Reise der Bielefelder Jugendleiter schrieb Paul Hirschauer in den zum Ostermarsch-Netzwerk gehörenden „Werkheften katholischer Laien“ und über die der Falken der Redakteur der Tageszeitung „Telegraf“ der Westberliner SPD Erich Richter in dem von ihm ehrenamtlich redigierten „blickpunkt. die junge zeitschrift“, herausgegeben vom Westberliner Landesjugendring; außerdem berichtete Carl Ludwig Guggomos im „Vorwärts. Die Zeitung der deutschen Sozialdemokratie“ und Herbert Thur im Organ der FDJ „Junge Welt“.
https://doi.org/10.1515/9783050095851-009
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VII Bücher und Zeitschriftenartikel über Polen
1 Westberliner Falken, Bielefelder Jugendverbände, Internationaler Versöhnungsbund und Paul Hirschauer von den „Werkheften katholischer Laien“ (1962) in Auschwitz Obwohl der jeweilige Anteil der Beschreibung der Gedenkstätte Auschwitz am Artikel sowohl der Quäkerin als auch des Linkskatholiken deutlich geringer ist bei dem Sozialdemokraten, Auschwitz hat entscheidendes Gewicht für das Resümee, das Schuchardt und Hirschauer ziehen und das bei Richter sogar im Titel steht: „Eine versöhnende Geste“ (Richter 1962b). Wenn Hirschauer schließt: „Wer an den Stätten des Entsetzens und des Mordes weilte, in Auschwitz, im Warschauer Ghetto, in Lodz, an den Gedenktafeln in Straßen und an Häuserecken – […] der weiß, wie beschämend d[a]s Versagen unserer Versöhnungsbereitschaft ist und wie verletzend für den, an dem wir schuldig wurden“ (Hirschauer 1962, 438), so heißt es am Ende bei Schuchardt, die von Auschwitz „nie diese Eindrücke vergessen“ (Schuchardt 1963, 13) werde, „daß gerade wir Deutsche eine Aufgabe haben, dorthin zu fahren und unsere Freundschaft, unsere Liebe denen zu bringen, die so litten unter Deutschen. Ein Sühnegang, aber einer, der mich mit reichen Erfahrungen heimfahren ließ. Ich will nun hier in meinem Kreis weiterarbeiten für Versöhnung und Verständigung.“ (14/15) „Ich werde nie diese Eindrücke vergessen“, hat Schuchardt schon vorher geschrieben, nachdem sie aufgeführt hat, was sie gesehen hat und was „trotz allem, was ich vorher darüber gehört und gelesen hatte“, „unvorstellbar“ gewesen sei: „Hier wurde auf Befehl gemordet. Die Steine waren Zeugen dieser Untaten … die Baracken, die Vergasungsräume, die Berge von Büchsen, in denen das Gas war, der Todesblock mit den engen Zellen, in denen die Menschen verkrümmt saßen und verhungerten. Die Berge von Haaren, Prothesen, Koffern. Die Willkür der SS – der Hinrichtungshof […], der Galgen –“ (13). Der Untertitel von Hirschauers Reisebeschreibung „Kirche und Staat, Katholiken und Gesellschaft betreffend“ kündigt an, dass er sich „auf die Eindrücke mit ‚katholischem Akzent‘ beschränken will“ (Hirschauer 1962, 437), also von „Begegnungen und Erfahrungen […] berichten, die die Lage der katholischen Kirche in Polen und das Verhältnis zwischen Kirche und Staat darstellen“ (390), aber vor dem bereits zitierten Resümee, wo Auschwitz an erster Stelle steht, führt er zu polnischer „Angst vor uns Deutschen“ und „unserer politischen Unmündigkeit“ aus: „Verbittert sagt man uns, daß sie gerade von der katholischen Kirche erwartet hätten, daß sie einen Beitrag zur Bewältigung der NS-Vergangenheit und zur moralischen Erneuerung geleistet hätte, daß die Christen ‚Vorboten der Versöhnung‘ wären. Sie in Polen warteten seit Jahren auf unser erstes Wort. […] Stattdessen hörten sie von uns fast nur ‚öden und engstirnigen Antikommunismus‘, Heimatgottesdienste und Heimatfeste. Sie suchten vergeblich nach dem Hirtenwort eines deutschen Bischofs, der die Polen oder polnischen Katholiken um Vergebung und Versöhnung bäte. Ihre Hand sei weit ausgestreckt, aber sie seien müde geworden.“ (437/438) Dass Hirschauer diese Kritik teilt,
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hat schon seine Anmerkung zum Antikommunismus angedeutet: „Da die ‚jüdische Weltgefahr‘ der NS- und Vor-NS-Zeit der ‚kommunistischen Weltgefahr‘ in unserem Bewußtsein gewichen ist, hat sie auch gefälligst und immer eine Gefahr zu sein.“ (390) Richter beendet seinen an zweiter Stelle im „blickpunkt“ – auf einen Bericht „Polen 1962. Alle Gespräche kreisen um den Zloty“ – folgenden mit einer anderen Verwendung des Bilds der ausgestreckten Hand, das auf folgender Voraussetzung fußt: „die große Mehrzahl der Deutschen im Westen ihrer Heimat“ habe „den ehrlichen Willen, aus der Vergangenheit zu lernen, um es in der Zukunft besser zu machen“: „Die ‚Falken‘ haben diesen Beweis nicht durch Worte, sondern durch eine mutige Tat erbracht, sie sind nach Polen gefahren als die Botschafter Westberlins und haben als erste ihre Hand ausgestreckt zu einer versöhnenden Geste.“ (Richter 1962b) Das Bild steht jedoch in Gegensatz zum Schluss von Carl Ludwig Guggomos’ Bericht im „Vorwärts“, der ihm auch den Titel liefert: „Als die Fahrzeuge in der Abenddämmerung […] zurückfahren, winken Bürger aus der Stadt den Bussen aus dem Westen zu. Zögernd winken die Insassen zurück.“ (Guggomos 1962) Aber Richter widerspricht auch sich selbst, wenn er in seinem sehr kritischen Bericht über die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung der Volksrepublik Polen zum Verhältnis von Erinnerung und Versöhnung anmerkt: „Zwar pflegt der Staat in Museen und durch Gedenktafeln, die an den 119 Stellen im Stadtgebiet errichtet wurden, an denen die Nationalsozialisten polnische Patrioten erschossen haben, die Erinnerung an diese unglückselige, barbarische Zeit, in der es Nacht war in Polen, aber die junge Generation steht diesen Bemühungen sehr skeptisch gegenüber und betont immer wieder in den Unterhaltungen mit ausländischen Gästen, daß man auf diese Weise eine Versöhnung zwischen den Völkern nicht vorbereiten kann.“ (Richter 1962a, 33) Richters Verallgemeinerung über die ‚junge Generation‘ Polens widerspricht sowohl einer entgegengesetzten Hirschauers als auch dem Bild von Deutschen und Polen, mit dem Guggomos seinen Bericht eröffnet. Hirschauer berichtet: „Auf unserer Reise begegneten uns zahllose Schulklassen beim anschaulichen Geschichtsunterricht: in den Domen Schlesiens, im Wawel und der Marienkirche und den zahlreichen Museen Krakaus, in alten Schlössern und Herrensitzen, in Auschwitz und im Getto – erstaunlich die konzentrierte Aufmerksamkeit und Teilnahme der Kinder an der Belehrung durch ihre Lehrer. Die Polen unterschlagen nichts aus ihrer Geschichte“ (Hirschauer 1962, 391). Und Hirschauer wendet auf Deutsche an, was Polen tun: „Sie verwurzeln ein National- und Geschichtsbewußtsein in den Herzen ihrer Bevölkerung und vor alemm [sic] ihrer Kinder (von der Methodik des Geschichtsunterrichts könnten sich viele Geschichtslehrer bei uns eine Scheibe abschneiden).“ (391) Mit einem Vergleich endet auch die Szene, mit der Guggomos seine Reisebeschreibung am Krematorium I beginnt: „Zufall hätte es sein können oder Regie: Zusammen mit zwei Schulklassen aus Lodz standen 160 Berliner Falken vor Ofen I in Auschwitz. ‚Obwohl dieser Ofen nur kurze Zeit in Betrieb war, wurden in ihm doch rund 70 000 Leichen verbrannt‘, erklärt der Auschwitz-Führer. Polnische Mädchen aus Lodz, deutsche Jungen aus Zehlendorf und Kreuzberg schwiegen miteinander. Daß polnische und deutsche Jugendliche das Vernichtungslager Auschwitz gemeinsam besuchten, war
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keine Regie. Wohl jede deutsche Besuchergruppe in Auschwitz wird auf polnische Besucher treffen. Freilich trifft nicht jede polnische Gruppe auf Deutsche.“ (Guggomos 1962) Sowohl im „Vorwärts“ und „blickpunkt“ als auch in der „Jungen Welt“ wird das in Auschwitz Gesehene ausführlicher beschrieben als in Irmgard Schuchardts Auflistung, aber nur in Guggomos’ Bericht wird wiederholt „der Führer“ zitiert, der den Gang der Gruppe bestimmt und auf dem Richters Bericht beigegebenen Foto aus einer Gruppe von Jugendlichen heraus mit einem Zeigestock auf ein Modell weist: „‚Man hat alles so gelassen wie es war‘, erläutert der Führer.“ (Guggomos 1962) Aber von einem „nationalpolnischen“ „Lagerrundgang“ (Knoch 2001, 772) kann keine Rede sein, obwohl das allen drei Berichte gemeinsame Gesehene sich „auf das Stammlager beschränkt“ (774): Block 11 und die Effekten im Museum. Guggomos, der im Präsens kommentiert, rahmt seine Beschreibung durch die Wiederholung des einleitenden Satzes am Schluss: „In Auschwitz ist das Grauen anonym“, um den „Folgen des Massenterrors“ in Auschwitz „die Folgen des Individualterrors […] in Palmiry bei Warszawa“ gegenüberzustellen: „Tausende von Grabkreuzen, dazwischen schlichte Steine mit dem Davidsstern für ermordete jüdische Bürger […]. Polnische und jüdische Widerstandskämpfer liegen hier begraben.“ (Guggomos 1962) Während er in Palmiry einen Namen einer „Inschrift“ abliest: „Janusz Kusocinski. Hier liegt der von den Deutschen ermordete Olympiasieger von Los Angeles 1932 über 10 000 m“, zitiert er im Block 11 den Führer, um zu kommentieren: „‚Hier mußten sich die Männer ausziehen, bevor sie erschossen wurden.‘ Alles hatte seine nach Geschlechtern getrennte Ordnung.“ (Guggomos 1962) Dieser Kommentar nimmt eine in Wiederholung oder Variation schon angelegte Bewertung des in „Auschwitz I“ Gesehenen auf, z. B. der „Steinhäuser“ als „solide“, die sarkastisch gewendet wird: „Es sieht wirklich solide aus. Beinahe human.“ (Guggomos 1962) Entsprechend werden im „spartanisch eingerichtete[n] deutsche]n] Bürokratenzimmer“ die „sorgfältige[…] gotische[…] Fraktur“ des Wandspruchs wahrgenommen und im Museum „Dinge, die in der Eile nicht mehr ‚verwertet‘ werden konnten“: „einige Tonnen Frauenhaar“, „einige tausend“ „Gebisse, Brillen und Koffer“. Richter, der im Präteritum die Gefühle der Falken-„Delegation“, das von ihr Gesehene und Gehörte berichtet, stellt dem Bericht über „Auschwitz und Birkenau“ Zitate aus der Rede des Landesvorsitzenden der Westberliner Falken Harry Ristock voran, die er vor dem „ausgebrannte[n] Gebäude“ des Warschauer Ghettos hielt, das „als stummes Zeugnis für das Leid, das die 400 000 Bewohner dieses Viertels durchstehen mußten, erhalten bleiben soll […] mit der Inschrift: ‚In dieses Haus trieben die Nazis mehrere tausend Juden, dann schlossen sie es ab und steckten es in Brand.‘“ (Richter 1962b) Richter markiert nicht die Widersprüchlichkeit in Ristocks Antwort auf die Frage „Wie war das möglich[?]“: „‚Das, was asozial und kriminell veranlagt war, hatte in Deutschland die Macht an sich gerissen […]‘, das deutsche Volk sei auch heute noch nicht gesund, weil die Ursachen, die zum Nationalsozialismus führten, noch immer nicht aufgehoben sind.“ (Richter 1962b)
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Die Gefühle von „Traum, Scham und Zorn“ beziehen sich auf in Birkenau Gesehenes: „die Baracken mit den vier Meter breiten Zementpritschen“, und „in einem der Krematorien“ Gehörtes: „Sie […] hörten die Zahl von vier Millionen hingemordeter Häftlinge aus vielen Nationen“ (Richter 1962b). Aus dem im Museum im Stammlager Gesehenen hebt Richter nicht nur „die Berge von Menschenhaaren“ hervor, sondern auch „die Zangen, mit denen die Goldzähne der Toten ausgebrochen wurden, und die Folterwerkzeuge“ (Richter 1962b). Herbert Thurs Bericht für die „Junge Welt“ ist der einzige, in dem die 1. Person Singular benutzt wird: „Ich konnte es miterleben, wie diese jungen Menschen aus Westberlin innerlich aufgewühlt wurden angesichts der furchtbaren Zeichen vergangener Verbrechen der faschistischen Mordplaner und Mörder“ (Thur 1962).Wiederholt betont Thur: „Ich sah die Erschütterung – manches Wort verstummte auf den Lippen oder wurde nur geflüstet – […] Tränen in den Augen […] manche[r] Mädchen, mancher Junge[n]“. Block 11 und die Effekten des Museums werden in der am Anfang des Artikels dem Verlauf des Gangs vorgreifenden Beschreibung des im Stammlager Gesehenen zusammengefasst unter dem Begriff des Massenmords: „Sie standen im Block 11 […] den stummen Zeugen des größten Massenmordes der Weltgeschichte gegenüber: Meterhohen Bergen von Frauenhaaren […], Tausenden von kleinen Schuhen, letztes Zeichen der Kinder, die nackt auf bloßen Füßen in die Todeskammern trippelten; Stapeln von Koffern mit Namensinschriften (‚geboren 1941‘), ein Meer von Rasierpinseln, Töpfen…“ (Thur 1962) Nach einem kurzen Rückgriff auf Kranzniederlegungen in Palmiry und Warschau zitiert Thur aus Ristocks Rede vor der Todeswand, wobei er betont: „Unter dem Eindruck der tiefen Empörung der ‚Falken‘ über die faschistischen Schandtaten erklärte […] Ristock: ‚Wir, die wir aus diesem Volke kommen, das die Verbrechen verantworten muß, tragen mit Schuld… An den Opfern ist keine Wiedergutmachung möglich. Durch unser Tun können wir ein wenig gutmachen von dem, was die Faschisten dem polnischen Volk angetan haben.‘“ Obwohl die beiden dem Artikel beigegebenen Fotos die Kranzniederlegung „im Exekutionshof des ehemaligen KZ Auschwitz“ und „vor dem Ehrenmal der GhettoHelden in Warschau“ zeigen, beschränkt sich Thur in den folgenden acht Absätzen ausschließlich auf die „große[n] Diskussionen“, die Ristocks „Gedenkrede“ in Auschwitz „innerhalb der ‚Falken‘-Delegation“ (Thur 1962) ausgelöst habe. Zum einen zitiert Thur Westberliner Falken, die nicht namentlich, sondern nach ihrem Wohnbezirk bezeichnet werden, wie den Schöneberger, der Ristock kritisiert, dass er „weder hier noch in Westberlin sagt […], was er unter dem Tun versteht“, „damit“ – wie ein Kreuzberger zitiert wird – „nie solch eine schreckliche Zeit wiederkehrt“, zum anderen „[p]olnische Freunde“ in Krakau, die „ein klares Bekenntnis des ‚Falken‘-Verbandes zur Oder-Neiße-Linie und die diplomatische Anerkennung der Volksrepublik Polen gefordert“ haben. Thur macht sich die Stellungnahme des bereits zitierten Schöneberger Falken-Mitglieds zu eigen: „‚Wenn wir keine Konsequenzen aus unserer nunmehr dritten Auschwitz-Fahrt ziehen, dann verlieren wir unser Gesicht‘“, um einerseits die Aufhebung eines Beschlusses des Bundesvorstands zu verlangen, „der den Mitgliedern den antimilitaristischen Kampf im Rahmen des Ostermarsches verbietet“,
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und andererseits „die Forderung nach Absetzung des Prozesses […] gegen die […] VVN“ vor dem Bundesverwaltungsgericht (Thur 1962). Allerdings zeigen auch die Artikel von Richter und Guggomos interne Differenzen unter den Sozialdemokraten, die die dritte Auschwitz-Reise der Falken betrafen. Während Richter im „blickpunkt“ schrieb: „Der Berliner Senat hatte kurz vor Antritt der Reise aus formalistischen, politischen und vielleicht auch wahltaktischen Erwägungen die in Aussicht gestellten Zuschüsse für diese Reise gesperrt“ (Richter 1962b), blieb Guggomos im „Vorwärts“ vager: „Außenpolitische Bedenken zuständiger Stellen hatten eine ‚Bezuschussung‘ verhindert. […] Den Polen sind die finanziellen Umstände dieser Fahrt nicht bekannt. Den Deutschen sollten sie bekannt gemacht werden; damit sie wissen, daß Wiedergutmachung faschistischer Willkür nicht allein eine Sache ist, die mit dem Bundeshaushalt zu tun hat.“ (Guggomos 1962)¹ Aber im November 1962 verlangte das Auswärtige Amt vom DGB-Bundesvorstand „Auskunft über beabsichtigte Reisen von Gruppen bundesdeutscher Gewerkschafter in die Tschechoslowakei oder Polen“ (Hildebrandt 2010, 453), nachdem erstmals 1961 der IG Metall-Jugendausschuss mit einer „‚Auschwitzfahrt‘“ eine „Durchlöcherung des Kontaktverbotes“ (449) des Internationalen Bunds Freier Gewerkschaften praktiziert hatte, obwohl der DGB-Bundesvorstand dies Verbot bei der Ablehnung eines Antrags der Westberliner Gewerkschaftsjugend, „zum Besuch der Gedenkstätte nach Auschwitz [zu] reisen“, im April 1960 (451) bekräftigt hatte und nochmals im Juli 1962 (452) bekräftigen würde. Ansgar Skriver, der 1960 in der Falken-Zeitschrift „junge gemeinschaft“ über deren erste Reise nach Auschwitz geschrieben hatte: „Mit Polen zu reden, heißt etwas tun“ (Skriver 1960), veröffentliche 1962 im evangelischen Kreuz Verlag, in dem er ein Jahr später Lektor wurde, das Buch „Aktion Sühnezeichen. Brücken über Blut und Asche“, in dem er für die 1958 gegründete Organisation dasselbe Bild benutzte, mit dem Erich Richter seinen Bericht über die dritte Reise der Falken nach Auschwitz abschloss, doch wenn Richter betonte: „Die ‚Falken […] sind nach Polen gefahren als die Botschafter Westberlins und haben als erste ihre Hand ausgestreckt zu einer versöhnenden Geste“ (Richter 1962b), hieß es bei Skriver, Aktion Sühnezeichen „kann aber nur als ausgestreckte Hand […] verstanden werden“ (Skriver 1962b, 14). Er erklärte die Umbenennung der ursprünglich Versöhnungszeichen genannten Organisation, „weil der Begriff der Versöhnung eine Zustimmung des verletzten Partners voraussetzt“ (15), diese aber nicht vorauszusetzen, sondern durch Schuldbekenntnis und Sühne zu gewinnen sei. Ähnlich betont Helmut Gollwitzer in seinem „Geleitwort“ zu der gleichfalls 1962 erschienenen Anthologie „Selbstzeugnisse des deutschen Judentums 1870 – 1945“ für den Schuldigen die Notwendigkeit, „mit der Bitte um Vergebung und Frieden, die Strafen anzunehmen und Sühneleistungen zu vollbringen“ (Borries 1962, 6). In dem auf der Spandauer Synode der EKD von Lothar Kreyssig verlesenen Gründungaufruf hieß es 1958: „Wir Deutschen haben den Zweiten Welt-
Vgl. zu den Bundeszuschüssen Schmidt 1987, 111, 117.
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krieg begonnen und schon damit mehr als andere unmessbares Leiden der Menschheit verschuldet. Deutsche haben in frevlerischem Aufstand gegen Gott Millionen von Juden umgebracht.Wer von uns das nicht gewollt hat, der hat nicht genug getan, es zu verhindern.“ (Troppenz 2019, 165) Die Ermordung der europäischen Juden war nicht „alleiniger historischen Bezugspunkt“ im Gründungsaufruf, wenn Kreyssig begründete, dass „Polen, Russland und Israel […] zuerst angesprochen werden sollten, da Deutschland ihnen ‚wohl am meisten wehgetan‘ habe“ (165). Im zitierten „Geleitwort“ setzte Gollwitzer einen anderen Akzent, wenn er betonte: „Die Ausstoßung der Juden aus dem Deutschtum […] hat die Brutalität gegen die anderen, gegen die Polen, Tschechen, Russen und Zigeuner zur Folge gehabt. Deutschland wird aus seinem Untergange nicht zu neuem Leben kommen, wenn es das nicht eingesehen und bereut, darin nicht umgedacht, dafür nicht Versöhnung erbeten hat.“ (Borries 1962, 9). Noch anders, nämlich als vorausgesetzte Zustimmung ohne Schuldbekenntnis, akzentuierte „Versöhnung“ der Herausgeber der fünf Jahre später als in der DDR erschienenen bundesrepublikanischen Lizenzausgabe von „Im Feuer vergangen. Tagebücher aus dem Ghetto“, der Redakteur des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“ der EKD Johann Christoph Hampe, der nicht nur die Reihenfolge der fünf Tagebücher geändert, sondern auch durch erhebliche Kürzungen den Umfang des Buchs halbiert hat; er präsentiert die vier Tagebuchschreiberinnen und den einen Tagebuchschreiber letztlich als „unsere Brüder, wenn dieser hohe Name eine Brücke schlagen kann“ (Im Feuer vergangen 1963, 12), um im Bild der Familie fortzufahren: „Eine neue Generation wächst heran. Noch immer wissen Väter nicht, was sie ihr sagen sollen. Sie können nur auf die Zukunft verweisen. […] Der Jugend, die noch viel weniger von der Verwirrung jener Zeit versteht als wir selber, ja, uns ratlos und fragend anblickt, können wir nichts besseres [sic] antun, als sie mit den Opfern zu befreunden. […] denn Schuld ist nicht übertragbar und die Tribunale haben gesprochen. Aber wir können nichts dawider haben, daß Liebe übertragen wird. Jugend wird ihresgleichen erkennen in diesem Buch.“ (12/13) Die rhetorische Frage, mit der das Vorwort schließt, ob die toten Tagebuchschreiberinnen „ungealtert“ gleichaltrig mit dem bundesrepublikanischen ‚jugendlichen‘ Adressaten der Sammlung „noch einmal zu uns zurückkommen“, „um […] zu sagen, daß der Haß der Väter seine Stunde hatte, wenn die Söhne den Ruf der Versöhnung hörten“ (13), wird beantwortet, wenn die philosemitische Wendung aufs antisemitische Klischee zurückgreift, um die Kommunistin unter den Tagebuchschreiberinnen antitotalitaristisch zu denunzieren: „Dorka Korngold berichtet davon […] nichts“, „daß die Beziehungen zwischen dem Jüdischen Kampfbund nicht von der Offenherzigkeit waren, die eine umfassende gegenseitige Hilfe, namentlich eine Hilfe der Polen für die ungleich stärker bedrängten Juden nötig gemacht hätte […]. Sie ist weniger eine Partisanin des Judentums als eine Führerin kommunistischer Jugend […], die sich keine Träne erlaubt und für ihr Volk List mit List und Gewalt mit Gewalt vergilt, obwohl das Ende nur der Tod sein kann“ (9).²
Vgl. den Umgang mit politischen Differenzen in der Rezension des „Sonntag“, die das Buch zunächst
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1962/1963 erschienen in der Bundesrepublik und in DDR jeweils zwei Bücher über Polen – in allen spielte Auschwitz eine Rolle, aber nur in den beiden in der DDR erschienenen war „der Mord an den europäischen Juden“ „ein eigenständiges Thema“, was er, wie der Historiker Norbert Frei (2005, 157) behauptet, „dort im Grunde nie geworden“ sei.
2 August Scholtis und Hans Joachim Orth aus der BRD in Auschwitz, aus der DDR Ben Budar (1962) Der DDR-Autor sorbischer Nationalität Ben Budar versicherte zwar im Einleitungskapitel, dass seine „Reisebilder aus den polnischen West- und Nordgebieten“ „kein ‚Anti-Wassermann‘ sein“ (Budar 1962, 14) wollten, aber schon die Wahl einer Figur der kaschubischen „Volkssage“ – Smentek – für den Titel der Einleitung „Auf der Suche nach Smenteks Erbe“ setzt eine ganz andere historische Dauerhaftigkeit der 1957 von Charles Wassermann publizierten Reisebeschreibung „Unter polnischer Verwaltung“ entgegen, die durchgängig nachzuweisen versuchte, wie bereits zitiert, dass „dahier deutsches Gebiet war, ist und immer sein wird“ (Wassermann 1957, 235). Smentek, der vom Teufel über den „böse[n] Dämon“ „der Geschichte“ zum „Symbol“ von „Leid und Gewalt, Unterdrückung und Krieg“ geworden sei, ist bei Budar eine mythologische „Maske“, unter der die Dauer im Wechsel von „Kolonisatoren“, „‚preußischen Junker[n]‘“ und „‚großdeutsche[m] Herrenvolk‘“ zu erkennen sein soll (Budar 1962, 12/13). Dagegen fungiert solche Kontinuität als eine der Kultur unhinterfragt positiv bei Wassermann, während seit 1945 das ‚deutsche Land‘ in einer „grüne[n] Wüste“ (Wassermann 1957, 224) zu verschwinden drohe. In der Smentek-Figur fasst Budar nicht nur die entgegengesetzt bewertete Dauerhaftigkeit, nämlich die Gefahr einer Wiederholung (Budar 1962, 13) von deutscher, gegen slawische Völker gerichteter Gewalt und Unterdrückung, sondern insbesondere auch Auschwitz. Markus Krzoska (2004, 372) behauptet: „Der Smentek-Topos wird allerdings nirgendwo näher interpretiert“, und auf Budars Besuch von Auschwitz kommt er nicht schon zu sprechen, als er eingeräumt hat: „Das Grauen, das die Deutschen in Polen hinterlassen haben,
in Traditionen stellt: „Das Buch – auf dem Umschlag trägt es den Davidstern – setzt die Erlebnisberichte des antifaschistischen Kampfes fort. Es ergänzt Bredels ‚Prüfung‘ und Langhoffs ‚Moorsoldaten‘ […], Nekrassows ‚In den Schützengräben von Stalingrad‘ […] und Greulichs ‚Zum Heldentod begnadigt‘ […]. Jedes Kapitel ist eine neue ‚Reportage – unter dem Strang geschrieben‘, ein Zeugnis seelischer Größe und unbeugsamen antifaschistischen Kampfgeistes, verfaßt im Angesicht des Todes.“ (Carol 1959, 8) Dann thematisiert Dirk Carol die Unterschiede: „Abgesehen von der Sozialistin Dorka Korngold stammen die Verfasser aus bürgerlichem Haus. Daraus erklärt sich, daß die politischen Einschätzungen nicht immer den historischen Sachverhalt klar genug widerspiegeln. Die Autoren unterscheiden nur zwischen Semiten und Antisemiten. Sie kannten nur ‚die‘ Deutschen, ‚die‘ Ukrainer, ‚die‘ Letten und sahen nicht, daß man auch differenzieren muß, so wie sie scharf zwischen jüdischen Kämpfern und Quislingen unterschieden. Daß die Gejagten nur die Wölfe sahen, ist erklärbar und verständlich.“ (8)
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wird offen angesprochen, sogar das Schicksal der Juden wird recht deutlich erwähnt, was für Arbeiten aus der DDR jener Jahre durchaus nicht selbstverständlich war“ (372), sondern erst, als es ihm um Budars „aus heutiger Sicht“ „peinlich wirk[ende] „durchgehalten[e]“ „Verwendung der polnischen Orts- und Landschaftsnamen“ geht: „etwa wenn vom Vernichtungslager Oswiecim die Rede ist, ganz so, als ob es die Polen selbst betrieben hätten“ (373).³ Die Gedenkstätte wird im dritten Abschnitt des zweiten Kapitels von Budars Reisebeschreibung besucht: „4 Millionen fielen hier Smentek zum Opfer“ (Budar 1962, 24– 30). Der Erzähler beantwortet hier eine der Fragen, die er in der Einleitung aufgeworfen hat: „Findet man heute, im Jahre 1961, noch Smenteks Spuren? Oder sind die Wunden, die er geschlagen, vernarbt, verheilt? Spukt sein Geist noch? Wirkt seine Wut noch nach?“ (13) Die Antwort des Auschwitz-Abschnitts wird in dessen Schlusssatz zusammengefasst: „Abgrundtief hat Smentek in Oswiecim seine blutige Spur hinterlassen.“ (30) Wenn die Ankunft des zusammen mit einem Polen Reisenden geschildert wird, setzt der Erzähler einen Kontrast zu Landschaft und Erscheinungsbild des mit dem polnischen Namen benannten Reiseziels: „Nichts Außergewöhnliches. Und doch ist der Name dieser Stadt um die Welt gegangen. Weniger unter seiner landesüblichen Bezeichnung ‚Oswiecim‘, mehr als der grauenerregende Begriff ‚Auschwitz‘.“ (25) Obwohl der Reisende und sein Begleiter meist als ‚wir‘ erscheinen, löst der Erzähler das ‚Ich‘ des Reisenden heraus, wenn es um die Wirkung der „in großen Buchstaben“ auf den Inschriften stehenden „deutschen Worte“ geht: „Die Umgebung scheint […] in die Vergangenheit zurückzuversetzen“ (25) Auf ähnliche Weise spaltet
Über die Frage der Ortsnamen hinaus ging Günter Görlich, der im November 1963 mit einer kleinen DSV-Delegation in Polen zwar nur „wenige Tage“ gereist war, aber aus „zahlreichen Begegnungen“ mit polnischen KollegInnen u. a. folgende „wesentliche Frage“ (Görlich 1964, 168) mitgebracht hatte: „Sie meinten […], daß es in unserer Literatur im Verhältnis zu Polen eine Lücke gibt, nämlich – was von Westdeutschland auf ganz andere Weise, gegen uns, ausgenutzt wird – innere Probleme solcher Menschen, die einmal in diesen Gebieten gelebt haben, echt zu gestalten“ (170). Im Verbandsorgan wies Görlich auf eine Konferenz im Mai 1964 hin zum „Thema ‚Probleme der Schuld und die Auswirkung nach dem Kriege‘“ als „Gelegenheit […], mit den polnischen Kollegen näher in Kontakt zu kommen“ (171). Zwei Jahre später erschienen in der „NDL“ Auszüge aus einer Erzählung des sorbischen Autors Jurij Brezan, die als „Die Reise nach Krakau“ 1966 im Verlag der FDJ Neues Leben erschien und die Schwierigkeit, ‚innere Probleme solcher Menschen, die einmal in diesen Gebieten gelebt haben, echt zu gestalten‘, dadurch belegte, dass in der Schlüsselszene der Liebesgeschichte der in den Westen gegangene, aus Poznan stammende, seit 18 Jahren in Argentinien lebende jüdische Architekt Posener, dessen Schwester in Auschwitz ermordet wurde, die in der Volksrepublik Polen gebliebene Tochter des deutschen Polizisten, der die Schwester inhaftiert hatte, im Auto fährt, ohne zu sagen, wohin: „Ich fuhr sehr schnell. Als das Lager vor uns auftauchte, fragte Barbara: ‚Fahren wir dahin?‘ ‚Oswiecim‘, sagte ich, ,oder Auschwitz, wie du willst.‘ Barbara fragte: ‚Warum jetzt?‘ Ich antwortete nicht. Wir sprachen kein Wort, weder vor dem Krematorium noch unter dem Lagertor, das Freiheit durch Arbeit versprach, noch vor den Puppen, die die Kinder bei sich gehabt hatten und denen das Zyklon B nichts hatte antun können. Langsam erfror mir das Denken im Kopf, und was ich noch sah, sah ich nicht.“ (Brezan 1966b, 64)
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der Erzähler, der die Erklärungen des Begleiters zitiert, die Wahrnehmungen des Reisenden: „Nur mit halbem Ohr höre ich die Worte unseres Begleiters“ (25). Von seinem Zitat aus der „satanischen“ Ansprache des Lagerführers Fritzsch: „‚einen einzigen Ausgang: durch den Schornstein‘“ (25), über seine Zahlenangaben: „Vier Millionen: das ist […] die Bevölkerung eines Landes wie Finnland oder Dänemark“ (26), bis zu den drei Namen, die der Reisende den Koffern abliest: „Stanislaw Krupski, geb. 1941, Kleinkind… Dawid Lewy, geb. 1938… Singer Leon, geb. 1884…“ (26) – betont wird, dass „die Mehrzahl“ der Opfer Juden waren: „‚Es waren Menschen aller Berufe, vom Kind bis zum Greis.‘“ (26) Zwischen dem Gehörten und dem Gesehenen macht der Erzähler einen Unterschied: „Wir eilen von Ort zu Ort, von Raum zu Raum, um wenigstens mit dem Auge das Ausmaß des Grauens zu erfassen; der Verstand könnte es nie und nimmer.“ (26) Aus der in einem Korridor angeschlagenen Zahl der 4 Millionen werden einige Nationen – darunter nach „Polen und Juden“ „Bürger der Sowjetunion, Jugoslawiens und Frankreichs“ auch „deutsche“ „Häftlinge“ (und das „im Jahre 1961 im ehemaligen Block 13“ „eingeweiht[e]“ „Denkmal für den Kampf der deutschen Antifaschisten“)⁴ herausgehoben, um dann doch zu betonen: „Nur wenige haben den Terror überlebt, darunter Bruno Baum und Prof. Stefan Heymann“ (26). Die Neuausgabe von Bruno Baums 1949 als „Bericht der Internationalen Lagerleitung“ erschienener „Widerstand in Auschwitz“ war 1962 in einer wiederum bearbeiteten zweiten Auflage erschienen, aber Stefan Heymanns Broschüre „Marxismus und Rassenfrage“, die 1948 darauf hingewiesen hatte: „Auch in Deutschland, das doch die schlimmsten Erfahrungen mit den verheerenden Auswirkungen der Rassenideologie gemacht hat, gibt es noch Elemente, die mit Überheblichkeit auf andere Völker, vor allem die slawischen, herabblicken“ (Heymann 1948, 8), war nicht wieder gedruckt worden.⁵ Budars Auflistungen vieler Arten von gesehenen Gegenständen, „von denen jeder eine Anklage bedeutet und eine Erinnerung an die Verbrechen“ „der Gehilfen des Teufels Smentek“ (Budar 1962, 26), mündet zunächst in eine unbeantwortbare Frage: „Die Frage ‚Wem mögen sie gehört haben?‘ ist genauso irreal, als ob man nach dem Schicksal jedes einzelnen forschen wollte. Sie sind im Reich der Nummern und Zahlen verschollen. Und doch sollte ich“, fährt der Erzähler mit einem auffälligen Wechsel vom Präsens der bisherigen Beschreibung ins Präteritum fort, das aber in die Zeit nach dem Besuch der Gedenkstätte vorausdeutet, „wenige Tage später die Gelegenheit haben, das Schicksal eines Menschen aus dem Millionenheer der Namenlosen, der in das Land der Namensträger zurückgekehrt ist, persönlich kennenzulernen. Es war der ehemalige Häftling mit der Nr. 31.“ (27) Im Folgenden erhält der Ingenieur Stanislaw
Vgl. hierzu Wojcicka 2005, 274. Vgl. aber Dieter Schlenstedts (2019, 186) Hinweis darauf, dass der Autor einer im selben Jahr wie die Heymanns erschienenen Broschüre „Antisemitismus und Rassenhetze. Eine Übersicht über ihre Entwicklung in Deutschland“ (Kahn 1948), Siegbert Kahn, 1960 „Dokumente des Kampfes der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung gegen Antisemitismus und Judenverfolgung“ veröffentlicht hatte.
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Ryniak, der der erste nicht-deutsche Häftling in Auschwitz war, der die Nummer nach 30 deutschen ‚Berufsverbrechern‘ erhielt (Stanislaw Ryniak 2004), das Wort zu einem Bericht, „wie er es wohl schon Hunderte Male getan hat, als wäre es eine gewöhnliche Episode“ (Budar 1962, 27). Wiederum fasst der Verstand des Reisenden nicht, was er hört: „Während mir Stanislaw Ryniak […] erzählt, […] bewegt meine Gedanken die Frage: Wie war dabei noch menschliches Leben möglich?“ (27) Der Erzähler wechselt mitten im Gespräch zunächst nach Birkenau und dann ins Stammlager, um dort aber die Wahrnehmungen der Asche und hier des Galgens über Zitate aus den Erinnerungen von Höß – die mit „‚treudeutscher‘ Genauigkeit“ „die Einzelheiten seiner schaurigen Blutpraxis“ schildern (29) – mit der Strafverfolgung der Nachkriegszeit bzw. mit den diese verhindernden ökonomischen und politischen Kontinuitäten in der BRD zu konfrontieren. Immer wieder wird betont, dass „vornehmlich“ Juden der „Massenliquidation“ durch Gas zum Opfer fielen (28), was die Zitate aus Höß’ Erinnerungen ebenso unterstreichen wie der Kommentar zum Eichmann-Prozess: „Erst nach 15 Jahren gelang es, ihn vor das Gericht jenes Volkes zu bringen, bei dessen ‚Endlösung‘ er Millionen auf dem Gewissen hat.“ (30) Der Freispruch hingegen für den Generaldirektor des Zyklon BHerstellers Degesch in Frankfurt/M. 1955⁶ wird verallgemeinert: Die „Mordgesellen Smenteks“, „diejenigen, die einst in diesem Vernichtungslager ihre grausamen Bluttaten verübten […] leben als ‚treubrave‘ Bürger in der westdeutschen Bundesdemokratie, die den Mörder von gestern zum Minister und Staatssekretär, zum Direktor und General von heute beförderte.“ (Budar 1962, 29) Von der Asche von Birkenau und dem „Galgen von Oswiecim“, an dem Höß starb und der Adressat rhetorisch gefragt wird: „Seitdem steht der Galgen verlassen da, als habe er seine Funktion erfüllt. Hat er das wirklich?“ (29), kehrt der Erzähler zunächst zum zeitlich späteren Gespräch mit dem Überlebenden zurück: „Und ich sah im Gesicht Stanislaw Ryniaks eine traurige Erinnerung an Smentek“ und „merkte dabei, daß er gegen die ‚Deutschen‘ keinerlei Haß oder Bitterkeit empfand. Aber […] auf […] jene, die die Grenzen an Oder und Neiße mit Gewalt verändern wollen“ (30), dann zum Abschluss des Besuchs der Gedenkstätte: „Nie wieder Auschwitz! Dies schwört sich jeder Besucher, der, ergriffen vom Erlebten, wieder das Tor mit der Aufschrift ‚Arbeit macht frei!’ in Oswiecim durchschreitet. Abgrundtief hat Smentek in Oswiecim seine blutige Spur hinterlassen.“ (30) Ähnlich zentral wie in Budars Polen-Reisebeschreibung ist die Erinnerung an die Judenvernichtung in der ein Jahr später erschienenen von Kurt David, obwohl sie keine Beschreibung von Auschwitz enthält. Denn Davids Reise steht von Anfang an im Zeichen Janusz Korczaks (David 1963, 14), so dass Treblinka als Gedenkstätte besucht wird. Aber Auschwitz wird in Krakau zum Thema des Gesprächs des Reisenden mit einem ehemaligen Häftling des Lagers, einem Lehrer, der den Erzähler dazu motiviert, das Zitat aus Mickiewicz nachzuschlagen, bei dessen Lektüre mit seinen Schülern der Lehrer verhaftet wurde (111– 113): „So wird über Sturm und Toben/ ein Stern im
Vgl. Fischer/Lorenz 2007, 129.
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Dunkel aufgehen./ Menschliche Welt noch nächteverhangen,/ wer darf dem Mensch das Menschsein entreißen? […] Frührot der Freiheit, wir grüßen! Die Sonne wird uns erlösen.“ (112). Das Vernichtungslager erscheint als das andere einer humanistischen Kultur schon vorher in den Reflexionen des Erzählers über Hans Frank, der Mitleid nur mit Deutschen zu haben forderte und 1944 „verkündete […]: ‚Wenn wir den Krieg einmal gewonnen haben, dann kann meinetwegen aus den Polen und den Ukrainern und dem, was sich hier herumtreibt, Hackfleisch gemacht werden, es kann gemacht werden, was will.‘“ (110). Im Vergleich zur gleichermaßen zentralen Stellung der Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden bei den DDR-Autoren Budar und David fällt die Differenz zu den beiden bundesrepublikanischen Polenreisebeschreibungen auf, die 1962/1963 herauskamen. Sowohl in August Scholtis’ „Reise nach Polen“ wird an keiner Stelle der Darstellung einer „Omnibusreise nach Auschwitz“ (Scholtis 1962, 184) das Wort Jude benutzt als auch in Hans Joachim Orths „Diesseits und Jenseits der Weichsel“ nicht, dessen Untertitel „Der Schlüssel zum heutigen Polen“ bereits andeutet, dass es nicht so sehr eine Reisebeschreibung als ein landeskundliches Sachbuch ist, wenn auch betont wird, „basierend auf fünf Reisen in Flugzeug, Auto, Bus und Eisenbahn im Januar und September 1959, im April/Mai 1960, im Oktober/ November 1961 und im Juni 1962“ (Orth 1962, 18). Darin verzeichnet das Inhaltsverzeichnis „Auf der Fahrt nach Krakau: Besuch im früheren Vernichtungslager Auschwitz“ als ersten Unterabschnitt im siebten Kapitel „Visite in der alten Residenzstadt Krakau“, aber der Unterabschnitt füllt nur eine drittel Seite des etwas mehr als zwei Seiten langen Kapitels, während das vorangegangene über Warschau acht und das folgende über Nowa Huta sechs Seiten lang ist. Gerade die Kürze der Darstellung des „Besuchs“, die den Besucher nur in einem Satz im indefiniten Personalpronomen einschließt: „Die Erde, über die man hier schreitet, ist die Asche von Ermordeten“ (45), lässt in der Verbindung von historischem Bericht und Beschreibung des in der Gedenkstätte Sichtbaren superlativische Wertungen vorherrschen: „in den Jahren der deutschen Okkupation […] eine[r] der finstersten Ort der Erde“, „[k]eine Schändung […], die in diesen Hinrichtungsstätten nicht entsetzliche Wirklichkeit geworden“, „[w]ohl niemals seit dem Ursprung der Schöpfung hat die Menschheit sich mit solch bestialischer Schmach beladen“ (45), aber Schmach und Schande haben an den Verbrechen schuldige Subjekte, so lautet der letzte Satz: „es war Deutschen vorbehalten, das zu tun“ (45).Von dem in der „Erinnerungsstätte“ Sichtbaren werden zuerst „Gaskammern und Verbrennungsöfen“ und dann „Berge“ von Hinterlassenschaften „der Opfer“ genannt und zwar mit verknüpfenden Begriffen: erstere als „diese[…] Fabriken zur Vernichtung lebender Menschen“, letztere als zur „industriellen Verwertung“ (45) bestimmt. Habbo Knoch hat „[d]as Bild von Auschwitz als Ort eines modernen, fabrikmäßigen Tötens“ als „diskursive Verankerung von Auschwitz als Symbol der NS-Verbrechen“ (Knoch 2001. 890), überwiegend an Texten aus den Jahren 1964/1965 (Eugen Kogons, Martin Walsers und Horst Krügers), als „Kanalisierung […] noch präsenten Wissens um die verzweigte Täterstruktur der Tat“ (892) kritisiert: „Technik- und Ka-
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pitalismuskritik verschmolzen im Bild von Auschwitz als ‚Todesfabrik‘, das als Metasymbol die intellektuellen Verarbeitungen des Erschreckens angesichts der Tat aufzusaugen begann.“ (893) Knochs metaphorische Rede von Kanalisierung und Aufsaugen enthält einen Vorwurf, der jedenfalls den kurzen Text von Orth nicht trifft. Er setzt die Fahrt nach Krakau mit einem Blick auf „eine neue Stadt, ein neues Auschwitz“ fort: „Etwas seitab entsteht eine […] Wohnstadt der Arbeiter und Angestellten des neu entstandenen chemischen Kombinats, der Chemischen Werke Oswiecim, die für Polen die gleiche Bedeutung haben wie für uns die IG Farbwerke Bayer in Leverkusen – an der nach Krakau führenden Chaussee eine Kulisse aus Schonsteinen, neuen Wohnblocks und modernen Hochhäusern.“ (45) In seinem Vorwort bestimmt Orth, welche Art einer ‚intellektuellen Verarbeitung des Erschreckens‘ über Auschwitz er seinem Adressaten nahelegen will: „Wir sollten verstehen lernen, warum man dortzulande […] mit Mißtrauen und Sorge die bei uns eilends forcierte atomare Aufrüstung verfolgt.“ (20) Impliziert ist keine ‚Technik- und Kapitalismuskritik‘, sondern der ‚Schrecken‘ von ‚Massenvernichtung‘ in Auschwitz und Hiroshima: „Wenn ein deutsch-polnisches Gespräch zustande kommen soll, so müssen wir uns dessen eingedenk sein, daß wir den polnischen Partner nur dann von der Aufrichtigkeit unserer Bemühungen überzeugen können, wenn wir aus der politischen Realität die Konsequenzen zu ziehen bereit sind. Das Atomzeitalter läßt uns ohnehin nur die Möglichkeiten des Verhandelns. Jede andere Auseinandersetzung wäre Selbstmord und Mord zugleich.“ (21)⁷ Der „Charakter eines Plädoyers für eine echte Versöhnung mit dem polnischen Volk“ (K.S. 1963) wurde August Scholtis’ 1962/63 in „zwei kurz aufeinander folgende[n] Auflagen“ (Zybura 1997, 164) erschienener „Reise nach Polen“ in der Rezension der aus der Opposition gegen die Remilitarisierung hervorgegangenen „Deutschen Volkszeitung“ zugeschrieben. Der Verleger Karl Rauch beendete seine Besprechung in der Westberliner SPD-Zeitung „Telegraf“ mit emphatischer Zustimmung zu einem Scholtis-Zitat: „Scholtis schließt sein Buch mit dem Satz: ‚Es ist höchste Zeit, daß Deutsche und Polen sich endlich offen ins Auge schauen und versöhnungsbereit die Hände entgegenstrecken.‘ Auf, damit laßt uns anfangen.“ (Rauch 1962) Die Tatsache, dass der Attaché der Militärmission Polens in Westberlin nach der Lektüre von Scholtis’ in der „FAZ“ (1.10.1960) erschienener „Böhmische Reise eines Herrn aus Bolatitz“ ihn nach Polen eingeladen hatte, benutzte der Rezensent der „Zeitschrift der Landsmannschaft Weichsel-Warthe“ zur abschließenden, denunziatorisch gemeinten rhetorischen Frage: „Ob wohl der Pressechef der Berliner Militärmission […] zufrieden sein dürfte?“ (F.W. 1963, 33)
Das Buch erschien im dem westdeutschen Kulturbund verbundenen Progress-Verlag Johann Fladung, den Klaus Körner als „Fortleben des politischen Exils“ (in Großbritannien) „in der Bundesrepublik“ beschrieben hat, wozu er auch die Tätigkeit eines Verfassungsschutz-V-Manns im Kulturbund rechnet (Körner 2004, 218, 230, 232), die wiederum erklärt, dass Fladung mit über 50 Seitenangaben im Personenregister von „Die trojanische Herde“ (Richter 1959, 305) einer der ‚prominentesten‘ Überwachten ist.
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Auch wenn der Scholtis-Herausgeber Joachim J. Scholz bestreitet, dass es in der zeitgenössischen Rezeption eine „große Kontroverse“ (Scholz 1993, 117)⁸ gegeben habe, belegen die Rezensionen vor allem in der Presse der Vertriebenenverbände einen „Gegensatz“ in der Frage westdeutscher Versöhnungsbereitschaft, auch wenn deren Ablehnung unterschiedlich scharf formuliert wird, von Otto Graf von Pückler, den es in „Der Schlesier“ „nachdenklich“ „stimmt“, „[d]aß gerade“ Scholtis, der sich „bemüht“, „Versöhnung zu stiften“, „sowenig [sic] Hoffnung auf Ausgleich zwischen Deutschen und Polen sieht“ (Pückler 1963), über F. W.s Vorwurf „einer Geschichtsklitterung, die man heutzutage allseits aus Illustrierten zur Genüge zu kennen glaubt“ (F.W. 1963, 32), in „Der Kulturwart. Zeitschrift der Landsmannschaft Weichsel-Warthe“, und dem von H. M. im „Ostdeutschen Literatur-Anzeiger“, dass Scholtis’ „unkontrolliert[es]“ „Temperament auch das Tatsachengerüst ins Schwanken bringt“ (H. M. 1963), bis zu -o- im „Eichstätter Kurier“: „Besonders aber vermißt man bei den Gesprächen mit [Polen…], die mit ihren Ansichten zu Wort kommen, ein Plädoyer – wenn auch nur behutsam vorgetragen – für Gerechtigkeit gegenüber den eigenen unschuldig hinausgepeitschten Landsleuten. Statt dessen [sic] huldigt Scholtis der Kollektivschuld-These. So beunruhigt ihn beim Besuch in Auschwitz auch keineswegs die Tatsache, daß in diesem Vernichtungslager 1945/46 unter rotpolnischer Regie Tausende von Volksdeutschen litten und starben, von denen die meisten völlig schuldlos waren, viele sogar lebenslang in Gegnerschaft zu Hitler und seinen Ideen gestanden hatten.“ (‐o- 1963) Die Besprechung im „Eichstätter Kurier“ war die einzige zeitgenössische Rezension, die auf den Unterabschnitt „Das Vernichtungslager Auschwitz“ des Kapitels „Oberschlesien“ von Scholtis’ Buch Bezug nahm, und Joachim C. Scholz unter den Germanisten, die über Scholtis’ „Reise nach Polen“ geschrieben haben, der einzige, der den Besuch von Auschwitz überhaupt erwähnt, wenn auch nur mit einer negativen Wertung: „Auch ein Besuch des Vernichtungslagers Auschwitz bleibt vergleichsweise blaß.“ (Scholz 1993, 116)⁹ Doch eine positive Wertung von Scholtis’ „Reise nach Polen“, wie sie M. Schorn in der Zeitschrift „Europäische Erziehung“ damit begründet, dass sie „‚zur Bereitschaft für eine fruchtbare Verständigung sowie Aussöhnung [mit Polen] anregt‘“ (Schorn 1965, 163/164), ließe sich gerade an seiner Beschreibung der Reise nach Auschwitz belegen. Denn an keiner Stelle der Darstellung einer „Omnibusreise nach Auschwitz“ (Scholtis 1962, 184) fällt das Wort Jude; als Opfer des „Vernichtungslager[s]“ (184) erscheint bei Scholtis vielmehr das polnische Volk, und daraus folgt die einzige, im inklusiven Wir formulierte Wendung an den Adressaten des Buchs in diesem Unterabschnitt: „Vergessen wir nicht, daß es dieser unzweideutige Vernichtungswille Hit Vgl. aber Röhling 2004, 240, unter Verweis auf Rohde 1963. Scholz nahm in seinen Auswahlband von Scholtis’ „Feuilletonistischer Kurzprosa“ nur auf: Warschau ist eine neugeborene Stadt; Gespräche im polnischen Danzig; Auf der Fahrt nach Südpolen; Eichendorffs Liederheimat, allerdings in vom Buch abweichenden Versionen aus „Tagesspiegel“, „FAZ“ und „Mickiewicz-Blättern“ (Scholtis 1993, 402– 406).
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lers ist, aus dem die Sieger die Berechtigung ableiteten, mehr als zehn Millionen Menschen aus ihrer angestammten Heimat in Ostpreußen, Schlesien und Pommern zu vertreiben.“ (187) Die Zentralität dieser adressatenbezogenen historischen Reflexion des Erzählers widerlegt die Verallgemeinerung von Jürgen Röhling über Scholtis’ Reisebeschreibung: „Die Beobachtung überlagert […] die historische Reflexion“, weil diese „im Verlaufe der Reise […] in ihrer den Dialog unmöglich machenden Rolle als Störfaktor auf dem Weg zu einer deutsch-polnischen Versöhnung identifiziert wird“ (Röhling 2004, 232). Der Wechsel vom Präsens ins Präteritum scheidet zwei Teile der Reise von Katowice nach „Auschwitz – jetzt Oswiecim“ (Scholtis 1962, 184), er erfolgt am „Eingang zum Vernichtungslager“, wie Scholtis Auschwitz I nennt: „Mein Begleiter verabschiedet sich von mir und steuert auf das Verwaltungsbüro zu. Ich selbst begann meine Wanderung durch das Vernichtungslager auf der Straße, die zwischen etwa dreißig massiven, linear ausgerichteten Gebäuden entlangführt. […] Dann aber schloß ich mich einer Gruppe von etwa fünfzig polnischen Männern in Mönchsgewändern an.“ (186) Der erste Teil berichtet, wie dem Reisenden nach einem „Imbiß“ am „Autobusbahnhof“ „im ersten Morgengrauen“, wie ihn „zur gleichen Stunde allüberall in Westdeutschland Arbeiter und Angestellte auf ganz ähnliche Weise […] einnehmen“ (184), im „gedrängt voll[en]“ Bus „[e]in Mann von etwa Mitte vierzig mit hellblondem Haar“ „seinen Platz“ frei gibt (184), an dem er auf der Fahrt „beobachte[t]“ „daß er, sobald wir an einem Kruzifix oder einem Bild der Muttergottes, an einem Friedhof oder einer der vielen Kirchen vorbeifahren, den Hut lüftet“ (185), und der „[a]n der Endstation in Auschwitz“ an ihn „herantritt“, als er „vergeblich nach dem Konzentrationslager“ fragt: „Jeder, den ich anspreche, zuckt mit den Achseln, bis der blonde Mann […] mich aufklärt, daß ich nach dem Museum fragen müsse, sonst wüßten die Leute gar nicht, was ich überhaupt meinte. Er wolle auch dorthin“ (185). Nach einem Spaziergang bis zur Abfahrt eines Busses fragt der Reisende den nun als „meinen Begleiter“ bezeichneten Polen, „wo er so vorzüglich Deutsch gelernt habe“: „Ohne den geringsten Groll, ja mit zuvorkommender Freundlichkeit erwidert er, im Konzentrationslager Buchenwald, wo er drei Jahre verbracht hätte. Dort sei er aber auch guten Deutschen begegnet, fügt er sofort hinzu. Heute wolle er im Museum die Totenlisten durchsehen und hoffe, herauszufinden, wann sein Bruder in Auschwitz vergast worden sei.“ (185/186) Der zweite Teil berichtet von der „Gruppe“, deren „Rundgang“ der Reisende begleitet, nur, dass er „ziemlich lange“ „dauerte“: „denn die Mönche knieten an vielen Stellen nieder und murmelten Gebete“ (186). Beschrieben und kommentiert wird vielmehr Gesehenes, wobei der Kommentar vom Ende des ersten Teils wieder aufgenommen wird, als der Reisende mit seinem Begleiter „durch das Tor“ geht, „an dem die eisengestanzten deutschen Worte prangen: ‚Arbeit macht frei‘“: „Genau so könnten sie über dem Eingang einer beliebigen deutschen Fabrik als Werbeslogan stehen.“ (186) Der Vergleich mit einer Fabrik wird benutzt für die „Gebäude“ des Stammlagers, den „Galgen“ für „Hinrichtungen am laufenden Band“ (186) und das
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„Verzeichnis der Eingelieferten“: „alles unheimlich konkrete Zeugnisse einer präzisen deutschen Organisation“ (186). So heißt es über die Gebäude: „Sie sehen aus, als gehörten sie zu einer großen Fabrikanlage und als könnten verschiedene Abteilungen eines industriellen Unternehmens dort untergebracht sein, Spinnereien etwa, Webereien oder dergleichen“ (186). Die Zusammenfassung des Gesehenen zu einem bleibenden Eindruck ist die Überbietung eines Superlativs durch Vergleich mit vor dem Besuch ‚Vorgestelltem‘: „Daß das Vernichtungslager eine so vollendet ausgeklügelte, wohlorganisierte Fabrik des Todes war, ist der quälendste Eindruck, den ich von diesem Besuch mitnahm. Er übertrifft bei weitem die schlimmsten Vorstellungen, die ich mir von dieser Stätte des Grauens gemacht hatte.“ (186/187) In der Überleitung zur schon zitierten Adressatenanrede über den historischen Zusammenhang zwischen ‚Willen‘ zur „Vernichtung des polnischen Volkes‘ und ‚Vertreibung‘ ergibt sich eine Spannung zwischen der Verallgemeinerung von Auschwitz zum „ungeheuerlichste[n] Exempel dafür, wie Hitler sich die Neuordnung der Welt vorstellte“, und der Spezifizierung zu der ihm „mit Stalin gemeinsam[en] nächste[n] Absicht: d[er] Vernichtung des polnischen Volkes“ (187). Für die letzte Deutung spricht die Bezugnahme auf die im Museum gesehenen Fotos, die von Häftlingen nur in den Jahren vor dem Beginn der Deportationen in die Vernichtung gemacht wurden: „Wie viele polnische Patrioten in Auschwitz zugrunde gingen, dokumentieren die Bilder im Empfangsbüro des Lagers.“ (187)
3 Valeska von Roques: „daß […] Wandel nur durch Annäherung zustande kommen kann. Also hinfahren“ „Auschwitz liegt in Polen“, war der Titel eines Artikels, den die Redakteurin des sozialdemokratischen „Vorwärts“ Valeska von Roques im Verbandsorgan der Falken „junge gemeinschaft“ publizierte, um zu dem seit Dezember 1963 in Frankfurt geführten Auschwitz-Prozess etwas anzumerken, „[w]as man hierzulande überhört, übersieht und verschweigt“: „Denn für die Deutschen liegt Auschwitz in Frankfurt am Main. Eine Gespensterstadt, eine überdimensionale Lagerkarte mit säuberlich ausgerichteten Blocks A, B und C, FKL, links von den Gleisen, das Frauenlager; rechts davon B II, das Männerlager; hier der ‚Bunker‘, dort die ‚Badeanstalt‘ – Planquadrate des Grauens, rechtwinklig, präzis, aber unendlich abstrakt“ (Roques 1964a). Der „Sinn des Prozesses“ aber würde „verfehlt“, wenn nur „die Mörder bestraft werden“, denn „Ordnung“ durch „Rechtsprechung“ sei nur „dauerhaft und wirksam“, „wenn auch die Beziehung zu den Opfern geklärt und neu konstituiert wird. Die Opfer sind Polen.“ Valeska von Roques macht sich „das tiefe Mißtrauen und die Furcht, welche die bundesdeutsche Politik in Polen hervorruft“: „Den status quo akzeptiert sie nicht“, zu eigen, wenn sie zuspitzt: „Eine friedliche Revision ist aber, und das nicht nur nach Ansicht der Polen, nicht möglich. Also Krieg. Erst mal Krieg mit der DDR, denn die ist der unmittelbare Nachbar, dann weiter gen Osten. Das ist, nüchtern betrachtet, die Konsequenz einer Politik des Vorbehalts gegenüber dem Polen in seinen
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gegenwärtigen Grenzen.“ Zwei Monate nach diesem Artikel schreibt die Verfasserin ihr Plädoyer fort für „massiv vermehrte Kontakte“ an Stelle der Verbreitung von „Mißtrauen und Furcht“, die „den status quo im Osten nicht aufweichen, sondern zementieren“ (Roques 1964b, 20), indem sie aus dem Gespräch mit einem der Zeugen des Frankfurter Prozesses, Kasimierz Smolen, dem Direktor des Museums Auschwitz, für die Falken begründet „Warum sie ostwärts fahren“. Valeska von Roques gibt wieder, wie Smolen den Prozess und den Ort in Polen verknüpft: „Nur eins wolle er sagen: das Interesse der Jugend am Prozeß sei erfreulich. Das habe er auch schon in Auschwitz erfahren – die Jugend kommt. Vor allem die Falken. Die kämen immer wieder.“ (20) Der „Sinn“ ihrer Fahrten wird von Smolen verbunden mit ihrer „Wirkung“ (21) in Polen, wie „viel […] Menschen“ von ihnen „erfahren“, vom Grenzbeamten bis zu den GedenkstättenbesucherInnen, „die nur den Kranz sehen, den sie hinterließen“: „sie alle müssen es zur Kenntnis nehmen: Hier sind junge Leute aus Deutschland, die sich zur Vergangenheit bekennen wollen, um die Zukunft vor den vergangenen Verbrechen zu bewahren.“ (20) Zwar veranstaltete der Westberliner Landesverband der Falken erst Ostern 1966 wieder eine Reise nach Auschwitz, aber im Mai 1964 fuhr „im Zusammenhang mit dem Frankfurter Auschwitz-Prozeß“ der hessische (Schmidt 1987, 121). Der Artikel in der „jungen gemeinschaft“ schloss mit einer Verallgemeinerung von den „Gedenkfahrten des Verbandes“ nach Auschwitz auf „alle seine Unternehmungen, die unter dem Etikett ‚Ostkontakte‘ laufen (und häufig diffamiert werden)“, um „der hohen Politik […] das Terrain für künftige Möglichkeiten zu bereiten“ (Roques 1964b, 21). Valeska von Roques benutzt die von Egon Bahr im Juli 1963 geprägte „Formel“ „Wandel durch Annäherung“ (Bender¹⁰ 1986, 126) nicht nur für die Beziehungen zu Polen, sondern auch für die zur CSSR und sogar zur DDR, wenn sie von den Falken schreibt: „Sicherlich wissen gerade die Falken, daß man den Kommunismus nicht wegbegegnen kann. Sie wissen aber auch, daß nur durch das offene Gespräch, Wandel nur durch Annäherung zustande kommen kann. Also hinfahren.“ (Roques 1964b, 21) Wie ein Kommentar stand der Artikel von Valeska von Roques unter der Ansprache, die der Bundesvorsitzende der Falken Horst Zeidler auf der Aachener Kundgebung für den Frieden am 29. August 1964 gehalten hatte, unter Berufung auf zwei Weltkriege und zwei Mal insbesondere auf „Hiroshima und Nagasaki“: „Aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, um heute für das morgen besseres zu gestalten, ist das unabdingbare Recht der jungen Generation.“ (21)
Peter Bender, dessen Buch „Offensive Entspannung. Möglichkeit für Deutschland“ in derselben Reihe „Information“ von Kiepenheuer und Witsch erschien wie Arnulf Barings „Der 17. Juni 1953“, vermied die Bahr’sche Formel, um stattdessen zu schreiben: „Entspannung ist die einzige Möglichkeit, in Deutschland noch politisch offensiv zu werden. Allein eine begrenzte Stabilisierung der DDR gestattet, die Überlegenheit der Bundesrepublik ins Spiel zu bringen.“ (Bender 1964, 114) Eindeutig war sein Eintreten für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze: „solange die Bundesrepublik alles (Wiedervereinigung in den Grenzen von 1937) fordert, wird sie nichts (nicht einmal Erleichterungen für die Bevölkerung der DDR) bekommen.“ (152)
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4 Arnulf Baring: Gedanken in Auschwitz Der promovierte Jurist und Lehrbeauftragte an der Deutschen Hochschule für Politik in Westberlin Arnulf Baring, der seit 1962 politischer Redakteur des WDR war, veröffentlichte im „Merkur“ 1964 seine Beschreibung eines „Rundgang[s]“ (Baring 1964, 575) durch Auschwitz-Birkenau „[z]ugleich“ als „Besprechung“ (574) eines im selben Jahr neu erschienenen Buchs. Die letzten beiden Sätze des Textes, die auch seinen Titel „Gedanken in Auschwitz“ erklären, führen Reisebeschreibung und Rezension zusammen: „Wenn man als Deutscher in Auschwitz an Deutschland denkt, hat man Angst vor seinem eigenen Volk, Angst vor seiner Zukunft. Erst in Auschwitz kann man vielleicht erkennen, wie lebenswichtig für uns alle die Lektüre dieses Buches ist.“ (577) Die Wendung des Indefinitpronomens ‚man‘ in einen Leserappell mit der erst- und einmaligen Benutzung des inklusiven Wir nimmt sowohl die den Text bestimmende Abwechslung in der Selbstbezeichnung des Besuchers als ‚ich‘, ‚wir‘ und ‚man‘ auf als auch das anaphorisch benutzte „Wenn man in Auschwitz“ (575), das den Übergang von der Beschreibung des ‚Rundgangs‘ zu den ‚Gedanken‘ der ‚Besprechung‘ markiert. Baring bespricht die von dem Redakteur des Evangelischen Pressedienstes Reinhard Henkys im Auftrag der EKD erstellte Dokumentation „Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Geschichte und Gericht“, die im evangelischen Kreuz-Verlag 1964 erschien. In einer im Präsens beschriebenen Szene geschieht der Übergang vom ‚Rundgang‘ zur Besprechung: „Als ich nach meinem Rundgang wieder in den Wagen steige, fürchte ich mich vor meinen polnischen Begleitern. Was könnte ich sagen? Worüber könnten wir hier sprechen? Aber auch sie sagen nichts. Einer bietet mir eine Zigarette an. Schweigend fahren wir in der Dunkelheit zurück. Es ist schwer, in Auschwitz ein Deutscher zu sein. Es ist unmöglich, von hier aus beruhigt an die Deutschen zu denken. Man spürt die Angst, merkt das Mißtrauen gegen die Nachbarn im Westen.Wenn man in Auschwitz ist, traut man ihnen alles zu.Wenn man in Auschwitz an Deutschland denkt, hält man dort alles für möglich.“ (575) Die Steigerung von schwerer über unmögliche Beruhigung über Deutschland und die Deutschen führt Baring zur Übernahme eines polnischen Misstrauens, das Deutschen alles zutraut. Die Beunruhigung, die sich Angst und Misstrauen, die er bei seinen polnischen Begleitern spürt, zu eigen macht und die durch die Anspielung auf des exilierten Heinrich Heines „Nachtgedanken“ intensiviert wird: „Denk ich an Deutschland in der Nacht,/ Dann bin ich um den Schlaf gebracht,/ Ich kann nicht mehr die Augen schließen“ (Heine 1976, 432), unterscheidet sich von der „Angst“, die der Besucher auf der Anreise „vor dem Qualm“ aus den „viele[n] Schornsteine[n]“ des „Industriegebiets“ vor Auschwitz spürt oder einer Polizeikontrolle: „Mir ist, als näherte ich mich einem verwünschten Ort, als sei die Zeit zwanzig Jahre zurückgedreht […]. Ich habe Angst vor dem Qualm. Ich kenne diesen Qualm von Photos. Hier ist es nicht geheuer.“ (574) Doch in Auschwitz-Birkenau selbst gilt für Baring: „Es wirkt ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe.“ (574) Wiederholt kontrastiert er Kleinheit und Riesenhaftigkeit, so im Stammlager: „Es ist relativ klein, besteht aus etwa zwei Dutzend solider, zweistöckiger Steinhäuser. Sie […] beherbergen jetzt das Auschwitz-Museum: riesige Räume mit Frauenhaaren, mit Krücken und Prothesen, mit Kin-
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derwagen, mit Koffern, mit Schuhen. Ein Berg von Brillen.“ (575) Und beim Überqueren der nach Birkenau führenden Gleise: „Auschwitz selbst ist nur ein kleines Kasernengebäude; Birkenau hat sich im Laufe der Zeit aus einem bescheidenen Nebenlager zum eigentlichen Auschwitz entwickelt, einer riesigen, trostlosen Barackenstadt, in der die Arbeitsfähigen, nicht sofort Vergasten, lebten“ und deren Baracken, „die damals das riesige Lagergelände bedeckten, […] längst wieder verfallen“ sind: „Über weite und kahle Flächen sehe ich in der Ferne Zäune und Wachttürme. Kein Baum, kein Strauch. Es ist, als weigere sich die Landschaft, diese Öde wieder zu bedecken. Als lehne sie es ab, das Geschehene zu überwachsen und damit zu verharmlosen.“ (575) Die Umkehr der redensartlichen Metapher für Vergessen, Gras wachsen zu lassen, schreibt der Natur zu, Gefahr sichtbar zu halten. Gelegentlich gebraucht der „Besucher“, der „heute […] wie damals die Häftlinge“ durch das Stammlager „geht“ (574), fremde Rede ironisch: auf distanzierte Weise, wenn er zum Krematorium anmerkt, wo sie „‚weiterbehandelt‘ [wurden], wie man damals sagte“, oder zu Birkenau, wo diejenigen, die „alt, krank, schwach, Frauen oder Kinder waren, […] sofort – wie es damals in der Amtssprache hieß – der ‚Sonderbehandlung‘ zugeführt“ (575) wurden. Ohne Distanzsignale verwendet der Besucher scheinbar positive Bewertungen: „Die Anlage war wohlbedacht“ (574), oder: „man wollte […] sparen“ (575). Die einzige Vorausdeutung auf etwas erst später auf dem Rundgang Gesehene geht aus vom Krematorium des Stammlagers: „Die erhaltene Anlage ist sehr klein. Das System war offenbar verbesserungsfähig, wie ich gleich sehen werde, wenn wir nach Birkenau kommen, in das eigentliche Vernichtungslager, das größte seines Zeichens, mit fünf derartigen Anlagen, deren gesprengte Trümmer von der hier geleisteten Arbeit durchaus einen Eindruck vermitteln.“ (574/575) Baring benutzt jedoch für das ‚wohlbedachte‘, ‚sparsame‘, ‚verbesserungs- und leistungsfähige‘ ‚System‘ von ‚Arbeit‘ nicht die Metapher Fabrik. Der zweite Teil von Barings „Gedanken in Auschwitz“ geht aus von den Zahlen, die Henkys bringt über die Ermittlungen der Ludwigsburger Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, um dann aus zwei der drei nicht von Henkys selbst stammenden Beiträgen zu Henkys’ Buch nicht nur zu zitieren, sondern den Stellungnahmen ihrer Verfasser zuzustimmen. Auf die Einleitung des Präses der EKD Kurt Scharf geht Baring mit keinem Wort ein, sondern er stimmt im ersten Abschnitt der ‚Besprechung‘ der Kritik des Juristen Jürgen Baumann an der „Ludwigsburger Abgrenzung“ zu, „nur“ gegen diejenigen zu ermitteln, die „eigene Verantwortung trugen und ihre Befehlsgewalt oder Entscheidungsfreiheit in den Dienst der Mordpläne stellten“, und gegen diejenigen, die „ohne eigene Befehlsverantwortung […] besonders grausam handelten und sich bemühten, Zahl und Leiden der Opfer ohne Zwang zu vermehren“ (576). Ausgehend von den „mehreren zehntausend Polizisten, die Juden, Polen und Russen erschossen“, stellt Baring mit Baumann die zitierte ‚Abgrenzung‘ von juristisch verfolgbaren Tätern für „vielstufig und arbeitsteilig ins Werk [ge]setzte“ „Verbrechen“ in Frage – über „Organisatoren am Schreibtisch“ (576), „Geschäftsleute“, „Diplomaten“ bis zu „denen, die Juden wirtschaftlich oder gesellschaftlich ausschlossen und propagandistisch die
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Sonderstellung jüdischer Mitbürger vorbereitet haben, Haßparolen weitergaben oder es doch unterließen, gegen Diffamierungen anzugehen“ (577). Nach der Zusammenfassung, dass „beträchtliche Teile unseres Volkes den Verbrechensapparat mitgeschaffen und bedient haben“, übernimmt Baring im zweiten Abschnitt der ‚Besprechung‘ aus des Soziologen Dietrich Goldschmidt „abschließendem Beitrag“ einen Begriff für das mit dem Bild ‚Verbrechensapparat‘ Umschriebene: „Die gesellschaftliche Ermöglichung der nationalsozialistischen Untaten, also die Verbindung von gesellschaftlicher Gesamtkonstellation und verbrecherischer Einzelhandlung und damit die Verflochtenheit von Taten, Tätern und deutscher Geschichte in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts tritt besonders eindringlich […] hervor.“ (577) Barings Einleitung zum längeren Zitat aus Goldschmidts Beitrag markiert seine Übernahme von Goldschmidts Einschätzung, dass „die Erkenntnis dieses Zusammenhangs dem bürgerlichen deutschen Lebensgefühl […] schwer fällt“, das „‚ewige Werte‘“ wie „‚staatliche Autorität, Ordnung, Bildung, Wissenschaft‘“ dem „‚Chaos, Verbrechen‘“ entgegensetze: „‚Der herkömmlichen Betrachtung fehlt daher der Blick für die latent immer gegebene Möglichkeit einer ähnlichen gesellschaftlichen Deformation in der Zukunft.‘“ (577) Deshalb fragt sich der Rezensent in seinem Schlussappell an den Adressaten, dieses „lebenswichtig[e]“ Buch zu lesen, ob er selbst dies „[e]rst in Auschwitz“ „erkennen“ konnte (577).
5 Pfingsten-„Pilger- und Bußwallfahrt“ von Pax Christi (1964) „[I]n das jetzt durch den Frankfurter Prozeß so gräßlich vor unser aller Augen gerückte KZ-Lager Auschwitz“ führte 35 von vier Priestern begleitete Mitglieder der westdeutschen Sektion der internationalen katholischen Organisation der Friedensbewegung Pax Christi eine „Pilger- und Bußwallfahrt“ an Pfingsten 1964, Männer und Frauen zwischen 20 und 65 Jahren, „auch Heimatvertriebene“, wie im Bericht des in Freiburg im Breisgau erscheinenden „Katholischen Wochenblatts“ „Der christliche Sonntag“ betont wird (Plate 1964, 203). Ein redaktioneller Kasten fasst über dem Artikel die Wallfahrt zusammen: „Sie betete in der Lagerkapelle, spendete einen Sühnekelch und ein schwarzes und violettes Meßgewand und legte an der schwarzen Wand im [sic] Todesblock einen Kranz nieder.“ (203) Der „Berichterstatter“, wie sich der Redakteur der Freiburger Sonntagszeitung Manfred Plate bezeichnet, wenn er nicht in der 1. Person Plural schreibt, hebt einleitend zwei Überraschungen an der Vorbereitung der Reise hervor, ohne auf deren Vorgeschichte im Einzelnen einzugehen, dass nämlich der Vizepräsident der deutschen und der europäischen Pax Christi Alfons Erb sie seit 1959 geplant (Stempin 2005, 221; vgl. Zurek 2004, 306/307) hatte und letztlich nur durch Vermittlung des Internationalen Versöhnungsbundes verwirklichen konnte (Boll/Oboth 2016, 399; vgl. Schuchardt 1962).¹¹ Zu den Segenswünschen des Pax-
Vgl. den Beitrag zum „deutsche[n] Vertriebenen-Problem“ von Wilhelm de Schmidt auf dem In-
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Christi-Bischofs für die Reisegruppe merkt Plate an: „Erstaunt war man, zu hören, daß dies die erste offizielle katholische Gruppe der Bundesrepublik sei, die zu dieser Stätte des Grauens nach Polen überhaupt pilgere! Zu den Gräbern der Opfer, unter denen Edith Stein war.“ (Plate 1964, 203) Aus dem „letzten Brief der Pilgerleitung“ Erbs vor Antritt der Fahrt zitiert Plate über die Vorbereitung: „[…] jeder solle […] sich betend darauf vorbereiten; [sic] daß wir nach Polen fahren, wo der letzte Krieg nicht nur Wellen, sondern Wogen des Hasses gegen alles Deutsche hinterlassen hat.“ (203) Plates Kommentar: „So waren wir auf alles gefaßt, auf Feindschaft, Haß, höchstens korrekte Höflichkeit“, zielt auf „von der Wirklichkeit übertroffen[e]“ „zaghafte[…] Erwartungen“, „wie uns ausgestreckte, offene polnische Hände voller Herzlichkeit empfingen“ (203). Der „Gang“ „durch das ganze Lager hindurch“, der „vier Stunden dauerte“ (203), bildet die erste Hälfte von Plates Bericht, dessen zweite ein „Liebesmahl“ bei den Salesianern und dem Pfarrer von Oswiecim „wenige Meter vom Auschwitzer Lagertor entfernt“, der einstündige Empfang durch den späteren Papst,¹² damals Erzbischof von Krakau Karol Wojtyla an seinem „Visitationsort südlich von Kattowitz“ (204) und, sehr kurz, Besichtigungen von Kirchen in Tschenstochau und Krakau. Der Beschreibung des Gangs vorangestellt ist ein Rückgriff, der die ‚Überraschung‘, die ersten zu sein, über Katholiken hinaus verallgemeinert: „Wir hatten erfahren“ – ohne dass gesagt wird, wo und von wem –, „daß die durch Polen reisenden deutschen Touristengruppen Auschwitz meiden, während das Lager Franzosen, Belgiern, Engländern, Italienern, Amerikanern, Österreichern (Kardinal König war vor wenigen Monaten hier), allen Völkern gezeigt wird. Nur den Deutschen nicht. Nicht aus Takt, als ob man ihnen das Schamgefühl ersparen wollte. Man möchte Diskussionen über die ‚Wahrheit‘ dieses Lagers vermeiden. Es seien schon Deutsche in Auschwitz gewesen, die die hier geschehenen Nazi- und SS-Verbrechen bagatellisieren wollten…“ (203) Die Widersprüchlichkeit in der Frage, wer Auschwitz vermeide, die deutschen Touristen oder die polnischen Organisatoren von Reisen, setzt sich fort in Plates verallgemeinernder Darstellung dessen, was „den Besucher“ „ergreift“ (203). Das Sichtbare der ‚Straßen‘ mit den „Grundmauern“ von Baracken wird vom ‚Berichterstatter‘ gleichgesetzt mit
ternationalen Kongress der Pax Christi in Genf 1960 über deren „geschichtliche[…] Stunde“: „‚Unsere Aufgabe ist es, zunächst jedem redlichen Deutschen immer wieder zu sagen, daß die in Polen begangenen Untaten auf dem Gewissen jedes einzelnen lasten.Wir müssen ohne Scheu mit Scham sagen, daß das Unrecht nicht erst im Jahr 1939 begonnen hat. Unser Schuldbekenntnis muß in die Vergangenheit über Jahrzehnte und lange Perioden der gemeinsamen Geschichte hinausgreifen. Wir sind in diesen Zeiten schuldig geworden durch Geringschätzung und durch Verachtung. Ein Herrenstandpunkt hinderte uns daran, die Brüder in Polen als ebenbürtig anzuerkennen. Wir waren zu dieser Anerkennung nicht bereit von Mensch zu Menschen, noch weniger von Volk zu Volk‘“ (de Schmidt 1975, 146). Vgl. zu seinem Besuch 1979 als Johannes Paul II. von Auschwitz, das er als „‚Symbol der Gemeinschaft der Leidenden‘“ „einerseits als Erinnerungsort universalisiert, aber andererseits von der offiziellen antifaschistischen Deutung abweichend als Ort der Verfolgung katholischer Gläubiger gedeutet“ habe, Bösch 2012/2013, 39.
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der „Sachlichkeit“ der ‚Führung‘ durch den nicht mit seinem Namen genannten „Direktor des Museums“, die „Haß“, „Ressentiment“ und „Kollektivurteile über Deutschland“ (203) vermeide; er wird zitiert: „In einem Gespräch erklärte er uns ausdrücklich: nicht der Haß sei der Sinn dieser Gedächtnisstätte, sondern die Mahnung, daß solches nie mehr geschehen dürfe.“ (203) Das ebenso ausdrückliche „[L]oben“ des Direktors ist vorbereitet durch das der „polnische[n] Verwaltung“ des „Nationalmuseums“ für etwas, das sie vermieden habe: Sie „hat sich nicht verführen lassen, aus dem Distrikt ein stilisiertes ‚Mahnmal‘ zu machen. Die ursprüngliche Ödnis der kahlen Barackenstraßen ergreift den Besucher mit einer viel stärkeren, unmittelbareren Macht, als es alle Reden oder gar der vorgeführte Dokumentarfilm vermöchten. Man zeigt nur Tatsachen, Fakten, nüchtern“ (203). Entsprechend reiht Plate im nächsten Absatz auf dem Gang durch Birkenau und das Stammlager gesehene Objekte als ‚Fakten‘: „Die blutbespritzten Wände. Die Galgen. Die Bunker. Der hochgeladene elektrische Stacheldraht, Wachtürme, die Blocks und Baracken. Kasernen der Schergen… Birkenau, Frauenlager, die berüchtigte Rampe, hier waren die Selektionen … Krematorien, Gaskammern, riesige Aschengräber. Das Lager, wo die Habseligkeiten der Vergasten verwahrt wurden: Brillen, Schuhe, Koffer, Kleider – Kinderkleidchen! –, dann Zentner von abgeschnittenen Frauenhaaren, Zahnprothesen, Teller, Schüsseln, Löffel … und die ordentlich etikettierten Büchsen mit der Aufschrift ‚Zyklon B – Giftgas!‘“ (203) Allerdings ist diese ‚nüchterne‘ Reihung nicht nur an einigen Stellen von emotionaler Wertung unterbrochen, sondern schon auf eine Weise gerahmt, die der Absage an ‚alle Reden‘ widerspricht, nicht nur an den Kommentar des von Plate offensichtlich abgelehnten sowjetischen Dokumentarfilms, der im Museums gezeigt wurde. „Trotzdem“, räumt der Berichterstatter vor Beginn der ‚nüchternen‘ Reihung ein, „wurde uns die Kehle trocken“ und „[e]in Hauch von der Verzweiflung, die hier millionenfach zum Himmel schrie, wehte uns an“ (203). Mit einem „Unfaßlich“, beantwortet der Berichterstatter am Ende seiner Reihung des Gesehenen, was in Birkenau „Baum, Strauch, Stein und Gebälk zu rufen“ „scheinen“: „Wie war es möglich?!“ (203) „Unfaßlich“ nennt er es, „daß hier über den Aschengruben heute die Natur Blumen wachsen läßt. Die Lagerverwaltung wehrt auch dem nicht.“ (203) „Unfaßlich“ nennt er es deshalb auch, „daß polnische Schulkinder, unschuldig, nicht verstehend und verspielt, über diese geschändete Erde gehen.“ (203) Doch weil die Zustimmung des Berichterstatters zu dem vom Direktor formulierten „Sinn“ der „Gedächtnisstätte“, der „Mahnung, daß solches nie mehr geschehen dürfe“, eine Beantwortung der Frage: „Wie war es möglich?!“, verlangt, gibt Plate eine religiöse Antwort: „Die Macht gewordene Gestalt des Bösen hat in diesem Lager eine furchtbare Spur hinterlassen.“ (203) Plate greift eine aktuelle Äußerung zum Frankfurter Auschwitz-Prozess vom Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg Otto Dibelius auf, der bis 1961 auch Ratsvorsitzender der EKD gewesen war: „eine Welt ohne Gott könne man sich wohl vorstellen wie das KZ-Lager Auschwitz“, um das Bild aber einzuschränken: „wenn man in das Angesicht der Henker blickt, der Kaduk, Boger … Wir können auch anderes berichten.“ (203) So leitet Plate ein, was er den „[f]ür den Berichterstatter […]
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erschütterndste[n] Augenblick“ (203) des Gangs durch Auschwitz-Birkenau nennt: „als die Gruppe den Block elf, den Todesblock, betrat; in die kalten Keller der Folterungen und Grausamkeiten hinabstieg; Hungerbunker, Stehbunker; und wie ihm nun in einer Zelle eine mit dem Fingernagel in die Wand geritzte Christusfigur gezeigt wurde“, als „einen österlichen Pantokrator“, „neben der Zelle, wo P. Maximilian Kolbe gestorben ist“ (203). Die stärkste Erschütterung, die der Berichterstatter auf seinem Gang durch Auschwitz-Birkenau empfindet, gilt dem Moment, wo er im Sichtbaren eine ‚heimliche‘ religiöse Bedeutung entdeckt, denn dann „empfindet man diese kleine Christusfigur auf der befleckten Wand wie die heimliche Mitte der Leiden und Martern dieses Lagers“ (203). Bevor Plate berichtet, wie sich nicht nur für ihn, sondern die Gruppe der „erste Heilige des KZ Auschwitz“ (203) und der Christus Pantokrator verbinden, greift er auf die schon erwähnte Edith Stein als „Blutzeugen“ zurück: „Bei der Hinfahrt nach Auschwitz, als wir im Omnibus den Rosenkranz beteten, wurden herrliche Stellen aus Edith Stein vorgelesen: daß sie ihren Gang ganz als Versöhnungsopfer im Leiden Christi verstanden hatte“ (203/204). Entsprechend berichtet Plate vom Besuch der Zelle, in der Kolbe starb, durch die Gruppe mit einer Metapher aus der Liturgie als Ritual, denn Präfation heißt die liturgische Einleitung zur Eucharistie, z. B. „sursum corda“, „empor, aufwärts die Herzen!“: „Dieser in die Wand des Todesblocks geritzte Christus-Allherrscher schien alle […] unschuldigen Millionenopfer […] aufzunehmen und daraus eine geheime Präfation zu machen – daß Gottes Erbarmen in der tiefsten Finsternis des Massenverbrechens, der himmelschreienden Sünde, noch gegenwärtig ist. An der Eingangspforte des Lagers steht der zynische Satz: ‚Arbeit macht frei‘. Eine andere Freiheit wurde uns bewußt, als wir in der Todeszelle P. Kolbes, eng zusammengerückt und fröstelnd, mit gesenkten Köpfen das Vaterunser stammelten. Unser Vater!“ (204) Mit dem Bericht über zwei eigentliche „Meßfeier[n]“ (204) schließt Plate den ersten Teil seines Artikels, um sich dann „dem überwältigend herzlichen Empfang“ zuzuwenden, „der uns Bundesdeutschen von den polnischen Katholiken, denen wir begegneten, bereitet wurde“: den Salesianern und dem Pfarrer von Auschwitz, Erbischof Wojtyla und Menschen in Tschenstochau und Krakau. Die erste Messe feierte die Gruppe wie auch eine „Sühneandacht“ in einem als „Lagerkapelle“ bezeichneten, „zu einer Kapelle umgebaute[n] Saal“, der „früher zu den Kasernen der SS gehört hatte“, in Anwesenheit von drei polnischen Geistlichen und zwei Ministranten: „Es war uns bewußt, […] daß in den gleichen Wänden einmal die deutschen Peiniger gesessen und gezecht hatten. Es waren wohl die ersten deutschen Gebete in diesem Raum, wie wahrscheinlich auch an den anderen Stellen, zu denen wir gelangten. Merkwürdiges, nachdenkliches Erlebnis!“ (204) Plate bezieht die anwesenden Polen ein, wenn er zur „Sühneandacht“ anmerkt: „Das Bekenntnis der Reue über die Tatsache, daß diese Verbrechen aus dem Rassenhaß eines deutschen Staates heraus möglich waren, sollte laut und deutlich sein“, und zur „Predigt“ der „Meßfeier“ vom „älteste[n] unserer Geistlichen“: „Kreuzespredigt; Worte der Scham über die Verbrechen von Auschwitz. Aber auch anklingende Hoffnung auf Versöhnung und Verzeihung, auf Frieden und Verständigung. Selten wurde wohl das ‚Mahl der Versöhnung‘ so ergriffen entgegen-
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genommen wie hier in dieser Lagerkapelle.“ (204) Plate unterstützt die Hoffnung, wenn er zu der in der „Stadtpfarrkirche“ gemeinsam mit „viele[n] Polen“ gefeierten Messe hervorhebt, dass „sie […] uns hinterher versichert“ haben, „daß sie mit uns gebetet hätten. Das war wohl das größte Geschenk, das wir von Auschwitz mitgenommen haben, das gemeinsame Gebet an diesen Stätten.“ (204) Den vier unterschiedlich ausführlichen Berichten über den Empfang durch die Salesianer, Erzbischof Wojtyla und in Tschenstochau sowie Krakau stellt Plate voran eine als Vermutung formulierte Erklärung der schon zitierten „Herzlichkeit“ des Empfangs, die aber eine Verallgemeinerung ist: „Vielleicht geht der Weg zu einer deutsch-polnischen Versöhnung, die als Auftrag der Geschichte uns ständig vor Augen stand, überhaupt nur durch das Fegefeuer, einmal als Deutscher unmittelbar vor den Dokumenten von Auschwitz gestanden zu haben. Vielleicht öffnete uns nur das die Türen, vielleicht auch manche Herzen. Dem Polen ist das Lager heute ein Symbol der Inhumanität der deutschen Kriegsbesatzung geworden.“ (204) Deshalb rahmt Plate seinen Bericht über den Empfang durch den Erzbischof Wojtyla durch ein „vielleicht“ und eine Erklärung von „Herzlichkeit“. Zu Beginn heißt es: „In einem polnischen Pfarrhaus erlebten wir nun […] vielleicht einen kommenden Markstein im Verhältnis zwischen den polnischen und den deutschen Katholiken. Wieder zögerte die polnische Hand nicht, sich uns entgegenzustrecken: jeder einzelne unserer Gruppe wurde mit einem persönlichen Händedruck begrüßt.“ (204) Über den Abschied schreibt Plate: „Hunderte von Polen winkten mit ihm [dem Erzbischof] in einer Herzlichkeit, als ob sie spürten, hier sei ein Bann gebrochen, der seit 30 Jahren zwischen Deutschen und Polen liegt.“ (204) Während Plate den Empfang durch die Salesianer „wohl im wahren Sinne des Wortes eine Agape, ein Liebesmahl,“ nennt und an Tschenstochau und Krakau betont, „[d]ie Herzlichkeit […] wiederholte sich überall, wo wir hinkamen“, gibt er vom Empfang des Erzbischofs ausführlich die beiden „Ansprachen“ wieder, im Falle des Pax Christi-Vizepräsidenten mit zwei wörtlichen Zitaten; er „legte Sinn und Ziel unserer Fahrt dar. Sie sollte ein Bekenntnis zu der Wahrheit von Auschwitz sein, zu dem, daß deutsche Menschen im Auftrag eines deutschen Diktators diese Millionenverbrechen verübt hatten; Scham und Trauer darüber; auch Bitte um Verzeihung für alle Untaten, die da geschehen sind; und Versuch, einen Grund für einen neuen dauerhaften Frieden zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk zu legen“ (204). Das hier folgende Zitat ist in einer anderen Quelle, die eine eigene Veröffentlichung von Alfons Erb zitiert, abweichend und für die anschließend von Erb betonte Ausklammerung der Diskussion „vorhandene[r] politisch-völkerrechtlicher Schwierigkeiten“ (204) relevant überliefert: „‚Nichts gibt es, kein Problem, kein Interesse, keine politische Frage, wofür in Zukunft auch nur noch ein einziger Tropfen Blut in Haß und Krieg zwischen unseren beiden Völkern vergossen werden darf.‘“ (Bußwallfahrt 1964, 5) Dieser Andeutung der Frage der Oder-Neiße-Grenze im Bericht des seit 1963 erscheinenden „Informationsbulletin der Deutschen Gesellschaft für Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen mit Polen“ mit dem Titel „Stimmen und Begegnungen“ entspricht die Ausklammerung der Frage, ob Deutsche den Polen eine Schuld zu verzeihen
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hätten, die in Plates Version von Erzbischof Wojtylas zunächst deutsch, dann polnisch gegebener Antwort-Ansprache bejaht zu werden scheint: „Als Christen seien wir ja durch eine tiefere Wirklichkeit miteinander verbunden, durch die Gnade, durch das Reich Gottes. Auf dieser Ebene seien wir alle gleichermaßen Schuldige, bedürften wir alle der verzeihenden Erbarmung Gottes. Im Glauben sei es nicht schwer, sich zu verzeihen. Er hoffe, daß durch diese Begegnung eine neue Zeit begonnen habe. Und er wünsche, daß das ganze deutsche Volk dieser Versöhnung in Jesus Christus Ohr und Herz öffne, damit endgültig der Friede hergestellt werde!“ (Plate 1964, 204) Dagegen heißt es in „Stimmen und Begegnungen“: „Der Herr Erzbischof sagte in seiner Antwort, dass diese Begegnung ihn ebenso tief bewege, wie ihn der Gang durch das Lager Auschwitz an der Seite des Erzbischofs von Wien, Kardinal König, bewegt habe. Neben den polnischen Blutzeugen Pater Kolbe stellte er die Blutzeugin Edith Stein, die er auch als Philosophin kannte. Die Opfer von Auschwitz mahnten jeden, […] unablässig für den Frieden zu wirken. Das Sühneopfer Christi sei die Brücke über den Abgrund des Hasses, der sich hier aufgetan habe.“ (Bußwallfahrt 1964, 5/6) Eine Woche vor der Pax-Christi-Pilger- und Bußwallfahrt nach Auschwitz hatte sich der Chefredakteur des „Würzburger Katholischen Sonntagsblatts“, in dem dann Alfons Erbs Bericht erscheinen sollte, Domkapitular Dr. Helmut Holzapfel mit einer Mahnung „an die Gläubigen gewendet“, auf die er „eine Fülle von Zuschriften“ erhielt, „die einen solchen Haß gegen die Polen verraten, wie ich ihn unter Katholiken nicht für möglich gehalten hätte“ (Stehle 1965, 143). Holzapfels Mahnung: „Wir müssen uns vor einer Diffamierung des polnischen Volkes hüten“, bezieht sich sowohl auf ein tradiertes antipolnisches Stereotyp (vgl. Orlowski 1996) als auch auf aktuell sogar offiziell in der Bundesrepublik publizierte „Bilder und Berichte“: „Immer noch spukt das Wort von der ‚polnischen Wirtschaft‘ in manchen Hirnen. Geflissentlich verbreitet man, selbst in Veröffentlichungen von Bundesstellen, Bilder und Berichte von Ruinen in Polen und den ehemaligen deutschen Ostgebieten als Beweis für die Unfähigkeit der Polen, ihr Land aufzubauen und ihre Wirtschaft in Ordnung zu halten. Dabei ist es viel bewundernswerter, wie Polen auch ohne Marshallplan und Dollarsegen die doch zumeist von deutschen Truppen zerstörten Städte wieder in alter Schönheit und Größe aufgebaut hat.“ (Stehle 1965, 142) Die Art der Reaktion derjenigen, die Holzapfels Mahnung in ihren Zuschriften zurückwiesen, motiviert ihn, sein „Anliegen“ zu explizieren: „Man packt die alten Ladenhüter der Nazis aus […], und wirft dem Verfasser undeutsche Gesinnung vor.“ (143) Das Stereotyp, das er zunächst als ‚immer noch‘ ‚in manchen Hirnen‘ existierenden ‚Spuk‘ bezeichnet hat, erklärt er nun aus einer „Mentalität“, die im 18. Jahrhundert entstanden sei und noch in der Gegenwart wirke; mit einer leichten Einschränkung nennt er diese als preußisch bezeichnete Mentalität „doch wohl“ „[d]en wesentlichste[n] Grund für die Vergiftung des deutsch-polnischen Verhältnisses“ (143). Das in der Beziehung wirksame ‚Gift‘ ist ein ausschließlich deutsches, wenn auch spezifiziert als „klein-deutsch-preußisch“, und wird eindeutig negativ bewertet: In der „preußischen Polenpolitik“ habe „das skrupellose Machtstreben“ gewirkt, „das keine moralischen oder rechtlichen Hemmungen kennt“ und aus dem sich „[d]er […] Geschichtsmythus […] gebildet hat“, der „im Alten Fritzen und
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dem ‚Eisernen Kanzler die größten Deutschen sieht“ und der „sich bis in unsere Zeit verhängnisvoll ausgewirkt hat“ (143). Holzapfels Bekräftigung seiner Mahnung erschien in demselben Heft des „Würzburger Katholischen Sonntagsblatts“, in dem dann Alfons Erb von der Begegnung der Bußwallfahrer mit Erzbischof Wojtyla berichtete, der das „Sühneopfer Christi […] die Brücke über den Abgrund des Hasses“ genannt habe, der sich in Auschwitz „aufgetan habe“ (Bußwallfahrt 1964, 6). Am 8. November 1964 veröffentlichte Erb in der anderen Wochenzeitung, die über die Pilger- und Bußwallfahrt berichtet hatte, „Der christliche Sonntag“, einen Spendenaufruf zur „Nothilfe“ für „Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung“, die „in den osteuropäischen Staaten leben, die keine diplomatischen Beziehungen zu uns unterhalten“ und deshalb „noch keinerlei Entschädigung erhalten“ haben (Nothilfe 1964). Mit folgender Begründung wurden Spenden auf das Konto von Pax Christi mit dem „Vermerk: Solidaritäts-Spende“ erbeten für „ehemalige Häftlinge oder […] deren Witwen oder Mütter“, „die für ihren Lebensunterhalt der Hilfe bedürfen und über die wir zuverlässig unterrichtet sind“, als „eine nicht-amtliche Entschädigung aus Deutschland“ „wenigstens [für] einige“ „Brüder und Schwestern – vor allem in Polen“: Es könne „keinem Deutschen, der sich denen, die in den Kerkern und Lagern gelitten haben, in Hochachtung und Solidarität verbunden fühlt, gleichgültig sein, daß von den Überlebenden, die in jenen Ländern zu Hause sind, im Laufe der Jahre immer mehr sterben, ohne daß das Unrecht an ihnen wenigstens materiell in etwa wiedergutgemacht worden wäre“ (Nothilfe 1964). Die auf der Buß- und Pilgerwallfahrt 1964 (Stempin 2005, 222) in Auschwitz spontan entstandene Idee dieser „Nothilfe“ wurde 1973 als Maximilian-Kolbe-Werk zwischenstaatlich institutionalisiert und zahlte bis Ende der achtziger Jahre 40 Millionen DM an etwa 50.000 ehemalige Häftlinge (235).
6 Klaus von Bismarcks Reise durch ‚die dunklen Tore von Auschwitz‘ in die alte pommersche Heimat Dass „der Weg zu einer deutsch-polnischen Versöhnung […] überhaupt nur durch das Fegefeuer, einmal als Deutscher unmittelbar vor den Dokumenten von Auschwitz gestanden zu haben“ (Plate 1964, 204), führe, formulierte auf andere Weise der Intendant des WDR Klaus von Bismarck, der im Sommer 1964 im Anschluss an Gespräche einer Delegation des WDR und SDR in Warschau und Krakau mit offiziellen Vertretern des polnischen Rundfunks und Fernsehens zusammen mit seiner Frau zunächst nach Auschwitz gefahren war und dann einen, von ihr in der „Zeit“ am 4. September beschriebenen „Besuch in der pommerschen Heimat“ (Bismarck 1964) gemacht hatte: „‚[…] it was the right thing to do; to set out for Silesia, Pomerania, Breslau and Stettin through the dark gates of Auschwitz‘. One sees the fate of the former German areas in an entirely different way after this entrance, and after this
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experience.“ (Frieberg 2008, 183)¹³ Obwohl Bismarck in seinem Beitrag zu dem dann mit denen von Waldemar Besson, Heinz Huber und Gerd Ruge zusammengefassten „Bericht über die Polen-Reise der WDR/SDR-Delegation“ zu Auschwitz schreibt: „‚There is little to say in detail about what we saw there‘“ (183), verzichtet er nicht darauf, sein Zögern zu berichten, als er, „asked to sign the guest book for prominent visitors“, den Namen von Walter Ulbricht bemerkt: „‚It is not entirely easy to write our names in this book“ (183); aber im Unterschied zu dem „Wir möchten nicht“ (Blank 1959) des Redakteurs des „Vorwärts“ Ulrich Blank im Jahre 1959 trugen sich die Bismarcks ins Besucherbuch ein. Mit Bismarck reisten schon 1964 zwei für die 1960/61 vom WDR gesendete Fernsehdokumentationsserie „Das Dritte Reich“ verantwortliche Redakteure, Huber und Ruge, und einer der wissenschaftlichen Berater, Besson. Auf einer zweiten Reise der Delegation 1965 diskutierten sie in Warschau und Wroclaw drei Episoden der Serie mit polnischen Zuschauern. Bismarck notierte deren Einwände gegen die Darstellung des Widerstands in der letzten Episode, gesteht aber in seinen Memoiren, „only in the 1980s was he forced to admit that the German army took part in war crimes on the eastern front“ (Frieberg 2008, 194). Guido Thiemeyer zitiert zwar, worauf im gemeinsamen „Bericht über die Polen-Reise der WDR/SDR-Delegation vom 16.5. bis 25. 5. 1965“ die Einwände zurückgeführt werden: „‚das Bedürfnis nach Revision des von der NS-Propaganda entworfenen ‚Untermenschen-Bildes‘ und des von der VertriebenenPropaganda entworfenen Unfähigkeits-Bildes‘“ (Thiemeyer 2005, 105), schweigt aber von der Kritik, die Annika Frieberg als national von der ideologisch genannten am Fehlen des Arbeiterwiderstands unterscheidet: „As Poles, they felt that the officers of the 20th July conspiracy only wanted to prevent Hitler from losing the war in the east and that their plans of domination of Poland were still very similar to those of the Nazis. The Polish viewers also found the description of the German army too positive and argued that it too was guilty of atrocities in Poland.“ (Frieberg 2008, 194) Wenn Thiemeyer die von ihm hoch veranschlagte „gesamtpolitische Bedeutung“ der Reise der WDR/SDR-Delegation darin sieht, dass „[d]urch den Besuch der westdeutschen Journalisten […] wichtigen Vertretern der politischen und intellektuellen Elite Polens deutlich“ geworden sei, „dass ihre Wahrnehmung der Bundesrepublik nicht der
Vgl. die Bekräftigung dieses Reisewegs 1992 in Bismarcks Memoiren, wenn er seine und seines Bruders Philipp, des Vorsitzenden der Pommerschen Landmannschaft und CDU-Politikers, Teilnahme an dem „offiziellem Polen-Besuch“ (Bismarck 1992, 18) des Bundespräsidenten Weizsäcker 1990 schildert: „Bewußt waren wir zuerst in Warschau und Krakau gewesen und besuchten Auschwitz. […] Bis dahin nur halb bewußt und verdrängt, war uns hier das Leiden des polnischen Volkes schockierend offenbar geworden. Und doch waren uns über all das, was in deutschem Namen geschehen war, in Polen die Hände der Versöhnung gereicht worden.“ (21/22) Nach dem Hinweis, dass er sich „schon 1954 auf einem evangelischen Kirchentag öffentlich für das ‚Loslassen‘ der Heimat“ einsetzte, merkt er zum Verhältnis zu seinem Bruder an: „Ich spürte während dieses gemeinsamen Fluges deutlich, wie sich unsere Geister daran scheiden, welche Folgerungen wir beide, nicht nur rational politisch, sondern auch emotional, aus den Erfahrungen der gemeinsamen pommerschen Herkunft ziehen.“ (22)
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Realität entsprach“ (Thiemeyer 2005, 114),¹⁴ verortet er, was sich durch Annäherung wandelt, einseitig im Osten: „Das Konzept des Wandels durch Annäherung der Gesellschaften (hier am Beispiel der Intellektuellen) funktionierte also schon vor dem diplomatischen Beginn der Neuen Ostpolitik und bereitete diese in entscheidenden Punkten vor.“ (114) Aber wie der Eintritt durch ‚die dunklen Tore von Auschwitz‘ den Blick auf früher deutsche Gebiete verändert hat, deutet der Titel von Ruth-Alice von Bismarcks Reisebeschreibung über das Gut Kniephof an, der einer Passage entnommen ist, in der nicht wie überwiegend von „gut instandgehalten[en]“, neu „eingerichtet[en]“ oder „wiederher[ge]stellt[en]“ Anlagen die Rede ist: „Ein paar efeubewachsene Trümmer sind noch da. Mein Mann steigt auf einen liegenden Marmorblock und sagt: ‚Hier bin ich geboren! Merkwürdig, daß man einfach lächeln kann.‘“ (Bismarck 1964) In der redaktionellen Vorbemerkung der „Zeit“ wird er als „Der letzte Besitzer“ des Bismarck’schen Guts Kniephof vorgestellt, aber ebensowenig wie im Text seiner Frau angedeutet, dass er 1954 auf dem Evangelischen Kirchentag in Leipzig, damals noch nicht WDR-Intendant, sondern Leiter des Sozialamtes der Evangelischen Kirche von Westfalen, „ausdrücklich auf seine Güter im Osten“ „verzichtet“ hatte: „Zurückgewinnen ließen sie sich nur durch einen neuen Krieg. ‚Ich will nicht zurück für diesen Preis. Es ist meine persönliche Meinung – die einige unter Ihnen vielleicht nicht übernehmen können –, dass wir vor Gott kein Recht darauf haben, das wieder zu erhalten, was er uns genommen hat, auch wenn Völkerrecht und Privatrecht uns eine Handhabe des Anspruchs geben.‘“ (Greschat 2010, 166) Zwei Jahre vor der Reise nach Polen hatte Bismarck in einer an den Bundespräsidenten und den Bundeskanzler sowie alle evangelischen Bundestagsabgeordneten gerichteten „Denkschrift“ zusammen mit Carl Friedrich von Weizsäcker, Ludwig Raiser, Georg Picht und Joachim Beckmann sowohl „[d]as Beharren auf der Rückgewinnung der Gebiete östlich der Oder und Neiße“ als auch „[d]as Drängen auf die Verfügung über Atomwaffen“ (311) kritisiert. Ruth-Alice von Bismarck aber betont am Ende der Einleitung, die Reisestationen in Polen vor „dem Weg nach Hause“ in Pommern zusammenfasst, für sich eine andere Rolle: „Ich habe mich die ganze Reise über als Stellvertreter gefühlt für alle, die zu diesem Land gehören und es nicht wiedersehen können.“ (Bismarck 1964) Aus der Allgemeinheit dieses Anspruchs auf ‚Stellvertretung‘ ergibt sich nicht zuletzt die sehr offen gehaltene Umschreibung des in Auschwitz ‚Erfahrenen‘ als ein noch nicht ‚verarbeitetes‘, Begriffe ‚sprengendes‘ ‚Geschehen‘, aber auch die Widersprüchlichkeit von Gefühlen, einerseits einem neu ‚entdeckten‘ ‚Herz für die polnische Geschichte‘, andererseits ‚Schmerz um die verleugnete deutsche Geschichte‘. Die zusammenfassende Einleitung lautet: „Wir haben in Warschau in vielen Gesprächen Vgl. Bismarcks zurückhaltendere Einschätzung in seinen Memoiren: „Ein deutscher Film, der unvoreingenommen und selbstkritisch sich mit der deutschen Geschichte auseinandersetzt […], durfte für die polnische Öffentlichkeit nicht existieren, weil er möglicherweise Zweifel an dem offiziellen Bild der Bundesrepublik geweckt hätte, das die KP der polnischen Bevölkerung vermittelt hatte.“ (Bismarck 1992, 282)
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auch mit Menschen, die uns wie Freunden begegneten, versucht, ein Stück dunkle, trennende Vergangenheit und ein Stück lebendige Gegenwart zu erkennen. Wir haben in Krakau unser Herz für die polnische Geschichte entdeckt. Wir haben in Auschwitz erfahren, wie hier etwas in unserer Zeit geschehen ist, das unser Begriffsvermögen sprengt und vielleicht in Generationen noch nicht verarbeitet werden kann.Wir haben in Breslau den Schwung und Pioniergeist einer wiedererstehenden Stadt und den Schmerz um die verleugnete deutsche Geschichte erlebt. Und nun sind wir auf dem Wege nach zu Hause.“ (Bismarck 1964) Die beunruhigende Bezugnahme auf Auschwitz in der Einleitung von Ruth-Alice von Bismarcks Beschreibung einer Reise in Polen ‚nach Hause‘ hatte 1964 in der Bundesrepublik keine Entsprechung, weder in Reisebeschreibungen in die ‚verlorene Heimat‘ der Kindheit noch in der „Film-Reportage“ (Stehle 1965, 40) des langjährigen „FAZ“-Korrespondenten in Warschau Hansjakob Stehle „Deutschlands Osten – Polens Westen?“, die am 2. Oktober vom Fernsehen des Hessischen Rundfunks gesendet wurde. So erwähnte z. B. der gebürtige Breslauer Walter Laqueur, der der rassistischen Verfolgung durch Emigration nach Palästina entging, bevor er in Großbritannien und den USA Zeithistoriker und Mitarbeiter des Kongresses für kulturelle Freiheit wurde, in seiner vom „Monat“ zuerst gedruckten Reisebeschreibung „Heimkehr. Reisen in die Vergangenheit. Begegnungen mit Schlesien und dem Utopia der Jugendzeit“ (1964) Auschwitz überhaupt nicht. Noch vor der Sendung von Stehles Reise nicht nur „hinter Oder und Neiße“, sondern auch zum „Vergleich“ durch „Ostpolen“ (Stehle 1965, 42) machte der Berlin-Korrespondent der „FAZ“ Dettmar Kramer 1964 seine „Reise in die Heimat“, das pommersche Lauenburg/Lebork. Sein Bericht endete – wie der RuthAlice von Bismarcks – mit einem Essen bei den „jetzigen Bewohner[n] ‚unseres Hauses‘ (Stehle 1965, 137): „Auch diese polnische Familie hatte während des Krieges Schweres durchgemacht. Der Mann im Gefängnis, einer der Söhne in einem Konzentrationslager. Aber die Gegenwart ist stärker. Als wir uns spät abends verabschieden, steht neben dem Auto eine große Wanne mit Äpfeln aus dem Garten, zum Mitnehmen bereit. Wir müssen versprechen, bald wiederzukommen. Am nächsten Morgen fahren wir weiter. Unsere Gedanken kehren noch einmal nach Lauenburg zurück. Zu den alten Erinnerungen sind neue hinzugekommen, die Eindrücke von Lebork. Sie drängen die früheren Jahre immer stärker in den Hintergrund.“ (138) Der einzige auf Auschwitz beziehbare Kommentar in Stehles Film-Reportage wird zu den ersten Bildern aus Ostpolen gegeben: „Auch Wlodawa, einst eine unsaubere Kleinstadt aus Holzhäusern, verwandelt sich heute. Obwohl die Stadt [an der sowjetischen Grenze, H.P.] Hinterland verlor – und die Hälfte ihrer zehntausend Bewohner – ermordete Juden. Langsam, mühsam, begannen die Polen ihr Land aufzubauen, zu modernisieren“ (Stehle 1965, 42). Die einzigen Kommentare zum Faschismus gelten dem filmischen „Weg von Kreisau […] nach Rastenburg“ (48). „Der letzte Besitzer“ Kreisaus „war Helmuth Graf von Moltke, der unter dem Fallbeil in Plötzensee endete. Seine Witwe ist bei den polnischen Gutsarbeitern noch in guter Erinnerung. Eine junge Frau bewahrt ihr Bild. […] Hier […] versammelte der junge Moltke den Kreisauer Kreis, Männer des Widerstandes gegen Hitler, gegen einen Nationalismus, der die Nation in
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die Irre führte. […] Jahre später führte der Weg von Kreisau […] in Hitlers Hauptquartier. […] Das ist die Stelle, wo am 20. Juli 1944 die Bombe den Mann verfehlte, der das alte Reich zerstörte. […] Für die neuen Bewohner des Landes ist der Ort 20 Jahre später makabre Touristensensation geworden.“ (47/48)¹⁵
7 Hansjakob Stehle: Deutschlands Osten – Polens Westen? Noch als Warschauer „FAZ“-Korrespondent hatte Stehle 1960 über die Polen-Reise von Berthold Beitz, dem Generalbevollmächtigten Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, berichtet, den der polnische Ministerpräsident Josef Cyranciewicz auf der Posener Messe nach Polen eingeladen hatte.¹⁶ Stehle deutete die Einladung als „eine Geste“, „daß man [in den Polemiken gegen die Bundesrepublik, H.P.] nicht ‚die‘ Deutschen schlechthin […] meinte“, und als Wirkung von Beitz’ „moralische[m] Kredit, den er in Polen besitzt“: „Als deutscher Betriebsleiter im polnischen Erdölrevier behandelte Beitz seine Arbeiter nicht als Sklaven, sondern als Menschen, und er rettete damals zahlreiche Juden, sogar aus den Transportzügen in die Vernichtungslager.“ (Stehle 1960)¹⁷ Aus den Gesprächen zwischen Beitz und Cyrankiewicz hob Stehle hervor, dass der Ministerpräsident betont habe, „daß man in Polen nicht antideutsch sei, daß man auch Nazis kenne, die umgelernt hätten. Daß es überhaupt an der Zeit sei, einen Strich zu machen“, sowie: „Das Wort ‚Oder-Neiße-Grenze‘ ist im Gespräch mit Beitz nicht
Vgl. dagegen das Schweigen Ruth-Alice von Bismarcks über die Verlobung ihrer Schwester mit dem bereits inhaftierten Dietrich Bonhoeffer, deren Brautbriefe sie erst 1992 kommentiert herausbrachte, die bis 2016 sechs weitere Auflagen erlebten (Bismarck/Kabitz 1992) und als beispielhaft kanonisiert wurden (Mehlhausen 1996, 211): „Das bleibende Vermächtnis der Widerstandskämpfer gegen den nationalsozialistischen Unrechtsstaat ist ihr auch im Scheitern bewährtes Zeugnis für die in der Vollmacht des Gewissens begründete Würde des Menschen.“ (VII). Vgl. zu „Wolfsschanze versus Auschwitz? Widerstand als deutsches Alibi?“, einer Auffassung des 20. Juli als „‚Traum vom unbefleckten Konservativismus. Deutschland denken, ohne Hitler […]‘“, Frank Stern (1994, 650), der der publizierten Überlieferung der Familien des 20. Juli entgegenhält: „Auch die Tagebücher und Briefe oder gar die Fotografien der 500 [nach der Hinrichtung der Herbert Baum-Gruppe, H.P.] ermordeten Juden sind uns nicht überliefert.“ (649) 1955 hatte Ruth Werner im Verlag der Kammer für Außenhandel der DDR die Beschreibung einer Polenreise veröffentlicht, die nicht nach Auschwitz führte, sondern „Rund um die Messe“, was der Untertitel präzisierte: „Reportage über die 14. Internationale Messe in Poznan“ (Werner 1955). Beitz charakterisierte 1984 auf dem Vorblatt der Titelseite von Karl Dietrich Brachers Neuausgabe von Annedore Lebers „Das Gewissen steht auf“ das damit von seiner Alfried Krupp Stiftung verfolgte „Anliegen, das Vermächtnis […] wach zu halten“: „Sie möchte gerade auf die jüngeren Generationen durch die Konfrontation mit den unmittelbaren Zeugnissen der nationalsozialistischen Herrschaft und des persönlichen Widerstandes mahnend einwirken und zur Besinnung anregen.“ Bundespräsident Weizsäcker zitiert in seinem „Geleitwort“ Justus Delbrück, der „sagte: ‚Wenn Gott will, kann er durch den Tod eines Menschen mehr sagen als durch sein Leben.‘ Was vom damaligen Widerstand fortwirkt, sind nicht historische Zusammenhänge oder politische Berechnungen, sondern Charakter, Gewissen, Worte und Taten der handelnden Menschen.“ (Weizsäcker 1984, IX)
7 Hansjakob Stehle: Deutschlands Osten – Polens Westen?
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erwähnt worden.“ (Stehle 1960) Stehles Bewertung der Reise, dass sich Beitz’ „Erkundung – auf polnische Initiative zustande gekommen – als nützlich erweisen“ könne für einen Ausbau von „bislang spärlichen“ Handels- und kulturellen Beziehungen, schränkt er dahin ein, dass „erste Schritte […] aber nicht Sache privater Pfadfinder bleiben“ sollten (Stehle 1960). Beitz versicherte sich durch einen Bericht über die erste Reise vom 6. Dezember 1960 (Ruchniewicz 2002, 142) im Gespräch mit dem Bundeskanzler, bevor er am 22./23. Januar 1961 zum zweiten Mal reiste (147), des Einverständnisses Adenauers. Dieser wiederum informierte den sowjetischen Botschafter über seinen „Wunsch“ „[e]in[es] bessere[n] Verhältnis[ses] mit Polen“, wie die „Aufzeichnung über ein Gespräch zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem sowjetischen Botschafter Smirnow am 12. Januar 1961 im Arbeitszimmer des Herrn Bundeskanzlers“ (144) festhält: „Denn Deutschland – das könne er dem Herrn Botschafter ganz offen sagen – trage eine Schuld gegenüber Polen, an der, wenn sie auch von den Nazis eingegangen worden sei, das ganze deutsche Volk mitzutragen habe. Die Schuld fühle er auch auf sich selbst lasten.“ (144) Für ein ‚Zurückdrängen von Erinnerungen‘ dieser Art durch einen ‚Strich‘ spricht, dass Stehle nicht in seinen Fernsehfilm, sondern erst in die „Dokumentation“ von dessen „Echo“ in „Deutschland“, auch in der DDR, und in Polen eine „erschreckend[e] und beschämend[e]“ „Bilanz“ aufnahm, gestützt auf ein Zitat aus dem offiziösen „Osteuropa-Handbuch“ des Leiters der Arbeitsgemeinschaft Ostforschung Walter Markert, der im Osten Sonderführer für Einsätze hinter der Front gewesen war und 1959 schrieb: „Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit kann sich kaum eine Vorstellung von dem machen, was in seinem Namen in Polen geschehen ist, zumal es aus der Rückschau einer gesitteten Welt die Vorstellungskraft einfach überschreitet“ (Stehle 1965, 164/165). Folgende ‚Bilanz‘ hatte Stehle 1963 am Schluss seines bei Fischer erschienenen Buchs „Nachbar Polen“ gezogen: „Das Land hat im Zweiten Weltkrieg über sechs Millionen Menschen verloren, 22 Prozent der Bevölkerung polnischer und jüdischer Nationalität, die am 1. September 1939 innerhalb der damaligen Grenzen Polens wohnte. Davon sind 644 000 durch unmittelbare Kriegshandlungen umgekommen, 3,577 Millionen in Vernichtungslagern, durch Hinrichtungen und Liquidierung der Gettos. 1,286 Millionen in Gefängnissen und Lagern infolge von Epidemien, Hunger, Erschöpfung, 521 000 außerhalb von Lagern infolge Erschöpfung, Verwundung, Überarbeitung. […] Bei Kriegsende 1945 hatte die Zahl der registrierten Tuberkulose-Kranken gegenüber 1939 um 1,14 Millionen zugenommen.“ (165) Obwohl diese ‚Bilanz‘ in Stehles Sendung fehlte, wurde sie in der DDR-Zeitung „Wochenpost“ mit einer Begründung gelobt, die einen Begriff benutzt, den Stehle im Buch wie im Film gerade vermied; Klaus Polkehn schrieb: „Vor einigen Monaten hatte ich eine Unterhaltung mit Hansjakob Stehle. Er hat jahrelang die stockreaktionäre ‚Frankfurter Allgemeine‘ in Warschau vertreten. Menschliche Sympathien, die er seit jener Zeit für die Polen empfindet, er, der es in Warschau eindringlich sah, welch schreckliche Schuld unser Volk in den Jahren des ‚Generalgouvernements‘ auf sich geladen hat, prägten seine Sendung.“ (116) Am Ende seines Buchs von 1963 plädiert Stehle für „eine bedächtige Vorbereitung und Zubereitung des innenpolitischen Klimas“, das es
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ermöglichen könnte, „das gegenwärtige Wohngebiet des polnischen Volkes in seinem staatlichen Bestand zu garantieren“, und nennt als eine der „atmosphärischen Vorbedingungen“, „daß im Ost-West-Konflikt, dessen Grenzlinie Deutschland teilt, die Tendenz der Entspannung – eine ehrliche, auf Duldung gegründete Koexistenz – vorherrschend würde“ (Stehle 1963, 167). Ans Ende seines Film setzt Stehle Bilder von „Spaziergänger[n]“ vor dem „Straßenschild ‚Westerplatte‘“: „Danzig heute, das alte, neue Danzig . – […] 25 Jahre nach den ersten Schüssen. Nach einem Krieg, der fremdes Land im Osten gewinnen wollte, doch eigenes verspielte. 8,2 Millionen Polen leben nun hier. Fast vier Millionen sind schon hier geboren. Nur Gewalt könnte sie vertreiben oder abtrennen. Gewalt aber will niemand. Es gilt daher den Blick auf die Tatsachen – auch die schmerzlichen – zu lenken.“ (Stehle 1965, 64) Im „Nachbar Polen“ nennt er diesen ‚Blick auf die Tatsachen‘ „verstellt“, wenn er erklärt, weshalb er seine „Anregungen“ „in die Möglichkeitsform“ ‚kleide‘: „Nicht aus Scheu vor der eigenen Einsicht. Sondern in dem Bewußtsein, wie schwer und in wie langen historischen Zeiträumen Prozesse des Umdenkens in Gang kommen, wie drückend die Bürde persönlichen Erlebens und Leidens lastet und wie leicht sie den Blick auf das Wirkliche und Mögliche verstellt. Das gilt im deutsch-polnischen Verhältnis für beide Seiten.“ (Stehle 1963, 167) Stehles Orientierung des ‚Blicks auf das Wirkliche‘ der Gegenwart impliziert nicht nur ein ‚Zurückdrängen von Erinnerungen‘, sondern auch, dass diese auf beiden Seiten einem ‚Leiden‘ gelten, das von der jeweils anderen Seite verursacht worden sei, jede also Opfer der anderen als Täter geworden sei. Aber der Bonner Korrespondent der polnischen Nachrichtenagentur PAP hob positiv hervor, „daß die Mehrheit der westdeutschen Zeitungen […] eine vernünftige Haltung einnahmen“: Sie „beschränkten sich darauf, nur die Sendung als einen Beitrag über die wirkliche Lage in den Gebieten jenseits der Oder und Neiße zu sehen, ohne diese Frage mit der Frage der ‚Anerkennung der Grenze an der Oder und Neiße‘ zu verbinden, die in Westdeutschland umstritten ist“ (Stehle 1965, 123). Das polnische Fernsehen sendete Stehles Film – abgesehen von vier Formulierungen zur Sowjetunion und den polnischen Kommunisten, von denen jeweils zwei gestrichen bzw. geändert wurden (126) – ungekürzt am 15. Dezember 1964, wozu in der Krakauer Wochenzeitung „Zycie Literacki“ angemerkt wurde: „Der Film lief in der Zeit des Aufenthalts der Frankfurter Gerichts-Delegation in Auschwitz. In einem Film von dort sah man den Lokaltermin, der klären sollte, ob man von den Zellen des Lagers die Todeswand sehen konnte, ob die Berichte der Zeugen glaubwürdig sind.“ (129) Auch der Westberliner „Tagesspiegel“ stellte einen „Zusammenhang“ zwischen der Sendung von Stehles Film und dem „dreitägige[n] Aufenthalt der Frankfurter Juristen in Auschwitz“ (130) her, zwischen dem „Versuch“ des polnischen Fernsehens, „von der bisher einschlägigen These, in der Bundesrepublik werde nur eine Hetze gegen Polen betrieben, abzurücken“, und der „Atmosphäre beispielhafter Korrektheit von seiten der polnischen Justizbehörden, aber auch der Öffentlichkeit“: „Daß dies, gemessen an der polnischen Tragödie, die sich im Todeslager von Auschwitz abspielte, nicht gerade selbstverständlich sein mußte.“ (130)
VIII Mit der Delegation des Frankfurter Schwurgerichts in Auschwitz Die Berichte der Beobachter des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, die mit der Delegation des Gerichts nach Oswiecim reisten, stimmen darin überein, dass sie die Bedeutung des eigenen Sehens von Auschwitz betonen. Sie kann in der Korrektur von Vorstellungen liegen, zu denen sowohl Metaphern wie ‚Todesfabrik‘ als auch Begriffe wie ‚Unvorstellbarkeit‘ gehören, aber auch in einem Gesamteindruck, der die ‚Dimensionen‘ der ‚Vorgänge‘ in Auschwitz emotional erfasse. Die Redner bei der Eröffnung der Begleitausstellung des Prozesses, „Auschwitz – Bilder und Dokumente“, Eugen Kogon am Buß- und Bettag 1964 in der Frankfurter Paulskirche und Hans-Joachim Lieber, Philosophieprofessor und Rektor der FU, am 2. Januar 1966 im Hause der Galerie des 20. Jahrhunderts in Westberlin, erörterten, was eine andere Frankfurter Begleitveranstaltung auf die der Losung „Nie wieder Auschwitz“ entsprechende Frage „Nationalsozialistische Vergangenheit und unsere Zukunft“ brachte, die der spätere Justizminister sozialliberaler Bundesregierungen Werner Maihofer so beantwortete: ‚kein Sozialismus ohne Demokratie und keine Demokratie ohne Sozialismus‘. Wenn Kogon von ‚Demokratisierung‘ 1964 spricht, nimmt er vorweg, was 1965 das erstmals, von Hermann Glaser, veranstaltete Nürnberger Gespräch „Haltungen und Fehlhaltungen in Deutschland“ bestimmte, auf dessen Podium u. a. der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und der sich 1995 zu seiner Vergangenheit im SS„Ahnenerbe“ bekennende Hans Schwerte diskutierten: „Was hat Auschwitz mit dem ‚Deutschen Menschen‘ zu tun?“ Während das Nürnberger Gespräch, bevor es als Buch erschien, von der als Antwort auf die antisemitischen Ausschreitungen vom Jahresende 1959 gegründeten „Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums“ gedruckt wurde, erschien Liebers Rede zuerst in der vom Bund der Verfolgten des Naziregimes Berlin herausgegebenen Zeitschrift „Die Mahnung. Zentralorgan demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgten-Organisationen“ und wurde 1967 dann in „Das Argument“ nachgedruckt. In Buchform erschienen in der Bundesrepublik nur Bernd Naumanns Berichte über den Frankfurter Auschwitz-Prozess für die „FAZ“, in der DDR Rudolf Hirschs Berichte für die „Wochenpost“ 1965 in seinem Sammelband „Zeuge in Ost und West. Aus dem Gerichtsalltag“.
In mehreren Reportagen von der Ortsbesichtigung des Frankfurter Gerichts wird daran Kritik geübt, dass nur ein Richter zu der Abordnung des Gerichts gehörte, die nach Auschwitz fuhr. Begründet wird die Kritik mit der Bedeutung des eigenen Sehens von Auschwitz. Die Reporter stellen in unterschiedlicher Weise die Wirkung des in Auschwitz und Birkenau Gesehenen auf sich selbst dar, obwohl fast keiner in der 1. Person Singular vom Gang der Delegation durch Birkenau und Auschwitz berichtet. Aber gerade die verallgemeinernde Formulierung bindet Gefühle und Bewertungen an in Auschwitz für jeden, auch zukünftigen Besucher Sichtbares als etwas, das den Richtern und Geschworenen entgangen sei, die nicht nach Auschwitz gereist sind. Der Reporter der Frankfurter „Abendpost“, Paul Mevissen, beendet seine Reportage mit dem schneidenden Satz: „Das Gericht, das in Frankfurt urteilen muß, hätte in Auschwitz sehen sollen, weshalb es zu urteilen hat.“ (Mevissen 1964) Das Sehen wird in den Berichten über die Ortsbesichtigung verglichen mit dem Hören von Zeugenaussagen, dem Lesen von Dokumenten, dem Sehen von Fotos, Schaubildern und Karten. So überschreibt Maurycy Kamieniecki den Bericht, der er für „Stimmen und Begegnungen. Informationsbulletin der Deutschen Gesellschaft für Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen mit Polen“ erstattete: „Das Lager als Kronzeuge“, https://doi.org/10.1515/9783050095851-010
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wenn er der „Ortsbesichtigung“ in Auschwitz eine ‚tiefere Ausdruckskraft‘ als ‚trockener Information‘ zuschreibt: „Sie offenbarte […] den Vertretern des Tribunals das volle Grauen der Todesfabrik Auschwitz. […] Man muß dem Staatsanwalt Kügler recht geben, wenn er sagte, daß alle Richter aus Frankfurt, einschließlich der Schwurrichter, nach Auschwitz kommen müßten, da die theoretische Kenntnis der Probleme dieses Lagers bestimmt unzureichend sei. Während der Ortsbesichtigung haben die trockenen Informationen, über die das Gericht verfüge, eine neue, tiefere Ausdruckskraft gewonnen.“ (Kamieniecki 1964, 13) Auch der Gerichtsreporter der DDR-Zeitschrift „Wochenpost“ Rudolf Hirsch kritisierte die Abwesenheit der Mehrheit der Mitglieder des Gerichts von der ‚Ortsbesichtigung‘: „Schade, daß nur ein Richter des Frankfurter Schwurgerichts, Amtsgerichtsrat Hotz, das mit eigenen Augen gesehen hat. Warum sind die beiden anderen Berufsrichter und die sechs Geschworenen nicht mit da? Sie hätten hier das wirkliche Bild von Auschwitz bekommen.“ (Hirsch 1965, 224) Das ‚mit eigenen Augen‘ gesehene ‚wirkliche Bild‘ wird vom Gerichtsreporter des „Spiegel“ am explizitesten auf die Gefühle und Bewertungen des Auschwitz Sehenden bezogen, die sich in seinen Eindrücken ausdrücken. Denn er betont einleitend, dass an den 121 bisherigen Verhandlungstagen, die er einen „Aschenregen auf das Selbstbewußtsein der Bundesrepublik“ nennt, die „ungesühnte Wirklichkeit der Lager“ sich nur in „Schaubildern, Photos und Worte[n]“ „dargestellt“ habe, also „in einem Halbdunkel, in dem das Selbstbewußtsein aufbegehren konnte“ (Mauz 1965, 234). Deshalb kontrastiert mit dem zweiten Teil der Reportage aus Auschwitz der etwas ausführlichere erste Teil, der auf die bundesrepublikanische „Stimmung“ der ‚Prozessbeteiligten‘ beim umständlichen Flug nach Warschau abstellt, die mit der von „Vatertagsausflüge[n]“ verglichen wird: „Was wie ein Ausflug an Himmelfahrt begann“ (235), und aus dem der etwas launige Titel stammt „Wo ist denn unser Angeklagter?“ (234), Franz Bernhard Lucas, von dem es dann aber nur – ebenso wie vom Nebenkläger Henry Ormond, dessen schon am 53. Verhandlungstag im Juni gestellter Antrag auf „Lokaltermin“ (233) bereits erwähnt ist – heißt, dass er „still dabei“ „sitzt“ (234). Noch in Krakau wird entsprechend gewitzelt: „Peter Weiss stapft groß, in blauem Hemd mit roter Krawatte, durch das Treiben. Die Literatur an die Front des Auschwitz-Prozesses. ‚Für uns wird Martin Walser über die Verhandlung schreiben‘, kann Paul Mevissen, Frankfurter ‚Abendpost‘, ankündigen.“ (235) Doch im zweiten Teil der Reportage nimmt Mauz das einleitend charakterisierte ‚Selbstbewußtsein der Bundesrepublik‘ wieder auf, als die Gruppe am Stammlager ankommt: „Die Beteiligten […] betreten einen Schlachthof für Menschen […,] ein Geviert von 500 mal 500 Meter, in dem sich jeder Stein der 28 Blocks dem auf die Brust legt, der hierher als Deutscher kommt. Der Weg zu dem kleinen Hof zwischen Block 11 und 10 ist kurz, aber auf diesem Weg geht jedes Wort verloren. Der Alpdruck der Prozesse um die Vergangenheit, das Aufbegehren gegen ihre peinvolle Mühsal (in wem, der nicht zu den überlebenden Opfern gehört, hat es sich nicht schon einmal geregt), die Zuflucht ‚Was haben die anderen getan!‘ – fort, ausgelöscht. In dem kleinen Hof, vor der schwarzen Wand, an der 20 000 Menschen erschossen wurden, gelingt oder widerfährt es der Abordnung des Schwurgerichts, Entsetzen, Ohnmacht und Reue auszudrücken. Eine Minute lang
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wollte die Abordnung schweigend hier gedenken. […] Hier länger stehen, eine Minute lang, vor den Objektiven gar. Hier kann man nur allein stehen.“ (235/236) Der Eindruck, den das von der Gruppe Gesehene auf sie als Deutsche macht, wird von Mauz ausgedrückt in Gefühlen und Bewertungen, auch metaphorisch, wenn der Stein auf der Brust die Absage meint – offen gelassen bleibt, ob ‚gelungen‘ oder ‚widerfahren‘ – an Aufrechnung von Unrecht und Ablehnung von Schuld. Mauz führt zwei „Erkenntnis[se]“ an, „die jeder aus Auschwitz und Birkenau mitbringt“ (236), die erste betrifft die „Angeklagten“ und wird „schon auf dem ersten Weg zur Todeswand im Stammlager“ gewonnen: „‚Daß alles so dicht beieinanderliegt‘, murmelt ein Anwalt. Nein, niemand hat sich vorstellen können, wie nahe die Gebäude dieses Laboratoriums zusammenstehen, in dem die Techniken des Schlachtens und Sterilisierens erprobt wurden. Wer hier war und nicht gewußt haben will…“ (236) Die Metapher ‚Techniken des Schlachtens‘ begegnet auch in der „andere[n] Erkenntnis“: „Sie macht die Boger, Kaduk und wie sie heißen endgültig zu Figuren, die zwar für eigene Taten einzustehen haben, die aber auch für alle stehen, in deren Namen Auschwitz und Birkenau geschah. Diese Schlachthöfe haben einzelne errichtet und betrieben. Aber sie konnten nur aus dem Wahnsinn eines ganzen Volkes heraus handeln. Boger, Kaduk und wie sie heißen: Kein Urteil über sie wird die Deutschen entlasten. In Auschwitz und Birkenau endete, was die Deutschen beginnen sahen und beginnen ließen, als ihre jüdischen Mitbürger ausgestoßen, zusammengetrieben und abgefahren wurden.“ (236) Offen bleibt hier, ob sich die Schuld der Deutschen auf die an der Ermordung der europäischen Juden begrenzt, wie auch, wenn Peter M. Wiese im New Yorker „Aufbau“ in „Lokaltermin in Auschwitz“ von den Angeklagten schreibt, dass sie „sich wegen des Mordes und der Beihilfe zum Mord an Juden in einer unbestimmten Vielzahl verantworten müssen“ (Wiese 1964), aber auch polnische und sowjetische Opfer erwähnt. Am explizitesten wurde die Ermordung der Juden in Birkenau von dem westdeutschen VVN-Mitglied und ehemaligen Buchenwald-Häftling Karl Feuerer thematisiert, am ausführlichsten vom DDR-Gerichtsreporter Rudolf Hirsch, der sich selbst den LeserInnen der „Wochenpost“ als Jude vorstellte und die Reportage mit einer Frage zu seinem Deutscher-Sein schloss. Feuerer verbindet die Angabe der Zahl jüdischer Opfer mit einem Bild, das in ihrem letzten Blick war: „Mindestens zwei, wahrscheinlich aber vier Millionenen Juden aus ganz Europa, gingen hier ihren letzten Weg. Das letzte Bild, das sie von dieser Welt mit in den Tod nahmen, war die erbarmungslose, trostlose Todeslandschaft von Birkenau.“ (Feuerer 1965, 9) Hirsch, der seit 1939 in Palästina war und dessen Mutter 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert wurde (Atze 2004, 754), resümiert im einleitenden Absatz in der Wir-Form den Gang der Prozessbeteiligten durch das Stammlager und Auschwitz-Birkenau: „Und wir sind froh, als wir wieder hinausgehen. Es ist kalt. Und wir schämen uns“ (Hirsch 1965a, 223), um mit einem abrupten Bedeutungswechsel im grammatisch beibehalten Personalpronomen fortzufahren: „Unsere Mütter, Väter, unsere Schwestern und Brüder, unsere Kinder lebten hier und starben. In dünnen Kleidern, in Holzpantinen, täglich den Tod vor Augen, täglich die grausigen Flammen aus den Schornsteinen der Krematorien. Täglich das Anrollen der Züge aus Europa.
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Und immer mehr Menschen.“ (223) Der durch die Wiederholung von ‚täglich‘ unterstrichene „Massencharakter“ (Henkys 1966, 74) des Verbrechens bestimmt auch den Ausgangspunkt von Hirschs Abschluss seiner Reportage: „Die Baracken, die als Museum eingerichtet sind, sehen die Richter nicht. Dort liegt hinter Glas, aufbewahrt und gehütet wie die größten Kostbarkeiten der Welt, was von den Ermordeten blieb.“ (Hirsch 1965, 227) Von den in „riesige[n] Vitrinen“ liegenden „[r]iesige[n] Bergen“ von Frauenhaar, Schuhen, Brillen, Rasierpinseln, Zahnbürsten, Kämmen, Spielzeug, Prothesen und Koffern fokussiert Hirsch den letzten: „Die Namen der Besitzer sind mit großen Buchstaben darauf geschrieben. Sie hatten gehofft, man würde ihnen die Koffer wieder aushändigen. Mit Herzklopfen lese ich Namen und fürchte, hoffe, einen bekannten Namen zu finden. Nein, kein Bekannter. Es sind zu viele.“ (227) Hirsch greift zurück auf seine Formulierung, „das, was von den Ermordeten blieb“, werde „aufbewahrt“, zurück, indem er sie intensiviert und kontrastiert mit zwei Gruppen von Industriellen, deren Tätigkeit in Auschwitz und seinen Nebenlagern, vor allem Monowitz, vom Frankfurter Verfahren ausgeklammert wurde, mit der auf die Nürnberger Nachfolgeprozesse gegen die IG Farben und Krupp verweisenden Begründung, „daß über die Tatsachen, die in anderen Prozesses bereits verhandelt worden seien, in diesem Prozeß nicht noch einmal gesprochen werden sollte“ (Schneider 1994, 34): „Hier liegt aufgebahrt, was zu erbärmlich war, um in das ‚Reich‘ verschickt zu werden, was die Herren der IG Farben und die Herren von Krupp nicht mehr brauchbar fanden, um es an ihre ‚freien Gefolgschaftsmitglieder‘ zu verkaufen. Sie sitzen heute behaglich, geehrt und hochdekoriert [… in] der Bundesrepublik […], die Nutznießer dieses Bahnanschlusses und der Sklaven. Sie sitzen in Deutschland, in jenem anderen Teil. Das Land, das meine Sprache spricht. Spricht es noch meine Sprache?“ (Hirsch 1965, 227)
1 Sichtbarkeit von Unvorstellbarem: Todesfabrik, Dimension, Gesamteindruck Wie Gerhard Mauz’ Metapher ‚Schlachthof‘ nicht die einzige ist, die in den Reportagen von der ‚Ortsbesichtigung‘ verwendet wird, so ist auch der in seiner ‚ersten Erkenntnis‘ von Mauz benutzte Begriff der Unvorstellbarkeit in anderen Reportagen zu finden. Bemerkenswert ist jedoch, dass Mauz den Begriff retrospektiv benutzt und damit die Bedeutung des Sehens von Auschwitz mit den eigenen Augen unterstützt: Was in Auschwitz gesehen werden kann, war vorher in Frankfurt nicht vorstellbar gewesen. Oder, wie der Prozessbeobachter der „FAZ“ Bernd Naumann über die Blöcke 10 und 11 im Stammlager und die Rampe in Birkenau schreibt: „An solchen Orten informieren sich die Prozeßbeteiligten des Frankfurter Auschwitz-Verfahrens, ob ihre Vorstellung, die sie bisher gewonnen haben, dem Zeugnis der Vergangenheit entspricht.“ (Naumann 1968, 213) Aber schon bevor ‚Prozessbeteiligte‘ begannen, eine ‚Vorstellung‘ von Auschwitz zu ‚gewinnen‘, hatte Erich Kuby, der den Prozess als Möglichkeit betrachtete für einen „Versuch […], der Öffentlichkeit zu sagen, was Auschwitz eigentlich“
1 Sichtbarkeit von Unvorstellbarem: Todesfabrik, Dimension, Gesamteindruck
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war, 1963 in „Konkret“ betont: „Die Vorstellungen, die mit dem Begriff ‚Lager‘ verbunden sind […], werden der Wirklichkeit weichen müssen.“ (Kuby 1994, 8). Denn Auschwitz sei nicht „ein Platz mit Stacheldraht und Baracken“, sondern „Industrieanlagen, Kasernen, die Stadt Auschwitz selbst, die umliegenden Dörfer, Bahnhöfe, Bahntrassen, Verwaltungszentren, Forschungsinstitute, Magazine, angefüllt mit gestohlenem Gut, Verteilerorganisationen, Gaskammern, Krematorien – dies alles, über ein riesiges Gebiet verteilt, wird vor unserem geistigen Auge wieder, für die meisten aber wohl zum ersten Mal erstehen“ (8). Die aufgezählten ‚Vorstellungen‘ des ‚geistigen Auges‘ vom ‚wirklichen‘, ‚eigentlichen‘ Auschwitz fasste Kuby vergleichend zusammen „sozusagen“ als „die Topographie dieses Lager, seine Zweckbestimmung und seine tatsächliche Verwendung“ (8). Paul Mevissen benutzt den Begriff der Unvorstellbarkeit in seinem Bericht der Ortsbesichtigung in der „Abendpost“ beim Übergang vom Stammlager nach Birkenau. Während die mit einem anaphorischen „Da ist/sind“ gegebenen Informationen, wie in den Blöcken 21 bis 23, 20 und 28, auf dem Appellplatz, am Galgen und in Block 11 „sadistisch vorgegangen“ wurde, eingeleitet werden: „Auf Schritt und Tritt begegnet man, wovon die Zeugen vor dem Frankfurter Tribunal gesprochen haben. Was bisher wie ein Alpdruck aus einem infernalischen Roman wirkte, wird nun grauenhafte Wirklichkeit“ (Mevissen 1964), heißt es vor dem dreimal anaphorischen „Keine“ Sprache könne „beschreiben“, kein Berichterstatter „schildern“, kein Bild „das Ausmaß der Trauer wiedergeben“: „Die organisierten Morde an Zehntausenden begannen erst später. Man baute die Todesfabrik – etwas, was sich völlig menschlicher Vorstellungskraft entzieht –, die Tote produzierte und nur das – bis zu 25 000 Tote pro Tag.“ Die Anaphern und der erläuternde Satz sind in einer größeren Type gesetzt und um Fotos gruppiert, die Baracken, Gleise, die mit der Rampe enden, und das Mahnmal in Birkenau mit Blick auf den Zaun zeigen. Mevissens Zahlenangabe zur Kapazität der Krematorien unterscheidet sich von der, die Rudolf Hirsch macht, aber noch stärker kontrastiert, wie Hirsch seine Beschreibung der „riesige[n] KonzentrationslagerGroßstadt“, die „um die Rampe gebaut worden“ sei: „Links Baracken und rechts Baracken“, einleitet: „Wer Vorstellungskraft hat, weiß, was in Auschwitz geschah. Er braucht nur ein einziges Dokument zu lesen: Der Leiter der Zentralbaustelle der Waffen-SS und Polizei meldet am 28. Juni 1943, daß die Kapazität der Leichenverbrennung in den bestehenden Krematorien in den bestehenden Krematorien während vierundzwanzig Stunden zu Zeit folgende sei: […] I (Auschwitz), II-V (Birkenau) 4756 Leichen“ (Hirsch 1965a, 225). Während für Mevissen die Zahlenangabe die Unvorstellbarkeit einer Fabrik, die ausschließlich Tote produziere, belegt, vermittelt für Hirsch die Vorstellung von 4756 Toten pro Tag ein Wissen vom Geschehen in Auschwitz. Mevissens Verwendung des Begriffs Unvorstellbarkeit bezieht sich auf eine der am häufigsten in den Reportagen über die Ortsbesichtigung benutzten Metaphern, die nicht erst seit dem 1957 deutsch erschienenen Buch „Die Todesfabrik Auschwitz“ von Ota Kraus und Erich Kulka zirkulierte. Aber eine Angabe von Quantität kann sich auch mit dem Begriff Unvorstellbarkeit verbinden, ohne dass diese Metapher für das Ge-
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schehen in Auschwitz verwendet wird: „Die nebensächlichen kleinen Dinge bekommen übergroße Dimensionen durch die unvorstellbaren Vorgänge, mit denen sie verbunden sind“, schreibt der Reporter der „Frankfurter Rundschau“ Joachim W. Reifenrath (1964b), der noch detaillierter als Naumann in der „FAZ“ die „[g]enaue[n] Untersuchungen“ der „Sicht- und Hörbarkeitsverhältnisse“ im und um „Bunkerblock 11“ (Naumann 1964) am zweiten Tag der Ortsbesichtigung darstellt. Zu den „Messungen“ am ersten Tag in Birkenau betont Reifenrath eine Korrektur der im Prozess gewonnenen Vorstellung durch den „Augenschein“: „Was im Prozeß unendlich weit erschien, weil es draußen hinter dem doppelten Stacheldrahtzaun lag, liegt in Wahrheit in unmittelbarer Nähe der Häftlingsblöcke.“ (Reifenrath 1964a) Bevor der Reporter verschiedene Messungen im Stammlager: „Das Bandmaß kommt nicht zur Ruhe“, als „absurd erscheinende Tätigkeit“ berichtet: „Warum das alles?“, greift er auf ein Gepräch mit dem Angeklagten Lucas am Vortrag zurück: „Jeder Mensch konnte gestern sehen, daß Männer, die in diesem Verwaltungsbau arbeiteten, einfach alles mit angesehen haben müssen. Sie können nicht von nichts gewußt haben. Aber sie erinnern sich nicht.“ (Reifenrath 1964b) Reifenrath hat zunächst Lucas’ Aussage, das „‚alles anders‘“ sei, entgegengesetzt: „Die Gleise liegen da wie damals“, um sich jetzt zu korrigieren: Lucas „hat in schrecklicher Weise recht“, ohne dass ausbuchstabiert würde, dass Millionen Menschen ermordet worden sind. Der Schlusssatz von Reifenraths Bericht benutzt hierfür ästhetisch wertend den Begriff der Unvorstellbarkeit: „Hier zeigt sich die Dramatik dieser Ortsbesichtigung. Die nebensächlichen kleinen Dinge bekommen übergroße Dimensionen durch die unvorstellbaren Vorgänge, mit denen sie verbunden sind.“ Der Begriff der Unvorstellbarkeit bezieht sich bei Reifenrath nicht auf die Metapher Todesfabrik, sondern auf die ‚übergroßen Dimensionen‘ der ‚Vorgänge‘ in Auschwitz. Was Reifenrath als ‚Dramatik‘ der Ortsbesichtigung bezeichnet, die Beziehung zwischen ‚nebensächlichen kleinen Dingen‘ und ‚übergroßen Dimensionen‘, ist für den Warschau-Korrespondenten des „Neuen Deutschland“ Gegenstand einer Kritik am Frankfurter Gericht, die er allerdings referiert, wobei er ausdrücklich an eine andere anknüpft: „Mehrere Beobachter konstatierten auch, daß die westdeutsche Delegation bis jetzt durch die starre Untersuchung unwichtiger Details den Blick für die Gesamtheit des Verbrechens verliert.“ (Kolmar 1964) Die vorangegangene Kritik gilt den Verteidigern im Auschwitz-Prozess, die nicht an der Ortsbesichtigung in Auschwitz teilnehmen, das Kolmar einleitend „mit dem Blut von vier Millionen Menschen aus 23 Ländern getränkt“ nennt: „Unter den westdeutschen Verteidigern wurden solche wie Laternser und Stolting vermißt, die es besonders nötig gehabt hätten, das Ausmaß der fürchterlichen Verbrechen ihrer Klienten und die Tragödie jener Zeugen zu studieren, die sie fortwährend vor dem Frankfurter Gericht beleidigen.“ (Kolmar 1964) Während der „FR“-Reporter den ‚übergroßen Dimensionen‘ der ‚kleinen Dinge‘ Unvorstellbarkeit zuschreibt, fordert der „ND“-Reporter ein ‚Studium‘ des ‚Ausmaß[es] der fürchterlichen Verbrechen‘, das er einen ‚Blick für die Gesamtheit des Verbrechens‘ nennt. Bemerkenswert ist die – den Begriff ‚Gesamtheit‘ unterstreichende – Verwendung des Singulars, wenn der bisherigen ‚starr‘ auf ‚unwichtige
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Details‘ gerichteten ‚Untersuchung‘ vorgeworfen wird, den ‚Blick für die Gesamtheit des Verbrechens‘ zu verlieren. Der von Kolmar als bei der Ortsbesichtigung fehlend hervorgehobene Verteidiger Laternser hatte sich im Prozess insbesondere gegen die Auffassung der Staatsanwaltschaft, die „die Massenverbrechen als eine einheitliche Handlung betrachte“, gewandt, nämlich „‚daß schon das bloße Dortsein auf der Rampe – ohne dort etwas zu tun – schon eine Beteiligung in Form der Mittäterschaft‘ gewesen sei“, hatte Laternser „völlig unhaltbar“ (Jasch/Kaiser 2017, 147/148) genannt. Kolmar benutzt mit ‚Ausmaß‘ ein Synonym zu ‚Dimension‘,¹ das auch von anderen Reportern, aber auch von AutorInnen verwendet wird, die nicht an der Ortsbesichtigung des Gerichts teilgenommen, sondern den Frankfurter Prozess in unterschiedlichen Formen kommentiert haben, sei es vor dessen Beginn, sei es nach Sprechung der Urteile; auch der von Kolmar benutzte Begriff ‚Gesamtheit‘ spielt in diesen Stellungnahmen eine Rolle, wenn es um die ‚Unvorstellbarkeit‘ des Verbrechens geht. Das „Wort des Rates der EKD zu den NS-Verbrecherprozessen vom 13. März 1963“ ging davon aus, dass in Prozessen wie dem damals noch nicht eröffneten Frankfurter „Verbrechen, die von Gliedern unseres Volkes an Millionen von Juden und anderen Volksgruppen, an Männern, Frauen und Kindern verübt wurden, in ihrem ungeheuren Ausmaß und in ihrer ganzen Brutalität noch einmal vor uns aufstehen“, die Gerichte aber „in Abgründe von Unrecht und Unmenschlichkeit zu blicken haben, die ein normales Vorstellungs- und Fassungsvermögen weit übersteigen“ (Henkys 1965, 339). Die Autoren des Rats der EKD schlossen sich ein in die durch die Prozesse zur „bisher versäumt[en] oder zu leicht genommen[en]“ „Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit unseres Volkes herausgefordert[en]“ (339) „Wir Älteren“, die „noch einmal gefragt“ würden, „ob wir das Ausmaß der […] unbeschreiblich grausam ausgeführten Massenverbrechen endlich zur Kenntnis nehmen wollen, statt die Erinnerung daran zu verdrängen und jede Mitverantwortung zu leugnen“ (341). Der Appell, das ‚Ausmaß‘ von ‚normales Vorstellungsvermögen übersteigendem‘ ‚Unrecht‘ ‚endlich zur Kenntnis nehmen‘, folgte aus der Feststellung der ‚Mitschuld‘ „[a]uch de[s] Bürger[s], der an den Verbrechen nicht beteiligt war, ja nichts von ihnen wußte, […] weil er lässig war gegen die Verkehrung aller sittlichen Normen und Rechtsmaßstäbe in unserm Volk“ (341). Die EKD schloss sich und ihre Gemeinden ausdrücklich in „diese[…] Schuld“ ein mit der „beschämende[n] Erkenntnis“: „Denn wo es Sache aller Christen gewesen wäre, uns […] schützend vor die Opfer dieses Systems, zumal vor die unter uns lebenden Juden, zu stellen, da haben nur wenige die Einsicht und den Mut zum Widerstand gehabt. […] Es waren die Irrwege unseres ganzen Volkes […], die diese Verbrechen möglich gemacht haben.“ (341) Mit diesem Bekenntnis zu Mitschuld, Wahrig 2006, 372: Ausmaß: Umfang, Ausdehnung; Dimension: (lat. Ausmessung) 1. Richtungserstreckung eines Körpers (Breite, Höhe, Länge), Abmessung, Ausdehnung; 2. Beziehung einer beliebigen Größe zu den Basisgrößenarten eines Maßsystem, wie z. B. Länge, Temperatur, Masse; Duden 1994, 343: Synonyme zu Dimension: 1. Abmessung, Ausdehnung, Maß; 2. Ausbreitung, Ausdehnung, Ausmaß, Ausweitung, Erstreckung, Form, Grad, Größe, Größenordnung, Maß, Reichweite, Umfang.
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Scham und „Umkehr“, die der „düstere[n] Vergangenheit […] sich […] stellt, um sie zu überwinden“, und sich die Prozesse „zur bitteren Lehre dienen lassen“ müsse (342), ging die EKD weiter als der schon am 23. September 1962 in den katholischen Kirchen verlesene „Bußruf der deutschen Bischöfe“ zur „ernsten Sühne für all die furchtbaren Verbrechen, die von gottlosen Machthabern im Namen unseres Volkes gegen die grundlegenden Menschenrechte verübt wurden“, „insbesondere [..] die unmenschliche Vernichtungsaktion gegen das jüdische Volk“ (346). Der religiösen Begründung der exklusiven Hervorhebung der Juden unter den Opfern, weil „das jüdische Volk […] der Menschheit die Offenbarung des einen wahren Gottes überlieferte und […ihm] der Welterlöser Jesus Christus dem Fleische nach (Röm. 9,5) entstammt“, entspricht das Versprechen göttlicher Vergebung für vage gelassene Schuld eines Adressaten, der „vielleicht selber sich vom Machtrausch blenden und vom gottlosen Rassenwahn anstecken ließ“ (346). Dass das für ‚unvorstellbar‘ gehaltene Verbrechen dennoch zur ‚Kenntnis‘ genommen werden könne, begründeten Elisabeth Freundlichs „Vorläufige Bemerkungen zum Frankfurter Auschwitz-Prozeß“ in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ mit der Unterstützung des kurz zuvor gestellten Antrags des Nebenklägers Henry Ormond auf „Lokalaugenschein“: „keine noch so anschauliche Skizze, keine wissenschaftliche Schilderung der Verhältnisse könne den persönlichen Eindruck ersetzen“ (Freundlich 1964, 637). Gerade weil sie davon ausging, dass „das bürgerliche Strafrecht Mordaktionen dieses Ausmaßes gegenüber machtlos bleibt“ (637), betonte sie die öffentliche Wirkung, die sie von dem ‚persönlichen Eindruck‘ der Mitglieder der Delegation des Gerichts erwartete: „Eine solche Fahrt im Namen des deutschen Volkes an die Stelle tiefster deutscher Schande, sie hätte Symbolwert; unabsehbar der Eindruck, den sie in In- und Ausland machen würde!“ (638) Diese Erwartung bestätigt auf besondere Weise der letzte Satz, mit dem Peter Fink in seiner Reportage für den „Vorwärts. Die Zeitung der deutschen Sozialdemokratie“ den ,Eindruck‘ der Delegation resümiert: „Für alle Beteiligten aber kam die Erkenntnis: es ist unmöglich und unzureichend, mit juristischen Mitteln zu sühnen, was dort geschah.“ (Fink 1964) Finks Bericht kontrastiert „die gespenstische Atmosphäre dieses Ortes“, die „auf jedem“ „lastete“, „der durch berüchtigte Tor das Lager betrat“, aus dessen „Backsteinmauern des Stammlagers, […] Baracken von Birkenau und […] Trümmern der gesprengten Gaskammern […] noch 20 Jahre nach der Befreiung der letzten Häftlinge das Grauen“ „atmet“, mit der Wirkung der „Einzelheiten“ auf Richter und Staatsanwälte, die „nicht gekommen“ waren, „die Atmosphäre dieses Ortes auf sich wirken zu lassen“, sondern „Zeugenaussagen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen“: „Leidenschaftslos und sachlich“, „Punkt für Punkt“, „bestätigt“ oder „widerlegt“. Fink nennt es „gleichnishaft“, dass „[n]ur einer von 21“ Angeklagten „von sich aus bereit“ gewesen sei, „mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden“: „Es scheint, als ob die ehemaligen SS-Schergen glaubten, sie seien damals unbeobachtet geblieben“ – ein Schluss, mit dem der Reporter die Metapher ‚gespenstisch‘ vom Anfang wieder aufgreift, bevor er das zitierte Resümee zieht.
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Mit dem Begriff der Atmosphäre begründete auch Hermann Langbein, der 1952 das Internationale Auschwitz-Komitee mit gegründet hatte und bis 1960 dessen Generalsekretär gewesen war, in der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ die Notwendigkeit der vom Gericht noch nicht beschlossenen Ortsbesichtigung, damit „das Frankfurter Gericht die Atmosphäre des Vernichtungslagers zu verspüren bekommt, die auch 20 Jahre später über der Gegend lastet, wo jahrelang Tag und Nacht Scheiterhaufen brannten und wo man heute, wenn man absichtslos einige Erdbrocken in die Hand nimmt, Knochenteile finden kann. Ein solcher Eindruck kann durch keine Schilderung ersetzt werden“ (Langbein 1964). Was Kolmar als ‚Gesamtheit des Verbrechens‘ von dessen sichtbaren Einzelheiten unterschieden hatte, wurde von Peter M. Wiese als „Gesamteindruck“ bezeichnet, wofür er sich auf die Auskunft des Frankfurter Oberstaatsanwalts Großmann berief, dass der „Lokaltermin für die Beweisaufnahme […] unbedingt erforderlich gewesen“: „Der Gesamteindruck des Lagers sei für ihn und die Staatsanwälte, obwohl sie seit Jahren mit diesem Material zu tun hätten, entsetzlich und erschütternd.“ (Wiese 1964) In Wieses Beschreibung von Birkenau, die einen Blickwechsel zunächst nach Osten, dann nach Westen über Details vom Blickpunkt in der Mitte führt, „bietet sich ein gespenstischer Anblick: soweit das Auge reicht, unüberwindliche, einst elektrisch geladene Stacheldrahtzäune. Schlamm, Wasserpfützen und schmutziger Schnee bedecken teilweise das 120.000 Quadratmeter umfassende, ehemalige Hauptvernichtungslager. […] Der unleserliche, zerfetzte Teil eines Gebetbuches, ein undefinierbarer Knochensplitter finden sich im Morast einer nicht zugeschütteten Verbrennungsgrube. Eine grauenhafte, trostlose Stätte des Todes. […] Flatternd steigt ein Schwarm Krähen in der anbrechenden Dunkelheit auf, an Totenvögel erinnernd. ‚Und dort‘, deutet der polnische Begleiter, ‚liegt die Rampe‘. Für Millionen ahnungsloser Menschen der Aussteigebahnhof zum Tod.“ So wie Wiese den „Anblick: soweit das Auge reicht“, „gespenstisch“ (Wiese 1964) nennt, betont Karl Feuerer den „[b]is zum Horizont“ gehenden Blick auf die „gigantische[…] Menschenvernichtungsanlage“: „Bis zum Horizont ragen auf diesem Gelände, hinter den noch erhaltenen Holzbauten, zwischen Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen, zahllose steinerne Kamine wie warnende Finger in den Himmel – die Überbleibsel der anderen inzwischen verwitterten und abgetragenen Baracken.“ (Feuerer 1965, 8) Alle zuletzt zitierten Beschreibungen eines ‚Gesamteindrucks‘ von Birkenau benutzen Metaphern, um das Ausmaß, die Dimension des Verbrechens in einem Bild zu erfassen, das Deutung, Erklärung oder Bewertung enthält. Dasselbe Bild kann gegensätzliche Bedeutung tragen. So beendet der Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ Dieter Lau seinen Bericht vom „Lokaltermin im KZ“: „Die Natur, die die Trümmer der Krematorien und Verbrennungsgruben überwuchert hat, konnte dieser Mordfabrik auch nach 20 Jahren nicht den Schrecken nehmen. In Birkenau hat jedenfalls die Besichtigung auf die Gerichtsabordnung mehr gewirkt als Protokollierung von Entfernungen und Sichtmöglichkeiten. Hier, an dieser Stätte der Massenver-
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nichtung, erscheint das Abwägen von Einzeldelikten verschiedener Angeklagter fast sinnlos.“ (Lau 1964) Ganz anders benutzte ein Bild von ‚Trümmer überwuchernder Natur‘ ein Mitarbeiter der „Neuen Zürcher Zeitung“, der im Sommer 1964, als das Gericht sich noch nicht zur Ortsbesichtigung entschlossen hatte, nach Auschwitz gereist war. Der mit dem Kürzel „bk.“ zeichnende Autor setzt das Naturbild ebenfalls an den Schluss seiner Reisebeschreibung, ausdrücklich als „schreckliche und tröstliche Symbolik zugleich“: „Zwischen den Trümmern […] wuchert das Gras; es wächst über dem blutgetränkten Boden der ‚Rampe‘, steht meterhoch im bizarren Wald stehengebliebener Barackenkamine, quillt aus den eisernen Mäulern der umgestürzten Verbrennungsöfen und breitet sich als weicher Teppich über die aufgeworfenen Schollen der ehemaligen Massengräber. Wo die Geleise der ‚Rampe‘ enden, steht ein schlichtes steinernes Mahnmal. Nicht weit davon, im brackigen Wasser der Teiche, in die einst die Asche der Toten geschüttet wurde, spiegeln sich friedlich die Birken, die dieser Stätte den Namen gaben.“ (bk. 1964) ‚Schrecklich‘ ist an der ‚Symbolik‘ der Bezug auf eine Vergangenheit, von der „heute“ nur „[e]ine Mondlandschaft aus Betontrümmern und verbogenen Eisenträgern“ etwas „[be]zeugt“, nämlich die „vor dem Eintreffen der Russen“„den Deutschen gelungen[e]“ Sprengung von den (fälschlich statt vier) „fünf großen, aus Gaskammer und Krematorium bestehenden ‚Kombinaten des Todes‘, die als „furchtbarste Ausgeburt mißbrauchten Erfindergeister“ bezeichnet werden so wie die Sprengung als „diese[s] Schlußritual mörderischen Irrsinns“. Als ‚tröstlich‘ präsentiert der Autor die mehrfache ‚friedliche‘ ‚Spiegelung‘ von über Rampe, Baracken, Krematorien und Gräber wachsendem Gras. Mit der Verwendung des aus dem Russischen in die offizielle ökonomische Terminologie der DDR übernommenen Begriffs ,Kombinat‘ (für eine Vereinigung mehrerer VEBs) scheint der Autor die Frage nahezulegen, was geschehen wäre, wenn ‚den Deutschen‘ die Sprengung nicht gelungen wäre. Trotz der, wenn auch antikommunistisch gewendeten, Entsprechung zur FabrikMetapher, wie auch Lau sie mit „Mordfabrik“ (Lau 1964) verwendet, breitet bk.s Naturbild im Gegensatz zu Lau Trost über den Schrecken, dass in Birkenaus „großen, aus Gaskammer und Krematorium bestehenden ‚Kombinaten des Todes‘“ „im ununterbrochenen Takt einer bis ins letzte ausgeklügelten Maschinerie“ von „technische[r] Perfektion“ „Menschenvernichtung im industriellen Ausmaß“ ‚betrieben‘ wurde (bk. 1964). Der Schweizer Reisebeschreiber, der nie in der 1. Person des Personalpronomens erzählt, sondern seine eigenen Eindrücke als Besucher auf eine die Adressaten seines Artikels einbeziehende Weise durch das Indefinitpronomen für jede/n verallgemeinert, wenn er erzählt, dass „man sich des Eindrucks nicht erwehren“ „kann“, macht sich sogar dadurch zum einzigen Besucher von Birkenau, dass er von sich absieht: „Eine einsame Wärterin unter dem Torbogen der Einfahrt ist die einzige lebende Seele in einer Welt des Todes.“ Zuvor betont er: „Im Gegensatz zum Lager Auschwitz I herrscht in Birkenau eine unheimliche Ruhe. Nur selten kommen Touristen hierher“, und fasst so den leitenden Aspekt nicht nur seiner Darstellung des Stammlagers, sondern auch der vorhergehenden seiner Anreise nach Oswiecim zu-
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sammen: „Wenn Oswiecim in den letzten Jahren […] immer mehr zu einer touristischen Attraktion geworden ist, dann verdankt es das weder seinen städtebaulichen noch landschaftlichen Reizen, sondern der Tatsache, daß die kleine Stadt einmal den Namen Auschwitz trug und im traurigen Ruf steht, der größte Friedhof der Geschichte, Todesstätte von vier Millionen Menschen, zu sein.“ Im einleitenden Absatz über die Anreise ist der Mangel an ‚Reizen‘ durch eine Fülle negativ wertender Adjektive, die „Attribute dieser typisch polnischen Provinzstadt“ bezeichnen sollen, ausgemalt worden: „schemenhaft“, „ewig diesig“, „winklig“, „schmutzig“, „düster“. Schon der erste Satz des ersten von vier Absätzen zum Stammlager (auf die drei zu Birkenau folgen) fokussiert die Besucher des Museums als Touristen: „Vor allem das Stammlager […] wird heute täglich von zahlreichen Touristen besucht.“ Außer sehr negativ wertenden Bemerkungen zu ihnen bietet der Erzähler aus dem Stammlager Beobachtungen zu Natur – „Hohe Pappeln beschatten das traurige Stück Erde. Im doppelten Stacheldrahtverhau zwitschern heute die Spatzen“ – und Verfall von Gebäuden, die manchmal kombiniert werden: „Einige der […] Häftlingswohnblocks […] sind bereits am Verfallen: […] Bäume strecken ihre Aeste [sic] durch schwarze Mauerlöcher; auf Treppen und Gesimsen wuchert das Unkraut.“ Die Kritik des Reisebeschreibers an den Touristen im Stammlager geht einmal von einem Bild des Verfalls aus, dann von neuen Bauten am „riesige[n] Parkplatz“ „[u]nmittelbar neben dem Krematorium“: „Postkartenkioske, Andenkenläden, Würstchenstände und Biertheken machen glänzende Geschäfte.“ Letztere Kritik wird eingeleitet: „Leider hat der auch in Polen ständig zunehmende Tourismus diese Stätte des Gedenkens und der Einkehr immer mehr zu einem Rummelplatz der Sensationen werden lassen“, wobei „Rummelplatz der Sensationen“ im Text die zweite Kursivierung nach „Stammlager“ ist, auf die als dritte und letzte „Birkenau“ folgt. Zwischen den beiden negativ wertenden Beschreibungen des Verhaltens von Besuchern stellt der Verfasser die in „noch gut erhalten[en]“ Blocks des Stammlagers „beherberg[t]e“ „Ausstellung“ des – wie das Gesetz von 1947 zitiert worden ist – „‚Museum[s] des Martyriums der Völker‘“ dar. Seine Beschreibung entspricht der dann der zweiten Touristenkritik vorangestellten Charakterisierung als „Stätte des Gedenkens und der Einkehr“. Schon im ersten Satz wird die Ausstellung „sehr eindrücklich“ genannt und bereits die erste Aufzählung dessen, was in ihr gesehen werden kann, endet in einer positiven Bewertung ihrer ‚Technik‘ sowie ihrer Wirkung auf Betrachter. „Persönliche Effekten der Häftlinge […], Dokumente über den Lagerbetrieb […], aber auch […] über die Judenverfolgung und den Naziterror im allgemeinen, Affichen mit Todesurteilen, […] Zeugnisse über die Widerstandsbewegung inner- und außerhalb des Lagers sowie unzählige Photos werden ausstellungstechnisch teilweise raffiniert präsentiert und vermitteln ein erschütterndes Bild jener grauenvollen Zeit.“ Die Wirkung des Sichtbaren auf Betrachter wird in einem zweiten Absatz an ausgewählten Objekten einmal sogar bis zu ihrer Personifizierung als Tätigkeit der Dinge gesteigert: „Stumme Anklage blickt tausendfältig aus einem Knäuel wild ineinander verschachtelter Brillengestelle; kaltes Grauen packt einen beim Anblick eines mannshohen Berges, der aus lauter Krücken, Prothesen, Rasierpinseln, Zahnbürsten und leergequetschten Zahnpastatuben besteht, dem einzigen und letz-
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ten Besitztum tausender Toter. Schockierend […] wirkt […] das zerwühlte Stroh in einem Absonderungsraum für Todkranke und Sterbende, die in allen Sprachen in die Wände gekritzelten Botschaften der Todeskandidaten.“ Mit der Beschreibung der Wirkung der Ausstellung im Stammlager als Erschütterung durch sichtbares Grauen ist bk. denjenigen Gerichtsreportern nahe, die ihren ‚Gesamteindruck‘ von Birkenau so beschreiben und, ob sie die Metapher Fabrik benutzen oder nicht, als eine der ‚Dimension‘ oder dem ‚Ausmaß‘ der Massenvernichtung angemessene Vorstellung begreifen, womit sie den Begriff der ‚Unvorstellbarkeit‘ zurückweisen, wie Kamieniecki unter Berufung auf Staatsanwalt Großmanns „erschütternd“ zur Ortsbesichtigung schrieb: „Sie offenbarte […] den Vertretern des Tribunals das volle Grauen der Todesfabrik Auschwitz.“ (Kamieniecki 1965, 12) Zu diesen Reportern gehören vor allem Peter Fink (1964), Paul Mevissen (1964), Joachim W. Reifenrath (1964) und Peter M. Wiese (1964). In der Beschreibung des Schweizer Reisenden bk. kommt es jedoch durch die Kontrastierung von Birkenau und einem – in Gegensatz zur ‚Gedenken und Einkehr‘² fordernden Ausstellung ‚erschütternden Grauens‘ – wesentlich als touristisch dargestellten Stammlager zu einer ‚tröstlichen‘ Abwendung von Selbstprüfung. Die metaphorische Denunziation des Stammlagers als „Rummelplatz der Sensationen“ (bk. 1964) geht in beide Richtungen, die der „glänzende[n] Geschäfte“ eines Markts von ‚Läden‘ wie der sinnlichen Genüsse von Konsumenten; in beiden Passagen geht es aber auch um Arbeit. Der vorangestellte Blick auf den Parkplatz hat deutlich gemacht, dass der Ort in Polen Teil des „Ostblocks“ ist, wo „Ausländer aus dem Westen eher selten sind“. In beiden Passagen hat der Erzähler der Reisebeschreibung eine Innensicht, wie sie nur ein fiktionaler Erzähler besitzen kann, in die von dem Reisenden beobachteten Auschwitz-Touristen, allerdings wird die Innensicht im zweiten Fall als eine zu legitimieren versucht, die mit dem Indefinitpronomen als ein „Eindruck“ ausgegeben wird, der sich jedem und jeder aufdrängen müsse. Die erste Passage geht aus von einem der Bilder von Verfall: „[…] das blecherne Transparent mit dem zynischen Slogan ‚Arbeit macht frei‘ über der Lagerhaupteingang, einst für Tausende das Tor zur Hölle, aus der es kein Zurück mehr gab, ist von Rost angefressen und jagt endlosen Kolonnen Eiscreme schleckender Touristen angenehme Schauer über den Rücken.“ (bk. 1964) Das angemaßte Wissen des Erzählers über die Gefühle, mit denen die als militärisch oder politisch organisierte Masse wahrgenommenen Touristen die fälschlich als zynisch bezeichnete Losung wahrnehmen, dass sie nämlich ängstliches Erzittern genießen, macht ihren Besuch des Stammlagers zu beliebigem Konsumgut. Der Slogan könnte auch als Vorausdeutung auf die ihm in der zweiten Passage zugeschriebene Bedeutung gelesen werden.
Wahrig 2006, 422: Einkehr: fig. innere Sammlung; – halten: in sich gehen, Selbstbesinnung üben, sein Inneres prüfen.
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Die zweite Passage knüpft mit der Verwendung des durch das Demonstrativpronomen „diese“ ironisierten Wortes „Pilgerscharen“ an die in dem einleitenden Teil zitierte offizielle Bezeichnung der Gedenkstätte an, denn zu einer Stätte „des Martyriums der Völker“ pilgern diejenigen, die die Märtyrer verehren. Aber: „Wenn man die Kofferradios und vollgepackten Eßkörbe sieht, die diese Pilgerscharen auf ihren Rundgängen mitschleppen, um dann irgendwo im Schatten eines Wachtturms – nachdem sie sich gegenseitig in allen Posen photographiert haben – ein fröhliches Picknick zu veranstalten, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, nicht so sehr die Sache selbst als vielmehr die Gelegenheit, dem sozialistischen Arbeitsalltag für ein paar Stunden entrinnen zu können, habe den größten Teil dieser Leute bewogen, nach Auschwitz zu kommen.“ Der zunächst vom Erzähler zum beliebigen Konsumgut erklärte Besuch der Gedenkstätte wird im zweiten Schritt auf ein dem Konsum zugrundeliegendes Bedürfnis zurückgeführt und damit der Slogan noch ironischer gedeutet: das Bedürfnis, frei zu sein von sozialistischem Arbeitsalltag.³
Zur Zeit um den Frankfurter Prozess fuhren mehr in der BRD lebende Schriftsteller in noch nicht zu Gedenkstätten gewordene ehemalige Konzentrationslager oder Stätten der Vernichtung als im vorangegangenen Jahrzehnt, in dem nur zwei Reisen, einer Journalistin nach Dachau und einer im schwedischen Exil gebliebenen Schriftstellerin nach Sachsenhausen, durch so unterschiedliche Ereignisse wie die Tagung des Internationalen Dachau-Komitees in Dachau 1956 (nachdem schon die FIR ihren „Kongreß zum 10. Befreiungstag 1955 in Dachau“ (Marcuse 1994, 195) abgehalten hatte) und durch den Bau der Mauer 1961 motiviert worden waren. Sowohl Ursula von Kardorff als auch Hilde Rubinstein ist kritisch gegenüber den angetroffenen Besuchern, „Touristen“, so Rubinstein, „die gehen hier herum, fragen und schwatzen wie auf einem alten Schloss“ (Rubinstein 1961, 1095), und Kardorff: „Noch mehr Amerikaner nähern sich lautstimmig“ (Kardorff 1956). Doch Kardorff zitiert englisch, französisch und deutsch als „[e]rgreifend“ aus „Tausende[n] von Inschriften“ im Krematorium: „‚laßt Frieden regieren, 1954“, womit „Besucher aller Nationen es für nötig befunden [haben], kund zu tun, daß sie hier zur Besichtigung waren“ (Kardorff 1956), denn sie kritisiert primär, dass die zuständige bayerische Verwaltung für Schlösser, Gärten und Seen „[k]ein[e] Wegweiser, kein[e] Hinweisschild[er]“, „[k]einen Raum, in dem das KZ-System […] erklärt“ würde, vorgesehen hat, sondern den „Block 26“ weiter von dem zuvor zuständigen Landesentschädigungsamt als Wohnungen für „Heimatvertriebene“ und „neue Flüchtlinge aus der Ostzone“ nutzen lässt (Kardorff 1956). „Das ehemalige Konzentrationslager sollte endlich zu einer würdigen Gedenkstätte werden“, lautet schon der Untertitel von Kardorffs Artikel, in dem ein Drittel eingenommen wird von einem Gespräch mit dem katholischen „Seelsorger“ von zunächst „25 000 SS-Leute[n]“, dann von 1843 ‚Vertriebenen‘ und ‚Flüchtlingen‘: „‚Man müßte den Platz wieder so herstellen, wie er war. […] Nur fünf [Baracken] sollten stehen bleiben und wieder so wie damals eingerichtet werden.“ Zum Schluss wird der „Vorsitzende der deutschen Abteilung des Internationalen Dachau-Komitees“ in das Gespräch einbezogen, der „sieben Jahre in Dachau als Kommunist saß“ und „kein Hehl daraus [macht], daß er […] auch heute noch Kommunist ist“: „Aber er ist mit dem Priester einig. ‚Kein Haß soll hier gesät, doch die Wahrheit soll nicht vertuscht werden.‘ – ‚Uns ist der Ort heilig‘, sagte der Priester. ‚Er muß zur Wallfahrtsstätte werden‘, sagte der Kommunist.“ (Kardorff 1956) Vgl. den im Oktober 1955 verfassten, 1956 im Röderberg-Verlag erschienenen Bericht des ehemaligen niederländischen Dachau-Häftlings Nico Rost „Ich war wieder in Dachau“, der den „Leser, der ihn auf seiner so tieftraurigen Pilgerfahrt durch das KZ Dachau begleitet hat“, zum Schluss ins belgische „Nationaldenkmal“ (Rost 2001, 387) KZ Breendonck führt, um im Namen der „internationalen Widerstandskämpfer“ eine ebenso „pietätvolle Erhaltung“ des KZ Dachau als „Gedenk- und Wallfahrtsort“ zu „fordern“ (391/392). Die „‚Nationale Mahn- und Gedenkstätte
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Sachsenhausen‘“ wird dagegen von Hilde Rubinstein, vom ironisierenden Zitieren der Bezeichnung an, als ein „Panoptikum“ dargestellt, „dazu angetan, Touristen mild zu vergnügen“ (Rubinstein 1961, 1095), indem sie beobachtetes Verhalten auf die Eigenschaften eines ‚sie‘ genanntes Kollektivs hin verallgemeinert als „[s]eelisch-imbezill“, „[g]efühls-idioti[sch]“ (1096): „Es ist ihnen kein Gefühl gegeben, so wenig wie Verstand – nur Ressentiments und Rationalität. Ihnen von jetzt und ihnen von früher. Wenn die hier anders reagierten, gäbe es auch keine KZs. Es sind dieselben.“ (1097) Diese Gleichsetzung der in der Gedenkstätte beobachteten DDR-Touristen mit Deutschen im Faschismus führt gewissermaßen programmatisch der Anfang des Berichts auf dem, wenngleich falsch bezeichneten, S-Bahnhof ein: „Sachsenhausen. Gleich an der S-Bahnsperre Lokalkolorit: das robuste Knipsweib zankt mich aus, weil ich (mit nervösen Fingern) an der Fahrkarrte knibbelte. Das hätte ich gemacht, ‚um die Ausgangsstation zu verschleiern‘! Ich hätte sie beinahe gefragt, ob sie vor mehreren Jahren hier in der Nähe Aufseherin war.“ (1095) Über den Mann „an der Pforte“, den die „Gruppe“, der sie sich zunächst anschließt, „Führende[n]“ (1095) bis zum „Erklärer“ des „riesige[n] Kitschgemäldes eines Professors aus Wien“ (1096) setzt sich die verallgemeinernde Beobachtung von ‚Gefühllosigkeit‘ fort. Zugleich sind die Verallgemeinerungen der Erzählerin durchzogen von Hinweisen auf das, was die Reisende von den Beobachteten erwartet hätte: ein „leidend[es]“, „mitleidend[es]“ „Gesicht“ (1095), „eine Träne“ (1096), „einen Seufzer“ (1097). Den letzten, am Ende gegebenen Hinweis verallgemeinert Rubinstein auf eine Weise, die auf ihr Eintreten in die Gedenkstätte verweist, als sie dem Pförtner gesagt hat: „ich wollte etwas über meinen Bruder erfahren“ (1094), auch wenn sie nicht mitteilt, dass ihr Bruder Fritz 1933, wie damals auch sie, Mitglied der KPD war und im Konzentrationslager ermordet wurde. Sie bindet in ihrer Verallgemeinerung jedoch das von ihr bei den DDR-Touristen vermisste Verhalten an Blutsverwandtschaft: „Aber Ermordete werden lediglich von ihren Familienangehörigen betrauert.“ (1097) Dieser Verallgemeinerung widerspricht allerdings eine andere, die von der Beobachtung des Fehlens „eines einzigen“ „mitleidend[en] Gesicht[es]“ ausgeht: „Hier müßte jemand predigen, ein Niemöller, ein Albert Schweitzer… ich bin sonst nicht für Predigten, aber hier – ja.“ (1095) Mit diesen Namen für ‚Prediger‘ eines angemessenen Verhaltens zu den am besuchten Ort Ermordeten kommt ein Kontext ins Spiel, der auch noch während des Frankfurter Prozesses wirkte. 1964 erschien eine Broschüre, deren Titelblatt den Ostermarsch als ein Rad zeigt, das von Zahnrädern angetrieben wird, die Namen tragen: Weltfriedensrat, DFU, Internationale der Kriegsdienstgegner und KPD, als deren „Infiltrations-Spezialist[en]“ (Jenke 1964, 21) im Text dann namentlich angegriffen werden: Arno Klönne (11, 20), Erich Kuby (15/16) und die Theologen Helmut Gollwitzer (26) sowie als „Ostberliner“ Heinrich Vogel (26). Der katholische Theologe Frank X. Arnold begründete seine Stellungnahme gegen die „Verjährung […] massenmörderische[r] NS-Kapitalverbrechen“ in Simon Wiesenthals (1965, 14) Umfrage: „Ein Besichtigung des KZ-Lagers Dachau vor wenigen Tagen hat mich in dieser Überzeugung nur noch bestärkt.“ (15) Gerhard Schoenberner schloss seinen Bericht „Ein Sonntag in Belsen“ im „Spandauer Volksblatt“ 1964: „Auf der Rückfahrt nach Hannover sehe ich in den Dörfern überall flammende Plakate: ‚ Deutschland dreigeteilt? Niemals!‘, und die Kartenskizze in der Mitte zeigt deutlich, dass mit dem dritten Teil nicht etwa Berlin, sondern das Land hinter Oder und Neiße gemeint ist. So helfen Unbelehrbarkeit und Vergessen schon wieder an vielen Orten, die Errichtung neuer Denkmäler vorzubereiten.“ (Schoenberner 2016, 99) Die Diagnose einer solchen Gefahr ist angelegt in der Beschreibung zunächst des Gräberfelds mit dem „internationale[n] Mahnmal“ und dem „kleinen, ersten Denkmal, 1946 von deutschen Juden errichtet, das für lange Jahre das einzige blieb“ (97), dann „ein[es] andere[n] Massenfriedhof[s], der jenem auf dem ehemaligen KZ-Gelände an Größe nicht nachsteht“: „Kein Schild weist den Weg und kaum eine der Besuchergruppen, die zum Mahnmal kommen, findet hierher. Ein bescheidener Gedenkstein […] sagt es: ‚Hier liegen fünfzigtausend sowjetische Kriegsgefangene begraben.‘ Fünfzigtausend von fast vier Millionen, die in deutschen Lagern den Tod fanden.“ (98) Schoenberners Diagnose erklärt „diesen“ Friedhof zum „Symbol bundesdeutscher Schizophrenie, der ermordete Juden mehr gelten als ermordete Russen“ (99), das ihn
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im plakatierten Anspruch auf Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze Kriegsgefahr erkennen lässt. Dass diese aber von BesucherInnen des Mahnmals Bergen-Belsen nicht erkannt werden müsse, ergibt sich aus Schoenberners auf einen Vergleich gestützter Kritik: „In Warschau und Leningrad, Theresienstadt und Auschwitz, Buchenwald oder Sachsenhausen, überall gibt es ein Museum oder eine kleine Ausstellung, die sich bemüht, dem Besucher durch Fotos und Dokumente vor Augen zu führen, welchen finsteren Zeiten wir entronnen sind. In Belsen verzichtet man selbst auf den Versuch, das Gedenken aus seiner Unverbindlichkeit aufzustören. Ein Zufall?“ (98) Eine Absicht aufzustören bestimmte auf andere Weise die Diagnose, die Christian Geißler 1965 der bundesrepublikanischen Gegenwart stellte: „Ohnmacht […] wartet narkotisiert auf den Abruf zum nächsten Massenmord“ (Geißler 1965b, 76). Geißler veröffentlichte 1965 in den „Werkheften“ eine „Reportage“ über Hartheim bei Linz, in dessen Schloss 1940/41 mehr als 18.000 Menschen der Aktion T 4 zum Opfer fielen und bis 1944 mehr als 12.000 KZ-Häftlinge vergast wurden; ihr Titel „Ende der Anfrage“ antwortete auf Geißlers erstes Buch „Anfrage“, in dem eine Episode den Protagonisten mit einem US-amerikanischen Wissenschaftler deutsch-jüdischer Herkunft nach Dachau führte: Am „Nordostrand des Lagers […] öffnete sich ihren Blicken ein kleiner, lichter, noch halbwüchsiger, sehr gepflegter Park, der nicht wie ein Friedhof aussah, auch nicht wie eine Richtstätte, auch nicht wie ein Mord- und Schand- und Luderplatz, sondern wie ein Garten. […] ‚Ein fotogenes Gärtchen, nicht wahr? Hier fotografieren heute bereits die Väter ihre Familien, das habe ich selbst gesehen. Darum sagte ich, daß die Scham, wenn man sie liegen läßt, Sumpf wird. Es fehlt nur noch die behagliche Restauration und die Ansichtspostkarte. Aber auch dieser Mangel wird bald behoben sein.‘“ (Geißler 1978, 182; vgl. zur Differenz zwischen Klaus Köhler und Robert Weismantel in der Frage der Scham (183) Schneider 1984, 161) Das Ergebnis seiner Befragung von Einwohnern Hartheims fasste Geißler 1965 durch eine Verallgemeinerung über von ihm nicht aufgesuchte Orte mit und ohne Gedenkstätten in ehemaligen Konzentrationslagern zusammen, indem er die Deutschen „uns 50 Millionen Hartheimer“ (Geißler 1978, 366) nannte: „Verdorben von einem die vernünftigen Impulse des Menschen lähmenden Bewußtsein der Ohnmacht. Der Nationalsozialismus war lediglich eine der möglichen Folgeformen dieser Verohnmächtigung des Menschen. Wir werden, wenn alles so bleibt, neue fürchterliche Folgeformen erst noch kennenlernen.“ (367) Aber „der einzig wirklich böse Satz“ in Hartheim sei der des Ortspfarrers gewesen, „[w]eil dieser Mann Macht hat über andere Menschen“ (366): „‚Das alles wäre ja längst zur Ruhe gekommen, wissen Sie, aber der Jude Wiesenthal hat halt alles wieder nach oben gestöbert‘“ (Geißler 1965, 365); dagegen führt Geißler einen Satz wie: „‚als es schon aus war mit die Depperten […] ham’s dann die Italiener verheizt, überhaupt Ausländer, Kommunisten‘“ (359), als Ausdruck von „Stillhalten und Mitmachen folgerichtig“ auf den „Zweifel an der eigenen, vernünftigen Macht“ (366) zurück: „Man frage in München die Leute nach Dachau, und man wird die gleichen matten, ausweichenden Reden hören, die gleichen Reden in Hamburg über Neuengamme und Fuhlsbüttel, in Oldenburg über Esterwegen, in Bergen über Belsen (in Weimar über Buchenwald?).“ (366) Geißler hatte 1961 in seiner „Vorbemerkung für Leser, die nicht in der Bundesrepublik leben“, zur DDR-Ausgabe von „Anfrage“ auf seine Weise zu der Gesellschaft, in der er lebte und wirken wollte, positiv Stellung genommen: „Daß sie [die Diskussion über seine „Anfrage“] offen und hart hier bei uns möglich ist, berechtigt, trotz aller unaufhebbaren Sorge, zu mindestens einer Hoffnung: ich meine die reale Hoffnung auf den Erhalt und die richtige Ausentfaltung eines republikanischen Bewußtseins in der westdeutschen Gesellschaft“ (Geißler 1961c, 6); auf seine andere Weise tat das ein DDR-Schriftsteller, der nach dem Frankfurter Prozess nicht nur ein Gedenkstätte gewordenes ehemaliges KZ in seinem Land besuchte, sondern auch jeweils eins in der Bundesrepublik und in Österreich. Im Unterschied zu Günter Kunerts Texten über Dachau – „Schöne Gegend mit Vätern“ (Kunert 1968a in Kunert 1974, 101– 112; Kunert 1984, 19 – 34) – und Mauthausen – „Kurze Beschreibung einiger Stationen der Reise durch das einstige Kakanien und seine gegenwärtige Umgebung“ (Kunert 1968b, unter dem gekürzten Titel „Reise in Kakanien“ in Ku-
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nert 1974, 118 – 131) – wurde seine Beschreibung von Buchenwald „Betonformen“ (Kunert 1966), die er 1966 in der „Neuen Deutschen Literatur“ veröffentlichte, zwei Jahre, bevor seine beiden Texte über Dachau und Mauthausen in „Sinn und Form“ erschienen, in der BRD nicht in spätere repräsentative Auswahlbände seiner Prosa, darunter einen für den Schulgebrauch, aufgenommen, obwohl 1969 eine Einzelausgabe in der „LCB-Collection“ des Westberliner Literarischen Colloquiums erschienen war (Kunert 1969). Wie Peter Weiss oder Bernd Naumann in Auschwitz stellt Kunert sich in Buchenwald als einen ‚einsamen Wanderer‘ dar, was ausdrücklich begründet wird: weil nämlich „abseits der festgelegten Besichtigungsroute […] das Erinnern am eindringlichsten lebt“ (Kunert 1966, 105). Er grenzt sich ab, wenn er von einem außerhalb der Gedenkstätte liegenden Teil des KZs, dem sog. Kleinen Lager, als dessen Insassen er neben Juden auch ‚Zigeuner‘ erwähnt, betont: „Hierher kommt kein Tourist“ (99). Zugleich aber stellt sich der Wanderer als jemanden dar, der „Schritten folgt“ (98), den Schritten eines anderen, nämlich des französisch schreibenden spanischen Schriftstellers Jorge Semprun, aus dessen „Die große Reise“, 1964 in der BRD, 1965 in der DDR erschienen, Kunert am Anfang des Textes ein langes Zitat bringt, eine Stelle, an der der Erzähler die Hoffnung ausdrückt, dass die Natur schließlich das Gelände des Lagers überwuchern würde und dass seine zahlreichen Betonformen zerfallen würden: „daß ich gerne mit angesehen hätte, wie die Gräser und Sträucher, Dornen und Wurzeln im Wechsel der Jahreszeiten, im rauschenden Regen des Ettersberges, im Winterschnee und der kurzen, gleißenden Aprilsonne, wie sie unaufhörlich, beharrlich, mit der Beharrlichkeit der Natur, während schon das ächzende Holz auseinanderklafft, während schon der Beton unter dem Andrang des Buchenwaldes wieder zu Staub zerbröckelt, wie die ganze Natur unbarmherzig jene menschliche Landschaft am Hang des Hügels, jenes von Menschen errichtete Lager langsam wieder auslöscht und mit ihrem Geschlinge von Gräsern und Wurzeln die Landschaft des Lagers bedeckt.“ (Semprun 1965, 236/ 237) Kunert setzt voraus, dass das Bild die Vision des Autors wäre, wenn er nicht nur fragt, „ob’s zu wünschen wäre, was Semprun tut“ (Kunert 1966, 97), sondern früh konstatiert: „Heute, einundzwanzig Jahre nach der Rückkehr des Autors nach Frankreich, zeigen die Betonformen keine Neigung zu zerbröckeln oder zu verwittern“ (94), und schließlich resümiert: „Sempruns Vision hat sich auch an Ort und Stelle nicht realisiert“ (107). Aber die unveränderte Sichtbarkeit des Betons – ob der Arrestzellen oder des Krematoriums – wird dem Wanderer zum Hinweis darauf, was nicht geblieben, sondern was verschwunden ist: „Keine Träne, kein Fleck der Angst, kein Gedanke, kein Mal dessen, was hier vorging, ist geblieben: nur Beton.“ (95) Erst „hinter dem Areal der eigentlichen Gedenkstätte, wo Schilder wegen ‚Unfallgefahr‘ vor dem Weitergehen warnen“ (94), entdeckt der einsame Wanderer auf einem überwucherten Weg „sieben Betonformen, teils rund, teils eckig, zusammengehörig auf eine nicht klar werdende Weise“ (98). Am Schluss der Beschreibung macht der Erzähler die Zusammengehörigkeit der sieben Betonformen dem Adressaten (bezeichnenderweise durch eine inklusive Formulierung mittels des Indefinitpronomens) klar: „Sieben Buchstaben, die sich entschlüsseln zu einem Wort, tritt man auf der richtigen Seite vor sie hin: […] alle hintereinander ergeben: Memento.“ (105) Die am 11. September 1949 unter ein Blumenbeet in Form des Häftlingswinkels gesetzten Gedenk-Buchstaben-Betonformen belegen dem Erzähler einerseits Vergessen in Form der Vernachlässigung, andererseits werden sie ihm zum Zeichen für die Notwendigkeit individuellen Erinnerns: „als sei das Betonwort aus dem fruchtlosen Boden gestiegen für diesen Moment und versinke, sobald der Wanderer den Rücken zuwendet. Als sei es die siebenfache Inkarnation letzter Atemzüge.“ (105) Kunerts verallgemeinernde Formulierung: „die sieben Zeichen nimmt mit, wer vor ihnen gestanden“ (107), enthüllt den Maßstab, an den sich seine Kritik an der offiziellen Gedenkpolitik wie an den touristischen Besuchern der Gedenkstätte hält (auch wenn die ‚Witwen von Weimar‘, die gemütlich Kaffee trinken und Eisbecher löffeln, schärfer kritisiert werden, die weder die Gedenkstätte besichtigt noch Sempruns Buch gelesen hätten (100), und die unter den Besuchern fehlende ‚Kriegsgeneration‘, also die, zu der sich der Autor zählt). Kritisiert wird, dass in den Texten in der Gedenkstätte nicht betont werde, wie tief unter den politischen die
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jüdischen Häftlinge in der Lagerhierarchie gestanden haben, und dass die jugendlichen Besucher, Schulabgänger und TeilnehmerInnen an Jugendweihen, „zu deren Programm eine Buchenwaldfahrt gehört“ (95), sich wie Touristen benehmen, z. B. fotografieren: „Mit dem Photographieren verschwindet das Sehen. Der Blick wird unbedenklich. Solchem Blick geben die Steine, die Betonrudimente, die sieben unkrautumringten Formen, keine Auskunft.“ (97) Letztlich jedoch nimmt der Erzähler Stellung, indem er für die Erinnerung des Individuums plädiert an eine „Vergangenheit, vor deren Rekapitulierung nur Nichtvergessen schützt“ (100): „Was geschehen ist, kann nicht ‚bewältigt‘[…] werden und nicht aus dem Bewusstsein verdrängt“ (107). So nimmt er einerseits positiv Stellung zur offiziellen Gedenkpolitik, indem er zunächst einem ernsthaften jungen Mann, der die SchülerInnengruppe begleitet, das Wort gibt: „Was sie hier sähen, sollten sie bedenken [und nicht nur ‚unbedenklich‘ fotografieren, H.P.] und nie vergessen. […] Damit sich ein Buchenwald nie wiederhole, würde ihnen das hier gezeigt. Ähnliches zu verhindern sei auch ihnen, den jungen Leuten, aufgetragen“ (100), dann aber insbesondere einem Überlebenden von Buchenwald: Wenn er „spricht, […] wird deutlich, daß er die Betonformen mit sich schleppt und daß die Zeit nichts darübergepflanzt hat“ (101). Dieselbe positive Stellungnahme zur Möglichkeit, dass die offiziell geforderte und geförderte Erinnerung zu einer individuellen werde, bestimmt auch die zwei polemischen Wendungen Kunerts gegen zwei prominente Autoren aus dem Westen, Peter Weiss und Hans Magnus Enzensberger, die 1965 im „Kursbuch“ von Auschwitz „gehandelt“ (Enzensberger [1965], 1) hatten. Gegen Peter Weiss’ Problematisierung der ‚Vorstellungen‘ von Auschwitz, die aus Lektüre gewonnen werden können, formuliert Kunert, bevor er auf Weiss anspielt sehr apodiktisch: „Das Unbeschreibliche ist beschrieben worden von Entkommenen, in allen europäischen Sprachen“ (97) – und das Lob, um das es in der polemischen Bemerkung zu Enzensberger geht, gilt insofern der DDR, als in ihr aus sehr viel mehr europäischen Sprachen als in der BRD Bücher über Auschwitz und andere Konzentrations- und Vernichtungslager übersetzt worden waren: „der Ort, der keine Ortschaft ist, hat sich eine eigene Bibliographie zugelegt“ (97), bezieht sich polemisch auf den Titel von Weiss’ Text über Auschwitz. Die zweite Polemik gegen einen westlichen Autor wird in auffälliger Form geführt, als duzende Anrede in wörtlicher Rede, wenn auch ohne Anführungszeichen, als von dem Besuch der Gedenkstätte zur Jugendweihe gesagt wird: „Eine Injektion gegen Amnesie, die anderswo im notdürftigen Nerz tanzt, auf zerbrochnen Knien, und also etwas, Hans Magnus, das ich fand als dein Doppelgänger im doppelten Deutschland, ‚zu loben mit starker stimme auf erden‘.“ (101) „Amnesie“ und „Tanz im „notdürftigen Nerz“ sind, obwohl nicht durch Anführungszeichen markiert, Zitate aus Enzensberger Titelgedicht des Bandes „Landessprache“ von 1960, das auch 1963 als letztes hervorgehoben wurde in dem edition suhrkamp-Band „Gedichte“ (Enzensberger 1966, 47– 52). Der Quasi-Refrain des Gedichts lautet: „und das ist das kleinere Übel“, was meint: BRD im Vergleich mit der DDR. „das ist nur die hälfte/ …/ das ist die erfolgreiche raserei, das tanzt/ im notdürftigen nerz, auf zerbrochenen knien,/ im ewigen frühling der amnesie“ (49). Als Zitat durch Anführungszeichen ausgewiesen ist der Vers ‚zu loben mit starker stimme auf erden‘: er stammt aus dem Gedicht „Gewimmer und Firmament“, auch in „Landessprache“: aber bezeichnenderweise fehlt das erste Wort „nichts zu loben…“ (Enzensberger 1969, 83 – 96, Hervorhebung H.P.) Kunerts Lob der DDR, das hier intertextuell gegen den gesellschaftskritischen ‚Doppelgänger‘ in der anderen deutschen Nachkriegsgesellschaft formuliert wird, gegen eine BRD, die mit ‚Amnesie‘ gleichgesetzt wird, bestimmt dann auch das letzte Wort von „Betonformen“, den letzten Absatz der Buchenwald-Beschreibung: „das Vergessen hat sich nicht in den Betonformen einnisten können“ (Kunert 1966, 107). „Die Blöcke eingeebnet, planiert, kenntlich nur an den Feldern von Ziegelsplitt, aus denen vereinzelt Hydranten ragen. Die Überreste der ehemaligen Anlage unschwer zu erkennen. (Zu den unerläßlichen Studien, die diese Zeit uns auferlegt, gehören solche Gedächtnis-Protokolle; sie tragen die Trümmerzonen nicht ab, aber machen sie auffindbar.)“ (Janker 1969, 72/73) So heißt es über die Gedenkstätte Buchenwald in einer Erzählung von Josef W. Janker, der 1965 zu einer der Tagungen
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Wenn der Mitarbeiter der „NZZ“ für die polnischen ‚Touristen‘ bestritt, dass das in Auschwitz Sichtbare ‚erschütterndes Grauen‘ bewirke, kamen jedoch zu ebendiesem Schluss auch Kommentatoren des Prozesses, die nicht mit der Delegation an den Ort gereist waren, insbesondere solche, die die Metapher Fabrik verwendeten. So wie der Gerichtsreporter der Frankfurter „Abendpost“ aus Auschwitz schrieb: „Dieser ‚zu besichtigende Ort‘ […] ist geeignet, Erschütterung und Scham in dem Betrachter auszulösen“ (Mevissen 1964), kommentierte Heinz Abosch in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“, das „Grauen“ „erinnert […] an eine schlecht gelöste Aufgabe, an eine ungenügend abgetragene Schuld“ (Abosch 1964, 298): „Über den individuellen Grausamkeiten, die in Frankfurt vom bleichen Licht des Gerichts gestreift werden, darf nicht vergessen werden, daß auch sie nur Partikel der großen Vernicht[ung]smaschine [sic] waren“, dass „hinter Schreibtischen […B]eamte […] den Massenmord mit weißen Händen planten. […] Die Diktatur bedurfte […] eines ganzen Volkes, das blind gehorchte.“ (300)
2 Eugen Kogon und „Auschwitz. Bilder und Dokumente“ in Frankfurt am Main Über die Strafprozesse, die „die Ursachen auf die im strafrechtlichen Sinne Schuldigen“ „konzentrieren“, sagte Eugen Kogon am Buß- und Bettag 1964 in seiner Rede zur Eröffnung der vom Frankfurter Bund für Volksbildung initiierten (Brink 2000, 19) Ausstellung „Auschwitz – Bilder und Dokumente“ in der Frankfurter Paulskirche: „da wir den Verlauf der Verhandlungen aus Berichterstattung erfahren, rückt das Unmenschliche als ein Geschehen, das zwar Grauen in uns weckt, das aber im Grunde unerfaßbar bleibt, von uns weg. Wir sollten jedoch, so meine ich, gerade jene Zusammenhänge sehen, die das alles als eine uns gemeinsame Welt erweisen: als die
der Weimarer Akademie, die seit 1962 halbjährlich vom Kulturbund veranstalteten wurden, gereist war, obwohl Heinrich Böll ihm dringend abgeraten hatte: „sich der Feigheit zu zeihen, haben Sie keinen Grund. Es ist eine ganz selbstverständliche Position, unpolitisch zu sein […]. Der Ekel vor dem hiesigen System darf einen nicht zu Sympathien für das drübige verführen, man muß – glaube ich – wirklich dazwischen existieren; es gibt nun einmal keine politische Entscheidung für das eine oder andere. Ich würde es tatsächlich fast für kriminell gehalten haben, wenn man Sie nach Weimar geschleppt hätte – als eine ‚Stimme‘ unter vielen – als ein ‚westdeutscher Schriftsteller‘, der ‚auch‘ gegen die Atombombe ist. Unsinn das ganze.“ (Janker 1988, 71) Jankers Erzählung entstand als Beitrag zu der von Jens Rehn herausgegebenen Anthologie „Die Zehn Gebote. Exemplarische Erzählungen“ und zwar als der zum fünften, das auch im Untertitel steht: „Wer denn nun? Mertens… Das fünfte Gebot Du sollst nicht töten“ (Janker 1969, 65) Der Erzähler, der das Thema zunächst im „Aufdröseln umfangreicher Zitatenbündel“ (68) angeht, berichtet dann, was er auf der Rückfahrt von Weimar erinnert von seinem Besuch der Gedenkstätte, bis er zusammen mit „Rotarmisten“ „eine Vitrine mit Strangulationswerkzeugen umstand“: „Hier ist der Ort, mich genauer zu erinnern!“ (75) In den letzten beiden Abschnitten erzählt er dann von seiner Beteiligung an der Erschießung eines „‚politischen Kommissar[s]‘“ (77): „Im Sommer dreiundvierzig gehörte ich einer Einheit an, die […]“ (75).
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Welt einer Hochzivilisation, wie die Menschheitsgeschichte sie noch nicht gekannt hat, […] die aber […] in Gefahr ist, an der perfektesten Technik der Unmenschlichkeit zu zerbersten.“ (Kogon 1964, 831) Kogon begründet, dass „die Auschwitz-Ausstellung“ „nicht [von] ein[em] ferne[n] Geschehen“ „Kunde“ gebe, „wenn wir den Zusammenhang zwischen der Verwendung von Zyklon B, um damit Menschen zu vergasen, und dem jetzt die Weltführungsmächte in Bann haltenden Streben nach der sogenannten ‚overkilling power‘ […] bemerken, der Möglichkeit und den Mitteln, ixfach [sic] zu töten, was sich nur einmal töten läßt“ (832/833). Kogon hielt die Eröffnungsrede am Buß- und Bettag 1964, am 18. November, als er seit dem 9. November unter einen von der CDU ausgehenden öffentlichen Druck geraten war, die Leitung und Moderation des politischen Fernsehmagazins „Panorama“ des NDR aufzugeben, was er am 21. Dezember 1964 tat (Lampe/Schumacher 1991, 101). „Die Aufregung der Öffentlichkeit“ nach der Sendung vom 9. November, so die Autoren von „Das ‚Panorama‘ der 60er Jahre. Zur Geschichte des ersten politischen Fernsehmagazins der BRD‘, „richtete sich auf den zweiten Teil, gegen die politische Strafjustiz-Darstellung [von Lutz Lehmann, H.P.], und keinesfalls gegen den Beitrag von Christian Geißler [zum Volkstrauertag], das war auch interessant.“ (Lampe/ Schumacher 1991, 104). Kogon war nämlich vom stellvertretenden Intendanten des NDR gezwungen worden, aus Geißlers Film einen „take“ herauszuschneiden, wie Kogon 1966 in einem Interview berichtete, „die Darstellung einer Aktion der Ostermarschierer“: „Das berühmte Tabu in der Bundesrepublik, ihr Name darf nicht einmal fallen. An ihnen heften sich alle Ressentiments dieser Republik.“ (263) Zurücktreten musste Kogon, weil sich die CDU mit ihrer Auffassung von Lehmanns Beitrag als „‚Sowjetzonenpropaganda‘“ (101) durchsetzte, denn er war vom DDR-Fernsehen mehrfach wiederholt worden; einleitend sagte Lehmann zur politischen Justiz in der BRD: „Die Rechtsprechung fußt auf der im Jahre 1951 vom Deutschen Bundestag überstürzt verabschiedeten Staatsschutzgesetzgebung […]. Zusammen mit dem KPDVerbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts und zuweilen rigorosen Methoden der politischen Kriminalpolizei hat sich eine Praxis politischer Verfolgung ergeben, die die im Grundgesetz garantierten Rechte der Bürger zu gefährden droht.“ (260) Von Lutz Lehmann folgte in der Nummer der „Frankfurter Hefte“, die Kogons Auschwitz-Rede abdruckte, unmittelbar darauf: „Politische Strafjustiz. Dokumentation anhand eines Falles“. Der Begriff, mit dem sich Kogon bei seinem erzwungenen Rücktritt von den ZuschauerInnen verabschiedete: „Ich kann mich im übrigen nicht nur aufgrund dieser Erfahrung des Eindrucks nicht erwehren, daß der Autoritarismus in unserem Lande wieder in voller Verbreitung begriffen ist“ (262), spielt eine Schlüsselrolle in seiner Eröffnungsrede zur Auschwitz-Ausstellung. Denn die Opposition von Autoritarismus und Fraternität bestimmt Kogons Argumentation bei seinem Blick sowohl zurück in die Menschheitsgeschichte als auch voraus in „eine menschliche Zukunft“ (Kogon 1964, 830); bereits in der Einleitung löst er für sich ein, wozu er in dem einzigen kursivierten Satz seine ZuhörerInnen auffordert: „Nie haben wir es nötiger gehabt, um uns selber Bescheid zu wissen.“ (834) Kogon fasst die Menschheit als „in einer entschieden zu verbessernden Welt füreinander bestimmte Mitmen-
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schen“ (830). Er konfrontiert den Ort der Ausstellung mit dem seiner Rede in der Paulskirche: „Die Ausstellung ist unten, wir sollten sie nicht scheuen, so grauenerregend ihre Aussagen sind, aber hier oben ist der Raum der Paulskirche, auf den es ankommt: die Aufzeichnungen von dort, richtig gelesen, weisen samt und sonders in eine menschliche Zukunft.“ (831) Die Entgegensetzung von Wirklichkeit und Idealen steht auch am Schluss: „unsere Paulskirche stellt die Dokumente unserer erbarmungswürdigsten Niederlage aus, des finstersten Verrats an den Idealen, die gemeint waren“ von den „liberalen Väter[n] der modernen Demokratie“ (838). Die Wirkung der Ausstellung auf die Besucher stellt sich Kogon als „Erfahrungen“ vor, die „hoffentlich“ zu ‚Unerschütterlichkeit‘ ‚stärken‘ sowohl „de[n] Wille[n], nichts unversucht, nicht ungeschehen sein zu lassen, was dazu beitragen kann, einer Zukunft in mitmenschlicher, in endlich fraterneller Verbundenheit Dauer zu verleihen“, als auch den „Glaube[n], daß es gelingen werde“ (838). Denn für „die Bilder, die uns erschüttern“, postuliert Kogon: „aus den Abgründen messen wir die Kraft der Ideale, deren es bedarf, nicht abzustürzen!“ (831) Unter Wiederaufnahme der Unterscheidung von Ort der Rede und der Ausstellung heißt es: „Da drunten kann unsere ganze Jugend sich von der Wirklichkeit dessen, was war, was sich über Europa ausgebreitet hat und was als Gewaltprivilegiendenken die Herrschaft über die Welt anstrebte, überzeugen; niemand wird sagen können, das sei erfunden.“ (831) Der Redner Kogon, der von der fotografierten ‚Wirklichkeit‘ des „Autoritarismus“ (832) in Auschwitz eine Kräftigung der ‚Ideale‘ der ‚modernen Demokratie‘ in den BesucherInnen der Frankfurter Ausstellung erwartet, macht sich selbst den „Einwand“, „was um Himmelswillen es denn sei, das mich eine solche optimistische Perspektive plötzlich auch nur ins Auge fassen lasse“, um ihn umgehend zu beantworten: „Die Etappen des geschichtlichen Weges, meine Damen und Herren, den wir bisher gegangen sind!“ (835) Doch sind es in der Rede zwei Wege, die den historischen Rückblick bestimmen, ein spezifisch deutscher und ein allgemeiner der Menschheit. Zuerst spricht Kogon knapp von dem ersten Weg der „erst zweihundert Jahre, die wir angefangen haben, uns politisch zur Selbstverantwortung von Erwachsenen zu erheben“: „Die Bilder da unten zeigen die Konsequenzen“, „wenn [d]ie Entscheidungen […] weder rechtzeitig noch richtig erfolgen, wenn es um das Wissen von den Fundamentalwerten, die unser menschliches Dasein ausmachen, fragwürdig oder gar schlecht bestellt ist, – der Nationalsozialismus ist nicht von ungefähr entstanden!“ (834) In der von Kogon benutzten Metapher vom in der deutschen Geschichte der letzten 200 Jahre gescheiterten Erwachsenwerden ist allerdings schon der Maßstab angelegt, den Kogon im historischen Rückblick auf „dreitausend […] Jahre“ „Zivilisationsentwicklung“ gewinnt: „Ein objektiver Entwicklungszug ist, von heute her betrachtet, durch die drei Jahrtausende hindurch festzustellen. Die Flammen der Krematorien von Auschwitz haben ihn überschwelt, aber sie konnten ihn nicht einmal völlig verdunkeln, geschweige denn zunichtemachen, – im Gegenteil, nun erst recht wissen wir, worauf es ankommt: darauf, den Prozeß der menschlichen Verantwortung in Freiheit unentwegt fortzusetzen. ‚Das unvollendete Geschäft der Aufklärung‘, wie
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mein Freund Walter Dirks das Kennzeichen der Wegstrecke, auf der wir uns befinden, angegeben hat, darf nicht mehr zum Stillstand kommen.“ (835) Nicht nur Kogons Fassung der „deutschen Sonderwegsentwicklung“, deren wissenschaftliche Diskussion in den frühen 1960er Jahren für deren Beendigung durch „den Anschluss an westliche Werte“ plädierte (Hacke 2009, 30), endet mit Auschwitz, sondern auch Kogons Fassung der „Entstehung dessen, was wir unter moderner Demokratie verstehen“ (Kogon 1964, 836), und ihre „Entfaltung“ seit der Bill of Rights 1689, der US-Unabhängigkeitserklärung 1776 und der Französischen Revolution 1789 „zur erdumspannenden Zivilisation über Krisen, die immer ungeheuerliche Ausmaße annahmen“, endet mit Auschwitz, allerdings nur implizit: „Die Konzentrationslager der SS sind der ganzen gesitteten Welt zum Fanal ihres Freiheitswillens geworden.“ (837) Ohne den Terminus Totalitarismus zu verwenden, vergleicht Kogon in der vorangegangenen Begründung seiner Metapher ‚Fanal des Freiheitswillens‘ Faschismus und Kommunismus auf ihre „Ausmaße“ an „Autoritarismus“, vorher gefasst als „Hang und Drang nach selbstherrlicher, sei es wohlwollender, sei es übelwollender Verfügung über andere“ (832): „Mehr noch als der Kommunismus entfachten die Faschisten in einem totalen Gegensystem die Liquidationsrevolution. Sie ist im Zweiten Weltkrieg, gerade eben noch, gescheitert – aber nicht nur an der allmählich überlegenen Macht von Waffen gescheitert, sondern auch an der den Widerstand von Millionen und Abermillionen Europäern befeuernden Idee der Humanität, die, ins zwanzigste Jahrhundert gelangt und endlich aufgerichtet, einer solchen Tyrannei nicht unterliegen durfte.“ (837) Wenn Kogon in der Wendung zum Schluss ausdrücklich wiederholt, „der Prozeß verwirklichter Menschlichkeit hat eben erst begonnen“, bringt er die aktuelle Bedeutung von Auschwitz als ‚Fanal des Freiheitswillens‘, wenn er verneint, dass „die optimalen gesellschaftlichen Bedingungen der personalen Entfaltung irgendwo in der Welt sichergestellt“ seien, auf einen Begriff, der im Laufe des 1960er verstärkt in Umlauf kommt: „die Demokratisierung ist unbewährt, ihre Methoden sind den hochdifferenzierten heutigen Zivilisationsverhältnissen nicht annähernd zureichend angepaßt; es fehlen ihr […] wesentliche Bildungsvoraussetzungen… – wie wäre es denn sonst möglich, daß Millionen noch immer, wenn Barbaren sich anschicken, die Menschlichkeit zu erdrosseln, den Gegner und seine Praktiken erst spät oder nie erkennen?“ (838) Der spätere Minister sozialliberaler Bundesregierungen Werner Maihofer brachte den Begriff im April 1964 ins Spiel, als er, damals Jura-Professor in Saarbrücken, auf einer Veranstaltung des Hessischen Landesverbands für Erwachsenenbildung zusammen mit Propst Grüber, dem Auschwitz-Überlebenden und Zeugen Siegbert Unikower und dem, seit 1959, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte Helmut Krausnick, der am 17. Februar 1964 dem Frankfurter Schwurgericht sein „Sachverständigengutachten“ „Judenverfolgung“ vorgetragen hatte (Krausnick 1967, 233), über das Thema „Nationalsozialistische Vergangenheit und unsere Zukunft“ diskutierte, worüber als eine der „Veranstaltungen am Rande des Auschwitz-Prozesses“ der gerade als
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Kunsthistoriker promovierte „Mitarbeiter“ der „Stuttgarter Zeitung“ Martin Warnke berichtete: Maihofer sei von der in der Französischen Revolution geschichtswirksam gewordenen „Idee einer freien gerechten Gesellschaftsordnung“ (Warnke 2014, 29) ausgegangen und habe trotz des Gebrauchs des Totalitarismus-Begriffs („geknechtet und ausgebeutet […] vom Staat und dessen Polizeiapparat“) geendet mit der Zukunftsperspektive: „Die von Marx nicht gesehene, aber offenkundige Eigenentwicklung sowohl der kapitalistischen wie kommunistischem Gesellschaftsordnung eröffne heute die Möglichkeit einer Annäherung beider Systeme. Beide seien nicht nur politisch, sondern auch geistig aufeinander angewiesen, denn ‚kein Sozialismus ohne Demokratie und keine Demokratie ohne Sozialismus‘.“ (30) Vorgeworfen wird den 2014 gesammelt erneut publizierten Prozessberichten Warnkes von Arno Widmann in der „Frankfurter Rundschau“ „der soziologische Blick“, was er heftig verallgemeinert: „Er entlastete die Individuen. Die den Einzelnen bedrängende Schuldfrage trat in den Hintergrund. In diesem Sinne war die Kritische Theorie die Theorie der Rekonstruktionsphase. Sie war Aufklärung und Verdrängung zugleich.“ (Widmann 2014) Widmann nimmt nicht zur Kenntnis, wie programmatisch Warnke der – von der Staatsanwaltschaft abweichenden – Auffasssung der zu verhandelnden ‚Tat‘ folgt, z. B. schon in den beiden Überschriften der Reportagen „Krumey streitet jede Verantwortlichkeit ab“ (Warnke 2014, 41), „War Krumey in Ungarn der entscheidende Mann? (50)“, in denen Warnke dann Zeugen auch kritisiert: „Die Zeugen […] sprachen recht allgemein von der SS und konnten schwer begreifen, dass Gericht und Verteidigung auf der Herausstellung eigener und verantwortlicher Taten der Angeklagten bestanden.“ (50) Dennoch pointierte Warnke in seinem Bericht über die Diskussion der „Nationalsozialistische[n] Vergangenheit und unsere[r] Zukunft“ (14. April 1964, Warnke 2014b), etwas, das Detlef Siegfried „eine politische Utopie“ seit den frühen 1960er Jahren genannt hat, die „die Elemente beider Seiten des Kalten Krieges kombinieren wollte“ und „noch für lange Zeit Anziehungskraft“ behielt (Siegfried 2006, 199), aus dem Westen Demokratie und aus dem Osten Sozialismus. Im selben Monat wie die Eröffnung der Ausstellung „Auschwitz – Bilder und Dokumente“ erschien in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“, die zu dem Zeitschriften-Netzwerk der Ostermarsch-Bewegung gehörten (Boll 2006, 514), der bereits zitierte Prozess-Kommentar „Das Kreuz der Prozesse“ von Heinz Abosch, der auch in anderen ihr zugehörigen Zeitschriften publizierte wie „Frankfurter Hefte“, „Werkhefte katholischer Laien“, „Die Stimme der Gemeinde“ und „Das Argument“. Die „Aufgabe“, die Abosch aus der „ungenügend abgetragene[n] Schuld“ (Abosch 1964, 298) „eines ganzen Volkes, das blind gehorchte“ (300), ableitete, fasste er bildlich als „Überwindung von Auschwitz“ und brachte sie auf den Begriff „Demokratisierung“ (301). Aus dem historischen Rückblick: „Auschwitz wurde zur Endstation eines Antihumanismus, der das ‚Deutschtum‘ über alles stellte und ‚Fremdvölker‘ als minderwertig achtete“ (300/301), folgte die Perspektive für die Zukunft: „So wird die Überwindung von Auschwitz zu einem Problem der Demokratie, der Demokratisierung der menschlichen Verhältnisse im Innern und nach außen: Verdammung der
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Verfemung, Herstellung des Zwiegesprächs innerhalb eines Landes wie in den Beziehungen zwischen den Völkern.“ (301) Zum historischen Rückblick zitiert Abosch gewissermaßen eine Aufforderung Erich Kubys an die Besucher der Frankfurter Ausstellung, sich die Fotos aus Auschwitz anzusehen, als Perspektive auf eine Frage Arthur Millers 1964 nach seinem Besuch des Frankfurter Prozesses. „‚Schau dir das an, mach nicht die Augen zu‘“, beginnt Kuby, „‚du begegnest dir selbst, obwohl du, du in deiner Gesamtheit, nicht das Cyclon [sic] in die Gaskammern geschüttet hast, aber du hast zugelassen, du hast es für durchaus in Ordnung befunden, daß ein Teil der unter dir lebenden Menschen, deine Mitmenschen, aus der menschlichen Gemeinschaft ausgestoßen worden sind. Dazu hast du nicht nur ja gesagt, in deiner überwiegenden Mehrheit hast du dich daran beteiligt. Und nun überlege, wie du heute zu deinen Mitmenschen stehst, und zwar nicht zu denen, die du magst, schätzest, achtest, sondern zu denen, die dir aus irgendeinem Grund widerwärtig sind.‘“ (300) Kubys Vorstellung einer auf das eigene Verhalten in der Gegenwart zielenden Reflexion von Schuld kann sich auf Fotos von Tätern oder von Opfern in Auschwitz beziehen, Millers Frage, von der Abosch sagt, dass „das grausige Fanal von Auschwitz“ sie „unweigerlich“ „erhebt“, macht eine Alternative auf: „‚Wie aber sieht es in den Herzen der Deutschen aus? Ist darin der Sinn für Recht verankert oder der Sinn für Konformismus und bedingungslosen Gehorsam?‘“ (301) Abosch zitiert weder, wie der Frankfurter Prozess-Besucher zu der seinem Kommentar den Titel gebenden Frage nach „The Nazi Trials and the German Heart“ gelangt,⁴ nämlich von der Beobachtung der deutschen Schöffen und Zuschauer⁵ zur Annahme ihrer Gespaltenheit zwischen einer Identifikation mit den Opfern oder in tradierter
Vgl. aber auch deren Zurückweisung in Gerhard Mauz’ „Spiegel“-Reportage „Die Schädelstätte der Deutschen“. Polemisch bringt Mauz Arthur Millers Frage nach dem ‚deutschen Herzen‘ als „mager[en]“ „Blick“ in Gegensatz zu einem in die eigene allgemeinmenschliche Tiefe (Mauz 1968, 227). Beobachtung der Zuschauer bestimmt insbesondere die als „Brief aus Westdeutschland“ von der „Neuen Deutschen Literatur“ ein Jahr nach Ende des Prozesses abgedruckten „Aufzeichnungen eines Autodidakten im Gerichtssaal“ von Siegfried Einstein, der sie im letzten Absatz gewissermaßen unterzeichnet: „Als simpler Autodidakt machte diese Aufzeichnungen ein Jude, der acht Angehörige in Auschwitz verloren… einer, der wieder ein Zimmer hat in Deutschland und die Pflicht, auf die neuen Stöckers und Ludendorffs hinzuweisen.“ (Einstein 1966, 91) Deshalb beziehen sich seine Beobachtungen nicht nur auf die „Nationalen unter den Zuhörern“, von denen der Angeklagte Stark „ein dankbares, deutliches, wenn auch in Anbetracht der Situation stummes ‚so war’s!“ „erntet“ für sein „Geständnis – ‚ich habe an den Führer geglaubt, ich wollte meinem Volk dienen‘“ (87), sondern auch auf das sich ständig wiederholende „‚Na schön‘“ des Vorsitzenden, seit der „Zeuge 2 formuliert [hat]: ‚Bestimmt zur Vergasung‘“ (90): „Und nun ist mit einemmal der Jargon von Auschwitz wieder zum Leben erweckt“ (89). Die Selbstcharakterisierung als Autodidakt erfolgt als rhetorische Frage, die sich gegen ein Dominieren professoralen Redens über Auschwitz in der Öffentlichkeit richtet, aber den von Martin Walser in seinem Aufsatz „Unser Auschwitz“ geprägten Begriff „Unser Asoziales“ aufgreift, das von Walser dem „Talent zum Sozialen“ als „Humanen“ entgegengesetzt wurde (Walser 1972, 22): „Die Canaille in Deutschland […] hat zu allen Zeiten an einen Führer geglaubt, Mitleid gegen sich und Gnadenlosigkeit gegen ‚Andersgläubige‘ gekannt, asozial gehandelt und Moral gepredigt.“ (Einstein 1966, 90)
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Untertänigkeit einer Identifikation mit den Tätern, noch Millers Verallgemeinerung des Beobachteten auf die Menschheit: „The problem for the Germans is that they are being called upon to identify themselves with the victims when their every instinct would lead them to identify with the uniformed, disciplined, killers. In short, they are being called on to be free, to rebel in their spirit against the age-old respect for authority which has plagued their history.“ (Miller 2000, 67) Millers Deutung der Identifikation mit den gesehenen und gehörten Überlebenden von Auschwitz als Zeugen auf der Seite deutscher Prozessbesucher und Schöffen als Akt der Rebellion gegen den Autoritarismus deutscher Tradition steht in starkem Kontrast zur negativen Bewertung der Identifikation deutscher BesucherInnen der Foto-Ausstellung mit insbesondere jüdischen Opfern in der Forschung. Cornela Brinks „‚Auschwitz in der Paulskirche‘. Erinnerungspolitik in Fotoausstellungen der sechziger Jahre“ wurde in „H-Soz-u-Kult“ als „sehr wichtige Publikation“ gerühmt wegen ihrer Kritik an der „kathartische[n] Funktion“ der Ausstellung, die als „symptomatisch“ erfasst werde für „eine verbreitete Aufrechnungs- und Abwehrtaktik […], welche die Erinnerung an die NS-Zeit verschwimmen liess“ (Haegele 2000). Brink selber benutzt zur Bestimmung der Funktion der Auschwitz-Ausstellung den Begriff der „Exkulpation“, wenn sie ihre Ablehnung von Distanzierung von den Tätern wie von Identifikation mit den Opfern begründet: „Von den Tätern, deren mörderisches Handeln aus ihrem brutalen, sadistischen Charakter oder aus einer verblendeten ideologischen Mission abgeleitet wurde, sollte sich der Betrachter distanzieren. Die Darstellung der Opfer als Vorbilder ‚wahrer Humanität‘ lud zur positiven Identifikation ein.“ (Brink 2000, 70) „Der mitleidende, identifizierende Blick auf die Gefolterten und Ermordeten gewährte dem einzelnen wie dem Kollektiv, dem er angehört, Exkulpation.“ (75) Von Fotos der Täter wie der Opfer behauptet Brinks an anderer Stelle: „Die Aufnahmen […] verschafften all denen ein Alibi, die nicht unmittelbar an der Anordnung oder Ausführung der Mordaktionen beteiligt gewesen waren“ (53).⁶ Von den bisher zitierten Paratexten der Ausstellung geht es in keinem um „Rechtfertigung“ oder „Entlastung von Schuld“ (wie „Wahrig Deutsches Wörterbuch“ (2006, 486) „Exkulpation“ erklärt), sondern – wie z. B. bei Abosch – um „ungenügend abgetragene[n] Schuld“ (Abosch 1964, 298) „eines ganzen Volkes, das blind gehorchte“ (300). Aus der Schuld folgt die „tiefgreifende Demokratisierung“ als „eine unbewältigte Aufgabe“ (301), was sie bisher geblieben sei, weil „[i]m Laufe der Entwicklung der Bundesrepublik […] die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus diejenige mit dem Nationalsozialismus immer mehr“ „verdrängte“
Vgl. eine ähnlich unzutreffende Kritik an Schoenberners (1960) Foto-Text-Band in Brink 2007, 64, der mit seiner „dichtomische[n] Gegenüberstellung von Opfern und Tätern“ „die ‚ganz normalen Deutschen‘ [ …] aus der Verantwortung“„entließ“ und „diese auf die Täter in Uniform“ „schob“ (62). Axel Schildt und Detlef Siegfried (2009, 210) markieren in der Darstellung der Rezeption des Frankfurter Prozesses in ihrer „Deutschen Kulturgeschichte“ immerhin, dass sie für den „Massenmord an den Juden“ „de[n] Begriff ‚Holocaust‘“ zugrundelegen, der „seit Ende der 70er Jahre […] Verbreitung fand“, wenn sie behaupten: „dass die Konstruktion der NS-Bestie […] bequeme Distanzierungsmöglichkeiten für die Bevölkerung bot“.
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(299). Abosch betont rhetorisch als „nicht notwendig zu unterstreichen“, dass die „unbewältigte Aufgabe“ „täglich eher größer als kleiner“ werde, um auf eine aktuelle Gefahr hinzuweisen: „Der Verdrängungsprozeß gipfelt in der Gleichstellung Auschwitz = DDR, womit vergessen werden soll, daß ehemalige SS-Offiziere im demokratischen Kreuzzug ihren Platz gefunden haben.“ (300) Er räumt ein: „Es ist wahr, die Bundesrepublik verfemt nicht die Juden. Sie beschränkt sich darauf, Haß gegen die Länder des Ostens und gegen den Kommunismus zu säen. Aber ist das besser, ist das ein Fortschritt?“ (301) Abosch schließt mit einer Wendung, die eine Entsprechung in Arthur Millers Prozess-Kommentar hat, der von den Deutschen in Frankfurt angesichts von Auschwitz auf die Menschheit angesichts der Gefahr eines Atomkriegs schließt: „With the atomic bomb in so many hands now it might be well to take a good look at the ordinariness of most of the defendants in Frankfurt. […] Perhaps the deepest respect we can pay the millions of innocent dead is to examine what we believe of murder, and our responsibility as survivors for the future.“ (Miller 2000, 68) Auch Abosch schließt mit der Wendung von Überwindung von Auschwitz durch innenpolitische Demokratisierung zur außenpolitischen: „Notwendig ist […] eine beständige und tiefgreifende Demokratisierung unseres gesellschaftlichen Daseins […]. Aber […] liegt […in dem Säen von] Haß gegen die Länder im Osten und gegen den Kommunismus […] bereits nicht wieder der Keim zu einem neuen Auschwitz (oder zu einem neuen Hiroshima)? […] Es gehört zum guten bundesdeutschen Ton, Auschwitz zu verdammen, doch bleibt es ein Lippenbekenntnis, wenn man uns, wie Adenauer es tat, die Russen als ‚Todfeinde‘ verketzert. Die Überwindung von Auschwitz […] verlangt einen täglichen, erbitterten, unaufhörlichen Kampf um die Demokratisierung unserer Verhältnisse, um die Sicherung des Friedens, um die Überwindung machtpolitischen Denkens, das sich in Auschwitz ein schauriges Monument selbst errichtete.“ (301) „Der Mut zum Ungehorsam allein könne verhindern, daß sich Auschwitz – in welcher Form immer – wiederholt. In diesem Gedanken gipfelte das Gespräch“ (Übersicht 1965, 1465), hieß es im redaktionellen Bericht der „Tribüne“, die 1962 – in Reaktion auf die antisemitische Welle von 1959/60 – von Elisabeth Reisch als „Zeitschrift zum Verständnis des Judentums“ gegründet worden war, über die Podiumsdiskussion „Was hat Auschwitz mit dem ‚deutschen Menschen‘ zu tun?“, als Teil des ersten „Nürnberger Gesprächs“, einer bis 1969 und dann wieder 1977 und 1979 sowie 2018 durchgeführten Reihe der Stadt Nürnberg und deren Schul- und Kulturreferenten Hermann Glaser,⁷ deren erstes Thema, in Zusammenarbeit mit der Bundes- und der bayerischen Landeszentrale für politische Bildung und dem BR, „Haltungen und Fehlhaltungen in Deutschland“ war. Hermann Glasers 1959 als Ullstein-Taschenbuch erschienene „Kleine Kulturgeschichte der Gegenwart mit einem Führer durch das Sachschrifttum“ hatte im Register 13 mit „Atom-“ zusammengesetzte Stichworte, Auschwitz fehlte, nur zwei Mal wurden „Konzentrationslager“ erwähnt (Glaser 1959, 48, 118); die Literaturhinweise waren nach der Totalitarismus-Theorie ausgewogen: Eugen Kogon und H. G. Adler standen Joseph Scholmer und Helmut Gollwitzer gegenüber (170/171).
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3 Das erste Nürnberger Gespräch „Was hat Auschwitz mit dem ‚Deutschen Menschen‘ zu tun?“ Gedruckt erschien die aufgezeichnete Podiumsdiskussion in Auszügen in Buchform als von Glaser herausgegebener „Tagungsbericht“ 1966. Geführt wurde sie von dem in London lebenden Theresienstadt-Überlebenden H. G. Adler, dem Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, dem Leiter des literarischen Nachtprogramms des SWF Horst Krüger, dessen im „Monat“ im Mai 1964 publizierte Reportage aus dem Frankfurter Prozess „Im Labyrinth der Schuld“ (Krüger 1963/64) von Marcel Reich-Ranicki in der „Zeit“ als „eines der besten“ „Prosastück[e]“ den LeserInnen empfohlen worden war, „die ich dieses Jahr in einer deutschen Zeitschrift gefunden habe“ (Reich-Ranicki 1966, 109), weil es von Auschwitz handele „mit Blick auf das, was heute ist und was morgen sein kann“ (110), dem Erlanger Germanisten Hans Schwerte, der sich im April 1995 öffentlich dazu bekannte, dass er bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs als Hauptsturmführer Hans Ernst Schneider im SS-„Ahnenerbe“ tätig gewesen war,⁸ dem „Zeit“-Redakteur Dietrich Strothmann und dem Lüneburger Geschichtsdidaktiker Ernst Weymar. In der „Übersicht“ der „Tribüne“ wird die „engagiert geführte[…] Diskussion“ fokussiert auf die „Frage, ob Auschwitz nur in Deutschland möglich gewesen sei“ (Übersicht 1965, 1465), und als eine „klare Linie“ in der Diskussion herausgestellt, „daß Auschwitz eine Folge davon war, daß die Deutschen Hitler gewähren ließen“. Als Erklärung herangezogen worden seien „verschiedene Verhaltensmuster der Gesellschaft, wie sie sich gerade in Deutschland im Verlaufe des 19. Jahrhunderts entwickeln konnten“: „Der ehemalige Lagerkommandant Höß charakterisiere den Typ des deutschen Kleinbürgers – eines Menschen also, der ohne die Fähigkeit eigenen Urteils und richtigen Erkennens auf seine Weise schuldig wird. Das Pflichtbewußtsein dieses Typs pervertiere. Die Sekundärtugenden feierten Triumphe, der Befehl gelte mehr als die Menschlichkeit. Der Mut zum Ungehorsam allein könne verhindern, daß sich Auschwitz – in welcher Form immer – wiederholt.“ (1465) Der als ‚Gipfel des Gesprächs‘ bereits zitierte letzte Satzteil fehlt in der – ohne Quellenangabe – pa-
Schwertes Teilnahme an der Podiumsdiskussion wird nicht erwähnt in Ludwig Jägers „Seitenwechsel“ (1998) und in den Beiträgen zu Helmut Königs Sammelbänden (1997, 1998), auch nicht in Joachim Lerchenmuellers und Gerd Simons „Seitenwechsel“, die Schwertes „Bemühen[…], am Demokratisierungsprozess der westdeutschen Gesellschaft aktiv und unterstützend teilzunehmen“ (1999, 348), anerkennen und deshalb mit einer entsprechenden Aufforderung an seine moralischen Kritiker schließen: „man sollte […] auch die Frage an sich selbst richten: Tun wir das, was uns heute möglich ist, um die Rahmenbedingungen gesellschaftlichen Lebens so zu verändern, dass auch künftige Generationen noch die Chance auf eine menschenwürdige Existenz haben?“ (356) Beispiele für das Absehen vom politischen Kontext der 1960er Jahre sind die von Walter Müller-Seidel übernommene Verurteilung der Habilitationsschrift durch Theo Buck als „nach vollzogenem Identitätswechsel […] ‚wohlkalkulierter, karrierebedingter Vorausvollzug der Forderungen des Zeitgeists‘“ (Müller-Seidel 1998, 67) oder Königs Spott über „die oft erzählten kleinen Ansichts- und Treueschwüre, von denen auch Schwerte berichtet: Man reicht sich die Hände zum Bunde des ‚Nie wieder‘“ (König 1998, 116). Nur Claus Leggewie erörtert Schwertes Nürnberger Diskussionsbeitrag (Leggewie 1998, 250 – 255).
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raphrasierenden Zusammenfassung der Podiumsdiskussion in Claus Leggewies Biographie Hans Schwertes, die den ‚Mut zum Ungehorsam‘ ersetzt durch den „Mangel des Massenmenschen an Zivilcourage“ (Leggewie 1998, 251). Aber Leggewies Benutzung eines allgemeinen, nicht auf spezifisch Deutsches begrenzten soziologischen Begriffs trifft die von der „Tribüne“ akzentuierte ‚Linie‘ der Diskussion, aus der Leggewie allerdings die Gefahr einer Wiederholung von Auschwitz streicht, die allgemeine gesellschaftliche Bedingungen voraussetzt. Leggewie nennt die historisch-gesellschaftlichen Erklärungen,⁹ die vom Nürnberger Podium diskutiert wurden „eine exemplarische Palette von Erklärungsversuchen […], den Auschwitz [sic, ohne Präposition, H.P.] symbolisierten Genozid begreiflich zu machen“, aber er erklärt die Begriffe zu „Umschreibungen“ einer Abstraktion ihres Gegenteils: „Das waren gängige Umschreibungen der ‚Unbegreifbarkeit‘ der Shoah, die auch heute noch, nach intensiver historischer Forschung und öffentlicher Debatte, kursieren.“ (251)¹⁰ Solche „Rede von der Unbegreifbarkeit und Unbeschreiblichkeit des Holocaust“ hat vier Jahre nach dem Erscheinen von Leggewies Biographie Volkhard Knigge als „seine Stilisierung zu einer Art außer- oder überhistorischem Ereignis“ (Knigge 2002, 437) kritisiert und ihr vorgeworfen, die „Mystifizierung“ der „Shoah“ zu „befördern“ (330). Umgekehrt kritisiert Leggewie – ausdrücklich auf 1965 und die Gegenwart bezogen – die Podiumsdiskussion: „Die Nürnberger Debatte wirkt noch heute, bei der Lektüre der Protokolle, gespenstisch.“ (Leggewie 1998, 252) Dieses Urteil ‚gespenstisch‘ begründet er mit einem Zitat aus der Podiumsdiskussion, wo Schwerte sich einschließt in ein Wir, das „mit Scham bekennen“ ‚müsse‘, „daß mit Auschwitz eine spezifisch deutsche Gefährdung ihren Höhepunkt erreichte“ (Adler 1965, 117), und einem aus seinen Gesprächen mit Schwerte in den 1990er Jahren, in dem er über das Nürnberger Gespräch als „existentiellen Durchbruch“ gesagt habe: „‚Hier konnte ich zum ersten Mal in aller Deutlichkeit und vor aller Augen und Ohren von mir sprechen, mir etwas von der Seele reden.‘ Er war demnach allen Ernstes davon überzeugt, in Nürnberg, eine ‚contritio oris‘, ein öffentliches Eingeständnis seiner Mitschuld abgelegt zu haben – als gehöre zu einem Kommunikationsakt nicht dazu, die Zuhörer über die ganze Wahrheit in Kenntnis zu setzen und ihnen auch eine Antwort ‚ad personam‘
„[…] – aus der langen Tradition des Judenhasses und Rassismus in Deutschland, aus pervertierten, am Beispiel des Lagerkommadanten Rudolf Höß demonstrierten Sekundärtugenden, aus einer spezifisch deutschen Mentalität, aus dem Mangel des Massenmenschen an Zivilcourage.“ (Leggewie 1998, 251) Auf andere Weise unterschlägt die regionalgeschichtliche, auf Glasers Rolle in der kommunalen Kulturpolitik gerichtete Dissertation von Franziska Knöpfle die in Nürnberg diskutierten politisch aktualisierenden Deutungen von Auschwitz. Zunächst spielt sie die „unmittelbare Wirkung“ der Fotound Dokumenten-Ausstellung des DGB gegen den „für die meisten Besucher weniger leicht nachvollziehbar[en]“ „intellektuelle[n] Diskurs“ aus, dann misst sie an dem absoluten Maßstab, ob die „Frage, wie es Auschwitz kommen konnte“, „umfassend“ und „endgültig“ „beantworte[t]“ worden sei: „Die einzelnen Interpretationsansätze ließen sich jedoch nicht auf einen Nenner bringen“, um ihren Verzicht auf Analyse schließlich zu verklären: „der Sinn der Veranstaltung lag vielmehr im Diskurs“ (Knöpfle 2007, 159).
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zu ermöglichen.“ (Leggewie 1998, 253) Leggewies Verurteilung von Schwertes Beitrag zur Nürnberger Diskussion als ‚gespenstisch‘ legt hier dieselbe Norm an wie Beiträge aus dem „linksliberalen Milieu“, die er stark kritisiert: „Schwerte habe den progressiven Demokraten und kritischen Wissenschaftler nur simuliert oder das perfide Rollenspiel eines Opportunisten aufgeführt“ (17), und die am entschiedensten Ludwig Jäger verfochten hat, dass nämlich die Veröffentlichung individuellen Erinnerns die Bedingung öffentlichen Sprechens sei: „Wer auch immer Schneider/Schwerte […] das Recht zugesteht, tatsächlich zu einer neuen demokratischen Identität nach 1945 gefunden zu haben, wird die Integrität dieser Schwerte-Identität daran messen müssen, wie ernsthaft und unbeschönigend sie um die moralischen und politischen Verfehlungen der SchneiderIdentität weiß und sich ihrer zu erinnern bereit ist.“ (Jäger 1998, 93) Ebenso schreibt die Kurzfassung in Aufsatzform Schwerte „Modellcharakter“ zu: „zur Trauer […] nicht willens und in der Lage“ (Jäger 1997, 44). Leggewie gerät mit der Norm öffentlicher individueller Erinnerung in Widerspruch zum resümierenden letzten Satz seiner Schwerte-Biographie: „Schwerte hat seine Vergangenheit zwar nicht, wie von ihm immer wieder gefordert wird, coram publico aufgearbeitet, er hat sie aber professionell und im Rahmen seiner Institution abgearbeitet. Und damit hat er sich um die Bundesrepublik sogar verdient gemacht.“ (Leggewie 1998, 309) ‚Gespenstisch‘ kann Leggewie Schwertes Nürnberger Beitrag nennen, weil er die in Nürnberg diskutierten „Erklärungsversuche“ von Auschwitz als „Umschreibungen der ‚Unbegreifbarkeit‘ der Shoah“ (Leggewie 1998, 251) verschwinden lässt, statt sie als 1965 aktuelle Antworten auf die Frage zu untersuchen, wie zu „verhindern“ sei, „daß sich Auschwitz – in welcher Form immer – wiederholt“ (Übersicht 1965, 1465). Er unterschlägt Schwertes – seiner Erklärung aus „eine[r] ganz spezifische[n] Anlage“ „in der Geschichte des deutschen Geistes“ entsprechende – Antwort auf die Frage nach dem Wie der Verhinderung einer Wiederholung: „Wir haben Lessing aufgegeben, um dann mit Hilfe der Spätromantik diese Ideologie zu entwickeln. Fänden wir doch wieder zu Lessing und zum Geist des 18. Jahrhunderts zurück! Würden wir doch endlich in Deutschland begreifen, daß Aufklärung kein Schandwort ist, sondern ein gültiges Wort, das die europäische Menschheit für uns vorgedacht hat!“ (Adler 1965, 117) Hermann Glaser, der Organisator des Nürnberger Gesprächs 1965 über Auschwitz und den ‚deutschen Menschen‘, hat zwei Jahrzehnte später in seiner „Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“, im Anschluss an einen Aufsatz von Jürgen Habermas von 1971, den „philosophische[n] Geist vor allem der letzten Jahrzehnte“ von drei Autoren geprägt gesehen, „die die deutsche Entwicklung zu deuten versuchten“: Georg Lukács mit „Die Zerstörung der Vernunft“ (1955), Helmuth Plessner mit „Die verspätete Nation“ (1959) und Ralf Dahrendorf mit „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland“ (1965), „drei Theorien der Ungleichzeitigkeit […]: Die Theorie der zurückgebliebenen kapitalistischen Entwicklung, die Theorie der verspäteten Nation und die Theorie der verzögerten Moderne.“ (Glaser 1986, 292, vgl. 357) Dahrendorf geht in seinem im Jahr des Nürnberger Gesprächs erschienenen Buch von der Einschätzung aus, dass die Prozesse in Jerusalem und Frankfurt auf die Frage „Wie war Auschwitz möglich?“„kaum einen Beitrag zu einer Erklärung geliefert“ hätten, „die auch nur die
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Dimension des Verbrechens trifft, das hier begangen wurde“ (Dahrendorf 1968, 17), was der schon häufiger zitierten Begründung von ‚Unvorstellbarkeit‘ entspricht, aber bei Dahrendorf, wenn er ein „Kapitel einigen möglichen Erklärungsansätzen [zu] widmen“ verspricht, zu dem Eingeständnis führt: „Die Frage […] ohne ein Ausweichen in Metaphern – seien es auch Metaphern der Jurisprudenz oder der Psychoanalyse – zu beantworten, scheint mir vorerst unmöglich“ (17). Seine eigene Metaphorik von „der Pathologie staatsbürgerlicher Gleichheit in Deutschland“ (93) grenzt er als „herb“ ab von „süße[n] Metapher[n]“ der Psychoanalyse: „nationalen Neurosen“, oder der Geistesgeschichte: „historischen Vorbelastungen“ (375), weil sie z. B. nicht ausklammert die „Verbindung der NSDAP mit der Großindustrie“ (425), denn die „Lösung“ des „Problems der ‚Erklärung‘“, so Dahrendorf, „muß in den Strukturen der deutschen Gesellschaft gesucht werden“ (417). In seiner Darstellung der „Ursachen, die zum NSRegime führten“, und der „Antworten d[er…] beiden deutschen Gesellschaften nach 1945“, so der Klappentext des Piper-Verlags, „entwirft Dahrendorf zugleich eine Theorie der Demokratie und zeigt einen Weg, der aus den Hemmnissen herausführt“, „das, was man sinnvoll unter ‚Demokratisierung‘ verstehen mag“ (339). Während Habermas in dem von Hermann Glaser zitierten, zuerst vom HR 1971 gesendeten Aufsatz „Wozu noch Philosophie?“ die Theorien der Entwicklung der deutschen Gesellschaft von Dahrendorf, Plessner und Lukács „miteinander vereinbare Theorien der Ungleichzeitigkeit“ (Habermas 1971a, 18) nannte, hatte er 1965 in seiner „Spiegel“Rezension Dahrendorfs „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland“ ein „merkwürdig flächig[es]“ „Bild“ des „Wegs der Moderne“ vorgeworfen, „den die Deutschen in den letzten hundert Jahren zögernd und mit vielen Unterbrechungen gehen“: „In ihm sind alle Kategorien von Freiheitsbedrohung ausgespart, die der kapitalistischen Weg zur Moderne doch auch selber erzeugt hat.“ (Habermas 1971b, 238) Habermas selbst aber ersetzte 1971 im Neudruck der Dahrendorf-Rezension zusammen mit einer von Plessners „Die verspätete Nation“ aus den „Frankfurter Heften“ von 1959 unter dem Titel „Drei Traktate über die Wurzeln deutschen Ungeistes“ als dritten ‚Traktat‘ Lukács’ „Die Zerstörung der Vernunft“ durch das noch nicht übersetzte Buch von Francis K. Ringer „The Decline of the German Mandarins. The German Academic Community, 1890 – 1933“, das er auch für die englischsprachige „Minerva. A Review of Science, Learning and Policy“ besprach (239). Weil Horst Krügers Frankfurter Gerichtsreportage von Auschwitz handele „mit Blick auf das, was heute ist und was morgen sein kann“ (Reich-Ranicki 1966, 110), empfahl sie Reich-Ranicki unter der Überschrift „In einer deutschen Angelegenheit“ (109) den LeserInnen der „Zeit“, wobei er bei diesen Widerstand voraussetzte, wie er einen solchen bei den Schriftstellern daraus folgerte, „daß sich über diesen Prozeß […] kein einziger prominenter deutscher Schriftsteller auch nur mit einem einzigen Wort geäußert hat“ (111). Reich-Ranickis Überschrift war ein Zitat aus Gerhard Schoenberners titelloser Einleitung zu „Wir haben es gesehen. Berichte und Dokumente über die Judenverfolgung im Dritten Reich“: „Die Judenverfolgung ist nur ein Ausschnitt aus dem Katalog der nationalsozialistischen Untaten, aber sie liefert ein eindringliches Beispiel, in welche Abgründe des Verbrechens Hitlers Raubtierphilosophie
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führte. An ihr zeigt sich die Krankheit einer ganzen Epoche. Nicht eine jüdische, eine deutsche Angelegenheit wird hier verhandelt.“ (Schoenberner o. J., 7) Die Schoenberner’sche Prägung ‚eine deutsche Angelegenheit‘ hatte sich schon vor Reich-Ranickis Empfehlung von Krügers Prozess-Reportage ein anderer Rezensent zu eigen gemacht, Michael Mauke in seiner Besprechung von Schoenberners „Wir haben es gesehen“ in den „Werkheften katholischer Laien“ unter der Überschrift: „Augenzeugenberichte“; es solle „‚Deutsches Lesebuch‘“ sein, denn der „Sachverhalt“ werde „für die Menschen von heute so unmittelbar lebendig und erfaßbar gemacht […], daß niemand solcher Konfrontation mithilfe von Verdrängungsmechanismen ausweichen kann und jedermann veranlaßt wird, über die Konsequenzen der schrecklichen Begegnung nachzudenken, denn ‚hier wird nicht eine jüdische, sondern eine deutsche Angelegenheit verhandelt‘.“ (Mauke 1963a, 70) Marcel Atze hat auf den 172 Seiten seines Beitrags „Der Auschwitz-Prozeß in der Literatur, Philosophie und in der Publizistik“ zum Katalog der Ausstellung des Fritz Bauer Instituts „Auschwitz-Prozeß 4 Ks 2/63“ Reich-Ranicki auf gewisse Weise widersprochen: „Im Rahmen der Ausstellung […] kann jetzt gezeigt werden, wie häufig das Verfahren zum Topos in der deutschsprachigen Literatur wurde.“ (Atze 2004a, 639; vgl. schon Braese 2001b). Doch unter den „Fundstücke[n]“ ist so „manche[…] Trouvaille aus den Nachlässen“: „Zahlreiche Briefe, Agenden, Tagebuch- und Manuskriptauszüge waren bis dato nicht publiziert und werden hier erstmals zugänglich gemacht.“ (Atze 2004a, 639). Immerhin schränkt Atze seine implizit gehaltene Kritik an Reich-Ranicki noch weiter ein, indem er Krüger „einen Katalysator in der Beschäftigung mit dem Auschwitz-Prozeß“ nennt: „Der Prozeß verließ die Politikseiten und fand Eingang ins Feuilleton. Der Berichterstattung war somit eine größere Breitenwirkung sicher.“ (762) Reich-Ranickis Empfehlung von Krügers „Im Labyrinth der Schuld“ als „eine[m] der besten“ „Prosastück[e]“ bezog sich auf die in den Kultur- und Literatur-„Zeitschrift[en]“ „dieses Jahr[es]“ (Reich-Ranicki 1966, 109) gedruckten; er setzte provozierend dem in den literarischen und kulturell-politischen Zeitschriften vermiedenen Thema Auschwitz ein anderes, auch einen Ortsnamen tragendes, entgegen: „alle [Themen], ausnahmslos alle, sind angenehmer. Sogar Stalingrad. Da kann noch, wer will, von deutschem Heldentum sprechen; da vernehmen noch manche Fanfaren und Trommelwirbel und den Trauermarsch aus der ‚Götterdämmerung‘. […] das war, sagt man, eine nationale Katastrophe. Wie ließe sich Auschwitz in zwei Worte zusammenfassen? Doch wohl nur: deutscher Mord.“ (109/110) Auseinandersetzungen über Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“ ersetzen in den meisten Zeitschriften die Beschäftigung mit dem Frankfurter Auschwitz-Prozeß, ein Befund, der der verbreiteten These widerspricht, dass ein „öffentliche[s] Interesse“ nicht durch den Jerusalemer, sondern den Frankfurter Prozess in der BRD bewirkt worden sei (Werle/Wandres 1995, 42); der Zeitschriftenbefund entspricht aber dem Ergebnis von Classens Untersuchung der bundesrepublikanischen Fernsehprogramme (Classen 1999, 161) und von Wilkes u. a. (1995, 54) der Presseberichterstattung.
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Nur in den „Frankfurter Heften“ kommentierte Eugon Kogon wiederholt den Frankfurter Prozess. Relativ gering war in den Zeitschriften die Aufmerksamkeit für literarische und geschichtswissenschaftliche Neuerscheinungen über Faschismus, Judenvernichtung und Krieg; einzig in den stärker auf Rezensionen orientierten „Neuen Deutschen Heften“ und in der „Neuen Rundschau“ kam es zu einer Entdeckung fremdsprachiger, teilweise schon länger vorliegender, literarischer Auseinandersetzungen mit der Erfahrung von Auschwitz und Buchenwald: Elie Wiesel, Jorge Semprun und Tadeusz Borowski wurden besprochen. Aber der einzige bundesrepublikanische Text, der in allen Zeitschriften behandelt wurde, erinnerte nicht an Opfer des faschistischen Rassismus, sondern an deutsche Soldaten als Opfer des Krieges, wie von Reich-Ranicki pointiert, an Stalingrad. Mit dieser Spitzenstellung von Alexander Kluges „Stalingrad“ konnte sich keines der neuen geschichtswissenschaftlichen Bücher vergleichen, nur zwei Titel wurden in mehr als einer rezensiert, nämlich Reinhard Henkys’ „Nationalsozialistische Gewaltverbrechen“ und Ernst Noltes „Der Faschismus in seiner Epoche“ im „Merkur“ sowie in der „Neuen Rundschau“. Innerhalb einer Zeitschrift – so wie im Fall Arendt im „Merkur“ – wurde nur noch in den „Frankfurten Heften“ über ein Buch gestritten, über den autobiographischen Text der ehemaligen BDM-Pressereferentin in der ‚Reichsjugendführung‘ der NSDAP, Melitta Maschmanns „Fazit. Kein Rechtfertigungsversuch“. Lotte Paepcke kam zu dem Ergebnis: „Wenn das Wort von der Bewältigung einen Sinn haben soll, so ist es hier anzuwenden. Denn zu bewältigen haben wir nicht nur ein Etwas, das in der Vergangenheit getan wurde oder geschah; zu bewältigen haben wir einander: der eine den andern, so wie er war und heute ist.“ (Paepcke 1963, 491)¹¹ Gabriele Wohmann widersprach, indem sie statt der Lektüre der Maschmann’schen Rechtfertigungschrift die der Dokumentationen Schoenberners und des Stroop-Berichts empfahl (Wohmann 1963, 565): „Melitta Maschmann [kann] schon aufgrund ihrer Mentalität den Nationalsozialismus zu keiner Zeit – auch heute nicht – als das sehen […], was er wirklich war.“ (559) Wo Paepcke eine ‚Lösung‘ „von der Vergangenheit“ (Paepcke 1963, 492) im Zeichen einer
Vgl. in diesem Sinne auch schon den Schlusssatz über Juden und nicht-jüdische Deutsche ihres 1952 vom Verlag der Frankfurter Hefte veröffentlichten Erlebnisberichts „Unter einem fremden Stern“: „So mögen wir beide, sie und wir, stark sein, zu tragen, was uns auferlegt ist: einander vor Augen zu sein in der über uns gemeinsam verhängten Zeit bis an das Ende unser aller Tage. Die letzte unserer gemeinsamen Stunden wird ihr rätselvolles Antlitz enthüllen und wird uns beiden, ihnen und uns, den Sinn offenbaren.“ (Paepcke 1952, 123) Vgl. für die Vorstellung von der letzten Stunde als einer ‚gemeinsamen‘ die in demselben Jahr veröffentlichten Rezensionen von Ludwig Marcuse und Max Rychner: Marcuse liest Klaus Manns „Der Wendepunkt“ als „Darstellung eines lebenslänglichen Abschieds. Er gibt dem Buch der Erinnerungen die Weihe des letzten Wortes“ (Marcuse 1951/52, 410), Rychner Ernst Jüngers Fragment „Das Haus der Briefe“ als sein „Raster des Geschichtsbildes“: „Wir fühlen uns dem Unbekannten verwandt, und keine Feindschaft unter Menschen reicht an diese Gemeinschaft heran. Im Letzten ist alles Lebende verschwistert, in grauenhafter Oede [sic] aufeinander angewiesen, im Eismeersturm.Wir leben voneinander: die Wahrheit steigt aus dem Schrecken zu hoher Verklärung auf.“ (Rychner 1952, 212).
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„heilige[n] Nüchternheit“ (493) wahrnahm, erblickte Wohmann Kontinuität, einen „Mentalitäts-Nazi“, dessen Distanzierung sich auf den „so bequeme[n] Vergleich des Nationalsozialismus mit dem Kommunismus“ (Wohmann 1963, 559) beschränke. Eine solche Relativierung des Antitotalitarismus fand Parallelen nicht nur in Noltes Einführung des epochalen Faschismusbegriffs in die geschichtswissenschaftliche Diskussion der Bundesrepublik, der nämlich einschloss, dass nach 1945 der Faschismus als „Mentalität“ ‚überlebe‘ (Nolte 1967, 71), sondern auch in einer Rezension, die Krüger in den „Frankfurter Heften“ im Jahr der Maschmann-Kontroverse publizierte (deren Bedeutung sich auch daran zeigt, dass Heinrich Böll und Hermann Glaser auf sie reagierten). Als eins der drei ‚Verdienste‘ von Ernst Blochs „Erbschaft dieser Zeit“, die Suhrkamp neu aufgelegt hatte, hob Krüger hervor: „das Buch [arbeitet…] endlich einmal den kategorialen Unterschied zwischen Kommunismus und Faschismus heraus. Gerade bei uns in der Bundesrepublik, wo beide Gebilde heute meist höchst bequem in einen Topf geworfen werden, ist diese Unterscheidung hochaktuell.“ (Krüger 1963, 136) Dementsprechend kritisierte Krüger den Suhrkamp’schen Klappentext, der von einer „Soziologie des versagenden Bürgertums“ sprach; Krüger insistierte, dass die Bedeutung von Blochs Analyse und Kritik darin liege, „die Bildung jenes ‚falschen Bewußtseins‘ aufzudecken, das eine Voraussetzung dafür war, daß gerade das deutsche Kleinbürgertum für den Faschismus besonders anfällig wurde“ (135). Die Redaktion der „Tribüne“ hob in dem Teil ihrer „Übersicht“ über das Nürnberger Gespräch 1965, der über die Arbeitsgruppe „Ideologische Stereotype und Leitbildmodelle als Integrationsformen der Gesellschaft“ berichtete, zweierlei zum Antisemitismus hervor, erstens, dass er „häufig einem Philosemitismus gewichen sei, der die Strukturen des Antisemitismus reziprok widerspiegele“, zweitens: „Es sei lediglich eine Diffamierungsverschiebung eingetreten, und zwar sei sie gegen die östliche Sphäre ausgerichtet. Hierin bestehe kein qualitativer Unterschied zu den früheren Thesen gegen das Judentum.“ (Übersicht 1965, 1470) Mit dem Begriff ‚Diffamierungsverschiebung‘ folgte der Bericht dem Arbeitsgruppen-Referat Horst Krügers über „Die Stereotypen von den osteuropäischen Völkern“ in der Bundesrepublik, an denen er – unter Rekurs auf eine soziologische Studie über die Meinungen 13- bis 18-jähriger zu „Russen, Polen, Ungarn, Tschechoslowaken, Rumänen, Bulgaren, Balten“ (Krüger 1965c, 1531) – eine „Verschiebung der Diffamierungsobjekte“ (1530) konstatierte, nämlich ein „Abbau von nationalen Vorurteilen im Westen“ sei „erkauft durch die Errichtung massiver Gruppenvorurteile gegenüber den Völkern Osteuropas“: „Ich sehe in diesen Stereotypen keinen qualitativen Unterschied zu den faschistischen Parolen vom ‚bolschewistischen Untermenschen‘. Das klingt 1965 nicht viel sehr viel anders als 1941.“ (1531) Krüger vergleicht seinen Befund zur Kontinuität ‚antibolschewistischer‘ Stereotypen mit einer – seiner Meinung nach – bekannteren und häufiger erwähnten ‚sozialpsychologischen‘ ‚Tatsache‘: „Daß die Kommunisten heute in der Bundesrepublik sozialpsychologisch eine ähnliche Rolle spielen wie etwa die Juden unter Hitler – ich würde sagen in den Jahren 1937 und 1938 – ist eine bekannte und oft erwähnte Tatsache. Aber wie steht es eigentlich mit den Russen, den Polen, den Tschechen?“ (1531)
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Wie bereits zitiert, berief sich Schoenberner 1960 in seinem Kommentar zu den Kölner Hakenkreuzschmiereien auf Alexander Mitscherlich, der „kürzlich davon gesprochen“ habe, „daß der Antikommunismus in der Bundesrepublik heute weitgehend die Funktion des Antisemitismus übernommen hat“ (Das Argument 2 (1960) Nr. 16 [Reprint 1974, 200]), und Robert Neumann am 12. November 1962 in der Humboldt-Universität, wo er sein in Marburg begonnenes „Ost-West-Gespräch“ über „Antisemitismus eine gesamtdeutsche Schuld“ (Hübsch/Balzer 1994, 186) fortsetzte, auf „eine Erkenntnis – und die stammt nicht von mir, sondern vor allem von Professor Mitscherlich, dem Leiter des Psychosomatischen Instituts in Heidelberg –, daß ein wesentlicher Teil des früheren Anti-Semitismus in den Anti-Kommunismus übergegangen ist‘“ (68). In Mitscherlichs Beitrag „Humanismus in der Bundesrepublik“ zu der von Hans Werner Richter herausgegebenen „Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz 1962“ hieß sie 1962: „Ein großes Quantum des Selbsthasses, den man zuvor auf die jüdischen Mitmenschen projiziert hatte, übertrug man jetzt [nach verlorenem Krieg und zerblasenen Illusionen (150)] auf die Kommunisten. Ein Teil des Ressentiments, das gestern als Antisemitismus zum Ausdruck kam, heißt heute Antibolschewismus; mit Erkenntnis der Realität hat das heute so wenig zu tun, wie es vordem mit Kenntnis des Judentums zu tun hatte.“ (Mitscherlich 1962, 151)¹² Detlef Siegfried, der in der von ihm untersuchten „Jugendkultur“ der Bundesrepublik für deren „gegenwartsbezogene Argumentation“ zum Faschismus „[i]n der Mitte der sechziger Jahre […] das interpretatorische Grundmuster bereits voll ausgebildet“ sieht, fasst als das zweite von drei Elementen dieser Struktur: „In einem versteckten Antisemitismus, in Antikommunismus und Autoritarismus existierten die mentalen Prägungen des Nationalsozialismus auch weiterhin fort.“ (Siegfried 2008,
In seiner auf die SDS-Bundesvorsitzenden fokussierten Untersuchung der Bedeutung der Entspannung für die zeitweise Entwicklung einer „kalkulierte[n] Realpolitik“ (Jahn 1990, 12) durch den nicht mehr primär auf die Arbeiterbewegung orientierten SDS als „Intellektuellenorganisation“ (11) betont Peter Jahn nicht nur die Distanzierung von der DFU (17), sondern gerade die Reisen in die DDR, mit einem „Schwerpunkt“ (23) in den Jahren 1964/65, denen die „Einschätzung“ zugrundelag, „daß der Antikommunismus als dominierende Integrationsideologie der Bundesrepublik (und die latent faschistischen Strukturen, die durch ihn gestützt wurden), [sic] sozialistische Alternativen ohne Resonanz ließ“; Jahn zitiert den Rechenschaftsbericht Manfred Liebels auf der 19. Delegiertenkonferenz 1964: „‚Wir haben die Funktion dieses Antikommunismus immer wieder dargelegt und gezeigt, daß dieser im Seelenhaushalt vieler Deutscher an die Stelle des Antisemitismus getreten ist.‘“ (14) Zu den Erfolgen der seit 1963 erarbeiteten „‚Ostkonzeption‘“ (36) des SDS zählt Jahn die Podiumsdiskussion auf dem Pfingsttreffen der FDJ 1964 zwischen Kurt Hager und Helmut Lessing (29 – 31), aber bei dem Gegenbesuch der FDJ zu einem des SDS-Bundesvorstands referierte im Dezember 1966 der neue SDSBundesvorsitzende Reimut Reiche „über den Funktionswandel des Antikommunismus: ‚Heute ist es nicht mehr so sehr die DDR, sondern die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt das sozialpsychologische Mittel, mit dem die Bevölkerung in der kapitalistischen BRD diszipliniert wird.‘ So habe die Deutschlandpolitik für den SDS an Bedeutung verloren‘“ (32). Und die 21. Delegiertenkonferenz des SDS beschloss: „‚Besonderes Gewicht ist […] auf den Kampf gegen die neue Form des Antikommunismus, nämlich die Beschwörung der ‚Gelben Gefahr‘ und des ‚asiatischen Kommunismus‘ zu legen‘“ (39).
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176) Für seine zugespitztere These: „Die Denkfigur von der Ablösung des Antisemitismus als Integrationsideologie durch den Antikommunismus war weitverbreitet, nicht nur in dezidiert linken Kreisen“ (187), gibt Siegfried aber nur Belege aus Zeitschriften des Ostermarsch-Netzwerks, drei Aufsätze in der „Neuen Kritik“ des SDS von 1962– 64, einen aus „Pläne“ von 1965 (187), doch dafür, dass verfolgten Kommunisten eine „Opferrolle“ zugeschrieben wurde, zitiert er Erich Kuby im 4. Heft von „Twen“ 1962 (77), der sie als diejenigen bezeichnet, die „‚heute bei uns‘ ‚den gelben Stern tragen‘“ (188), und verweist darauf, dass diese Zeitschrift ein Jahr vor Kogons „Panorama“-Sendung die Diskussion über politische Justiz in der BRD eröffnete (188). In dem „Nürnberger Gespräch“ von 1965 unterstützte die Erwachsenenpädagogin Eleonore Sterling, die 1956 im evangelischen Kaiser-Verlag „Er ist wie du. Aus der Frühgeschichte des Antisemitismus in Deutschland (1815 – 1850)“ veröffentlicht hatte, die Annahme einer ‚Verschiebung der Diffamierungsobjekte‘, wenn sie in ihrem Referat „Der Jude: Philosemitische Stereotype in der Bunderepublik heute“ betonte, dass „Vorurteile austauschbar“ seien (Sterling 1965, 1510), und die „zweite philosemitische Stereotype vom ‚Leidenden‘, vom ‚Auschwitzjuden‘, […] ebenso bedenklich wie die vom Kulturträger“ nannte, ja seine „Idolisierung“ „geradezu gefährlich“ (1509): „Für die Juden ist es kein Trost, daß sie nur dadurch verschont bleiben, weil die alten Ressentiments sich heutzutage gegen Flüchtlinge, Gastarbeiter und sogenannte Linksintellektuelle entladen können, während man sie selber als Nobelpreisträger und verherrlichte Ermordete in den Bereich deutscher Denkmalpflege verweist.“ (1510) Siegfrieds Wort von einer „Erosion des Antikommunismus“ (2008, 185) lässt die aktuellen politischen Relevanzen unbestimmt (wie seine jeweils nur einmalige Erwähnung der Anti-Atomtod- (182) und Ostermarsch-Bewegung (174) belegt), die Auschwitz unter den Bedingungen dieser Erosion zugeschrieben werden konnten.¹³ In der schon zitierten Rezension Michael Maukes von Schoenberners zweitem Dokumentationsband heißt es, er „zerstört auch die Lüge, daß die – gewiß in vielem unerfreuliche DDR – ein ‚KZ‘ ist, wie es sogar SPD-Politiker behaupten“ , die, wie bereits zitiert, „nur als Versuch, das Naziregime zu rehabilitieren, auf[zu]fassen“ sei: „Die erste Bürgerpflicht in unserem chronisch geschichtsblinden und zweckverdummten Volk ist Zweifel, Empörung und Wandlungswillen auslösende Aufklärung.“ (Mauke 1963a, 73) Der SDSler Mauke nahm um zwei Jahre den „Gedanken“ vorweg, in dem der redaktionelle Bericht der „Tribüne“das „Nürnberger Gespräch“ über „Was hat Auschwitz mit dem ‚Deutschen Menschen‘ zu tun?“ „gipfel[n]“ sah: „Der Mut zum Ungehorsam allein könne verhindern, daß sich Auschwitz – in welcher Form immer – wiederholt.“ (Überblick 1965, 1465)
Vgl. die Unbestimmtheit, in der Peter Krause seine These lässt, dass der Eichmann-Prozess als „Schlüsselereignis“ „die politische Kultur“ der Bundesrepublik „veränderte“, indem er die „Frage nach der Verantwortung jedes Einzelnen für sein Handeln“ (Krause 2011, 306) auf die Tagesordnung gesetzt habe.
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Krügers eigenes Referat in Nürnberg verband die Infragestellung des innen- mit der des außenpolitischen ‚Antibolschewismus‘, indem er aus den Schülermeinungen „Eigenschaftskatalog[e]“ zitiert, wie den für Polen: „schmutzig, faul, […] grausam, […] heimtückisch, […] brutal, grausam, feige“ (Krüger 1965c, 1531), und ihre stereotype „Begründung“: „‚Die Polen sind diebisch. Sie fordern Gebiete, die ihnen nicht gehörten. Sie wollen gern bis zur Elbe ihr Gebiet ausdehnen.‘“ (1532) Und die Russen „‚haben uns die Heimat weggenommen und hetzen unsere eigenen Verwandten im Osten gegen uns auf‘“ (1532). Marcel Atze nennt in seiner Darstellung der Rezeption des Frankfurter AuschwitzProzesses „[b]ezeichnend“ „eine Leserbriefdiskussion in der ‚Zeit‘, die unter dem Titel: ‚…und wer spricht über Dresden?‘ Briefe versammelte, welche die zahllosen Berichte vom Auschwitz-Prozeß beklagten“ (Atze 2004a, 681), aber unter den „200 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, die sich auf ein Anschreiben Simon Wiesenthals hin, zur „Verjährung“ der Massenmorde 1965 „nein“ zu „sagen“, äußerten, waren nur zwei, die von Auschwitz schrieben (Wiesenthal 1965, 54), wozu Fritz Hochwälder Harry Mulisch zitierte: „wir müssen aufpassen, daß von nun an nicht alle Wege nach Auschwitz führen“ (78), ein Briefschreiber, der katholische Theologe Franz X. Arnold, der betonte, dass „[e]ine Besichtigung des KZ-Lagers Dachau vor wenigen Tagen“ (15) seine Einstellung gegen die Verjährung bestärkt habe, und drei, die den Frankfurter Prozess erwähnten, der Medizinhistoriker W. R. Hartner (70), der Verleger Ernst Klett (87), der Journalist Jürgen Petersen (118), aber sieben, die in aufrechnender Weise mit antikommunistischen und antislawischen Stereotypen ihre Stellungnahme gegen die Aufhebung begründeten. Dass „die Unzugänglichkeit vieler Archivbestände im Bereich des [sic] kommunistischen Regimes“ (126, vgl. 73, 95) verspätete Strafverfolgung erkläre, war die eine Aufrechnung, die andere, dass „Prager Deutschenmorde, polnische Vertreibungsmorde usw. […] bislang ebenfalls ungesühnt sind“ (120), so Gerhart Pohl, „die Massenmorde an den deutschen Einwohnern von Jugoslawien, der Tschechoslowakei und Polen, wie sie von Mai 1945 bis weit in das Jahr 1946 hinein verübt worden sind“ (127), so Gotthold Rhode, und dass „nicht nur von den Nationalsozialisten derartige Verbrechen [gegen die Menschlichkeit] begangen wurden“, „zum Beispiel auch von den tschechisch sprechenden Bürgern der Tschechoslowakei gegen die deutsch sprechenden Bürger der Tschechoslowakei“, so Hans Weigel, der Wiesenthal mitteilte, sich zu „wunder[n]“, „daß man bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit zweierlei Maß anwendet“ (151). Bis auf den Mainzer Professor für Osteuropäische Geschichte Rohde, der sich als NSDAP-Mitglied und Ostforscher 1939 freiwillig gemeldet hatte, waren die so Aufrechnenden Funktionäre des Kongresses für kulturelle Freiheit in der BRD und Österreich. Die Grundlage für die Zusammenarbeit des Kongresses mit den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit fasst Joseph Foschepoth zusammen: „Antikommunismus und Anti-Antisemitismus, die öffentliche […] Verdrängung des Antisemitismus sowie die Entdeckung der Juden gleichsam als einziger akzeptabler Opfergruppe waren […] zwei Seiten […] der Legitimierung neuer Staatlichkeit für den Nachfolgestaat des ‚Dritten Reichs‘.“ (Foschepoth 1993, 200) In einem nach Beginn des Frankfurter Prozesses publizierten,
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frühen Beitrag zur Diskussion der angemessenen Benennung des Mords an den europäischen Juden markiert Manès Sperber die Grenzen für das Spektrum der im „Monat“ vertretbaren Positionen, wenn Sperber mit religiöser Begründung Holocaust und Shoah ablehnt, um Churban¹⁴ vorzuziehen, mit der Formel: „In Wahrheit bleibt man verständnislos vor der jüdischen Katastrophe, wenn man sie […] nicht auf den Totalitarismus [zurückführt], der überall antijudaistisch ist.“ (Sperber 1963/64, 9) Als Paul Schallück mit seinem Beitrag „Vorurteile und Tabus“ zu Richters „Bestandsaufnahme“ als erster Gruppe 47-Autor Antikommunismus als ‚Ersatz‘ von Antisemitismus bezeichnete, geschah es antitotalitaristisch: „Wie in Mitteldeutschland die Stelle des Juden heute besetzt ist vom Kapitalisten, wobei stets der verallgemeinernde Artikel bezeichnend und verräterisch ist, so ist der Jude in Westdeutschland umgekehrt schon weitgehend vom Kommunisten ersetzt worden.“ (Schallück 1962, 440).Wie Jost Hermand in seinem Aufsatz „Auschwitz und anderswo. Gedanken über politische Großverbrechen“ zu den 1960er Jahren angemerkt hat, „ließ“ in der Bundesrepublik „[d]urch […] Ereignisse und Publikationen“ wie die Prozesse in Jerusalem und Frankfurt sowie die Übersetzung der Bücher von Hannah Arendt (1964), Gerald Reitlinger (1956, 1957, 1960, 1961, 1964) und Raul Hilberg (1961) „der antikommunistische Tenor allmählich etwas nach und machte schließlich […] einer sogenannten konstruktiven Ostpolitik Platz, die sogar Schuldbekenntnisse – wie den berühmten Kniefall Willy Brandts in Warschau – in sich einschloß.“ (2002, 245/246) Horst Krügers Beitrag zur Podiumsdiskussion 1965 in Nürnberg über Auschwitz und den ‚deutschen Menschen‘ betont zum einen „eine neue Qualität des Verbrechens“, die „hier […] in die Geschichte eingetreten ist“ (Adler 1965, 111), zum anderen „[d]iesen Typ des Mörders“, der „mit alledem, was bisher in der Geschichte da war, nicht vergleichbar“ „ist“ (114). Für die ‚neue Qualität‘ benutzt Krüger mit folgender Begründung die Metapher Fabrik: „Auschwitz ist […] nicht eine Art vergrößertes Dachau oder Sachsenhausen oder Oranienburg, wo Menschen getötet wurden, […] Auschwitz ist eine Fabrik des Tötens gewesen. Das war nicht mehr ein Völkermord, das liegt in einer anderen Dimension. […] Natürlich hat man immer Menschen getötet, aber in einer solchen Weise hat man Menschen noch nicht getötet.“ (111) Die ‚Dimension‘ und die ‚Weise‘ des Tötens werden in Krügers Beschreibung des ‚Typs des Mörders‘ mit einem aus den Aufzeichnungen von Höß zitierten Bild wieder aufgenommen, der sich als „‚ein Rad in der großen Vernichtungsmaschine des Dritten Reiches‘“ (114) bezeichnet. Mit vier Zitaten aus Höß’ Aufzeichnungen, von deren erstem er einleitend sagt: „ein solcher Text, wie
Vgl. für eine frühe Verwendung des Begriffs das im Selbstverlag 1947 in München erschienene Buch des Überlebenden Max Kaufmann „Churban Lettland. Die Vernichtung der Juden Lettlands“ und die im Reprint 1999 abgedruckte frühe Rezension in den USA: „He presents both the positive and the negative sides, the heroism and the moral collapse of the people. He glorifies all the expressions of martyrdom […]. This glorification evinces a deep revenerance and devotion to the memory of the Jews who were liquidated. On one point, however, the author is profoundly embittered, that is on the attitude of the Latvian people. His whole book is an inflamed indictment against the majority of this people, whose murderous treachery he underscores on every page of his book.“ (Gringauz 1950, 98/99)
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ich ihn hier eben vorgelesen habe, könnte so oder ähnlich auch in deutschen Schulbüchern gestanden haben, er könnte vielleicht auch heute noch drinstehen“ (112), belegt Krüger drei „Komponenten“ (113) des „psychologischen Hintergrund[s]“: ein „völlig pervertiertes Pflichtbewußtsein“ (112), ein „sentimentales Verhältnis zur Natur“ und „eine merkwürdig irrationale und völlig unverständliche Schicksalsgläubigkeit“ (113), die – wie der Kommentar zu den Schulbüchern anzeigt – von vornherein als exemplarisch gefasst werden: „Der Kommandant Höß ist ein Beispiel dafür, wie aus unserer Geschichte, aus unserer Tradition und aus den ganzen Werten, die aus dem 18. und 19. Jahrhundert in unsere Zeit hineingeführt haben, ein neuer Typ entsteht, der in einer ungeheuerlichen Weise schuldig wird, ohne diese Schuld überhaupt noch zu erleben.“ (111) Fritz Bauer, der als erster nach dem Moderator H. G. Adler sprach, hatte der Diskussion die „Aufgabe“ gestellt, sowohl die „allgemeinen menschlichen Gründe“ „zu erörtern“ als auch die „Momente“, „welche […] vielleicht in unserer Geschichte vorhanden sind, die nach Auschwitz führten“ (107). In jeder seiner zwei Wortmeldungen nach Krügers Beitrag besteht Bauer darauf: „Ich gehe an Auschwitz heran mit dem heißen Wunsch, daraus zu lernen“ (116) und dass „jeder Vater, jede Mutter, […] jeder Lehrer, jeder Theologe daraus lernt“ (118). Aber in seinem ersten Diskussionsbeitrag betont er das Allgemeine und im zweiten das Besondere. Die „Erkenntnis“, dass „niemand auf Gottes Erdboden das Recht hat, einen anderen wegen seiner Farbe, seiner Religion, seiner Staatsangehörigkeit zu vernichten“, belegt für Bauer, dass „Auschwitz etwas zu tun hat, nicht mit dem deutschen Menschen allein, sondern mit dem Menschen überhaupt“ (117). Deshalb betont Bauer: „Das Problem des Völkermords hat nicht begonnen mit dem Jahr 1933 […]. Es gibt den Imperialismus und den Kolonialismus, der mit ungeheurer Grausamkeit fremde Völker vernichtet hat.“ (116) Das Besondere, das „in der Bundesrepublik“ „alle[m] Denken über Auschwitz“ „Sinn“ gebe, sei „die Kraft und Notwendigkeit des Ungehorsams zu lernen“ und die „Forderung“, „daß Kritik und Opposition nicht als ein Verbrechen erscheinen, sondern eben als Grundlage des Kampfes um die Menschenrechte“ (118). Für diese ‚Lehre‘ bezieht sich Bauer auf die deutsche Geschichte, in der, „im Gegensatz zur Ideologie anderer Länder, eine spezifisch deutsche Ordnungsideologie […] Widerstand von vornherein diffamiert hat. […] ‚Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht‘. Das ist eine Maxime, die auch heute leider noch in der Bundesrepublik viel zu sehr gepflegt wird. Ohne die Übung des täglichen Widerstandes, des Widerstands im kleinen, ist man außerstande, den großen Widerstand zu üben, von dem im Dritten Reich leider nicht genügend Gebrauch gemacht wurde.“ (118)¹⁵
Vgl. Bauers 1965 bei der EVA erschienene Broschüre „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“, als die er fasst: „Formale Pflichtenethik und Idealisierung von Staatsmoral und Staatsräson führen direkt nach Auschwitz“ (Bauer 1965b, 181). Entsprechend unterscheidet er kriminologisch drei Tätertypen – den Gläubigen, der intolerant sei, den Gehorsamen, dem Zivilcourage mangele (177), und den Nutznießer, den „Mimikry, äußere Anpassung, Konformismus, Egoismus und Feigheit“ (183) charakterisieren.
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Die redaktionelle „Übersicht“ vom „Nürnberger Gespräch“ benutzte nicht Krügers Metapher Fabrik für die Dimension des Verbrechens Auschwitz, sondern sprach im Bericht über die Arbeitsgruppe „Gesetz und Recht im Wandel der Zeit“ von „ein[em] völlig neue[n] Mördertyp […], der vom Schreibtisch aus einen Mordmechanismus unvorstellbaren Ausmaßes in Gang setzen konnte. Ohne selbst Hand anzulegen, war er in der Lage, planmäßig Tausende von Menschen umbringen zu lassen“ (Übersicht 1965, 1478). Damit wurde eine Metapher verwendet, die der Frankfurter Nebenkläger Ormond in seinen „Gedanken zum Problem der Schreibtischmörder“ benutzte, um vom „geplante[n], industrialisierte[n] und technisierte[n] Massenmord“ „mit verteilten Rollen tätig[er]“ „Mörder“ zu sprechen, „die den Mordmechanismus ankurbelten und ablaufen ließen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen“, und die „jüdische Bevölkerung“ „eines ganzen Staates“ ermorden konnten (Ormond 1965, 1511/12). Während Krüger für die auf die „Dimension“ des Massenmords gerichtete Metapher „Fabrik des Tötens“ (Adler 1965, 111) auch Höß’ eigenes Bild „‚Vernichtungsmaschine‘“ (114) einsetzt, das unter den Prozess-KommentatorInnen auch Abosch (1964, 300) und Freundlich (1964, 630) verwenden, benutzen zwei der ProzessReporter die Metapher Fabrik auf eine Weise, die dem von der Redaktion der „Tribüne“ adjektisch benutzten Begriff der Unvorstellbarkeit entsprach. Die Reportage Walter Pfuhls, des Sonderkorrespondenten der „Welt“, von der Ortsbesichtigung beschränkt sich auf die „perfekten“ und „primitiven“ „Endstationen“, das Krematorium III und die Aschengräber: „Wem die Aussagen der vielen Zeugen in Frankfurt gegenwärtig sind, der hört das Geschrei der Wachmannschaften, die ihre Opfer aus den Waggons holen, sie in die beiden Marschsäulen, Männer und Frauen, teilen, sieht wie diese Marschsäulen langsam vorrücken, an dem SS-Arzt vorbei, der die Entscheidung fällt: ab ins Lager, in eine der 800 Pferdestallbaracken – oder hinauf auf den Lastwagen, der zur Gaskammer rollt.“ (Pfuhl 1964) Der Reporter berichtet über Abendgespräche mit dem Direktor des Museums Kazimierz Smolen und dem Generalsekretär des IAK Tadeusz Zoluj über die Teilnahme des angeklagten Arztes Lucas am Gedenken an der Schwarzen Wand; doch das letzte Wort erhält ein anonymer „älterer Pole“, „der in diesem blutigen Jahrhundert viel herumgekommen ist“: „‚Wissen Sie […,] wir wissen, daß es immer Grausamkeiten gegeben hat auf allen Seiten, bei Ihnen, bei uns. Aber daß Millionen Menschen wie Wanzen vernichtet werden, in einer dazu eingerichteten, riesigen Fabrik – wer sollte das je begreifen? Das ist der Schock, den wir nicht überwinden können.‘“ (Pfuhl 1964) Auch in Peter Jochen Winters’ für „Christ und Welt“ geschriebenen Reportage steht Lucas wegen seiner „Sonderstellung“ als einziger Angeklagter bei der „Tatortbesichtigung“ im Zentrum.¹⁶ Während Pfuhl Lucas im Konflikt zwischen Teilnahme Vgl. mit dieser ‚Sonderstellung‘ eine andere, für die Friedrich Karl Kaul in einer Vorlesung an der Humboldt-Universität über „Die Unterschiedlichkeit der Strafverfolgung von Nazi-System-Delikten in den beiden deutschen Staaten“ den Vertreter des Frankfurter Gerichts bei dem DDR-Prozess gegen den KZ-Arzt Dr. Horst Fischer, der seine „Schuld“ „offen eingestand“ (Kaul o. J. [1966/67], 190), zitierte: „‚Solch’ einen Angeklagten wie den Dr. Fischer müßten wir hier [in Frankfurt] haben!‘“ (189) Kaul
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am Gedenken der Opfer und ‚Solidarität‘ „in Frankfurt mit den SS-Männern“ im ‚Schweigen‘ über deren Taten sieht, folgt Winters Lucas’ Selbstdarstellung, dass ein Bischof ihm geraten habe, „nicht […] sein eigenes Leben zu gefährden“, insofern, als Winters den Rat als „möglicherweise befolgt“ darstellt und deshalb Lucas als „unschuldig schuldig“ zum „Durchschnittsmensch[en]“ und Opfer der „totalitäre[n] Verstrickung“ erklärt, die auch im Untertitel der Reportage hervorgehoben wird: „Die Gewissensnot des Doktor Lucas. SS-Lagerarzt von Auschwitz in den Verstrickungen totalitärer Herrschaft“ (Winters 1964) Die Metapher Fabrik wird von Winters so benutzt, dass der Angeklagte Lucas seiner ‚Gewissensnot‘ wegen zum Zuschauer wird, als ob er nicht in den ‚Fabriken des Todes‘ tätig gewesen wäre, sondern ‚angesichts der Fabriken‘: „Er versuchte jedenfalls menschlich zu handeln angesichts der rauchenden Fabriken des Todes“ (Winters 1964). Von der Fabrik, die Pfuhl in der „Welt“ ‚unbegreifbar‘ nennt, wird Lucas von Winters in „Christ und Welt“ dadurch metaphorisch distanziert, dass er in einem „Netz der totalitären Herrschaft“ verortet und ihm „Tragik“ zugeschrieben wird: „[…] er selbst empfand sich wahrscheinlich als gequälte Kreatur. Sein Gewissen war stark, das Netz der totalitären Herrschaft, in dem er sich gefangen sah, war stärker“ (Winters 1964). Peter Jochen Winters hat in seinem Artikel über das Urteil im Frankfurter Prozess zu einer Metapher gegriffen, um das problematische Verhältnis des strafrechtlichen Begriffs Mord zum Verbrechen Auschwitz zu illustrieren: „Hier wurde staatlich organisierter Massen- und Völkermord von solchem Ausmaß, daß der menschliche Verstand ihn nicht zu begreifen vermag, mit einem Mordparagraphen konfrontiert, der aus dem 19. Jahrhundert stammt und ‚normale‘ Morde im Auge hat. […] Das ist fast dasselbe, als wollte man die Nachrichtenverbindung mit einem bemannten Weltraumschiff durch Rauchzeichen aufrechterhalten.“ (Winters 1965). Doch der Chefredakteur von „Christ und Welt“, Giselher Wirsing, der von Otto Köhler im „Spiegel“ wegen seiner antisemitischen Publikationen wie „Der maßlose Kontinent. Roosevelts Kampf um die Weltherrschaft“ kritisiert worden war, berief sich auf die ‚Unvorstellbarkeit‘ der strafrechtlich durchaus erfassbaren ‚Exzesse‘, als er folgendes Zitat aus seinem USA-Buch verteidigte: „‚Die jüdische Vorherrschaft […] ist viel zu offen und viel zu triumphierend, daß sie nicht schließlich wie in beinahe allen europäischen Ländern den Umschwung selbst herbeiführen und den allgemeinen Haß auf sich ziehen sollte. Noch unsere Generation wird Zeuge dieses Schauspiels sein […] Diese Unfä-
erklärte diese Differenz: „Die Unterschiedlichkeit der Haltung […] liegt in der Unterschiedlichkeit der Umwelt, deren Einflüssen sie ausgesetzt waren. Von einem […] von den westdeutschen Gerichten nazistischer Gewaltverbrechen Angeklagten kann man nur schwer ein wirklich echtes Schuldbewußtsein erwarten, da sie genau wissen, daß diejenigen, die ‚von da oben‘ am Schreibtisch die Massenmorde befohlen und organisiert haben, heute wieder die Schalthebel staatlicher Macht in Westdeutschland handhaben.“ (191) Kaul berichtete aber auch von dem „Mißvergnügen“, mit dem seine Zuhörer auf einer vom AStA der Universität Mainz organisierten Veranstaltung auf seine Feststellung reagierten, „daß schlechthin der nazistische Systemverbrecher in die Ordnung der Bundesrepublik integriert sei“ (192).
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higkeit des jüdischen Elements zur substantiellen Wandlung muß immer wieder zu seiner gewaltsamen Ausscheidung führen.“ (Atze 2004a, 776/777) Wirsing berief sich im Leserbrief an den „Spiegel“ (22. 5.1967) auf die Entstehung des Zitats 1941, zu einem Zeitpunkt, „da es in Auschwitz noch kein Vernichtungslager gab und sich niemand Exzesse solchen Ausmaßes vorstellen konnte“ (781).
4 Hans-Joachim Lieber und „Auschwitz. Bilder und Dokumente“ in Westberlin Hans-Joachim Lieber, Philosophieprofessor und Rektor der FU, hat am 2. Januar 1966, gewissermaßen in der Rückschau auf die Rezeption des Frankfurter Prozesses, in der Rede von Unvorstellbarkeit zwei Haltungen unterschieden, als er die aus Frankfurt vom Bund für Volksbildung übernommene Ausstellung „Auschwitz. Bilder und Dokumente“ im Hause der Galerie des 20. Jahrhunderts in Westberlin eröffnete: einerseits Scheu als Gefühl der Bedrohung, andererseits Widerstand gegen Bewußtmachung. Die Eröffnungsrede zur Ausstellung, die in Westberlin vom Senator für Wissenschaft und Kunst in Verbindung mit dem DGB, der DAG, der SPD, CDU, FDP, dem Landesjugendring und der Landeszentrale für politische Bildung unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters Brandt veranstaltet wurde, erschien dem Bund der Verfolgten des Naziregimes Berlin „von so grundsätzlicher Bedeutung“, dass er sie als „Sonderdruck“ seiner Zeitschrift „Die Mahnung“, dem „Zentralorgan demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgten-Organisationen“, „allen Besuchern der Auschwitz-Ausstellung zugänglich zu machen“ (Lieber 1966, 1) beschloss. Cornelia Brink hingegen hat in ihrer Studie über die Frankfurter Ausstellung Liebers Eröffnungsrede mehr als dreißig Jahre später wohl auch deshalb „untypisch“ (2000, 52) genannt, weil er die „sprachlose[…] Teilnahme am Entsetzen […d]er Opfer“ (Lieber 1966, 1) nicht als „Exkulpation“ (Brinks 2000, 75) von vornherein negativ bewertet. Im Gegenteil, Lieber führt die „Feststellung der Unvorstellbarkeit des in Auschwitz Geschehenen“ auf eine „sprachlose[…] Teilnahme am Entsetzen seiner Opfer“ zurück, die „auf dem Gefühl der Bedrohung in seiner Unausweichlichkeit“ ‚insistiere‘ und „zur Tabuierung, zum Bilderverbot des Absolut-Bösen“ werde: „sie gebiert Furcht vor der Möglichkeit der Wiederholung“ (Lieber 1966, 1). Zu einer solchen appellierten die an den Schluss des Ausstellungskatalogs gesetzten „Schlußsätze aus dem Film ‚Nacht und Nebel‘ von Alain Resnais“ an „[u]ns, die wir tun, […] als glaubten wir wirklich, daß alles nur einer Zeit und einem Land angehört. Uns, die wir vorbeisehen an den Dingen neben uns und nicht hören, daß der Schrei nicht verstummt“ (Frankfurter Bund 1966, 63). Im Unterschied zur ersten deckt Lieber in der zweiten Haltung von vornherein kritisch etwas auf, nämlich „de[n] Widerstand gegen die Erfahrung und Bewußtmachung des eigenen Anteils an Auschwitz und die damit verbundene Abwehr von Einsichten, die auf Veränderung seiner Voraussetzungen zielen“, die „sich im konstatierenden Gefühl des Unvorstellbaren“ „verbergen“ (Lieber 1966, 1). Hinter
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Auschwitz zugeschriebener ‚Unvorstellbarkeit‘ sieht Lieber die Möglichkeit einer doppelten Abwehr: einerseits von Erinnerung (als „nur ein anderer Name […] für das zu Vergessende oder gar zu Verdrängende“), andererseits von auf „Veränderung“ „zielen[den]“ „Einsichten“ (als „Entlastung gegenüber […] dem gebotenen Versuch, es trotz der Unvorstellbarkeit dennoch zur Sprache, zur Erfahrung zu bringen“): „Widerstand gegen die Erfahrung und Bewußtmachung des eigenen Anteils an Auschwitz und […] damit verbundene Abwehr von Einsichten, die auf Veränderung seiner Voraussetzungen zielen“ (1). Lieber präsentiert die Ausstellung als einen Versuch, zur Sprache zu bringen, als Paradox: „Unvorstellbares soll ausgestellt und damit vorgestellt werden.“ (2) Entsprechend benutzt er Metaphern und Begriffe für die ‚Veränderung‘ der „Bedingungen“, der „Zusammenhänge“ von Auschwitz „mit normalen Strukturen der modernen Gesellschaft“ und betont zugleich: „Das monströse Unvergleichliche an Auschwitz muß in jeder Art von Aufklärung hervortreten“ , so wie „unsere Teilnahme an den Opfern wie unsere Vergeltung an den Tätern und Peinigern Einzelnen gelten [muß], wenn wir nicht selbst die Anonymisierung des Todes bestärken wollen“ (2). Doch Liebers abschließende humanistisch-universalistische Deutung von Auschwitz als „zum System gewordene Zerreißung menschlicher Solidarität“ (1), das „[d]ie Bedrohung menschlichen Daseins […] anzeigt“ (2), bestimmt in ihrer Allgemeinheit dann auch seine Spezifizierung für die nicht ausdrücklich so, sondern deutsches Volk genannte Bundesrepublik. Wenn Lieber zur universalen Bedeutung von Auschwitz die Wiederholungsgefahr betont: „Auschwitz und das, wofür es steht, signalisiert unübersehbar die selbstzerstörerischen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Menschen, Auschwitz ist deshalb ein die Menschheit als solche angehendes, ein weltgeschichtliches und weltweites Ereignis“ (2), akzentuiert er für die BRD, dass „de[r] Anteil[…] des eigenen, unseren Volkes […] an der Wirklichkeit von Auschwitz“ „unser politisches Schicksal und unsere politischen Möglichkeiten in der Welt noch immer bestimmt“ und „wir uns […] zu bewähren“ haben, „daß […] nur im bewußten Leben mit Auschwitz die Möglichkeit sich eröffnen vermag, über Auschwitz hinauszugelangen“ (2). Liebers apodiktische Formulierung: „Auschwitz muß als Industrialisierung des Mordes begriffen werden, der Tod in Auschwitz als Massenprodukt von Verwaltungsakten“ ( 2), fällt im Vergleich zu seiner differenzierenden Auseinandersetzung mit dem Begriff ‚Unvorstellbarkeit‘ auf, weil er nicht nur Begreifbarkeit von Auschwitz voraussetzt, sondern eine bestimmte Weise, Auschwitz zu begreifen, als zwingend. Er benutzt nicht die Metapher Fabrik, sondern verbindet Täter- (Mord) und Opferperspektive (Tod) durch Bilder aus Industrie und Bürokratie, vielleicht um dem eigenen Anspruch zu genügen, das ‚monströs Unvergleichliche an Auschwitz‘ zu erfassen. Lieber verbindet mit einem Adjektiv, das ein Synonym von ‚ungeheuerlich‘ ist, ‚monströs‘ ein Substantiv, das im Sprachgebrauch bezeichnet, dass etwas „so vorzüglich“ sei, „dass man es nicht vergleichen kann, unübertrefflich, einzigartig“ (Wahrig 2006, 1549), ‚das Unvergleichliche‘. Mit dem in „Die Mahnung“ durch ein Ausrufezeichen markierten Titel „Die Industrialisierung des Mordes!“, der nicht
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übernommen wurde, als „Das Argument“ 1967 die „Rede zur Eröffnung einer Auschwitz-Ausstellung“ erneut druckte (Lieber 1967), ist Lieber in der Nähe des FUSoziologen Dietrich Goldschmidt, der in dem ursprünglich unter dem Titel seines Beitrags „Ein Volk und seine Mörder“ geplanten Buch von Reinhard Henkys „Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Geschichte und Gericht“ (Goldschmidt 1965, 326) von der „großbetrieblichen Organisation des Massenmordes“ (Henkys 1965, 33) spricht. Auf der einen Seite fasst Goldschmidt deren „Eigenart als arbeitsteilig organisierte Massenverbrechen“ (Goldschmidt 1965, 330) mit dem Nürnberger IMT, dem Kontrollratsgesetz Nr. 10, der UN-Konvention gegen Völkermord als ‚crime against humanity‘, auch mit Hannah Arendt als „‚ein[en] Angriff auf die Vielfalt menschlichen Daseins an sich‘“ (332): „Hinter dem Versuch Hitlers und seiner Gefolgschaft, Slawen, Juden, Zigeuner nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern wo immer er ihrer habhaft werden konnte, teils zu versklaven, teils auszurotten, steht der Versuch, die Menschheit schlechthin durch Gewalt nach einem Menschentyp formen zu wollen.“ (332) Auf der anderen Seite gibt Goldschmidt dem FU-Theologen „Helmut Gollwitzer […] Recht“, der auf den FU-Universitätstagen 1964 sagte: „‚Das Erschreckendste […] ist, daß die unvorstellbaren Untaten weithin von durchaus ‚normalen‘ Personen begangen worden sind, deren sadistische Möglichkeiten durch eine historische Gesamtkonstellation freigesetzt worden sind, an der das ganze Volk Schuld hat, so daß hier die Mörder Opfer der Gesellschaft sind wie die von ihnen Gemordeten.‘“ (325) Unter Berufung auf die Stuttgarter Erklärung der EKD grenzt Goldschmidt von einer „etwaige[n] Kollektivschuld“ (326), die als „eine angebliche moralische“ (327) „in der Tat nicht besteht und die der als autonom sich verstehende Mensch mit Recht ablehnt“ (326), „eine[…] geschichtliche[…] Schuld“ ab, „die sich aus der gesellschaftlichen Wirkung des Schuldigwerden vieler [, wenn nicht fast aller seinerzeit Erwachsenen,] einzelner ergibt“: Das „deutsche Volk als eine Geschichtsgemeinschaft“ bilde in „einer bestimmten Solidarität der Schuld“ „auch eine Haftgemeinschaft“, „für deren Schuld nunmehr alle, einschließlich der Angehörigen der jungen Generation, aufzukommen haben“, „in kollektiver Haftung“ (326). Obwohl Goldschmidt diese geschichtliche Schuld, auch wenn die Kirche von ihr spreche, ebenfalls von metaphysischer Schuld ausdrücklich abgrenzt, gibt er ihr eine religiöse Wendung, indem er unvermittelt von den ‚heiligen Schriften‘ der Juden auf die ‚Heilighaltung‘ der ‚Geschichte des Nationalsozialismus‘ schließt: „Das älteste lebende Volk der Welt, die Juden, begreift sein Leben unentwegt unter der Hand Gottes und bekennt sich gerade in seinen heiligen Schriften zu den Katastrophen seiner Geschichte. Für die Juden ist ihre Geschichte heilig. Es sollte nicht als Blasphemie oder Hypostasierung mißverstanden werden, wenn wir [sic] meinen, daß die Geschichte des Nationalsozialismus in dem Sinne ‚heilig‘ gehalten werden muß, daß der darin liegende Alarmruf so gehört wird, daß aus neuer Einsicht anders gehandelt wird.“ (325) Die im Aufsatz einmalige Verwendung der 1. Person des Personalpronomens im Pluralis Auctoris vermittelt zwischen dem Bekenntnis des jüdischen Volkes zu den Katastrophen (Shoah) seiner Geschichte und dem Hören des Rufs zur Reue und Umkehr in der Geschichte des Nationalsozialismus durch das deutsche Volk. In diesem Sinne hat Goldschmidt
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schon einleitend den Frankfurter und andere KZ-Prozesse als „Nötigung zur Selbstprüfung“ bestimmt, denn die „Täter […] gleichen jedermann“ (324), und das Indefinitpronomen benutzt für die sich selbst prüfende Frage: „Ist man selbst noch identisch mit jenem Volks[…]genossen“ der 90 Prozent Ja-Sager (323)?¹⁷ Die aus der geschichtlichen Schuld des Volkes folgende Forderung zur Umkehr verknüft die individuelle und die nationale Identität, deshalb dürfen auch junge Deutsche sich nicht „weigern, die ganze jüngste Geschichte als die ihre anzunehmen“ (324). Der von Goldschmidt herausgegebene Reinhard Henkys, für den die „Massenvernichtungsanstalt für die europäischen Juden“ (Henkys 1965, 130) Auschwitz sowohl Teil eines „bürokratischen Apparates […], der […] selbst zum Verbrechensinstrument wurde“ (128), als auch „zu Marterstätten umgewandelte[…] Industrieanlagen“ (152) war und der deren Riesenhaftigkeit – wie Lieber Monströsität – betont: „ein riesiges Areal“ „mit Gaskammern kombinierte[r] Riesenkrematorien“ (152), benutzt den Begriff Unvollstellbarkeit nicht im Hinblick auf die geschichtliche Schuld begründenden ‚Untaten‘, sondern im Hinblick auf ‚Ausmaße‘ des Verbrechens und das Mitleid mit den Opfern. Sein Ausgangspunkt ist allerdings, dass Auschwitz „zum Symbol des Versuchs der Vernichtung der europäischen Juden geworden“ sei und „der Name und das, was er in den Jahren 1941 bis 1944 für Millionen […] Opfer bedeutete, heute wenigstens in den Grundzügen bekannt“ (125). Den Begriff Unvorstellbarkeit benutzt er, als er den ersten der „Gründe“ nennt, weshalb bisher eine „von allen Fachleuten akzeptierte Statistik der Todesopfer nationalsozialistischer Verbrechen“ fehle: „Die Gründe liegen in dem unvorstellbaren Ausmaß dieser Taten“ (167). Zu den sich auf „etwa zehn Millionen“ summierenden Angaben über ermordete Juden, sowjetische Kriegsgefangene, ‚Zigeuner‘, Opfer von Liquidationen, Repressalien, ‚Todesurteilen‘ in „besetzten Ländern“ (167), durch Verbrechen getötete Russen und „nicht-jüdische Polen“ (176) merkt Henkys nicht nur an: „Die Zahlen übersteigen in jedem Fall menschliches Vorstellungsvermögen und die Kraft des Mitleidens“ (167), sondern er erweitert den ans ‚Ausmaß‘ der Verbrechen gebundenen Begriff der Unvorstellbarkeit um eine auch trotz der „Prozeßwelle“ seit 1958 „nach wie vor in breiten Kreisen der Bevölkerung [besteh[ende]…] merkwürdige Unklarheit über den wirklichen Umfang der nationalsozialistischen Massenmorde“: „Man glaubt weithin, die Opfer dieser Taten seien ‚nur‘ Juden und noch einige politische Gegner des Systems gewesen. […] unbekannt bleibt […], daß Judenausrottung und Gefangenenmord im Gesamtkonzept Hitlers nur die ersten Schritte zur angestrebten ‚Germanisierung‘ Osteuropas waren.“ (168) Es entspricht Henkys’ alle Opfergruppen einschließendem Begriff ‚nationalsozialistischer Massenmorde‘, dass er abschließend auch die „deutschen nationalso-
Vgl. zur Formulierung dieser Frage zur ‚Selbstprüfung‘ Erich Kubys Aufforderung vor Beginn des Prozesses in „Konkret“, die Vorstellung von Auschwitz als Lager zu korrigieren: „eine legitime Einrichtung des Staates […], zu dem unser Volk innerlich und äußerlich ja gesagt hat wie zu keinem anderen deutschen Staat vorher und nachher“ (Kuby 1994, 8). Und seine aus dem Kommentar von Abosch bereits zitierte Aufforderung zum Prozessbesuch als Selbstbegegnung: „Dazu hast du nicht nur ja gesagt, in deiner überwiegenden Mehrheit hast du dich daran beteiligt.“ (Abosch 1964, 300)
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zialistischen Mordopfer“ aufzählt, von denen 100.000 der sogenannten Euthanasie, 32.500 Todesurteilen und „Hunderttausende“ den KZ zum Opfer gefallen seien (176). Anders als die zitierten Professoren der FU hielt sich Henkys nicht an die Ausklammerung der Rolle der Industrie in Auschwitz, wenn er zur dokumentierten ‚Freundschaft‘ mit der SS von namentlich genannten „Herren der Privatindustrie“ anmerkt, dass sie „auch weithin die Methoden der SS“ „übernahmen“ (153). Dagegen berichtet eine Schülerin Goldschmidts, Beate Krais, von seinen Lehrveranstaltungen Mitte der 1960er Jahre als den einzigen in der Soziologie der FU, in denen „der Nationalsozialismus vorkam“, und zitiert aus Goldschmidts (1964, 336) mit Titel genanntem Beitrag zu Henkys’ Buch „Ein Volk und seine Mörder“ den Schlüsselsatz zur Erziehung: Es sei der „‚Abbau autoritärer Formen der Erziehung‘ ‚Zentralproblem modernen Gesellschaftsaufbaus‘“ („Das ist“ 2014, 565). Martin Walsers im ersten Heft des „Kursbuch“ 1965 als zweiter Text eines „Dossier 2: Aufzeichnungen von einem Prozeß“ nach Peter Weiss’ „Frankfurter Auszügen“ erschienener Essay „Unser Auschwitz“, der auf einem Bericht von seinen Prozessbesuchen, u. a. am 19. November 1964 (Atze 2004a, 707), in der Frankfurter „Abendpost“ (13./ 14. März 1965) beruhte: „‚Teufel von Auschwitz‘ sind eher arme Teufel.¹⁸ Ein unbequemer Mann schreibt über ein unbequemes Thema“ (Walser 1965), setzt die von HansJoachim Lieber im Reden über die ‚Unvorstellbarkeit‘ von Auschwitz unterschiedene „sprachlose[…] Teilnahme am Entsetzen seiner Opfer“ und „Bewußtmachung des eigenen Anteils an Auschwitz“ (Lieber 1966, 1) in einen schroffen Gegensatz. Walser begründet seine wiederholte Feststellung: „Was Auschwitz war, wissen nur die ‚Häftlinge‘“ (Walser 1972, 10),¹⁹ „Wie Auschwitz für die ‚Häftlinge‘ war, werden
Vgl. dasselbe Bild in der Einführung von Axel Eggebrecht zu Interviews von zwei zu lebenslänglicher Haft verurteilten Frankfurter Angeklagten, Oswald Kaduk und Josef Klehr, nach 14 Jahren Haft in Demant 1979, 12: „Zwei arme Teufel sprechen, die einst mörderische Teufel waren. Das macht sie zu glaubhaften Zeugen. Ungern füge ich hinzu: Es macht sie glaubhafter als überlebende Opfer, hinter deren Aussagen die ahnungslose Nachwelt allzu rasch Rachebedürfnis vermutet.“ Von dieser Voraussetzung geht Walser bereits 1962 in seinem Vorwort zu dem ohne Genrebezeichnung erschienenen Buch von Elie Wiesel aus „Die Nacht zu begraben, Elischa. Nacht. Morgengrauen. Tag“: „War einer aber dabei, dann verschlägt es ihm vielleicht die Sprache. Er wird ein Opfer und ein Zeuge. Wenn er schreibt, wird das, was er schreibt, eine Aussage. […] Das teilt er uns mit. Und vor dieser Mitteilung erlischt jene spielerische Freiheit, die wir dem Stilisten gegenüber haben. Versagt wird uns jenes feine Vergnügen, alle Wirklichkeit im Stil aufgehoben zu sehen. Literatur als Mitteilung ist keine kulinarische Literatur. Sie ist aber, glaube ich, die einzige Literatur, die notwendig ist.“ (Walser 1962, 8) Walsers Beschreibung der Beziehung des Lesers zu Wiesels Text widerspricht seiner Beschreibung der Adressierung des Textes selbst, wenn es über die „Aussage“ des ‚Opfers‘ und ‚Zeugen‘, die kein „Bericht“ sei, heißt: „Seine Aussage ist immer nach oben gerichtet, zu den Toten, die seine Zukunft mit sich genommen haben und vor allem zu dem“ schweigenden Gott, „den er in seiner Jugend mit Talmud und Kabbala anging“ (8). Diese Beziehung aber schließt das ‚Opfer‘ als ‚Zeugen‘ „der Unmöglichkeit, Auschwitz zu überleben“ (8), radikal aus dem aus, was Walser „das bloße Leben mitzumachen“ (7) nennt derer, die nicht ‚dabei waren‘: „Um wirklich zu überleben, um wieder Anteil nehmen zu können am Leben von Menschen, die Auschwitz nur vom Hörensagen kennen, die also mit einiger Freude auf dem Balkon frühstücken können, um zu denen, zu den lebendigen Menschen zu
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wir nie verstehen“ (12), mit dem Begriff der Unvorstellbarkeit für ihre ‚Situation‘ und erklärt daraus eine von ihm abgelehnte Weise des Redens über Auschwitz: „Die Situation dieser absoluten Rechtlosigkeit ist uns einfach nicht vorstellbar. Weil wir uns also nicht hineindenken können in die Lage der ‚Häftlinge‘, weil das Maß ihres Leidens über jeden bisherigen Begriff geht und weil wir uns deshalb auch von den unmittelbaren Tätern kein menschliches Bild machen können, deshalb heißt Auschwitz eine Hölle, und die Täter sind Teufel. So könnte man sich erklären, warum immer, wenn von Auschwitz die Rede ist, solche aus unserer Welt hinausweisenden Wörter benutzt werden.“ (11) Der Verwendung einer religiösen Metaphorik, die schon der Titel des Zeitungsartikels provozierend sozial mit ‚armen Teufeln‘ profaniert, wirft Walser vor, ‚aus unserer Welt hinauszuweisen‘; was dadurch ‚entschwindet‘, formuliert Walser mit der Entgegensetzung von ‚farblos‘ und ‚saftig‘ im Hinblick auf die Presseberichterstattung: „Die Bedingungen, die diese Brutalität ermöglichten, sind viel zu farblos, viel zu sehr im Historischen, im Politischen, im Sozialen zu Hause, also entschwinden sie uns vor dem saftigen Inbegriff eines SS-Mannes, den wir zur Bestie stilisieren.“ (11) Marcel Atze hat den drei Varianten von Kritik an Walsers Essay im Lichte seiner Friedenspreisrede von 1998 zu Recht vorgeworfen, „sich kaum um die zeitgeschichtlichen Hintergründe des Textes [zu] kümmern“ und sowohl seine „fundamentale Kritik an der juristischen Vorgehensweise“ (Atze 2004a, 708) als auch „[s]eine dezidierte Medienschelte“ (710) zu ignorieren, z. B. in seiner Erklärung der ‚armen Teufel‘: „Je kleiner die Charge, desto mehr war sie angewiesen auf die handfeste Tat. Und je
gehören, müßte man Auschwitz vergessen.“ (6) Gerade nach dieser auffälligen Verwendung des Indefinitpronomens setzt die Polemik ein gegen eine Form, Auschwitz nicht zu vergessen, die aber mit einer Bekräftigung der Ausgrenzung derer, die ‚dabei waren‘, aus dem ‚bloßen Leben‘, das Vergessen vorauszusetzen scheint, endet: „Verzeihen, bewältigen, das ganze sozialhygienische Vokabular einer auf säuberliche Erledigung bedachten Gesellschaft wirkt grotesk, wenn man in Elie Wiesels Aufzeichnungen Kenntnis erhält von dem verzweifelten und immer scheiternden Versuch, das bloße Leben wieder mitzumachen. Das Opfer bleibt an Auschwitz gekettet. An den Tod, ‚Schmerz, Scham und Schuldgefühl‘ lassen den Überlebenden nicht mehr teilnehmen“ (7). Besonders problematisch ist, dass von Schuld und Scham nur auf Seiten derer die Rede ist, die als ‚Opfer‘ ‚dabei waren‘, ohne dass ‚Täter‘ oder ‚Zuschauer‘ je in den Blick kämen. Sehr grundsätzlich wies Rudolf Krämer-Badoni in der „FAZ“ Walsers Begriff der ‚notwendigen Literatur‘ als „Flausen“ zurück, um ausdrücklich auf einem „ästhetischen“ Urteil über die „literarischen Qualitäten“ des „Romans“ zu bestehen als ‚Verpflichtung‘ eines „deutsche[n] Kritiker[s]“, der „Angehöriger der besudelten Generation“ sei, die die vom „israelischen Autor“ geschildeten „unfaßbare[n] Qualen“ „teils verursacht und teils nicht verhindert“ habe; Krämer-Badoni interpretiert die Fiktion religiös: „Eines Tages wird die Lüge vielleicht zur Wahrheit, dann kann Gott aus der Lüge geboren werden, dann könnte endlich die Lüge namens Menschheit ihre Heimat finden.“ (Krämer-Badoni 1962) Vgl. zu Walsers Polemik gegen den Begriff ‚Bewältigung der Vergangenheit‘ Hans Magnus Enzensbergers „Einführung“ in die Suhrkamp-Anthologie „Vorzeichen. Fünf neue deutsche Autoren“, deren Folgeband 1963 Walser herausgeben wird: „Sie ist nichts anderes als eine Variante der Verdrängung […]. Gegenüber solchen Bewältigungs- oder vielmehr Vergewaltigungsversuchen halten die fünf Schriftsteller beharrlich die einfache Wahrheit fest, daß Vergangenheit, auch jene, zunächst die eigene und die eines jeden einzelnen ist.“ (Enzensberger 1962, 22)
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handfester die Tat, desto leichter herauszulösen aus den Bedingungen des Systems, aus unserer deutschen Geschichte von 1918 bis 1945. Und so lange löst man die Tat als ein persönliches Verbrechen heraus aus unserem nationalen Zusammenhang, bis nicht mehr übrigbleibt als persönliche Brutalität.“ (Walser 1972, 14) Vor solchem Täter Abscheu empfinden zu wollen, unterstellt Walser als Motiv dem „hilflosen Versuch, uns auf die Seite des Opfers zu stellen oder uns, so gut es gehen will, wenigstens vorzustellen, wie schrecklich da gelitten wurde“ (14). Er verschärft seine Behauptung der Unvorstellbarkeit des Leidens der Opfer, indem er zunächst fragt: „Was heißt das denn, wir nehmen Anteil? Wieviel gilt uns unser Bedauern? Hilft es uns, irgend etwas zu tun?“ (14), und damit die Frage der aktuellen Relevanz aufwirft, die er von der emotionalen ‚Anteilnahme‘ nicht beantwortet sieht: „Die gegenständliche Fülle der Nachrichten und die darin enthaltene Brutalität unterbindet die Reflexion. Das Bewußtsein bleibt leer.“ (15) Was ‚zu tun‘ Walser ‚zu reflektieren‘ fordert, deutet er ex negativo in seiner Beschreibung der ausgebliebenen Wirkung der dem Frankfurter vorangegangenen Prozesse gegen Martin Sommer und Wilhelm Schubert wegen ihrer Verbrechen in Buchenwald und Sachsenhausen an: „Haben diese unser Bewußtsein erreicht? Haben sie uns darüber belehrt, was Faschismus ist? Haben sie vermocht, jene verfilzte Liaison zwischen Faschismus und Deutschtümelei aufzusprengen […]? Sind wir etwa politischer geworden gegenüber dem Osten, das heißt vernünftiger und bescheidener in unseren Ansprüchen? Begreifen wir ein bißchen besser, wie tief der Schrecken denen noch in den Knochen sitzen muß nach unserem letzten Auftritt? Sind wir vorsichtiger geworden gegenüber unserer idealistischen Begabung, die uns immer dazu verleitet, Weltanschauungen aufzubauen wie Verliese, für uns und die, die wir zu idealen Feinden stilisieren, und das so lange, bis wir (und die Feinde) uns so verhalten müssen, wie es sich für Verfeindete gehört? Was sich in Auschwitz austobte, stammt schließlich auch aus alter Schule, ist von schlechten Eltern. Juden und Slawen, darauf waren wir gedrillt seit langem. Zur Zeit schulen wir um auf Kommunisten.“ (15/16)²⁰ Der von Walser der emotionalen Anteilnahme entgegengesetzten Reflexion des Bewussteins schreibt er die Fähigkeit zu einer Vorstellung von Auschwitz zu, für die er die Metapher Todesfabrik benutzt: „man muß sich die Todesfabrik vorstellen ohne die Requisiten und Eigenschaften, die jetzt den Angeschuldigten vorgeworfen werden“ (12/13). Im Indikativ Präsens heißt es: „Auschwitz ist […] eine Anstalt, die der deutsche Staat mit großer Folgerichtigkeit entwickelte zur Ausbeutung und Vernichtung von Menschen“ (12), ein „Betriebssystem“ als „Glied eines umfassenderen Systems“: „wer
Christoph Weiß bringt dieses Walser-Zitat, nachdem er in seiner Habilitationsschrift über „Auschwitz in der geteilten Welt: Peter Weiss und ‚Die Ermittlung‘ im Kalten Krieg“, mit „Antworten auf sein Auschwitz-Stück“ aus der Springer-Presse im Detail (Weiß 2000, T. I, 272– 274) „eine drastische Bestätigung […] seine[r] Rede […] von der Fortsetzung des Antisemitismus durch den Antikommunismus“ belegt hat, „von der 1965 auch Martin Walser in seinem Aufsatz über ‚Unser Auschwitz‘ gesprochen hatte“ (275).
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nicht ermordet wird, arbeitet bei Krupp, bei der I. G., bis er daran stirbt oder auch ermordet wird“ (13). Gerade diese Metapher – nicht nur – Walsers ist in zwei bedeutenden Monographien scharf kritisiert worden, von Habbo Knoch 2001 und Nicolas Berg 2003, als – wie bereits zitiert – „Technik- und Kapitalismuskritik“ ‚verschmelzendes‘ „Bild“, das „die intellektuellen Verarbeitungen des Erschreckens angesichts der Tat aufzusaugen begann“ (Knoch 2001, 893), und als auf Höß zurückgehendes (Berg 2003, 582) und vom Historiker Martin Broszat vom IfZ als „strukturalistisch[es]“„Erklärungsschema der Motiv- und Intentionslosigkeit“ (583) übernommenes Bild, das „Ideologie und Haß auf Juden völlig aus[spare]“, um der „zivilisationskritische[n] Folgerung“ (585) willen, für die Berg Hans Mommsen zitiert, dass die „‚Tatsache des bürokratisch-korrekten Menschenvernichtens eine Sorge (sei), die nicht mit der Vergangenheit abgetan ist‘“, wobei eine Fußnote ergänzt: der Pädogoge Hans-Jochen „Gamm formuliert diesen Gedanken mit aller Konsequenz: Er stellte am Ende seines Beitrags gar eine Parallele zwischen Höß und dem Nationalsozialismus damals und dem Kapitalismus von heute her“ (586). Während Knoch Walser – zusammen mit Abosch, Henkys, Kogon und Krüger – immerhin zugestanden hat, Mitte der 1960er Jahre zu einer breiteren öffentlichen Wahrnehmung der Differenz von Auschwitz-Birkenau als Vernichtungslager von anderen Konzentrationslagern beigetragen zu haben, weil es im Bild der Fabrik abgesetzt wurde vom „Sensationalismus“ der Einzeltäter-Prozeßberichterstattung (2001, 890), hat Holger Gehle Walsers „strukturanalytische[m] Blick“ (Gehle 1999, 119) „Unempfindlichkeit und Ignoranz“ (123) vorgeworfen wegen einer anderen ‚Parallelisierung‘: „In ‚Unser Auschwitz‘ ist das schon an dem Umstand festzumachen, daß die Juden […] namentlich nur in folgender Parallelisierung auftauchen: ‚Juden und Slaven [sic, im Orginal: w, H.P.], darauf waren wir gedrillt seit langem. Zur Zeit schulen wir um auf Kommunisten.‘ Dieser Satz offenbart entweder erhebliche Wissenslücken über die besonderen Gründe und Dimensionen der Judenvernichtung oder benutzt das gesellschaftlich existierende Unwissen seiner Leserschaft bewußt für eine die Lager instrumentalisierende Intervention: den Antikommunismus zu denunzieren.“ (123/ 124) Sowohl die Wahl des letzten Verbs, das aus einer Kritik des Antikommunismus eine „Anzeige aus niedrigen, meist persönlichen Beweggründen“ (Wahrig 2006, 358) macht, als auch die fachsprachliche Verfremdung der Slawen verfechten polemisch eine Norm, die Stephan Braese in einem auf Gehles Aufsatz verweisenden Beitrag zu einem Sammelband über „Geschichte und Wirkung des ersten Auschwitz-Prozesses“ formuliert hat: „Der hier von Walser geübte – und bevorzugte – strukturanalytische Blick steht […] Einfühlung und Nachvollzug des Lagergeschehens entgegen.“ (Braese 2001, 220) Weil Walser die Erfüllung der Norm der ‚Einfühlung und des Nachvollzugs‘ des Leidens der Opfer von Auschwitz mit der Begründung seiner Unvorstellbarkeit verweigert, liest Gehle die folgende Stelle als „spektakuläre[s] Bekenntnis“ (Gehle 1999, 117): „Ich verspüre meinen Anteil an Auschwitz nicht, das ist ganz sicher. Also dort, wo
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das Schamgefühl sich regen, wo das Gewissen sich melden müßte, bin ich nicht betroffen.“ (Walser 1972, 18) Was Gehle als Leugnung von Schuld interpretiert und leicht pathologisierend als „Authentisches von der geistige [sic] Verfassung des Autors mit[teilende]“„Axiome des späteren Denkens“ „[i]n werkgeschichtlicher Hinsicht“ (Gehle 1999, 124), sind in der 1. Person Singular mitgeteilte Reaktionen auf die im Prozess und der Presseberichterstattung im Zentrum stehenden „subjektiven Brutalitäten“ (Walser 1972, 22), „die Scheußlichkeiten von Auschwitz“, die „wir“ in der 1. Person Plural „aus der Distanz […] zur Kenntnis nehmen“ (18). Dass das von Gehle zitierte ‚ich‘ nicht der ein Bekenntnis ablegende Autor ist, sondern eine Haltung, die im Folgenden ausdrücklich kritisiert wird, markiert die Aufnahme der Formulierungen: „Wer, anstatt sein sauberes Gewissen zu erforschen und sein Schamgefühl zu befragen, nachdächte über den willkürlichen und mehr noch unwillkürlichen Anteil, den man hat an den Wirkungen des Kollektivs, der könnte nicht so leicht sagen: die Taten sind bloß die Sache der Täter. Wählten wir die Bezeichnungen für unsere menschliche Art ein bißchen genauer, uns angemessener, also realistischer, dann wären die Ursachen so wichtig wie die Sachen.“ (19) Und unter nochmaliger Abgrenzung von „Schamgefühl“ und „Gewissen“ als „meine[m] persönliche[n] Unschuldgefühl“ (20) erklärt Walser: „Aber ich kann darüber nachdenken, auf welche Weise ich heute dem westdeutschen Staat angehöre, auf welche Weise und in welchem Ausmaß das sogenannte Dritte Reich sich auch als mein staatlicher Ausdruck manifestieren durfte. Meine Staatsangehörigkeit ist konkret. Man kann auf die Bewandtnis, die es mit ihr hat, allerdings nicht kommen durch Empfindung [sic] sondern allenfalls durch eine Art Denken.“ (20) Mit der Wiederaufnahme der Entgegensetzung von ‚Anteilnahme‘ und ‚Reflexion‘ leitet Walser seinen von Braese ‚skeptisch‘ genannten Schluss ein, weil „jene Perspektive, die auf Struktur- und Funktionsbeschreibung des Lagerkosmos ziele, im deutschen Publikum nicht wirklich durchsetzbar“ sei: „Ans Ende seines Essays rückt Walser daher die skeptischen Worte: ‚Für uns (…) wird Auschwitz keine Folgen haben. (…) Möglich, es wird uns gegen das Ende des Jahrhunderts wieder so langweilig, wie es den feineren Menschen schon am Jahrhundertanfang war. Am Ende kommen wir wieder auf Ideen. Und das ist gern der Anfang des Schrecklichen.‘“ (Braese 2001, 220/ 221) Die Gehle folgende Auffassung von Walsers ‚Perspektive‘ als ‚strukturanalytisch‘ verzerrt Walsers indirekten Appell, „durch eine Art Denken“ (Walser 1972, 20) „etwas zu tun“ (14) gegen eine bedrohliche Zukunft; dies belegen zwei gekürzte Passagen des Schlusses, die erste betrifft aktuelle Relevanzen von Auschwitz, die zweite die von Knoch kritisierte Verwendung des Namens Auschwitz „in politische[n] Slogans“ von „Protestkundgebungen“, z. B. „am 25. September 1964 in Frankfurt“: „‚Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg – Nie wieder Auschwitz“ (Knoch 2001, 893); Walser begründet die Folgenlosigkeit von Auschwitz mit gegenwärtigen Phänomenen: „Was jetzt dem primitiven Politiker sein Antikommunismus oder seine Atombombe oder die Todesstrafe, das ist dem Feingeist sein subtiles Verhältnis zur Grausamkeit. Unser Asoziales“, das von Walser dem „Talent zum Sozialen“ als „Humanen“ Entgegengesetzte (Walser 1972, 22), „hat weiter seine groben und feinen Funktionäre; wie geheim
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es sich auch momentan gibt, es kann mobilisiert werden.“ (22) Seine Prognose zum Ende des Jahrhunderts wird eingeleitet: „Natürlich wird sich Auschwitz nie wiederholen. Der nächste Triumph des Asozialen wird sich anders ausstaffieren. Deshalb ist es ja so sinnlos und befriedigend, Auschwitz nur in seinen einmaligen Fakten und sozusagen nur mit den Nerven wahrzunehmen.“ (22/23) Denn die ‚Brutalitäten‘ lassen „vergessen“, „daß wir zumindest geduldige Zeugen waren, als sich von 1933 bis 1943 ein Schritt nach dem andern sichtbar vor uns vollzog“ (17), der den „jüdischen Bürger endgültig der Willkür der SS auslieferte“ (18), und „die monströse Wirklichkeit von Auschwitz darf wohl auch über die Vorstellungskraft jenes Bürgers gehen, der geduldig zusieht, wie Juden und Kommunisten aus seiner Umgebung verschwinden“ (18). Von „,Monstrositäten […], die keineswegs befohlen wurden‘“, las Hannah Arendt, wie sie an Karl Jaspers schrieb, als sie 1966 am Vorwort zur englischsprachigen Ausgabe von Bernd Naumanns „‚Bericht über den Auschwitz-Prozeß‘“ arbeitete, den sie deshalb „‚wirklich furchtbar‘“ (Atze 2004a, 766) nannte. Werner Renz, der das Vorwort schrieb zur vierten Neuausgabe von Naumanns „‚Zusammenstellung der Prozeßberichte für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung‘“ (766), die zuerst 1965 im Frankfurter Athenäum-Verlag erschien, dann als Fischer Taschenbuch (1968), als Sonderausgabe der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (1969), als Neuauflage bei Fischer (1995) und schließlich 2014 bei der Hamburger CEP EVA, zitiert von einem israelischen Journalisten, Amos Elon, der 1966 beide deutsche Staaten bereiste, ein Synonym von ‚Monstrosität‘, wenn er zur „Augenscheineinnahme“ des Gerichts in Auschwitz schreibt: „Mit dem ‚Zentimetermaß‘ hat das Gericht ‚das Ungeheuerliche‘ zu messen versucht.“ (Renz 2001, 71; vgl. Elon 1966a, 8) Doch Naumann wird von Arendt in ihrem Brief an Jaspers gelobt, denn er „enthalte sich klugerweise ‚fast völlig jeder Analyse und jeden Kommentars‘“ (Atze 2004a, 768). Naumann wurde durch sein Buch „zum wichtigsten Chronisten des Verfahrens“, wie Marcel Atze (2004b, 304) im Nachwort zur Neuausgabe von 2004 schreibt, nicht zuletzt, weil es in der BRD bis 2003 die einzige Veröffentlichung der Zeitungsberichte eines der Frankfurter Gerichtsreporter in Buchform blieb. Erst 2003 erschienen die für die Zeitschrift der Israelitischen Gemeinde Wien „Die Gemeinde“ geschriebenen Monatsberichte Conrad Talers „Asche auf vereisten Wegen. Eine Chronik des Grauens. Berichte vom Auschwitz-Prozeß“, nach mehr als zehn Jahren folgten nun dichter Martin Warnkes Gerichtsreportagen für die „Stuttgarter Zeitung“ unter dem Titel „Zeitgenossenschaft. Zum Auschwitz-Prozess 1964“ 2014, Peter Jochen Winters’ „Den Mördern ins Auge gesehen. Berichte eines jungen Journalisten vom Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 – 1965“, anfangs für „Christ und Welt“, dann für die „FAZ“, die auch von der Bundeszentrale für politische Bildung in Lizenz gedruckt wurden, und 2018 Inge Deutschkrons „Auschwitz war nur ein Wort. Berichte über den Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 – 1965“, geschrieben als „Korrespondentin der israelischen
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Zeitung ‚Maariv‘“ (Deutschkron 1995, 151),²¹ die 1966 das Gesuch um die israelische Staatsbürgerschaft stellte und 1972 übersiedelte, wie sie 1995 in ihren Memoiren begründete: „Eine ‚Bewältigung der Vergangenheit‘, das mißverständliche Schlagwort, das man so gern im Munde führte, hat in der alten Bundesrepublik nie stattgefunden.“ (263)²² Deutschkrons Bericht „Tagebuch einer ungewöhnlichen Reise, 21. Dezember 1964“, für „Maariv“ ist der einzige von den Berichten über die Besichtigung durch die Delegation des Frankfurter Gerichts, der zum einen auf eine diese Gruppe verändernde Wirkung der Ortsbesichtigung eingeht, zum anderen auf deren Empfang durch den polnischen Ministerpräsidenten. Deutschkron führt ihre Beobachtung, dass „diese Augenscheinnahme von Auschwitz, die bei allen Teilnehmern Spuren hinterlassen hat“ (Deutschkron 2018, 307), auf die Wirkung des in Auschwitz-Birkenau Sichtbaren zurück, die sie – sich selbst im Indefinitpronomen einschließend – mit ästhetischen Metaphern formuliert: „Der Besuch im Lager Auschwitz hat dem Prozess und dem Morden der Nazis eine neue Perspektive gegeben. Auch wenn man die abstrakten Zeugenaussagen geglaubt hat, gibt doch erst das tatsächliche Lagergelände den Rahmen, der das Bild zusammenfügt.“ (306) Worauf der ‚das Bild zusammenfügende‘ ‚Rahmen‘ die ‚Perspektive‘ ‚neu‘ ‚richtet‘, wird in Deutschkrons Kritik an der Staatsanwaltschaft deutlich, wenn sie bezweifelt, „ob tatsächlich alles getan“ worden sei, „die richtige Sicht auf den Ort des Verbrechens deutlich zu machen“; ihre letztlich negative Antwort: „Die Karten, die im Gerichtssaal auslagen, lassen die Ausmaße der Lager nicht erkennen“ (304), weitet sie aus auf die während der Ortsbesichtigung gemachten Fotos und wiederholt dabei, was die ‚neue Perspektive‘ eines Besuchs als ‚gerahmtes Bild‘ erfassen lasse: „Und es ist interessant, dass auch zu bemerken, dass auch Fotografien die wirklichen Ausmaße nicht erkennen lassen.“ (304/305) Eine solche Wirkung dagegen des in Auschwitz-Birkenau Sichtbaren erkennt Deutschkron im Verhalten der von ihr dezidiert als Deutsche wahrgenommenen Gruppe des Frankfurter Gerichts auf der Rückreise von Auschwitz nach Warschau: „Es ist tatsächlich eine veränderte Gruppe, die auf der Rückreise nach Deutschland in Warschau eintrifft. Die meisten schweigen, schauen in die Landschaft hinaus, die wirklich nichts zu bieten hat. Etwas scheint in diesen Menschen zerbrochen zu sein. Ist es das Nazi-Rückgrat? Das mühsam errichtete Lügengerüst?“ (303) Vom Empfang des polnischen Ministerpräsidenten, den sonst keine Reportage erwähnt, berichtet Deutschkron nicht nur, dass Cyrankiewic, der „selbst Häftling in Auschwitz“ (303) war, „Ormond für seine Arbeit im Prozess seinen Dank ausspricht“: „Er werde die anderen Mitglieder des Gerichts unmittelbar nach Ende des Prozesses einladen, sodass sie sehen können, ob ihr Urteil der Realität von Auschwitz entspricht“, sondern schließt sich für das Ende ihres Berichts diesem Dank gewissermaßen an, indem sie über den Prozess hinaus von der öffentlichen Aufmerksamkeit für die „Augenscheinnahme“ auf die Möglichkeit schließt, dass sie „ein wichtiger Meilenstein sein [werde] für das Verständnis der deutschen Jugend, was der Nationalsozialismus bedeutet hat“: „Man muß sich bei Henry Ormond bedanken, der jüdische Vertreter von 15 Nebenklägern, der dieses Unterfangen vorgeschlagen hat. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft unterstützte diesen Antrag zwar, war zu Beginn aber nicht unbedingt glücklich darüber. Zweifellos brauchte es Mut dazu, eine konservative Institution wie ein deutsches Gericht dazu zu bewegen, etwas zu tun, was aus dem Rahmen fällt. Henry Ormond hatte diesen Mut.“ (306/307) Vgl. zu 1966 die redaktionelle Vorbemerkung zu den Auszügen aus Amos Elons gerade erschienener Reisebeschreibung „In einem heimgesuchten Land“, die „Der Spiegel“ am 26. September 1966 druckte; während der Frankfurter Prozess in dem Teil über die Bundesrepublik nicht erwähnt wird, spielt Auschwitz eine zentrale Rolle in dem zur DDR, um die von der Redaktion einleitend referierte Kernthese zu belegen: „Ein Jahr lang reiste der israelische Journalist Amos Elon, 40, durch Deutschland diesseits und jenseits der Zonengrenze. In der DDR entdeckte er eine Gesellschaft, für die das Problem deutscher Vergangenheitsbewältigung überhaupt nicht existiert – so, als hätten sich die NSGreuel ‚bei einem anderen Volk zugetragen, mit dem man nichts zu tun hat‘. In der Bundesrepublik
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Im Vergleich mit den späteren Buchtiteln der Reportagensammlungen, die sich auf den Ort des in Frankfurt verhandelten Geschehens beziehen: „Asche auf vereisten Wegen“, auch noch im Dementi: „Auschwitz ist nur ein Wort“, oder auf die Haltung des Berichterstatters zum Verfahren: „Grauen“, „Zeitgenossenschaft“ oder eine Entschlossenheit, „Mördern ins Auge“ zu „sehen“, verbinden Naumanns Ober- und Untertitel neutral den Ortsnamen und die juristische Bezeichnung des verhandelten Falls: „Auschwitz. Bericht über die Strafsache gegen Mulka u. a. vor dem Schwurgericht Frankfurt“, und entsprechen auf gewisse Weise der von Arendt im zitierten Brief an Jaspers gelobten ‚Enthaltsamkeit‘ gegenüber ‚Analyse und Kommentar‘. Eine Rezensentin der Neuausgabe aber hat gerade an Naumanns Text über die Ortsbesichtigung durch die Delegation des Frankfurter Gerichts kritisiert, dass von diesem „Stimmungsbericht“ als dem „emotionalsten Teil seiner [Prozess‐]Reportage“ „seine Dokumentation“ „[d]urchbrochen“ werde (Krösche 2004). Weniger negativ wertend nennt Atze „Keine Spur mehr von Millionen Füßen“ (Naumann 1968b) „de[n] privateste[n] Teil von Naumanns Buch“ (Atze 2004a, 769), da er „allein“ gegangen sei „vielleicht auch deshalb, weil er mit der kriminalististischen Sachlichkeit der Delegation nichts anfangen konnte“ (770). Als Titel aber für den Abschnitt über Bernd Naumann (766 – 774) innerhalb der großen Studie „Der Auschwitz-Prozeß in der Literatur, Philosophie und in der Publizistik“ wählt er ein Zitat, das im Text selbst so eingeführt wird: „Im Vorwort komprimiert er das Erlebnis: ‚Der Ort ist uns nahegerückt [sic].‘“ (770, vgl. 766; zit. Naumann 1968, 7: „nahe gerückt“) Atze ignoriert, dass Naumann nicht ‚mir‘, sondern ‚uns‘ schreibt; die Adressatenbeziehung des anderen Belegs, den Atze für seine These von der ‚Privatheit‘ der Ortsbesichtigung Naumanns bringt, ist noch weniger ‚privat‘, Bernd Naumann wendet sich in seiner Beschreibung des Lokaltermins des Frankfurter Gerichts in Form einer Anrede an den Adressaten:
fand er eine ‚kleine, aber lautstarke Minorität‘, die mit dieser Vergangenheit abzurechnen versucht – freilich auch, als ‚eine Hochburg der Restauration‘, die deutsche Universität, die es verabsäumt habe, ihre eigene Rolle im Dritten Reich zu analysieren.“ Über die „ostdeutschen Schulbücher über die Nazizeit“ heißt es: „Auschwitz und Treblinka präsentiert man als Instrumente der Ruhrindustrie“, über Besuche der Gedenkstätte Auschwitz: „Bezeichnenderweise gibt es im Museum zu Auschwitz neben den Pavillons von Opfernationen wie Polen oder der Tschechoslowakei auch einen DDR-Pavillon. Die DDR – eine Opfernation?“ Und „ein alter Sozialdemokrat aus Leipzig“ wird zitiert: „‚Hier […] befassen sie sich mit dem Thema so unpersönlich, als handele es sich um ein Menschenmassaker im Kongo, geplant und ausgeführt vom gleichen imperialistischen Finanzkapital. Das ist weder zu verstehen noch zu verzeihen. Mit ihnen persönlich – mit der Geschichte ihres Landes, mit ihren Vätern, Onkeln, Vettern, Müttern, Tanten und Basen – hat das alles angeblich überhaupt nichts zu tun. Schuld an Auschwitz waren nicht wirkliche, lebendige Menschen. Schuld war ein anonymes System, das angeblich in Bonn weiterlebt. Kein Mensch der DDR soll diesem System je angehört haben – es sei denn, er wäre in den Westen geflüchtet. Dann wird er plötzlich auch zum Nazi.‘ Die DDR gibt sich, als wäre sie im Verlauf eines Erbsprungs der Natur dem Schoß einer Tigerin als friedlicher Packesel entsprungen.“ Die Redaktion des „Spiegel“ hat in ihre Vorbemerkung nicht aufgenommen Elons prägnante Beschreibung der bundesrepublikanischen ‚Minorität‘: „Schriftsteller und Lehrer, Geistliche und Wissenschaftler bemühen sich, ‚die Vergangenheit zu bewältigen‘, wie es in unübersetzbarem Deutsch heißt.“
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„Wer hier ahnen will, was der Mensch dem Menschen antat, der gehe allein. Dann mag er […] hören, […] dann mag er verstehen“ (Naumann 1968, 211, vgl. Atze 2004a, 769). Naumanns Voraussetzung ist, dass im Hörbaren das Verstehen garantiert sei – oder dass in den Geräuschen die Vergangenheit Gegenwart sei: „Eine böse Vergangenheit […] klingt im Pfeifen der Lokomotiven, die in der Nähe tagein und tagaus fauchend umherfahren, beklemmend gegenwärtige Erinnerung an damals.“ (Naumann 1968, 211)
5 Bernd Naumann: Keine Spur mehr von Millionen Füßen Naumanns Beschreibung wird durchzogen vom Bild der Züge, von Anfang an: „Und immer das traurige Lied der Lokomotiven“ (212), deren Pfiffe „noch immer wie damals“ „hallen“ (215), so lauten im letzten Satz die letzten Worte. Schon der als Titel gewählte unvollständige Satz „Keine Spur mehr von Millionen Füßen“, insbesondere seine Fortsetzung mit einer adversativen Konjunktion im Text selbst, setzt dem äußerlich in Auschwitz Sichtbaren etwas Inneres entgegen: „Auf den Wegen ist keine Spur mehr von Millionen Füßen, die hier in den Tod gingen. Der Wind hat sie verweht, die Sonne ausgeblichen, der Regen verwaschen. Aber wer die Augen schließt, sieht sie gehen. Gehen und niemals wiederkehren.“ (212/213) Mit der Wendung an den Adressaten: „wer die Augen schließt“ (212/213), nimmt Naumann die vorangegangene auf: „Wer hier ahnen will, was der Mensch dem Menschen antat“ (211), und das dem Hören des „[K]lingen[s]“ der „Pfeifen der Lokomotiven“ an der ersten Stelle zugeschriebene Gefühl, wenn er es „beklemmend gegenwärtige Erinnerung“ (211) nennt: eine in Kopf, Brust oder Bauch als Atem nehmend spürbare Angst. Das Gefühl der als bedrohlich hörbaren Gegenwart der Vergangenheit wird in einen doppelten Gegensatz gesetzt: einerseits zu dem „Gras“, das über die ‚Spuren von Millionen Füßen‘ „wuchert“, die – wie schon zitiert – vom „Wind […] verweht, d[…er] Sonne ausgeblichen, de[m] Regen verwaschen“ (212) seien: „Ringsum lebt das Land. Gänseschnattern und Vogelruf“ (212), und dem die „Besucher“ zugeordnet werden, für die im Lager „schwerlich spürbar“ werde „das Leid“ (211): sie „kommen und gehen, rasch von den Fremdenführern hierhin und dorthin getrieben, in die engen Gänge des Bunkers 11 gedrückt, auf den Lagerstraßen defilierend“ (211). Andererseits wird das Gefühl der Beklemmung auch in Gegensatz gesetzt zum juristischen Verfahren der „Ortsbesichtigung“ (210): „Die Delegation aus Frankfurt bewegt sich am Ort der unbegreiflichen Greuel in einem Raum fast abstrakter Sachlichkeit“ (214). Naumann markiert durch einfache Anführungszeichen, dass er den juristischen Terminus technicus benutzt, wenn er von „[g]enaue[n] Untersuchungen“ der „‚Sicht- und Hörbarkeitsverhältnisse‘“ (213) berichtet: Es sei „eine spröde Arbeit, abseits allen Gefühls und aller Erinnerung. Messungen mit dem Bandmaß, Blickwinkel, Hörproben, Fotos.“ (214) Aber trotz dieser Abgrenzung der eigenen Ortsbesichtigung stellt Naumann letzten Endes sehr stark heraus, welches Ergebnis die des Gerichts für den Prozess haben
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sollte, wie er schon am Ende des ersten Teils seines Textes vorausdeutet: „So nah war das alles in Auschwitz.“ (211) Was „vermessen und protokolliert“ (213), machte die Behauptung von Angeklagten, „nichts gewußt“ zu haben, unglaubwürdig (214) und die belastenden Aussagen von Zeugen glaubwürdig, bis auf „eine[n] einzigen Fall“ (214/215). Naumann gibt diesem Verhältnis von Frankfurter Zeugenaussagen und „protokollarisch festgestellt[en]“ (214) ‚Sicht- und Hörbarkeitsverhältnissen‘ in Auschwitz eine bezeichnende Wendung: Geprüft werde, ob das Ausgesagte „dem Zeugnis der Vergangenheit entspricht“ (213); der privilegierte Zeuge ist in seiner Beschreibung der Ort. Deshalb geht in seine Anerkennung der Notwendigkeit von „Akribie“ und „protokollgemäße[r] Sprache“ ein Vorbehalt ein: „es muß sein. Hier sind Feststellungen zu treffen und keine Visionen zu protokollieren – und mögen sie greifbar geworden sein zwischen den Geleisen der Todesrampe von Auschwitz.“ (214) Obwohl Nauman vom ‚Ort der unbegreiflichen Greuel‘ spricht, schreibt er ihm die Möglichkeit zu, ‚Visionen‘ für den Besucher ‚greifbar‘ zu machen. Naumanns Text entfaltet eine ‚Vision‘ von Auschwitz in der Metaphorisierung des ‚Pfeifens der Lokomotiven‘ zur Gegenwärtigkeit des Vergangenen in heutiger Bedrohung. Ursula von Kardorff, die nach einem Besuch des Frankfurter Prozesses eine Aufführung von Peter Weiss’ „Die Ermittlung“ gesehen hatte, schrieb in ihrem Bericht für die „Deutsch-Polnischen Hefte“: das „Geräusch fahrender Züge […] ging noch mehr unter die Haut als die Schreckensszenen des Dramas“ (Kardorff 1964, 233).²³ In seiner „Anmerkung zum Prozeß“, die im Buch den Zeitungsreportagen vorangestellt ist, werden die dem Prozess als juristischem Verfahren gezogenen „Grenzen“, „allein nach Schuld im Sinne des Strafgesetzbuches“ zu „such[en]“ (7), scharf betont, also nicht „historische Schuld zu begleichen oder eine moralische Lektion zu erteilen“ (7). Weil Naumann dem Prozess „dennoch“, wie bereits erörtert, „ethische“ und „gesellschaftspädagogische Bedeutung“ (7) zuspricht, zitiert er gewissermaßen die Vision aus seiner Reportage von der Ortsbesichtigung: „Wer hier ahnen will, was der Mensch dem Menschen antat, der gehe allein.“ (211) Wenn Atzes Interpretation von Naumanns „privateste[m]“ (Atze 2004a, 769) Text behauptet: „Im Vorwort komprimiert er das Erlebnis: ‚Der Ort ist uns nahegerückt [sic].‘“ (770), ignoriert er, dass dieser Satz im Absatz über die „ethische“ und, „gesellschaftspädagogische Bedeutung“ des Auschwitz-Prozesses (Naumann 1968, 7) steht: „Er wird ein wichtiger Beitrag bleiben zur Geschichte unserer Zeit. Auschwitz liegt nach diesem Verfahren nicht irgendwo ‚da hinten in Polen‘. Der Ort ist uns nahe gerückt. Er wird jetzt ganz bewußt mit dem millionenfachen Mord verbunden, den dort Menschen an Menschen begingen. Schonungslos hat der Prozeß diese Verbrechen vor aller Augen ausgebreitet“ (7). Naumanns „Vision“ (214) in der ‚Ortsbesichtigung‘ wahrte Distanz zu 1965 aktuellen politischen Relevanzen von Auschwitz, aber sie war als ‚historische‘ und ‚mo-
Vgl. zur Bedeutsamkeit von in Auschwitz Hörbarem die bereits zitierten Texte von Lea Grundig über ihre Reise nach Auschwitz (Grundig 1960, 261) und von Jean Cayrol die letzten Sätze für Alain Resnais’ Film „Nacht und Nebel“ (Frankfurter Bund 1966, 263).
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ralische‘ – in Widerspruch zu Arendts Lob seiner diesbezüglichen ‚Enthaltsamkeit‘ – ‚Kommentar‘. Arendt, der Nicolas Berg die „Überzeugung“ zuschreibt, „daß nur der Ort der extremsten Erfahrung einen ungetrübten Blick auf das Ganze eröffnet“ (Berg 2003, 479), lehnt in ihrem 1966 erschienenen Vorwort zur englischsprachigen Ausgabe von Naumanns „Auschwitz“ Wahrheit als Verallgemeinerung ab zugunsten von „Momente[n] der Wahrheit“, eines Verstehens, das „vermittels [… ] Augenblicke […] dieses Chaos aus Grausamkeit und Bosheit artikulieren“ (Arendt 1989, 135) könne: „Es handelt sich dabei um Anekdoten, und diese erzählen in äußerster Kürze, worum es eigentlich ging.“ (135) Zu den ‚Anekdoten‘, als die sie aus Naumanns Buch entnommene Berichte über im Prozess von Beteiligten Gesagtes kommentiert, gehört die Zeugenaussage von Helene Goldmann, die Naumann unter der Zwischenüberschrift „Wollten Sie dieses Mädchen retten?“ mit den Fragen des Vorsitzenden und eines weiteren Richters sowie des Nebenklägers Henry Ormond in wörtlicher Rede auf einer Seite bringt (Naumann 1968, 169/170). Nach einer kurzen biographischen Vorstellung der Zeugin, die als 19jährige ungarische Jüdin im Frühjahr 1944 nach Auschwitz kam, äußert sich der Berichterstatter nur mit zwei eigenen Sätzen; zuerst, als Helene Goldmann aussagt, wen sie auf der Rampe gesehen: „Damit richtet sich das Interesse auf einen Angeklagten, um den es bisher ruhig war, der bisher kaum belastet wurde“ (169), dann, bevor der von ihr genannte Angeklagte Lucas die erste Frage beantwortet: „Nach einer Pause sagt Lucas in die atemlose Stille“ (170). Nach Goldmanns Aussage, ihre Mutter habe ihr „‚ein Baby‘“ gegeben, weil „‚es hieß, Mütter könnten bei ihren Kindern bleiben‘“, aber Lucas „‚nahm mir das Baby weg und warf es meiner Mutter zu‘“ und „von einem Mithäftling“ habe sie „erfahren, daß ihre Mutter und ihre drei Geschwister nicht mehr lange leben würden“ (169), sagt Lucas: „‚Das stimmt nicht. Ich bin es nicht gewesen‘“, auf die Frage Ormonds: „‚Wollten Sie vielleicht dieses Mädchen, das damals besonders hübsch und jung war, retten?“, erwidert er: „‚Die Zeugin ist einem Irrtum erlegen‘“, und schweigt dann auf die Frage des Ergänzungsrichters Hummerich: „Ob Sie vielleicht den Mut hatten, die Zeugin zu retten?‘“ (170). Obwohl Naumanns Rahmung des Wortwechsels den Angeklagten fokussiert‚ unterscheidet sich seine Reportage stark von der – schon zitierten – Peter Jochen Winters’, die sich schon im Titel in „Die Gewissensnot des Doktor Lucas“ versetzt. Zum Ende von Helene Goldmanns Vernehmung heißt es: „Auf weitere Fragen gibt Lucas keine Antwort. Gäbe er zu, daß er Helene Goldmann das Leben gerettet hat […], es wäre zugleich das Eingeständnis, selbständig selektiert und Hunderte oder Tausende ins Gas geschickt zu haben.“ (Winters 1964) Arendt zitiert Helene Goldmanns Zeugenaussage in Naumanns Wiedergabe bis zu dem Satz ‚und warf es meiner Mutter zu‘, um dann in einer Weise zu kommentieren, die die zweite Frage (ohne die erste zu erwähnen) erklären soll: „Das Gericht weiß sofort die Wahrheit. ‚Ob Sie vielleicht den Mut hatten, die Zeugin zu retten?‘ Lucas streitet alles ab.“ (Arendt 1989, 136) Ihre Anekdote hat einen anderen Fokus als Naumanns und Winters’ Reportagen, nämlich die Zeugin, aber das, „worum es eigentlich ging“, wird in seiner „Kürze“ (135) dem ‚Kommentar‘ Winters’ sehr ähnlich,
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der für seine Deutung des Geschehens im Gericht auf einen wesentlich von Arendt geprägten Begriff zurückgreift:²⁴ „Die Aussagen von Helene Goldmann […] deuten darauf hin“, dass Lucas „in den Verstrickungen totalitärer Herrschaft“ „versucht“ habe, „so viele wie möglich zu retten“, aber – wie schon zitiert – „das Netz der totalitären Herrschaft, in dem er sich gefangen sah, war stärker. Ein Mensch wie Millionen andere. Ein Schicksal, das eine Mahnung ist für die Nachgeborenen.“ (Winters 1964) Arendts Erzählung macht Lucas, so wie Winters, zum Retter Helene Goldmanns, aber vor allem, um der Zeugin in der Gegenwart Unkenntnis von Auschwitz und Nichtbegreifen der ‚Welt‘ vorzuwerfen: „Die Frau, die anscheinend die Regeln von Auschwitz immer noch nicht kennt – wo alle Mütter mit Kindern unmittelbar nach der Ankunft vergast wurden –, verläßt den Gerichtssaal, ohne zu begreifen, daß sie, die auf der Suche nach dem Mörder ihrer Familie war, dem Retter ihres eigenen Lebens gegenübergetreten war. So etwas geschieht, wenn Menschen beschließen, die Welt auf den Kopf zu stellen.“ (Arendt 1989, 136) Arendts sarkastische Rede von Goldmanns Unkenntnis von Auschwitz und Nichtbegreifen der ‚Welt‘ enthält etwas, was in Naumanns (und auch Winters’) Reportage nicht zu finden ist: „die Zeugin“ sei „aus Miami nach Frankfurt gekommen […], weil sie in der Zeitung den Namen von Dr. Lucas gelesen hatte: ‚Mich interessierte … der Mann, der meine Mutter und Geschwister umgebracht hat!‘‘‘ (136), und ein Überlesen der im Zitat der Zeugenaussage zu findenden Begründung dafür, dass ihre Mutter ihr das Baby gegeben habe: „‚Es hieß, Mütter können bei ihren Kindern bleiben, deshalb […]‘‘‘ (136). Arendts anekdotische Pointierung der Identität von Lucas als „Mörder ihrer Familie“ und „Retter ihres eigenen Lebens“ erfolgt durch die sarkastische Wendung der auf Lektüre der Zeitung zurückgehenden Reise von Miami zum Frankfurter Prozess zur fehlgehenden „Suche nach dem Mörder“ (136). Was der Unkenntnis von Auschwitz und dem Nichtbegreifen der ‚Welt‘ im letzten Satz entgegengesetzt wird, verbindet zwei redensartliche Wendungen, um die Folgen des mit einer traditionellen Revolutionsmetapher über den Nationalsozialismus hinaus umschriebenen Totalitarismus als selbstverständlich zu statuieren: „So etwas geschieht, wenn Menschen beschließen, die Welt auf den Kopf zu stellen.“ (136)²⁵ Arendts auf Naumanns Reportage beruhende Anekdote, die Helene Goldmann ihren Namen versagt und „die Zeugin“ nur einmal „die Frau“ nennt (136), genügt wohl kaum dem Anspruch, den sie 1959 in ihrer Lessingpreis-Rede „Von der Menschlichkeit
Vgl. aber Dana Ionescus Untersuchung der deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte, die betont, dass Hannah Arendt selbst „auf moralischer und ideologischer Ebene zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus unterschied und beides nicht gleichsetzte“ (2019, 69). Vgl. dagegen das Ergebnis von Devin O. Pendas’ Analyse der Presseberichte über die Vernehmungen von Lucas: „several questions are forgotten: Why did his government order him to do so, why did the majority of Germans support such a government, what social structures disabled his ethical sensibilities in order to enable such behavior? Such stories are so striking in their emotional impact that they also threaten to drive from consciousness the fact that the central purpose of Auschwitz was […] genocide.“ (Pendas 2000, 439)
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in finsteren Zeiten“ für das Erzählen erhob: „Im Erzählen wird den Leidenden und Ermordeten das Eingedenken zuteil, ihr Schicksal wird vor dem Vergessen bewahrt, das Erzählen ist der Ort des anamnetischen Gedächtnisses. Es geht darum, Geschichten zu erzählen, zu hören und zu lesen und dann abzuwarten, was sich daraus ergibt.“ (Arendt 2001, 30) Arendts ‚Erzählen‘ hat Helmut König in seinem Aufsatz „Hannah Arendt, die NSVergangenheit und die Bundesrepublik“ dem „Generalisieren, Parallelisieren und Theoretisieren“ (König 2008, 126) entgegengehalten, das er als eine „Variante“ der den drei Generationen der BRD, Vätern, Söhnen und Enkeln, gemeinsamen „Geisteshaltung“ „Opportunismus“ verurteilt – „Eskapismus“ (125; vgl. Arendt/Enzensberger 1970, 173: „Escapismus“): König wirft den „Vertreter[n]“ der zweiten Generation, die „kritisch und deutlich wurden“, wie Hans Magnus Enzensberger in „Ein Briefwechsel“ mit Hannah Arendt 1965 im „Merkur“, vor, „sich nicht mit der Endlösung von gestern aufhalten“, sondern die von „morgen […] verhindern“ (König 2008, 127) zu wollen und auf diese Weise „sich nicht mit Auschwitz zu beschäftigen“ (128). In seinen „Reflexionen vor einem Glaskasten“ zum Eichmann-Prozess hatte Enzensberger 1964 den „Satz“, „unsere Epoche sei auf die Namen Auschwitz und Hiroshima getauft“, „wahr“ genannt, obwohl er „sich, zwanzig Jahre nach dieser Taufe, bereits wie ein Gemeinplatz aus dem kulturkritischen Feuilleton“ ‚anhöre‘ (Enzensberger 1967, 78). Dagegen hatte er das „hochspezialisierte[…] Geschwätz der ‚Bewältigung‘“ scharf kritisiert: „Die Wirklichkeit namens Auschwitz soll exorziert werden, als wäre sie Vergangenheit, und zwar nationale: nicht gemeinsame Gegenwart und Zukunft.“ (79) Er hatte der offiziellen ‚Vergangenheitsbewältigung‘ als „ein[em] komplizierte[n] Ritual folgenloser, lokaler Selbstbezichtigung“ vorgeworfen, mit Auschwitz „fertig werden (und das heißt letzten Endes: […] es vergessen)“ zu wollen, weil das „steril bleiben[de]“ ‚Ritual‘ der ‚Bewältigung‘ „nicht einmal die oberflächlichsten und nächstliegenden Folgen zeitigen kann, […] geschweige denn, daß sie die Voraussetzungen zu beseitigen vermöchte, die das Ereignis ermöglicht haben“ (79). Zugrunde liegt dieser Kritik der ‚nationalen‘ ‚Bewältigung‘ von Auschwitz eine universalistische Auffassung der ‚Epoche von Auschwitz und Hiroshima‘: „Was in den vierziger Jahren geschehen ist, altert nicht; statt fern zu rücken, rückt es uns auf den Leib und zwingt zu einer Revision aller menschlichen Denkweisen und Verhältnisse“ (78).Weil für Enzensberger gilt: „Nichts kann so bleiben, wie es war und ist“ (79), ist es das für Enzensberger aus der „unerschütterte[n]“ „Zwangsvorstellung der Souveränität“ folgende Streben der Bundesregierung nach „Verfügungsgewalt über das nukleare Gerät“ (80), das Auschwitz aktuelle politische Relevanz gibt: „Dieses Gerät aber ist die Gegenwart und die Zukunft von Auschwitz. Wie will den Genozid von gestern verurteilen oder gar ‚bewältigen‘, wer den Genozid von morgen plant und ihn sorgfältig, mit allen wissenschaftlichen und industriellen Mitteln vorbereitet?“ (80) Abschließend führt Enzensberger fünf Unterschiede an „[z]wischen der ‚Endlösung‘ von gestern und der von morgen, also zwischen zwei unvorstellbaren Handlungen“, deren
5 Bernd Naumann: Keine Spur mehr von Millionen Füßen
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zweite für den „Briefwechsel“ mit Arendt besonders relevant wird: „Die Endlösung von morgen kann verhindert werden.“ (96) Arendts im ersten Brief an Enzensberger erhobener Vorwurf des „Escapismus“ (Arendt/Enzensberger 1970, 173) gilt seinen „Irrtümer[n], die sehr verständlich sind, wenn man vom Marxismus kommt, vor allem in seiner Ausgestaltung durch Brecht und Benjamin“ (173), der „von Brecht begonnenen Interpretation von Verbrechen, Geschäft und Politik“: „Aber zum Verständnis politischer Vorgänge trägt es nichts bei. Im Gegenteil, es ist nur eine hoch kultivierte Form des Escapismus.“ (173) Enzensberger klammert die Frage des Marxismus in seiner Antwort aus, um ein anderes Verständnis von Eskapismus (dem von König (2008, 129) ohne Erörterung übernommenen als ‚politisches Unverständnis‘) entgegenzusetzen: „Escapismus wäre es, in meinen Augen, so zu tun, als wäre es […] mit [Auschwitz] vorbei, als wäre es das schlechthin Vergangene und Verjährte, zu dem es gerade in Deutschland gemacht werden soll.“ (Arendt/Enzensberger 1970, 175) Weil er davon ausgeht, dass „die Deutschen und sie allein die Verantwortung für die ‚Endlösung‘ tragen“, betont er „im Hinblick auf die Zukunft von Auschwitz“: „Wir haben aber nicht nur an unsere Väter zu denken, sondern auch an unsere Brüder und Söhne; nicht nur an die Schuld derer, die älter sind als wir, sondern auch, ja vor allem, an die Schuld, mit der wir selber uns beladen.“ (175) Arendts Antwortbrief stimmt dem Ausgangspunkt zu, allerdings nicht nur mit der Karl Jaspers folgenden Unterscheidung, dass sie Auschwitz ein „Ereignis deutscher Geschichte“ nennt, „für das politisch, aber nicht moralisch alle Deutschen die Haftung übernehmen müssen“, sondern auch mit einer Abgrenzung: „es ist nicht aus deutscher Geschichte zu erklären im Sinne eines wie immer gearteten Kausalzusammenhangs“ (177). Aber die Frage der Haftung führt Arendt zu einer ausdrücklich so genannten „Einschränkung“ ihrer ‚Zustimmung‘, die ‚wie immer geartete‘ historisch-gesellschaftliche ‚Zusammenhänge‘ ins Spiel bringt: „eine Meinung [..] hat in Deutschland, wenn es sich um die ‚Endlösung‘ handelt, unmittelbar politische, tagespolitische Implikationen und Konsequenzen. Bei Deutschen kommen unvermeidlich bei der Diskussion dieser Angelegenheiten Interessen ins Spiel, die anderswo wegfallen. Nur in Deutschland ist Auschwitz sogar eine innenpolitische Frage, von den außenpolitischen Aspekten, die man verständlicherweise oft zu ignorieren beliebt, ganz zu schweigen.“ (177/178) Wenn Arendt an die eingeschränkte Zustimmung anschließend den Dissens des Briefwechsels mit Enzensberger auf den Punkt bringt, spricht sie nicht explizit von den „unmittelbar“ „tagespolitische[n]“ „innenpolitischen“ und „außenpolitischen Aspekten“ der „Frage“ „Auschwitz“ (178), die Enzensbergers „Reflexionen vor einem Glaskasten“ thematisiert hatten – dem Streben „führender deutscher Politiker und Militärs“ nach „Verfügungsgewalt über das nukleare Gerät“ (Enzensberger 1967, 80): „Was aber zwischen uns zur Debatte steht, ist Ihre Gleichsetzung vom ‚Megatod‘ mit der ‚Endlösung‘“ (Arendt/Enzensberger 1970, 178). Sie erklärt Enzensbergers „Gleichsetzung“ als „einfach durch das ominöse Wort ‚Endlösung‘ verführ[t]“ oder „ein[en] Kurzschluß, der allerdings nahe liegt, weil beide Ereignisse nahezu gleichzeitig im Verlauf des Krieges eingetreten sind“ (179). Ihr Gegenargument: „Aber
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Auschwitz hatte mit Kriegsführung nichts zu tun“, begründet sie nur damit, dass „Hitler […], wie wir wissen, auch im Frieden ‚ausgemerzt‘“ (179) hätte. Anstelle einer näheren Begründung greift sie den anfangs erhobenen Vorwurf des Eskapismus wieder auf und verschärft ihn, indem sie ihn als „scheinbaren Radikalismus“ methodisch formuliert: „durch Parallelen, bei denen sich irgendein Generalnenner darbietet, [werde] vieles Partikulare unter ein Allgemeines subsumiert, wobei das konkret Sich-Ereignende als Fall unter Fällen verharmlost wird“ (179). Abschließend bekennt sich Arendt für das eigene Schreiben zum „immer erneuten Versuch, sich am Konkreten festzuhalten und Unterschiede nicht zugunsten von Konstruktionen zu verwischen“ (180). Auschwitz wird so zu einem Einzelnen, das kein besonderer Fall sei, der mit anderen Fällen etwas gemeinsam hätte, sondern singulär.
6 Peter Weiss: Meine Ortschaft Von allen auf die ‚Ortsbesichtigung‘ der Delegation des Frankfurter Gerichts zurückgehenden Texten ist Peter Weiss’ „Meine Ortschaft“ am bekanntesten geblieben, nicht zuletzt durch zahlreiche Nachdrucke.²⁶ Noch bevor der Text „als Teil eines Sammelbandes, den der Verleger Klaus Wagenbach im Herbst herausbringen wird“, wie es in der redaktionellen Vorbemerkung des „Monat“²⁷ hieß, ohne dass der Titel genannt wurde: „Atlas. Zusammengestellt von deutschen Autoren“, erschien, gab es bereits einen Monat nach der ‚Ortsbesichtigung‘ in der Sendereihe des WDR „Gedanken zur Zeit“ am 17. Januar 1965 von Peter Weiss unter dem Titel „20 Jahre danach“ mehr als zwanzig Minuten „Eine Lesung aus ‚Meine Ortschaft‘“ (Deutsches Rundfunkarchiv 1997, 117) und im Mai im 200. Heft des „Monats“, das am 20. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkriegs dem Thema „Die Bundesdeutschen“ gewidmet war, einen Vorabdruck (Weiss 1965b). Die Besprechung von Klaus Wagenbachs „Atlas“ in „Die Welt der Literatur“ durch deren Ressortleiter, in der Peter Weiss’ „Meine Ortschaft“ eine Schlüsselstellung zugewiesen bekam, zeigt, in welchen aktuellen Kontext die ‚Augenscheineinnahme‘ von zeitgenössischen westdeutschen Rezipienten eingeordnet wurde. „Beschreibung des Orts heißt Rechenschaft über Erfahrung“ (Nolte 1965, 653), bestimmte Jost Nolte, von Weiss’ Auschwitz-Beschreibung ausgehend, die Gemeinsamkeit der 43 Texte von west-, ostdeutschen und im Exil gebliebenen AutorInnen, in deren „Wechselgespräch über […] Ereignisse von persönlicher und allgemeiner Bedeutung“ er letztlich eine „gemeinsame Einschätzung der Zeitgeschichte“ ausmachte: „Was auf das Jahr 1945 folgte, fand seine Erklärung in der Hitler-Zeit. Was dem Jahre 1933 voraufging, war Vorspiel.“ (653) Die von Weiss aufgeworfene Frage des Nachlebens des Faschismus in
Vgl. Wagenbach 1968, 30 – 38; Baier 1979. Bemerkenswert ist aber auch, in welchen Anthologien Weiss’ Text fehlt: Glaser 1978; Wagenbach u. a. 1979; Niemann/Rathgeb 2003; Rathgeb 2005. In diesem Monat. In: Der Monat 17 (1965) H. 200, S. 5.
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gesellschaftlichen Strukturen – in dem Schluss, der den Adressaten einbezieht: „Hier kann er nichts mehr tun. […] Dann weiß er, es ist noch nicht zuende.“ (Weiss 1965, 45a) – wurde nicht aufgenommen, sondern eingeordnet in einen – mit der Absage an Revanchismus in Texten von Johannes Bobrowski, Franz Fühmann, Günter Grass, Siegfried Lenz und Hans Werner Richter zu verlorener Kindheitsheimat belegten – Appell, die Nachkriegsgrenzen als Folge des Faschismus anzuerkennen, ohne jedoch die DDR einzubeziehen. So wie die Ortschaften der DDR trotz der starken Vertretung von DDR-Autoren in der Anthologie eine Leerstelle bildeten, mit Ausnahme von Günter Kunerts Ostberlin, „Fahrt mit der S-Bahn“ (Kunert 1968), eine terra incognita, schwieg die Rezeption. Einen Monat vor Noltes Rezension, am 15. Oktober 1965, war von der Kammer der EKD für öffentliche Verantwortung der Öffentlichkeit „Eine evangelische Denkschrift“ mit dem Titel übergeben worden: „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ (Henkys 1966, 176/177).²⁸ Die „Denkschrift“ (176 – 217) stellte Gebietsverluste und Umsiedlung jenseits von Oder und Neiße in den „Zusammenhang mit der politischen und moralischen Verirrung […], in die sich das deutsche Volk vom Nationalsozialismus hat führen lassen“ (178).Während die „FAZ“ und „Die Welt“ die kirchliche Stellungnahme als ‚illegitim‘ (57) zurückwiesen, überwog in der – nicht den Vertriebenverbänden verbundenen – Presse die Zustimmung zu einem von „‚tabuisierte[m] Denken‘“ ‚befreiten‘ (34), dessen öffentliche Diskussion, zu der es „‚kaum eine Parallele‘“ gebe, auch im westlichen Ausland gelobt wurde, so von der „Times“ (79). Theologisch behandelt die „Denkschrift“ die Frage der politischen und moralischen Schuld des deutschen Volkes als die Frage Gottes als des Herrn der Geschichte (186), die als Antwort ein „Ja zum Gericht Gottes“ (188) fordere. Auch wenn dieses in der bundesrepublikanischen Presse weithin als „Kollektivschuld“ (47) abgelehnt wurde und auch wenn die polnische Presse kritisierte, dass die „Denkschrift“ „‚eine polnische Schuld am deutschen Volk‘“ voraussetze, weil sie das Potsdamer Abkommen ignoriere und dem deutschen Umsiedlern 1945 – 47 widerfahrenen ‚Unrecht‘ fälschlicherweise „‚Massencharakter‘“ zuschreibe
Für ihre unterschiedlich begründete These für die Entwicklung des Verhältnisses der BRD zur Volksrepublik Polen: „Mit der EKD-Denkschrift und dem Bischofsbriefwechsel war […] der geistige Dialog […] unumkehrbar geworden“ (Olschowsky 2010, 322), verabsolutieren auf der einen Seite Burkhard Olschowsky die Rolle von „Einzelpersönlichkeiten in der Bundesrepublik“, die „mit beispielgebenden Reisen, engagierten Artikeln und Büchern das schemenhaft-negative Bild Polens als sowjetischem Satelliten und ‚Vertreibungsprofiteur‘ aufbrachen und beim Leser Anteilnahme und Neugier für die Bevölkerung jenseits von Oder und Neiße weckten“ (322), auf der anderen Seite Martin Greschat die Einigkeit in der ‚Verteidigung‘ der Denkschrift zwischen „Barthianer[n] und Lutheraner[n]“ (Greschat 2005, 38) sowie zwischen Mitgliedern und Sympathisanten sowohl der SPD als auch der CDU (38/39). Auf beider Namenslisten von „Meinungsmultiplikatoren eines neuen vorurteilsfreien Polenbildes“ (Olschowsky 2010, 322; vgl. Greschat 2005, 39) fehlen die in dieser Untersuchung behandelten Akteure und deren Netzwerke, mit der einen Ausnahme von Hansjakob Stehle (Olschowsky 2010, 322), und Olschowsky datiert die Gründung deutsch-polnischer Gesellschaften in der BRD falsch auf die „Siebzigerjahre“ als „Früchte der Neuen Ostpolitik“ (323).
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(74), war für die von der „Denkschrift“ vorgeschlagene „Bewältigung der Hinterlassenschaft des Zweiten Weltkrieges“ (177) bedeutsam, dass sie nicht nur von der „völkerrechtswidrigen Behandlung“ (200) des polnischen Volkes während der Besatzung spricht, sondern über den Zweiten Weltkrieg den Wroclawer Erzbischof Boleslav Komenek zitiert, der ihn einen „Krieg“ nannte, „der die Ausrottung des polnischen Volkes zum Ziel hatte“ (191). Aber die „Denkschrift“ besteht abschließend darauf, dass „Begriff und Sache der Versöhnung“ nur „in das politische Handeln als ein[…] unentbehrlicher Faktor einzuführen“ sei „in klarer Erkenntnis gegenseitiger Schuld“ (214), obwohl es vorher heißt: „Die Vertreibung der deutschen Ostbevölkerung und das Schicksal der deutschen Ostgebiete ist ein Teil des schweren Unglücks, das das deutsche Volk schuldhaft über sich selbst und andere Völker gebracht hat.“ (213) Doch wenig später wird „[e]ine Politik aus einseitigen Schuldkomplexen oder aus einseitiger Schuldzumessung“ nicht nur als „Keim zu neuen Konflikten“ abgelehnt, sondern weil „[a]uf diese Weise […] die Schuld der anderen völlig außer acht“ bliebe: „die Völker würden in Gerechte und Ungerechte aufgeteilt“ (213). Eine Leerstelle der „Denkschrift“ wurde im „Vorwort“ explizit markiert: „Die ganz unterschiedliche Lage der öffentlichen Diskussion und der politischen Behandlung der Probleme in den beiden Teilen Deutschlands hat die Kammer genötigt, sich im wesentlichen auf die Darstellung der Lage in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) zu beschränken“ (177). Die literaturkritische Rezeption des „Atlas“ schwieg nicht nur wie die „Denkschrift“ über die DDR, sondern auch über den zweiten Text des „Atlas“, in dem Auschwitz beschrieben wurde. In der umfangreichen Sekundärliteratur zu Weiss’ „Meine Ortschaft“ wird nie erwähnt, dass Arnold Zweigs „Atlas“-Beitrag „Glogau und Kattowitz, zwei Jugendstädte“ unmittelbar auf „Meine Ortschaft“ folgt, und Zweig nicht erst durch den Frankfurter Prozess motiviert wurde, die Gedenkstätte zu besuchen, denn er erinnerte 1965 in seinem Beitrag die Remigration aus Palästina in die SBZ so: „Mein Heimweg 1948 führte mich von Prag mit der Eisenbahn über Kattowitz, jetzt als Industriestadt Polens Katowice. Ich war in Birkenau gewesen, das in meiner Jugend Klein-Dombrowska hieß und wo einst von Vaters Seite Verwandte wohnten. Ich hatte das schauerliche Frauenlager gesehen und war auch an einen Teich getreten, aus dem von verwesendem Menschenfleisch noch Blasen aufstiegen. In den Straßen von Kattowitz einherzugehen […], ließ mich immer wieder kopfschüttelnd stehenbleiben – die Zeiten verändern sich, aber wir nicht mit ihnen, widersprach ich dem Lateiner. […] Und dann beeilte ich mich, den Bahnhof zu erreichen, der mitten in der Stadt liegt, und in den D-Zug zu steigen, der mich nach Berlin führte, zum Schlesischen Bahnhof, der jetzt Ostbahnhof heißt und noch immer die gleichen Dienste leistet wie vor 50 Jahren.“ (Zweig 1968, 40) Während Arnold Zweig vom Ort Birkenau zwei Bilder – das der verkehrten Natur und das der Züge, die mit Europa verbinden – modifiziert, die in Texten über Auschwitz in der DDR seit Mayer, Hermlin und Kuba zentral gewesen sind, ‚widerspricht‘ er in der Stadt seiner Schulzeit, Kattowitz, der ‚kopfschüttelnd‘ wahrgenom-
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menen ‚Veränderlichkeit der Zeiten‘ mit der eigenen ‚Unveränderlichkeit‘, die ihm die Weiterreise zum umbenannten Berliner Bahnhof zum „Heimweg“ (40) macht. Sein „Geleitwort“ zu dem ein halbes Jahr später von Helmut Eschwege herausgegebenen Bild-Text-Band „Kennzeichen ‚J‘. Bilder, Dokumente, Berichte zur Geschichte der Verbrechen des Hitlerfaschismus an den deutschen Juden“, der sowohl historische Fotos aus Birkenau von der „Ankunft eines Transports“ (Eschwege 1966, 222) als auch der „Leichenverbrennung in Gruben“ (250) enthält, begann Zweig mit dem Bekenntnis: „Lasse ich mir heute, Juli 1966, Stücke aus den Dokumenten vorlesen, die uns Helmut Eschwege […] vorlegt, und schaue ich in die Reproduktionen der Bildbeibegaben, […] so würgt es mich im Halse, und ich bin kaum in der Lage, dieses Vorwort zu diktieren.“ (Eschwege 1966, 5)²⁹ Im Diktierten wendet Zweig dieses „beinahe [E]rbrechen“ (Wahrig 2006, 1676) in zweierlei Wünsche an die Adressaten, zum einen auf den Fotos „Gesichter“ von „Menschen, die sie kannten“ in „braunen Kitteln“‚ „wiederzufinden“, zum anderen „einen Trost“ „[a]us dem Dasein jüdischer Menschen Europas, die das Jahr 1945 noch erlebten, [zu] lernen“ (Zweig 1966).Von den LeserInnen, die „Gesichter“ auch von „Menschen“, die „das Totenhemd von Stalingrad anzogen“, wiedererkennen, erwartet Zweig, was er formuliert in der 1. Person Plural eines „[W]ir in der Deutschen Demokratischen Republik“, das „die Folgerung [zog], einen Staat aufzubauen, der die Gedanken und Niederschriften aller klassischen Humanisten in Wirklichkeit umsetzt“: „Hoffentlich werden sie uns dann helfen, die Tatsache ‚Krieg‘ als erlaubtes politisches Mittel aus unserer europäischen Geschichte hinauszuwerfen und für alle Zukünfte wegzuradieren.“ (Zweig 1966) Der von den LeserInnen zu lernen erwartete ‚Trost‘ kann auch als Wirkungsabsicht des Autors des „Geleitworts“ verstanden werden: „Der jüdische Bevölkerungsteil, den die faschistisch genannte Gewaltherrschaft ausrottete, findet in der Kulturgeschichte unseres Erdteils ein Auferstehen, das sich jeder Wiederholung ähnlicher Schandtaten gegen Minderheiten in den Weg legt.“ (Zweig 1966) Denn in seinem Vorschlag eines anderen Titels für Eschweges Bild-Text-Band führt Zweig die beiden von ihm gewünschten Wirkungsweisen des Buchs, die Verhinderung „jeder Wiederholung“ von Krieg und ‚Schandtaten gegen Minderheiten‘ zusammen, wenn es „am besten den Titel ‚Mahnmal‘ trüge und kommenden Lesern deutscher Generation den Mut einflößen wird, sich mit konzentrierter Kraft auf die linke Seite unserer schöpferischen Entwicklung zu stellen“ (Zweig 1966). Im Erscheinungsjahr des „Geleitworts“ hat Amos Elon in seiner DDR-Reisebeschreibung ein Gespräch mit Arnold Zweig, zu dem er betont, „den ich als Kind in Israel kennengelernt habe“ und der „Mitglied der Volkskammer“ ist, wiedergegeben als Beleg für seinen Vergleich der DDR mit Österreich aufgrund „einer ähnlichen Situation“: „Auch dieses Land versucht, sich aus der historischen Verantwortung her Diese Passage zitiert auch Eschwege (1991, 205) in seinen Memoiren, wenn er von den Schwierigkeiten mit seinem als eigener Folgeband geplanten Kommentar berichtet, der letztlich ohne seine Mitwirkung als „Neubearbeitung“ (Eschwege 1991, 211) unter dem Titel „Juden unterm Hakenkreuz“ (Drobisch 1973) erschien, vgl. Schlenstedt 2019, 187.
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auszuschwindeln“, und eines „Mangel[s] an Schuldgefühlen“: „Zweig sagte: ‚Hier in der DDR gibt es überhaupt kein „Bewältigungsproblem“, wie drüben. Drüben hat ja die Bewältigung mehr mit der faschistischen westdeutschen Gegenwart zu tun als mit der Vergangenheit. Wir sind mit der Vergangenheit fix und fertig. Man hat sie nicht bewältigt. Man hat sie ausgekotzt.‘“ (Elon 1966) Zweig benutzt dieselbe Metaphorik wie im „Geleitwort“, aber vom ‚beinahe Erbrechen‘ zum ‚Auskotzen‘ gesteigert. Die dem „Geleitwort“ folgende „Einleitung“ von Rudi Goguel unterscheidet zwischen der „‚unbewältigte[n] Vergangenheit“, über die „[v]erantwortungsbewußte Bürger der Bundesrepublik“ „Unbehagen“ „empfinden“, von der „Bewältigung der Vergangenheit in der Deutschen Demokratischen Republik“ als „gesellschaftlichen Umwälzung“, als deren „Teilstück“ „die juristische Abrechnung mit den Mördern“ in beiden Staaten verglichen wird (Eschwege 1966, 22). Aber schon auf der ersten Seite betont Goguel zu den Urteilen des Nürnberger IMT „das Ausmaß der Verbrechen“, wenn er als „eine[s] der schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte“ die „vorsätzliche[…] und planmäßige[…] Ausrottung der deutschen und europäischen Juden durch die Nazimachthaber“ (9) nennt: „Das mindert in keiner Weise die Schuld und Verantwortung jedes einzelnen Bürgers, der – sei es freiwillig oder unter Zwang – sich an den Greueltaten der Faschisten beteiligte, sie duldete oder sie zur Kenntnis nahm, ohne sich in die Kampffront gegen die Nazibarbaren einzureihen“ (9). Der von „Antifaschisten aller Richtungen“ (20) geleisteten Hilfe für verfolgte Juden als Widerstand dagegen schreibt Goguel zu, „daß hier die Kraft heranwuchs, die allein berufen sein würde, die grausame Vergangenheit zu bewältigen.“ (21) Auf die Widerstandskämpfer kommt Goguel am Schluss seiner „Einleitung“ zurück, wenn er nicht zu Schuld oder Scham, sondern zur „nationale[n] Schmach der Vergangenheit“ schreibt: „Wir sind überzeugt, daß die Deutsche Demokratische Republik den richtigen Weg beschritten hat, um die nationale Schmach der Vergangenheit zu tilgen. Die Widerstandskämpfer gegen den Faschismus sind heute Träger unseres Staates und ein lebender Beweis, daß das Vermächtnis der ermordeten Opfer erfüllt wurde.“ (23) Dieses ‚Vermächtnis‘, dessen ‚Erfüllung‘ als ‚gesellschaftliche Umwälzung‘ nicht das individuelle Bekenntnis von Schuld oder Scham verlange, um ‚Schmach zu tilgen‘, hat Goguel zuvor auf den Begriff der Lehren der Geschichte gebracht, wenn er die Wirkungsabsicht der Dokumentation Eschweges umreißt: „Es war unser Anliegen, darzustellen, daß die nazistischen Massenverbrechen gegen die Juden […] integrierender Bestandteil des imperialistischen Herrschaftssystem in Deutschland waren. Wir schlußfolgern, daß, solange das System besteht, auch die Voraussetzung für weitere und neue Massenverbrechen gegeben sind. Es mag sein, daß das künftig nicht mehr Verbrechen gegen die Juden sind, denn diese wurden in Europa weitgehend ausgerottet. Aber wenn die Geschichte unser Lehrmeister sein soll, sollen wir nicht nur um die Toten trauern und unser Haupt vor der Barbarei von gestern verhüllen, sondern nach Mitteln und Wegen sinnen, wie neues Unheil von der Menschheit abgewendet
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werden kann.“ (22) Im biblischen Bild der Hauptverhüllung³⁰ wird die eigene Schande, die es zu tilgen gelte, nach der Trauer um die Opfer genannt.³¹ „[G]egen die furchtbare neue Bedrohung der Menschheit, den Atomkrieg“ „zu kämpfen“, appellierte ein „Internationales Schriftstellertreffen“, das im Mai 1965, als Peter Weiss’ „Meine Ortschaft“ im „Monat“ erschien, in der DDR stattfand, in Weimar und Berlin, mit einem „Ruf aus Weimar“ von „Schriftsteller[n] aus 52 Ländern […] an alle, die heute schreiben“ (Internationales Schriftstellertreffen 1965, 7), der das „Vermächtnis“ der antifaschistischen Kongresse zur Verteidigung der Kultur von 1935 und 1937„unsere Aufgabe“ nannte: „zu kämpfen gegen offenen und getarnten Faschismus, gegen die Aggressionen des Imperialismus“ (7); gegen letztere richtete sich eine an den UN-Sicherheitsrat gerichtete Resolution der TeilnehmerInnen mit den Forderungen: „Sofortige Beendigung der nordamerikanischen Intervention in Santo Domingo“ und „Einstellung der Bombenangriffe, Evakuierung der nordamerikanischen Truppen aus dem gesamten vietnamesischen Gebiet“ (167). In den im Konferenzband abgedruckten 38 Ansprachen der zu einem geringeren Teil wie Mulk Raj Anand, Miguel Angel Asturias, Tibor Déry, Jakov Lind, Ladislav Mnacko oder William Saroyan auch in der Bundesrepublik bekannten Autoren wird ebenso häufig auf Hiroshima – und dessen bevorstehenden „zwanzigsten Jahrestag“ (97, vgl. 93, 124) – wie auf Auschwitz Bezug genommen. Nachdem Tadeusz Holuj, der als Häftlingsschreiber im Krankenbau des Stammlagers Auschwitz überlebt und in Frankfurt als Zeuge ausgesagt hatte (Wojak 2004, 34), hervorgehoben hatte: „gerade das polnische Volk hat im vergangenen Krieg die
Kor.11, 6: „Denn wenn eine Frau sich nicht verhüllt, soll sie sich doch gleich scheren lassen. Ist es aber für eine Frau eine Schande, sich die Haare abschneiden oder sich kahl scheren zu lassen, dann soll sie sich auch verhüllen.“ Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes. Zu Goguel vgl. Kleßmann 2002a und 2002b. In dem vom Deutschen Institut für Zeitgeschichte, an dem Goguel tätig war, herausgegebenen und von ihm redigierten Dokumentenband „Polen, Deutschland und die Oder-Neiße-Grenze“ hieß es 1959 in einem Kommentar von Gerhard Viebig: „Vor den Historikern der DDR steht die wichtige Aufgabe, […] das durch die deutsche Historiographie in den letzten hundert Jahren systematisch verfälschte Bild der Geschichte Polens und der deutsch-polnischen Beziehungen zu korrigieren und das deutsche Volk von seiner überheblichen Wahnvorstellung einer angeblichen ‚Mission‘ im Osten zu befreien (Dok.28). Diese Aufgabe ist schwer, denn es müssen dabei bittere Wahrheiten gesagt werden.Von der Schaffung eines neuen Geschichtsbildes, das von den Erkenntnissen des historischen und dialektischen Materialismus geformt ist, hängt es aber wesentlich ab, ob das deutsche Volk in seiner Gesamtheit das verderbliche Erbe seiner Vergangenheit überwindet.“ (Goguel 1959, 545) In dem abgedruckten „Kommuniqué über die Unterzeichnung des Planes für kulturelle Zusammenarbeit für das Jahr 1959“ vereinbarten der Staatsekretär des DDR-Außenministeriums und der polnische Botschafter in der DDR „die Würdigung bedeutender historischer und kultureller Gedenktage beider Länder, den Austausch mehrerer Theaterensembles und Ausstellungen und einen umfangreichen Personenaustausch auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet sowie gegenseitige kulturelle Veranstaltungen aus Anlass des 10. Jahrestages der DDR, des 15. Jahrestages der Volksrepublik Polen und während der Ostseewoche, der ‚Berliner Festtage‘ und des ‚Warschauer Herbst‘.“ (628)
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größten Menschenopfer beklagen müssen“ (Internationales Schriftstellertreffen 1965, 35), betonte der US-amerikanische Autor polnisch-jüdischer Herkunft Yuri Suhl, „daß die Maschinerie für die Verbrennung der Menschen, die Gaskammern und Krematorien in erster Linie für die Vertilgung der Juden ausgedacht war“ (39), und zitierte Susan Sontag: „‚Das tragischste Ereignis der modernen Zeit ist die Ermordung von 6 Millionen Juden. Dieses Ereignis ist eine Wunde, die niemals heilen kann.‘ Und sie fragt: ‚Wie konnte das überhaupt geschehen? Wie konnte man es zulassen, daß so etwas je geschah?‘“ (39) Suhl verwies hierzu auf „eine Menge Literatur“: „Jetzt aber, auf dieser Versammlung, ist es […] [w]ichtiger […], den Entschluß zu fassen und uns mit unserer ganzen Kraft dafür einzusetzen, daß es niemals wiederkehrt“ (39). Suhl behandelt in seiner Ansprache „[d]ie bekanntesten Orte dieser entsetzlichen Periode“ „Auschwitz und das Warschauer Ghetto“ (40), um an ihnen Fragen des Schreibens in der Vergangenheit und des Kämpfens in der Gegenwart zu erörtern: „Der erste [Ort] wurde zu einem Symbol der Rassenaustilgung und des Nazischreckens. Der zweite zu einem Symbol der Unbezähmbarkeit des menschlichen Geistes.“ (40) Zunächst „erzähl[t]“ Suhl, der zwei Jahre später „They Fought Back: The Story of Jewish Resistance in Nazi Europe“ herausbringen wird, „von einer Seite […] des jüdischen Widerstands […], über den die Welt wenig weiß – nämlich über den Widerstand mit der Feder“ (40). An einem Gedicht des „berühmte[n] jüdische[n] Volksdichters Ka[z]nelson“ belegt Suhl, wie „die Juden des Ghettos […] den Geist menschlicher Würde am Leben erhalten“ „haben“, „den die Nazis als Vorstufe zur körperlichen Vernichtung auszutilgen suchten“ (41): „Jahrhundertelang wurden Tag und Nacht als poetische Symbole verwendet; die Nacht gewöhnlich als Mysterium, als geheimnisvoll, voller Leid und Tod, und der Tag mit seiner Morgenröte als Bote der Hoffnung und des Lebens. Aber Hitler hatte die Welt auf den Kopf gestellt.³² Und für die Ghetto-Juden brachte die Nacht einen Strahl von Hoffnung und der Tag den Schrecken des Todes“ (41).Was Suhl vom Kämpfen in der Gegenwart seines Landes erzählt, leitet er ein: „Wenn wir irgend etwas von Auschwitz gelernt haben, dann dies: […] Rassismus, Antisemitismus sind Angriffe auf die menschliche Würde. Sie müssen mit den Wurzeln ausgerottet werden.“ (41/42) Er nennt es „kein[en] Zufall, daß von den drei jungen Bürgerrechtskämpfern, die von Rassisten in Mississippi ermordet wurden, zwei Juden waren. Denn das jüdische Volk, das seit Generationen immer wieder Opfer des Antisemitismus geworden ist, reagiert bei solchen Anlässen besonders scharf auf das Unrecht des Rassismus. Das muß mit aller Betonung und allem Nachdruck, die zu Gebote stehen, gesagt werden.“ (42) Den Namen eines anderen Vernichtungslagers als Auschwitz-Birkenau bringt James Aldridge zur Sprache, wenn er über die von den TeilnehmerInnen des Schriftstellertreffens gemeinsam unternommene „Pilgerfahrt nach Buchenwald“ (119, vgl. 120) sagt: „aber im Krieg sah ich Majdanek […]. Buchenwald ist ein Ferienlager im Vergleich zu Majdanek.“ (130). Aldrige setzt hart gegeneinander den „Eindruck“, den
Vgl. Arendt 1989, 136, bereits zitiert.
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er „zwei oder drei Tage nach der Befreiung durch die Rote Armee“ in Majdanek im ‚Gefühl‘ gewann, „daß letztlich ein ganzes Volk korrumpiert worden war“ (130): „wann werde ich jemals wieder sagen können: ich habe Deutsche gern. Ich achte Deutsche“ (130), und in Weimar „zum erstenmal in meinem Leben“ das ‚Gefühl‘, dass „diese DDR und dieses Treffen“ ihm „diesen Eindruck überwinden […] helfen“ (130). Max Walter Schulz, der Direktor des Instituts für Literatur Johannes R. Becher, der sich als einen der „jungen Deutschen“ vorstellt, die „ja zum allergrößten Teil erzogen worden [sind] vom Faschismus und […] mitgelaufen mit dem Faschismus“ (143), aber „zwanzig Jahre“ durch die „Schule unserer sozialistischen Gesellschaft“ „gegangen“ (145), dankt in seiner Ansprache Aldrige, „daß er […] uns und unserem Land […] das Vertrauen ausgesprochen hat“, indem er „versicher[t]“: „Wir haben diese Vergangenheit bewältigt.“ (143) Bruno Frei³³ dagegen berichtet aus den Straßen Wiens von „Horden Zwanzigjähriger“, die während des „Festrummel[s] zum zwanzigsten Jahrestag der Befreiung“ Österreichs „den unseren Ohren nicht unbekannten Chor anstimmten: ‚Juden raus!‘, erweitert durch die modernere Version: ‚Hoch Auschwitz!‘“ (52). Dagegen aber setzt er „zum Abschluß […] ein Bild, ein tröstliches“ (57), von „[z]wanzigtausend Deutsche[n], zum überwiegenden Teil Jugend“, am „zwanzigsten Jahrestag der Befreiung“ des KZ Sachsenhausen auf dessen Appellplatz: „Es wurde mir zur Gewißheit, daß hier auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik die Zwanzigjährigen die Lektion der Geschichte gelernt haben.“ (58) In seinem spontanen Redebeitrag erklärte Peter Weiss, dass er „es sehr bedauere, daß niemand oder kaum jemand von meinen westdeutschen Kollegen den Weg hierher gefunden hat; denn heute muß jede Gelegenheit genutzt werden, um zu einem Verständnis untereinander zu kommen“ (64).³⁴ Weiss’ Unterscheidung von ‚niemand‘ und ‚kaum jemand‘ lässt sich auf den Unterschied zwischen in der Planung von Politbüro des ZK der SED und DSV ursprünglich gewünschten und den tatsächlich auf dem Treffen anwesenden westdeutschen Autoren beziehen:³⁵ nicht Heinrich Böll,
Frei ist der einzige Redner, der sich nicht nur auf die Internationalen Kongresse zur Verteidigung der Kultur der 1930er Jahre bezieht, sondern auch auf den Weltkongress der Intellektuellen für den Frieden 1948 in Wroclaw, vgl. sein Zitat aus dessen „Manifest“ als aktuelle „Warnungen“ (Internationales Schriftstellertreffen 1965, 54). Vgl. dagegen Horst Krügers vernichtende Kritik an Peter Weiss in einem Gespräch „Über den ‚Fall‘ Peter Weiss“, das Radio Bremen am 24. November 1965 in seiner Reihe „Forum polemicum“ ausstrahlte: Die „Weiss’schen Thesen […] offenbaren eine Zwei-Lager-Theorie, eine Block-Mystik, die zumindest sehr veraltet ist. Mit der Wirklichkeit unserer heutigen Welt hat sie kaum etwas zu tun. Alles […] läuft darauf hinaus, daß sich die sogenannten Blöcke auflockern, ausdifferenzieren, entideologisieren.“ (Weiß 2000, II, 836) Von „Meine Ortschaft“ war keine Rede, und der Moderator Helmut Lamprecht machte sich Krügers Kritik zu eigen, als er Weiss’ „Block-Mystik“ eine nannte, „die, weil sie nicht Notiz nimmt von gewissen sich anbahnenden Möglichkeiten, seinen politischen Gegnern eher willkommen als lästig ist“ (837). Vgl. Akademie der Künste, Berlin, Bestand DSV, 266, Bd.1: Protokolle von Sekretariatssitzungen, Bl.52, Arbeitsbesprechung am 25.6.1965.
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Hans Magnus Enzensberger und Heinz von Cramer kamen nach Weimar, sondern Bruno Gluchowski von der Gruppe 61, Friedrich Hitzer und Yaak Karsunke, die 1965 zu den Gründern der Zeitschrift „Kürbiskern“ gehörten, der es in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit um „die Ausweitung zu einer antikapitalistischen Fragestellung“ und „das Verhältnis zu den sozialistischen Ländern“ (Reinhold 1977, I, 12/13) ging,³⁶ und aus der Gruppe 47 nur Reinhard Baumgart (Internationales Schriftstellertreffen 1965, 192).³⁷ In einem „Bericht des Sekretariats an den Vorstand“ des DSV wurde das Weimarer Treffen als Erfolg eingeschätzt, als „Forum der geistigen Anerkennung der DDR, ihrer Leistungen bei der Überwindung des Faschismus, der Umerziehung des deutschen Volkes und der Fortsetzung bester humanistischer Traditionen“,³⁸ aber in der Frage, „warum die westdeutschen Schriftsteller, vor allem die der Gruppe 47 nicht gekommen sind“,³⁹ seien „noch Nachwirkungen der […] Bestrebungen unserer Gegner, uns kulturpolitisch zu isolieren“, festzustellen: „Hierbei muß auch gesagt werden, daß wir diesen Bestrebungen nicht immer wirksam – in der Diskussion um den Realismus ohne Ufer und in der Einschätzung Kafkas – entgegengewirkt haben“.⁴⁰ Auf einer „Arbeitsbesprechung“ am 25. Juni 1965 wurde nicht nur der „Mangel an repräsentativen Vertretern aus Westdeutschland“ kritisiert, sondern vor allem das „Verhalten einiger jüngerer Schriftsteller“ der DDR,⁴¹ nämlich die „Nichtanwesenheit sehr vieler Autoren“: „Strittmatter, Noll, Sakowski,Wohlgemuth, Nachbar, Jakobs, Neutsch – nur stundenweise anwesend – usw. Diese Schriftsteller isolieren sich selbst.“⁴² Zu Peter Weiss’ im Monat des Internationalen Schriftstellertreffens im Organ des Kongresses für kulturelle Freiheit erschienenem Text „Meine Ortschaft“ gibt es eine Tagebuchversion der ‚Ortsbesichtigung‘, die 1982 in den „Notizbüchern“ bearbeitet publiziert wurde (Weiss 1982, I, 321– 329). „Meine Ortschaft“ unterscheidet sich von ihr durch die Tilgung aller Hinweise darauf, dass Weiss als Teilnehmer der Delegation
Für den französischen Teilnehmer André Wurmser war das Internationale Schriftstellertreffen in Weimar „weder ein Ausgangspunkt noch ein Schlußpunkt, sondern eine Etappe auf dem Weg des Friedens, […] des friedlichen Wettstreits zwischen den Nationen wie zwischen den Literaturen und den Schriftstellern, den ästhetischen Theorien wie den politischen Regimen“ (Krenzlin 1965). Zu Baumgart vgl. Wolfgang Hilbig, der im Gespräch mit Harro Zimmermann erklärte: „Ich habe in der DDR niemals DDR-Literatur gelesen.“ (Hilbig/Zimmermann 1994, 12) Aber alles Westdeutsche, das in der DDR gedruckt wurde, habe er gelesen: „die antifaschistische Traditionslinie der westdeutschen Literatur“ (12). Für diese nennt Hilbig Baumgart (wegen seines 1964 im Aufbau-Verlag erschienenen Romans „Hausmusik“) nach Peter Weiss, aber vor Alfred Andersch, Hans Werner Richter, Paul Schallück und dem zur Gruppe 61 gehörenden Max von der Grün. In seinen Memoiren berichtet Baumgart weder über seine Teilnahme am Internationalen Schriftstellertreffen in Weimar noch seinen Kontakt zum Aufbau-Verlag, sondern nur von seinen „für die deutsche Einheit wenig effektiven Privatbesuchen drüben in dieser nahen Ferne, bei denen ich mich zu immer größerer Gelassenheit beim Grenzübergang trainierte“ (Baumgart 2003, 237). AdK, Bestand DSV, 152, Bl.18, Bericht des Sekretariats an den Vorstand, S. 3. Ebd., 266, Bd.1, Bl.59, Entwurf Sekretariatssitzung am 28.5.1965, S. 3. Ebd., 152, Bl.18, Bericht des Sekretariats an den Vorstand, S. 11. Ebd., 266, Bd.1, Bl.52, Protokoll der Arbeitsbesprechung am 25.6.1965. Ebd., 266, Bd.1, Bl.59, Entwurf Sekretariatssitzung am 28.5.1965, S. 3.
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des Frankfurter Gerichts nach Auschwitz reiste. Unter den Daten vom 11. bis 15. Dezember 1964 gibt es in dem „Notizbuch 8“ ein „wir“: „die Gruppe vom Frankfurter Auschwitz-Prozeß“ (321), namentlich wird der „FAZ“-Gerichtsreporter Bernd Naumann erwähnt (321), mit dem sich Weiss, wie Marcel Atze aufgrund von Briefen „vermute[t]“, „offenbar angefreundet“ (Atze 2004a, 770) hatte. Entsprechend der Aufgabe der Delegation, ‚Sicht- und Hörbarkeitsverhältnisse‘ zu prüfen, um die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen zu bestimmen, notierte Weiss im Tagebuch, wie „[e]iner der Staatsanwälte“ „den Gerichtsdiener“ mit einer Sprechprobe „beauftragt“: „Von draußen will er hören, ob Rufe durch die Luke zu hören sind: Es geht um eine Beweisaufnahme“ (326). Die einzige Spur dieser Messungen in „Meine Ortschaft“ ist der Kontrast zwischen der mitgebrachten Vorstellung von Weite und der Wahrnehmung von Enge: „Alles eng, zusammengedrängt“ (Weiss 1968, 35), „alles viel kleiner […] als […] vorgestellt“ (37), der im Tagebuch nicht zu finden ist, sondern nur die Notiz: „Diese kleinen, engen Räumlichkeiten.“ (Weiss 1982, I, 324) Mit der Tilgung der ‚Augenscheinnehmung‘, über die es im Kommentartext eines Beitrags der DDR-Kinowochenschau „Der Augenzeuge“ „Juristen vom Auschwitzprozeß sahen das Vernichtungslager“ vom 8. Januar 1965 heißt: „Die Messungen und Ortsvergleiche sanken zu unbedeutenden Nichtigkeiten herab angesichts der ungeheuren Todesfabrik, die sich den Augen darbot“ (Schieber 2016, 199), entfallen auch im Tagebuch aufgezeichnete Zitate aus Protokollen sowie von Aussagen des einzigen Angeklagten, der nicht wie die anderen „Angst vor der Auslieferung an die polnische Justiz“ (Steinbacher 2001, 72) geltend gemacht hatte, Dr. Franz Bernhard Lucas: „‚Jeder an meiner Stelle hätte das gleiche getan.‘“ (Weiss 1982, I, 327) Das Tagebuch enthält im Unterschied zu „Meine Ortschaft“ ausdrücklich formulierte Gedanken und Gefühle: „Das schreckliche Gefühl: wofür sind sie gestorben, wurde nach ihnen eine menschenwürdige Welt eingerichtet?“ (328) Die verneinende Antwort gibt Weiss nicht nur implizit in einer neuen Frage: „wie ist es möglich, daß die Angeklagten so lange in Freiheit leben konnten“ (327), sondern auch explizit: „Der Wahn schreitet fort“ (328), oder als eine wertende Verallgemeinerung der „Inschriften“ über „Meilensteine“ des „einen Weg[s] zur Freiheit“: „die deutschen Wahlsprüche“ (327). Nur einmal notiert der Tagebuchschreiber „Starre“ (323), ansonsten findet sich der Kontrast von Wahrnehmung und Vorstellung unentfaltet in den lapidaren Aufzeichnungen zu „diesen Gleisen“ (321) oder zur Natur: Birken (326), Gras und Sonne (327). Die Einleitung des durch drei Leerzeilen gegliederten und unter eine als „Situationsplan“ (Weiss 1965, 31) erläuterte Karte des Stammlagers Auschwitz gesetzten Textes entwirft die Bedeutsamkeit des Ortes für den Autor-Erzähler-Protagonisten so, dass er Auschwitz „Meine Ortschaft“ nennen kann, ohne dass der Ortsname genannt wird,⁴³ ebensowenig „[d]as Wort Jude“, wie Weiss im Gespräch mit Hans Mayer für „Die Ermittlung“ betonte: „Das Wort Jude kommt im Stück nicht vor…“, und Mayer
Erst auf der dritten Seite des Textes, Weiss 1965a, 33.
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ergänzte: „… das Wort Auschwitz auch nicht…“ (Weiss 1995, 26).⁴⁴ Der Rückblick auf die Auseinandersetzung des Autors mit dem Auftrag des ungenannten Verlags, einen Beitrag zu „diesem Atlas“ zu liefern, wird in der Erzählergegenwart als eine Reflexion präsentiert, die zwei Vorausdeutungen auf den Besuch von Auschwitz enthält: zunächst dass er „nur einen Tag lang“ in der „Ortschaft“ gewesen sei, aber die Bedeutung „bleibt bestehen“ (Weiss 1965a, 32), dann: „Ich habe selbst nichts in dieser Ortschaft erfahren“, aber die Bedeutung „ist unveränderlich“, nicht zu „verwechseln“ (32). Auch die Bedeutsamkeit folgt aus einem Gegensatz: er war für diesen Ort „bestimmt“, auf den „Listen“, aber er „entkam“ (32), oder wie es später heißt: „aus keinem Zug geladen, getrieben“ (34), „Räumlichkeiten, denen ich selbst entgangen“ (38). Auschwitz wird zum möglichen „festen Punkt in der Topographie meines Lebens“, indem es von den „ständig veränderlichen“, „jedesmal neu erfundenen“ „Durchgangsstellen“ (32) dieses Lebens unterschieden wird. In der Erzählergegenwart wird für das „Grundmuster meines Umherwanderns“ (32) das Bild der „Bahnstrecke“ (31) benutzt, wobei der schon im zweiten Satz genannte „Geburtsort“ Nowawes, „der den Informationen nach gleich neben Potsdam an der Bahnstrecke nach Berlin liegen soll“ (31), noch einmal als „Geburtsstadt“ mit „polnische[m] Namen“ genannt wird, „die man mir vielleicht einmal aus dem Fenster eines fahrenden Zuges gezeigt hatte“ (33). Der eigentliche Bericht über den Besuch von Auschwitz beginnt als Beschreibung: mit dem Bild der Züge, die „scheppern“ und „rollen (33). Es enthält mit „Stacheldraht“, ‚Vergitterung‘ und „zum Ende der Welt“ „führen[den]“ Gleisen auf die Vergangenheit beziehbare Momente und wird später wieder aufgenommen beim Übergang vom Stammlager nach Birkenau: „Ständig gegenwärtig ist das Klirren und Rollen der Güterzüge“ (39). Das Präsens bleibt im Folgenden das Tempus für die Erzählung des Gangs des Reisenden durch zunächst das Stammlager, dann durch Birkenau. Obwohl der Verleger Siegfried Unseld im April 1965 nach Lektüre des Manuskripts „Die Ermittlung“ zu dem dort Geschehenen dem Autor versichert hatte, „diesen Vorgang in seiner ganzen Ungeheuerlichkeit […] so zu zeigen [sic] als führtest Du eine Führung durch eine Leichenfabrik vor“ (Arnold 2003, 363), und sein Lektor Karlheinz Braun im Mai in einem Rundbrief, der die Theater zur Beteiligung an der „Ringuraufführung“ einlud,
Vgl.Wefelmeyer 2007, 110, der gegen US-amerikanische Kritiker, die seit 1975 „das fehlende Wort“ als „eine Leugnung der jüdischen Identität“ und damit „eine[…] Leugnung des wahren Charakters von Auschwitz“ deuteten, über Berghahn 2000, der allerdings „detected in the language of Weiss’s American critics“ „codes“ „of the cold war and anti-communist propaganda“ (112), und Cohen (1997, 725– 727; 1998) hinaus Weiss’ „Gesichtspunkt“ verteidigt, „daß eine Kontinuität der Bedingungen besteht, die Auschwitz ermöglicht haben“, denn „[d]ie Ermittlung“ zeige „Verhaltensweisen“, „die einst Auschwitz möglich gemacht haben“: „Als ein industrielles Arbeitssystem ist Auschwitz aber auch Teil des Kapitalismus und Weiss läßt keinen Zweifel daran, daß bei auch in der Bundesrepublik fortbestehenden kapitalischen Besitzverhältnissen, teilweise mit derselben personellen Besetzung wie damals, die Gefahr eines neuen, anderen Auschwitz nicht gebannt ist.“ (Wefelmeyer 2007, 113)
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„Die Ermittlung“ ein Stück genannt hatte, das „‚in der Form eines Prozesses durch das Lager Auschwitz‘ führt“ (Wenzel 2018, 126),⁴⁵ entspricht der Gang des Reisenden Bernd Naumanns Aufforderung des Adressaten seiner Reportage von der ‚Ortsbesichtigung‘: „Wer hier ahnen will, was der Mensch dem Menschen antat, der gehe allein. Dann mag er […] hören, […] dann mag er verstehen“ (Naumann 1968, 211, vgl. Atze 2004a, 769) Erstmals findet ein Wechsel ins Präteritum statt, als das „heute“ „zu einem Museum ernannt[e]“ (Weiss 1965a, 32) Lager angesichts von Schulkindern und Soldaten von einem touristischen Objekt abgegrenzt wird, aber „[a]n Hand der Lagerkarte“ (33) „stelle ich fest“: „vorn, das war die Baracke der Politischen Abteilung, da befand sich das sogenannte Standesamt“ (34). Im Präteritum präsentiert der Erzähler berichtend die Vorstellungen des Reisenden: sein mitgebrachtes Wissen, das sich zunächst nur auf die Täter bezieht: „Da saßen die Schreiberinnen, da gingen die Leute mit dem Emblem des Totenkopfs aus und ein“ (34). Ein anschließender Absatz im Perfekt hebt durch Negationen hervor, dass der Reisende freiwillig: „aus freiem Willen“, „zwanzig Jahre zu spät“ (34/II), gekommen und kein Opfer sei. Hierfür benutzt der Erzähler auch Ironie, wenn es nach der ersten Beschreibung des Krematoriums und dem NichtDenken, Nicht-Empfinden des Reisenden über das Verlassen des als „Grab“ bezeichneten Ortes heißt: „Ins Freie. Dort steht ein Galgen“, und ‚ins Freie‘ wiederholt wird zur „Treppe, die ins Freie führt“ (35).⁴⁶ Für diesen Gegensatz zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart benutzt der Text einen regelmäßigen Tempuswechsel: im Präsens die Wahrnehmungen (hören, sehen, Kälte fühlen), im Präteritum die Vorstellungen von der Vergangenheit: „Stelle fest: durch die Öffnungen in der Decke wurde das körnige Präparat geworfen“ (34/35). In der Gegenwart reduziert sich so das Wissen auf das Sichtbare; vom Reisenden, der diesen „Räumlichkeiten […] entgangen“ ist, heißt es: „Ich blicke in diese Räumlichkeitem“, ohne die Geräusche der Vergangenheit zu hören: „höre […] kein Stöhnen und Wimmern“ (38). Die Wahrnehmung der Gegenwart als wirklich stellt die Vorstellung
Vgl. dazu Wenzel 2018, 132: „Das Fortschreiten der dramatischen Handlung gleicht einem Ab- und Beschreiten des Konzentrations- und Vernichtungslagers. Diese topografische Struktur verbindet das Theaterstück mit dem Prosatext ‚Meine Ortschaft‘“. Lawrence L. Langer bezieht sich auf „the days that I was present in the courtroom“ (Langer 1995, 91), wenn er den Ausgangspunkt seiner Untersuchung von Texten Jean Amérys, Tadeusz Borowskis, Charlotte Delbos, Viktor E. Frankls, Rolf Hochhuths und Elie Wiesels über Auschwitz markiert: „Little in this bizarre courtroom drama leads to a unified vision of the place we call Auschwitz.“ (89) Allen Genannten setzt er Peter Weiss’ „Die Ermittlung“ entgegen, mit der Begründung: „Weiss lowers the barriers of the unimaginable […] by […] leading us from the ramp to the barrack, through the various execution sites like the Black Wall (outside) and the cells of Block 11 (inside), to the gas chambers and to the body’s final confined destination, the crematorium“ (98). Vgl. die Interpretation der Passage (und des ganzen Textes) als ‚Beschwörung“ von Magdalena Daroch (2012, 214), die auf der falschen Annahme beruht, das Gebäude des Krematorium I ‚existiere nicht mehr‘: „Durch die Wiederholungen werden die Ruinen quasi rekonstruiert. Das Benennen hat etwas Beschwörendes an sich. Es macht nichts, dass das Gebäude eigentlich nicht mehr existiert – es existiert […] im Text.“
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von der Vergangenheit in der Lektüre in Frage, aber nicht als eine Korrektur von falschen – abgesehen von der vorgestellten Weite – Vorstellungen, sondern als nicht ‚ihm selbst widerfahren‘ (43): „Viel darüber gelesen und viel darüber gehört. […] Was sagt dies alles, was weiß ich davon? Jetzt weiß ich nur, wie diese Wege aussehen“ (36), oder „Ich wußte einmal von diesen Appellen […]. Jetzt weiß ich nur von diesem leeren lehmigen Platz“ (36), oder: „Ich hatte es vor mir gesehen, als ich davon hörte und davon las. Jetzt sehe ich es nicht mehr.“ (37) Mit dem letzten Satz belegt Magdalena Daroch ihre Interpretation: „Angesichts des festen, realen Ortes scheinen auf einmal die imaginären Bilder wie ausgelöscht zu sein“, und so werde „das Gefühl von Leere transportiert“ (Daroch 2012, 215), die auf der den Wechsel zwischen Präsens und Präteritum ignorierenden Voraussetzung beruht, der Text sei, weil das „sprechende Ich […] sich […] als Medium der subjektiven, sprachlichen Vermittlung völlig zurücknehmen“ wolle, „dadurch transparent, ohne durch seine Gefühle und Empfindungen gefiltert zu sein“ (214). Nachdem die Vorstellungen anfangs ausschließlich die Täter betroffen haben, was der Kommandant bei der Hinrichtung sah (Weiss 1965, 35) oder was die Sanitäter sahen beim Mord (35), werden später anlässlich (Oswald Kaduks) „Ochsenziemer“ und „Eisenrohr“ (der sog. Schaukel Wilhelm Bogers) erstmals „sie“, die Häftlinge (35) als vorgestellt erinnert. Aber ob Ellipsen die Wahrnehmungen zusammenfassen oder diese anaphorisch gereiht werden, ob „Hier“ (37) oder (seltener) „Diese“ verbunden wird mit „jetzt“ (37) – stets geht es um den Gegensatz von „Eindruck“ und „[V]orgestellt[em]“ (37), an der Schwarzen Wand, im Block 11 und dessen Bunkerzellen: „Vorherrschend der Eindruck, daß alles viel kleiner ist, als ich es mir vorgestellt hatte.“ (37) Ein durch zwei Leerzeilen als eigener Textabschnitt hevorgehobener Rückblick auf den bisherigen Gang durch das Stammlager: „Seit Stunden […]. Ich weiß mich zu orientieren“ (39), fasst im Perfekt zusammen: „Ich habe den Berg abgeschnittenen Haares im Schaukasten gesehen. Ich habe die Reliquien der Kinderkleider gesehen, die Schuhe, Zahnbürsten und Gebisse. Es war alles kalt und tot.“ (39) Aber erstmals werden nun – beim Übergang vom Stammlager nach Birkenau – Opfer stärker individualisiert: die 119 Kinder aus Zamosc, die „Ball spielten, bis sie an der Reihe waren“ (39). Der Erzähler, der beim Betreten des Stammlagers von der Inschrift des Lagertores aussparend ein Wort wiedergegeben hat: „MACHT“ (36), zitiert nun den MeilensteinSpruch vollständig, um ihn der Kinderzeichnung unterzuordnen: „Ich habe die Zeichnung gesehen vom Dach des alten Küchengebäudes, auf das mit großen Buchstaben gemalt war [in Kapiteln, H.P.]: ‚Es gibt einen Weg zur Freiheit – seine Meilensteine heissen Gehorsam Fleiss Sauberkeit Ehrlichkeit Wahrhaftigkeit Nüchternheit und Liebe zum Vaterland.‘“ (39) Der Gang nach Birkenau entspricht insofern dem Beginn im Stammlager, als das Bild der Gleise wiederaufgenommen wird, aber erstmals wird zugleich als „[s]tändig gegenwärtig“ das Zug-Geräusch „Pfeifen“ (40) genannt, in einem Absatz, der das ‚hier‘
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der Vergangenheit (die „Herren“ ‚gründeten‘ „Verbannungsort“)⁴⁷ und das ‚jetzt‘ des In-Erde-Einsinkens dieses Ortes zusammenbringt (40). Ein vorangestelltes Resümee kontrastiert die Lager: „So wie im andern Lager alles eng und nahe war, so ist hier alles endlos ausgebreitet, unüberblickbar.“ (40) Im Folgenden wird wiederholt die Sichtbarkeit des Prinzips der Ordnung noch im Verfall an Naturbildern festgemacht, an dem zwei Mal erwähnten überwachsenden Gras und der sich zu Sand und Erde zurückverwandelnden noch erkennbaren Architektur: „Noch im Zerfall ist das Prinzip der Ordnung und Symmetrie zu erkennen.“ (40) Dagegen setzt die Vorstellung von der Rampe erstmals Männer und Frauen, Alte, Kranke und wiederum Kinder: „Gras wächst zwischen den Schwellen. Gras wächst im Schotter der Rampe, die sich kaum über die Schienen erhebt. Es war hoch zu den aufgerissenen Türen der Güterwagen. Anderthalb Meter mußten sie herabspringen auf das scharfkantige Geröll“ (40; vgl. Klüger 1992, 112).⁴⁸ Mit dem einsetzenden Sonnenuntergang – „Pappeln“, „Birkenwäldchen“, „weit weg“ „schnatternde Gänse“ (Weiss 1965a, 40/41) – koinzidiert an diesem Ort erstmals ein nicht nur im Präsens gebotener, sondern auf ein Individuum eingegrenzter Bezug auf Vorwissen: „Ich sehe das Bild vor mir von […] einer Frau […] den Säugling an der Brust und im Hintergrund zieht eine Gruppe zu den unterirdischen Kammern“ (41). Doch dem Bild der Einzelnen und der Sonne werden das der „Millionen Füße“ (41), das schon Naumanns Reportage den Titel gab: „Keine Spur mehr von Millionen Füßen“ (Naumann 1964), und das plötzlicher Dunkelheit entgegengesetzt: „Und diese
Vgl. das Foto „Himmler und Oberingenieur Faust von IG Farben“ in Frankfurter Bund 1966, 53; Schoenberner 1960, 157. „Nach vorne gerissen, von hinten gestoßen, fiel ich aus dem Waggon, denn man mußte springen, zum Aussteigen sind solche Wagen zu hoch – merkwürdig, Peter Weiss hat das gemerkt, guter Beobachter, der er war.“ Klügers in ihrem autobiographischen „weiter leben“ (1992, 112) formuliertes Lob (das Irene Heidelberger-Leonard (1995, 79) zu einem „vollsten Einverständnis“ Klügers mit Weiss verallgemeinert, „als gäbe es für sie keinen zuverlässigeren Zeugen in Sachen Auschwitz“) ist bemerkenswert, weil sie den Verfasser als Touristen, der einen austauschbaren Ort aufgesucht habe, für doppelt unzuständig erklärt hat, aber sie überliest die Deixis des Textes, fokalisiert ist das Springen von unten: herab. Klügers erstes Argument ist: „Er sah das, was er mitgebracht hatte, in der neuen Konstellation des Ortes, die da heißt Gedenkstätte und Besucher, und was könnte weiter entfernt sein von der Konstellation Gefängnis und Häftling?“ (75) Ihr zweites bezieht sich auf den Ort; mit dem Neologismus „Zeitschaft“ für das, „was ein Ort in der Zeit ist, zu einer gewissen Zeit, weder vorher noch nachher“ (78), nimmt sie in „weiter leben“ eine Polemik gegen Gedenkstätten wieder auf, die sie noch unter ihrem Germanistinnennamen Angress 1986 anläßlich von Lanzmanns „Shoah“ geführt hatte: Sie besteht auf der ‚Irrelevanz des Ortes‘: „No landscape […] can recall what happened, for the stones don’t cry out“ (Angress 1986, 250). Deshalb „verkennt“ für Klüger der Besuch einer Gedenkstätte, auch der von Auschwitz, „die Beliebigkeit der Orte, die als Schauplätze nur die Kulisse eines Verbrechens darstellen“ (Breysach 1999, 175): „What was done there could be repeated elsewhere, […] somewhere on earth, the place irrelevant, so why single out the sites that now look like so many others?“ (Angress 1986, 250)
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Worte, diese Kenntnisse sagen nichts, erklären nichts.“ (Weiss 1965a, 41)⁴⁹ Derselbe Kontrast regiert die Wahrnehmung der Stimmen der Schulkinder, deren Spielen auf der Schleifbahn für die Loren mit Leichen zwischen den Bäumen zu sehen ist (42) Der Augenblick des Versinkens der Sonne bringt eine deutlich veränderte Syntax: „Und dies ist jetzt so: hier“ (42). Es gibt keine Bindung der Wahrnehmungen mehr an die 1. Person, sondern intransitiv und passiv wird dargestellt, dass in der Baracke noch Leben zu ahnen sei: „Hier ist das Atmen, das Flüstern und Rascheln noch nicht ganz von der Stille verdeckt, diese Pritschen […] sind noch nicht ganz verlassen, hier […] sind die tausend Körper noch zu ahnen, […] hier ist die Außenwelt noch nicht ganz eingedrungen, hier ist noch zu erwarten, daß es sich regt da drinnen, daß ein Kopf sich hebt, eine Hand sich vorstreckt.“ (42) Diese Veränderung leitet über zur Verwandlung des „ich“ in die 3. Person Singular für den Schluss des Textes.⁵⁰ Aus dem Autor-Erzähler-Protagonisten wird eine auf den Adressaten bezogene inklusive Figur, die „der Lebende“ heißt: „fassen kann er nur, was ihm selbst widerfährt“ (43). Epiphorisch wird die Bedingung dafür formuliert, dass „er weiß, was dies ist“, und dass „er weiß, wie dies ist“ (43): „Nur wenn er selbst von seinem Tisch gestoßen und gefesselt wird, […] getreten und gepeitscht“, „[n]ur wenn es neben ihm geschieht“ (43). Im letzten Absatz wird appellativ die Zukunft als Verantwortung der Gegenwart für die Vergangenheit den LeserInnen – dem Lebenden – übertragen: „Jetzt steht er nur in einer untergegangenen Welt. Hier kann er nichts mehr tun. Eine Weile herrscht äußerste Stille. Dann weiß er, es ist noch nicht zuende.“ (43)⁵¹ Der Gegensatz zwischen
Weiss ersetzt die im Tagebuch formulierte Frage: „wurde nach ihnen eine menschenwürdige Welt eingerichtet?“ (Weiss 1982, I, 328), durch eine diese abstrakt negierende Antwort: „Asche bleibt in der Erde von denen, die für nichts gestorben sind, die herausgeworfen wurden aus ihren Wohnungen […] und hineingeworfen wurden in das Unverständliche. Nichts ist übriggeblieben als die totale Sinnlosigkeit ihres Todes.“ (Weiss 1965a, 42) Daroch fehlinterpretiert den Wechsel im Personalpronomen: „Weiss fängt plötzlich an, von sich selbst wie von einer fremden Person zu reden“, um ohne Differenzierung von Autor, Erzähler und Reisenden zu behaupten: „Weiss grenzt sich […] aus der Gruppe, die dort waren und die Grausamkeiten des Lagers erlebt haben, selbst aus. Er ist der Lebende, der sich sowohl mit den hier Ermordeten als auch mit den Überlebenden nicht identifizieren kann.“ (Daroch 2012, 216) Während Alexandra Rott-Gredler das mit dem ‚hier‘ gesetzte ‚dort‘, wo etwas getan werden kann, als politische Bildung der Leser und Leserinnen interpretiert: „Dieses ‚… es ist noch nicht zuende‘ ist der Kernpunkt der Erzählung. Niemand darf aufgeben und vor dem Unverständlichen stehenbleiben, das Leiden vergessen und verdrängen. Wer nicht will, daß ein solches Regime wiederkommt, muß sich mit Fakten auseinandersetzen, Hintergründe suchen, Zusammenhänge erfahren“ (Rott-Gredler 1988, 48), beschränkt Daroch das ‚Tun‘ auf das Schreiben des Autors: „‚Hier kann er nichts mehr tun‘ […] – konstatiert er. Und doch tut er es, indem er seinen Text schreibt. Der letzte Satz: ‚Dann weiß er, es ist noch nicht zuende(.)‘ […] lässt vermuten, dass die Stille nicht endgültig ist.“ (Daroch 2012, 216). Erst in ihrer Interpretation von Tadeusz Rozewicz’ „Ausflug ins Museum“ räumt sie, allerdings ausdrücklich nur für diesen, ein: „Vielleicht ist der Text eher als eine […] Warnung zu lesen. Es ist noch nicht zu Ende, wie Weiss am Ende seines Textes feststellt.“ (220) Das von Rott-Gredler abgelehnte ‚Unverständliche‘ ist der Zielpunkt der Interpretationen von Sven Kramer und Max Reithmann. Letzerer lässt
6 Peter Weiss: Meine Ortschaft
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einem Wissen (das Vorstellungen von Auschwitz enthält) und einem Sehen (das die körperliche Realität der Opfer verfehlt) wird zugespitzt zur Entscheidung, Leiden der Vergangenheit in Gegenwart fortgesetzt als eigenes wahrzunehmen. Eher als die Darstellung optischer dient die akustischer Wahrnehmung – „das Atmen, das Flüstern und Rascheln“ (42) – als Brücke: der Adressat soll den Appell hören. So stellt sich die Frage, ob die in „Meine Ortschaft“ quasi-zitierten ‚Vorstellungen‘ von Auschwitz, die relativ ausführlich den Gegenstand des Frankfurter Prozesses darstellen, nicht auf den Adressaten bezogen werden können: der Erzähler erzählt, was der Reisende angesichts des Lagers als unzureichend entwertet. Die Aussage des Erzählers über den Reisenden, er habe „nichts erfahren“ (32), ist dennoch die Vermittlung einer Erfahrung: Wissen um vergangenes Leid verpflichte zur tätigen Anteilnahme an gegenwärtigem. So wirkt die parallelisierende Hervorhebung der Kinder
den letzten Absatz weg und zitiert aus dem vorletzten Absatz nur von „‚Ein Lebender ist gekommen‘“ bis „‚doch fassen kann er nur, was ihm selbst widerfährt‘“, um zu behaupten: „Nach wie vor gilt, was Peter Weiss in seinem Prosatext ‚Meine Ortschaft‘ 1964 mitteilte: […] Ihm entzieht sich das NichtFassbare von Auschwitz als Inkommensurables.“ (Reithmann 2005, 152) Sven Kramers Analyse folgt seinem Programm: „Die Analyse soll sich dem Inkommensurablen zuwenden“, nämlich „immer wieder jene der Shoah eigentümliche Dimension des Sich-Entziehenden aufsuchen, so daß alle bildhaften und begrifflichen Fixierungen, alle sinnproduzierenden Prozesse, wieder in Frage gestellt werden“ (Kramer 1999, 3), ‚produziert‘ aber doch ‚einen Sinn‘. Indem Kramer den Satz „Hier kann er nichts mehr tun“ weglässt, interpretiert er den Schluss nur im Hinblick auf die jüdische Identität des Autors: „Auf die eigene Erfahrung [des Sprechers] kommt dann der Schlußsatz zurück: ‚Jetzt steht er nur in einer untergegangen Welt. (…) Eine Weile herrscht äußerste Stille. Dann weiß er, es ist noch nicht zuende.‘ Wiederum liegt der Akzent, an dieser exponierten Stelle, auf einer Kontinuität, die für den, der in Auschwitz vergast werden sollte, seither andauert. Die Nachwirkungen der nazistischen Zuschreibung bewirken, daß sich der Autor in ein Verfolgungskontinuum versetzt sieht.“ (118) Kramers Begriff des ‚Inkommensurablen‘ für die ‚Dimension‘ des Geschehenen widerspricht zumindest der Wirkungsintention des Autors, der im schon zitierten Gespräch mit Hans Mayer über „Die Ermittlung“ gesagt hat, dass „die große Maschinerie eines solchen Lagers angezeigt werden“ sollte: „Wie diese Maschinerie funktioniert hat und wie sie von Komplex zu Komplex führt, von der Ankunft in dieser Institution bis zum Ausgang, nämlich dem Weg durch den Schornstein, wie diese verschiedenen Teile […] sich mehr und mehr vergrößern‚ bis sie in den Maßstab des Unvorstellbaren gelangen. Für mich ist die Hauptsache bei dieser Arbeit gewesen, dieses Unvorstellbare zu überwinden und es sachlich und vorstellbar zu machen.“ (Weiss 1995, 9) Nach der Uraufführung notierte Peter Weiss am 21. Oktober 1965: „mein Beitrag zur deutschen Vergangenheits-Bewältigung. Aber das konnte doch bloß ein Anstoß, ein Anfang sein. Müßte zu einer ‚Massenbewegung‘ werden. Verlangt nach jahrelanger Aufarbeitung. Dieses Stück stellvertretend für etwas, das noch brachliegt – kann ein Volk sich von einem Trauma, einer Psychose befreien? –“ (Weiss 1982, I, 389). Vgl. dagegen Heinz Ludwig Arnolds Zustimmung zu Christoph Weiß’ Statement: „Es hieße die Inkommensurabilität von Auschwitz ignorieren, hielte man mehr für möglich als eine wie auch immer scheiternde Annäherung“ (Arnold 2003, 371), und die selbstwidersprüchliche Radikalisierung der Inkommensurabilität durch Ole Frahm: „Jeder Satz fügt dem Geschehen etwas hinzu, das dieses entheiligt. […] Die Vervielfältigung der Darstellungen weicht die Vorstellung von der Einzigartigkeit des Holocaust auf“ (Frahm 2004, 60), wobei er eine religiöse Metapher benutzt, um zu behaupten: „Die Einzigartigkeit des Holocaust begründet sich auch darin, dass er nicht verglichen werden kann. Er bezeichnet das Ende der Metaphorik, der bildlichen Sprache selbst.“ (61)
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aus dem „sie“ der Opfer als Sichtbarmachung einer Gefahr: auf die Ball spielenden Kinder aus Zamosc in der Vergangenheit (39) verweisen die Fangen spielenden Schulkinder in der Gegenwart (42), so provoziert der Gegensatz von „unveränderliche[n] Bauwerke[n]“ (32) und anderen, die vom Gras ‚überwachsen‘ (40), „zu Sand und Erde“ „sich zurückverwandeln[…], unter der sinkenden Sonne friedlich liegen“ (41). Schon der Schluss des Kommentars von Jean Cayrol zu Alain Resnais’ Film „Nacht und Nebel“ war 1956 ein dem „Anblick dieser Trümmer“ (Celan 1983, 97) entgegengesetzter Appell, zu „hören, daß der Schrei nicht verstummt“ (99). So wie 1966 Cayrols Satz den Kommentar im Katalog der Westberliner Fotoausstellung „Auschwitz“ (Frankfurter Bund 1966, 63) beendete, stand 1967 am Ende des Klappentexts der „Briefe aus Litzmannstadt“, die die polnischen Historiker Janusz Gumlowski und Adam Rutkowski zusammen mit dem Herausgeber der „Lyrischen Hefte“ und Literaturredakteur des Saarländischen Rundfunks Arnfried Astel 1967 publizierten, aus dem Schluss von „Meine Ortschaft“: „‚Lebenszeichen‘ einer ‚untergegangenen Welt‘, die ‚noch nicht zu Ende‘ ist… (Peter Weiss)“ (Gumlowski 1967, Klappe, vorn). Sie waren nicht die ersten letzten Briefe von den Orten der Verfolgung und Vernichtung, die nach 1945 in einem der Teile des ehemaligen Deutschlands veröffentlicht wurden, aber das erste Buch. Es wurde als „‚Selber-Todes-Schreibung‘“ im Klappentext aus der Autobiographik hervorgehoben, und der westdeutsche Mitherausgeber, der in dem Abschnitt „‚Willy‘ und der Verfasser“ (97– 102) im Nachwort sich von den polnischen absetzt, behandelt detailliert die Frage der Adressierung der Briefe, um eine Lektüre als fiktional auszuschließen.
IX Aktion Sühnezeichen aus der DDR (1965) und aus der BRD (1967) in Auschwitz Die erste Gruppe von Freiwilligen der AS, die im August 1965 als erste Nicht-Polen in der Gedenkstätte Auschwitz arbeiteten, kam aus der DDR. Der von Lothar Kreyssig mit dem katholischen Partner in der Organisation, Günter Särchen, verfasste Bericht erschien im „Aktion Sühnezeichen Rundschreiben“ (1965), bevor Polens Bischöfe im Dezember 1965 ihre deutschen Amtsbrüder zur Feier des Millenniums des ‚christlichen Polens‘ am 22. Juli 1966 nach Tschenstochau einluden und dabei versicherten, ‚wir strecken unsere Hände zu Ihnen hin, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung‘. Am 15. Oktober 1965 war von der Kammer der EKD für öffentliche Verantwortung der Öffentlichkeit „Eine evangelische Denkschrift“ mit dem Titel übergeben worden: „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“. Die „Denkschrift“ stellte Gebietsverluste und Umsiedlung von jenseits Oder und Neiße in den ‚Zusammenhang mit der politischen und moralischen Verirrung […], in die sich das deutsche Volk vom Nationalsozialismus hat führen lassen‘. Zur Diskussion trugen ein Beitrag im „Merkur“ und ein im Verlag Beck erschienenes Buch über 1966 unternommene Reisen nach Auschwitz bei: Horst Krügers „Tragikomische Polenreise“ erhielt in der noch im selben Jahr 1967 folgenden Buchausgabe den treffenderen Titel „Von Breslau bis Danzig: polnisch“; Günther Anders begann sein Reisetagebuch mit der Reflexion: ‚die entsetzlichste Reizüberflutung ist heute die moralische, die Tatsache, daß wir gleichzeitig auf Hiroshima, auf Auschwitz, auf Algier, auf Vietnam reagieren müssen. Wie schwer, sich […] zu zwingen […] zur Arbeitsfähigkeit. Also dazu, vielleicht die Summe der Niedertracht dessen, was morgen geschehen könnte, doch noch um ein Minimum zu verringern. –‘ Seine Beschreibung einer Reise von Auschwitz nach Wroclaw als „Besuch im Hades“ strebt dieses moralische Minimum durch ein Plädoyer für die Anerkennung der Oder-NeißeGrenze an, gerade indem er über die verlorene Heimat seiner Kindheit auf der Rückfahrt von Auschwitz schreibt. Über die erste Reise einer westdeutschen AS-Gruppe zur Arbeit in der Gedenkstätte Auschwitz im September 1967 kam es zu einer Auseinandersetzung, als deren Darstellung im Jahresbericht der Organisation den Journalisten und Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin zu einem Artikel „Auschwitz ohne Juden?“ in der deutschsprachigen Jerusalemer Tageszeitung „Jedioth Chadashoth“ veranlasst hatte: ‚Aktion Sühnezeichen wird unglaubwürdig, wenn sie sich in dieser Form an der Verfälschung der Geschichte mitbeteiligt, wie sie heute von offiziellen Kreisen in Polen (und anderen Oststaaten) betrieben wird (…) Sollen uns noch die Opfer geraubt werden?‘
Im August 1965 reiste erstmals eine Gruppe von „Pilger-Radfahrer[n]“ aus der DDR, die der 1958 als gesamtdeutsch gegründeten Organisation der EKD Aktion Sühnezeichen angehörten, von Görlitz nach Auschwitz (Assmuss 2005, 139). Die – von 1960 bis 1978 gültige – Nicht-Genehmigung gemeinsamer Reisen von west- und ostdeutschen AS-Gruppen hatte der DDR-Außenminister damit begründet, dass sie einen „‚Ersatz wirksamer Maßnahmen zum Schutz des Friedens‘“ darstellten (Skriver 1962, 22). Erst seit 1978 durften solche ‚gesamtdeutschen‘ Gruppen auf jüdischen Friedhöfen, seit 1979 in Gedenkstätten der DDR arbeiten (Staffa 2003, 152). Geleitet wurde die ‚Pilger-Radfahrt‘ vom Präses der Kirchenprovinz Sachsen Magdeburg Lothar Kreyssig und Günter Särchen, dem Leiter der Arbeitsstelle für Pastorale Hilfsmittel Magdeburg, einer Dienstelle des Bistums (Ruchniewicz 2005, 269), die Mitarbeit im katholischen St. Benno Verlag einschloss. Beide waren seit der Arbeit am Gründungsaufruf für AS Ende der 1950er Jahre befreundet, einig darin, „‚Vergebung [zu] erbitten‘ und [zu] ‚praktizieren‘“ (271). Kreyssig leitete die Beratung https://doi.org/10.1515/9783050095851-011
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der Berliner Synode über die Gründung am 30. April 1958 ein: „‚Dass unbewältigte Gegenwart an unbewältigter Vergangenheit krankt, dass am Ende Friede nicht ohne Versöhnung werden kann, das ist weder rechtlich noch programmatisch darzustellen. Aber man kann es einfach tun‘“ (Kammerer 2008, 7). Wegen der kontroversen Positionen in der EKD zu atomarer Bewaffnung der Bundeswehr und Militärseelsorge wurde nicht abgestimmt, sondern 79 von 120 Synodalen signierten den Aufruf (13), in dem es hieß: „‚Deutsche haben in frevlerischem Aufstand gegen Gott Millionen von Juden umgebracht. Wer von uns Überlebenden das nicht gewollt hat, der hat nicht genug getan, es zu verhindern.‘“ (12) Aber Kreyssig, der schon auf dem Leipziger Kirchentag von 1954 damals noch für die Schaffung von ‚Versöhnungszeichen‘ „sondierte“ (Thierse 1998, 1099), begrenzte für ‚Sühnezeichen‘ die deutsche Schuld nicht auf die Ermordung der europäischen Juden, wenn er auf der Synode aufforderte: „‚Laßt uns mit Polen, Rußland und Israel beginnen, denen wir wohl am meisten wehgetan haben…‘“ (1099).¹ Im Unterschied zu Kreyssig hatte der Katholik Särchen Kontakte zu Polen, polnischen KatholikInnen, u. a. aus dem Klub der katholischen Intelligenz KIK und der Laienorganisation katholischer Parlamentsmitglieder Znak (Legerer 2011, 288, 292), darunter Anna Morawska (vgl. Morawska 1971) und Stanislaw Stomma (vgl. Stomma 1955),² so dass er auf einer „in Begleitung eines deutschstämmigen polnischen Priesters“ (Legerer 2011, 283) unternommenen ersten Reise nach
Christine G. Krüger hat als die „[z]entral[e]“ Differenz zwischen Kreyssigs Projekt und den anderen internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten, wie Service Civil International, Christlicher Friedensdienst, Internationaler Bauorden und Internationaler Jugendgemeinschaftsdienst, belegt, „dass bei den anderen Jugenddiensten das Element des Schuldbekenntnisses fehlte“ (Krüger 2008, 75). Insbesondere für die Hannoveraner Gründung, Dieter Danckwortts IJGD, der von dem – durch den niedersächsischen Kultusminister Adolf Grimme und dessen Referenten der Abteilung Jugend, Erwachsenenenbildung, Bibliothekswesen und Sport unterstützten (Boll 2002a, 359) – ‚Gespräche‘-Kreis angeleitet wurde, dessen „Zielsetzung“ „unter der Leitfrage stand, was von der Gesellschaft her getan werden könne, um die Gesellschaft vor neuen politischen Irrtümern (wie dem Nationalsozialismus oder dem Kommunismus) zu schützen“ (373), weist Krüger eine andere Ausgangsposition als ein Schuldbekenntnis nach. Danckwortt schrieb auf einer Wandzeitung am 4. April 1947: „Die Ideale, die wir verwirklicht glaubten, das was [sic] wir im Nationalsozialismus gesucht haben, wollen wir nicht über Bord werfen. Wir können es auch garnicht [sic], denn ohne eigenständige Substanz kann man auch keinen eigenständigen Weg gehen. Es wird deutlich, daß […] für uns nur übrig bleibt, die alten Anschauungen durch Besinnung, Erkenntnis der wahren Zusammenhänge und Hinwandlung zu wahren Werten zu überwinden. […] Warum redet man und redet man von Demokratie, ohne es auch nur zu versuchen, sie mit den Werten, die wir aus dem Nationalsozialismus mit herüber [sic] gerettet haben, zu verbinden.“ (Krüger 2008, 69) Kreyssigs Scheitern auf dem Leipziger Kirchentag mit seiner Initiative erklärt Krüger nicht nur aus der Differenz in der Frage der Schuld, sondern auch aus der Lokalisierung der Schuld, denn das Projekt wurde in „einem mit ‚Volk‘ überschriebenen Arbeitskreis“, „in dem unter dem Titel ‚Gottes Geduld mit der Welt‘ über die Politik und Zukunft Deutschlands diskutiert“ wurde, nach einem Tag Diskussion „mehrheitlich verworfen“, u. a. von Gustav Heinemann und Martin Niemöller (75): „Eventuell mag die von Kreyssig ursprünglich vorgesehene Ausrichtung der Aktion auf die Sowjetunion und auf Polen bei westdeutschen Kirchenvertretern auf Ablehnung gestoßen sein.“ (76) Vgl. zu beiden Ruchniewicz 2005, 273.
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Polen erstmals am 22. November 1960 nach Auschwitz kam (284). Auf seine Aufzeichnungen „‚… wo ist Dein Bruder …?‘ Auschwitz. Lager I. – erster Besuch: 22. November 1960“ bezieht er sich ein Jahr später im Tagebuch: „Man hat in den Jahren von deutscher Seite doch schon manches über das, was man den Juden getan hat, gesagt und geschrieben. Man hat auch offen zur Schuldfrage Stellung genommen. Aber eigenartig, man hört kaum etwas darüber, was man den Ostvölkern zugefügt hat (weil die Ostvölker heut [sic] kommunistisch sind?).“ (287) Weil 1964 eine von KIK und Znak vorbereitete – bis zu den Einreiseerlaubnissen der polnischen Regierung für zwei Gruppen und die „offizielle Einladung von zwei Pilgergruppen“ durch die Erzbischöfe von Poznan und Krakau, Anton Baraniak und Karol Wojtyla (Legerer 2011, 342) – Reise von AS-Mitgliedern aus der DDR nach Auschwitz und Chelmno an der Nicht-Genehmigung durch die DDR-Behörden gescheitert war (Ruchniewicz 2005, 274/275),³ überquerten im Juli 1965 die je zehn katholischen und evangelischen Teilnehmer der „Pilgerfahrt“ nach Auschwitz „die Grenze in Abständen von wenigen Minuten einzeln mit dem Fahrrad“ und jeder im Besitz einer „persönliche[n] Einladung“ (275). Einer der damaligen Teilnehmer, der spätere Filmregisseur Konrad Weiß, berichtet in seiner Biographie Kreyssigs, der erst im August in Auschwitz zur Gruppe kam, von den „strenge[n] Regeln“, die sich die Gruppe gegeben hatte, „[d]amit diese Fahrt nicht zum gewöhnlichen Fahrradausflug wurde“: drei Stunden am Tag zu schweigen, an „Rastorten […] um Wasser und Brot“ zu bitten „zum Zeichen dafür, daß Deutsche den Polen jahrelang das tägliche Brot verweigert haben“, und „im Gebet der von den Deutschen getöteten Menschen, der Juden und Polen“, zu gedenken und dafür an ihrem Weg liegende Friedhöfe sowjetischer Soldaten und Kriegsgefangener (Weiß 1998, 380) aufzusuchen. Anton Legerer hat „in den Ritualen der ‚Aktion Sühnezeichen‘“ „bei der ersten Sühnefahrt 1965“ den ‚Niederschlag‘ der „auf das christliche – katholische – Leiden während der nationalsozialistischen Besetzung zentrierte[n] Erinnerung“ gefunden, mit der er zuvor die „einzigartig“ genannte „affirmative Haltung des polnischen Klerus gegenüber der ‚Aktion Sühnezeichen‘“ erklärt hat: ein „religiös-mystische[s] Einverständnis“ (Legerer 2011, 343). Für die „wesentlichen Elemente“ dieses ‚Einverständnisses‘ zwischen polnischem Klerus und AS zitiert Legerer einen Brief des Vorsitzenden der polnischen Bischofskonferenz Kardinal Stefan Wyszynski, der im Oktober 1964 auf Särchens Bericht über das Scheitern der ersten Pilgerfahrt antwortet: „Ihre Aktion war im Geiste Christi vorbereitet und in inniger Verbindung mit dem Kreuzweg auf dem Kreuzesopfer Jesu durchgeführt. In Ravensbrück und ebenso in Sachsenhausen haben viele Menschen aus der ganzen Welt, und auch viele Männer und Frauen aus Polen das Opfer ihres Lebens dargebracht […]. Diese Märtyrer für Christus, Ruchniewicz gibt für seine Paraphrase der Begründung keinen Beleg, sondern kommentiert – wiederum ohne Beleg –, „[d]iese Argumentationsweise erinnerte an den früheren Standpunkt der DDR-Behörden […] Ende der fünfziger Jahre“: „Die DDR-Bürger seien nicht für die von den Nazis in Polen verursachten Verbrechen verantwortlich, daher unterstütze die Regierung das Wirken der Aktion Sühnezeichen nicht.“ (Ruchniewicz 2005, 274)
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für die Kirche und ihre Völker haben das Sühneopfer Ihres guten Willens aufgenommen und durch die Vermittlung Mariens, der Königin der Welt, es dem Gottvater übergeben. Als Primas von Polen nehme ich Ihr Opfer ebenfalls dankbar an und werde es auf dem Altar mit dem ewigen Sühneopfer unseres Göttlichen Meisters vereinigen. Arbeiten Sie unentwegt weiter in diesem Geiste für die Ehre Gottes, für die Erlösung der Menschen von Schuld und Sünde und für die eigene Heiligung. Ich glaube gerne, dass es schwer ist, falsche und tief eingewurzelte Vorurteile, die die Völkerversöhnung erschweren oder gar verhindern, aus dem Wege zu schaffen.“ (343) Wyszynskis Brief beweist, mit der Bezugnahme auf ‚Menschen aus der ganzen Welt‘ und die ‚Völker der Kirche‘, nicht die ihm vorgeworfene ‚Zentrierung‘ auf Polen, aber seine christliche Deutung des Tods im Konzentrationslager legt Legerer nahe, nur eins der ‚Rituale‘ der Pilgerfahrt der AS von 1965 als Beleg anzuführen: „ein großes Holzkreuz […], um das herum die Gruppe zur Andacht Aufstellung [sic] nahm – ausgerechnet an jenem Ort, der als Synonym für die Vernichtung der europäischen Juden gilt“ (343). Legerer verweist hierfür auf Konrad Weiß’ Kreyssig-Biographie, dessen Erklärung auf eine bemerkenswerte Weise zunächst Unsensibilität mit Unwissen gleichsetzt, um dann die „Sensiblität zu spüren, daß dies ein jüdischer Ort ist“, an etwas zu binden, „was unbegreiflich bleiben wird“: „Es mutet seltsam an, daß keiner der Pilger, auch Kreyssig nicht, sich gefragt hat, ob das Kreuz angemessen sei an diesem Ort der Shoah, an dem doch vor allem jüdische Männer, jüdische Frauen, jüdische Kinder ermordet worden sind. […] Aber die Sensibilität zu spüren, daß dies ein jüdischer Ort ist und daß das Kreuz hier ungebührlich oder gar ein Ärgernis sein könnte, hatte niemand. Selbst sie, die nach Auschwitz gepilgert waren, wußten nichts über Auschwitz. Sie begannen erst dort zu sehen, was unbegreiflich bleiben wird.“ (Weiß 1998, 382)⁴ Den im Herbst 1965 im „Rundbrief AS“, der sich an Mitglieder und Spender richtete, erschienenen Bericht „Unterwegs im August 1965“ verfassten Kreyssig und Särchen zusammen. Der aus vier Absätzen bestehende, anderthalb Seiten lange Text
Vgl. zum Maßstab „Auschwitz“ als „weltgeschichtliche[m] Arkanum“ Harald Schmids Hinweis, dass dieses „sich in der internationalen Öffentlichkeit unter den Stichwörtern ‚Singularität‘, ‚Unerklärlichkeit‘ und ‚Sinnlosigkeit‘ später konstituierte“ als in den frühen 1970er Jahren, es aber der „tatsächliche[n] epochale[n] Dimension“ von Auschwitz angemessen sei (Schmid 2004, 18). 2019 datiert Jan Gerber den Beginn der „[l]ange[n] Zeit“, in der „der Holocaust profanen [also nicht-sakralen, H.P.] historischen Erklärungen entzogen“ „schien“ (Gerber 2019, 10), auf „[n]ach 1974“: „Streng genommen begann die ‚Gedächtniszeit‘ (Dan Diner) des Holocaust erst in diesen Jahren.“ (11) Vgl. dagegen zu dem im Folgenden zu erörternden Begriff ‚Vergegenwärtigung‘ die 1955 in der Reihe „Kirche in dieser Zeit“ der Evangelischen Verlagsanstalt erschienene Broschüre „Vergegenwärtigung. Aufsätze zur Auslegung des Alten Testaments“, in deren Vorwort Hans Urner schreibt: „Wir möchten so gern wie Luther das Alte Testament um der Verheißungen willen lesen, die von Christo lauten, wie er es in seiner Genesisvorlesung sagt. Aber wir können die Aufklärung nicht ungeschehen machen. Wir können den historisch-kritischen Verstand, zu dem sie uns erzogen hat, nicht ausschalten. Die Schriften des Alten Testaments an ihrem geschichtlichen Ort zu lassen und sie dennoch mit den Vätern der Kirche als Zeugnis von Christus zu verstehen, das wird uns nicht leicht.“ (Urner 1955, 5)
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beginnt mit der auf eine nicht ausdrücklich gestellte Frage bejahenden Antwort, die unter einem Begriff, der in diesem und den beiden folgenden Abschnitten wiederkehren wird: „Ja, Vergegenwärtigung“ (Kreyssig/Särchen 1965, 380), zusammenfasst, was in Auschwitz „sehr anschaulich“, gefühlt und gewusst wird – im ersten Abschnitt (381) –, was geglaubt, wessen ansichtig geworden wird und was „verändert“ (381) – im zweiten, und was von der Gruppe auf dem Gelände des Lagers getan worden ist bis zu ihrer letzten Zusammenkunft zum „‚Herr erbarme Dich‘“ (382). Die mit „Ja, Vergegenwärtigung“ (380) beantwortete nicht gestellte Frage könnte eine so einfache sein wie: ‚Hat Ihnen die Pilgerfahrt nach Auschwitz etwas gebracht?‘ Die im ersten Abschnitt der ‚Vergegenwärtigung‘ gegebene Bedeutung verbindet vergangenes Geschehen, gegenwärtige ‚Anschaulichkeit‘ und „künftige[n]“ „Schrecken“ (381): „die Preisgegebenheit von Millionen Männern, Frauen und Kindern, Kindern, Kinder an einen willkürlichen, gewaltsamen Tod“ (380/381), die Frage, „wie vergegenwärtigen wir uns das Jahre währende Ermorden von Millionen von ihrem Abtransport bis zu den letzten Minuten des Verröchelns in der Gaskammer“ (381), und das ‚Wissen‘: „Aller Schrecken des hier eröffneten Abgrundes von Unmenschlichkeit wird künftig dieses Stigma des Endzeitlichen haben.“ (381) Die eschatologische Bildlichkeit wird schon vorher eingeführt, wenn Vergangenheit und Gegenwart, die Ermordeten und der deutsche Besucher von Auschwitz verknüpft werden, in der Bestimmung dessen, als was Auschwitz ihm „anschaulich“ wird: „Als Topographie des Nichts, als eine Mondlandschaft jenseitigen Schreckens wird das sehr anschaulich, ein Brandmal auf deutschen Namen [Plural, H.P.] bis zum Ende der Zeiten. Wer wird sich hier nicht selbst unheimlich?“ (381) Der adressatenbezogenen Frage nach der Schuld wird durch die Wiederaufnahme des eschatologischen Bildes eine Wendung gegeben, wiederum inklusiv mit dem Personalpronomen ‚man‘: „Man steht heute in dem endlosen Wald der Schornsteine wie mitbegraben und weiß: Dies ist die Landschaft der letzten Dinge.“ (381) Mit einer im Text einmalig bleibenden Verwendung der 1. Person des Personalpronomens setzt sich der Erzähler im zweiten Abschnitt von anderen Besuchern von Auschwitz ab: „Was man empfindet, wenn man nur eine Stunde lang hindurchgeführt wird, weiß ich nicht“ (381), um dann gegenüber dem Touristen aber gerade nicht die zeitliche Dauer eines Besuchs zu betonen, sondern etwas „[E]ntscheidend[es]“, das sich auf die ‚Vergegenwärtigung‘ im ‚Mitbegraben‘-Sein in der ‚Landschaft der letzten Dinge‘ zurückbezieht und auf die Bedeutung von ‚Vergegenwärtigung‘ vorausweist, nämlich die religiöse Entscheidung, „ob der Glaube in der Umarmung des Nichts Auferstehung findet“, „um in der Begegnung mit dem Gericht der Gnade ansichtig zu werden“ (381). In der 1. Person Plural die Gruppe der Pilger einbeziehend, macht der Erzähler eine explizite Vorausdeutung, die durch die Verwendung des Futur II und durch zwei rhetorische Fragen zu dem von der Gruppe während ihres Aufenthalts Gefühlten beglaubigt wird: „Wir werden in der Vergegenwärtigung nachhaltig verändert [worden] sein“ (381), setzt die Veränderung als bereits geschehen, weil „uns der Flecken geschändeter Erde in den wenigen Tagen so vertraut“ (381) geworden und „der tiefe Friede“ gekommen sei, der „majestätisch über allem ist“, „zwischen den
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immer neueren und tieferen Schauern von Ingrimm, Entsetzen und Verzweiflung“ (381). Im dritten Abschnitt, der die „Arbeit“ der Pilgergruppe darstellt, wird das Personalpronomen ‚wir‘ beibehalten, nur an einer Stelle ist zunächst von „den Männern“ die Rede, als es um die „völlig[e]“ ‚Freilegung‘ der „Grundmauerreste“ des „sogenannte[n] Weiße[n] Haus[es]“ in Birkenau geht, „ein[es] verlassene[n] Bauernhauses“, in dem 1942 vor dem Bau der Krematorien II-IV und 1944, „wenn die Mordmaschinerie überlastet war“, „vergast worden“ ist (381). Einleitend wird die Zuteilung dieser ‚Arbeit‘ – an die erste nicht-polnische Gruppe, die überhaupt auf dem Gelände des Museums arbeitete (Legerer 2010, 295) – durch dessen namentlich genannten Direktor Kaziemiérz Smolen „eine Auszeichnung“ genannt (Kreyssig/Särchen 1965, 381). Diese Bewertung begründet der Text mit einer dieser Arbeit in den „von Trümmern überdeckt[en] und von Gras überwachsen[en]“ Resten eigenen ‚Vergegenwärtigung‘: „Kämme, Brillen und andere Utensilien der letzten Armut finden sich im Schutt und halten immer in der ‚Vergegenwärtigung‘.“ (381/382) Die erstmalige Verwendung von Anführungszeichen gibt dem in den drei folgenden Sätzen ‚Vergegenwärtigten‘ besondere Bedeutung, Sätzen über Kinderspielzeug, Asche von Menschen und Häftlinge, die Häftlinge verbrannten: „Zuletzt kommt eine bunte Glaskugel zutage, mit der Kinder im Rinnstein Murmel spielen. Und ringsum liegt unter der Grasnarbe und in den Sumpflöchern meterhoch die Menschenasche. Zu Hundertausenden haben hier Arbeitskommandos der Häftlinge die Leichen ihrer Kameraden zwischen Holz geschichtet und verbrannt, um nur wenige Wochen später vom gleichen Los ereilt zu werden.“ (382) Auf diese Kontrastierung ‚hier‘ von Opfern und Opfern als Tätern, die Opfer blieben, antwortet die Deixis der folgenden Sätze mit einem zweimaligen ‚dort‘: „Wir stellen dort ein großes Kreuz aus Birkenholz hinein. Hinter der Hinrichtungsstätte, die wir ausgegraben haben, ragt es auf. Dort holt uns das ‚Herr erbarme Dich‘ noch einmal zusammen, das die Mannschaft auf dem Pilgerweg begleitet hat.“ (382) Das in der katholischen wie der evangelischen Liturgie auf das Schuldbekenntnis folgende und dem Vaterunser vorangehende Kyrie eleison ist das Subjekt des letzten Satzes von Kreyssigs und Särchens Bericht; ‚begleitet‘ hat es die Pilgerfahrt der ASGruppe, die jetzt schließlich ‚Mannschaft‘ genannt wird, aus der DDR insofern, als sie schon auf dem Weg nach Auschwitz ein Faltblatt mit dem Kyrie eleison in polnischer Sprache an die Bevölkerung verteilte, dessen Übersetzung lautet: „Herr erbarme dich unser/ Herr erbarme dich unser/ Mutter Gottes/ Bitte für uns Sündige“ (382). Die Pilger präsentierten sich öffentlich als auf „‚eine[r] Pilgerfahrt zu den Stätten deutscher Schuld‘“, wie es Kreyssig 1964 formuliert hatte (Weiß 1998, 379). Die über Maria an Gott adressierte Bitte um Vergebung war ein Schuldbekenntnis. Ende August 1965 veröffentlichte Anna Morawska in der katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“ einen Artikel über ihr Gespräch mit der Pilgergruppe aus der DDR, das diese „mit der ewigmenschlichen Geste, mit der Bitte um Vergebung der Schuld, der Bitte um einen reinen Tisch“ (Ruchniewicz 2005, 277), eröffnet hätte: „‚Die, welche heute im Namen ihres Volkes versuchen, Verantwortung auf sich zu nehmen und mit einem Sühnezeichen an den Orten des Verbrechens, in Auschwitz,
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Rogoznica, in Buchenwald neu zu beginnen, sind wohl ganz einfach Realisten. Auf lange Sicht gesehen läßt sich nämlich keine Politik – außer einer wahnsinnigen – führen, die nur die eigenen Rechte und nicht auch die fremden sieht und diese nicht kennt.‘“ (277) Dagegen berichtete einer der Priester unter den Teilnehmern am 31. August 1965 in einem Brief an Kreyssig von „‚starke[n] Angriffe seitens unserer Pilger gegen Westdeutschland‘“: „‚Mangelndes Schuldbewusstsein – oder was man dafür hielt – wurde jedenfalls immer wieder den anderen, vornehmlich den Westdeutschen angekreidet.‘“ (Kammerer 2008, 101) Beide Reaktionen sprechen dafür, dass das Schuldbekenntnis nicht zwingend gleichzusetzen ist mit einer christlichen Deutung von Auschwitz als Stätte der Passion Christi (vgl. Margalit 2010, 40/41). Dieses Verständnis datierte Särchen in einem Interview von 1997 auf seine seit 1957 geführten Gespräche mit dem polnischen Ingenieur Gomula, der im Versteck bei einer gläubigen Deutschen in Danzig den Faschismus überlebt hatte: „Durch ihn habe ich verstanden, obwohl das pathetisch klingen mag, daß unser Golgatha im Osten liegt.“ (Ruchniewicz 2005, 270) Wie selbstverständlich Särchen die entsprechende Deutung von Auschwitz geworden war, belegen seine in den unpublizierten Memoiren „Mein Leben in dieser Zeit“ festgehaltenen Antworten auf den Einwand von Polen gegen die Errichtung des ‚Birkenkreuzes‘ am ‚Weißen Haus‘, dass dort „‚Menschen jüdischen Glaubens‘“ ermordet worden seien: Es sei „‚weit entfernt‘“ und werde „‚nur in Ausnahmen von Besuchern aufgesucht‘“, und „‚[e]ines Tages wird unser Kreuz von selbst vom sumpfigen Boden wieder aufgenommen werden‘“ (Kammerer 2008, 95). Aber beide Antworten widersprechen in gewisser Weise dem von Kreyssig und Särchen verfassten Bericht, weil darin zum einen alles optisch Wahrnehmbare, das eschatologisch auf Tod und Auferstehung, Gericht und Gnade bezogen wird, in Birkenau liegt: der ‚endlose Wald der Schornsteine‘, zum anderen die Arbeit der Gruppe in Birkenau gerade als ‚Freilegung‘ des ‚von Gras Überwachsenen‘ aufgefasst wird. Im Bericht wird nicht erwähnt, ob die Pilgergruppe – wie in der katholischen wie evangelischen Liturgie rituell – nach dem Kyrie eleison das Vaterunser gesprochen hat, dessen fünfte Bitte lautet: „Und vergib uns unsere Schuld, als wir vergeben unsern Schuldigern.“ (Luther 1912, 18) Auf diese Bitte hatte sich Kreyssigs Gründungsmanifest der Aktion Sühnezeichen bezogen, wenn es dazu aufrief, dass „wir selbst wirklich vergeben, Vergebung erbitten und diese Gesinnung praktieren“ (Ruchniewicz 2005, 271). Die fünfte Bitte des Vaterunsers zitierten im Dezember 1965 die Bischöfe Polens im letzten Absatz eines Briefes, in dem sie ihre deutschen Amtsbrüder zur Feier des Milleniums des „christlichen Polens“ (Henkys 1966, 219) nach Tschenstochau einluden: „In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“ (227) Diese „kostbaren Worte, die für unsere beiden Völker eine neue Zukunft eröffnen“, zitierten die 42 „Bischöfe aus beiden Teilen Deutschlands“ am Schluss ihrer Zusage, „als Pilger zu Ihrem Marienheiligtum nach Tschenstochau [zu] kommen“ (230), die aber schwieg zu dem von den polnischen Bischöfe „sogenannte[n] ‚heiße[n] Eisen‘“ „der deutsch-polnischen
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Nachbarschaft“: „Die polnische Westgrenze an Oder und Neiße ist, wie wir wohl verstehen, für Deutschland eine äußerst bittere Frucht des letzten Massenvernichtungskrieges – zusammen mit dem Leid der Millionen von Flüchtlingen und vertriebenen Deutschen – auf interalliierten Befehl der Siegermächte – Potsdam 1945! – geschehen.“ (225) Reinhard Henkys schließt aus der „überwiegend herbe[n] Kritik“ (68) der evangelischen Denkschrift in der katholischen Presse, „daß spezifisch katholische politische Kreise am wenigsten darauf vorbereitet waren, daß die katholischen Bischöfe Polens ihre Hände nach Deutschland herüberstrecken würden“ (67).⁵ Statt einer Antwort zur Grenzfrage bekundeten die deutschen Bischöfe zwei Mal „Wir sind dankbar“, zuerst, „daß Sie auch angesichts der Millionen polnischer Opfer jener Zeit sich an die Deutschen erinnern, die dem Ungeist widerstanden und zum Teil ihr Leben hingegeben haben“, dann, „daß Sie neben dem unermeßlichen Leid des polnischen Volkes auch des harten Loses der Millionen vertriebener Deutscher und Flüchtlinge gedenken“ (228/229). Obwohl der Brief der Bischöfe Polens „nicht die erhoffte Resonanz auf deutscher Seite fand“ (Schröber 2016, 583), nennt ihn Piotr Madajczyk (2007, 139) den „erste[n] wichtige[n] Impuls“: „Langfristig spielte der Brief […] eine ungeheure Rolle.“ Während der Brief der deutschen Bischöfe nur Deutsche und Polen als Opfer kannte, nannte der der polnischen Bischöfe zwei andere Opfergruppen beim Namen: die Juden bei der ‚Aufzählung der Opfer der „‚deutsche[n] Okkupationszeit‘“ an erster Stelle und die Kommunisten bei der deutscher „Widerstandskämpfer“ an letzter. Die Bischöfe schrieben, wie es ihrem Begriff von ‚Massenvernichtungskrieg‘ entsprach, über das, „was man euphemistisch einfach als Zweiten Weltkrieg bezeichnet, was aber für uns Polen als totale Vernichtung, als Ausrottung gedacht war“ (Henkys 1966, 223/224): „Das Land war übersät mit Konzentrationslagern, in denen die Schlote der Krematorien Tag und Nacht rauchten. Über sechs Millionen polnischer Staatsbürger, darunter der Großteil jüdischer Herkunft haben diese Okkupationszeit mit ihrem Leben bezahlen müssen. Die führende polnische Intelligenzschicht wurde einfach weggefegt. Zweitausend polnische Priester und fünf Bischöfe (ein Viertel des damaligen polnischen Episkopats) wurden in Lagern umgebracht. Hunderte von Priestern und Zehntausende von Zivilpersonen wurden bei Ausbruch des Krieges an Ort und Stelle erschossen (278 Priester in einer einzigen Diözese, Kulm). […] Jede deutsche Uniform, nicht nur die SS, wurde für alle Polen nicht nur ein Schreckgespenst, sondern auch Gegenstand eines Deutschenhasses. Alle polnischen Familien hatten ihre Todesopfer zu beklagen.“ (224) Die
Vgl. aber die Reaktion eines der drei Erstunterzeichner des Antwortbriefs, Kardinal Döpfner, in einer Predigt am 16. Oktober 1960 zum Fest der Heiligen Hedwig, „der Patronin Berlins, Schlesiens und Polens“, auf eine Predigt, in der Kardinal Wyszynski eine Wahlkampfrede Bundeskanzler Adenauers über das „Rückkehrrecht der Ostpreußen in die polnischen Westgebiete“ „‚Drohungen‘“ genannt hatte, „‚die ein feindseliger Mensch aus dem fernen Westen, der hochmütig seiner Kraft vertraut, an die Adresse unserer Heimaterde und unserer Freiheit schleudert‘“; Döpfner predigte: „‚Das deutsche Volk kann nach allem, was in seinem Namen geschehen ist, den Frieden nur unter sehr großen Opfern erlangen‘.“ (Schröber 2016, 581/582)
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Aufzählung deutscher Widerstandskämpfer beginnt mit den Kardinälen „Faulhaber, von Galen, Preysing“, führt über die Weiße Rose und den 20. Juli zu „viele[n] Laien und Priester[n]“ wie Lichtenberg, Metzger und Klausener, um zu schließen: „Tausende von Deutschen teilten als Christen und Kommunisten in den Konzentrationslagern das Los unserer polnischen Brüder.“ (225) Auschwitz kommt zur Sprache, als die Bischöfe in ihrem ein „historischer und zugleich auch sehr aktueller Kommentar unseres Millenniums“ (218)⁶ genannten Brief nach dem „polnische[n] Marienkult“, dem „Hauptausdruck“ des „religiösen Lebenstil[s]“ (219) Polens, die polnischen „Sterne am Heiligenhimmel“ durch die Geschichte verfolgen „bis zum Franziskanerpater
Der Politiker der noch oppositionellen SPD Helmut Schmidt kam auf einer offiziell als „privat“ (Schmidt 1993, 40) bezeichneten Reise in die CSSR, die Volksrepublik Polen und die Sowjetunion nach Warschau einen Tag vor dem, zu dem die polnischen Bischöfe die deutschen „ohne Erfolg“ nach Tschenstochau eingeladen hatten, dem 22. Juli 1966 als Tag der Feier des Milleniums des „christlichen Polens“ (Henkys 1966, 219). Schmidt hatte aber eine „Unterredung“ mit Mitgliedern des Außenpolitischen Ausschusses des Sejm, bei der er so ‚zusammenfasste‘, was zwei Mitglieder „über die NSVerbrechen und Konzentrationslager in Polen“ gesagt hatten: „‚Ich habe verstanden‘ […], daß es ‚besonders schwierig‘ sein werde, das Klima zwischen dem deutschen und polnischen Volk zu verbessern. Er bedauerte die Greuel an Polen und Juden während Hitlers Krieg, fügte aber hinzu, ‚daß es auch viele Deutsche gibt, die unter den Nazis gelitten haben‘“ (Lehmann 1984, 41). Sein Archivar und Biograph Hans Georg Lehmann weiß zu berichten, dass die „Massenaufmärsche und Militärparade[n], wie Schmidt sie noch nie erlebt hatte“ (36/37), „ihn ungewollt an seine eigene Jugend während der NS-Zeit erinnerten“: „Schmidt befürchtete einen ‚Aufstand in der Weltpresse‘, falls in Bonn eine solche Parade stattfände.“ (37) Schmidt, der 1992 in seinen Jugenderinnerungen öffentlich eingestand: „Ich habe nie ganz verstanden, was die oft benutzten Worte ‚Aufarbeitung‘ und ‚Bewältigung‘ der Vergangenheit eigentlich sagen wollen“ (Schmidt 1994, 210), berief sich ein Jahr später in einem Bericht über die Reise von 1966 in einem Sammelband zu „Schwierigkeiten der deutsch-polnischen Nachbarschaft“ mit dem Titel „Feinde werden Freunde“ auf seine als Bundeskanzler am 23. November 1977 in Auschwitz gehaltene Rede, aber seine primär die Frage der Schuld betreffenden Auslassungen (aus Schmidt 1978 im Folgenden [], der Ersatz: ) widersprechen seiner Einleitung des Zitats: „Aber für mich bleibt immer noch richtig, was ich 1977 als Kanzler in Auschwitz gesagt habe“ (Schmidt 1993, 49): „Wir sind nach Auschwitz gekommen, um [uns und andere] daran zu erinnern, daß es ohne Erkenntnis der Vergangenheit keinen Weg in die Zukunft gibt, [auch] keinen Weg zu einem neuen und unbefangenen Verhältnis zwischen Deutschen und Polen. In Auschwitz [und in Birkenau] kann niemand [der Erkenntnis] ausweichen, [daß Politik etwas anderes ist, daß Politik mehr ist als ein Spiel von Macht und Interessen,] daß Politik der moralischen Grundlage und der sittlichen Orientierung bedarf. [An diesem Ort] wird [zwingend] deutlich, daß Geschichte nicht nur als eine kausale Kette von Ereignissen und Handlungen verstanden werden [kann] , [ sondern daß] Verantwortung und Schuld dazu gehören, [daß Verantwortung und Schuld] auch geschichtliche Größen sind. [Die Verbrechen des Nazifaschismus, die Schuld des Deutschen Reiches unter Hitlers Führung begründen unsere Verantwortung. Wir heutigen Deutschen sind als Personen nicht schuldig, aber wir haben die politische Erbschaft der Schuldigen zu tragen, hierin liegt unsere Verantwortung.] Aus [ihr] erwächst der Auftrag, die Zukunft nicht dem Zufall zu überlassen, sondern sie mit Mut, mit Umsicht zu gestalten.“ (49, unmittelbar anschließend: „Dem ist heute nichts hinzuzufügen.“) Schmidts Darstellung der Reise von 1966 als ‚privat‘ bezweifeln Oliver Bange und Tim Geiger (2010, 269), die annehmen, dass sie eher wie Carlo Schmids vorangegangene SPD-intern abgesprochen gewesen sei (280). Bei der zitierten Begegnung mit Mitgliedern des Außenpolitischen Ausschusses hatte Schmidt in der Tat „einen Gruß Carlo Schmids überbracht“ (Lehmann 1984, 39).
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Maximilian Kolbe, dem Märtyrer vom KZ Auschwitz, der sein Leben für seine Mitbrüder freiwillig hingab“ (222).
1 Horst Krüger: Von Breslau bis Danzig: polnisch Horst Krüger, dessen Reportage aus dem Frankfurter Auschwitz-Prozess von Marcel Reich-Ranicki den Lesern der „Zeit“, wie bereits zitiert, eindringlich empfohlen worden war, indem er zugleich die „deutschen Schriftsteller“ am Schluss vor die Alternative gestellt hatte: „gehören sie zu jenen, die zudecken [sic] oder zu jenen, die aufdecken?“ (Reich-Ranicki 1966, 112), setzte, bevor er 1967 nach Polen und in Polen nach Auschwitz reiste, den in der Prozessreportage geäußerten Wunsch: „Ich will meiner Jugend unter Hitler noch einmal begegnen“ (Krüger 1966, 239), in eine Reihe von – in verschiedenen Literatur- und Kulturzeitschriften vorabgedruckten – autobiographischen Essays um, die 1966 bei Rütten und Loening als Buch erschienen, „Das zerbrochene Haus. Eine Jugend in Deutschland“, dessen letztes Kapitel (235 – 285), das über den Frankfurter Prozess, nun „Gerichtstag“ hieß. Reich-Ranicki rezensierte es in der „Zeit“ als „Ein Deutschlandbuch ohne Lüge“ am 22. April 1966. Während nach Stephan Braese die „Erfahrung“ des „Ausweichens der deutschen Literatur“ vor „der subjektgeschichtlichen Anstrengung – als literarischer –“ für ReichRanicki „den singulären Rang von Horst Krügers Deutschland-Buch begründet“ (Braese 2001b, 226/227), erfüllt Krügers Buch nach Timothy Boyd, was Peter Brückner (1980, 88) in „Das Abseits als sicherer Ort. Kindheit und Jugend zwischen 1933 und 1945“ vierzehn Jahre später fordert: „Wie werden die ‚versunkenen Erfahrungen‘ bewusst? Indem wir lernen, die Rätsel unserer Lebensgeschichte im Kontext der Geschichte zu lösen, und zwar im Detail, und indem wir der Reflexion vertrauen, solange sie Erfahrung und Objektivität fühlbar vermittelt. Das,vor allem, ist kritische Theorie.‘ Zu einem solchen Lernen leistete Krüger mit ‚Das zerbrochene Haus‘ einen einmaligen Beitrag.“ (Boyd 2001, 263) Marcel Atze dagegen hat an der widersprüchlichen Verwendung von TheaterMetaphorik in Krügers Prozess-Reportage darauf aufmerksam gemacht, dass der als „ein Fremder“, „Zuschauer“ gekommene Erzähler zwar erkenne, „daß hier niemand Zuschauer bleiben kann“, aber der „Selbstprüfungsprozeß“ erst 1976 im Nachwort zur Neuausgabe darüber hinaus gehe (Atze 2004a, 130): „My participation in the army and the war took place, as it were, outside my ego experience. To this day I have not been able to make them properly my own.“ (Krüger 1986, 237/238) Ihre Nicht-Integrierbarkeit in die Identitätskonstruktion von „Das zerbrochene Haus“ folgte aus der Unmöglichkeit, in der Darstellung des Soldaten die Leitmetapher des ‚Sprungs‘, der Revolte, und der ‚Marionette‘, des Opfers, in derselben Weise miteinander zu verbinden, wie es die Kritik am Kleinbürgertum erlaubte.⁷
Vgl. Peitsch 2003. In einer Zwischenstellung zwischen Totalitarismus-Doktrin und Sozialgeschichte entwickelte sich zur Zeit der Entstehung und Wirkung von Krügers Buch auch ein geschichtswissen-
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Horst Krüger benutzte 1967 in seiner „Tragikomische[n] Polenreise“ im „Merkur“, die 1971 im Taschenbuch „Stadtpläne. Erkundungen eines Einzelgängers“ den Titel „Von Breslau bis Danzig: polnisch“ erhielt,⁸ eine Metapher, um den Teil über Auschwitz mit dem Ganzen seiner Reisebeschreibung über Polen zu verbinden. Die Metapher vom „Nebel, der bei uns seit zwanzig Jahren zwischen die Völker geblasen wird“ und Polen auf „[west]deutschen Landkarten“ so liegen lasse, „als hätte es Adolf Hitler nie gegeben“ (Krüger 1971, 55), hat ihre Entsprechung in dem Begriff „Mythos“, den Krüger für das „Schlagwort“ benutzt, das Auschwitz „ins Ungefähre und Allgemeine auf[ge]schwemmt“ habe (63). Der Erzähler benutzt die Metaphorik, um den Reisenden als ‚Aufklärer‘ (62) zu profilieren – sein Motiv gilt sowohl für den Besuch Polens im Allgemeinen als auch für den von Auschwitz im Besonderen; es bestimmt die Haltung des Erzählers zum Adressaten, bei dem die vernebelnden, mythischen Vorstellungen vorausgesetzt werden. Aber es bestimmt auch die Darstellung einer Auseinandersetzung mit der offiziellen Reiseführerin, die dem Reisenden lieber mehr von Krakau gezeigt hätte und die der Erzähler anredet: „Krystyna, mich interessierte hier anderes als eure Schlösser und Kirchen. Ich ehre sie. Mich interessierte Oswiecim. Das war mein Krakau, mein Polen. Ich werde es niemals vergessen. Um dieser Stunden in Oswiecim willen hat sich die ganze Reise gelohnt. Ich wünsche jedem Deutschen einen solchen Ausflug von Krakau.“ (62)⁹
schaftliches Interesse an Mittelstands- und Modernisierungstheorien über den Faschismus. Was 1969 in den beiden neuesten geschichtswissenschaftlichen Gesamtdarstellungen – von Martin Broszat und Karl Dietrich Bracher – über mittelständisch-irrationale Massen und den charismatischen Führer stand, der die sozialen Ängste der ‚Unpolitischen‘ in nationale Politik umsetzte (Broszat 1969, 42/43, 48/ 49; Bracher 1979, 531), war nicht so weit entfernt von Krügers Interpretation. Reinhard Kühnl führte 1979 dieses neue, kritische Interesse am ‚Mittelstand‘ auf Bedingungen zurück, die er mit Entspannung, Ende der Ära Adenauer (vgl. Broszat 1988, 221), gesellschaftlicher Reformdiskussion und Studentenbewegung eher umschrieb als genauer fasste, denn die „Frage nach der faschistischen Vergangenheit der Väter“ (Kühnl 1979, 285) wurde, wie Krügers „Das zerbrochene Haus“ deutlich macht, schon lange vor ‚1968‘ gestellt. Vgl. zum Zeitpunkt des Erscheines die Datierung einer polemisch als „‚Annäherung durch Wandel‘“ bezeichneten „Ausgrenzung von Vertriebenenidentitäten“, „‚Verdrängung oder Verschweigung des Problems‘“, die „[u]m 1970 geschah“ (Schwartz 1997, 189): „Dessen folgerichtige Tabuisierung entsprach […] der globalen Trendwende vom Kalten Krieg zur Entspannungspolitik“ (193). Vgl. den Schluss des den drei „Teilen“ von „In einem heimgesuchten Land. Reise eines israelischen Journalisten in beide deutsche Staaten“ vorangestellten „Voriges Jahr in Auschwitz“ (Elon 1966, 7– 21), wo ein mit einem anderen Teilnehmer der ‚Ortsbesichtigung‘ des Frankfurter Gerichts auf dem Warschauer Flughafen geführtes Gespräch Elons nicht nur seine eigene Reise in „beide deutsche Staaten“ (3) motiviert: „‚Oh, daß ich Deutscher sein muß!‘ stöhnte er am Tage zuvor, als wir gemeinsam durch das Lager Auschwitz wanderten. Er ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder. In ein paar Jahren, wenn die Kinder etwas größer sind, will er wiederkommen, damit sie es mit eigenen Augen sehen. Er glaubt, das müssen sie, das müsse jeder Deutsche. Er weiß, die meisten wollen nicht: Sie leben in der Gegenwart und lassen die Vergangenheit Vergangenheit sein. ‚Es sind nur Menschen.‘ Bereisen Sie Deutschland, sagt er, fahren sie kreuz und quer durchs Land. Es hat sich geändert. ‚Sind die Menschen anders geworden?‘ Etwas anders, antwortet er.“ (21)
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Der Aufbau der metonymischen Beziehung zwischen Auschwitz und Polen als Zielpunkt der ‚Aufklärung‘ des Adressaten geht der Erzählung der Reise bzw. der Besichtigung der Gedenkstätte voran. Bevor „kein Nebel über der Oder“ liegt, als der Reisende mit dem Auto einreist, heißt es zum metaphorischen bundesrepublikanischen Nebel über Polen: „Seit zwanzig Jahren existiert dieser Staat, aber wir sehen ihn aus dem Westen nur durch das Milchglas unserer Wünsche, seltsam verschwommen und hehr – wie der Baron von Guttenberg. Zu Pfingsten, und nicht nur zu Pfingsten, rufen es die Vertriebenensprecher den Massen auf buntdekorierten Marktplätzen zu: ihr Pommern und Ostpreußen, ihr Sudentenländer und Schlesier: es wird euch zurückführen, das Heimatrecht. Irgendwann, irgendwie.‘ Niemand in unserem Land weiß, wie. Jeder in unserem Land weiß in der Tiefe: nie. Aber niemand wagt es auszusprechen. Es herrscht ein Kartell des Schweigens. Es herrscht Nebel. Alle sagen: bis zur endgültigen Regelung im Friedensvertrag. Alle haben sich auf diese Formel geeinigt, haben das neue Polen vertagt und verschoben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag der Geschichte. Ich wollte aus diesem Nebel heraus.“ (55/56) Dem Nebel der als Illusionen gekennzeichneten so genannten Rechtspositionen setzt der Erzähler die Absicht des Reisenden entgegen, die „andere“, Polens „eigene Seite“ zu „sehen“: „Ich wollte sie einmal in Augenschein nehmen, sie hören, schmecken, riechen“ (56). Dasselbe Vertrauen in die Wahrnehmung – das z. B. im Fall von Wroclaw zu dem Ergebnis führt: „Ich konnte nicht sehen, daß diese Stadt ‚gegenwärtig unter polnischer Verwaltung‘ stand. Sie schien mir ein neues Zentrum in Polens Westen“ (61) – steht vor der Besichtigung der Gedenkstätte Auschwitz: „Es ist seltsam, einen Mythos an Ort und Stelle zu besichtigen. Es ist notwendig, ihn durch Lokaltermin aufzuklären. Oswiecim ist ganz anders, als wir uns Auschwitz denken. Man muß es mit eigenen Augen gesehen haben.“ (62) Der Erzähler, der „so viel über Auschwitz gehört, gelesen“ habe, „so oft im Frankfurter Prozeßsaal gesessen“ (63), dass es „abgegriffen“ scheine, kommt auf die Bedeutung des Augenscheins zurück, nachdem er den unauffälligen Charakter der Kleinstadt und des Tourismus vor dem Museum vermerkt hat: „Warum soll man das Lager besichtigen? Es ist so vieles zu korrigieren, was der Mythos ins Ungefähre und Allgemeine aufgeschwemmt hat.“ (63) So lautet die selbst sehr allgemeine Antwort vor der Besichtigung durch den Reisenden; am Ende beantwortet der Erzähler die Frage: „Warum erzähle ich das so genau? […] Man kennt das doch. Weil hier die geheime Wunde beider Völker liegt, die bis heute nicht vernarbte. Hier ist die Wurzel. In Polen ist’s geschehen, in Polen hat’s sich abgespielt. Hier in Birkenau wurde doch nicht nur das Volk Israel verbrannt, hier wurden auch Breslau, Stettin, Danzig und Königsberg verbrannt. […] Die Polen waren nach den Juden das zweite Opfer, das ‚Generalgouvernement‘ hieß. […] Es wurden, als der Krieg mit Polen vorüber war, 2,9 Millionen polnische Zivilpersonen, die keine Juden waren, getötet: Professoren und Adlige, Geistliche und Bauern; fast die ganze Elite des polnischen Volkes wurde liquidiert.“ (65) Diese Begründung der Genauigkeit des Erzählens vom Gang durch Auschwitz-Birkenau trifft mit den Bildern der Wunde – „ein Volk von lauter Verletzten“ (65) – und der
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Wurzel – „verspielte, verlorene Heimat“ (57) – die Wahrnehmungsweise des Reisenden: Sie geht im Stammlager zunächst auf die backsteinrot-grüne „Kulisse preußisch-soldatischer Wohlanständigkeit, hinter der das große Vernichtungswerk sorgsam verhüllt betrieben wurde“ (63), dann vor den Stehzellen des Block 11 auf die Unbegreifbarkeit der ausgebliebenen Bestrafung der Täter in der BRD, die dem Reisenden durch die rhetorische Frage des polnischen Führers: „‚Und Mulka ist bei Ihnen heute frei, nicht wahr?‘“ (63), „plötzlich“ vermittelt wird: „Es ist etwas faul in unserer Justiz. Man merkt es spätestens in Block elf.“ (64) Der Erzähler markiert den Unterschied zwischen dem Stammlager und Birkenau: „jetzt sehe ich die Mechanik der Vernichtung zum erstenmal mit Augen.“ (64) Der Augenschein, in den der Reisende Birkenau nimmt, macht den Ort und insbesondere die Natur zu Zeugen: „hier ist noch alles wie vor zwanzig Jahren“ (64). Zugleich aber nimmt der Reisende wie in Auschwitz I die täuschenden Kulissen und das justizielle Verschwindenlassen der Täter wahr: „die Pappeln, die man als Blickfang davorgebaut hat, sie wissen von einer schrecklichen Geschichte“ (64). Auch wenn „Breitweiser in Frankfurt bestritt: er habe kein Zyklon B eingeworfen“, der Anblick der Gaskammern lässt fragen: „Wer tat es hier?“ (64) Krüger hebt nicht nur die „Fabrik“ hervor, sondern er stellt zwischen den Kulissen und den in der BRD verschwundenen Tätern eine Beziehung her; der Erzähler betont: „Zur Mechanik der Vernichtung ist weiter zu beachten: über der Gaskammer erhebt sich ein länglicher, freundlicher Giebelbau. Von außen sieht es wie ein altgermanisches Bauernhaus aus. So eine richtige Bauernwehrburg gegen den bolschewistischen Osten, trutzig und stolz.“ (64) Die Ironie, die Krüger hier anwendet, ist wichtig für die Metonymisierung von Auschwitz für Polen. Krüger erzählt Auschwitz, als sei in der Gedenkstätte der „Völkermord“, der „die Polen auslöschen wollte“, zusammen mit Antisemitismus und Antikommunismus in ‚Augenschein‘ zu nehmen; deshalb kann der Erzähler, indem er die Bilder von Wunde und Wurzel fortschreibt, schlussfolgern: „Alles in Polen ist von dieser Geschichte damals abzuleiten: alles. Die Angst vor den Deutschen, die Verlegung des Landes an die Oder, der Einbruch der Russen, der Kommunismus, Gomulka: man nennt das Geschichte. So wächst eins aus dem anderen hervor. Die Polen wurden nicht gefragt: wollt ihr den Kommunismus? Er kam auch durch Hitler, und natürlich war er mehr als eine halbe Erlösung. Trotzdem war es kein Vergnügen für die Polen, in diesen neuen Apfel beißen zu müssen, der Sozialismus hieß. Er war ihnen ziemlich fremd. Kaum jemand im Lande der schwarzen Muttergottes hatte auf die roten Erleuchtungen durch Marx und Engels gewartet. Im feudalagrarischen Polen hatte die kommunistische Bewegung nie eine ernsthafte Tradition, nie eine Massenbasis. Die Polen waren eher Nationalisten, Anarchisten, Individualisten.“ (66) Insbesondere die Erzählung der Reise durch Polen, deren offizielle Planung an einem Besuch des Schah und einer Zylinderkopfdichtung scheitert: „fast amtlich und doch mißglückt“ (76), bestätigt – nicht zuletzt im Dialog mit Krystyna (60, 69, 74) – das Sozialismus-Bild des Verfassers: Bürokratie und westlich orientierte Spontaneität machen Polen knarrend-bunt (68); das Lob polnischer Ironie (69, 71/72) hat seine Entsprechung in der Selbstdarstellung des Reisenden-Erzählers als Ironiker, als im-
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manenter Kritiker (59/60, 73): „Ich will euch ja nicht euren Sozialismus rauben, […] nur etwas beweglicher, reizvoller, lohnender müßte man ihn machen“ (75). Ein Jahr nach Erscheinen von Krügers Polenreise nahm sie Heinz Piontek in seine Anthologie „Augenblicke unterwegs. Deutsche Reiseprosa unserer Zeit“ auf, hielt aber am ursprünglichen Titel „Tragikomische Polenreise“ auch noch für deren Taschenbuchausgabe 1973 fest, nachdem der Autor ihn 1968 in „Von Breslau bis Danzig: polnisch“ geändert hatte.¹⁰ Ulla Biernat zählt Piontek wie Krüger zu den in den 1960er Jahren sich etablierenden neuen Reisebeschreibern (Biernat 2004, 76), bezeichnet aber die von ihnen gepflegte Form des „historisch-anekdotischen Reise-Essays“ (114) als Ausnahme. In seine 1988 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung erstatteten „Bilanz“ „Über Reisen schreiben“ nahm Krüger auf „Das zerbrochene Haus“ Bezug, erwähnte jedoch nicht, dass dieses Buch ihn nach Auschwitz hatte reisen lassen: „Nachdem ich Anfang der sechziger Jahre mein Erinnerungsbuch ‚Das zerbrochene Haus‘ geschrieben hatte, bin ich immer wieder auf Reisen gegangen. Ich habe versucht, die Welt zu sehen, zu erforschen, zu beschreiben, in kleinen, sehr persönlichen Ausschnitten, versteht sich.“ (Krüger 1988, 78) 1971 rühmte der Auschwitz-Überlebende Jean Améry in der „Tribüne“ Krüger als „de[n] beste[n] deutsche[n] Feuilletonisten unserer Tage“, weil den „ersten nämlich, der das klassische Feuilleton mit der modernen, wohldokumentierten Reportage zu vereinen weiß“ (Améry 1971, 4398), und der Ghetto-Überlebende Reich-Ranicki 1979 den „neugierige[n] Einzelgänger“ einer „verschwundene[n] literarische[n] Form“ (Reich-Ranicki 1979). Unter Berufung „u. a.“ auf Amérys und Reich-Ranickis „Urteil“ (Boyd 2001, 264) schreibt Timothy Boyd Horst Krüger zu, „die Ehre, der letzte Vertreter des deutschen Feuilletons zu sein“, zu Lebzeiten erworben zu haben (263).
2 Günther Anders: Besuch im Hades 1968 schrieb Joachim Günther, der Herausgeber der „Neuen Deutschen Hefte“, in seiner Besprechung von Günther Anders’ „Tagebüchern 1941 bis 1966“, die unter dem
Vgl. in dem 1963 erschienenen Reclam-Band mit Pionteks „Reisebildern“ das „Oberschlesische Prosa“ benannte „Die Stadt“ und seine „Autobiographische Skizze“ über seine Geburtsstadt, „eine Grenzstadt“: „Bis 1945 hieß sie Kreuzburg; seitdem trägt sie einen für mich unaussprechlichen Namen.“ (Piontek 1963, 90). Er beantwortet die „Frage ‚Wie sind Sie Schriftsteller geworden?‘“ (89) mit der Währungsreform: „Wir lebten von Hoffnungen. Wir setzten auf morgen. Und plötzlich war der Tag da. […] Jeder in Deutschland bekam genau 40 Mark. Ich hielt das für gerecht und glaubte, wir begännen nun alle mit der gleichen Chance. Ich berauschte mich. Ich dachte: Jetzt kannst du zeigen, ob du das Zeug zum Schriftsteller hast. Und ich setzte mich hin und schrieb.“ (92) Pionteks „Reiseprosa“ über Schlesien entspricht dem Befund, den Jutta Faehndrich (2005, 333) an 14 (der 48 seit 1945 erschienenen) „Heimatbücher[n] schlesischer Vertriebener“ quantitativ belegt, dass „Sehenswürdigkeiten höchstens am Rande“, „Nationalsozialismus oder gar Holocaust […] so gut wie nicht vor[kommen]“ (336/337).
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Titel „Die Schrift an der Wand“ 1967 erschienen waren:¹¹ „Sein Besuch in Breslau […] dürfte ein großes Stück deutscher Erinnerungsliteratur […] bleiben. Festhaltenswert ist hier auch in unserem knappen Rezensionszusammenhang das erstaunliche Faktum, daß im heutigen Breslau = Wroclaw eine Straße der Toten dem Namen Auschwitz gewidmet ist – in Deutschland und Österreich aber nirgendwo.“ (Günther 1968, 225) Die Prognose des Kritikers, der Anders’ Darstellung einer Reise, die im Juli 1966 von Auschwitz über Breslau bis hinter die Grenze der CSSR führt, „zu den wichtigsten Dokumenten derzeitiger Literatur“ (225) zählte, ist nicht in Erfüllung gegangen. Anders’ 1979 wieder aufgelegter und seither ununterbrochen lieferbarer Text fehlt sowohl in Anthologien und Überblicksdarstellungen als auch in monographischen Analysen. Ein möglicher Grund kann darin liegen, dass „Besuch im Hades“ zwei Genres auf eine Weise verbindet, die von der seit mehr als zwei Jahrzehnten aufstrebenden Forschung zu „Landschaften der Erinnerung“ (Mehnert 2001) vernachlässigt wird: „Besuch im Hades“ ist sowohl ein autobiographisches Werk der Erinnerung an eine Kindheit als auch eine Reisebeschreibung, aber die Vertreibung des Autobiographen aus dem Land der Kindheit erfolgte vor ‚der Vertreibung‘ und die Reise führte in das Gedenkstätte gewordene Konzentrationslager Auschwitz.¹² Günter Anders beginnt seine – auch in der DDR erschienene – Beschreibung einer Reise im Sommer 1966 von Auschwitz nach Wroclaw, seiner Geburtsstadt Breslau, mit einem den Text insgesamt bestimmenden Bild, das dem Adressaten eine universalistische Deutung von Auschwitz anbietet: Das Bild der Züge wird in der Eintragung „Ausfahrt aus Auschwitz“ zum Modell, indem der reisende Tagebuchschreiber von der 1. zur 2. Person Singular wechselt, um den Adressaten in einer Reflexion über das verallgemeinernde Du in das Wissen nach dem Besuch des Lagers einzubeziehen: „Nun weiß ich, was Angst ist, und was Erleichterung. Angst, wenn du, mit zwölfen auf drei Pritschen liegend, nachts einen Eisenbahnzug einfahren hörst, und du lauschst, ins Dunkel […] – denn wer weiß, wieviele […] in einer halben Stunde herausgejagt werden werden, um den Neuen Platz zu machen. Und ob nicht auch du zu den Hinausgejagten gehören wirst. Und Erleichterung ist es, wenn du hörst, daß der Zug […] weiterfährt […] bis zur Rampe in Birkenau – was, wie du weißt, bedeutet, daß diejenigen, die dir vielleicht den Platz auf der Pritsche streitig gemacht hätten, und alle jene, die nun vorbeifahren an der Rückwand deines Blocks, in zwanzig Minuten bereits als Rauch aus dem Kamin steigen werden.“ (Anders 1979, 7) Im verallgemeinernden Bild vom Hören des Eisenbahnzugs wird die Angst um das eigene Leben auf widersprüchliche Weise verdichtet (denn dass der andere den eigenen Platz einnimmt, kann Tod oder Leben bedeuten). Dieses Bild – das den Adressaten positioniert
Zu Günther Anders vgl. Fetz 1992, Orlowski 2000. Zur Erklärung der Nicht-Kanonisierung vgl. Peitsch 2011, 157– 161. Selbst wenn der Text positiv bewertet wird (wie von Sawko-von Massow 2001, 143), wird er wegen seiner ‚Außer- oder Ungewöhnlichkeit‘ (136, 141, 142) aus der „Fülle“ der „Reisebeschreibungen“ ausgeschlossen (143). Vgl. ähnlich Dzikowska 2003, 281; 2008, 197
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– durchzieht den gesamten Text – insbesondere in der das Akustische unterstreichenden Form ‚donnernde Eisenbahnzüge‘. In Anders’ universalistischer Deutung der Gefahr für das Leben der Menschheit kann Auschwitz deshalb auch mit anderen Ortsnamen verbunden werden: Hiroshima, Algerien und Vietnam werden immer wieder (33, 59, 89, 113, 115) als Namen für „Genozid“ (11), „Terror[angriffe]“ (11) und „Folter“ (59) in einen Zusammenhang mit Auschwitz gerückt. Er betrifft die in der ersten Eintragung reflektierte Schwierigkeit, Schmerz, Empörung und Hoffnung zu verbinden:¹³ „[…] die entsetzlichste Reizüberflutung ist heute die moralische, die Tatsache, daß wir gleichzeitig auf Hiroshima, auf Auschwitz, auf Algier, auf Vietnam reagieren müssen.Wie schwer, sich […] zu zwingen […] zur Arbeitsfähigkeit. Also dazu, vielleicht die Summe der Niedertracht dessen, was morgen geschehen könnte, doch noch um ein Minimum zu verringern. –“ (12) Anders’ Auschwitz-Reisebeschreibung strebt dieses moralische Minimum¹⁴ durch ein Plädoyer für die Anerkennung der Oder-NeißeGrenze an, gerade indem er über die verlorene Heimat seiner Kindheit auf der Rückfahrt von Auschwitz schreibt: „Nein, Breslau ist das gewiß nicht, was ich hier gesehen habe. Sondern die Stadt Wroclaw. Die hier mit vollem Recht steht. Und der ich für die Zukunft alles Gute wünsche.“ (80) Für die Beziehung zwischen Auschwitz und Breslau wählt Anders eine auf Peter Weiss’ „Meine Ortschaft“ anspielende Formulierung (Weiss 1965a, 42): „Ich komme von dem Orte, an dem zu sterben […] mir eigentlich bestimmt gewesen war – […] und rolle nun demjenigen Platze entgegen, an dem es mir bestimmt gewesen war, das ‚Licht‘ dieser Welt zu erblicken.“ (Anders 1979, 30/31). Anders erklärt jedoch gerade nicht wie Weiss alle anderen Stationen der Lebensreise für gleichgültig oder austauschbar. Er kehrt die Richtung der Lebensreise-Metapher in der Reisebeschreibung um – vom Ort des ‚bestimmten‘ Todes zu dem der ‚bestimmten‘ Geburt, damit er einen konkreten Vorschlag zur Verringerung der ‚Summe der Niedertracht dessen, was morgen geschehen könnte‘, machen kann.
Vgl. die doppelte Bedeutung von ‚revoltieren‘: sich empören, auflehnen oder (den Magen) übergeben, in: „zu viel Revoltierendes gleichzeitig“ (279; 1979, 11). Christian Dries zitiert im Abschnitt „Die Welt als Vernichtungslager“ (Dries 2014, 75 – 81) seiner Studie „Günther Anders und der Kalte (Atom‐)Krieg“ aus der Neuausgabe von Anders’ „Besuch im Hades“ von 1979 nur das ‚Postscriptum‘„Nach Holocaust“, so dass die Frage nach dem ‚moralischen Minimum‘ von 1967 verschwindet: „Während die atomaren Waffen im wörtlichen Sinn ‚apokalyptisch‘ sind, waren oder sind die Lager ‚apokalyptisch‘ nur im metaphorischem Sinn.“ (76) Zwar hält Dries das „Analogon“ für gerechtfertigt: „Im NS-Lager herrschte für ausnahmslos alle Internierten ein System permanenter Todesdrohung“ (78), aber nicht für alle Menschen: „Tatsächlich bedroht die atomare Gefahr den Fortbestand ‚der Menschheit als ganzer – was man von den Vernichtungslagern nicht sagen kann‘“ (78). Doch Dries geht es bei Anders um den „ontologisch singulären Status“ (79) der Atombombe: „die Atombombe […] als ontologisches Unikum wahrzunehmen, gar als konstitutives Element einer von ihr aus gedachten Weltstruktur“ (79). Er zitiert Anders’ „10 Thesen zu Tschernobyl“ von 1986: „‚Ihr Verbrechen heißt nicht nur Genozid, – welch ein Nur! – sondern Globozid, Ermordung des Globus.‘“ (81)
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Anders’ „Besuch im Hades“ erschien zwei Jahre nach der Münchener Erstausgabe auch in der DDR. Der Cheflektor des Union Verlags, Günter Wirth,¹⁵ begründete im Nachwort die ostdeutsche Lizenzausgabe mit der Nähe von Anders’ Erinnerungsreise zu einem von seinem Verlag 1966 publizierten Text: Bei der Lektüre von Anders „muß man übrigens oft an das im Union Verlag herausgekommene Tagebuch von Erzpriester Peikert denken…“ (Anders 1969, 439). Unter dem Titel „‚Festung Breslau‘ in den Berichten eines Pfarrers 22. Januar bis 6. Mai 1945“ war drei Jahre vor Anders’ BreslauBuch im Union Verlag das von zwei polnischen Historikern auch in Wroclaw polnisch herausgegebene Tagebuch des Geistlichen Rats Paul Peikert, Pfarrer an St. Mauritius, erschienen;¹⁶ die polnischen Herausgeber zitierten am Ende ihres Vorworts einen Brief, den Peikert im Sommer 1945 einem Kriegsgefangenen schrieb: „Die Zukunft unseres Volkes zeigt sich als ein Opfer- und Leidensweg sondergleichen. Wohin hat das verruchte Naziregime das deutsche Volk gebracht? Nun müssen wir Sühne leisten für die Greueltaten und Frevel, die dieses Regime begangen hat in dem Zerbrechen und Zertreten jedes Gottesgesetzes.“ (Peikert 1966, 20) Die Parallelisierung von Peikerts und Anders’ Breslau-Darstellungen durch den DDR-Verlag verweist auf den Zusammenhang mit dem Streit über eine Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze in der BRD, wo es im Zusammenhang mit der EKD-Denkschrift „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ und dem Briefwechsel der katholischen Bischöfe von 1965 allmählich zu einer von der massenmedialen öffentlichen Meinung „mehrheitlich unterstützt[en]“ (Rautenberg 1967, 38) Bereitschaft zur Anerkennung kam; für den Einfluss des Auschwitz-Prozesses auf die Intensität und Richtung der Debatte ist symptomatisch, dass derselbe evangelische Publizist, Reinhard Henkys, in demselben der evangelischen Kirche nahestehenden Verlag, dem Kreuz-Verlag Stuttgart, einer-
Zu Wirth vgl. seinen als „Zeitzeugenbericht“ in einem Band über „‚Bürgerliche‘ Parteien in der SBZ/ DDR“ herausgegebenen Beitrag „Das Eigene und das Fremde“ insbesondere zur intellektuellen Ausgangssituation in den ersten Nachkriegsjahren (Wirth 1994, 126) und zu den späteren „Kontakten zu den bruderschaftlichen Kreisen im Protestantismus der alten BRD“, von denen er Niemöller, Iwand, Wilm und Heinemann nennt: „Gerade diese Nähe zu Gegnern dessen, was damals ‚Restaurationspolitik in der BRD‘ genannt wurde, mußte für unsere Haltung in der DDR ein Element der Bestätigung […] sein“ (133). Vgl. über Wirths CDU hinaus die Verallgemeinerung von Carsten Tessmer (2002, 368/369), der aus seinem Gespräch mit dem letzten LDPD-Vorsitzenden Manfred Gerlach zitiert: „‚Nichts gegen die DDR oder die SED gerichtetes, das war auch nie unser Anliegen und unsere Absicht. Aber etwas Eigenes, was nach unserer Meinung normaler, richtiger und besser war‘“, um zu folgern: „Tatsächlich hatten die gerade auf dem Feld der Deutschlandpolitik in der LDPD, der DDR-CDU und mit sehr großen Abstrichen der NDPD immer wieder feststellbaren Überbleibsel des politischen Eigencharakters nichts mit Systemopposition zu tun, aber mit dem Eigeninteresse der Blockparteien, dem eigenen, in kommunistischer Perspektive ‚gesetzmäßigen‘ Bedeutungsverlust entgegenzuwirken, die eigene Unentbehrlichkeit herauszustreichen, sich in der Konkurrenz untereinander zu behaupten, sich mitunter – zugegebenermaßen bescheidene – Spielräume zu erarbeiten und die eigene Karriere und die damit verbundenen Privilegien zu sichern.“ Vgl. dazu Peitsch 2007, 374– 382, wo sich ein Vergleich anschließt mit anderen Büchern über die ‚Festung Breslau‘, die in der BRD und in der SBZ/DDR bereits erschienen waren.
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seits die Dokumentation „Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Geschichte und Gericht“ (Henkys 1964) und anderseits „Deutschland und die östlichen Nachbarn. Beiträge zu einer evangelischen Denkschrift“ (Henkys 1966) herausgab: „Ernsthaft wird man nicht über die Aussöhnung mit Polen, die Vertreibung, die Ostgrenze und das Heimatrecht sprechen können, ohne von Geschichtserlebnis und Denken des Nachbarvolkes Kenntnis zu nehmen.“ (Henkys 1966, 8) Der bereits zitierten Wirkungsintention des reisenden Tagebuchschreibers Anders: „[…] vielleicht die Summe der Niedertracht dessen, was morgen geschehen könnte, doch noch um ein Minimum zu verringern“ (Anders 1979, 12), entsprechen Textstrategien, die ex negativo annonciert werden, wenn der Verfasser die Einwände „mancher […] deutschen Freunde“ antizipiert und ausdrücklich erklärt, „auf […] Erfahrungslosigkeit und […] Mangel an Phantasie“ keine „Rücksicht […] nehmen“ zu wollen (124). Insbesondere die beiden mit dem Bild der ‚donnernden Züge‘ verbundenen Motive der ‚toten Dinge‘ und der Hadesfahrt lassen sich aus den beiden wirkungsbezogenen Textstrategien erklären: einmal der Organisation von Erfahrung durch Reflexion von Erinnerung und dann des Appells ans Vorstellungsvermögen. Der Text gliedert sich im Neudruck von 1979 in zwei unterschiedlich lange, durch Untertitel bezeichnete Teile: „Auschwitz 1966“ (Anders 1979, 7– 36) und „Breslau 1966“ (50 – 178). Jeder Teil wiederum besteht aus Abschnitten, die zwischen einer halben und zehn Seiten lang sind und die durch Orts- oder Zeitangaben voneinander getrennt sind. Auf diese Weise werden die Abschnitte als Eintragungen in ein Tagebuch lesbar, das im ersten Teil vom 5. bis zum 6. Juli 1966 reicht, im zweiten vom 6. Juli abends bis zum 11. Juli; die Ortsangaben bilden im ersten Teil eine Linie von der Ausfahrt aus Auschwitz über Kattowitz, Oppeln, Brieg und Ohlau nach Breslau; im zweiten Teil treten zwischen die Ankunft und die Abfahrt aus Breslau überwiegend Lokalangaben, die sich auf Gebäude, Plätze und Straßen sowie Stadtviertel beziehen. In beiden Teilen finden sich als „Einschiebung“ (12: „Wien, Herbst“, 25), „Einfügung“ (63, 83) oder „Nachtrag“ (115, 129, 158) markierte Abschnitte, die im ersten Teil durchgehend auf den Herbst, im zweiten Teil in vier Fällen auch auf den August datiert und alle in Wien lokalisiert sind. Durch die Einführung einer Zeitebene nach der Reise wird die chronologisch dargebotene Bewegung der Reise, die zunächst als Linie erscheint, dann als sternförmige, vom Hotel ausgehende und zugleich zwischen Hotel und Brandenburger Straße 54 pendelnde, um eine Dimension erweitert: das Nachher der Reise bringt eine Zukunft ins Spiel, die von einer Bestimmung der Reise ausgeschlossen zu scheint, die der reisende Tagebuchschreiber im Übergang vom ersten zum zweiten Teil gibt: vom „Orte“ des „eigentlich bestimmt[en]“ ‚Sterbens‘ zum für das ‚Erblicken“ des „‚Licht[s]‘ dieser Welt“ „bestimmt[en]“ „Platze“ (30/31). Vor der im Sommer und Herbst 1966 liegenden Zukunft der Reise bildet die Gegenwart der Reise von Auschwitz nach Breslau und zurück nach Wien im Juli 1966 die erste Zeitebene der Eintragungen; die zweite konstituiert sich in den Erinnerungen des reisenden Tagebuchschreibers: diese Vergangenheit umfasst nicht nur das Breslau seiner Kindheit, von 1906 bis 1916, sondern auch die Lebensgeschichten der Menschen seiner Kindheit, die ins Exil, in Deportation und Vernichtung oder in den Krieg geführt
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haben. Mit diesen fast ausnahmslos in den Tod führenden Lebensreisen der Menschen der Breslauer Vergangenheit kontrastieren in den Eintragungen auf der Gegenwartsebene vor allem die Dialoge. Durchgehend stellt sich der reisende Tagebuchschreiber im Dialog mit seiner 1930 in Kalifornien geborenen Ehefrau US-amerikanisch-jüdischer Herkunft dar; neben die „Ch.“ genannte Frau treten elf polnische Gesprächspartner; in neun unterschiedlich langen Szenen (9 – 11: M und R, 11: K, 13/14: Fernlastfahrer, 15/16: zwei Deutsche in einer Reparaturwerkstätte, 52, 57/58, 69, 157– 160, 164) wird ihnen das Wort gegeben, das einerseits vom stummen „Entsetzen“ einer bäuerlich gekleideten Frau (52) über die „Angst“, die in den Augen des Kellners „dunkelt“, der Maidanek überlebt hat (164), bis zu den „komplizenhafte[n] Blicke[n]“ zweier Angehörigen der deutschsprachigen Minderheit reicht, die auch in der jüdischen US-Amerikanerin „‚ihresgleichen‘“, „nicht nur einen ehemaligen Deutschen, sondern einen ehemaligen Nazi [zu begrüßen] meinen“ (16). Aber es werden nicht nur scheiternde Gespräche vorgeführt, sondern sogar eines, das sich als lebensrettend erweist, obwohl die Sprache keine Verständigung erlaubt, als die Warnung vor einem nicht entminten Feld auf Polnisch auf der Rückseite eines deutschen Verbotsschilds steht: „Und […] wir fahren nun, ohne musiziert, ohne hausiert, ohne gebettelt und ohne durch den Tritt auf eine zwanzigjährige noch nicht entschärfte Mine unsere Reise vorzeitig abgebrochen zu haben, weiter in Richtung Breslau; beinahe muß man nach dieser Begegnung mit unserem Lebensretter sagen: in Richtung Wroclaw.“ (14) Dialog ist ein Moment der Adressatenbeziehung des Textes – nicht nur direkt als Leseranrede auf der Ebene der Zukunft nach der Reise, sondern schon in den Eintragungen während der Reise. Die – bereits zitierte – allererste Eintragung „Ausfahrt aus Auschwitz“ hat das Modell gesetzt. Das Bild der ‚donnernden Eisenbahnzüge‘ unterscheidet sich in Anders’ Text von der Verwendung des Bildes durch Naumann (1968, 211) und Weiss (1965, 42); beide Vorgänger benutzen die akustisch-optische Wahrnehmung der Züge als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart; während sie bei Naumann als einzige Möglichkeit des Zugangs zur Erfahrung der Häftlinge erscheint, setzt Weiss die optische Wahrnehmung der Gegenwart geradezu in Gegensatz zur Vergangenheit. Auf dem Weg von Auschwitz nach Breslau wird unter „Oppeln“ zunächst eine Wahrnehmung der Gegenwart an der Oder eingetragen, dann mit einer Vorstellung von Vergangenheit verbunden, die schließlich auf einen bereits zuvor erinnerten Menschen bezogen wird, Edith Stein: „Fast über uns die Eisenbahnbrücke, über die ein endloser Kohlenzug in Richtung Breslau hinwegdonnert. Dies die Verbindungsstrecke mit dem Kohlenrevier. Also auch mit Auschwitz. Die hier vor zwei Jahrzehnten über die Brücke donnerten, und die vielleicht durch die Ritzen der Viehwägen […] hindurchlugten und dieses Wasser und diese Weiden erkennen konnten, die waren bereits zwei Stunden später Rauch […]. Was da über die Brücke herüberfuhr, war Rauch, Rauch provisorisch in Form von Männern, Frauen und Kindern. Ja, auch sie hat in einem dieser Züge gesessen, die dort über die Brücke gedonnert sind.“ (Anders 1979, 23) Im folgenden mit „Ach“ eingeleiteten vorstellenden Durchdenken von Edith Steins Deportation werden zwei Motive mit dem Bild des donnernden Zugs verbunden
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– das der ‚toten Dinge‘ und der Hadesfahrt: „Ach, zu denken, daß auch sie […] dort oben über die Oder gedonnert ist […] und vielleicht – denn die toten Dinge von Breslau waren ja damals noch intakt – den Turm der Elisabethkirche noch einmal gesehen hat“ (25). Ähnlich in Parenthese („denn“) wird der Hades eingeführt, wenn der reisende Tagebuchschreiber sich vorstellt, wie Stein „im Habit der Karmeliterinnen“ zwischen den Deportierten saß: „Niemals wird sich irgendetwas darüber in Erfahrung bringen lassen, denn wie sollte es hier oben im Lande der Lebendigen noch Zeugen geben, die darüber etwas berichten könnten?“ (25) Eine Einschiebung kommentiert die Vorstellung von Steins Deportation in polemischer Auseinandersetzung mit Teresia Renata de Spiritu Sanctos „Edith Stein. Eine große Frau unseres Jahrhunderts“ (1948);¹⁷ gegen eine Glorifizierung als Märtyrerin, durch die Antisemitismus partiell legitimiert werde, setzt Anders: „Voll Schmerz und voll Empörung dieser donnernden Fahrt über die Brücke von Oppeln zu gedenken, das scheint mir würdiger und angemessener, als sie, die sich nicht für etwas geopfert hat, sondern abgeschlachtet worden ist, in den Himmel zu versetzen.“ (28) Die hier mit dem Bild der donnernden Züge assoziierten Gefühle – Empörung und Schmerz – werden im zweiten Teil wieder aufgenommen und mit einem weiteren – Hoffnung – verbunden, wenn zunächst die Reaktion des Vaters auf den ‚Sieg der Gerechtigkeit‘ in der Dreyfus-Affäre erinnert und dann die Haltung des Tagebuchschreibers zur polnischen Stadt Wroclaw in der Gegenwart reflektiert wird. Über die ‚toten Dinge‘, die suggerieren, dass „alles beim Alten geblieben sei“, heißt es: „Nichts betrügt uns schlimmer als das, was zu bleiben, oder was geblieben zu sein, scheint.“ (125) Deshalb schließt er die Reflexion, die vom Bild der Züge ihren Ausgang nimmt, mit einer spezifischen Hoffnung: „Empörung über die Entdeutschung? Nein, nun nicht einmal mehr Schmerz. Sondern nur die Hoffnung darauf, daß dieser Stadt, die nun von neuem ersteht, und deren heutigen und morgigen Bewohnern, ähnliches [wie in der Vergangenheit] ewig erspart bleiben möge.“ (126) Das Bild der ‚donnernden Züge‘ trägt
Vgl. die völlig andere zeitgenössische Bewertung durch den ehemaligen stellvertretenden USamerikanischen Hauptankläger im IMT Robert M.W. Kempner 1968, 107– 116, der als Nebenkläger 1967 die Familien Frank, Stein und Löb vertrat im Münchener Prozess gegen SS- und SD-Angehörige wegen ‚Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord‘ an 100.000 niederländischen Juden; bemerkenswert ist seine Verwendung des Begriffs Holocaust: „Durch Erhebung dieser Nebenklage […] hat der Prozeß ein weltweites Echo gefunden. Die Vorstellungskraft der Menschen kann sich auf zwei Symbole unter den hunderttausend Opfern konzentrieren, aber nicht auf die trockene Zahl. Das Mädchen Anne Frank, die in der ganzen Welt bekannte Verfasserin von ‚Das Tagebuch der Anne Frank‘, ist ein solches Symbol für jeden, der auch nur das Geringste von dem jüdischen Holocaust unter Hitler erfahren hat. Ein zweites solches Symbol ist die in der gesamten katholischen Welt als Philosophin bekannte Karmelitin Dr. Edith Stein, die als jüdische Christin ein Opfer der Verfolgung wurde“ (59); vgl. auch zur „Wirkung des Holocaust“ (118) und gegen die aktuelle „literarische Entlastungsoffensive für Hitler und seine Komplizen“, die „als modern gilt“: „Folgt man ihren Slogans, so wären in erster Linie die Juden selbst für die Judenvernichtung verantwortlich, weil sie nicht genug Widerstand leisteten (da sie nämlich wehrlos waren)“: „Hitler und seine Komplizen sind und bleiben die wahren Schuldigen an dem Holocaust, für alle Ewigkeit.“ (189)
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also widersprüchliche Gefühle – Empörung, Schmerz und Hoffnung, verbindet die Motive der ‚toten Dinge‘ und der Fahrt in den Hades und impliziert eine universalisierende Deutung von Auschwitz. In Anders’ Text bildet die Gegenwart der ‚toten Dinge‘ der Vergangenheit, wie schon in der ersten Eintragung zu den in Auschwitz „gesehen[en]“ „Dingen“ (7), den Koffern, Brillen, Haaren und Schuhen (30), einen Skandal. Mit auf „Empörung“ (64) setzenden Adjektiven, Adverbien und Verben verzeichnet der Reisende auch in Breslau „das, was im eigentlich erwarteten Nichts zufällig doch noch da ist“ (53): „unwahrscheinlich“ nennt er das „Bild“ des Hauptbahnhofs (54), „absolut unbegreiflich“, dass der Wasserturm „auch jetzt noch steht“, „[n]icht zu glauben“ das erhaltene Israelitische Krankenhaus (70), „nicht die Lücke“ „erschreckt“, sondern das Übriggebliebene (53). Wenn der Tagebuchschreiber die sich häufenden solcherart gewerteten Wahrnehmungen zusammenfasst, stellt er in Breslau eine Beziehung zu den Koffern in Auschwitz her (66): „Untreue gibt es offenbar nicht nur bei uns, sondern auch bei toten Dingen, jedenfalls ist der Haupteindruck, den diese friedlich und schweigsam dastehenden Überlebenden auf mich machen, der von scheinheiliger Naivität, und einen Augenblick lang erfüllt es mich geradezu mit Empörung, daß sich nicht ein einziges dieser Häuser veranlaßt fühlt, nach seinem nicht mehr existierenden Nachbarn zu schreien.“ (64) In einer Anrede Ch.s wird schon bei der Annäherung an Breslau deutlich, wie die Verwendung der Zeitformen mit dem Bild des Hades für die Erinnerung an die Kindheit am Ort der ‚toten Dinge‘ zusammenhängt; bis dahin ist nur einmal vom „Lande der Lebendigen“ „hier oben“ (25) die Rede gewesen, und auch im Dialog mit Ch. fehlt noch die räumliche Richtung nach unten, wenn der Reisende seiner Mitreisenden erläutert, dass vergangene Zukunft erinnert werden wird: „Für mich, Ch., geht es nun also zurück in diese Zeit [vor 1916]. Dir freilich wird, was du dort zu sehen bekommen wirst, nichts davon melden, sondern nur von einer völlig anderen Zukunft, die nun freilich ebenfalls schon, mindestens zum größten Teil, zugrundegegangen und vergessen worden ist.“ (33) Im Text bezieht sich das Bild vom „Besuch im Hades“ an keiner Stelle auf Auschwitz, das vor dem Beginn der Reisebeschreibung aufgesuchte Reiseziel. Auch in der Metaphorik des Hades – die durch ihre Verwendung im Titel hervorgehoben wird – liegt eine Bezugnahme auf Peter Weiss, wiederum eine, die einen Unterschied markiert;¹⁸an die Stelle der toten Geliebten Beatrice tritt bei Anders die lebende, USamerikanische Ehefrau Ch., vermieden wird die christlich-katholische Dreiteilung des Orts der Toten. Die erste Bezugnahme auf das Hades-Bild und damit Erklärung des Titels erfolgt in einem Gespräch mit Ch.; der reisende Tagebuchschreiber artikuliert angesichts der Oder seine „Angst“ (34), indem er die bevorstehende „tollkühne Expedition“ (34) von Reisen abgrenzt, wo „‚exotisch‘“ als „Werbevokabel von touristischen und militäri-
Vgl. das „Gespräch über Dante“ (Weiss 1968, 152).
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schen Firmen“ (35) fungiert: „‚Hinab ins Gewesene?‘ […] dem wirklich Exotischen: der Unterwelt, entgegen“ (36), die „Grenze des Orkus hinter mir“ (36). Anders hält im Fortgang des Textes an dem Wort „Unterwelt“ (83, 178) fest, zu dem als Synonym „Unterreich“ (72, 153, 170) und deren griechisch-mythologische Entsprechungen treten: „Orkus“ (73, 78) und „Styx“ (116), bzw. die klassisch-literarische Deutung „zu den ‚Müttern‘ hinabsteigen“ (100). Wenn erstmals vom titelgebenden Hades die Rede ist – anlässlich des Verlusts des väterlichen Taschenmessers, das „wie ich, in Breslau das Licht der Welt erblickt“ habe und „das einzige Stück Breslau, das ich besessen habe“, gewesen sei, meint der Reisende, „durch dieses Opfer die Gewißheit zu erkaufen, daß ich selber – was ja wahrhaftig noch nicht feststeht – aus diesem Hades heil fortkommen werde“ (145). Der zukunftsungewissen Vorausdeutung auf der Ebene der Reisedarstellung entspricht in der Schilderung der Abreise der Rückgriff auf die in den letzten 48 Stunden zunehmende „Heidenangst“, dass sich das „Unterreich, in das ich mich hineingetraut hatte, plötzlich über mir schließen könnte“ (170). Durch die Darstellung der Reaktionen Ch.s – ihrer Blicke, die umzustimmen suchen (72), ihres Aufatmens (78) – wird die angesichts des Elternhauses aufgeworfene Frage, ob es kühn oder feige sei, „ohne einen Blick in den Orkus geworfen zu haben, ins Heute zurückzudesertieren“ (73), widersprüchlich beantwortet. Auf der einen Seite erweist sich dem durch den Orkus, das erinnerte Breslau fahrenden und wandernden Reisenden die Stadt als „ein einziger riesenhafter Friedhof, ein einziges riesenhaftes Massengrab“ (62; vgl. 82), auf der anderen Seite als ein Heute, das die Zerstörungen zerstört: „Denn endgültig wird das Nichtmehrdasein des Gewesenen nicht dann, wenn sich […] an dessen Stelle das Nichts auftut, sondern erst dann, wenn sich an der Stelle des Gewesenen ein anderes etwas breitmacht. Endgültig zerstört ist Breslau in meinen Augen erst durch diese Negation der Negation.“ (78) Die ausdrückliche Bejahung des polnischen Wroclaw als Heute verbindet sich mit der Absage an einen individualisierenden Gräberkult: „Was sollen in diesem großen und wüsten Friedhof und Massengrab noch die kleinen Inseln der luxuriösen Totenpflege?“ (63; vgl. 8: „Luxus“, „[d]aß Tote Einbettzimmer“) Die Ablehnung des Interesses für die „Einschachtelungen“ innerhalb des „Massengrab[s] in einem größeren Massengrab“ enthält einen „Schmerz“, der unfähig sei, sich „diese Toten und deren Sterben einzeln […] vorstellen zu können“ (82/83). Empört äußert sich der Tagebuchschreiber vor allem auf der Zeitebene der Zukunft nach der Reise durch Polen, wenn er in Wien im Sommer und Herbst Texte kommentiert, die aus der BRD stammen: Hans von Ahlfens und Hermann Niehoffs „So kämpfte Breslau. Verteidigung und Untergang von Schlesiens Hauptstadt“ (1959). An dem Buch der beiden letzten Festungskommandanten Ahlfen und Niehoff hebt Anders immer wieder hervor, mit welchen Mitteln – von der Art des Berichtens bis zur Karte, die die zerstörte Synagoge verzeichnet – so getan werde, als sei nichts geschehen (Anders 1979, 63, 82); die Fiktion einer fortdauernden Vergangenheit erscheint als Gefahr für die Zukunft: Anders erblickt den Skandal der 1959 veröffentlichten Darstellung der militärischen Handlungen von 1945 darin, dass „damalige […] Chancen auch heute noch Tausenden von Lesern eingeredet werden können“ (130).
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Gegen solche Kontinuität setzt Anders’ „Besuch im Hades“ auf den Bruch: „wer hier, wie ich Vorgestriger, alles verloren hat, der hat hier eben, wie man so sagt, ‚nichts verloren‘ […]. Recht haben hier allein die Heutigen. Und die Morgigen. Die jungen Polen hier. […] Und für die soll natürlich von dem, was ich hier niederschreibe, nichts gelten.“ (79) Und auf den vorweggenommenen Einwand, der die Vergangenheit in der Gegenwart fortdauern sieht, erwidert Anders, wie bereits zitiert: „Nein, Breslau ist das gewiß nicht, was ich hier gesehen habe. Sondern die Stadt Wroclaw. Die hier mit vollem Recht steht. Und der ich für die Zukunft alles Gute wünsche.“ (80) Als Günther Anders 1985 der Andreas-Gryphius-Preis zugesprochen wurde, konnte er in dem „Preisangebot“ der Künstlergilde e.V., die den Ostdeutschen Literaturpreis vergibt, wenn nicht „Naivität“ – Unkenntnis des Textes, so nur „Zynismus“ (Anders 1987, 176) – „Tarn- und Alibimotive“ (179) – erkennen: Sein „AblehnungsBescheid“ (175) bekräftigte die im Buch bekundete Empörung wie den Schmerz (176): „daß mir nichts ferner liegt, als das unsägliche Elend der sich vor vierzig Jahren westwärts wälzenden Flüchtlingsmassen aus dem Osten zu verkleinern oder gar vergessen zu machen“ (175/176), aber Anders bestand unzweideutig darauf, dass seine Bejahung der „Polonisierung Breslaus“ (176) keine „‚Pflege des ostdeutschen Kulturgutes‘“ (179) sei. Diese politische Dimension des Textes ist von einigen zeitgenössischen Rezensenten, die eine Norm analytischer Gesellschaftskritik (Baacke 1969, 393) verfochten, gründlich verkannt worden (vgl. auch Frenzel 1967).¹⁹ Der Vorwurf einer „Kulturkritik“, die „im Grunde apolitisch bleibt“, wurde auch von Helmut Salzinger in der „Zeit“ 1968 auf eine Weise erhoben, die dem Lob von Margret Boveri in der „FAZ“ diametral widerspricht: „Keinem, einem Juden schon gar nicht, wird man es verdenken dürfen, wenn Auschwitz ihm zeitlebens ein Trauma bleibt. […] Gegenüber den historischen Dimensionen des Faschismus ist Anders, der jüdische Emigrant, blind. Ich wage nicht, das zu kritisieren, ich stelle es nur fest. Aber ich halte diese Blindheit für gefährlich, da sie dazu führen kann, daß Auschwitz zum bloßen ‚Schlagwort‘ oder gar zu einem falschen Mythos wird.“ (Salzinger 1968) Boveri dagegen hob eine ‚historische Dimension‘ hervor: „Unter dem Eindruck von Auschwitz, das er 1966 ebenso wie seine
Sie wird auch verkannt, wenn Barbara Breysach „Besuch im Hades“ aus ihrem „Gedächtnisraum Polen“ (2005, 142) ausschließt, weil „die Erinnerung an das Lager Auschwitz-Birkenau nicht polnisch konnotiert“ (138) sei: „Anders deutet Auschwitz als gesteigerten Ausdruck eines Zeitalters, das auf die Endzeit hin drängt“ (142); vgl. auch Ann-Kathrin Pollmann 2012, 409: „die Konfrontation mit seinem Geburts- und dem ihm einst zugewiesenen Sterbeort [ließ] keine andere Erzählung zu als die historisch spezifische – und damit nicht verallgemeinerbare. In Auschwitz kamen die in Günther Anders’ Schaffen gegeneinander laufenden Zeitvorstellungen von Endzeit und Biographie zu einem Stillstand.“ Ausnahmen von dieser Verkennung sind Irmela von der Lühe 2006, 177, und sehr bedingt Elzbieta K. Dzikowska, die in ihrem zweiten Aufsatz Anders’ unter „den drei führenden Publikationen über Schlesien-, bzw. Breslaureisen“ gegenüber August Scholtis’ und Walter Laqueurs zwar nur „durch ihren ungewöhnlichen Duktus deutlich hervor[stechen]“ (2008, 197) sieht, aber sie in ihrem ersten Aufsatz recht verklausuliert „einen wegen seines Innovationspotentials zunächst in ein falsches Licht gerückten Wendepunkt im Vertreibungsdiskurs dar[stellen]“ (2003, 281) lässt.
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Geburtsstadt Breslau besucht, wendet Anders seine Strenge rückwärts, gegen die Epoche der Assimilation.“ (Boveri 1968; vgl. auch Rieger 1970) 34 Jahre später wird in Roswitha Schiebs Suche nach Deutschem und Jüdischem in Polen auf ihrer mit beiden Eltern unternommenen „Reise nach Schlesien und Galizien“ Auschwitz nicht aufgesucht. Der Untertitel „Eine Archäologie des Gefühls“ bezieht sich auf die von den Eltern übernommene Auffassung der reisenden Erzählerin, „dass der neuen Heimat etwas Talmiartiges anhafte, während das Echte, das Unverdorbene, also die ausgeprägten Jahreszeiten, die Jugend, die angestammten Traditionen und die ursprüngliche Natur in Gleiwitz und den Wäldern der Umgebung beheimatet seien“ (Schieb 2000, 157); die analoge Auffassung schreibt sie den aus Lemberg stammenden Polen in Schlesien zu, um es dann „bemerkenswert“ zu finden, „wie sehr sich Vertreibungen strukturell ähneln“ (157). So liefert bei Schieb ein Gespräch in Breslau die Affirmation ‚deutscher‘ kultureller Prägung der Region. Im Kapitel „Breslauer Ringe“ (143 – 181) löst das Schild der Straße der Opfer von Auschwitz die Erinnerung der Reisenden an Anders’ Reisebeschreibung „Besuch im Hades“ aus, die auch ihr polnischer Begleiter gelesen hat, Henryk: „ich als neuer Breslauer habe natürlich die Kindheitserinnerungen eines ehemaligen Breslauers aus der Kaiserzeit mit großer Neugierde gelesen“ (173). Die Reisende beantwortet dann dem Polen zwei Fragen, die er „nicht ganz begriffen“ habe, obwohl das Buch ihm, wie er zitiert wird, „damals, glaube ich, gut gefallen“ hat und „obwohl ich mich nicht mehr an viel erinnere“ (173); auf beide Antworten darf Henryk sagen: „Gut […], das leuchtet mir ein“ (174). Die Antwort auf die Frage, „warum sich der Titel ‚Besuch im Hades‘ nicht nur auf Auschwitz, sondern vor allem auf Breslau bezieht“ (173), fehlinterpretiert den Text auf eine bemerkenswerte Weise: Der Hades sei „die Last der Geschichte“, die der „Erinnerung an eine glückliche Zeit seiner Kindheit“ „eine düstere, unterweltliche Färbung verliehen hat“ – aber „an einigen Stellen“ bräche in ‚Schwärmereien‘ und „Schwelgereien“, die „den Hades […] blitzartig erhellen“, die glückliche Kindheit durch (174). Die zweite Antwort klärt angeblich Henryks Unverständnis, warum „Breslau viel stärker mit Auschwitz und der deutschen Schuld assoziiert wird als, sagen wir, München oder Berlin“ (174); wieder ist die befriedigende Antwort eine Fehlinterpretation von Anders’ Reisebeschreibung: Schieb unterstellt Anders die „Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen der Shoah und der Vertreibung“ (175): „Anders […] geht davon aus, dass die Vertreibung der Deutschen aus Schlesien […] anzusehen ist […] als Strafe für die Shoah.“ (175) Hiergegen sind sich die Reisende und ihr polnischer Begleiter einig, einen einzigen Schuldigen zu finden: „Stalin drängte auf die Westverschiebung […] und die Vertreibungen […] hatte [sic] nichts mit Schuld, Strafe oder Vergeltung zu tun.“ (176) So ist Schiebs Reisebeschreibung ein Anti-Anders, der die einzige in beiden deutschen Staaten erschienene Reisebeschreibung über Auschwitz auf eine dem ‚wiedervereinigten‘ Deutschland entsprechende Weise verzerrt, um sie aus der öffentlichen Erinnerung zu tilgen.
3 Schalom Ben-Chorin: „Auschwitz ohne Juden?“
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Die erste Gruppe der westdeutschen Aktion Sühnezeichen reiste im September 1967 nach Auschwitz. Sie wurde geleitet von dem Wolfsburger Jugendpfarrer Rudolf Dohrmann, der schon mit Gruppenreisen, die von anderen Organisationen veranstaltet worden waren, in Auschwitz gewesen war: im Juli 1965 mit der IG Metall, im Oktober 1966 mit dem Stadtjugendring Uelzen und im Juli und August 1967 mit der DGB-Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Wolfsburg (Dohrmann 1984, 4), so wie schon im April 1964 einer der beiden kirchlichen Hauptverantwortlichen der Aktion Sühnezeichen in Westberlin, Franz von Hammerstein, eine Gruppenreise der Evangelischen Industriejugend nach Auschwitz geleitet hatte (Legerer 2010, 229). Denn einerseits war es im DGB zunächst seit 1960 in Einzelgewerkschaften wie der IG Metall durch „‚Auschwitzfahrten‘“ ihrer Jugendorganisationen zu einer „Durchlöcherung des Kontaktverbotes“ gegenüber den sozialistischen Staaten gekommen, bis dann 1964 Reisen zu Gedenkstätten im ‚Osten‘ (außer in der DDR) vom DGB-Bundesvorstand erlaubt wurden (Hildebrandt 2010, 449), andererseits erhielt Aktion Sühnezeichen seit 1961 mehr als „die Hälfte der Spenden aus dem nichtkirchlichen Bereich“, insbesondere von Kommunen, zuerst vom Bezirksamt Schöneberg, so dass Gabriele Kammerer von einem „Ausbruch aus dem kirchlichen Milieu“ (2008, 102) spricht.
3 Schalom Ben-Chorin: „Auschwitz ohne Juden?“ Um die erste „Fahrt“ der westdeutschen Aktion Sühnezeichen „nach Polen, um dort in der Gedenkstätte Auschwitz zu arbeiten“, kam es zu „Auseinandersetzungen“, die „Pastor Dohrmann damals bewogen, eine Broschüre mit dem Titel ‚Versöhnung hat politische Gestalt‘ zu publizieren“ (Dohrmann 1984, 4), in der sein Beitrag „Schritte zur Versöhnung“ allerdings am ausführlichsten auf die „Studienfahrt“ (5) des Sommers 1967 eingeht und keine Beschreibung der Reise im September gibt. Aber deren Darstellung im Jahresbericht der Westberliner Organisation vom Dezember durch deren hauptamtlichen Mitarbeiter Volker von Törne war es, die zu einer ‚Auseinandersetzung‘ führte, die von dem Journalisten und Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin mit dem Artikel „Auschwitz ohne Juden?“ in der deutschsprachigen Jerusalemer Tageszeitung „Jedioth Chadashoth“ (1943 – 1974) am 15. März 1968 eröffnet wurde: „‚Liest man diesen Bericht, so ist man erschüttert, nicht nur in dem Sinne, wie jeder Bericht über Auschwitz erschüttert, sondern vor allem auch über das, was hier nicht steht. (…) Aktion Sühnezeichen wird unglaubwürdig, wenn sie sich in dieser Form an der Verfälschung der Geschichte mitbeteiligt, wie sie heute von offiziellen Kreisen in Polen (und anderen Oststaaten) betrieben wird (…) Sollen uns noch die Opfer geraubt werden?“ (Legerer 2011, 244/245). Der Historiker Anton Legerer, der BenChorin das Verdienst zuschreibt, „[d]er erste Beobachter und Kritiker einer Akze[n]t-
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verschiebung in Richtung ‚Auschwitz ohne Juden‘ [ohne Fragezeichen, H.P.]“ (244)²⁰ gewesen zu sein,²¹ formuliert dessen Erklärung: „‚bei den jungen Deutschen die unbewusste Folge einer ‚Gehirnwäsche‘“ (245), um in ‚Infiltration‘: „Mit dem neuen Einsatzort Polen floss die Perspektive des national geprägten polnischen Erinnerungsdiskurses in die Westberliner Organisation ein“ (244), von dessen „langjährige[m] Nachkriegsnarrativ“ (244), das Legerer „das polnische, von antisemitischen Inhalten getragene Narrativ“ (245) nennt, dem „[d]ie von Törne vorgenommene Überlagerung der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus mit der polnischen Staatsangehörigkeit folgte“ (244), während der Historiker gegen eine „‚deutsch-polnische Versöhnung durch das Verschweigen der jüdischen Tragödie‘“ zustimmend Ben-Chorin aus dessen Briefwechsel mit Erich Müller-Gangloff zitiert: „Nach der Ermordung von Millionen Juden in Auschwitz, würden nun ‚die polnischen Kommunisten das Andenken dieser Opfer ermorden.‘“ (245) Eine abschließende Erklärung Legerers verzichtet auf die Kalte-Kriegs-Metapher ‚Infiltration‘: „Die konkrete Konfrontation mit den nationalsozialistischen Verbrechen in Polen ließ offenbar eine ähnliche, von Empathie getragene Identifikation mit der zeitgenössischen polnischen Bevölkerung aufkommen wie nach den ersten Einsätzen in Israel.“ (246) Zwölf der vierzehn Teilnehmer und die einzige weibliche, studentische Teilnehmerin der Reise im September erfüllten in Auschwitz die Bitte des polnischen Journalisten Jerzy Piorkowski, eines ehemaligen Redakteurs der Zeitschrift „Nowa Kultura“, um „Gedanken, Äußerungen, Erwägungen zum Thema: ‚Meine Arbeit in Auschwitz‘“ (Piorkowski 1968, 18). Unter dem als Motto gesetzten: „Pastor Rudolf
Vgl. denselben Druckfehler „Akzeptverschiebung“ in Legerers Wiederholung dieser Einschätzung in Legerer 2016, 422. Ignoriert wird die ‚Akzentverschiebung‘ in Schalom Ben-Chorins Blick auf die ‚Oststaaten‘, denn er hatte 1961 in einer zum Ostermarsch-Netzwerk gehörenden Zeitschrift, den „Blättern für deutsche und internationale Politik‘“, die nach Friedhelm Boll von „einiger Bedeutung“ waren, weil „kirchlich gebundene Kreise protestantischer wie katholischer Herkunft […] eine eigene pazifistisch orientierte Zeitschrift gründeten“ (Boll 2002, 600), in einem Beitrag zum Thema „Ko-Existenz“ geschrieben: „Das Nebeneinander von westlicher und östlicher Form der Demokratie scheint mir der einzig mögliche Weg zur Entspannung und Befriedung unserer Welt. Jahrhundertelang meinte das Abendland, daß nur eine Form des Christentums möglich sein könne: Katholizismus oder Protestantismus. [Heute…] ist das Nebeneinander der Religionen unproblematisch geworden, und ein Zug zur Ökumene hat weiteste Kreise erfaßt. So und nicht anders muß es auch mit den politischen Religionen unserer Zeit geschehen. Auch sie müssen und werden nebeneinander existieren und schließlich wieder zu einer Annäherung gelangen – wenn die zivilisierte Welt nicht im Chaos versinken soll. Das Ernstnehmen der Konzeption der Ko-Existenz auf beiden Seiten kann zur Entspannung führen, die wir heute so dringend herbeisehnen.“ (Ben-Chorin 1961, 338) Vgl. Goldschmidt 1981, 610, 614, zu Ben-Chorins Mitarbeit in der auf dem Kirchentag in Berlin 1961 gegründeten „Arbeitsgruppe“, dann „Arbeitsgemeinschaft ‚Juden und Christen‘ beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“, die 1961 „Wurzeln des Antisemitismus im christlichen Antijudaismus“ (611) diskutierte, 1965 „[d]ie historisch begründete besondere Verantwortung der Christen in Deutschland für den Staat Israel“ und 1967 „Juden und Christen – ihr biblischer Friedensauftrag“ (612). Zum Projekt der Kreises der Gründer der „Blätter“ „im Geiste der Ost-WestVerständigung und des Dialogs zwischen Christen und Marxisten“ vgl. 50 Jahre 2006, 1284.
3 Schalom Ben-Chorin: „Auschwitz ohne Juden?“
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Dohrmann, Initiator der Sühneaktion Auschwitz in der Bundesrepublik: ‚Wir kamen hierher nicht als Touristen, sondern um zu lernen‘“ (17), wurden sie von der offiziellen „Illustrierten Monatszeitschrift“ „Polen“ mit Alter, zwischen 16 und 26, und Beruf (drei Schüler, vier Arbeiter, vier Studenten und ein Techniker) (Meine Arbeit 1968, 17) vorgestellt. Die zwischen vier und 23 Zeilen einnehmenden ‚Äußerungen‘ haben redaktionell Überschriften erhalten, kurze Zitate, von denen die einen hervorheben: „Was ich in Auschwitz sah“, die anderen: „Erst hier begriff ich“ (17). Die größte Gemeinsamkeit zwischen den dreizehn Beiträgen formuliert ein 18-jähriger Student auf seine Weise so: „Jetzt muß ich in meinem Land die Konsequenzen in meinem Handeln ziehen, daß sich Auschwitz niemals mehr wiederholen kann. Auschwitz muß stehenbleiben – als Sinnbild, als Warnung und als Forderung.“ (17) Vom durch die Arbeit in der Gedenkstätte motivierten eigenen Handeln, Engagement, Einsatz oder Kampf schreiben acht, sechs vom Ziel, „das Seinige […] zu tun, daß es nicht zu einem ‚zweiten Auschwitz‘ kommt“, und vier vom „Symbol des Schreckens“ (17). Ein Schüler deutet „[e]inen Pfiff von naher Bahnstrecke“ symbolisch: „Warum erst ein Pfiff? Phantasie allein ungenügend, dies Verbrechen liegt nicht im menschlichen Erfahrungsbereich: unmenschlich. Anstoß ist notwendig. Auschwitz-Birkenau aber lebt: eine Verbindung von Symbol und vergangener Wirklichkeit. Vergangene für immer, hoffentlich.“ (17) Der Techniker deutet seine konkret in Birkenau geleistete Arbeit symbolisch: „Ich wollte durch meine Arbeit, im wahrsten Sinne des Wortes, das Gras ausreißen, das hier als wuchernde Flora, bei uns als politisch gelenkte Einschläferungsmethode, über dieses grausige Mahnmal des Faschismus gewachsen ist, so daß sich Gleiches nie wiederholen darf.“ (17) Was als Auschwitz ‚Gleiches‘ drohe, deutet der jüngste der vier Arbeiter an, wenn er Auschwitz „ein Symbol des Schreckens für vieles andere […] wie z. B. den Faschismus in Deutschland, in Spanien oder den Krieg in Vietnam“ (17) nennt. Der Begriff Faschismus wird noch in drei weiteren Beiträgen benutzt, nur in einem ist von „NS-Zeit“ die Rede (17). Aber auch in Beiträgen, die den Begriff nicht benutzen, kann es heißen, „daß ich zwei Wochen lang eine der grausamsten Konsequenzen einer kapitalistischen Gesellschaftordnung genau kennenlernen konnte“, so der 16-jährige jüngste Teilnehmer (17), und der Arbeiter, dessen Alter nicht angegeben ist, schreibt: „Auschwitz, Inbegriff des Schreckens. Hervorgebracht durch eine Gesellschaftsordnung, die es nicht verhinderte, daß die spießigsten Kleinbürger in Verbindung mit dem Großkapital mit einem nie dagewesenen Untertanengeist, aufbauend auf dem deutschen Militarismus, die Macht an sich reißen konnten. Grauenvoll die faschistische Rassentheorie. Ich bin erschüttert.“ (17) Ähnlich verbindet auch der Student in einem der kürzesten Beiträge sozialökonomische und sozialpsychologische Aspekte: „Gäbe es nicht die ‚deutsche Mentalität‘ in Verbindung mit der kapitalistischen Organisation der Gesellschaft, brauchte ich in Auschwitz nicht das Unbegreifliche verstehen zu lernen.“ (17) Im Briefwechsel mit Müller-Gangloff hat Ben-Chorin dem Artikel in der Zeitschrift „Polen“ „‚Geschichtsklitterung‘“ vorgeworfen, mit zwei Begründungen, die Legerer
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gleichsetzt: „weil weder im journalistischen Auftext noch in den 13 Kurzzitaten der Teilnehmer ‚das Wort Jude gebraucht‘ wurde. ‚Es ist nicht einmal von Antisemitismus die Rede, auch das Wort Nationalsozialismus wird vermieden und es ist ganz allgemein von Faschismus die Rede, von kapitalistischer Organisation, gesellschaftlichen Machtverhältnissen usw.‘“ (Legerer 2011, 245) Der Vorwurf, der seit 1975 vor allem von US-amerikanischen Kritikern gegen Weiss’ „Die Ermittlung“ erhoben wurde, ‚das fehlende Wort‘ sei das ‚Wort Jude‘ (Cohen 1998), wurde bei der Einweihung des Mahnmals in Birkenau von der „Welt“ erhoben. Nachdem die Zeitung am 17. April eine Meldung von UPI mit dem Untertitel „Ausfälle gegen Bonn“ gedruckt hatte, die die ‚Warnung‘ des polnischen Ministerpräsidenten, „den Status quo in Europa anzutasten“, und „die Bedingungen“ „für eine „Aussöhnung Polens mit der Bundesrepublik“ wiedergab: „Als ‚Einleitung‘ für die Aussöhnung müßte die Bundesrepublikauf auf Kernwaffen verzichten und die ‚DDR‘ und die Westgrenze Polens anerkennen“ (Denkmal 1967), druckte „Die Welt“ am 22. April unter dem Titel „Jüdische Kritik an Auschwitz-Feier.Vorwürfe der New Yorker Zeitung ‚Aufbau‘ gegen Polen“ Auszüge, die die Einweihung als ‚„einen Hohn auf die Opfer‘‘ und „‚den geringsten Erwartungen von menschlichem Anstand‘“ widersprechend bezeichneten; hervorgehoben wurde einleitend: „Gleichzeitig kritisierte die Zeitung die Angriffe des polnischen Ministerpräsidenten auf Bonn.“ (Jüdische Kritik 1967) Unzutreffend war zumindest die erste von der „Welt“ übernommene Behauptung: „‚Daß drei Viertel der Opfer von Auschwitz Juden waren, durfte bei der Feier in keiner Weise erwähnt werden.‘“ Der „Aufbau“ kritisierte insbesondere, dass in Cyrankiewicz’ Rede „das Wort ‚Jude‘ nicht ein einziges Mal gefallen“ sei. Im Bericht von Georges Wellers in dem Organ eines französischen Verfolgtenverbandes, „Le Déporté“, heißt es über den zweiten Redner, nach Cyrankiewicz, Robert Waitz, den damaligen Präsidenten des IAK, dass Waitz „a consacré un long et émouvant passage aux Juifs“, aber „sans traduction, ni résumé en polonais“ (Wellers 1967, 19; vgl. Wóycicka 2016, 81). Der Berichterstatter der „FAZ“ hob dagegen an Cyrankiewicz’ Rede hervor, dass sie „in einem Abriß der aktuellen polnischen Deutschland-Politik einer Warnung vor den angeblichen Gefahren aus der Bundesrepublik gleichkam“ (ckn 1967). Entsprechend wurde im Bericht der staatliche „Charakter“ der „Veranstaltung“ detailliert: „Auszeichnung“ mit „dem höchsten staatlichen Kampforden“, „Fallschirmjäger“ als „Ehrenwache vor dem Monument“, „[m]ilitärische Kommandos für die aufziehende Ehrenkompanie und Kanonensalutschüsse“ (ckn 1967), entsprechend wurde die Einweihungsfeier gedeutet, wie im Untertitel mit einem Fragezeichen angekündigt „Auschwitz-Birkenau als politisches Symbol der Gegenwart?“ (ckn 1967): „Mehr und mehr, so scheint es nach dieser Feier, soll Auschwitz-Birkenau zu einem Symbol des politischen Kampfes in der Gegenwart […] werden.“ (ckn 1967) Gegen eine solche ‚Symbolisierung‘ berief sich der Berichterstatter der „FAZ“ auf die jüdischen Opfer unter Verweis auf „Publikationen und die Inschriften auf den Gedenkplatten am Auschwitz-Denkmal“: Sie „unterscheiden nicht zwischen den hunderttausend politischen Häftlingen, die hier umgekommen sind, und den Millionen Männern, Frauen und Kindern, die an diesem Ort wegen ihres Glaubens und ihrer Haarfarbe, wehrlos
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und ohne Widerstand, vergast wurden.“ (ckn 1967) Das abschließende Bild stellte einen Gegensatz heraus: „Eine Frau betete leise den Kaddisch, das jüdische Totengebet – abseits der Ehrentribüne und der knatternden Fahnen.“ (ckn 1967) Während Katharina Stengel in ihrer Biographie Hermann Langbeins, des Vorgängers von Robert Waitz als Präsident des IAK, dem Redner nach dem polnischen Ministerpräsidenten bei der Einweihung des Mahnmals in Birkenau 1967, in Übereinstimmung mit den Artikeln der „Welt“ und der „FAZ“ berichtet: „das […] Verschweigen der jüdischen Identität der allermeisten Opfer stieß nun auf vernehmbaren Protest“ (Stengel 2012, 323), obwohl sie vorher die Eröffnung der „Jüdischen Ausstellung“ 1968 im Museum von Auschwitz erwähnt hat (212), schränkt Habbo Knoch seine Behauptung über das Museum Auschwitz: „Texte und Bildbeschreibungen machten nicht auf die größte Opfergruppe des Lagerkomplexes […] aufmerksam“, zwar folgendermaßen ein: „Allerdings stellte der offizielle deutsche Führer durch die Ausstellung von 1970 immerhin fest, ‚daß Auschwitz zum Schauplatz der vollständigen Judenvernichtung bestimmt worden war‘ [Smolen 1970, 19]“ (Knoch 2001, 773), aber um fortzufahren: „Die ‚konkrete Erinnerung an die Deportation‘ und an die Lebensgeschichte der Opfer wurde jedoch ausgeblendet. Die kulturelle Verschiedenheit der religiös orthodoxen Juden und die zionistische Identität anderer wurden im Gesamtbild polnischer Opfer zugunsten eines harmonischen Bildes einer polnischen Volksgemeinschaft nivelliert.“ (773) Knochs Verwendung einer Begrifflichkeit kultureller Identität und Differenz, um die Nennung des ‚einen Worts‘ als unzureichend zu kritisieren, blendet ihrerseits mit dem Nazi-Terminus ‚Volksgemeinschaft‘ aus, was in einem der Artikel des „Themenschwerpunkt[s] über Auschwitz“ stand, mit dem die offizielle polnische „Illustrierte Monatsschrift“ „Polen“ – nach der einleuchtenden Erklärung Legerers – auf die Kritik Schalom Ben-Chorins an ihrem Bericht über die Auschwitz-Reise der ersten westdeutschen AS-Gruppe eine „Antwort“ (Legerer 2011, 245/246) gab:²² die Gleichheit von Staatsbürgern. In einem Porträt des in Großbritannien lebenden polnisch-jüdischen Foto-Sammlers Alexander Bernfes, der für die BBC den Film „Das Warschauer Ghetto“ gemacht hatte, der von neun Millionen Zuschauern gesehen wurde und auch in den USA und den Niederlanden im Fernsehen lief, aber „trotz Drängens der BBC“ (Der Spiegel, 1.1.1968: Graue Albumblätter) nicht in der BRD, obwohl dessen Ausstellung „Warschauer Ghetto“ in Frankfurt/Main unmittelbar vor Beginn des Auschwitz-Prozesses „einiges Aufsehen erregt“ hatte (Wojak 2004, 254; vgl. Brink 2000, 13 – 18): „Wir Polen wissen in den Werken Alexander Bernfes’ seine nicht leichte Einstellung eines durch und durch rechtschaffenen und objektiv urteilenden Menschen zu schätzen, der die Tragödie der polnischen Juden stets im Zusammenhang mit den gemeinsamen Leiden und dem gemeinsamen Kampf aller Staatsbürger des okkupierten Polens darstellt.“ (Gedenken 1968) Der ungezeichnete Artikel trug den programmatischen Titel „Gedenken für die Zukunft“ (1968).
Legerer (2011, 245) datiert das Heft mit dem Themenschwerpunkt (1968, H. 11) fälschlich auf 1969.
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Während die beiden anderen Artikel im Heft mit dem Themenschwerpunkt Auschwitz die moralischen Probleme von Funktionshäftlingen im Konzentrationslager (Gawalewicz 1968) und die juristischen bei der Strafverfolgung (Wasita 1968) erörterten, gab es bereits in einem früheren Heft von „Polen“ 1968 einen zu polnischen Juden. Der Vorabdruck aus dem Buch „Die Achse Tel Aviv-Bonn und Polen“ von Tadeusz Walichnowski, das Piotr Madajczyk (2007, 139) „programmatisch“ nennt für eine Wende von ‚antideutscher‘ zu ‚antisemitischer‘ Politik unter dem Innenminister Mieczyslaw Moczar, beantwortet die 1967 nach dem Sechstagekrieg vom polnischen Parteichef Wladyslaw Gomulka aufgeworfene ‚Frage einer doppelten Loyalität‘ (Sauerland 2004, 164/165) eindeutig dahingehend, dass „das Gebot, daß die Juden der Diaspora die ‚zentrale Position‘ Israels anerkennen und diesem Staat Loyalität wahren, im offensichtlichen Widerspruch zu den allgemein geltenden staatsbürgerlichen Pflichten steht“ (Walichnowski 1968, 19). Walichnowski zitiert vor allem von der V. Plenartagung des WJC in Brüssel 1966, um eine Beteiligung Israels an einer „antikommunistischen Kampagne und der Rehabilitation der Bundesrepublik“ (17) zu belegen. Insbesondere Nahum Goldmanns Begründung der „These“, „daß die Juden ein einheitliches Volk bilden, dessen zentraler Mittelpunkt Israel ist und für dessen Schicksal das ganze jüdische Volk verantwortlich ist“: „‚Das jüdische Volk war niemals so wie andere Völker. Es war immer einzigartig. Wir sind mehr als eine Nation, Religion oder Zivilisation. Wir sind das alles zusammengenommen, und deshalb gibt es kein anderes Volk dieser Art wie wir‘“ (20), sieht Walichnowski zu der von Goldmann gezogenenen Konsequenz führen: „‚Das russische Judentum muß das Problem Nr. 1 unserer täglichen Tätigkeit bleiben‘“, weil seine „Verfolgung“ sich darin ausdrücke, dass ihm „‚das Recht zur Erhaltung der jüdischen Indentität [sic] abgesprochen wird‘“ (19). Eine Schlüsselrolle für Walichnoskis eigene These, dass eine „Verleumdungskampagne“ mit der „angeblichen Verantwortung der Polen für die Ermordung der Juden durch die Deutschen“ (22) geführt werde, spielt die Einladung des Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier zur V. Plenartagung, der zusammen mit der Leitung des JWC „die Bundesrepublik Deutschland als einen aufrichtig demokratischen und friedliebenden Staat darzustellen“ (42) versucht habe: „die Widerstandsbewegung in Hitlerdeutschland […] sei noch in einer Zeit entstanden, als das Deutsche Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, und war ein Ausdruck des Widerstandes gegen die Ermordung der Juden“ (42). Auf fragwürdige Weise rechnet Walichnowski „der zionistischen Aktion die in der Presse und in Buchausgaben geführte Kampagne“ (22) zu, wie z. B. Jerzy Kosinskis „The Painted Bird“, der „die Polen als ein Volk von […] nach jüdischem Blut dürstenden Antisemiten“ „schildert“ (41), oder Jean Francois Steiners „Treblinka“, wo er, wie Leon Poliakov zitiert wird, „‚über Pogrome in Wilna schrieb, die es niemals gegeben hat‘“ (41). Aus einem der ersten USamerikanischen Bücher mit dem Wort ‚Holocaust‘ im Titel, des aus dem Warschauer Ghetto geflohenen Alexander Donats „The Holocaust Kingdom. A Memoir“ (1965), zitiert Walichnowski in deutscher Übersetzung im selben Jahr 1968, in dem die Catalogue Division der Library of Congress eine „major entry card“ schuf: „‚Holocaust – Jewish, 1939 – 1949‘“ (Cernyak-Spatz 1985, 10): „‚Warum haben die Deutschen nicht
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den Bau von Gaskammern außerhalb Polens riskiert? […] Die Deutschen wußten, daß die Menschen überall, nur nicht in Polen Widerstand leisten werden, daß kein Land in Europa eine derartige Schmach auf seinem Gebiet dulden wird.‘“ (Walichnowski 1968, 40) Die von Walichnowski an ein solches Bild vom besetzten Polen gestellte Frage war, ob gegen Polen ein Vernichtungskrieg vom deutschen Faschismus geführt worden sei: „Die Okkupanten gingen von der einfachen Überlegung aus, daß die geographische Lage Polens, das sich im Zentrum der von Hitler okkupierten Gebiete befand, die Durchführung der Vernichtung der Juden und Slawen erleichert. Denn in Polen wurden neben der jüdischen Bevölkerung vor allem Polen, Russen und Tschechen exterminiert.“ (39) Wenn Walichnowski betont: „Zum Unterschied von den anderen Ländern unter nazistischer Okkupation war nur in Polen und der Sowjetunion jedwede Hilfe für Juden unter Todesstrafe gestellt. […] Trotzdem hat das polnische Volk den Juden geholfen, obwohl es doch selbst ein Objekt der nazistischen Exterminationspolitik, also ein Volk war, das sich in einer ähnlichen Lage wie die Juden befand“ (22), nennt er etwas selbstverständlich, was es jedenfalls in der Bundesrepublik keineswegs war: „Es braucht nicht bewiesen zu werden, daß die Slawen neben den Juden in weiterer Folge zur Extermination bestimmt waren.“ (39) Obwohl Walichnowskis fragwürdig personalisierende Figur der ‚Kampagne‘ Israels für die BRD auf den innenpolitischen Kontext verweist, wo die studentische Protestbewegung seit einem Aufführungverbot für Adam Mickiewicz‘ „Totenfeier“ im März 1968 offiziell bekämpft wurde, indem sie auf ‚Unruhestifter‘ zurückgeführt wurde, zu Revisionisten gewordenen, ehemaligen marxistischen Intellektuellen jüdischer Herkunft, wie Leszek Kolakowski,²³ Zygmunt Bauman, Bronislaw Baczko und Wlodzimierz Brus, die jetzt Zionisten seien (Sauerland 2004, 168, 171), wird der von ihm gewählte Beleg, Eugen Gerstenmaiers Rede vom 20. Juli vor dem WJC, noch aufschlussreicher, wenn diese Brüsseler Rede mit einer zum selben Thema in Bayern gehaltenen verglichen wird. In einer Gedenkstunde am 20. Juli 1967 in der vom Freistaat 1957 gegründeten Akademie für politische Bildung in Tutzing, die in Verbindung mit der Universität und Technischen Hochschule München, dem Landesjugendring sowie der Standortkommandantur München der Bundeswehr durchgeführt und von der Bundeszentrale für politische Bildung verbreitet wurde, setzte er der „Absage an die Vergangenheit“ (Gerstenmaier 1967, 4), die „seit mehr als 20 Jahren in der veröffentlichten Meinung Deutschlands [BRD, H.P.] dominierte“ (5), die Forderung einer „Neuordnung unseres Nationalbewußtseins“ (5) entgegen. Die „Grundtöne“ der ‚Absage‘ setzte Gerstenmaier gleich mit dem „Antigermanismus“ William L. Shirers in dem „Bestseller“ „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches“ (1961), der „nicht besser als der Antisemitismus“ sei, wenn er behaupte, „daß Hitler kein Zufall, sondern eine Konsequenz der
Vgl. Kolakowskis 1956 polnisch, 1960 in der BRD veröfffentlichten Artikel „Die Antisemiten. Fünf keinesfalls neue Thesen als eine Warnung“ (1984, 188): „Die heutige Tolerierung der schwächsten Erscheinungen des Antisemitismus bedeutet die Tolerierung der Pogrome von morgen.“
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deutschen geschichtlichen Entwicklung gewesen sei. Von Luther über Friedrich den Großen, Bismarck und Wilhelm führe eine gerade Linie zu Hitler. In ihm […] sei schließlich das Wesen der Deutschen, das Eigentliche der deutschen Geschichte unmittelbar deutlich und gegenwärtig geworden“ (4). Dieser ‚Absage an die Vergangenheit‘ setzte Gerstenmaier „Identität, den Willen zur Selbstidentifikation“, entgegen im „Volk als einem auch in der Generationenfolge mit sich selbst identischen Subjekt der Geschichte“ (4). Das letzte Wort von Gerstenmaiers Rede war ein Zitat aus „Helmuth von Moltkes Kreisau“ von Pfingsten 1943, auf das „wir uns – Sozialisten und Konservative – einigten“: Die „Treue, die jeder einzelne seinem nationalen Ursprung, seiner Sprache, der geistigen und geschichtlichen Überlieferung schuldet“, gebe den „Trägern d[…]er Ordnung das Recht […], auch von jedem einzelnen Gehorsam, Ehrfurcht, notfalls auch den Einsatz von Leben und Eigentum für die höchste politische Autorität […] zu fordern“ (11). Dem Schweigen über die in der Brüsseler Rede behauptete Motivierung des Widerstands aus der Ermordung der europäischen Juden entspricht in der Tutzinger Rede das Fehlen jeglicher Erörterung von Schuld oder Scham, wenn Gerstenmaier nationale Identität ethnisch definiert. „‚Jüdisches Volk‘ ist eine Vokabel des Nationalsozialismus“ (Weltlinger 1968, 18), zitierte der langjährige Vorsitzende der Westberliner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegmund Weltlinger sich selbst, als er am 10. Januar 1968 im Amerika-Haus Westberlins der Gesellschaft „Jugenderinnerungen und Alterserkenntnisse eines deutschen Juden“ vortrug. So habe er „[i]m Frühjahr 1964“ in einer mit dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland abgestimmten „Erklärung“ formuliert, denn Jude-Sein sei das „Bekenntnis zu einer Offenbarungsreligion“ (18). Weil er sich als Juden von „Konfession“ (17) begreife, trete er als Deutscher dem „Gerede in der Welt, wir wären ‚ein Volk von Mördern‘“ (14), entgegen, indem er als Christdemokrat beitrage, Brücken zu bauen (17). So beweise er seine „Dankbarkeit“ (17) für die Hilfe von Nicht-Juden beim Überleben der Verfolgung. Bemerkenswert ist Weltlingers Selbsteinschluss in Scham über ‚Schändlichkeiten‘ sowohl hinsichtlich ihrer Datierung als auch deren Abwägung gegen Stolz auf Ehrenvolles: „die Kunstschöpfungen unserer Größten wiegen mir mehr, als die unsagbaren Schändlichkeiten, die im Namen des deutschen Volkes begangen wurden und für die ich mich ebenso schämte, wie eine große Anzahl meiner Mitbürger es tat“ (20). Weltlingers „Alterserkenntnisse“ schweigen von dem, was der Dominikanerpater Willehad Eckert auf einer Tagung im April 1968 zum 10. Jahrestag der Gründung der Aktion Sühnezeichen eine vom „Jahr 1967“ „gebracht[e]“ „Wende“ genannt hat: „Seit dem akuten Ausbruch der Nahostkrise sind sich Juden in aller Welt ihrer Urverbindung mit Israel elementar bewußt geworden.“ (Hammerstein 1968, 34) Eckert benutzt das Bild der ‚Schatten von Auschwitz‘, wenn er von Nicht-Juden im „Gespräch“ mit Juden verlangt, sich der ‚Urverbindung‘ als „Partnern bewußt“ zu sein, „daß die Schatten von Auschwitz sich nicht bannen lassen“ (35). Eckert plädiert dafür, dass Aktion Sühnezeichen für „Frieden […] zwischen Israel und den Arabern, zwischen Israel und den Menschen des Ostblocks“ (38/39) eintreten soll. Sepp Schelz’ Vortrag über „Frieden mit Kommunisten“ anerkennt zwar, dass in der durch „Entspan-
3 Schalom Ben-Chorin: „Auschwitz ohne Juden?“
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nungsbemühungen“ veränderten „offizielle[n] Politik der Bundesregierung“ (41) der „ideologische Antikommunismus […] nicht mehr in der gleichen Weise als Grundaxiom unserer Politik [gelte] wie vor zehn Jahren“ (47), vermisst aber darin, dass man glaubt, „guten Gewissens von ‚Vorleistungen‘ sprechen [zu] könne[n]“, die „Einsicht“, „daß wir durchaus noch einen Nachholbedarf zu erfüllen haben“, in „Betracht“ zu ziehen, „was Deutschland im zweiten Weltkrieg in einigen Ländern des Ostblocks, insbesondere in der Sowjetunion und in Polen […] angerichtet hat“: „die Ausmordung von Millionen Menschen“ (49). Erich Müller-Gangloff stellt „Fragen an eine erinnerungslose Generation“ (52), weil Aktion Sühnezeichen „zehn Jahre Vortrupp für eine Umkehr unseres Volkes“ (53) gewesen sei, die bisher nicht erfolgt sei, indem er das „Recht der Jungen […] gegen eine Generation“ betont, „die […] die Schande von Vietnam so wenig wie zuvor die von Auschwitz oder Hiroshima beim Namen zu nennen wußte“ (54). „Vergangenheit […] zu bewältigen“ sei Aktion Sühnezeichen „vor zehn Jahren angetreten“, „‚Erinnerung durch Anerkennung‘ [zu] erstreben“ (56), von der Müller-Gangloff betont, dass sie „sowohl dem Stiften gültiger Erinnerung als auch von Schalom im Sinne von Heil und Frieden dienen“ soll (56). Seine „drei Anerkennungen“ (56) sind die „der deutschen Teilung“, „der Oder-Neiße-Grenze“ und die „des Staates Israel als Besiegelung der Heimkehr eines Volkes nach beinahe zweitausend Jahren des Exils und der Zerstreuung“ (57). Die Tagung endete mit einer Bekräftigung der von Aktion Sühnezeichen auf dem Kirchentag in Hannover 1967 erhobenen Forderung „‚Frieden mit der DDR‘“ (59), die allerdings Müller-Gangloffs Einschätzung der ‚jungen Generation‘ problematisierte: „Die aufbegehrende junge Generation scheint in unartikulierter Programmlosigkeit stecken zu bleiben und die in der besonderen deutschen Situation vorgegebene Aufgabe eines praktischen Friedensdenkens zu versäumen.“ (59) Deshalb schlug Aktion Sühnezeichen an Stelle der „bisherigen Zwangsideen“ „die Formulierung erreichbarer Ziele und […] die Anbahnung von Verhandlungen über sie“ (59) vor. Die als Ausgangspunkt der Kontroverse über ‚Auschwitz ohne Juden?‘ zitierten ‚Äußerungen‘ von vierzehn TeilnehmerInnen der ersten Reise der westdeutschen Aktion Sühnezeichen nach Auschwitz waren im Januarheft 1968 von „Polen. Illustrierte Monatszeitschrift“ gerahmt von den zwei Seiten des „Hoffnung“ überschriebenen Artikels des polnischen Journalisten Jerzy Piorkowski, der am Schluss die Entstehung der ‚Äußerungen‘ aus seinen abendlichen Diskussionen mit den Westdeutschen in Auschwitz und ihre Wirkung auf ihn berichtet: „Nicht mit allen Freunden von der ‚Aktion Sühnezeichen‘ bin ich in allem einverstanden. Aber zu allen von ihnen fühle ich nach dieser Auschwitz-Lektion Vertrauen. Dieses Vertrauen zu gewinnen, ist – das gebe ich zu – für Deutsche in meinem Vaterland nicht leicht.“ (Piorkowski 1968, 18) Im ersten Teil des Artikels stellt Piorkowski im Präsens die Ankunft der Gruppe, die von „in luxuriösen Autocars“ „hierher gekommen[en]“ „Dollartouristen“ abgegrenzt wird, als Weg zur Arbeit an den „von Gras überwuchert[en], von Regen verschlammt[en]“ „Ruinen“ des Krematoriums II dar: „die letzte Stätte des irdischen Daseins von mindestens 1 Million Menschenwesen […] muß von Erde und Schlamm befreit werden“ (15). Einerseits betont der Erzähler die ‚Sachlichkeit‘ der Anweisungen
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des Ingenieurs vom Museum, andererseits die „seltsame, grauenerweckende Arbeit“, die die bisher einander Unbekannten „psychisch und physisch voneinander abhängig“ (15) mache, die „sich auf […] das Gestrüpp in verbissenem Schweigen“ „werfen“: „Manche finden kleine Gegenstände, bei deren Anblick sie erbleichen: verrostete Brillenfassungen, einen Rasierapparat und Knochen, klein und weiß, wie aus lang verflossenen Epochen.“ (15) Piotrowskis Abweisung dieses Vergleichs mit Prähistorischem leitet über zu einem Erzählerkommentar, der Auschwitz als Ort der Vernichtung von Polen deutet: „Aber gleich nebenan stehen die Ruinen des Krematoriumsofens, erbaut nach den Gesetzen der modernen Technologie und Arbeitsorganisation, mit Berücksichtigung rationaler Wirtschaftsbelange. Leicht kann man berechnen, daß, wenn nur ein einziger Ofen bis zum heutigen Tag ohne Unterbrechung in Auschwitz qualmen würde – jetzt die letzte Million der an der Weichsel lebenden Polen auf seinen Rosten verkohlen würden [sic].“ (15/18) Entsprechend dieser Deutung lautet die einzige im Text ausdrücklich gestellte Frage, die den zweiten Teil des Artikels eröffnet: „Was hat diese jungen Menschen zur Stätte des größten Verbrechens getrieben?“ (18) Der Erzähler greift auf eigene frühere Begegnungen mit Auschwitz-Besuchern zurück, um die Aktion Sühnezeichen-Gruppe von diesen abzugrenzen, aber er stellt im zwischen Präsens und Präteritum wechselnden Text eine die Arbeit der Gruppe in den Mittelpunkt stellende Deutung ihres ‚Erlebnisses‘ voran, aus der sich ein Unterschied zu anderen Besuchern ergibt: „Was sie hier erleben, ist eine Lektion der Arbeit, eine Lektion des Schweigens, die das Wissen um die Vergangenheit der Generation ihrer Väter enthält. Dieses Wissen kann keine Photographie, kein Buch, kein Film ersetzen. Nichts ersetzt den Augenblick, wenn durch die eigenen Finger die Erde von Auschwitz rieselt.“ (18) Piorkowski zitiert zwei ebenfalls junge Westdeutsche, einen Künstler und einen Pastor: „Auschwitz verschließt mir den Mund, Auschwitz setzt jeder Diskussion mit Ihnen ein Ende!“ (18), um die schweigende Arbeit der Gruppe abzugrenzen von einem Schweigen, das „über dieses Thema überhaupt nicht sprechen will“, für das er auch einen jungen westdeutschen Historiker zitiert: „‚[…] die Deutschen wollen polnische Filme, Plakate, Musik, Kunst. Nur die Wahrheit über die Naziokkupation in Polen, die wollen sie nicht!‘“ (18)²⁴
Es könnte sich um Martin Broszat handeln, der mit einer von Hermann Langbein geleiteten BRDGruppe im Oktober 1956 nach Auschwitz reiste, zu der auch der „FAZ“-Mitarbeiter Hermann Pörzgen (Stengel 2012, 174) gehörte. Broszat wurde in Auschwitz auf Texte von Rudolf Höß aufmerksam gemacht (177), die er 1958 herausgab, wobei er für die Vermittlung Jan Sehn, Kasimierz Smolen und Hermann Langbein dankte (Höß 1978, 10, 14). Broszats Dissertation „Nationalsozialistische Polenpolitik“ wurde 1961 wie schon die Höß-Ausgabe in einer wissenschaftlichen Reihe des IfZ publiziert, fand aber 1965 eine Taschenbuchausgabe und ihre Ergebnisse gingen ein in das für eine breitere Öffentlichkeit bestimmte Buch „Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik“, das 1963 vom Ehrenwirth-Verlag in seine Reihe „thema“ aufgenommen wurde: „Es werden aktuelle Probleme behandelt und zur Diskussion gestellt.“ (Broszat 1963, Klappe hinten) Broszat zitierte aus Hitlers Reichstagsrede vom 6. Oktober 1939, dass Polen „‚überhaupt nicht zu den kulturellen Nationen‘ zähle und verdientermaßen ‚von der Erde hinweggefegt‘ worden sei“ (217), und aus Franks ‚Denkschrift‘ als Inbegriff der Besatzungspolitik, die
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Mit Verweis auf die „abendlichen Diskussionen“, deren „Zeuge“ er war, formuliert Piorkowski: „Diesen jungen Menschen von der ‚Aktion Sühnezeichen‘ hat Auschwitz den Mund geöffnet.“ (18) Als das gemeinsame Motiv der TeilnehmerInnen an der „Aktion Sühnezeichen“ in Auschwitz stellt Piorkowski heraus, dass „sie deren grundlegende Maxime ‚Durch Sühne zu Verständigung und Versöhnung‘ richtig befanden“ (18), um mit einzelnen Diskussionsbeiträgen zur Überwindung ‚faschistischen Denkens‘ und von „Passivität“²⁵ seine gewagte, aber auch mit dem letzten Satz: „Es ist unser aller humanistische Hoffnung“, bekräftigte Metapher zu belegen: „Für diese jungen Christen ist Auschwitz weder ein Phantom noch ein Gespenst, sondern eine Art neuzeitlicher Schutzengel.“ (18) Auf die Führung durch einen ‚Schutzengel‘ verweisen auch die Bilder, mit denen Piorkowski seine Darstellung der den ‚Mund öffnenden‘ Arbeit der Gruppe zusammenfasst, bevor er den LeserInnen der Zeitschrift deren ‚Äußerungen‘ nahelegt – wegen ihrer „Energie und Urteilsschärfe“, obwohl die „Stimmen manchmal rauh und heftig“ seien: „Auschwitz ist für sie also weder Schweigen noch Ende einer Fahrt. Auschwitz ist der Beginn eines Weges und die Stimme, die in die Zukunft führt.“ (18)
4 Rudolf Dohrmann: Versöhnung hat politische Gestalt Die – bereits dargestellten – „Auseinandersetzungen um diese Fahrt“ (Dohrmann 1984, 4) motivierten eine Broschüre des Wolfsburger Pfarrers Rudolf Dohrmann „Versöhnung hat politische Gestalt. Stimmen zur Begegnung mit Polen“, die von der inzwischen in Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste umbenannten westdeutschen Organisation 1968 herausgebracht wurde, in der aber sein Beitrag „Schritte zur Versöhnung“ am ausführlichsten auf eine nicht von der Organisation selbst, sondern von der Wolfsburger DGB-Bildungsvereinigung Arbeit und Leben veranstaltete Reise nach Auschwitz einging, die im Juli und August 1967 stattgefunden hatte. Fast ein Fünftel des Textes wird von einer „Resolution“ eingenommen, die als Form, „Eindrücke und Ergebnisse dieser Fahrt […] darzulegen“, von einem Teilnehmer ‚beantragt‘, einem „Redaktionsausschuß“ zu „entwerfen“ übertragen und nach „mehrtägigen harten Diskussionen“ „jedem Teilnehmer“ zu unterschreiben „überlassen“ worden war: „Von 39 Teilnehmern haben 23 unterschrieben, sechs andere Teilnehmer hätten unterschrieben, wäre die Resolution nicht auch auf die Frage der DDR und der atomwaffenfreien Zone eingegangen.“ (5) Die Resolution begründete die Forderung, „die OderNeiße-Grenze umgehend anzuerkennen“, mit vier Gründen: erstens dem „unsagbaren Leid, das die deutsche Herrschaft über Polen gebracht“ habe, das „[a]ngesichts der wegen des sowjetischen Vormarschs 1943 geändert werden müsse, „‚besonders Auschwitz‘“ (241), hielt aber dessen Deutung im Rahmen der Totalitarismus-Theorie, indem er von der „Qualität imperialer totalitärer Fremdherrschaft“ (243) sprach. Vgl. den vermutlich auf den 2. Juni 1967 zielenden Hinweis: „Einer der jungen Studenten wurde jüngst in Westberlin von der Polizei blutig geschlagen.“ (18)
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Krematorien von Auschwitz und der Hinrichtungsstätten in Warschau uns bewußt geworden ist“, zweitens damit, dass „d]ie Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze von Polen besiedelt“ seien, von denen „die Hälfte“ „dort bereits geboren“ sei, weshalb „die Revision dieses Zustandes nur durch Krieg möglich ist“, drittens mit der „unsinnig[en]“ „Abwertung der Polen gegenüber den Deutschen“, die „oft genug“ mit dem „Anspruch auf die Gebiete jenseits von Oder und Neiße verbunden“ sei, und viertens damit, dass „eine dauerhafte Verständigung zwischen Deutschen und Polen“ „nur möglich“ sei durch die „Sicherung des Friedens“ durch „die Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik“ und „die Bildung einer atomwaffenfreien Zone in Europa“ (5). Ebenso wenig wie diese Resolution ist Dohrmanns eigener, überwiegender Textanteil eine Reisebeschreibung, doch in ihm spielt der im Titel stehende Begriff „Versöhnung“ eine zentrale Rolle, die auffallen lässt, dass er in der Resolution fehlt, oder genauer: durch ‚Verständigung‘ ersetzt ist. Als – wie im Antrag auf die Resolution formuliert – ‚Darlegung der Eindrücke und Ergebnisse‘ kann Dohrmanns Zusammenfassung von vier Reisen von Wolfsburg nach Auschwitz zwischen 1965 und 1967 aber gelten; er leitet sie ein: „Unüberhörbar ist das Wort Versöhnung ausgerufen. Eingestandene Schuld und Hoffnung auf lebbare Zukunft mit unseren polnischen Nachbarn bilden die beiden Komponenten dieses Wortes.“ (4) Drei Mal fasst Dohrmann unter dem Begriff ‚Versöhnung‘ das ‚Ergebnis‘ von ‚Eindrücken‘ der westdeutschen Auschwitz-Reisenden zusammen. Das erste Mal sind es „Begegnungen und Gespräche“ und die nicht als „‚Pflichtbesuch‘“ aufgesuchten „Stätten“ des „Grauens“: „die Anfänge der geplanten völligen Ausrottung haben die Jahre 1939 – 1945 […] zu einem Grunderlebnis des polnischen Volkes […] werden lassen“ (Dohrmann 1984, 4). Oder wie Dohrmann später insistiert: „Polen sollten wie Juden und Zigeuner vom Erdboden verschwinden wie Ungeziefer, das man ausrottet.“ (5) „Wir haben das unbeschreibliche Grauen dieser Stätten ins Auge gefaßt, weil wir davon überzeugt sind, daß aus eingestandener Schuld unserem Volk große und gute Kraft für das Zusammenleben mit den Nachbarvölkern erwachsen kann. Wir haben auch den tiefen inneren Zusammenhang gespürt zwischen dem Vernichtungsort Auschwitz und der nach 1945 entstandenen Grenze an Oder und Neiße.“ (4) Das zweite Mal grenzt Dohrmann die Auschwitz-Reisenden scharf vom „NurTourist[en]“ ab, der Polen an den „Knobelbecher“ erinnern müsse, weil er sie nur in einer „Objektrolle“ (4) sehe: „Wenn Deutsche heute nach Polen fahren, so unternehmen sie eine politische Fahrt. […] Im Blick auf Vergangenheit und Zukunft erhält jede – auch noch so private – Begegnung mit Polen politischen Charakter.“ (4) Das dritte Mal verweist Dohrmann für Versöhnung als „Zentralbegriff des Neuen Testamentes“ auf 2. Korinther 5,19 – 20 , ohne die Verse zu zitieren, wenn er den Begriff „aus der Analogie im Glauben an die vorleistende Versöhnungstat Christi gebraucht und praktiziert“ (Dohrmann 1984, 4) wissen will; die Stelle lautet: „Gott versöhnte in Christus die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht an und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an
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Christi Statt, denn Gott vermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasset euch versöhnen in Gott.“ Dohrmanns Auslegung dieses Paulus-Worts zielt gegen einen in der Kontroverse um die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zentralen Begriff der Bundesregierung: die Ablehnung der Anerkennung als ‚Vorleistung‘ unter Verweis auf den ausstehenden Friedensvertrag. Gestützt auf ein Exempel aus dem Alltagsleben: „Wer je mit einem Menschen Streit gehabt hat, weiß, wie schwierig es oft ist, das erste Wort zu finden, den ersten Schritt zu tun“, setzt Dohrmann den Skopos seiner aktualisierenden Auslegung: „Versöhnung heißt Vorleistung“, um die religiöse Begründung anzuschließen: „Christen sind davon überzeugt, daß sie von der Vorleistung Gottes leben. Christus – das ist das erste Wort Gottes an die Menschen, der Schritt auf die Menschen zu, die ausgestreckte Hand, die Wiederherstellung des Friedens. Gott hat Vorleistungen erbracht, weil es ihm auf Frieden und Leben ankommt und er keinen Gefallen am Tod im kalten oder heißen Krieg hat.“ (4) Gerade mit dieser religiösen Deutung von Versöhnung – die ohne die Wechselseitigkeit der auf ein Schuldbekenntis folgenden Vergebung des Vaterunsers auskommt – begründet Dohrmann, dass Versöhnung „politische Gestalt annehmen [müsse], wenn sie nicht nur ein Gefühl sein will“ (Dohrmann 1984, 4), zunächst allgemein, dann konkret: „Einmal muß uns gegenwärtig sein, was Vergangenheit ist. [..] Die[…] Absicht [der Ausrottung von Polen, Juden und Zigeunern] und die entsprechenden Taten der Deutschen sind eine Grunderfahrung aller Polen, die […] im ganzen Land und bei allen Familien als eine schmerzende Wunde erlebt wird. Darum wird die durch die Siegermächte bestimmte Oder-Neiße-Grenze als Quittung für den von Deutschland begonnenen Krieg und seine Folgen betrachtet.Versöhnung im Sinne der Vorleistung bedeutet darum politisch die ehrliche Überzeugung: aus Breslau ist wieder Wroclaw geworden. […] Jeder Gruppe wurde durch diese Fahrt anschaulich und bewußt, daß zu den Folgen des Zweiten Weltkrieges auch die Existenz zweier deutscher Staaten gehört“ (5).
5 Gustav Heinemann zitiert Fiete Schulze, „auf dessen Namen die DDR übrigens eines ihrer Schiffe getauft hat“ Der neu gewählte sozialdemokratische Bundespräsident Gustav Heinemann zitierte in seiner ersten Rede im Amt am 19. Juli 1969 in Plötzensee den „Abschiedsbrief“ an die Schwester des „Hamburger Arbeiterführer[s] Fiete Schulze, auf dessen Namen die DDR übrigens eines ihrer Schiffe getauft hat“: „‚Du haderst mit den Verhältnissen, die Dir den Bruder nehmen. Warum willst Du nicht verstehen, daß ich dafür sterbe, daß viele nicht mehr einen frühen und gewaltsamen Tod zu sterben brauchen? Noch ist es nicht so, doch hilft mein Leben und Sterben es bessern.‘“ (Heinemann 1975a, 99)²⁶ Mit
Vgl. die Änderung des Titels der Rede aus „Eine Flamme am Brennen halten“ (Heinemann 1975) bei
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dem Zitat eines der in der DDR am häufigsten erinnerten kommunistischen Widerstandskämpfer zeichnete sich schon in der ersten Rede Heinemanns die 1970 mit der Rede auf der Bremer Schaffermahlzeit „unmittelbar“ eingeleitete „Initiative“ für die Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutsche Geschichte in Rastatt (Braun 2016, 232) ab, die Heinemann 1974 einweihte und der die Absicht „zugrunde [lag], der DDR nicht alleine den positiven Traditionsstrang deutscher Geschichte zu überlassen“ (234). Den Titel seiner Rede erläuterte Heinemann 1969 durch eine Deutung des im Erstdruck kursiv gesetzten „Wort[s] des 1914 ermordeten Kriegsgegners Jean Jaurès“: „Tradition heißt […] nicht Asche verwahren, sondern eine Flamme am Brennen halten.“ (Heinemann 1975a, 93)²⁷ Dieses „Wachhalten“ bezog Heinemann auf beide deutsche Staaten: „Der 20. Juli 1944 war ein gesamtdeutscher Tag und muß es bleiben, wenn das Wort Nation trotz der Spaltung Deutschlands für uns einen Sinn behalten soll. In diesem Datum verzahnen sich die schlechtesten und die besten Überlieferungen unserer Geschichte in ihren vollen Gewichten miteinander. Sie rufen uns immer wieder auf, ihre dramatische Verknotung zu lösen.“ (93) Auf die Frage: „Wie war es möglich […,] daß Menschen unseres Volkes sich im sogenannten Dritten Reich in Selbstüberhebung, in Rassenwahn und Eroberungssucht verloren?“ (93/94), antwortet Heinemann mit den ‚schlechtesten Traditionen‘ des „christlichen Antisemitismus“ (94) und des „nationalistischen Wahn[s]“ (97). Das Zitat Fiete Schulzes deutet Heinemann als „Vermächtnis“, das „uns vor die immerwährende Aufgabe des demokratischen Rechtsstaates“ stelle: „Die Widerstandskämpfer […] fragen uns, ob wir gegen antidemokratische Geistesrichtungen immun bleiben, ob wir den Geist der ruhigen Vernunft in der Politik bewahren“ (99). Heinemann bekennt sich im abschließenden „persönlichen Wort“ als Mitverfasser der Stuttgarter Erklärung der EKD vom Oktober 1945: „Mich läßt die Frage nicht los, warum ich im Dritten Reich nicht mehr widerstanden habe.“ (99) Der neu gewählte sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt schrieb 1969 das „Geleitwort“ zu einer vom Koordinierungsrat der Gesellschaften für ChristlichJüdische Zusammenarbeit mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung publizierten Broschüre, die eine in der Bonner Beethovenhalle am 22. November 1967 abgehaltene „Feierstunde unter dem Leitwort ‚… die dem Gewissen gehorchten‘“ (Koordinierungsrat 1969, 8) dokumentierte: „In Anwesenheit von Vertretern der Bundesregierung und der Landesregierungen, des Bundestages und des Diplomatischen Corps wurden zum erstenmal in einer Veranstaltung auf Bundesebene fünf Deutsche stellvertretend für alle Helfer von Verfolgten öffentlich geehrt. Der Botschafter des Staates Israel, Asher Ben Natan, erinnerte an ein jüdisches Wort, das sagt: ‚Wer ein Menschenleben gerettet hat, ist als ob er das ganze Universum gerettet hätte.‘“ (8)
dem Neudruck in der offiziellen Sammlung der „Reden zu einem Tag der deutschen Geschichte“ durch die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in „Eid und Entscheidung“ (Heinemann 1984). Vgl. die Tilgung der Kusivierung in Heinemann 1984, 99.
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Das sehr knappe Geleitwort Brandts bestimmt den Adressatenkreis der Broschüre enger und die erwartete Wirkung deutlich anders als die Einleitung von Hannah Vogt, Mitarbeiterin der hessischen Landeszentrale für politische Bildung, die darauf hofft, dass „die Einsicht wachsen“ könne, „daß der vom Gewissen geleitete Nonkonformismus ein Salz ist, das nicht dumm werden darf“ (9),²⁸ und das Nachwort vom Generalsekretär des Koordinierungsrat der GCJZ Herbert Hoss, der die ähnliche Hoffnung dahingehend verstärkt, „dem Konformismus der schweigenden Mehrheit zu widerstehen“ (67). Brandt dagegen schreibt über „[d]ie mutigen Taten tapferer Frauen und Männer“, die in 18 „Berichte[n] über Hilfeleistungen für Verfolgte“ (25 – 66) überwiegend aus den Büchern von Kurt Grossmann (1957), Michael Horbach (1967) und Heinz David Leuner (1967)²⁹ nachgedruckt wurden:³⁰ „Vor allem unserer Jugend, für die diese Zeit bereits Geschichte ist, sollen sie zeigen, was persönliche Haltung im Stillen vermag.“ (3) Der Begriff der Stille spielt eine zentrale Rolle in der Rede, die Carlo Schmid, damals noch als Mitglied der Bundesregierung, in der Feierstunde 1967 hielt, als er sich in drei Absätzen, jeweils den Aspekt wechselnd, zur Frage der „Schuld“ „unseres Volkes“ (15) äußert: von der Verneinung der Schande aufgrund des „Zeugnis[ses] der „Sieben Gerechten“, „daß ihr Volk nicht verworfen ist“, über „Verantwortung“ auch derjenigen für die „Missetaten“, „die wir […] keine Helfersdienste leisteten“, zu einer Verantwortung für das, „was wir an Missetat gegen die Menschlichkeit geduldet haben, nicht verhindert haben, nicht verhindern konnten“ (15). Für die Vermeidung einer Formulierung von Mitschuld durch Duldung ist der Begriff der Stille zentral: „Die Wahrheit! Wenn dieser Tag des Dankes an jene Gerechten seinen vollen Sinn haben soll, muß er auch ein Tag sein, an dem wir bekannten [sic], daß mehr als ein Jahrzehnt
Vgl. ihren Bestseller „Schuld oder Verhängnis? 12 Fragen an Deutschlands jüngste Vergangenheit“, der in drei Auflagen in den ersten zwei Jahren nach Erscheinen 400000 Mal verkauft wurde: Vogt 1961. Ansgar Skriver, dessen Bedeutung für die Reisen sozialdemokratischer Jugendorganisationen nach Auschwitz und für Aktion Sühnezeichen bereits erörtert wurde, schrieb eine durchaus auch kritische Rezension in der „FAZ“, die ausdrücklich auf die „‚Aktion Unbesungene Helden‘ des Senats von Berlin“ hinwies und zwar vorschlug, dass „[a]usführlichere Berichte […] in Schullesebücher aufgenommen […] werden“, aber dem zwischen „Geschichtsschreibung und wahren Geschichten“ „schwank[enden]“ Autor vorwarf, dass „anfangs der Eindruck erweckt“ werde, „den Antisemitismus und die Folgen habe nur der eine Mann Hitler ausgeheckt“, und dass „als ‚minderwertig, widerlich und unmenschlich‘ angesehene Opfer in Konzentrations- und Vernichtungslagern (Zigeuner, Homosexuelle) auch von ihm vergessen“ seien (Skriver 1968). Erst auf der Internationalen Gedenkkundgebung „In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt“, die am 27. Oktober 1979 in der Gedenkstätte Bergen-Belsen stattfand und der Günther Anders ein Grußwort sandte (Sinti und Roma 1980, 112), wurde einer breiteren Öffentlichkeit bewusst (vgl. Berichte in der „Berliner jüdischen allgemeinen Wochenzeitung“, „Die Zeit“ und „FAZ“, 127, 129 – 131): „Es gibt in keinem ehemaligen deutschen KZ eine Gedenkstätte für Zigeuner.“ (131) Das 1974 in der Gedenkstätte Auschwitz errichtete Ehrenmal für die ermordeten Sinti und Roma war von dem Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Sinti Vinzenz Rose privat finanziert worden. Unter den empfohlenen „Bücher[n] zum Thema dieses Heftes“ (Koordinierungsrat 1969, 68) sind zwei in der DDR erschienene: „An der Stechbahn. Erlebnisse und Berichte aus dem Büro Grüber in den Jahren der Verfolgung“ (1951) und Tami Oelfkens „Das Logbuch“ (1956).
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in diesem Volke Menschlichkeit nur in den stillen Winkeln und innerhalb des schützenden Geheges der Innerlichkeit sich an sich selber wagen konnte, weil an jeder Ecke ein Häscher stand und hinter dem Häscher Kerker, Block und Feuerofen für den im Dienst der Menschlichkeit Ertappten.“ (15) Die Behauptung, Menschlichkeit sei in ‚stillen Winkeln‘ ‚innerlich‘ bewahrt worden, reklamiert letzlich individuelle Unschuld. Diese Konstruktion einer privaten Menschlichkeit gerät in Schmids Rede aber in Gegensatz zu der in der Hilfe für Verfolgte bewiesenen Menschlichkeit der ‚unbesungenen Helden‘. Schmid ordnet sie zwar dem 20. Juli als „Dunkel des Untergrunds“ (16) zu, nennt sie aber dann „Begründer einer neuen Tradition“ mit dem Bild „Luftwurzeln“ für ihre Begründung einer neuen, „ihre[r] Tradition des Bürgersinns“, den Schmid mit Nächstenliebe als „‚Er ist wie Du‘“³¹ gleichsetzt und von dem er betont, dass er Menschlichkeit „höher“ halte als Nation (17). Der Gegensatz zwischen einer von Mitschuld befreienden Auffassung privater Menschlichkeit als unpolitisch und einer Bewertung von in der Hilfe für Verfolgte bewiesener Menschlichkeit im Widerstand als neuem, zu tradierendem ‚Bürgersinn‘ verweist auf die sich in der SPD seit Mitte der 1960er Jahre entwickelnde „partizipatorische[…] Vision“ vom „[m]ündige[n] Bürger“ (Knoch 2007, 9), bis „Konzept und Praxis der inneren Demokratisierung um 1970 zum leitenden Bezugsrahmen politischen Handelns wurden“ (12). Gabriele Kammerer bemerkt zu Recht, dass mit der von Volker von Törne abgegebenen politischen „Standorterklärung“ von Aktion Sühnezeichen bei der Annahme des TheodorHeuß-Preises im Januar 1965 eine bisherige „Grenze überschritten“ worden sei: „‚Denn neben der versöhnenden Tat in den Ländern, die im vergangenen Krieg durch unser Volk großes Leid erfahren haben, ist es unsere Absicht, im eigenen Lande für einen versöhnlichen Geist und wahrhafte Demokratisierung zu wirken.‘“ (Kammerer 2008, 104) 1973 war es Heinemann, der die Rede zum Theodor-Heuß-Preis hielt: „Der mündige Bürger in Staat und Gesellschaft“ (Heinemann 1975b, 263 – 269). Ein mit der Broschüre des Koordinierungsrats der GCJZ der Bundesrepublik in gewisser Weise vergleichbares Buch war ein Jahr früher, zum 30. Jahrestag des 9. November 1938, in der DDR erschienen – nur, dass die VerfasserInnen der Berichte über Hilfe für Verfolgte – abgesehen von vier Nachdrucken aus westdeutschen Publikationen, Grossmanns Buch (1957), einem Aufsatz in der AUJW (1960) und Gerda Drewes’ und Eva Kochanskis „Heimliche Hilfe“ (1961) – überwiegend von – auch ehemaligen – MitarbeiterInnen der evangelischen Kirche, insbesondere der Bekennenden Kirche (acht der 24), stammen, die der Herausgeber, der Theologe Heinrich Fink gewann, und dass das Geleitwort kein Politiker schrieb. Aber der Theologe Emil Fuchs zitiert in ihm aus einer Rede des DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht „in einer schwierigen internationalen Situation, in der Nahostkrise im Juni 1967“: „Es ging nicht um Rassenfragen und schon gar nicht um Angelegenheiten des Alten Testaments. […] Es ging vielmehr um eine Klassenauseinandersetzung zwischen den monopolistischen Erdölinteressen und ihren imperialistischen Regierungen einerseits und den
Vgl. den Titel von Eleonore Sterlings „Frühgeschichte des Antisemitismus“ (Sterling 1956).
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arabischen Völkern andererseits.“ (Fink 1968, 8) Und Fuchs sieht diesen negativen „Schlußfolgerungen“ „ähnliche“, aber positive bei Arnold Zweig, die „der große Dichter unserer Nation und unser jüdischer Kamerad […] unübertroffen so formuliert“ habe: „‚Erst durch den Kampf gegen die allgemeine Ungerechtigkeit von Klasse zu Klasse wird auch den Juden Gerechtigkeit gesichert; nur durch Anwendung der allgemeinen Prinzipien des Umbaus und allgemeiner Gerechtigkeit finden auch sie ihre Sicherung.‘“ (8)³² Fuchs nennt dies „Erneuerung“, die er auf das „Schuldbekenntnis nach 1945“ datiert: „Sie ist es, die sich für uns Christen im echten Bekenntnis der Schuld ergab. Erneuerung der Gesellschaft, Erneuerung der Kirche, geistige und gesellschaftliche Neuorientierung.“ (9) In diesem Sinne verknüpft Fuchs abschließend die Rezeption des Buches „Stärker als die Angst“ mit den beiden Gedenktagen von 1968: „Möchte dieses Buch, die Schatten der Erinnerung beschreibend, zur Erringung einer Schau in die neue Zukunft leisten. Daran werden wir von den beiden Ereignissen gemahnt, die sich mit dem 9. November verbinden: von der Novemberrevolution 1918 und von der ‚Reichskristallnacht‘.“ (9/10) Als Fuchs am 9. November 1967 sein Geleitwort unterschrieb (10), zirkulierte in der Bundesrepublik eine von Ernst Erdös „für die sozialistische“ und von Michael Landmann „für die „zionistische Seite“ „gemeinsam“ verfasste Erklärung, die schließlich von dreizehn WissenschaftlerInnen, sechs Schriftstellern und einem Publizisten unterschrieben (Erklärung 1968) und als „Gemeinsame Erklärung von 20 Vertretern der deutschen Linken zum Nahostkonflikt“ in den „Neuen Deutschen Heften“ veröffentlicht wurde. Der Publizist unter den Unterzeichnern war der Mitherausgeber der „Frankfurter Hefte“ Walter Dirks, unter den WissenschaftlerInnen waren die Theologen Hans-Werner Bartsch und Helmut Gollwitzer, die Philosophen Ernst Bloch und Odo Marquard, die SoziologInnen Dietrich Goldschmidt, René König, Heinz Maus, Helge Pross und Ludwig von Friedeburg, der Politologe Iring Fetscher, der Psychologe Alexander Mitscherlich und der Pädagoge Heinz-Joachim Heydorn. Die Schriftsteller Alfred Andersch, Günter Grass,Wolfgang Hildesheimer,Walter Jens, Uwe Johnson und Martin Walser waren alle Mitglieder der Gruppe 47. Nachdem schon am 30. Mai 1967 Andersch und Grass zusammen mit Ilse Aichinger, Nicolas Born, Hans Christoph Buch, Milo Dor, Marcel Reich-Ranicki, Hans Werner Richter, Paul Schallück, Ernst Schnabel, Wolfdietrich Schnurre und Wolfgang Weyrauch einen „Israel-Aufruf“ veröffentlicht hatten, der im Namen der „unterzeichneten Schriftsteller der Gruppe 47“ den Kernsatz formulierte: „sie sehen in der immer wieder verkündeten Absicht,
Vgl. dasselbe Zitat als eins der beiden Motti (nach einem von Heine) der von Heinz Seydel 1968 herausgegebenen Lyrikanthologie „Die Judenverfolgung des Dritten Reiches im deutschen Gedicht“ (Seydel 1968, 3). Es stammt aus dem Unterabschnitt „Die sozialistische Bewegung“ des Kapitels 28 „Das menschliche Zusammenleben“ von Arnold Zweigs 1934 in Amsterdam zuerst erschienener „Bilanz der deutschen Judenheit“, die 1961 vom Melzer-Verlag in Köln wieder aufgelegt worden war: Zweig 1990, 230/231. Zweig erläutert den „geheimen Sinn, aus unterbewußten Schichten der Volkserfahrung quellend, jenes Bündnisses, das wir jüdischen Intellektuellen mit den Arbeiterparteien geschlossen hatten“ (230).
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den Staat Israel zu vernichten, die gleiche Politik des Ausradierens, die Hitler betrieb. Sie appellieren an die Regierung der DDR, jede Unterstützung der arabischen Absicht aufzugeben, und fordern die Bundesregierung, die Parteien, die Gewerkschaften, alle Organisationen und jeden Bürger auf, das bedrängte Israel in jeder uns möglichen Form zu unterstützen. Eine solche Unterstützung ist die moralische Pflicht aller Deutschen“ (Lettau 1967, 462), gab Hans Werner Richter zum ersten Mal in der Geschichte der Gruppe 47 eine Resolution heraus, die ausdrücklich im Namen der Gruppe aufrief. Während alle früheren Proteste, Erklärungen, Aufrufe und Offene Briefe den Bezug auf die Gruppe als Gruppe vermieden (vgl. Lettau 1967, 462/463), hieß es in dem „Aufruf der Gruppe 47“ überschriebenen Text: „Die Gruppe 47 ruft alle deutschen Schriftsteller zur Unterstützung Israels auf. Sie schlägt vor: 1. sich zum freiwilligen Hilfsdienst nach Israel zu melden. 2. jede moralische Unterstützung zu geben, die durch Versammlungen, Demonstrationen, Proteste möglich ist, und damit die öffentliche Meinung für das bedrängte Israel zu mobilisieren. 3. den Aufruf von Dr. Adolf Arndt vom 30. Mai für finanzielle Hilfe für Israel voll zu unterstützen. Kein Deutscher kann die beabsichtigte Vernichtung des Staates Israel zulassen. Es ist unsere moralische Pflicht zu helfen.“³³ In der „Gemeinsamen Erklärung der 20“ wandten sich „Vertreter der deutschen Linken“, von denen vor allem Dirks, Goldschmidt, Gollwitzer und Heydorn in der Bewegung gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr aktiv gewesen waren, nicht so sehr an die Öffentlichkeit als an Linke, denen sie die „ungemein gefährlich[e]“ „Haltung“ vorwarfen, „die Vernichtungsdrohungen der Araber zu bagatellisieren“ (Gemeinsame Erklärung 1968, 115): „In Anbetracht der arabischen unbeirrbaren Entschlossenheit, zwei Millionen Menschen im Meer zu ersäufen, sind apokalyptische Kategorien realitätsnäher als die wirtschaftlichen. Es sind [sic] erst 25 Jahre her, daß wir erlebt haben, wie eine solche Vernichtungsdrohung, und gegen dasselbe Volk, von der Weltöffentlichkeit nie ganz ernst genommen, brutale Wahrheit wurde. Die Linke würde für alle Zukunft unglaubwürdig, wenn sie durch einseitige Sympathie für die arabische Seite zu einem neuen Auschwitz beitrüge.“ (115) Der Vorwurf der ‚Unglaubwürdigkeit‘, „praktisch“ dem „Vorhaben, Israel als Staat und Volk verschwinden zu lassen“ (115): „Israel soll von der Landkarte wieder ausgelöscht, die Nation […] nach dem Vorbild der ‚Endlösung‘ ausgelöscht werden“ (114/115), „seine Zustimmung [zu] erteilen“ (115), wird in der „Erklärung“ ergänzt durch den der „Inkonsequenz“: „Den Vernichtungskrieg, den die Amerikaner in Vietnam begehen, herauszuschreien, den noch viel ärgeren dagegen, den die Araber in Israel planen, mit Schweigen übergehen, das ist eine Inkonsequenz.“ (118) In der Begründung dieses Vorwurfs machen die Verfasser deutlich, dass sie sich mit ihrer Warnung vor allem an junge Linke wenden, deren Beteiligung an der sich entwickelnden Protestbewegung sie generationell begreifen: „Die Proteste gegen den Vietnamkrieg haben in Deutschland auch deshalb so viel Beteiligung gefunden, weil die deutsche junge
Aufruf der Gruppe 47. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 13.6.1967.
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Generation sich sagte, die Söhne derer, die andern Völkern gegenüber schweres Unrecht begangen haben, dürften bei einem neuen Unrecht nicht abseits stehen. Diese Solidariät mit dem vietnamesischen Volk müßte aber, um nicht ihre Vertrauenswürdigkeit zu verlieren, begleitet sein von einer Solidarität – und warum sollen wir uns scheuen zu sagen: erst recht – mit dem Volk Israels.“ (118) Die „Gemeinsame Erklärung“, die ausgegangen ist von der „[R]ealitätsnähe“ „apokalyptische[r] Kategorien“ (115) für ihre Deutung der „erklärte[n] Absicht des Genozids“, durch die „der jüdisch-arabische Gegensatz einen einmaligen, beklemmenden Charakter“ „erhält“ (104), besteht im vorletzten Absatz auf „Evidenz“, um einen dritten Vorwurf zu erheben: bei demjenigen, „der vor der Evidenz die Augen verschließt“, „muß man sich fragen, welcher Ideologie er damit dient und welches politische Manöver er bezweckt“ (118). Obwohl an einer Stelle der „Erklärung“ eine sowjetische „Stellungnahme für die Existenz des Staates Israels“ (104, vgl. 115) erwähnt worden ist, greifen die rhetorischen Fragen an die, die ‚vor der Evidenz die Augen verschließen‘, auf eine frühe Formulierung der Erwartung der Verfasser der „Erklärung‘ an ‚Linke‘ zurück, in der es nicht explizit um Glaubwürdigkeit und Konsequenz geht: „Wenn es je eine Gelegenheit gab, um unter Beweis zu stellen, daß es eine westliche Linke gibt, die nicht moskauhörig ist, so war es jetzt.“ (105) Doch die beiden zum Schluss der „Gemeinsamen Erklärung“ überleitenden rhetorischen Fragen entwerfen ein Bedingungsverhältnis für Glaubwürdigkeit und Konsequenz: „Scheut die westliche Linke vor einem allzu schroffen Bruch mit Moskau doch zurück? Wird hier der Antiimperialismus zum Ventil des uneingestandenen Antijudaismus?“ (118)³⁴ Umgekehrt wurde im Organ des DDR-Schriftstellerverbands Günther Anders’ 1969 auch in der DDR in „Die Schrift an der Wand“ erschienene Reise nach Auschwitz verortet: „Sich klammernd an die moralische Aufgabe, eine wahre Welt zu ermöglichen, Hiroshima, Auschwitz, Vietnam zu verunmöglichen, ist Günther Anders unter den kautschukweichen Nonkonformisten im Westen ein Einzelgänger.“ (Frei 1970, 190/191) In der von Werner Bräunig und anderen DDR-SchriftstellerInnen herausgegebenen „Künstlerische[n] Dokumentation“ erläuterte das Vorwort den Titel „Vietnam in dieser Stunde“: „Vietnam ist eine Prüfung […]. Wer sie [die USA-Aggression] unterstützt, entschuldigt oder auch nur untätig duldet, verbannt sich selbst aus den Reihen der zivilisierten Menschheit.“ (Bräunig 1968, 5). Einer der DDR-Beiträger war der Frankfurter Nebenkläger Friedrich Karl Kaul mit „Vietnam – ein neues Auschwitz“ (Kaul 1968). Einer der westdeutschen Beiträger, Christian Geißler, „protestiert“ (Geißler 1968, 72) als einer der „Altersgenossen“, die „wir“ „[a]m exakten moralischen Ernst der amerikanischen Anklagen […] vernünftig politisch denken […] gelernt“ (71) haben, „im Namen der Befreiung von 1945 […] dagegen, daß wir 1965 unter dem Zwang
Peter Ullrich (2013, 121) erwähnt nur in einem Absatz seines Kapitels „Antisemitismus, Shoah und ‚Deutsche Verantwortung‘ – Die (Nach‐)Wirkungen des Nationalsozialismus im medialen Nahostdiskurs“ beiläufig die „siebziger und achtziger Jahre“.
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eines hemmungslosen amerikanischen Antikommunismus in eine Lage geraten, die uns dazu verführt, schon wieder Terror und Unmenschlichkeit zu akzeptieren“ (72). Geißler appelliert, den „Kampf gegen den Krieg“, „Auschwitz/Plötzensee und Hiroshima“, fortzusetzen (73). Der von der „Gemeinsamen Erklärung der 20 Vertreter der deutschen Linken“ formulierte Vorbehalt gegenüber einer ‚jungen‘, Auschwitz, Hiroshima und Vietnam verknüpfenden Protestbewegung, wie ihn auch Brandts Geleitwort zur Broschüre des Koordinierungsrats der Gesellschaften für CJZ mit der Akzentsetzung nahelegt, dass einer „Jugend, für die diese Zeit bereits Geschichte ist“, zu „zeigen“ sei, „was persönliche Haltung im Stillen vermag“ (Koordinierungsrat 1969, 3), findet sich auch in den Paratexten von zeitgenössischen Brief-Anthologien, wenn es um Kanonisierung und Adressierung geht.
6 Albrecht Goes’ Nachwort „Wir gehn dahin“ zu Briefen Deportierter aus dem Distrikt Lublin 1940 – 1943 Albrecht Goes schrieb das Nachwort zu den von Else Behrend-Rosenfeld und Gertrud Luckner, einer der von Yad Vashem geehrten und deshalb aus der Broschüre des Koordinierungsrats als berühmt wie Propst Grüber und Prälat Maas ausgeschlossenen ‚unbesungenen Helden‘ (Koordinierungsrat 1969, 7), 1968 herausgegebenen „Lebenszeichen aus Piaski. Briefe Deportierter aus dem Distrikt Lublin 1940 – 1943“ (Behrend-Rosenfeld/Luckner 1970). Das Nachwort zu Briefen von drei aus Stettin und Wien deportierten Familien zitiert im Titel „Wir gehn dahin“ aus Paul Gerhardts Neujahrschoral von 1653 „Nun laßt uns gehn und treten“ (Kirchengesangbuch 1987, 364/365) die zweite Strophe: „Wir gehn dahin und wandern/ von einem Jahr zum andern,/ wir leben und gedeihen,/ vom alten bis zum neuen“ (364).³⁵ Bis auf die
„Am Sylvestertag des Jahres 1944 bekamen Pater Delp und alle ‚unsere‘ Gefangene dieses Neujahrslied von Paul Gerhardt in die Zelle: […] Wir geh’n dahin und wandern – von einem Jahr zum andern“ (Delp 1953, 68), war schon 1953 in einer unter Delps Namen veröffentlichten „Gedenkschrift“ zu lesen gewesen, die zu einem großen Teil aus Aufzeichnungen „Aus einem Berliner Tagebuch“ besteht, die „chronologisch um P. Delps Briefe – dem Herzstück des Ganzen – grupppiert“ (8) sind. „Zum Geleit“ merkt Marianne Hapig zum „von Berliner Frauen geführten Tagebuch“ nur an: „Darin wird versucht, den geistigen Standort der katholischen Frauen während der Hitlerzeit und die Art des Wirkens in der Stille aufzuzeigen“ (8), und zur „Gedenkschrift“ insgesamt, dass sie eine „Ergänzung ganz persönlicher Art“ (7) sei zu dem 1947 erschienenen Band „Im Angesicht des Todes“, weil „der Leser einen sehr unmittelbaren, ganz unbeeinflußten Eindruck [ …] seiner ganzen echten Menschlichkeit und seiner tiefen Gottverbundenheit gewinnen“ (7) könne. Zugleich aber betont Hapig, dass das „von Berliner Frauen geführte[…] Tagebuch“ „versucht, den geistigen Standort der katholischen Frauen während der Hitlerzeit und die Art des Wirkens in der Stille aufzuzeigen“ (8), fügt in das Tagebuch einen Artikel des 1954 zum Bundestagspräsidenten gewählten CDU-Politikers Eugen Gerstenmaier aus dem „Rheinischen Merkur“ ein: „Die Tatgemeinschaft des christlichen Gewissens ist ein Vermächtnis“, und nennt die Pflege des Andenkens der Märtyrer „[f]ür unsere Generation“ „eine hohe
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Wiederholung der drei im Titel stehenden Worte am Schluss gibt es im Nachwort keine weiteren Zitate, übernommen wird aber die Metapher von der Lebensreise als Heimat und Exil, Leben und Sterben. Goes benutzt sie, wenn er zwei Fragen stellt, die erste an die Gemeinde des Sylvestergottesdienstes, die allerdings als „müde“ (Goes 1970, 142) nicht direkt angesprochen wird, die zweite an eine der BriefschreiberInnen, die Goes jedoch mit einem die LeserInnen seines Nachworts im Wir einschließend für alle beantwortet. Die erste, rhetorische Frage zur Gemeinde beantwortet sich in der Verbindung von Schrecken und Trost selbst als Appell an den Adressaten: „Weiß sie, was sie singt? Hört sie, wie da bedrohte Menschen unterwegs sind, tief erschrocken und tiefer noch getröstet, immer wieder unterwegs seit den Tagen des Dreißigjährigen Krieges,³⁶ da ihnen ein stiller, mutiger Mann diesen gewaltigen Text gedichtet hat?“ (142) Diese erste Anwendung der Metapher von der Lebensreise erfolgt, nachdem Goes „unter den vielen Entdeckungen, die uns in diesen so völlig absichtslos geschriebenen, ganz unliterarischen Dokumenten zuteil werden, eine der erregendsten“ (142) genannt hat, dass die Deportierten „die Heimat in die Fremde mit[genommen]“ (143) haben, Pommern und Wiener geblieben seien. Die zweite Anwendung folgt aus der Frage, die sich für Goes aus den Dankbriefen aus Piaski für Paketsendungen der Freunde mit Lebensmitteln und Kleidung ergibt: „Müssen wir auch an die Anderen [sic] denken, die nur schemenhaft in diesen Briefen auftauchen, die Folter- und Henkersknechte?“ (143) Nachdem Goes sehr prägnant deren Weise, sich z. B. im Frankfurter Prozess zu verteidigen, „als ihre drei Sätze“ zusammengefasst hat: „‚der Zeuge muß sich täuschen. Ich war zu dieser Zeit nicht in Piaski. Es war Führerbefehl; ich war nur in ganz untergeordneter Stellung“ (143), verneint er letztlich die Frage, ob an sie zu denken sei, obwohl er sie zu bejahen scheint, indem er eine bestimmte Weise des Denkens an diejenigen bindet, die „nicht“ „wollen“, „daß von ihnen gesprochen wird“ (143): „Ja, wir müssen an sie denken. Wir müssen sie ertragen, daß sie da sind. Aber sie zählen nicht mit“ (143). Goes schließt die ‚Folter- und Henkersknechte‘ aus der „Nation“ aus, die „sich auf ihren einen Satz besinnt: ‚Ich schäme mich, ich schäme mich.‘“ (143)³⁷ So ersetzt er die ‚Folter- und Henkersknechte‘ durch die ‚Helfer‘, ohne die Frage der Schuld derer, die weder das eine noch das andere waren, aufzuwerfen, um mit den als „Schlußgesang“ (144) bezeichneten letzten Worten von Thornton Wilders Roman „Die Brücke von San Luis Rey“ die Metapher der Lebensreise auf die
Verpflichtung“: „Geborgen in unserem ehrfürchtigen Dank leben sie weiter als unsere verpflichtenden Vorbilder.“ (8/9) Goes’ falsche Datierung des Gedichts zeigt sich in der 10. Strophe: „Schließ zu die Jammerpforten/ und laß an allen Orten/ nach so viel Blutvergießen/ die Freudenströme fließen.“ (Kirchengesangbuch 1987, 365) Vgl. den dezidierten Gegensatz zu Hannah Arendts Infragestellung von nationaler Scham 1946 in „Organisierte Schuld“: „seit vielen Jahren begegnen mir Deutsche, welche erklären, daß sie sich schämten, Deutsche zu sein. Ich habe mich immer versucht gefühlt, ihnen zu antworten, daß ich mich schämte, ein Mensch zu sein.“ (Arendt 1976, 43/44)
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Beziehung zwischen den BriefschreiberInnen im Ghetto Piaski und den PaketsenderInnen in Stettin und Wien anzuwenden: „Da ist ein Land der Lebenden und der Toten, und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe – das einzig Bleibende, der einzige Sinn.“ (Wilder 1963, 195) Indem Goes sein Zitat aus Wilders Roman mit dem brieflichen Wunsch einer der Deportierten um die Zusendung eines Gedicht Goethes verknüpft, verallgemeinert er von der Briefschreiberin auf alle Deportierten und schließt in einen gemeinsamen Glauben auch den Adressaten seines Nachworts ein: „Wohl möglich, daß die Briefschreiberin, die aus Piaski um die ‚Marienbader Elegie‘ bittet, auch diesen herrlichen Text gekannt hat. Und wenn sie ihn nicht gekannt hat, geglaubt hat sie ihn; sie alle haben ihn geglaubt. Und wir, wir glauben ihn auch.“ (Goes 1968, 144)³⁸ Unter Wiederaufnahme des biblischen ‚Und‘ für die Verbindung von ‚Schrecken und Trost‘ expliziert Goes die Identifikation der ‚sich schämenden‘ Nation als den Lebenden der Gegenwart mit den Lebenden der Vergangenheit, die die Toten, die verfolgten Juden, liebten: „Und schon verbinden sich diese Worte mit den Worten des alten Liedes, das wir anstimmen im Gang unserer Zeiten, Israels Nachbarn in Wanderschaft und Heimweh, erschrocken und getrost, vertraut mit unserm Los: wir gehn dahin –“ (144)³⁹ Einer der von Yad Vashem ausgezeichneten ‚unbesungenen Helden‘ hat den Vorbehalt gegenüber einer „Jugend, für die diese Zeit bereits Geschichte ist“ (Koordinierungsrat 1969, 3), in einem „aktorialen“ Vorwort, „wo der ‚Dritte‘ zwischen Autor [in diesem Fall: Herausgeber] und Leser eine der realen Gestalten des referentiellen Textes ist“ (Genette 1992, 263), 1970 formuliert. 1968 war Heinrich Grüber vom Herausgeber der DDR-Sammlung von Berichten über HelferInnen der Verfolgten, Heinrich Fink, im „Vorwort“ zu „Stärker als die Angst“ mit einem Zitat von Arie Goral aus der links von der SPD stehenden sozialistischen „Die Andere Zeitung“ dafür kritisiert worden, dass er gegen den ‚wachsenden‘ „Widerstand“ gegen „die Kräfte der ‚unbewältigten Vergangenheit‘, der „in den Aktionen der außerparlamentarischen Oppositon politische Gestalt“ ‚gewinne‘, „‚politische Wechselmünze jenen Falschmünzern (liefer[e]), die unentwegt an einer Aufwertung der faschistischen Valuta basteln‘“ (Fink 1968, 15). 1970 kritisiert Grüber den Herausgeber von „Der Kampf um Berlin in
Vgl. zur Problematik dieser religiös begründeten Verallgemeinerung Anna Seghers’ Lektüre der letzten Briefe ihrer in Piaski ermordeten Mutter: „Manchmal lese ich die fünf, sechs Briefe, die ich von meiner Mutter erhalten habe, und jedes Mal verfalle ich in einen unbeschreibbaren Zustand der Wut und der Trauer, aber es ist nichts gewonnen, ihn aufrechtzuerhalten.“ (Stephan 1993, 152) Zur Problematik der rechtzeitigen Hilfe vgl. Seghers’ Brief vom 21. 8.1946 an Elisabeth Stimmert aus Mexico City: „[…] als ich hier nach langen Irrfahrten und vielen schweren Erlebnissen […] eines Tages hier auf dem Kontinent [Lateinamerika] ankam, da hoffte ich, meine gute Mutter koennte schon vor mir hier sein. Ich war sehr traurig, als ich erst spaeter erfuhr, dass sie allein in Mainz war und keinen Menschen hatte, der ihr helfen konnte. […] Wir fanden zwar schnell hier einige uns sonst fremde Menschen, die im Prinzip helfen wollten, aber auch diese Hilfe und das Visum kam um ganz kurze Zeit zu spaet. Mutter war schon abtransportiert.“ (Seghers 2008, 194) Vgl. dagegen das Motiv der gehenden Schuhe in Mojsche Schulsteins bereits zitiertem in Majdanek 1945 geschriebenem Gedicht „Ein Berg Schuhe“.
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Augenzeugenberichten“ Peter Gosztony dafür, dass „zwei Gruppen nicht oder nicht ausreichend zu Worte gekommen sind“: „Das sind einmal die Menschen, die mit ihrer Schuld und Mitschuld noch nicht fertig geworden sind und die daher auch nicht in der Lage sind, ihr Erleben und Erleiden so zu schildern, daß gerade auch die Konfliktsituationen, vor die sie immer gestellt wurden, von fernerstehenden und gerade auch von jüngeren Menschen verstanden werden“ (13), dann „die Toten“, die Männer des 20. Juli, wie ihm ein Bericht vom „letzten Gespräch mit Kleist-Schmenzin“ beweist: „daß ein echtes Opfer auch dann weiterwirkt und Mitwelt wie Nachwelt gestaltet, wenn die, die das Opfer brachten, vielleicht alle getötet oder vernichtet würden“ (14). Während Grüber zur ersten Gruppe anmerkt: „Die Erinnerung an alles das, was man verloren hat, führt nur in den seltensten Fällen zu einer Erkenntnis der Mitschuld. Je mehr aber diese Einsicht fehlt, um so größer ist die Bitterkeit, die immer wieder durchbricht“ (12), heißt es zur zweiten Gruppe: „Ob diese Männer und Frauen […] die eigentlichen Sieger in diesem Kampf um Berlin bleiben, hängt von denen ab, die dieses Buch nicht nur interessant, sondern im echten Sinne des Wortes lehrhaft finden und die diese Erfahrung der Vergangenheit zu einer Bewältigung der Gegenwart und zu einer Sicherung der Zukunft führt.“ (14) Der Kampf zweier Prinzipien, des Hitlerismus und seiner Überwindung (12), sei nicht zu Ende, in Europa und der Welt (15). Grüber betont, dass „die Aufgaben in der Gegenwart zu sehen und den Weg in die Zukunft zu finden“, „in unserer Zeit ebenso nötig wie schwierig“ sei, weil „die Vergangenheit für viele vergangen und damit abgetan ist und die Wahrung der Tradition und die Würdigung des Gewordenen überflüssig erscheinen“ (11); „bedenklich“ scheint ihm insbesondere eine Verdrängung von Geschichtsschreibung durch Futurologie (11). Wenn Grüber das Fehlen von letzten Briefen der Männer des 20. Juli in Gosztonys Dokumentation, die nur ungedruckte Briefe des „Generaloberst a.D.“ Gotthard Heinrici an den Herausgeber enthält (406), vermisste, stimmte er in diesem Punkt überein mit einem DDR-Literaturkritiker, der 1968 Lesebücher aus der BRD und der DDR auf „1933 und danach“ verglich. Günther Cwojdrak kontrastiert das DDR-Lesebuch für das 9. und 10. Schuljahr mit den BRD-Lesebüchern „Lebensgut“ und „Der bunte Garten“; zum ersteren betont er: „Der Abschnitt ‚1933 – 1945‘ […] schließt mit dem letzten Brief des kommunistischen Widerstandskämpfers Walter Husemann an seinen Vater und mit einem Auszug aus Thälmanns ‚Antwort auf Briefe eines Kerkergenossens in Bautzen‘. Auf rund fünfzig Seiten wird ein umfassendes Bild des literarischen und politischen Kampfes gegen den Faschismus gegeben, das auch den Anteil bürgerlicher Humanisten und Demokraten widerspiegelt.“ (Cwojdrak 1968, 102) An den bundesrepublikanischen Lesebüchern, die „den Eindruck gewinnen“ lassen, „der illegale Kampf gegen das Hitlerregime sei hauptsächlich von katholischen und evangelischen Christen geführt worden“ (108), kritisiert er an einem Beispiel den „ungemein wortkarg[en]“, „unbeteiligt-moderierten“ „Text des Vorspruchs“: „Im Lesebuch ‚Lebensgut‘ (3. Teil) ist der Abschiedsbrief des evangelischen […] Klaus Bonhoeffer an seine drei Kinder enthalten, in dem Volksschullesebuch ‚Der bunte Garten‘ findet sich der Abschiedsbrief des gläubigen Katholiken Nikolaus Gross. Im Lesebuch
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‚Lebensgut‘ (6. Teil) steht eines der Gedichte des christlichen Humanisten Albrecht Haushofer aus der Zeit seiner Gestapohaft – so lautet der Vorspruch: ‚Albrecht Haushofer saß als Häftling der Gestapo im Gefängnis Lehrter Straße in Berlin. In den Tagen des Zusammenbruchs, am 23. April, wurde er erschossen.‘ Dieser Vorspruch ist […] ein Skandal: Haushofer ‚saß‘ im Gefängnis, dann ‚kam‘ der ‚Zusammenbruch‘, und Haushofer wurde ‚erschossen‘, wie das bei den Wirren eines ‚Zusammenbruchs‘ eben einmal passieren kann […] – […] alles wird […] verharmlost, verschwiegen, umgelogen.“ (109) Auch wenn Cwojdrak noch schärfer einen der beiden AutorInnen kritisiert, mit denen er die BRD-Lesebücher „Kult“ ‚treiben‘ sieht: Hans Carossa und Agnes Miegel (117), indem er die Übereinstimmung einer im „‚Deutschen Lesebuch‘ für die Klasse 8 abgedruckten „Ansprache ‚Einsamkeit und Gemeinsamkeit‘ […] Carossa[s] 1938 ‚auf einer Arbeitstagung des Amtes Schrifttumspflege beim Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP‘“ (114/ 115) nachweist mit Carossas Versen von 1941 auf Hitler, der „‚auf […] dem Felde der Tat/ ein Mann von höchstem Mut und höchster Entschlußkraft/ um eine neue Form seines Volkes kämpft‘“ (116), endet seine Behandlung der DDR-Lesebücher mit einer Kritik an „Versäumnis[sen]“ (194), nicht nur dem Fehlen von „einem Text aus dem ‚Siebten Kreuz‘“ von Anna Seghers und „Stephan Hermlins Gedicht ‚Die Asche von Birkenau‘“ (105), sondern: „Ich vermisse auch einen Beitrag über die Verschwörer des 20. Juli: Legenden, die in der bürgerlichen Geschichtsschreibung und Literatur gewoben worden sind, müßte entgegengewirkt werden. Die moralische Integrität und Tapferkeit eines Mannes wie Stauffenberg gehören zum 20. Juli ebenso wie die politischdilettantischen Züge des Unternehmens, die größtenteils reaktionären Triebkräfte dieser Aktion. Und vor allem vermisse ich eine Darstellung des Wirkens der Geschwister Scholl und ihres Freundeskreises. Sie haben mit jugendlich-ungestümem Elan aufbegehrt gegen das Mörderregime, gegen das Blutopfer des Krieges, sie haben ihr junges Leben in die Waagschale geworfen, und sie mußten ihre mutige Tat mit ihrem Leben bezahlen“ (105). Einen bundesrepublikanischen ‚Kult‘ um Hans Carossa und Agnes Miegel belegt auch eine Brief-Anthologie, die von der Dortmunder Stadt- und Landesbibliothek auf der Grundlage ihrer Autographenausstellung 1971 herausgegeben wurde. Unter dem Titel „Aus dunklen Tagen“ zeigte sie aus dem „Besitz der Handschriftenabteilung“ „Zeitgenössische Briefe der Jahre 1933 – 1950“: „Die Schreiber sind darstellende und bildende Künstler, Dichter, Wissenschaftler und Politker, als ‚entartet‘ verfemt, wegen ihres Glaubens oder ihrer Gesinnung verfolgt, mit Arbeitsverbot belegt oder in ihrer Tätigkeit eingeschränkt. Einige konnten sich in die Emigration mit aller Not der Entwurzelung retten. Im Kriege und unmittelbaren Nachkrieg traf auch Nichtgegner des Regimes die Härte der Zeit.“ (Aus dunklen Tagen 1971, ohne Seitenzahl vor 1) Carossa (16) und Miegel (28) sind BriefschreiberInnen, die ohne biographische Schlussnotiz gedruckt, so als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Allerdings gibt es für Miegels zweiten Brief eine abschließende Anmerkung des Herausgebers: „Nach Verlassen des Flüchtlingslagers in Dänemark fand Agnes Miegel im November 1946 Unterkunft in dem alten Wasserschloß Apelern. Im Mai 1948 zog sie nach Bad
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Nenndorf, zunächst in zwei möblierte Zimmer; 1953 erhielt sie eine eigene Wohnung.“ (37) Die Anmerkung entspricht darin dem bereits zitierten Vorwort des Direktors der SLB Dortmund, dass die Nachkriegszeit auch die ‚Nichtgegner‘ zu Opfern der ‚Härte der Zeit‘ habe werden lassen, wie es sich schon andeutet, wenn von Briefen als neuen „Quellen“ erwartet wird: „Was den Mitlebenden und Mitleidenden widerfuhr, sagen ihre […] Briefe […]; diese sind bisher sicher nur zu einem geringen Teil ausgewertet […]. Vieles ist noch unbekannt.“ (ohne Seitenzahl vor 1) Die Gleichsetzung von ‚Mitleben‘ und ‚Mitleiden‘ erlaubt zwar die Aufnahme von vier Briefen über Flucht vor der antisemitischen Verfolgung (Albert Bassermann (10/11), Fritz Kortner (2), Alfred Neumann (12/13), Stefan Zweig (7/8)), auch wenn deren Benennung als religiös ebenso fragwürdig ist wie die ihrer Folge als ‚Entwurzelung‘, aber ausgeschlossen ist in dieser Brief-Anthologie der Widerstand, auch wenn zwei sozialdemokratische Politiker, die sich unterschiedlich verhielten (Otto Braun (5) und Carl Severing (39/40)), vertreten sind. So fragwürdige Akteure wie Gottfried Benn (8/9) bei der faschistischen ‚Säuberung‘ der Preußischen Akademie der Künste, von der Max Pechstein (3/4, 6/7) betroffen war, wie der stellvertretende Chef einer Propaganda-Kompanie von Kriegsberichterstattern (Sarkowicz/Mentzer 2000, 147) P. C. Ettighoffer (Aus dunklen Tagen 1971, 21– 23) und der Mitarbeiter des Werbe- und Beratungsamtes für das deutsche Schrifttum beim Propagandaministerium und im besetzten Frankreich Wolf von Niebelschütz (24/25, 28/29)⁴⁰ sind eingeschlossen in die Brief-Anthologie der die ‚Zeit‘ ‚mitleidenden‘ ‚Mitlebenden‘, die nach acht Briefen aus den Jahren 1933 bis 1939 (2– 11) nur noch auf drei Vierteln der Seitenzahl solche aus Kriegs- und Nachkriegszeit (11– 44) druckt. Den letzten Brief der Unbekannten Jüdin aus Tarnopol zitierte Heinz Seydel, der Lektor des DDR-Verlags der Nation, in seinem „Reflexionen“ (Seydel 1968, 9 – 26) überschriebenen Vorwort zu der von ihm herausgegebenen Lyrikanthologie „Die Judenverfolgung des Dritten Reiches im deutschen Gedicht“. Seydel zitiert aus dem seit der VVN-Anthologie von 1948 wiederholt gedruckten „Brief einer unbekannten Jüdin“ erst, nachdem er den Tagesbefehl des Feldmarschalls Reichenau an die VI. Armee vom 10. Oktober 1941 zitiert hat: „‚Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee… Deshalb muß der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben.‘“ (20) Seydel kürzt den „Brief, der im Mantel eines unbekannten ermordeten Juden in Tarnopol gefunden wurde“ (20), um zwei Sätze der Briefschreiberin: „Glaubt Ihr, wir wollen so enden, so sterben? Nein! Nein! Wir wollen nicht!“, die ihrer Schlussanrede der AdressatInnen vorangehen: „Warum können wir nicht schreien, warum können wir uns nicht wehren? Wie kann man so viel unschuldiges Blut fließen sehen und sagt nichts, tut nichts und wartet selber auf den gleichen Tod. So elend, so erbarmungslos müssen wir zu-
Vgl. Peitsch 1986, 170/171.
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grunde gehen…“ („…besonders“ 1948, 75) Seydel verallgemeinert das ‚Schicksal‘ der Jüdin aus Tarnopol mit der Angabe der Zahl der 6 Millionen jüdischen Opfer zur „Katastrophe des Menschen“, um sie im inklusiven Wir zum Gegenstand im Alltag angesiedelter Reflexion zu machen: „Da ist es wieder: das Einzelschicksal. Die Katastrophe des Menschen, die sich sechsmillionenmal in ähnlicher Form wiederholte. Wir aber wollen, bevor wir heute abend ins Kino gehen oder bevor wir die Einkäufe für den Sonntag erledigen oder bevor wir das Fenster öffnen, um die Amsel zu hören, noch einmal daran denken: Es waren Deutsche, die das taten. Es war nicht allein das Werk einiger SS-Henker. Unzählige haben mitgeholfen. Millionen haben es gewußt. Fast das gesamte deutsche Volk hat es geduldet.“ (Seydel 1968, 20) Im Folgenden begründet Seydel das ‚fast‘, indem er den Widerstand als Nicht-Duldung mit der Frage der Mitschuld durch Duldung verbindet: „Denn es kann nicht geleugnet werden, daß etwa 230 000 Deutsche wegen ihres Widerstandes gegen Hitler umgebracht wurden. Daß allein bis Kriegsbeginn rund eine Million Deutsche in Konzentrationslagern gewesen war und daß bis dahin 225 000 Deutsche von ordentlichen Gerichten zu 600 000 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurden – die Verhaftungen ohne gerichtlichen Beschluß nicht eingerechnet. Und doch: der Schrecken begann hier, hier auf diesem Boden, auf dem wir stehen. Es war ein deutscher Schrecken, und er wird stets mit diesem Attribut versehen bleiben.“ (20) Der gegen das ‚fast‘ erhobene Einwand, dass trotz Widerstands der ‚Schrecken‘ von Deutschland verübt, ‚getan‘ worden sei, wird von Seydel zugespitzt durch den, wenn auch an zweiter Stelle gegebenen Hinweis: „Die Helden des Widerstandes […] selbst sprachen sich nicht frei“ (20) von Mitschuld, nachdem er zuerst betont hat: Sie „sprechen uns nicht frei“ (20). Dieser Differenzierung entspricht, dass er fortfährt: „Eine Kollektivschuld verneinen wir. Eine Mitverantwortung tragen wir.“ (20) Sehr knapp formuliert er die aus der aus der Mitverantwortung als Schuld folgende Sühne: „Eine Wiedergutmachung muß sein: Ausschaltung der Kräfte, die so etwas möglich machten.“ (20) Hierfür bringt Seydel – wie schon aus dem zweiten Motto seines Buchs (7) zitiert – Arnold Zweigs Worte über den „‚allgemeinen […] gesellschaftlichen Umbau‘“ als „‚Sicherung‘“ von „‚Gerechtigkeit‘“ für die „‚Juden als Juden‘“ (21). Das Zitat leitet über zu einer Stellungnahme Seydels zum Sechstagekrieg als „eine[r] absurde[n] Tragödie für dieses verfolgte Volk“: „Durch die Einbeziehung Israels in das imperialistische Spiel wurde das Judentum der Welt um die Erfüllung seiner uralten Sehnsucht betrogen.“ (21) Seydel paraphrasiert das Zitat Arnold Zweigs, wenn er, wiederum im ‚Wir‘ die AdressatInnen einschließend, „unsere Verpflichtung“ „den Juden gegenüber“ formuliert: „Nicht der verficht die Interessen der Juden, der das Napalm Israels gutheißt. Ja: nur der handelt im Interesse der Juden, der überall gegen Aggression und Unterdrückung, gegen die profitable Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und gegen die despotische Vernichtung von Menschen auftritt – von wem auch immer dies erfolgt. Nur so wird auch allen Juden der Friede ihrer Existenz gesichert, wofür wir wirken wollen, wir, zu deren Lebzeiten es Auschwitz gab.“ (22) Von dieser „politische[n]“ unterscheidet Seydel „auch noch eine moralische und geistige Verpflichtung“ (22), die später auch „persönliche Verpflichtung“ (26) genannt wird. Der Herausgeber präsentiert sein Buch
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prägnant: „Als bescheidener Beitrag dazu entstand dieses Buch.“ (22) Deshalb nennt er „vielleicht […] notwendig zu sagen“: „Es entstand […] nicht auf Grund einer Weisung, eines Beschlusses, eines Auftrages“, aber aufgrund einer „Übereinstimmung mit den Auffassungen der Umwelt“ kann er formulieren: Wenn ein Auftrag „in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation aus dem eigenen Bewußtsein“ „kommt“, „ist der selbstgestellte, persönliche Auftrag zugleich ein öffentlicher“ (22). Seydel nennt sein „Sammelwerk“ „thematisch erstmalig in Deutschland“ (23), aber unter den Helfern, denen er dankt, ist ein Anthologist, der schon 1960 u. a. frühe Gedichte von Ruth Klüger über Auschwitz herausgeben hatte.⁴¹ Manfred Schlössers „An den Wind geschrieben. Lyrik der Freiheit 1933 – 1945“ schloss – mit Ausnahme Brechts und Rudolf Leonhards – alle in die DDR remigrierten Exilschriftsteller aus, mit der Begründung, dass „Beiträge jener Autoren, die, unserer Information nach, nur für eine andere Spielart eines totalitären Regimes kämpften oder litten und nicht grundsätzlich gegen die Entwürdigung der menschlichen Persönlichkeit, – daß diese Autoren hier keinen Platz haben können, […] wir glauben, dort, wo Fanatismus oder blinde Ergebenheit im Dienst irgendeiner Weltanschauung oder Doktrin stehen, dort ist die Gefahr der Barbarei noch nicht gebannt.“ (Schlösser 1962, 9/10) Seydel rechtfertigte seine Auswahl: „Unsere Sammlung zeigt […] auch die Divergenzen innerhalb des Judentums: zu Fragen des Glaubens – tiefreligiöse Bekenntnisse stehen neben atheistischen Lossagungen –, zum Problem Israel als nationale Lösung – idealistische Sehnsucht steht neben zorniger Ablehnung –, zum Dilemma der Stellungnahme zu ‚den Deutschen‘ der Nachkriegszeit: die Pauschalität des Begriffs in voller Fragwürdigkeit verstanden. Die Tatsache etwa, daß zwischen Marxisten und Zionisten tiefe ideologische Widersprüche bestehen, kann und darf nicht kaschiert werden, auch dort nicht, wo beide in einer gemeinsamen Front des Leidens standen.“ (Seydel 1968, 25/26) „[Z]wei Einwänden“ hat Seydel in seinem Vorwort „widersprochen“ (24): der ‚Verweigerung‘ von „Anerkennung“ (24) in Form „ästhetische[r] Werturteile“ (23) und der „Einschränkung“: „Zu diesem Thema könne man nichts Gültiges aussagen, wenn man nicht selbst zu den Betroffenen gehörte.“ (24) Auf den ersten Einwand erwidert Seydel: „Auch in der Poesie gibt es Dokumentarisches.“ (25) Sein Buch sei „mehr als eine Lyrik-Anthologie“: „Es ist ein Stück Zeitgeschichte. Vielleicht noch nie entstand Dichtung unter solchen Bedingungen […]. Wer diese Verse allein mit der künstlerischen Elle mißt, setzt sich dem Verdacht der nichtparteilichen Arroganz aus.“ (23) Auf den zweiten entgegnet Seydel nicht weniger scharf: „Die Sache, um die es hier geht, die Tränen, die geflossen sind, die Schreie, die noch in unseren Tagen hallen, gebieten, sich gegen derartige Einschränkungen kategorisch zu verwahren. Ganz im
Vgl. die als „Kindergedicht geschrieben im KZ Auschwitz“ bezeichneten „Der Kamin (1944)“ und „Auschwitz (1944)“: Schlösser 1962, 73/74. Seydel erwähnt nicht Siegmund Kaznelsons „Jüdisches Schicksal“ weiter fassende Anthologie von 1959.
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Gegenteil: mit tiefer Genugtuung ist festzustellen, daß sich außergewöhnlich viele der jungen Autoren mit der Judenverfolgung befassen.“ (24)⁴² Seydels Vorwort zu seiner Anthologie einer Literatur aus „politische[r]“, „moralische[r] und geistige[r]“ (22), „persönliche[r] Verpflichtung“ (26) gegenüber den Juden benutzt für diese nicht den Begriff „engagiert“, der ein Jahr später in der von der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) unter dem Titel „Literatur und Widerstand“ herausgegebenen „Anthologie europäischer Poesie und Prosa“ (Föderation 1969, 6) eine zentrale Rolle auf den „An Stelle eines Vorworts“ (5 – 7) überschriebenen Seiten spielt. Die deutschsprachige Ausgabe des in Ungarn gedruckten Buchs (4) erschien 1969 in Frankfurt am Main im Röderberg-Verlag der VVN, aber nicht in der DDR.⁴³ Den ‚an Stelle eines Vorworts‘ tretenden Text begleitet eine Fotokopie (7) des Briefes, mit dem Günther Weisenborn seine Mitarbeit zusagt und aus dem am Schluss zitiert wird, weil er aufgrund einer beispielhaften Verschmelzung von „Geist und Tat“ „berufen“ (5) sei: „‚Wir Überlebenden haben als Instrument der Toten die sehr konkrete Verpflichtung, Denkmäler für die Dahingegangenen in die Gegenwart zu setzen. Wir haben die Verpflichtung, ihre Taten unserem Volk und besonders seiner Jugend bekanntzumachen.‘“ (6) Unter dem Begriff einer Literatur, die sich „in diesem Ringen zwischen den Kräften des Inhumanen und des Humanismus bewußt engagiert hat“ (6), fassen die HerausgeberInnen Armand Frisch, Fritz Glaubauf, Maurizio Milan und Selma Steinmetz „alle drei Begriffe“ zusammen: Literatur im Widerstand, Literatur des Widerstands und Literatur über den Widerstand in Europa. Für alle drei ‚Begriffe‘, den einer Literatur, die im Widerstand gewirkt habe, den eines „unmittelbar aus dem Erlebnis des Widerstandes geborene[n] Schrifttum[s]“ und den einer als „Dichtung oder Bericht aus eigener Erfahrung oder aus dem geistig-moralischen Engagement hervorgegangen[en]“ (6) Literatur betonen sie, „daß wir gerade heute der moralischen und ethischen Imperative dieser Dichtung bedürfen“ (5). Im Literaturverzeichnis „dieses bisher umfassendsten Werkes europäischer antifaschistischer Literatur“ (8), das alphabetisch nach Ländern, unter denen
Vgl. beide – noch weiter zu erörternden – Einwände bei Christa Wolf, zunächst 1966 als Festlegung auf ein der Literatur als Kunst entgegengesetztes Dokumentarisches, dann 1972 auf die Opfer als einzig legitimierten Zeugen: 1966: „Die schauerlichen Tatsachen spotten jeder ‚Überhöhung‘ durch Phantasie. Dokumente aus den Archiven der Mörder und ihrer Beamten, Tagebücher der Opfer stehen sich gegenüber – beredter, als ein Roman, ein Gedicht es sein könnten.“ (Wolf 1976, 73). 1972: „[…] das Tabu auf den Stoff ‚Auschwitz‘, dessen literarische Behandlung […] nur dem von Auschwitz Betroffenen zukommt“ (Wolf 1979, 258). Vgl. zu der bisher unerforschten Bedeutung der FIR Norbert Frei, der sie eins von „diese[n] Erinnerungsnetze[n]“ nennt, „die zunächst eher kleine, aber sehr aktive Gruppen von Überlebenden über ganz Europa spannten – soweit und solange es ging, auch über den Eisernen Vorhang hinweg. Manches freilich spricht dafür, daß diese transnationalen Gedächtnisse in den europäischen Nachkriegsgesellschaften zu einer Art Katalysatoren der kollektiven Erinnerung geworden sind“ (Frei 2009, 178).
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Deutschland die Bundesrepublik und die DDR umfasst, geordnet ist, werden von den dort erschienenen Anthologien letzter Briefe hingerichteter Widerstandskämpfer aufgeführt: – aus der BRD – Weisenborns „Der lautlose Aufstand“ (1953), bei dem die ursprüngliche Initiative Ricarda Huchs betont wird, Helmut Gollwitzers u. a. „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“ (1954), unter Erwähnung des Danks an Weisenborn und Walter Hammer (483), und Hans Walter Bährs „Die Stimme des Menschen“ (1961), – aus der DDR – „besonders jetzt tu deine Pflicht!“ (1948), „Letzte Briefe tschechoslowakischer Widerstandskämpfer“ (1950), aber die dort erschienene Anthologie Piero Malvezzis und Giovanni Pirellis „Und die Flamme soll Euch nicht verbrennen“ (1956) ist unter Italien eingeordnet. Manfred Schlössers Lyrikanthologie „An den Wind geschrieben. Lyrik der Freiheit 1933 – 1945“ (1960), die, wie zitiert, Kommunisten ausschloss, wird von den HerausgeberInnen zu den „Werken zur Geschichte und Literatur des europäischen Widerstandes“ (784) gezählt. Weisenborns Adressierung der FIR-Anthologie von europäischer ‚engagierter‘ Literatur ‚des, im und über‘ Widerstand „besonders“ an die „Jugend“ (6) und die Annahme der HerausgeberInnen eines „gerade heute“ 1969 gefühlten ‚Bedürfnisses‘ nach den „moralischen und ethischen Imperative[n] dieser Dichtung“ (6) stehen in Gegensatz zu einem Bild der ‚jungen Generation‘, das Günter Grass in seiner „Rede zur Eröffnung der Ausstellung ‚Menschen in Auschwitz‘“ des Evangelischen Forums in Westberlin im Juni 1970 entwirft: „Die junge, im Frieden herausgewachsene Generation […] ist der Geschichte müde.“ (Grass 1987, 460) Grass „steiger[t]“ ausdrücklich seine „bewußt verallgemeinernd[e]“ Rede von „geschichtsmüde“ zu „Ekel vor“ und „Flucht aus der Geschichte“, was er deren „unterrichtsweise[r]“ Vermittlung in „idealistischer Folgerichtigkeit“ anlastet, die sich als „absurd“ „offenbart“ habe: „Aus der Geschichte – so heißt es – kann man nicht lernen. Diese […] Flucht aus der Geschichte kann, so steht zu befürchten, zunehmende Ablehnung der aufklärenden Vernunft zur Folge haben.“ (460) Grass belegt seine Befürchtung für die Zukunft schon aus der Gegenwart, indem er sich auf das „Sprachklima“ der ‚jungen Generation‘ beruft: „Täglich erleben wir, wie die nachwachsende Friedensgeneration sich mit hohem moralischen Anspruch ein Sprachklima schafft, dessen immer noch aufklärend eingefärbte Diktion, sobald wir nachfragen, verrät, daß ein neuer Irrationalismus Zukunft zu haben droht.“ (460) Indem Grass den Titel seiner Rede modifiziert, von „Schwierigkeiten eines Vaters, seinen Kindern Auschwitz zu erklären“ zu „der seinen Kindern Auschwitz erklären möchte“, appelliert er, die ‚Drohung‘ zu „bedenken, daß diese Schwierigkeiten Dimensionen gewinnen können, die mit der überlieferten Kategorie ‚Erziehungsprobleme‘ nicht mehr zu fassen sein werden“ (460/461). Die Schlusssätze bringen das von Grass gewünschte ‚Bedenken‘ auf den Punkt: „Es gilt, Auschwitz […] in Zukunft nicht blindlings auszuschließen. Auschwitz liegt nicht nur hinter uns.“ (461) Bevor sich Grass im zweiten, längeren Teil seiner Rede der ‚jungen Generation‘ zuwendet, hat er drei „Echowirkung[en]“ oder „Resonan[zen]“ des „Wort[es] Auschwitz“ „widerspr[o]che[n]“: „Adornos Wort, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben“, der „trivialste[n]: „Will das nicht aufhören“, und der „verhalten-
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vornehmen“: „die Antwort auf Auschwitz könne nur Schweigen, dürfe nur Scham und Verstummen sein“ (458). Grass insistiert auf Auschwitz als „Realität, also zu untersuchendes Menschenwerk“ (458) und als „zeitlichen Wendepunkt“ (459) „in unserem Denken – selten bewußt – doch unvermeidbar unterbewußt“: „Seit Auschwitz denkt sich der Mensch anders, zwingen wir uns, anders zu denken, und wird überall dort, wo Auschwitz sich fortsetzt, der einmal gesetzte Maßstab mitgedacht werden müssen.“ (458) Der Realität und dem Maßstab entsprechen in Grass’ Rede die Begriffe „Kategorie“ und „Symbolisierung“: „Kategorie“ sei Auschwitz durch die „Perfektion“ des „Vernichtungsmechanismus“ geworden, „Symbolisierung“ erfolge aufgrund der „Reduzierung der Realität Auschwitz zum zeitlichen Wendepunkt“ (459). Zwischen beidem sieht Grass ein Spannungsverhältnis, zwischen Erklärung und Bewertung, das im Übergang zu den Gesprächen mit seinen Kindern wiederkehrt: „Diese Symbolisierung erschwert die Aufgabe, den alltäglichen Mechanismus in Auschwitz zu erklären, weil gleichzeitig mit der Ortsbezeichnung das Schlüsselwort für jeglichen Völkermord mitgesprochen wird.“ (459) Grass, der „Schweigen, […] Scham und Verstummen“ als „Antwort auf Auschwitz“ ausgeschlossen hat, weil es „zu untersuchendes Menschenwerk“ (458) sei, stellt mit wiederholt betonter iterativer Raffung: „sobald“, „immer“, „immer wieder und abermals“ (459), für seine Gespräche mit seinen Kindern heraus: „dann werde ich, sobald ich zu erklären beginne, umständlich“ (459). Mit der – 2002 zum Titel einer Novelle des Autors gewordenen – Metapher „im Krebsgang“ resümiert Grass sein ‚umständliches‘ ‚Erklären‘, das „einen Schritt vor Auschwitz“ ende, weil vor jeder „halbwegs hinreichenden Erklärung weiterer Anlaß [liege], noch mehr Ursache [sic] zu nennen“ (459). Die Unterscheidung zwischen „Ursachen“ und „andere[n] Ursachen“, die sich „vor“ den ersteren „zu Wort“ „melden“, führt nach einem Doppelpunkt zur Benutzung der 1. Person Plural des Personalpronomens: „Wir sind es auch gewesen. Das haben wir zwar nicht gewollt. Aber das, was wir taten, sagten und schrieben, führte auf Umwegen zu einer Ortschaft, die Auschwitz heißt, aber auch Treblinka heißen könnte.“ (459) Wie Grass in der Abweisung von Scham als Schweigen die Frage des eigenen Anteils an Schuld ausklammert, so auch in der anschließenden Entgegensetzung von Erklärung und Bewertung, wenn er seinen mit dem Medienkonsum der Kinder konkurrierenden ‚Versuch‘ anführt, „mit der abstrakten Zahl – oder genauer gesagt: abstrakt bleibenden Zahl – sechs Millionen etwas zu erklären […], das Kindern allenfalls im privatisierten Einzelfall, etwa auf den Namen Anne Frank gebracht, deutlich oder, trivial gesagt, spannend zu werden beginnt“ (459).
X ‚KZ-Tourismus‘ oder ‚Geschichtsbewußtsein‘ als Antifaschismus Die damals auflagenstärkste Illustrierte, der Hamburger „Stern“, schickte 1970 Erich Kuby mit einem Fotografen nach Polen, noch bevor Willy Brandt im Dezember zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrags nach Polen reiste. Kuby benutzte in Auschwitz einen polnischen, zuerst 1964 erschienenen Reiseführer, nicht den 1969 in der DDR von Werner Kolmar veröffentlichten. Kubys kritischer Fokus in der Gedenkstätte ist einerseits auf den ‚KZ-Tourismus‘, andererseits auf ‚den neuen polnischen Antisemitismus‘ gerichtet. Für Auschwitz-Reisen zuständig war in der Westberliner Geschäftsführung der Aktion Sühnezeichen der seit 1963 hauptamtliche Volker von Törne; er verhandelte 1970 mit dem Internationalen Auschwitz-Komitee in Warschau über die Einrichtung einer Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz und präsentierte in der Zeit der begonnenen Auseinandersetzungen in der BRD über die Ratifizierung der Verträge mit der Sowjetunion und Polen, im Februar 1971, auf dem Kongress „Friede mit Polen“ in Frankfurt am Main das inzwischen entwickelte Konzept der Gruppenreisen nach Auschwitz unter dem ‚zentralen Begriff‘ ‚Geschichtsbewusstsein‘, indem er die Bedeutung einer Reise nach Auschwitz in Gegensatz zu einer touristischen stellte: ‚durch die Vermittlung konkreter Einsichten in die bis heute fortwirkenden Schuldzusammenhänge der deutsch-polnischen Geschichte die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und offensiv in unserer Gesellschaft den Kampf gegen den Ungeist von gestern und damit für eine zukünftige dauerhafte Verständigung mit dem polnischen Volk zu führen‘.
Günter Grass gehörte zur Begleitung des Bundeskanzlers Brandt auf der Reise zur Unterzeichnung des Vertrags zwischen der BRD und der Volksrepublik Polen am 7. Dezember 1970 in Warschau. „Ich habe es nicht gesehen“, berichtete er eine Woche später in seinem „Politische[n] Tagebuch. Betroffen sein“ in der „Süddeutschen Zeitung“ vom „Besuch einer Gedenkstätte, die an den Aufstand im Warschauer Ghetto und an die Vernichtung des Ghettos erinnert“: „Fernsehen und Fotographen haben dafür gesorgt, daß das Bild vom knieenden Bundeskanzler sich einprägen und überliefern konnte.“ (Grass 1987, 488) Grass deutet das Bild des „Kniefall[s] von Warschau“ (Koch/Lorenz 2007) als eins, das den „unmittelbaren privaten Ausdruck“ Willy Brandts zeige, indem er ihn in Gegensatz setzt zu einem „Verhalten“, das „wir, die Deutschen“, einem 1967 erschienenen, sehr breit rezipierten Buch zufolge, bewiesen hätten: „Alexander Mitscherlichs Buch ‚Die Unfähigkeit zu trauern‘ hat nachzuweisen versucht, mit welch beängstigenden Geschick wir, die Deutschen, Schuld verdrängt, Erkenntnis der Schuld vermieden und die Fähigkeit, Trauer zu zeigen, verlernt haben.“ (Grass 1987b, 488) Trotz einer gewissen Distanz im Referat von Mitscherlichs – überdies verkürzter – These dient sie als Begründung von Grass’ im Weiteren entwickelter Deutung, „daß sich seit Warschau zwei Völker neu zu sehen beginnen“ (489): „Als Willy Brandt […], weil es ihn niederdrückte, auf die Knie fand und sich Zeit nahm, kam zum erstenmal an bezeichnender Stelle Trauer zu ihrem Ausdruck.“ (488) Grass berichtet aus seinen Gesprächen mit solchen, „die es gesehen oder wie ich davon gehört hatten“, unterschiedliche Reaktionen (u. a. die Befürchtung, „zu Hause“ werde „der Hang zur Verleumdung […] den Kniefall zum Kotau verbiegen“): „Aber alle Anzeichen – erstaunte, erschreckte, beschämte – bewiesen https://doi.org/10.1515/9783050095851-012
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Betroffensein.“ (488) Mit demselben Attribut wie Brandts ‚unmittelbaren‘ ‚Ausdruck‘ im Kniefall belegt Grass in seinem Schlusssatz den „Gewinn der Reise“: „Der unmittelbare Gewinn dieser Reise: die zurückgewonnene Fähigkeit, betroffen zu sein.“ (489) Ihrer Einschätzung eines ‚Neubeginn‘ widerspricht, dass Unterschiede in der Betroffenheit, von denen Grass abstrahieren will, im Text durchaus benannt, wenn auch nicht reflektiert werden; so kommentiert Grass die über Brandts als „ihnen neues“ „deutsches Verhalten“ „erstaunte“ Reaktion der „polnischen Gastgeber“: „Das Wort ‚Israel‘ wurde halblaut. Auch mag ein Rest Antisemitismus sich in seiner antizionistischen Verkleidung erkannt gefühlt haben.“ (488) Im Rückblick auf „fünfundzwanzig Jahre“, in denen die „zwei Völker“ „bemüht gewesen“ seien, „verletzt und beschämt aneinander vorbeizusehen“, bleibt die Frage durch wessen Schuld ausgeblendet, und das Zitieren von Brandts ‚Sprechen‘ „von der ‚politische[n] Kraft der Moral‘“ (489) widerspricht der Deutung von dessen Kniefall als „unmittelbare[m] private[m] Ausdruck“ (488).¹ Zur Vorgeschichte der Reise nach Warschau hatte ein von den höchsten Gremien der SPD noch vor Brandts der nach Warschau vorangehenden Reise zur Vertragsunterzeichnung in Moskau gefasster Beschluss am 14. November 1970 gehört, der „Fehldeutungen der Ostpolitik abwehren“ sollte: „Junge Menschen werde vielleicht zunächst unverständlich sein, daß die Zusammenarbeit mit Kommunisten außenpolitisch notwendig sei, innenpolitisch aber verhängnisvoll.“ (Baring 1982, 357) Die SPD verbot „Aktionsgemeinschaften jeder Art zwischen Sozialdemokraten“ und „Anhängern der kommunistischen Diktatur“ als „parteischädigend“ und bekannte sich zur „Aufgabe“, die „freiheitliche[…] Ordnung kompromißlos gegen alle kommunistischen Irrlehren zu verteidigen“ (357/358), so wie Grass in seiner Auschwitz-Rede gegen den ‚Irrationalismus‘ einer ‚geschichtsmüden‘ ‚jungen Generation‘. Der Bundesausschuss der Jungsozialisten verurteilte am 22. November 1970 den Beschluss: Er „belebe den ‚Antikommunismus‘ neu, ‚der in der Vergangenheit auch die Funktion hatte‘, gesellschaftliche Reformen zu verhindern“ (Rudzio 1988, 56). Schon im Juni 1970 reiste Erich Kuby mit einem Fotografen für den „Stern“ einen Monat nach Polen; 1990 kommentierte er den Neudruck seiner Reportage „Das KZ hat im Reiseführer zwei Sterne“ in seiner Sammlung „Mein ärgerliches Vaterland“: „Im Dezember ist Willy Brandt in Warschau. Das Foto des vor dem Ghetto-Mahnmal knieenden Bundeskanzlers geht um die Welt. Dieser Kniefall bleibt aus der vierzig-
Vgl. aber zu Brandts eigenem Festhalten an der „Version einer spontanen Überwältigung“ (Koch/ Lorenz 2007, 190) den Einwand , dass „der Kniefall“ „eine Vorgeschichte“ gehabt habe: „Zu Beginn von Brandts erster Amtszeit war es um die deutsch-israelischen Beziehungen nicht gut bestellt und das Verhältnis zum Zentralrat der Juden in Deutschland galt ebenfalls als schwierig. Der Journalist Klaus Harpprecht […] riet dem Kanzler daher im Oktober 1970 zu einer öffentlichen Geste zur Verbesserung des deutsch-jüdischen Verhältnisses.“ (190, vgl. dagegen Schneider 2006, 207, der eine Nietzsche’sche ‚Verbesserung‘ von Lukas 18,14: „wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden“, seiner Interpretation zugrunde legt: „‚will erhöhet werden‘“, die vom zeitgeschichtlichen Kontext von Vergebung und Versöhnung absieht).
1 Erich Kuby: Das KZ hat im Reiseführer zwei Sterne
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jährigen Geschichte der Bundesrepublik die einzige Geste eines hohen westdeutschen Politikers, die als Schuldbekenntnis optisch festgehalten werden konnte und deshalb auch zwanzig Jahre später unvergessen ist.“ (Kuby 1990, 343)² Im Erstdruck war die Auschwitz-Reportage der zweite Teil eines nach dem ersten Teil betitelten Artikels „Zoppot, Weltbad ohne Welt. Nachbar Polen“, dessen dritter Teil nicht wie im Neudruck Teil der Auschwitz-Reportage war, sondern eine eigene Überschrift trug: „Seit 1967 haben 10 000 Juden Polen für immer verlassen“ (Kuby 1970, 118). Statt des 1970 titelgebenden Zoppot-Teils, so Kuby 1990, „wähle ich den Besuch bei einer deutschen Bauernfamilie im Hinblick auf die Diskussion, die über ‚Heimkehrer‘ aus dem Ostblock losgebrochen ist“ (Kuby 1990, 344).
1 Erich Kuby: Das KZ hat im Reiseführer zwei Sterne Die drei unterschiedlich großen Fotos des „Stern“ zum mit anderthalb Spalten kürzesten Teil des Artikels von 1970 zeigen aus mittlerer Entfernung leicht von oben aufgenomme Gruppen von zehn bis dreißig BesucherInnen von Auschwitz zwei Mal von hinten und ein Mal von vorn so, dass keine Gesichter zu erkennen sind, oben auf der Seite vor dem Eingangstor von Birkenau, in der Mitte zwischen dem Doppelzaun des Stammlagers und unten auf der Wiese neben dem Parkplatz. Eine Seiten- und eine Zwischenüberschrift: „KZ-Tourismus an einem Sonntag in Auschwitz – das ist ein höchst zwiespältiges Erlebnis“ und „Durch dieses Tor fuhren die Züge zu den Gaskammern. Heute wandern hier Touristen“ (Kuby 1970, 46), geben eine Bewertung vor, die in der Bildunterschrift in eine Kritik an der polnischen Regierung mündet: „Hunderttausende schlendern durch das Vernichtungslager Birkenau […], empfinden im Museum des Stammlagers […] ein Schaudern wie im Gruselfilm – aber das ist kein Film! – und trinken schließlich vor dem ‚Hotel Auschwitz‘ Kaffee aus der Thermosflasche. Gleich geht ihr Bus wieder ab: So ist Auschwitz nicht zu begreifen. Die Regierung sollte Sinn und Zweck des KZ-Tourismus neu durchdenken.“ (46) Im Text von Kubys Reisebeschreibung finden sich alle Elemente der Bildunterschrift und schon im ersten Absatz die ausdrücklich formulierte Kritik, sie richtet sich letztlich schon gegen die Gründung des „‚Museum[s] des Martyriums der Völker‘“, wenn der Erzähler, der bisher nichts über sein Verhalten und seine Wahrnehmungen als Reisender berichtet hat, im Indefinitpronomen die ‚Einbeziehung‘ der „Anlagen des ehemaligen KZ selbst“ kritisiert: „Man kann der polnischen Verwaltung, die nichts gehindert hätte, außerhalb des ehemaligen KZ ein modernes Touristenzentrum zu errichten, den Vorwurf nicht ersparen, sie habe instinktlos gehandelt, denn auf diese Weise wird die Stätte des Grauens zu einem Reiseziel mit zwei Sternen im Reiseführer. Und tatsächlich, so findet man es dort vermerkt: ‚Oswiecim – Auschwitz, Museum des Martyriums
Vgl. die Differenz zur, bereits zitierten, Deutung von Grass als „Ausdruck“ von „Trauer“ (488), wo nur im Mitscherlich-Referat von „Schuld“ die Rede ist.
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X ‚KZ-Tourismus‘ oder ‚Geschichtsbewußtsein‘ als Antifaschismus
der Völker**‘“ (48). Drei leicht variierte Sätze widmet der Erzähler dem vom sonntäglichen Wind bewegten „Flauschteppich“ von Baumblüten, „auf dem die Touristen plaudernd wanderten“: „Wieder erlebte ich, daß junge Leute Transistorgeräte laufen ließen, und erst in den zum Museum umfunktionierten Baracken wurde Protest laut – dort, wo hinter Glaswänden ausgestellt sind kleine Berge von Haaren, Schuhen, Kleidern, Töpfen, Bestecken, Brillen und Koffern.“ (48) Im Unterschied zur Bildunterschrift, die sich über das, was die BesucherInnen wahrnehmen, fühlen und denken, so gewiss ist, räumt der Erzähler zwar ein: „Schwer zu sagen“, wenn er gefragt hat: „Was bleibt hängen von den“ – bisher nicht erwähnten – „Führungen, von den Erläuterungen, von dem, was zu sehen ist auf Fotos, auf Schrifttafeln, in natura?“ (48), um dann aber gleich zu vermuten, dass es nicht „mehr ist als ein schattenhaftes Gefühl von Schrecken und Entsetzen, die nicht mehr erlebt werden können“ (48/118). Der Erzähler verschärft diese Vermutung zu einer Gewissheit, indem er zum ersten Mal mitteilt und zwar in der 1. Person Singular, was der Besucher Kuby bei seiner Besichtigung des ‚Museums‘ denkt, dabei aber deutlich macht, dass der Bezugspunkt für seine Gedanken nicht der Ort Auschwitz, sondern die bundesrepublikanische Öffentlichkeit ist: „Ich meine den Ausbruch eines neuen polnischen Antisemitismus. […] Ein Sonntag in Auschwitz ist die richtige Gelegenheit, sich darüber Gedanken zu machen.“ (118) Kuby geht aus von seiner Vermutung über das ‚schattenhafte Gefühl‘ nicht selbst ‚erlebten‘ ‚Schreckens‘, das bei BesucherInnen ‚hängen‘ bleibe, um zu folgern: „Daß dieser Anschauungsunterricht im ganzen Volk nicht wirklich umgesetzt wird in Erkenntnisse politischer Art, die nicht gekettet sind an Ereignisse der Vergangenheit, sondern das Grundsätzliche ins Bewußtsein heben – dafür haben Polen, das ganze polnische Volk insgesamt, nicht nur seine Regierung in den Jahren 1967 und 1968 einen Beweis geliefert […]. Von der Parteispitze wurde 1967 eine Massenemotion, man muß wohl sagen: Massenhysterie ausgelöst, […] de[r] Ausbruch eines neuen polnischen Antisemitismus“ (118). Auf der einen Seite betont Kuby: „Gerade weil so viel darüber bei uns geschrieben und gesprochen wurde, muß auch im Rahmen dieses Berichtes darüber gesprochen werden.“ (11() Auf der anderen Seite besteht er auf der Bedeutung des besuchten Ortes Auschwitz als „Hintergrund“ für seine Gedanken: „Auf diesem Hintergrund gewinnt, was in Polen in den letzten Jahren sich zutrug, die ihm angemessene historische Größenordnung – auf diesem Hintergrund wird aber auch besonders deutlich, was für ein gefährlicher Wahnsinn hier geschürt wurde.“ (118) Weil „[i]n eine deutsche Betrachtungsweise dieser Vorkommnisse […] allzu leicht ein Moment der Entschuldigung einfließen“ könne, betont Kuby zur in Auschwitz sichtbaren ‚Größenordnung‘: „‚Die Polen aber auch…‘ ist ein Satz, der nicht gesprochen werden darf.“ (118) Zur Gefahr zitiert Kuby zwei Journalisten, den Redakteur der Wochenzeitung „Polityka“, die „öffentlich dagegen Stellung bezogen“ habe, Mieczyslaw Rakowski: „Es gibt einen noch nicht völlig überwundenen polnischen Antisemitismus, der aus früheren Jahrhunderten stammt“ (118), und den Chefredakteur der jiddischen, „‚vom Staat finanziert[en]‘“ Wochenzeitung „Folks-Sztyme“ Samuel Tennenblatt: „‚In der polnischen Intelligenz und in der Jugend gibt es keinen Antisemitismus‘“ (119). Abschließend modifiziert Kuby deshalb seine, bereits zitierte,
1 Erich Kuby: Das KZ hat im Reiseführer zwei Sterne
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Einschätzung eines ‚neuen Antisemitismus‘ in Polen, wenn er als Tennenblatt und ihm selbst gemeinsame „Überzeugung“ formuliert, „daß der Ausbruch des polnischen Antisemitismus nicht nur bei den Betroffenen unendlich viel Unglück verursacht hat, sondern auch dem Prestige des neuen polnischen Staates enormen Schaden zufügte“ (119). Dennoch zeigt Kubys „Stern“-Reportage vom Juni 1970, dass seine Orientierung an der Rede vom ‚neuen polnischen Antisemitismus‘ in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit nicht nur aus seinen Gedanken die in Auschwitz ermordeten nicht-jüdischen Opfer hat verschwinden lassen, sondern auch in seiner Kritik an den Besuchern als Touristen die Möglichkeit, dass unter ihnen Menschen sein könnten, die einen Friedhof von Angehörigen oder Freunden besuchten. Trotz Kubys ausdrücklicher Zurückweisung von ‚Entschuldigung‘ fällt auf, dass Kuby, der 1960 ein Buch über Auschwitz plante, aus dem 1965 eines über „Die Russen in Berlin 1945“ wurde, fünf Jahre später im „Jahr, in dem die ‚neue Ostpolitik‘ in Gang kommt“ (Kuby 1990, 343), für Polen von dem schweigt, was er für die Sowjetunion 1965 betonte: „Der Versuch, mit den Sowjets Politik zu machen, hätte seitens der Deutschen die Bereitschaft zur Voraussetzung […], sich dem zu stellen und das zu bekennen, was von ihnen in der Sowjetunion verbrochen worden war.“ (Kuby 1980, 330) 1965 appellierte Kuby, „Einsicht in den eigenen Anteil am Unglück“ (254) zu gewinnen durch Kritik an Legenden und Stereotypen, z. B.: „Für nicht wenige Deutsche – vorwiegend allerdings für die deutschen Männer und von diesen wiederum für jene, die in der Bundesrepublik und Westberlin leben – hat sich der vielschichtige Gegenstand dieses Berichtes über ‚die Russen in Berlin‘ schon seit zwanzig Jahren auf die Vorstellung reduziert, die Rotarmisten seien damals nach Berlin gekommen, hätten dort die deutschen Frauen vergewaltigt – und damit Schluß. Mehr weiß man nicht, mehr will man nicht wissen. […] Ebenso gängig wie lächerlich ist die Anschauung, ein sowjetischer Zivilisationsliterat jüdischer Herkunft namens Ilja Ehrenburg haben den Millionen Soldaten, aus denen die Heeresgruppen Schukows und Konjews bestanden, gleichsam befehlen können, deutsche Frauen zu schänden.“ (306) Zwei Monate nach Kubys Polen-Reise, im September 1970, brachte die Zeitschrift der polnischen katholischen Parlamentarier „Znak“ eine „Sondernummer“ heraus mit dem Titel „Auschwitzer Rekollektionen“, veranlasst durch den 30. Jahrestag der Errichtung des Konzentrationslagers Auschwitz (Morawska 1971, 86). Darüber berichtete vier Monate später Anna Morawska in den „Frankfurter Heften“ unter der Überschrift „Eine zukunftsweisende Deutung von Auschwitz“ als einen „Versuch“, wie sie in der Einleitung der Redaktion zitiert wurde, „‚dieses Denkmal […] der Menschheitsgeschichte aus der Distanz von Jahren und Generationen gleichsam neu zu entdecken‘“ (83). Sie berief sich hierfür einerseits darauf, dass die „neue, mutige Politik von Bundeskanzler Brandt es begünstigte, an einen wirklich neuen Anfang zu denken“ (86), andererseits auf Günter Särchen, der im redaktionellen „Gespräch über Auschwitz“ den „Gedanken“ eines „der teilnehmenden polnischen Geistlichen“ aufgenommen hatte, „in Auschwitz ein interkonfessionelles Versöhnungszentrum entstehen zu lassen“: „Unter den Christen in der DDR ist die zukunftsweisende Deutung von Auschwitz, seine lebensbezogene Sinngebung nichts Fremdes.“ (85) Nicht genannt
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wird die erstmals von Volker von Törne seitens der westdeutschen Aktion Sühnezeichen 1970 mit dem Internationen Auschwitz-Komitee in Warschau verhandelte Einrichtung einer Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz, die bereits 1967 im Westberliner Leitungskreis von Franz von Hammerstein nach seiner ersten Auschwitz-Reise zur Einweihung des Mahnmals in Birkenau vorgeschlagen (Kammerer 2008, 101) und von Kreyssig im selben Jahr erwähnt worden war (Legerer 2011, 236).
2 Anna Morawska: Eine zukunftsweisende Deutung von Auschwitz, über das „Auschwitz-Seminar“ von Pax Christi und Znak Morawska fasst die Beiträge des Sonderhefts zusammen als den „ersten und bisher einzigen Versuch“, „eine psychologische Umdeutung von Auschwitz vorzunehmen“ (83), um der Gedenkstätte „eine andere Funktion“ zu geben, als – wie bisher – durch die ‚Auslösung‘ von „Entsetzen und Haß“ „starre Barrieren zu errichten“: „Vor allem soll Auschwitz nicht die suggestive Vorstellung verbreiten, daß sich gerade eine Nation in Europa als verbrecherisch erwiesen hat, – es soll vielmehr eine Analyse allgemeinmenschlicher Prozesse und gesellschaftlicher Mechanismen initiieren, die zur Folge haben können, […] das verpflichtende Bewußtsein [zu] wecken, die menschlichen Werte sowie den Frieden auf das nachhaltigste zu verteidigen“ (83/84). Deshalb stellt Morawska, um „die zukünftige, die normative Funktion von Auschwitz“ zu ‚betonen‘ (84), zwei Beiträge heraus und besonders ausführlich dar, den eines 20jährigen Studenten, der seine „Abstumpfung“ durch die mit Zitaten aus „Rundfunksendungen“ und „Tagespresse“ dokumentierte „Überflut des Grauens“, der „Schilderung allein von Verbrechen“ (84), berichtet, und den des „Gemeindepfarrers in Auschwitz während der Nachkriegszeit“: „daß die Bevölkerung sich der eigenen beherzten Versuche erinnerte, den Lagerinsassen Hilfe zu leisten, aber auch keine noch so kleine wohlwollende Geste der deutschen Lagermannschaft vergessen hat.“ (85) Während Morawska auf der einen Seite im Hinblick auf den „Sinn für Proportionen […] in aktuellen Fragen“ einräumt: „Daß Auschwitz die Aufgabe hat, ein Anklagemonument zu sein, und daß die Aufgabe – leider – auch weiterhin unerläßlich ist, dessen blieben sich die Teilnehmer am ‚Gespräch über Auschwitz‘ bewußt“ (84), und die BRD erwähnt, stammt das bei weitem längste Zitat ihres Artikel aus dem Beitrag eines Pfarrers aus – wie Särchen – Magdeburg, der seinen Besuch in der Gedenkstätte wie einen letzten Brief der Ermordeten liest: „‚Ich glaube daran, daß das Leben der zu Tode Gemarterten auf eine für uns nicht vorstellbare Art fortdauert, […] daß – wie Jesus Christus in jeder unserer Bereitschaft zum Sinneswandel, zu einem neuen Anfang immer von neuem aufersteht – auch die in der Auschwitzer Schlacht Gefallenen auf irgendeine Weise überall dort gegenwärtig sind, wo der Einzelne versucht, menschlicher zu sein.“ (86)
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Zwei Jahre später widersprach in den „Frankfurter Heften“ ein ehemaliger Redakteur der Zeitschrift, Gottfried Erb,³ der nun Politologe in Darmstadt war, Anna Morawskas „‚zukunftsweisende[r] Deutung‘“ (Erb 1973, 87) von Auschwitz, auch wenn er die Absage an den Hass „nur dankbar entgegennehmen“ (87) könne, indem er seine rhetorische Frage bejahte: „Ob das Lager und sein Museum nicht doch Ort des Schmerzes, der Trauer, auch des Gebets bleiben sollte? Auch das gehört zur Verständigung der ehemals feindlichen Völker: die gemeinsame Trauer.“ (88) Die Begründung seines Widerspruchs gab Erb in Form einer Beschreibung der Reise nach Auschwitz zu einem – mit „der gleichen Intention“ wie das im „Znak“„Gespräch über Auschwitz“ vorgeschlagene „interkonfessionelle […] Versöhnungszentrum“ im November 1972 organisierten – „polnisch-deutsche[n] ‚Auschwitz-Seminar‘ über bilaterale Probleme der beiden Völker“ (88). Durch einleitende Reflexionen über die Darstellbarkeit des „Geschehene[n]“ in Bild und Text (86) und abschließende über „behutsam[en]“ „Umgang mit der Hinterlassenschaft des Naziterrors“ (88) rahmt Erb seine Beschreibung des in Auschwitz-Birkenau Sichtbaren. An deren Ende versichert der zum ersten Mal in der 1. Person Singular und nicht im Indefinitpronomen sprechende Erzähler, um einen Appell im den Adressaten einschließenden Wir zu formulieren: Es möge sein, „daß meine Eindrücke – zum ersten Mal sah ich das Lager – doch mehr wiedergeben als individuelles Empfinden. Kein Besucher Polens, der um Verständigung mit Polen bemüht ist, darf und kann sich den Besuch in Auschwitz ersparen. Es wäre schändlich und erbärmlich, wollten wir uns an dieser größten Stätte deutschen Verbrechens vorbeidrücken.“ (88) Die moralische, auf Schande und Scham rekurrierende Bewertung einer Vermeidung des Besuchs von Auschwitz auf einer Polenreise ist in der Einleitung vorbereitet durch das Ausräumen des Einwands der „Unzulänglichkeit“ (87) „[a]ller Wiedergabe von Geschehenem“, da sie „reduziertes Abbild“ sei (86), mit dem auf die Rezeption von Bildern und Texten bezogenen Argument, dass „die Verdrängung noch amoralischer wäre“: „Die bloß historische Wahrhaftigkeit, mehr aber noch der Respekt vor den Gemordeten und die Solidarität mit den Überlebenden, gebieten, Auschwitz nicht vergessen zu lassen.“ (87) Erb benutzt eine Metapher für die Erinnerung von Auschwitz, „‚Schattengang‘“, aus dem, bereits zitierten, Vorwort Rudolf Hagelstanges zu Gerald Reitlingers „Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939 – 1945“, wenn er ‚uns Deutsche‘ „immer mitbelastet“ nennt: „wir Deutschen, gewiß nicht nur Schul-
Erb gehörte zum Bensberger Kreis, der früher Freunde von Pax Christi (Erb 2010, 357/58) hieß und an dessen Vollversammlung 1969 Stanislaw Stomma teilnahm und eine Delegation nach Polen einlud, die nach Warschau, Krakau, Wroclaw und Poznan reiste: „Im Dezember 1972, nach dem großen Wahlsieg der SPD und Willy Brandts, fand in Auschwitz ein bemerkenswertes Treffen zwischen Vertretern von Pax Christi sowie des Bensberger Kreises und der polnischen ZNAK-Gruppe statt. […] Diskutiert wurde über den Umgang mit der Vergangenheit“ (361). Eine Referentin war die noch im selben Jahre „verstorbene Rahner- und Bonhoeffer-Übersetzerin Anna Morawska“ (Mechtenberg 2010, 303), „Hauptreferent“ Stanislaw Stomma (304). Bis 1977 fanden fünf weitere nach dem ersten Tagungsort benannte „Auschwitz-Seminare“ abwechselnd in der BRD und an anderen Orten Polens statt (303).
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dige, sondern auch Unschuldige und Opfer, aber immer mitbelastet“, werden „‚diesen Schattengang‘ dauernd zu gehen haben, sollen wir nicht abermals ‚Schaden an unserer Seele‘ nehmen, ‚vor dem der Gewinn der ganzen Welt ein Nichts wäre‘.“ (87; vgl. Hagelstange 1956, XIV) Beide Motive der Einleitung finden sich auch im Schluss von Erbs Artikel, wenn er doppelt, historisch und moralisch, begründet: „Kenntnis, umfassend und genau, brauchen wir.“ (Erb 1973, 88) In Erbs moralischem Argument zeigt sich ein von früheren und späteren Reisebeschreibungen, wie der Erich Kubys von 1970, stark abweichender Blick auf die polnischen Touristen, die er nämlich als „Vorwurf“ an ‚uns Deutsche‘ sieht: „Zu viele der heutigen Polen, Schulklassen, Armee-Einheiten, Betriebsgruppen und andere strömen Tag für Tag durch das Lager, wissen also zumindest in Umrissen, was mit ihren Landsleuten geschah, um nicht die Unkenntnis auf deutscher Seite als Mißachtung der polnischen Leidensgeschichte deuten [zu] müssen.“ (88) Das historische Argument nimmt Hagelstanges ‚nicht abermals‘ auf, wenn es über „eine deutsche Geschichte vor und nach den Gasöfen von Birkenau“ heißt: „Nicht irgendeinem gigantischen Exzeß gilt es ins Auge zu sehen, sondern der strikten Konsequenz des Faschismus deutscher Prägung: die Endstation der berüchtigten ‚Endlösung‘, freilich nicht nur für Juden, sondern für Europäer aller Länder. Keine Episode – einen Markstein unserer gesellschaftlichen Vergangenheit gilt es wahrzunehmen.“ (88) Erb lässt keinen Erzähler vom Gang des Reisenden durch die Gedenkstätte berichten, sondern reiht, knapp kommentierend, welche „Belege des Grauen“ (87), das „lähmt und erdrückt“ (88), „zu sehen“ seien: „Jeder Teil von Auschwitz ist Hölle und bleibt Hölle.“ (87) Im ersten Satz nimmt er Hagelstanges – einleitend zitierte – Metapher auf, wenn er den Besuch der Gedenkstätte mit der Betrachtung von Bildern und Lektüre vergleicht: „Dieser ‚Schattengang‘ durch Bilder und Berichte ist furchtbar genug. Aber erst im Lager selbst wird Auschwitz so weit ‚lebendig‘, wie es eben heute noch möglich ist“ (87): das „Eingangstor“ der „überdimensionalen Todesfabrik“, die „Todeswand“ „unbegrenzter Grausamkeiten“, „eine der brutalsten Marterstätten der Menschheitsgeschichte“ „Block 11“, „die erste Gaskammer des größten VernichtungsKZ’s“, das „bald von Birkenau“ mit der „auf 6000 Menschen pro Tag“ ‚gesteigerten‘ „Mordleistung“ „übertroffen[e]“ „kleine Krematorium“ (87). Der – wiederum verallgemeinerte – ‚erdrückende‘ Eindruck des Sichtbaren auf den Besucher veranlasst zwei kritische Anmerkungen zur jetzt erst erwähnten „Begleitung“ und zur Benennung „‚Auschwitz-Museum‘“: „Hat man erst die erschütterndsten Reste von Koffern, darauf Namen aus ganz Europa, auch aus der eigenen Stadt, die Unmengen an Zahnprothesen, ‚Eßgefäßen‘, Brillen, Schuhen, Haaren… alles einbehalten, um den Henkern ihr Blutgeld zu verschaffen, dann will man von der Begleitung keine Erläuterungen mehr hören, dann stirbt jede Frage.“ (87) Das für den Besucher im Sichtbaren ‚lebendig‘ werdende ‚Geschehene‘ lässt ihn sowohl die Redeweise des weiblichen Guide als auch den Namen der Gedenkstätte unangemessen finden: „Die kleinen Kleidchen und die Spielzeuge der erschlagenen und vergasten Säuglinge… Warum spricht die polnische Dame immer wieder von ‚Beweisen‘ für dieses oder jenes? Muß man immer noch ‚beweisen‘, was hier geschah? Man nennt es ‚Auschwitz-Museum‘. Ob das richtig
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ist?“ (87) Erbs verneinende Antwort gründet sich nicht nur auf die Unangemessenheit einer Worterklärung: „Museum heißt: Ort der Musen“, sondern auch auf das Bestreiten von dessen touristischem Charakter: „Ein Erinnerungsort im üblichen Sinne, wo es Kuriositäten zu bestaunen gibt, wo man vergangene Kultur studiert […], ist Auschwitz nicht. […] Objekte schönfärbender Geschichtsschreibung oder touristischer Neugier lassen sich da nicht finden.“ (87) Das Fragezeichen hinter „Museum“ steht schon im Titel des Textes von Erb, der in den abschließenden Betrachtungen dem ‚Ort der Musen‘ den ‚Ort des Schmerzes, der Trauer, auch des Gebets‘ als ‚Station‘ auf dem Weg zur polnisch-deutschen ‚Versöhnung‘ entgegensetzt und zur von ‚uns Deutschen‘ ‚gebrauchten‘ ‚Kenntnis‘ von Auschwitz deren moralische Seite, die ‚Achtung der polnischen Leidensgeschichte‘, und deren historisch-gesellschaftliche unterscheidet: „die immer aktuelle Frage: wie konnte es dahin kommen – um vielleicht doch Ansätze einer Gegenstrategie aufzuspüren, um sichtbar werden zu lassen, welchen neuen Anfängen zu wehren ist“ (88). Diesen Satz hat Erb mit einer Fußnote versehen, die auf einen Vertreter der zuvor genannten „Sozialwissenschaften“, die „Antworten“ auf die „Frage“ nach der „Verankerung“ von Auschwitz „im System“ geben: „Theodor W. Adorno gibt einige Hinweise in seinem Aufsatz : ‚Erziehung nach Auschwitz‘, in ‚Stichworte‘, Frankfurt 1970, Seite 83 und folgende.“ (88)⁴ Erb zitiert nicht aus Adornos zuerst am 18. April 1966 als Vortrag vom Hessischen Rundfunk gesendeten Text, der 1968 in seinen „Stichworten“ in der „edition suhrkamp“ erschien, aber mit der Seitenangabe lenkt Erb die Aufmerksamkeit der LeserInnen auf Adornos Unterscheidung von objektiven und subjektiven Bedingungen der „Möglichkeit der Wiederholung“, wenn er seinen ersten Satz begründet: „Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“ (Adorno 1970b, 92) Adorno betont „nachdrücklich“, „daß die Wiederkehr oder Nichtwiederkehr des Faschismus im Entscheidenden keine psychologische, sondern eine gesellschaftliche Frage ist“ (96). Zu den „objektiven, nämlich gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen, die solche Ereignisse ausbrüten“ wie Auschwitz, aber auch den „Völkermord“ an den Armeniern oder durch die „Atombombe“ (93), stellt Adorno heraus, dass sie „fortdauern“ (92) und die „Möglichkeit“, sie „zu verändern, heute aufs äußerste beschränkt ist“ (3). Daraus ergebe sich, wie er seine Rede von 1959 „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ zitiert, „die Wendung aufs Subjekt“: dass „Versuche, der Wiederholung entgegenzuarbeiten, notwendig auf die subjektive Seite abgedrängt“ (93/94) seien, in die „Erziehung“, die Adorno in zwei „Bereiche[n]“ lokalisiert: „in der Kindheit, zumal der frühen“, und in einer „allgemeine[n] Aufklärung, die ein geistiges, kulturelles und gesellschaftliches Klima schafft, das eine Wiederholung nicht zuläßt“ (95). In diesem ‚Klima‘ entdeckt Erb jedoch für die Gegenwart: „eine […] Gefahr kommt auf“, zu der er ‚ausgewogen‘ Stellung nimmt, indem er für einen „behutsam[en]“ Mittelweg plädiert: „Die allzu Eifrigen entdecken noch in jeder Unterdrückung ein
Die Seitenangabe ist ein Druckfehler, sie muss lauten: „Seite 85“.
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kleines Auschwitz. Wie schnell ist heute das Adjektiv ‚faschistisch‘ als Schimpfwort bei der Hand, eine Leichtfertigkeit sondergleichen. Auschwitz darf nicht banalisiert werden. Andererseits sollen die Repressionen in unserer Gesellschaft auch nicht dadurch der Bagatellisierung anheimfallen, daß sie im Angesicht von Auschwitz zusammenschrumpfen.“ (Erb 1973, 88) Der ‚aufkommenden Gefahr‘ im Klima der BRD setzt Erb eine positiv bewertete Klimaveränderung entgegen. Mit einem Zitat aus Eugen Kogons „Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager“ von 1946 über „‚eine Politik der unpathetischen, freilich wachsamen Versöhnung in und mit Deutschland‘“ als ‚Bahnung‘ des ‚Wegs‘ in „eine[…] erfreuliche[…] Zukunft“ spielt Erb auf Kogons Rolle bei der publizistischen Umorientierung vom Kalten Krieg zu einer Entspannungspolitik an: „Diese Politik geschieht. Und er war daran beteiligt, daß sie geschieht.“ (88)
3 Reiseführer von Adam Bajcar, Werner Kolmar und Fritz Gancz Von dieser Umorientierung schwieg auf beredte Weise der Schluss einer Beschreibung von Auschwitz in einem Polen-Reiseführer aus der DDR, der 1969 nach dem Regierungswechsel in der Bundesrepublik erschien: Auf die „Auschwitz“ überschriebenen drei Seiten folgt eine halbe mit dem Titel „Noch ist der Schoß fruchtbar“, auf der das Brecht-Zitat an „den neuen Ostlandreitern“ erläutert wird: „Polens Erde mahnt. Noch ist der Schoß fruchtbar, aus dem das Unheil gekrochen kam. […] Sie sprechen von einem Irren, der Deutschland in jener Zeit regiert habe, von einem unglücklichen Zufall der Geschichte. Nein, Auschwitz war kein Zufall, es war der Ausdruck der Politik des deutschen Imperialismus und dieser Imperialismus lebt immer noch in Westdeutschland. Seine Methoden mögen feiner geworden sein. Aber die Ziele sind die gleichen geblieben.“ (Kolmar 1969, 32) Der Warschau-Korrespondent des „Neuen Deutschland“, der auch, wie bereits dargestellt, über den Frankfurter AuschwitzProzess berichtet hatte, schrieb sein Buch „unterwegs in die zukunft“ für den VEB F. A. Brockhaus, der seit der 1952 erfolgten Enteignung das Verlagsprofil geändert hatte durch Abgabe der (bis auf wenige naturwissenschaftliche) Lexika an das 1948 gegründete Bibliographische Institut und durch das Programm prägende Reiseliteratur, von 1955 an auch Bildbände und Heimatliteratur, war aber 1963 auf Reise- und Wanderliteratur festgelegt worden (Links 2009, 121). Der erste Reiseführer im engeren Sinne über die DDR insgesamt erschien erst 1966 (Weber 1971), das Programm der 1950er und frühen 1960er Jahre zeigte ein breites Spektrum von „Wanderheften“ für einzelne Regionen und „Stadtführern“ für einzelne Städte der DDR einerseits und exotischen Reiseromanen wie „Im Gluthauch der Sahara“ (Müller 1958) sowie historische Reisebeschreibungen über außereuropäische Kontinente.⁵
Vgl. hierzu die von Herbert Scurla 1959 mit „Entdeckungen auf vier Kontinenten. Berichte deutscher Forschungsreisender“ eröffnete Reihe des Verlags der Nation.
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Zu dem Brockhaus-„Reiseführer Deutsche Demokratische Republik“ merkte der Rezensent der „Zeit“ zwei Jahre nach Erscheinen schon im Titel an, dass er „auch Sachsen nicht mehr kennen“ „will“, weil er „in seinem historischen und gesellschaftswissenschaftlichen Teil die offizielle Lesart der deutschen und der DDR-Geschichte wiedergibt“: „Wer diesen Reiseführer liest, bekommt Einblicke in ein Land, das mit dem Deutschland, das 1945 durch militärische Demarkationslinien zerschnitten wurde, nichts mehr zu tun hat.“ (W. P. 1968) Werner Kolmars „unterwegs in die zukunft“ führt durch sechs osteuropäische sozialistische Länder, unter Einschluss Jugoslawiens, von Norden nach Süden: Polen, CSSR, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien und Bulgarien, aber es ist kein Reiseführer im engeren Sinn, weil der Autor durchgehend von Reisen erzählt, die er selbst in diese Länder unternommen hat, und von deren besonderen Bedingungen, z. B. in „Zu Gast in Polen“ (Kolmar 1969, 8 – 57) von seinem früheren Besuch der Gedenkstätte Auschwitz mit der Delegation des Frankfurter Gerichts (Kolmar 1964). Dennoch antwortete der Verlag mit Kolmars Buch auf einen im Laufe der 1960er Jahre entstanden Bedarf, weil der Individualtourismus von DDR-BürgerInnen, die nicht mit einer Gruppe der SED, FDJ oder des FDGB, sondern im eigenen Auto nach Polen reisten, seit seiner Erlaubnis 1954 (Koshar 2000, 176) von 40.558 im Jahr 1960 auf 174.540 fünf Jahre später gestiegen war (Dybiec 2004, 127) und noch vor der Einführung des pass- und visafreien Reiseverkehrs 1972 weiter wuchs, als im Laufe des Jahres „over ten million East Germans travelled to Poland“ (129), die meisten in Städte und Gegenden in der Nähe der Oder-Neiße-Grenze, aber immer noch 160.200 auf Reisen, die vom offiziellen polnischen Reisebüro Orbis organisiert waren (130), seit 1955, als die ersten 20 DDRBürgerInnen als TouristInnen nach Polen reisten (126). Nach 1972 blieb die Zahl der Reisen aus der DDR in den 1970er Jahren bei bis über 7 Millionen im Jahr (Osekowski 2003, 128). 1964 brachte der staatliche Fremdsprachenverlag „Polonia“, dessen von Adolf Rudnicki redigiertes Auschwitz-Buch „Ewiges Gedenken“ von 1955 bereits dargestellt worden ist, erstmals einen deutschsprachigen Reiseführer „Polen“ heraus, Adam Bajcars „Polen. Reiseführer mit Autokarte“. Die Überschrift des dreiteiligen Eintrags zu „‚Oswiecim – Auschwitz, Museum des Martyriums der Völker**‘“ enthält die von Erich Kuby (1990, 48) so scharf kritisierten zwei touristischen Sternchen; der erste und längste Teil gilt dem Museum, der zweite der Stadt Oswiecim und der dritte der Straße zum nächsten zu einer Besichtigung vorgeschlagenen Ort, dem von einem Bernhardinerkloster „dominiert[en]“ „Städtchen“ Kalwaria Zebrzydowska, ebenfalls mit zwei Sternchen (Bajcar 1964, 328). Bajcars Eintrag zu Auschwitz regte nicht nur Erich Kuby auf, sondern auch einen anderen Westdeutschen an, als dieser Auschwitz in den ersten bundesrepublikanischen Reiseführer über Polen aufnahm, der 1973, also nach der Ratifizierung der Ostverträge erst, erschien. Der Polyglott-Führer „Polen“ von Fritz Gancz kürzt den ersten Teil von Bajcars Eintrag von neunzehn auf fünf Zeilen, indem er die folgenden Nennungen von Sehenswertem streicht: „Am Eingang das Krematorium und Tor“, „Dokumente“ und „[G]egenstände der Häftlinge“ in den Blocks 4 bis 7, „‚Todesblock‘“ 11 und „‚Todeswand‘“, das „Anschlußgleis auf einem riesigen Ge-
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lände von 170 Hektar“, „Baracken“ für „weibliche“ und „männliche Häftlinge“, „symbolische[s] Mahnmal“, „Ruinen von vier Krematorien“, „Zwangsarbeitslager der deutschen chemischen Werke I. G. Farbenindustrie“ (Bajcar 1964, 60). Aus dieser letzten Nennung wird in Gancz’ Bearbeitung von Bajcars Eintrag der erste Satz, der den Schluss von Bajcars zweitem Teil über das heutige Oswiecim aufgreift: „Östlich der Altstadt ein neues Wohnviertel, das in den letzten Jahren gleichzeitig mit dem großen chemischen Kombinat errichtet wurde. Die chemischen Werke können besichtigt werden.“ (60) Gancz kürzt: „Oswiecim/Auschwitz, 54 km westlich von Krakau, ist eine Industriestadt (Chemie) mit 55.000 Einwohnern.“ (Gancz 1964, 28) Und dieser eine Satz wird der einzige über Auschwitz sein, den der ein Jahr nach Gancz’ erscheinende zweite bundesrepublikanische Reiseführer, Gerhard Eckerts „Besuch in Polen“ (1974, 114), überhaupt enthält. Gancz’ Kürzung strich nicht nur Bajcars Auflistung des Sichtbaren, sondern vor allem seine Bewertung von dessen Wirkung auf Besucher: „erschütternde Dokumente der Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, „Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer“ (Bajcar 1964, 60). Joana Dybiec hat deshalb mit Recht an Gancz’ Polen-Reiseführer „a considerable distance to the tragedy“ kritisiert, aber diese vorschnell auf ‚Deutsche‘ verallgemeinert: „particularly significant for as it did not name the perpetrators, mentioning neither ‚Nationalsozialisten‘ nor ‚Germans‘. Furthemore, it was restrained, informing about the fates of the inmates of the camp, who ‚simply‘ died, ‚kamen hier ums Leben.‘“ (Dydiec 2004, 329) Allerdings trifft Dydiec’ „[m]ost important“ Kritik: „the significance of Auschwitz in the annihilation of Jewry was not indicated“ (329), nicht zu, denn geradezu im Gegenteil führt Gancz „Juden“ an erster Stelle unter den Opfern auf, obwohl sie in Bajcars Eintrag nicht ausdrücklich genannt werden. Dafür lässt Gancz den universalistisch auf das „Martyrium der Völker“ verweisenden Namen des einen „Museum[s]“ (Bajcar 1964, 60) hinter einem unsinnigen Plural und dem Adjektiv ‚staatlich‘ verschwinden, wenn der auf den schon zitierten ersten Satz zur geographischen Lage folgende Text von Gancz lautet: „1940 bis 1945 war hier eines der größten Konzentrationslager. Es bestand aus den Lagern Auschwitz I (Stammlager), Auschwitz II (Birkenau/Brzezinka) und Auschwitz III (Monowitz). Etwa vier Millionen Menschen, Juden, Polen, Deutschen, Franzosen, Italiener, u.a.m. kamen hier ums Leben. Auf dem Gebiet der Lager Auschwitz I und Birkenau sind jetzt staatliche Museen und Gedenkstätten.“ (Gancz 1973, 28) Obwohl Andreas Mai (2003) gegen Rudy Koshars „German Travel Cultures“ eingewandt hat, dass für jede der fünf von Koshar unterschiedenen deutschen Reisekulturen des 20. Jahrhunderts jeweils nur ein Reiseführer die Quelle darstellt: national-liberal, modernistisch, sozialistisch, nationalsozialistisch und „AmericanGerman travel culture in the process“ (Koshar 2000, 166) seit den 1950er Jahren, entspricht Koshars Befund zum Eintrag über Dachau in „Fodor‘s Germany“ von 1953 den bundesrepublikanischen Reiseführern der frühen siebziger Jahre über Auschwitz: „No mention could be found of how the concentration camp originated, what it was used for […]. The identity of the victims – Catholics, Jews, political dissidents – received no attention at all.“ (187) Im Text von „Fodor’s Germany“ selbst erfolgt bereits
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die – von Koshar begründete – Verallgemeinerung auf die Konzentrations- und Vernichtungslager, dass „guidebook information on such sites on either side of the Atlantic was virtually inexistent in the first two decades after the war“ (187): „For many Americans, Dachau, liberated by the US army in 1945, had come to stand for the Holocaust, just as Bergen-Belsen symbolized Nazi atrocities for English audiences much more than Auschwitz did“ (186/187). Dachau „was notorious for the concentration camp east of it, where a monument to its victims now stands, but before the Nazis provided it with an evil reputation it was a pleasant old town […,] much frequented by landscape painters, for the beauty of the scenery. […] It is also a gayhearted place […] with a mid-August festival in local costumes and races, not of horses, but of cattle“ (Fodor 1953, 253/254). Mit einem Landschaftsbild beginnt Werner Kolmar den Abschnitt „Auschwitz“ in seiner „Reportage“ „Zu Gast in Polen“, um mit einem Wechsel vom „Heute“ zum „Damals“ zu enden: „Über der flachen, mit Fichtenwäldern bedeckten Erde liegt der Dunst eines milden Wintertages. In den Straßengräben grauen Reste schmutzigen Schnees. Ein Eisenbahngleis schneidet die Straße, verläuft unter einem Wachturm und endet inmitten einer langen Reihe von Pferdestallbaracken im ehemaligen Vernichtungslager Birkenau. Heute rosten die Schienen. Damals waren sie blank.“ (Kolmar 1969, 29) So berichtet Kolmar nicht von seinem eigenen Eintreten in Auschwitz II, sondern der ‚damals‘ hierhin Deportierten: „Nur für wenige, hinter denen sich das eiserne Tor unter dem Wachturm schloß, hat es sich jemals wieder aufgetan. Als die Züge an der Rampe hielten, wurde die eingepferchte Fracht aus den Waggons getrieben, und für die diensthabenden SS-Ärzte begann die Arbeit: die Selektion. Erbarmungslos wurden Frauen von ihren Männern und Kinder von ihren Müttern getrennt. Wer den Ärzten noch für die Zwangsarbeit der Krupp-, IG-Farben- und Hermann Göring-Konzerne kräftig genug erschien, kam ins Lager. Die anderen wurden kolonnenweise in die Gaskammern gejagt.“ (29) Von der Vernichtung wird unter Aufnahme des Landschaftsbildes: „Rauch von verbrannten Menschen über dem Land“ , als „täglich die Bevölkerung einer mittleren Stadt vernichtet wurde“, berichtet, indem ein Begriff aus den Akten ironisch zitiert wird: „Für den Massenmörder Liebehenschel, den Nachfolger des ersten Lagerkommandanten Rudolf Höß, entstand dabei laut Akten ein ‚Problem‘. Während in den vier Betonbauten mit den Gaskammern täglich 60 000 Menschen getötet wurden, hatten die Krematorien ‚nur eine Kapazität von 10 000 Leichen‘. So wurden die Toten zusätzlich noch auf riesigen Scheiterhaufen verbrannt. Schließlich – auf dem Höhepunkt des Grauens – erreichte man, daß täglich die Bevölkerung einer mittleren Stadt vernichtet wurde. Tage, Wochen, Monate schließlich Jahre lang lag unablässig der Rauch von verbrannten Menschen über dem Land. Ihr Leben galt nichts; eher ihr Haar, ihre Goldzähne, ihre Brillen oder Anzüge. Dies wurde akkumuliert und registriert. Die Kinder sind bestialisch ermordet, ihre Puppen sorgfältig gestapelt worden.“ (29) Beim Übergang ins Museum im Stammlager setzt sich die Kontrastierung von Menschen, die ums Leben gebracht werden, und ihrer Behandlung als ökonomisch-technisches ‚Problem‘ fort in der Aufzählung der mit Zahlenangaben präsentierten „Beweise[…], die die Sonder-
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kommission zur Untersuchung der Verbrechen sicherstellte“: Anzüge, Kleider, Schuhe und Haare (30); sie ist erstmals verbunden mit einer den Adressaten einbeziehenden Bewertung der Wirkung des Gesehenen: „Im Museum […] steht der Besucher erschüttert vor diesen letzten Erinnerungen, die von vier Millionen aus dreiundzwanzig Ländern geblieben sind.“ (29/30) Nur das Eingangstor, der davor stehende Galgen und die Todeswand werden aus dem im Stammlager Sichtbaren von Kolmar zu einer Kommentierung gewählt, die auf die justizielle Verfolgung der Täter abstellt, bevor er im letzten Teil des „Auschwitz“Abschnitts seiner Polenreise erstmals in der 1. Person des Personal- und Possessivpronomens andere polnische Orte, Warschau und Jedwabne, einbezieht. Ausgangspunkt ist das Durchschneiden des elektrisch geladenen Stacheldrahts bei der Befreiung des Lagers: „Am 27. Januar 1945 waren die jahrelang unter Hochspannung stehenden Stacheldrahtmauern, an denen vorher viele verzweifelte Häftlinge den Tod gesucht hatten, plötzlich ohne Strom: Soldaten der ersehnten Sowjetarmee brachen das Tor auf. Das größte aller Vernichtungslager des Naziregimes war frei. Der Begriff Auschwitz aber wurde zum Symbol für die Menschenfeindlichkeit und Bestialität des deutschen Faschismus und Imperialismus.“ (Kolmar 1969, 30) Dieser Gleichsetzung von Befreiung und Deutung als Symbol des deutschen Faschismus entspricht bei der vom Galgen, an dem Höß starb, ausgehenden Kommentierung der Strafverfolgung, dass betont wird: „Der dritte Kommandant des Lagers, Richard Bär, wurde erst 1962 in Westdeutschland verhaftet“ (30). Der sich anschließende Rückgriff auf die Ortsbesichtigung durch das Frankfurter Gericht endet mit dem Resümee: „Groß ist die Zahl der Verbrecher, die heute als ehrenwerte Bürger durch die Straßen westdeutscher Städte spazieren.“ (31) Denn Kolmar wiederholt in seinem kurzen Porträt des Angeklagten Dr. Franz Bernhard Lucas nichts aus seiner Gerichtsreportage für das „Neue Deutschland“ „SS-Verteidiger drückten sich vor Ortsbesichtigung“ (1964), in der vor allem das Gerichtsverfahren selbst kritisiert worden war, sondern belegt Lucas’ Selbstdarstellung als ‚ehrenwerter Bürger‘ am Ort seiner Verbrechen: „Ein großer starker Mann mit graumeliertem Haar und dickem Gesicht […] blickt in den kleinen mit trübem Wasser gefüllten Graben, neben den unheimlichen Baracken. Er weiß, wer in diesen Graben greift, hält Menschenasche in der Hand. Er ist Dr. Lucas, der einzige Angeklagte des Auschwitzprozesses, der mit Frankfurter Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern zur Ortsbesichtigung gekommen ist. Durch diese Reise will der ehemalige SS-Arzt seine angebliche Unschuld unterstreichen. Gestern zog Lucas den Hut, als der westdeutsche Amtsgerichtsrat zu einer Minute Stillen Gedenkens an die berüchtigte Todeswand gebeten hatte. Abends im Hotel fragte der Angeklagte ausgerechnet an dem Tisch, wo ehemalige Häftlinge saßen, höflich und bescheiden, ob noch ein Platz für ihn frei sei. Er gab sich als anständiger Deutscher aus, der angeblich viele kranke Häftlinge vor dem Tode bewahrt habe. Kurze Zeit später ist erwiesen, was er immer abgestritten hat: Dr. Lucas nahm an den Selektionen auf der Rampe von Birkenau teil, unbarmherzig entschied er über Leben und Tod von Tausenden, Frauen und Kindern. Er riß Mädchen und Jungen aus den
3 Reiseführer von Adam Bajcar, Werner Kolmar und Fritz Gancz
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Armen ihrer Mütter, schickte die Kinder in die Gaskammern und die Mütter zur Fronarbeit.“ (Kolmar 1969, 30/31). Die Nennung von zwei anderen in der BRD nicht bestraften „Mörder[n]“, die in Warschau und im Bezirk Bialystok ihre „Verbrechen“ begingen, leitet über zur Betrachtung „eine[r] Karte, wie sie wohl kein zweites Land auf der Welt hat“: „Es ist keine Landkarte und kein Autoatlas, es ist die ‚Geographie des Todes‘, die Karte der Naziverbrechen von 1933 bis 1945. Das blauweiße Papier enthält viele, viele Kreuze.“ (31) Kolmar führt zunächst die mit den „größten“ Zeichen markierten „bekanntesten Vernichtungs- und Konzentrationslager“ auf: „Auschwitz-Birkenau, Warschau, Treblinka, Sobibór, Belzec, Szutowo (Stutthof), Chelmno (Kulmhof) und Rogoznica (Großrosen)“, dann weist er hin auf mit „nächstgrößeren Zeichen“ versehene „Nebenlager und […] Orte, wo über zweitausend Menschen umgebracht wurden“: „Für bis zu fünfzig Morde hat die Karte Platz, nicht mehr für die kleineren Erschießungsstätten und Galgenplätze.“ (31) Für diese rekurriert Kolmar auf seine eigene Erfahrung als Polen-Korrespondent und verwendet nun die 1. Person, um seinen Satz: „Überall hängen Gedenktafeln“, zu belegen: „Allein in meinem Wohnbezirk gibt es vierundzwanzig Stätten ermordeter polnischer Patrioten“, und er gibt Straßennamen und Hausnummer für eine davon an, wo zu unterschiedlichen Zeiten gemordet wurde: „In der Niepodleglosci-Allee Nr. 141 erinnert eine Tafel daran, daß hier am 16. Oktober 1943 zwanzig Geiseln verschiedenen Alters – darunter auch Frauen – erschossen worden sind. An der gleichen Stelle brachten die Nazis während des Warschauer Aufstandes über dreihundert Zivilpersonen, Männer, Frauen und Kinder, um.“ (31) Für die Verallgemeinerung der auch „Erinnerungstafeln“ genannten „Gedenktafeln“ von der Hauptstadt auf das Land wählte Kolmar ein seit dem Buch des USamerikanischen Historikers Jan Thomasz Gross „Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne“ (2001) kontroverses Beispiel, die in dem von Kolmar bereits als Stätte der Morde des „Bielefelder Dr. Zimmermann“ genannte, im „Bezirk Bialystok“ gelegene „Stadt Jedwabne“: „An vielen anderen Orten des Landes, besonders auch im Gebiet von Bialystok, traf ich solche Erinnerungstafeln wie in der Stadt Jedwabne: Am 10. Juli 1941 trieb die SS etwa 1600 jüdische Bürger auf den Marktplatz. Nach stundenlanger Folterung jagten sie die Opfer in eine Scheune und steckten diese in Brand. Die Stelle des grausamen Geschehens wurde eingefriedet.“ (31)⁶ Gerade weil diese ‚Erinnerungstafel‘ in Kolmars „Auschwitz“-Abschnitt die einzige ist, auf der Opfer ausdrücklich als Juden benannt werden, aber die Bezeichnung
Vgl. dasselbe Datum und dieselbe Zahl der Opfer als „Die polnische Verson“ vor Gross’ Buch in der Reportage der Tageszeitung „Rzeczpospolita“ (5.5. 2000) in Kaczynski 2004, 153. Einen in der polnischen Diskussion über Gross’ Buch (vgl. Kowitz 2004, 147– 257) von ihm wahrgenommenen „Konsens“, brutale sowjetische Herrschaft in Ostpolen habe brutale Akte sich „ergeben“ lassen, kritisiert Karol Sauerland (2004, 272): „eine Erklärung dieser Art verlangt auch die Anerkennung des damals gängigen Vorurteils, daß bolschewistische Herrschaft zugleich jüdische Herrschaft bedeute“ (272). Sauerland zitiert Kardinal Wyszynski aus dem Jahr 1953, der das Pogrom mit der Antipathie gegen Juden als „‚Verkünder des Kommunismus‘“ (152) erklärte.
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als Bürger auch auf ihre polnische Staatsbürgerschaft verweist, ist es für die von Kolmar dem Symbol zugeschriebene Bedeutung relevant, dass sie überleitet zu dem abschließenden Bild von der Zukunft, die das „Andenken“ der „Opfer“ „ehren“ soll; hierfür stellt Kolmar zum fünften Mal (vgl. 29, 31 je zwei Mal) die Kinder unter den Opfern ins Zentrum, denn zu der ‚eingefriedeten Stelle des grausamen Geschehens‘ von Jedwabne heißt es weiter: „Voller Erschütterung steht die Welt dem Schicksal der polnischen Kinder gegenüber. Nach jahrzehntelangen Forschungen der Hauptkommission zur Untersuchung der Naziverbrechen in Warschau ergibt sich die ungeheuerliche Tatsache, daß 1,8 Millionen Kinder bis zu sechzehn Jahren ermordet worden sind. Ihr kurzesLeben endete im Todeshauch des Zyklon B der IG Farben, im Feuerhagel der faschistischen Erschießungspelotons, in den Flammen des brennenden Warschau, auf Landstraßen, in Steinbrüchen. In Gestalt eines großen Gesundheitszentrums für Kinder, das gegenwärtig in Warschau entsteht, wird das polnische Volk das Andenken jener ehren, denen ein barbarisches und mitleidloses Regime selbst das Recht auf Leben nahm.“ (31/32) „Jeder Einzelne erlitt seinen Tod“, ist der ungezeichnete Bericht eines der „Freiwilligen“ überschrieben, die 1970 auf einer der ersten nach einem neuen Konzept für „Gruppenreisen“ (Legerer 2010, 232) durchgeführten Reise mit Aktion Sühnezeichen/ Friedensdienste in Auschwitz waren: „Wir waren gut informiert, bevor wir nach Auschwitz fuhren – doch diese Informationen bekamen hier am Ort des Geschehens einen anderen Wert. Hier lebten Menschen. Jeder einzelne mit seinem Recht auf Leben. Jeder einzelne erlitt seinen Tod.Vier Millionen. – Vier Millionen Einzelschicksale. Vier Millionen Tote. Der größte Friedhof der Welt.“ (Freiwillige 1972c) Für AuschwitzReisen zuständig war in der Westberliner Geschäftsführung der Organisation der seit 1963 hauptamtliche Volker von Törne (Kammerer 2008, 101), der 1962 als Lyriker im Verlag Ansgar Skrivers mit „Fersengeld“ debütiert hatte, aus dem der damalige Fischer-Lektor Klaus Wagenbach 1963 drei Gedichte für seine Anthologie „Das Atelier“ auswählte, darunter „Frage“: „Mein Großvater starb/ an der Westfront;/ mein Vater starb an der Ostfront: an was/ sterbe ich?“ (Wagenbach 1963, 27)⁷ Dieses Gedicht enthielt 1972 auch das von Bernd Jentzsch für den Verlag der FDJ Neues Leben zusammengestellte „Poesiealbum 54 Volker von Törne“ (Jentzsch 1972, 22). In einer Vorbemerkung charakterisierte der Herausgeber den Autor: „Die Gedichte Volker von Törnes sind Übungen zur Grammatik des Widerspruchs: ich widerspreche. All dem, was über Köpfe hinweg zustande kommt […]. Die Übung kann als abgeschlossen gelten, wenn auch die Betroffenen diese Grammatik beherrschen: du widersprichst, wir widersprechen.“ (vorderer Klappentext) Kurz vor seinem Tod erklärte Törne 1979 vor der Evangelischen Akademie Loccum zu seinem als SS-Standartenführer an der ‚Ostfront‘ ‚gestorbenen‘ Vater, „sich nicht aus seiner ‚kollektiven Verantwortung … Vgl. noch „Amtliche Mitteilung“ (Wagenbach 1963, 27: „Sie spielen mit dem Feuer:/ wir werden nicht frieren./ Für uns ist gesorgt.“) und „Märchen“ (135: „Jorinde, komm ins Schneckenhaus./ Da wolln wir beide schlemmen. […] Da mach ich […] ein Bild von Gott aus Draht und Panzerplatten.“), diese Gedichte auch in Jentzsch 1972, 6 und 27.
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davonstehlen‘ zu können, schon weil er als Person betroffen sei ‚durch meinen Vater, der zu denen gehörte, die Hitlers verbrecherischen Krieg nicht überlebten … Wie könnte ich sein Andenken besser bewahren als dadurch, daß ich mich aus den Bindungen löse, mit den Traditionen breche, die ihn in die Schuld und in einen sinnlosen Tod geführt haben!“ (Bosch 1982, 2/3) Mit Recht hat Manfred Bosch zwei Jahre nach Törnes Tod 1980 betont, dass die „unzureichend[e]“ „Aufmerksamkeit der etablierten Kritik“ für Törnes Lyrik „in einem eklatanten Mißverhältnis zu seiner mitunter großen Wirkung“ „stand“ (2).⁸
4 Volker von Törne: „Vermittlung konkreter Einsichten in die bis heute fortwirkenden Schuldzusammenhänge der deutsch-polnischen Geschichte“ Törne präsentierte in der Zeit der begonnenen Auseinandersetzungen in der BRD über die Ratifizierung der Verträge mit der Sowjetunion und Polen, im Februar 1971, das Konzept der Gruppenreisen nach Auschwitz, indem er die Bedeutung einer Reise nach Auschwitz in Gegensatz zu einer touristischen stellte. Auf dem Kongress „Friede mit Polen“ in Frankfurt am Main begründete Törne „‚Geschichtsbewußtsein‘“ als „zentralen Begriff“ (Legerer 2010, 233) der Gruppenreisen von Aktion Sühnezeichen/ Friedensdienste: „‚Denn ohne Geschichtsbewußtsein, das auch das Wissen um Auschwitz einschließt, ist Dienst am Frieden nicht möglich‘“ (August 1994, 78), indem er erklärte, „‚daß eine nur touristische deutsch-polnische Jugendbegegnung, die sich – unter Vernachlässigung der historischen Schuldbeziehungen in den deutsch-polnischen Beziehungen – nur auf die Diskussion gegenwärtiger Probleme beschränkte, wahrscheinlich nicht der Verständigung dienen, sondern zu neuen Mißverständnissen führen, Klischeevorstellungen konservieren und geschichtlich bereits ad absurdum geführte Fehlhaltungen erneut hervorbringen würde. Notwendig ist vielmehr eine besonders qualifizierte Begegnung mit dem heutigen Polen, die es unseren Jugendlichen ermöglicht, durch die Vermittlung konkreter Einsichten in die bis heute fortwirkenden Schuldzusammenhänge der deutsch-polnischen Geschichte die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und offensiv in unserer Gesellschaft den Kampf gegen den Ungeist von gestern und damit für eine zukünftige dauerhafte Verständigung mit dem polnischen Volk zu führen.‘“ (Törne 1971, 35) Kammerer (2008, 169) datiert das von ihr gekürzte Zitat aus der Frankfurter Rede fälschlich auf 1974 und löst es damit aus dem Kontext der Auseinandersetzungen über die Ostverträge. Nachdem schon im Bundestagswahlkampf von 1969 Willy Brandt zu „Übereinstimmung zwischen CDU/CSU und NPD“ angemerkt hatte: „in der Bundesrepublik existiere die ‚Mini-Ausgabe‘ einer neuen ‚Harzburger Front‘“ (Geiß/Ullrich 1970, 117), und ein Jahr später der sozialdemokratische Bundesfinanzminister Alex Zu Törnes Rezeption in der DDR vgl. Fink 1983.
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Möller in der Haushaltsdebatte der CDU/CSU erklärte: „Diejenigen, die diese beiden Weltkriege und die darauffolgenden Inflationen zu verantworten haben, stehen Ihnen geistig näher als der SPD“ (5), erschien im Dezember 1970 ein auf die „Bild“-Schlagzeile hierzu: „19 Worte beleidigen 15 Millionen Deutsche,“ anspielender rororo aktuell-Band „Woher kommt die CDU?“ (Geiß/Ullrich 1970) mit „Beiträge[n] zur Kontinuität der bürgerlichen Parteien“, darunter des Politologen Kurt Sontheimers aktuelles Postskriptum von 1968 zur neuen Ausgabe von „Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“ (1962). In „Antidemokratisches Denken in der Bundesrepublik“ belegt Sontheimer an ‚Vergangenheitsbewältigung‘, Wiederkehr des Nationalismus, Anti-Pluralismus und Antikommunismus, dass „die Grenze zwischen rechtem Radikalismus und rechtem Konservatismus verwischt“ worden sei (Sontheimer 1970, 104): „Der dominierende Antikommunismus in der Bundesrepublik hat dazu geführt, daß in der Regel entschiedene Gegnerschaft gegen den Kommunismus schon ausreicht, um als Demokrat akzeptiert zu werden.“ (113) Die „Krise der Bonner Demokratie“ sei durch „Unterwanderung“ von rechts „gekennzeichnet“ (116).⁹ Während Sontheimer 1976 für die Taschenbuchneuausgabe des Buchs über die Weimarer Republik ersatzlos auf den aktuellen Teil verzichtete, wurde seine Problematisierung des Totalitarismus-Konzepts weitergeführt in wissenschaftlichen Taschenbüchern wie dem auch von der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung verbreiteten Band von Helga Grebing „Linksradikalismus gleich Rechtsradikalismus. Eine falsche Gleichung“ (1971) oder Martin Greiffenhagens und Reinhard Kühnls „Totalitarismus. Zur Problematik eines politischen Begriffs“ (1972).¹⁰
Sontheimers Nachwort wurde als bedeutsam auch in der DDR wahrgenommen, und er wurde mit „K. D. Bracher, I. Fetscher, I. Geiß, H. Grebing, R. Kühnl“ zu denen gezählt, die „Übergänge,Verflechtungen und Wechselwirkungen der konservativen und neofaschistischen Gruppen der BRD diagnostiziert“ haben (Elm 1974, 60). Vgl. dagegen Grebings bis 1973 in 17 Auflagen gedruckte, seit 1964 veränderte, zuerst 1959 erschienene strikt antitotalitaristische Darstellung „Der Nationalsozialismus Ursprung und Wesen“, die nur in einem einzigen Kapitel die Jahre 1933 – 45 behandelt „V. Das Dritte Reich“ (Grebing 1959, 68 – 86), um vor allem ideengeschichtlich (mit Hermann Rauschning) und sozialpsycholgisch (mit Erich Fromm und mit Erik H. Erikson) Vorgeschichte zu behandeln und die Nachgeschichte, „daß die einzige Alternative nicht nur gegenüber dem Nationalsozialismus, sondern gegenüber jedem Totalitarismus eine freiheitlich geordnete Demokratie freier Menschen ist“ (100). Nicolas Berg hat das ‚Hößsche Täterbild‘ „erkenntnisleitend“ für Grebing genannt (Berg 2003, 303), ohne auf die Konsequenzen des sozialpsychologischen Interesses für die antitotalitaristischen politischen Prämissen einzugehen. In der Widersprüchlichkeit der nicht behandelnden Behandlung von „Antisemitismus und Judenverfolgung“ (Grebing 1959, 74– 77) scheint die spätere Revision der Ausgangsposition angelegt: „Über die Verfolgungen und die Vernichtungsmethoden ausführlich zu berichten, geht über den Rahmen dieser Darstellung hinaus […]. Das deutsche Volk, das durch die Judenverfolgungen vor der Welt in ein Zwielicht geriet, hat zum größten Teil zweifellos nichts von dem Ausmaß, ja nicht einmal von der Tatsache der physischen Vernichtung des Judentums in Europa gewußt. Es gab selbst Parteifunktionäre, die den Antisemitismus nur für ein ‚Hirngespinst von Adolf‘ hielten. Das deutsche Volk daran zu gewöhnen, daß die Juden unter Sonderrecht gestellt wurden, trauten Hitler und andere führende Nationalsozialisten den bewährten Methoden ihrer Massenbeeinflussung noch zu, zumal sie sicher sein konnten,
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Mit dem Foto des vor dem Ghetto-Mahnmal knieenden Bundeskanzlers auf dem Cover erschien im August 1971 ein rororo aktuell-Band, den der Studienleiter der Evangelischen Akademie Westberlin Günter Berndt zusammen mit dem Initiator der Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“ Reinhard Strecker herausgab: „Polen – ein Schauermärchen oder Gehirnwäsche für Generationen. Geschichtsschreibung und Schulbücher. Beiträge zum Polenbild der Deutschen“. Auch wenn die Resolution der von der Akademie im November 1969 veranstalteten Schulbuchtagung „Polen im Unterricht“ sich darauf beschränkt hatte, „die ersatzlose Aufhebung der Empfehlungen zur Ostkunde (Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 13.12.1956), die für den heutigen Zustand verantwortlich sind“, zu „fordern“ (Berndt/Strecker 1971, 107), kritisierten die von Studierenden verfassten Analysen der Geschichts-, Erd- und Sozialkunde-Schulbücher vor allem die Konsequenzen der im Anhang gleichfalls abgedruckten „Richtlinien für die Behandlung des Totalitarismus im Unterricht“ (99 – 102): „Gefordert und gefördert wird der erlebnisbetonte, d. h. emotionale Unterricht. […] Der Nationalsozialismus wird mit den Begriffen ‚Maßlosigkeit Hitlers‘ und innere Notwendigkeit der Katastrophe charakterisiert, der Kommunismus hingegen durch ‚weltweite(n) Anspruch‘ und ‚Gefahr für die Menschheit‘. Da der Nationalsozialismus (nach Meinung der Schulbücher) restlos vernichtet ist, und der Schüler dazu angeregt werden soll, ‚zur Abwehr des Totalitarismus beizutragen‘, bleibt als Feind der Kommunismus. […] Es ist für die Schulbücher aus politischen Gründen unumgänglich, Nationalsozialismus und Kommunismus in ein negatives Wertsystem einzuordnen. Bemerkenswert ist jedoch, daß der Nationalsozialismus im Vergleich neutraler, distanzierter bewertet wird. […] Die Menge der Negativ-Werte ist in dem Wort ‚Kommunismus‘ zusammengefaßt. Manchmal wird es spezifiziert: Polen, Russen oder Tschechen. Der ‚Rechts‘anspruch auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete wird zum Exempel für Erziehung zu Haß und Revanchismus.“ (84, 89) Berndts und Streckers Taschenbuch wurde 1972 in einer von Volker von Törne herausgegebenen Broschüre der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste an „Schüler, Eltern, Lehrer!“ als „eine gute Hilfe“ empfohlen, um „für eine Ablehnung falscher Schulbücher ein[zu]treten“, „zum kritischen Gebrauch der Schulbücher an[zu]regen“ und „für eine Verständigung mit Polen ein[zu]treten“: „Ohne Eigeninitiativen der
daß sie damit dem Empfinden eines Teiles des Volkes sogar entgegenkamen. Das Wissen um die Tatsache und das Ausmaß der Judenausrottung aber glaubten sie dem deutschen Volk zunächst nicht zumuten zu können. Deshalb ließen sie die ‚Endlösung‘ weitgehend im geheimen [sic] durchführen. […] Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, daß Hitler und Himmler die ‚Endlösung der Judenfrage’ nicht nur mit sadistischen und vertierten Mördern durchgeführt haben. Darüber läßt die von Martin Broszat herausgegebene und kommentierte Autobiographie des Kommandanten des KZs von Auschwitz, Rudolf Höß, keinen Zweifel mehr. […] Höß, Himmlers Idealbild eines KZ-Kommandanten, trug alle Eigenschaften eines ‚autoritären Charakters‘, wie wir ihn in der Weimarer Republik als Anhänger des Nationalsozialismus erkannt haben. An seinem Leben wird erschreckend und exemplarisch deutlich, daß die Eigenschaften eines solchen Charakters sich soweit [sic] pervertieren lassen, daß sie in den Dienst des politischen Verbrechens gestellt werden können.“ (76/77)
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betroffenen Schüler, Eltern, Lehrer werden die Empfehlungen der Wissenschaftler weniger Chancen haben, in die Praxis umgesetzt zu werden.“ (Törne 1972, 18)
5 „Begegnung – Berichte aus Polen“ Törnes „Begegnung – Berichte aus Polen“ enthält zwei Berichte von einer 1968 vor der Ausarbeitung des auf ‚Geschichtsbewusstsein‘ zentrierten Konzepts von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste unternommenen Reise nach Auschwitz und den bereits zitierten Bericht von der ‚Gruppenreise‘ sowie die „Erklärung der Polengruppen 1970“ (36). Einer der Berichte vom August 1968, „Gespräche in Auschwitz“, erschien unter dem Namen der Verfasserin, Elisabeth Krüger, Lübeck, schon im Januar 1969 in der „Illustrierte[n] Monatszeitschrift“ „Polen“, allerdings unterscheidet sich der spätere vom früheren Text sowohl durch Kürzungen als auch durch Zusätze. Insbesondere der Satz: „Da ich nicht in die Herzen der Polen sehen kann, weiß ich nicht, was sie dachten“ (Freiwillige 1972b, 19), stand nicht im Erstdruck in der Zeitschrift. Denn er widerspricht der in diesem wiederholt ausgedrückten ‚Betroffenheit‘ von der „Möglichkeit und Kraft der Versöhnung“: „Eine Jugoslawin, die uns am Krematorium ansprach, war sechs Monate als Häftling in Auschwitz gewesen. Man konnte die Häftlingsnummer auf ihrem linken Unterarm sehen […]. Auf unsere Frage, ob sie die Deutschen nicht furchtbar hasse, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln, daß es in jedem Volk Gute und Böse gebe und daß das Leben und das große Leid sie Vergebung und Feindesliebe gelehrt habe.“ (15) Entfallen sind im Neudruck auch zwei der drei Verwendungen des Begriffs Reliquien für die Fundstücke bei der Arbeit der Gruppe am Krematorium III, „die Grundmauern der Gaskammer freizulegen und […] von Unkraut und Erde zu befreien“: „Es sind die Reliquien der Heiligen und Märtyrer unserer Tage. Und Auschwitz-Birkenau ist ein Wallfahrtsort für die Menschen aller Nationen.“ (15) Verändert ist im Zweitdruck die Antwort auf die an dieser Stelle folgende, unter Tränen geschriene Frage einer Besucherin an die Gruppe: „‚Ja, nun sagen Sie, ist das vielleicht schön, was der Hitler hier gemacht hat?‘“ (15) Aus „eine[r] von uns“, die sagt: „‚Wir glauben, das Wort ‚schön‘ kann man hier gar nicht anwenden, da alles so fürchterlich war, daß man es gar nicht mit passenden Worten beschreiben könnte‘“ (15), wird etwas, das die Erzählerin selbst „auf Polnisch“ sagt: „wir wüßten, was hier geschehen sei und wollten die historischen Dokumente nicht mit Gras überwachsen lassen“ (Freiwillige 1972b, 20). Diese Verneinung der realisierten Metapher für Vergessen findet sich auch in dem durchgängig in der 1. Person Plural gehaltenen „Tagebuch einer Gruppe“, als der Beginn der Arbeit an der „Freilegung des gesprengten Krematoriums“ berichtet wird: „Wir begreifen, daß nicht weiter Gras und Gesträuch über alles wachsen darf, sondern daß als Mahnmal zum Frieden die verwischten Spuren wieder freigelegt werden müssen.“ (Freiwillige 1972a, 11) Gleichfalls wird die Metaphorik des ‚Wallfahrtsorts‘ benutzt, wenn es über die Besucher von Auschwitz-Birkenau heißt: „Hunderte von Menschen pilgern täglich zu dem großen Grabmal“ (11), das 1967 in Birkenau errichtet
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wurde, „auf einem riesigen Friedhof“, dessen „flächenmäßig große[s] Ausmaß“ die Gruppe bei der Ankunft „entsetzt“ (9) hat. Im „Tagebuch“ erscheinen diejenigen, mit denen die Gruppe „viele Begegnungen am Arbeitsplatz“ (13) hat, an keiner Stelle als Touristen: „Sie sind durch das Lager gegangen, bevor sie zu uns kamen, und da reden nicht nur die Schilder, sondern auch die Steine deutsch. Aber die Besucher sprechen mit uns, reserviert, erstaunt, interessiert“ (13), „polnisch, englisch, französisch und auch deutsch“: „Wir müssen erzählen, erklären, man spricht von Hoffnung, es gibt wenig negative Reaktionen. Man ist höflich und abwartend.“ (13) Obwohl der letzte Eintrag über den Abschied von „Vertretern des sozialistischen Studentenbundes und der Vereinigung polnischer Widerstandskämpfer“ in Krakau „mit der Gewißheit“ endet, „gegenseitiges Verständnis für die Probleme gefunden zu haben“ (13), lautet die Zusammenfassung der ‚Begegnungen am Arbeitsplatz‘ zurückhaltender: „Wir merken, daß Verständigung kein Blitzerfolg, sondern lange harte Arbeit sein wird.“ (13) Als individualisierte Begegnungen stehen sich im „Tagebuch einer Gruppe“ – stark kontrastiert – gegenüber die mit dem stellvertretenden Direktor des Museums Tadeusz Szymanski, der der Gruppe am ersten Tag die „Führung durch Birkenau“ (9) gab (vgl. Szymanski 1983 und 1984), und die mit einer polnischen Lehrerin, die zusammen mit einer Kollegin ihre Klasse durch das Lager führt. Während von Szymanski, dem „Zeuge[n] von vielem Leid“, betont wird: „aber er spricht ruhig und sachlich, ohne Haß – wie ein Vater oder Bruder“, und den „Schülern, die großes Interesse für unsere Arbeit zeigen“, bescheinigt wird, „unbefangen und vorurteilsfrei“ zu sein, wird die Lehrerin durch iterative Raffung ihrer Rede zur Kontrastfigur: „Die Lehrerin aber erzählt von ihren Eindrücken, die sie während des Krieges gesammelt hat, wie es meilenweit nach verbranntem Menschenfleisch stank und wie Tausende von Kindern ermordet wurden. Immer wieder sagt sie, wie sehr sie die Deutschen hasse und daß sie einem sterbenden Deutschen nicht ein Glas Wasser reichen würde, obwohl sie eine gläubige Katholikin sei. Sie wünscht, sie könnte den Deutschen nur ein Prozent des Leides zufügen, das den Polen von Deutschen zugefügt worden ist.“ (Freiwillige 1972a, 11) Angesichts der Bedeutung, die das Gespräch mit Polinnen und Polen im „Tagebuch einer Gruppe“ gewinnt, muss auffallen, wann die Gruppe, wenn sie unter sich ist, schweigt. Denn dieses Schweigen gilt dem, was in dem Erstdruck von Elisabeth Krügers „Auschwitz-Gesprächen“ „so fürchterlich“ genannt wurde, „daß man es gar nicht mit passenden Worten beschreiben könnte‘“ (Krüger 1969, 15). Über den Abschluss des fünften Tages heißt es im „Tagebuch“: „Abends sehen wir den Film ‚Völkermord‘, gedreht bei der Befreiung des Lagers durch die Alliierten. Danach ist keine Unterhaltung mehr möglich. Mit diesen Bildern muß jeder für sich allein fertig werden.“ (Freiwillige 1972a, 11) Wenn hier, angesichts des außerhalb des Stammlagers im Besucherzentrum gesehenen sowjetischen Dokumentarfilms, das Schweigen der Gruppe aus emotionaler Überwältigung zu folgen scheint, so wird im Stammlager selbst zunächst anscheinend die rationale Verständigung überflüssig: „Jüdisches Neujahrsfest. Nach der Arbeit legen wir einen Kranz an der Erschießungsstätte im Stammlager nieder. Wenige Worte, was soll man an dieser Stelle sagen, Platz und Umgebung sprechen für sich.“ (12) Aber der
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lange Weg von der Todeswand zwischen Block 10 und 11 zum Eingangstor führt zum Widerspruch zwischen dem beschriebenen Verhalten und der ausdrücklichen Versicherung des Wir-Erzählers: „Es ist dunkel geworden, als wir zum Krematorium I gehen. Es wurde nicht gesprengt, die letzten authentischen Öfen stehen dort. Natürlich haben wir keine Angst, aber man hört unsere Schritte laut in der Lagerstraße, und die Lampen zwischen den Drahtzäunen werfen merkwürdige Schatten. Die Gruppe geht enger zusammen als gewöhnlich.“ (12) Der bereits zitierte dritte Bericht von Freiwilligen in der Broschüre „Begegnung“ von 1972 stammt von einer der zwölf „Polengruppen“, die 1970 nicht nur nach Auschwitz reisten (Legerer 2010, 233) und deren gemeinsame „Erklärung“ gleichfalls darin abgedruckt wurde (Törne 1972, 36). Während 1967 eine Resolution der ersten nach Auschwitz gereisten westdeutschen AS-Gruppe von 16 der 39 TeilnehmerInnen nicht unterschrieben wurde (Dohrmann 1984, 5) und im August 1968 11 Unterschriften von den insgesamt 18: „Studenten verschiedenster Fakultäten, 1 Polizist, 1 Elektriker, 1 Hausfrau, 1 Reserveoffizier, 3 Krankenschwestern“ (Freiwillige 1972a, 9), geleistet wurden für eine an die Redaktion der Monatsschrift „Polen“ geschickte „Resolution“, die diese unter dem Titel „Die ‚Aktion Sühnezeichen‘ verlangt Konsequenz“ und mit der Vorbemerkung publizierte: „Wir drucken sie im vollen Wortlaut, damit diese mutigen Worte und Gedanken nicht der Vergessenheit anheimfallen“ (Aktion Sühnezeichen 1969, 19), war die „Erklärung“ 1970 in den Gruppen nicht mehr kontrovers, obwohl sie sich auf in den Vorjahren von denen, die den Resolutionen nicht zustimmten, speziell abgelehnte außenpolitische Forderungen konzentrierte und diese erweiterte. Gefordert wurden „Annulierung [sic] des Münchner Abkommens und Lösung der damit verbundenen Probleme, Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens, schnelle und angemessene Entschädigung für die immer weniger werdenden Überlebenden aus den Jahren des NS-Terrors in Osteuropa,Verhandlungen mit der DDR auf Regierungsebene über ein völkerrechtlich geordnetes und menschlich erträgliches Nebeneinander, Kürzung der Verteidigungshaushalte der reichen Länder im Rahmen einer Rüstungskontrolle zugunsten international kontrollierter Entwicklungsfonds und Friedensdienste.“ (Erklärung 1972, 36) Die Begründung dieser Forderungen erfolgte in einem Rückblick auf die bisherige Arbeit der Aktion Sühnezeichen, der aus dem „gewachsen[en]“ „Bewußtsein für die historische Schuld“ „Konsequenzen“ „im politischen Handeln“ zu ziehen forderte und auf diese Weise „die Befreiung vom Faschismus als eine Befreiung zum Friedensdienst zu begreifen“: „Die ‚Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste‘ setzt sich seit über 10 Jahren dafür ein, unter den Menschen der Bundesrepublik Deutschland und in Westberlin ein Bewußtsein für die historische Schuld und gegenwärtige Verantwortung zu wecken. Zwar ist das Bewußtsein gewachsen, aber wichtige politische Entscheidungen stehen noch aus. Die Arbeiten der ‚Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste‘ können nur voll wirksam werden, wenn die Konsequenzen aus dem von Deutschland begonnenen und verlorenen Krieg gezogen werden. Nur im politischen Handeln wird Friedenswille glaubhaft. ‚Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste‘ und gleichgesinnte Gruppen dür-
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fen kein Alibi für die fälligen Entscheidungen sein. […] Wir fordern Einzelne und Organisationen auf, […] diese Forderungen zur Geltung zu bringen“ (36). Der in der 1. Person Plural gehaltene Bericht der Freiwilligen von 1970 auf dem „größten Friedhof der Welt“ wendet den Titel „Jeder Einzelne erlitt seinen Tod“ in einen universalistischen Appell: „Auschwitz ist Gedenkstätte und Museum: Eine Aufforderung, genau hinzusehen, wozu der Mensch fähig ist, eine Mahnung an alle Völker, über ihr Handeln nachzudenken, eine Warnung an alle, jedes neue Auschwitz zu entlarven und neue Ansätze zu verhindern.“ (Freiwillige 1972c, 22) Der Appell, über das ‚Nie wieder Auschwitz‘ „nachzudenken“, bestimmt sowohl den knappen Bericht über „Kontakt“ mit in Auschwitz getroffenen und in Warschau wiedergesehenen Studenten und einem Stadtführer in Danzig, von denen Angehörige im Warschauer Aufstand und in Dachau „umgekommen sind“: „Wir dachten nach, als wir in der Nähe von Danzig im Konzentrationslager Stutthof erfuhren, daß mit der Errichtung des Lagers am 2. September 1939, einen Tag nach Kriegsausbruch, begonnen wurde“ (22), als auch eine bemerkenswerte Umadressierung des Berichts. Sie bringt verschärft ins Spiel, was das „Tagebuch einer Gruppe“ über deren Abreise aus der Bundesrepublik berichtet: „Für einige ist es der Jahresurlaub. Zu Hause oder am Arbeitsplatz sind wir oft auf Unverständnis gestoßen, wenn wir erzählten, daß wir in Auschwitz arbeiten wollen.“ (Freiwillige 1972a, 9) Der, wie deutlich wird, nach dem 7. Dezember 1970 geschriebene Bericht „Jeder Einzelne erlitt seinen Tod“ wendet sich an die ‚zu Hause‘, die nicht nur mit ‚Unverständnis‘ auf eine Reise zu einer Stätte des Völkermords reagieren, sondern mit „Verbitterung“, ohne diese allerdings direkt anzureden: „Alle, die bei uns in der Bundesrepublik voller Verbitterung äußern,Willy Brandt hätte durch seinen Kniefall am Warschauer Ghettomahnmal Rechte des deutschen Volkes achtlos vertan, laden wir ein, nach einem Aufenthalt in Auschwitz, nach der Mitarbeit am Krematorium und an der Rampe in Birkenau, nach der Begegnung mit jungen Polen, deren Eltern umkamen, über ihre Äußerungen und ihre Verbitterung vor dem Ghettodenkmal in Warschau nachzudenken.“ (Freiwillige 1972c, 22) Wie über das mit dem Wort „Verbitterung“ bezeichnete starke Gefühl, über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze nicht nur „unzufrieden“ oder „griesgrämig“ zu sein, sondern auch „menschenfeindlich“ (Wahrig 2006, 1562) werden zu können, nachzudenken sei, formuliert der Bericht programmatisch im resümierenden Schlusssatz: „Die Vergangenheit sehen, wie sie ist, die Ursachen der Schuld der Völker erkennen, dazu beitragen, den Unfrieden in Frieden zu verwandeln lernen, den eigenen Beitrag für den Frieden leisten und die Zukunft mitverantworten – die Polen-Fahrt war ein Anfang.“ (Freiwillige 1972c, 22) Dem Plural ‚Völker‘ entspricht, dass das Gefühl ‚Verbitterung‘ auch in den beiden anderen 1972 in der Broschüre „Begegnung“ abgedruckten Texten über Auschwitz eine Rolle spielt und zwar als einer Polin und einem Polen zugeschriebenes. Im „Tagebuch einer Gruppe“ sind es die Schüler und die Kollegin, die zitiert werden, wenn sie das Gefühl der Lehrerin zuschreiben, die so wiederholt versichert hat, „wie sehr sie die Deutschen hasse“, sie „bitten uns, den Angriff nicht so schroff zu nehmen, die Frau sei sehr verbittert“ (Freiwillige 1972a, 11). In den „Gesprächen in Auschwitz“
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sieht der jüngere Arbeiter, der die trampende Elisabeth Krüger mitnimmt, zwar seine Vorurteile widerlegt: „Also sind die Westdeutschen nicht alle ‚Kapitalisten‘. Außerdem stellte er an mir fest, daß die Deutschen nicht alle blond sind“, doch die Erzählerin fährt fort: „Das Bittere all dieser Propaganda sitzt noch tief.“ (Freiwillige 1972b, 21) Gekürzt ist im Zweitdruck 1972, was an dieser Stelle im Erstdruck „Auschwitz-Gespräche“ 1969 nach einem Doppelpunkt folgt: „daß die slawischen Völker als Angehörige einer angeblich minderwertigen ‚ostischen Rasse‘ nach dem deutschen Endsieg ausgerottet werden sollten, weil sie nicht zur ‚nordischen Rasse‘ mit den blonden Haaren gehören. Die planmäßige Ausrottung begann mit der Liquidierung der polnischen Intelligenz: Lehrer, Professoren, Richter, Beamte.“ (Krüger 1969, 15) In der Monatsschrift „Polen“ war im Januar 1969 Krügers die zweite von drei (unter der Oberüberschrift) „Begegnungen mit Auschwitz“ gedruckten, voran ging „Warum?“des US-Amerikaners polnisch-jüdischer Herkunft und Auschwitz-Überlebenden Leon Gongola und es folgte des britischen Studenten Ivan Reids „‚Weine, zum Teufel, weine!‘“ Gongola, dessen Leserbrief um zwei Fotos von in Auschwitz arbeitenden und eins von im Museum ein Foto betrachtenden Freiwilligen der ASF gesetzt ist, bezieht sich auf die in der Zeitschrift 1968 in einer Bildunterschrift abgedruckte Frage (Piorkowski 1968, 14) eines mit Aktion Sühnezeichen zur Arbeit nach Auschwitz gereisten „Michael Berger: ‚Warum mußte es zu Auschwitz kommen?‘“; er beantwortet sie zweifach: „Ich spreche hier nicht allein zu den Deutschen, sondern zu allen Menschen, damit sich Auschwitz-Birkenau nie mehr wiederholt. Eine der Hauptursachen der Entstehung von Auschwitz waren die mörderischen Instinkte des deutschen Volkes, Instinkte, wie man sie eben bei Mördern ihren Opfern gegenüber beobachten kann. Die Deutschen wählten eine Regierung von degenerierten Lumpen. Diese haben dann einen Krieg entfacht, der Millionen von Opfern kostete und Europa vernichtete. Das Lager Auschwitz-Birkenau von den Deutschen auf polnischem Boden gebaut, sollte der Vernichtung vorerst der Juden, dann der Zigeuner, dann auch der Slawen (Polen, Russen, Tschechen) dienen. […] Die zweite Tatsache, die zur Entstehung von Auschwitz führte, war die ermunternde und passive Haltung anderer Völker.“ (Gongola 1969, 13) Gongolas Zahlenangaben, die er „von den Häftlingen des sogenannten Sonderkommandos“ (14) erhalten habe, zu den in Auschwitz ermordeten „Juden aus ganz Europa“, „Zigeuner[n]“, „russische[n] Kriegsgefangenen“, „jugoslawische[n]“, „französische[n]“ und „polnische[n]“ sowie „Widerstandskämpfer[n] anderer Völker Europas“ werden von der Redaktion der Zeitschrift „Polen“ in einer 25 Zeilen langen Fußnote nach den „Angaben der Hauptkommission zur Untersuchung der Naziverbrechen in Polen“ wegen „Ungenauigkeiten“ durchgehend nach oben korrigiert (14). Ohne Beleg behauptet Anton Legerer in seiner Monographie über die westdeutsche AS und den österreichischen Gedenkdienst nicht nur, dass der „Themenschwerpunkt über Auschwitz“ in der Zeitschrift „Polen“ im Januar 1969 „als Reaktion auf die Kritik von Ben-Chorin“ erschien (Legerer 2011, 245), die bereits zitiert worden ist, sondern nennt auch Gongolas Brief fälschlich „[d]en einleitenden Artikel“ (245), ohne dass auch nur ein anderer erwähnt würde, und erklärt schließlich die Tatsache, dass „die Zahl der jüdischen Opfer angeführt“ wurde, „[s]owohl im Text des Autors wie auch in
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einer redaktionellen Anmerkung“, folgendermaßen: „‚Das liegt in der Natur der Deutschen.‘ Unter diesem Motto, das in dem vom kommunistischen Regime instrumentalisierten antisemitischen Klima in Polen offenbar [sic] als gemeinsamer polnisch-jüdischer Nenner akzeptiert wurde, konnte Gongola das von ihm repräsentierte jüdischen Leiden in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern anführen.“ (246) Legeres leitende These über „das [sic] polnische, von antisemitischen Inhalten getragene Narrativ“ (245) verzichtet nicht nur an dieser Stelle auf jeden Beleg, sondern erweitert auch später bloß die Stützung auf die Autorität Ben-Chorins um die auf Ruth Klügers (1992, 78), die „mit der Beeinflussung der Sühnezeichen-Freiwilligen durch das polnische Narrativ“ „den verharmlosenden Umgang mit dem polnischen Antisemitismus“ „erklärt“ (Legerer 2011, 249), was Legerer dann als eine „von Empathie getragene Identifikation mit der zeitgenössischen polnischen Bevölkerung“ verurteilt (246). Auch den Gongolas folgenden Artikel von Elisabeth Krüger begleitet ein – sogar die untere halbe Seite füllendes – Foto von der ASF-Gruppe; es zeigt – überwiegend von hinten über einen unscharfen Haufen von noch nicht gereinigten Steinen – vier Freiwillige mit Spitzhacken und Spaten aus den einen halben Meter hoch wieder aufgerichteten Grundmauern der Gaskammer treten, und seine Bildüberschrift schreibt die Oppositionen der drei vorangegangen Bildunterschriften fort: von „Menschen“ „gebaut“ und „befreit“ (Krüger 1969, 13), „unersetzlich[es]“ „authentisches Erlebnis“ und „Arbeit an den Trümmern“ (14), „Überreste von Spielzeug, Kämmen, Knochen“ und „Millionenfache Beweise des Völkermords“ (14) zu: „Nach der Arbeit in Auschwitz begleiten sie Schatten der Verstorbenen und Ermordeten, es ist die stille heutige Andacht derjenigen aus der jungen Generation, die den Mut haben, der grausamen Geschichte des eigenen Volkes ins Gesicht zu schauen.“ (15) Der englische Student Ivan Reid, der im dritten Artikel des Januar-Hefts von „Polen“ 1969 berichtet, wie er, auch im August 1968, mit einer britischen Gruppe zwei Tage in Auschwitz war, beginnt mit zwei Absätzen, die auf jeweils eine Frage „Was ist Oswiecim?“ und „Wem gehört Auschwitz?“, Antworten aneinanderreihen; auf die zweite lauten sie, abgekürzt: „Den Polen“, „Den Deutschen“, „Den vierundzwanzig Völkern Europas“, „Europa“ (Reid 1969). Doch Reid erklärt Fragen und Antworten für „sinnlos“: „Für jemand, der Auschwitz sah, sind solche Fragen […] gar nicht nötig, denn Auschwitz ist eine Erfahrung, die der gesamten Menschheit gehört.“ Er beginnt den Bericht über den vom „Führer der Gruppe“ angeleiteten Gang durch das Stammlager und Birkenau mit dem Satz: „Für mich bedeutet Auschwitz […] Stille, Nachdenken und Gebet“, um dann Gesehenes zu benennen: „Stacheldraht, […] Betonpfeiler, Wachttürme“, „Galgen“, und Fragen zu stellen: „Ein Raum mit Menschenhaaren gefüllt, was dachten wohl diejenigen, die diese Haare schnitten und denen sie abgeschnitten wurden, oder waren sie keiner Gedanken mehr fähig?“ Vor dem Krematorium I wechselt der Bericht in die 1. Person Plural: „Für die Mehrheit von uns Engländern, die Auschwitz besichtigen, bedeutet der Krieg nur ein paar gehörte Geschichten, vielleicht über Gasmasken, Lebensmittelkarten, Fliegerangriffe und Unbequemlichkeiten. Jetzt werden wir älter, lernen und gewinnen Erfahrungen wie
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nie zuvor, erstarren für einen Augenblick, doch dann gehen wir weiter, um noch mehr zu sehen“: „die „großen Öfen“, die „Scheinbrause, für Gas selbstverständlch; es sieht ja so unschuldig aus, daß man kaum erschüttert ist“, „die Rampe“: „immer der Ort von Ankunft und Abreise, die aber nie so endgültig waren wie hier“. Besonders ausführlich wird Reid am Mahnmal in Birkenau „mit vierundzwanzig Flaggenmasten auf jedem eine andere Flagge, und auf dem Boden zwei Dutzend Tafeln, die in ebenso vielen Sprachen verkünden: ‚Vier Millionen Menschen litten und starben hier von der Hand der Nazimörder in den Jahren 1940 – 1945.‘“ Und darum, wie Reid betont, „so weit das Auge reicht“, „liegen vier Millionen Steine von je 10 qcm Größe, so kläglich grau, kaum behauen, doch sie verweigern uns das Recht, auf sie zu treten, so wie man auf diejenigen nicht treten würde, die sie repräsentieren. […] Weiter, sehen wir die Hügel menschlicher Asche, nun zugeschüttet und in alle Winde verweht.“ In den Blocks und Baracken von Birkenau sieht Reid: „Hier und dort ein welker oder noch frischer Kranz: irgendjemand fand hier Spuren eines Verwandten; für die überwiegende Mehrheit aber bedeuten nur die kilometerweit sich hinziehenden Baracken die Todesstelle ihrer Nächsten.“ (Reid 1969) Der Erzähler, der am Mahnmal betont hat: „Wir beginnen nun zu verstehen, warum die jungen Polen alles über die Kriegsschrecken wissen: für jeden von ihnen war der Krieg ein schrecklicher Verlust in der eigenen Familie“, stellt seine Gruppe am Ende des Gangs als „[e]rschöpft“ dar, die „wir endlich fort von hier“ können: „Langsam kehrt das Leben wieder“, um seiner anfangs gegebenen Deutung von Auschwitz als „einer Erfahrung […] der gesamten Menschheit“ am Ende die Form einer Bitte an die geduzten LeserInnen zu geben: „Wenn ihr einmal ganz selbstzufrieden seid und fasziniert von euren Nächsten, solltet ihr an die Errungenschaften, Wunder und die Schönheit denken, die die Menschen geschaffen haben, solltet ihr bequem, warm und sicher ruhen – dann denkt an Auschwitz. Auch das ist das Werk menschlicher Hände, ein Produkt menschlicher Gedanken und Gefühle, auf groteske Art recht einfallsreich. Und denkt bitte nie, daß es Vergangenheit, Geschichte ist, daß man es am besten vergessen sollte, denn was für einen Entwicklungsgrad mußte die Menschheit erreichen, um Auschwitz zu schaffen. Und darum denkt an Auschwitz, Treblinka, Dachau, Nordhausen, an Belsen, Sachsenhausen, Belzec, Buchenwald und an heute – dann werdet ihr vielleicht eine Träne vergießen.“ (Reid 1969)
6 „Versöhnungsengagement“ (und seine Kritik als ‚Instrumentalisierung‘) In der Broschüre „Begegnung“ von 1972 ist auf dem Innenumschlag der Artikel aus dem Warschauer Vertrag zwischen der BRD und der Volksrepublik Polen vom 7. Dezember 1970 über „die Unverletzlichkeit ihrer bestehenden Grenzen jetzt und in der Zukunft“ (Törne 1972, 1) abgedruckt, denn auch nach Vertragsabschluss bleibe die Forderung der Denkschrift der EKD aktuell, „‚Einsichten in die bis heute fortwirkenden Schuldzusammenhänge‘“ zu vermitteln (8). Deshalb betont ein ungezeichneter
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Bericht „Aktion Sühnezeichen in Polen“ über die Reisen von 58 Gruppen mit jeweils 20 – 30 TeilnehmerInnen in den Jahren von 1967 bis 1972, dass „dem oft gedankenlosen Tourismus ein engagierter Wille zum Versöhnungsengagement entgegengesetzt“ (6) worden sei. Der vermutlich von Volker von Törne¹¹ verfasste Artikel „Friedensdienst in Gedenkstätten“ leitet programmatisch die Broschüre ein, wobei das durchgängig benutzte inklusive Wir die Entwicklung von ‚Versöhnungsengagement‘ erfasst, wogegen und wofür. Törne beginnt im Irrealis mit der Möglichkeit eines Rückblicks auf Auschwitz „ohne persönliche Beunruhigung“; diese Möglichkeit sieht er gebunden an die Bedingung, dass wir als „Wahl- und Konsumbürger“ weder von Nachrichten über „Völkermord“ noch solchen über Rassismus ‚beunruhigt‘ werden. Er vergleicht ein solches Verhalten mit dem der „Mitläufer von gestern“, die „‚im Dienst von ‚Recht + Ordnung‘“ „nichts“ als ihre „Pflicht“ taten (5). Aus einem Zitat von Martin Walser, aus dessen bereits zitiertem „Kursbuch“-Essay von 1965, übernimmt Törne den von ‚Kollektivschuld‘ unterschiedenen Begriff der ‚Kollektiv-Ursache‘, den er um den der ‚Kollektivwirkung‘ erweitert, um die These aufzustellen, dass „die Kollektiv-Ursachen und die Kollektiv-Wirkungen der NS-Vergangenheit“ in den „ökonomischen und sozialen Strukturen“ der bundesrepublikanischen Gesellschaft der Gegenwart und ihren „Denk- und Sprachgewohnheiten“ ‚fortleben‘, auch „versteckt“, wo „die ‚freie Marktwirtschaft‘“ und der „Antikommunismus“ in der BRD „Eroberungspolitik“ und „blutigen Rassismus“ ersetzt haben. Diese These vom objektiven und subjektiven Fortleben der Strukturen begründet die Bedeutung von Auschwitz als Ort des ‚Lernens‘, „von diesen ‚Kollektiv-Ursachen‘ zu sprechen“, um durch ‚Überwindung‘ und ‚zeichenhafte‘ ‚Durchbrechung‘ ‚obrigkeitlicher‘ ‚Ordnung‘ in „kritische[r] Solidarität mit den Opfern dieser ‚Ordnung‘“ (5) Friedensdienst zu leisten. Törnes Text lautet: „Wir könnten aus der sicheren Distanz von 2 bis 3 Jahrzehnten ohne persönliche Beunruhigung auf Auschwitz zurückblicken. Wir könnten im Dienst von ‚Recht + Ordnung‘ – wie brave Mitläufer von gestern – nichts tun als unsere Pflicht als brave Wahl- und Konsumbürger. Die Nachricht von einem Völkermord irgendwo in den Dschungeln Asiens würde uns dann ebenso wenig um den Schlaf bringen wie die Nachricht,¹² daß einige 1000 km von uns entfernt im reichsten
Vgl. die wörtlichen Übereinstimmungen mit einem 1979 in den ASF-Mitteilungen „Zeichen“ veröffentlichten Artikel „Jugend zwischen Geschichte und Zukunft“, der auch in den postumen Sammelband fast gleichen Titels „Zwischen Geschichte und Zukunft“ (Törne 1981, 9 – 21) aufgenommen wurde. Die Anspielung auf Heinrich Heines „Nachtgedanken“ (1844): „Denk ich an Deutschland in der Nacht, /Dann bin ich um den Schlaf gebracht“ (Heine 1976, VII, 432), könnte sich jedoch auch auf Wolfgang Koeppens „Der Tod in Rom“ (1954) beziehen, dessen Protagonist Siegfried Pfaffrath nicht nur über den fernen Krieg im Dschungel Indochinas nachdenkt, sondern sich im Verständnis seiner Kunst auf ein in Günter Eichs Hörspiel „Träume“ von 1950 zentrales Zitat von Jean Paul Sartre über Engagement bezieht: „daß alles, was geschieht, […] mich angeht“ (Koeppen 1975, 15). Sartres „Was ist Literatur?“ über „die Funktion des Schriftstellers, so zu wirken, daß keiner die Welt ignorieren und keiner in ihr sich unschuldig nennen kann“: „der Schriftsteller hat gewählt, die Welt zu enthüllen […], damit
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Land der Welt schwarze Kinder in Ghettos verkommen. Martin Walser schrieb: ‚Die idealistischen Denk-Künstler, inländischer und ausländischer Herkunft, haben uns seit 1945 hilfreich bewiesen, daß es keine Kollektivschuld gebe.[¹³] Und von KollektivUrsache sprechen wir lieber nicht.[¹⁴]‘ In Auschwitz, Majdanek und Stutthof können wir lernen, von diesen ‚Kollektiv-Ursachen‘ zu sprechen. Denn die Kollektiv-Ursachen und die Kollektiv-Wirkungen der NS-Vergangenheit sind immer noch bedrückende Gegenwart. Sie leben fort in den ökonomischen und sozialen Strukturen unserer Gesellschaft. Sie leben fort in unseren Schulbüchern, in der Presse, im Fernsehen, am häuslichen Mittagstisch und in unseren eigenen Denk- und Sprachgewohnheiten. Sie finden ihren offenen oder versteckten Ausdruck auch dort, wo an die Stelle unverhüllter Eroberungspolitik die Mission für die ‚freie Marktwirtschaft‘ und an die Stelle des blutigen Rassismus von gestern der blinde Antikommunismus von heute getreten ist. Vor dem Hintergrund dieser immer noch gegenwärtigen Vergangenheit gewinnt unser Friedensdienst in Polen seine Bedeutung für unsere Gesellschaft: als Versuch, aus unseren geschichtlichen und gegenwärtigen Erfahrungen zu lernen; unsere von Obrigkeiten verhängte Ohnmacht und Schicksalsgläubigkeit zu überwinden, die alte, aus Vorurteilen, Trägheit, Unrecht, Gewohnheit und Gewalt zusammengehaltene ‚Ordnung‘ durch kritische Solidarität mit den Opfern dieser ‚Ordnung‘ und durch praktisches, gewaltfreies Engagement zeichenhaft (zeichenhaft – weil wir vorerst nur wenige sind) zu durchbrechen. In einem seiner letzten Gedichte schrieb Bertolt Brecht: ‚Viele sehen es so, als drängten wir uns/ Zu den abgelegensten Verrichtungen/ Bemühten uns um seltene Aufträge/ Unsere Kräfte zu erproben oder unter Beweis zu stellen –/ Aber in Wirklichkeit sieht besser, wer/ Uns einfach das Unvermeidliche tun sieht:/ Möglichst gerade zu gehen, die Hindernisse des Tages/ Zu überwinden, die Gedanken zu vermeiden, die/ Schlimme Folgen gehabt haben, die günstigen/ Ausfindig zu machen, eben:/ Den Weg des Tropfens zu bahnen im Fluß, der sich/ Durch das Geröll den Weg bahnt.‘“ (Törne 1972, 5; vgl. Brecht 1967, X, 875) Der obige Satz über die Ersetzung von Eroberungspolitik durch ‚Mission‘ für die Marktwirtschaft und von blutigem Rassismus durch Antikommunismus fand sich schon in Törnes Rede auf dem Frankfurter Kongress vom Februar 1971, allerdings als Schlussfolgerung aus folgender Erklärung einer „in den Köpfen vieler Deutscher fort[lebenden]“ „Pervertierung des Bewußtseins“: „so sah man im polnischen Volk, dem man das Recht auf nationale Selbstverwirklichung absprach, das bloße Objekt einer Unterdrückungs- und Germanisierungspolitik, an deren Ende als Konsequenz die faschistische Okkupationspolitik stand. Sie fand ihren schrecklichsten Ausdruck in Vernichtungsstätten wie Auschwitz, wo nicht nur Millionen jüdischer Bürger aus vielen Ländern Europas ermordet wurden, sondern wo auch systematisch die brutale Ausrottung der besten Kräfte des polnischen Volkes betrieben wurde. Die Unterdrüsie [die Menschen, H.P., …] ihre ganze Verantwortung auf sich nehmen“ (Sartre 1958, 18); Eichs „Träume“: „Alles, was geschieht, geht dich an.“ (Eich 1966, 54). Vgl. Walser 1964, 19. Ebd., 20.
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ckungs- und Germanisierungspolitik des Deutschen Reiches brachte nicht nur dem polnischen Volk unermeßliches Leid. Sie führte auch durch die Praxis von Lüge und Gewalt bei einem großen Teil des deutschen Volkes zu einer Abstumpfung des Gewissens und einer Pervertierung des Bewußtseins, die schließlich in der rassistischen Ideologie vom ‚slawischen Untermenschen‘ und dem ‚deutschen Herrenmenschen‘ ihren verbrecherischen Höhepunkt fand.“ (Törne 1971, 35) Die vom Konzept der ‚Gruppenreise‘ seit 1970 bestimmten „Grundmuster der Auseinandersetzung der ASF-Reisenden mit der Vergangenheit in Polen“ seien über „zwei Jahrzehnte“ „weitgehend unverändert“ geblieben, behauptet Corinna Felsch (2015, 152), die „Reiseberichte zu insgesamt 95 Fahrten“ (36), die von 1970 bis 1990 „es […] in die Akten von ASF geschafft haben“ (37), ‚ausgewertet‘ hat, ohne sich für publizierte zu interessieren (38).¹⁵ Ihre – durch den Vergleich mit so genannten ‚Heimatreisen‘ und ‚Studienreisen‘ verstärkte – negative Bewertung widerspricht sich selbst, wenn sie auf der einen Seite mit dem Neologismus ‚deutsche Schuldgeschichte‘ dem Konzept der Reisen der ASF in Polen u. a. nach Auschwitz vorwirft, „das Land mit seiner eigenen Geschichte […] aus dem Blick“ (151) zu verlieren, auf der anderen Seite, „[d]ie polnischen Opfernarrative […] weitgehend problemlos […] integriert“ (152) zu haben. In dem, was Felsch 2015 – ohne jede Reflexion des historisch-gesellschaftlichen Kontexts der Vergangenheit von 1970 – 90 und der Gegenwart von 2015 – kategorisch verurteilt, spiegelt sich in verkehrter Wertung das von Törne 1971 wie 1972 formulierte Konzept, in Auschwitz über fortlebende Strukturen zu lernen: „In Polen wurden vor allem die Orte besucht, in denen die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen noch besonders lebendig war. Dadurch verstärkte sich für die Reisenden der Eindruck, dass die nationalsozialistische Vergangenheit kein abgeschlossenes, fernes Kapitel der Geschichte war, sondern in die Gegenwart hineinwirkte.“ (Törne 1971, 151) Entsprechend wird auf der anderen Seite die einleitende Versicherung der Verfasserin, dass „es keinesfalls um eine Bewertung der Geschichtsbilder der Reisenden“ in ihrer „Untersuchung“‚gehe‘ (Felsch 2015, 32), in Frage gestellt, wenn sie kritisiert, dass die „ASF-Reisenden nur in Ausnahmefällen durch polnische Geschichtsinterpretationen herausgefordert wurden“ (152). Das von der Verfasserin bestrittene Interesse an der Frage, ob „‚Aussagen‘ der Wahrheit entsprechen“ (32), bricht durch, wenn sie ihre Kritik an der Aufnahme ‚polnischer Geschichtsinterpretationen‘ durch die ASF-Reisenden weiter ausführt: „Dies bedeutete jedoch, dass die Reisenden sich bei ihren Besuchen von Orten des polnischen Gedenkens sowie in Gesprächen vor allem auch bei offiziellen Kontakten nicht mit den polnischen Geschichtsdeutungen und ihren politischen und ideologischen Funktionen auseinandersetzten, da sie diese gar nicht als solche erkannten.“ (152) Wo Felsch die ‚Integration‘ eines ‚polnischen Opfernarrativs‘ in ein westdeutsches hingegen positiv bewertet, markiert die kritische Anmerkung des Rezensenten Stefan Guth zu
Felschs Literaturverzeichnis enthält – sage und schreibe – eine Seite „Gedruckte Quellen und zeitgenössische Veröffentlichungen“ (Felsch 2015, 377)
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ihrer Bewertung der ‚Heimatreisen‘: „Nicht selten brachte der Wunsch, den alten Hof oder das frühere Haus nochmals zu sehen, die Heimatreisenden in Kontakt mit den neuen polnischen Bewohnern, die sie vielfach gastfreundlich empfingen. Der Umstand, dass es sich dabei mehrheitlich um Umsiedler aus ostpolnischen, nach dem Krieg an die Sowjetunion gefallenen Gebieten handelte, ermöglichte bisweilen gar eine unerwartete Verständigung auf ein ähnliches Geschichtsbild, das sich aus der geteilten Erfahrung des Heimatverlusts speiste, in seiner Konzentration auf das gemeinsame Feindbild Sowjetunion und unter Ausblendung der deutschen Besatzungsherrschaft aber ausgesprochen selektiv funktionierte.“ (Guth 2017) Gerade das infrage Stellen des offiziellen bundesrepublikanischen antitotalitaristisch auftretenden Antikommunismus im Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste‚Konzept‘ der Gruppenreise nach Auschwitz jedoch entgeht der Aufmerksamkeit der Historikerin; sie stützt ihr Desinteresse auf die Bewertung des Konzepts durch Anton Legerer als „verharmlosend und dem Gründungsimpuls der Aktion Sühnezeichen widersprechend“ (2011, 58), durch Jonathan Huener als „awkward in its expression and transparent in its instrumentalization of the site“ (2001, 528) und mit Aleida Assmanns Verurteilung sowohl der „Instrumentalisierung“ von Auschwitz zum „politische[n] Argument“, das „unangreifbar macht,“ als „Mißbrauch“ (Assmann/Frevert 1999, 72) als auch der Erhebung zu „Metapher“ oder „Symbol“ mit „höchste[m] Affektgehalt“ für den „Druck eines moralischen Absolutismus“, was sie als „Trivialisierung“ (74) bezeichnet. Die sich widersprechenden Behauptungen der Kulturwissenschaftlerin, dass der ‚Gebrauch von Auschwitz als Argument‘ ein „Dauerphänomen“ (73, wofür sie nur einen Sekundärbeleg zu 1977 präsentiert) der BRD-Geschichte gewesen sei und dass sich „jegliches politisches Argument […] eigentlich verbieten sollte“ (73), erklären sich aus ihrer absurdistischen Geschichtsphilosophie, die jede Untersuchung der sich verändernden politischen Aktualität, die im Verlauf der Geschichte der BRD Auschwitz zugeschrieben worden ist, überflüssig macht: „Die Form, in der die Opfer in den Konzentrationslagern gequält und ermordet wurden, ist so ungeheuerlich, einzigartig und sinnlos, daß sich von daher jegliches politisches Argument und jede Gleichsetzung eigentlich verbieten sollte. Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen und Gedächtnis als interessierter Gebrauch stößt in Auschwitz an eine Grenze.“ (74/75)¹⁶ Vgl. als deren Dan Diners Begriff des „Zivilisationsbruchs“ (1988, 7– 14) vorangehende Formulierung in George Steiners „Aufzeichnungen eines Überlebenden“ (1965, 1043), dass Auschwitz zu „verstehen“ meine „jenes Paradoxon[…], daß die moderne Barbarei auf geheime, vielleicht notwendige Weise aus der Herzkammer des Humanismus hervorging“: „Der Humanismus des europäischen Judentums liegt buchstäblich in Asche.“ Während Corine Defrance und Ulrich Pfeil Diners Begriff mit Heinrich August Winkler als ‚radikale Negation des normativen Projekts des Westens‘ interpretieren: „Der von den Nationalsozialisten betriebene ‚Zivilisationsbruch‘ hatte das aufklärerische Erbe der Revolution von 1789 verworfen“ (Defrance/Pfeil 2016, 15), und die ‚abgearbeitete‘ ‚Last‘ von des Bundespräsidenten Joachim Gaucks Formel „‚keine deutsche Identität ohne Auschwitz‘“ 2015 „richtungweisend“ gedeutet finden: „‚keinen Stolz auf dies Land […] ohne den Blick in den Abgrund“ (16), hat Wolfgang Meseth 2005 ein Statement von Micha Brumlik aus dem Jahr 1995 zitiert, „daß alle Formen
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Legerer kritisiert insbesondere die ‚Übernahme‘ von Martin Walsers Begriff der ‚Kollektiv-Ursachen‘, aus dem „in die Gegenwart transferierte und damit für gegenwärtige Schuldhaftigkeit verantwortliche ‚Kollektiv-Ursachen‘ an gesellschaftlichen Missständen ab[geleitet]“ werden (Legerer 2001, 58; vgl. das Zitat auch bei Felsch 2015, 141). Legerer bezieht sich auf einen von Törne zusammen mit Franz von Hammerstein veröffentlichten Text aus dem Jahr 1974, in dem der Begriff benutzt wird und aus dem von ihm wenige Worte zitiert werden: In „‚ – nicht nur deutschen Verhaltensmustern leben die gleichen Bewusstseinsstrukturen fort, die in unserem Volk Verbrechen wie Auschwitz, Ordour [sic] und Lidice möglich gemacht haben‘“ (Legerer 2011, 58). Er bewertet die Begriffsübernahme als universalisierende ‚abstrakte Konstruktion‘, als „Verwässerung“: „Aus heutiger Perspektive wirken diese Konstruktionen verharmlosend und dem Gründungsimpuls der Aktion Sühnezeichen widersprechend; sie vermengten die historisch-konkreten nationalsozialistischen Verbrechen mit zeitgenössischen Problemen und schrieben beide universelle Ursachen zu.“ (58) Wenn Felsch den von Assmann übernommenem Begriff der ‚Instrumentalisierung‘ mit Legerer vor allem auf die „Rhetorik“ der ASF-Mitarbeiter/innen“ (Felsch 2015, 141) anwendet, so folgt sie Huener, wenn er „auch eine politische Instrumentalisierung des Besuchs in Auschwitz selbst durch die ASF-Gruppen ausmacht“ (141): Der Besuch „‚could transform the site […] into a stage for the presentation of a new German youth – […] committed to demonstrating its shame for the crimes of their ancestors and its resolve to work at home for the higher ideals of peace and reconciliation“ (Huener 2001, 527). Aber Felsch berücksichtigt nicht, was Huener zum ‚commitment‘ der Organisation zuvor betont hat: „Unique and even provocative was the organization’s slogan ‚peace with the communists‘ and it showed a strong commitment, through public education and the sponsorship of travel seminars, to undermining and revising prevailing anti-communist stereotypes in West German society – stereotypes that Aktion Sühnezeichen believed stood in the way of any meaningful understanding or reconciliation between the Federal Republic and its neighbors to the east.“ (521) Felsch abstrahiert vom zeitgeschichtlichen Kontext, wenn sie Assmanns Begriff der ‚Instrumentalisierung‘ benutzt, der die umgangssprachlichen Bedeutung von: „etwas […] bewusst […] als Mittel zum Zweck benutzen“ (Wahrig 2006, 774), eine negative Bewertung tragen lässt: Benutzung als Mittel zu einem nicht als legitim
des Umgangs mit der NS-Vergangenheit, die in den Dienst aktueller moralisch-politischer Problemlagen gestellt werden, eine Instrumentalisierung der Opfer und damit den Verlust ihrer Würde bedeuten, die letztlich nur durch ein zweckfreies Opfergedenken gewahrt werden könne“ (19), um an der Rezeption von Theodor W. Adornos ‚Erziehung nach Auschwitz‘ in der Pädagogik der BRD grundsätzlich zu kritisieren, „daß Adorno unter Absehung seiner resignativen Einsichten zu einem Bezugspunkt des nationalen Identitätskonzepts werden konnte“ (Meseth 2005, 228): „die Vereindeutigung der historischen Ereignisse und die Abdunkelung der Beunruhigung, die der Holocaust für das Denken der Moderne bedeutet“, begreift er „als Resultat der Pädagogisierung der Erinnerungskultur“ (24).
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X ‚KZ-Tourismus‘ oder ‚Geschichtsbewußtsein‘ als Antifaschismus
angesehenen Zweck. Assmann führt ihn nämlich ein, um interessierten ‚Gebrauch‘ von ‚Missbrauch‘ zu unterscheiden, wenn sie einräumt: „Jedoch ist die Grenze zwischen der Interessiertheit des Gedächtnisses und seiner Instrumentalisierung bzw. zwischen Gebrauch und Mißbrauch ist [sic] oft nicht leicht zu ziehen.“ (Assmann/ Frevert 1999, 72) Assmanns drei Seiten unter der Überschrift „Instrumentalisierung“ (72– 75) explizieren keinerlei Kriterien für eine Abgrenzung; ihre durchgängige Verwendung aber von ‚Instrumentalisierung‘ als ‚Missbrauch‘ lässt sich übersetzen in das negativ bewertete Gegenteil eines ‚Gebrauchs‘ von Gedächtnis als Mittel zu offiziell und öffentlich als legitim angesehenen Zwecken. Hueners von Felsch verallgemeinertes Beispiel belegt die öffentliche Auseinandersetzung über die Legitimität von Zwecken, die Vergangenheit als Mittel benutzen. Von der Auffassung der Gedenkstätte Auschwitz als ‚Bühne für die Präsentation einer neuen deutschen Jugend‘ distanzierte Törne die Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste auf dem Frankfurter Kongress von 1971 in einem Beitrag in der Arbeitsgruppe „Ziele und Formen der künftigen Jugendbegegnung“, der auch erneut seine Umformulierung von Walsers ‚Kollektiv-Ursachen‘ enthält, wenn er betont, „daß wir als Deutsche dem polnischenVolk weitaus mehr schuldig sind als die Anerkennung der Grenzen, die im Ergebnis eines vom deutschen Reich begonnenen Angriffs- und Eroberungskrieges 1945 entstanden sind. Diese Erkenntnis muß, so meine ich, die Voraussetzung für alle ernsthaften Überlegungen über eine zukünftige deutsch-polnische Jugendbegegnung bilden. Diese Erkenntnis wird uns auch, so hoffe ich, zu der Einsicht führen, daß wir das Hauptziel künftiger deutsch-polnischer Jugendbegegnungen nicht darin sehen dürfen, dem polnischen Volk eine an den Verbrechen der Vergangenheit unbeteiligte deutsche Jugend vorzuführen. Das Hauptziel sollten wir vielmehr darin sehen, daß wir unserer Jugend durch die Begegnung mit Polen – und diese Begegnung ist für Deutsche zugleich auch immer eine Konfrontation mit der verbrecherischen Geschichte ihres Volkes – die Kräfte mobilisieren können, die notwendig sind, um die in unserer Gesellschaft noch immer wirksamen Ursachen und Folgen dieser verbrecherischen Geschichte endgültig zu überwinden.“ (Törne 1971, 34) Törnes für die Organisation programmatische Absage an die ‚Vorführung‘ einer ‚an den Verbrechen der Vergangenheit unbeteiligten deutschen Jugend‘¹⁷ in Polen unterscheidet sich durch das Fehlen einer Betonung der Bedeutung des Reisens für die „Beziehungen der Generationen“ von der Einschätzung des Jugendtourismus durch den Historiker Alon Confino, die er der verbreiteten „Klage“, „daß weder Adenauer noch Ulbricht Auschwitz zum Ausgangspolitik ihrer Politik machten“ (Confino 1998, 150), entgegensetzt: „for many among the younger generation tourism became a public pilgrimage of atonement, a voyage in time and space to distance oneself from the Third Reich, from the fathers and mothers, in order to build a bridge Vgl. aber diese Absicht in einem Projektantrag der Ortsgruppe Waldeck des Bundes Europäischer Jugend 1953 bei der (West‐)Europäischen Jugendkampagne, der die „Mission“ der „jungen, unvorbelasteten Generation“ darin sieht, „als Mittlerpersonen zu Verständigung und Aussöhnung beizutragen“ (Norwig 2012, 233).
6 „Versöhnungsengagement“ (und seine Kritik als ‚Instrumentalisierung‘)
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to a new Europe. Tourism became a social practice impelled by the idea that by travelling one learns about and experience the Other. At the same time traveling was also a way for others to know Germans and perhaps even to forgive.“ (Confino 2000, 111) Confino unterscheidet den ‚Modus‘ (112) des Reisen als privat bei der älteren und öffentlich bei der jüngeren Generation, aber ‚Gruppenreisen‘ der ASF brachten beide Generationen zusammen im Lernen der Freiwilligen mit den MitarbeiterInnen als LehrerInnen.
XI Friedenssicherung und Demokratisierung Den ‚Hinweisen‘ der Broschüre „Begegnung – Berichte aus Polen“ ‚für die Vor- und Nachbereitung von Reisen und Arbeitsaufenthalten‘ mit der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste ‚und für die Weiterarbeit in unserer Gesellschaft‘ wird sowohl für die Buchtitel als auch für die Adressen von gesellschaftlichen Organisationen nachgegangen, um die Vernetzung von ASF zu profilieren. In der sich bis zum scheiternden Misstrauensvotum gegen Brandt zuspitzenden Auseinandersetzung um die Ratifizierung der Ostverträge, unter deren Befürwortern es Stimmen gab, die die Unterstützung der CDU/ CSU-Opposition durch Springer-Presse, NPD und Aktion Widerstand als ‚Rechtskartell‘ wahrnahmen, verband 1971 der Frankfurter Kongress „Friede mit Polen“ als ‚Trägerorganisationen‘ überwiegend in der ASF-Broschüre „Begegnung“ 1972 als zusammenarbeitend aufgeführte Gruppen. Ein Träger des Kongresses wurde in der ASF-Broschüre nicht ausdrücklich zur Zusammenarbeit empfohlen: die VVN. Schon vor Brandts der nach Warschau vorangehenden Reise zur Vertragsunterzeichnung in Moskau hatten die höchsten Gremien der SPD am 14. November 1970 einen Beschluss gefasst, der ‚Fehldeutungen der Ostpolitik abwehren‘ sollte: ‚Jungen Menschen werde vielleicht zunächst unverständlich sein, daß die Zusammenarbeit mit Kommunisten außenpolitisch notwendig sei, innenpolitisch aber verhängnisvoll.‘ Die SPD verbot ‚Aktionsgemeinschaften jeder Art zwischen Sozialdemokraten‘ und ‚Anhängern der kommunistischen Diktatur‘ als ‚parteischädigend‘. Trotzdem kam es zu Formen von Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten wie dem Studienkreis Deutscher Widerstand, der auf eine Konferenz im Februar 1967 in Frankfurt am Main zurückging, zu der auch Verfolgte und Historiker aus der DDR eingeladen worden waren. Die Frankfurter Tagung wählte den – 1961 aus der SPD wegen Mitgliedschaft in der SDS-Förderergesellschaft ausgeschlossenen – Pädagogen Heinz-Joachim Heydorn zum Vorsitzenden; 1973 schrieb er zu einer vom hessischen DGB-Landesvorsitzenden Philipp Pless eröffneten Ausstellung der „Antifaschistischen Buchwoche“ von Studienkreis und VVN: ‚Die Entspannungspolitik der Bundesregierung und ihre Bestätigung durch den Wähler im November des Jahres 1972 haben neue und bessere Voraussetzungen geschaffen, das hervorragende Thema von Faschismus und Widerstand konsequent aufzugreifen als Erkenntnishilfe für die Aufgabe der gesellschaftlichen Veränderung‘.
Was der Artikel „Friedensdienst in Gedenkstätten“ als in Auschwitz wie und mit welchem Ziel zu lernen bestimmte, hatte in der Broschüre „Begegnung mit Polen“ auf den letzten beiden Seiten seine Entsprechung in „Literaturhinweise[n] und Anschriften für die Inland-Arbeit“: „Diese Liste gibt Ihnen Hinweise für die Vor- und Nachbereitung von Reisen und Arbeitsaufenthalten mit der Aktion Sühnezeichen/ Friedensdienste und für die Weiterarbeit in unserer Gesellschaft.“ (Törne 1972, 34) Die Literaturhinweise waren dreigeteilt: „Literatur zum Thema Faschismus“, „zum Thema Polen“ und „Zeitschriften und Broschüren“ (34). In drei der 18 Bücher war Auschwitz unmittelbar Thema, in dem vom damaligen Direktor des Museums Kazimierz Smolen verfassten Führer „Auschwitz 1940 – 1945. Ein Gang durch das Museum“, der zuerst 1961 vom Museum verlegt worden war, in Gerald Reitlingers „Die Endlösung“ (1956) und Peter Weiss’ „Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen“ (1965). Polnische Geschichte (Arnold/Zychowski 1967) nicht nur im 20. Jahrhundert und die Geschichte der deutschen Besatzungspolitik in Polen (Bartoszewski 1969) stellten zwei aus dem Polnischen übersetzte und in den staatlichen Verlagen Polonia und Interpress erschienene Bücher sowie die beiden bereits zitierten Martin Broszats (1961, 1963) dar, außerdem zwei vom Schulbuchverlag Klett herausgebrachte „Quellen- und Arbeitshttps://doi.org/10.1515/9783050095851-013
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hefte zur Geschichte und Gemeinschaftskunde“ „Deutschland und Polen“ „1772– 1914“ und „1914– 1970“ (Meyer 1964). Unter den Titeln über Polen auf der Liste war ein Buch aus der DDR, zu dem – wie bei den in Polen erschienenen – angemerkt wurde: „zu beziehen über Brückenverlag“, allerdings nicht, dass dieser der illegalen KPD¹ gehörte und auch nach der Gründung der DKP finanziell aus der DDR unterstützt wurde (Schütt 1990). Unter dem Titel „‚Festung Breslau‘ in den Berichten eines Pfarrers 22. Januar bis 6. Mai 1945“ erschien 1966 im Union Verlag der DDR-CDU das von zwei polnischen Historikern auch in Wroclaw herausgegebene Tagebuch des Geistlichen Rats Paul Peikert, Pfarrer an St.Mauritius, das, wie bereits dargestellt, vom Cheflektor des Union Verlags, Günter Wirth, 1969 mit Günther Anders’ „Besuch im Hades“ parallelisiert wurde, als diese Reise vom Ort der ‚Bestimmung‘ Auschwitz zum Ort der Geburt Breslau zwei Jahre nach der Münchener Erstausgabe auch in der DDR erschien: Bei der Lektüre von Anders „muß man übrigens oft an das im Union Verlag herausgekommene Tagebuch von Erzpriester Peikert denken…“ (Anders 1969, 439). Sowohl unter den Büchern über Polen als auch denen zum Faschismus ist jeweils ein rororo aktuell-Band, „Polen ein Schauermärchen“ (Berndt/Strecker 1971) und „15 Millionen beleidigte Deutsche oder Woher kommt die CDU?“ (Geiß/Ullrich 1970), die beide bereits erörtert worden sind. ‚Aktualität‘ gehörte auch zum Programm zweier neuer Taschenbuchreihen, die von Verlagen eröffnet wurden, die bis dahin keine eigenen Taschenbücher herausgebracht hatten: der Reihe Hanser (1967) und der Sammlung Luchterhand (1970). In der „Reihe Hanser“ erschien 1969 des Marburger Politologen Reinhard Kühnl „Deutschland zwischen Demokratie und Faschismus“, das „zeigen“ sollte, „aus welchen gesellschaftlichen, politischen und sozialpsychologischen Gründen autoritäre und faschistische Tendenzen auf dem Boden der Demokratie entstanden sind und
Die Mitarbeit von Mitgliedern der seit 1956 illegalen KPD in der VVN ignoriert Till Kösslers Darstellung ihrer „Entradikalisierung“ (Kössler 2005, 385), die er an der „Pflege und rituelle[n] Bekräftigung der eigenen Traditionen in geschlossenen Veranstaltungen und Gedenkkundgebungen“ festmacht, die „das Parteileben vor Ort im Jahresablauf strukturierten“: „Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs“, „Widerstand gegen den Nationalsozialismus und die Opfer des ‚Dritten Reichs‘“ Anfang September, „Befreiung einzelner Konzentrationslager“ (401).Wenn Kössler zunächst einräumt: „Die Vergangenheitsorientierung half zwar, ein kritisches Bild des Nationalsozialismus zumindest in Teilen der lokalen Öffentlichkeit wachzuhalten“ (403), fährt er mit einer – seinem wenig später gegebenen Beispiel der Karfreitags-Kundgebungen im Dortmunder Rombergpark zur Erinnerung an die dort 1945 ermordeten politischen Gefangenen und Zwangsarbeiter widersprechenden (404) – Schlussfolgerung zur ‚Vergangenheitsorientierung‘ fort: „doch verstärkte sie gleichzeitig die Orientierung an der Parteikultur der 1920er Jahre und die Selbstisolation“ (403). Kössler gibt erst aus dem Jahr 1965 ein Beispiel dafür, „[w]ie brüchig der antikommunistische Konsens zumindest in Teilen der Jugend geworden war“ (414). Jan Korte datiert in seinem Buch über das „Instrument Antikommunismus“ im „Sonderfall Bundesrepublik“ den Zeitpunkt, als „ein neuer politischer Wind […] sich zu erheben“ „begann“, „[s]ymbolisch“ „auf das Jahr 1966“, „als in einem Massenmedium der kritische Umgang mit der NS-Vergangenheit und dem Antikommunismus eingefordert wurde“: „Der Marxist Georg Lukács publizierte im ‚Spiegel‘ [Nr. 12] seinen Artikel ‚Von Nietzsche zu Hitler‘.“ (Korte 2009, 77; vgl. Lukács 1966)
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1933 die Weimarer Republik zerstört haben […], warum diese Tendenzen nach 1945 weitergelebt haben und in den letzten Jahren zu einer akuten Bedrohung des demokratischen Rechtsstaates angewachsen sind“ (Kühnl 1969, Klappe hinten). Hugo C. F. Mansillas in der „Sammlung Luchterhand“ 1971 herausgekommenes Taschenbuch „Faschismus und eindimensionale Gesellschaft“ behandelte zwar auch „Das cui bono des Faschismus am Beispiel der Wirtschaft“ (Mansilla 1971, 121), stellte aber stärker auf das „gleichbleibende Reservoir der autoritären Persönlichkeit“ (188) ab. Während Mansilla – im Anschluss an Herbert Marcuses Begriff der eindimensionalen Gesellschaft – dennoch „Möglichkeiten zur Transzendierung des Bestehenden“ im „historische[n] Recht einer emanzipierten Gesellschaft“ (198) erblickte, schaltete Kühnl zwischen die beiden Teile seines Kapitels „Bürgerliche Demokratie und Faschismus“, „Weimar“ und „Bonn“, ein „Radikaldemokratisches Zwischenspiel: Die Reformbewegung nach 1945“ (Kühnl 1969, 67) ein – als Erinnerung an eine vergessene Möglichkeit. Beiden Büchern gemeinsam war, was Thomas Metscher in einer Sammelbesprechung zu Autorität und Familie 1962 im „Argument“, noch bevor 1964 mit der Nr. 30 Themenhefte zu „Faschismus-Theorie“ zu erscheinen begannen, zusammengefasst hatte als das, was bei Adorno, Horkheimer und Marcuse zu lernen sei, nämlich Faschismus als „dauernde innere Bedrohung der kapitalistischen Demokratien“ (Metscher 1962, 33) zu begreifen. Mansilla verwies sowohl darauf, dass sein Buch „ohne das Werk von Horkheimer, Marcuse, Neumann und Fromm nicht denkbar wäre“ (Mansilla 1971, 7), als auch darauf, „daß für unsere Arbeit die Aufsatzreihen der Zeitschrift ‚Das Argument‘ von größtem Nutzen gewesen sind“ (8): „Nur in der Befolgung Horkheimers Diktums: ‚Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch von Faschismus schweigen“, sei es zu leisten, „Faschismus und die autoritären, eindimensionalen Tendenzen unserer Gesellschaft […] durch den Rekurs auf den gemeinsamen sozio-ökonomischen Hintergrund des Spätkapitalismus zu erklären“ (8). Drei der von ASF zur Vor- und Nachbereitung einer Reise nach Auschwitz empfohlenen Bücher zum Thema Faschismus waren bei der Europäischen Verlagsanstalt in Frankfurt am Main erschienen, einem Verlag, der von Angehörigen des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds, die aus dem Exil zurückgekehrt und Mitglieder der SPD geworden waren wie Willi Eichler, gegründet worden und seit 1963 DGB-eigen war (Körner 1997, 151) – auf Initiative des IG Metall-Vorsitzenden Otto Brenner, angeregt durch das Erscheinen von Jürgen Seiferts „Gefahr im Verzuge. Zur Problematik der Notstandsgesetzgebung“ (150), um „dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Gewerkschaftern“ zu fördern (151). Wolfgang Abendroth, Kühnls akademischer Lehrer (Janßen 1991) und Mitherausgeber der EVA-Reihe „Politische Texte“, gab darin 1967 den Band „Faschismus und Kapitalismus“ heraus, in dessen Einleitung Kurt Kliem, Jörg Kammler und Rüdiger Griepenburg schrieben: „So wenig der Faschismus bloße Vergangenheit ist, so wenig ist auch die Frage nach seinen Ursprüngen und Bedingungen nur historisch. Nur die Erkenntnis der Bedingungen des Faschismus kann ein politisches Handeln anleiten, das seine Wiederkehr erfolgreich verhindert.“ (Abendroth 1967, 17)
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Abendroth gab 1967 „Theorien über die sozialen Ursprünge und die Funktion des Faschismus“ heraus, die in Aufsätzen oder Kapiteln von Büchern von Marxisten außerhalb der kommunistischen Arbeiterbewegung zwischen 1930 und 1936 in Deutschland (bis 1933), der Tschechoslowakei und Frankreich veröffentlicht worden waren, also zur selben Zeit, als sich in der Kommunistischen Internationale die Faschismus-Theorie entwickelte, die 1935 auf dem VII. Weltkongress beschlossen wurde und der die Einleitung von Kliem, Kammler und Griepenburg vorwirft, dass sie als „offiziöse“ „im Faschismus bis heute nichts anderes sieht als den Handlanger und Agenten der ‚reaktionärsten und chauvinistischsten Teile des Finanzkapitals‘“ (10). 1967 waren die Materialien des VII. Weltkongresses in der BRD noch nicht wiederaufgelegt worden, was der Verlag der 1968 zugelassenen DKP, Marxistische Blätter, 1971 aber besorgte, allerdings mit einer scharfen Kritik an Kühnls Verwendung des Begriffs „‚Agententheorie‘“ (Kühnl 1970, 275) als Indiz seiner Übernahme einer der fünf von Abendroth herausgegebenen Theorien, nämlich der August Thalheimers (VII. Weltkongreß 1971, 10). Neben den abgedruckten Texten der vier anderen marxistischen Theoretiker Otto Bauer, Herbert Marcuse, Arthur Rosenberg und Angelo Tasca gibt es noch den Verweis – in einer Fußnote der Einleitung – auf zwei unterschiedliche Richtungen „aus der deutschen Emigration“, zum einen Ernst Fraenkels „The Dual State“ und Franz L. Neumanns „Behemoth“ (beide 1941), zum anderen eine, von der ausdrücklich gesagt wird, dass ihre Arbeiten „die hier vorgelegten theoretischen Arbeiten – z.T. auf ihnen basierend – in wesentlichen Aspekten bestätigten, weiterentwickelten, ergänzten oder partiell korrigierten“, nämlich die sozialpsychologischen Bücher von Wilhelm Reich „Massenpsychologie des Faschismus“ (1933), Max Horkheimer „Studien über Autorität und Familie“ (1936), Erich Fromm „Die Furcht vor der Freiheit“ (1945) und Theodor W. Adorno „The Autoritarian Personality“ (1950) (Abendroth 1967, 17). Außer Abendroths Reader von Faschismus-Theorien, die soziologisch und sozialpsychologisch an Faschismus als ‚dauernder innerer Bedrohung der kapitalistischen Demokratien‘ interessiert waren, standen zwei weitere Bücher aus der Produktion der gewerkschaftseigenen Europäischen Verlagsanstalt in ihren „goldenen Jahren“ „(1965 – 1970)“ (Körner 1997, 151) auf der Leseliste der ASF für AuschwitzReisende, Erich Fromms sozialpsychologische Studie „Die Furcht vor der Freiheit“, die von 1966 bis 1977 neun unveränderte Auflagen erzielte und nach der Auflösung der EVA durch den DGB mit dem Wechsel bei zwei anderen Verlagen ins Taschenbuch, bei Ullstein das 27. und bei dtv das 67. Tausend erreichte, und Eberhard Schmidts von 1966 bis 1981 in acht Auflagen 20.000 Mal gedruckte Entsprechung zu Reinhard Kühnls ‚radikaldemokratischem Zwischenspiel‘ zwischen Weimar und Bonn: „Die verhinderte Neuordnung 1945 – 1952. Zur Auseinandersetzung um die Demokratisierung der Wirtschaft in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland“ (Schmidt 1969).
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1 Reinhard Lettau „Täglicher Faschismus“ Als ‚Diagnose‘ des „‚täglichen Faschismus‘“ in den USA stellte der Rowohlt Taschenbuch Verlag in einer Vorbemerkung „Zu diesem Buch“ 1973 das zwei Jahre zuvor bei Hanser ohne Genrebezeichnung erschienene Buch vor: „Täglicher Faschismus. Amerikanische Evidenz aus 6 Monaten“, und nannte den durch „subtilironische[…] Geschichten“ „bekannt“ gewordenen Reinhard Lettau nunmehr einen „politische[n] Sachbuchautor“ (Lettau 1973a, 2). Der hintere Klappentext benutzte für das Ergebnis der ‚Diagnose‘ den Begriff ‚Strukturen‘, die ‚aufgedeckt‘ würden: Lettau „deckt in diesem Buch mit ausgewählten Meldungen, Berichten und Kommentaren aus der amerikanischen Presse Strukturen des Faschismus in den USA auf. Die von ihm gesammelten Berichte über die Polizei, das Militär, die konservativen Universitäten dokumentieren eine Alltäglichkeit des lautlosen Terrors, die den Unterdrückungsmechanismen totalitärer Regime kaum nachsteht.“ (Lettau 1973a, Klappe hinten) Dieter Lattmann, damals Vorsitzender des 1969 gegründeten Verbands deutscher Schriftsteller VS, der Lettaus Buch für den „Kölner Stadtanzeiger“ rezensierte, sprach dagegen einerseits von „Themen“ wie „Unterdrückung der Studentenrevolte, Rassendiskriminierung […] und autoritär manipulierter Praktiken in einer sogenannten Demokratie“, andererseits von den „Gründe[n]“ des „diagnostiziert[en] […] ‚täglichen Faschismus‘“: „Brutalität, Stumpfsinn, Gleichgültigkeit gegenüber der Gewalt und dem Unrecht, die andere treffen, Haß auf Fremdes und jede Neuerung“ (Lattmann 1971). Er schloss mit der Aufforderung an die ZeitungsleserInnen: „man lese bei Lettau den Nachrichtenextrakt dieses Halbjahrs und fühle sich nicht zu weit vom Schuß“. Zeitgleich mit der Rowohlt-Taschenbuchausgabe erschien Lettaus „Täglicher Faschismus“ (1973b) auch als Reclam-Band in der DDR, obwohl der als Cheflektor des Hinstorff-Verlags einflussreiche Literaturkritiker Kurt Batt in „Sinn und Form“ in einem auch in der BRD erschienenen Essay² „die seit Ende der sechziger Jahre hervortretende Dokumentarprosa“ (Batt 1974b, 247) grundsätzlich scharf verurteilt hatte: weil „der Begriff des Dokumentarischen vor allem eine Metapher [ist] für die Abschaffung der epischen Distanz, die der Roman als ein Moment seiner Wahrheit braucht, weil er durch sie zu erkennen gibt, daß er nicht den Anspruch auf unmittelbare Wirklichkeit erhebt. Zieht man den Abstand des Erzählers zu seinem Gegenstand ein, so liquidiert man freilich auch die Subjektivität als wertende und ordnende
Der in den „Sinn und Form“-Heften 6/1972 und 2/1973 erstveröffentliche Essay Batts wurde vom Fischer-Verlag in einer – nach dem Vorbild von Hanser – 1970 außerhalb der Taschenbuch-Produktion angesiedelten „Reihe Fischer“ 1974 (Batt 1974c) herausgebracht. Die Rezension in der „FAZ“ schloss mit dem Vorwurf an die westdeutsche Kritik, dass „es bei uns Stimmen [gibt], bürgerliche Stimmen wohlgemerkt, die dieses Büchlein – und das ist als unheiteres Kuriosum festzuhalten – wie eine literarische Heilsbotschaft begrüßt haben. Kritische Ratlosigkeit, die jederzeit bereit ist, in Masochismus umzuschlagen – auch das allerdings gehört zum Bild unserer Literatur; und dieses Faktum stimmt nachdenklicher als alles, was der Kollege von drüben mit so viel tendenziösem Scharfsinn in uns hineininterpretiert.“ (Batt 1974a) Vgl. Schmidt 2014.
1 Reinhard Lettau „Täglicher Faschismus“
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Instanz und raubt ihr, in dialektischer Verschränkung, zugleich die Möglichkeit der Identifizierung mit dem Gegenstand oder der Figur“ (254). In „Täglicher Faschismus“ „will“ Lettau (in der einzigen Passage, wo der Begriff Faschismus benutzt wird) mittels seiner den zitierten „Nachrichten“: „über das Volk“, „von den Herrschenden“, „über den Krieg“ und „Recht & Ordnung“, „aus der Gesellschaft“ vorangestellten „Bemerkungen“ über „Gründe und Absichten dieser Arbeit“ (Lettau 1973a, 7) seine „aus der Beobachtung […] der amerikanischen Szene der letzten drei Jahre gewonnene These“ auf den Punkt bringen, „daß das System […] sich seit 1968 offensichtlich in einer Situation befindet oder zu befinden glaubt, in der es sich auch reformerische Eingriffe nicht mehr leisten kann“ (55): „Der den herankommenden Faschismus begleitende Dilettantismus bei den Herrschaftsverwaltern, ihre sachliche Inkompetenz, Ignoranz: das sind Aspekte, auf die ich hinweise, weil sie in mir bekannten Faschismusdiskussionen nicht erwähnt wurden. Sind sie so zu erklären, daß sich in dem Maße, in dem sich, was ja der Fall ist, die Optionen für das Weiterbestehen des Systems verringern – also nur wirklich tiefgreifende Veränderungen einerseits oder offener Terror andererseits das System überleben lassen –, daß also in diesem historischen Stadium dieses System notwendigerweise auch Leute befördert, die Optionen weder erkennen noch reflektieren könnten? Oder ist es reiner Zufall, daß der Faschismus historisch immer wieder Politiker von auffälliger Ignoranz, Nähe zum Analphabetismus präsentiert? Mangelnde Sachkunde, Inkompetenz: das sind ja nicht einfach anfängliche Begleiterscheinungen der noch unsicheren Handhabung der Macht durch eine rechte Administration, die großbürgerlichen ‚Stil‘, die List reformerischer Schauprojekte vermissen läßt. Vielmehr vermute ich, daß z. B. die Demontage der Bürgerrechte, die ja zum Faschismus hinführt, unvermeidlich durch personelle Veränderungen, also eine Personalpolitik eingeleitet werden muß, die dilettantisch ist – nicht nur, weil sie Nichtskönner nach oben spült. Womöglich wird dieser Dilettantismus lediglich beim Übergang zum Faschismus als solcher sichtbar. Der perfekte, einmal etablierte Faschismus ist dann permanenter, hinter die Kulissen verlegter Dilettantismus.“ (54/55) Lettaus ‚Bemerkungen‘ widersprechen der von Batt auch ausdrücklich an Lettaus „aus Zeitungsausschnitten“ „kompilierte[m]“ „AmerikaReport“ (Batt 1974d, 20) „Täglichem Faschismus“ in einem 1974 im Juli-Heft der „Neuen Deutschen Literatur“ erschienenen Aufsatz, „Revolte intern“ geübten, verschärften Kritik des Dokumentarismus als „Exekution des Erzählers“ fiktionaler Geschichten, als „Ausschaltung der literarischen Subjektivität, die wertend und urteilend in das vorgeführte Geschehen eingreift, die aber ein unverzichtbares Konstituens humanistischer Literatur bleibt, weil durch sie hindurch der die Dinge beherrschende und verändernde Wille der menschlichen Gattung und ihres jeweiligen geschichtlichen Subjekts spricht“ (Batt 1974d, 49). Denn in seiner zitierten ‚Bemerkung‘ ‚urteilt‘ und ‚wertet‘ Lettau das in den ‚Nachrichten‘ dokumentierte ‚Geschehen‘ durchaus mit einer auf seine Schriftsteller-‚Subjektivität‘ verweisenden Metapher für den Faschismus, die ihn als das Gegenteil dessen auffasst, was Schriftsteller sein könnten: Analphabetismus hat seinen Gegensatz im Alphabetisieren. So bestimmte Hans Magnus Enzensberger 1968 in seinem Beitrag zum „Kursbuch“ 15 die „triftige soziale Funktion“
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(Enzensberger 1981, 364) von Erika Runges Protokollen und Günter Wallraffs Reportagen, nämlich beizutragen zur „politische[n] Alphabetisierung Deutschlands“ (366). „Keiner […] ist […] so weit gegangen wie Reinhard Lettau – um der Dokumentation willen ganz auf Kunst zu verzichten“ (Lettau 1973b, 5), schreibt mit Blick auf die Verwendung von Zeitungsausschnitten in US-amerikanischen Romanen Walter Kaufmann, der im australischen Exil die Judenverfolgung überlebt hatte und 1955 in die DDR übersiedelte, in seiner aus dem Englischen übersetzten „Vorbemerkung“ zur Reclam-Ausgabe von Lettaus Buch. Aber trotz der Übereinstimmung mit Batt, dass Lettau „keine künstlerischen Ansprüche“ „erhebt“, fährt er auf die LeserInnen verallgemeinernd fort: „Dennoch entgeht man nicht der Gefühlsreaktion, die Kunst im günstigsten Fall hervorruft – wieder und wieder mußte ich über das Schicksal der Leute nachdenken, die aus den Seiten heraustreten. […] Was geht in einem Kriegsveteranen vor, der an der Kreuzung von Broadway und Manchester Boulevard in Los Angeles seine Trompete bläst? Der Schrei eines Schwarzen in der Wildnis Amerika!“ (5). Ihm hat Lettau sein Buch militant gewidmet: „Zum Andenken an/ Thomas Matthew Fox, der/ die Trompete mit/ dem Revolver vertauschte:/ zu früh, d. h./ allein“ (Lettau 1973a, 5; Lettau 1973b, 11). Trotz Kaufmanns teilweise scharf formulierter Kritik, dass Lettaus „soziologischer Vorstoß“ (Lettau 1973b, 19, vgl. schon 5) „zweifellos […] tiefer gegangen“ „wäre“, „wenn er die Auswahl seines Materials […] nicht ausschließlich auf die bürgerliche Presse gegründet hätte“ (9), dominiert in Kaufmanns „Vorbemerkung“ sein Rekurs auf eigene Erfahrungen in den USA, um solche „Ursachen des täglichen Faschismus zu enthüllen“, die Lettau „sich entschloß“, „auszuklammern“: den „‚sich verschärfenden Kampf der Arbeiter, Aktionen des Widerstands, den tapferen Kampf der unterdrückten Minderheiten, die Siege im Verteidigungskampf der von den Amerikanern überfallenen Völker der Erde‘“ (7, vgl. 28). Kaufmann bezieht sich vor allem auf die Bürgerrechts- und Friedensbewegungen der 1960er in den USA, die er abschließend zusammenfasst in „Angela Davis“, die „alle Gewalten des Faschismus auf sich zog, als sie, eine Kommunistin, offen gegen Rassismus und Krieg auftrat“ (8). Aber der Rückgriff auf das Bild des Vietnam-Veteranen mit der Trompete impliziert, dass wachsender ‚Widerstand‘ den im Klappentext „schleichenden“ (Klappe hinten) genannten Faschismus beschleunigen könne: „Es ist gut möglich, daß ein Mann wie Thomas Matthew Fox Bundesgenossen gefunden hat und nicht mehr seine einsame Trompete an einer Straßenecke in Los Angeles ertönen läßt. Wenn es dazu kommt, wird sich die Fratze des Faschismus, wie sie in Lettaus Sammlung gespiegelt wird, noch brutaler enthüllen.“ (7) Noch stärker in diese Richtung geht Kaufmanns abschließende Wendung an die DDR-LeserInnen, denen als Desillusionierung etwas aufgegeben wird, das aus der ‚Fratze‘ eines drohenden Faschismus einen hinter der Maske der Präsidialdemokratie bereits existierenden werden lässt: „In dem Maße, wie es Reinhard Lettau gelingt, das Wesen des amerikanischen Systems aufzudecken, dem Faschismus die Maske vom Gesicht zu reißen, erschüttert sein Buch die gefährlichen Illusionen über Amerika, die in unserem Land und anderen Ländern Europas oft noch viel zu wirksam sind.“ (9)
1 Reinhard Lettau „Täglicher Faschismus“
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Die Broschüre „Begegnung“ der ASF empfahl zur Vor- und Nachbereitung von Reisen nach Auschwitz nicht nur Bücher, sondern auch Zeitschriften zur Lektüre, aber für „die Weiterarbeit in unserer Gesellschaft“ auch, „die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen zu suchen“ (Erklärung 1972, 34). Die Liste zeigt, dass zwischen den Zeitschriften und den ‚Gruppen‘ in vier Fällen eine Beziehung bestand; so wurden die Zeitschriften „Begegnung mit Polen“ und „Stimmen und Begegnungen“ von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Düsseldorf herausgegeben (während die „Monatsschrift Polen“ und „Polens Gegenwart“ offizielle polnische Organe waren, zu deren Bezug (34) Ratschläge erteilt wurden), der „Pressedienst der Demokratischen Aktion“ und deren „Schriftenreihe“ von dem gleichnamigen Münchener „Zusammenschluß von Gruppen und Personen, welche[r] alle Erscheinungsformen von Neonazismus bekämpft“ (35), den 1968 der ehemalige österreichische Kommunist Kurt Hirsch gegründet hatte, der Sozialdemokrat geworden war, aber 1960 „Die Blutlinie. Ein Beitrag zur Geschichte des Antikommunismus in Deutschland“ im Röderberg-Verlag veröffentlichte, der als „Partner“³ der gerade akut vom Verbot bedrohten VVN in „kameradschaftliche[r] Kooperation“⁴ verbunden war, als am 20. Oktober 1959 der Bundesinnenminister Gerhard Schröder beim Bundesverwaltungsgericht die „Feststellung der ‚Verfassungswidrigkeit‘ der VVN“ beantragt hatte, weil sie ‚mindestens seit 1950 organisatorisch und personell von der SED/KPD gesteuert‘ werde“ (Schneider 1997, 70). 1962 vertagte sich das BVG mit einer am 5. Dezember gegebenen Begründung, die von der „Bundesregierung“ eine „‚Abwägung verlangt, ob gegen eine Organisation von Verfolgten ein Verbot mit der damit untrennbar verbundenen Strafsanktion erlassen werden darf‘“ (79), um danach das Verfahren nie wieder aufzunehmen. Doch in der Zeitschriften- und Gruppenliste der Broschüre der ASF von 1972 werden zwar die im Röderberg-Verlag seit 1950 erscheinende „antifaschistische Wochenzeitung“ und die beiden ersten der seit 1971 von ihm herausgegebenen „Antifaschistischen Arbeitshefte“ genannt (in deren Abteilung „Demokratische Lehrinhalte“ (30 Jahre 1980, 44) 1976 Axel Böings „Auschwitz. Unterrichtseinheit für den Schulgebrauch. Erprobt im Deutschunterricht einer 10. Hauptschulklasse“ erschien),⁵ aber die VVN fehlt unter den zur Zusammenarbeit empfohlenen Gruppen, zu denen außer den bereits genannten noch einige gehören, von denen keine Publikationsorgane genannt werden: die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die Pax Christi-Bewegung, die Deutsche Friedensgesellschaft (gegründet 1892 als erste pazifistische Organisation in Deutschland), die sich 1968 sowohl mit der Internationale der Kriegsdienstgegner als auch 1974 mit dem 1958 gegründeten Verband der Kriegsdienstgegner zusammenschloss, und die aus der Ostermarschbewe-
Diesen Begriff benutzt der Präsident der VVN Josef Rossaint für das Verhältnis in 30 Jahre 1980, 13. So formuliert für den Verlag Max Oppenheimer in 30 Jahre 1980, 15. Böing hatte 1969 vier Monate ASF-Gruppen in Auschwitz betreut, war 1976 Mitglied des Vorstands (Böing 1976, 3) und berichtete 1988 als Gymnasiallehrer in der Zeitschrift der Westberliner GEW über das Scheitern einer Reise nach Auschwitz am Widerstand der GymnasiastInnen, an deren vorherrschender „reaktion“: „alles, was zum osten gehört, finde ich bescheuert.“ (Böing 1988, 10)
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gung hervorgegangene Kampagne für Demokratie und Abrüstung (vgl. Peitsch 2017, 58). Ein Grund für das Fehlen der VVN auf der Liste der von ASF zur Zusammenarbeit empfohlenen Gruppen im Jahr 1972 liegt vermutlich darin, dass 1972 in Ulrich Schneiders Geschichte der VVN nicht nur unter der Überschrift „Die Ostverträge werden ratifiziert“ (Schneider 1997, 110) steht, sondern auch unter: „Das Jahr der Berufverbote“ (112). Eins der ersten Opfer war die Hamburger Lehrerin Ilse Jacob, der die Verbeamtung auf Lebenszeit verweigert wurde, weil ihr vom Verfassungsschutz u. a. vorgeworfen wurde: „8.-9.4.1961: J. nimmt als Delegierte am Bundeskongreß der VVN in Stuttgart teil […] – August 1969: J. ist Erstunterzeichner eines Aufrufes der Demokratischen Aktion für eine Anti-NPD-Kundgebung“ (111).Weil sie die Tochter des kommunistischen Widerstandskämpfer Franz Jacob war, der sich am 22. Juni 1944 mit den Sozialdemokraten im Kreisauer Kreis des 20. Juli Julius Leber und Adolf Reichwein getroffen hatte und wie sie verraten worden war, kam es gerade in lokalen Hamburger Medien zu einer so „außerordentlich breit[en]“ „Solidarität“, dass der Senat einlenkte (111).⁶ Ilse Jacob hatte auch zu den AdressatInnen von Franz Jacobs letztem Brief gehört, der aus der Anthologie „Erkämpft das Menschenrecht“ sowohl in die ReclamAusgabe (Lebenden 1959, 132) als auch in die zwei Bände „Deutsche Widerstandskämpfer“ (1970, I, 454) übernommen worden war. Jacob schreibt im letzten Brief seiner Frau Käthe: „Dir danke ich für die schönsten Stunden. Einen Kuß unseren Kindern. Grüße auch meine liebe Mutter. Dein Franz.“ (An die Lebenden 1959, 132)⁷
2 Der Kongress „Friede mit Polen“ 1971 in Frankfurt am Main Einige der 1972 in der Broschüre „Begegnung“ als zusammenarbeitend aufgeführten Gruppen gehörten 1971 zu den „Trägerorganisationen des Kongresses“ „Friede mit Polen“ oder waren durch Mitglieder in dessen „Vorbereitungsausschuß“ vertreten (Dohrmann/Würmell 1971, 131/132), auch wenn die Wochenzeitung der CSU „Bayernkurier“ berichtete, dass er „weitgehend vom Einfluß ‚kommunistischer Altfunktionäre‘ […] abhängig gewesen sei“ (128). Unter den vertretenen Organisationen fehlte aber Pax Christi, auf die einer der polnischen Referenten, der katholische Sejm-Abgeordnete und Generalsekretär der Christlichen Friedenskonferenz Warszawa in der Arbeitsgruppe „der katholische Beitrag zum Frieden“, wegen ihrer im November 1970 erklärten Unterstützung des Moskauer Vertrages (50) ebenso positiv einging wie auf die Denkschrift des Bensberger Kreises katholischer Intellektueller vom März 1968
Vgl. Jäger 2019, 266 – 271, zur Solidaritätskampagne u. a. durch Verwendung des „bekannten Ausspruchs des Pfarrers Martin Niemöller“ „‚Als sie die Kommunisten holten…‘“ (266), des „Zitat[s] von Thomas Mann, der Antikommunismus sei die ‚Grundtorheit unserer Epoche‘“ (269), und einen „Konkret“-Artikel „‚Die neuen Juden‘ oder das Kartell der Angstmacher“ (268). Die Hamburgerin Ursel Hochmuth (1959, 179) entschied sich in ihrer unter dem Pseudonym Ursula Puls in der DDR publizierten Darstellung „Die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe“ für frühere Briefe Jacobs, die „man als sein Vermächtnis an die deutsche Arbeiterklasse betrachten“ „kann“.
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„Lux in tenebris lucet“ (51), als er das immer noch andauernde Ausbleiben der Annahme der Einladung der polnischen katholischen Bischöfe von Seiten ihrer deutschen Amtsbrüder kritisierte. Kardinal Döpfner schrieb am 14. Dezember 1970, eine Woche nach Brandts ‚Kniefall‘, an den polnischen Primas Wyszynski: „Die deutschen Bischöfe dürften sich ‚nicht in konkrete politische Auseinandersetzungen hineinziehen lassen, zumal die Ostpolitik unter den deutschen Katholiken umstritten sei.“ (Zurek 2005, 155) Dagegen waren schon im April 1970 sieben Mitglieder des Bensberger Kreises einer Einladung von Znak zu einer Reise nach Polen gefolgt, und sieben Mitglieder des Pax Christi-Präsidium folgten einer solchen, die auch nach Auschwitz führte (157),⁸ dessen Museum auf dem Kongress „Friede mit Polen“ durch die Direktoren Smolen und Szymanski und die Direktorin Sadowska des Warschauer Büros des IAK vertreten war (Dohrmann/Würmell 1971,130). Auf der anderen Seite aber waren auf dem Frankfurter Kongress die Jugendorganisationen von Gewerkschaften und Parteien vertreten, die nicht auf der Liste von ASF standen: die Jugend der DAG, des Deutschen Beamtenbunds, der SPD (Jungsozialisten und Falken) und der FDP sowie eine katholische Studentengruppe, die Katholische Deutsche Studenteneinigung (131). „Der Kongreß ‚Friede mit Polen‘ wurde von der Jugend in der BRD geplant und durchgeführt“ (7), ist der erste Satz der Einleitung „Wie kam es zum Kongreß […]?“ von Rudolf Dohrmann für den Band mit Referaten und Berichten der Arbeitsgruppen. Er beantwortet die Frage, indem er diese Jugend in vierfacher Hinsicht charakterisiert und den Ort nennt, wo die „Idee“ zum Kongress „entstand“: Diese BRD-Jugend sei eine, „die in den vergangenen Jahren durch vielfache Begegnungen mit Polen – Land und Leuten – ein eigenes Urteil gewonnen hat“, „sich nicht mehr in Flüchtlinge und Einheimische auseinanderdividieren läßt“, „sich keine antikommunistischen Scheuklappen aufsetzen läßt“ und „in den Bestrebungen der Regierung Brandt/Scheel, durch den Vertrag von Warschau einen Anfang neuer, tragfähiger Beziehungen zu Polen zu machen, zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte die Chance sieht, sich stärker als bisher mit diesem Staat zu identifizieren“ (7): „Es ist weder ein Zufall, daß diese Idee einen Tag nach ausführlichen Gesprächen mit ehemaligen KZlern in Auschwitz, noch, daß sie im Kreise evangelischer Christen aus der BRD entstand.“ (7) Für die „vorwiegend“ jugendlichen 900 TeilnehmerInnen sei die in der Einladung formulierte „‚notwendige[…] Anerkennung der Grenze im völkerrechtlichen Sinne‘“ „‚als ein Ergebnis des von Deutschland verursachten Zweiten Weltkrieges‘“ der „Ausgangspunkt“ gewesen für einen „Versuch, friedliche Koexistenz auf Zukunft hin zu üben“, „eine politische Aufgabe von Generationen“ (7), aber Dohrmann erwähnt auch, dass eine „Restsumme“ der überwiegend von den 13 Trägern bezahlten Kosten des Kongresses von „Bundesregierung und evangelische[n] Organisationen“ kam (7):
Vgl. die vom Wroclawer Erzbischof Kominek vorbereitete Ansprache für eine österreichische und westdeutsche Delegation, die 1972 „innerhalb der Pax Christi veröffentlicht“ (de Schmidt 1975, 148) wurde.
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„Wer […] an einer Friedensordnung in Europa mitarbeiten will, ist aufgerufen, an diesem Kongreß teilzunehmen.“ (8) Das Präsidiumsmitglied der VVN Josef Rossaint referierte in der Arbeitsgruppe 6 „NS-Verbrechen in Polen – unbekannt und ungesühnt – unsere Aufgabe an den Überlebenden“ (87). Wenn er von der „Vernichtung des polnischen Staates und des polnischen Volkes“ als „Ziel d[..]es Überfalls“ vom 1. September 1939, der „Eroberung von ‚Lebensraum‘“ und „Germanisierung des Ostens“ (96) spricht, zitiert er wiederholt Reinhard Henkys’ bereits erörterte Dokumentation „Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen“ (1964) und Helmut Krausnicks am IfZ erstattetes Gutachten zur „Judenverfolgung“ für den Frankfurter Auschwitz-Prozess (1965) (Dohrmann/Würmell 1971, 96, 100, 101) und betont zum „traurigen Höhepunkt“, den „die Ausrottungspolitik in der fabrik- und planmäßig organisierten Ermordung der Juden“ „erreichte“, auch die Bedeutung der Wehrmacht für das Morden der „Einsatzgruppen“ (101), zunächst in Polen, dann in der Sowjetunion. Der mit der VVN verbundene Röderberg-Verlag, der erst 1955 begann, neben der Zeitung „Die Tat“ auch Bücher zu drucken, wenn auch zunächst nur einen bis drei Titel im Jahr, hatte bis zum Ende der 1960er Jahre vor allem Überblicke oder Gesamtdarstellungen von politischer, religiöser und rassistischer Verfolgung durch den Faschismus gedruckt, darunter schon im ersten Jahr 1955 ein Buch, das nicht nur Dokumente, sondern auch Fotos enthielt, Lord Russell of Liverpools „Geißel der Menschheit. Kurze Geschichte der Nazikriegsverbrechen“. Ihm folgten 1957 Reimund Schnabels „Macht ohne Moral. Eine Dokumentation über die SS“, 1958 in einer erweiterten Auflage, 1961 die vom Jüdischen Historischen Institut in Warschau herausgegebene „Dokumentation über Ausrottung und Widerstand der Juden in Polen während des zweiten Weltkrieges“ mit dem Titel „Faschismus – Getto – Massenmord“, die wie Russells Buch eine Lizenz aus der DDR war. Im Jahr des Erscheinens der von der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) herausgebenen „Anthologie europäischer Poesie und Prosa“ „Literatur und Widerstand“ startete der Röderberg-Verlag eine eigene Reihe „Bibliothek des Widerstandes“ mit gleich fünf Titeln, über Widerstand in Stuttgart, Hamburg und Mannheim, die Weiße Rose und HelferInnen von rassistisch Verfolgten (30 Jahre 1980, 30); auch in den folgenden Jahren blieb es bei durchschnittlich drei Neuerscheinungen, so dass sich der Verlag 1980 in einer Selbstdarstellung bescheinigte, dass es „gelang […], die bis dahin dominierenden, nahezu ausschließlich auf den 20. Juli konzentrierten Darstellungen des Widerstandes entscheidend zu korrigieren. Ein wichtiges Kapitel deutscher Geschichte wurde und wird damit neu geschrieben.“ (31) Mit der Verwirklichung dieses Programms durch die „überwiegend von Beteiligten und Augenzeugen erarbeiteten Darstellungen der Breite und Vielfalt des von Anfang an geleisteten Widerstandes“ (31) griff der Verlag eine Initiative auf, die auf die Konferenz im Februar 1967 in Frankfurt am Main zurückging, die zu „Probleme[n] des Widerstandes und der Verfolgung im Dritten Reich im Spiegel der Schulbücher und des Unterrichts“ (Weick 1967, 7) „von Pädagogen, Wissenschaftlern, Vertretern der politischen Bildung sowie ehemaligen Widerstandskämpfern der Nazidiktatur einberufen“ worden war und an
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der „vor allem Pädagogen, Schulbuchautoren und Verleger sowie Mitglieder der Verfolgtenverbände teil[nahmen]“ (9). Aus der Konferenz ging nicht nur der heute noch existierende Studienkreis Deutscher Widerstand hervor, gegründet als Studienkreis zur Erforschung und Vermittlung der Geschichte des deutschen Widerstandes 1933 – 1945, sondern es kam auf ihr auch erstmals zu einem Treffen von „Widerstandskämpfer[n] und Forscher[n] aus West und Ost“ (Tuchel 2017, 5).⁹ Auch wenn der Vortrag von Hans Mommsen, „Formen des Widerstandes gegen das NS-Regime unter besonderer Berücksichtigung des 20. Juli 1944“ in dem „Berichterstattung“ genannten Band von Edgar Weick nur nach dem Bericht der „Hessischen Lehrerzeitung“ wiedergegeben werden konnte (Weick 1967, 75; vgl. Mommsen 1966),¹⁰ blieb der Gegensatz zu der von den beiden „herzlich“ begrüßten (Weick 1967, 11) DDR-Historikern vertretenen Position deutlich: „Das Hauptproblem aller Widerstandsgruppen – mit Ausnahme der Kommunisten – war das Fehlen einer politischen Alternative zum Nationalsozialismus. […] Doch war man bereit, sich mit ‚deutschen‘, also nicht von Moskau abhängigen Kommunisten zu verbünden und eine allgemeine Freiheitsbewegung zu bilden. Aber die inneren Gegensätze ließen keine Gemeinsamkeit erlangen“ (75). Der Buchenwald-Überlebende Walter Bartel von der Humboldt-Universität und Karl Heinz Jahnke von der Ernst Moritz Arndt-Universität Greifswald waren 1965 in einer vom IML erstellten Bibliographie seit 1960 erschienener „Historiographie der DDR über den deutschen antifaschistischen Widerstandskampf in den Jahren 1933 bis 1945“ jeweils „an erster Stelle“ genannt worden, wo es um den Widerstand in Konzentrationslagern (Historiographie 1965, 39) und um den Anteil der Jugend am Widerstand ging (34/35). Die „Einleitung“ der kommentierten Bibliographie hatte – im Unterschied zu Mommsens Frankfurter Konferenzbeitrag die ‚Gemeinsamkeit‘ im Widerstand betont: „Die deutsche Widerstandsbewegung gegen Hitler vereinigte Menschen aus allen Klassen und Schichten des deutschen Volkes. Zu ihr gehörten Kommunisten und Sozialdemokraten, wahrhafte Humanisten, echte Demokraten und Christen, Pazifisten und nationaldenkende Militärs. Sie unterschieden sich in ihren Motiven, die sie zum Widerstand veranlaßten, und dementsprechend in ihren Vorstellungen, auf welchem Wege das faschistische Herrschaftssystem zu beseitigen war. Aber dessen ungeachtet bestand in einem unbedingte Übereinstimmung: Der von Hitlerdeutschland geplante barbarische Krieg mit all seinen grauenhaften Folgen für die Völker Europas und das eigene Volk mußte verhindert und nach seiner Entfesselung sofort beendet […] werden.“ (7) Bevor auch diejenigen, die „wegen ihrer politischen Überzeugung, ihres humanistischen Bekenntnisses, ihrer religiösen Auffassung oder ihrer rassischen Abstammung […] ermordet worden sind“, in „die deutsche Antihitlerkoalition“ einbezogen werden, die „ein untrennbarer Bestandteil der weltweiten Anti Tuchel datiert es fälschlich auf die Eröffnung des Archivs des Studienkreises 1977 (Tuchel 2017, 5); vgl. aber Ernst 2018, 336. Vgl. Winckler (1972, 50 Anm. 95) zur Kritik an Mommsens Begriff vom ‚reinen Aufstand des Gewissens‘, der „‚die alten Parteidoktrinen transzendierte […] zwischen westlicher Formaldemokratie und östlichem Totalitarismus […] hindurch‘“.
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hitlerkoalition war“ (8), listet die „Einleitung“ „unvergeßliche Helden aus allen weltanschaulichen und politischen Richtungen des Volkes“: „Die Namen des Kommunisten Ernst Thälmann, des Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid, des Pfarrers Paul Schneider, der Studenten Hans und Sophie Scholl und des Offiziers Claus Graf Schenk von Stauffenberg wurden zum Symbol der Moral und Ethik des deutschen Widerstandskampfes.“ (7/8) Die von diesen Namen repräsentierten Richtungen werden auch in der „Schlußbemerkung“ der „Einleitung“ aufgeführt, wenn „[e]ine der vornehmsten Aufgaben der Geschichtswissenschaft der DDR“ bestimmt wird: „noch umfassender als bisher die ganze Kompliziertheit und Vielfalt des antifaschistischen Kampfes zu erforschen und dabei die Beteiligung von Hitlergegnern aus allen Klassen und Schichten des deutschen Volkes, ihre politischen Ziele und ethischen Motive zu zeigen“ (46). Im Jahr des Erscheinens der DDR-Bibliographie publizierte die Friedrich-EbertStiftung hektographiert die Beiträge einer Tagung zu „Stand und Problematik der Erforschung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus“. Keins der sechs den Widerstand und nicht primär Zeitgeschichte und politische Bildung thematisierenden Referate behandelte den in Deutschland geleisteten Widerstand aus der Arbeiterbewegung; referiert wurde über den „Anteil der Juden am Widerstand in Deutschland“ (Stand 1965, 113) und von „deutsche[n] Intellektuelle[n]“ (39), über die „Emigration“ von Journalisten in die Tschechoslowakei (61) und von Eisenbahngewerkschaftern nach Frankreich (144). Insofern entspricht die FES-Tagung nur bedingt einer Berufung der IML-Bibliographen auf „Vertreter[…] der westdeutschen Öffentlichkeit“, nämlich auf die „Forderung zahlreicher westdeutscher Historiker, Publizisten und interessierter Kreise der Gewerkschaftsbewegung, daß es an der Zeit sei, in der deutschen Bundesrepublik dem Widerstandskampf der Arbeiterklasse, der mit dem ersten Tag der Hitlerdiktatur einsetzte und der keine Minute eingestellt wurde, den ihm zustehenden Platz einzuräumen […] und darum [zu] ringen, daß aus der zwölfjährigen nazistischen Gewaltherrschaft die Lehren gezogen werden“ (Historiographie 1965, 9), „damit […] in Europa weder in unserer Zeit noch in der Zukunft ein Krieg vom deutschen Boden ausgeht“ (10).¹¹ Auf einen der Referenten der Frankfurter Tagung von 1967, die ursprünglich ohne Bezug auf die historische Forschung einberufen worden war als eine über „Probleme des Widerstandes und der Verfolgung im Dritten Reich im Spiegel der Schulbücher und des Unterrichts“, traf allerdings die zitierte Berufung der IML-Bibliographen zu: „Die illegale Arbeiterbewegung war die einzige Widerstandsbewegung der ersten Stunde, sie war bis zur letzten Stunde die einzige politische Widerstandsbewegung, die faschistischem und autoritärem Denken zu keiner Stunde irgendwelche Konzessionen gemacht hat“ (Weick 1967, 95), fasste Wolfgang Abendroth seinen Vortrag „Der Die Prägung dieser hier, 1965, erstmals in den untersuchten Quellen gefundenen Wendung wird nicht nur von Wikipedia, sondern auch von Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch in ihrem „Appell zum 1. September“ 2019 Willy Brandt zugeschrieben: „Wir sagen mit dem Friedensnobelpreisträger Willy Brandt: ‚Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.‘“
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Widerstand der Arbeiterbewegung“ bündig zusammen. Doch er verband diese Feststellung mit einer Kritik an den „ideologischen Schranken“ der Widerstandsforschung in der DDR, die „jede Kritik an den jeweiligen Führungsgruppen der KPD unmöglich gemacht und die Erforschung der nichtkommunistischen Gruppen behindert“ (95) haben.¹² Während zwei Jahre nach der Tagung der britische Historiker Geoffrey Barraclough in der „Neuen Rundschau“ die Frage: „Wer leistete Hitler Widerstand?“, ähnlich wie Abendroth beantwortete: „die einzige deutsche Bevölkerungsschicht, die sich vom Nazismus nicht hatte blenden lassen“, seien „die Angehörigen der Arbeiterklasse“ gewesen (Barraclough 1969, 522), kritisierte drei Jahre später im „Archiv für Sozialgeschichte“ der FES Arnold Sywottek die legitimatorische Funktion der Forschung zum 20. Juli in der BRD und auch die zur Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe in der DDR, nämlich ähnlich wie Abendroth: „Kennzeichnend ist die historisierende Einordnung, die […] den Widerstand der Arbeiterbewegung als Teil einer globalen, nicht primär auf ein konkretes nationales Herrschaftssystem bezogenen Auseinandersetzung zwischen sozioökonomisch bestimmten Kräften und Bewegungen begreift. […] Entscheidend ist, daß nicht die einzelne Widerstandsaktion im Hinblick auf ihre Effektivität im konkreten politisch-historischen Prozeß untersucht wird, sondern auf ihre Vereinbarkeit mit der als ‚Wesen‘ des Widerstands erkannten, sich lediglich in einzelnen Ereignissen äußernden Abstraktion des welthistorischen Entwicklungsgesetzes hin analysiert wird. Dies wäre im Sinne einer marxistischen Hermeneutik durchaus vertretbar, wenn nicht zugleich die sowjetische Politik und damit die der KPD-Führung als direkte Konkretisierung dieser Gesetzmäßigkeit und damit als ihr Maßstab ausgegeben würden. Die Geschichtsschreibung dient auf diese Weise der historisch-politischen Legitimation des von der KPdSU-Führung gesteuerten organisierten Kommunismus.“ (Sywottek 1972, 575/576)¹³ Die Frankfurter Tagung wählte 1967 den – wie Abendroth 1961 aus der SPD wegen Mitgliedschaft in der SDS-Förderergesellschaft ausgeschlossenen (Abendroth 1976, 253) – Pädagogen Heinz-Joachim Heydorn zum Vorsitzenden des Studienkreises. In seinen „Vorbemerkungen zur Schulbuchkonferenz“ geht Heydorn weder auf Unterrichtsmaterial noch auf geschichtswissenschaftliche Forschung ein, sondern plädiert für eine Bildung „zur kritischen Selbstvergegenwärtigung“ (Weick 1967, 21) „mit den Mitteln kritischer Bewußtmachung“ (19). Dabei macht er zwei Voraussetzungen zum Selbst, erstens: „Jedes Volk braucht eine Übereinstimmung mit sich selbst; dies gilt vor allem für seine nachwachsende Generation“ (20), zweitens sei „eine Möglichkeit offen[zu]halten, menschliche Verhältnisse zu verändern“ (23). Einerseits besteht Heydorn auf der Rationalität der Analyse der historisch-gesellschaftlichen Bedingungen, andererseits auf der „Möglichkeit einer positiven Identifikation“ mit Deut Zu der „mehrfache[n] geschichtspolitische[n] Frontstellung“ der von Abendroth am Marburger Institut für Wissenschaftliche Politik seit Mitte der 1950er Jahr geförderten „Erforschung des Widerstands […] in seiner ganzen Breite“ vgl. Heigl 2008, 270. In einer Fußnote erwähnt Sywottek (1972, 576) „den zwei Repräsentativbänden“ „entnommen[e]“ letzte Briefe von hingerichteten Mitgliedern der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe.
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schen als Menschen, „mit deren Lage und Herkunft sich jeder identifizieren kann“ (22), so dass sich „eine nüchterne Analyse der geschichtlichen Bedingungen“ ergebe, „durch die die moralische Verantwortung des einzelnen zwar nicht negiert, wohl aber in Grenzen gehalten wird, die seine Handlungsfähigkeit für eine menschlichere Zukunft einschließt“ (21). Eingeleitet aber hat Heydorn sein Plädoyer mit einer Abgrenzung: „Wird das Dritte Reich nur zur Geschichte der Gaskammern, einer immer nur vorläufig erfaßten Geschichte beispielloser Verbrechen, dann wird es zum Ausdruck einer ungeheuren Determination, aus der sich niemand freimachen kann, mit der alle zukünftige deutsche Wirklichkeit verhängt würde. Eine umgekehrte Rassentheorie würde entstehen, in der die konstanten Faktoren das Veränderbare und zu Verändernde hoffnungslos überwältigen.“ (20) Eine ähnliche Abgrenzung nimmt Heydorns Vorredner vor, der ehemalige katholische Kaplan und spätere Präsident der VVN Josef C. Rossaint, als er „Sinn und Wert der Vermittlung der Geschichte des Widerstandes“ (13) bestimmt: „Der tiefe Sturz Deutschlands weist auf Möglichkeiten seiner Höherentwicklung hin. Um diesen Weg zu gehen, genügt es aber nicht, den Abgrund nur als Unmenschlichkeit, verbunden mit dem Protest des Abscheus […] zu sehen […]. Allzuleicht versinkt man dann vielleicht sogar in den lähmenden Gedanken, ein Auschwitz sei halt immer wieder möglich.“ (17) Rossaint, der als einziger Referent letzte Worte hingerichteter WiderstandskämpferInnen zitiert, so Mildred Harnacks „‚Und ich habe Deutschland so geliebt‘“ (17, vgl. 15), setzt dem lähmenden Blick in den Abgrund Auschwitz den Ausblick in die Höhe entgegen: „So […] bietet der Widerstand nicht nur vorbildhaft ein edles menschliches Beispiel, er stellt zugleich den schmalen und einzigen Weg dar, der aus dem Trümmerfeld der versinkenden Epoche in die Freiheit der Zukunft führt. Es waren die Vorkämpfer des Widerstandes, die den deutschen Namen sauber hielten.“ (16) Deshalb betont er noch stärker als Heydorn, der hervorhebt, dass vom Widerstand „inmitten des Dunkels eine humane Fortsetzung der deutschen Geschichte gesichert blieb“ (20), die Gemeinsamkeit des Widerstands: Angesichts der „Tatsache, daß der Widerstand in jener unheilvollen geschichtlichen Zeitepoche wirkte und sich bemühte, die Hoffnung von Millionen Menschen zu realisieren […,] spielt es keine Rolle, aus welchen Motiven der Widerstand geleistet wurde, und ebenso nebensächlich scheint es mir zu sein, wo, in welcher Organisation oder Partei heute ein Widerstandskämpfer steht. Denn sie alle sind durch das Gemeinsame von damals und die Verantwortung für das Heute und Morgen verbunden.“ (13) Die Abgrenzung Heydorns und Rossaints von einer auf die Gaskammern von Auschwitz konzentrierten Vermittlung der deutschen Geschichte unter dem Faschismus steht in irritierender Übereinstimmung mit dem Befund, den der zum Sekretär des Studienkreises Deutscher Widerstand gewählte Herausgeber des Tagungsbandes Edgar Weick zur „Widerspiegelung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in den Schulbüchern der Bundesrepublik“ (123) referierte. 27 von 28 untersuchten Geschichtsbüchern, die zwischen 1956 und 1964 von sechs Verlagen (Bayrischer Schulbuch-Verlag, Diesterweg, Klett, Kösel, Schöningh-Schroedel, Westermann) herausgebracht wurden, behandelten ausschließlich den Widerstand der Kirchen, der
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Geschwister Scholl und des 20. Juli. Die Ausnahme war das von der Mitarbeiterin der Hessischen Landeszentrale für Heimatdienst Hannah Vogt 1961 bei Diesterweg veröffentlichte Buch „Schuld oder Verhängnis? Zwölf Fragen an Deutschlands jüngste Vergangenheit“, das bis 1968 sieben Auflagen erreichte. Es war nicht nur das einzige Schulbuch, in dem der kommunistische Widerstand erwähnt wurde, sondern auch das einzige, in dem Konzentrationslager thematisiert wurden. Beides geschieht in den vorletzten der zwölf Kapitel des Buchs zu den Fragen: „X. Was geschah mit unseren jüdischen Mitbürgern?“ (Vogt 1968, 175 – 192), „XI. Gab es ein Recht zum Widerstand?“ (193 – 213) Auschwitz wird in Vogts Antwort auf die erste Frage nur einmal genannt, zusammen mit „Vernichtungslagern Auschwitz, Maidanek und Treblinka“, aber in einer Bildunterschrift für die jungen Adressaten kommentiert: „Manche Menschen weigern sich heute, diese entsetzlichen Dinge zur Kenntnis zu nehmen. Aber dürfen wir so feige sein, nicht einmal in der Vorstellung das mitleiden zu wollen, was Menschen von Fleisch und Blut, Menschen wie Du und ich, in der durch nichts gemilderten Wirklichkeit erleiden mußten?“ (189) Die Aufforderung zur sich identifizierenden Betrachtung steht unter einem Foto, das mit erhobenen Händen eine Frau und einen kleinen Jungen vor der Maschinenpistole eines deutschen Soldaten bei der Räumung des Ghettos von Warschau zeigt. In Gerhard Schoenberners „Der gelbe Stern“ ist dieses Foto¹⁴ das einzige ohne Bildunterschrift (Schoenberner 1978, 172/173) in einer Folge von Fotos zum Ghettoaufstand, die unter der Überschrift „Widerstand“ ein Kapitel des Buchs bilden und alle aus dem Jüdischen Historischen Institut Warschau stammen (222).¹⁵ Vogt schließt an die Betrachtung des Fotos zwei Absätze unter der imperativischen Überschrift: „Gedenkt der Opfer!“ (Vogt 1968, 192) an, deren letzter im inklusiven Wir lautet: „Wir dürfen zu all dem Unrecht, das in unserem Namen verübt wurde, nun nicht noch das Unrecht des Vergessens hinzufügen. Noch trauern Angehörige um diese Toten, und schon sollen sie vergessen werden, weil sie uns als Schatten der Vergangenheit peinlich sind? Wir können hier nicht wiedergutmachen. Aber wir können das Gedächtnis der Opfer bewahren. Das ist die heilige Pflicht, die uns die Schuld an unseren jüdischen Mitbürgern auferlegt.“ (192)¹⁶ Diese religiöse Auffassung von Schuld lässt Vogt, bevor sie in ihrer Antwort auf die Frage nach dem Recht auf Widerstand (193 – 213) den kommunistischen erwähnt, „zuerst“ „[d]as Nein der Kirche“ darlegen, mit der – vom tatsächlichen Verhalten der
Vgl. die Abbildung in Knoch 2001, 958, im Anhang unter der Überschrift „Sprechender Blick“. Vogt weist das von ihr gewählte Foto unter Ullstein Bilderdienst nach (Vogt 1968, 247).Vgl. das Foto auch in Günter Olzogs 1960 erschienener „Zeitgeschichte in Bildern und Zahlen“ als Nr. „75. Den Fronttruppen folgten Kommandos des SD (Sicherheitsdienstes), die das ‚Judenprogramm‘ – die Ausrottung – bestialisch in Rußland und Polen verwirklichten.“ (Olzog 1960, ohne Seitenzählung). Den ersten und die beiden letzten Sätze zitiert Dieter K. Buse (2010, 94) in seinem Beitrag über die Landeszentralen für politische Bildung als noch heute fortgesetze „vision“ („continues to be realised“) aus der englischen Übersetzung von Vogts Buch „The Burden of Guilt: A Short History of Germany, 1914– 1945“, die 1964 mit einem Vorwort von Gordon C. Craig in New York erschien.
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Kirchen absehenden – Begründung, dass „die Befehle des Staates mit einem höheren Auftrag in Widerspruch traten“ (194). Dagegen erscheinen die Kommunisten als „große Gruppe, die vom ersten Tage der Hitlerherrschaft an in den Widerstand getrieben“ worden sei, aber wegen der „Lenkung Moskaus“ und ihres „Ziel[s]“, das als „der Ersatz einer Diktatur durch eine andere“ (196) gefasst wird, nicht zu der „umfassenderen deutschen Widerstandsbewegung“ (198) gehöre, obwohl es in der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe „einige von sehr selbständigem Charakter“ gegeben habe (196). Die religiöse Auffassung von Schuld bestimmt auch Vogts Begriff des ‚umfassenderen deutschen Widerstands‘ darin, „daß […] der Sinn sich im Opfer selbst erfüllte“ (198). Als ‚Kreise‘ eines solchen Widerstands, für den Vogt den damaligen Bundestagspräsidenten Gerstenmaier zitiert: „Um Schmach abzuwaschen und um Schande zu löschen, gaben diese Männer ihr Leben zur Sühne“ (212), werden außer den Geschwistern Scholl nur in den 20. Juli einbezogene Gruppen genannt: die „Sozialisten“ Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Wilhelm Leuschner, Adolf Reichwein und Julius Leber (198/199), der Kreisauer (199 – 200) und Carl Goerdelers Kreis (201– 203), „die führenden Köpfe des Heeres“ (204– 206) und – besonders ausführlich auf 7 von 21 Seiten des Kapitels – Claus Schenk Graf von Stauffenberg (206 – 213). Letzte Worte werden nur von Julius Leber zitiert (212); es ist der von Annedore Leber überlieferte Satz, der „seine Freunde wissen“ „ließ“: „‚Für eine so gute und gerechte Sache ist der Einsatz des eigenen Lebens der angemessene Preis.“ (Leber 1963, 227)
3 Heinz-Joachim Heydorn: „gemeinsam eine Kraft bilden […], die die Gesellschaft zu ihrer Demokratisierung zwingt“ In seiner „Schlußbemerkung“ zur Frankfurter ‚Schulbuchtagung‘ von 1967 sah HeinzJoachim Heydorn die ‚Vermittlung der Geschichte des deutschen Widerstandes‘ vor einer Alternative: „Ob das Jahr 1945 zum Jahr der Befreiung oder zum Jahr der Katastrophe wird, entscheidet letztlich über alles andere.“ (Weick 1967, 138/139)¹⁷ Doch in früheren Reden vor unterschiedlichen Gruppen von Zuhörern hatte er nie das Wort Befreiung für das Ende des Zweiten Weltkriegs benutzt. 1955 sprach er vor der Vollversammlung des Bundesjugendringes „Zum Problem des Militarismus“ und nannte erstmals einen Widerstandskämpfer beim Namen und als einzigen: den „aus dem George-Kreis stammende[n] Graf Stauffenberg“ (Heydorn 1981, 162), als er den Wunsch nach „ein[em] ausgeglichene[n] und in sich ruhende[n] Nationalgefühl“ formulierte: „Ist die Katharsis auf das Ende gefolgt, die Erschütterung der Seele?“ (162) Ein Jahr später wurde in der Rede „Konsequenzen unserer Geschichte“ aus dem ‚Ende‘ Vgl. Kirsch 2005, 66, der leider die bundesrepublikanische Vorgeschichte von Richard von Weizsäckers Rede zum 8. Mai 1985 ausblendet, obwohl er betont, dass sie „nichts völlig Neuartiges“ „enthielt“ und „[d]och“ „zeigte […], dass dieses zuvor oft gemiedene Datum für die Bundesrepublik wichtiger geworden war als der 17. Juni“.
3 Heinz-Joachim Heydorn: „gemeinsam eine Kraft bilden […],
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1945 „die Katastrophe“ 1945 (176). Heydorn führte diese auf den „Mangel an einer ausgeglichenen nationalen Bewußtseinsbildung“ (176) zurück. „[J]e mehr Distanz“ zum Nationalsozialismus eintrete, umso „unvermeidlicher“ werde die „Erkenntnis“, „daß die Ergebnisse dieser Herrschaft die Substanz unseres Volkes berührt haben“: „Wir müssen uns endlich deutlich machen, daß wir den Preis für die Verantwortung zu zahlen haben, die wir im Jahre 1939 auf uns nahmen.“ (176) Er sah die – mit dem Jahr des Beginns des Zweiten Weltkriegs angedeuteten – „Bedingungen“ der „Katastrophe“ „noch heute wirksam“ (176), nämlich in einer „allgemeinen moralischen Substanzlosigkeit“ (178), die die „Aufgabe des Menschen, das Ewige in der Zeit zu erhalten“ (179), verfehle. In der Rede zum „Volkstrauertag“ 1960 hielt Heydorn an dem Bild der Katastrophe für 1945 fest, explizierte aber die Notwendigkeit einer „Sinndeutung“ (182): „Für wenige Menschen nur schließt die Katastrophe unseres Volkes die persönliche Erinnerung oder Bindung an den Kreis Ermordeter ein“ (183). Indem Heydorn die „Namen Sophie Scholls und des jungen [Ulrich] Grafen von Schwerin[‐Schwanenfeld]“ nennt als „die unvergessenen und leuchtenden Vorbilder des Menschentums“ und „die Gruppe der deutschen Menschen, die als Opfer eines verbrecherischen Wahnsinns in das Dunkel gestoßen wurden, Menschen jüdischer Herkunft“, deren „Opfer […] zum wahren Grundstein für Israel“ (183) geworden sei, entscheidet sich, „von welchem Standort her das Opfer aller gewürdigt werden soll“ (184), also auch „die Frage nach dem Sinn des Sterbens der vielen Millionen von Menschen unseres Volkes“, „von anständigen Jungen, aber auch Kindern, Greisen und Müttern“, „die nicht unbeantwortet bleiben darf“ (183). Weil für Heydorn „die Opfer des freiheitlichen Widerstandes für uns die wahre Kontinuität unserer Geschichte verkörpern“, sieht er vor allem vom Widerstand des 20. Juli eine „ungebrochene[…] und selbstbewußte[…] Rückverbindung […] offengehalten“, die es den Deutschen ermögliche, „als Volk an uns selbst zu glauben“ (185). Auch wenn Heydorn in der Rede zum Volkstrauertag keinen letzten Brief eines hingerichteten Widerstandskämpfers zitiert, endet sie mit der Beschreibung einer dem Schreiben und Lesen eines letzten Briefs vergleichbaren Situation: „Was ist das […] für eine Frage, die die Gewesenen an uns richten, die abbrach, als ihr Tag […] über die Grenze der Nacht glitt, die leiden macht? Es ist die Frage nach der Verwirklichung des Menschen. […] Vor dem Verhängten, vor der Grenze des Todes, mit dem alles Leben abbricht, geht der Mensch auf die Suche. Der Tod ist ein großer Erwecker […]. Unter der Wirklichkeit des Todes wird das Vergessene mit dem noch Ungewordenen verbunden, im Bewußtsein des Menschen. […] die Vergangenheit ist nun nicht mehr denkbar ohne die Zukunft“ (187). In beiden Reden Heydorns zum Ostermarsch, 1966 in Oberhausen und 1967 in Frankfurt, und in der 1967 gehaltenen über „Die Hintergründe der studentischen Unruhe / Kritische Evolution als einzige Chance“ ist nur ein Mal von ‚Katastrophe‘ die Rede, aber im Plural, nicht ausschließlich auf 1945 bezogen, wenn er beschreibt, „in welcher realen Situation wir uns in diesem Lande befinden“ (198): „Die Katastrophen unserer Geschichte sind zugleich verbunden, wie dies bei kaum einem anderen Volke
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möglich wäre, mit einer Kontinuität der Herrschaft ohnegleichen. Die gleichen Kräfte verfügen – soziologisch gesprochen – über uns, die auch früher über uns verfügt haben. Oft decken sich auch die Namen. In der Struktur der Gesellschaft sind keine Veränderungen eingetreten. Diese Gesellschaft bedarf, zur Aufrechterhaltung ihres Status quo, der Kriegsgefahr. Sie bedarf dieser Gefahr, um das Bewußtsein zu neutralisieren und von den eigentlichen Problemen abzulenken, so wie sie der wirtschaftlichen Manipulation bedarf. Der Friede allein, schon die Aussicht auf eine längere Periode relativer Sicherheit, eröffnet die Perspektive, unter der das scheinbar Unabänderliche dahinschmelzen wird wie ein Eisblock in wärmeren Gewässern.“ (198) Dem Fokus auf Kontinuität von Strukturen der Herrschaft im Inneren und der „Politik nach außen“ (204) entspricht die Verwendung eines Begriffs, der in keiner der vorangegangenen Reden von Heydorn benutzt worden war: „Faschismus“ (197, 208), auch in adjektivischer Form „faschistisch“ (197, 209). Allerdings fasst Heydorn die sozialökonomischen Strukturen vor allem als Bedingungen von sozialer Psychologie, wenn er zum „Hintergrund jahrhundertealter […] Autoritätshörigkeit“ anmerkt: „In einer Situation, die potentiell faschistisch ist, weil sie die Bedingungen der faschistischen Mentalität in sich aufbewahrt und zeitgemäß weiterentwickelt hat“, müsse „[j]ede bedeutsame Verschärfung der wirtschaftlichen Situation […] in einer neuen Form des Faschismus, zumindest aber in einer offen autoritären Staatsverfassung enden“ (197). Obwohl er die Bundesrepublik von „Ländern“ unterscheidet, „in denen eine starke liberale Tradition lebendig ist und das Bewußtsein sinnvoller gesellschaftlicher Mitarbeit noch erhält“, nennt er „die [west]deutsche und die [US‐]amerikanische Situation […] sich jedoch in vieler Hinsicht ähnlich, auch darin, daß in beiden Ländern eine Möglichkeit für einen kommenden industriellen, in seinen Formen noch nicht absehbaren Faschismus besteht“ (207/208). Heydorn erklärt die „Tendenz, die bestehende Gesellschaft als hoffnungslos unveränderbar anzusehen“, daraus, dass „[i]hr autoritärer and antiintellektueller Charakter […] gesamtdeutsch unverändert“ (209) sei. Deshalb versteht er, ohne sich auf die Anwendung von Marx’ Konzept revolutionärer Scham in den ersten Nachkriegsjahren bei Georg Lukács und Anna Seghers zu beziehen, die Studentenbewegung als „ein[en] Aufstand gegen die deutsche Misere, gegen eine Gesellschaft, die die brennenden Gasöfen überlebt hat, gegen die entmenschlichende und brutalisierende Tendenz der technologischen Gesellschaft überhaupt“ (209). Deutlich unterscheiden sich Heydorns Reden auf Ostermärschen von der vor Studierenden in der Adressatenbeziehung. Wenn er die „Menschen“, die „[d]er Ostermarsch der Atomwaffengegner […] zusammengeführt“ habe, solche nennt, „die in der Weimarer Republik niemals zueinander gefunden hätten: Christen und Atheisten, Arbeiter und Studenten“ (198): „Wenn es etwas qualitatives Neues in der deutschen Nachkriegsgeschichte gibt, […] dann ist es diese sich anknüpfende enge Verbindung zwischen Intellektuellen und Gewerkschaftsfunktionären, Pfarrern und Sozialisten, Arbeiter- und Bürgerkindern. Sie alle repräsentieren gemeinsam als Minorität das ganze Volk und damit die Chance des ganzen Volkes“ (198), spricht er die Studierenden und ihre Professoren als solche an, die „gemeinsam eine Kraft bilden [können], die die Gesellschaft zu ihrer Demo-
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kratisierung zwingt, die Gesellschaft wird eine solche Kraft nicht aushalten“ (209). An sie appelliert er 1968 in einer nach dem Sechstagekrieg und dem 20. August 1968 gehaltenen Rede „Zur Zukunft der Linken in der Bundesrepublik“, eine „Avantgarde zu bilden, die […] geduldig das Bewußtsein der Menschen erhellt“ (217). In den Ostermarsch-Reden war konkreter gefasst, was der ‚potentiell faschistischen Situation‘ entgegenzusetzen sei, auch dem „suicide[n], zum Selbstmord, zur eigenen Selbstvernichtung drängende[n] Element in der herrschenden deutschen Mentalität“ (199), das bisher „psychologisch“ eine „Politik unseres Landes“ stützte, „auf alle nur erdenkliche Weise den Finger an den [Atombomben‐]Abzug zu bekommen, ohne jemals auch nur einen konstruktiven Entspannungsbeitrag angeboten zu haben“ (199). So wie Heydorn davon ausgeht, dass die „verfehlte Politik nach außen“ der „Fortsetzung der autoritären Gesellschaft“ (204) bedürfe, gilt für ihn umgekehrt, „daß eine dauerhafte Sicherung des Friedens nicht möglich ist ohne Veränderung der Gesellschaft, ihrer ökonomischen Basis und ihrer Verfügungsgewalten“ (197). Einer „schrittweise[n] Sicherung des Friedens“ (197) entspräche „eine[…] genuin demokratische[…] Bewegung [,…] die Ziele […] aufnimmt, […] die Ziele einer erweiterten und realeren Demokratie“ (201/202) seien. Heydorn sieht die Ostermarschbewegung „mit einer stärker werdenden internationalen Vernunft verbunden“, wenn er 1966 formuliert: „Deshalb haben wir eine reale Chance. In einem Augenblick tiefgreifender Veränderungen in unserer Welt, so sehr sie sich unter Umwegen und Rückschlägen vollziehen, wird auch die Bundesrepublik nicht unverändert bleiben; dies ist gewiß.“ (199) Entspannungspolitik und Demokratisierung waren Heydorns Vorschlag für einen Weg, wenn er am Ende seiner Rede über die „Hintergründe der studentischen Unruhe“ zunächst zu deren „historisch[em]“ „Ausgangspunkt“ 1961 zurückkehrt, dann zur Zukunft an seine Professorenkollegen appelliert: „Die westdeutsche Gesellschaft hat von Anfang an die studentische Kritik aus sich herauszusetzen versucht und damit die Begründung der radikalen Thesen selbst geliefert. Der Ausgangspunkt liegt historisch fest: 1961 wurde der SDS kollektiv aus der SPD ausgeschlossen. Manche seiner außenpolitischen Auffassungen entsprachen nur den heutigen der Großen Koalition; zu der Zeit jedoch wurden Ansichten dieser Art noch als Agententätigkeit für den Osten gewertet. […] Wir dürfen uns […] nicht auf die Seite eines leergewordenen Autoritätsprinzip zwingen lassen, das die Studenten einem zerstörerischen Anarchismus, der anhebenden Wahnsinnsdialektik überläßt. Mit ihnen müssen wir einen Weg suchen, den unmenschlichen Widerspruch dieses Jahrhunderts einer menschlichen Auflösung näherzubringen.“ (208, 210)
4 Ausstellungen des Studienkreises Deutscher Widerstand Als Vorsitzender des Studienkreises Deutscher Widerstand war Heydorn in den folgenden Jahren in Zusammenarbeit mit der VVN beteiligt an der Organisation zweier Ausstellungen in Frankfurt, von denen die erste, die Fotoausstellung „Antifaschisti-
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scher Widerstand“ 1971 auch in neun anderen Städten der Bundesrepublik (München, Hannover, Mannheim, Dachau, Hanau, Nürnberg, Stuttgart, Offenbach, Bremen) gezeigt wurde und 140.000 Besucher fand (Schneider 1997, 109) und die zweite, Teil einer „Antifaschistischen Buchwoche“, die – auch in Hannover, Oberhausen, Hamburg, Lübeck und Düsseldorf (113) – insgesamt 30.000 besuchten (30 Jahre 1980, 38). Die Ausstellungen spielen eine zentrale Rolle in der offiziellen Verbandsgeschichtsschreibung der VVN, wo sie nicht nur mit Kongressen und Demonstrationen in einen Zusammenhang gestellt werden, sondern zur Periodisierung der Schwerpunkte der Tätigkeit der Organisation dienen. Max Oppenheimer (1978, 45) stellt die VVN der Jahre 1969 – 1971 in „Auseinandersetzung mit der NPD“ dar (vgl. zur Ausstellung 55/56), Ulrich Schneider (1997, 100) „als Seismograph gesellschaftlicher Veränderungen“ (zur Ausstellung 109); für die Jahre 1972– 1975 zeigt Oppenheimer (1978, 62) „Die VVN – Bund der Antifaschisten als Teil der Bewegung für Zusammenarbeit und Abrüstung“, Schneider (1997, 110) setzt „Die Ostverträge werden ratifiziert“, „Berufsverbote“ (112) und (mit der ‚Buchwoche‘) „Antifaschismus – ideologisch offensiv“ (113) nebeneinander. Besonders hervorgehobene Beziehungen zu Kongressen und Demonstrationen stellt Oppenheimer (1978, 61) her zum „Frankfurter Kongreß für Ratifizierung der Ostverträge und europäische Sicherheit“ am 26. Februar 1972 und Schneider (1997, 96) zur „enorme[n] gesellschaftlichen Mobilisierung“ gegen das Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Brandt und für die Ostverträge sowie beide 1973 zwischen der Buchwoche und dem Bundeskongress der VVN zum Thema „Antifaschismus heute: Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche“ (Schneider 1997, 113). Am 10. Mai 1975 fand in Frankfurt „die mit 40.000 Teilnehmenden bis dahin größte antifaschistische Demonstration aus Anlaß der Befreiung von Faschismus und Krieg“ (113) statt, zu der u. a. die Schriftsteller Walter Jens und Günter Wallraff aufgerufen hatten (118) und auf deren Kundgebung Bernt Engelmann, der 1977 Vorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller in der IG Druck und Papier wurde, erklärte, dass „dieser 30. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus von vielen Leuten in der Bundesrepublik Deutschland weit mehr als die Wiederkehr eines Tages der Niederlage und der bedingungslosen Kapitulation, als trauriges Ende des Traums vom größenwahnsinnigen ‚Herrenmenschenreich‘ empfunden“ werde (119).¹⁸ Engelmann nannte – ohne auf die DDR zu verweisen –, „die Tatsache, daß hierzulande der 30. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus kein Staatsfeiertag ist“, „ein bedenkliches
„Ist die Bundesregierung bereit, der Öffentlichkeit am 8. Mai 1975 anläßlich des 30. Jahrestages des Kriegsendes eine zusammenfassende Darstellung im Zusammenhang mit dem II. Weltkrieg geschehener Verbrechen […] an Deutschen vorzulegen“ (Ahrens [1975], 80), lautete die Anfrage des ehemaligen CDU-Vertriebenenministers Heinrich Windelen im Bundestag am 25. September 1974, die auf die Publikation zielte einer im Bundesarchiv von Windelen selbst noch als Minister in Auftrag gegebenen ‚Auswertung‘ von „Material über Verbrechen und Unmenschlichkeiten, die an Deutschen im Zuge der Vertreibung begangen worden sind“ (18). Dieses Material erschien als Raubdruck mit einem „Vorwort“ des CSU-Bundestagsabgeordneten Franz Ludwig Graf von Stauffenberg 1975 unter dem Titel: „Verbrechen an Deutschen. Die Opfer im Osten. Endlich die Wahrheit, die Bonn verschweigt“.
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Zeichen dafür […], daß der Faschismus bei uns noch keineswegs überwunden, sondern als latente Gefahr weiter vorhanden ist“ (119).¹⁹ Nicht nur in Frankfurt und München sprachen bei der Eröffnung sozialdemokratische Kommunal- und Landespolitiker,²⁰ so in München Oberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel (Widerstand 1971, 3/4) und in Frankfurt der hessische DGB-Landesvorsitzende Philipp Pless, der seine Rede schloss: „Wenn wir wieder hinaustreten aus dem Raum, der Auschwitz und andere Höllen uns gegenwärtig erscheinen läßt, stehen wir wieder in der Gesellschaft, die […] uns an die Frage heran[führt]: wie konnte all dies geschehen. […] Die Ausstellung Widerstand mahnt uns zur Aktivität und angesichts der wiedererstarkten Kräfte der Reaktion zur Fortsetzung des Widerstands, um neues Unheil zu verhüten.“ (Ausstellung 1971, ohne Seitenzählung: zweite Seite) Vogels Eröffnungsansprache erschien in der „Schriftenreihe des ‚Pressedienst der Demokratischen Aktion‘“ als Broschüre, in der auf der letzten Seite für eine andere Veröffentlichung des PDA geworben wurde, den von Harald Jung und Eckart Spoo in der Reihe Hanser herausgegebenen Band „Das Rechtskartell. Reaktion in der Bundesrepublik“ (Jung/Spoo 1971), geworben wurde mit so genannten „Auszüge[n] aus dem Flugblatt eines CSU-Freundeskreises“: „‚Wählt CDU/CSU. Stärkt die Opposition, verhelft ihr wieder zur Macht! Franz Josef Strauß ist der kommende Mann. Er löst Adolf Hitler nicht ab, er ersetzt ihn auch nicht, er hat aber Führungsqualitäten. Strauß ist kein Judenmörder. Er will ein starkes Deutschland. Strauß will Europa, aber ein antisowjetisches. Die deutsche Jugend braucht eine sichere, straffe Führung – mit Strauß an der Macht wird sie entsprechend hart und national erzogen. Wir erstreben die Raumordnung wie vor 1914 – die Vertriebenenorganisationen erwarten das von uns. Die Bundeswehr soll eine national ausgerichtete Streitmacht werden. Das Offizierskorps wartet auf den starken Mann: Franz Josef Strauß. Die Presse muß hart in die Zügel genommen werden. Axel Cäsar Springer bereitet diese innere Ordnung vor. Er ist unser Mann auf diesem Sektor. Er braucht uns, wir brauchen ihn! ‚Bayern-Kurier‘ und ‚National-Zeitung‘ bleiben unsere Hauptorgane, in ihnen ist die Richtung angegeben.
In ihrem Heft zum 30. Jahrestag der Befreiung „1945 – 1975“ druckte die „Neue Deutsche Literatur“ aus der Neuausgabe von Stephan Hermlins „Die erste Reihe“ das Porträt „Arthur Weisbrodt“ (Hermlin 1975a, 107– 110) mit einer Vorbemerkung von Henryk Keisch, der sie nicht nur „eines der wichtigen Werke jener Zeit“ nannte, „die das Fundament eines neuen, antifaschistischen und bald auch sozialistischen Bewußtseins legen halfen“, sondern eines, „das viele unter den heute Vierzigjährigen unvergeßlich geprägt hat“: „Mit dem Beispiel junger Männer und Frauen, die, statt sich auf den Schlachtfeldern oder unter den Bomberteppichen für die Zwecke des Imperialismus opfern zu lassen, ihrem Tod einen Sinn zu geben gewußt haben, bot die ‚Erste Reihe‘ der Jugend ein neues, positives Ideal von Menschentum und Heldentum.“ (Hermlin 1975b, 71) Wolfgang Rudzio behauptet in „Die Erosion der Abgrenzung“ fälschlich, dass „ein erstaunlicher Wandel“ „Ende der siebziger Jahre“ eingetreten sei, denn es „treten seither zunehmend sozialdemokratische Funktionsträger bei VVN-Veranstaltungen ungerügt als Gast- und Grußredner auf“ (Rudzio 1988, 118). Alle seine Belege liegen nach 1979, als Ausnahme von dieser Regel nennt er „[e]in frühes Beispiel“: der Offenbacher Oberbürgermeister Buckpesch begrüßte 1975 den VVN-Bundeskongress (119).
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Wir gehen in den aktiven Widerstand mit allen verfügbaren Mitteln, auch in der Wirtschaft. Wir müssen die Macht erzwingen. So oder so!‘“ (Ausstellung 1971, ohne Seitenzählung: letzte Seite) Dem von der Springer-Presse unterstützten Kampf von CSU und NPD, die mit dem Deutschen Kulturwerk europäischen Geistes,²¹ der Aktion Oder-Neiße, der Gemeinschaft Ostdeutscher Grundeigentümer und dem Arbeitskreis Volkstreuer Verbände in der Aktion Widerstand verbunden war (Schneider 2014, 72), gegen die Ostverträge mit dem auf Brandt gezielten Bild einer „‚Volksfront‘“ „‚der Sozialistischen Internationale mit den Kommunistischen Parteien‘“ (Taler 1972, 138) stand in der linksliberalen Öffentlichkeit dessen Wahrnehmung als „Rechtskartell“ gegenüber, das „sich als die organisierte Reaktion auf die unausweichlich gewordenen demokratischen Reformen unserer Gesellschaft“ erweise: „Für die Agitatoren des Rechtskartells […] gibt es kein einziges Wort, das sie so bösartig reagieren läßt wie das Wort Demokratisierung.“ (Jung/Spoo 1971, 13/14) Die Soziologin Beate Krais erinnerte 2014 sich und ihre KommilitonInnen, die u. a. bei Dietrich Goldschmidt studierten, am Anfang der 1970er Jahre: „unser Hauptproblem war, dass wir die Befürchtung hatten, dass wir, die Bundesrepublik, wieder in den Faschismus abgleiten“ („Das ist ein unpolitisches Fach!“ 2014, 568/569). Die Resonanz, die die beiden Ausstellungen des Studienkreises Deutscher Widerstand nicht nur bei Besuchern, sondern auch in der Presse fanden, erklärt sich auch aus der öffentlichen Wirkung von Äußerungen von zwei Repräsentanten des ‚Machtwechsels‘, des Bundespräsidenten Heinemann, der diesen Begriff geprägt hatte (Baring 1982, 122), und des Bundeskanzlers Brandt, der sich in seiner Regierungserklärung Heinemanns „Forderung“ „mehr Demokratie“ (Heinemann 1975b, 19) zu eigen machte (vgl. Winkler 2004, 279), mit der dieser seine Ansprache zur Amtsübernahme am 1. Juli 1969 geschlossen hatte: „Nicht weniger, sondern mehr Demokratie – das ist die Forderung, das ist das große Ziel, dem wir uns alle und zumal die Jugend zu verschreiben haben. Es gibt schwierige Vaterländer. Eines davon ist Deutschland. Aber es ist unser Vaterland. Hier leben und arbeiten wir. Darum wollen wir unseren Beitrag für die eine Menschheit mit diesem und durch dies unser Land leisten.“ (Heinemann 1975b, 19/20).²² Wenn Heinemann beim Amtsantritt gesagt hatte: „Einige
Martin Walser schrieb das Vorwort zum 4. Band der Schriftenreihe des „Pressedienst der Demokratischen Aktion“, Bernt Engelmanns „Das ‚Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes‘ als Pflegestätte der Aktion W“ (Walser 1971, 3): „Immer wieder hofft man: das hat sich jetzt, diese deutsche Krankheit, irgendwann wird sie doch einfach aussterben. […] Daß sich der Hang, die eigene Herkunft zu verklären, bei uns zu einer Art Immunität gegenüber Aufklärung oder Demokratie oder einfach 20. Jahrhundert entwickelt hat, ist eine schwer erklärbare Tatsache. […] Als anti-demokratisches Kartell ist dieses Reservoir an Finsternis in jedem Augenblick durch rechte Hetze in eine politische Bedrohung zu verwandeln“. Engelmann betonte, wie „die völkisch-nazistischen Unentwegten […] immer wieder ermutigt und ermuntert [worden seien] von prominenten Politikern vom rechten Flügel der Unionsparteien, insbesondere der CSU“ (Engelmann 1971, 23). Vgl. Faulenbach 2003, 54, zum sozialdemokratischen ‚Aufgreifen‘ des studentischen und außerparlamentarisch-oppositionellen „Politisierungsprozess[es]“ unter den Punkten Vergangenheitsbewältigung, Demokratisierung und Entspannungspolitik.
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hängen noch immer am Obrigkeitsstaat. Er war lange genug unser Unglück und hat uns zuletzt in das Verhängnis des Dritten Reiches geführt“ (Heinemann 1975b, 17), so wurde er in seiner Fernsehansprache am 17. Januar 1971 zum „100. Jahrestag der Reichsgründung“ deutlicher: „‚das heißt eben nicht einmal Versailles, sondern zweimal Versailles, 1871 und 1919, und das heißt auch Auschwitz, Stalingrad und bedingungslose Kapitulation von 1945‘“ (Winkler 2004, 271). Dem 1969 gewählten Bundespräsidenten hat der Historiker Peter Steinbach ein entscheidendes Verdienst zugeschrieben, was die öffentliche Erinnerung an den Widerstand in der Bundesrepublik angeht; Heinemann habe dazu beigetragen, dass der „Trend zur selektiven Erinnerung“ (Steinbach 1995, 46) durch zwischen Ost und West „[u]mkämpfte Widerstandsdeutungen“ (45) in der westdeutschen wissenschaftlichen Diskussion von dem „Axiom“ überwunden worden sei, „den Widerstand in seiner Breite und Vielfältigkeit zu erfassen“ (47): „Erst Gustav Heinemann gelang mit seiner Rede zum 25. Jahrestag des Anschlags eine entscheidende Korrektur, als er den kommunistischen Widerstand ausdrücklich in den zu ehrenden Gesamtbereich der Gegnerschaft einbezog.“ (46/47) Zwar räumt Steinbach mit dem Hinweis auf die Ausladung des für 1974 zunächst als Redner zum 20. Juli in Westberlin vorgesehenen Herbert Wehner ein,²³ dass selbst ein ehemaliger „kommunistischer Regimegegner“ „von politischen Kräften desavouiert“ werden konnte, „die sich selbst als antitotalitär-demokratisch definierten“ (47), aber er siedelt diese „brennspiegelhaft die Problematik der Würdigung des Widerstands in den siebziger Jahren deutlich“ (47) machende Episode „[i]nnerhalb des politischen Spektrums“ (47) an, von dem er die Geschichtswissenschaft trennt.²⁴ Die Besprechungen, die 1973 die Ausstellung zur „Antifaschistischen Buchwoche“ des Studienkreises Deutscher Widerstand erhielt, belegen eine Öffnung zur Erweiterung des öffentlichen Gedenkens über die Kirchen, den 20. Juli und die Geschwister Scholl hinaus. Im WDR wurde sie „[d]ie größte Literatursammlung“ genannt, „die je zu diesem Thema zusammengetragen worden ist“ (Schneider 1997, 114); allerdings ging die von Ursel Hochmuth (1973) erarbeitete umfassendere Bibliographie noch über den von Heinz Brüdigam (1973) für die Ausstellung erstellten Katalog hinaus. Doch die „Westfälische Rundschau“ lobte die Pionierarbeit als „de[n] erste[n] Versuch in der Bundesrepublik, […] in möglichst breiter Auswahl [Literatur] zu dokumentieren und anhand dieser Literatur ein Bild des Dritten Reiches und des antifaschistischen Widerstands zu geben“ (Schneider 1997, 114). „Zu loben“ nannte auch das „Hamburger
Die Rede des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, der statt Wehner 1974 über den 20. Juli sprach, wurde 1984 nicht in die von der Gedenkstätte (1984, 223) herausgegebene Anthologie aufgenommen. Steinbach selbst zitiert allerdings nicht aus Heinemanns bereits erörterter Rede, sondern interpretiert sie als ‚Hinweis‘ Heinemanns auf „Widerstandsgruppen und -motivationen“, die „nicht dem unmittelbaren Umfeld der Attentäter des 20. Juli zugeordnet waren“: „Er öffnete auf diese Weise den Blick für den weiten Bereich des sogenannten Arbeiterwiderstands.“ (Steinbach 1995, 4; vgl. 54, Anm. 12)
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Abendblatt“ „das Auswahlprinzip“: „Vorbehaltlos hat man auf Werke von Autoren zurückgegriffen, die sich in ihren weltanschaulichen Positionen unterschieden haben, sich aber in ihrem Widerstand gegen die ‚braune‘ Diktatur […] einig waren und blieben. Das ergibt ein breites Spektrum.“ (114) Unterschiedlich bewerteten die „Frankfurter Rundschau“ und die „FAZ“, dass die Breite einen Schwerpunkt nicht ausschließe: „Gut dokumentiert sind die Widerstandsversuche christlicher und jüdischer Gruppen. Am intensivsten informiert die Ausstellung über die linken Parteien, über die oppositionellen Teile der Arbeiterschaft, über ihre Unterdrückung und Verfolgung“, hieß es in der „FAZ, während die „FR“ schrieb: „Die Ausstellung ist verdienstvoll, ausgewogen, sie setzt den Schwerpunkt des politischen Widerstandes durchaus berechtigt bei den linken Gruppierungen“ (114)
5 „Deutsche Widerstandskämpfer 1933 – 1945. Biographien und Briefe“ des Instituts für Marxismus-Leninismus und „Der deutsche antifaschistische Widerstand 1933 – 1945. In Bildern und Dokumenten“ der VVN Der wie Steinbach (seit 1989 als wissenschaftlicher Leiter) an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand als Leiter tätige Johannes Tuchel hat dagegen für die Entwicklung der offiziellen Erinnerung an den Widerstand in der DDR im Übergang von den 1960er in die 1970er Jahre eine ‚Breite und Vielfältigkeit‘ geradezu entgegengesetzte Tendenz ausgemacht. Sie habe sich „[w]eitgehend ohne die Mitarbeit der akademischen Historiker der DDR“ (Tuchel 2005, 256) im Ministerium für Staatssicherheit vollzogen: „So sollte sich seit Mitte der sechziger Jahre die Darstellung der Roten Kapelle in der DDR grundlegend wandeln und maßgeblich vom MfS geprägt werden.“ (234) Tuchel belegt die Beteiligung von MitarbeiterInnen des Ministeriums an dem 1970 zum 25. Jahrestag der Befreiung (Biernat/Kraushaar 1970, 5) von Karl Heinz Biernat und Luise Kraushaar vom IML im Dietz-Verlag veröffentlichten Buch „Die Schulze-Boysen/Harnack-Organisation im antifaschistischen Kampf“, von dem 14.463 Exemplare der Erstauflage von 20.000 mit einer Widmung des Ministers an MitarbeiterInnen verteilt wurden (Tuchel 2005, 258). Tuchel erwähnt zwar, dass Kraushaar an einer weiteren Publikation des IML im Jahre 1970 beteiligt war, den „zwei Repräsentativbänden“ (Sywottek 1972, 576) „Deutsche Widerstandskämpfer 1933 – 1945. Biographien und Briefe“, aber geht weder auf das eine noch auf das andere Buch ein,²⁵ um stattdessen am Briefwechsel zwischen MfS und KGB über die Verleihung von sowjetischen Auszeichnungen die Rolle der Nachrichtendienste zur DDR-offiziellen Deutung des Widerstands der Schulze-
Abgesehen von der Auszählung (Tuchel 2005, 257/258) der Biographien, die aus „Deutsche Widerstandskämpfer“ in Biernat/Kraushaars Monographie unverändert (15) oder bearbeitet (13) übernommen oder die neu (9) geschrieben wurden.
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Boysen/Harnack-Gruppe zu erklären – mit einem Zitat, dessen Quelle zwar mit einer BStU-Singatur versehen ist, „SStU, MfS, Band 13695, Bl. 76 ff.“ (Tuchel 2005, 263, Anm. 12), aber ohne jede nähere Charakterisierung bleibt: „‚Antifaschist ist nur der, der mit allen Mitteln (auch als Kundschafter) auf der Seite der Sieger der Geschichte steht.‘“ (234) Biernats und Kraushaars Buch enthält nach einem nicht untergliederten, nur von Biernat gezeichneten Bericht (Biernat/Kraushaar 1970, 7– 43) und einem Zitat von Ernst Thälmann als Motto: „Der Größe eines politisch handelnden Menschen wird man nur dann ganz gerecht, wenn man ihn nicht allein danach beurteilt, was er erreicht, sondern auch danach, was er gewollt hat“ (44), 52 „Lebensbilder“, in denen nur selten Zeitungs-, Flugblatt-, Urteils- u. ä. Texte zitiert werden, sondern viele letzte Briefe: „Die Briefe, meist in den Todeszellen geschrieben, sind Dokumente der Charakterstärke und Würde bester Söhne und Töchter unseres Volkes. Sie wünschten sehr, daß ihre letzten Briefe die Gestapozensur passieren mögen. Sie kleideten ihre Gewißheit vom kommenden Sieg über die faschistische Barbarei oft in von Zuversicht getragene persönlich gehaltene Worte, die von den Angehörigen sehr wohl in ihrem doppelten Sinne verstanden wurden. Jene Briefe hingegen, die auf heimlichen Wegen weitergeleitet werden konnten, reden eine offene Sprache.“ (5; vgl. sehr ähnlich Institut 1970, 13/14) Unter den porträtierten WiderstandskämpferInnen sind zehn Mitglieder der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe, die in der 1958 vom IML herausgebrachten Anthologie letzter Briefe „Erkämpft das Menschenrecht“ (Schumann/Werner 1958) und der Reclam-Auswahlausgabe „An die Lebenden“ (Schumann/Werner 1959) nicht vertreten gewesen waren, darunter Klara Schabbel (Biernat/Kraushaar 1970, 136/ 137), Libertas Schulze-Boysen (154/155) und Ilse Stöbe (165). Unter den in den Lebensbildern abgedruckten letzten Briefen ist auch der von Arvid Harnack, von dem Peter Steinbach 1991 behauptet hat: „Der letzte Brief von Harnack ist erstmals vollständig in der Berliner Widerstandsausstellung [am 20. Juli 1989, H.P.] präsentiert worden und bewegt durch seine Erweiterung in Dimensionen des Glaubens“ (Steinbach 2001, 252). Doch Harnacks Brief an „‚Meine Lieben‘“ (253) war bereits ‚vollständig‘ in der VVN-Anthologie „…besonders jetzt tu Deine Pflicht“ (1948, 43) abgedruckt worden, hatte weder in „Erkämpft das Menschenrecht“ noch „An die Lebenden“ (1959, 112/113) gefehlt und stand auch ungekürzt in „Deutsche Widerstandskämpfer“ (Institut 1970, I, 365). Dass Steinbach die ‚Erweiterung in Dimensionen des Glaubens‘ in Harnacks letztem Brief als Grund für die fälschlich unterstellte Unterdrückung seiner Publikation suggeriert, geht aus der Fortsetzung seiner Argumentation hervor: „Diese Grundstimmung“ finde sich „weiter“ bei Libertas SchulzeBoysen (253); in deren letztem Brief „scheinen […] Momente auf“, die „später dann“ bei den Männern des „20. Juli 1944 deutlich werden“ (254). Doch Libertas SchulzeBoysens letzter Brief, der weder 1948 noch 1958/59 in die VVN- bzw. IML-Anthologie aufgenommen worden war, wurde 1970 in Biernats und Kraushaars Monographie abgedruckt: „Ich darf sterben, wie Christus starb: für die Menschen!“ (Biernat/ Kraushaar 1970, 155), aber nicht in „Deutsche Widerstandskämpfer“, wo das Doppelporträt des Ehepaars mit Harro Schulze-Boysens letztem Brief an seine Eltern
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schließt (Institut 1970, II, 229), bei dessen Abdruck 1948 der Kommentar seine Frau erwähnt hatte, ohne dass ihr letzter Brief zitiert wurde: „Mit Arvid Harnack organisierte er die nach beiden benannte Widerstandsgruppe. In dieser Gruppe kämpften viele Männer und ihre Frauen gemeinsam gegen die Reaktion für den Fortschritt. So erlitt auch Harros Frau Libertas das gleiche Schicksal wie ihr Mann“ („…besonders“ 1948, 44). Steinbach beansprucht, durch eine „komparatistische […] moralische, ethische und soziokulturelle Perspektive“ (Steinbach 2001, 255) „eine politisch auf den OstWest-Konflikt zurückführende ältere Widerstandsdeutung“ „überwunden“ (256) zu haben, in der sich das Gestapo-„Zerrbild“ von der ‚landesverräterischen‘ ‚Roten Kapelle‘ im Westen wie im Osten „spiegelbildlich wiederholt“ (Steinbach 1994, 54). Während er der „ehemaligen DDR eine merkwürdige Zurückhaltung“ vorwirft, „die soziologische und weltanschauliche Breite dieser wohl größten und verzweigtesten deutschen Widerstandsgruppe neben dem Umkreis des Attentats- und Umsturzversuchs vom 20. Juli ganz zur Kenntnis zu nehmen“ (55), reduziert sich seine Absage daran, „aus den Perspektiven des in die NS-Zeit zurückprojizierten Kalten Kriegs zu deuten“ (56), auf die angesichts der Hinrichtungen zynisch klingende Feststellung, dass die Mitglieder der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe „letztlich für sich allein standen“ (58). „Sie sind die Sieger der Geschichte“ überschrieb das „Neue Deutschland“ am 24. März 1971 seine Ankündigung der Uraufführung des Films „KLK an PTX – Die Rote Kapelle“ und zitierte zu „Ein[em] Film über die Widerstandsorganisation SchulzeBoysen/Harnack“ (vgl. Schieber 2016, 51) aus Biernats und Kraushaars Buch, ihr „‚gehörten Kommunisten und Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Parteilose, Gläubige und Atheisten an. Auf Grund ihrer sozialen Zusammensetzung, ihres gemeinsamen politischen Zieles und der Wirksamkeit ihres antifaschistischen Kampfes war sie eine der bedeutendsten Widerstandsorganisationen der ersten Jahre des zweiten Weltkrieges‘“ (Sie sind 1971). In einem Kasten erinnerte das „ND“ an die Auszeichnung „eine[r] Gruppe deutscher Patrioten und Antifaschisten mit Orden der UdSSR“ durch einen „Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 6. Oktober 1969“. Der Moskau-Korrespondent der „FAZ“ berichtete zwei Tage später ausführlich über „diese ungewöhnliche Ordensverleihung“, indem er konkrete Angaben machte, wie die „Gruppe“ von „Kommunisten oder zumindest mit diesen sympathisierende[n] linksstehende[n] Persönlichkeiten […] der Sowjetunion während des Krieges Hilfe erwiesen“: „Oberregierungsrat Arvid von Harnack chiffrierte allerwichtigste Informationen, zum Beispiel, daß der Kode der englischen Konvois nach Murmansk den Deutschen in die Hände gefallen sei“, oder: „Die Kundschafterin Ilse Stöbe berichtete im Februar 1941 nach Moskau über Hitlers Kriegspläne, präzisierte das Datum und teilte Einzelheiten der Angriffsplanung mit.“ (P[ör]zg[en] 1969) Während Hermann Pörzgen es 1969 „[a]uffällig“ nannte, dass „von den Moskauer Zeitungen lediglich die ‚Krasnaja Swesda‘“, „das Militärorgan“, „[a]uf der letzten Seite“ die Ordensverleihungen meldete“, konstatiert Tuchel 2005 – indem er auf Pörzgens „FAZ“-Artikel verweist: „Die DDR-Presse meldete eher kurz“ (Tuchel 2005,
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253). Am 24.12.1969 hatte die „FAZ“ eine zweite Meldung gebracht, als am Vortag „Angehörige der ehemaligen, für die Sowjetunion arbeitenden Spionage-Organisation ‚Rote Kapelle‘ […] vom sowjetischen Botschafter in Ost-Berlin, Abrassimow, posthum mit hohen sowjetischen Orden ausgezeichnet worden“ (R.M. 1969) waren. 1970 gab die Berliner Stadtbibliothek zum 25. Jahrestag der „Befreiung vom Faschismus“ eine gleichnamige Bibliographie mit 1007 in der SBZ/DDR erschienenen Titeln heraus, in deren „Einführung“ der Historiker Leo Stern schrieb: „Wenn ein Datum der deutschen Geschichte jemals für sich beanspruchen durfte, ein ‚historischer Wendepunkt‘ gewesen zu sein, dann unzweifelhaft der 8. Mai 1945.“ (Blos 1970, 1) Obwohl der 1950 eingeführte gesetzliche Feiertag 1967 abgeschafft worden war und später nur die ‚runden‘ Jahrestage von 1975 und 1985 wieder als solcher begangen werden sollten, fuhr Stern fort: „Die entscheidenden Voraussetzungen für eine echte Erneuerung Deutschlands wurden jedoch nur in Ostdeutschland […] verwirklicht, daher wird bei uns der 8. Mai mit vollem Recht als ein Tag der Befreiung gefeiert“ (1). Die „Daten“ der den Titelangaben von Büchern, Broschüren und Zeitungs- wie Zeitschriftenartikeln vorangestellten Zeittafel beginnen mit der sowjetischen Offensive auf Stalingrad (2) und enden mit der diplomatischen Anerkennung der DDR durch die Sowjetunion (7). Entsprechend teilt sich das bibliographische Material historisch auf: „Von der Wende des zweiten Weltkrieges bis zur Zerschlagung des Faschismus“ (8 – 36) und „Von der Befreiung bis zur Gründung der DDR“ (37– 87). Ein „Anhang“ bietet „Schöne Literatur“ (88 – 99). Unter den im ersten Teil aufgeführten Titeln „umfassende[r] Darstellungen“ zum „Verlauf des Kriegsgeschehens“ ist als zweiter „SS im Einsatz“ (8, KAW 1957), unter denen zum „Befreiungskampf in den besetzten Ländern“ sind sowohl die von Jitzak Bernstein u. a. (1966) herausgegebenen „Berichte aus dem Warschauer Ghetto 1939 – 1945“ „Ghetto“ (12) als auch „Faschismus – Getto – Massenmord“ (13, Jüdisches Historisches Institut 1960) sowie der von Karl Heinz Jahnke 1959 herausgegebene Band „Niemals vergessen! Aus dem antifaschistischen Widerstandskampf der Studenten Europas“ (13). Für „Die Endphase des Krieges“ wurde u. a. aufgenommen der von der „Berliner Zeitung“ am 8. Mai 1965 publizierte Artikel von Arnold Zweig „Wer siegte in diesem Kriege? Ein bisher unveröffentlichter Aufsatz, geschrieben in Haifa im April 1945“ (16). Die „Berliner Zeitung“ stellte Zweigs Text von 1945 eine aktuelle Vorbemerkung Heinz Kamnitzers voran: „Wer heute noch fragt, ob der Tag der Befreiung zu recht seinen Namen trägt, der vertiefe sich ganz besonders in die Gedanken und Gefühle des deutschen Dichters Arnold Zweig. Schon allein, daß er heimkehren konnte, gibt dem 8. Mai 1945 seinen Sinn und seinen Glanz.“ (Zweig 1965) Arnold Zweig hatte 1945 geschrieben: „Was gab, fragen wir, den Unseren die Überlegenheit, den Sieg? Mit uns marschierte alles mit, was menschliche Gesittung seit der Antike in den Seelen geschaffen hatte: Die Zehn Gebote von Sinai, die Charitas [sic] und das Humanitätsideal des Christentums, die Erklärung der Menschenrechte von 1789, jeder politische Freiheitskampf kleiner Völker und Gruppen des 19. Jahrhunderts von Missolunghi bis Sarajevo und die ganze proletarische Arbeiterbewegung, die 1905 in Petersburg ihre große Schlacht schlug und schon 1917 dem Autokratismus aller Zaren
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ein Ende setzte. Und seit 1933 gesellte sich dazu das Recht auf eigenes Leben, das von den totalitären Anmaßungen auf der ganzen Erde eingeengt, beschnitten, in Folgsamkeit und Unterwürfigkeit umgefälscht werden sollte […] – aber in die menschliche Substanz, in die Seelen von Millionen vermochten sie nicht einzudringen.“ (Zweig 1965) In der Bibliographie der Berliner Stadtbibbliothek ist 1970 der erste im Abschnitt „Antifaschistischer Widerstandskampf“ unter „In Deutschland und in den Konzentrationslagern“ aufgeführte Titel „Deutsche Widerstandskämpfer“ „1970. (In Vorbereitung.)“ (21). Sowohl Anthologien letzter Briefe wie Schumanns und Werners „Erkämpft das Menschenrecht“ (1958) und „An die Lebenden“ (1959) (23) als auch Titel zu „[e]inzelne[n] Widerstandsgruppen“ sind aufgelistet: die relativ meisten, nämlich elf zur Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe – wozu der Hinweis auf eine eigene Bibliographie kommt (26) –, fünf Titel zum 20. Juli (27), jeweils drei Titel zur Widerstandsgruppe von Herbert Baum und zur Schumann-Engert-Kresse-Gruppe (24/25), jeweils zwei zur Münchener Studentengruppe um die Geschwister Scholl (25) und zur Bästlein-JacobSaefkow-Abshagen-Gruppe (25), ein Titel zur Neubauer-Poser-Gruppe (25). Gesondert aufgeführt sind 13 polemische Titel zur Rezeption des 20. Juli in der BRD (27/28). Verglichen mit der vom IML erstellten Bibliographie der zwischen 1960 und 1965 in der DDR erschienenen „Historiographie“ „über den deutschen antifaschistischen Widerstandskampf“, die als „Namen“ „aus allen weltanschaulichen und politischen Richtungen des Volkes“ Thälmann, Breitscheid, Paul Schneider, Hans und Sophie Scholl sowie Stauffenberg zum „Symbol der Moral und Ethik des deutschen Widerstandskampfes“ (Historiographie 1965, 7/8) erklärt hatte, fällt in der von der Berliner Stadtbibliothek 1970 herausgegebenen Bibliographie das Fehlen des religiösen Widerstands auf. Er fehlte auch in der zusammenfassenden Formulierung eines Kanons von Wolfgang Abendroth 1965 auf dem Bundeskongress der VVN in Duisburg „Die Erforschung der Geschichte des Widerstandes als politischer Auftrag“, aber in seinem Redebeitrag hatte er als „die besten Repräsentanten“ „Martin Niemöller, Paul Schneider, Dietrich Bonhoeffer“ (Abendroth 1996, 117), „Dekan[…] Lichtenberg“, „Bischof[…] Graf Galen“ und „Alfred Delp“ (118) genannt: „Die besten Kräfte der Widerstandsbewegung waren […] zur Einsicht ihrer Einheit im Kampf gegen die Inhumanität des Dritten Reiches gelangt. So dient die möglichst genaue und objektive Erforschung ihrer Arbeit und ihres Kampfes, gleichgültig, ob es sich um die Männer der ‚Roten Kapelle‘, der Saefkow-Bästlein-Gruppe, um Leber, Reichwein oder Graf Moltke, Stauffenberg, v. Tresckow, den Grafen Schulenburg oder die-GeschwisterScholl-Gruppe handelt, die Wiederherstellung der Tradition, die sie begründet haben, gleichzeitig der Begründung der Vorbedingungen dafür, die Einheit des deutschen Volkes in Humanität und Demokratie wiederherzustellen.“ (Abendroth 1996, 120)²⁶ Vgl. Balzer 2010, der von Abendroth „als literarische[m] Ratgeber der organisierten Studentenbewegung (1961– 1967)“ die in der „neuen kritik“ veröffentlichte „Rede zum 8. Mai 1965“ hervorhebt, in der er erstens betonte, dass „der Krieg im Osten vom ersten Tage an ein ‚reiner Ausrottungsfeldzug‘ gewesen“ (155/156) sei, und zweitens sich „[e]ntschieden wehrte […] dagegen, daß die Wirklichkeit der beiden deutschen Staaten ‚mit scheinjuristischen Theorien und Phantasiegebilden‘ in der Bundesre-
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Die von Edgar Weick, dem Sekretär des Studienkreises Deutscher Widerstand, für die Publikation der Gründungstagung über Widerstand in ‚Schulbüchern und Unterricht‘ zusammengestellte Bibliographie „Literatur über den deutschen und europäischen Widerstand“ (Weick 1967, 143 – 155), die keine Aufsätze in Zeitschriften und Sammelbänden aufnahm, bot 197 Titel zum deutschen und 44 zum Widerstand außerhalb Deutschlands. Von der ersten Gruppe betrafen 35 Titel den 20. Juli, 28 die Kirchen, 24 kommunistischen, 18 sozialdemokratischen, 10 gewerkschaftlichen und regionalen Arbeiterwiderstand, 6 die Weiße Rose und jugendlichen Widerstand und 3 die ‚Rote Kapelle‘. Diese Spitzenstellung von 20. Juli und Kirchen entspricht dem Befund, den der Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte Werner Röder 1969 dem Kölner Bundeskongress der VVN zu „Erforschung und Vermittlung der Geschichte des Widerstandes“ in der BRD vortrug: „‚Schon zwischen 1945 und 1950 schälten sich […] zwei dominierende Gruppen […] heraus: der Kampf der christlichen Kirchen gegen das Regime mit 16,9 und die Widerstandsgruppe des 20. Juli 1944 mit 12,4 Prozent. Diese Proportionen blieben im Wesentlichen bis heute erhalten: 1963/64 weist die ‚Bibliographie zur Zeitgeschichte‘ 14,3 Prozent […] Titel […] über den 20. Juli, 16,3 Prozent […] des kirchlichen Widerstandes aus; 1965/66 und 1967/68 lagen die entsprechenden Werte bei 10,2 bzw. 21,9 und 16,9 bzw. 25,3 Prozent. Veröffentlichungen über den Widerstand anderer Gruppen, etwa der Arbeiterbewegung oder der Intellektuellen, werden erst seit 1965/66 mit einem Anteil von 14,6 bzw. 1967/68 mit 9,8 Prozent notiert“ (Brüdigam 1970, 90/91). Entsprechend dominieren bei den aufgeführten Ausgaben von Briefen aus der Haft mit Bonhoeffers „Widerstand und Ergebung“ (Weick 1967, 144), Delps „Im Angesicht des Todes“ (144) und Moltkes „Letzte Briefe aus dem Gefängnis Tegel“ (151) Christen des 20. Juli, aber unter den aufgenommenen Anthologien letzter Briefe stehen neben Gollwitzers u. a. „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“ nicht nur die gekürzte dtv-Ausgabe von Malvezzis und Pirellis „Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen Widerstand“ (150), sondern auch die unter dem Titel „An die Lebenden“ (149) erschienene westdeutsche Ausgabe der Reclam-Auswahl aus Schumanns und Werners „Erkämpft das Menschenrecht“, das gleichfalls verzeichnet ist (153). Für den Studienkreis Deutscher Widerstand kuratierte 1971 Max Oppenheimer von der VVN die Fotoausstellung „Antifaschistischer Widerstand“, als deren „Sinn“ er in der Einleitung zur Begleitbroschüre bezeichnete, „Denken und Handeln näher zu bringen“ (Ausstellung 1971, ohne Seitenzählung: fünfte Seite), denn für den antifaschistischen Widerstand gelte, dass sein „Vermächtnis noch nicht erfüllt“ sei, „solange neonazistische Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland wirksam sein können“ und „Fortsetzung des Widerstands“ notwendig sei, „um neues Unheil zu verhüten“. Oppenheimer nannte als Widerstand „der ersten Stunde“ Arbeiterparteien
publik angegangen werde‘“, der „Behauptung der ‚Identität des Deutschen Reiches vor 1945 mit der Bundesrepublik‘, so als habe das Deutsche Reich nicht mit der ‚bedingungslosen Kapitulation aufgehört zu existieren“ (157).
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und Gewerkschaften, dann Bekennende Kirche und katholische Jugend sowie die Emigration, namentlich hob er zum Widerstand im Krieg die Geschwister Scholl, Helmuth Hübener, Robert Uhrig, Harro Schulze-Boysen, Arvid Harnack, Anton Saefkow hervor sowie, ohne Namen zu nennen, den 20. Juli. Mit Ausnahme von Hübener stehen die Namen für Widerstandsgruppen, denen in der Ausstellung eine oder mehrere eigene Tafeln gewidmet waren, auf denen über den Namensgeber der Gruppe hinaus Fotos weiterer Mitglieder zu sehen sind: zwei Gewerkschafter (dreizehnte Seite), drei aus der Bekennenden Kirche (sechzehnte Seite), fünf aus der Widerstandsgruppe Herbert Baum (einundzwanzigste Seite), 17 aus der von Schulze-Boysen und Harnack (zweiundzwanzigste Seite), vier aus der von Uhrig (dreiundzwanzigste Seite), sechs aus der Weißen Rose in Hamburg und München (vierundzwanzigste Seite), drei aus den kommunistischen Gruppen von Saefkow, Theodor Neubauer und Georg Schumann (achtundzwanzigste Seite). Der letztgenannten Folge von Tafeln, die „Arbeiterwiderstand 1943 – 1945“ überschrieben ist, ging in der Ausstellung unmittelbar eine Installation voraus, die die bis dahin zwischen jeweils vier weißen, zwei gerade und zwei schräg aufgestellten Tafeln (zum Widerstand) und vier schwarzen Tafeln (zu Terror, Verfolgung und Massenmord) wechselnde Anordnung zusammenführte: zwei schwarze Tafeln mit drei historischen Fotos aus Auschwitz rahmen den Blick auf vier hinter einem sie spiegelnden Glastisch stehende weiße Tafeln, die vier Angeklagte des 20. Juli vor dem Volksgerichtshof zeigen. Die schwarzen Tafel sind überschrieben: „1943 – 1945 Totale Versklavung“ und „1943 – 1945 Totale Vernichtung“; die beiden Fotos auf der ersten Tafel stammen von Himmlers „Besuch in Auschwitz“, als er „sich von Oberingenieur Max Faust die Fabrikanlagen des IG-Farben-Konzerns erläutern“ „ließ“ (Schoenberner 1978, 154), das obere zeigt ihn von vorn unten inmitten seiner SS-,Wehrmacht- und zivilen Begleitung in Buna, das untere eine Gruppe von Häftlingen von oben vor einer sie überragenden in Bau befindlichen Fabrikanlage (vgl. die Abbildung 156 oben); das Foto auf der zweiten Tafel zeigt den Beginn einer ‚Selektion‘ auf der Rampe von Birkenau. Nach diesem provozierenden Kontrast zwischen dem gescheiterten „Umsturz[…] aus dem Zentrum der Macht“, der vom BGH 1956 zum „Kriterium für Wirksamkeit und damit für die Anerkennung des Widerstands“ gemacht worden war (Steinbach 1995, 46), und der Fortsetzung des Widerstands und der Vernichtung greift Oppenheimers Schlussappell mit einem Rückblick auf die bundesrepublikanische politische Entwicklung die einleitende Frage nach der Erfüllung des Vermächtnisses des antifaschistischen Widerstands wieder auf, denn nach 1945 „reichten die Kräfte nicht aus, die in den Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, in allen Bereichen des öffentlichen Lebens auf eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse drangen“: „die Wurzeln [des Faschismus, H.P.] sind nicht ausgerottet. Wiederkehr ist möglich, Wiederkehr einer gleichen Sache, wenn auch in neuer Verhüllung“ (Ausstellung 1971, neunundzwanzigste Seite), aber „Anzeichen einer Veränderung“ seien „erkennbar“, „wenngleich unter Widersprüchen“, sei „ein neuer Ansatz gewonnen“. Oppenheimer bezieht sich emphatisch auf „[e]ine neue Generation“, die den „Auftrag des Widerstandes […] als unerledigte Forderung nach gesichertem, menschenwürdi-
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gem Leben, in Frieden mit den Völkern der Welt, in einer verwirklichten Demokratie“, „übernommen“ habe: Sie wolle „mit dem Verhängnis der deutschen Geschichte brechen und diese Geschichte zu ihrer eigenen machen“. Ähnlich hoffte der für Öffentlichkeitsarbeit Verantwortliche des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels²⁷ in seinem Grußwort 1973 im Katalog der „Antifaschistischen Buchwoche“ in Frankfurt, die vom Kulturdezernenten der Stadt, Hilmar Hoffmann (30 Jahre 1980, 38), eröffnet wurde, dass „vor allem auch die jungen [Menschen] in diesem Lande, diese Ausstellung wachen Auges besuchen“ und „den Blick für ähnliche Gefahren der Gegenwart und der Zukunft schärfen“ (Brüdigam 1973, 3). Auch wenn die meisten Anzeigen im Katalog von Verlagen der DDR und aus dem Umfeld der DKP stammten, so zielten die Verlage Luchterhand (7), Wagenbach (30), und Hanser (67) mit ihren Inseraten für thematisch einschlägige Titel zu Faschismus und Widerstand aus ihren neuen Reihen eher auf junge Leser. Ähnlich wie Oppenheimer in der Broschüre zur Fotoausstellung begründete der Bearbeiter des Katalogs der Buchausstellung deren ‚Sinn‘: „Die Gesellschaft, die ihn [den Faschismus, H.P.] in Deutschland hervorbrachte, hat sich nach 1945 in unserem Lande wieder restauriert. Seine Wurzeln sind noch nicht beseitigt.“ (4) Der Vorsitzende des Studienkreises Deutscher Widerstand, Heinz-Joachim Heydorn, sah in seinem Beitrag – wie Oppenheimer 1971 – ‚Anzeichen einer Veränderung‘: „Die Entspannungspolitik der Bundesregierung und ihre Bestätigung durch den Wähler im November des Jahres 1972 haben neue und bessere Voraussetzungen geschaffen, das hervorragende Thema von Faschismus und Widerstand konsequent aufzugreifen als Erkenntnishilfe für die Aufgabe der gesellschaftlichen Veränderung und zu Ehren derer, die in den schwersten Jahren durchgehalten haben.“ (Heydorn 1973, 29) Nachdem „die Geschichte des Widerstandes in der Bundesrepublik Deutschland […] ein Vierteljahrhundert fast überdeckt blieb“, betont Heydorn, dass „kein Zweifel“ bestehe, „daß die Organisationen der Arbeiterbewegung die führende Stellung im antifaschistischen Widerstand einnehmen“, aber „selbstverständlich“ sei, „daß der Widerstand anderer Kräfte nicht übersehen werden darf, wird doch gerade mit ihm auch die Grundlage für eine spätere Zusammenarbeit gelegt“ (32), so „die nur allzu oft unterschlagen[e]“ „Tatsache“ einer „deutliche[n] Verbindung von den zukunftsoffenen Männern des
Unter den 3000 Büchern, die eine Ausstellung des Frankfurter Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Tel Aviv, Jerusalem und Haifa 1968 zeigte, waren in den Abteilungen Judentum, Schöne Literatur, Jüngste deutsche Literatur und Zeitgeschichte auch Bücher über Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden, die nicht nur in der BRD lieferbar, sondern auch in der DDR erschienen waren; die für die Auswahl Verantwortlichen, Clemens Köttelwesch von der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt und der damals noch „FAZ“-Redakteur Rolf Michaelis (Buch 1968, II), hatten mit Jerzy Andrzejewskis „Karwoche“ (1949), der von der Jüdischen Historischen Kommission in Warschau betreuten Ausgabe von Ghetto-Tagebüchern „Im Feuer vergangen“ (1959), Josef Bors „Theresienstädter Requiem“ (1964), Ladislav Fuks’ „Herr Theodor Mundstock“ (1966) Übersetzungen gewählt, die in der DDR durchweg früher erschienen waren, aber als deutschsprachigen Text Hans Habes Roman „Die Mission“, der ein Jahr nach seinem Erscheinen im Münchener Desch-Verlag 1966 in Lizenz vom AufbauVerlag gedruckt wurde.
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20. Juli zu der Spitze des Arbeiterwiderstandes, der Gruppe Bästlein, Jacob, Saefkow“ (32): „Im Umriß zeigen sich neue Möglichkeiten für die Zukunft bereits an, mit denen eine Wiederholung verhindert werden soll.“ (32) Eine „besondere Leistung des deutschen Widerstandes“ stellt Heydorn an einer Problematik heraus, die auch andere Beiträger zum Katalog der „Buchwoche“ beschäftigt: der „Bruch mit der progressiven Kontinuität unserer Geschichte“, so Arno Klönne (8), oder wie Wolfgang Abendroth fragt: „Wer erinnert sich schon noch jener ersten deutschen Republik, die 1793 in Mainz geschaffen wurde?“ (13)²⁸ Heydorns Antwort auf die Frage nach einer positiv zu bewertenden Kontinuität in der deutschen Geschichte folgt derselben Voraussetzung, die der Historiker Werner Röder auf dem VVN-Bundeskongress 1969 gemacht hatte: „‚Für die politische und moralische Entwicklung eines Volkes ist die positive Identifikation mit seiner Geschichte Voraussetzung.“ (Brüdigam 1970, 94) Heydorn entwi-
Vgl. Abendroths „Vorwort“ zur Festschrift für den israelischen Historiker und „‚Nestor‘ der bundesdeutschen Jakobinerforschung“ (Weber 1989, 356) Walter Grab zum 65. Geburtstag: „Die Dissertation Walter Grabs, aber ebenso seine späteren Forschungen […] haben d[…]en Bann gebrochen und die Wendung eingeleitet. Geschichte gilt seitdem für eine junge Generation von Historikern […] nicht mehr als die Geschichte derjenigen, die gesiegt haben, sondern auch als die Geschichte derer, die jeweils geschlagen wurden, als die Geschichte des ganzen Volkes.“ (Garber/Schmitt 1985, 9) „Walter Grab hat uns hier ein großes Stück weitergeholfen. Die westdeutsche Wissenschaft hat dem israelischen Professor sehr viel zu verdanken. Er hat ihr gezeigt, wie […] man auch dem deutschen Volke seine eigene demokratische Tradition zurückgeben kann.“ (10) Dagegen brachte es 2002 eine auf Stasi-Akten basierende Studie, die einen an der Humboldt-Universität 1956 gegründeten studentischen DiskussionsClub nach dem Vorbild des Budapester Petöfi-Clubs untersucht, fertig, weder die Frage zu stellen, warum er sich „Jakobiner-Club“ (Schuster 2002) nannte, noch, was es mit der von einem der Mitgründer angegebenen Motivierung durch Antonio Gramscis Intellektuellen-Konzept (161) auf sich hatte. Nach der 1954 vom Dietz-Verlag publizierten Broschüre Palmiro Togliattis „Antonio Gramsci. Ein Leben für die italienische Arbeiterklasse“ waren 1956 dort auch Antonio Gramscis „Briefe aus dem Kerker“ herausgekommen. Das Vorwort des Verlags hebt nicht nur hervor, dass der Leser der Briefe Gramscis „festen Willen“ spüre, „Widerstand zu leisten, am Leben zu bleiben, um sein Werk und seine Aufgabe zu vollenden“ (Gramsci 1956, 10), sondern auch „die These“, die in seinen 2800 Seiten „Gefängnisschriften“ die „Hauptrolle“ spiele: „die These von der entscheidenden Bedeutung, die die Organisation und die Geschichte der Intellektuellen für das Verständnis der gesamten Entwicklung einer Gesellschaft haben“ (9). In den kurzen Charakterisierungen seiner AdressatInnen, den Söhnen, denen er eigene Kindheitserinnerungen und lehrhafte Fabeln schreibt (10), und der Schwägerin, die er um die Beschaffung von Lektüre bittet, fällt wegen der Hervorhebung seiner „Zurückhaltung […] in Bezug auf seine persönlichen Gefühle“ eine Anmerkung auf: „Als Tanja aber einmal Äußerungen macht, die einen Anflug von Antisemitismus haben, wird Gramsci ernstlich böse, und er kommt in mehreren Briefen auf dieses Thema zurück.“ (11; vgl. hierzu die Briefstellen: 171, 177, 179, 189, 200, 213, 216, 220). Das Verlags-Vorwort schreibt Gramsci auch ein letztes Wort zu, um ihn abschließend als „stille[n] Märtyrer, der seine Leiden verschwieg und noch am Rande des Todes andern Hilfe zu bringen vermochte“, zu charakterisieren, es ist „das prophetische Wort“, das er im Prozess „seinen Henkern […] ins Gesicht schleuderte: ‚Ihr werdet Italien an den Rand des Abgrunds führen, und wir Kommunisten werden es sein, die es retten.‘“ (12) Dieselbe Ausgabe der „Briefe aus dem Kerker“ Gramscis erschien 1962 in „Reclams Universal-Bibliothek“ (Gramsci 1962), fünf Jahre bevor Wolfgang Abendroth das Vorwort zur ersten BRD-Auswahl schrieb, die unter dem Titel „Philosophie der Praxis“ als „FischerPaperback“ erschien (Gramsci 1967).
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ckelt sie aus der ‚besonderen‘ Situation des deutschen Widerstandes: „Anders als der Widerstand in den besetzten Gebieten mußte er gegen ein demagogisch verstelltes nationales Interesse die wahren Interessen der Nation vertreten und damit eine zusätzliche Belastung auf sich nehmen. Hier entwickelt die Persönlichkeit auf dem Boden der Solidarität erst ihre wahrhafte Bedeutung, gibt sie ein Beispiel für zukünftige Generationen. Die Handelnden sind Sachwalter der Zukunft ebenso wie Sachwalter des humanistischen Erbes, der Internationalität und der Nationalität. Sie allein erlauben es uns, mit ihrem Opfer, unsere Geschichte auch heute noch in einem ungebrochenen Zusammenhang zu verstehen.“ (32) In dem von Ursel Hochmuth „im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer ‚Antifaschistischen Buchwoche‘“ anlässlich des „40. Jahrestages“ (Hochmuth 1973, 7/8) der Bücherverbrennungen „erarbeitet[en]“ „Verzeichnis deutschsprachiger Literatur“ „Faschismus und Widerstand 1933 – 1945“ überwogen die 82 Seiten von Titeln zum „Deutsche[n] Widerstand“ die 49 Seiten zu Verfolgung und Vernichtung (darunter 11 zur „Faschistische[n] Rassenpolitik“). Im Unterschied zur Ausstellung ist die Bibliographie nicht historisch angeordnet, sondern systematisch, so die Titel zum Widerstand nach politisch-weltanschaulichen Richtungen. Quantitativ an der Spitze liegen die KPD und die „Christlichen Hitlergegner“ mit jeweils fünfzehn Seiten, gefolgt von „Militäropposition und 20. Juli 1944“ mit neun vor den „Deutschen Sozialdemokraten“ mit sieben Seiten Literaturangaben. Die Bearbeiterin betont einleitend, dass von den insgesamt 1370 Titeln „rund 500“ aus der DDR stammen (7). In Hochmuths gesondertem Verzeichnis nach Genres – Biographien, Briefe und Tagebücher, Erinnerungen, Schöngeistige Werke – finden sich unter den Ausgaben von Briefen nicht nur die Anthologien letzter Briefe Malvezzis und Pirellis, Gollwitzers u. a. sowie Schumanns und Werners (auch in der westdeutschen Lizenz der Reclam-Auswahl), sondern neben den westdeutschen Ausgaben der Briefe aus der Haft von Bonhoeffer, Delp, Leber, Metzger und Moltke auch frühe, selten genannte ostdeutsche Anthologien wie „Kämpfende Jugend“ und „Letzte Briefe tschechoslowakischer Widerstandskämpfer“ (beide 1950), aber auch frühe westzonale Publikationen wie „Wo seine Zeugen sterben, ist sein Reich. Briefe der enthaupteten Lübecker Geistlichen“ (Schaefer 1946) oder Ella Boysens „Harro Schulze Boysen. Das Bild eines Freiheitskämpfers. Zusammengestellt nach seinen Briefen“ (1947). Hochmuths aus der „Antifaschistischen Buchmesse“ hervorgegangene Bibliographie zu Verfolgung und Widerstand wurde vom Röderberg-Verlag als 15. Band seiner 1969 begründeten Reihe „Bibliothek des Widerstands“ herausgebracht, der der Verlag in einer zu seinem dreißigjährigen Bestehen 1980 publizierten Bibliographie als Verdienst zuschrieb: „Mit diesen überwiegend von Beteiligten und Augenzeugen erarbeiteten Darstellungen der Breite und Vielfalt des Widerstandes gelang es, die bis dahin dominierenden, nahezu ausschließlich auf den 20. Juli konzentrierten Darstellungen des Widerstandes entscheidend zu korrigieren“ (30 Jahre 1980, 31). Unter den bis 1975 erschienenen Titeln waren die meisten regionale, oft lokale Darstellungen des Widerstands, u. a. in Stuttgart, Hamburg, Mannheim (30), Krefeld, Hannoversch-
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Münden (36), Nürnberg (40), Solingen (42), drei gaben einen Überblick zum Widerstand in gesellschaftlichen Gruppen, Jugendlichen, Sportlern und Frauen. 1971 begann der Verlag eine „neue[…] Reihe, die sich mit griffigen, knappgefaßten und preiswerten Heften vor allem an junge Leser wendet“ (33), „Antifaschistische Arbeitshefte“, die zunächst den Untertitel „Texte zur Demokratisierung“ erhielt und 1976 in „Demokratische Lehrinhalte“ umbenannt wurde. Als erstes Heft unter dem neuen Reihentitel erschien die bereits zitierte „Unterrichtseinheit für den Schulgebrauch“ „Auschwitz“ von Axel Böing, ehemaligem ASF-Betreuer von Jugendgruppen in Auschwitz, der „Textzeugnisse“ „so gewählt […] und die Darstellungsweise so angeordnet“ hatte, „daß die Häftlingsperspektive an die Schüler herangetragen wird“ (Böing 1976, 6). Die erste Stunde sollte mit der Betrachtung von fünf auf DIN A4 vergrößerten Fotos beginnen, zwei historischen: eines vom Bau des IG Farben-Werks Monowitz, einer Luftaufnahme von einem Teil der Baracken von Birkenau kurz vor der Befreiung, drei aus der Gedenkstätte: von unten auf die Inschrift am Eingangstor des Stammlagers, von unten auf dessen elektrischen Zaun und ebenfalls von unten nach oben ins Innere einer der ‚Pferdestall‘-Baracken in Birkenau: „Die Schüler sollen eine Vorstellung von den Lebensumständen im Lager Auschwitz erhalten. Dabei sollen sie […] – soweit dies überhaupt möglich ist – sich ein Bild von den Unmenschlichkeiten machen können, die dort täglich geschehen sind.“ (8) Auschwitz ist auf einer Karte „Konzentrations- und Vernichtungslager NaziDeutschlands“ als einziges hervorgehoben: vom Namen führt ein Pfeil zu dem einzigen Kasten (über der Legende, die vermerkt: „Angefertigt nach amtlichen Unterlagen der Politischen Abteilung und der Adjudantur des KZ Buchenwald“ (Altmann 1975, 163)), in dem auf elf langen Zeilen die Namen „[z]u Auschwitz gehörende[r] Lager“ aufgeführt werden. Der Untertitel der Karte: „Hauptlager mit Außenkommandos in Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei, in dem östlichen Teil Frankreichs, den Niederlanden und in den westlichen Teilen Polens“ (162), hat einen fast gleich langen eigenen Untertitel: „Die KZ-Lager in Belgien, Norwegen, Dänemark, Italien und der Sowjetunion sind auf dieser Karte nicht eingezeichnet.“ Die Karte mit Auschwitz als Zentrum befindet sich in der Mitte eines großformatigen Bild-Text-Bandes, der mit dem Titel „Der deutsche antifaschistische Widerstand 1933 – 1945. In Bildern und Dokumenten“ 1975 erschien und dessen Mitautoren die Kuratoren der Fotoausstellung des Studienkreises Deutscher Widerstand von 1971, Max Oppenheimer, und der Buchausstellung von 1973, Heinz Brüdigam, waren. Die Karte, die der RöderbergVerlag erstmals 1957 veröffentlicht hatte (162), ist im Übergang der dem historischen Verlauf folgenden Dokumentation zum „Kampf gegen Krieg und Eroberung“ (155) platziert. Das Organ der IG Metall, die Zeitschrift „Metall“, lobte den Band so, wie schon das DGB-Organ „Welt der Arbeit“ das „Verdienst“ von Röderbergs „Bibliothek des Widerstands“ anerkannt hatte, „sich systematisch der Erforschung und Publizierung des antifaschistischen Widerstandskampfes in Deutschland 1933 – 1945 angenommen zu haben“ (30 Jahre 1980, 31): „‚Dieser umfangreiche Bildband … dürfte das erste doku-
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mentarische Werk sein, das ausführlich den Kampf der verschiedenen politischen und weltanschaulichen Gruppen gegen die Nazi-Herrschaft aufzeigt.‘“ (30 Jahre 1980, 43) Bilder sind in Altmanns, Brüdigams, Mausbach-Brombergers und Oppenheimers dem historischen Verlauf folgender Darstellung von Widerstand die Reproduktionen sowohl von Schriftstücken als auch von Fotos. So haben etwa sechzig der 335 Seiten des Bandes zwischen einer und vier Spalten, in denen oben ein Foto steht und darunter eine höchstens die Hälfte der Spalte einnehmende Biographie des Widerstandskämpfers oder der Widerstandskämpferin. Dagegen füllen die Reproduktionen von Flugblättern, Artikeln in illegal verbreiteten Zeitungen oder Prozessakten oft nicht nur eine ganze Seite, sondern sogar die Doppelseite und mehr, so S. 124– 126 der „Aufruf von führenden Politikern der SPD, KPD, SAP und von renommierten Schriftstellern zur Bildung der Deutschen Volkfront, Dezember 1936“ (124). Erstmals auf S. 64 stehen vier Kurzbiographien mit Fotos nebeneinander: Ernst Thälmann, Carlo Mierendorff, Friedrich Husemann und Carl von Ossietzky. Die Autoren haben sich nicht darum bemüht, durchgängig das Foto und die Kurzbiographie mit dem Abdruck des letzten Briefes hingerichteter WiderstandskämpferInnen zu verbinden, wie ein Vergleich zeigt mit der fünf Jahre zuvor erschienenen, vom IML herausgegebenen zweibändigen Anthologie „Deutsche Widerstandskämpfer 1933 – 1945. Biographien und Briefe“, die ihrerseits mit der Triade Foto, Kurzbiographie und letztem Brief an die 1958 von Heinz Schumann und Gerda Werner publizierte „Erkämpft das Menschenrecht“ anschloss. Gerade die Seltenheit eines Abdrucks des letzten Briefs eines hingerichteten Widerstandskämpfers macht die von den AutorInnen getroffene Auswahl bedeutsam. Es sind nämlich nur sieben Widerstandskämpfer, von denen in sechs Fällen der letzte Brief zur Gänze und in einem nur mit einem (längeren) Zitat aufgenommen worden ist. Dabei handelt es sich um – in der Reihenfolge ihres Auftretens in der historischen Erzählung des Bandes – zwei Sozialdemokraten: Josef Wager und Hermann Frieb (Altmann 1975, 181/182), einen katholischen Geistlichen: Max Josef Metzger (196), und einen evangelischen: Friedrich Stellbrink (201), einen Studenten aus der Weißen Rose: Wilhelm Graf (206), einen Kommunisten: Robert Uhrig (218), und einen Sozialdemokraten, der im Widerstand mit Kommunisten zusammenarbeitete: Leo Tomschik (221). Von Wager und Frieb, der in der Kurzbiographie Wagers ohne eigenes Foto mit behandelt wird, druckt „Deutsche Widerstandskämpfer“ keine letzten Briefe ab (Institut 1970, II, 402– 404), während der Röderberg-Band die Formulare vom „Strafgefängnis München Stadelheim“ mit den am Tag der Hinrichtung, dem 12. August 1943, handgeschriebenen Texten Wagers („Meine Lieben!“) und Friebs („Liebste, ärmste Mutter!“) in verkleinernder Reproduktion enthält (Altmann 1975, 181). Die Biographie Wagers behandelt Frieb als dessen „Kampfgefährten“ in einer „Gruppe Revolutionäre Sozialisten“, die in „Deutsche Widerstandskämpfer“ nicht erwähnt wird ebensowenig wie ihre Verbindung zu Waldemar von Knoeringen, dem bayerischen Landesvorsitzenden der SPD von 1947 bis 1963 (181). Während „Deutsche Widerstandskämpfer“ fünf Absätze „Aus [vier] Briefen, geschrieben im Gefängnis“ (Institut 1970, I, 639) in den ersten vier Monaten nach der Verhaftung Max Josef Metzgers am 29. Juni 1943,
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abdruckt, die explizit politisch Stellung nehmen, bringt der Röderberg-Band die beiden ersten Absätze von Metzgers „letztem Brief“ (Altmann 1975, 199) an seine Schwester sowohl in Reproduktion als auch – wohl der Sütterlin-Handschrift wegen – in Druckschrift transkribiert; er endet mit Segensgrüßen an alle, „die mir nahestehen“: „Sie sollen alle froh sein, daß ich den Weg des Meisters zu Ende zu gehen würdig befunden wurde. Und sie möchten nach der Liebe und dem Frieden in XR trachten!“ (199) Der evangelische der vier 1943 hingerichteten Lübecker Geistlichen, Karl „Friedrich Stellbrink“ wird in „Deutsche Widerstandskämpfer“ nur wegen seines ‚Austauschs von Informationen‘ mit den drei katholischen erwähnt, im Artikel über Johannes Prassek (Institut 1970, II, 55). In dem Band von Altmann u. a. hat zwar nur Stellbrink ein Foto und eine Kurzbiographie, aber die vier Geistlichen werden als Gruppe dargestellt im Kommentar zu den Zitaten, zunächst aus einem frühen Brief aus der Haft von Prassek: „‚Die gemeinsamen Ideen (geben) uns den Mut, unter Umständen auch einer übermächtigen Gegenwart immer wieder ein ‚Nein‘ entgegenzurufen, selbst wenn wir als einzelne dann vielleicht von dieser Gegenwart erdrückt würden‘“, dann aus Stellbrinks „letzte[m] Brief vom 31. Oktober“ 1943, zehn Tage vor der Hinrichtung: „Gott hat mir bisher geholfen, weil Eure Gebete mich trugen. Oh, was würde das für eine Gemeinschaft werden, wenn wir alle wieder zusammenkämen! Aber sei gewiß: sie kommt; wenn nicht in dieser unendlich kurzen Erdenzeit, so bestimmt dort in Ewigkeit. Und das ist doch wahrlich die Hauptsache! Darum: Freuet Euch und sorget um nichts! Phil. 4,4– 7.‘“²⁹ (Altmann 1975, 201) Von den sechs Mitgliedern der Münchener Weißen Rose, die durch Foto und Kurzbiographie im Röderberg-Band porträtiert werden, ist Willi Graf der einzige, von dem ein Brief reproduziert ist, datiert einen Monat vor der Hinrichtung, auf dem Stadelheimer Formular handgeschrieben, gerichtet an Eltern und Geschwister. Der IML-Band hatte 1970 Graf im Artikel über Kurt Huber nur erwähnt, als Verbreiter der von Huber konzipierten Flugblätter (I, 429), und in dem über die Geschwister Scholl als einen von ihren drei Freunden (mit den häufiger erwähnten Christoph Probst und Alexander Schmorell) (I, 191). Zitiert hatten die Herausgeber deshalb nur „Aus dem Entwurf eines Schlussworts“ im Prozess von Kurt Huber. Grafs in „Der deutsche antifaschistische Widerstand“ reproduzierter Brief exponiert in der Situation des noch nicht feststehenden Termins der Hinrichtung einen Zwiespalt zwischen einer ‚freudigen‘ ‚Erfüllung‘ mit religiösem „Sinn“ und einer „schmerzvollen“ ‚Anteilnahme‘ an Deutschlands „Geschick“ (Altmann 1975, 206). Auf der einen Seite wünscht er sich und den Seinen, „alles Leiden in Geduld und Gottvertrauen zu ertragen“: „In gewissem Sinne ist es eine ‚wörtliche‘ Nachfolge Christi.Wir wollen versuchen, dieses Kreuz […] zu lieben und immer vollkommener zu leben im Vertrauen auf Gottes Ratschluß“; auf der anderen Seite gilt: „Aber die Liebe zu Deutschland wächst von Tag zu Tag […].
Stellbrink zieht paraphrasierend den 4. und 6. Vers zusammen, der 7. Vers macht den Briefschluss zu einem Segnen des Adressaten: „Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinnen in Christus Jesus!“
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Ich wünsche und hoffe so sehr, daß es euch allen daheim recht gut gehen möge.“ (206) Graf hebt die Drohung des Todes im Schlusssatz auf: „In Liebe und stetem Gedenken sind und bleiben wir verbunden.“ (206) Dieselben Fotos von Robert Uhrig und Leo Tomschik finden sich in „Deutsche Widerstandskämpfer“ (Institut 1970, II, 379, 355) und in „Der deutsche antifaschistische Widerstand“ (Altmann 1975, 212, 213), aber im Röderberg-Band sind sie nicht ganzseitig, sondern stehen jeweis in einer von vier Spalten auf einer Doppelseite mit denen Beppo Römers und Werner Seelenbinders zusammen und über den Kurzbiographien. Während im IML-Band die Reproduktionen der am 21. bzw. 16. August in lateinischer bzw. Druckschrift, nur im Falle Tomschiks auf das Formular des „Zuchthaus Brandenburg (Havel‐) Görden“ handgeschriebenen Briefe unmittelbar auf die Fotos folgen (IML 1970, II, 379, 355), stehen im Röderberg-Band zwischen den Fotos mit Kurzbiographien und den auf einer Doppelseite sich gegenüberstehenden Reproduktionen der letzten Briefe (Altmann 1975, 218/219) viereinhalb Seiten mit reproduzierten Dokumenten aus dem Prozess: „Anklage“ (214/215), „Todesurteile“ (216/217) und eine „Meldung wichtiger staatspolitischer Ereignisse“ des Reichssicherheitshauptamtes Abt. IV (218). Im IML-Band ist nur Uhrigs letzter Brief nicht nur reproduziert, sondern auch transkribiert (IML 1970, 380, 382), doch im Röderberg-Band ist dessen Reproduktion unvollständig, denn es fehlt der letzte Absatz: „Liebstes Lottchen, wenn ich auch heute in den Tod gehe, so tue ich das aufrecht. Ich bin nicht der erste und auch nicht der letzte. Das habe ich mir immer vor Augen gehalten, auch habe ich oft an Sonjas Onkel* gedacht [Anm. auf derselben Seite: „* Karl Liebknecht, mit dessen Nichte Sonja Robert Uhrig befreundet war.“]. Wie viele müssen heute so jung sterben. Wenn man an die Jahrgänge 1919 – 24 denkt – was diese jungen Menschen vom Leben hatten –, dann kann ich noch zufrieden sein. Daß mir dies passieren konnte, wußte ich von Anfang. Leider bist Du durch mich auch in Mitleidenschaft gezogen, jedoch hoffe ich nun auf baldige Änderung. Noch einmal, nimm alles nicht so tragisch und bleibe weiterhin gesund. Mein letzter Gedanke gilt Dir und einer freien Menschheit. Nochmals viele Grüße und die herzlichsten Küsse von deinem immer dankbaren Robby.“ (382) Gerade weil Uhrig mit der Erinnerung an Karl Liebknecht an die Spaltung der Arbeiterbewegung erinnert, ist der Unterschied zwischen IML- und Röderberg-Band auffällig in der Bestimmung der Position von Leo Tomschik im antifaschistischen Widerstand in den jeweiligen Kurzbiographien. Nach der Mitteilung seines SPD-Beitritts 1931 fährt die IML-Fassung fort: „Trotz des 1933 einsetzenden Terrorfeldzuges gegen die Arbeiterbewegung blieb Leo Tomschik seiner sozialistischen Gesinnung treu. Er wandte sich gegen die Politik des sozialdemokratischen Emigrationsvorstands in Prag, die das Zustandekommen der antifaschistischen Einheitsfront der Arbeiterklasse außerordentlich behinderte. Im Sommer 1938 lernte er den Kommunisten Robert Uhrig kennen und reihte sich in die von ihm geleitete Widerstandsorganisation ein.“ (354) Dagegen heißt es im Röderberg-Band: „Nach der Machtergreifung der NSDAP trat er als Sozialdemokrat für eine Einheitsfront der Arbeiterparteien ein. 1938 lernte er Robert Uhrig kennen und half beim Aufbau von Widerstandsgruppen in der Berliner Rüstungsindustrie. Seine Kontakte zu Sozialisten
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in Österreich benutzte er 1941, um Kontakte zu dort bestehenden Gruppen herzustellen.“ (Altmann 1975, 213) Während der IML-Band nahelegt, dass Tomschik in die ‚Reihen‘ (IML 1970, 354) der KPD eingetreten sei, betont der Röderberg-Band, dass er „als Sozialdemokrat“ für eine „Einheitsfront“ eingetreten sei; dementsprechend heißt es dort über Uhrig: „Nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus [1936] begann er erneut mit der antifaschistischen Tätigkeit und wurde bald einer der führenden Funktionäre im Berliner Raum. Ihm ging es vor allem um die Zusammenfassung von Hitler-Gegnern verschiedener Schichten und politischer Auffassungen.“ (Altmann 1975, 212)
6 Westberliner Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße Um die ‚Einigkeit‘ eines offiziell kanonisierten Widerstands ging es auch in den Publikationen der Westberliner Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße. 1972 brachte die Westberliner Landeszentrale für politische Bildung eine neue Aufflage (Zipfel u. a. 1972) der neu bearbeiteten Fassung (Zipfel/Aleff 1965) der zuerst 1957 erschienenen Broschüre „Plötzensee“ (Zipfel 1957) heraus. Sie war vor allem „ergänzt durch 19 Lebensbilder“ (Tuchel 2005, 50), aber das Zentrum der Broschüre war eine Seite in ihrer Mitte, wo unter der Überschrift „Die Tat mißlang, aber war sie deshalb sinnlos?“ ohne individuelle Lebensbilder fünf Fotos kommentiert wurden: Auf einer Seite mit fünf auf den Kopf und den uniformierten Halsansatz beschränkten Porträts (Zipfel/Aleff 1972, 24) blickte Claus Graf Stauffenberg in der oberen Reihe links nach links, rechts Ludwig Beck dem Betrachter ernst in die Augen, in der mittleren Reihe rechts Albrecht Ritter Mirz von Quirnheim nach rechts, in der unteren Reihe Werner von Haeften den Betrachter leicht lächelnd an und rechts Friedrich Olbricht links am Betrachter vorbei. Den gleichsam nach allen Seiten gehenden Blicken entspricht der Kommentar: „Der Widerstand, der zum 20. Juli hinführte“ (22), sei einer gewesen, in dem „in tiefer Achtung voreinander und mit dem Willen zur Einigkeit […] Großgrundbesitzer und Sozialdemokraten, Politiker mit nationalsozialistischer Vergangenheit und Demokraten, katholische und evangelische Christen […] sich in der gemeinsamen Verantwortung zusammen[fanden].“ (23) Mit dieser den 20. Juli nur mit der SPD und den Kirchen verbindenden Deutung von ‚Einigkeit‘ wird zum „Sinn“ der „Tat“, dass sie „bewies“, „daß nicht unser ganzes Volk von der Krankheit des Totalitarismus befallen war“, und dass sie ‚beitrug‘, „daß wir heute unsere neue Demokratie auf dieser Tradition des anderen, des besseren Deutschlands aufbauen können“ (25). Noch bevor die Broschüre auf der vorletzten Seite „Das Vermächtnis von Plötzensee“ für die Tradierung formuliert und dafür den Bundespräsidenten Heuss zitiert, interpretiert sie schon die Leistung des 20. Juli für die Abgrenzung von Schuld und Scham unter Berufung auf die Opfer des Faschismus: „Der Widerstand befreit uns von der ungerechten Anklage kollektiver Schuld, entbindet uns aber nicht von der Pflicht kollektiver Scham und Haftung. […] Die Menschen, die hier [in Plötzensee, H.P.] starben, wollen nicht unser Mitgefühl. Sie haben uns noch etwas zu sagen, wie es der
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damalige Bundespräsident Theodor Heuss in seiner Gedenkrede zum zehnten Jahrestag des 20. Juli ausdrückte: ‚[…] Die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt.“ (25, 28, 29) Der Widerspruch zwischen Pflicht zur Scham und Weggewischt-Sein der Scham ist den Verfassern der Broschüre entgangen. Der mit der Auswahl von 19 Lebensbildern entworfene Kanon entspricht der durch die Akzentuierung von SPD und Kirchen modifizierten Zentrierung auf den 20. Juli als ‚Einigkeit‘. Die Verbindung von Foto und Kurzbiographie endet nur bei der Sozialdemokratin Johanna Kirchner mit einem Zitat aus dem letzten Brief: „‚Ich gehe tapfer und unverzagt meinen letzten Gang‘, lesen wir in ihrem letzten Brief, ‚werdet glücklich und seid tapfer, es kommt eine bessere Zukunft für Euch.‘“ (28) In der Regel werden frühere Briefe aus der Haft, Aufzeichnungen für den Prozess, vor Gericht protokollierte Äußerungen oder von Angehörigen und Freunden überlieferte mündliche bevorzugt, wie z. B. der Sozialdemokraten Julius Leber (16) und Wilhelm Leuschner: „Seine Sorge um Deutschland faßte Leuschner wenige Tage vor der Hinrichtung in die Mahnung: ‚Einig bleiben und wiederaufbauen!‘“ (17) Vor dem Zentrum der Broschüre stehen die Bild-Text-Porträts von Johannes Popitz (20), Ulrich von Hassell (21) und Carl Friedrich Goerdeler (21), danach folgen Erwin von Witzleben (25), Caesar von Hofacker (26) und Helmuth James Graf Graf von Moltke (26). Auch wenn die Verteilung der Lebensbilder auf Gruppen des Widerstands eine absolute Mehrheit des 20. Juli zeigt, sogar wenn Alfred Delp (mit Helmuth Hübener aus der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage) zum religiösen Widerstand und nicht zum 20. Juli gezählt wird, stehen 11 Männern des 20. Juli nicht nur die drei SozialdemokratInnen und die zwei religiös motiverten Widerstandskämpfer gegenüber, sondern auch noch mit Eva-Maria Buch eine der, wie ausdrücklich betont wird, „fünf Frauen“ der „Gruppe Schulze-BoysenHarnack“ (27) und das „Mitglied des Zentralkomitees der tschechischen Kommunistischen Partei“ (27) Julius Fucik sowie der ehemalige „Reichstagsabgeordnete der KPD“ (15) Robert Stamm. Die Aufnahme der Kommunisten wird an zwei Stellen der Broschüre mit einem inklusiven Begriff von Widerstand begründet, relativ allgemein auf der letzten Seite: „Neunzehn Widerstandskämpfer stehen in diesem Heft für die zahllosen Männer und Frauen, die sich gegen die nationalsozialistische Tyrannei für Freiheit und Recht geopfert haben“ (30), in der „Widerstandskreise“ (11) überschriebenen Einleitung zu der Reihe der Lebensbilder (15 – 28), die mit dem Kommunisten Stamm eröffnet wird, spezifischer: „Jährlich wird am 20. Juli der Männer und Frauen gedacht, die unmittelbar an diesem Versuch der Beseitigung Hitlers und seines Regimes – auf militärischem und zivilem Sektor – beteiligt gewesen sind, zugleich jedoch all derer, ungeachtet ihrer politischen oder religiösen Überzeugung, die von 1933 bis 1945 Widerstand geleistet haben. Gleichzeitig gedenken wir dabei der Millionen namenloser Opfer, die ermordet wurden und für die die schrecklichen Namen Auschwitz oder Maidanek stehen.“ (11/12) Die in der ersten, allgemein gehaltenen Begründung eines inklusiven Begriffs gegebene Möglichkeit eines – antitotalitaristisch begründbaren – Ausschlusses (weil Kommunisten nicht für ‚Freiheit und Recht‘ eingetreten seien), wird in der spezifizierenden Begründung historisch differenziert,
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indem die Zusammenarbeit von Kommunisten mit Sozialdemokraten im Widerstand nicht als deren ‚Führung‘, sondern als Chance zu einer ‚Sozialdemokratisierung‘ der Kommunisten erscheint. Sie beginnt mit einer Feststellung, die sich auf der ‚Schulbuchtagung‘ des späteren Frankfurter Studienkreises 1967 als nur in einem einzigen westdeutschen Schulbuch (unter 28 darüber schweigenden) auffindbar erwiesen hatte: „Mit die ersten Opfer politischer Verfolgung waren Kommunisten.Von den etwa 300 000 Mitgliedern, die die KPD 1933 zählte, wurden mehr als die Hälfte verhaftet und zahllose ermordet. Immer neue Verhaftungswellen zerschlugen alle Ansätze zu systematischer Organisation. Während die Führung, die in Moskau Zuflucht gefunden hatte, in wirklichkeitsfremden Doktrinen befangen blieb, begannen in Deutschland, auf sich allein gestellt, Kommunisten eigene ideologische und politische Wege zu gehen und auch mit bisher bekämpften Sozialdemokraten, Christen und Bürgerlichen zusammenzuarbeiten. Sehr viele Kommunisten gewannen innere Unabhängigkeit und kämpften nicht mehr für einen anderen, kaum weniger unmenschlichen Totalitarismus, den Stalinismus, sondern schließlich für die Grundwerte der Menschlichkeit.“ (15) 1971 hatte die Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße begonnen eine „Beiträge zum Thema Widerstand“ genannte Broschürenreihe herauszubringen – im Unterschied zur Buchreiche des Röderberg-Verlags keine „Bibliothek des Widerstandes“, in die „Dokumentensammlungen, wissenschaftliche Darstellungn, Berichte, Erinnerungen, Anthologien und belletristische Werke, die als Bücher und Broschüren“ erschienen waren, „[a]ufgenommen wurden“ (Altmann 1975, 7) , sondern die – gelegentlich mit beträchtlichem zeitlichen Abstand erfolgende –³⁰ Publikation von in der Gedenkstätte Stauffenbergstraße gehaltenen Vorträgen. Die bis 1975 erschienenen „Beiträge“ thematisierten nacheinander den Widerstand des „jüdisch-zionistische[n] Komitee“ „Waadah“ (Biss 1971, 5) in Ungarn, der SPD und Gewerkschaften „aus der Sicht der Emigration“ (Rosenberg 1971), des Roten Stoßtrupps ehemaliger Sozialdemokraten (Küstermeier 1972), des 20. Juli (Holmsten 1975), der Bekennenden Kirche (Koch 1974) und der Helfer verfolgter Juden und Jüdinnen (Rewald 1975). Die aus dem deutschen Widerstand von den „Beiträgen“ getroffene Auswahl entspricht mit dem 20. Juli, der Kirche und der SPD dem Kanon der Broschüre der Gedenkstätte zu Plötzensee, aber auch der Ausstellung in den Räumen der Gedenkstätte Stauffenbergstraße selbst. Der von dieser zusammen mit der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin 1975 herausgegebene achtseitige Führer „Ausstellung Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ kennt nur eine Widerstandsgruppe, der ein eigener, ganzer Raum gewidmet ist: „Der 20. Juli 1944 und der Kreisauer Kreis 3. Raum“
So bezieht sich 1971 im ersten Heft Andreas Biss auf den im Vorjahr gehaltenen Vortrag von Rudolf Küstermeier, der erst 1972 erschien, um mitzuteilen, dass der amtierende sozialdemokratische Wirtschaftssenator Karl König Mitglied der „von der SPD abgespaltenen, inoffiziellen Gruppe“ gewesen sei (Biss 1971, 2), über die Küstermeier gesprochen hatte: „Der rote Stoßtrupp“ (1972). Klaus-Jürgen Müllers Mitte der 1970er Jahre gehaltener Vortrag „Witzleben – Stülpnagel – Speidel. Offiziere im Widerstand“ erschien erst 1988.
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(Ausstellung 1975, 5). Nur zwei andere Gruppen von Widerstandskämpfern werden in den Beschreibungen des 2. Raums „Motive, Arten, Formen und Techniken des Widerstands“ (3) und des 4. „Berlin im Widerstand“ (6) genannt: als Katholik der Dompropst Bernhard Lichtenberg (3) und die auf einem Stadtplan an ihren Adressen verzeichneten „‚unbesungenen Helden‘, soweit sie uns heute bekannt sind […] , die Verfolgten, zumeist Juden […] unter Lebensgefahr Unterschlupf gewährten“: „Berlinkennern wird beim Anblick der Karte auffallen, daß diese Verstecke überwiegend in den gutbürgerlichen Bezirken der Berliner Innenstadt lagen.“ (6) Nur ein Mal wird im Ausstellungsführer „kommunistischer“ Widerstand erwähnt – in der Beschreibung der Europakarte im 1. Raum „Nationalsozialistischer Terror in Europa – Widerstand in Europa“, aber erst, nachdem die drei Gruppen genannt sind, die den Kanon der Gedenkstätte bilden: „Eine große Wandkarte zeigt Orte des Widerstandes militärischer, kirchlicher, sozialdemokratischer, kommunistischer, nationaler und anderer Kräfte in Europa.“ (3) Die in den „Beiträgen zum Thema Widerstand“ von 1971 bis 1975 ausschließlich behandelten ‚militärischen, kirchlichen und sozialdemokratischen‘ ‚Kräfte‘ werden von ehemaligen Angehörigen dieser Gruppen durch Vorträge in mehr oder weniger stark ausgeprägt autobiographischer Form repräsentiert. Am stärksten autobiographisch ist der Erlebnisbericht Rudolf Küstermeiers, der am 29. November 1933 als Herausgeber „eine[r] der ersten illegalen Zeitschriften“ (Weisenborn 1974, 191) verhaftet wurde, des seiner Widerstandsgruppe den Namen gebenden „Roten Stoßtrupps“, von jungen Menschen links in und außerhalb der SPD (Küstermeier 1972), und der sich der Tagebuchform annähernde Bericht der rassistisch verfolgten Ilse Rewald: „Dezember 1942. Meine Schwiegereltern werden abgeholt und nach Auschwitz deportiert. Der 16jährige Stiefbruder meines Mannes hat sich von ihnen losgerissen und kommt ganz verstört zu uns.“ (Rewald1975, 5).Vor allem berichtet sie über, so auch der Titel des Vortrags, „Berliner, die uns halfen, die Hitlerdiktatur zu überleben“. Deshalb sind ihre Schlussworte: „wir haben viel Trauriges zu erzählen, wir vergessen jedoch nicht, daß uns viele gütige Menschen geholfen haben, das ‚Tausendjährige Reich‘ zu überleben!“ (14) Am wenigsten über sein eigenes Leben – im Exil – berichtet der 1962 zum Vorsitzenden des Bundesvorstands des DGB gewählte Sozialdemokrat Ludwig Rosenberg; umso entschiedener sind die Verallgemeinerungen und Wertungen in seiner historischen Darstellung: „Die eine Gruppe, die ich vorweg erwähnen möchte, spielt im Rahmen dieser Betrachtung nur eine unwesentliche Rolle, da sie am Kampf gegen das Nazi-Regime nur indirekt, sympathisierend beteiligt war. Es war die große Zahl der Emigranten, die aus rassischen Gründen Deutschland verlassen mußten oder noch verlassen konnten, um der physischen Vernichtung zu entkommen.“ (Rosenberg 1971, 4) Rosenberg, der selbst jüdischer Herkunft war, stellt – die von ihm repräsentierte sozialdemokratische durchweg als – „die Emigration“ dar, nachdem er einleitend die Herausbildung eines „Unterschied[s]“ zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten geschildert hat: „Während die sozialdemokratischen Gruppen und die ihnen nahestehenden Kreise sehr bald erkannten, daß Propagandaaktionen in Deutschland oft
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nur zu einer sinnlosen Gefährdung treuer und zuverlässiger Freunde führen […] mußten, haben die Kommunisten noch lange Zeit die Propaganda über die Sicherheit ihrer Leute gestellt. In dem Bestreben zu beweisen, daß sie die einzigen oder wenigstens die energischsten Kämpfer gegen den Faschismus seien, haben sie viele ihrer Kameraden geopfert. Die Aussichtslosigkeit solcher Aktionen war schnell erkennbar […]. Es hat sich aus diesem Unterschied in der Haltung und der Auffassung über den Sinn des Widerstandes dann zwangsläufig ergeben, daß eine Zusammenarbeit auf diesem Gebiet unmöglich wurde, wollte man nicht unnötig seine zuverlässigen Kameraden in Deutschland gefährden.“ (7) ‚Die Emigration‘ wird von Rosenberg als ein „Kampf an drei Fronten“ gefasst: Bevor er den „gegen die Nazis selbst“ nennt, wird als erste „Front“ die des Kampfes „gegen die Politik der Kollektivschuld“ (8) genannt: „gegen die Tendenz, alle Deutschen als kollektiv schuldig an den Untaten des Nationalsozialismus anzusehen und diese Ausgeburt der Barbarei als konsequente Folge preußisch-deutschen Wesens“ (9). Die dritte Front ergibt sich aus dem einleitend dargestellten ‚Unterschied‘: der Kampf „gegen alle Bestrebungen, die politische Emigration auf eine Linie zu bringen, die unter dem Motto der Einheit der Arbeiterklasse zu einer kommunistischen Politik im Nachkriegsdeutschland hätte führen können.“ (8/9) Zwei Journalisten, die in ihren unterschiedlichen beruflichen Funktionen, Werner Koch als Hilfsredakteur des „Deutschen Pfarrerblatts“ und Georg Holmsten als Chef vom Dienst der Auslandsredaktion des Deutschen NachrichtenBüros, Verbindung zur Bekennenden Kirche (Koch 1974, 24) und zum 20. Juli (Holmsten 1975, 23) hatten, verfuhren sehr unterschiedlich: Koch will „den Ablauf des Kirchenkampfes in seinen hauptsächlichen Linien kenntlich machen“ (Koch 1974, 4), indem er ihn nach ihm entscheidenden Daten reiht und ihre Bedeutung mit Dokumenten belegt, Holmsten, der 1943 und 1944 „in dem trotz der Bombenangriffe des Krieges immer noch im Kern erhaltenen Gebäudekomplexes zwischen der Stauffenbergstraße und dem Landwehrkanal“ arbeitete, will „ganz schlicht […] erzählen, was ich an diesem Orte erlebt und zum großen Teil kurze Zeit nach dem Erlebten aufgezeichnet habe“ (Holmsten 1975, 23). Erst 1979, vier Jahre später, hielt der Historiker Detlev Peukert, der 1975 „an der Umgestaltung der Essener Alten Synagoge in eine Gedenkstätte mit einer Ausstellung ‚Verfolgung und Widerstand in Essen 1933 bis 1945‘“ (Peukert 1980b, 68) mitgearbeitet, 1976 in der Bibliothek des Widerstandes des Röderberg-Verlags die „Dokumentation“ „Ruhrarbeiter gegen den Faschismus“ herausgebracht und 1978 bei Hans Mommsen über „Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhein und Ruhr 1933 – 1945“ promoviert hatte,³¹ in der Gedenkstätte Stauffenbergstraße ei-
Peukert 1980a; vgl. zur Festigkeit des Begriffspaars ‚Verfolgung und Widerstand‘ schon die Titel der ersten bundesrepublikanischen, von der FES geförderten Dissertationen zum Arbeiterwiderstand, die 1969 in Hannover im sozialdemokratischen Verlag für Literatur und Zeitgeschehen erschienen, der auch für Landeszentralen der politischen Bildung druckte: Klotzbach 1969, Steinberg 1969. Vgl. aber schon die frühe, 1949 von der Wiener Library in London herausgegebene Bibliographie „Books on Persecution, Terror and Resistance in Nazi Germany“, die das Material in zwei Teile gruppiert: „Per-
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nen Vortrag: „Der deutsche Arbeiterwiderstand gegen das Dritte Reich“, der 1980 dann als 13. Heft der „Beiträge zum Thema Widerstand“ erschien. Peukert begann mit einem Rückblick auf die bisherige Forschung zum Thema in der BRD als „Dreiklang“ von „Militär, Kirche und bürgerlicher Jugend“ (Peukert 1980b, 2): „Lange schien die bundesdeutsche Forschung den Anspruch der DDR, in der bruchlosen Kontinuität des ‚proletarischen Klassenkampfes‘ unter Führung der KPD zu stehen, stillschweigend zu akzeptieren. Scheinbar folgerichtig neigte sie dazu, den kommunistischen und mit ihm den Arbeiterwiderstand aus dem geschichtlichen Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland auszublenden.“ (2) Peukerts Darstellung des sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Widerstands fokussiert die Bedingungen der Möglichkeit eines „Antifaschistische[n] Konsens[es] als Voraussetzung einer demokratischen Nachkriegsentwicklung“ (Peukert 1977), indem er einen „Lernprozeß“ nicht nur in der SPD, nämlich „die politische Demokratie durch die soziale Demokratie zu ergänzen“, sondern auch in der KPD betont, deren „strategische Wende […] als ernst zu nehmende[r] erste[r] Schritt in einem (dann durch die KPD/SED gestoppten) Lernprozeß“ anzusehen sei: „Am Ende eines solchen längeren Lernprozesses hätte nach dem Entwurf der Widerstandskämpfer eine geeinte, nationale, unabhängige, demokratisch-sozialistische Arbeiterbewegung stehen sollen.“ (Peukert 1980b, 18) Dem entspricht, dass für Peukert „in den Jahren 1945 – 1947 auch in Deutschland“ – „[n]icht anders als in Frankreich oder Italien“ – „der ‚Verfassungsbogen der antifaschistischen Parteien die Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberalen, Christdemokraten und einen Teil der Konservativen“ „umfaßte“ (19). Auf Peukerts Vortrag von 1979 folgten relativ dicht weitere zum Thema Arbeiterwiderstand in der Gedenkstätte Stauffenbergstraße: 1981 über den Widerstand von Herbert Baums Gruppe von jüdischen kommunistischen ZwangarbeiterInnen (Wippermann 1981), 1982 von Metall- (Uhlmann 1982) und 1983 von Bergarbeitern (Adam 1983). In der in Gedenkstätte Deutscher Widerstand umbenannten Gedenkstätte Stauffenbergstraße sprach 1985 Hans Mommsen über den „20. Juli und die deutsche Arbeiterbewegung“, der einen anderen ‚Lernprozess‘ betonte als Peukert sechs Jahre zuvor: „daß sich die Repräsentanten der organisierten Arbeiterbewegung, obwohl sie im Verschwörerkreis nur eine Minderheit darstellten, in wichtigen programmatischen Fragen sehr weitgehend durchzusetzen vermochten“ (Mommsen 1985, 24). Mit der Einbeziehung des Arbeiterwiderstands in die „Beiträge“ der Gedenkstätte begann zugleich die Thematisierung seiner Rezeption in der DDR. Im selben Jahr wie
secution and Terror“ und „Resistance“; im ersten Teil folgen zunächst aufeinander „Political“, „Religious“ und „Racial Persecution“ (letztere mit den Unterabschnitten „Persecution (1933 – 1939)“ und „Extermination (1939 – 1945)“), dann werden in einem Abschnitt „The System of Terror“ nach allgemeinen Titeln solche zu alphabetisch aufgeführten „Individual Camps“ aufgelistet; den Abschluss bilden „Individual Experiences“ und „Fiction and Poetry“. Der zweite Teil entspricht in gewisser Weise dem ersten, weil auf „Political and Ideological Resistance“ wiederum „Resistance of the Churches“ folgt, dann aber „The Munich Student Revolt“ und „Army Resistance: mainly the 20th July, 1944“, abgeschlossen vom „Anti-Nazi Humour“.
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Peukert hielt im Rahmen von „Fortbildungsveranstaltungen für Berliner Lehrer“ der Historiker Wolfgang Wippermann, der noch vor seiner Promotion bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft 1972 ein Buch „Zum Stand der gegenwärtigen Diskussion“ von „Faschismustheorien“ herausgebracht hatte, ein Referat über „Antifaschismus in der DDR: Wirklichkeit und Ideologie“ (Wippermann 1980, 19), das als Heft 16 der „Beiträge“ 1980 erschien. Weil „die Geschichte des Arbeiterwiderstandes im Dritten Reich nicht als Geschichte des ZKs der kommunistischen Partei verstanden und beschrieben werden“ könne (10), was aber „das ideologische Bestreben der SED“ bedinge, „ihre durch Wahlen nicht legitimierte Führung durch den Hinweis auf das kommunistisch-antifaschistische Erbe zu rechtfertigen“ (12), kritisiert Wippermann an „[w]esentlichen Thesen und Aussagen“ (4) – über Haltung zur parlamentarischen Demokratie, Sozialfaschismus-These, Volksfront, „Einschätzungen des Faschismus“ durch die „als ,revisionistisch‘, ,apologetisch‘, ,antisowjetisch‘, ,sozialdemokratisch‘ etc. verteufelt[en]‘“ oder „nicht erwähnt[en]“ „kommunistischen und sozialistischen Splittergruppen“ (9) – aus sieben in den späten 1960er und den 1970er Jahren erschienenen historischen „Darstellungen“, die von ihm „mit der Wirklichkeit konfrontiert“ (4) werden, dass mit ihnen „die Politik der SED historisiert und legitimiert“ werde: „Unter diesem gegenwartspolitischen Aspekt wird die Politik der KPD gegenüber dem Faschismus verherrlicht und ideologisiert.“ (6/7) Wippermanns letzter Kritikpunkt basiert nicht auf einer ,Konfrontation‘ von Aussagen mit ,Wirklichkeit‘, sondern einer moralischen Bewertung: Er verurteilt „die oft sehr verletzenden Bemerkungen von Historikern der DDR über sogenannte bürgerliche Widerstandskämpfer wie Carl Goerdeler, Ulrich von Hassell, Johannes Popitz u. a.“ prinzipiell: „Jede Kritik an den Handlungen, Motiven und Zielsetzungen derjenigen Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberalen und Konservativen sowie der nicht-parteigebundenen Christen, Humanisten und Demokraten, scheint mir angesichts des Mutes, den sie zeigten, und der Opfer, die sie brachten, in der einen oder anderen Weise deplaciert und ,anstößig‘ zu sein.“ (10) Wippermanns Nennung der Kommunisten an erster Stelle seiner Aufzählung der moralisch prinzipiell anzuerkennenden Widerstandskämpfer entspricht einem Aspekt seiner Kritik an der bundesrepublikanischen Widerstandsrezeption bis in die 1960er Jahre, der in der zitierten Kritik Peukerts fehlt: Wippermann erklärt, dass „der Arbeiterwiderstand weitgehend vernachlässigt wurde“ und sich „das Interesse in Forschung und Lehre auf den konservativ-militärischen und christlichen Widerstand“ „konzentrierte“, nicht als ,stillschweigendes Akzeptieren‘ der Kontinuität von ,proletarischem Klassenkampf‘ zur DDR (Peukert 1980b, 2), sondern als westliche Reaktion anderer Art: „Angesichts d[…]er Ideologisierung der Begriffe Faschismus und Antifaschismus wurden im Westen im Zeichen des Kalten Krieges und der Spaltung Deutschlands diese Ausdrücke als kommunistische Propagandafloskeln aufgefaßt und im Sprachgebrauch weitgehend eliminiert. Im ,Gegenzug‘ wurden Kommunisten als ‚rotlackierte Nazis‘ (Schumacher) denunziert. Die Gleichsetzung von Kommunisten und Faschisten, wie sie schon in der Weimarer Republik bei konservativen, liberalen und bei sozialdemokratischen Autoren anzutreffen war, wurde unter der Bezeichnung
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Totalitarismustheorie zur Leitlinie der politischen Bildung in Schule und Universität zur ‚westlichen Demokratie‘.“ (Wippermann 1980, 12) Zwei seiner abschließenden „Konsequenzen und Postulate“ (13): „Man sollte an dem Begriff des Antifaschismus festhalten“, und: „Der Widerstand der Kommunisten muß ebenso berücksichtigt werden wie der der Sozialdemokraten, Liberalen und Konservativen sowie der nicht-parteigebundenen Christen, Sozialisten, Humanisten und Demokraten“ (13), leitet Wippermann durch einen Vergleich der Widerstandsrezeption in der BRD und in der DDR ein, der ausgeht von „Wandlungen innerhalb der Geschichtswissenschaft und innerhalb des Geschichtsbewußtseins der Bundesrepublik“, aber zu dem Ergebnis kommt, dass diese „in der DDR […] gewissermaßen nicht mit vollzogen worden“ seien (12). Wippermann wendet Egon Bahrs Formel für Entspannungspolitik zwar nur auf die DDR an, indem er ihr vorwirft: „Ein ‚Wandel durch Annäherung‘ hat hier nicht stattgefunden“, aber damit impliziert er einen solchen für die Bundesrepublik, den er folgendermaßen beschreibt: „[…] seit den 1960er Jahren wurde mehr und mehr die Tatsache berücksichtigt, daß es eben nicht nur den 20. Juli gab. Der Terminus Faschismus wurde wieder als allgemeiner und epochenspezifischer Begriff ‚entdeckt‘ und verwandt“ (12) und mit ihm der des Antifaschismus: „Antifaschismus und Widerstand […] müssen im Zusammenhang mit der Entstehung, Struktur, sozialen Basis, sozialen Funktion und Zielsetzung des Faschismus betrachtet werden.“ (13) Zu diesem bundesrepublikanischen ‚Wandel‘ durch ‚Annäherung‘ an die im Kalten Krieg als ‚kommunistische Propagandafloskeln‘ ‚eliminierten‘ Begriffe sieht Wippermann in der DDR keine Entsprechung: „Noch immer versteht man hier unter Widerstand im Dritten Reich vor allem den Antifaschismus der Arbeiterbewegung unter Führung der KPD, die wiederum von dem jeweiligen ZK die meist ‚richtigen‘ Weisungen erhielt. Noch immer wird im Stil und Tonfall des Kalten Krieges der Bundesrepublik vorgeworfen, die ‚Macht der Kreise‘ wieder hergestellt zu haben, welche die ‚Hauptverantwortung für den Hitlerfaschismus und den Krieg‘ trugen.“ (12) Die Anmerkung zum letzten Satz weist das Zitat als eines aus dem Röderberg-Band „Der deutsche antifaschistische Widerstand 1933 – 1945. In Bildern und Dokumenten“ (Altmann 1975, 297, vgl. Wippermann 1980b, 16). In diesem Bild-Text-Band folgt vier Doppelseiten später eine mit vier jeweils halbseitigen Fotos; drei zeigen DemonstrantInnen mit Transparenten, überwiegend jugendliche unter „Sozialdemokraten und Kommunisten gemeinsam gegen Faschisten“ und „Stoppt Neonazis!“, überwiegend ältere erwachsene unter „Weg mit dem Berufsverbot!!“ [sic] und „Demokratie im Betrieb“, junge Bundeswehrsoldaten in Uniform unter „Verträge von Moskau und Warschau ratifizieren“ (Altmann 1975, 304/305). Das vierte Foto, auf der rechtenSeite oben, hat die Bildunterschrift: „Treffen Brandt/Stoph in Erfurt 1970. Bundeskanzler Willy Brandt, begleitet von DDR-Außenminister Otto Winzer (r.), besucht die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald.“ (305) Der Kommentartext zu allen vier Fotos lautet: „Mehr als ein Vierteljahrhundert dauerte das Ringen zwischen den Befürwortern einer Politik der Entspannung und des Friedens und den unbelehrbaren Anhängern des Kalten Krieges. Schließlich gelang es, die gefährliche Konfrontation abzubauen. In einem System
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von Verträgen wurden die durch den Krieg und seine Folgen geschaffenen Grenzen völkerrechtlich anerkannt und beide deutsche Staaten in die UNO aufgenommen. Damit wurde ein ständiger Spannungsherd in Mitteleuropa beseitigt und die ‚Nachkriegszeit‘ beendet. Es öffnete sich der Weg für die Anbahnung gutnachbarschaftlicher Beziehungen und für eine Zusammenarbeit nach den Grundsätzen der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung. Diese Chancen, die sich unserem Lande damit noch einmal bieten, müssen genutzt werden. Es gilt, endlich die Lehren zu ziehen aus jener größten Katastrophe der deutschen Geschichte, in die der Faschismus unser Land gestürzt hat“ (305). Die Quelle dieses Zitats über Entspannung als Chance, die Lehren aus der faschistischen Vergangenheit zu ziehen,³² wird von Wippermann als eine Quelle aus einer DDR zitiert, die ‚immer noch‘ den ‚Widerstand im Dritten Reich‘ ohne ‚Wandel durch Annäherung‘ im ‚Stil und Tonfall des Kalten Krieges‘ erinnere. Wippermann legt, indem er sich auf die Inhaftierung in der DDR von überlebenden „[s]ozialdemokratische[n], christliche[n] und konservativ-liberale[n] Widerstandskämpfer“ in „Zuchthäuser[n]“, „aus denen viele von ihnen gerade befreit worden waren“, bezieht, die sich dem SED-„Anspruch auf die ‚Führung‘ beim Aufbau einer antifaschistischen Ordnung“, „entgegenstellten“, den Schluss nahe, dass die toten „Antifaschisten und Widerstandskämpfer, die nicht der KPD angehört hatten“, in der offiziellen Erinnerung der DDR „nicht beachtet“ (Wippermann 1980, 11) worden seien. Einen solchen Schluss widerlegen die beiden 1970 vom IML herausgegeben ‚repräsentativen Bände‘ „Deutsche Widerstandskämpfer“ ebenso, wie sie nicht die von Johannes Tuchel (2005, 249) behauptete „Umformung der Roten Kapelle zur ‚Kundschafterorganisation‘“ belegen. Im Vergleich mit den ‚repräsentativen‘ Anthologien letzter Briefe, die in den späten 1940er und 1950er Jahren erschienen waren, „‚…besonders jetzt tu Deine Pflicht!‘“ und „Erkämpft das Menschenrecht“, fällt 1970 eher die Auslassung auch von WiderstandskämpferInnen auf, die in beiden vorangegangenen Publikationen präsent gewesen waren. Dazu gehört nicht nur der, wie bereits erwähnt, 1972 allerdings in das Lesebuch von Günter Albrecht „Erlebte Geschichte. Von Zeitgenossen gesehen und geschildert. T. 2: Vom Untergang der Weimarer Republik bis zur Befreiung vom Faschismus“ (Albrecht 1972, 202– 205) wieder aufgenommene „Brief einer unbekannten Jüdin“, die eine von „Vier Antifaschisten“ ist zusammen mit zwei Mitgliedern der ‚Roten Kapelle‘, Kurt Schumacher und Harro Schulze-Boysen, sowie mit Anton Saefkow, sondern auch der letzte Brief des Schauspielers Joachim Gottschalk vor dem Selbstmord zusammen mit seiner „für die Deportation vorgesehen[en]“ (Schumann/ Werner 1958, 186) jüdischen Frau. 1958 lautet der Kommentar zum Brief aus Tarnopol, in dessen Abdruck eine Seite mit der Reproduktion der Titelseite der „Sonderausgabe gegen Hitlers Judenpogrome“ des illegalen Zentralorgans der KPD „Die Rote Fahne“
Vgl. die 1974 getroffene Einschätzung von Wolfgang Abendroth: „Die Veränderung des außenpolitischen Gleichgewichts in der Welt, die die Politik der friedlichen Koexistenz ermöglicht hat, bietet die Chance, den Antikommunismus zurückzudrängen.“ (Abendroth 1974, 645)
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mit der ZK-Erklärung von 1938 „Gegen die Schmach der Judenpogrome“ eingeschoben ist, wie 1948: „Hier sprach ein Mensch für Millionen seiner unglücklichen Leidensgefährten, die aus allen Ländern Europas in die Gettos Polens und Rumäniens getrieben und dort vernichtet wurden. Das letzte erschütternde Lebenszeichen einer jüdischen Frau, die wenige Tage später, Ende April 1943, vernichtet wurde.“ (80; „… besonders“ 1948, 72) Gleichfalls nicht aufgenommen wurde der in beiden früheren Anthologien enthaltene und 1958 folgendermaßen kommentierte Brief des Kaufmanns Joachim Werber: er „war wegen seiner jüdischen Herkunft ständigen Repressalien ausgesetzt. Um seiner drohenden Deportation in die faschistischen Vernichtungslager zu entgehen, wählte er im Januar 1942 den Freitod.“ (Schumann/Werner 1958, 620) Mögliche Gründe für die Nicht-Aufnahme von WiderstandskämpferInnen, die noch nicht 1948 in „‚…besonders jetzt tu Deine Pflicht!‘“, sondern erst 1958 in dem unmittelbaren Vorgänger der zwei Bände des IML von 1970, „Erkämpft das Menschenrecht“, vertreten gewesen waren, könnten auf der einen Seite im Text des letztes Briefes, auf der anderen Seite in dem der Kurzbiographie liegen. Zwei weibliche Mitglieder der Schulze-Boysen-Gruppe, Cato Bontjes van Beek und Eva-Maria Buch, formulierten in ihren Briefen religiöse Hoffnungen. Eva-Maria Buch schloss am Tag vor der Hinrichtung ihren Brief an die Eltern: „Auf ein frohes Wiedersehen im anderen Leben.Wartet ab in Geduld, bis auch Ihr gerufen werdet. Bis zum letzten Atemzuge Eure Putte.“ (Schumann/Werner 1958, 90) Cato Bontjes van Beek schrieb dem 15-jährigen Rainer Küchenmeister, mit dem sie sich in der Haft befreundet hatte, sieben Monate vor ihrer Hinrichtung: „wir beide gehören zusammen, und darum waren diese drei Tage so wunderbar, und ich glaube immer noch an ein Wunder, das mich dem Leben wiederschenkt. Denk an Deinen Vater,³³ lieber Rainer, und begebe Dich nicht unnütz in Gefahr. Lebe Du weiter, lieber Rainer, suche das Schöne in der Kunst und in jedem Menschen und lerne mit dem Herzen zu denken. Der alte Gott schütze Dich; einen lieben Gruß von Deiner Cato.“ (50) In den Foto und letzten Brief begleitenden Kurzbiographien von „Erkämpft das Menschenrecht“ gilt nicht das von Simone Barck (2003, 30) ohne genauere Zeitangabe behauptete „Tabu“ über „Verrat“ in der Darstellung von Widerstand, wenn sie einen Text von 1951 einen nennt aus „dieser Zeit, als Verrat in den eigenen Reihen noch ein äußerst streng tabuisiertes Thema im antifaschistischen Diskurs war“; das ist aber ein möglicher Grund dafür, dass die im Folgenden genannten Widerstandskämpfer nicht in die IML-Bände von 1970 aufgenommen wurden; so heißt es über den Zimmermann Rudolf Burdt, der „während des verbrecherischen Hitlerkrieges offen seinen Haß gegen Faschismus und Krieg zum Ausdruck“ „brachte“: „Er wurde der Gestapo denunziert und im Januar 1944 verhaftet.“ (Schumann/Werner 1958, 92) Ähnlich ist der Text über den Eisendreher Walter Kluge, der „als klassenbewußter Arbeiter in einem
Walter Küchenmeister schrieb seinen letzten Brief an seine Frau Elfriede am 13. Mai 1943 und legte ihr seine „beiden Jungen“ „Claus und Rainer“ ans Herz: „Glaube nicht, daß der Tod das Ende ist.“ (Institut 1970, I, 542)
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Rüstungsbetrieb während des zweiten Weltkriegs antifaschistische Aufklärungsarbeit“ „leistete“: „Er wurde der Geheimen Staatspolizei denunziert“ (280), oder den Spengler Walter Rietig, der in den „Opelwerken“ Rüsselheims „aufklärend unter seinen Arbeitskollegen“ „wirkte“: „Durch Verrat geriet er in die Hände der Gestapo“ (424)“, aber in seinem letzten Brief an Frau, Sohn und Schwiegervater schrieb er: „Wenn die Flamme meinen Körper verzehrt, mein Herz, meine Seele werden bei Euch sein.“ (424) Seine Frau betreffen auch die letzten Worte des letzten Briefs des Hüttenarbeiters Ludwig Krall, der „zu jenen aufrechten Sozialdemokraten“ „gehörte“, „die […] einen erbitterten Kampf gegen Faschismus und Militarismus führten“, indem er „[g]emeinsam mit seiner Lebensgefährtin Klara Krall, die gleichfalls langjähriges Mitglied der SPD war, […] unter seinen Arbeitskollegen für die Beendigung des zweiten Weltkriegs“ „wirkte“ (291). Die letzten vier Zeilen seines Briefs an „Kinder und Mutter“ lauten: „Geschrieben mit Blut/ am 20. November 1943/ Mein letzter Wunsch: / Laßt meine Frau leben.“ (291) Angefangen hatte er mit der Ankündigung seines „Freitod[s]“: „Bin zu schwach, um so lange auf den Tod mit dem Beil zu warten./ Verzeihet mir./ Lebt wohl!“ (291) Die Kurzbiograhie endet: „Sein letzter Wunsch, die Begnadigung seiner Frau, blieb unerfüllt; Klara Krall wurde wenige Tage nach dem Tod ihres Mannes enthauptet.“ (291) Über den – wie aus der Begründung des Todesurteils zitiert wird – „‚fähige[n] Organisator‘“ einer „etwa vierhundert Kommunisten, Sozialdemokraten und parteilose Werktätige“ umfassenden, „mit der KPC zusammen[arbeitenden]“ Gruppe von Deutschen im Bezirk Karlovy Vary, den Glasschleifer Valentin Meerwald, wird berichtet: „Im Jahre 1943 gelang es der Gestapo in die Organisation einzudringen. Über vierzig Widerstandskämpfer wurden verhaftet. […] Valentin Meerwald wurde mit seinen engsten Freunden am 15. September 1944 hingerichtet.“ (355) Ähnlich ist die Formulierung zum Todesurteil für den Maschinenarbeiter Johannes Zoschke, der in der Gruppe von Beppo Römer, die mit der Uhrig-Gruppe zusammenarbeitete, „einen Instrukteur, der zur Unterstützung der illegalen Arbeit im Auftrage der KPD nach Deutschland zurückgekehrt war“, „beherbergte“: „Anfang 1942 gelang es der Gestapo, in die Organisation einzudringen und zahlreiche Festnahmen vorzunehmen.“ (644) Die Auswahl von „Letzte[n] Briefe[n]“ unter der Überschrift „Vier Antifaschisten“ (Albrecht 1972, 202– 205), die Günter Albrecht traf für sein im Verlag der Nation³⁴ Vgl. dagegen Bernd Gottbergs Festlegung des Programms der „sogenannten ‚weißen Reihe‘“ des Verlags der Nation auf „Wandlungsliteratur ehemaliger Wehrmachtsangehöriger“ (Gottberg 1994, 86) und die „sprachliche Nähe“ der zwei Folgen von 165 biographischen Skizzen „Deutsche, auf die wir stolz sind“ (Zwanzig Jahre 1968, 88/89) von Herbert Scurla zu den von diesem VdN-Autor „Ende der dreißiger Jahre“ verfassten „‚Deutschen Biographien‘ (Gottberg 1994, 83). Vgl. in den Verlagen anderer Blockparteien Reihen von Biographien, z. B. im Verlag der LDPD „Der Morgen“ die Reihe „Humanistische und revolutionär-demokratische Traditionen des Bürgertums“, in der 1961– 65 sechzehn Bände mit Biographien u. a. Walther Rathenaus, Albert Einsteins und Carl von Ossietzkys (Peterssohn 1988, 191) herauskamen, oder auch in der Evangelischen Verlagsanstalt, die vom westdeutschen Autor Jörg Erb „Lebensbilder“ von „Männern und Frauen aus geschichtlicher Vergangenheit“ druckte, „die in besonderer Weise Zeugnis von Christus ablegten“ (Bartsch 1956, 64).
7 Günter Albrecht „Vier Antifaschisten“
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erschienenes Lesebuch „Erlebte Geschichte. Von Zeitgenossen gesehen und geschildert“, von nicht nur bereits in der DDR publizierten, überwiegend autobiographischen Texten und einigen wenigen Originalbeiträgen – wie den „Erinnerungen an Anne Frank“ (Albrecht 1972, 257/258) der 1952 in die DDR übergesiedelten niederländischen jüdischen Kommunistin Lin Jadati – entsprach mit dem letzten Brief „Eine[r] unbekannte[n] Jüdin“, nachgedruckt aus „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ (1948), von zwei Mitgliedern der ‚Roten Kapelle‘: Kurt Schumacher, aus Günther Weisenborns „Der lautlose Aufstand“ (1953), und Harro Schulze-Boysen, aus der DDR-Ausgabe Malvezzis und Pirellis „Und die Flamme soll Euch nicht verbrennen“ (1956), sowie von dem Kommunisten Anton Saefkow, dessen letzter Brief auch der letztgenannten Quelle entnommen wurde, der quantitativen Vertretung einerseits von Gruppen des Widerstands, andererseits der Präsentation der Verfolgung und Vernichtung der Juden im ganzen Lesebuch.
7 Günter Albrecht „Vier Antifaschisten“ Aus der Bundesrepublik nachgedruckt wurde nicht nur das Mitglied der SchulteBoysen/Harnack-Gruppe Weisenborn, sondern auch Hans und Sophie Scholls Schwester Inge, mit zwei Auszügen aus „Die weiße Rose“ (1952) (45 – 49), der nach Westberlin übergesiedelte ehemalige Vertreter der EKD bei der Regierung der DDR Propst Heinrich Grüber (116 – 122), für dessen „Büro Grüber in den Jahren der Verfolgung“ nicht aus dem auch in der DDR erschienenen, von der „Hilfsstelle für ehemals Rasseverfolgte“ herausgegebenen Buch „An der Stechbahn“ (1957) nachgedruckt wurde, sondern ein späterer Text aus der Bundesrepublik, sowie Fabian von Schlabrendorff (243 – 246) mit seinem bearbeiteten Erlebnisbericht über den 20. Juli „Offiziere gegen Hitler“ (1959). Einem Text über kirchlichen Widerstand und jeweils zwei über die Weiße Rose und den 20. Juli stehen in Albrechts Auswahl jeweils fünf über die Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe und die KPD gegenüber. Auch unter den Texten von kommunistischen Widerstandskämpfern ist der Anteil von Briefen groß, aber nicht so groß wie bei den der Mitglieder der Roten Kapelle. Wesentlich vielfältiger sind die Textsorten zum Thema Judenverfolgung. Schon in der „Einleitung“ (6 – 28) wird von Klaus Willich „der mit dem Antikommunismus eng verbundene Antisemitismus“ (8) des Faschismus betont und ausdrücklich auf die Texte Martin Riesenburgers und Ruth Andreas-Friedrichs (9) als die von „Zeugen“ hingewiesen, was vom 1. April 1933 und den Nürnberger Gesetzen über den 9. November 1938 „zur Massenvernichtung jüdischer Menschen aus fast allen Ländern Europas“ (9) führte. Entsprechend wurde aus Wolfgang Langhoffs Erlebnisbericht „Die Moorsoldaten“ ein Kapitel gewählt, das die besonders grausame Demütigung und Misshandlung von jüdischen Häftlingen schon in einem der frühen
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Konzentrationslager zeigt, im KZ Börger Moor (61– 67),³⁵ von Lion Feuchtwanger der an einen ‚Arisierungsgewinner‘ adressierte „Offene Brief an den Bewohner meines Hauses Mahlerstraße 8 in Berlin“ von 1935 (74/75), aus Ruth Andreas-Friedrichs „Der Schattenmann“, einem „nachträglich in die Form eines Tagebuchs gebrachten Erlebnisbericht“ (Peitsch 1990, 300) über die Berliner ‚Gruppe Otto‘, die ‚Untergetauchten‘ half (301), ein Ausschnitt über den 9. November „Die Synagogen brennen“ (Albrecht 1972, 109 – 113), der über diejenigen, die sich nicht an einem „Pogrom“ beteiligen, aber „ihren Gehorsam lieben“, hinaus fragt: „Und wir anderen?“ (113), die knappe Darstellung des „Jüdische[n] Martyrium[s]“ (114/115) in den Jahren 1938 bis 1941 durch den Berliner Rabbiner Martin Riesenburger, die 1960 im Union-Verlag in „Das Licht verlöschte nicht. Dokumente aus der Nacht des Nazismus“ erschienen war (und 1984 erweitert wiederaufgelegt wurde), und die von Heinrich Grüber gegebene Darstellung der 1939 mit Kriegsbeginn und dem Ende der Emigrationsmöglichkeit endenden Tätigkeit der ‚Hilfsstelle‘ der evangelischen Kirche als – so der Titel des Ausschnitts: „‚Gegenspieler‘ der Gestapo“ (116 – 122), schließlich der „An einem einzigen Arbeitstag“ (185 – 187) überschriebene Ausschnitt aus Victor Klemperer 1957 in dritter Auflage erschienenem „Notizbuch eines Philologen“ „LTI“ (1947), dessen 2. Auflage 1949 gedruckt worden war und dessen Leipziger Reclam-Ausgabe 1966 herauskam, als in der Bundesrepublik die erste Ausgabe im Melzer-Verlag erschien, unter dem Titel „Die unbewältigte Sprache“.Während der DDR-Reclam-Verlag 1975 die 4. Auflage druckte und am Ende der DDR die 10. Auflage erreicht hatte, kam 1969 die erste westdeutsche Taschenbuchausgabe bei dtv heraus, der keine weiteren Auflagen folgen sollten. Stattdessen erschien „LTI“ seit 1972 im Röderberg-Verlag in „eine[r] weitere[n] neue[n] Reihe: die Röderberg-Taschenbücher, Lizenzausgaben des ReclamVerlags Leipzig“, „mit der die thematische Spannweite des Verlags erheblich vergrößert wurde“ (30 Jahre 1980, 35). Die Röderberg-Taschenbuchausgabe von „LTI“ erreichte eine zweite Auflage erst 1982, die dritte 1985 und die vierte 1987. Der von Albrecht für das Lesebuch von 1972 gewählte Ausschnitt aus „LTI“ gipfelte in Klemperers Urteil über die Belegschaft des Betriebs, in dem er 1943/44 Zwangsarbeit leisten musste: „Keines war ein Nazi, aber vergiftet waren sie alle.“ (Albrecht 1972, 187) Die von Albrecht ausgewählten Texte zur Judenverfolgung und -vernichtung folgen der gewissermaßen als Motto der „Einleitung“ des Lesebuchs vorangestellten, Friedrich Hebbel zitierenden Devise aus Johannes R. Bechers Rede (1946) zum ersten Jahrestag der Gründung des Kulturbunds „Auf andere Art so große Hoffnung“: „daß das Verhängnis unserer Geschichte nur gebannt werden kann, wenn die deutsche Nation einen Gerichtstag über sich selbst abhält“ (Albrecht 1972, 5), für die Becher Friedrich Hebbel zitiert: „‚Es kommt zuweilen für den einzelnen Menschen so für ein ganzes Volk ein Moment, wo es über sich selbst Gericht hält. Es wird ihm nämlich Gelegenheit gegeben, die Vergangenheit zu reparieren und sich der alten Sünden
Vgl. die drei Jahre nach Albrechts Lesebuch im Aufbau-Verlag erschienene Neuauflage des AufbauVerlags als Taschenbuch: Langhoff 1975, 137– 145: „Baracke 11“.
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abzutun.‘“ (Becher 1979, 47/48)³⁶ Aber die Anklage auf Schuld wird implizit gehalten, indem einerseits nur für die KPD, mit der Begründung, dass sie mit 150.000 Inhaftierten (von 1933 300.000 Mitgliedern) und „Zehntausende[n]“ „[E]rmordet[en]“ (11) die „höchsten Blutopfer“ gebracht habe, erklärt wird: „Sie rettete die Ehre unserer Nation“ (13), andererseits aber zu deutschen ‚Kriegstoten‘: „7 Millionen Deutsche wurden Opfer ihrer eigenen Verderber.“ (22) Nur ein letzter Brief eines kommunistischen Widerstandskämpfers wurde in Albrechts Lesebuch abgedruckt, denn der abgedruckte Auszug „Aus einem Brief an einen Kerkergenossen“ (254/255) von Thälmann stammt aus dessen bereits 1950 kanonisierter „Antwort auf Briefe eines Kerkergenossen in Bautzen, Januar 1944“, die vom „Neuen Deutschland“, wie bereits zitiert, als „Schriftstück[…], das Ernst Thälmann trotz Kerkerhaft als einen unbeugsamen Kämpfer und gleichzeitig auch von einer starken menschlichen Seite zeigt“ (Thälmann 1950a), publiziert worden war. Doch das Verhältnis von politischer ‚Unbeugsamkeit‘ und ‚Menschlichkeit‘ bestimmt auch Anton Saefkows im Zuchthaus Brandenburg geschriebenen Brief an seine Frau vom 9. September 1944. Er war schon in „…besonders jetzt tu Deine Pflicht!“ (1948, 122) aufgenommen worden, wurde aber von Albrecht nicht nach dieser Quelle gedruckt, die zu den „Verbindungen“ der von Saefkow mit Bernhard Bästlein und Franz Jacob aufgebauten „Organisation“ in der Kurzvita geschrieben hatte: „Mit den linken Kräften der Männer des 20. Juli fanden vorbereitende Aussprachen statt“ (121), sondern nach Malvezzis und Pirellis europäischer Anthologie, in deren Kurzvita es über Saefkow hieß: „Anfang Juli 1944 wurde er mit den meisten Angehörigen seiner Gruppe verhaftet, nachdem es einem Agenten der Gestapo gelungen war, sich in die Organisation einzuschleichen“ (Malvezzi/Pirelli 1956, 160/161). Nach der Anrede „Du meine Aenne“ ist der erste Satz: „Es gibt Höhepunkte im politischen und im persönlichen Leben.“ (161) Das Verhältnis zwischen Politischem und Persönlichem bestimmt die drei folgenden Absätze. Es beginnt mit dem Gegensatz zwischen der verschlüsselt formulierten Aussicht auf den Sieg der Alliierten und der offenen auf den eigenen sicheren Tod, der jedoch den Brief selbst zu einem „Glück“ mache: „Der Krieg hat mit seiner Konzentration aller Kräfte seinen Höhe-
Mit einem Hebbel-Zitat beendete 1944 in der „Internationalen Literatur“ Georg Lukács seinen Essay „Schicksalswende“, weil Hebbel „die Bedeutung solcher Schicksalswenden tief charakterisiert“, da er „tiefer als alle anderen [deutschen Dramatiker] den dramatischen Charakter des ganzen Lebens erkannt hat“: „‚Du hast vielleicht/ Gerade jetzt dein Schicksal in den Händen/ Und kannst es wenden, wie es dir gefällt!“ (Lukács 1948, 356) Aber für das Bild ‚Gerichtstag‘ zitierte Lukács einen anderen, nicht-deutschen Dramatiker schon 1942 in der „Internationalen Literatur“ in seinem Essay „Die verbannte Poesie“, um „große Teile der deutschen Intelligenz“ dafür zu kritisieren, „heute nicht als Menschen, nicht als Schriftsteller in ihren Werken einen Ibsenschen Gerichtstag über sich selbst zu halten“ (239): „Leben ist: in Herz und Hirn/ Kampf mit finsteren Gewalten./ Dichten ist: Gerichtstag/ Über sich selbst zu halten.‘“ (238) Lukács verglich die deutschen Schriftsteller, die mit dem Faschismus paktierten, mit der „Wesenlosigkeit“ Peer Gynts, die „– wie eine schöne Szene der Dichtung zeigt – wie eine Zwiebel nur aus ablösbaren Häuten besteht, ohne einen Kern zu besitzen. […] Darum können sie heute nicht […] einen Ibsenschen Gerichtstag über sich selbst halten.“ (239)
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punkt und in Kürze seine Entscheidung erreicht. Mit der Entscheidung steigert sich die Zahl der Opfer, die wir, die Freund und Feind bringen müssen. Wenn ich nun auch sterben muß, so habe ich das große und vielleicht schmerzende Glück, Dir vor meinem Tode noch schreiben zu können. Wir beide, mit unserer großen Liebe, sollen und müssen uns für immer trennen.“ (161) Erst dem Dank für das „gemeinsame[…] Leben“ schließt sich die Mitteilung des Todesurteils an, was begründet: „Erst heute, mit diesen Ziele habe ich wegen der Gedanken an Euch“, Aenne Saefkow und ihre gemeinsame Tochter Bärbel , „die ersten nassen Augen nach dem Urteil. Denn das Weh, das mich zerreißen könnte, hält der Verstand zurück.“ (161) Der die Adressatin einvernehmenden Versicherung von ‚Unbeugsamkeit‘: „Du weißt, ich bin ein kämpferischer Mensch und werde tapfer sterben“, folgt eine ‚menschliche‘ Vergewisserung über die Vergangenheit als „die Einheit unserer kurzen, großen, reifen Liebe“: „Nur die Dichtkunst kennt wolkenloses Glück und ewige Jugend. Unsere Wolken waren kriegsbedingt, Wolken der Sorge“ (161). Die ‚große Liebe‘ leitet zu einer den Schluss des Briefes bestimmenden doppelten Wendung zur Zukunft nach seinem Tod: zunächst der der Tochter, dann der Adressatin: „ich weiß, daß unser Bärbel ein bewußtes Kind dieser großen, mächtigen Liebe ist. Gerade, weil ich Dich kenne, ist mir nicht bange um die […] Erziehung unserer Tochter“ (161). Neun Tage vor seiner ‚letzten Stunde‘ versichert Saefkow seiner Frau sein Weiterleben in ihrer Erinnerung, nach einem Auftrag, einen größeren Kreis zu grüßen, und einem Abschiedsgruß auch an die Tochter: „Grüße alle Menschen, die mich schätzen und lieben. Lebet wohl! Immer bin ich, bis zu Deiner letzten Stunde, Dein Anton.“ (161) In einem Artikel von Aenne Saefkow „Zum 10. Jahrestag der Hinrichtung von Anton Saefkow, Bernhard Bästlein und Franz Jacob“ im „Neuen Deutschland“ am 18. September 1954 ist das Wort ‚Genosse‘ in der Schlusswendung, wie bei den bevorstehenden Volkskammerwahlen „im Sinne des Vermächtnisses solcher Patrioten wie Genosse Anton Saefkow und seine Genossen“ (Saefkow 1954) zu handeln sei, das einzige Wort zur Beziehung der Autorin zu dem von ihr etwas ausführlicher als die im Untertitel genannten Bästlein und Jacob (in jeweils zwei Absätzen) porträtierten Widerstandskämpfer Anton Saefkow. Statt seines letzten Briefs zitiert Aenne Saefkow „die für einen Kommunisten ehrenvolle Feststellung […] in der Begründung des Todesurteils“, „die „[f]ür sie alle gilt“: „‚Saefkow, Jacob und Bästlein sind alte kommunistische Funktionäre, die von einem abgründigen Haß gegen unseren Führer und den Staat erfüllt sind und daraus selbst in der Hauptverhandlung kein Hehl gemacht haben. Die wegen Vorbereitung zum Hochverrat von ihnen verbüßten Strafen haben ebensowenig Eindruck bei ihnen hinterlassen wie ihr nachfolgendes Verweilen im Konzentrationslager. Sie haben vornehmlich im fünften Kriegsjahr die KPD in einem derartigen Umfange wieder aufgezogen und die Wehrmacht zu zersetzen versucht, daß hier für das Reich die allerschwersten Gefahren herausbeschworen wurden.‘“ (Saefkow 1954) Im Vergleich zu dem von Albrechts Lesebuch für den Adressaten unter Bechers Hebbel-Motto gestellten ‚Gerichttag der deutschen Nation über sich selbst zur Ban-
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nung des Verhängnisses ihrer Geschichte‘ in den ausgewählten Texten formulierte Christa Wolf im selben Jahr 1972 in ihrer Besprechung von Fred Wanders Erzählung „Der siebente Brunnen“ in der Zeitschrift „Sinn und Form“ eine stark abweichende Einschätzung der DDR-Leserschaft, auch wenn sie davon ausgeht: „Die Aufgeklärtheit eines durchschnittlichen Bürgers in unserem Land über den Komplex Konzentrationslager kann sich wahrscheinlich mit seinem Kenntnisstand über irgendeinen normalen Lebensbereich messen.“ (Wolf 1979, 258) Den ‚Komplex Konzentrationslager‘ hat sie zuvor auf das Wort „‚Auschwitz‘“, das „für sich selbst“ stehe, gebracht, „für den umfassend angelegten, unerbittlich durchorganisierten und mit industriellen Methoden betriebenen Versuch des deutschen Faschismus, ganze Völker, unter ihnen die europäischen Juden, zu vernichten“ (258). Im Folgenden wird der 1972 durch das Lesen von summarisch benannten „Berichte[n], Protokolle[n], Prozeßakten“ (258) gewonnene ‚Kenntnisstand‘ zwei Mal kritisch eingeschätzt, zuerst als „zur Ruhe gekommenes, eingekapseltes oder in die Abstraktion verflüchtigtes Wissen“ (259), dann als bedeutungslos für das Verständnis von individuellem Verhalten im Faschismus: „Was hat die Menschen – guten Gewissens – so gemacht? Gewöhnliche Leute und so wenig zu Ungeheuern bestimmt wie wir.“ (265)³⁷ Die erste Kritik wird begründet mit einer Behauptung, die absieht von jeweils zwei Nachauflagen bis 1975 für die beiden von Wolf genannten neueren Titel³⁸ und von nicht nur der Aufnahme von „Jakob der Lügner“ in die „Romanzeitung“-Reihe von Volk und Welt, sondern auch der mit dem Nationalpreis für Kunst und Literatur der DDR 1975 (Tschernig 1989, 239)³⁹ ausgezeichneten Verfilmung, die als Koproduktion der DEFA und des Fernsehfunks am 22. Dezember 1974 ihre Premiere im Fernsehen hatte (Schieber 2016, 52): „Wenige Jahre nach den großen Auflagen solcher Bücher wie ‚Nackt unter Wölfen‘ oder ‚Tagebuch der Anne Frank‘ werden Neuerscheinungen wie Jurek Beckers ‚Jakob der Lügner‘ und […] Fred Wanders ‚Der siebente Brunnen‘ nur von wenigen gelesen.⁴⁰ So glauben wir 1975 spricht Wolf im Gespräch mit Hans Kaufmann „von einer anderen Art der Bewältigung“ als der, die „in unserem Staat in unvergleichlich anderer und gründlicherer Weise geschehen ist als zum Beispiel in der Bundesrepublik“: „die Auseinandersetzung des einzelnen mit seiner ganz persönlichen Vergangenheit, mit dem, was er persönlich getan und gedacht hat und was er ja nicht auf einen anderen delegieren kann, wofür er sich auch nicht mit Massen von Menschen, die dasselbe oder Schlimmeres getan haben, entschuldigen kann. Hier versagt die Soziologie und Statistik. Hier geht es um persönliche und gesellschaftliche Moral und die Bedingungen, die beide außer Kraft setzen.“ (Wolf 1979, 109) „Jakob der Lügner“ (1969) wurde 1973 und 1975 neu aufgelegt (eine Reclam-Ausgabe erschien 1988), „Der siebente Brunnen“ 1972, 1974 und 1976. 1972 hatte diesen Preis die, zu einem Teil in der Gedenkstätte Auschwitz gedrehte, Fernseh-Verfilmung des Romans „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ von Peter Edel erhalten (Tschernig 1989, 207), deren vier Teile vom 23. bis 30. Mai 1972 erstgesendet wurden (Schieber 2016, 245). In dem aus der früheren Kreisbibliothek Zossen ausgesonderten, mit der Zugangs-Nr. 1465:71 und der Signatur R 11 versehenen Exemplar von Wanders Erzählung ist folgende Inhaltsangabe für BenutzerInnen eingeklebt: „Konzentrationslager Hirschberg im Winter 1945. Tausende Häftlinge treten einen grauenvollen Vernichtungsmarsch über das Riesengebirge an. Von der immer enger werdenden Zange der alliierten Truppen bedroht, treiben die SS-Henker Juden und Antifaschisten aus vielen
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also, alles über Lager, Ghetto und Zuchthaus zu wissen – über die drinnen und und draußen?“ (Wolf 1979, 259) Der letzte Satzteil der bezeichnend inklusiv formulierten rhetorischen Frage deutet mit dem ‚wir draußen‘ auf den zweiten Punkt der Kritik voraus, gerade weil er als Annahme des Autor-Ichs geäußert wird: „Ich glaube, daß heute noch viele Menschen trotz richtiger ökonomischer und sozialer Analysen, die man sie gelehrt hat, im Grunde nicht wissen, wie ihnen geschah.“ (265) Wolf bezieht sich damit auf diejenigen DDR-BürgerInnen, für die der Faschismus ‚Erlebte Geschichte‘ gewesen war und nicht erst durch Lektüre von Albrechts Lesebuch werden sollte. Wolf fasst diesen Unterschied als einen von ‚Generationen‘. Über die Generation, der sie sich zurechnet, heißt es zuerst: „Nach dem Krieg hatten wir zu lernen, unter den Augen von Völkern zu leben, die bei unserem Namen ein Grauen unterdrücken mußten. Das Entsetzen, das man in unserem Namen verbreitet hatte, traf, verspätet, bei uns selber ein. Diese Lektion hat tief und nachhaltig unser Leben bestimmt. Sie ist für viele unserer Grundentscheidungen verantwortlich“ (259). Dann beschreibt sie – als „noch nicht […] beschrieben“ – die „Folgen“ dieser ‚verspäteten‘ Aneignung des ‚Entsetzens‘ aus den ‚Augen‘ anderer Völker, zwei Mal negativ und beide Male mit dem Adverb „natürlich“; die erste Folge wird scheinbar von einer Bewertung distanziert: „Wir bezahlten natürlich – das ist keine Klage, sondern eine Beobachtung – mit Verlust an Unbefangenheit und Selbstgefühl, ein Verlust, dessen Folgen noch nicht untersucht und beschrieben sind.“ (259) Die zweite Folge wird rhetorisch doppelt erfragt: „Sind [wir] dieser ‚Thematik‘ ein wenig müde geworden, was vielleicht nach einem Vierteljahrhundert und angesichts anderer uns fesselnder Probleme nur natürlich ist? […] So wäre es zuviel von uns verlangt, daß wir Entsetzen, Trauer, Reue immer neu in uns anstacheln lassen?“ (259) Dass es Wolf um die Folgen für unterschiedliche ‚Generationen‘ geht, machen ihre die beiden rhetorischen Fragen jeweils belegenden Zitate aus Alltagsgesprächen deutlich, zunächst: „(Der Faschismus – das ist für mich Tertiär, sagte mir eine junge Frau.)“, dann: „(Noch heute, sagt mir ein Mann meiner Generation, kann ich einem Menschen, von dem ich weiß, daß er Jude ist, nicht ohne Scheu gegenübertreten.)“ (259) Die Wiederaufnahme des Begriffs ‚Entsetzen‘ geschieht zusammen mit zwei bisher nicht gefallenen: Reue und Scheu, die auf die Problematik von Schuld und Scham verweisen. Auf doppelte Weise löst Wolf diese Problematik aber auf, erstens indem sie auf diejenigen „heute noch Lebende[n]“ begrenzt wird, „unter de[re]n Augen“ „sechs Millionen“ „umgebracht“ wurden (259) und von denen die jüngeren abgegrenzt werden: „Erst an den nächsten Generationen sehen wir, was das Wort ‚unbelastet‘ bedeuten kann. Denn ihre Gefühle, wenn sie Buchenwald, Ravensbrück, Sachsenhausen ‚besichtigen‘, unterscheiden sich radikal von den unseren, die wir – und sei es als Kind – die Synagoge in unserer Stadt brennen sahen“ (259/260). Zweitens stellt Ländern Europas bis in das Lager Buchenwald. Im Sterben oder Überleben, verwurzelt in Jahrhunderte alter Tradition und Glaubensvorstellung, setzen die verfolgten Juden in Gemeinschaft mit ihren Schicksalsgefährten in dieser von gedanklicher Tiefe erfüllten Ich-Erzählung dem brutalen Vernichtungswahn ihre unzerstörbare menschliche Substanz entgegen.“ (Wander 1971)
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Wolf jetzt die Möglichkeit einer Aneignung des ‚Entsetzens‘ anderer, wie sie zuvor für die eigene ‚Lektion‘ in der Nachkriegszeit vorausgesetzt worden ist, grundsätzlich in Frage: „Was immer aber danach mit uns geschehen sein mag – unser Blick bleibt der Blick von ‚draußen‘. Keine Macht der Welt kann aus Mit-Gefühl Gefühl machen, aus Nach-Empfinden Empfinden, aus Vorstellung Erfahrung. Nächtliche Alpträume sind nicht Realität, und selbst die sensibelste Phantasie erreicht nicht entfernt auch nur eine einzige Minute im Leben derer, die ‚drinnen‘ waren.“ (260) Diese Voraussetzung hat allerdings schon Wolfs Statuierung „d[e]s Tabu[s] auf den Stoff ‚Auschwitz‘“ zugrundegelegen, „dessen literarische Behandlung, wie ich glaube, nur dem von Auschwitz Betroffenen zukommt – ein Recht, das wahrscheinlich zu den schwersten Bürden seines Lebens gehört“ (258). Damit sind die Deutschen, die nicht rassistisch verfolgt worden sind, und ihre Nachkommen zu ‚von Auschwitz Nicht-Betroffenen‘ erklärt. Mit dieser Auflösung der spezifisch deutschen moralischen Problematik öffnet sich die Möglichkeit zu einer vagen Verallgemeinerung: „‚Auschwitz‘ steht, so viele, so wenige Jahre danach, schon für anderes als nur für sich selbst. Es steht für die beunruhigendste Tatsache dieser Zeit, als ein Beweis dessen, daß ein Herrschaftsmechanismus entwickelt wurde, der große Teile eines Volkes fast im Handumdrehen zurückschleudern kann in die Barbarei. Eine Welt, in der das Böse, Zerstörerische zum Normalen erklärt und von vielen als normal empfunden wird.“ (264). Die Verallgemeinerung wird nur scheinbar konkretisiert, indem Wolf „– wenn irgend etwas, so […] dies eine Botschaft“ von Wanders Erzählung nennt: „‚Auschwitz‘ – was immer das heute bedeutet, wie immer es heute irgendwo auf der Erde aussieht – zu überwinden. Nicht abstrakt, im Geiste nur, sondern in der täglichen Anstrengung um die Banalität des Guten als gesellschaftliche Realität. Ein Ziel, das wir vor Augen haben.“ (267)
8 „Ehrenbuch der Opfer von Plötzensee“ der VVN-Westberlin 1974 erschien im SEW-nahen Verlag das europäische Buch das von der VVN-Westberlin herausgegebene und von Willy Perk und Willi Desch redigierte „Ehrenbuch der Opfer von Plötzensee“, dessen Bezeichnung seines Genres schon in einzelnen Rezensionen für Günther Weisenborns „Der lautlose Aufstand“ benutzt worden war: „Dies ist ein Ehrenbuch des deutschen Volkes“ (Essig 1953, 3) und „gehört in jede Schule“ (l., r. 1954). Weisenborns Buch wurde 1974 von Röderberg in einer „Vierte[n] verbesserte[n] Auflage“ (Weisenborn 1974, 3), die auf der zweiten von 1954 beruhte, erneut veröffentlicht, mit einem Vorwort des Verlags zu den „Fortschritte[n]“ der seit der dritten Auflage von 1962 „inzwischen vorliegenden Forschungsergebnisse“ (9) zum Widerstand, obwohl „gar nicht […] davon die Rede“ sein könne, dass sie „Eingang in die dominierende Geschichtsschreibung und in die Schulgeschichtsbücher gefunden hätten“ (9). Gegeben wurden „Hinweise auf Institutionen, die sich mit der Erforschung des Widerstandes beschäftigen“, ohne „die vom politischen Interesse her zum Teil unterschiedlich gewichteten, teilweise umstrittenen Arbeitsergebnisse dieser
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Institutionen zu bewerten“: „Das Münchener Institut für Zeitgeschichte hat in zahlreichen Einzeluntersuchungen Teilgebiete der Zeit des ‚Dritten Reiches‘ behandelt, darunter auch Aspekte des Widerstandes. Regional hat sich die ‚Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg‘ durch verschiedene Publikationen hervorgetan. Einige Einzelveröffentlichungen, darunter über den Widerstand in Dortmund und Essen, gingen aus der Arbeit des Forschungsinstituts der FriedrichEbert-Stiftung, Bonn, hervor.“ (8)⁴¹ Aber das „Ehrenbuch“ von 1974, das „[n]ach sehr sorgfältiger Prüfung“ (VVNWestberlin 1974, 8) nur die Namen von 1574 der insgesamt 2915 in Plötzensee Hingerichteten „aufgenommen“ hatte, nämlich die, „deren Akten sie eindeutig als Gegner und Kämpfer gegen den Hitlerfaschismus ausweisen“ (9),⁴² betonte nicht nur einleitend, dass die „weitaus meisten Opfer“ aus der Arbeiterklasse stammten, sondern auch als „eine geschichtliche Wahrheit, daß die Kommunisten […] die meisten Opfer gebracht haben“ (9). Der fast 130 Seiten langen „Ehrenliste der wegen ihrer Gesinnung hingerichteten Widerstandskämpfer“ (85 – 211) voraus gehen einerseits „Dokumente der Ehre und der Mahnung“ (39 – 66), vor allem Fotos und Auszüge aus letzten Briefen, andererseits „Dokumente der Schande und der Warnung“ (67– 84). Die Verbindung von Ehrung der WiderstandskämpferInnen und Adressierung der Mahnung an die LeserInnen bestimmt die Kommentierung der abgedruckten Dokumente, die nicht durchgängig letzte Briefe sind, so heißt es zu einem aus der allerersten Broschüre der VVN „Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack. Männer und Frauen des illegalen antifaschistischen Kampfes“ (Lehmann 1948, 87) nachgedruckten Text: „In einem Gedicht wird das Vermächtnis der Helden dieser Widerstandsorganisation der nachkommenden Generation als Verpflichtung auferlegt“ (VVN-Westberlin 1974, 23). Die starke Formulierung der Mahnung zur Übernahme des Vermächtnisses als eigene Verpflichtung des Adressaten ist keineswegs ein Einzelfall im „Ehrenbuch“ und sie bezieht sich fast stets auf „die junge Generation“: „In seinem letzten Brief schrieb er gleichsam als Mahnung an die junge Generation… ‚[…] Richte Deinen Blick vorwärts!‘“ (17) So im Kommentar zum letzten Brief des kommunistischen Reichstagsabgeordneten Robert Stamm – der so wie Julius Fucik (31) und alle deutschen sozialdemokratischen Widerstandskämpfer, die in der Broschüre der Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße „Gedenkstätte Plötzensee“ von 1972 porträtiert waren (Johanna
Vgl. dagegen Tuchels Darstellung der Entwicklung der Widerstandsforschung im Organ des Studienkreises Deutscher Widerstand (Tuchel 2017), der den Studienkreis mit keinem Wort erwähnt, den das Röderberg-Vorwort aber hervorhebt wegen seiner „wertvolle[n] Aufklärungsarbeit besonders unter der Schuljugend“ „[m]it der Wanderausstellung ‚Antifaschistischer Widerstand 1933 – 1945‘“ (Weisenborn 1974, 9). Tuchel und Bästlein gehen auf den Kontext der Entstehungszeit nicht ein, sondern bewerten das „Ehrenbuch“ von dem zwanzig Jahre später erreichten Forschungsstand aus: „Nicht mehr dem Stand der Forschung entsprach bereits zu Beginn der neunziger Jahre das ‚Ehrenbuch“, weil es die Zahl der als politisch behandelten kriminellen und der als kriminell behandelten politischen Häftlinge nicht „berücksichtigte“ (51); ihre eigene Zahl der Opfer beträgt 2891 (47).
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Kirchner, 27, Wilhelm Leuschner, 29/30, Julius Leber, 30), auch ins „Ehrenbuch“ aufgenommen wurde. Von Fucik wird aus der 1948 zuerst erschienenen „Reportage unter dem Strang geschrieben“ der Schluss zitiert, der die Mahnung anders als an die ‚junge Generation‘ adressiert: „Seine Aufzeichnungen in der Zelle beendete Julius Fucik mit der ernsten Mahnung an alle: ‚ – Auch mein Spiel geht dem Ende zu. Das Leben geht weiter. Und im Leben gibt es keine Zuschauer… Menschen, ich hatte Euch lieb. Seid wachsam!‘“ (31)⁴³ Obwohl eine Änderung des Textes mit den drei Punkten angedeutet ist, ist vor allem die Ersetzung von vier Sätzen durch den nicht in Fuciks Text stehenden Allgemeinplatz „Das Leben geht weiter“ bedenklich, denn er tilgt: „Das Ende habe ich nicht mehr beschrieben. Das kenne ich noch nicht. Das ist kein Spiel mehr. Das ist das Leben.“ (Fucik 1952, 121) „Ich habe euch geliebt, Menschen“, heißt es schon in dem „Sterben“ überschriebenen Kapitel zum 1. Mai 1942 in der Haft, als Fucik nach Tagen schwerer, von Halluzinationen begleiteter Krankheit zu sterben meint und etwas schreibt, das mit den Worten endet: „Das ist mein Testament für euch, Vater und Mutter und meine Schwestern, für dich, meine Gusti, für euch, Genossen, für alle, die ich liebgehabt habe.“ (VVN-Westberlin 1974, 24) Das so adressierte Testament lautet: „Ich habe das Leben geliebt, und für seine Schönheit bin ich in den Kampf gezogen. Ich habe euch geliebt, Menschen, und ich war glücklich, wenn ihr meine Liebe erwidert habt, und ich habe gelitten, wenn ihr mich nicht verstanden habt. Ihr, die ich beleidigt habe, verzeiht mir; die ich erfreut habe, vergeßt es! Nie soll mit meinem Namen Trauer verbunden sein.“ (24) Kurzzitate aus letzten Briefen werden auch als Zwischenüberschriften des Kommentars verwendet: ‚Für seine Überzeugung sterben‘ (15) ‚Den Tod fürchte ich nicht!‘ (17) ‚Behaltet mich im Gedächtnis‘ (24), oder auch ein Vers aus einem der Gedichte, die der tatarische Widerstandskämpfer Musa Dshalil in der Moabiter Haft schrieb und die 1957, von Franz Leschnitzer übersetzt, im Nachfolger des SMAD-Verlags, Kultur und Fortschritt, unter dem Titel „Aus dem Moabiter Heft“ erschienen, 1962 als ReclamBand und als „Moabiter Hefte“ 1977 von Volk und Welt in neuer Übersetzung herausgebracht wurden: „‚Mein Lied wird weiter klingen‘“ (32, vgl. Dshalil 1962). So wurde in einem Fall, unter einem Zitat aus dem Brief Hanno Günthers an seine Mutter: „‚Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen‘“ (VVN-Westberlin 1974, 25), eine Antwort der Adressatin des letzten Briefs auf diesen – gewissermaßen ‚weiterklingend‘ – abgedruckt, die schon im ersten Nachkriegsjahr in einer Tageszeitung veröffentlicht worden war: „Am Totensonntag 1945 schrieb die Mutter von Hanno Günther in der ‚Berliner Zeitung‘, welches Leid sie fühlte, das ihr die Nachricht von der Hinrichtung ihres Sohnes bereitete: „‚[…] ‚Wenn du diesen Brief erhältst…‘ mehr lese ich nicht. […] und ich höre sein stolzes Abschiedswort: ‚Wir sterben für Deutschland.‘ ‚Ihr starbt für Deutschland, ihr tapferen Jungen. Ihr sollt nicht umsonst gestorben sein.‘“ (26)
Vgl. ähnlich VVN-Westberlin 1974, 27: „In seinem letzten Brief schrieb er für alle verpflichtend die Worte“.
XII ‚Wiedervereinigungsgebot‘ oder Entspannung Zwei Tage vor der Unterzeichnung des Grundlagen- oder Grundvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, gegen den die CSU-Regierung Bayerns mit dem Erfolg eines ‚Wiedervereinigungsgebots‘ das Bundesverfassungsgericht anrief, berichtete der „FAZ“-Korrespondent Bernhard Heimrich am 19. Dezember 1972 über den Besuch der Gedenkstätte Auschwitz durch den ersten Botschafter der Bundesrepublik in Warschau als Hinnahme des Skandals, dass unter den ‚nationalen Gedenkstätten einzelner Länder‘ im Museum Auschwitz ‚die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung 1933 bis 1945‘ allein von der DDR vertreten werde. Erich Fried war als Mitarbeiter der BBC 1967 kurz nach der Einweihung des Internationalen Mahnmals in Birkenau nach Auschwitz gereist, hatte aber 1968 öffentlich „Abschied von der BBC“ genommen, weil sich seit 1951, als er beim Sender begonnen hatte, ‚in der Welt einiges geändert habe, dem er nun Rechnung tragen‘ müsse, und hatte kurz darauf in einer „Antifaschistischen Woche“ an der Universität München diejenigen verurteilt, die ‚mit der verleumderischen und grundfalschen Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus arbeiten‘. Er veröffentliche seine Beschreibung dieser Reise erst 1975, motiviert durch den 30. Jahrestag zu dem Nachtrag, dass den ‚toten Tod‘ in Auschwitz und Birkenau zu sehen ‚vielleicht helfen kann, dann auch den lebendigen Tod rechtzeitig zu sehen‘. Luise Rinser lässt ihrer Beschreibung der Reise nach Auschwitz ein Postscriptum folgen über ihren im November 1970 in Stuttgart gehaltenen Vortrag über die Reise, nach dem sie einer ‚sehr enttäuschten älteren Dame‘: ‚Warum um Himmels willen mußten Sie so politisch reden?! […] Politik ist ein schmutziges Geschäft‘, eine Antwort gegeben habe, die sie an die Adressaten des Buches weitergibt: ‚Und was tun Sie […], es weniger schmutzig zu machen?‘ Rolf Schneiders – an Zitaten sehr reiche – Beschreibung von Auschwitz sieht das ‚Diktum‘ Adornos von den Schreibern ‚nach Auschwitz‘, Tadeusz Borowski und Paul Celan, widerlegt, die er als Selbstmörder vorstellt, die sich ‚aus den gleichen Ängsten‘ vor der Vergesslichkeit der Mitmenschen umbrachten: ‚Die Asche von Auschwitz hängt über unserem Erdteil, immer noch.‘
„Im polnischen Volksmund hat das ‚Grabmal des unbekannten Kämpfers gegen den Faschismus‘ Unter den Linden in Ostberlin, das offizielle Ehrenmal der DDR, vor dem im Stechschritt die Wachablösungen vor sich gehen, den Namen ‚Grabmal des unbekannten Faschisten‘“, endet am 19. Dezember 1972 der Artikel von Bernhard Heimrich in der „FAZ“ über die Niederlegung eines Kranzes „im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz“ durch den ersten Botschafter der BRD in der Volksrepublik Polen Hans Hellmuth Ruete. Dieser wird allerdings nur im ersten Satz ohne seine Vornamen genannt, denn in allen folgenden Sätzen geht es um die am Tag seines Besuchs mit dem im Titel genannten „Block 13“ als eine von drei darin untergebrachten „[n]ationale[n] Gedenkstätten einzelner Länder“ „geschlossen[e]“ Ausstellung, die mit dem „offizielle[n] Titel“ „‚die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung 1933 bis 1945‘“ (Heimrich 1972) heißt. Der im letzten Teil des Untertitels ausdrücklich „Bericht“ genannte „FAZ“-Artikel erweist sich als eine Polemik, indem er sich in dem, was als selbstverständlich behauptet wird, selbst widerspricht: „vor dem Forum von Auschwitz sind alle Deutschen gleich“, „angesichts von Auschwitz, vor polnischem Publikum, können Deutschlands Parteien schlechterdings nicht beginnen zu streiten“ (Heimrich 1972). Heimrich aber erhebt den leicht ironisierten Vorwurf gegen die Ausstellung, „im Sinne einer politischen Fibel etwas einseitig“ „und deshalb eben unvollständig“ zu sein, gegen die Präsentation des „Attentat[s] vom 20. Juli 1944“, der „Studentengruppe der Geschwister Scholl in https://doi.org/10.1515/9783050095851-014
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München“ und „auch“ von „Pastor Dietrich Bonhoeffer und de[m] Jesuitenpater Alfred Delp“, indem er gewissermaßen die Übereinstimmung mit dem offiziellen bundesrepublikanischen Kanon überprüft, um dann aber einen „Alleinvertretungsanspruch“ der DDR auf das, „was gut gewesen ist […] in der Periode von 1933 bis 1945“, „da er ausgerechnet in Auschwitz dargeboten wird“, – wiederum sich selbst widersprechend – „nur am Rande vermerkt“, obwohl er ins Zentrum rückt: „Eigentlich ist es auch nur ein kleiner Teil dieser Ausstellung, der festgehalten werden muß. Gegen den Ausgang zu ist eine große Wandfotographie einer Sitzung des Deutschen Bundestages aufgestellt, dessen Unterschrift ein Brecht-Zitat bildet: ‚Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das quillt.‘“[¹] (Heimrich 1972) Im folgenden letzten Absatz deutet Heimrich den aktuellen politischen Kontext seiner Polemik an, wenn er zeitlich entgegensetzt, was „inzwischen nicht mehr zu erwarten gewesen“ sei, und, was „sicher […] eines Tages“ geschehen werde, und den bisher schon benutzten Begriff der ‚Alleinvertretung‘ um einen anderen für die Entspannungspolitik relevanten ergänzt, „‚Normalisierung‘“, und zwar mit Bezug auf den Bundestag: „In einem staatlichen polnischen Museum, was Auschwitz ja ist, war eine solche Darstellung des Deutschen Bundestages eigentlich inzwischen nicht mehr zu erwarten gewesen. Doch wird sicher die ‚Normalisierung‘ eines Tages auch Block 13 erreichen. Und so einseitig ist das polnische Publikum, für das diese Ausstellung bestimmt ist, in bezug auf die beiden Teile Deutschlands schließlich nie gewesen, vor allem nicht die Generation, die es angeht.“ (Heimrich 1972) ‚Inzwischen‘ bezieht sich auf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Bundesrepublik und der Volksrepublik Polen am 14. September 1972 (Lehmann 1981, 90); um das Verhältnis der ‚beiden Teile Deutschlands‘ ging es in dem am 21. Dezember 1972, zwei Tage nach Erscheinen des Artikels Heimrichs, unterzeichneten Grundlagen- oder Grundvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR, gegen den die CSU-Regierung Bayerns das Bundesverfassungsgericht anrief, das am 31. Juli 1973 entschied, „daß das Dt. Reich völkerrechtlich fortbestehe u. mit der BRep. (teil)identisch sei“, die „verplichtet“ sei, „am verfassungsrechtl. Wiedervereinigungsgebot (nicht aber am pol. Alleinvertretungsanspruch) festzuhalten“ und „die DDR als Teil Dtls. zum Inland, nicht zum Ausland“ zu zählen (Lehmann 1981, 99). Diesen von Heimrich am Schluss seines Artikels deutlich ins Spiel gebrachten entspannungspolitischen Kontext blendet Jonathan Huener aus, wenn er den Artikel nur als ‚Echo‘ (Huener 2003, 283) einer von Erich Kuby 1970 eingeführten Kritik am Tourismus in Auschwitz auffasst, die damals zwar offiziell zurückgewiesen worden sei, aber sich auch zwei Jahre später in einer anonymen Reisebeschreibung in der „New York Times“ (At 1974) fand.
Heimrich verballhornt das aus dem Epilog von Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ stammende Zitat, indem er „kroch“ durch „quillt“ ersetzt: Brecht 1967, IV, 1835.
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1 Luise Rinser: Grenzübergänge Auf den entspannungspolitischen Kontext verweist schon der Titel „Grenzübergänge“, den Luise Rinser 1972 ihren „Tagebuch-Notizen“ gab, die auf 343 Seiten nur für zwei auf diese Weise gebildete Teile Zwischenüberschriften haben: „Polen“ (Rinser 1977, 5 – 139), „Sowjet-Union“ (140 – 236); auf dem Cover der Taschenbuchausgabe wird für die verbleibenden etwas mehr als hundert Seiten „Westliches“ annonciert. Die Erstausgabe erreichte bis 1982 das 65. und die Taschenbuchausgabe von 1977 bis 1991 das 87. Tausend. Der Beschreibung ihrer Reise im Auto mit einem nur „B.“ (26) genannten Begleiter in Polen, die seit „Juni 1970“ (5) nach Warschau (5), Poznan (12), Krakau (16) und „Tschenstochau“ (19) geführt hat, bevor „Oswiecim (Museum des Martyriums der Völker)“ im „polnischen Reiseführer“ (21) „[u]nter Anderem“ zu einem möglichen Ziel für „schöne Ausflüge“ wird, das Rinser aber in großen Buchstaben schreibt: „also Oswiecim – AUSCHWITZ“ (21), hat die Autorin ein Postscriptum folgen lassen über ihren im November 1970 in Stuttgart gehaltenen Vortrag über die Reise, den dann zwei „Polenkenner“ mit ihr diskutierten; einer „sehr enttäuschte[n]“ „ältere[n] Dame“: „‚Warum um Himmels willen mußten Sie so politisch reden?! […] Politik ist ein schmutziges Geschäft.[‘]“ (27), habe sie eine Antwort gegeben, die sie an den Adressaten des Buches weitergibt: „Und was tun Sie […], es weniger schmutzig zu machen?“ (27) „AUSCHWITZ“ ist das erste von vier Worten, die Rinsers Beschreibung der Reise nach Auschwitz in Kapitalschrift setzt, das zweite fällt, als sie auf der Anreise „nicht weiterfahren“ „will“ (21): „Das denke ich nicht während der Fahrt, das FÜHLE ich. Ich fühle es als Scham.“ (22) Das dritte Wort in Großbuchstaben betrifft etwas von ihr im Stammlager Gesehenes: „Im Lager gibt es eine Landkarte, die zeigt, WIE praktisch [Auschwitz lag]: von allen für die Aktion wichtigen Punkten Europas lag es gleich weit entfernt.“ (22) Das vierte Mal wird Kapitalschrift verwendet für das Wort, mit dem ein griechischer Besucher während der Führung durch das Stammlager auf die von Rinser ihm gestellte Frage nach „‚Folterungen und Todesurteilen in Ihrem militärdiktatorischen Land‘“ antwortet: „[‚]Alles Lüge, alles Feindpropaganda. Diese Verräter Melina [Mercouri] und [Mikis] Theodorakis LÜGEN!!‘“ Rinser gibt das letzte Wort zurück: „Ich sage laut: ‚Auch Auschwitz war Feindpropaganda. Auschwitz gab es nicht. Lauter Lüge!‘“ (25) Die auf das erste, aus dem Reiseführer in Kapitalschrift gesetzte „AUSCHWITZ“ folgenden zwei Worte in Großbuchstuben beziehen sich auf zwei unterschiedliche „Landkarte[n]“ (21, 22) und werden von Rinser als zwei, jeweils „andere Reaktion[en]“ (22) unterschieden, die erste wird ausdrücklich „als“ „Gefühl“ „Scham“ (22) bezeichnet, die zweite nennt sie „d[a]s kalte[…] Befremden: ‚so‘ also ist das, ‚so‘ war das, so bürokratisch, so funktionell, so nüchtern“ (22).Während die erste Landkarte mit der Anwendung eines Zitats aus Sophokles’ „Antigone“ auf das Vergessen des Menschen als dessen ‚Ungeheuerstes‘ eingeführt wird: „‚nichts/ Ungeheurer/‘ […]. Denn er vergißt“ (21), geht dem Blick auf die Landkarte im Museum der auf den „Bahnhof“ bei der
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Einfahrt in den Ort voraus: „Ein Bahnhof wie tausend andere. Es dürfte ihn nicht mehr geben, weil es ihn nie hätte geben dürfen.“ (22) Die als Scham gefühlte Abwehr des Betretens der Gedenkstätte wird in körperlichen Reaktionen – „Halsschmerzen, Magenweh, der Hals wird mir eng“ (21) – und Versuchen: „Ich rede mir gut zu“ (21), beschrieben, die einen autobiographischen Rückgriff bilden, der zunächst das Gegenteil von Vergessen zu behaupten scheint: „Zweieinhalb Jahrzehnte war mir Auschwitz gegenwärtig, aber es war mir kein geographischer Ort und auch nicht eigentlich ein historisches Datum, es lag vielmehr auf einer metaphysischen Landkarte und bezeichnete ‚das Böse‘.“ (21) Auch die Einwände gegen die ‚guten Zureden‘ führen dann letztlich auf das der metaphysischen Schuld entsprechende Gefühl der Scham zurück: „‚Was regst du dich denn auf, du hast ja längst den Film gesehen, den die Russen oder Amerikaner machten gleich nach dem Krieg, du weißt das doch alles, und du selber warst ja Opfer, nicht Täter…‘ Ja schon. Ich als Individuum war nicht schuld an Auschwitz, aber ich bin ja auch Teil eines Volkes, der Menschheit, die das tat oder zuließ, die hinschaute oder wegsah, gleichviel. Immer bin ich mit im Spiel. Mein kleines Böses war insgeheim beteiligt am großen Bösen namens Auschwitz. ‚Ich begehre nicht schuldig dran zu sein.‘[²] Ja, aber ‚Kollektivschuld‘[³] ist keine moralische oder politische Qualität, sondern eine anthropologische und eine theologische.“ (21/22) Wenn Rinser die Gefühle und Gedanken der Anreise zusammenfasst und auf die Besichtigung von Auschwitz und Birkenau vorausdeutet, wählt sie für den Vergleich eine überraschende Formulierung: „Ich schäme mich meines Volks, ich schäme mich der Menschheit. Noch ehe ich in Auschwitz bin, bin ich schon verzweifelt. Was nachher kommt, ist leichter zu ertragen, weil die örtliche Wirklichkeit ablenkt.“ (22) Denn als ‚Ablenkung‘ gilt der ‚befremdete‘ Blick auf das „nüchtern“ benannte „‚so war das‘“, aber: „Dafür scheint das Wort ‚böse‘ nicht zu passen. Hernach weiß ich, daß es für nichts anderes paßt. Wir haben es bis Auschwitz falsch angewendet. Die Hölle ist kalt und funktionell.“ (22) Die – vom Blick auf den Bahnhof, wo „Züge aus allen Himmelsrichtungen“ (2) ankamen, ausgehende – Beschreibung der der „metaphysischen Landkarte“ (21) ihrer Nachkriegsjahrzehnte entgegengesetzte Landkarte im Museum des Stammlagers, die zeigt, „WIE praktisch“ Auschwitz lag, benutzt einen Vergleich: „Die Landkarte zeigt Auschwitz wie die Spinne im Netz. Aus dem Norden kamen Polen und Juden. Aus dem Süden, Ukrainer, Zigeuner und Juden. Aus dem Westen Kommunisten, Homosexuelle und Juden. Aus dem Osten Russen und Juden.“ (22) Das epiphorische Juden in allen Himmelsrichtungen wird von den Nachsätzen unterstrichen: „Männer, Frauen, Kinder. Viele Kinder.“ (22)
Vgl. Matthias Claudius’ „Kriegslied“ (1779): „’s ist leider Krieg – und ich begehre/ Nicht Schuld daran zu seyn.“ So auch die Schlussverse, während die Anfangsverse lauten: „’S ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,/ Und rede Du darein!“ (Killy 1988, 1122) Auffällig ist die Verwendung distanzierender Anführungszeichen um ‚Kollektivschuld‘.
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Bevor Rinser relativ ausführlich von einer Führung berichtet – vom Anfang bis zum Ende, gibt sie einen summarischen Überblick über den Weg der Häftlinge von der Ankunft bis zur Vernichtung, der die „korrekt[e]“ „Registratur“, die „strukturiert[e] „Hierarchie […] der Opfer“ in „Stufe[n]“ (23), „das normale Schreckliche“ (24) und den „rationell[en]“ ‚Vorgang‘ der „Vernichtung“ (23) hervorhebt. „Was stehenblieb“, bei der deutschen Zerstörung, „ist heute Museum. Man wird hindurchgeführt.“ (24) Vom aus Oswiecim stammenden Guide betont Rinser: „Er […] war Kind, als das alles geschah“, und berichtet: „Er sagt mir, im Ort habe man nichts gewußt. Warum sagt er das? Es ist doch nicht wahr. Oder ist es wahr? Noch schrecklicher.“ (24) Dass die Alternative offen gelassen wird, hat Folgen für die Beschreibung des Fortgangs der Führung; wenn Rinser betont: „Wir müssen zuerst einen Film ansehen“ (24), modifiziert sie zwar nur den schon zur Anreise gegebenen Hinweis auf den „längst“ „gesehen[en]“ „Film“ der „Russen oder Amerikaner“ (21) zu „jenen, den ich schon kenne, den die Alliierten gedreht haben 1945 bei der Befreiung“,⁴ berichtet aber dann von einer Reaktion, die weder Schamgefühl noch ‚kaltes Befremden‘ ist: „Man sieht die Häftlinge, die Überlebenden, herauskommen. Sie kommen auf einen zu und schauen einen an. Ich starre sie an. Sie ziehen immer weiter, haben die Leinwand schon hinter sich und ziehen in mich ein. Ich halte das nicht aus. Ich zwinge mich zum Bleiben, bis zum Schluß. Draußen werde ich ohnmächtig, B. fängt mich auf.“ (24) Wenn auf der ‚weiter‘ ‚gehenden‘ Führung der Guide zu vier Mal als „sauber“ bezeichneten „Straßen“, „Zellen“, „Scheiben“ und ‚Haufen‘ von „Kindernachttöpfe[n]“, „Kinderschühchen“ und schließlich von „abgeschnittene[m] Frauenhaar“, „grau, viel grau“, anmerkt: „‚Das ist nur der Rest […]. […] Die Haare kamen nach Bayern, in eine Textilfabrik bei Ingolstadt, da machte man Steifleinen draus‘“, macht Rinser nicht als Reisende, sondern als Erzählerin einen verallgemeinernden Rückgriff auf ‚uns in Deutschland‘: „Damals trugen wir in Deutschland Leichenhaar unter unsern Mantelkragen, wir wuschen uns mit Seife aus Leichenfett, hatten Lampenschirme aus Menschenhaut und trugen Schmuck aus den ausgezogen Goldzähnen der Leichen.“ (24/25) Zwischen die Szene im Museum und das „Ende der Führung“ am Galgen, an dem Rudolf Höß gehängt wurde, ist ein „Zwischenspiel“ geschaltet, das einen von Rinser ausgelösten Konflikt in der geführten Besuchergruppe inszeniert. Der bereits zitierte griechische Auschwitz-Besucher wird erst jetzt beschrieben als ein neben Rinser gehender „Mann, der aussieht wie ein Jude und immerfort sagt: ‚Schrecklich, schrecklich.‘“ (25) Seine Verteidigung der drei Jahre zuvor an die Macht gekommenen Militärdiktatur durch die Zurückweisung von Rinsers Bezeichnung ihrer „‚Folterungen und Todesurteile‘“ als auch ‚schrecklich‘ mit dem Wort „LÜGEN“ führt zu Rinsers ausdrücklich als „laut“ gesagt gekennzeichnetem, bereits zitiertem, ironischem Satz „‚Auschwitz gab es nicht. Lauter Lüge!‘“ (25) Als folgerichtig erzählt Rinser die Re-
Vgl. Hoffmanns (1998, 9) „Das Gedächtnis der Dinge“ über das Foto „Zug an der Rampe“ als Standbild aus dem sowjetischen Film „Die Befreiung von Auschwitz“.
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aktion der übrigen in der Gruppe, die sich auch, wie der Grieche, als TeilnehmerInnen eines Forschungskongresses in Prag, aber aus den USA, der BRD und Ägypten erweisen: „Nun wollen die anderen wissen, worum es gehe. […] Ich sage es ihnen. Auf einmal ist aus der zufälligen Ansammlung von Touristen eine Gruppe von Menschen geworden, die sich brüderlich verbunden fühlt. Antifaschisten.“ (25) Der von Rinser provozierte und gefeierte Ausschluss des Einzelnen mit dem ‚jüdischen Aussehen‘, den sie behauptet, „teilnehmend“ gefragt zu haben, was er mit seinem wiederholten ‚Schrecklich, schrecklich‘ sagen wolle, ist problematisch nicht nur wegen des antisemitischen Stereotyps von ‚jüdischem Aussehen‘, sondern auch wegen der Ersetzung einer Frage nach seiner Beziehung zu Auschwitz durch die nach seiner politischen Stellung zur Militärdiktatur seines Herkunftslandes, die überdies die erwünschte Antwort insofern vorwegnimmt, als deren Einschätzung als ‚faschistisch‘ vorausgesetzt wird. Aber das „Zwischenspiel“ schließt mit einem Zeichen des ‚Gefühls‘ „brüderlich verbunden[er]“ „Antifaschisten“: „Ich habe am Lagereingang einen Strauß dunkelroten Levkojen gekauft. […] Schließlich lege ich ihn dort nieder, wo es mich ruft: an dem Schrein mit den Resten von Kinderspielzeug. Einige weinen jetzt. Ich nicht mehr.“ (25) Ambivalent dagegen ist die das Kinder-Motiv fortführende märchenhafte Darstellung des „Ende[s] der Führung“ am Galgen von Höß, denn da „sehen wir den Platz, wo die Lämmer den Wolf totschlugen. Oder wurde der Lagerkommandeur Höss [sic] aufgehängt? Ich weiß es nicht mehr. Ich kann mir ihn vorstellen, baumelnd und die Zunge heraushängend, und die geretteten Lämmer, zu Wölfen geworden, tanzen um ihn.“ (25/26) Den abschließenden Gang durch Birkenau machen Rinser und ihr Begleiter allein, aber von der anfänglichen Kommentierung des Ortsnames an: „Liebliches Wort: Birken-Au“ (26), sind es Bilder aus Natur und Kultur, nämlich Religion und Literatur, die das Wahrgenommene ordnen: „Das Gebüsch wächst auf zerborstenen Ziegeln und gesprengtem Zement“ (26). Der Schlusssatz springt in die Schreibgegenwart der die Notizen bearbeitenden Autorin, die ebenso wie die zurück in der Vergangenheit liegende Besichtigung Birkenaus im Präsens erzählt wird: „Auf meinem Schreibtisch liegt ein Stück Ziegelstein, es stammt vom Krematorium Birkenau.“ (26) Aber im Bericht über den Gang durch Birkenau ist nicht erzählt worden, wie die Reisende das ‚Stück Ziegelstein‘ aufgehoben hat. Stattdessen heißt es über die „endlose[…] Straße“ mit „Todesbaracken“ von der „Laderampe“ bis zu den „Gaskammern und Öfen“: „Ich gehe mit B. auf ihr bis zum Mahnmal. Ich war in Jerusalem, ich bin auf der Via Crucis gegangen, auf der Jesus ging, das Kreuz tragend. Hier ist er tausendmal gegangen.“ (26). Und es ist der „einzige[…] Laut“, der im „ganz still[en]“ Birkenau zu hören ist, was Rinser veranlasst, nach der Unke in einem der „Schilftümpel“ mit einem „Stecken“ zu „‚[s]tochern“: „Da steigt Graues auf, ganz leicht, schwimmt eine Weile, geht langsam wieder auf Grund. ‚Dein aschenes Haar Sulamith.‘ […] Ich lasse den Stecken entsetzt fallen. Das u-u-u- geht weiter. […] Sie wird nie aufhören zu rufen.“ (26) Rinsers Besuch der Gedenkstätte Auschwitz wurde nur in einer der zeitgenössischen Rezensionen von „Grenzgänge“ erwähnt, die im Artikel der feministischen Li-
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teraturwissenschaftlerin Sigrid Weigel über Luise Rinser für das „Kritische Lexikon der Gegenwartsliteratur“ aufgeführt sind. Während Weigel den „Charakter“ des Buchs, der „im Titel ausgedrückt“ sei: „Grenzübergänge“,⁵ auf den Kontext bezieht: „Das Buch beschreibt Reisen in die UdSSR und nach Polen. Rinser unternimmt auf diesen Reisen den Versuch, gegen die Verlängerung der Ost-West-Spaltung anzuschreiben, die sich auf die menschlichen Beziehungen auswirkt. Diese Reisen sind für sie auch ein Weg der Auseinandersetzung mit dem realen Sozialismus. Ihr eigenes Selbstverständnis als ‚Sozialistin‘ beruht auf einer individuellen Askese- und Mitleidsfähigkeit“ (Weigel 1982, 9/10), stehen sich in den Besprechungen von Ingrid Priess in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ und von Lothar Romain in der „FAZ“ eine identifikatorische Leseweise und eine Abrechnung mit dem Rinser vorgeworfenen Verständnis von Autorschaft gegenüber; beide gehen aber kaum auf die dargestellten Reisen ein, mit einer Ausnahme. Priess bezieht ihr Lob, dass es der Autorin gelinge, ihren Anspruch einzulösen, „‚Jenseitiges im Diesseitigen aufzuspüren‘“, weil die „Perspektive einer bayerischen Katholikin“ „immer […] Hintergründiges“ finde, ob in „Wallfahrtsorten“ oder auf „Autorentreffen“ (Priess 1972). Belegt wird dies an der Beschreibung der Reise nach Auschwitz, allerdings ohne zu zitieren: „Mit äußerster Dichte ist das Erleben beschrieben. Es nimmt fast ein Wunder, daß es ihr auf nur wenigen Seiten Text gelingen kann, das scheinbar Unsagbare an einem diabolischen Ort menschlichen Unheils, wie es Auschwitz bis ans Ende historischen Bewußtseins blieben wird – überhaupt auszudrücken in der Sprache derer, die dort Täter wie Opfer waren.“ Als schwerer zu erreichen wird diese ‚Dichte‘ von der leichter fallenden Auffindung von „[T]röstlich[em]“ in Irland oder „Über-Alltägliche[m]“ in Rom (Priess 1972) unterschieden. Die Kritikerin wertet abschließend „Grenzgänge“ als ein „Zeugnis“ für den „Mut […,] öffentlich Stellung zu nehmen“, von einer Frau, die „an ihrem Heimatlande und seiner Geschichte leidet“ (Priess 1972). Entsprechend lautet der Titel der Rezension: „Mehr als nur persönliche Notizen“. In der ein Jahr nach Rinsers „Grenzübergängen“ unter einem ähnlichen Titel erschienenen Anthologie von Egon Helmut Rakette „Grenzüberschreitungen“, die von dem West-Ost-Kulturwerk gefördert wurde, das wiederum als Nachfolgeorganisation des Kulturwerks der Vertriebenen Deutschen vom Bundesinnenministerium gefördert wurde, gibt es keine Beschreibung einer Reise nach Auschwitz, sondern nur zwei Reiseerzählungen schlesischer Autoren, die 1939 und 1945 spielen. Allerdings beschreibt Ernst Günther Bleisch eine Reise nach Wroclaw auf eine Weise, die dem vom Herausgeber im Vorwort programmatisch gebotenen Zitat aus der „Weihnachtsansprache 1972“ des Bundespräsidenten Heinemann entspricht: „‚Versöhnung setzt voraus, daß an die Stelle feindseliger Abwehr des anderen eine Hinwendung zu ihm tritt. Sie erfordert, in die eigenen Gedanken das Mitdenken in den Vorstellungen des anderen hineinzunehmen. Versöhnung zielt darauf ab, aus dem Gegeneinander zumindest ein erträgliches Nebeneinander, wenn möglich aber sogar ein Miteinander und Füreinander zu machen. Versöhnung bewirkt, daß das Leben zweier Menschen, die bisher im Streit lagen, reicher wird. Versöhnung ist wichtiger als ein Sieg.‘“ (Rakette 1973, 7) Schon der Untertitel von Bleischs „Bei Tadeusz Rózewicz“: „Ein Dichter aus Breslau besucht einen Dichter in Wroclaw“ (319), deutet Versöhnung an: „ich bin zum ersten Mal nach siebenundzwanzig Jahren wieder in der Vaterstadt“ (319), um die Poesie des anderen in sich ‚hineinzunehmen‘: „ernst, die Züge gesammelt, gelassen, ja: Stille um sich verbreitend.“ (319)
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Lothar Romain dagegen beginnt mit der kategorischen Behauptung, weil Rinsers ‚Tagebuch-Notizen‘ weder „Selbstgespräch“ noch „Dialog“ seien, handele es sich um einen „Ratgeber […] mit literarischem Anspruch“: jede „Zeile […] bewußt auf Veröffentlichung hin geschrieben“ von einem – wie er misogyn formuliert – „Gemisch aus Privatdozentin und Frau Irene“ (Romain 1972). Der Kritiker bestreitet der Autorin aber ihre Begründung eines „Recht[s]“, auf Fragen „antworten zu können“, die er in „ihre[r] moralische[n] Legitimation als Antifaschistin, ihre[r] Stellung als engagierte Schriftstellerin“ gewissermaßen ‚aufdeckt‘, weil er diese „Selbsteinschätzung“ „[m]eistens“ „hinter einem Scheingrübeln“ „wortreich“ „versteckt“ findet, was wiederum seine „Empörung hervor[ruft]“ (Romain 1972). Die Figur der ungefragt Fragen Beantwortenden erweitert Romain mit zwei moralischen Vorwürfen: „Rechthaberei“ und ‚Eitelkeit‘, denn „Luise Rinser entmündigt in Wahrheit ihre Leser, wenn sie vorgibt, ihnen Hilfestellung im Emanzipationsprozeß zu leisten. Zudem schlägt sie von Zeit zu Zeit unkontrolliert auf die Verblüfften ein, lastet ihnen moralische Schuld an“, dabei „erscheint […] das Mitleid […] eher eitel als […] Gefragtseinwollen“ (Romain 1972). Zwar erhob die mit Rinser befreundete Autorin Ingeborg Drewitz einen dem letzten ähnlichen Einwand in ihrer Besprechung von Rinsers späterer „Autobiographie“ „Den Wolf umarmen“ (1981) gegen die Darstellung der Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre, wo „das Selbstmitleid zu sehr durch[schlägt] und das Sich-selbst-auf-die-SchulterKlopfen in der Erinnerung“ „bleibt“ (Drewitz 1981), aber sie bezieht diesen nicht auf Rinsers Konzept von Autorschaft, sondern auf die „Flüchtigkeit der Charakterisierungen […] im Zusammenhang mit dem Kriegsende“, so „in einer so falschen Formulierung wie der von ‚der schönen schwermütigen Rasse der Sepharden‘“ (Drewitz 1981). Romains moralische Entlarvung dagegen zielt auf die antifaschistisch engagierte Autorin. Dass lässt für den größten Teil der „Grenzgänge“ nur zwei Sätze übrig: „Hinzu kommen [sic] Besuche in Polen und der Sowjetunion, bei deren Reportage die Autorin Musterbeispiele an Vorurteilen liefert“; die beiden Belege sind die Verwendung des Wortes „‚wohlanständig‘“ für polnische Jugendliche und der Wendung „‚konzentriert arbeitende‘“ für sowjetische (Romain 1972). Der Kritiker verließ 1973 den SWF, um hochschulpolitischer, dann kultur- und medienpolitischer Referent beim Parteivorstand der SPD zu werden, bis er 1976 das Ressort Kultur beim „Vorwärts“ übernahm. Um Rinsers 1946 mit dem „Gefängnistagebuch“ begründetes öffentliches Selbstbild als ‚Opfer‘ und ‚Antifaschistin‘ (so, wie zitiert, auch in der Beschreibung der Reise nach Auschwitz, vgl. auch Ringer/Brenden 1987) in Frage zu stellen, wurden ihre frühen Veröffentlichungen, 1934– 1936 in der Zeitschrift „Herdfeuer“, benutzt, zuerst 1988, als sie Kandidatin der Grünen für das Amt der Bundespräsidentin war, aber auch „Mitglied des Ehrenpräsidiums der VVN“ (Peitsch 1990, 192, Anm. 96), dann 2011, zum hundertsten Geburtstag, als der Schriftsteller Michael Kleeberg im „Spiegel“ zurücknahm, was er 2001 in der „Frankfurter Rundschau“ geschrieben hatte – im Rückblick auf die Rinser-Rezeption seit 1988: „So werden auch immer, wenn von Luise Rinsers Engagement für humanitäre Werte die Rede ist, einige Texte aus der Versenkung geholt, die sie als junge Lehrerin in den dreißiger Jahren zu Ehren Hitlers geschrieben
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hat, und zwar geschieht das mit einer Häme, die nichts anderes besagen will, als: Wer einmal in seinem Leben eine Dummheit von sich gegeben hat, von dem lassen wir uns auch nichts Kluges mehr sagen. Diese Praxis leugnet die Möglichkeit jeglicher menschlichen Entwicklung […]. Wenn ein sich über sechzig Jahre erstreckendes literarisches Werk, auf Humanismus und Empathie gegründet, den Wächtern der politischen Korrektheit nicht ausreicht, diese unglücklichen Texte auszugleichen, dann sollte ihr Mütchen doch wenigstens von den 1944 in Hitlers Gefängnis verbrachten Monaten gekühlt werden.“ (Kleeberg 2001)⁶ Zehn Jahre später jedoch erklärt Kleeberg Rinser zu der „große[n] Mythomanin […],[⁷] die sie Zeit ihres Lebens gewesen ist“ (Kleeberg 2011, 106), unter Berufung auf die Potsdamer Magisterarbeit von Sandra Schrei, die gezeigt habe, „wie sich mit jeder Veröffentlichung [Rinsers] über jene Jahre [des Faschismus und des Kriegs] die Dramatik und die Gefahr und ihre aktive Widerstandsleistung vergrößern, nachdem sie 1946 im Vorwort zur Erstausgabe des ‚Gefängnistagebuchs‘ ihre Erfahrungen noch recht bescheiden in die Gefangenengeschichten jener Epoche eingeordnet hatte. Man könnte […] sagen: Hätte Luise Rinser noch 20 Jahre länger gelebt und geschrieben, hätte sie Hitler ganz allein besiegt.“ (105) Entsprechend war die Metaphorik in der Titelei zu Anja Hirschs Artikel 2011 in der „Frankfurter Rundschau“: „Ein Phänomen. Eine ungewöhnliche Karriere: Wie eine katholische Lehrerin von der NS-Sympathisantin zu einer moralischen Instanz der Bundesrepublik und Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin werden konnte“ (Hirsch 2011).⁸ Wenn Ingeborg Drewitz 1981 als ‚flüchtige Figurencharakterisierung‘ die „falsche[…] Formulierung […] von ‚der schönen schwermütigen Rasse der Sepharden‘“ (Drewitz 1981) kritisiert hatte, so untersuchte 2007 auf der Bielefelder Konferenz „Literarischer Antisemitismus nach Auschwitz“ Hans-Joachim Hahn „Lektüreschwierigkeiten mit dem ‚Judenproblem‘ in der deutschen Nachkriegsliteratur“ u. a. am Beispiel Luise Rinsers. Aus „Grenzgänge“ wählte er von der ersten Seite des Buchs eine Szene vom ersten Tag der Reise mit der Verkäuferin des kleinen Ladens im Hotel, die von vornherein als „Oberschlesierin, vielleicht jüdisch, krauses schwarzgefärbtes Haar, große traurige Augen mit schweren Tränensäcken und schweren Lidern“ typisiert worden ist: „Den Typ kenne ich vom Berlin der dreißiger Jahre“ (Rinser 1977, 5). Hahn fragt nach zwei Zitaten aus ihrem Dialog: „Warum nimmt die Autorin die Weigerung der Frau, mit ihr auf Deutsch zu sprechen, zunächst als ‚Hass‘ wahr?“ (Hahn 2007, 133) Die Frage ist berechtigt, auch wenn Hahn nicht zitiert hat, mit welchen Bildern die Erzählerin eine Veränderung, den Wechsel vom Englischen ins
Vgl. differenzierter Frederiksen 1993. Vgl. so schon am 10. Februar 1988 die „taz“, die „‚den hohen moralischen Anspruch‘ Rinsers als ‚manisch betriebene Selbststilisierung als Nazi-Gegnerin von Anbeginn, die sie nicht war‘, […] entlarvt“ (Peitsch 1990, 192). Und entsprechend übertrieb 2011 der Literaturkritiker Helmut Böttiger in der „FR“: „Luise Rinser geht in ihren verblüffenden Verdrängungsleistungen über den deutschen Durchschnitt hinaus.“ (Böttiger 2011)
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Deutsche, geschehen lässt: „Dann sage ich auf Deutsch: ‚Sie sprechen sicher deutsch.‘ Da klappt ein Visier herunter, und sie antwortet in Berliner Deutsch: ‚Nein, ich spreche kein Wort Deutsch.‘ Ich sage: Ich verstehe. Aber ich war keine Faschistin, im Gegenteil, mir haben sie meinen Mann erschossen und mich eingesperrt. Seien Sie nicht allen Deutschen böse, es gab bei uns den Widerstand, in dem viele starben.‘ Sie wendet sich ab und macht sich am Regal zu schaffen. Doch dreht sie sich mir wieder zu und sagt leise und furchtbar müde: ‚Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe.‘ Ihr Blick ist jetzt ohne Haß.“ (Rinser 1977, 5) Das ‚Verstehen‘ der anderen durch die Erzählerin bewirkt metaphorisch die Öffnung des herunter gezogenen Visiers, und gestisch folgt die Zuwendung der Abwendung.Was die Erzählerin versteht, bleibt ungesagt, denn es ist die eigene, auf viele Deutsche verallgemeinerte Geschichte vom Widerstand, die sie in den Appell an die Adressatin wendet, Deutschen nicht ‚böse‘ zu sein, wobei unklar bleibt, ob sie denjenigen Deutschen ‚böse‘ bleiben dürfte, die nicht im Widerstand waren. Hahn spricht – im Anschluss an Frank Stern (1991, 352) – von einem Fortschreiben „antisemitische[r] Bildlichkeit“ in der „Konstruktion eines positiven Judenbildes“, eines ‚guten Juden‘ (Hahn 207, 139) als „primär ein Projektionsobjekt, an dem das Mitleid und damit die Menschlichkeit und Integrität der weiblichen Protagonistinnen demonstriert werden soll“ (144), nicht nur in fiktionalen, sondern auch autobiographischen Texten, wenn die Erzählerin und die Protagonistin die Autorin ist. Hahn anerkennt als Autorintention Rinsers eine „Absicht“, mitzuwirken an der „Etablierung eines anti-antisemitischen Konsenses“ (144), aber zwei Bilder, die die Autorin für den Abschluss der Führung durch das Stammlager und den Gang durch Birkenau verwendet, sind schon als ambivalent bezeichnet worden, weil sie sich wohl nicht umwertend aus der Tradierung christlicher Judenfeindschaft lösen lassen. Gerade die Betonung des Nicht-Wissens, ob „wir den Platz“ „sehen“, „wo die Lämmer den Wolf totschlugen“ (Rinser 1977, 23), oder ‚den Platz‘, „wo der Lagekommandant Höss aufgehängt wurde“ (23/24): „Ich weiß es nicht mehr“ (24), gibt der Christianisierung der Adaption von Grimms Märchen „Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“ Gewicht: Übernommen wird das Tanzen um den toten Wolf (Grimm 1977, 36), aber aus den Geißlein macht Rinser nicht nur „Lämmer“, sondern „die geretteten Lämmer, zu Wölfen geworden“ sind es, die „um ihn“ „tanzen“ (Rinser 1977, 26). Diese Verwandlung widerspricht der in der christlichen Tradition durch das Gleichnis vom guten Hirten Jesus Christus und den Lämmern festen Zuweisung der Rolle des Bösen an den Wolf. Die ‚Vorstellung‘ der Erzählerin, die ‚nicht mehr weiß‘, was die Reisende sieht, wendet sich aber dem „[B]aumelnden“ mit der „heraushängen[den]“ „Zunge“ mehr zu als den „zu Wölfen geworden[en]“, „geretteten Lämmer[n]“ (26). Vor allem aber ist Rinsers Bild konträr entgegengesetzt dem in Heines Romanfragment „Der Rabbi von Bacherach“: Heines Bild impliziert im aus der Haggada zitierten Lied, das auf messianische Hoffnung verweist, eine Utopie der Befreiung: „einst kommt der Tag, wo der Engel des Todes den Schlächter schlachten wird“ (Heine 1976, 485), denn Heines Engel wird kein Schlächter, kein Kreislauf findet statt. Noch stärker auf die Autorin, nicht nur als die Reisende in Auschwitz und die Erzählerin in den Tagebuch-Notizen, bezogen ist das Bild für den Gang durch Bir-
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kenau: Eine frühere Reise Rinsers nach Israel wird unter einem entscheidenden Aspekt auf die jetzige Reise bezogen. „Ich war in Jerusalem. Ich bin auf der Via crucis gegangen, auf der Jesus ging, das Kreuz tragend. Hier ist er tausendmal gegangen. Es ist ganz still.“ (Rinser 1977, 26) Der Wechsel vom Präteritum zum Perfekt im Verb für den Gang der Reisenden durch Birkenau und für den von Jesus mit dem Kreuz einst in Jerusalem und „tausendmal“ (26) in Auschwitz macht auch Rinsers Gang zum ‚Kreuzweg‘. Die Stille Birkenaus lässt sie dem Unkenruf zu einem der Tümpel folgen und darin, von ihrem Begleiter aufgefordert, stochern, um schließlich „den Stecken“ „entsetzt fallen“ lassen; aber was sie im Tümpel gesehen hat, „ein“ „ganz leicht“ ‚aufsteigendes‘ „Graues“, das „eine Weile“ „schwimmt“ und „langsam wieder auf den Grund“ „geht“, ist nicht ‚entsetzt‘ beschrieben worden, sondern, wie schon zitiert, mit einem in Anführungszeichen gesetzten Bild aus Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ verglichen und historisch erklärt worden: „‚Dein aschenes Haar Sulamith.‘ Die Asche der Vergasten und Verbrannten. Man füllte die Sümpfe damit auf.“ (26) Der Halbvers, der nur als Schluss von Celans Gedicht ein ganzer Vers ist, folgt alle drei Male, die er vorkommt, unmittelbar einem anderen, der aber auch zwei Mal allein steht, wenn eine andere Frau mit ihrem Mann verbunden wird: „ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete“ (Celan 1966, 643, 5. Strophe, 6. Vers), „der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete“ (642, 1. Strophe, 6.Vers). Aber für die drei Stellen, an denen „die Sätze mit den Bezeichnungen ‚golden‘ und ‚aschen‘[…] dreimal in der gleichen Reihenfolge unmittelbar hintereinander vor[kommen]“, gilt, dass „in ihnen“ nicht „die Farben ‚blond‘ und ‚grau‘ assoziiert“ werden, sondern „die Entgegensetzung ‚lebendig‘ vs. ‚tot‘ konnotiert“ ist (Schutte 1985, 144). Jürgen Schutte hat „die Gegenüberstellung von Opfern und Tätern“ in der „Todesfuge“ als „semantische Opposition“ untersucht: „Es ergibt sich: ‚Wir – uns Juden‘ vs. ‚ein Mann‘ – der – er – der Tod. […] Die Zuordnung von ‚dein goldenes Haar Margarete‘ ist eindeutig (V. 7 ‚es‘); bei ‚dein aschenes Haar Sulamith‘ wäre konnotativ zu ergänzen: ‚wir sagen‘.“ (Schutte 1985, 149) In Rinsers Weise, Celans Gedicht zu zitieren, verschwindet die ‚Gegenüberstellung von Opfern und Tätern‘, wenn der Name Sulamith, der biblischen Figur, die, im Hohelied Salomos (7,1) als schön angesungen, im 2. Buch Samuel (20,14– 22) als weise Frau dem Belagerer David den Kopf des Empörers ausliefern lässt, einem Naturbild eingeordnet wird, das das im Gedicht für Tod stehende ‚aschen‘ als Farbe nimmt und dem ‚Grauen‘ einen Lebenszyklus zuschreibt: „Da steigt Graues auf, schwimmt eine Weile und geht langsam wieder auf Grund. ‚Dein aschenes Haar Sulamith.‘“ (Rinser 1977, 26)
2 Rolf Schneider: Dein aschenes Haar, Sulamith
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2 Rolf Schneider: Dein aschenes Haar, Sulamith Während Luise Rinser in „Grenzgänge“ 1972 nur einen Halbvers aus Paul Celans „Todesfuge“ zitiert, ist dieser, allerdings um ein Komma ergänzt:⁹ „Dein aschenes Haar, Sulamith“, nicht nur der Titel eines Kapitels in Rolf Schneiders zusammen mit dem Fotografen Arno Fischer 1974 herausgebrachtem Buch „Polens Hauptstädte. Poznan, Kraków, Warszawa“, sondern es werden in diesem Kapitel insgesamt acht Verse aus Celans Gedicht zitiert, nämlich dessen vierte Strophe zur Gänze. In dieser werden die ‚goldene‘ Margarete und die ‚aschene‘ Sulamith nacheinander angeredet, unmittelbar bevor die ‚Gegenüberstellung‘ von ‚Wir – uns Juden‘ und ‚ein Mann‘ in der Versmitte zugespitzt wird: „Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ (Celan 1966, 642).¹⁰ Das Kapitel aus „Polens Hauptstädte“ mit dem Celan-Zitat im Titel wählte (neben dem über Warschaus Altstadt) 1976 für den Aufbau-Verlag die Herausgeberin einer auf Repräsentativität zielenden Anthologie von Reisebeschreibungen von DDR-AutorInnen, die „uns Ansichten über ihre Aufenthalte in sechzehn Ländern auf vier Kontinenten mit[teilen]“ (Pankoke 1976, 1). „Erregendes“ versprach der Klappentext, in dem Auschwitz der letzte Ortsname in einer Auflistung von Reisezielen ist, die sonst ausschließlich in westlichen Ländern liegen: „das Wachsfigurenkabinett von Texas, die Stockholmer Autokadaververwertungsanstalt, de[r] Rotterdamer Hafen, ein griechisches Theater im sizilianischen Siracusa, das Marx-Denkmal auf dem HighgateFriedhof, das schrecklichste Schlachthaus der Menschengeschichte in Ausschwitz“ (1). Dieses letzte Bild war ein wörtliches Zitat aus Rolf Schneiders Text (vgl. 96/97). Die Auflistung wurde fortgesetzt mit ausschließlich in sozialistischen Ländern liegenden Städten, um zu versichern: „Moskau, Warschau, Prag, Budapest entdeckt, auch wer’s schon kennt, anders durch den Schreibenden, der mit seinen charakteristischen Gefühlen und Gedanken heimkehrte.“ (1) In einer 1977 vom Mitteldeutschen Verlag aus „einem so denkenswerten Anlaß wie […] de[m] 60. Jahrestag der Oktoberrevolution“ (Jendryschik 1977, 497) herausgebrachten Anthologie von Reisebeschreibungen ausschließlich über sozialistische Länder, auch Asiens und Amerikas, hat der Herausgeber Manfred Jendryschik, der „ein Buch […], in dem die Prosautoren aller sozialistischen Länder über alle sozialistischen Länder schreiben“, seine „verlegerische Hoffnung“ nennt (497), unter 41 Reisebeschreibungen immerhin acht über die Volksrepublik Polen ausgesucht, aber keine von ihnen führt nach Auschwitz oder zu einer anderen Gedenkstätte. Eine allerdings behandelt das auch von Rinser thematisierte Problem, in Polen Deutsch zu sprechen, Helga Schuberts „Anna kann Deutsch“ (190 – 197), und eine andere die Frage: „Wie begegnet man dem Land seiner Kindheit? Wie begegnet es uns?“ (232), so Helga Schütz’ „Polenreise“ (225 – 255), beide aus den
Das Komma steht nicht im Text, wenn aus der „Todesfuge“ zitiert wird, vgl. Schneider 1974, 73. Sowohl im Erst- (Schneider 1974, 73) als auch im Nachdruck (Schneider 1976, 97) von Schneiders Auschwitz-Reise ist – vermutlich durch einen Druckfehler – „den Tod“ vor „der Tod“ weggelassen.
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1970er Jahren. Der Herausgeber hat in seinen „Nachsätze[n]“ einen Text besonders hervorgehoben, nämlich als einen „der vorbildlichen Texte“ (498), obwohl dieser „sich ausdrücklich nicht ein[läßt] auf den Reisebericht“: Franz Fühmanns „Hauptthema ist nicht das andere Land, sondern, das andere zwar nicht aus dem Auge lassend, er selbst“ (498). Das aus Fühmanns 1973 erschienenem Buch über seine Ungarnreise von 1971 „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“ ausgewählte „Tagebuchblatt 28.10.“ (290 – 309) enthält nicht nur eine Notiz zum 8. Mai, sondern auch eine zum Thema ‚Flucht und Vertreibung‘ in der Nachkriegsliteratur: „Die deutschen Niederlagen hatten, da ja, mit Ausnahme des ersten Weltkriegs, stets Deutsche auf beiden Seiten standen, keine existenzbedrohenden Folgen für die Nation, ja einige waren, wie die von 1806, unter bestimmten Aspekten das, was der Mai 1945 dann zur Gänze war: historischer Gewinn als Möglichkeit radikaler Demokratisierung. Die Siege hingegen, die Siege, die Siege“ [sic: ohne Satzzeichen endet der Satz] (293). An der Veränderung seiner Bewertung von Johannes Bobrowski bedenkt Fühmann seine sich verändernde „Auffassung vom Bewältigen der Vergangenheit“: „Ich muß gestehen, daß ich anfangs seiner Lyrik schroff ablehnend gegenübergestanden habe, ja in ihr etwas Unerlaubtes gesehen habe, das Wachhalten, vielleicht sogar Wiedererwecken von Gefühlen, die aussterben müßten, Sentiments der Erinnerungen an die Nebelmorgen hinter der Weichsel und den süßen Ruf des Vogels Pirol…[¹¹] Ich hatte wohl eine ehrenhafte, aber sehr enge Auffassung vom Bewältigen der Vergangenheit, und ich bin auch dem eignen Lied auf die Kehle getreten. Doch aus der Geschichte läßt sich nichts tilgen, kein einziger Aspekt und kein einziges Gefühl, sie lassen sich nur in Hegels Sinn aufheben. Nicht ein ‚Es war nie gewesen‘ und auch nicht ein ‚Als ob es nie gewesen wäre‘, sondern nur ein ‚Es war so und ist vorbei‘ ist der sichere Grund ein Neues zu bauen“ (298; vgl. Fühmann 1980, 120 – 135, hier 126).¹² Die „Nachsätze“ des Herausgebers der Reisebeschreibungs-Anthologie des Mitteldeutschen Verlags geben jedoch auch eine Erklärung zumindest für das Fehlen von Rolf Schneiders „Dein aschenes Haar, Sulamith“ in „Auf der Straße nach Klodawa“: Zwar wird es von Jendryschik nicht zu „eine[r] Reihe wesentlicher Beiträge, die schon zur Geschichte unserer Reisebilder im weitesten Sinne“ gehören, gerechnet, auf die „hier aus Platzgründen verzichtet werden“ „mußte“, und aus der er zwei Autoren nennt, deren frühe Reisen nach Auschwitz schon zitiert worden sind, Kuba und
Vgl. Bobrowskis Gedicht „Kindheit“, das beginnt und endet: „Da hab ich/ den Pirol geliebt“ (Bobrowski 1966, 9/10), am Schluss aber ohne den Zeilensprung. Vgl. die ähnliche Auskunft des aus Siebenbürgen stammenden Lyrikers Georg Maurer in einem Interview der „Wochenpost“: „Der Marxismus erklärte mir, was geschehen war und was ich als Dichter zu tun hatte. […] Ich nahm Abschied von meiner bisherigen Dichtung und begann von neuem.“ (Korall 1971, 141) Bobrowskis Stellungnahme wurde aufgenommen in den Bobrowski-Band der Reihe „Texte. Medien“ der Schulbuchverlage Schroedel mit der „Arbeitsanregung“: „Fühmann will als Autor, der aus der deutschen Bevölkerung des Sudetengebiets stammt, ‚dem eignen Lied auf die Kehle‘ treten […]. Sehen Sie Gründe für dieses Selbstbild in seiner Biographie? Inwieweit könnte Bobrowskis Dichtung zur Veränderung dieses Selbstbilds beigetragen haben?“ (Behre 2012, 196)
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Hermlin, aber mit ihren Sowjetunion- und China-Reisen „Gedanken im Fluge“ (Kuba 1951) und „Ferne Nähe“ (Hermlin 1954), wobei Jendryschik sogar „aus jüngster Zeit“ in diese Reihe der ‚wesentlichen Beiträge‘ nur noch Reisen in die Sowjetunion aufnimmt (Jendryschik 1977, 499), aber das allgemeine Ausschlusskriterium für die Anthologie des Mitteldeutschen Verlags betraf insgesamt „Texte, die schon in anderen Anthologien erschienen“, und Helga Pankokes Aufbau-Anthologie, wo Schneiders Reise nach Ausschwitz 1976 erschienen war, wird ausdrücklich genannt (499). Der visafreie Reiseverkehr zwischen der DDR und Polen in den siebziger Jahren bedingte das Erscheinen von mehr Reisebeschreibungen über Polen als in den vorangegangenen Jahrzehnten (vgl. Glade 1976, Loest/Grosse 1978), wobei für deren Verfasser wie für deren LeserInnen galt, dass die Reisenden nicht mehr zu einer Delegation gehören mussten. Dennoch gilt, wie Elizabeta Dzikowska betont hat, auch für die Reisen der siebziger Jahre: „Die Wege zu den Sehenswürdigkeiten des Landes führen unmittelbar an den Orten des Schreckens und der Tapferkeit vorüber.“ (Dzikowska 1998, 114) Auch Rolf Schneider reiste von den Sehenswürdigkeiten Krakaus nach Auschwitz, aber schon der Schluss des Kapitels „Polonaise Allerheiligen“ (Schneider 1974, 59 – 64) leitete mit einem Porträt von Maximilian Kolbe von einem sehenswürdigen Krakauer Altar zu Auschwitz über: „Wenn man, was gerechtfertigt wäre, die letzten Lebensjahre des Veit Stoß ein Martyrium benennen will, so waren es jene des anderen Mannes zumal.“ (64) Der Erzähler folgt dem, was „überliefert“ ist von dem „mit […] anderen neun Opfern in den Hungerbunker gesperrt[en]“, „inzwischen seliggesprochen[en]“ „Pater“: „daß er seine Leidensgenossen tröstete bei ihrem qualvollen Sterben. Er war, heißt es, am längsten bei Leben und Bewußtsein. Die SS-Leute sollen seine Blicke nicht mehr ertragen haben, sie applizierten ihm zuletzt eine tödliche Spritze.“ (64) Zum Abschluss des Kapitels blickt der Erzähler in die „Schaufenster“ der „Devotionaliengeschäfte“ „um die Marienkirche“, wo er nicht nur „die Fotografien“ Kolbes sieht: „Es ist immer das gleiche Bild: eines ernsten und bleichen Mannes mit großen dunklen Augen. In den Schaufenstern spiegelt sich blass das Abbild der Passanten, und vom Rynek her ertönt das Gegurr der Tauben.“ (64) Der Erzähler lässt offen, wie die Passanten den Blick des Märtyrers erwidern, obwohl es der Reisende sehen konnte. Fotografien werden nicht ausdrücklich genannt, wenn der Erzähler mit einem: „Man kennt es“ (68), die Beschreibung des Gangs des Reisenden durch das „Areal des deutschen Konzentrationslagers Auschwitz“ (90) beginnt. Er verweist hier auf „Filme“, „Bilder“ und „hundert Beschreibungen“ des Eingangstors; das Adjektiv ‚deutsch‘ wiederholt er im Zitieren der Inschrift und der Feststellung, dass der „geringste Teil“ der vor dem Eingang verkauften Druckschriften „deutsch“ sei: „Ich muß mir, um mich zurechtfinden zu können, einen englischen Katalog kaufen.“ (90) Schneider reiste mit einem Auftrag des Verlags Volk und Welt, den Beitrag über Polen zu seiner „Bild-Text-Bände“ genannten „Serie“ (Tschörtner 1987, 277/278) zu schreiben. In dieser Serie waren bis dahin, also von 1958 bis 1973 dreizehn Bände erschienen, zumeist einer pro Jahr, über in der Mehrzahl außereuropäische und nicht-
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sozialistische Länder und vier über ausschließlich westliche Städte, nämlich Paris (von Fred Wander), New York, Stockholm (von Hermann Kant) und Santiago de Chile. „Polens Hauptstädte“ war der erste Titel der Serie über ein sozialistisches Land. Aus Auschwitz aber gibt es in Rolf Schneiders und Arno Fischers ‚Bild-Text-Band‘ kein Foto. Im „Werkstattgespräch“ mit dem „Sonntag“ datiert Schneider 1974 die Entstehung seines Text-Anteils am ‚Bild-Text-Band‘ auf „ein paar Reisen über die Oder“ „[v]or mehr als drei Jahren“, „nachdem ich auch vorher schon solche unternommen hatte“, ohne den Fotografen als Reisebegleiter zu erwähnen, vielmehr formuliert er zum Ergebnis seiner Reisen: „Das Resultat ist ein Buch, das wir ‚Polens Hauptstädte‘ nennen. Arno Fischer hat sehr schöne, sehr sensible Fotos dazu beigesteuert.“ (Werkstattgespräch 1974) In seiner späten Autobiographie „Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland“ hat Rolf Schneider den Text über Auschwitz von 1974 bearbeitet und nahegelegt, dass er schon auf seiner ersten Polenreise 1957 nach Auschwitz gekommen sei (Schneider 2013, 108 – 114), und in einem „Polonaise“ genannten Beitrag zu „Annäherungen & Ankunft“ erwähnt er 1982 eine weder datierte noch beschriebene Reise nach Auschwitz zusammen mit dem Sohn von in die USA ausgewanderten württembergischen Juden, die Auschwitz überlebt hatten (Schneider 1982, 38). Die Fotos des ‚Bild-Text-Bandes‘ vermeiden die ‚Orte des Schreckens und der Tapferkeit‘ über den ‚Sehenswürdigkeiten‘ nicht völlig, aber es sind nur drei, die alle aus Warschau stammen. Alle zeigen Denkmäler. Die Bildunterschriften der SchwarzWeiß-Fotos lauten: „Grabmal des Unbekannten Soldaten“, „Gedenkstätte ‚Warschauer Getto“ und: „Dieser Ort ist geweiht dem Blut der Polen, die für die Freiheit des Vaterlandes den Opfertod fanden. – Hier haben am 1. August 1944 die Hitlerfaschisten 40 Personen aus der Zivilbevölkerung erschossen.“ (Schneider 1974, 143 – 145). Seinen eigenen Anteil am ‚Bild-Text-Band‘ hat Schneider im ‚Werkstattgespräch‘ „de[n] absichtsvoll sehr subjektive[n] Text eines Belletristen“ genannt: „Gleichwohl … ein Sachbuch“ als „Mischung aus Reisebericht, Essay, Kultur- und Geschichtsreport“ (Werkstattgespräch 1974). Die Ablehnung, sich durch die Gedenkstätte führen zu lassen, wird schon in der bereits zitierten Begründung deutlich: „Ich muß mir, um mich zurechtfinden zu können, einen […] Katalog kaufen.“ (90) Dass der Reisende dann einen englischsprachigen erwerben muss, wird vom Erzähler durch die Kontrastierung mit dem ‚Deutschen‘ des Lagers insgesamt und seiner Inschrift am Tor ironisiert. Es könnte sich aber daraus erklären, dass Schneiders Reisen in die Zeit zwischen dem Erscheinen der fünften Auflage des offiziellen Führers 1970 und dem der sechsten 1976 fielen, also keine Exemplare vorrätig waren von Kazimierz Smolens 1961 zuerst erschienener, von der Gedenkstätte selbst herausgegebener, illustrierter Broschüre „Auschwitz 1940 – 1945. Ein Gang durch das Museum“ (Smolen 1970). Allerdings war der Abstand zwischen den Neuauflagen in den 1960er Jahren deutlich geringer gewesen, von zunächst vier Jahren bis 1965 verkürzte er sich nach 1966 auf zwei: 1968, 1970; 1965, im Jahr des Urteils im Frankfurter Prozess, war die Neuauflage schon ein Jahr später nötig geworden. In jedem Fall aber macht sich der Erzähler mit der Bezeichnung von Smolens Führer als „Katalog“ (Schneider 1974, 90) eine dem
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offiziellen Verständnis der Gedenkstätte als Museum entsprechende Bezeichnung der Broschüre zu eigen. Die von Schneider der Subjektivität der ‚Belletristen‘ gegenübergestellte ‚sachbuchhafte‘ „Mischung aus Reisebericht, Essay, Kultur- und Geschichtsreport“ (Werkstattgespräch 1974) belegen vor allem die zum Teil sehr langen Zitate aus Texten anderer, nicht nur belletristischer Autoren. Es wird eben nicht nur Paul Celan zitiert, obwohl ein Halbvers aus seiner „Todesfuge“ dem Auschwitz-Kapitel den Titel gibt, sondern auch Alfred Döblin, Peter Weiss und Rudolf Höß und auf Tadeusz Borowski wird verwiesen, auf Theodor W. Adorno ohne Namensnennung angespielt. Aber schon die Länge der Zitate, die dreieinhalb der neuneinhalb Buchseiten füllen, lässt das völlige Fehlen von Dialog umso mehr auffallen. Mit einem einzigen Wort wird ein Pole zitiert: „Muzeum?“ – nachdem es heißt: „Der Fahrer fragt gleichmütig: […]“ (Schneider 1974, 89). Der stummen Antwort des Reisenden, einem Nicken, entspricht, dass das Wort im ganzen Text kursiviert erscheint und sein Aussprechen ausdrücklich für überflüssig erklärt wird: „Die Pfeile mit der Aufschrift Muzeum sind unübersehbar.“ (89) Celans „Todesfuge“, die in der Bundesrepublik 1959 in eine „S. Fischer Schulausgabe“ von Celans „Gedichte[n]. Eine Auswahl“ von Klaus Wagenbach aufgenommen wurde (Celan 1959, 8/9), Anfang der 1960er Jahre in zwei einflussreichen Lyrikanthologien Horst Bingels vertreten war, sowohl „Deutsche Lyrik. Gedichte seit 1945“ (Bingel 1961, 34/35) als auch „Zeitgedichte. Deutsche politische Lyrik seit 1945“ (Bingel 1963, 100 – 102),¹³ und 1966 vollends kanonisiert wurde, indem sie erstmals im „Echtermeyer“ erschien, den von Benno von Wiese „[n]eugestaltet[en]“ „Deutsche[n] Gedichte[n]. Von den Anfängen bis zur Gegenwart“ (Echtermeyer 1966), war in der DDR 1968 von Heinz Seydel für seine thematische Lyrikanthologie ausgewählt worden „Welch Wort, in die Kälte gerufen. Die Judenverfolgung des Dritten Reiches im deutschen Gedicht“ (Seydel 1968), aber auch ein Jahr später von Heinz Czechowski für eine andere, thematisch wesentlich allgemeiner gehaltene: „Das Leben des Menschen in Zeit und Gesellschaft, widergespiegelt in deutschen Gedichten von Walther von der Vogelweide bis zur Gegenwart“, stand unter dem Titel „Brücken des Lebens“ (Czechowski 1969). Aber im zweiten Abschnitt des zweiten Kapitels „Klage und Ausblick II“ (Czechowski 1969, 89 – 106), das auf „Lebenslauf“ folgte und dem dann „Schöpfung“, „Worte und Träume“ sowie „Arbeit“ folgten, standen außer Celans „Todesfuge“ (92/93) noch sieben weitere Gedichte zur Judenverfolgung: von Nelly Sachs „O die Schornsteine“ (90/91), von Johannes Bobrowski „Bericht“ (91), von Hans Magnus Enzensberger „die verschwundenen für nelly sachs“ (95/96), von Stephan Hermlin „Die Asche von Birkenau“ (96 – 98), von Günter Kunert „Berühmtes Subjekt“ (98/99),¹⁴ Der Titel des VI. von VII Kapiteln der Anthologie zitiert Celans Gedicht: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ (Bingel 1963, 87). Vgl. aber hierzu Walther Victors briefliche Kritik an Günter Kunerts Porträt-Gedicht auf Albert Einstein, weshalb es „ein Verbrechen“ sei, „derlei heute bei uns zu drucken“ (AdK, Bestand Victor Mappe 67 (3) Brief an Helmut Preißler vom 18. 8.1968, S. 1): „Kunert mag gemeint haben, was er will.
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von Sarah Kirsch „Der Milchmann Schäuffele“ (99/100) und ein zweites Gedicht von Paul Celan „Oben, geräuschlos, die Fahrenden: Geier und Stern“ (102/103). Mit einem anderthalb Seiten langen Zitat aus der seit dem Erscheinen 1926 im S. Fischer Verlag erst 1968 im Rahmen der Werkausgabe Alfred Döblins im Walter-Verlag wieder gedruckten „Reise in Polen“ beginnt der erste, bezifferte Abschnitt des Auschwitz-Kapitels – nach Schneiders Vorbemerkung: „Östlich der Krakauer Altstadt liegt Kazimierz, das alte Ghetto, die Stadt der Krakauer Juden […]. Döblin, der selber Jude war, erlebte 1924 Kazimierz als von Juden bewohntes Stadtviertel.“ (Schneider 1974, 65) Nach dem Zitat über das alte jüdische Viertel Krakaus wird vom Erzählerkommentar das aus Döblins „Reise in Polen“ Zitierte konfrontiert mit einer gerafften gewissermaßen Negativ-Beschreibung des Gangs des Reisenden durch dieses Viertel im heutigen Krakau: „Ich sah keinen Kaftan, kein Käppi, keinen Gebetsriemen, keine Pejes.“ (66) Zwei „nicht benutzt[e]“ Synagogen werden beschrieben: „Es war sehr still auf der Straße. Ich sah keinen Menschen.“ (66) Der Kontrast, der im Fehlen der Menschen das Motiv der Leere etabliert, wird durch die abschließende Gegenüberstellung der Zahlen unterstrichen: „Im Jahre 1932 lebten in Polen, offiziellen Angaben zufolge, 2,7 Millionen Juden. Für die Gegenwart wird ihre Zahl auf höchstens zwanzigtausend geschätzt.“ (66) Ein weiterer Kontrast entsteht durch den hierauf folgenden zweiten Abschnitt, in dem die Fahrt des allein Reisenden mit einem Linienomnibus von Krakau nach Oswiecim durch die hochsommerliche, südlich anmutende (67/68) Landschaft beschrieben wird, schon mit dem ersten, unmittelbar auf den mit der Zahl der in Polen jetzt ‚fehlenden‘ Juden folgenden Satz: „Die Fahrt von Krakau in Richtung Zakopane liefert Bilder von allergrößter Anmut. Die Weichsel wird auf einer Brücke überquert, es gibt etwas Vorstadt, sie löst sich allmählich auf, in Grün und in bergiges Gelände. Es stehen hübsche Häuser hier“ (67) – ein Kontrast, der im allerletzten Satz wiederkehrt als Enthüllung des deutschen Namens des Ortes, der bisher im Text nur polnisch bezeichnet worden ist: „Oswiecim ist der polnische Name für Auschwitz“ (68), bereitet in der Beschreibung der Anreise allenfalls die Erwähnung von „Buchenwäldern“ (67) einerseits, „Schornsteine[n]“ (68) andererseits vor. 1952 war schon einmal ein Textauszug aus Döblins „Reise in Polen“ in der DDR erschienen, auch über Kazimierz. Er stand unter dem Titel „Krakau“ in dem von Manfred Häckel im Verlag Blick nach Polen herausgegebenen Lesebuch „Für Polens Feststeht, dass er bei uns nur den Antisemiten Material liefert.“ (S. 2) Die vom Sprecher des Kunert’schen Gedichts benutzten antisemitischen Stereotypen „dilettantisch“, „Mangel an Vaterlandsliebe und „Taschenspieler“ (Kunert 1987, 26) nimmt Victor ernst, wenn er die Empfehlung seines Briefpartners, des Lyrikers Helmut Preißler, zurückweist, das Gedicht als Satire, als Selbstentlarvung des antisemitischen Sprechers zu lesen: „es kommt ueberhaupt nicht darauf an, was wir beide lesen und verstehen koennen, sondern auf unser deutsches Volk insgesamt, darauf, dass aus einer noch immer, jawohl: noch immer weitgehend vom Faschismus-Antisemitismus angenagten Masse eine sozialistische Menschengemeinschaft wird. Oder weisst Du nicht, mein Lieber, dass noch heute nicht politisch ungebildete, sondern Funktionen in der DDR ausuebende Genossen innerlich ‚Jude‘ zu mir sagen und Sozialismus heucheln?“ (AdK, Bestand Victor Mappe 67 (3) Brief an Helmut Preißler vom 18. 8.1968, S. 1) Vgl. hierzu Peitsch 2011b, 93 – 95.
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Freiheit. Achthundert Jahre deutsch-polnische Freundschaft in der deutschen Literatur“. Aber Häckel wählte nicht wie Schneider Döblins Darstellung eines gegen Abend gehenden Freitags in Kazimierz (65), sondern die eines Wegs durch Kazimierz an einem „Sonntag vormittag [sic]“ (Döblin 1952, 279): „Nach dem altertümlich-bürgerlichen Krakau, nach dem jüdischen Kasimierz will ich Podgórze, den Vorort des Proletariats, sehen, Eisenindustrie, chemische Industrie. Die Grodska, die Burg, das Hotel Royal liegt hinter mir, durch Kasimierz gehe ich.“ (279) Das Ziel von Döblins ‚Durchgang‘ ist eine Demonstration zum Gedenken an die vom Militär während eines städtischen Generalstreiks Erschossenen: „Mit roten Fahnen Belegschaft von Fabriken. Riesenkränze, die Plakate: ‚Den Opfern‘, ‚Den Gefallenen‘.“ (279/280) Wesentlich ausführlicher als beim Durchgang durch Kasimierz beschreibt er das Gesehene und berichtet auch die Vorgeschichte, während er in Kasimierz nur notizenhaft formuliert: „Läden nach Läden. In den Etagen Geschäfte über Geschäfte. Ich lese die Firmenschilder ‚Affenkraut‘, ‚Stieglitz‘, ‚Vogelfang‘, ‚Goldstoff‘. Tuchballen werden abgeladen“ (279). Der Auszug endet mit einem Bekenntnis, als „jetzt, die Tausende, hier in der Dunajewskistraße, nach dem Friedhof“ „marschieren“: „Ihre roten, wehenden Fahnen! Die roten Fahnen! Von allen Fahnen, die es gibt, die entschlossenste. Sie kann ich ganz verstehen. Da bin ich nicht verirrt in der Stadt der Marienkirche und des Gerechten. Die blutigrote Fahne.“ (280) Aus Peter Weiss‘ „Oratorium“ „Die Ermittlung“ wird von Schneider zitiert, als der Reisende den „Todesblock“ „verlasse[n]“ und „ein paar Schritte zurück“ getreten ist, so dass er sieht: „Dies ist die schwarze Wand.“ (Schneider 1974, 71) Der Erzähler merkt zwar an: „Sie wird erwähnt in vielen Berichten“, aber zitiert wird im Folgenden nicht einer von diesen, sondern aus einem anderen Text, dessen Haupttitel zunächst nicht genannt wird: „Der Schriftsteller Peter Weiss hat Aussagen des Frankfurter Auschwitzprozesses kaum verändert übernommen“, um dann die gattungsmäßig ungewöhnliche Bezeichnung für die Teile des „Oratoriums“ „Die Ermittlung“ zu verwenden: „er läßt einen ‚Gesang von der schwarzen Wand‘ so anfangen“ (71). Das eine halbe Seite lange Zitat ist die Aussage des „Zeuge[n] 7“ über die Ermordung eines „6 bis 7 Jahre“ alten, „kleine[n] Mädchen[s]“ mit „eine[m] Zopf“ in „rote[m] Kleid“ durch den „Angeklagte[n] 2“ mit einem „Gewehr“ (Weiss 1965c, 118; Weiss 1965d, 166).¹⁵ Der
Den „Spiegel“-Redakteur Hellmuth Karasek veranlasste „ein kleines Mädchen, das einen roten Mantel trägt“, in den Szenen von der Räumung des Warschauer Ghettos in Steven Spielbergs „Schindler’s List“, zu der ersten Frage im Gespräch mit dem Regisseur: „Haben Sie mit diesem Mädchen so etwas wie ein Zeichen von Hoffnung setzen wollen?“ (Karasek 1994) Wenn er dann Spielberg zu dem Bekenntnis veranlasste, „eine schlüssige Geschichte erzählt“ zu haben: „Die Leute vertrauen der dramatischen Erzählung des Spielfilms, weil sie das Gefühl haben, daß sie jemand durch die Geschichte führt“, referiert Karasek eine schon in der Diskussion über „Die Ermittlung“ von ihm selbst nicht geteilte Meinung, nämlich „daß sich der Genozid an den Juden nicht durch einen Spielfilm wiedergeben lasse, ohne daß das Geschehen verharmlost oder gar verkitscht würde. Auschwitz, so hieß es, sei nur durch Dokumente adäquat darstellbar“. 1966 hatte Karasek Peter Weiss vorgeworfen, was „Die Ermittlung“ „nicht liefert“: das „sind die wahren Beweggründe, ist die eigentliche Realität von Auschwitz. [..] Der Einzelfall, der auf der Bühne nahezu zwangsläufig paradigmatische Züge an-
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unmittelbar auf das Zitat folgende Kommentar des Erzählers lautet: „Es liegen immer Kränze dort und Blumen.“ (Schneider 1974, 72) Damit nimmt er ein Motiv auf, das schon beim Gang durch die Ausstellung von Besuchern niedergelegte Blumen und ein Kind als Opfer verknüpft hat: „Es gibt eine kleine Vitrine, die nichts enthält als die Habseligkeiten eines kleinen Mädchens, ein wenig Spielzeug, eine sehr abgegriffene Puppe, das ist ein Anblick, der die Kehle zuschnürt, es liegen ständig¹⁶ Blumen auf dem gläsernen Kasten, der die Form eines kleinen Sarges hat, ich sehe eine alte Frau, die ein paar Rosen zu den anderen Blumen legt, sie weint hemmungslos, vielleicht hat sie das Kind gekannt, dem die verblichenen Habseligkeiten gehörten, vielleicht hatte sie selber ein Kind, das hierhergebracht worden ist nach Auschwitz, es wäre heute vierzig Jahre alt, es hätte selber Kinder“ (70). Aber wenn Blumen nach der Schwarzen Wand dann im Krematorium zum dritten Mal vom Reisenden gesehen werden, der gerade, anaphorisch stark durch ein dreimaliges „Ich sehe“ betont, im „von Rauch“ „geschwärzt[en]“ „Raum“ vor „Stahltüren zu den Öfen“ und den „metallenen Schieber[n]“ steht, „mit deren Hilfe die Leichen in die Brennkammern der Öfen geschoben werden“ (72), setzt das Präsens die Reaktion des Reisenden mit dem Kommentar des Erzählers gleich: „Ich sehe Blumen auch hier. Ich beginne die Blumen zu hassen.“ (72) Die Heftigkeit von Reaktion und Kommentar ergibt sich aus der Beziehung zu den Motiven der Leere und der ‚anmutigen Umgebung‘; die Blumen bedrohen die Vereinzelung des Reisenden durch den Erzähler, der sie als ,Beschönigung‘ des Massenmordes verurteilt: „Sie sind die immerselben Versuche, der Erschütterung ein Zeichen zu geben, aber die Blumen sind anmutig, und worauf sie hinweisen sollen, ist häßlich gewesen, wie das Leiden und der Tod immer häßlich sind, es gibt Zeichen dafür, aber es gibt keinen Namen dafür.“ (72) Schneider zitiert sich selbst, wenn es heißt: „Der Kommandant Höß sagte auf Fragen der Ankläger vor dem Militärgerichtshof in Nürnberg“ (72), denn auf der folgenden halben Seite steht, schon an der konsequenten Kleinschreibung erkennbar, ein Ausschnitt von sechs Absätzen aus Schneiders „Dokumentarstück“ (Schneider 1968, 5) „prozeß in nürnberg“ (Schneider 1970a, 1970b).¹⁷ Er stammt aus der vorletzten, „Meinungsbildung“ genannten Szene des Stücks, dessen Text 1968 als Fischer Taschenbuch in der BRD und 1970 in zwei Ausgaben des Henschel Verlags in der DDR erschienen war, einer Ausgabe von Schneiders „Stücke[n]“ und einer, zur „25. Wiederkehr des Tages der Befreiung vom Hitlerfaschismus“ (Trilse 1970, Klappentext) zusammengestellten, Anthologie „Stücke gegen den Faschismus. Deutschsprachige Autoren“, in der Schneider der einzige DDR-Autor war, der nicht – so wie Becher, Brecht, Friedrich Wolf und Hedda Zinner – aus dem Exil in die SBZ gekommen war,
nimmt, kann sich leicht verfälschend über die Wirklichkeit legen.“ (Karasek 1966, 211) Das Mädchen, nicht im roten Mantel, sondern „in a red dress“ (Weiss 1998, 230) fand sich in der englischen Übersetzung von „Die Ermittlung“, die 1966 erschien. Vgl. oben: „immer“ (Schneider 1974, 72). Vom Fischer Verlag wurde auf der Umschlags- und Titelseite Schneiders Kleinschreibung nicht gefolgt.
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aber in dessen „Biografie“ betont wurde: „Die Auseinandersetzung mit Faschismus und Neofaschismus spielt eine große Rolle in seinem Werk.“ (614) In der Szene „Meinungsbildung“ befragt der sowjetische Ankläger nacheinander den Herausgeber der antisemitischen Zeitschrift „Der Stürmer“ Julius Streicher, den SS-Unterscharführer im KZ Mauthausen Alois Höllriegel, Rudolf Höß (Schneider 1968, 71– 74), den Überlebenden des Wilnaer Ghettos Abraham Suzkewer, die französische kommunistische Auschwitz-Überlebende Marie-Claude Vaillant-Couturier, noch einmal Streicher und dann Hermann Göring über Streicher. Die Aussagen von Höß waren nicht nur in der von Schneider in seiner titellosen Vorbemerkung genannten „Hauptquelle“, dem „42bändige[n] Protokoll des Internationalen Militärtribunals Nürnberg“ gedruckt worden, sondern in der DDR auch in zwei 1957 erschienenen Büchern: der zweibändigen Auswahlausgabe „Der Nürnberger Prozeß“ (Prozeß 1957)¹⁸ und der vom KAW herausgegebenen „Dokumentation über die Verbrechen der SS“„SS im Einsatz“ (KAW 1957, 260 – 263); beide Bücher wurden in der Zeitschrift der DDRBibliothekarInnen vom Verfasser einer Sammelrezension „Das war die SS!“ zu den „aufschlußreichen Büchern über den faschistischen Terror“ gerechnet, für die er an die KollegInnen appellierte: „Wir sollten jede Möglichkeit nutzen, uns zu vergewissern, mit welcher inneren Haltung diese Bücher gelesen werden und uns darüber Gedanken machen, wie wir unserer Hauptaufgabe gerecht werden können: der Erziehung unserer Leser zum richtigen Handeln im Kampf gegen den wiedererstandenen deutschen Faschismus.“ (Peter 1957, 1051) „Der Bibliothekar“ besprach 1958 auch eine aus dem Polnischen übersetzte „Analyse der militaristischen und neofaschistischen Literatur in Westdeutschland“, (Bibliothekar (1958) S. 728/729), Jerzy Sawickis „Als sei Nürnberg nicht gewesen… Die Abkehr von den völkerrechtlichen Prinzipien der Nürnberger Urteile“, der aus rechtsradikalen Veröffentlichungen z. B. kursiviert zitierte: „‚Was in Auschwitz und Maidanek und in anderen Orten des Ostens geschehen ist, geht einzig und allein die Slawen an.‘“ (Sawicki 1958, 49) Oder, wenn auch nicht kursiv: Das „‚Nürnberger Dokument‘“ würde „‚nazistische Gewalttaten‘‘ nicht „‚wirklich beweisen‘“, weil für „‚Aussagen‘ von ‚Fremden‘ ‚mit jüdischen oder polnischen Namen‘“ (49) gelte: „‚Ihnen darf man nicht glauben‘“, wie auch Vaillant-Couturier¹⁹ nicht, weil deren Aussagen „‚von ihrer Partei diktiert‘“ (50) würden. Schneider kürzt für das Auschwitz-Kapitel seines Polen-Buchs den Auszug aus seinem Dokumentarstück um die Fragen an Höß, die auf die Aufforderung „beschreiben sie auschwitz“ (Schneider 1968, 72) folgen. Mitten in Höß’ Beschreibung von Auschwitz und Birkenau setzt das Zitieren ein: „die züge sind auf ein abstellgleis in birkenau gekommen“ (72). Weggelassen sind die Fragen des Anklägers: „wußten sie, was ihnen bevorstand?“, „wie lange hat es gedauert, ehe der tod eingetreten ist?“, „wieviele menschen konnten auf diese weise getötet werden?“, „was geschah nach Vgl. hierzu auch Ulrike Schneider (2019, 159) über den Abdruck der Szene „Technik der Aggression“ 1968 im Januar-Heft der „Neuen Deutschen Literatur“, die durchweg die Kleinschreibung aufhob. Vgl. ihre Aussagen in Nürnberg über Birkenau in „SS im Einsatz“ (KAW 1957, 264– 276 und 280 – 282).
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der tötung?“, „weiter?“ (72). In einem Falle hat Schneider für die Reisebeschreibung nicht nur die Frage – nach der Dauer des Sterbens, sondern auch Höß’ Antwort gestrichen: „zwischen drei und fünfzehn minuten. wir haben dazu verwendet cyclon b, eine kristallartige blausäure, die sofort verdunstet ist.“ (72) Schneiders Zitat seines eigenen ‚Dokumentarstücks‘ ersetzt im Auschwitz-Kapitel seines Polen-Buchs einen Gang des Reisenden durch Birkenau, obwohl das Zitat gerahmt ist von Sätzen, die einerseits, vorangestellt, das Stammlager und Birkenau vergleichen und andererseits, nachträglich, Höß’ Aussagen über Birkenau zusammenfassen – beides auch in Metaphern: die „Manufaktur des Todes“ in Auschwitz („achtundzwanzig“ „Häftlingsgebäude“) und seine „Fließbänder“ („mehr als tausend“ „Häftlingsgebäude) (72) in Birkenau, dem „schrecklichste[n] Schlachthaus der Menschengeschichte“ (73). Höß’ aus dem Dokumentarstück zitierte Aussage bezieht sich ausschließlich auf Birkenau und wird vom Erzähler zusammengefasst: „So starben zwei Millionen Menschen an diesem Ort“, von dem es dann in Bezug auf die „Menschengeschichte“ heißt: „Er […] wurde ihr größtes Grab.“ (73) Während es im Stammlager geheißen hat, die „für Besucher“ „zugänglich gemacht[en]“ „Gebäude des Lagers“ „zu betreten, darin umherzugehen, die Exponate zu betrachten, kostet Kraft“ (68), und dieser Aufwand von Kraft im Folgenden durch ein anaphorisches „Es gibt“ (68 – 71) verdeutlicht worden ist, das jeweils die Beschreibung von Exponaten (Schuhen, Koffern, Blechschachteln, Krücken) eröffnet, und dann das ‚Es gibt‘ abgelöst worden ist durch ein ebenso anaphorisches „Ich gehe“ (71/72), das zu den verschiedenen Gebäuden und Plätzen (Block 11, Schwarze Wand, Krematorium und Galgen) führt, bleibt es für Birkenau bei dem Schlusssatz der Zusammenfassung von Höß’ Aussage: „Schwer, hier umherzugehen, und man weiß, man trägt einen deutschen Namen“ (73), ohne dass ein Gang des Reisenden durch Birkenau beschrieben würde. Diese negative Aufhebung der Vereinzelung des Reisenden kontrastiert mit der folgenden, positiven, die den Schreiber betrifft. Mit einer Peter Weiss’ „Meine Ortschaft“, „für die ich bestimmt war und der ich entkam“ (Weiss 1965a, 32),²⁰ entlehnten Formulierung wird auf Theodor W. Adorno angespielt: „Jemand, der nie als Häftling
Vgl. aber auch schon eine frühere Aufnahme von Weiss’ Formulierung in Günther Anders’ „Besuch im Hades“: „Ich komme von dem Orte, an dem zu sterben […] mir eigentlich bestimmt war […] und rolle nun demjenigen Platze entgegen, an dem es mir bestimmt gewesen war, das ‚Licht‘ dieser Welt zu erblicken.“ (Anders 1979, 30/31) Da Anders’ Buch über seine Reise von Auschwitz nach Wroclaw auch in der DDR erschien, konnte es Schneider kennen, aber vor allem schrieb Schneider über sein Stück „Prozeß Richard Waverly“: „Der wirkliche Names des Mannes, dessen Prozeß geschildert wird, lautet Claude Robert Eatherly.“ (Schneider 1970c, 107) „Der Fall Eatherly ist […] erst spät ins Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Daß es überhaupt geschah, ist zwei Männern zu danken: Robert Jungk und Günther Anders. Beide wurden bekannt durch ihr Auftreten gegen nukleare Bedrohung; sie handelten aus der moralischen Verantwortung humanistischen und liberalen Denkens. Ihre Haltung macht sie im Kampf gegen die imperialistische Atomkriegspolitik zu unseren Verbündeten. […] Anders legte inzwischen seinen Briefwechsel mit Eatherly vor. So steht neben dem Spiel das Dokument. Das Spiel möchte es nicht ersetzen. Es möchte es lediglich interpretieren.“ (108/109) Vgl. Jungk 1961.
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hier war, aber bestimmt war, als Häftling hier zu enden, hat gesagt, man könne nach Auschwitz kein Gedicht schreiben.“ (97) Für seine Zurückweisung des auf diese Weise nicht korrekt zitierten und missverstandenen so genannten ‚Diktums‘²¹ beruft sich der Erzähler auf Tadeusz Borowski und Paul Celan; doch die Begründung der Abweisung ist allgemein: „Es ist weiter geschrieben worden, da Menschen leben und da sie eine Sprache haben, so entstehen Gedichte.“ (97) Wesentlich schärfer war Schneiders Abweisung von Adornos ‚Diktum‘ 1968 in der Vorbemerkung der Fischer-Ausgabe von „Prozeß in Nürnberg“ ausgefallen, die in der Henschel-Ausgabe zur nachgestellten „Anmerkung“ wurde (Schneider 1970b, 587), denn das ‚Diktum‘ wurde von dem „ästhetische[n] Vorwurf“ gegen „Dokumentarstücke“ unterschieden“: „Aufs Moralische zielt […] gerade der häufigste Vorwurf: häufig, da ein hochberühmter Mund ihn aussprach. Man könne nach Auschwitz kein Gedicht mehr schreiben.“ (Schneider 1968, 5) Schneiders Weise, das ‚Diktum‘ zu paraphrasieren, spricht, wie sich im Folgenden zeigt, für Wolfgang Johanns Vermutung, dass es vor allem durch ‚Hörensagen‘ bekannt geworden sei, als „ein geflügeltes Wort“ (Johann 2018, 15): „Ich zweifle nicht an Adornos Lauterkeit: unangemessen und geradezu vermessen, das unnennbare Martyrium dennoch zu benennen. Sehe ich, mit welch beängstigender Fertigkeit dieses Wort kolportiert wird, scheint es mir nur hinzudeuten auf die Absicht, Auschwitz auch sonst nicht zu nennen: flinkes Argument für eine gesellschaftliche Amnestie. Das ist ungleich vermessener. Die Höllen Beckettscher Parabeln sind keine literarische Alternative, so lebhaft die anempfohlen wird. Gleichnisse im Jedermann-Ton können vielleicht treffen, vielleicht auch Auschwitz, warum gerade Auschwitz: war Auschwitz ein Jedermann-Ereignis? Es bleibt ein Extremfall. Jenes Sinnes, daß er Allgemeineres enthielt, da er daraus hervorgegangen war. Dennoch Steigerung ins Beispiellose. Wie soll das erfaßbar sein in allgemeinen szenischen Metaphern? Ich fürchte, Chiffriertes versagt vor Auschwitz zuallererst. Wir werden weiter den Namen, die Dinge, die Zahlen nennen müssen, Benennungen für Unnennbares, wir wissen es, stammelnd gesprochen, wir sind uns dessen bewußt.“ (Schneider 1968, 5/6) Die zwei Jahre später nicht mehr moralisch-politisch, sondern literarisch gegebene Begründung der Abweisung von Adornos ‚Diktum‘, nämlich mit der ‚Sprache lebender Menschen‘, die ‚Gedichte entstehen‘ lasse, bedürfte nicht der Bezugnahme auf Borowski, dessen „Erzählungen“ „gnadenlose Verse ohne Metrum“ seien, und vor allem Celans „Todesfuge“, aus der die ersten beiden Strophen zitiert werden – mit
Vgl. den Wortlaut in dem 1951 zuerst erschienen Essay „Kulturkritik und Gesellschaft“ in einer auf das ‚Schreiben von Gedichten‘ ‚nach Auschwitz‘ fokussierten Anthologie zur Rezeption, „Adorno und die Dichter“: „Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben. Der absoluten Verdinglichung, die den Fortschritt des Geistes als eines ihrer Elemente voraussetzte und die ihn heute gänzlich aufzusaugen sich anschickt, ist der kritische Geist nicht gewachsen, solange er bei sich bleibt in selbstgenügsamer Kontemplation.“ (Kiedaisch 1995,27– 49, hier 49)
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folgender Einleitung: „Der deutschsprachige Dichter Paul Celan hat es versucht, dem Mysterium Auschwitz Namen zu geben in einem Gedicht, es sind verschlüsselte Namen, sie schließen etwas auf“ (Schneider 1974, 73).²² Auch der Erzähler ‚verschlüsselt‘ seine Deutung des ‚Mysteriums‘, indem er die Schreiber nach Auschwitz, Borowski und Celan, als Selbstmörder vorstellt, die „aus den gleichen Ängsten“ sich umbrachten: „Die Asche von Auschwitz hängt über unserem Erdteil, immer noch.“ (74) Die Angst Borowskis ist zuvor schon einmal bestimmt worden, wenn es heißt: Er „brachte sich […] um, weil er sein Gedächtnis nicht ertragen konnte.“ (73) Für die Deutung, dass Schneider nahelegt, in der Angst vor der Vergesslichkeit der Mitmenschen das gemeinsame Motiv beider Selbstmörder zu sehen, spricht der Schluss der Reisebeschreibung, der zur polnischen „Umgebung“ zurückkehrt: Rasenund Malerarbeiten in der Gedenkstätte, ausgeführt von „junge[n] Leute[n]“ werden auf eine Weise dargestellt, die das gewöhnliche Verhalten am ungewöhnlichen Ort skandalisiert: „Eine Tür, die einen neuen Farbanstrich braucht, ist eine Arbeit neben anderen ähnlichen Arbeiten.[²³] Sie wird verrichtet; die sie ausführen, benehmen sich, wie sie sich auch bei anderen Arbeiten benehmen. Sie sprechen. Manchmal lachen sie. Es ist ein seltenes Lachen auf den Asphaltwegen von Auschwitz, das wird so bleiben, solange Menschen sich erinnern können.“ (74)
3 Detlef Garbe: Auschwitz – vier Millionen Tote – was hat das mit uns zu tun? Ein Jugendlicher, der zwei Mal „mit der Aktion Sühnezeichen“ in Auschwitz war, das Mitglied des Evangelischen Jugendkreises Moringen Detlef Garbe, hat 1975 in der Zeitschrift der ASF „zeichen“ nicht über ‚Arbeit wie ähnliche andere‘ in der Gedenkstätte berichtet, sondern darüber, „was“ „Auschwitz – vier Millionen Tote – […] mit uns zu tun“ „hat“, nämlich „sehr viel“, und das nennt er im zweiten Satz: „meine Erfahrung“ (Garbe 1975). Garbe geht aus von einer Aussage über Auschwitz, die in Klammern auf das ‚Wir‘ deutet, das sein Text in drei Schritten „konkret“, „noch konkreter, „noch viel näher“ bestimmt: „Der faschistische Rassenhaß (nicht nur von Hitler, sondern auch der von denen, die begeistert zu hundertausenden ‚Heil‘ geschrien haben) ist in Auschwitz bittere Realität geworden. […] Völkermord – das ist in diesem Fall das brutale
Vgl. dagegen Schneiders bereits zitierte Äußerung dazu, „wie das Leiden und der Tod immer häßlich sind“: „es gibt Zeichen dafür, aber es gibt keinen Namen dafür“ (Schneider 1974, 72). Vgl. 1992 in Ruth Klügers „weiter leben“ das negative Stereotyp der jungen Deutschen, die „in Auschwitz die Zäune weiß zu streichen“ haben (Klüger 1992, 69, u.v.a., 70, 71/72, 78, 85, 174, 186). Auch wenn die Möglichkeit besteht, dass Schneider in Auschwitz Freiwillige der ASF sah, werden im Text die ‚jungen Leute‘ nicht als solche eindeutig identifizierbar dargestellt, aber auch nicht ausdrücklich als Polen.
3 Detlef Garbe: Auschwitz – vier Millionen Tote – was hat das mit uns zu tun?
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Machwerk deutscher Faschisten – konkret meiner Elterngeneration.“ In diese erste ‚Konkretisierung‘ des ‚Wir‘ schließt Garbe alle ein, „die meine Erziehung, mein Verhalten und mein Denken, Handeln und Fühlen geprägt haben“, angefangen mit „meine[n] Eltern, meine[n] Lehrer[n], meine[n] Verwandten“, belegt sie mit fünf wörtlich zitierten nationalistischen, antisemitischen und antikommunistischen Stereotypen, wie „‚na ja, mit den Juden das war zuviel – aber sonst ganz in Ordnung‘“, und zieht den Schluss: „Der Faschismus sitzt noch tief in diesem deutschen Volk – meinem Volk.“ Die zweite, gesteigerte Konkretisierung wechselt von Familie und Schule in die politische Öffentlichkeit mit einer die vorweggenommene Verblüffung des Adressaten auflösenden Formulierung: „noch konkreter: Auschwitz begegnet mir, täglich. Wo? – Na; auf der Straße sozusagen.“ Das Bild von der Begegnung mit Auschwitz ‚auf der Straße‘ wird von Garbe erklärt mit einer Verallgemeinerung über das öffentliche Leben der Bundesrepublik, über ihre „einflußreichen Beamten, Richter, Politiker und Wirtschaftler“, die „Nationalsozialisten“ „waren“ und „ihre Stellung vom Nazi-Deutschland in die demokratische ‚neue‘ Republik [haben] retten können“; die ironisierenden Anführungszeichen um ‚neu‘ erklärt Garbe damit, dass ihr Reden von ‚Freiheit‘ „Profite“ meine und das von ‚Demokratie‘ „sichert, daß sie weiterhin herrschen können“. Auf den vorweggenommenen, aber mit Fragezeichen versehenen Einwand: „Nicht konkret genug?“ wechselt Garbe zurück in die 1. Person Singular des Personalpronomens, um jedoch sofort wieder in den Plural zurückzukehren, über das ‚Wir‘ des ersten Schrittes, die Kinder der ‚faschistischen‘ Eltern, hinaus, denn die Verallgemeinerung wird über das Auschwitz der „Vergangenheit“ hinaus geführt: „Auschwitz ist mir sogar noch viel näher – denn Auschwitz ist in mir – in jedem von uns. Auschwitz – das ist unser Egoismus, unsere Gleichgültigkeit, unser Schweigen. Das alles hat Auschwitz mit mir zu tun.“ Mit einem „Doch“ leitet Garbe die Begründung für seine Verallgemeinerung des „Namen[s]“ Auschwitz zu den „viele[n] Namen“ des „Phänomen[s]“ Auschwitz ein: „Doch Auschwitz ist nicht nur ein Name – Auschwitz ist ein Phänomen. Auschwitz ist nicht nur […] die perverseste, profitabelste und perfekteste Massenvernichtung. Auschwitz hat aber viele Namen – Namen wie My Lai (1968), Santiago de Chile (1973) und viele, viele andere.“ Mit der Wahl des Massakers in Vietnam und des Militärputsches in Chile belegt Garbe noch einmal sein Verständnis von Faschismus als Kapitalismus/Imperialismus, wie sich schon in seiner Anmerkung zur personellen Kontinuität zwischen Faschismus und Bundesrepublik andeutet. Detlef Garbes Artikel in „zeichen“ von 1975 ist von Gabriele Kammerer in ihrer Geschichte der ASF 2008 als typisch für die 1970er Jahre kritisch bewertet worden als „eine vom christlich-jüdischen Gespräch noch kaum gestreifte Sorglosigkeit im Umgang mit den Metaphern ‚Auschwitz‘ und ‚Holocaust‘“ (Kammerer 2008, 171). Ihre Verurteilung von Garbes Artikel verzichtet darauf, die ihm zugrundeliegende Deutung von Auschwitz überhaupt explizit zu machen, und setzt nur einen ‚christlich-jüdischen‘ Maßstab als angemessen voraus. Dabei ignoriert sie den auf derselben Seite von „zeichen“ wie Garbes Artikel stehenden, rechts unten gewissermaßen als Schlusspunkt eingerückten, redaktionellen Kasten zum – im Titel stehenden – Begriff
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„Sühne“. „Das Wort Sühne“ wird, bevor seine ‚Bedeutung‘ bestimmt wird, zwei Mal als ‚Hinweis‘ und ein Mal als ‚Erinnerung‘ in Zusammenhänge gebracht: ‚Hinweis‘ einmal „auf die Notwendigkeit von Versöhnung“ als „eine wichtige Voraussetzung für Frieden“, dann „weit […] hinaus“ über „materielle Entschädigung und Wiedergutmachung“, ‚Erinnerung‘ aber „an vergangene und gegenwärtige Schuld und Schuldverflechtungen“: „Schuld können auch Kinder für ihre Väter oder Väter für ihre Kinder auf sich nehmen.“ (Garbe 1975) Die Bedeutung des Worts bestimmt die Redaktion von „zeichen“ in der Wir-Form: „Wir müssen aus der Geschichte lernen, Folgerungen zu ziehen, Fehler einzugestehen, umzudenken, umzukehren von falschen Wegen und neue Wege suchen.“ Insbesondere die Betonung der intergenerationellen Übernahme von Schuld, explizit als generationell definiertem Begriff, stimmt mit Garbes Argumentation überein, die das Schuldbekenntnis auch als Voraussetzung für, zum einen, ‚Umdenken‘ und, zum anderen, ‚Suche nach neuen Wegen‘, was als sozialpsychologisch und sozialökonomisch zu verstehen vom Text der Redaktion, wenn nicht nahegelegt, so doch nicht ausgeschlossen wird wie sehr scharf die staatliche finanzielle Wiedergutmachung: „Das Wort Sühne hat mit materieller Entschädigung und Wiedergutmachung nichts zu tun.“ Kammerers Kritik an Garbes – wie sie fälschlich behauptet – „‚Metapher‘“ (Kammerer 2008, 171) Auschwitz ignoriert auch die Nähe zu Volker von Törnes gleichzeitigen Texten, obwohl auch sie seine, bereits zitierte, Rede von 1974 zitiert, in der Törne die „‚rein touristische Begegnung‘“ mit Auschwitz unterscheidet von der „‚politisch besonders qualifizierte[n]‘“, die es „‚jungen Deutschen ermöglicht, durch die Vermittlung konkreter Einsichten in die bis heute fortwirkenden Schuldzusammenhänge der deutsch-polnischen Geschichte, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und damit für eine zukünftige dauerhafte Verständigung mit dem polnischen Volk zu arbeiten‘“ (169). Allerdings ist in Garbes Artikel, der die gegenwärtig ‚fortwirkenden Schuldzusammenhänge‘ weltweit – explizit Asien und Amerika durch Beispiele einbeziehend – verortet, speziell von deutsch-polnischer ‚Versöhnung‘ nicht die Rede.²⁴ Doch auch von Törne gibt es Texte, die den Schwerpunkt auf ‚Umdenken‘ und ‚neue Wege‘ setzen, wenn er über „Jugend zwischen Geschichte und Zukunft“ Ende der 1970er Jahre schreibt: „Die Kollektiv-Ursachen und Kollektiv-Wirkungen der NS-Vergangenheit sind trotz aller Erfolge bei der Demokratisierung unseres Lebens immer noch allgegenwärtig. […] In […] Verhaltensmustern leben die gleichen Bewußtseinsstrukturen fort, die […] Auschwitz […] möglich gemacht haben.“ (Törne 1981, 11/12) Dass Garbe das deutsch-polnische Verhältnis überhaupt nicht thematisiert, wenn er darlegt, ‚was Auschwitz mit uns zu tun hat‘, widerspricht jedenfalls einer anderen, von Kammerers abweichenden Kritik an den ASF-Freiwilligen der frühen 1970er Jahre, der des österreichischen Historikers Anton Legerer: Durch die „von Empathie getra-
Praktisch wurden für Garbe die Reisen nach Auschwitz zum Anstoß, in der Bundesrepublik nach „Vergessenen KZs“ zu suchen: Garbe 1983, 30; vgl. Knoch 2009, 213.
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gene Identifikation mit der zeitgenössischen polnischen Bevölkerung“ (Legerer 2011, 246) habe sich in der Gedenkstätte Auschwitz eine „Beeinflussung der SühnezeichenFreiwilligen durch das polnische Narrativ“ (249) ergeben, das Legerer nur im Singular kennt: „das polnische, von antisemitischen Inhalten getragene Narrativ“ (245). Als Beleg zitiert Legerer Ruth Klügers Spott über die ASF-Freiwilligen aus „weiter leben“: „In Auschwitz sind die jüdischen Opfer so vereinnahmt worden in die polnischen Verluste, daß meine Zaunanstreicher einen Unterschied nicht wahrhaben wollen. Meine Zaunanstreicher glaubten alles, auch das Ärgste, von ihren eigenen Großvätern, […] aber keineswegs, daß die Polen Antisemiten waren und ihre Juden nicht ungern loswurden.“ (Klüger 1992, 78) Um ‚konkrete Einsichten in bis heute fortwirkende Zusammenhänge‘, wie von Törne für die ASF gewünscht und von Garbe mit der Steigerung von ‚konkret‘ aufgenommen wurden, ging es 1975 auch einem Autor, der schon acht Jahre früher nach Auschwitz gereist war, aber seine Beschreibung der Reise erst jetzt veröffentlichte. „Nach Auschwitz kam ich als Besucher, im April 1967, zwei Tage nach einer großen Gedenkfeier“ (Fried 1975, 104). Dem ersten Satz folgt eine Gegenüberstellung von „noch“ „glänz[..]en[den]“ Hinweisschildern und „schon“ „verwelken[den]“ Blumen, aber keine Erwähnung der in der westlichen Presseberichterstattung verbreiteten, bereits zitierten, „Jüdische[n] Kritik“ an der Feier zur Einweihung des internationalen Mahnmals in Birkenau, z. B. im New Yorker „Aufbau“, dass „das Wort ‚Jude‘ nicht ein einziges Mal gefallen sei.“ (Jüdische Kritik 1967). Sieben Jahre später veröffentliche die „New York Times“ einen ungezeichneten Artikel über die Gedenkstätte, in dem ‚das Wort Jude‘ ‚ein einziges Mal‘ fällt, nämlich als Birkenau erklärt wird: „an extension of Auschwitz built specifically for the extermination of Jews and other victims of the Nazis“ (At 1974). Der leitende Gesichtspunkt der Kritik, die 1974 an der Gedenkstätte geübt wird, deutet sich schon im Titel an und wird bereits im ersten Satz als These formuliert: „At Auschwitz, a Discordant Atmosphere of Tourism“, das Unharmonische der Atmosphäre in der Gedenkstätte wird auf die Verminderung des tiefen Grauens des Ortes durch den Tourismus zurückgeführt: „Nearly 30 years after Auschwitz concentration camp was closed down, the underlying horror of the place seems diminished by the souvenir stands, Pepsi‐Cola signs and the tourist‐attraction atmosphere.“ Der Berichterstatter bewertet das von ihm ausschließlich beobachtete Verhalten der Touristen, Tausender von Polen, von denen er die Mehrheit „obviously too young to remember World War II“ nennt,²⁵ und einiger Ausländer, als unangemessen, indem er kontrastiert: ‚das Interesse an grausigen Vitrinen wie dem mit menschlichem Haar gefüllten Schaukasten‘ und dem anschließenden Snack in der ‚lauten, fröhlichen Cafeteria‘. Die technische Ausstattung des Museums und die Besuchermassen werden, wenn auch „vaguely“, mit den Wochenenden von New Yorker Museen verglichen. Die Unter 20 Jahre alt waren 20 % der 20 Millionen, die bis 1992 die Gedenkstätte besuchten; von den 170.000 im Jahre 1947 waren 9.000 Ausländer, von den 590.077 im Jahre 1988 219.215; die höchsten Besucherzahlen fallen in die Jahre der Seligsprechung Maximilian Kolbes 1972 (807.000) und des Besuchs des Papstes Johannes Paul II. 1979 (739.775), vgl. Szurek 1992, 246/247.
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Aufzählung des Angebots an den Andenkenständen, von deutsch- und polnischsprachigen Anstecknadeln über Bildpostkarten von Gaskammern und Krematorien bis zu Souvenir-Kugelschreibern mit dem polnischen Namen des Ortes, führt zur Kontrastierung des Hinweises auf das Hotel für ‚Besucher, die länger bleiben wollen‘, und des in wörtlicher Rede zitierten Kommentars eines ‚ernüchtert‘ genannten Besuchers: ‚Das Einzige, was zu fehlen scheint, ist ein Andenkenstand, der Knochen und Asche verkauft.‘ Hier erfolgt der Wechsel des Berichts vom Stammlager nach Birkenau, allerdings erst nach einem Rückgriff auf die ‚frischen Blumen‘, mit denen gewisse Vitrinen ‚überwiegend von der Museumsverwaltung‘, wie der Berichterstatter betont, ‚versorgt‘ werden, bemerkenswerterweise eine Vitrine, die Spielzeug enthält, das Kindern abgenommen wurde, ‚die in der Gaskammer starben‘. Der Rückgriff auf die Blumen verdoppelt den Gegensatz zwischen Stammlager und Birkenau: ‚Aber es gibt wenig Blumen und sehr wenige Touristen in dem riesigen, benachbarten Birkenau. […] stacheldrahtumzäunte Vorfelder und Gaskammern machen es offensichtlich weniger attraktiv für Touristen. Es gibt dort keine Museumsvitrinen und keine Snackbar.‘ Deshalb betreffen die beiden letzten Sätze vom Berichterstatter in Birkenau beobachtete Besucher, denen er ein anderes als ein touristisches Interesse am Ort zuschreibt: ‚Die in Birkenau angetroffenen Besucher schienen meist mittleren Alters oder alt zu sein und oft sahen sie aus, als ob sie ein besonderes Interesse, dieses Lager zu sehen, gehabt hätten. Einige schienen geweint zu haben.‘ (At 1974)
4 Erich Fried: Meine Puppe in Auschwitz Der Berichterstatter der „New York Times“ scheint eine Erklärung nahezulegen, die sich aus der Gegenüberstellung ergibt von, seiner Meinung nach, mehrheitlich ‚zu jungen‘ polnischen touristischen Besuchern des Stammlagers und Besuchern Birkenaus in ‚mittlerem‘ und ‚hohem‘ Alter mit einem besonderen, speziellen, persönlichen Interesse: nämlich an dem Ort der Ermordung von Familienangehörigen, also Mitglieder von jüdischen Familien. Zwei der drei zeitgenössischen Rezensionen, die Klaus Kaukoreit 1981 in seine in der „Vierteljahreszeitschrift für Kultur und Politik“ „Freibeuter“ des Wagenbach-Verlags zusammengestellten Bibliographie „Erich Fried: Werke. Gespräche/Interviews. Literatur über Erich Fried“ aufnahm, geben auf die Alternative touristisches oder ‚besonderes‘ Interesse gegensätzliche Antworten, was „Meine Puppe in Auschwitz“ angeht. Ludwig Fischer hebt in seiner in der niederländischen Literatur-Zeitschrift „Deutsche Bücher“ erschienenen Rezension des Erzählungsbandes „Fast alles Mögliche. Wahre Geschichten und gültige Lügen“ unter den Texten des Bandes „Meine Puppe in Auschwitz“ mit den damals etablierten literaturkritischen Schlüsselbegriffen ‚Unmittelbarkeit‘ und ‚Betroffenheit‘ hervor, erstere als Verfahren des Autors, letztere als Wirkung auf Rezipienten: Die „Unmittelbarkeit“ des Autors „macht“ Leser „betroffen“, weil „die ‚Vorbereitung‘ durch die Lektüre Peter Weissens [sic] Text ‚Meine Ortschaft‘ allmählich außer Kraft gesetzt [werde] durch die Vergegenwärtigung seines
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eigenen Judentums“ (Fischer 1979, 261). Auch Helmut Mader in der „FAZ“ erklärt „Meine Puppe in Auschwitz“ zu einem „Sonderfall in ‚Fast alles Mögliche‘“: „der Bericht Erich Frieds über seinen Besuch in Auschwitz […] ist die Geschichte von der ‚Verringerung des Grauens durch das Erinnern von Gelesenem‘ und durch zeitliche Distanz. Auch das Grauen erliegt, nicht anders als das Schöne, das ästhetische Objekt, einem historischen Abnutzungsprozeß.“ (Mader 1976) Beide Kritiker stimmen überein im negativen Urteil über das bisher über die Gedenkstätte Auschwitz Geschriebene, aber Fischer sieht Frieds ‚Unmittelbarkeit‘ in der ‚Vergegenwärtigung seines Judentums‘ als ‚Durchbrechung‘ jener literarischen ‚Verringerung des Grauens‘, zu der Mader ihn mit „Meine Puppe in Auschwitz“ einen weiteren Beitrag leisten sieht. „Die Angst, Auschwitz sehen zu müssen, die ich an jenem Tag im April 1967 gehabt hatte, werde ich nie wieder haben“ (Fried 1975a, 113/114), ist der letzte Satz der Beschreibung des Gangs durch das Stammlager und Birkenau, bevor – durch eine kleinere Type und die Überschrift „Auf der Rückfahrt von Auschwitz“ (114) abgesetzt – von einem Treffen mit Fritz Bauer in Frankfurt am Main berichtet wird. „Ich hatte Angst gehabt“, heißt es auch schon zu Beginn: „Auf der Fahrt durch die polnische Landschaft […] hatte ich heimlich auf eine Panne gehofft, auf einen geringfügigen Unfall, nur gerade genug, uns nicht an unser Reiseziel kommen zu lassen.“ (104) Wer „mit“ dem Reisenden nach Auschwitz „fuhr“, wird nur an dieser Stelle vom Erzähler gesagt: „Ein polnischer Freund“ (104), aber die Verwendung des ‚Wir‘ im weiteren Verlauf der Besichtigung der Gedenkstätte spricht für eine Gruppe von mehr als zwei Personen: „wir schwiegen und tauschten unsere Eindrücke nicht mehr aus, wie am Anfang unseres Weges durch das Lager“ (111), „ich war allein, ohne die anderen, auch ohne unsere Führerin“ (112), „[w]ir sollten sehen, auf was für Boden wir hier herumgehen, erklärte sie uns“ (111). Welche Art von Angst der Reisende durch die Besichtigung der Gedenkstätte verliert, wird angedeutet, wenn es zum Verstummen der Gruppe angesichts der „kleine[n] graue[n] und weiße[n] Knochensplitter“ „in dem feinen, hellen Sand“ heißt: „Auch meine Angst, daß ich in Auschwitz zu weinen beginnen würde, hatte ich längst verloren.“ (111) Allerdings wird dann die Angst vor dem bereits zitierten ‚nie wieder‘ einerseits Thema einer Vorausdeutung des Erzählers, andererseits eines Kommentars zu einem scheinbar beiläufig eingeführten „Beispiel“: „Es gäbe noch das eine oder andere zu berichten.“ (113) Der Erzähler betont die Nachträglichkeit, mit der der Reisende sein eigenes Weinen wahrnimmt: „Erst einige Zeit nachher, im bequemen Auto, bemerkte ich, daß ich weinte, aber lautlos.“ (113) Der Erzählerkommentar gilt den „Zeichnungen und Skulpturen, mit denen ehemalige Häftlinge das Leben im Lager – oder den Tod im Lager festzuhalten versuchten“ (113). Die scheinbar offen gelassene Frage, „ob das so schlecht sei“, dass „[v]iele dieser Arbeiten […] durch ihre ehrliche Bemühtheit und beklommene Ungeschicklichkeit die Funde des AuschwitzMuseums, zwischen denen sie ausgestellt sind, fast erträglich machen“, wird beantwortet, indem der Kommentar des Erzählers zur im Hinblick auf Rezipienten autopoetologischen Reflexion des eigenen Textes wird, aus dem zwei Details in eine Reihe mit dem „unbeholfene[n] Kunstwerk“ gestellt werden: „de[r] Tippfehler oder die zu-
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fällige Erinnerung an eine alte Puppe“ (113) werden gewissermaßen als Summationsformel bezogen auf: „Wenn das Unerträgliche ungemildert unerträglich bleibt, ist das für die meisten kein Grund, es wirklich nicht mehr zu ertragen und etwa die Welt so zu verändern, daß es nichts Unerträgliches mehr gibt, sondern nur ein Grund, das Unerträgliche möglichst schnell zu vergessen und nicht mehr daran zu denken, auch wenn viel Unerträgliches von ähnlicher Art fortbesteht oder gar erst im Kommen ist. Das Unerträgliche aber, dessen Bewußtsein sich einmal in mir eingenistet hat, wirkt auch dann weiter, wenn ich das unbeholfene Kunstwerk, den Tippfehler oder die zufällige Erinnerung an eine alte Puppe längst als groteske Kleinigkeit erkannt, die ihre Bedeutung nur dem Unerträglichen selbst entliehen hat.“ (113) Der Erzähler ist ausgegangen ist von der Wirkung des ‚ungemildert unerträglich‘ bleibenden ‚Unerträglichen‘ auf ‚die meisten‘ als ‚Vergessen‘, um dann in die 1. Person Singular zu wechseln, wenn es um die ‚weiterwirkende‘, im eigenen ‚Bewußtsein‘ ‚eingenistete‘ ‚Kleinigkeit‘ geht, deren dem ‚Unerträglichen‘ nur ‚entliehene‘ Bedeutung. Mit einem erneuten Wechsel des Personalpronomens, zu dem Indefinitpronomen ‚man‘, formuliert der Erzähler eine adressatenbezogene Wendung des Besuchs des Reisenden in Auschwitz-Birkenau in eine mögliche Wirkung seiner Darstellung, in der ‚Angst‘ und ‚Grauen‘ gleichgesetzt werden: „Und doch können solche Kleinigkeiten einem den Sprung aus der eigenen Angst und aus dem eigenen Grauen zu Einblicken und Einsichten ermöglichen“ (113). Die Verallgemeinerung der Wirkung der in Auschwitz gesehenen ‚Kleinigkeiten von dem Unerträglichen entliehener Bedeutung‘ zu einem den LeserInnen möglichen ‚Sprung‘ ‚zu Einblicken und Einsichten‘, die motivieren können, „die Welt so zu verändern, daß es nichts Unerträgliches mehr gibt“ (113), ist in der Darstellung des Gangs durch das Stammlager und Birkenau angelegt. Denn auf das anfängliche ‚Wiedererkennen‘ des Reisenden von über Auschwitz Gelesenem: „Alles genau wie bei Peter Weiss“ (105), dem – „um mich auf das, was ich sehen mußte, vorzubereiten“ – zuvor „in der Nacht noch einmal gelesen[en]“ „Bericht“ „Meine Ortschaft“, (105), das den Erzähler „von ferne“ „an die Genugtuung“ „erinner[t], mit der die mit einem Baedeker ausgestatteten Touristen nach einem Blick in ihr Buch Wahrzeichen einer Landschaft oder Stadt identifizieren“ (105), und das als „Erleichterung“ „das völlig Unerträgliche […] fast erträglich“ (105) mache, folgen ‚Überraschungen‘. Zu dem „Erinnern von Gelesenem“ (105) gehören auch „Fotos, die ich gesehen hatte“ (105), wie die von „Leichenhaufen, die ich nach Kriegsende auf den KZ-Fotos gesehen hatte“ (106), vom „Berg von Schuhen“ (106). Überrascht wird der Reisende von Objekten im Museum: „ich hatte eigentlich auch nie an die vielen Kinderschuhe gedacht. […] Die erste wirkliche Überraschung war ein riesiger Brillenhaufen. Damit hatte ich nicht gerechnet. […] Noch überraschender war der Berg von Kinderspielzeug. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals etwas davon gelesen zu haben, auch nicht bei Peter Weiss.“ (106) Der Bericht steigert die Überraschungen bis zum Höhepunkt: „Plötzlich sah ich Moritz.“ (107) Aber der Erzähler zögert die Erklärung für die Verwendung des Vornamens bis zum Ende des Absatzes hinaus: „Es war ein Wiedersehen. Moritz war meine eigene Puppe gewesen, zerbrochen, als ich
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vier Jahre alt war, jetzt aber völlig unbeschädigt. […] Erst in Auschwitz, mehr als vierzig Jahre nach dem Zerbrechen meiner Puppe, sah ich ihren Doppelgänger.“ (207) Nachdem die ‚wiedererkennende‘ Wahrnehmung durch die ‚plötzliche‘ abgelöst worden ist, erfolgt hier ein weiterer Wechsel: zur ‚anheimelnden‘ Wahrnehmung, ohne dass der Bezug auf das Grauen und das Unerträgliche verloren geht. Dem Wiedererkennen der eigenen Puppe Moritz in ihrem nach Auschwitz deportierten ‚Doppelgänger‘ schreibt der Erzähler eine die weitere Besichtigung bestimmende Wirkung zu: „Von diesem Augenblick an hatte Auschwitz eine neue Dimension für mich. Es war nicht mehr nur das unvorstellbar Andere, das völlig Fremde und Tote, sondern aus dem Leeren war etwas unheimlich Anheimelndes aufgetaucht und tauchte wieder und wieder auf.“ (107) Das Wiedererkennen von Hausrats- und Ziergegenständen der Eltern und Großeltern, von dem im „Familienjargon“ so genannten „Gewürzkasten“ (107) über Blechdosen bis zu den, wie der weibliche Guide berichtet, zu Folter und Mord benutzten Benzinflaschen: „So waren die alten anheimelnden Benzinflaschen meiner Kindheit hier aufbewahrt worden.“ (109) Das auf das Grauen bezogene Unerträgliche ‚entleiht‘ der ‚anheimelnd‘ familiarisierenden Wahrnehmung Bedeutung, wenn der Erzähler verallgemeinert: „Die lebhaftesten und überraschendsten Erinnerungen knüpfen sich an besonders unwahrscheinliche oder geringfügige Einzelheiten“ (108). Erst in der Überleitung vom Stammlager, wo „schon Stunden“ verbracht (110) worden sind, nach Birkenau greift der Erzähler zurück auf einen ‚Beschluss‘, den der Reisende noch vor dem Betreten von Auschwitz I gefasst hat, aber nur um mitzuteilen, dass er sich nicht daran gehalten habe: „Befremdet vom Verkaufsbetrieb an den Kiosken und Erfrischungsständen vor dem Lagereingang, hatte ich von Anfang an beschlossen, mir keine Andenken aus Auschwitz mitzunehmen. Ich habe mich aber nicht daran gehalten.“ (109) Der Erzähler gibt keine Erklärung für die Inkonsequenz des Reisenden, sondern berichtet: „Schon ehe ich von der ‚kleinen Gaskammer‘ ins erste Haus gekommen war, hatte ich einen Stein aufgehoben.“ (109) Dieser „Urgesteinskiesel“ war durch seine Form, die den Reisenden an Kiesel der englischen Küste erinnerte, und Einritzungen in seiner glatten Fläche, „vielleicht eine Mutter, die ein kleines Kind auf dem Arm hielt“, aufgefallen: „Ob wirklich jemand auf diesen Stein gezeichnet hat, oder ob ich mir das nur einbildete, konnte ich nicht entscheiden. Den Stein steckte ich schließlich in Gedanken in die Tasche, wo ich ihn erst Tage später wiederfand.“ (110) Der Erzähler bezeichnet zwei der drei weiteren ‚Andenken‘, die der Reisende mitnimmt, als „ebenfalls gefunden“, wovon er das dritte abhebt: „Das dritte […] hat man mir gegeben.“ (110) Das zweite und dritte ‚Andenken‘ ‚findet‘ der Reisende, als er „etwas benommen, zwar noch Eindrücke registrierend, aber fast gefühllos und auch […] ohne meine zunehmende Müdigkeit zu bemerken, der ehemaligen Lagerinsassin nach[ging], die uns herumführte“ (110) in Birkenau. „[A]lleingelassen“ von ihr „auf der fast idyllischen Wiese“, an deren Rand „Bäume“ die zerstörten Gaskammern „mehr oder minder“ „versteck[en]“, folgt der Reisende einem durch ein Wiedererkennen ausgelösten Einfall: „Ich hatte ein SS-Foto von den Menschen auf dieser Wiese in Erinnerung. Halbnackte und Nackte. Hier, wo ich stand,
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hatten sie sich zu Hunderten ausgezogen. ‚Wenn ich jetzt mit dem Fuß scharre, finde ich einen Knopf.“ (110) Und beim Bücken nach dem „ganz leicht“ (110) ausgescharrten Knopf „fand ich auch das Messer“ (111). Als der zur Gruppe zurückgekehrte weibliche Guide sie „sehen“ lässt, „auf was für Boden wir hier herumgeben“, erkennt der Reisende zwar die „Knochensplitter“ im Sand, aber über sein Fühlen und Denken heißt es: „Ich war mir überhaupt nicht bewußt, noch etwas zu empfinden. Der feuchte Staub und Sand mit den Knochen machte mich höchstens noch ruhiger [sic] als ich zuvor gewesen war. Das alles war auf die Dauer einschläfernd. […] man […] ließ sich […] nicht mehr aus der Ruhe bringen. Durch nichts mehr.“ (111/112) Dennoch wird das dritte in Birkenau eben nicht gefundene, sondern dem Reisenden wie der Gruppe ‚gegebene‘ ‚Andenken‘, das einzige, das er, „in eine kleine leere Pillenschachtel [ge]ta[n]“, „seither nicht mehr losgeworden“ (112) ist. Der Erzähler berichtet von der Entdeckung des Reisenden, dass, was er „für feinen, hellen Sand gehalten hatte, […] zum größten Teil Asche gewesen“ sei, auf der „Rückfahrt“ im Auto, als der weinende Reisende in der Tasche seines Mantels nach seinem Taschentuch sucht: „Ich […] zog die Hand weiß heraus.“ (113) Unmittelbar vorangegangen ist aber der Bericht über den Rückweg aus Birkenau hinaus, der zusammengefasst wird: „Erlebt habe ich nichts mehr“ (112). Diese lapidare Feststellung wird durch eine längere Kontrastierung verstärkt mit dem einzigen längeren Zitat, das sich in Frieds Text findet, einer Passage aus dem Schluss von Peter Weiss’ „Meine Ortschaft“; der Erzähler besteht darauf, dass der Reisende auch in den von Weiss beschriebenen Baracken „nichts mehr“ „[e]rlebt habe“: „auch nicht in den niedrigen Baracken von Birkenau, von denen Peter Weiss in seiner Beschreibung sagt: ‚Hier ist das Atmen, das Flüstern und Rascheln noch nicht ganz von der Stille verdeckt, diese Pritschen … sind noch nicht ganz verlassen.[²⁶] Nein, alles war ganz und gar verlassen, und wenn etwas atmete und ein wenig raschelte, war nur ich es. Nichts flüsterte, denn ich war allein in der Baracke, ohne die anderen, auch ohne unsere Führerin, und ich war stumm.“ (112) Der Erzähler Frieds insistiert auf dem Gegensatz von Leben und Tod, indem er nicht nur alle Anzeichen von Leben, die Weiss als in der Baracke von Birkenau wahrgenommen darstellt, verneint, sondern sie ausschließlich dem Reisenden zuschreibt. Frieds Text von 1975 schließt mit noch einer weiteren „Rückfahrt von Auschwitz“, diesmal in eine Zwischenüberschrift gesetzten „Auf der Rückfahrt von Auschwitz“ (114– 116). Im Unterschied zum vorangegangen Text, der über den zeitlichen Abstand zwischen der Reise im „April 1967“ (104) und dem Schreiben über sie keine Angabe macht, der allerdings die Grundlage für eine vom Süddeutschen Rundfunk am 20. Mai 1971 ausgestrahlte Sendung „Auschwitz“ mit Erich Fried gewesen sein könnte (Rundfunkarchiv 1997, 150), beginnt der Nachtrag mit einer Datierung, die für 1975 den 30. Jahrestag sowohl der Befreiung als auch der Kapitulation vermeidet: „Dreißig Jahre seit Hitlers Ende, acht Jahre seit ich Auschwitz und die Reste der Gaskammern und
Vgl. Weiss 1965a, 42.
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Baracken von Birkenau gesehen habe. Heute, im Nachhinein, scheint es mir nicht mehr ganz so schwer, vor dem Anblick keine Angst zu haben. Dort sieht man den Tod, aber nur den toten Tod. Und vielleicht kann einem das helfen, dann auch den lebendigen Tod rechtzeitig zu sehen.“ (Fried 1975a, 114) Mit dem adressatenbezogenen Indefinitpronomen nimmt Fried eine Unterscheidung vorweg, die er im Folgenden aus seinem auf der Rückfahrt von Auschwitz in Frankfurt am Main geführten Gespräch mit dem damals noch amtierenden Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zitiert: „Er war es der zu mir vom lebendigen Tod sprach, der in unseren auf den heilgebliebenen alten Kanalisationsanlagen wiederaufgebauten Städten jetzt abermals umzugehen beginne: ‚Er ist noch sehr klein, gemessen an Auschwitz, aber auch Auschwitz hat einmal bescheiden angefangen.‘“ (114) Fried betont: Bauer „fragte sich und mich und viele, die mit ihm sprachen habe, ob die Bundesrepublik überhaupt noch zu retten sei.“ Als Beleg für das, was der 1968 gestorbene Bauer „befürchte[t]e“, aber „nicht mehr [zu] erleben“ gehofft hatte, führt Fried an: „Die Erschießung Benno Ohnesorgs hat er noch erlebt und als ‚Verbrechen einer herrschenden Ordnung‘ bezeichnet.“ (114) Mit dem „Staatsanwalt“, der „den Auschwitzprozeß zu führen“ „hatte“ (114), versucht Fried im Nachtrag den „Sprung aus der eigenen Angst und aus dem eigenen Grauen zu Einblicken und Einsichten“ (113), indem der in der Gedenkstätte gesehene ‚tote Tod‘ den Blick auf den ‚lebendigen Tod‘ in der Bundesrepublik „ermöglichen“ (113) soll. Mit „Sätze[n]“ (114) Bauers über „Polizisten, die im Dienst Zivilisten erschießen und denen nie etwas geschieht“ (115), und mit Zitaten aktueller Zeitungsmeldungen zu der „seit seiner Zeit viel größer gewordene[n] Zahl polizeilicher Erschießungen“: „Seit Benno Ohnesorg müssen es schon sehr viele Tote sein“ (115), legt Fried im Schlusssatz dem Adressaten seine eigene Frage nahe: „Ich frage mich, ob eine solche Geringachtung des Menschenlebens nicht vielleicht – trotz aller Verschiedenheit der Umstände – irgendwie ein Erbe der Hitlerzeit sein kann. Das ist es jedenfalls, was Fritz Bauer den ‚lebendigen Tod‘ genannt hat, im Gegensatz zum ‚toten Tod‘ von Auschwitz.“ (116)²⁷ Als Fried im April 1967 nach Auschwitz gereist war, war er noch Mitarbeiter der BBC, aber am 25. Januar 1968 hatte er öffentlich „Abschied von der BBC“ genommen, bei der er 1951 begonnen hatte. Er begründete seinen ‚Abschied‘ damit, dass sich
Vgl. zur öffentlichen Wirkung von Ohnesorgs Tod: „Der tödliche Schuß […] löste in seiner Folge eine die gesamte Bundesrepublik erfassende Protestwelle aus, die auch den Einspruch gegen die Notstandsgesetze erfaßte“, und „führte zu einer neuen Größenordnung von Aktionen. Dies veranschaulicht das Beispiel der Ostermarschbewegung, die laut eigenen Angaben im gleichen Monat in gut 350 Städten Informationsstände aufbaute, annähernd 1200 Bücher gegen das Gesetzesvorhaben verkaufte und rund zwei Millionen Flugblätter verteilte.“ (Spernol 2008, 77/78) Boris Spernol bringt das dem Protest gegen die Notstandsgesetze bei den von ihm vor allem untersuchten Akteuren wie Kogon und Abendroth zugrundeliegende „Engagement“ auf den Begriff der „Demokratisierung“ und führt es auf „insbesondere auch au[f] ihre[…] Erfahrungen beziehungsweise ihre[…] Verarbeitung der nationalsozialistischen Zeit“ zurück“ (92).
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seitdem „in der Welt einiges geändert“ habe, dem er „nun […] Rechnung tragen“ müsse (Fried 1988a, 31): „Die Länder unter Führung von Kommunisten, die an jenen Exzessen der Stalinzeit teilhatten, die mich damals so verbitterten, haben sich davon weit mehr entfernt und erholt, als ich es zu jener Zeit für möglich gehalten hätte. Meine Zuversicht in die immanenten Heilkräfte des Systems war zu gering gewesen. […] In den letzten 17 Jahren hat sich aber auch im Westen vieles anders entwickelt, als ich gedacht und gehofft hatte. Die Rolle der Vereinigten Staaten in Vietnam und Guatemala, in Santo Domingo, Bolivien und vielen anderen Ländern; das Leben der Neger in Nordamerika, in Südafrika und Rhodesien; die Lage in der Bundesrepublik vom Verbot der KPD bis zur Großen Koalition und zum Versuch einer Änderung des Grundgesetzes“ (31/32). Schon 1964 allerdings hatte Fried in seinem Beitrag zu Hermann Kestens Anthologie „Ich lebe nicht in der Bundesrepublik“ nicht nur „Bonn“ vorgeworfen, gegen den Übergang vom Kalten Krieg zur Entspannung „störrischen Widerstand“ (Kesten 1964, 46) zu leisten, sondern auch, den Kalten Krieg mit „einer Grenzmark- und Wächterideologie“ zu führen, von der diejenigen, „die schon halb und halb zur Reue und zum Umlernen bereit waren, […] wieder zur psychologisch sehr verständlichen Suche nach halben Rechtfertigungen, nach philosophischen Alibis und geschichtlicher Schicksalskontinuität, angespornt werden“ (46). Aber in seiner einen Monat nach dem ‚Abschied von der BBC‘ in der Universität München im Rahmen einer „Antifaschistischen Woche“ gehaltenen Rede „Widerstand gegen Faschismus“ ging er von einer Verurteilung derer aus, die „schon längst mit der verleumderischen und grundfalschen Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus“ „arbeiten“, um „Verwirrung zu stiften“ (Fried 1988b, 40);²⁸ dagegen stellte er klar, dass auf der einen Seite in der Bundesrepublik „Antikommunismus“ „eine sogenannte abendländische Kontinuität herzustellen“ gehabt habe, die eine „Verwischung der Schranken zwischen Siegern und Besiegten zu bieten schien“ (42), dass auf der anderen Seite nach „zwölfjährige[r], grausame[r] Unterdrückung der Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung und aller fortschrittlichen deutschen Traditionen“ „derlei Tendenzen durch das Verbot der Kommunistischen Partei nur noch verstärkt wurden“ (43). Für die vom Westberliner Senat veranstaltete ‚Gegendemonstration‘ zum 2. Juni 1967 griff Fried zu einem gewagten Vergleich: „Die Behörden riefen zum Aufmarsch auf; um es den Studenten mal zu zeigen! Arbeiter und Angestellte erhielten Freizeit – die Verleumdung der Studenten als fanatische, gefährliche Terroristen
Vgl. Frieds seiner Ablehnung des ‚Antitotalitarismus‘ entsprechende Stellungnahme gegen den „verhängnisvollen Ausdruck ‚Linksantisemitismus‘“, den er „vor fünf Jahren“, wie er 1976 schreibt, „das erste Mal“ in einer Zeitschrift „fand“ (Fried 1988c, 109), und für die UN-Resolution vom 10. November 1975, „daß Zionismus eine Form von Rassismus und rassischer Diskriminierung ist“: „so kann ich, obwohl mir das nicht leichtfällt, nur sagen: ich glaube, daß das leider stimmt.“ (106) 1994 wurden die beiden Texte „Meine Puppe in Auschwitz“ und „Widerstand gegen Faschismus. Auszüge aus der Rede zur Antifaschistischen Woche in München“ nicht in den von Volker Kaukoreit herausgegebenen Sammelband „Anfragen und Nachreden. Politische Texte“ (Fried 1994) des Wagenbach-Verlags aufgenommen.
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wurde fortgesetzt. – Diese Hetze ist nicht ohne Folgen geblieben. Die Verantwortung für diese lumpige Mini-Imitation der Reichskristallnacht tragen die Männer und Behörden, die auf diese Weise die seit langem in eine Pogromstimmung hineingelogenen und hineinmanipulierten Berliner aufgehetzt haben.“ (46)²⁹
„Es war der Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der anläßlich des Schah-Besuchs der Kugel des Polizisten Karl-Heinz Kurras zum Opfer fiel“ (Eisner 1971, 295), sagte Ruth Eisner, deren Überleben ein Kindertransport nach Großbritannien gesichert hatte und die nach der Rückkehr in Westberlin Mitarbeiterin der SPD-Bundestagsabgeordneten Louise Schroeder wurde, die 1947/48 kommissarische Oberbürgermeisterin Westberlins gewesen war, auf die Frage des Westberliner Arani-Verlags: „Was hat sie bewogen, dieses Buch veröffentlichen? Die Antwort erstaunt.“ (295) Das ‚Erstaunen‘ erklärt sich aus der in dieser Motivierung liegenden Herausforderung eines antitotalitaristischen Konsenses, gerade weil dieser im Arani-Verlag nicht bedeutet hatte, von Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden zu schweigen. Der von dem Sozialdemokraten Arno Scholz, der mit Annedore Leber und Paul Löbe 1946 die Lizenz für das Westberliner SPD-Organ „Telegraf“ erhalten hatte und damit die Grundlage für einen Verlag, gegründete Arani-Verlag hatte von 1955 bis 1959 drei Bände „Dokumente“ erscheinen lassen, herausgegeben von Léon Poliakov und Josef Wulf: „Das Dritte Reich und die Juden“ (1955), „Das Dritte Reich und seine Diener“ (1956), „Das Dritte Reich und seine Denker“ (1959), 1957 auch Kurt R. Grossmanns „Die unbesungenen Helden. Zeugnisse der Menschlichkeit aus Deutschlands dunklen Tagen“, dessen zweite Auflage zeitgleich mit der zweiten von „Das Dritte Reich und die Juden“ 1961 herauskam; in dieser wurde am Schluss von einer Verlagsanzeige „Als Ergänzung“ der Dokumentationen für die Zukunft „Das Dritte Reich. Eine Schriftenreihe der arani-Verlags-GmbH, BerlinGrunewald“ angekündigt – mit 20 Titeln von „[j]e 32 Seiten“ (Poliakov/Wulf 1961, 278), darunter von H. G. Adler „Die Endlösung der Judenfrage“, Harry Pross „Die nationale Revolution“ und Eleonore Sterling „Die Rassenlehre“ (278). 1975 erschien „Das Dritte Reich und seine Diener“ mit folgender Begründung im „Vorwort des Verlags“ bei Volk und Welt in der DDR, dass es „gerade im 30. Jahr nach der Befreiung der Völker vom Nazismus eine besondere Bedeutung gewonnen“ habe: als „Erinnerung und Mahnung“, und es „der Leser auch als ehrendes Gedenken für Josef Wulf empfinden möge; denn so wie es die Umstände ergeben haben, ist Wulf, der im Widerstand Überlebende, fast dreißig Jahre nach der Befreiung noch ein weiteres Opfer im Kampf geworden.“ (Poliakov/Wulf 1975, 17). Der Verlag zitierte den Nachruf auf Josef Wulf in der „Frankfurter Rundschau“ zu seinem Selbstmord im Oktober 1974 (15), aber wollte mit einer Auflistung von dreizehn eigenen Titeln auch belegen, dass „[s]owohl in der Wissenschaft als auch in der schöngeistigen Literatur“ in der DDR „[d]ie Auseinandersetzung mit der faschistischen Judenverfolgung […] gebührende Beachtung gefunden“ (14) habe.
Schluss Dass der „Zeitraum“ dieser Untersuchung „dort aufhört, wo der ‚Holocaust‘-Diskurs und die Gedenkinflation eigentlich beginnen“, erklärt sich nicht nur daraus, dass „erst um 1975 herum […] der problematische Begriff ‚Holocaust‘, verbreitet durch Elie Wiesel, populär“ „wurde“ (Bodemann 2002, 62), „became commonplace“ (CernyakSpatz 1985, 10). „Beginning of a New Era? Reflections on the Holocaust“ war der Untertitel eines Buchs „Auschwitz“ mit den „Papers given at the International Symposium on the Holocaust held at the Cathedral of St. John the Divine, New York City, June 3 to 6, 1974“ (Fleischner 1977), das 1977 erschien, als im April „Lectures at Northwestern University“ gehalten wurden, die unter dem Titel „Dimensions of the Holocaust“ noch im selben Jahr herauskamen (Wiesel 1977b). Im Vorwort zitiert der Chairman of the History Department Elie Wiesels Sätze: „‚The Holocaust was so immense, so incredible that it is a unique event. There can be no other event like it.‘“ (Wiesel 1977b, 1), um zu begründen, dass wegen seiner „[u]niqueness and magnitude“ „inevitably the Holocaust arouses feelings of guilt in Christians and Jews alike for man’s failure“ (2), ohne einen Widerspruch zu seiner Begründung der Pflicht zur Erinnerung zu sehen – als „an event which must never be allowed to be forgotten so that it will never occur again“ (3).¹
Wiesels Vortrag „The Holocaust as Literary Inspiration“ formuliert, was Walser 1962 in seinem Vorwort zu der deutschen Ausgabe von „Die Nacht zu begraben, Elischa“ schrieb: „He or she who did not live through the event will never know it. And he or she who did live through the event will never reveal it.“ (Wiesel 1977b, 7) Tim Lawson zitiert Elie Wiesels Satz: „I call Isaac the first survivor of the Holocaust“ (Lawson 2010, 85), um aus seiner Darstellung von „Debates on the Holocaust“ die über „uniqueness“ als „extremely polarised and unhelpful“ (152) auszuklammern. Deren Beginn wird von Jean Chaumont schon auf eine frühere New Yorker Konferenz datiert, auf der 1967 in „völlige[r] Abwesenheit von Historikern“ (Chaumont 2001, 95) vorwiegend von Theologen und Philosophen nicht nur Elie Wiesels „religiöse Auffassung“ „der Einzigartigkeit der Shoah“ (97), von einigen in Form „negative[r] Theologie“, sondern auch George Steiners „Säkularisierung des Messianismus“ (98) diskutiert wurde: „the world of Auschwitz lies outside speech as it lies outside reason. To speak of the unspeakable is to risk the survival of language as creator and bearer of humane rational truth“ (Steiner 1974,123). Diese Verbindung von Einzigartikeit und Undarstellbarkeit bestimmt die poststrukturalistisch-dekonstruktivistische literatur- und kulturwissenschaftliche Thematisierung von Auschwitz, in der die Bejahung deutscher Schuld zu einer methodischen Ethnisierung (Peitsch 2006) führt, vgl. Axel Dunkers „Die anwesende Abwesenheit“, wo Peter Weiss’ „Meine Ortschaft“ in einer Interpretation von Horst Heilmanns Abschiedsbrief im Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ summarisch verurteilt wird: „Auschwitz soll in den Projekten der sechziger Jahre eingereiht werden in die aktuellen Kriegsund Schreckensschauplätze der Welt.“ (Dunker 2003, 81) Vgl. die Titelformel Dunkers auch als „Inszenierung der Nicht-Darstellbarkeit“ bei Manuel Köppen (1993, 82): „Die Spannung zwischen Anwesenheit des Holocaust und seiner Abwesenheit als nachvollziehbares Ereignis hat sich zunehmend vergrößert“ (82), oder bei Sigrid Weigel als „Paradox des Un/Möglichen“ in Georges Didi-Hubermans „Gang durch das Gelände der ehemaligen Lager“: „Erkennbarkeit nur in der Nicht-Erkennbarkeit dessen, was dort geschah“ (Weigel 2015). In seinem Beitrag zum für die breite Rezeption des Begriffs Holocaust wichtigen Bandes von Hanno Loewy „Holocaust: Die Grenzen des Verstehens“ hat Norbert https://doi.org/10.1515/9783050095851-015
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„Ende 1978 richtete Präsident Carter eine Holocaust-Kommission ein, die damit beauftragt war, ein Konzept für eine angemessene Form des Gedenkens an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus zu erarbeiten“ (Hilberg 2016, 213), deren Direktor auf „einer unserer ersten Zusammenkünfte“, wie das Mitglied Raul Hilberg, der Historiker, der 1961 den Begriff „The Destruction of European Jewry“ geprägt hatte, 1982 in der Zeitschrift „The St. Johns Review“ berichtete, „vor[schlug], nach Polen und in die Sowjetunion zu reisen, um die wichtigsten Orte, an denen Juden umgekommen waren, zu besuchen“ (214/215): „Ich war noch nie in Polen oder der Sowjetunion gewesen.“ (215) Jimmy Carters Vorgänger aber war in Auschwitz gewesen, auf dem Weg zur Teilnahme an der Abschlusssitzung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa reiste Gerald Ford von Bonn über Birkenau nach Helsinki. „‚Der Auschwitzbesuch wurde von polnischer Seite angeregt‘“, berichtete am 31. Juli 1975 der polnische Außenminister: „‚Wir waren der Überzeugung, dass die würdevolle Erinnerung an die Opfer des Konzentrationslagers durch den US-Präsidenten am Vortag der KSZE – und nach dem Besuch der Bundesrepublik Deutschland – eine besondere politische Ausstrahlungskraft haben wird.‘“ (Wóycicka 2005, 290) Jedenfalls schrieb die „New York Times‘ über Fords Besuch der Gedenkstätte deutlich positiver als über den Konferenzverlauf vor Fords Ankunft: „‚Die Konferenz […] hätte am besten gar nicht stattfinden sollen. Noch nie haben so viele Menschen so lange Zeit um so wenig gerungen wie um die einhundert Seiten lange Erklärung guter Absichten in den Ost-West-Beziehungen‘“, zitiert der Historiker Bernd Stöver in seiner „Geschichte eines radikalen Zeitalters“ „Der Kalte Krieg 1947– 1991“ aus den Memoiren von Fords Begleiter in Auschwitz, Außenminister Henry Kissinger, den „NYT“-Artikel, um zu verallgemeinern und vorauszudeuten: „Diese weitgehend negative Wahrnehmung änderte sich auch in den USA erst dann allmählich, als die ‚Schlußakte von Helsinki‘ ab 1977 zum wirksamen Hebel der amerikanischen Außenpolitik im Kalten Krieg wurde.“ (Stöver 2007, 402) Doch die ‚negative Wahrnehmung‘ wurde nicht von allen Beteiligten am Abschluss der Konferenz geteilt, wie Wilfried Loth in seiner „Die Rettung der Welt“ betitelten Geschichte der „Entspannungspolitik im Kalten Krieg 1950 – 1991“ im „Prolog: Helsinki, 1. August 1975“ belegt mit ihrer Wahrnehmung durch die jugoslawischen und finnischen Staatspräsidenten als „Wendepunkt“ zu
Frei für die Ablösung des „Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre“ zum „Synonym“: „de[m] Begriff und de[m] Symbol für den Mord an den europäischen Juden“ (Frei 1992, 101), gewordenen ‚Auschwitz‘ durch ‚Holocaust‘ plädiert, indem er zwar nicht von der ‚Einzigartigkeit‘ des Mords an den europäischen Juden sprach, aber für die Zeit vor „Holocaust“ betonte: „Seine Zentralität im Rahmen der Vernichtungspolitik blieb trotz und innerhalb der damaligen Aufklärungsbemühungen noch unaufgedeckt. Der Genozid […] wurde nicht auf den Begriff gebracht.“ (102) Zwölf Jahre nach Loewys „Debatte über die Besetzung der Geschichte“ (Loewy 1992, 3) war es im Deutschen Historischen Museum möglich, die Nicht-Verwendung der „Vokabel ‚Holocaust‘, die uns ein dreiteiliger amerikanischer Fernsehfilm 1979 […] lehrte“ (Frei 1992, 101), und der erst nach ihr gelernten ‚Shoah‘ in den Schulbüchern der DDR als „Preis“ zu bezeichnen, den deren offizieller Antifaschismus für die „Verneinung und Tabuisierung der Schuldfrage sowie der Verdrängung anderer, wie z. B. privater Erinnerungen“ (Flacke/Schmiegelt 2004, 187) gezahlt hätte.
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einer „Hinwendung Europas zur Koexistenz und zum Frieden“, so Tito (Loth 2016, 13), und „Aufbruch in eine neue Ära“, so Kekkonen (12). Während Loth, wie Jost Dülffer 2008 hervorhob, seine 1980 in „Die Teilung der Welt“ (Loth 1980) begründete Position: „a cooperative international order after WW II had been possible“ (Dülffer 2008, 143), nach der ‚Wiedervereinigung‘ bekräftigte und insofern mit Odd Arne Westads „Weltgeschichte“ „Der Kalte Krieg“ übereinstimmt: „Die Ratifizierung der Schlussakte von Helsinki Mitte 1975 war die Krönung der Entspannungspolitik in Europa“ (Westad 2019, 435), stellen die Verfasser der „neuen Meistererzählung“ von der „definitive[n] Ankunft“ der vergrößerten Bundesrepublik „im Kreis der westlichen Demokratien“ (Hertfelder 2017, 386) von vornherein auf etwas ab, wovon Westad schreibt: „Doch für den Kalten Krieg sollte die Schlussakte von Helsinki wesentlich weiter reichende Konsequenzen nach sich ziehen, als sich dies die Beteiligten 1975 vorzustellen vermochten.“ (Westad 2019, 436) Für die ‚Erfolgsgeschichten‘ der BRD steht von vornherein fest, dass die KSZE das „Ende der Entspannung“ (Wolfrum 2007,53; Conze 2009, 517, vgl. Herbert 2014, 933/934) war als „Abflauen der Entspannungspolitik, der Anfang der 80er Jahre eine neue Eiszeit folgte“ (Wolfrum 2006, 329). Das Foto von Helmut Schmidt, Erich Honecker, Gerald Ford und Bruno Kreisky in Helsinki am Konferenztisch, auf dem französisch die Namen beider deutscher Staaten stehen, kommentiert Edgar Wolfrum: „Es war vermutlich die folgenreichste Konferenz überhaupt, da sie auf längere Sicht die Macht der osteuropäischen Diktaturen unterspülte.“ (Wolfrum 2007, 65) Gerald Ford aber hatte ins Besucherbuch von Auschwitz geschrieben: „‚This monument and the memory of those it honors inspire us further to the dedicated pursuit of peace, cooperation and security for all peoples‘“, was die „New York Times“ kommentierte: „The inscription – even more so, the first visit by a United States President to the most notorious of the Nazi extermination camps – seemed to sum up the ultimate purpose of the 35‐nation conference that brought President and Mrs. Ford to Europe: No more inhumanity in the name of nations, no more Auschwitzes.“ (Naughton 1975) Wenn der „New York Times“-Reporter „an air of ambivalence about Mr. Ford’s brief stop in Brzezinka“ spürte, bezog er sich auf die Haltung der Regierung der BRD zu Fords Reise nach Auschwitz: „One official accompanying Mr. Ford […] said that the White House preferred not to underline the visit in diplomatic deference to West German disappointment that Mr. Ford did not visit West Berlin, theft international symbol last weekend.“ (Naughton 1975) Die ablehnende Haltung der sozialliberalen Bundesregierung zu Fords Reise nach Auschwitz macht Edgar Wolfrums Datierung einer bundesrepublikanischen „‚Vergangenheitsbewältigungs-Identität‘“ zweifelhaft: „Seit den ausgehenden 60er Jahren gab es einen negativen Kern des bundesdeutschen Selbstverständnisses: die Schuldanerkennung an der Ermordung der europäischen Juden im Nationalsozialismus. Gäbe es Auschwitz[²] nicht bzw. Vgl. dagegen die Rede, die Bundeskanzler Helmut Schmidt am 10. Februar 1978 in Auschwitz hielt, in der er die Ermordung der europäischen Juden nicht erwähnte und nicht von Nationalsozialismus, sondern von „Nazifaschismus“ sprach: „An diesem Ort wird zwingend deutlich, daß Geschichte nicht nur als eine kausale Kette von Ereignissen und Handlungen verstanden werden kann, sondern daß Verant-
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könnte man es im Hinblick auf vergleichbare Perioden anderer Nationen relativieren, dann wäre das nationalsozialistische Regime nur noch eines unter vielen anderen verbrecherischen Regimes in der jüngsten Vergangenheit.“ (Wolfrum 2006, 399) Sowohl die Verwendung des Identitäts-Begriffs als auch die von zwei der drei „‚Wächter‘“ (Meseth 2005, 222) des ‚Holocaust‘-Begriffs als „Bezugspunkt eines nationalen Identitätskonzepts“ (228): Schuld und Unvergleichbarkeit (wenn auch ohne Undarstellbarkeit),³ sprechen gegen eine Datierung vor ‚um 1975‘.⁴
wortung und Schuld dazu gehören, daß Verantwortung und Schuld auch geschichtliche Größen sind. Die Verbrechen des Nazifaschismus, die Schuld des Deutschen Reiches unter Hitlers Führung begründen unsere Verantwortung. Wir heutigen Deutschen sind als Personen nicht schuldig, aber wir haben die politische Erbschaft der Schuldigen zu tragen, hierin liegt unsere Verantwortung. Aus ihr erwächst der Auftrag, die Zukunft nicht dem Zufall zu überlassen, sondern sie mit Mut, mit Umsicht zu gestalten. Es braucht sich kein junger Deutscher unfrei zu fühlen, wenn er einem polnischen Altersgenossen begegnet. Aber wissen muß er, was Deutsche im deutschen Namen damals begangen haben.Wissen muß er, was sein polnischer Altersgenosse von seinen Eltern und seinen Großeltern über Auschwitz erfuhr, und was er über die deutsche Okkupation nach 1939 erfahren hat. Wissen muß er schließlich, daß sich an ihn als einen jungen Deutschen besondere Erwartungen richten. Es sind dies Erwartungen, denen auch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegenübersteht, Erwartungen, denen sie sich stellt und die sie zu erfüllen sucht, seit Konrad Adenauer mit unseren westlichen Nachbarn und seit Willy Brandt mit unseren östlichen Nachbarn bewußt die Verständigung zu suchen begann. Wir wissen, daß wir nichts ungeschehen machen können, aber wir können Folgerungen für die Zukunft ziehen.Wir tun dies seit 32 Jahren, wir tun es im Blick auf alle Opfer des Nazifaschismus in allen Ländern Europas, auch in unserem eigenen Lande. Und ich denke, unsere polnischen Partner werden, gerade weil sie am meisten zu leiden hatten, am besten verstehen, wenn ich daran erinnere, daß die ersten Opfer Hitlers Deutsche waren und daß bis zum Ende Hitlers in immer zunehmender Zahl auch Deutsche die Opfer seiner Diktatur geworden sind. Und die Polen werden verstehen,wenn ich daran erinnere, daß in unserem eigenen Lande Widerstand geleistet worden ist von Deutschen, die immer wieder, wenn auch in tragischer Vergeblichkeit, versucht haben, der mörderischen Tyrannei über Europa ein Ende zu machen. Diese deutschen Kämpfer gegen Hitler, Frauen und Männer aus allen politischen Lagern, gehören auch zur deutschen Vergangenheit, und sie sind ihr achtungswürdigster Teil. Und sie sind für uns Deutsche Grund zu bescheidenem Stolz, vor allem aber zu der Verpflichtung, von der ich eben sprach, zu der Verpflichtung, für die Zukunft Folgerungen zu ziehen. Auschwitz ist ein Mahnmal.“ (Schmidt 1978) Vgl. Knigge 2002, 437, gegen „die Rede von der Unbegreifbarkeit und Unbeschreiblichkeit des Holocaust, d. h. seine Stilisierung zu einer Art außer- bzw. überhistorischem Ereignis“, als ‚Entwertung‘ der „besonderen Anstrengungen, die mit der Etablierung negativen Gedenkens als Selbstkritik verbunden sind“. Vgl. für andere Felder Periodisierungen, die um die Mitte der 1970er Jahre eine Zäsur setzen: Eric Hobsbawm (1995, 257) für das Ende der auf den Kalten Krieg gefolgten „The Golden Years“, Patrick Bernhard, Holger Nehring und Anne Rohstock (2014, 36/37) für die soziale Ideengeschichte vom Wohlfahrtsstaat zum Neoliberalismus, Christoph Butterwege (1997, 172) für Ethnisierungsprozesse in Mediendiskursen, Frank Wolff (2019, 689) für „Die Rückkehr des ‚KZ-Staats‘“ aus der ersten (1961– 67) in der dritten Periode (1975 – 89) nach der zweiten (1967– 75) der „Kontakte“, im MenschenrechtsDiskurs der deutsch-deutschen Migration, Tetyana Pavlush für die evangelische Kirche, wo 1978 „die wichtigste Zäsur“ (Pavlush 2015, 29) gebildet habe, als die DDR-Kirchen einbezogen worden seien in den „Wandel der Holocaust-Rezeption […] mit dem Höhepunkt der ‚Gedenkepidemie‘ 1988“ (33). Frank Bösch begründet 1979 als „Zeitenwende“ (2019) u. a. mit der Reise von Papst Johannes Paul II. nach Auschwitz, das „einerseits als Erinnerungsort universalisiert, aber andererseits von der offiziellen
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1988 setzte Rainer M. Lepsius auf dem 24. Deutschen Soziologentag in Zürich eine als Internalisierung bezeichnete Beziehung der BRD zur NS-Vergangenheit, die dadurch „Bezugsereignis für die politische Moral“ geworden sei, dass „Auschwitz […] zum zentralen Begriff für die moralische Reflexion“ „wurde“ (Lepsius 1989, 259), einer als Externalisierung gedeuteten antikapitalistischen Universalisierung des Faschismus in der DDR normativ entgegen (Lepsius 1989, 259).⁵ In demselben Jahr begründete Tilman Fichter auf der ersten und letzten Sitzung der Historischen Kommission der SPD mit SED-Kollegen den Gästen seine rhetorische Frage: „wo ist der qualitative Unterschied zwischen der Relativierung des Nationalsozialismus von links […] und von rechts, [….] der parteikommunistischen Linken […] wie auch […] Herrn Nolte?“, damit, „daß die verbale Gleichsetzung des Faschismus in Italien und Spanien und des Nationalsozialismus in Deutschland letztlich die Funktion des Antisemitismus und auch des Holocaust in der neueren Geschichte verschleiert“ (Miller/Ristau 1988, 167/ 168). Auf diese Zeit datiert der seit 1994 die Gedenkstätte Buchenwald leitende Volkhard Knigge (2009, 69) den Beginn eines Booms, der „zusätzlichen Auftrieb“ durch das Ende des Kalten Krieges erhalten habe, der Erinnerungskultur, für die er den Begriff „negative Erinnerung“ (69) benutzt, die Selbstbewusstsein nicht schwäche, sondern „die negative Vergangenheit durch bewusstes Überwinden ihrer politischen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen [transzendiert], sodass Gegenwart und Zukunft der Wiederholung ähnlicher Untaten entgegenstehen“ (76/77). Knigge war 2002 Mitherausgeber eines Sammelbands „Verbrechen erinnern“, in dem der Historiker Reinhart Koselleck den ‚Versuch‘ unternahm, „[v]on einem negativen Gedächtnis zu sprechen“ (Koselleck 2002, 21),⁶ und kritisierte, was „in der gesamten Debatte über das Holocaustdenkmal verpaßt worden“ sei: „wir haben zugunsten der jüdischen Opfer die Erinnerung an die anderen ausgeklammert“ (28). So wurde 1994 vom Deutschen Historischen Museum die Ausstellung des New Yorker Jewish Museum „The Art of Memory. Holocaust Memorials in History“ übernommen, aber aus ihr entfernt die antifaschistischen Deutung abweichend […] gedeutet“ (Bösch 2012/2013, 39) worden sei, und der Veränderung der Erinnerungskultur durch „Holocaust“ (Bösch 2010, 39). In der Anwendung von Lepsius’ Begriffen unterscheiden sich Katrin Hammerstein und Martin Sabrow dadurch von der Mehrheit, dass sie dem Antitotalitarismus in der BRD eine dem Antifaschismus in der DDR „spiegelbildlich[e]“ (Hammerstein 2007, 29; vgl. Hammerstein 2009, 49/50) Funktion zuschreiben, nämlich als universalisierend zugleich externalisierend zu wirken, eine „strukturelle Gemeinsamkeit“ als Instrument der Tabuisierung der Frage nach Schuld und Verantwortung des Individuums (Sabrow 2005, 144). Vgl. dagegen zu der vorherrschenden Rezeption als Beispiel Anette Weinke über „Die Verfolgung von NS-Tätern“ in der Bundesrepublik – im Gegensatz zur DDR, der auch Heidrun Kämper „eine Schuld externalisierende Identität“ (Kämper 2013, 31) zuschreibt – als Katalysator einer spezifisch bundesdeutschen Identität durch Verinnerlichung der Verbrechensgeschichte (Weinke 2002, 340) oder demokratische Selbstfindung durch Konfrontation mit Verbrechen als integralem Bestandteil der deutschen Geschichte (353). In demselben Jahr änderte Michael Y. Bodemann den Titel seines Aufsatzes von 1998 „Eclipse of Memory: German Representations of Auschwitz in the Early Postwar Period“ für die übersetzte Buchfassung in „Negativ-Gedächtnis. Deutsche Darstellungen der Shoah in der Nachkriegszeit“ (Bodemann 2002, 22– 61).
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inklusive Definition des Holocaust durch deren Kurator James E. Young: „Wir definieren hier den Holocaust als die gezielte Massenermordung und -internierung von Juden und anderen Gruppen (Polen, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, politische Gefangene und Homosexuelle) durch den deutschen NS-Staat während des Zweiten Weltkrieges.“ (Young 1994, 21)⁷ Dagegen nahm der Historiker Reinhard Rürup in seinem Beitrag zur Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas am 10. Mai 2005 vorweg, was Hertfelder als das „kompensatorische[…] Moment der [neuen] Meistererzählung gegenüber der fortbestehenden Zentralität der NS-Geschichte im Erinnerungshaushalt der Gegenwart“ (Hertfelder 2017, 386) bezeichnet, wenn er schloss: „Die Erinnerung an die NS-Verbrechen ist in Deutschland mit extremer nationaler Schuld beladen, sie muß sich deshalb aber nicht lähmend oder gar zukunftsfeindlich auswirken. Sie kann vielmehr die Einsicht fördern, daß der Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte wie auch der Sicherung einer liberalen und demokratischen politischen Verfassung […] die höchste Priorität zuerkannt werden muß“ (Rürup 2014, 241), und so drei Jahre später der „negativen“ eine „positive“ Erinnerung zur Seite stellte, als er am 9. November in Tokio über den „lange[n] Schatten des Nationalsozialismus“ sprach und im 9. November 1988 den „Wendepunkt“ (Rürup 2014, 133) der Erinnerungskultur der BRD erblickte: „Es ist […] nötig, auch die Traditionen zu pflegen, die eine positive Identifikation mit der deutschen Geschichte ermöglichen. […] Man sollte deshalb am 9. November nicht vergessen, daß dieses Datum in der deutschen Geschichte nicht nur einen Tag der Schande bezeichnet, sondern auch einen Tag der Freude, der dankbaren Erinnerung an politische Ereignisse, auf die eine demokratische Gesellschaft mit Stolz zurückblicken kann.“ (143; vgl. Frank Walter Steinmeier 2019: „Ein Patriotismus der leisen Töne“).⁸ Von den bisher zitierten „neueren historiographischen Synthesen“ aus hat Thomas Hertfelder (2017, 386), unter Berufung auf ein „‚Unbehagen an der Erinnerungskultur‘, das die Erinnerungskultur mit dem ‚negativen Gedächtnis‘ identifiziert“ (387), plädiert für die ‚Entfaltung‘ „ein[es] kompensatorische[n] Moment[s] der [neuen] Meistererzählung gegenüber der fortbestehenden Zentralität der NS-Geschichte im
Vgl. Matthäus 2015, 104/105 zum „engeren“ Begriff von Holocaust, der „synonym mit ‚Shoah‘“ und dem „historisch validen Begriff ‚Endlösung der Judenfrage‘“ sei, und dem „weiteren“, der auch „Verfolgung und Ermordung anderer biologistisch-rassistisch definierter Opfergruppen“ einschließe: „sowjetische Kriegsgefangene, slawische Zivilisten, Sinti und Roma, Anstaltspatienten und Homosexuelle“. Vgl. diese Unterscheidung in einem Forschungsüberblick zur „Tourismusgeschichte“, von der „der Gedenkstättentourismus […] bisher lediglich ausnahmsweise betrachtet worden“ sei: „Über die an Schattenseiten der deutschen Geschichte erinnernden Orte, welche sich in den letzten Jahren zu touristischen Magneten entwickelt haben, werden positive Erinnerungsorte leicht vergessen. Dies gilt nicht zuletzt für die Bundeshauptstadt, die […] über zahlreiche sehr gut besuchte Orte mahnender, ‚negativer Erinnerung‘ verfügt. In bemerkenswertem Kontrast dazu sind die positiven, für eine demokratische Traditionsbildung zentralen Erinnerungsorte, die Berlin gleichfalls besitzt, bislang in auffälliger Weise vernachlässigt worden. Zu diesen gehört insbesondere der Friedhof der Märzgefallenen von 1848 auf dem Friedrichshain.“ (Hachtmann 2011)
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Erinnerungshaushalt der Gegenwart“ (386). Indem er von der „neuen Meistererzählung“ der Modernisierung und Liberalisierung „eine zukunftsweisende Perspektive“ eröffnet sieht, „die im Abarbeiten einer schlimmen Vergangenheit nicht mehr aufgeht“ (386), gesteht er ein, dass es in den Büchern Conzes, Herberts und Wolfrums nicht darum gegangen ist, „die Phasen der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur als wesentliche Momente, ja Prüfstein der Demokratisierung nach 1945 auszuweisen“ (382); explizit kritisiert er als den „Preis“ von deren ‚Erfolgsgeschichten‘ die „systematische[…] Unterbelichtung von Phänomenen, die als ‚Belastungsgeschichte‘ mit dem demokratischen Erfolgsnarrativ nur schwer in Einklang zu bringen sind“ (389/390), unter Verweis auf die Forschungen von Josef Foschepoth zur Postund Telefonüberwachung (2012) und von Dominik Rigoll zum „Staatsschutz in Westdeutschland“ (2013).⁹ Auch Philipp Gasserts „Deutsche Protestgeschichte“ ist eine westdeutsche Erfolgsgeschichte, nämlich die der Institutionalisierung im Sinne von „Normalisierung und ‚Veralltäglichung‘ von Protest“ (Gassert 2019, 11). Aber zumindest bei der (allerdings mit dem von der SPD gegebenen Namen benannten) „Kampf dem Atomtod“-Kampagne kommen Akteure ins Spiel, die als Reisende nach Auschwitz und HerausgeberInnen von letzten Briefen hingerichteter Widerstandskämpfer in der vorliegenden Untersuchung immer wieder zu Wort gekommen sind: Es „waren SPD, Gewerkschaften und evangelische Christen die wichtigsten Trägergruppen“ (87). Aber weshalb sie von Faschismus sprachen und sich als AntifaschistInnen verstanden, verschwindet hinter einer Linie, die von antiautoritären Studierenden über Theoretiker der Neuen Linken, die „den Nationalsozialismus […] als Übersteigerung eines technizistischen Fortschrittsgedankens (wie das etwa im Begriff der ‚Todesfabriken‘ zum Ausdruck kommt)“ „erklärten“ (117) und „von Demokratisierung
In seiner auf die Untersuchung der Überwachung folgenden Studie über „Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg“ stellt Josef Foschepoth diesen als zweistaatliche Auseinandersetzung dar zwischen „dem alten bürgerlichen antikommunistischen Nationalismus in der Bundesrepublik und dem neuen antiimperialistischen Nationalismus in der DDR“ (Foschepoth 2017, 365), wobei er für den antikommunistischen betont, dass er „nach 1945 […] entscheidend geprägt“ gewesen sei „vom völkischen und rassistischen Antikommunismus der Weimarer und NS-Zeit“ (360) und „in seiner radikalen Form […] durchaus rassistische Züge annehmen“ (359/360) gekonnt habe, während Foschepoth für den antiimperialistischen Nationalismus keine Beziehung zum Antifaschismus der Vergangenheit herstellt, sondern ihn als ein „nationales Identifikationsangebot“ „gegen die neuen imperialistischen Kräfte der USA und der Bundesrepublik“ (361) fasst. Den dem Antifaschismus gegenüberstehenden Antitotalitarismus behandelt Foschepoth als „Mythos von der antitotalitären Äquidistanz der Bundesrepublik“ (15): „Nicht eine ‚antitotalitäre Äquidistanz‘ gegen rechten und linken Extremismus, sondern ein totalitärer Antikommunismus, der keine größere Gefahr als den Kommunismus kannte, war, wenn es so etwas gegeben hat, der Gründungskonsens der Bundesrepublik.“ (363) Das Ende dieses Bürgerkriegs datiert Foschepoth folgendermaßen: „Die Deutschen vollzogen nach, was die internationalen Konfliktpartner des Kalten Krieges schon seit Ende des 2.Weltkriegs gefordert hatten, die Anerkennung des Status quo in Deutschland und in Europa, mithin die Anerkennung der Existenz zweier deutscher Staaten. Der nationale Kalte Bürgerkrieg löste sich gleichsam in den internationalen Strukturen des Kalten Krieges auf, die 1975 in eine neue, multilaterale Sicherheitsstruktur der ‚Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa‘ (KSZE) transformiert wurden.“ (19/20)
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[…] im kulturrevolutionären Sinn“ „sprachen“ (118), zu Neuen Sozialen Bewegungen gezogen wird, die „die historischen Grundkonflikte jenseits von industrieller Moderne und ‚Klassenkampf‘“ „postulierten“ (119). Entsprechend werden in den ‚Meistererzählungen‘ von Modernisierung und Liberalisierung als ‚Wertewandel‘ auf der einen Seite die Berufsverbote der 1970er Jahre gerechtfertigt als „nicht sonderlich illiberal[e]“ „Einstellungspraxis“ (Wolfrum 2006, 323), weil es „mit der KPD [sic] wieder eine von der SED gesteuerte Partei gab“ (Conze 2009, 482) und es sich bei „MarxismusLeninismus oder […] Maoismus“ um eine der „unzweifelhaft […] abstrusesten Entwicklungen der westdeutschen wie der westeuropäischen Nachkriegsgeschichte“ (Herbert 2014, 860) gehandelt habe, und auf der anderen Seite die „Reideologisierung eines Teils der SPD“ (Wolfrum 2006, 322) kritisiert: „Vorstellungen“ „marxistischer Manier“ der „orthodoxe[n] Linke[n]“ „fanden sich auch, wenngleich in reformerischer Perspektive, bei den in die SPD strömenden Jusos“ (Herbert 2014, 860/861). Während den Rechtfertigungen der Berufsverbote und der Kritik marxistischer Vorstellungen der Bann über den Begriff Faschismus in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft entspricht,¹⁰ hat der US-amerikanische Historiker britischer
Cornelia Siebeck hat auf einer internationalen Konferenz „Fascism and Antifascism in our times“ (Lotter 2017) darauf aufmerksam gemacht, wie genau im Antitotalitarismus die ‚neue Meistererzählung‘ den Prämissen der zweiten Enquete-Kommission des Bundestages zur „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ von 1998 entspricht: „Die Erinnerung an die beiden Diktaturen, die die Feindschaft gegen Demokratie und Rechtsstaat verbunden hat, schärft das Bewusstsein für Freiheit, Recht und Demokratie. Dies, wie die notwendige Aufklärung über die Geschichte der beiden Diktaturen, ist Kern des antitotalitären Konsenses und der demokratischen Erinnerungskultur der Deutschen.“ (Siebeck 2017) Durch die antitotalitaristische Gleichsetzung sieht Bernd Faulenbach „das Einzigartige des Holocaust […] nicht tangiert“ (Faulenbach 2008, 111), sondern vielmehr eine deutsche ‚Einzigartigkeit‘ begründet, denn „[i]m Mittelpunkt unseres Geschichtsbewusstseins […] steht der Holocaust als etwas ausgesprochen Negatives der eigenen Geschichte“, was „international ganz ungewöhnlich“, „international ohne Parallele“ (110) sei: „Die Überlagerung der Aufarbeitung durch den Ost-West-Gegensatz und die besondere Verantwortung für einzigartige Verbrechen machen den deutschen Fall unvergleichlich.“ (115) An Aleida Assmanns „Leitkategorien der Gedächtnisforschung“ hat Martin Sabrow nicht nur die „Parteinahme für die Überlegenheit der eigenen Vergangenheitsvergegenwärtigung gegenüber anderen Zeiten und Kulturen“ kritisiert, sondern auch auf den „hinter diesem Ansatz verborgene[n] und erstaunliche[n] Einklang von Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit“ hingewiesen, „der sich auf Basis eines gemeinsamen antitotalitären Grundkonsenses in den letzten drei Jahrzehnten herausgebildet“ (Sabrow 2007) habe. Nach Assmann aber „kam es in den 1980er- und 1990er-Jahren zur Phase der Memorialisierung des Holocaust, der die normative Grundlage für eine neue Erinnerungskultur legte. Die Stabilisierung der Holocaust-Erinnerung durch Denkmäler und Institutionen auf der Basis eines Erinnerungsvertrags zwischen nichtjüdischen Deutschen als Nachfahren der Täter und Juden als Überlebenden und Nachfahren der Opfer ist eine historisch absolut neuartige Antwort auf diese in ihrem Ausmaß an destruktiver Gewalt präzedenzlose Last der Vergangenheit.“ (Assmann 2007) Sie schreckt für diesen ‚deutsch-jüdischen‘ ‚Erinnerungsvertrag‘ nicht vor der „Anlehnung an Rousseaus ‚Gesellschaftsvertrag‘“ (Assmann 2007) zurück, so dass Ulrike Jureit mit Recht fragt: „Welche spezifische Bedeutung hat es für eine Nachfolgegesellschaft, wenn ihre jüngste Geschichte […] als menschheitsgeschichtlicher Zivilisationsbruch dimensioniert wird?“ (Jureit 2010, 64)
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Herkunft Geoff Eley zur selben Zeit, als die ‚Erfolgsgeschichten‘ erschienen, die internationale Relevanz des Begriffs in seinem Buch „Nazism as Fascism“ folgendermaßen begründet: „From the mid 1970s, every element in the potentially democratizing architecture of the postwar political imaginary was brought under brutally effectice attack.“ (Eley 2013, 216)
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759
Register Abendroth, Wolfgang 208, 582 f., 592 f., 608, 612, 626, 669 Abosch, Heinz 436, 440 − 443, 456, 461, 465 Abshagen, Robert 286, 378, 588, 608 Abusch, Alexander 56 − 58, 63 f., 67, 73, 120, 252 Ackermann, Anton 31 − 33 Adelsberger, Lucie 221 f. Adenauer, Konrad 109, 113, 132, 137 f., 176, 198, 201, 289, 296, 311, 315, 417, 443, 500, 503, 578, 675 Adler, H. G. 203, 274, 288, 365 − 367, 443 − 446, 454 − 456, 671 Adolph, Walter 381 Adorno, Theodor W. 129 f., 272 − 275, 292, 333, 545, 555, 577, 582 f., 638, 653, 658 f. Agocs, Andreas 58 Ahlfen, Hans von 514 Ahrens, Franz 32 f. Aichinger, Ilse 533 Albert, Claudia 136 Albrecht, Günter 45, 48, 626, 628 − 632, 634 Albrecht, Willy 362 Aldridge, James 482 f. Alff, Wilhelm 273 Altmann, Peter 614 − 618 Altmann, Rüdiger 350 f. Ambros, Otto 280 Améry, Jean 487, 506 Anand, Mulk Raj 481 Anders, Günther 67, 345, 369 f., 493, 506 − 516, 531, 535, 581, 658 Andersch, Alfred 59 − 61, 288, 351, 484, 533 Andersen-Nexö, Martin 52 André, Etkar 18, 51 f., 94, 123, 250, 260 Andreas-Friedrich, Ruth 629 f. Andres, Stefan 143, 352 Andrzejewski, Jerzy 73, 80 f., 84, 375, 611 Angenfort, Josef 186 Antkowiak, Alfred 84 Apitz, Bruno 13, 150, 232, 234 Arndt, Adolf 534 Arendt, Hannah 64, 129, 448 f., 454, 460, 467, 469, 472 − 476, 482, 537 Arnold, Franz X. 432, 453 Arnold, Heinz Ludwig 491 Asaria, Zwi 310 https://doi.org/10.1515/9783050095851-017
Asscher-Pinkhof, Clara 209 Assmann, Aleida 4, 58, 72, 576 − 578, 679 f. Astel, Arnfried 492 Atze, Marcel 203, 448, 453, 463, 467, 469, 471, 485, 502 Auer, Judith 326 − 328 Augstein, Rudolf 336 Augustinus 157 f. Axioti, Melpo 23 f. Bach, Janina 106 Bachmann, Ingeborg 352 Baczko, Bronislaw 523 Baeck, Leo 281, 284 Bähr, Hans W. 127, 132 f., 135, 165, 285, 356 − 362, 545 Bähr, Walter 132 Bär, Richard 560 Bänsch, Willi 94 Bästlein, Bernhard 29, 90, 328, 385, 631 f. Bästlein, Klaus 636 Baeumler, Alfred 130 Bahr, Egon 403, 625 Bajcar, Adam 557 f. Balzer, Friedrich-Martin 608 f. Balzer, Herbert 265 Bange, Oliver 501 Baraniak, Anton 495 Barck, Simone 102 f., 242, 262, 627 Barckhausen, Joachim 38 Baring, Arnulf 404 − 406 Barlach, Ernst 169 Barraclough, Geoffrey 593 Bartel, Walter 72, 591 Barth, Fritz 234 Barthel, Kurt, genannt Kuba 9, 73, 81 − 88, 144, 234 f., 478, 650 f. Barthel, Ludwig Friedrich 203 Barthel, Luise 81 Bartsch, Dietmar 592 Bartsch, Hans-Werner 195 f., 533 Barzel, Rainer 314 Bassermann, Albert 541 Batt, Kurt 584 − 586 Battaglia, Roberto 292 − 294 Bauer, Arnold 55, 156
Register
Bauer, Fritz 16, 149, 163, 207 f., 419, 444, 455, 665, 669 Bauer, Otto 583 Bauerkämper, Arnd 101 Baum, Bruno 84, 244 f., 266, 375, 396 Baum, Herbert 93 f., 96, 98 f., 260, 263, 416, 608, 610 Baum, Kurt 376 Baum, Maria Johanna 141, 226, 228 Bauman, Zygmunt 523 Baumann, Jürgen 405 Baumgart, Reinhard 484 Bebel, August 30, 159 Becher, Johannes R. 7, 53 − 55, 63 f., 73, 82, 117, 158, 183, 225, 319, 321, 483, 630 − 632, 656 Becher, Ulrich 352 Bechert, Karl 358 f. Beck, Ludwig 164, 618 Becker, Hellmut 272 f. Becker, Jurek 633 Beek, Cato Bontjes van 21, 627 Beethoven, Ludwig van 246, 327 Begov, Lucie 289 f. Behrend-Rosenfeld, Else 536 Beimler, Hans 260 Beise, Arnd 1, 35 Beitz, Berthold 416 f. Ben-Chorin, Schalom 493, 517 − 520, 570 Ben-Gurion, David 311 Ben Natan, Asher 530 Benario, Olga 93, 260 Bender, Hans 220 Bender, Peter 403 Benjamin, Georg 264 Benjamin, Walter 126, 475 Benn, Gottfried 204, 541 Bennholdt-Thomsen, Anke 35 Bense, Max 137 Berendsohn, Walter A. 55 Berg, Nicolas 2 − 4, 72, 137, 228, 247, 290, 465, 472, 564 Bergengruen, Werner 54 Berger, Michael 570 Berghahn, Klaus L. 486 Berghoff, Hartmut 101 Berglar-Schröer, Hans Peter 16 f. Bergmann, Werner 101 Bergner, Tilly 105, 120, 322 f. Berndt, Günther 565
761
Berndt, Jürgen 361 f. Bernfes, Alexander 521 Bernhard, Patrick 675 Beseler, Horst 146 Besson, Waldemar 413 Betlen, Oszkar 375 Biernat, Karl Heinz 604 f. Biernat, Ulla 506 Biess, Frank 289 Bingel, Horst 653 Bismarck, Klaus von 412 − 414 Bismarck, Philipp von 413 Bismarck, Ruth-Alice 412, 414 − 416 Biss, Andreas 620 Blank, Ulrich 298 − 304, 413 Bleisch, Ernst Günther 644 Blenkle, Konrad 93 − 95, 260 Bloch, Ernst 55, 450, 533 Blum, Robert 50 Bobrowski, Johannes 351, 477, 650, 653 Bodemann, Y. Michal 672, 676 Boden, Anne 323 Böing, Axel 587, 614 Böll, Heinrich 221, 289, 307 f., 310, 351, 436, 450, 483 Boehm, Eric H. 340 Börne, Ludwig 75 Bösch, Frank 407, 675 f. Böttiger, Helmut 646 Boger, Wilhelm 408, 421, 488 Boll, Friedhelm 207 f., 336, 344, 440, 494, 518 Bonhoeffer, Dietrich 9, 24, 26, 36, 40, 158 f., 166 f., 227, 273, 281 f., 360, 384, 416, 553, 608 f., 613, 639 Bonhoeffer, Klaus 24, 166, 220, 259, 360, 539 Bor, Josef 611 Borchert, Wolfgang 112 Born, Nicolas 533 Bosch, Manfred 563 Borowski, Tadeusz 63, 82 − 85, 105, 144, 179, 449, 638, 653, 659 f. Borries, Achim von 334 f. Boveri, Margret 515 f. Boyd, Timothy 502, 506 Bracher, Karl Dietrich 167 f., 416, 503, 564 Braese, Stephan 57 f., 465 f., 502 Brandt, Heinz 11 Brandt, Sabine 328
762
Register
Brandt, Willy 143, 166, 178, 197 − 200, 311, 336 f., 454, 458, 530 f., 536, 547 f., 551, 553, 563, 569, 580, 589, 592, 600, 602, 625, 675 Braun, Horst 268 Braun, Karlheinz 486 f. Braun, Otto 541 Brecht, Bertolt 52 − 54, 82, 98, 279, 292, 349, 351, 394, 475, 543, 556, 574, 639, 656 Bredel, Willi 52, 67 f., 73, 81, 106, 116 − 118, 123, 125, 394 Breitscheid, Rudolf 89, 95, 108, 126, 257 f., 378, 592, 608 Brenner, Otto 582 Brentano, Heinrich von 205, 381 Brentano, Margherita von 343 Breysach, Barbara 515 Brezan, Jurij 150, 395 Briegleb, Klaus 60 Briese, Olaf 35 Brink, Cornelia 442, 458 Brockdorff, Erika von 378 Brogan, Dennis William 64 Brok, Eva 102 Broszat, Martin 272, 465, 503, 526 f., 565, 580 Brückner, Peter 502 Brüdigam, Heinz 603, 614 f. Brüning, Elfriede 98, 103, 111, 260, 263 Brumlik, Micha 576 f. Brus, Wlodzimierz 523 Buber, Martin 172 f., 362 Buber-Neumann, Margarete 16 Buch, Eva-Maria 95, 619, 627 Buch, Hans Christoph 533 Buchheim, Hans 247, 291 Buchwitz, Otto 90, 95 Buck, Theo 444 Buckpesch, Walter 601 Budar, Ben 394 − 398 Büchmann, Georg 75, 227 Büchner, Georg 51, 65 Bücker, Vera 315 Burdt, Rudolf 627 Burg, Adolf 343 Burke, Peter 2 − 4 Buse, Dieter K. 595 Butterwege, Christoph 675 Carol, Dirk 394 Carossa, Hans 204, 540
Carter, Jimmy 673 Casanova, Danielle 119, 183, 374 Cayrol, Jean 194, 471, 492 Celan, Paul 54, 194, 311, 492, 638, 648 f., 653 f., 659 f. Cernyak-Spatz, Susan E. 527, 672 Cesarani, David 66 Chamisso, Adelbert von 117 Chaumont, Jean 672 Chruschtschow, Nikita 189 Classen, Christoph 448 Clauberg, Carl 178, 188 − 191, 194 f., 243, 303 Claudius, Eduard 50 Claudius, Matthias 641 Clauss, Maria 142 Clay, Lucius D. 160 Cohen, Eliot 142 Cohen, Robert 486, 520 Colberg, Klaus 277 Confino, Alon 101, 578 f. Conze, Eckart 674, 678 f. Coppi, Hilde 10, 90, 171, 378 Corinth, Lovis 257 Craig, Gordon C. 595 Cramer, Heinz von 484 Cwojdrak, Günther 539 f. Cyrankiewicz, Josef 149 f., 152, 180, 189, 416, 468, 520 Czechowski, Heinz 653 Dahrendorf, Gustav 29, 90 Dahrendorf, Ralf 446 f. Dam, Hendrik G. van 178, 188 f., 195 Danckwortt, Dieter 494 Danz, Hermann 43, 220 Daroch, Magdalena 487 f., 490 David, Kurt 377, 397 f. Decourdemanche, Daniel 293 Defrance, Corinne 576 Dehmel, Walter 13 Deicke, Günter 150, 278 − 280 Deiters, Heinrich 78 Deku, Maria 320 Delbrück, Justus 416 Delp, Alfred 40, 157 − 159, 166, 281 f., 327, 381, 536, 608 f., 613, 619, 639 Déry, Tibor 481 Desch, Kurt 23, 204, 611 Desch, Willi 635 Dessau, Paul 124
Register
Detlefsen, Wilhelm 178 − 181 Deutschkron, Inge 367, 467 f. Dibelius, Otto 195 f., 408 Dickens, Charles 67 Didi-Huberman, Georges 672 Dieckmann, Friedrich 231 Dienemann, Max 360 Dietrich, Christian 183 Diner, Dan 66, 496, 576 Dirks, Walter 289, 310, 439, 533 f. Distler, Hugo 226 Döblin, Alfred 653 − 655 Döpfner, Julius 500, 589 Dohrmann, Rudolf 517 − 519, 527 − 529, 589 f. Donat, Alexander 522 Dor, Milo 533 Drews, Richard 39, 56 Drewes, Gerda 532 Drewitz, Ingeborg 645 f. Dreyfus, Alfred 512 Dries, Christian 508 Drobisch, Klaus 323, 479 Droste-Hülshoff, Annette von 146 Dshalil, Musa 637 Dürrfeldt, Walther 110 Düx, Heinz 149 Duhr, Peter 375 f. Dulles, Allan W. 19, 30 f. Dülffer, Jost 674 Duncker, Hermann 57 f. Dunker, Axel 672 Dybiec, Joana 557 f. Dygat, Stanislaw 84 Dzikowska, Elzbieta 81, 115 f., 118, 507, 515, 651 Eatherly, Claude 345, 369 f., 658 Ebert, Jens 128 Eckert, Georg 208 Eckert, Gerhard 558 Eckert, Willehad 524 Edel, Peter 178, 182 − 188, 321 f., 633 Eggebrecht, Axel 65 f., 462 Eggerath, Werner 146 Egyptien, Jürgen 232 Ehrenburg, Ilja 68, 319, 336, 551 Eich, Günter 573 f. Eichendorff, Joseph von 136, 400 Eichler, Willi 207 f., 582
763
Eichmann, Adolf 188, 283, 335, 342 f., 363, 367, 370, 397, 448 f., 452, 474 Eichner, Kurt 120 Einaudi, Giulio 211, 216 f. Einstein, Albert 628, 653 f. Einstein, Siegfried 206, 441 Eisenhower, Dwight D. 132 Eisenschneider, Elvira 328 Eisner, Ruth 671 Eitz, Thorsten 290 Elon, Amos 467 − 469, 479 f., 503 Eley, Geoff 680 Elsaß, Berthold 355 Eluard, Paul 60 Emmerich, Wolfgang 77, 232 Engelmann, Bernt 600, 602 Engels, Friedrich 30, 54, 91 f., 505 Engert, Otto 94 Enzensberger, Hans Magnus 350, 435, 463, 474 f., 484, 585 f., 653 Erb, Alfons 406 f., 410 − 412 Erb, Gottfried 553 − 556 Erb, Jörg 628 Erdös, Ernst 533 Erhard, Ludwig 350 Erikson, Erik H. 564 Ernst, Christian 377 f. Eschwege, Helmut 479 f. Essen, Paul von 264 Esser, Johann 385 Ettighoffer, P. C. 541 Eylau, Hans-Ulrich 27 Faehndrich, Jutta 506 Faßbinder, Klara Maria 285, 314 − 321, 380 Faulenbach, Bernd 602, 679 Faulhaber, Michael von 501 Faust, Max 329, 489, 610 Fedin, Konstantin 83 Felmy, Hansjörg 357 Felsch, Corinna 575 − 578 Ferber, Christian 357 Fertet, Henri 361 Fetscher, Iring 533, 564 Feuchtwanger, Lion 51 f., 630 Feuerer, Karl 421, 427 Feustel, Manfred 347 f. Fichter, Tilman 676 Filbinger, Hans 603 Fink, Peter 426, 430
764
Register
Fink, Heinrich 532, 538, 563 Finkelstein, Norman G. 1 Firl, Wilhelm 95 Fisch, Walter 194 Fischer, Anna 8, 111 Fischer, Arno 649, 652 Fischer, Henning 2 Fischer, Horst 456 Fischer, Karl 385 Fischer, Ludwig 664 f. Fischer, Rudolf 293 Fischer, Thomas 145 Fischer, Torben 275 f. Flacke, Monika 673 Fladung, Johann 65, 399 Fleischner, Eva 672 Follen, August Adolf Ludwig 50 Ford, Gerald 673 f. Forner, Sean A. 65 f. Foschepoth, Josef 138, 314, 453, 678 Fradkin, Ilja 161 f. Fränkel, Ernst 583 Frahm, Ole 491 Frank, Alfred 94, 220 Frank, Anne 137, 173, 189, 209, 224 − 230, 234, 272, 275 − 281, 286, 288, 323, 366 f., 376, 512, 546, 629, 633 Frank, Bruno 52 Frank, Hans 67, 115, 398. 526 f. Frank, Leonhard 110 Frank, Ludwig 356 Frankl, Viktor Emil 385 f., 487 Frei, Bruno 483, 535 Frei, Norbert 4, 102, 129, 394, 544, 672 f. Freiligrath, Ferdinand 51, 251 f. Freisler, Roland 166, 216, 282 Freundlich, Elisabeth 426, 456 Frey, Michael 343 f. Frieb, Hermann 615 Frieberg, Annika 413 Fried, Erich 638, 663 − 671 Friedeburg, Ludwig von 533 Friedländer, Kurt 119 Friedrich, Heinz 59 − 61 Frisch, Armand 544 Frisch, Max 68, 81 Frisé, Adolf 350 Fritzsch, Karl 180, 396 Fromm, Erich 564, 582 f. Fuchs, Emil 532 f.
Fucik, Julius 171, 221, 619, 636 f. Fühmann, Franz 120, 150, 231, 323, 377, 477, 650 Fürnberg, Louis 8, 96 − 98, 239 Fuks, Ladislav 611 Fuld, Werner 127 f. Funk, Albert 260 Gabrisch, Anne 241 Gärtner, Marcus 133 Galen, Clemens August Graf von 26, 378, 383, 501, 608 Galinski, Heinz 72, 343 Gallus, Alexander 244 f. Gamm, Hans-Jochen 465 Gancz, Fritz 557 f. Garbe, Detlef 660 − 663 Garske, Charlotte 94 Gassert, Philipp 678 Gauck, Joachim 576 Gehle, Holger 465 f. Geiger, Tim 501 Geis, Robert Rafael 281, 283 f. Geiß, Imanuel 563 f., 581 Geißler, Christian 352, 368 − 372, 433, 437, 535 f. Geisthardt, Hans-Jürgen 242 Genette, Gérard 36, 538 Genschel, Helmut 196 f. Genschel, Rudolf 178, 180 − 182, 195, 316 George, Stefan 596 Gerber, Jan 496 Gerhardt, Paul 173, 280, 536 f. Gerlach, Hellmut von 63, 77 Gerlach, Manfred 509 Gersdorff, Ursula von 136 Gerstein, Kurt 288, 329 f., 332 Gerstenmaier, Eugen 207, 522 − 524, 536 f., 596 Gerster, Daniel 289 Gesche, Paul 6, 220 Geschke, Ottomar 5 f., 11, 17 f., 26, 89, 102 Geßner, Herbert 27 f. Gilcher-Holtey, Ingrid 364 Giorgi, Renato 244 Glaser, Hermann 419, 443 f., 446 f., 450, 476 Glaubauf, Fritz 544 Gleissberg, Gerhard 180, 371 Globke, Hans 109, 188, 320, 324 f., 332 − 334, 340 f.
Register
Gluchowski, Bruno 484 Göring, Hermann 327, 559, 657 Görlitz, Walter 328 Goes, Albrecht 226 − 232, 280, 288, 352, 536 − 538 Goerdeler, Carl Friedrich 26, 29, 327, 596, 619, 624 Görlich, Günter 395 Goethe, Johann Wolfgang 110, 163, 214, 234, 246, 254 Goguel, Rudi 385, 480 f. Goldkorn, Dorka 224, 271, 393 f. Goldmann, Nahum 311, 522 Goldmann, Helene 472 f. Goldschmidt, Dietrich 342, 345 f., 406, 460 − 462, 518, 533 f., 602 Gollwitzer, Helmut 34, 154, 167 − 177, 215, 217, 284, 287, 315, 343, 363, 370 f., 382, 384, 392 f., 432, 443, 460, 533 f., 545, 609, 613 Gomulka, Wladyslaw 505, 522 Gongola, Leon 570 f. Goodrich-Hackett, Francis 189, 276 Goral, Arie 538 Gorrish, Walter 377 Goschler, Konstantin 201 Gosztony, Peter 539 Gothein, Percy 360 Gottberg, Bernd 628 Gotthelf, Jeremias 169 Gottschalk, Joachim 27, 44, 47, 159, 265, 378, 626 Gottwald, Klement 97 Grab, Walter 97, 612 Graf, Wilhelm 615 − 617 Gramsci, Antonio 612 Grebing, Helga 359, 564 Grass, Günter 339, 477, 533, 545 − 548 Greiffenhagen, Martin 564 Greschat, Martin 174, 176, 287 f., 477 Greulich, Emil Rudolf 82, 394 Griepenburg, Rüdiger 582 f. Grimm, Jacob und Wilhelm 647 Grimme, Adolf 154, 494 Gringauz, Samuel 454 Groehler, Olaf 100 f., 323 Grözinger, Wolfgang 291 Groscurth, Georg 95 f., 378 Gross, Jan Thomasz 561 Gross, Nikolaus 539 Grossman, Wassilij 7 f.
765
Grossmann, Kurt 531 f., 671 Großmann, Hanns 427, 430 Grotewohl, Otto 51, 61 Grübel, Egon 253 Grüber, Heinrich 26, 90, 106, 155, 228 f., 287, 316, 343, 439, 531, 536, 538 f., 629 f. Grün, Max von der 484 Grünwald, Fritz 385 Grundig, Lea 8, 271 f., 280, 471 Grunner, Judith 347 f. Gryphius, Andreas 117, 515 Guddorf, Wilhelm 286 Günter, Erich G. 84 Günther, Hanno 34 − 36, 90, 93, 95, 159, 171, 218, 220, 637 Günther, Joachim 24, 506 f. Guggenheimer, Walter M. 172, 202 Guggomos, Carl Ludwig 387, 389 f., 392 Gumlowski, Janusz 492 Guth, Stefan 575 f. Guttenberg, Karl-Theodor zu 504 Haase, Otto 94 Habe, Hans 59 f., 611 Habermas, Jürgen 446 f. Habernoll, Peter 92, 158 f., 259 − 261 Hachenburg, Liese 142 Hachenburg, Max 142 Hachtmann, Rüdiger 677 Hackett, Albert 189, 276 Häbich, Walter 327 f. Häckel, Manfred 117, 654 f. Haeften, Hans-Bernd von 26 Haeften, Werner von 618 Haegele, Ulrich 442 Haferkorn, Käthe 248 Hagelstange, Rudolf 56, 59, 143, 225, 553 f. Hager, Kurt 451 Hahn, Hans-Joachim 646 f. Hammelsbeck, Oskar 281 − 283 Hammer, Franz 148, 154 Hammer, Walter 13, 143, 219 − 221, 545 Hammerschmidt, Helmut 202 Hammerstein, Franz von 517, 524, 552, 577 Hammerstein, Katrin 676 Hampe, Johann Christoph 393 Hannover, Heinrich 314 Hansen, Imke 66, 76, 113 Hapig, Marianne 536 Hara, Tamiki 363
766
Register
Hardtwig, Wolfgang 201, 290 Harich, Wolfgang 78 Harnack, Arvid 10, 34, 36, 39, 49, 89, 98, 218, 250 f., 259 f., 377, 379, 605 f., 610 Harnack, Clara 15, 377, 379 f. Harnack, Ernst von 14, 273, 360 Harnack, Mildred 39, 158 f., 378 f., 594 Hartewig, Karin 40 f., 82, 323 Hartlaub, Geno 203 f. Hartner, W. R. 453 Hartwig, Wolfgang 209 f. Hase, Paul von 89 Hasenclever, Walter 126 Hassell, Ulrich von 80, 218, 220, 360, 383, 619, 624 Haubach, Theo 29, 218, 220, 273, 360, 596 Haufs, Rolf 371 Haug, Wolfgang Fritz 311, 345 f. Haury, Thomas 100 Hausenstein, Wilhelm 56 Haushofer, Albrecht 54, 136, 540 Havemann, Robert 16 Hebbel, Friedrich 630 − 632 Hebel, Johann Peter 365 Heck, Hans 265 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 133, 382, 650 Heidegger, Martin 129 f., 133 Heidelberger-Leonard, Irene 489 Heilig, Bruno 375 Heilmann, Horst 10, 36 f., 39, 158, 250 f., 672 Heimpel, Hermann 290 Heimrich, Bernhard 638 f. Heine, Heinrich 75 f., 117, 187 f., 322, 404, 533, 573, 647 Heinemann, Gustav 2, 96, 176 f., 314 f., 494, 509, 529 f., 532, 602 f., 644 Heinrici, Heinrich 539 Heise, Wolfgang 335 f. Heitgres, Franz 106 Helling, Fritz 315 f. Hellwig, Joachim 278 − 280 Henke, Klaus-Dietmar 154, 314 Henkel, Volker 298, 304 f., 309 Henkys, Reinhard 404 f., 422, 449, 460 − 462, 465, 477, 500, 509 f., 590 Henry, Harald 356 Hentges, Gudrun 314, 333, 358 Herbert, Ulrich 177, 674, 678 f. Herbst, Wolfgang 262, 264 Herder, Johann Gottfried 117, 234
Herf, Jeffrey 3 Hermand, Jost 454 Hermann, Reinhold 264 Hermlin, Stephan 23 f., 50, 60, 63 − 65, 73 − 82, 91 − 94, 98 f., 110, 124 f., 161 f., 183, 232 f., 261 − 263, 275, 478, 540, 601, 651, 653 Herrmann, Lilo 90, 124, 183, 260, 264, 378 Hersey, John 288 Herter, Jürgen 346 f. Hertfelder, Thomas 1, 101, 674, 677 f. Herzog, Wilhelm 286, 294 Heukenkamp, Ursula 35 Heuschele, Otto 136 Heuss, Theodor 58, 113, 142 f., 156, 163 f., 200, 247, 278, 359, 381, 618 f. Heydorn, Heinz-Joachim 208, 533 f., 580, 593 f., 596 − 599, 611 − 613 Heymann, Stefan 103 f., 111, 396 Heymann, Walter 354 Heynen, Walter 127 f. Hilberg, Raul 385, 454, 673 Hilbig, Wolfgang 484 Hildesheimer, Wolfgang 533 Himmler, Heinrich 9, 190, 327, 329 f., 352, 355, 489, 565, 610 Hirsch, Anja 646 Hirsch, Kurt 2, 587 Hirsch, Rudolf 333 f., 419 − 423 Hirschauer, Gerd 289 Hirschauer, Paul 387 − 389 Hirschfeld, Ruth 139 − 141 Hirszfeld, Ludwik 332 Hitler, Adolf 371 f., 482, 505, 512, 526, 531, 534, 542, 565, 626, 660, 668 Hitzer, Friedrich 484 Hoberg, Hans 59 Hobsbawm, Eric 79, 675 Hochhuth, Rolf 221, 487 Hochmuth, Ursel 286, 295, 314, 344, 588, 603, 613 Hochwälder, Fritz 453 Höfer, Werner 384 f. Höft, Albert 299 Hölderlin, Friedrich 130, 133, 136 Höllerer, Walter 220 f. Höllriegel, Alois 657 Höß, Rudolf 70, 242 − 244, 272, 329, 331, 372, 397, 444 − 446, 454, 465, 526, 559, 565, 642 f., 653, 656 − 658
Register
Hoevel, André 381 Hofacker, Caesar von 619 Hofer, Walther 247 f., 274, 330, 332 Hoffmann, Daniel 231 Hoffmann, Detlef 68, 201, 642 Hoffmann, Erich 266 Hoffmann, Hilmar 611 Hoffmann, Kurt 357 Hoffmann-Curdius, Kathrin 8 Hofmeyer, Hans 441 Holmsten, Georg 622 Holthusen, Hans Egon 135 f., 350 Holtz, Hannelore 103 Holuj, Tadeusz 481 Holz, H. A. 354 Holz, Julius 353 f. Holzapfel, Helmut 411 f. Holzer, Charlotte 263 Holzer, Richard 263 Honecker, Erich 674 Horbach, Michael 531 Horkheimer, Max 272, 582 f. Horné, Alfred 289 Hoss, Herbert 531 Hotz, Walter 420 Huber, Anni 202 f. Huber, Heinz 413 Huber, Kurt 616 Huch, Ricarda 14 f., 54, 98, 139 f., 159, 218 Huchel, Peter 65 Hübener, Helmuth 610, 619 Hülsen, Hans von 383 f. Hüller, Oswald 287 Huener, Jonathan 179, 193, 296, 305, 348, 576 − 578, 639 Hüttig, Richard 79 Hufnagel, Josef 218, 260 Hummerich, Werner 472 Huppert, Hilde 224 f. Husemann, Friedrich 615 Husemann, Marta 10 Husemann, Walter 39, 92 − 94, 98 f., 220, 250, 257 f., 262, 539 Huxley, Aldous 69 Huxley, Julian 69 Ibach, Helmut 349 f. Ibsen, Henrik 631 Ionescu, Dana 473 Iwand, Hans-Joachim 287 f., 314 f., 509
767
Jacob, Franz 29, 286, 327 f., 588, 612, 631 f. Jacob, Ilse 588 Jacobsen, Wolfgang 333 Jacques, Guy 213 f. Jadati, Lin 629 Jäger, Ludwig 444, 446 Jahn, Peter 451 Jahnke, Karl Heinz 591, 607 Jakobs, Karl Heinz 484 Jakubowska, Wanda 67 f., 84, 109, 150 Janker, Josef W. 435 f. Jaspers, Karl 58, 60, 64 f., 129, 467, 475 Jaurès, Jean 530 Jean Paul 50 Jendryschik, Manfred 649 − 651 Jens, Walter 533, 600 Jentzsch, Bernd 562 Joachim, Marianne 328 Johann, Wolfgang 659 Joho, Wolfgang 279, 375 f. Joliot-Curie, Irène 319 Joly, Félicien 361 Johnson, Uwe 533 Jünger, Ernst 449 Jung, Harald 601 f. Jung, Thomas 72 Jungk, Robert 83, 342, 369 f., 658 Jureit, Ulrike 679 Kaduk, Oswald 408, 421, 462, 488 Kämper, Heidrun 676 Käppner, Joachim 100 Kästner, Erich 209, 370 f. Käutner, Helmut 27 Kafka, Franz 484 Kahn, Siegbert 396 Kai, Norbert 281 Kaiser, Bruno 42 − 44, 50 − 56, 125 f. Kaiser, Christian 224 Kaiser, Jakob 200 Kamieniecki, Maurycy 419 f., 430 Kaminsky, Jan 202 f. Kammerer, Gabriele 138, 517, 532, 563, 661 f. Kammler, Jörg 582 f. Kamnitzer, Heinz 256 f., 259, 341, 607 Kana, Vasek 224, 235 − 239 Kant, Hermann 652 Kantorowicz, Alfred 42 − 44, 55 f., 66, 82, 96 − 98 Kantorowicz, Ernst 142
768
Register
Kapelle, Heinz 33, 93 Karasek, Hellmuth 655 f. Kardorff, Ursula von 431, 471 Karst, Roman 339 Karsunke, Yaak 484 Kasack, Hermann 56 Kaschnitz, Marie Luise 352 Kaufmann, Hans 633 Kaufmann, Max 454 Kaufmann, Walter 586 Kaukoreit, Klaus 664, 670 Kaul, Friedrich Karl 324 − 326, 367, 456, 535 Kaznelson, Siegmund 53 f., 543 Kekkonen, Urho 674 Kennedy, John F. 369 f. Kerckhoff, Susanne 58 f., 98 Keisch, Henryk 78, 160 − 162, 168, 258, 373, 601 Kempner, Robert M. W. 512 Kessler, Ralf 101 Kesten, Hermann 203 f., 670 Kierski, Hans 65 Kijowska, Marta 66 Kiosses, Eleftherios 17 f. Kipphardt, Heinar 183 f., 352 Kirchner, Johanna 90, 165, 619, 636 f. Kirn, Richard 205, 208 Kirsch, Jan-Holger 596 Kirsch, Sarah 654 Kirschnick, Sylke 230 Kissinger, Henry 673 Kitzmüller, Erich 367 Klabund 313, 340 f. Klausener, Erich 501 Kleeberg, Michael 645 f. Klehr, Josef 462 Klein, Fritz 183, 266 Kleinschmidt, Karl 116 f., 120 f., 316 Kleist-Schmenzin, Ewald von 155, 539 Klemm, Heinz 146 Klemperer, Victor 271, 630 Klepper, Jochen 173, 226 Kleßmann, Christoph 2, 481 Klett, Ernst 453 Kliem, Kurt 582 f. Klingenbeck, Walter 95, 159, 171, 260 f., 382 Klönne, Arno 370, 432, 612 Klose, Tilde 260 Klüger, Ruth 489, 543, 571, 660, 663 Kluge, Walter 627 f.
Knaap, Ewout van der 198 Knauf, Erich 56 Knigge, Volkhard 445, 675 f. Knoch, Habbo 3 f., 76, 106, 303, 309, 325, 330, 398 f., 465, 521, 532 Knöpfle, Franziska 445 Knoeringen, Waldemar von 615 Koch, Friedrich Andreas von 134 f., 165 Koch, Anna Sophie 357 Koch, Hans 351 Koch, Werner 622 Kochanski, Eva 532 Köhler, Otto 457 Koenig, Alma Johanna 173 König, Franz 407 König, Helmut 444, 474 f. König, Karl 420 König, René 533 Köppen, Manuel 672 Koeppen, Wolfgang 217 f., 573 Köpstein, Horst 371 Körber, Lenka von 58 Körner, Klaus 399 Kössler, Till 314 f., 581 Köttelwesch, Clemens 611 Kofler, Leo 362 Kogon, Eugen 66, 69, 81, 398, 419, 436 − 439, 443, 449, 452, 465, 556, 669 Kolakowski, Leszek 338 f., 523 Kolbe, Georg 256 Kolbe, Maximilian 84, 190 f., 409, 411, 502, 651, 663 Kolbenhoff, Walter 58 f. Kollwitz, Käthe 67, 90, 169 f. Kolmar, Werner 424 f., 427, 547, 556 f., 559 − 562 Komenek, Boleslav 478 Konrad, Günter 367 Konjew, Iwan Stepanowitsch 551 Korczak, Janusz 397 Korn, Karl 197, 272 Korrodi, Eduard 56 Korte, Jan 581 Kortner, Fritz 541 Koselleck, Reinhart 676 Koshar, Rudy 558 f. Kosinski, Jerzy 522 Kosmodemjanskaja, Sonja 183 Krämer-Badoni, Rudolf 463 Krais, Beate 462, 602
Register
Krall, Ludwig 628 Kramer, Dettmar 415 Kramer, Helmut 314 Kramer, Sven 490 f. Kraus, Ota 224, 235 − 240, 242 f., 245 − 247, 375, 423 Krause, Peter 452 Kraushaar, Luise 604 − 606 Krausnick, Helmut 330, 439, 590 Krauss, Werner 10 Kreisky, Bruno 674 Kreiten, Karlrobert 384 f. Kremer, Hanno 312 Kreyssig, Lothar 224, 283, 392 f., 493 − 499, 552 Kroh, Albert 373 − 377 Kronheim, Gotthold 355 f. Kruczkowski, Leon 117 Krüger, Christine G. 494 Krüger, Elisabeth 566 f., 570 f. Krüger, Horst 398, 444, 447 f., 450, 453 − 456, 465, 483, 493, 502 − 506 Krüger, Karl-Heinz 198 f. Krumey, Hermann 440 Krupp von Bohlen und Halbach, Alfried 416, 465 Krzoska, Markus 394 f. Kuby, Erich 60, 204, 336 f., 358, 422 f., 432, 441, 452, 461, 547 − 551, 554, 557, 639 Kuby, Heinz 367 Kube, Walter 328 Kuckhoff, Adam 9, 19 f., 36, 39, 56, 95, 158 f., 260 Kuckhoff, Greta 10 f., 16, 20, 22, 31 − 33, 36, 112, 234 Kuczynski, Jürgen 67, 335 Kuderikova, Marie 171 Küchenmeister, Rainer 627 Küchenmeister, Walter 256, 627 Kügler, Joachim 420 Kühl, Käte 26 Kühn, Kurt 21 f., 261 Kühnl, Reinhard 503, 564, 581 − 583 Küstermeier, Rudolf 620 f. Kuhn, Käthe 34, 154, 167 f., 170, 172, 174, 215, 218 f., 226 Kulka, Erich 224, 235 − 240, 242, 243, 245 f., 375, 423 Kulková, Elly 239 Kunert, Günter 433 − 435, 477, 653 f.
769
Kuntz, Albert 260 Kunze, Reiner 147 Kurras, Karl-Heinz 671 Kurz, Paul Konrad 350 Laak, Dirk van 201 Lamm, Hans 60 Lammel, Inge 385 Lamprecht, Helmut 483 Land, Werner 80 f. Landau, Gisa 329 Landauer, Gustav 50, 137 Landmann, Michael 533 Langbein, Hermann 149, 238 f., 242, 365 − 367, 427, 521, 526 Lange, Hermann 213 f., 215, 217 f., 220, 381 f. Lange, I. M. 234 Langer, Lawrence L. 487 Langgässer, Elisabeth 56, 320 Langhoff, Wolfgang 110, 385, 394, 629 f. Laqueur, Walter 415, 515 Laternser, Hans 424 f. Lattmann, Dieter 584 Lau, Dieter 427 f. Lawson, Tim 672 Lazarus, Ilse 102 Leber, Annedore 12, 14, 16, 28 − 30, 36, 90, 113, 154, 162 − 167, 171, 216, 218, 383, 416, 596, 613, 671 Leber, Julius 28 f., 36, 90, 164, 227, 273, 327, 588, 596, 608, 613, 619, 637 Ledig-Rowohlt, Heinrich Maria 337 Legerer, Anton 495 f., 517 f., 520 f., 570 f., 576 f., 662 f. Leggewie, Claus 444 − 446 Lehmann, Hans Georg 501 Lehmann, Hans Joachim 253 Lehmann, Klaus 21 − 23, 94, 250, 261 Lehmann, Lutz 437 Lemmer, Ernst 200 Lenin, W. I. 97, 225 Lennig, Walter 27 Lenz, Reimar 313, 342, 344 f. Lenz, Siegfried 477 Leo, Gerhard 68, 108 f. Leonhard, Rudolf 119, 543 Lepsius, Rainer M. 676 Lerchenmueller, Joachim 444 Leschnitzer, Franz 637 Lessing, Gotthold Ephraim 55, 146, 163, 446
770
Register
Lessing, Helmut 451 Lessing, Theodor 45, 244 Lethen, Helmut 58 Lettau, Reinhard 584 − 586 Leuner, Heinz David 531 Leuschner, Wilhelm 26, 29, 90, 596, 619, 637 Lex, Hans Ritter von 194, 204 Lichtenberg, Bernhard 95, 501, 608, 621 Liebehenschel, Artur 559 Liebel, Manfred 451 Lieber, Hans-Joachim 419, 458 − 462 Liebknecht, Karl 51, 123, 126 f., 137, 248, 251 − 253, 256 f., 617 Lilje, Hanns 154 f. Lill, Karl 148 − 151 Lind, Jakov 352, 481 Lindemann, Karl 43, 260 Lingens-Reiner, Ella 365 − 367 Lippold, Eva 13 f., 16, 22, 36 Litten, Hans 256 Ljubic, Aleksandra 293 Löbe, Paul 671 Löhner-Beda, Fritz 385 f. Löwenkopf, Leo 102 Löwenstein, Julius 19 Loewy, Hanno 228, 275, 672 f. Lohmar, Ulrich 362 Lorenz, Matthias N. 548 Loth, Wilfried 673 f. Lucas, Franz Bernhard 420, 424, 456 f., 472 f., 485, 560 Luckner, Gertrud 143, 536 Lühe, Irmela von der 515 Lüth, Erich 142 f. Lütsches, Peter 89 Lukács, Georg 55, 64, 71, 129 − 131, 221, 446 f., 581, 598, 631 Luxemburg, Rosa 51, 126, 137, 251 f., 256 f., 581 Maas, Hermann 137 − 139, 536 Madajczyk, Piotr 500, 522 Maddalena, Max 260 Mader, Helmut 665 Maetzig, Kurt 26 f. Maihofer, Werner 419, 439 f. Malthe-Bruun, Kim 171, 226, 293 Maltzan, Vollrath Freiherr von 194
Malvezzi, Piero 34, 46, 171 f., 178, 209 − 212, 215 − 221, 241, 293 f., 343, 360 f., 382, 545, 609, 613, 629, 631 Mammel, Adolf 372 − 374 Mann, Erika 211 Mann, Heinrich 52, 67, 250 Mann, Klaus 449 Mann, Thomas 56, 78, 178, 209 − 218, 294, 341, 361, 382, 588 Mansilla, Hugo C. F. 582 Manstein, Erich von 332 Manouchian, Misaak 361 Marchwitza, Hans 58, 67, 69, 116 f. Marcuse, Herbert 582 f. Marcuse, Ludwig 449 Mark, Bernard 374 Markert, Walter 417 Marquard, Odo 533 Marx, Karl 30, 54 f., 79, 233, 315, 362, 440, 505, 598, 649 Maschmann, Melitta 449 Materna, Ingo 262, 264 Mattenklott, Gert 127 Matthäus, Jürgen 677 Mauke, Michael 312, 362 − 368, 448, 452 Maurer, Georg 650 Maus, Heinz 533 Mausbach, Wilfried 364 Mausbach-Bromberger, Barbara 615 Mayer, Hans 19 f., 50, 58, 63 − 72, 78, 478, 485, 491 Mauz, Gehard 420 − 422, 441 Meerwald, Valentin 628 Meier, Stefan 264 Meinicke, Fritz 346 − 348 Meirowsky, Lisamaria 173 Mellies, Dirk 177 Melzer, Joseph 334, 533 Menander 227 Menck, Clara 277 Mendelssohn-Bartholdy, Sebastian 356 Mercouri, Melina 640 Merle, Robert 241 − 244 Mertens, Lothar 100 Meschkat, Klaus 312 Meseth, Wolfgang 576 f., 675 Metscher, Thomas 582 Metzger, Max Josef 24, 43, 259, 381, 501, 613, 615 f. Mevissen, Paul 419 f., 423, 430, 436
Register
Meyer, Enno 580 f. Meyer, Franziska 201 Meyer, Gertrud 110 Meyer, Julius 102 Meyer, Kristina 286 Michaelis, Andre 244 Michaelis, Rolf 611 Mickiewicz, Adam 397, 400, 523 Miegel, Agnes 540 Mierendorff, Carlo 29, 273, 596, 615 Milan, Maurizio 544 Miller, Arthur 441 − 443 Miller, Susanne 30 Minssen, Friedrich 164 Mitscherlich, Alexander 58, 335, 342, 451, 533, 547, 549 Mitscherlich, Margarete 58 Mittendorfer, Franz 213, 293 f. Mnacko, Ladislav 481 Moczar, Mieczyslaw 522 Möller, Alex 563 f. Möller, Frank 316 Moen, Petter 171 Moltke, Freya Gräfin von 36 Moltke, Helmuth James Graf von 36, 40, 166 f., 215 f., 218, 220, 226, 273, 282, 327, 360, 372, 381, 415 f., 524, 608 f., 613, 619 Mommsen, Hans 331, 465, 591, 622 f. Morawska, Anna 494, 498, 551 − 553 Morina, Christa 101, 118 Morcinek, Gustav 84 Motyljowa, Tamara 71 Mühsam, Erich 45, 244 Müller, Armin 144 − 146, 183 f., 376 Müller, Klaus-Jürgen 620 Müller, Martin 556 Müller, Philipp 114 f. Müller, Terese 381 Müller, Wolfgang 89 f. Müller-Gangloff, Erich 283, 287, 518 f., 525 Müller-Marein, Josef 277 f. Müller-Muck, Helmut 46 f., 210 Müller-Schwefe, Hans-Rudolf 282, 290 Müller-Seidel, Walter 444 Münkler, Herfried 77 Müntzer, Thomas 256 Mütze-Specht, Fanny 104 Mulisch, Harry 453 Mulka, Robert 505
771
Nachbar, Herbert 484 Nalkowska, Zofia 84, 241, 375 f. Naughton, James M. 674 Naumann, Bernd 419, 422, 424, 434, 467, 469 − 473, 485, 487, 489, 511 Nebgen, Elfriede 26 Nehring, Holger 289, 345, 363, 369, 675 Nekrassow, Viktor 394 Nell, Peter 114 f., 146 − 154, 222, 252 Nelson, Leonard 208, 362 Neruda, Pablo 71 Neubauer, Theodor 260, 610 Neuhaus, Ralph 139 Neumann, Alfred 541 Neumann, Franz 582 f. Neumann, Oskar 351 Neumann, Robert 285, 325 − 335, 451 Neumann-Thein, Philipp 2, 113 f., 238 Neutsch, Erik 150, 484 Neven-du Mont, Jürgen 336 Niebelschütz, Wolf von 541 Niederkirchner, Käthe 93, 95, 250 Niehoff, Hermann 514 Niekisch, Ernst 16 Niemöller, Martin 60, 155, 176 f., 314 f., 383, 432, 494, 509, 588, 608 Nitzsche, Gerhard 248 Niven, Bill 235 Nohara, Erik 312 Noll, Dieter 150, 222 f., 231, 373, 484 Nolte, Ernst 3, 449 f., 676 Nolte, Jost 476 f. Norden, Albert 19, 30 − 33, 334 Novick, Peter 1 Oberländer, Theodor 321 f., 333 Oelfken, Tami 531 Ohlendorf, Otto 197 Ohnesorg, Benno 669, 671 Olbricht, Friedrich 618 Ollenhauer, Erich 299 Olschowsky, Burkhard 477 Olschwosky, Heinrich 304 Olzog, Günter 359 Ondroussek, Jaroslav 171 Oppenheimer, Max 587, 600, 609 − 611, 614 f. Ormond, Henry 189, 420, 426, 456, 468, 472 Orth, Hans Joachim 398 f.
772
Register
Ossietzky, Carl von 50, 90, 95, 244, 257 f., 615, 628 Ossowski, Leonie 377 Pabst, Helmut 136 Paepcke, Lotte 222, 449 Pankoke, Helga 649, 651 Parkinson, Anna 58 Pautke, Johannes 217 Pavlush, Tetyana 675 Pechstein, Max 67, 541 Peikert, Paul 509, 581 Peitsch, Helmut 2, 365 Penck, Martin 356 Pendas, Devin O. 473 Perels, Friedrich Justus 26, 165 Péronneau, Roger 170 Perk, Willy 635 Peter, Hartmut Rüdiger 101 Peter, Heinz 45 f., 241 Petersen, Jan 79, 98, 146 Petersen, Jürgen 453 Peukert, Detlev 622 − 624 Pfeil, Ulrich 576 Pfuhl, Walter 456 f. Philips, Janko 377 Picard, Max 256 Picht, Georg 414 Pieck, Wilhelm 29, 61, 90, 248, 251 − 253, 255, 257, 259, 328 Pieper, Josef 216 Pierschke, Johann 220 Pintor, Gaimie 211 Piontek, Heinz 506 Piorkowski, Jerzy 518, 525 − 527, 570 Pirelli, Giovanni 34, 46, 171, 178, 209 − 220, 241, 293 f., 343, 360 f., 382, 545, 609, 613, 629, 631 Plate, Manfred 406 − 412 Pless, Philipp 580, 601 Plessner, Helmuth 446 f. Plievier, Theodor 17 Poelchau, Harald 12, 20, 22, 36, 38 − 40, 90, 110, 114, 218, 261 Pörzgen, Hermann 178, 188 − 194, 526, 606 Pohl, Gerhart 453 Poliakov, Leon 205, 208, 332, 522, 671 Polkehn, Klaus 417 Pollatschek, Walther 147 Poller, Walter 384
Pollmann, Ann-Kathrin 515 Popitz, Johannes 619, 624 Porembski, Henryk 74, 76 f. Posdzech, Dieter 131 Pott, Ute 1, 35 Powers, Francis 370 Pozner, Vladimir 83, 105 Preißler, Helmut 653 f. Preysing, Konrad Graf von 501 Prien, Günther 371 Priess, Ingrid 644 Probst, Christoph 616 Pross, Harry 671 Pross, Helge 533 Prassek, Johannes 616 Pruszynski, Ksawery 84 Pückler, Otto Graf von 400 Putrament, Jerzy 84 Putz, Ernst 260 Quirnheim, Albrecht Ritter Mirz von
618
Rabofsky, Alfred 360 Radbruch, Gustav 137, 142 Raddatz, Fritz J. 231, 337 Raddatz, Karl 11 f., 17, 19, 25 f. Rahner, Karl 553 Raiser, Ludwig 414 Rajk, Laszlo 100 Rakowski, Mieczyslaw 550 Rakette, Egon Helmut 644 Ramat, Raffaello 294 Rathenau, Walther 137, 628 Rau, Fritz 382 Rauch, Karl 399 Rauschning, Hermann 564 Reck-Malleczewen, Friedrich Percyval 256 Reich, Wilhelm 583 Reich-Ranicki, Marcel 84, 444, 447 − 449, 502, 506, 533 Reiche, Reimut 451 Reichel, Heinrich 256 Reichel, Peter 102, 165 Reichenau, Walter von 332, 541 Reichwein, Adolf 29, 166, 273, 382, 596, 608 Reid, Ivan 570 − 572 Reif, Hans 312 Reifenrath, Joachim W. 424, 430 Reimann, Brigitte 150 Rein, Heinz 102 f.
Register
Reisch, Elisabeth 443 Reithmann, Max 490 f. Reitlinger, Gerald 203, 205, 208, 225, 288, 454, 553, 580 Remer, Otto Ernst 163, 287 Renn, Ludwig 73 Rensinghoff, Ines 70, 185 f. Renz, Werner 72, 374, 467 Repper, Pavel 102 Resnais, Alain 67, 109, 178, 194, 197 − 201, 204, 207, 310 f., 458, 471, 492 Reuber, Kurt 356 Reuter, Ernst 178, 199 − 201 Rewald, Ilse 620 f. Rexin, Manfred 287, 342 − 344 Rhein, Katharina 194 Rhode, Gotthold 453 Richter, Erich 387 − 392 Richter, Hans Werner 59 − 61, 201 f., 204 f., 337 − 341, 451, 454, 477, 484, 533 f. Richter, Karl 316, 399 Rieck, Lore 373, 376 Rieger, Hans 360 Riemeck, Renate 177, 285, 315, 358 Riesenburger, Martin 288 f., 376, 629 f. Rietig, Walter 628 Rigoll, Dominik 678 Rilke, Rainer Maria 136, 227 Ringelblum, Emanuel 361 Rinser, Luise 638, 640 − 649 Ristock, Harry 305 f., 390 f. Ritter, Gerhard 14 Rittmeister, Eva 15 Rittmeister, John 39, 378 Röder, Werner 609, 612 Röhling, Jürgen 400 f. Römer, Beppo 39, 617, 628 Rönne, Alexis Freiherr von 136 Rohstock, Anne 675 Roland-Gosselin, Bernand 172 Rolland, Romain 52 Romain, Lothar 644 f. Roques, Valeska von 402 f. Roscher, Achim 365 Rose, Vinzenz 531 Rosenberg, Alfred 130 Rosenberg, Arthur 583 Rosenberg, Ludwig 620 − 622 Rosenthal, Abraham Michael 222 f., 308 f. Rossaint, Joseph 294, 309, 587, 590, 594
773
Rost, Nico 110, 431 Rostin, Gerhard 231 f. Rotholz, Siegbert 99 − 101, 263 f. Rott-Gredler, Alexandra 490 Rózewicz, Tadeusz 304, 490, 644 Rubino, Wilhelm 356 Rubinowicz, Dawid 188, 322 f., 376 Rubinstein, Hilde 431 f. Ruchniewicz, Krysztof 495 Rudel, Hans-Ulrich 371 f. Rudnicki, Adolf 66, 84 f., 179, 557 Rudzio, Wolfgang 601 Rürup, Reinhard 1, 677 Ruete, Hans Hellmuth 638 Ruge, Arnold 54 f. Ruge, Gerd 413 Runge, Erika 586 Rusinek, Bernd-A. 364 Russell Lord of Liverpool 240, 245 − 247, 590 Rutkowski, Adam 492 Rychner, Max 350, 449 Ryniak, Stanislaw 397 Sabrow, Martin 114, 676, 679 Sachs, Nelly 4, 653 Saefkow, Aenne 632 Saefkow, Anton 18, 26, 29, 43, 48 f., 90, 157, 218, 220, 610, 612, 626, 629, 631 f. Särchen, Günter 493 − 499, 551 f. Sakowski, Helmut 484 Salomo, Wolfgang 349 Salomon, Ernst von 58, 371 Salzinger, Helmut 515 Saroyan, William 481 Sartre, Jean Paul 573 f. Saryusz-Wolska, Magdalena 67, 109 Sauerland, Karol 522 f., 561 Saupe, Achim 114 Sawicki, Jerzy 244, 657 Sawko-von Massow, Anna Maria 507 Schabbel, Klara 605 Schaeffer, Philipp 23 f. Schallück, Paul 197, 202, 204, 291, 310 f., 454, 484, 533 Scharf, Kurt 283 f., 405 Scharff, Werner 140 Scharoun, Hans 67 Schatter, Kurt 21 Scheel, Heinrich 23 Scheer, Maximilian 146
774
Register
Schehr, John 51 f., 123 f., 248, 260 Scheler, Lucien 97 f. Schelz, Sepp 524 Scherner, Erhard 83, 144 Scheven, Günther von 133 f. Schewzowa, Ljuba 293 Schieb, Roswitha 516 Schiftan, Hans 264 Schildt, Axel 101, 177, 336, 358, 442 Schiller, Friedrich 163, 234, 246 Schirdewan, Karl 21 f., 262 Schirmer, Sophie 280 Schlabrendorff, Fabian von 629 Schlaffer, Hannelore 127 Schlaffer, Heinz 127 Schlenstedt, Dieter 335 f., 396 Schlesinger, Klaus 323 Schlösser, Manfred 543, 545 Schlotterbeck, Friedrich 110, 218 Schmaus, Johann 264 Schmid, Carlo 226, 286, 306 − 308, 311, 350, 501, 531 f. Schmid, Harald 107, 229 f., 496 Schmidt, Eberhardt 583 Schmidt, Helmut 287, 501, 674 f. Schmidt, Kerstin 584 Schmidt, Michael 296 f., 305 f., 349 Schmidt, Walter A. 260 − 263, 265 − 268 Schmidt, Wilhelm de 406 f., 589 Schmidt, Wolf-Dietrich 89 Schmidt-Küster, Gustav 299 Schmidt-Sas, Alfred 159, 171, 218, 328, 360 Schmiegelt, Ulrike 673 Schmorell, Alexander 616 Schnabel, Ernst 58, 275 − 277, 533 Schneider, Christoph 548 Schneider, Hans Ernst 444, 446 Schneider, Joachim 433 Schneider, Lambert 137, 224, 226, 228, 273 Schneider, Paul 90, 95 f., 107 f., 126, 257, 260, 378, 383 f., 592, 608 Schneider, Peter 241 Schneider, Reinhold 24 f., 28, 34, 56, 113, 154, 167 f., 170, 172 − 174, 215, 218, 226, 383 Schneider, Rolf 241, 422, 649, 651 − 660 Schneider, Ulrich 89, 587 f., 600, 602 Schneider, Ulrike 657 Schner-Neschamith, Sarah 242, 295, 344 Schnog, Karl 98
Schnurre, Wolfdietrich 59, 533 Schoenberner, Gerhard 47, 279, 285, 311 − 314, 324, 339 − 343, 362, 364 f., 368, 432 f., 442 f., 447 − 451, 489, 595, 610 Schönemann, Heinz 234 Schoeps, Hans-Joachim 285, 352 Scholl, Hans 90, 108, 120, 126, 140, 162, 250, 257, 260, 294, 327, 379, 382, 540, 592, 595 f., 603, 608, 610, 616, 638 Scholl, Inge 372, 629 Scholl, Robert 14 Scholl, Sophie 90, 108, 120, 126, 140, 162, 250, 257, 260, 294, 327, 378 f., 382, 540, 592, 595 − 597, 603, 608, 610, 616, 638, 678 Scholmer, Joseph 443 Scholtis, August 398 − 402, 515 Scholz, Arno 671 Scholz, Joachim J. 400 Schomburgk, Hans 58 Schonauer, Franz 351 Schorn, M. 400 Schottmüller, Oda 90 Schreck, Joachim 234 Schröder, Georg 159, 220 Schröder, Gerhard 587 Schroeder, Louise 671 Schröder, Rudolf Alexander 54 Schubert, Helga 649 Schubert, Wilhelm 464 Schuchardt, Irmgard 387 f., 406 Schütz, Helga 649 Schukow, Georgi 551 Schulenburg, Fritz-Dietlof von der 608 Schulstein, Mojsche 280, 538 Schultheis, Johann 382 Schulz, Max Walter 376, 483 Schulz, Wilhelm 50 Schulze, Fiete 43, 51 − 53, 90, 95, 123, 125, 168, 171, 250, 260, 529, 530 Schulze, Fritz 21 Schulze, Marie 15, 51, 218 Schulze-Boysen, Harro 39, 48, 55, 89, 95, 98, 218, 250 f., 260, 610, 626, 629 Schulze-Boysen, Libertas 15, 218, 605 f. Schumacher, Elisabeth 39 Schumacher, Ernst 351 Schumacher, Kurt, hingerichteter Widerstandskämpfer 15, 39, 48, 159, 257 f., 626, 629 Schumacher, Kurt 29 f., 624
Register
Schumann, Georg 260, 262, 610, 615 Schumann, Heinz 45, 327, 377, 615 Schumann, Maurice 359 Schumann, Robert 246 Schuster, Britt-Marie 35 Schutte, Jürgen 648 Schwachhofer, René 154, 241 Schwamb, Ludwig 29 Schwantes, Martin 328 Schwartz, Michael 336, 503 Schwarz, Hans 89 Schwarz, Peter 231 Schwarz, Peter Paul 231, 351 Schwarz, Rudolf 52, 123 f. Schwarz-Bart, André 340, 372 − 374 Schweikart, Hans 27 Schweitzer, Albert 285, 358 f., 362, 368, 432 Schwerin-Schwanenfeld, Ulrich Graf von 597 Schwerte, Hans 419, 444 − 446 Scurla, Herbert 628 Seele, Gertrud 159, 166, 218 Seelenbinder, Werner 92, 617 Seghers, Anna 23 f., 51 f., 55, 63, 67, 69, 71 − 73, 98, 110 − 112, 123, 351, 538, 540, 598 Seghers, Pierre 172 Sehn, Jan 190, 192 f., 309, 375, 526 Seifert, Jürgen 582 Seiffert, Rudolf 220, 293 Seigewasser, Hans 26 Sello, Maria 140 f. Semprun, Jorge 221, 434, 449 Seneca 169 Severing, Carl 201 − 203, 541 Seydel, Heinz 45, 47 f., 533, 541 − 544, 653 Seydewitz, Max 206 Shakespeare, William 25, 360 Shirer, William L. 523 Sickert, Walter 284 Siebeck, Cornelia 1, 114, 679 Sieg, John 260 Siegfried, Detlef 440, 442, 451 f. Siegmund-Schultze, Friedrich 315 Siek, Erich 111 Simmel, Oskar 281 − 283 Simon, Gerd 444 Simonow, Konstantin 7 Sinclair, Upton 52 Skriebeleit, Jörg 2, 114
775
Skriver, Ansgar 283, 312, 341 f., 344, 346 − 349, 392, 531, 562 Slansky, Rudolf 100 Smirnow, Andrej 417 Smolen, Kazimiérz 297, 403, 456, 498, 521, 526, 580, 589, 652 Soehring, Hans-Jürgen 58 Sommer, Ernst 374 Sommer, Martin 464 Sontag, Susan 482 Sontheimer, Kurt 564 Sophokles 169, 640 Spartakus 256 f. Speck, Ulrich 101 Sperber, Manès 454 Spernol, Boris 669 Spielberg, Steven 67, 109, 655 f. Spiritu Sancto, Teresia Renata de 512 Spoo, Eckart 601 f. Springer, Axel 277, 464, 580, 601 f. Stadthaus, Steffen 60 Staehle, Hildegard 5 Stalin, Josef 16, 97, 100, 328, 402, 517 Stamm, Robert 619, 636 Staritz, Dietrich 100 Stark, Hans 441 Staudte, Wolfgang 27 Stauffenberg, Claus Schenk von 89, 164, 227, 327, 378, 382 f., 540, 592, 596, 608, 618 Stauffenberg, Franz Ludwig Graf von 600 Stehle, Hansjakob 387, 415 − 418, 477 Stein, Edith 173, 318, 327, 360, 407, 409, 411, 511 f. Steinbach, Peter 29, 165, 603 − 606 Steinbacher, Sibylle 72, 114 Steiner, George 576, 672 Steiner, Jean Francois 522 Steiniger, Peter Alfons 240, 244 f. Steinmeier, Frank Walter 677 Steinmetz, Selma 544 Stellbrink, Karl Friedrich 90, 166, 217, 615 f. Stenbock-Fermor, Alexander 38, 261 Stengel, Katharina 113 f., 149, 303, 521 Sterling, Eleonore 205 f., 452, 532, 671 Stern, Frank 416, 647 Stern, Leo 607 Stöbe, Ilse 605 f. Stöcker, Walter 260 Stötzel, Georg 290 Stöver, Bernd 673
776
Register
Stolting, Hermann 424 Stomma, Stanislaw 184 f., 494, 553 Stoß, Veit 651 Stoph, Willi 625 Strauß, Franz Josef 138, 285, 314, 336, 352 − 355, 601 Strecker, Gabriele 16 f. Strecker, Reinhard 565 Streicher, Julius 657 Strelow, Heinz 15 − 18 Strelow, Meta 15 Strittmatter, Erwin 150, 484 Strobel, Jochen 1, 35 Stroop, Jürgen 110, 338 − 341, 449 Strothmann, Dietrich 444 Suhl, Yuri 482 Sundquist, Eric J. 66 Suzkewer, Abraham 657 Swiatlowska, Irena 77 Sylten, Werner 90, 174 Sywottek, Arnold 593, 604 Szac-Waijnkranc, Noemi 361 Szmaglewska, Seweryna 66, 179, 374 Sznaider, Natan 245 Szymanski, Tadeusz 567, 589 Taler, Conrad 467, 602 Targosz, Franek 69 f., 150 − 153 Tasca, Angelo 583 Taterka, Thomas 232 Tennenblatt, Samuel 550 f. Téry, Simone 119, 374 Tesch, Bruno 92 f. Tessmer, Carsten 509 Thadden, Elisabeth von 14 Thälmann, Ernst 51, 89 f., 95, 108, 124, 126, 145, 248, 250, 252 − 255, 257 f., 378, 539, 592, 605, 608, 615, 631 Theek, Bruno 110 Theodorakis, Mikis 640 Thesen, Matthias 34, 43, 89, 95, 220 Thews, Wilhelm 34, 43, 92, 159, 161 f., 168 f., 171, 257 f., 261 Thiemeyer, Guido 413 f. Thieß, Frank 56 Thur, Herbert 387, 391 f. Thurnell-Reid, Thomas P. 1 Tito, Josip Broz 674 Törne, Volker von 517 f., 532, 547, 552, 562 f., 565 f., 568, 572 − 575, 577 f., 580, 662 f.
Toge, Sankichi 361 f. Toller, Ernst 90, 126 Tolstoi, Leo 212 − 214 Tomschik, Leo 615, 617 f. Tresckow, Henning von 608 Trott zu Solz, Adam von 166, 381 Tsatsu, Dimitra 293 Tschesno-Hell, Michael 50 Tschörtner, Heinz-Dieter 241 f. Tuchel, Johannes 591, 604 − 606, 626, 636 Tucholsky, Kurt 126, 257 Türmer, Ludwig 312 Turek, Ludwig 376 Uhrig, Robert 6, 29, 218, 610, 615, 617 f. Uhse, Bodo 84 Ulbricht, Walter 29, 51, 152, 233 f., 253, 263, 267, 296, 349, 368, 413, 532 f., 578 Unbekannte Jüdin 40 − 48, 159, 172, 174, 244, 265, 378, 541 f., 626 f., 629 Undset, Sigrid 59 Unger, Wilhelm 58, 310 Unikower, Siegbert 439 Unseld, Siegfried 486 Urner, Hans 496 Vaillant, Jerome 60 Vaillant-Couturier, Marie-Claude 244, 657 Velasquez 360 Verner, Paul 13 Vetter, Lilli 49 f., 127, 156, 172 Victor, Walther 121, 123, 125, 187, 322, 653 f. Voigt, Elli 218, 220 Voigtländer, Annie 38 f. Vogel, Hans-Jochen 204, 601 Vogel, Heinrich 283, 432 Vogl, Michael 115 Vogt, Hannah 531, 595 f. Wachsmann, Alfons 24 Wagenbach, Klaus 232, 476, 562, 653, 664 Wagenknecht, Sahra 592 Wager, Josef 615 Waitz, Robert 520 f. Walichnowski, Tadeusz 522 f. Wallraff, Günter 600 Walser, Martin 337, 398, 420, 441, 462 − 467, 533, 573 f., 577 f., 602, 672 Walter, Hilde 160 Wander, Fred 633 − 635, 652
Register
Warnke, Martin 440, 467 Wassermann, Charles 300 f., 321, 394 Weber, Max 350 Weckel, Ulrike 9 Wefelmeyer, Fritz 486 Wegener, Heinz 296 Wehner, Herbert 603 Weick, Edgar 592, 594, 609 Weidig, Friedrich Ludwig 50 Weigel, Hans 386, 453 Weigel, Sigrid 644, 672 Weil, Grete 4, 19, 76, 84, 375 Weil, Simone 169, 359 Weil-Zimmering, Zora 242 Weinert, Erich 6 f., 51 − 53, 117, 121 − 123, 125, 131 f., 248, 252 Weinke, Anette 676 Weinstock, Rudolf 84, 103, 111 Weisbrodt, Arthur 601 Weisenborn, Günther 9 f., 15 − 18, 23, 33 f., 47, 58, 66, 92, 98, 113, 143, 154 − 162, 164, 168, 219, 258, 261, 315, 328, 544 f., 629, 635 Weiskopf, F. C. 52 f., 55, 81 f. Weiß, Christoph 464, 491 Weiss, Ernst 126 Weiß, Konrad 495 f. Weiss, Peter 221, 420, 434 f., 462, 476, 481, 484 − 492, 508, 511, 513, 520, 580, 653, 655 f., 658, 664, 666, 668, 672 Weizsäcker, Carl Friedrich von 414 Weizsäcker, Richard von 166 f., 413, 416, 596 Weizsäcker, Viktor von 173 Weltlinger, Siegmund 311, 524 Wendt, Erich 188, 242 Weniger, Heinz 60 Wenzel, Mirjam 487 Werber, Joachim 44, 265, 627 Werner, Gerda 34, 45, 377, 609, 613, 615 Westad, Odd Arne 674 Wette, Wolfram 118 Weyl, Johannes 14 Wetzel, Manfred 297, 305, 308 f. Weymar, Ernst 444 Weyrauch, Wolfgang 204, 352, 533 Widmann, Arno 440 Wiebach, Ursula 103 Wiechert, Ernst 54, 89, 92, 110 Wiegenstein, Roland H. 291 Wienken, Heinrich 316
777
Wiens, Paul 84 Wiese, Benno von 653 Wiese, Peter M. 421, 427, 430 Wiesel, Elie 449, 462 f., 487, 672 Wiesenthal, Simon 433, 453 Wilder, Thornton 537 f. Wilke, Jürgen 448 Wille, Ernst 264 Willich, Klaus 629 Wilm, Ernst 509 Winckelmann, Johann Joachim 254 Winckler, Josef 290 Winckler, Lutz 591 Winkler, Heinrich August 576, 602 Windelen, Heinrich 600 Winters, Peter Jochen 456 f., 467, 472 f. Winzer, Otto 248, 262, 625 Wippermann, Wolfgang 623 − 626 Wirmer, Joseph 26 Wirsing, Giselher 457 f. Wirth, Andrzej 339 Wirth, Günther 230, 509, 581 Wirth, Johann Georg August 50 Wirth, Joseph 177 Witsch, Josef Kaspar 137 Witkop, Philipp 133 Wittig, Joseph 173 Witzleben, Erwin von 39, 140, 327 Wloch, Karl 385 Wohmann, Gabriele 449 f. Wohlgemuth, Joachim 484 Wojtyla, Karol 407, 409 − 412, 495, 663 Wolf, Christa 150, 544, 633 − 635 Wolf, Friedrich 58, 72 f., 90, 116 f., 124, 376, 656 Wolf, Lore 110 Wolff, Frank 675 Wolff, Jeanette 72 Wolfrum, Edgar 163, 201, 674 f., 678 f. Wosikowski, Irene 93, 328 Wulf, Josef 205, 274, 332, 671 Wurm, Theophil 26 Wurmser, André 484 Wygodzki, Stanislaw 117 f. Wyszynski, Stefan 495 f., 500, 561, 589 Yorck von Wartenburg, Marion Gräfin Young, James E. 677 Zahmel, Gerhard
298, 304
12, 16
778
Register
Zarebinska-Broniewska, Maria 84, 375 Zeidler, Horst 403 Zerndt, Peer 347, 349 Ziergiebel, Klaus 146 Zimmerer, Ludwig 322 Zimmering, Max 21 f., 73, 102, 117, 125 Zimmermann, Harro 484 Zimmermann, Michael 72 Zinner, Hedda 656 Zoluj, Tadeusz 456
Zoschke, Johannes 628 Zürndorfer, Josef 356 Zunterstein, Vilma 102 Zweig, Alfred 356 Zweig, Arnold 51, 73, 90, 116, 120, 130, 224 f., 235, 269 − 271, 333 − 335, 478 − 480, 533, 542, 607 f. Zweig, Stefan 126, 541 Zweig, Stefan Jerzy 235 Zywulska, Krystyna 329