Reise durch Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen und einen Theil von Italien in den Jahren 1797, 1798, 1799: Theil 1/2 [2., verb. Ausg. Reprint 2020 ed.]
 9783111607283, 9783111232126

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Reise durch

Deutschland, Dänemark,

Schweden, Norwegen und einen Theil von Italien, in Den Jahren 1797. 179g. 1799.

Erster Theil.

Mit einem Titelkupfer.

Zweyte t>erbef ferte Ausgabe.

Leipzig, bey Georg Joachim Göschen, 1804.

Aus

Ver

Vorrede zur ersten Ausgabe.

Ä^an betrachte dieses Werk nicht alS eine voll­

ständige Reisebeschreibung aller der Länder und Orte, durch die eS den Leser führt; sondern alS Bemerkungen, die zwar an Ort und Stelle ge­ macht , aber sehr verschiedentlich gemacht worden sind, je nachdem ich mich lange oder nur kurze Zeit irgendwo aufgehalten habe. So nehmen die Briefe über Hamburg Und-Wien mehr als den vierten Theil des Ganzen ein, weil ich in diesen Heyden Städten über ein Jahr zugebracht habe. — Daß sich über Berlin, Dresden, Braunschweig and Bremen theils wenig, theils gar nichts in diesen Briefen findet, hat mancherley Ursachen, an denen dem Leser wenig gelegen seyn kann, und worunter auch die ist, daß ich schon früher über die drey ersten dieser Städte geschrieben habe.

IV

Vorrede.

Immer habe ick bey Abfassung dieser Briefe den Reisenden im Auge gehabt, dessen Bedürf­ nisse von den Bedürfnissen des Lesers auf dem Zimmer sehr verschieden sind. Die Angaben der Wirthshäuser, der Entfernungen, der Zeit, in der man gewisse Strecken durchlauft, und eini­ ge andere Dinge dieser Art, können freylich den, der eine Reisebeschreibung bloß auf sei­ nem Zimmer in die Hand nimmt, wenig interessiren, sind aber dem Leser, der sich auf der Straße befindet, mehrentheils sehr willkommen. Ich bitte also die Nichtreisenden, manche Nach­ richt und Bemerkung, die ihnen kleinlich oder unnütz vorkommen möchte, zu entschuldigen. Nichts setzt den Reisenden so sehr in Ver­ legenheit , als gewisse kleine Ausflüchte, und das Besuchen der mancherley Gegenstände, die nicht unmittelbar an den großen Landstraßen liegen. Wie er seine Richtung nehmen muß, erfährt er allenfalls noch ziemlich leicht; aber wie er feint Zeit eintheilen soll, um so wenig als möglich davon zu verlieren; wo und wie und wenn er die Landstraße verlaßen soll; wo er zu übernachten hat; um welche Zeit er an diesem oder jenem Orte seyn muß — das sucht er oft vergebens in guten und umständlichen Reisebeschreibungen.

V

Vorrede.

Manchmahl bekommt man einen Entwurf, ohne daß uns dazu gesagt wird, daß wir an einem Or­

te keine Postpfcrde, an einem andern kein Nacht­ lager finden,

und an einem dritten mit einem

großen Reisewagen nicht durchkommen können.

Ich bin deswegen immer sehr umständlich über diese Seitenrcisen gewesen, und über die bequem­ ste Art, sie zu machen.

Die Fernen der verschiedenen Stationen von einander find auf keiner Postkarte,

Reisebuche,

die

mir

noch

durchaus richtig angegeben.

in keinem

vorgekommen

find,

Ich bin deswegen

auf allen meinen Reisen sehr sorgfältig gewesen,

sie mit der größten Genauigkeit niederzuschreiben. In diesem Artikel werden in allen Ländern von

Zeit zu Zeit Abänderungen gemacht, und die letz­ ten Nachrichten darüber find die besten.

Leipzig in der Ostermesse igoi.

Carl Gottlob Küttner.

Vorrede zur

zweyten

Ausgabe.

dieser neuen Ausgabe habe ich

I. alles Irrige, waS zu meiner Kenntniß ge­ kommen ist, verbessert.

Zu diesem Zwecke suchte

ich mir alles zu verschaffen, was in Journalen, Zeitungen

und literarischen Werken mancherley

Art über das meinige gesagt worden ist.

Alles,

WaS ich für wirkliche Berichtigung anerkennen

konnte, trug ich ein: und der aufmerksame Leser wird die Abänderungen finden.

Wenn aber dem-

ungeachtek manche Artikel, die getadelt worden

sind, auch in dieser zweyten Ausgabe unverändert

erscheinen,

so ist das ein Beweis, daß meine

Ansicht derselben und meine Meinung darüber sich

nicht geändert haben. noch nicht falsch,

Eine Nachricht ist darum

weil dieser oder jener für gut

findet, ihr zu widersprechen, und nicht jeder Ein­

wurf oder Tadel ist darum auch eine wirkliche Be­ richtigung. fen:

Einigen dieser Herren muß ich zuru­

„Ihre Art zu sehen ist nicht die meinige,

Vorrede.

VII

und ich messe nicht mit dem Maße, womit Sie messen."

Außer den gedruckten Berichtigungen habe ich weit mehrere durch Privatbriefe und auch münd«

lich erhalten, wofür ich öffentlich meinen wärm­ sten Dank abstatte.

Man wird finden, daß ich

den vollesten Gebrauch davon gemacht habe. Vor­ züglich zeugen hiervon die Artikel Böhmen, die Oberlausitz,

Wien und München. —

Den

Herrn Berghauptmann von Charpentier bitte ich, bey dieser Gelegenheit nahmentlich meinen Dank anzunehmen.

Mit sehr vieler Bemühung und

mit einer Gefälligkeit, die weit über die gewöhn­ lichen Grenzen hinausgeht, hat er mich nicht nur

in den Stand gesetzt, die Artikel über das Amalgamirwerk, das Druckwerk und die Schmelzhüt­

ten bey Freyberg gänzlich umzuarbeiten, sondern er hatte auch die Güte, das Ganze noch einmahl zu durchsehen.

II. So viel als mir durch neuere und zuver­ lässige Quellen möglich war, habe ich mich be­

müht , meine Reisenachrichten bis auf die gegen­

wärtige Zeit fortzusctzen, und die Veränderungen einzutragen, die hier und da statt gefunden ha­ ben.

Auch in dieser Hinsicht habe ich den gütigen

Bemühungen mehrerer auswärtigen Correfpon-

VIII

Vorrede.

denken große Verbindlichkeit.

Daß aber ihnen

sowohl als mir manches entgangen seyn muß, ist

nichts mehr und nichts weniger, als was sich von der Unvollkommenheit aller Dinge hienicden erwar­

ten läßt. III. Der Artikel von Leipzig und Sachsen ist

stark vermehrt worden. IV. Manches, das in der ersten Ausgabe

steht, habe ich, damit das Werk nicht zu weit^

läuftig werde, ausgestrichen.

V. Ich habe sorgfältig die Sprache verbes­ sert, so weit als eS in meinen Kräften stand, und ihr Harmonie und Correctheit zu geben gesucht.

Daß ungeachtet aller dieser Bemühungen noch so Manches in meinem Werke zu berichtigen seyn möchte, fühlt vielleicht niemand so innig, als ich

selbst.

Ich habe durch eine lange Erfahrung und

durch daS wiederhohlte Bereisen mehrerer der wich­

tigsten Lander von Europa gelernt,

wie äußerst

schwer eS ist, auch nur über ein einziges Nach, richten dieser Art mit einem gewissen Grade von

Genauigkeit und Vollständigkeit zu liefern.

Leipzig in der Ostcrmesse 1304.

Carl Gottlob Küttner.

Inhalt des ersten Theils. Erster

Brief.

Landsherg und Gegend umher — Cöthen — Magde­ burg —

Stendal —

Schnackenburg — Lenzerr —-

Boizenburg— Bergedorf — Stuhlwagen.

Zweyter

S. i bis 15

Brief.

Klima von Hamburg — Regen — Schmutz in den

Gaffen — Bauart — Canäle — Form der Hauser an

den Canälen — Gärten in der Stadt — Höfe — Rath­

haus — Börse — Kirchen — Domkirche — Michaelis­ kirche — Bibliothek — Eimbccksches Haus — Waisen­

haus

— Jucht - und

Arbeitshaus

— Fortificarions-

S. 16 — 27

haus.

Dritter

Brief.

Spaziergänge innerhalb der Mauern —

auf dem

Walle — schöne Partien und Aussichten — der Inngfernfiieg — der Hafen — die Elbe; ihre Breite; Fahr­

wasser; Bojen, oder Tonnen — Elbgegenden — Land­ häuser — Hospitalitat.

S. 28 — 44

Brief.

Vierter

Die Elbe — Schaden, den fie thut — Eindeichungen — Wirkungen eines anhaltenden Westwindes — Wasser-

beobachtungen — Dörfer um Hamburg — Blankenese — Ham — Wansbeck — General Dumourier —

Sonntag zu Hamburg.

Der

S. 45 bis 55

Fünfter Brief. Nöthige Behutsamkeit im Tadel dessen, was man an einem

Ist der Vorwurf gerecht,

fremden Orte steht —

den man dem Hamburger macht, daß er das Geld über

alles liebe? — Spiel.

S. 56 — 70

Sechster

Brief.

Armenanstalten zu Hamburg —

Allgemeine Anmer­

kungen über Arme und Bettler — Die Armen in England — zu Nom — in Schweden — in Bayern. S. 71— 84

Siebenter Brief. Einige Unbequemlichkeiten des Aufenthalts zu Ham­

burg iu der spätern Jahreszeit —

Platdeutfch und Hoch­

deutsch — ersteres keine verdorbene Provinzralsprache — Grundlage

über —

der Englischen —

Schiffersprache —

überhaupt —

Remnant,

KroftS Abhandlung dar­ Deutsch der Hamburger

Englischer Buchhändler

Fauche, Französischer Buchhändler — Münzsorten



Mark currant und Mark Banco — die Bank. S. 85 — 97

Achter

Brief.

Verfassung von Hamburg —

Der Rath —

Die

Bürgerversammlungen — verschiedene Abtheilungen der­ selben —

Oberalte

achtziger —

einkommen : ruhen



Sechziger

Subdtakoncn —

nicht ui

Hundertund­



Ad)uncti



den Handen des Raths —

Un­

Kaiserliche Commission tm Jahre 170g. —



Staatsbedienungen — werden verkauft —

Truppen — daten

Staats­

Bürgerwache



Hamburger

Nachtwächter — sind eine Art von Sol­

Sprryenleute





Be­

S. 98 bis na

völkerung.

Neunter Brief. Lafayette zu Hamburg mit seiner Familie unddenUebri-

gen, die zu Brunn gefangen saßen



Geldverhand­

lung der Stadt Hamburg mit Frankreich, als dieser Ort

den

Französischen

hatte —

Minister

anzunehmen sich

geweigert

Hamburg zahlt an Frankreich eine beträchtliche

Summe —

Was

versteht man durch Hamburg?



Von wem die Summe geborgt — und wie sie wieder ab­

getragen wird — nur ein Theil derselben fallt im Grunde auf die Stadt



Noch etwas über Srevekings Ge­

S. 113 — 124

sandtschaft und über ihn selbst.

Zehnter Brief. Oeffentliche Belustigungen und Unterhaltungen zu Ham­ burg



Schaubühne

überhaupt

über das Deutsche Theater —



Anmerkungen

Französisches Theater zu

Hamburg —

Me.

schichte des Hamburger

Harmonie —

certe —

Ge­

Schröder —



Chevalier

Theaters —

Kaffeehäuser



Con­

Masserpanien —

Vauxhall —

S. 125 bis 135

Valle.

Elfter

Brief.

Handel — kleine Fonds in Vergleichung mit den unge­ die hrer gemacht werden —

heuern Geschäften,

im Jahre 1799 —

über die Handelsunfalle und Krämer —

Buchhalter —

der



Kaufleute

Fünf

Etwa»

Kaufleute

sehr geschäftiges Leben

Assecuranzcompagnien



Wallfischfang — Englische Gesellschaft — Fabriken — Geräuchertes Rindfleisch

— Zuckersiedereyen

und Theurung — Landhäuser — Kutschen

— Bedrente —

Begräbnisse

— Luxus —

Tafeb

— Kunstsammlungen



©. 136 — 15&

Lebende Künstler.

Zwölfter Brief. Die Vierlande —

sein

Handel —

schen — die

Altona —

seine Bevölkerung —

Nachtlärm zu Hamburg — die Kut­

Gassenmusikanten —

— Die Feuersprißenlcute —

Die

Nachtwächter

Die Stadtpost.

S. 159 — 166

Dreyzehnter Brief. Gesellschaft und gesellschaftlicher Ton — Der Hamburger

lebt und genießt ganz vorzüglich auf dem Lande werbliche

Geschlecht —

Die Mütter säugen



Da»

selbst —

Die niedrigen Klaffen des werblichen Geschlechts — Oeffenttrche Werbspersonen — Srtten — Französische Ausgewan­ derte — Ihr Ernfluß auf Hamburg — Alte achtdeutsche Hamburger — Politische Stimmung — Sin angenehmes Haus — Gelehrte — Klopstock. S. 167 — igL.

Vierzehnter Brief. Reise von Hamburg nach Leipzig — Verschiedene Straßen zwischen diesen beyden Städten — über Lüneburg — Braun­ schweig — Halberstadt und Halle. S. 186 — 190.

Fünfzehnter Brief. Sachsen hat durch den jetzigen Krieg keinesweges verlo­ ren — zahlt kerne directen Krregssteuern — Seitdem stiegen die Staatspapiere — sie standen schon vorher über pari — Vortheile der Sächsischen Staatsschulden — Ist es gut, sie ganz abzutragen? — Sachsen hat verhältmßmaßig wenig Abgaben — Hoher Anbau und große Bevölkerung im Erz­ gebirge — Sächsische Fabriken. S. 191 — 222.

Sechzehnter Brief. Leipzig — Zunehmender Handel — Guter Erwerb — Vermehrte Besitzthumsmaffe — Zwischenhandel — Handels­ freyheit — Allgemeine Freyheit, so weit, als ein Mann von Erziehung sie wünschen kann — Theurung der Hausmiethe — Werth der Häuser Bevölkerung — Wohlthätigkeit. S. 223 — 237. KüttnerS R. 1. Th,

Siebzehnter Brief. Reise nach Berlin über Wittenberg und Potsdam —

Unterschied zwischen dem Leipziger - und Churkrerse — Leib­

eigenschaft — von welcher Art — ist schwer abzuschaffen — einige Versuche — Beschwerlichkeit der Preussischen Iollbedienten — Potsdam — die neuen Garten — dre neue Re­

gierung — der Hof — Das Aeußere von Berlin. S. 238 — 2zr.

Achtzehnter Brief. Reise von Berlin nach Dresden über Baruth, Luckau

und Großenhayn

Beschreibung dieses Landes — ist trau­

rig — wird besser bey Elsterwerde — Großenhayn. S. 2£2 — 255.

Neunzehnter Brief. Dresden und die Gegend umher im Frühlinge — Ver­

gleichung der Dresdner Naturschönheiten mit denen in eini­

gen andern Landern — Die von Mengs gesammelten GypsS. 256 — 262.

abgüffe.

Zwanzigster Brief. Reise von Dresden nach»Freyberg — Tharandt — 4veg

über die Berge — Das Amalgamationswerk — Das Druck­ werk —- Dre Schmelzhütten — Das Laboratorium — Dre Mineraliensammlungen — Die Fabnke des Herrn Thiele —

Dre Hauptkirche — Ueber Sächsische Bergwerke überhaupt — Das Muldenthat.

S. 263 — 293.

vn Ein und zwanzigster Brief. Reise nach Leipzig über Meißen — Verschiedene Wege zwischen Dresden und Leipzig — Hubertsburg — Machern

— Weg über Freyberg und Chemnitz — Ueber das Sächsische Erzgebirge überhaupt.

Lrchtenwalde — S. 294 — 293,

Zwey und zwanzigster Brief. Reise von Leipzig nach Werffenfels — Naumburg —»

Canal, wodurch die Saale und Unstrut schrffbar werden — Schulpforte

-

Kosen — Wermar — Nebenrerse nach Jena

— Gocha — Sternwarte —- Herr von Aach — Schloß — Garten — Porcellanfabrik.

S. 299 — 309.

Drey und zwanzigster Brief. Reise nach Caffel — Satzmannrsche Erziehungsanstalt — Eisenach — Dre Wartburg — Caffel — allgemeine Bemer­ kungen über drese Stadt - das Museum — Gemahldesamm-

lung — Akademie der Künste mit ihren Gemählden — Mo-

dellhans — Augarten — Wohnhaus des Fürsten — Werßen-

stern — jetzt Wrllhelmshöhe.

S. 310 — 333.

Vier und zwanzigster Brief. Reise von Caffel nach Pyrmont — Münden — Göttingen

— Museum — Sternwarte — Entbindungsanstalt — Biblio­ thek — Einbeck — Wrckense — Allgemeine Ansicht des Land­ striches zwischen Dresden und Pyrmont — Pyrmont mit sei­

nem Thäte — Die Quelle — Das Badhaus — Wohnungen

— Preise — Das Schloß — Schell - Pyrmont — Der Kö-

nigsberg und einige andere Spaziergänge — einige Badgäste

— Dre gewöhnlichen Einwohner von Pyrmont.

S. 334 — 356.

Fünf und zwanzigster Brief. Steife

von

Pyrmont nach Hannover — Hameln —

Nenndorf — Willhelmstein auf dem Steinhuderfee — Han­

nover — Herrenhaufen — Montbnllant — Graf Wallmoden-

Sammlung.

S. 357 — 366.

Sechs und zwanzigster Brief. Steife von Hannover nach Lübeck — Allgemeine Bemer­ kungen über das Heide-und Sandland,

das einen großen

Theil der Hannöverischen und Brandenburgischen Provinzen ausmacht — Celle — Lüneburg — Artelnburg — Büchen —

Mollen — Ratzeburg — Lübeck — Travemünde. S. 367 — 385.

Sieben und zwanzigster Brief. Steife von Lübeck nach Kiel — Eutin — Englischer Gar­

ten — Plön mit seiner schönen Gegend umher — Kiel — Ha­

fen — Meerbusen.

S. 386 — 392.

Reise durch Deutschland,

Norwegen

und

Dänemark,

einen

Theil

Schweden,

von

Italien,

in den Jahren 1797. 1799. und 1799.

Erster

KüttnerS R. 1 Th-

Theil.

X

Landsberg und Gegend

umher — Cöthen — Magde­

burg — Stendal — Cchnackenburg — Lenzen — Boizem bürg — Bergedvrf — Stuhlwageu.

Hamburg im Jun,) 1797.

W-r von Leipzig nach Hamburg reist,

kommt über

schlechte Wege, und noch mehr über Sand und Heide! Den letztern besonders kann er nicht entgehen,

erwähle

auch, welche Straße er wolle.

Ich hatte dieses Mahl meine Ursachen, Halberstadt und Braunschweig zu gehen,

nicht über

(auf welchem

Striche man noch die besten Wege findet) und wählte die, welche von den vier Straßen, die von Leipzig nach Hambu'g führen, die längste ist, über Magdeburg und durch

einen Strich des Herzogthums Mecklenburg. Wer kennt nicht die fruchtbaren, angebauten Gefilde

zwischen Leipzig und dem Lande Anhalt, jene Menge gro­ ßer und gutgebauter, von einem wohlhabenden Landmanne bewohnter Dörfer, deren Thurmspihen in den Ebenen

zwischen Delttsch, Landsberg und Halle sich erheben! Wie wohlthätig,

wie erquickend für das Auge des Menschen­

freundes ist die Aussicht von dem Hügel bey Landsberg, den man in fünf Minuten ersteigt, und der frey­ lich nur darum hoch scheint, weil alles um ihn her niedrig

4

Erster

Brief.

ist. Man genießt hier wirklich eine ziemlich weite Aus­ sicht, in welcher der Petersberg, einige Wälder, mehrere Städte und die ungeheure Menge von Dörfern eine ange­ nehme Abwechselung gewähren. — Nur auf die Straße muß man nicht herabsehcn! Diese ist schleckt: und das fallt einem um so mehr auf, da sie die große Landstraße zwischen Leipzig und Magdeburg ist. Zeder Reisende wird wohlthun,' diese Anhöhe nicht unerstiegen vorüber zu gehen, denn sie rst ganz nahe bey dem Posthause, und der Pferdewechsel giebt ihm mehr als nöthige Zeit, den kleinen Weg langsam zu machen und mit Muße sich umzusehen. Ausfallend sind hinter Landsberg die kleinen kegelför­ migen Erhöhungen, die man in ziemlicher Menge in die­ sem sonst ganz ebenen Striche findet! Wäre nicht der Landsberger Hügel und der noch beträchtlichere Petersberg in der Nähe, wovon diese kleinern ssmgere Brüder zu seyn scheinen, so müßte man sie für Tumuli halten, die unsere Vorfahren ihren Helden und Häuptern errichteten. (Wirklich zeigt sich, nach genauerer Prüfung, daß dieß die bewährtere Meinung ist, und daß man in denen, in welchen die Neugierigen haben graben lassen, eine Urne gefunden hat. Wenn dieses, wie es mir glaubwürdig versichert worden ist, seine Richtigkeit hat, so wäre eS wohl ein ziemlich klarer Beweis, daß diese kleinen Hügel Degräbmßstätten sind.) Daß die Gegend um Landsberg einst den Titel einer Markgrafschaft hatte, daß der Ort auf eine Menge Fürsten und eine Kaisersschwester, die hier wohnten, stolz war; das uud so manches andere, was Düsching auf zwey Seiten beschreibt, erlasse ich Zhnen. Von dem Residenz­ schlosse, das auf einem hohen Berge stand, ist nichts mehr zu sehen, und die Capelle, die freylich noch stehet, zeichnet sich durch nichts, als die Barbarey ihrer Archi­ tektur aus.

Erster

Brief.

5

Man kommt nun abwechselnd durch Preußisches, Dessauisches und Cöthensches Gebieth, und jeder dieser Herren macht seine Ansprüche auf den armen Reisenden. Man bezahlt auf ungefähr drey Meilen ( denn der Chur­ fürst von Sacksen, dem ein Theil, der vier Meilen zwi­ schen Landsberg und Cöthen gehört, verlangt nichts) neun Groschen für zwey Pferde; indessen geben die meyresten das mit Vergnügen. Die Straße bis Cöthen ist wirklich sehr gut gebaut und wohl unterhalten. Auch hat man den Dau durch ein großes steinernes Denkmahl verewiget. Desto mehr sticht die Straße zwischen Cöthen und Magde­ burg damit ab, wo zwey Pferde Mühe hatten, mich und meinen Bedienten in einem leichten Wagen zu ziehen, und wo ich etliche Fuhrleute traf, die unbeweglich in einigen Vertiefungen dieses fetten und reichen DodenS staken, wel­ cher vortreflich zum Kornbau, aber nicht eben so gut zum Befahren ist, wenn es eine Zeit lang geregnet hat. Wäre die Sache nicht an sich sehr ernsthaft und ein wirklicheUebel, so würde ich haben lachen müssen, wie ich diese Leute ruhig und unbeweglich dastehen sah. Sie schienen diese Gelegenheit zu ergreifen, sich und ihre Thiere auf einige Zeit ausruhen zu lassen. Cöthen ist keine kleine, aber eine unbedeutende Stadt! Alte Häuser, mehrentheils in einer veralteten Bauart, eine gewisse allgemeine Stille und eine äußere, anscheinende Gleichheit der Einwohner zeigen, daß der Ort weder reich noch eigentlich arm ist. Hier ist nichts Auffallendes irgend einer Art, und die Bürger scheinen ihren ruhigen, gleichen Gang fortzugehen, den sie seit undenklichen Zeiten zu gehen gewohnt gewesen sind. — Auf dem Schlosse war öde Stille! Es wäre mir ein Bild des Grabes gewesen, ständen nicht beym Eingänge einige Schildwachen; innerhalb der Ringmauer konnte ich kein lebendes Wesen gewahr werden. Nichts kündigte den Aufenthalt eines reichen Edelmann- an. Der Fürst ist

6

Erster

Brief.

abwesend, in Oestreichischen Diensten, denen auch schon sein Vater sein Leben weihete. —

Reisende klagen häufig über die Cöthensche Post, und das mögen sie mit allem Rechte. Preußen und Chur­ sachsen setzen wechselsweise den jedesmaligen Postmeister, der also dadurch in einer Art von Unabhängigkeit von der Landesregierung ist. Aber dieser Postmeister hat mit der Extrapost nichts zu thun, denn diese gehört dem Fürsten, d. h. sie wird von den Bürgern der Stadt besorgt. Natürlich sollte der Postmeister auch über diese einiges Ansehen haben; aber es ist nicht mit der gehörigen Macht bekleidet. Die Sache scheint niemanden anzugehen, und der Fremde weiß nicht, an wen er sich wenden soll, sobald der Postmeister ihm einmahl erklärt hat, daß er nicht­ über die Bürger vermag. — Der Sächsische Postmeister läßt sich in Conventionögelde bezahlen, weil das die Münze seines Landes ist, und der von Preußen gesetzte verlangt das nämliche, weil jener es bekommt. Ungefähr auf dem halben Wege zwischen Cdthen und Magdeburg geht man auf einer Fähre über die Saale, und kommt gleich darauf nach Calbe, einer hübschen, ziemlich beträchtlichen Mittelstadt. Der Stern ist ein recht gutes, reinliches Wirthshaus, liegt aber in der Vorstadt, und ziemlich entfernt von der geraden Richtung der Straße. In einem kleinern Mirthshause, das in der Stadt am Markte liegt, und wo ich ein andermahl abtrat, fand ich auch anständige Bedienung und ein reinliches Zimmer. Ganz nahe bey Magdeburg liegt dicht an der Land­ straße das Kloster Berge, lange eine berühmte Schule, die aber seit einiger Zeit sehr herabgekommen ist. Es sollen nicht vierzig Schüler mehr da seyn. Die, welche ich sah, waren reinlich und anständig gekleidet, und betrugen sich sehr artig und gefällig. Man sucht dieser

Erster

Brief.

7

Schule wieder aufzuhelfen, und seit kurzem ist eine Verän­ derung mit der Aussicht getroffen worden. Magdeburg war mir immer eine von Deutschtandschönern Städten! Mich dünkt, sie hat noch gewonnen, seitdem ich sie zuletzt sah. Ihre Lage an der Elbe, die Lebhaftigkeit und Heiterkeit, die ihr Handel und Wohl­ stand verbreiten; ihr fünf hundert Zahre alter Dom, eine Menge sehr guter Privathäuser, und der große Platz mit seinen ansehnlichen, öffentlichen Gebäuden, zeichnen sie auf das vortheilhafteste aus. Aber alles das ist ge­ schwind gesehen, und der Reisende, der nicht hierher kam, um Bekanntschaften in der Stadt zu machen, sucht Merkwürdigkeiten, die ihn anzrehen, vergebens, und verfolgt seinen Weg. Wenn man einige wenige Meilen ausnimmt, so ist die ganze weite Strecke zwischen Magdeburg und Hamburg ein elendes Sandland, in welchem magere Saaten, Heide und Waldungen, die größtentheils aus Nadelholz bestehen, mit einander abwechseln. Indessen stieß ich hin und wieder auf einige schöne Eichenwälder. — Auffallend ist es, daß dieser dürre Sandboden gleich bey der Stadt Magdeburg anfängt, da doch die entgegengesetzte Seite dieses Herzogthums durch die Fettigkeit ihres Bodens berühmt ist. — Zch bemerkte hier viele Cichorienfelder. Daß dieses Erzeugniß einen guten Absatz hat und einen Handlungsartikel ausmacht, wußte ich längst; daß man aber auch in der Gegend selbst weit und breit einen reichli­ chen Gebrauch davon macht, fand ich auf dieser Reise in den mehresten Wirthshäusern, wo ich Kaffee verlangte. Zch hielt mich am dritten Tage werner Reise eine Stunde zu Dolle auf, einem Dorfe, das eine angenehme Lage an einem großen Eichenwalde hat. Mich dünkt, daß das Landvolk in diesem Striche eine äußere Cultur hat, die man in andern Gegenden dieses Theiles von Deutschland nicht findet. Sre sind ziemlich wohl geklei-

8

Erster

Brief.

det, und sprechen mit Anstand, Unbefangenheit und liebenswürdiger Einfalt. Der Sandboden gab mir Gelegenheit, zu Fuße zu gehen, und ich hatte mich schon an mehrere Landleute angeschlossen, und mit Vergnügen ein Stück Weges mit ihnen gemacht. Während daß ich zu Dolle auf meine Mahlzeit wartete, und in der Nähe des Hauses umherging, fiel mir durch ihre Reinlichkeit und Nettigkeit ein Mädchen auf, das Leinewand auf der Bleiche begoß. Ein steifes, über das Gesicht hervorste­ hendes Tuch sicherte sie gegen die Sonne, und halbe Handschuhe bedeckten ihre Arme, an deren Ende ich eine sehr weiße Hand sah. Zch redete sie an, und entdeckte, da sie in die Höhe sah, eins der lieblichsten Gesichter, das mir seit langer Zeit vorgekommen war. Sie sprach ohne Scheu und ohne Plumpheit. Auf meine Frage: ob sie die Tochter des Wirthes sey? zeigte sie mir eine elende Hütte, zu der sie gehöre. Zch erkundigte mich nachher im Wirthshause nach ihr, und erfuhr, daß ihr Vater ein Tagelöhner gewesen war, und daß sie sich mit ihrer verwitweten Mutter von der Arbeit ihrer Hände nährte.

Zch übernachtete zu Stendal, einem ziemlich großen, aber schlechten und leblosen Orte, ob er schon die Haupt­ stadt der Altmark ist. Kaum sah ich ein Haus, in dessen Fenstern ich nicht zerbrochene Glasscheiben bemerkte. Ziemlich schlecht sind auch alle übrige Brandenburgische Städte, durch die ich auf dieser Reise gekommen bin. Die ländliche Bauart in diesen Gegenden hat etwas Gefälliges. Schon ehe ich Stendal erreichte, bemerkte ich eine andere Art Bauernhäuser, als man im mittlern, oder südlichern Deutschland zu sehen gewohnt ist; sie haben eine leichtere und geschmackvollere Form, und gleichen mehr den kleinern. Holländischen Hütten. Daß diese Häuser klein sind, hat seine guten Ursachen, denn der mehrentheilS ziemlich arme Landmann braucht weder

Erster

Brief.

-

für ein Gesinde, das er nicht hat, große Wohnhäuser,

noch jene weitläufigen Scheunen und Ställe, die er nicht füllen kann.

Aber wie sich dieser gefälligere Styl, diese

bessere Form hierher verloren hat,

bleibt mir noch eine

Aufgabe. Ueber Stendal hinaus fand ich eine von dieser ganz verschiedene Bauart; sie ist der Westphälischen sehr

ähnlich, wenn nicht ganz gleich.

ziemlich großes Gebäude,

Eö ist mehrenrheils ein

mit einem ungeheuern Thor­

wege, durch den man einen langen,

vielmehr Platz sicht.

breiten Gang,

oder

Rechts und links sind Absonderungen

für das Vieh, das also mit dem menschlichen Theile der Bevölkerung unter dem nämlichen Dache wohnt. Am

Ende des großen Ganges,

Saales,

oder wie Sie eS

nennen wollen, ist der Herd, über dem sich kein Schorstein erhebt, so daß der Rauch in dem ganzen Gebäude umher­

zieht, dessen breterne Decke mit Fleisch behangen ist, das

hier, wie in Westphalen die berühmten Schinken, geräu­

chert wird.

Ueber den Herd hinaus liegen die Wohn,

zimmer, die die ganze hintere Breite des Hauses einneh­

men,

und deren Ofen, oder Oefen sich mit dem Herd das ganze Gebäude zu durchräuchern. Der

vereinigen,

Platz also, in den man durch den großen Thorweg tritt,

istVorsaal, Küche, Räucherkammer, Behälter für Lebens­

mittel und mancherley Hausgerathe, Wohnzimmer für die ganze Familie.

und nicht

sieht man ein Haus mit einem Schorsteine. also

so ein Ding;

gewährt,

scheinen

allein

selten

Nur hin und wieder

Man kennt

über die Vortheile,

die er

die Meinungen verschieden zu seyn,

weil ich ihn in mehreren Häusern vermißte, die nur erst

kürzlich gebaut worden waren. —

Diese zwey verschiede­

nen Bauarten des Landvolkes habe ich auf dem ganzen

übrigen Theile meiner

Reise nach Hamburg gefunden,

die Westphälische nämlich, und die Holländische, nur mit dem Unterschiede, daß die letztere immer allgemeiner wird,

so wie man Hamburg näher kommt. Von Lenzen aus fand ich alle Gebäude in den Städten, so wohl als die Häuser der bessern Landleute, Holländisch. Boizenburg im Mecklenburgischen ist so ganz in dem lehtern Style, haß ich in einer der sieben Provinzen zu seyn glaubte. Ich habe, als ich durch Westphalen reiste, Ihnen den nämlichen Holländischen Styl angezeigt, der dort schon hinter Rheine anfängt, und zunimmt und vollkommner rrurd, in dem Maße, in welchem man sich Holland nähert. Das fand ich nun dort ganz natürlich; aber daß diese Bauart auch auf dieser Seite, und so tief herein nach Deutschland, die herrschende seyn sollte, fiel mir anfangs auf. So bald ich aber fand, daß sie zunahm, so wie ich mich Hamburg näherte, begriff ich, daß sie auch hier aus der nämlichen Quelle kommen muß. Kurz, die Völker an den Ufern der Nordsee, und zum Theil an der Ostsee, haben ihre Baukunst von den Hollandern gelernt, so wie diese ihre frühern Begriffe dieser Kunst von der Gestalt und Einrichtung eines Schiffes bekommen zu haben scheinen. Holland war früher gebildet, als das ihm zunächst liegende Deutschland. Die Völker an der Nord- und Ostsee lernten von ihnen, und ahmten sie nach. Und dieß erklärt die alte Bauart, die man noch so häufig zu Hamburg, Bremen und an andern Orten, ziemlich tief herein in das Land, findet. Der größte Theil der Tagereise von Stendal nach Lenzen war mir traurig! Unbedeutende Städte, schlechte Dörfer, kümmerlicher Anbau eines elenden Sandlandes, und Bauern, die zwar nicht eigentlich arm sind, weil sie ihre nothwendigsten Bedürfnisse haben, denen man aber die Magerkeit ihres Bodens ansieht, der ihren Fleiß und ihre Arbeiten nur schlecht belohnt. Aber in dem Lüneburgischen Flecken Schnackenb urg bemerkte ich augenblicklich, daß ich in einem andern Lande und an den Ufern eines schiffbaren Flusses war.

Erster

Brief.

11

Man steht hier beym ersten Anblicke die Wirkungen von Handlung und Schiffahrt. Überhaupt haben auch die unbedeutendsten Hannöverischen Städte eine gewisse Rein­ lichkeit und Nettigkeit vor den Brandenburgischen voraus. Zch fuhr nun noch eine Strecke an den hohen Dämmen der Elbe hin, in einem Lande, das größtenteils aus Weiden und einigen Wiesen besieht. Bald darauf kam ich an die Fähre, die mich über die Elbe setzte. Mein Wagen hielt einige Zeit am gegenseitigen Ufer, und ich machte ein Stück Weges zu Fuße. Zch trat in einen Eichenwald, so schön, als ich irgend einen gesehen habe. Vielleicht betrachtete ich ihn mit etwas parteyischen Augen; aber es ist allerdings eine Erquickung, wenn man aus einem dürren Sandlande in einen großen Wald kommt, der aus alten majestätischen Eichen besteht, unter welchen ein wohlthätiges Gras sich kühl und grün erhält, und dem ermüdeten Auge eine süße Erhohlung gewährt. Der Wald dauerte so ziemlich eine Stunde, und ich genoß seiner Pracht an einem schönen Abende. Ich kam dann auf eine große Trift, und zu wiederhohlten Mahlen über, oder vielmehr durch einen Fluß, (denn er hat keine Brücke) wovon der vornehmste Arm die Löcknitz, oder Löckenitz ist. Bald darauf erreichte ich Lenzen, wo mir alles ankündigte, daß ich wiederum auf Brandenburgischem Boden war, wenn ich es auch nicht durch den Visitator am Thore gewußt hatte. Ueber diesen letzten Punct muß ich jedoch sagen, daß ich auf dieser Rerse nur wenig Beschwerde gehabt habe.

Ich übernachtete zu Lenzen in einem sehr erträgltchen Wirthshause, und kam den folgenden Tag bald in das Herzogthum Mecklenburg, welches, auf dieser Straße nach Hamburg, nicht viel besser ist, als die übrigen Sandstreckcn, die man zwischen Leipzig und Hamburg durchreist. Das Lauenburgische ist noch schlimmer, und

erster

Brief.

überhaupt ist der ganze Strich von hier an bis in di« Gegend von Hamburg, ein Weg von mehr als zwölf Deutschen Meilen, elender Boden.

Ungefähr auf dem halben Wege zwischen Lenzen und Hamburg, kommt man durch die Mecklenburgische Stadt Doizenburg, wo ich in einem ziemlich guten Wirths« Hause übernachtete. — Auch diese ist eine der Städte, die ihre vorzügliche Schönheit einem großen Unfälle zu danken haben! Zu Anfänge dieses Jahrhundertbrannte sie beynahe ganz ab. Jetzt ist Doizenburg eine allerliebste kleine Stadt! Alles so reinlich, so nett, so heiter; jedes HauS von Ziegeln und mit so vieler Präcision gebaut, so viele Fenster und GlaS in allen Gebäuden, und dieses Glas so Helle und durchsichtig; sorgfältig beschnittene Linden vor allen Häusern, und hin und wieder in Spaliere gezogen; kurz, alles athmet Ordnung, Heiterkeit, Reinlichkeit und Wohlstand. An «ine schöne Baukunst, an einen vorzüglich edeln Geschmack müssen Sie freylich hier nicht denken; diese habe ich noch nie an Orten gefunden, wo man vorzüglich auf Bequem­ lichkeit, Nettigkeit und Holländische Reinlichkeit sieht; auch bewundere ich gerade nicht die sorgfältig zugeschnitte­ nen Linden; aber man nehme die Stadt, wie sie ist, schön und lieblich »n ihrer Art, und ich müßte mich sehr irren, wenn nicht auch ein Italiänischer Baumeister einräumte, daß «in solcher Ort hübsch seyn kann — freylich nicht durch das, wa- ihm fehlt, wohl aber durch andere Dinge, die man in den schönsten Italiänischen Städten vergebens sucht. Traurig und schwer ist der Weg von Doizenburg nach Eschenburg, für welchen uns die Ansicht von Lauen­ burg nur wenig schadlos hält. Indessen hat man hin und wieder einige erheiternde Aussichten auf die Elbe, und auch bisweilen in eine ziemlich« Ferne, weil die

Straße mehrentheils auf einem gegen den Fluß verhält« nißmäßig hohen Boden hinläuft. Allmählich kündiget sich nun die Nähe einer großen Stadt an.

Dergedorf, ein Städtchen voller Menschen

und Thätigkeit, gehört Hamburg und Lübeck gemeinschaft­

lich, und hat in seinem ganjen Ansehen noch so manche die in seinen beyden

Spur von allreichsstädtischer Art,

Beherrscherinnen zum Theil längst verschwunden ist.

Die

Zahl der Reitenden und Fahrenden nimmt nun merklich

zu, und unter den letzter» zeichnen stch die Stuhlwagen au-, die den Städten Hamburg, Lübeck und Bremen

ganz vorzüglich eigen sind, und die man in diesen Gegen­ den oft ziemlich weit in das Land hinein findet.

Zm

Grunde sind sie nichts anders, als eine zierlichere, besser gebaute, schöner geformte und feiner gefirnißte Calesche des

mittlern Deutschlands,

deren

sich aber

hier

die

ansehnlichsten und reichsten Familien zu ihrem gewöhn­

lichen Fuhrwerke, außerhalb der Stadt, bedienen.

Der

Korb ist mehrentheils fein geflochten, und die Räder und das übrige Holzwerk bunt gemahlt. Dieses Fahrzeug war ursprünglich wohl nichts, als der eigentliche Bauern­ oder Leiterwagen, mit vier hohen Rädern, mit harten,

unbeweglichen Sitzen.

In der That sind die Wagen

dieser Art, die an den hiesigen Stadtthoren zur Miethe stehen, mehrentheils nicht viel besser, als eine Sächsische

Postcalesche, nur daß sie besser aussehen.

Sie hängen

nicht in Federn,

daß sie auf

und haben den Vortheil,

vier Sitzen acht Personen halten, sehr leicht sind, und daß ihre hohen Vorderräder im Sande sowohl,

als in

dem hin und wieder fetten und tiefen Boden von Holstein gleich gut fortkommen.

So weit also wären sie ziemlich

gut für ihre Gegend und deren Bedürfniß berechnet;

wenn ich aber bedenke,

daß Hamburg in einer sehr nörd­

lichen Breite liegt, und daß die Zahl der kältern Tage die der wärmer» ungleich übersteigt, daß die Stürme und

14

Erster

Brie f.

Winde in der Ordnung des Tages find, und daß eS in dem ganzen Striche vielleicht mehr regnet, als in irgend einem andern von Deutschland, so wiederhohle ich aber; mahls meine alte Bemerkung: daß die Menschen in den mehresten Ländern in einem umgekehrten Verhältnisse zu ihren Bedürfnissen bauen, anlegen und verzieren. — Uebrigens hängen die Sitze in den Stuhlwagen der reichern Classen in Stahlfedern, haben gute Polster und Lehnen, und auf manchen steht man in der Mitte eine Art von Halbchaise, wodurch denn zwey von der Gesell­ schaft das Vergnügen haben, ganz bedeckt zu seyn, wäh­ rend daß die übrigen dem Regen, dem Winde, der Kalte und — freylich nur selten — der Sonnenhitze ausgesetzt sind. — Sonderbar ist es immer, daß diese Wagen so allgemein sind, daß so ziemlich jede Familie, die Pferde hält, einen hat, und daß man zum Fahren auf das Land wenig andere gebraucht. Da wohlhabende Leute, beson­ ders Sonnabends, eine Menge Gäste auf ihre Landgüter bringen, so laden ste sechs, sieben bis acht Personen,, die selbst kein Fuhrwerk haben, aus einen solchen Stuhlwagen. Sie sind also sehr bequem, wenn es darauf ankommt, mit zwey Pferden viele Menschen ohne Mühe fortzu­ bringen. — Eine Menge hiesiger Kaufleute, die fast täglich von Ihrem Landsitze in die Stadt, und aus dieser wieder auf das Land fahren, bedienen sich ihrer ebenfalls, während daß Madam einen Englischen Wagen ohne Rücksitz hat, vor den das zweyte Paar Pferde gespannt wird; denn vier Pferde zu halten, ist hier etwas sehr gewöhnliches. Außer diesen zwey Wagen hält man auch gewöhnlich noch eine Derline, für den Winter in der Stadt. Als ich im Zahre 1799. wieder zu Hamburg war, bemerkte ich, daß die Menge der Stuhlwagen abgenom­ men und einer gewissen Zahl von jenen Halbchaisen Platz gemacht hatte, welche das gewöhnliche Fuhrwerk im mitt-

Erster

Brief.

lern und südlichen Deutschland sind,

sonst sehr selten waren.

15

zu Hamburg aber

Auch dünkte mich, daß man dir

Englische Chaise ( voiture coupee ), die sonst gewöhnlich nur in der Stadt rollte, jetzt viel häufiger auch auf dem

Lande sah.

Die nämliche Zahl von Pferden bringt also

weniger Personen fort: und so nimmt, mit unserm ver­ mehrten Vermögen, unser Luxus, unsere Bequemlichkeit und unsere Weichlichkeit zu. — Wenn übrigens zu Hamburg der Stuhlwagen hin und wieder der Halbchaise

Platz gemacht hat,

so sieht nran dafür den erstern an

Orten, wie z. E. in Leipzig, wo man ihn ehemals nicht

kannte. Auf der letzten Meile vor Hamburg,

besonders im

Dorfe Ham und der Gegend umher, zeigt eine ungeheure die hin und wieder so nahe stehen, daß sie ganze Gasse» bilden, den Reichthum und

Menge von Landhäusern,

Lieblmgsgeschmack der Einwohner dieser Stadt.

Zweyter

Brief.

Clrma von Hamburg — Regen — Schmutz in d n Gassen — Bauarr — Canäle — Form der Häuser an den Canälen — Gärten in der Stadt — Höfe — Rathhaus — Börse — Kirchen — Domkrrche — Michaeliskrrche — Bibliothek — Eimbeckschee Hans — Waisenhaus — Zucht- und Arbeitshaus — Fortifrcationshaus.

Himburg im Iuly 1797.

Das hiesige Clima ist um vieles schlimmer, als das der mittlern Theile von Deulschland. Außerdem, daß es so viel nördlicher ist, liegt Hamburg zwischen zwey Meeren, und an einem großen Flusse, der eine starke Ebbe und Fluth hat. Ein schwerer Himmel drückt allo diese Gegenden, wo Feuchtigkeiten ohne Unterlaß sich sammeln und in Regen herabfallen. Zwar finden selbst Hamburger diesen Sommer ungewöhnlich naß; und nach dem, was man in den öffentlichen Blättern liest, ist diese Klage durch einen großen Theil von Europa so ziemlich allgemein. Allein es ist alles mit Unterschied! Gestern war seit drey Wochen, die ich hier zugebracht habe, der erste Tag, an dem es nicht geregnet hat. — Der Koth ist, wie Sie Sich in einer so volkreichen Stadt vorstellen können, entsetzlich. Hierzu kommen noch die engen Gassen, in denen man sich nie in einer gewissen Entfernung von den Wagen halten kann. Man geht also nicht leicht hundert

Zweyter

17

Brief.

Schritte, ohne bespriht zu werden, wenn man sich nicht selbst beschmutzt.

Stoßen mehrere Wagen zusammen, so

wird der Fußgänger 11t den mehresten

Gassen an öle

Mauer der Hauser getrieben: und selbst da würde er in einigen Gassen keinen sichern Zufluchtsort finden,

wenn

man nicht sehr .^ivltch durch eine sonderbare und freylich nicht schöne Bauart für ihn gesorgt hätte. Es finden sich

nämlich in den Gassen dieser Art kleine Duden, die an

den Häusern anstehen, kleine Mauern, deren Zweck n an bey dem ersten Anblicke nicht begreift, steinerne Säulen und andere Vorsprünge mancherley Art.

Da diese für

die Hausthüren eine Oeffnung, und folglich eine Vertie­

fung lassen müssen, so tritt man da hinein, oder stellet sich hinter die steinernen Säulen, und wartet, bis das Fuhrwerk vorüber ist. —

Hin und wieder sind freylich

eigene Wege für Fußgänger, (trottohs;) aber in den engen Gassen durfte man sie nicht erhöhen, weit sonst oft

zwey Wagen einander nicht würden ausweichen können. Man fährt also dann bis an die Mauern, und so wäre dem Fußgänger immer nicht geholfen, wenn er sich nicht auf

obige Art flüchten könnte. Zn der Folge habe ich gefunden, daß selbst nach acht

Tagen von trockenem Wetter viele Gassen von Hamburg doch nie rein sind.

Die, welche in einiger Ferne von den

Canälen liegen, haben keinen unterirdischen Abfluß; die

Unreinigkeiten laufen aus

den Hausern in die Gassen,

wo in der Mitte eine Vertiefung ist, in der aller Unrurh

herabfiicßt, bis er durch irgend eine Oeffnung seinen Weg

in den nächsten Canal findet.

Die Wagenräder prallen itt

den Vertiefungen häufig ab, und bespritzen die Fußgänger bisweilen in der Ferne von mehreren Schritten. Hamburg ist also,

in dieser Rücksicht,

weder eine

schöne, noch eine angenehme Stadt! Da ich sie, seitdem ich hier tzkn, in allen Richtungen durchwandert habe, will

Kuttners R- 1. Th.

i8

Zweyter

Brief.

ich noch einige Anmerkungen über ihr Aeußeres machen. Ich habe schon weiter oben bemerkt, daß die alten Häuser Hamburgs im Holländischen Style sind. Das Ganze macht eine enge, krumm und krüppelig gebaute Stadt, wovon ein Theil voller Canäle und Brücken, voller Wagen und Menschen ist, von denen die letzten mit den ersten beständig auf eine unangenehme Art zusammen stoßen. Nimmt man die später gebauten und ganz neuen Häuser dazu, so findet sich ein Gemische von Holländrschcr und Englischer Art, so daß man bald in diesem, bald in jenem dieser Lander zu seyn glauben würde, wenn nicht noch etwas anderes einen häufig an die freye Reichsstadt erinnerte. Zch will dieses den alten freyreichsstädtischen Styl neunen, in dem ich immer etwas eigenes gefunden habe, das man in monarchischen Ländern wenig sieht. Es würde mir schwer seyn, ihn zu beschreiben; man kann ihn in den mehresten freyen Reichsstädten und in den drey nördlichsten Schweizerrepubltken, hauptsächlich aber in den ältern Häusern von Basel und Nürnberg in seiner Vollkommenheit sehen. In den neuern Theilen der Stadt Hamburg ist der Englische Styl der herrschende: und da finden sich auch hin und wieder einige Gebäude von recht guter Architectur; doch ist nur selten eins ganz rein, und immer zeigt sich etwas, das die strenge Critik nicht aus­ hält, das aber freylich sehr oft von Umständen und Lage bestimmt worden ist. — Endlich giebt es in der Stadt, und mehr noch auf dem Lande eine Menge Häuser, die erst seit wenigen Zähren entstanden sind. Diese haben nickt selten große Ansprüche auf Architectur, sind aber mehkentheils so unclassisch und uncorrect, daß sie das seltsamste Gemische von antiker und moderner Bauart, von den Grillen der Bauherren und den wilden Einfällen der Baumeister, von localem Zwange und der geschmacklosesten Ausgelassenhett sind. Griechische Ordnungen, ohne Griechische

Brief.

*9

und Griechische Keuschheit;

Säulenvrd-

Zweyter Verhältnisse,

nungen aller Länder und aller Zeiten;

allen Theilen der Welt! Baumeister hier,

Product« an­

Mich dünkt, es giebt ein paar

die auf eine neue zusammengesetzte

und die ich unlerdessen di« Hambur­ Selten finde ich den Unterbalken, den Fries und den Kranz rein bestimmt. Immer fehlt Ordnung studieren,

gische nennen will.

das eine oder das andere, oder das Verhältniß eines dieser Glieder ist so klein zu den übrigen, daß man es nicht für «in besonderes, sondern für den Auswuchs eines der

andern jii halten geneigt ist.

Manche Säulen endigen

sich oben in einer so scharfen Verjüngung, daß sie denen zu Pästum gleichen, haben aber moderne Verhältnisse der Länge und Dicke. Viele haben keinen Würfel (Plinthe), und stehen ohne weitere Unterstützung auf dem Bode» auf, welches in einem feuchten, nördlichen Lande wenigstens ein

Verstoß gegen Natur und Bedürfniß ist.

Strohhütten mit

einem kleinen Griechischen Portikus; Palladio, — oder

sogenannte Venezianische Fenster; zirkelförmige Vorsprünge unten, und Einschnitte oben, oder auch umgekehrt; Verzierungen im Geschmacke der Adelphi und Griechische Säulen — alles unter einander. So viel zu Ehren der Baukunst! Aber man würde

ungerecht seyn, wenn man Hamburg und seine Landhäuser mit einer vorzüglichen Strenge beurtheilen wollte. Deutsch­ land ist nun einmahl nicht der Sitz der schönen Archi»

tcctur, und am allerwenigsten die Theile desselben, deren Ver­

fassung keinen Hof und Fürsten zulassen.

Ich habe mich

immer gewöhnt, mich des Guten zu freuen, wo und wie ich es finde: und so gestehe ich mit Vergnügen, daß der Wohlstand der Einwohner Hamburgs, die vielen neuen und freundlichen Häuser, womit die Gegend umher ange­

füllt ist,

und der reiche und sorgfältige Anbau

lieblichste Bild machen, kann.

das

das ein Menschenfreund sehen

Bisweilen dünkt mich sogar,

daß in der eigen-



Zweyter

Dries,

sinnigen, oder ausgelassenen Bauart vieler Häuser eine Mannigfaltigkeit liegt, die nicht ohne Reiz ist. Ja ich werde an viele derselben auf immer mit Dank und Vergnügen denken, wenn ich mich der angenehmen Stunden erinnere, die ich darin zugebracht habe. — Ueber die Stadt selbst muß ich noch bemerken, daß der neuere Theil derselben, der nicht an den Canälen liegt, breitere und schönere Straßen, und größtentheils auch besser gebaute Häuser har. Auch fällt hier der Uebelstand und die Unbequemlichkeit weg, die sich fast in allen an den Canälen stehenden Häusern finden, — ihre Tiefe gegen ihre geringe Breite. Dieser neuere Theil der Stadt hat auch den Vortheil einer bessern Luft, wahrend daß die alte Stadt, welche zwischen der Elbe und Alster liegt, durchaus von Canälen durchschnltten ist. Zwar stinken diese nicht so sehr, alö die Canäle zu Venedig im Sommer, weil die Fluth zu Hamburg ungleich höher steigt, und alle zwölf Stunden die Canäle mehr oder weniger ausspült. In der Regel also sollten sie nur bey niedrigem Wasser beschwerlich seyn; das hängt aber zum Theil vom Winde ab. Wehet dieser von oben herab und sehr stark, so kommt die Fluch nicht in alle Canäle herauf; die Ebbe dauert alsdann fort, das Wasser ist in solchen sehr niedrig, und nun kommt, mit seinem Gerüche, alle der Unrath zum Vor­ schein, den man, ob es schon verbothen ist, ohne Unterlaß in die Canäle wirft. — Diese sind übrigens von äußerster Bequemlichkeit für Schiffahrt und Handel: und, wie sehr der alte Hamburger ein Haus an einem Eanale zu haben wünschte, siehet man noch aus der Gestalt fast aller Gebäude, die daran stehen. Sie haben äußerst wenig Breite, weil diese wegen der Concurrenz sehr kostbar war; aber die Länge des Bodens hatte mit dem Canate nichts zu thun, war also wohlfeiler: und so breitete man auf diese Art sich aus.

So sehr es auch zu Hamburg an Platz fehlt, so findet man doch innerhalb der Ringmauer eine Menge Keiner Gärten, wovon die besonders angenehm sind, die an einen breiten Canal, oder an die Alster stoßen. Die sogenannten Höfe sind, bey topographischen Bemerkungen übet Hamburg, keinesweges zu übergehen, denn sie enthalten einen ansehnlichen Theil der Bevölke­ rung dieser Stadt. Leider sind es größtentheils elende, kleine, schmutzige Winkel, wo in engen, armseligen Häusern, eine Menge Menschen eine Art von Pflanzen­ leben fuhren. Cs sind eigentliche Höfe, mehrentheils von unansehnlichen Vordergebäuden, die inwendig so nut Häusern bebaut sind, daß man sie kleine Gassen nennen könnte, wenn sie einen Durchweg hätten. Sie sind also mehrentheils die Hausung der Armuth. In­ dessen sind sie nicht alle gleich schlecht, und hin und wieder findet man in denselben auch ansiäudige, oder wohlhabende Leute. Aber auch unter den Gassen giebt es einige, die höchst elend, enge und schmutzig sind, und den niedrigen Stand, oder die Armuth ihrer Einwohner beym ersten Anblicke bezeichnen. Diese Gassen und Gäßchen sind mehrentheils von den bessern Strichen der Stadt entlegen, oder zwischen größer» Gassen eingeschoben, oder in Theilen der Stadt, wo der Wohlhabendere keine Ge­ schäfte hat, (wenigstens keine öffentlichen, denn gewisse Privatgeschäfte werden da allerdings getrieben) so daß ein Fremder sich lange hier aufhalten kann, ohne je eine gewisse Zahl derselben zu sehen. — Gerade so ist es mit gewissen höchst elenden Strichen und Winkeln von London, die man auch nicht zu sehen bekommt, es sey denn von ungefähr, oder daß man sie vorsätzlich aufsuche. Wenn man unter den Privatgebäuden nur wenige findet, die sich durch, eine schöne Baukunst auszeichnen,

82

Zweyter

Dries,

so wird dieser Mangel durch die öffentlichen ebeben so wenig ersetzt. Das Rathhaus ist ein ansehninliches, in manchen Rücksichten merkwürdiges, aber unreaegelmä« ßiges Gebäude. Es steht nahe bey der Börse, i welche einer so wichtigen und reichen Handelsstadt wwirklich unwürdig ist. Sie ist nicht sür das Clima berecechnet; denn da der untere Säulenplatz aus zwey Seilen n offen ist, so muß ursprünglich, da er noch nicht so sehr b besucht ward, in einem harten Winter die Kälte unertrträglich gewesen seyn. Jetzt, da die Hamburger Börse «inne der besuchtesten in Europa ist, fällt diese Beschwerde grirößtentheils weg; aber sie hört auch eben dadurch aufs, für die Bedürfnisse der Stadt zuzureichen. Der Pleiah ist bey weitem zu klein, und es hält schwer, jemanden« unter dem Gedränge zu finden, obschon viele ihre bestinmmte« Plätze haben, wohin sie sich jedesmahl zu stellen ssuchen. Aber eine große Menge von Menschen findet ga«r kein Obdach, sondern stehen unter freyem Himmel, wo ich sie jedem Winde und Wetter ausgesetzt gefunden habe. Wer sich von den Geschäften, die jetzt zu Hannburg gemacht werden, ungefähr einen Begriff bilden will, darf nur zwischen halb ein bis drey Uhr auf die Börse gehen. Nach London und Amsterdam habe ich keine gesehen, die täglich so voll wäre, als die hiesige'; ja mich dünkt, daß ich die Amsterdammer, einen T-ag in den andern gerechnet, keinesweges so besucht gesunden habe, als die Hamburger mir es zu allen Zeitsn zu seyn scheint. Aus jeder Handlung kommt jemand täglich. Hierzu gesellen sich die vielen Juden und Fremden, die, wenn sie Geschäfte halber hier sind, nicht leicht die Börse versäumen. Za, mancher besucht sie, ohne gerade ein bestimmtes Geschäft da zu haben. Man hört etwas Neues, man trifft Bekannte und schwatzt mit denen, die man am wenigsten beschäftiget findet. Dadurch wird sie denn häufig rin gewöhnlicher Sammelplatz für Men,

Zweyter

Brief.

rz

schen, die sich zu irgend einem Zwecke zu treffen wünschen.

Zwey Personen wollen sich morgen sehen: die Börse,

well man voraussetzt,

dort zu thun habe,

oder daß

man nennt

daß ein jeder etwas

sie ihm auf feinen ver­

schiedenen Gängen in dem Wege liege. —

So wie zu

London und Amsterdam werden hier in ein paar Kaffee­

die in der Nähe liegen,

häusern,

auch viele Geschäfte

gemacht. Die Hamburger Kirchen sind mehrentheils große

und ansehnliche Gebäude, ohne daß eine einzige darunter

wäre, die sich entweder durch eine classische Architektur,

oder

durch

auszeichnete.

einen

vorzüglich schönen Gothischen Styl

Aber ihre Thürme sind merkwürdig, man­

che von einem sehr künstlichen Baue, und sammt und sonders fallen sie in der Ferne schön und majestätisch in

die Augen.

Wegen

der Fläche

der

ganzen Gegend

umher, sieht man diese Stadt viele Meilen weit, und

immer zeigen sich ihre Thürme angenehm, und

groß.



Zn der

Domkirche,

mahlerisch welche

dem

Churfürsten von Braunschweig-Lüneburg gehört, finden sich mehrere Merkwürdigkeiten, und auch etwas weniges zum Studium der alten Deutschen Kunst, wobey ich mich

aber hier nicht aufhalten will. —

Es ist keineswegs

nöthig, ein Geistlicher zu seyn, um an dieser Kirche eine Domherrenstette zu haben. Man betrachtet sie als eins von jenen Mitteln, sich ein gewisses Einkommen zu

verschaffen,

ohne viel Arbeit dafür zu thun:

und so

finden Sie mehrere Arten von Gelehrten daran,

die

eben so wenig Geistliche sind, als unsere Protestantischen Edelleute,

haben.

die in den verschiedenen Stiftern Pfründen

Nur ist zu Hamburg der Unterschied, daß man

keiner Ahnen bedarf. — Dle Michaellskirche ist, als Gebäude betrachtet, die schönste.

ist für

Ihr hölzerner, mit Kupfer belegter Thurm

die Fremden

merkwürdig,

weil er nicht nur

Zweyte r

24

ziemlich hoch,

D r t e f.

sondern vor allen andern am leichtesten

Man führt also ge­ wöhnlich alle Fremde hinauf: und in der That sollte und bequemsten zu ersteigen ist.

keiner versäumen, verschaffen.

stch den

Genuß dieser

Aussicht zu

Ich bin überhaupt dafür, daß der Reisende

in jeder Stadt, die er genauer kennen zu lernen wünscht, irgend einen hohen Thurm besteige, weil er da allemahl

tie beste Uebersicht des Ortes so wohl, als der ganzen Gegend umher bekommen wird. Die Aussicht, die der Michaelisthurm gewährt, ist unendlich interessant! Hier übersieht er mit einem Blicke das seltsame Gewebe von Hausern und Hütten, die bis zum AengstUchen zusam­ men gedrängt sind, und wo mehr als hundert taufend Menschen auf einer Englischen Quadratmeile Hausen.

Wie wird er erstaunen über alle die Höfe, deren mancher ein halbes Dutzend Hütten enthält, und die er hinter Gebäuden findet, vor denen er oft vorbeyging, ohne sich träumen zu lassen, daß darüber hinaus noch etwas andres sey, als was man so gewöhnlich in einem Hofe sucht.

— Eben so sehr wird er über die Menge der kleinen Gärten erstaunen, die sich in dieser von Menschen über, ladenen Stadt befinden.

Zwar hat er schon mehrere an

der Alster und aus einigen Gassen bemerkt;

aber auf­

fallen wird es ihm, noch so viele andere zu entdecken,

in Strichen der Stadt,

wo er keine vermuthen konnte.

— Auch steht dieser Thurm gerade so nahe am Wasser,

daß man den Hafen, den jetzt so wichtigen, so gefüllten und belebten Hafen,

größtencheils übersehen kann. —

Und nun die Aussicht auf die reiche Gegend,

Stadt unmittelbar umgiebt!

von

Landhäusern,

auf

das

die drese

auf die ungeheure Menge

in

einen Lustgarten und

reichen Boden umgeschaffene Sandland, auf die Man­ nigfaltigkeit -der Gebäude und Anlagen,

auf die nahe

Stadt Altona, deren Grenzen man kaum zu bestimmen weiß,

auf die Thätigkeit

und Regsamkeit unzähliger

Zweyter

Brief.

25

Menschen umher! Fast vergißt man, daß dieses reiche und nahe Gemählde von einer Ferne eingeschlossen wird, die an der Clbseite reizend schön ist. Es ist ein herz­ erhebender Anblick, wenn man an gewissen Tagen diesen Fluß mit Schiffen bedeckt steht, wovon stch die entfern­ testen in dem Horizonte verlieren.

Noch ist der nnterirdrsche Bau der Michaeliskirche zu bemerken, der sehr ansehnlich und in seiner Art prächtig ist. Aber er dient zu einem heillosen Zwecke! Hier stellt man, mitten in ctnTr bevölkerten Stadt, die Todten in ganzen Hansen zusammen, und glaubt, alle Einwendungen des Fremden beantwortet zu haben, wenn man ihm die Vornefflichkeit des Gewölbes und des Bodens rühmt, und ihn versichert, daß die Luft hier sehr gut sey. Als ich dieses im Jahre 1797. schrieb, stand dieses Gebäude auf einem großen und freyen Kirchhofe; als ich es aber zwey Jahre nachher wieder sah, fand ich, daß man auf der einen Seite zwischen der Kirche und den Hausern eine Reihe von Gebäuden angefangen hatte, welche vielleicht, wie ich hörte, ganz herum geführt werden wird. Da nun ehemahls auch auf diesem Boden Todte begraben wurden, so kann man von den künftigen Bewohnern dieser neuen Häuser, die dem unterirdischen Begräbnisse in der Kirche ganz nahe stehen, recht eigentlich sagen, daß sie auf und unter Todten wohnen. Die öffentliche Bibliothek, das Eimbecksche Haus, dao Waisenhaus, das Zuchthaus sind gute und mehr oder weniger zweckmäßige Gebäude. Die Bibliothek ist mit Büchern von einem gewissen Alter wohl versehen, hat mehrere Merkwürdig­ keiten und eine ansehnliche Sammlung von Handschriften, unter denen besonders einige morgenlandische sehr wichtig seyn sollen. Aber zum Ankäufe von neuern und für

26

Zweyter

Brief.

unsere heutigen Bedürfnisse brauchbaren Büchern, fehlt eS ihr an hinlänglichen Einkünften. Uebrigens wird sie wenig besucht, hat keine Bequemlichkeiten zum Lesen, und ist jetzt wohl nur als ein Hülfsmittel für einige wenige Gelehrte zu betrachten, die etwa dort gelegentlich ein Buch suchen, das sie sich selbst nicht anschaffen können oder wollen. Der Herr Professor Wesselhöft, der die Aufsicht darüber hat, ist ein überaus guter und gefälliger Mann. Das sogenannte Eimbecksche Haus, das ich bloß darum anführe, weil man es so oft nennen hört, ist eines der ansehnlichsten Gebäude der Stadt, und hat seinen Namen daher, daß man ehemahls auf diesem Platze das berühmte Eimbecksche Bier verkaufte. Es scheint, dieser Artikel war zu Hamburg sonst weit wichtiger, als jetzt; und damit das hochgepriesene Bier der Stadt Eimbeck dem hiesigen nicht zu viel Eintrag thun möchte, vielleicht auch, um ein Regale daraus zu machen, konnte man es bloß vom Rathe kaufen. Vermuthlich brauete man cs nachher selbst, und das Haus, in dem es ausgeschenkt wurde, hieß das Eimbecksche. Der Name ist ihm geblieben, und noch lst hier der Rathskeller. Dieser ist aber jetzt mehr durch seine Weine berühmt, und besonders redet man viel von einem Rheinweine von anderthalb Jahrhunderten, oder, wie er gewöhnlich angegeben wird, vom Jahre 1620. Sie wissen, wie es mit solchen Weinen beschaffen ist, ungefähr wie mit Sir John Cutters seidenen Strümpfen; er stickte sic so lange mit Wolle aus, daß es zuletzt eine sehr gelehrte Aufgabe wurde, ob es seidene oder wollene Strümpfe wären? — Meh­ rere Zimmer dieses Hauses sind denn für den Schank be­ stimmt; andere werden zu großen Mahlzeiten, Festen, Dürgerschmäusen und dergleichen vermiethet. In einem werden öffentliche Versteigerungen gehalten, in einem an-

Zweyter

Brief.

27

dern wird die Lotterie gezogen, und noch andere sind zu Ausstellungen aller Art bestimmt Das Waisenhaus gehört unter die neuern Ge­ bäude, ist eine edle Stiftung, und empfiehlt sich durch Reinlichkeit, und manche gute innere Einrichtung. Desto weniger kann ich das Zucht - und Arbeits­ haus rühmen, so sehr auch manche mit dieser Anstalt zufrieden sind. Bey dem großen Umfange der Gebäude ist doch kaum hinlänglicher Platz, und Reinlichkeit und Ordnung schienen mir in einigen Theilen so sehr vernach­ lässiget zu seyn, daß ich eilte, wiederum in das Freye zu kommen. Das sogenannte FortificationshauS, welches ebenfalls unter die öffentlichen Gebäude gehört, hat eine sonderbare Bestimmung. Zeder Bürger hat ein aus­ schließendes Recht dazu, und kann es zu einer großen Mahlzeit, oder irgend einem Feste für sich und seine Gäste gebrauchen, an welchem Tage es für jeden andern ver­ schlossen ist. Wer eine solche Absicht darauf hat, muß sich bey dem Vorsteher melden, welcher nachsieht, auf wie viele Tage es schon versprochen ist, und ihm dann den ersten Tag, an dem es frey ist, anweist. Es hat eine angenehme Lage am Walle, zwischen dem Altonaer Thore und der Elbe, und besitzt Spaziergänge, auf deren einer Seite man diesen Fluß, auf der andern das besuchteste Stadtthor übersehen kann. 2(uf diese Art sind diese An­ lagen und diese Aussicht dem großen Publicum verschlossen: und man hält sehr sorgfältig darauf, daß niemand hinein kommt, als wer dazu befugt ist. Zch bin nie in die Ecke gekommen, die der Wall in der dortigen Gegend mit der Elbe macht, und wo, meines Erachtens, die interessan­ teste Aussicht ist, die man innerhalb der Stadt haben kann, ohne diesen Umstand recht herzlich zu bedauern.

Dritter

Brief.

Spaziergänge innerhalb der Mauern — auf dem Walle — schöne Partien und Au-fichten — det Jungfernstieg — der Hafen — die Elbe; ihre BreiteFahrwasser; Bojen, oder Tonnen — Elbgegenden — Landhäuser — Hospitalrtat.

Hamburg im August 1797.

Das Ende meines letzten Briefes führt mich unmittelbar

auf die öffentlichen Spaziergänge, die Hamburg innerhalb seiner Mauern anbiethet.

Der weite Umfang, und die hohen und breiten Wälle einer Coehornschen Festung (und die von Hamburg gehört

ungefähr in diese Classe) machen in ihrem Alter einen ziemlich mahlerischen Gegenstand,

hier so sehr, als nur

immer eine Festung mahlerisch seyn kann.

Zwar har

Hamburger Ordnung und Wachsamkeit diese Werke nie zu

Ruinen verfallen lassen; aber man steht ihnen doch an, daß ste bloß für den Frieden bestimmt sind. Hier findet sich nicht mehr ;ene Nacktheit und ängstliche Präcision einer zu Trutz

und Schutz unterhaltenen Festung; hier wurde, schon seit

Menschenaltern,

kein sich anstedelndes Däumchen,

kein

Gesträuche von der ebnenden Hand des Zngemeurs zurück­

gestoßen, und hin und wieder sind an dem Abhange dieser Walle,

auf den Bastionen und

in den Gräben ganze

Lustwäldchen in die Höhe gewachsen. Wallen

Die Alleen auf den

selbst sind ursprünglich gepflanzt worden.



Dritter Wehe dem,

Brief.

der darüber spotten wollte!

29

Diese Stadt

kann nach der Kriegsart unserer Tage nie wieder eine

Festung seyn, kann nie daran denken, sich zu vertheidigen,

oder einem Feinde zu trotzen!

Alles,

was Hamburgs

friedliche Burger jetzt von ihren Mauern zu erwarten

haben, ist, das; sie die Zwecke der Policey befördern, und den Einheimischen wie den Fremden zu einem angenehmen Spaziergange dienen. Also lasse man es immer wachsen,

das hohe Gras, pflege jedes Bäumchens und freue sich seines Schattens. Hin und wieder finden sich wirklich an diesen Wällen und Gräben allerliebste Partien, die dem Gemählde zum Vorgrunde dienen, unb über welche hinaus

eine Aussicht sich auf das Land öffnet, das durch Häuser, Gärten und Anlagen aller Art einen erquickenden Anblick

gewahrt, indeß man auf der innern Seite die Stadt und

ihr Gewimmel in der Nahe hat. Welche herrliche Anlagen könnte man hier machen,

wenn man diese weitläuftigen Festungswerke nach dem Plane behandeln wollte, wodurch die Stadt Leipzig einzig

in ihrer Art geworden ist, und einen Vorzug erhalten hat,

den ich, kenne.

ohne Ausnahme,

in keiner Stadt in Europa

Allein zu einer durch das hiesige Locale so unge­

heuern Unternehmung möchte es wohl, zu geschweigen, an Gelde fehlen.

andere Ursachen

Dieser Spaziergang auf den Wällen ist um so interes­ da die Gegend, die unmittelbar

santer und schätzbarer, die Stadt

anbiethet.

umgiebt,

dem Fußgänger wenig Resourcen

Immer ist er entweder zwischen Häusern,

Gartenmauern und Hecken eingescdlossen, oder er wandelt,

auf sandigem Boden, und unter Bäumen, die ihm die

Aussicht versverren; wird entweder von dem Kothe, oder dem Staube der Fahrenden und Reitenden belästiget, oder kommt in einige unangenehme,

kahle Striche, wo nicht

einmahl ein freundlicher Daum ihn gegen einen schnellen Regen in Schuh nimmt.

Auch ist es für diejenigen, die

Dritter Brief.

zu Hamburg nicht in der Nähe eines ThoreS wohnen, keine Kleinigkeit, sich durch die volkreichen, mehrcntheils schmutzigen Gassen der Stadt zu winden, und durch die sehr tiefen Thore ihren Weg in das Freye zu machen. — Die Wälle sind also die hauptsächlichsten Spaziergänge Ham­ burg-, und sie haben das Angenehme, daß man sie auch be­ fahrenkann, ohne daß die Fußgänger dadurch belästiget wen den, weil der Weg für die letztem auf dem Glacis hingeht, und also höher ist. — Hier bin ich nun, wenn ich nicht auf dem Lande war, seit zwey Monathen fast täglich umher­ gewandelt, wenn es nur immer das Wetter erlaubt hat, und immer mit neuem Vergnügen. Auch habe ich einige Liebling-plätze, die ich selten vorübergehe, ohne bey ihnen zu weilen. Reizend ist die Aussicht in dem Winkel, den der Wall mit der Elbe nach der Seile von Altona zu macht, wo auf eine eigene Anhöhe ein bequemer Weg führt. Eben so bin ich immer mit Vergnügen zwischen den beyden Seen, dem Zungfcrnstieg gegen über, stehen geblieben. Endlich findet sich nicht wett von dem lchtern Striche, auf einer Anhöhe, eine Dank, wo der schönste Gesicht-punct ist, au- dem man diese Stadt sehen kann. E- ist eine wahrhaft mahlerische Aussicht, so sehr es nur immer eine seyn kann, von der eine große Stadt den vor­ züglichsten Theil ausmacht. Zch glaube, daß dieß der Ort sey, von dem man Hamburg aufnehmen müsse, und ein paar Zeichnungen, die ich kürzlich sah, haben mich über­ zeugt, daß mein Urtheil richtig war. — Bäume um­ schatte» bk Dank: und da sie ein wenig von dem allge­ meinen Spaziergang« abliegt, wird sie ein Plätzchen der Zuflucht für den Einsamen, und ich habe öfters Personen mit einem Buche da sitzen gesehen. So wie man am Ende des Walles auf der Alto­ naer Seite einen großen Theil des Seehafens übersieht, so hat man an dem entgegen gesetzten, oder obern Theile der Elbe die Aussicht auf den Flußhafen, der von jenem

Dritter

Brief.

3X

verschieden ist. Beyde sind interessant, obschon der untere, wie natürlich, weit lebhafter und wichtiger ist. Im obern sieht man alle Fahrzeuge, die zwischen Hamburg, Magde­ burg, Derlrn u. s. w. laufen, und die nicht über die Grenze dieses Hafens hinabgehen. Es sind eigentliche Flußschiffe, und also in Anlage, Form und Dau ganz von denen verschieden, die bestimmt sind, in die See zu stechen. Auch ist hier die eigentliche Sprache Deutsch, und wahrlich oft ein sehr kräftiges Deutsch, während daß im großen Hafen in mannigfaltigen Zungen geredet wird. — Eine erbauliche Gewohnheit fiel mir auf, als ich da­ erste Mahl über einen Theil dieses Flußhafens setzte. Zch war in einer zahlreichen Gesellschaft, in der sich mehrere Frauenzimmer befanden, mit denen ich in einem Hause auf der kleinen Znsel Graebrok gespeist hatte. Zch hörte allerley Zurufe und Schimpfnamen, worunter sich da­ altdeutsche Wort H-------- sehr deutlich vernehmen ließ. Zch blickte umher, und konnte nicht finden, daß dieser kraftvolle Suruf einem andern Boote gelten könnte, als dem unsrigen. Indessen waren die Damen dabey ganz ruhig, und nur einer fremden schien es aufzufallen. Kurz, ich erfuhr, daß dieß weiter nichts ist, als irgend ein anderer freundschaftlicher Zuruf, ein Hurrah oder Huffeh, mit Einem Worte, eine Gewohnheit, oder selbst zugeeignetes Recht, von welchem diese ungesalzenen Wasser-Matrosen seit undenklichen Zelten im Besitze sind. Auf den persönlichen Charakter der Frauenzimmer, die diese Leute ohnedieß mehr kennen, wird nicht die geringste Rücksicht genommen. Es ist nichts Arges gemeint, und wird ohne Arg ausgenommen. Der ganze Weg über den Wall von der Elbe bis an die Elbe, beträgt ungefähr zwey Englische Merten, höch­ stens eine halbe Deutsche. Dieser Spaziergang ist durch­ aus mit Daumen besetzt, und so hoch, daß der Weg über

32

Dritter

alle Stadtthore weggeht.

Brief,

Nur da, wo er zwischen den

beyden Seen durchläuft, ist er etwas niedriger.

Zu bedauern ist es, daß man in einer schönen Som­ mernacht, oder an einem mondhellen Abend keinen Ge­

brauch von diesem Spaziergange machen kann.

Emige

Zeit nach Sonnenuntergang wird er von der Bürgerwache besetzt, und niemand weiter hinauf gelassen. Weit besuchter als der Watt ist der Zungfernstieg,

nach jenem der einzige Spaziergang innerhalb der Mauern, wenn man nicht einige Gassen so nennen will, wo auch bisweilen, an einem schönen Sommerabend, Leute um­

hergehen.

Er ist nicht groß, aber äußerst angenehm an

einem großen Wasserbehälter, oder kleinem See, den man die Dinnenalster nennt. Er wird durch den Alster­ fluß innerhalb der Festungswerke der Stadt gebildet, und

hängt durch eine mäßige Oeffnung mit einem größern See zusammen, welcher die äußere Alster genannt wird,

innerhalb der Stadt liegt. — sonst noch enger;

und

Der Zungfernstieg war

man hat aber seine Breite erweitert,

indem man einen Theil des Wassers ausgefüllt hat.

Da,

wo er nach der Stadt zugekehrt ist, d. h. auf der Seite,

wo die Häuser stehen, ist er mit Bäumen besetzt, die alt genug sind, um Schatten zu gewähren; auf der Wasser­

seite aber scheinen die neugepflanzten Baume nur kümmer­ lich zu wachsen,

und ihr mageres Laub läßt jetzt noch

jeden Sonnenblick durch. —

Hier versammeln sich täglich

und stündlich Menschen aller Stände,

und aller Alter,

und es ist schwer zu sagen, ob die Zahl der bloß Vorüber­ gehenden, oder der Lustwandler größer sey.

Sammelplatz aller Müßiggänger,

Es ist der

die in jeder Stunde

des Tages so ziemlich gewiß sind, einige Bekannte hier zu finden, und Neuigkeiten zu hören. Es ist aber auch

ein Uebergang aus einem Theile der Stadt in einen an­

dern, und schon dadurch wird er einer sehr besuchten Gasse Hierzu kommt, daß der Zungfernstieg der einzige

ähnlich.

Dritter

Brief.

33

Spaziergang der Stadt ist, und daß er vielen nicht weit

aus dem Wege ihrer Geschäfte liegt.

Man befindet sich

in der Nahe, und, ohne gerade eine« Spaziergang zu suchen, nimmt man, fast unwillkürlich, feine Richtung dahin, und gehet ein paar Mahl auf und ab. Selbst der emsige Geschäftsmann, wenn er ihn ohne großen Zeit­ verlust erreichen kann, nimmt seinen Weg hierher, schöpft ein wenig frische Luft und gehet weiter, um seine wichti­ gern Zwecke zu verfolgen.

Für den Fremden endlich ist einer der unterhaltendsten Spaziergänge der

Hafen.

Freylich kommt es dann

nicht so wohl auf Umfang des Platzer- an, und auf Be­

wegung, die man sich da geben kann, als auf hie Man­ nigfaltigkeit der Gegenstände, die man sieht, und das

Interesse, das sie einflößen.

Auf dem festen Lande von

Europa ist Hamburg in diesem Augenblicke unstreitig der wichtigste Handelsplatz,

und selbst Constantinopel wird

ihm, was den Umfang der Geschäfte betrifft, jetzt schwer­ lich gleich kommen.

Hamburg ist die große Angel,

um

die sich, seit einigen Zähren, ein wichtiger Theil des Handels von England und des übrigen Europa dreht.

Schließen Sie daraus auf die ungeheure Menge von Schiffen, die beständig in diesem Hafen liegen!

Gleich­

wohl ist er (ich meine den emgeschlossenen Theil desselben; denn im Grunde ist die ganze untere Elbe der Hafen von Hamburg) weder sehr groß, noch sehr bequem, und sein

Landungsplatz nichts weniger, als geräumig, für die Geschäfte, die hier gemacht werden. Hamburg, wie Sie wissen, liegt nicht an der großen Elbe!

ehe sie die Stadt erreicht,

die also Hamburg gegen über,

Znseln,

höher,

Diese theilt sich,

zwischen einer Menge von

theils etwas

theils etwas niedriger, als die Stadt, liegen:

und nur der Theil des Flusses, der zwischen dem recbten

Ufer und diesen Znseln läuft,

macht hier den Theil der

Elbe aus, welcher für die Hamburger Seefahrt eigeüllich

Äutnme

i. Th.

3

Dritter

34

Brief.

brauchbar ist, und wovon der Theil, der die Stadt un­ berührt, und welcher täglich geöffnet und geschlossen wird, der Hafen von Hamburg genannt wird. mittelbar

Er ist offenbar zu klein für dte Bedürfnisse der Stadt, und die Schiffe liegen hier so zusammen,

daß sie, wie

eben so viele Häuser, enge Gassen bilden, zwischen denen sich denn ohne Unterlaß eine Menge kleiner Boote und

andere Fahrzeuge von bewegen.

verschiedener Gestalt und Größe

Das Gewimmel ist da oft großer als in den

bevölkertsten Gassen, die Fahrzeuge laufen noch häufiger, als die Menschen,

an einander, und die kleinen werden

nicht selten von den größer» beschädiget.

Mühsam und

langweilig ist es, eins der schwerern Seeschiffe in Bewe­ gung und aus dem Hafen herauszubrrngen. So sehr er aber auch angefüllt ist, so enthalt er bei; weitem Nicht alle Schiffe, die bis nach Hamburg heraufkommen. Ich habe immer eine beträchtliche Zahl unter dem Hafen nach Altona

zu, und noch mehrere an der Seite, nach der kleinen Insel, dem Grasbrok hin, liegen sehen. Dieß verur­ sacht Aufenthalt,

dadurch

erschwert.

und das Laden und Ausladen wird Sehr große

und schwer beladene

Schiffe können den Hafen gar nicht erreichen, sondern müssen erst, in einer gewissen Ferne durch kleinere Fahr­ zeuge (Lichter) gelichtet und erleichtert werden.

Die,

welche mehr als fünfzehn Schuh Wasser ziehen, wagen

sich nicht über Cuxhafen herauf,

und müssen schon dort

gelichtet werden. Indessen liegt immer erne kleine Däni­ sche Fregatte in der Gegend von Altona, und eine Hanöversehe nicht weit von Stade. An einem Theile dieses Hafens hin lauft in der Lange

ein Kay, der aber weder lang noch tief genug ist, um zu einem bequemen Abladungsplahe zu dienen, so wenig,

als der Platz hinreichend ist, welchen man in der Gegend

des Baumhauses zu diesem Zwecke gebraucht.

Müßte

man, wie zu Liverpool, Bristol, Hüll und in vielen an-

Dritter

D r l e f.

35

der» Seestädten die Güter aus den Schiffen gerade auf

das Land bringen,

so würde die Verwirrung zu Hamburg

auf den Landungsplätzen so wohl als in den Gassen, un­ beschreiblich seyn; allein diese Stadt hat Canäle, und auf diesen werden durch eine besondere Art von Fahrzeugen,

die man Ewer nennt, die mehresten Waaren an den Ort ihrer Bestimmung gebracht. Die Hauser am Hafen sind mehrentheils klein und unansehnlich, und unterscheiden sich in dieser Rücksicht sehr von den schöllen und ansehnlichen Gebäuden, die zu

Rotterdam

und »in einigen andern Hafen längs dem

Wasser sich erheben.

Die

zu Hamburg sind häufig

Matrosenwohnungen, und der Sitz von mancherley Men­ schen, die mit der Schiffahrt zu thun haben; kleine

Schenk- und Speisehäuser für Menschen dieser Classe; klirz sie sind für das Schrffsvolk bestimmt, welches hier die Befriedigung seiner verschiedenen Bedürfnisse findet.

Zch gehe oft hier umher und belustige mich mit der Ham­ burger Krastsprache,

so weit ich sie verstehe,

und mit

dem mannigfaltigen Gemische ausländischer Zungen, unter denen die Englische bey weitem die herrschende ist. Nicht nur viele Hamburgische, Dänische, Norwegische, und

Schwedische Matrosen verstehen diese Sprache, sondern sie wird auch häufig als eine Zwischensprache von Menschen gebraucht, deren keiner des andern Muttersprache redet.

— Uebrigens hat man sich in diesem ganzen Striche in

Acht zu nehmen, daß man nicht in Verdrießlichkeiten und Zankereycn kommt.

Man hatte rmch überhaupt vor dem

Hamburger Pöbel und besonders vor den Bewohnern der Wasserseite sehr gewarnt; (allein ich habe rmch in dieser Stadt nie über lemanden zu beklagen gehabt.) Eine mäßige Strecke von Altona, etwa Flottbeck

gegen über, hören die Inseln wieder auf, und die Elbe bekommt beynahe die Breite einer Deutschen Meile, die dann weiter hinab immer zunimmt,

bis man von Glück-

36

Dritter

Brief.

stadt nach dem nächsten entgegen gesetzten Ufer zwey Meilen rechnet. Noch weiter hinab läßt sich rhre Breite gar nicht bestimmen, wert von Neuhaus an ihr Ufer sehr westlich (äuft, und man nicht eigentlich sagen kann, zwischen wel.chen entgegen gesetzten Puncten der beyden Ufer sie sich messen lasse. Ueberhaupt ist es schwer, geographisch zu bestimmen, wo die Elbe aufhört, und das Meer anfängt. Der Schiffer hingegen hat ein gesetzteres Maß, und spricht nut der äußersten Genauigkeit. Da sie unten nur in der Nähe des linken Ufere nut Sicherheit fahrbar ist, so betrachtet er bloß das Fahrwasser;. und dann macht die erste Boje, oder Tonne, welche sünfDeutsche Meilen unter Cuxhafen liegt, die Grenze zwischen dem Flusse und dem Meere. — Die Elbe ist also, verhaltmßmaßig gegen ihre Breite, nur an wenigen Orten für Seeschiffe fahrbar. Dieser Strich ist bis an ihre Mündung, oder bis an das Meer herab, bezeichnet, und heißt das Fahr­ wasser. Fast alles Uebrige besteht aus Untiefe, Sandbänken, Erderhöhungen oder kleinen Inseln, die bey sehr niedri­ gem Wasser sichtbar werden Also, das Fahrwasser zu bezeichnen, von Zeit zu Zeit zu untersuchen, und die Zei­ chen sichtbar zu erhallen, ist von äußerster Wichtigkeit. Dieß ist das Geschäft der Hamburger Admiralität, und die Schiffe entrichten dafür einen gewissen Zoll. Die Bojen, womit der Weg bezeichnet ist, sind auf der rechten Seite des Fahrwassers weiß, auf der linken schwarz. Eine solche Boje, die man auch Tonne nennt, ist ein scharf zugespitzter Conus oder Kegel von Holz, angestrichen und stark mit eisernen Reifen beschlagen. An dem spitzen Ende hängt die Last, welche sie stete macht, und das breite ragt über das Wasser hervor, so daß man es ziem­ lich weit sehen kann. Die, welche ich in der Folge zu Cuxhafen sah, mochten ungefähr neun Schuh lang seyn, und oben sieben bis acht Schuh im Durchmesser haben. Das so bezeichnete Fahrwasser ist keinesweges sehr breit

Dritter

Brief.

37

man sieht selten zwey, höchstens drey Schiffe neben ein­

ander fahren:

gemeiniglich gehen sie hinter einander,

welches eine Gewohnheit zu seyn scheint.

Ich hatte einst einen herzerhebenden Anblick, derglei­

chen ich nie vorher irgendwo genossen hatte. Ich war auf einem Landhause, eine kleine Meile unter Hamburg, wo

ich im Verlauf einer halben Stunde an die hundert Schiffe, mit allen ihren Segeln aufgcspannt, die Elbe hinab fah­ ren sah.

Wer die Majestät eines großen Schiffes, dessen

Segel alle geschwellt sind, kennt, wird einiger Maßen einen Begriff von der Pracht einer langen Reihe solcher

Fahrzeuge haben, die ununterbrochen auf einander folgen. Der schönste Moment war dann, als die eine Hälfte vor

mir defiliert hatte; denn nunmehr sah ich den Fluß hinauf und hinab eine endlos scheinende Reihe mit ihren Flaggen und Wimpeln, die so bunt und leicht und luftig im Winde

webeten, jedes gefolgt von einem kleinen Boote, dasanden Stern gebunden ist, und dem Lootsen gehört, der darin zu-

rücksährt, sobald er das Schiff sicher in die offene See ge­ bracht hat. — Auf den ersten Meilen bleiben die Schiffe

in der Nähe des rechten Elbufers; erst in der Folge ent­ fernen sie sich davon, indem die Holsteinische Seite voller Sandbänke und Untiefen ist. Diesen Nachtheil hat die

ganze westliche Seite der Dänischen Besitzungen, und er erstreckt sich bis an die nördlichste Spitze von Zütland, auf welcher weiten Strecke nur sehr wenig Häfen sind,

und diese keinesweges von vorzüglicher Güte. —

Nach­

dem ich mich lange an dem herrlichen Anblick geweidet hatte,

ging ich in ein nahes Landhaus,

das dicht am

Flusse liegt, wo ich ein gutes Telescop fand, und mich mit der nähern Untersuchung so mancher Dinge belustigte. Vorzüglich fielen mir die Amerikanischen Schiffe in die Augen! Sie zeichnen sich aus durch ihre schöne Form, ihre anscheinende Leichtigkeit, ihren festen Gang, und fast

möchte ich sagen durch die Grazie, mit der sie sich bewe-

Dritter

38 gen.

Brief.

Man hält hier die Amerikanischen Schiffe für die

schönsten in der Welt, und zieht sie den Englischen vor.

— Die Ursache,

warum so viele Schiffe auf einmahl

ausliefen, war, daß sie vierzehn Tage lang bey widrigem Winde sich gesammelt hatten. Man übersieht also nicht, in der Gegend von Ham­

burg, die ganze Breite der Elbe, weil die da liegenden Inseln in einiger Ferne wie das entgegen gesetzte Ufer

erscheinen,

und den Fluß also dem Auge viel schmäler

zeigen, als er wirklich ist. Mich dünkt, die gerühmten Hamburger Elbaussichten gewinnet: dadurch sehr merklich an Schönheit! Wären die Inseln nicht da,

und übersähe

man auf einmahl die ganze Wasserfläche, so würden die Gegenstände am jenseitigen Ufer sehr klein erscheinen, weil

das Land entweder ganz flach rst, oder nur unbeträchtliche Erhöhungen hat. So aber sieht man in erner mäßigen Ferne das Ufer von Inseln, wenn man das des Flusses

zu sehen glaubt, und erst auf den Höhen, die man gele­

gentlich ersteigt, wird man gewahr, daß das wahre Ufer der Elbe weit darüber hinaus liegt. Auf diesen Strich

an

der

Elbe schränken sich die

gerühmten Hamburger Gegenden größtentheils ein.

Hier

hat man von mäßigen Anhöhen und lieblichen Hügeln den Blick auf den großen und belebten Fluß. Ungefähr alle übrige Gegenden in der Nähe der Stadt sind flaches Land, und haben kerne andern Schönheiten, als die, welche sie

durch einen hohen Anbau, und durch die ungeheure Menge von Landhäusern und Garten erhalten. Das ent­ gegen gesetzte Ufer ist den Hamburgern unbekanntes Land, weit die Stadt auf dem

beschwerlich seyn würde,

rechten Ufer liegt,

und es

immer über den Fluß zu setzen,

dessen Ucberfahrt bisweilen eben so beschwerlich als lang­ weilig ist. Ich höre, daß man im Winter, bey widrigem Winde, oft fünf bis sechs Stunden und drüber damrt

zubunge.

Das Land auf dem Hannöverschen User macht

Dritter

Brief.

39

mit dem diesseitigen einen auffallenden Abstich, weites

nicht mit Landhäusern verschönert, nicht von reichen Ham> bürgern angebaut ist. Ueberhaupt, nehmen Sie den Gegenden um Hamburg die Elbe, und Sie bekommen ein Land, wie ich es in hundert und hundert Strichen

schöner, romantischer, und mahlerischer gesehen habe. Aber dieser Fluß giebt dem Ganzen einen eigenen Character von Schönheit und Leben, wodurch alles unendlich reizend wird. Zn jenen Zeiten, da die Hamburger den König von Dänemark als ihren natürlichen Feind betrachteten,

man Bedenken,

trug

sich in seinen Provinzen anzubauen.

Der Bürger begnügte sich mit einem kleinen Landhause

auf seinem eigenen Gebiethe, wo er sich wenig auebreiten konnte, und woran er wohl mehrentheils eben sowenig dachte. Daher kommt jene Menge von Gartenhäu fern in der Gegend unmittelbar um Hamburg, welche zu

Gassen angewachscn sind, und die fast alles von einer Stadt haben,

den Namen ausgenommen.

Nur die wenigsten

darunter sind beträchtlich, und sie werden noch jetzt von Fa­ milien von einem mittlern Vermögen bewohnt und gesucht. Veränderte Staatsverhaltnisse, vermehrter Reichthum, er­

weiterte Begriffe, zunehmender Luxus und vielleicht auch besserer Geschmack, wiesen auf die Gegenden unter Altona

an den Ufern der Elbe hin. Dänemark begünstigte und zeigte sich auf mancherley Art gefällig gegen die neuen Ansiedler. Man kaufte ganze Güter, man breitete sich aus, und das

Land streg tim das Doppelte in seinem Werthe. es nun,

von Altona an,

Hier ist

bis beynahe eine Meile lang

hinab, daß Sie die schönsten Anlagen, die größten Land­

sitze und die anmuthigsten Häuser der Hamburger suchen müssen.

Man benennt sie von den Dörfern, in welchen,

oder in deren Nachbarschaft sie liegen. Diese sind vor­ züglich Neumühlen, Flottbeck, Nienstetten und Docken-

hude.

Ich will meine Leser nicht mit Beschreibungen

Brief,

Dritter

40

von allen diesen Landsitzen heimsuchen;

manchem nicht unangenehm seyn,

doch möchte es

bic Besitzer der vorzüg­

lichsten hier angezeigt zu finden. Gleich am andern Ende von Altona ist der Beckersche Garten, dessen Lage

an einem Abhange gegen die Elbe, Aussichten und Anla­ gen ihn sehr interessant machen, so daß man darüber ver­ gißt, daß der Eigenthümer auf dem sehr kleinen Umfange

zu viel that.



Umfangender und jetzt schöner ist,

etwas weiter hinab, der Sivekingsche, in Rücksicht der Lage übrigens, dem vorrgen sehr ähnlich. — Die Sitze der Herren Peter,

sowohl als Cäsar Godefroy sind

von ziemlichem Umfange, und haben beyde manche roman­ tische und mahlerische Partien,

so wie der des Herrn

Pere/ch sorgfältige Anlagen,

und cme schöne Aussicht

an der Elbe hat. — Die der Herren Thornton, Vi­ dal, Hanbury, haben sammt und sonders ihr Verdienst und ihre angenehmen Seiten, so wie noch einige andere; aber hauptsächlich zeichnet sich der Sih des Herrn Etatörath Voght zu Flottbeck, durch Lage, glückliche Natur,

Umfang und Anlagen aus.

Hier ist mehr als ein Land­

haus und ein sogenannter Englischer Garten; eS ist wirk­

lich ein Englischer Landsitz, und er verdient diesen Namen besser, als eine Menge anderer, die ich in verschredenen

Theilen des festen Landes von Europa gesehen habe.

Der

Grundboden, ohne gerade sehr uneben zu seyn, wechselt

angenehm ab, und hat m einem sehr hohen Grade, was der berühmte Drown Capabilitat 1) nannte. Die Aus­ sichten auf die Elbe sind mannigfaltig, und das schönste,

was Herr Voght vorfand, ist ein hundertjähriger Eichen­ wald.

Dieser schöne Sih steht jedermann offen,

vermehrt die Annehmlichkeit dieser Gegend.

und

Die Ein­

wohner der Landhäuser umher machen häufig mit ihren

i) Natürliche Fähigkeit des Bodens und der Gegend, um von einem Kunstgartner bearbeitet zu werden.

41

Brief.

Dritter

Gästen Spaziergänge dahin; und Sonntags wird er von einer Menge Hamburger und Fremden besucht,

die eine

Lustpartie nach den umherliegenden Wirthe - und Speiser

Häusern machen. Als ich das Lehtcmahl zu Hamburg war, stand Herrn

Voghts Landsitz Nlcht mehr unbeschränkt offen! an den Eingängen, spazieren gehen will, eint Maßregel, zu

daß,

Ich las

wer den Ort sehen,

oder da

steh an den Gärtner wenden muß: der der Eigenthümer vermuthlich

durch das Publicum gezwungen worden ist, dem man leider! selten etwas lange und unbestimmt offen lassen Herr Voght wohnt hier das ganze Jahr hindurch,

kann.

und beschäftiget sich sehr mit dem Landbaue und der Ver­ besserung der Viehzucht.

Die vielen Maschinen und

Modelle, die er auö England und Schottland hat kommen

lassen,

und die mannigfaltigen Versuche,

die sein Ver­

mögen ihm zu machen erlaubt, müssen, so wie die ver­ besserten Viehracen, nach und nach einen sehr wohlthäti­

gen Einfluß auf die ganze Gegend umher haben. Haus

ist häuflg

Verdienst,

Sein

der Sammelplatz vieler Männer von

einiger Altonaer,

und mehrerer Hamburger

Gelehrten; so wie auch nicht leicht ein interessanter Frem­

der durch Hamburg geht, der nicht hier einspräche, oder an der Tafel Antheil nähme,

zu der Herr Voght mit so

vieler Hospitalität einladet.

Sein Forschungögeist und

ein

zweijähriger

Aufenthalt

in

Großbritannien

und

Irland, berechtigten ihn vollkommen, in den Genius der Zeit ein Paar Aufsatze über diese Länder einrücken zu lassen, die unter das Wahreste und Beste gehören, das

über diese Gegenstände gesagt worden ist. —

Noch muß

id) eine ausgesuchte Bibliothek und eine schöne Sammlung von physischen Instrumenten, die sich hier finden, nicht vergessen.



Jetzt hält sich in diesem Hause Herr

Schmeisser auf, ein Gelehrter, dessen Fach hauptsächlich die Chymie ist, dem Herr Voght zu Flottbeck ein Labora-

Dritter

42

Brief,

torium hat anlegen lassen, und der hier über seine Haupt­

die von einer zahlreichen

wissenschaft Vorlesungen halt,

Nachbarschaft, wovon sich auch das schöne Geschlecht nicht ausschließt,

besucht werden.



Herr Schweisser ist

kürzlich zu Paris gewesen, und hat „Beyträge zur nähern

Kenntniß des Zustandes der Wissenschaften

m.

" herausge­

geben, wovon ich eben das erste Heft gelesen habe.

Die­

ses Werk macht uns mit den allermehresten jcfct zu Paris lebenden Gelehrten bekannt, und liefert Nachrichten über sie selbst und ihre Schriften. — (Seitdem hat sich Herr

Schweisser in Hamburg niedergelassen.) Ein großer Theil des ganzen angeführten Striches von Altona bis Dockenhude, gehört also jetzt Hamburger

und

Bürgern,

täglich wird mehr gekauft und gebaut.

(Als ich im Herbste 1799. diese Gegend wieder besuchte, fand ich mehrere Häuser, wo zwey Jahre früher noch Feld

war, und die Grundlage zu verschiedenen neuen.)

In­

dessen werden sich hier die Landhäuser nie so häufen, wie auf dem Boden, der der Stadt naher liegt, eben darum, weil man gleich vom Anfänge her einen ganz andern Plan

befolgt hat.

Die Anlagen, die seit einiger Zeit gemacht

worden sind, und noch jetzt gemacht werden, sind fast durchgehends, mehr oder weniger, im Englischen Ge, schmacke, und fordern also einen beträchtlichen Umfang,

ob man schon im Ganzen ziemlich einfach dabey zu Werke geht.

Manchem ist es genug, einen großen, von Bäu­

men umgebenen Grasplatz vor,

und einen Küchengarten

hinter dem Hause zu besitzen. Ueberdieß haben viele sehr ansehnliche Küchengärten und so viel Wieseland, als sie für ihre Pferde bedürfen.

lien an,

Auch fangen hier einige Fami­

selbst den Winter auf ihren Landhäusern zuzu­

bringen, ob schon die Hausvater, Hamburger Kaufleute,

genörhiget sind, alle Wochen mehrere Tage in der Stadt zuzubringen,

wahrend daß der weibliche Theil nur hin

und wieder bey besonderen Gelegenheiten dahin geht.

Dritter

Brief.

43

Ein Landhaus ist dem Bewohner Hamburgs beynahe zum Bedürfnisse geworden,

und ihre Zahl vermehrt sich,

so wie der Luxus und der Reichthum des Ganzen zunimmt.

Ich kenne, ohne Ausnahme, keine Stadt in Europa, die

in einem so kleinen Umfange diese ungeheure Menge von Land- und Gartenhäusern hatte. In der Gegend um Wien finden Ste, auf dem nämlichen Umfange, nicht den zehn­ ten Thetl derselben;

aber in den Gassen dieser Stadt (Fiacies,) während

stehen sieben hundert Lohnkutschen,

Welch ein auffallen­

daß Hamburg nicht eine einzige hat.

der Unterschied in der Lebensart dieser beyden Städte!

Die nämliche Hosp ita lität,

die der Hamburger

in derStadt ausübt, und der nämliche Hang zu Erholung und geselligem Leben folgen, ihm auch auf das Land. Man wie in der Stadt, bey Mittags - und Abend­

sieht sich,

mahlzeiten, bey Thee und Spiel.

Auch empfängt man

in den mehresten Häusern alle Sonnabende eine gewisse

Zahl von Personen,

die selbst keine Landhäuser haben,

und die brs Montag bleiben. Diese freylich kostbare Gewohnheit ist im Grunde viel veruünftlger, als die so mancher andern Städter, die ihre Freunde bloß zu Mit­

tage auf dem Lande empfangen,

und die Abendstunden

allein zubringen, während daß der Gast oft im Dunkeln

und auf schlechten Straßen seinen Weg nach Hause macht, so gut er kaun. verschiedener

Aber eine Menge Sitten und Gebräuche

Menschen und Völker werden mehrentheilS

durch etwas bestimmt, das in ihrer physischen oder bürgerlrcheu Lage seinen Grund hat. Da die Thore der Stadt bald

nach Sonnenuntergang geschlossen und für

kein Geld geöffnet werden; da man hier zu Lande ziemlich

spät zu Mittage speist, und die Landhäuser oft in einer ziemlichen Entfernung liegen: so würde man der Gesellschäft vieler Personen ganz entsagen müssen, wenn man sic nicht auch über Nacht bewirthete.

Ich habe in dieser

44

Dritter

ganzen Art,

auf dem Lande zu leben, vielen Frohsinn,

Brief.

Treuherzigkeit und Gutmüthigkeit gefunden, mit Vergnügen lange bey weil ich,

und habe

dieser Beschreibung verweilt,

seit meinem Aufenthalte in diesen Gegenden,

ungefähr eben so viel auf dem Lande, als in der Stadt

gelebt habe, und immer mit süßer Erinnerung an diejenigen Familien denken werde, mit denen ich in der genaue­

sten Verbindung stand. Cs versteht sich von selbst, daß durch diese Menge von Landhäusern,

Englischen Anlagen, Grasplätzen und Kü­

chengärten der eigentliche Dauer beynahe vertrieben wor­

den ist, und daß man nur wenig von dem sieht, was den Landbau und seine Geschäfte characterisirt. Dieser Vor­

wurf trifft vorzüglich die Landhäuser nahe bey der Stadt,

und ganz besonders die, welche zunächst vor dem Dannnthore liegen. Eine lange Reihe kleiner, an einander stoßender Häuser, die also wie die eine Seite einer Gasse

sind, zieht sich längs der Alster hin.

An Landleben ist

nicht zu denken; denn hier sehen Sie keines der Geschäfte des Feldbaues. Alles ist von Städtern besetzt, und selbst die Spaziergänge sind nicht angenehm, einen einzigen an

der Alster ausgenommen; aber auch dieser ist im Grunde nichts, als eine Straße, deren eine Seite von Garten und Gartenhäusern ganz eingenommen ist.

Entfernet

man sich von der Alster, um nach der Elbe zuzugehen, so findet man wiederum nichts als Gärten und Landhäuser, oder man kommt nach Altona.

Vierter Die Elbe —

Schaden,

Brief.

den sie thut —

Eindeichun­

Wirkungen eines anhaltenden Westwindes

gen —



Wasser-beobachtungen — Dörfer um Hamburg — Blan­

kenese —

Ham —

Wansbeck —

General Dumouner

— Der Sonntag -u Hamburg.

Im Septensl>er 1797.

O

kehre wieder zur Elbe zurück, von der ich mich nur

Sie ist es größtendurch welche Hamburg geworden ist, was es ist,

auf einen Augenblick entfernt habe. theils,

und durch die es sich erhalt.

Dey dem allen ist sie oft ein

sehr böser Nachbar, und der Schaden, den sie thut, ist von mancherley Art. Ihre Eisgange, ihre Ucberschwemmungen sind fürchterlich,

und mehr als einmahl hat sie schöne, fruchtbare Striche Landes so mit Sand und Stei­ nen

bedeckt,

daß die Arbeit von vielen Zähren den

Schaden nicht wieder gut machen konnte. Schon ein anhaltender westlicher Wind würde mehrere Gegenden um Hamburg überschwemmen, wenn man nicht Vorkehrungen

dagegen getroffen hätte. Jedermann weiß, daß die flachen Gegenden an der Elbe, sowohl unter- als oberhalb

Hamburg, auf einer Länge von vielen Meilen eingedeicht find, daß man in Niedersachsen eigene Verwaltungen und

Gesetze, und fast möchte ich sagen, ein eigenes Wörter­ buch darüber hat, und daß die Hannöverische, Dänische und Hamburgische Negierungen die Sache mit aller der

Vierter

46

Wichtigkeit behandeln,

Brief.

Wer nie das

die sie verdient.

Innere von Deutschland verlassen hat, wer nicht an die Wirkungen und schrecklichen Gewaltthätigkeiten eines gro-

ßen Flusses gewöhnt ist,

wird erstaunen,

wenn er die

colossalischen und kostbaren Arbeiten sieht, die man hin und wieder in den Lüneburgsschen,

Bremischen,

burgischen und Holsteinischen Landen findet.

Ham­

Ihre bloße

Unterhaltung verlangt wichtige Summen; und jede Be­

schädigung ist als eme doppelte Landplage zu betrachten, durch den Schaden sowohl, den ein Strich unmittelbar

dadurch leidet, als durch die Summen, welche die Aus­ besserung erfordert. Hier indessen betrachte ich die Elbe blos; in Rücksicht auf Hamburg. Man sollte denken, daß eme Stadt, wo so ein ungeheures Capital in Dingen aller Art aufbewahret

wird, und wo die Wohnungen so vieler Menschen, wohl als die Speicher,

so

oder Güteruiederlagcn nur wenig

über die gewöhnliche Wasserfläche sich erheben, schon längst

gegen alle Zufälle von dieser Seite gesichert sey.

Dieß

ist aber keinesweges der Fall, und Hamburg leidet großen Verlust und mannigfaltige Unbequemlichkeiten, nicht nur gelegentlich durch schlimme Eisgänge und die daraus ent­ stehenden Ueberschwemmungen, sondern auch durch jeden starken und lange anhaltenden westlichen Wind.

Die Fluth steigt,

im Sommer,

bey gewöhnlichem

Wetter, wenn sich nichts Besonderes ereignet, und die Elbe ihr Mittelwasser hat, d. h. weder ungewöhnlich groß

noch klein ist, bis zum Zottenspeicher(Zollenspiker), einem Ort,

vier Meilen oberhalb Hamburg,

wo eine große

Ueberfahrt ist, und auf dessen entgegen gesetztem Ufer der

kleine Hannöversche Ort Hope liegt,

wechsel hat.

der einen Pferde­

Ist die Elbe sehr seicht, so daß ihr Druck

abwärts nur geringen Widerstand leistet, Fluth auch wohl noch einige Meilen höher. hat man Beyspiele,

so steigt die

Hingegen

daß sie zu Herbst, und Frühlings-

Vierter

Brief.

47

zeiten nicht höher als Altona gekommen ist, folglich innerhalb einer Viertelstunde Weges nicht einmal Ham­ burg erreicht hat. Kaum sind es dreyßig Jahre, daß man angefangen hat, regelmäßige Beobachtungen über die Ebbe und Fluth zu Hamburg zu machen. Man errichtete endlich einen Messer, oder sogenannte Scala, an welcher diese Erscheinung seitdem genauer beobachtet, und woraus die Mtttelzahlen gezogen worden sind. Man seht die ge­ wöhnliche Fluth auf sechs bis sieben Schuh, d. h. die gewöhnliche Niedrigste Fluth steigt sechs bis sieben Schuh höher, als die gewöhnliche niedrigste Ebbe. — Dey einem starken Winde, der geradezu gegen die eintrctende Fluth wehet, steigt sie nicht ganz sechs Schuh, und einige Canale bleiben dann fast ganz ohne Wasser, oder bekommen dessen nur sehr wenig, wodurch übler Geruch und alle die Unbequemlichkeiten cintreten, deren ich weiter oben gedacht habe. —- Je mehr der Wind Nord­ westlich ist, und je heftiger er wehet, desto höher steigt dre Fluth: und so sieht man sie gelegentlich zwölf Schuh hoch. Steigt sie bis vierzehn, so werden Kanonen ge­ löst, um die Gefahr anzuzeigen, und die Leute zu warnen, ihre Keller, Speicher und untersten Stockwerke zu verwahren, so gut sie können. Steigt die Fluth noch höher, so tritt das Wasser in die niedrigen Theile der Stadt, ohne daß man Mittel hat, sich gehörig da­ gegen zu sichern; die Leute in den untersten Stockwerken müssen, oft um Mitternacht, weil sie die erste Warnung immer nicht genug achten, ausziehen, und der Schade in den Kellern und Speichern ist mehr oder weniger be­ trächtlich, je nachdem die Fluth steigt und anhält. — Vergangenen Sonnabend, den 9teil September trat ein solcher Fall ein. Ich fuhr Abends um sieben Uhr, unter Flottbeck, an der Elbe über eine Straße, von der ich das Wasser nie anders, als in einiger Ferne

48

Vierter

Brief.

gesehen hatte. Jetzt stand es so hoch auf dieser Straße, daß cs bis an die Achsen des Stuhlwagens ging, auf dem ich fuhr. Dabcy waren die Wellen vielleicht an die zwey Ellen hoch, machten die Pferde, an die sie gewaltsam schlugen, scheu, und bie Fahrt gefährlich. Das Landhaus, auf das wir gehen wollten, liegt noch etwas tiefer an der Elbe hmab, und wir fanden bald, daß das Wasser auf der gewöhnlichen Straße zu hoch war, um durchzukommen. Auf einem Umwege, der etwas höher liegt, erreichten wir den Ort unserer Be­ stimmung. — Als ich wieder nach Hamburg kam, erfuhr ich, daß viele Leute in dieser Nacht ihre Woh­ nungen hatten verlassen müssen, und daß die Fluth auf fünfzehn Schuh vier Zoll gestiegen war. — Die größte Gefahr ist, wenn ein solcher Wind zehn, zwölfund mehr Stunden, folglich auch über die Ebbe hmaue und bis zur nächsten wicdertehrenden Fluth dauert. Die Elbe ist alsdann zu voll, der Wind laßt die große Wassermasse nicht genugsam durch die Ebbe abfließen, und die nächstfolgende Fluth steigt nun natürlich nock­ höher, als die vorhergehende. Man sagt mir von Fallen, in denen sie die Höhe von achtzehn Fuß erreicht habe.

Vergleichen Sie mit diesen Zahlen die Angaben, die der Herr von Heß in seiner Beschreibung von Ham­ burg geliefert hat, und Sie werden finden, daß es un­ gefähr dieselben sind, wenn Sie nämlich bemerken, daß dreser Schriftsteller nicht von der niedrigsten Ebbe aus­ geht, sondern von einer gewissen Zahl auf der Scala (sechs Fuß acht Zoll) an rechnet, weil man nämlich die Null auf der Scala weit tiefer angenommen hat, tiefer als es vermuthlich mit der niedrigsten Ebbe der Fall seyn wird. Diesen Bemerkungen und diesem terminus a quo, der sechs bis siebet Schuh niedriger, od^r tiefer ist, als der meinige, gemäß, giebt er folgende Resultate:

Brief.

Vierter

Gemein niedriges Wasser steht auf der Scala

49 Fuß 6 Zoll 8

Gemeines hohes Wasser — 13 — 4 Ziehen @ic seinen teiminus a quo sechs Schuh acht Zoll von dreyzehn Schuh vier Zoll aö, und Sie bekommen sechs Schuh acht Zoll zur Höhe der gewöhnlichen Fluch:

und das ist, was ich, weiter oben, durch sechs bis sieben

Schuh als eine Mittelzahl der gewöhnlichen Fluth angab. Bey Springzeit, das ist, kurz nach dem neuen und vollen Monde, da denn die Fluch allemahl etwas höher

steigt, als gewöhnlich, steht Niedriges Wasser, oder Ebbe auf der Scala

Fuß 6 Zoll 4^

hohes Master oder höchste Fluth

—13

— 7}

— 7



Größe

der Springfluch,

indem Sie

abermahl die obere Zahl von der untern abziehen Also wäre eine gewöhnliche Sprinqfluth

)

höher als eine gemeine gewöhnliche Fluth--------- — 7 Ein außerordentlich niedriger Wasserstand, dergleichen sich kein Mensch ermnern konnte, war den 171CH Novem­

ber 1787.

Das Wasser stand an der Scala zwey Fuß

sieben Zoll.

Eben so außerordentlich und unerhört war

das Wasser den Sten November 1756

Ls traf auf der

Scala fünf und zwanzig Fuß, folglich eilf Fuß acht Zoll höher, als gewöhnliches hohes Wasser, oder, es stieg, wie ich es vorher ausdrückte, über achtzehn Schuh. Zie­

hen Sie die zwey Schuh sieben Zoll des niedrigsten von den fünf und zwanzig Schuhen deo höchsten Wasserstandes ab, und Sie werden den ungeheuern Unterschied von zwei­ und zwanzig Fuß fünf Zoll sinden. Der Herr Professor Büsch hat der Stadt den Vor­

schlag gethan,

dem Uebel der lleberschwemmungen ver­

mittelst zweyer Damme abzuhelsen, die er am obern und untern Eingänge quer durch den Hasen führen möchte. Er hat die Kosten auf acht hundert tausend Mark berechnet, und

Kuttnerö R- 1. Th.

4

behauptet, daß der Schade, den eine einzige Ueberschwem« mung bisweilen angerichtet hat, weit beträchtlicher gewesen ist. Der Vorschlag gefiel sehr, weil er eben nach einer besonders großen Uebuschwemmung kam, in der vorzüglich so viel Indigo geschmolzen war, daß man in den Gassen nichts als blaues Wasser sah. Allein sey es, daß man der Zweckmäßigkeit des Planes oder der Summe der Angabe nicht traute, es ging damit wie mit vielen andern gemeinnützigen Vorschlägen, die nach einer eben überstan­ denen Gefahr gemacht werden; je weiter man sich von der Gefahr entfernt, je gleichgültiger wird man dagegen. Uebrigens habe ich auch meine Zweifel über die Summe, mit der er das Werk auszuführen denkt, wenn es nur anders erlaubt ist, Zweifel gegen die Angabe eines Man­ nes zu äußern, dessen Gelehrsamkeit in Maschinen und im Wasserbaue bekannt ist. Allein jedermann weiß ja, wie eS gewöhnlich mit Dauangaben ist. Es ist eine bekannte Erfahrung, daß der Dilettant einen Dau immer höher anschlägt, als der Baumeister, und daß der Dilettant die mehresten Mahle Recht hat. Ich habe Sie nun durch die Stadt Hamburg und einen Theil der umliegenden Gegenden geführt. Noch bleiben mehrere Dörfer übrig, die theils durch die Landfitze merkwürdig find, welche die Hamburger da haben, theils durch die öffentlichen Häuser, die den Städtern zur Erhohlung und Belustigung dienen. Die an der Elbe habe ich schon genannt, Blankenese ausgenommen, das jetzt nicht mehr sehr besucht wird, theils wegen der Ferne und des Mangels an gehörigen Vorkehrungen, theils auch, weil die Gegend umher wirklich nicht in dem hohen Grade romantisch und schön ist, als manche dafür halten. Die Aussicht nach der Elbe weggerechnet, und ein paar hübsche kleine Partien ausgenommen, ist denn doch das übrige nur gemeines Land.

Vierter Brief. Merkwürdig ist ein Landsitz, den ein Engländer in einiger Ferne von Blankenese und Dockenhude in einer ganz wilden und unangebautcn Gegend angelegt hat. Angezogen durch den wohlfeilen Preis eines Grundbodens ohne Werth, hat er auf einer Anhöhe ein großes, ansehn« liches Haus errichtet, und Englische Anlagen umher gemacht. Die Gegend ist sandig, ganz nackt, und jedem rauhen Winde ausgesetzt. Nie wird der Eigenthümer den Schatten der Bäume erleben, die er auf dem undankbaren Boden gepflanzt hat, wenn sie anders je gedeihen. — Noch ein Stück über dieses Besitzthnm hinaus liegt ein kleines, unbedeutendes Haus, wohin man gelegentlich den neugierigen Fremden schickt, der Aussicht wegen, die man da auf die breitere und offnere Elbe hinab hat. Hier ist gleichsam das Ende des angebauten Landes, und die letzte Grenze der Hamburger Besitzungen. Freylich gewährt diese Weite und Breite des Flusses einen großen Anblick; allein ich fand das Land umher so nackt und so schlecht, daß ich eS nicht der Mühe werth halte, an die drey Stunde» Weges von Hamburg hierher zu machen. Wer aber einmahl bis an das oben genannte HauS des Engländers gekommen ist, wird es nicht bereuen, eine kleine Viertelstunde weiter zu gehen, um dieses Anblickes zu genießen. Unter den noch übrigen Dörfern sind Ham, der Stadt gehörig, und Wandsbeck auf Holsteinischem Boden, die merkwürdigsten. Zn der Nähe des erstem ist der ansehnliche, theils in Französischem, theils Holländi« schein Geschmacke, angelegte Garten der Madam Voght, Mutter des Etatsrathes. Er hat seine Verdienste in seiner Art, und ist, so wie das ansehnliche Haus, sehr gut unterhalten. Merkwürdiger, umfangender, auch in einem ganz andern Style angelegt, ist der Garten deS Herrn Chapeau Rouge, eines Hamburger Kaufmannes. —

52

Vierter

Brief.

Zn dieser Gegend wohnt auch seit einiger Zeit der ehemahlige Französische General Dumourier, der sehr ein­ geschränkt lebt, und wenig Gesellschaft sieht. Indessen habe ich ihn getroffen! Ich fand in seinem Umgänge den Witz, die Gewandtheit und Lebhaftigkeit, den schnellen und scharfen Blick, und jene leichten und angenehmen Wendungen, die in seinen Schriften so sichtbar sind, und den Leser so sehr anziehen. Mit einer Unbefangenheit, die vielleicht nur em Franzose in dem Grade haben kann, spricht er, als gingen sie ihm nichts an, von Dingen, an denen er selbst einen großen Antheil hatte. Während daß ein Deutscher, in seiner Gesellschaft, gerade um feinet* willen, gewisse Gegenstände mcht berühren würde, bringt er selbst die Unterredung aufPolitik, auf die Französischen Geschäfte jenes Zeitpunctes, da er selbst eine große Nolle dabep spielte, und redet mit gleicher Unbefangenheit von der Schlacht bey Zemappe, und von der bey Nerwinden. — Er hat bey seinem Aufenthalt in Deutschland unsere Sprache gelernt, und man sagt mir, eine seiner Beschäf­ tigungen sey jetzt, das Werk in das Französische zu über­ setzen, das der Hamburgische Domherr Meyer kürzlich über Paris herauegegebeu hat. — Sie wissen, daß man oft von dem General Dumourier gesagt hat, daß er sich, als er an der Spitze der Französischen Armee stand, ein ansehnliches Vermögen erworben und gerettet habe. Manche gingen so weit, daß sie die Summe bestimmen wollten, die er in die Englischen Fonds gelegt habe. Diejenigen, tye hier am genauesten mit ihm verbunden sind, behaupten, daß er äußerst wenig gerettet habe, und daß seine Schriften jetzt die vornehmste Quelle seines Einkommens seyen. Seine Lebensart und seine häus­ lichen Einrichtungen sind die eines Mannes von einge­ schränktem Vermögen. Mit ihm lebt die Freundinn, deren er in seinen Memoiren gedenkt. — Einst zog er in einer Gesellschaft, da man eben von Gemählden sprach.

und einige Miniaturen besah, eine güldene Dose mit dem Portrait Ludwig XVI. aus der Tasche.

9ßtr untersuchten

das Gemählde, und er setzte hinzu: „Dieß ist die Dose, die ich der Nationalversammlung mit den Worten über­ reicht haben soll: ich wellte nichts von einem Verrather besitzen." — Er tragt das Ludwigskreuz nicht.

W a n d s b e ck ist schon längst durch Herrn Clandius

bekannt, der mit seiner Familie seit vielen Jahren hier wohnt. Seit einiger Zeit hält sich auch hier der geheime Rath von Jakobi auf, der sonst bey Düsseldorf auf einem allerliebsten Landsitze das stille Leben des Weisen führte. Er bewohnt das herrschaftliche Schloß des Grasen von

Schimmelmann,

zubringen.

wird aber den Winter m Hamburg

Es ist der Jakolu,

den Sie durch seinen

Woldemar und andere Werke kennen.

Auch sein Sohn

hat )eht die Familie nut einem Schriftsteller vermehrt. Er machte mit dem altern Grafen von Stollberg dre Reise durch Italien, und schrieb darüber zwey Bändchen „Briefe

in das väterliche Haus/' die ich mit Vergnügen gelesen habe.

Uebrigens liegt Wandsbeck in einer sandigen, an sich selbst unfruchtbaren Gegend,

und ich habe nie etwas

Schönes darin entdecken können,

als das,

schenarme und Fleiß hervorqebracht haben.

was Men­

Das Schloß

ist ansehnlich, und hat hübsche Garten im Französischen Geschmacke.

Alle diese Oerter um Hamburg haben vieles von dem

Ansehen eines Holländischen Dorfes, wollen, von kleinen Städten. schäftigungen des Feldbaues

erinnert habe, nur wenig.

oder, wenn Sie

Von den eigentlichen Be­ sieht man,

wie ich schon

Außer den öffentlichen Hau­

sern, Landhäusern und Gärten finden Sie in den mehre-

sten dieser Dörfer noch eine große Menge kleiner Besitzun­ gen und Häuser, deren Eigenthümer' mancherley treiben,

und

alles sind,

was Sie wollen,

nur keine Dauern.

54

Vierter Brief.

Gelehrte, Künstler, Handwerker, Französische Emigran­ ten , kleine Krämer, Arbeiter aller Art, die von der Stadt leben, Leute, die in ihrem Vermögen oder Ge­ werbe zurüekgekomwen find, Bankerottierer, Abenteurer, Leute, die aus Hamburg vertrieben worden find, kurz, Menschen aller Art. Hamburg ist Sonntags ein trauriger Ort! Da die Zahl derer, die ohne Geschäfte bloß von ihrem Vermögen leben, verhältnißmäßig nur geringe ist, so find die mehresten Einwohner sechs Tage der Woche hindurch beschäftiget. Der Sonntag ist der Erhohlung und der Freude gewidmet, und jedermann eilt auf das Land. Wer nicht selbst ein Landhaus hat, und auf keines geladen ist, und gleichwohl nicht in der Stadt bleiben will, geht auf irgend einen öffentlichen Ort, dergleichen es denn, für verschiedene Classen und Deutel, mancherley giebt. Einige sind sehr anständig, reinlich und überaus wohl eingerichtet. In einigen wird im Sommer alle Sonntage eine offene Tafel gehalten, an der jedermann gleich« Rechte hat und gleiche Preise bezahlt. In andern speist man an besondern Tafeln, wo ein jeder bestellt, was er wünscht. — Man miethet vorläufig einen Wagen, der zwölf bis sechzehn Mark des Tages kostet, die Zehrung des Kutschers, die man auch bezahlen muß, ungerech­ net. — ( Zwey Jahre nachher mußte ich achtzehn Mark für einen Wagen bezahlen.) Wer diesen Aufwand nicht machen will, findet an allen Thoren Stuhlwagen in Menge, welche, für einen billigern Preis, bereit find, jeden Augenblick , und wohin man will, abzufahren. Ich habe bemerkt, daß viele bey einem solchen Fuhrwerke stehen bleiben, und warten, bis sich sechs oder acht Per­ sonen eingefunden haben, welches gewöhnlich nicht lange dauert. Jeder bezahlt alsdann eine Kleinigkeit, die der Kutscher gleich vom Anfänge her festsetzt, und hat sich dann weiter um nichts zu bekümmern. — Stellt man

Vierter

Brief.

55

sich an einem schönen Sonntage, kurz vor dem Thorschlüsse, an eins dieser Thore, so ist das Gewimmel unbeschreiblich. Jedermann wünscht, auf dem Lande zu bleiben, so lange er kann, besonder-, wenn die Tage, wie jetzt, schon wieder kurz werden, und die Kutscher haben ein ziemlich richtiges Maß. Zch bin so ziemlich gewiß, daß die grö» ßere Hälfte aller derer, die zurückkommen, im Verlaufe von zehn bi- fünfzehn Minuten eintreffen. Fußgänger, Wagen, Reiter, alles drängt sich dann einander, und der Anblick ist wahrhaft unterhaltend.

Fünfter Brief. Nöthige Behutsamkeit im Tadel dessen,

einem fremden Orte sieht. —

was man an

Ist der Dorwurf gerecht,

den man dem Hamburger macht, daß er das Geld über

alles liebelt —

Spiel.

Hamburq im September 1797.

Nichts ist gewöhnlicher unter Rcisebeschreibern, als daß

sie, nach einem kurzen Aufenthalte in einer Stadt, eine

gewisse Zahl von Dingen bemerken, die an ihrem Wohn­ orte, oder an solchen, die sie vorzüglich kennen, anders sind, oder auf eine andere Art gemacht werden. Sie

setzen sich dann richterlich hin, tadeln und verbessern, und

das sehr oft,

ohne sich nur träumen zu lassen,

daß die

Klugen und Verständigen, deren cs doch an )edem Orte

eine gewisse Zahl giebt, das Nämliche langst auch bemerkt haben müssen, daß aber gewöhnlich für solche Dinge eine Menge guter Ursachen und Gründe da sind, die der Fremde, weil sie tiefer liegen, nicht immer gewahr wird.

Es ist eine unlaugbare Sache, einem kurzen Aufenthalte,

daß der Reisende,

und Gewohnheiten eines Ortes nur einseitig sieht.

Einwohner,

bey

die mehresten Einrichtungen Die

die ihn am besten darüber zurecht weisen

könnten, haben entweder keine Zert dazu, oder es findet sich nicht immer Gelegenheit, solche Dinge zu Gegenstän­

den der Unterredung zu machen; oft auch nimmt der Fremde von diesen Mannern nicht genugsam Lehre an.

Fünfter

Brief.

57

oder sie fallen nicht in den Zirkel seiner Bekanntschaften.

Die große Zahl der Einwohner eures jeden Ortes aber

ist die mehresten Mahle gar nicht im Stande, für eine Menge Dinge gute Gründe anzugeben,

weil

bey der

großen Mehrheit die besten Gründe immer die sind, daß

es von jeher so war, und daß man es nie anders gesehen hat. Auf der andern Seite sind die Einheimischen wieder eben so ungerecht, und selbst unter den Bessern und Ver-

nünftigern,

(ich rede hier nicht von den Unzufriedenen

und Frondcuis) giebt es nur wenige, die so ganz ehrlich wären, um nicht zu glauben, daß sie gegen einen Fremden die Schwachen und Mängel ihrer Vaterstadt vertheidigen, wenigstens verschlcyern müssen. Sicher ist es, dass das geübte Auge eines Reisenden an einem fremden Orte eine Menge Dinge weit richtiger und scharfer sieht,

als der

Eingeborne, aus der ganz einfachen Ursache, weil er nicht von Kindheit an daran gewöhnt gewesen ist, und weil er keine Art von Vorliebe dafür hat.

Nur muß er nicht

einen Maßstab mitbringen, den er an irgend einem beson­

dern Orte bekommen hat!

Wie viele giebt es nicht, die

eingeschränkten Blicke ihrer kleinen Vaterstadt

mit dem

alles sehen, alles messen, was ihnen an andern Orten vorkommt!

Daher sind viele Bemerkungen so schief, die

wir als Zünglinge bey einer ersten Ausflucht machen!

Nur durch lange Uebung, durch vervielfältigtes Sehen,

durch häufigen Wechsel unseres Aufenthalts,

durch die

Mannigfaltigkeit der Orte, die wir besuchen, und durch die wiederhohlte Ueberzeugung, daß wir uns oft irrten,

erweitern wir allmählig unsern Blick, benehmen unserm Maßstabe das Besondere, und verlieren jene eingeschränkte,

die alles,

was ihr vorkommt,

immer nur auf einen einzigen Ort,

und auf Ein Land

kleinliche Art zu sehen, bezieht.

Und selbst dann sind wir noch Nicht von Irrun­

gen frey!

Zch wenigstens gestehe offenherzig,

daß ich

58

F ü n fter

Brief.

mich, im Verlaufe von so vielen Zähren, mannigfaltig geirrt habe: und diese feste Ueberzeugung giebt wir den eben so festen Glauben, daß ich mich noch gelegentlich irren werde, ohne jedes Mahl im Stande zu seyn, meinen Irrthum zu entdecken. — Man hat mir vorgeworfen, daß ich die mehresten Orte und Lände/, in denen ich mich längere, oder kürzere Zeit aufgehalten, mit einer Art von wohlwollender Par­ teylichkeit gesehen hätte. Aber entstand nicht diese soge­ nannte Parteylichkeit gerade aus dem Umstande, daß das, was anfangs tadelnswerth schien, bey einer genauern Prüfung sich nicht mehr so fand? Es ist mir an sehr vielen Orlen von Europa begegnet, daß ich gegen Reisende, die sich da zu gleicher Zeit mit mir aufhielten, eine Menge Dinge, die sie ohne Unterlaß angriffen, vertheidiget, und mit Gründen vertheidiget habe. — Eben so glauben die mehresten Fremden, an dem jedesmahligen Orte ihreAufenthalts über eine Menge Dinge sich zu beklagen zu haben; gleichwohl habe ich mein ganzes Leben hindurch gefunden, daß die größere Zahl derer, welche klagen, Unrecht hat, und daß die mehresten Mahle der Grund in ihnen selbst, und nicht in der Gesellschaft, oder in bim Orte lag, in welchem sie sich aufhielten. — Wer sich aber gewöhnt, alles, was ihm an einem fremden Ort« tadelnswerth scheint, genau zu prüfen, und die Ursachen und den Grund davon zu untersuchen, wird die mehresten Mahle weit weniger zu tadeln finden, als er anfangs glaubte. Um wieder auf Hamburg zu kommen, so sehe ich auch hier von den mannigfaltigen Dingen, die die Fremden so gern tadeln, eine beträchtliche Zahl; allein von mehrer» bin ich schon zurückgekommen. So fällt z. E. vielen Fremden die zahlreiche Garnison hier auf, di« aus besoldeten Truppen besteht, über zwölf hundert Mann stark ist, keineSwege« zur Vertheidigung der Stadt, als einer Festung, dient

Fünfter

Brief.

59

und dienen kann, und überdieß ncch von der zahlreichen Dürgerwache unterschieden ist, welche letztere nur des AbendS aufziehl und die Wälle m der Nacht bewacht, womit die besoldeten Truppen nichts zu thun haben. Diese zahlreiche Garnison ist aber, ohne alle kriegerische Rück­ sicht, sehr nöthig zur Aufrechthaltung der Ordnung in einer Stadt, in der man letzt ungefähr hundert und zwan­ zig tausend Seelen zählt, wo der Zanhagel, wie in allen Seehäfen, sehr unbändig ist, wo er noch gewisse verwor­ rene Begriffe von retchsstädtischer Freyheit hat, und durch die Zumischung der vielen fremden Matrosen, die sich, wie alles Schiffsvolk, so bald es auf dem Lande ist, für unabhängig halten, wirklich gefährlich wird; wo endlich die Zahl der Handwerksburschen sehr beträchtlich ist, die hier, so wenig als in den monarchischen Ländern Deutsch­ lands, sich nach den allgemeinen Landesgesehen fügen wollen. Dey einem Aufstande dieser letztem wurden vor einigen Zähren mehrere niedergeschvssen, ehe man die ganze Masse zur Ruhe bringen konnte. — (Auch dieser Umstand ist heftig getadelt worden; als ob es nicht besser Wäre, gelegentlich einmahl ein paar Menschen aufzu­ opfern, als den Frieden von ganzen volkreichen Städten ohne Unterlaß durch das Aufstehcn der Handwerksburschen gestört zu sehen! zu geschweigen, daß die Gefängniß» und Zuchthausstrafen, die gemeiniglich so viele treffen, am Ende eine größere Menschenmasse unglücklich machen, als wenn man durch den gelegentlichen Tod einiger wenigen das Ganze in Ruhe erhielt.) — Diese Hamburger Stadttruppen werden nicht gebraucht, um vor dem Thore eines Bürgermeisters Schildwache zu stehen; wohl aber findet man sie in mehreren Hauptwachen, die in den ver­ schiedenen Theilen der Stadt, ohne einen besondern, an» fcheinlichen Zweck, zerstreut sind. Selbst auf dem bekann­ ten Spaziergange, dem Zungfernstiege, findet sich eine, die wohl keinen andern Zweck haben kann, als augenblick-

6o

Fünfter

Brief.

lich die Unruhen zu stillen, die unter den vielen Menschen,

die immer spazieren gehen, entstehen könnten. Ein anderer Gegenstand des Spottes der Fremden und zum Theil der Klage der Lingebornen selbst ist, daß

der Thorschluß zu jeder Jahreszeit mit der einbrechen­ den Dämmerung Statt findet; er ist allgemein; und für kein Geld, und durch keinen Einfluß ist die Oeffnung eines Thore- zu erlangen. Dieß ist äußerst unbequem, wenn man die Menge der Einwohner bedenkt, die im Sommer

auf dem Lande wohnen, oder wenigstens die Nächte da

zubringen.

Wird jemand plötzlich krank, so ist kein Arzt

zu haben; hohlt man aber einen Arzt spät aus der Stadtso kann dieser nicht wieder zurücktehren, und muß'dort

seine Kranken vernachlässigen. Wird ein Mann durch Geschäfte aufgehaltcn, so muß er in der Stadt bleiben,

während daß seine Familie auf dem Lande ist.

Begegnet

denen, die auf dem Lande gespeist haben, irgend ein Zu­

fall, irgend etwas Unvorhergesehenes, 'das sie unterwegs aufhälr, so finden fit bey ihrer Ankunft das Thor ver­ schlossen. —

So wie die Tage kürzer werden, nimmt

diese Unbequemlichkeit zu.

Diejenigen, deren Landgüter

in einiger Ferne liegen, dürfen von dem Ende des Augusts

an keine Gäste mehr zum MittagSessen erwarten. —

Um

Weihnachten herum wird das Thor um vier Uhr geschloffen,

und auch früh verhältnißmäßtg spät geöffnet.

Eben so ist

eS mit dem Hafen, dessen Schluß und Oeffnung sich nach

den Thoren richtet. Ursprünglich mag der Thorschluß hier die nämliche Ursache gehabt haben, wie in den eigentlichen Festungen und in mehrern Deutschen Schweitzerstädten, die freylich letzt von Festungen nur noch den Namen haben.

Die

Unsicherheit der Zeiten machte das nothwendig, und man

schloß das Thor wirklich in der Absicht, damit kein Feind hincindringen könnte.

Allmählich sind andere Vortheile

daraus entstanden, die aber freylich auch ihre großen Utt»

Fünfter

bequemlichkeiten haben.

61

Brief.

Dadurch,

daß nach Einbruch

der Dämmerung niemand weder herein, noch heraus kann,

wird alle das Gesindel entfernt, das immer in der Nähe großer und reicher Städte wohnt, und welches, wenn ihm die Thore offen ständen, die Gassen unsicher machen wür­

de,

die man jetzt in allen Stunden der Nacht ruhig

durchwandert.

Sich einschlicßen zu lassen, ist schon grö­

ßer» Schwierigkeiten unterworfen.

Man muß irgendwo

übernachten, oder man erregt, wenn man die ganze Nacht in den Gassen zubringt, die Aufmerksamkeit der Wächter;

auch läßt sich der Raub in der Dunkelheit leichter heraus­

bringen, als am vollen Tage. — die keine Landhäuser haben,

Diejenigen Bürger,

besuchen häufig mancherley

öffentliche Orte auf dem Lande, wo sie, wenn das Thor nicht geschlossen würde,

zu Abend

Theil der Nacht zubringen würden.

speisen,

und einen

Durch den Thor­

schluß sorgt man für ihre Beutel, ihre Gesundheit und ihre Sitten. — Endlich findet sich noch ein Hauptgrund

für den Thorschluß,

der auf den Vortheil einer großen

Menge von Bürgern gegründet ist; und da eine Sache die­

ser Art nicht ohne Zustimmung der Bürgerschaft abgeschafft

werden kann, so begreifen Sie leicht, daß eine Aenderung schwer seyn wird. Dieser Umstand ist erklärt, sobald ich Ihnen sage, daß Hamburg eine sehr große und wenig bebaute Vorstadt hat.

Die Stadt selbst hingegen ist bis zum Ekel

angebaut; die mehresten Gaffen, besonders in veralten Stadt, sind enge, und überall fehlt es an Platz.

Die

Miethe ist also sehr theuer, und der Werth der Häuser

steht überaus hoch.

Sollte die Vorstadt, durch Auflassen

der innern Thore, je mit der eigentlichen Stadt verbunden werden,

so würde man in der erstem sogleich mehrere

hundert Häuser bauen, und die in der Stadt verlören so und so viel pro Cent von ihrem gegenwärtigen Werthe.

Da aber die sämmtliche Bürgerschaft in dieser Sache zu stimmen hat, so frage ich.Sie, ob je die Mehrheit einer

61

Fünfter

Brief.

ganzen Stadt den allgemeinen Vortheil, wenn auch dieser erwiesen wäre, ihrem Privatnutzen vorziehen wird? e)

Man wirft dem Hamburger Pöbel vor, daß er äußerst roh und grob sey, daß er häufig Schlägereyen unter sich habe, daß selbst die bessern Classen bisweilen mit ihm in Verdrießlichkeiten geriethen, und genöthiget würden, handgemeng mit ihm zu werden, und daß als« dann die Umstehenden gern mit zuschlügen, auch wenn die Sache sie nichts anginge, und ohne die Ursache des Streitzu wissen, oder zu untersuchen. — Etwas mag von dem allen wohl wahr seyn, weil ich es so oft höre, und weil so viele (freylich größtentheils Fremde) es behaupten; ich selbst habe indessen wenig davon gesehen, und durch Erfahrung kenne ich die Sache gar nicht. — Einen ge­ wissen Trotz, und eine Art plumpen Stolzes findet man mehr oder weniger unter den niedern Classen aller kleinen Republiken und freyen Reichsstädte. Der niedrige Bürger hält sich immer für besser, als den Unterthan einet? monar­ chischen Landes: und so aristokratisch auch die Regierung vieler Reichsstädte ist, und so wenig Antheil der niedrige Bürger daran hat, so lebt doch noch immer in ihm ein gewisser dunkler Begriff von dem, was er für einen republikanischen Bürger hält, und giebt ihm ein gewisses Selbstgefühl, das freylich das Gepräge seiner Erziehung annimmt, und also mit Ungezogenheit sich äußert. Die Verfassung Hamburgs hat wirklich eme größere Mischung von DemocratiSmus, als die so mancher andern Reichs­ städte, und selbst der niedrigste lebt hier in keiner Art von Unterdrückung, so wenig als in schmählicher Armuth, weil der Erwerb mannigfaltig und leicht ist. — Dem2) Demungeachtet habe ich seitdem erfahren, daß man es endlich dahin gebracht hat, daß das Thor zwischen Ham­ burg und der Vorstadt offen bleibe.

Fünfter

Brief.

63

ungeachtet wiederhohle ich hier im Ganzen, was ich schon pon dem Pöbel in der Gegend des Hafens erinnerte: ich habe nie Ursache gehabt, über irgend eine Art der Ein­ wohner Hamburgs Klage zu führen. — Da ich nicht zwey Diener halten wollte, dankte ich, wenige Tage nach meiner Ankunft, den Lohnbedienten ab, und lernte allein gehen. Dieß ist in den engen und verwickelten Gaffen dieser Stadt keine Kleinigkeit, besonders wegen der Canäle und ihrer Drücken, ohne deren Kenntniß man alle Augen­ blicke genöchtget ist, den Weg wieder zurück zu machen, den man so eben vorwärts ging. Ich verirrte mich also zu wiederhohlten Mahlen, mußte sehr oft Menschen der niedrigern Classen um Zurechtweisung bitten. Ihre Ant­ worten waren immer höflich, und ihr Bescheid gut; oft leuchtete eine ausfallende Gutmüthigkeit und Bereitwilligfeit zu dienen dabey hervor, und das ohne alle Rücksicht auf Gewinnst. Zch führe den letztem Umstand deßwegen an, weil manche Reisende behaupten, man könne nicht leicht zu Hamburg nach etwas fragen, ohne eine Beglei­ tung zu erhalten, welche denn natürlich bezahlt werden muß. Auch das ist mir nicht begegnet; aber freylich sollte man vermeiden, sich mit Fragen an die niedrigsten und armseligsten Menschen zu wenden, nicht um die Kleinig­ keit zu ersparen, die man etwa geben müßte, sondern weil an allen Orten die Menschen dieser Classe beschwerlich, und schon ihrMitgehen und ihre weitläuftigen Erklärungen unangenehm sind. — Müßiggänger sehe ich hier unter den niedrigen Classen nur wenige, den Hafen ausgenom­ men, wo es allemahl mehrere geben muß, wäre auch sonst niemand da, als die Matrosen, welche Erlaubniß erhalten, ihr Schiff zu verlassen. Auch finden sich viele hier em, um Arbeit zu suchen, oder aufArbeit zu warten. Unter den gemeinen Leuten im Hafen giebt es manche, die ein wenig Englisch, Holländisch, Dänisch u. s. w.z sprechen.

Fünfter

64

Brief.

Man wirft dem Hamburger vor, über alles schätze,

daß er das Geld

und daß er den Werth eines Mannes,

und die Achtung, die ihm gebührt, nach seinem Vermögen

messe.

Ich habe diese Anklage gehört und gelesen, und

besonders erinnere ich mich rhrer aus dem Munde auswär­

tiger Gelehrten,

mehrerer Reisenden überhaupt,

und

einiger adeligen Damen, die zu Hamburg wohnten, oder lange sich da aufgehalten hatten. — Den nämlichen Vor­ wurf macht man dem Holländer, zum Theil auch dem

Engländer und den Bewohnern mehrerer Deutschen Han­ delsstädte;

und was mich am meisten dabey belustiget,

ist, daß verschiedene Orte einander gegenseitig über diesen Punct anklagen. Ich hatte wohl Lust, diesen Artikel

einmahl naher zu untersuchen. —

Zst es wirklich ein

Vorwurf, der insbesondere dreses oder jenes Land, diese oder jene Stadt trifft, oder ist es eine allgemeine Be­

merkung,

die auf Reichthum überhaupt,

und also auf

alle reiche Lander, reiche Städte und reiche Individuen paßt? In dem letztem Falle wäre es bloß ern Gemein­ platz, bloß eine speculative Bemerkung über Reichthum, mrd also höchstens eine moraltsche Wahrheit,

die den

Satz in stch faßte: daß dre nämlichen Ursachen überall ungefähr die nämlichen Wirkungen hervorbringen. Geld ist Macht! Schon Tacitus nennt es den nervum rerum

gerendarum,

das Medium,

durch das man sich die

die in diesem Leben zu haben sind, verschaffen kann.' Alle Völker aller Zelten haben es ger mehresten Dinge,

schätzt, sobald sie aus der Barbarey herausgingen, und haben es immer mehr und mehr geschätzt,

und in dem

Maße, in welchem sie sich civilisirten, und je mannigfalti­ ger und zusammengesetzter ihre Bedürfnisse wurden. Auf einen gewlssen Grad also schätzen wir alle dieses Metall,

und nur ein Thor kann es verachten.

Die Reichen und

Großen schließen sich in den mehresten Landern an ein­ ander an:

und obschon Reichthum weder hohe Geburt,

Brie f.

Fünfte r

65

noch eine lange Reihe von Ahnen, ja in gewissen Ländern nicht einmahl eigentlichen Rang verschaffen kann, so erwirbt er doch überall seinem Besitzer An,

sehen, (oder man erlaube mir lieber das undeutsche Wort, Confideration) Macht und Einfluß. Er hat also einen wirklichen, wahren Werth, den auch der Philosoph nicht herabsehen kann. Auch liegt bey der

eines Reichen mehrentheils» etwas wesent­ So ist j. E. der Sohn einer wohlhabenden Familie die mehWürdigung

liches und moralisch schätzbares zum Grunde.

resten Mahle

besser

erzogen,

als

der

Sohn

eines

Armen: (Und dieses behaupte ich, aller Satyren unge­ achtet, die in so vollem Maße in allen Ländern auf die Reichen gemacht worden sind.) ©eine erste Erziehung ist größtentheils sorgfältiger, als die des andern, und be­ sonders fallt dieser Umstand in Rücksicht auf gesellschaft­ lichen Ton und Umgang auf. bildete Kreise kommt,

Da er frühzeitig in ge-

so lernt er, so wie der Edel­

mann, feinere Sitten, und wächst gleichsam darin auf. Auch bekommt er eine gewisse Scharfe von Ehrgefühl,

das ihm nicht erlaubt, eine niedrige Handlung zu begehen, und das sich selten, wenigstens in dem Grade,

bey dem findet, der in Armuth oder Niedrigkeit ausge­ wachsen ist. Wenn also Reichthum überall einen wesentlichen,

positiven Werth hat, so wird er auch überall eine ge­ wisse Schatzung finden.

So weit waren also alle Länder

und Städte in Rücksicht des Werthes, den sie auf Reich­

thum legen, einander gleich: und man sagt da von dem Hamburger, oder Frankfruther, von dem Engländer, oder Holländer nichts weiter, als was man von allen reichen Ländern und allen reichen Städten sagen kann, und was man vermuthlich von allen denen, die jetzt nicht reich find,

würden sagen können, so bald sie es würden, nähmlich

— einen Gemeinplatz. —

ÄunnciS Vi. r. T')

Also bliebe bloß die Frage 5

66

Fünfter

Brief.

übrig, ob in diesem, oder jenem reichen Lande, in die­ ser oder jener reichen Stadt, das Geld mehr geschätzt wird, als in andern reichen Landern, in andern reichen Städten? Und hier gestehe ich Ihnen / daß es nach allen meinen Reisen und bey allen meinen Erfahrungen, mir schwer fallen würde, wenn ich allenfalls die Holländer ausnehme, eine bestimmte Meinung zu geben. Ich habe so ziemlich überall gesunden, daß diejenigen, die dieses Metall besitzen, einen beträchtlichen Werth da­ rauf legen, und diejenigen, die es nicht besitzen, haben durch so mancherley mich überzeugt, daß sie cd ebenfalls sehr hoch schätzen. Der ganze Vorwurf, und alles Ge­ schrey über diesen Punkt kommt mehrentheils aus einer trüben Quelle. Sehen Sie nur zu, wer diejenigen gewöhnlich sind, die diese Vorwürfe am öftersten machen, und Sie werden finden, daß die größere Zahl aus Menschen besteht, deren Weltkenntnisse und Erfahrungen eben so eingeschränkt sind, als ihr Vermögen; Leute, die sehr oft den Reichthum bloß darum hassen, weit sie ihn selbst nicht besitzen, und die Reichen verschreyen, weil sie nicht in ihre Gesellschaften ausgenommen sind; Menschen, die gegen volle, oder leckerhafte Tafeln moralisiren, weil sie keinen Antheil daran haben, und sehr oft mit Verachtung von dem sprechen, was sie im Grunde bloß beneiden. Hiermit will ich keineswegs die Laster und Fehler der Reichen, ihren Stolz, ihre Insolenz, ihre An­ maßungen, ihre Weichlichkeit u. s. w. vertheidigen, so wenig als die Niederträchtigkeit, den Hang zum klein­ lichen Betrug, das Lügen, das Stehlen und die pöbel­ haften Gesinnungen der Armen. (Ich darf wohl kaum erinnern, daß es Reiche und Arme in Menge giebt, die nichts von dem Allen haben, und daß hier bloß von den Lastern die Rede ist, wo sie sich finden.) Ich denke also, jede Menschenklasse, jeder Stand hat seine

Fünfter

Brief.

67

Und so komme ich

ihm eigenen Laster und Tugenden.

auch hier wieder auf ein Lieblingssystem, nach welchem

daß Tugenden und Laster viel gleicher in

ich glaube,

der Welt vertheilt, und alles in allen Ständen und in

allen

Ländern sich

insgemein vorstellt.

viel ähnlicher

ist,

als

man sich

Kurz, so wie ich glaube, daß die

Masse der Glückseligkeit und

des wirklichen Genusses

hienieden so ziemlich gleich vertheilt ist, so ist auch die

Masse

der

und

Tugenden

verschiedenen

der

Laster

Stande und Menschenclassen sich so ziemlich gleich.

Daß

übrigens

der

handelnde Theil

eines Ortes

Werth auf Geld legt,

als die übrigen Einwohner, die ihr Einkommen auf eine andere Art

einen höhern

erhalten, und daß folglich

vorzüglich

in den Städten, die wir

mit dem Nahmen von

Handelsstädten be­

legen , Reichthum im Ganzen höher geschätzt seyn muß,

als da, wo diese Classe weniger hervorstechend ist, das

hat seine guten Ursachen, hat seinen Grund in der Der Kaufmann -kann nicht auf

Patur der Dinge. —

Ahnen stolz sey»/ die er nicht hat;

nicht auf hohen

Rang, den die bürgerlichen Einrichtungen dem handeln,' den Stande nicht anwcisen; nicht auf weit umfangende Gelehrsamkeit, zu der er nicht erzogen ist, und zu deren Erwerbung er keine Zeit hat. Gleichwohl lehrt

ihn die Erfahrung,

daß

er sich in seiner Lage die

mehresten guten Dinge dieses Lebens verschaffen kann, und daß er selbst von den Vortheilen nicht ganz ausge, schloffen ist, welche edle Geburt, hoher Rang, oder ein berühmter Nahme gewähren.

einiger Erziehung

Mit

und äußerer Bildung, nimmt er in den mehresten Ge­

sellschaften eine ehrenvolle Stelle ein:

und ob er schon

von den eigentlichen Höfen ausgeschlossen, und seltene Ausnahmen

gehören

nicht

(besondere

hierher)

und

tu bloß adeligen Zirkeln nicht zum besten gesehen ist, so weiß er doch mit Gewißheit, daß er sich die meh.

Fünfter

68

Brief.

resten Artikel des Genusses, den selbst diese Zirkel haben,

oft eben so gut und nicht selten besser verschaffen kann. Er weiß, daß der Mann von der edelsten Geburt und

vom höchsten Range mit Vergnügen sein wohl einge­

besucht, und daß er dein berühmtesten

richtetes Haus

Gelehrten Dinge anbiethen kann, die diesem eben darum chatzbar sind, weil er sie in seinem eigenen Hause nicht Wer, leichter als der reiche Kauf­

immer findet. — mann,

kann

sich

alles verschaffen,

was

die Natur

Gutes, die Kunst schönes und Industrie und Geschmack neues hervorbringen? —

Sind seine Stadt - und Land­

häuser nicht reicher, schöner und geschmackvoller meubliert,

ist seine Tafel nicht besser

und kostbarer besetzt, als

man bey den mehresten Individuen des kleinern oder mittlern Adels findet? — Wer kann leichter, als der reiche Kaufmann, beträchtliche Summen zu wohlthätigen

Anstalten und zu gemeinnützigen Zwecken Und wer giebt

das und

entbehren?

sie öfterer und reichlicher? —

Alles

so manche andere Dinge geben dem reichen

Hausmanne ein gewisses Selbstgefühl, das auf einen

wirklichen, moralischen und politischen Werth gegründet ist, und das ihm niemand übel nehmen sollte, so lange

cs nicht durch Unwissenheit, Plumpheit und Mangel an aller Bildung entehrt wird, oder in unvernünftige Am

maßung, oder beleidigenden Stolz ausartet. —

Alle

diese mannigfaltigen und wesentlichen Vortheile aber hat der Kaufmann seinem Reichthnme zu danken! Ist es also Nicht höchst natürlich, daß er einen vorzüglichen Werth darauf lege?

Einen höhern Werth als andere

Stände, die entweder für den Mangel des Vermögens

durch Geburt, Rang, berühmten Nahmen, hohe Stellen und durch andere Dinge schadlos gehalten werden? oder auch solche Stande, die durch ihren Reichthum ebenfalls große Vortheile genießen, aber ihn doch nur als etwas

Untergeordnetes betrachten, als etwas, das mit ihrer

Geburt, mit ihrer Lage im Leben zusammenhangt, und das sie ebendarum weniger schätzen, weil sie es mit andern, die

sie nicht als ihres Gleichen betrachten, gemein haben ? — Der Kaufmann hingegen sieht immer in seinem Geldeden

Grund

aller

desselben,

seiner Größe,

und in der Vermehrung

auch den Wachsthum von dieser.

daß der Güterbesitzer geneigt ist, seine

erweitern,

Wahrend

Ländereyen zu

und mit sehr kleinen Zinsen sich befriedigen

läßt, vermehrt der Kaufmann sein Capital, das er aufs

neue zu hohen Procenten umseht.



Endlich ist er

unmittelbarer mit Geld und Geldeinnahme verbunden, als jeder andere Stand: und die Zunahme des Vermögen­ ist bey ihm gewöhnlich schneller und in die Augen fallen­

der, als bey jeder andern 2(vt von Ertrage oder Erwerbe. Sein Reichthum ist seine beständige Beschäftigung, und

bas, was bey andern Mittel ist, ist bey ihm Zweck, und wird ihm erst in der Folge wieder zum Mirlel. Ich bin also weit entfernt, dem handelnden Stande

einen Vorwurf aus etwas zu machen,

diesem Stande unzertrennlich scheint.

mir von

das

Zeder vernünftige

Kaufmann wird und muß das Geld schätzen, und der Tadel kann nur in dem mehr oder weniger liegen, so wie

in der Anwendung dieses Geldes seine Ehre, oder seine Schande besteht. —

Ueber den Unterschied' und Grad

der Schätzung aber, nach verschiedenen Orten berechnet,

getraue ich mir nicht zu entscheiden. Auch wird gesagt, daß man zu Hamburg sehr hoch spiele.



Es ist damit, wie mit unzähligen andern

Dingen, die so von einem Orte gesagt und geschrieben werden.

Die Sache hat ihre vollkommene Nichtigkeit!

Wenn aber jemand sagt, daß man zu Hamburg außer­ ordentlich niedrig spielt, so redet er eben so wahr, und

hat eben so vollkommen Recht.

Whist

spielen

sehen,

Ich

wobey man

habe

öfters ein

in einem

Abende

gegen zwey hundert Thaler verlieren kann; aber ich habe

70

auch

Fünfter

in

sehr

hübschen

Brief,

Familien den Point zu acht

Schillingen spielen sehen. Uebrigens ist bekannt, daß im nähmlichen Zimmer der Werth einer Fische, oft sehr verschieden ist.

Am häufigsten sehe ich zu ein zwey und

drey Mark spielen,

wobey

Sie zehn, zwanzig

oder

dreyßig, höchstens vierzig Thaler verlieren oder gewinnen können. Freylich giebt es auch Männerparticn, wie überall, wo man zu jedem Preise spielt; aber in den Familien ficht man das selten. L'Ombre wird fast überall höher gespielt als Whist, weil man durch einen

nahmhaft geringen Einsatz sich selbst hintergeht, und die

Summe, die man verlieren oder gewinnen kann, sich nicht berechnen läßt. —

2m Ganzen dünkt mich, daß

man zu Hamburg, einer reichen Stadt, nicht hoch spielt! Aber cs i|t äußerst schwer, über Dinge der 2ht etwas sehr bestimmtes zu sagen, weil es der Schattierungen so

gar viele giebt.

Es kann einer sechs acht und zehn

Cottericn sehen, und doch giebt es vielleicht noch andere, deren Ton, Spiel, Tafel und ganze Lebensart merklich von jenen verschieden find.

7i

Brief.

Sechster Armenanstalten

Hamburg —

zu

Allgemeine

Anmer­

kungen über Arme und Bettler — Die Armen in Eng­

land — zu Rom — in Schweden — in Bayern.

Hamburg im September 1797.

Nachdem ich Sie nun mit dem Aeußern von Hamburg

und den umliegenden Gegenden bekannt gemacht habe, will ich über mehrere Dinge schreiben, die diese Stadt

und ihre Einwohner angehen, bestimmte

Ordnung

und worin Sie keine

erwarten müssen,

gute Gründe angeben lassen,

weil sich selten

warum man diesen und

jenen Gegenstand hier und nicht an einem andern Orte verhandeln sollte. Ueber das hiesige Clima habe ich schon früher ein Wort gesagt.

Wenn ich

es nach dem gegenwärtigen

Sommer beurtheilen soll, (aber ein einziger Sommer ist freylich kein hinlänglicher Maßstab) so kenne ich kein schlimmeres.

Zn den achtzig Tagen,

die ich nun hier

zugebracht habe, rechne tdf, daß es so ziemlich fünfzig

Tage geregnet hat,

unfreundlich war.

oder daß das Wetter rauh und

Ungefahr zwanzig mögen unter einer

schwülen, badewarmen,

lichen

und

ermattenden

drückenden, äußerst

Hihe

vergangen

übrigen zehn waren schön und rein. —

den Gassen hält,

beschwer­ seyn;

die

Der Koth in

wie ich schon bemerkt habe, ungleich

länger an, als der Regen, und zwar verhaltnißmäßig

72

Sechster

Brief,

länger, als an andern Orten; und so glaube ich kaum,

daß ich in dieser ganzen Zeit acht Tage zählen kann, in denen ich gewisse Gassen ganz trocken gefunden hätte. Auch Sie werden von den Armenanstalten der Hamburger gehört haben!

Ich will Sie mit keiner

Beschreibung davon heimsuchen,

um so weniger, da

man schon mehrere gedruckte, ja sogar in Englischer Sprache, darüber hat. — Wenn Sie bedenken, daß

die hiesige Verfassung eine starke Mischung von Demo­ kratie hat, und daß also die Regierung nicht mit jener

willkührlichen Macht durchgreifen konnte, die einem Grafen von Rumford in Bayern zu Gebothe stand, so

ist es in der That sehr viel, daß man in der Sache so sehr auf das Reine kommen konnte:

denn so viel

ist gewiß, daß in Hamburg kein Bettler zu sehen ist,

und daß ich mich kaum erinnere, daß ich im Verlaufe

von fast drey Monathen von irgend einem angesprochen

worden

wäre.

Die

Sache

mußte

anfangs

äusserst

schwierig in einer Stadt seyn, wo die Policey, au-

mehreren Ursachen, nicht so durchgreifen kann, als in Städten monarchischer Länder, und wo man es nicht nur mit seinen eigenen Armen zu thun hatte, sondern auch, und mehr noch mit einem ganzen Heere ausländischer

Bettler, die von einer stark bevölkerten und reichen Stadt angezogen wurden, und das um so beträchtlicher war, )c kleiner das Land der Hamburger ist, und )e geschwin­

der sich von allen Seiten die Grenzen erreichen lassen.

Einige wahre Patrioten dieser Stadt verwendeten nicht nur sehr beträchtliche Summen auf die Armenanstalten, sondern, was mehr ist, ihre Zeit und ihre angestrengt ten,

unablässigen Bemühungen.

Auch

wurden viele

wohlhabende Familien unter einander einig, und ver­ banden sich feyerlich, den Bettlern, die in die Häuser

kamen, nichts mehr zu geben. Aber hier legte ihnen ihr eigenes Gesinde eine große Schwierigkeit in den

Sechste r Weg.

Sie wissen,

Dries.

73

daß die niedern Menschenclassen

aller Orten, aus übel verstandener Mildthätigkeit, die,

jenigen sind, die dem herumstrcichenden Bettler am lieb,

stcn geben: und diese nnt(cibuiett Seelen wollten sich hier durchaus nicht bequemen, die Hartherzigkeit ihrer Herrschaften nachzuahmen.

Man kam nun auf den Ein­

fall, in jedem Hause eine Armenbüchse zu halten, in welche das Gesinde fernen Deut legen sollte, so oft es sich zur Wohlthätigkeit gerührt fühlte.

Allein man hat

gefunden, daß in diesen Büchsen sehr wenig einkommt; so gewrß ist es, daß die Menschen dem wandernden^Vetr-

ler größtentheils -mehr aus Schwache, und Weichlichkeit,

Bequemlichkeit

als aus Grundsätzen wahrer Wohl,

Thätigkeit und allgemeiner Menschenliebe geben. (Zn der Folge sand ich doch, daß ich auf dem Walle

gelegentlich, freylich sehr selten und mit Vorsicht und Schüchternheit, aber doch angesprochen wurde. Zwey Zahre nachher geschah dieß öfter, und, wie mich dünkte,

mit weniger Zurückhaltung.

Aber von dem dreisten und

anhaltenden Nachläufen, und von der gänzlichen, ruhi­ gen Sicherheit, die ich an manchen andern Orten finde,

wo auch Armenanstalten sind, habe ich zu Hamburg tue

etwas gesehen.

Auch zeigte die Schüchternheit der weni­

gen, welche bettelten,

genugsam, daß sie ihr Unrecht

fühlten, und vielleicht die Strafe fluchteten, zu der man sie bringen könnte.) Erlauben Sie mir bey der Gelegenheit, einige allge­

meine Bemerkungen über Armenanstalten zu machen, als

einen der ersten Augenmerke einer guten Gesetzgebung, und einen der wichtigsten Gegenstände des bürgerlichen

Lebens. Die Sache hangt mit der allgemeinen Industrie,

mit der Moralität, und selbst mit der öffentlichen Sicher­ heit eines jeden Ortes auf das genaueste zusammen. Diejenigen irren sich sehr, welche glauben, daß, um

der Armuth abzuhelfen, und dem Betteln zu steuern, es

Sechster

74

Brief.

genug sey, reichliche Almosen zu geben, den Hauöarmen

bestimmte Geldsummen anzuweisen, und öffentliche Ver-

sorguugshauser zu errichten.

Alle diese Anstalten haben

die mehresten Mahle eine entgegengesetzte Wirkung, und

die Zahl der Bettler vermehrt sich in dem Maße, in wel­ chem die Summen zunehmen, die man auf sie verwendet.

Ich habe diesen Satz auf meinen langen und mannigfal­

tigen Reisen durch Europa fast durchaus bestätiget gefun­ den; und ich bin so sehr von dieser Wahrheit überzeugt,

daß, je mehr ich von den reichen Almosen und Austheü lungen eines Orts höre, desto größer erwarte ich, das;

die Zahl der Armen seyn wird: und diese Annahme hat mir äußerst selten fehl geschlagen.

Also — unbedingtes

Geben ist ein sicheres Mittel, die Bettler von außen her

anzuziehen, ihre Zahl von innen zu vermehren, und dem Trägen und Taugenichts eine sichere Aussicht seiner künf­

tigen Versorgung vorzuhalten. —

Was in England für

die Armen gethan wird, ist, gegen das übrige Europa,

außer allem Verhältnisse. Schon vor zehn und zwölf Zähren setzte man das jährliche Einkommen der Armen

auf drey Millionen Pfund Sterling.

Neuere Schriststelr

ler haben es seitdem auf vier Millionen gesetzt, und jetzt gibt es einige, welche behaupten, es könne nicht viel unter fünfen seyn. Gleichwohl sah ich Bettler in Menge

in allen Theilen dieses Reichs, und man versichert mich, daß sich ihre Zahl keineswegs vermindert hat.

(Wirklich

soll die Armentaxe im Zahr igoi. auf eine Summe ge,

stiegen seyn, die ich mir nicht zu wiederhohlen getraue.) Zn katholischen Ländern ist die Zahl der Bettler, im Ganzen genommen, ungleich größer, als in protestanti­

schen.

Man sucht die Schuld in der Menge ihrer Feyer-

tage, in dek zu großen Zahl ihrer geistlichen Stände bey­ derley Geschlechts- die von dem Fette des Landes leben

und das Gut des Layen aufzehren; in den vielen Prie-

S e ch s t e r

Brief.

75

fterregierungen und dem Nepotismus, wodurch das Land

ausgesogen wird; in der mindern Industrie des Volkeüberhaupt, und in dem allgemeinen Hange zum Vergnü,

gen und Wohlleben, welcher mehrenthcils bey Katholiken größer ist, als bey Protestanten. — Ich glaube gern, daß alle diese Umstande mehr oder weniger das ihrige dazu beytragen; daß sic aber keineswegs der Hauptgrund des Uebels sind, beweisen Bayern, ein katholisches Land, und Salzburg, welches nicht nur ein katholisches Land, sondern auch eine Priesterregierung ist.

Die eigentliche und Hauptursache des Uebels liegt gerade in den Veranstaltungen, es zu mindern, in den

vielen Almosen, öffentlichen Stiftungen, in den Klöstern, welche ohne Unterlaß austheilen, und kurz in dem ganzen Geiste der Römisch-katholischen Religion, welche so viel

auf gute Werke halt, und deren Priester ewig Mildthä­ tigkeit predigen, und Almoseugeben als eine der ersten Tugenden erheben.

Nirgends aber fallt dieses mehr auf,

als zu Nom, wo für die Unterhaltung der Bettler vieb leicht besser gesorgt ist, als in irgend einer Stadt von Europa. Zn dem Hospital St. Gatto allein, wo jeder, der sich darstellt, beherberget wird, und beym Weggehen noch eine kleine Summe in Gelde bekommt, ist Platz für

vier bis fünf tausend Menschen



Nicht nur die Klö­

ster, sondern auch mehrere Familien theilen, an festge,

setzten Tagen der Woche, so viel Suppe aus, daß man

sagt,

ein Bettler,

der gut zu Fuße ist, könne täglich

zwey bis drey Portionen zusammenbringen.

Dabey ist

der Ertrag der geheimen Almosen und dessen, was in den

Gassen gegeben wird, sehr groß;

anderer Stiftungen

und wohlthätigen Anstalten zu geschweigen. liche Folge davon ist, daß sich,

Bettler zu Nom finden>

Die natür­

verhaltmßmäßig mehr

als an irgend einem andern

Orte, und daß die Betteley dort in ein System gebracht und zur Kunst geworden ist. Hier wird in allen Zungen gebettelt,

Brief.

Sechster

76

denn jeder fremde Taugenichts, jeder verworfene Pilger findet es bequemer, hier zu bleiben, und auf immer aller

Arbeit zu entsagen, als in sein Vaterland zurückzukehren. Der Gewinnst in den Gassen, Kaffeehausern und andern

öffentlichen Orten ist so beträchtlich,

daß viele sich der

öffentlichen Anstalten nicht einmahl bedienen,

weil sie

ihre Unabhängigkeit lieben, und es angenehmer finden,

von ihren eigenen Mitteln zu leben. 5) Halten Sie nun gegen alles das ein Land, wo für die Armen sehr wenig gethan wird, weil man nur wenig

thun kann, und wo niemand viel empfängt, weil nie­

ich meine Schweden. Hier gibt es wenig Versorgungen für die Armen, weil das mand viel zu geben hat:

ganze Land nicht reich ist; und wenig Geber, weil es durchaus an klingender Münze fehlt.

Auch sieht man da

in den Städten, so wohl als auf dem Lande, nur sehr wenig Bettler.

Die Armen sind nicht gewohnt, zu empfangen,

und also auch nicht zu fordern.

mühsam was sie können,

Sie arbeiten, erwerben

und halten andere nicht für

verbunden, ihre Unthätigkeit zu unterstützen.

(Ich habe

das oft mit Erstaunen und Rührung gesehen. Der Glanz des Wagens, in welchem ich Schweden-durchreiste, bie Zahl der Bedienten, und die für dieses Land ungewöhn­

liche Menge von Pferden, die wir brauchten, zogen an

3)

Seitdem ich dieses geschrieben habe, hat sich das

Spenden in Rom, aus den natürlrchen Ursachen, um et­ was vermindert, und das Elend hat zugenommen.

hüthe sich,

Man

darin einen Beweis gegen meine allgemeine

Behauptung zu suchen!

Es beweist bloß, baß Rom mit

Bettlern zum Uebermaße angefüllt war, und daß es jetzt selbst denen,

welche arbeiten könnten und möchten,

an

hinlänglicher Gelegenheit in einer Stadt fehlt, wo man sich auf Beförderung der Industrie, auf Polizey und weise

Einrichtungen immer sehr wenig verstanden hat.

Sechster

Brief.

77

den Sonntagen überall, wo wir Pferde wechselten, eine

Menge von Zuschauern herbey, unter denen ich bisweilen zehn lind mehrere zahlte, deren elende Bekleidung und

ganzes Ansehen die äußerste Durstigkeit anzeigte: und doch fand sich selten eine Person darunter, welche bet­

telte. —

In dem wert wohlhabendem Holstein, sind

die Bettler ungleich zahlreicher, und auf dem Lande so tyrannisch, daß die Güterbesttzer und die Dauern gezwun­

gen stnd, ihnen zu geben, weil ste sonst Gefahr laufen, das; man ihnen ihre Häuser und Scheunen anzündet, wo/

von ich mehrere Beyspiele weiß.) Wenn ich alle diese Thatsachen und Erfahrungen aus verschiedenen Ländern zusammennehme, so liegt es klar

vor mir, daß durch bloße Versorgungshäuser und unbe/ dingtes Geben die Zahl der Bettler eher vermehrt, als vermindert wird. —

An großen und reichen Orten ist

der Erwerb leicht und gut: und gleichwohl findet man da dte meisten Armen und Bettler.

Nun weiß ich zwar

daß an solchen Orten auch Verschwendung und Ausgelassenheit ihren Sitz haben, und daß mancher Ar­

wohl,

beiter eben darum in seiner Nahrung zurückkommt, weil er weiß, daß sein Verdienst leicht ist; indessen erklärt dieses allein nicht die Erscheinung, von der ich rede, wohl

aber der Umstand, daß große und reiche Städte auch die

mildthätigsten stnd, und dadurch nicht nur fremde Bett­ ler anziehen, sondern auch die einheimischen Armen zur Betteley, wenigstens zur Unthätigkeit einladen. Weit entfernt sey es von mir, der Hartherzigkeit das

Wort zu sprechen, oder die liebenswürdige Tugend des

Mitleids vermindern zu wollen! Ich behaupte vielmehr, daß es die Pflicht des Reichern ist, dem Armen einen

Theil seines Ueberflusses zukommen zu lassen. Man soll geben, und viel geben; nur wider dir Art der Anwem düng stnd meine Vonvürfe gerichtet. —

Privatpersonen

können, wenn sie in Gesellschaften zusammentreten, sehr

Sechster

78

viel ausrichtcn;

Dries.

aber ihre Bemühungen werden nicht

zur Hälfte ihren Zweck erreichen, wenn die Obrigkert

md)t den ersten und wichtigsten

Schritt

thut.

Eine

gute, wachsame und strenge Policey ist die erste Grund­ lage zu allen Armenanstalrcn!

So lange es dem Bettler

erlaubt ist, von Ort zu Ort zu ziehen, sind alle übrige

Anstalten vergebens. —

Der Graf von Rumford ge­

brauchte hierzu in Bayern die Retterey,

welche von

Ort zu Ort patrullicren und alle Landstreicher und Bettler (wodurch ich alle diejenigen verstehe, Die kein sichtbares

und hinlängliches Mittel ihres Unierhalrs angeben kön­ nen) einfangen und an die Obrigkeit auslicfern mußte. Dreß geschah ohne Schwierigkeit, und ohne den Trup­

pen sehr zur Last zu fallen.

Der Reiter muß ya ohne-

dieß seinem Pferde Bewegung geben, und so beritt er, von seinem Standquartier ans,

eine ihm angewiesene

Strecke, wo er, in einer festgesetzten Ferne,

mit der

Patrulle eines andern Standquartiers zusammenstieß. Auch ist es keineswegs unter der Würde dieses Standes, in einem so wichtigen Puncte zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit des Staates beyzutragen. Man

erinnere sich, daß die ehemahlige Mare'chaussee m Frankreich den ersten Rang unter der Französischen Reiterey hatte. Wehe dem Lande, in welchem die Armee glaubt, daß sie nicht zur Ruhe und Sicherheit der Einwohner da

sey.

Auf diese Art wurde

das Land sehr schnell von

Landstreichern und Bettlern gereiniget;

denn so bald

diese Maßregel einmahl bekannt und in voller Ausübung

war, ließen sich sehr wenige mehr betreffen. — Die Eingefangenen können, wenn sie als Ausländer es ver­

langen, über die Grenze geführt, die übrigen in Zucht und Arbeitshäuser gebracht werden. (Wer zum zweyten Mahle eingefangen wird, sollte harte, körperliche Strafe bekommen.)

Sechster

Brief.

79

3ii einem wohleingerichrctcn Arbeitshaus aber ist jede Menschenhand zu gebrauchen! Anfangs hielt dieses in Bayern freylich schwer; aber militärische Ordnung und unermüdete Sorgfalt drangen in kurzer Zeit durch, und schenkten dem Staate eine Menge brauchbarer Menschen. — Niemand ist so ungeschickt, daß er nicht etwas lernen könnte, selbst noch im spätern Alter. Einige erzeugten freyltch nicht so viel, als ihr Unterhalt erfor­ derte, und der Staat mußte einen Theil ihrer Bedürf­ nisse tragen. Andere hingegen brachten desto mehr her­ vor! Man knüpfte daran den Vortheil des Individuums, und viele erwarben nicht nur das, was sic dem Hause kosteten, sondern legten auch etwas zurück: welches denn für ste reiner Gewinnst war. — Nach einem Ver­ laufe von wenigen Zähren war alles in einem so vor­ trefflichen Gange, daß diese Menschen nicht nur ordentlich und ruhig lebten, sondern auch in ihrer Lage sich glücklich fühlten. Hiervon habe ich selbst auffallende und rührende Beweise gesehen. Will man aber diese Policeyhandlung durchaus nicht den Truppen übergeben, so müßte die Obrigkeit eines jeden Ortes auf das strengste über die Fremden aller Art wachen, und nie einen dulden, der nicht hinlängliche Beweise seines Auskommens geben kann. Die gemeinen Policeygesehe, wie man ste in den mehresten Theilen von Deutschland findet, wären über diesen Punct zureichend, wenn sie hinlänglich beobachtet würden. — So sind z. B. an manchen Orten die Herrschaften genöthiget, Bürgschaft für die Dienstbothen zu leisten, die sie vom Lande in die Stadt ziehen. Dieß ist höchst billig; aber ebenso billig ist es, daß die Herrschaft berechtiget sey, ihre Bürgschaft zurückzuziehen, so bald das Gesinde entweder entlassen wird, oder freywillig aus dem Dienste geht. Macht man dem Bürger hierüber Schwierigkeiten, so denkt er auf Auswege. So kenne

Brief.

Sechster

Ho

ich einen Ort, wo man auf einer gelegentlichen Spazier­ fahrt die Habseligkeiten d>r künftigen Magd in die Kutsche packt, oder nut irgend einer Gelegenheit in die Stadt

bringt, während das; sie selbst, nnbeladen und unangehalten,

zu Fuße einwaudert.

mit einer Person vermehrt,

Hier ist also der Ort

die bey der Policey nicht

angezeigt i|l! Verlaßt sie ihren Dienst, und miethet sich in irgend einem schlechten Hause ein, so kann ihr Wirth sie eben so wenig anzeigen. Geschieht dieses oft, so wird der Ort ohr:e Unterlaß nut Fremden vermehrt, wovon ein großer Theil in Armuth und Bettelet) endigt.

Auch sage man ja Nicht, daß cs unmöglich sey, in einer

großen Stadt diesen Artikel ganz zu übersehen.

Man

übersieht ihn wirklich ganz lind durchaus zu Wien, der

größten und voltreichsien Stadt in Deutschland.

Auch

habe ich fast durchgängig in großen Städten die Policey

besser gefunden,

als in kleinen und Mittelstädten. —

Thut man dieses an jedem Orte eines Landes, so ist dein Uebel auf einmahl abgeholfen, denn nun werden diejeni­

gen, die sich als Bettler finden lassen, eingefangen und

an die Arbeitshäuser überliefert.

Vernachlässiget irgend

ein Ort seine Pflicht, so sey die Obrigkeit desselben genöthiger, seine Bettler zu unterhalten. Begeben sie sich an einen andern Ort, so ist es das Znteresse des letztem, sie dahin zurück zu schicken, woher sie kamen.

Arbeitshäuser sind also eins der ersten Erfordernisse

eines wohleingerichteten Staates! — (Man führe mir ja nicht England als einen Beweis ihrer Unzulänglichkeit

an! Das Uebel liegt dort tiefer, hangt mir der ganzen Verfassung des Landes zusammen, und hat so mancher­

ley Ursachen, die ich hier um so weniger angeben will,

da ich sie an einem schicklichern Orte umständlich abge­ handelt habe.) —

Arbeitshäuser sind nicht nur dre

sicherste mid einzig zweckmäßige Versorgung für den Bett­ ler: sie sind auch das beste Mittel, dem Uebel vorzubeu-

Sechster

Brief.

8i

gen, und diejenigen, weiche noch nicht Bettler sind, zu verhindern, daß sie es werden.

Dieß bringt mid) denn auf die Hausarmen! — Arme gibt es überall, Arme wird es ewig geben! Sie

haben, als unsere Brüder, Ansprüche auf unsern Ueberfluß, auf unsern Beystand! Aber durch unbedingtes Geben wird dem Armen fast nie geholfen; er wird da­

durch vielmehr sehr oft, was er vorher nicht war, — öffentlicher Bettler! — Wer kennt nicht den natürlichen Hang des Menschen zur Unthatigkeit! Dieser ist be­ sonders stark in den niedrigen Ständen, die in die Ruhe ihren größten Genuß sehen, und unter welchen nur wenige arbeiten würden, wenn sie sich nicht durch ihre

Bedürfnisse dazu gezwungen fanden. —

(Zn warmen

Ländern sind Ruhe und Unthätigkeit noch anziehender,

als in kalten; und da man in den erster» auch weniger Bedürfnisse hat, so ist in den südlichen Ländern von Europa die Zahl der Armen ungleich größer, als in den nördlichen.) —

Zst ein Hausarmer so glücklich, von

mehreren Seiten einen wöchentlichen und regelmäßigen Zuschuß zu erhalten; findet er, daß die ihm zugesicherte Summe beynahe hrnreicht, seine nothwendigen Dedürf-

nrsso zu bestreiten, so wird er sehr in die Versuchung ge­

rathen,

auf die Straßen,

Spaziergänge und

andere

öffentliche Platze zu gehen, um sich das noch fehlende auf diese leichte, bequeme, utib, wenn er einmahl gegen Scham abgehärtet ist, nicht unangenehme Art zu

erwerben.

Zd) sage damit gar nicht, daß man dem

Hausarmen keinen Zuschuß geben solle!

Viele bedürfen

ihn, und entgehen dadurch der Betteley; aber die Sache erfordert viel Vorsichtigkeit, und

ist nur bey wenigen

Armen anhaltend zu rathen, obschon überaus nützlich und

vortheilhaft in besondern Fällen, und bey gewissen Vor-

fallenhetten. — Die Hamburger Armenanstaltcn können

auch hierin zum Muster dienen, so wie die verschiedenen tfuttnei'» vi i Th-

6

8i

Sechster

B r L e f.

Mittel und Wege, wodurch man den Armen hier auf/

hilft.

2ch bleibe also fest bey dem Satze:

Durch unbe­

dingtes Geben tvtrb dem Armen nicht wahrhaft geholfen! Nicbr Geld, Mahle!

sondern Arbeit bedarf er

die mehresten

Nur der ganz Alte, der Beschädigte,

der

Kranke hat gegründete Ansprüche auf gänzliche und volle Versorgung.

Arbeit für alle übrige, unb Zuschuß nur

in besondern Fällen. Freylich kann dieses, in seinem ganzen Umfange, nur

durch die Obrigkeit bewirkt werden: und diese laßt sich in teil mehresten Landern m diesem Puncte sehr vieles zu Schulden kommen. Indessen können doch auch Privat­ leute, wenn sie in Gesellschaften zusammen treten, sehr

viel thun.

Da ist Z. E. das ganze viel umfangende Ge­

schäft der Kindererziehung der Armen! —

Für arme

Kinder, die keine Aettern mehr haben, sorgt gewöhnlich

die Obrigkeit in eigenen dazu bestimmten Hausern. Aber viele Arme haben eine zahlreiche Familie, die sie nicht ernähren können, und die sie gewöhnlich an öffentliche Orte und auf die Gasse schicken. Diesen Kindern geben,

heißt,

sie zur Betteley erziehen und auf immer dem

Staate unnütze machen.

Sehr selten wird ein Kind,

das in dieser Unabhängigkeit und Zügellosigkeit ausge­ wachsen ist, zu irgend einem Geschäfte des bürgerlichen

Lebens brauchbar gemacht werden können. Es ist der eigentlich, Europäische Zigeuner, dem jebe Arbeit, jede Einschränkung anekelt.

Hier nun kann auch der Privat­

mann sehr viel thun, indem er diesen Kindern eine Stelle in einem Arbeitehaüie, in einer Fabrike, bey irgend einem Handwerker verschafft, bey einem Dauer sie unterbrinqr, und eine gewisse Summe für sie bezahlt. - Zu Hamburg vertheilt man viele solcher Kinder auf dem

Lande,

wo sie für eine Kleinigkeit unterhalten.

Sechster

Brief.

gz

und zu den Geschäften der Landwirthschaft angeführt werden. Ich weiß wohl, daß mir hier viele zurusen werden, daß die Armenschulen der eigentliche Ort für solche Kinder sind. Aber ich fürchte, daß viele dieser Schulen schon für eine bessere Menschenart berechnet sind, als die, von der ich hier rede. Es kommt hler nicht so wohl darauf an, diese Kinder zu lehren, (welches freylich noch besser t|l,) als brauchbar zu machen, und sie so bald als mög­ lich in den Stand zu sehen, selbst etwas zu erwerben. Endlich ist eo eins der sichersien Mittel, der Detteley, und überhaupt der schmählichen Armuth vorzu­ beugen, daß man Familien so wohl, als Individuen — nicht ein Almosen gibt, sondern zu rechter Zeit einen Vorschuß ohne Zinsen leistet. Viele der niedrigern Handwerker verzehren, was sie gewinnen. Sie leben nickt eigentlich in Dürftigkeit; denn sie haben so viel, als sie brauchen. Aber der geringste Unfall, eine lange Krankheit, eine Beschädigung, oder auch' zu viele schnell aus einander folgende Kinder bringen sie in ihrer Nahrung zurück. Der Meister würde gern noch arbei­ ten, wenn er Leder, Holz, oder Metall kaufen könnte. Ein kleines Darlehn, ohne Zinsen, das in manchen Fallen auch in ein Geschenk verwandelt werden muß, rettet oft eine ganze Familie vom Elende, das sie in kurzem zur Bettelep getrieben haben würde. — Zn dieser Rücksicht gibt es zu Berlin eine vortrefflich ein­ gerichtete Gesellschaft, deren Statuten und ganze Verfahrungsart allgemeiner bekannt zu werden verdiente. Noch muß ich einer unglücklichen Menschenclasse erwähnen, die oft wider ihren Willen zum Betteln getrieben wird! Ich habe bemerkt, daß fast in allen Ländern, die keine Entbindungs - und Findelhauser haben, sehr schlecht für jene Mädchen gesorgt ist, die das Unglück haben, schwanger zu werden. Sie ver-

$4

Sechster

Brief.

liercn, nach einer gewissen Zahl von Monathen, ihren Dienst, und mit ihm gewöhnlich alle Mittel des Er­ werbs. Sie sind häufig genöthrget, einen Theil ihrer Habschaft im Kindbette zu verkaufen, und, wenn sie wieder thre physischen Kräfte erlangen, finden sie sich von allem entblößt, mit einem Krnde, das, wenn es nlcht Aufwand, wenigstens ihre Sorgfalt und einen Theil threr Zeit fordert. Sie haben überdieß ein starkes Vorurtheil wider sich, und ihre Blöße schreckt manche Familie ab, die außerdem bereit wäre, sie in ihre Dienste zu nehmen. — Hier ist ein wertes Feld für den wohlthätigen Privatmann! Um eine solche Unglückliche zu retten, bedarf er keiner Verordnung, kerner Veranstaltungen der Obrigkeit. — Freylich sind diese und andere Arten, dem Armen beyzustehen, weit mühsamer, obschon vielleicht am Ende nicht kost­ spieliger, als wöchentlich, oder monathlich runde Summen zu vertherlen, und dem herumstreifenden Bettler das ganze Jahr hindurch zu geben. Aber auch — welch ein Unterschied! Das Gefühl, eine Familie, oder auch nur einen einzigen Menschen dem Abgrunde entrissen zu haben, ist wohl noch was ganz anderes, als die passive Beruhigung, einen Theil unseres Einkommens den Armen überlassen zu haben, denen vielleicht mehr dadurch geschadet, als genützt worden ist. Ich weiß nicht, ob ich den Leser wegen dieser Aus­ schweifung um Vergebung bitten soll? Könnte ich, durch diese kleine Abhandlung, die Obrigkeit eines einzigen Ortes bewegen, sich ernsthaft mit diesem wichtigen Gegen­ stände zu beschäftigen, so würde ich mich sehr glücklich schätzen, und willig den Vorwurf ertragen, daß dieser Artikel eigentlich nicht in eine Beschreibung von Hamburg gehört, und daß ich einige Thatsachen, die ich als Be­ weise aufsühren mußte, schon anderswo habe drucken lassen.

Brief.

Siebenter

Einige Unbequemlichkeiten des Aufenthalts in

der spätern Jahreszeit.

Platdeutfch



zu Hamburg und Hoch­

deutsch — ersteres keine verdorbene Provinzialsprache. —

Grundlage der Englischen. —

KroftS Abhandlung dar­

über. —

Deutsch der Hamburger

Schlffersprache. —

überhaupt. —

Remnant,

Englischer Buchhändler.

Fauche, Französischer Buchhändler. —



Münzsorten. —

Mark currant und Mark Banco. — die Bank.

Hamburg im September 1797.

Es sind nun drey Monathe, daß ich mich hier aufge­

halten und sehr angenehm gelebt habe.

die Herbstnachtgleiche

vorüber;

Aber schon ist

die Stürme

wüthen

mehr als gewöhnlich, die Jahreszeit ist schon sehr rauh,

und ich fange an, mehrere llnannehmlichkeiten zu fühlen, die aus dem hiesigen Clima, aus dem frühen Thor­ schlüsse und aus der ganzen Lebensart der Hamburger

entstehen,

und die wohl

jeder

weniger, mit mir theilen wird.

Fremde,

mehr oder

Die Uuannehmlich-

fetten sind auf die Natur der Dinge gegründet, und folg­ lich unabänderlich.

Wenn mtch aber jemand fragte, wel-

cheödie beste Jahreszeit für einen Reisenden sey, Hamburg

zu besuchen, so würde ich antworten: im hohen Sommer,

oder im tiefen Winter. — Noch wohnen fast alle Familien

86

Siebenter

Brief.

von meiner Bekanntschaft auf dem Lande; aber

schon

fangt man an, das Thor bald nach sechs Uhr zu schließen, und mit jeder Woche geschieht nun dieses noch früher.

Auf Landhäusern, die in einiger Ferne liegen, kann ich

nlso nicht mehr zu Mittage speisen, wofern ich nicht gleich nach der Mahlzeit wieder abfahren,

und also

gerade die Stunden verlieren will, die für den gesell, Sonst kam

schaftlichen Umgang die angenehmsten find.

ich erst halb zehn, um neun, nm acht Uhr in die Stadt

zurück; jetzt bin ich,

wenn ich auch

auf dem Lande

speise, vor sieben Uhr auf meinem Zimmer, wo ich den

ganzen langen Abend für mich allein habe, weil es jetzt noch wenig Abendgesellschaften in der Stadt gibt. Zn kurzem werden die Mittagemahlzeiten

ganz aufhören, wofern

aus dem Lande

ich nicht außerhalb der Stadt

übernachten will, welches ich freylich auch im Sommer

Aber die ist so groß, daß man Gefahr läuft, bloß dadurch indiscret zu wer­

oft gethan habe, und noch ferner thun werde. Hospitalität mancher Hamburger Familien

den, daß man immer.annimmt, was

so unbeschrankt

angebothen wird. Ich denke in diesem Augenblicke ganz besonders an eine liebenswürdige Familie, wo ich seit

drey Monathen so viele Tage und Nächte zugebracht, und glücklich zugebracht habe, daß bey jeder wiederhohlten Einladung eine Art von Streit unter uns entsteht. —

Sonst brachte ich manchen Abend in Landhäusern zu, die ganz nahe bey der Stadt

liegen.

Auch da- hat ein

Ende; denn wer wird nach sechs Uhr zu einer Theepartie

gehen, um sie vor sieben wieder zu verlassen! — Freylich wohl gibt es einige Familien hier, die zwar noch auf dem Lande sind, aber die zwey großen

Woche in der Stadt zubringen.

Posttage der

Aber dann versammelt

man sich erst gegen eiff Uhr, auch wohl noch später; wer aber den Abend bis dahin auf seinem Zimmer zugebracht hat, geht alsdann lieber zur Ruh, als zu einer Tafel

Siebenter

Brief.

an die man sich erst um zwölf Uhr seht. —

8?

Indessen ist

alles das nicht aUqciueui z tvte denn, an einem großen Orte nichts allgemein lst, und jebe Art.von Leben und Seyn ihre unendlichen Schattierungen bat. Es gibt also auch schon htn und wieder Abendgesellschaften, in denen man sich bey guter Zeit versammelt, und schon vov zehn Uhr zur Tafel geht.

Es ist Ihnen bekannt, daß ungefähr jeder eingeborne

Hamburger

zwey Sprachen

redet,

welche

beyde den

bessern Ständen gleich geläufig sind:

das sogenannte Hochdeutsch.

Platdeutsch und Jenes ist die eigentliche

Muttersprache des ächten Hamburgers, und die erste, welche das Kind, auch m den mehresten bessern Ständen, lernt;

denn die

eigentliche Sprache des Gesindes ist

Platdeutsch, und war es sonst noch weit aueschließender.

Von seiner Wärterinn also lernt das Kind zuerst Plat­

deutsch :

und da diese Sprache etwas vorzüglich Trau»

liches und Gutmüthiges hat, so bedienen sich ihrer häufig auch die Aeltern.

Ich habe sehr oft die verschiedene

Wirkung beobachtet, welche die eine, oder die andere auf die Kleinen harte. Das Platdeutsch erzeugte immer ein fröhlicheres Gesicht, eine größere Vertraulichkeit, eine herzlichere Näherung. Auch liegt das in der Natur der Sache! Das Kind hat die mehresten seiner ersten Begriffe in dieser Sprache erhalten. Es war die

Sprache seiner säugenden Mutter, seiner Amme, seiner ersten Wärterinn.

Hieraus entsteht eine Vorliebe für

das Platdeutsch, die viele ihr ganzes Leben hindurch

behalten.

So habe ich öfters bemerkt, daß manche Ehe­

leute und gewisse

nahe Verwandte vorzüglich gern in

dieser Sprache mit einander redeten.

Es ist eine alt­

deutsche, eine, die nicht durch alle die V rändernngen, Verfeinerungen und Einschränkungen gegangen ist, wo­

durch das jetzige Hochdeutsch, das Italiänische des Tos, caners und

das Französische der Acadeuue das gewor-

Brie f.

Siebenter

88

den ist, was man jetzt spricht und schreibt. Ts hat also noch einen altdeutschen Styl, alte Wendungen, besondere im

Hochdeutschen verlorne Ausdrücke, und also auch eine

gewisse Zahl von eigenen Begriffen; wie

denn gewisse

Begriffe immer durch eine besondere Sprache bestimmt

werden. Der Landmaun und der ganz niedrige Pöbel reden noch immer nichts als Platdeutsch, und, was mehr ist,

viele können nichts anders reden. Indessen kann man sich ihnen doch auch im Hochdeutschen verständlich wachen; wovon denn die Folge ist, daß ste zwar uns, aber wir nicht immer ste verstehen. Sonst sprach das

Gesinde hier nichts als Platdeutsch; jetzt aber reden so ziemlich alle männliche Bediente und der größte Theil der weiblichen auch

Hochdeutsch.

Darunter

ist aber

freylich immer das mehr oder weniger zu verstehen.

Diese

beyden Sprachen

verschieden,

glauben,

sind mehr

von

einander

als unsere nördlichen Sachsen gewöhnlich

und

es wäre

die eine um der

wohl unserer Mühe

werth,

zu studieren.

Das

andern willen

Platdeutsch ist nicht ein verderbtes Hochdeutsch, wie das der Fall mit vielen Provinctalsprachen ist;

es ist eine eigene für sich,

unsrige.

und weit älter als die

Es ist die alte Sprache der Sachsen; und,

wie wenig sie sich geändert hat, steht man aus der großen Menge von Wörtern, die sich in ihr, so wie in der Englischen, erhalten haben, und die im

Deutschland niemand versteht, Deutsch als das

mittlern

wenn er kein anderes

seiner Provinz weiß.

Eine Menge

Sächsischer Wörter sind auch in der Englischen Sprache

außer Gewohnheit gekommen, ob wir schon wissen, daß sie ehemahls existierten; aber viele derselben haben im Platdeutschen ihr altes Recht erhalten. —

Johnson, der in

Sächsische

seinem

angibt,

Wörterbuchs

so oft das

verstand äußerst wenig

von

Siebenter

Brief.

R9

dieser Sprache, und mußte sich auf die sehr unvollkom­ menen Sächsischen Wörterbücher verlassen! Mit einer mäßigen Kenntniß des Platdeutschen würde er eine Menge Fehler vermieden haben. — Herr Herbert Kroft, der sich einige Zeit lang zu Hamburg aufgehalten hat, sah dieses ein, und schrieb vor kurzem eine Abhandlung, in der er die enge Ver­ bindung zeigen wollte, in der diese beyden Sprachen noch jetzt mit einander stehen. Allein er besitzt weder vom Platdeutschen, noch vom Hochdeutschen eine genügsame Kenntniß, und hat zugleich so vieles, das ganz und gar nicht zur Sache gehört, eingemischt, daß sein Aufsatz wohl keine andere Wirkung haben wird, als höchstens einige Engländer aufmerksam zu machen, eine Sache weiter zu verfolgen, die sie, historisch betrachtet, freylich schon längst wußten. — Ganz vorzüglich sind die Wörter, die die Schiffahrt betreffen, tm Englischen und Platdeutschen analog: und das ist auch sehr natür­ lich! Wir wissen, daß die Sachsen, die ihre Svrache nach England brachten, Schlffahrer waren; und da die Englischen, so wohl als die Deutschen Schriftsteller sich wenig tn die Sprache der Schiffer gemischt, weniger sie bearbeitet haben, als vielleicht irgend einen andern Zweig, so laßt es sich leicht erklären, warum sich diese Ausdrücke in beyden Sprachen noch so ähnlich sind. Die Deutschen Schriftsteller haben sich nie sehr mit der See­ sprache abgegeben; aber auch in England sind nicht nur die eigentlichen Kunstausdrücke der Englischen Schiffer unangetastet geblieben, sondern selbst ihr gewöhnlicher Jargon steht in so hohen Ehren, daß die Schriftsteller, wenn sie ihn auf die Bühne bringen, oder in einem Romane einführen, sich sehr angelegen seyn lassen, ihn in seiner ganzen Kraft und Reinigkeit zu geben. Das sogenannte Hochdeutsch ist für viele Hamburger gewisser Maßen eine erworbene Sprache, ob sie es schon

90

Siebenter

Brief.

fast eben so frühe lernen, als ihr Platdeutsch.

Daher

kommt es auch wohl, daß Leute von einiger Erziehnnz hier besser reden, als die nähmlichen Classen in vielen Stabten, die tiefer im Innern von Deutschland liegen;

ungefähr wie der Lieflander von Stande, für welchen ebenfalls Deutsch theils Muttersprache, theils eine halb

erworbene ist, mehrentheils sehr gut redet.

Man wirft

den Hamburgern mit Recht gewisse Unrichtigkeiten vor; allein wo hört man diese nicht? Wie viele selbst unserer Schriftsteller und öffentlichen Lehrer in den innern Pro­

vinzen von Deutschland reden mit einer Nachlässigkeit, die man nur den Grazien des schönen Geschlechts verr

zeihen sollte! Außer den beyden Arten von Deutsch sind zu Ham­ burg noch zwey andere Sprachen überaus gemein, die Französische und die Englische. Die letztere finbe ich

häufig selbst unter den Frauenzimmern, und die nie auf dieser Insel gewesen sind. Ich kenne ihrer mehrere, die Englisch ziemlich richtig und mit Leichtigkeit reden, und

die dabey eine so umfangende Kenntniß dieser Sprache

haben, daß sie sich über die mehresten Gegenstände der gesellschaftlichen Unterredung ausdrücken können. Fran­

zösisch hingegen spricht ungefähr jebe Person von Er­ und die Aussprache von beyden ist hier im Ganzen gewiß weit besser, als in den innern Theilen

ziehung,

von

Deutschland.

Hamburg

ist,

in

Rücksicht auf

Fremde, ein sehr großes Theater, wo Ihnen ohne Unter» laß Menschen verschiedener Völker begegnen.

Der Ein-

gefronte ist gewohnt, sie unter sich zu sehen, und eben so sehr auch daran gewöhnt, baß sie seine Muttersprache

nicht verstehen. —

Die Erlernung ausländischer Spra­

chen ist also ein Hauptzug in der Hamburger Erziehung.

Von denen, die sich der Handlung widmen, erwartet

man ohne Weiteres, daß sie mehrere so wohl schreiben, als reden; und man versichert mich, daß Sie für einen

Siebenter

9*

Brief.

Kanfmannsdiener dieser Art, der sich in andern Deut»

schcn Handelsstädten oft mit Mühe anftrciben läßt, hier zehen finden. Die Menge derer, die Französisch nnd Englisch ver­

stehen, erzeugt natürlich eine häufige Nachfrage nach Büchern in diesen beyden Sprüchen. Zch kenne keinen Ort in Deutschland, wo man sic leichter und schneller bekommen könnte, oder wo sich größere Niederlagen davon fänden. Remnant, ein Engländer, hielt es der Mühe werth, einen

Englischen Buchhandel zu errichten;

und seine

Niederlage, obschon mit andern nicht zu vergleichen, ist

nicht unansehnlich.

Was sich nicht bey ihm auf dem

Lager findet, darf man nur bestellen, und er läßt es,

für den gewöhnlichen Preis, sogleich durch das nächste Packetboot kommen. Er verkauft zu Londner Preisen,

läßt sich aber für jeden Schilling burger Currant bezahlen.

tigen hohen Cours

eine Mark Cam­

Dieß ist bey dem gegenwär,

eine ziemliche Summe, aber bei;

weitem zu theuer, wenn

das Pfund Sterling einen

Mittclpreis hat, d. h. wenn es zu fnnfzehü Mark currant, oder sechs Thaler Conventionsgelb steht. Der» langt man etwas von ihm in der Ferne, so müssen

die Fracht und andere Kosten, von Hamburg weg, zu

der Mark currant geschlagen werden; so daß man als­ dann jeden

Englischen Schilling zu zehn Conventions­

groschen und drüber wird rechnen können.

Weit ansehnlicher ist die Französische Buchhandlung des Herrn Fauche, eines Neuenburgers.

Er hält nicht

nur eine sehr große Niederlage, sondern hat auch einen ansehnlichen Verlag, und druckt auch das und jenes nach.

Daß es hier auch sehr ansehnliche Deutsche Buch,

Handlungen gibt, ist genugsam bekannt!

Aber wissen

Sie, daß man die auswärtigen Bücher hier selten nach

den

gewöhnlichen

Leipziger

Preisen

verkauft

die

Brie f.

Siebenter

-r

doch sonst so ziemlich in ganz Deutschland als festgesetzt und unveränderlich betrachtet werden!

sagt,

er komme

hiesige Mark currant- wird,

Der Hamburger

auf bte Kosten,

dabey nicht

Die

bey guten Büchern, so

ziemlich allgemein für das Sächsische Achtgroschenstück

angenommen:

folglich sind

die Bücher hier ungefähr

um zwanzig pro Cent theurer, als in den allermehrcsten

Orten des übrigen Deutschlands.

Da ich öfters von den Preisen verschiedener Dinge reden werde, möchte es wohl nicht überflüßlg seyn, cm

Wort über das hiesige Geld zu sagen.

Der Hamburger

rechnet im gemeinen Leben nach Mark und Schillingen,

von welchen lehtern sechzehn auf die erste gehen.

Er­

nennet dieses dle Mark currant, zum Unterschiede der

Mark Banco, und weil es wirklich eine currante Münz­ sorte ist.

Man hat geprägte Stücke zu zwey Mark,

erner Mark, acht Schillingen, vier, einem und einem halben.

Die Silberstücke sind entweder

Hamburger,

oder Lübecker Gepräge, und haben gleichen Werth. sie aber für die

Bedürfnisse

Da

einer so großen Stadt

nicht zureichen, so bedient man sich auch des Dänischen Silbers, und zwar sieht man von diesem weit mehr, als von jenem. Nur muß man bemerken, daß die Mark

Dänisch (Danske) gerade nur halb so viel ist, als die

Hamburger, welche man eigentlich die Lübsche(Lübccksche) Mark nennt. Wenn man also auf den Dänischen Stükken VIII. Danske liest, so sind diese nicht

mehr als

vier Lübsche Schillinge. Uebrigens ist der Gehalt der nähmliche. Nicht aber so mit dem Dänischen Species und seinen Brüchen; denn dieser, ob er schon im Handel

und Wandel auch für voll genommen wird, verliert, hat also fernen Curs, welcher sich ändert, und wird nicht

als currant betrachtet.

Man hat von diesem Dänischen

Speciesgelde Stücke zu

Schillingen.

sechzig, vierzig, und zwanzig

Der ganze von sechzig, wird dem Laub-

thaler gleich geachtet, ist es aber nicht vollkommen. — Endlich bedient man sich auch einiger Mecklenburger Sill berstücke, die als currant gehen, und wovon man haupt­

sächlich die von acht, vier und eurem Schilling steht. — Außer diesen genannten

gehen auch die Holländü

sehen und Dänischen Ducaten und der Deutsche Louis-

Sie sind nicht

d'or oder Friedrichsd'or rc. sehr häufig.

currant, und haben also ihren Curs, der ohne Unterlaß

abwechselt.

Folglich hätten sie keinen

stehenden Preis.

Da sie aber hier in großer Menge gehen, so hat man

für welchen sie

einen willkührlichen Werth festgesetzt,

im Spiele und bey kleinen Käufen

geben werden,

ohne daß

Curs bekümmert.

man

im

sich

Laden

ausge,

dabey um ihren

Und da gilt der Holländische Duccu

ten sieben Mark acht Schillinge, und der Friedrichsd'or

dreyzehn Mark vier Schillinge,

wiewohl

der

letztere

Preis nicht so allgemein angenommen ist, als der erste.

— Nehmen Sie den Holländischen Ducaten, der also hier für

sieben und eine

halbe Mark

Thalern Conventionegeld an,

geht, zu

drey

so betrügen zwey Mark

acht Schilling gerade einen solchen Thaler:

und nach

diesem Verhältnisse will ich in Zukunft rechnen, so oft

ich eine Vergleichung zwischen den Preisen verschiedener Dinge

anstellen

werde.

darum sehr bequem,

Dieses

Verhältniß ist

weil, ihm zu Folge,

auch

das Ham­

burger Currant gerade um zwanzig pro Cent besser ist,

als das Conventtonsgeld, folglich das nähmliche hältniß hat,

in welchem

Verl

der Zwanzig- Guldenfuß zu

dem von vier und zwanzig steht. —

Aber auf große

Summen läßt sich diese Art zu rechnen nicht anwenden;

da muß man den Curs zu Hülfe

nehmen,

und dieser

ändert sich, wie bekannt, ohne Unterlaß;.

Hamburg hat in seinem Curs etwas eigenes.

Zn

andern Ländern wird gewöhnlich irgeind eine gangbare

Münzsorte zum Grunde gUegt, nach welcher der Werth

94

Siebenter

Brief.

aller andern jedesmahl bestimmt wird.

Hier hingegen

geschehen alle Wechselzahlungen nach Mark Banco; und diese eingebildete Münze mahligen Werth

bestimmt

sogar

des curranten Geldes.

den

jebe&

Die Mark

Banco ist aber etwas blos; eingebildetes, und das incht etwa nach Art der Reichsthaler, der Englischen Pfund

Sterling und der Französischen

Livres,

welche zwar

auch eingebildete Münzen sind, aber sich dcch sogleich, ohne weitere Rechnung, in kimgen-e Münze verwandeln

lasten.

Haben Sie an jemanden einen Thaler, oder tut

Pfund Sterling zu bezahlen, so wlffen Sie, daß Sie vier und zwanzig Groschen, und zwanzig Schillinge zu erlegen haben, ohne weiter zu fragen. Das können Sie aber mit der Mark Banco nicht! Sie können sie nie in

klingende Münze verwandeln, weder in currant, noch in irgend eine andere, ohne vorher in den Curszettel zu sehen.

Der Curs ändert sich aber ohne Unterlaß, und so

habe ich gefunden, daß die Mark Banco um achtzehn, neunzehn, zwanzig, ein und zwanzig und zwey und zwanzig

pro Cent besser ist, als die Mark currant. Manchmahl ist der Unterschied noch größer. Sie haben also hier beständig eine

doppelte Rechnung zu machen. Wollen Sie z. E. in Sach­

sen wissen, wie viel Sie für hundert Pfund Sterling zu be­ kommen haben, so dürfen Sie nur in den Curszettel sehen;

finden Sie da sechs Thaler, so wissen Sie, daß Sie für

Ihre hundert Pfund sechs hundert Thaler erhalten sollten.

Hier hingegen müssen Sie die Angabe des Curszettels erst nach Mark Banco berechnen, und nun zum zweyten MaHle nachsehen, wie sich die Mark Banco zu der Mark currant

verhält. Und die nähmliche doppelte Operation haben Sie mit dem Curs aller Länder, und mit allen Münz­ sorten, die.nicht currant sind, zuunachen.

also wissen, was

Wollen Sie

der Friedrichsd'or, der Ducaten, der

Speciesthaler jedesmahl gelten, so müssen Sie seinen Werth, mit Hülfe des Curszettels, erst in Mark Banco,

Siebenter

Brief.

und diese wieder in Mark currant verwandeln. —

Da

nun das für kleine Summen und im täglichen Leben zu beschwerlich seyn würde, so hat man für gewisse (Selb*

stücke den- runden Werth angenommen,

den ich oben

anführte. Aber auch über diesen macht man Ihnen Schwierigkeiten, so bald der Werth, den der Curs be­

stimmt, von dem angenommenen runden Werthe merklich

abweicht. Steht z. E. der Holländische Ducaten, durch den Curs, viel höher als sieben Mark acht Schlllinge;

so verlieren Sie, wenn Sie ihn zu diesem Preise aus, geben; ist er^aber viel niedriger, so weigert sich mancher

Kramer, ihn zu diesem Preise zu nehmen.

Und so hört

gelegentlich eine Münze, die einen allgemein angenomr

menen Werth hatte, wiederum auf, currant zu seyn. Als ich z. E. hierher kam, ging der Dänische Ducaten für sechs Mark currant. ihn vom Banquier,

Für diesen Preis erhielt ich

und jedermann nahm ihn dafür.

Noch immer nimmt man ihn nicht höher; aber wenn ich ihn ;etzt vom Banquier verlange, so muß ich für das Stück sechs Mark zwey Schillinge bezahlen. Um Ihnen jedoch, da Sie jetzt so viel von Geld­ summen nach Hamburger Wahrung hören, einen allge-

mernen

Maßstab zu geben,

Summen in eine Ihnen

nach

bekannte

welchem Sie alle

Münzsorte, ohne

Mühe, verwandeln können, so nehmen Sie jedesmahl

an, daß die Mark currant um zwanzig pro Cent besser ist, als das Conventionsgeld, und die Mark Banco um zwanzig pro Cent besser, als die Mark currant.

Diese

zwey Decimalen machen eine leichte Rechnung, und das

herauekommende Resultat wird in die Länge von der Wahrheit nur sehr wenig abweichen. Das Hamburger Geld

bringt mich,

durch einen

ziemlich Natürlichen Uebergang, auf die Hamburger Dank, von der Sie denn schon wissen, daß es eint soge-

rrannte Girobank, und folglich von andern, wie z. E. der

Siebenter

3 O.iienk’ben fern hält. Es geht von hier nach Dresden tit t;c Münze, wo es in Jpsertiegeln noch­ mahls ernueft! molzen und legirt wird. ?lbf der Ober Muldnerhütte arbeiteten, als ich dort war, 1 20 Personen. Bey meinem dießmahligen Hierseyn wurde mir ge, sagt, der sämmtliche Ertrag des Sächsischen Erzgebir­ ges wäre im vergangenen Jahre (1797) 60,000 Mark Silber, also 800,000 Thlr. gewesen. Man hat, seitdem ich das lehre Mahl in Freyberg war, em Laboratorium angelegt, wozu ein besonderes Haus gebaut worden ist. Ich fand es noch ziemlich unvollständig an Instrumenten; doch war ungefähr von allem etwas da. Es steht im Hofe des Gebäudes, wo die öffentliche Mineraliensammlung aufbewahrt wird, welche gesehen zu werden verdient. Vollständiger aber, systematischer und interessanter ist die Sammlung des Herrn Bergraths Werner, der den ersten Stock dieses Gebäudes inne hat. Eine Treppe höher wohnt, im nähmlichen Gebäude, Hr. Hofmann, ein junger Gelehrter, bey dem man Studien von Mineralien, d. h. kleine, eingerichtete Sammlungen zu verschiedenen Preisen haben kann. Er handelt nicht nur mit Sächjlschen, sondern auch ausländischen Mineralien. Sehr sehenswerth ist zu Freyberg die unachte, oder Leonische Gold- und Silberfabrik des Herrn Thiele, wo alle Arten von unachtem Gold-und Silberdraht, so wohl als Lahn, Gespinnst, Tressen, Spitzen, Bauder, Rund-und Plattschnüre, Zindel und andere Zeuge dieser Art, auch sogenannte Port - epe'es, Hutbänder und Jagdkuppel gemacht wer, den. Als ich diese Fabrik vor 2 Jahren sah, be­ schäftigte sie gegen 900 Menschen; jetzt gab Hr. Thiele Kuttnerö R. i. Ti). iY

290

Zwanzigster

ihre Zahl zwischen 900 und

Brief,

1000 an.

Seine Nie­

derlage zu Freyberg ist sehr interessant zu sehen.

Auch

ließ er mir in der Stadt eine schöne Maschine zeigen, auf welcher Lahn auf Leinengarn oder Seide gesponnen

wird. Der rohe und erste Theil

der Fabrik befindet sich

eine halbe Stunde von der Stadt, dicht an der Mul-

denbrücke, an der Straße nach Dresden. Man muß, um zugelassen zu werden, einen Erlaubnißschein vom

Eigenthümer haben, den

dieser nicht leicht abschlagr.

Hier wird das Kupfer zuerst

in Cylindern gegossen,

die etwa 2 Zoll im Durchschnitt haben. Sie werden dann auf ^inem Zainhammer geschmiedet, so daß ein kupferner Cylinder, der anfangs einen Schuh lang ist,

eine Länge von mehr wird er gezogen,

als 2

indem

Schuh erhält-

Hierauf

man ihn zuerst durch eine

stählerne Platte mit einem sehr großen Loche treibt, dann durch ein kleineres, und so durch viele 100 Lö, cher hindurch, bis endlich 1 Mark Kupfer eine Länge

von vielen 1000 Ellen enthält.

Um die dicken Kupfer­

stangen zu ziehen, gebraucht man ein Pferd. Wenn aber das Kupfer auf eine gewisse Dünne gebracht ist,

wird es in die Stadt geschickt, wo es durch Menschen­ hände eine Femheit erhält, über die man erstaunt,

und die den feinsten gesponnenen Faden gleich kommt. Die Stahlplatren, Löcher besindeti,

in denen sich die verschiedenen

durch welche

das Kupfer

Draht gezogen wird, kommen von Wien. ist der Mann,

oder

der

(Seitdem

der eine besondere Kunst in Verferti­

gung derselben besaß, gestorben, und hat sein Geheim, mß mit in das Grab genommen.)

Zu gelben Tressen und Spitzen wird eine Composition von Kupfer gemacht, die man Tomback, oder Simllor nennt. Zeder Gürtler kaun ähnliche Compotitionen machen.

Das Geheimniß der gegenwärtigen

Zwanzigster

Bries.

29t

ist, sie nicht nur dem ächten Golde in der Farbe möglichst ähnlich, sondern auch so dehnbar und geschmeidig zu ma­ chen, daß sie sich bis zu einem Faden von der Feinheit eines Menschenhaares ausziehen läßt. Um aber weiße Treffen zu macken, muß die Kupfer, stange versilbert werden. Dreß geschiehet, so bald die Stange oder der Cylinder unter dem Zamhammer geschnnedet worden ist. Sie wird gekündet und gefeilt, so daß sie erne gewisse Rauhigkeit bekommt, welche sie in den Stand sehr, die Lilberblätter anzunehmen, mit de, nen man sie überlegt. Diese werden durch Feuer Hinerngearbeitet, und zu verschiedenen Mahlen z, 4, ja biö sieben Mahl über einander gelegt, je nachdem die De^immung des Drahtes euic stärkere oder schwächere Versilbe­ rung erfordert. Diese Fabrik ist eine der nützlichsten, die ein Land haben kann. Sie nährt eine Menge Menschen, und ihre Waaren gehen fast ganz in das Ausland, denn in Sach­ sen werden sehr wenig falsche Tressen und dergleichen ver­ braucht. Ihr Absatz ist nach Pohlen, Ungarn, in einige Theile des katholischen Deutschlands, hauptsächlich aber in die Türkey. Dabey sind die rohen Materialien, die sie verarbeitet, zum Theil Landeserzeugnisse, so lange nähm­ lich, als Hr. Thiele feines Kupfer genug in Sachsen findet. Da aber dieses nicht in großer Menge erzeugt wird, so ist er oft genörhiget, es aus d^r Fremde, aus einer beträchtlichen Ferne und mit schweren Kosten zu zie­ hen. Sonst erhielt er es aus den Römisch kaiserlichen Staaten, dann aus Sibirien, und jetzt euren Th^il aus dem Mannefeldischen. Die Hauptkirche zu Freyberg ist ein schönes Gebäude, mit einer berühmten Silbermannischen Orgel. Das Chor, welches zum Theil von Sächsischem Marmor und Ser pentin, zum Theil von ausländischen Marmora'.ten ge­ baut ist, enthalt die Begräbnisse des Churfürsten Moriz

29i

Zwanzigster

Brief,

und mehrerer andern aus dieser Linie.

August II ist in

Pohlen begraben; August Hl in der katholischen Kirche zu Dresden.

Die übrigen Fürsten der Albertinischen Li­

nie ruhen zu Meissen. Die ergiebigsten und bestgebauten Bergwerke in Sach­ sen sind jetzt 1. der Himmelsfürst, hinter Erbisdorf bey

Freyberg, 2. Beschert Glück, hinter den 3 Kreuzen bey Freyberg, 3. Alte Hoffnung Gottes zu Groß Voigtsberg/

4. der Churprinz Friedrich August, 5. der Erbstolle zu

Groß Schirma, und 6. die Neue Hoffnung Gottes zu Braunsdorf, unweit Freyberg. ren wollen,

Liebhabern, die anfah­

würde ich den Churprinzen bey Freyberg,

oder den Marksröhling bey Annaberg, welcher ebenfalls ein sehr einträgliches Werk ist, empfehlen.

Beyde sind

schön gebauet, beyde haben in ihrem Innern ein wichti­

ges Kunstwerk, und bey dem Marksröhling hat man noch

den Vortheil, daß, wenn man oben angefahren ist, man ebenen Fußes durch den Stollen Herauekommen kann, wo zugleich auch ein Pochwerk zu sehen ist.

Von hier

gehet ein Weg durch ein angenehmes Thal, in welchem man an einen Stoßherd kommt, in die Stadt Annaberg zurück. Man kann aber auch, anstatt den Weg im Thäte

zu verfolgen, einen andern auf der Höhe wählen, wo man eine weitere und schöne Aussicht, auf der sich besonders die Stadt sehr gut zeigt, genießt. — Aber

die Pochwerke, Stoßherde, und alles, was zur ersten Ausbringung der Metalle gehört, sieht man schöner auf dem Churprmzcn, wo auch reinlichere Kleider zum An­

fahren gegeben werden. Das Muldenthal bey Freyberg ist auf der ganzen Länge einer Meile sehr interessant, und ich möchte jeden Reisenden rathen, es sorgfältig zu durchwandern.

Er

findet auf dem Umfange dieser einen Meile einen Theil der Thieleschen Fabrik, die beyden Schmelzhütten, das Amalgamirwerk, und, tiefer hinab, eine aus hohen

Zwanziger

Brief.

193

steinernen Dogen erbaute Wasserleitung, welche ehedem

das Wasser über das Muldemhat zur Bewegung der Was» serkünste in 2 Bergwerken führte.

An dieser Wasserlei­

tung rst unten eine steinerne Brücke, die aus mehreren Dogen besteht, angebauet, über welche die Landstraße von Freyberg nach Meissen führt, und wo, unter einem

der Bogen, der Churprmzer Bergwerkscanal geht, auf welchem die Erze von mehreren Gruben nach dem Amat-

gamirwerk und der Halsbrückner Schmelzhütte geführt werden.



Von der Wasserleitung hat Hr. Zink ein

artiges Blättchen geliefert, geatzt und in Dister gewa­ schen. Verfolgt der Wanderer dieses Muldenthal noch weiter hinab, so finden sich darin so viele mahlerische Reihe,

daß man unentschlossen wird, ob man die Ufer der Frey, berger-oder der Zwickauer Mulde die schönern nennen soll.

Besonders anziehend find die Gegenden bey Rosswein, Döbeln und Leisnig,

von wo aus es wohl der Mühe

lohnt, etwas seitwärts zu gehen, um das nahe gelegene

Harta mitzunehmen.

Etwas tiefer hinab vereiniget sich die Freyberger Mulde mit der Zwickauer, zwischen Colditz

und Grimma, und beyde erhalten noch immer ihre Schön­

heit, bis die Natur bey Grimma die letzte Anstrengung zu machen scheint, und auf der Lange einer Stunde un­ zählige Reihe vereinigt.

Aber nun scheint sie sich auch

erschöpft zu haben, die Ufer des Flusses werden allmählig flach, und nur hin und wieder biethet er noch einige

interessante und schöne Partien dar, ehe er sich in der Elbe verliert.

-H4

Ein und zwanzigster Brief. Reise nach Leipzig über Meißen. — zwischen

Dresden

Machern. — kichtenwalde.

Leipzig. —

und

Verschiedene Wege Hubensburg.



Weg über Freyberg und Chemnitz. — —

Ueber

das

Erzgebirge

Sächsische

überhaupt.

Leipzig den i May 1793.

28 ir gingen von Freyberg über die Poststraße nach Dresden zurück, und von da über Meißen hierher. Dreß ist der gewöhnliche Weg, den diejenigen Reisen­

den nehmen, die von Berlin, oder Wien, oder aus

Schlesien nach Dresden gekommen sind.

Man hat auf

dieser Straße den Vortheil, die herrliche Gegend zwi­

schen Dresden und Meißen, -lind in der letzter» Stadt die Porcellanfabrck zu

sehen.

Zu dem letzter» Behufe

nimmt man gewöhnlich zu Dresden einen Paß. habe

diese Fabrik

Ich

mit und ohne Paß gesehen, und

fand in dem, was man uns zeigte, wenig Unterschied; denn das Brennen zu sehen, ist eine Erlaubniß, die auch der Paß nicht verschafft.

alle

Pvtcellanfabriken,

die

Am Ende gleichen sich beste wie die schlechteste.

Ich habe die mehresten von Europa gesehen, und der Unterschied bestand immer in der mehrer»

oder nun?

Ein im b zwanzig ster Brief.

295

dern Vollendung, in dem Geschmacke der Formen und in der Feinheit der Mahlerey:

und diese Unterschiede

kann man eben so wohl und besser in den Niederlagen

beobachten,

die man gewöhnlich m den Hauptstädten

findet, als in den Fabriken selbst. In Meißen am Markte ist ein sehr erträgliches Wirthshaus, und man kann in dieser Stadt und m der

anliegenden Gegend sehr angenehm einen Tag hlnbrrngen. Alles umher ist schön in diesem paradiesischen Landstriche! Ich besuchte ein mineralisches Wasser, das vor nicht gar langer Zeit in Gang gekommen ist, und die sieben Ei­

chen, ein überaus schön gelegenes Rittergut.

Von Meißen nach Leipzig führt der Weg zwar durch

ein reiches und wohlangebautes, aber für das Auge we­ nig interessantes Land. Auf dieser ganzen Straße findet

man nichts merkwürdiges, als das Schloß Hubertoburg,

das größte und schönste, das der Churfürst besitzt, das aber schon seit geraumer Zeit in ein Kornmagazin ver­

wandelt worden ist. Erne halbe Meile von Wurzen, den Fluß hinab, liegt Nieschwitz, eins der ansehnlichsten Schlösser in Sachsen,

mit einem sehr beträchtlichen Rittergute. Cs gehörte dem ehemahligen Sächsischen Minister, Grafen von Brühl, und trägt in vollem Maße jenes Gepräge von Größe, das dieser Mann allem, was ihm gehörte, zu geben wußte. Jetzt besitzt es die verwitwete Frau Dr. Lastrop. Ein

Saal, der auf Befehl Friedrichs H, nebst vielen andern

Dingen hier verheert wurde, ist noch in dem Zustande, in welchen ihn dieses Königes Soldaten versetzten. Zwischen Wurzen und Leipzig liegt nahe an der Straße

das Dorf Machern mit Anlagen und einem Sitze des Grafen von Lmdenau. Die Natur ist ungünstig; aber der

Eigenthümer hat viel durch Kunst gethan,

und große

Summen besonders auf einige Gebäude verwendet. Man hat eine eigene Beschreibung davon.

Ein und zwanzigster Brief.

296

Da der Weg von Meißen nach Leipzig wenig ange­

hend ist, so würde ich den Reifnden einen andern rathen, der wenig besucht wird, und der es doch so sehr verdient, auch im Ganzen, als Straße bedachtet, eher noch besser

ist, als bei von Meißen nach Leipzig.

Ich würde nähmt

tich von Dresden nach Meißen eine Spazierfahrt machen,

die Gegend um die Stadl und den ganzen frönen Lan-

desstrrch besehen und nach Dresden zurückkehren, um von dort über Freyberg und Chemnitz nach Leipzig zu gehen.

Zwar in dieser Weg drey und eine halbe Meile länger als der gerade über Meißen; aber man erspart dadurch die Rück­ fahrt, die man gewöhnlich von Freyberg nach Dresden

macht, vorausgesetzt, daß der Reisende diese merkwürdige Dergstadt nicht übergehen will. Von Freyberg nach Oederan, oder, wie man gewöhnlich sagt, Ordern sind zwey Meilen und eben so viele nach Chemnitz. Man kann

diese vier Meilen bequem in einem Tage machen, und

mehrere Stunden übrig behalten, um Ltchtenwalde und

die umliegende Gegend zu sehen.

Dieser schöne Landsitz

des Grafen von Vitzthum liegt zwischen Oederan und Chemnitz, eine halbe Stunde von der Straße; über wel­

chen Umweg und Aufenthalt man mit dem Postmeister der letzten Station einig werden muß.

Lichtenwalde hat eine der schönsten Lagen, die ich in Sachsen kenne.

Es hat das Besondere, daß die Herren­

gebäude und die Anlagen einen kleinen, frey stehenden

Hügel einnehmen, der mitten in einem reihenden Lande iieqt, das mit einem schönen Flusse, mit Bergen, Ebe­ nen, Waldungen,

fe(t.

Wiesen und-Getreidefeldern abwech-

Die Anlagen waren ursprünglich Französisch, sind

es auf dem obern Theile noch jetzt, und haben, in ihrer Art, em gewisses Gepräge von Größe. Besonders wa­ ren die Wasserwerke berühmt, die ich auch vor zwey Zäh­

ren noch unterhalten fand.

Doch muß nzan, wenn sie

spielen sollen, es bestellen.

Der neuere Geschmack hat

Ein und

zwanzigster Brief.

297

diesem Sitze zum Theil eine andere Gestalt gegeben, und

die Anlagen uu den

eiten sind Englisch.

Das Wohn­

haus i|i bequem und m einem guten Geschmacke verziert. Chemnitz tst eine von den Städten Sachsens, welche in den lctz-en Jahren am meisten zugenommen haben.

Sie

ist der Haupisttz für die Sächsischen Baumwolienmanufacturen, nahmliä) gedruckte Kattune, Pique'es, Barcdente, schöne Bettdecken, (ich meine solche, die man der Rein­

lichkeit und Zierde wegen über die Betten legt) Kaffee­

tücher und bamnwollene Mützen und Strümpfe. — Die Stadt hat eine angenehme Lage, ist gut gebauet, und

alles umher zeigt Wohlstand. (Zch habe Chemnitz in den Jahren 1800 und 1801

wieder besucht und gefunden,

daß diese Stadt an. Menschen und Wohlstand abermahls zugenommen hatte, trotz der Klagen einiger Fabrikanten, welche sagen , daß ihr Gewerbe nicht gehet, und daß die

Engländer durch die Menge der Waaren und ihre wohl­

feilen Preise sie zu Grunde richten. Zch fand eine Menge Hauser, die vor wenig Zähren noch nicht standen, und zwey große Spinnmaschinen, wovon die eine noch nicht

ganz vollendet war, die andere aber vor kurzem angefan­

gen hat, zu arbeiten.

Auf die Frage, die ich an einen

Weber that: „was die Spinnerinnen zu den Maschinen

sagten?" antwortete er:

diese daraus!

„Ey, was machen sich denn

Wenn sie nur recht viel spinnen könnten;

es geht alles ab, ihre Arbeit und die Maschinenarbeit,

und das Englische Garn auch." —

Man zahlt jetzt in

dieser Stadt ungefähr 14,000 Seelen, so daß ste nach Leipzig die bevölkertste in Sachsen wäre. -- Des Daum­

wollenhandels wegen haben sich hier einige Griechen nie­ dergelassen, deren Zahl nach und nach auf zehen gestiegen

ist. —

Chemnitz liegt an der großen Fahrstraße zwischen

Wien und Hamburg, wodurch seine Lebhaftigkeit auch vermehrt wird.)

Von hier sind zwey Meilen nach Penig, drey nach Dorna, und eben so viele nach Leipzig. —

Zwischen

Penig und Dorna hat das alte Schloß Gnantstem eine

romantische und zugleich höchst angenehme Lage.

Das

Schloß ist ein überaus mahlerischer Gegenstand;

auch

hat man mehrere gute Zeichnungen davon. Freyberg und Chemnitz liegen an der Grenze des

Sächsischen Erzgebirges,

eines Landes,

das unter die

schönern Striche von Deutschland gehört, das in so vie­ len Rücksichten merkwürdig ist, und welches Ausländer

bis hierher nur wenig besucht haben.

.Selbst unter den

Sachsen ist diese keinesweges eine Modc^cise, und man­

cher geht weiter, um Dinge aufzusuchen, die er hi?i schö­ Freylich mag eine Haupt­

ner und besser finden würde.

ursache dieser Vernächlässigung in der Darbarey der über allen Ausdruck elenden Straßen und zum Theil in den

Wirthshäusern liegen, die im Ganzen eher schlecht, als

gut sind. (Indessen habe ich auch in dieser Rücksicht ganz kürzlich, in den Jahren 1800 und isoi mancherley Ver­

besserungen gefunden.)

Wer sich nicht durch diese beyden

Betrachtungen abhalten läßt, wird sich durch die Natur­

schönheiten und durch die mannigfaltigen, interessanten

Gegenstände, die ihm auf seinem Wege vorkommen wer­ den, reichlich belohnt finden. —

Zwey und zwanzigster Brief. Reise von Leipzig nach Weissenfels — Naumburg. — Canal, wodurch die Saale und Unstrut schiffbar wer­

den. —

Schulpforte. —

Kosen. —

Nebenreise nach Jena. — Gotha. —

Weunar. —

Sternwarte. —

Herr von Iach. — Schloß — Garten — Porcellan­

fabrik.

Gotha im May 179g. 3ch verließ Leipzig zu Anfänge dieses Monathes, und habe eine Reise gemacht, so angenehm, als sie sich in dieser Jahreszeit und bey diesem herrlichen Wetter denken läßt. Weissenfels, dessen liebliche Gegenden ich von der Höhe des Schlosses immer wieder mit Vergnügen sehe, hielt uns einige Stunden auf. Hier hört die schöne Straße auf, die schon vor mehreren Zähren gemacht und zeither besser unterhalten worden ist, als es gewöhnlich mit den Sächsischen Straßen geschiehet; aber auch weiter hin hat man gearbeitet und wenigstens ausgebessert, so daß ich den Weg bis Naumburg dieses Mahl besser fand, als ich ihn noch je gesehen hakte. Wir kamen in dem letzter» Orte so frühe au, daß wir Zeit hatten, ettiett langen Spaziergang in und außerhalb der Stadt zu ma­ chen, und ich bemerkte zum ersten Mahle, ob ich schon

3oo

Zwey und zwanzigster Brief,

oft hier durchgercist bin, daß Naumburg, auch unabhän­

gig von seiner Lage, eine recht artige Mittelstadt ist, mit einer Menge guter Häuser und einer Reinlichkeit und

Ordnung, die einen beträchtlichen Wohlstand ihrer Ein­ wohner versprechen. — Panzer,

Wir übernachteten im goldenen

wo wir eine anständige Dcwirthung fanden,

ungefähr wie im schwarze» Rosse, wo ich andere Mahle cingekehrt bin-

Seitdem wird der Scheffel sehr gerühmt.

— Von Leipzig nach Rippach sind 3 Meiien (Es wäre

wohl besser, wenn man den Pferdcwcchscl nach Weissen­ fels verlegte?) und eben so viel nach Naumburg. — (Diese Abänderung ist seitdem wirklich gemacht worden, und man findet -ctztPostpferde zu Lützen und Weissenfels.)

Es ist bekannt, daß man mehrere Jahre lang daran gearbeitet hat, die Saale und Unstrut schiffbar zu machen.

Beyde Flüsse haben Untiefen, in welchen auch ein mäßig beladenes Fahrzeug bey niedrigem Wasser nicht fortkom­ men kann.

Man suchte also diesen Flüssen eine größere

Tiefe zu geben, wo es sich thun ließ, und dann zog man hin und wieder kleine Canäle und bauete Schleusen, durch welche die Fahrzeuge, indem pe den Fluß verlassen, einen kleinen Umweg machen. Wer das Ganze sehen will, muß

von Weissenfels aus über Naumburg, Schinwerda bis Artern gehen.

Roßleben

und

Ich verfolgte diesen

Bau vor einigen Jahren/ fand aber, daß für einen, der

die Englischen und Holländischen Canäle kennt, hier nichtWer indessen von dem Sächsischen

Neues zu sehen ist.

Schleusenbau und von der Art, wie man zu Werke ge­ gangen ist- sich wenigstens einiger Maßen einen Begriff

machen will, kann solches ohne Zeit - und Geldaufwand,

wenn er von Weissenfels eine kleine halbe Stunde seit­ wärts geht, wo er die ersten Schleusen findet, und von wo er in die Stadt zurückgehen und seinen Weg weiter

fortsehen kann.

Zwey und zwanzigster Brief. Zn

einer

mäßigen

Ferne von

Naumburg

301

liegt,

links an der Landstraße, Schulpforte, oder Pforta, die

ansehnlichste der drey Churfürstltchen Schulen in Sach­ sen.

Zch könnte eine lange Reihe berühmter Männer

nennen,

bic hier ihre erste Erziehung erhalten haben,

und noch hat sie ihren alten Ruf nicht verloren.

Die

Gebäude sind geräumig und besser beschaffen, als ich sie auf öffentlichen Schulen dieser Art in Deutschland

gewöhnlich gefunden habe.

Besonders gefiel mir der

große Schlafsaal, in dem ich, der vielen Betten un­

geachtet, frische Luft und Reinlichkeit fand. —

Da

dieser Ort ganz für sich liegt, so erzeugt er eine Menge seiner Bedürfnisse selbst.

Man

findet also hier Wirth-

schaftliche Gebäude, einen großen Garten, zum Ver­

gnügen sowohl als zum Nutzen, Drauerey, Weinberge, kurz ungefähr Alles, was zu einem Ritterguthe gehört. Pforta war ehemahls ein reiches Kloster, wovon man

aber der Schule nicht alle Einkünfte gelassen hat. Die

Schüler sind innerhalb einer Mauer eingeschlossen, aus der sie nicht ohne besondere Erlaubniß herausgehen

dürfen, wohl aber, in Begleitung der Lehrer, Spa­ ziergänge machen. Wir kamen bald darauf nach Kösen, einem Chur­ fürstlichen Salzwerk, in einer romantischen Lage.

Die

Berge, die sich hrnter demselben erheben, die Saale mit ihren schönen Ufern, die ansehnliche Drücke, ein altes Schloß in einiger Ferne, und die mancherley Ge­

bäude und Maschinen des Salzwerkes machen die ganze Gegend zu einem mahlerischen Gegenstände,

auf dem

man mit Vergnügen weilt, und von dem ich mehrere

gute Zeichnungen gesehen habe. —

Das Satz wird

aus einer Sohle gemacht, die durch eine Wasserma­

schine tief ane einem Schachte heraufgepumpt wird. Man ersteigt nun einen ziemlich ansehnlichen Berg, über welchen eine gemachte Straße geht, die, wie ich

302

Zwey und zwanzigster Brief,

aus den Anstalten sahe, noch besser gemacht werden soll.

Zch ging langsam, und doch serieller als der' Wagen, den Berg aufwärts,

genoß der Aussicht an einem schönen

Frühlinqsmorgen, und wurde in meinen Betrachtungen

bloß von dem lauten Klappern unterbrochen, Menge zweyrädenger Karren machte.

das eine

Diese lassen sich.

Wie Sie wissen, Nicht hemmen; man nimmt allo eine Menge grüner Hölzer, oder junger Baume, gibt ihnen

eine Lange, welche mit der Breite des Karrens die nähm­ liche ist, und befestiget sie so zwischen den beyden Radern, daß ihre Enden in die Speichet» eingreisen, so daß sie

bie Bewegung der Ra^er zwar nicht schlechterdings hem­ men, denn sie geben nach und greifen aus einer Speiche in die andere, wohl aber ihren Lauf merklich hindern.

Der obere Theil der Höhe ist ziemlich nackt, brd> mit Getreide angebaut.



So wie man werter kommt,

wird der Weg schlechter, und endlich, in der Nahe von Auerstädt, in der fetten reichen Erde, höchst beschwerlich. Won dem letzrern Orte ist er, wo möglich, noch schlechter, und so dauert er fort bis in die Nähe von Wermar —

Von Naumburg nach Auerstädt sind zwey Meilen, und drey bis Weimar. Das kleine, liebliche Weimar ist mir immer ein süßer Anblick. Ich sahe es auch dieses Mahl mit Vergnügen wieder, ob ich schon einen großen Theil meiner Bekanm

ten nicht dort fand. Zahlen Sie die Menge guter Köpfe, die sich hier beysammen finden, und worunter mehrere unter die ersten Nahmen in Deutschland gehören; beden­ ken Sie die verschiedenen Kunsterzeugnisse, die dieser Ort hervorbringt; sehen Sie den allgemeinen Kunstfleiß, der

unter der gegenwärtigen Regierung ein ganz eigenes Le­

ben erhalten hat,

die Menge ansehnlicher, oder guter

Gebäude, die verschiedenen Stiftungen, die Englischen Anlagen, und so manche andere Dinge, und Sie werden

Zwey iinb zwanzigster Drief.

zoz

^ingestehen, das; es schwerlich einen zweyten Ort in Eu­

ropa gibt, der in einem so kleinen Umfange so viel verr einigte. —

Welche ganz eigene Thätigkeit hat nicht ein einziger Mann,

der Hr. Legationerath Bertuch, m diesen Ort

gebracht! Seine mannigfaltigen Unternehmungen haben

das Besondere, daß sie, außer den Menschen, die ganz ihre Beschäftigung und ihr Brot darin finden,

eiiuv

Menge Personen des weiblichen Geschlechts eine Arbeit geben, die sie bey ihrem Berufe und dem gewöhnlichen

In der öffent­

Gange ihres Lebens nebenher verrichten.

lichen Zeichnungsschule, an der jedermann Antheil neh­

men kann, haben eine Menge Personen den Pinsel und den Dleystift mehr oder weniger handhaben gelernt; viele

von diesen illuminiren die Landkarten und die mannigfal, tigen Kupferüiche, die Hr. Bertuch herausgibt, und lie­

fern ihren Aeltcrn oder Ehemännern einen Beytrag, der

um so willkommner ist, da diese Frauenspersonen großentheils in jene Menschenctassen gehören, in welchen man, bey einem in der Regel sehr eingeschränkten Einkommen,

doch immer mit einem gewissen Anstande erscheinen muß.

Die Englischen Anlagen, die so dicht an die Stadt anstoßen, daß man sie als einen Theil derselben betrach­

ten möchte, sah ich dießmahl tn ihrer ganzen Schönheit

und mit frohem, innigem Genusse.

Mich dünkt, fie ge,

hören in Deutschland unter das Schönere dieser Art, und

verdienen, daß man zu verschiedenen Stunden und lange darin weilt, wie ich darin geweilt habe.

Die Natur hat

sehr viel gethan und die Kunst mit dem schmacke nachgeholfen.

Die

feinsten Ge­

kleine Ilm gibt ihnen ein

ganz eigenes Leben, und ihre Ufer vermehren die Man­ nigfaltigkeit der Spaziergänge.

Das kleine Haus, das

der gegenwärtige Herzog darin gebaut hat, ist sehr zier,

304

Zwey und zwanzigster Brief.

lich meublirt, und wurde uns mit Gefälligkeit von einem

Bedienten gezeigt, der durchaus nichts dafür annehmen wollte.

Zch bin so gar sehr gewohnt, bcu< man den Rei­

senden Alles und Alles bezahlen macht, daß ich solche seltene Fälle mit einem ganz eigenen Vergnügen anführe.

— Der Garten ist von mehreren Seiten offen, und jex bcrmann genießt ihn nach Gefallen. —

Der Bau des

großen Schlosses geht ticd) immer fort, aber so langsam, deß ich seit meinem letzten Hierseyn nur wenig Fortschritte bemerkte. —

Herr Wieland hat Weimar schon vor meh­

reren Monathen ganz verlassen, und wohnt, eine Meile von hier, auf einem Dorfe, wo er ein Gut gekauft hat. Den achten früh ging ich nach Belvedere, einem Her­ zoglichen Lustschloß, eine Stunde von der Stadt, zu welchem eine schöne Allee führt. Hier sah ich den Herrn Mounier, der sich zwar Abe' nennt, aber nie zur Fran­

zösischen Geistlichkeit gehört, sondern vor der Revolution juristische und Staats-Aemter bekleidet hat.

Der Fürst

hat ihm den größten Theil dieses Schlosses eingeraumt; er selbst aber wohnt mit seiner Familie in einem der Neben­ gebäude, während daß seine Zöglinge, deren er jetzt acht hat, das Hauptgebäude eingenommen haben. Hr Mvu-

nier errichtete hier diese Erziehungsanstalt, haupt­ sächlich in der Hoffnung, viele junge Leute aus England zu erhalten, wozu denn auch schon ein guter Anfang da ist. Die mehresten sind dem Jünglinge näher als dem Knaben, und streben nach einer Art von Unabhängigkeit, die dem Franzosen seine Regierung" oft schwer genug max

chen wird,

i Diese Anstalt ist seitdem eingegangcn, da

ihr Stifter nach Frankreich zurückgekehrt ist. Einige Zeit darauf wurde sie durch ein anderes Personale wieder her­

gestellt.) —

Das Schloß hat übrigens weiter nichts be­

sonderes, außer einer angenehmen Lage und einer schönen Aussicht, deren man auf der höchsten Höbe des Gebäudes

in einem zu diesem Zwecke errichteten Zimmer genießt.

Zwey und zwanzigster Brief.

30;

Da Jena nur ein paar Meilen von Weimar liegt, so wird cs niemand bereuen, eine Ausflucht dahin zu machen.

Noch kürzer ist es, Jena gleich auf dem Wege Vor etwas mehr als einem Jahre ging

mitzunehmcn.

ich von Naumburg dahin, da denn der Weg durch ein

angenehmes Thal tu die noch schönern Gegenden um Zena führt.

Schon diese letzter» verdienen den Um­

weg, wenn auch Zena nicht der Wohnsitz von Gelehr­ ten wäre, wovon mehrere unter die

ausgezeichnetern

Von hier nach Wei­

Nahmen Deutschlands gehören.

mar führt der Weg über einen steilen Berg, über welt

chen eine merkwürdige Schneckenstraße geht. Den nennten verließen wir Weimar, hielten nnS einige Stunden in Erfurt auf, und wareit doch schon um drey Uhr in Gotha, wo wir im Mohren ein sehr gutes und eben so wohlfeiles Wirthshaus fanden. Der

größte Theil des Weges von Weimar bis Eisenach hat

eine Chaussee, welche die drey

Fürsten von Weimar,

Maynz und ,Gotha, denen sie gehört, recht gut unter­

halten.

ES sind drey Meilen von Weimar nach Erfurt,

und eben so viel nach Gotha.

Mein erster Gang hier war auf die Sternwarte,

die auf einer beträchtlichen Anhöhe eine halbe Stunde Das, was sie zu­

von der Stadt ganz einsam liegt.

nächst umgibt,

ist freylich nicht reihend,

denn alles

umher ist. nackt; allein hier kam es vorzüglich auf einen freyen Horizont an: und in dieser Rücksicht ist die Lage vortrefflich gewählt.

Das

Ganze

besteht aus

die zusammen Da- mittlere Gebäude ist

einem Hauptgebäude und zwey Flügeln,

diese Form |“| ausmachen.

die eigentliche Sternwarte, die unter der Aufsicht des Herrn von Zach errichtet worden ist.

Ganze nur noch im Werden, und

Freylich ist das

es fehlet manches

Instrument, das ich hier gesucht hätte. So hat man z. E. noch keinen Mauerquadrantcn. Indessen ist doch KürrnexS R. 1. Th.

2S

3o6

Zwey und zwanzigster Brief.

schon sehr viel Schönes hier, und manches von der neue,

sten und besten Arbeit Das Vorzüglichste ist ein vortreff­ liches Transttinstrument von Ramsden, das beste vielleicht, Es ruhet auf, oder viel­

das jetzt irgendwo zu sehen ist.

mehr zwischen zwey Granitpfeilern, deren Fuß durch den

Boden des Saales in die Erde geht.

Auch für einen

Mauerquadranten ist schon eine Mauer von Granit errich­

tet. Der Hauptsaal ist oben kuppelförmig und von einem Horizonte zum andern rein durchschnitten. Auch ist hier

ein Zimmer mit einer beweglichen Decke von Eisenplatten, wie man auf wenig Sternwarten findet

Zu Oxfort z. E.

ist drcses Zimmer in einer ziemlichen Ferne vom Hauptge­

bäude, und hat noch überdieß keinen guten Horizont. Auf

vielen andern Sternwarten habe ich es ganz vermißt. Hier ist alles beysammen, und mit einer Ordnung und Bequemlichkeit verbunden, die dem Herrn von Zach un­

endlich viel Ehre machen.

Auch hat er hin und wieder

kleine Vortheile angebracht, die ich nirgends sonst in der

Vollkommenheit gesehen habe. So fiel mir z. E. die Ein­ richtung der Fenster sehr auf.

Ein Beobachter wünscht

oft, ein gan s Fenster oder einen großen Theil desselben frey zu haben. Sein Bedürfniß nst augenblicklich und er

hat gerade niemanden in der Nähe, der ihm beystehen könnte.

Hier ist nun alles so eingerichtet, daß es hinauf

und berab läuft, und mit Leichtigkeit sich bewegen läßt: in wenigen Secunden waren Fenster, Fensterläden und was sich noct) sonst da befand, verschwunden. — Den einen Flügel bewohnt Herr von Zach, auf dem andern find seine Leute, Ställe, Heuboden u. s. w. Der Herzog halt hier eine Wache von drey Mann,, die alle vier und zwanzig Stunden abwechselt. Einer davon muß bestän­

dig Schildwache stehen. — Herr von Zach hat den Rang

und Titel eines Oberstwachmeisters und trägt tiie blaue Uniform.

Zn Deutschland, England und Frankreich ist

sein Ruf scyon längst gegründet.

(Aber wie hoch sein

Zwey und zwanzigster Brief.

307

Nahme auch im Norden steht, fand ich noch im Verlauf dieses Sonnnero zu Kopenhagen, Stockholm und Upsala.)

Das herzogliche Residenzschloß hat durch ferne kühne Lage, seilten großen Umfang, und den belrüchNichen

Platz, der es von allen Seiten umgibt, etwas wahr haft Großes, und gehört von außen unter die ansehnlichsten Residenzen in Deutschland. Seine Lage mif einem zwar mäßigen, aber doch über die Stadt hervorragenden Hü­

gel, macht,

daß man es in einer großen Ferne sieht,

lange ehe man irgend etwas von der Stadt gewahr wird. Den unangenehmen Zugang, den es sonst von dcr Stadt-

seite hatte, da man über Stufen und Zugbrücken hinaufs gehen mußte, har der gegenwärtige Herzog geändert und zwey Wege in zwey halben Zirkeln machen lassen, zwi­

schen denen in der Mitte ein Grasplatz liegt. Auf dcr Seite des Schlosses, wo der Fürst wohnt, können Fremde nur in Begleitung einer Wache herumgehcn; einheimi­

sche Bürger dürfen diese Seite gar nicht betreten, weit

sie nur für Cavaliers offen ist.

Die Cavaliers aber

wissen, daß das dem Herzog nicht angenehm ist, und so

kommt gar niemand dahin, als etwa gelegentlich ein Fremder, der sich die Wache gefallen laßt, um das Ver­ gnügen zu haben, auf der schönsten Seite des Schlosses einen Spaziergang zu machen. —

Aengstlich war mir

es, daß jeder Fremde, so oft er durch das Schloß geht, von der Wache angehalten und ausgefragt wird.

Im

Innern dieses Gebäudes ist, wenn Sie das sehr wichtige Münzcabinet, die Bibliothek und was sich da befindet, ausnehmen, für den Fremden wenig zu sehen. Die Ge­ mählde sind nicht von Bedeutung; die Staats - und Em­

pfangzimmer altväterisch; die Herzoglichen Wohnzimmer

werden nicht gezeigt, und der Theil, den der Erbprinz

bewohnen soll, wurde eben erneuert und ausgebessert. Der Englische Garten liegt nahe bey der Residenz,

ist aber den Stadtemwohnern ganz unzugänglich.

Nie

308

Zwey und zwanzigster Brief.

kommt ein Einheimischer hinein, wie man mir sagt; in der Ordnung besucht ihn bloß der Herzog. Wollen Fremde Ihn sehen, so müssen sie ihren Nahmen an den Fürsten selbst schicken, und ihn um Erlaubniß bitten. Wir erhiel­ ten sie! Der Gartendiener öffnete uns die Thüre, schloß sie hinter uns zu und ließ uns allein. Der Garten, den ich schon in meiner frühern Jugend gesehen hotte, der aber seitdem sehr verändert worden, ist wirklich Englisch, und hat so manches, das, ich charakterisirsch neunen möchte, und das mich lebhaft an dieses Land erinnerte. Allein der Boden ist ganz stach, der Umfang klein, und das Wasser trübe und von einer traurigen grauen Farbe. Nur ein einziges und nicht großes Gebäude steht darin, und von diesem hat der Herzog den Schlüssel. Ich besuchte unter andern die Porcellanfabrik. Von ihrem Umfange können Sie Sich einen Begriff machen, wenn ich Ihnen sage, das; sie in allen siebzig Menschen beschäftiget. Sie kommt den drey oder vier ersten Porcellanfabriken Deutschlands nicht gleich; indessen macht sie einige Artikel, besonders Tassen, recht artig, und kann sie noch besser machen, wenn sie besonders bestellt und bezahlt werden. Ich habe außerhalb Gotha Arbei­ ten aus dieser Fabrik gesehen, dergleichen sie keine in ihrer Niederlage hatte. Ihr Vorrath ist nicht groß; man erzeugt ungefähr so viel, als man abzusetzen hofft. Ueberhaupt ist die beste Zeit der Porcellanfabriken in Deutsch­ land vorüber; ihre Zahl hat sich feit fünfzig Jahren zu sehr vermehrt, und der Gebrauch dieser Waare hat abger nommen und theils dem Steingute überhaupt, theils den verschiedenen Erden des Engländers Wedgwood Platz ger macht. Es gibt ;etzt sehr wenig Porcellanfabriken, die einen beträchtlich gewinnenden Handel treiben. Ich erinnere mich mit Rührung der Tage, die ich einst in Gotha zubrachte, und der Bekannten, die ich da hatte. Sie sind bis auf sehr wenige entschlafen! Ich

Zwey und zwanzigster Brief.

309

habe dieses Mahl keine neuen Bekanntschaften gemacht, denn den Herrn von Zach kannte ich schon in England, und nnch begnügt, in den Gassen dieser artigen, anger nehmen und wohlhabenden Stadt umherzuwandern, und mich der Ruhe, des Friedens und der mannigfaltigen Vortheile zu freuen, die dieser Ort mit den übrigen Unx terthanen der Herzoge von Gotha und Weimar genießt.

3io

Drey und zwanzigster Brief. Reise nach Cassel. — Salzmannrsche Erziehungsanstalt.

Die Warrburg. — Cassel — allge­ meine Bemerkungen über diese tz^tadt — das Museum — Gemahldesammlung — Akademie der Künste mit ihren Gemählden — Modellhaus — Augarten — Wohn­

— Eisenach. —

haus des Fürsten. —

Wersienstein, jn/l Wrllhelmshöhe.

Cassel im May 1798»

W ir verließen

Gotha zu Mittage, um denselben Tag

nur noch bis Eisenach zu gehen, nahmen aber unsern Weg über Schnepfenthal, um das Salzmannische Znstitut zu sehen, wodurch der Weg vier Meilen lang wurde, der auf der Poststraße bis Eisenach nur drey

ist.

Wir verließen links die Landstraße, gleich in der

Nähe von Gotha, und hatten bis Schnepfenthal, wel­

ches drey Stunden entlegen ist, einen häßlichen Weg.

Von da machten wir abermahls zwey Stunden,

die

der vorigen werth waren, als wir wieder auf die Lande

straße kamen, die wir bis Eisenach sehr gut fanden. Zn einer kleinen Ferne von dem Dorfe Schnepfen­ thal liegt Herrn Salzmanns Dcsththum in einer ziem­

lich angenehmen Gegend, am Fuße mäßiger Hügel. Er fand hier nichts, als er sich ankaufte, selbst den

Drey und zwanzigster Dries.

311

Boden mußte er zum Theil umformen, abtragcn, er­

und die Gebäude,

die man jetzt hier sieht,

hat er alle selbst nufgeführt.

Ein großes, ansehnliches

höhen;

Hauptgebäude enthält den größten Theil seiner Familie und Zöglinge.

Dicht an diesem steht cm zweytes, spä­

ter erbautes Hans, welches nun auch bewohnt ist, und

quer gegen dieses ein drittes, in wclchein sich zwey Druckerpressen und die Niederlage der Werke besindct, die hier gedruckt worden sind; und wovon cm großer Theil voll ihm selbst ist. — -Herr Salzmann hatte

die Gefälligkeit, uns in eine Schulstube

zu führen,

wo eben Unterricht gegeben wurde, und uns ein paar Schlafzimmer, den Bethsaal und ein kleines Naturalieneabinet zu zeigen. — Die Zahl seiner Zöglinge bey­ derley Geschlechts ist jetzt vierzig.

Zch erkundigte mich nach den verschiedenen Kennt­ nissen,

Wissenschaften und Künsten,

und getrieben

werden,

und

die hier erlernt

hörte von Herrn Salz-

»nann, daß man Alles in seiner Erziehungsanstalt lernen könnte, selbst das Reiten nicht ausgenommen.

Zn der That hat er eine kleine Reitschule und Pferde, wobey einer ferner Söhne, der ein gelernter Bereiter

ist, Unterricht gibt. —

Die jungen Lerne trage« alle rothe Zacken, die ihnen gemacht werden, sobald sie die Kleider abgetragen haben, die sie ursprünglich mitbrach­ ten.

Sie schienen mir gesund, lebhaft und vergnügt

zu seyn. —

Das Naturalicneabimt ist eine Sarum»

hing von ausgestopftcn Thieren, Vögeln, von Stein­ arten, Gewächsen, von Naturerzengnissen aller Art. Es versteht sich, daß man hier weder etwas viel um­ fassendes, noch etwas rein systematisches erwarten kann.

Herr Salzmann empfängt, sammelt und kauft,

wie

sich die Gelegenheit darbiethet; und alles ist Gewinnst, denn hier kommt es bloß darauf an, den Kindern an­ schauliche Begriffe von so vielen Gegenständen als

Drey

912

und zwanzigster Brief.

möglich zu geben;

und alles, was man ihnen in der

Wirklichkeit zeigen kann, ist immer um so viel besser, als wenn sie es einzig und allein

aus Büchern lernen

müßten: welches Alles ist, was man tu einer entlegenen Erziehungsanstalt, wie diese ist, zu erwarten ein Recht hat. Ich enthalte mich eines umständlichen Urtheils über diese Anstalt, die übrigens genugsam bekannt^ und deren» Ruf langst gegründet ist. Es ist unbillig, viel über eine weitläufige Maschine zu sagen, die man nicht in ihrem

ganzen Umfange und ihren kleinsten Theilen gesehen und zu untersuchen Gelegenheit und Zeit gehabt hat. Ich habe sie mit Vergnügen gesehen, und betrachte sie als eine sehr gute Anstalt für Mädchen, und auch für solche Knaben,

die nicht den gelehrten Standen gewidmet sind.

Letztere

würde ich noch immer lieber auf eine öffentliche Schule

schicken.

Zm Ganzen hat sie den Ruf, daß sehr für das

Physische hier gesorgt, und daß die Unschuld der Kmder erhalten wird: gewiß zwey sehr wichtige Puncte bey der ersten Erziehung.

Von Schnepfenthal kamen wir durch die kleine schlecht­ gebaute Stadt Waltershausen, und bey einem alten Her­

zoglichen Schlosse, Tenneberg, vorbey, welches eine ro­ mantische Lage hat; ließen hierauf die Hügel im Rücken

und erreichten bey Mechterstädt wieder die Landstraße. Von hier bis Eisenach kommt man durch einen lieblichen

Strich Landes, so wie überhaupt die Gegend um diese Stadt auf allen Seiten sehr schön ist.

Der Ort selbst

erscheint in einem gefälligen Bilde, und zeigt beym ersten Blicke, daß ihre Einwohner fleißig sind, und, für eine

kleine Stadt, eine gute Nahrung haben, und einen arti­ gen Handel treiben. Das Herzogliche Schloß ist nicht

unansehnlich/ fällt sehr gut in die Augen und wird gehö­ rig unterhalten.

Drey und zwanzigster Brief.

313

Schon zu einer andern Zeit fuhr ich einmahl unter

der nahe an der Stadt gelegenen Wartburg vorbey, ohne ein besonderes Verlangen zu haben, den Fleck zu sehen, der an der Wand blieb, als Luther das Tintenfaß dem

Teufel anwarf. Vielleicht hätte ich dieses Wunder auch j-tzt vernachlässiget, wenn nicht die Geschichte «£errn***

so sehr belustiget hätte, daß er begierig wurde, de» Ort zu sehen.

Aber wir wünschten den folgenden Tag Cassel

zu erreichen;

es sind acht

und eine halbe Weile; der

Weg ist schlecht, und schon hatte ich die Pferde bestellt,

ohne weiter an ,bie Wartburg zu denken.

Aber von un­

gefähr erwachten wir vor vier Uhr, und einer der liebltchsten Frühlingsmorgen leuchtete uns entgegen.

Wir

eilten auf das alte Schloß, und wurden reichlich belohnt! Es liegt auf einem mit Wald bewachsenen Hügel, der, so wie die ganze Gegend umher, außerordentlich schön ist.

Das junge, liebliche Frühlingsgrün der Bäume, die duf­

tende Luft, die in der Nacht durch ein Gewitter gereiniget worden war, der Gesang unzähliger Vögel, die in

dieser Einsamkeit einer ungestörten Ruhe sich zu freuen

scheinen, das Romantische des alten Schlosses und des

ganzen lieblichen Hügels füllten uns Wonnegefühlen.

mit Freude und

Von Zeit zu Zeit öffnete, sich durch de»

Wald die Aussicht, und wir hatten schöne Blicke auf das

an den Hügel stoßende Thal, das die Neffe belebt und

verschönert, und auf die entgegengesetzten Berge. — Man braucht eine starke halbe Stunde, um diese Berg­ festung zu ersteigen, deren oberster Zugang außerordent­

lich steil ist.

Gleichwohl kann man zur Noth hinauf fah­

ren, und ein Theil des Weges ist in den Felsen gehauen. — Non Wohngebäuden findet man wenig mehr auf dem Schlosse; aber ein kleines Zeughaus ist hier, wo allerhand

alte Waffen aufbewahrt werden.

Nahe bey der Schloß­

pforte sind ein paar Zimmer, die ein Wärter bewohnt, und aus diesen kommt man in ein kleines, elendes B»

Drey und zwanzigster Brief.

3i4

hältniß, wo man uns den Tintenfleck zeigte, der, wie es sich wohl versteht,

von Zeit zu Zeit erneuert wird.

Zch that einige Fragen an unsern Führer, und er schien

sich ein wenig zu schämen, als ich ihn dahin brachte, die aite Sage zu wiederhohlen, dasi dieser Fleck weder über­

tüncht, noch überwcißt werden könnte.

Er sagte, er sey

erst feit kurzem hier, und habe sich noch nicht gründlich

von der Sache unterrichten können. Wir kamen von Eisenach über Kreuzburg, das letzte

Stäbchen des Herzogthume, in dessen Nähe ein Salzwerk ist, und wo eine Drücke über die Werra führt, welche

sich bey Münden mit der Fulda vereiniget, wo dann beyde Flüsse den Nahmen Weser bekommen. Bald nachher ka­ men wir auf Hessischen Boden

Straße, Stadchen und

Dörfer waren von nun an schlecht, und das Ansehen ihrer Bewohner verrieth Dürftigkeit; aber das Land blieb größr tentheils noch immer schön und mahlerisch bis nach Cassel, wovon die Lage wahrhaft reihend ist.

Diese Stadt hat etwas Charakteristisches,

vor allen andern,

die ich gesehen habe,

das sich

auszeichnet,

und das mir ein sonderbares — soll ich sagen Trauerge­

fühl gegeben hat!

Alles, was dem Fürsten gehört, hat

ein Gepräge von Schönheit, Größe, ja selbst hin und

wieder von Pracht, das mit dem, was die Bürger be­ sitzen,

sonderbar absiicht.

Wenn nicht ein Theil der

Stadl sehr alt wäre, so würde ich das Ganze für den Sommeraufenthalt eines großen und mächtigen Fürsten halten, in dessen Nähe sich einige andere Große und Reiche

anbauten,

und ich würde vermuthen,

daß diese zwey

Umstände eine Zahl anderer Familien bewogen hatten, sich auch da niederzulassen, um von dem überströmenden Reichthume etwas zu schöpfen.

(Der obere, oder fd)önere Theil der Stadt, den ich hier vorzüglich im Auge habe, herßt die Oberneustadt, und macht mit der Altstadt ein Ganzes aus, seitdem man

Drey und zwanzigster Brief.

315

die Festungswerke niedergerissen hat. Ein Theil dieser Neustadt wurde ursprünglich von Französischen Colonisteu erbauet, und unter der vorigen Regierung erweitert und verschönert. Der größte Theil bestehet aus öffentlichen Gebäuden und aus Häusern, die dem Fürsten, der Fa­ milie, den Hofleuten und dem Adel gehören. Daß aber dieses so ausschlicßend seyn sollte, daß nicht etliche dieser Gebäude auch dem Kaufmannsstande und andern Perso­ nen, ja selbst ein paar wohlhabenden Handwerkern gehö­ ren sollten, läßt sich wohl nicht denken: und ich würde jetzt diese nähere Bestimmung nicht geben, wenn die vor» hergehende Stelle nicht mißverstanden worden wäre.) Hier sehen Sie unter der Bürgerschaft wenig von dem, was Handel, gute Nahrung, oder Wohlstand verriethe; Sie begegnen wenig, wohlgekleidetcn Men­ schen , und eine Kutsche ist eine seltene Erscheinung: und dann ist sie nicht eben sehr elegant. Der Hof mit seiner Livree und seinen Wagen, einige wenige andere, die zum Hofe oder zur Regierung gehören, einige adelige wohl­ habende Familien nebenher, eine kleine Zahl noch anderer Einwohner von Vermögen, und dann rin zahlreiches Militär scheinen die eigentlichen Bewohner von Cassel zu seyn; die übrigen kommen mir wie Wesen einer andern Art vor, die bloß darum in der Nähe von jenen sich fin­ den, nm für sie zu arbeiten, ohne je zu einem großen Genusse dadurch zu gelangen. (Muß ich, aus Furcht vor Mißverständnissen, erinnern, daß auch dieses, f» wie die mehresten Dinge in diesem Leben, seine Ausnah­ men hat?) Schließen Sie nicht etwa aus dem, was ich gesagt habe, daß der Hof sehr glänzend sey, oder mit großem Aufwande in der Stadt lebe! Der Landgraf be­ folgt eine strenge Oekonomie und haßt, im täglichen Le­ ben, Aufwand und unnöthigen Pomp. Da nun der Handel von Cassel sehr geringe und der Erwerb unbedeu­ tend ist, so fällt es vielen der kleinern Bürger schwer.

3i6

Drey und zwanzigster Brief.

sich zu erhalten, und man versichert mich, daß von Zeit zu Zeit Familien genöthigt gewesen sind, den Ort zu verlassen. — Sonst machte der Hof einen beträcht­ lichen Aufwand; allein dieses ist auch nicht mehr der Fall. (Hier stand in der ersten Ausgabe, daß der Fürst feit mehr rern Zähren aufgehört habe, seine Hofleute zu speisen: eine Nachricht, die ich von Hörensagen hatte. Dankbar für jede wirkliche Berichtigung, und höchst bereitwillig» sie zu benutzen, setze ich dafür, was ich in einer Be­ richtigung gefunden habe: „Die regierende Famille speißt im Residenzschlosse, und es nimmt jedes Mahl, außer dem ganzen Hofstaate, eine Anzahl besonders ge­ ladener Personen an dieser Tafel Antheil. Auch wer­ den die sogenannten Officianten an jedem Tage in dem Schlosse gespeißt. Wenn der Hof abwesend ist, erhalr len sie Kostgeld.") Die Landgrafinn lebt äußerst ein­ gezogen und einsam, ja so zu sagen allein. Der Land­ graf hat alles gethan, um eine schöne Stadt daraus zu machen; das wird aber Cassel doch nie eigentlich seyn, so lange er nicht auch Leben und Wohlstand un­ ter die Einwohner verbreiten kann. Der Königsplatz, der Friedrichsplatz, die Königsstraße und der ganze neue Theil der Stadt sind schön, sehr schön; aber es fehlen diesen Plätzen und Straßen und diesen ansehn­ lichen Gebäuden — Menschen, Menschen, die Wohl­ stand verrathen, zahlreich und gut gekleidet sind; 6quü pagen, Livreebediente, viele und wohlversehene Kauf­ mannsläden und alle die mannigfaltigen Artikel, welche die Kinder des Reichthums und des Wohlstandes sind. — Auf dem Friedrichsplatze steht eine colossalische Sta­ tue des letztverstorbenen Landgrafen; aber es fehlt an Menschen, die sich um sie her bewegen. — Das alte Schloß, das die Landgräfinn bewohnt, ist sehr einfach, aber es hat ein stattliches Ansehen und eine schöne Lage. Der Paradeplatz, der daran stößt, ist schön;

Drey trnb zwanzigster Brief.

317

aber die bestgekleideten Personen, die ich da sahe, wa­ ren Officiers, und von den

von zehn ungefähr

übrigen Menschen waren

neun — Soldaten.

Dreser trifft

man in der That in allen Gassen der Stadt in Menge

an, Jahr aus Jahr ein; jetzt aber, da die Revüen

mehrere Truppen in bie Stadt und Gegend umher bringen, scheinen Soldaten hauptsächlich die Einwoh­ ner derselben zu seyn. Bey dem allen ist Cassel eine sehr angenehme und

unterhaltende Stadt für Fremde, die sich einige Tage aufhalten und sich blos; umsehen wollen.

(Bey Gele­

genheit dieser Stelle bm ich gefragt worden: „Ob eS denn zu Cassel keine Gelehrten, keine Kunstverständi­ gen gäbe, mit denen man sich Wochen und Monathe lang unterhalten könnte?" —

Za wohl gibt es ihrer,

und sehr achtbare; nur ist gerade hier nicht von ihnen die Rede. Was die Reisenden, an die ich denke, su-

d)cn, ist ein glänzender und das Vergnügen liebender Hof, offene Hauser,

in denen häufig Mahlzeiten und

Unterhaltungen gegeben werden, öffentliche Belustigun­ gen und kurz, das ganze Gefolge des Reichthums, den

man in großen Städten findet.)

Es gehört unter die­

jenigen Orte Deutschlands, wo am meisten zu sehen ist. — Das Pflaster in den bessern Theilen der Stadt

ist schöner, als ich es fast irgendwo in Deutschland gefunden habe. Auch herrscht hier Reinlichkeit, Ordi nung und überhaupt eine gute Policey. Das, worauf Cassel vorzüglich stolz seyn kann, ist

das Museum, ein großes, vortreffliches und schön ge­ legenes Gebäude.

Der letzt verstorbene Landgraf errich­

tete eS an dem Friedrichsplatze in den Jahren 1769 bis 1779.

Die Hauptansicht ist 290 Fuß lang.

Die

Jonischen Säulen an der Fronte sind 36 Fuß hoch. —

Das, was man darin findet, entspricht nicht ganz dem Aeußern des Gebäudes; indessen wundere ich mich nicht

ziS

Drey und zwanzigster Brief.

sowohl über den Umstand,

daß

nicht mehr hier ist,

als darüber, daß man so viel hat.

Wer

nie aus

Deutschland gekommen ist, wird die Sammlung außer/

ordentlich wichtig finden und erstaunen.

Für Mich ver­

lor sie sehr viel dadurch, daß ich sie zerlegte und ver­ glich. Wer z. E. iw Britischen, Leverschen und Ash, molischen Museum bic mancherley Gegenstände, die Cook aus den Inseln der Südsee gebracht hat, bis zum Ueberdrusse gesehen hat, kann sich hier an Dingen dieser Art we/

nig erbauen, weil die Sammlungen dort viel vollständiger und mannigfaltiger sind. Was sich von alteii Statuen, Dü­ sten und Basreliefs hier befindet, ist unbedeutend, wenn

man es mit irgend einer der geringern Sammlungen

zu Rom vergleicht;

und das Neuere in diesem Fache,

das das Museum besitzt, ist nur mittelmäßig. — Die

Zahl der bronzenen Abgüsse ist hier beträchtlich. — Die Mosaiken haben wenig Schönheit und die mathemati­ schen Instrumente sind größtentheils alt. — Die Art von Vorrats) und Lumpen, die man zu Dresden in der sogenannten Rüstkammer aufbewahrt, und derglei­

chen man

im Museum auch zeigt, ist hier unbedeu­

tend; die Kostbarkeiten aber, obschon nicht unbeträcht­

lich, kommen mit denen im grünen Gewölbe zu Dres­

den in keine Art von Vergleichung,

so wenig als die

ausgestopften Thiere mit denen in der Leverschen Samm­

lung zu London. Indessen ist hier ein ausgestovftcr Elephant, der in den Zähren 1773 bis 1780 zu Cas­

sel lebte.

Auch sind da zwey junge Leoparden, die in

dieser Stadt geworfen worden sind: also ein abermah­ liger, neuer Beweis, daß Löwen, Leoparden und an­

dere der großen und südlichen Raubthiere sich auch in

der Gefangenschaft fortpflanzen. — Vielleicht sagt man mir, daß diese Art, eine Sammlung zu zergliedern und jeden besondern Theil derselben mit

andern

zu

vergleichen, abgeschmackt ist, und daß man sich manchen

Drey und zwanzigster Brief. schönen Genuß dadurch verdirbt.

319

Das mag seyn; aber

ich kann doch nicht verhindern, daß bey dem, was ich

sahe, das Bessere dieser Art nur nicht einfällt, das ich

früher gesehen habe, und daß sodann die Vergleichun­ gen sich von selbst aufdrmgen. Was ich eigentlich meine, ist dieß: Das Casselscke Museum, als Samm­ lung einer großen Mannigfaltigkeit

von Dingen, ist

sehr wichtig und schenewerth; nimmt man aber jedes Fach besonders und stellt eo allein, so ist von den ge­ nannten keins, das einen gewissen Grad von Vollstän­

digkeit hatte, oder durch hohen Werth vorzüglich sich auszeichnete. — Was mir sehr viel Vergnügen im Museum machte,

war die Sammlung altrömischer Gebäude und Denk,

mahler in Kork, die vollständigste, die ich

irgendwo

gesehen habe, seitdem die verbrannt ist, welche man in

Springgarden zu London vor 15 und mehreren Zah/ ren für einen Schilling zeigte. Zn Italien und Deutsch­ land ist nichts, das der Casselschen an Zahl und in-

nerm

Werthe

gleich

käme.



Ich habe mich oft

gewundert, daß man in der Welt nicht mehr von die­

ser Art von Sammlung sieht.

Nichts gibt einen so

vollständig anschaulichen Begriff von den noch stehenden

Gebäuden der Alten,

und nichts ahmet den Rost deö

Alters und das Verwitterte, halb Verfallene und Zer­

störte alter Mauern so gut und Kork.

natürlich nach,

als

Die Hauptfabrik davon ist in Rom, wo vor

fünf.Jahren mehrere Künstler sich mit diesen Arbeiten beschäftigten.

(Seitdem ist die zu Erfurt

allgemein

bekannt geworden.) Das Wichtigste in diesem Museum ist vielleicht die Sammlung von geschnittenen Steinen, die nicht nur sehr zahlreich ist, sondern worunter sich auch sehr viel

Gutes findet; aber nur die geringste.Zahl derselben ist

antik. —

Auch

die

Münzsammlung

ist

beträchtlich

32o

Drey, und zwanziger Brief.

und soll sehr sehenswcrth seyn.

Man zeigte uns nur so

viel davon, als man in der Zeit eines gewöhnlichen Um­ laufs davon sehen kann, und ich hatte nicht Zeit noch ein­ mahl dahin zu gehen. In dem nähmlichen Gebäude findet sich auch die sehr

ansehnliche Düchersammlung in einem Saale, der 28o

Schuh lang, 40 breit und 30 Hoch ist.

Es ist einer der

schönsten und heitersten Säle dieser Art, die mir irgend­

wo vorgekommen sind.

Die Zahl der Bande wird auf

50,000 gesetzt. — Auch wird hier eine Sammlung von Zeichnungen und Kupferstichen aufbewahrt. — Endlich musi ich ein Zimmer dieses Museums nicht vergessen, das

mich sonderbar überraschte. Es sind die Wachsfiguren aller Landgrafen und ihrer Gemahlinnen seit Philipp dem Großmüthigen, 11t Lebensgröße, und in Kleidern, die sie entweder getragen haben,

oder die damahls Mode

waren. — Dicht an das Museum stößt die Sternwarte, ein

Thurm der ehemahligen Festungswerke, den man zu dem Behufe hat stehen lassen. Was mich von den Dingen, die ich in Cassel gesehen

babe, ganz vorzüglich interessirte, ist die sehr schöne und

beträchtliche Gemahldesammlung. Zn Deutschland möchte sie wohl den ersten Rang nach denen zu Dresden, Düs­ seldorf und Wien haben. —

(Da die Manheimer und

Münchner Sammlungen noch nicht, wie es vielleicht ge­ schehen wird, in eine zusammengeschmolzen sind, so bringe ich diese jetzt nicht mit in die Vergleichung.) — Hier ist,

unter andern die berühmte pissende Kuh von Potter, ein Gemählde, das nicht etwa ein bloßes Vichstück, sondern

eine beträchtliche, reiche und schöne Landschaft mit Figu­

ren und Vieh ist.

Mich dünkt, es verdient in vollem

Maße allen den Ruf, den es genießt. —

Von Rubens,

Rembrandt und einigen andern Niederländern sind hier

sehr schöne Stücke, und selbst die Italiänische Schule ist

D r e p und zwanzigster Brief.

321

nicht unbeträchtlich. — Man hat von der ganzen Sammlung eine besondere Beschreibung. 2lnd) die Akademie der Künste hat cme zahlreiche Gemähldesammlung, wo aber bie Stüde ffvjdd) von sehr verschiedenem Werthe stnd. Hier steht man unter andern große Gemählde von van der Werft, wovon die Figuren ungefähr in Lebensgröße sind. Allem das Kraftlose und das immer etwas eifenbemartige Fletsch, das sich auch in den besten Gemählden dieses vielleicht zu sehr geschätzten Meisters findet, fällt im Großen noch wert mehr auf, als in seinen äußerst geendeten Cabinetsstüeken. Hatte ich nicht sehr ost gesehen, wie gewisse große Künstler so wohl als Schriftsteller ihre wahre Stärke verkennen, so würde ich Mich wundern, wie dieser fleißige Meister sich je an Figuren in Lebens­ größe wagem konnte. Uebrigens ist es nicht unwahrschcinlrch, daß er diese Gemählde hier aus Gefälligkeit und bloß als> Tapete verfertigte. Geschmacklos war der Gedanke auf alle Fälle! Van der Werft ein Tapeten­ mahler ! Auf dem sogenannten Modellhause sicht man eine zahlreiche Sammlung von Modellen, nach denen eine Menge Gebäude, Schlosser, Landsitze, Garten h. s. w. in diesem Laude ausgeführt und zum Thul nicht aus­ geführt worden sind. Unter andern findet steh hier, nach dem verjüngten Maßstabe, eine Vorstellung vom Weißenstein oder der jetzt genannten Wrllhelmshöhe, die über 200 Schuh lang seyn soll. Hier übersehen Sie mit einem Blicke die gesammten Anlagen, Hügel, Gebäude und alles was Sie auf diesem schönen und weitläuftlgen Landsitze finden und nicht finden. Denn er ist tr.e ganz so ausgeführr worden, wie man ihn hier ficht, .und der gegenwärtige Landgraf hat von dem, was schon gemacht war, mehreres wieder abge­ ändert. Der Entwurf, den man hier sieht, ist ein Kölners R-1. Th» 21

322

Drey und zwanzigster Brief,

großer, riesenmäßiqer Gedanke, was auch der neuere Geschmack gegen einige Theile desselben einzuwenden ha, den mag. Dicht an dem Residenzschlosse liegt der Augarten, der von beträchtlichem Umfange ist, und den der regierende Landgraf in einen Englischen umgeschaffen har. Er steht, sowohl als die Willhclmshöhe, für ledermaun offen, und beyde gewähren sehr angenehme Spaziergänge, wobey der Augarten noch die Bequemlichkeit hat, daß er unmit­ telbar an der Stadt liegt. Hier stehr ein Gebäude für die Orangerie, größer und schöner, als die Sommerrestr denz manches nicht unbeträchtlichen Fürsten. Auch der sogenannte Marmorsaal ist berühmt! Der erste Zweck war eigentlich nichts als ein Bad! Ueber die­ sem Bade erhebt sich ein großes Gebäude, dessen Inneres nicht nur ganz mit Marmor ausgelegt, sondern auch mit marmornen Statuen und Basreliefs so überladen ist, daß die Wände mehr damit bedeckt als geziert sind. Diese ganze Arbeit ist von einem Franzosen, der sich zwar in Italien aufhielt, aber von dem Kunststyle seines Landes sich keinesweges losgemacht hatte. Uebngeno ist nicht zu laugnen, daß nicht manches Schöne und Verdienstvolle sich in diesen Kunstwerken fände. Jetzt sieht das ungeheure, prächtige Ding leer da, und wird wenig anders, als von Reisenden besucht. Der gegenwärtige Landgraf wohnt nicht im Residenz­ schlosse, wo er jedoch auch seine eigenen Zimmer hat, Audienz gibt und Tafel hält, sondern in einem Hause, das auf einem ziemlich hohen Theile der Stadt liegt, und von welchem man eine reihende Aussicht hat. Dieses Gebäude ist das letzte von einer langen Reihe von Hau­ sern, deren Aussicht nach dem Lande zu frey ist. Auf der andern Seite der Gasse, wo die entgegenstehende Reihe von Häusern seyn sollte, läuft ein Geländer, wel, ches die Gasse von den Anlagen trennt, die der regierende

Drey und zwanzigster Brief.

323

Fürst hat machen lassen, und die man sehr schön finden wirft, wenn man bedenkt, daß sie den stellen Abfall ernes Hügels entnehmen, der sonst nichts weniger als schön war, und der nun mit dem Augarten zusammenhangt. An dem Ende, wo das Haus des Landgrafen liegt, zie­ hen sich dre Anlagen auf dre ebene Anhöhe herauf, und machen nut dem Uebngen cm so reihendes Ganze, daß ich die Stadt nicht zu nennen wüßte, die etwas hätte, das dresem nur einigermaßen glclch käme. Hier also tsi die eigentliche Stadtwohnung des Für/ flett, der du6 Leben eines Privatmannes lebt. (Wenn in dieser Bemerkung ein Tadel läge, so würde ich mich darum mehr gescheut haben, sie zn machen; aber mich dünkt, es ist ein liebenswürdiger Zug m einem Fürsten­ charakter, wenn er, bey seinen Regentengeschaften, Ge­ fühl für das Leben eines Privatmannes behält. Es ist ein Zug, der im Charakter Friedriche II von Preussen hervorstechend war, und der mehrere jetzt lebende Fürsten auszeichnet ) Seine Liebe zum Militär und zur Ord­ nung, und eine gewisse daraus entstehende Strenge sind bekannt. Dabey aber rühmt man sehr seine Gcrcchtigr keitsliebe und die äußerste Leichtigkeit, mit der man alles vor ihn bringen kann. Er regieret unumschränkt und willkührlich; aber seine Unterthanen, und besonders der Dauer, sind nicht so sehr mit Abgaben überladen, als man hin und wieder in andern Landern es glaubt. Das drückendste für den gemeinen Unterthanen ist das Soldatenwesen. Seine Armee wird gewöhnlich auf 16,000 Mann angegeben; aber Hessische Osftciers haben mich versichert, daß sie sich jetzt auf 22,000 beliefei eine Zahl, die mit der Bevölkerung dieses Landes außer allem Ver­ hältnisse steht. Uebrigens ist das gute Ansehen dieser Truppen bekannt, und der Liebhaber des Militärs wird hier in einem hohen Grade Befriedigung finden. — Sein Einkommen entspringt nicht allein au- dem Ertrage

Drey und zwanzigster Brief.

Z24

der Abgaben, sondern aus den Zinsen großer Summen baren

Geldes,

Theil leider! an

die

der Vater gesammelt (zum

schon

durch die Truppen erworben hat, die er

England verkaufte)

vermehrt hat.

der Sohn ansehnlich

und die

Er ist vielleicht

reichste Prinz an

der

Außer sehr großen Summen,

barem Gelde in Eurova.

die er an verschiedene Fürsten geliehen hat, schießt er

auch seinen Unterthanen Geld vor, wobiy er aber sorg­

fältig tutf hinlängliche Sicherheit sieht. Ordnung und eine

fernern rechnet,

Eine strenge

weise Ökonomie sichern ihm

Besitz, seiner Schatze.

besieht

welche seine große Armee ihm kostet,

sein übriger Aufwand

einzig und

allein

im

den

wegge­

Die Summen

Bauen,

worauf er jährlich regelmäßig sehr viel verwendet, und vermehrt, daß er öfters wie­

auch dadurch die Kosten der niederreißen,

oder anders anlegen laßt, was schon

Theil vollendet war.

entweder ganz, oder zum

diese Ar: kommen denn

ans

Auf

den Handen eines sonst

sparsamen Fürsten große Summen wieder in den allge,

meinen Umlauf, und

tausende von Menschen aus den

niedern Classen finden

dadurch ihr Brot, wenn man

bedenkt, daß bey Gebäuden und Anlagen nicht nur der

Maurer, Zimmermann und Gartner, sondern auch eine Menge

anderer

Arbeiter,

Handwerker

und Künstler

mehr oder weniger beschäftiget sind.

Dieser Daugeist scheint in

der Familie schon

einem Jahrhunderte erblich zu seyn.

seit

Ich glaube kaum,

daß es verhältmßmäßig ein Land gibt, dessen Fürsten so viele Palläste,

Lustschlösser,

Jagdhäuser,

Gärten und Anlagen aller Art haben,

Bäder,

als die Land­

grafen von Hessencassel. Besonders scheint der W e iß en stein, (der seitdem

den Nahmen Willhelmehdhe bekommen hat,) sie seit hundert

Jahren

ganz

vorzüglich

beschäftiget

zu

haben, und der gegenwärtige Fürst, so viel er auch da

Drey und zwanzigster Brief.

325

gethan hat, ist noch lange nicht am Ende seiner 2(ix beiten. Die (legend ist in der That büchst glücklich gewählt; denn ich kenne nicht leicht einen Strich, der reichhaltiger zu Anlagen aller Art wäre. Der erste Entwurf dazu war em iLe^enmaßiger Gedanke. Man kann ihn, oder vielmehr das Modell davon, in dem sogenannten Modellhause sehen, wo ich seiner fcbin gedacht habe. Die Anlagen sollten von der oberem Höhe des Berges, wo der Wmterkasten steht, btv in den nledtlgsien Theil des Thales herabgeben, welches ungefähr eine halbe Teutsche Meile betragen wag. Glücklicherweise ist dieser aus Wasserkünsten, Gebäu­ den, Französischen Terrassen, nach der Schnur gezoge­ nen Baumen und Steinhaufen bestehende Plan utcht zur Halste ausgeführt worden; denn eine abscheulichere Entehrung einer sehr schönen Natur kann ich mir nicht denken. Auch hat der gegenwärtige Fürst keineeweges nach diesem Plane fortgearbertet; ) Ihnen angezeigr hab?, gewisse Orte und die Straßen, die nach zehn Richtungen davon auegehen, so sollte man glauben7 es wäre dre Gegend von Pekin in China, ober wenigstens die um London. Von Upsala aus, einer kleinen Stadt, die weder Handel noch eine ansehnliche Bevölkerung har, laufen neun gemachte Landstraßen; und zwischen Stockholm und Dalecarlien ist em Strich von weniger als einem Grade Länge, aus dem sich ein Dutzend Straßen finden, die theils mit einander parallel lausen, theils sich durchkreuhen. — Wenn inan über den ein und sechzigsten Grad hinaus kommt, hören freylich die vielen Straßen auf; aber einige gehen schlechterdings durch das ganze Land. So gibt eS z. E. eine, die von Stockholm über Tornea t» West-Bottinen, um den Bottnischen Meerbusen herum, durch ganz Finnland, und so weiter brs nach Petersburg geht. Diese ganze Straße ist regelmäßig mit Postpferden belegt, auch im Russischen Antheile, und steht jedem Reisenden offen. Zch habe heute ei­ nen Mann gesprochen, dessen Sohn sich in diesem Augenblicke auf dieser Straße befindet, um nach Pe­ tersburg zu gehen. — Schon Carl X( ließ die vor­ züglichsten dieser Straßen bauen, und sie sind hi» und wieder unter verschiedenen Regierungen vermehrt wor­ den. Zweymahl des Jahres werden sie regelmäßig ausgebessert, die gelegentlichen Arbeiten ungerechnet, die darauf gethan werden müssen, so oft ein Theil beschädiget ist, und die der Dauer, dem der Strich angewiesen ist, weil er in dessen Nähe wohnet, ma­ chen muß. Gothen borg, den raten Znty. Wir stiegen (vier im besten Wlttbsbanse ab, bey Dlomm, dessen

»48

Gech-ter Brief.

Nahmen ich schon in Deutschland niedergeschrteben hatte, und der mir in Schweden von mehreren Perso­ nen wiederhohlt worden war. Freylich fand ich nicht, wa< ich erwartete; denn für eine Stadt wie Gothen­ borg dünkt mich diese« Wirthshaus, al« da« vor­ nehmste, ziemlich armselig; indessen haben wir vier Zimmer, wovon wenigstens eins recht gut ist. Um die Küche haben wir uns nicht bekümmert, denn wir hat­ ten Einladungen für Mittag und Abend; und nach der ersten Mahlzeit, die zwischen zwölf und ein Uhr in der Nacht gemacht wurde, will ich das Hans nicht beurtheilen. Was mir aber nicht wenig auffällt, ist, daß sich in diesem Gasthofe nicht eine einzige Person findet, die eine andere Sprache versteht, als die Schwe­ dische. Unser Kutscher besitzt nur sehr wenig Deutsch, und dann kann ich ihn nicht beständig um un« haben. Glücklicher Weise habe ich, durch die Noth getrieben, Fortschritte in dieser Sprache gemacht, über die ich selbst erstaune. Schon kann ich die mehresten Dinge, die ein Reisender in einem Wirthshause bedarf, for­ dern. Den ganzen Tag höre ich Schwedisch um mich her, und im Wagen habe ich die Grammatik, in der sich eine Sammlung der gewöhnlichsten Wörter findet, unablässig in der Hand.

Ich verlangte einen Lohnbedietiten, der irgend eine unserer civilisirten Sprachen redete, und man brachte uns einen alten Mann, der sich in der Englischen ankündigte. Aber ein Engländer, der bloß Englisch ver­ stände, würde sich sehr betrogen finden, wenn er glaubte, daß er mit diesem Manne reden könnte. Der Himmel weiß, wo er seine Sprache aufgelesen hat: und er kann mir keine Auskunft darüber geben, denn er glaubt fest, daß alles, was er sagt, wirklich Englisch sey. Aber ich hör« alle Augenblicke ein Hol-

ländisches, ein Platdeutsches, und selbst manches veral­ tete Deutsche Wort, dergleichen man in der Schweiz noch viele gebrauchet. Nimmermehr hätte ich geglaubt, daß meine Kenntniß der Schweizersprachen, das Bißchen Platdeutsch, das ich in Hamburg gelernt habe, und meine noch geringere Bekanntschaft mit dem Holländi­ schen mir so nützlich seyn würde. Viele Wörter des alten Mannes, die ich aus dieser oder jener Sprache zu seyn glaube, mögen freylich wohl Schwedische seyn, nur daß kch das nicht weiß, weil ich diese Sprache nicht genug verstehe. Uebrigens kommt sie der Englischen näher als der Deutschen, und viele Wörter und ganze Redensarten find in diesen beyden Sprachen vollkommen die nähmli­ chen, oft bloß mit einem geringen Unterschiede der Aus­ sprache, und manchmahl wieder der Schrift. Gothenborg ist, wie Sie wissen, die zweyte Stadt in Schweden, und als solcher hätte ich freylich mehr von ihr erwartet, als was sie ist. Indessen würde sie doch in jedem Lande eine Stadt von einiger Bedeu­ tung seyn. Seit dem Brande von 1758 sind viele Häu­ ser von Ziegel - oder Backstein gebaut worden; aber die größere Zahl ist noch immer von Holz. Diese hölzernen Häuser aber nehmen sich recht hübsch aus, sind alle an­ gestrichen, mehrentheils sehr frisch, und haben ein gefäl­ liges, heiteres, reinliches Ansehen. Einige, obschon von Holz, sind groß und ansehnlich. Die steinernen sind ein Mittelding von Englischer und Holländischer Bauart, kommen aber der erster» am nächsten. Die Schweden gehen ungern daran, ihre hölzernen Hauser aufzugeben, weil sie einmahl daran gewöhnt sind, und weil sie sie wärmer finden, als die steinernen, welches unter dieser Breite allerdings ein wichtiger Umstand ist. Aber auch der Preis kommt f^br in Betrachtung, indem die Hölzer nen gar viel woylscüer sind, als jene.

X5D

Sechster

Brief.

Der Platz auf beyden Seiten des Flus­ ses Ham ist so, daß er feder Stadt Ehre machet; würde. Der Fluß an stch selbst ist unbeträchtlich; allein hier in der Stadt erscheint er in der Gestalt eines großen, breiten Canals, auf jeder Seite mit einer offenen Gasse, oder Kay, größtentheils mit guten und ansehnlichen Häusern besetzt. Hier ist die Börse und das sehr große Gebäude der Ostindischen Companie, welche hier ihren Sitz und drey Directoren hat. — Aber auch die übri, gen Gassen sind durchaus anständig, und die Häuser haben alle ein reinliches Ansehen von außen, so wie ihre hellen Glasscheiben auch ein vorhättnißmäßlges Inneres versprechen. Außer dem großen Canale, oder Hamfiuffe laufen auch mehrere kleinere durch einen Theil der Stadt. Der große ist tief genug für ansehnliche Kauffarteyschiffe, so daß sie innerhalb der Ringmauern gelichtet werden können. Die Stadt, welche durch die Festungswerke ringeschloffen wird, ist klein, und enthält nicht über zwölf lausend Seelen; aber die sogenannten Vorstädte sind von weitem Umfange, weil die Häuser auf mehrerem Seiten sehr zerstreut liegen. Auf der Seite des Hafens Uber sieht die Vorstadt wie ein eigener besonderer Ort aus, und gewährt in einiger Ferne eine sehr schöne Ansicht. Zn der Stadt und in den Vorstädten zusammen rechnet Herr Chalmers, einer der Directoren der Ostindischen Companie, über zwey und zwanzig tausend See­ len; Herr Zon Hall aber, ein großer Kaufmann dieses Orteö, setzte sie nur auf zwanzig tausend. Eigentlich weiß man es nicht so ganz genau, weil sich die Bevölke­ rung dieser Stadt seit einigen Zähren vermehrt hat, und noch vermehrt. Die alte Angabe war schon seit langer Zeit achtzehn tausend, vielleicht ein wenig zu hoch ange. setzt! aber sicher ul es, daß Gothenborg nut feinen Vorstädten jetzt mehr Eruwokmer enthält.

Sechster Brief.

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Die eigentliche Stadt ist befestiget; aber diese Werke entsprechen sehr wenig unsern heutigen Begrif­ fen von einer Festung; auch sind sie nicht zum besien unterhalten. Ich ging gestern auf denselben rings herum, und hatte eine überaus interessante und romam tische Aussicht. Gothenborg lugt in einer Ebene, die fast rings herum von nackten Felsen eingeschlossen ist. Diese Felsen ziehen sich an zwey Orten bis in die Stadt, und bilden Anhöhen, von denen man eine schöne Aussicht hat, besonder- auf den Hafen, auf den GLtha-rlf, oder Fluß, und auf. die Insel Hisingcn. Dieses ziemlich große Eiland, das an der West­ seite fast ganz aus nackten Felsen besteht, schützt die Stadt gegen die Anfälle des Nordmeeres, und gegen die westlichen Winde, die hier am meisten wehen, und, gerade wie in Irland, den Bäumen eine Biegung gegen Osten geben, auch wohl einen Theil derselben ihrer Blätter berauben.

DaS flache Land um Gothenborg ist erträglich an­ gebaut; aber ein großer Strich dieser Ebene, der am Göthaflusse liegt, ist theils morastig, theils ganz unter Wasser. Wenigstens ist das letztere einen großen Theil des Jahre« hindurch der Fall, und ist es jetzt. Man sagt mir, daß in diesen Gegenden viel Weitzen gebaut werde; ich aber habe noch kein Feld mit dieser Getrei­ deart entdecken können, und ich gestehe, daß ich meine Zweifel darüber habe, wenigstens in Rücksicht auf die Menge. — Fruchtbäume sah ich fast gar nicht. Auf den zwei­ und zwanzig und einer halben Meile von Helsingborg bis hierher, habe ich nur ein paar Mahl kleine Obst­ gärten bemerkt, ob ich mich schon immer sorgfältig nach Fruchtbäumen umsah. Ich that zu Gothenborg Anfrage darüber, und erhielt, drollig genug, zur Ant-

izr

Sechster Dries,

wort, die Dauern möchten keine. Gleichwohl versichert man mich, daß Aepfel, Birnen und Kirschen hier zur Reife kommen. Zch weiß wohl, daß das, weiter in das Land hinein, seine Richtigkeit hat, und daß man zwischen Gothenborg und Stockholm (also unter einer noch nördlichern Breite) viel Aepfel erzeugt; aber ich sollte deiiken, daß die heftigen westlichen Winde an diesen Küsten des Nordmeeres die Frnchtbäume wenig aufkommen ließen. — Auf der Börse sah ich zwey Weiber, welche Kirschen zum Verkauf, und ein blei chernes Maß hatten, das unserer Kanne gleich seyn mochte. Herr Chalmers (also nicht ein Fremder­ fragte nach dem Preise, und sie verlangte zwölf Schil­ linge für dieses Maß; als» über sechs Groschen. Die, welche ich in einer Familie aß, die sie auf ihrem Land­ gute selbst zieht, sahen schön aus, waren aber wässerig und hatten wenig Geschmack. Gleichwohl ist der ge­ genwärtige ein ungewöhnlich trockner Sommer, und alles um drey bis vier Wochen früher, als in gewöhn­ lichen Zähren. Seit fünf Wochen Hal es nicht geregnet, als ein wenig gestern und heute.

Wir speisten gestern in einem großen Hause zu Mittag und Abend. Es war gut, reich und zierlich meublirt, ungefähr wie die Häuser der Leute vom zwey­ ten Range in England. Als wir aus dem Gesellr schastssaale in das Speisezimmer traten, stellte fich d»e Frau vom Hause an die Tafel; die Mannspersonen aber, anstatt sich zu sehen, gingen an einen kleinen Seitentisch, wo sie einen Bissen Dxotkuchen, oder har­ tes Brot mit Butter aßen, und ein Glas gebranntes Wasser tranken. Unter den Gerichten fand ich etliche, die ich nicht kannte, weil sie mir nie vorher vorge­ kommen sind. Suppe wurde weder zu Mittage noch des Abends gegeben. Die Sprache war Englisch und

S t d),$ ter Brief.

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Französisch; alle Anwesende verstanden beyde. Hin und wieder, aber selten, wurde auch etwas Schwedisch mit eingesprochen. Als wir Abends weggingen, folgte uns einer von der Familie, und bestand darauf, daß ich keinem Bedienten da« Geld - Billet geben sollte, das ich eben herausgezogen hatte. Aber die Dedientei» scheinen hie« an diese Geschenke nicht gewöhnt zu seyn, denn eS war gar keiner anwesend, und des Herableuch» tcnS bedurften wir nicht, weil es nicht dunkel war; auch brannte im Vorsaale kein Licht.

Zch sagte weiter oben, daß die Leute hier ungern Backstein zu ihren Häusern gebrauchten'. Von Stein bauen sie gar nicht. — Hier könnte ich mit »er Weisheit eines Reisenden über die Abgeschmacktheit »er Schweden einen Ausruf thun, die mit Ziegel, oder noch lieber mit Holz bauen, wahrend daß sie den schön­ sten Stein vor der Thüre haben. Dieß würde aber «ine sehr schiefe Bemerkung seyn; wie denn die Ein­ wohner ganzer Städte nicht so abgeschmackt find, als sie es bisweilen beym ersten Anblick denen zu seyn scheinen, die den Grund der Sachen nicht wissen. Der Stein, von dem ich hier in der Stadt ganze Hügel sah, ist grißtentheils ein Granit von der häp» testen Art, und selbst die andern Steinarten, die man damit vermischt findet, find sehr hart, so daß die Bearbeitung gar viel mehr als Backstein kosten würde. Za die Fenster und Thürpfosten sind gewöhnlich nicht einmahl von Stein.

Der Ostindische Handel, der eigentlich »i« sehr wichtig gewesen ist, und nie große Capitalien ge­ habt hat, nimmt immer mehr und mehr ab, «eil die Engländer sich dessen fast ganz bemächtiget haben. Dagegen hat diese Stadt seit einigen Zähren durch

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Sechster Trief.

den HäringSfang gewonnen, der außerordentlich zuge« nonimen, und auch zum Theil Ursache ist, daß sich dir Bevölkerung vermehrt hat. Aber die Schwedischen Hä­ ringe kommen bey weitem den Holländischen nicht bey, und ich ziehe ihnen schon die Preußischen vor. AIS eine bleibende Ausfuhr in fremde Länder möchte ich also die­ sen Artikel nicht betrachten, weil man die Holländischen vorziehen wird, sobald sie wieder zu haben sind. Indes­ sen sind die hiesigen sehr wohlfeil, und man seht schon im Lande selbst große Ladungen davon ab. —

Unter den Einwohnern von Gothcnborg gibt.es meh­ rere Deutsche, besonders Deutsche Juden. Die Zeit über, daß ich zu Hause bin, kommen immer Deutsche Weiber, und biethen allerley zum Verkauf an, wollen Geld wechseln, und lassen sich ungern und schwer ab» weisen. Seitdem ich gestern von einigen Anhöhen in der Stadt die Lage des Tothenborger Hafens betrachtet, habe ich sehnlich eine Stunde gutes, ganz helles Wetter ge­ wünscht, um diesen Weg, der eine starke halbe Stunde beträgt, zu machen. Ich komme eben davon zurück, und habe ein Schauspiel genossen, das unbeschreiblich schön in seiner Art ist. So wie man zum Thore hinaus kommt, fangen die Häuser der Vorstadt an, die, in den niedern Strichen, sehr wohlhabenden Leuten zu gehören scheinen. S«e sind ganz von Holz, werden aber immer durch neues Anstreichen frisch erhalten, und sehen so nisdlich und reinlich aus, daß mir ihr Anblick unendlich wohl that. Sie bilden unten ganze Gassen; wenn man aber diese verläßt und höher steigt, so werden die Häuser klei­ ner und ärmer, nehmen allmählich ab, und verlieren sich endlich in einzelne» zerstreuten Hütten, die zwischen Felsen umher stehen, «nd auf Felsen gegründet sind. Ich erstieg den höchsten, und fand mich dann so ganz

Sechster Brief.

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von nackten Felsen umgeben, daß ich nur hin und wie­ der, zwischen inne, einen kurzen, magern Rasen sah, der mehr einer Art von Moos glich. Dieser ganze Strich, von der Spitze der Felsen bis an die Ufer des Göthaflusses hinab, muß einst ganz unfruchtbarer Boden gewesen seyn, entweder aus nackten Felsen bestehend, oder mit Sande bedeckt. Aber menschliche Industrie hat ihn in einen Garten umgeschaffen. Ueberall, wo es die Lage nur einiger Maßen zulaßt, erheben sich, zwischen den nackten Felsen, schöne Gemüsegärten, Obstr und andere Bäume, Wiesen und Erdäpfelstücke. —

Während daß ich diesen lieblichen Anblick unter mir und zum Theil neben mir hatte, sah ich auf der andern Seite die Stadt, die höchst romantisch in zwey Theilen hinter drey Felfenhügeln erscheint; ein Stück derselben wird vom mittlern Hügel bedeckt. Aber dieß ist nur ein sehr kleiner Theil des großen Gemähldes! Man über­ sieht fast die ganze Insel Histngen, die auf dieser Seite eine Menge Dörfer und Häuser hat, und das Auge fol­ get dem Götha in seinen Windungen bis an seine Mün­ dung, über welche hinaus man noch viele kleine Inseln entdeckt, zwischen denen das Meer, das heißt, der Cattegat, oder Skager Rack sichtbar wird. Auf dem Götha, der hier sehr breit ist, und durch den Eintritt des Meevwassers immer breiter wird, lagen eine Menge Schiffe, in der Nähe so wohl, als in der Ferne. Diese ganze Aussicht hatte für mich das Romantische einer Schweizergegend, mit allen den Schönheiten und dem ganz Ei­ genen, das nur die Schiffahrt einer Gegend geben kann. In dieser Vorstadt, die man eigentlich als einen beson­ dern Ort betrachten sollte, wohnen Kaufleute, Kramer, Handwerker, Schiffer und andere Familien. Das Wasser, das Gothenborgs Einwohner sonst rranken, war sehr schlecht. Seit einiger Zeit hat man

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Sechster Brief.

«ine Maschine angelegt, die als ein großes Kunstwerk den Fremden gezeigt und empfohlen wird, und durch die man «in sehr gute« Wasser au« der Nachbarschaft erhält. Der Reisende thut wohl, sich zu Gochenbvrg mit einem frischen Dorrathe von Wein und dem besten Brote, da-sich haben läßt, zu versehen. Den Wein, den wir bi« hierher auf der Straße getrunken haben, kaufte ich zu Helsingöer. Auch sollte man einen Schinken, geräu­ cherte Würste, Lach«, oder so etwa- mit sich führen.

Trolhätta, den taten Iuly.

Wir verließen Gothenborg heut« früh, und kamen acht Schwedische Meilen durch ein Land, da- ungleich schöner ist, al- wa« ich zeither von diesem Reiche gesehen habe. Hin und wieder stießen wir auf Partien, die der Schweiz vollkommen würdig sind. Und dabey ist dieser Strich besser angebaut, al« wa« ich auf den zwey und zwanzig und einer halben Meile zwischen Helsingborg und Gothenborg gesehen habe; wohl verstanden, wo sich ka« Land anbauen läßt, denn ein großer Theil desselben besteht au« einem ganz nackten, sehr harten Granit, aus dem keine Industrie je etwa« machen wird. Auf diesem ganzen Wege bleibt man immer in der Nähe de« Göthafiuffes^den man häufig sieht, und der sehr schöne Aus­ sichten bildet. — Das alte Fort DohuS, nebst dem darunter gelegenen Städtchen gleiche« Nahmen«, hat eine herrliche Lage, und macht «ine gute Figur. Die Dörfer waren auch etwas ansehnlicher, al« die, welche mir zeither vorkamen, und zum ersten Mahle fand ich nun im Norden Fichtenwälder, deren ich seit langer Zeit keine gesehen habe, so sehr ich sie auch unter dieser Breite erwartete. Zch habe vier Stunden damit zugebracht, die W e r k e von Trolhätta zu besuchen. Vermuthlich wissen Sie,

Sechster

D r i e f.

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daß man alles aufgeqeben, und für unbrauchbar erklirr hat, was seit mehr als einem Jahrhunderte hier gethan worden ist. Ich will mich also )eht bloß auf das Neue oder Gegenwärtige einlaffen, um so mehr, da Sie daS Alte in Loxe's Reisen sehr umständlich beschrieben finden. Nahe bey dem Dorfe Trolhätta bildet der Göthafluß mehrere Wasserfälle, die alle Schiffahrt unmöglich machen. Ein wenig weiter hinab ist noch einer, den man Flortbergs-Fall nennt. Man hat, nach wiederhohlten Versuchen, die Schiffahrt über diese Wasserfälle und Inseln möglich ;u machen, beschlossen, mit dem Flusse, seinen Znseln und seinen Fällen nichts weiter zu thun zu haben, sondern einen Canal zu ziehen, vermöge dessen die Fahrzeuge den Fluß bey Trolhätta verlassen, und erst nach einem Wege von vier tausend sieben hundert Schwedischen Ellen wieder in denselben gehen sollen. Eine Schwedische Elle hat zwey Schwedische Fuß, welche sich wie hundert drey und dreyßig und ein Sechstel zu huns dert vier und vierzig gegen den Pariser Fuß verhalten. Der Schwedische Fuß ist noch etwas kleiner als der Engli­ sche, mdem vier und zwanzig auf drey und zwanzig und einen halben Englische gehen. Dao Ganze beträgt unge­ fähr eine Schwedische Viertelmeile, und dieser Weg geht, hin und wieder, ein paar kleine Striche ausgenommen, durch einen ganz soliden Felsen, der zum Theil aus Sand­ stein, größtentheils aber aus Granit, theils grauem, theils rothem, besteht.

Die Höhe vom obersten Falle bis unter FlottbergsFall hinab, wo der Fluß wieder ruhig wird, ist hundert und zwölf Schwedische Fuß. Vom Anfänge bis beynahe an das Ende des Canals geht das Wasser wagrecht mit dem obern Theile des Flusses, ehe er feine Fälle anfangt; und über die Tiefe von hundert und zwölf Schuh gehen die Schiffe an einem einzigen Orte, wo man acht

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Sechster

Bries.

Schleusen nach einander angebracht hat, deren jede et­ was über drcyzehn Schuh hoch ist. Die Länge der Schleusen ist hundert und zwanzig, und ihre Qlh-ciu zwey und zwanzig Fuß, das heißt, groß genug füi Schiffe, die an die hundert und fünfzig Tonnen Eng­ lisch enthalten. Die größte Tiefe des Canals, wo man ihn durch einen ziemlich hohen Felsenberg har führen müssen, ist zwey und siebzig Fuß; seine sertiese zehn Fuß. Zhm noch mehr Tiefe zu geben, damit er noch größere Schiffe fassen möge, wäre un­ nütz, weil e6 zwischen hier und Gothenborg Orte im Flusse gibt, wo dieser nicht tiefer als zehn Schuh ist. Einem Dritten möchte es freylich auffallen, daß die ganze Schwierigkeit, diesen Fluß hier schiffbar zu mar chen, nichts weiter als einen Canal von einer Schwe­ dischen Vtertelmeile erfordert: und in der That würde in England eine solche Hinderniß langst überwunden worden seyn. Allein wir müssen bedenken, erstens, daß die Schweden nicht das reiche, hochcivilisirte, un­ ternehmende und mechanische Volk sind, wie die Eng­ länder, und zweyten-, daß sich hier ein Doden Kuder, dergleichen es vielleicht wenig in der Nähe eines großen Flusses gibt. Das ganze Land umher ist eine soltde ungeheure Felsenmasse, und diese größtenthetls von der härtesten Art, nähmlich Granit. Es ist doch immer ein großer Gedanke, einen Canal zwey und siebzig Fuß tief, und zwey und zwanzig breit zu gra­ ben, wie dieses an einem Orte der Fall ist. Täglich arbeiten hier acht hundert Menschen, die, etwa sechzig ausgenommen, alle Soldaten sind, und deren jeder acht Schillinge Lohn für sein Tagwerk bekommt. Es sind noch nicht ganz fünf Zahre, daß dieses Werk angefangen worden ist, und in zwey Zäh­ ren hofft man es öffnen. Es ist ganz eine Pn-

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Brief.

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vatunternehmung, die anfangs von einem einzigen Manne betrieben wurde. Dis dahin waren alle hier gemachte Arbeiten eine Sache der Regierung gewesen. Herr Chalmers zu Gothenborg wußte, daß viele Leute die Sache als eine Gelegenheit betrachteten, sich Ver­ mögen zu erwerben, und daß schon die Direction ba# von sehr kostbar war. Er ging nach Stockholm, (ich habe dieses von ihm selbst) und machte mit der Re­ gierung alle nöthige Puncte ab, setzte die Zölle fest, die dieser Canal zu empfangen berechtigt seyn, so wie einen gewissen allgemeinen Fuß, nach welchem dem Eigenthümer das Land, oder vielmehr die nackten Felsen bezahlt werden sollten; und so manche andere Dinge, die Sie Sich selbst leicht denken können. Hierauf eröffnete er eine Subscription in Aktien, ge­ rade wie es in England gewöhnlich ist, und in sehr kurzer Zeit bekam er Unterschrift auf 765,000 Rixthaler, d. h. Schwedische Thaler, deren jeder acht und vierzig Schillinge hält. — Diese Actien sind verkäuf­ lich, und lassen sich also auf andere übertragen. In­ dessen glaubt man, daß der Canal nicht über 300,000 Thaler kosten wird: ein Umstand, der einem Englän­ der abermahlS ein Lächeln abnöthigen möchte.

Dieser Canal vermeidet also die sogenannten vier Wasserfälle von Trolhätta; dadurch würde aber der Göthafluß vom Wennersee bis nach Gothenborg noch nicht schiffbar gemacht seyn, denn eS gibt noch andere Fälle dieses Flusses, sowohl über, als unter Trolhätta. Diese aber sind doch durch die vorhergehenden Arbei­ ten so weit gediehen, baß sie für die Schiffahrt brauchbar sind, wie denn wirklich mancherley Artikel von den weirumfangenden Ufern des WcnnersceS zn Wasser nach Gothenborg gebracht werden, und schon seit langer Zelt gebracht worden sind. Man ladet

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Brief,

nähmlich die Güter bey Trolhätta aus, und bringt sie zu Lande ungefähr auf dem Wege, den der neue Ca­ nal geht, bis unter Flottbergs - .Fall, wo sie wieder eingeschifft werden. Da der ganze Weg über Felsen geht, die größtentheils nackt und sehr uneben sind, war es so ziemlich unmöglich, einen Frchrweg zu ma­ chen; man errichtete also eine Brücke, d. h. einen aus hölzerne Pfähle gebauten Weg, den man mit Pfosten belegte, und der denn, so wie der Canal, eine Schwer dische Viertelmeile lang ist. Zwey Schwedische Meilen unter Trolhätta macht der Götha abermahls einen Fall; diesem ist aber schon längst durch dle Edet Schleuse avgeholsen, die ich gestern sah. Dieses Werk ist nichts weniger als schön,und mich dünkt, daß es vom Anfänge her schlecht ge­ baut worden ist. Hr. Coxe sagt, (vor achtzehn oder zwanzig Zähren) er habe es in schlechtem Zustande gefunden, und so fand ich es gestern gerade auch, das Wasser strömte zwischen allen Fügungen der Werk­ steine hervor. Diese Schleuse gehört der Stadt Gorhenborg, sie wird sie aber der neuen Gesellschaft über­ lassen, welche den Canal baut, und welche sie bald in gehörigen Stand bringen und erhalten wird.

Weiter den Fluß hinauf ist noch eine Schleuse, die Gustavus „sonst Tessinschleuse genannt, welche ich auf meinem Wege nach Wennersborg sehen werde.

Das Resultat von dem, was ich gesehen habe, ist, daß dieser Canal keinesweges denen gleich kommt, dergleichen es in England mehrere gibt, und wovon ich vorzüglich den Canal des Herzogs von Bridgewater, den großen Canal bey Halifax, der aus Lancastershire nach Yorkshire geht, und den Durchschnitt des Mull vf Cantire in Schottland, der entweder in kurzem

fertig werden wird, oder es schon ist, nennen will.

Auf

der andern Seite biethet dieser Canal einige Züge von Größe dar, die sich an keinem Englischen finden, wohin

denn vorzüglich sein tiefes Gramtbett und die Höhe der Schleusenrhüren gehört, deren einige von sechs und zwan­

zig Fuß seyn werden. Auf diese Art wird denn die Verbindung des Wen-

rrersees mtt der Stadt Gotheuborg zu Stande kommen; ") aber dadurch ist noch lange nicht der große National­

wunsch so vieler Könige Schwedens erfüllt, eine Schif­ fahrt zwischen Stockholm und Gdthenborg zu errichten,

5 ) Man erlaube, daß ich folgende Nachricht aus dem Hamburger Correspondenten,

Beylage zu No. 23 des

Jahres 1302 abdrucken lasse.

Wie bedeutend und für

Stockholm, 29. Ian. 1302.

Handel und Schiffahrt vorkheilhaft die Durchfahrt durch

den Canal und die Schleusen von Lrolhätta im letztoer^ wichenen Jahre gewesen, kann man aus folgenden zuver­

lässigen Nachrichten schließen.

Während dieser Zeit sind

durch gedachten Canal passirt — 1380 größere und klei­ nere Schiffe;

selbige hatten geladen 79/i3i Schiffpfund

Stangeneisen, 5395 Kisten, Platten und Stahl, 10,213 Zwölfter Stück Planken, 12,990 Zwölfter Bretter,

5882

Stück Balken,

203

Tonnen Salz/ Getreide,

8365

Tonnen

Tonnen Alaun,

2296 Tonnen Mehl,

Häring/

4642

15/I39 Tonnen

3277 Faden,

Holz

tu s. w. In einer andern öffentlichen Nachricht

(Stockholm

1802.) wird gesagt, daß man, in Verbindung mit dem

Canalbau zu Trolhätta, eine große Schiffsdocke gebauet hat, wo größere und kleinere Fahrzeuge mit dem besten

Vortheile reparirt werden können. KurrnerS N.

2.

rr

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Sechster

Brief.

das heißt, zwischen der Ostsee und der Nordsee, welches freylich von noch weit größerem Nutzen seyn würde, als die Schiffahrt durch die Eyder, wovon ich Ihnen letzthin geschrieben habe. Zn einem Kriege zwischen Schweden und Dänemark würde dieses besonders ein wichtiger Um­ stand seyn, weil man alsdann die Scheerenfiotte aus einem Meere in das andere bringen könnte. Bey dem neuen Canale zu Trolhätta hat man durchaus Rücksicht auf die Scheerenschiffe genommen, welch» hier ohne Hin, derniß durchgehen können. Diese sonderbaren Fahrzeuge ziehen nicht mehr alö fünf Fuß Wasser. Alle hier niedergeschriebencn Angaben habe ich von den Directoren des Canals, dem Herrn Nordwal, wel­ cher eigentlich der Hauptarchitekt ist, und dem Herrn Swedenstjerna, erhalten. Ersterer spricht Englisch, und ging mehrer» Stunden lang mit uns herum. Der ganze Gang des Canals ist von seiner Erfindung die man an­ genommen hat, während daß noch zwey andere Plane «ingegeben wurden, nach deren einem der Canal mehr rechts , und nach dem andern mehr li^ks gehen sollte. Er sagte nur unter andern, daß PolhemS Entwurf, die Elvius - Schleuse auf gleiche Höhe mit der Polhems f Schleuse zu bringen, nicht so schimärisch wäre, als viele glaubten, ja daß er ihn selbst verfolgt haben würde, wenn er nicht alle die alten Schleusen und Canale zu kurz und zu enge gefunden Hütt«, um ein kostspieliges Unternichmen darauf zu bauen. Die Breite vonEkeblads(nicht Ekebrads, wie cS auf Coxe's Plan steht) Pol­ hems, und der Elvius - Schleuse ist nicht mehr alö acht­ zehn Fuß, folglich nur für kleine Schiffe von weniger als achtzig Englischen Tonnen. Er würde aber, sagt er> diesen Plan nicht mit Holz, sondern Steinen ausgeführt, und zwar damit angefangcn haben, daß er mit ein paar hundert Centner Pulver einen Theil des Felsenbergs, der

Sechster Bries.

»6;

sich fast senkrecht auf der andern Seite aus dem Wasser erhebt, in den Fluß qcsprcngt hätte. Dieser letztere ist bey der ElviuS- Schleuse so durch die Felsen eingeengt, dass er nicht breiter als fünfzig Fuß ist, aber sechzig tief. ES wäre also allerdings ein ungeheures Unternehmen, ein« solch« Tiefe «uSzufüllen, und auf diese Grundlage einen vierzig Schuh hshen Damm zu bauen, denn dieß ist un­ gefähr die Höhe, welche erfordert würde, um den Fluß hier mit Polhems, Schleuse in eine wagrechte Linie zu bringen. Auf diese Art wären die Schiffe, die jetzt über FlathebergS Wasserfall nicht kommen können, an die vierzig Schuh höher in stillem Wasser gegangen «nb in die ElviuS - Schleuse eingefahren, in der sie unter die Höhe des Dammes herabgclassen worden wären. Dieß ist nun aber alles aufgegeben, und Herr Nordwall ist beynahe mit dem Canale fertig, den er durch Felsenberge gegraben hat. Zn der That fehlt ihm sehr wenig mehr von feiner Tiefe, nur muß er hin und wieder auSgefüllt und an einigen Orten mit Mauern eingefaßt werden. Auch ist von den Schleusen noch keine fertig. Am Ende dieses Bandes findet sich ein Plan von dem neuen Canale von Trolhätta und dem daran liegenden Theile des GöthaflusseS, den man dadurch übergeht. Von den Felsen in sein, die bey Trolhättä im Flusse liegen, sind zwey bewohnt; zwey oder drey sind ganz unzugänglich. Eine davon ist dick mit Bäumen bewachsen, die nie eine menschliche Hastd berührt hat. Ein Hund, der «inst weiter oben durch den Fluß schwim» irien wollte, ward vom Strome hingerissen, und auf diese Insel geworfen. Hier lebte er mehrere Tage, ohne je den Muth zu haben, sich in das reißende Wasser zu wagen, und so mußte er Hungers sterben.

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Sechster Dries.

Lidköping den ijfen Iuly. Wir verließen Trolhätta gestern Nachmittags, und gingen nach WennerSborg, anderthalb Schwedische Mei« len. Auf diesem Wege, der recht hübsch, und jnm Theil romantisch ist, kamen wir an die Ronnombrücke, unter welcher der Götha einen schönen Fall bildet. Die, ser Fluß ist hier abermahls so zwischen Felsen eingeengt, daß die Breite, über welche die hölzerne Drücke geschla­ gen ist, höchstens fünfzig Fuß beträgt. Die Drücke mag etwa hundert lang seyn, und in einem einzigen Dogen, versteht sich. Sie ist ein Sparrwerk, aber nicht von der Art, wie man sie bey uns macht. Zch halte diese hier für weit unsicherer, weil ein großer Theil der Haupttragebacken ganz horizontal liegt.

Die Gegend hier herum ist überaus mahlerisch, und ich hätte wohl Zeit gewünscht, mehrere Zeichnungen davon aufzunehmen. Wir stiegen aus, besahen die Aus­ sicht über und unterhalb der Drücke, und von einer klei­ nen Anhöhe, von der man die Windungen des Flusses auf das schönste sieht. Noch hab' ich Ihnen nicht gesagt, daß die sämmtlichen Wasserfalle von Trolhätta mahle­ risch schön und ganz Schweizernatur sind: und so u»ge< führ ist auch die Gegend hier. Dabey hat der Götha

Sechster

Dries.

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die fdjJne Meerqräne Farbe, die so angenehm mit dem weißen Schaume der Wasserfalle abstichk.

Bey der Ronnombrücke verließen wir die Landstraße, um die Gustavus - Schleuse zu sehen, welche Hr. Coxe die Tessin-Schleuse nennt. — Um dem Wasserfalle unter der Drücke und einigen andern Un­ tiefen des GöthaflusseS zu entgehen, leitete man, west» lich von Wennersborg, einen Canal aus dem Wennersee, welcher noch jeht die regelmäßige Schiffahrt macht. Schon Carl IX ließ den Ort für eine Schleuse durch den bloßen Felsen sprengen, und in der Folge wurde die Schleuse selbst zu Stande gebracht. Allein sie war nur achtzehn Fuß breit, so wie die übrigen, und so ließ Gustav III, der letzte König, eine andere von Ziegelsteinen machen, die in der That sehr schön ist. Sie besteht eigentlich aus zwey Theilen, deren Höhe ich aber nicht angeben kann, weil ich nicht gern von ungewisser Autorität reden möchte, und meine sichern Führer, die Herren Nordwall und Swedenstjerna, ver­ loren habe.

Wir kamen nach Wennersborg, wo ich noch einen Spaziergang in der Stadt herum, sowohl als am Wennersee machte. Diese Stadt liegt zwischen dem ob.en angeführten Canale und dem Auslaufe des Gö> thafluffes, und hat einen hübschen Handel. Sie ist die artigste, die ich, nach Gothenborg, in Schweden bisher gesehen habe, voll guter, hübscher Häuser, die aber fast alle von Holz sind. Das Schloß ist von Stein, uyd ein sehr ansehnliches, feines Gebäude, von einfacher aber guter Bauart. Der Markt ist groß, und die Gassen breit. Wir wohnten bey Dennerberg, einem Krämer, bet aber, wie es in Schweden nicht ungewöhnlich ist.

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Sechster D r 1 e f,

zugleich di« Profession eines GastwirthS für »«ich« Ressende macht. Wir befanden uns recht wohl bey ihm. Die Küche war freylich Schwehisch, wie sie es überall ist.- Mir behagt sie nicht; aber das ist nicht die Schuld der Schweden, sondern die meinige. Kurz, ich will nicht den Franzosen nachahmen, welche überall über schlechte Küche klagen, weil die Speisen nicht Französisch zugerichtet sind. Zu Gothenborg hatte man uns auf das angelegent­ lichste empfohlen, ja nicht Schweden zu durchreisen, ohne Kinnekulle, eine der schbnsten Aussichten in der Welt (und der Mann, der es am stärksten empfahl, ist viel gereist, und zehn Jahre in Asien gewesen) zu sehen. Die Ingenieurs zu Trolhätta ermunterten uns aufs Neue, uns diesen Umweg nicht gereuen zu lassen; eS ist aber für uns, um diesen Seitenfprung bequem zu machen, ein Unterschied von drey Tagen, und ein Umweg von so ziemlich zwanzig Schwedischen Meilen; denn da wir nach Norwegen gehen, müssen wir wieder nach Wennersborg zurück. Was ans voll« kommen entschied, war, daß unser Kutscher krank $tf worden ist. Wir ließen also diesen zurück, um zu ge­ nesen , und gingen mit bloß einem Bedienten und einem Schwedischen Kutscher, der nur eine Sprache «ersteht, hierher. Dieß ist das erste Mahl in meinem Leben, daß ich ein« Reise durch ein Land mache, des­ sen Sprache ich nicht «erstehe, ohne «inen Dolmetscher zu haben.

Dey der Gelegenheit aber muß ich Ihnen sagen, daß ich täglich Fortschritte in der Schwedischen Sprache mache. Manches hatte ich freylich schon in Dänemark «ufgesammelt, und die Sprachen dieser beyden Völker gleichen sich so sehr, daß sie alle Verhandlungen deLebenS mit emandep abmachen, »ndem jeder seine eigene

Sechster

Brief,

167

Sprache redet, und der andere ihn versteht. Ich kann schon beynahe alles fordern, was ich brauche, nur müssen die Leute nicht viel darauf antworten, sonst verstehe ich sie nicht. Aber unsere Reise nach Kinnekulle erfordert etwas mehr Aufklärung, und herüber war ich ganz ruhig, indem man mich versicherte, daß zu Lidköpmg ge­ wiß jemand im Wirthshaus« Deutsch oder Französisch spräche. Zch fragte denn gleich bey meiner Ankunft nach jemand, der außer Schwedisch noch eine andere Sprache redete, und gab die Liste derjenigen, die ich spreche; ich erhielt aber auf jede Sprache, die ich nannte, immer die nähmliche Antwort: „ inte an Sventike.“ nichts als Schwedisch» Zn diesem Augenblicke trat ein junger Mensch von sechzehn oder siebzehn Zähren ms Haus, den die Wirthin fragte, ob er eine fremde Sprache ver­ stände. Es war ein Schüler von Läckö, einer Schule von zwey hundert Knaben, (so sagte er wenigstens) die sich auf einem alten Schlosse guf einer Znsel im Wennerfee befindet. Dieser junge Mensch hielt bey seinen Bert wandten hier seine Feyertage, und ich durfte annehmen, daß er Lateinisch verstände. Zn der That sprach er eS sehr kümmerlich. Da dieß indessen besser als gar keine Sprache «ar, so lud ich ihn zu einem Spaziergange ein, den er willig annahm; und so gingen wir eine Stunde umher, besahen den Wcnnersee, die Stabs, die wirklich artig ist, die Kirche, die in altem Gothischen Geschmacke reich verziert ist, und hörten die Catechisation des Herrn Pastors, der einige junge Leute zum Abendmahl vorbe­ reitete. — Auch er bestätigte alle die Herrlichkeiten, die uns von Kinnekulle versprochen worden waren, und rech» nete die Aussicht unter die sieben Wunder von Schweden. Es war nicht das erste Mahl, daß ich heute, nach einem Zeitraume von vielen Zähren, im Falle war, La» tkinisch zu reden. Auf einem schlechten Dorfe, wo wir «inige Zeit auf den Pferdewechsel warten mußten, besah

ich die elenden Hütten, unter denen ich eine bemerkte» die sich nur einigermaßen von den übrigen anszeichnete. Nachdem ich sie von drey Seiten besehen und den Stall, den Hof und Alles in Augenschein genommen hatte, kam ein Mann heraus, der schlecht gekleidet war, (eS tvar Sonntag) in dem ich aber doch etwas zu sehen glaubtedas den Pfarrer oder Schulmeister des Ort# verrieth. Es war der Pfarrer. Ich redete ihn Lateinisch an; er schüttelte aber den Kopf und sagte etwas auf Schwedisch, das ich nicht verstand. Unsere Unterredung war sehr kurz. Indessen fand ich doch, daß er der Geistliche des Ort# war, und daß er uns mit vieler Höflichkeit einlud, in sein Haus zu kommen und etwas zu genießen. „ Cognoscitis Caffee ? “ war alles Latein, da# ich aus ihm bringen konnte. Dieser Zug von Gastfreundschaft, bey des Mannes sichtbarer Armuth, rührte mich. Zch dankte ihm auf Schwedisch und verließ ihn, um einige Windmühlen zu untersuchen, die auf dem Striche zwi, scheu Wennersborg und Lidköping elender, armseliger und ungeschickter sind, als mir je etwas der Art vorge» kommen ist. Lidköping den röten Iuly.

Unser Ritt auf den Berg Kinnekulle ist gerade so ausgefallen, wie ich e# erwartete. Der Berg ist bey weitem nicht zwey tausend Schuh über den See erhaben, und auf der Landseite so mit Nadelholz betvachsen, daß man da wenig von der Gegend umher sehen kann. Die ganz« herrliche Aussicht bestehet also aus dem, was man vom Wennersee und seinen Ufern entdeckt. Dieser See ist aber (’$) Deutsche Meilen lang und seine größte Breite ( ^ ). Nun wissen Sie aber, daß alles Schöne und Große in dieser Welt nur in so ferne schön und groß seyn kann, als es unfern SinneSwerkzeugen angemessen ist. Die schönste Aussicht, die sechs bis acht Deutsche

Sechster

Brief.

169

Meile» von mir liegt, verschwindet in Nichts, und die wett größere Länge des WennerseeS stellte mir nichts als btn Anblick des offenen Meeres vor, das ich so oft ge» sehen habe, daß ich, in einem Augenblicke von Ermüdung, nicht biS vor die Thür gehen würde, um es noch ein» mahl zu sehen. CS ist allerdings ein großer u«kd erhübe» ner Anblick, die Waffermaffe eines LandseeS vor sich zu sehen, der entweder der größte in Europa ist, oder unter die größten gehört; aber er stellte mir denn doch immer weiter nichts dar, als was ich am offene« Meere so oft gesehen hatte. Es sind eine Menge Inseln daraus; aber auch diese waren größtentheils so weit von uns, daß sie nur eine schlechte Figur machten. Ich sahe die Halbinsel, die zwischen den Städten Amal und Carlstadt vom nörde lichrn Ufer viele Meilen in den See hinein läuft; aber auch diese Halbinsel war zu weit von mir, ob ich ihr schon schnurgerade gegenüber war, denn Kinnekull« liegt ein wenig links von der Landstraße, die, von Lidköping nach Stockholm führt. Das Schönste und Interessant teste war also die Halbinsel, die zwischen Wennersborg und Lidköping ebenfalls ziemlich weit in den See hinein» läuft und dem Auge nahe ist. Am Ende derselben schließt sich eine Znsel an, auf der das königliche Schloß Läckö liegt, wo sich die oben angeführte Schule befindet. Da ich weiß , daß die Gebirge von Wermeland sehr hoch sind, so erwartete ich, daß diese vielleicht bis an das nördliche Ufer des Sees sich ziehen würden; allein es sey nun, daß dieses nicht der Fall ist, oder daß sie durch die große Entfernung zu Nichts verschwanden, ich sah nur schwach ein nicht sehr hohes Ufer. 6) Aber äußerst r6) Ich fand in der Folge, daß dies« Gebirge bey weitem nicht so hoch sind, al» einige Beschreibungen sie machten, und daß sie sich gegen den Wennersee zu beynahe in eine Eben« verlieren.

*76

Sechster

Brief,

fruchtbar ist die Gegend um den Berg Kinnekulle, denn der ganze Strich, den ich heute gesehen habe, ist der angebauteste und bevölkertste, der mir noch in Schweden vorgekommen ist. Auch waren die Hütten der Landleute besser, als was ich noch bisher gesehen habe; viele hatten kleine Obstgärten, in denen die Kirschen so eben anfingen, sich zu färben; das Gras wortreich und hoch, und des Getreides in Menge. Auch gibt es um diesen Berg herum mehrere artige Rittergüter, deren einige ein recht hübsches Ansehen haben. Und diese Fruchtbarkeit und dieser Anbau ist eS vermuthlich, woran die Schweden denken, wenn sie die Schönheiten dieser Aussicht so sehr empfehlen. Lidköping liegt an dem schiffbaren und hier zieme lich beträchtlichen Flusse Lida, der die Stadt in die neue und alte theilt.' Auch hier sind wir in einem recht artigen Wirthshaus«, wo wir zwey Mahlzeiten gemacht haben, die, nach Schwedischer 2(rt, gewiß vortrefflich sind, und denen weitet nicht« fehlte, als daß wir nicht an diese Zubereitung gewöhnt find, die mir darum auch nicht behagt.

Zn allen Schwedischen Wirthshäusern ist, bis jetzt das erste, was man uns brachte, eine ungeheure Flasche Branntwein gewesen, mit etwas hartem Roggen» brote, oder vielmehr Kuchen. Dieses geistige Getränt ist gewöhnlich doppelt gebrannt und von der stärksten Art, die ich je getrunken habe. Die Suppe ist alle Mahl das letzte von allen Gerich­ ten , die man austifcht. Thee ist in diesen Wirthshäu­ sern nichts ungewöhnliches, und er ist besser, als ich ihn in irgend einem andern Lande des ContinentS gefunden habe. — Auch das muß ich zur Ehre der wenigen

Sechster Brief.

171

Schwedischen Wirthshäuser, in denen ich gewesen bin, erinnern, daß die barbarische Gewohnheit, einen Gast unter einem dicken Federbette zu ersticken, hier und«, kannt zu seyn scheint. Ich habe noch überall entwei der Englische oder gesteppte Decken gefunden. Eben so unbekannt scheint hier die Gewohnheit zu seyn, von einem Reisenden zu verlangen, daß er in Bettüchern oder in einem Ueberzuge liege, in dem schon vorher jemand gelegen hat. „ Wir haben, heißt es in man» chen Orten von Norddentschland, erst kürzlich überzo­ gen." Ueber diesen Umstand hab' ich in Deutschland, «nd nahmentlich in Sachsen, so manchen Streit g« habt, und der sich gewöhnlich nicht anders endigte, alü daß ich meine eigenen Bettücher herausgeben mußte; In dem höchst schmutzigen Ztalien fällt es doch nieman» den ein, einem Reisenden diese Unsauberkeit — um nicht einen stärker» Ausdruck zu gebrauchen— zuzumuthen; wenigstens ist mir nie ein einziger Fall vorgekommen. Ungarn ist, nebst Deutschland, das einzige Land hierin. — Indessen sind die Schwedischen Wirthshäuser als äußerst schlecht verschrien, und ich vermuthe wohl, daß auf unserm langen Wege durch dieses Land uns einig« dieser Art vorkommen werden; aber ich glaub«, daß durch vorläufige Erkundigung, und dadurch, daß man bald eine längere, bald eine kürzere Tagereise macht, die mehresten sich vermeiden lassen. Zn allen, die ich bisher gesehen habe, fand ich die Zimmer dünne mit Spitzen von jungem Tannenreise, oder Fichten oder Lerchenbaume bestreut. Porcellan ist allgemein, (und daS ist mehr als man in Frankreich findet) difs Sil» berzeug häufig und die Teller und Schüsseln Stafford­ shire-Ware, oder, wie man es in Deutschland nennt. Englisches Steingut. Schwerlich hat je ein Mann gelebt, der seinem Vaterlande einen so ungeheuer» Handlungsartikel eröffnete als Wedgwood, der dieses

Steingut verbesserte, und von einem Ende von Europa zum andern jum allgemeinen Tischgeschirr der Reichen sowohl als der Aermern machte. Es ist eins der grüß» ten Dinge, die je ein Mann gethan hat. Wennereborg den i7ten Iuly.

Wir verließen Lidkiping diesen Morgen nicht eher «(< um sieben Uhr, und, ob schon die Entfernung sieben Schwedische Meilen beträgt, so waren wir doch vor drey Uhr hier. Zn einem andern Lande würden wir sogleich weiter gereist seyn; aber nicht so in Schwe» den. Außerdem daß man die Pferde allemahl vorher bestellen muß, wenn man nicht stundenlang aufgehalt len «erden will, sind auch die Wirthshäuser eine Hauptbetrachtung: und dieser gibt es hier nur wenige. Run ist es Nicht wie in andern Ländern, wo man allenfalls sagen kann: Zch will heute mit einem schlechten Wirthshaus« vorlieb nehmen! die Sache ist, daß es auf den mehresten Stationen ganz und gar keine gibt. Dieß ist etwa nicht so etwas Gesagtes; eine große Zahl der Stationen besteht wirklich aus nichts, als der Hütte des Hallkarl, oder des Mannes, oder Dauern, der die Pferde bestellt: eine Hütte, die bis­ weilen wohl nur eine einzige kleine Stube hat, in der der Mann und seine ganze Familie herbergen. — Zwar hat Herr Coxe häufig in diesen Hütten geschla­ fen, und mehrentheils eine Gaststube, wenigstens ein Bett gefunden; aber in mehreren derselben möchte man doch wohl die eine und das andere vergebens suchen. Zch komme eben von einem Spaziergange zurück, den ich an den Usern des WennerseeS und auf einigrn daran stoßenden Klippen gemacht habe. Ausfal­ lend «ar mir eS, so gar wenig Schiffahrt zu sehen, da doch so viele und große Provinzen an diesen

Sechster

Brief.

17z

See flößen, und alle Schiffe bey WennerSborg Vorbey­ gehen müssen, weil für die Güler kein anderer Weg ist, als den Githafluß hinab durch Gothenborg in daS offene Meer. Aber die Schiffahrt scheint hier perio­ disch zu seyn, und von besondern Zeitpuncten abzuhüngen, in denen gewisse Waaren aus ganze» Distrikten an diesen oder jenen Ort zusammen gebracht werden. So we»ß ich zum Beyspiel, daß man gerade jetzt in Wermeland alle das Eisen aufkauft, da- nach England geschickt wird. Wenn eS zusammengebracht ist, werden große Ladungen auf einmahl verführt.

Siebenter Brief.

Reise

nach Norwegen.

Uddewatta — Strömfiadt — der Gwinsund — Friedrichs­

hall — Mo« — SchutSjoryd — Chrifiiania:

schöne,

fruchtbare, angebaute Landschaft umher — Ous — (Das Geld in Norwegen) — Kongswinger — (Die Straßen

durch Norwegen) — Magnor.

Chrifiiania in Norwegen, den 24sten Iuly 1798. SBir verließen Wennersborg den 18 ten und gingen den Tag über zwölf Schwedische Meilen nach Ström» stadt. Nahe bey Wennersborg führt diese Straß« über den Canal, der aus dem See kommt, an der GustavuS i Schleuse die Schiffe herabläßt und etwa« tiefer in den Githafluß gehet, wodurch der Wasserfall vermieden wird, den dieser Fluß bey der Ronnom« drücke macht. Ein paar Meilen weiter kamen wir nach Udbr» wall«, einer ziemlich beträchtlichen Stadt mit einem Hafen. Dieser Hafen hängt mit verschiedenen Meer,

Siebenter Brief.

«75

busen zusammen, den einige Inseln bilden, die vor Uddewalla liegen. Der ganze Strich ist im höchsten Grade mahlerisch und romantisch. Die Hügel und Inseln sind theils nackte Felsen, theils mit Bäumen bewachsen, und da« Meer windet sich so sonderbar zwischen diesen Felsen umher und um diese Inseln herum, daß es wie mehrere kleine Seen erscheint. Ueberhaupt fand ich von hier an bis an die Grenze von Norwegen die schön« sie» Gegenden, die ich noch in Schweden gesehen hatte. Wir blieben von Uddewalla bis Strimstadt, mehr oder weniger, immer in der Nähe des Meeres, das wir häufig in kleinen Armen zu sehen bekamen, die sich mahlerisch in das Land einwinden, und die wir oft da fanden, wo wir, den Landkarten nach, da« Meer ganz und gar nicht erwarteten. Der Weg ging mehrentheils Berg auf und ab, über und durch romantische Felsen von sonderbarer Form; auch dünkte mich dieser Strich, seiner Wildheit ungeachtet, besser bevölkert und angebauet, als manche andere, die «bener sind und in denen der Boden besser ist.

Strömstadt, ob eS schon am Meere liegt, und einen Hafen hat, ist doch nur ein unbedeutendes Städtchen; desto merkwürdiger ist feine Lage innerhalb fast ganz nackter Felsen. Man glaubt in eine völlig unwirthbare Gegend zu kommen, in der Menschen keine Wohnung suchen können, und ist erstaunt, mit­ ten darin eine Stadt zu finden. Die Leute im WirthShause waren schon im Bette, als wir ankamen, und wir erhielten nichts weiter, als ein paar Eyer und rohen Schinken, der sich nicht essen ließ. Wein hatte man nicht. Wir frühstückten da den folgenden Mor­ gen und bezahlten drey Thaler. Da ich in Zukunft öfters den Preis in den Mirthsfiauiern angcben werde, will ich ein für

Bries.

Siebenter

i76

allemahl erinnern, daß damit bloß Herr * * und ich denn die Bedienten bezahlen für

gemeint sind;

selbst.

Wohl aber gehört ihre Wohnung

sind jetzt drey)

mit

in unsere Rechnung.

sich

und ihrer

An einem

andew Orte halten wir zweymahl gespeist, zweymahl

Dafür wurden zehn Tha­

gefrühstückt und übernachtet. Ich sagte

ler gefordert.

dem Manne, er müsse sich

geirrt haben und möchte doch Nachsehen: und nun brachte er eine schriftliche Rechnung von acht Thälern. Zu Friedrichshall hatten wir Suppe,

Nacht­

Braten,

lager und Frühstück, und die Rechnung kam auf sieben

Thaler. Von Strömstadt machten wir einen beträchtlichen Theil des Weges wieder zurück, den wir den Abend vorher gekommen waren. Deßwegen ist auch d,e gerade Straße so angelegt, daß man diese Stadt gar nicht

berührt, wenn man nicht dort

übernachten will.

Äon

hier aus wird der Weg noch bergiger, und ist an man­ chen Orten so

steil, daß

schon sämmtlich absiiegen,

konnten.

die sechs Pferde, den Wagen

kaum

ob wir

ziehen

Hier ist überall sehr viel Nadelholz, wie ich

denn schon den Tag vorher mehrere Wälder davon be­ merkt hatte.

Wir hatten eben die Spchc eines sehr hohen Ber­

ges erreicht,

als ich unten in der Tiefe den Stvii«

fund erblickte, ein Seewasser, das wie' ein Fluß aus­ sieht, weit in das Land sich hinemzieht, und hier zwi­

schen Schweden

und

Norwegen

die

Grenze

macht.

Diese Gegend hat etwas sehr Großes und gleicht kei­ ner Aussicht,

wie ich sie in Europa

gesehen

habe.

Sie erinnerte mich an Kupferstiche, die man in Eook

und andern Beschreibungen von Seereisen in entfernte Welttheile

findet.

Stellen

Sie

sich

dieses

dunkele

Seewasser vor, das in einer fürchterlichen Tiefe zwischen

Siebenter Dries.

177

Felfenbergen liegt, die beynahe nackt und äußerst steil sind. — Lorenzen, ein Dänischer Mahler, hat ein» Zeichnung davon geliefert und Haas hat sie gestochen. Hier begegnete uns eine von jenen sonderbaren De» gcbenheiten, die einem Reisenden bisweilen vorkommen, und über die es so schwer ist, zuverlässige Aufklärung zu erhalten. Unten am Wasser ist ein Schwedisches Zollhaus, wo man uns unsern Paß abforderte. Man brachte mir ihn bald zurück und unser Schwedischer Kutscher sagte, daß wir damit nicht weiter kommen könnten, weil bloß Schweden und nicht Norwegen darauf stände. Zch ging nun selbst zum Accisbcdienten, und erfuhr von ihm, daß er uns nicht könn« durchlassen, daß wir wieder zurückgehen müßten, und baß Gothenborg der nächste Ort wäre, wo wir einen gehörigen Paß erhalten könnten. Er be­ zeigte sein Leidwesen, besähe dann uns und den Wagen, dachte eine Weile nach und ließ mir durch unsern Schwe­ den folgendes sagen: „Er glaube fest, daß er mit uns nichts zu befahren habe, und daß er die Sache auf seine Gefahr nehmen und uns durchlasscn wolle, wofern wir ihm sechs Thaler zu geben einwilligten." — Sie wissen, lieber Freund, daß ein Reisender alles eher thut, als daß er zurück geht. Zch gab ihm eine Note von fünf That lern. Er nahm sie und setzte die Worte och Norrige hinter das Wort Swerige, wozu gerade noch Platz war, und das mit so vieler Geschicklichkeit, daß man die Bucht staben bloß durch die Farbe der Tinte unterscheiden kann. — Daß der Mann eine Schelmerey beging, war klar, nur war und ist noch jetzt die Frage, wer der Betrogene ist? Konnte der Mann es wagen uns anzuhalten, wenn er kein Recht dazu hatte? das ist nicht wahrscheinlich, um so weniger, da er wußte, daß wir nach Stockholm gehen werden. Magie e> ee aber, um einiger Thaler willen, einen falsche» Paß auezufertigen, so lies er Kuttnert 9t. , Tb. I-

i7&

Siebenter

Brief.

Gefahr, daß es in Norwegen entdeckt würde, und daß die Regierung dieses Landes an die Schwedische schrieb, und die Sache anzeigte. Uebrigens begegnete ihm, was so gar oft mit Schwindlern der Fall ist: Er schrieb INorrige, welches Schwedisch ist, statt, Norge, wel­ ches das Dänische Wort ist, das er hätte schreiben fo(f len, weil der Paß zu Kopenhagen, und also in Däni­ scher Sprache abgefaßt ist. Auch schrieb er och (und) welches Schwedisch ist, statt der Dänischen Schreibart og Hier zu Christiania habe ich über die ganze Sache nichts Gewisses erfahren sönnen, will aber zu Stockholm mich weiter erkundigen; denn, wenn ich Zeit und Gelegenheit dazu habe, mache ich mir es zum Gesetze, alle Detrügereyen, die an Reisenden ver­ übt werden, gerichtlich zu verfolgen, 7) und habe es noch heute mit vielem Erfolge gethan: ein Glück, daReisenden nicht oft zu Theil wird. Mit unendlicher Mühe und Beschwerde brachte man unsern Wagen den steilen Hügel herab, wo er tn einem nicht großen Boote übergefahren wurde. Die Pferde gingen in einem andern, und wir selbst wurden in einem ganz steinen Boote von einem der schönsten Mädchen, die ich seit langer Zett gesehen habe, über­ geführt. Zch machte hier wieder die Bemerkung, die lange vor mir gemacht worden ist, daß das weibliche Geschlecht jedes Compliment versteht, das man ihm in irgend einer Sprache macht. Zch sagte ihr in meinem

7) Es ist nicht geschehen! Ich konnte nicht auf das Reine darüber kommen; und die Sache gerichtlich unter­ suchen zu lassen, war mir bey andern Geschäften zu weitläuftig. Indessen wird man tn der Folge sehen, daß ich Ursache habe zu glauben, daß der Mann wirklich berechti­ get war, uns anzuhalten.

Siebenter Brief.

179

gebrochenen Schwedischen, wie schön ich sie fand, und sie erröthcte und lächelte.

Auf der Norwegischen Seite des Swinsund ist ein Dänisches Zollhaus, wo der Paß sowohl als das Gepäcke untersucht werden soll. Ich halte den erster» in meiner Tasche und ging mit Herrn ** ohne daran zu denken und ohne daß uns jemand etwas sagte, voraus. Der-Wagen mit den Bedienten wurde angehalten, und schon war man im Begriffe uns nachzuschickcn, welches jedoch nicht ge­ schah. Ich führe diesen Umstand an, um den Reisenden auf alle die Beschwerlichkeiten aufmerksam zu machen, welche die Aengstlichkeir der Police») in diesen Ländern ver­ ursacht. Auf der Norwegische» Seite des Swinsund erhebt sich ein eben so steiler Berg als der, den wir auf der Schwedischen herabgekommen waren. Wir genossen der schönen Aussicht, gingen über Marmorberge drirch ein sehr wildes Land, und erreichten Helle, wo die Schwe­ dischen Pferde gegen Norwegische gewechselt wurden» Ich fragte nach dem Hause des Hallkarl, denn Posthäu­ ser gibt es hier so wenig wie in Schweden, und freute mich, daß ich auch ,n Norwegen verstanden wurde und mein Geschäft vollkommen abmachen konnte. Die Frau, die uns empfing, schien eine Bäuerinn der niedern Art zu seyn, sie führte uns aber in ein Ziyimer, wo wir alles fanden, was ein billiger Reisender verlangen kann, und wo ich mit Vergnügen übernachtet haben würde, wenn nicht Friedrichshaü unsere Bestimmung gewesen wäre. Kurz, hier war ein sehr anständiges Wirthshaus in einem kleinen Dorfe, wo ich nichts als eine elende Hütte er­ wartet hatte. Doch über die Norwegische» Wirthshäur ser rin andermahl.

Friedrich sh all liegt am Swinsund da, wo der Fluß Tistedal hinernfallr. Man koinmt auf die Stadt

tgo

Siebenter

Brief,

einen großen Berg hinab, wo sie mit ihrer Gegend um­ her eine schöne Aussicht bildet. Aber dieses ist nichts in Vergleichung mit dem, was ich nachher sah. FriedrichShall ziehet sich weitläuftig unten um den Fuß des Berges herum, auf dessen Spitze die bekannte Festung liegt, die eigentlich Friedrichsstein heißt. Die Stadt selbst ist ganz offen, und rein und Niedlich, und hat eine Menge sehr guter Häuser. Sie können leicht denken, daß wir den Ort zu sehen wünschten. Wo Carl XII erschossen worden ist. Wir erfuhren, daß man dazu die besondere Erlaubniß des Commendanten haben muß, und daß es eigentlich ganz verbothen ist, einem Ausländer die Festung sehen zu las­ sen. Gleichwohl liegt dieser Ort nicht in der Festung selbst, sondern bloß zwischen ihr und einem andern Fort, das eine Höhe commandirt. Wir gingen zum Oberst» lieutnant von Hof, der uns ohne Empfehlungsbrief eben so höflich empfing, als der Schwede zu Helsingborg unhöflich, ob wir schon einen Brief vom Admiral ** an den eommandirenden Officier hatten, der aber nicht gegenwärtig war. Man führte uns vermuthlich zum nächsten im Range, welchem ich den Brief übergab. Herr von Hof sprach Deutsch, und wieß uns an zwey Häuser in Christiania, im Falle der Mann, an den wir empfohlen waren, nicht dort seyn sollte: welches wir zu glauben Ursache hatten.

Ein Gefreyter führte uns nun auf die Höhe bis nahe an das Thor der Festung, und hier öffnete sich uns eint der herrlichsten Aussichten, die ich irgendwo gesehen habe. Der weite Hafen, der durch einige Inseln eine Menge Biegungen bekommt, und Busen bildet, die wie so viele Seen aussehen, verbindet alles, was die Schweiz roman» NscheS hat, mit allem, was eine Seeaussicht, ein Hafen, Schiffe re. besonders besitzen. Wir gingen nachher lange

Siebenter

Brief.

i8r

im Hafen spazieren, und ich hatte Mühe, mich von einer Scene loczureißen, die so viel Mannigfaltigkeit mit so viel Großem und Lieblichem verbandAus der Menge der Schiffe zu schließen, die ich hier sah, sollte man den Handel der Stadt für wichtiger halten, als er wirklich ist. Eine große Zuckersiederei) macht am User eine sehr gute Figur. Auch der Ort, wo Schwedens König erschossen wurde, gewährt eine sehr gute Aussicht, und mehr noch eine kleine daran gelegene Anhöhe. Man sieht hier auf die dem Hafen entgegen gesetzte Seite, ein schönes reiches Thal, das der Fluß Tistedal, dessen User voller Leben sind, bewässert. Za man entdeckt hier einen Theil der Stadt, der sich bis hierher unten um den Berg herum zieht. Auf dem Orte, wo Carl XII siel, standen sonst pomphafte Trophäen und Aufschriften, die wieder abgebrochen worden sind. Jetzt sieht man da weiter Nichts, als em hölzernes weiß angestrichenes Kreuz, worauf Deleyringen (Belagerung) den uteti December 1718 steht. Hier auf dem Flecke zu stehen, dieses Kreuz vor mir zu haben, und nach der Festung htnzusehen, gab mir doch ein ganz eigenes Gefühl, so sehr ich auch endlich für Dinge dieser Art abge­ stumpft worden bin. Daß er von einer Musketenkugel vom nächsten Walle erreicht werden konnte, daran ist nicht der geringste Zweifel, denn ich glaube kaum, daß dieser Wall in gerader Linie sechs hundert Schuh von dem Orte entfernt ist.

Hier fand ich eßbare Beeren von der Größe der Heidelbeeren, nur fiel ihr Blau mehr ins Dunkle, und ihr Geschmack war merklich verschieden. So rote jene, wachsen sie auf einem niedrigen Stocke, der aber Nadeln statt Blätter hat, ungefähr wie die Blätter eines jungen Fichtenreises. Ich fand sie

Siebenter Dries,

182

nachher in grosser Menge auf einem Berge bey khri-

stmma,

wo

nennt. —

man

sie Trancbär (Myrtillus lep.-ns)

Eine andere Art,

die ich ebenfalls hier

sind von

der nähmlichen Größe,

in der Nähe fand,

aber roth und welch, mithin von den Preiselbeeren unterschieden. Man nennte sie Ty e-bar; (uvae

Morvegicae) Geschmacke.

sie sind aber nicht von Vorzüglichem Diese beyden Arten von Beeren hab'

ich

nirgends sonst gefunden, so wenig als eine dritte Art, die ich aber bloß eingemacht gegessen habe. Man

nennt sie hier Molte-bär (Chamaemoius Notveg.) Sie haben die Gestalt unserer Brombeeren, und auch

die Art von Kern, sind aber fester und von gelb röthlicher Farbe. Dey

fanden

wir

ein

theures aber gutes

Wirthshaus.

Den 2Oten gingen wir über zehn Norwegische Mei­ len, (die ungefähr den Schwedischen gleich sind, und wo­ von man zehn auf den Grad des Aeauators rechnet) über Mos nach Schutsjoryd. — Mos ist ein kleiner Ort, auf den mich niemand aufmerksam gemacht hatte,

und von dem ich weiter nichts wußte, als das; ein Städtchen dieses Nahmens auf der Karte zwischen Friedrichshall

und Christiania

liege.

Als

uh dahin

kam, fand ich eine Menge überaus niedlicher und zu­

gleich guter und ansehnlicher Hauser, und einen solchen allgemeinen Anblick von Wohlstand, daß ich überrascht

wurde. so

Wir kamen, am Ende der Stadt, an erneu

mahlerischen und romantischen Theil, daß ich aue-

stieg, und die sonderbare Mischung von Stadthäusern, nackten und romantischen Felsen, Bretmühlen, einem Eisenwerke und einem kleinen Flusse, der in wilden

Fallen sich über Felsen herabstürzte, und eine Menge Mühlen trieb,

bewunderte.

Alles war

schen und von dec Natur belebt,

durch Men­

und unten sah ich

Siebenter

Brief.

in einiger Ferne die Masten der Schiffe; liegt in

Fiord,

183 denn Mos

einer der Schrere», die der Ehristiania, d. h. der

lange Meerbusen, der sich bis an

die Stadt hinaufzicht, von der er den Nahmen hat, in großer Menge bildet, und die diesem ganjen Lande

einen unbeschreiblichen Reitz geben.

Zch erfuhr nachher,

daß die Eisenwerke dem Kammerherrn Anker gehören, und daß w;r zu Moö hätten übernachten und uns mehr

umsehen Orte ist.

sollen; wiewohl kein Pferbewechsel an dem

Schutsjoryd ist ein einzeln gelegenes Haus, und

so, als ich mir, in jeder Rückficht, nie ein besseres Die zehn Norwegischen oder fünfzehn Deut­

wünsche.

sche Meilen von Friedrichshall bis Schutsjoryd sind die bergigste Straße, über die ich je gekommen bin.

Man

gehet fast ohne Unterlaß auf und ab, und befindet sich sehr oft auf den obern Rücken von Bergen, die übrigens

nicht so außerordentlich hoch sind.

daß

Aber Sie wissen,

man in sehr mäßigen Gebirgen über sehr hohe

Bergstraßen gehen kann, so wie man bisweilen durch sehr hohe Berge in der Ebene geht: welches letztere der Hall mit den mehresten Fahrstraßen der Schweiz ist.

Der ganze Strick) von Swinsund bis nach Christiania

ist unausgesetzt schön, romantisch, mahlerisch, und be­ stätiget in einem hohen Grade, was ich ost von Norwe­ gen gehört hatte, nähmlich daß es die Schweiz des

Nordens sey.

Wir kamen auf dieser Straße über die Glömme, »der, wie dieser Fluß gewöhnlicher genannt wird, den Glommen, wo er auf beyden Seiten in einem hohen

Felsenbette dahinrauscht.

An der einen Seite bildet er

eine Menge Wirbel, in denen das Wasser wie in einem

Trichter sich drehet, .und eben so sich vertiefet.

Fähren

Unsere

kamen einigen dieser Wirbel sehr nahe; allein

*84

Siebenter Brief.

es sey nun, daß man vollkommen daran gewöhnt ist, oder daß sie wirklich nicht gefährlich sind, niemand schien darauf zu achten, und alles was man that, war, daß man etwas thätiger ruderte. — Wir kamen nachher zwischen Thune und Karlshuset über einen kleinen, aber auch sehr mahlerischen Fluß, der an dem Orte, wo wir darüber gingen, an und unter der Drücke einen hübschen Fall machte. Man nennt den Ort I se«b r o oder Drücke über die Ise.

Waldung gibt es auf diesem ganzen Wege so viel, daß wir selten lange daraus waren; im Auge aber hatten wir immer welche. ES ist fast durchaus Nadelholz, und macht den Reichthum dieser Landschaft aus. Es wird in Dretmühlen gesägt, und außer Landes, beson­ ders nach England, verschickt. Zu Christiania gibt es viel über hundert Sägen, wovon hundert und zwey dem Kammerherrn Anker gehören. Das Wirthshaus zu Schutsjoryd war von Holz, wie die mrhresten Gebäude dieses Landes, und gehörte Leuten, die mir, dem Ansehen nach, eine Art Dauern zu seyn schienen, und es auch sind, wie ich nachher erfuhr. Wir sahen da eine Menge guter Zimmer mit vortrefflichen Detten, die ihre Vorhänge von feinem Kattun hatten. Wir fanden feine Leinwand, vortreffliches Tafelgeschirr, guten Wein und emc sehr anständige Mahlzeit. Indessen fiel mir alles das nicht so sehr auf, als gewisse Begriffe von Eleganz und Luxus, die man nur im verfeiuertstrn Leben suchen sollte, und di« ich wirklich nirgends als in gewissen Englischen Wirthshäusern der ersten Classe anqetroffen habe. Ich will Ihnen pünktlich und wahrhaft die Art beschreiben, wie man unser Frühstück uns auftrug, weil es so ganz besonders war, daß ich jedes Silberstück zählte. Die silberne Kaffekanne stand auf einer stlbcrncn

Siebenter Brief.

18$

Schale, und von Silber war auch die Zuckerschale. Was mir aber vorzüglich aufficl, war eine silberne Kanne mit warmen Wasser, die ebenfalls auf einem silbernen Teller stand, und die man nur in großen Häusern aussetzt, um den Kaffee zu schwächen, wenn ihn jemand zu stark findet. Gegen das, was ich in andern Wirths­ häusern für ein Nachtlager bezahlt habe, schienen mir vier Thaler nur wenig.

Drittchalb Meilen Weges (ich rede allemahl von Landesmeilen, so oft ich keinen andern Nahmen hinzusche,) brachten uns nach Christiania, in dieses nordische Paradies, ü; diese himmlische Gegend, von der ich unter dem sechzigsten Grade nördlicher Breite mir nie träumen ließ, und wovon ich keiner Beschreibung glauben würde, wenn sie sich so stark autdrückte, und so mahlte, wie ich mahlen zu können wünschte. Etwa eine Stunde, ehe man nach Christiania kommt, eröffnet sich von einem sehr hohen Berge herab eine der schönsten Aussichten, die ich in Europa kenne. Sie ist groß, weit und erhaben, aber nicht wild, wie Sie vielleicht erwarten. Zunächst um sich her haben Sie nackte Felsen und in den Fernen hohe mit Waldung bewachsene Berge; aber zu Ihren Füßen liegt ausgebreitet ein reiches, fruchtbares, angebautes Land, eine ansehnliche Stadt, die noch größer zu seyn scheint, als sie wirklich ist, und der mahlerische Hafen, den Sie Sich nur denken können. Ich vergaß ganz, daß ich unter dem sechzigsten Grade nördlicher Breite war, und glaubte mich in die schönsten und gesegnetste» Himmelsstriche von Europa versetzt zu sehen. Zch weiß wirklich kaum irgendwo eine Aussicht, die eine solche Mannigfaltigkeit von Gegenständen, und id> möchte sagen Ländern, in sich faßt. Während baß die Felsen, denen ich zunächst war, und die zum Theil

die Bay umgaben, mich an das Rohe und Wilde der Alpen erinnerten, zeigten mir Berge einer andern Art, die Gegend mehr in die mildern Striche des Cantons Bern gehöre. Der obere Theil des Chnstiania-

daß

Fiord würde mich an denken lassen,

haben

die schönsten Schweizer-Seen

wenn die dreymastigen Schiffe

Mir nicht gesagt hätten, das; ich am Ufer der Meeres war.

Dabey ist die ganze weite Gegend llmher so mit

einzelnen Häusern angefüllt, und alle diese Hauser haben

ein so niedliches und gefälliges Ansehen, und verrathen

so viel Wohlstand, daß man in einer Fccinvclt zu seyn

glaubt.

Hier ist das schönste Grün, hier sind Pflanzen

und Bäume vom üppigsten Wüchse, hier lächelt Wohlstand und Segen aus jeder Ecke hervor. diesen Berg noch

Ich habe seitdem

einmahl erstiegen, bin ihm auf der

Höhe über dem Meerwaffer hin gefolgt, habe die Gegenden

der Stadt

von allen Seiten besehen, und immer mit

gleichem Entzücken darauf verweilt.

Kurz, ich kann

Ihnen nicht sagen, wie schön alles um Christiania her

ist, und nie hat mir es mehr an Worten gefehlt, während daß meine Seele ganz voller Bilder ist. Christiania, obschon Norwegens Hauptstadt, hat

nicht mehr als 10,000 Einwohner; aber ste ist weitläuftig

gebaut,

die Gassen

breit und die Häuser nicht hoch.

Sie wissen, daß ste am Ende eines Meerbusens liegt,

der sich zwölf Deutsche Meilen in das Land hereinzieht, der hier von hohen Bergen umgeben ist, und eine Menge

größerer und kleinerer Inseln einschließt, die alle ebenfalls voller Berge und Felsen sind, und in den schönsten und romantischen Formen

Vorzüglich

Festung,

sich aus

dem Wasser

erheben.

schön ist die Aussicht von den Wällen der

die nicht eben hoch liegt, und von der man

doch rings umher das schöne Land übersteht.

Herrlich schön ist die, Aussicht von dem Landsitze des Kammerhcrrn Anker, eine kleine Stunde von der

Siebenter Stadt, und eben so

Brief.

187

schön, obgleich von einer .ganz

andern Art, ist der prächtige Sch seines Bruders, etwa

vier kleine Stunden von

hier.

Diese beyden

Brüder leben in diesem entlegenen Winkel der Welt in aller Größe eines Englischen Lords, und mit der Eleganz der

gesittetsten Völker von Europa.

Als wir

ersten Mahl besuchten, führte

den Kammerherrn zum

man uns durch eine lange Reihe schöner Zimmer, die theils nut guten Tapeten, theils mit Gemählden und

Kupferstichen verziert waren Ich sahe nachher bey ihm eine große und gute Bibliothek, Englische Instrumente für Physik,

und .ein

Naturaliencabinet.

Zch fühlte

doch ganz sonderbar, als ich bey ihm, hier in Norwegen, einen großen Quercino, einen Guido, einen sehr schönen

Conca und mehrere Gemählde von verschiedenen andern

Meistern fand. gesehen, und

Herr Anker hat so ziemlich ganz Europa

spricht, außer ferner Muttersprache, sehr

geläufig Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch. Sein Vermögen, welches weit über eine Million Dänischer Thaler geschätzt wird, besteht in liegenden Gründen,

in hundert und zwey Sägemühlen, und acht und dreyßig Schiffen, die in der offenen See gehen.

Zn diesen

Schiffen verfährt er seine Breter und Pfosten in alle

Theile von Europa und

bringt Waaren zurück, mit

denen er aber nicht selbst handelt, sondern die er durch Mäkler oder Sensale verkaufen läßt. —

Sein Bruder

solj jährlich 35,000 Thaler Einkünfte haben, nachdem

seine Güter ihm alles geliefert, was er für seine große Haushaltung braucht.

Er hat einen Stall von mehr

als dreyßig Pferden, und ein eben so großes, als kostbar

und schön meublirtes Haus. Diese beyden

Brüder sind

aber keineswegeö

die

einzigen reichen Leute dieser Provinz. Man nennt mir eder verstehet oder lernet, alles zu ma­

nicht

chen, wenn er

auch schon

ganz ausübt.

Die Folge von dieser VerfahrungSart

ist sehr natürlich:

seine Kunst

immer

die Arbeit ist plump und theuer.

Zch erkundigte mich in mehreren Werkstätten nach dem

Preise verschiedener Artikel und fand ihn so, daß die

Englische Arbeit gleicher Art besser, wenigstens niedli­ cher und wohlfeiler ist.

Man hat hier Schleifmühe

len; aber sie werden, — der Himmel weiß, warum,—

wenig gebraucht, und das mehreste Hand gemacht.

die

wird

durch

die

Einen Nadler zeigte man mir, der

Arbeit unter seine Kinder und ein

paar andere

Leute getheilt hat; aber die Schwedischen Nadeln find

sehr plump, plumper, als ich sie in irgend einem Lan­ de gesehen habe.

Man führte mich zu einem überaus geschickten Stahl­

arbeiter, einem Manne, der beydes, große natürlich« Anlagen und Kunstfleiß besitzt.

Dey ihm sah' ich eine

Menge sehr niedlicher und künstlicher Dinge, stählerne Knöpfe mit Portraits oder Landschaften, verzierte Plat­

ten, Haken, Beschläge und dergleichen, ja selbst radir-

224

Achter

Brief,

tes Eisen, das er wie Kupferplatten abdruckt. Aber er sagte, daß er dabey verdürbe und daß man in Schweden nichts als das ganz Gemeine und Nothwen­ dige bezahlen wollte. Das glaube ich gern! Künstli­ che und sehr feine Artikel machen nie jbcn Gewinst ei­ ner Fabrik aus, so lange man ste nicht fabrikmäßig behandeln kann, und — was noch mehr ist, — so lange das Land nicht so weit an Luxus gewöhnt ist, daß gewisse feine Artikel ein Bedürfniß des gemeinen Lebens geworden sind. Der Mann zeigte mir auch Scheeren, Messer, Beschlage u. s. w. die mit Gold eingelegt waren, ungefähr wie man es zu Carlsbad siehet, aber weit besser und vollendeter. Allein dieß sind Dinge der Fantasie, und Leute von Geschmack werden immer die Simplicität, und die hohe Politur der Englischen Arbeit vorziehen. Ich fragte nach dem Preise der gemeinen Artikel und fand sie theurer als die Englischen.

Man führte uns dann an den Fluß, welches ein Auslauf aus dem Hielmar- in den Mälarsee ist. Er ist, wie die mehresten Schwedischen Flüsse, voller Fel­ sen, läuft schnell und macht hin und wieder Fälle. Indessen hat doch einer der größten Unternehmer ihn für ganz kleine Boote schiffbar gefunden, und führt wirklich feine Waaren zu Wasser aus. An diesem Flusse fand ich ein Paar Eisen oder Stahlschleifen und mehrere Zainhammer, an denen ich aber nichts bemerken konnte, was ich nicht auch sonst überall gese­ hen hätte. Kurz, der ganze Ort ist für Schweden sehr wichtig, kommt aber in kerne Betrachtung, so bald tnan ihn mit den Englischen Eisen- und Srahlfabriken vergleicht. Auch konnte ich nicht sehen, daß viele Leu­ te sich ein großes Vermögen erworben hatten, welches sonst in Fabrikstädten immer der Fall ist. Man redete

Achter

Brief.

22z

mir viel von zwey Häusern; nach dem aber, was ich se­ hen konnte, war ihre Größe und ihr Reichthum bloß im Verhältnisse mit Eskilötuna. UebrigenS haben diese Leute hier jenes Gefühl von Unabhängigkeit und Freyheit, das man gewöhnlich in den Fabrikstädten findet- 2(16 matt Gustav IIL ermors det hatte, war ein Theil des Volks hier so aufgebracht, daß sie davon redeten, nach Stockholm zu marschiren, und deS Königs Tod zu rächen. Man sagt, daß der Herzog von Södermannland schon im Begriffe war, Truppen hierher zu schicken. Lange durfte sich kein 2fbe< liger in dieser Stadt sehen lassen, ohne beschimpft zu werden, und ein Mann, den man um seines Nahmens willen verkannte, lief Gefahr, sein Leben hier zu ver­ tieren. Nachdem wir uns zu Eskitstuna vier Stunden lang aufgehalten hatten, gingen wir noch nach Mariefred, wo wir ein gutes Wirthshaus und besonders niedlich« Zimmer fanden. Diese Stadt liegt in einer reihenden Gegend, in einem von den Winkeln, die der Mälarr see macht, einer der mahlerischen, romantischten und an Aussichten reichhaltigsten Seen, die ich je gesehen habe. Die schöne Lage vermochte schon vor Jahrhunderten die Könige von Schweden, ein für die damahligen Zei­ ten wirklich schönes Schloß zu bauen. Ob es schon nicht unsern heutigen Begriffen von Pracht, Eleganz und Bequemlichkeit entspricht, so hat es doch etwas Großes in seiner Anlage, und seine runden Thürme, Kuppeln und Spitzen erinnern einen an die Aussichten, die man von Constantinopel gesehen hat. Einige Zim­ mer sind sehr gut und bewohnbar, und werden auch bifr weilen von Schwedens Königen besucht. Hier wird ei­ ne große Menge von Portraits nicht nur fürstlicher Per­ sonen von Schweden, sondern von ganz Europa aufbe-

226

Achter

Brief.

wahrt, nebst vielen andern großer und berühmter Män­ ner; aber die mehresten dieser Gemählde find höchst elend. — Es gefiel mir, die Portraits von einigen Dauern zu sehen, welche, wre es scheint, bey cnicv Prmzengeburt als Abgeordnete erscheinen, und als Zeugen bey der Taushandlung gegenwärtig sind. — Zwey Zim­ mer, die man unverändert gelassen hat, sind in der Schwe­ dischen Geschichte merkwürdig. Zn einem derselben, welches sehr erträglich, und nach Art der damahligen Zeiten sogar verziert ist, verwahrte Eric XIV. fernen Bruder Johann, den er nachher frey ließ: wofür ihn dieser des Thrones entsetzte, und mit unaussprechlicher Darbarey behandelte. Unter andern sperrte er ihn m diesem nähmlichen Schlosse, aber in einem elenden Loche ein, das man noch zeigt.

Nachdem wir uns hier hinlänglich umgesehen hat­ ten, kamen wir über Söder-Tehe den ersten August nach Stockholm.

N eunter Brief. Topographie von Stockholm — die eigentliche Stadt (Stad) — der Ritterholm — Nordermatm — Admiratttätsholm — Castelholm — Beckholm — Langholm — Rackningsholm — Kongsholm — Ladugardsland — Södermalm — Weitere Beschrei­ bung — die eigentliche Stadt — Kongsholm — Carlberg — Porcellanfabrik — das königliche Schloß — Gemähldesammlung — Museum — Gar» ten ■— Reichssaal — Bibliothek — Sternwarte — etwas über die Lappländer — der Thiergarten — besondere Art von Brücken — Drotningholm — Fa­ brik des Hauptmannes Apelquist — über Schwedische Fabriken überhrupt.

Stockholm den 2ten August 1798.

Ach bin in den ersten drey Tagen meines hiesigen Auf, enthalte so viel umhergewandert, daß icb. nun diese große Stadt schon in allen ihren Theilen gesehen habe. 9)

9) Man hat fast von jeder auch nur mittelmäßigen Stadt, einen Führer, oder Wegweiser, .'der irgend eine

22g

Neunter

Brief.

Stockholm liegt auf dem nördlichen und südlichen Ufer des Mälarsees, und begreift zugleich eine Zahl von Inseln, welche Mischen inne liegen. Der größte Theil der Stadt steht auf dem festen Lande, wovon der auf der Mittagsseite Södermalm, der auf der nördlichen Nordermalm heißt. Düsching erklärt diese beyden großen Theile von Stockholm für Vorstädte, ohne daß ich ei­ gentlich absehen kann, warum. Das alte, ursprüngliche Stockholm mag freylich bloß aus der Insel bestanden haben, die man noch jetzt die Stadt (Staden) nennt; allein diese macht nunmehr nur einen sehr kleinen Theil des Ganzen aus. — (Indessen habe ich seitdem gehört, daß auch Egersen, der kürzlich eine Beschreibung von Stockholm in 4 Bänden herausgegeben har, den Södermalm und Nordermalm ebenfalls als Vorstädte betrachtet.) Beschreibung, die, wenn auch sonst nirgends, doch we­ nigstens an dem Orte zu haben ist. Die mehresten dieser Beschreibungen sind schlecht, aber fie geben doch eine Art von Topographie und Lintheilung des Ortes, nach der man sich zurecht finden kann, und zeigen alle Merkwürdig­ keiten an, die gesehen und nicht gesehen zu werden ver­ dienen. Lin Fremder kann -e nicht entbehren, wenn er eine Stadt mit einiger Genauigkeit sehen, und ein richti­ ges Bild davon mit fich nehmen will. Sie sind in der Sprache des Landes geschrieben; aber gewöhnlich hat man ste auch Französisch, besonders wenn die Landessprache ei­ ne von denen ist, die wenig Fremde verstehen. So fand ich zu Kopenhagen wenigstens eine Deutsche Beschreibung dieser Grade. Don Stockholm hingegen hat man keine, als in der Schwedischen Sprache; wenigstens habe ich kei­ ne andere ausfündig machen können, und meine hiesigen Bekannten, an die ich mich deßwegen gewandt habe versichern mich, daß keine existier. Nun ist aber die

Neunter

Brief!

I. Auf dieser Znsel, oder Stad lo), liegt das große und schöne Residenzschloß, welches man das neue nennt; die Nicolai- oder große Kirche; die Bank, der Kornmarkt, das große Zollhaus, und eine Menge anbei rer sehr guter Gebäude. Auch hat sie einen geräumigen und schönen Kay, der an dem eigentlichen Mccreshafcn liegt, während daß ihr westliches Ufer von dem Mülar« fee bespielt wird. Stockholm hat also das besondere, daß es auf einer Seite a«N Meere, auf der andern an einem Landsee liegt; auf der einen Seite frisches, auf der an­ dern gesalzenes Wasser hat. (Dieses letztere ist jedoch sehr versüßt.) — Das Schloß nimmt einen großen Theil dieser Znsel ein, und hat die Aussicht über alle Theile von Stockholm, so wie es selbst über alles her­ vorragt, und von allen Seiten sichtbar ist. — Die Stadt (Staden) ist gegen Abend mit dem Ritterholm,

Schwedische eine Sprache, die nur sehr wenige Auslän­ der verstehen. Was man in Reisebeschreibungen darüber findet/ ist mehrenihetl« sehr kurz; und die hiesigen Lohn­ bedienten sind so wenig gewohnt. Fremde zu führen, daß man sich gar nicht auf sie verlaffen kann. Um künftigen Reisenden die Sache zu erleichtern, will ich alle«, war ich über Stockholm niedergeschrieben habe, in eine gewiff« Ordnung bringen, und eine kleine Topographie der Stadr vorausschicken. Diejenigen, die bloß auf dem Zimmer le, sen, bitte ich deßwegen um Vergebung, da ich gar wohl weiß, daß Beschreibungen dieser Art langweilig sind. Vermittelst de« beygefügten Plane« wird «< dem Leser leicht seyn, der Beschreibung zu folgen.

io) Unser Deutsche« Wott Städt heißt auf Schwe­ disch Stad, und en ist der Artikel. Wenn also der Schwede die Stadt au«drücken will, so sagt er Staden.

aza

Neunter

Dries,

gegen Mitternacht mit dem Nordermalm, und gegen Mittag mit dem Södermalm durch Drücken verbunden; und zwar stößt hier alles so an einander, haß man kaum gewahr wird, daß diese Theile durch Wasser von einan­ der getrennt sind. So zeigt sich z, — 3 s Marup «i l 9 Warperg Xf — 9 9 Dach» 2 — r s Aesa — 9 KingSbacka 11 — 9 Kjarra r H — Gothenborg (bey Dlomm, ziemlich gut) 1 9 9 Lahall 2 ---3 Catkleberg 9 »T — 9 L. Edet, oder Edet'Luck 9 Forß > s I — Gerdheim » 9 Trollhätta (erträglich) I — Wennersborg (beym Kramer Nordmann, recht gut) , x> — DörSled t , x; —

33 g



Transport 9 GrZstorp 9 » Teng 9 X Mällby Lidköping (bep Nordmann, recht 5 • Kinnekulle I Lldköping 9 Mällby • 9 Teng X 5 1 Gräötorp r 9 Börsled s S Wennersbvrg 9 ; Almaö t Raknebo l 9 Herrstadt X s X Quiström s r Swartenborg s r Rataldshed s Hede 9 Skzatleryd D 9 Wick 9 X Est 9 Strömstadt (sehr schlecht) X Hogdal s Ueber den Swinsund • Helle Friedrichshall (bey Prdal gut) 9 GudSlund 9 Thune L 9 Kaelshuset 9 9 Dillingen 9 9 Soner 1 Sunbye

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741 Meilen. Transport I Korsegarden « — 1 Schutsjoryd (einzeln Ha'uS, sehr gut) Christianra (bey Toms, gut) 2t — I — Ramsaas t — »L Skytömor ’ —. I Moe 3 1 — Holen i — IT Kiolsiadt — 1 Herberg (Tunnefoizcn) — Ou6 (einzelnes Haus, ziemlich gut) I — Sunbye • — 12Kongöwinger (sehr gut) — 1Z Esbroen li — Magnor (erträglich) — I Moraß $ — I Haga I — Strand T2 — Hogvalla 3 11 — Lerol 5 I — Skidronnas L — Hogboda 3 4 — Prjstbol (äußerst schlecht) 1 — Zlberg (Hohen-lake) — Carlstadt (bey einem Kaufmanne, sehr gut) I — Busterud ll —• We 7 — RudSberg 6 — 11 Christineham (erträglich) — -r Wall -1 — Atorp f il — Storbjorboda i? — Edr-berg Sanna -



Transport

»

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Winterera Sanna

Oerebro (erträglich) Glanshammer Fellnrgsbro Arboga * Kongsör (erträglich) Smedby -

-

Eskrlötuna (recht gut) Kjulsta -

-

Ekesag

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Wöllby Mariefred (recht gut) Kumla Telje Fittja

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n 6^ Merken. 113J —

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Stockholm (bey Robinot) Rorebro DLärstadt $ Alstke 9 9 Upsala (nicht schlecht) Agerstaval Anderly Oesterby (nicht schlecht) Bro 9 Hoganbo 9 : Löfsta (erträglich) $ Skiarplinge Elfcarleby Geffle (Wohnung ohne Speisung) Dak Högbo 9 Äsens (Ofvans)ä) -

2

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3 2

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4i6 Transport

Lumehead t / Borgardet Fahlun (sehr gut) Strand 5 Ilppbo Grädo 2lvestadt (ziemlich gut) t Droddbo Sala (in zwey Häusern, sehr erträglich) i Tärna Gästre • Langtora Tunaland 9 Gran (schlecht) $ Tipple 9 Darkarby » Stockholm t Littia 9 Tell,e 9 Pilkrog » e Abp (ziemlich gut) r Swartbro Nyköping Zäder ZLreta Krvkek Ävy r e

Nvrköping (bey einem Kaufmanne, gut) 9 Drink 9 Kumla r Linköping Dankeberg * *

164^ Meilen^

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