Reise durch Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen und einen Theil von Italien in den Jahren 1797, 1798, 1799: Teil 3 [2., verb. Ausg. Reprint 2020 ed.]
 9783111439600, 9783111073422

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Deutsch land, Dänemark/ Schweden, Norwegen und einen Theil von Italien, in den Jahren 1797. 179s» 1799«

Dritter Theil.

Mit einem Titelkupfer. Zweyte verbesserte Ausgabe. Leipzig,

bey Georg Joachim Göschen,

1804.

Inhalt des

dritten Theiles.

Erster

Brief S.

Ueberfahrt von Vstadt nach Stralsund — die Inseln Rügen und Hiddensee — Stralsund — Bevölkerung vort Schwedisch - Pommern — Schwedisch - Pommern über­ haupt — Greifswald — Anklam — Uckermünde — Stettin — eine Geschichte für Reisende—Pyritz — Soktin — Neudamm —Cüstrin —Frankfurt an der Oder^ Zibichen — Crossen — Naumburg am Bober — Sa­ gan — Bunzlau — Ueber Niederschlesien überhaupt — Lauban und die Gegend umher.

Zweyter

Brief.

Reise nach Meffersdorf— Marklissa — Schwerts — Wiegandsrhal — Meffersdorf — Tafelfichte — Friedland in Böhmen — Reibersdorf — Zittau — der Oywin —* Herrnhuth — das Brüderhaus — das Schwestern­ haus — Begrabnißstatte—Unitatssynode — die Lands-" kröne — Görlitz — Orgel — Nathe — Königshayn — Königshayner Berge — Bachs berühmteste Zeich­ nung — Fabriken der Oberlausitz. 22

Dritter

Brief.

Steife von Lauban in das Schlesische Riesengebirge — Greiffenberg — Greiffenstein — Hirschberg — Warm­ brunn — der Kynast — das Prellersche Vitriolwerk — der Zackenfall — der Kuchelfall — die neue Baude — die Bauden am Riesengebirge — die Schneegründe —

3

Inhalt. das große Rad — Ursprung der Elbe — Schreibers­ hau — Stondorf — Seydorf — St. Annenkirche — Steinseifen — Kahls Modell vom Rresengeblrge — Buchwald — Schmiedeberg — Landshut - Kloster Grlffau — Aderübach - Waldenburg—Fürstensteln — Schweldmtz — Jobtenberg Breslau. 44

Vierter

Brief.

Breslau —- Garve - allgemeine Ansicht — Modell vom Rresengeblrge — Bctteley — Domslau — Iordansmühle — Nrmpsch — Straßen durch das Rresengebirge — Größe und Bevölkerung von Schlesien — Pro­ dukte —- Menschen — Unruhen im Riesengebirge — Frankenstein — Stadt und Festung Silberberg — Glatz — Stadt — Festung — Land — noch etwas über das Rresengebirge Lewien — Nachod — Schloß — Iaromirz — Festung Pleß oder Iosephsstadt — Königinngratz — Chlumetz — Schloß des Gra­ fen von Kinsky — Kolin — Prag. 69

Fun fter

Brief.

Prag — Allgemeine Ansicht — Pallaste - Kirchen — der Dom — erne Böhmische Predigt — Temkrrche Tycho Brahe — Iacobskirche — Sternwarte — Uni­ versitätsbibliothek - ein Zauberbuch — Buchladen — Zeitgeist - Geschmack — Geister- und Wundergeschichten - Reisebeschwerden des Paffes wegen — der Lobkowitzische Garten — Groß - und Klein - Venedig — Sammlung des Grafen von Hartig — der Kaiserliche Pallast — das große Schauspielhaus — Böhmisch Brot — Deutsch - Brot — Aussicht auf die ganze Kette des Rresengebirgeö — Weinland m Mahren und Oester­ reich —- Wein/ese — Weinkeller auf dem Felde — Jnaym — Aussicht auf die Styrischen Gebirge - an­ dere Berggruppen —Annäherung von Wien —der Kah­ lenberg — Städte in Böhmen — Landstraße. 91

Sechster

Brief.

Schwierigkeit in Wien unterzukommen — Privatwoh­ nungen für Fremde — Dornbach — Belvedere —

Inhalt. Schönbrunn — Bastion hinter der Kaiserlichen Burg— der Augarten — der Prater — neue und große ®er Haude, die seit einigen Jahren entstanden find — Ver­ änderung aufdem Stephanöplatze — dre Mrllersche Kunst­ sammlung - das Kaiserliche Naturalicncabrnet. in

Siebenter

Brief.

Porcellaufabrike — Jahrmarkt — über Oesterrerchische Waaren - Fabriken — das Universitatsgebaude — großer Saal — physischer Hörsaal — anatomischer Hörsaal — Sternwarte Universitätsbibliothek Naruraliensammlung — Theresianum — Capucinerkloster — Schule der Wundarzte — Stiftung für Taub­ stumme. 127

Achter

Brief.

Ueber die ^kunst zu Wiek — Kunstsammlungen — die Lichtensternische — die des Grafen von Truchses — All­ gemeine Bemerkungen über Italiänische Gemählde außerhalb Italien — Sammlung auf dem Schönbornschen Gartenhause — auf dem Gartenhause des Fürsten von Kaumtz - die Sammlung des Grafen von Fries — des Grafen von Lamberg — eben desselben Griechische (Etrurische) Vasen — van der Nullsche Sammlung — Birkenstocksche — Harrachsche — Herzog Albertsche. 145

Neunter

Brief.

Kunst und Künstler — Klagen — wie weit diese gerecht sind, oder nicht — die Akademie — dre Bildhauer Zauner und Fischer — Statue Josephs II. — Fischers anatomische Resultate. 16a

Zehnter

Brief.

Bevölkerung von Wien — Sterblichkeit — Einige Data über die Oesterreichischen Staaten — Verlust und Ge­ winn durch den Französischen Krieg und den Frieden von Campo Formrdo - Galizien — Polrzey - gehei­ me Polizey — gemeine Stadtpolizey — Ordnung und Sicherheit —schnelles Fahren — Beleuchtung — Rei­ nigung der Gassen — Preis der ersten Nothwendigker-

Inhalt. ten des Lebens — künstliche Brennziegel — öffentliche An­ stalten und Stiftungen — Hospitäler und Krankenhäu­ ser — Feueranstalten — Eckartshausens Andachtsbuch. 166

Elfter

Brief.

Wiener Censur — Anzeiger der verbothenen Bücher — Geschichte der Censur unter Joseph II. — Zustand der­ selben unter der gegenwärtigen Regierung — ihr jetzi­ ger Zustand — wie man sich Bücher verschafft Eng­ lische Bücher — Leihbibliotheken — Zeitungen — ge­ schriebene — Griechische-Hoffmanns Predigerkritik — Wirkung der Censur auf dre Gerstesproducte des Lan­ des — über Preßfreyheit — Unterschied im literari­ schen Geschmacke der Norddeutschen und Oesterreichi­ schen Völker—wenig Verbindung zwischen Süddeutsch­ land und Ncrddeutschland in Rücksicht auf den Bücher­ markt — Wien nur halb eine Deutsche Stadt - 197

Zwölfter

Brief.

Reformen Josephs II. — vieles war schon unter Maria Theresia gethan worden — Fasten — Kirchengebräu­ che — der Schwatzcommiffarius — wächserne Abbil­ dungen in den Kirchen — Crucifixe, Marien - und Heiligenbilder — Rosenkränze — Klöster- und Kirchen­ schätze eingezogen — Josephs letzte Tage — Josephs Nachfolger — Leopold II. — Geist der gegenwärtigen Regierung — die Theologie kann wieder in einigen Klö­ stern studiert werden — Wiens Gaffen werden nicht mehr von öffentlichen Verbrechern gereiniget — Sim­ plicität der regierenden Familie — Franz II. — reli­ giöse Duldung -r keine Einschränkungen in Rücksicht auf Geburt 222

Dreyzehnter Brief. Das Carneval, oder Fasching — worin seine hauptsäch­ lichsten Freuden bestehen — Bälle — Maskeraden, oder die Redoute — das Carneval unter den niedern Stän­ den—öffentliche Tanzsäle — die Mehlgrube — die neue Welt — Kaffeehäuser — Schlittenfahrten - 254

Inhalt.

Vierzehnter

Brief.

Das Theater — fünf Bühnen — Burgtheater — Thea­ ter in der Karnthergaffe — die Schauspieler und Schauspleterinnen - das Trauerspiel zu Wien — Herr von Äoflcbue, Theatersecretar — neue Theaterregierung — Deutsche Oper — Italiänische — Ballet — dre Thea­ ter in den Vorstädten — das auf der Wieden — in der Leopoldsstadt - in der Iosephsstadt — das Wiener Pu­ blicum in Rückfichtauf die Bühne — Me. Unzelmann — dre Hetze — Concerte — Haydns Schöpfung — Hän­ dels Messias 273

Fünfzehnter Brief. Die Russische Armee zu Schönbrunn — Coffaken — Calmücken — die Europäisch gekleideten Regimenter — Krankenwagen — der große Eisgang zu Wien — Be­ merkungen über Wetter und Clima — Grade der Kälte — Spätes Frühjahr in und um Wien^ 293

Sechzehnter Brief. Wien ein ganz vorzüglicher Ort für Fremde — was ein Fremder, der hier angenehm leben will, braucht — Syeisehäuser — Tables d’Höte — nothwendiger Auf­ wand / den die Gesellschaft mit sich bringt — Bestim­ mung einer Summe — die Gesellschaft in ihren ver­ schiedenen Ständen, Classen und Abstufungen — wer sind die Wiener? — Kleidung — Spiel — Verzierung des Innern der Häuser — Tafel — Juweliers in gro­ ßen Häusern — Unterscheidungslinie —kein greller Ab­ stich — erster und zweyter Adel - Herren von — über Kartenspiel überhaupt — besondere Abendgesellschaf­ ten bey dem Grafen von Fries — über Empfang, den Fremde finden 315

Siebzehnter Brief. Ueber das weibliche Geschlecht zu Wien insbesondere — ihre Schönheit — Kleidung — Sittlichkeit — scurrilische Schriften über Wien und Ausfälle aller Art —über die Aergerchronik —Umgang der beyden Geschlechter — über große Städte überhaupt — find wir bester, oder

schlimmer, als unsere Vorfahren? — übertrieberre An­ gaben und mancherley Geschichten, die über Wien er­ zählt worden find — Vieles wird als Sitte eines Ortes angegeben, was bloß seltene Ausnahme ist 355

Achtzehnter Brief. Wien ist eine reiche Stadt und muß als solche beurtheilt werden — der Lurus am gehörigen Orte hat auch fernen Nutzen — Unterschied desselben zu Wien und in England — die Familie eines großen Hauses — die Therhüther — die Hausmeister — hat der Luxus in Wien abgenommen? — der WechselcurS —Ducaten und ihr Werth — Sechsund Zwölfkreuzer — Luxus der Ta­ fel — Fresserey — Vergleichung nut einigen andern Or­ ten — jährliche Consumtion — der Wiener ist kein Tnnker — Anmerkung über den allgemeinen Charakter ganzer Völker 370

Neunzehnter Brief. Wiener Sprache — Diminutiven in l man schreibt sehr unrichtig - Französisch — Italiänisch — Englisch — das Theater keine Schule für dre Sprache — das große Wiener Publicum in Rücksicht auf Politik — der Erz­ wiener — Reise nach Laxenburg — Vöölau — Schönau — Baaden — Herligenkreuz — Rückweg nach Wren 395

Reise durch

Deutschland,

Dänemark,

Schweden,

Norwegen und einen Theil von Italien,

in

den Jahren 1797. 1798* und 1799.

Dritter

Küttners R. 3« Th.

Theil.

I

Erster Brief. Ueberfahrt von Astadt nach Stralsund — die Inseln Rügen und Hiddensee — Stralsund — Bevölkerung von Schwe­ disch - Pommern — Schwedisch - Pommern überhaupt — Greifswald — Anklam — Uckermünde — Stettin — eine

Geschichte für Reisende — Pyritz — Soktin — Neudamm —

Cüstnn — Frankfurt an der Oder — Aibichen — Eroffen — Naumburg am Bober — Sagan — Bunzlau — Lauban und die Gegend umher.

Stralsund den 8. Sept. 1798.

Ä?ir gingen gestern Abends um sechs Uhr unter Se­

gel, und landeten heute Nachmittags um ein Uhr; also achtzehn Meilen in neunzehn Stunden; wenigstens wird diese Ueberfahrt achtzehn deutsche Meilen gerechnet.

Stunden brachten wir

im Angesichte

des

Landes

Acht zu,

denn die Insel Rügen war schon mit Tages Anbruche zu sehen; allem sie wurde bald durch eine andere, Hid­

densee, verdeckt, so wie wir uns der Mündung der

Oder allmählich näherten.

Nachdem wir etliche Stun­

den an dieser hingefahren waren,

wieder näher,

entgegen

liegenden

kamen wir Rügen

zwischen dieser Insel und

und

Seite

der ihr

von Schwedisch - Pommern

mußten wir die übrige Zeit laviren. —

Da, wo Rü­

gen dem festen Lande am nächsten ist, beträgt die Breite des Wassers eine halbe Meile.

Angenehm ist es,

daß man auf allen diesen nördli­

chen Gewässern, nähmlich den Bellen, und dem Sunde,

Erster Brief.

4

zu Vstadt und zu Stralsund seinen Fuß aus dem Fahr­ zeuge gerade auf das feste Land setzt,

während daß an

in Großbritannien

den allermehresten Ueberfahrtsorten

das Ein- und Ausschiffen unter die Hauptbeschwerden

der Seefahrt gerechnet werden kann.

Man wird in

einem offenen Boote oft naß und elendiglich umherge­ worfen.

Aber Sie erinnern sich, daß die Ostsee keine

Ebbe und Fluth hat, und daß hier die Meereshöhe, mit wenigen Ausnahmen,

einmahl so ziemlich wie das

andere ist, so daß man die Landungsplätze darnach ein­

richten kann; während daß die Packetboote an den Eng­

lischen Küsten mehrentheilö weit vom Lande liegen blei­

ben, besonders wenn sie zur Zeit der Ebbe ankommen. Gehen sie aber wieder ab,

so laufen sie ebenfalls vor­

läufig ein Stück in das Meer hinaus, um ihrer Ab­

fahrt auf alle Fälle gewiß zu seyn.

Um sie also zu er­

reichen, muß man sich eines Bootes bedienen, das offen

und Winde und Wetter ausgesetzt ist.

Was soll ich Ihnen von Stralsund sagen? Und etwas muß ich doch von einer Stadt sagen,

der man

gemeiniglich 12 bis 13,000 Einwohner gibt,

die die Hauptstadt von Schwedisch - Pommern genannt wird,

und einen Handel trerbt, der nicht zu verachten ist. Zch habe die Gassen in verschiedenen Richtungen durch­ wandert, bin auf den Wällen umhergegangen und habe mich umgesehen, so weit als mir es die Schildwachen

erlaubten,

die für des Commendanten Gras wachten;

habe den hauptsächlichsten Punct der Festung untersucht

und bin in allen Theilen gen. —

des Hafens spazieren gegan­

Vor zwanzig Zähren hatte ich einen Bogen

über das Gesehene geschrieben. —

Von

der Seeseite

her zeigt sich diese Stadt wirklich sehr hübsch, und hat mehrere ansehnliche und — wenn Sie wollen, ein paar

schöne Kirchen.

In den Gaffen,

die nicht eben auf

das reinlichste gehalten werden, findet man eine Menge

guter Häuser, worunter sich das des Gouverneurs ganz

Im Hafen sahe ich weit mehr als ich zeityer in Hafen (in Schweden und

vorzüglich auszeichnet.

Schiffe,

zu sehen gewohnt gewesen bin,

Dänemark nähmlich) wenn

ich

Stockholm,

Kopenhagen

und

Gothenburg

ausnehme.

Hier ist, laßt mir so eben der Wirth sagen, unser „Schwedisch - Pommersch - Rügianischer Staats; Calender

auf das Zahr der Christen 1798 rc. von Andr. Hut­

ten, Königl. Prof, der Mathematik und Astronomie zu Greifswald." —

Dieß Merkchen ist ein kleiner Quar­

tant; und, da ein königlicher Professor seinen Nahmen

dazu hergibt, so sollten die Angaben, finden, wohl so ziemlich zuverlässig seyn.

die sich darin Der Verfas­

ser setzt die ganze Bevölkerung von Schwedisch-Pom­ mern

im Z. 1796

auf

109,066

Seelen,

nähmlich

30,770 in den Pommerschen Städten, 1437 in Ber­ gen, 951 in Garz, 52,035 auf dem Lande in Pom­ mern, 21,244 auf dem Lande in Rügen, und 2579 Männer, Weiber und Kinder der Soldaten in der Gar­

nison,

wodurch vermuthlich die Garnison von Stral­

sund gemeint ist,

denn

erklärt hat sich der Verfasser

da man doch denken möchte, außerhalb Stralsund Soldaten seyn sollten. weiter nicht,

daß auch Die Be­

völkerung dieser letztem Stadt setzt er, ohne die Garni­ son, blos mit 10,907 Seelen an;

die von Greifswald

mit 5463, Wolgast mit 3496 und Barth mit 3145.

Stralsund ist, wie Sie wissen, zu allen Zeiten eine

Festung gewesen.

Unter der letzten Regierung ist viel

an ihrer Verbesserung und Erneuerung gearbeitet wor­ den, besonders an der Wasserseite, so daß man sie jetzt für einen sehr festen Ort hält. — von Festungen,

(worunter die

Zch verstehe nur wenig

so viel ich ihrer auch allermehrcsten

gesehen habe;

von Vauban

gehören;)

aber mich dünkt, das; ich von der Landseite nichts gest-

Erster

6 hen habe,

Brief.

das ich nicht an vielen andern Festungen

besser gefunden hätte, so daß ich, bey einer Belagerung

im neuern Style,

würde. —

so gar viel diesem Orte nicht trauen

Das Rathhaus von Stralsund ist ein

sonderbares, schönes gothisches Gebäude, in einem ganz eigenen, sehr ungewöhnlichen Style. —

Wir wohnen

im goldenen Löwen, einem ziemlich guten Wirthshause. Anklam, den 9. Sept.

Schwedisch-Pommern ist im Ganzen ein besseres Land,

als man zu sehen erwarten sollte,

wenn man

bedenkt, daß entfernte und durch ein Meer getrennte Besitzungen gewöhnlich nicht auf die sanfteste Art ge­ handhabt werden.

Aus solchen Provinzen geht immer

ein Theil des baren Geldes in die Hauptstadt,

aus der

es nie wieder zurückfließt, weil es sich — zwar über

das übrige Land, aber selten über die entlegene, vom Meere getrennte Provinz verbreitet. Auch ist der Bo­

den von Schwedisch-Pommern nicht ganz schlecht, und bey weitem nicht so sandig, als einige andere Provin­ zen, die in diesem Himmelsstriche liegen.

Die Dörfer

schienen mir recht gut zu seyn, und mochten denn frey­

lich wohl auch dadurch gewinnen, daß

ich zeither an

die Schwedischen gewöhnt war. Wir kamen heute Vormittags nach Greifswald,

einer recht artigen, freundlich aussehenden Stadt.

Die

Kirchen, das vorzüglichste Universitätsgebäude und eine Menge Privathauser sind ansehnlich, und das Ganze hat ein gefälliges Aeußeres. — Die Universität scheint den unbedeutendsten Theil der Stadt auszumachen; auch höre

ich, daß die Zahl der Studenten merklich unter hundert seyn soll. Indessen scheint die Regierung sie nicht ganz zu vernachlässigen, und ich fand unter andern eine nicht

unansehnliche Sternwarte, recht gut in die Augen fällt.

deren Aeußeres wenigstens

Die Schiffe kommen bis an die Stadt,

und zwi­

schen dieser und dem eigentlichen Hafen, der nicht weit davon ist, sah ich ihrer eine ziemliche Anzahl von verschie­

dener Größe. —

Dicht dabey ist ein Salz werk, das

beträchtlich seyn soll.

Die Gradirhäuser indessen sind

nur klein.

Wir erreichten noch denselben Abend Anklam, die erste Preußische Stadt, dicht an der Grenze.

man

Hier findet

ein beträchtliches Gewerbe und große Thätigkeit.

Ich sahe hier mehr Schiffe, als ich in irgend einem Har fen der Schwedischen Mittelstädte gefunden habe,

und

das Ganze hat ein weit freundlicheres Ansehen, als so manche andere der kleinern Städte,

ßischen Staaten kenne.

die ich in den Preu­

Zn der That gehört sie, nach

Stettin, unter die vorzüglichsten in Preußisch - Pommern. Zch sahe manches sehr gute Haus, und Menschen,

Sonntagskleidung sehr anständig war. —

deren

Wir über­

nachteten im Kronprinzen, einem recht guten Hause. Stettin, den n. Sept.

Kaum waren wir gestern ein paar Meilen gefahren,

als der zunehmende Sand uns erinnerte, wo wir waren und wohin wir gehen. Indessen ist doch dieser Theil von Pommern besser, als der Theil von Brandenburg, den man zwischen Berlin und Wittenberg, zwischen Berlin und Dresden, (oder auch zwischen Pommern und Schle­

sien, über Frankfurt an der Oder,)

durchackert.

Man

bleibt auf dieser Straße immer in der Nähe des Meeres,

und nahmentlich des frischen Haffs, bekommt es aber nur selten zu sehen.

Am meisten sahe ich davon, als wir

ungefähr auf der nähmlichen Linie mit U s e d o m waren, einer Stadt, die auf der andern Seite des ftischen Haffs liegt. Zu Mittage kamen wir nach Uckermünde, abermahls ein anständiges, nicht schlechtes Städtchen, das

Erster

8

Brief.

feinen Hafen und seine Schiffahrt hat. —

Zm Engli­

schen Hause, wo wir während des Pferdewechsels ab­ traten,

fand ich Alles so reinlich und freundlich,

ich mein Vergnügen darüber ausdrückte. ich auch das ganze Haus sehen,

wo

daß

Dafür mußte ich

sehr gute

Schlafzimmer fand. Wir kamen dann durch viele Waldung, größtentheils

Nadelholz, und über vielen Sand, nach Falkcnwal-

de, einem Dorfe, wo wir freylich nicht zum Besten waren, wo wir aber doch lieber bleiben wollten, als in der Nacht nach Stettin gehen. —

Heute früh hatten

wir nur noch zwey Meilen zu machen, auf denen es ebenfalls nicht an Sande fehlte. Stettin ist eine sehr hübsche und — was man

in diesem Lande so selten findet — lebhafte Stadt.

hat eine Menge guter,

ziemlich breiter Gaffen,

Sie sehe

viele recht hübsche Hauser, und einige, die man in vielen Städten Pallaste nennen würde. Die Oder gehet durch die Stadt, und ist zugleich der Hafen.

Dieser

ist, so wie der zu Magdeburg, mahlerisch schön.'

Ich

sah eine Menge Schiffe, und zwar Seeschiffe, während

daß Magdeburg bloß ein Hafen für die Elbfahrt ist; Stettin hingegen hat, so wie Hamburg, beydes, die Fluß- und Seefahrt.

Die Oder hat hier eine beträcht­

liche Tiefe, so daß ungefähr alle die Schiffe, für die

der Hafen von Stralsund nicht zu seicht ist, hier herauf kommen können.

viel nicht sagen,

auch bis

Freylich will das so gar

denn das Meer vor Stralsund

viele Meilen weit äußerst seicht,

ist

so daß ich mehrere

Stunden, ehe wir noch landeten, den Boden sehen konnte. (Dieß ist eine der Ursachen, warum unsere Schwedi­

sche Postjacht so gebaut war, wie ich sie Ihnen be­

schrieben habe.)

Die Schiffe müssen sich also genau

in dem Fahrwasser halten,

welches zum Theil durch

Tonnen, noch häufiger durch Neisser, oder kleine ver­ dorrte Bäume, auf beyden Seiten bezeichnet ist. —

Auch vor Vstadt ist

das Meer

seicht;

Postjacht, ob sie schon nichts anders thut,

und die

als daß sie

aus dem nähmlichen Meere hin und Herfahrt, jedes Mahl auf beyden Seiten Lootsen ein.

nimmt

An manchen

Orten war das Fahrwasser auf der deutschen Seite belweitem nicht hundert Schuhe breit.

Die Gegend um Settin ist sehr angenehm,

und die hohen Ufer, welche die Oder auf der einen Seite hat, gewähren hübsche Aussichten.

Wir machten,

nicht ohne Genuß, einen Spaziergang auf ein nahe ge­ legenes Fort, das, nebst einigen andern Werken,

Stadt bedeckt.

die

Der Fluß ist bald breiter, bald schma­

ler und hat, über und unter der Stadt, mehrere In­ seln,

die sich angenehm bilden und das Liebliche der

Aussicht vermehren.

Kurz, Stettin und seine Gegend

umher, sein Handel, sein Wohlstand, seine Heiterkeit und Lebhaftigkeit machen ein Ganzes, das wohl ver­

dient, daß ein Reisender hier länger weilt,

als unser

Plan es zuläßt. Schön ist der Platz, mit den daran stoßenden Spaziergängen, auf welchem die Statue Friedrichs II. zu Fuße, in moderner Uniform steht.

Die Arbeit ist

recht gut, (ich glaube von Schadow;) auch hat der Künstler die Steifheit der Kleidung durch einen rück­

wärts geworfenen Mantel gebrochen.

Als ich bey

der hiesigen Zacobuskirche vor­

beyging und sie offen fand, machte ich einen Gang durch dieselbe, und sahe ein großes, sehr hübsches Gebäude, in einem Style, wie man jetzt schwerlich mehr Kirchen bauen

wird.

Ucberhaupt scheinen die Protestantischen Völker in

diesem Puncte sehr haushälterisch zu werden! Vor nicht gar vielen Zähren schlug das Wetter in eine der hiesigen

Kirchen und sie brannte ab.

Anstatt die Mauern auszu-

io

Erster

Brief.

bessern und das Gebäude wieder herzustellen, trug man es

rein ab.

Zu läugncn ist es freylich wohl nicht,

daß eine

große Menge der ältern Städte mehr Kirchen haben, als

die Einwohner je bedurften, auch angenommen, daß, bei­ der nähmlichen Bevölkerung, rere waren, als jetzt. —

der Kirchengeher sonst meh­

Wer das Costume der hiesi­

gen Geistlichkeit durch mehr als ein Jahrhundert hindurch zu sehen wünscht, der findet in dieser Jacobskirche eine

doppelte Reihe von Portraits in Lebensgröße. völkerung von Stettin mit den Vorstädten Gebäuden,

die zur Stadt gehören,

Menschen gesetzt.

Die Be­

und andern

wird auf 22,000

Darunter ist aber das Militär, wel­

ches gegen 5000 Personen ausmacht, mit begriffen. Folgende

Geschichte will ich — nicht gerade zur

Warnung geben — denn ich sehe nicht wohl ein, wie ich

die Sache ganz vermeiden konnte — wohl aber mag sie dem reisenden Leser ein Bewegungsgrund seyn, seine Vor­ sichtsmaßregeln zu nehmen.

Da in Schweden keine Münze zu haben ist, so

wird natürlich jeder Fremde sich selbst die Frage aufwer­

fen , womit er seine Rückreise fortzusetzen habe? Ich ver­

langte von unserm Stockholmer Banquier einen Wechsel auf Stralsund;

allein diesen konnte er so wenig geben,

als Gold oder Silber.

Stralsund, hieß es, schickt zwar

sehr viele Güter nach Schweden, empfängt aber sehr we­ nig aus diesem Lande zurück.

Wir haben also wohl da­

hin zu bezahlen^ aber nichts von daher zu empfangen. (Etwas Trägheit mochte freylich dabey seyn, denn zwi­ schen Stockholm und Stralsund müssen doch Wechselge­

schäfte aller Art gemacht werden.)

Wechsel auf Hamburg. die Schwierigkeit,

Er gab uns einen

Nun kannte ich zwar sehr, wohl

Papier an Orten zu verkaufen,

man nicht weiter bekannt ist; dere Wahl und nahm

wo

allein ich hatte keine an­

sechzig Pfund Sterling auf ein

sehr bekanntes Haus in Hamburg , nebst einem Empfch-

^ungsbriefe nach Stralsund.

Hier setzte ich das Schwe­

und

dische Papier um, das ich noch hatte,

dieser Gelegenheit,

fand bey

man auch in dieser Stadt kei­

daß

nen großen Vorrath von barem Gelde besaß, und we­ nig Lust bezeigte, meinen Hamburger Wechsel zu kaufen. Ein Stetttner Kaufmann,

den ich in Schweden hatte

kennen lernen, versicherte mich, daß ich ihn zu Stettin leicht umsehen könnte, und gab mir noch überdieß einen

Brief an sein Haus.

glaubte nun, vollkommen

Zch

geborgen zu seyn,, wurde von dem Gesellschafter meines

Bekannten höflich empfangen,

aber den Wechsel konnte

er selbst eben so wenig gebrauchen, als Mittel finden,

ihn umzusetzen. —

auf diese Art kein Geld

Da ich

erheben konnte, zeigte ich ihm sogenannte Circulating Notes von einem der ersten Hauser in London, mit den dazu gehörigen

Legitimationen,

die Handschrift desjenigen steht,

worauf denn auch

sie ausgefer-

für den

tiget wurden, so daß man diese auf der Stelle verglei­ chen kann.

sagte,

Der Mann

diese wären recht gut,

wenn man nur gerade wüßte,

wer sie brauchen könnte.

Zch

sie ja nur nach

erwiederte:

schicken,

Man dürfte

und zeigte

Haus ***

Berlin

ihm auf der Liste der Orte das

„O, da das so ist, so sind

Berlin. —

Sie auf einmahl geborgen;

diese Handlung hat auch

hier ein Haus (vermuthlich eine Commandite) und an

dieses

wurde ich denn

Geld

für eine fünf und zwanzig Pfund-Note.

Das

Circularschreiben wurde gelesen und wieder gelesen.

Frey­

geschickt.

Zch

verlangte

bloß

lich war alle mögliche Wahrscheinlichkeit da, daß die in Kupfer gestochenen und

versehenen Wechsel,

mit Hammerley's

sowohl

mit der Handschrift des

als

das

Empfängers,

Handschrift

Circularschreiben die man denn

gegen eine neue auf der Stelle vergleichen konnte, nicht falsch waren; auch mochte der Mann den Wechsel wohl

gebrauchen können, denn er schien Lust dazu zu haben;

Erster

ir

Brief.

allein Kaufleute gehen sicher, und so hieß eS: „Wir dür­ fen keine Geschäfte machen, als die, auf welche wir an­ gewiesen sind, und wir haben die Firma dieses Hauses

nur unter der Bedingung." —

Ich verlor kein zweytes

Wort; allein anstatt über Cüstrin und Frankfurt nach Schlesien zu gehen, nöthigte uns dieser Vorfall, unsern Weg über Berlin zu nehmen, welches gar nicht in un­

Schon hatte ich für die Berliner

serm Plane war.

Straße die Pferde bestellt, als mein Stettiner Bekannter noch Abends ankam,

den Hamburger Wechsel mir ab­

nahm, bedauerte was geschehen war, und mit Höflichkeit seinen Gesellschafter entschuldigte, der, wie er sagte, Be­ denklichkeiten hatte, weil er den Aussteller in Stockholm

nicht kannte. Das Hotel de Prusse zu Stettin ist ein recht gutes Haus.

Man sagt mir, auch im Englischen Hause

sey man nicht übel. Bunzlau, auch Alt-Bunzlau, den 16. Sept.

in Schlesien,

Wir verließen Stettin den zwölften und gingen über

Pyritz (fünf Meilen) nach Soktin, (drey Meilen) wo wir bey guter Zeit ankamen.

Bis hierher ging Alles

sehr erträglich, und unsere Reise durch Pommern dünkte

uns nichts weniger, als langweilig, oder unangenehm. Zwar fanden wir weder das Land, noch die Städte so gut,

wie zwischen Stettin und dem Meere;

aber wir

kamen durch keine unfreundlichen Gegenden, die Straßen waren erträglich, die Postknechte förderten.

Allein von

Soktin aus bis hierher habe ich im vollen Maße gefühlt,

daß wir wieder in den ächten langsamen Strichen von Deutschland sind, in Rücksicht der elenden Straßen so­ wohl als des ewigen Aufenthalts, den man bey jedem Pfcrdewechsel findet. Gewöhnlich waren wir fünfzehn bis sechzehn Stunden auf der Straße, um sechs Meilen

zu machen, und auf dem Wege von Soktin nach Frank­ furt, welcher acht Meilen beträgt, brachten wir neunzehn

Stunden zu.

In Schweden machten wir oft sechs deut­

sche Meilen in weniger als fünf Stunden, den Aufent­ halt des Pferdewechselns mit eingerechnet. Soktin liegt an einem kleinen See,

deutend.

der das Ein­

Die Stadt ist unbe­

förmige ferner Lage etwas bricht.

Wir fanden auf der Post erträgliche Zimmer

und eine ziemlich gute Dewirthung.

Von Soktin bis Neu dämm sind drey Meilen, und zwey nach C ü st r i n. Die Lage dieser Festung ist merkwürdig und hat etwas Ungewöhnliches.

Das flache Bett der Oder und die niedrige Gegend umher machen,

daß dieser Fluß sich hier sehr ausbreitet und die Gestalt eines kleinen Sees annimmt,

schwimmen scheint.

in welchem Cüstrin zu

Wir wurden lange mit der Ueber-

fahrt aufgehalten und noch länger mit dem Pferdewechsel;

indessen hofften wir doch um neun Uhr in Frankfurt ein­ weil ich mir die Straßen um diese Handels­

zutreffen,

stadt herum nicht ganz schlecht denken konnte, und weil ich meinte, daß sich die drey Meilen wohl in fünf Stun­

den würden zurücklegen lassen:

wobey ich meinen Maß­

stab nach den drey vorhergehenden Tagen nahm,

aber etwas zugab,

doch

denn zwischen Stralsund und Neu­

damm brauchten wir zu drey Meilen selten viel mehr, als wohl aber gelegentlich weniger. Wir

vier Stunden,

brachten neun Stunden damit zu,

Uhr in der Nacht an.

und kamen um ein

Zch weiß nicht, ob ich irgendwo

einen tiefern Sandboden,

als südlich und nördlich von

Frankfurt auf einer Strecke von vielen Meilen gesehen habe. Ist Zhr Wagen schwer, so arbeiten sich die Räder

einen Fuß tief in den Sand,

die Pferde gehen einen

langsamen Schritt, und müssen alle zehn Minuten von

der schweren Arbeit ausruhen und Athem schöpfen.

An

ganz kleinen Anhöhen erwartete ich, daß die Pferde den

Erster Brief.

14

Wagen nicht würden hinauf ziehen können.

( Wir haben

auf dieser Reise ein paarmahl acht Pferde über Berge

gehabt, über die man leichter fahren könnte, als über die kleinen Anhöhen dieser Sandwüste.) Frankfurt an der Oder,

obschon in Rücksicht

auf ihren Handel und ihre Messen eine merkwürdige und

hat nur wenig Anziehendes für den Rei­

wichtige Stadt,

senden, sucht,

der keine Bekanntschaft unter den Einwohnern

unter denen sich manche interessante Menschen fin­

den sollen.

Wir gingen in den Gassen umher,

und freu­

ten uns der vielen großen und ansehnltchen Hauser und

der Aussicht von der Brücke auf den Fluß.

Unserm Kleist

zu Ehren, der in meinen Augen noch immer einer unserer

vorzüglichsten Dichter ist,

besuchte ich das einfache Denk­

mahl, das ihm die Freymaurer auf dem Gottesacker ha­

ben sehen lassen;

und mit dem nähmlichen Gefühle sah

ich den Ort, wo der edle Prinz von Braunschweig retten wollte und ertrank.

Die Stelle ist durch ein hübsches

Denkmahl von,weißem Marmor bezeichnet.

uns nachher in eine Kirche, verewigen soll. die Menschen,

Man führte

wo ein Gemählde diese That

Es ist von Rode,

welcher vergaß,

die er da aufgestellt hat,

daß

darum, daß es

gemeine Leute sind, nicht eben plump und grob gezeichnet

werden mußten, und daß die Figur des Prinzen keinesweges dieses Contrastes bedurfte.

Ohne den Leichnam

des Letztem würde es einer Bauerscene aus der Nieder­ ländischen Schule gleichen.

sein graugrünes,

Uebrigens dünkt mich,

daß

unangenehmes Colorit in diesem Ge­

mählde noch widerlicher auffällt,

als in vielen andern,

die ich von diesem Künstler gesehen habe.

Da hier eine

Universität ist, dachte ich, ich müßte doch die öffentlichem

Hör- und Ceremoniensale besehen.

Zch ließ mir sie auf­

schließen: eine Mühe, die ich mir hätte ersparen können.

Nachdem wir ein paar Stunden in Frankfurt um­ hergewandert waren,

gingen wir abermahls durch eine

schreckliche Sandwüste und erreichten nach sieben oder acht Stunden das drey

Meilen entlegene Zibichen,

ein

armseliges Dorf, mit einem armseligen Hause des Post­

halters.

Dann machten wir noch drey andere Meilen

bis Crossen, wo wir erst in der Nacht ankamen, der acht Pferde ungeachtet, die man uns vorspannte, ohne

jedoch die Bezahlung für so viele zu verlangen.

Zn einer Menge Gegenden der Preußischen Staa­

ten sind es die Pferde der Bürger, oder der Bauern, die die Extrapösten fahren. Der Postmeister, oder Posthat­

ter hat weiter nichts damit zu thun, als daß er sie bestellt und von jedem ein Gewisses bekommt. Braucht man

nun z. E. sechs Pferde, beordert,

so werden zwey Bauern dazu

deren vielleicht jedek viere hat;

diese werden

dann mit einander emig, ihren ganzen Zug anzuspannen; der Reisende bekommt acht Pferde und bezahlt für sechs. Dieses geschiehet besonders auch, wenn er mit einer un­

gleichen Zahl ankommt, als drey oder fünf.

Man gibt

ihm dann häufig vier, sechs / und auch achte.

Von Crossen gingen wir den izten nach Naum­ burg am Bober, noch immer durch vielen Sand, der den Reisenden, auf dieser Seite, weit nach Schle­ sien hinein verfolgt.

Aber das Land wird allmählich bes­

ser, die Dörfer ansehnlicher,

die Bevölkerung größer;

und kurz, mich dünkt, ich bemerkte an mancherley Din­ gen, daß ich nicht mehr in der Mark war.

Naumburg, ein unbedeutendes Städtchen, hat, an einer kleinen Anhöhe, eine angenehme Lage.

Noch

angenehmer und freundlicher zeigt sich in der Tiefe Chri­

stianstadt, getrennt wird,

welches von jenem bloß durch den Bober der hier die Grenze zwischen Schlesien

und der Niederlausitz macht.

Einige Meilen von Naumburg liegt Grünberg, das, wie Sie wissen, durch seine Weinberge berühmt ist. Ich hoffe, daß es bessere Weine erzeugt,

als der, den

i6

Erster

Brief.

man uns hier unter diesem Nahmen vorsetzte.

Der war

nicht zu trinken. Wer durch die Einöden zwischen Cüstrin und Zibichen gereist ist, sollte von Naumburg aus ein Stück We­

ges zu Fuße machen.

Eine größere Fruchtbarkeit, ein

etwas besserer Anbau, als was ich zeither gesehen hatte;

die ich auf der

vieles Laubholz und die grünen Wiesen,

andern Seite des Bobers in der Lausitz entdeckte, gaben

mir einen Genuß, der gewiß von der relativen Art war; denn am Ende hatte ich das, was ich hier fand,

an tau­

send Orten gesehen und werde es wieder sehen. Auch die sechs Meilen dieses Tages brachten uns

erst in der Nacht nach Sagan, einer ziemlich artigen

Stadt, die, so wie die ganze Herrschaft,

oder, wenn

es so besser klingt, das Fürstenthum, dem Herzoge von

Curland (er ist seitdem gestorben) gehört, der, unter der Landeshoheit des Königes, gewisse Rechte übt, die hauptsächlich die Polizei) betreffen.

Im weißen Löwen,

einem ziemlich guten Wirthshause, fand ich eine her­ zogliche Verordnung, die den Preis der mehresten Dinge

bestimmt: und obschon die Wirthe sich darin zu helfen wissen, so war doch die Rechnung für unser Essen,

Nachtlager und Frühstück nicht mehr als 2 Rthlr. 10 gr. die wohlfeilste, die wir auf dieser ganzen Reise gehabt

hatten, (und auch in der Folge bekommen haben.) ' Und doch war die Bewirthung besser,

als an vielen andern

Orten, wo weit mehr gefordert wurde.

Wir besahen den folgenden Morgen die Stadt und

einige Kirchen, worunter ein paar sehr ansehnlich und reich verziert sind.

Wir

wünschten,

das herzogliche

Schloß zu sehen, und fanden ein großes,

Gebäude,

stattliches

in dessen Hofe wir einige Zeit umhergingen,

ehe wir ein menschliches Wesen ausfindig machen konnten. Daß die Familie nicht hier war,

wußte ich vorher.

Endlich fand sich jemand, um uns zu sagen, daß er

durchaus nicht erlaubt ist, das Schloß zu sehen.

Wir

gingen denn durch den Hof und durch ein anderes Thor hinaus, ward.

wo ich von der Höhe einen Garten gewahr Während daß wir noch da standen,

auf den Garten

herabsahen,

und theils

theils die Aussicht über­

haupt betrachteten, folgte uns der Mann aus dem Schlosse, nicht etwan, um uns in den Garten zu begleiten,

son­

dern uns zu sagen, daß auch in diesen der Eintritt durch­ aus verbothen ist.

Von hier nach Bunzlau sind auf dem geraden Wege sechs Meilen.

Allein außerdem,

daß er schlecht ist,

machte der Postmeister Schwierigkeiten; und so gingen wir über Sprottau, (zwey Meilen) und von da nach Bunzlau (fünf Meilen.)

hier bey

Wir wohnten

Stephan, der ein ziemlich gutes Haus halt.

Lanban, den 17 Sept.

Bunzlau,

Bunzlau am Bober,

auch bis­

weilen Alt-Bunzlau genannt, ist unter den kleinern Schlesischen Städten, die ich bis hierher gesehen habe,

die lebhafteste, angenehmste, volkreichste. Man zählt Für das Zahr 1791 gibt

hier über 4000 Seelen.

Herr Zöllner 3984 an. —

die be­

Der Tuchhandel,

kannten irdenen Gefäße und einiger anderer Verkehr,

geben den Einwohnern einen Wohlstand, der sich auf mancherlei) Art zeigt.

Die bekannten Gefäße, die von

dieser Stadt den Nahmen führen, gehören wirklich un­

ter das beste, was ich in der Art kenne.

Eigentlich ist

es nichts als gemeine Töpferarbeit, wird auch von ein­

zelnen Meistern, und nicht fabrikmäßig getrieben.

Aber

diese Leute haben einen feinen Thon, geben ihrer Arbeit etwas mehr Vollendung, und gebrauchen bessere Farben,

als andere Töpfer gewöhnlich zu thun pflegen,

und so

liefern sie, und wohlfeil, mancherley Küchen- und TaM'uttnvrS R. 3- Th.

2

18 fetgefäße,

Erster

die

man an

Brief.

vielen Orten Fayence nennen

würde. Von Bunzlau nach Lauban ist ein abscheulicher Weg von vier Meilen; aber die Gegend ist interessant und hin und wieder mahlerisch.

So wie man sich Lauban nähert,

zeigt Alles, daß man in das Land der Industrie kommt. Die Ansicht der Stadt von dieser Seite ist schön und,

fast möchte ich sagen, groß.

Doch von dieser und ihren

Gegenden nachher. DerStrich vonSchlesien zwischen Cros­ sen und Lauban ist, im Ganzen, ein hübsches, ziem­ lich bevölkertes und wohlangebautes Land.

Die Dörfer

sind besser, als sie gewöhnlich in der Mark Brandenburg

sind und in allen den kleinen Städten, durch die ich gekom­

men bin, zeigt sich ein gewisser Erwerb, und eine Nah­ rung, die nicht bloß mit den ersten Bedürfnissen zu käm­

pfen hat.

Aber man würde sich einen sehr falschen Be­

griff von Schlesien machen,

wenn man dieses Land nach

den vierzehn oder fünfzehn Meilen,

men bin, beurtheilen wollte.

durch die ich gekom­

Obschon besser, als manche

Striche in den südöstlichen Theilen, so steht doch dieser in Rücksicht auf Boden, Anbau und Kunftfleitz weit zurück, wenn man ihn mit den Provinzen vergleicht, die zwischen

der Oberlausitz,

Böhmen,

Glaz und Breslau liegen.

Der untere Theil des Landes, durch das ich gekommen

bin, hat noch zu viel Sand, um die Arbeit des Land­ mannes hinlänglich zu belohnen,

und das Volk,

größtentheils aus Katholiken besteht,

Lebhaftigkeit, noch Thätigkeit,

das

scheint weder die

noch den Kunstflerß zu

haben, die den Einwohner des Landes auszeichnen, das

dem Riesengebirge näher liegt.

Ueberall sah ich Crucifixe,

und das Volk scheint sich noch sehr mit dem Rosenkränze und den Ceremonien seiner Religion zu beschäftigen. Dieser ganze Strich von Schlesien wird sehr wenig besucht, denn er liegt an keiner der großen Landstraßen,

und führt nicht einmahl von einem wichtigen Orte zum andern. Die Straße von Frankfurt nach Breslau liegt

in einer andern Linie, und, um nach Lauban, Görlitz, Zittau u. s. w. zu gehen, nimmt man mehrentheils den durch die Nicverlausttz, wohin man gleich von Frankfurt abgeht. Auf den Posten, so wie in den Wirths­

Weg

häusern, bemerkt man an mancherley Dingen, wie we­ nig die Leute gewohnt find, Fremde zu sehen.

Daher

mögen auch die billigen Preise kommen, welche von denen

auf mehr befahrenen Straßen sehr verschieden sind.

Was die Verzögerung auf den Posten betrifft, so ist sie hier, wie in den mehresten Provinzen der Preußi­ schen Monarchie und ungefähr wie in Norddeutschland überhaupt.

Za, sie glauben es recht gut gemacht zu ha­

ben, wenn sie den Reisenden innerhalb einer Stunde be­ fördern.

Vermuthlich war es sonst noch schlimmer,

so gab die Regierung einen Befehl,

und

daß man niemanden

langer, als eine Stunde aufhalten sollte.

Diesen aber

nimmt man auf eine Art, die wohl schwerlich die Absicht

der Regierung seyn konnte!

Es ist gerade,

als hatte

sie befohlen, man solle keine Post in weniger als einer

Stunde nach der Ankunft abfahren lassen. oft, wenn ich die Leute ein wenig trieb,

Oft,

sehr

erhielt ich zur

Antwort, daß wir ja noch keine Stunde da gewesen wä­ ren.

In dieser Welt ist immer eins die Wirkung deö

andern! Die Straßen sind wenig befahren; folglich kann

man keine Pferde für die wenigen Extraposten bereit hal­ ten, die gelegentlich kommen.

Die Postmeister haben

entweder gar keine, und müssen sie im Orte auftreiben;

oder die wenigen, die sie hin und wieder halten, sind auf dem Felde, oder auf der Weide.

bracht und gefüttert sind,

Ehe diese herbey ge­

ehe der Postillon sich angetlei-

det und von Frau und Kindern Abschied genommen hat,

welches ich oft in Norddeutschland gesehen habe, vergeht

freylich gar leicht eine Stunde.

Zn Böhmen und Oe>ter-

Erster

20

Brief.

reich hingegen, wo die großen Straßen sehr besucht wer­

den, steht eine gewisse^Zahl von Pferden beständig ange­

schirrt, und die Postillons sind geklewct.

Fünf, sechs,

acht Minuten ist die Zeit, in der man gewöhnlich beför­

dert wird; äußerst selten bin ich auf den großen Straßen «ine viertel Stunde aufgehalten worden, und wenn man

einen reitenden Courier hat, so hält der Postknecht mit

feinen Pferden schon auf der Straße,

ehe man noch

ankommt. Lauban, den ig- Sept.

Ich habe den heutigen und einen großen Theil des

gestrigen Tages damit zugebracht,

diese Stadt und ihre

Gegenden zu besehen.

Letztere habe ich über alle Erwar­

tung schön gefunden,

obschon diese ziemlich hoch gespannt

war.

Welche liebliche mit Häusern, Bäumen und Men­

schen angefüllte Thaler! Zn dem Sächsischen Erzgebirge

findet man hin wieder etwas Aehnliches; aber die For­ men deS Landes sind nicht so schön, das Nahe nicht so

mild, fruchtbar und baumreich, und die fernen Gebirge

nicht so erhaben.

Die Bauart ist ungefähr die nähmliche,

die Sie im Erzgebirge finden,

auch stehen die Häuser

einzeln, jedes von seiner kleinen Wiese, Krautgarten und

Obstbäumen umgeben: wodurch die Dörfer, die wirklich sehr groß sind, ungeheuer werden. — Der zwar kleine, aber lebhafte Queis rauscht in den Thälern hin, und be­ lebt die Landschaft. —

Hier hört man das Geräusche

des Webers, dessen Leinwand in die entferntesten Welt­ theile geht; dort spannt der Tuchmacher seine Arbeit auf; weiterhin sticht das schöne Weiß der Bleichen mit dem

frischen Grün der Bäume und des Rasens ab. — Schon gestern war ich auf drey Anhöhen,

nicht weit von der

Stadt, welche sammt und sonders vortrefliche Aussichten

gewähren.

Immer ist die Landschaft durch die große

Kette des Riesengebirges bekränzt, das man, mit einem Blicke, in der Lausitz, in Schlesien und in Böhmen sieht.

Auch die Stadt Lauban gefällt mir! reinlich,

größtentheils

von Stein gebaut,

Sie ist hat

eine

Menge großer und ansehnlicher Häuser, und, was noch mehr ist, sie ist nicht so todt, als die Sächsischen Mit­

telstädte mehrentheils sind.

Außer einem ziemlich allge­

meinen Wohlstände, gibt es hier mehrere Häuser, ein ansehnliches Vermögen besitzen.

die

Gleichwohl sind die

hiesigen Fabriken seit einiger Zeit nicht im besten Gan­

daß einige Häuser mehr

ge, und man versichert mich,

von dem ehemals Erworbenen leben, als von dem, was sie jetzt gewinnen. Sonderbar ist es,

daß

die mehresten Einwohner

keinen Begriff von der Volksmenge der Städte haben,

die sie bewohnen!

Büsching seht die Bevölkerung von

Lauban auf gooo Seelen.

Das ist offenbar zu viel.

Zch verhandelte diesen Artikel heute mit mehrern Män­ nern, die sonst wohl unterrichtet waren und fand,

daß

einer 4000, einer zwischen 4 und 5000, und ein drit­

ter noch eine andre Zahl angab.

Endlich setzte sie ein

Rathsherr, welcher versicherte, daß er, als solcher, es

wisse, auf 5600: und diese Zahl stimmt auch mit eininigen andern Beobachtungen überein,

die ich gemacht

habe. Herr Weiner hat in feinem Hause eine Samm­

lung von Zeichnungen hängen,

wovon einige recht gut

sind; mir aber wurden sie vorzüglich dadurch interessant, daß sie größtentheils Gegenstände aus dem Riesenge­

birge und aus den Gegenden enthalten, die wir so eben zu bereisen denken.

rr-

Zweyter Brief. Reise nach Meffersdorf—Markliffa - Gchwerta —Wiegandüthal — Mefferödorf— Tafelstchte — Fnedland in Böhmen —

Reibersdorf — Irrtau — der Oywin — Herrnhuth — das Brüderhaus — das Schwesternhaus — Begrabnrßstatte — Umratssynode — die Landskrone — Görlrtz — Orgel —

Rathe — Konigshayner Berge — Backs berühmteste Zeich­ nung — Fabriken der Oberlausty.

Zittau, den 20. Sept.

Wir mietheten zu Lauban einen leichten Wagen, nah­ men nur einen Bedienten mit und gingen vorgestern nach Meffersdorf, wohin man drey Meilen rechnet; es

möchten aber wohl vier Postmeilen seyn. Der ganze Weg ist so, daß wir mit dem Englischen Wagen schwer­ lich durchgekommen seyn würden;

auf alle Falle hatte

er durch diese Ausflucht für unsere weitere Reise merk­ lich von seinem Werthe verloren. —

Wenn der Weg

schlecht ist, so ist die Gegend desto angenehmer. Man kommt fast nie aus den Dörfern heraus, die kein Ende

zu haben scheine^,

die alle einer Zdylle gleichen und

von einem wohl angebauten Lande umgeben smd.

Da­

bey bleibt Ihnen fast beständig das Riesengebirge im Ackge, dem Sie Sich immer mehr und mehr nähern. Sonderbar fiel mir auf,

das Städtchen Marklrssa

das sehr mit Menschen angefüllt zu seyn scheint,

und wo jedes zweyte Haus ein Schild aushangen hat,

das irgend einen Handwerker, irgend w Gewerbe be-

Die Gegend um diese kleine Stadt herum

zeichnet. gehört

die bevölkertsten

unter

in

den Chursachstschen

Weiter hin kamen wir an das DorfSchwer-

Staaten.

ta, so schön als mahlerischer und dichterischer sich nicht leicht eines denken laßt.

Es ziehet sich langst einem

engen romantischen Thäte hinauf, in dessen Tiefe ein

kleiner Bach in beständigen Fällen herabmurmelt. Da ich immer sehr viel zu Fuße gehe, so kehre

unter irgend einem Vorwande,

ich gern,

ten der Landleute ein,

in die Hüt­

um ihr Inneres sowohl als die

Eben stand ich an einem

Art der Menschen zu sehen.

Scheidewege, während daß der Wagen noch weit hin­

ter mir zurück war, und, unentschlossen, welchen ich nehmen sollte, fragen.

ging ich in das nächste Haus,

um zu

Gleich bey Eröffnung der Thür fielen mir eine

Menge Instrumente in die 2lugen.

Es war die demü­

thige Wohnung eines von jenen Mechanikern, derglei­

chen die Bergländer fast überall erzeugen, und die mehrentheils ihre eigenen Lehrer sind.

Der Mann hatte

eine gewisse Bildung, aber sein Aeußeres war das eines

Landmannes, auch war alles, was ich in seinem Häus­

chen sahe,

sehr an,

diesem Stande

angemessen.

Er lag mir

ihm eine elektrische Lampe abzukaufen, die er

14 Rthlr. both;

und da ich ihm sagte,

wie lästig so

ein Artikel einem Reisenden ist, so sollte ich wenigstens

eine kleine Elektrisirmaschine nehmen, die er für 5 Rthlr.

(wahrhaftig wohlfeil genug!) lassen wollte. nachher, noch

daß,

zwey

außer

diesem,

andere Mechaniker wohnen,

Geschicklichkeit besitzen.

Ich erfuhr

im nähmlichen Dorfe,

welche große

In der That sah ich bey dem

Herrn von Gersdorf einen, großen Schrank voll In­ strumente, die alle zu Schwerta, das ihm gehört, ver­ fertiget waren.

Zn der letzten halben Stunde

einen dicken Wald,

kamen wir durch

und so wie wir diesen zurückgelegt

Brief.

Zweyter

24 hatten,

lag

vor unsern Augen jene herrliche Aussicht,

von der ich schon mehrmals Beschreibungen gelesen hatte,

und die ich nur anzeigen will,

beschreiben laßt.

weil sie sich nicht wohl

Aber sie gehört unter die schönern

und reichern, die ich irgendwo gesehen habe.

Sie ist

daß sie mich an die

erhaben, und doch dabey so mild,

glü klichern Ebenen von. Genf und der Lombardey,

an

der Südseite der Alpen,

der

Marktflecken

erinnerte.

Wiegandsthal,

Hier

mit

dem

liegt

Schlosse

Meffersdorf und einem Dörfchen, dessen obere Hau­

ser schon den ersten Abhang der Tafelfichte erreichen. Sie machen zusammen für das Auge ein Ganzes aus, und bilden den Vorgrund zu dem erhabenen, lieblichen Gemählde.

reichen,

Herr von Gersdorf,

die genannten Orte gehören,

hen, als wir bey ihm ansprachen.

Speisesaale und lud uns,

dem

wollte eben zur Tafel ge­ Er kam aus dem

mit der Hospiralitat eines

Dergländers, zum Niedersihen ein.

da das Wetter ziemlich günstig

Tag die Tafelfichte ersteigen,

Wir wollten aber,

war,

noch denselben

und glaubten,

daß wir

unsere Mahlzeit geschwinder im Wirihshause abfertigen

würden, als bey dem Herrn des Ortes.

Aber die Ein­

und ich fand eine liebenswürdige Familie, die die Eleganz der Städte

ladung für den Abend nahmen wir an,

mit den Annehmlichkeiten und der Ruhe des Landlebens

zu verbinden weiß.

Herr

von Gersdorf,

langst zu sehr daran gewöhnt worden ist,

nannt zu werden,

der schon

öffentlich ge­

als daß ich ihm hier meine Ent­

schuldigung darüber machen sollte, ist ein Mann von

ausgebreiteten Kenntnissen, der hier in wahrer philoso­

phischer Ruhe zu leben scheint,

und sich mit den Wis­

senschaften und Künsten beschäftiget. von

mathematischen

sehr wichtig,

und

physischen

Seine Sammlung Instrumenten rst

und sein Minerali-ncabinet soll unter die

ausgesuchtesten gehören,

die man bey Privatleuten in

Zweyter Deutschland findet.

Brief.

Zch sage soll, denn ich bin weder

Kenner genug, noch hatte ich hinlängliche Zeit, um es

Er wohnt in einem

nach seinem Verdienste zu würdigen.

großen,

rott Geschmack meublirten Gebäude,

wo alles

Ordnung, Anstalt und edle Einfalt athmet. Der Abend, den ich in dieser Familie zubrachte, that meinem Her­ zen wohl.

Also auch ich bin auf der Tafelfichte gewesen! Und dieses lagen zu können, ist ungefähr das Hauptsäch­

lichste, was mir davon übrig bleibt.

Die schönsten Aus­

sichten finden sich allemahl auf mäßigen Höhen, nicht auf

hohen Bergen.

Also hat die Natur, auch in dieser Rück­

dafür gesorgt,

sicht,

daß ihre schönsten Genüsse nicht

theuer zu erkaufen sind.

Alles, was in der Natur groß

und schön ist, wird klein und platt, so bald ich es von

einem hohen Berge herabsehe, und ein ungeheures Land um mich her erscheint wie ein gemahlter Bodenteppich.

Wo ist das Vergnügen,

Orte aufzusuchen,

die sechs,

acht und zehn Meilen weit von Ihnen entfernt sind? Hier, sagt Ihr Führer, ist Bautzen.

Ich kann es mit

bloßen Augen nicht sehen, und habe Mühe, es mit dem

Fernrohre zu finden, denn je mehr das Glas vergrößert, desto schwerer wird das Finden.

Endlich entdecke ich ein

paar Spitzen, welche Kirchthürme dieser Stadt sind. — Der größte Vortheil, den das Ersteigen hoher Gipfel ge­ währt, ist, daß man die großen Bergreihen entdeckt, die

in niedrigern Gegenden nlcht zu sehen sind, und so einen allgemeinen Begriff von der Geographie des Landes be­

kommt.

Die

Tafel sichte

Rücken hinauf fruchtbar,

bewachsen.

ist

bis

auf

ihren höchsten

und mit Gras und Daumen

An vielen Orten fand ich sie sumpfig, selbst

auf den obersten Höben.

Dieß ist gerade auch

Fall mit den Irischen und Wattistschen Gebirgen.

wir ihre höchste Hohe erreichten,

der

Ehe

kamen wir an einen

Zweyter

Ld

Brief.

Stein, der die Lausitz, Schlesien und Böhmen scheidet.

Sonst stand eine Fichte dabey, woher wohl dieser Berg

Wenn

den Nahmen Tafelfichte bekommen haben mag. man ihre höchste Höhe erreicht hat,

immer,

daß

findet man noch

die Aussicht keinesweges unbeschränkt ist,

weil dieser Berg oben nicht spitzig,

sondern breit und

Man muß also umhergehen und von seinem

flach ist.

Führer die vortheilhaftesten Standpuncte sich zeigen las­

sen, um entweder die Lausitz, oder Schlesien, oder Böh­ men am besten zu sehen. —

Buchen wachsen bis auf

eine beträchtliche Höhe an diesem Berge hinauf. — Er ist, nach Herrn v. Gersdorf, 3545 Pariser Schuh über der Meeresfläche; also noch nicht so hoch, als der Fich­

telberg bey Wiesenthal an der Sächsischen und Böhmi­ schen Grenze, dessen Höhe, nach eben demselben, 3731

ist. —

Wir wohnten in einem Bäurischen, aber rein­

lichen Wirthshause.

Platz ist nicht viel; aber mit allem

andern hatten wir Ursache zufrieden zu seyn. Man findet Meffersdorf weder auf den Landkarten,

noch in Büsching, wohl aber Wiegandsthal. sache

davon ist wohl,

daß nur

kleine Zahl von Häusern, Nahmen führen;

Die Ur­

das Schloß und eine

nach dem Berge zu,

diesen

das Uebrige macht den eben genann­

ten Marktflecken aus.

Daß Handel hier getrieben wird,

versteht sich, denn diese Orte liegen an der Böhmischen

und

Schlesischen Grenze,

Berge den Schleichhandel.

und überdieß

befördern

die

Es sollen wirklich ein paar

Häuser hier seyn, die recht hübsche Geschäfte machen. Auch wird hier Verschiedenes fabricirt. Zittau, den 21, Sept.

Eine halbe Stunde Weges fersdorf

an

brachte uns von Mef­

die Böhmische Grenze,

wo

ich

Städtchen Neustadt sogleich gewahr ward, weder in der Lausitz, noch in Schlesien waren.

in dem

daß wir Seine

Unreinlichkeit

Armuth machen

und

einen

auffallenden

Coittrast mit den Lausitzer Städtchen und Dörfern, wo

zwar kein Reichtbum, aber durchaus ein gewisser Grad von Wohlstand herrscht, und wo auch die ärmste Hütte ein gewisses reinliches Ansehen h,at, das für das Wohl­

seyn ihrer Besitzer bürgt.

Weiter

Städtchen,

hin

kamen

wir nach Friedland,

dus etwas besser ist,

und nahe an welchem,

ein

als das vorhergende,

auf einer Anhöhe,

der Graf

von Clamm Gallas ein stattliches Schloß hat.

Es ist

in dem Style des mittlern Zeitalters gebauet und endi­ get oben in einem hohen Thurme, der, so wie das rittermäßige Ansehen des Ganzen, eine gute Wirkung

macht.

Allein man hat dieses alte, hohe Schloß unbe­

aber innerhalb der Ringmauern, oder, wenn Sie wollen, der Festung, ein quem gefunden und gleich darunter,

modernes Wohnhaus gebaut. K Die Aussicht auf dem obersten Theile ist schön,

und hat etwas Auffallendes,

indem der Abfall des Hügels auf der einen Seite fast senkrecht ist.

Der

besaß

berühmte Wallenstein

diese

Herrschaft in der ersten Hälfte des Zozährigen Krieges; 1634 kam sie an das Haus Gallas. —

Nicht weit

wo der Graf von Clamm Gallas hübsche Anlagen hat machen lassen.

von hier liegt das Bad Liebwerda,

Eine Stunde Weges weiter hinaus kamen wir wie­ der in die Oberlausih, und bald darauf nach Reibers­

dorf.

Auf diesen vier Meilen von Meffersdorf nach

Reibersdorf bleibt man immer

sengebirges,

in der Nahe des Nie-

ohne jedoch viel über Berge zu kommen.

Eine solche Lage, welche schöne,

auch ferne Aussichten,

und doch bequeme Spaziergänge gewährt,

ist gerade

was man für einen Landsitz wünscht, oder suchen sollte,

und Reibersdorf, der vorzüglichste Sitz

ministers Grafen von Einsiedel, große Schönheiten.

des Cabinets-

hat von dieser Seite

Das Schloß,

ein Gebäude

deö

Zweyter

28

ist groß und in einem guten

gegenwärtigen Grafen, Geschmacke,

Brief.

bequem und schön.

und das Innere ist

Besonders sind hier viele und

reiche Zimmer für Frem­

de, während daß die für die Familie das Gepräge einer

edlen und zierlichen Einfalt tragen. zimmern hat man eine

Aus den Mittel­

Aussicht auf Zittau.

liebliche

Die Düchersammlung ist sehr ansehnlich;

aber von den

Schätzen der Kunst, die hier aufbewahrt werden, konnte

als die verschlossenen Schränke,

ich nichts sehen,

weil

ich die Kränkung hatte, die Familie nicht hier zu fin­ den. — Die Gärten sind nicht gar groß'» desto an­

sehnlicher sind die Wirthschaftsgebäude, die der jetzt le­

bende Graf ebenfalls aufgeführt hat, und die dem Gan­ zen ein großes,

stattliches Ansehen geben. —

Hier

brauet man schon seit vielen Jahren ein vortreffliches

Bier, das unter dem Nahmen des Reibersdörfer Dop­

pelbieres bekannt ist.

Seit einigen Jahren aber wird

auch eine andere Art gebraut,

welche noch stärker ist.

Dieses Letztere ist von allen Bierartrn, dem festen Lande getrunken habe,

die ich je auf

dasjenige,

dem besten Englischen Ale am meisten gleicht. unter andern auch die Eigenschaft,

welches

Es hat

daß es sich viele

Jahre lang hält.

Von Reibersdorf hatten wir noch eine kleine Meile bis hierher.

Zittau, Görlitz und Budißin in der Lausitz,

und Chemnitz,

Freyberg, Naumburg und

Plauen in

Sachsen sind die besten, ansehnlichsten und freundlichsten

Städte der chursächsischen Lande, am. meisten.

scheinen

nach Dresden und

Dieser letztem gleicht Zittau in der Bauart

Leipzig.

Eine Menge großer und stattlicher Häuser

hier mehr die Residenzstadt eines Fürsten von

mittlerer Größe, als einen Ort anzudeuten, der haupt­

sächlich durch Fabriken besteht.

Gleichwohl liegen noch

eine Menge Häuser, von dem siebenjährigen Kriege her, in Asche,

werden auch wohl noch lange Zeit Brand-

stätten bleiben, weil es hier an hinlänglicher Bevölke­ rung fehlt. —

Noch immer ist die Hauptkirche nicht

vollendet, und erhält doch schon beträchtliche Ausbesse­ rungen,, weil der Thurm so elend gebaut ist,

daß er

sinkt und die Kirche nach sich zieht. Zn

Rücksicht auf Handel

und

Fabriken gehört

Zittau unter die wichtigern Orte der Sächsischen Lande.

Seine Lage an der Böhmischen Grenze gibt ihm einen

beträchtlichen Zwischenhandel und seine Linnenerzeugnissr gehören unter die ansehnlichsten der Oberlausitz.

(Von

den lehtern wurden im Jahre igoi durch 19 Handels­

häuser 13,605 Centner ausgeführt.)

(Seitdem

ist in

Zittau ein artiges, bequemes und zweckmäßiges Schau­

spielhaus errichtet worden.

Einige wohlhabende Ein­

wohner entwarfen den Plan durch Aktien, fanden bald

eine Menge Thcilnehmer und kauften dazu eine Brand­ stätte in einer bequemen Lage.)

Die Gegenden um Zittau herum sind außerordent­

lich schön, und biethen herrliche Aussichten dar; ist Letzteres nicht

doch

der Fall unmittelbar um die Stadt

herum, wo das Land etwas versteckt ist. Wir gingen gestern, eine Meile weit, nach dem Oywin, ein Werk der Kunst, und weit mehr noch der Natur, das mich überrascht hat.

Ein einzeln ste­

hender, fast senkrechter Felsenberg, der unten seine her­ vorspringenden Substructionen weiser Architekt,

hat,

(gerade wie

der auf Festigkeit sieht,

ein

bauen soll)

auf einer mäßigen Höhe eine moderne Kirche, und auf der Spitze die Trümmern

eines

sehr

alten Klosters.

Dicht am Berge wohnt der Schulmeister, welcher der öffentlich bestallte Cicerone des Ortes ist, und dessen Frau mir sagte, daß der Berg der beste Theil des Dienstes wäre. Von des Schulmeisters Wohnung ge­

hen schöne, steinerne Stufen, die theils belegt, theils

in den natürlichen Felsen gehauen sind, nach einer klei-

ao

Brief.

Zweyter

nen Kirche,

die von einem Geistlichen bedient wird,

der eine Stunde weit davon auf der entgegengesetzten

Seite von hohen Bergen wohnt. ser Kirche ist nicht geurauert,

chen Felsen gehauen; nen Klang hat,

Die eine Seite die­

sondern aus dem natürli­

da aber ein solches Gebäude kei­

und man den Prediger nicht verstand,

mußte man auch diese Seite in der Folge Felsenwand eine Kluft ist. —

Stufen,

weiter

von dem

diesem und der

nun zwischen

Felsen trennen, so daß

Wir gingen nun, auf

bis an eine Thür,

die den

ganzen

obern Berg so verschließt, daß auch nicht einmahl ein Daß der Schulmei­

.Hund herauf, oder herab kann.

ster dafür sorgt,

daß

diese

bleibt, versteht sich! —

Thür

immer verschlossen

Die Stufen und Gebäude

werden von dem Zittauer Rathe sehr wohl unterhalten, und die Frau Schulmeisterinn thut durch Kehren und Auf­

räumen das Uebrige;

daß

so,

alle Wege und Platze

em niedliches, freundlrches Ansehen haben. Dr. Pesch eck zu

Zittau

hat eine Beschreibung

von dem Oywin geliefert, die dick genug ist, um einen Gulden zu kosten. Diese hatte unsere Führerinn, denn der Mann hielt eben Schule, daß sic über jeden Fleck,

so auswendig

gelernt,

jede Mauer und jedes Ge­

wölbe eine genaue Nachricht lieferte. —

„Hier hatten

die Mönche ihren großen, und dort ihren kleinern Kel­ ler zum täglichen Gebrauch!

Hier standen ihre Pferde,

und dort wohnte das Gesinde" rc. rc.

Die Ruinen deS

Klosters so wohl als des alten Schlosses, welches noch vor dem Kloster existirt haben soll, sind wirklich recht

hübsch. Besonders schön ist die Kirche, die theils aus großen gevierten Steinen gebaut, theils aus dem Fel­ sen gehauen ist. — Zn einem kleinen,

modernen Hause essen die Zit­

tauer oft eine Mahlzeit, die sie mitbringen, und wozu

der Schulmeister alles nöthige Geschirr und Tafelzeug

liefert. Dier, Wein und Brot findet man auch bey ihm, so

wohl als Wasser zu Kaffee und Thee, wozu er eine kleine

Küche auf dem Berge hat. —

Man wird sehr angelegen,

schießen zu lassen, wozu ein eigener Kanonier bestellt ist, welcher immer stch einfindet, so bald er Fremde bemerkt.

Der Schulmeister liefert das Pulver, und hat zu diesem

Behufe eine eigene Pulverkammer auf dem Berge. Schießen macht eine große Wirkung,

Das

indem der Knall

in den umliegenden Bergen rings herum wiederhallt. — Auf einem ebenen, reinlich gehaltenen Platze wird unter

freyem Himmel öfters getanzt. — Auf der obersten Spitze des Berges steht ein kleines Lusthaus, hauptsächlich der

Aussicht wegen. —

Man hat von dem ganzen Berge

ein radirtes Blatt in buntgewaschener Manier, das ihm aber nicht Gerechtigkeit widerfahren läßt.

Gleichwohl

zwey Thaler dafür zu for­

trug man kein Bedenken,

dern. — Das Dorf und alles an dem Oywin herum ist äu­

ßerst romantisch, und auf dem Rückwege hat man vor­

treffliche Aussichten. —

Verzeihen Sie, daß ich mich

so lange bey einem Gegenstände aufgehalren, den ich wirk­ lich mit Liebe gesehen habe. einer Stadt kaum einen Ort,

Zch wüßte in der Nähe wohin sich eine in jeder

Rücksicht so angenehme Landpartie machen ließe. —

Wir

fanden zu Zittau im Engel ein ziemlich gutes Wirthshaus.

Görlitz, den 23. Sept.

Wir verließen Zittau gestern früh, um nach Herrnhuth zu gehen.

Dieser Ort liegt auf der Landstraße

nach Löbau, und ist von diesem anderthalb Meilen und zwey von Zittau entfernt.

So viel wenigstens lassen sich

die Postmeister bezahlen. —

Ich machte den Tag noch

einige Besuche, und ging dann in den Abendgottesdienst, der in einem kurzen Gesänge und in einer langen Vorle^

Zweyter

32

Brief.

fung aus dem Alten Testamente bestand.

Ich fand die

Sprache so deutlich, so allgemein verständlich, und dabey so männlich und rein,

daß ich nicht begriff, was das für

eine Uebersehung seyn könnte,

bis der Geistliche an eine

Stelle kam, die im Alten Testamente nicht stehen konnte. Ich erfuhr nachher, daß das Gelesene nicht eine Ueber-

setzung, sondern ein Auszug war, worin alles Anstößige, Schmutzige,

Alles mit unsern Sitten,

Begriffen und

Grundsätzen nrcht Uebereinstimmende weggelaffen ist. . Ue­ ber das Anziehende des Herrnhuthischen Gottesdienstes,

über die Einrichtung ihrer Bcthhauser und über die edle Emfalt des Ganzen sage ich nichts, weil das allgemein bekannt ist.

(Ich gebrauche immer den Ausdruck Herrn­

huther, weil er gewöhnlich und allgemein verstanden ist.

Sie selbst aber nennen sich vereinigte Evangelische Brüder und, collectivisch, die Evangelische Brüdergemeinde.) —rDen übrigen Theil des Ztbendö brachte ich bey einem Schweizer zu, der von der Gemeinde ist, und bey dem ich mich über mancherley unterrichtete. —

Frober-

gers Briefe über Herrnhuth werden hier geschützt, und wurden von einigen Brüdern sehr empfohlen.

Der Ver­

fasser ist ein Lutherischer Geistlicher in der Nachbarschaft. Heute früh besahen wir Alles, was ein Fremder ge­

wöhnlich hier aufsucht: und da muß ich gestehen, daß ich Alles unter meiner Erwartung fand. Vermuthlich war es meine eigene Schuld!

Aber wir haben in Sachsen von

unserer Kindheit an so viel von Herrnhuth und Herrnhu­ ther Arbeit gehört, daß wir uns leicht einen Begriff da­

von machen, dem das, was der Ort ist, und unter seinen Verhältnissen seyn kann, nicht entspricht.

Herrnhuth ist

kein schöner Ort, hat nicht das überaus Nette und Rein­

liche, das wir von allem erwarten, was Herrnhuthisch heißt, und das ich zu Christiansfeld in Schleswig wirk­

lich fand. unbedeutend.

Die allermehresten Gebäude sind klein und Indessen haben verschiedene Personen von

Stande und einige Kaufleute sehr niedliche Häuser.

Das

Reus,.sche und das Wohnhaus des Lehnsherrn, sind groß und schön. Der Ort ist klein, und soll nicht über 2000 Seelen halten; er ist aber im Zunehmen. Das B r ü d e r h a u s, d. h. das, wo die unverhei-

rathctcn Mannspersonen für die allgemeine Rechnung der

Gesellschaft arbeiten,

und Aeußem. lich;

ist unansehnlich in seinem Innern

Hier schlaft und speist man gemeinschaft­

doch hat man die Tafel zu verschiedenen Preisen,

und jeder wählt, je nachdem er mehr oder weniger ver­ zehren will, oder kann. Die mehresten sind Handwerker, deren )eder sein besonderes Geschäft hier treibt. Das

vorzüglichste Verdienst der hiesigen Arbeiten einer gewissen Nettigkeit, Fabrik betrachtet, von

ist diese Stiftung

kleinem Umfange.

besteht in

Vollendung und Dauer.

Als

unansehnlich und

Jeder verheirathete Meister,

wenn er nicht besondere Ursache hat, in das Drüderhaus

zu treten, arbeitet zu Hause mit seinen Gesellen und Lehr­ burschen auf eigene Rechnung,

gerade wie an allen an­

dern Orten, wo Innungen sind.

Von getheilter Arbeit

weiß man hier eben so wenig, als von Betreibung irgend

eines Geschäftes im Großen.

Selbst diejenigen, welche

im Druderhause, und also für die Rechnung der Gemein­ heit arbeiten, machen kein Ganzes aus; jeder ist für sich

und bekommt eine verhaltuißmäßige Bezahlung für das, was er liefert. Hier finden also keine Vortheile Statt, welche die Gesellschaft in den Stand setzten, wohlfeiler verkaufen zu können, als andere Orte. Da aber die hier verfertigten Waaren im Ganzen etwas besser sind, als sie

im Durchschnitt in andern Städten gemacht werden,

sind sie nothwendig theurer.

so

In der That fand ich Alles,

was wir kauften, oder wovon ich den Preis erfragte, sehr theuer. Der Ruf der Herrnhuther Waaren gründet sich also auf die Vollendung und Dauer, welche man in den Kunsterzeugnissen der gewöhnlichen deutschen Mittel-

Zweyter

34

Brief.

städte nicht in dem Maße findet.

Da aber die Letzter»

in mehreren Artikeln sich auch gebessert haben, so finden

die Herrnhnther Waaren weder den leichten Absatz, noch

den Gewinnst mehr, Jahren hatten. —

den sie vor zwanzig und dreyßig Ich besuchte mehrere Handwerker,

die auf eigene Rechnung arbeiten, und sahe einige sehr hübsche Artikel, die jedoch nicht vorzüglicher waren, als

unsere bessern Handwerker zu Berlin, Leipzig,

Braun­

schweig u. s. w. sie jetzt liefern. Im Schwesternhause dünkte mich Alles auf

einem bessern und größern Fuße zu seyn!

Ein ansehnli­

cheres Aeußeres, bessere Speisesäle, feinere Schlafzim­

mer,

ein mehr niedlicher und freundlicher Anblick des

Ganzen.

Hier wohnen die

unverheiratheten Schwe­

stern, und arbeiten, so wie die Brüder, auf Rechnung

Sie speisen,

der Gesellschaft.

so wie jene,

gemein­

schaftlich.

Was am meisten Eindruck auf mich machte, war die Begräbnißstätte, die auf einer Anhöhe liegt,

von der man die schönste Aussicht hat, die sich in der Nähe um Herrnhuth findet. Es ist ein großer, grün eingefaßter und

von Alleen durchschnittener Platz,

auf

welchem jedes Grab seinen flach liegenden Stein hat, der den Nahmen und das Vaterland des Abgeschiedenen

bezeichnet,

nebst dem Jahre,

in welchem er heim-

ging, oder, wie ich es weit häufiger fand, entschlief.

Was mich sehr interessirte, waren die Todten in großen Hauptlinie,

Menschen

ungefähr in der Mitte.

aus allen Ländern

von- Europa,

möchte ich sagen, aus allen Weltthetlen.

nige waren aus Herrnhuth selbst. —

der

Es sind

und fast

Nur sehr we­

Auf der obersten

Höhe dieses Gottesackers hat man eine Art von Pa­ villon, oder, wenn Sie wollen, einen kleinen hölzernen

Thurm erbaut, von dem die Aussicht vorzüglich schön ist.

daß unser Wirth, der sich ange­

Es fiel mir auf,

bothen hatte, mich in das Bethhaus zu begleiten, mir

nachher einen Mann brachte, dessen gute Kleidung und Ton nicht wohl einen Menschen

Geld herum führt.

der für

andeuteten,

Er kam den andern Morgen wie­

der und ging mit uns an alle Orte,

dre wir zu sehen

wünschten. Als ich nachher einen Herrn von meiner Bekanntschaft fragte, wer der Mann wäre, und ob ich

ihm Geld anbiethen könnte?

war die Antwort:

„Kei-

nesweges! Es ist ein privatisirender Bruder, der von

der Gemeinde angestellt ist, Fremde zu begleiten." Wissen Sie wohl, daß die oberste Regierung aller

der Welt

Herrnhuthischen Gemeinden Dorfe,

eine halbe Stunde von hier,

Es heißt Berthelsdorf,

jetzt

in einem

ihren Sitz hat?

und ist der eigentliche Geburts­

ort der ganzen Gemeinde; denn dorthin zog Zinzendorf

die ersten Mahrischen Brüder.

Man nennt diese Obern

die Unitätssynode, die gewöhnlich aus zwölf, dreyzehn, bis vierzehn Personen besteht,

und die nie einen Nach­

festgesetzten, bleibenden Ort ihrer Residenz hat.

dem sie zehn, oder zwölf Zahre die ganze Herrnhuther­ welt unumschränkt regiert

hat,

Wahl aus, wozu sie irgend willkührlich ist.

schreibt

sie eine neue

einen Ort bestimmt,

der

Dahin schicken nun die Brüdergemein­

den aus allen Theilen der Welt Repräsentanten, welche,

aus .sich selbst,

eine neue Unitatesynode wählen,

diese regiert nun wie die vorige.

und

Die Mitglieder die­

ser Synode bleiben beständig beysammen, sich keinen andern Geschäften widmen.

und können

Es scheint, die

deutsche Nation hat dabey ein eben so großes Uebergewicht,

als die Italienische im Cardinalscollegium hat;

ja alle Mitglieder der jetzt versammelten Synode sind, wie ich höre, Deutsche.

Zweyter Brief.

36

den 22. Sept.

Görlitz,

Wir verließen Herrnhuth gestern Nachmittag. gefähr

eine

halbe Meile,

ehe

man

Un­

erreicht,

Görlitz

kommt man zu Pfaffendorf ganz dicht an den Fuß der Landskrone, eines hohen, einzeln stehenden Ber­

ges,

der von allen Seiten eine große Wirkung macht,

und höher zu seyn scheint, als er wirklich

ist.

hatte mir sehr empfohlen, ihn zu ersteigen,

und dieses

Man

Geschäft auf unserm Reise-Plane als die Sache eines halben Tages angeseht.

uns und Görlitz,

Jetzt lag der Berg zwischen

von welcher Stadt man viel weiter

auf seine Spitze hat, als von hier.

Uhr,

Es war eben vier

und der Himmel vollkommen heiter.

anhalten,

Ich ließ

fand einen Führer auf der Stelle,

schickte

den Wagen nach Görlitz, erstieg in drey viertel Stun­

den die Spitze, verweilte eine halbe Stunde und ging dann auf der entgegengesetzten Seite in die Stadt, wo ich um sechs Uhr ankam.

Die Aussicht von der Landskrone,

deren Höhe

mit der Tafelfichte und andern Theilen des Riesenge-

birges in gar keine Betrachtung kommt,

gehört unter

diejenigen, die mir auf dieser ganzen Reise am meisten Vergnügen gemacht haben. So ist es immer! die schönsten Genüsse der Natur sind keinesweges diejenigen, die man am theuersten erkauft. —

Jemand *) hat

den Einfall gehabt, einen festen, steinernen Thurm auf

der Spitze dieses Berges zu erbauen,

von dem man

denn die Aussicht von allen Seiten ganz frey hat.

ist von ungeheuerm Umfange,

weil

Sie

dieser Berg nicht

*) Es war der verstorbene Herr von Mayer, der eine Harmonika - Claviatur und einen Euphon erfand. Man rühmt seine Gelsteskraft und Herzensgute. Das obige Gebäude aber hat er nicht auf eigene Kosten, sondern durch eine Unterzeichnung von mehreren zu Stande ge­ bracht.

Zweyter

Brief.

nur von keinen höhern beherrscht wirb,

frey steht,

daß nichts,

37

sondern auch so

in einer Runde von mehreren

Meilen, dem Auge Grenzen seht.

Uebrigens erscheint

der angeführte Thurm als eine Zierde

des Berges von

allen Seiten, wenn man ihn in der Entfernung betrach­ tet, dient zu einem Obdache, wenn man von einem un­ erwarteten Regen überrascht wird, und gewahrt den Görlitzern noch einige andere Annehmlichkeiten zu ihren

Lustpartien.

Der Weg in die Stadt hinab ist ziemlich

bequem, und zum Theil gemacht und unterhalten.

Auch

höre ich, daß man häufig Gebrauch davon macht, und daß selbst Frauenzimmer die Landskrone oft und gern ersteigen. Görlitz z den 23. Sept.

Ein hiesiger Einwohner hatte die Gefälligkeit, uns heute früh in der Stadt herum zu führen,

und das

Merkwürdigste in der Gegend umher zu zeigen. Die Natur hier ist nicht ohne Schönheiten; aber die Ge­ genden um die Stadt kommen denen von Lauban und Zittau bey weitem nicht bey; auch hat der Ort selbst

nicht das freundliche Ansehen der Letztem. —

Wir be­

sahen und hörten die berühmte Orgel, die wirklich,

das wichtigste Werk dieser Art ist, das ich in Europa kenne. — Dey Hrn. Rathe, nach der Harlemer,

einem geschickten Künstler, der sich seit einiger Zeit hier

auMlt, sahen wir gute Zeichnungen, die mir auch dar­ weil sie eine Menge merkwürdi­ ger Gegenden und Scenen dieser Landstriche darstellen.

um interessant waren,

Rach

der Mahlzeit

fuhren wir nach Königs­

hayn, einem Dorfe, das eine Melle von hier entfernt ist,

wo wir einen Führer bdkamen,

der uns in die

Berge begleitete, die von diesem Dorfe die Königs­

hayner heißen.

Was man hier siehet, ist im Grunde

das nähmliche als der Greiffenstein bey Ehrenfrieders-

38

Zweyter

Brief.

dorf in dem Sächsischen Erzgebirge. Es sind aufge­ häufte Granitmaffen auf dem Rücken eines Berges, mit dem Unterschiede, daß diese hier viel dicker und umfangender, die auf dem Greiffensteine hingegen viel fei­ ner und höher sind. Der Granit ist schlecht und grob und, wie mich dünkt, noch schlechter, als der in Sach­ sen. Indessen kann ich mich in dieser Vergleichung ir­ ren, weil es möglich ist, daß mein Auge durch den schönen Schwedischen Granit, den ich zwey Monathe lang beständig vor mir gehabt habe, jeht verwöhnt ist. Die Aussicht hier ist schöner, als die vom Greif­ fensteine, weil das'ganze Land interessanter ist.— Auf einer dieser Granitmassen hat man dem Andenken des Herrn von Schachmann eine große Säule von der nähmlichen Steinart errichtet. Dieser Mann, der letzte seines Nahmens, war der Eigenthümer von Königs­ hayn, welches jeht seiner Witwe gehört, die das Schloß selten bewohnt, es aber in sehr baulichem Stande erhält. Ich ließ mir die Zimmer öffnen, weil in einem dersel­ ben das Original von Dachs so berühmt gewordener Zeichnung hängt jnayat ev apüubia, oder, wie er, ohne Rücksicht auf den Dorischen Dialekt, geschrieben hat „Kai " le. Das E tück gefiel so sehr, daß schon Dach selbst mehrere dopten davon machen mußte, die man denn im Grunde wie so viele Originale betrachten kann. Eine davon tst mit 300 Rthlrn. bezahlt worden. Dieser Umstand hat vermuthlich die Frau vott Schachmann bewogen, eine weit größere Summe für ihre Zeichnung zu fordern, weil diese die erste seyn soll, die Bach über diesen Gegenstand gemacht hat. Ich suchte hier bloß dieses Stück auf, fand aber noch nebenher ein überaus artiges und sehr bewohnbares Haus, das ich mit vielem Vergnügen sah. Die Kunstsammlung ist unbedeutend; doch sind einige gute Stücke da. — Im Garten steht ein hübsches, aber etwas sonderbares Denk-

Brief.

Zweyter

mahl,

das

39

ihrem Gemahl hat

die Eigenthümerin

er­

richten lassen.

Ueber die

Entstehung und sonderbare Erscheinung

dieser Granitmassen ist

Sie sind

wohl kein Zweifel.

die letzten Ueberbleibsel größerer Berge,

die zusammen­

hingen, von denen aber alles zerstört ist,

bis auf diese

Hartern Massen,

länger wider­

welche der Verheerung

Aber auch selbst von diesen ist ein gro­

standen haben.

ßer Theil zerstört,

wie die herumliegenden Steine glei­

cher Natur zeigen;

auch werden die noch

aufrecht ste­

henden Theile immer mehr und mehr durch die Hand der Zeit

und ihre eigene Schwere gestürzt, gerade wie

die auf dem Greiffensteine.

Blitz und Erdbeben,

sich, daß eine Periode von Veränderung zeigt.

so langsam vor

hundert Jahren nur wenig

Ich habe in einer

von Annaberg einen Kupferstich gesehen,

alten Chronik

von dem Greiffensteine

der nun über hundert Jahre alt ist,

freylich die gegenwärtige Erscheinung

aus gleicht.

ohne

Aber freylich gehet,

diese Vernichtung

und dem

nicht mehr durch­

Indessen findet man auf dem Kupferstiche

gewisse sehr in die Augen fallende Steinmassen,

den Umsturz drohen,

und

welche

die ich noch vor zwey Jah­

ren in der Natur gesehen habe,

immer drohend

und

Daß übrigens diese Granit­

doch sich erhaltend. —

massen hier, so wie die des Greiffensteines auf weniger

harten Steinarten ruhen,

ist bekannt, und setzt die Sy­

stematiker nicht mehr in Verlegenheit, wie ehemahls.

Auf dem Wege von Görlitz nach Königshayn liegt, dicht an der Stadt, das einst berühmte heilige Grab.

Seitdem man das Original selbst für ein Machwerk spä­

terer Zeiten erklärt hat, kann die Copie davon wohl nicht

mehr sonderlich interessiren.

Darüber ist kein Zweifel,

daß es genau nach dem gemacht ist, welches man im fünf­ zehnten Jahrhunderte in Palästina zeigte. zierungen und

alles,

was dazu gehört,

Figuren, Ver­ ist höchst ge-

40

Zweyter

schmacklos,

und trägt im stärksten Grade das Gepräge

Brief.

des schlechtesten Styles des mittlern Zeitalters.

.Ich fand

einen Mann dabey angestellt, der es mit vieler Oehlung zeigte, und in dem ich eher einen abergläubischen Katho­ liken, als einen protestantischen Gdrliher ;u sehen glaubte.

— Wir smd hier im Hirsche, einem guten Wirthshause.

Lauban, den 24 Sept.

Die Gegend zwischen Görlitz und Lauban ist nicht

so schön und fruchtbar, als die Theile der Oberlausttz, die ich näher am Riesengebirge gesehen habe. Kiefern­ wälder und Sand wechseln mit Getreidefeldern ab, und die Bevölkerung,

obschon noch immer sehr ansehnlich,

kommt der in den mehr bergigen Gegenden nicht gleich.

Wenige Striche Deutschlands biethen mannigfalti­ gere und interessantere Gegenstände, auf einer Ausflucht von-sechs bis sieben Tagen an, als der, den wir eben

durchwandert haben.

Eine schöne und zum Theil erha­

bene Natur, große Bevölkerung, Wohlstand, Frucht­ barkeit und Anbau, drey bis vier hübsche Städte, einige schöne Rittergüter und ein guter Menschenschlag voller

Thatigkett und Kunstfleiß!

Zch

habe der

berühmten Fabriken

der Ober­

lausitz, auf dieser Reise, nur wenig gedacht, theils weil sie bekannt genug sind, theils, weil sie, als ein Gan­

zes, wenig in die Augen fallen. Sie werden hier, wie in Zrland, Schlesien und fast in jedem andern Lande,

wo man sie findet, so betrieben, daß sie, in der ersten Instanz, nichts zusammenhängendes haben und eine

Kramerey

sind.

zwischen

dem Weber

Die Weberey ist

und dem Kaufmanns

leicht zu

Betreibung erfordert kein Capital.

erlernen,

und ihre

Ein Weberstuhl und

etwas Garn ist hinreichend für den ersten rohen Anfang.

Brief.

Zweyter

4t

Daher findet man auf dem Lande fast in jeder Hütte einen Stuhl, worauf aber freylich sehr verschiedentlich

gearbeitet wird.

Manche empfangen das Garn, beson­

ders das feinere, von dem Kaufmanne;

andere weben

auf eigene Rechnung und verkaufen ihre Waare, so gut Zeder Kaufmann hat eine gewisse Zahl

sie können.

die ihm ihre Producte bringen,

von Webern an sich,

ohne gerade an ihn gebunden zu seyn; oder er laßt sie zum Theil durch Factors aufkaufen, welche eine

werbclasse zwischen

Er­

dem Kaufmanne und dem Weber

ausmachen, und sich mehrentheils sehr gut stehen. Mancher Weber macht zugleich den kleinen Krämer und verfuhrt seine Waare,

anstatt sie dem Kaufmanne zu

überlassen, auf Markte und Messen.

Hierbey kauft er

vielleicht etwas bey seinen Nachbarn auf, die bey ihrem

Stuhle bleiben und keine Markte besuchen. —

Nur

die letzte Behandlung der Waaren geschiehet fabriken­ mäßig und wird

einigermaßen

im Großen

Hier kommen wir denn in die Hauser,

bereyen und Niederlagen der Kaufleute, Sie wollen,

der Fabrikanten.

betrieben.

Bleichen, Faroder,

wenn

Dergleichen steht man

in und bey Zittau, Lauban, Görlitz, Bautzen u. s. w. Manche dieser Kaufleute machen große Geschäfte und besitzen ein ansehnliches Vermögen, obschon diese Fabri­

ken seit geraumer Zeit, und besonders durch den gegen­ wärtigen Krieg etwas zurückgekommen sind. sonst

einen

großen Absatz

nach Spanien

Sie hatten und Süd-

America.

Dieser Zweig ist seit mehreren Zähren im

Verfalle.

Ein anderer Umstand, der den Linnenfabri­

ken sehr geschadet hat,

sind

die immer gemeiner wer­

denden Baumwollenzeuge, die in so vielen Artikeln des Lebens an die Stelle des Linnen getreten sind. — Endlich theilen vielleicht diese Fabriken,

auf einen

gewissen Grad, ihr Schicksal mit allen alten Stiftun-

Zweyter

42 gen.

Brie f.

Es gibt eine Rotation in der Welt,

eine ewige

Veränderung und Abwechselung, welche nie erlaubt, daß

gewisse Dinge Jahrhunderte lang den nähmlichen Ganz gehen. Ein beständiger Besitz ist nicht in der Natur der Dinge! Wo ist jetzt der Purpur der Alten, und

wo sind die Irischen Poplins, die einst allgemein

als

ein Artikel des Lurus bekannt waren? Zch weiß nicht, welcher Ztalienischer Dichter im fünfzehnten Jahrhun­ derte seiner Geliebten ein Kleid von Poplin verspricht.

Freylich paßt dieß nicht auf Linnenartikel,

Leben so allgemein gebraucht werden; auch bedenken, daß

welche im

aber man muß

diese Kunst eine der allgemeinsten

ist, und daß der Bauer in manchen Ländern,

nesweges

unter

die

civilisirten gehören,

die kei-

sie versteht.

Hierzu kommen die vielen neuern Fabriken dieser Zlrt,

die nach und nach angelegt worden sind, und welche

natürlich mit den alten concurriren. Ein anderer Nahrungszweig, den die Lausitz, und besonders Görlitz, lange besessen hat, sind die Tuchfa­

briken!

Seit zehn und

mehr

Jahren sind

hauptsächlich in Rücksicht auf Feinheit,

bessert worden.

So wie die Schafzucht,

führung Spanischer Widder,

diese,

merklich ver­

durch Ein­

veredelt worden ist, hat

auch die feinere Wolle in den Sächsischen Staaten zu­

genommen, und die Tuchmacher haben nach und nach

ihre Waaren so verbessert, daß sie jetzt Arbeiten liefern, wovon die feinern Arten den mittlern Holländischen nicht nachstehen.

Zu Görlitz und Lauban werden Tücher ver­

fertiget, wovon die Leipziger Elle drey Thaler und drüber

kostet *).

*)

Uebrigens ist auch dieser Zweig mehr in den

Auch in verschiedenen Sächsischen Städten macht man jetzt sehr fernes Tuch. Es gibt mehrere, die ein Tuch liefern, wovon dre Elle zu Leipzig mit vier

Zweyter

Brief.

43

Handen einzelner Meister, als daß er fabrikmäßig behan­ delt würde. Thalern und etlichen Groschen bezahlt wird. (Seit­ dem habe lch tn der Neuen Lausitzrschen Monathüschrift gelesen, daß man auch zu Lauban — Marz 1302. Tücher verfertiget, wovon die Elle fünf Thaler kostet. — Auch habe ich erfahren, daß dre GörUtzer Tuch­ macher blaue Tücher verfertigen, wovon dre Elle fünf ins sechs Thaler kommt.)

Dritter Brief, Reise von Lauban in das Schkefische Riefengebirge — Grerf-

fenberg — Grerffenstein — Hirschberg — Warmbrunn — der Künast — das Prellersche Vitriolwerk — der Zackenfall — der Kuchelfall — die neue Baude — die Schnee­

gründe — das große Rad — Schreibershau — Stondorf —

Seydorf — St. Annenkirche — Steinseifen — Kahls Mo­

dell vom Rresengebirge — Buchwald — Schmiedeberg — Landshut - Kloster Griffau — Aderübach — Waldenburg —

Fürstenstein — Schweidnrtz — der Jobtenberg.

Hirschberg, den 26. Septbr. 1798.

Wir kamen von Lauban nach Greiffenberg (zwey Mei­

len) durch ein sehr interessantes Land,

das auch vier

Meilen weiter, bis Hirschberg, entweder das nähmliche blieb, oder durch größere Bevölkerung nur noch inter­

essanter wurde.

Ich

sahe auf dem ganzen Wege eine

Menge großer und stark bewohnter Dörfer, einen rei­

chen Anbau und überall Spuren des Kunstfleißes.

Auf

der ersten Station ist der Weg ziemlich schlecht, wird

aber besser,

so wie man weiter kommt.

(Wenn man

überlegt, wie schlecht die Wege im Ganzen durch Nord­

deutschland und auch zum Theil in Niederschlesien sind, so läßt sich der, welcher von Greiffenberg über Hirsch­

berg,

Schmiedeberg,

Landeshut,

Schweidnitz nach Breslau führt,

nen.

Das Land

oder Landshut und unter die guten rech­

selbst ist von Lauban bis Schweidnitz

größtentheils schön und mahlerisch.

Greiffenberg ist eine kleine, aber lebhafte, freundliche Stadt, voller Thätigkeit und Geschäfte. Zhr hauptsächlichstes Erzeugniß ist Leinwand; doch macht sie auch andere Geschäfte. Das in einiger Ferne davon gelegene Schloß Greiffenstein kann man auf dem Wege nach Hirschberg besuchen, von welchem es eine halbe Stunde rechts liegt. Es bauet sich sehr roman­ tisch und groß auf einem Hügel, von dessen obschon unbeträchtlicher Hohe man eine vortreffliche Aussicht hat. Man muß vorläufig mit dem Postmeister, oder dem Postillon sich über den Umweg vergleichen. Wer Nach­ mittags zu Greiffenberg ankommt, thut am besten, da zu übernachten, und das Schloß mit Muße zu besehen. Aber freylich ist dann sein Nachtlager nicht so gut, als das, welches er zu Hirschberg findet. Hirschberg hat eine ganz eigene, besondere Lage, dergleichen ich nirgends sonst gesehen habe! Umgeben von einer großen Menge kleiner Hügel, hat es in seiner Nähe eine Mannigfaltigkeit von Aussichten, die jedm besondern Spaziergang von den übrigen unterscheiden. Wir bestiegen heute ein paar Hügel, und hatten auch schon gestern Abend zwey besucht. Zn welcher Rich­ tung man auch gehet, so kommt man in herrliche Ge­ genden, denn diese Stadt liegt ganz in den Bergen, die ich als die Vormauern des Niesengebirges, dem man hier sehr nahe ist, betrachte. Das ganze Land umher ist, wie Alles, was ich zwischen Lauban und Hirschberg gesehen habe, außerordentlich bevölkert. Gleichwohl soll diese letztere Stadt nicht 7000 Seelen enthalten. Herr Zöllner gibt 6334 Personen; seitdem aber hat sich die Bevölkerung um etwas vermehrt. Aber ein großer Theil der Menschen, die für Hirschberg arbeiten und von Hirschberg leben, wohnen auf Dörfern, die so dicht an die Stadt stoßen, daß sie überall wie ein Theil dersel­ ben erscheinen. Hier gibt es der reichen und wohlha-

Dritter

46

Brief.

benden Kaufleute eine große Menge, und dieser Ort wird, nebst Breslau, als die erste Handelsstadt von Schlehen In der Oberlausitz traf ich mehrere Manner, welche behaupteten, Hirschberg wäre, in Rückstcht auf

betrachtet.

den Umfang der Geschäfte,

wichtiger als Stettin und

Frankfurt an der Oder.

Zch sahe heule früh eine sehr wichtige Zuckersie­ de re y, in der acht-und dreyßig Personen beständig ar­

beiten. Zu Hamburg ist eine von zehn bis zwölf Perso­ nen schon nicht unbeträchtlich. Aber sollten Sie wohl

glauben, daß letzt das Pfund des besten Zuckers hier auf der Stelle sechs und sechzig Kreuzer kostet! — (Fünfzehn

Schlesische Kreuzer verhalten sich zu fünfzehn Kaiserlichen

gerade wie vier Preußische Groschen zu vier Sachgschen, das heißt,

der Schlesische Kreuzer und der Preußische

Dreyer verhalten sich gegen einander wie der Oesterreichi­ sche Kreuzer zu einem Dreyer Conventionsgeld.

Der

ganze Unterschied ist, daß der Schlesier und Oesterreicher nach Kreuzern,

der Brandenburger und

Sachse nach

Dreyern rechnet, und daß die Oesterreichtschen Kreuzer und

die Sächsischen Dreyer sich nach dem Conventionsfuße richten, während daß in Schlesien das Geld nach dem

Gehalte des Münzfußes in den Preußischen Staaten ge­

prägt wird.) In Hirschberg findet man viel gute Gesellschaft, und

ich kenne selbst einige sehr gebildete Männer.

Wir mach­

ten unter andern die Bekanntschaft eines hiesigen Kauf­

mannes,

der lange in England gewesen ist,

und die

Sprache dieses Landes mit großer Leichtigkeit redet, und

eben so ziemlich gut und richtig schreibt, wie ein Reiseplan in die Hohen des Riesenbirges bewieß, den er die Güte

hatte, für uns zu entwerfen. Hirschberg hat seit mehreren Zähren einen Stadt­

director (Schönau), der für diesen Ort und sein Ge­

biethe sich sehr viel Verdienst erworben hat.

Durch seine

Sorgfalt und unter seiner Anführung sind in zwey Ber­

gen, nahe bey der Stadt, eine Menge Anlagen gemacht worden, die wenigstens zeigen, daß die hiesigen Bürger

viel Empfänglichkeit für so etwas haben,

denn vieles ist

auf individuelle Kosten gemacht worden, und selbst Hand­ werker haben das und jenes anlegen taffen.

Den einen,

der ganz nahe bey der Stadt ist, nennt man Pflanz­ berg,

Cavalierberg,

Derg schlechtweg.

Favratberg,

auch

den

Der Helikon, oder Hausberg

ist weiter, und von ungleich größerem Umfange. Man kam auf den Einfall, den Helikon dem Apollo und den

Musen zu widmen, und da der Berg von Natur viele Abtheilungen und Spitzen hat, so wieß man einer jeden

der zehn Gottheiten einen eigenen District an.

Zn jedem

Striche, der einer,Muse zugeeignet ist, hangt ein Bret

an irgend einem Baume, auf dem der Nahme der Muse steht, welche da regiert, nebst ein paar lateinischen Versen. Z. E. Melpomene — cui liquidam pater vocem cum cithara dedit. —

tatur et astra. —

Urania — quae caeli motus Scru-

Terpsichore invitat!

puella choreas etc.

duc laeta

Dey der letztem Muse ist ein geeb­

neter mit Planken belegter Platz, auf dem man gelegent­

lich tanzt.

Mehrentheils sind die Striche, die man jeder

Muse angewiesen hat, ihr sehr gut angepaßt.

So nimmt

Urania den höchsten Theil des Berges ein, der in einem

steilen, nackten Felsen endiget.

Erato hat ihren Sitz in

einer dunkeln, romantischen, zur Liebe geschaffenen Partie

u. s. w.

Man mag das Spielerey nennen,

wenn Sie

wollen; auch paßt es weder auf unsere Zeiten, Religion und Sitten, noch ist es für die größere Zahl der Menschen,

die diesen Ort besuchen.

Aber ich habe eine alte Vorliebe

für alles Classische und besonders für die Griechische My­

thologie; und ein paar Verse aus Horaz machen mir im­ mer Vergnügen, so daß ich selten eine solche Aufschrift

vorüber gehe, ohne sie zu lesen.

Und dann bin ich, wie

Dritter

48

Brief.

Sie wissen, nicht ausschließlich, so wenig als ich eS in meinem Herzen finden könnte,

daneum für einen Tempel,

ist.

jedesmabligen Muse

man hier findet,

aller Stände

Bürger

oder für die Statue der

Die Trsche und Danke, die

sind eben so zahlreich, als die Aus­

sichten mannigfaltig sind. die

mich über das Bret lu­

das freylich nur ein armselrges Succe-

stig zu machen,

An schönen Tagen kommen in

freuen sich und trinken ihren

großer Menge

heraus,

Kaffee,

sie eine

wozu

Menge kleiner Kamine errichtet haben. Hlrschberq, den 28

Sept.

Wir gingen gestern von hier nach Schreibersh a u, einem Dorfe, das zwey, oder, wie die Post sagt,

zwey und eine halbe Meile entfernt ist.

Eme Meile

von Hirschberg kommt man nach Warmbrunn, einem ziemlich ansehnlichen Marktflecken,

wo

Schafgotsch seinen vorzüglichsten Sitz hat.

der Graf von Das Wohn­

gebäude ist ganz neu, hat zwey ansehnliche Flügel, und

gehört unter die größern Schlösser, die ich in Deutsch­ land gesehen habe.

Fast das gesammte Land,

diesem Theile des Riesengebrrges liegt,

Grafen.

das in

gehört diesem

Wahrend daß seine Güter sich bis auf den

halben Weg nach Schmiedeberg erstrecken, reichen sie, auf der andern Seite, bis nach Meffersdorf und an

die Sächsische Grenze. Warmbrunn ist seit einigen Jahren durch eine

warme Quelle sehr berühmt geworden, deren Tugenden wider die Gicht groß seyn sollen.

Ich höre, daß in

den letzten Sommern immer über 400 Gäste hier ge­ wesen sind.

Die Lage des Ortes, und mehr noch das

Land umher sind reihend.

guter Häuser,

Auch sehe ich eine Menge

die zum Empfange der Fremden bereit

sind, welche aber, wie es an solchen Orten gewöhnlich

der Fall ist,

ihre Wohnungen mit sehr hohen Pressen

Man baut jetzt hier, was sie die

bezahlen müssen. —

Gauerie nennen, ein sehr hübsches Gebäude zu Bällen, Spersesälen rc.

Der Künstler Maywald, der sehr artig in Stahl

und Stein schneidet,

halt sich noch immer hier auf.

Sein gewöhnlicher Preis für ein Wapen von mäßiger

Größe, oder für eine Figur ist ein Louisd'or. ses Geld hat seine Arbeit großes Verdienst.

Für die­ Er zeigte

mir zwey Folianten von Abdrücken nach seinen Arbei­ ten,

und ich fand sehr viel Gutes darunter;

aber mit

den bessern Englischen und Italiänischen Steinschneidern mufi man ihn nicht vergleichen.

Freyüch ist auch der

Unterschied der Preise ungeheuer. Für ein Wapen mit Krone und Schildhaktern bezahlt man einem guten Englischen Meister,

der jedoch noch nicht in den ersten

Rang gehört, fünfzehn, zwanzig, auch fünf und zwan­

zig Guineen.

Was man dort für acht bis zehn Gui­

neen hat, gehört unter das Mittelmäßige. Eine halbe Stunde weiter kamen wir nahe an den Fuß des Berges, worauf der Künast, ein altes Berg­

schloß, steht, von dem man eine reihende Aussicht hat.

Viele lassen

auf dem alten Schlosse einen Pötter,

oder

kleine Kanone abfeuern, und belustigen sich an dem Wie-

verhalle, den die Berge umher verursachen.

Ganz unten am Dorfe Schreibershau liegt das Prellersche Vitriolwerk, das in vielen Rücksichten Auf­

Es ist, wie man mir sagt, das

merksamkeit verdient.

erste, das in den Preußischen Staaten errichtet worden ist, und hat auch jetzt noch nur ein zweytes sehr kleines

zum Nebenbuhler. ten dieses Reiches,

Es versorgt die sämmtlichen Staa­ und könnte, wie mich der Gesell­

schafter des Herrn Preller versicherte, sich sehr leicht noch mehr ausbreiten. — Das Erz, welches Schwe­

fel und Eisen enthält,

wird aus Bergwerken gehöhlt,

die vier Meilen weit entlegen sind. Kuttners N. 3- Th.

Dieß hat seine Un4

50

Dritter Brief.

bequemlichkeiten; allein der Fleck, auf welchem die Fa­ brik steht, ist wieder des Holzes wegen sehr gut gele­ gen, das hier wohlfeil und in Menge zu haben ist. Die Klafter Fichten oder Kiefern kostet einen Thaler acht Groschen. — Herr Schaul, in Abwesenheit des Herrn Prellers, hatte die Gefälligkeit, uns das ganze Werk sehr umständlich zu zeigen, und was mir vorzüg­ lich daran auffiel, war die äußerst ökonomrsche Art, mit der es betrieben wird, und die mancherley Vor­ theile, die man in dieser Rücksicht angebracht hat. Hier geht nichts verloren, kein Tropfen Vitriolwasser kommt um, und selbst das Caput mortuum wird nicht weg? geworfen. Alles geht aus einer Gestalt in die andere; aus einem großen Theile des Caput mortuum wird sogenannte Englische rothe Farbe gemacht, und selbst das, welches durch alle Processe gegangen ist, gibt noch sehr guten Dünger ab. Man macht hier den gemeinen grünen und weißen Vitriol, so wohl als den feinen blauen, Vitriolöhl, VLtriolsaure, Scheidewasser, Englisches Roth und Schwefel. Alles wird in den Gebäuden der Fabrik verfertiget, selbst die Töpfe und thönernen Röhren, die so gut seyn sollen, daß sie auch außerhalb gesucht werden. Die Masse Vitriol, die jährlich hier gemacht wird, beträgt ungefähr 6000 Centner. Wir bekamen, gleich nach unserer Ankunft zu Schrei­ bershau, einen Führer, der uns noch denselben Tag an den Zackenfall, und von da an den Kuchelfall brachte. Dieß sind zwey kleine Flüsse, oder Bäche, die recht artige Falle machen, und für diejenigen, die die Schweiz nicht gesehen haben, sehr interessant seyn müs­ sen. Im nördlichern, mittlern und westlichen Deutsch­ land weiß ich nichts dieser Art, und in so fern ver­ dienen sie den Ruf, den sie haben. Aber mit den Was­ serfallen der Schweiz vergleiche man sie ja nicht, weder

mit den großen, wie dem bey Schafhausen, Laufenburg

u. s. w. noch mit den mittlern, wie Pissevache, dem un­ tersten Faüe des Reichenvaches re. noch mit den hohen, wie dem Schachenfalle,

andern,

dem Staubbache

und zwanzig

die alle die beyden Schlenschen in jeder Rücksicht Die Gegend, in der sich die beyden hiesi­

übertreffen.

gen Fälle befinden,

ist äußerst wild und romantisch, so

wie die sämmtlichen Berge und Thaler zwischen Schrei­

bershau und den ganz hohen Gipfeln, die sich hinter die­

sem Orte erheben. Schuh hoch.

Der Kuchelfall ist kaum über hundert

Diejenigen irren sich gewiß, die die Höhe

des Zackenfalles auf zwey hundert setzen;

auch gibt ihm

Herr von Gersdorf nur wenig über hundert Pariser Fuß. Wir hatten die Wahl, die Nacht in einem einsamen, hoch an einem Berge gelegenen Hause zuzubringen, und

von Butter, Brot und Milch zu leben,

oder auf dem

Vitriolwerke zu speisen, wozu wir eingeladen waren, und

in dem Wirthshause zu Schreibershau zu übernachten.

Denen f

die nicht sehr gut zu Fuße sind,

erstere, weil sie sich dadurch den Weg,

rathe ich das

den sie in zwey

Tagen zu machen haben, um eine und eine halbe Meile abkürzen.

Wir zogen das Letztere vor,

ein paar Meilen mehr gehen,

weil wir lieber

als uns einem schlechten

Nachtlager unterwerfen wollten, wodurch man nicht nur

die Ruhe einer Nacht verliert, sondern auch Kraft und Muth für den nächsten Tag sich raubt.

Wir kehrten also

nach einem Gange von sechs Stunden in das Vitriolwerk zurück, sahen dieses mit Muße, nahmen eine späte Mahl­

zeit ein,

und

Wirthshause.

fanden ein

erträgliches

Nachtlager im

Dafür mußten wir den folgenden Tag ei­

nen Theil Weges, den wir schon gemacht hatten, noch ein­ mahl durchwandern. Wir machten uns den acht und zwanzigsten mit Ta­

ges Anbruch auf den Weg,

und erreichten nach etwas

mehr als zwey Stunden, die sogenannte neue Baude.

52

Dritter

Brief.

Mit dem Nahmen Bauden bezeichnet man einige Hauser, die an den höchsten Höhen des Riesengebirges liegen, und wo man gewohnt ist. Fremde aufzunehmen, ohne jedoch etwas mehr für sie zu veranstalten, als was ich oben ge­ sagt habe. Die Bewohner der Bauden sind Landleute, die auf diesen unwirthbaren ^Höhen mit einer gewrssen Zahl von Vieh leben; zugleich ziehen sie einigen Gewinn von den Reisenden, die im Sommer bey ihnen einkehren, und mehr noch von den vielen Schleichhändlern, die in diesen Bergen ihr Wesen treiben, und von denen die Bauden des Nachts voll sind. Man heihet hier fast das ganze Zahr hindurch, und ich fand die Stube so warm, daß ich kaum athmen konnte und genöthiget war, sie bald wieder zu verlassen, um frische Luft zu schöpfen. Wir wünschten uns jetzt Glück, hier die Nacht nicht zugebracht zu haben, wo wir in dem heißen Zimmer es nicht hätten aushalten können, während daß wir uns auf dem Heubo­ den, den viele der Stube vorziehen, nicht würden haben erwärmen können. — Außer Gras wächst hier nichts, und diese Leute müs­ sen die wenigen Bedürfnisse, die sie etwan haben, von unten herauf bringen. Das Haus, von dem ich rede, muß wenigstens 3500 Schuhe über dem Meere erhaben seyn. In weniger als einer Stunde erstiegen wir den höchsten Gipfel des Berges, kamen über die sogenannten Blausteine, welche nackte Felsen sind, an die Schnee­ gründe, in die wir denn von oben herabsahen. Frey­ lich haben sie ihren Nahmen daher, daß der Schnee den größten Theil des Zahres hindurch da liegen bleibt; ( der aber doch endlich schmilzt; auch fanden wir ganz und gar keinen;) allein sie sind hauptsächlich deswegen merkwür­ dig , weil sie aus sonderbaren, fast senkrechten Felsenwän­ den bestehen, an denen sich wiederum einzelne Felsenspitzen wie große Thürme erheben. Von der einen Seite gleichen sie der Hälfte eines Craters; aber ausgebrannte Vulkane

sind es, wie einige glauben, gewiß nicht. —

Wir be­

stiegen hierauf das sogenannte große Rad, welches

eine der höchsten Spitzen des Riesengebirges ist, dessen Höhe

auf

von Gersdorf

Herr

4661

und

Pariset

Schuhe über dem Meere setzt.

Von dieser Spitze gingen wir ein Stück Weges

und

»bieder zurück,

dann über

die Böhmische Grenze,

um an den Ursprung der Elbe zu kommen, welche hier

nichts anders ist,

als kleine Rinnen Wasser,

die von

Höhen herabkommen, hier und da in Pfützen oder klei­

nen Sümpfen sich sammeln, und dann nach ungeheuern Gründen zulaufen,

die man die Elb gründe nennt.

Gleich am Rande des ersten großen Grundes stürzt sich das gesammelte Wasser vielleicht zwey

hundert Schuhe

tief über nackte, fast senkrechte Felsen herab, und das nennt man den Elb fall. ich fand nur wenig

selten viel mehr da seyn, tigen Regen,

es wird auch

und

es sey

wohl

denn nach einem hef­

oder unmimlbar nach schnellem Thauwet­

Es ist äußerst beschwerlich,

ter im Frühjahre.

zu steigen,

Er ist sehr mahlerisch, aber

Wasser,

hinab

Fall von unten zu sehen,

um diesen

und

man bedarf dazu eben so sehr der Hande, als der Füße. — Wir besahen noch

einige Aussichten,

auf die neue Baude zurück,

gingen

dann

kamen nach etwas mehr

als acht Stunden wieder nach Schreibershau/ und fuh­ ren sogleich nach Hirschberg. Von der neuen Baude bis auf den Rücken

Berges hinauf,

und so

weiter fort,

fand

des

ich überall

weiße Stangen, welche die Bewohner der Bauden, auf beyden

Seiten unterhalten

müssen.

Sie dienen, den

Weg zu bezeichnen, wenn die Berge mit Schnee,

Wolken bedeckt sind.

Der Verkehr über

ist größer, als man erwarten sollte.

sehr betretene Pfade,

oder

diese Höhen

Zch fand mehrere

welche die Verbindung

zwischen

den Schlesischen und Böhmischen Dörfern machen,

die

Dritter

54

Brief.

auf beyden Seiten dieser Gebirge liegen.

Eigentlich kön­

nen diese Menschen nur wenige Geschäfte mit einander

abzumachen haben;

allein der Schleichhandel vermehrt

die Verbindung, und so werden diese Paffe auch im Win­ ter offen erhalten. Wer keinen Wagen bey sich hat, den er zu Schrei­ bershau wieder zu finden sucht, und eine eigentliche Derg^-

reise

machen will,

übernachtet

den ersten Tag in der

neuen Baude, geht den zweyten über den Eibfall und

das große Rad zum Zager zu St. Peters,

und so

immer auf und an den Bergen fort bis an die S ch n e e-

koppe, von der er nach Schmiedeberg herab kommt. Von hier kann er wieder nach Hirschberg

zurückgehen,

oder, wenn ihn sein Weg weiter führt, seinen Wagen an den letztem Ott kommen lassen, welcher auf dem geraden

Wege nur zwey Meilen von Hirschberg entfernt ist.

Wenn ich Ihnen meine Meinung überhaupt über diese zweytägige Dergreise sagen soll, so habe ich ste aller­

dings mit vielem Vergnügen

und

Interesse

gemacht.

Hohe Berge haben immer etwas Anziehendes, und die reine Luft,

die man dä einathmet, gibt dem Körper eine

gewisse Schnellkraft und der Seele jene Erhebung, jenes

eigene Gefühl,

das man nie in der Ebene kennt.

fühlt sich begeistert,

Man

ohne gerade den besondern Gegen­

stand nennen zu können, der das bewirkt. — den Wasserfalle find immer sehenswerth,

ben interessiren den Naturforscher,

Die bey­

die Schneegru­

und

der Ursprung

eines so großen Flusses, als die Elbe, ist denn doch auch

ein Gegenstand,

der die Neugierde reiht.

man den Vortheil,

Dabey hat

Warmbrunn und das ganze schöne

Thal zwischen Hirschberg und Schreibershau zu sehen. Aber die hbhern

Regionen der Berge selbst find nicht

schön, und von dem Anziehenden und Interessanten der

Schweizerhöhen haben fie nur sehr wenig.

Die Formen

sind weder romantisch, noch vorzüglich mahlerisch,

und

der Boden ist kahl,

rauh und unfruchtbar auf Höhen,

auf denen man in. der Schweiz noch durch Waldung,

Wiesen, das schönste Grün und den üppigsten Wuchs aller Arten von Kräutern und Blumen entzückt wird. In dieser Rücksicht haben schon fast alle Gebirge deS

südlichen Deutschlands einen großen Vorzug vor dem Riesengebirge, auf dessen nördlicheren Breite ein schwe­

rerer Himmel ruht. —

Einige Höhen, auf denen wir die Schnee­ koppe in ihrer Größe und Fülle zu sehen. Aber ich uns befanden, gaben mir den Vortheil,

weiß auch, was ich von ihr zu erwarten habe, und fühle kein Verlangen, sie zu ersteigen. Uebrigens sind wir auch schon zu weit in der Jahreszeit vorgerückt;

und, obschon dieser Herbst vorzüglich schön ist, so kann man doch des Morgens nicht oft auf einen ganz unbe­ wölkten Himmel, rechnen.

Endlich verdient auch das interessante Dorf Schrei­ ber sh au, daß ich seiner mit ein paar Worten gedenke.

Es liegt sehr mahlerisch an einem Hügel, an welchem es sich in einer langen Strecke hinauf zieht. Oben theilt es sich in ein paar kleinere Orte, die aber andere Nahmen haben.

Seine Einwohner sind, wie fast überall, voller Thä­

wo der Boden die Menschen nicht nährt,

tigkeit und Erfindsamkeit. Armuth;

Man sieht die Hütte der

aber ihr Bewohner ist oft ein sehr gebilde­

ter Mensch, und treibt die Künste, die man sonst nur in den Städten zu suchen gewohnt ist.

das Verzeichniß aller der Dinge seyn, Dorfe verfertiget werden!

Lang würde

die in diesem

Mir sey es genug, Ihnen

bloß die Gtaswaaren und Glasschneidereyen, mancherley musikalische

und

andere Instrumente

Menge von Holzwaaren zu nennen. Bergkünstler war sein

eigener Lehrer;

und

eine große

Mancher dreser

Kmder lernen

vom Vater, und noch andere erwerben sich Fähigkeiten durch Beobachtung ihres Nachbars. — Der Gasthof

Dritter

56

Dries.

ist ungefähr was man von einer Dorfschenke erwarten

kann.

Wir fanden ein gutes Nachtlager,

und hätten

vielleicht noch mehr gefunden, wenn uns nicht die Hospitalitat des Herrn Schaul bis hierher gefolgt wäre.

Wir waren im weißen Rosse zu Hirschberg ziem­

lich woyl.

Indessen hätte ich in einer Stadt,

Diese, ein besseres Haus erwartet. Man hat noch ein zweytes;

wie

Auch war es theuer.

es soll aber zwischen bey­

den wenig Unterschied seyn. Schmiedeberg, den 29

Wir verließen Hirschberg heute

früh und kamen

über Stondorf und Stein seifen deberg in einem leichten Wagen,

thousand natural Shocks

Sept.

nach Schmie­

der die ruffs and

auszuhalten gewohnt war,

während daß ich den Neisewagen auf dem geraden Wege schickte, der nur zwey Meilen ist.

Auf dem unsrigen

machten wir drey Meilen. Dieser ganze Strich liegt in den Bergen, und zwar nahe am Fuße der höchsten Höhen des Riesengebirges. Wir kamen zuerst nach Stondorf, wo ein Graf von Reuß seinen Sih hat. Die Anlagen sind beträchtlich

und interessant, ohne daß gerade viel Aufwand gemacht

worden wäre, denn die Natur hat in diesem ganzen Lande gethan, was keine Englische Gartenkunst hervor­ bringen , und kein Englisches Gold erkaufen kann.

Alles,

was ich im Niesengebirge gesehen habe, ist wirklich ein

herrliches Land!

Die Garten des Grafen

sind freylich sehr wild,

von Reuß

aber eben darum romantisch:

und überdieß hat man von mehreren Flecken ganz vor­ treffliche Aussichten, dergleichen in diesem Lande alle An­

höhen gewahren. Wir fuhren dann über einen abscheulichen Weg (es

ist keine Landstraße) nach Seydorf,

wo man einen

Führer nimmt, der die Reisenden auf die sogenannte St.

Annenkirche bringt.

Drese liegt an dem obern Ab­

hange eines ziemlich langen Berges, und hat weiter nichts

Merkwürdiges, ^als daß man auf dem ganzen Wege dahin

eine weite und schone Aussicht genießt,

die man aber auf

andern Höyen in diesen Theilen des Riesengebirges auch Ja die Kirche liegt etwas verdru.k,t, und

haben würde.

würde aiso nichts einmahl die Mühe

Hinaussieigens

lohnen, wenn sich nicht von da innerhalb einer Viertel­ stunde die oberste Höhe des Berges erreichen ließe.

Am

Ende fragten wir einander doch, warum man uns wohl

eigentlich hierher geschickt habe? Allein es scheint, daß-eS einer von den Delustigungsorten der'Hirschberger ist, wel­

che Landpartien nach dieser Kirche,

oder vielmehr nach

dem daran gelegenen Jägerhause machen, wo sie vortreff­ liche Forellen finden,

wahrend daß sie die übrigen Spei­

sen nebst dem Weine aus der Stadt mitbringen.

Auf

diese Art verwechselt der Emheimische sehr oft das, was ihm Vergnügen macht, mit dem,

was den Fremden in-

teressiren kann. Auch schien unser Führer an den (^Zang der Geschäfte gewöhnt zu seyn, und wunderte sich nicht

wenig, daß wir bey dem Jager nicht abtreten, und bep der Kirche von dem besten Wasser im Lande nicht trinken

wollten. Zum letztern waren wir zu erhitzt. — Ein­ mahl im Jahre wird in dieser Kirche katholischer Gottes­ dienst gehalten.

W:r kamen nach Steinseifen, ein überaus schön gelegenes Dorf, wo wir aber weiter nichts aufzusuchen

hatten,

als

Modell vom

das

Riesengebirge,

das ein gemeiner Landmann, Kahl, gemacht hat. gibt wenig Dinge,

Es

die ich mit so vielem Vergnügen sehe,

als Modelle aller Art, hauptsächlich aber von Berglän­

dern.

Ein einziger Blick gibt Ihnen mehr und richttgere

Begriffe, als hundert Beschreibungen und die umsiand-

lichsten Karten.

Das, wovon ich jetzt rede, ist nur von

58

Dritter

Brief.

Lehm, Thon und etwas Holz, und wird in einer elenden hölzernen Hütte aufbewahrt, in der ich nicht auf­ recht stehen konnte. Es ist zu bedauern, daß der Mann so schlechte und unbewegbare Materialien wählte, oder wohl vielmehr wählen mußte, denn das Ding ist wirk­ lich gut gemacht/ paßt vollkommen zusammen und soll überaus genau und richtig seyn. Es enthält aber nur einen klernen TKeil des Riesengebirges, und von der Böhmischen Seite gar nichts. Dre Schneekoppe liegt ungefähr in der Mitte des ganzen Modells, und von da erstreckt es sich etliche Meilen weit auf beyden Sei­ len. Der Künstler ist todt; sein Sohn aber hat deS Vaters Kunstgeist geerbt und macht von Holz Kühe, Pferde, Hunde, Katzen rc. Diese gehen, sagt er, so sehr, daß er uns nicht ein einziges Stück von seiner Arbeit zeigen könnte. Ein Kaufmann des Ortes nähme ihm Alles ab und führte es nach Frankfurt u. f. w. Dafür brachte er einige Käfer und Insekten herbey, welche die Natur nachahmen sollten, aber sehr geschmack­ los gemacht waren. — Zch wußte, daß Kahl, der Vater, nach seinem ersten Modelle ein anderes von bes­ serem Stoffe für den König gemacht hat, und fragte den Sohn, ob er auch eins machen könne, und wie viel er dafür verlange? Er forderte 500 Rthlr. — In diesem Dorfe gibt es eine Menge Arbeiter in Eisen, die einen ansehnlichen Verkehr haben. Zwischen Steinseifen und Schmiedeberg liegt Buch­ wald, ein Sih des Grafen von Reden, mit sehr großen Anlagen. Zch besuchte ihn, von Schmiedeberg aus, noch denselben Nachmittag und — sahe wirklich etwas Neues. Nur in der Schweiz ließe sich so etwas hervorbringen; aber dort macht man wenig Englische Anlagen, weil man das Geld nicht dazu hat, und der Boden theuer ist. Nun ist der ganze Strich zwischen Hirschberg und Schmiedeberg der interessanteste und erha-

bendste des ganzen Riesengebirges!

höchsten Gipfeln

nächsten.

vorzüglich

und

Hier ist man den

der Schneekoppe am

Von jeder Höhe ist also hier zu Lande die

Aussicht unendlich groß.

Denken Sie Sich nun Anla­

gen in einem so von der Natur geformten Lande, und

Sie bekommen, was kein Drown hervörbringen, kein Engländer mit-Millionen erkaufen kann.

Schmiedeberg ist ein allerliebster,

offener Ort,

mit einer großen Menge sehr guter Häuser,

die theils

wohlhabenden, theils reichen Leuten gehören.

Kaufleute,

die ein Vermögen von 100,000 Thalern haben, gibt es in

den Städten am Riesengebirge mehrere.

Jemand

wollte mir von Millionairs reden; allein dieses ist wohl bey zwey Drittel übertrieben.

Aber ausgemacht ist es,

daß große Geschäfte in diesem ganzen Theile des Rie­

daß

man in jeder Stadt

mehrere sehr reiche Häuser findet,

und daß der Wohl­

sengebirges gemacht werden, stand allgemein ist.

Gleichwohl gehört

unter die theuersten in Schlesien,

Lebens stehen hier ungleich höher,

nen Bedürfnisse des

als in vielen Theilen von Deutschland. immer!

dieser Strich

und viele der gemei­

So wie sich

Aber so ist es

das Geld in einer Gegend ver­

mehrt, wird es wohlfeiler, d. h. der Preis aller Dinge

steigt.

Uebrigens ist es in allen Bergländern, die stark

bewohnt sind, theurer,

als in den Ebenen,

weil meh­

rere Bedürfnisse mühsam dahin gebracht werden müssen. — Auch in unsern Rechnungen in den Wirthöbäusern

bemerkte ich einen großen Unterschied gegen Niederschlesie«. —

Die Bevölkerung von Schmiedeberg betragt

über 3500 Seelen;

Herr Zöllner gibt für d. I. 1-91

die Zahl 3250 an; aber die Zahl der Menschen, die in

der Gegend

umher leben und für die Stadt arbeiten,

ist beträchtlich.

Von dieser

Stadt

aus

lichsten die Schneekoppe.

besucht man am gewöhn­

Sie läßt sich von

verr

Dritter

6o

schiedenen Seiten ersteigen,

nächsten.

Brief. aber hier ist man ihr am

Man rechnet vier Stunden bis auf die H a m-

pels'Baude, welche, nach Herrn von Gersdorf, 3819

Pariser Schuhe über Mtn Meere ist.

Die Schneekoppe

selbst seht er aüf 4949 solcher Schuhe.

Andere geben die

runde Summe von Zooo , einige noch meht, und emer,

ich habe vergessen wer, nimmt über 5700 an.

Die Al^

gäbe des Herrn von Gersdorf gehört unter die niedrigsten, und wenn man auch nur die Mittelzahl der mehresten An­ gaben nimmt, so bekommt man immer reichlich über 5000

Schuh. Auf alle Fälle ist sie viel höher als alle Berge in den Fränkischen, Rheinischen, Sächsischen und Westphälischen Kreisen und nach den Schweihergebirgen, den Pyrenäen, Apenninen und einigen Gipfeln der Carpathischen Gebirge,

der höchste in Europa.

Man

geht gewöhnlich auf die Hampels Baude an einem Nach­ mittage,

schläft da einige Stunden und ersteigt dann

vor Sonnen-Aufgang die Spitze.

Es regnete heute früh,

und man verspricht sich für Morgen das nähmliche.

Aber

auch bey schönem Wetter in dieser Zahrszeit sind früh die

Bergspitzen selten von Wolken ganz frey, ja diese blerben

Uebrigens hatten wir

oft den ganzen Tag darauf liegen.

diese Arbeit nicht zu unterneh­ Wir wohnten hier bey Mascard, der ein klei­

schon längst beschlossen, men. —

nes , aber ziemlich gutes Haus hält.

Landshut, den 30. Sept.

Wir hätten gern diesen Morgen Friesenstein ge­

sehen, eine merkwürdige Felsenwand, die ungefähr auf dem halben Wege zwischen Schmiedeberg und Landshut

etwas seitwärts liegt.

Schon mehrere meiner Schleilschen

Bekannten hatten mich aufmerksam darauf gemacht, und

ein Einwohner von Schmiedeberg, an den wir empfohlen waren, sprach davon als von einem großen Natnrwun-

der. —

Es regnete, und wir wollten nicht einen Fuß­

weg durch nasses Gras machen. Der Derg,

über den der Weg von Schmiedeberg

nach Landshut geht, gehört unter die höhrrn Fahrstraßen

von Europa.

Die Straße ist gutgebaut, und ziemlich

wohl unterhalten, wenigstens auf der Seite von Schmie­ deberg.

Die Station ist von zwey Meilen.

So wie

man diesen Berg zurückgelegt hat, endigen sich die ganz großen Scenen des Riesettgebirges:

Zwar

bleibt man

noch immer in den Bergen, und Lanbshut ist ganz davon umgeben; auch sieht man hier noch die Schneekoppe, und

hat überhaupt sehr schöne Aussichten.

Die Stadt kommt

Hirschberg und Schmiedeberg nicht gleich. auch hier manches gute Haus,

und Wohlstand,

Charakteristik

die-

Indessen ist

und man findet Thätigkeit aller

Schlesischen

Die Bevölkerung soll etwas

Städte am Riesengebirge:

über 3000 Seelen betragen.

Herr Zöllner gibt 2966 für

Wir sind mit dem Hause zum

d. I. 1791 an. —

schwarzen Raben recht wohl zufrieden.

Waldenburg, den 1. Oct.

Wir verließen -heute früh Landshut mit Tages - An­

bruche,

denn wie-hatten sechs

mancherley zu sehen.

Metten zu machen und

Zch hatte für den ganzen Tag einen

leichten Postwagen gemiethet, und den unsrigen mit dem Gepäcke und den Bedienten nach Waldenburg geschickt,

welches

auf dem

Landshut ist.

geraden Wege nur drey Meilen

von

Eigentlich hatte ich den Reisewagen von

dem letzten One geraden Weges nach Schweidnitz schicken können, wo wir morgen eintreffen werden;

allein da hät­

ten wir uns mit wenigstens einem Bedienten und etwas

Gepäcke beladen müssen.

Jetzt waren wir nur zwey Per­

sonen, und hatten Ursache, mit unserer Poftchaise zufrie­

den zu seyn,

denn wir legten die sechs Meilen, die zum

61

Dritter

Brief. in sieben

Theil über einen abscheulichen Weg führten,

Stunden zurück, so daß uns alle übrige Zeit zum Sehen blieb.

Diese letzte Ausflucht gehört mit zum Ganzen einer Reise durch das Riesengebirge, und hiermit ist diese Berg-

reise geendiget, über die wir vierzehn Tage zugebracht fyvben, und womit man sehr wohl drey Wochen ausfüllen

Wir haben Alles gesehen,

kann.

was

wir zu sehen

wünschten; aber an einigen Orten und bey mehreren Ge­

genständen würden wir mit Vergnügen uns langer aufge­ halten haben, wenn wir in einer frühern Jahreszeit hier­

her gekommen waren. Wir kamen heute früh zuerst nach Grissau, (auch

Grüfsau) ein großes Cisterzienser-Kloster, mit einem Lnfulirten Abte, das wirklich gesehen zu werden verdient.

Man hat vor mehreren Zähren angefangen, es neu zu erbauen,

und das nach einem Plane von Große,

der

mich in diesen Zeiten, die den Klöstern so ungünstig sind,

überraschte.

Selbst die Architektur, die in Deutschland

in Gebäuden dieser Art noch ziemlich barbarisch ist, hat viel Gutes und Schönes.

Indessen, ist doch in der Farbe

und in den äußern Verzierungen immer etwas, auf das gelindeste. Klosterartig nennen will.

das ich,

Die Kir­

chen sind mit Farben und Zierathen beladen und für die

große Menge berechnet, auf die so etwas nie seine Wir­

kung verfehlt.

Das Stift hat große Einkünfte, besitzt

etliche Städte und eine Menge Dörfer. Wir kamen dann an das Städtchen Schönberg,

das zwey Meilen von Landshut ist, und eine dritte Meile brachte uns nach Adersbach in Döhmen.

Dieß war

das viertemahl, daß wir auf dieser Dergreise nach Böh­ men kamen, oder wenigstens die Grenze berührten. Aders­

bach ist ein schlechtes Dorf; aber die daran liegenden Fel­ sen werden so häufig besucht, daß ich in dem Buche, in

welches man die Fremden sich einschreiben laßt, sechs und dreyßig Sollseiten mit den Nahmen der Personen be­ schrieben fand, die bloß diesen Sommer den Ort besucht haben. Die Hälfte dieser Seiten war freylich mit Versen und Zlusrufungen angefüllt; aber es blieben der Nahmen doch immer mehrere hunderte. Ich bemerkte, daß^ von zehn Handschriften immer neun sehr schlecht, und daß die Verse, Ausrufungen und Bemerkungen größtentheils schalen, pöbelhaften Witz enthielten, oder altväterisch fromm waren. Ueberhaupt werden die Gegenden des Riesengebirges weit mehr besucht, als ich mir vorstellen konnte. Auf dem Oywin bey Zittau sah ich auch an die zwanzig Folioseiten von Nahmen, die in diesem Zahre niedergeschrieben waren, (und ungefähr eben so zahlreich fand ich nachher die Gesellschaft, die diesen Sommer das Schloß Fürstenstein besucht hatte.) Ich habe so viel gesehen, und ohne Unterlaß zeigt mir die Natur immer wieder etwas Neues. Nichts, das mir noch irgendwo vorgekommen tst, gleicht den Fel­ sen von Adersbach. Ich weiß nichts, das ich mit diesen Steinpfeilern vergleichen könnte, denn selbst die Granit­ säulen bey Königshayn und auf dem Greiffensteine sind doch so sehr von diesen verschieden. Ungeheure Felsen­ massen, die sich, ohne alle Vorbereitung, schnurgerade aus einer grünen Wiese, aus einer vollkommenen Ebene erheben, und wovon einige an die 200 Schuh hoch seyn sollen! Und dann ihre Menge, die ein Labyrinth bildet, in welchem man sich verlieren könnte! Jede scheint für sich allein zu existiren, ist mit keiner andern verbunden, hat-keine horizontale Ueberlage, sondern bildet eine isolirte, mehrentheils von allen Seiten senkrechte.Felsensäule. Ich gebrauche das Wort Säule, oder Pfeiler,- weil mir kein anderes einfttllt, aber einen anschauenden Begriff geben diese Wörter nicht; denn einige dieser Felsenmaffen sind von größerm Umfange, als die größten Kirchthürme.

Dritter

64

Brief.

Auch sieht man hier nichts von jener Verwüstung,

die

wo

Da

ich sonst überall fand,

ist,

ich

Felsensaulen sahe.

etwan ein paar Flecke ausgenommen,

abgestürztes, nichts^Umgefallenes.

nichts Her­

Manche stehen aus

dem grünen Grase hepvor wie künstliche Pfeiler,

Baumeister,

deren

nachdem er sein Werk vollendet hatte, es

sorgfältig von dem Unrathe säuberte, der durch dessen Er­

richtung entstand. an einander,

An manchen Orten stehen sie so nahe

daß man so eben nur durchkommen kann.

— Der Mann

vom

Wirthshause

kleinen

hat einen

Bach, der zwischen einem Theile dieser Felsen läuft, in Ufer eingeschlossen, und da, beynahe unwegsam macht,

Eingang in bey

Der

diese Gegend hat eine verschlossene Thüre,

deren Ocffnung

vorhalt und

wo die Nässe den Strich mit Planken belegt.

Zhr Führer Ihnen

um einen kleinen

Beytrag

eine Büchse für diese den

Ressenden, so nützliche Arbeit bittet.

Man stellt sich vor, daß diese Felsen nichts anders als Gerippe von Bergen sind, deren lockere Erde vom Wasser nach und nach weggespült,

gerissen worden ist. natürlichste Art,

oder gewaltsam ab­

Dreß ist freylich die einfachste und da wir

die Erscheinung zu erklären,

nun einmahl alles erklären müssen.

Aber wo hat die

Natur je Berge geformt, die auf und zwischen solchen Fessensaulen ruhten? Ueberall sagt uns der Bergmann

das Gegentheil!

Und

wie sind in diesem Berge diese

Felsen entstanden, so mannigfaltig, so senkrecht, so schön zugehauen?

O, lieber Freund, wir haben noch

nicht Data genug,

Entstehung unserer kleinen Erdkugel zu

nigen,

die einmahl eins

die Bestätigung desselben, Brbel annimmt,

lange

um vollständige Systeme über die Dieje­

bilden.

haben, finden freylich überall so wie ein jeder,

der die

er gehöre übrigens zu welchem Glau­

ben er wolle, seine Religion in der Bibel findet. aber nur ein demüthiger Forscher

ist,

Wer

und bloß das

was Andere sagen, ohne selbst eine entschie­

verfolgt,

dene Meinung zu haben, der wird ohne Unterlaß Dinge in der Natur sehen, die allen Theorien und Geogvnien Folgendes gehört ganz hieher. — Herr de Luc war diesesZahr zu Berlin, wo er gewal­

widersprechen. —

tig über sein System angegriffen wurde.

haft aus,

Er hielt stand­

sich denn das von einem Systematiker

wie

nicht anders erwarten läßt,

und die Berliner harten,

um ihn seiner Irrthümer vollkommen

zu überführen, nichts weiter zu thun, als ihn an das Riesengebirge zu

verweisen, wo er die vollständigste Widerlegung finden würde.

Er kam, wie mir Herr * * * sagte,

und —

fand sein System vollkommen bestätiget. Der Graf von Blümär hat zu Adersbach ein

großes, plumpes Wirthshaus gebauet, mit einer Menge

von Zimmern, die zwar geräumig sind, viele Menschen zu fassen, deren Znneres aber von der äußersten Armuth des Wirthes zeugt, der für das bloße Haus 120 Gul­

den Pacht gibt,

und erklärt,

wäre, dabey auszukommen.

daß es ihm unmöglich

Unsere Mahlzeit war ma­

ger, und der Schmutz, der überall hervorblickte, trug

keinesweges dazu bey, sie zu würzen. Zu Friedland kamen wir wieder nach Schlesien, und zwey Meilen weiter nach Waldenburg,

nachdem

wir wieder in eine ziemlich gute Straße eingefallen waren. Waldenburg war mir als ein Städtchen be­

kannt, das sich seit einiger Zeit gehoben, und einen be­ trächtlichen Antheil an

den Schlesischen Linnenfabriken

hat. Aber ich erstaunte, eine Menge großer und vor­ trefflicher Häuser, und darunter einige von einer sehr guten Bauart

zu sehen.

Zch ging noch

eine halbe

Stunde umher, fand eine sehr hübsche neue Kirche, in einem guten Style, und erstieg dann eine kleine An­

höhe, nahe bey der Stadt, wo ich die Bemerkung be­

stätiget fand, die ich schon bey meiner Einfahrt gemacht Kuttners N. 3- Th.

5

66

Dritter

Brief.

hatte, daß diese reinliche, artige Stadt auch eine sehr angenehme Lage hat. Waldenburg macht jetzt sehr ansehn­ liche Geschäfte, hat mehrere wohlhabende und einige reiche Handelshäuser, und eine Gesellschaft, in der sich artige, sehr gebildete Menschen befinden. — Wir waren im Wirthshause zum blauen Rosse recht wohl; nur muß man an solchen Orten nicht die Zierlichkeit und die Art größerer Städte erwarten. Breslau, den 3. Oct.

Wir gingen gestern von Waldenburg nach Schweid­ nitz und übernachteten in einem armseligen Hause zu Gniegwitz, weil wir uns am Tage verspätet hatten, und Breslau nicht mehr erreichen konnten. Zwischen Waldenburg und Schweidnitz liegt, nahe an der Landstraße, das Schloß Fürstenstein, das dem Grafen von Hoberg gehört. Dieser Sitz hat in seinem Aeußern eine gewisse Größe, und das Innere ent­ spricht dieser in so fern, daß es, ohne gerade prächtig zu seyn, sehr gute, zierlich und geschmackvoll meublirte Zim­ mer enthält. Besonders gefiel mir die Wahl der Kupfer­ stiche, womit vier Zimmer reichlich behangen sind. Eins enthält nichts als Aussichten von der Schweiz, alle in bunter Manier; ein anderes fast nichts als Englische Ge­ genstände in Englischen Stichen; ein drittes, Aussichten von Frankreich und Italien. In einem Cabinette hängen ein Dutzend Oehlgemählde von Reinhardt, die lauter Gegenden aus dem Rtesengebirge vorstellen. Die € tandpuncte zu allen diesen Gemählden hat der Künstler vor­ trefflich gewählt; aber sie haben kein gutes Colorit. UebrigenS ist dieser Reinhard nicht mit dem zu verwechseln, der sich lange in Rom aufgehalten hat, wo er, so viel ich weiß, noch ist. Von diesem Letzter«, Mechau und Dies ist das große und interessante Werk Italiänischer Aussich­ ten, das Frauenholz zu Nürnberg in Verlag hat.

Die Lage von Fürstenstein ist groß und edel, uni> auf der einen Sette außerordentlich wild.

Ein sogenann­

tes altes Schloß, dem man es aber freylich noch ansteht,

daß es erst kürzlich erbauet worden ist,

erhebt sich aus

dnnkelm Nadelholze auf der Spitze eines steilen Berges,

und macht für das Wohnhaus eine treffliche Zfusstcht. Man hakte mir die hiesigen Anlagen sehr gerühmt; allein bis jetzt ist noch nicht viel gethan worden: und in der

That ist die Natur hier so, daß man wenig zu thun braucht. — UebrigenS ist dieser Graf einer von den vie­ len Schlesischen Edelleuten, die den größten Theil ihrer

Zeit auf ihren Gütern zubringen, und da, anstatt sich in den Hauptstädten zu verlieren und an den Höfen eine un­ tergeordnete Rolle zu spielen,

in einer Art von Größe

leben, die der Sommerexistenz de« Englischen Adels nicht

unähnlich ist. Von nun an verloren wir allmählich das Riesenge­ birge, und das Land wurde mit jedem Schritte niedriger, nur daß wir noch den hohen Zobtenberg im Auge hatte»,

den wir auch erst auf der andern Seile von Schweidnitz

verloren. —

Wir kamen an das Städtchen Freyburg

und sahen, etwas weiter hin, rechts, ein Bergwerk, das unsere Aufmerksamkeit darum erregte, weil wir es hier fanden, wo das Land wieder anfängt, eben zu werden,

und weil wir in dem Riesengebtrge selbst so gar wenige bemerkt hatten.

Schweidnitz,

so berühmt durch die Belagerun­

gen, die es zu verschiedenen Zeiten aushalten mußte, ist

denn bod) mehr eine befestigte Stadt, als eine eigentliche Festung.

Zd) fand aud> hier mehrere große und gute

Häuser, vermißte aber die Reinlichkeit,

Heiterkeit" und

den allgemeinen Wohlstand, den nur Handel und Fabri­ ken gewähren: und diese scheinen sich mit einer zahlreichen Garnison und der militärischen Oberherrschaft

vertragen.

nicht zu Gleichwohl ist Schweidnitz nicht ganz ohne

Dritter Brief.

65 Handel,

bringt auch mehrere Kunsterzeugntsse hervor,

besonders allerhand Leder und vorzüglich Eorduan.

ist seine Bevölkerung nicht unbeträchtlich, im Z. 1788

aber

2865

zählte man hier 8983 Seelen,

zur

gehörten.

Garnison

Auch

denn schon wovon

Demungeachtet

steht es an Geschäften und Erwerb mehreren weniger be­ völkerten Städten weit nach.

Etwan eine Meile über Schweidnitz hinaus, kamen wir dem Zobtenberg, oder wie die Leute hier sagen,

Zotenberg, ganz nahe, und mit ihm endigten sich alle die großen und erhabenen Scenen, in denen ich zeither ge­

wandelt hatte.

Wenn man bedenkt, daß das Land, in

welchem dieser Berg sich erhebt, auf drey Seiten ganz flach und auf der vierten nur wenig erhaben ist, so ist die Höhe von 2224 Pariser Schuh über der Meeres­

fläche, die man ihm gibt, ungeheuer.

Es ist bekannt,

daß hohe Berge immer mit andern zusammenhängen, und daß man auch an die höchsten nur dann erst kommt,

wenn man eine Menge kleinere zurückgelegt hat.

einzelner Berg

im

von

flachen Lande

Ein

1000 Schuh

senkrechter Höhe ist schon eine sehr ungewöhnliche Er­

scheinung.

Daher kommt denn auch die Wirkung, die

der Zobten von allen Seiten her macht! Ueberall zeigt er sich wie ein ungeheurer Riese, der darum so gar

groß ist, weil sich nichts in seiner Nähe findet, das man mit ihm vergleichen kann. Ich sah ihn schon zwischen Sprottau und Bunzlau, letztere Stadt erreichten;

Lauban,

lange

ehe wir die

dann zwischen Bunzlau und

und gestern und heute ist er uns fast nicht

aus den Augen gekommen. —

Von nun an verlor

sich das Land in eine große Ebene,

die nur hin und

wieder von kleinen Anhöhen durchschnitten wird: und so ungefähr ist die ganze Gegend um Breslau herum.

Vierter Brief. Breslau

Garve — allgemeine Uebersicht der Stadt —

Modell vom Riesengebirge — Betteley — Domslau — Jordansmühle —

Nimpsch —

Straßen

durch das Riesenge­

birge — Größe und Bevölkerung von Schlesien — Pro­

dukte —. Menschen — Unruhen int Riesengebirge — Fran­ kenstein — Stadt und

Festung

Silberberg

—*

Glatz —

Stadt — Festung — das Land — noch einiges über das

Riesengebirge — Lewien— Nachod — Schloß — IaroMrz — Festung Pleß,

öder Iosephsstadt — Königinngratz —

Chlumetz: Schloß des ^Grafen von Kinsky — Kolin.

Prag, den iL. Oct. 1798.

Ä)ir kamen gestern früh bey Zeiten von Ä n i e g w i tz (drey Meilen) hier an, und einer meiner ersten Gänge war zu unserm Ga xv e. Der Bediente, der vermuth­ lich schon längst nicht mehr gewohnt ist, fremde Gesich­ ter bey seinem Herrn zu sehn, schien verlegen zu seyn, ob er mich melden-sollte. Ich verstand ihn, kündigte mich als einen alten Bekannten an und schickte meinen Nahmen ein. Ich wußte ungefähr, welche Trauerscene ich zu erwarten halte, und doch erschrack ich, als Garve, so. wie die Thür aufging, mir. zurief: „Sie sehen einen elenden Menschen!" Er lag auf dem Dette, welches er schon seit geraumer Zeit nicht mehr verlassen hat. Zch hatte ihn seit mehr als zwanzig Jahren nicht ge­ sehen, und Sie können denken, wie ich ihn verändert

so fand!

Vierter

Brief.

Ich erinnerte ihn an die schönern Tage früherer

Zeiten, an seinen Aufenthalt in Leipzig, an die Freunde, die er noch dort hat — und nach den ersten Augen­ blicken, die erschütternd für ihn zu seyn schienen,

fand

sich die Heiterkeit" und Ruhe des Geistes wieder bey

ihm ein, die ihn bey allen seinen Leiden, den schrecklichstm, die ich mir denken kann, nie verlassen haben.

Die Unterredung wurde bald lebhaft,

und ich fand,

was ich freylich schon aus Briefen an einige seiner Freunde wußte, daß er noch an allem, was die mensch; liche Gesellschaft angeht, den lebhaftesten Antheil nimmt, mit seinen Zeitgenossen fortrückt,

und in keinem Fache fremd ist, .das. im weiten Reiche der Wissenschaft bis

hierher.Aufmerksamkeit erregt hat.

Meine Reise in die

Nordischen Reiche interesstrt« ihn sehr, und er that eine

Meng« Fragen an

mich, nicht wie einer,

der seiner

Auflösung entgegen sieht und ihre Beschleunigung sehn­

lich wünscht, sondern wie ein rüstiger Wanderer, der

jede Erfahrung eines Andern gierig aufsammelt, um sie auf seiner eigenen Reise zu benutzen. —

Nachher kam

ein junger Edelmann zu ihm, der viel um ihn zu seyn scheint, und wir sprachen noch eine güte Weile von man­ cherley Gegenständen. —

Zch verließ ihn mit unaus­

sprechlicher Wehmuth. Garve gehört unter die sehr we­ nigen, die ich Philosophen für das Leben nenne; Er

hat, wie Sokrates, die Philosophie vom Himmel her­

abgerufen , und die Gesellschaft damit verschönert.

Er

verliest' dir Sphären metaphysischer Spitzfindigkeiten und

wandte.die Philosophie auf jeden Gegenstand des bür­

gerlichem Lebens an.

Zch werde ihn nie wieder scheu!

und wo »st irgend einer feiner . Freunde, der den'Dulder

noch, lange zu sehen ivünscht, füt den jede Hoffnung in

diesem Leben' verfchwundcn ist!' *

Herr Man so, den

ich heute kennen lernte, versicherte mich, daß stlr.seinen Nachlaß schon längst'gesorgt, und'alles in den Händen

feiner Freunde geordnet wäre.

wir schon

seine

lehtern Werke

Zn der That würden

nicht

erhalten haben,

wenn sie nicht durch die Güte und Theilnahme dieser Freunde, worunter Herr Manso das meiste thut, in die

Welt gefördert worden wären.

So sehr mir die kleinern Schlesischen Städte ge­ fallen haben, so wenig hat das Aeusiere von Breslau

anziehendes für mich.

Es ist eine unreine,

alt und

in der selbst die großen und

traurig aussehende Stadt,

schönen Häuser von außen so räucherig und rostig sind,

daß man beynahe vergißt, schöne Stadt seyn würde,

und putzte.

daß Breslau wirklich eine wenn man sie aufräumte

Die öffentlichen Plätze sind geräumig, und

die Gaffen ziemlich breit: welches denn auch sehr nöthig

ist,

weil die Häuser drey, vier und fünf Stockwerke

Höch sind, das Erdgeschoß ungerechnet. Der Hatzfeldische Pallast

Hauptstadt von Europa

würde

bemerkt werden,

andere Gebäude sind sehr ansehnlich.

in

jeder

und einige

Mehrere katholi­

sche Kirchen sind schön, aber mit Altären,

Gemählden,

Gold und kleinlichem Tand ungeheuer überladen.

Zn

dem großen, zum Theil prächtigen und mit Denkmäh­ ern verzierten Dom ist sehr wenig, das sich von Sei­ ten der Kunst empfiehlt.

Zwar nennt man Zhnen die

Hessische Capelle wegen ihrer Dildhauerarbeit, und die Statue der heiligen Elisabeth auf einem Altare.

Beyde zeichnen sich freylich vor dem übrigen

auS; aber wie vieles hätte nicht auch hier der Kenner

»roch zu erinnern! — Auch von Statuen und andern öffentlichen Werken in den Gassen und auf den Plätzen ist wenig Merkwürdiges, das Denkmahl ausgenommen,

das die Familie Tauenziehn dem vor einigen Zähren

verstorbenen Grasen dieses Nahmens und Gouverneur von Breslau auf einem Spaziergange hat errichten

Vierter

72

Brief.

Er commandierte in Breslau während der Be­

lassen.

lagerung im Zahre 1760. Die

schön,

Aussicht

vom

hiesigen

Rathsthurme ist so

als sie nur über ein reiches,

aber flaches Land

In der Ferne sieht man den Zobtenberg

seyn kann.

und einige andere,

worunter auch die Kchneekoppe ist.

Letztere ist aber nur bey einer sehr klaren Luft zu sehen;

ich wenigstens konnte

sie nicht erkennen. Kriegs - und Domainenkammer zeigte man uns ein hölzernes Modell vom Rie­ In

der

sengebirge, von Kahl, men hat.

wofür er 600 Rthlr. bekom­

Hat der Mann das Werk zwey- oder drey­

mahl gemacht? Ich wußte zeither nur von einer Copie,

die Kahl für den König verfertigte, und die in der Aka­ demie der Künste zu Berlin aufgestellt seyn soll.

Oder

ist

diese letztere, und die, welche ich hier sahe, die nähmliche? Unser Führer konnte mir nichts Zuverlässi­

ges darüber sagen. Dem sey wie ihm wolle, was ich hier sahe, ist ungleich besser gearbeitet und mit mehre­ rem Geschmacke ausgeführt, als das Original, dqs uns

der Sohn zu Steinseifen zeigte. Nicht weit vom Hafen, oder Packhofe stehen C a-

sernen von großem Umfange,

und sind schöner und

reinlicher, als alle andere, die ich in den Preußischen Staaten gesehen habe. Nach der letzten Zählung sollen in Breslau 60,000 Seelen gefunden worden seyn. Ist diese Angabe rich­

tig, so hat die Bevölkerung dieser Stadt in den letzten Jahren nicht zugenommen; denn Herr Zöllner zählt schon im Zahre 1791 — 60,500 Menschen.

Die Zimmer, die wir in den sieben Bergen, wel­

ches hier der beste Gasthof seyn soll, noch unbesetzt fan­ den, waren für uns nicht zureichend. Wir fuhren in das nächste beste, wurden da eben so wenig befriediget, und ließen uns endlich durch Empfehlung,

da meine

eigenen Kenntnisse nicht weiter gingen, in den goldenen

Zepter bringen,

wie ich nachher erfuhr,

welcher,

vierte oder fünfte Wirthshaus ist.

das

Unsere hiesigen Be­

kannte schienen sich zu wundern, als ich es ihnen nannte. Es ist ein schmutziges Haus; sonst sind wir zufrieden.

Wenn ich einen Augenblick zu Hause bin,

werde ich

von Juden,

Obst- und

Soldaten,

kleinen Krämern,

Blumenmädchen überlaufen, gewesen bin.

wie ich es noch nirgends

Und dabey hat man Mühe, sie wieder auS

dem Zimmer zu bringen, besonders die letzter», welche,

wie es scheint, außer ihren vorgezeigten Waaren, noch andere abzusetzen haben.

Die mehresten sind elende Ge-

schkpfe; wenn durchaus nichts zu thun ist, betteln sie.

Ueberhaupt scheint die Zahl derjenigen Bettler, die nicht

unmittelbar unter dem Commando der Bettelvögte ste­ hen, hier ungeheuer zu seyn,

so wie mich überhaupt

dünkt, daß ich zu Breslau, neben dem Reichthume der höhere und bessern Stände,

Anzeigen von großer Ar­

muth bemerkt habe. T-inipsch, im Fürstenthum Brieg,

den 5 jpct.

Wir verließen Breslau heute früh, zwey Meilen bis Domslau,

mühle, und zwey hierher.

drey

Unser

und machten

bis Zordans-

natürlicher Weg

wäre über Jäcsiirndorf und Troppau, Ollmütz und Brün

gewesen, auf welchem wir nach Wien sieben und zwan­ zig Meilen kürzer gekommen wären und eine ziemlich gute Straße gehabt hätten.

Allein Herr * * wünschte,

Prag zu sehen, und darin hatte er auch nicht unrecht.

Die Zahl von Meilen,

die wir auf dieser Seite mehr

zu machen haben, sind die geringste Betrachtung, und

nach Wien kommen wir noch immer zeitig genug, da

wir vermuthlich den ganzen Winter dort zubringen werden. Ueberdieß bringt uns diese Straße durch die Gebirge der

Vierter

74

B r, e f.

Grafschaft Glatz, die man als einen Theil des Riesengr-

birges betrachten kann, ob sie schon gewöhnlich nicht dazu gerechnet werden: und ich erinnere mich, daß ein Böhmi­ scher Graf, den -ich einst in Carlsbad kannte, und mit dem ich immer viel vom Riesengebirge sprach, mir ganz vorzüglich auch die Grafschaft Glatz zu besuchen empfahl.

Ich

habe

schon

weiter oben erinnert,

daß die

Straßen zwischen den Städten Gretffenstein, Hirschberg, Schmiedeberg, Landshut u; s. w. bis Breslau durchaus

sehr erträglich, und hin und wieder recht gut sind.

Von

Schmiedeberg so wohl als von Landshut geht ein Weg nach Trarztenau in Döhmen, welcher über Kbniginngräh

nach Kolin, und von da südlich nach Wien und nördlich nach Prag führt.

Also geht von Breslau aus ein ziem­

lich guter, fahrbarer Weg bis an die Böhmische Grenze, welcher denn auch, am Riesengebirge hin und nach Lau-

ban zu, so ziemlich bis an die Oberlausitz reicht.

Es ist

fast durchaus eine Chaussee, die schon Friedrich der Zweyte Freylich besteht sie hin und wieder bloß aus Sand und Kies, ist aber doch immer sehr fahr­

hat machen lassen.

bar, und, in Vergleichung mit den Wegen, die ich in

der Lausitz und zwischen Frankfurt und Lauban fand, vor­ trefflich.,

Der Entwurf war, durch ganz Schlesien eine

Chaussee zu führen; allein unter der letzten Regierung ist

Alles so langsam: gegangen und so sehr vernachlässiget worden, daß mehr noch zu thun übrig bleibt, als was schon

gemacht ist.

So fqnden wir z. E. von Breslau aus zwar

die ersten fünf Meilen sehr erträglich, kamen aber dann zwischen Zordansmühle und

Nimpsch auf einen so ab--

scheulichen Weg, daß ich nicht glaubte, wir würden den

Wagen unzerbrochen-auf die letzte Station bringen. Sechs Pferde hatten schwere Arbeit. —

Das Land war auf

diesen sieben Meilen, verglichen mit dem, aus welchem wir kürzlich gekommen waren, wenig interessant, größtentheils stach, übrigens ziemlich wohl angebaut.

Aber.

Vierter

Brief.

75

schon nähern wir uns wieder erhabenern Scenen, und

die hohen Gebirge, welche Glatz von Döhmen trennen, zeigen sich in der Ferne. Wir kamen diesen ganzen Tag durch nichts als Dörfer, und selbst das Städtchen

Nimpsch, der beste Ort, den ich heute gesehen habe, ist sehr unbedeutend.

Wir wohnen im Schwane, einem

kleinen und nicht sonderlichen Hause. Büsching setzt die Größe votti Preußischen Schlesien nebst der Grafschaft Glatz auf 642, Zöllner

aber, vermuthlich nach neuern und bessern Nachrichten, auf 685 Geographische Luadralmetlen. Büsching fetzt

die Bevölkerung im Zahre

1755 auf — 1,163,355 Menschen. 1774 auf — 1,372,754 —

1791

-

-

lung ,

1799

-

-



Zöllner gibt nach ei­

ner wirklichen Zählung im Zahre 1,747,065 Menschen, (und nach der Zah­ die ich seitdem gesehen habe, fan­

den sich im Iahte 1,884,632 Menschen, ohne das Militär.)

Welch eine ungeheure Zunahme im Verlaufe von in welche noch überdieß der siebenjährige Krieg fällt! Nun ist es bekannt, daß ein

vier und vierzig Zähren,

großer Theil diese- Landes sehr schlecht bewohnt und eben so schlecht angebaut ist.

Man schließe also auf

die außerordentliche Bevölkerung und Industrie einiger

anderen Striche, die den Abfall ersetzen müssen: und diese sind denn vorzüglich die Gegenden am Riesengebirge, die ich so eben bereist habe.

Auch in Rücksicht

auf Mannigfaltigkeit der Er­

zeugnisse und Verschiedenheit der Naturscenen ist Schle­

sien ein äußerst merkwürdiges Land, und im Norden von Deutschland gibt es keine Provinz von so geringem Umfange, die ihm darin gleich käme.

schen sind nicht weniger interessant,

Und die Men­ und zeichnen sich

Vierter

76

Brief.

von andern, die unter der nähmlichen Breite leben, auf

eine vortheilhafte Art aus.

hat,

in den Theilen,

Mich dünkt, der Schlesier

ihn gesehen habe,

wo ich

als alle die Völker,

größere Lebhaftigkeit,

eine

die zwischen

ihm und der Nordsee unter der nähmlichen Breite woh­ nen;

eine Einbildungskraft,

die ihn immer vorwärts

und eine Thätigkeit,

die auf die Verbesserung

treibt,

bürgerlichen

feiner

Lage abzweckt.

Er ist gesellig, und

schätzt vorzüglich die Künste und Wissenschaften, die un­

mittelbar auf

das

tägliche Leben wirken und

Gesellschaft den meisten Einfluß haben.

der Unterschied seyn zwischen dem Schlesier,

Gegenden am Niesengebirge,

und dem,

auf die

Ungeheuer soll

der die

der das Land

an der Pohlnischen Grenze bewohnt. —. Wer sich um­

ständlicher fleißige,

über mit

Schlesien

unterrichten will,

großer Sorgfalt

geschriebene

lese das Werk des

Hrn. Probst Zöllner. Von den Unruhen in

am Riesengebirge,

Zeitungen gelesen,

gehört habe.

einigen Schlesischen Dörfern

haben Sie vielleicht mehr in den

als ich

an

Ort und Stelle darüber

Gleichwohl bin ich durch mehrere Striche

gekommen, wo Unruhen gewesen waren, aber durch kei­

nen,

wo ich noch

Truppen gefunden hätte.

Die Ur­

theile derer,

mit denen ich in den Städten darüber re­

fielen

über den Grund und Ungrund der Klagen

dete,

äußerst verschieden aus.

Mit Leuten niederer Stände

trat ich nicht gern in Unterredungen darüber ein;

doch

mußte ich auf Dörfern und von den Postillons ein paarmahl davon hören.

merkt,

Und

da habe ich denn so viel be­

daß diese Leute ziemlich allgemein den unglückli­

chen Gedanken haben,

es werde ihnen ihr Recht nicht

geschehen, so lange der König nicht selbst komme.

Ver­

gebens stellte ich ihnen vor, daß eist König nicht überall

seyn könnte.

Sie antworteten: Minister, Cvmmissarien

Vierter

Brief.

7
eht eine Caserne und ebenfalls voll

Vierter

167

Brief.

Franzosen. — Ich fand an dem schwarzen Adler ein gutes und billiges Wirthshaus.

Gestern Vormittags verließen wir Görz, und nah­ men unsern Weg etwas höher am Flusse hinauf, wir den Tag vorher gethan hatten.

Dadurch

als

kamen

wir nicht wieder an die Fahre, sondern an die Drücke, welche über einen sehr mahlerischen Strich des Lisonzo gehet,

so wie überhaupt der größte Theil des Weges,

der nicht ganz der nähmliche war,

den wir vorher ge­

macht hatten, ob wir schon bis an die Thore von Gradisca zurückgingen, sehr schön ist. — Meilen bis

Nogareto,

Wir hatten vier

einem kleinen Orte im ehe­

mahligen Venezianischen Gebiethe, und drey andere bis Udine. —

Dieser ganze Strich Landes ist eben,

man schon

die hohen Alpen beständig zur Rechten hat.

ob

Das flache Land ist ziemlich wie das, das ich Ihnen zwischen Monfalcone, Gradisca u. s. w. beschrieben habe, nur daß sich hin und wieder etwas

mehr Kornfelder

und Weiden finden.

Sacile,' den giften May. Utitet

den

Mittelstädten Italiens

Range weiß ich kaum eine,

hatte,

als Udine.

vom

zweyten

die mir so wohl gefallen

Wenn man Padua als die vierte

Stadt des Venezianischen Gebiethes betrachtet, und Vi­ cenza als die dritte, so ist Udine wohl die fünfte; allein

Vicenza

berühmt,

ist vorzüglich nur wegen der vielen Gebäude

die Palladio dort aufgesührt hat,

und also

freylich eine sehr schöne Stadt; aber in andern Rücksich­ ten ziehe ich ihr Padua und Udine

finde ich nicht jene todte Erschlaffung,

vor.

Zu Udine

welche die meh-

resten Italiänischen Mittelstädte charakterisirt, nicht jene offenbaren Spuren von Verfall, die immer mehr zeigen, was der Ort gewesen ist, als was er jetzt ist. Eine Bevölkerung von siebzehn bis achtzehn tausend Seelen

Alerter

i6z gibt

dieser

Stadt

eine große Lebhaftigkeit,

Betriebsamkeit da ist,

und die

daß etwas Handel und eine

Menge ihrer Läden zeigt, selten findet.

Brief.

die man in diesen Provinzen so

Ich bemerkte mehrere Buchhandlungen,

wovon eine sehr reichlich versehen war.

Zn fünf ver­

schiedenen Läden waren Landkarten und

allerhand Ku­

pferstiche ausgehängt. Eis,

Zn einem Kaffeehause fand ich

sehr

artige Zimmer und ziemlich wohlgeklcidete

Menschen,

und in dem Laden eines Zuckerbeckers be­

merkte ich eine Menge Leckereycn und Delicateffen, wie

man sie sonst nur in größern Städten findet.

Auch

sahe ich, daß die Handwerker Arbeit hatten, daß man eine Menge Kutschen, Chaisen und mancherley Meuhlen

verfertigte,

und daß mehrere Häuser abgeputzt,

oder neu verziert wurden: lauter Dinge, die ich in den Italiänischen Mittelstädten nicht zu sehen gewohnt bin.

das

Man führte uns in

Schauspiel-

oder

Opernhaus, und ich fand es so, wie ich in Deutsch­

land nur sehr wenige kenne.

ein großer,

Gleich beym Eingänge ist

anständiger Saal,

ten und weilen können.

wo die Zuschauer abtre­

Zu Berlin und selbst in bcii

ersten Schauspielhäusern von Wien muß man in einem wo Sie umhergcdrängr

elenden,

engen Raume stehen,

werden,

und der Zugluft ausgesetzt sind,

etwa auf Zhren Wagen warten müssen.

wenn Sie Ein anderer

Beweis von dem Wohlstände von Udine ist,

daß die

Logen vom ersten, zweyten und dritten Range alle vcr-

Miethet sind. Zch ging in den bequemen und geräumi­ gen Gallericn umher, die um jedes Stockwerk herum­ laufen , und fand über jeder Loge den Nahmen der Ei­ genthümer, welche Männer aus der Regierung, Kauf­

leute, noch häufiger aber Edelleute sind.

Der Pallast des ehemahligen Luogotenente (so heißt die höchste obrigkeitliche Person) ist in einem überaus großen und prächtigen Style gebauek.

und bekommt noch ein ganz besonderes Ansehen von Großheit dadurch, daß er auf einer beträchtlichen An­ höhe steht. Aber diesem Gebäude sieht man es sehr an, daß es seit einer langen Reihe von Zähren vernachläs­ siget worden ist, und daß die Venezianischen Regenten mehr hierher kamen, um Geld zu machen, als um die Würde und Größe aufrecht zu erhalten, die ihre Vor­ fahren gründeten. — Das schönste von diesem Pallaste ist jeht die herrliche Aussicht, die man da nach allen Seiten hin hat. Man übersieht eine reiche, wohlange­ baute Pläne, in der sich an der Nordseite hohe, mit Schnee bedeckte Alpen erheben. Es ist sonderbar, daß in Italien, von einem Ende des Landes zum andern, gewisse Gebräuche so allgemein sind, die uns widerlich und ekelhaft Vorkommen! Hier, so wie zu Bologna, auf dem Capitol zu Rom und an mehreren andern Orten, wohnen die gemeinen Verbre­ cher im nähmlichen Pallaste mit der höchsten obrigkeit­ lichen Person des Ortes. Der Senator von Rom hat sie gerade unter seinen Fenstern, so wie sie hierzu Udine in dem untersten Stockwerke des Pallastes sind. Die Fenster dieses Gefängnisses gehen auf die Terrasse, w» die Aussicht gerade am schönsten ist, und wo man am liebsten weilen möchte. So wie sie jemanden gewahr werden, machen sie einen fürchterlichen Lärm, und ru­ hen nicht eher, als bis man etwas in alle die Deutel oder Säckchen gesteckt hat, die sie von den verschiedenen Fenstern der Gefängnisse an Bindfäden herablassen. So oft man zu dem Senator von Rom ging, mußte man die Gefängnisse passiren und ihre rauhe Musik hören. Außer dem Pallaste des Luogotenente gene­ rale (das war sein ganzer Titel) ist der des Erzbischofes der ansehnlichste. Es gibt aber auch hier eine Menge sehr guter Privatgebäude. Zn einem der­ selben, wclcbes sonst gar nicht vorzüglich ist, befindet

i;e>

v t c f.

Vierter

sich eine Capelle,

die wegen ihrer Bildhauerey gesehen

zu werden verdient.

Es sind vier Wände in alto ri-

lievo von weißem Marmor,

und von der Hand des

Bildhauers Torretti, der in diesen Arbeiten einen gro­

ßen Meister zeigt,

ob man schon

Schule ihnen sehr deutlich ansieht.

die

Venezianische

Sie enthalten i)

Mariens Besuch bey Annen, 2) Zachariae, der den Nahmen seines Sohnes ausspricht, 3) Mariens Vor­ stellung im Tempel, und 4) ihre Reinigung. Der Ei­ genthümer des Hauses heißt Torreani. Die Cathedralkirche ist von innen ein schönes

Gebäude,

und hat sehr gute Basreliefs in Holz;

des

marmornen Fußbodens und der vielen Altare nicht zu

gedenken,

denn diese sind den mehresten Ztaliänischen

Kirchen gemein. Unter den Häusern sind Arcaden, steinernen Säulen,

theils

Pfeilern

die theils auf

ruhen.



In

Deutschland spricht man häufig die zweyte Sylbe dieser

Stadt lang aus; hier zu Lande habe ich sie nie anders, Alt Udine nennen hören. — Man erbauet nicht weit von hier eine Art von Strohwein, wovon

aber

der vortrefflich ist,

die halbe Flasche mit zwey Gulden im

Wirthshause angeseht wurde. Der traurige Friede,

der vor zwey Jahren zwi­ hat

schen Oesterreich und Frankreich geschlossen wurde,

von Udine seinen Nahmen, vermuthlich, weil diese Stadt bekannter ist, als das Dorf Campo formido, oas einige auch hier Campo formio nennen, wo er eigent­

lich unterschrieben worden ist. Der Erzherzog Carl wohnte

das rch gestern inne hatte, und Buonaparte zu Passeriano, einem schönen Land­

zu Udine in dem Zimmer,

sitze des damahligen Dogen Man ini,

über Udine hinaus, wöhnlich, wollte,

näher an Venedig.

zwölf Meilen Da,

wie ge­

die eine Partey nicht zu der andern kommen

so wählte man das Dorf Campo formido..

Las vier Meilen von Udine und acht von Passeriano liegt.

Die Landstraße nach Venedig geht mitten durch

dieses

Dorf,

wo man mir ein ziemlich unbedeutendes

Haus zeigte, in welchem der Friede geschlossen worden ist. Desto mehr redete man von Passeriano, als ei­

nem Landsitze, der seines Gleichen nicht hatte: und, da er nicht weit von der Straße abliegt, so machten wir die­

sen kleinen Umweg.

Zn der That besteht er aus einer

Menge von Gebäuden in einem sehr großen Style, und, wenn ich einige Landsitze im Kirchenstaate, Caserta, die

gewöhnliche Residenz des Königs von Neapel, und etwa zwey Sitze des Königs von

Sardinien ausnehme,

so

wüßte ich wirklich in Italien wenig Gebäude auf dem

Lande,

die ihm

gleich kamen.

Auch das Innere des

Hauses empfiehlt sich durch Großheit des Planes und

durch die Anlagen einiger Zimmer; aber die Verzierungen, und besonders die Meublen sind so, daß sie mit denen in den

Englischen Landhäusern vom zweyten und dritten

Range nicht zu vergleichen sind,

auf die Seite geschafft,

llebrigens mag vieles

und manches durch den letzten

großen Besuch beschädiget, oder zu Grunde gerichtet wor­ den seyn. Was mir in diesen Gebäuden am meisten Vergnügen

machte, war am Ende doch die Aussicht, die man aus einigen der obern Zimmer hat.

Sie ist reihend und geht

über eine weit«, fruchtbare Ebene und gegen Mitternacht

auf die hohen Alpen, wovon die nächsten nach St. Da­ niele zu, einem kleinen Orte, der sich sehr hübsch am

Fuße dieser Berge zeigt,

etwa fünfzehn Italiänische Mei­

len entfernt sind. Auch die Gärten, im Französischen Style, sind von

großem Umfange.

Am Ende aber hat auch der schönste

Italiänische Landsitz immer etwas Trockenes, und die un­

geheuern Steinmassen,

die hohen Pfeiler und Arcaden

imd Porticos benehmen mir jeden Gedanken des Ländli-

171

Vierter

Brief.

chen. — Ich erfuhr hier, daß der Eigenthümer gewöhn­ lich zwey Mahl des Jahres auf zehn oder zwölf Tage hierher kam: woraus ich denn sah, wenn ich es nicht schon sonst gewußt hätte, daß der Doge von Venedig doch nicht so sehr ein Gefangener war, als man im Auslande sich insgemein vorstellt.

Auf diesem Landsitze wohnte der Obcrgeneral Buona­ parte, mit seiner Gemahlinn und so vielen Generalen und OfficierS, daß diese weitläuftigen Gebäude sie mtt Mühe faßten.

Wir wechselten Pferde nahe bey Passeriano, zu C odroipo, einem Flecken, drey Deutsche Meilen von Udine. — Bald nachher kamen wir an den Tagliamento, der von allen den häßlichen und breiten Flüssen, die ich Ihnen beschrieben habe, der beschwerlichste ist. Sein ganz mit Steinen bedecktes Bett ist hier reichlich über eine Italiänische Meile breit. Zugleich gaben mir eine Menge Lastwagen, deren, wie ich nachher erfuhr, zwey und fünfzig waren, eine traurige Aussicht für unsere Tagereise. Allein der Unterofstcier, der sie anführte (denn es waren lauter Wagen mit Lebensmitteln für die Kaiser­ liche Armee in Italien beladen) war sehr höflich und ließ uns zuerst fahren. — „ Sie müßten ja sonst, sagte er, den ganzen Tag hier warten." — Dieß war buchstäblich wahr; denn nach der Art, wie man hier über den Tagliamento geht, halte ich es für unmöglich, zwey und fünfzig Wagen in einem Tage überzusetzen. Zuerst hatten wir eine äußerst beschwerliche Fahrt über die lockern, auf einander gehäuften Steine, womit das trockene Bett des Flusses angefüllt war; dann kamen wir an einen reißenden Strom, über den wir auf einer Fähre setzten, die so übel eingerichtet ist, daß es ein langes Geschäft war, den Wa­ gen darauf zu bringen. Hierauf fuhren wir wieder eilt Stück Weges über Steine, durch einen trockenen Theil

des Flußbettes, bis wir an den zweyten Strom kamen,

wo wir keine Barke fanden,

wohl aber mehrere Leute,

welche hier angeßellt sind, den Reisenden durchzuhelfen. Ein Anführer ging voraus, und zeigte bey Postknechten den Weg an, wie sie ihn fahren mußten, und einige starke Männer wadeten im Wasser und hielten den Wagen auf

beyden Seiten, weil der Fluß auch hier gewaltsam dahin­ strömt. Wir waren nun wieder im Trockenen, allein noch

immer im Bette des Flusses, immer auf lockern, oft hoch aufgethürmten^ Steinen. Endlich kamen wir an den drit­ ten Strom, wo wir abermahls eine Darke fanden; un­ endlich hatten wir noch eine große Strecke auf Steinen zu

fahren, ehe wir das jenseitige Ufer erreichten. Aber selbst mit diesem ungeheuern Bette ist der Fluß

nicht

zufrieden!

Wenn

der Schnee auf den Bergen

durch eine schnelle Hitze im Früh;ahre schmilzt, so füllt der Tagliamento nicht nur dieses ganze Bett, sondern überschwemmt noch überdieß einen großen Strich Landes, der dadurch für allen Anbau unbrauchbar wird, wie ich aus dem Sande sehe, womit der Boden weit und breit

hier bedeckt ist.

Es versteht sich von selbst, daß der Fluß

alsdann ganz und gar nicht zu passiren ist.

Zm Winter hingegen hat er mehrentheils so wenig Wasser, daß man, ohne allen Beystand von Fahrzeugen,

durch ihn geht

und fährt. Stellen Sie Sich vor, daß der Preis dieser Uebersahrt nicht bestimmt ist! So etwas sieht der Veneziani­ schen Regierung vollkommen ähnlich,

und das war ein

Theil der Freyheit, die man dem Volke ließ, mit Frem­

den zu thun, was sie für gut fanden.

(Die Oesterreichi­

sche Regierung hat in diesem Lande noch wenig abgeändert.) Man bezahlt für die Ueberfahkt „ Quello ch’e

giusto•• (was recht ist) wie sich einer der Fährleute aus-

drückl«: und dieses Giusto betrug im gegenwärtigen Falle

1*4

r i e f.

Vielter

fünfzig Lire, oder zehn Gulden *).

Nach vielem Zanken,

Schreyen, Fluchen und gegenseitigen Drohungen nahmen sie mit dem vierten Theile vorlieb.

Zwischen dem ersten und zweyten Strome begegneten wir mehreren Hunderten Französischer Gefangenen,

die

grösitentheils ein unbeschreiblich elendes Ansehen hatten. Manche standen ganz nackt da und rangen sich das Hemd aus, in welchem sie so eben durch den Fluß gewadet wa­

ren.

Sehr

wenige

trugen

Monturen;

Schuh und

Strümpfe waren fast gar nicht unter ihnen zu sehen.

Manche hatten schlechterdings nichts auf dem Körper als ein Paar Beinkleider und ein Mittelding von einer .Jacke

und Hemde, zu grob, um letzteres zu seyn, und nicht stark genug,

um den Nahmen der erstem zu erhalten.

Ich fragte einen Kaiserlichen Unterofficier, der am Wasser

stand, woher es käme, daß sie so gar lumpig und bettel-

haft aussahen? — „0, sagte er, die, welche in Festun­ gen, in Städten, und kurz, durch Capiti^lation gefangen

werden, behalten alles, was sie haben; wenn wir sie aber nach einer Action im Felde, im Walde kriegen, so wird

ihnen alles abgenommen, auch das Hemd, wenn es ein

gutes ist.

Das ist nun einmahl so der Gebrauch; sie ma­

chen es uns auch nicht anders." — Aber auch selbst die, welche eine Montur trugen, und denen also nicht alles ab-

genommen war, hatten so wenig Habseligkeiten, daß ich mich nicht mehr über die äußerste Leichtigkeit und Bewegsamkeit einer Französischen Armee wundere.

Hierzu Sa eile fand ich wieder alle Gassen, alle Plätze,

alle Spaziergänge voll von diesen Gefangenen.

Man sagt mir, es wären ihrer, für diese Nacht, nicht weniger als neun hundert hier. — (Zwischen Treviso und

Mestre begegneten wir abermahts mehreren Hunderten auf *) Die Venezianische Lira beträgt gerade 12 Kaiserliche Kreuzer.

der Landstraße.)

Ein sehr großer Theil dieser Kriegsge­

fangenen sind Cissalpiner.

Auch sie sahen so aus, daß ich

von den allerwenigsten mir würde haben tramen lassen,

daß ste Soldaten wären, wenn ich nicht immer eine kleine

Cocarde bemerkt hatte, die sie auf einem dreyeckigen, oder runden Hute, aus einer Freyheitskappe, oder Nachtmütze trugen.

Ern zerlumpteres, nackteres, elenderes Gesindel

Manche schienen nicht sechzehn

ist mir nie vorgckomrnen. Zahre alt zu seyn.

Man sagt mir,

sie.seyen für das

Bannat bestimmt, und alle werden zu Fuße befördert, die Ossicrers wie die Gemeinen.

Die lchtern haben vom Kai­

ser täglich vier Kreuzer und ein halbes Brot, und damit müssen sie reisen! —

Eme sehr kleine Zahl Oesterreichischer Scharfschützen ist die ganze Bedeckung, unter der man sie nach ihrer Be­

stimmung schickt.

Zch wunderte mich darüber,

bekam

aber zur Antwort, daß diese hinreichend sey, denn wohin,

sagte man, wollten sie denn laufen? Sie müßten betteln, oder verhungern; und da sie gar nichts haben, so sind sie

ihrer vier Kreuzer täglich wenigstens gewiß.

Ueberdieß

würden die Bauern, die keine Parteylichkeit für sie füh­

len, sie gar bald einfangen und ausliefern. — Wenn sie Rasttag haben, läßt man sie frey herumge­

hen, ohne alle Bedeckung, wie ich es zu Sacile sah. Dev Französische Theil dieser Gefangenen mißbraucht diese Frey­

heit gar sehr! Zn den Kreuzgängen eines Denedictinerklosters zu Treviso waren schlechterdings alle Wände beschrie­ ben.

Alle diese Sentenzen, Verse, Klagen und Anmer­

kungen, die ich da sah, zeigten genugsam den Geist dieser Leute, welcher durchaus Unverschämtheit und Anmaßung

verrieth. Mit diesen Menschen scheint es eine ausgemachte Sache zu seyn, daß Frankreich ganz Europa unterjochen

und zu Republiken machen muß. Rache. — Italiänische

Viele athmeten auch

Aufschriften sah ich

fast keine,

entweder weil die Cissalpiner sich fürchteten, ihre Zmper-

176

Alerrer

D r i « f.

tinenzen in der Landessprache zu schreiben, oder weil sie noch nicht ä la hauteur de la revolution sind. oder, welches wohl das wahrscheinlichste ist, — weil sie nach Italiänischer Gewohnheit und Erziehung, weder lesen noch schreiben können. Em Theil dieses Geschreibsels mochte wohl von Ofstciers kommen, und diese >.nd, ro e ich höre, grösitentheils Franzosen, nicht Ciffalpiner. — Noch muß ich anmerken, daß von allen den Hunderten, und vielleicht Tausenden, denen wir in Krain, am Tagliamenlo, zu Sacile und bey Treviso begegneten, nicht ein einziger, ohne Ausnahme, uns je um etwas angesprochen hat. Mestre, an den Venezianischen Lagunen, den isten Iuny.

Von Udine 'nach Codroipo sind drey Deutsche Meilen, zwey nach Valvassone, einem unbedeutenden Städtchen, drey nach Pordenone und zwey nach Sacile. — Zn Rücksicht auf die drey lehtern dieser Stationen sind alle Postkarten, die ich gesehen habe, falsch! Selbst die beste nicht ausgenommen, die ich über Süddeutschland und die daran stoßenden Länder kenye, welche Artarta zu Wien 1798 unter dem Titel „Nmeste und vollständige Postkarte von ganz Deutschland, den Niederlanden, Pohlen, Ungarn und den angränzem den Theilen Frankreichs und Ztaliens" herausgegeben hat. — Diese Karte hat unter andern den Vorzug, daß sie die sämmtlichen Kaiserlichen Lande in sich faßt, nebst allen neu erworbenen Besitzungen. Sie ist dabey gut ge, stöchen, deutlich und für das Auge angenehm, und kostet zu Wien drey Gulden, auf Leinwand, mit einer Capsel. Pordenone ist ein unbedeutendes Städtchen, hat aber doch mehrere sehr gute und ansehnliche Häuser, der» gleichen man in kleinern Städten nur in Ztalien findet, and besonders im Venezianischen. Die Sache würde mir nsch mehr auffallen, wenn ich nicht wüßte, daß di« Edel»

Vierter

Brief.

177

teure der Terra Ferm a sehr wenig nach Venedig gin­ gen, wo fte ganz und gar nicht angesehen waren. Sie blleben auf ihren Gütern, und hatten, außer diesen, gewöhnltch noch ein Haus in irgend einer Stadt, wo sie andere Edelleute trafen, die mit ihnen in der nähmlichen Lage waren, und mit denen sie der Langenweile des Land­ lebens entflohen, welches der Jtaliäner sehr wenig zu schätzen weiß. Sa eile ist auffallend eine von den Ztalianischen Städten, welche durch eine Menge Spuren zeigen, daß sie einst bessere Tage gesehen haben. Seine Stadtmauer, Thürme und Drücken, so wie der ehemahlige Pallast des Podesta dienen jetzt bloß zu mahlerischen Gegenständen, die dem Auge gefallen und das Herz mit Wehmuth fül­ len. Ein schöner Fluß, die Livenza, der sich sonderbar in dem allen herumschlingt, grüne Wiesen umher, ein üppi­ ger Epheu, der auf den Trümmern wächst, und jene star/ ke, reiche Italiänische Vegetation, die sich in den Ge­ sträuchen und zahlreichen Bäumen umher äußert, zogen Mtch mit wundersamer Gewalt an. Zch wanderte über zwey Stunden lang umher, bis der einbrechende Abend mich in das Posthaus zurückrief, u'o ich, seines armseli­ gen Ansehens ungeachtet, eine erträgliche Mahlzeit und ein gutes Bett fand. — Ueberhaupt bin ich auf dieser ganzen Straße zwischen Triest und Venedig in kein Wirthshaus gekommen, das ich geradezu schlecht nennen könnte. Zu Udine und Treviso ist man sehr wohl. Das schlechteste Haus, in dem wir gewesen sind, ist vielleicht das zu Sacile, und das hätten wir vermeiden können, wenn wir nicht lieber mit Muse reisen und uns Umse­ hen, als drey Meilen weiter nach Conegliano hätten ge­ hen wollen, wo wir noch denselben Abend ein sehr gutes Wirthshaus erreichen konnten. Dieses Conegliano ist kein schlechter Ort, ob­ schon fei# Castello und seine einst schönen Mauern jetzt Jtürrneti 9t. 4- LH. *2

*78

Vierter

Brief.

verfallen sind. Die Gegend umher ist allerliebst, und zeichnet sich von dem ganzen übrigen Striche auch da­ durch aus, daß mehrere Hügel theils in der Nahe, theils dicht an der Stadt sich befinden, von denen man herrliche Aussichten auf eine fruchtbare Ebene, sowohl als auf die hohen Berge gegen Norden hat. Ich ge­ noß dieser Aussicht von dem alten Schlosse, und wen­ dete mich dann noch auf einen andern Hügel, auf wel­ chem ich cm artiges Landhaus fand. Solcher Häuser gibt eö hier herum mehrere, die vortreffliche Lagen haben. Von Conegliano sind drey Deutsche Meilen nach Treviso, und eben so viele nach Mestre. Ich ha­ be alle Fernen in Deutschen Meilen angegeben, weil man von Wien nach Venedig, so wie in allen kaiser­ lichen Staaten, nach Posten rechnet, deren jede zwey Deutsche Meilen hält, oder halten soll. Man sagt nicht zwey oder drey Meilen, sondern eine, oder eine und eine halbe Post. Gerade so zählt auch der Ztaliäner. Berechnet man diese Posten nach Meilen, so sind sie einander nicht immer gleich. Wir Norddeut­ schen rechnen auf die Oesterreichische Post zwey Mei­ len; sie sind aber sehr klein. Zwey solcher Meilen werden nicht viel mehr als eine und eine halbe gemes­ sene Sächsische ausmachen, und viere derselben werden kaum drey Meilen gleich seyn, wie man sie in gewis­ sen Strichen von Westphalen und auch in einigen Han­ növerschen Landen findet. Zn Oesterreich und Döh­ men glaubt man schon schlecht gefahren zu werden, wenn man länger als eine Stunde über eine Meile zubringt. Zm Venezianischen haben wir auf dem gan­ zen Wege hierher die Post in weniger als zwey Stun­ den zurückgelegt. Wer in dieser Jahreszeit nur fünf Posten des Tages macht, hat über drey Stunden Zeit, hier und da zu weilen und sich umzusehen, o^ire gera-

d« sehr früh auszureisen. Wollte man aber in dieser Jahreszeit unausgeseht fortgehen, so könnte man zwir schen Sonnenaufgang und Untergang sieben bis acht Posten zurücklegen.

Der Jtaliäncr rechnet feine Posten zu acht bineun Italiänischen Meilen! Viele sind kaum acht, und andere wiederum über neun. Allein diese Meilen sind selten gemessen, auch aus einer Provinz in die andere keiuesweges sich gleich. Kurz, ich habe nie zu etwa» Gewissem darüber kommen können. — Herr DutenS, der das bekannte Itineraire herausgegeben hat, reiste mit einem Wegmesser, und nahm sich die Mühe, die wahre Lange einer jeden Post zu bestimmen. Allein ich finde in seinen Angaben oft einen so großen Unter» schied zwischen Post und Post, daß ich unmöglich glau» den kaun, er habe immer richtig beobachtet. So ist z. E. die Entfernung von Monfrliee nach Padua eine und eine halbe Post, von da nach Dolo eben so weit, und das nähmliche wieder nach Fusino. Gleichwohl gibt er diese drey Entfernungen, für deren jede das nähmliche bezahlt wird, zu zwölf, zehn und neun Mei» len an. Zwischen Conegliano und Treviso gehet man über den Piave, den dritten großen Fluß zwischen Triest und Venedig! Auch er hat ein ungeheures Bett, und verwüstet zu gewissen Zeiten das Land weit und breit umher. Indessen hat man, auf einem gewissen Strü che, in dem großen Dette ein kleineres ihm angewie» fett, und auf beyden Seiten einen Damm gemacht, innerhalb welchem er, den größten Theil des Zahres hindurch, läuft. So fanden wir ihn jeht und passir» len ihn auf einer Schiffsbrücke, die aus fünf und zwanzig Fahrzeugen besteht. Ihre Länge mag etwa acht hundert Schuh seyn.

Vierter

igo

Brief.

Diese drey Flüsse, der Lisonzo, Tagliament» und

Piave,

Feldzüge,

jetzt

sind nicht

so

bekannt

durch Buonaparte'«

nur für die Provinzen,

durch

die sie fließen, so gut wie verloren, sondern sie thun auch großen Schaden, und bedecken mit ihren Steinen und ihrem Sande ein Stück Land, daß, wenn ich alle dir

kleinern Flüsse dazu rechne, dir auch «in große« Bett

einnehmen, und doch einen beträchtlichen Theil des Jah­

res hindurch kernen Tropfen Wasser haben, «ine Stre­ cke herauskommt, die vielleicht auf dreyßig Deutsche Q.uadratmeilen beträgt.

An Schiffahrt ist hier nicht

zu gedenken; denn außerdem, daß diese Flüsse mit «i< ner fürchterlichen Schnelligkeit laufen, haben auch die

größten davon zu gewissen Zertrn nicht Wasser genug für irgend eine Art von Fahrzeugen. Auch lassen sich

keine Landungsplätze an Strömen anbringen, die heute eine Ztaltänische Meile, und über acht Tage nicht hun­

dert Schritte breit sind. Sie sind am größten, wenn der erste Frühlingsthau mit schneller, großer Hitze ein­

fällt; sie werden übermahl- beträchtlich, wenn die Hitze im Sommer lange anhält, und auf den Bergen Vie­ ten, oder allen noch übrigen Schnee schmelzt. Dey

kaltem und trockenem Wetter im Winter kann man al­

lenfalls zu Fuße durchwaden.

Einige

de^

kleinern

Flüsse, die ihre Nahrung nicht aus den großen, mit ewigem Schnee bedeckten Alpen ziehen, sind im hohen

Sommer, und selbst schon jetzt, ganz trocken. Treviso wird von manchen, in Rücksicht auf Wichtigkeit, der Stadt Udine gleich geschätzt. Ich fin­ de «inen beträchtlichen Unterschied zum Nachtheil der «rstern, die mehr das Bild darstellt von dem, was sie

gewesen, als von dem, was sie jetzt ist. Das große Rathhaus zu Treviso, die vielen großen und ansehnli­

chen Kirchen, eiuig« andere öffentlich« Gebäude und

eine Menge beträchtliche, anspruchsvolle Häuser von Privatpersonen zeigen deutlich, daß einst Reichthum in dieser Stadt gemein wat. Aber jetzt sehe ich merkliche Spuren von Armuth und finde nicht jene Betriebsam­ keit und Thätigkeit, ja nicht einmahl jene Reinlichkeit, die mir zu Udine gefiel. Büschings Beschreibung von Treviso dünkt mich also zu vortheilhaft. Indessen ist doch auch hier ein zahlreicher Adel, und der das Be­ dürfniß fühlt, sich zu belustigen. Ich sahe eine Men­ ge Kaffeehäuser und zwey Theater. — Die sehr große und alte Kirche des Benedictinerkiosters, St. Nico­ las, verdient gesehen zu werden, so wie die bischbfliche und einige andere. — Ueber den Piaveselle gehen hier Brücken. — Die Post ist ein gutes und sehr theures Wirthshaus. Der Strich Landes zwischen Treviso und Mestre, drey Deutsche Meilen lang, gehört unter die auffallend­ sten, die ich irgendwo gesehn habe. Sie glauben auf diesem ganzen Wege, daß Sie Sich den Thoren einer der großen Europäischen Hauptstädte nähern. Wirklich sieht hier alles viel versprechender aus, als ein eben so langer Strich Landes vor Paris, auf der Seite von St. Denis. Die Gegend ist schön, und darum wähl­ ten sie die Venezianischen Großen und Reichen vorzüg» lich zu ihren Landsitzen. Einer stößt, so zu sagen, an den andern, und viele darunter sind, in ihrer Art, groß und prächtig. Manche tragen freylich Zeichen des Verfalles; indessen sind doch die mehresten ziemlich an­ ständig unterhalten. Daß ein ntit Landhäusern so besetzter Strich wohl angebaut ist, versteht sich von selbst. Wiesen, etwas Getreide, Reben, viele Obstbäume und andere, ganz vorzüglich aber Maulbeerbäume und Gartengewächse. Der Boden ist hier kostbar; denn außer dem, was die Gärten und Landhäuserwegnehmen, bekommt das übri-

igi

Vierter

Brief.

ge Land dadurch einen hohen Werth, daß der Dauer es sehr leicht findet, seine Erjeugniffe abzusetzen, weil alle Bedürfnisse der Stadt Venedig vom festen Lande herbeygeschaft werden müssen. Ueberdieß hat man von Treviso, so gut wie von Mestre, den Wassertransport. Die Gärten sind größtentheilS von mäßigem Um­ fange, und sammt und sonders in einem Geschmacke, den nun auch der. Deutsche zu verachten gelernt hat. Zch verachte nichts, was in seiner Arr gut ist; aber freylich jiehe ich den wahren Englischen Styl unend­ lich vor. ES ist auffallend, daß man zwischen Treviso und Mestre auch nicht den geringsten Begriff von die­ sem Style zu haben scheint: ein offenbarer Deweiß, daß alle diese Landhäuser und Gärten schwerlich von der gegenwärtigen Generation angelegt sind, und daß Wan in diesem Artikel, wie in allen andern, hier bloß von dem Reichthum« und den Thaten seiner Vorfah­ ren lebt. Venedig den aten Jun». Mestre ist ein überaus lebhafter Ort, und scheint stark bevölkert zu seyn, ob ich schon lachm mußte, als mir der Gastwirth von sechzehn tausend Seelen sprach. «Hier ist Regsamkeit und Ztaliänischer Lerm genug, und an der Wafferseite wimmelt eS von Menschen. Der Canal, der von hier in die Lagunen geht und eine Länge von drey Ztaliänischen Meilen hat, ist voller Boote und Gondeln und zeigt eine überaus angenehr we Lebhaftigkeit. An beyden Seiten desselben geht ei­ ne breite Straße, die mit vielen Häusern besetzt ist, worunter sich einige Landhäuser befinden, die Venezia­ nern gehören. Am Ende verliert sich dieser so besetzte Canal in eine traurige, sumpfige Gegend, die zum Theil Znseln bildet, auf denen «in grobes, schlechtes

Gras wächst,

und

zwischen welchen man durchfährt,

um in die Lagunen zu kommen.

Hier beträgt die Län­

ge der Lagunen bis Venedig kaum vier Meilen.

Man

rechnet von Mestre nach Venedig eine Post.

Wir

machten den ganzen Weg in zwey Stunden, ob wir schon

den Wind gegen uns hatten; aber freylich rudern diese Gondoliere mit großer Kraft und Schnelle. Wegen der Kürze der Ueberfahrt bedient man fich

hier sehr der Gondeln, welche zwischen Venedig und Fu-sina, oder Padua nicht sehr in Gebrauch smd.

Preis ist von der Regierung festgesetzt.

Der

Für neun und

«in halb Lire, d. h. für Fl. 1, 54, hat man eine Gon­

del und vier Leute zum Rudern.

Dieß ist eine sehr klei­

ne Summe; aber dafür erwarten sie wenigstens noch ei­ nen Gulden Trinkgeld. Am Ende ist es doch die wohl­ feilste Fahrt, die ich seit langer Zeit gemacht habe. Es versteht sich, daß «in solches Fahrzeug keinen Wagen ein­ nehmen kann, den man zu Mestre zurücklaßt.

Ueberhaupt nimmt nicht leicht jemand seinen Wagen mit nach

Venedig, er müßte denn von dieser Stadt aus einen ganz

entgegengesetzten Weg, z. E. nach Chioggia, nehmen wollen. Wir werden nach Padua gehen, und da wäre unser gerader Weg von Venedig über Fustna; allein wir wollen lieber nach Mestre zurückkehren, als den Wagen

mit yns nach Venedig führen, oder zu Lande nach Fusi» na oder Padua bringen lassen. Ehe man ganz in die Lagunen einläuft, kommt man an einen Thurm mit einem Hause, wo sich eine kaiserlich« Wache mit einem Officier befindet. Nun noch einige allgemein» Bemerkungen über das

Land zwischen Triest und Venedig! —

Gleich bey den

Ufern des Timavo fängt jene Ebene an, die sich, fast ununterbrochen, bis Mestre, und von da bis Padua

und andere Gegenden, in verschiedenen Richtungen, ersircckl.

Nur hin und wieder finden sich in diesem um

«84

Vierter

Vries.

geheuer» Striche einige unbedeutende Erhöhungen, und man kann im Ganzen sagen, daß es eine schnurgera­ de Ebene ist. Sie scheint ursprünglich unter dem Nteere gestanden zu haben, und ein Geschenk jener Flüsse zu seyn, so wie Holland seinen Ursprung dem Rhein und der Maas, Niederägypten dem Nil und ein Theil von Norbdeutschland der Elbe, der Oder und andern Wassern wahrscheinlich zu danken haben. Diese Veneziar Nische Ebene ist aber darum vorzüglich auffallend, weil sie so sonderbar mit den Alpen absticht, von denen sie vermuthlich ihr Daseyn hat, und deren Höhe den Schweizeralpen vom zweyten Range gleich ist. Al« ich vor vierzehn Tagen die Küste des Histerreich« befuhr, gedachte ich der prächtigen Aussicht auf diese bcschneyten Höhen läng« dem Adriatischen Meere hin, t>N dessen Ufern sie sich zu erheben schienen. Ich wuß­ te freylich wohl, daß «S in der Nähe dieses MerreS keine Gebirge in der angeführten Richtung gibt; aber das wußte ich nicht, daß der größer« Theil fünfzig und fechtig Ztaliänssche Meilen davon entfernt, und daß selbst die allernächsten noch immer über dreyßig Mei­ len vom Meere entlegen sind. Die Wahrheit ist, daß dze allerhöchsten und ansehnlichsten dieser Gebirge, die, in der Ferne gesehen, am Adriatischen Meere zu liegen scheinen, keine andern, al« jene Alpen von Oberkärnthen sind, welche vom Loibel westwärts nach Villach, Ct. Paternion und Lienz im Pusterthale laufen, und sich hier und da bis an die Venezianische Grenze herabziehcn, und nahmentlich nach Ponteba Veneka. Von da weg machen sie die Grenze des Venezianischen GebiethS, OberkärnthenS und Tyrol«, doch so, daß die höchsten und eigentlichen Alpen immer in Tyrol und Kärnthen liegen. An diese höchsten mit Schnee bedeck­ ten Gipfel stoßen gegen Süden andere, die noch im­ mer sehr hoch sind, auf denen aber jetzt der Schnee

Vierter

Brief.

schon sehr geschmolzen war. Die niedrigern von die­ sen sind noch immer von einer ansehnlichen Höhe, und ich betrachte sie als die Brustwehr, oder Voralpen der eigentlichen Alpen, ungefähr wie den Rigi und Pila» tuöberg in der Schweiz, auf welchen im Sommer der Schneej auch verschwindet. Nun, auch diese Voral­ pen sind noch immer in einer Ferne von dreyßig bi< vierzig Ztalränischen Meilen vom Meere, und selbst da, wo ich ihnen am nächsten kam, nähmlich zu Udi­ ne, Codroipo und Conegliano, waren sie noch zwölf bis fünfzehn Meilen nördlich von mir. Es sind un­ geheure, schwere Felsenmaffen, auf deren Gipfel we­ der Holz, noch sonst etwas wächst. Zhr Anblick, de» man auf dieser ganzen Reise nie verliert, macht einen überaus angenehmen Abstich mit der großen, ganz fla­ chen, grißtentheils wohl angebauten und fruchtbaken Ebene, die sich bis an das Meer erstreckt. Mil eini­ gen Ausnahmen ist der Charakter dieser ganzen Plä­ ne der nähmliche: eS ist ein Land, wie ich es Ihnen schon zwischen Mv.lsalcone, Görz und Nogareto be­ schrieben habe, — angebaute Felder, die «ingeschlossen sind, und auf denen man Bäume in regelmäßigen Rei­ hen zieht, woran der Weinstock emporwächst, und in Festonen von einem zum andern läuft. Wein und Seide scheinen der vorzüglichste Ertrag dieser großen Ebene zu seyn, ohne jedoch Getreide, Gartengewächse und Daumfrüchte aller Art auszuschließen. Hin und wieder sah ich auch Olivenbäum«; Fei­ gen in großer Menge. Beym ersten Anblicke eines solchen Landes ist der Bewohner des Nordens geneigt, auSzurufen: „Glückliches Landvolk, baS auf dem nähm­ lichen Felde zur nähmlichem Zeit, die Frücht« der Erde zu seiner Nahrung, Blätter für seine Seidenwürmer, Wein, Obst, und selbst etwas Oehl wachsen sieht!" — Bep dem allen scheint der Dauer in diesem ganzen

186

Vierter

Brief.

Striche nicht» weniger, als reich, ja mehrenthetl« nicht einmahl wohlhabend zu seyn. — Doch sind die Dörfer meistens- gut gebaut, und die Häuser von Stein und mit Ziegeln gedeckt. Es war ein ganz eigener Genuß für mich, in der Architektur auch der geringsten und elendesten Häuser je» ne bessern Formen und schöne Verhältnisse zu finden, die hier sehr gemein find, und von denen man in Deutsch« land noch immer keinen Begriff hat. Zch weiß nicht, ist dieser Strich Italiens besser gebaut, als mancher andere, und hat Palladio auch auf d«e Dörfer dieses Theiles des Venezianischen Gebiethes seinen Einfluß gehabt; oder fiel mir dieser Styl so vsrzüglich auf, weil «ch seit fünf Zähren wieder in Deutschland gelebt habe; — aber mich dünkte, ich hätt« nie auf einer so langen Strecke Landes, so viele Häuser von einer schönen Form und von so gu­ ten , feinen Verhältnissen gesehen, als zwischen Görz und Venedig. Und die Gebäude des Landvolks waren gera­ de diejenigen, die mir in dieser Rücksicht am meisten «uffielen. Alle Knaben und Mädchen, die man in diesem gan­ zen Lande auf dem Felde beym Viehhüthen antrifft, ma­ chen Profession vom Betteln. Sie laufen oft aus ei­ ner beträchtlichen Ferne querfeldein, und wissen geschickt ihren Weg so zu nehme», daß sie auf der Straße den Fleck, auf welchem fle ihren Posten fassen, immer etwas früher erreichen, als der Wagen des Reifenden. Sie knien dann nieder, bis man ihnen ziemlich nahe kommt; auf einmahl springen die Knaben auf, schlagen Räder auf der Straße hin, und das mit so vieler Geschicklich­ keit und Schnelle, daß sie durch ihr Räderschlagen eben so viel Weg machen, als der Wagen im vollen Laufe. Und nun erst kommen sie, mit dem Hute in der Hand, an den Schlag. Da Kupfermünze hier zu Lande leicht zu haben ist, so wäre es hart, so viele Anstrengung und

Mühe nicht zu belohnen; aber man muß sich mit einem großen Vorrathe versehen, wenn man allen geben will. Hätte ich alle die Knaben und Mädchen gezählt, die uns anbettelten, ich glaube, daß ich manchen Tag auf fünf« zig gekommen wäre. — Eben so wird man von Bett» lern aller Art verfolgt, wenn man in einem Dorfe ein wenig anhält. Zhre Beharrlichkeit und das Geschrey, womit sie die Gabe zu erzwingen suchen, sind ermüdend. Frische Butter ist in dieser ganzen Gegend nicht zu haben, so wie bo^ überhaupt ein in Italien fast unbe. kannter Artikel des Luxus ist. Käse und Milch ist alles, was man hier von der Kuh zieht. Wer Butter haben will, erhält sie geschmolzen und eingelegt, aus Gegenden, die reicher an guten Weiden sind, als diese. — Indes« sen kamen wir hin und wieder durch kleine Striche, wo ich sehr wenig Reben und angebautes Feld, wohl aber große Weiden fand, die übrigens schlecht waren, und ver« nachlässiger schienen. Es fehlt diesem Lande fast überall an Wasser; und doch wird vielleicht noch manches Zahrzrhend, wo nicht Zahrhundert vergehen, ehe man lernt, wie im Mailändischen, die Alpenstrime in gehörige Bet­ ten einzuschließen, und in unzähligen Canälen auf die Felder zu leiten»

r«8

Fünfter Brief. Um Venedig kennen zu lernen, muß man es zu Lande

durchgehen, sowohl al- zu Wasser befahren — die Pfer­ de des Lyssppus — mancherley Veränderungen In der

Stadt durch die letzte Revolution — das große Zeughaus — traurige Veränderungen daselbst — St. Giorgio mag.

giort — Detteley — Armuth unter den bessern-«Standen

— Pesaro — Pellegrini — Venedig eine zu Grunde ge­ richtete Stadt — doch immer noch ein wichtiger Ort — etwa- von den Kirchen — das neue Opernhaus la Fenice

— Fahrt nach Malamocco und Palestrina — der Molo — die Inseln auf den Lagunen — Conova's Psyche im

Pallafie Mancini — Allgemeine Bemerkungen.

Venedig den zten Juny 1799. V^eine Absicht ist diese- Mahl nicht, Ihnen eine um­ ständliche Beschreibung von Venedig zu liefern. Man hat die Briefe darüber, die ich Ihnen vor fünf Jahren schrieb, als ich mich einen ganzen Monath hier aufhielt; aber wenn Sie auch diese nicht hätten, so wäre Ihnen doch diese Stadt durch mehr als eine Deschreibutrg genugsam bekannt. Das, worauf ich jetzt

vorzüglich meine Aufmerksamkeit richten werde, sind die Veränderungen, die ich hier finde, i>4 h. diejenigen, die die Französisch« Revolution und die Oestrrrrichische Be, sihnehmung dieses Staates hervorgebracht haben. Ne­ benher werde ich einige Gegenstände berühren, die mir merkwürdig scheinen, weil sie, auch bey einem zweyten Besuche in dieser Stadt, mich in einem hohen Grad« intereffirte». Ais «ch das letzte Mahl hier war, fuhr ich gewöhn­ lich in unserer Gondel umher, und endigte mehrentheils am Markusplatze, von welchem ich, nach einem kleinen Spaziergange, zu Fuße nach Hause ging. Die­ ser Weg nach Hause war ungefähr immer der nähmli­ che, so wie die Gegenstände, die ich täglich auf dem Platze sahe, nach acht oder zehn Tagen mir wenig Ab­ wechselung mehr gewährten. Die Folge davon war, daß ich Venedig nur halb kennen lernte. Dieses Mahl fing ich damit an, daß ich in den ersten Tagen gar kein« Gondel bestieg, sondern, ohne alle Führung, in der Stadt ümherging, wobey ich jedoch einen gewissen Plan befolgte, den ich mir nach dem Grundrisse der Stadt, nach dem Laufe des großen Canals und nach einigen Hauptgebäuden machte, deren ich mich von vo­ rigen Zeiten her erinnerte. Es war natürlich, daß ich mich in einer so verworrenen, enge gebauten Stadt, wie Venedig ist, verirrte, daß id) mich oft von denen, die mir begegneten, zurecht weisen lassen mußte, oder daß ich, wenn mir das Ding endlid) zu lang wurde, mich von der ersten besten Gondel, deren man auf al­ le» Canälen eine Menge findet, nach Hause fahren ließ. Auf diese Art lernte ich in rin paar Tagen Ve­ nedig und seine verschiedenen Theil« besser kennen, als vor fünf Zähren in einem ganzen Monathe. Die Landseiten und die Wasserseiten dieser Stadt sind sehr von einander verschieden, und niemand lernt beyde

190

F ü n f t c r

B r i e f.

ganz kennen, als wer sie zu Wasser und zu Lande in al­ len Richtungen durchwandert. Unter andern, stieß ich auf einige ziemlich geräumige Plätze, von denen ich in dieser Wasserstadt nrcht den geringsten Begriff hatte. Man mache es hier wie man will, immer kommt mau wieder auf den Markusplah! Zch habe ihn vor fünf Zähren auswendig gelernt, und jetzt meine De, kanntschaft mit ihm schon vollkommen wieder erneuert. — Zn der berühmten M a r k u s k i r ch e werde ich keine Veränderungen gewahr, als daß über dem Hauptthore die vier schönen metallenen Pferde fehlen, die man im­ mer dem Lysippus zugeschrieben hat. Die Geschichte die­ ser Pferde, wie sie Rannusius und andere (wahr oder falsch) erzählen, ist wahrhast lustig und ein wahres Com< pendium menschlicher Ungerechtigkeit und Gewaltthä­ tigkeit. Zuerst sollen sie auf Augusts Triumphbogen zu Rom gestanden haben, dann auf Nero's, und in der Folge auf Domitian's verpflanzt worden seyn. Zunächst setzte man sie auf Trajan's Dogen, von wo sie Constan­ tin der Große auf den seinigen bringen ließ. Als er nachher den Sih der Regierung änderte, wurden die Pferde nach Constantinopel geführt. Zm Zahre 1204 nahmen die Venezianer diese Stadt ein, und fanden die berühmten Pferde auf dem Hippodromus, von wo sie nach Venedig gebracht wurden, gerade wie die Fran, zosen sie vor zwey Zähren nach Paris geschleppt haben. Zch trete keinesweges in die historische Richtigkeit dieser Pferdegeschichte ein, und setze bloß hinzu '(denn hier ist Raum zu Muthmaßungen) daß alle Wahrscheinlichkeit da ist, daß diese Pferde ursprünglich in Griechenland (und warum nicht von Lysippus, wie man gewöhnlich glaubt?) gemacht waren, und von den Erzräubern der alten Welt, den Römern, nach Ztalieu gebracht wurden.

Fünfter Brief.

»yr

Nahe an der Marknskirche steht ein Thurm, de» man, von seiner großen Uhr, den U h r e n t h u r m nennt. Auf diesem war das Wappen von Venedig, d. h. ein gro» ßer Löwe (Sinnbild des Apostels Markus) vor welchem »in Doge kniete. Beyde wurden, nach löblichem neu­ fränkischen Gebrauche, herabgeworfen. Der Löwe wur­ de nachher ausgebessert, frisch vergoldet und wieder auf­ gestellt; aber dir arme Doge hat keine Barmherzigkeit gefunden. Auf den drey Masten auf dem Markus­ platze, welche die Königreiche Cypern, Caudia und Negropont anzeigen, weht jetzt die kaiserlich« Flagge, die sich sehr wohl mit den vielen Löwen verträgt, die man aller Orten wieder hergestellt hat, und denen sie alle unschuldige Ehre läßt. Ueberhaupt scheint die kai­ serliche Regierung die Löwen mit schonender Milde zu behandeln. Auf den zwey großen Granitsäulen, die auf der Piacetta, d. h auf dem Theile des MarkusPlatzes stehen, wo er nach dem großen Tanale zu of­ fen ist, sieht man zwar noch den Löwen und den heiligeü Theodor, wie sonst; allein der erstere ist jetzt nur von Holz; den metallenen, sehr schön gearbeiteten, haben die Franzosen weggeführt. Zn den Proruratie nuove, d. h. der Seite des Markusplatzes, der von Sansovino gebaut ist, und in welchen ehemahls den Proeuratori di S. Mario ihre Wohnung angewiesen war, sind jetzt mehrere kaiser­ liche Regierungskammern, während daß die ungeheuern Säle des großen Rathes, des Senates und des Squitinio leer stehen und zu gar nichts gebraucht werden. Oesterreichische Simplicität fand sie vermuthlich wegen ih­ rer Größe unbequem. — Eben so stehen auch die eigentr lichen Wohnzimmer des ehemahligen Doge leer.

i«p

Künste r Brief.

Zn den verschiedenen Gallerien des herzoglichen Pal« lastee bemerkte ich, daß-alle die Löwenköpfe abgebrochen sind, in deren Rachen man unter der porigen Regierung die geheimen Anklagen warf. Die Aufschriften, die sich ehemahls unter diesen Löwenköpfen befanden, und welche anzeigten, was für Obrigkeiten man bey jedem Rachen verklagen konnte, sind rein auögekratzt. Alles das ge­ schah in den Zeiten der Demokratie, und nicht sowohl von den Franzosen selbst, als von den Venezianischen Jakobinern. Aus den verschiedenen Sälen des herzoglichen Palla­ sit« haben die Franzosen nicht mehr, als sechs oder sieben Gemählde geraubt, entweder, «eil sie nichts als die er­ sten Meisterstücke aufsuchten, oder, welches wahrscheinli­ cher ist, weil ihnen dir Gegenstände nicht gefielen; denn fast alle diese Gemählde enthalten nichts anders, als die Siege und berühmten Thaten der aristokratischen Republik Venedig. Von vielen Stücken mögen sie wohl auch den ganzen hohen Werth nicht gekannt haben, st ivie man überhaupt sagt, daß sie, anstatt manches we­ niger guten Gemähldes, welches sie genommen, das bes­ sere haben stehen lassen. Privateigenthum haben die Franzosen hier nicht an­ getastet, wie ich. durchaus höre und in allen Pallästen bestätiget finde, die ich bis hierher besucht habe. Der schönsten und bekanntesten Werke erinnere ich mich selbst noch sehr genau, und habe sie wieder gefunden. So war ich kürzlich in dem Pallaste Pisani Morandi, wo der berühmte Paul Veronese ist, der Alexander den Gro­ ßen und die Familie de« Darius vorstellt, sowohl als da« sonderbare Gemählde von Piacetta, das Darius Tod enthält. Ich fand beyde wieder. — Zn diesem Hause wohnte die Bürgerinn Buonaparte. Er selbst ist nicht nach Venedig gekommen.

Fünfter

Brief.

193

Wir ließen und gestern auf das Zeughaus rudern, wo sonst ein Officiant saß, von dem man auf der Stelle die Erlaubniß erhalten konnte, alles zu sehen. Allein

hier erfuhr ich, daß wir uns deßwegen an seine Excellenz

den Seeminister Querini wenden müßten.

Zch schickte

denn in sein Departement in den Procuratie nuove,

und erhielt zur 2fntwort, daß wir in Person erscheinen und unsern Paß mitbringen müßten.

Das thaten wir

denn, und nach einigen ziemlich umständlichen Formali­ täten erhielten wir den gedruckten und unterschriebenen

Erlaubnisschein.

Zch kam nun im Zeughause selbst an, und machte die Reise durch die verschiedenen Theile desselben, gerade

als ob alles noch so Ware, wie ich es einst hier sahe.

Dreß ist der Theil von Venedig, wo die Verheerungen, die die Neufranken

sind. —

Die

angcrichtet haben, am sichtbarsten

Löwen,

die vor dem Eingänge stehen,

und die man einst aus Athen hierher brachte, haben sie

nicht weggenommen, es sey nun , daß sie sie nicht schön genug fanden, oder daß sie ihnen zu schwer waren.

Sie

sind alle vier von weißem Marmor, alle von übernatürlir

cher Größe: einer derselben, welcher liegt, ist vom Schwänze bis an dad Ende seiner Vorderfüße elf Schuh, sechs Zoll lang.

Desto mehr raubten sie ans dem Zeug­

hause selbst! Außer fünf guten und brauchbaren Kriegs­ schiffen nahmen sie den ganzen Vorrath von Dingen aller 2(vt, die zur Ausrüstung einer Flotte gehören; als Kano­

nen, Kugeln, Flinten, Dxgen, Taue, Stricke, Segel, Hanf, Anker, ja sogar Ruder und hnnderterley ?trtiket

von Eisen zum mannigfaltigen Bedarf der Schiffahrt. Alle diese Säle und Niederlagen sehen denn jetzt sehr traurig aus, und zeigen in seiner ganzen Nacktheit das

verfallene Ansehen dieses einst größten von Europa's Zeug, Hausern.

Nur hin und wieder sieht man neuen Vorrath,

wovon ich nachher reden werde. Äuttners R. 4» Th.

Cs ist wirklich ein grau-

194

Fünfter

Bries.

fer Ztnblick, diesen Theil von Venedig zu sehen, der über eine Italiänische Meile im Umfange hat. Schon unter der vorigen Regierung war das Zeughaus seit einer lan­ gen RcihL von Jahren vernachlässiget worden; die Ma­ schine war zu groß für die gesunkenen Kräfte des Staa­ tes, um in ihren mannigfaltigen Theilen aufrecht erhattess zu werden; und nun durch die letzte Plünderung und Verwüstung ist es in einem Zustande, das; ich fest glaube, Millionen Gulden würden nicht znreichen, alle diese Ge­ bäude wieder herzustellen und die ganze ungeheure Ma­ schine in vollen Gang zu bringen. Der Kaiser hat noch nicht wieder bauen lassen, scheint aber doch das Werk aus einen gewissen Grad aufrecht er­ halten zu wollen. Er hat in dem zahlreichen Personale nichts geändert, ob man schon sagt, daß die Zahl der Ar­ beiter und sämmtlichen Personen, die dazu gehören, über zwey tausend sey. Dieß ist die runde Zahl, die man seit vielen Jahren immer angab; alleiy schon vor fünf Jahren sagte mir jemand ins Ohr, daß wirkUch nicht mehr als fünfzehn hundert Personen da wären, und ein Venezraner, dem ich es erzählte, meinte, daß auch von dieser Summe noch etwas abginge. Indessen fand ich die Arbeiter in allen Departements in voller Thätigkeit, und es schien mir, als ob die Regierung entschlossen sey, sich einige Stärke zur See zu geben, und eme Macht zu erschaffen, die bisher dem Hause Oesterrerch fremd war. Hauptsächlich ist man beschäftiget^ klemere Fahrzeuge entweder zu bauen, oder wieder herzustellen, und sie mit allen nöthigen Artikeln,zu versehen, die denn hler von den verschiedenen Arbeitern verfertiget werden. In den Sälen, wo ehemahls dre Waffen standen/ findet sich schon wieder ein ansehnlicher Vorrath! Man hat die reiche Eroberung hierher geschickt, die der Gene­ ral Klenüu ganz kürzlich am Po machte, so wie auch vie­ les Gewehr, das man zu Peschiera, Brescia u. f. w. ge-

Fünfter

funden hat.

Brief.

195

Hier wird es ausgelesen: das gute und.

brauchbare wird geputzt und in reinlichen Sälen aufge« stellt; von andern nimmt man das beste Eisenwerk, Mes­

sing u. s. w. und versieht es mit neuem Holze; noch an,

deres wird zusammen geschlagen. — Auch von Corfu hat man einen Waffenvorrath hierher gebracht, so daß ich vermuthe, daß hier

in kurzem ein artiges Zeug­

haus, nähmlich nur für den Landdienst, wieder entste­ hen wird. Zn dem Saale, in welchem das beste Gewehr auf«

gestellt ist, befindet sich das schone Denkmahl, das die Republik ihrem Helden Emo setzen ließ. Es ist von

weißem Marmor, und von Canova's Hand.

An einer

Sel)iffssäule (Columna rostrata) sitzt eine Fama und schreibt des Ritters Nahmen in goldenen Buchstaben dar­

auf.

Oben schwebt ein Sieg und krönt sein Brustbild

mit einem Kranze.

Mich bünkt, eS ist eins der schön­

sten Werke, die ich von diesem vortrefflichen Künstler ge­

sehen habe. Sie wissen, daß die ehemahlige Regierung beständig eine gewisse Anzahl von Kriegsschiffen hier bauen ließ,

an denen man zwar regelmäßig, aber sehr langsam ar­

Man fand ihrer immer sechs, -sicben bis acht, deren keines ganz fertig war, und welche die Franzosen

beitete.

folglich nicht gebrauchen konnten, da sie nicht lange ge­

nug hier blieben, um sie vollendet zu sehen.

Alle diese

haben sie zu Grunde gerichtet, so viel sie vermochten, und die Kürze der Zeit ihnen erlaubte; denn, da sie so gar

viel wegzuschaffen hatten, so war ihnen jeder Augenblick kostbar.

Sie nahmen also die Gestelle weg', die sich auf

beyden Seiten eines Schiffes finden, bis man es vom Stapel laufen läßt, und so fielen diese schweren Maschi­ nen auf eine Seite und wurden unbrauchbar.

Von an­

dern zerhackten sie den Kiel und vernichteten die großen Dalken, an denen das Steuepruder befestiget wird. Ei-

10

Fünfter

Brief.

nige Schiffe zerschlugen sie ganz, und noch andere ver­ senkten sie. Die letztern hat man seitdem wieder aus dem Wasser gezogen, und die erstem bessert man aus: womit es freylich sehr langsam geht, wert man sich jetzt mehr mit kleinern Kriegsschtffen, besonders mit Kanonen­ booten, beschäftiget. Zn allem, was man wegnahm, oder zu Grunde richtete, war, bis hierher, ein gewisser Zweck, und, die Ungerechtigkeit weggerechnet, ließ sich weiter nichts gegen die Lache sagen. Aber nebenher vernichtete man eine Menge Dinge aus bloßem kindischen Muthwillen, und aus der diesen Neufranken ganz eigenen Arroganz, die nicht nur jede Regierung, die von der ihrigen verschieden ist, umstoßen wollte, sondern auch alle Spuren zu vertil­ gen wünschte, die von den alten Regierungen übrig sind. Die Markuslöwen also und die Figuren der Dogen wa­ ren hier der ewige Gegenstand ihrer Verfolgung, so wie es in Frankreich die Dentnrähler ihrer ehemahligen Kö­ nige waren: und davon steht man denn auch in diesem Zeughause mehrere Beweise. Unter andern war für sie der Ducentoro ein großer Stern des Anstoßes. Die­ ses reiche und, in seiner Art, merkwürdige Gebäude, obx schon ein sehr schlechtes Schiff, mußte denn auf alle Art entstellt werden! Die größern gehauenen Figuren wur­ den herabgeworfen, die vielen kleinen Basreliefs und all das Schnitzwerk, welches reichlich vergoldet war, wur­ den abgebrochen, und das Gold heruntergekraht. Ueberdieß beschädigte und durchlöcherte man hin und wieder das Ganze. Das ist der Zustand, worin man jetzt dieses Schiff sieht; und da dem Hause Oesterreich wenig daran gelegen seyn kann, so wird es in ein paar Zähren ganz zusammenfallen. Um einem jeden Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, muß ich erinnern, daß die mannigfaltigen Verheerungen, die ich beschrieben habe, nicht allein auf die Rechnung

der Franzosen zu seken sind; vieles thaten die Veneziani­ schen Demokraten, dre ächten wtedergebornen Krnder der Neuen Repubhca Veneta Democratica.

Venedig, den 7ten Iuny.

Auch bin ich wieder zu St. Giorgio Maggio­ re gewesen. Sie wissen, daß dieß eine besondere Znsel ist, die ganz von einem Benedictinerkloster, und dem, was dazu gehört, eingenommen wird, ob sie schon eine Meile im Umfange hat. Mit Vergnügen sah ich die Kirche wieder, die ich immer für eine von Palladios schönsten Werken zu Venedig gehalten habe, weil sie weniger überladen ist, als so viele andere: und dabey wird sie ungemein reinlich gehalten. Ihre Gemählde hat man ihr gelassen, so wie die schönen hölzernen Basreliefs im Chore, welche die Geschichte des heiligen Benedict vorstellen. Aber im Speisesaale hing die berühmte Hochzeit von Cana, die man sür Paul Veronese's Meisterstück hielt. Unglücklicher­ weise war es auf Leinwand, wie die mehresten Ge­ mählde zu Venedig, und so stand eS unter den Arti­ keln der Kunstbeute, die die Franzosen hier machten, oben an. Jetzt ist dieser Speisesaal geschlossen, und mit Salz und Getreide für die Armee angefüllt. Auch in den Kreuzgängen sah ich eine Menge Mehlfasser und mehrere Wachen von kalserlichen Soldaten. In den weitläuftigen und angenehmen Gärten die­ ser Znsel waren sonst große Baume, unter denen die Venezianer sich oft labten und spazieren gingen (denn wer konnte so etwas mehr schätzen, als die Einwohner einer Stadt, wie Venedig?) Die Neufranken haben sie niedergehauen. Vorzüglich berühmt war die Düchersammlung die­ ses Klosters ! Hier waren nicht nur seltene und kost-

198

Fünft er

Dries.

bare Werke in Menge, sondern auch viele Handschrif­ ten und sogenannte Principes, oder Ausgaben von

1400.

Hiervon haben die Franzosen das Mehreste und

Beste weggeführt.

Was zurückbleibt, wird gewöhnlich,

nach einem solchen Unfälle, vorzüglich werth, und so

zeigte mir unser Führer,

mit sichtbarem Wohlgefallen,

einige gerettete Seltenheiten, und darunter einen schö­

nen Livius von 1470. Daß zu Venedig schon längst

große

Armuth

und viel Betteley war, ist bekannt; aber beydes

hat sehr zugenommen,

wofür sich denn eine Menge

llrsachen angeben lassen. Der Markusplatz und alle Kirchen schwärmen jetzt von Bettlern, die dem Frem­ den unaussprechlich beschwerlich sind, weil'sie ihn am meisten verfolgen.

Geduld

Ich gestehe, daß ich bisweilen alle

verliere, wenn ich bemerke,

wie man unter

zwanzig bis dreyßig Personen zum Ziele gemacht und verfolgt wird.

Sie

laufen Zhnen nach, von einem

Ende des langen Markusplatzes bis zum andern, mit einer Hartnäckigkeit,

die beleidigend

ist,

wenn man

sicht, daß sie die Einwohner des Ortes in der nähm­

lichen Zeit ruhig ihren Weg gehen lassen. ist Las nicht ein Ort zum Geben.

Gleichwohl

Man thue das nur

mit einigen wenigen, und man ist sicher, das ganze Heer von Bettlern zur Seite zu haben, die Ihnen bald die Lust benehmen werden, auf dem Platze um-

herzugchen. Aber es gibt eine andere Art von Armen, deren Anblick und Geschichte auch ein unempfindliches Herz

rühren muß.

Gleich am ersten Tage unserer Ankunft

sah ich auf der Rialto, Drücke ein Frauenzimmer in

schwarze Seide gekleidet.

Auf einer Stufe der Brü­

cke lag ein kleines Kind auf einem Dette.

Die Mut­

ter kniete auf dem harten Srcrne, in ihrer Rechten eix ne« Wedel, womit sie dre Fliegen von dem Krude ab
Da ich seine Länge und Breite von verschie­ denen Reisenden immer sehr verschiedentlich angegeben gefunden habe, so nahm ich mir die Mühe, ihn zu messen. Er verdient es wohl, denn er ist wahrschein­ lich der größt« Saal in Europa , der von keinem Pfei­ ler, von keiner Säule unterstützt wird. Zch fand sei­ ne Länge inwendig zwey hundert und sieben und fünf# zig Englische Schuh, neun Zoll, und seine Breite sechs und achtzig Schuh, acht Zoll. — Westminsterhall in London ist, nach Martin, zwey hundert und siebzig Schuh lang und vier und siebzig breit, folglich nicht ganz von so großem Umfange, als dieser hier, wohl aber höher. Da de la Lande den Saal zu Padua gar viel größer angibt, als ich ihn gefunden habe, so muß er das Gebäude von außen gemessen, oder von Hörensa­ gen niedcrgcschrieben haben. Die Unreinlichkeit auf den Gallerten an beyden Seiten dieses Saales ist so groß, als jemahls. Zch glaubte, die Oesterreichische Regierung würde in dieser Rücksicht etwas mehr Reinlichkeit eingesührt haben, wie mich das wirklich zn Venedig der Fall zu seyn dünkte. Hier liegt der Menschenkoth in hohen Haufen aufgethürmt. Der an daS Rathhaus (eigentlich Palazzo del­ la Rag io ne genannt) stoßende Paüast des ehemah,

ligen Podesta steht jetzt leer, und ty den Pallast des Capitano hat man Soldaten einquartiert. Beyde Gebäude sind fett vielen Zähren entsetzlich vernachlässi­ get worden, und der letztere ist in einem elenden Zustande. Die Universitätsgebäude habe ich dieses Mahl nicht gesehen! Das Interessanteste, das ich vor fünf Jahren darin fand, war der Physiksaal, und die­ ser ist seit Jahr und Tag verschlossen, seitdem man den Professor als einen Jakobiner verjagt, und keinen neuen gemacht hat. — Vor mehreren Jahren starb der hiesi­ ge Bischof, und auch er ist noch nicht ersetzt. Aber die Sternwarte habe ich besucht, welche sich aus einem'hohen Thurme des ehemahligen Castello be­ findet. Das Ganze ist noch in sehr guter Ordnung ers halten, mit schönen, steinernen Treppen und einem in Fresco gemahlten Saale. .Die Instrumente befinden sich in der Wohnung des Professors, welche tiefer liegt. Al­ ich hier vor fünf Jahren einen schönen und großen Mauerquadranten von Ramsdenfand, mein­ te ich, es wäre eine Seltenheit, deren sich keine zweyte Sternwarte auf dem festen Lande von Europa rühmen könnte; wirklich ist mir auch seitdem kein zweyter vorge­ kommen. Sonst sind nicht viele Instrumente hier. Aber reihend isis die 2lussicht aus die reiche, fruchtr bare, trefflich angebaute Pläne, die auf einer Seite für das Auge endlos, auf der andern von den Euganischen Gebirgen und dann von den hohen Alpen eingeschloffen ist. Da alle Felder mit Bäumen besetzt sind, an denen man Reben mit Festonen zieht, so gleicht die ganze Ebene einem Lustwalde, aus dem die Ktrchthürme der Dörfer und die vielen Landhäuser angenehm hervorragen. Noch muß ich einer Spazierfahrt gedenken, die wir gestern nach Battaglia machten, einem Bade, da-

13»

S e ch S 1 r r Brief.

sieben Meilen von hier an der Landstraße von Ferrara liegt. Der ganze Weg geht durch ein angenehmes, fruchtbares Land, das auch durch eine große Menge von Landhäusern belebt wird. Man kann zu Wasser und zu Lande gehen. — Battaglia ist eine kleine Stadl, in welcher die Bäder nur wenig Platz einnehmen. Sie sind alle von Marmor, und werden sehr reinlich gehal» ten. Man bezahlt jedes Mahl eine Lira, oder zwölf Kreuzer, welches denn freylich gar viel wohlfeiler ist, als unsere Deutschen Bäder. Ein Schlammbad kostet zwey Lire. Das Wohnhaus enthält nicht über sechzig oder siebzig Zimmer, die alle bloß geweißt sind, und einen Fußi boden von Scagliuola, ein Bett, einen Tisch, eine Com, mode und einige Stühle haben. Sie sind alle einander gleich, einfach, aber reinlich, und kosten durch die Dank täglich zwey Lire; «in Brdientenzimmer, zehn Soldi, d. h. sechs Kreuzer. Wer an der allgemeinen Tafel speist, bezahlt für die Mittagsmahlzeit fünf Lire (einen Gul, den.) Wer zu-Abend speisen will, muß sich das Es« sen auf das Zimmer bringen lassen, und den Preis selbst bestimmen. 2« emem Kaffeehause, das sich im nähmlichen Ge« bände befindet, ist ein Dillard und ein Saal zu Gesell« schäft und Spiel- Tanzsäle und dergleichen kennt man hier nicht. — Fünfzig Dadegäste, die auf einmahl hier sind, betrachtet man schon alü eine ansehnliche Ge« seüschaft. Finden sich mehrere «in, so gehen sie in ein HauS, außerhalb der Stadt, wo auch einige Däder und Zimmer sind. Das Ganze gehört dem Marquis Esten« se Sel vatieo, der «S gewöhnlich an einen Paduaner verpachtet. Dieser Marquis besitzt, einige hundert Schritte von dem Städtchen, ern Schloß, das höchst angenehm aus einem Hügel liegt, und eine vortreffliche Aussicht hat.

Das Städtchen, so wie das Schloß und die übrigen Gebäude, liegt nicht weit vom Fuße der Euganifchen Ge­ birge, welche einen angenehmen Anblick geben. Mir ge­ fiel die ganze Gegend außerordentlich, so wie die Nettig­ keit und Ncuilichkeit, di« ich hier fand, und die in Ita­ lien so selten find. Ein Badegast kann seinen ganzen Aufwand leicht berechnen, und Sie werden ihn sehr unbedeutend finden, wenn Sie alles zusammen nehmen. Sonst waren die Bäder von Abano berühm­ ter, welche ebenfalls in der Nähe der Euganifchen Ge­ birge liegen, fünf Meilen von Padua; jetzt wird Bat­ taglia mehr besucht. Abano soll eine romantischere La­ ge haben. — Aus der gewöhnlichen Zahl der Bade­ gäste, so wie aus der ganzen Einrichtung und dem Mangel an geräuschvollen Belustigungen, sehen Sie leicht, daß diese Bäder, ob man schon viel davon re­ den hört, kcinesweges mit unserm Pyrmont, Spaa, Carlsbad, ja nicht einmahl mit Wißbaden, Lauchstädt, Schlangenbad, Wilhelmsbad und andern ähnlichen zu vergleichen sind. — Das Wasser zu Battaglia ist heiß; das zu Abano, wie ich höre, noch heißer. Das erste­ re wird vorzüglich in rhevmatischen Uebeln, alten Wun­ den und dergleichen gerühmt, hat aber nicht den unan­ genehmen Geruch der Schwefelbäder. — Einst be­ schrieb ich Ihnen die berühmten Bäder von Pisa und Lucca, und fand sie auch, mit den unsrigen verglichen, nur unbeträchtlich.

Vicenza, den izten Juny. Es ist doch sonderbar, daß mir in diesen Gegen­ den alles schöner, besser, gefälliger vorkommt, als vor fünf Jahren! Die Zahl der guten und ansehnlichen Häuser, die man an der Landstraße zwischen Padua und Vicenza sieht, hat sich seitdem gewiß nicht ver-

$34

S e ch s t e r

Brief.

mehrt, auch ihr äußerer Anblick nicht verschönert, (denn hier ist nichts im Steigen und ZuneKmen) und doch fiel mir die Menge dieser Häuser auf, so wie das mehrentheils fruchtbare und angebaute Land. Dieser ganze Strich leidet gelegentlich sehr viel durch Ueberschwemmungen! Dreß ist der Fall noch weit mehr mit dem Lande zwischen Mestre und Pa­ dua, wo ich einen großen Theil des urbaren Bodens unter Wasser fand, und eint Menge Getreidefelder, wovon das Korn schon zum Theil verdorben war. Ein großer Strich der Gegend um Battaglia stand eben­ falls unter Wasser. Nicht nur anhaltender Regen, sondern auch die Winter, in denen viel Schnee auf den Bergen gefallen ist, bringen diese Wirkung hervor, besonders wenn der ©ebnet sehr schnell schmilzt. Für das Ange machen diese zum Theil unter Wasser ste­ henden Gegenden keine übele Wirkung; auch hat man diesem Umstande das schöne Grün zu danken, das sonst im Monathe Zuny diese Striche von Ztalien nicht mehr ziert. Daö gegenwärtige Zahr ist gegen das von 1794 unbeschreiblich zurück; den dritten und vierten Zuny war man damahls in der Gegend von Vicenza in vol­ ler Ernte, und ein großer Theil des Roggens war schon geschnitten. Zetzt, den fünfzehnten des nähmli­ chen Monaths, ist er noch ganz grün, und man sagt mir, daß unter vierzehn Tagen noch an keine Ernte zu denken ist. Von Padua nach Slesigo ist eine Post, und eben so viel nach Vicenza. Wir machten diesen Weg in weniger als vier Stunden, und kamen vor elf Uhr hier an. — Zch habe diese Stadt avermahlS in allen Richtungen durchwandert, und bestätige heyte das Urtheil, das ich damahls über Palladio fällte. Er war ein großer Baukünstler, und hat den gesunke-

nen Geschmack seiner Zeitgenossen merklich wieder ge­ hoben und verbessert; aber von der Correctheir und Einfalt der Griechen ist er sehr abgewichen, und hat gewisser Maßen einen neuen Styl eingeführt, der um so stärker wirkte, je verführerischer er ist. — Auffallend ist immer der große Styl, in welchem dreyßig oder vierzig Privathäuser dieser Provinzialstadt gebaut sind, und wovon einige vor, andere nach Palladio's Zeit errichtet wurden. Und in diesem Style fährt man fort, die wenigen neuen Häuser zu bauen, die man jetzt hier steht. Eins, das erst vor ein paar Zähren vollendet worden, und einem Venezianischen Advocaten, Cordoloni, gehört, ist überaus schön und in einem sehr guten Geschmacke. Es hat eine doppelte Säulenord­ nung, und über dieser ein Attisches Stockwerk. Kurz, Palladio, der ein Vicentiner war, scheint dem Orte ei­ ne eigene Richtung und einen Schwung in der Bau­ kunst gegeben zu haben, wofür diese Stadt, in andern Rücksichten, nicht bedeutend genug scheint. Wir gingen über den Campo Marzo auf den berühmten Hügel, wo man die Madonna del Monte verehrt, und auf welchen ein Arc adengang führt, der von der Stadt bis an die Kirche geht. Zch steute mich der schönen Gegend, noch mehr aber einer Aussicht, die man uns aus eini­ gen Zimmern des Klosters zeigte, und die ich vor fünf Zähren nicht gesehen hatte. Hier wird die reiche, la­ chende Ebene durch grüne Hügel schon unterbrochen; in einiger Ferne steht man ziemlich hohe Berge, und noch weiter hinaus die Alpen. Es ist eine Ausstcht, wie man ste nur in Ztalien sehen kann. — Zn einem Zimmer dieses Klosters wurde ich durch einen großen Paul Veronese überrascht, der so schön ist, als ich we­ nige gesehen habe. Er erinnerte mrch lebhaft an das Meisterstück, die Hochzeit von Cana, in St. Giorgio

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Sechster

Brief.

maggiore. Man hatte es zur Zeit der Revolution ver­ steckt, und die Gerstli^en meinten, die Franzosen müß­ ten es nicht gekannt baden. Diese Männer waren sehr gefällig, und gingen so weit, uns das wunderthätiqe, vom Apostel Lukas gemahlte MarrenbUd sehen zu taffen, um dessen willen die Ktrche, das Kloner und der fast zwey Meilen lange Arcadengang cnrwbtet jin& Nach­ dem man alle die Ueberhange und den mannlgfattlgen Putz abgenommen hatte, sah td) zu meiner Verwun­ derung/statt eines dürren, schwarzen, elenden GestchtS, (dies; ist der Charakter der sogenannten Portratts von Lukas, der ein sehr schlechter Mahler war) eine liebliche Marte, mit vollen Wangen und weißen und rothen Farben. Id) war nahe genug, um den Werth der Mahlerey zu beurtheilen; ste dünkte mich nicht schlecht, und trug den Charakter der neuern Lombards fd)cn Schule. An solche Kleinigkeiten stoßen sich aber die Gläubigen nicht; im Gegentheile, das Wunder wird dadurch nur größer, daß sid) das Gemählde so neu und frisch erhalten hat. Lin Theil dieser Kirche ist mit Gemählden ex voto ungefüllt, deren ganz eigenes Schicksal fast überall ist, daß sie von elenden Sudlern, gemacht werden. — Endlich hängt hier auch em ganz neues recht gutes Bild von einem Franzosen. — Sonst besaß die Ma­ donna and) einen großen Schatz von Silberwerk, den die Neufranken rein ausgeplündert haben; und das nähmliche thaten sie mit allen andern Kirchen von Vicenza. Anstatt wieder durch die Arcaden herabzugehen, nahmen wir einen andern sehr schönen Weg, der aufKosten der Stadt unterhalten wird, und unten m einem Bogen von Pal­ ladio endiget, welcher nach der sogenannten Porta aurea zu Pola beynahe copiert ist. Um wie viel der

Künstler hier den Griechen näher kommt, um so viel schöner ist dieser Dogen, als der, welcher auf dem Cam, po Marzo steht, und ebenfalls von Palladio ist. Der Palazzo della Ragione, oder das Rath» Haus, ist von Palladio, in Dorischer und Ionischer Ord­ nung, und, meines Erachtens, schöner als der zu Pa­ dua, obschon der Salone, oder obere Saal, bey wen tem nicht so groß ist. Die Unreinlichkeit ist hier wir dort. Der Pallast des ehemahligen Podesta brannte vergangenen Winter zum Theil ab, und wird nun wohl so bald nicht wieder aufgebaut werden. — Zm Vorbeygehen trat ich in acht oder zehn Kirchen, und fand !hr Inneres, ungeachtet dessen, was sie durch die Revo» lnrion gelitten haben, mehrentheils schön, reinlich und wohl unterhalten. In allen waren Gläubige in Men­ ge; denn Bethen und Betteln macht auch hier die Exi» stenz eines großen Theils der Einwohner aus. Beson­ ders findet man die Bettler unter den Arcade», die zur Madonna del Monte führen. Die^Seidenfabrik, die dem HauseFranceschini gehört, ist sehr ansehnlich und beschäftiget eine große Zahl von Händen. Die Seidenmühlen, die vom Wasser getrieben werden, scheinen mir wichtiger als die, welche ich zu Derby und Leyden gesehen habe. Die nähmliche» Maschinen spinnen in drey verschiedenen Stockwerken. — Hier macht man auch geblümte und figurirtr Seidenzeuge, ungefähr wie zu Tours. — Das große und sehr ansehnliche neue Gebäude, das die Fami­ lie Franceschini kürzlich hier hat errichten lassen, verdient in der That den Nahmen eines Pallastes, hat aber we, nig Geschmack. Auch hier fanden sich die Jakobiner größtentheils un­ ter dem Adel; indessen wundert mich das weniger, als zu Venedig, denn der hiesige Edelmann war bloß ein

23§

S c ch s r e r

Brief.

Venezianischer Unterthan, machte nicht einen Theil der souveränen Republik aus. — Ich habe bey Venedig anzumerken vergessen, daß man uns mehrere Palläste von dortigen Edelleuten zeigte, in denen der Pöbel, zu Anfänge der Revolution, Alles zu Grunde richtete, weil ihre Eigenthümer Zacobiner waren. Die Stimmung des gemeinen Volkes scheint auch zu Padua und Vicenza so ziemlich die nähmliche gewesen zu seyn, wie zu Vene­ dig. — Manchmahl fällt uns eine tiefgedachte Wahr­ heit sonderbar auf, weil sie aus dem Munde eines unge­ bildeten, einfachen Mannes kommt. So sagte unser hiesiger Lohnbedienter, ein Gentiluomo würde immer ein Gentiluomo bleiben, und daß der gemeine Mann arbeiten und im Schweiße seines Angesichtes sein Brot verdienen müßte, die Regierung möchte demokrattsch, oder aristokratisch seyn. Wir wohnen hier zur Königinn von England, und sind so ziemlich zufrieden. Der Scudo soll etwas bes­ ser seyn. Verona, den i7ten Juny.

Wir kamen gestern zu Mittage hier an, und haben einen und einen halben Tag recht angenehm hingebracht. — Ich schickte in dieser Stadt einst nach einem Lohnbe­ dienten, und bekam einen Grafen aus dem alten Hause von.Devilaqua, der den Cicerone von Verona machte. Ein angenehmes Gemische von Bescheidenheit und ein­ facher Würde, womit dieser Mann die zwey widerspre­ chendsten Dinge, seine hohe Geburt und seine jetzige bür­ gerliche Lage, in eine Art von Einklang zu bringen wuß­ te, machten mir ihn so interessant, daß ich mich seiner mit Vergnügen erinnerte. Zch ließ ihn also gleich nach unserer Ankunft wieder hohlen, und erfuhr bey der Gele­ genheit, daß zwey Brüder hier sind, die die nähmliche

Sechster

Brief.

239

Profession treiben, welche Alles ist, was sie von ihrem Vater, der sie znerst ausübte, geerbt haben. Nach eini^4i Erklärungen, die ich gab, verstand man gar bald, welchen ich meinte; und ich sahe den nähmlichen Mann wieder, dessen Schicksal mich vor fünf Zähren so sehr intcressirte. Er ist wirklich ein vortrefflicher Cicerone für diese Stadt, und hat die ausgebreitetsten Kennt­ nisse von allem, was sie einschlreßt. Unter seiner Lei­ tung haben wir gestern und heute ;eden Augenblick be­ nutzt, und ich habe mehrere Dinge genauer gesehen, die mich bey einer früheren Reise weniger anzogen. Unter den nördlichen Städten Ztaliens ist Verona noch immer eine der vorzüglichsten, und enthält so manches aus den ältern und muttern Zeiten, das in verschiedenen Rücksichten intercsslrt. Das alte, berühmte Amphitheater zog mich letzt ganz vorzüglich an weil durch das von Pola meine Aufmerksamkeit darauf nur desto stärker erregt wor­ den war /und ich mehrere Dinge daran aufs neue zu un­ tersuchen hatte. Beyde sind einander sehr entgegenge­ setzt, denn von dem zu Pola ist die äußerste Ring­ mauer noch vollkommen übrig, während daß man von dieser hier nur ein ganz kleines Stück noch sieht; da­ gegen ist daö Innere zu Verona ganz und wohl untere halten; zu Pola hingegen davon gar nichts mehr sicht­ bar. Ich fand hier eine sonderbare Entehrung dieses edlen Gebäudes, und welche zugleich auf eine lächerli­ che Werse den Unterschied zwischen antiker Größe und moderner Kleinheit anschaulich darstellte. Man hatte auf der Arena ein kleines Theater errichtet, wo eine armselige Truppe eine Farce bey vollem Tageslichte auf­ führte. Die Zuschauer saßen unter freyem Himmel auf einem Theile der Stufen umher. Diese und das Theater zusammen nahmen nicht den zwanzigsten Theil

J4°

Sechster Brief.

des ganzen Gebäudes ein, und machten eine vvükomi mene Carrikalur unserer Zeiten. Noch war man hier voll von den Siegen, die die Oesterreicher kürzlich unter den Mauern von Verona erfochten haben. Zch ließ mir die Stellung der Ar» meen und einige merkwürdige Orte zeigen, die man von einem Theile der Stadtmauern vollkommen über» sehen kann. Die Veroneser ergriffen bey dieser Gele» genheit eine entschiedene Partey, und zeigten vortreff­ liche Gesinnungen gegen das HauS Oesterreich. Eine Menge Einwohner schickten ihre Wagen in daS Feld und ließen die Verwundeten darin abhohlen. In der Stadt wurden diese in Privathäuser gebrächt und auf daS beste verpflegt; anderer Züge von gutem Willen zu geschweigen. Lin Verehrer von Shakespear wird nicht leicht durch Verona gehen, ohne daß ihm Romeo und Zuliet ein­ fielen. Man will noch das Haus wissen, daS der ei­ nen der verfeindeten Familien gehörte, und man zeigte mir eS einst. Ich kam dieses Mahl wieder mit un­ serm Cicerone darauf zu reden, und er führte uns in «in Kloster, wo man den Sarg zu besitzen glaubt, in welchen Zuliet gelegt worden seyn soll, nachdem sie für tobt gehalten wurde. Wir sahen ihn in dem Garten eines Klosters, wo sich eine Weibsperson fand, die mit der Geschichte sehr vertraut war, und, nach Art dieser Leute, viel umständliches zu erzählen wußte. Un­ ter andern machte sie uns auf einige Löcher aufmerk/ sam, die man in den Sarg gebohrt hätte, damit e< dem Mädchen nicht an Luft fehle, wenn sie wieder zu sich selbst käme. Was ich da sahe, ist ein plumpeStück Arbeit von Stein, und kann eben so wohl ein Wassertrog, als ein Sarg gewesen seyn. Zndessen zeigt das Alles, daß diese Geschichte sich beständig hier

erhalten hat, ob man schon nichts Authentisches mehr darüber weiß. Wir wohnen in zwey Thürmen und sind recht wohl. Deseuzano, den igten Iuny. Von Verona nach Castel nuovo sind drey Deutsche Meilen, und eben so viel hierher. Sie sind klein, denn ob wir uns schon zu Peschiera etwas aufgehalten hatten, so kamen wir doch noch vor zwölf Uhr hier an. Unser Zweck war eigentlich, den schönen Garda­ see zu sehen, und dazu mischte sich etwas Neugierde, Peschiera zu besuchen, eine Festung, die mir einst höchst unbedeutend vorkam, die aber seit einiger Zeit be­ rühmt geworden ist, und von der ich zu Wien immer ge­ hört hatte, daß sie von den. Franzosen sehr verstärkt und mit neuen Werken vermehrt worden wäre. — Em Ma­ jor von der Garnison, den ich von ungefähr traf, führte uns auf den Wällen herum und zeigte uns Alles, was wir zu sehen wünschten. Da sand ich denn freylich, daß die Franzosen einige neue Werke angelegt hatten; sie sind aber keinesweges von Wichtigkeit, und dabey ist die Arbeit höchst elend. Die kleine Garnison, die darin lag, würde sich nicht lange haben halten können; allein General Kray gab ihr eine gute Capitulation, weil ihm daran lag, die­ sen Paß hier so geschwind als möglich frey zu haben, und weil er die Truppen, die er vor die Festung hätte legen müssen, anderweitig brauchte. In dem kleinen Hafen von Peschiera sahe ich eine Flotte von Kriegöschlffen, die so ziemlich wie Englische Cutters gebaut sind, und auf jeder Seite vier Kanonen haben. Die Franzosen baueten sie, und machten großen Gebrauch davon auf dem Gardasee. Jetzt sind sie unnütz; indessen mögen doch die Oesterrercher einige Absichten da­ mit haben, denn ich sahe auf einigen derselben eine Menge Küttners R. 4. Tl).

16

Soldaten, die sehr beschäftiget zu seyn schienen. Auch bemerkte ich, daß man an der Verbesserung der Festungs­ werke arbeitete. — Der Sfttncio, der hier aus dem See kommt, ist vollkommen klar, und hat jene schöne, meergrüne Farbe, die man an den Schweizerseen findet, und die dem Auge so angenehm ist. Zu Peschiera steht man nur ein Stück vom Garda­ see; der Reisende geht also gewöhnlich nach Desenzano, weil man da seine ganze Länge vor sich hat und ihn das Auge bis weit hinauf nördlich, wo er von hohen Bergen eingeschlossen ist, verfolgen kann. Mir war er ein alter, wohlbekannter Freund, dessen außerordentliche Schönhei­ ten das Reihende der Neuheit ersetzten. So wie wir zu Desenzano ankamen, miethete ich so­ gleich ein Doot, in dem wir auf die sogenannte Villa des Catullus bey Sarmione fuhren. Zch untersuchte die großen Ueberreste dieser Gebäude dieß Mahl viel um­ ständlicher, als vor fünf Zähren, und habe nicht den ge­ ringsten Zweifel darüber, daß es ein altrbmisches Gebäude ist. Die ganze Anlage und Natur dieser Trümmern zeigt offenbar, daß ste einem Römer gehörten, deren Einrich­ tungen und Bedürfnisse von den unsrigen sehr verschieden waren, und die also ganz anders bauten, als wir. Ob ich schon so ziemlich alle Römische Gebäude ge­ sehen habe, von denen sich noch Ueberbleibsel in Italien befinden, so habe ich immer viel Schwierigkeiten gehabt, mir einen deutlichen Begriff von der innern Einrichtung eines Hauses zu machen; und die weitläuftigen und gro­ ßen Trümmern, die ich heute wieder gesehen habe, sehen mich nur noch mehr in Verlegenheit. Die ungeheure Menge von Gewölben, die nicht über zwölf Schuh breit, nur einige Schuh länger und überaus hoch sind, und die nichts weniger als angenehme Zimmer gewesen seyn kön­ nen; ihr Mangel an Verbindung unter einander, die bloß durch eine allgemeine Gallerte Statt gehabt hat; die gänz-

ltche Abwesenheit altes Lichtes; die ganze sonderbare Vertheitung aller dieser Behältnisse; — dann die sehr langen,

fast ganz dunkeln Gewölbe, die sich wieder in kleinere öff­ nen, welche ganz und gar kein Licht haben, und nie ha­ ben konnten; und endlich ein Gewölbe, oder unterirdischer

Gang, dessen Ende ich nicht berechnen kann, weil Dun­ kelheit,

Nässe und Desorgniß,

mich zu verlieren,

mir

nicht erlaubten, weit vorwärts darin zu gehen, von dem man aber mir sagt, daß es sich bis an den See hinabziehe,

und welches denn folglich mehrere hundert Schuh lang seyn muß: — alles das und anderes mehr ist mir uner-

klarbar. — Zch weiß gar wohl, daß in dem untersten Theile ihrer Häuser, oder in den Substructionen sehr viel

Platz für Bader, Wasserbehälter und die große Menge ihrer Sclaven war; mit dem allen aber kann ich mir doch

nicht die vielen und sonderbaren Behältnisse erklären, die

ich in allen diesen Gebäuden gefunden habe. — Ucbrigens mag dieses hier dem Catullus, oder wem es sonst will, gehört haben, so viel ist gewiß, daß der Besitzer ein rei­ cher Mann war. Auffallend ist es, daß diese herrliche Lage, im Verlaufe von so vielen Jahrhunderten, nieman­ den gerecht hat, hier wieder zu bauen.

Ich selbst ziehe

die Aussichten vor, die dem Auge in der Nahe angenehme Gegenstände darsteltett, und würde mich deßwegen nie ganz dicht an die Ufer eines Sees betten; wer aber das Weite, Große und Erhabene liebt, findet in Italien kaum

eine Lage, wie diese, und dabey alle Vortheile eines süd­ lichen Climas, auf einen Grad, den man Unter dieser Breite kaum erwarten sollte. Die Berge, die diesen See einschließen, si^ld höher und kühner, als die, welche.die allermehresten Seen von Italien umgeben: und von Ca-

tulls Hause kann man hinauf bis in die Alpenhöhen sehen,

die sich am Ende des Sees erheben. Von dieser Villa ging ich zu Fuße nach Sar-

mione durch einen Wald von Olivenbaumen,

die hier

vortrefflich gedeihen und ein Oehl geben, das man unter die bessern von Italien rechnet. — So unbedeutend auch das Städtchen ist, so fallt es doch überaus schön in die Augen, und der halbverfallene Sitz des ehemahligen Venezranischen Podesta hat ein Ansehen von Großheit, das, vom See gesehen, eine herrliche Wirkung macht. — Ei­ gentlich liegt Sarmione auf einer Halbinsel; jetzt aber, da das Wasser hoch steht, ist es ganz vom festen Lande getrennt. — Wir hatten unser Boot hierher kommen las­ sen, und machten nun noch eine lange Fahrt nördlich in den See hinaus, und sahen Garda, la Cisi, ein gro­ ßes Camaldulenserktoster in der Nahe, P eschiera, und eine Menge anderer Orte, die sich alle an dem Ufer des Sees sehr angenehm zeigen. Wir wohnen auf der alten Post (Posta vecchia) wo wir Zimmer mit einer Gallerie haben, von der man den größten Theil des Sees übersehen kann.

Saturn, in Tyrol, den 20. Juny. Dor fünf Zähren kehrte ich von Desenzano nach Ve­ rona zurück, weil man mir gesagt hatte, daß ein großer Englischer Reisewagen von Castelnuovo nach Volargni nicht gut würde durchkommen können. Es ist falsch! Zch fand den Weg freylich schlecht, aber er ist jetzt in dieser ganzen Gegend nicht sonderlich, und dabey ist das Land von Castelnuovo nach Volargni weit interessanter, als der Strich auf der Straße von Verona dahin. Wir blieben lange in der Nahe des Gardasees, genossen mehrere schöne Aussichten, und kamen im Ganzen durch ein überaus ro­ mantisches und dabey stark bevölkertes und wohl angebau­ tes Land. Besonders mahlerisch fand ich die Gegend bey Volargni, am Flusse Adige, oder Etsch, über den wir auf einer Fähre gingen, die an einem Seile läuft. Diese Gegend wird man gar nicht gewahr, wenn man von Ve­ rona durch diesen Ort Lehr.

Volargni, oder Volargine ist ein unbedeuten­

der Flecken.

Wir speisten hier,

wider unsere Gewohn­

heit, ;u Mitraqe, und fanden auf der Post, deren Aeußeres nicht versprechend ist, eine sehr gute Dewirthung. — Man gab uns einen Strohwein, der hier gemacht wird,

und der, wie alle Weine dieser Art, süß ist, aber einen vortrefflichen Geschmack und vielen Geist hat.

Zch ziehe

ihn dem vor, welchen man in der Gegend von Udine un­

gefähr auf die nähmliche Art macht.

Ueberhaupt ist der ganze Strich, durch den wir seit drey Tagen

gekommen sind, ein gutes Wemland.

Desenzano.,

Volargni,

Zu

Roveredo und Trient gab man

uns einen gemeinen Tafelwein, den man in den Wirths­ häusern von Venedig gern mit vier bis fünf Lire die Fla­

sche bezahlen würde. Reisende kaum,

Zn dieser letztem Stadt weiß der

was er

trinken soll.

Der Portwein,

oder Oporto, den man für zehn, und der Claret, (Bour-

deaux) den man für zwölf Lire verkaufte, waren wirklich

nicht trinkbar; der Montepulciano, den man noch am be-sten dort bekommt, und wovon die Flasche vier £tre kostet, ist für Personen, die nichts als Wem zu trinken gewohnt

sind,

zu hitzig.

Trinkbares Dier war dieses Mahl zu

Venedig gar nicht zu haben, auch nicht Englisches, wel­ ches sonst sehr gewöhnlich dort war.

Zu Verona gab man

uns verdorbenen Porter, die Flasche für acht Lire.

Zwar gehörten Volargni und Peri zu dem ehemahli­ gen Venezianischen Staate, nach der politischen Geogra­

phie; aber nach der physischen fängt hier das eigentliche

Tyrol an. schen

denen

Ungeheure, fast senkrechte Felsenwände, zwi­

nichts,

Straße Platz haben,

als

die Etsch

und

eine schmale

schließen den Eingang, und schei­

nen das Land vor jedem feindlichen Anfalle zu versper­ ren.

Bald nachher kommt man an

den geschlossenen

Paß, wo die Straße theils aus dem Felsen genommen,

theils von dem Flusse herauf gemauert ist.

Die Vene-

zianer verstärkten hier die Natur noch durch Kunst, in­ dem sie ein Thor und eine Art von Schlosse errichteten. Einige Mauern, in welchen schlechte Wohnungen sind, steigen über hundert Schuh an dein senkrechten Felsen hinan. So kommt man nach Peri, oder Beri, welches die letzte Penezianische Station ist. — Ala, oder Alla ist die erste Oesterreichische. Zwischen beyden be­ findet sich Borghetta, ein Städtchen, in dessen Nähe ein Pag ist, welchen die Natur fast eben so fest ge­ macht hat, als den auf der Venezianischen Seite. Als ich vor fünf Zähren diese Straße kam, hielt ich es sür unmöglich, daß ein Feind hier durchdringen könnte, wofern man ihn nicht gutwillig einlassen wollte. Eben daS glaubte ich von dem Passe bey Bardo und her Festung gleiches Nahmens im Piempntesischen Herzoglhume Aosta; dennoch haben die Franzosen beyde passirt: und noch ist das vielen, die diese Gegend ken­ nen, ein Räthsel. Weiter hinauf nach Norden ist Tyrol nicht so gut von der Natur vertheidiget, als hier, wenigstens sind diese Pässe nicht so beschwerlich; und doch fand General Buonaparte, daß es nicht thunlich war, viel weiter als Trient vorzudringen. Er kehrte um und nahm einen andern Weg. Roveredo hat eine Menge sehr guter, ansehnli­ cher Häuser, und ist stark bewohnt, ob ich mich schon kaum überzeugen kann, daß hier vierzehn tausend Ein­ wohner sind, wie mehrere Angaben sagen. Hier findet man jene Lebhaftigkeit und Regsamkeit, die eine Folge des Kunstfleißes und des Handels sind. — Wir wohn­ ten in der Rose, und befanden uns da ziemlich wohl; auch ist hier noch rin zweytes Wirthshaus, das recht gut seyn soll. Zn den allermehresten Orten-, durch die wir gekom­ men sind, fand ich die Leute noch mit dem Abspinncn

bet Seide beschäftiget,

so wie vor fünf Jahren;

war es damabts früher im Jahre.

nur

Allein die Seiden­

ernte dauert sehr Lange: und dann ist dieses Jahr alles spater, als gewöhnlich. —

Wenn man die Seide von

der Puppe ganz abgewunden hat,

so gibr man sie mit

dem darin befindlichen Wurme den Hühnern.

Ich fand

in einem Dorfe, daß man diese abgewundenen Puppen

vor allen Hausern sorgfältig trocknete, Aufmerksamkeit

erregte.

so daß es meine

Da erfuhr ich denn,

daß in

dem ganzen Porfe keine Hühner waren, und daß, bis

wieder welche

man

gessen.

die Puppen aufgehoben

bekäme,

Die Franzosen hatten alles rein aufge­

werden sollten.

Dieß war

in dem Theile,

der zeither zu Cis­

salpinien gehörte, und der, nach der Aussage der Land-

leute, von seinen Freunden, zum Abschiede,

fast über­

all beraubt und geplündert worden war. Sonst waren Schlachtfelder Gegenstände, neugieriger Reisender aufsuchte;

die ein

allein in diesem unseli­

gen Kriege haben sie sich so ins Unendliche vervielfälti­

In der Nahe

get, daß man gleichgültig dagegen wird. von

Verona

sind

ihrer drey

vom vergangenen April.

Nicht weit von der Borghetta

noch

ist ein anderes,

eins zeigte ryav mir heute früh

Noch

sahe

ich

im

und

bey Caliano.

Posthause von Aquaviva eine

Menge Löcher, die die Kugeln gemacht hatten. Die,

welche nicht in

der Schweiz gewesen sind,

können bey Saturn einen kleinen, recht artigen Wasser­ fall sehr wohlfeil

ten Weges vom

sehen.

Er ist innerhalb zehn Minu­

Wirthshause zur Krone,,

stürzet sich

etwa zwey hundert Schuh von einer senkrechten

wand herab,

Felsen­

und macht eine sehr mahlerische Wirkung.

Allein zu gewissen Zeiten fehlt es an Wasser, -r- Dicht

daneben ist ein sehr romantischer Fußweg,

Rücken

der steilen Berge führt,

der auf den

die fast unzugänglich

Sechster

248

scheinen.

Brief,

Und doch findet man Dörfer auf den ersten

Höhen, und weiter hinauf reiche Weiden.

Auch

Trient

dünkt mich dieses

und ansehnlicher, als vor fünf Zähren.

Mahl schöner Es finden sich

wirklich hier eine Menge sehr guter Häuser,

und meh­

rere, die einige Ansprüche auf den Nahmen von Pallästen machen. — Die Cathedralkirche ist ein fei­ nes Gothisches Gebäude,

fthen zu werden verdient.

mit einem Innern,



das ge-

Die Kirche St. Ma­

ria maggtore ist diejenige, in welcher die berühmte Kirchenversammlung gehalten wurde. Das Gemählde,

worauf alle die heiligen Väter der großen Versammlung

vorgestellt sind,

ist nicht nur an sich sehr merkwürdig,

sondern hat auch einiges Verdienst als Kunstwerk.

Die

Basreliefs in einem feinen weißen Marmor unter der Orgel sind

ten

von einer sehr guten Hand. —

Von Sei­

der Architektur verdient diese Kirche nicht das Lob,

das ihr in einigen Reisebeschreibungen gegeben wird. Dieß ist

Zakrzehend

ein böses Jahrhundert,

für die Geistlichen!

parte und andere Franzosen wohnten

des Bischofes;

oder vielmehr

Der General Buona­

in dem Pallaste

und da er ein Mahl daran gewöhnt

und eingerichtet war,

hat auch der Kaiser regelmäßig,

schon seit eilliger Zeit, eine gewisse Zahl von Soldaten

darin gehalten. —

Ich bestieg abermahls den Thurm

und freute mich der schönen Aussicht, die er gewährt.

Die Muttersprache der mehresten Einwohner von Trient ist noch immer Italiänisch. Viele verstehen Deutsch nebenher, aber nicht alle. — Im Gasthause zum goldenen Adler ist man recht wohl.

Lauis, von Trient,

Stadt.

oder auch Nevis,

die nächste Station

ist eine kleine, . nicht ganz unansehnliche

Botzen, oder Bolzano, den 21. Iuny. Wir haben beute nur eine kleine Tagereise gemacht,

um Zeit zu haben, diese Stadt, oder vielmehr die Ge­

gend umher zu besehen. Neu markt, ein unbedeutendes

die erste Station von Salurn,

Städtchen,

ein Dorf. —

zweyte,

und Brandsol,

Der ganze Weg »st schön und

romantisch; überall hohe Berge,

angebaute

Thäler

ist die

und fruchtbare,

wohl

Doch sind die Thäler,

dazwischen.

durch die wir heute kamen, vorzüglich enge, und die stei­

oder vielmehr Felsen,

len Berge,

entweder ganz nackt,

wachsen.

die sie einschließen,

oder bloß mit kleinein Holze be­

und wieder hängen diese Felsen so über

Hiir

die Straße herab, daß man froh ist, wenn inan sie im

Rücken

hat.

Diese

Besorgniß

ist

ganz ohne

nicht

Grund, denn wir wissen historisch, daß ein Theil dieser Felsen sich gelegentlich ablöst,

und die darunter liegende

Der Augenschein bestät»get,

Gegend bedeckt.

was die

denn der Gräuel der Verwüstung, den

Geschichte sagt,

man hin und wieder in diesen Thaler», findet, zeigt ge­

nugsam ,

daß

diese Verheerungen öfterer Statt finden,

als die Geschichte ihrer gedenkt.

Dieß ist besonders der

Fall im Frühjahre und nach heftigen Regengüssen.

Der

Umsturz dieser Felsen »st mehrenthcils gewaltsam;

aber

die Vorbereitung dazu ist regelinäßtg, bleibend und im­

mer fortwirkend.

Das Wasser bearbeitet sie ohne Un­

terlaß, trennt die Massen von einander, untergräbt ihre

Grundpfeiler,

und bringt sie zu einrin langsamen und

späten, aber sichern Sturze. Meine

daß

Meinung

über

sie seit Jahrtausenden

men sind,

eine Menge Gebirge ist, ohne Unterlaß herabgekom­

und noch immer fortfahren,

niedriger zu

werden,

indeß die Thäler sich in gleichem Verhältnisse

erhöhen.

Herr Ramond de Carboniere behauptet

Sechster

25 o

Brief.

das Nähmliche in seiner Reise durch die Pyreneen, und

das

im

1773 zu Wien

Zahre

„Nachrichten von den

erschienene

Werkchen

Eisbergen in Tyrol" gibt eine

Menge Thatsachen, welche beweisen, daß das vorzüglich

der Fall in dieser Provinz ist. —

Die Einwohner nen­

nen diese herabfallenden Felsenstücke Murren;

trocken

herabkommen,

trockene Murren,

wenn sie von einem Waldstrome,

wenn sie und nasse,

oder durch

eine Ueberschwemmung herabgetrieben werden.

irgend In den

Gegenden, wo sich die großen Gletscher finden, sind die Verwüstungen sehr häufig.

oder mit dem Ztaliänischen

Botzen, Bolzano,

liegt an

Nahmen,

dem Zusammenflüsse des

Eisack

welcher letztere mehrentheils sehr un­

und des Talfers,

bedeutend ist, aber doch ein großes und theuer unterhal­

tenes Bett hat,

und worüber

das er bisweilen füllt,

hier eine lange, ansehnliche Brücke geht. — Etwas un­ ter der Stadt vereiniget

und verliert seinen

sich der Eisack mit der Etsch



Nahmen.

die hohen Berge umher,

Diese drey Wasser,

die reiche, üppige Vegetation,

der schöne Anbau des Landes,

wo es sich bauen läßt,

und die unzähligen auf den Bergen und Hügeln umher zerstreuten Häuser,

machen die ganze Gegend um Bo­

tzen angenehm und interessant.

Viele dieser Häuser auf

dem Lande sind sehr ansehnlich und gehören den reichen Bewohnern der Stadt, die sich gegen die Sommerhitze dahin flüchten.

doch

Manche liegen sehr hoch,

und werden

noch als Land - oder Lusthäuser betrachtet und ei­

nen Theil der heißen Jahreszeit hindurch bewohnt. Wir machten einen Spaziergang nach Grieß, ei­ nem ansehnlichen Kloster nicht weit von der Stadt, des­

sen größten

Theil aber die Väter zu einem Militärspi-

tale haben räumen

müssen.

Ich

ging

dann noch ein

Stück weiter auf der Straße nach Meran, welche zu­ gleich auch der Weg nach

Glurens und einem Theile

von Graubündten ist. Dieser ganze Strich Landes soll sehr interessant seyn, und wäre jetzt, da die übrige Schweiz nicht offen ist, ganz besonders zu einer Berg­ reise geeignet. Man könnte von hier zunächst die Graf­ schaft Worms, das obere und untere Engadin und dann einige andere Theile von Graubündten, wie man eS am besten fände, besuchen, endlich durch einen Theil des Innthals herab nach Znnspruck kommen. Ich kenne keine umständlichen Nersebeschrelbungen von diesen Berglandern, habe aber von verschiedenen Kaiserlichen Officiers gehört, daß man eine schöne Schweizernatur da fände, und daß das Ganze weit mehr eine Reise dahin verdiente, als manche bekanntere und darum berühmtere Gegenden. Auf meinem Wege nach Meran bewunderte ich die reich angebauten Hügel, welche am Fuße höherer Berge liegen, und wo mehrere sehr gute Weinarten wachsen, die insgemein für die besten in Tyrol gehalten werden. Botzen ist eine sehr wichtige Stadt und vielleicht der ansehnlichste Handelsort in Tyrol; aber sie ist we­ der schön, noch stark bevölkert. Sie hat weniger als zehn tausend Einwohner, vielleicht nicht über neun tau­ send. Als Stadt ist Roveredo schöner, auch wohl be­ trächtlicher durch seine Fabriken; aber Botzen treibt ei­ nen sehr wichtigen Zwischenhandel, besonders mit Eng? lischen Waaren, die in Tyrol einen freyern Umlauf zu haben scheinen, als in mehreren andern Staaten der Oesterreichischen Monarchie, und die zugleich auch durch die Hande der hiesigen Kaufleute nach Italien gehen. Es gibt hier eine Menge beträchtlicher Häuser, die sehr umfangende Geschäfte machen. Das Mercantilmagistratshaus, das sich in mehreren Reisebeschreibungen angezeigt findet, ist frey­ lich ein großes, schwerfälliges Gebäude; das ist aber auch Alles, was sich davon sagen laßt. Ein großer

Sechster

252

Brief.

Theil desselben dient zu Niederlagen,

und seht hat der

Kaiser viel Mehl und andere zur Armee gehörige Dinge

hier niedergelegt. — Auf der Post fanden wir ein vor­

treffliches Wirthshaus,

und,

gegen andere,

schlechtere

gehalten, sehr billige Preise. Sterzittgen, den 22sten Iuny. Zwischen

das

Botzen und Brixen besuchte ich wieder

Capucinerkloster

zu

Clausen,

das

eine

kleine Gemähldesammlung besitzt, die freylich ihren größ­ ten Werth daher erhält, daß sie sich gerade hier findet. Sie kommt, so wie die Stiftung des ganzen Klosters,

von einer Königinn von Spanien, die eine Prinzessinn

und einen Beichtvater aus diesen Gegenden hatte, der sie denn zu dieser Handlung der Gottseligkeit vermochte. Sie stiftete, zu Anfänge von Pfalz - Neuburg war,

dieses Jahrhunderts, das Kloster, wo jetzt neun Vater und drey Brüder sind,

und schenkte,

ausser den Ge­

mählden, einen ansehnlichen Schatz von Gold - und Silbergeschirre. Ein paar Gebethbücher, auf Perga­ ment geschrieben und mit einer Menge Miniaturmahle­

reyen verziert, sind wirklich sehr schön, und würden von manchen Liebhabern theuer bezahlt werden.

Eins davon

ist das Meßbuch Carls n, von dem diese Königinn die

Witwe war. Diesen Capucinern gegen über liegt auf einem Hü­ gel das alte Schloß Seben,

sches Bild macht,

welches ein mahleri­

jetzt ein Kloster von Benedictinerin-

nen ist, und einst die Residenz der Bischöfe von Brixen war.

Brixen hat zwar einige gute Häuser, wenig von dem Ansehen einer Stadt.

sonst aber

Es gleicht den

ehemahligen Hauptflecken der demokratischen Cantone der

Schweiz.

Zch

liebe dieses Gemische von städtischem

und ländlichem Ansehen,

und habe gewöhnlich in die-

fett Orten mehr Reinlichkeit gefunden,

als in dm ei­

gentlichen Städten.

Der Bischöfliche Pallast ist ansehnlich und groß, Hal aber weiter nichts, das Aufmerksamkeit ver­ diente. —

Die Hauptkirche ist schön und auch des­

wegen merkwürdig, weil sie fast ganz von Tyroler Mah­ lern verziert ist. Hier finden sie Gemählde von allen Unterbergern, deren, wenn ich nicht irre, vier wa­

ren.

Christoph, den man zu Rom unter dem Nahmen

Don Christoforo kannte,

war von Pius dem VI

sehr begünstiget, und hat die mehresten Säle des Mu­ seo Pio -Clementino verziert.

Einerseiner Ver­

wandten starb vergangenes Jahr zu Wien. —

Auch

ist in dieser Kirche ein ziemlich gutes Crucifix von Schöpf, einem Schüler Knollers, (sammt und son­

ders Tyroler.)

Er lebt noch und hält sich zu Inn-

spruck auf. Wir speisten zu Drlxen im Elephanten zu Mittage, einem unansehnlichen Hause, wo aber Alles sehr gut war. Man gab uns das Wasser und den Wein in

Eis,

und mit jedem Teller wurden Messer und Gabel

gewechselt.

Solche Begriffe von Eleganz und Luxus,

die man in manchem guten Privathause nicht findet,

fallen

sonderbar auf.

Gleichwohl erfuhr ich nachher,

daß nicht dieser, sondern das Kreuz der beste Gasthof des Ortes ist. Aber ich würde immer dieses Haus em­ pfehlen, um einer gewissen Gutmüthigkeit und Geflissen­ heit willen,

die der Wirth auffallend zeigte,

sonst in Tyrol noch viel allgemeiner waren,

und die als man

sie jetzt findet. Die Spitzen aller Berge um Brixen herum, derer,

auch

die so zu sagen über die Stadt hängen, waren

noch mit Schnee bedeckt.

Von den Grenzen des Vero-

nesisches Gebiethes an bis nach Brixen habe ich alle

hohe Dergspihen mehr oder weniger in diesem winterli-

Brief.

Sechster

554

chen Gewände gesehen, das sie vor fünf Zähren, volle

vierzehn Tage früher, nicht mehr hatten. Schon auf den höhern Gipfeln am Gardasee, nicht weit von De-

senzano,

sahe ich Schnee,

setzt fort bis hierher,

und so dauerte es unausge­

nur mit dem Unterschiede,

daß

die Berge allmählich rauher wurden und der letztere sich

immer tiefer herab zeigte.

Dem ungeachtet findet man,

bis m die Gegenden von Brixen,

noch immer Spuren

eines südlichen Climas, und selbst auf den letzten Orten vor dieser Stadt gibt es viel Wein, so daß man ganze Hügel damit bedeckt sieht.

Aber es ist

der Deutsche,

wo man unter den Reben auch noch Getreide und Gartenfrüchte zieht.

und nicht mehr der Ztalianische Dau,

Auch stößt man noch hin und wieder auf Feigenbäume,

und besonders auf Castanien,

die hier sehr wohl gedei­

hen und groß und schön wachsen.

Aber von Brixen an

hört Alles das schnell auf, und man bemerkt mit jedem Schritte, daß man sich der hohen Gebirgskette nähert, welche

sich

zwischen

Sterzingen

und

Steinach

Abend gegen Morgen durch das Land zieht,

von

auf der

einen Seite mit der Schweiz, auf der andern mit dem

Loibel zusammenhängt, und dann einen Theil der Kärnthner und Krainerischen Alpen ausmacht.

Alles wird rau­

her und wilder. Alles ist auffallend später,

die feinern

Fruchtbäume hören auf, und endlich findet man nichts,

als Stauden und Nadelholz. Mittewald, die nächste Station von Brixen,

liegt in einem ängstlich engen Thäte,

das durch die

schwarzen Fichten, welche die steilen Berge auf beyden

Seiten bedecken, noch trauriger wird. Man kommt dann nach Sterzingen, gende Station,

eine Ebene bildet,

bedeckt ist. Berge aus,

die fol­

wo dieses enge Thal sich öffnet und

die mit guten Wiesen und Weiden

Aber desto trauriger sehen hier die höhern die dieses Thal von allen Seiten einschlie-

Brief.

Sechster

255

und die jetzt noch tief herab mit Schnee bedeckt

fien,

sind.

Wer die Lage und

den Lauf dieser Berge kennt,

wird sich über alles das nicht wundern, wohl aber viel­ leicht

darüber,

Stadt

findet,

daß

er hier eine nicht unbeträchtliche

die

mehrere

tausend

Seelen

enthalt.

Freylich sucht man zu Sterzingen vergebens die Fa­ briken von Messern, Scheeren, Sicheln und Degenklin­

gen, von denen einige meiner Neisebücher reden; aber macht man Sensen,

Artikel von Eisenwaaren,

wohl

Sicheln und einige andere auch allenfalls einige Messer

und Gabeln zum Hausbedarf der Bewohner dieser rau­

hen Gegenden. Von

hier gehet ein Fußpaß in das Salzburgische,

der aber acht Stunden lang über hohe,

unwirthbare

Berge führt.

Schönberg, den 23sten Iuny. Von Sterzingen bis Brenner, einem Dorfe auf

der Höhe des Berges dieses Nahmens, sind zwey Mei­ len,

auf denen man Ihnen zwey Pferde zulegt.

Die­

ser Berg kommt mit dem Loibel, in Rücksicht auf Höhe,

Schwierigkeit der Ueberführt und Wichtigkeit des Stra­

ßenbaues in gar keine Vergleichung.

Da ich den leh-

tern noch im frischen Andenken hatte,

dünkte mich der

Brenner sehr unbedeutend, hohe Derg ist,, über von Italien nach

ob es schon der einzige sehr

den man auf der ganzen Straße

Wien kommt.

den höchsten Rücken,

Auch ist er bis auf

nähmlich da,

wo die Landstraße

bewohnt und bis auf einen gewissen Grad ange­

geht,

baut. — Der Roggen hat so eben geblüht. Der Eisack bleibt Zhr treuer Gefährte his nahe

an das Dorf Brenner, von

einem

macht.

wo er

sich zur linken Hand

Berge herabstürzt und einen artigen Fall

Hier ist es,

wo die Wasser sich scheiden,

so

daß ein Fluß in die Donau, der andere in das Adria­ tische Meer geht. Zu Brenner wurden wir, wider die Gewohnheit der Oesterreichischen Posten, etwas aufgehalten, und, damit wir es desto gleichmüthiger ertrügen, both uns die Frau des Posthalters vortreffliche Forellen an, Fi­ sche, wie man sie nur in hohen Bergländern findet. Während diese gesotten wurden, zeigte man uns eine Reihe sehr guter, reinlicher Zimmer, versehen mit vor­ trefflichen Betten und mit allem, was ein billiger Rei­ sender verlangen kann. Von dem Pofthause zu Brenner bis Steinach find zwey Meilen, wenigstens bezahlt man so viel; wir machten sie aber in weniger, als einer und einer halben Stunde, weil die ganze Station bergab gebt. Dafür bezahlt man aber auch nicht mehr, wenn man von unten herauffahrt, nur daß man zwey Pferde mehr nehmen muß, als womit man kam. Die nächste Station ist Schönberg, ein Dorf auf einem Berge, dessen herrliche Lage mir noch von einer frühern Reise lebhaft im Gedächtnisse war. Zch freute mich, daß wir schon um drey Uhr hier ankamen, denn wir hatten den Ueberrest des Tages dazu bestimmt, diese schöne Gegend zu genießen. Zch möchte jedem Reisenden vorschlagen, das nähmliche zu thun, um so mehr, da auch das Wirthshaus sehr erträglich ist. Außerhalb der Schweiz kenne ich, ohne Ausnahme, keinen Fleck, der den schönen Regionen der Schweizer­ alpen so nahe käme, wie dieser^. Ganz jenes schöne Grün, jener volle Wuchs von Gras und Bäumen, jene allgemeine Fruchtbarkeit, jener sorgfältige Anbau, mit dem guten Ansehen der Häuser und ihrer Besitzer, welche so klar beweisen, daß die Industrie hier belohnt wird. — Und dann das erhabene Schauspiel jener ungeheuern Fel­ senmassen, die den Horizont von mehreren Seiten schlie-

ßen, und nie eine andere Decke kennen, als von Schnee. 3« der That liegt er jetzt noch in reichen Massen auf allen den höhern Bergen, während daß die niedern bis auf die Gipfel hinauf bewachsen sind. Ein wenig tiefer hinab, als das Posthaus, ist ein Fleck, auf den ich alle Liebhaber der großen Naturscenen aufmerksam machen möchte. Außer allem dem, was man weiter oben in der Nahe des Gasthofes sieht, öffnet sich hier noch ein langes Thal, das einen freyen Blick in die eigentlichen Alpen ertaubt, d. h. in die­ jenigen Tyrolergebirge, welche mit ewigem Eise und Schnee bedeckt sind. Unter diesen erkennet man auf erner beträchtlichen Höhe einen Gletscher. Es ist der, welcher über Neu st ist hinaus liegt, und den man im hohen Sommer (aber jetzt noch nicht) von Schön­ berg aus besuchen kann. Manche nennen ihn den Stubayer - Gletscher, weil das Thal, in welchem er liegt, von Stubay seinen Nahmen hat. Die lange ungeheure Felsenkette, die sich nördlich von Znnspruck erhebt, und wovon die Martinswand, (berühmt durch die fabelhafte Gemsenjaqd Kai­ ser Maximilians I,) einen Theil macht, sieht man hier so deutlich und, dem Anscheine nach, so nahe, daß auch ein geübtes Auge betrogen wird, und man kaum glauben kann, daß das weiteste Thal von ganz Tyrol, sammt der Stadt Znnspruck, unten dazwischen liegt.

Innspruck, den 24fien Iuny.

Es war vom Anfänge her unser Zweck, auf dieser Reise, einen oder den andern Tyroler-Gletscher zu se­ hen: und da sie zeither äußerst wenig besucht worden und größrenrheils noch unbeschrieben sind, so fing ich schon zu Botzen an, Erkundigungen einzuziehen, und Äutrners R. 4. LH. 17

2Z8

Sechster

Brief.

auf sechs Stationen, so wohl als zu Znnspruck, habe ich mit verschiedenen Mannern geredet, die wenigstens etwas von diesem großen Eisgebirge gesehen hatten. Das Resultat davon rst dieß: Wenn Sie von Botzen nach Znnspruck, von da, durch das Innthal, nach Nauders, dann weiter nach Glurens, und von da wie­ der nach Botzen Linien ziehen, so schließen Sie den größten Theil der Ejsmasse ein, die sich in Tyrol be­ findet, und mit zehn verschiedenen Nahmen benennt wird, je nachdem Sie Sich ihr von diesem, oder von jenem Orte nähern. Zwar liegen noch mehrere Gletscher zwischen dem Brenner, dem Erzstifte Salzburg und dem Pusterchalc; allein sie sind gegen jene, die man zusammen fast wie eine einzige ungeheure Etsmasie betrachten kann, nur von geringer Bedeutung. Ich will mwh also bloß bey dem aufhalten, was ich durch die vier Linien ein­ geschlossen habe. Zn diesem großen Striche Landes er­ heben sich die höchsten Tyroler Alpen, die jetzt noch weit unzugänglicher sind, als die der Schwcitz, und deren ewiger Schnee eine Eismasse erzeugt hat, die in vielen Richtungen nach den Thälern hinablänft, in wel­ che sich diese Alpen öffnen. Zeder Theil dieser Eis, mässe bekommt gewöhnlich den Nahmen des Ortes, dem er am nächsten liegt; und wirklich siehet man etwas ganz anderes, wenn man von Botzen aus über Meran dahin geht, als wenn man von Schönberg, oder vom Jnnthale aus diese Berge bereist, oder bloß mit der Ansicht sich begnügt, die die Eismasse da, wo man ihr am nächsten ist, gewahrt. Man kann also schon von Botzen aus einen Glet­ scher besuchen, indem man über Steran geht, wo man noch überdieß das Passeirthal und den merkwürdigen Passeirsee mitnehmen kann. Allein der Weg von Me­ ran ist lang und beschwerlich, und auf der ganzen

Sechster

Brief.

259

Strecke keine gute Herberge zum Uebcrnachten. — Noch schlimmer und beschwerlicher ist der Weg von Drixen aus. — Von Sterzingen ist er kürzer, doch hat man auch acht Stunden bis an den Gletscher, den sie dort den Schnee­ berg nennen, und ebenfalls kein Wirthshaus auf dem Wege. — Von Steinach aus kommt man ihm näher; auch kann man da vier Stunden lang reiten, größtentheilS in der Ebene, nach Geschnitz, oder/ wtc man hier sagt, G sch nitz, und von da bleibt nur noch eine Meile zu Fuße zu machen. Das beträgt also in al­ lem zwölf Stunden, die man wohl in einem Tage zurücktegen kann, so daß man Abends wieder zu Stei­ nach in einem erträglichen Wirthshause ist. Ich harte hier wirklich schon Pferde und Führer gemiethet, und beschlossen, die Nacht zu Steinach zuzubringen, und den folgenden Morgen um vier Uhr aufzubrechen, als ein Landmann, der lange zugehört hatte, mir end­ lich sagte, er sey nur vor ein paar Tagen an dem Gletscher gewesen, und habe ihn noch so ganz mit Schnee bedeckt gefunden, daß schlechterdings nichts dar­ an zu sehen wäre. Ern anderer bestätigte diese Aus­ sage, und nach dem, was ich dieses Zahr selbst von den vielen mit Schnee bedeckten Bergen gesehen habe, konnte ich sie sehr leicht glauben. Auch hatte der Mann, der zum Führer dienen sollte, und der von Geschnitz war, mir schon vorher gesagt, daß er das befürchtete. Von Schönberg auö kann man den Gletscher besu­ chen, nach welchem man in der Gegend des Pysthauses eine so schöne Aussicht hat, und den sie dort den Stubayer nennen. Der Gastwirth kennt ihn sehr ge­ nau, denn er hat selbst ernen Antheil daran, und schickt jährlich einen Theil seines Viehes dahin. Er rechnete die Ferne von Schönberg acht Stunden; folglich müßte

26»

Sechster

Brief.

man zu Neustift übernachten, wo man ziemlich schlecht wäre. —

Herr von Stolz, der Hofrichter dieses Di»

stricts, der zu Schönberg wohnt, kam sehr verbindlich zu mir, da er gehört hatte, daß ich Nachricht über den Gletscher einzog, ehe noch der Gastwirth zu Haufe war,

und rieth uns, einen andern Weg zu wählen.

Wir sollten nähmlich von Znnspruck ans das Znnthal

hinaufgehen,

und entweder zu Zlxam, oder Sellrein

übernachten.

Ersteres ist zwey, das andere vier Stun­

den von Znnspruck, und an beyde kann man fahren. Zu Sellrein

ist ein Bad, und von da sind höchstens

noch drey Stunden Weges bis auf den Gletscher, den

man den Lisens, oder auch den Sellreincr Gletscher nennt.

Unter dem erstem Nahmen hat man einen Ku«

pferstich davon, den ich zu Znnspruck sah.

Der Wirth

im goldenen Adler kennt ihn genau, und wollte uns bis Sellrein in seiner Kutsche fahren lassen. Während daß wir noch

darüber anstanden, rieth

mir einer meiner hiesigen Bekannten, lieber den Glet­

scher zu besuchen, welcher nicht weit vom Cisterzienserkloster Stambs liegt. Ä8ir könnten, sagte er, auf dem Kloster übernachten, und zu dem Ende both er uns einen Brief an den Prälaten.an. Aber zu,

gleich äußerte auch er die Desorgniß, daß wir für die­ ses Zahr ganze sechs Woche» zu srühe wären, und daß

wir nichts sehen würden, als eine ungeformte Masse von Schnee.

Ueber Stambs hinaus liegt ein Ort Oeh, wovon das Oetzkhal den Nahmen hat, und durch dieses Thal

muß man sich dem Gletscher nahen, wenn man daS Schönst« und Znteressanteste davon sehe» will. Aon dieser Seite hat ihn auch Herr Walcher besucht, der die oben angeführten „Nachrichten von den Eisbergen in Tyrol" herausgegeben hat.

Da er aber nur dieses

Thal und das Paffeirthal gesehen hat, so ist seine B«

Sechster Brief.

r6r

schreibung weit entfernt, eine allgemeine von allen Ansichten und Seiten zu seyn. Er zeigt auch dieses in der Vorrede selbst an. Das also, was man von andern Seiten her sieht, ist, meines Wissens, noch immer unbeschrieben. Auch bedaure ich, daß er so gar nichts über die Mittel und Wege gesagt hat, die Reise zu machen: und das ist bey solchen Wanderungen gerade eine Hauptsache. Ei­ ne Menge Naturschönheiten werden als unzugangbar betrachtet, — nicht, weil man wirklich nicht dazu kom­ men kann, sondern weil sich von irgend einem gegebe­ nen Orte der Weg in einem Tage nicht hm und her machen laßt, und der Reisende kein Mittel weiß, sich ein Nachtlager zu verschaffen. Ueberhaupt läßt der, welcher bloß auf seinem Zimmer liest, wenig sich träu­ men, welche Schwierigkeiten sich finden, so bald man von der gewöhnlichen, betretenen Straße abgeht. Zn der Schweiz war das Mehreste so zugänglich, darum, weil jedermann Ihnen sagen konnte, wo Sie Ihr Nachtlager zu nehmen hätten. Daran fehlt es nun bis jetzt in den Tyroler Alpen noch ganz! Fast jedes auch nur erträgliche Nachtlager ist noch eine weite Stre­ cke von dem Gegenstände entfernt, den Sie zu sehen wünschen; und nur der Settreiner Gletscher kann ohne große Anstrengung und ohne vieles Hin-und Hergehen am nähmlichen Tage gesehen werden, wenn man zu Sellrein im Dade übernachtet. — Von dem Stubayer-Gletscher (Sie wissen nun, was ich mit den verschiedenen Benennungen sagen will) kann man im hohen Sommer über das Eis nach SetU rein gehen, so wie man auf einer andern Seite nach Meran hinabkommen kann; ja, nach dem, was man wir zu Steinach vom Geschnitz - Gletscher, und zu Schönberg vom Stubayer-Gletscher sagte, bin ich ge­ wiß, daß nicht nur beyde die nähmlichen sind, sondern ^uch, daß die Ansichten, die man von dem einen wrt

L6r

Sechst er

Brief.

dem andern der genannten Orte hat, nicht gar weit von

einander entfernt seyn können.

Wären diese Gegenden von

den Liebhabern zeither

mehr besticht worden, so würden wir mehrere Beschrei­ bungen haben; man würde von dem Werthe der ver­

schiedenen Ansichten urtheilen können, und wissen, wo man am mehresten, oder auf die leichteste Art sähe,

und wie man die verschiedenen Theile in einige Verbin­ dung, oder in ein Ganzes bringen könnte.

Auch wür­

de dann hier und da ein erträgliches Nachtlager sich

finden, wo jetzt entweder gar keines, oder eine elende Hütte ist. Auch von Seiten

Schwierigkeiten!

der Sprache finden

sich einige

Die nächsten Anwohner dieser Alpen

reden ein Deutsch, das dem, der blosi die geschriebene Sprache versteht, fast ganz unverständlich ist. Dieß ist

zum Theil, nur in einem geringern Grades auch der Fall an einigen Orten in der Schweiz; aber dort fin­ det man Führer, die das Ding schon längst als ein Handwerk treiben, und die in der Deutschen, und zum

Theil auch Französischen Sprache sich auf mehr als ei­ ne Art auszudrücken wissen.

Was endlich die Ansichten betrifft,

dio man von

der Graubündner Seite her von diesen Eisbergen har, so habe ich darüber gar nichts erfahren können.

Uebri-

gcns wird auch das Wenige, das ich hier geliefert ha­ be, schon zu einem Leitfaden dienen, mit dem man

sich eine Art von Plan machen, und weitere Nachrich­ ten einziehen kann. Auch über die Höhe der Tyroler Berge wissen wir

jetzt noch sehr wenig.

Die mehresten sind nie gemes­

sen worden. Hier haben Sic die Höhe von einigen wenigen nach Walcher, woraus Sie aber schon sehen

werden, daß sie zum Theil unter die ansehnlichsten von

Europa gehören.

Sechster

D r 4 e f.

LöZ

Der Paley-Kogel ist über der Meeresfläche 9/7 i8 Schuh Der Glöckner 11,500 — Der Ortele 12,000 —Zch habe irgendwo gelesen, daß Hacqvet glaubt, der Ortele werde dem Mont blanc nicht gar viel nach­ geben. Vieles wäre da wohl zu sehen, was man in der Schweiz nicht findet! Mir scheint es, daß diese Gletscher hier weit größern Veränderungen unterworfen find, als dort, und daß die Tyroler Alpen häufig, nur gar zu häufig, Verheerungen in dre Thäler bringen, die die Schweiz, zu threm Glücke, weit weniger kennt. — Ich selbst habe von den Tyroler Eisbergen nichts get sehen, als die Ansicht, die man bey Schönberg davon hat; denn ehe wir noch Znnspruck verließen, ^am ein Bauer von Sellrein, welcher erzählte, daß er eben vom Gletscher käme, und ihn noch ganz in eine un­ geformte , unzugängliche Schneemasse eingewickelt M funden habe.

Jnnspruck, den 25 Juny.

Das Landvolk, das ich zwischen Drixen und dieser Stadt gesehen habe, ist ein starker, handfester Schlag. Die Weibspersonen schienen mir besonders schwerfällig, kurz und untersetzt, hatten aber dabey sehr wenig Du­ sen. Die Gesichtsfarbe beyder Geschlechter ist in ei­ nem hohen Grade, was die Engländer ruddy nennen, etwa kirschroth, die Farbe der strotzenden Gesundheit. Die Mannspersonen sind nicht garstig; aber unter den Weibern habe ich feint Schönheiten gesehen, und ihre Kleidung ist häßlich. Sie tragen wollene Strümpfe, die wie Stricke aussehen, welche man Rollenweise auf einander gelegt hat. Um die Wade herum sieht ein

3 64

SechSterDrief.

solcher Fuß ungefähr dreymahl so dick aus, wie ein gewöhnlicher. Diese Strümpfe sind ohne Socken, so daß der eigentliche Fuß nackt in den Schuh geht. Dabey tragen sie ungeheure Zottelmühen von Baum« wolle. Diese sind so dick, und enthalten so viel Stoff, daß das Stück drey Gulden kostet. Hin und wieder setzen sie auf diese noch einen Hut, der denn, so wie die Hüte der Mannspersonen, gewöhnlich grün i|L Der Qberrock der Weiber besteht aus unzähligen Fal, len, und gibt ihnen das Ansehen, als ob sie ein hal» des Dutzend trügen. Und das ist die Kleidung, in der ich sie mitten im Sommer sah. Auf dem Brenner, und an beyden Seiten dieses Berges suchte ich mit verschiedenen Lairdleuten in Ge­ spräche zu kommen, sand eS aber mit den mehrcsten unmöglich, weil wir einander gegenseitig nicht zur Hälf­ te verstanden. Zwischen Schönberg und Znnspruck steht eine Inni ge Lateinische Inschrift, welche uns sagt, daß diese Straße zuerst von den Römischen Legionen geöffnet, nachher durch die Züge der Kaiser, die sich zu Rom krönen ließen, berühmt geworden wäre; daß das Was­ ser sie oft zerstört, daß man sie immer wieder gemacht habe, und daß sie endlich, als Joseph II aus Frank, reich zurückkam, in den jetzigen Stand gesetzt worden wäre. — Wirklich ist diese Straße zwischen Jnnspruck und Schönberg, sowohl als die über den ganzen Bren­ ner, ein schönes, edles Werk. — Oben, über der Hauptaufschrift, hat man auch die Reise des Pahstcs gefeyert, der hier durchging, zwar in classischem Latein, aber etwas lächerlich, wenn man die Figur bedenkt, die er in den Oesterreichischen Staaten machte. Die Worte sind: „Anno 1732. quo Pius VI Pont. Max. Vienna redux Oeniponte a M. Elisabet A. A. ho■pitio honorifico exceptuaTirolim numineSuo

implens ß. Id. Maji beic iter fecit. —" Zy Ztalien bin ich auf eine Menge Aufschriften gestoßen, die man dieser Reise zu Ehren gemacht hatte; aber da hieß es gewöhnlich „ religionis caussa proficiscentem etc.“ — Uebrigens Hal man schon viele Mühe, diese doppelte Aufschrift hier zu lesen, während daß eS eine Menge' Zlltrömischer gibt, die noch vollkommen deutlich sind. Die Neuern sind doch oft so gar klein! Da ich am Artikel der Straßen bin, so muß ich Ihnen eine anzcigen, die durch einen Theil von Tyrol führt, und von der ich schon vor mehreren Jahren in der Schweiz reden hörte. Sie geht von hier durch ei­ nen großen Theil des Znnthales über den Arlsberg nach Pludenz, Feldkirch.u. s. w. und endiget sich, an den Grenzen von Graubündten, zu Balzers. Man sollte denken, so etwas müßte landkundig seyn; gleiche wohl habe ich sehr oft der Existenz dieser Straße wi­ dersprechen hören, kann mich auch nicht erinnern, daß ich sie auf irgend einer Postkarte bestimmt angegeben gefunden hätte. Zu einer andern Zeit hieß es, die Re­ gierung hätte sie in diesem Kriege vernichten lassen, um dem Feinde das Land auf dieser Seite zu verschließen. Erst hier zu Jnnsprück erfuhr ich durch einige Kaiser» Uche Officiers mit Gewißheit, daß sie cxistirt, in dem Laufe, den ich eben angegeben habe, daß sie ziemlich wohl unterhalten ist, und daß die Wirthshäuser, die daran liegen, sich feit diesem Kriege merklich gebessert haben. Eben so war es zum Theil mit der Straße, welche Von Salzburg über Radstadt nach Spital in Kärnthen geht, von wo aus man entweder nach Klagenfurt, oder durch das Pusterthal in Tyrol nach Italien reisen kann. Auch ihre Existenz habe ich oft bezweifeln hören, auch sie findet sich nicht auf mehreren Postkarten, die gar

2 66

Sechster

nicht alt sind. —

Brief.

Sie geht über die hohe Alpenkette

von Salzburg und Kärnthen, ist aber für jeden Wa,

gen fahrbar; ja

zu Klagenfurt sahe ich eine große,

schwere Diligence, die regelmäßig, zu bestimmten Ta­ gen, zwischen dieser Stadt und Salzburg läuft. Seit

einigen Zähren ist diese Straße ein großer Erwerbs­ zweig für die Einwohner des Erzbißt^ums, besonders

für die Kuhrleute gewesen.

Eine Menge Waaren, die

zwischen Triest und Norddeutschland gehen, sind aus die­

ser Straße verführt worden.

Jnnspruck, den 2 6sten Iuny. Ich habe drey Tage sehr angenehm in dieser Stadt und in einem der schönsten Thäler von Europa zugebracht.

Znnspruck ist wirklich ein sehr hübscher Ort von etwa zwölf lausend Einwohnern. Da es die Hauptstadt und der Sih der Landesregierung ist, so findet sich hier na­ türlich eine gewisse Gesellschaft zusammen, die aus Edel­ leuten, Officiers und mehreren Arten von Beamten zu­

sammengesetzt ist.

Die Zahl der Kaufleute ist gegen

Botzen und Roveredo nur unbeträchtlich,

so wie der

Handel von Znnspruck nicht wichtig ist.

Doch findet

man

einige

Häuser

hier,

ansehnliche Geschäfte

die

machen. Der Hof trägt wenig zur Belebung, oder Belusti­ gung der Gesellschaft bey, indem die Erzherzoginn Eli­ sabeth sehr ruhig und eingezogen lebt, und nur an ge­

wissen Tagen des Zahres, und auch dann nur eine we­ nig zahlreiche Gesellschaft empfängt.

Sie wohnt in ei­

nem sehr ansehnlichen und guten Pattaste, den Maria Theresia einst bauete und zu ihrem Witwensitze bestimm­

te.

Zm ersten Stocke sind die Kammern der Regierung,

und im zweyten die Zimmer der Fürstinn, die, wie es

bey der Erzherzoglichen Familie gewöhnlich ist, sehr ein­

fach verziert und meublirt sind.

Ein einziges darunter

Sechster

267

Brief.

zeichnet sich aus; man nennt es den Riesensaal, wett er

sonst mit mythologischen Geschichten bemahlt war, wor­ unter sich riesenförmige Figuren befanden.

Er ist grosi,

von guten Verhältnissen, hat eine gemahlte Decke, und ist ganz mit Scagliuola ausgelegt. Er könnte schön, und, wenn Sie wollen, prächtig genannt werden, wenn

er nicht mit einer Menge größtentheils sehr mittelmäßi­

ger Portraits behangen wäre, die die ganze Oesterreichi­ sche Familie, groß und klein,, aus den letzten vierzig oder fünfzig Zähren vorstellen. Der Schloßgarten, der nahe am Pattaste ist, bie­

thet einen angenehmen Spaziergang dar, und von einer kleinen Erhöhung hat man da eine angenehme ?lnesichr

auf das Land. Die berühmte bronzene Statue Leopolds V,

der eigentlich das Pferd das schönste

ist,

steht

an seit

zwey Zähren vor dem Pallaste, auf dem Platze, den man den Rennplatz nennt. Zch weiß nicht, ob lch unter den modernen Arbeiten dieser Art ein schöne­ res Pferd gesehen habe.

Künstler nennen.

Niemand kann mir hier den

Doch sagt man,, es sey ein Tyroter

gewesen. Das Merkwürdigste in der Francistanerkirche sind,

außer

den metallenen Statuen,

deren

Werth

unter

einandersehrverschieden ist, die vier und zwan­ zig Basreliefs in weiße-m Marmor, die sich

am Grabmahle

Maximilians I

befinden.

Sie sind von Colin, oder wie er sich nennt, Coli­ nns, einem Künstler aus Mecheln, Zahr

1566.

Sie sind schön,

und tragen da§

haben

aber

offen­

bare Spuren der Deutschen, oder Niederländischen Schu­

le, und zeigen sehr deutlich, daß der Künstler kern Ztaliäner war. Das ehemahlige Zesuitencollegium ist jetzt der Uni­

versität gewidmet, die hier ihre Hörsale und eine recht

Sechster Brief.

=68

Letztere ist täglich offen,

artige Düchersammlung hat.

und hat ein Lesezimmer, das bequem ist.

Eine Menge Häuser zu Znnspruck haben etwas Eigenes, das seinen großen Nutzen und zugleich viel

Angenehmes hat.

Auf dem Rücken der Dächer ruht

eint Gallerie, auf der ein paar Fässer sichen, wer mit Wasser ungefüllt seyn sollen.

die im»

Dadurch sieht

man sich in den Stand gesetzt, bey Fcuersgcfahr nicht nur über das ganze Dach zu gebiethen, sondern auch

auf die Häuser seiner Nachbarn zu spielen. Dieß ist um so wichtiger, da fast alle Häuser dieser Stadt

mit Schindeln gedeckt sind.

Nebenher genießt man

von diesen Gallericn einer herrlichen Auc-sicht;

denn

alle umliegende Berge sind so hoch, daß mqn von der

geringste» Erhöhung, mitten in der Stadt, sie üben

sehen kann. Eben das gilt auch von den beyden Drücken, wovon die eine in der Stadt, die ande­ re und

in

einer

von

kleinen

denen

Ferne

beyden

außerhalb

men

recht

derselben

ist,

hübsche Aussicht

ten hat.

Zn der Zohannis/kirche sind zwey gute Fresco-

gemählde von Schöpf, einem Tyroler Künstler, dessen ich schon zu Drixen gedacht habe.

DaS Stadtthor auf der Seite von Schönberg

ist recht hübsch; aber es ist eine Nachahmung der Triumphbögen zu Nom. Fast alles Gute, was man in der Art sieht, ist Nachahmung der Antike; das aber, was von dem Style der Alten abweicht und original ist, fällt

mehrentheils geschmacklos aus. Das Haus der Stände ist ein großes ansehn­ liches Gebäude, aber von schlechtem Geschmacke. Das ist auch der Fall mit mehreren Privatgebäuden, die von dem Gemeinen abweichen,

Baukunst haben.

und einige Ansprüche auf

Der schlechte Styl fällt alsdann nur

desto mehr in die Augen.

Sechster

Brief.

269

Da ich fast drey ganze Tage hier zugebracht habe,

so können Sie leicht denken, daß ich die Gegenden um

Znnspruck genossen habe.

Alles ist groß und schön hier

umher; die geringste Anhöhe, die Sie ersteigen, belohnt rerchlich Ihre Bemühung.

war

Ich

auch

wieder auf dem

schön gelegenen

Schlosse Ambras, eine Stunde von hier. tigsten Sachen wurden

einigen

vor

D^e wich­

Zähren,

wegen

der Nahe der Franzosen, eingepackt, und sind es seit­

dem geblieben.

Indessen sieht man noch immer die

merkwürdige Sammlung

von

Rüstungen,

die

einer

großen Menge von Fürsten, und Helden des fünfzehn­

ten und sechzehnten Jahrhunderts gehörten.

Alles zur

sammen, was man jetzt hier noch zeigt, ist doch kaum

wichtig genug/

einen Professor aus der Stadt zu be­

mühen, der mit dem Fremden

welches

herauefahrt,

sonst, da der Ort mehr aufzuweisen hatte, nicht der

Fall war. —

Das Schloß selbst ist jetzt ein Milü

tarhospital, und voll von verwundeten Soldaten. — Die Offwiers, die ich zu

Znnspruck

kennen

lernte,

klagten sehr über Mangel an guten Wundärzten beder kaiserlichen Armee; daß sie schlecht bezahlt wären;

daß man eine Menge Barbiergesellen und

Pfuscher,

zum Theil aus Nothwendigkeit gedrungen, aufgenomr men habe; daß manches Glied abgeschnitten werde,

das dle bessere Kunst erhalten würde; und daß diese Leute manchen braven Soldaten aufopfertcn, der geret­

tet werden könnte. Nahe bey der Stadt,

liegt das

auf

einer

andern Seite,

schöne und wichtige Kloster Weilau, in

dessen Nähe die Sil einen zwar künstlichen und nicht großen, aber hübschen Wassersall macht.

Die

gend umher

Von dem

kleinen

ist groß und mahlerisch. —

Landschlosse

der

alten

Fürsten

Tyrols,

Ge­

das

270

Sechster Brief.

;cht «in höchst unbedeutendes Ding ist, hat man ei­ ne herrliche Zlusficht. Wir besuchten es, der Lage we, gen, und das verschafte uns einen Spaziergang, der mir der merkwürdigste von allen denen war, die ich im Verlaufe dieser drey Tage gemacht habe.

Siebenter Brief. Land zwischen Innspruck und Salzburg — Halle — Bol­

ters — Schwatz — Bergwerke bey Schwatz — Ratten­ berg — Wergl — Elmau — St. Iohannes — Mayde-

ring — Uncken — Salzburg — der Mönchsberg — der Eapucinerberg — der Fürst — Herr von Moll — Hallein — Salzwerke — Golling — Werfen —

St. Iohannes

— Allgemeine Beschreibung des Landes — Bevölkerung — Wirthshäuser —

die Lendt — Schmelzhütten —

La..d zwischen Lendt und Hof — Gastein — Bad — Was­ serfall —

Bergwerke in den Rauriser Alpen — Beck mit

seinem Hüttenwerke — das Pinzgau — eingefallener Berg — Daxenbach — Zell — der Zetlersee — Saalfelden —

zweyerley

Arten

von

Landschaft im Salzburgischen ~

Frauenwies — der Hofmahler Nesselthaler — sehr einfa­ che Art, das Heu zu trocknen — Probstey Berchtesgaden

— Verpachtung der Salzwerke an Bayern — Bartholo­

maussee — Leopoldscrone bey Salzburg — Allgemeine Bemerkungen über dre Bewohner dieser Provinzen.

Uncken an der Grenze von Tyrol und Salzburg, innerhalb zwey Meilen von Salzburg, den 28 Iuny 1799.

der schönen Natur zu Gefallen reist, kann, außer­ halb der Schweiz, schwerlich eine so lange und anhalten-

Siebente’t

Brief.

de Strecke merkwürdiger Gegenden finden, als die, wel, che wir seit zehn Wochen in Oesterreich, Steyermark, Kärnthen, Krain, im Herzogthume Venedig und in der Grafschaft Tyrol durchwandert haben.

Welch eine herr­

liche Natur, welche Mannigfaltigkeit von Gegenständen! Unter diesen Provinzen setze ich Tyrol eben an, denn von seinen südlichsten Grenzen an, bis an den Ort, auS dem ich Ihnen jetzt schreibe, ist es, auf der ganzen langen Strecke, in der ich es durchreist habe, unausgesetzt «in sehr interessantes Land. Von Znnspruck aus steht

man der großen, erhabenen Gegenstände weniger; aber auch selbst in diesem Striche wüßte ich kaum eine halb«

Stunde Weges, der nicht mehr oder minder Schönheiten

hätte.

Dieser letztere Theil aber ist von dem südlichen

Tyrol, oder auch von dem Theile, welcher nördlich und

westlich vom Brenner liegt, sehr verschieden.

Die Ber­

ge, obschon noch immer sehr hoch, sind weniger steil,

und viel« bis an die Spitzen mit Holzung und GraS be­ wachsen. Noch größer ist der Unterschied in dem Clima und den Erzeugnissen.

Die Weinrebe, der Feigen - Mandel-

und Ca^anienbaum sind verschwunden, und selbst unsere nördlichen Fruchtbäume gedeihen, so wie man weiter stimmt, weniger und weniger.

An Getreide ist keines»

weges Ueberfluß, und über Wergl, St. Johannes k. hinaus wird nicht so viel erbaut, als die Einwohner be­

dürfen.

Der Boden verlangt, um Korn zu erzeugen,

vielen Dünger, und an diesem fehlt es.

Desto schöner

ist das Grün, das diese Gegenden belebt, die Wiesen und Weiden, das viele Holz und die mannigfaltige Form

der Berge.' —

Die Städte und Flecken sind wohl ge­

baut und ansehnlich, und die Dörfer, die eine Menge

guter Häuser haben, gleichen den Schweizerdörsern von

der Mittelart, und zum Theil denen im Sächsische» Erz­

gebirge, wo gewöhnlich jedes Haus feine Wiese und eine

Art von Garten um sich her hat. — Die Viehzucht ist der wichtigste Ertrag dieser Thäler. Käse macht man we­ nig, und er ist nicht von vorzüglicher Güte, weil man an den mehresten Orten die Sahne erst abrahmt. Die Haupt­ sache ist hier Butter, die geschmolzen und in großer Menge nach Italien, zum Theil auch nach Deutschland verschickt wird. Von Jnnspruck aus behält das Thal noch auf etliche Meilen die nähmliche Weite, d. h. ungefähr eine halbe Deutsche Meile. Dann wird es enger, und öffnet sich nur hin und wieder, und so dauert es fort, bis man in die Ebene kommt, in welcher Salzburg liegt. Drey kleine Stunden von Jnnspruck kommt man nach Halle, wo das bekannte und wichtige Salzwerk ist. Man sieht hier eine Menge guter Häuser, und der ganze Ort hat ein Ansehen von Wohlstand, das Vergnügen macht. — Zu Volkers, zwey Meilen von Znnspruck, ist ein Pferdewechsel, und ein anderer zwey Meilen wei­ ter, zu Schwatz. Dieser große, aus vielen guten, an­ sehnlichen Häusern bestehende Flecken, ist durch das un­ geheure Gebäude merkwürdig, das der Graf von Tanne­ berg hier besitzt. Ich hätte es eher für eine große Abtey gehalten. Nicht weit davon hat der nähmliche Graf auch ein ansehnliches Schloß, das romantisch auf einem Hügel liegt, aber vernachlässiget zu seyn scheint. — Auch sind in dieser Gegend ein paar ansehnliche Klöster, welche, mit den Privatgebäuden, dieser Landstrecke ein belebtes, eivtlisirres Ansehen geben. Nahe bey Schwatz sind die bekannte» Bergwerke, deren große aufgeworfene Halden genug beweisen, wie lange und wie fleißig man sie schon bearbei­ tet hat. Ein Stollen mit dazu gehörigen Hütten und Ma, schinen ist dicht an der Landstraße. Die Schächte sieht man in einiger Höhe: und auch ihre Halden zeigen, wie sehr sie bearbeitet worden sind. Sie geben Silber und KUttnrr« St. 4. rb 18

Siebenter

274

Kupfer.



Brief.

Jcb bemerkte in dieser Gegend weit und

breit, das; die Kirchthürme sehr vieler Dörfer mit Kupfer

gedeckt waren; aber ich fand keinen einzigen, darunter, dem

diese Ehre kürzlich wiederfahren wäre, nnd alle hatten das Grün des Alters,

das dieses Metall mit der-Zeit am

nimmt. Man hat Mittel gefunden, es leichter, als sonst,

in der Ferne abzusetzen, und dadurch ist sein Preisen Hause gestiegen. Kurz ehe man in das Städtchen Rattenberg kommt, öffnet sich dem Auge eine schöne Aussicht in das Ziller that, in welches man, ununterbrochen, fast bis

an das Ende sieht, wo es durch hohe Berge begrenzt ist, auf denen noch sehr viel Schnee lag. — Die Ziller, die hier aus dem Thäte heraus kommt, und um die Stadt herum fließt, ist schon ein ansehnliches Wasser, wenigstenin diesem Augenblicke, und vermehrt die Schönheit dieser

lieblrchen Gegend.



Das Thal wird sogleich wieder

enge, und ziehet sich zwischen hohen, alpenartigen Bergen durch, bis nach Werg l, wo sich mehrere Thaler öffnen. Da wir nie lange Tagereisen machen, und gestern bey Zeiten zu Wergl ankamen/ so machte ich noch einen

Spaziergang, und fand eine reihende, romantische Ge­ gend umher. Sie wird fast einzig von Landleuten be­ wohnt, und kein Güterbesiher, kein reicher Stadt­

bürger scheint hier an Schönheiten Antheil nehmen zu wollen, die freylich nur wenige Monathe im Zahre ge­

nießbar seyn mögen. — Es fällt einem auf, in einem so

entlegenen Dorfe ausgemahlte Zimmer, Wachslichter, Tor­ ten nnd mehrere Arten von Weinen zu finden; aber dafür

erhielten wir auch vom Postmeister eine höchst übertrie­ bene Rechnung.

Von Wergl kamen wir heute früh über eine schwere,

bergige Straße,

auf der' man uns,

vermöge Patents,

sechs Pferde einspannte, durch ein schönes, noch immer von hohen Bergen Fingeschlossenes Thal, wovon aber das

Siebenter Ctima ziemlich rauh ist.

Brief.

27z

Es sind zwey Meilen bis El­

mau, zwey bis St. Johannes, zwey bis Way be­

ring und zwey und zwey drittel bis Uncken. Auf die­ sem ganzen Wege sah ich sehr wenig Getreide, und noch weniger'Fruchtbäume; aber herrliche Wiesen und Weiden, majestätische Berge von mannigfaltiger Form, und romantische Felsen.

große,

Zu St. Johannes hat der Dechant von Chiemsee

ein

Haus,

in welchem die Erzherzogin Elisabeth von

Znnspruck alle Jahre einen Theil des Sommers zubringt» Dreses Jahr wird sie die Reise zwey Mahl machen müssen,

denn sie war schon vor zwey Monathen hier, als die Fran­ zosen in Tyrol einbrachen. — Hier ist ein gutes Wirths­

haus, auch zum Uebernachten.

Way dcring,

das auf den Karten, die ich bey

mir habe, als ein nicht Tyrolischer Ort angegeben wird,

ist Oesterreichisch,

und die letzte Post gegen Salzburg.

Von hier aus ist das Thal sehr enge, und bey Uncken

stehen die Berge so r^ahe an einander, daß fast nichts von Ebene übrig bleibt, als das Felsenbette, in welchem die

Sala braust, und selbst dieses ist so abschüssig, daß der

Fluß in unablässigen Fallen sich herabstürzt. — Auch hiev, ist man recht wohl auf der Post,

nur muß man nicht

chöne Zimmer suchen.

Salzburg, den 30. Juny. Von Uncken nach Salzburg macht man, ohne Pferds zu wechseln, vier Meilen, zu denen wir volle sechs Stun­ den brauchten, ungeachtet des Vorspannes, den wir fük

dre erste, kleinere Hälfte des Weges bekamen.

Aber die

Lange dieser Stätion, und die vielen Berge Machen eine kleme Fütterung nöthig. — Ehe man nach Reichen hall kommt, sthßt man an die Straße, die von Traunstein emfallt, auf der ich

einmahl nach Salzburg kam, da ich von München nicht

276

Siebenter

Brief.

die gerade Straße, sondern über den Chiemsee gegangen war. — Zch besah damahls die Salzwcrke von Reichen» hall; allein man thut jetzt sehr geheimnißvoll damit. Uebrigens ist es nicht die Bearbeitung des Salzes, son­ dern die mancherley Maschinen, die man hier angelegt hat, und das Druckwerk, wodurch man die Sohle über hohe Berge nach Traunstein treibt, wodurch diese Stadt interessant wird *). Die weite, obschon von hohen Bergen eingeschlossent Ebene, in welcher die Stadt Salzburg liegt, zog mich durch ihre Schönheit unaussprechlich an, als hätte ich sie nie gesehen. Die nähmlichen Gefühle haben mich auch gestern Und heute den ganzen Tag begleitet, da ich von mehreren Anhöhen dieser Stadt und von verschiedenen Seiten das reitzende Land übersah, das diesem Orte eine Lage gibt, wie sie wenig andern zu Theil geworden ist. Salzburg selbst betrachte ich als eine derartigsten, reinlichsten und niedlichsten Städte in Deutschland. Die große Zahl guter, sehr ansehnlicher Gebäude, die vielen schönen Gassen, die Menge der öffentlichen und großen Brunnen, einige Kirchen, der Pallast des Fürsten, das Haus der Stände, die Ställe, die Reitschule rc. alles zeigt, daß diese Stadt schon längst und anhaltend einet weisen Regierung genossen hat, die von der Thätigkeit und Arbeitsamkeit des Volkes unterstützt worden ist. Hier ist so gar nichts, das Sie an eine Priesterregierung erin­ nert, und einer der auffallendsten Züge dieses Erzbisthu» mes ist, daß in dem ganzen Lande überaus wenig Klöster find. Sie ist klein; aber die mehresten Häuser haben,

*) Rach Herrn von Riedl ist der höchste Punct dieser Was­ serleitung über 1000 Schuh höher, als die Stadl Rei» chenhall, wozu noch die Tiefe de« Salzbrunnens selbst kommt. Ihre Länge beträgt vier Meilen. Ein gemeiner Zimmermann, Reifenstul, führte das Werk unter Mari» miljan I. au».

Siebenter

Brief.

»77

mit dem Fußboden, vier Stockwerke, und manche fünf.

Ihre Bevölkerung soll gegen fünfzehn tausend Mensche»

seyn. Was die Stadt Salzburg nur einzig in ihrer Art

macht, ist der Felsen, berste, wie eine Stadtmauer, von einer Wasserseite bis zur andern umgibt, und den man den

Mönchsberg nennt.

Die Nordseite, oder eigentliche Stadt

hatte also nur zwey Eingänge, nähmlich an den beyde»

Enden des Felsens, wo er an den Fluß stößt.

Zn diesem

Zahrhunderte aber hat ein Erzbischof den Felsen durchgra­ ben lassen,

und eine schöne Durchfahrt geöffnet, die vier

hundert und zwanzig Schuh lang, zwey und zwanzig breit,

und sechs und dreyßig hoch ist.

Es ist ein edles, erhabe­

nes Werk, und die aus dem Felsen gehauenen architekto­

nischen Verzierungen der beyden Thore oder Eingänge sind

in einem guten Geschmacke. Zm Innern steht das Dildniß des Erzbischofes, mit der Aufschrift: „Te Saxa loquun-

tur.“

An den beyden Seiten sind zwey marmorne Me-

busenköpfe, welche, so wie das Brustbild des Fürsten, die

Einfalt der aus dem Felsen gehauenen Architektur etwa» stören. — Die Statue des heiligen Siegmund über dem -ußern Thore, mit allen ihren kriegerischen Parapherna-

lien, fällt zwar in die Augen; allein man hätte mit we­ niger» Kosten etwas Geschmackvolleres und Zweckmäßige»

machen können,

Was ursprünglich die Form dieser sonderbaren Felsen­ wand gewesen seyn mag, läßt sich jetzt nicht mehr unter­

scheiden; man hat sie allmählich so sehr bearbeitet, daß sie fast durchaus senkrecht ist. Sie wurde nähmlich wie eine

Stetngrube gebraucht, indem man immer, aber nach ei­

ner gewissen Ordnung, von ihr abhauete, was man jede» Mahl brauchte.

Die ansehnlichsten Gebäude der Stadt

sind daraus errichtet, und noch diese Stunde arbeitet man daran, und gibt ihr immer mehr und mehr die senkrechte

Linie, und di« Gestalt.'einer ungeheuern Mauer.

ES ist

Siebenter

278

Brief.

also jetzt recht eigentlich die Stadtmauer, und eine größere, stärkere und prächtigere hatte nie eine Stadt des Alter­ thums.

Sie muß an manchen Orten sechs,

acht hundert Schuh dick seyn, und drüber.

sieben, bis

Ihre Höhe

ist verschieden; an einigen Orten soll sie nur hundert und fünfzig bis zwey hundert, an andern drey bis vier hundert

Fuß seyn.

Oben

auf sind Hauser,

Gärten, Wiesen,

Waldung und selbst Getreidefelder, einige Magazine und

Festungswerke,

außer.der eigentlichen Citadelle,

welche

daran stößt, und die ich hier nicht mit rechne, — weil

sie höher liegt, und weil man die Spitze, worauf sie steht, den Schloßberg nennt.

Hier soll die Höhe mehr als sechs

hundert Schuh über der Stadt seyn. - Jedermann kann

auf diesem Felsen spazieren gehen, und einen angenehmern Gang und eine schönere Aussicht können Sie Sich nicht

leicht denken.

Da übersehen Sie die ganze Stadt, den

Fluß viele Meilen weit,

und die ganze reiche,

schöne

Ebene, mit den ustjähligen zerstreuten Häuserü und den

vielen Dörfern, die alle ein Ansehen von Reinlichkeit und Wohlstand haben, das mich entzückt; die hohen Berge, und die mit Schnee bedeckten Alpen nicht zu vergessen. —

Von der Citadelle auf dem Schloßberge genießt man die Aussicht noch unbeschränkter.

Dieser Felsenwand gegenüber liegt, auf der andern

Seite des Flusses, den man beydes Salza und Salzach nennt, der sogenannte Capucinerberg, von beträcht­ licher Höhe, unzugänglich, auf der einen Selle, durch seine senkrechte Steile, und eingeschlossen, auf der andern,'

durch eine Mauer.

Man muß, um hinaufzugehen, eine

besondere Erlaubniß haben, wozu der Fremde einen Bogen

mit seinem Nahmen einschickt, welcher, ich glaube, vom Hofmarschalle

unterschrieben

zurückgegeben wird.

Zch

weiß nicht, wozu diese Form abzweckt, denn der Berg ist

im Grunde nichts, als ein eingeschlossener Wald, auf des­ sen obersiem Theile ein kleines, armselig befestigtes Schloß

steht,

von dem man aber die schönste Aussicht hat, die

die Gegend um Salzburg gewährt. — Am untern Theile dieses Berges liegt das Capu-

cinerkloster, von dem die Höhe ihren Nahmen hat,

und dessen Gärten zwar eine beschränkte, aber nach immer eine sehr schöne Aussicht gewähren. Der gegenwärtige Fürst und Erzbischof ist ein Graf von Coloredo, Bruder des Fürsten dieses Nahmens.

Er

regiert schon seit acht und zwanzig Jahren, und hat ein Ansehen von Gesundheit und Kraft, die dem Lande nocklange die Fortdauer seiner weisen Regierung versprechen.

Er scheint geliebt zu seyn, und würde es noch mehr wer­

den, wenn er die Jagd nicht so sehr liebte, und die dahin gehörenden Gesetze mit etwas weniger Strenge ausübte. (Auf einer Reise, die wir nachher durch das Landmäch­

ten, hörte ich ein paar Mahl darüber klagen.)

Wir lernten hier einen Domherrn kennen, der sehr

viel von den Schönheiten dieses Erzbisthums erzählte, an die ich um so williger glaubte, da das, was ich bey einer frühern Reise selbst davon gesehen habe, mit seiner Be­ schreibung vollkommen übereinstimmte.

Ich sprach nach­ her darüber mit dem Herrn Kammerdirecior von Moll, welcher die Finanzen dieses Landes handhabt, und dieser

bestimmte uns vollkommen zu der Reise, gab mir auch ein allgemeines Empfehlungsschreiben, von welchem ich bey

den verschiedenen Civil- Kamcral- und Dergbeamten des Fürsten im Lande umher Gebrauch machen sollte.

Herr

von Moll ist der Verfasser des mineralogischen Journals,

das unter diesem Nahmen herauskommt, und ein Mann, dessen Bekanntschaft,

so wie seine Sammlungen, in fb

vielen Rücksichten interessant ist. Wildbad in Gastein, in den südlichen Alpen von Salzburg, den aten July.

Ich habe zu Salzburg einen leichten Wagen und

zwey Pferde gemiethet, womit wir gestern sehr früh ab-

35«

Siebenter

Dries.

fuhren und schon um acht Uhr zu Hallern waren. —' Zch sreuete mich, dieses schöne Bergwerk wieder zu sehen, wovon der Schacht über zwölf hundert Schuhe tief seyn

M.

Du

,

den Mr für Wb MtWtt fanden,

hält, wie man mir sagt, drey hundert taufend Eimer. Solcher Sale, oder, wie sie eigentlich heißen, Sinkwcrke,

gibt es hier drey und dreyßig, wovon der größte gegen sieben hundert tausend Ermer halten soll, der aber gerade

jeht voll Wasser war.

Sie sind alle ohne Säulen, oder

srgrnd eine Art von Unterstützung, Man laßt das Was­ ser, wie bekannt, an dem Salzfelsen nagen, bis es sechs und zwanzig Procent hält, da es denn durch'Röhren in hie Salzpfannen, die sich in der Stadt befinden, geleitet wird, und durch einen Prozeß geht, der, mit einigen 2lbwechselungen und mehr oder weniger Localvortheisen, über­

all der nahmsiche ist. — Die Zahl der hier angesiellten

Menschen soll sich auf elf hundert und vierzig besaufen, hie sammt und^sonders schlecht bezahlt sind. Man macht gegen vier hundert tausend Centner Salz jährlich, wovon

mehr als zwey Drittel an Bayern verkauft werden, und zwar zu einem geringen Preise, der durch ölte Vertrage

festgesetzt ist.

Der

Churfürst gewinnt sehr ansehnlich

durch diesen Handel, indem er nicht nur sein Land, föne Hern auch andere Provinzen damit versorgt. — In der Stadt zählt man vier tausend sechs hundert Einwohner. Das Wetter war hell, und ich sah, was ich vorher

Nicht bemerkt hatte, daß die ganze Gegend an diesem Salzberge in höchstem Grade romantisch und mahlerisch ist.

Hohe, senkrechte,

sonderbar geformte Felsen, mit

Gestrüppe und mannigfaltigen Baumen hin und wieder

bewachsen, und dann zwischen inne Wiesen und angebau­ tes Feld; Häuser, die mehrentheils von Holz sind, und eine mahlerische Form haben, und endlich drey Wasser­

fälle , die alle in einer geringen Ferne von einander zu se­ hen sind. Sie haben nicht das Große mehrerer Wasser-

fälle in der Schweiz, sind auch bisweilen so klein, daß man sie zu gewissen Zetten wvhl gar nicht bemerken würd«.

Aber ,eht waren sie reich an Wasser und würden alle bvty

ichr Mschc ZeiäMNgrn abgcbtn. — Wir sanden dann auf der Post eine artige Mahlzeit, mit gutem Weine,

und reiften um zwölf Uhr weiter.

Von Hallein nach Golling sind zwey Postmeilen, Md zwey und eine halbe nach Werfen.

Von da rechnet

man noch zwey Meilen nach St. Zohannes, wo wir Übernachteten. Wir machten den ganzen Weg mit den nähmliche» Pferden in weniger, als zehn Stunden. DiS Werfen geht eine regelmäßige Landstraße, die mit Postpferden belegt ist, und die von da über Nadstadt und über die Salzburgischen und Kärntheralpen nach Klagenfurt

führet. Das Land bis St. Johannes ist so ziemlich

das nähmliche, wie zwischen Jnnspruck und Salzburg, d. h. schöne Thäler, bald enger, bald weiter, von hohen

Gebirgen eingeschlossen, hinter denen sich noch höhere er­ heben, die mit Schnee bedeckt sind; fruchtbare Wiesen weniger Getreide, noch weniger Frucht­ bäume; Holzung bis auf die Spitzen her ersten Berge,

und Weiden,

und nackte Felsen auf den höher». — Mes har ein lachen­ des, liebliches Ansehen, einen Strich zwischen Golling und Werfen ausgenommen, welcher fürchterlich wild ist,

und dessen ich weiter unten gedenken werde.

Das Land

ist sonst

sehr fruchtbar, und zeigt einen Anbau, der viel­ leicht nicht so groß in der Wirklichkeit ist, als er dem Auge

zu seyn scheint. In der That fehlt es diesem ganzen Erzstifte

an Händen, und man sagt mir, daß es sich nie vollkom­ men von den verschiedenen Auswanderungen erhohlt hat,

besonders von der, zn welcher die Protestanten, unter dem Erzbischöfe Firmian, vor sechzig Jahren genöthiget wurden. Man schätzt die Zahl dieser Vertriebenen auf dreyßig tausend Dkenschen.

Indessen fällt dieser Mangel

Siebenter

2Z2

Brief.

an ausgebreiteterer Cultur dem Auge nicht auf, dem Alles

umher grün und belebt erscheint, und welches selbst be­ trächtliche Höhen auf die eine oder die andere Art bewach­ sen sieht. — Wirklich ist das ganze Land schlecht bevöl­

kert, denn ryan rechnet nicht mehr als 198/000 Menschen;

allein hierbey muß man bedenken, daß ein großer Theil

dieser Landstrecke aus hohen, ganz unbewohnten und un­ angebauten Alpengipfeln besteht, so daß, wenn man diese die Bevölkerung der niedrigen und bessern

wegrechnete, Striche

doch

Salzach,

wohl

ein,

ziemlich

ansehnlich

wäre.

dem Anscheine nach wenigstens,

trächtlicher Fluß,

Die be­

bleibt des Reisenden beständiger Ge­

fährte, und belebt, durch sein Brausen in einem untiefen Bette, die romantische Landschaft.

Nahe bey Werfen liegt eine kleine Festung auf einem

einzeln stehenden Hügel. Weiter hinaus, wo die große Landstraße aufhört, wird das Land allmählich wilder, und ein Theil der Straße ist von Hotz ^gemacht.

Auch gehet

man oft eine beträchtliche Strecke Weges über eine Art

von Drücken, durch die man den zu steilen Felsen, welche es zu kostspielig gewesen wäre auszuhauen, oder zu spren­

gen, nachgeholfen hat.

Zu Werfen traten wir auf kurze Zeit in einem erträg­

lichen Wirthshause ab, und zu St. Johannes fanden wir Alles, was ein billiger Reisender in diesen entlegenen, we­ nig besuchten Bergstrichen nur verlangen kann.

Vorzüg­

lich fiel mir zu Werfen das Brot auf, ohne Ausnahme,

das schönste und weißeste, das ich je gesehen habe. (Auch in den übrigen Wirthshäusern, durch das ganze Land, fand ich das Brot unausgeseht gut, immer vom schönsten

Weihen und auf das sorgfältigste zubereitet. Artikel des Luxus,

Es tst ein

der hier ziemlich allgemein zu seyn

scheint, und den der König von Schweden nie zu sehen

bekommt.) — Fast in allen Gegenden von Salzburg und

dem nördlichen Tyrol findet man einen Ofener und Oester-

Siebenter

283

Brief.

reicher Wein, die oft besser sind, als man sie in den Wie­

ner Speisehäusern haben kann.

Forellen haben wir noch

überall bekommen, und in diesen Dergländern sind sie ganz vortrefflich.

Was aber die Reinlichkeit betrifft, so ziehe

ich die geringsten dieser Wirthshäuser den mehresten Zta-

lianischen vor. so herzig,

Dabey sind diese Leute so gutmüthrg und

und immer zufrieden mit dem,

was man

ihnen gibt. Heute früh gab der Kutscher den Pferden,ein kleines

Futter zu Lendt.

Da wir wieder hier durchkommen

werden, so ergriff ich diese Gelegenheit, die Zimmer zu

besehen, und fand drey bis vier, in denen allenfalls auch Zu Hof

fin verwöhnter Reisender übernachten kann. —

cutterten wir zu Mittage, und da sah ich Zimmer und Betten,

wie man sie oft auf den besuchtesten Landstraßen

nicht findet. (Eben so waren auch noch zwey andere beschaf­ fen, in die wir in der Folge kamen.) — Was ist es eigent­ lich, das diese Wirthshäuser so gut macht,die fern von allen

Pässen und Landstraßen, in wilden, unbesuchten Gebirgen liegen? —

Es laßt sich nur dadurch erklären, daß die

Eigenthümer wohlhabende Landwirthe sind, die i^r Ver­ gnügen und ihren Stolz darin finden, wohlversehene Zim­

mer zu halten, von denen sie, so wie von der Gastwirth­ schaft überhaupt, nicht leben; die aber dem Reisenden zu Dienste stehen, der von ungefähr diesen Weg kommt. —

Endlich werden Sie mich natürlich so weit verstehen, daß Alles, was ich hier sage, verhältnißmäßig ist.

Eleganz

und feinen Geschmack muß man freylich nicht suchen, wohl

aber Bequemlichkeit, Reinlichkett und alles,

was wahr­

haft gut ist, ja selbst einen gewissen Luxus von einer eige­ nen ?lrt, und den ich den rustischen nennen möchte.

So

finde ich z. E. in den mehresten dieser Zimmer einige Bil­

der,

mancherley geschnitzte Figuren von Holz, reichver­

zierte altväterische Meublen, die vor hundert Zähren für

sehr schön mögen gegolten haben; ein geschnitztes Crucifix

984

Siebenter

Brief.

«in wohlgepuhtes Christkind, eine reichverzierte Madonne, Früchte von Wachs, oder Stein, einen Vorrath von Glä­ sern , auch wohl von Porcellan, oder einen noch größern von wohlgescheuerten zinnernen Kannen, Kaffeegefäßen u. s. w. Oehlgemählde von Erzbischöfen sieht man in diesem Lande auch sehr häufig. — Von St. Johannes hatten wir heute früh drey Smnden bis Lendt, oder, wie man eigentlich sagt, in die Lendt, wo ich Schmrlzwerke, einen Zainhammer und andere Arbeiten in Eisen fand. Man bringt hier das mehreste Erz aus, das weiter hinauf in den Alpen gegraben wird. Dicht an der Drücke, über welche die Straße geht, ist ein Wasserfall, der auch neben den schönen der Schweiz picht verächtlich seyn würde. Ich erstieg einen Felsen in der Nähe und bekam eine vortreffliche Aussicht auf diesen Fall. Von nun an verliert man die Salzach und bekommt -ik Gastein zum bleibenden Gefährten. Von Lendt aus geht man über eine Stunde fast un­ ausgesetzt bergauf. Dieß ist ein äußerst interessanter Theil der Reise, und im höchsten Grade wild, romantisch und groß. Hier ist ein enges Thal zwischen mehrentheils senk­ rechten Felsen, oft so enge, daß nichts als die Straße und der Fluß, der in beständigen Wasserfällen herabstürzt, Platz darin finden. Ja an manchen Orten ist nicht ein­ mal so viel Ebene, um eine Fuhrstraße anzubringen; da­ her ist sie theils aus dem Felsen genommen, theils ruht sie auf fortdauernden hölzernen Drücken. Der Fluß macht mehrere schöne Fälle, deren Staub wie eine Wolke in die Höhe steigt. Wo die Felsen nur ein wenig von der senk­ rechten Linie abweichen, so sind sie auch mit Bäumen und zum Theil mit sehr schönen und hohen bewachsen. Nir­ gends habe ich so große Ahornbäume gesehen, als in die­ sem Striche. Hin und wieder ist die Gegend fürchterlich

schön! Das dunkle, nackte Grau dieser schroffen Felsen macht gegen den weißen Schaum des Flusses, der gewalt­ sam an seine Wände anschlagt, einen sonderbaren Abstich; Sie bemerken erne gewisse Dunkelheit um sich her, sehen auf, und erstaunen über die Höhe, die Sie einschließt. Schon glaubt man, hier sey das Ende alles weitern Fortschreitens, als auf einmahl ein angenehmes Thal sich öff­ net, dessen Weite, Bevölkerung und Anbau wunderbar mit dem engen Passe absticht, aus dem man so eben ge­ kommen ist. Hier sind nicht nur schöne Wiesen, Weiden Und Holzung, sondern es wird auch Getreide erbauet. Ungefähr in der Mttte dieses Thales liegt der Flecken Hof, mit mehreren recht guten Hausern. Ich bemerkte hier ein kleines Wasser, das von einem sehr hohen Felsen­ berge herabkommt, und von dem ich begriff, daß es hinter dem Orte einen Fall bilden muß, der mir nicht sichtbar war; ich suchte ihn auf, und fand wirklich einen sehr hübschen Wasserfall, zu dem aber der Zugang beschwerlich, und der so in Felsen versteckt ist/ daß man ihtt nicht zu seinem größten Vortheile sehen kann» Nach der Mahlzeit machten wir noch eine Stunde Weges in diesem Thäte, und kamen dann auf eine Anhöhe, von der man das Wildbad in Gastein mit seinem prächti­ gen Wasserfalle übersieht. (Zch habe dieses Bad sonst Gastein genannt; das ist aber nicht genau gesprochen/ denn der letztere Nahme kommt dem ganzen Districte zu. Auch heißt der Fluß, der sich durch dieses Ländchen stürzt, nicht die Gastein, ob man schon diesen Nahmen auf eini­ gen Karten findet, sondern die Ache.) — Hätten wir bey dieser Reise keinen andern Zweck gehabt, als bloß dieses Bad zu sehen, so würde es in der That kaum der Mühe und Kosten lohnen? Außer dem Hause des Erzbischofesdem Spirale und der Kirche habe ich nicht ein steinernes Gebäude gesehen. Die beyden Wirthshäuser sind vott Hol» und höchst altväterisch, und ein drittes, das für 5r$

28-

Siebenter

inere Gäste ist,

Brief.

soll noch schlechter seyn.

Häuser sind elend,

Alle übrigen

und haben keine Zimmer,

Fremde vermiethet werden können.

die

an

Fünfzig bis sechzig

Personen werden elendiglich in den beyden Wirthshäusern jusammengedrangt, und für mehrere Gaste ist hier nicht

Platz. — Herr * * und ich mußten mit einem einzigen

und nicht großen Zimmer vorlieb nehmen, und der Be­ diente (wir haben nur einen mit uns) wurde in ein Loch gesteckt,

das er noch überdieß mit mehrerer Gesellschaft

theilen muß.

UebrigenS ist unser Zimmer reinlich, und

die Mahlzeit sehr gut.

Was sich aber auch über dieses Bad und die Gasthöfe sagen ließe,

so vergißt man das Alles bey dem Anblicke

der großen und romantischen Natur und eines Wasserfalles,

der den schönsten der Schweiz nichts nachgibt, und wovon ein Tbeil unter unserm Fenster herabbrüllt.

Die Gastein,

oder vielmehr, die Gasteiner ?tche, ein ziemlich beträchtli­ cher Bergstrom, stürzt, sich hier in einem Felsenbette über

zwey Absätze herab, deren jeder einen besondern Fall bil­ det,

und jeder ist so schön, daß ich nicht weiß, welchem

ich den Vorzug geben soll.

Sie sind beyde im größten

Style und machen vortreffliche Gemählde,

wie ich auf

dem Fürstlichen Schlosse zu Salzburg sahe.

Das Wasser

"kommt mit solcher Wuth herab, daß es den ganzen Ort

mit seinem Gebrülte füllt, welches Anfangs eine nicht an­ genehme Störung macht, weil man dem Getöse nirgends

entgehen kann. — Die Höhe des Falles ist 270 Fuß.

Sonst theilte sich dieser Fluß; allein man hat ihn an der einen Seite des Fürstlichen Hauses eingedammt, und

nur so viel davon durchgelaffen,

als zu einem kleinen,

allerliebsten Wasserfalle nöchig ist,

der durch seine Nähe-

die Speisekammer des Fürsten kühlt, und seinem Wasser und Weine eine Kalte geben, muß,

wie nur immer dis

Wirkung des Eises sie hervorbringen kann. — Das Haus

selbst ist ein steinernes, ansehnliches Gebäude, wo der Erz­ bischof gelegentlich einige Zeit im Sommer zubringt *).

Es liegt in der menschlichen Natur eine gewisse Neu­ gierde, die mw immer über das gegenwärtige hmaustreibt,

und die sich bey Kleinigkeiten, so wie bey wichtigern Ge­ genständen, äuücxt.

Wenn wir das scheinbare Ende einer

Sache sehen, so möchten wir gern wissen, was darüber hinaus ist»

So sehe tch nie ein Wasser von einem Berge

sich herabstürzen, daß ich nicht wünschte, das scheinbare

Ende des Berges zu ersteigen, verfolgen.

und den Fluß weiter zu

Zm gegenwärtigen Falle fchien dieß etwas

schwer zu seyn-, denn ich sahe nichts als schroffe Felsen­

wände um mich her.

Noch stand die Sonne hoch, und

ich wünschte die obern Regionen zu sehen.

Man zeigte

mir einen kleinen Fußweg, der sich in einem Zickzack nahe

an dem Fürstenhause in die Höhe zieht.

Ich befand mich

*) Die Aufschrift an diesem Hause scheint der ganzen Bade­ gesellschaft eine angenehme Hospitalitat zu versprechen!

Sotifeiis Gastuni Foutibus utentium cominodo et pro* speritati Hieionvmus ArcLiep. 179Ich cvnstruikte NUN die Worte „utentium cominodo“ durch „commodo coi um, qui uxuntur, seil. Fontibus Gastuni.“ — Dreß affür sagte ich, ist für die BadegästeHier wird der Ort seyn, wo sie sich zu Frühstück, Thee, Spiel und

Unterhaltung versammeln; oder vielleicht finden wohl gar gewiffe Leute ihre Wohnung hier, wenn der Eigenthümer nicht gegenwärtig ist. Der Erzbischof aber cvnstrmrt das ganz anders! Er meint „commodo ytentium, i. 0.

commodo eorum,

qui utuntur,

seil, hac domo;“

mit andern Worten: „für sich und seine Leute! " — Die Ellipsis, durch dle hac domo weggelaffen ist, dünkte mich etwas hart und unelasftsch. — Da denn das Pu­ blicum ganz und gar keinen Antheil an diesem Hause und kerne Art von Genuß davon hat, warum stehet denn da, fragte ich den Wirth, diese Aufschrift, dre ich denn nach meiner Art verdeutschte?*—„O ich weiß recht gut, war die Antwort, was sie bedeutet; sie ist schon von mehreren Fremden auf die nähmliche Art mißverstanden worden."

sehr bald über dem Wasserfalle, entdeckte mehrere anders

die unten in einer schaudervollen Tiefe brüllten, und ging an schroffen Felsen immer weiter, bis ich mich auf einmahl in einem ganz ebenen, recht artigen Thale fand, in wel­ chem ich eine Menge Häuser, eine ansehnliche Kirche und

einen sehr guten Fahrweg entdeckte.

Wirklich geht hier

eine Brücke über den Fluß, und eine gemachte Fahrstraße auf der andern Seite des Wasserfalles hinab. Das Dorf

heißt an der Beck, oder Böckstein, und enthält die Poch - und Waschhäuser der Bergwerke, die weiter hinauf auf den Höhen liegen. Das berühmte Wasser des Gasteiner Wildbades ist heiß, und hat überaus wenig Geschmack.

Sein großes

Verdienst ist jene außerordentliche Feinheit und Leichtigkeit,

die man nur in den Wassern der hohen Alpen findet, tute z. E. zu Pfeffers.

Man rühmt es in allen Arten von

Glieder- und Nervenkrankheiten, alten Wunden, Kräm­

pfen und Lähmungett.

Es wird getrunken; noch häufiger

aber badet man. — An öffentlichen Anstalten fehlt es hier

ganz! Der Bäder sind nur wenige, so daß mehrere Per­

sonen im nähmlichen Wasserbehälter sitzen Müssen, wie im Leukerbade im Walliserlande. —

An öffentliche Belusti­

gungen ist nicht zu denken, und am ganzen Orten ist nicht

einmahl ein Saal, in dem die Gesellschaft sich versammeln könnte.

Za es fehlt sogar an einem anständigen Platze,

an welchem dieienigen, die das Wasser trillken, es schöpfen können.

Modegesellschaft findet sich also hier sehr wenigs

und zum bloßen Vergnügen bleibt wohl niemand über ein paar Tage. Hof, den Sten July, eine Meile vom Gasteiner Wildbade.

Dier Stunden Wegs vom Dade finden sich Golvund Silberbergwerke auf einer Höhe, von der ich nicht

glaubte, daß sie solche Metalle erzeugen könnte.

Unser Weg zu diesen Bergwerken führte uns durch Has Dorf an der Beck, oderDöckstein, das ich gestern

von ungefähr entdeckte, und von dem ich Ihnen geschrie­ ben habe.

Es liegt eine Stunde vom Gasteiner Dade,

an dem Fuße jener hohen Alpen, welche Salzburg von Oberkärnthen trennen, und gehört unter die höchsten in

Europa.

Von da gingen wir beynahe drey Stunden w

ausgesetzt bergauf.

Kaum hatten wir eine Stunde We­

ges den Berg hinauf gemacht, als ich schon Schnee unter

mir bemerkte.

Allmählich nahm er zu; wir fanden un­

sern Weg rechts und links reichlich damit versehen, und

mußten endlich selbst über beträchtliche Schichten gehen. Hier ist man schon in einer Region, wo keine Bäu­ me, keine Gesträuche mehr wachsen! Nichts, als ein we­

nig mageres Gras, nackter Felsen und, mehr als beydes,

Schnee, tiefer, unabsehbarer Schnee. — In dieser trau­

rigen Gegend arbeiten mehr als zwey hundert Menschen in den Bergwerken. —

Man empfängt die Fremden in

einer Hütte, über welche hinaus die Schächte einige hun­

dert. Schritte höher liegen. —

Auch auf der entgegengesetzten Seite dieser Atpenhöhen wird etwas Erz gewonnen, und, um es nicht über den ganzen Rücken herüber zu bringen, hat man einen Derg, auf eine Stunde Weges lang durchgraben, und

mit Wasser gefüllt, so daß man mit niedrigen Booten dar­

in fahrt.



Reisende besehen gewöhnlich dieses Werk,

und das war auch unsere Absicht; allein wir hatten fast

den ganzen Weg bis an den Canal über Schnee machen müssen, und der, welchen wir schon vorher gemacht hat­

ten,

und welchen wir auf unserm Rückwege nicht vermei­

den konnten, war uns so beschwerlich gewesen, daß wir

nicht auch diese zweyte Reise im Schnee und eine Wasser-

fahrt im Berge damit verbinden wollten. Ja wohl! „Wenn ein Theil der Menschen wüßte, wie der andere lebt!" Das ist oft gesagt worden, und es

Kärrner- R. 4. LH.

*9

Siebenter Brief.

390

ist gut,

daß man es sich bisweilen wiederhohlt.

Stellen

Sie Sich bas Leben dieser Menschen ver, die einen Theil

ihrer Zeit unter der Erde und den übrigen aus und unter dürren Felsen zubringen, wo sie jetzt, im Monathe Zuly, noch auf allen Seiten von Schnee umgeben sind, und

sich nicht aus einer Hütte in die andere bewegen können,

(denn viele wohnen auf diesen Höhen) ohne auf diesem

Elemente zu wandeln. —

Alle Bedürfnisse des Lebens

müssen heraufgebracht «erden, wie es sich von selbst ver­ steht; ja sogar das Holz und die Kohlen, die man in den

Gruben braucht, kommen au« der Tiefe, wozu man sich einer großen und schwerfälligen Art von Pferden bedient, die, wie ich höre, im Lande fallen.

Sonderbar ist die Art, wie diese Erze ausgebracht werden.

Auf der Höhe, nicht weit von den Gruben, ist

ein HauS, wo'da« Erz mit dem Hammer zerschlagen, ge­

lesen, und dann in Haufen bis zum nächsten Winter hin­ gelegt wird.

in Säcke,

Kommt diese Jahreszeit, so packt man es die unten mit Schweins- oder Hundefellen

benäht sind, und so wird es von Menschen den Berg hin« ab auf dem Schnee in das Dorf an der Deck geschleift. Hier wird es gepocht und gewaschen und dann volle vier

Meilen weiter, nach Lendt, geschafft, wo die Schmelz­

öfen find, deren ich gestern gedachte. — Das Gold wird gleich zu Deck ausgebracht. — Diese Verfahrungsart ist kostspielig!

Man ist also

auf eine neue gefallen, zu der schon alle Vorbereitungen

fertig sind, und dir man unverzüglich in Ausübung brin­ gen wird. Sie ist wirklich bemerkenswerth! Man hat von dem Stollen den Derg hinab bis nach Deck Röhren

gezogen, in welchen jetzt Wasser läuft, woran es oben

auf den Bergen nicht fehlt.

Von nun an wird denn al­

les Erz gleich auf den Höhen gepocht und gewaschen, und dann in diese Röhren gestürzt, in denen es, durch

Siebenter Brief.

391

Hülfe des hineingelassenen Wassers, bis nach Beck ge­ trieben werden soll. Das Hüttenwerk, oder die Arbeitehäuser in diesem Dorfe schienen mir alle sehr wohl eingerichtet, reinlich und zweckmäßig. — Man wollte eben eimae Gold abheben, als wir von den Gruben Herabtamen, das wir denn mit ansehen sollten. Allein man wartete auf jemanden, und in der Ungewißheit, wie lange dadauern möchte, gingen wir herab, nachdem wir vorher die sehr hübsche Kirche, die eine Art von Rotunda ist, genauer besehen hatten- — Die höchste der Gruben soll, nach Herr von Mall 8233 Schuh über der Meererfläche seyn. — Das Gold das man gewinnt, ist sehr unbeträchtlich. — Das Sil ber muß acht Loth im Centner Erz halten, sonst wird cs nicht ausgebracht. Ungeachtet diese Bergwerke so entle­ gen und so schwer zu ersteigen sind, so werden sie boch, ihrer Seltenheit wegen, von den Neugierigen besucht. Man hält ein Buch, worein man den Fremden seinen Nahmen zu schreiben bittet. Das, welches man unö vorlegte, war den r4sten Zuny dieses Zahres angesangen, und mein Nahme war der siebzehnte oder achtzehnte. Einige hatten Sinnsprüche dazu geschrieben, worunter der „Auri Sacra Fames, quo non mortalia cogis pectora “ hier gewiß im höchsten Grade paffend und buch­ stäblich anwendbar war. Die südliche, südöstliche und südwestliche Grenzen des Erzbisthums Salzburg sind durch eine hohe Alpen» kette eingrschlossen, wovon der Berg, in welchem sich die Gruben finden, einen Theil macht, und zwar den, wele chen man die Rauriserkette nennt. Diese Gebirge sind noch sehr wenig besucht worden, und ihre Höhen sind nicht bekannt; doch hat man Ursache, zu glauben, daß die höchsten Spitzen nicht viel weniger als zehn tausend Schuh über der Meeresfläche seyn können. Einige dar/

2yr

Siebenter

Brief.

unter mögen sogar diese Höhe merklich übersteigen! So soll z. E. das Hochhorn, oder der hohe Nan über zehn tausend sechs hundert seyn. Sie sind zum Theil ganz unwegsam und mit ewigem Schnee bedeckt. Jetzt las­ sen sich die eigentlichen Schneeberge von ihren nie­ drigern Brüdern nicht wohl unterscheiden, denn in diesem Augenblicke sind alle Berge dieses Landes auch von der zweyten Größe noch mit diesem Elemente be­ deckt, wovon nur der geringste Theil dieses Jahr schmelzen wird. Dieß wird auch wohi der Fall mit de­ nen seyn, auf welchen man sonst in diesem Monathe kei­ nen mehr bemerkt. Selbst um die Stadt Salzburg her­ um sieht man noch viele Berge im weißen Gewände. So unwirthbar auch diese Höhen sind, so gibt cs doch einige Fußpässe, die über dieselben gehen. Da hat man z. E. einen beschwerlichen Weg, der von dem Dor­ fe an der Deck nach Kärnthen, und einen andern, der in das Zillerthal führt, dessen ich letzthin auf meinem Wege von Jnnspruck nach Salzburg gedacht habe. Der nach Kärnthen fällt in die Straße ein, die von Klagenfurt durch das Pusterthal läuft. Die Wasserfälle sind in diesen Bevgen eben so ge­ mein, als in der Schweiz, besonders jetzt, da die Hitze des Monathes July einen Theil der ungeheuern Schnee­ masse schmelzt, die vergangenen Winter gefallen ist. In dem Thäle, in welchem Deck liegt, bemerkte ich ihrer dre.y, die alle von hohen Bergen herabkamen und wovon einer höchst mahlerisch war. Ich sah diesen letztem, als ich von dem Bergwerke auf einem steilem Wege herab­ kam , als der ist, auf welchem wir Hinaufstiegen. Cs ist der eigentliche Weg der Bergleute, die ihn vorziehen, weil er naher ist. Der andere ist ziemlich wohlgemacht und gut unterhalten, und, so lange wir nicht über Schnee zu gehen hatten, fand ich dabey keine Beschwerde, als was man bey dem Ersteigen aller hohen Berge fühlt.—

Brief.

Siebenter

«93

Der steilere Weg ist zu gewissen Zeiten wegen der Lauwinen sehr gefährlich.

Man hat deßwegen an den

Orten, wo sie gewöhnlich herabkommen, eine Mauer an

der Dergseite aufgeführt, von welcher ein Dach hervorläuft, über das die Lauwinen wegglitschen, während die Menschen sicher unter demselben gehen.

Der ganze Strich von dem Dorfe an der Lendt bis an das Bad und weiter hinauf heißt das Gastein.

Es gibt darin keinen Weg zum Fahren, als den, durch

welchen wir gekommen sind.

Das ist nun eben nicht

daß man

auffallend; aber bewundernswürdig ist es,

den großen und kühnen Gedanken faßte, den zu ma­

chen, den ich Ihnen gestern beschrieben habe, und der für ein kleines Land wirklich eine riesenmaßige Unter­

nehmung ist. — Sonst ging der Weg von Lendt über die Berge. 1534 ließ ein Erzbischof diese merkwürdi­ ge Straße brechen. Da es uns gestern im Wirthshause zu Hof sehr

gefiel, und es nur eine Meile vom Gasteiner Wild­ bade entlegen ist, so fuhren wir noch diesen Zlbend

hierher.

Zell, den 4ten July. Mit

vielem

noch einmahl den

Interesse ging

ich diesen

merkwürdigen Weg,

nach der Lendt führt.

Morgen

der von Hof

Man theilt diesen lehtern

Ort in den obern und untern.

Zn dem

untern sind

die Schmelzwerke, deren ich letzthin gedacht habe und

welche die wichtigsten im Lande seyn sollen; im obern steht ein ansehnliches Haus, das dem Fürsten gehört und

vom Bergverweser bewohnt wird.

Non der Lendt gehet ein Fußpfad über die hohen

Alpen nach Kärnthen, über Rauris und Heiligenblut. Man

rechnet von hier zwölf starke Stunden bis an

Siebenter

294

Brief.

den letztem Ort, der zwischen dem Rauriser und Fu, fdwr

Taurn liegt. —

Eine Menge Berge im südli­

chen Salzburg führen den Nahmen Taurn, welcher ei­

ne ansehnliche Spitze oder Giebel, etwa was man in Schweiz Horn nennt, bedeuten muß.

Hier find,

außer den genannten, der Krümbler-der Windisch< der Gafreiner: der Radstadter-Taurn und andere mehr.

Dre mehresten dieser Berge hatten Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Bley, Schwefel.

Auch gibt es, außer

den Bergwerken, die ich gestern besuchte, verschiedene an­

dere. — Gemsen finden sich hin und wieder auf den Höhen; an manchen Orten ziemlich häufig. Von Lendt wandten wir uns westlich, men, an einem schaudervollen Berge hin,

und ka­

in ein gro­

ßes und schönes Thal, das man den Pinzgau nennt,

und das über sechs Meilen lang ist.

Die Höhe die­

ses Thales, das mehr als zwey tausend Schuhe über dem Meere erhaben ist, macht sein Clima etwas rauh,

und läßt die feinern Früchte und Pflanzen nicht fort­ kommen; sonst aber ist es überaus fruchtbar, und sei­

ne Einwohner gehören untrer die reichern Landleute des Erzstiftes. Cs ist sehr angebaut, und tragt, in guten Zähren, so viel Getreide, als seine Einwohner bedür­ fen; in schlechtern aber muß man cinführen.

hauptsächlichste Ertrag ist die Viehpicht.

Der Man macht

wenig Käse, und diesen nicht gut, weil man die Mitch erst abrahmt; aber desto mehr Schmalz, oder ausger laffene Butter, weiche in großen Massen in das Aus­ land geht.

wie in Tyrol.

Kurz, man verfährt hier mit der Milch

Niemand versucht, bessern Käse zu bex

reiten, als seine Vorfahren, und sie zu einen Aus­ fuhrartikel zu machen. Die Antwort ist immer: „Wir sind es einmahl so gewohnt/'

Manche setzen noch hin­

zu: „Unsere Fütterung ist nicht so gut, wie die in der

Schweiz, und so würden unsere Käse jenen nie bey-

kommen." — Gleichwohl ist baS Rindvieh in allen diesen Thalhöhen sehr schön, nicht so groß wie in der Schweiz, aber wohl gebaut, fleischig und von ei­ ner schönen, glänzenden Haut. Die Farbe ist mehrenkheils roth. Der vorzüglichste Reichthum der Pinzgauer aber besteht in der Pferdezucht, die die beste im Lande ist. Diese Pferde werden sehr gesucht, und drey hun­ dert Gulden, auf der Stelle, ist kein ungewöhnlicher Preis für ein schönes Thier von vier Jahre», zwey hundert Gulden ist ein Mittelpreis; was für hundert und fünfzig' verkauft wird, betrachteti man als eine schlechtere Art. Die Salzach durchfließt die ganze Länge des Pinzgaues, empfängt zu Lendt die Gastein und bleibt der beständige Gefährte des Reisenden, der über St. Johannes und Werfen nach Salzburg geht. Selbst da, wo wir diesen Fluß heute verließen, bey Fischhorn, ist er noch immer ein ansehnliches Bergwasser, das mit reißender Schnelle herabbraust, und das Land umher mit seinem Getöse füllt. Ueberhaupt werden alle die» se Thäler durch ihre Wasser sehr lebhaft; denn außer den größern Flüssen kommt man ohne Unterlaß an kleine Bäche, die auf allen Seiten sich von den Ber­ gen herabstürzen, und zum Theil sehr mahlerische Fälle machen.

Hätte ich die Schweiz nicht gesehen, nicht mehr­ mahls und in allen ihren Theilen durchwandert, ich würde von dieser ganzen Reise durch das Land Salz­ burg mit Entzücken sprechen. Es ist wirklich eine Art von Alpenreise, und nichts gleicht so sehr den Schwei­ zerthälern, als diese. Auch die Bauart der Häuser, die mehrentheils sehr gut sind, ist hie nähmliche. Die Besitzungen find theis durch grüne Hecken, theils

296

Siebenter

Brief.

durch hölzerne Geländer eingeschloffen, und alles hat ein Ansehen von Bequemlichkeit und Wohlstand. Wenn man eine gewisse Zahl von Landwirthen im Pinzgaue, und hin und wieder in einigen andern Stri­ chen qusnimmt, die ein Vermögen haben, wie man es selten unter Landleuten findet, so find die übrigen nicht reich; denn sie haben weder Handel, noch Fa, briken, und selbst ihre Landeserzengnisse können sie, wegen ihrer Lage, nicht mit Leichtigkeit und auf die vortheilhafteste Art absehen; aber sie haben, was sie bedürfen, vielleicht mehr als die Schweizer der klei­ nern Cantone, und nirgends sieht man eine Spur von Elend. Sie sind freundlich, gefällig und so höf­ lich, daß es mir oft wehe thut, wenn ich sehe, wie jedermann, so wie wir vorbeyfahren, von seinem Sih aufsteht, und die Männer mit entblößtem Haupte eine lange Weile un- nachsehen. Ihre Häuser haben fast durchaus ein oberes Stock­ werk, sind mehrentheils von Holz, und scheinen sehr warm zu seyn. Tine, auch zwey, ja wohl gar drey Seiten haben oben Gallerien, welche hervorspringen, und unten einen bedeckten Platz lassen. Dieser Plah ist hier zu Lande, so wie in dem ganzen Striche zwi­ schen Znnspruck und Salzburg, mit kleingehgcktem Hot­ ze angefüllt- Sie wissen es so künstlich und präcis zu schichten, daß es dem Hanse zu einer doppelten, ja

*) Ich rede von Zeiten, die nicht mehr sind! Die grü­ nen lieblichen Thaler von Unterwalden, das roman­ tische Land Uri und mehrere andere Striche der einst glücklichen Schweiz sind in Wüsteneyen verwandelt, wo die wenigen übr:g gebliebenen Einwohner fich nue Mühe des Hungers mvcbrt1,? und gegen die er­ sten Bedürfnisse kämpfen.

Siebenter

Brief.

297

dreyfachen Mauer dient, weil man es öfters in meh­ reren Schichten hinter einander stellt. Für die Fenster

läßt man gerade so viel Oeffnung, als die Größe eines jeden beträgt, wodurch freylich die untern Zimmer sehr

dunkel werden, weit ste, auf diese Art, in einer Wand

stehen, die oft mehrere Schuh dick ist. — So wie in mehreren Gegenden der Schweiz, hat

man auch hier keine großen Scheunen, oder Heuböden in der Nähe des Wohnhauses. Man errichtet dafür eine Menge kleiner Gebäude, die in den Feldern, und

zum Theil auch auf den Bergen umher zerstreut sind,

und welche dem Lande ein lebhaftes und bevölkerteAnsehen geben. — Diese Hütten sind sehr einfach. Man legt ganze Tannenstämme so über einander, daß sie sich in den vier Winkeln kreuzen; auf drese Art

bleibt zwischen jedem Stamme und seinen zwey Nach­

barn ein leerer Raum, kann.

welchen die Luft durchstreichen

Kurz, sie sind gerade so gemacht, wie die Mei,

senkasten, in denen die Knaben auf unsern Dörfern diese Vögel fangen, nur daß diese einen Deckel, jene ein Dach haben. Zn diesen Hütten wird das Heu, so wie es getrocknet

Winter liegen bleibt.

ist, aufgehoben, wo es bis zum

Zn der rauhen Zahreszeit, wenn

alle Beschäftigungen im Felde aufhören, ist es eine der regelmäßigen Winterarbeiten, die Früchte des Som,

mers aus Schlitten nach und nach in die Häuser zu bringen. Ein anderer Theil dieser Zeit wird ange­ wandt, Holz zu hauen, und es von den Höhen herab­ zuschleifen.

Der Holzverbrauch ist sehr groß, denn die­

se Leute, wie alle achte

Bergbewohner,

größten Theil des Zahres hindurch.

heihen den

Auf dem einen

der Bergwerke, die ich gestern in den Rauriser Alpen besuchte, wurden wir in die sogenannte Herrenstube geführt, welche eigentlich für Fremde ist, und ich fand

298

Siebenter Brief.

sie geheitzt. Zch ging nachher in die Knappenstube, wel­ che noch heißer war. Bald nachdem wir die obere Lendt verlassen hatten, sithren wir an dem Abhange eines DergeS herum, dessen «ine Seite vor wenig Zähren herabgesunkcn ist. Man nennt die Gegend die Embacher Plaike. Die Catastro« phe muß fürchterlich gewesen seyn, denn noch >ctzt sieht man einen entsetzlichen Greuel der Verwüstung. Elli Theil des Berges löste sich ganz oben ab, überwältigte alles umher bis in die Tiefe, und füllte selbst das Bett des Flusses. Dieser mag freylich seitdem vieles wieder weggewaschen haben; indessen ist doch noch bis jetzt ein Damm geblieben, der dreyßig bis vierzig Schuh höher seyn mag, als das ehemahlige Bett des Flusses. Die Folge davon ist, daß dieser beynahe eine viertel Meile aufwärts geschwellt, und drey oder vier Mahl so breit geworden ist, als er vorher war. Dabey stießt er auf dieser Strecke so ruhig, daß er einem kleinen See gleicht. Eine Menge Fichte«, die sonst am Ufer standen, steht man jetzt weit hinein im Flusse; ste sind alle verdorrt. Miele hat man seitdem abgehauen. Durch diesen Damm hat der untere Theil des Flusses einen größern Abfall be­ kommen, und so brauset er in einem langen Falle herab. Das Schlimmste von dem Dergfalle ist letzt, daß bey anhaltendem Regen noch diesen Augenblick Erde und Steineherabkommen, und diese Straße, welche auf je­ den Fall gefährlich ist, sehr unsicher machen. Ein Pferd, das ausglitfchl oder scheu wird; ein Zufall am Wagen, — und Sie sind unwiederbringlich verloren. Der Doi den unter Ihnen ist weich und locker, gibt ohne Unter­ laß nach, und Ihnen zur Seite ist der jähe Abhang, der in dem Flusse endiget. Noch muß ich von diesem Flusse anmerken, daß die Einwohner seinem schnellen Laufe und seiner Wuth fast tm ganzen Lande durch ihre Industrie Grenzen gesetzt

Siebenter Brief.

199

haben, so daß er ihnen nur wenig S6)aden thut. Wie würde der Anwohner des Tagliamento erstaunen, wenn er diesen Dergstrom sähe, der regelmäßig größer ist, als jener in gewöhnlichen Zeiten. Aber hier zu Lande wirb kein Stückchen guter Erde ungebraucht gelassen, unl» Alles, was des Anbaues fähig ist, gleicht einem Engli» scheu Garten. Wir kamen nm rilfUhr nachDäxenbach, auch Ta» xenbach, einem romantisch gelegenen Flecken, wo wir im Gasthofe in einem einfachen, aber reinlichen Zimmer ei» ne erträgliche Mahlzeit fanden. Drey Stunden weiter kamen wir hierher nach Zell, einem Flecken, welcher dem daran liegenden See seinen Nahmen gibt. — Wir hatten unsere Tagereise so zugeschnitten, daß wir schon tun vier Uhr hier ankamen, um den übrigen Theil des Tages auf dem See zuzubringon, der wirklich außeror­ dentlich schön ist. Allein es regnete, und ich habe meine Zeit mit Schreiben ausgefüllt, bis vor einer Stunde, da das Wetter sich aufklärte. Dieser See gehört durchaus unter die schöner», die ich gesehen Habel Ich möchte oft Vergleichungen an­ stellen ; aber es gibt nicht zwey Gegenstände in der Na­ tur , die einander auf einen hohen Grad ähnlich wären. Ich würde diesen See mit dem Sempacher vergleichen; aber die Berge, die den von Zell umgeben, sind ungleich höher, so daß er ein Ansehen von Großhett hat, das je­ nem fehlt. Dafür sieht man am Sempacher wieder an­ dere Züge, die man hier vermißt. Der hiesige mag et­ was über eine Meile lang und höchstens eine halbe Mei­ le breit seyn. Dieß ist gerade der Umfang, der einen See interessant macht, weil man auf allen seinen Ufern jeden größern Gegenstand deutlich sehen kann. — Als wir von Däxenbach heraufkamen, fuhren wir durch eine lange, sumpsige Ebene, so daß ich wenig Schönheit von dieser Seite des Sees erwartete, indem seine Ufer da

Siebenter

zoo

ganz flach sind.

Brief.

Als ich ihn aber von Zell auS sahe,

fand ich diese Ufer rings um von Bergen umgeben, die so groß und majestätisch sind, daß die Ebene vollkommen

zu Nichts verschwindet, und die Berge, auch auf der flae chen Seite, gerade vom Ufer des Sees sich zu erheben scheinen.

Die, welche ihn zunächst umgeben, sind schön

angebaut, bis auf ihre höchsten Spitzen grün und mit Waldung bewachsen, und in der Ferne sicht man die be-

schneyten Alpen. Sie werden lachen, daß ich immer wieder auf die Wirthshäuser komme; aber da sehe ich so häufig etwas, daS sich mit diesen Gegenden nicht zusammen reimt.

Zch

schreibe jetzt in einem großen Zimmer, jwo drey ungeheu­

re Betten stehen; nebenan sitzt Herr ** in einem an­

dern, wo auch ein Paar ausgeschlagen

sind, und das

Nähmliche findet sich noch in einem dritten. Die Bett­ stellen, Schränke, Thüren, Fenster — alles ist mit bäu­

rischem Schnitzwerk verziert und^vergoldet, und auf den Cvmmoden steht Glas, Zinn und Porcellan. — „Aber was macht man, fragte ich, mit allen den Zimmern und Betten, da ich weiß, daß wenig Reisende hier durchge, O! Hierher kommt niemand! Das Alles

hen?" —

hat die Frau vor vielen Zähren zugebracht, und düs ist seitdem so stehen geblieben. —

Diese Liebe zum Vorra-

the scheint den Bewohnern hoher Dergländer eigenthüm­

lich zu seyn, und mehr oder weniger haben alle Landleu­ te etwas davon.

Zn der Schweiz habe ich häufige Bey­

spiele davon gefunden, und zu Däxenbach sahe ich von

ungefähr «inen Schrank, der mit großen Ballen von Leinwand, Zwillich, Stoffen zu Kleidern und was weiß

ich angefüllt war. — „Meine Mutter hat mir es hin­ terlassen, sagte der ziemlich junge Eigenthümer, und ich

hoffe nun, bis an meinen Tod genug zu haben.",— Zu Zell gab man uns eine Mahlzeit von vielen Schüsseln, worunter ein Pudding, Ragout u. s. w. waren. — Wo

Siebenter

Brief.

3©i

her kommen den Leuten diese Begriffe, wenn sie auch

reich genug sind, den Stoff dazu im Hause zu haben? sind sie so ängstlich, zu gefallen und

— Und dabey

alles recht zu machen, wie sie sich ausdrücken, als wenn der Erzblschvf bei; ihnen eingekehrt wäre, oder als ob sie durch unsere Durchfahrt grosie Summen zu gewin­ nen dächten. — Gleichwohl war die Rechnung von unserm letzten Nachtlager, mit Mahlzeit und Fnihstück, nicht mehr als zwey Fl. sechs und fünfzig Kreuzer, d. h. ein Thaler, fünfzehn

Groschen Conventionsgeld; und

das Stubenmädchen küßt Ihnen |är sechs und dreyßig Kreuzer die Hand und, wenn Sie diese zurückziehen,

den Nock. —

Bisweilen

erinnern einen diese Leute

an einen Luxus, der orientalisch ist.

So stand der

Wirth zu Hof mit einer großen Maschine an unserm

Tische,

und wedelte die Fliegen weg,

wir speisten.

während daß

Man ist bey diesen Leuten wie ein Gal

in den Zeiten der Patriarchen.

Utiefen den 6 July. Wir verfolgten heute früh den Zillersee bis an sein

Ende, und kamen, auf einer ziemlich ebenen Straße,

drey Stunden Weges, nach Saalfelden. Thal ist von hohen Gebirgen

Auch dieses

umgeben, doch frucht­

bar, angebaut und mahlerisch schön.

Zch bin wirklich

an Ausdrücken verlegen, um Ihnen einen Begriff von dem Lande zu geben, durch das wir seit sechs Tagen

gegangen sind!

Es ist überall schön, aber ich finde

hauptsächlich zwey Arten von Landschaft.

Die eine be­

steht aus ziemlich breiten, fruchtbaren und angebauten Thälern, deren Berge an den

Seiten

mit

Wiesen,

Weiden und Waldung gekleidet, und oft bis auf eine beträchtliche Höhe bewachsen sind.

Nur die höchsten

Berge bestehen in diesen Thälern aus ganz nackten Fel-

301

Siebenter

Brief.

feit, deren Steile und Wildheit jeden Versuch der In­

Die zweyte Zlrt von Land­

dustrie vereiteln würde.

schaft besteht aus ganz engen, von säst senkrechten Fel­ sen eingeschlossenen Pässen, und Thälern, die mehr ro­ mantisch und groß, als angenehm, oder gefällig sind. Unter diese Rubrik gehören die Striche zwischen Golling und Werfen, zwischen der Lendt und Hof, und

«in Theil des Landes zwischen Saalfelden und Uncken, durch das wir heute gekommen sind. Besonders ist der Strich zwischen Golling und Werfen eine der wilde­

sten und erhabensten Scenen, die ich irgendwo gesehen habe.

Das Wüthen der Salzach in der engen Tiefe

ist grausenvoll, wenn man von der Straße hinabsteht,

die senkrecht darüber hängt.

Die Felsen sind eine Art

von weißgrauem Marmor.

Mitten auf der Straße

kommt man an einen Paß, dergleichen ich in diesem

Lande noch zwey andere gesehen habe, und die alle drey Lueg heißen. Es ist ein Gebäude, das den

schmalen Raum zwischen dem Flusse und dem schroffen Felsen einnimmt, und durch welches man also fahren muß. Dey dem ersten kam ein Mann heraus, und

fragte — nicht nach unserm Passe, nicht nach unserm Nahmen, auch nicht, was die 2lbsicht unserer Reise

wäre, sondern — „nach unserm Charakter."

Am zwey,

ten dieser Pässe, zwischen Lendt und Hof, zeigte sich

ein Invalide, zog

den Schlagbaum auf, und blieb

mit entblößtem Haupte stehen, bis wir dnrchgefahren

waren, ohne irgend eine Frage zu thun, oder etwas zu verlangen. — Ich kann nicht erfahren, wozu diese Pässe eigentlich nützen, einen ausgenommen, durch den

wir heute kamen, und der ganz nahe an der Tyroler Grenze liegt. Er soll die Ausfuhr solcher Artikel vere

hindern, die zu gewissen Zeiten gesperrt sind. — Sol»

cher Pässe gibt es noch mehrere in Tyrol.

Gpecialkarten sind sie

angezeigt,

und

Auf den

heißen

häufig

ebenfalls Lueg, welches ein altes Deutsches Wort seyn muß, das die Lage und die Natur eines solchen Pas­ ses anzcigt. — Vielleicht kommt es von dem alten lut« gen (sehen, aufschauen.) . Auch das Schloß in dem Feie senloche, eine Meile von Adelsberg, heißt Lueg. Sollten Sie wohl glauben, daß ein Theil dieser Berge selbst dem daran wohnenden Landvolke unju» gänzlich ist! Die Gegend um Saalfelden ist von dem obern See im Ländchen Bcrchtolsgaden bloß durch ei­ ne Bcrgreihe getrennt, die gar nicht breit, oder tief ist; gleichwohl können sie nicht anders als durch einen langen Umweg, der voll« acht Stunden beträgt, dahin kommen: und auch selbst dieser ist ein höchst beschwerlicher Paß. Für uns, die wir der Fahrstraße folge», ist es ein Umweg von zehn Meilen. Ueberhaupt gibt cs aus den südlichen Theilen deS Erzstistes Salzburg nicht mehr, als zwey Fahrstraßen; die eine, die wir nach Gastein genommen haben, und unser Rückweg von der Lendt hierher, welcher unS bey Loser« auf die große Tyroler Landstraße brachte, und dann über Uncken und Reichenhall geht. Ueber die beyden letztem Orte ginge» wir auch vor acht Tagen, als wir von Jnnspruck kamen. Dieß also ist die Ur­ sache, warum wir uns wieder in dem nähmlichen Hause befinden, in welchem wir kürzlich übernachteten. Von Saalfelden kommt man durch daS Thal Frauenwiese, gewöhnlicher Frane »wies, in wel­ chem ein unbedeutender Ort gleiches Nahmens liegt. Dicht am Wirthshause macht ein Dergbach, den sie, glaube ich, den Dießbach nennen, zwey überaus schö­ ne Fälle, wovon der obere groß und prächtig, der u»x lere lieblich und mahlerisch schön ist. — Einen un­ gleich größern hatten wir kurz vorher dicht an der Landstraße gesehen, eine Stunde, ehe wir Frauenwiese erreichten.

SL eben ter

304

Brief.

Kurz, dieses ganze Land ist äußerst reich an Was­ sersüllen und Auöstchtcn, die sammt

und

sonders so

schön sind, d